Erinnerung als Ritual: Rhetorische Verfahren zur Konstruktion einer Kriegsveteranenkultur 9783110942392, 9783484680166

The discrepancy between the organized war-veteran culture and the development of overall German culture since the 1970s

232 115 4MB

German Pages 161 [164] Year 2005

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Inhalt
1. Einleitung: Forschungsgegenstand, Forschungslage und Erkenntnisinteresse
2. Quellen und Methode
3. Analyse: Funktionen und Orte des Erinnerns
4. Analytischer Ertrag und Kontextualisierung
5. Anhang: Gespräche
6. Literatur
Dank
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Erinnerung als Ritual: Rhetorische Verfahren zur Konstruktion einer Kriegsveteranenkultur
 9783110942392, 9783484680166

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RHETORIK-FORSCHUNGEN Herausgegeben von Joachim Dyck, Walter Jens und Gert Ueding Band 16

Andreas Hettiger

Erinnerung als Ritual Rhetorische Verfahren zur Konstruktion einer Kriegsveteranenkultur

Max Niemeyer Verlag Tübingen 2005

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. ISBN 3-484-68016-4

ISSN 0939-6462

© Max Niemeyer Verlag, Tübingen 2005 Ein Unternehmen der K. G. Saur GmbH, München http://zuww.niemeyer.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Satz: Johanna Boy, Brennberg Druck: Guide Druck GmbH, Tübingen Einband: Buchbinderei Geiger, Ammerbuch

Inhalt

1. Einleitung: Forschungsgegenstand, Forschungslage und Erkenntnisinteresse

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2. Quellen und Methode 2.1 Texte zum Volkstrauertag in der Zeitschrift ,(Alte) Kameraden' und Gespräche mit ihren Verfassern 2.1.1 Texte 2.1.2 Gespräche 2.2 Memorialtopoi und die Konstruktion von Erinnerung in Rede und Gespräch

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3. Analyse: Funktionen und Orte des Erinnerns 3.1 Funktionen des Erinnerns 3.1.1 Kontrapräsentische Überhöhung 3.1.2 Ordnende Vergegenwärtigung 3.1.2.1 Mythos 3.1.2.2 Ritus 3.1.3 Limitische Strukturierung 3.1.3.1 Ausgrenzung 3.1.3.2 Vergessen 3.2 Orte des Erinnerns 3.2.1 Der Krieg 3.2.1.1 ,Ihr wart ja nicht dabei' 3.2.1.2 Krieg als Handwerk 3.2.1.3 ,Dulce et decorum' 3.2.2 Der Soldat 3.2.2.1 Der Soldat als Opfer 3.2.2.2 Die verratene Generation 3.2.2.3 ,De mortuis nihil nisi bene' 3.2.3 Die Utopie 3.2.3.1 Die Aussöhnung über den Gräbern 3.2.3.2 Die familiale Kameradschaft 3.2.3.3 Die männerbündische Kameradschaft

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4. Analytischer Ertrag und Kontextualisierung

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5. Anhang: Gespräche

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6. Literatur

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7. Dank

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1.

Einleitung: Forschungsgegenstand, Forschungslage und Erkenntnisinteresse

Veteranenzeitschriften gehören in Deutschland einer aussterbenden Textsorte an. Ihre Inhalte werden in einigen Jahren, wenn ihre Autoren nicht mehr leben, nur noch von gleichsam antiquarischem Wert sein. Seit gut einem halben Jahrhundert versuchen sie Erfahrungen in Worte zu kleiden, die eigentlich - nach Aussage der Autoren - nicht erzählbar sind.1 Von Anfang an inszenieren diese Texte den Abschied. In den 50er, 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts wurde Abschied genommen von Wehrmacht und Krieg. Seit den 80er Jahren drehen sich die festgehaltenen Erinnerungen und Gedenkworte um den Abschied einer ganzen Generation. Noch in der Regierungszeit Konrad Adenauers durften die Gedenkformen organisierter Weltkriegssoldaten mit wohlwollender Beachtung und Akzeptanz rechnen. Danach hat sich die Situation langsam aber stetig verändert. Aus der öffentlichen Wahrnehmung ist das in Traditionsverbänden kameradschaftlich organisierte Gedenken mittlerweile weitgehend verschwunden. Ende der 60er Jahre wurde die Veteranenkultur von der Generation der Söhne und Töchter in Frage gestellt und verlor in der Folge ihren vorher selbstverständlichen Platz im gesellschaftlichen Gefüge. In einer Studie urteilen Alexander und Margarete Mitscherlich im Jahr 1967: „Die offiziellen Begehungen an Trauertagen sind Selbstbetrug."2 Diese Bewertung wurde von einer Mehrheit auch auf die Reden zum Volkstrauertag übertragen. Es lohnt sich, einen genaueren Blick auf diese Wahrnehmung zu werfen, die besonders deutlich wird im Verhältnis der Deutschen zu ihren Gedenktagen, allen voran dem Volkstrauertag, dem vielleicht wichtigsten Datum im Kalender der Traditionsverbände. Bereits im Jahr 1922 wird der Volkstrauertag erstmals im Reichstag veranstaltet, von Anfang an unter Leitung des Völksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge. Vom Jahr 1934 bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs funktionieren ihn die Nationalsozialisten zum , Heldengedenktag' um. Nach dem Krieg wird er im Jahr 1952 unter dem Namen , Volkstrauertag' in den bundesrepublikanischen Kalender eingeführt - als Feiertag zum Gedenken an die Opfer beider Weltkriege.3 Ungeachtet der Namensänderung klingt der ,Heldengedenktag' noch einige Zeit im , Volkstrauertag' nach, wovon ,Heldendenkmäler' und die Reden vieler Kriegsveteranen zeugen, bevor sich langsam eine neue Gedenkkultur in der Bundesrepublik etabliert. Auf begriffsgeschichtlicher Ebene dokumentiert so der ,Volkstrauertag'

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In seiner Geschichte der ,Lieux de Memoire' beschreibt diesen Transformationsprozess der Kriegsveteranenvereine Pierre Nora: Zwischen Geschichte und Gedächtnis: Die Gedächtnisorte. In: Ders.: Zwischen Geschichte und Gedächtnis. Übers, von W. Kaiser [= Kleine Kulturwissenschaftliche Bibliothek 16] (Berlin 1990) S. 3. Alexander und Margarete Mitscherlich: Die Unfähigkeit zu Trauern. Grundlagen kollektiven Verhaltens (München 1967) S. 125. Zur Geschichte des Volkstrauertags vgl. Thomas-Peter Petersen: Die Geschichte des Volkstrauertags (Kassel 1985).

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jene Spannung zwischen Kontinuität und Neubeginn, die die ersten zwei Nachkriegsjahrzehnte prägt und auch heute noch den individuellen und nationalen Umgang mit Geschichte spiegelt, der in Reden des Volkstrauertags kondensiert. In Kriegsveteranenzeitschriften wird der Volkstrauertag auch später immer wieder als ,Heldengedenktag' angekündigt.4 Einer intensiven Beachtung erfreut sich der Volkstrauertag in der Bundesrepublik selten, er ist noch nie ein beliebter Feiertag gewesen, er konnte, wie es Peter Reichel pointiert, „kein national erhebendes Kalenderereignis werden."5 Für weite Teile der Bevölkerung ist er bestenfalls eine lästige Pflichtübung, meistens nicht einmal das. Für eine wissenschaftliche Untersuchung ist er dessen ungeachtet ergiebig, eignet er sich doch bestens dazu, den Umgang der Deutschen mit ihrer Vergangenheit zu spiegeln.6 Einerseits mag die Unbeliebtheit des Volkstrauertags am Datum liegen, das ihn in einer Vielzahl weiterer, fast ausnahmslos gemäß der Jahreszeit eher ,trauriger Gedenktage' verschwinden lässt. Als zweiter Sonntag vor dem Ersten Advent liegt er in unmittelbarer Nähe des protestantischen Büß- und Bettags, des ebenfalls protestantischen Ewigkeits- bzw. Totensonntags, des katholischen Allerseelentags, des katholischen Allerheiligentags, der offiziellen Veranstaltungen zum 9. November und schließlich des Ersten Advents. Die Bedeutung des Volkstrauertags verändert sich mit zunehmender zeitlicher Distanz. Schon jetzt denken die wenigsten am Volkstrauertag an den Ersten Weltkrieg, mit dem allmählichen Ausbleiben von Zeitzeugen aus der Wehrmacht könnte es zu einem ähnlichen Prozess in Hinblick auf den Zweiten Weltkrieg kommen. Wenn es keine Zeitzeugen mehr gibt, erhält Trauer eine andere Qualität. Noch aber gibt es sie: Kameradenverbände treffen sich regelmäßig am Volkstrauertag (oder am Vorabend) auf Friedhöfen oder den Gedenkstätten ihrer Truppenverbände (etwa auf dem Riesenberg bei Konstanz). Immer wieder werden diese Feiern durch Verunstaltungen der Plätze angegriffen, Feiern werden gezielt gestört.7 Veteranen halten deshalb manchmal schon am Vorvorabend des Volkstrauertages an ihrer Gedenkstätte Nachtwache.8 Dieses Setting des Völkstrauertags ist verantwortlich für die spezifische Textproduktion der vorliegenden Quellen, es verleiht ihnen ihre besondere Qualität. In der Diskussion um den Volkstrauertag wird in regelmäßigen Abständen vorgeschlagen, ihn auf den 8. Mai umzudatieren, und so die Trauer über die Toten (vor allem des Zweiten Weltkriegs) durch Freude über die Befreiung von einer verbrecherischen Ideologie abzulösen. Nicht ohne Grund hat die Rede Richard von Weizsäckers am 8. Mai 1985 ganz im Gegensatz zu allen je gehaltenen Volkstrauertagsreden der Bundesrepublik eine

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Z.B. Der Seehase: Nachrichtenblatt der Kameradschaft Ehemaliger 114er und 14er, Nr. 105 (Konstanz, Dezember 1969) S. 6. Peter Reichel: Politik mit der Erinnerung. Gedächtnisorte im Streit um die Nationalsozialistische Vergangenheit (München 1995) S. 269. Zur .wissenschaftlichen Ergiebigkeit' des Volkstrauertags als Forschungsobjekt vgl. Jürgen Danyel: Die Erinnerung an die Wehrmacht in beiden deutschen Staaten. Vergangenheitspolitik und Gedenkrituale. In: R.-D. Müller, H.-E. Volkmann: Die Wehrmacht. Mythos und Realität (München 1999) S. 1139-1149; S. 1148. Vgl. die Berichte in: Der Seehase Nr. 148 (Juni 1985) (.Ansprache unseres 1. Vorsitzenden Hellmut Gaudig anlässlich des Volkstrauertages 1984', S. 4); Der Seehase Nr. 159 (Konstanz, Weihnachten 1990) S. 7; Der Seehase Nr. 162 (Konstanz, 5-/6. September 1992) S. 36. Vgl. Der Seehase Nr. 161 (Weihnachten 1991) S. 29; zur Veteranen-Klage über den Bedeutungsverlust des Volkstrauertags allgemein vgl. Alte Kameraden 11/1961, S. 3f.

durchschlagende Wirkung erzielt. Mitten im Frühlingsmonat Mai sprach Weizsäcker von Befreiung und Neubeginn der Deutschen. Dagegen hat ein Gedenktag im dunkel-winterlichen Monat November, der eher an Tod und Niederlage erinnert, wenig Aussicht auf öffentliche Resonanz. Organisierte Kriegsveteranen halten freilich am Volkstrauertag fest, weil sie nur in diesem Tag einen angemessenen Rahmen für ihre Trauer sehen und diese durch Freude nicht geschmälert werden soll.9 Die kameradschaftlich organisierten Gedenkformen mit dem Volkstrauertag als genuiner Kommunikationsplattform verlieren zunehmend ihre gesellschaftlich prägende Rolle und geraten in eine Randlage. Ihre Protagonisten entwickeln ein Gefühl der Verunsicherung und ziehen sich nach und nach in den geschützten Raum der Kameradschaftsbünde zurück.10 Die Schwierigkeiten, unter diesen Umständen über den Krieg zu schreiben, lassen sich im vorliegenden Quellenkorpus exemplarisch studieren. Kriegsveteranen mühen sich darin um eine ihnen, aber zugleich auch ihrer Zeit angemessene Darstellung des Kriegsund Nachkriegserlebens, deren Selbstverständlichkeit in dem Maße verschwunden ist, wie die Bezeichnung ,Heldengedenktag' dem Namen , Volkstrauertag' gewichen ist. Die vorliegende Studie beschäftigt sich mit jenen Funktionen und Mustern des Gedenkens, die in den vergangenen zwei Jahrzehnten immer mehr in den weitgehend unbeachteten Reservaten organisierter Traditionsverbände verschwunden sind. Sie will einen Beitrag zur Erforschung der bundesdeutschen Kriegsveteranenkultur unter dem besonderen Blickwinkel ihrer kommunikativen Strukturen leisten. Ihr Textkorpus beansprucht keine statistisch repräsentative, dafür aber exemplarische Aussagekraft: 41 Texte zum Volkstrauertag aus den Jahren 1955 bis 2003 aus einer ausgewählten Traditions Verbandspublikation, der Veteranenzeitschrift ,(Alte) Kameraden', sind die Basis dieser Untersuchung. Sie werden ergänzt durch einige Gespräche mit ihren Verfassern und dem Abgleich mit Texten aus einer anderen deutschen Veteranenzeitschrift (,Der Seehase'). Eine lückenlose Erfassung der bundesdeutschen Veteranenliteratur wird nicht angestrebt; sie wird geschichtswissenschaftlich ausgerichteten Arbeiten überlassen.11 Eine stark quantitative Ausrichtung erscheint umso weniger sinnvoll, als sich Inhalte und Formen der Kommunikation von Erinnerung in den verschiedenen Texten (und in gewisser Hinsicht auch in den Gesprächen) auffällig ähneln. Epideiktische Produkte bundesdeutscher Traditionsverbände sind ein erstaunlich homogenes Material, das durch eine Korpuserweiterung kaum neue Einsichten verspricht. Im gesellschaftlichen Auf und Ab der Nachkriegszeit bleiben die lieux de memoire der Veteranen eigentümlich unverändert. Die Konstanz der Gedächtnisorte illustriert ein Beispiel: In der Novemberausgabe des Jahres 2000 der von mir ausgewerteten Zeitschrift (die nun .Kameraden' und nicht mehr ,Alte Kameraden' heißt) werden Volkstrauertagsreden aus dem Jahr 1967 ein zweites Mal völlig unverändert

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Vgl. etwa die Begründungen in Alte Kameraden', Organ der Traditionsverbände und Kameradenwerke (Karlsruhe/Stuttgart, November 2000) S. 3; Der Seehase Nr. 97/98 (Dezember 1966) S. 10. Vgl. Thomas Kühne: Zwischen Vernichtungskrieg und Freizeitgesellschaft. Die Veteranenkultur der Bundesrepublik (1945-1995), in: K. Naumann (Hg.): Nachkrieg in Deutschland (Hamburg 2001) S. 90-113. Einen umfassenden Überblick gibt die Habilitationsschrift von Thomas Kühne (, Kameradschaft. Die Soldaten des nationalsozialistischen Krieges und das 20. Jahrhundert', Habilitation Universität Bielefeld 2003), die voraussichtlich im Jahr 2005 erscheint.

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abgedruckt. Ein symptomatischer Vorgang, der die Gedenktopoi tatsächlich als literarische Konstanten' (nach Ernst Robert Curtius) ausweist. Freilich wurde diese Konstanz gerne als Hinweis auf die Unbelehrbarkeit von ,Ewig Gestrigen' gedeutet. Auch die ausufernde Erzählung von Kriegsgeschichten - ein typisches Phänomen im Gespräch mit ehemaligen Weltkriegsteilnehmern - hat viel dazu beigetragen hat, dass die Erzählungen ehemaliger Wehrmachtssoldaten über Jahrzehnte hinweg ausschließlich als .wissenschaftlich wertlose Kriegsanekdoten' abqualifiziert oder als Indiz der schuldhaften Verstrickung in Kriegsverbrechen gewertet wurden.12 Diese einseitigen Zuschreibungen haben die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Erinnerungsund Gedenkformen der Kriegsteilnehmer über Jahrzehnte blockiert. Die wissenschaftliche Abstinenz hat ihre Wurzeln in den Kodizes eines politisch korrekten Verhaltens. „In Deutschland", schreibt Rolf-Dieter Müller, „wird schnell der Apologie-Verdacht erhoben, wenn das Verhalten der Soldaten verständnisvoll' beschrieben wird." 13 Heute sind (vor allem jüngere) Wissenschaftler vom moralisch motivierten ,Kampf gegen die Väter', die ihre Großväter sind, und einer Abrechnung mit ihnen weitgehend entbunden. Dieser forschungspolitische Paradigmenwechsel lässt ein Bewusstsein dafür entstehen, dass aus den Reden, Inszenierungen und Ritualen des Volkstrauertags ein Verständnis sowohl für die biographischen als auch gesamtgesellschaftlichen Folgen des Zweiten Weltkriegs gewonnen werden kann. Somit durchbricht die vorliegende Studie eine Sichtweise auf ein Material, das normalerweise, mit wichtigen Ausnahmen in den vergangenen Jahren, entweder als authentisches Zeugnis apologetisch affirmiert oder als ideologisch und kurios denunziert wird. Die Thematik einer ,inneren', von den Teilnehmern erinnerten Geschichte des Krieges und ihrer Kommunikation nach außen ist erst seit wenigen Jahren wieder ins wissenschaftliche Bewusstsein gerückt. 14 Gerade diese Perspektive verspricht Einblicke in die komplizierten Zusammenhänge von öffentlichem und individuellem Gedächtnis, von mündlich und schriftlich tradierter Geschichte und des biographisierten Verständnisses einer Generation von sich selbst. Der forschungspolitische Paradigmenwechsel ist emotional stark besetzt. Ein Grund dafür liegt in der Tatsache, dass ein Teil der Betroffenen noch lebt. Das wissenschaftliche Desiderat eines Forschens sine ira et studio ist einfacher an geschichtlichem Material' zu realisieren als in vivo, im lebendigen Umgang mit den Zeugen. Idealisierungen und Ideologisierungen gehen dabei allzu oft Hand in Hand mit dem Bemühen um eine objektive Darstellung. Mit dem Aussterben der Kriegsgeneration wird die über Jahrzehnte praktizierte Richterrolle der Nachkriegsgeneration über die Kriegsteilnehmer zunehmend gegenstandslos.15 12

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So z.B. Gabriele Rosenthal: Vom Krieg erzählen, von den Verbrechen schweigen. In: H. Heer/ K. Neumann (Hg.): Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941-1944 (Hamburg 2 1995) S. 651-663. Rolf-Dieter Müller: Die Wehrmacht - Historische Last und Verantwortung. Die Historiographie im Spannungsfeld von Wissenschaft und Vergangenheitsbewältigung. In: ders., H.-E. Volkmann (Hg.): Die Wehrmacht. Mythos und Realität (München 1999) S. 3-35; S. 35. Vgl. Thomas Kühne: Männergeschichte als Geschlechtergeschichte. In: Ders. (Hg.) Männergeschichte Geschlechtergeschichte. Männlichkeit im Wandel der Moderne [= Geschichte der Geschlechter Bd. 14] (Frankfurt am Main, New York 1996) S. 7-30; S. 19. Vgl. zu diesem Gedanken ausführlich: Wolfram Wette: Erobern, zerstören, auslöschen. Die verdrängte Schuld von 1941: Der Russland-Feldzug war ein Raub- und Vernichtungskrieg von Anfang an. In: Zeit-Punkte 3:

Die Frage nach Schuld und Verbrechen kann heute in aller Regel nur noch von den noch lebenden Beteiligten selbst oder von Gerichten beantwortet werden. Der Jahrzehnte vorherrschende moralische Impetus kann langsam einer nüchterneren Betrachtung weichen. Mit dem Abschied der Kriegsgeneration scheinen so die Voraussetzungen für einen weniger belasteten Umgang mit der nationalen Vergangenheit gegeben. 16 Viele verbinden diesen Abschied mit der Hoffnung, von einer peinigenden deutschen Vergangenheit loszukommen, nachdem bereits 1945 der ,Mythos der Stunde Null' vergebens die Befreiung von der Erinnerung verhießen hatte. Die noch lebenden Kriegsveteranen sperren sich allerdings (auf ihre Weise) gegen das weit verbreitete Bedürfnis nach einem Schlussstrich. Ganz besonders trifft dies für jene ehemaligen WehrmachtsSoldaten zu, die sich in der Nachkriegszeit in Traditions- und Kameradschaftsverbänden zusammengeschlossen haben und bis heute am Volkstrauertag als zentralen Gedenktag festhalten. 17 Die bereits vorliegenden Untersuchungen zum Thema Verarbeitung von Kriegserlebnissen' operieren mit psychoanalytischen, volkskundlichen, literatur- oder geschichtswissenschaftlichen Zugängen. Allen Ansätzen gemeinsam ist die Notwendigkeit, das komplexe Wechselspiel zwischen Individuum und seiner Biographie auf der einen und Gesellschaft und ihrer Geschichte auf der anderen Seite zu fassen. 18 Die Wege dorthin sind vielfältig. Sozialpsychologen übertragen Erkenntnisse aus Psychologie und Psychoanalyse auf gesellschaftliche Prozesse. Sie erforschen ähnliche und voneinander abhängige Inhalte und Mechanismen von Individuum und Gesellschaft. Alexander und Margarete Mitscherlich haben mit ihrer Studie ,Die Unfähigkeit zu trauern' Maßstäbe gesetzt, als sie den fortwirkenden Einfluss des Nationalsozialismus auf die bundesrepublikanische Gesellschaft und ihre Individuen auf einem therapeutischen Hintergrund analysierten. Historiker stehen einer ,Psychohistorie' aber oft kritisch bis ablehnend gegenüber. 19 Größere (aber ebenfalls nicht ungeteilte) Akzeptanz finden in der Historikerzunft alltagsgeschichtliche Ansätze.

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Gehorsam bis zum Mord? Der verschwiegene Krieg der deutschen Wehrmacht - Fakten, Analysen, Debatte (Hamburg 1995) S. 13-19; S. 14. Vgl. Omer Bartov: Hitlers Wehrmacht. Soldaten, Fanatismus und die Brutalisierung des Krieges (Reinbek bei Hamburg 1995; Orig. 1992) S. 278. Diese Studie klammert kameradschaftliche Gedenkformen in der ehemaligen DDR aus - die im skizzierten Sinne auch nicht existierten. Die Vergangenheit der Angehörigen von Wehrmacht und NSDAP sollte in der DDR mit der Beteiligung am Wiederaufbau im sozialistischen Rahmen wiedergutgemacht werden. Dabei etablierte sich die NDPD als neue Partei mit einem spezifisch erinnerungspolitischen Profil. Vgl. Danyel (1999) S. 1141ff. Insgesamt kann für die DDR von einer starken politischen Funktionalisierung des Totengedenkens ausgegangen werden. Vgl. Reinhart Koselleck: Der Einfluss der beiden Weltkriege auf das soziale Bewusstsein. In: W. Wette (Hg.): Der Krieg des kleinen Mannes. Eine Militärgeschichte von unten (München, Zürich 1992) S. 324—343; S. 339ff. Während in der Bundesrepublik eine rege Kameradschaftskultur entstand, die sich aktiven Aufgaben zuwandte, z.B. in Zusammenarbeit mit dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge, muss für die DDR eine andere Geschichte geschrieben werden. 1991 monieren die Berichte und Mitteilungen des Volksbundes: „In der ehemaligen DDR war es uns 45 Jahre lang nicht möglich, Kriegsgräber zu suchen und zur Erhaltung beizutragen." In: Kriegsgräberfürsorge. Stimme und Weg. 67. Jg. (Januar 1991/1) S. 3. Für eine ausführliche Literaturübersicht über bereits vorhandene Untersuchungen über ,Kriegserinnerungen' sei auf die (neueren) Arbeiten von Hans Joachim Schröder, Klara Löffier und Thomas Kühne verwiesen (vgl. Literaturverzeichnis), die das Thema bibliographisch vorbildlich aufgearbeitet haben. Vgl. kritisch: Hans-Ulrich Wehler (Hg.): Geschichte und Psychoanalyse (Frankfurt am Main 1971); ders.: Geschichtswissenschaft und Psychohistorie. In: Innsbrucker Historische Studien 1 (1978) S. 201-213; außerdem: Jürgen Straub: Historisch-psychologische Biographieforschung. Theoretische, methodologische und metho-

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Häufig arbeiten diese (wie auch die vorliegende Studie in ihren gesprächsanalytischen Partien) mit Methoden der Oral History, die sich in Deutschland erst spät, Ende der 70er Jahre, aus der Sozialgeschichtsschreibung heraus entwickelt. Vor allem Vertreter einer strukturgeschichtlich verfahrenden Sozialgeschichtsschreibung monieren, dass der Mikrokosmos von Oral History-Arbeiten so klein zu werden drohe, dass jede allgemeine Aussage unmöglich werde. 20 Erst langsam wuchs ein Verständnis dafür, dass Mikro- und Makrogeschichte zusammengehören, dass eine Miniatur, die dem narrativen Prinzip ,dichter Beschreibung' verpflichtet ist, immer eine Miniatur von etwas ist, und dass dieses Etwas hilft, mündliche Quellen zu reflektieren und zu strukturieren. Besonders beim Thema .Kriegserinnerung' ist es sinnlos, .subjektive' gegen .objektive' Zugänge auszuspielen (oder umgekehrt), da beide ineinandergreifen, da Strukturen in verschiedenen subjektiven Erfahrungen ihren Niederschlag finden.21 Noch heute ist Deutschland - trotz wichtiger vorliegender Arbeiten - auf den Gebieten Alltagsgeschichte und Oral History wissenschaftliche Diaspora. In den USA sind beispielsweise Studien über traumatische Störungen von Vietnam-Veteranen, die auf Gesprächen mit ihnen basieren, wissenschaftlich weitgehend anerkannt.22 Die Gründe für die im Vergleich mit dem angloamerikanischen Raum späte Etablierung dieser Methode sind in den historischen Besonderheiten Deutschlands zu suchen. Infolge eines schwer zu durchdringenden Geflechts aus Lüge und Verdrängung bei den Entnazifizierungsprozessen war ,Oral History' in der neu gegründeten Bundesrepublik diskreditiert. Während sich auf dem Feld der Holocaust-Forschung Zeitzeugengespräche bald als historische Methode akkreditiert haben, taten sich Wissenschaftler im Dialog mit deutschen Soldaten schwer. Oft sind es Vorannahmen und Vorverurteilungen, die eine ergiebige Gesprächssituation verhindern. In diesem Zusammenhang durchaus charakteristisch sind Untersuchungen von Gabriele Rosenthal, bei denen ehemalige WehrmachtsSoldaten als ,sogenannte Zeitzeugen' auftreten und ihre Erzählungen als .verhüllendes Sprechen' gebrandmarkt werden (im Gegensatz zu einem .enthüllenden Sprechen' der Überlebenden der Shoa).23 Die wissenschaftliche Konzentration auf Fragen nach Schuld und Verantwortung erschwert den Dialog mit den ehemaligen Soldaten. Rolf-Dieter Müllers Inventur fällt entsprechend nüchtern aus: Zwischen Veteranen als Zeitzeugen und Historikern ist auch heute noch selten ein fruchtbarer Dialog möglich [...] Der gestörte Dialog der letzten 50 Jahre mit der Kriegsgeneration lässt sich kaum mehr nachholen [...] Dabei sind hier zum Teil völlig neue Erkenntnisse zu erzielen. 24

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dische Argumentationen in systematischer Absicht (Heidelberg 1989); Hedwig Röckelein: Der Beitrag der psychohistorischen Methode zur .neuen historischen Biographie'. In: Dies. (Hg.): Biographie als Geschichte [= Forum Psychohistorie Bd. 1] (Tübingen 1993) S. 17-38. Dass dies ein typisch deutsches Misstrauen ist, das noch der quellenkritischen Tradition des 19. Jahrhunderts verhaftet ist, erklären Detlef Bliesen und Rüdiger Gans: Über den Wert von Zeitzeugen in der deutschen Historik. Zur Geschichte einer Ausgrenzung. In: Bios. Zeitschrift für Biographieforschung und Oral History. 6. Jg. (H.l/ 1993) S. 1-32.

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Ein weiterführender Forschungsüberblick bei Martin Schaffner: Plädoyer für Oral History. In: J. von UngernSternberg, H. Reinau (Hg.): Vergangenheit in mündlicher Überlieferung (Stuttgart 1988) S. 345-348; zum alltagsgeschichtlichen Ansatz vgl. Thomas Lindenberger, Alf Lüdke: Physische Gewalt. Studien zur Geschichte der Neuzeit (Frankfurt am Main 1995).

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Z.B. Jonathan Shay: Achill in Vietnam. Kampftrauma und Persönlichkeitsverlust (Hamburg 1998). Vgl. Rosenthal (1995) S. 657 u. S. 655. Müller (1999) S. 24; S. 27.

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Heute werden Einwände gegen die Methoden der Oral History immer öfter in fruchtbare Forschungsansätze integriert. Für die Beschäftigung mit Kriegs Veteranen heißt das: Da die Aufklärung der Verbrechen im Zweiten Weltkrieg weit fortgeschritten ist und sie als Tatsachen (sieht man einmal ab von Randgruppen) nicht mehr angezweifelt werden, können Tendenz-Interpretationen und Verdrängungen nun auch als Thema der Erforschung von Erinnerungsstrategien dienen. Dabei geht es weniger um Geschichte als um die Verarbeitung von Geschichte. 25 Mündliches Erzählen wird nicht so sehr als direkte Verbindung in die Vergangenheit angesehen, sondern eher als eine Linse, durch deren Brechungen vergangene Ereignisse sichtbar und verständlich werden. 26 Oral History agiert in rhetorischen Dimensionen, fragt sie doch danach, welche Aussagen über das rhetorische Subjekt (den Gesprächspartner) sich aus bestimmten rhetorischen Präfigurationen ableiten lassen. 27 Die Frage, ob historische Sachverhalte faktisch exakt dargestellt werden, spielt bei solchen Forschungen natürlich auch eine Rolle, im eigentlichen Mittelpunkt des Interesses stehen aber andere Fragen: Wie konstruieren und inszenieren ehemalige Soldaten ihre Vergangenheit? Welche Sinndeutungen gewinnen sie aus ihrer Biographie? Wie werden kulturelle und historische Prozesse sowie anthropologische Konstanten subjektiv wahrgenommen? Alltagsgeschichtliche Arbeiten nehmen eine Sichtweise ein, die Erinnerung als individuell und kollektiv bedingte Konstruktion begreift, determiniert durch Selektion und Transformation. Sie fragen nach Formen der Aneignung und Mitteilung. 28 Disziplinar sind diese Untersuchungen entweder den Geschichtswissenschaften oder der Völkskunde zuzurechnen, für die Klara Löffler im Jahr 1999 ein deutliches Defizit formuliert: Der behäbige Hauptstrom der volkskundlichen Erzählforschung hat sich auf den erzählerischen, kommunikativen Umgang ehemaliger Soldaten mit ihrer Kriegsvergangenheit genauso wenig eingelassen wie die Militärgeschichte und die Militärsoziologie. 29

Bezugsrahmen der vorliegenden Arbeit ist ein Totengedächtnis, das als kulturstiftend und kommunikativ gestaltet interpretiert wird, und seinen Niederschlag in einer kameradschaftsspezifischen Funeralrhetorik findet. Der Tod der Kameraden markiert den Ursprung einer Kultur der Erinnerung, ihre Analyse bewegt sich zwischen den Polen Erinnern und Vergessen. Dabei orientiere ich mich, in Anlehnung an Maurice Halbwachs und Jan Assmann, an den Forschungsparadigmen von .kulturellem' und .kommunikativem Gedächtnis'. 30 Der Zusammenhang von kommunikativem und kulturellem Gedächtnis wird an Epochenschwel-

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Vgl. dazu ausführlich: Gerhard Jüttemann, Hans Thomae (Hg.): Biographische Methoden in den Humanwissenschaften (Weinheim 1998) S. 68. Vgl. Deborah Boedeker: Amerikanische Oral-Tradition-Forschung. Eine Einführung. In: J. von Ungem-Sternberg, H. Reinau (Hg.): Vergangenheit in mündlicher Überlieferung (Stuttgart 1988) S. 34-53; S. 35. Deborah Boedeker glaubt, die historischen und rhetorischen Ursprünge von Oral History bereits bei Homer und Herodot zu finden. Vgl. ebd. S. 38f. Eine explizit rhetorische Grundlegung von Oral History fehlt bislang. Vgl. dazu unterstützend, aber mit Modifikationen: Klara Löffler: Zurechtgerückt: der Zweite Weltkrieg als biographischer Stoff (Berlin 1999) S. 59; vgl. auch ebd. S. 23f. Ebd. S. 29; vgl. auch ebd. S. 13. Vgl. Jan Assmann: Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen (München 1999).

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len besonders kenntlich.31 Formen kultureller Erinnerung werden nun zum Problem, insbesondere deshalb, weil die Zeitzeugen aussterben und die kommunikative Vermittlung von Vergangenheit zunehmend schwieriger wird.32 Je schwächer die Kriegserfahrung im kommunikativen Gedächtnis einer Generation verankert ist, desto deutlicher kontrastiert sie mit der gegenwärtigen Umwelt. 33 Das vorliegende Korpus von Volkstrauertagsreden deute ich als Teil eines kommunikativen Gedächtnisses: vorgetragen von Zeitzeugen, zugleich ausgestattet mit quasi überzeitlichen Topoi, die als Bemühungen zu verstehen sind, das kommunikative in ein kulturelles Gedächtnis zu transformieren und Erinnerung an folgende Generationen weiterzugeben. Diese Versuche werden vollzogen mit den Mitteln einer kulturellen Mnemotechnik, die es zu beschreiben gilt. Die Texte zum Volkstrauertag werden verstanden als Orte eines artifiziellen, d.h. rhetorisch durchformten Gedächtnisses.34 Vergangenheit wird in dieser Arbeit verstanden als Resultat einer kulturellen Konstruktion. Diese wird geleitet von spezifischen Sinnbedürfnissen, Motiven und Erwartungen, oft mit biographischen Rückbezügen. Ich verbinde deshalb das kulturwissenschaftliche Paradigma von der Konstruktion von Vergangenheit' mit dem biographie- und sozial wissenschaftlichen Bewältigungsparadigma.35 Dieses fokussiert das Spannungsverhältnis zwischen subjektiver Lebenslage und gesellschaftlichen Strukturen, die im Paradigma der ,Freisetzung' gefasst werden. Es zielt auf die subjektive Handlungsfähigkeit, besonders „in kritischen Situationen, in denen das psychosoziale Gleichgewicht - Selbstwert und soziale Anerkennung - gefährdet ist." 36 Insbesondere in der Nachkriegszeit ist, wie es Lothar Böhnisch ausdrückt, „die Lebenslage Mann .bewältigungsproblematisch' geworden." 37 Selbstwert und soziale Anerkennung sind für ehemalige Soldaten durch die militärische Niederlage und mindestens genauso gravierend durch gesellschaftliche Ächtung in der Nachkriegszeit geradezu chronisch in Frage gestellt. Die ,vier Grunddimensionen' der Bewältigungsproblematik lassen sich im Umfeld der Traditionsverbände en detail studieren: die Erfahrung des Selbstwertverlustes, sozialer Orientierungslosigkeit, fehlenden sozialen Rückhalts und die handlungsorientierte Suche nach Formen sozialer Integration.38 Der Zusammenschluss ehemaliger Wehrmachtssoldaten in Traditionsverbänden lässt sich schlüssig als Bewältigungshandeln interpretieren. Das Bewältigungsparadigma verhält sich zum Paradigma des kollektiven Gedächtnisses kongruent, beide verschreiben sich einem konstruktivistischen Ansatz. Der Kriegsveteran wird in der öffentlichen Inszenierung von Erinnerung am Volkstrauertag zum ,bewältigen-

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Vgl. ebd. S. 11 u. S. 50. Obwohl von Assmann selbst nicht konsequent durchgehalten, verwende ich hier den Terminus .kollektives Gedächtnis' als Oberbegriff, der das .kommunikative' und das .kulturelle' umfasst. Vgl. ebd. S. 45. Zum Phänomen der .kontrapräsentischen Erinnerung' vgl. ebd. S. 222. Zum Begriff der .kulturellen Mnemotechnik' vgl. ebd. S. 218. Vgl. Lothar Böhnisch, Wolfgang Schröer: Pädagogik und Arbeitsgesellschaft. Historische Grundlagen und theoretische Ansätze für eine sozialpolitisch reflexive Pädagogik (Weinheim, München 2001) und Lothar Böhnisch: Die Entgrenzung der Männlichkeit. Verstörungen und Formierungen des Mannseins im gesellschaftlichen Übergang (Opladen 2003). Böhnisch, Schröer (2001) S. 221. Vgl. Böhnisch (2003) S. 87. Vgl. Böhnisch/ Schröer (2001) S. 221.

den Produzenten' seiner eigenen Biographie und der Vergangenheit. Zugleich erleben ehemalige Soldaten heute, in ihrem achten oder neunten Lebensjahrzehnt, auch eine .innere Bewältigungsthematik',39 die sie zunehmend mit ihrer eigenen Sterblichkeit konfrontiert. Die untersuchten Gedenkformen werden in diesem Zusammenhang auch als ,Bewältigungshandeln' verstanden. Damit ist der Bogen zu einer kulturellen Mnemotechnik geschlagen: Die gewählten loci memoriae stellen Muster bereit, die der Bewältigung biographischer Schlüsselerlebnisse, historischer Umbrüche und gesellschaftlicher Veränderungen dienen. Da der Zweite Weltkrieg einen derart gravierenden historischen und biographischen Einschnitt darstellt, erscheinen die in dieser Arbeit analysierten Erinnerungsorte prekär. Ihr orientierender Status ist nicht selbstverständlich, nur bedingt funktionieren sie noch als Verständigungsmuster. Das weit ausgreifende Thema ,Kriegserinnerung' erfordert Selbstbeschränkung. Natürlich könnten in einem universalistischen Ansatz auch die Friedhöfe, auf denen die Völkstrauertagsreden gehalten werden, oder die Gedenkstätten, an denen sich Veteranen treffen, als Mnemotope, die das äußere Setting der Memorialkultur bilden, untersucht werden. Pierre Nora hebt darauf ab, dass loci memoriae auch Feierstunden, Kriegerdenkmäler, Gedenktage und Kriegsveteranenvereine umfassen und in einem sehr übergreifenden Sinn .historisches Orientierungswissen' bereitstellen.40 Ich möchte mich hier aber auf die loci der Textebene konzentrieren (zu den Texten zähle ich auch die transkribierten Gespräche) - mit dem Ziel, dadurch auch mittelbar Einsichten in die loci der sozialen Ebene, mithin in eine Kultur der Veteranenverbände zu gewinnen.41 Methodisch orientiere ich mich an den Besonderheiten der Quellen. Den memorialtopischen Redeanalysen werden hermeneutische Gesprächsanalysen zur Seite gestellt, um auch die individuelle Dimension von Gedenken exemplarisch aufscheinen zu lassen. Dabei arbeitet diese Studie historisch, indem sie Topoi in ihrer zeitgeschichtlichen Verwendung und ihrer geschichtlichen Tradition beschreibt, systematisch, indem sie das zugrunde liegende Material anhand von Leitfragen strukturiert, und funktional, indem sie der (z.B. biographischen) Funktion von Memorialtopoi nachgeht. Der quellenanalytische Hauptteil dieser Arbeit widmet sich erst Funktionen der Erinnerung, worunter kontrapräsentische Überhöhung (insbesondere eine religiöse Aufladung), ord39 40

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Zum Begriff der .inneren Bewältigungsthematik' vgl. ebd. S. 126. Vgl. Nora, P. (Hg.): U s Lieux de Memoire. Bd. I: La Republique (o.O. 1984; 7. und letzter Bd.: 1992) S. VII. Den Begriff .Kultur' verwende ich hier in einem wertfreien und nicht-normativen Sinn. Wesentlich für eine Kultur ist die Ausbildung einer eigenen Geschichte, eigener Institutionen und einer gemeinsamen Erinnerung, vgl. Gottfried Korff: Bemerkungen zur öffentlichen Erinnerungskultur. In: B. Bönisch-Brednich u.a. (Hg.): Erinnern und Vergessen. Vorträge des 27. Deutschen Volkskundekongresses Göttingen 1989 (Göttingen 1991) (= Beiträge zur Volkskunde in Niedersachsen Bd. 5) S. 163-176. In diesem Sinne lassen sich Traditionen einer Kameradschafts-Kultur bis in den Ersten Weltkrieg zurückverfolgen, die auch in Literatur, Medien und Politik ihren Widerhall gefunden haben - sowohl institutionell als auch in Symbolen, Traditionen und Chiffrierungen. In der Bundesrepublik Deutschland wurde aus der Veteranenkultur freilich bald eine Subkultur - anders als in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts, als Kameradschaft gleichsam zur Staatskultur erhoben wurde, vgl. Kühne (2003). Obwohl sich die kulturelle Dynamik der organisierten Veteranenbünde seit den 70er Jahren bei weitem nicht in dem Maße entfalten konnte wie vor dem Krieg, spielt die Vorkriegs-Sozialisiation für ihre bundesrepublikanischen Protagonisten eine prägende Rolle. Dass die Veteranenkultur insbesondere eine Erinnerungskultur ist, die durch Texte und Riten formiert wird und dadurch Orientierung aus der Vergangenheit für das Heute sucht, versuche ich in dieser Studie exemplarisch zu zeigen.

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nende Vergegenwärtigung (in Ritus und Mythos) und eine limitische Strukturierung (durch Ausgrenzung und Vergessen) gefasst werden. Dann wendet sich die Analyse den Orten der Erinnerung, also den Memorialtopoi selbst zu. Obwohl das Bilden von Großgruppen unter Topikforschern eine Lieblingsbeschäftigung ist,42 wurde innerhalb dieses Kapitels keine weitere methodenimmanente Einteilung der Orte vorgenommen. Auf einer Skala von speziell/ kontextrelevant' bis ,allgemein/kontextabstrakt' sind die aufgenommenen Topoi alle stärker auf Seiten des kontextrelevanten, also inhaltlich konkreten Pols lokalisiert.43 Die ersten drei untersuchten Topoi sind Erinnerungsorte für den Krieg (,Ihr wart ja nicht dabei', ,Krieg als Handwerk', ,Dulce et decorum'), die nächsten drei für die Person des Soldaten (,Der Soldat als Opfer', ,Die verratene Generation', ,De mortuis nihil sine bene'), die letzten drei für eine Utopie der Kameradschaft44 (,Die Aussöhnung über den Gräbern', ,Die familiale Kameradschaft', ,Die männerbündische Kameradschaft').

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Vgl. Clemens Ottmers: Rhetorik (Stuttgart 1996) S. 91. Joachim Knape formuliert in seiner linguistisch orientierten Studie zur Topik drei ,Dominanzkriterien': formal, material und sprachästhetisch konstituierte Topoi. Die neun von mir untersuchten Topoi sind den beiden letztgenannten Kriterien zuzuordnen. Vgl. Joachim Knape: Die zwei texttheoretischen Betrachtungsweisen der Topik und ihre methodologischen Implikaturen. In: Th. Schirren, G. Ueding (Hg.): Topik und Rhetorik: ein interdisziplinäres Symposium (Tübingen 2000) S. 747-766; S. 751. Utopie im Sinne jener Sozialutopisten, die den Begriff recht eigentlich als eigene Gattung eingeführt haben, meint immer beides: Überwindung der Realität und das Sich-Abarbeiten an ihr, vgl. Reinhart Koselleck: Die Verzeitlichung der Utopie. In: W. Voßkamp (Hg.): Utopieforschung. Interdisziplinäre Studien zur neuzeitlichen Utopie (Stuttgart 1982) S. 1-14. In diesem Sinne kann auch die Kameradschaftstopik im Horizont einer Sozialutopie gelesen werden.

2.

Quellen und Methode

2.1

Texte zum Volkstrauertag in der Zeitschrift ,(Alte) Kameraden' und Gespräche mit ihren Verfassern

2.1.1 Texte Die vorliegende Studie wertet 41 Volkstrauertagsreden aus der Veteranenzeitschrift ,Alte Kameraden' (ab 1996 nur noch: .Kameraden') aus den Jahren 1955 bis 2003 aus. Außerdem werden weitere Primärtexte dieser Zeitschrift, Publikationen anderer Veteranenverbände (vor allem der Konstanzer ,Seehase'), Gedenkreden und belletristische Werke als Vergleichstexte herangezogen. 1 Über die Repräsentativität des ausgewählten Quellenmaterials für die Gruppe ehemaliger Wehrmachtssoldaten insgesamt lassen sich keine genauen Angaben machen. Wie viele ehemalige Kriegsteilnehmer sich in der Bundesrepublik kameradschaftlichen Organisationen mehr oder weniger fest angeschlossen haben, ist nicht erfasst. Thomas Kühne geht davon aus, dass „eine , schweigende Mehrheit' ehemaliger Soldaten Distanz zur Veteranenkultur" wahrte, gleichwohl sei die Zahl,bekennender Veteranen' nicht zu unterschätzen. Sie dürfte irgendwo zwischen zehn und 35 Prozent der ehemaligen Soldaten liegen (Kühne tendiert zu 35 Prozent). 2 Zu ihnen gehört auch die .Arbeitsgemeinschaft für Kameraden werke und Traditions verbände e.V.' mit Sitz in Stuttgart, die im Jahr 1953, damals noch als ,Organ der südwestdeutschen Traditionsverbände und des Landesverbandes deutscher Soldaten in Württemberg und Baden' (Sitz: Karlsruhe und Stuttgart) die Zeitschrift ,Alte Kameraden' ins Leben rief, die seit 1996 ,Kameraden' heißt und so im veränderten Titel das Bestreben artikuliert, neue Leserschichten zu gewinnen und den anstehenden Generationenwechsel vorzubereiten. 3 .Kameraden' hat im Jahr 2001 etwa 6 600 Abonnenten, 4 etwa zwei Drittel von ihnen sind ehemalige Kriegsteilnehmer. Die Zahl der Leser dürfte erheblich höher liegen, nach Schätzungen der Redaktion bei etwa 30 000 im Jahr 2000, 5 da viele Abonnenten als Multiplikatoren agieren, zum Beispiel in der Bundeswehr, wo die Zeitschrift ihre jüngeren Leser rekrutieren möchte: „Es gilt, mit vielen Gleichgesinnten Brücken zu schlagen zur

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Diese Arbeit orientiert sich an den Regeln der neuen amtlichen Rechtschreibung (vgl. Duden Rechtschreibung, 21. Aufl. 1996), auch die Quellentexte wurden vorsichtig angeglichen. Vgl. Kühne (2001) S.94f. Zur Entstehung dieser Zeitschrift und ihres Verbandes vgl. Joachim Kannicht (Hg.): Alte Kameraden. Berichte über Kampf, Begegnungen, Opfer, Gefangenschaft, Danach. Zusammengestellt im Auftrag der Arbeitsgemeinschaft für Kameradenwerke und Traditionsverbände e.V., Stuttgart (Karlsruhe 1992) S. 5f. Diese Zahl und die folgenden Informationen wurden mir mitgeteilt in einem Gespräch mit dem Chefredakteur von .Kameraden', Götz Eberbach, am 23. Oktober 2001 in der Redaktion von .Kameraden' in Stuttgart. Ein gutes Jahr zuvor spricht Claus Bittner, ebenfalls Redakteur der Zeitschrift .Kameraden', von einer Auflage von zirka 10 000 Stück (Gespräch vom 21.8.2000 in Stuttgart). Schätzung auf der Homepage der .Arbeitsgemeinschaft für Kameradenwerke und Traditionsverbände': www. kameradenwerke.de/Page6.html (Zugriff am 29.8.2000).

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jungen Generation der Bundeswehr, die zu wenig über unsere Vergangenheit weiß," heißt es in einem Informationsblatt der Zeitschrift. Auch in den neuen Bundesländern hat die Zeitschrift Leser gewonnen, als Autoren kommen auch ehemalige Soldaten der Nationalen Volksarmee zu Wort. Besonders beliebt ist bei den Lesern der eingeheftete Mittelteil jeder Ausgabe, ein Serviceteil mit Suchanzeigen, Tauschbörse, Veranstaltungsprotokollen, Terminkalender, Geburtstags- und Sterbemeldungen, Leserbriefen und Buchbesprechungen. Die vorliegenden Texte wurden von ehemaligen Wehrmachtssoldaten anlässlich des Volkstrauertags verfasst, viele von ihnen auch als Reden gehalten. Ausnahmen sind die Volkstrauertags-Texte in den Rubriken ,1m Visier' und .Schlaglicht', die meist speziell für die Zeitschrift geschrieben und wahrscheinlich nicht als Reden vorgetragen wurden. Der erste umfangreichere Text zum Volkstrauertag datiert aus dem Jahr 1955. Zweieinhalb Jahre zuvor, im Juni 1953, publizierten die Herausgeber von ,Alte Kameraden', noch ganz unter dem Eindruck des Krieges, ihre erste Ausgabe, die programmatische Aussagen für die Zeitschrift formuliert: Im berechtigten Stolz auf unsere Bewährung im Feld wollen wir unsere Erinnerungen untereinander austauschen, damit Wertvolles nicht in Vergessenheit gerät und als Quellenmaterial einer späteren Geschichtsschreibung erhalten bleibt. Außerdem soll das neugeschaffene Blatt sachliche Berichte zu bewegenden Fragen der Gegenwart bieten und darüber hinaus der gegenseitigen Hilfe dienen, durch Unterstützung des Vermisstensuchdienstes, der Stellen- und Erholungsvermittlung und anderer Maßnahmen tätiger Kameradschaft. Wenn das Blatt auch noch zu einem regen Meinungsaustausch unter früheren Soldaten und ihrer Einigkeit beiträgt, dann erfüllt es seinen Zweck! [...] Dabei geht es [...] um die ernste Pflege bester Traditionen deutschen Soldatentums, um den Austausch von Erfahrungen, um das Wachhalten und In-die-Erinnerung-rufen all dessen, was Soldatsein und selbst das Negativum des Kriegs an positiven menschlichen Werten geweckt und zutage gefördert haben. [...] Wir bekennen uns rückhaltlos zur demokratischen Bundesrepublik und sind Gegner jeder Diktatur. (Alte Kameraden Nr. 1, Juni 1953)

Dieser Pilot-Text verweist auf die rhetorischen Wirkungsaspekte von docere und movere: Es gehe um „sachliche Berichte" und „Quellenmaterial einer späteren Geschichtsschreibung" einerseits, um „bewegende Fragen der Gegenwart" und um „gegenseitige Hilfe" andererseits. Zwar sind beide Wirkaspekte typisch für die epideiktische Gattung, zu der die in der Folgezeit publizierten Gedenktexte gehören. Dies verhinderte jedoch nicht, dass ihre Vermengung der Glaubwürdigkeit und Akzeptanz der publizierten Texte immer wieder im Wege stand. Der Initialtext enthält Leitmotive, die sich bis heute durch die Texte und Völkstrauertagsreden der Zeitschrift ziehen: der Austausch von Erinnerungen untereinander (und damit eine gewisse Abschottung nach außen), der Anspruch, historisches Quellenmaterial zu liefern (der in dieser Arbeit zu diskutieren sein wird), das Stiften von Einheit (die eine Grundlage für die Homogenität topischer Textstrukturen ist), die Betonung soldatischer Tradition (die es an späterer Stelle in ein Verhältnis zu Geschichte und Geschichtsschreibung zu setzen gilt), das Bemühen, das Positive im Negativen zu entdecken (das auf die Bewältigungsperspektive hinweist) und zuletzt auch das Bekenntnis zur Demokratie, das von Kritikern der Zeitschrift gerne übersehen wurde. Die weitgehend fehlende Artikulierung von Distanz zum Nationalsozialismus in der Zeitschrift ,(Alte) Kameraden' wurde in einem argumentum ex silentio auch als Hinweis auf eine fortbestehende Nähe zur Ideologie des Dritten Reichs und eine randständige politische Ausrichtung gewertet. Auf eine .Kleine Anfrage', ob der Bundesregierung verfassungs12

schutzrelevante Erkenntnisse über eine rechtsextreme Durchdringung der Arbeitsgemeinschaft für Kameradenwerke und Traditions verbände' und über ihre Zeitung .Kameraden' (früher ,Alte Kameraden') vorliegen, lautete die Antwort im Jahr 1999 jedoch knapp: „Zu den Fragen 1 und 2 liegen keine Erkenntnisse im Sinn der Fragestellung vor." 6 Es wurde, auch das ergab die Kleine Anfrage der Abgeordneten, von Seiten der Bundesregierung (das heißt wohl ebenfalls: von Seiten des Verfassungsschutzes) nicht für nötig befunden, Ausgaben der Zeitschrift auszuwerten. Die Unterzeichner der Kleinen Anfrage zählen die , Arbeitsgemeinschaft für Kameradenwerke und Traditions verbände' mit ihrer Zeitschrift ,(Alte) Kameraden' und zusammen mit dem .Verband deutscher Soldaten' (VdS) und dem ,Ring deutscher Soldatenverbände' (RDS) zu den besonders mitgliederstarken Traditionsverbänden, „die alle mehr oder weniger rechtsextrem durchsetzt sind und in ihren Publikationsorganen geschichtsrevisionistisches und rechtsextremes Gedankengut [...] verbreiten." Außerdem wird auf eine „enge [...] Verbindung zur Bundeswehr" hingewiesen und darauf, „wie Rechtsextremisten versuchen, über Traditionsverbände auch auf die Bundeswehr einzuwirken." Die Unterzeichner der Kleinen Anfrage sprechen, dann immerhin etwas vorsichtiger, von einer „eventuellen rechtsextremen Durchdringung der Arbeitsgemeinschaft für Kameraden werke und Traditionsverbände'" und verweisen darauf, „dass diese Organisation und ihre Zeitung in der wissenschaftlichen Literatur über Rechtsextremismus in der Bundesrepublik Erwähnung findet."7 Die Antwort der Bundesregierung ist jedoch lapidar; über den Kontakt zur Bundeswehr wird sehr allgemein festgestellt: „Kontakte von Truppenteilen und Dienststellen der Bundeswehr mit Traditionsverbänden werden [...] weder zentral gesteuert noch zentral erfasst. Aussagen sind daher nicht möglich." 8 Mit dem Attribut,rechtsextrem', das schon an sich als Kategorie umstritten ist, 9 und das nach der Definition von Richard Stöss „alle Einstellungen und Verhaltensweisen bezeichnet, die auf die Beseitigung oder die nachhaltige Beeinträchtigung demokratischer Rechte, Strukturen und Prozesse gerichtet sind", 10 ist der Charakter der Zeitschrift nicht angemessen beschrieben. Das Adjektiv impliziert Streben nach politischer Veränderung - demokratische Strukturen werden in den Texten der Zeitschrift, Alte Kameraden' aber nicht in Frage gestellt. Auch Richard Stöss schreibt, dass die Soldatenverbände mehrheitlich „nicht dem rechtsextremen Lager zuzurechnen waren", allerdings „doch in erheblichem Umfang anti-

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Drucksache des Deutschen Bundestags vom 13.8.1999 (14/1485) nach einer Kleinen Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke u.a. und der Fraktion der PDS. Ebd.; Erwähnung in wissenschaftlicher Literatur z.B. bei Siegfried Jäger (Hg.): Rechtsdruck. Die Presse der Neuen Rechten (Bonn 1988) S. 75. Drucksache (1999). Wolfgang Wippermann lehnt es als sinnvolle Analysekategorie rundweg ab, vgl. W. Wippermann: Totalitarismustheorien. Die Entwicklung der Diskussion von den Anfängen bis heute (Darmstadt 1997) [= Erträge der Forschung Bd. 291], S. 52ff. und ders.: Wider die Verwirrung der Begriffe! Was ist Rechtsradikalismus, Rechtsextremismus, Fundamentalismus, Populismus, Faschismus, Neonazismus und Neofaschismus? In: Rolf Richter (Hg.): Rechtsextremismus und Neonazismus unter Jugendlichen Ostberlins. Beiträge zur Analyse und Vorschläge zu Gegenmaßnahmen (Berlin 1991) S. 26-45. Richard Stöss: Die extreme Rechte in der Bundesrepublik. Entwicklungen - Ursachen - Gegenmaßnahmen (Opladen 1989) S. 253.

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demokratisches Gedankengut kultivierten." 11 Kühne sieht rechtsextreme Tendenzen nur in „Randgruppen der Veteranenkultur" und beobachtet für die 50er und 60er Jahre vielmehr ihre „wohlfeile Dämonisierung". 12 Auch Schröder formuliert vorsichtig, er entdecke in vielen Publikationen der Traditionsverbände ein „rechtskonservatives Selbstverständnis [...], das bei der Auseinandersetzung mit dem Krieg zu Verharmlosungen, Glorifizierungen und nostalgischen Umdeutungen führt." 13 Ein weiterer Vorwurf betrifft die Fortdauer nationalsozialistischer Indoktrination, die aus einzelnen Formulierungen der Reden abgeleitet werden könnte. Omer Bartov schreibt, dass ehemalige Wehrmachtssoldaten zu einem großen Teil noch immer Spuren nationalsozialistischer Indoktrination aufweisen, was sich darin zeige, dass in der Nachkriegszeit auf vorhanden Vorurteilen aufgebaut wurde (,der Feind im Osten') und das selbst erlittene Unrecht in den Vordergrund gestellt werde. Er überspitzt diese These dergestalt, dass erst die nationalsozialistische Ideologie eine nachträgliche biographische Sinnkonstruktion für deutsche Veteranen ermögliche. 14 Vor allem das gemeinsame Schweigen über den Schuldkomplex erkläre das Phänomen der Kameradschaft: Kameradschaft wäre dann für weite Teile deutscher organisierter Veteranen als Sündergemeinschaft entlarvt. 15 Solchen Vorwürfen sehen sich vor allem die Traditionsverbünde mit ihren Publikationen ausgesetzt. Jene Vermutung, wonach die Verwendung von Wörtern, die Nationalsozialisten benutzt haben, auch auf eine nationalsozialistische Gesinnung schließen lässt, kann allerdings so pauschal keine Gültigkeit beanspruchen, auch wenn sie im traumatisierten Nachkriegsdeutschland immer wieder geäußert wurde. 16 Wörter wie , Anliegen',,Problem' und ,Mensch' und die Verwendung des Akkusativs, der andere Wörter ,unterwirft', verrieten in einer solchen übersensibilisierten Wahrnehmung ihre Herkunft aus dem .Wörterbuch des Unmenschen'. 17 Gleichwohl müssen sich organisierte Veteranen im Laufe der Jahrzehnte - oft zu Recht den Vorwurf gefallen lassen, sich in ihren Texten nicht immer ausdrücklich genug von der Ideologie des Nationalsozialismus zu distanzieren. Diese auffällige Leerstelle wird in dieser Studie zu diskutieren sein, ebenso die Frage, inwiefern Elemente des nationalsozialistischen Kameradschaftskonzepts in den Kameradschafts-Topoi der Nachkriegszeit weiterleben. Oft zeigt eine vorschnelle Kategorisierung des Materials nur, dass eine wissenschaftliche Analyse noch nicht erreicht ist und deshalb nur mit dem Zeigefinger Stellung genommen wird. Eine ethische Bewertung des Quellenkorpus ist äußerst schwierig, was damit zusammenhängt, dass für die bundesrepublikanische Gesellschaft insgesamt oder teilweise

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Ebd. S. 130f. Vgl. Kühne (2001) S. 95, Anm. 6. Hans Joachim Schröder: Die gestohlenen Jahre. Erzählgeschichten und Geschichtserzählung im Interview: Der Zweite Weltkrieg aus der Sicht ehemaliger Mannschaftssoldaten (Tübingen 1992) S. 182f. Bartov (1995) S. 20 und S. 251. Vgl. ebd. S. 156. Nach diesen strengen Maßstäben dürfte nicht nur kein Gedicht mehr geschrieben (so Adorno 1951, vgl. Theodor W. Adorno: Prismen. Kulturkritik und Gesellschaft (1951). In: Ders.: Kulturkritik und Gesellschaft I. Gesammelte Schriften. Bd. 10,1. Hg. von R. Tiedemann (Darmstadt 1998) S. 30), sondern überhaupt kein deutscher Text mehr produziert werden. Vgl. Dolf Sternberger u.a.: Aus dem Wörterbuch des Unmenschen. Neue erw. Ausg. mit Zeugnissen des Streites über die Sprachkritik, 3. Aufl. (Hamburg 1968) S. 11; S. 278.

andere Normen gelten als in den Traditionsverbänden, so dass hier unterschiedliche Diskurse aufeinanderprallen und die in dieser Arbeit beschriebenen Spannungen, Kämpfe und Missverständnisse generieren. Eine wissenschaftliche Arbeit kann diese beschreiben, erklären und einordnen. Die vorliegenden Volkstrauertagsreden sind in erster Linie Dokumente einer Kommunikation unter Kameraden. Für Außenstehende sind die vorliegenden Reden weit entfernt von den Bedingungen einer ,idealen Kommunikationsgemeinschaft' (im Sinne Habermas')· Das Quellenkorpus ist kein populäres Forschungsobjekt wie etwa Feldpostbriefe, Kriegstagebücher oder Nachkriegsmemoiren. Einzelne Texte der Zeitschrift ,(Alte) Kameraden' wurden zwar bereits einige Male in wissenschaftlichen Publikationen untersucht, 18 eine eigenständige Monographie liegt aber bisher nicht vor.

2.1.2 Gespräche Den zweiten Quellenblock bilden Zeitzeugengespräche mit ehemaligen Wehrmachtssoldaten. Bei den befragten Zeitzeugen handelt es sich um Autoren der Jahrgänge 1910 bis 1925, die im Veteranenorgan ,(Alte) Kameraden' mit einer Volkstrauertagsrede vertreten sind und im Jahr 2000 vom Verfasser um ein Gespräch gebeten wurden, mit dem Ziel der Stützung oder Differenzierung bereits vorliegender Forschungsergebnisse. 19 Mit zehn Verfassern der vorliegenden Volkstrauertagsreden habe ich deshalb im Jahr 2000 Kontakt aufgenommen, fünf der daraus resultierenden Gespräche 20 sind, in Auszügen und transkribierter Form, in diese Arbeit aufgenommen. Durchweg alle Anfragen wurden von den Veteranen in ausgesprochener Gesprächsbereitschaft beantwortet. Die Gesprächsbereitschaft der Zeitzeugen, gerade aus dem , Dritten Reich', besteht schon seit längerer Zeit. 21 Sie wird in Arbeiten zur Oral History unter anderem damit erklärt, dass eine Biographie durch das Interesse des Wissenschaftlers retrospek-

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Z.B. bei Konrad Köstlin: Erzählen vom Krieg - Krieg als Reise II. In: Bios. Zeitschrift für Biographieforschung und Oral History. Η. 2 (1989), S. 173-182; S. 175 und in den Publikationen von Thomas Kühne (vgl. Literaturverzeichnis). Erste Ergebnisse einer topischen Analyse von Volkstrauertagsreden aus der Zeitschriften ,(Alte) Kameraden' wurden vom Verfasser bereits publiziert, vgl. Andreas Hettiger: Wie Kriegsveteranen sich erinnern. Methode und Analyse einer Gedenktopik. In: Spiel. Siegener Periodicum zur Internationalen Empirischen Literaturwissenschaft. Jg. 18 (1999) H. 2, S. 348-359. In Arbeiten der qualitativen Sozialforschung wird gelegentlich das .Gespräch' begrifflich vom ,Interview' abgegrenzt, um die für qualitative Arbeiten charakteristische Offenheit des Erzählprozesses und seine Verschiedenheit von standardisierten Fragebögen zu betonen. Andererseits wird die begriffliche Trennung selten konsequent durchgehalten, vgl. etwa die Aufsätze in Uwe Flick u.a. (Hg.): Qualitative Forschung. Ein Handbuch (Reinbek bei Hamburg 2000). Die Analyse der vorliegenden Gespräche, die einem qualitativen sozialwissenschaftlichen Ansatz verpflichtet ist, strebt ebenfalls keine konsequente begriffliche Abgrenzung an. Bereits 1988 berichtet Gabriele Rosenthal von einer „seit Jahren zunehmende[n] und immer noch ansteigende[n] Bereitschaft von Zeitzeugen, jetzt, 40 Jahre danach, aus zeitlicher Distanz ihr Leben - insbesondere während des .Dritten Reiches' - darzustellen und öffentlich zu diskutieren." In: Gabriele Rosenthal: Geschichte in der Lebensgeschichte. In: Bios. Zeitschrift für Biographieforschung und Oral History Η. 2 (1988) S. 3-15; S. 3; Jürgen Danyel datiert die neu erwachte Gesprächsbereitschaft ehemaliger Wehrmachtssoldaten auf die Zeit nach dem Fall der Mauer, vgl. Danyel (1999) S. 1149.

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tiv aufgewertet und als wertvoll etikettiert wird. 22 Wenn es nach meinen Anfragen doch zu keinem vertieften Kontakt kam, wurden gesundheitliche Gründe genannt. Auch die Redaktion der Zeitschrift,Kameraden' zeigte sich in der Vermittlung der Kontakte (und bei späteren Rechercheaufgaben) kooperativ. 23 In meinen ersten brieflichen Anfragen nahm ich Bezug auf die jeweils in ,(Alte) Kameraden' publizierte Volkstrauertagsrede und begründete kurz mein Gesprächsinteresse mit den Zielen meines Dissertationsprojektes. Daraus ergaben sich briefliche und telefonische Kontakte, die schließlich in zehn Fällen in ein Gespräch mündeten, jedes Mal in der Wohnung des Veteranen. Die Gespräche wurden auf Tonband aufgezeichnet und anschließend von mir transkribiert. Am Anfang jedes Gesprächs artikulierten die Interviewten jeweils mehr oder weniger stark die Befürchtung, ich könne einer von jenen sein, die den Kriegsveteranen ,in den Rücken fallen' wollen. Diesen Ängsten versuchte ich mit einer genauen Beschreibung meines Forschungsvorhabens zu begegnen. Nach dem Hauptgespräch folgten weitere briefliche Kontakte, in denen Nachfragen, die sich aus dem Gespräch ergaben, geklärt wurden, verbunden auch mit privaten Mitteilungen (etwa über Krankheit und Familie). Schließlich wurde der Kontakt wieder gelöst, meist begleitet von guten Wünschen, auch für die Arbeit des Verfassers. Wie wichtig nach Erstkontakt, Aufbau einer Gesprächsbeziehung, Ausgestaltung der Gesprächsbeziehung und Vertiefung gerade die Kontaktlösephase ist, zeigen Erfahrungen von Klara Löffler, die von ihrem Unbehagen berichtet, „wenn ich, was gelegentlich vorkam, in meiner sozialen Rolle als Zuhörerin - in der weiblichen Zuständigkeit auch für soziale Beziehungen - womöglich schon nach den ersten Begegnungen, erst recht aber im Laufe langjähriger Kontakte zur ,Sozialarbeiterin' und .Therapeutin' wurde." 24 Von den zehn Gesprächen fanden schließlich fünf Aufnahme in die vorliegende Arbeit. Da Auszüge aus diesen Interviews an verschiedenen Stellen dieser Arbeit auftauchen, charakterisiere ich bereits hier die Gesprächspartner kurz. Sie werden in der vorliegenden Arbeit nicht vollständig benannt (obwohl alle Gesprächspartner ihre Zustimmung zur namentlichen Nennung signalisiert haben), sondern figurieren unter Abkürzungen (Α., Ε., Η., Κ., A.R. und H.R.), womit auf ihren exemplarischen Stellenwert hingewiesen wird und mithin darauf, dass diese Studie nicht die von Pierre Bourdieu inkriminierte „Konstanz durch den Namen (constance nominale), die Identität im Sinne der Identität mit sich selbst" 25 intendiert. Das Erkenntnisinteresse liegt, wie bereits beschrieben, auf der Ebene der Erinnerungsmuster und topischen Bewältigungsstrategien - Gesprächspartien können diese Analysen schlaglichtartig erhellen. • A. schrieb im Jahr 1991 in ,Alte Kameraden' unter dem Titel ,Die Gedanken weilen an ihrer letzten Ruhestätte. Die Gefallenen beider Weltkriege mahnen zu Frieden und Versöhnung'. Geboren im Jahr 1919, erlebte er das Kriegsende im heutigen Mecklenburg-Vorpom-

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Vgl. Frieder Stöckle: Zum praktischen Umgang mit Oral History. In: H. Vorländer (Hg.): Oral History. Mündlich erfragte Geschichte (1990) S. 131-162; S. 136. Weniger erfreuliche Erfahrungen machte Klara Löffler, deren Bemühungen, über Traditionsverbände mit Veteranen in Kontakt zu treten, nach eigenen Angaben zu einem nicht unerheblichen Teil bewusst vereitelt wurden; vgl. Löffler (1999) S. 107f. Vgl. Löffler (1999) S. 173. Pierre Bourdieu: Die biographische Illusion. In: Bios. Zeitschrift für Biographieforschung und Oral History 3 (1990) S. 75-81; S. 78.

mern, geriet für vier Wochen in englische Gefangenschaft und begann dann ein Studium der Geschichte, um anschließend als Journalist zu arbeiten. Im Jahr 1988 war A. Chefredakteur der Zeitschrift ,(Alte) Kameraden'. 26 Wegen eines Mikrofondefekts musste ich unser Gespräch mitstenographieren, anschließend ins Reine schreiben und von A. gegenzeichnen lassen. • E. veröffentlichte im Jahr 1999 in .Kameraden' eine Rede unter dem Titel ,Der Gleichgültigkeit des Vergessens gute Gedanken der Erinnerung entgegensetzen'. Er wurde im Jahr 1919 geboren und erlebte den Zweiten Weltkrieg als Medizinstudent in Tübingen und als Sanitätsfähnrich im Kaukasus, im viermaligen Wechsel zwischen der idyllischen Universitätsstadt und dem hartem Fronteinsatz, dort vor allem im Lazarett. Nach dem Krieg leitete E. den väterlichen Betrieb und arbeitete ehrenamtlich (auch als Arzt) in verschiedenen Funktionen, unter anderem für das Rote Kreuz und die Kriegsgräberfürsorge. Er trat als 47Jähriger seine erste feste Stelle an, habilitierte sich als fast 60-Jähriger und hatte einflussreiche Positionen in der Arbeits- und Sozialmedizin inne. Für sein vielfältiges Engagement wurde er mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt. Seine Lebensgeschichte lässt sich grob in Zwölfjahres-Schritte einteilen: 1. als Kind in der Weimarer Republik, 2. als Jugendlicher und junger Mann im Dritten Reich und als Medizinstudent im Krieg, 3. als ehrenamtlich Engagierter und in der Führung des väterlichen Betriebs, nebenher als niedergelassener Arzt, 4. als Professor und Arzt mit einer medizinisch-akademischen Karriere. • H. publizierte im Jahr 1976 in ,Alte Kameraden' einen Text unter dem Titel .Mahnende Frage: Warum - wofür? Gedanken eines Kriegsteilnehmers zum Volkstrauertag'. Er erlebte den Zweiten Weltkrieg in Frankreich, in der Ukraine und in Litauen. Im Jahr 1941 wurde H. Leutnant; er wurde zweimal schwer verwundet und verbrachte zwei Jahre im Lazarett. 1944 wurde er weitere Male verwundet; Ende 1944 geriet er in Gefangenschaft. Nach dem Krieg promovierte H. in Zeitgeschichte, Ende 1955 begann er eine Karriere bei der Bundeswehr. An der Seite von Wolf Stefan Traugott von Baudissin arbeitete er am liberaldemokratischen Reformkonzept der Bundeswehr mit, das unter dem Schlagwort des Staatsbürger in Uniform' in die Zeitgeschichte eingegangen ist.27 Zum Zeitpunkt unseres Gesprächs war er mit der Edition der Schriften seines Vaters beschäftigt. • K. ist in der Zeitschrift ,Alte Kameraden' zweimal mit einem Text zum Volkstrauertag vertreten: Zuerst im Jahr 1978 mit ,Es galt - und gilt - zu bestehen. Vom Sinn gemeinsamen Gedenkens alter und junger Soldaten am Volkstrauertag', dann im Jahr 1985 mit ,Wir stehen in ihrer Pflicht. Der Ruf unserer toten Kameraden'. Er wurde im Jahr 1942 schwer verletzt und erhielt eine Beinprothese, die ihm noch zum Zeitpunkt unseres Gespräches Schmerzen bereitete. K. blieb bis 1944 im Lazarett und meldete sich anschließend sofort wieder freiwillig an die Front zurück. In Südfrankreich wurde er zum Kommandeur einer Panzertruppe ernannt, dann mit höchsten Kriegsauszeichnungen dekoriert und als Held gefeiert. Die .Tübinger Chronik' vom 13. Oktober 1944 berichtete, dass

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Vgl. Kannicht (1992) S. 6. Vgl. zu diesem Reformkonzept Karl Diefenbach: Von Himmerod zum Kosovo. Kontinuität der Inneren Führung. In: Reader Sicherheitspolitik. Hg. Streitkräfteamt, Informations- und Medienzentrale der Bundeswehr (Bonn 2001) S. 10-24.

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sich Hauptmann K[...], obgleich er durch eine Beinprothese in seiner Bewegungsfreiheit erheblich behindert ist, mit drei Panthern und einer Handvoll Grenadiere einem eingebrochenen Panzerrudel des Feindes im Raum von Aachen entgegengeworfen und den weit überlegenen Feind nach Abschuss von zwei Shermanpanzern wieder zurückgedrängt [hat]. Über diese tapfere Tat, für die er nun als 607. Soldat der deutschen Wehrmacht mit dem Eichenlaub zum Ritterkreuz ausgezeichnet wurde, konnte er seiner Heimat bereits selbst berichten.

Am 1. Juli 1945 wurde K. aus französischer Kriegsgefangenschaft entlassen und begann ein Studium der Rechtswissenschaften. Nach eigener Darstellung wurde er bald wegen seiner hohen Kriegsauszeichnungen von der Universität verwiesen. Statt Jurist zu werden, mussten er und seine Frau in den 50er Jahren ihren Lebensunterhalt mit einer Näh- und Bügelstube in Tübingen sichern. Nach der Wiederbewaffnung der Bundesrepublik wurde K. wieder Soldat und machte Karriere bis zum Dienstgrad eines Oberst i.G. • H.R. ist im Jahr 1981 in der Zeitschrift ,Alte Kameraden' mit seinem Text ,Wir dürfen nicht vergessen. Gedanken zum Volkstrauertag' zu finden. Er erlebte den Zweiten Weltkrieg in der Waffen-SS, zuletzt im Rang eines Obersturmführers. Nach dem Krieg arbeitete er nach eigenen Angaben als Schreiner, nach einem Studium als Berufsschullehrer und bis zum Anfang des Jahres 2000 auch als Chefredakteur von ,Der Freiwillige', einer Zeitschrift ehemaliger Angehöriger der SS. Seine Ehefrau A.R., die sich am Gespräch beteiligte, 28 arbeitete im Zweiten Weltkrieg für die Geheime Staatspolizei (Gestapo) und erlebte die Monate von Mai 1944 bis April 1945 an der Seite ihres Ehemanns,29 der zuletzt Ausbilder an einer Schule der Waffen-SS war. Die Zeitschrift ,Der Freiwillige', auf die und deren Autoren sich H.R. im Gespräch immer wieder bezog, ist eine Art Verbandszeitschrift der HIAG, des .Bundesverbands der Soldaten der ehemaligen Waffen-SS e.V. - Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit', die sich bis auf einige noch bestehende Truppenkameradschaften und HIAG-Verbände im Jahr 1992 aufgelöst hat.30 Sie steht wegen ihrer Geschichtsfälschungen31 unter Beobachtung des Bundesverfassungsschutzes; bis 1982 wurde sie vom Bundesinnenministerium als rechtsextreme Organisation in den Verfassungsschutzberichten aufgeführt.32 Der Volkstrauertag ist im Verständnis der noch verbliebenen HIAG-Verbände

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Zum .Ensemble-Gespräch' vgl. Löffler (1999) S. 167 und Stöckle (1990) S. 148. Die aktive Rolle von Frauen im System der Nationalsozialisten wird erst seit wenigen Jahren erforscht, z.B.: Gudrun Schwarz: Eine Frau an seiner Seite. Die Ehefrauen in der ,SS-Sippengemeinschaft' (Hamburg 1997); „Die ,Gnade der weiblichen Geburt' ist eine Fiktion", so ein zusammenfassendes Forschungsergebnis von Gaby Zipfel, die verschiedene Frauenrollen im Krieg untersucht hat, vgl. Gaby Zipfel: Wie führen Frauen Krieg? In: H. Heer/ K. Naumann (Hg.): Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944 (Hamburg 2 1995) S. 460-474; 460; s. auch Anna Maria Sigmund: Die Frauen der Nazis (Wien 1998). Mit der Zeitschrift ,Der Freiwillige: Für Einigkeit und Recht und Freiheit. Kameradschaftsblatt der HIAG', deren Auflage auf mehrere Tausend geschätzt wird, sind die Bücher des Munin Verlags und die , Kriegsgräberstiftung - Wenn alle Brüder schweigen* verbunden; Anfang 2000 sind der Munin Verlag und die Herausgeberschaft von ,Der Freiwillige' übergegangen in die Hände des Geschäftsführers der .Truppenkameradschaft 1. SS-Panzerkorps' Patrick Agte. Die Hälfte der Mitarbeiterschaft gehört nach Angaben der Abschieds-Ausgabe 12/2000 von ,Der Freiwillige' noch der Kriegsgeneration an. Etwa in der Ausgabe 12/1999, der Abschiedsausgabe für H.R., wo auf Seite 2 die kriegerischen Übergriffe der Wehrmacht und „auch der Einsatz der Waffen-SS" als „Abwehr der alliierten Angriffe gegen das Reich, welche dadurch auch ganz Europa bedrohten, es den Sowjets auszuliefern", verfälscht werden. Information des Landesamts für Verfassungsschutz Baden-Württemberg vom 13.6.2002 (Aktenzeichen LS035s.020/248/2), außerdem Stöss (1989) S. 129 (Anm. 40).

noch immer ein ,Heldengedenktag' - unter Beteiligung der HIAG haben vielfältige regionale ,Heldengedenktagsaktivitäten' stattgefunden, 33 die am Volkstrauertag immer wieder für Aufruhr und Protest sorgten. 34 Der Zeitschriftenname ,Der Freiwillige' indiziert das Selbstverständnis ehemaliger Angehöriger der Waffen-SS: Da der Eintritt in die Allgemeine SS freiwillig erfolgte, betrachten sich ehemalige SS-Angehörige in gewisser Weise unabhängig von Hitler als autonome historische Kraft, was sie aus ihrer Sicht dazu berechtigt, Meinungen und Einstellungen über die Jahrzehnte hinaus zu bewahren. Die HIAG setzte sich nach dem Krieg das Ziel, ehemalige Angehörige der Waffen-SS mit den Wehrmachtssoldaten gleichzustellen und die Waffen-SS zu rehabilitieren. Ein Schuldbewusstsein, welcher Art auch immer, ist in den Schriften der HIAG nicht auszumachen. Das in der Verbandsabkürzung ,HIAG' enthaltene Begriffspaar „Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit" weist darauf hin, wie hermetisch geschlossen die Mitglieder der HIAG ihre Kameradschaft verstehen. Ihre Kameradschaft zentriert sie um das SS-Ideal ,Meine Ehre heißt Treue'. Die SS betrachtete sich einst (und viele ehemalige SS-Angehörige tun es noch heute) als „verschworene Sippengemeinschaft". 35 Schon an diesen wenigen Gesprächspartnern wird deutlich, dass die Autoren der Zeitschrift ,Alte Kameraden' eine heterogene Gruppe bilden. Es stellt sich die Frage, wie repräsentativ diese Gespräche sind. Meistens wird eine solche Frage auf statistische Aspekte verkürzt: Je weniger Gespräche vorliegen, desto weniger repräsentativ seien sie. In Bezug auf meinen Quellenkorpus wäre freilich noch bescheidener zu fragen, wie repräsentativ fünf Gesprächspartner für die Gesamtheit der in der Zeitschrift ,(Alte) Kameraden' publizierenden Völkstrauertagsredner sind. Selbst diese Antwort ist schwierig. Autoren und Leser dieser Zeitschrift sind in allen sozialen Schichten anzutreffen. Aber auch in der Wehrmacht stammten die Soldaten aus allen sozialen Schichten, aus dieser Tatsache bezog bereits im Krieg der Kameradschafts-Topos seine Attraktivität. Insofern ist die Unterschiedlichkeit selbst als repräsentativ anzusprechen. Schichtenspezifisch jedenfalls sind soldatische Gedenktopoi kaum definierbar. 36 Die soldatische Topik ist weitgehend eine sozial egalisierende Topik. Anders als bei solchen historischen Arbeiten, die einem stärker quantitativen Ansatz verpflichtet sind, hat die Anzahl von Reden und Gesprächen, die in topische Analysen aufgenommen wurden, keine wesentliche Bedeutung. 37 Quantitativ ausgerichtete Arbeiten stellen andere Ansprüche, die zumeist mit den Kategorien Validität, Reliabilität und Repräsentativität umrissen werden. Diese Kategorien lassen sich nicht ohne weiteres auf qualitativ ausgerichtete Arbeiten übertragen. Dies ist nicht notwendigerweise ein Defizit; qualitativ-herme-

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Drucksache des Deutschen Bundestages vom 7.8.1996 (13/5402) nach einer Kleinen Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke und der Gruppe der PDS. Vgl. Gerhard Zwerenz: „Soldaten sind Mörder". Die Deutschen und der Krieg (München 1988) S. 254. Vgl. etwa M. Wolfsohn: Constraint and Choice in the SS-Leadership. In: The Western Political Quarterly XVIII (1965) 551-568 und Heinz Höhne: Der Orden unter dem Totenkopf. Die Geschichte der SS (Gütersloh 1967). So auch Schröder (1992) S. 250. Ganz abgesehen von der Machbarkeit: Untersuchungen mit einer größeren Anzahl an mündlichen Quellen verfügen entweder über einen eigenen Mitarbeiterstab oder über ein standardisiertes Frageverfahren, das einer Arbeit über Kriegserinnerungen allerdings wenig angemessen ist. Vgl. auch Löffler (1999) S. 87 und S. 112f., die ihrer eigenen Arbeit immerhin 16 Befragungen zugrunde legt.

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neutische Ansätze verfügen über spezifische Auswertungsmöglichkeiten, die ihre besondere Qualität ausmachen.38 Die Ergebnisse qualitativer Studien beanspruchen vor allem exemplarischen Wert, im geglückten Fall werfen Einzelbeobachtungen ein Licht aufs Ganze, so wie ,das Ganze' ein Licht auf die Einzelbeobachtungen wirft. Deshalb kommen exemplarische Fallstudien nicht ohne Strukturanalysen aus. Aus diesem Grund werden die Quellen dieser Studie immer wieder mit Vergleichstexten konfrontiert und in größere gesellschaftliche Zusammenhänge eingeordnet. Die Entscheidung über die Größe eines Quellenkorpus hängt neben der Machbarkeit vor allem vom Erkenntnisinteresse ab.39 So liegt beispielsweise Hans-Joachim Schröders Habilitationsschrift über die Kriegserinnerungen Hamburger Mannschaftssoldaten die beeindruckende Zahl von 72 Gesprächen zugrunde. Dabei greift er auf ein bereits existierendes, zehn Jahre früher unter der Leitung Albrecht Lehmanns erhobenes Korpus zurück.40 Schröders Interesse zielt hauptsächlich auf Fakten zum Zweiten Weltkrieg, Zeitzeugen bezeichnet er folgerichtig auch als .Informanten'. 41 Fragestellungen unter dem Paradigma ,Lebensbewältigung' werden zwar aufgegriffen, rangieren aber nicht an prominenter Stelle.42 Die meisten Befragungen von ehemaligen Soldaten operieren in diesem Erkenntnishorizont. Klara Löffler weist darauf hin, dass nur ein kleinerer Teil der vorliegenden einschlägigen Untersuchungen „die Frage nach den Verarbeitungsformen des Erlebten in der Gegenwart und für die Gegenwart" stellen 43 Nun ist die Einbeziehung von Gesprächspartnern, zumal von so unterschiedlichen wie in diesem Fall, in das Material der wissenschaftliche Analyse schon an sich ein Problem, und zwar deshalb, weil mit ihnen Methoden eingeführt werden, die Quellen nicht nur analysieren, sondern sie selbst generieren. Umso wichtiger ist es, diesen Herstellungsprozess transparent zu halten. Bereits kleine, scheinbar unbedeutende methodische Vorentscheidungen bei der Transkription von Gesprächen haben zum Teil gravierende Auswirkungen auf ihre Wirkung und Rezeption. Beispielhaft wird diese Problematik im Umfeld der Ausstellung des Hamburger Instituts für Sozialforschung ,Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944'. Noch bevor die Fehler der Ausstellung publik wurden, veröffentlichte Jan Philipp Reemtsma unter dem Titel ,Drei Patrioten' sogenannte „Interviews" mit Kriegsveteranen, angeblichen Ausstellungsbesuchern.44 Reemtsma montiert hier nach Belieben Textblöcke, um Widersprüche 38

Vgl. zur Auseinandersetzung quantitative - qualitative Sozialforschung' Jüttemann (1998) S. 71; Susanne Spülbeck: Biographie-Forschung in der Ethnologie [= Kölner Ethnologische Studien Bd. 25] (Hamburg 1997) S. 83, S. 115; Rainer Wirtz: Vergangenheit in mündlicher Überlieferung. Einige Aspekte der Neueren Geschichte. In: J. von Ungern-Sternberg, H. Reinau (Hg.): Vergangenheit in mündlicher Überlieferung (Stuttgart 1988) S. 331-344; S. 342; Schaffner (1988) S. 347.

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Vgl. Stöckle (1990) S. 132. Eine knappe Zusammenfassung des Projekts, das Maßstäbe gesetzt hat, bei Hans Joachim Schröder: Das Kriegserlebnis als individuell-biographische und kollektiv-historische Erfahrung. Ehemalige Mannschaftssoldaten erzählen vom Zweiten Weltkrieg. In: Bios. Zeitschrift für Biographieforschung und Oral History. Η. 2 (1988) S. 39-48.

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Vgl. Schröder (1992) S. 683. Vgl. ebd. S. 165. Löffler (1999) S. 54. Jan Philipp Reemtsma: Drei Patrioten. In: Ders.: Stimmen aus dem vorigen Jahrhundert. Hörbilder (Stuttgart 2000) S. 97-124.

hervortreten zu lassen. Er wiederholt an verschiedenen Stellen die gleichen Textbausteine, Wort für Wort, um den Eindruck einer nicht enden wollenden Litanei zu erzeugen. Er spart nicht mit Auslassungszeichen und Gedankenstrichen, um Grauen und Brüche zu inszenieren. Er gibt Dutzende von „Ähs" wieder und blendet alle Fragen des Interviewers aus, um ein Bild vor sich hin räsonierender alter Männern zu entwerfen. Der Text gewinnt eine Dynamik und Geschlossenheit, die ihm ursprünglich nicht zueigen gewesen sein kann. Damit handelt Reemtsma gegen wissenschaftliche Gepflogenheiten. Da Sprachfüllsel wie ,Äh' fast jede Rede begleiten, besteht keine Notwendigkeit, sie in das Transkript aufzunehmen. 45 Grundsätzlich sollten nur solche paraverbalen Merkmale transkribiert werden, die dann auch in die Analyse überführt werden. 46 Bei der Frage, welche Art von Transkription angemessen ist, gilt es zu berücksichtigen, „ob bestimmte Transkriptionszeichen wie etwa ,Ähs' in Lesern eines Transkripts unkontrollierbare (negative) Einstellungen gegenüber den Gesprächsteilnehmern erzeugen." 47 Genau dies scheint von Reemtsma beabsichtigt. Es handelt sich eben nicht, wie Reemtsma suggeriert, um „anonymisierte Interviews" 48 einer seriösen Zeitzeugenbefragung, sondern um eine tendenziöse Collage, die sich vielleicht an den entlarvend-brillanten Zitattechniken eines Karl Kraus orientiert, aber sicher nicht an der mittlerweile ausdifferenzierten Methodik der Oral History. Auf diese Weise werden Menschen vorgeführt und bloßgestellt. Der aufmerksame Leser merkt die Absicht und ist verstimmt. 49 Dieses Beispiel zeigt recht gut, wie scheinbar rein technische und kompositorische Fragen (nach Materialanordnung und Transkription) unter Umständen von tiefer liegenden Bewertungen motiviert werden. Ich habe in meinen Transkriptionen eine wortgetreue Wiedergabe angestrebt. Bei der Transkription lässt sich die vorliegende Studie von pragmatischen Überlegungen leiten und verzichtet auf ausgefeilte Transkriptionspartituren, die nicht selten auf Kosten der Lesbarkeit gehen und deren Aufwand oft in keinem Verhältnis zum Erkenntnisertrag steht. Über den normalen Schriftgebrauch hinausgehende Notationszeichen werden nicht verwendet, paraverbale Gesprächsmerkmale (Lautstärke, Tonfall, Sprechtempo etc.) dort, wo sie für die Analyse eine Rolle spielen, in eckige Klammern gesetzt. Was für die Analyse ,eine Rolle spielt', ist natürlich auch (aber nicht nur) eine subjektive Entscheidung des Autors, die mit seinem Vörwissen, seinen Erwartungshaltungen und (in diesem Fall) mit den vorgängigen Redenanalysen in Zusammenhang steht.

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Vgl. Löffler (1999) S. 117. Vgl. Sabine Kowal, Daniel C. O'Connell: Zur Transkription von Gesprächen. In: Uwe Flick, Emst von Kardorff, Ines Steinke (Hg.): Qualitative Forschung. Ein Handbuch (Reinbek bei Hamburg 2000) S. 437^147; S. 444. Ebd. S. 446. Reemtsma (2000) S. 168. Mittlerweile hat Jan Philipp Reemtsma einen „Lernprozess" eingeräumt. Vgl. Volker Ullrich: Sie waren Mörder. Die Wehrmachtsausstellung ist rehabilitiert. In: Die Zeit Nr. 47 (10. November 2000); Detlev Ahlers: Nicht gefälscht, aber doch mit Fehlern. Wehrmachtsausstellung - Deutliche Kritik der Gelehrtenkommission. In: Südwestpresse Ulm (16. November 2000); ,Der Zivilisationsbruch'. Ein Zeit-Gespräch mit Jan Philipp Reemtsma über die Zukunft der Wehrmachtsausstellung. In: Die Zeit Nr. 48 (23. November 2000) S. 58.

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Diese Faktoren werden hier nicht nur der methodischen Redlichkeit wegen aufgezählt, sondern weil sie auch selbst Gegenstand der Gesprächsanalysen sind.50 Natürlich stehen auf diese Weise zustande gekommene Transkripte in einer wesentlichen Differenz zur ursprünglichen Gesprächssituation. Sie stützen sich auf Tonbandaufnahmen, die selbst nur einen begrenzten akustischen Ausschnitt der originalen Situation einfangen.51 Eine weitere Verkürzung steht am Ende des Verschriftungsprozesses, durch den wiederum Elemente der ursprünglichen Situation eliminiert werden. Diese ,Mängel', die ich nicht als defizitär, sondern als Eigentümlichkeiten der gewählten Methode begreife, versuche ich in Teilen durch Beschreibungen der Gesprächssituationen zu kompensieren, die in die Auswertung mit einfließen. Nicht durch Tonband- oder Videoaufnahmen dokumentierte Anteile des Gesprächs einzubeziehen, ist umstritten aber sinnvoll. Sogenannte Gesprächsprotokolle (auch .Protokolle teilnehmender Beobachtung',,Feldtagebuch', ,Werkstatttagebuch') begleiten die Aufzeichnung von Gesprächen und dokumentieren Gesprächspartien, die durch Datenträger nicht zu erfassen sind (subjektive Wahrnehmung der Gesprächsstimmung, Gefühle von Sympathie und Antipathie, aktionale Gesprächskomponenten, Wohnraum und Umgebung, Begrüßung und Verabschiedung, Vorgespräche etc.).52 Für die Notwendigkeit gelegentlichen Heranziehens nicht aufgezeichneter Anteile eines Zeitzeugengesprächs spricht auch die Problematik des Beobachterparadoxons: Wissenschaftliche Gesprächsanalyse erhebt den Anspruch, Gespräche zu analysieren, die normalerweise unbeobachtet und quasi natürlich zwischen Gesprächspartnern geführt werden. Dieser Anspruch kann aber nur realisiert werden, indem diese Gespräche aufgezeichnet und dokumentiert, also beobachtet werden. Nicht aufgezeichnete Gesprächsanteile kommen dem Ideal des .natürlichen Gesprächs' näher als aufgezeichnete und entrinnen bis zu einem gewissen Grad dem angesprochenen Paradoxon. Ein Beispiel: Mitten im Gespräch bat mich K. in sein Schreibzimmer und präsentierte dort seine militärischen Orden aus dem Zweiten Weltkrieg. Dieser Teil unserer Begegnung ist nicht aufgezeichnet, dennoch hat er für das Gespräch eine gewisse Bedeutung. Das Präsentieren von Kriegsauszeichnungen gibt Aufschluss über ein noch immer militärisch geprägtes Selbstverständnis, zugleich bekräftigt es auf der Ebene der Repräsentation jene Aussagen K.s, die sein militärisches Engagement für das frühe Scheitern einer akademischen Karriere in der frühen Nachkriegszeit verantwortlich machen. Schließlich haben wir nach diesem Zwischenspiel das aufgezeichnete Gespräch umso intensiver und konzentrierter weitergeführt - Orden können Erinnerungen an den Krieg wachrufen und so integraler Gesprächsbestandteil werden. 53 Die vertrauten Orden geben dem Gesprächspartner Sicherheit und

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Diese Überlegungen sind weniger selbstverständlich, als sie klingen, wenn man bedenkt, dass ältere Forschungen die Herstellung von Transkripten lange Zeit als einen quasi theoriefreien Prozess behandelten, in dem Primär- über Sekundär- in Tertiärdaten überführt werden; vgl. Kowal/O'Connell (2000) S. 440. Vgl. zur Problematik einer idealen, also unrealistischen Korpuserhebung: Helmut Henne und Helmut Rehbock: Einführung in die Gesprächsanalyse ( 3 1995) S. 46. Vgl. dazu ebd. S. 44, S. 57f.; Utz Jeggle: Das Initial. In: Kriegserinnerungen. Tübinger Korrespondenzblatt Nr. 38 (1991) S. 33-36. Zum Phänomen des state dependent retrieval vgl. Hans J. Markowitsch: Die Erinnerung von Zeitzeugen aus der Sicht der Gedächtnisforschung. In: Bios, Heft 1 (2000) S. 30-51, S. 40; vgl. auch Stöckle (1990) S. 143, Löffler (1999) S. 166 und Schröder (1988) S. 47.

rufen Emotionen wach, die aus der Vergangenheit rühren, aber auch in der Gegenwart noch an die Gegenstände gebunden sind. 54 Da nichtdokumentierte Gesprächspartien nicht nachprüfbar sind, sollten sie für wissenschaftliches Arbeiten aber nur zusätzlich zu beobachteten, d.h. aufgezeichneten und transkribierten Gesprächsausschnitten herangezogen werden. Nicht aufgezeichnetes Material bildet den Kontext des aufgezeichneten Materials und ist deshalb mitzuberücksichtigen. 55 Obwohl auch die Arbeit des Feldforschers in der beschriebenen Hinsicht eine Konstruktionsleistung ist, sieht sich diese Studie einem radikalen Konstruktivismus, der davon ausgeht, dass sich über Wirklichkeit an sich nichts aussagen lässt, nicht verpflichtet. Die vorliegende Arbeit untersucht das Wechselspiel zwischen faktisch rekonstruierbarer Geschichte und einer individuell konstruierten Lebensgeschichte. Gesprächsanalysen decken zwar keine historischen Fakten im ereignisgeschichtlichen Sinn auf, obwohl auch das immerhin möglich wäre. 56 Sie können aber die beschriebenen Kommunikations- und Vermittlungsprozesse nicht nur als methodisch bedingte, sondern ebenso als historisch spezifische Prozesse beschreiben - was diese Studie in besonderem Maße erfordert, da ihr Thema vor allem in den gesprächsanalytischen Teilen nicht eine Geschichte des Zweiten Weltkriegs, sondern die Kommunikation über Erlebnisse aus dem Zweiten Weltkrieg ist.

2.2

Memorialtopoi und die Konstruktion von Erinnerung in Rede und Gespräch

Am Anfang jedes Nachdenkens über Topik steht die Frage nach ihrer Definition, und hier weiß die Schulrhetorik Antwort. Nach Aristoteles handelt es sich um eine Methode, „nach der wir über jedes aufgestellte Problem aus wahrscheinlichen Sätzen Schlüsse bilden können und, wenn wir selbst Rede stehen sollen, in keine Widersprüche geraten." 57 Demnach ist eine topische Studie eine dialektische Untersuchung, die in gewisser Weise eine Antwort auf etwas Vorgefundenes formuliert und sich dabei auf Meinungswissen stützt. Welcher Gedanke ein Topos ist, erfährt man erst durch intensive Lektüre, und selbst dann besteht ein „dauerhaftes Definitionsdesaster" 58 . Tatsächlich gibt es fast so viele Topos-Definitionen wie Forscher. Dies hat immerhin den Vorteil, dass auf verschiedene Ansätze zurückgegriffen werden kann, um dann mit dem Begriff des Topos unterschiedliche Aspekte eines Themas auszuleuchten. Koexistente Zugänge können flexibel und kontextbezogen auf die Quellen appliziert werden. Die ,Unschärfemomente' der Methode (nach Bornscheuer) las-

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Vgl. Stöckle (1990) S. 143; zum Gedächtnis der Dinge vgl. auch Assmann (1999) S. 20f. Zum Beobachterparadoxon vgl. W. Labov: Das Studium der Sprache im sozialen Kontext. In: W. Klein, E. Wunderlich (Hg.): Aspekte der Soziolinguistik (Frankfurt/M. 1972) S. 123-206, S. 147; Henne, Rehbock (1995) S. 49, Stöckle (1990) S. 137 („Werkstatt-Tagebuch") und E.W.B. Hess-LUttich: Art. .Gespräch', in: Historisches Wörterbuch der Rhetorik, hg. von G. Ueding, Bd. 3 (1996) Sp. 929-947; Sp. 936. Vgl. Schröder (1992) S. 212. Aristoteles: Topik I, 1 (100al8). In: Aristoteles: Topik (Organon V). Übersetzt und mit Anmerkungen versehen von E. Rolfes, mit einer Einleitung von H.G. Zekl. 3. Aufl. [Philosophische Bibliothek Band 12] (Hamburg 1992). Schröder (1992) S. 229.

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sen es zu, eine topische Methode am Gegenstand zu entwickeln. Dadurch werden Reden und Gespräche eben nicht in ein präfabriziertes Modell gezwungen. Somit ist die Topik eine offene und flexible Methode, die in diesem Merkmal einer basalen Forderung qualitativer Sozialforschung entspricht.59 Vor allem ist die Topik eine hervorragende Methode, Ordnung und Struktur in ,alle aufgestellten Probleme' und damit auch in ein überbordendes und schwer zu bewältigendes Quellenmaterial zu bringen. Topoi sind, das ist ihre ursprüngliche Funktion, heuristisch wertvoll. Sie schärfen die Wahrnehmung für das, was verhandelt wird, und lenken die Aufmerksamkeit auf Punkte, die sonst vielleicht in einer Flut von Material verloren gingen. Dieses Vorgehen ist selektiv - für eine Kontextualisierung der Topoi sind alle Primärtexte des Analyseteils im Anhang dieser Arbeit auch im Zusammenhang zu lesen. Mit einiger Übung rezipiert ein topisch operierender Leser strukturierend, er versucht zu filtern, Muster zu bilden und Gewichtungen vorzunehmen. Die heuristische Funktion der Topik verführt allerdings zu einer von Vorurteilen geleiteten Vorgehensweise. Der Wissenschaftler findet dann, was er von Anfang an finden wollte. Dies ist ein Problem jeder inhaltlich strukturierenden Methode. Ein Bewusstsein dieser Gefahr sollte den Wissenschaftler deshalb immer wieder zu einem möglichst wenig starren, dafür umso offeneren Umgang mit Topoi animieren. Damit ist, gegenläufig zu einer Tendenz zum Schematismus, das kreative Potential von Topoi angesprochen. Insbesondere das utramque-partem-Prinzip lässt theoretisch unzählige inhaltliche Konkretisierungen eines Topos zu. So ist jede inhaltliche Festlegung immer nur als „Auswahl aus einem Spektrum potentieller Alternativen" zu sehen.60 Diese kontrastive Potenz nutze ich, indem ich die Topoi der Reden und Gespräche mit den Topoi in Vergleichstexten (z.B. in Volkstrauertagsreden von Heinrich Boll und Alfred Dregger) konfrontiere. Obwohl Topoi in der Geschichte der Rhetorik, vor allem in schulmäßiger Ausprägung, immer wieder zu unflexiblen Ordnungskategorien verkümmert sind, verfügen sie doch über eine erstaunliche inventorische Leistungsfähigkeit, vor allem in ihrer Offenheit für kombinatorische Prozesse und in der Potenz ihrer mnemonischen Qualitäten.

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Vgl. Löffler (1999) S. 55f. Die .Unscharfe' des Topos-Begriffs wirft die Frage auf, worum es sich bei den in dieser Arbeit behandelten semantischen Einheiten eigentlich handelt. Je nach Kontext kann der Topos als Motiv, Argumentationsstrategie, geronnene Erinnerung oder als Rationalisierungskonzept auftreten. Solange sich die verschiedenen Ansätze nicht widersprechen und solange sie ihre Anwendungstauglichkeit für die Textanalyse beweisen, ist dieses Phänomen durchaus nicht als methodische Schwäche zu bewerten. In diesem pragmatischen Topik-Verständnis ist der Topos bloß instrumentum; im Mittelpunkt steht die Sache, die mit dem Werkzeug bearbeitet wird: Ein Handwerker kann einen Meißel zum Meißeln verwenden, dann setzt er je nach Material einen spezifischen Meißel ein. Bei Bedarf kann er den Meißel sogar als Brechstange oder Lineal einsetzen. Niemand würde mit dem Hinweis auf Definitionsprobleme widersprechen. Analog bietet die methodische Vielfalt der Topik eine Chance, ein Thema im Sinne einer rhetorischen amplificatio von verschiedenen Seiten auszuleuchten. So erfüllt die Topik keinen Selbstzweck, sondern bringt in verschiedenen Perspektivierungen Klarheit in Themen und Fragestellungen. Dazu bedarf es einer situativ angemessenen Operationalisierung des Topos-Begriffs.

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Vgl. Werner Kallmeyer, Reinhold Schmitt: Forcieren oder: Die verschärfte Gangart. Zur Analyse von Kooperationsformen im Gespräch. In: W. Kallmeyer (Hg.): Gesprächsrhetorik. Rhetorische Verfahren im Gesprächsprozess [= Studien zur deutschen Sprache Bd. 4] (Tübingen 1996b) S. 19-118; S. 36.

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Es bleibt die Frage danach, wann es der Leser oder Hörer mit einem Topos zu tun habe. Man müsse, um einen Topos zu erkennen, mahnte Ernst Robert Curtius, „sehr viel lesen". 61 Irgendwann ist der Leser dann soweit, wiederkehrenden Formulierungen und Motiven in den Erinnerungen von Kriegsveteranen die Qualität eines .Topos' zuzubilligen, wenn ihr wiederholtes Auftreten auf eine für das Gedenken relevante Bedeutung schließen lässt. Der Klassifizierung als Topos muss also, in den Worten Joachim Knapes, sowohl eine Frequenzanalyse als auch eine Signifikanz- und Rhetorizitätsprobe vorausgehen. 62 Man sollte wohl nicht Schröder folgen, der einer Aussage im thematischen Umfeld von Kriegserinnerung bereits dann großzügig einen topischen Status konzediert, wenn sie mindestens in zwei verschiedenen Zeugnissen auftaucht. 63 Es müssen ganze Textserien (Supertexte) untersucht werden, um Topiken isolieren zu können. 64 Die Analyse einer einzigen Volkstrauertagsrede liefert noch keine Topoi. Erst der Abgleich mit anderen Reden aus der Zeitschrift ,Alte Kameraden' und aus einer vergleichbaren Publikation (,Der Seehase') lässt Rückschlüsse auf den topischen Charakter von Formulierungen zu. Die Konfrontation schriftlicher mit mündlichen Quellen eröffnet meiner Studie eine weitere Möglichkeit: Topoi können im Gespräch auch durch den Gesprächspartner als solche validiert werden. Indem der Gesprächspartner mit darüber entscheidet, ob es sich um einen ,gängigen' Gedenktopos handelt oder nicht, wird die analytische Voreingenommenheit des Interviewers relativiert (Knape nennt es die „induktive experimentelle Erschließung von Topiken") 6 5 Je öfter ein Topos auftaucht, desto schwieriger kann es sein, ihn vom Schlagwort oder Stereotyp zu trennen. 66 Im Verständnis von Curtius sind Topoi literarische Konstanten', sie bilden ein Reservoir erstarrter Formen 67 Tatsächlich lassen sich in den vorliegende Völkstrauertagsreden eine Anzahl von Topoi aufspüren, die ohne Veränderung durch die Jahrzehnte und unabhängig vom jeweiligen Redner gleich bleiben. Es sind im klassischen Sinn .Gemeinplätze', loci communes, die vielen Argumentationen gemeinsam sind 6 8 Dieses Phänomen kann natürlich einfach so gedeutet werden, dass sich die Redner in rechter Phantasielosigkeit vorge-

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Emst Robert Curtius: Europäische Literatur und Lateinisches Mittelalter (Tübingen, Basel 11 1993; zuerst 1948) S. 386f. Knape (2000) S. 759ff. Vgl. Schröder (1992) S. 230. Vgl. Knape (2000) S. 759. Vgl. ebd. S. 761. Dieses Abgrenzungs-Problem kennt auch die Schlagwortforschung. In den einschlägigen Publikationen von Wilfried Bamer (Rhetorische Aspekte der Schlagwortanalyse, an Texten der Auklärung, in: Kopenhagener Beiträge zur germanistischen Linguistik 9 (1977) [= Linguistische und literaturwissenschaftliche Analyse von deutschen Gebrauchstexten. Referate des textlinguistischen Symposions in Kopenhagen 15.-18. September 1975] S. 104-127) und Wulf Wülfing (Schlagworte des Jungen Deutschland. Mit einer Einführung in die Schlagwortforschung (Berlin 1982) [= Philologische Studien und Quellen, H. 106]) herrscht eine gewisse begriffliche Unbekümmertheit, wenn es darum geht, ob eine semantische Einheit ein Schlagwort, ein Modewort, ein Leitwort, ein Schlüsselwort, ein Stereotyp oder gar ein Lieblingswort sei. Da beide Germanisten aber keine Begriffsgeschichte des Lemmas .Schlagwort' verfolgen, sondern es auf seine Tauglichkeit für die konkrete philologische Arbeit an Texten der Aufklärung bzw. des Jungen Deutschland prüfen, kann auf die begriffliche Schärfe gern verzichtet werden. Curtius (1993; 1948) S. 4. Zum Topos in seiner Eigenschaft als locus communis vgl. Hans Georg Coenen: Art. .Locus communis', in: Historisches Wörterbuch der Rhetorik, hg. von G. Ueding, Bd. 5 (2001) Sp. 398—411.

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stanzter epideiktischer Versatzstücke bedienen - ein Produktionsprozess, der den Topos zum Stereotyp erstarren lässt. Bereits Piaton parodiert eine auf diese Weise konventionalisierte topische Produktionsweise bei Gedenkreden auf den Soldatentod. Im Dialog ,Menexonos' verspottet Sokrates solche Gedenkredner.69 Das Phänomen der interpersonalen Homogenität von Topoi des Kriegserlebens, das eines der frappierendsten Entdeckungen beim Studium des vorliegenden Quellenkorpus ist, kann aber auch anders gedeutet werden. Einerseits wurden Kriegsereignisse offensichtlich zu einem gewissen Grad bereits topisch erlebt, vorgeprägt durch Diskurse der 20er und 30er Jahre. Andererseits haben ähnliche Kriegserfahrungen wohl zu gleichartigen topischen Ausprägungen geführt.70 Beides ist nachzuvollziehen. Kesting betont, dass der Topos nicht in jedem Fall in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der individuellen Erfahrung steht.71 Dies gilt wohl auch für das vorliegende Quellenmaterial. Nicht alle organisierten Veteranen können alle Gedenktopoi mit eigenen Erfahrungen füllen, gleichwohl können sich alle auch mit den nicht durch eigene Erfahrung gesättigten Gedenkmustern identifizieren. Theoretisch gibt es so viele verschiedene Kriegserlebnisse wie Wehrmachtssoldaten (also an die 18 Millionen) - eine Problematik, der sich meine Studie in gewisser Weise entziehen kann, da es ihr ja vorrangig um bewusst gewählte, homogene Gedenkmuster geht. Wie viel Erfahrung in diesen Topoi sedimentiert, kann nur in einzelnen Gesprächen jeweils fallweise herausgefunden werden. In den Gedenkreden zum Volkstrauertag stellt sich die Frage nach dem individuellen Kriegserleben weniger stark, da ihre Formeln konsensual ausgehandeltes Sprachgut sind. Diese kollektiv rezipierten und reproduzierten Formeln konstituieren jene homogene Gedenkkultur, die für Veteranenvereine typisch ist. Die vorliegenden Zeitzeugenäußerungen konvergieren im kollektiven Erlebnis eines gemeinsamen Kriegs und dem ebenfalls kollektiven Bedürfnis, dieses Erleben anderen mitzuteilen und dabei sinnvoll in die eigene Biographie zu integrieren. Im Umkreis der organisierten Veteranenkultur können kollektivierende Erinnerungsmuster beobachtet werden, die sich als topisches Gitter über Reden und Gespräche legen und weit mehr sind als rednerische Versatzstücke. In Reden- und Gesprächsanalysen legen topische Ansätze jene Elemente frei, die über das Individuum hinausweisen auf ein topisches Wissen, das allerdings ohne die Erfahrung zumindest einiger Einzelner nicht denkbar wäre - so wie ein kollektives Gedächtnis', dem kein anatomischer Sitz im Individuum nachgewiesen werden kann, auch im metaphorischen Sinn nicht ohne die Erfahrungen eines Einzelnen existieren würde.

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„Es ist doch in vieler Hinsicht eine herrliche Sache, Menexenos, im Kriege zu bleiben. Denn ein schönes und prachtvolles Leichenbegängnis bekommt, wer auch als ein armer Mann gestorben ist, und gelobt wird ebenfalls, wer auch nichts taugt, und das von kunstreichen Männem, die nicht aufs Geratewohl loben, sondern schon lange vorher ihre Rede angeordnet haben und die so vortrefflich loben, dass sie, was jeder an sich gehabt hat und auch was nicht, ihm nachrühmend, mit dem herrlichsten Schmuck der Worte verziert, unsere Seelen bezaubern, indem sie sowohl den Staat auf alle Weise verherrlichen als auch die im Kriege Gebliebenen und unsere Vorfahren insgesamt, ja auch uns selbst preisen, die wir noch leben." Plat. Menex. 234c/23b, in: Piaton. Sämtliche Werke Bd. 2, in der Übers. Von F. Schleiermacher, hg. von W.F. Otto u.a. (Hamburg 1957) S. 109.

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Diese Annahme vertritt auch Schröder (1992) S. 250. Hanno Kesting: Zur sozialen Topik. In: H. Popitz, H.P. Bahrdt, E.A. Jüres, H. Kesting: Das Gesellschaftsbild des Arbeiters. Soziologische Untersuchungen in der Hüttenindustrie. 3. Aufl. (Tübingen 1967; zuerst 1957) S. 81-88; S. 84.

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Der prekäre Status der Volkstrauertags-Topoi gibt Grund zu der Annahme, dass sie ohne den Hintergrund einer gelebten Erfahrung, die nicht immer von allen geteilt werden muss, kaum überlebensfähig wären. Solange die Produzenten dieser Topik noch leben, versichern sie sich durch die Topikalisierung ihrer Erfahrungen oder jener ihrer Kameraden einer kollektiven Identität. Topoi sind sprachliche Zeichen, die Gemeinschaft kodieren. Erinnerungsorte dienen, in den Worten von Nora, „der Entschlüsselung dessen, was wir sind, im Lichte dessen, was wir nicht mehr sind." 72 In der Epideixis der Volkstrauertagsreden werden Kriegserfahrungen topisch präfiguriert. Damit ist der Grad der Vertretbarkeit bereits festgelegt. Topisch durchwirkte Volkstrauertagsreden haben einen anderen Geltungsanspruch als faktisch orientierte Geschichtserzählungen. Die topische Komposition des Materials hat auch Auswirkungen auf seine Analyse. Topische Analysen unterscheiden sich in ihrem Status von Untersuchungen, die auf die Bestimmung dessen abzielen, ,wie es wirklich war' - eine Annahme, mit der etwa Fritz Schützes ,Homologiethese' operiert, deren ,Zugzwänge des Erzählens' die referentielle Funktion des Erzählens in den Vordergrund rückt. 73 Die topische Komposition einer Rede oder eines Gesprächs vermittelt oft mehr Einblicke in eine .biographische Wahrheit' als in eine historische. Nur selten werden diese beiden Ebenen aber analytisch voneinander getrennt. Meistens werden sie miteinander vermengt - nicht nur von Wissenschaftlern, sondern auch von jenen Veteranen selbst, die ihre persönliche Wahrheit' als ,historische Wahrheit' ausgeben und dann eine davon unterschiedliche historische Wahrheit als Angriff auf ihre Biographie wahrnehmen. Eine topische Analyse kann und will in die aufgezählten subjektiven Konstruktionsleistungen nicht korrigierend eingreifen. Sie macht stattdessen sprachlich und kommunikativ gestaltete Bezüge zu sozialen und historischen Wirklichkeiten sichtbar. Von manchen Sozialwissenschaftlern wird die Topik wegen der genannten Eigenheiten abgelehnt; sie sei nicht exakt genug. 74 Allerdings ist das Streben nach naturwissenschaftlicher Genauigkeit in Reden und Gesprächen „eine unglückliche Liebe zu einer Form der Evidenz [...], die sich nun einmal nicht erreichen lässt", wie der Gründungsvater einer sozialen Topik, Hanno Kesting, formuliert. Seine Auseinandersetzung mit den antiken Grundlagen der Topik und den einschlägigen Forschungen von Curtius verbleiben zwar an der Oberfläche. 75 Viel wichtiger aber ist die Tatsache, dass hier auf empirischer Grundlage Ergebnisse einer literarhistorischen Toposforschung in ihrer Gültigkeit bekräftigt werden. Kestings Verdienst liegt im Herausarbeiten der sozialen Bedingtheit von Topoi. Danach hat jede soziale Topik ihren historischen und „sozialen Ort, an dem sie sich [...] als sinnvoll erweist." 76 Es liegt auf der Hand, dass für eine solche Positionsbestimmung , exakte Kri-

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Nora (1990) S. 16. Vgl. zu Schütz, kritisch: Hans-Christoph Koller: Biographie als rhetorisches Konstrukt. In: Bios. Zeitschrift für Biographieforschung und Oral History (Η. 1/1993), S. S. 34-36; Winfried Marotzki: Entwurf einer strukturalen Bildungstheorie. Biographietheoretische Auslegung von Bildungsprozessen in hochkomplexen Gesellschaften (Weinheim 1990) S. 161ff. Z.B. Schumann, H.-G.: Topik in den Sozialwissenschaften. In: D. Breuer, H. Schanze (Hg.): Topik. Beiträge zur interdisziplinären Diskussion (München 1981) S. 191-199; S. 194ff. Kesting (1967) S. 14. Die historische Ableitung umfasst gerade einmal eine Seite, zweimal werden anstelle der .endoxa' ,eudoxa' genannt; ebd. S. 82f. Ebd. S. 84.

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terien' wie Repräsentativität und statistische Validität nicht immer greifen. Angemessener sind doxische Kategorien wie Plausibilität und Glaubwürdigkeit. Dieser .rhetorische Wahrheitsgehalt' ist insbesondere für Kriegserinnerungen zu veranschlagen.77 Volkstrauertagsreden stehen in einer Tradition epideiktischer Beredsamkeit, die im Lauf der Jahrhunderte eine eigene Topik ausgeprägt hat. Die narratio von Kriegserzählungen kann mit einer topischen Methode analysiert und beschrieben werden. Den Kriegstod der Kameraden im Gedächtnis zu halten, ist das erklärte Ziel aller Reden zum Volkstrauertag. Mit dem Tod der letzten Weltkriegsveteranen bleiben nur noch ihre zu Erinnerungsmustern verfestigten Erfahrungen, in denen sie ihr eigenes Fortleben festschreiben. Memorialtopoi lehnen sich auf gegen die Sterblichkeit - es ist kein Zufall, dass in der SimonidesLegende die Mnemotechnik aus dem Totenkult geboren wird. Zu ,Orten' geronnene Erfahrungen werden in ihnen an die Nachwelt weitergeben. Topoi sind aber nicht nur Erinnerungsorte. Sie sind auch Elemente argumentativer Strategien. Es ist nicht einzusehen, warum Schröder dem Topos in Bezug auf Interviews mit ehemaligen Weltkriegssoldaten nur nachrangige Bedeutung einräumt, nämlich einen dritten Rang hinter ,Erzählgeschichten' und Argumentationen.78 Man muss Schröder in seiner Trennung von Topos und Argument nicht folgen. Immerhin ist bei Quintilian der locus Sitz der Argumente.79 Im Zentralgebiet der Topik, der Argumentenlehre, werden offene und verdeckte Argumentationsvorgänge beschreibbar, was gerade für legitimatorische Äußerungen ehemaliger Wehrmachtssoldaten im Horizont des Bewältigungsparadigmas produktiv wird. Argumente in Form von Topoi geben sich unangreifbar, sie reklamieren doxischen Charakter. Solche verdeckten Argumente können aber nur durch eine topische Analyse aufgedeckt werden. Eine topische Methode gewinnt Zugang zu persuasiven Argumentationsstrategien von Kriegsveteranen, mit ihr kann jenes Reservoir freigelegt werden, aus dem Reden und Gespräche ihre Argumente beziehen. Die Konfrontation der Veteranen mit den Memorialtopoi aus ihren Reden im Gespräch verspricht schließlich Einsicht in die Frage, auf welche Weise Gedenkmuster im Gespräch argumentativ adaptiert, modifiziert - oder eliminiert werden. Als Argumente sind Topoi Instrumente im Horizont des Bewältigungsparadigmas. Die topische Polarität von ,Sitz der Erinnerung' und ,Sitz der Argumente' korrespondiert mit der einleitend beschriebenen Polarität von Freisetzung und Bewältigung. In den Topoi der Volkstrauertagsreden werden Kriegserfahrungen konserviert, zugleich werden sie argumentativ bewältigt. Insofern ist topische Erinnerung eine trost- und sinnstiftende Konstruktion, die individuelle Erfahrungen an kollektive bindet. In dieser Funktion wird der Topik eine sinnstiftende Dimension zugewiesen.80 Die Bewältigungsdimension der Topik ist keine neue Entdeckung, sie ist von Beginn an in ihrem pro-

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Vgl. Schröder (1992) S. 203. Schröder (1992) S. 254. Vgl. Quintilian: Institutio oratoria V, 10, 20. In: Quintilian: Institutio oratoria. Ausg. und Übers, von H. Rahn, 2 Bd., 3. Aufl. (Darmstadt 1995). Eine ausführliche theoretische Grundlegung einer .Geschichte als Topik' mit der Funktion, religiösen Sinn zu stiften, findet sich bei Peter von Moos: Geschichte als Topik. Das rhetorische Exemplum von der Antike zur Neuzeit und die historiae im Policratus Johanns von Salisbury (Hildesheim u.a. 1988) (= Ordo. Studien zur Literatur und Gesellschaft des Mittelalters und der frühen Neuzeit 2).

duktiven und inventorischen Potential angelegt. Lothar Bornscheuer hat dazu einen zentralen Satz formuliert: „Nur innerhalb der allgemeinen soziokulturellen Topik vollzieht sich jede sinnstiftende individualpsychologische .Arbeit' wie Reflexion und Phantasie, Realitätsbewusstsein und Traum, Trauer und Trost, Bedürfnis und Glücksempfindung." 81 Bornscheuers Beschreibung einer .soziokulturellen Topik' kann am Beispiel der Volkstrauertagsreden lebensweltlich konkretisiert werden: Der Parameter soziokulturell wird konkret in der soldatischen Kameradschaftskultur im Konflikt mit der bundesrepublikanischen Nachkriegsgesellschaft. Der Parameter sinnstiftende individualpsychologische ,Arbeit' aktualisiert sich in den in dieser Arbeit beschriebenen Bemühungen, das Kriegserlebnis in die eigene Biographie zu integrieren, wobei das Individualpsychologische in einer kollektiven Gedenkrhetorik aufgeht. Trauer erscheint als Trauer um die im Krieg gestorbenen Kameraden, Trost finden Alte Kameraden im Topos der Kameradschaft (Trost ist zudem, neben Lob und Klage, ein klassisches Element der Trauerrede). Der Parameter Bedürfnis manifestiert sich als Bedürfnis nach einer als sinnhaft erlebten Biographie, die subjektiv als geglückt empfunden werden will; in anderen Worten: In den topischen Subtexten der hier verhandelten Reden artikuliert sich das Bedürfnis nach einer geglückten Biographie. 82 Reflexion, Phantasie, Realitätsbewusstsein und Traum sind die Bruchstellen der kameradschaftlichen Topik, indiziert entweder durch ihr Fehlen (Alte Kameraden weigern sich weitgehend, Topoi aus der Zeit des Nationalsozialismus ideologiekritisch zu reflektieren, ihre Topoi sind rückwärtsgewandt und verfügen in der Regel nicht über Merkmale einer politischen Vision oder Phantasie) oder durch ihren prekären Status (kameradschaftliche Geschichtsinterpretation ist umstritten). Die Bewältigungsdimension hat Wissenschaftler immer wieder zu euphorischem Lobpreis der topischen Methode veranlasst. 83 Vor allem eine religiös konnotierte Topik zeichnet sich in diesen Erörterungen durch das Vermögen aus, von der unverwechselbaren, unersetzbaren Identität des Einzelnen abzusehen zugunsten einer „universellen Bedeutung", 84 durch das Vermögen, das Selbsterlebte im Repertoire der (religiösen) Menschheitserfahrungen wieder zu entdecken. Curtius schreibt in diesem Sinne, die Topik berge „Menschliches und Göttliches". 85 Walter Haug erklärt, die Topik (bzw. das Exemplum) gebe „dem profan-philosophischen Wissen seinen angemessen-relativen Platz im Rahmen des Heilswissens". 86 Bei von Moos ist das Exemplum gar ein „Instrument gegen Vereinzelung, Vereinsamung, Verzweiflung", gegen die „Sinnlosigkeit des Vielen und Beliebigen". 87 Schließlich ermöglichen es Topoi, Wertvorstellungen und rednerische Selbstentwürfe zu benennen. Die Gattung der epideiktischen Rede eignet sich hervorragend dazu, Subjekti-

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Lothar Bornscheuer: Topik. Zur Struktur der gesellschaftlichen Einbildungskraft (Frankfurt/M. 1976) S. 25. Aristoteles definiert in seiner .Rhetorik' Glückseligkeit (eudaimonia) als oberstes Ziel jeder Gemeinschaft, vgl. Aristoteles: Rhetorik. Übers, von F.G. Sieveke (München 5 1995) I, 5, S. 27ff. Bei Peter von Moos dient das Exemplum (als Topos) der „Problemlösung [...] und Orientierung", vgl. Moos (1988) S. XI. Vgl. ebd. S. XXVI. Curtius (1993) S. 89. Walter Haug: Kritik der topischen Vernunft. Zugleich keine Leseanleitung zu .Geschichte als Topik' von Peter von Moos. In: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 114 (1992) S. 47-56; S. 49. Von Moos (1988) S. XX.

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vität und ethos des Redners zu studieren. In der erstarrtesten Form eines Erinnerungsortes zeigt sich noch das redende Subjekt, in der Präsentation des Themas ,Krieg' präsentiert sich der Redner auch selbst. 88 Im Topos laufen kollektive, individuelle und biographische Bezüge zusammen, an ihm lassen sich gesellschaftliche Strukturen genauso untersuchen wie rednerische Wirklichkeitsformung. Letztere ist wissenschaftlich am schwersten fassbar. Es ist lohnend zu beobachten, wie sich im Reden vom Krieg Prozesse der Selbstvergewisserung, des Identitätsaufbaus und der ,Selbstüberredung' (nach Erich Meuthen) vollziehen. Im Reden über den Krieg vergewissern sich Veteranen ihrer eigenen Biographie, versuchen, in ihre eigene Lebensgeschichte Transparenz zu bringen. 89 - An diesem Punkt setzt die Kritik von Pierre Bourdieu ein. Wer Identitätsfindung durch biographische Vergewisserung für wissenschaftlich bare Münze nehme, meint Bourdieu, sitze einer „rhetorischen Illusion" auf. „Eine Lebensgeschichte zu produzieren, das Leben als eine Geschichte zu behandeln, also als eine kohärente Erzählung einer bedeutungsvollen und gerichteten Abfolge von Ereignissen, bedeutet vielleicht, sich einer rhetorischen Illusion zu unterwerfen, einer trivialen Vorstellung von der Existenz [,..]." 90 Mit seiner Kritik an einer naiven rhetorischen Biographieforschung, deren Befragungen mit „unbewussten Vorannahmen" arbeiten, 91 entwickelt Bourdieu en passant Kriterien für eine reflektierte biographiewissenschaftliche Methodik (die im übrigen quantitativen Methoden explizit nicht das Wort redet). In Bourdieus Konzeption tritt das Individuum zurück hinter das soziale Feld; Biographie ist dann „Illusion", wenn sie von ihren sozialen Feldern losgelöst betrachtet wird. Es könne nicht um das Aufzeigen einer Identität des Biographisierten mit sich selbst gehen, vielmehr fokussiert Bourdieu auf Brüche, Zufälligkeiten und die soziale Bedingtheit einer Biographie, die bei ihm im Methodenbegriff des Habitus konvergieren. Dessen Merkmal einer „Vereinheitlichung der Praktiken und Repräsentationen" 92 ist auch dem Methodenbegriff des Topos zu eigen, für den ich mich in dieser Arbeit entschieden habe, und der mit seinem in-utramque-partem-Prinzip eben gerade nicht jene von Bourdieu kritisierte eindimensionale, nur vom Bedürfnis nach Sinnhaftigkeit geleitete Interpretation eines Lebenslaufs befördert, sondern lebensgeschichtliche Artikulationen und Bewältigungsversuche mit rhetorischen Analysen auf ihre Bedingtheiten und Kontingenzen hin untersucht. In der Person des Redners vereinigen sich biographische und kollektive Bezüge. Das Gelingen oder Misslingen dieser Vereinigung hat Folgen für die Rede. Das ethos des Redners entscheidet über Glaubwürdigkeit und Wirkung der Rede. Die Kriegsveteranentopik erfährt ihre Aktualisierung im individuellen, sich vergewissernden subjektiven Vollzug. Diese Erinnerungsmuster sind nicht nur Versatzstücke einer Jahrhunderte alten Gedenk-

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Zur Selbstpräsentation des Redners ausführlich Stefan Matuschek: Art. .Epideiktische Beredsamkeit'. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Bd. 2. Hg. von Gert Ueding (Tübingen 1994) Sp. 1258-1267; Sp. 1258 und Sp. 1266. Entsprechende theoretische Modelle bei Marotzki (1990) S. 104 und Werner Nothdurft: Schlüsselwörter. Zur rhetorischen Herstellung von Wirklichkeit. In: In: W. Kallmeyer (Hg.): Rhetorische Verfahren im Gesprächsprozess [= Studien zur deutschen Sprache Bd. 4] (Tübingen 1996) S. 351^118; S. 371. Bourdieu (1990) S. 76. Ebd. S. 80. Ebd. S. 27.

rhetorik, sie sind auch Ausdruck subjektiver Erfahrung. 93 Diese Ambivalenz weist der althergebrachten Methode Topik ihren modernen Rang zu: Noch in den persönlichsten Äußerungen in Reden und Gesprächen liegen geistesgeschichtliche Sedimente, die es topisch aufzuspüren gilt.94 Die Topik gilt vor allem für die Untersuchung von Reden als rhetorische Analysemethode sui generis.95 Aber auch Gesprächsanalysen profitieren von einem topischen Zugang. Dies wurde wiederholt in der Topikforschung betont und auch in Einzelstudien nachgewiesen.96 Topoi werden in Gesprächen besonders ergiebig als Reiz- und Schlüsselwörter analysiert. Als solche organisieren sie in Gesprächen die Erinnerung; typisch ist ihr starker emotionaler Gehalt und ihre pointierende Funktion.97 Keine Beachtung fand allerdings in diesen Studien, welche besonderen Eigenschaften eine topische Methode haben muss, wenn der Wissenschaftler Gespräche nicht nur analysiert, sondern auch an ihrer Entstehung beteiligt ist. Oft wird für das Gespräch der Status des quasi naturwüchsig gewordenen' reklamiert, gerade im Gegensatz zum nach einer Kunstlehre verfertigten .Gemachten' einer Rede. Obwohl der Intentionalitätsgrad eines Gesprächs geringer ist als bei einer Rede, die bewusst nach klassischen Topoi komponiert wurde, ist beider Unterschied nicht einfach nur in diesem Kriterium zu fassen. Gerade das Zeitzeugengespräch erfordert ja intensive Vörüberlegungen (etwa zur Gestaltung der Kommunikationssituation), und die Gespräche selbst sind oft durchsetzt von bewusst parteilichen, persuasiven Strategien, die nicht unbedingt den normativen Idealvorstellungen von einem Gespräch entsprechen, etwa dem idealtypischen diskurstheoretischen Ziel, „etwas zur gemeinsamen Sache zu machen, bzw. etwas gemeinsam zur Sache zu machen."98 Im Idealfall ist in den vorliegenden Gesprächen der Krieg die gemeinsame Sache', über die Zeitzeuge und Wissenschaftler zusammen etwas herausfinden möchten. Manchmal kommt es allerdings auch dazu, dass Veteranen den Interviewer dazu bewegen möchten, mit ihnen „gemeinsame Sache zu machen" (dann lautete bei meinen Gesprächen die unausgesprochene Frage: ,Steht der junge Mann auf unserer Seite?'). Dieses Phänomen ist oft beschrieben worden, Bourdieu stellt es bloß als die „natürliche Komplizenschaft des Biographen" oder die „Komplizenschaft des Forschers bei der Konstruktion des perfekten

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Bestätigend Schröder (1992) S. 249; vgl. aber die Einschränkung Kestings (1967; 1957) Anm. 71. Zu diesem Gedanken vgl. Resting (1967) S. 82. Was damit zusammenhängt, dass eine historisch ableitbare und elaborierte .Gesprächsrhetorik' nicht existiert, vgl. Claudia Schmölders: Die antike ars sermonis oder Das freundliche Gespräch. Einleitung zu dies. (Hg.): Die Kunst des Gesprächs. Texte zur Geschichte der europäischen Konversationstheorie (München 1979) S. 9; Gerhard Bauer: Zur Poetik des Dialogs (Darmstadt 1969) S. 3; Werner Kallmeyer: Was ist Gesprächsrhetorik? In: Ders. (Hg.): Gesprächsrhetorik. Rhetorische Verfahren in Gesprächsprozessen [= Studien zur deutschen Sprache Bd. 4] (Tübingen 1996a) S. 7 - 1 8 ; S. 10. Vgl. (literarisch orientiert) Ulrich Schulz-Buschhaus: Topiken der Konversation bei Raubert und Proust. In: Th. Schirren, G. Ueding (Hg.): Topik und Rhetorik: ein interdisziplinäres Symposium (Tübingen 2000) S. 3 7 7 391; außerdem Kallmeyer (1996) S. 12. Vgl. Nothdurft (1996) S. 379ff.; Vgl. Barner (1977). Vgl. Hellmut Geißner: Sprechwissenschaft. Theorie der mündlichen Kommunikation (Königstein/Taunus 1981) S. 45.

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sozialen Artefakts". 99 Die Antwort auf diese Gefahr kann aber nicht die Forderung nach dem .idealen Gespräch' sein. Idealvorstellungen schließen jene Varianten aus, die wir im Leben viel häufiger erleben, wie Formen des Aneinandervorbeiredens oder des uneigentlichen Sprechens.100 Gerade diese Formen sind im Zeitzeugengespräch besonders interessant. Das Gespräch ist nur zu fassen als komplexes Geflecht aus Erwartungen, Ängsten, Parteilichkeiten, Strategien und Konstruktionen, an denen auch der Forscher partizipiert. Dies ist auch der Grund, warum Zeitzeugengespräche offen und narrativ angelegt werden und warum beiden Seiten spontane Reaktionen ermöglicht werden sollten. Natürlich ist so das Gespräch kompositorisch weniger streng gestaltet als die Rede. Selbst die Ausgewogenheit zwischen den Gesprächspartnern ist oft nicht gegeben. Es wäre aber ein Irrtum zu glauben, bei Projekten der Oral History seien nur symmetrische Gespräche als geglückte Gespräche zu werten.101 Unter den Prämissen von Offenheit und Narrativität dient das topische Gitter nur noch als .Geländer', an dem entlang ein Gespräch geführt werden kann. Wenn ein Gespräch von der beschriebenen Offenheit getragen wird, sind Topoi nur noch Richtungspunkte, die Gespräche strukturieren helfen. Dies ist vor allem für problemzentrierte und fokussierte Gesprächspassagen hilfreich, der Interviewer behält dann mit den Topoi auch sein Erkenntnisinteresse im Blick. Außerdem lassen sich durch ein ,topisches Geländer' Antworten verschiedener Quellen auf ein und dieselbe Frage leicht vergleichen. Dabei sollte der Gesprächspartner durch die topische Lenkung nicht zu stark eingeengt und beeinflusst werden. Im Idealfall wechseln sich topisch gelenkte mit offenen Fragen ab.102 Eine systematisierte topische Modellbildung des Zeitzeugengesprächs gibt es bisher nicht. Traditionelle Kommunikationsmodelle, wie etwa das Bühlersche technische und am Subjekt-Objekt-Schema orientierte Sender-Empfänger-Modell, helfen kaum weiter.103 Zwar haben auch die Topoi der Traditions verbände eine Art , Geheimsprache'. Allerdings kann man nicht einfach eine Technik finden, um durch Dekodierung zum Gemeinten zu gelangen - dies umso weniger im Gespräch, an dem der Forscher selbst beteiligt ist. Es treten hier Phänomene hinzu, die ein Analytiker in dieser Brisanz normalerweise kaum zu beachten hat: das Spannungsfeld von Distanz und Nähe und Empathie. Wie der Forscher mit diesen Phänomenen umgeht, entscheidet über Gelingen oder Misslingen von Zeitzeugengesprächen und ihrer Analyse. Bei Arbeiten der Oral History komme es, schreibt Martin Schaffner, darauf an, „ein produktives Verhältnis zwischen Empathie und reflektierender Distanz in Gespräch und Interpretation zu finden."104 Die Verquickung des Nähe-Distanz-Problems mit dem Empathiebegriff ist in der Literatur zu Zeitzeugengesprächen häufig anzutreffen. Dies erschwert die Untersuchungen. In volkskundlichen Arbeiten, die den vielleicht größten Anteil an der Erschließung von Vete-

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Bourdieu (1990) S. 76 und S. 80. Zu diesem Gedanken vgl. Hess-Lüttich (1996) Sp. 930. Vgl. Löffler (1999) S. 172. Zu den verschiedenen Interviewformen beim Zeitzeugengespräch und ihren Vor- und Nachteilen vgl. Hermann Bausinger: Zur Spezifik volkskundlicher Arbeit. In: Zeitschrift für Volkskunde 76 (1980) S. 1-21 und Christel Hopf: Qualitative Interviews - ein Überblick. In: Uwe Flick u.a.: Qualitative Forschung. Ein Handbuch (Reinbek bei Hamburg 2000) S. 349-360; S. 353ff. Vgl. Stöckle (1990) S. 146. Schaffner (1988) S. 347.

ranengesprächen für die Wissenschaft haben, ist die Bewertung von Empathie umstritten. Der zeitliche Bezug der von Veteranen geschilderten Erlebnisse zum Nationalsozialismus macht aus einer eigentlich selbstverständlichen ethnologischen Prämisse ein Problem. Aus der unausgesprochenen Befürchtung, bei den Gesprächspartnern könnte es sich um Kriegsverbrecher handeln, erhalten Gespräche leicht den Charakter von Verhörinterviews. Die Befragten fühlen sich in eine Rechtfertigungsposition gedrängt und verziehen sich in kommunikative Schützengräben, die vom Forscher im Zirkelschluss als Hinweis auf ihre eventuell schuldhafte Verstrickung in die Verbrechen des Nationalsozialismus interpretiert werden. Klara Löffler schreibt, ein empathisches Verstehen müsse letztlich „an der Komplexität von Schuld und Unschuld im Nationalsozialismus und im Zweiten Weltkrieg scheitern." 105 Empathie ist im Verständnis dieser Studie nicht teilbar, dosierbar, quantifizierbar (nach dem Muster ,Empathie bei Arbeiter- oder Handwerkerbefragungen ja, bei Soldatenbefragungen nein'), und auch nicht von der Antwort auf die Frage nach Schuld und Unschuld im Nationalsozialismus abhängig. Empathie wird hier als Fähigkeit zur Einfühlung, zum Verständnis von Menschen aus ihrer Zeit heraus, zu nachvollziehendem Verstehen (ohne notwendige Billigung und mit der Möglichkeit und Verpflichtung zu kritischer Distanzierung) verstanden, und somit als Merkmal einer grundlegenden wissenschaftliche Haltung, die zur handwerklichen Beherrschung einer topischen Methode, die vor allem hilft, im Gespräch die passenden Leitfragen zu finden, hinzutreten muss. Wie aber verhält sich der Wissenschaftler konkret im Gespräch? Gewiss ist es unrealistisch und auch nicht wünschenswert zu verlangen, dass der Sozialwissenschaftler persönliche Sympathien, Antipathien, überhaupt Emotionen ausschaltet. Er kann sich aber über die möglichen Gründe für diese Emotionen Rechenschaft ablegen und so Distanz zurückgewinnen. Dadurch ändert sich nichts an seiner grundsätzlich empathischen Gesprächshaltung. Diese Studie verhandelt Empathie und das Nähe-Distanz-Problem getrennt, nicht zuletzt deshalb, weil die Begriffe ,Nähe' und .Distanz' allzu leicht als weltanschauliche Positionierung missverstanden werden. 106 Mit einer grundsätzlich empathischen Gesprächshaltung sind unter Umständen andere Ergebnisse zu erzielen als mit einer Gesprächshaltung, die eine bedingte Empathie situativ an Gefühle knüpft. Man wird mit einer uneingeschränkt empathischen Haltung wahrscheinlich nicht an den Kern der verschwiegenen Teile einer Lebensgeschichte herankommen 107 - aber vielleicht ein Verständnis dafür entwickeln, warum diese Teile verschwiegen werden. Die skizzierten Probleme sind auf diese Weise eingebettet in eine für Oral History wesentliche ethnographische Gesprächshaltung, die durch Offenheit für Fremdes und Befremdliches gekennzeichnet ist und somit auch der Gefahr einer topischen Methode entgegenwirkt, ohnehin nur das zu finden, was man sich zu finden vorgenommen hat.

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Löffler (1999) S. 60 (hier auch weitere Literaturhinweise zu dieser Diskussion). Auch Schröder entkoppelt Empathie von der Schuldfrage; allerdings ist sein Ansatz funktionalistisch, gekennzeichnet durch eine für seine Absicht, Informationen über den Zweiten Weltkrieg zu erhalten, spezifische Instrumentalisierung: „Zum anderen hat unsere Interviewpraxis gezeigt, dass der Verzicht auf insistierende oder gar inquisitorische Fragen sowie die Entschlossenheit, das Gegenüber in seinem So-Sein zu akzeptieren, beim Informanten Gefühle der Sicherheit und des Vertrauens erzeugen, die ihn veranlassen können, in der Beschreibung des eigenen Lebens zunehmend freimütiger zu werden." Vgl. Schröder (1988) S. 40. Von diesem Wunsch muss der Oral-History-Forscher Abschied nehmen, vgl. Spülbeck (1997) S. 130.

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3.

Analyse: Funktionen und Orte des Erinnerns

3.1

Funktionen des Erinnerns

3.1.1 Kontrapräsentische Überhöhung Kameradschaftliches Gedenken konfligiert mit sozialen und politischen Wirklichkeiten der Gegenwart, Erinnerungsformen der Traditionsverbände greifen deswegen immer wieder auf kontrapräsentische Überhöhungen zurück. 1 Vor allem das gemeinsame Schicksal der Kameradschaft stellt jenen übergreifenden Deutungsrahmen bereit, in den persönliche Erinnerungen eingebettet werden können. Seit den 50er Jahren ist für das bundesrepublikanische Gedenken ein Verlust an konkreter Erinnerung zu verzeichnen, lebendige Formen der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit sind eher die Ausnahme. 2 Das Bemühen, Argumentationen ins Ewiggültige, ins in diesem Sinne Geschichtliche zu überführen, hat auch schon die nationalsozialistische Rede charakterisiert, 3 ist aber auch generell ein Merkmal einer Gruppe, die nach Dauer strebt. 4 Kristallisationspunkt dieser Transzendierung sind Topoi, die dazu beitragen, menschliche Erfahrungen in Gemeinplätzen aufzuheben. 5 Dadurch wird eine Rede unangreifbar (unangreifbarer jedenfalls als die Schilderung konkreter Erlebnisse). Angreifbar bleibt der sensus communis, der einem solchen Topos zugrunde liegt. Biographische Kriegserlebnisse werden in den Reden der Zeitschrift ,(Alte) Kameraden' auch in religiöse oder quasi-religiöse Zusammenhänge gestellt. In einem übergreifenden existentiellen Bezugsrahmen wird der Zweite Weltkrieg retrospektiv religiös aufgeladen. 6

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Der Begriff des Kontrapräsentischen stammt von G. Theißen, vgl. Assmann ( 1 9 9 9 ) S. 227f., S. 294.

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Vgl. Danyel (1999) S. 1149.

3

Vgl. Victor Klemperer: LTI. Notizbuch eines Philologen. 15. Aufl. (Leipzig 1996; zuerst 1946) S. 118 und S. 234.

4

Vgl. Assmann (1999) S. 40.

5

Zu diesem Prozess vgl. Lambert Wierenga: The Rhetoric of the Commonplace: Argumentation and Ideology (Jules Verne and Emile Zola). In: L. Hunter (Hg.): Toward a Definition of Topos. Approaches to Analogical Reasoning (Houndmills u.a. 1991) S. 1 5 8 - 1 8 1 ; S. 177f.

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Wenn hier bei direkten Übernahmen aus religiösen Kontexten von religiösen oder bei Anspielungen auf religiöse Kontexte von quasi-religiösen Dimensionen die Rede ist, dann ist allerdings damit nicht gemeint, Kameradschaft als Ganzes als Religion, Quasi- oder Ersatzreligion zu interpretieren. Der wissenschaftliche Streit darüber, wann politische und gesellschaftliche Gebilde als ,Pseudo-' oder ,Quasi-Religion' bezeichnet werden dürfen (Erich Heck hat beide Bezeichnungen als „terminologischen Unsinn" zurückgewiesen, vgl. ders.: Der Begriff religio bei Thomas von Aquin. Seine Bedeutung für unser heutiges Verständnis von Religion (München u.a. 1971) S. 249f.), ist für die Totalitarismusforschung produktiv (Vgl. die einschlägigen Arbeiten von Eric Voegelein, Raymond Aron und Hans Maier, aufgearbeitet in Hans Maier (Hg.): Totalitarismus und Politische Religionen. Konzepte des Diktaturvergleichs. 2 Bde. (Paderborn u.a. 1996, 1997)), für die vorliegende Arbeit aber unerheblich und höchstens in jenem sehr weit gefassten Rahmen von Interesse, in dem Phänomene der Moderne, wie es Michael Ley formuliert, als „Säkularisat der christlichen Sakralgeschichte" interpretieriert werden (Vgl. Michael Ley: Apokalyptische Bewegungen in der Moderne. In: Ders., J.H. Schoeps (Hg.): Der Nationalsozialismus als politische Religion (Bodenheim b. Mainz 1997) S. 1 2 - 2 9 ; S. 12f.).

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Die vorliegenden Gedenkreden enthalten religiöse Formen oder übernehmen traditionelle religiöse Elemente. Die religiöse Aufladung des Gedenkens ist der Kitt, der Kameraden heute noch zusammenhält. In diesem Sinn schreibt Jan Assmann: „Religion [...] heißt, an einer Bindung festzuhalten, die unter völlig anderen, extremen Bedingungen eingegangen wurde, auch wenn sie in den Bedingungen der Gegenwart keinerlei Bestätigung findet."7 Die religiöse Aufladung der vorliegenden Quellen fundiert den kontrapräsentischen Charakter der Erinnerung. Der Eindruck des Religiösen oder Quasi-Religiösen entsteht in den Reden durch Erhöhung und Überhöhung. Religiöse Elemente beziehen sich auf Erlebnisse, die einem religiösen Erleben sehr nahe kommen.8 Entweder übernehmen die Redner quasireligiöse Denkfiguren (Überhöhung, Beschwörung der Ewigkeitsperspektive) oder sie argumentieren explizit mit religiösen Mustern (Zitate aus der Bibel, Anruf Gottes). Auch die Hymne kameradschaftlicher Volkstrauertagskultur, der Ludwig Uhland-Text vom guten Kameraden aus dem Jahr 1809 in der Vertonung von Friedrich Silcher, ist durchsetzt von religiösen Denkfiguren (Ewigkeitskontext, unio mystica).9 Im Folgenden geht es mir um die Funktion der religiösen Anspielungen und Elemente für das Gedenken der Veteranen, nicht aber um Wesen und Inhalt einer Kameradschaft als Quasi-Religion. Oft wird in den Völkstrauertagsreden das Thema Schuld in quasi-religiösen Interpretationen aufgelöst; dann tritt der Nationalsozialismus zurück hinter die auf Ewigkeit angelegten Dimensionen eines religiösen Glaubens. Die Ewigkeit ist der Fluchtpunkt für die Texte zum Volkstrauertag. Im Jahr 1962 verlegt der Autor die Antwort auf die Frage nach Sinn und Ursache des Zweiten Weltkriegs in den Himmel: Warum Gott das Vergangene geschehen ließ, warum er die Menschen so viele Irrwege gehen, so grausame Kriege führen, so viel Unfrieden stiften ließ, warum er nicht eingegriffen hat und nicht eingreift im Schicksal der Völker und des Einzelnen wie in den Katastrophen in der Welt, das wissen wir nicht und werden wir niemals enträtseln können. (Text AKa 1962)

Die ehemaligen Soldaten sind in dieser Rede unwissende Marionetten in den undurchschaubaren Plänen Gottes. Die religiöse Aufladung des Gedenkens erscheint als biographische Rechtfertigungsstrategie; sie entlastet von der kritischen Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit. Wo die Sprache der Reden religiös wird, dominiert eine pathetische Stillage, oft wird der Heldentod als höchste Aktualisierung des Menschseins verklärt. Die Entkoppelung des Soldatischen vom Politischen und die Anbindung ans Religiöse ist bereits im ,Dritten Reich' angelegt. Victor Klemperer hat kurz nach dem Zweiten Weltkrieg darauf hingewiesen, dass die .Lingua Tertii Imperii' in den Augenblicken ihrer

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Assmann (1999) S. 228. In diesem eingeschränkten, attributiven und rein funktionalen Sinn definiert auch Philippe Burrin das Religiöse und das Quasi-Religiöse, vgl. Philippe Burrin: Die politischen Religionen: Das Mythologisch-Symbolische in einer säkularisierten Welt. In: Ley/Schoeps (1997) S. 171. „Ich hatt einen Kameraden,/ Einen bessern findst du nit./ Die Trommel schlug zum Streite/ Er ging an meiner Seite/ In gleichem Schritt und Tritt./ Eine Kugel kam geflogen;/ Gilt's mir oder gilt es dir?/ Ihn hat es weggerissen,/ Er liegt mir vor den Füßen,/ Als war's ein Stück von mir./ Will mir die Hand noch reichen,/ Derweil ich eben lad./ Kann dir die Hand nicht geben,/ Bleib du im ew'gen Leben/ Mein guter Kamerad!" In: Ludwig Uhland. Werke Band I, Sämtliche Gedichte. Hg. Von H. Fröschle und W. Scheffler (München 1980) S. 148f.

höchsten Suggestivkraft eine Sprache des Glaubens war, und zwar in enger Anlehnung an das Christentum, speziell an den Katholizismus. 10 Für das Gedenken am Volkstrauertag ist die Vermengung von Soldatentum und (Quasi-)Religion noch immer konstitutiv. Oft werden Begriffe aus dem Bereich der Religion mit einem Katalog preußischer Tugenden in Verbindung gebracht, allen voran Anstand, Pflicht und Ehre. „Wir haben das Preußische als moralische Substanz begriffen," erklärt der Volkstrauertagsautor im Jahr 1970 (Text AKa 1970). So amalgamieren auch rückblickend in einigen Reden soldatische und religiöse Werthaltungen in einer tradierten Topik eines ,Mit Gott für Volk und Vaterland'. 11 Die toten Kameraden sind durch ihren Tod zu göttlichen Mittlern avanciert, die mit den überlebenden Kameraden in einer für Außenstehenden undurchschaubaren unio mystica verbunden sind: Es ist ein anderes Gemeinschaftserlebnis, wenn du nicht weißt, wer von euch morgen noch lebt. Da offenbart sich dir das Wesen deines Nächsten, da dringen eure Seelen ineinander, wie ihr es sonst nie erlebt habt. Der Tod ist euch immer der Dritte im Bunde, und er gibt eurer Kameradschaft seine einzigartige Weihe [...] Unser religiöser Glaube wurde nirgends mehr gestärkt, als durch diese braven Menschen da vorne im Graben, von denen so viele Gefallene uns im Geiste umschweben. (Text AKa 1956)

Den Zusammenhalt unter den Kameraden stiftet der Tod, vor dem alle gleich sind. Die Blickrichtung alter Kameraden ist final, das Memento-mori-Motiv zieht sich durch alle Volkstrauertagsreden, seit den 90er Jahren auch vermehrt in einem persönlichen Sinn, der den eigenen bevorstehenden Tod mitreflektiert. In ihrem Selbstverständnis sind die Redner Überlebende, die durch den Tod, dem sie im Krieg ausgesetzt waren, von dem sie aber verschont blieben, mit den toten Kameraden verbunden sind. Diese Verbundenheit artikulieren sie in einer Sprache mit religiösen Vokabeln: „einzigartige Weihe", „Der Tod ist euch immer der Dritte im Bunde" (eine Anspielung auf Matth. 18,20), „da dringen eure Seelen ineinander" (Erlebnis einer religiösen communio). In den 80er und 90er Jahren, als ehemalige Wehrmachtssoldaten verstärkt mit ihrem eigenen bevorstehenden Tod konfrontiert werden, treten religiöse und quasi-religiöse Formen des Gedenkens noch einmal in den Vordergrund. Auffällig sind religiöse Topoi (oft Zitate aus der Bibel) und narrative Passagen, welche die erlittenen Entbehrungen in religiösen Zusammenhängen interpretieren. Dreh- und Angelpunkt ist der Tod, dessen früheres und nun bevorstehendes Erleben bewältigt werden muss. Im Gespräch mit E. kommen wir auf dieses Thema zu sprechen: E.: Also meine Toten habe ich in erster Linie im Krieg gesehen. Allerdings dann, und das hat mich weiter geprägt, auch im ersten Jahr nach dem Krieg, in meinem ersten Krankenhaus, wo nun eben die Not auch noch aufgefangen werden musste, und dann 1956 noch einmal, beim Ungarnaufstand, und dann beim Roten Kreuz, bei den vielen Verkehrsunfällen, wo ich dazu kam. Ich habe also nun immer..., aber das ist eine ganz seltene ärztliche Speziallaufbahn, die ich sozusagen hatte. Verf.: Wird dadurch das Leben wertvoller oder sagt man einfach: Sterben gehört dazu, das ist Routine sozusagen?

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Vgl. Klemperer (1946; 1996) S. 117. Diese Zusammenhänge werden unter dem Paradigma .Politische Religion' diskutiert, vgl. Maier (1996, 1997). Wie eine Topik durch verschiedene Schichten „geistesgeschichtlicher Ablagerungen" konstituiert ist, beschreibt Resting (1967) S. 82.

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Ε.: Also wenn Sie mich fragen, wird es wertvoller. Man kommt auch, ob man nun will oder nicht, zu den letzten Fragen des Glaubens zurück. Womit ich mich gar nicht mit Konfessionen identifizieren möchte. Ich habe mich mit Pfarrern da lange drüber unterhalten. Aber ich habe mich da speziell auch mit der Frage auseinandergesetzt, mit dem Spruch von Karl Marx ,Religion ist Opium fürs Volk'. Ich weiß noch heute, wie ich mal bei einem großen Arztkongress... Diese über 800 Ärzte, denen blieb die Spucke weg, wie man so schön sagt, wie ich nun sagte: .Liebe Kollegen, hat er nicht recht gehabt?' Da kucken sie mich alle an. Sage ich: J e t z t überlegen Sie mal - alles, was wir an humanitären Dingen leisten können als Ärzte, Schmerzlinderung, moderne Operationen mit Hilfe der Narkose, ist alles eine Folge des Opiums und der Entdeckung des Opiums, der Weiterentwicklung des Opiums. Alle Narkosemittel, alle Schmerzmittel.' Und auf geistigem Gebiet braucht man Narkosemittel und Schmerzmittel auch. Insoweit hatte der Karle [sie] Marx ja Gott sei Dank Recht, dass es in tiefster Sorge und Not und Gefahr, wenn der Mensch nicht mehr weiter weiß, das Opium fürs Volk, nämlich den Glauben gibt. Und dann kam die Reaktion: ,Sie haben ja eigentlich recht.' Und ich sage: ,Ich habe nicht eigentlich recht. Ich habe recht.' [...] Sie können das nicht nachvollziehen, wie auch Atheisten im letzten Augenblick ihres Lebens, in den letzten Augenblicken ihre Lebens, ich habe da konkrete Erinnerungen, kam und sagte [?]: ,Wie um Gottes willen, muss ich sterben? Wie wird sich das weiterentwickeln?' [...] Ich bin weit davon entfernt zu glauben, dass ich souverän mit meinem Tod umgehen kann. Ich empfinde es als eine ausgesprochene Gunst des Schicksals, dass ich im 81. Lebensjahr noch so mobil bin und klar bin. Ich war gestern bei einem Kollegen, der also ein völliges Wrack geworden ist. Ich bin aber weit davon entfernt zu glauben, dass ich nun de Tod irgendwie souverän meistere mit links. [...] Jetzt bin ich Urgroßvater geworden. Nun, die können nicht mitreden, die sind noch kleine Säuglinge, nicht wahr, aber es war auch ganz interessant, dass also mein größter Enkel, eben der jetzt Vater geworden ist, ich habe dem, den beiden großen Enkeln habe ich meine Erinnerungen geschenkt. [...] Ich hörte dann nichts, ich hörte das dann vom anderen Enkel, rief er dann seinen jüngeren Bruder an: ,Du, des musst lesen, da sind die Liebesgeschichten vom Opa drin.' Und auf dem Aufhänger Liebesgeschichten wurde das Ding jetzt gelesen. Und dann erst kam er und sagte: ,Um Gottes Willen, das haben wir j a alles nicht gewusst.' Geschichtliche Hintergründe oder das Soldatentum überhaupt. Obwohl der Soldat war. Aber natürlich in der heutigen Zeit des reinen Friedens war das eine Gaudi, nicht wahr, im Prinzip. (Gespräch mit E., 53-61)

Die Frage nach der Bedeutung des Todeserlebnisses im Krieg führt E. zu den Dimensionen Glauben und Religion, in deren Mittelpunkt das Marx-Zitat , Religion ist Opium fürs Volk' steht.12 E. legt den Akzent auf die heilende Wirkung von Opium und Religion. Da der Mensch mit Schmerzen lebe, seien Schmerz- und Beruhigungsmittel für die Menschheit ein Segen. E. gibt hier eine medizinische Deutung, indem er die schmerzstillende und heilende Wirkung des Religiösen betont. Die topische Opium-Sentenz birgt in diesem Zusammenhang ein Trost-Potential. Auch die Volkstrauertagsrede E.s in einer ,Kameraden'-Ausgabe der 90er Jahre (Ka 12/1999) ist von konsolatorischen Topoi durchsetzt. Damit hat E. eine rhetorisch schwierige Aufgabe übernommen, denn in der Nachkriegszeit erweisen sich viele traditionelle Formen der consolatio als problematisch und kaum mehr tragfähig.13 Durch den Verweis auf seine medizinische Tätigkeit und eine produktive, auf die eigene Biographie ausgerichteten Auseinandersetzung mit den Kriegserlebnissen, gelingt es E. dennoch, im Gespräch glaubwürdig zu wirken.14

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Im Original: „Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüt einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist. Sie ist das Opium des Volks." In: Karl Marx: Zur Kritik der Hegeischen Rechtsphilosophie. Einleitung, in: Karl Marx. Ausgewählte Schriften. Hg. und eingel. von B. Goldenberg (München 1962) S. 65-82; S. 65f.

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Vgl. Albrecht Grözinger: Art. .Consolatio'. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Bd. 2. Hg. von Gert Ueding (Tübingen 1994) Sp. 367-373; Sp. 372. Zur Glaubwürdigkeit in Oral-History-Erzählungen mit weiterführenden Literaturhinweisen vgl. Schröder (1992) S. 215 (Anm. 218) und Löffler (1999) S. 102.

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Vom Umgang mit dem eigenen bevorstehenden Tod leitet E. nicht etwa über zur Gemeinschaft der Kameraden, die in den topischen Konstruktionen der Volkstrauertagsreden den Tod überdauert, sondern zu seiner Familie. Nicht die Kameradschaft relativiert den Tod, sondern die Familie („Jetzt bin ich Urgroßvater geworden"). Der eigene Tod ist nicht der Tod der Familie („... mein größter Enkel, eben der jetzt Vater geworden ist..."). In deren Gedächtnis wird er in seinen schriftlichen Erinnerungen weiterleben („den beiden großen Enkeln habe ich meine Erinnerungen geschenkt"). Damit hat E. die gängigen Gedenkformeln des Volkstrauertags verlassen und die Bewältigungsthematik aus dem OrganisiertMännerbündischen ins Privat-Familiäre verschoben. Die Volkstrauertagstexte der Zeitschrift ,(Alte) Kameraden' kultivieren ein reichhaltiges Repertoire an Zitaten, meist aus der Antike oder aus der Bibel. Autoritäten, die von allen Teilnehmern einer Gemeinschaft anerkannt oder abgelehnt werden, tragen bei zur Konstituierung eines sensus communis. Ein häufiges Zitat in Volkstrauertagstexten alter Kameraden stammt aus dem Johannesevangelium: „Niemand hat größere Liebe denn die, dass er sein Leben lässt (einsetzt) für seine Freunde" (Joh. 15,13). In dieser Form zitieren die hier analysierten Volkstrauertagsreden; in der Einheitsübersetzung des Neuen Testaments wird folgendermaßen übersetzt: „Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt." Die von Alten Kameraden bevorzugte ÜbersetzungsVariante verschiebt die Betonung von der .Liebe' auf die angesprochenen Personen (.niemand hat...'). Dieses Bibelwort wurde auf Totenzetteln für Gefallene zitiert 15 und avancierte in den Texten der Kameradenzeitschriften in der Nachkriegszeit zum konstanten Losungswort mit topischem Charakter. Neben dem Horaz-Zitat ,Dulce et decorum est pro patria mori', das zwar wohlwollend zitiert, aber in seinem Aussagewert für die Erfahrungen der zwei Weltkriege des 20. Jahrhunderts zurückgewiesen wird, dem Ludwig-Uhland-Liedtext von ,Ich hatt' einen Kameraden' mit dem Vers „...als wär's ein Stück von mir", der die Kriegserinnerung als neuzeitliches Epicedium in den Volkstrauertagsreden in sentimentale Bahnen lenkt, und dem Tucholsky-Zitat „Soldaten sind Mörder" aus der ,Weltbühne' vom 4. August 1931,' 6 das als Beleg für das Unverständnis der Mitwelt gewertet und gegen das empört opponiert wird, gehören die Worte des Johannesevangeliums zu den populärsten Referenztexten in den vorliegenden Quellen. Oft stehen sie in den Volkstrauertagstexten an exponierter Stelle als Exordial- oder perorativer Topos: Im Jahr 1956 schließt der Autor mit den Johannes-Worten als Zusammenfassung und Fazit seines Vörtrags (Rede AKa 1956), im Jahr 1961 setzt der Redner das Zitat ans Ende seiner Rede, um den Gottesbezug des soldatischen Opfers zu illustrieren (Rede AKa 1961). Den gleichen Schlusspunkt setzt der Volkstrauertagsredner 33 Jahre später (Rede AKa 1994). Im Jahr 1983 beginnt der Redner mit Joh. 15,13: Wie oft standen wir am Grabe eines lieben Kameraden, den der unerbittliche Tod so plötzlich von uns nahm. Warum, fragten wir uns oft - und dann kam das große Schweigen. Oh, was ist der Mensch, was ist Manneskraft, die den Stärksten wie den Schwächsten dahinrafft und uns den Kameraden raubt. Welch eine Mahnung auch für uns! Auf einmal hörte alles auf, eins aber blieb, die Liebe zum Kameraden. Diese Liebe hat Ewig-

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16

Vgl. Carl Werner Müller: Der schöne Tod des Polisbürgers oder .Ehrenvoll ist es, für das Vaterland zu sterben'. In: Gymnasium. Zeitschrift für Kultur der Antike und humanistische Bildung 96 (1989) S. 317-340; S. 338 Vgl. Zwerenz (1988) S. 352f.

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keitswert, weil Gott die Liebe ist. Nach den Worten der Heiligen Schrift soll derjenige, der sein Leben hingibt für andere, dermaleinst das ewige Leben gewinnen. Nur wer es selbst einmal erlebt hat, kann den Sinn des Wortes richtig verstehen: .Niemand hat größere Liebe als der, der sein Leben einsetzt für seine Freunde'. (Rede A K a 11/1983)

Die Übertragung der Evangelienworte auf die Situation der Weltkriegssoldaten blieb im bundesrepublikanischen Diskurs nicht unangefochten. Wo mit Analogiebildungen argumentiert wird (theologischer Kontext der Johannesworte - Kontext des Zweiten Weltkriegs), wo „Ähnlichkeiten zwischen unähnlichen Dingen" herausgelesen werden,17 werden Argumentationen anfechtbar. Ehemaligen Wehrmachtsoldaten sehen sich durch solche Angriffe bestätigt in ihrem Selbstbild als ein Opfer einer unverständigen Mitwelt. Obwohl es im Johannes-Evangelium 15,13 heißt .Niemand hat größere Liebe denn die, dass er sein Leben lässt für seine Freunde', bringen nicht einmal gewisse Theologen Verständnis für die Trauer um die Gefallenen des letzten Krieges auf, ganz zu schweigen von solchen Publizisten - und leider auch Nachkriegsmilitärs - , von denen der Opfertod von Millionen deutscher Soldaten hämisch mit den Worten kommentiert wird, sie seien j a gar nicht für die Heimat gestorben, wie es auf den Denkmälern stehe. (Text AKa 1990)

Auf der einen Seite stehen die Verteidiger einer Analogiebildung der Johannesworte - bis in die Führungspositionen der bundesrepublikanischen Gesellschaft hinein - , die mit dem Bibelzitat gegen das Tucholskyzitat der Soldatenmörder argumentieren. Diese Position vertritt zum Beispiel Gerd Schmückle, ehemaliger Wehrmachtsoldat und in den Jahren 1978 bis 1980 Stellvertreter des Nato-Oberbefehlshabers: Für den Soldaten, der im klassischen Krieg k ä m p f t , ist die Frage, o b er mordet oder tötet, falsch gestellt. Denn der Mann an der Front lebt im Dauerzustand der Notwehr. Er tötet und wird getötet. Dies gehört zu seiner Schutzfunktion, die auch das Bibelwort meint: .Niemand hat größere Liebe als der, so sein Leben lässt für die Brüder'. 1 8

Auf der anderen Seite argumentieren jene, die die Analogiebildung als eine „Fehlinterpretation des Bibelwortes" ansehen, zum Beispiel Traugott Wulfhorst, Richter am Bundessozialgericht a.D., der die Analogiebildung eine „ideologisch verfälschte Interpretation des Jesus-Wortes" nennt.19 Der gnostische Charakter des Johannes-Evangeliums mit seinen charakteristisch dualistischen Denkfiguren von Erlöser und Welt, gut und böse, hell und dunkel und seiner pessimistischen Sicht auf die Welt20 spricht Mitglieder von Traditionsverbänden nicht nur zufällig an. Um diese Affinität besser zu verstehen, ist es von Interesse zu untersuchen, in wel-

17

Vgl. M.J.F.M. Hoenen: Art. .Analogie', in: Historisches Wörterbuch der Rhetorik, hg. von Gert Ueding, Bd. 1 (Tübingen 1992) Sp. 4 9 8 - 5 1 4 ; Sp. 499.

18

Gerd Schmückle: Was es heißt, Soldat zu sein. In: Zeit-Punkte 3 (Hamburg 1995): Gehorsam bis zum Mord? Der verschwiegene Krieg der deutschen Wehrmacht - Fakten, Analysen, Debatte, S. 4 5 ^ 8 ; S. 48.

19

Traugott Wulfhorst: Der .Dank des Vaterlands' - Sozialpolitik und -Verwaltung zur Integration ehemaliger Wehrmachtsoldaten und ihrer Hinterbliebenen. In: R.-D. Müller, H.-E. Volkmann (Hg.): D i e Wehrmacht. Mythos und Realität (München 1999) S. 1037-1057; S. 1039; Traugott Wulfhorst: Soziale Entschädigung Politik und Gesellschaft. Rechtssoziologisches zur Versorgung der Kriegs-, Wehr- und Zivildienst-, Impfschadens- und Gewalttaten-Opfer (Baden-Baden 1994) S. 36.

20

Vgl. Siegfried Schulz: Das Evangelium nach Johannes. 14., verbesserte Aufl. (Göttingen 1978) S. 201.

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eher exegetischen Tradition Joh. 15,13 steht und welche Funktionen diese theologischen Zusammenhänge für die biographischen Konstruktionen der Veteranen erfüllen könnten. Das Zitat in seinem unmittelbaren Kontext lautet: Dies habe ich euch gesagt, damit meine Freude in euch ist und damit eure Freude vollkommen wird. Das ist mein Gebot: Liebt einander, so wie ich euch geliebt habe. Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt. Ihr seid meine Freunde, wenn ihr tut, was ich euch auftrage. Ich nenne euch nicht mehr Knechte; denn der Knecht weiß nicht, was sein Herr tut. Vielmehr habe ich euch Freunde genannt; denn ich habe euch alles mitgeteilt, was ich von meinem Vater gehört habe. (Joh. 15,11-15; Einheitsübersetzung)

Da bisher ,Kamerad' als zentraler Begriff in den vorliegenden Volkstrauertagsreden begegnete, verwundert die Analogiebildung der .Freunde Jesu' mit den ,Kameraden'. Als Freunde werden Kameraden normalerweise nicht bezeichnet. Im Gegenteil: Die Begriffe .Freund' und .Kamerad' pflegen die Redner der Zeitschrift ,(Alte) Kameraden' gewöhnlich sorgfältig zu unterscheiden. Auch in meinen Gesprächen mit den Völkstrauertagsrednern erhielt ich regelmäßig die Antwort, dass der Unterschied wesentlich sei. Bestätigt wird diese Ansicht in einem Artikel der Zeitschrift .Soldat im Volk', die von Autoren der Zeitschrift .(Alte) Kameraden' häufig zitiert wird. .Soldat im Volk' ist die Zeitung des ,Verbands deutscher Soldaten', der sich wie die .Arbeitsgemeinschaft für Kameradenwerke und Traditionsverbände' (der Herausgeber der Zeitschrift .(Alte) Kameraden') als Traditions verband ehemaliger Weltkriegssoldaten versteht, dessen Mitgliederzahl im Jahr 1999 auf über 80 000 geschätzt wurde.21 In der Septemberausgabe des Jahres 2000 beklagt Günther Kießling den „Niedergang der deutschen Sprache aufgrund nachlassender Disziplin im Gebrauch von Begriffen", der sich „eindrucksvoll am verblassenden Unterschied von Freundschaft und Kameradschaft demonstrieren" lasse. Im Wesentlichen sieht Kießling - und mit ihm jene Alten Kameraden, mit denen ich über diese Frage gesprochen habe - die Unterschiede darin begründet, dass Kameradschaft eine „soldatische Pflicht" sei, während man sich Freunde aussuchen könne, dass Kameradschaft auf eine Gruppe bezogen, während Freundschaft auf einzelne Individuen ausgerichtet sei, und dass Freundschaften beendet werden können, Kameradschaft aber nicht.22 Auf dieser Folie erscheint die unhinterfragte Identifikation Alter Kameraden mit den Worten aus dem Johannesevangelium, die die Jünger als ,Freunde' bezeichnen, erstaunlich. Offensichtlich wird in diesem Fall der Kameradschaftsbegriff verklärt, obwohl er sonst sehr streng ausgelegt wird. Die Aufweichung des Kameradschafts-Topos wird akzeptiert, weil das Zitat eine Analogie ermöglicht: Jesu Tod ist hingeordnet auf (und verstehbar durch) den Glauben an seinen Vater. - Der Tod der im Krieg gestorbenen Kameraden ist hingeordnet auf (und verstehbar durch) den Glauben an das ,Vaterland' (Analogie von .Vaterland' und .Gottvater'). Ein weltlicher Begriff (.Freund', .Kamerad') wird analogisch verklärt, überhöht und religiös aufgeladen.

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22

Informationen nach Drucksache (1999); auch A.R. und H.R. beziehen sich im Gespräch mit dem Verfasser auf Texte aus .Soldat im Volk'. Vgl. Günter Kießling: Auch ein Vermächtnis der Kriegsgeneration: Unterscheiden zwischen Freundschaft und Kameradschaft. In: Soldat im Volk (September 2000) S. 232.

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Auch die auf das Zitat von der Freundesliebe folgenden Johannes-Worte, die den Hass der Welt gegenüber den Jüngern Jesu beschreiben, ermöglichen identifikatorische Analogiebildungen: Wenn die Welt euch hasst, dann wisst, dass sie mich schon vor euch gehasst hat. Wenn ihr von der Welt stammen würdet, würde die Welt euch als ihr Eigentum lieben. Aber weil ihr nicht von der Welt stammt, sondern weil ich euch aus der Welt erwählt habe, darum hasst euch die Welt. Denkt an das Wort, das ich euch gesagt habe: Der Sklave ist nicht größer als sein Herr. Wenn sie mich verfolgt haben, werden sie auch euch verfolgen [...] (Joh. 15, 18-20; Einheitsübersetzung)

Auch die Welt der Veteranen ist ,eine andere', die von der Mitwelt, die ,nicht dabei gewesen ist', weder geteilt noch verstanden wird. Wie die Jünger in einer Schicksalsgemeinschaft mit ihrem Herrn stehen, so Alte Kameraden mit ihren toten Kameraden und der Idee des ,Vaterlands'. Wie die Welt auf die Liebe der Jünger und ihren Dienst füreinander nur mit Hass und Verfolgung antworten kann, reagieren die Nachkriegsgenerationen in Deutschland auf Kameradschaftsbünde und Traditionsvereine mit Unverständnis, vielfach mit Verachtung. Mit solchen Analogiebildungen aus dem Bereich der Religion werden Sinnzusammenhänge gestiftet, die die Vergangenheit des Sterbens mit der Zukunft derer, die überlebt haben, versöhnen. 23 Mit Zitaten wird das kulturelle Gedächtnis kanonisiert. Bibelworte reklamieren normative Autorität, sie geben dem Gedenken den Status von Verbindlichkeit und Unantastbarkeit.24 Zitate verbinden Menschen über die Zeiten hinweg. Sie sind ein Teil des kulturellen Gedächtnisses, das aufzubauen für die Völkstrauertagsredner überlebensnotwendig ist. Denn das kulturelle Gedächtnis übernimmt lebensbewältigungsrelevante Funktionen: Es ermöglicht, in den Worten von Jan Assmann, ein Leben „in zwei Zeiten", mit ihm „verschafft der Mensch sich Luft in einer Welt, die ihm in der .Realität des täglichen Lebens' zu eng wird."25 Die Johannesworte erweisen sich in diesem Zusammenhang als zentrale topische Sentenz.

3.1.2 Ordnende Vergegenwärtigung Mythen und Riten dienen der Vergegenwärtigung, beide zielen auf kulturelle Kohärenz. Mythen produzieren ,fundierende Geschichten', Riten festigen Vergegenwärtigtes durch Reproduktion und Repetition. „Die Mythen", schreibt Jan Assmann, „sprechen die Ordnung aus, die Riten stellen sie her."26

23 24 25 26

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Vgl. Vgl. Ebd. Ebd.

dazu Koselleck (1992) S. 324-343; S. 335. auch Assmann (1999) S. 159. S. 84f. S. 143; vgl. auch S. 17, S. 52f„ S. 57, S. 75ff., S. 89ff.

3.1.2.1 Mythos Mythen lassen das Gegenwärtige sinnvoll und notwendig erscheinen; sie überführen das kommunikative in ein kulturelles Gedächtnis. Das kulturelle Gedächtnis steht dem Mythos viel näher als der faktischen Geschichte, denn im Mythos geht es nicht einfach darum, wie etwas gewesen ist; Mythos ist „eine Wahrheit höherer Ordnung". 27 Dabei zielen Mythen auf eine Urzeit, die den Mythos erst begründet. Es gibt Memorialtopoi mit einer starken mythischen Färbung und einem besonderen Reiz für soldatische Gedenkreden. Die Verwandtschaft von Mythos und Topos ist in einigen Fällen augenfällig. 28 Ein Volkstrauertagsautor der 90er Jahre baut seinen Text um einen solchen Topos, einen locus amoenus auf, in dem Deutschland aufgehoben ist als arkadischer, unschuldiger, idyllischer Ort, der Soldaten von ihren Vorfahren anvertraut und dann von ihnen selbst verteidigt wurde, und der nun an die nachfolgende Generationen weitergegeben werde. Dank ihrem Können und ihrer Tatkraft schufen sie uns ein Land mit gepflegten Fluren, mit Städten, in denen Kunst und Wissenschaft blühten, ein Land, in dem Recht und Anständigkeit geliebt und hergebrachte Sitten in Harmonie mit neu Errungenem gepflegt wurden. Für den Mann galt als ehrenhaft, sich in friedlichen Zeiten durch besondere Leistung zum Wohle der Allgemeinheit hervorzutun, im Kriege aber durch Einsatzbereitschaft und Tapferkeit Vorbild zu sein. Die Frauen wurden geachtet, und das Liebenswerte der weiblichen Eigenschaften und Tugenden in Ehre zu halten, war auch des Mannes Ehre. Allgemein anerkannt wurde die Notwendigkeit von Ordnung und Gesetz. [...] Die Jugend wurde zu Sauberkeit und Tüchtigkeit erzogen. Die daraus resultierenden Leistungen in Technik, Wissenschaft und Kunst verschafften dem Land Freunde und Neider in aller Welt. Mehr durch Anerziehung allgemein-segensreicher Grundsätze - schon im Elternhaus - als durch den Zwang strenger Gesetze gediehen die Menschen und blühte das Land. In Literatur und Kunst galt das Schöne und Gute als erstrebenswert. Unehrenhaft war, dem Schwachen und Bedrängten nicht zu helfen. Nach durch die eigene Wesenheit geprägten Grundsätzen und Gesetzen spielte sich das Leben ab. (Text Ka 11/1997)

In dieser .fundierenden Geschichte' wird ein ganzer Katalog von Tugenden entfaltet (Anstand, Ehre, soziales Verhalten, Sauberkeit), insbesondere werden geschlechtertypische Tugenden definiert (weiblich: Liebenswürdigkeit, männlich: Einsatzbereitschaft, Leistungswille, Tapferkeit). Ein locus amoenus wie dieser (klassisch: „ein Land mit gepflegten Fluren") gibt keine Wirklichkeit wieder. Er ist ein traditioneller Bestandteil epideiktischer Rede und inszeniert als solcher Ideallandschaften, Seeligkeit und Freiheit von Übel und Tod. 29 Der Redner orientiert sich beim Gedenken an die toten Kameraden an den klassischen Lobreden, deren Intention nicht auf Konformität mit der Realität ausgerichtet ist und die bereits Quintilian beschrieben hat: „Proprium laudis et res amplificare et ornare." 30 Das zurückliegende und das kommende Schicksal der Kameraden sind in diesem Topos gut aufgehoben. Der Krieg wird im Anschluss kontrapräsentisch auf der Folie der mythischen Vergangenheit gedeutet: als Bewährungsprobe fürs arkadische Vaterland.

27 28

29 30

Vgl. Assmann (1999) S. 52 und S. 76. In der vergleichenden Literaturwissenschaft „gilt Mythos zumeist als einer jener nie ganz eindeutig zu bestimmenden Termini im Spektrum zwischen Topos, Thema, Stoff und Motiv", vgl. Anne Syndram: Rhetorik des Mythos. Literarische Bilderwelt und politische Symbolik im Werk von Maurice Barres und Ernst Jünger (Diss. Aachen 1995) S. 131. Vgl. Curtius (1948; 1993), Kapitel 10, ,Die Ideallandschaft', S. 191-209, insbesondere S. 200f. Quintilian 111,7.

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Schlechtes und Verdorbenes wucherte wie überall auch in diesem Land. Unser Schicksal war, alles zu tragen. Aber wir danken ihm, dass das Erhebende uns höher hebt, als das Bedrückende uns niederzwingen kann. Das Land, in dem dies alles war, und aus dem dies alles für uns nicht hinwegzudenken war, war unser Vaterland, und wir nannten es auch so. Dieses Vaterland in seinem aufgezeigten umfassenden Sinn und in seinem nicht aufzuzeigenden größeren Sinn lieben wir. Seiner Erhaltung in erster Linie galt unser Kampf. Wäre die Erhaltung garantiert gewesen, hätte der Kampf keinen Sinn gehabt. Wenn heute an Totengedenktagen immer wieder das Wort zu hören ist, ,Die Gefallenen mahnen zum Frieden', so ist auch das sicherlich richtig, trifft aber nicht den Kern. Der wahre Beweggrund für den Einsatz des Lebens waren das Vaterland und die Freiheit, es nach eigenem Willen zu erhalten und fortzugestalten, wie es die Vorväter und Väter getan hatten. (Text Ka 11/1997)

Dies ist typisch für eine mythische, kontrapräsentische Erinnerung: Defizienzerfahrungen der Gegenwart oder einer unmittelbaren Vergangenheit („Schlechtes und Verdorbenes") relativieren sich im Kontinuum einer arkadischen Vergangenheit („unser Vaterland", das Land der „Vorväter und Väter"). Geschichte ist im mythischen Memorialtopos nur noch, wie Anne Syndram schreibt, eine „Magd des Mythos" und ein „Mittel nationaler Selbstvergewisserung."31 In gewisser Weise ist der Rückgriff auf einen Mythos in einer Rede zum Gedenken an die Schrecken des Ersten und Zweiten Weltkriegs ein Kunstgriff, mit dem alles, was die Feierlichkeit des Volkstrauertags gefährden könnte - Kritik und die Frage nach Schuld und Verantwortung - exkludiert wird. Dabei wird der offensichtliche Verlust an Wirklichkeit kompensiert durch die Verankerung in einem mythischen Kollektiv, dem sich die Zuhörer der organisierten Traditionsverbände zugehörig fühlen - darauf zumindest spekuliert der Autor, denn von dieser Übereinstimmung hängt seine Glaubwürdigkeit ja ab.32 Der Mythos hat auch eine Funktion in der Dimension der Bewältigung, und zwar auf kollektiver wie auf individueller Ebene. Zum einen dient der Mythos der „Bewältigung gesellschaftlicher Orientierungskrisen".33 Zum anderen entbindet er den Einzelnen von einer sprachlichen Bewältigung in eigentlicher Rede und befreit das Individuum davon, Dinge beim Namen zu nennen. Er enthebt von Zweifeln aller Art - eine Form der Bewältigung, die offensichtlich Männern und ihrem spezifischen Drang nach Externalisierung besonders entgegenkommt. Im Mythos verstehen sich Männer auch ohne deutliche Worte, in einem mythisch begründeten Understatement.34

3.1.2.2 Ritus Der Volkstrauertag bildet Rahmen und Anlass dafür, dass die kulturelle Identität der kameradschaftlichen Erinnerungsgemeinschaft Jahr für Jahr reproduziert wird. Sein ritueller Festcharakter erhält durch zwei Funktionen Kontur: Wiederholung und Vergegenwärtigung.35

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Syndram (1995) S. 122. Vgl. Quintilian 111,7,23. Ebd. S. 137. Vgl. Böhnisch (2003) S. 159. Vgl. Assmann (1999) S. 17; Emil Dürkheim beschreibt am Beispiel der Kultur australischer Ureinwohner Funktionen des Ritus, die auch in der Kultur der organisierten Veteranenverbände anzutreffen sind: An sich „leeren Gesten" wachsen im Ritus wohltuende Kräfte zu; im Ritus verschmelzen Darstellende und Dargestellte miteinander bis zur Konsubstanzialität; der Ritus hilft, die „Lebendigkeit von Überzeugungen" dem

Kameraden-Topoi wiederholen sich von den 50er Jahren des 20. bis ins 21. Jahrhundert hinein. Dass die Gedenkorte des Volkstrauertags nicht abgewandelt werden, liegt im System einer ,rituellen Kohärenz' begründet. 36 Volkstrauertagstexte können in ihrer ständigen Zirkulation von immergleichen Mustern, die nicht variiert werden, als performative, ritualisierte Texte verstanden werden. Es reicht nicht, nur einen Text zu kennen. Erst in der ständigen Wiederholung entfalten die Reden ihre rituelle und formative Kraft. Zugleich steigert die Repetition die eindringlich-affektive Wirkung der Reden. Erst durch die Wiederholung prägen sich Gedenkmuster wie ,Sie alle starben, damit wir weiterleben können' 3 7 nachhaltig dem Gedächtnis ein, werden langfristig zu Memorialtopoi. Diese homogene Gedenktopik ist dem Soldatischen affin. Ich deute sie auch als typischen Ausdruck einer soldatisch disziplinierten Haltung, die Sprache ist entsprechend über weite Strecken uniform?* Der Ritus ist charakteristisch für Formen des Gedenkens. Gedenken ist ritualisierte Erinnerung. Dafür sind nicht einmal Zeitzeugen nötig. Erinnerung gerinnt im Ritus zum Gedenken und besteht auch ohne eine dazugehörige eigene Vergangenheit weiter. Während Erinnerung normalerweise an das Erleben einer einzelnen Person gebunden ist, lebt Gedenken im Kollektiv, auch ohne eigenes Erleben. Im vorliegenden Quellenkorpus können Gedenken und Erinnern allerdings nicht sauber nach der Textgattung (Rede/Gespräch) voneinander getrennt werden. Allen Gedenktexten liegen auch eigene Zeitzeugenerfahrungen zugrunde, sie sind deshalb durchsetzt von Erinnerungsberichten. Die Volkstrauertagsrede ist aber eben auch eine Gattung, die ohne eigene Kriegserfahrung auskommt und sich dann an ritualisierten Formen eines kollektiven Gedächtnisses orientiert. Auch über solche Elemente verfügen die vorliegenden Texte. Auf der anderen Seite finden sich auch in den Gesprächen nicht nur individuelle Erinnerungen, sondern auch ritualisierte Formeln, die für das Gedenken typisch sind. 39 Der Informationsgehalt der vorliegenden Texte ist gering und wenig variationsfähig. Selbst Sentenzen mit topischem Charakter, die eigentlich Ausgangspunkt verschiedenster Interpretationen sein könnten, werden in den Gedenktexten zum Volkstrauertag nur rituell eingesetzt. Sie werden zitiert, ihre Ausdeutung ist immer gleich (,Ich hatt' einen Kameraden', ,Niemand hat größere Liebe' usw.). Aber rituelle Texte müssen weder informativ noch deutungsvariabel sein. Ihre Aufgabe ist es, die Kontinuität einer Kultur zu sichern

Gedächtnis zu erhalten; wichtiger als das genaue Verständnis der Riten (oft existiere gar keine Bedeutung) sei der Zweck, durch sie „die Gegenwart an die Vergangenheit zu binden, das Individuum an die Kollektivität"; vgl. E. Dürkheim: Die elementaren Formen des religiösen Lebens. Übers. Von L. Schmidts (Frankfurt am Main 1981, frz. Original Paris 1968) S. 484-520. 36 37 38

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Zur rituellen Kohärenz vgl. Assmann (1999) S. 89. Z.B. in Der Seehase Nr. 78 (Mitte April 1959) (,Volkstrauertag', ohne Seitenangabe). Micha Brumlik nennt das rituelle Gedenken eine „disziplinierte Übung richtiger Haltung". Vgl. Micha Brumlik: Im Niemandsland des Verstehens. Was kann es heißen, sich der Shoa zu erinnern und ihre Opfer zu betrauern? In: Wieland Eschenhagen: Die neue deutsche Ideologie. Einsprüche gegen die Entsorgung der Vergangenheit (Darmstadt 1988) S. 79-99; S. 94. Ein Versuch, Erinnerung und Gedenken begrifflich streng voneinander abzugrenzen, findet sich bei Alf Schönfeldt: An-Merkungen zur Sprache des Er-Innerns auf Kriegsdenkmälern. In: Formen des Erinnerns. Vorlesungen zum Volkstrauertag, gehalten in der Universität Kiel am 9. November 1992, hg. vom Rektorat der Universität Kiel (Kiel 1992) S. 29^17; S. 36f.

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und Ordnung zu schaffen. Besonders in einer Umwelt, die organisierte Veteranen in ihrem Wertepluralismus als Bedrohung empfinden, figurieren rituelle topische Inszenierungen als Ordnungsfaktor. Rituelle Formen haben auch Teil am kommunikativen Gedächtnis der kameradschaftlichen Erinnerungsgemeinschaft. Sie äußern sich im Gespräch in (im Vergleich zu den Reden) eher informellen Erzählstrategien. Das immergleiche Wiederabspulen von Kriegsgeschichten und die damit verbundene Weigerung, das Erlebte in übergreifenden Strukturen zu reflektieren, ist durchaus typisch für viele Zeitzeugengespräche, so auch im Gespräch mit K.: Verf.: Es gibt ja ganz verschiedene Formen, sich heute noch an den Krieg zu erinnern. Es gibt Tagebücher aus dem Krieg, es gibt Theaterstücke darüber, es gibt Biographien, Leute schreiben ihre Memoiren. Finden Sie, dass es passende Formen gibt, sich an den Krieg zu erinnern und andere, die weniger passend sind? [...] Wie können wir uns heute noch an den Krieg erinnern? K.: Ich war Infanterist, also Angehöriger eines Heeres. Und wir hatten keine Zeit, etwa ein Tagebuch zu führen, ja. Wir waren froh, wenn wir mal zwei, drei Stunden hinliegen konnten und schlafen. Verf.: Aber heute. Wie können wir uns heute noch an den Krieg erinnern? K.: Indem man beispielsweise mit alten, unmittelbar zusammenhängenden Angehörigen zieht und sagt, Menschenskind, wie war das damals bei... [?], als du das und das gemacht hast? Oder sagt er, Menschenskind, da hast du uns doch durchgeführt, durch einen Wald durch, und wir kamen auf der anderen Seite heraus und waren plötzlich im Rücken, im Rücken des Feindes. Mensch war das eine Sache. Verf.: Wie ist es, wenn Verwandte oder ich weiß ja nicht vielleicht auch Enkel, Verwandte Sie fragen nach dem Krieg, oder gefragt haben: Hatten Sie da auch Zeiten, wo Sie gesagt haben, ich möchte gar nicht mehr darüber reden. Gab's das auch? K.: Das kommt darauf an, wer das war. Wenn man einiges reden muss, erzählen darüber, dann spricht man nicht die absolut volle Wahrheit aus. (Gespräch mit K., 28-30)

Die ausgewählte Gesprächspassage weist rituelle Passagen auf. Die Abschilderung konkreter Erlebnisfolgen („... als du das und das gemacht hast... Mensch war das eine Sache") stellt jene Elemente bereit, die viele Veteranen immer wieder gerne erzählen - untereinander und den interessierten Zeitgenossen. Auf diese Weise wird das unpolitische, konkret handwerkliche' Bild des Krieges gefestigt. Es geht, wie K. selbst sagt, beim Erzählen über den Krieg nicht unbedingt um „die absolut volle Wahrheit". Rituelles Erzählen formatiert die Kameradschaft und intensiviert das Bemühen, das Kriegsgedenken vom kommunikativen in ein kollektives Gedächtnis zu überführen. Rituelle Erinnerung mit ihren erzählerischen Wiederholungsstrategien ist eine konservative Form des Gedenkens. Sie blickt nicht nach vorne, der rituelle Rückzugsort ist die soldatische Kameradschaft. E. erläutert dies im Gespräch: E.: Aber wenn Sie jetzt auf diese Reden zurückkommen. Wir versuchen natürlich das, was im Krieg passiert ist, weil ja das Überleben und das geistige Überleben nur dadurch war, dass man sich eben ganz ins Schneckenhaus zurückzog, auf seine Kameradschaft. (Gespräch mit E., 34)

Der Krieg wurde verloren - Kameradschaft aber ist nicht zu besiegen. Das gilt es, Jahr für Jahr rituell zu bekräftigen. Ein Volkstrauertagsredner spricht in diesem Sinn doppeldeutig von der „unversiegbaren Kameradschaft' (Rede AKa 11/1985). Gesellschafts- und Staatsformen mögen sich wandeln, Kameradschaft bleibt, was sie war. Sie stiftet damit jene biographische Kontinuität, die durch die Katastrophe des Zweiten Weltkriegs auf fast allen 46

anderen Ebenen zerstört wurde. Um diese Kontinuität auch argumentativ immer wieder zu behaupten, werden Gedenktopoi in den Reden rituell eingesetzt, werden Gespräche durchsetzt von rituellen Erzählweisen.

3.1.3 Limitische Strukturierung Die ,limitischen Strukturen' 40 der kameradschaftlichen Volkstrauertagsepideiktik konturieren eine kulturelle Gegenidentität. Distinktive Elemente verstärken die kulturelle Formation im Inneren der Traditionsverbände. Je stärker die Abgrenzung, desto stärker die Identität. Der limitischen Strukturierung liegt die Dichotomie von ,Wir' und ,Sie' zugrunde. ,Sie' - das sind für organisierte Veteranen jene, die im Krieg ,nicht dabei gewesen' sind, oder jene, die zwar ,dabei gewesen' sind, aber aus dem Krieg andere Schlüsse gezogen haben. ,Sie' - das sind auch diejenigen, die beim Thema Krieg zuerst an die nationalsozialistischen Verbrechen denken.

3.1.3.1 Ausgrenzung Eckpunkte limitischer Strukturierung finden sich in Reden und Gesprächen oft in Reizund Schlüsselwörtern. Das können Namen von Kriegsteilnehmern sein, die in besonderer Weise Emotionen provozieren, Namen von Männern, die zwar den gleichen Krieg erlebt, sich danach aber für andere Formen des Erinnerns entschieden haben. Obwohl die Biographien dieser ehemaligen Wehrmachtssoldaten in ihrem Fluchtpunkt identisch sind, handelt es sich doch um Gegen-Biographien, die die Gedenkformen der kameradschaftlich organisierten Männer in Frage stellen. Folglich wird ihnen die Ehrenbezeichnung eines Kameraden aberkannt. Exemplarisch steht hierfür Heinrich Boll, der in den vorliegenden Texten öfters als Bezugspunkt auftaucht. 41 Auch über 15 Jahre nach seinem Tod reizt Bolls Name zu Unmut. Heinrich Boll war Infanterist, bevor er in amerikanische Gefangenschaft geriet, sechs Jahre lang diente er in der Wehrmacht, mit innerem Widerwillen 4 2 Dass Boll sich nach dem Krieg den gängigen Volkstrauertags-Topoi verweigerte, empfinden organisierte Veteranen als schmerzlich. Boll ist kein Deserteur, kein ,Kameradenflüchtling', er verfügte über eine authentische Fronterfahrung, dennoch lässt er sich nicht in den kameradschaftlichen Erinnerungskonsens eingliedern. Vor allem in seinen Kurzgeschichten der Jahre 1947 bis 1951 stellt er den Kriegsalltag als abstoßend dar, immer wieder kritisiert er die mystische Verklärung des Frontsoldatendaseins. Heinrich Boll ist für Traditionsverbände eine Enttäuschung, umso mehr, als sie mit dem Literaturnobelpreisträger eigentlich einen wortgewaltigen und gesellschaftlich anerkannten

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Ein Begriff des Ethnologen Wilhelm E. Mühlmann, vgl. Assmann (1999) S. 153ff. Zum methodischen Konzept des Bezugspunkts vgl. Nothdurft (1996) S. 388. Zu Bolls Kriegserfahrungen vgl. Heinrich Boll: Briefe aus dem Krieg 1939-1945, hg. von J. Schubert, 2 Bände (Köln 2002).

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Wehrmachtsrepräsentanten auf ihrer Seite haben könnten. Bolls literarisches Nachkriegsschaffen lässt allerdings keine Zweifel zu: Boll leiht uns seine Feder nicht. (Rede AKa 1979)

Dieser Satz wird mit Bedauern geäußert. Heinrich Boll ist für die Sache organisierter Kameraden eine vertane Möglichkeit: Leider war es dieser Generation nicht vergönnt, dass aus ihren Reihen einer herausgewachsen wäre, der mit künstlerischer Autorität unsere Sache hätte vertreten können. (Rede AKa 1979)

Boll steht exemplarisch für jene Vertreter der Kriegsgeneration, die aus der Perspektive der Kameradenverbände mitverantwortlich dafür sind, dass ihre Sicht langfristig keine breitere gesellschaftliche Basis in der Bundesrepublik gefunden hat. Er ist ,Einer, der dabei gewesen ist, und doch nicht dazugehört'. Er ist einer jener ehemaligen Soldaten, die nach dem Krieg nicht in den Lobpreis der Soldatenkameradschaft eingestimmt haben (weitere Vertreter sind zum Beispiel Wolfgang Borchert und Erich Kuby und jene Soldaten, die bereits während des Krieges desertierten, wie Otl Aicher und Alfred Andersch). Im Jahr 1958 hielt Heinrich Boll bei einer Feierstunde des Verbandes der Kriegsdienstverweigerer eine Rede zum Volkstrauertag. 43 Seine Rede reflektiert kritisch jene Gedenktopoi, die zumindest in den 50er Jahren noch über eine breite gesellschaftliche Basis verfügten und heute noch immer (zum Teil) Texte von Kameradschaftsverbänden durchziehen. Boll konnte im Jahr 1958, als Kriegsdienstverweigerer mehrheitlich noch als D r ü ckeberger' galten, nicht mit einer breiten gesellschaftlichen Zustimmung zu seiner Rede rechnen. Bolls Text ist ein Beispiel für die ,andere Seite' kameradschaftlicher Abgrenzung, mit deren Kenntnis die limitische Strukturierung der vorliegenden Gedenktexte noch deutlicher wird. Bolls Rede analysiert die Topoi ,Der Soldat ist ein Held' und ,Der Soldat ist gefallen und gestorben für kommende Geschlechter'. Der Philologe Boll verfasst eine topische Analyse und entlarvt das Reden vom subjektiv intendierten Heldentod als unrealistisch. Helden handeln, opfern sich auf eigenen Entschluss für eine Idee, eine Sache [...] Die Toten, deren heute gedacht wird, sind nicht in diesem Sinn Helden gewesen. 44

Im Mittelpunkt der Rede steht die Untersuchung sprachlicher Wendungen für den Soldatentod: Die wenigsten sind plötzlich vom Leben zum Tode gekommen, auf eine Art, die man mit dem Wort .gefallen' auszudrücken versucht, eine winzige amtliche Täuschung, die man erfand, weil .gestorben' privat klingt und nicht Plötzlichkeit vortäuscht. 45

Bei den von Boll unter die philologische Lupe genommenen Versatzstücken handelt es sich genau besehen um die Fortschreibung des nationalsozialistischen Wortschatzes, der seiner-

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Heinrich Boll: Heldengedenktag (1958). In: Gert Ueding (Hg.): Deutsche Reden von Luther bis zur Gegenwart (Frankfurt am Main und Leipzig 1999) S. 264-267. Boll (1958; 1999) S. 265. Ebd. S. 264.

seits seine Wurzeln in den Traditionen militärischer Terminologie hat. ,Auf dem Feld der Ehre gefallen', ,die im heldenhaften Kampf Gefallenen', ,das Leben gelassen für Führer und Vaterland' - solche Wendungen waren eben auch topische Elemente im Sprachgebrauch der Nationalsozialisten.46 Victor Klemperer nannte sie lügnerische Euphemismen, die „im Gefüge der LTI [der ,Lingua Tertii Imperii'] eine so ungemeine Rolle" spielten.47 Boll verweist in seiner Rede auf die Korruption der deutschen Sprache nach dem Zweiten Weltkrieg. Worte waren entstellt, evozierten grausame Bilder - aber nur eine Minderheit der Deutschen empfand ein Unbehagen an der eigenen Sprache, die Mehrheit schloss sich, so Boll, der medial vermittelten „fürchterlichen Apparatur der Meinungsmaschinen"48 an. Boll beschreibt die Degeneration von Sprache und Denken im Modus des Gedenkens, er weist den verbreiteten Äußerungen zum Zweiten Weltkrieg eine Tendenz zum erstarrten und damit leblosen Topos nach. Unsere Stimme ist schwach gegen das gewaltige Dröhnen der Walzen, die Meinungen herstellen, Stimmungen machen, auswechselbare Parolen schaffen. 4 9

Die Rede bezieht ihre Spannung aus einem Paradox: Sie klagt mit vielen Worten Wertlosigkeit ein. Boll erinnert am Volkstrauertag an „das Schweigen der Toten", an den Blick auf Gräber, der „keinen Kommentar erfordert".50 Wortreich fordert er das nonverbale Gedenken. Soldaten, so leitmotivisch an drei zentralen Stellen der Rede, seien „still [geworden] auf eine Weise, die der Verachtung gleichkam."51 Konfrontiert mit dem Soldatentod, erinnert Boll an „Wind und Gräser, das Haar der Geliebten, das Lächeln des Kindes, [den] Geruch eines Flusses, die Silhouette eines Baumes, [den] Klang einer Stimme." 52 Die toten Soldaten könnten nur angemessen gewürdigt werden, wenn „wir [...] ihr Schweigen versöhnen mit dem Schweigen, das an den großen Mordstätten herrscht."53 Nur die Hinterbliebenen seien es, „die ein Recht hätten, heute zu sprechen, der Musik Schweigen zu gebieten."54 Boll setzt den in Denkmälern versteinerten Gedenktopoi Schweigen, konkrete Sinneseindrücke und die unmittelbare emotionale Äußerung der nun toten Soldaten entgegen: „Wir hörten aus ihrem Mund nicht Sprüche, wie sie auf Denkmälern stehen, wir hörten Schreie, hörten Gebete, Flüche."55 Statt des begrifflichen Denkens beschwört der Redner die Sinne seiner Zuhörer, genauer: Mit Worten versucht Boll, die Begriffsebene zu verlassen, mit Wörtern evoziert er visuelle, auditive, olfaktorische, gustatorische und taktile Wahrnehmungen. Dieser Versuch ist eine Antwort auf jene Schwierigkeiten des inneren Aptum, die die Gattung Volkstrauertagsrede charakterisieren: die Unmöglichkeit, rein sprachlich angemessen des Zweiten Weltkriegs zu gedenken. 46

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Vgl. Alexander Kirchner: Art. .Nationalsozialistische Rhetorik', in: Historisches Wörterbuch der Rhetorik, Bd. 6 (Tübingen 2003) Sp. 115-135. Klemperer (1946; 1996) S. 133. Boll (1958; 1999) S. 265. Boll (1958; 1999) S. 266. Ebd. S. 264. Ebd. S. 264 u. S. 267. Ebd. S. 264. Ebd. S. 265. Ebd. S. 266. Ebd. S. 267.

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Bolls Antwort auf das Problem ist eine poetische: Gegen abstrakte Begriffe stellt er plastische Bilder, als Schriftsteller vertraut er auf den Zusammenhang von an Sinnliches und Konkretes gebundener Erinnerung und dichterischer Arbeit (die Mnemosyne als Mutter der Musen).56 Boll trägt einem mnemonischen Wissen Rechnung, wonach das menschliche Gedächtnis auf konkret-sinnliches Sprachverhalten angewiesen ist. Schon bei einer oberflächlichen Lektüre des Textes fällt auf, wie Boll stereotype Gedenktopoi durch Metaphern ersetzt. Die Metapher ist bei Hayden White eine der vier „präfigurierenden tropologischen Strategien", aus denen historische Erkenntnis entspringt.57 In der Forschung über Volkstrauertagsreden wurden Metaphern als wirkungsvolles Gegenstück zu jenen stereotypen Gedenktopoi erkannt, die gemeinhin diesen Redetypus charakterisieren.58 Die eindrucksvollste Metapher in der vorliegenden Rede ist die der „amtlichen Träne". 59 Ein außergewöhnliches Bild: eine Träne mit Aktennotiz, oder ein Amt, das sich aus seinen Gemäuern eine Träne herauspresst, oder eine im Ordner abgeheftete und registrierte Träne. Boll konfrontiert seine Zuhörer mit einer Metapher, die ihnen ein absurdes Bild vor das innere Auge führt und dadurch umso nachhaltiger wirkt. Er realisiert die mnemonische Einsicht, dass absurde und lächerliche, auf jeden Fall aber außergewöhnliche Bilder sich dem menschlichen Gedächtnis am besten einprägen.60 Hier kondensiert die schwere Vermittelbarkeit von offiziellem Gedenken und persönlicher Trauer in einem Paradox, die Grundaussage der Rede verdichtet sich zum eindrucksvollen Bild. Die Gleichgültigkeit der Öffentlichkeit (ein Topos, der auch die Alten-Kameraden-Reden durchzieht: ,die Öffentlichkeit, die nicht verstehen kann') wird plastisch in der „dumme(n) Hast des Straßenverkehrs".61 Straßenverkehr und Gedenken stehen zwar in keinem logischen, dafür in einem wirkungsmächtigen analogen Verhältnis. Stellvertretend für alle Verrichtungen des Alltags repräsentiert der Straßenverkehr die prägende gesellschaftliche Lebenswelt, die für Trauer wenig Platz lässt. Die Analogie bringt „Ungleiches mit Ungleichem in Zusammenhang",62 das tertium comparationis - die gesellschaftliche Gleichgültigkeit, die über den Krieg genauso schnell hinweggeht wie Autos an Menschen vorbeifahren - steht unausgesprochen aber hörbar im Raum, den die Rede erschließt. Analogie und Metapher wirken durch das, was sie nicht sagen, aber im Zuhörer zum Klingen bringen. Über Meta-

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Zu diesem seit der Antike bekannten Zusammenhang vgl. z.B. Heinrich F. Plett: Topik und Memoria. Strukturen mnemonischer Bildlichkeit in der englischen Literatur des XVII. Jahrhunderts. In: D. Breuer, H. Schanze (Hg.): Topik. Beiträge zur interdisziplinären Diskussion (München 1981) S. 307-333; S. 310, S. 327. Hayden White: Metahistory. Die historische Einbidlungskraft im 19. Jahrhundert in Europa (Frankfurt/ Main 1991; amerikan. Original 1973) S. l l f . Vgl. Renate Schönhagen: Zwischen nationalem Ehrentag und der Trauer über die Geschichte (Mannheim 1990) [= unveröffentl. Magisterarbeit; im Besitz des Verf.] S. 105: „Das Gegenstück zur leeren [...] Worthülse ist nicht stärkere theoriebezogene Sachlichkeit, sondern die stimmige Metapher, die echte Emphase." Boll (1958; 1999) S. 265. Vgl. Rhetorica ad Herennium III, XXII, Ausgabe Lateinisch-Deutsch, hg. und übers, von Th. Nüsslein (München, Zürich 1994); außerdem Frances A. Yates: Gedächtnis und Erinnern. Mnemonik von Aristoteles bis Shakespeare. 4. Auf. (Berlin 1997; zuerst 1966) S. 17f. Boll (1958; 1999) S. 264. Vgl. Hoenen (1992) Sp. 498.

phern und Analogien tritt Boll aus einer monologischen Redesituation heraus in eine dialogische Kommunikation mit seinen Zuhörern, die seine rhetorischen Figuren aufgreifen und zu Ende denken müssen. Bolls Rede ist eine redenkritische Analyse in Form einer Rede. Darin nimmt die viermal aufgegriffene Metapher der ,(kalten) Majestät des Todes' 63 einen besonderen Stellenwert ein. Diese Metapher ist pathetisch, und nicht etwa ironisch, was vor allem die Textbelege drei und vier belegen. Obwohl Boll immer wieder gerade in dieser Rede unprätentiöses Gedenken einfordert (er spricht abschätzig vom „befohlenen Pathos" 64 ), verleiht die pathetische Metapher seiner Rede ein Element des stilus grande. Damit meistert Boll den scheinbaren Widerspruch, eine pathoskritische Rede in einer Redegattung zu schreiben, die eine pathetische Stillage erfordert. Das Epitheton ,kalt' konnotiert kalte und hochtechnisierte Tötungsmaschinen, gleichzeitig wird der Tod als etwas Großes abgebildet als „Majestät". Das dichotome Spannungsfeld aus analytisch-sprachkritischer Distanz und affektiver Nähe verleiht der Rede ihre ungebrochene Attraktivität. Boll nimmt eine distanzierte Sichtweise ein, um die konventionelle Sprache von Trauerreden zu reflektieren, andererseits bringt er das Ungenügen an der Sprache zur Sprache - in einem Tonfall, der auch die hohe Stillage nicht scheut. Die in seiner Rede vorgetragene Kritik an Trauerreden gerät Boll selbst zu einer wohlkalkulierten Trauerrede. Auch für Boll bleibt der Tod in gewisser Weise sakrosankt, die Majestäts-Metapher drückt Respekt vor dem Tod aus. „Die Worte schuldig oder unschuldig gehören unserer Welt an, der Tod einer anderen." 65 Hier konvergiert Bolls Topik mit der der Traditionsverbände. Anders als sie knüpft er den Tod aber nicht an den Kameradschaftstopos. Für Boll existiert keine Trennung zwischen tugendhafter soldatischer Kameradschaft und der Ideologie, in deren Namen Soldaten zu kämpfen hatten. Er ist nicht bereit, die Teilnahme am Krieg lediglich als Ausübung einer militärischen Leistung zu betrachten. Für einen Autor von ,Alte Kameraden' ist er, kaum verwunderlich aus Kameradenperspektive, ein „Verherrlicher der ,Leistungsverweigerung'", „der widersprüchliche Autor, dessen Produktionen man stets mit zwiespältigen Gefühlen zur Hand nimmt" (AKa 11/1972, S. 4). Die Schwierigkeiten öffentlicher, quasi verordneter Trauer sind häufig konstatiert worden, auch in den vorliegenden Veteranenreden. Sie in eindrücklichen Metaphern mit der ihnen „eigentümliche(n) Form des Anders-Sagens"66 zu fassen, ist eine Kunst, die Bolls Völkstrauertagsrede von jenen Reden unterscheidet, die sich innerhalb einer konventionellen Gedenktopik bewegen. Seine Rede ist Projekt - ein Versuch, Gedenktopoi aus ihrer Erstarrung zu lösen, eine hermetische, in Denkmälern erstarrte Topik aufzubrechen. Boll deutet die Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs als paradigmatisch und über die Jahre 1939 bis 1945 hinausweisend: Es sei eine Täuschung zu denken, „die Kräfte, die das Unheil auslösten, hätten aufgehört zu existieren;" 67 „Trauer ist eine Größe, Schmerz hat einen

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Boll (1958; 1999) S. 265, 266, 267. Ebd. S. 264. Ebd. S. 265. Ekkehard Eggs: Art.,Metapher'. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik, hg. von Gert Ueding, Bd. 5 (Tübingen 2001) Sp. 1099-1183; Sp 1100. Boll (1958; 1999) S. 266.

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Wert."68 Erinnerung hat in diesem Verständnis nicht allein antiquarischen Wert, in ihr wird menschlich Gültiges transparent. Boll entdeckt in der Erinnerung exemplarische Strukturen, die pragmatisch werden können und eine Gedenktopik für Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft öffnen. 69 Misstrauen in gängige Gedenktopoi und eine kritische Reflexion soldatischer Erinnerungsmuster sind in dialektischer Bewegung gekoppelt an den Versuch, traditionelle Topoi zum Leben zu erwecken und ihnen Metaphern zur Seite zu stellen, auch auf die Gefahr hin, sich damit außerhalb eines gesellschaftlich getragenen sensus communis zu bewegen. Dieses Unternehmen realisiert Boll sprachlich mittels Bildern und Metaphern. Besonders gründlich hebt sich Bolls Falschgeld-Metapher von soldatischen Stereotypen ab: Der Heldentod, der ihnen so großzügig bescheinigt wird, ist politische Münze, ist als solche Falschgeld [...] Verwechseln wir nicht das amtliche Pathos, das sich so leicht zum Kleingeld der Propaganda stanzen lässt, mit den Schmerzen der Hinterbliebenen.70

Die Metapher besagt, dass mit dem Topos des heroischen Soldatentods politische Interessen bezahlt wurden, ein Krieg moralisch finanziert wurde. Der Volkstrauertagsredner der Zeitschrift ,Alte Kameraden' aus dem Jahr 1979 greift dieses Bild auf. Für ihn ist es bitter, dass Boll herabwürdigend von ,Regimentskameradschaften und Divisionstreifen, auf denen die Überlebenden den Tod in pathetisches Kleingeld ummünzen [spricht].' (Rede AKa 1979)

Im Gespräch fragte ich K., der die Böll-kritische Rede aus ,Alte Kameraden' kennt, nach Boll und anderen ehemaligen Soldaten, die in der Nachkriegszeit den positiven Identitätsaufbau über das Kriegserlebnis verweigert haben, die bewusst eine sich unpolitisch gebende Kriegserinnerung verworfen haben: Verf.: Es gab ja auch Soldaten, zum Beispiel [...] Heinrich Boll, die keine Kameraden sind für Sie [...] Die waren ja auch im Krieg und haben ihr Leben eingesetzt [...]. K.: Diejenigen, die einen solchen Werdegang eingeschlagen haben, dürfen, oder durften ja auch nicht sagen, dass sie auch Soldaten waren, ja. Sie haben möglichst vermieden, darüber zu reden. Das sind aber natürlich keine echte Kameraden. Verf.: Warum nicht? K.: Damals und für heute. Weil sie sich aus der Kameradschaft der Gedienten durch ihre neue Tätigkeit, die sich ja auch in politischer Richtung abzeichnete, gar keinen Grund sahen, darüber zu reden und sich womög-

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Ebd. Zum exemplarischen Charakter sozialer Topoi vgl. Kesting (1967). Diesen Gedanken formulierte auch Carlo Schmid in seiner berühmten Volkstrauertagsrede Ende der 70er Jahre: „Unsere Trauer wird uns dann über das Private hinaus, das uns an einem Tage wie diesem bewegen wird, zu einer Kraft werden, die uns von der Erschütterung über Vergangenes her auf dem Wege über die Einsicht in die Auswirkungen eigenen Tuns und Lassens helfen kann, das bedrückende und lähmende eigene Misstrauen in unsre Fähigkeit, der Dämonien der Geschichte Herr werden zu können, zu überwinden." Vgl. C. Schmid: Gebot des Friedens und der Menschenwürde. Rede zum Volkstrauertag 1978. Hg. vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. (Kassel o.J.) S. 6. Ebd. S. 265f.

lieh ins Gerede bringen zu lassen. Während heute, wenn also, ein Beispiel... Unlängst sah mich ein Uralter, der in meiner Kompanie war, der heute Bäuerle auf der schwäbischen Alb ist, kam auf mich zu und sagte: Herr Hauptmann, sind Sie aber alt geworden. Ich habe ihn gefragt: Und wie alt bis Du? Hat er gesagt 85. Aber es gibt nichts, was einen, sagen wir einmal, aus dieser Kameradschaft, vor allem im Kriege, dass man da auch plötzlich weggeht, das gibt's nicht. Man denkt an die vielen Gefallenen und die vielen, die heute kaum aus dem Hause kommen infolge der Verwundungen. (Gespräch mit K., 1 0 - 1 2 )

Für K. ist Boll kein echter Kamerad, weil er kein soldatisches Selbstverständnis pflegt, weil er die unpolitische Kriegserinnerung verlassen hat durch eine „neue Tätigkeit, die sich ja auch in politischer Richtung abzeichnete". Bolls Identität gründet auf einer anderen Auffassung, die den rein handwerklichen Charakter des Krieges nicht gelten lässt. K. deutet dies offensichtlich als Opportunismus: Nur aus Gründen der eigenen Karriere, so der implizite Vorwurf, verweigere sich Boll der Kameradschaft und ihren exklusiven Gedenktopoi (um sich nicht „ins Gerede bringen zu lassen"). Ganz anders als Boll ist das „Bäuerle auf der schwäbischen Alb": Bei ihm sind noch alle militärischen Gepflogenheiten vorhanden, die das »Handwerk Krieg' ausgeprägt hat: ,Das Bäuerle' redet K. mit seinem Dienstrang aus dem Zweiten Weltkrieg an: „Herr Hauptmann, sind Sie aber alt geworden". 71 In der gegenseitigen Ansprache hat die ehemalige militärische Hierarchie überlebt: K. duzt ,das Bäuerle', das K. respektvoll siezt. In diesen Umgangsformen lebt die Weltkriegskameradschaft auch noch im Jahr 2 0 0 0 fort: „... dass man da auch plötzlich weggeht, das gibt's nicht." In Abgrenzung zu Boll und im Erzählen vom schwäbischen Bäuerle' formuliert K. recht genau, was er unter Kameradschaft versteht. Auch im Gespräch mit H.R. und A.R. sprechen wir über die Abgrenzung kameradschaftlicher Kriegserinnerung von den Erinnerungen anderer Kriegsteilnehmer: Verf.: ... Zum Beispiel Heinrich Boll, der hat j a auch gekämpft ... H.R.: [abwiegelnd] Jaaa. Verf.: ... und auf den sind die Alten Kameraden j a gar nicht gut zu sprechen. H.R.: Sie können auch den Helmut Schmidt dazu rechnen [lacht]. Verf.: [...] Warum sind die jetzt außerhalb der Gemeinschaft? H.R.: Das ist natürlich eine Sache, das geht an die Nieren, wenn man danach fragt [lacht]. Verf.: Die haben auch fürs Vaterland gekämpft, und die waren auch im Krieg, und haben auch ihr Leben riskiert. A.R.: Aber die sind schon nicht gem Soldat gewesen. Sie wollen das nicht wahrhaben, und sie wollen vor allen Dingen nicht wahrhaben, dass sie, sagen wir es einmal im heutigen Jargon, für die Nazis gekämpft haben. Verf.: Aber die nehmen es j a wahr, nur sagen sie, das war nicht gut, und das sehen wir jetzt anders. H.R.: Sie sehen das anders, sie sind also irgendwo eines besseren belehrt worden. Ich sag's mal in dieser Tonart. Nach ihrer Meinung, gell. Und ich glaube, gerade weil der Götz Eberbach 7 2 jetzt die Sache managt, das sagen zu dürfen, dass eben innerhalb der Wehrmacht ein ähnlicher Zusammenhalt, eine ähnliche Tonart herrscht wie bei uns auch, mit Unterschieden, gell. Aber es ist einfach innerhalb der Kameradschaften in der HIAG so, wir haben von Anbeginn an, mit Ausnahme von ein paar großen Treffen, die da in [unverständlich]

71

1942 wurde K. zum Hauptmann befördert.

72

Redigiert die Zeitschrift .Kameraden'.

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und in Minden und sonst wo stattgefunden haben, das waren reine Suchdiensttreffen, da ging's eben darum, dass die Nochlebenden gesagt haben, ,Menschenskind, wir müssen uns mal drum kümmern, wo die Kerle alle geblieben sind'. Und das war so erfolgreich, also ich glaube, dass der Suchdienst der Waffen-SS noch heute als der erfolgreichste gilt, den's überhaupt j e gegeben hat. Verf.: Trotzdem würde ich gerne wissen wollen, warum Boll und Schmidt keine Kameraden sind. H.R.: Weil die sich selbst außerhalb gestellt haben. A.R.: Für mich haben die zu spät das Ganze entdeckt, dass sie auf der falschen Seite gestanden haben. H.R.: Von der Sorte haben wir doch auch welche. A.R.: Da habe ich auch als Frau kein Verständnis dafür. Verf.: Also würden Sie dann sagen, Sie standen auf der richtigen Seite? A.R.: Ah ja, also, ich habe so reingewachsen. H.R.: Nach unserem Dafürhalten. Verf.: Nach Ihrem Dafürhalten ja. A.R.: Ja, ich meine, wir haben nichts anderes gesehen, es war in Ordnung, wir haben nichts Schlechtes gemacht. Und das schreibt zum Beispiel diese 90-jährige BDM-Führerin auch heute noch in ihrem Buch. Und das muss ich dazu sagen: Der Axmann 7 3 hat zur selben Zeit wie der Reinecker 7 4 sein Buch herausgegeben, auch 90, ne, und der Axmann ist j a ganz kurz danach, nachdem das Buch erschienen war, gestorben. Gott sei Dank, dass das Buch noch fertig war. Und obwohl der Reinecker, ich muss mal bei dem bleiben, weil ich's auf den besonders abgesehen habe, ne [lacht], und der Reinecker hat in seinem Buch vieles abgelehnt, was damals war, ja, aber er hat damals den Mund j a auch nicht aufgetan, er hätte j a sagen können, also das und das gefällt mir nicht. Im Gegenteil, er ist Kriegsberichter geworden bei der .Division Reich', bei der Leibstandarte, bei der ,Wiking' und auch bei der ,Totenkopf', überall bloß als Kriegsberichterstatter, aber das ist j a auf seine Augengeschichte zurückzuführen, nicht, das war kein Drückebergerposten, das sehe ich j a völlig ein. Aber er hat j a bis zuletzt mitgemacht. (Gespräch mit R., 2 6 - 3 4 )

Dass H.R. Boll den Namen Helmut Schmidt zur Seite stellt, verwundert, da gerade Helmut Schmidt sich immer wieder für die Reputation ehemaliger Weltkriegssoldaten stark gemacht hat. 7 5 H.R. geht dazu über, über Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Wehrmacht und SS zu sprechen und endet mit einer Lobrede auf die Leistungsfähigkeit des Suchdienstes ehemaliger Mitglieder der Waffen-SS. Der Suchdienst verweist auf die hermetische Gemeinschaft und soziale Kontrolle innerhalb der HIAG („Menschenskind, wir müssen uns mal drum kümmern, wo die Kerle alle geblieben sind"). Dass die Kameradschaft der SS Unterschiede zu jener innerhalb der Wehrmacht aufweist, deutet H.R. bloß an.

73

Arthur Axmann war Reichsjugendführer unter Hitler und in dieser Funktion Nachfolger von Baidur von Schirach. A.R. spielt an auf seine Memoiren ,Das kann doch nicht das Ende sein' (Koblenz 1995).

74

Herbert Reinecker, geboren 1914, „Hauptschriftleiter" von ,Der Pimpf' im Zentralverlag der NSDAP, wurde in der Nachkriegszeit mit den Drehbüchern zu ,Der Kommissar' und .Derrick' der erfolgreichste deutsche Femsehkrimi-Schriftsteller; A.R. bezieht sich im folgenden entweder auf sein Buch ,Ein Zeitbericht unter Zuhilfenahme des Lebenslaufs' (Erlangen u.a. 1990) oder das Buch .Illusionen der Vergangenheit' (München 1992).

75

Etwa in einer ZEIT-Debatte im Jahr 1995, vgl. ZEIT-Forum: Die Wehrmacht - „anständiger Verein" oder „verbrecherische Organisation"? Historiker und Zeitzeugen diskutieren. In: ZEIT-Punkte (3/1995) ,Gehorsam bis zum Mord? Der verschwiegene Krieg der deutschen Wehrmacht - Fakten, Analysen, Debatte', S. 78.

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Dieses vor allem von H.R. im Gespräch inszenierte Understatement ist dafür verantwortlich, dass eindeutige Aussagen zum Nationalsozialismus nicht getroffen werden. H.R. leitet von den Namen Boll und Schmidt scheinbar unvermittelt zum „Erfolg" der HIAG über. Kameradschaft erscheint hier als verschwiegene und gegen kritische Nachfragen weitgehend immune Gemeinschaft, die noch immer Erfolge feiert und auf ihre Leistungsfähigkeit stolz und damit bestrebt ist, den Fokus vom Nationalsozialismus weg und hin zu den „Erfolgen der HIAG" zu lenken.76 Die Verurteilung von Boll und Schmidt wird von A.R. mitgetragen.77 Die Aussage, jemand habe etwas „zu spät" entdeckt, lässt darauf schließen, dass eine grundlegende politische Einstellungsänderung nach dem Krieg für sie undenkbar ist. ,Meine Ehre heißt Treue' lautet das SS-Motto - Treue auch zu den eigenen Einstellungen. Als das Gespräch auf die Frage nach der moralischen Bewertung des Nationalsozialismus zusteuert, werden die Antworten ausweichend, die momentane Unsicherheit verfestigt sich unmittelbar wieder in Stereotypen, die zum konsensuellen Sprachgut ehemaliger SS-Angehöriger gehören („Wir haben nichts anderes gesehen, es war in Ordnung, wir haben nichts Schlechtes gemacht").78 Vor allem der Name Reineckers, den A.R. ins Gespräch einführt, wird dann zum widersprüchlichen und ambivalenten Schlüsselwort: Er reizt A.R. zu Kritik, gleichzeitig nimmt sie ihn in Schutz. Die emotional ambivalenten Evokationen des Reizwortes ,Reinecker' klingen bereits zu einem früheren Zeitpunkt des Gespräches an: A.R.: Ihnen ist sicher der die vielen .Derricks' gemacht hat mit Namen Reinecker ein Begriff. Und dieser Reinecker war in der Reichsjugendführung, hat damals, konnte nicht voll als Soldat eingesetzt werden, weil er schon sehr früh Brillenträger war und auch schon sehr schlecht gesehen hat. Und seinen Hauptschnitt hat er ja nachher sowieso mit den vielen ,Derricks' gemacht, nicht. Und während des Kriegs war er also in Berlin in der Reichsführung. 7 9 Schreibt in seinem Buch ganz offen, dass er da schon einen offenen Wagen hatte und die mitgenommen hat und die mit, wenn sie zum Wannsee gefahren sind [Lachen von H.R.]. Tut er sich groß mit. Und dann schreibt er, erstens mal schreibt er wortwörtlich: ,Noch nie ist ein Volk so verführt, so raffiniert verführt worden wie wir', sagen wir mal, ne. Und da war er j a auch dabei! Und er ist ja zehn Jahre älter wie wir der Durchschnitt waren jetzt, ne. Also ich bin Jahrgang 21, er ist neun oder zehn. Und das schreibt er 1980 in seinem Buch - neunzig, neunzig [korrigiert sich], Verf.: Aber ist das nicht auch ein Zeichen von Stärke, wenn er sagen kann: ,Wir sind verführt worden'? A.R.: Das kann er ja sagen. H.R.: So kann man das sagen. A.R.: Wenn er das jetzt meint. Aber das hat er aber sehr spät. Wir haben doch alle zu denen aufgekuckt und haben gesagt: .Mensch, wenn der mitmacht und der, und der Reinecker. Ich habe ihn ja damals nicht gekannt, soweit bin ich nicht gekommen, nicht [lacht]... Aber der... H.R. [unterbricht A.R.]: ... das ist also vielleicht schon erklärlich ... (Gespräch mit A.R. und H.R., 24—25)

76 77

78 79

Zum SS-Selbstverständnis als Elitetruppe vgl. Schröder (1992) S. 696f. Die großen Gesprächsanteile von H.R.s Gattin überraschen zunächst; wer Gudrun Schwarz' Untersuchung über die aktive Rolle von „Ehefrauen in der ,SS-Sippengemeinschaft'" (so der Titel der Studie) kennt, ist darüber weniger verwundert; vgl. Schwarz (1997). Zum fehlenden Unrechtsbewusstsein von SS-Gattinen vgl. Schwarz (1997) S. 281. A.R. meint wohl die „Reichsjugendführung" in Berlin, wo Reinecker seit etwa 1936 die Jugendzeitschrift .Jungvolk' redigierte.

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Zur Kritik A.R.s an Reinecker treten verständnisvolle Züge, deutlich kommt A.R.s kokettierende Bewunderung zum Ausdruck, nachdem bereits zuvor das Reinecker-Zitat eine erotische Bilderwelt eröffnet hat („Noch nie ist ein Volk so verführt, so raffiniert verführt worden...")· H.R. ist offensichtlich unangenehm berührt, er unterbricht seine Gattin. Alternativen zur eigenen biographischen Entwicklung werden nicht offen angesprochen, sondern kondensieren in der ambivalenten Person Reineckers, die A.R. zu verunsichern vermag. Reinecker war im .Dritten Reich' ähnlich erfolgreich wie in der Nachkriegszeit. So verkörpert der Name Reinecker die Möglichkeit eines alternativen und irgendwie sehr geschickten Umgangs mit dem Nationalsozialismus. Während Boll zu denen gehörte, die „schon nicht gern Soldat gewesen" sind, bewegte sich Reinecker wie die R.s mit einer gewissen Begeisterung in der nationalsozialistischen Diktatur. A.R. vergleicht ihr Leben mit dem Reineckers („...also ich bin Jahrgang 21, er ist neun oder zehn..."). Zwar stellt die Biographie Reineckers Fragen an die Biographie der R.s, diese bleiben im Gespräch aber unausgesprochen. Die angedeuteten Alternativen verbleiben in Koketterie und Verlegenheit. Brüche in der Abgrenzung gegen Nichtkameraden werden in diesem Gespräch mit einem weiterhin der SS-Kameradschaft verpflichteten Ehepaar zwar erahnbar, aber nicht explizit.

3.1.3.2 Vergessen Man kann über Vergangenheit reden, und man kann von ihr schweigen. So ist es die Pflicht des Historikers, möglichst umfassend die Vergangenheit zu erforschen und darüber zu reden. Ein Gedenkredner hat andere Aufgaben. Sein Ziel ist nicht in erster Linie Erkenntnis, sondern Trost, Sinnstiftung und Bewältigung. Das Gedenken zum Volkstrauertag ist in der Bewältigungsperspektive pragmatisch. „Erinnert wird Vergangenheit nur in dem Maße, wie sie gebraucht wird und wie sie mit Sinn und Bedeutung erfüllt, also semiotisiert ist."80 Mit dieser Zielvorgabe entscheidet der Redner, worüber er redet und wovon er schweigt. Die Volkstrauertagsredner des vorliegenden Materials haben klare Entscheidungen getroffen: Sie reden über die toten Kameraden, über soldatische Tugenden und über die Liebe zum Vaterland. Sie schweigen weitgehend über den Nationalsozialismus, den Holocaust und über deutsche Kriegsverbrechen. Während im gesellschaftlichen Diskurs der 60er und 70er Jahre langsam heftigere Auseinandersetzungen über die Verbrechen des Nationalsozialismus geführt werden, bleibt der Erinnerungs- und Vergessens-Konsens innerhalb der Kameradschaftsverbände konsistent. Einerseits zeugen die untersuchten Volkstrauertagsreden von einer beharrlichen Energie, die toten Kameraden dem Vergessen zu entreißen. Andererseits wird eine ähnlich starke Energie auf die Abwehr der genannten Erinnerungselemente verwendet. Diese rednerische Entscheidung hat Gründe und erfüllt bestimmte Funktionen. Die Autoren meines Quellenkorpus haben, wenn schon keine ,Kunst des Vergessens', so doch einige rednerische Strategien entwickelt, um auf die angesprochenen Themen im Rahmen ihres durchaus typischen Erinnerungs- und Vergessens-Konsens (nicht) zu antworten. Dies zeigen auch die Erwiderungen auf meine Frage, ob sich die Gesprächspartner

80

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Assmann (1999) S. 297.

eher an die positiven Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs (z.B. die Kameradschaft untereinander) oder eher an Brutalität und Schrecken des Krieges erinnern: a) Romantisierung des Krieges, im Gespräch mit K.: K.: „Nun wir haben 1940 nach dem Krieg mit Frankreich waren wir monatelang Besatzungsgruppe. Das war so mit die schönste Zeit. Man war ein junger Mensch, ich war Leutnant damals, ja, und die Französinnen haben die deutschen Soldaten besonders lieblich angekuckt [...] Die jungen Leutnants oder die jungen Unteroffiziere in Frankreich, die hatten eine Figur gemacht, da hatte jeder seine Freundin, auch der Leutnant." (Gespräch mit K., 20)

b) Konzentration auf das selbst erlittene Leid in Gefangenschaft, im Gespräch mit H.: H.: All die schlimmen Dinge, die ich erlebt habe, die kommen natürlich aus meinem Kopf und meinem Gedächtnis nicht heraus, und ich kann Ihnen verraten, dass ich jahrzehntelang jede Nacht geträumt habe von den Verfolgungen, denen ich ausgesetzt war in der russischen Gefangenschaft. (Gespräch mit H., 26)

c) Konzentration auf das Leid durch Angriffe der Kriegsgegner, im Gespräch mit Α.: Α.: Allerdings quälten mich noch Jahre nach Kriegsende Alpträume von Luftangriffen auf deutsche Städte wie Mannheim, wo meine Eltern seinerzeit gewohnt haben. Dabei war der Urlaub dort oft schrecklicher als die Front. (Gespräch mit Α., 8)

Es besteht ein ungeschriebener Verhaltenskodex organisierter Kameradschaften, dass der Zweite Weltkrieg nicht als Kampf um eine politische Idee erinnert werden darf. Es ist übrigens eine lobenswerte Eigenschaft wahrer Kameradschaft, dass sie sich in stillschweigendem Einvernehmen zweier Soldaten bildet. 81

Dieses Einvernehmen besteht auch darüber, worüber man nicht spricht. Holocaust und Kriegsverbrechen sind die signifikanten Leerstellen in Volkstrauertagsreden der Zeitschrift ,(Alte) Kameraden'. Ihre Nennung mit Namen ist weitgehend ein Tabu. Zehn Jahre nach Kriegsende mahnt ein Redner, man solle es nicht wagen, aus ihrer [der Toten] Lorbeerkränze nur ein Blatt zu nehmen, weil bestimmte Erscheinungsformen unseren Widerwillen erregen (Rede AKa 1955).

Die „Lorbeerkränze" stehen über der Zeit, sie verweisen auf ewigen Ruhm. Dieses sinnliche Bild, das die toten Soldaten verewigt, wird mit einem abstrakten Begriffspaar konfrontiert („bestimmte Erscheinungsformen"). Während das Verständnis dieser nüchternen und vagen Formulierung auf der stillen Übereinkunft beruht, über Gräueltaten im Krieg nicht zu sprechen, sind die Lorbeerkränze ein klassisches Element topischen Sprechens, das die intendierte Stilebene markiert. (Bereits im Mittelalter sind Lorbeer und Zeder Merkmale des stilus gravis bei der Rede über den Krieg.)82 Einen gewissen Kontrast zum pathetischen Bild der Lorbeerkränze bildet die harsche Sprache des Verbotes (,Wage es nicht...!'), die auf den Verhaltenskodex hinweist. Der feierliche Ton des Gedenkens, der das Anse-

81 82

Der Seehase Nr. 120 (September 1974) S. 13 (Otto Schreiner: Kameradschaft, S. 12-14). Vgl. Curtius (1948; 1993) S. 207 (Anm. 1).

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hen der toten Mitglieder einer soldatischen Gemeinschaft beschwört, wird kontrapunktiert durch die schroffe Ablehnung umfassender konkreter Erinnerung. Im Gespräch kommt E. von sich aus, wenn auch nur beiläufig, auf das Thema Judenverfolgung zu sprechen. E.: [...] Beispielsweise hatte ich ein nettes Verhältnis zu zwei jüdischen Schulkameraden, die nach dem Krieg mir auch einige Care-Pakete schickten, mit denen ich nie Krach hatte, die bis ' 3 8 noch in der Schule waren. Wir wussten wohl, was da lief, aber das wollen wir ganz ausklammern. Das ist an uns mehr oder minder vorbei gegangen. Diese Synagogengeschichte, da war ich gerade Rekrut, da hatten wir gar keinen Ausgang, das haben wir gar nicht mitgekriegt, das wurde dann kurz besprochen. Die Wehrmacht macht an Plünderungen nicht mit. So hat das also unser damaliger Kompaniechef schon abgewertet. Insoweit erfuhren wir diese ganzen Dinge erst nach dem Krieg, die haben uns natürlich sehr betroffen gemacht. (Gespräch mit E., 30)

Die schnellen anaphorischen Reihungen 83 („...das wollen wir ganz ausklammern, das ist an uns mehr oder minder vorbei gegangen [...], da war ich gerade Rekrut, da hatten wir gar keinen Ausgang, das haben wir gar nicht mitgekriegt, das wurde dann ganz kurz besprochen") lassen in dieser Passage auf emotionalen Aufruhr schließen. Dabei verwickelt E. sich in einen leichten Widerspruch. „Wir wussten wohl, was da l i e f , sagt E., und schon im nächsten Satz: „Das ist an uns mehr oder minder vorbei gegangen." Auch E. formuliert das stillschweigende Übereinkommen und den Sprachkodex der organisierten Kameraden: „Aber das wollen wir ganz ausklammern [...] Insoweit erfuhren wir diese ganzen Dinge erst nach dem Krieg, die haben uns natürlich sehr betroffen gemacht". 8 4 Der organisiertbündische Charakter der Veteranenverbände, diesen Schluss legen die auffällig einheitlichen Gedenk- und Erinnerungsformen nahe, übt eine Art Präventivzensur aus. 85 Der Verhaltenskodex wird durch das Konzept der soldatischen Ehre motiviert. Die Volkstrauertagsredner sprechen immer wieder davon, dass es ihnen um die „Ehrenrettung" der toten Kameraden gehe: Wir sind unseren toten und heimgekehrten Kameraden, die anständig kämpften, weil es das Gesetz befahl, die größte Opfer brachten, jederzeit die Ehrenrettung schuldig. 86

Zum Begriff soldatischer Ehre passen die Kriegsverbrechen der deutschen Wehrmacht nicht, und deswegen werden sie auch nicht, zumindest nicht öffentlich, erinnert. In den vorliegenden Reden werden die im Vergessen oder Verschweigen ausgesparten Aspekte des Zweiten Weltkriegs weitgehend zur Privatsache des einzelnen Kameraden erklärt. Wenn wir uns zum Volkstrauertag treffen, sollten wir Älteren, die noch im Krieg waren, uns vergewissern, ob wir in redlicher Selbstprüfung, jeder vor sich und vor Gott sagen kann, dass er ohne Verletzung der Ehre

83

Zur Anapher in der Funktion von magischen Beschwörungsformeln, Bann- und Zaubersprüchen mit mnemotechnischem Potential vgl. Cornelia Blasberg: Art. .Anapher*. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik, hg. von Gert Ueding, Bd. 1 (Tübingen 1992) Sp. 5 4 2 - 5 4 5 ; Sp. 544.

84

Die Aussage, dass die Wehrmacht mit den nationalsozialistischen Verbrechen nichts zu tun hatte, war bis Mitte der 60er Jahre „geradezu ein Glaubenssatz". Vgl. Christian Streit: Keine Kameraden. Die Wehrmacht und die sowjetischen Kriegsgefangenen 1 9 4 1 - 1 9 4 5 (Stuttgart 1978) S. 22.

85

Vgl. dazu auch G. Sautermeister: Messianisches Hoffen, tapfere Skepsis, Lebensbegehren: Jugend in den Nachkriegsjahren. Mit einer Nachrede wider die Trauer-Rhetorik. In: T. Koebner (Hg.): Deutschland nach Hitler: Zukunftspläne im Exil und aus der Besatzungszeit 1 9 3 9 - 1 9 4 9 (Opladen 1987) S. 2 6 1 - 3 0 0 ; S. 286.

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Der Seehase Nr. 84 (August 1961) (,Zum Problem Tradition', ohne Seitenangabe).

in seinem Denken, Handeln, Kämpfen und Leiden den Krieg durchgestanden hat. Dann haben wir das Recht, ohne zu vergessen und mit erhobenem Haupt in die Zukunft zu gehen. (AKa 11/1988)

Das Bild des aufrechten Ganges („mit erhobenem Haupt") mit dem Blick nach vorne ist „in die Zukunft gerichtet". Verschweigen und Vergessen dechiffrieren sich in den Sprachbildern der Rede als epideiktische Strategien, um soldatische Haltung zu bewahren. Die Ehre hat eine Affinität zum Vergessen. Mit dem Rekurs auf den Topos der Ehre rechtfertigte auch Alfred Dregger in einer Rede zum Volkstrauertag 1986 seine implizite Forderung, den verbrecherischen Charakter der SS zu vernachlässigen: Wer sich persönlich ehrenhaft verhalten hat, der hat Anspruch darauf, dass wir seiner in Ehrfurcht gedenken. Das gilt für alle und für jeden, gleichgültig, welchem Volk er entstammt oder welcher Waffengattung er angehört hat. 87

Im Kampf um die soldatische Ehre erhalten organisierte Veteranen am Volkstrauertag auch Unterstützung von Vertretern der Bundeswehr, wo die Zeitschrift ,(Alte) Kameraden' gelesen wird. Dieser Redner ist bereits kein Vertreter mehr der Wehrmachtsgeneration: Ihr [der Veteranen] Protest, ihr Kampf gegen Pauschalisierung, darin - wie stets - enthaltener Ungerechtigkeit und Verunglimpfung, all das hat sie einen letzten Kampf um die Ehre ihrer im Feld gebliebenen Kameraden führen lassen, eine Ehre, die verloren zu gehen drohte [...] Die Generation der Älteren hat ihre Stimme zurecht erhoben. Sie hat den Kameraden, die ehrenhaft gekämpft haben, die Ehre wiedergegeben. Dies - und nur dies - war ihr Anliegen. Keineswegs wollte diese Generation Geschichte verbiegen; nein, sie wollte nur gerechte Wertung und Würdigung, wohlwissend und die Tatsache anerkennend, dass im Namen der Großorganisation der Streitkräfte des Dritten Reiches Verbrechen begangen worden sind. Sie wandte sich aus Verpflichtung gegenüber ihren Toten gegen Pauschalisierung. Tut ein Volk nicht gut daran, seine Toten zu ehren, Ihnen die ewige Ruhe zu geben, ihr Opfer zu würdigen? 8 8

Verbrechen werden hier nicht geleugnet, die „ewige Ruhe" hat aber zugunsten soldatischer Ehre Vorrang. Wer die Verbrechen begangen hat, interessiert in den einschlägigen Reden nicht. Gerade am Volkstrauertag sind die Strategien von Schweigen und Vergessen so bewusst gewählt, dass sie wohl auch als Hinweis auf unbewältigte Teile der Vergangenheit gelesen werden müssen. Viele der in dieser Arbeit analysierten biographischen Konstrukte sind nur als Elemente der Selbsterhaltung, als Abwehrstrategien und als Ausdruck eines unbewältigten Kriegserlebens zu verstehen. Im Gespräch mit E. sprechen wir auch über völkerrechtswidrige Kriegshandlungen:89 Verf.: Jetzt war ja der Krieg im Osten, das .Unternehmen Barbarossa', ein sehr brutales Vorgehen... E.: ...[unterbricht] das war Brutalität und Gegenbrutalität, und das eine hat das andere aufgeschaukelt [...] Ich war 1941 in einem Kriegslazarett, sah das dadurch natürlich nicht, das war aber auch längst nicht bei allen

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Vgl. Alfred Dregger: Die deutschen Soldaten haben ihre Ehre nicht verloren. Rede zum Volkstrauertag 1986 vor dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge. In: Deutschland-Magazin (12/1986) S. 22-23. Horst Förster: Gedenkansprache zum Volkstrauertag 1999 am Ehrenmal vor der Kienlesbergkaserne am 14. November 1999 (Wilhelmsburgkaseme Ulm). Typoskript, S. 6. Warum das Verschweigen der Verbrechen an den Juden oft mit dem Verschweigen brutaler Kriegshandlungen bei vielen Gesprächspartnern eine psychologische Einheit bildet, beschreibt Gabriele Rosenthal: Leben mit der soldatischen Vergangenheit in zwei Weltkriegen. Ein Mann blendet seine Kriegserlebnisse aus. In: Bios. Zeitschrift für Biographieforschung und Oral History. Η. 2 (1988b) S. 27-38; S. 28.

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Truppenteilen, das waren vor allem die Truppenteile in der Etappe, waren penteile, die Fronttruppen haben sich eigentlich immer verstanden. Wir hatte eine sehr nette Freundschaft jetzt zu den gegnerischen russischen Veteranen, das sind ja auch ganz arme Teufel, die kriegen nicht einmal

bestimmte politisch eingesetzte Truphatten beispielsweise, diese Division Truppen, und wir unterstützen diese eine Rente.

Verf.: Das ist jetzt, aber im Krieg ging's ja Knall auf Fall... E.: ...[unterbricht] im Krieg, aber auch nicht immer. Es gab faire Taten, ich hab' da einige in Erinnerung, auf der anderen Seite aber auch bei uns. Beispielsweise 1942 im Kaukasus, da war es ganz selbstverständlich, auch durch die Hochgebirgssituation, dass man auch den anderen geholfen hat, so gut es ging. Verf.: Aber von den wirklich schlimmen Sachen liest man in den Reden der Alten Kameraden eigentlich nie. Da liest man immer nur bei Historikern darüber. Und dann denkt man: Entweder die Historiker übertreiben alles, oder die Alten Kameraden möchten nicht darüber reden. E.: Das dürfte eine Selektion sein. Die, die heute frei von Skrupeln reden können, waren daran nicht beteiligt. Und die, die wie der Schwabe sagt ,Dreck am Stecken' haben, werden heute nicht reden. Wollen wir's mal so sagen. Es ist auch eine sehr schwierige Frage natürlich. [...] Ich bin ja nun ein Privilegierter gewesen, ich habe ja dieses ganze Schlamassel, und diese 25. Division hat also im Mittelabschnitt Fürchterliches miterlebt, während wir noch einen einigermaßen ritterlichen Kampf 1942, das war einigermaßen ritterlich noch im Kaukasus. (Gespräch mit E., 32-37)

E. leugnet die verbrecherischen Seiten des Kriegs nicht. Er versucht, diese Themen zu vermeiden, zu relativieren („...das war Brutalität und Gegenbrutalität, und das eine hat das andere aufgeschaukelt")90 oder von ihnen abzulenken („Es gab faire Taten, ich hab' da einige in Erinnerung"). Nun ist die Ausblendung von Grausamkeiten im Erzählen über den Krieg kein exklusives Phänomen der in Traditionsverbänden organisierten ehemaligen Wehrmachtssoldaten. „Es ist auch eine sehr schwierige Frage natürlich", räumt E. ein, und das ist es in der Tat, zumal wenn das eigentliche Gesprächsthema das Gedenken an die toten Kameraden ist.91 Allerdings muss auch E. sich die Frage gefallen lassen, warum er eine Volkstrauertagsrede in einer Zeitschrift veröffentlicht, in der der Holocaust-Leugner David Irving positiv rezensiert wird.92 Immerhin könnte in einem solchen Umfeld das Schweigen über den Holocaust und die verbrecherischen Seiten des Kriegs nicht nur als Ausdruck der Scham über ein dunkles Kapitel deutscher Geschichte oder die Hilflosigkeit, damit verbal umzugehen, gedeutet werden. Im Gespräch mit A. spreche ich Auslassungen, Leerstellen und Vermeidungsstrategien direkt an: Verf.: Warum sind eigentlich die Verbrechen an Juden kein Thema für die Zeitschrift ,Alte Kameraden'?

90 91

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Zum Rechtfertigungs-Topos ,Es war Krieg' vgl. Schröder (1992) S. 239f., S. 243f., S. 245, S. 675. „Zur Verklärung des Todes der Gefallenen gehört auch die Ausblendung der Tötung des Gegners. Das ist eine Tendenz, die sich schon in den antiken Zeugnissen beobachten lässt, die aber vor einem christlichen Hintergrund sich zur Vorstellung eines reinen Opfertods sublimiert." Vgl. Müller (1989) S. 338. Im eingehefteten Verlagsprospekt von ,Kameraden' 12/1998 wird eine Festschrift für David Irving angepriesen, der seit einem englischen Gerichtsurteil aus dem Jahr 2000 rechtskräftig als Holocaustleugner bezeichnet werden darf. Vgl. Petra Steinberger: Der Fälscher. Das Urteil gegen David Irving. In: Süddeutsche Zeitung (12. April 2000) und Ralf Dahrendorf: Der Verstand triumphiert. Wie der Holocaust-Leugner David Irving von einem Londoner Richter bloßgestellt wurde. In: Die Zeit Nr. 17 (19. April 2000).

Α.: Genau weiß ich das auch nicht. Manchmal habe ich den Eindruck, dass manche Alte Kameraden dieses Thema bewusst unter den Teppich kehren. Ich selbst habe einmal mitbekommen, was mit Juden passiert war, ein Ereignis am Rande, was mein Weltbild zutiefst erschütterte. (Gespräch mit Α., 14)

Wer, möchte man fragen, sollte wissen, warum der Holocaust in der Zeitschrift ,(Alte) Kameraden' nach Möglichkeit ausgespart wird, wenn nicht der ehemalige Chef-Redakteur dieses Mediums, der auf diese Frage antwortet, er wüsste es nicht genau? Interessant ist, mit welcher Metapher Α., der den Abschied dieser Generation publizistisch begleitete, den Prozess des Verschweigens beschreibt: , Unter den Teppich kehren' bringt einen Verdrängungsvorgang ins Bild. .Verdrängung' meint in psychoanalytischer Theoriebildung das Abschieben eines unerwünschten Inhalts ins Unbewusste. Hier nun liegt sogar ein explizites und bewusstes Unter-den-Teppich-Kehren vor. Die Metaphorik des Vergessens ist klassisch verbunden mit Attributen der Dunkelheit (darin dem Volkstrauertag mit seiner Datierung im dämmrigen November affin) und einer Unter-Über-Relation {„Unter den Teppich kehren", „Gras über eine Sache wachsen lassen").93 In gewisser Weise gleicht das Gedenken an die toten Kameraden genau jenem dick und schwer geknüpften Teppich, unter den die verdrängten, verschwiegenen und vergessenen Erlebnisse des Zweiten Weltkriegs gekehrt werden. Posaunenchor und Veteranenabordnungen realisieren Rituale des Volkstrauertags auf einem Teppich für die toten Kameraden, unter dem andere Leichen der Vergessenheit anheim gegeben werden. Allerdings ist das Phänomen des Vergessens nicht auf die Traditionsverbände beschränkt. Im ersten Nachkriegsjahrzehnt lag dem Vergessen ein weitgehender Konsens zugrunde, was die Forschungsliteratur mit einer Vernarbungsthese erklärt: In den Jahren des Wiederaufbaus benötigte man (so die weitgehend stillschweigende Übereinstimmung) Ruhe zum Ausheilen der noch frischen Wunden und Stille, um die durch die Entnazifierungsprozesse rasch verordnete ,Bewältigung' nun erst einmal selbst zu bewältigen. 94 Sozialpsychologisch kann die Verdrängung als Notfallreaktion gedeutet werden, die für das unmittelbare seelische Überleben unerlässlich war.95 Bemerkenswert ist aber, wie homogen auch in den Jahrzehnten nach der Restauration die Verdrängung der ideologischen Hintergründe des Zweiten Weltkriegs die vorliegenden Volkstrauertagstexte bestimmt. Dabei werden die Autoren durch die verfügbaren Gedenktopoi unterstützt: Topoi, die als Gedenkmuster quasi überzeitlich sind, verstärken die Abwendung vom konkret Geschehenen. Die Homogenität des selektiven kameradschaftlichen Gedenkens ist erklärbar mit seinen spezifischen Bewältigungsaufgaben. Holocaust und brutale Kriegshandlungen verweisen auf die menschenverachtende Ideologie des Dritten Reichs, die die Folie für den Zweiten Weltkrieg abgab. Sie sind eine Bedrohung für biographische Sinnkonstruktionen, da auf diesem

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95

Vgl. Harald Weinrich: Lethe. Kunst und Kritik des Vergessens (München 1997) S. 17. Zu dieser These vgl. Norbert Frei: NS-Vergangenheit unter Ulbricht und Adenauer. Gesichtspunkte einer vergleichenden Bewältigungsforschung'. In: J. Danyel (Hg.): Die geteilte Vergangenheit: Zum Umgang mit Nationalsozialismus und Widerstand in beiden deutschen Staaten [= Zeithistorische Studien 4] (Berlin 1995); vgl. auch T. Koebner: Die Schuldfrage. Vergangenheitsverweigerung und Lebenslügen in der Diskussion 1945— 1949. In: Ders. (Hg.): Deutschland nach Hitler: Zukunftspläne im Exil und aus der Besatzungszeit 1939-1949 (Opladen 1987) S. 301-329; S. 314; vgl. auch Bartov (1995) S. 272. Vgl. Mitscherlich (1967) S. 35.

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Hintergrund die .soldatischen Tugenden' aus dem Zweiten Weltkrieg ad absurdum geführt werden. Die von den Mitscherlichs Ende der 60er Jahre beobachtete , Unfähigkeit zu trauern' hat sich in Bezug auf den Holocaust in den meisten Volkstrauertagsreden organisierter Veteranen bis heute fortgeschrieben. Trauer wird darin exklusiv auf die toten Kameraden kanalisiert, es handelt sich um eine partielle Trauerfähigkeit. Aus der Perspektive dieses Autors ist es allerdings die gängige gesellschaftliche Gedenkpraxis, die selektiv vorgeht: Jeder Nachgeborene wischt mit hochzorniger Bewegung alles vom Tisch, was uns etwas bedeutet hat und heute noch bedeutet, was uns gar heilig war. Mit zwei Worten bewältigt er die Vergangenheit: , KZ und Auschwitz!' Damit wird das Thema im allgemeinen als beendet betrachtet und so kommt es, dass alte Soldaten lieber schweigen. (Text AKa 11/1979)

Verschweigen und Vergessen sind auch als kommunikative Anstrengungen zu verstehen, ein positives Selbstbild aufrechtzuerhalten, das mit gesellschaftlich anerkannten Werten vermittelbar ist.96 Der Einsatz fürs Vaterland wird von alten Kameraden am Volkstrauertag retrospektiv als .richtiges Leben im falschen' gedeutet. Volkstrauertagsreden dieser Zeitschrift berufen sich auf ein arbeitsteiliges Gedenken. Für das ,Falsche' des .richtigen Lebens im falschen' gebe es ohnehin genügend Redner („,KZ und Auschwitz!' Damit wird das Thema im allgemeinen als beendet betrachtet"). Übrig bleibt in diesem subtrahierbaren Gedenken nur noch das .Richtige'. Offensichtlich ist dieses Gedenken keine ungefilterte Erinnerung, sondern eine artifizielle und selektive Konstruktion. „Nur wenn Vertreter des Gemeinderates bei den Reden dabei sind, wird auch der Nationalsozialismus erwähnt", erzählt der Chefredakteur von .Kameraden' im Gespräch mit dem Verfasser.97 Die Erklärung für das ansonsten weitreichende Schweigen wird gelegentlich mitgeliefert, so in einer Rede aus dem Jahr 1988: Namen wie Auschwitz, Treblinka, Maidanek und andere haben die meisten Soldaten schaudernd erst erfahren, als sie aus Krieg und Gefangenschaft zurückkamen. Auf der anderen Seite lehrt uns das Beispiel von Lots Weib aus der Bibel, dass, wer nur zurückschaut, zur Salzsäule werden kann, ohne Lebensmut und Zuversicht. Das wollen manche Kräfte bei uns erreichen. (Rede AKa 11/1988)

Der Verweis auf das Alte Testament in der angeführten Rede zeigt, dass die Weigerung zurückzuschauen und der Entschluss zu schweigen bewusste rednerische Entscheidungen sind. Der kollektiv-kameradschaftliche Rückblick auf Tabuisiertes wird mit dem Schreckensbild der Salzsäule abgewehrt. Der Verweis auf Lots Weib setzt die Problematik des Rückblicks in ein geschichtsträchtiges Bild. Unangebrachtes Zurückschauen wird von Orpheus über Lots Weib bis hin zu den Volkstrauertagsrednern als lebensbedrohliche Bewegung tradiert.

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Zum , image of self' nach Goffman vgl. Johannes Schwitalla: Beziehungsdynamik. Kategorien für die Beschreibung der Beziehungsgestaltung sowie der Selbst- und Fremddarstellung in einem Streit- und Schlichtungsgespräch. In: W. Kallmeyer (Hg.): Gesprächsrhetorik: Rhetorische Verfahren im Gesprächsprozess (Tübingen 1996) S. 279-350; S. 282. Götz Eberbach am 23. Oktober 2001.

Eine topische Studie kann zwar nicht herausfinden, ob die Strategie des Vergessens und Verschweigens in der Bewältigungsperspektive langfristig produktiv ist. Während für die unmittelbare Nachkriegszeit das Verdrängen als überlebensnotwendig beschrieben wurde, kann es auf längere Sicht aber als bewältigungsproblematisch angesprochen werden. Harald Weinrich erklärt in Anlehnung an Sigmund Freud, dass ein .befriedetes Vergessen' nötig sei für die Gesundheit der Seele, die es erfordere, Vergessenes erst ins Bewusstsein zu holen, um es dann in einem zweiten Schritt wieder ,vergessen' zu können. Durch diesen dialektischen Vergessensprozess werde das solcherart Vergessene dem Verdrängten entzogen, das den seelischen Haushalt belastet. Allerdings funktioniere das , befriedete Vergessen' nicht, wenn der erste Schritt ausgelassen wird - dann nämlich trete das , ungut Vergessene' in einen sisyphusartigen Wiederholungskreislauf ein. .Befriedetes Vergessen' sei nur über die Erinnerung zu erlangen.98 Ob dieser Schritt, das Verdrängte aktiv ins Bewusstsein zu holen, von organisierten Kameraden je geleistet wurde, ist fraglich. In den Volkstrauertagsreden und auch ihren anderen Publikationen ist davon jedenfalls nicht viel zu entdecken. Eher wäre man als Leser geneigt, die stereotype und über die Jahrzehnte kaum veränderte kameradschaftliche Gedenktopik als Ausdruck jenes pathogenen Wiederholungszwangs eines ,unbefriedeten Vergessens' zu dechiffrieren, von dem Harald Weinrich spricht und den die Mitscherlichs schon Ende der 60er Jahre für viele ehemalige Wehrmachtssoldaten diagnostiziert haben. Auch der in meiner Studie herausgearbeitete kämpferische Charakter kameradschaftlichen Gedenkens spricht eigentlich eher gegen die Annahme eines .befriedeten Vergessens'. Es ist auch denkbar, dass die Mitglieder der Traditionsverbände die aktive Erinnerungsarbeit in Bezug auf das Vergessene nur im Privaten geleistet haben, und dass es damit einer Analyse von außen gar nicht zugänglich ist. Jan Philipp Reemtsma glaubt daran nicht. Er geht davon aus, dass unter den ehemaligen Wehrmachtssoldaten die Gruppe derer am größten ist, die noch immer gegen die Erinnerung an deutsche Kriegsverbrechen ankämpfen." Schweigen, Verschweigen und Vergessen präsentieren sich in den hier vorgestellten Deutungen als bewusste rednerische Strategien und somit als Formen des Nicht-(mehr)-redenWollens sowie als Strategien unter dem Paradigma der Erinnerungs- und Lebensbewältigung, um schweigend mit dem Unerhörten des Krieges fertig zu werden, und somit auch als Formen des Nicht-(mehr)-reden-Könnens. Für diese Formen werden mitunter einprägsame sprachliche Bilder gefunden, die auch psychoanalytisch deutbar sind als Ausdruck eines ,unbefriedeten Vergessens'. Sie weisen auf Selbstbildprozesse und den biographisch motivierten Kampf um Ehre und soldatische Haltung. Schweigen kann schließlich auch bedeuten, dass für manche Kriegserfahrungen keine geeigneten epideiktischen oder erzählerischen Formen gefunden werden können.

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Vgl. Weinrich (1997) S. 171-174. Jan Philipp Reemtsma, Hannes Heer und Walter Manoschek im Gespräch mit der ,Zeit' (,Am Abgrund der Erinnerung'), in: Die Zeit Nr. 22 (27.5.1999) S. 54f.

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3.2

Orte des Erinnerns

3.2.1

Der Krieg

3.2.1.1 ,Ihr wart ja nicht dabei' Kinder schreiben die Geschichte ihrer Eltern oder Großeltern und nur mittelbar formen die Erinnerungen der Kriegsveteranen noch jenes Bild, das der Nachwelt überliefert wird. Die eigene Biographie wird Veteranen nach und nach entzogen, andere übernehmen ihre Stimme, obwohl sie nicht ,dabei gewesen' sind. In gewisser Weise sind Kriegsveteranen angewiesen auf die Jüngeren und ihre Geschichtsschreibung, denn sie sind es, die „das Band zwischen den Lebenden und Toten"100 knüpfen. Bei solchen heiklen psychologischen Abhängigkeiten kann es nicht verwundern, dass Kämpfe um eine adäquate Geschichtsschreibung ausgefochten werden, die weit über ein gewohntes gesellschaftliches Streitpotential hinausgehen. „Man erzählt sein Leben und man erzählt um sein Leben," pointiert Konrad Köstlin die Redehaltung am Lebensabend einer Generation.101 Wer heute über Kriegsveteranen schreibt, meißelt an den Inschriften jener Grabsteine, die in den nächsten Jahrzehnten an die letzten deutschen Soldaten des Zweiten Weltkriegs erinnern werden, er befindet sich, in den Worten Klara Löfflers, mitten „in dieser ständigen Konkurrenz gesellschaftlicher Gruppen um das beherrschende Gedächtnis" 102 . Im Jahr 1956 überlässt der Volkstrauertagsredner ein Urteil über die Kriegsgeneration lieber nicht jenen Zeitgenossen, die in den Veteranen keine Helden zu sehen vermögen: Aber hat derjenige, der bereitwillig in steter Todesnähe seine Pflicht erfüllte und schließlich sein Leben zum Opfer brachte, derjenige, den alle Völker zu allen Zeiten einen Helden nannten, hat der es nötig, dass wir ihn gegen niedrigen Hass und kleinmütige Geistesverwirrung in Schutz nehmen? Er überlässt das Urteil über sich getrost der Geschichte. (Rede AKa 1956)

Hier ist erst im Ansatz formuliert, was Texte der kommenden Jahre prägt: Zeitgenossen, die nicht in der Wehrmacht waren, allen voran Historikern, wird das eigene Erleben nicht gern anvertraut - dann schon lieber „der Geschichte". Diese schreiben sie selbst. Unter der Rubrik .Soldaten schreiben, wie es wirklich war', mit Betonung auf dem Wörtchen ,wirklich', und in Anspielung auf den berühmten Satz Rankes, er wolle „bloß zeigen, wie es eigentlich gewesen", wird in ,(Alte) Kameraden' soldatische Erinnerung gegen wissenschaftliche Geschichtsschreibung ausgespielt. Da die Vergangenheit noch vom kommunikativen Gedächtnis lebender Gruppen ,bewohnt' wird, sträuben sich die Autoren dieser Rubrik gegen viele Geschichtsschreiber, deren eigentliche Domäne ja die .unbewohnte Geschichte' ist.103 In einem Text der 70er Jahre werden Zweifel an den Leistungen der etablierten Historikerzunft bereits offener formuliert:

100 101 102 103

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Nach Hanns-Josef Ortheil, H.-J.: Abschied von den Kriegsteilnehmern (München 1992) S. 308ff. Köstlin (1989) S. 180. Löffler (1999) S. 74. Vgl. zur .bewohnten' und .unbewohnten Geschichte' Assmann (1999) S. 44.

[Uns wird] stillschweigend unterstellt, dass uns nicht alles zutiefst leid tut, was an Verbrechen und Ausschreitungen wirklich vorgekommen ist (obwohl wir manches lieber einer späteren Geschichtsschreibung anvertrauen wollen). (Text AKa 1979)

Der vorsichtige Ton wird in der Zeitschrift bald schärfer. Bis heute teilen die Autoren und Redakteure Historiker nach einem Freund-Feind-Schema in zwei Lager auf. Auf der einen Seite gibt es die „vorurteilslosen Historiker", die festgestellt haben, „dass es keine deutsche Alleinschuld an den vergangenen Weltkriegen gegeben" habe (Rede AKa 1976). Auf der anderen Seite gibt es diejenigen, die Deutschland die alleinige Schuld am Zweiten Weltkrieg geben und damit, so der Vorwurf bis Ende der 80er Jahre, dem Kommunismus entgegenarbeiten. In den Jahren des Kalten Krieges wird die nach wie vor vom Kommunismus ausgehende Bedrohung als nachträgliche Rechtfertigung auf den Krieg im Osten riickprojiziert. Daher müsse man Deutschland vor jenen schützen, „die von der Verteidigungsbereitschaft des nicht kommunistisch beherrschten Teils unseres Volkes nichts halten oder sie gar zerstören wollen." (Text AKa 1974) In dieser Argumentation wird die nationalsozialistische Motivation des Zweiten Weltkriegs ausgeblendet, der Krieg wird, wie schon in der Propaganda der Nationalsozialisten, retrospektiv zum Feldzug zur Verteidigung von Frieden und Freiheit verklärt. [So] müssen wir uns fragen lassen, wie es heute um die Bereitschaft steht, Freiheit zu verteidigen, das Land und das Volk zu schützen und dafür zu dienen und notfalls zu sterben. [...] Ihre [der Alten Kameraden] kritischen, aber erfahrungslos gelassenen Nachkommen sind denen überantwortet, die von der Verteidigungsbereitschaft des nicht kommunistisch beherrschten Teils unseres Volkes nichts halten oder sie gar zerstören wollen. (Text AKa 1974)

Über den Totalitarismusbegriff wird der Zweite Weltkrieg unausgesprochen ideologisch relativiert. Der Nationalsozialismus, der als Ideologie in den Volkstrauertagsreden fast nie benannt wird, verschwindet aus dem Blickfeld, wenn der Krieg vor allem als Abwehr des Kommunismus interpretiert wird, den es auch in der Nachkriegszeit zu bekämpfen gelte.104 Nicht nachvollziehen können diesen Gedankengang offensichtlich nur jene, die , nicht dabei gewesen' sind, also die „kritischen, aber erfahrungslos gelassenen Nachkommen". Die im Historikerstreit diskutierten Fragen haben für die politische Beurteilung der Wehrmacht eine wichtige Bedeutung,105 und damit auch für die biographische Konstruktion ehemaliger Wehrmachtssoldaten. Daher verwundert es nicht, mit welcher Hartnäckigkeit in vielen Volkstrauertagsreden der Krieg vor allem als Feldzug zum Abwehr des Kommunismus beschrieben wird. Der Kampf gegen den Kommunismus wird als Beleg für eine Kontinuität von der Wehrmacht bis zur Bundeswehr herangezogen. Dass der Gegner im Kalten Krieg genau wie im .Dritten Reich' im Osten lokalisierbar war, wird als Argument dafür formuliert, die eigene Biographie als quasi bruchlos zu deuten. Mit diesem Argument umgehen

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Zur Relativierung des Zweiten Weltkriegs über den Totalitarismusbegriff vgl. Agnes Biensdorf: Die Einordnung der NS-Zeit in das Bild der eigenen Geschichte. Österreich, die DDR und die BRD im Vergleich. In: W. Bergmann et. al. (Hg.): Schwieriges Erbe: der Umgang mit Nationalsozialismus und Antisemitismus in Österreich, der DDR und der BRD [= Schriftenreihe des Zentrums für Antisemitismusforschung Berlin 3] (Frankfurt/ Main, New York 1995) S. 19-45; S. 34f. Vgl. Bartov (1995) S. 23.

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viele der analysierten Reden den expliziten Bruch mit den alten Wertvorstellungen - eine Bewältigungsstrategie, die vor allem von jenen, die ,nicht dabei gewesen' sind, nicht gelten gelassen wird. Die Verweigerung eines totalen Bruchs mit Gedankenfiguren aus der Zeit des , Dritten Reichs' ist eine Ursache für die allmähliche gesellschaftliche Isolierung organisierter Kameradschaftsbünde. Mit dem Ende des Kalten Kriegs und dem Fall des Eisernen Vorhangs konnte die beschriebene biographische Konstruktion immer weniger aufrechterhalten werden. In den Gedenkreden haben sich die Veteranen zum Teil auf die veränderten Umstände eingestellt, was sich zum Beispiel in den vermehrten Berichten über gemeinsame Kameradschafts-Initiativen mit russischen Veteranen niederschlägt. Dass die soldatische Geschichtsschreibung in manchen Punkten einer wissenschaftlichen nicht standhält, wird zunehmend zum Konfliktpotential - auch ,Der Seehase' schreibt im Jahr 1997: Gott weiß, was in unserer Zeit geschah, wir haben es erlebt, die Historiker wissen es besser. Politiker, Intellektuelle und die öffentliche Meinung schließen sich, ohne viel nachzudenken, den Historikern an. Sie verurteilen alles, was zwischen 1933 und 1945 von deutscher Seite geschah, und erklären - vielleicht kaum b e w u s s t die, die damals lebten, zur verfemten Generation. (Der Seehase Nr. 172, Juni 1997, S. 2)

Unter dem Schlagwort der .verfemten Generation' werden ehemalige Wehrmachtssoldaten in der Nachkriegszeit zum zweiten Mal zu Opfern - zu Opfern auch von Historikern, die ihnen, so der Vorwurf, keine Gerechtigkeit widerfahren lassen. Ganz oben rangieren auf dieser Liste Jan Philipp Reemtsma und Hannes Heer, auch sie sind beide .nicht dabei gewesen'. Im Gespräch mit H. kommen wir auf die Hamburger Wehrmachtsausstellung zu sprechen: Verf.: Anders als in England oder in Frankreich haben die, ich sage einfach mal: .Alten Kameraden', kein gutes Ansehen gehabt in der Bundesrepublik, sie wurden ein bisschen an den Rand gedrängt, man hat nicht so recht auf sie gehört. Hat sie das gepeinigt oder verletzt? H.: Sicherlich nicht mich persönlich, aber für meine gefallenen Kameraden. Dass man mit denen so umgeht. Diese Ausstellung von Reemtsma/ Heer ist in meinen Augen eine fürchterliche Sache gewesen. [...] Die Kriminalität in der Wehrmacht ist geringer gewesen als die Kriminalität in der normalen Bevölkerung, weil in der Wehrmacht eiserne Disziplin geherrscht hat. Es hat in der Wehrmacht Verbrechen gegeben, auch ganz schlimme, fürchterliche, von denen wir Frontsoldaten in der Masse nichts gewusst haben. [..] Verf.: Die Ausstellung ist j a jetzt sowieso gestoppt worden. H.: Was mich sehr bestürzt und betrübt hat: Die deutschen Historiker haben versagt. Und ausländische Historiker müssen uns die Wahrheit sagen. (Gespräch mit H.,

Jan Philipp Reemtsma und Hannes Heer stehen hier exemplarisch für jene deutschen Wissenschaftler, die in H.s Augen „versagt haben" - was eine überzogene Formulierung ist: In einem Gutachten wurde die Wehrmachtsausstellung auch nach der Kritik des polnischen Historikers Bogdan Musial in ihren Grundaussagen von der eingesetzten Expertenkommission bestätigt.106 .Ausländische Historiker müssen uns die Wahrheit sagen' ist ein Topos,

106

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Vgl. z.B. Ullrich (2000).

der sowohl von Kriegsveteranen als auch von ihren Kritikern in Diskussionen gern verwendet wird. (Ihre Kritiker sagen: Daniel Goldhagen, ein amerikanischer Wissenschaftler, hat die Diskussion um die Beteiligung des ,kleinen Mannes' an den Verbrechen des Nazi-Systems neu angestoßen.) Freilich orientieren sich beide Seiten - ermöglicht durch das in-utramque-partem-Prinzip des Topos, das formale Konstanz bei inhaltlicher Varianz zulässt - an verschiedenen ausländischen Historikern. Interessanterweise wird die Frage nach persönlichen Gefühlen von H. mit dem Verweis auf die Wehrmachts-Ausstellung beantwortet. Eigene Gefühle werden erst zurückgewiesen („... sicherlich nicht mich persönlich, aber für meine gefallenen Kameraden"), um dann über ein Drittes (die Wehrmachtsausstellung) umso deutlicher zum Ausdruck zu drängen („... eine fürchterliche Sache ... Was mich sehr bestürzt und betrübt hat ..."). In den 80er und 90er Jahren werden in der Zeitschrift ,(Alte) Kameraden' die Angriffe auf einzelne Historiker schärfer. Nun werden selbst geschichtsrevisionistische Ansichten offen formuliert. So wird aus einer militärischen Niederlage postum ein partieller (Überlebens-)Sieg, der Aggressor wird im Nachhinein ein Opfer: Das Opfer unserer Kameraden, der toten deutschen Soldaten des Zweiten Weltkriegs, hat schließlich nicht nur uns einzelnen, sondern dem deutschen Volk in seiner Gesamtheit das Überleben ermöglicht, hat wenigstens einen Teil des Heimatbodens als .Deutschland' - wenn auch als geteiltes Land - erhalten. (Text AKa 11/1986)

Die biographische Opferrolle wird auf die Interpretation von Geschichte übertragen. Im Jahr 1981 preist der Volkstrauertagsredner die Deutschen, die „dem Ansturm der Völker dieser Welt sechs Jahre lang standzuhalten" vermochten (Text AKa 1981). Auch die sogenannte Präventivschlagthese, die die Propaganda Hitlers aufnimmt, die von seriösen Historikern zurückgewiesen wird, 107 und wonach Hitler Stalins eigenen Angriffsplänen nur zuvorgekommen sei, wird von etlichen Autoren und Volkstrauertagsrednern der Zeitschrift ,Alte Kameraden' vertreten.108 Im Jahr 1998 fasst die Redaktion der Zeitschrift .Kameraden' ihre Position so zusammen, dass das Unternehmen .Barbarossa' objektiv ein Präventivschlag der Wehrmacht gegen die aufmarschierende Sowjetarmee war, subjektiv aber ein Angriff, um mit der Niederwerfung der Sowjetmacht den Briten den Festlanddegen zu entwinden. (Ka 12/1998, S. 8)

In der Dezemberausgabe von .Kameraden' im Jahr 1998 werden Bücher empfohlen, die „die Kriegsschuld Englands exakt nachweisen", die behaupten, Deutschland musste den Krieg verlieren, weil seine Führung „den englischen Vernichtungswillen gegen jede europäische Hegemonialmacht verkannte". Außerdem gebe es nicht mehr den geringsten Zweifel, dass Hitler - nicht aus finsteren Eroberungsabsichten, sondern zur Rettung des freien Europa - einen Aggressor gerade noch rechtzeitig stoppte. (Ka 12/1998, eingehefteter Verlagsprospekt).

Nicht alle revisionistischen Aussagen werden so explizit getroffen und auch nicht alle derartigen Äußerungen werden notwendigerweise von den Rednern, die in dieser Zeitschrift

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Vgl. Hans-Erich Volkmann: Die Legende vom Präventivkrieg. In: Die Zeit Nr. 25 (13. Juni 1997) S. 44. Z.B. Ka 11/2000, S. 4.

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publizieren, unterstützt. Es ist schwierig, im Hinblick auf Geschichtsfälschungen eine allgemeine Tendenz auszumachen, zumal in den Texten zum Volkstrauertag vieles unausgesprochen bleibt - Understatement ist hier eine typische rhetorische Strategie. Veteranen schreiben in einem gesellschaftlichen Umfeld, das allzu deutliche revisionistische Äußerungen sanktionieren würde. Zwar werden die Gedenkreden vor und für Kriegsveteranen gehalten, aber auch Außenstehende müssen als Hörer und Leser berücksichtigt werden. Da vieles nur zwischen den Zeilen gesagt wird, sind Aussagen über die Bedeutung des Revisionismus im Horizont des Bewältigungsparadigmas bis zu einem gewissen Grad spekulativ. Alexander und Margarete Mitscherlich, die ihre Analysen auch mit klinischen und therapeutischen Studien abgesichert haben, interpretieren allerdings bereits Ende der 60er Jahre geschichtsrevisionistische Anstrengungen als „manisches Ungeschehenmachen", also als Ausdruck einer Krankheit.109 Eins kann mit Sicherheit gesagt werden: Die analysierten Gedenktexte bleiben insgesamt weit hinter den Ergebnissen der öffentlichen Debatten zurück, beispielsweise auch hinter jenen Auseinandersetzungen, die innerhalb der Bundeswehr Uber das Verhältnis von soldatischer Tradition und Neubeginn in der Bundesrepublik geführt wurden.110

3.2.1.2 Krieg als Handwerk Die Autoren in ,(Alte) Kameraden' bevorzugen historische Werke, die sich mit rein militärischen Taktiken, Ereignisabfolgen und Leistungen beschäftigen, etwa die in militärbegeistertem Ton abgefassten Bestseller von Paul Carell, „langjähriger Bezieher" von ,Alte Kameraden', so eine Meldung der Zeitschrift, die von einem Redaktionsbesuch des Autors berichtet.111 Paul Carell heißt eigentlich Paul Karl Schmidt und war ehemals , Pressechef' von Ribbentropps Auswärtigem Amt. Sein Buch Unternehmen Barbarossa' hatte bereits 1970 eine Auflage von über 387 000 verkauften deutschen Exemplaren und war zu diesem Zeitpunkt in elf Sprachen übersetzt,112 noch immer liegen seine Bücher in den deutschen Buchhandlungen aus. Volkstrauertagstexte der Zeitschrift, Alte Kameraden' reduzieren häufig den historischen Gehalt des Zweiten Weltkriegs technokratisch aufs ,Soldatisch-Handwerkliche', ihr Publikationsmedium präsentiert sich dann als reine Fachzeitschrift. In diesem Bestreben finden organisierte Veteranen auch vereinzelt Unterstützung in der Historikerzunft, die ja selbst einige Zeit benötigte, bis sie über die eigene Rolle im Dritten Reich kritisch berichten konnte.113 Noch Anfang der 80er Jahre wundert sich Omer Bartov, dass Männer wie der

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111 1,2 113

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Vgl. Mitscherlich (1967) S. 40. Vgl. Donald Abenheim: Bundeswehr und Tradition. Die Suche nach dem gültigen Erbe des deutschen Soldaten (München 1989). AKa Dezember 1966, S. 7: „Wir schieden voneinander als gute Freunde ..." Vgl. Streit (1978) S. 306. Vgl. stellvertretend für mittlerweile viele andere Arbeiten Rüdiger Hohls, Konrad H. Jarausch (Hg.): Versäumte Fragen. Deutsche Historiker im Schatten des Nationalsozialismus (München 2000) und Manfred Hettling: Schweigen im Konsens. Erst jetzt fragen deutsche Historiker nach der Rolle ihres Faches im Dritten Reich, in: Die Zeit Nr. 31 (27. Juli 2000) S. 43f.

Panzergeneral Heinz Guderian „von zahlreichen westlichen Historikern und Militärs nach wie vor ausschließlich als Berufssoldaten betrachtet werden." 114 Der Historiker Rolf-Dieter Müller moniert Ende der 90er Jahre eine „problematische Verquickung der militärischen Dimension des Krieges mit der ideologischen Zielsetzung." 115 Er lobt jene ausländischen Historiker, die „Respekt vor soldatischen Leistungen" haben." 116 Die militärischen Leistungen der deutschen Wehrmacht ohne besondere Berücksichtigung der Ideologie einer ,Lebensraumerweiterung im Osten' zu untersuchen, ist unter manchen Historikern heute wieder ein beliebtes Forschungsfeld. 117 Andere Historiker verweisen kritisch auf die Problematik historischer Deutungen, die soldatische Leistung und politische Ideologie auseinanderdividieren. Sie betonen, dass Geschichtswissenschaft auf diese Weise in Gefahr läuft, zu einer puren Rekonstruktionstechnologie verkürzt zu werden. Überdies werde die Trennung von Leistung und Ideologie dem spezifischen Charakter des Zweiten Weltkriegs nicht gerecht. 118 Auch in der Bundeswehr ist die Sichtweise geteilt. So spricht der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr Klaus Naumann von einer „soldatischen Haltung und militärischen Leistung der Soldaten und Truppenteile, die in allen Epochen der Geschichte ehrenhaft und rechtmäßig gekämpft haben", und die damit „Achtung und den Respekt der Soldaten der Bundeswehr verdienen." Schließlich, so Naumann, handle es sich um "elementare soldatische Werte, die in der deutschen Militärgeschichte quasi überzeitlich' als gültiges Erbe weitergegeben wurden." 119 Ulrich de Maiziere, einer von Naumanns Vorgängern im Amt des Generalinspekteurs, betont dagegen: „Tugenden und Pflichten aber, so haben wir es bitter erfahren, erhalten ihren wahren Wert erst durch das ,wofür'." 1 2 0 Der Topos ,Krieg als Handwerk' funktioniert nur durch seine Abstinenz von politischen respektive ideologischen Bewertungen. 121 Wer sich an diese stillschweigende Abmachung nicht hält, unterminiert den Topos. In einem Text zur Kameradschaft formuliert ein Veteran diesen Zusammenhang als Verhaltenskodex: Eine solche Kameradschaft setzt selbstverständlich Takt und Feingefühl voraus und, dass bestimmte Grenzen nicht überschritten werden. Eine solche Kameradschaft setzt voraus, dass Gespräche über Politik in einem größeren Kreis vermieden werden. Wo das alles so ist, da spürt man die Herzlichkeit der Atmosphäre ... l 2 2

1,4 115 116 117

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Vgl. Bartov (1995) S. 209. Müller (1999) S. 20f. Müller (1999) S. 16. Vgl. z.B. im gleichen Sammelband, den Rolf-Dieter Müller mit einer Einführung versehen hat, das Kapitel III (.Strategisches Denken, Professionalität und militärische Verantwortlichkeit der Wehrmachtführung') und insbesondere den Aufsatz von Martin van Creveld: Die deutsche Wehrmacht: eine militärische Beurteilung, in: R. D. Müller, H.-E. Volkmann (Hg.): Die Wehrmacht. Mythos und Realität (München 1999) S. 331-345. Vgl. z.B. Bartov (1995) S. 220 und Manfred Messerschmidt im Gespräch mit Benedikt Erenz (,Hitlers ehrenhafte Komplizen'). In: Zeit-Punkte Nr. 3 .Gehorsam bis zum Mord? Der verschwiegene Krieg der deutschen Wehrmacht - Fakten, Analysen, Debatte (Hamburg 1995) S. 49-53; S. 52. Klaus Naumann.: Erinnern, lernen - nichts kopieren, in: Zeit-Punkte Nr. 3 (Hamburg 1995) S. 8 7 - 9 0 ; S. 90. Ulrich de Maiziere: Die Bundeswehr - Neuschöpfung oder Fortsetzung der Wehrmacht? In: R.-D. Müller, H.-E. Volkmann (Hg.): Die Wehrmacht. Mythos und Realität (München 1999) S. 1171-1183; S. 1179. Zum Topos .Krieg als Arbeit' vgl. Schröder (1992) S. 437, S. 449, S. 453. Otto Schreiner: Kameradschaft. In: Der Seehase Nr. 120 (Konstanz September 1974) S. 12-14; S. 13.

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Die stillschweigende Übereinkunft nimmt die Verbannung aus „einem größeren Kreis" bewusst in Kauf und weist seinen Protagonisten die „Hinterstübchen der Stammlokale" zu, wie es dieser Veteran formuliert: Bleiben wir im Hinterstübchen unseres Stammlokals bei harmloser Geselligkeit, aber bleiben wir zusammen und bleiben wir Kameraden bis zu letzten Stunde. Und halten wir uns im Gespräch die innere Politik vom Leibe, sonst platzt auch der Rest noch auseinander. 123

Aus diesen Passagen wird deutlich, dass der Ausgrenzung der politischen Dimensionen aus dem Topos ,Krieg als Handwerk' eine bewusste Entscheidung vorausgeht, deren Konsequenzen gesehen und gebilligt werden. Der strategische Einsatz ist bewältigungsproblematisch motiviert: Wer das Gedenkmuster in Frage stellt, bedroht die biographische Konstruktion, deren Metaphorik in dieser Passage noch immer den Krieg perpetuiert, im Bild einer explodierenden Bombe: „...sonst platzt auch der Rest noch auseinander". In den meisten Texten zum Volkstrauertag wird dieser Verhaltenskodex nicht eigens formuliert - er gilt selbstverständlich für die Mitglieder von Kameradschaften, für Außenstehende ist er zumeist völlig unverständlich. Der Topos , Krieg als Handwerk' rekurriert auf die Tatsache, dass für einzelne Soldaten im Krieg Ideologie vielfach gar keine Rolle gespielt haben mag, umso mehr aber Kameradschaft, Korpsgeist, Abenteuerlust, Kampfgeist oder Gehorsam. 124 „Wir sind da so hineingewachsen", lautet eine häufige Formulierung im Zeitzeugengespräch, womit ein bewusst politisches Handeln im Krieg als Unterstellung nachträglichen historischen Besserwissens zurückgewiesen wird.125 Allerdings wird eben auch nach dem Krieg am Topos festgehalten, auch dann wird eine andere Perspektive verweigert. In diesem Sinn werden auch .Kampfgeist und Gehorsam' als unpolitisch beschrieben, ohne Berücksichtigung der Kriegsziele Hitlers. In gewisser Weise knüpft dieser Topos bruchlos an den Weltkrieg an, hält fest an der Sichtweise des ,einfachen Soldaten im Krieg', friert die Jahre 1939 bis 1945 ein, verweigert den Anschluss an die fortschreitende Zeit, nutzt die zeitliche Distanz zum Krieg nicht für eine intellektuelle Distanz. Der Topos weist die kameradschaftliche Gedenkrhetorik der Nachkriegszeit als kriegerisch in dem Sinne aus, als sie die Situation des Krieges konserviert. Organisierte Veteranen zelebrieren am Volkstrauertag den ,Nachkrieg' in Deutschland, das Gedenken an den Krieg aus dem Geist des Kriegs. Der Topos formuliert implizit eine bewältigungsrelevante Rechtfertigung für das eigene Soldatsein im Krieg. Er erinnert daran, dass nicht alle Soldaten den Krieg in seiner verbrecherischen Dimension zu durchschauen vermochten, er ist implizit eine Anklage an jene Historiker, die diesen Aspekt - das Verständnis für die Situation des ,einfachen Soldaten' - vernachlässigen.126 In gewisser Weise ist dieser Topos eine Trotzreaktion, weil er

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In: Der Seehase Nr. 115 (Ostern 1973) S. 2f.; S. 3 (,Sind Kriegskameradschaften noch zeitgemäß? Von Oberst a.D. SchramP). Vgl. Müller (1999) S. 21. Vgl. Löffler (1999) S. 191f. Omar Bartov schreibt in diesem Sinn ironisch über seine Kollegen: „Viele Historiker sind der Ansicht - vielleicht weil kaum einer von ihnen jemals eine Schlacht in vorderster Front mitgemacht hat - dass die Frontkämpfer die ersten seien, die das Trugbild vom heldenhaften Krieg als das durchschauten, was es war." Vgl. Bartov (1995) S. 253.

sagt: .Solange Ihr uns nicht zugesteht, dass wir den Krieg als Handwerk geführt haben (weil es uns so befohlen wurde, weil wir das Vaterland verteidigen wollten), solange sind wir nicht bereit, die Kriegsperspektive gegen eine distanzierte Nachkriegsperspektive einzutauschen.' Dieser Gedanke generiert ein beharrendes Gedenken: das Beharren auf die eingeschränkte Sicht des einfachen Mannschaftssoldaten, der keine größeren Zusammenhänge kennt und diese, als alles bereits vorbei ist, weiterhin nicht kennen will. Dieser Unwille produziert übrigens eine Strategie, die auch in Nachkriegsprozessen gegen ehemalige Wehrmachtsangehörige zur Begründung von Einstellungen von Gerichtsverfahren immer wieder von Gerichten bemüht wurde. 127 Das Muster ,Krieg als Handwerk' ist bewältigungsrelevant für das aktuelle Leben in Deutschland nach dem Krieg. Handwerk, genereller gefasst: Arbeit ist der klassische Ort zur Verwirklichung männlicher Identität. 128 Die in diese Studie aufgenommenen Volkstrauertagsautoren und Gesprächspartner der Geburtsjahrgänge 1910 bis 1925 verbrachten jene Lebensjahre, in denen ein junger Mann normalerweise seine Arbeit oder sein Handwerk erlernt, im Krieg. In der unmittelbaren Nachkriegszeit war daher der Krieg das einzige ,Handwerk', das die jungen zurückgekehrten Wehrmachtssoldaten gelernt hatten. „Ich hatte nichts anderes gelernt" - so begründete K. im Vorgespräch zu unserem Interview, warum er in der Nachkriegszeit wieder Soldat wurde. Wie bestimmend das kriegerische Arbeitsethos auch 55 Jahre nach dem Krieg noch für die eigene Identität ist, zeigen die Begleitumstände unseres Interviews. „An die Waffen!", ruft K., wenn er vom Verfasser ans Mikrofon gebeten wird, „Alle Mann mir nach!", wenn er dem Verfasser etwas zeigen möchte. In dieser klaren militärischen Rollenzuschreibung gelingt unser Gespräch reibungslos: Das Mikrofon weist mich eindeutig als Wissenschaftler aus, so wie das Gewehr den Kameraden als Soldat. Das topische Muster ,Krieg als Handwerk' liegt schließlich auch in der Tradition der Wehrmacht begründet. Es orientiert sich an jenem klassischen preußisch-militaristischen Menschentypus, „der sich durch Rationalität in Form technischer Perfektion und Irrationalität aus Ehrgeiz, Pflichtgefühl und Vaterlandsliebe auszeichnete, dem es allerdings ,an der nötigen Ergänzung durch politisches Denken' gebrach." 129 Die Wurzeln des Topos sind nicht erst im Zweiten Weltkrieg zu suchen, sie datieren aus früherer Zeit, als der Typus des .Technikers des Kriegs' (nach Friedrich Meinecke) geprägt wurde. Dieses Bild kennzeichnete bereits die Reichswehr und wurde nahtlos in die Wehrmacht übernommen. 130 Der

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Ruth Bettina Birn spricht von „immer wiederkehrende[n] Argumentationsmustern[n], die die rückschauenden Exkulpations- und Erklärungsstrategien in der deutschen Nachkriegsgesellschaft widerspiegeln [...] Ebenso wurde eine strikte weltanschaulich begründete Trennung zwischen den politischen Zielen des Nationalsozialismus und den ausschließlich an soldatischen Werten orientierten Vorstellungen der Wehrmacht postuliert. Hinzu kommen tradierte Wertvorstellungen und Überzeugungen aus der Kriegszeit, die nicht revidiert werden. Sie betreffen insbesondere die historische und moralische Problematik des Zweiten Weltkriegs, und insbesondere den deutschen Angriff auf die Sowjetunion." In: Ruth Bettina Bim: Wehrmacht und Wehrmachtangehörige in den deutschen Nachkriegsprozessen. In: R.-D. Müller, H.-E. Volkmann (Hg.): Die Wehrmacht. Mythos und Realität (München 1999) S. 1081-1099; S. 1090.

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Vgl. Böhnisch, Schröer (2001) S. 135. Vgl. Hans-Erich Volkmann: Zur Verantwortlichkeit der Wehrmacht. In: R.-D. Müller, H.-E. Volkmann (Hg.): Die Wehrmacht. Mythos und Realität (München 1999) S. 1196-1222; S. 1216f. Ebd.

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Rückzug in die Veteranenvereine der Nachkriegszeit knüpft an den preußisch-soldatischen Rückzug ins Militärische an. Das bekundete Desinteresse am Politischen hat Tradition und ist Ausdruck eines Bildungsdefizits, das von vielen Veteranen in späteren Lebensphasen nicht mehr aufgeholt wurde oder nicht mehr aufgeholt werden wollte. Diese Inteipretation gilt freilich nicht für jene kameradschaftlich organisierten Veteranen, die sich nach dem Krieg aktiv für den Aufbau der Bundeswehr aus einem anderen Geist eingesetzt haben. Zu ihnen gehört auch H., den ich in seiner Eigenschaft als Zeitzeuge und Historiker nach dem Unterschied zwischen einem soldatischen, rein militärisch geprägten und einem wissenschaftlichen Geschichtsverständnis fragte. Verf.: Sie kennen als Historiker auch Ulrich de Maiziere, ehemaliger Generalinspekteur der Bundeswehr. Der hat geschrieben: ,Die Soldaten haben ein ganz eigenes Geschichtsverständnis. Für sie ist Geschichte immer auch Tradition, Tradition von soldatischen Werten, Tugenden eben. Unter diesem Blickwinkel betrachten sie Geschichte.' 1 3 1 Unterscheidet sich das von der professionellen Geschichtsschreibung? Sie kennen ja beides: Die soldatische Art der Tradition, die zurückgeht bis auf Gneisenau und die preußische Militärreform auf der einen Seite. Auf der anderen Seite: Ihre Einschätzung als Historiker? H.: Natürlich ist das Geschichtsbild der Soldaten irgendwo auch militärisch geprägt, von der Militärgeschichte her. Das ist ohne Zweifel so. In der Bundeswehr haben wir ja gerade versucht, das Geschichtsbild auch für die Soldaten auf breitere Grundlage zu stellen. (Gespräch mit H., 6ff.)

H. geht inhaltlich konsequent auf den angesprochenen Themenkomplex ein, wenn er zuerst einräumt „Natürlich ist das Geschichtsbild der Soldaten irgendwo auch militärisch geprägt", und dann auf die Konzepte von ,Innerer Führung' und des .Staatsbürgers in Uniform' hinweist, an denen er selbst mitgearbeitet hat. Diese Leitbilder stehen für einen Umgang mit Vergangenheit, der versucht, aus dem Zweiten Weltkrieg Lehren für die Gegenwart zu ziehen. Die Gründungsväter der Bundeswehr zollten damit der Erkenntnis Tribut, dass die nach den Erfahrungen mit dem Zweiten Weltkrieg eher antimilitärisch eingestellten Bundesbürger nur über ein neues Verständnis des Soldatentums und eine Demokratisierung des militärischen Sektors für die Bundeswehr zu gewinnen wären. Es ist offensichtlich, dass dies mit einer unhinterfragten Übernahme der Wehrmachtstraditionen nicht zu leisten war. 132 Die Ansprüche dieser Bundeswehrreformen sind ehrgeizig und gehen weit über das hinaus, was Kameradschafts- und Traditionsverbände in der Bundesrepublik bei der Aufarbeitung ihrer Vergangenheit erreicht haben. Von einer „neuen militärischen Tradition", die die Konzepte der Inneren Führung und des Staatsbürgers in Uniform implizieren, 133 ist in den ausgewerteten Volkstrauertagsreden dieser Arbeit nur verhalten bis gar nicht die Rede - vom unpolitischen Soldaten' haben sich viele alten Kameraden nie verabschiedet. Allerdings sind Anspruch und Akzeptanz des Konzepts des Staatsbürgers in Uniform auch innerhalb der Bundeswehr nie deckungsgleich gewesen. Wer den ,Krieg als Handwerk' betrachtet, braucht für diese handwerkliche Arbeit Fähigkeiten, Fertigkeiten und Qualitätsmerkmale. Das sind im Verständnis organisierter Vetera-

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Sinngemäß Maiziere (1999). Vgl. Karl Diefenbach: Von Himmerod zum Kosovo. Kontinuität der Inneren Führung. In: Reader Sicherheitspolitik. Hg. Streitkräfteamt, Informations- und Medienzentrale der Bundeswehr (Bonn 2001) S. 10-24, S. 15. Vgl. ebd. S. 22.

nen die soldatischen Tugenden und Traditionen. Über diese sprechen Volkstrauertagsredner viel - ein Indiz dafür, dass sie im gesellschaftlichen Umfeld nicht selbstverständlich sind, dass ihr Status umstritten ist. Die Frage nach den Traditionen berührt organisierte Weltkriegsveteranen im Kern ihrer Identität (daher auch der selbst gegebene Name: .Traditionsverbände'). Das Reflexiv-Werden der Tradition deutet auf die bewusste Konstruktion kultureller Identität.134 Tugend und Tradition sind die auf ,zeitlos richtiges Handeln' orientierten Pole der vorliegenden Gedenktexte. Sie stiften, als Handlungsanweisung, das epideiktische Bindeglied zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Um welche Tugenden es sich hauptsächlich handelt, formulierte Alfred Dregger in seiner umstrittenen, in der Zeitschrift, Alte Kameraden' immer wieder gern zitierten Volkstrauertagsrede aus dem Jahr 1986: Pflichtgefühl, Unbestechlichkeit, Verantwortungsbewusstsein vor Gott und den Menschen und Opferbereitschaft. Der Nationalsozialismus hat diese Tugenden missbraucht und verraten. Haben sie deshalb für alle Zeiten ihren Sinn verloren?135

Im kommunikativen Gedächtnis leben diese soldatischen Tugenden fort in den Erzählungen über tugendhaftes Verhalten im Krieg, das Kameraden das Leben gerettet habe. In den Gedenkreden verfestigen sich solche Verhaltensweisen zu kanonischen Objektivationen. Tugendkataloge sind bewältigungsrelevant, denn sie sind die einzigen positiven Werte, die aus der Kriegszeit gerettet werden konnten. Weil wir so leidvolle und gewaltige Erlebnisse mitmachen mussten, haben wir das größte Interesse daran, dass jene Zeit auch ungeschmälert den Segen bringe, den sie bringen kann. (Ka 11/2000, Wiederabdruck von Reden aus dem Jahr 1967)

Ein Volkstrauertagsredner im Jahr 2003 erinnert daran, wie die soldatischen Tugenden gerade im zerstörten Nachkriegsdeutschland den Wiederaufbau mit ermöglicht hätten: Viele Tausende waren noch in Gefangenschaft, ihre Familien und die Hinterbliebenen der Gefallenen standen vor dem Nichts. Doch der fortlebende Geist der Kameradschaft und Nachbarschaftshilfe gebot nun auch jenen zu helfen, die noch in Sorge und Not waren. Unsere Toten blieben unvergessen. (Rede Ka 11/2003, S. 3)

Es ist schon bemerkenswert, wie in der Sicht des Redners soldatische Kameradschaft, die von den Nationalsozialisten für den Angriff auf benachbarte Völker instrumentalisiert wurde, nur einige Monate später schon in produktive Nachbarschaftshilfe umgewandelt werden konnte. Die zivile Umdeutung der soldatischen Tugenden ist typisch für den Versuch organisierter Veteranen, sie in die Nachkriegszeit zu retten. Die Tradierung der soldatischen Tugenden verspricht nämlich, Leben und Tod mit Sinn zu erfüllen: Soll diese erlebte Tapferkeit, diese Treue und Hingabe, dieses Leiden und Ertragen, diese Kameradschaft ohne Wert sein, weil sie den Zusammenbruch nicht hat verhindern können? [...] Unser TradVerb136 will doch gewiss nicht alte Zöpfe und überlebte Ideen tradieren, sondern beste menschliche Werte, gewachsen aus dem

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Vgl. Assmann (1999) S. 193. Dregger (1986) S. 22-23. Traditionsverband.

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Kriegserleben. Das mutige Herz, der selbstlose Dienst, die tapfere Leistung, die gewissenhafte Orientierung nicht nur an vorletzten, sondern höchsten Prinzipien, die Manneszucht, aber auch namhafte persönliche Verantwortung, das sind Tugenden, die gerade auch heute gerufen sind. (Ka 11/2000, Wiederabdruck von Reden aus dem Jahr 1967)

Bemerkenswerterweise werden soldatische Tugenden in dieser Rede nicht gegen den Nationalsozialismus, sondern gegen die Kriegsniederlage verteidigt. Der Redner beschwört ein ,richtiges Leben im Falschen' - das es nach Theodor W. Adorno nicht gibt.137 Gleichwohl wissen die Redner, dass es ein ,Leben im falschen' war: Niemand weiß besser als wir, dass ein Gericht über uns ergangen ist, und wir bejahen keinesfalls die damaligen Vorzeichen. (Ka 11/2000, Wiederabdruck von Reden aus dem Jahr 1967)

Der Redner möchte das ,Richtige' (die soldatischen Tugenden) aus dem .Falschen' (dem Nationalsozialismus) ins ,Richtige' (die Bundesrepublik Deutschland) hinüberretten. Gesellschaftlicher Konsens wurde aber Adornos weitergedachtes Diktum, wonach es auch kein richtiges Leben aus dem falschen im richtigen geben könne. Veteranen sahen sich fast ausschließlich mit der normativen Frage konfrontiert, was sie damals hätten tun sollen, fast nie aber mit der für sie wesentlicheren pragmatischen Frage, wie sie mit ihren Erfahrungen anschließend hätten leben können. Im Gespräch mit E. ist aber auch auf diese Frage eine Antwort zu erhalten. E. hat den ,Krieg als Handwerk' im Lazarett erlernt, diesem Handwerk ist er als Mediziner in der Nachkriegszeit treu geblieben. Anders als in vielen Zeitzeugengesprächen mit deutschen Veteranen, die durchsetzt sind mit Abschweifungen und Anekdoten, zielen E.s Antworten durchweg stringent auf die Frage und auf die eigene Person. Verf.: Haben Ihre Erlebnisse im Krieg mit sterbenden Soldaten Ihr Verhältnis zum Tod irgendwie beeinflusst? E.: Absolut, absolut, nicht nur relativ, sondern absolut. Schon mein Wunsch, Arzt zu werden und mein Wunsch zu helfen hat dort seine Wurzel. Und das war eines der Hauptanliegen. Die junge Generation, auch der Medizinstudenten, hat j a zum Teil, das ist für uns Alte zuerst unverständlich gewesen, überhaupt kein Verhältnis zum Tod. Ich kenne junge Ärzte - ich hatte ja lange die arbeitsmedizinische Ausbildung hier im Land mit meiner Sozial- und Arbeitsmedizinischen Akademie, wo immer Kurse für hundert Ärzte liefen - ich kenne viele junge Ärzte, die mir sagten: Herr E., ich habe noch nie einen Toten gesehen [...] Und das kommt jetzt erst, dass man begreift, dass nun ein Sterben in Würde - da ist übrigens Carlo Schmid sehr dran beteiligt, der das in seinen Erinnerungen auch sehr fordert und einklagt - dass das wieder kommen muss, dass die Ärzte das als Aufgabe sehen. (Gespräch mit E., 49-51)

Kriegserleben und Nachkriegsleben bringt das Gespräch in direkte Zusammenhänge: Auf die Frage nach dem Todeserlebnis im Krieg antwortet E. mit einer biographischen Konsequenz, mit dem Wunsch, als Mediziner Menschen zu heilen. Auf die Frage nach dem alles andere als ,würdevollen' Sterben im Krieg antwortet er mit der Forderung an seine Medizinerkollegen nach einem .Sterben in Würde' bei der Betreuung von Schwerstkranken. Auf die wiederholte nachhakende Frage nach dem Kriegserlebnis antwortet E. mit der Prägekraft des Krieges und der biographischen Kontinuität in der Begegnung mit dem Tod (z.B. als 137

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Vgl. Theodor W. Adorno: Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben (Frankfurt am Main zuerst 1951; 1991) 1,18; S. 42.

Leiter eines Lazaretts des Roten Kreuzes beim ungarischen Volksaufstand 1956, nachdem er 14 Jahre zuvor selbst als Kriegsverletzter vom Roten Kreuz gepflegt worden war). E. antwortet direkt auf die Fragen des Interviewers und vermittelt seine Äußerungen zugleich als direkte Antworten auf seine Kriegserlebnisse. Der wiedergegebene Gesprächsabschnitt ist in den Merkmalen ,Responsivität' und ,Dialogizität' formal und inhaltlich vollkommen kongruent. 138 E. setzt im Dialog mit dem Verfasser sein eigenes Leben in einen Dialog mit dem Erleben des Zweiten Weltkriegs und interpretiert es als Antwort auf diesen. Eine ähnliche Transferleistung ins Nachkriegsleben gelingt E. in Bezug auf jene Tugenden, die dem , Krieg als Handwerk' zugrunde liegen. E. entkleidet soldatische Tugenden ihrer soldatischen Dimension und interpretiert sie so, dass sie mit seiner Tätigkeit als Sozialmediziner in Einklang zu bringen sind, und rettet auf diese Weise seine jugendlichen Ideale: E.: Betroffenheit kann man nicht mit Worten ausdrücken. Ich möchte Betroffenheit dadurch ausdrücken, dass ich helfe, wo ich irgendwo helfen kann. Was aber trotzdem nicht hindert, dass die abwertend Sekundärtugenden genannten Soldatentugenden bei mir die höchsten Tugenden geblieben sind. Verf.: Immer noch. E.: Immer noch. Das ist eine Generation, vielleicht stirbt das ab. Aber der Begriff der Treue, dem habe ich mein Leben zu verdanken. Und diese drei christlichen Grundwerte, die ja bei uns auch bei den Kriegern gegolten haben [...] Irgendwo haben wir also die drei Begriffe der Liebe, des Glaubens und der Hoffnung auch gehabt, und auch versucht zu praktizieren. Aber die Treue, die Verlässlichkeit, die Kameradschaft, die Hilfsbereitschaft und auch der Opfergang, die sind für uns Begriffe, [die] kann man aus unserem Leben nicht mehr streichen. (Gespräch mit E., 13-14)

Das Gespräch mit E. dokumentiert den Versuch, Kriegserlebnisse biographisch produktiv werden und ihre persönliche Aneignung gelingen zu lassen, was E. vielleicht auch deswegen leichter als anderen alten Kameraden fällt, weil er den Krieg im Lazarett trotz aller Grausamkeit aus einer helfenden Perspektive wahrgenommen hat. So vermag er es, den soldatischen Tugendkatalog aus dem kriegerischen Zusammenhang herauszunehmen und ihm seine Anerkennung zu sichern, in der auch die aus dem kriegerischen Kontext exilierten soldatischen Tugendkataloge Geltung behalten dürfen. 139 Volkstrauertagsredner sprechen von .soldatischen Tugenden' oft als dem einzigen, was sie nachfolgenden Generationen anzubieten haben, häufig in der Sprache eines Testaments, eines Vermächtnisses, das sie an Jüngere weiterzugeben haben. In der Tradition der ars-moriendiLiteratur wird der Tod zum Anlass für eine Mahnung zum rechten Leben genommen. Deshalb ist es so wichtig, soldatische Pflichterfüllung, gute Kameradschaft, Hilfsbereitschaft und soldatische Ehre als hohe Tugenden zu pflegen und das eigene Gewissen intakt zu halten, um es als letzte und höchste Instanz für schwere Entscheidungen anzurufen. (Rede Ka 12/1999, S. 16)

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Zum Analysekriterium Responsivität im Gespräch vgl. z.B. Claudia Schmidt: .Typisch weiblich - typisch männlich.' Geschlechtstypisches Kommunikationsverhalten in studentischen Kleintruppen (Tübingen 1988) S. 72-77. Thomas Kühne spricht in einem solchen Zusammenhang von einer „polyvalenten Deutungsordnung": „Diese polyvalente Deutungsordnung hatte den Übergang der Soldaten vom zivilen Leben in den Krieg angeleitet, nach dem Krieg half sie den Veteranen dabei, Kriegserfahrungen in Lehren für die zivile Gesellschaft zu transformieren und ihre biographische und kollektive Identität zu bewahren." In: Kühne (2001) S. 99.

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Der Topos soldatischer Tugend hat auch eine appellative Seite: Er fordert die jüngeren Generationen zur Nachahmung auf. Über den Topos der Tugend wollen die Redner im Gedächtnis der Jungen und somit im Kontinuum des kulturellen Gedächtnisses überleben. „Der monumentale Diskurs ist ein Diskurs der ,Tugend'", schreibt Jan Assmann. 140 Auch die Rede über soldatische Tugenden ist ein Diskurs im Horizont der Ewigkeit. Der Dialog zwischen Alt und Jung ist schwierig. Aber es werden durchaus jüngere Ansprechpartner gefunden, z.B. in der Bundeswehr. Über einen verklärten .soldatischen Geist' versucht ein Redner, Kontakt zur jüngeren Generation aufzunehmen: Wenn es uns gelingt, diesen Geist der Soldaten des Zweiten Weltkriegs an die junge Generation weiterzugeben, dann braucht uns in einem etwa aufgezwungenen neuen Kriege - den keiner von uns wünscht und den Gott verhüten möge! - um die Kampfmoral unserer Soldaten nicht bange sein! (Rede AKa 1968)

Der Topos vom ,aufgezwungenen Krieg' nimmt eine Redeweise Hitlers auf 141 und zeigt einmal mehr, wie wenig sich Gedenkredner in den 60er Jahren kritisch mit Sprachmustern des Nationalsozialismus auseinandergesetzt haben. Hier wie auch in anderen Texten wird deutlich, dass unter dem Primat,soldatischer Tugenden' ein Bruch mit den alten Wertvorstellungen nur partiell vollzogen wurde. Wo diese Traditionen in Frage gestellt werden, fühlen sich viele Mitglieder von Traditionsverbänden persönlich angegriffen, auch etliche Jahre nach dem Krieg. Das neben der Hamburger Wehrmachtsausstellung in den 90er Jahren vielleicht markanteste Beispiel für diesen Konflikt lieferte in den 80er Jahren der von der Bundesregierung erlassene und am 20. September 1982 vom Bundesverteidigungsministerium verfügte .Traditionserlass' (ausführlich: Richtlinien zum Traditionsverständnis und zur Traditionspflege in der Bundeswehr'), der im Hinblick auf das Selbstverständnis der Bundeswehr feststellt: „Ein Unrechtsregime wie das Dritte Reich kann Tradition nicht begründen." 142 Der Widerspruch der Traditionsverbände wurde oft formuliert. 143 Der Traditionserlass wurde von vielen Veteranen als persönlicher und ungerechtfertigter Affront empfunden. Eine Antwort auf das .verordnete Traditions Verständnis' ist die Topik der Volkstrauertagsreden, die sich in der Tradition der laudatio funebris im Personenlob artikuliert, wozu auch das Lob von Tapferkeit, Klugheit und Besonnenheit der Verstorbenen gehört.144 Da auf den militärischen Leistungen im Zweiten Weltkrieg keine Tradition aufgebaut werden kann, wird die Traditionsbildung auf die reklamierten Tugenden verschoben, die für traditionswürdig erklärt werden. Mit der Inanspruchnahme , zeitloser soldatischer

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Assmann (1999) S. 170. Vgl. Klemperer (1996; 1946) S. 291. Zit. Theo Sommer: Die Diktatur des Krieges. In: Zeit-Punkte Nr. 3, .Gehorsam bis zum Mord? Der verschwiegene Krieg der deutschen Wehrmacht - Fakten, Analysen, Debatte' (Hamburg 1995) S. 5; dazu ausführlich Abenheim (1989) S. 188ff.; bereits 1965 gab es einen ersten Erlass, vgl. Hans-Adolf Jacobsen: Wehrmacht und Bundeswehr - Anmerkungen zu einem umstrittenen Thema soldatischer Traditionspflege. In: R.-D. Müller, H.-E. Volkmann (Hg.): Die Wehrmacht. Mythos und Realität (München 1999) S. 1184-1191; S. 1187. Dieser Erlass wurde von Veteranen in Teilen begrüßt, vgl. etwa Seehase Nr. 128 (Dezember 1976) S. 10. Z.B. Albert Schnez in Kannicht (1992) S. 7: „Mit gutem Gewissen kann ich daher feststellen, dass die Kampfverbände der Wehrmacht sehr wohl für die Bundeswehr traditionswürdig sind." Vgl. Franz Eybl: Art. ,Funeralrhetorik'. In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Bd. 3 (1996) Sp. 478^184; Sp. 479f.

Traditionen', die in der Wehrmacht wie in der Bundeswehr gleichermaßen ihren Ort haben, wird der Traditionserlass zurückgewiesen. Die Nachkriegsgesellschaft hat sich mit den soldatischen Traditionen schwer getan. Abgesehen von der Spitzenzeit des Kalten Krieges, als infolge der verstärkten Remilitarisierung auch soldatische Werte zumindest in einigen Medien sich wieder etablieren konnten, spielten militärische Tugenden in der Bundesrepublik eine immer geringere Rolle. Eine Mehrheit hat sie verworfen, vor allem der Zweite Weltkrieg wird für den Bruch mit den Traditionen verantwortlich gemacht. 145 Soldatische Tugenden aus dem Zweiten Weltkrieg werden in der bundesrepublikanischen Gesellschaft seit den 70er Jahren mehrheitlich bestenfalls als ,Sekundärtugenden' wahrgenommen, und dies in einem eher pejorativen Sinn. 146 Die hier analysierten Volkstrauertagsredner bekunden ihr Festhalten an den Traditionen auch dadurch, dass sie sie ihre Texte in einer Zeitschrift publizieren, die von einer Arbeitsgemeinschaft für Kameradenwerke und Traditions verbände' herausgegeben wird. Kameradschaft ist eine Kompensation dafür, dass das soldatische Erbe nach dem Zweiten Weltkrieg nur noch wenige antreten wollten. Heute betrachten Kameraden ihre einstige Kampfgemeinschaft mehr denn je als Wertegemeinschaft, unverstanden von einer Gesellschaft, in der die Integrität der Wehrmacht in Frage gestellt wird und Deserteuren Denkmäler errichtet werden. Auch in den 90er Jahren wird die exklusiv soldatische Perspektive kaum erweitert. Obwohl viele Kameraden nach dem Zweiten Weltkrieg einen zivilen Beruf ausgeübt haben, ist ihr Selbstverständnis auch über 40 Jahre später noch ausgeprägt soldatisch.

3.2.1.3 ,Dulce et decorum' Kameradschaftliche Gedenkkultur, das habe ich im Kapitel , Funktionen des Erinnerns' herausgearbeitet, versucht, eine Brücke zwischen den Zeiten zu schlagen. Ihre Aufgabe ist es, Vergangenheit und Gegenwart in einen gemeinsamen Bezugsrahmen zu bringen. Um dies zu erreichen, wird das Kriegserleben als universelles Menschheitserleben gedeutet, Gedenkfiguren gerinnen zu anthropologischen Konstanten. Eine vorzügliche Technik zu diesem Zweck ist der hypoleptische Diskurs, die Bezugnahme auf Texte der Vergangenheit, die „Sachargumentation mit Vorgängertexten". 147 Mit solchen Texten wird versucht, die bewältigungsproblematisch schroffe Differenz von Kriegserleben und Nachkriegserleben zu überspannen. Eine gewisse Popularität in Volkstrauertagsreden organisierter Kameradschaften genießt das Horaz-Zitat Dulce et decorum est pro patria mori. Meist lautet die Übersetzung aus dem Lateinischen: ,Süß und ehrenvoll ist es, für das Vaterland zu sterben'. 148 Der positive 145

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Alexander und Margarete Mitscherlich schreiben 1967: „Nach dem Ausmaß der Katastrophe, die hinter uns liegt, konnte es nicht zu einer Traditionsorientierung kommen; die Tradition war gerade das, was durch die nationalsozialistische Herrschaft am nachhaltigsten zerstört wurde, und es war schon zuvor eine höchst problematische Tradition gewesen." In: Mitscherlich (1967) S. 20f. Vgl. zum Widerstreit zwischen soldatischen Sekundärtugenden und einem demokratischen Leitbild: Wette (1995) S. 17. Vgl. Assmann (1999) S. 284. Horaz: Oden 111,2,13. In: Q. Horatius Flaccus: Oden und Epoden. Lat. Und dt. Übers. Von Chr. Fr. K. Herzlich und J.P. Uz. Eingel. und bearb. von W. Killy und E.A. Schmidt (Zürich/ München 1981) S. 188f.

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Assoziationsgehalt des Wortes Vaterland, das zu den wichtigsten Identifikationsbegriffen in der Erinnerungskonstruktion kameradschaftlichen Gedenkens gehört, hat dem Diktum einen dauerhaften Ort am Volkstrauertag gesichert. Über den Begriff des Vaterlands ist es schließlich möglich, der Toten zu gedenken, ohne an den Nationalsozialismus zu erinnern: „Die Gefallenen haben ihr Leben nicht für Hitler, sondern für das Vaterland hingegeben." (Rede AKa 1991) Unumstritten ist das Zitat nicht. Marcel Reich-Ranicki erklärte Horaz wegen dieses Verses kurzerhand zum „Schreibtischtäter".149 Volkstrauertagsredner wissen, dass mit dem Horaz-Zitat heute kein Staat mehr zu machen ist: Ich bin überzeugt, dass die Horazschen Worte für die jungen Kriegsfreiwilligen von Langemarck bei ihrem todesmutigen und heldenhaften Angriff mitbestimmend und richtungweisend waren. Für die heutige Generation in ihrem rein materialistischen Denken und Fühlen unfassbar und unbegreiflich.' 5 0

Allerdings hat auch dieser Redner offensichtlich ein ambivalentes Verhältnis zu den Worten des antiken Dichters, denn er fährt fort in seiner Rede: Wie entsetzlich soldatisches Sterben aber auch sein kann, zeigte sich in den fürchterlichen Materialschlachten des 1. Weltkriegs. Und dass kriegsbedingtes Sterben nicht allein auf den Soldaten beschränkt bleibt, zeigte sich dann im 2. Weltkrieg, wo in den Feuerstürmen der Bombenangriffe Hunderttausende der Zivilbevölkerung eines entsetzlichen Todes starben. Und genauso furchtbar sah der Tod aus, den 2,2 Millionen deutscher Menschen bei Flucht und Vertreibung erleiden mussten. Was ein Atomkrieg der gesamten Menschheit bringen würde, dafür gibt es j a bereits zwei Zeugen aus dem Jahre 1945: Hiroshima und Nagasaki. 151

Der süße Tod fürs Vaterland ist in den Horaz-Adaptionen der Volkstrauertagstexte mehrheitlich ein gebrochener Topos. Ein Autor der Zeitschrift, Alte Kameraden' (der Volkstrauertagsredner aus dem Jahr 1976, Rede AK 1976) hält im Jahr 1997 eine Gedenkansprache, in der er dies erläutert: Dulke [sie] et decorum'st [sie] pro patria mori! Süß und ehrenvoll ist es, für das Vaterland zu sterben. Diesen Spruch des alten Horaz lernten wir noch als Schüler auf den deutschen humanistischen Gymnasien nach dem ersten Weltkrieg in der 20-ziger [sie] und 30-ziger [sie] Jahren, auch wenn unsere Väter an der Somme und vor Verdun anderes erfahren hatten. Einen solchen Spruch können wir alten Weltkriegs-II-Soldaten heute nicht mehr bestätigen. 152

,Dulce' empfindet der Redner den Tod fürs Vaterland nicht. Bereits im Nationalsozialismus wurden Kriegsgrauen offen geschildert, bereits im Zweiten Weltkrieg war das Horaz-Zitat zur Hälfte obsolet, ja eigentlich schon vorher in den Materialschlachten des Ersten Weltkriegs. Das ,Decorum' allerdings versuchen Volkstrauertagsredner über die Zeiten zu retten: 149

„Es ist zweitausend Jahre her, dass ein zynischer, wenn auch hochtalentierter römischer Poet schamlos genug war, zu behaupten, es sei süß und ehrenvoll, für das Vaterland zu sterben. Seitdem finden sich in allen Ländern der Welt Dichter, die nicht aufhören, derartiges zu wiederholen. Sie sind allesamt Schreibtischtäter." In: Marcel Reich-Ranicki: Hölderlin und eine Annäherung. Eine Rede aus gegebenem Anlass (Rede zur Verleihung des Hölderlin-Preises an Peter Härtling), in: Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 145 (27. Juni 1987) Wochenendbeilage.

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Hellmut Gaudig: Ansprache anlässlich des Volkstrauertages 1984. In: Der Seehase Nr. 148 (Juni 1985) S.4. Ebd.; uneingeschränkt positiv sieht das Horaz-Diktum der Autor von Text Ka 11/2003, S. 6. Hermann Heidegger: Gedenkansprache Dörlinbach vom 8. Mai 1997, in: Ulmer Spatz, Nachrichtenblatt Kameradenkreis 5. Infanterie- und Jäger-Division e.V. (Meersburg), Heft 2 (Weihnachten 1997), S. 8-11, S. 11.

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Wir zogen einst aus, als der Gestellungsbefehl uns zu den Waffen rief, wie so manche Soldatengenerationen zuvor, der Bürger- und Soldatenpflicht nachzukommen. Genau so selbstverständlich käme heute die Bundeswehr [...] diesem Befehle nach [...]. Es galt - auch ohne die damalige Ideologie - als ehrenhaft, den Kampf zu bestehen. (Rede 11/1985)

Über das „Decorum" wird ein Gedenken „ohne die damalige Ideologie" erst möglich. ,Decorum' wird gemeinhin mit ,ehrenvoll' übersetzt und bezeichnet als rhetorischer Terminus auch die .Angemessenheit', mithin eine ästhetische Kategorie, die auf der Ebene der elocutio angesiedelt ist. Vom .schönen' oder .ästhetischen' Tod kann im Rückblick auf den Zweiten Weltkrieg aber keine Rede sein; es bleibt nur die Bedeutung .ehrenvoll'. Dass die Horaz-Sentenz trotz ihrer gebrochenen Rezeption noch immer epideiktische Präsenz entfaltet, hängt auch mit ihrem Kontext zusammen, aus dem sie gerissen wurde: Hier werden Gedanken poetisch verklärt, für die die Volkstrauertagsautoren weiterhin explizit oder implizit Gültigkeit reklamieren. Horaz besingt in seiner Ode soldatische Kraft und verdammt Deserteure, er glorifiziert das Heldentum, evoziert den Ewigkeitskontext, verweist auf die Bewunderung der vaterländischen Soldaten durch die Gegner und fordert Verschwiegenheit. Das Horaz-Zitat richtet das Leben der Gedenkenden aus auf das Leben anderer, auf die patria. Der Tod im Augenblick des Krieges hat, wenn schon nichts Süßes, so doch etwas Großes, das den Volkstrauertagspanegyrikern versagt blieb. „Lieber eine schöne und große Tat verrichten als viele kleine. Das ist wohl der Fall bei denen, die für das Vaterland oder die Freunde sterben; denn sie erwählen für sich selbst eine Sache von hoher sittlicher Schönheit", schreibt Aristoteles im neunten Buch der ,Nikomachischen Ethik' über das Wesen der Freundschaft. 153 Den Tod hoher sittlicher Schönheit sind die jung gefallenen Soldaten in dieser Gedenkrhetorik stellvertretend auch für ihre überlebenden und nun alten Kameraden gestorben, denen in der Nachkriegszeit Attribute schönen und sittlichen Handelns versagt blieben, die sie aber durch das Gedenken an die im Krieg Gestorbenen, also durch „viele kleine schöne Taten" kameradschaftlichen Gedenkens immer wieder neu beschwören. Alle Menschen müssen sterben - auch ohne Krieg. Aber es ist ein Unterschied, ob der Mensch an etwas oder für etwas stirbt. Der Tod derer, die für etwas sterben, erhält eine andere Dimension. Sie gehen, wenn auch namenlos, in die Geschichte ein. (Rede Ka 11/2003, S. 3)

Die auch für die Veteranen der Traditionsverbände zur Hälfte unbefriedigende Aussage des Horaz-Zitats erfährt postum und im rituellen Gedenken des Volkstrauertags eine entscheidende Korrektur. Es gibt weitere Gründe, warum Volkstrauertagsautoren Horaz noch immer zitieren, wenn auch mit einem Unterton von Bitterkeit. Immerhin entspricht das Zitat mit seinem epideiktischen Charakter des Rühmens dem Bedürfnis nach Anerkennung und Wertschätzung, die Traditionsverbände immer wieder einklagen. Der Appell an die Ehre ist schließlich ein konsolatorischer Topos, der den Trauernden Trost spendet und in dieser Funktion kanonischer Bestandteil von Trauerreden ist. 154 Ein entscheidender Mangel lässt sich allerdings 153

154

Aristoteles: Nikomachische Ethik. Auf der Grundlage der Übers, von E. Rolfes, hg. von G. Bien. 4. Aufl. (Hamburg 1985) [= Philosophische Bibliothek Bd. 5] 9, 8, 1169a, 16-26. Vgl. Grözinger (1994); vgl. Cicero: De oratore. Lateinisch-deutsch, übersetzt und erläutert von H. Merklin. 2. Aufl. (Stuttgart 1986) II, 35; vgl. Quintilian X,l,47.

79

nicht aus der Welt räumen und hinterlässt die Redner weiterhin mit gemischten Gefühlen: Der Horazische Appell an die Bereitschaft, für das Vaterland zu sterben, hat einen republikanischen Ursprung in der griechischen Polis. 155 Natürlich hält das als verbrecherisch erkannte .Dritte Reich' dem Vergleich mit der griechischen Polis nicht stand.

3.2.2

Der Soldat

3.2.2.1 Der Soldat als Opfer Der Begriff des Opfers gehört zu den häufigsten Kameraden-Topoi. Als religiöser Begriff stellt das Opfer eine Möglichkeit bereit, Gott zu ehren. Das Opfer kann auch, im alttestamentlichen Sinn, Reue über begangene Fehler ausdrücken. Immer ist eine Opfergabe etwas sehr Wertvolles (Abraham würde sogar seinen einzigen Sohn Isaak opfern, vgl. Gen. 22). In den Texten der Zeitschrift ,(Alte) Kameraden' ist ,Opfer' semantisch nicht eindeutig; wie alle Schlagworte ist es .logisch diffus', 1 5 6 die Ratio übersteigend 157 und in diesen Eigenschaften typisch für die hier untersuchten Texte. Die diffuse Verwendung des Opferbegriffs hängt auch mit der Eigenheit der deutschen Sprache zusammen, die nur paraphrastisch (,Opfer bringen' - ,Opfer sein'), aber nicht begrifflich zwischen einem aktiven, freiwillig erbrachten (lateinisch sacrificium) und einem passiven Opfer (lateinisch victima, das Opfertier) unterscheidet. 158 Oft wird der Eindruck erweckt, als hätten die toten Kameraden freiwillig den ,Opfertod' gesucht: „Selbstloser Opfermut" habe die Kameraden motiviert, die nicht „willenlos zum Opfer getrieben" wurden, der Soldat selbst brachte „sein Leben zum Opfer" (Text AKa 11/1956). Vor allem in den 50er, 60er und 70er Jahren kultivieren Autoren immer wieder den Mythos eines subjektiv intendierten Opfertodes (in den Wendungen ,ein Opfer bringen', ,zum Opfer bereit sein', soldatischer Opfergang': Texte AKa 11/1956, AKa 11/1964, 11/1968, 11/1970, AKa 11/1972, 11/1976). So heißt es zum Volkstrauertag 1968: Mir scheint, es kommt bei Einsatz und Opfer des Soldaten auch gar nicht so sehr darauf an, zu welchem äußeren, politischen Zweck es von ihm verlangt wird, sofern er selbst es guten Glaubens und reinen Herzens bringt! [...] Allein auf die Reinheit des Opfers im Dienst für das Vaterland kommt es also an! (Rede AKa U/1968)

Später verschiebt sich die Interpretation stärker in Richtung eines erlittenen Opfers für das Vaterland, welches in der Nachkriegszeit eben dieses verschmäht, wodurch die ehemaligen Wehrmachtssoldaten ein zweites Mal viktimisiert werden (als Opfer eines .undankbaren Vaterlandes'). 159 In etwa zeitgleich mit dem Akzeptanzverlust der Kameradschafts-

155

So die Kernthese von Carl Werner Müller, vgl. Müller (1989) S. 330. Vgl. Barner (1977) S. 104-127. 157 Vgl. das topische Strukturmoment der , Symbolizität' bei Bomscheuer (1976) S. 91. 158 Vgl. zu diesem Gedanken Reinhart Koselleck: Bilderverbot. Welches Totengedenken? In: Frankfurter Allgemeine Zeitung (8.4.1993) Nr. 83, S.33. 159 Ygj Thomas Kühne: Die Viktimisierungsfalle. Wehrmachtsverbrechen, Geschichtswissenschaft und symbolische Ordnung des Militärs. In: M. Th. Greven, Oliver von Wrochem (Hg.): Der Krieg in der Nachkriegszeit. Der Zweite Weltkrieg in Politik und Gesellschaft der Bundesrepublik (Opladen 2000) S. 183-196. 156

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verbände lässt sich tendenziell die Verschiebung von einem aktiv dargebrachten Opfer zu einem passiv erlittenen Opfer verfolgen. Haben Soldaten anfangs auch dem Vaterland ein Opfer gebracht, sind sie später vor allem das Opfer ihrer Zeit (analog zum Opfer eines Verkehrsunfalls160). Allerdings treten beide Verwendungsweisen des Opfertopos auch immer wieder vermischt auf. Mit dem nivellierenden Begriff des Opfers kann ein ganzes Volk ohne Unterschied als ,Opfer' gedeutet werden, so wie hier in einem Text aus dem Jahr 1988: In vielen Gemeinden führt der Volkstrauertag Menschen aller Altersgruppen an Gräber und Gedenkstätten zusammen, um ihrer Lieben, aber auch aller Opfer der Kriege zu gedenken, gleich, ob sie an den Fronten starben, auf der Flucht und Vertreibung umkamen, in den Bombennächten der Heimat verbrannt, zerrissen oder erstickt wurden oder in den Schreckenslagern des Regimes und in seinen Kerkern ermordet wurden. Ihre Zahl ist unfassbar groß. Der einzelne Tod eines lieben Menschen ist schmerzlich und reißt eine Lücke. Millionen Tote sind dem menschlichen Bewusstsein kaum vorstellbar: Solche Zahlen übersteigen unser Fassungsvermögen. Wir stehen daher mit beklommenem Herzen an den Gräbern dieser Toten und nehmen sie, soweit sie in heimatlicher Erde ihre Ruhestätte fanden, stellvertretend für alle namenslosen Opfer der Kriege. (Rede AKa 1988)

Böse Mächte werden in diesem Passus externalisiert: Opfer wurden „verbrannt, zerrissen, erstickt, ermordet" - die Verantwortlichen dieser Schreckenstaten bleiben unbenannt. Dass hier auch die Toten der „Schreckenslager des Regimes" aufgezählt werden, bildet im vorliegenden Quellenkorpus eine Ausnahme; in den meisten Texten ist der Begriff des Opfers eher Teil einer Verdrängungsstrategie: Juden, Homosexuelle, Roma, Sinti, die Toten der besetzten Gebiete - im ,Opfer' mögen sie mit einbegriffen sein, ohne dass sie der Redner beim Namen nennen muss. Es ist besonders die nivellierende Potenz des Opfertopos, der an Volkstrauertagen immer wieder für Verstörung gesorgt hat. Im Jahr 1986 hielt der damalige CDU/CSU-Fraktionschef Alfred Dregger (selbst Hauptmann im Zweiten Weltkrieg) eine Rede zum Volkstrauertag, die den nivellierenden und diffusen Opfer-Begriff der Traditionsverbände aufnahm: Verdienen alle Toten des Krieges und der Gewaltherrschaft die gleiche Ehrfurcht, die Opfer des Völkermords und der Vertreibung ebenso wie die Opfer des Bombenkrieges, die Soldaten, die an den Fronten fielen ebenso wie die Widerstandskämpfer, die den Aufstand gegen Hitler mit ihrem Leben bezahlen mussten? Ich bin dieser Ansicht ...161

Damit erntete er bei den Traditionsverbänden Zustimmung, in einer medialen Öffentlichkeit eher Unmut. 162 In manchen Reden wird das Opfer sakralisiert und auf diese Weise unangreifbar: Das Opfer trage seinen Sinn schon dadurch in sich, dass es Opfer sei. Ihm gebühre ein „Eigenwert als menschlich hohe Haltung, Gesinnung und Tat" (Rede AKa 11/1956). Wenn Veteranen sich als Opfer bezeichnen, dann weisen sie damit auch auf ihre eigenen Biographien hin. Sie fürchten, dass ihre Tragik in den Diskussionen über die Verbre-

160

161 162

„Sind auch Krieg und Gewaltherrschaft eine Art Verkehrsunfall?", fragt Reinhart Koselleck, in: Ders.: Stellen uns die Toten einen Termin? Die vorgesehene Gestaltung der Neuen Wache wird denen nicht gerecht, deren es zu gedenken gilt. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 194, 23.8.1993, S. 29f.; S. 29. Zit. Dregger (1986) S. 22. Vgl. Der Spiegel Nr. 48/1986 (.Vergebung gewährt'), S. 22-25; S. 23f.

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chen der Nationalsozialisten vergessen werden könnte. Mit dem Begriff des Opfers begegnen sie einem (aus ihrer Sicht) Defizit gesellschaftlicher Wahrnehmung: Da sind aber unsere Narben und Denkzettel, die wir am Leibe tragen. Da sind die seelischen Verwundungen [...] Weil wir nicht nur Hammer, sondern auch Amboss gewesen sind. (Ka 11/2000)

Auch für K. hat der Krieg 1945 nicht einfach aufgehört, im Gespräch erklärt er den Grund: Man denkt an die vielen Gefallenen und die vielen, die heute kaum aus dem Haus kommen infolge der Verwundungen. (Gespräch mit K., 12)

Die Vermutung liegt nahe, dass K., der im Krieg seinen rechten Unterschenkel verlor, mit diesem Satz auch sich selbst meint. Für K. bleibt der Krieg auch nach dem Krieg präsent, vor allem in seinen fortdauernden Amputationsschmerzen. An K.s Beinstumpfende wird seit 1988 „alle zehn Tage immer dieselbe Stelle aufgerieben und verursacht Behinderungen", schreibt K. in seinem Lebenslauf.163 Während im Krieg K.s Versehrtheit Anlass zu höchsten Auszeichnungen gab, ist sie in der Nachkriegszeit ein rein bürokratisches Problem von sozialen Entschädigungszahlungen, ohne mit gesellschaftlicher Anerkennung oder Dankbarkeit verbunden zu sein. In diesen oppositiven Strukturen leben Kriegsinvaliden noch heute: Als Opfer für das Vaterland, so das Selbstbild (manche auch als Helden), versus, so das Fremdbild, als eine allenfalls bürokratische Größe. Diese Opposition spiegelt sich auch im noch immer nicht überwundenen Gegensatz von ,Heldengedenktag' und , Volkstrauertag'. „Schon die Verletzungen kleiner Jungen müssen sichtbar und präsentierbar sein und heldenhaft erzählt sein. [...] Verletzungen gelten als männliche Symbole, wenn sie mit außerhäuslichem Risikoverhalten verbunden sind," schreibt Lothar Böhnisch über eine typisch männliche Dimension der Versehrtheit.164 Dieses männliche Bewältigungsmuster funktioniert in der Nachkriegszeit nicht mehr. Ehemalige Wehrmachtssoldaten versuchen zwar ihrer Versehrtheit mit topischen Deutungen - ,die Versehrtheit als Opfer für das Vaterland' - Sinn abzugewinnen, dieser Topos hat aber nur in den Kameradschaftsbünden einen anerkannten Ort. In der Nachkriegsgesellschaft wurde er schlichtweg aus dem gesellschaftlich konsensfähigen topischen Arsenal eliminiert. Es sei immerhin „verständlich, warum viele noch lebende Opfer der Versorgung eine rechtfertigende Grundlage165 und einen Rang zuerkennen, die mit der Rechtsordnung nicht vereinbar sind," schreibt Traugott Wulfhorst, der über 20 Jahre an der Rechtssprechung des Bundessozialgerichts zur Kriegsopfer- und Soldatenversorgung mitgewirkt hat. 166 Obwohl Ende der 60er Jahre soziale Entschädigungsleistungen für Kriegsversehrte erhöht wurden, war damit, so Wulfhorst, noch lange „keine positive Bewertung des Krieges

163 164 165

166

82

Im Privatbesitz des Verfassers. Böhnisch (2003) S. 160. Gemeint ist: der Tatbestand einer sozialen Versorgung legitimiere den Topos des .Opfers fürs Vaterland'; Anm. d. Verf. Traugott Wulfhorst: Soziale Entschädigung - Politik und Gesellschaft. Rechtssoziologisches zur Versorgung der Kriegs-, Wehr- und Zivildienst-, Impfschadens- und Gewalttaten-Opfer (Baden-Baden 1994) S. 35.

und des Kriegsdienstes verbunden"167 - die Versorgung wurde nie als Belohnung für den Kriegseinsatz gewertet. Tatsächlich fließt in die sozialgerichtliche Rechtssprechung sogar eine konkrete negative historische Bewertung mit ein, wenn als Grundlage der Rechtssprechung in rechtssoziologischen Studien die Frage, ob die Opfer der beiden Weltkriege dem Allgemeinwohl gedient haben, verneint wird - „so dass ein Aufopferungsanspruch ausgeschlossen ist." 168 Andere gesellschaftliche Instanzen und Meinungsbildner der bundesrepublikanischen Nachkriegszeit haben ein ähnlich emotionsloses Verhältnis zu ihren Kriegsversehrten. Veteranen haben es heute weitgehend aufgegeben, im oben beschriebenen topischen Sinn außerhalb der Kameradschaften auf ihre Beschädigungen aufmerksam zu machen. In diesen Zusammenhängen dechiffriert sich K.s Beharren im Militärischen auch als Beharren auf Wertschätzung der eigenen Person. Wenn für K. heute in gewisser Weise noch immer Krieg ist - die Gesprächsanteile K.s in voller Länge bestehen zu einem großen Teil aus Kriegsgeschichten, obwohl die Fragen des Verfassers sich fast alle auf die Nachkriegszeit beziehen - , dann auch deshalb, weil sich K. retrospektiv, in der Erinnerungskonstruktion, als Soldat als eine von den Kameraden geschätzte Person erlebt. Viele Veteranen beklagen, dass der Opferbegriff fast ausschließlich für die Opfer des Holocaust reserviert worden sei. Eine Sichtweise, die die oft leidvollen Lebensläufe ehemaliger Wehrmachtssoldaten berücksichtigt und sie in diesem Sinn als Opfer gelten lässt, werde meist abgelehnt oder sogar mit Spott bedacht.169 Männer als Opfer zu bezeichnen, hat generell keine große Tradition. „Im Krieg sprach und spricht man von ,Verlusten', wenn von gefallenen Männern die Rede ist, die ,Opfer' sucht man bei Frauen, Kindern und Alten in der Zivilbevölkerung." 170 Der Opferstatus von Männern ist sozial geächtet.171 Auch Wissenschaftler lehnen die Verwendung des Opferbegriffs für das Schicksal ehemaliger Wehrmachtssoldaten meist ab.172 Allerdings weichen jetzt, am Lebensende der Kriegsgeneration, die Fronten etwas auf. Selbst Jan Philipp Reemtsma bekräftigte die Auflösung der vereinfachenden Täter-Opfer-Dichotomie: Ich empfinde Mitleid, wenn ich die Beschädigung dieser Generation erlebe. Das ist mein ganz persönlicher Lernprozess während der Arbeit an der Ausstellung gewesen. Ich habe Täter gesehen. Doch ist mir dabei immer deutlicher geworden: Sie sind auch Opfer. 1 7 3

167

Ebd. S. 48f.

168

Ebd. S. 49.

169

„ D i e Deutschen entdecken, dass auch sie Opfer waren", lautete der Spott aus den U S A über Untersuchungen von Nachkriegstraumatisierungen in Deutschland. V g l . Alexander von Plato: Erfahrungsgeschichte - von der Etablierung der Oral History. In: G. Jüttemann, H. Thomae (Hg.): Biographische Methoden in den Humanwissenschaften (Weinheim 1998) S. 60-74; S. 67.

170

Böhnisch (2003) S. 143.

171

Lothar Böhnisch meint, „ein sozial anerkannter männlicher Opferstatus [sei] nicht in die Dominanzkultur der linearen, externalisierten Wachstumsgesellschaft integrierbar - hier gibt es nur Gewinner und Verlierer, aber keine Opfer." In: Böhnisch (2003) S. 144.

172

Z.B. Bartov (1995) S. 278 und A l f Schönfeldt: An-Merkungen zur Sprache des Er-Innerns auf Kriegsdenkmälern. In: Formen des Erinnerns. Vorlesungen zum Volkstrauertag, gehalten in der Universität Kiel am 9. November 1992, hg. vom Rektorat der Universität Kiel ( K i e l 1992) S. 29^t7; S. 42f.

173

Reemtsma (1999) S. 55.

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Der Streit um den Topos des Opfers, von welcher Seite man ihn auch betrachtet, wird motiviert von der Angst, menschliches Leid könnte vergessen werden.174 Der Opferdiskurs war immer vor allem ein Streit um die Perspektive und um die Honorierung von Schmerz.

3.2.2.2 Die verratene Generation Der Begriff der Generation eignet sich vorzüglich zur Ausprägung einer distinktiven Identität. Eine Generation verfügt über einen gemeinsamen Erfahrungshorizont, ein ähnliches Zeitverständnis und eine ähnliche ,soziale Lagerung' über Schichten und Klassen hinweg.175 Im Topos der ,verratenen Generation' - auf der paradigmatischen Achse ersetzbar durch die verlorene' (vgl. AKa 11/1991), die ,missbrauchte' (vgl. Ka 12/1998, S. 3) und die .verfemte Generation' (vgl. Der Seehase Nr. 172, S. 2^4·)176 - bilden organisierte Veteranen ein charakteristisches Wir-Gefühl aus. Er definiert ehemalige Wehrmachtssoldaten als zusammengehörige Gruppe und wird aufgenommen in die in diesem Sinne formativen Texte der Volkstrauertagsreden.177 Wie alle anderen Topoi auch stiftet er Identität, in diesem Fall eine negative, die den Opfer-Topos aufnimmt. Er ist die Kehrseite zum positiv konnotierten Topos der Kameradschaft. Kameradschaft und ,verratene Generation' gehören in den Gedenkreden zusammen wie Licht und Schatten. Im Gespräch gibt sich E. selbst als Teil der .verratenen Generation' zu erkennen: E.: ...Deshalb nennen wir uns ja die ,verratene Generation' [...] Ich habe die positive Erfahrung gemacht, dass selbst die ehemaligen Gegner, und da hatte ich großes Glück, dass ich faire Gegner kennen lernte, sagten: .Wissen Sie, Sie waren ehrlich, von Anfang an, Sie haben gesagt: ,Ich war Jungvolkführer', beispielsweise, wie viele andere auch, beispielsweise der Vogel, oder... Verf.: Welcher Vogel, Jochen Vogel, nein? E.: Ja, hatte den gleichen schönen Rang, er war auch Fähnleinführer [...] Wir haben j a nun diese Ideale so hoch gehalten, solange das irgendwie ging. Wir wurden auch so hinein erzogen, dass wir glaubten, Deutschland ist Unrecht geschehen [...] Aber wir taten unsere Pflicht. Und wir haben eben leider erst sehr spät erkannt, dass wir missbraucht wurden. Wobei für mich nun eine Gunst des Schicksals war, dass ich etliche Leute kennen lernte, die mich natürlich in meiner Gesamthaltung sehr geprägt haben. Der erste, den ich da zitieren kann, ist der ehemalige Bundesminister Wildermuth... (Gespräch mit E., 16-19)

E. deutet den eigentlich mit eher negativen Assoziationen behafteten Topos von der ^erratenen Generation' positiv im Sinne einer großen historischen Zusammengehörigkeit: Hans-Jochen Vögel (ehemaliger Bundesjustizminister) und Eberhard Wildermuth (Bundesminister für Wohnungsbau im Kabinett Adenauer, vorher Staatsrat für Wirtschaft in Süd-

174

Während Veteranen ihr eigenes Leid verteidigen und dessen Würdigung einfordern, formuliert z.B. Bartov die Befürchtung, in der Beschäftigung mit dem Leid der Wehrmachtssoldaten könnte das Leid der gegnerischen Soldaten, der Zivilbevölkerung, der Juden und aller anderen Verfolgten vergessen werden; vgl. Bartov (1995) S. 274.

175

Vgl. zum Generationenbegriff in der Nachfolge Karl Mannheims: Böhnisch, Schröer (2001) S. 57. Zum topischen Zwei-Achsen-Schema und zur statistischen Erfassung von Topoi vgl. Knape (2000) S. 751 und S. 760. Zum Begriff der formativen Texte vgl. Assmann (1999) S. 142.

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Württemberg) werden von E. eingeführt als Gewährsleute einer großen Schicksalsgemeinschaft, der die anerkannten Persönlichkeiten der Bundesrepublik angehören. Auf lexikalischer Ebene handelt es sich hier um eine jener wenigen topischen Formeln, aus denen sich eine bis zu einem gewissen Grad kritische Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus ableiten lässt, ist es doch ein Topos, der die nationalsozialistische Indoktrination eingesteht: „Sie waren ehrlich, von Anfang an [...] Wir haben ja nun diese Ideale so hoch gehalten, solange das irgendwie ging ..." Im Zusammenhang der eigenen Lebensgeschichte fühlen sich viele Veteranen betrogen, verraten und missbraucht, sie betrachten sich als biographische Opfer des Nationalsozialismus: Wir haben in einer anderen Zeit gelebt, wollten wie alle jungen Menschen das Beste daraus machen, waren pflicht- und verantwortungsbewusst, tapfer und treu. Heute müssen wir uns anhören, wir seien blind gewesen in jener Zeit, taten, was falsch war, gehörten in der Wehrmacht der .größten Terrororganisation der Weltgeschichte' an und sein, wie eben alle Deutschen für den Holocaust verantwortlich. Wir sind die verfemte Generation.' 7 8

Die Schwierigkeiten zwischen der Kriegs- und der Nachkriegsgeneration beruhen vor allem auf verschiedenen Perspektiven. Nachkriegsgenerationen beurteilen den Zweiten Weltkrieg aus intellektueller Distanz und mit emotionalem Schrecken über die verübten Verbrechen. Ehemalige Wehrmachtssoldaten sehen die Jahre 1939 bis 1945 vor allem als Teil ihrer Biographie, als die biographisch vielleicht wichtigste Zeit ihre Lebens, in der sie um jene Erfahrungen betrogen wurden, die ein Mensch in dieser Zeit machen sollte: So ist für unser Leben - und das gilt für alle von uns - dieser Krieg mit seinen Folgen eine bleibende, oft bedrückende und häufig sogar eine schmerzhafte Realität. [...] Zeigen wir einmal so ein Soldatenschicksal am Beispiel des Jahrgangs 18 oder 19 auf. Man muss sich das selbst wieder einmal klar machen! Statt nach der zweijährigen Wehrpflicht-Dienstzeit entlassen zu werden - 1939 - da ging der Krieg los - und es wurde der furchtbarste aller Kriege - mit Belastungen und Anforderungen, die auch in diesem Jahrhundert der Gigantomie ihresgleichen suchen... Bei Kriegsende - 1945 - waren bereits sieben Jahre vergangen - sieben Jahre sind viel in einem Leben! Aber jetzt begann j a erst das Elend. Unter unvorstellbaren Demütigungen und Entbehrungen begann der lange Marsch nach Osten - in die Lager - nach Sibirien. Das heißt: 5, 10, j a bis zu 12 Jahre so gut wie lebendig begraben. [...] Seit der 18jährige Rekrut 1937 mit Musik und Blumen in die Kaseme eingerückt ist, sind nunmehr 12, 15, j a oftmals 17 Jahre vergangen! Er war jetzt 30, 35 Jahre alt und kannte nur Tod, Hunger und Elend. Aber noch nicht genug! Erst jetzt, als er heimgekehrt war - betrogen und geschunden, stellvertretend für die ganze Nation, da wurde er erstmalig mit den Schmähungen und Verleumdungen in der Heimat konfrontiert. In der Gefangenschaft hat man das noch ertragen. Aber hier zu Hause? Mit der großen Erbitterung im Herzen, die wir alle mehr oder weniger kennen - musste er nun inmitten von Wohlstand von ganz unten eine Existenz aufbauen, häufig erst einen Beruf erlernen ... Viele sind daran zerbrochen.' 7 9

Der Autor, der auch als Panegyriker in ,Alte Kameraden' das Bild der ,verratenen Generation' zeichnet (Text A K a 11/1979), lässt keinen Zweifel an den Schrecken des Krieges. Diese sind für ihn vor allem deshalb schrecklich, weil sie seine eigene Biographie betref-

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Der Seehase Nr. 172 (Juni 1997) S. 3 (.Rudolf Meyer: Die verfemte Generation. Ein Vater schreibt seinen

179

Erhard Liss: Rede zum 8. Divisionstreffen der 78. Sturmdivision Tübingen. In: Der Seehase Nr. 128 (Dez.

Söhnen, S. 2 - 4 ) . 1976) S. 9 - 1 1 ; S. 9.

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fen. Hans Joachim Schröder misst diesem Aspekt der Erinnerung einen so hohen Stellenwert bei, dass er sich im Titel seiner Habilitationsschrift von ihm leiten lässt: ,Die gestohlenen Jahre'. 180 Der Topos der verratenen Generation ist von Bitterkeit geprägt, da er einen zweifachen ,Betrug' anzeigt: Sechs oder zwölf Jahre .betrogen' im .Dritten Reich', danach beinahe sechs Jahrzehnte ,betrogen' durch Geringschätzung im eigenen Land. Denn anders als die Jahrgänge nach 1925 konnten die zuvor geborenen Männer nicht von sich sagen ,Wir waren ja noch Kinder'; sie hatten sich als Erwachsene der Verantwortung für ihre Zeit zu stellen. Unabhängig vom .objektiven Wahrheitsgehalt' der getroffenen Aussagen bestimmt das skizzierte Selbstbild noch heute die Wahrnehmung vieler Veteranen - in , Erinnerungsanzeigen' unter den Todesanzeigen der frankfurter Allgemeinen Zeitung' wird es bis heute unter dem Bild des Eisernen Kreuzes tradiert: Er opferte sein Leben für das Vaterland. Das Vaterland jedoch achtete sein Opfer nicht und duldet die Verunglimpfung seiner Soldaten. (FAZ, 27.2.1998) Sie fielen für den Staat, für den sie ihren Eid leisteten. Der Staat hält ihren Tod nicht in Ehren. Wir bekennen uns zu ihnen. (FAZ, 28.2.1998) Gegen das Vergessen [...] Mein Vetter [...] schützte unsere Heimat und unsere Familie. (FAZ, 5.1.2000)

Der Krieg ist in den Köpfen der Veteranen und ihrer Familien gegenwärtig. Wie sehr manche der jetzt über 80-Jährigen noch immer gedanklich in ihrer Adoleszenz verharren, zeigen auch die Geburtstags- und Sterbemeldungen in der Zeitschrift ,(Alte) Kameraden', die vorwiegend mit Fotos aus Jungmannzeiten illustriert werden. Zum 85. Geburtstag blickt den Leser ein jugendlicher uniformierter Jubilar mit ernstem und optimistischem Lächeln an (z.B. Ka Juli/ August 2000, S. XII). Das bevorzugte Selbstbild des Senioren ist das des idealistischen Kriegers im guten Glauben, das eigene Leben für eine gute Sache (das Vaterland) aufs Spiel zu setzen. Diese Phänomen kann als Hinweis auf die prägende Wirkung der Adoleszenz geweitet werden, 181 gelegentlich als Rechtfertigungstopos („Wir waren ja noch jung"), 182 auf jeden Fall aber als bemerkenswerte Ausprägung einer kulturellen Mnemotechnik: Die Junge-Männer-Ikonologie stiftet genau jene unio mystica, von der am Volkstrauertag immer wieder die Rede ist. Im Bild des jungen Mannes werden die Verbindungen zu den verstorbenen jungen Kameraden visualisiert. Die Trauernden gehören noch immer zu ihnen. Die Geburtstagsbilder der Senioren mit den Fotos junger Männer sind insofern auch kryptische Sterbebilder der toten Kameraden. In der Erinnerung an den Krieg kommt die Zeit zum Stillstand. Das Kriegsgedenken bewirkt ein Konservieren der Jugend. Auch daraus erklären sich manche Beschönigungen und Revisionismen und der schwelgerische Impetus, der einige Texte des vorliegenden Korpus durchzieht. Manchmal geraten in der Zeitschrift ,(Alte) Kameraden' Erinnerungen an den Krieg in der Verklärung der soldatischen Adoleszenz zu

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Schröder (1992). Gegen dieses Annahme in ihrer Allgemeinheit argumentiert Rosenthal (1988b) S. 27; ebenfalls relativierend zu den .prägenden Jugendjahren' Löffler (1999) S. 119. Schröder betont, dass dieser Topos nicht ausschließlich rechtfertigenden Charakter hat, vgl. Schröder (1992) S. 414ff.

Schilderungen einer fast unbeschwerten Bildungsreise für junge Männer, vor allem, wenn es um den Krieg im Westen geht (z.B. AKa 10/1970, S. 16ff.; AKa 5/1971, S. 16ff.; AKa 7,8/1971, S. 40ff.; AKa 4/1972, S. 29ff.). Der Krieg wird im Streben nach Harmonisierung schnell zu einer recht gemütlichen Angelegenheit: Die bloße frohe Geselligkeit nach des Tages Arbeit und Last, das Erzählen - nicht nur von einst, auch von unserem heutigen Leben und Erleben - bei einem guten Glas Bier oder Wein und einer zünftigen Vesper, wer will uns dieses verwehren? Nennt man nicht die Erinnerung ein Paradies, aus dem uns keiner vertreiben kann? 1 8 3

Aber Veteranen wissen nur zu gut, dass der Krieg kein Paradies war. Nur in ihren Erinnerungskonstruktionen verschaffen sie sich im Kameradenkreis ab und an jene Freiräume, in denen sie auch über den Krieg ins Schwelgen geraten können. Der Topos von der ^erratenen Generation' neutralisiert die sentimentale Stimmung. Eine umfassende kritische Reflexion der eigenen Vergangenheit kann aber auch dieser Topos nicht leisten, da er sich auf die biographische Ebene beschränkt und keiner übergreifenden Perspektive Platz gibt. Einen distanzierteren Blick erlaubt gelegentlich die religiöse Sprache der vorliegenden Reden: nicht sehr ausführlich, nicht sehr explizit, dafür gebrochen im ambivalenten religiösen Begriff des .Glaubens'. Glaube ist in erster Linie der ,Glaube ans Vaterland', dann, in bereits abgeschwächter Form, der ,gute Glaube, fürs Vaterland gekämpft zu haben' (hier schwingt schon die Assoziation , Gutgläubigkeit' mit) und schließlich, mit einer impliziten Ideologiekritik, der .missbrauchte gute Glaube'. Diese Formel markiert in den Reden zumeist das Maximum an Bereitschaft, sich politisch mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Die Formel des .guten Glaubens' wird in den Volkstrauertagsreden sehr viel häufiger eingesetzt als die der ,missbrauchten Generation' (zum Beispiel AKa 11/1968; AKa 11/1969; AKa 11/1980; AKa 11/1995; Ka 12/1995, S. 3; Ka 12/1999, S. 16; Ka 11/2000, S. 24). Das unpolitische Soldatentum findet in diesem Topos einen gewissen Kontrapunkt. Mit dieser Formulierung strecken die .Redner einer verratenen Generation' die Hand aus auch zu jenen, die nicht .dabei gewesen' sind, und normalerweise den Volkstrauertagsfeierlichkeiten fern bleiben. Dabei können sie sich auf Carlo Schmid berufen, der im Jahr 1978 die Bedeutung dieser sprachlichen Wendung für den Volkstrauertag so erklärt: Wir sollten an diesem Tag unterschiedslos jener in unserer Trauer gedenken, die ihr Schicksal den unbewältigten Dämonien der Geschichte überantwortet haben, wenn sie nur glaubten, dass die von ihnen gewählte die rechte sei. 184

3.2.2.3 ,De mortuis nihil nisi bene' Die Volkstrauertagsreden organisierter Veteranenverbände orientieren sich kaum an jeweils aktuellen gesellschaftlichen Diskussionen, dafür umso mehr an Diskursen über die Zeiten hinweg, an funeralrhetorischen Traditionen, insbesondere an antiken Gewährsmännern.

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In: Der Seehase Nr. 115 (Ostern 1973) S. 2f; S. 3 (.Sind Kriegskameradschaften noch zeitgemäß? Von Oberst a.D. Schraml'). Schmid (o. J.) S. 8.

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Wer eine Rede zu halten hat, schaut nach Vorbildern; imitatio spielt im vorliegenden Fall besonders dort eine Rolle, wo Gedanken weitergegeben werden, die ihren gesellschaftlichen Rückhalt bereits verloren haben. Die lateinische Sentenz ,De mortuis nihil nisi bene' (,Über die Toten soll man nur in guter Weise reden'), im griechischen Original dem Spartaner Cheilon zugeschrieben, auf den die Militarisierung spartanischen Lebens zurückgeführt wird,185 ist ein teils expliziter, teils impliziter Orientierungstopos aller vorliegenden Texte. Als normative Prämisse baut sie auf ein „Konzept von Gegenseitigkeit": „Man darf für sich soviel Pietät von der Nachwelt erwarten, wie man sie seinerseits seinen Vorfahren entgegenbringt."186 ,In guter Weise' darf am Volkstrauertag auch an Alfred Jodl erinnert werden, Generaloberst und strategischer Berater Hitlers, der im 1. Nürnberger Prozess als Kriegsverbrecher zum Tode verurteilt wurde. Ein Foto mit einem Gedenkstein der Familie Jodl illustriert einen Text zum Volkstrauertag 2003 in der Zeitschrift,Kameraden'. Der Abdruck wird mit einem Verweis auf den Funeraltopos gerechtfertigt: Gedenkstein der Familie Jodl, auch für den 1946 in Nürnberg gehenkten Generaloberst Jodl (,de mortuis nihil nisi bene'). (Text Ka 11/2003, S. 6)

Auf dem panegyrischen Hintergrund wird auch verständlich, warum in Trauerreden historische Wahrheit bisweilen hintangestellt wird.187 Eine Lektüre, die jene „Parteilichkeit der Trauer", die in klassischer Weise den Redegestus eines Nekrologen charakterisiert,188 verkennt, und das Material nur nach dem Maßstab historischer und politischer Korrektheit beurteilt, stößt nicht vor zu Eigenheit und Komplexität dieser Texte. Volkstrauertagsreden können nicht mit dem gleichen Anspruch geprüft werden wie wissenschaftliche Texte. Epideiktische Rede erörtert und untersucht nicht, ihr informativer Anspruch ist gering, ihre Aufgabe ist vielmehr, das für den Redner und seine Zuhörer Unstrittige und im voraus Feststehende darzustellen.189 Die Redner orientieren sich an der Tradition des Volkstrauertags, der traditionell auf Konsens und nicht auf Dissens ausgerichtet ist. 190 Erörterungen über das nationalsozialistische Unrechtssystem, so sehen es die hier aufgenommenen Autoren, gehören nicht in epideiktische Völkstrauertagstexte. Zu diesem gattungsimmanenten Hintergrund gehört etwa auch der funeralrhetorische Grundsatz, exempla virtutis der Verstorbenen aufzuzählen. Elemente der Totenrede wie dieses bleiben über die Zeiten hinweg gleich, sie gehören nicht nur zum festen Repertoire der Gattung, sondern können auch als

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Vgl. Stefan Link: Wörterbuch der Antike. Mit Berücksichtigung ihres Fortwirkens. Begründet von H. Lamer. 11. Aufl. (Stuttgart 2002) S. 191. Assmann (1999) S. 62. Darauf wurde oft hingewiesen: von Menander über Augustinus bis zu Gottsched, vgl. Michael Mäuse: Art. ,Panegyrik\ In: Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Bd. 6. Hg. von G. Ueding (Tübingen 2003) Sp. 495502; Sp. 500. Vgl. Gerhart von Graevenitz: Geschichte aus dem Geist des Nekrologs. Zur Begründung der Biographie im 19. Jahrhundert. In: Deutsche Vierteljahresschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 54 (1980) S. 105-170, S. 132. Vgl. Mäuse (2003) Sp. 500 und Matuschek (1994) Sp. 1258. Vgl. z.B. Paul von Hindenburgs Geleitworte zum Volkstrauertag 1926: „An den Gräbern unserer Gefallenen, die sich für uns alle opferten, soll die Zwietracht schweigen. Mahnend steht vor uns das deutsche Leid, das heilige Opfer der im Krieg Gebliebenen, die starben, damit Deutschland lebe." In: Deutscher Volkstrauertag 1926. Berichte des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V.

bewältigungsrelevante anthropologische Konstanten angesprochen werden. Bewältigungsrelevant ist, was das eigene Erleben sinnvoll erscheinen lässt. Epideiktische Erinnerung ist daher eine Konstruktion der Lebensbewältigung, das weiß auch dieser Redner: Man behauptet nicht selten, die Tapferkeit der deutschen Soldaten, ihr Leiden und Sterben seien .sinnlos' gewesen. Gerade aber wir ehemaligen Soldaten, die Siege und Niederlagen, die Segnungen des Friedens und den Fluch des Krieges am eigenen Leib erlebt haben, von denen nicht viele zurückkehrten, ohne irgendeinen Schaden an Leib oder Seele mitzubringen, wir wissen: Der Tod des Soldaten wird meistens bestimmt von dem ureigenen Sinn, den er persönlich seinem Einsatz wie seinem möglichen Sterben gibt. (Rede AKa 11/1988)

Volkstrauertagsredner orientieren ihre Sinngebungsstrategien an Traditionen der Gattung Gedenk- und Totenrede. Erfolg im Krieg ist in der Geschichte panegyrischer Reden ein zentrales Thema,191 wo er ausbleibt, entstehen für einen Redner, der sich trotz der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs weiterhin an panegyrischen Traditionen orientiert, Lücken, die zu kompensieren sind. Eine reine Praxis epideiktischer Rede lässt sich nach den Erfahrungen im Zweiten Weltkrieg nur noch schwer aufrechterhalten. Der panegyrische Sog generiert deshalb von Fall zu Fall Verdrängung, Sentimentalisierung und Revisionismus, die als Folgen einer historisch obsolet gewordenen imitatio begriffen werden können. Selbst die Historikerschelte hat eine gattungsimmanente Seite. Sie reiht sich in eine lange pathoshaltige Tradition epideiktischer Rede ein, die Lob und Klage als klassische Elemente eines discours de la mort umfasst.192 Die geringe öffentliche Resonanz der Volkstrauertagstexte kann allerdings als ein Beleg dafür gewertet werden, dass sich die Traditionen epideiktischer Beredsamkeit nicht bruchlos in die Gegenwart fortschreiben lassen. Das wird bedauert: Wie gut haben es doch die Nationen, denen die Katastrophe unseres Volkes nach Kriegsende erspart blieb. Dort stehen die längst erwachsenen Kinder und schon die Enkel mit am Gedenkstein, sei es an der Kanalküste, sei es irgendwo anders, und sind stolz auf den mit Tapferkeitsorden ausgezeichneten Großvater. Unsere Kinder, auch die zahlreichen Enkel, bleiben solchen Feiern meist fem. (Rede AKa 1985)

,De mortuis nihil nisi bene' ist ein prekärer Gedenktopos. Für die Jüngeren unattraktiv, werden die exempla virtutis der toten Kameraden bald nur noch im Kameradenkreis gefeiert: Trotz allem darf deshalb der deutsche Frontsoldat des Zweiten Weltkriegs stolz auf seine einmaligen Leistungen sein. Wir sehen die feldgraue Gestalt unter dem Stahlhelm nach wie vor als Ausdruckskraft eines Sinnbilds unserer Generation und das lassen wir uns nicht nehmen! (Text AKa 1985)

Die Enttäuschung über die abgelaufene Halbwertszeit klassischer topischer Gedenkformen kommt in dieser Rede deutlich zum Ausdruck. Die Erinnerung an die toten Kameraden evoziert auch die Erinnerung an die eigenen „einmaligen Leistungen". Das Bild der kraftvollen „feldgrauen Gestalt unter dem Stahlhelm" verleiht der Biographie Sinn und ist so tatsächlich, wie es der Redner ausdrückt, ein „Sinnbild". Um es zu erhalten, wenden sich organisierte Veteranen spätestens in den 80er Jahren ab von einem großen Teil der eigenen Mitwelt, dorthin, wo über die Toten des Weltkriegs noch ,auf gute Weise' geredet wird, ins ehemaligen Feindesland: „sei es an der Kanalküste, sei es irgendwo anders".

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Vgl. Mäuse (2003). Vgl. Eybl (1996); Matuschek beschreibt Lob und Tadel als die „beiden grundsätzlichen polaren Möglichkeiten" epideiktischer Beredsamkeit. In: Matuschek (1994) Sp. 1258.

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3.2.3 Die Utopie In den Volkstrauertagsreden dieses Quellenkorpus figurieren Topoi, die die Kameradschaft als gesellschaftlichen Nicht-Ort (ou-topos), als Traum- und Wunschort lokalisieren: Sie beschwören Menschen und Ideen, die nicht mehr existieren - die toten Kameraden, die soldatischen Tugenden, das Zusammen- und Durchhalten im Krieg. In diesem Sinn sind die Gedenktopoi Utopien in dem weiten Sinn, dass sie nicht identisch sind mit der bundesrepublikanischen Realität, die ihnen gegenübertritt.193 Sie finden in der Bundesrepublik selten einen Platz, aber in den ideellen Konstrukten organisierter Veteranenverbände können sie überleben. Im Topos kann die Utopie mitgedacht werden.194 Wie jeder Utopie ist auch der Kameradschaft ihre Kritik miteingeschrieben:195 Die Kameradschafts-Utopie ist ein Gegenentwurf, der sich in der Bundesrepublik um die gesellschaftlichen Realitäten immer weniger kümmerte und somit immer mehr an ihnen scheiterte. Weder konnte die im folgenden analysierte Utopie von der .Aussöhnung über den Gräbern' von den Verbrechen der Wehrmacht ablenken, noch hat sich das anschließend betrachtete Ideal einer männerbündischen und zugleich familienähnlichen Gemeinschaft nachhaltig durchsetzen können. Für die Gestaltung der Nachkriegsgesellschaft haben sich die kameradschaftlichen Utopien letztlich nur in kleinen, hermetisch abgeschlossenen Kreisen als brauchbar erwiesen.

3.2.3.1 Die Aussöhnung über den Gräbern In einer Sammlung von Musterreden für unterschiedliche Anlässe empfehlen die Autoren für eine Volkstrauertagsrede folgende Formulierung: „Über alle Gräber hinweg wollen wird die Versöhnung."196 Organisierte Veteranen haben dieses rednerische Versatzstück ernst genommen, von allen in diesem Kapitel erörterten ideellen, .utopischen Gedenkmustern' ist dieser Topos am dichtesten an der Wirklichkeit und entwirft dabei zugleich die Möglichkeit gesellschaftlicher Neuordnung in die Zukunft hinein, artikuliert mithin eine Utopie im Sinne einer Kategorie gelebter Hoffnung (nach Ernst Bloch197). Es ist durchaus nicht als Phrase gemeint, wenn der Redner 1961 formuliert: „Wir meinen, dass eine wirkliche Versöhnung nirgends echter und sauberer geschehen kann als über den Gräbern der Gefallenen." (AKa 11/1961, S. 4) Die Formulierung wurde in eine tätige Form des Gedenkens transformiert, ihren Niederschlag findet sie in vielfältigen Aktivitäten zusammen mit den

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Zum .weiten Sinn' der Utopie vgl. Gert Ueding (Hg.): Literatur ist Utopie (Frankfurt am Main 1977) S. 7; Topoi können oft auch als Utopien begrifflich gefasst werden, beide sind verwandt mit dem Motiv. Ob Topos, Utopie oder Mythos ist in der Analyse oft keine Frage des Entweder-Oder, sondern der jeweils spezifischen Akzentuierung eines Motivs.

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Vgl. zu diesem Gedanken Jürgen Nieraad: „Toposforschung? Gewiss! Aber..." Zu Paul Celans ,Rebleute graben'. In: Wirkendes Wort 39 (1989) S. 409^*18. Vgl. Wilhelm Vosskamp: Einleitung. In: Ders. (Hg.): Utopieforschung. Interdisziplinäre Studien zur neuzeitlichen Utopie. Bd. 1 (Stuttgart 1982) S. 1-10; S. 7. Rede zum Volkstrauertag. In: Reden und Ansprachen für jeden Anlass. Hg. von Wilhelm Werker, überarbeitet von Michael Adam (Eschborn/ Ts. o.J.) S. 109. Vgl. Vosskamp (1982) S. 3.

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ehemaligen Kriegsgegnern. Seit den 50er Jahren werden englische, französische, amerikanische und seit Ende der 80er Jahre auch polnische und russische Kriegsveteranen in eine die ehemaligen Feindblöcke übergreifende Kameradschaft integriert. Die Zeitschrift Kameraden' berichtet ausführlich über solche Initiativen, beispielsweise über deutsch-russische Veteranen-Zusammenkünfte (Z.B. Ka 11/2000, S. 20f. und Volkstrauertagstext Ka 12/2000, S. 21). Deutsche Kriegsveteranen haben auf ihre Weise einen Beitrag zur Völkerverständigung in der Nachkriegszeit geleistet, der noch relativ unerforscht ist.198 Die Kontaktaufnahme mit den ehemaligen Gegnern gehört zu den gesamtgesellschaftlich bedeutendsten Leistungen der organisierten Veteranen in ihren Bemühungen, das Kriegserlebnis biographisch zu bewältigen. Die Bewältigungsdimension ist offensichtlich: Kameradschaftsverbände reisen oft mit der ganzen Familie an die Kriegsstätten von früher, um dort die ehemaligen Gegner zu treffen. Das einst traumatisierende Erlebnis wird in einer Urlaubsreise domestiziert.199 Die damit einhergehende Versöhnungsleistung ist für die organisierten Veteranen selbst viel weniger erstaunlich als für Außenstehende. Sie liege in der Logik ihres soldatischen Selbstverständnisses, erklärt H. im Gespräch; außerdem hänge sie zusammen mit dem Topos vom ,aufgezwungenen Krieg' und mit dem besonderen Verständnis derer, die ,dabei gewesen' sind: Verf.: Besonders interessiert mich der Begriff des Kameraden [...] Wie konnte das passieren, dass die ehemaligen Gegner plötzlich auch Kameraden sind? H.: Nach dem Ersten Weltkrieg hat dasselbe schon einmal statt gefunden. Da gab es Austausch hier, zwischen Freiburg und Besan^on. Die alten Veteranen trafen sich damals schon. Ich bin 1937 in Paris gewesen und bin auch dort mit ehemaligen Soldaten zusammengekommen, als ich selber noch nicht einmal Soldat war. Weil die Soldaten in besonderer Weise wissen, was Krieg ist. Sie sehen ja ihre Aufgabe nicht unbedingt darin, Krieg zu führen, sondern Kriege zu verhindern. Wenn sie einem aufgezwungen worden sind, dann eben, um das Vaterland zu verteidigen. (Gespräch mit H., 6-13)

Alexander und Margarete Mitscherlich haben 1967 eine Prognose gewagt, wonach „keine emotionell getragene Aussöhnung mit unseren ehemaligen Feinden möglich" sei, solange die Deutschen „nicht die Schuld an den unbeschreiblich grausam ausgeführten Massenverbrechen endlich zur Kenntnis nehmen". 200 Zwar haben die meisten hier zu Wort kommenden Veteranen die Massenverbrechen zur Kenntnis genommen; sie setzen sich aber kaum öffentlich mit ihnen auseinander. Obwohl die Schuldfrage in den vorliegenden Texten kaum behandelt wird, sind ihre Autoren dennoch im Prozess einer .Aussöhnung über den Gräbern' weit fortgeschritten. Dies gelingt nur als selektive Gedenkleistung: als Regression in den rein soldatisch interpretierten Kameradschaftstopos, der alle kämpfenden Kriegsteilnehmer miteinander verbindet, egal auf welcher Seite sie gekämpft haben. Die ehemalige Gegnerschaft wird aufgehoben in einem umfassenden soldatischen Ideal. Der Kameradschaftstopos dient der Verständigung, durch den ehemalige Feinde zu Verbündeten werden.

198 vgl. Thomas Kühne: Kameradschaft - „das Beste im Leben des Mannes". Die deutschen Soldaten des Zweiten Weltkriegs in erfahrungs- und geschlechtergeschichtlicher Perspektive. In: Geschichte und Gesellschaft 22 (1996) S. 504-529; S. 524. 199 Konrad Köstlin deutet diese Reisen als kulturelle Technik, um den Krieg erzählbar zu machen. Vgl. Köstlin (1989) S. 179. 200 Mitscherlich (1967) S. 58f.

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Ihre heutigen Gegner finden ,alte Kameraden' dagegen im eigenen Land (,die' Historiker, eine unverständige Mitwelt'). Offensichtlich ist dies eine gedankliche Konstruktionsleistung der Nachkriegszeit, die nicht zwingend eine kameradschaftliche Entsprechung in der Realität des Krieges findet - obwohl genau das in den vorliegenden Texten vor allem der 90er Jahre immer wieder behauptet wird. In den Texten der vergangenen Jahre nehmen die Erzählungen über ein kameradschaftliches Verhältnis zu den gegnerischen Soldaten nach, aber auch bereits im Krieg auffällig zu. E. bestätigt diese Tendenz im Gespräch: Verf.: Bezeichnen Sie jetzt die französischen und russischen Kriegsveteranen auch als Kameraden? E.: Ja. Ja. Verf.: Im Krieg waren sie aber keine Kameraden. E.: Man hat eigentlich stillschweigend immer so eine gewisse Restkameradschaft gehalten, soweit nicht ganz brutale Dinge vorausgegangen waren. [...] Aber nach dem Krieg: Die, die dort den Kontakt zu uns [...??], sind ja auch die Positiven. Und insoweit, das ist eben eine alte Tradition, dass man sich also nun auch unter Offizieren als .Herr Kamerad' anredet, das ist jetzt eigentlich wieder in gewissem Umfang gekommen. (Gespräch mit E„ 43-45)

Die Reaktivierung der (tatsächlichen oder imaginierten) „Restkameradschaft" nimmt zu; E. berichtet in seiner Volkstrauertagsrede aus dem Jahr 1999, wie im deutschen Lazarett „oft mehr verwundete französische Gefangene und Opfer unter der Zivilbevölkerung zu versorgen [waren] als deutsche Soldaten". Er schildert das Lazarett als eine Enklave, in der das starre Freund-Feind-Denken aufgebrochen werden konnte: Es ist eine andere Art des Soldatentums, neben hilflosen Verwundeten auszuharren und sie zu versorgen, ohne sich mit der Waffe in der Hand wehren zu können. (Rede Ka 12/1999)

Kameradschaftliches Verhalten zu den gegnerisches Soldaten mag vorgekommen sein, besonders für den Krieg im Osten muss es aber in vielen Fällen eher als biographische Konstruktion gewertet werden. Man denke nur an den ,Barbarossa-Erlass' Hitlers, der den Wehrmachtsangehörigen die Sicherheit gab, dass niemand belangt würde, der nicht-kooperationswillige Russen auch außerhalb von Kampfhandlungen umbrachte. Man denke weiter an die Rede Hitlers vor den Befehlshabern und Stabschefs des Ostheers am 30. März 1941: „Wir müssen vom Standpunkt des soldatischen Kameradentums abrücken. Der Kommunist ist vorher kein Kamerad und nachher kein Kamerad. Es handelt sich um einen Vernichtungskampf." 201 Dass diese antikameradschaftliche Propaganda völlig unbeachtet verhallte, ist unwahrscheinlich. Dass russische Soldaten durchaus ,keine Kameraden' waren, hat Christian Streit bereits 1978 in seiner gleichnamigen Studie nachgewiesen, die die außerordentlich hohe Sterblichkeit sowjetischer Kriegsgefangener in Deutschland zum Ausgangspunkt nimmt. 202 Die behaupteten Fraternisierungen bereits während des Krieges sind in Teilen Konstruktionsleistungen, jedenfalls sind sie extrem selektive Erinnerungselemente. Bezeichnender-

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Max Domarus: Hitler. Reden und Proklamationen 1932-1945, Bd. II (1963) S. 1682. Vgl. Streit (1978) S. 13.

weise fällt es den hier zu Wort kommenden Volkstrauertagsautoren zwar leicht, die ehemaligen Gegner in ihr Gedenken einzubeziehen, dafür umso schwerer, Opfer der Konzentrationslager und politisch Verfolgte zu würdigen. Soweit geht die .Aussöhnung über den Gräbern' nur selten. Dieses Phänomen ist dem Panegyriker im Jahr 1984 durchaus bewusst es ist in aller Regel nicht so, dass die hier untersuchten Volkstrauertagsreden die Existenz von Konzentrationslagern leugnen. Über ihr Schweigen darüber wird sehr wohl gesprochen. So hält es auch der Autor aus dem Jahr 1979, der über „KZ und Ausschwitz" erklärtermaßen nicht reden will - es sei so, dass „alte Soldaten lieber schweigen" (Rede AKa 1979). Sechs Jahre später erklärt ein Redner, warum das so ist: Der Verfolgten im eigenen Land zu gedenken, ist sicher ebenso ein zwingendes Gebot wie das Erinnern an die zahllosen Opfer der Konzentrationslager. Aber dies geschieht aus einer anderen Stimmungslage heraus wie das Gedenken an die Gefallenen. Das kann gar nicht anders sein und dass alle am gleichen Tag zum Gegenstand trauernden Gedenkens werden sollen, nimmt den einen wie den anderen das Besondere, das spezifisch Ausgeprägte, auf das sie ein Recht hätten. Und der Einzelne, dessen Trauer erwartet wird, gerät mit seinen Empfindungen in Verwirrung. (Rede AKa 11/1984)

Trauer wird hier als eine arbeitsteilige Leistung beschrieben, und nur in diesem Rahmen ist die .Aussöhnung über den Gräbern' für die versammelten Volkstrauertagsredner denkbar. Das Erinnern an die Opfer der Konzentrationslager wird als Bedrohung soldatischen Gedenkens abgewehrt („der Einzelne, dessen Trauer erwartet wird, gerät mit seinen Empfindungen in Verwirrung"). Eine Bezugnahme auf die ideologischen Triebfedern des Zweiten Weltkriegs provoziert die Angst, dass dem soldatischen Tod und Leid „das Besondere, das spezifisch Ausgeprägte, auf das sie ein Recht hätten", genommen werden könnte. Diese Angst existiert aber nicht, wenn ehemals gegnerische Soldaten ins Gedenken integriert werden: Endlich sollte unser Gedenken auch den Gefallenen der anderen gelten, die damals unsere Gegner waren. Für sie war der Tod nicht weniger bitter und das Leid der Alleingebliebenen nicht weniger schwer. Es war uns eigentlich immer selbstverständlich, auch sie in unsere Trauer miteinzuschließen. (Rede AKa 11/1984)

In der Verbrüderung mit den ehemaligen Gegnern wird die Kameradschaft zu einem übergreifenden Ideal überhöht. Mit Bedauern und Neid wird davon berichtet, dass der Topos von der Aussöhnung über den Gräbern in Großbritannien in einem höheren Kurs stehe als in Deutschland: Ein kurzes Wort noch zum Begehen des Heldengedenktages in Großbritannien. Dies ist hier ein echter Volkstrauertag, an dem sich jedermann beteiligt. In die Andacht und Gebete werden ausdrücklich die gefallenen einstigen Gegner miteinbezogen. Presse und Rundfunk folgen dieser Linie. Am Abend dieses Tages kommt der Souverän zu den alten Kriegsinvaliden in eine der größten Hallen Londons, Abordnungen des jüngsten Soldaten- und Marinejahrganges turnen, singen und bieten Musik. 203

Da organisierten Veteranen Aussöhnung im eigenen Land nicht zugebilligt wird (so sehen es die meisten Veteranen), wird die individuelle Bedeutung einer externalisierten Aussöhnung über den Gräbern' für Alte Kameraden umso verständlicher. Den Blick auf das eigene Land dominiert ganz besonders in den 90er Jahren die Enttäuschung. Mit einer gewissen

203

Siegfried Erfurth: Gedanken zur Traditionsfrage. In: Der Seehase Nr. 84 (August 1961); zweite Seite, rechte Spalte.

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Ernüchterung wird das Bild einer aussterbenden Generation gezeichnet, „die zwischen einer versinkenden bürgerlichen Epoche und einer weithin traditionslosen Gesellschaft ihre Wertvorstellungen über die Zeiten zu retten versucht" (Rede AKa 11/1991). Der gelebte Topos von der ,Aussöhnung über den Gräbern' kann auch gelesen werden als eine Externalisierungsleistung, mithin als Ausdruck eines typisch männlichen Bewältigungsprinzips.204

3.2.3.2 Die familiale Kameradschaft Wenn jede Topik ihren sozialen Ort hat, 205 sind Veteranen bei erster Betrachtung ortlos. Ohne fest umrissene soziale Schicht und mit dem allmählichen Verlust einer konsensuelltopischen Grundlage in der Nachkriegszeit verstehen sich organisierte Veteranen mehr und mehr als Unverstandene und Ortlose, die nach soldatischen Utopien suchen. Treffen und Reden von Kameradschaftsbünden zeugen von dem Bestreben, Ersatz-Orte zu schaffen, sie sind heute gewissermaßen abgeschiedene Orte, loci secreti in der doppelten Bedeutung von .abgeschieden' und ,geheim': Es ist ein Geheimnis um die Frontkameradschaft. (Rede AKa 1956)

In diesem Selbstverständnis, in dem sich auch ein Traditionsstrang deutscher Romantik verwirklicht, der das Fremdheitserlebnis verklärt, bezieht Kameradschaft seinen besonderen Reiz durch den familienähnlichen Charakter. In den vorliegenden Volkstrauertagsreden und den Gesprächen mit ihren Autoren wird oft auf den Charakter eines Ersatzortes hingewiesen, und in diesem Zusammenhang besonders auf die Analogie von Kameradschaft und Familie. Wie viele liebe bescheidene, brave und verlässliche Gesichter blicken uns an! Wie kommt es nur, dass uns alle noch so vertraut sind, dass wir uns mit ihnen so verbunden fühlen wie mit engsten Familienmitgliedern? [...] Man lässt seinen Kameraden nicht im Stich. Das Vertrauen zueinander ist das ursprüngliche Fronterlebnis. [...] Diesen Korpsgeist empfand der Einzelne nicht nur als Forderung, sondern vielleicht stärker noch als Geborgenheit. Warum strebten denn alle Abkommandierten oder Verwundeten zum .alten Haufen' zurück und wagten oft die seltsamsten Touren, um dies zu erreichen? Ja, warum streben wir Überlebenden noch nach vielen Jahren immer wieder zusammen? Weil wir diese Geborgenheit unter den alten Kameraden nicht vergessen können und nicht missen wollen. So stark ist dieses Gefühl! (Text AKa 11/1956)

Auffällig ist die Abwendung des Blicks des Volkstrauertagsredners von seinen realen Zuhörern hin zu den „braven und verlässlichen Gesichtern" der toten Kameraden, die er teichoskopisch herbeiredet. In der kurzen Apostrophe inszeniert der Redner Pathos und beschwört die große Familie der Kameradschaft. In einem ,harten' Männerbild ist die Sehnsucht nach Geborgenheit unmännlich,206 im Kreis der Kameraden ist sie legitim. Vielleicht deutet der familiale Charakter der Kameradschaften auch auf ein Versagen der sozialen Einheit Familie für die Bewältigung der Kriegserlebnisse.

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Vgl. zu .typisch männlichen' Bewältigungsprinzipien: Böhnisch (2003) S. 218. Vgl. Resting (1967) S. 84. Vgl. Böhnisch (2003) S. 146.

Eine funktionale Erklärung der Gleichung von Kameradschaft und Familie stellt in der militärhistorischen Forschung die Primärgruppentheorie bereit. Ursprünglich wurde die , Primärgruppe' als Bezeichnung für spezifisch strukturierte Gruppen im Prozess der frühkindlichen Sozialisation entwickelt. Danach bestehen zwischen den Mitgliedern einer informellen Gruppe zeitlich dauerhafte, emotional gefärbte Beziehungen. Charakteristisch ist ein starkes Wir-Gefühl, das auch im späteren Leben Bedeutung behält. Die Primärgruppe übernimmt außerdem die Aufgaben von Schutz und Ausgleich zwischen Person und Gesellschaft. 207 In der Adaption der Primärgruppentheorie durch die militärhistorische Forschung ist die Primärgruppe die kleinste informelle Einheit einer soldatischen Einheit. Während des Krieges wirkten diese Gruppen loyalitätsstiftend, ihre Kameradschaft hat die Kampfkraft der Gruppe gestärkt, ihre emotionalen Bindungskräfte haben geholfen, Grausamkeiten des Kriegsalltags erträglich zu machen. Der Gruppenkodex der Primärgruppe verbot es, Verbrechen gegen das internationale Kriegsrecht nach außen zu tragen, Kameradschaft wird dem unausgesprochenen Schrecken des Kriegs kompensatorisch gegenübergestellt. 208 Die Primärgruppentheorie ist bisher vor allem auf Untersuchungen über den Zusammenhalt der Wehrmacht im Krieg angewendet worden. Für Untersuchungen zur Zeit nach dem Krieg ist sie insofern von Interesse, als hier im Zentrum des Interesses Kameradschaftsgeist und Zusammenhalt stehen, die für das Kameradschaftswesen der Nachkriegszeit konstitutiv sind und im Krieg ihren Ursprung haben. Die Primärgruppentheorie arbeitet mit der Annahme, dass Kameradschaft von den Mächtigen bewusst einkalkuliert wurde, um die Gruppenkohäsion und somit die Moral der Truppe zu stärken. So pries Hitler während des Krieges eindringlich die Kameradschaft, etwa in einer Rede vom 30. September 1942: „Denn eine große, lichte Seite zeigt dieser Krieg ja doch: Nämlich die große Kameradschaft." 209 Veteranen ist die kriegsermöglichende Funktion der Kameradschaft bewusst, wie beispielsweise ein Zitat aus der Novemberausgabe des Jahres 1990 der Zeitschrift ,Alte Kameraden' belegt, in der ein Buch zitiert wird, in dem [...] mit treffenden Worten gesagt [wird], was die stärkste Kraft im Willen zum Kämpfen war: ,die Bindung an ihren Kameraden-Verband der Gruppe, der Kompanie, des Bataillons. Es war ,das Haufengefühl', die Tuchfühlung mit den Kameraden, ,als wär's ein Stück von mir!' (Text AKa 11/1990, S. 3)

Die Anspielung auf das Lied ,Ich hatt' einen Kameraden' („... als wär's ein Stück von mir") zeigt, dass die sentimentale Komponente dieser Einsicht eine immerhin auch mögliche kri-

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Zur Primärgruppe begriffsprägend: Charles Horton Cooley: Human Nature and the Social Order (New York 1964, zuerst 1902) und ders.: Social Organisation. 3. Aufl. (New York 1967, zuerst 1909), sowie zusammenfassend Eike Emrich: Art. ,Primär- und Sekundärgruppe', in: G. Endruweit, G. Trommsdorf (Hg.): Wörterbuch der Soziologie. 2. Auflage (Stuttgart 2002) S. 416. Vgl. Morris Janowitz, Edward A. Shils: Cohesion and Disintegration in the Wehrmacht in World War II, in: Public Opinion Quarterly 12 (1948) 280-315; E.A. Shils: Primary groups in the American Army, in: R.K. Merton, P.F. Lazarsfeld (Hg.): Continuties in social research (Glencoe 1950); neuere Publikationen: P. Meyer: Das Kriegssystem. Zur Entstehung und Bedeutung des Krieges für Individuum und Gesellschaft (Bamberg 1970) S. 56-87; vgl. Kühne (1996b) S. 506. Gegen eine Übertragung der Primärgruppentheorie auf die Wehrmacht argumentiert Bartov (1995) S. 19, S. 48-66, S. 156. Vgl. Domarus II (1963) S. 1922. Vgl. Karl-Heinz Brackmann, Renate Birkenhauer: NS-Deutsch. .Selbstverständliche' Begriffe und Schlagwörter aus der Zeit des Nationalsozialismus (Straelen 1988) S. 22 und S. 109.

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tische Komponente völlig überlagert. Im nationalsozialistischen Sprachgebrauch betonte der Begriff ,Arbeitskamerad' die menschliche Dimension der Arbeit, .Kameradschaft' wurde zu einer neuen Form der menschlichen Gemeinschaft stilisiert.210 Die Gruppenkohäsion aus der Kriegszeit wirkt noch immer identitätsstiftend. Im Krieg war Kameradschaft, folgt man den Annahmen der Primärgruppenthese, eine Strategie des physischen und psychischen Überlebens. In der Nachkriegszeit hat sich für die Traditionsverbände daran überraschend wenig geändert. Der Volkstrauertagsautor des Jahres 1991 fragt: War es nicht die Kameradschaft, die den Soldaten draußen im feindlichen Feuer die jammervolle Einsamkeit inmitten seiner Einheit überwinden half? Das Lied ,Ich hatt' einen Kameraden' war und ist heute Erinnerung und Trost für die Davongekommenen von damals in einer Zeit, die nur der Jugend huldigt und den Tod verdrängt. (Rede AKa 11/1991)

Trotz Kriegsende ist die Funktion der Kameradschaft unverrückt. Im Gespräch erklärt H.R.: Verf.: Die Soldaten waren ja deswegen Kameraden, weil Krieg war, und Sie alle das gleiche Schicksal hatten und zusammenhalten mussten. H.R.: Ja, ganz selbstverständlich. Aber ich sag' das jetzt: Die Kameradschaft ist durch den Krieg begründet und vor allen Dingen nach dem Krieg bei uns innerhalb der Kameradschaften der SS deswegen so eng geworden, und zwar beständig, dass man uns von Anfang an verfolgt und schikaniert hat. (Gespräch mit A. und H.R., 20-21)

Für große Teile der SS beschrieb Hans Buchheim in den 60er Jahren allerdings eher die Kameraderie als weitgehend typische Form von Kameradschaft, die den Grundsatz der Härte auffing und gegenseitige Verfehlungen vertuschte.211 Kameradschaft muss dem Angriff der Gesellschaft entzogen werden. Die vorliegenden Texte evozieren immer wieder aufs Neue die emotionalen Qualitäten der Primärgruppe - Kameradschaftstreffen haben den Charakter von Familientreffen. Das Interpretament ,Primärgruppe' ist die wissenschaftliche Vorwegnahme der utopischen Kameradenerinnerung und als solche wahrscheinlich geeigneter für das Erfassen biographischer Kriegserlebensbewältigung als für die Erforschung des Kriegsereignisses selbst. In den organisierten Kameradschaften findet die ,Primärgruppe' jedenfalls utopisch auch heute noch ihren Platz.

3.2.3.3 Die männerbündische Kameradschaft Im Zusammenhang mit dem Modell der Primärgruppe von , familienähnlichen Strukturen' zu reden, ist hier insofern paradox und in diesem Sinn utopisch, als es sich bei soldatischen Kameradschaften um weitgehend hermetische männerbündische Gemeinschaften handelt.212 Der Schriftsteller Otl Aicher nennt die Wehrmacht rückblickend den „Männer211

212

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Vgl. Hans Buchheim: Die SS - Das Herrschafts-Instrument Befehl und Gehorsam [= Anatomie des SS-Staates Bd. 1, Gutachten des Instituts für Zeitgeschichte] (Freiburg im Breisgau 1965) S. 308f. Paradoxe Topoi konturieren den Charakter einer Utopie, vgl. Manfred Kienpointner: Alltagslogik. Struktur und Funktion von Argumentationsmustem (Stuttgart, Bad Cannstatt 1992) [= problemata 126] S. 421^t27.

orden der Nation" und beschreibt den Krieg als pervertierte Ersatzhandlung für ehelichen Geschlechtsverkehr.213 Soldatische Kameradschaft einer ,verführten Generation' und auf Ehe gegründete Familie treten gewissermaßen in ein Konkurrenzverhältnis. 38 Jahre nach Kriegsende ist für einen Volkstrauertagsredner diese Konkurrenz eindeutig entschieden, die männliche Kameradschaft sei „das Beste im Leben eines Mannes" (Rede AKa 1983). Die Attraktivität des Männerbundes speist sich aus der Utopie einer Gemeinschaft ohne soziale Unterschiede: Gleiche Dienststellung, gleiches Wohnen, gleiche Uniform, gleicher dienst, gleiche Löhnung, gleiches Essen, gleiche Vorgesetzte, gleiche Behandlung u.a. ließen in uns einst jungen und daher besonders empfänglichen Menschen schon von den ersten Tagen unserer Dienstzeit an ein viel stärkeres verknüpfendes Band entstehen als solches .draußen' im Zivilleben möglich gewesen wäre. Ganz richtig daher, dass sich dafür ein besonderes Wort - ,Kameradschaft' - bildete, so wie sonst auf beruflichem Gebiet Gleichgestellte sich mit .Kollege' ansprechen oder im politischen Leben mit .Genösse' oder im geistlichen Stande mit .Bruder'. 214

Es stellt sich die Frage nach dem männlichen Selbstverständnis innerhalb einer egalisierenden Kameradschaft. Für die Generation der Kriegsveteranen gehören Männlichkeit, Soldatentum und Kriegserleben wie selbstverständlich zusammen, ihre Initiation ins Mannsein haben sie über Militär und Krieg erfahren, ähnlich wie ihre Väter und Großväter.215 Umso einschneidender geriet das Männerbild durch das Desaster des Zweiten Weltkriegs aus den Fugen, der jener Teil ihres Lebenslaufs wurde, der biographisch gesehen eigentlich ihr Mannsein festigen sollte. So hebt der Volkstrauertagsredner im Jahr 1983 zur Klage an: Oh, was ist der Mensch, was ist Manneskraft, die den Stärksten wie den Schwächsten dahinrafft und uns den Kameraden raubt. (Rede Aka 1983)

Die Kategorie des Soldatischen konturiert das Männliche und setzt es ab vom traditionell ,Weiblichen' 2 1 6 Zugleich erlauben die emotional aufgeladenen Gedenkformen des Volkstrauertags, weibliche Anteile in das Männerbild mit aufzunehmen. ,Weiche Männlichkeit' gewinnt in den Nachkriegsjahren in den Gedenkformen alter Kameraden zunehmend an Bedeutung, das Bild des Mannes wird um friedliche Aspekte bereichert. Das Ritual des Volkstrauertags ermöglicht es den Rednern, oft in sentimentalem Gewand, Gefühle zu äußern. Sie spielen das Lied vom ,Guten Kameraden' und jetzt werden die Augen der Grauköpfe feucht - und sie schämen sich ihrer Trauer nicht. (Rede Aka 1981)

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Kienpointner diskutiert hier, wie neben einer topischen auch eine utopische Vernunft ihren Platz habe, wenn sie auf .konstruktiven Paradox' beruhe und für die Bereicherung der sozialen Praxis nutzbringend angewendet werden könne. Otl Aicher: Innenseiten des Kriegs (Frankfurt am Main 1985) S. 49. Der Seehase Nr. 115 (Ostern 1973) (D. Schraml: Sind Kriegerkameradschaften noch zeitgemäß?, S. 2f; S. 3). Zum Zusammenhang von Militär und Männerbild vgl. auch Ruth Seifert: Militär und Ordnung der Geschlechter: Vier Thesen zur Konstruktion von Männlichkeit im Militär. In: K.D. Wolf (Hg.): Ordnung zwischen Gewaltproduktion und Friedensstiftung [= Schriftenreihe der Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung e.V., AFK, Bd. 20] (Baden-Baden 1993). Vgl. ebd. S. 219: „Eine Funktion des Militärs ist es, die soziale Kategorie Gender zu differenzieren, und zur Definition dessen beizutragen, was ,Männer' im Gegensatz zu .Frauen' sind, bzw. zu sein haben."

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Auch mütterliche Eigenschaften werden im Kriegsgedenken des Volkstrauertags in das kameradschaftlich überformte Männerbild integriert. Und wenn dann dieser Verwundete, nun gerettete Kamerad, fühlte, wie ihm sein Retter sanft über das Haar strich, wie es die Mutter zu tun pflegte, dann konnte er beruhigt sterben. (Rede Aka 1983)

Scheinbar verwickelt sich der Redner hier in einen gewissen Widerspruch: Erst wird der Kamerad gerettet, dann stirbt er trotzdem. „Gerettet" wurde er immerhin aus Feindeshand, in die sanft streichelnden Hände des mütterlichen Kameraden. Die harte, martialische Kameradschaft überlebt in einer solchen Gedenkrhetorik nur noch in abstrakten soldatischen Tugenden217 oder in verklärenden Kriegserzählungen soldatischer Härte. In diesem Zusammenhang gewinnt auch die Schilderung der Frau im Krieg an Bedeutung (vor allem in der fürsorglichen Rolle der Krankenschwester oder der trauernden Mutter). Allerdings wird sie fast nie als ,Kameradin' bezeichnet - obwohl auch etwa 500 000 Frauen der Wehrmacht angehörten, und davon nach Ruth Seifert immerhin etwa 450 000 in militärischen Funktionen.218 Normalerweise werden die Soldatenfrauen als , Kameradenfrauen' angesprochen, selten genießen sie das nominelle Privileg einer .Kameradin': Am 27. November 1982 verstarb im Alter von 71 Jahren die Gattin unseres Ehrenvorsitzenden [...] Infolge ihres offenen und sehr vitalen, energischen und resoluten Auftretens wurde aus dem Vornamen Paula für ihre Freunde ein Paulus.219

Die ,Kameradschaft der Frau' ist in soldatischen Kontexten problematisch. Die Vorstellung einer ,Vermännlichung der Frau' berührt offensichtlich männliche Urängste. Bereits nach dem Ersten Weltkrieg wurde die weibliche Kriegsgeneration dem neu aufkommenden Bild der emanzipierten ,Neuen Frau' der 20er Jahre als Vorbild gegenübergestellt: „Der unvergängliche Wert der weiblichen Kriegs Generation [sie] liegt in der Stabilisierung der Geschlechts Gegensätze [sie], für die sie sich opferte. Die Front der Männer blieb so unangetastet."220 Der Krieg zementiert Geschlechterrollen, indem er den Mann in den Kampf schickt und die Frau an die Heimat bindet. Andererseits ebnet das gemeinsam erlebte Leid eines Krieges die Geschlechterdifferenz ein, er verändert sie.221 Der „Opfergang der Frauen" (Text Ka 1998) schlägt eine Brücke zu den Kameradschaftsbünden der Männer, zu deren Treffen die Ehefrauen in der Nachkriegszeit gerne mitgenommen werden. In der Erinnerung an gemeinsames Leid werden auch Frauen männliche Eigenschaften konzediert, z.B. den Müttern verstorbener Soldaten ein „stilles Heldentum" (Text AKa 1966). Die Übertragung männlicher Attribute auf Frauen wird in diesem Text fortgesetzt:

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Vgl. Kühne (1996b) S. 528f. Seifert (1993) S. 225. ... und nicht etwa ein ,Paul'. Generalfeldmarschall Paulus stieß mit der 6. Armee im Jahr 1942 bis Stalingrad vor. In: Der Seehase Nr. 144 (17./18. September 1983) (,Wir gedenken verstorbener Kameradenfrauen' S.5). Arnolt Bronnen: Die weibliche Kriegs Generation, in: F.M. Huebner, S. Bovenschen (Hg.): Die Frau von morgen wie wir sie wünschen (Frankfurt am Main 1990, zuerst 1929), S. 68-74; S. 71. Diesen Aspekt betont Koselleck (1992) S. 328.

Ein guter Teil der Jungen und Mädchen von heute wird im Leben seinen Mann stellen. (Text AKa 1966, Hervorhebungen durch den Verf.)

Im gemeinsam erlebten Leid tritt einerseits die Geschlechterdifferenz in den Hintergrund. Allerdings tritt andererseits in der Art und Weise, wie das Leid (aus Sicht des Veterans) erlebt wurde, die Geschlechterdifferenz wieder hervor:222 Niemals zuvor und danach haben zwei Frauengenerationen soviel Mut und Kraft aufgebracht. Sie haben in Fabriken, auf den Bahnlinien, auf Bauernhöfen, als Nachrichtenhelferinnen bei der Truppe, in den Krankenhäusern und Lazaretten, in den Geschäften oder in den Verwaltungen unverdrossen zwölf Stunden und mehr am Tag gearbeitet, sich um ihre Kinder gekümmert und gesorgt, und nachts in den Luftschutzkellern oft genug zu schlafen versucht und waren froh, wenn sie mal wieder davongekommen waren. Und trotz allem brachten sie Liebe, Glaube und Hoffnung auf, schrieben - Humor nicht vergessend - fast wöchentlich an ihre Männer, Väter und Söhne an der Front, oft genug ohne zu wissen, dass er schon gefallen war [...] So viele Frauen standen nach Luftangriffen vor den Trümmern ihres Heimes. Hunderttausende Frauen, Kinder und alte Menschen sind in den Trümmern der Häuser während der schrecklichen Luftangriffe und danach gestorben. Nur wer es selbst erlebt hat, bekommt eine Vorstellung davon, welchen Leidensweg diese Frauen mit ihren Familien durchlitten haben. (Rede Ka 11/1998)

Schließlich stellt der ehemalige Wehrmachtssoldat unmissverständlich klar, dass die Leidensgemeinschaft keine Aufhebung traditioneller patriarchaler Geschlechterrollen bedeute: Während ihre Männer, Söhne und Brüder noch jahrelang in den Kriegsgefangenenlagern schmachteten, haben diese Frauen ihr Land, das von Flensburg bis Graz, von Emden bis Eydtkuhnen eine einzige Trümmerwüste war, wieder mit aufgebaut und die Kinder erzogen, bis hin zum Wirtschaftswunder, woran sie einen nicht geringen Anteil haben. Erst dann sind sie wieder ins zweite Glied zurückgetreten. Vor dieser selbstlosen Leistung wollten wir uns alle verneigen - auch die Nachkriegsgenerationen. (Rede AKa 11/1998)

Am Volkstrauertag des Jahres 1998 preist der Redner noch einmal (wehmütig?) ein Land „von Flensburg bis Graz, von Emden bis Eydtkuhnen", die Verdienste der .Trümmerfrauen' und schließlich ein Land, in dem Frauen „ins zweite Glied zurücktreten". Von einer Aufhebung der Geschlechterdifferenz durch eine Leidensgemeinschaft kann zumindest hier nicht ohne weiteres gesprochen werden, das antiemanzipatorische Frauenbild lehnt sich deutlich an Roilenzuschreibungen der Kriegszeit an. Immerhin ist die Rede von 1998 insofern bemerkenswert, als auch die aktive Beteiligung von Frauen am Kriegsgeschehen angesprochen wird („Sie haben in Fabriken, auf den Bahnlinien, auf Bauernhöfen, als Nachrichtenhelferinnen bei der Truppe, in den Krankenhäusern und Lazaretten, in den Geschäften oder in den Verwaltungen unverdrossen zwölf Stunden und mehr am Tag gearbeitet [...]."). Im Zentrum steht auch hier das .emotionale Potential' der Frau: „Liebe, Glaube, Hoffnung" und „Humor". In diesem Sinn fügt sich das weibliche Sanitätspersonal besonders gut in das Gedenken der alten Kameraden. Inmitten des technisierten Kriegsapparates personifizieren diese Frauen Fürsorglichkeit und Zärtlichkeit.

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Zum Verhältnis von Leidensgemeinschaft und Geschlechterdifferenz vgl. Kühne (1996b) S. 529; .Leidensgemeinschaft' statt (irrtümlich) .Leidensdifferenz' muss es auch heißen bei Hettiger (1999) S. 355; zum misslungenen Anknüpfen an die sich anbahnende Geschlechterdemokratie der Weimarer Zeit nach 1945 vgl. Böhnisch (2003) S. 92f.

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Wieviel tätige Zuwendung, die man nicht .befehlen' kann, wurde [...] den Schwerverwundeten und Sterbenden von diesen Frauen und Mädchen zuteil: Mitleidendes Ausharren neben den Opfern, ein Händedruck, ein gutes Wort oder Gebet, ein zärtlich pflegendes Streicheln. Dies hat wohl manchem Verwundeten den Lebenswillen erhalten und Trost gegeben. (Rede Ka 12/1999, S. 15)

Die ,weichen Seiten' des Krieges figurieren verstärkt in Texten aus den 90er Jahren. Sie werden argumentativ für die Erhaltung und Weitergabe des Kameradschaftstopos instrumentalisiert. Zusammen mit dem soziologischen Element der Egalisierung werden die männerbündlerischen Aspekte im Erinnerungsdiskurs als Teil einer biographischen Bewältigungsstrategie funktionalisiert.

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4.

Analytischer Ertrag und Kontextualisierung

Mit den Memorialtopoi in den Völkstrauertagstexten der Zeitschrift ,(Alte) Kameraden' wird, heute mehr denn je, der aktuelle soziale Ort durch Orte des Kriegserlebens kontrapunktiert und relativiert. Kameradschaft wird im Laufe der Jahre zunehmend ein kultureller Gegenort im gesellschaftlichen Gefüge der Bundesrepublik - allerdings nur für jene sich zahlenmäßig in der Minderheit befindenden ehemaligen Wehrmachtssoldaten, die sich für in Traditionsverbänden organisierte Formen der Kriegserinnerung entschieden haben. Die Formen und Orte des Erinnerns kreieren eine kontrapräsentische Erinnerung, die den Ort einer konstruierten Vergangenheit vergegenwärtigt. Um eine positiv aufgeladene soldatische Kameradschaft auch in der Nachkriegszeit aufrechtzuerhalten, wird der Krieg rituell präsent gehalten. Dazu dient der Volkstrauertag, der Ungleichzeitiges - Krieg und Frieden miteinander vermittelt. Um diese Ungleichzeitigkeit auszubalancieren, bedarf es bestimmter kultureller Mnemotechniken. Einen herausgehobenen Platz nimmt dabei das Gedenken in religiösen und quasi-religiösen Formen ein. Das Verfahren, Kriegserlebnisse in eine universale Topik zu transformieren, haben die Autoren der vorliegenden Quellen bis zur Perfektion entwickelt, deshalb spielt die Frage persönlicher Schuld in ihren Volkstrauertagsreden keine Rolle. Eine universelle Bedeutung wird generiert durch Begriffe wie , Vaterland', .Tugend' und ,Opfer'. Psychologisch werden solche topische Operationen von Peter von Moos mit dem „menschlichen horror vacui vor allem Einmaligen, Unbekannten, Beispiellosen" und einem „elementare(n) Bedürfnis nach Wiedererkennen alles Neuen im Altvertrauten" erklärt. 1 Der horror vacui vor der biographischen wie historischen Abwesenheit von Beispielen und Sinn in Bezug auf die Schrecken des Zweiten Weltkriegs, die auf Einbettung in eine universale sinnstiftende Topik drängt, ist nicht bloß eine griffige Formel - manche Alte Kameraden träumen noch heute, nach bald 60 Jahren Abstand, vom Schrecken der Front. Die Brutalität der Kriegshandlungen, vor allem im Osten, generiert ein Bedürfnis, das beunruhigend einmalige und persönliche Erleben in einer Topik der Menschheitsgeschichte zu verankern und es gemeinsam mit den ehemaligen Gefährten zu teilen. Was jahrzehntelang als topische Ausflucht ins Allgemeine interpretiert wurde, ist in seiner Allgemeinheit gleichwohl ein persönliches Zeugnis von Verarbeitungsmechanismen individueller Kriegserfahrung. Damit wird auch das weitgehende Schweigen der hier zu Wort kommenden Volkstrauertagsredner über den Genozid an den Juden verstehbar. Der Holocaust hat in einem topischen Verständnis keinen Ort. Es gibt kein topisches Verstehen des Holocausts. Die Vernichtung der Juden bleibt in den Reden und Gesprächen Alter Kameraden deswegen eine Leerstelle.

1

Vgl. Moos (1988) S. XIX.

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Im pluralistischen Angebot der Nachkriegszeit finden viele Veteranen keine Bewältigungsmuster für ihre Kriegserlebnisse. Sie greifen zurück auf Muster aus der Kriegszeit und versuchen, sie unbeschadet in die neue Zeit zu retten, indem sie sich Kriegskameradschaften anschließen. Ihre Autoren schreiben nun weiterhin im Truppenverband. Erst durch die biographischen Schichten werden ihre Topoi verständlich. Die kameradschaftliche Gedenkrhetorik präsentiert sich als komplexes Geflecht aus Denkmustern einer größeren gesellschaftlichen Gruppe (im kollektiven Gedächtnis ehemaliger Wehrmachtssoldaten), einer diskursiv konstruierten Lebensgeschichte (im kommunikativen Gedächtnis in Erzählung und Gespräch) und dem Widerpart des gesellschaftlichen Umfelds. Erinnerung ist Konstruktion, im Gedenken wird, in den Worten Kosellecks, „der Erfahrungsraum des Kriegs [...] rückwirkend umstrukturiert." 2 Durch einen biographischen Fokus werden auch jene umstrukturierenden Erinnerungsstrategien verstehbar, die den Dialog mit Kameradschaftsverbänden gemeinhin erschweren (Verklärung, Geschichtsfalschung, Verflüchtigen ins Allgemeine): Oft liefern genau diese Strategien einen Schlüssel für das Verständnis einer Biographie und einer in der Erinnerung konstruierten Lebenszeit, die eigentlich ,die beste Zeit des Lebens' sein sollte, eine solche aber nicht sein konnte. In diesem Blickwinkel können die Gedenktexte auch als Zeugnisse eines Kampfs um die (Ehren-)Rettung der eigenen Jugend gelesen werden. Im Leittopos der Kameradschaft 3 finden auch die anderen Gedenktopoi ihren Ort. Er streut nach allen Seiten und affiziert Topoi wie Opfer, Glaube und Ehre, die ihrerseits den semantischen Kern des Kameradschaftstopos bestimmen. Die Quellen eignen sich offensichtlich nicht dazu, die Schuldfrage zu erörtern, zumal diese in Bezug auf die Wehrmacht nicht pauschal beantwortet werden kann. Viele Historiker argumentieren heute ähnlich: „Er [der Historiker] wird es daher auch dahin gestellt sein lassen müssen, in welcher Weise unser Kriegsteilnehmer in das Geschehen verwickelt war." 4 Aus dem Schweigen über die nationalsozialistischen Ideologie und ihre Verbrechen zwingend eine fortdauernde Indoktrinierung abzuleiten, wie es etwa Bartov tut, ist offensichtlich kurzschlüssig. 5 Zwar lassen sich auch in diesem Korpus Überreste nationalsozialistischer Rhetorik finden, insgesamt fällt aber eher die Aussparung ideologischer Bezüge auf. Wesentliche Züge der nationalsozialistischen Ideologie (Rassegedanke und Antisemitismus) werden in Reden und Gesprächen nicht vertreten. Während nationalsozialistische Rhetorik erst als Massenphänomen offensiv wirksam werden konnte, ist die Veteranen-Rhetorik heute vor allem defensiv ausgerichtet und die sprachliche Artikulation einer kleinen Gruppe, die sich nicht - wie für die nationalsozialistische Rhetorik konstitutiv - auf einen Machtapparat stützen kann. Diese Gruppe geht ihren partikularen Interessen nach: der Bewältigung der eigenen Vergangenheit und der ,Ehrenrettung' der toten Kameraden.

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Koselleck (1992) S. 332. Unter einem Leittopos verstehe ich einen Topos, der anderen Topoi übergeordnet ist - ein Topos in der Funktion eines Leitbildes, das die anderen zu seinem topischen Feld gehörenden Bewältigungs- und Deutungsmuster steuert. Zum Bilden „thematisch-inhaltlicher Hierarchien von Texten" vgl. Knape (2000) S. 760. Wette (1995) S. 14; auch Hans Mommsen argumentiert gegen Bartov, in: Zeit-Forum .Gehorsam und Größenwahn. Die Rolle des Militärs in Deutschland zwischen 1871 und 1945'. Die Zeit Nr. 48 (23.11.2000) S. 22f.; S. 23. Bartov (1995) S. 165.

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Die gesellschaftlichen Schwierigkeiten im Dialog mit den Veteranenverbänden, im Umgang mit der kameradschaftlichen Volkstrauertagstopik, gründen im Widerstreit der Werte. Der soldatische sensus communis ist nicht zwingend der sensus communis einer zivilen Gesellschaft und ihrer Historiker und Politiker. In der Griindungszeit der Bundesrepublik haben diese Formen zwar noch über eine umfassendere gesellschaftliche Basis verfügt. Ab den 70er Jahren beginnt die bewusst unveränderliche Topik, die neuen Zeiten widersteht, Ursache einer Hermetisierung zu werden. Glaubwürdigkeitsschwächen (Schwächen im rednerischen ethos) und Schwierigkeiten im Dialog mit Teilen der jüngeren Generationen werden den Traditionsverbänden immer mehr zum Problem. Kameradschaft wird nach innen ein Ort für Gemeinschaft und Zusammenhalt, nach außen die Ursache für Vereinzelung. Der Prozess der Hermetisierung ist ein Wechselspiel: Zu beobachten ist auch ein fehlendes Interesse und mangelnde Offenheit weiter Teile der Gesellschaft, sich mit den Gedenkformen der Traditionsverbände auseinanderzusetzen. 6 Damit haben die organisierten Veteranen langfristig nicht Teil an einer übergreifenden gesellschaftlichen Entwicklung. Dennoch gibt es Schnittstellen zwischen der kameradschaftlichen Gedenkkultur und der Gesellschaft, in der sie eingebettet ist. Zum einen begegnen viele kameradschaftlichen Gedenktopoi auch in .offiziellen Reden' zum Volkstrauertag, vor allem, wenn die Redner selbst noch der Kriegsgeneration angehören 7 - keine dieser Reden ist allerdings je auf größere öffentliche Resonanz gestoßen. 8 Zum anderen entspricht das Bedürfnis der Traditionsverbände, Erinnerungen an den Nationalsozialismus und den Holocaust aus dem Diskurs zu eliminieren, durchaus und immer wieder auch breiteren gesellschaftlichen Bedürfnissen, wie beispielsweise die Diskussionen über die Paulskirchenrede Martin Walsers gezeigt haben. 9 Schließlich konnte der Kameradschaftsgedanke auch in der Bundeswehr und den Vereinen überleben. 10 Diese sind zusammen mit den Traditionsverbänden und abgesehen von rechtsradikalen Kameradschaften' 1 1 die letzten Reservate, in denen der Kameradschaftsgedanke gepflegt wird.

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Dieses gesellschaftliche Defizit konstatiert auch Schröder (1992) S. 276. Renate Schönhagen hat die Topik von 34 Volkstrauertagsreden von Bundespräsidenten, Bundeskanzlern, Bundesministem, Fraktionsvorsitzenden, Vertretern der Kirchen u.a. untersucht. Sie findet dort ebenfalls nur in der Minderzahl Passagen über Schuld oder das Eingeständnis einer politischen Fehlorientierung im .Dritten Reich'. Vgl. Schönhagen (1990). Andere Volkstrauertagsreden der Nachkriegsgeneration unterscheiden sich von jenen der Kriegsgeneration deutlich. Themen werden mitunter grundsätzlich, Kriegsverbrechen können beim Namen genannt werden, Trauer wird auf ihren Wert für die deutsche Gesellschaft überprüft. Z.B. Annette Schavan: Wer wird in Zukunft trauern? Über Trauer und Menschenwürde. Gedenkrede zum Volkstrauertag bei der Feierstunde des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge. Pressemitteilung des Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport BadenWürttemberg (Konstanz 17. November 1996). Zu dieser auch in der Rhetorikforschung geführten Auseinandersetzung vgl. Manfred Fuhrmann: Bevormundung des Gewissens? Eine Lektüre. In: Universitas 53, 630 (1998) S. 1133-1142 und Josef Kopperschmidt: Was macht Walsers Paulskirchenrede eigentlich preiswürdig? In: Rhetorik. Ein Internationales Jahrbuch 18 (1999) S. 128-133. Die Musterreden am Grab eines Feuerwehrkommandanten in einem Rhetorikratgeber der 60er Jahre könnten mit wenigen Änderungen auch als Volkstrauertagsreden organisierter Weltkriegsveteranen gehalten werden. Vgl. Josef Kral: Neue Rhetorik. Praktische Rednerschule. 2 Bde. (Abensberg 1960) Bd. 1, S. 157. In diesem in meiner Studie nicht gemeinten, aber durchaus den Selbsttitulierungen jener Kreise Rechnung tragenden Sinn: Georg Biemann, Joachim Krischka (Hg.): Nazis, Skins und alte Kameraden (Dortmund 1986).

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Die vorliegende Studie ist auch die Rekonstruktion eines topischen Degenerationsprozesses.12 Klassische panegyrische Gedenkformen haben es in demokratischen Staatsformen schwer. Das kameradschaftliche Gedenken, das sich kontinuierlich entlang den traditionellen Basisfunktionen der Funeralrhetorik von Lob (nämlich der soldatischen Tugenden und der tapferen toten Kameraden), Klage (über den Tod der Kameraden und über ein undankbares Vaterland und dessen Historiker) und Trost (in der männerbündischen Kameradschaft) entwickelt, findet nur wenig Resonanz. Kameradschaftliche Topik erweist sich als zu schwach, um zukunftsweisend zu wirken, sie erreicht kein größeres Publikum. Überlebensfähige Topoi setzen in Deutschland den dialektischen Dialog voraus. Die hier untersuchte Veteranentopik widersetzt sich demokratischer Dialektik, sie bewegt sich abseits vom Spiel freier Meinungen, präsentiert sich defensiv und rückwärtsgewandt, einem uniformen Verhaltenskodex verpflichtet, und trägt damit ihre frühere oder spätere relative gesellschaftliche Wirkungslosigkeit bereits in sich. In ihrer betont unpolitischen und hermetischen Selbstdarstellung hat sie eine antipluralistische Stoßrichtung. Die Motivationen für eine solche Topik sind erklärbar. Die kontrapräsentische Erinnerung soll das Wissen um das Leid der toten und der ehemaligen Wehrmachtssoldaten dauerhaft sichern. Der Leser der Texte einer Erinnerungsgemeinschaft darf daher keine Zukunftsvisionen erwarten. Wiederholung und Ritus sollen die Überlieferung garantieren, das ist der epideiktische Auftrag. Es gibt aber auch einen bewältigungsrelevanten Auftrag: In einer Zeit des Wertepluralismus werden traditionelle Topiken schnell verbraucht und immer rascher neue produziert. In diesen instabilen Prozessen erweist sich die soldatische Topik noch immer als Haltepunkt für organisierte Veteranen. Der Volkstrauertag ist jene Konstante, die Kameradschaft als zentralen Orientierungsort in einer pluralen Wertewelt am Leben hält.

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Zu den Ursachen eines topischen Degenerationsprozesses vgl. Gert Ueding: Politische Topik. In: Th. Schirren, G. Ueding (Hg.): Topik und Rhetorik: ein interdisziplinäres Symposium (Tübingen 2000) S. 4 8 7 ^ 9 7 ; S. 496.

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5. Anhang: Gespräche

Gespräch mit A. am 21. September 2000 in Stuttgart [...] In Ihrem Text aus dem Jahr 1991 mit dem Titel „Die Gedanken weilen an ihrer letzten Ruhestätte" schrieben Sie, ich zitiere: Eine Generation, „die zwischen einer versinkenden bürgerlichen Epoche und einer weithin traditionslosen Gesellschaft ihre Wertvorstellungen über die Zeiten zu retten versucht." Die alten Kameraden verstehen sich als Wertegemeinschaft. (2) Heute sind die Werte verschwunden, werden gemeinhin „Sekundärtugenden" genannt. Pflichtbewusstsein wurde vielfach übertrieben, es gibt auch verknöcherte Kameraden. Es existieren Kameradschaft, Treue, Hilfsbereitschaft und preußischer Drill bin hin zu „Kadavergehorsam". Nach dem Krieg fielen die Hierarchien weg, es gab kein Befehl und Gehorsam mehr. Bei den Kameradschaftstreffen: Ist das auch alles weg? (3) Die Kameradschaftstreffen sind heute die freundliche Rückschau einer Schicksalsgemeinschaft. Das Gespräch mit ehemals Höhergestellten verläuft völlig entspannt, Drillgeist ist nur noch bei wenigen vorhanden. Wie empfinden Sie es, dass alte Kameraden nach dem Krieg, und eigentlich bis heute, gesellschaftlich so wenig anerkannt wurden? (4) Die Marginalisierung hat mich nicht verletzt. Obwohl viele alten Kameraden nach dem Krieg nicht in der Bundeswehr gearbeitet haben, verstehen sie sich, auch nach 55 Jahren Zivilleben, noch immer als Soldaten. Wie kommt das? (5) Ich spreche nur über den Krieg, wenn ich darauf angesprochen werde. Ist Heinrich Boll auch ein Kamerad? (6) Ja, Boll ist auch ein Kamerad, vom Menschlichen her. Seine Ansichten: Das ist etwas anderes. Was ist das: ein Kamerad? Ein Freund? (7) Ein Freund ist etwas anderes. Freundschaft ist ein Gleichklang über Jahre hinweg. Ein Kamerad steht neben mir und erlebt dasselbe Negative wie ich. Als ich das erste Mal im Trommelfeuer lag, habe ich geheult. Nach einem halben Jahr hat es mir nichts mehr ausgemacht. Wenn Sie heute an den Krieg zurückdenken: Was empfinden Sie dabei? 105

(8) In meiner Erinnerung ist Dankbarkeit im Spiel, dass ich unversehrt und wohlbehalten aus dieser Hölle heimkehren durfte. Allerdings quälten mich noch Jahre nach Kriegsende Alpträume von Luftangriffen auf deutsche Städte wie Mannheim, wo meine Eltern seinerzeit gewohnt haben. Dabei war der Urlaub oft schrecklicher als die Front. Kann man das sagen: Der Krieg hat Ihr komplettes weiteres Leben beeinflusst? (9) Im Krieg hatte ich eine Freundin in Schlesien, die ich beim Arbeitsdienst kennen gelernt habe. Als alles aus war, musste ich erst einmal tief Luft holen: „Was kommt jetzt? Haben wir noch etwas vor uns?" Eine Zeitlang herrschte Wurschtigkeit. Hhm - das nächste Mal reden wir aber über Geschichtliches! - Zehn Jahre meines Lebens waren weg. Ich kam direkt von den Grauen des Krieges in den Hörsaal, zu Professor Ritter. Gab es im Krieg auch Frauen, die Kameraden waren? (10) Die Lazarettschwestern waren auch Kameraden. Es ist einmalig, was die geleistet haben. Hat der Krieg Ihr Verhältnis zum Tod, auch zum eigenen, beeinflusst? (11) Als ich zum ersten Mal im Granatfeuer war, habe ich geheult. „Hört das endlich auf?" Später dachte ich nur noch: „Hoffentlich kriege ich einen ab." Das Verhältnis zum Tod war bald weg, Gleichgültigkeit war da. Wenn Verwandte sterben, erlebe ich das wie als Zivilist. Das hat mit dem Tod im Krieg nichts zu tun. Heute denke ich nicht an den Tod. Ich habe keinerlei Ängste. Für mich bemerkenswert ist: Russen, Franzosen und Polen sind heute Kameraden. Wie ist das möglich? (12) An der Westfront gab es Schilder mit der Aufschrift „Warum kämpfen wir eigentlich?" Wir hatten keinerlei Feindgefühle gegen die Franzosen im Krieg. Polen und Russen haben genau dasselbe erlebt wie wir. Das hat zusammengeschweißt. Im Krieg hat man das freilich nicht gedacht. Sonst hätte man nicht kämpfen können. Wie stehen Sie heute ideologisch zum Zweiten Weltkrieg? (13) Nach Kriegsende habe ich zu meinem Vater gesagt: „Es ist ein Weltbild zusammengebrochen." Warum sind eigentlich die Verbrechen an Juden kein Thema für die Zeitschrift ,Alte Kameraden'? (14) Genau weiß ich das auch nicht. Manchmal habe ich den Eindruck, dass manche alte Kameraden dieses Thema bewusst unter den Teppich kehren. Ich selbst habe einmal mitbekommen, was mit Juden passiert, war, ein Ereignis am Rande, was mein Weltbild zutiefst erschütterte. Wie kommt es, dass die Alten Kameraden so bereitwillig mit mir reden? (15) Sie sind die Brücke von der ,verlorenen Generation' zur heutigen Zeit. Wie lange noch, steht in den Sternen. Trotzdem: wir bleiben in Kontakt.

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Gespräch mit Ε. am 1. September 2000 in Stuttgart Die Erinnerung an den Krieg ist ja bei vielen prägend gewesen. Jahrzehnte danach ist es immer noch ein Erlebnis, über das sie sehr viel reden, nachdenken. Ist das bei Ihnen auch so, dass das Kriegserlebnis für das ganze weitere Leben prägend war? (1) Das dürfte bei einer gewissen Sorte Mensch so sein. Es gibt natürlich Mechanismen der Verdrängung, und je nach Erziehung und Tradition in der Familie und im Umkreis, wo man aufgewachsen ist, wird man nun selektiv verdrängen. Aber für die, die draußen waren, ist der Krieg natürlich eines der prägenden Erlebnisse und für uns, die wir nun die , verratene Kriegsgeneration' sind, war es natürlich überhaupt das prägende Erlebnis. Für mich speziell besonders bitter, weil ich fast alle meine Freunde verloren habe im Krieg, mit denen ich aufgewachsen bin und in der Jugend waren sie meine Gespielen. Und weil dann daraus auch eine Reihe von anderen Dingen gekommen sind, die mich prägten, wie man so schön sagt. Ich hatte mir auch vorgenommen, mit meinem Vater mal darüber gesprochen, der Offizier im Ersten Krieg war, habe ich gesagt: Wenn ich jemals aus diesem Schlammassel wieder zurückkomme, dann möchte ich anderen Leuten helfen. Es war also mit die Motivation für meinen Beruf, obwohl ich schon als Medizinstudent registriert war, als ich zum Wehrdienst eingezogen wurde, im Frieden noch. Ich habe ja noch ein Jahr im Frieden gedient. Ich war also Jahrgang 1938, da war ich 18 Jahre jung. Damals wurde ja alles sehr genau erfasst, was nicht immer nur negativ ausgedeutet werden sollte. Man hat also damals bei uns in der Klasse gefragt: Was wollt Ihr werden? Und da habe ich mich damals gleich zusammen mit einem meiner besten Freunde gemeldet als Medizinstudent, wir wollen später Medizin studieren. Und das hat natürlich auch meine Laufbahn beim Militär dann im gewissen Umfang verändert, abgesehen davon, dass ich ungeheures Glück hatte. Also bei mir hat, die Schwaben sagen, der liebe Gott immer wieder seinen Finger dazwischen gehalten. Übrigens bei meiner Frau auch. Sie mussten ja im Krieg auch keine Waffe in der Hand halten. (2) Unterschiedlich. Also am Anfang des Krieges war ich noch bei der kämpfenden Truppe. Bis ich dann Offiziersbewerber werden musste. Das war damals die Voraussetzung, später hat man dann die Kriterien nicht mehr so eng gestellt. Ich war also 1938, kam ich hier im alten Regiment, wo schon mein Vater und Großvater war, und war dort bei der Panzerjägerkompanie, bei der 14. Kompanie, und habe also 38 bis 39 ein Jahr im Frieden gedient, vorher schon den Arbeitsdienst gemacht, und dann 39, 40 war ich bei der kämpfenden Truppe noch. Im Januar 40 wurden wir dann ganz überraschend abberufen zum Medizinstudium. Sie waren erst im Westen und später dann auch im Osten. (3) Also die Feuertaufe, wie man das früher so nannte, die habe ich bereits am Westwall mitgekriegt, wo ein anderer Freund dann, mein Leutnant gefallen ist, der auch aus meiner Schule kam, zwei Klassen über mir war, das war das erste Erlebnis. Und dann auf einmal am 29. oder 30. Dezember hieß es, der Spies rief mich da in die Schreibstufe, das war ja der Schicksalstempel immer, sagt: Oj, Ihr habt Glück, Ihr müsst hier nicht rumsitzen und Euch langweilen, Ihr könnt zum Medizinstudium. Das waren Trimester damals. Und dann kam ich zum ersten Trimester nach Tübingen. Und wie das rum war Anfang April kam ich wieder zur Truppe und bekam dort aber nach drei Tagen den Befehl, dass die beiden 107

Medizinstudenten, Kessler, Oli Kessler war der andere, das war der Sohn eines bekannten Hals-, Nasen-, Ohrenarztes, am Marienhospital war der da Operateur. Ich würde jetzt gerne noch einmal über die Zeit nach dem Krieg sprechen. Es sind ja immerhin jetzt schon 55 Jahre vergangen. Gibt's eigentlich in diesen 55 Jahren Erlebnisse, bei Ihnen in Ihrer Biographie, die ähnlich prägend waren wie das Kriegserlebnis, wo sie sagen: Das hat mich auch geprägt, positiv oder negativ, das war mindestens ein genauso starkes Erlebnis wie der Krieg? (4) Ja durchaus. Wobei das eine eine Abfolge des anderen war. Warum? (5) Ich bin also gleich nach dem Krieg, ich konnte aus Kriegsgefangenschaft fliehen, wurde dafür dann verhaftet. Unabhängig davon: Es war aber trotzdem eine Zeit, wo ich viel lernte. Wann sind Sie geflohen? (6) Gleich. Ich war nur einen Tag in Kriegsgefangenschaft. 1945, verwundet geflohen. Und war ein ganzes Jahr dann zuhause am Krankenhaus, und wurde dann verraten und sollte von den Franzosen kassiert werden. Es war damals gerade eine Veränderung des Zonenübergangs. Dann hat aber die Gattin meines alten Chefarztes schnell geschaltet und hat die Amis gerufen - das war auf amerikanischem Gelände - und die haben dann als erstes die Franzosen festgenommen, weil die rübergekommen waren, weil die nicht durften. Und denen habe ich mich gestellt. Der Mann, der mich verhaftete, wurde später einer meiner besten Freunde. Das war der Jugendoffizier später von Baden-Württemberg, mit dem zusammen ich die Sport- und Jugendleiterschule in Ruit gründete, ich bin eines der Gründungsmitglieder dort. [...] So wurde ich später amnestiert durch die Bemühung dieses Earl Blow [Henry Humblot?], der dann mit General Widmer gesprochen hat direkt, und ich wurde dann amnestiert und konnte dadurch auch wieder nach Tübingen kommen. Dadurch kam ich dann sowie ich Luft hatte auch wieder zum Roten Kreuz, wurde dann ein Gründungsmitglied des IB, des Jugendsozialwerks, ich wollte helfen. Und das führte dann dazu, dass ich genau zehn Jahre nach dem Krieg als Chef eines, also wir hatten zwei Rotkreuzlazarette, oder Hilfszüge, unten beim Ungarnaufstand 1956. Und ich habe da den ganzen Wahnsinn, dass Menschen aufeinander schießen, dort beim Einsatz in Ungarn, mitgekriegt, wo auch meine Frau mit war. Wir waren also praktisch sozusagen der Hauptverbandplatz für die Studenten von Sopron, von Ödenburg, die auf der weißen Seite kämpften. Das sind natürlich Erlebnisse, die man nicht mehr vergisst. Also man könnte sagen, dass Ihre berufliche Tätigkeiten nach dem Krieg Sie ähnlich geprägt haben, oder positiv geprägt haben. (7) Ja, vielleicht auch dadurch, dass ich damals noch nicht so kuckte: Wo läuft das große Geld? Sondern: Wo kann ich helfen? Was natürlich relativ leicht zu sagen ist, wenn man aus einer alten Familie kommt. Wir sind zwar total ausgebombt gewesen, aber mein Vater hatte doch so viel, dass er mir in einem entscheidenden Moment meines Lebens sagte: Bub, du wolltest immer helfen und ich möchte meinen Dank an den lieben Gott, wir sind nicht bigott, aber irgendwo war das da, ich möchte meinen Dank an den lieben Gott abstatten, du 108

darfst ein Jahr lang sozial tätig sein, was Du Dir immer gewünscht hast, das kann ich noch finanzieren. Das war auch eine Weiche, wie ich dann später zur Sozialmedizin kam. Jetzt haben Sie in Ihrer Rede auch geschrieben, dass es Ihnen immer ein Anliegen war, Ihren Studenten auch ethisches und verantwortungsvolles Handeln nahe zu legen, ein Handeln, das die stillen Ideale tätiger Nächstenhilfe auch weitergibt. Wie konkret haben Sie das Ihren Studenten gesagt? Haben Sie denen erzählt, im Krieg war es... (8) [unterbricht mich:] Ja da war wohl das Wichtigste das Gespräch außerhalb des Hörsaals, kann ich's vielleicht so formulieren. Aber das geht schon weit zurück, ich wurde erst 1968 bei ab Gründung der Universität Ulm wurde ich abgestellt von der Landesversicherungsanstalt zum Aufbau der Sozial- und Arbeitsmedizin, wurde dann mit dem Aufbau(...???), war sehr befreundet mit Professor Friedner, und habe diese ganze Aufbauzeit dort bis heute miterlebt, und da hat sich, die Studenten fragten natürlich am Anfang recht wenig, aber in der nächsten, also die 68er hatten ja völlig abgeblockt, das war völlig uninteressant. Dann aber die nächste Generation: ja mein Gott, wie habt ihr das gemacht, was habt ihr alles mit durchmachen müssen und wie war das in der Stunde Null, wo überhaupt keinerlei Möglichkeiten mehr da waren... [ich unterbreche ihn:] Aber die 68er haben doch sehr viel gefragt, die haben doch sehr viel angeklagt... (9) [er unterbricht mich:] Ja, aber nie die Verbindung aufgenommen in diesem Sinne. Während die nächste Generation wieder die Verbindung aufgenommen hat und da auch nun fragte, was haben sie da für Erfahrungen, und wie haben sie da gedacht, wie gehandelt, und dadurch blieb auch mein Gedächtnis immer wach. Nun habe ich natürlich die ersten, seit 1948, da war dann auch ein sehr prägendes Ereignis, die Wiedergründung des Roten Kreuzes auf Bundesebene, das dann die Alliierten endlich zuließen, zuerst durften nur die Ortsverbände wieder tätig werden, und dann die Kreisverbände und schließlich die Landesverbände, und die wurden dann 1956 offiziell, vorher war's schon inoffiziell passiert für die drei Zonen im Westen, und wie man endgültig gesehen hat, dass die DDR die damalige nicht mehr dazukommen kann, hat man während des kalten Kriegs bei der Luftbrücke Berlin in Berlin die Wiedergründung des Roten Kreuzes vorgenommen. Und als jüngster Landesarzt hatte ich dort die hohe Ehre, einen Festvortrag zu halten, und das war natürlich eines der aufregendsten Ereignisse in meinem Leben, da war das ganze diplomatische Korps da, und der Bundesinnenminister und die ganzen Rektoren und die hohen Kommissare, also McCloy und die anderen auch, die Russen. Jetzt möchte ich noch etwas zu Ihrer Rede fragen, die Sie im Jahr 1999 zum Volkstrauertag gehalten haben. (10-11) Also der Ursprung steht hier, ganz schlicht: Kimmich sagte mir, Mensch wir müssten eigentlich auch mal über die Sanitäter und über die Ärzte ein Gedenken, ein spezielles Gedenken einlegen, das wird immer so leicht vergessen. Und was mir bei Ihrer Rede aufgefallen ist, ich habe jetzt in letzter Zeit sehr viele Reden gelesen, und die Reden, die sind eigentlich ganz anders als Ihre. Also in diesen Reden kommen sehr oft die Begriffe „Vaterland" oder „Opfer" oder auch „Ehre" oder „Anstand" 109

das sind alles Begriffe, die ich in Ihrer Rede überhaupt nicht gefunden habe. Sie erzählten einfach, was Sie erlebt haben, Sie erzählen Geschichten in der Rede. Wie kommt das, dass diese Begriffe in Ihrer Rede gar keine Rolle spielen? (12) Ich kann das sehr gut nach, ich kann das sehr gut nachvollziehen... ... diese Reden sprechen sehr viel auch von dem Geheimnis, das sie noch verbindet mit ihren verstorbenen Kameraden, dass es niemand nachvollziehen kann, wie ist es gewesen war, dass ... (13) [fällt mir ins Wort, während ich noch weiterrede:] Das kann ich im Prinzip nur unterstreichen. Wer nicht dabei war, kann das nicht nachvollziehen. Vielleicht darf ich das noch vorab einschalten: Ich habe da auch auf einmal aus der Erinnerungskiste heraus ein Erlebnis aus meiner Jugend wieder auspacken können. Wie ich 14 Jahre alt wurde ist mein Vater mit mir eine Woche lang auf eine Wanderung gegangen während der Ferien und hat mir da zum ersten Mal vom ersten Weltkrieg erzählt. Und ich habe dann etwas spöttisch gesagt: Jaja ich weiß, das war da, wo ihr drei Tage unter Wasser marschiert seid in Flandern, ich machte das so etwas, wie die Jugend vorlaut ist, und mein Vater verstummte plötzlich. Und zwar, wie man heute sagen würde, betroffen. Und wir redeten dann von anderem, und erst am Abend nahm er dann diesen Gesprächsfaden wieder auf und sagt: Bub, heute habe ich etwas gelernt von Dir. Ich wollte dich etwas lehren, aber ich habe auch etwas gelernt. Du kannst das ja alles gar nicht begreifen, du bist ja erst 1919 geboren. Wir Soldaten glauben immer, dass was wir erlebnismäßig verarbeiten, das müsste die Jugend auch verarbeiten können. Das kann ja gar nicht sein, da warst du ja noch gar nicht auf der Welt. Du bist nun unter ganz anderen Prämissen aufgewachsen und ich muss nun sehr behutsam und allmählich Dir überhaupt erklären, wie ist die Geschichte gelaufen. Und das habe ich nun später immer wieder versucht, auch beim Roten Kreuz, wenn ich mit jungen Krankenschwestern oder mit Sanitätern in der Ausbildung war oder auch schon Kurse in Tübingen hielt über erste Hilfe, „Semester-Offen" (?), das war aber eine Sache des Roten Kreuzes. Ich versuchte immer wieder mir klarzumachen: Mein Gott die Menschen, die also so ab dem Jahr 1940 geboren sind, auch die Kleinkinder im Krieg, die können das ja gar nicht nachvollziehen, und da ist einfach diese Brücke da. Das war also einmal das eine. Und das zweite war das, das habe ich von meinem Vater gelernt, dass ich immer wieder von Anfang an auch meinen verbliebenen Freunden und den Kontaktpersonen gegenüber mit denen ich zu tun hatte, sagte, Betroffenheit kann man nicht mit Worten ausdrücken. Ich möchte Betroffenheit dadurch ausdrücken, dass ich helfe, wo ich irgendwo helfen kann. Was aber trotzdem nicht hindert, dass die abwertend Sekundärtugenden genannten Soldatentugenden bei mir die höchsten Tugenden geblieben sind. Immer noch. (14) Immer noch. Das ist eine Generation, vielleicht stirbt das ab, aber der Begriff der Treue, dem habe ich mein Leben zu verdanken. Und diese drei christlichen Grundwerte, die ja bei uns auch bei den Kriegern gegolten haben, wir hatten ja Militärpfarrer, mit einem war ich sehr befreundet, und sie haben ja vielleicht auch schon von Militärpfarrern gelesen, bei den „Kameraden". Irgendwo haben wir also die drei Begriffe der Liebe, des Glaubens und der Hoffnung auch gehabt, und auch versucht zu praktizieren. Aber die Treue, die Verläss-

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lichkeit, die Kameradschaft, die Hilfsbereitschaft und auch der Opfergang, die sind für uns Begriffe, die kann man aus unserem Leben nicht mehr streichen. Meine Frau ist Russlanddeutsche, die hat die ganze Flucht mitgemacht, die Familie kam aus dem Kaukasus und war dann in Bessarabien angesiedelt, dort ist das ähnlich, obwohl die Russlanddeutschen, überhaupt wie die Volksdeutschen vielleicht über solche Begriffe etwas leichter leben, weil sie nun diese schweren Traditionen von Deutschland nicht mit dabei (?) haben. [...] Der Glaube für eine gute Sache zu kämpfen ... (16) [unterbricht mich:] Genau, deshalb nennen wir uns ja „die verratene Generation". Aber ich war nun keiner von denen, der nun sein Fähnchen in den Wind hing und dann nach 1945 gleich aufstand und sagte, ich war eigentlich schon immer dagegen, nicht wahr, ich kann da nur meinen Kopf schütteln, wer ab 1945 eigentlich schon immer dagegen war, Leute die ich kannte, ich habe mich nie irgendwie nun abwertend geäußert, das muss jeder mit seinem Gewissen selbst ausmachen. Aber ich habe die positive Erfahrung gemacht, dass selbst die ehemaligen Gegner, und da hatte ich großes Glück, dass ich faire Leute kennen lernte, sagten: Wissen Sie, Sie waren ehrlich, von Anfang an, Sie haben gesagt, ich war Jungvolkführer, beispielsweise, wie viele andere auch, beispielsweise der Vogel, oder ... Welcher, Jochen Vogel, nein? (17) Ja, hatte den gleichen schönen Rang, er war auch Fähnleinführer. Das war ein Bub von damals, ich kam aus der bündischen Jugend riiber, wir waren alle im Jungvolk, nicht in der Hitlerjugend, die war unpolitisch. Das war eben einfach das Jugenderlebnis, wie früher bei den Pfadfindern. Ich kam von den Pfadfindern her. Da möchte ich doch noch einmal zu der Rede und zu den anderen Reden. In den anderen Reden dieser Zeitschrift wird oft so argumentiert, dass die Redner sagen ... Sie sagen jetzt „ verratene Generation ". Aber andere Redner sagen oft, ob unser Glaube missbraucht wurde oder nicht, interessiert uns im Grunde gar nicht, weil: Wir waren einfach Soldaten. Also wir hatten zu kämpfen ... (18) Genau, das ist der Grundbegriff aller Soldaten. Das ist die Basis, auf der heute die Amis stehen, die Engländer stehen und die Franzosen und die Russen. Aber Sie sagen, wir wurden verraten. Insofern interessiert Sie 's ja doch, wofür Sie gekämpft haben. (19) Ja, das war aber nach dem Krieg, schon am Schluss des Krieges, ein sehr bitteres Erwachen. Wir haben ja nun diese Ideale hoch gehalten, solange das irgendwie ging. Wir wurden auch so hinein erzogen, dass wir glaubten, Deutschland ist Unrecht geschehen. Was übrigens auch zum Teil vom Ausland, ich habe da sehr viele Auslandsdeutschenstimmen und auch direkt vom Ausland, was sogar vernünftige Leute im Ausland so sahen. Obwohl wir bei Kriegsbeginn nie begeistert waren. Das war im Gegensatz zum ersten Krieg nicht. Aber wir taten unsere Pflicht. Und wir haben eben leider erst sehr spät erkannt, dass wir missbraucht wurden. Wobei für mich nun eine Gunst des Schicksals war, dass ich etliche Leute kennenlemte, die mich natürlich in meiner Gesamthaltung sehr geprägt haben. Der erste, den ich da zitieren kann, ist der ehemalige Bundesminister Wildermuth, Ihnen von Tübingen her wahrscheinlich nicht unbekannt. 111

[...] (21) Er liegt auf dem Ehrenfriedhof, im alten Friedhof draußen. Er war Ritterkreuzträger, war zeitweise mein Kommandeur, war also ein alter Haudegen. War im ersten Krieg der Kompaniechef meines Vaters, was mir im zweiten Krieg einen kleinen Vorteil brachte, wie er mich anpfiff, weil wir Beutefahrzeuge in Frankreich abstauben wollten, die er erobert hatte. „Ja, seid ihr Schwaben?", hat er gefragt [...unverständlich...] Sagt er „Ellwanger, Ellwanger" ich meldete mich dann als Fähnrich Ellwanger - „habe ich einen Kriegskameraden gehabt im ersten Krieg, der war Feldwebel bei mir und wurde später Zahlmeister." Und dann sage ich, das ist mein Vater. „Ach". Und dann ging's besser. Ja und diese Freundschaft hielt an. Er hat mir einen Tipp gegeben fürs dritte Trimester. Und dadurch konnte ich vor Kriegsende noch mein Examen machen. Das war also eine Schicksalsweiche. Er schrieb mir einen Brief, sagte, das können Sie ihrem Kommandeur zeigen, das ist doch sinnlos, dass sie da rumsitzen, war an sich nur für Reservisten gedacht, dieser Arbeitsurlaub, und mit diesem Wildermuth verband mich später eine geradezu väterliche Freundschaft. Der hat mich natürlich sehr geprägt, der wurde ja später Wirtschaftsminister, oder: Staatsrat für Wirtschaft in Tübingen, und wurde dann der erste Bundeswohnbauminister, das war damals eines der wichtigsten Ämter, wo ganz Deutschland zerstört war, ist dann leider sehr bald gestorben, 1952 an einem Herzinfarkt, ich war da noch dabei, ich war damals in der Klinik, und hat dann ein Staatsbegräbnis bekommen unter Adenauer, das war der erste. Der zweite, den ich auf dieser Ebene kennen lernte, war Eschenburg, mit dem mich eine herzliche Freundschaft verbunden hat... Der Politologe? (22) Der Politologe. Der war lange Zeit bei uns im Vorstand und im Kuratorium, ich war zehn Jahre (?) lang auch Kuratoriumsvorsitzender, und wir saßen oft zusammen. Also Eschenburg hat sehr viel für die Jugend übrig gehabt und speziell für uns hier im IB. Der Dritte ist Carlo Schmid. Ich bin also parteipolitisch nicht gebunden. Aber ich habe prägende Persönlichkeiten aus allen Richtungen kennen gelernt. Ich kenne den Kiesinger noch ganz gut und auch seine Schwiegertochter, die war leitende Krankengymnastin. Also ich hatte das Glück, dass ich solche Leute mitkriegte. Ich konnte dann auch politische Einblicke ein bisschen gewinnen. Während meiner Haft lernte ich den Herrn Schacht kennen. Der ist Ihnen kein Begriff mehr, der ehemalige Reichsfinanzminister ... Doch... (23) ... der 1944 verhaftet wurde, und mit dem konnte ich eine lange Nacht, er war damals 70 und ich war also 25, ich konnte eine lange Nacht an seinem 70. Geburtstag im Gefängnis mit ihm reden. Er wollte sich das mal von der Seele reden, er war ja 44 eingesperrt worden und nahtlos dann in alliierte Haft gekommen. Und so lernte ich auf meinem Lebensweg doch eine ganze Menge von Leuten kennen, bis dann jetzt zu Lothar Späth, oder ich kannte den Klett gut als Präsident vom Roten Kreuz und so weiter. A propos von der Seele reden: Ich habe irgendwie den Eindruck, dass es jetzt noch einmal vielen Kriegsteilnehmern so geht, dass sie jetzt tatsächlich noch einmal davon reden wollen. [...] Viele haben dann auch gesagt, das sind die Ewig-Gestrigen und die kommen immer mit den Kriegsgeschichten. Selbst in Familien, ich weiß bei uns hieß es dann auch immer, immer die alten Geschichten und so ... 112

(24) Klar, hieß es in jeder Familie... Und jetzt plötzlich ist wieder ein sehr starkes Interesse da. [...] Kann das sein, dass auch die Kriegsteilnehmer plötzlich wieder ein Interesse haben, oder ein Bedürfnis, darüber zu reden? (25) Das Bedürfnis war immer da. Aber aufgrund dieser Nachkriegsentwicklung, wo nun auch vieles aufgedeckt wurde, was wir eben alles nicht wussten, sind wir verstummt. Vielleicht zu lange verstummt. Auch bei meinen eigenen Kindern, bei meinen eigenen Enkeln, ist die gleiche Situation auch gewesen, bis sie dann selber kamen und fragten und sagten, wie kommt denn das, wie konnte denn das sein. Und dann habe ich versucht, es zu erklären und allmählich merkten wir dann, das der Zeitgeist immer mehr gedreht wird, dass nun die ursprüngliche Politikergeneration nach dem Krieg, das waren noch gestandene Leute bis rüber zur Gewerkschaft, bis zum Herrn Loderer, den ich gut kenne, ich kenne den Schleier gut durch meine Kontakte, die ich damals hatte, auch vom Roten Kreuz, die konnten uns alle noch verstehen, weil sie selber diesen Krieg miterlebten. Wildermuth, dann Eschenburg, oder Steinbach in Tübingen, Erbe, das waren ja alle die Kriegsgeneration, eine Reihe von Professoren usw. Und je mehr nun die alte Generation abstirbt, umso mehr hat eine bestimmte Schicht in Deutschland versucht, die Tradition endgültig abzuschneiden, bis zu diesen Erlassen bei der neuen Bundeswehr, die ja nun ganz von diesen Leuten aufgebaut wurde Der Traditionserlass, oder was meinen Sie? (26) Der Traditionserlass beispielsweise. Sicherlich muss man falsche Traditionen abschneiden. Man muss gleich den Anfängen wehren. Das ist uns alles klar. Aber ganz am Schluss, das ist eine rein private Sache, ist also beispielsweise Herr Kimmich und ich und einige andere darauf gekommen, sagt: Das einzige, was wir noch tun können, was wir schuldig sind, um das Andenken an unsere toten Kameraden aufrechtzuerhalten, die sich ja nicht mehr wehren können, die sind ja längst tot, ist das, dass wir versuchen ehrlich darzustellen: so war's. Und das der Jugend zeigen. Und das ist jetzt wahrscheinlich diese Welle, die zum Teil auch die Auslandkontakte verstärkt wird. Die ausländischen Gesprächspartner, die wir haben, also unsere ehemaligen Gegner, sagen immer: Menschenskind, wir können die Deutschen nicht verstehen. Das ist bemerkenswert. In fast allen anderen Ländern, in Österreich ... (27) ... überall, ja ... ... die Kriegsveteranen haben eine wichtige Rolle in der Gesellschaft, auch in Amerika ... (28) ... USA, ich war drüben in den USA, ich kenne das sehr gut ... ... die Vietnamveteranen haben auch eine wichtige Stellung in der Gesellschaft. Nur in Deutschland hat man sich immer ein bisschen ... (29) Man hat sie völlig in die Ecke gedrängt. Was bis neunzehnhundert..., Mitte der 50er Jahre niemals gegangen wäre, weil noch so viele Zeitzeugen lebten. Und das war nun eine sehr elegante und kluge Unterlaufbewegung, dass man sagte, gemach, gemach, gemach, Weg durch die Instanzen, das löst sich von selbst, wenn die Zeitzeugen nicht mehr da sind, können wir kommen. Und so kam's. 113

Kann wer kommen? (30) Die andere Seite, die nun also prinzipiell, nicht wahr: Soldaten sind Verbrecher. Das war erst möglich, wie die Zeitzeugen, auch die uns gegnerisch Gegenüberstehenden, beispielsweise hatte ich ein nettes Verhältnis zu zwei jüdischen Schulkameraden, die nach dem Krieg mir auch einige Care-Pakete schickten, mit denen ich nie Krach hatte, die bis 38 noch in der Schule waren, wir wussten wohl, was da lief, aber das wollen wir ganz ausklammern, das ist an uns mehr oder minder vorbeigegangen, diese Synagogengeschichte, da war ich gerade Rekrut, da hatten wir gar keinen Ausgang, das haben wir gar nicht mitgekriegt, das wurde dann kurz besprochen. Die Wehrmacht macht an Plünderungen nicht mit, so hat das also damals unser damaliger Kompaniechef schon abgewertet, insoweit erfuhren wir diese ganzen Dinge erst nach dem Krieg, die haben uns natürlich sehr betroffen gemacht. Im Krieg selber, Sie schreiben jetzt in der Rede auch viel von ethischem Handeln, verantwortungsvollem Handeln, dass Sie als Sanitäter sogar gegnerische Verletzte mitgepflegt und versorgt haben ... (31) Nicht ich. Das wurde allgemein so gemacht. Ebenso wie Sie die Mediziner und das Pflegepersonal. Jetzt war ja der Krieg im Osten, das „Unternehmen Barbarossa" ein sehr sehr brutales Vorgehen ... (32) [unterbricht mich:] Das war Brutalität und Gegenbrutalität, und das eine hat das andere aufgeschaukelt ... [...] Haben Sie davon nichts mitbekommen, von den

Brutalitäten?

(33) Ich war 1941 in einem Kriegslazarett, sah das dadurch natürlich nicht, das war aber auch längst nicht bei allen Truppenteilen, das waren vor allem die Truppenteile in der Etappe, waren bestimmte politisch eingesetzte Truppenteile, die Fronttruppen haben sich eigentlich immer verstanden. Wir hatten beispielsweise, diese Division hatte eine sehr nette Freundschaft jetzt zu den gegnerischen russischen Truppen, und wir unterstützen diese Veteranen, das sind ja auch ganz arme Teufel, die kriegen nicht einmal eine Rente. Das ist jetzt, aber im Krieg ging's ja Knall auf Fall... (34) [unterbricht mich:] Im Krieg, aber auch nicht immer. Es gab faire Taten, ich hab da einige in Erinnerung, auf der anderen Seite aber auch bei uns. Beispielsweise 1942 im Kaukasus, da war es ganz selbstverständlich, auch durch die Hochgebirgssituation, dass man auch den anderen geholfen hat, so gut es ging. Aber von den wirklich schlimmen Sachen liest man in den Reden der Alten Kameraden eigentlich nie. Da liest man immer nur bei Historikern drüber. Und dann denkt man: Entweder die Historiker übertreiben alles, oder die Alten Kameraden möchten nicht darüber reden. (35) Das dürfte eine Selektion sein. Die die heute frei von Skrupeln reden können, waren daran nicht beteiligt. Und die die wie der Schwabe sagt „Dreck am Stecken haben", werden heute nicht reden. Wollen wir's mal so sagen. Es ist auch eine sehr schwierige Frage natürlich. Ich habe mal lange mit der, ich wurde flüchtig bekannt mit Inge Scholl, mit der 114

überlebenden Schwester von den Schölls. Das ist ja Tradition in Ulm, und sie hat mir dann auch mal erzählt, ich wusste das gar nicht, dieser hingerichtete Scholl war also auch Sanitätsfähnrich wie ich und hatte nun das Glück oder das Pech, in seinem Fall das Pech, dass er von diesen Kriegsgrausamkeiten schon von einer Zeit erfahren hat, wo wir keine Ahnung hatten. Er war da im Mitteleinsatz... Er ist, wie seine lebende Schwester dann sagte, als evangelisch geprägter Christ dagegen naiv aufgestanden und hat diesen Aufstand dann mit der „Weißen Rose" versucht zu machen mit seiner Schwester. Das musste natürlich damals in der damaligen Zeit kläglich schief gehen, das ist also eine tragische Gestalt in der Geschichte geworden. Aber wenn Sie jetzt auf diese Reden zurückkommen. Wir versuchen natürlich das, was im Krieg passiert ist, weil ja das Überleben und das geistige Überleben nur dadurch war, dass man sich eben ganz ins Schneckenhaus zurückzog, auf seine Kameradschaft. Dass man das nun nach dem Krieg wieder erinnernd herausstellt, vor allem deshalb weil nun bei meiner Klasse beispielsweise über die Hälfte aller nicht mehr zurückgekommen ist. Sie haben es auch erlebt, wie Kameraden niedergeschossen wurden. Sind das Sachen, an die Sie auch noch manchmal denken müssen? (36) Ich habe Jahre gebraucht, bis ich überhaupt darüber gesprochen habe, ich habe lange gebraucht, um diese ganzen schrecklichen Erlebnisse zu verarbeiten und ... [ich unterbreche:] Wie ist das jetzt, denken Sie da noch manchmal dran? (37) Ah sicherlich, ja das kommt mir manchmal also, auch in Träumen noch oder auch in Erinnerungen mit alten Bekannten und Freunden, wenn man dann noch das eine oder andere raufbringt, wobei Sie nicht vergessen dürfen, ich bin natürlich insoweit ein Privilegierter diese Krieges, dass ich ab 1940, ich formuliere das jetzt absichtlich überspitzt, immer im Urlaub an die Front ging. Und während des übrigen Jahres war ich in friedlichsten Verhältnissen in Tübingen zum Studium. Das hat mich ganz fürchterlich geschlaucht nach dem Krieg, dieser abrupte Wechsel. Wobei es für mich ja und meine Freunde eine Selbstverständlichkeit war, dass wir uns, wir konnten weit zum Teil wählen ins Reservelazarett oder in ein Heimatkrankenhaus oder raus zum Truppenteil. Wir haben uns immer zum Truppenteil rausgemeldet, und ich bekam nie ein böses Wort. Aber Sie standen auch sozusagen einmal im Kugelhagel und haben ... (38) Nein nein nein. Es standen eigentlich bei den Fronttruppen eben solange man im Gefecht war. Ich stand im Kugelhagel, also 41 war ich im Lazarett, da kam wohl auch Artillerieflieger, aber sonst nichts, 42 war ich direkt an der vordersten Front. Da stand ich also drei Monate sozusagen. Aber schon als Sanitäter, als junger Hilfsarzt damals schon. 1943 fuhr ich drei Monate im Lazarettzug und 1944 war ich hier da verwundet Luftschutzoffizier für Tübingen. Ich habe die Fliegerangriffe auf Stuttgart dann mitgemacht. Also insoweit kann ich gar nicht mitreden, ich habe auch lange meinem Freund Kimmich gesagt: Ich bin kein Sprecher für unser Regiment und unsere Division, ich bin ja nun ein Privilegierter gewesen, ich habe ja diese ganze Schlamassel und diese 25. Division hat also im Mittelabschnitt Fürchterliches miterlebt, während wir noch einen einigermaßen ritterlichen Kampf 1942 das war einigermaßen ritterlich noch im Kaukasus. Also Sie hatten eigentlich ganz andere Möglichkeiten, sich dem auch zu entziehen [...] 115

(39) Nein, ich wollte mich dem auch nicht entziehen. Ich war einmal nahe daran, mein Medizinstudium aufzugeben und mich an die Front rauszumelden, weil ich einfach diesen seelischen Druck damals nicht aushielt. Aber dann hat also ein sehr vernünftiger Professor in Tübingen mit mir geredet und gesagt, jetzt haben Sie die Pflicht zu erst einmal ein tüchtiger Arzt zu werden, wir brauchen Ärzte und dann kommen Sie noch schnell genug dahin. Die Ärzte hatten ja ungeheuer hohe Verluste, die Frontärzte, die waren ja mit diejenigen, die die meisten Verluste hatten. Wenn ich Reden lese, dann habe ich oft den Eindruck, dass die Kameradschaft von vielen jetzt im Nachhinein ein bisschen so etwas wie eine Familie ist für die Kriegsteilnehmer. (42) Ja. Ja. Ja. Es ist also das bei der Jugend weitgehend unbekannt gewesen, und das zeigt doch, dass irgendwo nicht alles so abgelaufen ist, wie es heute dargestellt wird. Das sage ich jetzt ganz neutral, ich möchte mich da gar nicht in aktuelle Tagespolitik mischen. Aber dass nun ganze Truppenteile eine Kameradschaft pflegen bis zum Ende, wir wollten uns letztes Jahr auflösen, im Herbst 99 haben wir uns an sich das letzte Mal getroffen. Und nun kamen die Franzosen und sagten: Ihr werdet doch zur 60-Jahrfeier dieses großen Kampfes am Chemin des Dames werdet ihr doch kommen, das wäre doch ganz traurig wenn ihr nicht kommt, und wir hatten also nun 40 Jahre lang mit der französischen Alpenjägereinheit hatten wir ein ganz enges Freundschaftsverhältnis. 48 Ehen wurden geschlossen ... Das ist bemerkenswert, ja ... (43) ...von den Jungen. Und da sagte Kimmich noch im Spaß, na vielleicht kriegen wir die 50 Ehen noch voll. Die zwei werden vielleicht noch kommen. Und die haben jetzt noch einmal einen großen Bahnhof gemacht dort mit dem aktiven Truppenteil, mit den Älteren, die bei uns ja gar nicht da sind, die Bundeswehr darf ja da nicht, zum Teil kommen sie trotzdem, und den ganz Alten, das waren noch 34 (...), der Kimmich sagte dann, da müssen wir auch hin. Und dann sind von uns auch noch einmal etwa Mitte 30 und einige Witwen (?) sind da hingefahren, und es muss eine sehr schöne, ich bin nicht mit, weil ich da nicht mehr dabei war, ich war auch gesundheitlich so angeschlagen, dass ich das nicht machen konnte. Das ist für mich eine der bemerkenswertesten Dinge, dass die, die sich so verfeindet gegenüber standen, nach dem Krieg Kontakte aufgenommen haben. (44) Wir haben sehr viel schneller und vermutlich auch besser wie die Politiker diese Kontakte hergestellt. Deutsch-französisch schon seit neunzehnhundert..., anfangs der 50er Jahre, und deutsch-russisch heimlich schon vor dem Tauwetter mit Gorbatschow. Und offiziell ab 1989. Wir haben also beispielsweise ein Hilfsprogramm für Veteranen, von Truppenteilen, die uns da in Russland gegenüber lagen, da haben wir schon sehr viel Geld und Material geopfert, um diesen russischen Kriegsveteranen auch zu helfen, humanitär zu helfen. Die haben ja den Krieg mit verloren, die armen Kerle nicht wahr, die haben ja den.... Und da kommt also immer auch eine Delegation von Russen herüber. Ich speziell versuchte nun den Tscherkessen und den Kubankosaken zu helfen, mit denen ich 1942 zusammen war. Wir hatten da einige Kanäle über meinen inzwischen längst verstorbenen Schwager, der Kaukasusdeutscher war. Das ist heute alles offiziell, das wird beispielsweise in der Nähe von Noworotsisk wurde ein Denkmal aufgestellt, das ist jetzt das erste und einmalige in 116

Russland, das ist aber dort unten viel leichter, weil diese Völker ja inzwischen sich von Russland lossagten. Bezeichnen Sie jetzt die französischen und die russischen Kriegsveteranen auch als Kameraden? (45) Ja. Ja. Im Krieg waren sie aber keine Kameraden. (46) Man hat eigentlich stillschweigend immer so eine gewisse Restkameradschaft gehalten, soweit nicht ganz brutale Dinge vorausgegangen waren. Man hat also den verwundeten Russen eine Zigarette angeboten [...] umgedreht auch aber. Ich kenne auch andere Fälle auf russischer Seite, [wo] ganze deutsche Verwundertenzüge niedergemacht wurden. Das ist also rum und num. Aber nach dem Krieg: Die die dort den Kontakt zu uns (?), sind ja auch die Positiven. Und insoweit, dass ist eben eine alte Tradition, dass man sich als nun auch unter Offizieren als Herr Kamerad anredet, das ist jetzt eigentlich wieder in gewissem Umfang gekommen. Glauben Sie, dass die Deutschen, jetzt so meine Generation, und die Generation über mir, die 30-, 40-Jährigen, undankbar den Soldaten gegenüber sind? (47-50) Ja die Frage ist natürlich schwierig gestellt und noch schwieriger zu beantworten. Die junge Generation hat endgültig einen Strich gemacht unter diese Entwicklung. Da kommt eine völlig andere Entwicklung aber mit herein. Im Zeitalter der Atombombe und der chemischen Waffen und der modernen globalisierten Welt und der Tatsache, dass heute mit allen möglichen sphärischen Hilfsmitteln jeder Teil der Erde beobachtet werden kann, nicht wahr, es gibt ja kein Spähtrupps und Stoßtrupps mehr, das machen ja heute alles Satelliten. In diesem Zeitalter ist der frühere klassische Krieg sinnlos geworden. Und da möchte ich nur voll unterstützen, was unsere ganze Kriegsgeneration sagt: Kein Mensch setzt sich ehrlicher für den Frieden ein als die, die den Krieg mitmachten, auf beiden Seiten. Und diese Entwicklung kommt, dass nun diese junge Generation. Wenn ich in Ihrer Jugend wäre, ich würde auch sagen, ja ich bin ja blöd, in so einen Krieg hineinzulaufen, bei diesen Waffen, bei dieser Technik, das ist ja ein Knopfdruck-Krieg und kein menschlicher Krieg mehr. Diese Entwicklung kommt mit herein plus diese ganzen Enthüllungen über das, was passierte. Was aber der große Fehler der jungen Generation ist, das ist der, dass man die moralischen Werte mit abwertete. Das wird sich bitter bezahlt machen, auch in Deutschland. Das sehen vor allem die Ausländer heute so, sagen (?) das wird euch bitter bezahlt werden. Wie sagte doch de Gaulle: Den Charakter eines Volkes - ich halte sonst nicht allzu viel von de Gaulle - aber er sagte: Den Charakter eines Volkes kann man daran feststellen, wie es mit seinen Toten im Krieg umgeht. Das kann ich nur voll unterstreichen. Und ich meine, über das Grab hinaus sollte man keinen Hass mehr pflegen. Das versuchen wir mit unseren Aktivitäten. Ich weiß nicht, ob Sie die Aktivitäten der Kriegsgräberfürsorge kennen, wo ich also sehr aktiv mitmache. Ja. Ja. [...] Haben Ihre Erlebnisse im Krieg mit sterbenden Soldaten ihr Verhältnis zum Tod irgendwie beeinflusst? 117

(51) Absolut. Absolut, nicht nur relativ, sondern absolut. Schon mein Wunsch, Arzt zu werden, und mein Wunsch zu helfen, hat dort seine Wurzel. Und das war eines der Hauptanliegen. Die junge Generation, auch der Medizinstudenten, hat ja zum Teil, das ist für uns Alte zuerst unverständlich gewesen, überhaupt kein Verhältnis zum Tod. Ich kenne junge Ärzte - ich hatte ja lange die arbeitsmedizinische Ausbildung hier im Land mit meiner Sozial- und Arbeitsmedizinischen Akademie, wo immer Kurse für hundert Ärzte liefen ich kenne viele junge Ärzte, die mir sagten: Herr Ellwanger, ich habe noch nie einen Toten gesehen. Beispielsweise. Kollege kommt gleich. Jetzt erst werden ja Sterbekliniken hoffähiger, das Begleiten eines Sterbenden durch den Arzt. Das war lange Jahrzehnte, wo der Arztberuf, wenn ich jetzt hart sagen darf, unter dem Konkurrenzdruck kommerzialisiert wurde, war doch Sterben, „ach komm, Schwester, sind sie so gut", nicht wahr. Wenn das Ding aussichtslos wurde, hat der Arzt sich abgesetzt. Und das kommt jetzt erst, dass man begreift, dass nun ein Sterben in Würde - da ist übrigens Carlo Schmid sehr dran beteiligt - der das in seinen Erinnerungen auch sehr fordert und einklagt, dass das wieder kommen muss, dass die Ärzte das als Aufgabe sehen. Oder andersherum ausgedrückt, von meinem alten Bennhold in Tübingen, den Sie nicht mehr kennen, Chef der medizinischen Klinik, der uns mal in der Runde sagte: Es gibt zwei Arten von Medizinstudenten, es gibt Mediziner und es gibt Ärzte. Die einen, als Mediziner, denen kann ich nur raten, ergreifen sie einen ärztlichen Beruf, wo sie keinen Kontakt mit dem Patienten haben. Werden sie also Röntgenologe, oder Laborarzt oder Pathologe oder Anatom oder so etwas. Da brauchen sie keine menschliche Zuwendung. Und die anderen, die Ärzte werden wollen, die brauchen das Mitleid als den Hauptbestandteil ihres Instrumentariums. Und das gilt vor allem auf den praktischen Arzt, auf den Landarzt, aber auch auf den Chirurgen oder den Notarzt. [-] (53) [...] Also meine Toten habe ich in erster Linie im Krieg gesehen. Allerdings dann, und das hat mich weiter noch geprägt, auch im ersten Jahr nach dem Krieg, in meinem ersten Krankenhaus, wo nun eben die Not auch noch aufgefangen werden musste, und dann 1956 noch einmal, beim Ungarnaufstand, und dann beim Roten Kreuz, bei den vielen Verkehrsunfällen, wo ich dazukam. Ich habe also nun immer, aber das ist eine ganz seltene ärztliche Speziallaufbahn, die ich sozusagen hatte. Wird dadurch das Leben wertvoller oder sagt man einfach, Sterben gehört dazu, das ist Routine sozusagen? (54) Also wenn Sie mich fragen, wird es wertvoller. Man kommt auch, ob man nun will oder nicht, zu den letzten Fragen des Glaubens zurück. Womit ich mich gar nicht mit Konfessionen identifizieren möchte. Ich habe mich mit Pfarrern da lange drüber unterhalten. Aber ich habe mich da speziell auch mit der Frage auseinandergesetzt, mit dem Spruch von Karl Marx: „Religion ist Opium fürs Volk." Ich weiß noch heute, wie ich mal bei einem großen Arztkongreß [...] diese über 800 Ärzte, denen blieb die Spucke weg, wie man so schön sagt, wie ich nun sagte, Liebe Kollegen, hat er nicht recht gehabt? Da kucken sie mich alle an. Sage ich, jetzt überlegen sie mal: Alles, was wir an humanitären Dingen leisten können als Ärzte, Schmerzlinderung, moderne Operationen mithilfe der Narkose, ist alles eine Folge des Opiums und der Entdeckung des Opiums, der Weiterentwicklung des Opiums. Alle Narkosemittel, alle Schmerzmittel. Und auf geistigem Gebiet braucht man Nar118

kosemittel und Schmerzmittel auch. Insoweit hatte der Karle [sie] Marx ja Gott sei Dank recht, dass es in tiefster Sorge und Not und Gefahr, wenn der Mensch nicht mehr weiter weiß, das Opium fürs Volk, nämlich den Glauben gibt. Und dann kam die Reaktion: Sie haben ja eigentlich recht. Und ich sage, ich habe nicht eigentlich recht, ich habe recht. Wobei man

jetzt...

(55) Also völlig auf den Kopf gestellt. Wobei Marx würde dann wahrscheinlich sagen ... (56) Er meinte das ganz anders ... Jaja. Das war ein Betäubungsmittel wahrhaben, was wirklich ist.

insofern, dass man sagt: Wir wollen das gar nicht

(57) Genau. Das ist eine Frage der Auslegung. Da können Sie dann auf Kierkegaard zurückgreifen oder auf Albert Schweizer zurückgreifen. Also wenn man es jetzt negativ wenden würde, würde man sagen, es war ein Betäubungsmittel und wir wollen von den schrecklichen Sachen nichts mehr wissen. Wir betäuben uns so, dass wir es verdrängen, könnte man jetzt negativ sagen. (58-61) Nein im Gegenteil. Dass man sich auseinandersetzt mit diesen Dingen. Und Sie glauben nicht, können Sie, das ist jetzt falsch formuliert, Sie können das nicht nachvollziehen, wie auch Atheisten im letzten Augenblick ihres Lebens, in den letzten Augenblicken ihres Lebens, ich habe da konkrete Erinnerungen, kam und sagte (?), wie um Gottes willen, muss ich sterben? Wie wird das sich weiterentwickeln? Dann auf einmal kommt diese ganze ...(??). Ich bin weit davon entfernt zu glauben, dass ich souverän mit meinem Tod umgehen kann. Ich empfinde es als eine ausgesprochene Gunst des Schicksals, dass ich im 81. Lebensjahr noch so mobil bin und klar bin. Ich war gestern bei einem Kollegen, der also ein völliges Wrack geworden ist. Ich bin aber weit davon entfernt zu glauben, dass ich nun den Tod irgendwo souverän meistere mit links. [...] Jetzt bin ich Urgroßvater geworden. Nun, die können nicht mitreden, die sind noch kleine Säuglinge, nicht wahr, aber, es war auch ganz interessant, dass also mein größter Enkel, eben der jetzt Vater geworden ist, ich habe dem, den beiden großen Enkeln habe ich meine Erinnerungen geschenkt. „Ach ja, Opa, dankeschön", auf die Seite gelegt [...] Und dann ist er etwa vierzehn Tage oder, ich hab's ihm zur Hochzeit geschenkt damals, und vierzehn Tage oder drei Wochen nachher war er bei der Bahn festgesetzt worden, weil irgendwelche Chaoten da einen Kurzschluss machten, als Sabotage auf die Bundesbahn. Und er stand fünf Stunden auf der Strecke zwischen Hannover und Hamburg. Und er erinnert sich, Mensch, furchtbar langweilig, was soll ich denn tun, nahm seine Mappe, fand mein Buch, und fing an zu lesen. Ich hörte dann nichts, ich hörte das dann vom anderen Enkel, rief er dann seinen jüngeren Bruder an: Du des musst lesen, da sind die Liebesgeschichten vom Opa drin. Und auf dem Aufhänger Liebesgeschichten wurde das Ding jetzt gelesen. Und dann erst kam er und sagt, um Gottes willen, das haben wir ja alles nicht gewusst. Geschichtliche Hintergründe oder das Soldatentum überhaupt, obwohl der Soldat war. Aber natürlich in der heutigen Zeit des reinen Friedens war das eine Gaudi, nicht wahr, im Prinzip.

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Das ist eine gute Strategie: eine Liebesgeschichte und dann verkauft sich das. (62) Eben, nicht wahr. So war das für ihn der Aufhänger, das musst lesen, da sind die Liebesgeschichten vom Opa drin. Sie haben auch ein Buch geschrieben. (63) Nein, ich habe also meine Erinnerungen zusammengefasst, da liegt's ... Ah ja. [Bandende]

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Gespräch mit Η. am 29. September 2000 in Stegen-Attental Ich bin auf Sie überhaupt gekommen durch eine Rede aus dem Jahr 1976. Ich weiß nicht, ob Sie sich daran noch erinnern. (1) Ich habe sie vorhin herausgesucht und habe gestaunt, was ich vor 24 Jahren da geredet habe. „Mahnende Frage: Warum - Wofür?" hieß die Rede. Sie haben unter anderem geschrieben, dass der wirtschaftliche Wohlstand in der Bundesrepublik die Verbundenheit mit den Alten Kameraden gefährdet, dass die Sattheit und Gleichgültigkeit eine Bedrohung sei für die Erinnerung an die gefallenen Soldaten. Hat sich die Situation später geändert? (2) Nein. Das ist fortschreitend so weitergegangen und wenn ich heute betrachte, wie die Öffentlichkeit zu dem Einsatz der alten Soldaten steht, dann kann ich das nur bedauern, in welcher Richtung das gelaufen ist. Anders als in England oder in Frankreich haben die, ich sage einfach mal: alten Kameraden, kein gutes Ansehen gehabt in der Bundesrepublik, sie wurden ein bisschen an den Rand gedrängt, man hat nicht so recht auf sie gehört. Hat sie das gepeinigt oder verletzt? (3) Sicherlich nicht mich persönlich, aber für meine gefallenen Kameraden. Dass man mit denen so umgeht. Diese Ausstellung von Reemtsma-Heer ist in meinen Augen eine fürchterliche Sache gewesen. [...] Die Kriminalität in der Wehrmacht ist geringer gewesen als die Kriminalität in der normalen Bevölkerung, weil in der Wehrmacht eiserne Disziplin geherrscht hat. Es hat in der Wehrmacht Verbrechen gegeben, auch ganz schlimme, fürchterliche, von denen wir Frontsoldaten in der Masse nichts gewusst haben. [...] Die Ausstellung ist ja jetzt sowieso gestoppt worden. (4) Was mich sehr bestürzt und betrübt hat: Die deutschen Historiker haben versagt. Und ausländische Historiker müssen uns die Wahrheit sagen. Das haben Sie auch schon in der Rede von 1976 geschrieben, dass Historiker, die ja eigentlich Erinnerung betreiben, die genau das machen, was andere nicht machen, dass Sie mit deren Erinnerungsarbeit nicht zufrieden sind. Finden Sie, dass die zu einseitig ist? (5-6) Ja, ist sie. [...] ist in den ganzen Jahren, in den letzten 20, 30 Jahren, das deutsche Soldatentum nur schlecht gemacht worden. Es hieß, das sind ja im Grunde genommen alles Verbrecher gewesen. Die Wehrmacht ist in Nürnberg vor der Siegerjustiz nicht als verbrecherische Institution anerkannt worden. Sie kennen als Historiker auch Ulrich de Maiziere, ehemaliger Generalinspekteur der Bundeswehr. Der hat geschrieben: Die Soldaten haben ein ganz eigenes Geschichtsverständnis. Für sie ist Geschichte immer auch Tradition, Tradition von soldatischen Werten, Tugenden. Unter diesem Blickwinkel betrachten sie Geschichte. Unterscheidet sich das von der professionellen Geschichtsschreibung? Sie kennen ja beides: Die soldatische Art der Tradition, die zurückgeht bis auf Gneisenau und die preußische Militärreform auf der einen Seite. Auf der anderen Seite: Ihre Einschätzung als Historiker.

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(7-10) Natürlich ist das Geschichtsbild der Soldaten irgendwo auch militärisch geprägt, von der Militärgeschichte her. Das ist ohne Zweifel so. In der Bundeswehr haben wir ja gerade versucht, das Geschichtsbild auch für Soldaten auf breitere Grundlage zu stellen. [...] Graf Baudissin, der ja das Prinzip der inneren Führung in die Bundeswehr eingeführt hat, hat damals mit seinen Mitarbeitern - und ich war ein ganz enger Mitarbeiter von ihm, 1955 beginnend - diese Bände habe ich im Grunde herausgegeben: Wo der junge Offizier eine breite Grundlage bekommen sollte, was um ihn herum überhaupt passiert, sowohl aktuell wie in der Geschichte, um ihn aus dem ganz schmalen, nur militärischen Bereich herauszuholen und ihn so auszubilden, dass er mit den Wehrpflichtigen, die er hat, auch andere Probleme des Lebens kennt. Das ist der Sinn dieser sechs Bände. Jetzt möchte ich noch einmal zurückkommen auf den Ulrich de Maiziere, der gesagt hat: Geschichte aus soldatischer Perspektive sind die Tradition, preußische Traditionen. Das ist mir auch in den Reden immer wieder aufgefallen: Dass da viele Begriffe vorkommen wie , Opfer', ,Anstand', ,Ehre'. Das sind die Begriffe, mit denen sich die ehemaligen Kriegsteilnehmer heute erinnern an den Krieg. Spielen die für sie auch eine Rolle in der Erinnerung? (11) Natürlich, diese drei Begriffe gehören zum Soldatentum. Die gehören dazu. Da hat sich nichts geändert, ob das Bundeswehr ist oder... (12) Da hat sich nichts geändert. Besonders interessiert mich der Begriff des Kameraden. Bemerkenswert finde ich, dass nach dem Krieg auch die ehemaligen Feinde Kameraden waren. Wie konnte das passieren, dass die ehemaligen Gegner plötzlich auch Kameraden sind? (13) [...] Nach dem Ersten Weltkrieg hat dasselbe schon einmal stattgefunden. Da gab es Austausch hier, zwischen Freiburg und Besanfon. Die alten Veteranen trafen sich damals schon. Ich bin 1937 in Paris gewesen und bin auch dort mit ehemaligen Soldaten zusammengekommen, als ich selber noch nicht einmal Soldat war. Weil die Soldaten in besonderer Weise wissen, was Krieg ist. Sie sehen ja ihre Aufgabe nicht unbedingt darin, Krieg zu führen, sondern Kriege zu verhindern. Wenn sie einem aufgezwungen worden sind, dann eben, um das Vaterland zu verteidigen. Ihre Rede in den 70er Jahren hieß „ Warum - Wofür?" Das meint die Frage nach dem Tod: Wofür sind sie eigentlich gestorben ? Ist die Frage für Sie beantwortbar? (14-15) Wenn Sie die Ergebnisse der Archivforschung [nehmen], die leider noch nicht so sprudelt, wie ich es gerne hätte, ist jetzt schon ganz klar, was für mich schon 1941 unten in der Ukraine klar war: Wir kämpften damals gegen die Diktatur Bolschewismus, haben selber damals noch nicht erkannt, dass wir selber in einer Diktatur Nationalsozialismus lebten. Diese beiden Diktaturen haben ja, wie wir wissen, Polen aufgeteilt, durch das Geheimabkommen. [...] Sind sie eigentlich auch der Meinung, dass das ein Präventivkrieg war? Es sind ja einige, die heute sagen, es war ein Präventivkrieg. (16) Ja. Das war ein Präventivkrieg. Wir sind in keine vorbereiteten Verteidigungsstellen gestoßen bei unserem Angriff. 122

In den 60er und 70er Jahren, auch in den 80er Jahren ist ja der Feind der gleiche geblieben im Kalten Krieg. Die ehemaligen Soldaten des Zweiten Weltkriegs hatten eigentlich keinerlei Grund, irgendetwas zu revidieren in ihrer politischen Anschauung. (17-18) Doch. Sie hatten durchaus zu revidieren und zu lernen. Wir als junge Soldaten haben 1939 nicht erkannt, dass wir von einem verbrecherischen Regime geführt worden sind. Und wie sollten wir das auch erkennen? Wenn die ganze Welt 1936 nach Berlin kam zur Olympiade und dem Führer huldigte und 1938, 1939 Chamberlain und Daladier dem Hitler zubilligten das was er machte, und die deutsche Truppe durchaus gesehen hat, was die Polen mit den Volksdeutschen in Oberschlesien und in der Provinz Posen und in der Provin Westpreußen gemacht haben. Wir sind damals wirklich voll überzeugt gewesen, dass wir unseren Volksdeutschen helfen müssen. Die Engländer haben uns den Krieg erklärt, die Franzosen haben uns den Krieg erklärt, was uns damals unfasslich war: Wieso? Wir wollten mit den Engländern und Franzosen keinen Krieg, die deutsche Bevölkerung. [...] Deswegen bin ich ja wieder Soldat geworden nach dem Zweiten Weltkrieg, nach der Rückkehr aus der sowjetischen Gefangenschaft. Weil ich genau gesehen habe, was uns mit diesem Bolschewismus hier drohte. Und das wollte ich versuchen dazu beizutragen, das abzuwehren. Und das ist uns Gott sei Dank gelungen. Wir haben durch den Einsatz der Bundeswehr im Rahmen der NATO 55 Jahre Frieden. Kann man sagen, dass das Kriegserlebnis ihre weitere berufliche Karriere stark beeinflusst hat? (19) Ja, ja. Nicht nur beeinflusst, das war entscheidend. Kann man das auch im privaten Bereich festmachen, dass Sie sagen: Das Kriegserlebnis war für mich so prägend? Ich frage es deshalb, weil mich das verwundert, dass so viele Leute, die jetzt nicht wie Sie noch einmal in der Bundeswehr waren, sondern 55 Jahre lang einen zivilen Beruf ausgeübt haben, noch immer den Krieg als das entscheidende Erlebnis in ihrer Biographie betrachten, die immer noch sehr viel darüber reden und schreiben. Könnten Sie das auch sagen, dass sie das auch als Persönlichkeit stark geprägt hat? (20) Natürlich, mit Sicherheit. Inwiefern? (21-25) Inwiefern? Ich bin Infanterist gewesen, wenn man da den Krieg hautnah erlebt mit all seinen schlimmen Seiten und ums Überleben kämpft, dann ist das so prägend wie nichts anderes auf dieser Welt. [...] Aber wirklich mit dem Tod konfrontiert ist man dann erst im Krieg. Und zwar so hautnah und so oft und so schlimm - das hat natürlich auch die innere Einstellung zum Tod geprägt und insofern konnte man auch manche Dinge, da staune ich manchmal fast über mich selbst, wie ich Dinge gelassen dann genommen habe und dann gesagt habe: Es sind so viel vor und neben mir gefallen, wenn's Dich erwischt, dann ist es eben auch so, nicht. Wenn Sie jetzt an den Krieg zurückdenken, was überwiegt: Sind das die schrecklichen Erfahrungen, die Brutalität, oder sind das die ja zweifelsohne auch vorhandenen positiven Erfahrungen: Kameradschaft, Füreinandereinstehen und diese Dinge? Was ist im Vordergrund der Erinnerung? 123

(26) Es ist beides im Vordergrund. Das lebt bei mir beides ganz lebendig weiter. All die schlimmen Dinge, die ich erlebt habe, die kommen natürlich aus meinem Kopf und meinem Gedächtnis nicht heraus, und ich kann Ihnen verraten, dass ich jahrzehntelang jede Nacht geträumt habe von den Verfolgungen, denen ich ausgesetzt war in der russischen Gefangenschaft. [...] Aber genauso auch die guten und schönen Erlebnisse einer Kameradschaft und eines Gegenseitig-Füreinander-Einstehen... Bitte, nicht umsonst fahre ich noch zu Divisionstreffen, und die alten Landser freuen sich, wenn sie ihren alten Kameraden wieder sehen. Manchmal ist es nur der Kumpel, weil ich war auch als Gemeiner, im Frankreichfeldzug war ich noch Gefreiter. Da hatte ich noch keine Führungsfunktion. Wie ist das bei diesen Treffen heute: Bestehen diese Hierarchien noch, dass der Dienstniedrigere eine gewisse Ehrerbietung dem Hierarchiehöhergesteliten erweist? (27) Der Krieg hat bei uns so eingewirkt, dass die Kameradschaft das Maßgebende ist, und nicht der Dienstgrad. Aber das war ja eine wichtige Struktur im Krieg. Gehorsam und Befehl... (28) ... Das ist eine wichtige Struktur im Krieg, und da und dort wirkt das natürlich auch weiter. Wir haben ja in meiner Division tolle Leute gehabt. Da haben alle Landser gestrahlt, wenn sie ihren Eichenlaubträger oder Ritterkreuzträger Sachsenheimer mal wieder gesehen haben. Und da sind jetzt auch immer die Frauen dabei, bei solchen Kameradschafistreffen. (29) Ja. Kann man eigentlich den Begriff,Kamerad'... Gibt's auch ,Kameradinnen', oder: Gab es im Krieg auch , Kameradinnen' ? Oder war das ein Begriff, der nur für Männer reserviert war? (30) Der war im Krieg im Grunde genommen für Männer mehr oder minder reserviert. Aber natürlich muss man sagen: Es gab Wehrmachthelferinnen, es gab im Sanitätsdienst die Schwestern, die zum Teil auch selbst in den Frontlazaretten tätig waren. Und die waren dann im Grunde genommen - schön, der Begriff ,Kameradinnen' ist vielleicht nicht so geläufig gewesen - aber sie gehörten dann genauso dazu. Dass ich heute hier noch lebe, verdanke ich einer Krankenschwester. Mit der habe ich heute, die jetzt selbst ein Pflegefall ist, noch Kontakt. Ist Kamerad eigentlich [...] etwas Ähnliches wie ein Freund? Ist ein Kamerad ein Freund? Oder ist das etwas anderes? (31) Das ist eine Frage der Begriffsauslegung. Freund ist natürlich das Engere und Persönlichere. Für mich ist im Grunde genommen jeder anständige Soldat auch Kamerad gewesen. Egal, ob er in meiner Kompanie war oder in der Nachbarkompanie oder im Nachbarbataillon. Ich habe den Einruck, die Veteranen schließen sich immer auch ein bisschen ab gegen die, die keine Kameraden sind. Es ist dann oft die Rede vom „ Geheimnis der Frontkameradschaft", von einer „unio mystica", von Dingen, die andere überhaupt nicht verstehen 124

können. Ist das typisch für die Kameradschaft, dass sie sagt: Wir sind die Kameraden und die anderen ... (32) Das ist nicht typisch für die Kameradschaft, sondern das ist eine sachliche Feststellung. Sie meinen, das was sie erlebt haben, ist eigentlich nicht mitteilbar. Das heißt das ja eigentlich, wenn ich sage ... (33)... ist schwer mitteilbar. Ich meine, wenn Sie Ihre Gespräche etwas zahlreicher haben, werden Sie immer wieder feststellen, dass es eine Menge Soldaten gab, die über ihre Kriegserlebnisse nicht gesprochen haben, gerade in den Familien nicht gesprochen haben. Es gibt viele Kinder, die wissen von ihren Vätern nichts. Andererseits ist jetzt das Phänomen, dass plötzlich sich viele dafür interessieren. Die Leute, die ich angeschrieben habe, die alten Kameraden, die waren alle sehr zuvorkommend, sehr freundlich, hilfsbereit, wenn sie nicht gerade krankheitshalber verhindert waren, bereit mit mir zu sprechen. Woran liegt das, dass sie jetzt doch noch mal einen Drang oder zumindest eine Bereitschaft haben zu erzählen? (34) Das liegt sicher daran, dass sie feststellen, dass in der Öffentlichkeit über das deutsche Soldatentum viele viele falsche Dinge erzählt werden, und sie bemüht sind, diese Dinge richtig zu stellen, und vor allem die Ehre unserer gefallenen Kameraden hoch zu halten. Wie gesagt, ich habe vorhin schon gesagt, der Prozentsatz derjenigen, die in der Wehrmacht Verbrechen gemacht haben, ist wesentlich geringer als der normale Prozentsatz einer Bevölkerung. Das ist unter einem Prozent. Weit unter einem Prozent der deutschen Soldaten sind an Kriegsverbrechen beteiligt gewesen. Und sie jetzt so global als verbrecherische Organisation zu bezeichnen, das geht gegen die eigene Ehre, aber vor allem gegen die Ehre unseres gefallenen Kameraden. Die haben im guten Glauben, für ihr Vaterland zu kämpfen, ihr Leben gegeben. Und dass die jetzt von einer nachfolgenden Generation als Verbrecher und Dummköpfe und ,Wie konntet ihr' und ... Das kann ein einfaches Gemüt nicht verkraften. [...] In vielen Texten, die ich gelesen habe, wurden manche Soldaten, die auch ihr Leben aufs Spiel gesetzt haben im Zweiten Weltkrieg, die wurden nicht als , Kameraden' bezeichnet. Zum Beispiel Heinrich Boll, der ja auch im Krieg als Infanterist war [...] Der wird von vielen nicht als Kamerad betrachtet. Wäre zum Beispiel Heinrich Boll, oder auch Helmut Schmidt, für sie ein Kamerad? (35) Der Helmut Schmidt ist für mich ein Kamerad, weil der zu seinem Soldatentum gestanden ist. Aber wenn Heinrich Boll das Gegenteil macht - er hat sich getrennt von all seinen Mitkämpfern - , dann ist das seine Sache, dann sehen wir ihn nicht mehr als Kamerad. Obwohl er auch im Krieg sein Leben riskiert hat. (36-38) Das ist eine andere Sache. [...] Wissen Sie es gibt ... Ich weiß nicht, inwieweit Sie dieses Problem mit aufgreifen ... Es gab ja in der sowjetischen Gefangenschaft eine Menge deutscher Soldaten, die sich dann der Antifa anschlossen und dem Nationalkomitee Freies Deutschland und mit den Bolschewisten gegen die Deutschen agierten. Das ist eine 125

Sache, die innerhalb der großen Soldatenkameradschaft nach wie vor ein Problem ist, das noch nicht zu Ende gekommen ist. Viele der Leute, die, weil sie nun gegen Hitler waren, sich den Bolschewisten anschlossen, haben entweder nicht erkannt, dass sie da im Grunde genommen nur den Diktator gewechselt haben. Viele haben es gemacht nur aus Eigennutz und Egoismus, weil sie hofften, dadurch bessere Verpflegung zu bekommen und eher zu überleben. [...] Ich habe selbst in der Gefangenschaft Dinge erlebt, wo ich nur sagen kann ,Pfui Deufel', wie sich Leute selbst erniedrigen können und nur um selbst zu überleben, auf Kosten der Kameraden dann Dinge taten, die eben nicht in Ordnung waren. [...]

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Gespräch mit Κ. am 13. September 2000 in Stuttgart Vielleicht darf ich ganz allgemein erst einmal... (1) Haben Sie schon eingeschaltet? Ja, das läuft jetzt mit. (2) Das läuft mit, ja. Jetzt läuft's mit, genau. Ich möchte Sie zuerst ganz allgemein fragen, ob Sie heute noch oft an den Krieg zurückdenken oder ob das abgeschlossen ist. [...] (3) Das, was man im Krieg erlebt hat, das entschwindet der Vergangenheit nicht. An das denkt man des öfteren, träumt sogar urplötzlich mal von einer Schlacht, wo es ziemlich übel zuging und man wacht schweißgebadet auf. Aber das ist ja jetzt schon 55 Jahre her, und trotzdem. (4) Trotzdem. Das sind Dinge, die man einfach nicht vergisst. Wenn beispielsweise man einen Angriff machte, links und rechts ist einer gefallen, ja, beziehungsweise schrie auf, weil er verwundet wurde, ja, aber das Angriffsziel wurde erreicht, man zählte urplötzlich, da sind ja 20 Mann, die fehlen. Sie haben vorhin gesagt, wenn der Krieg nicht gewesen wäre, wäre vielleicht Ihr Leben anders verlaufen. Sie hätten vielleicht studiert, wären Jurist geworden, man weiß es nicht. Wie hat der Krieg die weiteren Jahre in der Bundesrepublik für Sie bestimmt? (5) In der Zeit von Kriegsende bis zur Wiederbewaffnung hat man natürlich dem zivilen Tun viel Zeit gewidmet, dachte selbstverständlich immer wieder, vor allem bei Treffen. Das erste Treffen habe ich 1952 in Tübingen organisiert. Vorbereitung und Durchführung und Abwicklung des Kameradentreffens der ehemaligen 78., sie wurde als einzige deutsche Division den Ehrennamen bekommen „Sturm", Sturmdivision. An diesem Treffen nahmen 6000 Teilnehmer waren da, die schriftlich niedergelegt wurden. Beim nächsten Treffen, das nun in Münsingen stattfindet, werden höchsten drei bis vierhundert erwartet. Sie sind ja jetzt auch durch Ihre Verletzungen immer wieder an den Krieg erinnert worden. [...] (6) Ja, selbstverständlich. Durch diese Beinamputation, das war ein Schuss von hinten, mit einer Panzergranate, das Bein lag sieben Meter weiter abrasiert. Da es aber zwölf Grad Kälte gewesen waren, ist das sofort gefroren, und ich bin nicht verblutet. Das ist eine harte Geschichte. Ja wenn Sie da heute dran denken ... (7-8) ... Ja, denken tut man ja, aber man hat auch mit dieser Verwundung das Leben zu meistern. Also ich laufe jeden Tag einen Kilometer, das auf jeden Fall, um ja nicht müde zu werden. Ich mache jeden Tag eine halbe Stunde Übungen. In anderen Ländern wurden die Kriegsveteranen besser behandelt als in Deutschland. (9) Das mag sein. Also, was soll ich sagen, man sprach mit niemand über das Gewesene des vergangenen Krieges. Mit Ausnahme natürlich von einem, der dabei war, die einen sehr oft besuchten und fragten: Wie geht es auch? 127

Aber jetzt ich habe den Eindruck, dass die Alten Kameraden jetzt auch wieder mit anderen darüber sprechen. Sie sprechen heute auch mit mir. Woran liegt das? (10) Warum nicht. Die Zeit des Krieges ist vorüber, ja. Man weiß mit Sicherheit, dass es in Europa keinen Krieg mehr geben wird, nachdem dieser Zusammenschluss, ja, der Völker doch sehr eng war beziehungsweise ist. Sie sagen, wenn Sie aber andere Kriegsteilnehmer treffen, dann redet man darüber. Da hat man auch in den 50er, 60er, 70er Jahren darüber geredet. Es gab ja aber auch Soldaten, zum Beispiel [...] Heinrich Boll, die keine Kameraden sind flir Sie [...] Die waren ja auch im Krieg und haben ihr Leben eingesetzt. (11) Diejenigen, die einen solchen Werdegang eingeschlagen haben, dürfen, oder durften ja auch nicht sagen, dass sie auch Soldat waren, ja. Sie haben möglichst vermieden, darüber zu reden. Das sind aber natürlich keine echten Kameraden. Warum nicht? (12) Damals und für heute. Weil sie sich aus der Kameradschaft der Gedienten durch ihre neue Tätigkeit, die sich ja auch in politischer Richtung abzeichnete, gar keinen Grund sahen, darüber zu reden und sich womöglich ins Gerede bringen lassen. Während heute, wenn also, ein Beispiel. Unlängst sah mich ein Uralter, der in meiner Kompanie war, der heute Bäuerle auf der schwäbischen Alb ist, kam auf mich zu und sagte: Herr Hauptmann, sind Sie aber alt geworden. Ich habe ihn gefragt: Und wie alt bist du, hat er gesagt 85. Aber es gibt nichts, was einen, sagen wir einmal, aus dieser Kameradschaft, vor allem im Kriege, dass man da auch plötzlich weggeht, das gibt's nicht. Man denkt an die vielen Gefallenen und die vielen, die heute kaum aus dem Hause kommen infolge der Verwundungen. Gab's eigentlich im Krieg auch Frauen, die Kameraden waren? (13) Nein, das gab's noch nicht, was heute möglich ist, dass Frauen in die Bundeswehr eintreten. Aber es gab doch auch im Lazarett

Krankenhelferinnen.

(14) Ja. Es gab auch bei der Flugabwehr Frauen, die geholfen haben. Waren das keine Kameraden [...]? (15-16) Das Wort Kamerad kann man hier nicht benutzen, zum Beispiel von einem weiblichen Wesen, das Krankenschwester ist. Das ist ein angesehenes weibliches Wesen, ja. Aber, sagen wir, von Kameradschaft kann man hier nicht reden. [...] Die damaligen Feinde, zu denen Sie ja auch nach dem Krieg Kontakt aufgenommen haben, englische Soldaten, französische Soldaten, seit Ende der 80er Jahre auch russische Soldaten: Sind das jetzt Kameraden? (17) Die Verbindungsaufnahme war ich eigentlich nie dabei, weil ich ja recht unbeweglich bin durch die Beinamputation und durch den Einbau einer künstlichen Hüfte. Ja, aber wie sehen Sie das jetzt in Ihrer Meinung, sind das Kameraden? 128

(18) Jawohl, ja, das sind Soldaten in ihrem Staate, ja, und die werden genauso geachtet wie die eigenen. [Pause] Kameradschaft entsteht eigentlich, so die echte Kameradschaft entsteht nur bei Gefahr, also sprich im Krieg, urechte. Wenn also praktisch einer vorne verwundet wurde und es krochen von verschiedenen Seiten welche raus, um die zurückzuholen, und zwei sind dabei gefallen, das ist Kameradschaft. Hat das was mit Freundschaft zu tun? (19) Das sind zwei verschiedene Dinge, Freundschaft und Kameradschaft. Freundschaft hat nichts mit Krieg zu tun? (20) Nein, nein. Eine Freundschaft, irgendwie in Gefahr, wenn z.B. ein Autounfall ist, da springe ich heute noch, so gut das geht, dazu und selbstverständlich hilft man mit, denn man weiß: Hier ist ein Mensch, Kind in Lebensgefahr. Das ist die Fürsorge für den Nebenmenschen, der einen Dienstgrad weniger sein kann oder einen höher, bitte. Wenn Sie jetzt heute an den Krieg zurückdenken, dann gibt's ja auch Sachen, an die man gerne zurückdenkt, z.B. die Kameradschaft, dass die Soldaten füreinander da waren, ihr Leben füreinander riskiert haben [...] Und auf der anderen Seite gibt es ja diese ganz schlimmen Erfahrungen, worunter Sie auch gelitten haben, Verwundungen. Was herrscht vor? (21) Nun wir haben 1940 nach dem Krieg mit Frankreich waren wir monatelang Besatzungstruppe. Das war so mit die schönste Zeit. Man war ein junger Mensch, ich war Leutnant damals, ja, und die Französinnen haben die deutschen Soldaten besonders lieblich angekuckt und möglichste Freundschaft geschlossen. Warum? Die Franzosen liefen damals so daher, wie heute bei uns die Jugend, beide Hände im Sack, in der Tasche, wenn ich mich berichtigen darf, ja, und Zigarette in der Gosche, ja, und möglichst stolpernde Füße, ja. Während die jungen Leutnants oder die jungen Unteroffiziere in Frankreich, die hatten eine Figur gemacht, da hatte jeder seine Freundin, auch der Leutnant. Da denken Sie sicher gern zurück, ja. Nach dem Krieg waren Sie dann bei der Bundeswehr, Herr K, 1957, und haben dann auch junge Soldaten ausgebildet. Welche Erfahrungen aus dem 2. Weltkrieg wollten Sie den jungen Leuten vermitteln, was haben Sie denen als Lehre, als Sachen, die Ihnen wichtig waren, beibringen können. (22) Hier muss ich einschränkend sagen: Ich wurde in Stabsstellungen verwendet, ja. Die Ausbildung von jungen Soldaten, ja, machten junge Leutnants, Oberleutnants, gerade noch der Kompaniechef als Hauptmann, aber nicht der in meinem Dienstgrad als Stabsoffizier. Aber Sie haben mit jungen Soldaten zu tun gehabt. (23) Ja. Und vielleicht auch einmal privat sie getroffen und die haben Sie dann gefragt, wie war denn das? (24) Aus der Verwandtschaft hat man ja viele dann gekannt, die mit einem verwandt waren, und selbstverständlich war irgendwie eine innere Bindung da zwischen diesen jungen Menschen in Uniform und dem Älteren, der doch immerhin, sagen wir, mehrere Jahrzehnte älter ist. 129

Und was haben Sie denen geantwortet, wenn die gefragt haben, was können Sie uns an positiven Werten sagen, was haben Sie gelernt im Krieg, was können Sie uns daraus an Erfahrungen weitergeben? Wenn das jemand Sie gefragt hat, ein Soldat? (25) Wir hatten das Kämpfen gelernt und durchführen müssen. Denn so gerne haben wir auch nicht mit dem Schwenken von den Armen einen Angriff durchgeführt. Das war eine ernste Sache. Und irgendwo im Hintergrund hat man gespürt, dass man als Kompaniechef für 120 oder 150 wie die Kompanie stark war verantwortlich ist. Und das war die Fürsorge, die jeder gelernt hat im Krieg, und wir dann in Frieden wieder zum Tragen brachten. Jetzt habe ich hier noch etwas aus dieser Rede von 1985, die Sie gehalten haben, darf ich das mal kurz vorlesen? (26) Ja. „ Wir zogen einst aus, als der Gestellungsbefehl uns zu den Waffen rief", haben Sie geschrieben, „wie so manche Soldatengeneration zuvor der Bürger- und Soldatenpflicht nachzukommen. Genauso selbstverständlich käme heute die Bundeswehr diesem Befehl nach. Es galt, auch ohne die damalige Ideologie, als ehrenhaft, den Kampf zu bestehen." -„Auch ohne die damalige Ideologie". Ist das wirklich für den Soldaten völlig egal gewesen, wofür gekämpft wird, für welche Ideologie? (27-28) Im Hintergrund war das Vaterland, ja. Das mit aus unseren Verwandten und Freunden bestand, ja. Der Kampf galt für das Vaterland, ja. Wir merkten erst am Schluss, so ab 44, dass es ein Wahnsinn ist, den Krieg weiterzuführen. Als z.B. 44 jeder in die Partei eintreten durfte, ja sogar aufgefordert wurde, hat - ich war damals Inspektionschef an einer Kriegsschule - hat sich keiner gemeldet, Mitglied der NSDAP zu werden. [...] Es gibt ja ganz verschiedene Formen, sich heute noch an den Krieg zu erinnern, es gibt Tagebücher aus dem Krieg, es gibt Theaterstücke darüber, es gibt Biographien, Leute schreiben ihre Memoiren. Finden Sie, dass es passende Formen gibt, sich an den Krieg zu erinnern und andere, die weniger passend sind? [...] Wie können wir uns heute noch an den Krieg erinnern? (29) Ich war Infanterist, also Angehöriger des Heeres. Und wir hatten keine Zeit etwa ein Tagebuch zu führen, ja. Wir waren froh, wenn wir mal zwei drei Stunden hinliegen konnten und schlafen. Aber heute, wie können wir uns heute noch an den Krieg erinnern? (30) Indem man beispielsweise mit alten, unmittelbar zusammenhängenden Angehörigen zieht und sagt, Menschenskind, wie war das damals bei... (??), als du das und das gemacht hast? Oder sagt er, Menschenskind, da hast du uns doch durchgeführt, durch einen Wald durch, und wir kamen auf der anderen Seite heraus und waren plötzlich im Rücken des Feindes, Mensch war das eine Sache. Wie ist es, wenn Verwandte oder ich weiß ja nicht vielleicht auch Enkel, Verwandte Sie fragen nach dem Krieg oder gefragt haben, hatten Sie da auch Zeiten, wo Sie gesagt haben, ich möchte gar nicht mehr darüber reden. Gab's das auch?

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(32) Das kommt darauf an, wer das war. Wenn man einiges reden muss, erzählen muss darüber, dann spricht man nicht die absolut volle Wahrheit aus. Aha ... (33) ... weil das zu, das ist doch zu übel, ja, wenn man erzählen soll, da lag der ... (?) und sagt, grüß auch noch meine Frau, ja, und schloss die Augen. Das war der Krieg mitunter. Aber damals musste man hart sein im Krieg. (34) Ja, und wie. [...] So beim Rückzug aus Russland, ja. Wir waren ja vorgestoßen bis kurz vor Moskau, ich sah die westlichste Straßenbahn von Moskau, und da ging es dann durch die Überlegenheit zurück. Und da hatte man das absolute Gefühl, dass man irgendwie im Stich gelassen wurde. Und dass die Kriegführung als solche mit der Zeit doch manchmal Kopfschütteln auslöste. Es gibt diesen sogenannten Traditionserlass auch bei der Bundeswehr. Was halten Sie davon? (36) Der ist gegeben worden, man hat ihn gelesen, aber so ein bisschen gelächelt dabei. Warum? (37) Ja nun. Dass in der neueren Zeit wird natürlich manches gedanklich anders behandelt, als wir es einst machten, [hustet] So.

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Gespräch mit Η. und A. R. in Groß-Gerau am 8. September 2000 „ Wir dürfen nicht vergessen " hieß Ihre Rede. Einen Satz daraus fand ich bemerkenswert. Sie haben da beschrieben - die Rede muss wohl an einem Denkmal gehalten worden sein, es war sicher ein Kriegerdenkmal... (1) Ich weiß das jetzt nicht mehr. (2) Sie: Was soll er da gesagt haben? Da war dieser Satz: „Sie spielen das Lied vom guten Kameraden, und jetzt werden die Augen der Grauköpfe feucht, und sie schämen sich ihrer Trauer nicht." Das fand ich bemerkenswert. (3) Warum? Das hat mich berührt, weil ich gedacht habe: Weinende Soldaten, das entspricht ja gar nicht dem Bild, das man von Soldaten hat. Gerade bei der SS war ja immer die Härte mehr angesagt und nicht... (4-5) Die Härte im Kampf. Die muss ja da sein. Wenn drüben auf der anderen Seite welche auf mich, auf meine Kameraden, auf uns schießen, und wir wären nun nicht hart, dann würden wir da anfangen zu weinen in solcher Situation. Und das ist ja das Entscheidende, das man das heute einfach nicht wahrhaben will, und dass man heute eine Weinerlichkeit an den Tag legt, wenn irgendetwas bekannt wird über - na sagen wir mal jetzt wirklich deutsch - die Untaten der Rechtsextremisten, der so genannten. Dass da ein armer Neger Entschuldigung: ein Farbiger, muss ja aufpassen [lacht ausgiebig ...] - hahaha, dass da einer verfolgt worden ist und vielleicht geschlagen, und vielleicht auch zu Tode gekommen ist. Da muss ich jetzt mal gleich vorneweg sagen, dass Leute, die hier in den letzten Monaten immer wieder beschrieben, beschimpft in den Zeitungen und dargestellt werden als Tiere, als Untermenschen. Es sind Verbrecher, es sind wirklich Verbrecher oder Idioten. Sie meinen jetzt Skinheads? (6) Die Skinheads, genau das, nicht wahr. Und wenn man damit jetzt die große Keule schwingt gegen alles, was rechts denkt, und diesem Zusammenhang auch gegen die Waffen-SS zum Beispiel... Was glauben Sie, was meine Kameraden heute, wenn die zusammen sind, über diese Dummköpfe erzählen... Ja, das glaube ich Ihnen gern, das glaube ich Ihnen sehr gern Herr R[...]. Meine Frage ging auch in eine andere Richtung. [...] (7) Ja nein, ich wollte das nur einmal eingeflochten haben. Dass ich da gesagt habe, die Grauköppe, den werden die Augen feucht, das geht mir immer so. Immer. Ich habe einmal einen Brief bekommen von einem unbekannten Wehrmachtssoldaten, Wehrmachtskameraden, hier in der Gegend läge oder müsste ein Ritterkreuzträger, Feldwebel oder Oberfeldwebel [...] beerdigt sein. Ob ich darüber etwas wüsste, wo das Grab ist, wo es sein kann. Ja bis dahin ist mir das nie aufgefallen. Er ist mit seinem Sturmgeschütz abgeschossen worden und mit seinen Kameraden zusammen hier irgendwo in der Gegend von Groß-Gerau beerdigt. Jetzt habe ich überall rumgedacht und rumgeguckt. Auf einmal ist mir eingefal132

len, Menschenskind, da lag doch ein abgeschossenes Sturmgeschütz, wenn Sie von GroßGerau gekommen sind, auf dem Gelände unmittelbar rechts, wo jetzt die ersten Häuser von [...?] stehen. Das waren Äcker, und da stand ein Sturmgeschütz, das weiß ich noch, das war das erste, was mir eingefallen ist. Sag ich: Menschenskind. Und dann bin ich von da weg schnurstracks auf den Friedhof. Und dann liegt der gute Mann mit seinen Kameraden und mit anderen Kameraden zusammen, auch mit Zivilpersonen zusammen in einer Reihe, die im März 45 durch Bomben und durch Artilleriebeschuss von überm Rhein gestorben sind. Die hat man also nicht auf einen Kriegerfriedhof geschafft, sondern hier auf dem Walderstettener (?) Friedhof [...] Und da findet auch alljährlich die Trauerfeier des VDK statt, an der ich nicht teilnehme. Warum nicht? (8) Weil ich diese salbadernden Reden nicht ausstehen kann. Was gefällt Ihnen an den Reden nicht? (9) Ich sage, die salbadern. Das sind nur Sprüche, glauben Sie. (10) Nur Sprüche, hohle Worthülsen. Außer vielleicht, es spricht wirklich mal einer, der den Krieg mitgemacht hat. Aber ich denke jetzt an unseren Bürgermeister. Der war auch bei den Fallschirmjägern, aber der ist Jahrgang 26, 27, gell. Der hat nicht viel mitgekriegt. Und andere können gar nicht das zum Ausdruck bringen, was sie sagen möchten. Ich habe jetzt auch einige solche Reden gelesen [...]. Und zwar nur Reden von Soldaten, die dabei gewesen sind. Die sprechen immer wieder von der Treue zu ihren Kameraden, von den Opfern, die die Kameraden gebracht haben, und von der Kameradschaft an sich. Das ist ja so ein Wort, das man gar nicht mehr so gebraucht: „Kameradschaft". Könnte man sagen: Das ist etwas wie Freundschaft, oder ist es etwas anderes? (11-12) Es ist etwas ganz anderes. Freundschaft habe ich zum Beispiel mit meinen noch Überlebenden aus der alten Schule. Und von den anderen Kameraden sind welche zu Freunden geworden. Aber das ist eine ganz andere Kategorie, eine andere Ebene. Im Feld, draußen, im Graben, oder unter Beschuss im Panzer zum Beispiel - ich habe auch einmal eine Zeit in so einem Ding drin gesessen - da wird man zwangsläufig aufeinander angewiesen und wenn man dann das erlebt, wie's mir passiert ist, ich habe einen so genannten Beobachtungspanzer gehabt, und da war ein Funkgerät drin, und ich werde losgeschickt, das war unten [...?], ich werde losgeschickt, Feuerleitung über die Batterie, und habe aber den Panzer als Zwischenfunkstelle verwendet. Wir hatten also auch ein tragbares Funkgerät dabei, und ich musste ihn in einer Talmulde stehen lassen, und bin weiter vor so ein paar hundert Meter mit dem einen Funker, und dann kommt Befehl: Abbauen, sofort zurückkommen. Und ich gehe zu meinem Panzer hin und wundere mich, dass der Turm auf neun Uhr stand [...] Und das war in Richtung Süden, und ich guck da rauf, und da standen da etliche T34er und haben gequalmt. Sage ich, das kann doch mein Tank gar nicht abgeschossen haben, war doch nur ein Ofenrohr vorne dran, nur ne Attrappe. Und da war das in der Zwischenzeit alles erledigt worden von unseren Panzern oder auch von PAK. Und das habe ich gar nicht mitgekriegt da vorne. Jedenfalls bin ich dann in die Nähe und sehe 133

dass der Panzer in der Wanne etwa in der Höhe des Fahrers ein bisschen versetzt nach rückwärts einen Durchschuss hatte. Plop. Es war keiner mehr da, und da haben wir, ein paar Infanteristen, die da in der Nähe eingebuddelt lagen, also Schützenlöcher, den einen haben sie rausgeschleppt, der war schwer verwundet, der ist gestorben.... der andere, das war der Fahrer, der ist auch verwundet, der ist zurückgegangen, und der Unterführer, der dabei war, der hat die geführt, so ungefähr muss das gewesen sein. [...] Da ist mir auch was hoch gekommen: [...] Menschenskind, du bist ja dabei, jetzt hast du Glück gehabt, du bist da raus, hast deine Arbeit gemacht, auf Deutsch gesagt, „he did his job", ne, um das mal so auszudrücken, amerikanisch, wenn man das auf Englisch sagt, dann kommen die Tränen ein bisschen weniger. Ich weiß nicht, ob Sie das verstehen, wie ich das meine. Jedenfalls, ich haben diese Besatzung erst ein paar Tage gehabt, mit denen war ich noch nicht lange zusammen, ich kannte die Leute zwar, aber ich war im anderen Panzer. Also, nun gut. Freunde sucht man sich selber, mit den Kameraden war man wegen des Krieges zusammen. (14) Richtig, richtig. Aber da muss ich jetzt etwas einflechten, wenn's um die Kameradschaft geht. Ja. (15) Ich war wie gesagt in Ostpreußen im Arbeitsdienst. Und da waren nun viele Jungs aus Ostpreußen selbst natürlich, aber auch viele Berliner, und ich war der einzige, der aus Süddeutschland kam in dieser Abteilung und habe mich in einem Trupp, ne Gruppe halt, 17 Mann, oder 16 Mann und ein Vormann, und dieser Vormann, der war 17 Jahre alt, war ein Bauernbub, die Ostpreußen haben gesagt, das war ein Scharwerger (?), also ein Bauernknecht, Scharwerger, und alles andere waren Abiturienten, Studenten und drei gelernte Handwerker. Also alle ein bisschen älter als der Lausbub, und unser so genannter Truppführer, das war nun ein Mann, der wollte sich die Sporen verdienen, dass er vom außerplanmäßigen zum Truppführer zum planmäßigen Truppführer befördert werden konnte. Er war schon mal durch die Schule durchgefallen. Und der hat uns geschliffen wie ein ausgesprochener Schinder, ein richtiger Sadist. Ob Sie sich das vorstellen können, dass man unter Gasmaske, die ja dicht abschließen soll, singen muss im Marsch. Und dann auch noch Laufschritt Marschmarsch. Und dann Gasalarm beendet, und Marschordnung, das hieß also jetzt nicht im Gleichschritt, kommen die Gasmasken einen Moment ab, singen! Was musste kommen? „Es ist so schön, Soldat zu sein." Selbstverständlich. Und da fing der Kerl an zu kochen. Höhö, und da ging das Theater noch einmal los. War dann dieser Vorgesetzte auch ein Kamerad? Schon, eigentlich ja, oder? (16-17) Er hätte es seien sollen. Er war es nicht. Aber er hat erreicht, dass wir in dieser Stunde zu einer Kameradschaft wurden, der er keine 24 Stunden später zum Opfer gefallen ist. Der konnte seine Beförderungsabsichten begraben. Wir haben es fertig gekriegt und haben in der nächsten Nacht, also abends, [...] ein Berliner Kamerad [...] der hat Stubendienst gehabt. Das heißt also schön sauber machen, es musste alles in den Betten liegen, und der hat gesagt: Also heute Abend Herrschaften, mit Stiefeln und Sporen ins Bett. Und jetzt kommt unser Truppführer, der Führer vom Abteilungsdienst - der musste also die Stuben abnehmen usw. - um 10 Uhr, und die Meldung musste lauten: Arbeitsmann Hase, 134

Stube belegt mit 17 Mann, Stube gereinigt und gelüftet, alle in den Betten, keine weiteren Vorkommnisse. Und da hat Uli, der hat sich noch einen Eimer voll Sand von draußen geholt und hat den in der Stube schön verteilt. „Schmutz und Dreck, gleichmäßig in alle Ecken verteilen." Uah, hätten sie den brüllen hören müssen, den Mann! Raus! Antreten! [imitiert schreiend die Befehlssprache] Und dann sind wir vor der Bude wie wir waren, Nachthemden über den Stiefeln, [lacht ausgiebig] und haben da draußen eben Männchen gebaut. Und dann fing der an und hat uns über den Hof da gescheucht, über den Appellplatz. Auf einmal brüllt's von der Kaserne, vom Kasernentor vorne her, vom Eingang, ich habe den Namen vergessen von dem Mann. Und der wetzt nun dahin: „Was ist hier los?" Und dann hat der angefangen zu stottern. Und der Oberstfeldmeister kommt zu uns, „was ist hier los?", und da hat ihm der Uli Haas (?) genau das geschildert, was passiert war. Und da hat der den Truppführer sofort verhaften lassen. Da haben Sie zusammengehalten. (18) Das war als nur möglich in einer, man sagt verschworenen Gesellschaft', in einer Kameradschaft. Das hat aber nichts mit dem zu tun, was heute als Kameradschaft besonders ... Aber Sie sehen sich doch immer noch als Kameraden, 55 Jahre später ... (19) Ja bei uns sowieso. Und das sehe ich jetzt mal in der HIAG. Und da sehen Sie sich ... (20) ... selbstverständlich, sind wir ja auch. Obwohl die Kriegssituation weg ist. Die Soldaten waren ja deswegen Kameraden, weil Krieg war, und Sie alle das gleiche Schicksal hatten und zusammenhalten mussten. (21) Ja, ganz selbstverständlich. Aber ich sag das jetzt: Die Kameradschaft ist durch den Krieg begründet und vor allen Dingen nach dem Krieg bei uns innerhalb der Kameradschaften der SS deswegen so eng geworden, und zwar beständig, dass man uns von Anfang an verfolgt und schikaniert hat. Aber Sie haben ja jetzt auch 55 Jahre lang keinen Krieg mehr gehabt, Sie haben Ihren Beruf gehabt, Sie waren Schreiner, aber immer noch haben Sie sich als Kameraden betrachtet. (22) Bis jetzt. (23) Sie: Die Frauen mit. Die Frauen auch. (23) Die Frauen, die spielen ja da mit. Sie: Soweit die Frauen auch den Krieg mit den Männern mitgemacht haben. Schon zusammengehört oder wie wir im Krieg geheiratet haben. Haben Sie sich denn, 1940 sagen wir mal, auch schon als Kameradin betrachtet? (24) Sie: Na ja, das war für uns kein besonderer Begriff. Weil wir ja im B D M schon Kameraden waren. Dazu kann ich jetzt vielleicht sagen, dass die höchste BDM-Führerin,

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die schon vor dem Krieg in der höchsten Stellung war, also für die Mädchen das, was für die ganz oben der Schirach war, und die ist jetzt 90 Jahre alt gewesen. Geistig noch voll da und alles, hat eine große Geburtstagsfeier ausgerichtet auch mit den Männern, also mit den Kameraden, und das ist ja das Erstaunliche, dass so was so lange gehalten hat. Auch beim BDM hat es Führerinnen gegeben, die umgeschwenkt haben. Und bei der Hitlerjugend genau so. Ihnen ist sicher der die vielen Derricks gemacht hat mit Namen Reinecker ein Begriff. Und dieser Reinecker war in der Reichsjugendführung, hat damals, konnte nicht voll als Soldat eingesetzt werden, weil er schon sehr früh Brillenträger war und auch schon sehr schlecht gesehen hat. Und seinen Hauptschnitt hat er ja nachher sowieso mit den vielen Derricks gemacht. Während des Kriegs war er also in Berlin in der Reichsführung, schreibt in seinem Buch ganz offen, dass er da schon einen offenen Wagen hatte und die genommen hatte und die, wenn sie zum Wannsee gefahren sind, tut er sich groß mit. Und dann schreibt er, erstens mal schreibt er wortwörtlich: Noch nie ist ein Volk so verführt, so raffiniert verführt wie wir, sagen wir mal. Und da war er ja auch dabei! Und er ist ja zehn Jahre älter wie wir, der Durchschnitt war jetzt, ich bin Jahrgang 21, er ist neun oder zehn, und das schreibt er 1980 in seinem Buch, 1990, 90. Aber ist das nicht auch ein Zeichen von Stärke, wenn er sagen kann: Wir sind verführt worden? (25) Sie: Das kann er ja sagen. Er: So kann man das sagen. Sie: Wenn er das jetzt meint. Aber das hat er auch sehr spät. Wir haben doch alle zu denen aufgekuckt, und haben gesagt: Mensch, wenn der mitmacht und der und der Reinecker. Ich habe ihn ja damals nicht gekannt, soweit bin ich nicht gekommen. Aber ... Er: Das ist also vielleicht schon erklärlich, dass das in der Jugend, bei den Pimpfen schon losging. Herr R.: Die Alten Kameraden, in der Zeitschrift, die ich gelesen habe, man hat das ihnen immer wieder vorgeworfen, die mit ihnen im Krieg waren, und die danach gesagt haben: Ja wir sind verführt worden, dass sie sich dann irgendwie außerhalb der Kameradschaft bewegen. (26) Ja, die haben sich rausgestellt. Zum Beispiel Heinrich Boll, der hat ja auch gekämpft ... (27) [abwiegelnd:] Jaa ... ... und auf den sind die Alten Kameraden ja gar nicht gut zu sprechen. (28) Sie können auch den Helmut Schmidt dazu rechnen [lacht]. [...] Warum sind die jetzt außerhalb der Kameradschaft? (29) Das ist natürlich eine Sache, das geht an die Nieren, wenn man danach fragt, [lacht] Die haben auch fürs Vaterland gekämpft, und die waren auch im Krieg, und haben auch ihr Leben riskiert. 136

(30) Sie: Aber die sind schon nicht gern Soldat gewesen. Sie wollen das nicht wahrhaben, und sie wollen vor allen Dingen nicht wahrhaben, dass sie, sagen wir es einmal im heutigen Jargon, für die Nazis gekämpft haben. Aber die nehmen es ja wahr, nur sagen sie, das war nicht gut, und das sehen wir jetzt anders. (31) Sie sehen das anders, sie sind also irgendwo eines besseren belehrt worden. Ich sag's mal in dieser Tonart. Nach ihrer Meinung, gell. Und ich glaube, gerade weil der Götz Eberbach jetzt die Sache managt, das sagen zu dürfen, dass eben innerhalb der Wehrmacht, innerhalb der Kameradschaft in der Wehrmacht, ein ähnlicher Zusammenhalt, eine ähnliche Kameradschaft herrscht wie bei uns auch, mit Unterschieden, gell. Aber es ist einfach innerhalb der Kameradschaften der HIAG so, wir haben von Anbeginn an, mit Ausnahme von den paar großen Treffen, die da in Karlburg (?) und in Minden und sonst wo noch stattgefunden haben, das waren reine Suchdiensttreffen, da ging's eben darum, dass die Nochlebenden gesagt haben, Menschenskind, wir müssen uns mal drum kümmern, wo die Kerle alle geblieben sind. Und das war so erfolgreich, also ich glaube, der Suchdienst der Waffen-SS noch heute als der erfolgreichste gilt, den's überhaupt je gegeben hat. Trotzdem würde ich gerne wissen wollen, warum Boll und Schmidt keine Kameraden sind. (32) Weil die sich selbst außerhalb gestellt haben. Sie: Für mich haben die zu spät das Ganze entdeckt, dass sie auf der falschen Seite gestanden haben. Er: Von der Sorte haben wir doch auch welche. Sie: Da habe ich auch als Frau kein Verständnis dafür. Also würden Sie dann sagen, Sie standen auf der richtigen Seite. (33) Sie: Na ja, also, ich hab so reingewachsen. Er: Nach unserem Dafürhalten. Nach Ihrem Dafürhalten ja. (34) Ich mein, wir haben nichts anderes gesehen, es war in Ordnung, wir haben nichts Schlechtes gemacht. Und da schreibt zum Beispiel diese 90-jährige BDM-Führerin auch heute noch in ihrem Buch. Und das muss ich dazu sagen: Der Axmann (?) hat zur selben Zeit wie der Reinecker sein Buch rausgegeben, auch 90, und der Axmann ist ja ganz kurz danach, nachdem das Buch erschienen war, gestorben. Gott sei Dank, dass das Buch noch fertig war. Und obwohl der Reinecker, ich muss mal bei dem bleiben, weil ich's auf den besonders abgesehen habe [lacht], und der Reinecker hat in seinem Buch vieles abgelehnt, was damals war, ja, aber er hat damals den Mund ja auch nicht aufgetan, er hätte ja sagen können, also das und das gefällt mir nicht. Im Gegenteil, er ist Kriegsberichter geworden bei Division Reich, bei der Leibstandarte, bei der Wiking auch und bei der Totenkopf, überall bloß als Kriegsberichterstatter, aber das ist auf seine Augengeschichte zurückzuführen, nicht, das war kein Drückebergerposten, das sehe ich ja völlig ein. Aber er hat ja bis zuletzt mitgemacht. 137

[...] Auch bei den Autoren Ihrer Zeitschrift gibt es viele, die sagen nicht, wir waren auf der richtigen Seite. Die sagen, das interessiert uns gar nicht, ob wir auf der richtigen oder falschen Seite waren, weil wir waren Soldaten und wir haben wie Soldaten in jedem Jahrhundert das gemacht, was Soldaten tun müssen, wenn sie in den Krieg ziehen, wir haben unser soldatisches Handwerk sozusagen gemacht. Das ist eine Position, die ich ganz oft gelesen habe. (35) To do the job. Genau. Aber Sie sagen jetzt eigentlich welche Ideologie dahinter stand.

noch mehr, Sie sagen, Sie interessiert

das

schon,

( 3 6 - 3 7 ) Selbstverständlich. Im Kriege habe ich auch keine politische Orientierung gehabt, außer der, die man mir als Junge schon eingetrichtert hatte, nicht. Und das ist j a doch das Entscheidende gewesen. Ich habe Kameradschaft erlebt, j a eigentlich schon von dem zehnten Lebensjahr an, da war ich bei den Pfadfindern, und dann bin ich aufs Internat gekommen, und hab das dann miterlebt im RAD genauso, das habe ich Ihnen j a geschildert, und bei der Truppe, da ging's bei uns nicht anders zu als bei der Wehrmacht auch. Und wenn man uns nachgesagt hat, wir hätten eben die bessere Ausbildung gehabt und die besseren Waffen und so weiter und so weiter, das ist ein bisschen verrückt. Das stimmt nicht. Manchmal ist es sogar so gewesen, dass die anderen die besseren hatten. Und die Kameradschaft selbst, das Phänomen der Kameradschaft, ich weiß nicht, wie ich das packen soll. [...] Viele Kriegsteilnehmer haben sich ja danach versöhnt und angefreundet französischen und jetzt in den 90ern sogar mit russischen Veteranen.

mit

englischen,

(38) Ich habe einen russischen Briefpartner, der zwar nicht im Kriege Soldat war, weil er jetzt gerade erst einmal 42 Jahre alt ist, aber der Sascha, der versteht mich, ohne dass ich da viel drumrum reden muss, nicht wahr. Und die russischen und französischen Kriegsteilnehmer sind jetzt auch Ihre obwohl sie im Krieg die Feinde waren. Wie kann das sein?

Kameraden,

(39^41) Ich habe genauso wie mit dem Sascha in (...?) Briefwechsel mit einem jungen Franzosen, der 15 Jahre Soldat war, der war unter anderem auch in Murrora, auf der Atominsel da, nicht, in Indochina, und mit dem haben wir uns angefreundet, wir verstehen uns auch gut sehr als Soldaten wie als Menschen sowieso. Und der ist mein Freund, mein Kamerad, mehr als Kamerad sogar. Und wenn Sie darauf anspielen: Das Verstehen zwischen Soldaten, ich will das mal unterstrichen wissen, die im Kriege gegeneinander standen. [...] Aber im Krieg selber hat man ja die Soldaten, kameradschaftlich behandelt.

die Gefangenen

mitunter überhaupt

nicht

( 4 2 - 5 0 ) [Seufzt] Ja, das wird auch nachgesagt. Aber da muss ich jetzt mal darauf hinweisen, dass gerade im Anfang des Zweiten Weltkriegs in Russland, da sind in ganz kurzer Zeit zwei, drei Millionen Russen in Gefangenschaft gekommen. Wie soll da mit dem Einzelnen oder insgesamt mit diesen Leuten eine Versöhnung, eine Freundschaft, eine Kameradschaft entstehen können? Ich habe schon vor vielen vielen Jahren gesagt: Wir haben den Krieg im Osten nicht militärisch, sondern politisch verloren. Es war ein Fehler, das ist jetzt eigentlich nicht zu Ihrem Thema gehörend [...] N a j a , ich sag das nur. Hätte man 138

in der Ukraine in Weißrussland damals gesagt, das ja besetzt war von vorne bis hinten, in den baltischen Staaten, damals gesagt (...?): Ihr sucht jetzt Eure neue Regierung zusammen, ihr stellt uns Arbeitskräfte, ihr stellt uns auch, wenn ihr wollt, militärische Kontingente, die unter unserem Kommando die Sowjets weiterverfolgen, dann hätte man den ganzen Ärger mit den Partisanen nicht gehabt. Und dann hätte man auch die Unterstützung der Völker insgesamt gehabt. Ich meine, in der Ukraine selbst, ich habe mich wirklich mit Leuten angefreundet, die ich vor ein paar Jahren noch gesucht habe [...] In dem Fall waren das mehrere Frauen, die zusammen in einem Haus gewohnt haben, bei denen wir mit unserem Vorkommando war das damals ein Zimmer beschlagnahmt haben und haben da gehaust. Aber das ist jetzt eine ganz andere Sache. Aber dass die Bevölkerung insgesamt den deutschen Soldaten beim Einmarsch in die Ukraine mit Brot und Salz entgegengekommen ist, das muss man auch mal dazusagen. Und da sind Vorwürfe gegen die oberste Führung laut geworden, und zwar ziemlich. Das hat nichts mehr mit dem Thema Kameradschaft zu tun. Auch da ist jetzt wieder eine Kameradschaft entstanden, eine, wie soll ich das sagen, besondere Spielart. Wir haben uns als Soldaten zur Truppe bekannt, wir haben als Soldaten unsere Arbeit getan, um bei diesem Begriff zu bleiben, obwohl wir das Empfinden hatten manchmal, da stimmt irgendwo irgendetwas nicht mehr. Verstehen Sie das? Und nachdem man uns gerade den Soldaten der ehemaligen Waffen-SS eben diesen Aspekt nicht abnimmt, man glaubt uns nicht, wenn wir sagen: Wir hatten einen Paul Hausser, der hat als einziger und als erster gewagt, einen Führerbefehl zu ignorieren. Und sein Argument - ich weiß nicht, war der Manstein der Vorgesetzte, ich weiß es nicht mehr dass Paul Hauser gesagt hat, dass man ihn aufmerksam gemacht hat: Sie spielen um ihren Kopf. Und da hat der gesagt: Um meinen eigenen Kopf ist nicht schade. Aber um die vielen Köppe meiner Männer, und hat den Befehl Hitlers, Charkow zu halten missachtet und hat den Befehl zum Durchbruch nach Süden gegeben. [...] Das ist unser Stolz, dass hier das getan wurde, in unserer Uniform, mit unserem Eid. [...] Wenn Sie sich jetzt an den Krieg zurückerinnern, spontan: Denken Sie an diese Kameradschaft, was ja auch etwas Positives ist, es sind Freundschaften daraus entstanden, oder denken Sie eher an die brutalen Sachen, an das, was auch belasten kann, was Sie auch erlebt haben. Was ist für Sie jetzt das, was in der Erinnerung vorherrscht? (51-54) Ja das ist wieder so eine Intimfrage, [lacht] Was soll ich dazu sagen. Dass man manchmal Bilder sieht, die erschrecken im Nachhinein noch. Eine Situation mit unserer gesamten Abteilung, das waren zwölf Feldhaubitzen (?) im Kampf eben nach Charkow wo unter dem Befehl des Chorkommandeurs Hausser ich glaube zwei russische Armeen zerschlagen worden sind. Und wir fahren in einer ganz verrückten Marschordnung vorneweg unsere Feldküche [lacht] als Spitze in der Kolonne, wir fahren los, dahinter dann der Infanteriekommandeur, das war der Zenz Kaiser (?), dann unser Kommandeur, Eichberger, und dann erst die Geschütze, und die Infanterie, die kam dann hinterher, und wir fahren einen leichten Berg hoch, und oben auf der Höhe, die Feldküche ist schon wieder rückwärts gefahren, haben die gemerkt, da ist was los auf der anderen Seite, und dann der Kommandeur: „Geschütze vor. Offene Feuerstellung." Ich weiß nicht, ob Sie sich vorstellen können, was das heißt. Und jetzt stehen dann zwölf Geschütze nebeneinander auf der Höhe und schießen auf einen riesen (?) Fahrzeugen, Geschützen, alles mögliche, Panzer dabei, die da unten im Tal zusammen sind, auf eine Entfernung von knapp drei Kilome139

ter. Das Durcheinander, das da entstand, diese Schreckensbilder, die kommen manchmal hoch, die kommen manchmal hoch, und da habe ich diese Leute bedauert. Und manchmal komme jetzt andere aus dem Endkampf um Berlin [...] da schildert ein Kamerad von eine Situation, der wandernde Kessel von Halbe. [...] Dass die also 10 000 und mehr Soldaten und Zivilisten vor allen Dingen, praktisch umzingelt, eingeschlossen von den Russen, etliche Kilometer, ich glaube 60 Kilometer muss das gewesen sein, immer weiter nach Westen, und kommen schließlich aus einem Wald oder an einen Waldrand und da ist diese Gruppe stehen geblieben und hat sich das angekuckt, was da unten war, ein bisschen große freie Pläne, vielleicht wie hier, ich weiß nicht, so stelle ich es mir vor [zeigt auf die Äcker vor uns, von der Terrasse aus]. Und da eben die Masse dieses Kessels drin, und die waren also so begeistert, jetzt sind wir gleich da, jetzt sind wir gleich frei. Und plötzlich knallt's dort von der Gegenseite her, und dann geht ein fürchterliches Feuer los, mit Artillerie und Infanterie, Panzergeschütze, alles in diese zusammengedrängte Flüchtlingsmasse da hinein. Und da muss es dann genauso ausgesehen haben. Und wenn man die Berichte über diese letzten Kämpfe gerade um Berlin, nicht einmal in Berlin selbst sondern um Berlin, Spreewald, Halbe und Beelitz, da schaudert einen, da schaudert einen, dieses, man ist nur noch froh, dass man selber nicht da drinnen war. Da kommt jetzt erst noch das Gefühl: So ein Wahnsinn. [...] Das sind Bücher, die habe ich erst in den letzten drei, vier Jahren in die Hand gekriegt. Sie: Wir haben damals ja nichts erfahren davon. Er: Wir waren in der Tschechei und haben das nicht mitbekommen, gell. Und das ist ja auch so, dass man als Soldat, als Landser oder als sagen wir subalterner Offizier in so einer kleinen Batterie, da hat man ja doch nur einen ganz begrenzten Überblick. Das stimmt. (55) Und man kann überhaupt über die strategische Lage oder überhaupt über die große taktische Lage überhaupt nichts sagen. Das sind Leute, die in den Stäben waren und selbst da noch nicht. [...] Bei mir ist der Krieg praktisch ja zu Ende gewesen, obwohl ich ja nachher noch einmal in Österreich war. Ich war in Komotau und hatte da eine Batterie übernommen und hatte den Auftrag vom Abteilungskommandeur, abends im Casino den Wehrmachtsbericht zu erzählen, zu berichten. Und das war der Wehrmachtsbericht an jenem Abend, als es hier bei Oppenheim die ersten Amerikaner über den Rhein gesetzt sind, und ich habe das gehört, und da sind bei mir die Jalousien runtergefallen. Weil ich das Gelände kenne [Bandende ...] [...] In den anderen Ländern werden die Veteranen sehr hoch geschätzt, haben sie ihren Platz in der Gesellschaft und werden auch immer wieder gehört, nur in Deutschland war das nicht so. Ist das etwas, was sie verletzt hat? (56) Ja, mich verletzten noch andere Dinge. Wir haben vor ein paar Wochen eine Zusammenkunft gehabt mit unseren Pionieren. Und da ist auch seit zwei Jahren ein Oberleutnant der Bundeswehr zugange gewesen ... Sie: Der Lange ... Er: ... von dem meine Frau vorhin ... 140

Sie: ... der auch zwei Meter ist Er: ... der schreibt jetzt auch so etwas ähnliches wie seine Doktorarbeit. Dem die Bundeswehr praktisch mitgeteilt hat, er kriegt seine Wehrdienstzeit nicht verlängert, er war auf acht Jahre verpflichtet, er muss nach diesen acht Jahren ausscheiden, weil er sich bei der HIAG, bei dem Treffen der Pioniere, angefreundet hat. Und das geht ja soweit - ich bleib jetzt mal bei den Pionieren, obwohl ich vom Krieg her nichts mit denen zu tun hatte er hat in diesem Kreis auch den Vorsitzenden des Waffenrings der Pioniere, einen Oberst Krohm kennen gelernt, ein feiner Kerl. Und eines schönen Tags krieg ich von dem Vorsitzenden der Waffen-SS-Pioniere, mit dem ich befreundet war, mitgeteilt: Wir sind aus dem Waffenring ausgetreten. Sag ich: Warum? Ja man hat uns jetzt mitgeteilt, dass wir nicht mehr in die Kaserne dürften, in der wir in Dresden mal zugange waren. Und der darf nicht mehr zu diesem Treffen der Waffen-SS-Pioniere kommen. Das ist jetzt der derzeitige Stand und der ist nicht dazu angetan, die Achtung vor dem Herrn Verteidigungsminister zu fördern. Und wenn er noch ein paar Mal vom Fahrrad fällt. [...] Also ich meine, das muss man auch sagen, dass in der Bundeswehr über 600 Soldaten der ehemaligen Waffen-SS im Anfang Dienst getan haben. Zum Teil Obersten, zwei oder drei sind sogar zu Generälen geworden. Und das wird alles vergessen, das wird alles ignoriert, wird ganz bewusst, meiner Einschätzung nach, auf Befehl der jeweiligen Staatsführung hin unterdrückt. Haben Sie sich nie überlegt, nach dem Krieg vielleicht in der Bundeswehr ... (58-59) Nein [lacht], ich hab also eigentlich wenig daran gedacht oder überhaupt nicht. Mein Bruder, der war Unter...[?] in der SS, der ist mittlerweile auch gestorben, der hat das versucht, der hat gesagt: Ich probier's mal. Und dann kam diese bewusste, ich weiß nicht wie sie sie nennen, Gesinnungsprüfung, nicht wahr. Und da wurde er gefragt, was er von den Männern des 20. Juli gehalten hätte. Da hat der Walter genau das gesagt, was ich auch gesagt hätte: Wenn ich sie als Patrioten betrachte, da waren sie großartig, da waren's eben Hochverräter. Wenn ich sie aber als Soldaten ankucke, da waren es Landesverräter. Daraufhin war für ihn die Prüfung gelaufen, nicht wahr [lacht]. Ich meine, das muss man ja auseinander halten. Und nachdem heute auch bekannt wird, das wird immer leiser, das Hurra um die Männer vom 20. Juli. Es kommt nämlich jetzt zum Vorschein, dass die gar nicht im Sinne der Westalliierten, noch weniger im Sinne der Russen gehandelt haben. Sondern die wollten genau dasselbe Deutschland erhalten unter anderer soldatischer Führung. [...] Was mich noch interessiert: Woran liegt das, dass da jetzt, 55 Jahre danach erstens wieder Interesse an dem Thema ist. Man könnte ja sagen, vergessen wir's, das ist so lange her. Und zweitens dass die Kriegsteilnehmer auch bereit sind, darüber zu reden. Woran liegt das? (60) Das letztere dürfte darin zu suchen sein, dass die aktiven Kriegsteilnehmer in der Zwischenzeit alle in Pension, in Rente sind. Die haben einfach mehr Zeit,

vielleicht...

(61) Zum Nachdenken nein. Aber ganz einfach, es ist die Angst weg, dass sie dienstlich oder beruflich Nachteile bekommen haben, bekommen hätten. Das ist wahrscheinlich der Hauptgrund. 141

Sie: Das eine kann mein Mann vielleicht noch sagen, zu ihrer Orientierung. Der hat also nicht gleich studieren dürfen. Er war ja nicht lange im Internierungslager Darmstadt. Er hatte sich schon beworben und da hieß es nur: Es sind so viele andere Bewerber da und die Waffen-SS kann später noch einmal nachfragen. Er: Das haben sie nicht dazu gesagt, sondern einfach: Das Semester ist voll, es war kein Platz. Sie: Jaja, aber es war ein Grund. Und dann, als er studiert hatte, und seinen Abschluss hatte, und Zuweisung hatte, dann stellt er fest, dass allein in der Berufsschule in Groß-Gerau vier oder fünf waren, die auch bei der Truppe waren, sogar der Chef, der Direktor damals. Also heutzutage würde er nie in den Staatdienst kommen. Vollkommen klar, weil so weit zurück sogar noch gesucht worden wäre. Aber damals haben sie ja auch Lehrer gebraucht. Ist das der einzige Grund, warum heute Kriegsteilnehmer wieder das Bedürfnis haben, darüber zu erzählen. Weil sie sich's vorher nicht getraut haben? Das kann ich mir gar nicht vorstellen. (62) Nein, sie sind vorher gar nicht gefragt worden. [...] Na gut, die Zeitschrift .Kameradschaft', ,Die Kameradschaft', ,Alte Kameraden' ... Sie: ... jetzt heißt sie nur noch .Kameraden' ... Er: In Österreich heißt sie ,Die Kameradschaft'. Ne, in Österreich ist ,Alte Kameraden' ... Sie: Jetzt heißt's nur noch ,Kameraden' ... Er: Ja, gut. Auch der ,Wikingruf', ursprünglich ,Wikingruf', jetzt heißt's ,Der Freiwillige', der existiert seit Anfang der 50er Jahre. Aber man könnte auch sagen: Da war ich damals ein junger Mann, und was ich damals gemacht habe, interessiert mich gar nicht mehr. Ich habe jetzt über 50 Jahre lang einen Beruf ausgeübt, habe Kinder gezeugt, habe Reisen gemacht, warum interessiert das immer noch so stark nach 50 Jahren? (63) Sie: Ich denke mal wegen der Wahrheit. Weil so viel Unwahres gesagt wird. Übers ganze Dritte Reich, also was wir alles gemacht haben. Ich sage oft: Wie wir das überlebt haben, ist mir schleierhaft. Jetzt in der Bundesrepublik? (64) Er und Sie: Nein, damals im Dritten Reich. Sie: Weil da heute auch über die Mädel im BDM und so was, was da alles erfunden worden ist [Er lacht]. Dass wir uns ankucken müssen, wenn wir das hören oder wenn wir uns sehen oder wenn wir zufällig zusammen sind. Dann sage ich immer, ich treff hier noch Mädchen, die bei mir als Jungmädel waren. Die treffe ich jetzt immer noch auf dem Friedhof, weiter komme ich ja nicht hier. Und die schwärmen noch von der Zeit damals. Und dann wird wieder was in die Welt gesetzt, was alles befohlen worden waren und was wir alles gemacht hätten. Und dann sag ich immer: Wie habt denn ihr nur die Zeit überlebt. Und dann gucken die mich erst mal an, wie ich so was fragen kann [Er lacht] mit allem 142

Ernst, und dann lachen wir uns an und sagen: Das sind einfach jetzt Erfindungen. Und das ist das, warum ich denke, warum auch die Männer jetzt noch vor allen Dingen sagen, soweit sie noch die Erinnerung haben. Es gibt ja welche, die wissen gar nichts mehr. Wir haben einen, der hat 150 Namen im Kopp, [er lacht] der hat halt ein gutes Namensgedächtnis. Aber die anderen wieder, ooch, das weiß ich nit mehr. Also da gibt's welche, ob bewusst oder unbewusst, die haben einen Strich gemacht. Sagen: Ich will gar nicht mehr davon hören. Und andere wieder sagen, ne da müssen wir uns doch wehren. Jetzt wollte ich ganz kurz, weil sie die Zeitung »Kameraden' lesen, die ich auch begeistert mitlese [lacht], Da ist doch immer was von dem Dr. Schreiber drin... Er: Nein, das ist ,Soldat im Volk'... Sie: ... ,Soldat im Volk', aber auch im ,Kameraden'... [...] (65) ,Soldat im Volk' ist vom Verband deutscher Soldaten. Sie: Das ist der Dr. Schreiber, der schreibt aber auch schon mal in ,Kameraden'. ,Soldat im Volk' nennt sich das, wird auch in Bonn rausgegeben... Er: Bonn, Bad Godesberg... Sie: ... und der Dr. Schreiber ist ganz kurz noch Soldat gewesen, weil er sehr jung noch ist. Er: ... Soldat im Kriege ... Er ist ja Bundeswehrgeneral ... Sie: Und das ist einer der wenigen in dieser Zeitschrift, die er praktisch herausgibt, mit Kameraden, der sich immer vor die Waffen-SS stellt, immer. Der ist gelernter Jurist, Dr. jur. gewesen, und hat den höchsten Dienstrang gehabt in der Bundeswehr. Er: Nein, er war Brigadegeneral ... Sie: Gibt's noch jemand Höheren? Er: Aber ja ... Sie: ... außer dem Verteidigungsminister ... Er: Es gibt auch Generaloberste. Sie: Na ja, aber der Schreiber ist schon ganz oben. [Er lacht.] Die Kleinigkeiten da. [...] Da habe ich ja auch einen Schriftwechsel mit dem Dr. Schreiber gehabt, der hat mir sogar sofort postwendend geantwortet, da ging's um Oradour, und da steht er auch voll auf Seite der SS in dem Fall, die ja immer wieder jedes Jahr neu drauf gestoßen wird ... Er: Das gehört jetzt zum Beispiel zum Thema ,Kameradschaft', Kameradschaft heute. Weil heute noch unsere oberen Politiker sich auf einen Standpunkt stellen und Dinge beurteilen, die sie erstens einmal aus eigenem Erleben gar nicht beurteilen könnten, und zweitens die längst widerlegt sind, amtlich widerlegt. Wird aber so behauptet, wie es die Franzosen haben wollen, und zwar aus Rücksicht in Frankreich, das kann ich verstehen, mit Rücksicht auf die ehemaligen Partisanen in Frankreich, die Maquis. Dieses Oradour ist eine Sache, die blutet immer wieder, das zwingt uns, immer wieder dazu Stellung zu nehmen, einander zu fragen: Hast Du da irgendetwas Neues davon? - Nö. Das ist also so wie's darge143

stellt wird von unseren Leuten, ist das in Ordnung. Und jetzt kommt ein Franzose oder mehrere Junge geben ein Buch zu Oradour heraus , die sind nicht älter als Sie, Reynouard ist der Herausgeber, haben eigene Forschungen, eigene Untersuchungen des ganzen Hergangs dieser Dinge, eigene Interviews mit den noch Lebenden, Überlebenden dieser Stadt, und es kommt also heraus, dass die zum selben Ergebnis kommen wie unsere Schriftsteller, wie unsere Darstellungen. Und das Buch ist noch nicht richtig erschienen, da wird es schon verboten, in Frankreich. Aber ich hab's [lacht]. In der Zwischenzeit gibt's das auch in Deutsch, da kann man also genau nachlesen, und das ist etwas, was uns immer wieder aufs Tablett gelegt wird. Für die Wehrmacht gilt jetzt etwa Kalavrita, Griechenland. Der Herr Bundespräsident legt an dem Denkmal oder an den Gräbern der Erschossenen Geiseln einen Kranz nieder und entschuldigt sich, erwähnt mit keinem Wort die 100 ... Sie: 80, 80 ... Er: oder 80 von diesen Partisanen dort massakrierten, und zwar verstümmelten deutschen Soldaten, die ihnen als Verwundete in die Hände gefallen waren. Kein Wort. Sie: Das schreibt vor allen Dingen dieser Dr. Schreiber ... Und das ist ein Grund, warum Sie glauben, es ist wichtig, jetzt noch darüber zu reden ... (66-74) Sie: Ja, ja. Er: Aber selbstverständlich. Sie: Also, der Schreiber schreibt offen, dass der Bundespräsident sich hätte kundig machen müssen, wie die Lage damals war. Und zwar haben die 70 deutsche Soldaten zusammengebunden - das ist nachgewiesen, nicht - die mussten sich aufstellen in einer Reihe, sind alle hinterrücks in eine Schlucht geschubst worden, sage ich mal, die waren ja zusammengebunden, die konnten ja gar nicht ... Ein einziger hat's überlebt. [...] (75-76) Es wird wahrscheinlich in den nächsten zehn, 15 Jahren noch mehr sagen wir mal der Weg zu einer objektiven Geschichtsdarstellung, zu einer Darstellung der Tatsachen, nicht mehr der Meinungen über das und das, eintreten. Je weiter man zurückkommt, je weiter man in die Zukunft weitergeht besser gesagt, umso einfacher ist das ja auch, weil nach und nach doch hie und da aus den Archiven ein bisschen was rauskommt. [...] Aber solange wir noch - wir meine ich jetzt die Kriegsgeneration - noch existent ist in wenigen Exemplaren, die dann so blöd daherreden wie ich [lacht] Ich meine, das ist ja auch das Großartige, dass wir noch reden können mit Leuten, die dabei waren ... (77) [lacht immer noch] ...Wenn das wahrgenommen wird, ist ja gut, aber die meisten wollen das ja gar nicht hören. In 30 Jahren haben wir es nur noch im Geschichtsbuch. (78) Ja das ist richtig.

144

6.

Literatur

6.1

Quellen

6.1.1

Texte zum Volkstrauertag, Publikationen von Kameradschafts- und Traditionsverbänden

6.1.1.1 Aus der Zeitschrift ,Alte Kameraden' (ab 1996: ,Kameraden'), Organ der Traditionsverbände und Kameradenwerke, (Karlsruhe/)Stuttgart, 1. Jahrgang 1953, monatliche Erscheinungsweise, aufgelistet in chronologischer Reihenfolge 11/1955: 11/1956: 11/1958: 11/1960: 11/1961: 11/1962: 11/1964: 11/1966: 11/1968: 11/1969: 11/1970: 11/1972: 11/1974: 11/1976: 11/1977: 11/1978: 11/1979: 11/1980: 11/1981: 11/1982: 11/1983: 11/1984: 11/1985: 11/1986: 11/1988: 11/1989: 11/1990: 11/1991: 11/1994: 11/1995: 11/1997:

Ernst Fähndrich: Kreuz und Krone. Vom Sinn des Soldatentods. (S. lf.) Kaether: Unvergessene Kameraden. (S. lf.) Klaus von Lutzau: Der Toten Bewährung verpflichtet die Lebenden. (S. lf.) ng: ... denn ein jeder hat zu danken. (S. 3) Ulrich von Hasselbach: Der Ruf zur Läuterung. Gedanken zum Volkstrauertag. (S. 3f.) Heinz Lonicer: Mensch, werde wesentlich! Gedanken zum Volkstrauertag. (S. 3) Wolfgang Schwarz: Berichte der Überlebenden. Statt eines Leitartikels zum Volkstrauertag am 15. November 1964. (S. 3-6) UK: Es rieselt so leis' der Regen. Gedanken zum Volkstrauertag 1966. (S. 3f.) Alexander Franz: Deshalb ehren wir die Gefallenen. (S. 3f.) Andreas Kaspar: Erben der Gefallenen. Volkstrauertag an der Wende der Generationen. (S. 3f.) Wilhelm Probst: Die Toten verpflichten die Lebenden. Volkstrauertag 1970. (S. 3f.) Erich Kühn: Das Erbe der toten Soldaten. (S. 3f.) Herbert Köstlin: In der Pflicht ihres Vermächtnisses. Gedanken zum Volkstrauertag 1974. (S. 3f.) Hermann Heidegger: Mahnende Frage: Warum - wofür? Gedanken eines Kriegsteilnehmers zum Volkstrauertag. (S. 3f.) Konrad Zeller: Fragen nach dem Sinn des Lebens. Gedanken zum Volkstrauertag 1977. (S. 3f.) Wilhelm Kohler: Es galt - und gilt - zu bestehen. Vom Sinn gemeinsamen Gedenkens alter und junger Soldaten am Volkstrauertag. (S. 3f.) Erhard Liss: Wir stehen bei ihnen im Wort. Gedanken zum Volkstrauertag. (S. 3f.) Wilhelm Adam: Ihr Opfer würdigen. Gedanken zum Volkstrauertag. (S. 3) Heid Rühl: Wir dürfen nicht vergessen. Gedanken zum Volkstrauertag. (S. 3f.) Wilhelm Holzapfel: Die Opfer wirken fort. Mahnung zum Volkstrauertag. (S. 3f.) Tim Gebhard: Niemand hat größere Liebe. Die Gefallenen verpflichten die Lebenden. (S. 3f.) Ulrich von Hasselbach: Ihr Tod geht uns alle an. Volkstrauertag 1984 - Gedanken über Sinn und Würde des Soldatenschicksals. (S. 3f.) Wilhelm Kohler: Wir stehen in ihrer Pflicht. Der Ruf unserer toten Kameraden - Gedanken zum Volkstrauertag. (S. 3f.) Claus D. Berwald: Wir trauern - und hoffen. (S. 3f.) Heinz Karst: Sich dem Schicksal stellen. Zum Volkstrauertag 1988. (S. 3f.) Siegfried Oertel: Soldaten dienen für Andere. Zum Volkstrauertag 1989. (S. 3) W.J. Bütow: Kranz mit Schleife. (S. 3) Reinhold Appel: Die Gedanken weilen an ihrer letzten Ruhestätte. Die Gefallenen beider Weltkriege mahnen zu Frieden und Versöhnung. (S. 3) Eberhard Grumer: Die Frage nach dem Sinn der Opfer. Rede zum Volkstrauertag 1994. (S. 3f.) Hans-Jörg Kimmich: Zum Gedenken an die fast Vergessenen. (S. 3) Peter Scheurich: Mahnung der Gefallenen. (S. 2)

145

11/1998: Herbert Wodarz: Gedanken zum Volkstrauertag. (S. 6) 12/1998: Horst Förster: Außergewöhnliche Würdigung. Gedenkansprache zum Volkstrauertag 1998. (S. 16f.) 12/1998: Karl Feldmeyer: Ansprache auf dem Ehrenbreitstein. Gedenkfeier am Ehrenmal des Heeres am 19. November 1998. (S. 2f.) 12/1999: Christian Hellwig: Befehlshaber im Wehrbereich II und Kdr 1. PzDiv. Ansprache am Volkstrauertag, 14. November 1999. (S. 3) 12/1999: Prof. Dr. Erhard Ellwanger: Ansprache am Grenadierstein des GR 119: Der Gleichgültigkeit des Vergessens gute Gedanken der Erinnerung entgegensetzen. Volkstrauertag - Theodor-Heuss-Kaseme Stuttgart. (S. 15f.) 11/2000: Jürgen Reichardt: Soldatenwallfahrt in Vierzehnheiligen. Vorbildliche Maiwallfahrt beinhaltet Grundsätzliches auch zum Volkstrauertag. (S. 3f.) 11/2000: Und jeder fehlt uns! Unsere toten Kameraden - auch ihnen galt unser Divisionstreffen. Vor 33 Jahren: Volkstrauertag. (S. 24) 12/2000: Martin Kunze: Gedenken - über Generationen hinweg. (S. 21) 11/2003: Michael Reck: Zum Volkstrauertag am 16.11.2003 in Schiftung. (S. 3) 11/2003: Hartmut Schustereit: Totengedenken ist Totenehrung. Gedanken zum Volkstrauertag. (S. 6f.)

6.1.1.2 Weitere Publikationen von Kameradschafts- und Traditionsverbänden, des Volksbunds Deutsche Kriegsgräberfürsorge u.a. Der Freiwillige: Für Einigkeit und Recht und Freiheit. Kameradschaftsblatt der HIAG (12/1999) Der Freiwillige: Für Einigkeit und Recht und Freiheit. Kameradschaftsblatt der HIAG (12/2000) Heidegger, Hermann: Gedenkansprache Dörlinbach vom 8. Mai 1997, in: Ulmer Spatz, Nachrichtenblatt Kameradenkreis 5. Infanterie- und Jäger-Division e.V. (Meersburg) Heft 2 (Weihnachten 1997) S. 8 - 1 1 Kannicht, Joachim (Hg.): Alte Kameraden. Berichte über Kampf, Begegnungen, Opfer, Gefangenschaft, Danach. Zusammengestellt im Auftrag der Arbeitsgemeinschaft für Kameradenwerke und Traditionsverbände e.V., Stuttgart (Karlsruhe 1992) Keller, D.: Jugend und Volkstrauertag. Die Kriegsgeneration und ihr bleibender Auftrag. In: Alte Kameraden 11/1983, S. 5f. Kriegsgräberfürsorge. Stimme und Weg. Berichte und Mitteilungen des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge (1. Jahrgang 1924) Kießling, Günter.: Auch ein Vermächtnis der Kriegsgeneration: Unterscheiden zwischen Freundschaft und Kameradschaft. In: Soldat im Volk (September 2000) S. 232 Der Seehase: Nachrichtenblatt der Kameradschaft Ehemaliger 114er und 14er, Nr. 78 (Mitte April 1959) (.Volkstrauertag', ohne Seitenangabe) Der Seehase Nr. 84 (August 1961) (Siegfried Erfurth: Gedanken zur Traditionsfrage; zweite Seite, rechte Spalte) Der Der Der Der

Seehase Nr. 84 (August 1961) (,Zum Problem Tradition', ohne Seitenangabe) Seehase Nr. 97/98 (Dezember 1966) S. 10 (.Volkstrauertag 1966 in Konstanz) Seehase Nr. 105 (Konstanz, Dezember 1969) Seehase Nr. 115 (Ostern 1973) S. 2f; S. 3 (,Sind Kriegskameradschaften noch zeitgemäß? Von Oberst a.D. Schraml') Der Seehase Nr. 120 (Konstanz September 1974) S. 12-14 (Otto Schreiner: Kameradschaft. Der Seehase Nr. 128 (Dez. 1976) S. 9 - 1 1 (Erhard Liss: Rede zum 8. Divisionstreffen der 78. Sturmdivision Tübingen) Der Der Der Der

Seehase Seehase Seehase Seehase

Nr. Nr. Nr. Nr.

144 148 159 161

(17./18. September 1983) (,Wir gedenken verstorbener Kameradenfrauen' S. 5) (Juni 1985) (Hellmut Gaudig: Ansprache anlässlich des Volkstrauertages 1984) S. 4 (Konstanz, Weihnachten 1990) S. 7 (F.M.: Volkstrauertag 1990) (Weihnachten 1991) S. 29f. (F.M.: Volkstrauertag 1991)

Der Seehase Nr. 162 (Konstanz, 5./6. September 1992) S. 36 (.Unser Riesenberg, die Konstanzer GefallenenGedächtnisstätte) Der Seehase Nr. 172 (Konstanz, Juni 1997) S. 2ff. (R. Meyer: Die verfemte Generation. Ein Vater schreibt seinen Söhnen)

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Todesanzeigen in Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 27.2.1998, 28.2.1998 und 5.1.2000 www.kameradenwerke.de/Page6.html (Zugriff am 29.8.2000)

6.1.1.3 Weitere Reden und Texte zum Volkstrauertag, weitere Gedenkreden Boll, Heinrich: Heldengedenktag (1958). In: Gert Ueding (Hg.): Deutsche Reden von Luther bis zur Gegenwart (Frankfurt/Main und Leipzig 1999) S. 264-267 Dregger, Alfred: Die deutschen Soldaten haben ihre Ehre nicht verloren. Rede zum Volkstrauertag 1986 vor dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge. In: Deutschland-Magazin (12/1986) S. 22-23 Förster, Horst: Gedenkansprache zum Volkstrauertag 1999 am Ehrenmal vor der Kienlesbergkaserne am 14. November 1999 (Wilhelmsburgkaseme Ulm). Typoskript Hindenburg, Paul von: Geleitworte zum Volkstrauertag 1926. In: Deutscher Volkstrauertag 1926. Berichte des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. Schavan, Annette: Wer wird in Zukunft trauern? Über Trauer und Menschenwürde. Gedenkrede zum Volkstrauertag bei der Feierstunde des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge. Pressemitteilung des Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg (Konstanz 17. November 1996), S. 2: „Um wen trauern wir? Warum trauern wir? Wer wird in Zukunft trauern?" Schmid, Carlo: Gebot des Friedens und der Menschenwürde. Rede zum Volkstrauertag 1978, hg. vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V. (Kassel o.J.) Werker, Wilhelm (Hg.): Rede zum Volkstrauertag, in: Reden und Ansprachen für jeden Anlass. Überarbeitet von M. Adam (Eschborn/ Ts. o.J.) S. 109 Wolffsohn, Michael: Willige Vollstrecker. Die europäische Dimension der deutschen Verbrecher. Ansprache zum Volkstrauertag 1996 in der Frankfurter Paulskirche. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung Nr. 273 (22. November 1996) S. 14

6.1.2 Gespräche Die Gespräche zwischen Rednern der Zeitschrift „Alte Kameraden" (seit 1996: „Kameraden) und dem Verfasser liegen als Tondokument (MC) und als Transkript vor. (Ausnahme: Das Gespräch mit A. liegt nur in schriftlicher Form vor.) A. (in englischer Kriegsgefangenschaft, 10 Jahre lang Chefredakteur von ,Alte Kameraden' und ,Kameraden') im Gespräch mit Andreas Hettiger am 21. September 2000 in Stuttgart E. (Sanitäts-Fähnrich im Zweiten Weltkrieg) im Gespräch mit Andreas Hettiger am 1. September 2000 in Stuttgart H. (Bataillonskommandeur im Zweiten Weltkrieg) im Gespräch mit Andreas Hettiger am 29. September 2000 in Stegen-Attental K. (zuletzt Major im Zweiten Weltkrieg) im Gespräch mit Andreas Hettiger am 13. September 2000 in Stuttgart A. und H. R. (zuletzt Obersturmführer der Waffen-SS im Zweiten Weltkrieg) im Gespräch mit Andreas Hettiger am 8. September 2000 in Groß-Gerau Gespräch mit dem Redakteur Claus Bittner am 21. August 2000 in der Redaktion der Zeitschrift .Kameraden' in Stuttgart Gespräch mit dem Chefredakteur Götz Eberbach am 23. Oktober 2001 in der Redaktion der Zeitschrift .Kameraden' in Stuttgart

147

6.2

Wissenschaftliche Publikationen und zu Vergleichszwecken hinzugezogene Literatur

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Dank

Dank für vielfältige Anregungen schulde ich den Kollegen aus der Redaktion des DFGProjekts ,Historisches Wörterbuch der Rhetorik', die Teile meiner Arbeit kritisch begleitet haben, sowie den Studierenden meines Proseminars ,Formen des Gesprächs' im Sommersemester 2001 am Seminar für Allgemeine Rhetorik der Universität Tübingen, die mit mir über methodische Probleme einer .Gesprächsrhetorik' nachgedacht haben. Für die historische Einordnung des hier ausgewerteten Quellenmaterials bin ich den Arbeiten von und dem Gespräch mit Professor Dr. Thomas Kühne verpflichtet. Für konstruktive Kritik und die Sensibilisierung für die biographiewissenschaftliche Dimension des Themas danke ich Professor Dr. Lothar Böhnisch. Den Entstehungsprozess dieser Arbeit haben mit genauem Blick Dr. Frank Godthardt und Jan Dietrich verfolgt. Carolin Habicht danke ich für besondere Ermutigung in der Endphase der Arbeit. Professor Dr. Gert Ueding danke ich für seine Unterstützung und die Bereitschaft, diese Studie in die Reihe der ,Rhetorik-Forschungen' aufzunehmen. Nicht zuletzt danke ich jenen ehemaligen Kriegsteilnehmern, die durch ihre Gesprächsbereitschaft die Arbeit in dieser Form erst ermöglicht haben.