Martin Bucer zwischen Luther und Zwingli: Herausgegeben:Arnold, Matthieu; Hamm, Berndt [1 ed.] 3161477634, 9783161585630, 9783161477638

Im Zentrum dieses Bandes steht der einflußreiche Straßburger Reformator Martin Bucer (1491-1551). Die Autoren der Beiträ

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German Pages [179] Year 2004

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Table of contents :
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Titel
Vorwort
Inhalt
Einleitung
MATTHIEU ARNOLD: Göttliche Geschichte und menschliche Geschichte: Bucers und Luthers Schau des Augsburger Reichstags in ihren Briefen
ROLAND LIEBENBERG: Die Ehre Christi und der Kampf um die Einheit. Martin Bucers theologische Überlegungen zur Einheit der reformatorischen Bewegung nach dem Marburger Religionsgespräch
REINHOLD FRIEDRICH: „Ein Streit um Worte?“ Bucers Position in der Abendmahlsfrage im Jahr 1530
ANNIE NOBLESSE-ROCHER: Die Rezeption mittelalterlicher Theologen in Martin Bucers Abendmahlskonzeption der Jahre nach 1530
BERNDT HAMM: Toleranz und Häresie – Martin Bucers prinzipielle Neubestimmung christlicher Gemeinschaft
ANDREAS PUCHTA: „Contra statuas et imagines“: Bucers Haltung im Bilderstreit
VOLKMAR ORTMANN: Martin Bucers Bemühungen um Reformation und Einheit der Kirche bei den Religionsgesprächen 1540/41
NICOLE DE LAHARPE: Bucers Porträt in Luthers Tischreden
Abkürzungen für Bucer-Ausgaben
Bibelstellenregister
Personenregister
Ortsregister
Sachregister
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Martin Bucer zwischen Luther und Zwingli: Herausgegeben:Arnold, Matthieu; Hamm, Berndt [1 ed.]
 3161477634, 9783161585630, 9783161477638

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Spätmittelalter und Reformation Neue Reihe begründet von Heiko A. Oberman herausgegeben von Berndt Hamm in Verbindung mit Johannes Helmrath, Jürgen Miethke und Heinz Schilling

23

Martin Bucer zwischen Luther und Zwingli herausgegeben von

Matthieu Arnold und Berndt Hamm

Mohr Siebeck

MATTHIEU ARNOLD, Professeur d'histoire du christianisme moderne et contemporain (Faculté de T h é o l o g i e Protestante, Université Marc B l o c h , Strasbourg), Leiter des G R E N E P , Mitglied des Institut Universitaire de France. BERNDT HAMM, Professor fur Neuere Kirchengeschichte (Theologische Fakultät, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg), Leiter der dortigen Bucer-Forschungsstelle.

978-3-16-158563-0 Unveränderte eBook-Ausgabe 2019

ISBN 3-16-147763-4 I S S N 0 9 3 7 - 5 7 4 0 (Spätmittelalter und R e f o r m a t i o n . Neue R e i h e )

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

© 2 0 0 3 J . C . B . M o h r (Paul Siebeck) Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das B u c h wurde von Computersatz Staiger in Rottenburg/N. aus der B e m b o - A n t i q u a gesetzt, von G u i d e - D r u c k in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden.

Vorwort Als Herausgeber legen wir dieses B u c h vor als Frucht eines ebenso inspirierenden wie erfreulichen deutsch-französischen Zusammenwirkens. Die Universitäten Erlangen-Nürnberg und Strasbourg boten uns dankenswerterweise die institutionelle Basis für eine Kooperation, die sich in der gemeinsamen Edition der Korrespondenz des ,europäischen Reformators' Martin B u c e r (1491—1551) seit 1 9 9 8 täglich bewährt. M i t dem vorliegenden Band haben die Editoren dem Wunsch nachgegeben, sich auch einmal einen gemeinsamen Ausflug auf das Feld der Bucer-Interpretation zu g ö n nen und dabei die besondere Vertrautheit mit den jüngst edierten Texten als Chance für neue Zugänge zu B u c e r wahrzunehmen. Dabei gedenken sie mit Dankbarkeit der reichen Anregungen, die sie durch die in den vergangenen Jahren verstorbenen Reformationshistoriker Gerhard Ebeling und Heiko Augustinus Oberman empfangen haben. Unser herzlicher Dank gilt Johannes Helmrath, Jürgen Miethke und Heinz Schilling für die Aufnahme des Bandes in ihre R e i h e und dem Verlag M o h r Siebeck für die bewährte zuverlässige Betreuung der Drucklegung. Erlangen/Strasbourg, 1. Oktober 2 0 0 3

Matthieu Arnold Berndt H a m m

Inhalt Vorwort

V

Einleitung

1

MATTHIEU

ARNOLD

Göttliche Geschichte und menschliche Geschichte: Bucers und Luthers Schau des Augsburger Reichstags in ihren Briefen ROLAND

LIEBENBERG

Die Ehre Christi und der Kampf um die Einheit. Martin Bucers theologische Überlegungen zur Einheit der reformatorischen Bewegung nach dem Marburger Religionsgespräch REINHOLD

49

NOBLESSE-ROCHER

Die Rezeption mittelalterlicher Theologen in Martin Bucers Abendmahlskonzeption der Jahre nach 1530 BERNDT

30

FRIEDRICH

„Ein Streit um Worte?" Bucers Position in der Abendmahlsfrage im Jahr 1530 ANNIE

9

67

HAMM

Toleranz und Häresie — Martin Bucers prinzipielle Neubestimmung christlicher Gemeinschaft

85

ANDREAS PUCHTA

„Contra statuas et imagines": Bucers Haltung im Bilderstreit

107

Inhalt

VIII VOLKMAR

ORTMANN

Martin Bucers Bemühungen um Reformation und Einheit der Kirche bei den Religionsgesprächen 1540/41

127

N I C O L E DE L A H A R P E

Bucers Porträt in Luthers Tischreden

147

Abkürzungen für Bucer-Ausgaben

157

Bibelstellenregister

159

Personenregister

161

Ortsregister

163

Sachregister

165

Einleitung MATTHIEU ARNOLD

• BERNDT

HAMM

A m 5. Juni 2001 fand im R a h m e n der Theologischen Fakultät der U n i versität Marc Bloch (Strasbourg) eine Tagung statt, die Martin Bucer im Jahre des Augsburger Reichstages 1530 gewidmet war. Matthieu Arnold und Berndt H a m m , Leiter des Groupe de Recherches sur les N o n Conformistes religieux des X V I I e et X V I I e siècles et l'Histoire des Protestantismes ( G R E N E P , Strasbourg) bzw. der Bucer-Forschungsstelle Erlangen, veranstalteten diese Tagung. Mehrere Mitglieder des G R E N E P und der Bucer-Forschungsstelle nahmen daran teil; dazu wurde Herr Dr. Volkmar Ortmann eingeladen, der sich durch seine jüngst veröffentlichte Dissertation über Bucers Tätigkeit bei den Religionsgesprächen in Leipzig, Hagenau, Worms und Regensburg 1539—1541 1 als guter Kenner der ökumenischen Wirksamkeit Bucer ausgewiesen hat. *

Seit 1998 ediert die Bucer-Forschungsstelle (Berndt H a m m , Reinhold Friedrich, Andreas Puchta, R o l a n d Liebenberg) in Zusammenarbeit mit Matthieu Arnold und Christian Krieger (Strasbourg, G R E N E P ) Bucers Briefwechsel. Die drei ersten Bände dieser umfangreichen Korrespondenz (ca. 1511—1529) waren hauptsächlich das Werk eines einzelnen Straßburger Gelehrten, Jean R o t t (f 17. Juli 1998), unter Mitarbeit einiger jüngerer Forscher, die heute zu den Herausgebern des Briefwechsels zählen. Band IV, der im Jahr 2000 erschien, ist die erste Frucht der neu begründeten K o operation zwischen Erlangen und Straßburg. Er umfaßt 73 Briefe und 1 VOLKMAR ORTMANN: R e f o r m a t i o n und Einheit der Kirche. Martin Bucers Einig u n g s b e m ü h u n g e n bei den Religionsgesprächen in Leipzig, Hagenau, Worms und R e gensburg 1539—1541, M a i n z 2001. In diesem wichtigen B u c h stellt O r t m a n n Bucers T ä tigkeit 1 5 3 9 - 1 5 4 1 in einen breiteren theologischen (Bucers Verständnis der Ekklesiologie und Rechtfertigung) und historischen Kontext. S o analysiert er zuerst Bucers programmatische Schrift von 1533, Furbereytung zum Cottcilio, und dann Bucers R a t an K ö n i g Franz I. im Vergleich mit zeitgenössischen Vorschlägen (Melanchthon, Erasmus). — O r t mann hat für sein B u c h leider noch nicht B C o r IV benutzen können.

2

Matthieu Arnold

• Berndt

Hamm

schließt mit dem wichtigen B r i e f Bucers an Zwingli vom 18. September 1530. Aufgrund der Zahl und der Länge der Briefe war es nicht möglich, die Korrespondenz des ganzen Jahres 1 5 3 0 in einem Band zu edieren. J e doch stellt Band IV des Briefwechsels eine chronologische und thematische Einheit dar: Er endet kurz vor der Abreise Bucers von Augsburg (19. September) und befasst sich hauptsächlich mit dem Augsburger Reichstag und dessen Auswirkungen auf die innerevangelischen Verhandlungen über das Abendmahl. N o c h vor Erscheinen dieses Bandes wurde von den Herausgebern beschlossen, die erste interpretatorische Auswertung seiner reichhaltigen und z.T. noch ungedruckten Stücke selbst vorzunehmen. So entstand das Proj e k t einer diesem Ziel gewidmeten Tagung. Die Beiträge, die in Straßburg vorgetragen wurden, wurden für die Veröffentlichung bearbeitet bzw. erweitert; selbstverständlich beanspruchen sie nicht, den R e i c h t u m von B u cers Briefwechsel im Jahre 1 5 3 0 wiederzugeben, sie versuchen aber, die Hauptinhalte dieser Briefe 2 zu reflektieren: Reichspolitik, Religionspolitik, Fortschritte bzw. Hemmnisse der Reformation und literarische Tätigkeit Bucers. *

Für Martin B u c e r war schon das Jahr 1529 von großer Bedeutung gewesen (besonders Abschaffung der Messe in Straßburg und Marburger R e ligionsgespräch). Mit der Aufnahme Straßburgs in das „Burgrecht", dem Augsburger Reichstag und der Weiterführung der Verhandlungen über das Abendmahl brachte das Jahr 1 5 3 0 noch eine Steigerung 3 . Nach dem nur teilweise erfolgreichen Ubereinkommen von Marburg („Lutheraner" und „Zwinglianer" konnten sich über 15 Punkte einigen, aber nicht über die Auffassung des Abendmahls) mußte B u c e r noch einen langen Weg durchlaufen, um die Einheit zwischen den Evangelischen zu erreichen 4 . Zwei Schriften aus dem Jahr 1530, die Sententiae veterum M e lanchthons und Oekolampads Dialog Quid de eucharistia veteres, boten ihm eine wichtige Hilfe, um die Unterschiede zwischen Luther und Zwingli überwinden zu können. D e r Beitrag von Annie N o b l e s s e - R o c h e r 5 zeigt Siehe die Einleitung von BERNDT HAMM ZU B C o r IV, S. X I I I - X I V . Außer B C o r IV siehe MARTIN GRESCHAT: Martin Bucer ( 1 4 9 1 - 1 5 5 1 ) . U n R é f o r mateur et son temps, Paris 2 0 0 2 (franz. Ubersetzung und erweiterte Ausgabe von: Martin Bucer. Ein Reformator und seine Zeit, München 1990). 4 Siehe WALTHER KÖHLER: Zwingli und Luther. Ihr Streit über das Abendmahl nach seinen politischen und religiösen Beziehungen, 2 Bde., Leipzig-Gütersloh 1 9 2 3 - 1 9 5 3 . 5 Siehe unten S. 6 7 - 8 3 . Siehe auch ANNIE NOBLESSE-ROCHER: „Que fait le libre arbitre? - Lui aussi, il est sauvé". In: Positions Luthériennes 50 ( 2 0 0 2 / 4 ) , 3 2 5 - 3 4 3 . 2 3

Einleitung

3

uns, welche auctoritates der Straßburger Reformator bevorzugt, nämlich die Vertreter der via antiqua. Roland Liebenberg 6 weist darauf hin, daß Bucer sich von der Theologie des Spätmittelalters entfernt, indem er, um es mit einem Konzept von Berndt Hamm 7 auszudrücken, „sich in den von den Reformatoren beschrittenen Weg der ,normativen Zentrierung' der Theologie auf wesentliche Glaubensgegenstände einreiht". Die Analyse von Bucers Briefwechsel im Jahre 1530 zeigt uns, daß B C o r IV nicht nur dazu beiträgt, die Lücken der Biographie oder der „ökumenischen Theologie" Bucers auszufüllen. Dieser Briefwechsel, der vor der Veröffentlichung von Melanchthons Briefwechsel für dieselbe Zeitspanne erschienen ist 8 , ist für die Geschichte der Reformation und der abendländischen Christenheit von großem Interesse. Denn Bucers Perspektiven beziehen sich nicht nur auf das Römisch-deutsche R e i c h ; eine der Motivationen Bucers für seine Bemühungen im Dienste einer Konkordie liegt in der Werbung für die Reformation außerhalb Deutschlands: der R e f o r m a tor hat den Erfolg der Reformation in Frankreich im Auge, wie es u.a. der Aufsatz von Matthieu Arnold zeigt. 9 Ein anderer wichtiger Grund für die Suche nach der Einheit und für deren Bewahrung war für Bucer kein taktischer, sondern ein theologischer: die Ehre Christi. Oft hat man von der Ehre Gottes bzw. Christi in Bezug auf Calvins Theologie gesprochen 1 0 . Der Aufsatz von Roland Liebenberg 11 beweist, daß dieses Thema auch eine wesentliche R o l l e in Bucers Denken gespielt hat. Liebenberg stützt sich hauptsächlich auf den B r i e f vom 26. Januar 1530 an Ambrosius Blaurer 1 2 und auf die Vorrede zum Evangelienkommentar in der Form eines Widmungsschreibens an die Marburger Akademie 1 3 . In diesen Texten räumt Bucer der Verwirklichung der Pflichten der Liebe einen höheren Stellenwert ein als den dogmatischen Wahrheiten; insofern steht er Erasmus von Rotterdam nahe, und wie Erasmus oder Thomas Morus (Utopie) scheint er in seinem B r i e f an Blau-

Siehe unten S. 3 0 - 4 8 . Siehe BERNDT HAMM: Von der spätmittelalterlichen reformatio zur R e f o r m a t i o n : der Prozeß normativer Zentrierung von R e l i g i o n und Gesellschaft in Deutschland. In: A R G 84 (1993), 7 - 8 2 . 8 D i e Regesten der Briefe des Jahres 1530 sind bereits in Melanchthons Briefwechsel, B d 1, Stuttgart-Bad Cannstatt 1977 erschienen; die Texte (Bd. T 4) sind aber noch nicht veröffentlicht worden. 9 Siehe unten S. 9 - 2 9 . 1 0 Siehe z. B. MARIJN DE KROON: T h e H o n o u r o f G o d and Human Salvation. A c o n tribution to an understanding o f Calvin's theology according to his institutes, EdinburghN e w York 2 0 0 1 . 11 Siehe unten S. 3 0 - 4 8 . 1 2 B C o r IV, Nr. 2 7 3 , 9 - 1 6 . 1 3 B C o r IV, Nr. 2 7 9 , 3 7 - 6 7 . 6 7

4

Matthieu Arnold

• Berndt

Hamm

rer in ein minimales Glaubensbekenntnis einzuwilligen: Unser Leben gehört Gott; Jesus Christus, der Erlöser, hat es erworben. Für Luther steht die Christologie auf dem Spiel, wenn man die biblischen Einsetzungsworte des Abendmahls interpretiert 1 4 . Für B u c e r ist nicht die „falsche" Interpretation dieser Worte, sondern sind eher die dogmatischen Streitigkeiten, in denen die Wittenberger sich verwickeln, eine Gotteslästerung. Nach Liebenbergs Interpretation geht B u c e r soweit, daß er den theologischen Unterschieden eine theologische Würde beimißt: Sie sind nicht nur eine Folge der menschlichen Erkenntnisschwäche, sondern sind von Gott mit der Intention einer „Offenbarungspädagogik" gewollt. Diejenigen, denen Gott mehr von seiner Wahrheit offenbart hat, sollen sich in D e m u t denen gleichmachen, die an diesem Offenbarungsgeschehen noch nicht teilhaben. B u c e r zählt sich natürlich zu den Ersteren, den „Starken", von denen der Apostel Paulus redet. Die Vielfalt der dogmatischen Stellungnahmen ist also für ihn nur vorübergehend; bis man zur Einheit gelangt, soll man die „Schwächeren" — nämlich Luther und seine Anhänger — in der Liebe dulden. Eine solche Vorstellung macht B u c e r zum Vorläufer einiger wichtiger Teilnehmer des ökumenischen Dialogs im 20. Jahrhundert 1 5 . D e r Beitrag von R e i n h o l d Friedrich „Ein Streit um W o r t e ? " 1 6 zeigt, daß sich B u c e r auch exegetisch im Jahr 1530 bereits auf einer Erkenntnisebene bewegt, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts für die m o derne Exegese und Dogmatik bei der Auslegung der Abendmahlsworte tragend wurde. Er weist darauf hin, daß bei den „verba testamenti" das Wort „est", um dessen richtige Interpretation es Luther und Zwingli ging, im aramäischen Urtext fehlt. Deshalb geht B u c e r dann auch von einer „Personalpräsenz" im Abendmahl aus. Entscheidend waren für ihn die ethischen Konsequenzen, die sich durch den Abendmahlsempfang für die Gläubigen im täglichen Leben auswirken sollten. Zudem wurde die Frage der „manducatio indignorum" das Herzstück in Bucers Abendmahlsverständnis und nicht die wahre Auslegung der „verba testamenti" oder die Lehre der R e a l - oder gar Respräsenz wie in Luthers Abendmahlsdenken. In seinem Beitrag zu „Bucers Haltung im Bilderstreit" 1 7 stellt Andreas Puchta Bucers Verständnis von Bildender Kunst in den Kontext seiner Zeit und befreit ihn von dem Vorwurf, sich wider besseres Wissen als Handlanger von Kunstvernichtern betätigt zu haben — unkontrolliertes und mut14

Siehe MARC LIENHARD: Martin Luther, témoin de Jésus-Christ, Paris 1973, 2 0 4 -

227. 15 So z. B. OSCAR CULLMANN: Einheit durch Vielfalt. Tübingen 1986 (1. Aufl.). B e merkenswert ist es, daß CULLMANN sich als „Bucerianer ( B u c é r i e n ) " betrachtete. 16 Siehe unten S. 4 9 - 6 5 . 17 Siehe unten S. 1 0 7 - 1 2 5 .

Einleitung

5

williges Zerstören von Kunst wertet er ohnehin als schwere Sünde. Im Lauf der Jahre entwickelt Bucer seine ursprüngliche, an Luther angelehnte Meinung, Bilder seien weder nützlich noch schädlich, hin zu einer Sichtweise der Bilderverehrung als Beleidigung der Ehre Gottes. Beispielhaft ist Bucers Beweisführung mit Argumenten aus der Heiligen Schrift, Kirchenväterliteratur und Kirchengeschichte, in der er Fakten und Interpretationen geschickt miteinander verwebt. Berndt H a m m 1 8 untersucht die irenischen Gedanken, die Bucer schon vor dem Religionsgespräch von Marburg entwickelt hatte, d.h. seine Überlegungen zur zentralen Bedeutung der „Toleranz" bzw. der Duldsamkeit der Liebe und einer „in hohem Maße entdogmatisierten Wahrheit", die ermöglicht, abweichende christliche Meinungen auszuhalten, brüderliche Ermahnungen zu ertragen und so zu einer Einheit in der Glaubensvielfalt zu gelangen. Diese Uberzeugung wurde durch die Erfahrung einer Art von Exkommunikation in Marburg — Luther und seine Anhänger hatten den „Zwinglianern" die christliche Bruderschaft verweigert — verschärft. H a m m zeigt, daß man aufgrund ihrer biblischen (Bucer zieht haupsächlich die paulinischen Episteln in Betracht) und reformatorischen Grundlage diese Vorstellung nicht mit den entdogmatisierenden Friedens- und Einheitsidealen des erasmischen Humanismus verwechseln darf. Der programmatische Text, in dem Bucer seine Gedanken ausführlich entwickelt, ist das lange Widmungsschreiben vom 20. März 1530 zur zweiten Ausgabe des Evangelienkommentars an die Professoren der Marburger Hochschule (Edition Nr. 279). Dort behandelt Bucer die Reichweite christlicher Duldsamkeit und Gemeinschaft. Luther hatte von Anfang an die Straßburger gewarnt, gegen Christi Geist zu handeln 1 9 ; Bucer zeigt, daß gerade die, die wegen Lehrunterschieden in der Abendmahlsauffassung ihre Brüder nicht als Glieder der christlichen Gemeinschaft anerkennen wollen, wider diesen Geist handeln. Auch diese Schrift zeugt von Bucers Kenntnis der Schriften der Kirchenväter, hier besonders Cyprians. In dieser Schrift finden wir auch die Eigenart von Bucers Theologie im Vergleich mit Luther, indem Bucer auf die Lebensfrüchte als Kriterien einer echten christlichen Gesinnung hinweist. Sie kommen aus dem Herzen der Glaubenden — auch der Andersglaubenden; sie zeugen vom Glauben an den christlichen Hauptartikel, nämlich daß Gott der liebende Vater des Christen ist, der ihn allein durch Jesus Christus zum Heil führt. Im Gegensatz zu Luther, der Katharina Zell in der Abendmahlsfrage mitgeteilt hatte, Siehe unten S. 8 5 - 1 0 6 . Siehe WA B r 3, Nr. 942, 604f, und MATTHIEU ARNOLD: La correspondance de Luther. É t u d e historique, littéraire et théologique, M a i n z 1996 ( V I E G 168), 473. 18

19

6

Matthieu Arnold

• Berndt

Hamm

Gott gehe über die Liebe 2 0 , kann B u c e r nicht Glaube bzw. Wahrheit und Liebe gegeneinander ausspielen. Bucers Vorstellung klingt auch sehr modern, indem er die christliche Gemeinschaft nicht statisch versteht: Sie ist eher Verbundenheit durch das Band der Liebe als Einheit in der Lehre; sie ist die Gemeinschaft der Suchenden — und dabei der stets Irrenden. Insofern — auch wenn er von anderen Voraussetzungen als der Humanist ausgeht — steht Bucer Erasmus nahe: Hatte Letzterer nicht 1524 in seinem De libero arbitrio den assertorischen Charakter des Glaubens bei Luther kritisiert? B u c e r aber ist überzeugt, daß nicht er, sondern Luther und die Seinen irren (Luthers Abendmahlslehre kritisiert er als völlig unbiblisch), und so ist seine Einladung zur Duldsamkeit den Irrenden gegenüber weniger ein Appell an Luther als an die M i t streiter im zwinglischen Lager. So ergänzen Bucers Briefe die Perspektive Luthers, die die Historiographie der Reformation zu oft einfach übernommen und deswegen B u c e r mißverstanden hat. D e r Aufsatz von Nicole de Laharpe 2 1 stellt den B r i e f wechsel zwischen B u c e r und Luther im Jahre 1530 in einen breiteren Kontext, indem sie Luthers Urteile (hauptsächlich die mündlichen Urteile in den Tischreden) über B u c e r untersucht. Luthers Stellungnahmen sind von einem dauernden Mißtrauen im R a h m e n des Abendmahlsstreits gekennzeichnet, aber sie beinhalten auch bedeutende Variationen: Ab und zu gibt es auch positive Urteile über Bucer, die der pessimistischen Einschätzung des Straßburgers am 18. Oktober 1529 widersprechen; an diesem Tag stellte er in einem B r i e f an Ambrosius Blaurer fest, daß „Luther und die Seinen mit uns [d.h. den Schweizern und Oberdeutschen] keine andere Konkordie eingehen wollen als mit den Türken und J u d e n " 2 2 . *

Zwar gehörte B u c e r nicht zu den „Christen ohne Kirche bzw. zwischen zwei K i r c h e n " 2 3 — wie man zahlreiche Humanisten bezeichnet hat. In Augsburg sieht er sich aber zwischen zwei Fronten, den ,Papisten' und den Lutheranern, anders als Luther und die Seinen, die fast ausschließlich die 2,1 WA B r 6, Nr. 1 7 7 7 , 2 7 , 9 - 1 2 ; 24. Januar 1531: „Denn ihr wisset zu guter massen.das woll die lieb soll vber alles gehn vnd den fortgang haben, ausgenomen Gott, der vber alles, auch vber die liebe, ist. Wo derselbige vnd sein wort furgeht, so soll Ja bey vns die liebe gewiß die überhand haben nehest G o t t . " 2 1 Siehe unten S. 1 4 7 - 1 5 5 . Inzwischen hat NICOLE DE LAHARPE ihre wichtige Dissertation über Luthers Tischreden veröffentlicht: Image de l'autre et image de soi. Les stéréotypes nationaux dans les „Propos de table" de Luther, Paris 2 0 0 1 . 2 2 B C o r III, Nr. 2 5 7 , 3 3 2 , 5f; in seinem Aufsatz weist ROLAND LIEBENBERG auf diese Stelle. 2 3 Diese von LESZEK KOLAKOWSKI verwendeten Begriffe sind u. a. von THIERRY

7

Einleitung

,Päpstler' als Gegner betrachten 2 4 . D e r Beitrag von Matthieu Arnold unterstreicht diesen wesentlichen Unterschied zwischen Luthers und Bucers Sicht der Geschehnisse während des Reichstags. Ebenfalls im Gegensatz zu Luther wird Bucer, trotz des Scheiterns der Verhandlungen mit den Altgläubigen in Augsburg, nicht darauf verzichten, zu einer Einigung mit ihnen zu kommen. W i e der Aufsatz von Volkmar O r t m a n n 2 5 zeigt, wollte B u c e r nicht nur eine Konkordie zwischen den Evangelischen. O b w o h l Ortmann die Religionsgespräche der Jahre 1540— 1541 betrachtet, knüpft seine Arbeit mehrmals an die Verhandlungen von 1 5 3 0 an: „Während des Hagenauer Gesprächstages 1 5 4 0 wurden immer wieder die Augsburger Verhandlungen ins Gespräch gebracht." B e i B u c e r findet man 1540—1541 das Wort „Vergleychung", das er schon vor 1530 verwendet hatte, aber in Bezug auf den Abendmahlsstreit; jetzt schlägt B u c e r den Altgläubigen eine „Vergleychung" vor. Die Grundlage dieser „Vergleychung" stellt die reformatorische Lehre dar, wie sie in der Confessio Augustana und ihrer Apologie dargelegt ist. Zu den Parallelen zwischen 1 5 3 0 und 1540—1541 gehört auch die Tatsache, daß B u c e r jeweils nach dem Scheitern der Religionsverhandlungen den Krieg im R e i c h furchtet. Wichtige Unterschiede gibt es auch. So ist z.B. 1540—1541 Martin B u c e r nicht mehr der Mann, der 1530 heimlich nach Augsburg gekommen war, dessen Lehre von den Wittenbergern verworfen wurde und dessen Stadt, Straßburg, nach der Abschaffung der Messe und der Bilder von Karl V. bedroht war; anfangs der vierziger Jahre gehört B u c e r zu den führenden Reformatoren und zu den Wortführern eines vom Papst unabhängigen Nationalkonzils. Schon 1536 hatte der Abschluß der Wittenberger K o n kordie seine Stellung in evangelischen Lager verstärkt; die Religionsgespräche der vierziger Jahre bezeugen eine Annäherung zwischen ihm und Melanchthon 2 6 . Anders als Luther 2 7 glaubt B u c e r noch in Worms, daß er den Kaiser für das Evangelium gewinnen kann. U n d wenn er 1 5 3 0 ab und zu Melanchthons Nachgiebigkeit kritisiert hatte, ist er 1540—1541 in Worms selber bereit, der römischen Kirche in den „äußeren D i n g e n " der Zeremonien nachzugeben, um der evangelischen Lehre die T ü r zu öffnen. WANEGFFELEN entfaltet worden; ders.: Ni R o m e ni Genève. Des fidèles entre deux chaires en France au X V l e siècle, Paris 1997. 24

Siehe MATTHIEU ARNOLD: La correspondance (wie A n m . 16), 136.

Siehe unten S. 1 2 7 - 1 4 6 . - D e r Beitrag von ORTMANN stützt sich haupsächlich auf die drei Hauptkapitel (Kap. IV—VI) seines Buchs (Anm. l ) , d i e die Religionsgespräche von Hagenau (23. Mai - 28. Juli 1540), Worms (28. O k t o b e r 1 5 4 0 - 19. Januar 1541) und R e gensburg (5. April - 29. Juli 1541) darstellen. 25

26

So

ORTMANN.

Siehe

auch

HEINZ

SCHEIBLE:

Melanchthon

und

Bucer.

In:

CHRISTIAN KRIEGER/MARC LIENHARD: Martin B u c e r and Sixteenth Century Europe, Leiden - N e w York - Köln 1993, B d . 1, 3 6 9 - 3 9 3 . 27

Siehe MATTHIEU ARNOLD: La correspondance (wie A n m . 16), 85.

8

Matthieu Arnold

• Berndt

Hamm

Eine solche Haltung ist von seinen Zeitgenossen scharf beurteilt worden. Andererseits aber ist B u c e r überzeugt, daß zu weitgehende Konzessionen gegenüber den Altgläubigen die innerevangelische Einheit gefährden würden. Diese religionspolitischen Gespräche, in Worms wie zehn Jahre vorher in Augsburg, zeigen Bucers Uberzeugung, daß es bei den Altgläubigen wie bei den Evangelischen Wohlmeinende und echte Christen gibt. Eine solche Vorstellung widerspricht der oft dualistischen Sicht Luthers, der meistens die ,,boni" und die „impii" gegenüberstellt. Dieser Unterschied drückt sich — so die Aufsätze M . Arnolds und R . Liebenbergs — auch in der Art und Weise aus, wie Bucer und Luther den Teufel wahrnehmen: Man begegnet Satan auch in Bucers Briefwechsel; für den Straßburger ist aber der Teufel hauptsächlich der Widersacher der Einheit, während bei Luther Satan eher den Lügner darstellt, der die Wahrheit des Wortes bekämpft und der Luthers Anhänger durch falsche Kompromisse mit den ,Päpstlern' bzw. den ,Sacramentarii' versucht. *

So trägt die Veröffentlichung und die Interpretation von Bucers Briefwechsel im Jahre des Augsburger Reichstags dazu bei, die Eigenart und die Gründlichkeit des Denkens des Straßburgers besser hervorzuheben. Der vorliegende Band verändert nicht die Grundzüge des bisher gültigen B u cer-Bildes der Forschung. Vielmehr haben die verschiedenen Beiträge b e stätigen können, daß u. a. Bucers Theologie der Allwirksamkeit Gottes eine wichtige R o l l e beimißt 2 8 oder daß die Liebe zum Nächsten zu den zentralen Motiven von Bucers Denken gehört 2 9 . Die Briefe, die eine „Theologie in der Vielfalt der Lebenssituationen" darstellen, um einen Ausdruck von Gerhard Ebeling zu gebrauchen, präzisieren und ergänzen aber das herkömmliche Bild von Bucer, indem sie uns den Menschen und zugleich den Theologen näherbringen 3 0 .

2 8 Siehe schon AUGUST LANG: Der Evangelienkommentar M . Butzers und die Grundzüge seiner Theologie, Leipzig 1900. 2 9 Siehe z. B. GOTTFRIED HAMMANN: Entre la secte et la cité. Le projet d'Église de Martin Bucer, G e n f 1984; MATTHIEU ARNOLD: „Dass ihm selbst niemand, sondern anderen leben soll." Das theologische Programm Martin Bucers von 1523 im Vergleich mit Luther. In: Theologische Beiträge 32 (2001), 2 3 7 - 2 4 8 . 3,1 Damit soll natürlich nicht gesagt werden, daß der Briefwechsel keiner kritischen Uberprüfung bedarf. Zur Methode, siehe MATTHIEU ARNOLD: La correspondance (wie Anm. 16), 9 - 2 2 , 5 9 3 . Siehe auch JUDITH RICE-HENDERSON: O n Reading the R h e t o r i c o f the Renaissance Letter. In: HEINRICH FRANZ PLETT (Hrg.): R e n a i s s a n c e - R h e t o r i k / R e naissance R h e t o r i c , B e r l i n - N e w York 1 9 9 3 , 1 4 3 - 1 6 2 .

Göttliche Geschichte und menschliche Geschichte: Bucers und Luthers Schau des Augsburger Reichstags in ihren Briefen MATTHIEU

ARNOLD

Die Studien über die Theologie Bucers und Luthers sowie die Biographien 1 der beiden Reformatoren zeigen, daß sie eine gemeinsame U b e r zeugung teilen: Gott, der sich in Jesus Christus offenbart hat, wirkt noch in der Geschichte 2 , d.h. in ihrem privaten Leben sowie in der „großen" G e schichte, einer Geschichte, in der Bucer und Luther zu ihrer Zeit auch oft eine Hauptrolle spielten. Diese Uberzeugung von der Allwirksamkeit Gottes, die man meistens den Reformatoren auf der Basis einiger Zitate zutraut, müßte im Detail untersucht werden. Für eine solche Untersuchung ist der Briefwechsel eine Q u e l l e ersten Ranges: Die Briefe enthalten zahlreiche Selbstzeugnisse der Reformatoren und deren Kommentare zu den Ereignissen, die sie persönlich erlebt haben oder die ihnen von einem Dritten mitgeteilt worden sind. Die Briefe erlauben es, die praktischen Konsequenzen der allgemeinen Uberzeugung von Gottes Wirken in der G e schichte zu sehen: Wie wirkt Gott in der Geschichte? Hoffen die R e f o r matoren auf ein solches Wirken? Gehen sie soweit, daß sie dieses Wirken sogar für eine nahe Zukunft ankündigen können? 1 Für Bucer siehe MARTIN GRESCHAT: Martin Bucer. Ein Reformator und seine Zeit, Müchen 1990 (diese Biographie erschien jüngst auf französisch: Martin Bucer ( 1 4 9 1 1551). U n Réformateur et son temps, Paris 2002, übers, von Matthieu Arnold, erweitert durch ein Kapitel über die Bucerforschung seit 1990). Für Luther siehe z. B. HEIKO A. OBERMAN: Luther. Mensch zwischen Gott und Teufel, Berlin 1981; BERNHARD LOHSE: Luthers Theologie in ihrer historischen Entwicklung und in ihrem systematischen Z u sammenhang, Göttingen 1995, 230: „Diese Allwirksamkeit und Allgegenwart Gottes ist eine Grundüberzeugung in Luthers eigenem Glauben sowie in seiner gesamten T h e o logie." 2 Siehe meine Studie über Luthers Briefwechsel: MATTHIEU ARNOLD: La Correspondance de Luther, Mainz 1996 (VIEG 168), Teil I, Kapitel 3: U n motif théologique récurrent: l'histoire perçue c o m m e champ de la lutte entre Dieu et Satan (S. 130—211). Für diese unleugbare Dimension von Luthers Briefwechsel siehe auch GERHARD EBELING: Luthers Seelsorge. Theologie in der Vielfalt der Lebenssituationen an seinen Briefen dargestellt, Tübingen 1997, besonders S. 398—400: Die Existenz zwischen Christus und dem Satan.

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Innerhalb des breiten Feldes eines Briefwechsels in der ersten Hälfte des XVI.Jahrhunderts scheint uns die Zeitspanne des Augsburger Reichstags 1530 ein fruchtbares Forschungsfeld zu sein: Der Reichstag dauerte m e h rere Monate und beschäftigte sich hauptsächlich mit Religionspolitik; deshalb hat er die Aufmerksamkeit der großen Reformatoren auf sich gezogen, deren Briefaustausch während des Frühlings und Sommers 1530 intensiver wurde. So darf man sich als Reformationsgeschichtler freuen, daß, dank der Bucerforschungsstelle Erlangen, in Zusammenarbeit mit dem Groupe de Recherches sur les N o n conformistes des X V I e et X V I I e siècles et l'Histoire des Protestantismes ( G R E N E P , Strasbourg), der Briefwechsel Martin Bucers von Januar bis September 1530 uns jetzt zugänglich ist. D i e Beziehungen bzw. die Parallelen zwischen B u c e r und Luther während des Augsburger Reichstages sind m. E. kaum untersucht worden. (Dagegen haben sich die Historiker und Theologen auf Luther und M e lanchthon konzentriert 3 ). Wahr ist es, daß die beiden Reformatoren sich während dieser Monate kaum schreiben 4 . Jeder von ihnen aber ist zur Zeit des Reichstages in einer bestimmten Lage, die seinen Briefwechsel noch wertvoller und interessanter macht. Als Gebannter (seit dem Wormser Edikt von 1521) muß Luther in Kursachsen bleiben und kann daher an den Verhandlungen nicht unmittelbar teilnehmen; in der Veste Coburg wird er nur sparsam von Melanchthon informiert, und vom 22. Mai bis zum 13. Juni bekommt er gar keine Nachrichten aus Augsburg. Seinerseits ist B u c e r heimlich mit Capito nach Augsburg gereist 5 . Durch seine Teilnahme an der Redaktion der Confessio Tetrapolitana hat er mehr Einfluß auf die Ereignisse von Augsburg als Luther geübt, aber die zwei Männer bleiben, im Vergleich zu M e lanchthon, Randfiguren des Reichtstages. 3 Siehe z. B. HEINZ SCHEIBLE: Melanchthon und Luther während des Augsburger Reichstags 1530). In: PETER MANNS (Hg.): Martin Luther. Reformator und Vater im Glauben, Stuttgart 1 9 8 5 , 3 8 - 6 0 (jetzt in: H. SCHEIBLE: Melanchthon und die Reformation, hrsg.

v o n G E R H A R D M A Y u n d R O L F D E C O T , M a i n z 1 9 9 6 , 1 9 8 - 2 2 0 ) ; MATTHIEU A R N O L D : J e u x

de miroirs: Melanchthon d'apres Luther. In: PosLuth 45 (1997), 1 6 8 - 1 9 2 ; JOHANNA LOHR: War der Augsburger Reichstag von 1530 eine Komödie? Zur Verwendung dramentheoretischer Begriffe in den Briefen Luthers und Melanchthons. In: A R G 91 (2000), 4 7 - 8 6 (für die Literatur siehe S. 59, Anm. 33; J. Lohr ignoriert unsere Studie sowie die ganze Nummer PosLuth 1 9 9 7 / 2 , die dem Reformator Melanchthon gewidmet ist). - Für Luther und Bucer während des Augsburger Reichstags siehe MARTIN BRECHT: „Bucer und Luther". In: Martin Bucer and the Sixteenth Century Europe, hrsg. von CHRISTIAN KRIEGER und MARC LIENHARD, Bd. 1, Leiden 1993 ( S M R T 52), 3 5 1 - 3 6 7 : hier 359f. 4 B C o r IV, Nr. 327 ist das Konzept eines Briefes an Luther, das Bucer Melanchthons Urteil unterbreitet hat; B C o r IV, Nr. 328 (25. August) hat Bucer an Luther geschickt. Letzterer schrieb am 11. September an Melanchthon: „Martino Bucero nihil respondeo" ( W A B r Nr. 1 7 1 6 : 5 , 6 1 7 , 1 5 ) . 5 Siehe B C o r IV, Nr. 3 1 2 , 1 3 9 , 2 f .

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D a n k ihrer b e s o n d e r e n Stellung w e r f e n B u c e r u n d L u t h e r einen b e s o n deren Blick auf d e n R e i c h s t a g . Sie interessieren uns also w e n i g e r w e g e n der Qualität ihrer I n f o r m a t i o n e n (von A u g s b u r g aus i n f o r m i e r t B u c e r die Straßburger, u n d öfters n o c h Z w i n g l i , ü b e r die Ereignisse; seinerseits verlangt — oft erfolglos — L u t h e r N a c h r i c h t e n v o n M e l a n c h t h o n ) als w e g e n ihrer Interpretation des A u g s b u r g e r Reichstages. W i r h a b e n einige H a u p t t h e m e n ausgewählt, d e n e n w i r oft in den b e i den B r i e f w e c h s e l n b e g e g n e t sind; innerhalb dieser T h e m e n w e r d e n w i r die Parallelen sowie die U n t e r s c h i e d e zwischen B u c e r u n d L u t h e r feststellen. * E i n e n U n t e r s c h i e d m u ß m a n i m voraus e r w ä h n e n , d e n n er b e i n f l u ß t Bucers u n d Luthers Interpretation der A u g s b u r g e r Ereignisse. In Bucers B e r i c h t e n h a b e n L u t h e r u n d die „ L u t h e r a n e r " (Lutherani) e i n e n w i c h t i g e n Platz; der G r u n d dafür ist, daß B u c e r sich u m eine K o n k o r d i e m i t den W i t t e n b e r g e r n in der A b e n d m a h s f r a g e b e m ü h t . In Luthers B r i e f e n dagegen findet man nur wenige Bemerkungen über Bucer oder Zwingli. S c h o n am 14. M a i schreibt B u c e r an Zwingli, daß die L u t h e r a n e r auf die Gunst des Kaisers w a r t e n 6 . O f t spricht B u c e r v o m „ W ü t e n " der L u t h e r a ner 7 o d e r von deren H a ß ( o d i u m f . Seine B e m e r k u n g e n ü b e r Luthers I'Ermahnung an die Geistlichen: „Edidit Lutherus hisce diebus e x h o r t a t i o n e m ad ecclesiasticos, in qua Caesari et profanis principibus satis blanditur n o s q u e suo m o r e in inuidiam trahit et sibi o m n i a tribuit" ( B C o r IV, N r . 3 0 5 : 1 1 7 , 4—6; an Zwingli, 18. oder 19. Juni) 9 steht i m Kontrast zu d e m Lob des Justus Jonas: „ [ . . . ] mi pater, n o n d u b i t o d o m i n u m per te l o q u u t u m esse in h o c libello" (WA Br N r . 1588: 5, 3 6 1 , 1 4 f ; 13. J u n i 1530). Bucers Briefe z e u g e n j e d o c h von einer E n t w i c k l u n g bei d e m Straßburger, was L u t h e r anbelangt: N a c h seinem Briefaustausch mit M e l a n c h t h o n spricht B u c e r in seinen B r i e f e n an Z w i n g l i (in d e n e n er sich i m m e r am meisten ü b e r die H a l t u n g

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S i e h e B C o r IV, N r . 2 9 8 , 9 9 , 9 - 1 3 . „ E c o m i t i j s nihil d u m a u d i m u s p r a e t e r L u t h e r a n o r u m f u r o r e s et m u l t o r u m stultiss[imas] a d u l a t i o n e s n e c m i n u s re[i]publ[icae] noxias [ . . . ] " ( B C o r IV, N r . 3 0 4 , 1 1 5 , 7f; an Z w i n g l i , 1. J u n i ) . „ Q u i c q u i d tarnen h u i u s f u t u r u m sit, n o s p r o p t e r e u c h a r i s t i a m , p r a e s e r t i m sie f u r e n t i b u s c o n t r a n o s ipsis q u o q u e L u t h e r a n i s , p u t a n t singuli n u l l o p a c t o f e r e n dos, t u m e t i a m o b a b o l i t a m m i s s a m . " ( B C o r IV, N r . 3 0 8 , 1 3 0 , 1 0 - 1 3 ; B u c e r u n d C a p i t o an die P r e d i g e r in S t r a ß b u r g , 7. Juli). 8 „ N i h i l p o t e s t fingi L u t h e r a n o r u m in n o s o d i o implacabilius, nihil a e q u e at[rox] et d i r u m . " ( B C o r IV, 1 2 2 , l f , N r . 3 0 6 ; an Z w i n g l i , 5 . / 6 . Juli). 9 S i e h e a u c h a m 2. A u g u s t an J o h a n n P f r u n d , was d e n B r i e f L u t h e r s an A l b r e c h t v o n M a i n z (6. Juli 1530, siehe W A B r N r . 1627) u n d die Propositiones adversus totam synagogam Sathanae... (siehe W A 30/11, 413—427) b e t r i f f t : „ L u t h e r u s suo m o r e f u r i t , cuius tibi m i t t o e x e m p l u m insigne [ . . . ] " ( B C o r IV, N r . 3 2 1 , 1 7 8 , l l f ) . 7

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der Wittenberger beklagt) nicht mehr undifferenziert von den „Lutherani", sondern unterscheidet zwischen den „Guten im Lager der Lutheraner" und den anderen 10 . Und am 14. August berichtet er: „Lutherus iam nostri oblitus totus, inuehitur contra papistas, vt videbis in libello de purgatorio, qui mittitur." (BCor IV, Nr. 324:196,13-15). Deswegen ist es auch von Bedeutung, daß Bucer am 29. August seine Briefpartner Blaurer und Zwick einlädt zu beten, „si in gloriam Dej sit, donet, vt cum Lutheranis conuenire liceat! — non certe Philippi et similium caussa, sed aliorum, quos hii optimos certe sibi habent obnoxios et a nobis interim alienant, quos, si alienatj a nobis non essent, possemus non parum aedificare." (BCor IV, Nr. 333:249,1—4). Am 9. September (in einem Brief an Zwingli!) lobt Bucer sogar Luthers Beständigkeit, in Kontrast zu der Nachgiebigkeit eines Melanchthon und anderer: letztere sind biegsamer als Blei, obwohl sie zuerst fest wie Eisen schienen 11 . Für Luther dagegen gibt es seit Anfang des Reichstags nur einen erwähnenswerten Gegner, nämlich die „ P o n t i f i c i i " 1 2 . So ist Bucers Lage tragischer als die Luthers: der Straßburger ist sich dessen bewußt, zwischen zwei Fronten zu stehen, wie es auch für Philipp von Hessen der Fall ist13: „Est ea Lutheranorum in nos improbitas et eiusmodi papistarum furor, vt in hominibus quidem nihil videamus, quod aeque pacem polliceatur." (BCor IV, Nr. 318:158,9—11; an Ambrosius Blaurer, 22. Juli). In seinen Briefen an die Schweizer befürchtet Bucer auch, daß die Lutheraner und der Kaiser sich

1(1 Siehe B C o r IV, Nr. 329, 221, 7 (an Zwingli, 25. August 1530). Vgl. ferner, im selben Brief: „Sunt namque, ne dubites,jnter eos multj et boni et graues" (227,9f.), u n d B C o r IV, Nr. 338 (an Zwingli, 9. September): „Sic gaudemus, sic saturi sumus, sic regnamus, ut animo aequis[simo] simus, v n u m id iam anxij, si c u m bonis ex Lutheranis possemus c o n uenire in eucharistia propter Gallos et plerasque Germaniae regiones, quibus nostrum t a n t u m obest dissidium [...]" (271, 27-30). 11 „Accedit, quod, qui ferrei videbantur, nunc p l u m b o flexibiliores sunt, v n o Luthero fere recte sibi constante." (BCor IV, Nr. 338, 2 7 0 , 1 3 - 1 4 ) . 12 W i e wir in unsere Studie La Correspondance de Luther (wie A n m . 2), 7 9 - 8 8 , bewiesen haben, variieren Luthers Urteile über den Kaiser: Sie sind neutral oder eher positiv vor d e m Wormser Reichstag 1521, eher negativ zwischen 1521 u n d Anfang 1530, k o n trastreicher in den 30er u n d anfangs der 40er Jahre u n d sehr negativ am Ende von Luthers Leben. W ä h r e n d des Augsburger Reichstags betont Luther oft, daß der Kaiser gutherzig, aber gegenüber den „Päpstlern" o h n m ä c h t i g sei (La Correspondance, 82f, A n m . 286). Siehe auch u n t e n A n m . 30 u n d 35. 13 „Cattus inter sacrum et saxum stat et de soeijs magis q u a m hostibus sollicitus est" (BCor IV, Nr. 302, 113, 2f; an Zwingli, 25. Mai). „ O m n i a minantur nobis dira, q u u m ij nihil n o n possint, qui nihil minus quam nos ferre possunt [= die Lutheraner], Incensi sunt q u o q u e ij, q u o r u m opera tot partae victoriae sunt, ut nihil supra [= die Altgläubigen]." (BCor IV, Nr. 3 1 0 , 1 3 5 , 2 - 4 ; an Zwingli, 9. Juli). „Nihil est hodie nobis infestius Lutheranis, sperantque adhuc, cum omnia diuersum clament, nostro excidio sibi posse consuli." (BCor IV, Nr. 3 1 5 , 1 4 9 , 1 - 3 ; an Bedrot, 17. Juli).

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auf Kosten der Straßburger und ihrer Verbündeten verständigen k ö n n ten 1 4 .

I. Gottes Wirken

in der

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1. Gottes Wirken wird erwartet oder erwünscht In vielen Briefen ist B u c e r der Meinung, daß nur Gottes Eingreifen (durch ein „Wunder") die Christen retten können wird: „Sic res habent, vt sola D e i manus christianos defensura sit, et non sine miraculo." ( B C o r IV, Nr. 3 0 6 : 1 2 1 , 6 f ; an Zwingli, 5 . / 6 . Juli). D e r Ausgang des Reichstags steht in seinen Händen: „Nobis res non poterit cadere male, si D e u m diligimus [vgl. R o m . 8,28], non bene, si non diligimus." ( B C o r IV, Nr. 3 0 9 : 1 3 4 , l O f ; an Kniebs, 7. Juli). Im letzten B r i e f unseres Bandes ( B C o r IV) behauptet B u c e r hoffnungsvoll, nachdem er den Einfluß der kriegslüsternen spanischen und italienischen Bischöfe auf Karl V. erwähnt hat: „Sed vtcunque Dominus de nobis statuerit, tantum liberet nos a mala cum pon[tifice] concordia." ( B C o r IV, Nr. 3 4 1 : 290,23—291,1; an Zwingli, 18. September). B e i Luther finden wir die gleiche Uberzeugung, aber er drückt sie hauptsächlich in seinen Briefen an Melanchthon aus, wenn er Melanchthons Sorge (Luthers spricht von der „philosophia" seines Freundes) b e kämpft: „Nam causa ipsa est in eius manu, qui superbissime dicere audet: , N e m o rapiet eam de manu mea' [Joh. 1 0 , 2 8 ] . " (WA B r Nr. 1610: 5, 409,19f; siehe auch 2 0 - 2 5 ) . 2. Ausdrücke für die Herrschaß

Gottes

B e i B u c e r wie bei Luther 1 5 tauchen diese Ausdrücke meistens in einem negativen Kontext auf: sie folgen schlechten Nachrichten (oder unterbrechen sie sogar): „Nequeunt enim portae inferorum preualere ecclesiae Christi [vgl. M t . 1 6 , 1 8 ] " , schreibt B u c e r an Zwingli am 9. Juli 1530 ( B C o r IV, Nr. 3 1 0 : 1 3 6 , 8 f ) . Am 12. Juli, nachdem sie ihren B r i e f mit dem schlechten R u f der Städte des Burgrechts begonnen haben ( B C o r IV, Nr. 3 1 2 : 1 3 9 , 3 f ) , teilen B u c e r und Capito Zwingli mit, daß die Umgebung des Kaisers Drohungen ausgestoßen hat (140, 12—14); sofort aber kommentieren die 1 4 ,,Ibi verendum, ne qua conniuentiae Lutheranis spes in speciem fiât, quo minore nos negocio sub iugum mittamur." ( B C o r IV, Nr. 3 1 0 , 1 3 6 , 2 0 - 2 2 ; an Zwingli, 9. Juli). „ N a m praeter Lutheranorum Vatinianum in nos odium ruunt et comminantur, qui videbantur ferro duriores." ( B C o r IV, Nr. 3 1 6 , 1 5 0 , 5 - 1 5 1 , 1 ; an Vadian, 17. Juli). 1 5 Siehe MATTHIEU ARNOLD: La Correspondance (wie Anm. 2), 1 6 9 - 1 7 3 .

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beiden Briefschreiber diese Nachrichten: „sed minae sunt, fortior est enim Domini veritas" ( 1 4 0 , 1 4 f ) . Als B u c e r am 17. Juli Bedrot vom unermeßlichen Haß der Lutheraner den Straßburgern gegenüber schreibt, fugt er hinzu: „Sed confidamus. Fortior est is, qui in nobis est." ( B C o r IV, Nr. 3 1 6 : 151, 2 f ) . U n d als er auf die Antwort des Kaisers auf die Ubergabe der Confessio Tetrapolitana wartet, versichert Bucer: „Caesaris potentia profecto ingens est, at nihil potest contra D e u m , fateor." ( B C o r IV, Nr. 3 2 2 : 184, l l f ; an die Prediger in Straßburg, 8. August.) Am 9. September verhöhnt B u c e r die Bereitschaft mancher evangelischer Fürsten, den Frieden anzunehmen, und er ruft aus: „Deus viuus est, in quo ,viuimus, mouemur et sumus' omnes [Apg. 17,28]. Interim autem regnat Satan in ijs, qui non credunt, habetque illos pro sua libidine sibi obnoxios." ( B C o r IV, Nr. 3 3 8 : 2 7 0 , 1 - 3 , an Zwingli) . *

In einem B r i e f bestimmt Luther genauer, daß diese Herrschaft Gottes oder Christi nur durch den Gläubigen wahrnehmbar ist: „Christus vivit et regnat, quantumvis ignotus impiis, nobis tarnen notus et certus ,rex regum et dominum dominantium' [Offenbarung 1 9 , 1 6 ] . " (WA B r Nr. 1596: 5, 3 8 1 , 1 5 f ; an Konrad Cordatus, 19. Juni [?]). Luther setzt den Akzent auf die göttliche Herrschaft in seinen Briefen an Melanchthon. In diesen Texten unterstreicht er, daß, wenn Gott nicht schon jetzt durch seine Werkzeuge wirkt, er es dann später durch andere tun wird: „Potens est Deus mortuos suscitare, potens est et causam suam labentem servare, lapsam erigere, stantem promovere. Si nos digni non erimus, fiat per alios." (WA B r N r . 1 6 0 5 : 5, 4 0 0 , 2 9 - 3 1 ; 27. Juni). Dieselbe Ü b e r zeugung hatte der R e f o r m a t o r mehrere Jahre früher ausgedrückt, als er 1520 auf die Banndrohungsbulle wartete 1 6 , und auch kurz später, in der Zeit vor und nach seinem Verhör in Worms 1 7 . Melanchthon 1 8 ist aber nicht der einzige, dem Luther seine Hoffnung auf Gottes allmächtige Hilfe bezeugt. Auch an Spalatin schreibt er am 1 6 „ D o m i n u s autem, qui seit m e esse t e t e r r i m u m p e c c a t o r e m , suam causam siue per m e siue per alium perficiet, q u o d n o n d u b i t o . " ( W A B r 2, Nr. 3 1 0 , 1 3 8 , 3 5 - 3 7 ; an G e o r g Spalatin, 10. Juli 1 5 2 0 ) . 17 „Christus ista coepit, ipse perficiet, etiam m e siue e x t i n e t o siue fugato." ( W A Br, Nr. 3 5 2 2, 2 1 4 , 24f; 13. N o v e m b e r 1 5 2 0 ) . „ E g o etiam si peream, nihil peribit de euangelio, in quo tu n u n c m e superas, et succedis Helisaeus H e l i a m duplo spiritu [ . . . ] " (WA B r 2, Nr. 4 1 3 , 3 4 8 , 4 8 f ; an M e l a n c h t h o n ) . Siehe n o c h W A B r 2, Nr. 4 1 8 , 3 5 9 , 1 0 8 - 1 2 5 ( 1 3 . Juli 1 5 2 1 ) und Nr. 4 2 3 , 2, 3 6 8 , 3 - 8 (31. Juli 1 5 2 1 ) . Vgl. MATTHIEU ARNOLD: La C o r r e s p o n dance (wie A n m . 2), 2 0 1 - 2 0 4 . 1 8 Siehe n o c h W A B r Nr. 1 6 6 8 : „Tantum, mi Philippe, tu vide, ne te sic macérés in ista causa, quae in manu n o n est tua, sed eius, qui m a i o r est quam ille in m u n d o [vgl. 1 J o h .

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30. Juni von Gottes Allmacht, und dies mit Hilfe eines Zitates von Psalm 2,4 („Qui habitat in coelis, ridet eos"): „Hoc autem principe nostro illos ridente, non video, cur nobis flendum sit a facie eorum. Ridet enim non sui, sed nostri gratia, vt & nos potius fidentes rideamus inania eorum Consilia. [...] idem hactenus protexit & gubernauit supra & praeter nostra Consilia & studia. Ille ipse est, qui perficiet & absoluet idem extra & vltra nostra Consilia & studia, de quo nihil dubito." (WA Br Nr. 1612: 5,414,27-30.32-34) 1 9 . In einem Brief an einen anderen engen Freund, Justus Jonas, stellt er die Herrschaft des Kaisers und die Herrschaft Christi gegenüber: „Quid de Caesare quantumvis optimo, sed obsesso? Christus vivit et sedet [oder: regnat, WA Br 11, 311], non ad dexteram Caesaris (nam sic periissemus olim), sed ad dexteram Dei." (WA Br Nr. 1635: 5,458,26-28; 9. Juli) 20 .

II. Der Widersacher:

Satan

Für Bucer wie für Luther (und auch für andere Reformatoren 2 1 ) hat die Auseinandersetzung in Augsburg eine metaphysische Dimension: die Gegner (d.h. die Altgläubigen) sind letzten Endes Werkzeuge des Teufels22. Satan ist aber auch, so schreibt Bucer an Zwingli am 25. August, der Verursacher des Streits unter den Evangelischen 23 . Es wird aber niemanden erstaunen, daß Luther öfters und länger als Bucer über Satan schreibt. So z.B. am 30. Juni, als er der Meinung ist, daß 4,4], et de cuius manu n e m o rapiet [vgl. Joh. 10,29]." (5, 517, 18-20; 31. Juli); WA Br Nr. 1716: „Est enim alius quidam maior Papa et Caesare et D e o ipsorum, qui d i c i t : , D o m i ni est salus, et super p o p u l u m t u u m benedictio tua [Ps. 3,9 - Vulgata].' Sophistarum et papistarum inisidias vindicabit D o m i n u s . " (5, 6 1 7 , 1 1 - 1 4 ; 11. September). 19 Vgl. W A B r Nr. 1644: „,qui habitat in coelis, irridebit [oder: i r n d e t , WA Br 13,160] eos.' Sic de causa cogito." (5, 472,12f; an Spalatin, 13. Juli). 20 Siehe noch WA Br Nr. 1660: „Wohlan, Gott hat uns eine große Sache aufgelegt, cum sciret, n o n esse nos nisi vasa fictilia [vgl. 2 Kor. 4, 7]; der helfe uns auch, ut potentia eius glorificetur in nostra infirmitate [vgl. 2 Kor 12, 9]. Ipse coepit, ipse perficiat." (5, 500, 17-19; an Jonas, 27. Juli.) Vgl. WA Br 5, Nr. 1700, 580,14f (an Jonas, 26. August.) 21 Siehe z.B. den Brief von Gereon Sailer an die Straßburger v o m 23. Mai: „ N o n enim contra v n u m aut alterum logodaedalum p u g n a n d u m iam est, sed contra totam tenebrarum legionem exercitus essent comparandj. [...] Thrasones tot tantasque victorias jactantes, quae lachrymas extorquerent possent pio cuique, nisi spes esset D o m i n u m suum negotium tractaturum." (BCor IV, Nr. 3 0 1 , 1 0 7 , 1 5 - 1 0 8 , 1 ; 110,12-14). 22 „Sic certe res comparatae sunt gratia Christo, vt aut v i n c e n d u m sit in D o m i n o aut in perditissi[imis] hominibus seruiendum Satanae." (Nr. 3 1 6 , 1 5 1 , 4 - 6 . ) Vgl. auch an die Prediger in Straßburg, am 8. August: „ C a u e t e astus Satanae inanes metus ingessuri!" (BCor IV, Nr. 322,185,11). 23 „Apud m e eo j a m plus valent, q u o d videam, q u a m lucrosum sibi Sathan hoc dissidium nostrum fatat. [...] Vidi et audiui Sathanam j n t e r nos, qui euangelion profitemur, plane j d moliri et agere, q u o d tyranni solent [...]" (BCor IV, Nr. 329, 224, 25f; 3 4 f ) .

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Matthieu

Arnold

man keine Hoffnung mehr auf Karl V. setzen kann, weil der Kaiser der „Gefangene" der „Päpstler" ist: „Quid enim aliud struat Satan, aut quid boni ex ipso speremus? An ignoramus eius cogitationes, ut omnia fucis, mendaciis, astutiis, dolo sie verset, ut speciosus ipse sit et Christus foedissimus? Certe non cum hominibus agitis Augustae, sed cum ipsissimis portis inferi, iisque instruetissimis et exercitatissimis [vgl. Eph. 6,12; M t . 16,18], sed quod solatur, iracundissimis, qua iracundia excoecati tandem evadere non possunt, quin impingant in sapientiam Dei, und bescheißen sich in ihrer Klugheit, Amen, A m e n . " (WA B r Nr. 1613: 4 1 6 , 3 3 - 3 9 ; an Agricola.) Für Luther ist die Lüge eine der Haupteigenschaften des Teufels 2 4 ; deswegen kann er schreiben, daß die Päpstler, diese „Teufel", die Evangelischen mit dem lügenhaften Versprechen eines Konzils betrügen 2 5 , oder er kann von den „Fallen" der vom Teufel geleiteten Gegner reden 2 6 .

III. Die Menschen als Gottes Mitarbeiter: das

Gebet27

Auch wenn Gott der Herr ist und ohne Hilfe seinen Sieg durchsetzen kann, gebraucht er dennoch die Zusammenarbeit der Gläubigen, dieser „gebrechlichen G e f ä ß e " 2 8 , durch das Gebet.

24

Siehe MATTHIEU

ARNOLD: La C o r r e s p o n d a n c e

(wie A n m . 2), 1 3 1 - 1 3 4 .

Luther

nennt den Teufel den „Lügengeist", spricht von seinen „crassi & insulsi doli & mendacii" oder von seiner „perfidia", „malitia" und „astutia". 2 5 „Tarnen quando sic ludunt promissione Concilii fallaces isti diaboli, luderem et ipse simul cum eis, appellans a minis eorum ad illud nihili et nunquam futurum Concilium, ut interim pacem haberemus." (WA B r 5, Nr. 1 6 4 2 , 4 7 0 , 1 2 - 1 5 ; an Melanchthon, 13. Juli). 2 6 „Scripsi antea de articulis istis, quos iam secundo misistis, mi Spalatine; et ut dixi, diabolus, si non potest leo esse, vult esse draco. Iam in insidiis versari causam nostrani ipsi videtis." (WA B r 5, Nr. 1704, 5 8 2 , 1 - 4 ; an Spalatin, 28. August). In den folgenden Zeilen dieses kurzen Briefs taucht das Wort „insidiae" noch viermal auf. 2 7 Ü b e r das Gebet bei Luther gibt es zahlreiche Studien. Siehe z. B.: VILMOS VAJTA: Luther als Beter. In: HELMAR JUNGHANS (Hg.), Leben und Werk Martin Luthers von 1526 bis 1 5 4 6 , G ö t t i n g e n 1 9 8 3 , 2 7 9 - 2 9 5 ( B d . I), 8 0 6 - 8 1 1 ( B d . II); M A R T I N NICOL: M e d i t a t i o n

bei Luther, Göttingen 1991 ; MARC LIENHARD: Luther et Calvin commentateurs du Notre Père. In: R H P R

7 2 ( 1 9 9 2 ) , 7 3 - 8 8 ; MATTHIEU ARNOLD: La C o r r e s p o n d a n c e (wie

Anm.

2), 1 8 3 - 1 9 7 ; DERS.: Prier 15 jours avec Luther, Montrouge 1998; DERS.: „Invitation et initiation à la prière dans les lettres de Luther. In: R H R 217 (2000), 3 4 5 - 3 6 1 ; CHRISTOPH BURGER: Luthers Gebetsvorschlag fur Herzog Johann von Sachsen. Zur Bedeutung des Gebets in christlicher Theologie und zu Luthers Wertschätzung des Gebets. In: Oratio. Das

Gebet

in patristischer u n d

reformatorischer

Sicht, hg. von

EMIDIO

CAMPI,

LEIF

G R A N E u n d ADOLF M A R T I N R I T T E R , G ö t t i n g e n 1 9 9 9 , 1 8 5 - 1 9 6 . - F ü r B u c e r siehe M A R C

LIENHARD: La spiritualité de Martin Bucer. In: MARC LIENHARD: La foi vécue. Etudes d'histoire de la spiritualité, Strasbourg 1 9 9 7 , 1 0 9 - 1 2 0 . 28

Siehe W A Br, Nr. 1660 5 , 5 0 0 , 1 8 .

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Geschichte

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Das Gebet ist ein fester Bestandteil der Briefe Luthers an seine Verwandten und Freunde 2 9 . B u c e r sowie Luther rufen ihre Adressaten zum Gebet a u f 3 0 . Schon am 2. April, als Luther Hausmann seine R e i s e nach Coburg mitteilt, schreibt er: „Tu fac, vt Ecclesia tua diligenter oret pro istis C o m i tiis." (WA B r Nr. 1543: 5 , 2 7 2 , l l f ) . Seinerseits schreibt B u c e r an Zwingli: „ora Deum, vt tantum nobis faueat, quantum Caesar pont[ificiis]" ( B C o r IV, Nr. 3 0 7 : 1 2 2 , l l f ; 5./6. Juli). Auch die Straßburger Prediger sollen für die Abgesandten in Augsburg b e ten: „Bene valete et D e u m pro ecclesia ac nobis sedulo orate! [...] Orate pro legatis nostris [Pfarrer et Sturm], qui fortissime et dexterrime negotium Domini agunt!" ( B C o r IV, Nr. 3 0 9 : 1 3 2 , 3 , 5f, 7. Juli). Mehrmals fordert B u c e r seine Briefpartner dringend zum Gebet auf: „Tempus itaque est clamandi ad Dominum, vt gloriae suae in nobis faueat ac submoueat quicquid ipsi disciplicet, quo idonei simus ad illustrandum nomen eius siue vita siue m o r t e . " ( B C o r IV, Nr. 311:136,1—3; an Zwingli, 9. Juli). A m 8. August teilt B u c e r seinen Straßburger Kollegen mit, daß der Kaiser auf die Tetrapolitana eine schärfere Antwort als auf die Confessio Augustana geben wird ( B C o r IV, N r . 3 2 2 : 1 8 3 , 25—27); deshalb ermahnt er die Pfarrer: „Interea autem, fratres, vigilandum vobis est et precibus et sanctis exhortationibus. [...] Vere itaque orandus Deus, et huc ecclesia inuitanda, quo dignum detur Christo responsum. Tepidi nimis sumus omnes, ieiunorum et precum vsus obliteratus est; excitate itaque et vos plebem!" (183,28—184,1; 184,5—7). Eine W o c h e später stellt er diese Ermahnung zu29

Siehe MATTHIEU

ARNOLD: La C o r r e s p o n d a n c e

(wie A n m . 2),187f; MARTIN

H.

JUNG: Frömmigkeit und T h e o l o g i e bei Philipp Melanchthon. Das Gebet im Leben und in der Lehre des Reformators, Tübingen 1998 ( B H T 102), 9 1 - 2 0 7 , hat dasselbe für M e l a n chthon festgestellt. 3 0 Außer den Zitaten im Text siehe noch: 1) Für B u c e r : „Hanc augeri nobis precabimur, et suo quisque officio pro virili incumbet; caetera per Christum seruatorem, cuius gloriam solam querimus, securi." ( B C o r IV, Nr. 310,136,10—12; an Zwingli, 9. Juli.) „Precibus praeterea iugibus insistendum, qua in re gloria ad autorem D e u m solide refertur." ( B C o r IV, Nr. 3 1 2 , 1 4 1 , 1 8 - 2 0 ; an Zwingli, 12. Juli.) „Orate D o m i n u m , vt omnia bene vertami Mundus nihil omittet, vt nos perdat." ( B C o r IV, Nr. 3 1 5 , 1 4 9 , 1 2 f ; a n Bedrot, 17. Juli.) „Nos, spero, constantes erimus; sed orent fratres, vt id cum nobis tum omnibus Christus donet." ( B C o r IV, Nr. 3 1 9 , 1 6 4 , 4 f ; an Zwingli, 22. Juli.) - 2) Für Luther: „Tantum oremus et non desinamus." (WA B r 5, Nr. 1596, 3 8 1 , 14f; an K . Cordatus, 19. Juni [?]). „Tantum diligenter oremus, sicuti fecimus hactenus, memores, quo modo salui facti sunt patres nostri." (WA B r 5, Nr. 1599, 3 8 5 , 8f; an Nikolaus Hausmann, 25. Juni.) Nach der Verlesung der C A : „Ego videre cogor et palpare, quod vere Deus dicatur exauditor precum, Psal. 62; hoc nomen iure et merito canitur ei in tote orbe. Quare tu perge orare et omnes ad orationem infiammare, praesertim pro Caesare, optimo ilio iuvene digno Dei et h o m i num amore, deinde pro non minus b o n o Principe nostro et magis ferente crucem, et pro Phlippo, qui misere se curis torquet." (WA B r 5, Nr. 1626, 4 4 2 , 2 0 - 2 5 ; an Cordatus, 6. Juli). „Sed credo, infirmum illuni Christum magis adesse vobis, sicut eum oro suspiriis et verbis, quibus ipse iussit et dedit." (WA B r 5, Nr. 1668, 516, 8 - 1 0 ; an Melanchthon, 31. Juli).

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sammen mit der Aufforderung zur B u ß e (siehe unten): „Clamemus ergo ad Dominum, ieiunemus, humiliemus animos nostros, excitemus credentium pectora, vt nostris peccatis veniam ita nominis Christi exaltationem indesinentibus precibus oremus!" ( B C o r IV, N r . 3 2 4 : 1 9 5 , 3 - 5 ; an A. Blaurer, 14. August). A u f Deutsch ermuntert B u c e r noch einmal die Straßburger Pfarrer am 25. August: „Bitten, lieben bruder, dan die kirch ist in notten!" ( B C o r IV, Nr. 3 3 0 : 2 3 0 , 6 ) . Seinerseits hört Luther nicht auf, während des ganzen Reichstags die Wirksamkeit des Gebets zu unterstreichen; er tut es in kurzen oder längeren Aufforderungen zum Gebet, mit Hilfe zahlreicher biblischer Zitate oder Andeutungen: „Oremus solum, et nihil valebunt inferorum portae [vgl. M t 1 6 , 1 8 ] 3 1 . " (WA B r Nr. 1546: 5, 2 7 5 , 1 8 f ; 18. April, an Amsdorf.) 3 2 . „ U n u m est, quod nitor in tota Causa, quod promisit audire Christus ipse preces nostras, sicut scriptum est: ,prope est Dominus omnibus inuocantibus eum, Inuocantibus eum in ueritate [Ps 1 4 4 , 1 8 — Vulgata]', Et iterum: ,Inuocauerunt Iusti Et Dominus exaudiuit [Ps 3 3 , 1 8 — Vulgata].' Quin & idem precipit quoque dicens: ,Inuoca me in die tribulationis,... Eripiam te, & glorificabis me [Ps 4 9 , 1 5 - Vulgata].'" (WA B r Nr. 1574: 5, 3 3 3 , 1 4 - 1 9 ; 20. Mai [?], an Erhard Schnepf). „Ego magnifice et mirifice exulto de dono illi amplissimo Dei, quod Princeps noster tarn constanti et quieto animo est. Arbitrar enim preces nostras, pro isto pectore fusas, piacere in ilio regno gloriae coram D e o , et mihi ipsi prophetizo, etiam in aliis nos exaudiri." (WA B r Nr. 1610: 5, 409, 1 3 - 1 6 ; 29. Juni [?],an Jonas). *

Luther weiß aber, daß das Gebet nicht automatisch von Gott erhört wird. Am 5. Juni schreibt der Wittenberger an Melanchthon von einer Nachricht, die ihm Argula von Stauffen mitgeteilt hat, nämlich, daß der Kaiser nicht nach Augsburg kommen wird, so daß der Reichstag unnütz 3 1 Die Erwähnung der „Türe der Hölle", die wir auch oben bei B u c e r gefunden haben, erinnert an das, was Luther schon während seiner Reise nach Worms 1521 geschrieben hatte: Siehe W A B r 2, Nr. 3 9 6 , 2 9 8 , 9f. 3 2 Siehe noch WA B r Nr. 1547: „ E x iis coniicietis, quantum nostrae orationes valeant, si pergamus." ( 5 , 2 7 8 , 2 2 f ; a n N. Hausmann, 18. April); WA B r Nr. 1577: „Et summus C a n cellarius Mercurinus palam dixit, se nolle interesse violentis consiliis, quod vidisset satis Wormaciae, quid efficerent violenta consilia. Ecclesiae res optat cum pace constituí. Hunc Naaman forte ibi Deus pro nobis suscitavit. Tantum oremus, coepit oratio exaudiri, non desinamus." (5, 3 3 9 , 1 4 - 1 8 ; an Jakob Propst, 1. Juni). - D i e Uberzeugung, daß Gott das Gebet der Seinen erhört, teilt auch z. B. ein anderer Wittenberger, Justus Jonas (siehe W A B r 5, Nr. 1 5 9 0 , 3 6 9 , 7 1 - 7 4 ) .

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sein wird. Wenn diese Nachricht begründet ist, handelt es sich, fährt der R e f o r m a t o r fort, um ein Zeichen von Gottes Z o r n gegen die „Pontifices"; dieser Z o r n ist so groß, daß Gott die Gebete der Evangelischen für die Altgläubigen nicht erhören will 3 3 . A m 27. Juni versichert Luther M e lanchthon, daß er für ihn betet, und er bedauert zugleich, daß sein Freund diese Gebete durch seine Sorge entkräftet 3 4 . Im Gegensatz dazu ist er am 6. Juli der Meinung, daß die Milde des Kaisers gegenüber dem Kurfürsten von Sachsen durch die Kraft seines Gebets bewegt worden ist 3 5 . Seine Urteile ändern sich aber ab Mitte Juli, als er nichts mehr von dem Reichstag erwartet, und als er anfängt, seine Freunde zur R ü c k k e h r nach Wittenberg zu ermahnen 3 6 . (Die Sachsen haben ihre Pflicht getan, indem sie durch die Confessio Augustana Christus öffentlich bekannt haben.) So schreibt er ihnen: „Concordiam aut permissionem n o lite sperare, neque ego unquam hanc oravi apud D e u m , sciens impossibilem esse, sed tantum, ut vos permitterent docere et pacem concederent, manentes ipsi in sua impietate, et si vellent nos iuvare, quomodo possent." (WA B r Nr. 1648: 5, 4 8 0 , 2 3 - 2 6 ; an Jonas, Spalatin, Melanchthon und A g ricola, 15. Juli). Nachher spricht Luther nur selten von seinen Gebeten. *

Wenn B u c e r und Luther beten und zum Gebet ermahnen, so deshalb, weil beide fest überzeugt sind, daß die Lösung in Gottes Händen und nicht in menschlichem Berechnen steht 3 7 . D e r Schluß eines Briefes Bucers an Ambrosius Blaurer (9. August 1530) drückt es mit Kraft aus: „Nos hic optime de D o m i n i beneuolentia speramus. Hanc autem vtinam sedulis precibus fratres ubique orent, aduersarios nulli contemnant, viribus humanis nihil tribuant, sed o m n e m spem in vno D e o collocent [ . . . ] " ( B C o r IV, Nr. 3 2 3 : 1 9 1 , 1 4 - 1 7 ) .

Siehe W A B r 5, Nr. 1 5 8 4 , 3 5 1 , 1 4 - 1 6 . „Ego certe pro te oro diligenter, et doleo te pertinacissimam curarum hirudinem meas preces sie irritas facere." (WA B r 5, Nr. 1605, 4 0 1 , 2 5 - 2 7 ) . 3 5 „Caesar nostrum prineipem non solum clementer, sed prope reuerenter tractat; sie scribit Philippus. M i r u m est, quam omnes ardeant amore & fauore Caesaris. Forte, si Deus velit, vt primus Caesar fuit pessimus, ita hic vltimus erit optimus. Oremus tantum, Sentitur enim vis orationis manifeste." (WA B r 5 Nr. 1625, 4 4 0 , 2 1 - 2 6 ; an N. Hausmann). 3 6 „Confiteatur sane sic vos ipse Christus, sicut vos estis eum confessi, et glorificet glorificantes se, Amen. Igitur absolvo vos in nomine D o m i n i ab isto conventu. Immer wieder heim, immer heim!" (WA B r 5, Nr. 1 6 4 8 , 4 8 0 , 1 9 - 2 2 ; an Jonas, Spalatin, Melanchthon und Agricola, 15. Juli.) 37 „Salua siquidem perstare nequit, nisi ope Dei; hanc ergo debet sedulo inuocare et sola m t l . " ( B C o r IV, Nr. 3 2 2 , 1 8 5 , 3f; an die Straßburger Prediger, 8. August). 33

34

20

Matthieu

Arnold

In einer bestimmten Weise — und folgende Bemerkung gilt für Luther noch mehr als für Bucer — sind beide Reformatoren von der Erhörung des Gebetes überzeugt, weil sie ihre Sache mit Gottes Sache identifizieren. So versichert Luther dem Kanzler Gregor Brück am 5. August: „Ich hab's aber aus Anregung der Unsern getan, der etliche so wehmütig und sorgfältig sind, als hätt Gott unser vergessen, so er doch unser nicht kann vergessen, er müßte zuvor sein selbs vergessen, es wäre denn, daß unser Sache nicht sein Sache, und unser Wort nicht sein Wort wäre. Sonst, wo wir des gewiß sind und nicht zweifeln, daß es seine Sache und Wort ist, so ist auch gewiß unser Gebet erhöret [...]" (WA Br Nr. 1675:5,531,9-14). Nach der „salutatio" fängt sofort der Brief vom 28. August an Jonas so an: „Ego, mi Iona, nostram causam Christo commendavi serio, et is promisit mihi (nam ego utcumque credo ei), suam hanc causam esse et fore." (WA Br Nr. 1706: 5, 586,1-3). *

Meistens unterscheidet sich Bucer von Luther darin, daß er das Gebet mit der Bekehrung und der Buße verbindet, und dies während des ganzen Reichstags: „Huc igitur et ipsi respicite et respicere plebem nostram hortamini, sie tarnen, ut nihil metus Uli ineutiatis!" (BCor IV, Nr. 308:130,16f; Bucer und Capito an die Prediger in Straßburg, 7. Juli). „Animemus nos virtute Christj, non vel calamitate vel eorum, qui hostibus nostris hostes sunt, successu! Conuertemur nos toto pectore ad eum, cuj Pater dedit omnem potestatem in coela et terra [vgl.Mt 28,18]!" (BCor IV, Nr. 333: 248,11-13; an A. Blaurer und J. Zwick, 29. August). Bucer wiederholt dieses Motiv, dem er einen längeren Abschnitt widmet, in einem Brief an Zwingli vom 9. September 38 . (Man weiß, daß Bucer dieses Thema 1547—1548, während des Schmalkaldischen Krieges und vor der Einführung des Interims in Straßburg, wieder sehr stark entwickelt hat 39 .) Luther gebraucht dieses Motiv eher in Zusammenhang mit den Türken, die er als Strafe oder „ R u t e " Gottes für die Undankbarkeit Deutschlands 38 „Tarnen si peccata agnouerimus et veniam sedulo orauerimus emendandaeque vitae operarti dederimus et ex animo dixerimus: , N o n nobis, n o n nobis, D o m i n e , sed n o m i n i tuo da gloriam [Ps 115,1]!' Nobis confusio, tibi decus debetur, et mihi optima spes erit C h r i s t u m in nobis infirmis virtutem suam contra m u n d u m magnifice a p e r t u r u m . At si nescio quae ex humanis coniecturis nobis polliciti irato Patri celesti supplicare cessauerimus, vt sint tam peruersi papistae, vt eis contra nos Deus hac vice nihil permissurus sit propter gloriam nominis sui, indubie tamen nos vt suos grauiter castigabit per alios forsan grauiores hostes. Iudicium sane a d o m o sua incipere solet [vgl. 1 Petr. 4 , 1 7 ] . " (BCor IV, Nr. 3 3 8 , 2 7 0 , 2 2 - 2 7 1 , 5 ) . 39

S i e h e M A R T I N G R E S C H A T : M a r t i n B u c e r ( w i e A n m . 1), K a p i t e l V I I .

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dem Evangelium gegenüber betrachtet 40 . In seinen Briefen von der C o burg begnügt er sich, diese Undankbarkeit zu tadeln. Wie Bucer ist er der Meinung, daß auch er, Luther, Gottes Barmherzigkeit braucht („Gott erbarme sich über uns\"), aber er spricht nicht von der Buße 4 1 . *

In der — für ihn — dramatischen Lage der Straßburger und Zwinglianer 42 spricht Bucer mit Vorliebe von dem Widerspruch der „Welt" — Bucer benutzt die Worte des Johannesevangeliums 43 : „Summa omnium est: M u n dus stat a pontifice; igitur nihil ab vllo nobis expectandum aliud, quam quod decreuerit pontifex. Si autem is, qui mundum vicit [vgl. Joh. 16,33], huius consilijs obuiare, vt hactenus fecit, velit, grati expectabimus." (BCor IV, Nr.318:158,4—8;22.Juli,an A.Blaurer). In Luthers Briefwechsel gibt es viele Zitate oder Andeutungen an Joh. 16,33 4 4 ; dieser Vers taucht auch im Zusammenhang mit dem Augsburger Reichstag auf: „Verum ,confidite', ait ille, ,ego vici mundum' [...]" (WA Br Nr. 1644: 5, 472, llf; an Spalatin, 13. Juli). Bucer vergleicht sich und die Seinen auch mit Gideon, um zu verdeutlichen, daß die Anhänger der Wahrheit nur eine Minderheit darstellen: „Gideonis exemplum experiemur, vt et Christianus hic noster [= Christian Fridbolt] diuinat." (BCor IV, Nr. 316:151,1; an Joachim Vadian, 17. Juli). Zweimal, in Briefen an verschiedene Adressaten, erwähnt Bucer sogar den Märtyrertod: „Audiui hac nocte Philippum scripsisse cuidam non posse pacem restitui Germaniae, nisi nobis internicioni datis. [...] Sed gratia Christo, qui nobis dedit hactenus synceriter in negotio suo versari, pro cuius nomine millies 40 S i e h e MATTHIEU ARNOLD: La C o r r e s p o n d a n c e ( w i e A n m . 2), 1 0 0 - 1 1 4 , bes. 1 0 8 111: L'appel à la r e p e n t a n c e ; NICOLE DE LAHARPE: I m a g e d e l ' a u t r e et i m a g e d e soi, Paris 2001,196-198. 41 Siehe W A Br Nr. 1563: „Vehementer m e t u o , ne G e r m a n i a , praesertim superior, d e b e a t D e o i n s i g n e m v i n d i c t a m o b istas b l a s p h e m i a s , caedes, c o n t e m p t u m et alia in v e r b u m D e i m o n s t r a , q u o t i d i e c r e b r e s c e n t i a ; et T u r c a n o n f r u s t r a a r m a t u r . D e u s m i s e r e a t u r n o s t r i . " (5, 3 0 9 , 2 2 - 2 5 ; an W e n z e s l a u s L i n k , 8. M a i ) . 42 A m 8. A u g u s t s c h r e i b t er n o c h an die S t r a ß b u r g e r P r e d i g e r : „ A p r i n c i p i b u s q u o q u e n i h i l e x p e c t a n d u m , nisi f o r s a n a C a n d i d o [= P h i l i p p v o n H e s s e n ] ; ita f a c i u n t eos a b h o r r e r e a n o b i s q u o s scitis." ( B C o r IV, N r . 3 2 2 : 1 8 4 , 2 3 - 2 5 ) . 43 S i e h e n o c h B C o r IV, N r . 3 1 8 : „ [ . . . ] m i r u m , si m u n d o C h r i s t u s aliquid c r u d e l i u s in n o s p e r m i t t a t . " ( 1 5 9 , 4 f ; an A . Blaurer, 2 2 . Juli); B C o r IV, N r . 3 3 3 , 2 4 3 , 7 - 1 0 (an A . B l a u r e r u n d J. Z w i c k , 2 9 . A u g u s t ) ; B C o r IV, N r . 3 3 8 , 2 6 8 , 5 f (an Z w i n g l i , 9. S e p t e m b e r ) . Vgl. B C o r IV, N r . 3 2 2 : „ I n h o m i n i b u s m u l t u m est q u o s [?] m e t u a s , in C h r i s t o n i h i l n o n s a l u t e m p o l l i c e t u r . " ( 1 9 1 , 1 3 f ; an A . B l a u r e r , 9. A u g u s t ) . 44 S i e h e MATTHIEU ARNOLD: , P r e n e z c o u r a g e , j ' a i v a i n c u le m o n d e ' : l ' e m p l o i d e Jn 1 6 , 3 3 d a n s les lettres d e L u t h e r . In: P o s L u t h 4 0 (1992), 1 2 1 - 1 4 7 .

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Matthieu

Arnold

praestat mori quam vel j o d vnum cedere ex doctrina eius mundo [vgl. Mt. 5 , 1 8 ] . " ( B C o r IV, Nr. 3 1 5 : 1 4 9 , 3 - 4 , 6 - 8 ; 17. Juli, an Bedrot) 4 5 . „Verum dum hac confidimus, confundemur nunquam, praesertim cum et mori nobis lucro sit et possit Dei nomen in nobis et per mortem glorificari [vgl. Phil. 1, 2 0 f . ] . " ( B C o r IV, Nr. 3 2 3 : 1 9 1 , 1 1 - 1 3 ; 9. August, an Zwingli). Luther hatte einen solchen Tod vor Worms 1521 auch erwähnt und sogar erhofft 4 6 . Neun Jahre später aber, während des Geschehens in Augsburg, wo er nicht persönlich anwesend ist, spricht er nicht mehr davon. Seine Briefpartner, Melanchthon und Jonas, sind nur „martyr" in dem Sinne, daß sie durch das „Schöne Confitemini" ihren Glauben von der ganzen Welt bekannt haben. In seinen Briefadressen (wenn diese erhalten sind, was für die Briefe an Melanchthon selten der Fall ist) redet er sie als „confessor" 4 7 , „martyr" 4 8 oder „discipulus" 4 9 an.

IV. Die Unterwerfung 1. Die Warnung vor menschlichen

unter Gottes

Pläne

Lösungen

Durch das Gebet kann der Mensch zum Mitarbeiter Gottes werden. Aber das Gebet impliziert eine vertrauensvolle Unterwerfung unter Gottes Pläne. Bucer wie Luther bekunden ihr Mißtrauen „menschlichen Mitteln" gegenüber 5 0 . Die Verkündigung des Evangeliums hat den Vorrang vor einem falschen Frieden, den man auf Kosten der Wahrheit erreichen will. Gott stellt unseren Glauben auf die Probe, schreibt Bucer den Straßburger Predigern 5 1 . 4 5 Siehe auch B C o r IV, Nr. 318: „Dominus accendat et doceat, fortiter in sui nominis gloriam et vivere et mori." ( 1 5 9 , 1 - 2 ; an A. Blaurer, 22. Juli). 4 6 Siehe DANIELE FISCHER: „La notion du martyre dans la théologie de Luther". In:

E T R 5 7 ( 1 9 8 2 ) , 5 0 1 - 5 1 8 ; MATTHIEU ARNOLD: La C o r r e s p o n d a n c e (wie A n m . 2), 2 0 1 203. 4 7 Siehe z. B. WA B r 5, Nr. 1610, 409, 1 (an Jonas, 29. Juni [?]); WA B r 5, Nr. 1643, 471, 1 (an J o n a s , 1 3 . J u l i ) ; W A B r 5 , N r . 1 6 4 9 , 4 8 1 , 1 (an Spalatin, 15. Juli). 4 8 Siehe z. B. WA B r 5, Nr. 1668, 5 1 6 , 1 : „M. Philippo, confessori Christi, martyri vero [ . . . ] " (31. Juli). Die gleiche Titulatur findet man in WA B r 5, Nr. 1 6 7 3 , 5 2 3 , 1 . 4 9 Siehe z. B. WA B r 5, Nr. 1698 , 575, 2 (an Spalatin, 26. August). 5 0 Siehe den B r i e f vom 9. September an Zwingli, B C o r IV, Nr. 338: „Quod ad preces hortor et spem in vnum Christum collocandum moneo, non ideo facio, quod caussae timeam aut mundi minas tanti faciendas putem. Id me mouet, quod videam quosdam suis viribus, imo non suis, sed vulgi, quo nihil inconstantius est, non nihil fidere et mundi potentiam haud adeo certis coniecturis nec digna christianis ratione contemnere. [... ] Verum qui haec in hoc confideret, vt inde animum sibi formet, is non minus stulte et impie fecerit, quam si quis ex tuis coniecturis spem sibi figeret optatae vel pacis vel victoriae." (268,3-9;269,19-270,l). 51

„Nostram quoque fidem probandem esse, verum Deum fideliorem esse, quam vt

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Und im selben B r i e f versichert er, schon am 8. August, daß Gott durch M i t tel, die ihnen nicht bekannt sind, gegen den Krieg kämpfen wird 52 . Oft — und zu R e c h t - hat man B u c e r hinsichtlich seiner Bemühungen um die Einheit zwischen den Evangelischen als Ireniker b e n a n n t 5 3 . Man darf aber nicht vergessen, daß B u c e r nicht den Frieden um jeden Preis suchte, und dies auch nicht mit den Altgläubigen. In seinem Briefwechsel vom Jahre 1530 zählt B u c e r zu denen, die Melanchthons Zugeständnisse tadeln. Am 14. August berichtet er über Gerüchte über die Unstimmigkeit zwischen Luther und Melanchthon 5 4 . A m 25. August schreibt er an die Straßburger Prediger: „Ich bin nye mehr bekümmert gwesen, dan sorglicher ist Got dan die menschen zornig wider sich haben 5 5 ." ( B C o r IV, Nr.331: 2 3 3 , 5—7). Vier Tage später, in einem B r i e f an Blaurer und an J o hannes Zwick, in dem er von den Verhandlungen im Ausschuß zwischen den Evangelischen und den Altgläubigen berichtet, versichert Bucer: „Nostra salus a Christo pendet, non a mundi uel successu uel calamitate." ( B C o r IV, Nr. 3 3 3 : 2 4 3 , 2 f ) . Dann mißbilligt B u c e r die zweideutige Ausdrucksweise, mit der Melanchthon den Frieden zu erreichen versucht, und zwar mit Worten, die man anderswo bei dem Wittenberger findet, um den Straßburger zu tadeln 56 . U n d als B u c e r am 18. September zur Feder greift, gebraucht er Wendungen und Gegensätze, die man üblicherweise bei q u e m q u a m tentet supra quam eius auxilio fretus possit ferre [vgl. 1 Kor. 1 0 , 1 3 ] . A d m o n i t e ne q u o q u a m , quam in v n u m D e u m respiciant! Nullas alias vires c o g i t e n t ! " (Nr. 3 2 2 : 1 8 4 , 2 0 - 2 3 ; aux prédicateurs, 8 août). 5 2 „ [ . . . ] videor mihi certus D e u m incognita adhuc nobis via hac vice bellum amoliturum, vt satis eius bonitatem in nos admirari non possimus." ( B C o r IV, Nr. 3 2 2 , 1 8 4 , 2 7 - 2 9 ) . 5 3 S i e h e REINHOLD FRIEDRICH: M a r t i n B u c e r - Ö k u m e n e im 16. Jahrhundert? In: M a r t i n B u c e r and the S i x t e e n t h C e n t u r y E u r o p e (wie A n m . 3), B d . 1, 257—268. D e r V e r such von THOMAS KAUPMANN: D i e A b e n d m a h l s t h e o l o g i e der Straßburger R e f o r m a t o r e n bis 1 5 2 8 , T ü b i n g e n 1 9 9 2 ( B H T h 8 1 ) , B u c e r dagegen als einen hinterlistigen T h e o l o g e n darzustellen, scheint uns nur teilweise zutreffend. (Siehe auch dazu MARTIN GRESCHAT: M a r t i n B u c e r [wie A n m . 2], frz. Neuausgabe, Kapitel I X , 2 7 5 - 2 7 6 ) . 5 4 „Lutherus iam nostri oblitus totus, inuehitur contra papistas, vt videbis in libello de purgatorio, qui mittitur. Aiunt huic n o n b e n e c o n u e n i r e c u m Philippo, vt ille male audit apud o m n e s cordiatores, etiam inter suos; plus n i m i o e n i m papistis defert, c u m n e m o tarnen n o n videat haudquaquam c u m illis posse nos in gratiam aut q u e n q u a m alium redire nisi t o t o C h r i s t o a b n e g a t o . " ( B C o r IV, N r . 3 2 4 , 1 9 6 , 1 3 - 1 8 ; an A. Blaurer, 14. August). 5 5 D e r lateinische O r i g i n a l t e x t ist verloren; die deutsche Ü b e r s e t z u n g stammt von Hedio. S i e h e B C o r IV, 2 3 3 , A n m . 1. 5 6 „ A m b i g u a in his pleraque sunt; in ea voluit consilij huius princeps [= M e l a n c h t h o n ] consentiri, vt hinc c u m pace possint abire, deinde facile v u n m q u e m q u e pro sua c o m m o d i tate illa i n t e r p r e t a t u r u m . " ( 2 4 6 , 2 6 - 2 8 ) — Z u den abwertenden U r t e i l e n M e l a n c h t h o n s über B u c e r siehe HEINZ SCHEIBLE: M e l a n c h t h o n und B u c e r . In: M a r t i n B u c e r and the S i x t e e n t h C e n t u r y E u r o p e (wie A n m . 3), B d . 1, 3 7 4 [ 3 6 9 - 3 9 3 ] ; ROLF DECOT: V e r m i t t lungsversuche a u f d e m Augsburger R e i c h s t a g . M e l a n c h t h o n und die Confessio Augustana. In: 5 0 0 Jahre Philipp M e l a n c h t h o n ( 1 4 9 7 - 1 5 6 0 ) , hrsg. von REINHOLD FRIEDRICH und KLAUS A . VOGEL, W i e s b a d e n 1 9 9 8 , 4 8 - 7 2 , informiert gut über M e l a n c h t h o n s Vermittlertätigkeit in Augsburg.

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Luther findet: „Quamlibet miris artibus Satan coniungere conatus hactenus sit, quos oportet esse disiunctiss[imos], nempe filios lucis et tenebrarum [vgl. J o h . 12,35f.], n o n d u m tamen successit [ . . . ] " ( B C o r IV, Nr. 3 4 1 : 2 8 7 , 2—4; an Zwingli) 5 7 . D e n n schon am 9. Juli fragte Luther: „quis enim Belial c u m Christo speret conciliari?" (WA B r Nr. 1 6 3 5 : 5, 4 5 8 , 7; an Justus Jonas.) In seinen Briefen an Melanchthon ermahnt ihn Luther, keine Z u g e ständnisse (mehr) zu machen 5 8 . Immer wieder schreibt er Melanchthon (und den anderen Wittenbergern), daß er und seine Freunde schon genug getan hätten, indem sie ihren Glauben bekannt haben; mehr zu erreichen, nämlich die Bekehrung der „Päpstler", sei nicht möglich. Wenn die M e n schen alles gemacht haben, was in ihrer Macht stand, müssen sie jetzt die ganze Sache Gott überlassen: „Wohlan, wir haben ihm gnug getan. Tempus nunc est faciendi soli D o mino, qui regat et servet vos, A m e n . " (WA B r Nr. 1685: 5 , 5 4 8 , 2 3 f ; an M e lanchthon, 15. August) . „Satis erat, nos reddidisse rationem fidei et petere pacem; convertere eos ad veritatem quare speramus? [...] Sed Dominus, qui coepit in vobis, perficiat [perficiet? 59 ; vgl. Phil. 1, 6] opus suum, cui vos comendo ex animo." (WA B r Nr. 1699: 5, 578, 44f, 53f; an Melanchthon, 26. August). „Christum confessi estis, pacem obtulistis, Caesari obedistis, iniurias tolerastis, blasphemiis saturati estis, nec malum pro malo reddidistis: Summa, opus sanctum Dei, vt sanctos decet, digne tractastis. Laetamini etiam aliquando in D o m i n o et exultate iusti [vgl. Ps. 31,11 — Vulgata], Satis diu tristati estis in mundo; Respicite & leuate capita vestra, Appropinquat redemptio vestra [Lk. 21,28]. Ego canonisabo vos, vt fidelia membra Christi. Et quid amplius quaeritis gloriae?" (WA B r Nr. 1719: 5, 622, 20—26; an Melanchthon, 15. September). „Habent Confessionem, habent euangelium: si volunt, admittant; si n o lunt, vadant in locum suum. Wird ein Krieg draus, so werde er draus; wir haben gnug gebeten und getan. Dominus paravit eos ad victimam, ut red5 7 Siehe im selben B r i e f ferner: „Nunquam me deijciunt, quae de bello narrantur, etsi sciam viribus humanis nos plane consistere non posse, deijciunt autem vehementiss[ime], quae subinde afferuntur de medijs concordiae. His enim scio offendi nobis D e u m ; bello autem si petamur propter veritatem, scio nobis D e u m tanto fore placatiorem." ( 2 9 1 , 2 - 6 ) . 5 8 „Accepi Apologiam vestram, et miror quid velis, ubi petis, quid et quantum sit c e dendum Pontificibus. [ . . . ] Pro mea persona plus satis cessum est in ista Apologia, quam si recusent, nihil video, quid amplius cedere possim, nisi videro eorum rationes aut Scripturas clariores, quam hactenus vidi. [ . . . ] confirmor magis ac magis, daß ich mir (ob Gott will) nu nichts mehr werd nehmen lassen, es gehe drüber, wie es wolle." (WA B r 5, 4 0 5 , 17—22; 24—26, Nr. 1609; 29. Juni). „At certe pro mea persona ne pilum quidem illis cedam, aut patiar restitui, potius extrema omnia expectabo, quando sic obstinate pergunt." (WA B r 5, Nr. 1 6 4 2 , 4 7 0 , 9 f ; 13. Juli). 59

Siehe W A B r 1 3 , 1 7 8 .

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dat illis secundum opera e o r u m [vgl. Mt. 16,27; R o m . 2,6]." (WA Br Nr. 1722: 5 , 6 2 9 , 5 0 - 6 3 0 , 5 3 ; an Justus Jonas, 20. September) 6 0 . 2. Die Trübsal als Versuchung: das

„Kreuz"

„ C r u c e probanda fides est", schreibt Bucer am 9. Juli 1530 an Zwingli (BCor IV, Nr. 310:136, 6). Diese Behauptung wiederholt er einen Monat später, am 14. August, nachdem die Confutatio vor dem Kaiser verlesen worden ist: „ C r u c e probandam fidem nostram diu iam praedicauimus; iam ergo tempus est, per facta vt fidem dictis arrogemus, quod tu alias scripsisti." (BCor IV, Nr. 324:193,2f; an A. Blaurer). Für Bucer bewilligt Christus (der die Welt schon ü b e r w u n d e n hat) die Versuchung, weil seine Anhänger uneinig sind 61 . Der R e f o r m a t o r vergleicht sogar die vorliegende Lage der Evangelischen mit der in der Alten Kirche, als sie vor der Verfolgung Diokletians durch Sekten zerissen w o r den sei (159, 6-9) 6 2 . Als er am 29. August über die Verhandlungen im Sechserausschuß berichtet, ist Bucer der Meinung, daß Gott gegenüber den Seinen barmherziger ist, als sie es verdienen 6 3 . Am 9. September, in ein e m langen Brief an Zwingli, in dem er die Evangelischen kritisiert, die ihr Vertrauen auf die politischen Einigungen setzen, k o m m t Bucer zum T h e ma der Trübsal der Alten Kirche zurück 6 4 . 3. Das Drängen auf den

Glauben65

Der Versuchung gegenüber, einen Ausgleich u m jeden Preis mit den Altgläubigen zu erreichen, legen Bucer und Luther den Akzent auf den Glauben an Gott: „Dominus nobis adsit! [...] Oremus ergo: D o m i n e auge 60 Siehe noch WA Br Nr. 1713: „Es geschehe, was G o t t wil, das nur des Reichstags ein ende werde, wir haben genug gethan und erboten, die papisten wollen nicht ein har breit weichen, darmit wird einer k o m e n , der sie lehren soll weichen vnd r e u m e n . " (5, 608,11— 14; an Katharina Luther, 8. September). 61 „Sed scis, vt detestetur ille suos inter se dissidere et vt hac caussa olim q u o q u e persecutiones suis immiserit [vgl. J o h . 1 5 , 1 7 - 2 0 ] . " (BCor IV, Nr. 318,159, 5f; Bucer und C a p i to an A. Blaurer, 22. Juli). 62 „Instat siquidem, nisi eam miraculo Christus auertat, eiusmodi sanctorum laniena, qualis vix Diocletiani tempore fuit." (BCor IV, Nr. 324,196,28f; an A. Blaurer, 14. August). 63 „Et video certe clementius D o m i n u s nobis adesse, q u a m nostra merebatur frigiditas." (BCor IV, Nr. 333, 243,12f; an A. Blaurer u n d J. Zwick). 64 „Scies siquidem, cui Tertullianus, cui Cyprianus et sancti alij persecutiones, quibus suis temporibus saeuitum est, tribuerint. H i n c ergo d u m apud nos ita scissa omnia sunt et perpauci, qui in opere D o m i n i iuste ferueant, puto nos haud iniuria nostris rebus metuere, n o n ab hominibus, qui nihil possunt, sed deo, cui sunt in manu o m n i a . " (BCor IV, Nr. 338, 270,8-13). 65

S i e h e M A T T H I E U A R N O L D : L a C o r r e s p o n d a n c e ( w i e A n m . 2 ) , 5 8 2 — 5 8 5 : M e t t r e sa

confiance en Dieu: les lettres envoyées à Augsbourg (1530).

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nobis fidem [vgl. Lk 1 7 , 5 ] ! " ( B C o r IV, Nr. 3 3 3 : 2 4 8 , 5, 6f; an Blaurer und Zwick, 29. August). D e n n beide Reformatoren betrachten die menschliche Suche nach dem Frieden als ein Mangel an Glaube. In einer langen Darlegung entfaltet B u c e r das T h e m a des Glaubens — Glaube an den, der die Welt und den Teufel besiegt hat und der eine Hoffnung gegen alle menschliche Erwartung ist 6 6 . B u c e r lädt seine Briefpartner zur Bekehrung ein, d.h. zu einem brennenderen Glauben an G o t t 6 7 . Eine solche Korrektur trägt Luther in seinen bekannten Trostbriefen an Melanchthon vor, aber auch in einem B r i e f an Spalatin: „Tantum est opus fide, ne Causa fidei sit causa sine fide." (WA B r Nr. 1612: 5, 4 1 4 , 30; 30. Juni). A u f Gott allein, und nicht auf Menschen, müsse man seine Hoffnung setzen, unterstreicht er gegenüber Melanchthon: „In tanta coecitate et pertinacia daemonum quid speres aliud quam reprobari? [...] Igitur nulla nobis spes salutis, nisi in D o m i n o solo; is faciat mirabilia oportet, nec deseret hunc lapidem, quia sequitur: ,Hic factus est in caput anguli. A D o m i n o autem hoc factum, non a nobis, ideo est mirabile in oculis nostris.' [Mt. 2 1 , 4 2 / M k . 12,10f|" ( W A B r Nr. 162: 5 , 4 3 6 , 8 f . 1 3 - 1 5 ; 3. Juli).

V. Gottes Ankunft: die Eschatologie Schon vor dem Reichstag hatte B u c e r an Ambrosius Blaurer geschrieben, als er von den Verteidigungsmaßnahmen der Stadt Straßburg und von der Rechtfertigung der Abschaffung von Messe und Bildern vor dem Kaiser berichtet hatte: „Vtinam omnes precibus D e u m pulsare[n]t, vt adueniat ipsius regnum [Mt. 6 , 1 0 ] ! " ( B C o r IV, Nr. 2 9 0 : 87, lOf). Jedoch findet man kaum eschatologische Aussagen in den Briefen Luthers und Bucers während des Ausgburger Reichstags: „Ego pro te oro, oravi et orabo, nec dubito, quin sim exauditus. Sentio enim illud Amen in corde meo. Si non fiet, quod volumus, fiet tarnen, quod melius est. N a m nos regnum futurum expectamus, ubi omnia fefellerint in mundo." (WA B r Nr. 1611: 5, 4 1 3 , 6 0 - 6 3 ; Luther an Melanchthon, 30. Juni).

6 6 Siehe B C o r IV, Nr. 3 3 3 , 2 4 8 , 1 1 - 2 8 , bes. 1 5 - 1 9 : „Hunc si nobis fide seruauerimus et forti confessione celebrauerimus, demonstrabit ipse [= Christus] se in nobis quoque victorem mundi et Satanae. Si christianj sumus, sperandum est contra spem. At si iam videremus, quibus praesidijs hostibus superiores esse possemus, non esset fides, non esset spes." (An A. Blaurer und J . Z w i c k , 29. August). 6 7 Nachdem er über die Kriegsgefahr geschrieben hat, zieht B u c e r j e d o c h folgenden Schluß: „Dominus doceat nos sibi fidere et viuere, et optime cadent o m n i a . " (BCor, Nr. 341 2 9 1 , 1 3 ; an Zwingli, 18. September).

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Beide Reformatoren schließen Gottes Ankunft nicht aus, aber ihre G e bete um Gottes K o m m e n in Herrlichkeit häufen sich eher in den 40er J a h ren, d.h. in den letzten Jahrzehnten ihres Lebens 6 8 .

VI. Die Unterschiede zwischen Bucer und Luther Im Laufe unseres Vergleiches haben wir nicht nur die theologischen G e meinsamkeiten, sondern auch die Nuancen bzw. die Unterschiede ihrer Schau der Geschichte festgestellt. Man hätte auch den Stil beider Briefschreiber vergleichen können. Luther, dessen Berichte immer viel kürzer sind als die Bucers, ist auch bildhafter und humorvoller (das erklärt sich natürlich auch deswegen, weil Luther in Coburg mehr Abstand als B u c e r hat). D e r Wittenberger berichtet nicht nur von einem Reichstag der Dohlen 6 9 , sondern er zieht auch seine Gesundheitsprobleme ins Lächerliche: „Es will's nicht mehr tun, sehe ich wohl, die Jahr treten herzu. Caput meum factum est capitulum, perget vero et fiet paragraphus, tandem periodus." (WA B r Nr. 1566: 5, 316,16— 18; an Melanchthon, 12. Mai). Als er seine Freunde zur R ü c k k e h r nach Kursachsen ermahnt, gebraucht er ein Wortspiel: „Dominus, qui vos A u gustam misit, reddat vos omnes augustos, A m e n . " (WA B r Nr. 1 6 9 3 : 5 , 5 6 0 , 19f; an Melanchthon, 24. August). Solche Züge fehlen aber nicht ganz bei Bucer; so schreibt er an Zwingli über die „Lutherani": „mira enim sibi pollicentur de Caesaris fauore, quem plane suum futurum augurantur, sed augurio vanissimo, quod miror nasutos istos non olfacere." ( B C o r IV, Nr. 2 9 8 : 9 9 , 1 2 f ; 14. Mai). M e h r als B u c e r nutzt Luther alle Stilemente des Briefes, besonders der salutatio70. A m 27. Juni kündigt er Melanchthon schon im Anfangsgruß den ganzen Inhalt seines „Trostbriefes" an: „Gratiam et pacem in Christo, in Christo, inquam, non in mundo, A m e n . " (WA B r Nr. 1605: 5, 399, 2). U n d am 13. Juli, in einem Brief, in dem er einen Ausgleich in der Lehre für unmöglich hält, redet er Melanchthon an: „Gratiam et pacem Christi veram." (WA B r Nr. 1642: 5, 470, 2). Am 15. August begrüßt er seinen

6 8 Zu Bucer, siehe MARTIN GRESCHAT (wie Anm. 1), Kapitel V I I , 2 4 3 . Zu Luther siehe ULRICH ASENDORF: Eschatologie bei Luther, Göttingen 1967, bes. 2 8 0 - 2 8 3 ; MATTHIEU ARNOLD: La Correspondance (wie Anm. 2), 165—168. 1529, im Zusammenhang mit der Belagerung Wiens, hatte auch Luther mehrmals vom Jüngsten Tage gesprochen (siehe ASENDORF, 204f; ARNOLD, 1 0 4 f ) . 6 9 Siehe WA B r Nr. 1 5 5 3 und 1554. 7 0 Z u r dieser Problematik im ganzen Briefwechsel von Luther siehe MATTHIEU ARNOLD: Multa paucis: formes et fonctions de l'adresse et des salutations initiales dans les lettres de Luther. In: B S H P F 138 (1992), 5 3 7 - 5 6 1 .

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Freund mit folgenden Worten: „Gratiam et pacem in Christo, D o m i n o etiam hostium suorum." (WA B r Nr. 1685: 5, 548, 3). A m Ende seines Briefes vom 31. Juli, in dem Luther über seine Gesundheitsschwäche geschrieben hat (die er meistens dem Satan zuschreibt 71 ) und in dem er Melanchthons Sorge getadelt hat, weil Gott stärker als die Welt sei, unterzeichnet Luther: „ E x arce daemonibus plena, sed ubi C h r i stus dominatur in medio inimicorum suorum." (WA B r Nr. 1668: 5, 517,25f).

VII.

Schlußbemerkungen

Wer sich damit begnügen würde, die Briefe von B u c e r und Luther während des Augsburger Reichstags zu lesen, ohne deren andere Werke zu b e urteilen, würde schon ein ziemlich klares und exaktes Bild von ihren vorherrschenden Gedanken und ihrer Theologie gewinnen. Beide sind überzeugt, daß Gott während des Reichstags am Werk ist, durch seine Bekenner und durch das Gebet der christlichen Gemeinden. Beide lehnen einen Frieden auf Kosten der Wahrheit ab: der Glaube an Gott ist mit der Hoffnung auf menschliche Mittel unvereinbar. Die Z u kunft gehört Gott allein; was man aber nicht bezweifeln kann, ist, daß er die Seinen auf seine Weise unterstützen wird. Ab und zu erwähnt Luther, in Bezug auf den Kaiser, die Ereignisse des Wormser Reichstages 152 1 7 2 . In mancher Hinsicht ist aber eher für B u c e r der Augsburger Reichstag mit den Geschehnissen neun Jahre früher vergleichbar: Davon zeugen Bucers Hinweise auf den Märtyrertod. In Bezug auf die Verhandlungen lädt Luther seine Anhänger zum Gebet ein. B u c e r verbindet diese Ermahnung mit dem Aufruf zur Buße, der charakterisch für seine Theologie und für seine Interpretation der Geschichte ist: Für ihn sind die Verfolgungen der Evangelischen die Konsequenz ihrer Uneinigkeit. D e n n im Gegensatz zu Luther richtet B u c e r in Augsburg seine Augen nicht nur auf die Verhandlungen mit den Altgläubigen; noch wichtiger für ihn ist die Annäherung an Luther (Bucers Urteile über den Wittenberger entwickeln sich, wie uns nach der Lektüre seines Briefwechsels scheint, während dieser Monate auf relativ positive Weise). Für B u c e r ist Satan nicht nur der, der Karls V. Herz verhärtet oder der Melanchthon dazu bringt, hinkende Kompromisse anzunehmen; der Teufel ist auch — und besonders — der Verursacher des Streits unter den Evangelischen. Deswegen bemüht sich Bucer, was er als einen Wortstreit bezeichnet, zu

Siehe MATTHIEU ARNOLD: La Correspondance (wie Anm. 2), 5 5 - 6 0 . „Forte, si Deus velit, vt primus Caesar fuit pessimus, ita hic vltimus erit optimus." (WA B r 5, Nr. 1625, 4 4 0 , 24f; an N. Hausmann, 6. Juli). 71

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überwinden; und diese menschliche Bemühungen stehen für ihn nicht im Gegensatz zu Gottes souveränem Willen, ganz im Gegenteil. Die erwünschte Konkordie wird günstige Folgen auf dem missionarischen Gebiet haben, denn der Streit zwischen Luthers und Zwingiis Partei schadet der Verbreitung des Evangeliums in Frankreich 73 . Ausgehend von derselben Voraussetzung (nämlich daß Gott zu ihrer Zeit noch in der Geschichte am Werk ist) sehen sich Bucer und Luther, jeder auf seine Weise, als Mitarbeiter Gottes in seinem Kampf gegen den Teufel. Gegen ihren Willen haben sie also gezeigt, daß diese Geschichte, die nur durch den Glauben wahrnehmbar ist, auch für ihre glaubenden Zeitgenossen nicht immer eindeutig war.

Histoire

divine et histoire

La Diète d'Augsbourg

humaine:

interprétée par Bucer et par

Luther

Bucer et Luther partagent (avec un certain nombre de leurs contemporains) la conviction que Dieu, révélé en Jésus-Christ, continue d'être à l'œuvre dans tous les épisodes de leur histoire personnelle comme dans ceux de la Grande Histoire — dont, à bien des égards, eux-mêmes écrivent des pages. Les correspondances épistolaires constituent une source de premier plan pour examiner les expressions de cette conviction: elles abondent en commentaires sur les événements dont les épistoliers sont les témoins ou qui leurs sont relatés par des tiers. A l'intérieur du vaste champ d'une correspondance dans la première moitié du XVIe s., la Diète d'Augsbourg nous semble être un champ d'investigation fructueux: s'étalant sur plusieurs mois, et traitant principalement de politique religieuse, elle a retenu l'attention des grands Réformateurs, et de nombreux réseaux épistolaires ont vu leurs échanges s'intensifier durant le printemps et l'été de 1530. Bucer et Luther nous intéressent moins pour la qualité de leur information sur les événements d'Augsbourg que pour l'interprétation qu'ils en donnent. Dans le cadre d'une présentation thématique (la souveraineté de Dieu; l'adversaire: Satan; la collaboration humaine: la prière; la „croix", etc.), nous établissons, pour chaque motif, un certain nombre de parallèles entre les deux hommes, avant de nous arrêter sur quelques différences significatives. 73 Siehe BCor IV, Nr. 328, 215,17-216, 21 (an Luther, 25 August); Nr. 329, 225, 4 - 7 (an Zwingli, 25. August); Nr. 338, 271, 29 (an Zwingli, 9. September).

Die Ehre Christi und der Kampf um die Einheit Martin Bucers theologische Überlegungen zur Einheit der reformatorischen Bewegung nach dem Marburger Religionsgespräch ROLAND

LIEBENBERG

Es sei immer sein Bestreben gewesen, der Ehre Christi aufrichtig und rechtschaffen zu dienen. Gleichwohl wisse er nur zu genau, dass er dieser selbst auferlegten R o l l e nie ganz gerecht geworden sei. Als Martin Bucer diese Selbsteinschätzung am 18. April 1530 in einem Brief an den K o n stanzer Reformator Ambrosius Blaurer zum Ausdruck brachte 1 , hatte er nicht nur seine Vorrede zur zweiten Ausgabe seines Evangelienkommentars und die Apologie gegen Erasmus im Blick, die Blaurer kommentieren sollte 2 . Diese Selbsteinschätzung kann auch als ein Kommentar zu seinen Bemühungen u m die Einheit der reformatorischen Bewegung verstanden werden; eine Einheit, die durch den Abendmahlsstreit seit Mitte der 20er Jahre gefährdet war 3 . In seinem Brief gibt Bucer hierfür selbst den Hin1 B C o r IV, Nr. 290,87,3—5: „Erit tarnen in quo mihi ipsi, satis scijo], videbor susceptae personae, hoc est candidi et pure Christi gloriam quaerentis,parum dextre seruijsse [...]?" 2 Vgl. ebd., 86, 7 f. Die Vorrede zur zweiten Ausgabe seines Evangelienkommentars, darauf sei hier schon hingewiesen, stellt eine zentrale Bezugsquelle für Bucers theologische Überlegungen zur Einheit der reformatorischen Bewegung nach dem Marburger Religionsgespräch dar. Welche Relevanz die Einheitsthematik in dieser Schrift für Bucer hat, verdeutlicht die Tatsache, dass er die Vorrede im Brief an Blaurer als seine „epistolam [...] de seruanda ecclesiae vnitate" (ebd.,2f) tituliert. 3 Zur Rolle Bucers im Abendmahlsstreit vgl. REINHOLD FRIEDRICH: Martin Bucer „Fanatiker der Einheit"? Seine Stellungnahme zu theologischen Fragen seiner Zeit (Abendmahls- und Kirchenverständnis) insbesondere nach seinem Briefwechsel der Jahre 1524-1541, Diss. theol. [masch.] Neuchätel 1 9 8 9 , 1 3 - 6 4 ; ders.: Martin Bucer - Ö k u m e n e im 16.Jahrhundert. In: Christian Krieger/Marc Lienhard (Hgg.): Martin Bucer and Sixteenth Century Europe. Actes du colloque de Strasbourg, 2 8 . - 3 1 . August 1991, Bd. 1, Leiden 1993, 2 5 7 - 2 6 8 ( S M R T 52); THOMAS KAUFMANN: Die Abendmahlstheologie der Straßburger Reformatoren bis 1528, Tübingen 1992 ( B H T h 81); ders.: Streittheologie und Friedensdiplomatie: Die Rolle Martin Bucers im frühen Abendmahlsstreit. In: Christian Krieger/Marc Lienhard (Hgg.): Martin Bucer and Sixteenth Century Europe [...], 2 3 9 - 2 5 6 .

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Einheit

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weis, wenn er Blaurers tapferen K a m p f um die Ehre Christi verknüpft mit dessen Streben um die Bewahrung der Eintracht unter denjenigen, für welche Christus Erlöser und R e t t e r ist 4 . Die Bewahrung der kirchlichen E i n heit war der Maßstab für den Straßburger Theologen, inwiefern j e m a n d sich zuschreiben konnte, der Ehre Christi zu dienen. Angesichts dieses Zusammenhangs drängt sich einem dann schon die Frage auf, was von Bucers Selbsteinschätzung zu halten ist; vor allem dann, wenn man sich den Abendmahlsstreit seit Mitte der 20er Jahre vor Augen hält. Ist sie das Zeugnis einer Überheblichkeit, die sich zwar der Grenzen des eigenen Schaffens bewusst ist, ansonsten aber für sich im Angesicht des drohenden Auseinanderbrechens theologische Redlichkeit reklamiert? Geht B u c e r also davon aus, dass die Irrtümer allein bei den theologischen Gegnern zu finden sind? Oder haben wir es hier mit dem aufrichtigen E i n geständnis zu tun, dass er auch für sich selbst trotz bester Absicht eine M i t verantwortung eingesteht für das zerstrittene Erscheinungsbild der reformatorischen Bewegung?

I. Die Marburger

Zäsur

U m hierauf eine Antwort geben zu können, werde ich Bucers theologische Überlegungen zur Einheit der Protestanten nach dem Marburger R e ligionsgespräch 5 unter systematischen Gesichtspunkten darstellen. H i n sichtlich seiner Bemühungen um Ausgleich und Annäherung zwischen den zerstrittenen Parteien seit Mitte der 20er Jahre stellt Marburg eine zweifache Zäsur dar. Zunächst verdeutlichte ihm die mitunter hitzig und mit gezielten B e l e i digungen geführte Disputation vom 1. bis 4. Oktober 1529 wie weit man sich im reformatorischen Lager im Gefolge des Streits um das rechte Verständnis des Abendmahls inzwischen voneinander entfernt hatte 6 . In einem B r i e f an Blaurer, den er am 18. O k t o b e r 1529, also kaum zwei Wochen nach dem Religionsgespräch verfasste, konstatiert B u c e r mit bitterem U n 4 B C o r IV, Nr. 2 9 0 , 87, 1 - 3 : „ Q u o es studio in gloriam Christi fortiter adserendam, tum etiam concordiam in eos, quibus Christus seruator est, seruandam, non dubito praecipua haud damnabis." 5 Vgl. GERHARD MAY: Art. Marburger Religionsgespräch. In: T R E X X I I , B e r l i n - N e w York 1992, 75—79 (dort weitere Literatur); zur Straßburger Sicht der Ereignisse in M a r burg und zur Bucers R o l l e am Ende des Gesprächs vgl. B D S IV, S. 3 2 3 - 3 6 4 ; REINHOLD FRIEDRICH: „Fanatiker der Einheit"? (wie Anm. 3), 5 7 - 6 4 . 6 Vgl. hierzu z.B. Bucers Ausfuhrungen im B r i e f an Blaurer vom 26. Januar 1530 ( B C o r IV, Nr. 2 7 3 , 9 - 1 6 ) . Die gegenseitigen Angriffe und Beleidigungen gingen so weit, dass Zwingli gegen Ende der Disputation in Tränen ausbrach. Die Verhandlungen mussten daraufhin unterbrochen werden (vgl. ebd., 12, 9 - 1 2 ) .

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terton, dass Luther und seine Anhänger in Marburg mit den Schweizern und Oberdeutschen keine andere Konkordie eingehen wollten als mit T ü r k e n und J u d e n . Beharrlich und mit eiskalter B e r e c h n u n g hätten die W i t t e n b e r g e r einen für alle Seiten tragfähigen Beschluss unterlaufen 7 . O b wohl B u c e r gegen E n d e des Briefes wieder versöhnlichere T ö n e anschlägt und das Auftreten der Hauptdisputanten Luther und Zwingli in helles Licht zu stellen versucht 8 , bleibt seine tiefe Enttäuschung über das gescheiterte K o l l o q u i u m bis zur letzten Zeile des Schreibens erkennbar. In T r ü m m e r n lagen seine Hoffnungen, endlich den D u r c h b r u c h in der A b e n d mahlsfrage zu erzielen 9 . Für die W i t t e n b e r g e r blieben er und seine M i t streiter auch weiterhin „ketzer, schwermer, verfurer" 1 0 , die sich, wie Luther in seiner Streitschrift „Vom Abendmahl Christi, B e k e n n t n i s " im J a h r 1 5 2 8 festhielt, mit ihrem „zehenerley verstand ynn den worten des abendmals" 1 1 als Advokaten des Teufels entpuppt hatten 1 2 . W i e wenig Luther gewillt war, diese Sichtweise aufzugeben, wurde B u c e r wohl schon während der B e grüßunsgzeremonie in Marburg bewusst, als ihm der W i t t e n b e r g e r R e f o r mator sein vernichtendes Urteil: „Tu es n e q u a m " 1 3 an den K o p f warf. Als 7 B C o r III, Nr. 2 5 7 , 3 3 2 , 5 - 7 . : „Lutherus cum suis concordiam aliam nobiscum inire, quam cum Turcis habent et ludeis, noluerit pertinascissime, frigidam suffundente prae O m n i b u s alijs Philippo." Die A b g r ü n d e dieses Vergleichs werden deutlich, wenn wir uns vor Augen fuhren, dass sich Türken und Juden während der Epoche der R e f o r m a t i o n , die auch eine Zeit grassierender eschatologischer Ängste war, verstärkt dem Vorwurf ausgesetzt sahen, Agenten des Teufels zu sein (vgl. JEAN DELUMEAU: Angst im Abendland. Die Geschichte kollektiver Ängste im Europa des 14. bis 18. Jahrhunderts, 9.—16. Tausend, R e i n b e k bei Hamburg 1 9 8 5 , 3 9 7 - 4 5 5 ) . 8 B C o r III, Nr. 2 5 7 , 3 3 4 , 68—70: „Vtinam vidisses, quem candorem, quam simplicitatem, quam veritatem christianissimi exhibuerint vtrique! E g o hic narrauj summam rei quam simplicissime et verissime praeteritis multis inamicis argutiis partis aduersae, ne dicam sannis; sed ille haec, nos nostra mala habemus." 9 Zu den Hoffnungen, die B u c e r in das Religionsgespräch setzte, vgl. REINHOLD FRIEDRICH: „Fanatiker der Einheit"? (wie Anm. 3), 57f. 10 WA 26, 2 6 8 , 8 . 11 Ebd., 2 6 4 , 3 1 . 12 Ebd., 31f: „ [ . . . ] und keiner helts mit dem andern ym deuten. Da müssen j a eitel lugen und teuffel vnd kein guter geist sein." Aus diesem Grund lehnte Luther auch das vorläufige Bündnis zwischen Kurfürst Johann I. von Sachsen, Landgraf Philipp von Hessen und den Städten Straßburg, Nürnberg und U l m kategorisch ab, das am 2 2 . April 1529 im Gefolge der Speyerer Protestation vom 19. April verabredet wurde. In einem am 22. Mai abgefassten B r i e f teilte er dem sächsischen Kurfürsten mit, dass es für ihn das „allerärgste" wäre, „daß wir in solchen Bündnis die müssen haben, so wider Gott und das Sacrament streben, als die mutwilligen Feinde Gottes und seines Worts, dadurch wir müssen alle ihre Untugend und Lästerung auf uns laden, teilhaftig machen und verfechten, daß fürwahr kein fährlicher B u n d möcht furgenommen werden, das Evangelium zu schänden und zu dämpfen, dazu uns mit Leib- und Seel verdammen; das sucht der Teufel leider" (WA B r 5, Nr. 1424, 77, 3 5 - 4 1 ) . 13 B D S IV, 3 3 2 , 8 (Hedios Itinerar); vgl. REINHOLD FRIEDRICH: „Fanatiker der E i n heit"? (wie Anm. 3), 60. W i e B u c e r das zu verstehen hatte, ließ ihn Luther noch am selben

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Einheit

er auf Betreiben Jakob Sturms am 3. O k t o b e r versuchte, Luther die Lehrposition der Straßburger zu erläutern, erntete er ebenfalls nur Spott und H o h n 1 4 . Es blieb bei Luthers Verurteilung der schweizerischen und oberdeutschen „schwermer". Daran konnten auch die nur mit immensem Druck zustandegekommenen 15 Marburger Artikel nichts ändern. In der entscheidenden Abendmahlsfrage blieb man uneins. W i e tief der Riss zwischen beiden Seiten trotz der Ubereinstimmung in allen anderen Lehrfragen blieb, verdeutlicht der dramatische Schlussakt der Disputation, als Luther beim Abschied in Marburg die ihm von Zwingli unter Tränen dargereichte Bruderhand brüsk zurückwies 1 5 . So bitter nun für B u c e r die Erfahrungen in Marburg waren, so fern die von ihm angestrebte Einheit der Protestanten nach dem Religionsgespräch erschien, so wenig war er auf der anderen Seite bereit, seinen K a m p f um die Einheit verloren zu geben. Im Gegenteil, betrachten wir seine Korrespondenz in den Monaten nach Marburg, kann sogar ein neues, jetzt umso intensiveres Nachdenken über die Möglichkeit eines gemeinschaftlichen Miteinanders festgestellt werden. Dieser Reflexionsprozess setzte bereits unmittelbar nach Marburg ein, wofür der schon erwähnte B r i e f an Blaurer vom 18. O k t o b e r 1529 ein beredtes Zeugnis ist. Als seine zeitliche und theologische Mitte muss meiner Meinung nach ein ebenfalls an Blaurer gerichteter B r i e f angesehen werden, den B u c e r am 26. Januar 1530 verfasste 16 . Seinen vorläufigen Abschluss meine ich in der oben ebenfalls schon angeführten Vorrede zur zweiten Auflage des Evangelienkommentars ausmachen zu können 1 7 , die B u c e r den Theologen der Marburger Tag in einem Privatgespräch wissen: ,Du bist des Teufels, und so du einen rechten Glauben hast und die Schrift, wirst auch du mich dem Satan übergeben, da ich deine Meinung verwerfe' (JOHANN ADAM: Evangelische Kirchengeschichte der Stadt Straßburg bis zur Französischen Revolution, Straßburg 1 9 2 2 , 1 6 5 ) . 1 4 A u f Bucers Darstellung entgegnete Luther polemisch: „ich bin euer herr nicht, euer R i c h t e r nicht, euer lerer auch nicht, so reymet sich vnser gayst vnd euer gayst nichts zusamen, sonnder ist offenbar, das wir nicht ainerlay gayst haben, dann das kann nicht aynerley gayst sein, da man an einem ort die wort Christi ainfeltigklich glaubt vnnd am anndern demselben glauben tadelt, widerfichtet, lugstraffet und mit allerley frefeln lesterworten antasstet. Darumb wie ich vor gesagt hab, beuelhen wir euch dem urtheyl gottes, leret, w i e Irs v o r g o t t w o l l t v e r a n t w u r t e n "

( W A 3 0 / 3 , 1 5 0 , 3 - 1 1 ; vgl. REINHOLD

FRIEDRICH,

„Fanatiker der Einheit" [wie Anm. 3], 60). Nach Friedrich hatte Luther während des gesamten Religionsgesprächs keinen der Disputanten so scharf „abgelehnt und abgekanzelt" wie B u c e r (ebd.). Vgl. hierzu auch B C o r III, Nr. 2 5 7 , 333, 1 8 - 2 0 : „Ego post finem collationis summatim exposui, quid hic doceremus, petens Lutheri testimonium, an recte doceremus, quod ille pertinaciter negauit, duritiem eius parum probante pio Principe et alijs." 15

Vgl. B D S

IV, 3 5 3 , 1 5 - 2 3

(Bericht von Johannes Brenz); MARC

LIENHARD/JAKOB

WILLER: Straßburg und die R e f o r m a t i o n , Kehl 1981, 211. 1 6 Vgl. B C o r IV, Nr. 2 7 3 , 9 - 1 6 . 1 7 D e r im Auftrag des Straßburger Rates für die Gesandten der Stadt beim Augsburger

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Akademie widmete 1 8 . Ende März 1530 hat B u c e r seine theologische Position zur Einheit des reformatorischen Lagers nach dem Scheitern des Marburger Religionsgesprächs vorläufig neu geklärt 1 9 . Sie ermöglichte es ihm, wie sich im folgenden zeigen wird, den in Marburg vertieften Riss zwischen den zerstrittenen Parteien im Sinne der von ihm angestrebten E i n heit der protestantischen Stände zu deuten. Vier zentrale Aspekte konturieren die Überlegungen des Straßburger Reformators in der Korrespondenz dieses Zeitraums, wie eine Einheit trotz des aktuellen Zerwürfnisses erreicht werden kann: 1. B u c e r weist auf den anthropologischen Gesichtspunkt der Begrenztheit menschlicher Erkenntnis hin, deren unausweichliche Folge Irrtümer und verschiedene dogmatische Positionen sind. 2. Die unvermeidlichen Grenzen menschlicher Erkenntnis machen für ihn eine „normative Z e n t r i e r u n g " 2 0 auf das Wesentliche erforderlich, Reichstag wohl Anfang Mai 1530 entworfene Ratschlag von Bucer, der als „.Ratschlag A' zum Abendmahlsstreit" im dritten Band von Martin Bucers Deutschen Schriften ediert ist ( B D S III, 3 2 1 - 3 3 8 ; vgl. B C o r IV, Nr. 2 9 6 , 9 4 f ) , stellt, wie HAMM in seinem Aufsatz „Toleranz und Häresie [ . . . ] " aufzeigt (siehe unten S. 90), im Wesentlichen eine modifizierte und kürzere deutschsprachige Neufassung der Vorrede dar. Angesichts der weitgehenden Abhängigkeit des Ratschlags, die bis in einzelne Argumentationsgänge und Formulierungen hineinreicht (siehe ebd.), scheint mir die These gerechtfertigt, dass Bucers theologische Überlegungen zur Einheit der reformatorischen Bewegung nach dem Marburger Religionsgespräch mit der Vorrede zur zweiten Auflage des Evangelienkommentars einen vorläufigen Abschluss erfahren haben. Z u m Misserfolg des Bucerschen Ratschlags auf dem Augsburger Reichstag, der als Argumentationshilfe für die Einigungs- und B ü n d nisstrategie des Rates und seiner Gesandten eingesetzt werden sollte, siehe unten S. 90, Anm. 19. 18 D e r Text ist in zwei Fassungen überliefert: als Vorrede in der im April 1 5 3 0 publizierten zweiten Auflage des Evangelienkommentars und als Sonderdruck in einem zwischen 20. März und 4. April 1530 erschienenen Straßburger Doppeldruck. Hier folgt er einer von Jakob Bedrot angefertigten lateinischen Ubersetzung der am 6. März von B u c e r vollendeten Schrift gegen die religiösen Bilder (siehe unten S. 88, Anm. 11; zur Datierung der deutschen Schrift gegen die Bilder vgl. B D S IV, 164). D e r etwas längere Separatdruck, der im vierten Band des Bucerschen Briefwechsels als „Bucers Widmungsschreiben an die Marburger Akademie" aufgenommen wurde ( B C o r IV, Nr. 279,37—67), muss, wie HAMM überzeugend darlegt (siehe unten S. 88, Anm. 11), als die ältere und ursprünglichere Version aufgefasst werden. Sie hegt auch meinen Ausführungen zugrunde. 19 Dementsprechend werde ich bei meiner Darstellung der Bucerschen Position zur Einheit der reformatorischen Bewegung j e n e Schriften heranziehen, die vom Straßburger Theologen im Zeitraum von O k t o b e r 1529 bis März 1530 erstellt wurden. Als Hauptquellen dienen mir der am 26. Januar verfasste B r i e f an Blaurer (vgl. B C o r IV, Nr. 2 7 3 , 9— 16) und die Vorrede zum Evangelienkommentar bzw. das Widmungsschreiben an die Marburger Akademie (vgl. ebd., Nr. 2 7 9 , 3 7 - 6 7 ) . 2 0 Z u m B e g r i f f der „normativen Zentrierung" als heuristisch-interpretativen Zugang zur reformatorischen Epoche vgl. BERNDT HAMM: R e f o r m a t i o n als normative Zentrierung von R e l i g i o n und Gesellschaft. In: J B T h 7 (1992), 241—279; ders.: Von der spätmittelalterlichen reformatio zur R e f o r m a t i o n : der Prozeß normativer Zentrierung von R e l i gion und Gesellschaft in Deutschland. In: A R G 84 (1993), 7 - 8 1 ; ders.: Normative Z e n -

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um die

Einheit

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dem alle zustimmen müssen, die dem reformatorischen Lager angehören wollen. 3. Da Bucer ein ausgesprochen theozentrisch denkender Theologe ist, erklärt er sich die Meinungsunterschiede mittels eines Vorsehungsglaubens, der durch eine göttliche Offenbarungspädagogik charakterisiert wird. Die unterschiedlichen Lehrauffassungen im Abendmahlsstreit verdanken sich also nicht nur menschlicher Unzulänglichkeit. Sie sind auch Ausdruck und Folge göttlichen Wirkens in der Geschichte. 4. Mit seiner offenbarungspädagogischen Fassung der gubernatio Dei kann Bucer schließlich seiner Uberzeugung theologisch Gewicht verleihen, dass der Nachfolge Christi bzw. der Verwirklichung der Pflichten der Liebe ein höherer Stellenwert einzuräumen ist als dogmatischen Wahrheiten.

II. Die Begrenztheit

menschlicher

Erkenntnis

Niemals habe er auch nur ein einziges Paar Menschen gesehen, das in allem einer Meinung gewesen wäre, zumal in heiligen Dingen. Das möge sich der vor Augen halten, der sich der Wiederherstellung des Leibes Christi widmen und im Haus des Herrn mit Nutz und ohne Anstoß leben will 21 . Im ersten Teil seiner Vorrede zum Evangelienkommentar sieht sich Bucer angesichts der Verwerfungen seit dem Marburger Religionsgespräch, die durch den „Zwietrachtskonvent" 22 in Schmalkalden vom 29. November bis zum 3. Dezember 1529 noch vertieft wurden 23 , verantrierung im 15. und 16. Jahrhundert. Beobachtungen zu Religiosität, Theologie und Ikonologie. In: Z H F 26 (1999), 163-202. 21 BCor IV, Nr. 279, 40, 9—12: „ N i m ne unum equidem unquam par hominum uidi, quod per omnia eadem sentiret, etiam in sacris. Proinde qui instaurando corpori Christi sese uolet, ut par est, accommodare et in domo Dei cum fructu ac citra offendiculum uersari, [...]." 22

HANS VON SCHUBERT: B e k e n n t n i s b i l d u n g u n d R e l i g i o n s p o l i t i k 1 5 2 9 / 3 0 . U n t e r s u -

chungen und Texte, Gotha 1910,136. 23 Auf dem Schwabacher Konvent der Unterzeichner der Speyerer Protestation vom 16. bis 19. Oktober 1529 hatte die lutherische Fraktion die 17 von Melanchthon verfassten „Schwabacher Artikel" zur Bekenntnisgundlage der protestantischen Stände erhoben. Da die Straßburger und Ulmer Delegierten keine Entscheidungsbefugnis besaßen, verschob man den Beschluss auf den Tag von Schmalkalden, der für Ende November einberufen wurde. Gesandter der Stadt Straßburg in Schmalkalden war Jakob Sturm, der Bucers Anfang November angefertigtes Gutachten über die „Schwabacher Artikel" mit sich führte (vgl. BDS III, 442-470). Obwohl Bucer in seinem Gutachten erhebliche Bedenken geltend macht — die im 10. Artikel behauptete leibliche Präsenz Christi im Abendmahl hält er für eine falsche Interpretation der biblisch bezeugten Einsetzungsworte — hindert ihn das nicht, um der Einheit willen zuzugestehen: „wo wir sehen, das man [...] verwennet (= wähnt, der Meinung ist), die wort Cristj vermögen das, vnd ist sonnst ain recht

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lasst, noch einmal auf die schon im Abendmahlsstreit der 20er Jahre anzutreffende Uberzeugung hinzuweisen 24 , dass unterschiedliche Meinungen und Positionen gerade bei dogmatischen Auseinandersetzungen nicht vermieden werden können. Denn dem Geist Christi wohne bei allen M e n schen immer auch der Geist des Fleisches bei. Und oftmals sind es gerade die Frömmsten, die die Hirngespinste des fleischlichen Geistes als ein Orakel Christi liebgewinnen 25 . Bucer verweist in den folgenden Ausfuhrungen auf den Konflikt des Apostels Paulus mit den Galatern, der trotz seiner Schärfe nicht zur Verwerfung der Gemeinde durch den Apostel geführt habe 26 . Insofern hält er es für verwunderlich und unangemessen, dass die Wittenberger Theologen bei dogmatischen Streitigkeiten gleich eine Zerstörung des Glaubens und eine Gotteslästerung ausmachen, wenn auch nur irgendein Wort nicht in ihrem Sinne verstanden wird 27 . Denn wer sich wie der Apostel Paulus der menschlichen Schwäche und dem großen Maß an Unwissenheit bewusst sei, das alle Sterblichen umfangen hält, sollte nicht gleich diejenigen als Feinde einer theologischen Wahrheit betrachten, die diese aus Unwissenheit noch nicht erkannt haben. Auch dann nicht, wenn sie diese Wahrheit nicht nur verwerfen, sondern auch mit unkundigem

Cristenlich gemuet, den halten wir für ain lieben bruder vnnd dulden sein Jrrthumb, biß yn gott bessers lert" (ebd., 466,19-22). Die lutherischen Stände waren zu einem solchen Zugeständnis nicht bereit. Sie machten die Einheit von der Zustimmung zur rechten Lehre abhängig. Im 12. Artikel wird in einem Nebensatz kategorisch festgehalten: „[...] weliche obgenannte Artickel vnnd stuck glaubenn vnnd leern [...], do ist die heilige cristenliche kirche" (ebd., 469,14—17). Deshalb war auch Sturms Geheimtreffen nach der Verlesung des Abschieds für Straßburg und Ulm am 2. Dezember mit dem sächsischen Rat Gregor Brück und Brandenburgs Kanzler Georg Vogler von vornherein zum Scheitern verurteilt (vgl. HANS VON SCHUBERT: Bekenntnisbildung [wie Anm. 22], 127-131). Alle Bedenken, die Sturm unter Berufung auf Bucers Gutachten in diesem Treffen anführte, stellten aus der Sicht des 12. Artikels nichts anderes als eine Häresie dar. Das rechte Bekenntnis war zur Grundlage des evangelischen Waffenbundes geworden. Der Tag von Schmalkalden endete dementsprechend mit der Ablehnung der „Schwabacher Artikel" durch die beiden Reichsstädte Straßburg und Ulm. Es wurde ein neuer Tag auf „Drei Könige 1530 in Nürnberg angekündigt, auf dem sich aber nur die Bekenner der 17 Artikel" einfinden sollten (ebd., 136). 24 So etwa in der Berner Disputation von 1528 (vgl. BDS IV, 31-160, hier: 82, 20-23; 83, 7—9; vgl. auch MARTIN GRESCHAT: Martin Bucer. Ein Reformator und seine Zeit 1491-1551, M ü n c h e n 1990,87). 25

BCor IV, Nr. 279, 40,13-15: „[...] is probe Semper cogitet tum sibi tum aliis Omnibus praeter spiritum Christi et carnis spiritum adesse atque ab hoc saepe illum sie effingi, ut quique sanetissimi huius non raro figmenta pro oraculis Christi amplectantur." 2f ' Vgl. ebd., 4 0 , 1 5 - 4 1 , 35. 27 Ebd., 41, 6—11: „Miror autem quosdam, dum hoc loco urgentur ad concordiam, rei de qua controuertitur pondus caussari, cum ipsi alias obijeientibus nobis externa non debere tanti fieri, ut ob ea ecclesia communio scindatur, respondere soleant hic non quid, sed quis loquatur spectandum et fidem subuerti Deumque blasphemari, si quodeunque eius uerbum non suo sensu aeeipiatur."

Die Ehre Christi und der Kampf um die Einheit

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Zorn bekämpfen, da sie von der Ernsthaftigkeit ihrer auf das Gesetz Gottes verweisenden Frömmigkeit überzeugt sind 28 . Da nun einmal alle Menschen dem zarten Hauch der göttlichen Eingebung aufgrund ihrer sinnlichen Natur Widerstand leisten 29 , also auch die Frömmsten für sich den Irrtum nicht ausschließen können, steht es ihnen nach Bucer auch nicht zu, die schwächeren Brüder dem Wüten Satans, dem Widersacher der heiligen Eintracht, auszuliefern 30 . Selbst Menschen, welche die Einheit der Kirche aufgrund dummer und überflüssiger Streitfragen spalten wollen, sollten von einem Diener der Kirche nicht gleich aufgegeben, sondern mit Sanftmut und mit Freundlichkeit behandelt und an die Wahrheit herangeführt werden 31 . Auf jeden Fall sei die Pest der Kirchen zu vermeiden, wie Bucer dann im zweiten Teil seiner Vorrede mit Verweis auf den Kirchenvater Johannes Chrysostomos ausführt, nämlich der eilfertige Ausschluss irrender Brüder 32 .

III. „Normative

Zentrierung"

auf das

Wesentliche

N u n war, darin ist Martin Greschat recht zugeben, „Bucer alles andere als ein Mann des Ausgleichs um jeden Preis" 33 . Und es wäre falsch, seine modern anmutenden Äußerungen zur Fehlerhaftigkeit menschlicher Erkenntnis und den daraus abgeleiteten sanften Umgang mit schwächeren 28 E b d . , 1 9 - 2 5 : „Sed Paulus h u m a n a e conscius imbecillitatis [...], q u a n t u m q u e i g n o rantiae teneat mortales o m n e s [...], h a u d q u a q u a m illos ueritatis, q u a m n o n d u m agnoscere p o t e r a n t , hostes haberi uoluit, u t c u n q u e illam inscientes n o n reijcerent m o d o , sed etiam, qua erant synceritate et erga D e i l e g e m religione, i m p r u d e n t i zelo i m p u g n a r e n t . " 29 E b d . , 43, 37—39: „Praetenuis e n i m illa est, q u a e hic c o n t i n g i t , afflatus superni aura n e c protinus rapit tarn ualide, carne scilicet renitente, h o c est inuicto nobis naturae sensu, q u a m clare m o n s t r a t q u o sit e u n d u m . " Vgl. ebd. 4 4 , 1 . 311 E b d . , 49, 1 - 4 : „Si iam nobis satius est supensa a collo mola d e m e r g i in mare [...], q u a m m i n i m u m a l i q u e m e o r u m , qui in C h r i s t u m c r e d u n t , t a n t u m o f f e n d e r e , q u o m o d o cessurum nobis p u t a b i m u s , h u i u s m o d i pro quibus m o r t e m o p p e t i j t filius D e i , q u a n t u m in nobis est, Satanae p e n i t u s abijcere?" D i e grundsätzlich unterschiedliche G e w i c h t u n g in d e n T h e o l o g i e n Luthers u n d Bucers k a n n auch an der R e d e ü b e r d e n Teufel abgelesen w e r d e n . W ä h r e n d f ü r L u t h e r Satan als W i d e r s a c h e r des „eynerley, einfeltig, gewis u n d sic h e r " m a c h e n d e n W o r t e s f u n g i e r t (WA 26, 265, 2 9 f ) , versteht B u c e r d e n Teufel als „ c o n cordiae uetus disturbator" ( B C o r IV, N r . 279, 39, 2 5 f ) . 31 E b d . , 49, 5 - 1 0 : „ D i u u s Paulus ne haereticos q u i d e m , h o c est factiosos u n i t a t e m q u e ecclesiae o b stultas et superuacaneas quaestiones scindentes, d e s p o n d e r e ilico p e r m i t t i t , sed requirit a s e r u o D o m i n i e a m placiditatem et m a n s u e t u d i n e m , t u m d o c e n d i p r o m p t i t u d i n e m , ut malos q u o q u e tollerare sciat et erudire ueritati obsistentes, si q u a m det illis D e u s p o e n i t e n t i a m ad a g n o s c e n d u m u e r i t a t e m [ . . . ] . " 32 E b d . 5 5 , 1 4 - 1 7 : ,,D[ivus] u e r o C h r y s o s t o m o s q u a m ab e a d e m hac ecclesiarum peste, praepropera e r r a n t i u m f r a t r u m reiectione, a b h o r r u e r i t , n u s q u a m sane n o n manifesto prae se tulit, in s e r m o n e tarnen de a n a t h e m a t e id multis sane et grauissimis uerbis expressit." 33 MARTIN GRESCHAT: M a r t i n B u c e r (wie A n m . 24), 88.

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Brüdern als eine Vorform des modernen Toleranzgedankens zu interpretieren 3 4 . B u c e r konnte, wie Greschat in seiner Biographie weiter ausfuhrt, „auch stürmisch drängen auf die Durchsetzung dessen, was er als Wahrheit erkannt hatte" 3 5 . Gleichwohl gilt es hier nach B u c e r zu unterscheiden zwischen Wahrheiten, die angesichts des unvermeidlichen Dissenses in dogmatischen Streitfragen für das gemeinschaftliche Miteinander von untergeordneter Bedeutung sind, und der Wahrheit, die sich all diejenigen anzueignen haben, die der Kirche Jesu Christi angehören wollen. In Bezug auf die allgemein anzuerkennende Wahrheit reiht sich B u c e r ein in den von den Reformatoren beschrittenen Weg der „normativen Zentrierung" der Theologie auf wesentliche Glaubensgegenstände 3 6 , die 3 4 Ein gegenseitiges Tolerieren im Sinne der modernen Religionsfreiheit lag, wie Hamm jüngst zurecht betont hat, „gerade nicht in der Perspektive der einflußreichen, mit ihren Obrigkeiten kooperierenden Reformatoren. In den gegnerischen Glaubensweisen meinten sie das Wüten Satans und seiner R o t t e n zu erkennen, die nicht nur die Kirche Jesu Christi, sondern alle gute Ordnung in der Welt zu zerstören suchen. Da die Religion das stärkste Band der menschlichen Gemeinschaft bildet, fuhrt — so lautet das allgemeine Axiom — Zwiespalt im Glauben zwangsläufig auch zur Zerrüttung des politischen G e meinwesens. Die Forderung nach allgemeiner Duldsamkeit in Glaubensfragen, wie sie im Ansatz von wenigen Täufern und deutlicher von einigen Spiritualisten und humanistischen Nonkonformisten erhoben wurde, war also aus der Sicht der obrigkeitlichen R e formation eine besonders raffinierte Verfuhrungs- und Zerstörungsstrategie des Teufels" (BERNDT HAMM: Die Stellung der Reformation im zweiten christlichen Jahrtausend. Ein Beitrag zum Verständnis von Unwürdigkeit und Würde des Menschen. In: J B T h 15 [2000], 181—220, 213). Bucers Votum für die duldsame Liebe im innerprotestantischen Abendmahlsstreit verdankt sich nach Hamm „einer theologischen Sachposition [...]: Im Zuge einer Spiritualisierung des Abendmahls wird das Gewicht von den äußeren Zeichen und dem Wortlaut der Einsetzungsworte genommen; der ganze Nachdruck fällt nun auf die glaubende Vergegenwärtigung der Heilstat Christi und die damit durch den Hl. Geist geschenkte Abendmahlsgabe der brüderlichen Liebe. Demgegenüber erscheint die Differenz im Verhältnis der Einsetzungsworte als Streit um Unwesentliches und unnötiger Zank um Worte" (ebd., 212, Anm. 87). Ergänzend sei hinzugefugt, dass Bucers irenischer Kurs im R a h m e n der „obrigkeitlichen Reformation" über den Bereich der Abendmahlskontroverse hinausreicht, wie HAMM jetzt auch selbst betont (siehe unten S. 85—106). Er liegt meiner Meinung nach in der Fluchtlinie seines gesamttheologischen Ansatzes, „daß nämlich in der konkreten Wahrnehmung von Liebe für den anderen in den realen Strukturen der Gesellschaft die Ehre Gottes verwirklicht werde" (MARTIN GRESCHAT: D e r Ansatz der Theologie Martin Bucers. I n : T h L Z 103 [1978], 8 1 - 9 6 , hier: 90). 35

MARTIN GRESCHAT: M a r t i n B u c e r (wie A n m . 2 4 ) , 8 8 .

Zentrierungsvorgänge sind im 15. und 16. Jahrhundert nicht nur auf den Bereich der Religion begrenzt. Das „Syndrom normativer Zentrierung" (BERNDT HAMM: R e f o r mation als normative Zentrierung [wie Anm. 20], 242) ist auch in der Politik, im R e c h t , in der Kultur und in der Kunst dieses Zeitraums feststellbar (vgl. ders.: Von der spätmittelalterlichen reformatio [wie Anm. 20], 41—52, 5 9 - 6 1 ; ders.: Normative Zentrierung [wie Anm. 20], 177—190). Unter der Interpretationskategorie „normative Zentrierung" verstehe ich deshalb mit Hamm „die Ausrichtung von Religion und Gesellschaft auf eine orientierende und maßgebende, regulierende und legitimierende Mitte hin. Dieses Z e n trum - etwa die Erlösungskraft der Passion Christi oder die Wahrheitsnorm der Heiligen Schrift - kann durchaus als vieldimensional verstanden werden und in Wechselbeziehun36

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er in der Vorrede zu seinem Evangelienkommentar mit der Aussage zusammenfasst, dass derjenige fiir ein würdiges Glied der heiligen G e m e i n schaft gehalten werden muss, der bekenne, dass der Herr Jesus Christus im Fleisch gekommen sei, und zwar als wahrer Gott und wahrer Mensch, und dass einzig er unser Heil bewirkt habe 3 7 . In dem am 26. Januar verfassten B r i e f lässt B u c e r Blaurer wissen, dass er sich hinsichtlich dogmatischer Wahrheitsansprüche damit zufrieden gibt, wenn man sich gemeinschaftlich dazu bekennt, dass unser Leben Gott gehört und dass es durch den Erlöser Jesus Christus erworben wurde 3 8 . W e m es gegeben ist, diese Wahrheit anzuerkennen, sie zu empfinden und von ganzem Herzen zu suchen, der gehört zu Christus und ist mit dem ewigen Leben beschenkt; und zwar unabhängig davon, was für Irrtümer und Laster ihm immer noch anhaften 3 9 . Mit dieser Konzentration auf das Wesentliche erweist sich B u c e r einerseits als ein Vertreter der reformatorischen ,,,Sola'-Theologie" 4 0 , die sich durch ihre Fixierung auf zentrale dogmatische Topoi scharf abgrenzte gegen die „plurale Zusammengesetztheit des spätmittelalterlichen N o r m v e r ständnisses" 41 . Andererseits aber bleibt er mit seinem Wahrheitsverständnis, das durch eine abgestufte Wertigkeit gekennzeichnet ist, in gewisser Weise der spätmittelalterlichen Tradition, ihrer Pluralität und ihrem Gradualismus meiner Ansicht nach wohltuend verbunden 4 2 . D e n n so konnte er die im Abendmahlsstreit anzutreffende Tendenz, für alle dogmatischen Topoi denselben normativen Geltungsanspruch zu erheben, unterlaufen. Mit seinem diffenzierten Wahrheitsverständnis war es ihm möglich, Außenseiter, die gen zu anderen dominanten Zentren des Lebens stehen: die N o r m von Schrift und B e kenntnis beispielsweise in Beziehung zum Normierungsanspruch der politischen O b r i g keiten" (ders.: Normative Zentrierung [wie Anm. 20], 164). 3 7 B C o r IV, Nr. 2 7 9 , 48, 3 4 - 3 7 : „ [ . . . ] nullos prorsus nostro consortio et sacra c o m m u nione indigno habebimus, qui D o m i n u m Jesum Christum uenisse in carne, uerum D e u m uerumque h o m i n e m et unum salutem nostram perfecisse confiteri ex animo uideri p o terunt [ . . . ] . " 3 8 Ebd., Nr. 273,13,11—16: „Inde agnoscendum semel erat, quantum ad dogmata attinet, contentos nos esse oportere, cum datum fuerit conuenire in primis confiterique nos in comuni, vitam Dei apertam comparatamque esse nobis per seruatorem nostrum Jesum Christum, vt quicumque Christi sunt, eius acti spiritu illam meditentur cottidie [ . . . ] . " 3 9 Ebd., 20—22: „Profecto enim Christi est et aeterna vita donatus, cuicumque tantum agnoscere, sentire et ex animo quaerere datum fuerit, quicquid praeterea errorum et vitiorum ei adhaereat." 4 0 BERNDT HAMM: R e f o r m a t i o n als normative Zentrierung [wie Anm. 20], 2 6 0 . 4 1 Ebd., 2 6 1 . 4 2 Z u m Gradualismus und zur Pluralität in der spätmittelalterlichen Theologie und Kirche vgl. GERHARD MÜLLER: Gradualismus. In: Deutsche Vierteljahresschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 2 (1924), 6 8 1 - 7 2 0 ; BERNDT HAMM: Einheit und Vielfalt der R e f o r m a t i o n - oder: was die R e f o r m a t i o n zur R e f o r m a t i o n machte. In: Berndt H a m m / B e r n d M o e l l e r / D o r o t h e a Wendebourg: Reformationstheorien, G ö t t i n gen 1995, 5 7 - 1 2 7 , hier: 6 9 - 7 1 ; ders.: Von der Gottesliebe des Mittelalters zum Glauben Luthers. Ein Beitrag zur Bußgeschichte. In: Lutheijahrbuch 65 (1998), 1 9 - 4 4 , hier: 2 8 - 3 0 .

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die beginnende reformatorische Lehrbildung in ihrer Gesamtheit nicht teilen konnten, als Brüder anzuerkennen, insofern sie in der zentralen Wahrheitsfrage zustimmen konnten. B u c e r ging hier einen anderen Weg als Luther, der um der Gewissheit des Evangeliums willen keine Abstufungen und schon gar nicht Mehrdeutigkeiten in Wahrheitsfragen zulassen konnte. So hielt Luther im Abendmahlsstreit unmissverständlich fest: „Aber den text ym abendmal wollen wir eynerley, einfeltig, gewis und sicher haben ynn allen Worten, syllaben und buchstaben." 4 3 Für den sächsischen Theologen konnte es nur dieses „eynerley, einfeltig, gewis"-Verständnis des Textes, nur die Herausstellung der einen Wahrheit geben, als deren Verkünder er sich infolge seines (aus seiner Sicht) inspirierten Wahrheitsbewusstseins betrachtete 4 4 . Eine graduelle Abstufung von Wahrheit wie sie bei Bucer anzutreffen ist, die Irrtümer und Unkenntnis im Namen der Liebe duldet, konnte es mit ihm nicht geben. D e n n das hätte aus seiner Sicht die R e i n h e i t der Lehre gefährdet und dem Teufel, dem Vater aller Uneinigkeit, in die Hände gespielt 4 5 . Die Mehrheit der Reformatoren folgte in der Wahrheitsfrage dem unduldsamen Wittenberger Professor und verankerte die „Wahrheit allein in der R e i n h e i t des Wortes und der Lehre (und nicht des Lebens)" 4 6 . Deshalb war es nur folgerichtig, dass die lutherische Fraktion der Speyerer Protestanten nach dem Marburger Religionsgespräch auf dem Schwabacher Konvent Mitte O k t o b e r und dem Tag von Schmalkalden Anfang Dezember 1529 daran ging, die reformatorische Bewegung zu einer „Kirche der rechtgläubigen L e h r e " 4 7 zu transformieren. Mit dieser dogmatischen Zentrierung WA 26, 2 6 5 , 2 9 f . Vgl. hierzu die klassische, neu aufgelegte Studie von LUCIEN FEBVRE: Martin Luther (1928), hg., neu übersetzt und mit einem Nachwort von Peter Schöttler, Frankfurt-New York 1 9 9 6 , 1 0 6 . Zu den Folgen eines derart exklusiv-inspirierten Wahrheitsbewusstseins schreibt Febvre: „Eine solche Uberzeugung, vor allem wenn sie völlig ungebrochen ist, verleiht einem Mann ohne sonderlich kritischen Geist, und der auch kein Bedürfnis danach verspürt, eine unwiderstehliche Kraft. Anders und kritisch betrachtet, bedeutet sie auch eine Schwäche. Nämlich die absolute Unfähigkeit, sich in das Denken und Fühlen anderer zu versetzen. Verstimmung über j e d e n Einwand. U n d bald darauf: Arger und Wut gegenüber allen Opponenten: Sie sind Gegner, Feinde Luthers, vor allem aber Feinde der Wahrheit, denn Luther ist der erleuchtete Herold der göttlichen Wahrheit auf Erden" (ebd.). 43 44

4 5 Weil sich Karlstadt, Zwingli und Ökolampad in ihrer Interpretation der Abendmahlsüberlieferung widersprachen, stand für Luther fest: „So schliesse ich frey, das der teuffel, aller Uneinigkeit vater, sey yhr lerer" (WA 26, 2 6 5 , 31f; vgl. ebd., 2 6 6 , 2 4 f ) . Am „Primat der Lehre vor dem L e b e n " (JOHANNES WALLMANN: Kirchengeschichte Deutschlands seit der R e f o r m a t i o n , 3. Aufl., Tübingen 1 9 8 8 , 1 0 5 ) hielt Luther bis zuletzt fest. In einer Predigt von 1537 verkündet er: „ D e n wo die lehre falsch ist, do kan dem nicht geholffen werden. W o aber die lehre rein bleibet und erhaltten wirdt, do kan man dem leben und dem sunder noch wohl rathen" (WA 47, 290,7—9). 4 6 BERNDT HAMM, R e f o r m a t i o n als normative Zentrierung (wie Anm. 20), 258f. 47

HANS VON SCHUBERT: B e k e n n t n i s b i l d u n g ( w i e A n m . 2 2 ) , 1 3 0 .

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auf die von Melanchthon im Sommer 1529 in Schleiz bei H o f verfassten „Schwabacher Artikel" nahmen die Lutheraner die Spaltung der protestantischen Reichsstände bewusst in Kauf. D e n n mit den Statthaltern des Teufels, den Verächtern der reinen Lehre, paktiert man nicht. Schon gegen Ende Dezember nahm Straßburg deshalb Bündnisverhandlungen mit den Schweizer Städten Basel, B e r n und Zürich auf. Am 5. Januar 1 5 3 0 folgte dann der Beitritt der elsässischen Metropole in das „Christliche Burgrecht" der Schweizer Städte, was Bucer, wie er Zwingli am 12. Januar 1 5 3 0 schreibt, mit Erleichterung zur Kenntnis nahm 4 8 . D o c h was hieß das für sein Streben nach der Einheit der reformatorischen Bewegung? Die Reichsstadt Straßburg mag sich zwar „eine Rückendeckung verschafft" haben, „die ihr eine große Sicherheit bei der Behandlung der auf sie zukommenden Probleme b o t " 4 9 . Aber das Bündnis mit den Schweizern war zugleich ein Affront für die Lutheraner. Hatten diese doch die Schweizer als Bündnispartner seit Marburg faktisch abgeschrieben 5 0 . Waren damit nicht auch Bucers Träume von der Einheit der reformatorischen B e w e gung ausgeträumt? Woher nahm er die Zuversicht, dass eine Einheit der nun auch politisch getrennte Wege gehenden Protestanten immer noch realisiert werden kann?

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Vgl. B C o r IV, Nr. 2 7 0 , 3, 2f.

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M A R C LIENHARD/JAKOB WILLER: Straßburg (wie A n m . 15), 2 1 4 .

Das verdeutlichen auch Melanchthons Äußerungen in einem Sondergutachten zum Widerstandsrecht gegen den Kaiser (vgl. C R 2, Nr. 666,20—22; vgl. hierzu WILHELM H. NEUSER: Die Abendmahlslehre Melanchthons in ihrer geschichtlichen Entwicklung [ 1 5 1 9 - 1 5 3 0 ] , Neukirchen-Vluyn 1968, 4 1 8 - 4 2 0 ) . Es diente wahrscheinlich als Vorlage für Luthers Hauptgutachten vom 6. März 1530 (vgl. WA B r 5, Nr. 1 5 3 6 , 2 4 9 - 2 6 2 ; zur D a tierung vgl. HEINZ SCHEIBLE: Das Widerstandsrecht als Problem der deutschen Protestanten 1 5 2 3 - 1 5 4 6 , Gütersloh 1969, 57, Anm. 182; für eine Abfassung im Juli/August 1530 plädiert DIETHELM BÖTTCHER: Ungehorsam oder Widerstand? Z u m Fortleben des mittelalterlichen Widerstandsrechts in der Reformationszeit [ 1 5 2 9 - 1 5 3 0 ] , Berlin 1 9 9 1 , 1 8 2 ) . Melanchthon holt in seinem Gutachten zum Schlag gegen die Zwinglianer aus, die für ihn „nicht nur Gegner im Abendmahlsstreit, sondern vor allem politische Gegner" sind (WILHELM H . NEUSER: Abendmahlslehre, 4 1 9 f ) . Im Falle einer Niederwerfung des Kaisers und der Altgläubigen wäre aus seiner Sicht ein Krieg mit ihnen unvermeidlich, da sie noch weniger als die Papisten dulden würden, dass die Gemeinden wieder rite geführt werden. Zudem hätten ihre Prediger den Bauernaufstand unterstützt und ereifern sich nun, dieses Beispiel zu wiederholen. Zwingli rufe öffentlich zur Waffengewalt gegen den Kaiser auf und die Straßburger hielten nach einem „Antiochus" Ausschau, gemeint war Landgraf Philipp von Hessen, um durch ihn das R e i c h und die Kirche noch mehr zu verwirren (vgl. C R 2, 2 1 f ) . Für Neuser ist eine „schärfere Verurteilung der Zwinglianer, als Melanchthon sie in diesen Monaten vor dem Augsburger Reichstag ausspricht, [...] kaum denkbar" (WILHELM H. NEUSER: Abendmahlslehre, 419). Zwingli und seine Anhänger hielt Melanchthon für „Aufrührer" (ebd.), die es mit allen Mitteln zu bekämpfen galt. 5,1

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IV Die Macht und Ehre Gottes und die Erkenntnis seiner Wahrheit Hier kommt meiner Meinung nach der dritte Gesichtspunkt seiner theologischen Überlegungen zum Tragen: die Uberzeugung, dass das bisherige Scheitern der Einheit Gottes Wille ist. Gott habe es so gewollt, schreibt B u c e r zwei W o c h e n nach dem Marburger Religionsgespräch an Blaurer. Gott wollte, dass der fromme hessische Landgraf nichts unversucht ließ, um Einigkeit zu schaffen, die dann von der Art war, dass die W i t t e n berger sie einträchtig zurückwiesen 5 1 . B u c e r ist ein theozentrisch denkender Theologe. In unserem Zusammenhang verstehe ich darunter zweierlei: Bucers theozentrische Theologie ist zunächst dadurch gekennzeichnet, dass für sie jeder Bereich der W i r k lichkeit mit dem göttlichen Willen verbunden werden muss. Kein Bereich der Wirklichkeit darf von Gott abgetrennt werden. Menschliche Handlungen sind für B u c e r deshalb immer auch Niederschläge des göttlichen W i r kens in der Geschichte. Für unseren Zusammenhang heißt das, dass er auch hinter dem Scheitern des Marburger Religionsgesprächs und dem politischen Auseinanderdriften der reformatorischen Parteien seit dem Schwabacher Konvent eine Absicht des allmächtigen Lenkers der Geschichte annimmt. D e r theologische Rekurs auf die gubernatio Dei ist für B u c e r auch deshalb unbedingt notwendig, weil damit die Macht und Ehre des dreieinigen Gottes festgehalten wird. Bei „got allain" soll „glawb, gaist vnnd was gutt ist gesucht werden" 5 2 , schärft er den Lesern seines Anfang November 1 5 2 9 verfassten Gutachtens über die „Schwabacher Artikel" ein. W o in den 17 Artikeln die „macht gottes" 5 3 im Beziehungsgeschehen zwischen Gott und Mensch beschnitten wird und menschliches Handeln auch nur den Anschein einer Heilsmitwirkung eingeräumt bekommt, erhebt B u c e r Einspruch 5 4 . A u f die Macht und Ehre Gottes gilt es aus Sicht des Straßburger Theologen zu achten. U n d dieser theozentrische Zug in seiner T h e o logie hat unmittelbare Konsequenzen für seine Überlegungen zur Einheit der reformatorischen Bewegung.

51 B C o r III, Nr. 257, 332, 3f: „Pius ille Princeps nihil omisit, quo in concordiam redigeret nos, quorum erat alios co[n]cordes reddere. Sed visum D o m i n o est, [ . . . ] . " 5 2 B D S III, 458, 7f. 5 3 B D S III, 458, 22. 5 4 So wittert er zum Beispiel im Verweis des 7. Artikels, dass es neben dem „predigt ambt oder muntlich wort" (ebd., 457, 11) keine „annder mittl noch weyß, weder wege noch stege" gebe, „den glauben zubekumen" (ebd., 15—17), eine Einschränkung der „macht gottes", die das Amt und das Wort ähnlich sakralisiert wie die Altgläubigen die „hailligen" und „gemelt" (ebd., 4 5 8 , 2 2 f ) .

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So schärft Bucer im ersten Teil seiner Vorrede zum Evangelienkommentar seiner Leserschaft unmissverständlich ein: Keine Kreatur hat es in der Hand, dass andere die Wahrheit annehmen. Denn das Zurückhalten oder die Verbreitung seiner Wahrheit bleibt Gott allein vorbehalten 55 . Der Geist Gottes ist es, der den Schleier bei denen wegzieht, deren Geist gerade verdunkelt ist 56 . Gott ist bei Bucer Subjekt der Erkenntnis und der Wahrheit. Daraus leitet er im Umkehrschluss in seinem Brief vom 26. Januar die Uberzeugung ab, „non nostrum esse veritatem nobis mutuo persuadere" 57 . Verallgemeinert ausgedrückt und die vorhergehenden Ausfuhrungen aufnehmend, fasse ich den Standpunkt des Straßburger Reformator so zusammen: Es kann nicht Aufgabe der in ihrer Erkenntnisfähigkeit beschränkten Menschen sein, sich gegenseitig in die Wahrheit zu überfuhren 5 8 . Für die Erkenntnis der Wahrheit ist nach Bucer ganz allein Gott zuständig. U n d Gott ist es vorbehalten, seiner Wahrheit Geltung zu verschaffen, wo und wann er will. Alle Menschen sind, wenn es um die Frage der Wahrheit geht, daher nur passive Empfänger 59 . Dieser theozentrische Zug in seiner T h e o logie ist ein wesentlicher Grund für Bucers ablehnende Haltung gegenüber dogmatischen Eiferern, die bei Meinungsverschiedenheiten gleich das Ganze der Wahrheit gefährdet sehen. Denn diese nehmen in ihrem Eifer um irgendein Dogma oft einen Platz ein, der nicht ihnen, sondern Gott gebührt. Erkenntlich wird die menschliche Anmaßung für Bucer dann, wenn die um die Reinheit der Lehre besorgten Dogmatiker, wie er im Brief an Blaurer weiter ausführt, die „dilectionis officia", die Pflichten der Liebe gegenüber denjenigen elendiglich vernachlässigen, die anderer Meinung sind oder nicht vollständig mit ihnen übereinstimmen 60 . 55 B C o r IV, N r . 2 7 9 , 41, 2 9 - 3 5 ( H e r v o r h e b u n g e n R . L ) : „Vt igitur in nullius c r e a t u r a e m a n u erat, h a n c illis u e r i t a t e m , differente suam doctrinam Deo, p e r s u a d e r e , ita nihil p o t u i t circa eos fieri salubrius, q u a m q u o d p r a e c e p i t Paulus, n e m p e q u o d n i h i l o m i n u s fratres a g n o s c e r e n t u r et c o n t e n t i o s i s d i s p u t a t i o n i b u s m i n i m e e x a g i t a r e n t u r . N i h i l s i q u i d e m aliud, si eos, q u i saniores e r a n t , d i s p u t a t i o n i b u s ursissent, n o n d u m d o c e n t e Deo, a quo doceri uniuersos oportet [ . . . ] , q u a m n o x i a m c o n t e n t i o n e m p e p e r i s s e t . " 56

E b d . , 42, 13f: „ [ . . . ] q u a m Spiritus D e i , q u o d i p s o r u m m o d o m e n t e s o b t e g i t u e l a men, submouerit." 57 Ebd., Nr. 273,12,25. 58 Das schließt f ü r B u c e r n i c h t aus, dass w i r uns ü b e r die f ü r w a h r b e f u n d e n e n S t a n d p u n k t e a u s t a u s c h e n u n d g e g e n s e i t i g b e l e h r e n (vgl. e b d . , N r . 2 7 9 , 4 0 , 3 4 f ) . B e i e i n e r solc h e n B e l e h r u n g d ü r f e n w i r d a n n freilich n i e vergessen, dass w i r vielleicht selbst d o r t i r r e n , w o w i r g l a u b e n , dass es die a n d e r e n t u n (vgl. e b d . , 4 2 , 4 f ) . 59 D a k e i n M e n s c h v o n sich b e h a u p t e n k a n n , g e g e n I r r t ü m e r i m m u n zu sein (vgl. e b d , 5 f ) , bleibt die aktive R o l l e d e r C h r i s t e n in d e r W a h r h e i t s ü b e r f ü h r u n g letztlich auf die B i t t e u m E r l ö s u n g v o m I r r t u m d u r c h d e n Geist Jesu C h r i s t i b e s c h r ä n k t (vgl. e b d . , 4 4 , I I IS; siehe u n t e n S. 92). U n d a u c h h i e r sollten die B e t e n d e n n i c h t vergessen, ihre e i g e n e n I r r t ü m e r in die B i t t e m i t e i n z u s c h l i e ß e n . 60 B C o r IV, N r . 2 7 3 , 12, 1 8 - 2 1 : „ E x p e r t u s q u o q u e s u m in multis c e r t e m i n i m e a b i j ciendis f r a t r i b u s , d u m n o n n i h i l d e t r i t j s u n t in a l i q u o d o g m a t e , sie illud adamavere, sie p u -

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Sobald also dogmatische Standpunkte wichtiger genommen werden als die Pflichten der Liebe, liegt eine Missachtung der Macht und Ehre Gottes vor. Die „macht gottes", deren Achtung das zentrale theologische Anliegen von Bucer ist, steht ganz im Dienst seiner Theologie der kirchlichen Einheit. Wer diese Einheit wie die Wittenberger Theologen wegen dogmatischer Fragen leichtfertig aufs Spiel setzt, verletzt die „macht gottes", dem allein die Ehre gebührt, durch den Heiligen Geist seine getauften Kinder in den Stand der Kenntnis seiner Wahrheit zu versetzen.

V Die Offenbarungspädagogik und die Pflichten

Gottes

der Liebe

Die Pointe der Bucerschen Theozentrik ist ihre ethische Abzweckung 61 , die ihre wesentliche Funktion darin hat, der Bewahrung der kirchlichen Gemeinschaft trotz des Vorhandenseins dogmatischer Differenzen zu dienen. Als theologische Achse, die diese ethische Abzweckung trägt und legitimiert, meine ich beim Straßburger Reformator innerhalb des von mir untersuchten Zeitraums einen Vorsehungsglauben ausmachen zu können, der sich durch die Vorstellung von einer göttlichen Offenbarungspädagogik auszeichnet. Bucers Verweis, dass es nicht die Aufgabe der Menschen sei, andere von der Wahrheit zu überzeugen, habe ich zunächst nur mit einem Aspekt seines theozentrischen Denkens erklärt, dem des Drängens auf die Macht und Ehre Gottes. In seinem Brief an Blaurer vom 26. Januar 1530 kommt aber auch der andere Aspekt zum Tragen; und zwar der, dass kein Bereich unserer Wirklichkeit von Gott und seinem providentiellen Wirken in der Geschichte abgetrennt werden kann. In diesem für das Verständnis seines Vorsehungsglaubens wichtigen D o kument erklärt Bucer seinem Konstanzer Freund, dass er den dogmatischen Eifer, andere von der Wahrheit zu überzeugen, unter anderem auch deshalb für unangebracht hält, weil der himmlischer Vater es bisher immer so gehalten habe, das Seine nicht allen in gleicher Weise zu enthüllen 62 . Bucer schlussfolgert hieraus eine göttliche Absicht: Gott enthüllt bzw. offenbart das Seine nicht allen in gleicher Weise, damit sich ein jeder, dem tavere veritatis perspicuae, vt n o n q u e a n t n o n persaepe dilectionis officia misere praeterire erga eos qui illis dissentiunt, aut n o n plane assentiunt." 61 Z u r ethischen A u s r i c h t u n g der T h e o l o g i e Bucers vgl. MARTIN GRESCHAT: T h e o l o gie M a r t i n Bucers (wie A n m . 34), 8 8 - 9 2 ; ders.: M a r t i n B u c e r (wie A n m . 24), 6 8 - 7 1 . 62 B C o r IV, N r . 2 7 3 , 1 2 , 25f: „[•••] n o n n o s t r u m esse v e r i t a t e m nobis m u t u o p e r s u a dere, et solitum Semper fuisse P a t r e m coelestem n o n pariter o m n i b u s sua reuelare [ . . . ] . "

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Beispiel Christi folgend, den Unverständigen und Unerfahrenen gleichmache. U n d dies mit umso größerem Eifer, je mehr er mit der wahren himmlischen Weisheit beschenkt worden ist 63 . Dogmatische Differenzen sind für Bucer nicht nur eine unausweichliche Folge menschlicher Erkenntnisschwäche. Sie sind von Gott so gewollt. Sie sind das Resultat einer göttlichen OfFenbarungspädagogik, die dem Ziel dient, dass sich diejengen, denen Gott mehr von seiner Wahrheit offenbart hat, in Demut denen gleichmachen, die an diesem Offenbarungsgeschehen noch nicht teilhaben. Der dem göttlichen Wirken zu verdankende Zuwachs an Wahrheit beinhaltet nach Bucer bei den Adressaten der göttlicher Zuwendung also zugleich eine ethische Haltung, die auf dogmatische Besserwisserei oder gar Zwang verzichtet und die tatsächliche Pluralität dogmatischer Positionen in der Kirche als Ausdruck des göttlichen Wirkens in der Geschichte akzeptiert 64 . Der Verweis auf Gottes providentielles Wirken in der Geschichte, das mit seiner Offenbarungspädagogik auf die Erfüllung der „officia dilectionis" abziele, stellt in Bucers Überlegungen zur Einheit der reformatorischen Bewegung nach dem Marburger Religionsgespräch eine wichtige theologische Legitimationsbasis neben der Schrift- und Väterauslegung dar. Mehr noch: Im Kontext seines theozentrischen Denkens werden Bucers Vorstellungen von der gubernatio Dei zum theologischen Bezugspunkt, wenn es darum geht, den Vorrang der Erfüllung der Pflichten der Liebe vor dogmatischen Wahrheitsansprüchen zu behaupten. Freilich argumentiert Bucer mit der Schrift, um das in der Vorrede zum Evangelienkommentar angeführte Argument seiner Gegner, dass der Glaube durch

63 E b d . , 2 6 - 2 9 : „ [ . . . ] P a t r e m coelestem n o n pariter o m n i b u s sua reuelare, q u o C h r i s t i e x e m p l o q u i s q u a m insipientibus et rudibus sese a c c o m o d e t [...], t a n t o q u e id studiosius, q u a n t o vera et coelesti sapientia f u e r i t d o n a t u s a m p l i o r e . " 64 E i n s c h r ä n k e n d muss h i n z u g e f u g t w e r d e n , dass es f ü r B u c e r m i t d e n Altgläubigen in der Z e i t zwischen d e m M a r b u r g e r R e l i g i o n s g e s p r ä c h u n d d e m A u g s b u r g e r R e i c h s t a g keine G e m e i n s c h a f t g e b e n k o n n t e . Sie standen a u ß e r h a l b seiner Einheitsvorstellungen. Das w i r d an d e r u n t e r s c h i e d l i c h e n B e w e r t u n g v o n M e l a n c h t h o n u n d Erasmus von R o t terdam ersichtlich. In e i n e m a m 4. M ä r z 1530 verfassten B r i e f lässt B u c e r Blaurer wissen, dass fiir i h n b e i d e n u r auf die G u n s t des Kaisers schielen (vgl. ebd., N r . 276, 24, l f ) . M i t Erasmus b e f a n d er sich zu dieser Z e i t i m Streit, weil dieser in seiner im J a n u a r 1530 e r s c h i e n e n e n „Epistola contra pseudevangelicos [ . . . ] " die V e r ö f f e n t l i c h u n g v o n B u c e r s P s a l m e n k o m m e n t a r u n t e r e i n e m P s e u d o n y m als u n s ü h n b a r e s V e r b r e c h e n verurteilt hatte (vgl. ebd., N r . 2 7 3 , 1 4 , 1 2 f ) . W ä h r e n d B u c e r n u n aber viel daran liegt, M e l a n c h t h o n nicht fallen zu lassen, stellt Erasmus für i h n in dieser Z e i t e i n e n Feind dar. In dessen Loyalität g e g e n ü b e r d e m Kaiser m e i n t er d e n Ausfluss einer egoistischen M o t i v a t i o n a u s m a c h e n zu k ö n n e n (vgl. ebd., 2 3 , 1 - 3 ; 2 4 , 2 f ) . D i e A n n ä h e r u n g an d e n Kaiser bei M e l a n c h t h o n i n t e r pretiert B u c e r d e m g e g e n ü b e r als ein E i n t r e t e n für d e n ö f f e n t l i c h e n F r i e d e n . M a g sich d e r W i t t e n b e r g e r h i e r d u r c h d e m r e c h t e n Lauf des E v a n g e l i u m s in d e n W e g stellen, so bleibt er f ü r B u c e r i m Gegensatz zu Erasmus als zeitweilig v e r i r r t e r R e p r ä s e n t a n t des r e f o r m a t o rischen Lagers w e i t e r h i n ein W e r k z e u g der G n a d e G o t t e s (vgl. ebd., 24,1—5).

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die Liebe nicht beleidigt werden dürfe 6 5 , zu entkräften. Freilich hört er nicht auf, beinahe gebetsmühlenartig auf das Beispiel Christi zu verweisen, das es anzusehen und dem es zu folgen gelte 6 6 . Als theozentrisch denkender Theologe war es j e d o c h seine offenbarungstheologische Konzeption der gubernatio Dei, die ihm die Gewissheit verlieh, theologisch auf dem richtigen Weg zu sein. Es war seine Deutung des göttlichen Offenbarungswirkens in der Geschichte, die ihm die Gewissheit verlieh, dass der Erfüllung der Pflichten der Liebe im Sinne des Beispiels Christi allemal ein h ö herer Stellenwert einzuräumen ist als dogmatischen Wahrheitsansprüchen.

VI. Resümee Bucers theologische Überlegungen zur Einheit des reformatorischen Lagers nach dem Marburger Religionsgespräch zeichnen sich durch eine beeindruckende Geschlossenheit aus. Seine anthropologischen Erwägungen, seine normative Zentrierung des Glaubens auf das Wesentliche und die theozentrische Ausrichtung seiner Theologie dienen alle dem einen Ziel: der Bewahrung der Einheit trotz unvermeidlicher dogmatischer D i f ferenzen. Die Pointe seines in der Korrespondenz anzutreffenden Vorsehungsglaubens ist, dass er durch den Verweis auf die göttliche Offenbarungspädagogik die Konflikte, welche die Einheit gefährden, theologisch zu einer Notwendigkeit erklären konnte, damit die Pflichten der Liebe von denjenigen ausgeübt werden, denen Gott mehr an Erkenntnis und Weisheit offenbart hat. Das war nicht nur eine intellektuelle Glanzleistung des Straßburger Theologen, der so das Auseinanderdriften des reformatorischen Lagers als Ausdruck der von Gott gewollten Einheit interpretieren konnte. Seine offenbarungspädagogische Auslegung der gubernatio Dei diente auch der Selbstvergewisserung, trotz all der Rückschläge auf dem richtigen, der Macht und Ehre Gottes dienenden Weg zu sein. B u c e r war sich wohl durchaus bewusst, dass er mit seinen theologischen Überlegungen zur Einheit der reformatorischen Bewegung eine A u ß e n seiterrolle einnahm. Im B r i e f an Blaurer vom 26. Januar beklagt er sich darüber, dass er bisher nur wenige gefunden habe, die seine Sicht der Dinge

6 5 Vgl. ebd., Nr. 2 7 9 , 5 4 , 7f. Ein eindrückliches Bild des Streites um das Verhältnis von Glauben und Liebe im Diskurs der reformatorischen Ratsschreiber vermittelt BERNDT HAMM: Die reformatorische Krise der sozialen Werte — drei Lösungsperspektiven zwischen Wahrheitseifer und Toleranz in den Jahren 1525 bis 1530. In: Die deutsche R e f o r mation zwischen Spätmittelalter und Früher Neuzeit, hg. v. Thomas A. Brady, München 2 0 0 1 , 9 1 - 1 2 2 (Schriften des Historischen Kollegs, Kolloquien 50). 6 6 Vgl. B C o r IV, Nr. 279, 5 4 , 1 0 - 1 7 ; Nr. 2 7 3 , 1 2 , 2 6 f u.ö.

Die Ehre Christi und der Kampf um die Einheit

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teilen 67 . U n d den Ulmer Prediger Konrad Sam lässt er in einem Brief vom 4. April 1530 wissen, dass ihr Schicksal von der Art sei, dass sie, wenn sie die Wahrheit sagen, von Ratsherren, die Christus nicht ganz angehören wollen, als Aufrührer, von gering Gebildeten aus dem Volk jedoch als Mitläufer eingestuft werden 68 . Uberzeugt davon, dass Sam wie er in jeder Beziehung die Ehre Christi zum Ziel haben, schließt Bucer sein als Trost gedachtes Lamento mit den Worten ab, dass er und Sam nicht hier, sondern in der Zukunft Leben, Güter, Ehre und Wonne zu erwarten haben 69 . Diesen Zeilen und der gesamten Korrespondenz im untersuchten Zeitraum ist zu entnehmen, dass sich Bucer zu denjenigen zählte, die Gott mehr mit seiner Weisheit und Wahrheit beschenkt hat. So problematisch diese aus heutiger Sicht subjektive Sichtweise sein mag, so wenig ist es nach den bisherigen Ausfuhrungen angebracht, hier gleich eine Durchkreuzung der ansonsten durchaus bedenkenswerten theologischen Überlegungen zur kirchlichen Einheit feststellen zu müssen, wie das Greschat in seiner Bucerbiographie tut 70 . Bucers Uberzeugung ist eingebettet in einer theologischen Konzeption, die gerade von denjenigen ein der N o r m der Nächstenliebe gemäßes Verhalten verlangt, die glauben, mehr als die anderen mit der göttlichen Wahrheit beschenkt worden zu sein. Nimmt er seine Überlegungen zur Einheit in seiner Korrespondenz ernst, dann ist ein überhebliches oder gar feindliches Verhalten gegenüber anderen Theologen ausgeschlossen. Denn dann würde er die göttliche Offenbarungspädagogik durchkreuzen, deren Ziel es ist, sich dem Nächsten gleichzustellen, um ihm so auf derselben Augenhöhe dienen zu können. Mit diesen Ausführungen glaube ich, die von mir zu Beginn gestellte Frage beantworten zu können, ob Bucers Selbsteinschätzung, der Ehre Christi gedient zu haben und zu wissen, dem nie ganz gerecht geworden zu sein, ein Zeugnis der Überheblichkeit darstellt oder ein aufrichtiges Eingeständnis der Mitverantwortung am zerstrittenen Erscheinungsbild des reformatorischen Lagers vor dem Augsburger Reichstag. Von arroganter Überheblichkeit kann angesichts seiner theologischen Überlegungen nicht die Rede sein. Andererseits darf die Bucersche Selbsteinschätzung aber auch nicht so verstanden werden, dass er sich hier eine bewusst schuldhafte Mitverantwortung für die deprimierende Lage nach dem Marburger Religionsgespräch eingesteht. Bucer wähnte sich theologisch auf der richtigen Seite. Gleichwohl war es, wie gesagt, gerade diese Überzeugung, die ihn dazu antrieb, unermüdlich für eine Einheit unter den Pro67 Vgl. ebd., N r . 2 7 3 , 1 2 , 24f: „ P e r p a u c o s e q u i d e m a d h u c repperi, qui satis velint p e r pendere, non n o s t r u m esse v e r i t a t e m nobis m u t u o persuadere, [ . . . ] . " 68 Vgl. ebd., N r . 2 8 2 , 7 1 , 4 - 6 . 69 E b d . , 9f: „ N o b i s n o n hic, sed in f u t u r o vita, opes, h o n o s , delitiae e x p e c t a n d a e s u n t . " 70 Vgl. MARTIN GRESCHAT: M a r t i n B u c e r (wie A n m . 24), 87.

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testanten einzutreten. D e n n wer sich von Gott mit Weisheit und Wahrheit beschenkt weiß, hatte sich im Sinne der göttlichen Offenbarungspädagogik dem Nächsten gleichzustellen und in der Nachfolge Christi die kirchliche Einheit zu bewahren. Dass seine bisherigen Bemühungen um die Einheit nicht mit Erfolg gekrönt waren, nahm B u c e r nicht zum Anlass, seine Theologie in Frage zu stellen. D e n n die Hauptverantwortung für das, was seit Mitte der 20er Jahre geschah, hatte derjenige inne, der in seiner göttlichen Souveränität beschlossen hatte, seine Weisheit und Wahrheit manchen mehr und manchen weniger zu offenbaren, damit die Adressaten seiner Zuwendung dem Beispiel seines Sohnes folgen.

Ein Streit um Worte? Bucers Position in der Abendmahlsfrage im Jahr 1530 REINHOLD

FRIEDRICH

Bevor ich auf Bucers Position in der Abendmahlskontroverse im Jahr 1530 zu sprechen komme, möchte ich zunächst den Beginn und die Entwicklung des Abendmahlsstreites bis zum Jahr 1530 skizzieren und dann auf die wichtigsten Briefe und Aussagen zur Abendmahlskontroverse vor und auf dem Augsburger Reichstag von 1530 eingehen, an denen sich die Problematik des Streites zwar nur exemplarisch, aber doch in seiner ganzen Tiefe zeigen lässt. D i e Durchsetzung der Herrschaft Christi in der ganzen Welt und die Ausbreitung des Evangeliums sah Bucer als das Hauptanliegen der reformatorischen Bewegung an. Zur Erneuerung der Kirche Jesu Christi war die innerevangelische Einheit unbedingte Voraussetzung 1 . So war der durch Andreas Karlstadt im Jahr 1524 ausgelöste Abendmahlsstreit von Anfang an ein schweres Unglück für Bucer. Nach seiner Meinung stritt man sich — so klagte Bucer von Anfang an — lediglich u m „Worte" und ließ sich so von den dringenden Zielsetzungen der eigenen B e w e g u n g abbringen. Bucers Absicht ging dementsprechend rasch darin, in der Abendmahlsfrage zu einer Verständigung zu kommen, damit die evangelische Partei sich nicht weiter durch Randfragen blockieren ließ. D i e Straßburger, insbesondere Bucer, wandten sich in den Jahren 1 5 2 4 - 1 5 2 6 wiederholt nach Zürich und Wittenberg, u m die Lösung der Kontroverse zu betreiben 2 . Bucer wies auf die gebotene Liebe und gegenseitige Achtung als Brüder hin, die biblische Erkenntnis des Abendmahles als Zeichen der Einheit der Christen und die politische Notwendigkeit der Einheit der

1 Vgl. MARTIN GRESCHAT: Martin Bucer. In: Gestalten der Kirchengeschichte, hg. von Martin Greschat, Bd. 6 (Die Reformationszeit II), Stuttgart/Köln/Mainz 1 9 8 1 , 7 - 2 8 : 21. 2 Vgl. REINHOLD FRIEDRICH: Martin Bucer - „Fanatiker der Einheit"? Seine Stellungnahme zu theologischen Fragen seiner Zeit (Abendmahls- und Kirchenverständnis), insbesondere nach seinem Briefwechsel der Jahre 1524-1541, Diss. theol. [masch.] Neuchätel 1 9 8 9 , 1 9 - 3 1 ; Nachdruck: Bonn 2002 (Biblia et Symbiotica 20).

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evangelischen Bewegung vor den Augen der „Papst-Kirche" 3 . Aber zunächst alles ohne Erfolg. Es ging Luther u m die Wahrheit des Wortes Gottes, wie er stets betonte, die wahre Auslegung der „verba testamenti" und das Wissen, was man wirklich im Abendmahl genießt. Mit einer Auslegung Zwingiis, das „est" der Abendmahlsworte als „significat" zu interpretieren, hätte er sich nie anfreunden können 4 . Im März 1526 griff Bucer mit einer eigenen Schrift in die Abendmahlskontroverse ein, seiner „Apologia" (bisher noch unveröffentlicht) 5 . Dabei löst er sich in der Auslegung der „verba testamenti" von der Streitfrage „est" oder „significat" und stellt sich auf eine eigene Ebene zwischen Luther und Zwingli. Nach seiner eigenen Analyse fehlt das Wort „est" im aramäischen Urtext 6 . Eine bis dahin exegetisch nicht erfaßte Tatsache, die einerseits Bucers exegetische Fähigkeiten unter Beweis stellt, andererseits aber auch seine Meinung verdeutlicht, warum er bereits vor 1526 und auch in der Folgezeit immer wieder von einem „Streit um Worte" spricht. Leider hat Bucer diese wichtige und interessante exegetische Erkenntnis später nicht weiter verfolgt und vertieft, zu sehr standen der Konflikt und die unterschiedliche Interpretation von Luther und Zwingli im Vordergrund, wobei seine Erkenntnisse einer Lösung der Abendmahlskontroverse hätten dienlich sein können, wenn sie denn von Schweizern und Wittenbergern akzeptiert worden wären. Des weiteren reflektiert Bucer in seiner Apologia erstmals über die Frage der „manducatio indignorum" 7 , nimmt erasmisches Gedankengut a u f 8 und hält sich durch doppeldeutige Formulierun3 Ganz in diesem Sinn und in Ubereinstimmung mit den Straßburger Predigern schreibt Bucer bereits Anfang Oktober 1525 in einem Brief an Luther: „Iam dum undique seges iurgiorum odio inimici [vgl. Mt. 13, 28] suboritur, [...] Gallis, Brabantinis, Flandris,Germanis item infimis offendiculum pessimum obiectum est [...] N a m in expectationem aliquem etiam deplorati adversarii m o d o resurgunt, qui sibi fore persuadent, ut inaniter invicem contendentes mutuis convitiis conficiamur" (BCor II, Nr. 1 0 5 , 4 6 , 1 2 - 1 5 , 20-22). 4 Vgl. dazu LUTHER: Sendbrief an die Christen zu Straßburg wider den Schwärmergeist (WA 1 5 , 3 8 0 - 3 9 7 ) und seine Schrift: Wider die himmlischen Propheten von den Bildern und Sakrament (WA 18,126-214). 5 Apologia Martini Buceri qua fidei suae atque doctrinae circa Christi caenam, quam tum ipse tum alii ecclesiastae Argentoracenses profitentur, rationem simpliciter reddit atque citra dentem depellit, quae in ipsum epistola quaedam Io. Brentii ecclesiastae Halensis, inscio, ut creditur, authore aedita, crimina intendit. Argentorati, VIII Martij M . D . X X V I . Collection R o d o l p h e Peter, Strasbourg. 6 Vgl. ebd., f ° [C 6] v°. Diese Erkenntnis hat Bucer bereits am 17. Oktober 1525 in einem Brief an Jakob Otter in aller Kürze ausgeführt (vgl. B D S III, 4 1 5 , 1 3 - 2 4 ) . Vgl. dazu

JOACHIM JEREMIAS: D i e A b e n d m a h l s w o r t e Jesu, G ö t t i n g e n 7

4

1976.

Vgl. Apologia Martini Buceri, f ° [B 7] r°, [B 8] r°, C r°, C 4 r ° Vgl. dazu REINHOLD

FRIEDRICH: Fanatiker der Einheit

(wie A n m . 2), 3 3 ; FRIEDHELM

KRÜGER: Bucer

und

Erasmus. Eine Untersuchung zum Einfluss des Erasmus auf die Theologie Martin Bucers (bis zum Evangelienkommentar von 1530), Wiesbaden 1970 (VIEG 57), 208f. 8 Vgl. Apologia Martini Buceri (wie Anm. 5), f ° D v°.

Ein Streit um Worte?

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gen den Weg nach Wittenberg offen. Eine dieser typisch Bucerschen Formulierungen, ein „Bucersches Schmankerl", wie der Altmeister Jean R o t t es nannte, lautet: „Et nos sane panem caenae fidelibus praedicamus esse corpus Christi corporale, sed spiritualiter, sed beatifico modo. Vere enim fide manducant illud, dum vere corporale corpus pro se credunt immolat u m . " 9 Insgesamt läßt sich feststellen, daß Bucers Schrift, im Gegensatz zu Luthers und Zwingiis Werken der Jahre 1 5 2 6 / 2 7 , durch einen sachlichen Ton gekennzeichnet war, der zur Hoffnung Anlaß gab, seinen Friedenswillen unterstrich und mit den gegensätzlichen Positionen im großen und ganzen gerecht umging. Er hatte den B r u c h des reformatorischen Lagers vor Augen. Durch eigene exegetische, dogmatische und empirische U b e r legungen wollte er eine adäquate Lehre finden, die der Beilegung des Streites und damit der Einheit dienen sollte. Eine taktische Variante eigener Art wandte B u c e r bei der Ubersetzung des Psalmenkommentars 1 0 Bugenhagens und des vierten Bandes der Kirchenpostille Luthers an ( 1 5 2 6 / 1 5 2 7 ) 1 1 . Er ließ jeweils seine eigenen G e danken zum Abendmahl miteinfließen. Es kam darauf zu heftigen Auseinandersetzungen mit den Wittenbergern, die empört und polemisch auf Bucers Vorgehen ragierten. B u c e r hatte Bugenhagens und Luthers kontinuierliche Entwicklung in der Abendmahlslehre verkannt, er wollte mit einem scheinbar genialen Schachzug die Wittenberger gewinnen, beging aber selbst einen großen Fehler und eine Sünde, wie er später zugestand. B u c e r wußte um seine Gratwanderung. Er war vom Unionsgedanken beseelt, wollte j e d e sich nur bietende Chance nutzen, in dieser Richtung tätig zu werden. U m das Ziel der Einheit zu erreichen, hielt er für erlaubt, was sich letztlich als unerlaubt erweisen sollte. Es bestätigt sich Walter Köhlers Urteil: „Es war ein Versuch, ob es nicht vielleicht in Erinnerung an vergangene glückliche Zeiten, so wie B u c e r sie verstand, die Wittenberger für den geistigen Genuß Christi im Abendmahl zu gewinnen gelingen m ö c h t e . " 1 2 Es war gewiß keine Naivität, die B u c e r bis heute immer wieder vorgeworfen wird, sondern der R ü c k b l i c k auf Luthers Lehre bis 1523 ohne dessen explizite Betonung der leiblichen Realpräsenz und Bucers O p t i Ebd., f ° D 3 r°. GERHARD GEISENHOF: Bibliotheca Bugenhagiana, Leipzig 1908, Nr. 3 - 1 2 , 6 - 2 5 . 11 Vgl. dazu GOTTFRIED BENDER: D i e Irenik Martin Bucers in ihren Anfängen (1523— 1528), Hildesheim 1 9 7 5 (Studia Irenica 5), 1 0 4 - 1 1 7 ; HASTING EELLS: Martin Bucer, N e w Häven/London 1931, Neudruck: N e w York 1971, 7 7 - 8 4 ; IAN HAZLETT: T h e Development o f Martin Bucer's Thinking on the Sacrament o f the Lord's Supper in its historical and theological C o n t e x t , Münster 1 9 7 7 , 1 5 2 - 1 7 3 , 1 7 5 - 1 7 8 ; WALTER KÖHLER: Zwingli und Luther. Ihr Streit über das Abendmahl nach seinen politischen und religiösen B e z i e hungen, 2 Bde., Leipzig 1924/Gütersloh 1 9 5 3 ( Q F R G 6 / 7 ) : WALTER KÖHLER I, 3 5 4 ^ 383. 9

10

12

Ebd., 3 6 7 .

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mismus, den Wortstreit zwischen Luther und Zwingli rasch beseitigen zu können. Die Schwäche und der Fehler lagen darin, daß er Luthers Lehre weniger genau kannte, als er dachte. Er wußte um die Gefahr, die entstehen konnte, wie sie später auch eintraf: Bucer war mitbeteiligt an der Verschärfung des Abendmahlsstreites. Bucer wurde den Wittenbergern in der Folgezeit suspekt. Von lutherischer Seite wurde lange Zeit der „Verfälschungsvorwurf" an Bucers Adresse weitertradiert. Wilhelm Walter sprach von gezielter „reformierter Taktik" gegen die Wittenberger 13 . Aber bei Bucer war dies gewiß nicht der Fall: Er wollte durch die unterschiedlichen theologischen Auffassungen in der Abendmahlsfrage die Einheit nicht zerbrechen sehen. Bucers spezifische Abendmahlslehre zeigte sich auch im Synoptikerkommentar von 1527 14 und im Johanneskommentar von 1528 15 wieder sehr deutlich: Steht er im Grunde auf dem Fundament von Zwingli und Oekolampad in der Ablehung der leiblichen Realpräsenz Christi, so ist er doch kein „Zwinglianer", da bei ihm der Begriff des Symbols mit Inhalt gefüllt wird und darüberhinaus andere Charakteristika wie Sündenvergebung und ethische Aspekte gegenüber Zwingiis Lehre vom Abendmahl eine besondere Note erhalten. Bucer spricht von einer „significatio efficax" und zeigt, daß er im Abendmahl nicht ein Symbol sieht, das nur den Inhalt kennzeichnet, sondern daß für ihn das Abendmahl über das Symbol mit seinem Inhalt in einem Realzusammenhang steht 16 . Bucers Lehre bleibt eigenständig, und er weiß stets neue Formen und Formeln zu entwickeln. Im Zephaniakommentar (1528) 17 entwickelt Bucer den Gedanken der „manducatio indignorum" weiter 18 . Hier liegt sicher der Ausgangspunkt 13 WILHELM WALTER: Reformierte Taktik im Sakramentsstreit der Reformationszeit. In: NKZ 7 (1896), 7 9 4 - 8 1 9 , 9 1 7 - 9 3 6 . 14 Vgl. AUGUST LANG: Der Evangelienkommentar Martin Butzers und die Grundzüge seiner Theologie, Leipzig 1900 (SGTK U/2), Neudruck: Aalen 1 9 7 2 , 4 9 - 6 2 , 2 3 7 - 2 5 0 ; IAN

HAZLETT: T h e D e v e l o p m e n t ( w i e A n m . 11), 1 8 7 - 1 9 7 ; WALTER KÖHLER I ( w i e A n m . 11), 5 1 6 - 5 1 8 ; FRIEDHELM K R Ü G E R : B u c e r u n d E r a s m u s ( w i e A n m . 7 ) , 2 0 9 - 2 1 3 . 15

E n a r r a t i o i n E v a n g e l i o n J o h a n n i s ( 1 5 2 8 , 1 5 3 0 , 1 5 3 6 ) , h g . v o n IRENA BACKUS, L e i -

den 1988 (= BOL II). Vgl. dazu IAN HAZLETT: The Development (wie Anm. 11), 2 1 4 - 2 2 2 ; WALTER KÖHLER I ( w i e A n m . 1 1 ) , 7 3 0 - 7 3 5 ; FRIEDHELM K R Ü G E R : B u c e r u n d E r a s m u s ( w i e A n m . 7), 2 1 3 - 2 1 5 . 16 BOL II, 269: „Nos libenter verbum quod nos loquimur et sacramentum quod nos exhibemus, nihil nisi evanidum signum esse fatemur, si non cooperetur Deus, id est animo persuadet et donet quae nos ex ipsius verbis proponimus et sacramentis representamus. Si autem cooperetur, ut verbi a nobis praedicati et sacramentorum significatio efficax sit et cum fructu Dei bonitatis admoneant atque ad aemulandam incitent, iam non evanida sed vera et salutaria signa esse praedicamus." 17 Tzephaniah, quem Sophoniam vulgo vocant, prophetarum epitomographus, ad ebraicam veritatem versus et commentario explanatus per M . Bucerum. Argentorati apud Joannem Hervagium. Mense Septemb. Anno MDXXVIII. Vgl. zur Schrift IAN HAZLETT:

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Ein Streit um Worte?

für B u c e r späteres Zugeständnis bei der Wittenberger Konkordie von 1536, daß die „indigni" Leib und Blut Christi genießen 1 9 . Daneben war der wichtigste Neuansatz die christologische Neuorientierung Bucers: Christus „ipse" ist im Abendmahl wahrhaft gegenwärtig durch den Hl. Geist, „non tantum Deus, sed tantum h o m o " 2 0 . Die Frage, wie B u c e r hier zwischen Person und Menschsein Christi gegenüber seinem Leib trennt, läßt sich nicht beantworten. B u c e r geht darauf nicht näher ein. Aber er will auf jeden Fall die geistliche Realpräsenz neu akzentuieren, indem er sie personalisiert. Für den Straßburger R e f o r m a t o r ist mit den Zeichen von Brot und Wein Christus wahrhaft gegenwärtig in der Identität seiner Person durch die Wirkkraft des Hl. Geistes. Er unterscheidet sich hier erstmals und zugleich deutlich von der Christologie Zwingiis 2 1 . Ebenfalls im Jahr 1528 fand B u c e r in Luthers schroffer, Zwingli verwerfender Schrift „Vom Abendmahl Christi, Bekenntnis" 2 2 einen neuen Ausgangspunkt für seine Einigungsbemühungen. Er entwickelte seine Auffassung in seiner Schrift „Vergleichnung D. Luthers und seins gegentheyls vom Abentmal Christi. Dialogus. Das ist eyn freundtlich gesprech" 2 3 . D e r B e g r i f f der „unio sacramentalis" 2 4 wurde zu einer wichtigen Begrifflichkeit im weiteren Verlauf der Abendmahlskontroverse. Es war eine Formel, die einerseits die wahre Gegenwart Christi im Abendmahl (Realpräsenz) festhielt, andererseits das Mysterium dieser Gegenwart wahrte und auch die Bedeutung des Glaubens unterstrich 2 5 . Aber der Unterschied bei der Interpretation der „unio sacramentalis" lag darin, daß Luther von einem

T h e D e v e l o p m e n t ( w i e A n m . 11), 1 8 7 - 1 9 7 ; WALTER K Ö H L E R I ( w i e A n m . 11), 5 1 6 - 5 1 8 ; FRIEDHELM K R Ü G E R : B u c e r u n d E r a s m u s ( w i e A n m . 7 ) , 2 0 9 - 2 1 3 . 18

Z e p h a n i a k o m m e n t a r , f ° 17 r°.

19

G e g e n IAN H A Z L E T T : T h e D e v e l o p m e n t , 2 6 3 ; m i t W A L T E R K Ö H L E R

20

Zephaniakommentar, f° 5 v°. Vgl. dazu REINHOLD FRIEDRICH: Fanatiker der E i n h e i t (wie A n m . 2), 5 5 f . WA 26,241-509.

21 22 23

1,751f.

B D S II, 2 9 5 - 3 8 3 . Vgl. zu B u c e r s S c h r i f t JOHANN WILHELM BAUM: C a p i t o u n d

Bu-

cer, Strassburgs R e f o r m a t o r e n (Leben und ausgewählte Schriften der Väter und B e g r ü n der der r e f o r m a t o r i s c h e n K i r c h e , 3 . Teil), Elberfeld 1 8 6 0 , N e u d r u c k : N i e u w k o o p 1 9 6 7 , 4 1 4 - 4 2 2 ; GOTTFRIED BENDER: Irenik B u c e r s (wie A n m . 11), 1 3 1 - 1 3 8 ; IAN HAZLETT: T h e D e v e l o p m e n t (wie A n m . 11), 2 4 9 - 2 5 7 ; WALTER KÖHLER I (wie A n m . 11), 7 7 0 - 7 9 1 . 2 4 Vgl. z.B. B D S II, 3 1 2 , 1 7 — 2 3 : „ D a n n hie auch eyn eynigkeyt auß zweyerley wesen ist w o r d e n , die wil ich n e n n e n Sacramentliche eynigkeyt, darumb das Christus leib und brot uns alda zum Sacrament werden g e g e b e n , dann es ist nit eyn natürliche oder personliche eynigheyt w i e in G o t t und Christo. S o ists auch villeicht eyn andere eynigheyt dann die taub mit d e m heyligen geyst und die flamme mit d e m E n g e l , d e n n o c h ists j a auch eyn Sacramentlich e y n i g h e y t . " 2 5 Vgl. dazu HEINRICH BORNKAMM: M a r t i n B u c e r s B e d e u t u n g für die europäische R e f o r m a t i o n s g e s c h i c h t e , Gütersloh 1 9 5 2 ( S V R G 1 6 9 ) , 2 0 f ; M A R T I N BRECHT: M a r t i n L u ther. Z w e i t e r B a n d : O r d n u n g und A b g r e n z u n g der R e f o r m a t i o n 1 5 2 1 - 1 5 3 2 , Stuttgart 1 9 8 6 , 3 1 4 ; MARTIN GRESCHAT: M a r t i n B u c e r (wie A n m . 1), 18.

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Miteinander des Leibes und Blutes Christi mit Brot und Wein ausging, B u c e r lediglich von einem Beieinander sprach. Trotz allem erreichte B u c e r mit den politischen Kräften, allen voran dem Landgrafen von Hessen, daß 1529 das berühmte Marburger R e l i gionsgespräch zwischen Luther und Zwingli zustande kam 2 6 . Aber Luther und Zwingli blieben in ihren Auffassungen hartnäckig, der angestrebte E r folg blieb aus. B u c e r konnte seine vermittelnde Abendmahlslehre nicht einbringen, er nahm deshalb in Marburg lediglich eine Außenseiterposition ein. Luther verweigerte Zwingli die Bruderhand. Bucers Eigenständigkeit im Abendmahlsdenken wurde von den Wittenbergern nicht anerkannt, stattdessen griff Luther den Straßburger persönlich an: „Tu es nequam" 2 7 und polemisierte gegen ihn: „ich bin euer herr nicht, euer R i c h t e r nicht, euer lerer auch nicht, so reymet sich vnser gayst und euer gayst nicht zusamen, sonnder ist offenbar, das wir nicht ainerley gayst haben, dann das kann nicht ainerley gayst sein, da man an einem ort die wort Christi ainfeltigklich glaubt vnnd am anndern denselben glauben tadelt, widerfichtet, lugstraffet und mit allerley frefeln lesterworten antasstet." 28 Nach dem Marburger Religionsgespräch und noch vor dem Augsburger Reichstag — und damit befinden wir uns jetzt im Jahr 1530 — stellt sich B u c e r als Theologe dar, der in der Abendmahlskontroverse genauestens abzuwägen weiß: Er sieht die Mitverantwortung an dem Streit bei den W i t tenbergern und den Schweizern, aber auch sein eigenes Mitverschulden. Weder Zwinglis symbolische noch Luthers allzu reale Abendmahlslehre konnten ihn befriedigen. In einem äußerst bemerkenswerten und interessanten B r i e f an Ambrosius Blaurer gibt B u c e r am 26. Januar 1530 einen R ü c k b l i c k auf das Marburger Religionsgespräch, der zugleich als Zwischenbericht in der Abendmahlskontroverse bezeichnet werden kann 2 9 : Christen in wahrer Nachfolge Jesu haben kein R e c h t , aufgrund ihrer eigenen Erkenntnisse und Wahrheitsliebe ihren Mitbrüdern, die ebenfalls nach Gott fragen, die Glaubensgemeinschaft zu verweigern. Gerade in diesem Punkt hätte er vom

2 6 Z u m M a r b u r g e r Religionsgespräch vgl. B D S IV, 323—364. Z u r u m f a n g r e i c h e n S e kundärliteratur vgl. R e i n h o l d Friedrich: Fanatiker der E i n h e i t (wie A n m . 2), 5 9 , A n m . 2 6 . Z u r B e z i e h u n g zwischen Z w i n g l i und dem Landgrafen Philipp von Hessen vgl. G E R HARD MÜLLER: H u l d r y c h Z w i n g l i und L a n d g r a f Philipp von Hessen. In: D i e Z ü r i c h e r R e f o r m a t i o n : Ausstrahlungen und R ü c k w i r k u n g e n , hg. von Alfred Schindler und Hans Strickelberger, B e r n u. a. 2 0 0 1 , 1 7 7 - 1 8 7 .

B D S IV, 3 3 2 , 8 . WALTER KÖHLER: Das Marburger Religionsgespräch. Versuch einer R e k o n s t r u k tion, Leipzig 1 9 2 9 ( S V R G 1 4 8 ) , 1 2 9 . 2 9 B C o r IV, Nr. 2 7 3 , 9—16. A u f diesen B r i e f m u ß aufgrund seiner besonderen B e d e u tung im einzelnen eingegangen werden. 27

28

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Marburger Religionsgespräch mehr erwartet und erhofft 30 . Selbstverleugnung ist die erste und höchste Christenpflicht. Gemäß dem Beispiel des Apostels Paulus muß man den noch schwachen Glaubensbrüdern mit größtmöglicher Toleranz und Demut begegnen 31 . Den Wittenbergern ist die Hauptschuld am Scheitern einer Konkordie zuzurechnen 32 . Zwingli und Oekolampad haben in Marburg ihren möglichen Anteil zum Gelingen einer Konkordie eingebracht, die Wittenberger aber unnachgiebig auf eine leibliche Realpräsenz gepocht. Die gegenseitige Anerkennung als Brüder hätte trotz des einen Unterschiedes in der Abendmahlsdebatte nicht in Frage stehen dürfen. Auf Zwingiis unter Tränen an Luther gerichteten Wunsch am Schluß des Kolloquiums, doch noch zu einer Ubereinkunft zu kommen, reagierte Luther lediglich mit Spott und selbstgefälligem Siegesbewußtsein 33 . Bucer gibt aber zu bedenken: Die alleinige Schuld am Scheitern der Konkordie tragen die Wittenberger nicht, da die Schriften der Schweizer für die Schärfe der Kontroverse mitverantwortlich zeichnen 34 . Daraus zieht Bucer seine eigenen Schlußfolgerungen: Gewisse als wahr erkannte Lehrsätze dürfen weder auf Wittenberger noch auf Schweizer Seite dazu führen, die Pflicht zur gegenseitigen Liebe und Anerkennung zu vernachlässigen 35 . Gerade an dieser „Krankheit" leiden beide Seiten, wobei es letztlich keiner Partei zusteht, die eigene Uberzeugung schlechthin als absolute Wahrheitsnorm der Gegenseite zu unterbreiten. Die Starken haben auf die Schwachen Rücksicht zu nehmen, bis Gott jedem seine Geheimnisse vollkommen offenbart hat 36 . Die gegenseitige Verwerfung fuhrt zur Preisgabe der zu übenden Nächstenliebe, die Bucer in diesem Brief als absolute N o r m setzt. Die Folgen sind verletzende Polemik, Glaubensschwund und Parteienspaltung 37 . Hinsichtlich gemeinsamer Lehrsätze ist 30

E b d . , 11, 2 - 4 . Ebd., 11,4-10. 32 Ebd., 11,11-18. 33 E b d . , 1 2 , 5 - 1 2 : „ C u m q u e h o c illi reiecissent, exigentes, vt f a t e r e n t u r e d a m ore m a n ducar) h a b e r i q u e p r a e s e n t e m corporaliter, o r a r u n t , q u u m isthuc agnoscere v e r u m n o n possent, vt n i h i l o m i n u s se fratres agnoscerent, caetera o m n i a , q u a e q u i d e m alicuius m o m e n t i sunt, u n a n i m i spiritu et ore docentes. E t Z w i n g l i o c u m de his verba faceret, finito iam colloquio, in q u o t a m e n illum L u t h e r u s saepe p a r u m t h e o l o g i c e luserat, sicut et in p e r o r a t i o n e i n i m i c e taxarat, c o n c o r d i a e d e s i d e r i u m lacrymas extudit, ita vt s e r m o eius i n terciperetur." 34 Ebd., 12,12-16. 35 E b d . , 1 2 , 1 8 - 2 1 : „ E x p e r t u s q u o q u e s u m in multis i a m certe m i n i m e adijciendis fratribus, d u m n o n n i h i l detritj sunt in aliquo d o g m a t e , sic illud adamavere, sic putavere v e r i tatis perspicuae, ut n o n q u e a n t n o n persaepe dilectionis officia misere praeterire erga eos qui illis dissentiunt, aut n o n piane assentiunt." 36 E b d . , 12, 2 1 - 3 1 . 37 Ebd., 12,31 - 1 3 , 2 . 31

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nur die Übereinstimmung in den Grundfragen des christlichen Glaubens notwendig: Gott hat sich uns in Jesus Christus offenbart; dies beinhaltet als wichtigste Konsequenz Gottes- und Nächstenliebe. Andere Glaubensfragen erachtet Bucer als sekundär, die nicht zur Zwietracht fuhren dürfen 3 8 . Am Schluß des Briefes kommt Bucer nochmals auf Luther und Melanchthon zu sprechen: Bucer verzweifelt nicht an beiden, erkennt sie als „filii Dei", die nur momentan in größtmöglicher Versuchung stehen, wobei Melanchthon am meisten der reformatorischen Kirche entgegensteht. Aber eine Herabsetzung oder Verachtung Melanchthons mißbilligt Bucer in jedem Fall 39 . Bei genauer Analyse des Textes ergeben sich verschiedene beachtenswerte Aspekte: Weder Wittenberg noch Zürich haben nach Bucer das Recht, die Gegenseite mit einer absoluten Glaubens- und Wahrheitsnorm zu konfrontieren. Bei Glaubensbrüdern müssen Teilwahrheiten stets der Liebe als der höchsten N o r m untergeordnet sein. Ein Gedanke, den Bucer bereits zu Beginn seiner Versöhnungsaktionen im Herbst 1525 geltend gemacht hatte. Luther und Melanchthon stehen bei Bucer, trotz dessen Nähe zu Zwingli, in hohem Kurs, trotz deren teilweiser Verblendung und Verhärtung in der Abendmahlsfrage. Der Straßburger läßt keine Gelegenheit aus, seine gelebte und so oft von ihm geforderte Toleranz gegenüber allen Mitbrüdern zum Ausdruck zu bringen. Die gemeinsame Glaubensbasis reduziert Bucer auf ein Minimum: O f fenbarung Gottes in Jesus Christus mit der erforderlichen Konsequenz der Gottes- und Nächstenliebe. Eine gewiß gefährliche schmale Basis als Fundament gemeinsamen Glaubens. Eine kurze Zusammenfassung seiner Abendmahlslehre gibt Bucer ebenfalls im April 1530 in seiner „Epistola Apologetica", die er gegen Erasmus erstellt hatte 40 . Bucer reflektiert über den Streit und die leibliche Realpräsenz Christi im Abendmahl 4 1 . O h n e Einschränkung kann Bucer zugestehen: Das Brot der Eucharistie ist der Leib des Herrn und der Wein dessen Blut. Aber Leib und Blut werden als Speise der Seele, als Speise zum ewigen Leben verstanden, wobei der Vorgang der inneren Verwandlung des Menschen kein Diskussionspunkt sein kann und darf, da er nicht relevant ist 42 . Auf keinen Fall aber ist Jesus Christus als Himmelsbrot eine natürliche Speise für den menschlichen Leib 43 . 38 39 4,1 41 42 43

Ebd., 13,11-24. Ebd., 15,10-14; 16,4-8. B O L I , 59-225. Ebd., 95,4f. Ebd., 9 7 , 3 - 8 . Ebd., 97,9f.

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Im sog. „Ratschlag A " 4 4 für das spätere oberdeutsche Vierstädtebekenntnis, die „Confessio Tetrapolitana" ( C T ) , betont B u c e r Anfang Mai 1530, daß Unstimmigkeiten in der Urgemeinde, — wegen konsequenter Orientierung an den Hauptstücken der christlichen Lehre und den G e b o ten der Gottes- und Nächstenliebe — nicht zur Spaltung gefuhrt haben 4 5 . Deshalb dürfen sich die Anhänger Zwingiis und die Anhänger Luthers nicht so sehr von ihrer eigenen Interpretation der Einsetzungsworte Jesu leiten lassen. Lutheraner und Zwinglianer sollen sich gegenseitig als Brüder anerkennen, trotz ihrer unterschiedlichen Auslegung der Abendmahlsworte 4 6 . B u c e r hält fest: Christus, der im Abendmahl wahrhaft gegenwärtig ist, wird wirklich genossen und bringt Frucht. Dieser wahre Genuß des Abendmahles wirkt auf den ganzen Menschen und gewährt ihm Auferstehung und ewiges Leben 4 7 . Vom B r i e f an Blaurer bis zum „Ratschlag A " ist Bernd Moellers B e u r teilung R e c h t zu geben: „Dokumente für Bucers irenische, das Leben vor die Lehre, die prinzipielle Ubereinstimmung vor die einzelne Entscheidung stellende Grundhaltung. Mit zum Teil geschickten und kräftigen Argumenten, nur gelegentlich in Weitschweifigkeit sich verlierend, sucht er, ohne seinen eigenen Standpunkt in der Abendmahlsfrage abzuschwächen, die Lutheraner zum Frieden und zur Toleranz zu bewegen." 4 8 Die Einheit geht B u c e r über alles. Er zeigt sich mehr und mehr als „Meister" von Formeln, der Uberzeugungskunst wie des Deutens und Interpretierens von Formulierungen. Er stand inmitten der Problematik von zwei einander entgegengesetzten Positionen in der Abendmahlsfrage, von denen sich j e d e als absolute Wahrheit Gottes begriff und die es auf eine gemeinsame Ebene zu stellen galt. Dabei erkannte Bucer: Er mußte eine selbständige Abendmahlstheologie betreiben und Eigenständigkeit zeigen, um hier entscheidende Fortschritte und womöglich Erfolge zu erzielen. Dieser Reifeprozeß setzte 1530 ein 4 9 . Bekanntlich wurden dann auf dem Augsburger Reichstag verschiedene Bekenntnisse der Protestanten eingereicht; Melanchthons „Confessio Augustana" 5 0 für die lutherische Seite, Zwingiis „Fidei ratio" 5 1 für die Schweizer und die schon erwähnte „Confesssio Tetrapolitana" Bucers als

44 45 46 47 48 49 50 51

B D S I I I , 3 2 1 - 3 3 8 ; vgl. unten S. 90 mit Anm. 18. Ebd., 323, 5 - 3 2 7 , 1 2 . Ebd., 3 2 7 , 3 6 - 3 2 8 , 1 5 ; 3 2 8 , 1 9 - 331, 28. Ebd., 3 3 1 , 2 9 - 3 8 . Ebd., 321. Vgl. REINHOLD FRIEDRICH: Fanatiker der Einheit (wie Anm. 2), 66f. BSLK, 31-137. C R Zw VI/2,753-817.

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oberdeutsches Vierstädtebekenntnis von Straßburg, Lindau, Memmingen und U l m 5 2 . Im Gegensatz zu Zwingiis „Fidei R a t i o " versucht die C T gerade im Abendmahlsartikel eine Annäherung an den Abendmahlsartikel von C A X . Die Realpräsenz wird gelehrt, wenn auch ein mündlich-leibliches Essen nicht erwähnt wird, da keine Darlegungen über den Zusammenhang des Empfangens von Leib und Blut Christi mit dem leiblichen Essen und Trinken von Brot und Wein gemacht werden. B u c e r spricht lediglich von einer Speise der Seele, aber ausschließlich für die Gläubigen, nicht für die G o t t losen 5 3 . Daneben treten zwei Gedanken Bucers hervor, die er schon von j e h e r stark betonte: 1. Das Leben kommt vor der Lehre zu stehen, deshalb ist der Streit um das Abendmahl unnütz. 2. D e r Gemeinschaftscharakter: Das Abendmahl stärkt darin, daß der Christ seinen Glauben in die G e meinschaft einbringt und lebt, d.h. ein Brot und Leib mit Christus sein und bleiben 5 4 . So bleibt der Abendmahlsartikel der C T deutlich hinter der Lehre der Realpräsenz von C A X zurück, geht aber weit über die Formulierungen Zwingiis hinaus, bei dem der Gedächtnis- und Gemeinschaftscharakter im Mittelpunkt stehen 5 5 . Im B r i e f an den anwesenden sächsischen Kanzler Gregor Brück vom 23./24. Juli 1530 erachtet B u c e r die Auseinandersetzung über das Abendmahl zum wiederholtem Male lediglich als Wortstreit, der möglichst bald beendet werden sollte. Auch Luther und die Seinen streben — seiner A n sicht nach — nach der Ehre Christi, obwohl sie die Straßburger und ihre Verbündeten nicht als Brüder anerkennen. Bucer glaubt, die Abendmahlsauffassung von Luther und Zwingli erklären zu können: Beide Parteien bekennen eine Realpräsenz und sind sich einig, daß die Abendmahlsworte nicht buchstäblich verstanden werden können, also der Auslegung bedürfen. Die Zwinglianer lehren ein Essen des Leibes Christi „contemplatione fidei"; auch für die Lutherischen ist der Leib Christi nur durch die „sacramentale Einheit" mit Brot und Wein gegenwärtig. D e r Leib Christi wird nach der Überzeugung von beiden Seiten nicht wie gewöhnliches Brot gegessen. Leib und Blut Christi können nur im Glauben empfangen werden. Die Gottlosen haben keinen Anteil am Leib Christi, während die Gläubigen ihn ohne Andacht vergebens essen 56 .

B D S 111,118-134. Vgl. MARC LIENHARD: Evangelische Alternativen zur Augustana?,Tetrapolitana und Fidei Ratio. In: Bekenntnis und Geschichte. Die C A im historischen Zusammenhang, hg. von W. Reinhard, M ü n c h e n 1981, 8 1 - 1 0 0 : 90. 5 4 Ebd., 90. 52

53

55

Vgl. R E I N H O L D F R I E D R I C H : F a n a t i k e r d e r E i n h e i t ( w i e A n m . 2 ) , 6 8 .

56

B C o r IV, Nr. 3 2 0 , 1 6 5 - 1 7 6 .

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59

Vehement und unablässig versuchte B u c e r auf dem Augsburger R e i c h s tag eine Unterredung mit Melanchthon in die Wege zu leiten, um über diesen mit Luther die Abendmahlskontroverse einer Lösung zuzuführen 57 . Melanchthon lehnte aber zunächst mehrmals ab 5 8 . Trotzdem versuchte B u c e r in einem B r i e f an den Wittenberger vom 18. Juli zum wiederholtem Male, die Gegensätze zwischen Lutheranern und Zwinglianern zu nivellieren. Zwischen Zwingiis Lehre von der Präsenz Christi „contemplatione fidei" und der Vorstellung Melanchthons „realis sed non localis" gibt es nur einen feinen Unterschied, der bei genauerer Prüfung verschwindet. Das „bißchen Uneinigkeit" von Marburg wäre bei mehr Verhandlungsgeschick zu beheben gewesen 5 9 . Immerhin gelang es Bucer, zunächst mit dem sächsischen Kanzler Brück eine persönliche Zusammemkunft zu ermöglichen. Bucer erklärte: „Wir sind mit Dr. Luther in der Substanz des Handels vom Sacrament eins, dieweil doch auch wir bekennen Christus Leib und Blut im Abendmahl wahrlich zugegen sein und genossen werden." 6 0 Brück bat B u c e r um eine schriftliche Fixierung seiner Thesen und sandte diese an Melanchthon 6 1 . Als Brück Antwort von Melanchthon erhielt, schrieb er postwendend am 15. August 1530 an Bucer: Aufgrund Melanchthons Antwort, glaubt er, Brück, nun nicht mehr, daß die Meinungsunterschiede in der Abendmahlsfrage nur aufgrund eines „Streites um W o r t e " bestehen können, er sieht vielmehr auch inhaltliche Differenzen. D e n n Melanchthon hatte Brück berichtet: B u c e r täuscht sich offensichtlich, wenn er behauptet, daß die Zwinglianer dasselbe wie die Wittenberger denken 6 2 . D e n n die Schweizer meinen, das der Leib des Herrn nur an einem O r t im Himmel sein könne, „vere ac realiter" distanziert vom Brot, nicht „in und m i t " dem Brot. Das berühmte „contemplatione fidei" Zwingiis bedeutet für Melanchthon nur das Gedächtnis an den abwesenden Christus. Die Schweizer behaupten, der Leib Christi sei im Himmel und sagen auch, er sei wahrhaft zugegen, aber „contemplatione fidei", d.h. in der Einbildung. Das verschleiert und vernebelt B u c e r absichtlich. Gewiß leugnen wir — so Melanchthon - eine Lokalisierung des Leibes, aber dennoch gibt uns der gegenwärtige Christus seinen Leib und sein Blut zu es-

5 7 Vgl. dazu WILHELM H . NEUSER: Martin B u c e r als Mittler im Abendmahlsstreit (1530/31). In: Kaum zu glauben. Von der Häresie und dem Umgang mit ihr, hg. von Athina Lexutt und V i c c o von Bülow, R h e i n b a c h 1 9 9 8 , 1 4 0 - 1 5 0 . 5 8 Zu diesen unermüdlichen Versuchen Bucers vgl. z. B. ebd., Nr. 3 2 4 , 1 9 5 , 6 - 8 ( B r i e f Bucers an Ambrosius Blaurer vom 14. August 1530). 5 9 Ebd., Nr. 3 1 7 , 1 5 3 , 2 7 - 1 5 5 , 2 3 . 60

Vgl. WALTER K Ö H L E R II ( w i e A n m . 11), 2 2 0 .

61

B C o r IV, Nr. 3 2 5 , 1 9 8 , 2 f . Ebd., 1 9 8 , 4 - 1 9 9 , 1 4 .

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sen und zu trinken. Die Art und Weise der Perzeption ist ein Wunder und ein Geheimnis 63 . Bucer rechtfertigte in einem Brief vom 16./17. August gegenüber Brück erneut seine Auffassung des „Streites um Worte": Unter Zwingiis Begrifflichkeit der „contemplatio fidei" versteht er mehr als nur das bloße Gedächtnis des abwesenden Christus. Er versteht die Gegenwart Christi allein von ihrer Kraft und Wirkung und vom Heiligen Geist bestimmt. Der wahre und ganze Christus ist dort, wo Christen sind, denn er wohnt in ihnen. Gleichzeitig an mehreren Orten zu sein (Ubiquitätslehre), widerspricht der Natur eines wahren Leibes. Das gleichzeitige Sein im Himmel und im Brot muß abgelehnt werden. Die Worte Christi vom Abendmahl sind wahrhaftig, seine Gegenwart im Abendmahl ist also wahrhaftig und wesentlich. Die Erfahrung, daß es nur um der Worte willen zum Streit kommen kann, haben vorzeiten auch die heiligsten Männer gemacht. Bucer dankt Christus, daß er ihn alle Mittel, die zur Verständigung fuhren können, hat versuchen lassen. Christus möge den Lutherischen die Erkenntnis vermitteln, daß Bucer nichts Unrechtes glaubt und lehrt und wünscht den Wittenbergern die Aufrichtigkeit, daß sie ihm nicht die Lehre und Ratschläge anderer, d.h. der Zwinglianer unterstellen 64 . Durch Vermittlung von Urbanus Rhegius, Gereon Sailer und Argula von Staufen fand sich Melanchthon letztlich bereit, mit Bucer persönlich zusammenzutreffen und die Abendmahlsfrage zu diskutieren 65 . Nach der Unterredung Bucers mit Melachthon wurden folgende T h e sen verfaßt, die Melanchthon „de ipsius (id est Bucerus) ore, de ipsius sententia" aufstellte und Bucer „bekräftigte, daß es seine Meinung sei" 66 : Der Straßburger leugnet die Transsubstantiation und die lokale Anwesenheit Christi im Brote wie Wein im Gefäß oder Feuer im Eisen. Aber er bekräftigt, daß der Leib Christi wahrhaft zugegen sei und im Abendmahl gereicht werde, also nicht nur „virtualiter", sondern „realiter" zugegen sei. Nach der Konsekration ist aufgrund der Anordnung Christi der Leib Christi wahrhaft anwesend. Das geschieht kraft eines Paktes, so daß das Brot das „vehiculum pactionale" oder Instrument ist, mit dem der Leib gereicht wird. Christus ist leiblich im Abendmahl, das „leiblich" ist aber nicht dimensional zu verstehen, sondern als „vere et essentialiter" 67 . Am 27. August schreibt Bucer dann aber zu diesen Thesen an den Landgrafen von Hessen: In den Thesen ist „nicht ausgedruckt was, vff wölliche weys der leyb Christj j m abenndtmal zugegen gehabt und empfanngen 63 64

Ebd., 1 9 9 , 2 0 - 2 0 0 , 26. Ebd., Nr. 326,201-207.

65

Vgl. WALTER KÖHLER II ( w i e A n m . 11), 2 2 2 .

66

Ebd., 223. Vgl. zum Text BCor IV, Nr. 328, 217f, Anm. 25.

67

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würt, nemlich nur von der seel durch den glauben, ob j m gleychwol auch das leyblich hanndien vnnd essen, wölchs sich am brot enndet, von wegen der sacramentlichen ainigkait mit dem brod zugeben wirt, wie doctor Luther j n seiner bekanntnuß selber schreybet." 68 Gegenüber den Schweizern schlug also Bucers Gewissen: Ehrlicher wäre es gewesen, offen zu sagen, daß die „contemplatione fidei" in jenen Thesen gänzlich und zweifellos preisgegeben war. Deshalb stellte Bucer jetzt andere Thesen auf, arbeitete einen Brief an Luther um und sandte die Thesen mit dem Brief an Luther. In diesem Brief an Luther vom 25. August 1530 ist nun folgendes zu lesen: Nach den Unterredungen mit Melanchthon hat Bucer seine Meinung in Thesen gefasst, die er aber nochmals abgeändert, daß auch Zwingli und Oekolampad ihnen zustimmen können. Beide Seiten lehren eine geheimnisvolle Gegenwart Christi im Abendmahl. Bucer verneint eine lokale Anwesenheit des Leibes Christi im Brot. Dennoch ist der Leib Christi im Abendmahl wahrhaftig gegenwärtig und wird „realiter" gereicht. Von einem „naturaliter unire vel localiter includere" des Leibes Christi im Verhältnis zum Brot dürfe keine Rede sein, daran nehmen die Schweizer besonderen Anstoß. Bucer bittet, den unfruchtbaren Streit zu beenden und zu einer Einigung zu gelangen. Die Straßburger haben aus Frankreich einen Brief erhalten, der ausfuhrlich berichtet, wie das Evangelium dort rasche Ausbreitung findet, aber der Abendmahlsstreit diese positive Entwicklung hemmt. Die Zwietracht der Evangelischen stärkt die Feinde. Bucer bekräftigt, allein der Ehre Christi und die Erbauung der Kirche zu suchen und bittet Luther, die Kirche nicht länger wegen eines Wortstreites zu verwirren 6 9 . Luther gegenüber beteuerte Bucer, die abgeänderten Thesenreihen stimmten mit denen mit Melanchthon verfassten überein. Melanchthon ließ zwar die neuen Thesenreihen Luther durch Veit Dietrich überbringen, schrieb aber an diesen: „Durchaus nicht scheinen jene Thesen, die er schickt, mit denen zu stimmen, die ich aus seiner Meinung aufgeschrieben habe" und Melanchthon erteilte Dietrich den Auftrag, Luther zu sagen: „Mir scheint nichts ehrlich zu geschehen." 7 0 Tatsächlich spielt Bucer die Unterschiede herunter: statt des „corpus Christi vere adesse et exhiberi in coena" hieß es nun: „corpus Christi in caena vere adesse et Christum re ipsa praesentem vero suo corpore ueroque sanguine et nos pascere verbis ad hoc suis, quae ministri recitant, et sacris symbolis pane et vino vtentem" 7 1 — also keine Austeilung des Leibes, die Worte konnten und sollten von einer rein geistigen Anwesenheit ausgehen. 68 69

Ebd., Nr. 332,237,14-19. Ebd., Nr. 328,212-219.

70

Vgl. WALTER KÖHLER II ( w i e A n m . 11), 2 2 4 .

71

Ebd., Nr. 328,218,4-7.

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Erst hinterher kam das „ipsum Christi corpus et sanguinem exhiberi", aber mit dem Zusatz „symbolis eucharistiae" — gewiß war damit eine objektive Gabe gemeint, aber nicht der essentielle Leib Christi, sondern seine Kraft, so wie durch die Taufe eine „virtus regeneratrix" gegeben wird 72 . Im Brief an Luther heißt es, daß die Perzeption allein an die „simplex et inexquisita fides" gebunden sei, er spricht von einer geheimnisvollen, allerdings nicht fleischlichen Gemeinschaft mit Christus kraft der „contemplatione fidei". Auch in der Frage der Lokalisierung Christi und der „manducatio impiorum" windet sich Bucer mit zweideutigen Formulierungen 7 3 . Am gleichen Tag schrieb Bucer an Zwingli 74 und warb in der ihm eigentümlichen Weise mit anderer Wortwahl nachdrücklich für die Konkordie: Nicht weniger als viermal betont er, daß unter den Lutheranern „viele, ja zahllose gute Menschen" seien. Auf der Grundlage der Einsetzungsworte, der Abendmahlsaussagen des Paulus, der Kirchenväterlehre und der Formulierungen Luthers, Zwingiis und Oekolampads in deren Abendmahlsschriften, versucht Bucer in langen und breiten Ausfuhrungen, die unterschiedlichen Lehrmeinungen einander anzunähern und eine wahre Gegenwart Christi im Abendmahl zu begründen. Er prägt die Formel, typisch Bucer: Christus ist anwesend, nicht im Brot, nicht mit dem Brot vereinigt, sondern mit dem Sakrament im Abendmahl, doch nur für die Seele. Die ganze Auseinandersetzung ist lediglich ein Streit um Worte 75 (so auch im Brief an den Landgrafen von Hessen am 27. August 15 3 0 76 ). Man kann und muß die Kunst Bucers bewundern, mit der er seine Worte zu setzen weiß und die vorhandenen Einheitsmomente herausarbeitet, aber Melanchthon hat zu diesem Zeitpunkt mit seiner Meinung trotzdem Recht: „nihil candide fit". Der springende Punkt des „essentialiter vel substantialiter" war umgangen, das subjektive Moment der „contemplatio fidei" war die Hauptsache, das objektive Moment „in mysterio" verhüllt, und die Nebeneinandersetzung der „contemplatio fidei" und des „mystice" machte die Sache nicht besser 77 . Zwingli antwortete am 31. August 1530: Vorausgesetzt, Bucer hat Melanchthons Auffassung richtig wiedergegeben, könnte die Formel „Christus ist auf sakramentliche Weise und durch den Glauben im Abendmahl gegenwärtig" auch die Zustimmung der Lutherischen finden. Eine solche Realpräsenz verneint er nicht. Wenn er mit Luther behauptet hat, daß das Brot Brot bleibt, so hat er auch immer geglaubt — wie einige Kir72

Ebd., 218,8f.

73

Vgl. WALTER KÖHLER II ( w i e A n m . 11), 2 2 5 .

74

Am 25. August 1530 aus Augsburg (BCor IV, Nr. 329). BCor IV, Nr. 329,220-228. Ebd., Nr. 332,235-241. Vgl. W A L T E R K Ö H L E R II (wie Anm. 11), 227f.

75 76 77

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chenväter — daß dieses Brot in den mystischen Leib Christi hinübergeht. Allein wegen des Sprachgebrauches nehmen die Lutherischen an, daß die Anhänger Zwingiis dem Abendmahlsmysterium keinen religiösen Wert beilegten 78 . Zwingli fiigt am 3./4. September in einem weiteren Brief hinzu: Der Glaube ist das Entscheidende beim sakramentalen Essen. O h n e ihn nützt das Sakrament nichts. Beim Abendmahl geschieht geistlicher Verzehr im Glauben. Was gereicht wird, ist ein Mysterium. Brot und Wein stärken den Menschen, der Glaube an Christus stärkt die Seele. Christus ist beim Abendmahl wahrhaft gegenwärtig, nicht natürlich und körperlich, sondern auf sakramentale und mystische Weise 79 . Bucer schreibt am 9. September erneut an Zwingli: Zu wenige unter den Evangelischen streben ernsthaft eine Beilegung der Abendmahlskontroverse an, die nur ein Streit um Worte ist, ein Kampf von Blindkämpfern, wie er es in einem Brief vom selben Tag an Vadian ausdrückt. Im Vertrauen auf Christus ist eine Einigung mit den „Gutgesinnten" unter den Lutherischen im Abendmahlsstreit mit Rücksicht auf seine schädlichen Auswirkungen in Frankreich und Deutschland zu erzielen 80 . Luther lehnte, wie er am 11. September an Melanchthon schrieb, eine Antwort an den Vermittler, d.h. Bucer, ab: „Ich hasse ihre Winkelzüge und Ränke, sie selbst gefallen mir nicht. So haben sie bisher nicht gelehrt, und doch wollen sie nicht anerkennen oder Buße tun, ja, sie fahren fort zu behaupten, es sei unter uns keine Meinungsverschiedenheit gewesen, damit wir nämlich bekennen, sie hätten recht gelehrt, wir aber falsch gekämpft oder besser: gewütet. So stellt der Teufel allenthalben unserer Confession nach, da er, durch die Wahrheit überwunden, mit Gewalt nichts vermag." 8 1 Der Abendmahlsstreit — lediglich ein Streit um Worte, wie Bucer es unablässig betonte? Zusammenfassend lassen sich im Blick auf den seit 1524 währenden Abendmahlsstreit, vor allem aber im Blick auf den Briefwechsel Bucers des Jahres 1530 folgende Thesen formulieren: 1. Nach den Erkenntnissen, die Bucer in seiner „Apologia" von 1526 herausgearbeitet hatte, war es sicher ein nutzloser Streit: „Das mein Leib, das mein Blut", so hatte Bucer die Abendmahlsworte exegesiert, das Wort „est", um das es Luther und Zwingli ging, wäre — da es im aramäischen Urtext fehlt — seiner Bedeutung beraubt gewesen. Dementsprechend wäre es dann nur darum gegangen, was Schweizer und Wittenberger unter „Leib und Blut" verstanden, d.h. welche Interpretation sie auf diese Be78 79 80 81

BCor IV, Nr. 334,250-256. Ebd., Nr. 336, 261-264. Ebd., Nr. 338f, 267-275. WA. B 5, Nr. 1716,617,15-21.

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Reinhold

Friedrich

grifflichkeiten angewendet hätten. Man stelle sich vor, wenn B u c e r diese Erkenntnis vertieft hätte! Davon wird noch einmal unter Punkt 3 zu sprechen sein. Abgesehen davon ging es B u c e r in der Abendmahlsfrage nicht allein um die wahre Auslegung der „verba testamenti". Ebenso entscheidend waren für ihn die ethischen Konsequenzen, die sich durch den Abendmahlsempfang für die Gläubigen im täglichen Leben auswirken sollten. Diese beiden Komponenten lagen in Bucers theologischem Grundsatz begründet: Die Verbindung von erasmischen Humanismus und reformatorischem Gedankengut. Lehre und Leben sind entscheidend, O r thodoxie und Orthopraxie sollen in ihrem Wechselspiel einander ergänzen und durchdringen, auch beim Abendmahl. So wurde auch die Frage der „manducatio indignorum" das Herzstück in Bucers Abendmahlsverständnis und nicht die Lehre der R e a l - oder gar Respräsenz, wie in Luthers Abendmahlsdenken. 2. B u c e r ging es bei seinen Einigungsbemühungen um die Distanz von Extrempositionen. Die Zwinglianer lehrten für ihn mehr als nur Brot und Wein im Abendmahl, die Lutheraner verstanden das Abendmahl seiner Ansicht nach nicht stofflich-dinglich. Die Deutung der Einsetzungsworte von Lutheranern und Zwinglianern erwies B u c e r beide als logisch und konsequent, da sie nur vor Irrtümern schützen wollten, sich aber eigentlich nicht widersprachen. Aber es war auch zu einfach gedacht, Luthers Formel der „unio sacramentalis" und Zwingiis „contemplatione fidei" in Einklang bringen zu wollen. Die für Luther entscheidende Frage des „Wie?" der Realpräsenz wird von B u c e r mit der Formel der „unio sacramentalis" verdeckt, da er letztlich nur von einem Beieinander, nicht von einem Miteinander des Leibes und Blutes Christi mit Brot und Wein ausging. Ebenso verwischte B u c e r die Unterschiede in der Frage der Christologie zwischen Luther und Zwingli. M i t seinen doppeldeutigen Formulierungen konnte er weder den Schweizern gerecht werden, da diese eine Aussage zur R e a l präsenz aufgrund der Lehre der getrennten Naturen Christi am liebsten umgangen hätten, den Wittenbergern, für die aufgrund der Verbundenheit der Naturen Christi die Ubiquitätslehre und die Lehre der „communicatio idiomatum" unumstößlich war, die letztlich auch von einer Respräsenz sprechen konnten. Aus Sicht Zwingiis wie Luthers war es deshalb weit mehr als nur ein Streit um Worte, weil letztlich in der Abendmahlsfrage sich auch die deutlichen Unterschiede in ihrer Theologie, vor allem in der Christologie zeigten. 3. Aufgrund der Analyse in seiner „Apologia" von 1526 — und damit greife ich nochmals auf Punkt 1 zurück — läßt sich Bucers Sicht eines „Streites um W o r t e " gut verstehen, denn folgende Abendmahlsauffassung tritt bei ihm zu tage: Er geht von einer wahrhaften Realpräsenz des Leibes und Blutes Christi mit den Elementen Brot und Wein aus. Die Verbindung

Ein Streit um Worte?

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bleibt aber „in mysterio et sacramento". Die „Wie"-Frage der Realpräsenz wird eigentlich ausgeklammert. Damit umging er eine leiblich-materielle, eine „Res-Präsenz", an die er auch nicht glaubte. Vielmehr gibt es nach seiner Anschauung der „totus Christus" im Abendmahl, d.h. in der realen Gabe von Leib und Blut Christi schenkt sich Christus in der Identität seiner Person und seines Lebens, das durch sein Sterben und Auferstehen für die große Zahl der Gläubigen bestimmt ist. Bucer denkt also in den Kategorien einer „Personalpräsenz": Christus gibt sich persönlich in die J ü n gergemeinschaft, sein Leben (so wie er gelebt, gehandelt und gedacht hat), sein Sterben und Auferstehen ist unter den Zeichen von Brot und Wein beim Abendmahlsempfang präsent. „Leib" bedeutet damit Christi personale Präsenz, d.h. so wie Christus dachte, lebte und handelte, ist er kraft des Hl. Geistes präsent, wobei sich der Christ beim Empfang des Brotes dadurch stärken und im täglichen Leben daran orientieren und ausrichten soll. „Blut" bedeutet Christi personale Präsenz seines Sterbens und Auferstehens, wobei der Christ beim Empfang des Kelches des Mitleidens Christi im täglichen Lebenskampf gewiß sein kann und einst Anteil haben wird an der Auferstehung Christi. U n d damit bewegt sich Bucer bereits im Jahr 1530, seiner Zeit weit voraus — das ist erstaunlich und bemerkenswert — auf einer Erkenntnisebene, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, d.h. für moderne Exegese und Dogmatik, bei der Auslegung der Abendmahlsworte tragend wurde.

Die Rezeption mittelalterlicher Theologen in Martin Bucers Abendmahlskonzeption der Jahre nach 1530 ANNIE

NOBLESSE-ROCHER

Seit mehr als einem Jahrhundert, ganz besonders aber in den letzten Jahrzehnten, haben die mittelalterlichen Quellen der Reformatoren des 16. Jahrhunderts das Interesse der Forscher geweckt. Der mittelalterliche theologische Gegenstand der Werke von Reformatoren wie Philipp M e lanchthon und Martin Bucer ist wichtig genug, u m vertiefte Untersuchungen durchzufuhren, welche das Erbe der Scholastik und des Humanimus und zugleich den Bruch der Reformatoren mit diesen Kulturmilieus hervorheben. Martin Bucer ist ein repräsentatives Beispiel dieser Ambivalenz angesichts der früheren Tradition. In der kirchengeschichtlichen Forschung sind zunächst die theologischen Beziehungen zwischen Bucer und Calvin bzw. Luther behandelt worden 1 , dann haben sich die Forscher u m R o b e r t Stupperich seit 1936 auf den Einfluß des erasmianischen Humanismus auf Bucers Theologie konzentriert 2 . Willem van't Spijker 3 und William Peter Stephens 4 haben in ihren Untersuchungen die Originalität von Bucers Theologie in der Pneumatologie und Ekklesiologie nachgewiesen. Allerdings haben August Lang und Otto Ritsehl bereits in den Jahren nach 1900 ansatzweise die Frage nach dem Einfluß von Thomas von Aquin auf Bucer gestellt. Im Blick auf die Lehre von der Rechtfertigung durch den Glauben hat R o b e r t Stupperich die Nähe des thomistischen Denkens zu Bucers Theologie herausgearbeitet. Schließlich hat in jüngerer Zeit Lambert Leijssen in seiner Disser-

1

S i e h e : TIMOTHEUS WILHELM R Ö H R I C H : G e s c h i c h t e d e r R e f o r m a t i o n i m Elsass u n d

besonders in Straßburg, 3 Bde., Straßburg 1830-1832. 2 ROBERT STUPPERICH: Der Humanismus und die Wiedervereinigung der Konfessionen, Leipzig 1936; FRIEDHELM KRÜGER: Bucer und Erasmus. Eine Untersuchung zum Einfluß des Erasmus auf die Theologie Martin Bucers, Wiesbaden 1970. 3

WILLIAM VAN'T SPIJKER: D e A m b t e n bij M a r t i n B u c e r , K a m p e n 1 9 7 0 .

WILLIAM PETER STEPHENS: The Holy Spirit in the Theology of Martin Bucer, C a m bridge 1970. 4

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Annie

Noblesse-Rocher

tation über B u c e r s R ö m e r b r i e f k o m m e n t a r 5 die durchgehend systematisch-scholastische Denkstruktur b e i m Straßburger R e f o r m a t o r erhellt — trotz der Ausklammerung bestimmter thomistischer Fragestellungen, wie z.B. des Verständnisses der Sakramentsmächtigkeit. Trotz des b e s t i m m e n den Einflusses seiner beiden Lehrmeister Luther und Erasmus hat also B u c e r nicht vollständig den Einfluß des T h o m a s von Aquin verworfen. Das läßt sich an seinem ersten Traktat Das ym selbs ( 1 5 2 3 ) ablesen, der gedankliche Verwandtschaft mit der Summa Theologica, aber auch thematische N ä h e bei der Schöpfungsordnung oder d e m Ursprung der göttlichen G ü ter aufweist 6 . E b e n s o gehen die anti-scholastischen Argumente B u c e r s in der Verantwortung ( 1 5 2 3 ) aus der gleichen Z e i t vor allem auf die erasmianische Kritik an den scholastischen Ü b e r t r e i b u n g e n zurück 7 . Bucers B i b l i o t h e k belegt im übrigen die B e d e u t u n g scholastischer B i l dung b e i m Straßburger R e f o r m a t o r , nicht nur durch die Präsenz von A u toren der via moderna, sondern auch von solchen der via antiqua, speziell der T h o m i s t e n . Das Interesse an diesen T h e o l o g e n wurde während seiner S t u dienzeit in den humanistisch geprägten und observanten Klöstern in der Heidelberger G e g e n d neu belebt und intensiviert 8 . Z u r Zeit des A b e n d mahlsstreites wurden die patristischen Argumente aus der christlichen A n tike und der E p o c h e mittelalterlicher T h e o l o g e n zu R a t e gezogen. Drei patristische Textsammlungen, die für die B e a n t w o r t u n g der von den A n hängern Luthers oder den Abendmahlsverfechtern und Straßburgern vorgetragenen Argumente bestimmt waren, waren dafür maßgebend: 1. O e k o lampads Quid de eucharistia veteres [...] senserint dialogus ( 1 5 2 7 ) , 2. M e l a n chthons Sententiae veterum aliquot scriptorum de coena Domini ( 1 5 3 0 ) und 3. das Florilegium patristicum von Martin B u c e r und M a t t h e w Parker 9 (nach 1 5 3 6 ) . Bucers Briefwechsel im Jahre 1 5 3 0 ü b e r n i m m t zahlreiche Zitate aus Oekolampads Florilegium, was als Z e i c h e n für den lebhaften Einsatz pa-

5 LAMBERT LEIJSSEN: Martin B u c e r en Thomas van Aquino. D e invloed van Thomas op het denkpatroon van B u c e r in de Commentaar op de R o m e i n e n b r i e f (1536), 2 Bde (masch.), Löwen 1978. 6 Vgl. MARTIN GRESCHAT: D e r Ansatz der Theologie Martin Bucers. In: T h L Z 103

(1978), 8 1 - 9 6 . 7

M A R T I N B U C E R I : V e r a n t w o r t u n g , h g , v. R O B E R T S T U P P E R I C H : G ü t e r s l o h

1960,151—

184.

Vgl. MARTIN GRESCHAT: Martin Bucers Bücherverzeichnis von 1518. In: A K G 57 Martin BucEr als D o m i n i k a n e r m ö n c h . In: M A R I J N DE K R O O N / FRIEDHELM KRÜGER (Hg.): B u c e r und seine Zeit, Wiesbaden 1976, 3 0 - 5 3 . - Siehe auch: DERS.: Martin B u c e r - Ein R e f o r m a t o r und seine Zeit ( 1 4 9 1 - 1 5 5 1 ) , M ü n c h e n 1990, bes. 8

(1975), 1 6 2 - 1 8 5 ; DERS.:

36-39. 9

MARTIN BUCER:

Leiden 1988.

F l o r i l e g i u m p a t r i s t i c u m , h g . v. P I E R R E F R A E N C K E L . I n : B O L

III,

Die Rezeption

mittelalterlicher Theologen

in Martin Bucers Abendmahlskonzeption

69

tristischer Argumente in den Auseinandersetzungen und Streitgesprächen — wie z.B. in Heidelberg oder B e r n — gewertet werden kann 1 0 . Ausgehend von diesem Tatbestand läßt sich die Frage nach der Funktion der mittelalterlichen Autoritäten im theologischen Gedankenaustausch des Jahres 1 5 3 0 genauer stellen. Bezieht sich B u c e r an entscheidenden Stellen auf sie? Weiterhin ist zu fragen, ob der R ü c k g r i f f auf mittelalterliche Theologen den Einfluß mittelalterlicher Denkformen auf sein Abendmahlsverständnis und ihre weitere Entfaltung bei ihm erhellen kann. A u f diese Fragen werden wir versuchen, eine Antwort zu geben. Ich habe mich entschieden, den Briefwechsel Bucers aus dem Jahr 1530 und die darin enthaltenen mittelalterlichen Zitate zu untersuchen, weil dieses Feld noch nicht gründlich bearbeitet worden ist. In diesem Briefwechsel von 1530 wird ein Großteil der von B u c e r geschriebenen oder an ihn adressierten Briefe von den Auseinandersetzungen um das Abendmahl bestimmt, und zwar zentral vom Konflikt zwischen den Anhängern Luthers und den Straßburgern, den Anhängern Oekolampads und den Zwinglianern, die von B u c e r oft als geschlossener Kreis den Wittenbergern gegenübergestellt worden sind 11 . Andererseits ist das Textcorpus solcher Briefe, die explizit oder implizit Zitate von mittelalterlichen Autoren in Verbindung mit der Abendmahlsfrage enthalten, begrenzt. Aus diesem Grund werden in dieser Studie zur Beurteilung einer eventuellen Entwicklung bei der Rezeption mittelalterlicher Autoren im Verlauf der für das Abendmahlsverständnis Bucers entscheidenden Jahre auch Abendmahlstraktate wie De Coena dominica (1524) und das Florilegium patristicum (nach 1536) einbezogen, und berücksichtigt wird vor allem seine Stellung zu der in den Dominikanerklöstern der Heidelberger Gegend neu zur Geltung gekommenen thomistischen via antiqua.

1 0 Vgl. HEIKO JÜRGENS: D i e Funktion der Kirchenväterzitate in der Heidelberger Disputation Luthers (1518). In: A R G 66 (1975), 7 1 - 7 8 ; IRENA BACKUS: Influence o f some Patristic Notions o f substantia and essentia on the Trinitarian T h e o l o g y o f Brenz and B u c e r (1528). In: T h Z 37 (1981), 5 6 - 7 0 . 11 MARTIN BUCER: Briefwechsel/Correspondance, Bd. IV (Januar-September 1530),

h g . u . b e a r b . v. R E I N H O L D F R I E D R I C H / B E R N D T H A M M / A N D R E A S P U C H T A i n Z u s a m m e n arbeit m i t MATTHIEU ARNOLD u. CHRISTIAN K R I E G E R , L e i d e n - B o s t o n - K ö l n 2 0 0 0 ; i m

Folgenden abgekürzt: B C o r IV.

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I. Die Rezeption mittelalterlicher im Briefwechsel des Jahres

Theologen 1530

Das Briefcorpus zum Abendmahl im Jahre 1530, das explizit oder implizit mittelalterliche Werke zitiert, ist leicht überschaubar. Es handelt sich dabei um folgende Briefe: 1. Brief Nr. 279 vom 20. März 1530 (aus Straßburg): Bucers W i d m u n g s schreiben an die Marburger Akademie 1 2 . 2. Brief Nr. 320 vom 23. oder 24. August 1530 (von Augsburg): Bucer an Gregor Brück 1 3 . 3. Brief Nr. 323 vom 9. August 1530 (aus Augsburg): Bucer an Zwingli 1 4 . 4. Brief Nr. 326 vom 16. oder 17. August 1530 (aus Augsburg): Bucer an Gregor Brück 1 5 . 5. Brief Nr. 327 vom 22. oder 23. August (aus Augsburg): Bucer an Martin Luther 1 6 . Neben zahlreichen Stellen mit Zitaten aus den Werken patristischer A u toren w i e Augustin, Johannes Chrysostomos, Cyprian, Cyrill von Alexandrien, die sich im übrigen auch in den Sententiae veterum aliquot scriptorum de coena Domini von Melanchthon 1 7 (1530) wiederfinden, sind mittelalterliche Theologen nur sehr schwach vertreten. Thomas von Aquin wird zweimal 1 8 , Bonaventura einmal 1 9 , Gabriel Biel indirekt einmal 2 0 , Berengar von Tours indirekt einmal 2 1 und Pseudo-Bernhard einmal 2 2 zitiert. Die Werke dieser Theologen werden weder erwähnt noch angedeutet. Lediglich deren Namen werden aufgeführt, so Thomas von Aquin, Bonaventura, der (zu Unrecht als „divus Bernhardus" angesprochene) PseudoBernhard und — mit einer Anspielung — Gabriel Biel 2 3 . In den anderen Fällen sind die Zitate hinreichend expliziert oder genau angegeben, so daß eine Identifizierung (wie im Fall von Berengar) möglich ist.

12 13 14 15 16 17

18 19 20 21 22 23

BCor IV, 37-67. BCor IV, 165-176. BCor IV, 186-192. BCor IV, 201-207. BCor IV, 207-219. C R 23, 728-750 ( C Y R I L L : 736f; BCor IV, 50 und 204. BCor IV, 204. BCor IV, 171. BCor IV, 211. BCor IV, 174. BCor IV, 171.

CHRYSOSTOMUS:

737-739;

CYPRIAN:

741f).

Die Rezeption

mittelalterlicher Theologen in Martin Bucers Abendmahlskonzeption

71

1. Der Einfluß von Thomas von Aquin: Forderung nach einem gemäßigten Realismus Brief Nr. 279 von Bucer an die Marburger Akademie (20. März 1530) spricht in seinem ersten Teil die Voraussetzungen fur eine Abendmahlskonkordie in der Kirche an: Wen kann man als Häretiker bezeichnen? Ist eine Kommunion mit denen möglich, die eine andere Uberzeugung vertreten? Im zweiten Teil des Briefes zeigt Bucer auf, daß die Konsensartikel von Marburg in keiner Weise den Uberzeugungen der Schweizer widersprechen. Im Kontext geht es um die Bedeutung der Worte: „Hoc est corpus meum": „Tumultuatum iam est toto quadriennio circa summae charitatis symbolum eucharistiam, nec hodie plena pax a plerisque impetrari potest. At interim utrinque praedicatur fide in Christum possideri uitam aeternam, dilectione totam impleri legem. Verba quoque, de quibus tam dira saeuaque est digladiatio, utrique fatentur uera et neutri simpliciter accipienda. N a m nemo omnium adhuc ausus dicere fuit panem esse id ipsum quod Christi corpus. Thomas Aquinas ideo demonstratiuum „hoc" ad contentum sub speciebus retulit. Ex nostris (nostras enim habemus, qui eundem nobiscum Christum praedicant, qualesquales ipsi nos habeant) dixerunt alij sub pane Christi corpus contineri, alij per „hoc" demonstrari non panem, sed ipsum corpus Domini, quod pro nobis passum est, alij idem, sed simul inclusa similitudine panis, ut demonstratio sit ad intellectum, non sensum. Verus enim panis, uerus est cibus Christi corpus, sed ad uitam aeternam. Hi omnes tropum inesse his uerbis agnoscunt, hi synecdochen, illi metonymiam. Ad haec pariter cuncti fatentur praecipuam esse et solam per se salutiferam manducationem spiritus, que sit per fidem." 2 4 Thomas wird hier als Autorität zitiert, als Gegengewicht zu den Extrempositionen derjenigen, die das Brot und den Leib Christi selbst ohne Deutung des Demonstrativpronomens „hoc" identifizieren. Mit Hilfe des „hoc" kann Bucer die nuancierten Meinungen einiger Gesprächspartner 25 positiv interpretieren. Er bezieht sich durch die Nennung des Thomas von Aquin auf folgende Passagen in dessen Summa Theologica: „Ad primum ergo dicendum quod, cum dicitur sola virtute Spiritus Sancti panem in corpus Christi converti, non excluditur virtus instrumentalis quae est in forma huius sacramenti [...] Ad secundum dicendum quod opera miraculosa nulla creatura potest facere quasi agens principale: potest tarnen ea facere instrumentaliter, sicut ipse tactus manus Christi sanavit leprosum. Et per hunc modum verba eius convertunt panem in corpus 24 25

B C o r IV, 4 9 , 3 8 - 5 0 , 1 4 . „ E x nostris" (ebd., 50, 6).

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Christi [...] Ad tertium dicendum quod praedicta verba quibus fit consecratio, sacramentaliter operantur. Unde vis conversiva, quae est in formis horum sacramentorum, sequitur significationem, quae in prolatione ultimae dictionis terminatur. Et ideo in ultimo instanti prolationis verborum praedicta verba consequuntur hanc virtutem: in ordine tarnen ad praecedentia. Et haec virtus est simplex ratione significati: licet in ipsis verbis exterius prolatis fit quaedam compositio." 26 „Ad primum ergo dicendum quod haec dictio hoc demonstrat substantiam, sed absque determinatione propriae naturae, sicut dictum est. Ad secundum dicendum quod hoc pronomen hoc non demonstrat ipsa accidentia, sed substantiam sub accidentibus contentam, quae primo fuit panis, et postea est corpus Christi: quod, licet non informetur his accidentibus, tarnen sub eis continetur. Ad tertium dicendum quod significatio huius locutionis praeintelligitur rei significatione ordine naturae, sicut causa naturaliter est prior effectu: non tarnen ordine temporis, quia haec causa simul habet secum suum effectum. Et hoc sufficit ad veritatem locutionis." 27 Unter dem Einfluß von Kardinal Cajetan sollten später die Beschlüsse des Trienter Konzils (Sessio XIII vom 11. Oktober 1551) diese Position noch erhärten: Cap. I [De reali praesentia domini nostri Iesu Christi in sanctissimo eucharistiae sacramento]: „Principio docet sancta synodus et aperte ac simpliciter profitetur in almo sanctae eucharistiae sacramento post panis et vini consecrationem dominum nostrum Iesum Christum, verum D e u m atque hominem, vere, realiter ac substantialiter sub specie illarum rerum sensibilium contineri. Neque enim haec inter se pugnant, ut ipse Salvator noster semper ad dexteram Patris in coelis assideat [...] et ut multis nihilominus aliis in locis sacramentaliter praesens sua substantia nobis adsit [...] quam etsi verbis exprimere vix possumus [...]." Can. 2: „Si quis dixerit, in sacrosancto eucharistiae sacramento remanere substantiam panis et vini una cum corpore et sanguine domini nostri Iesu Christi, negaveritque mirabilem illam et singularem conversionem totius substantiae panis in corpus et totius substantiae vini in sanguinem, manentibus dumtaxat speciebus panis et vini, quam quidem conversionem catholica ecclesia aptissime transsubstantiationem appellat: afnathemata] s[it]." Can. 3: „Si quis negaverit, in venerabili sacramento eucharistiae sub unaquaque specie et sub singulis cuiusque speciei partibus separatione facta totum Christum contineri: a.s."

26 27

THOMAS VON AQUIN: S u m m a T h e o l o g i e s III, q.78, art. 4, ad 1 - 3 . Ebd.art. 5, ad 1 - 3 .

Die Rezeption

mittelalterlicher

Theologen

in Martin

Bucers Abendmahlskonzeption

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[Zit. nach JOSEF WOHLMUTH (Hg.): Dekrete der Ö k u m e n i s c h e n Konzilien, Bd. 3: Konzilien der Neuzeit, Paderborn — M ü n c h e n — W i e n — Z ü r i c h 2002,693f; vgl. DENZINGER/SCHÖNMETZER: Enchiridion s y m b o l o r u m d e finitionum et declarationum de rebus fidei et m o r u m , Barcelona u.a., 34. Aufl. 1967,385 u n d 389.] 2. Die Frage nach der

Lokalisierung

Das zweite Zitat aus T h o m a s von Aquin findet sich i m Brief Nr. 326 von Bucer an Brück (unter d e m D a t u m v o m 16. oder 17. April 15 30) 2 8 . D e r Inhalt dieses Briefes ist folgender: W i e aus Luthers Bekenntnis Vom Abendmahl deutlich wird, unterscheidet sich seine Auffassung von der Präsenz des Leibes Christi b e i m A b e n d m a h l nicht von Zwingiis Taufverständnis der Contemplatio fidei, auch w e n n bei Zwingli vorausgesetzt wird, daß Christi Leib einen einzigen O r t im H i m m e l einnimmt. Christus schenkt seinen Leib durch sein Wort, er wird im Glauben empfangen. Bucer entfaltet seinen Abendmahlsglauben in n e u n P u n k t e n , wobei er sich auf A u gustin, Bonaventura u n d T h o m a s von Aquin bezieht 2 9 . Er bekennt, daß der „Christus verus et totus" dort ist, w o die Christen sind, da er in ihnen wohnt 3 0 . Er verwirft die gleichzeitige Gegenwart im H i m m e l u n d im Brot 3 1 . Christus ist wahrhaftig u n d wesentlich i m Abendmahl präsent 3 2 . Die drei zitierten Väter — Augustin, Bonaventura u n d T h o m a s — werden mit den Autoren gleichgesetzt, die eine strikte Lokalisierung Christi in den Gestalten ablehnen: „ C o r p u s naturae n o n esse alicubi nisi localiter n o n est nostra sententia, nisi esse alicubi m o d o corporis, uel iuxta proprias dimensiones intelligas. Verum enim et t o t u m C h r i s t u m fatemur esse, v b i c u m q u e christianj sunt; habitat e n i m in illis. C o r p o r i s naturae repugnare dicimus, alicubi esse corporis modo, nec tarnen localiter, sed n o n m o d o quouis. R e p u g n a r e naturae corporis, simul in diuersis locis esse, affirmamus, sed ita vt Augustinus, vt Thomas, Bonauentura ac multj alij, quos n e m o v n quam n o n inter orthodoxos (quantum ad hanc quidem sententiam attinet) habuit. Haec verba Augustini „ C h r i s t u m esse in loco aliquo caeli propter veri corporis m o d u m " vera credimus, et eo modo, q u o in caelis agit, simul alibi 28

BCor IV, 201-207.

29

AUGUSTINUS: D e p r e s e n t í a D e i ad D a r d a n u m , E p i s t . 1 8 7 , 41 ( M P L 3 3 , 8 4 8 ) : B C o r IV, 2 0 5 , 1 A n m . 3 1 ; THOMAS u n d BONAVENTURA: B C o r IV, 2 0 4 , 2 0 A n m 3 0 . 30 31 32

BCor IV, 204,15-16. BCor IV, 104,1-4. BCor IV, 205,8.

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eum esse in pane vel cum pane, secundum scripturas cum omnibus et patribus et scholasticis negamus." 3 3 Die hier zitierte Stelle aus Augustins Brief 187 (auch De praesentia Dei ad Dardanum bezeichnet) wird in Bucers Briefwechsel des Jahres 1 5 3 0 w i e derholt verwendet. Die Frage nach der Lokalisierung kommt auch über das negativ-implizite Zitat aus Gabriel Biel zur Sprache. Im B r i e f Nr. 3 2 0 an Gregor B r ü c k (vom 2 3 . / 2 4 . August 1530) betont B u c e r seine Ablehnung des räumlichen Abendmahlsverständnisses, das implizit mit dem Abendmahlsverständnis Biels identifiziert wurde. In diesem B r i e f gibt B u c e r eine Zusammenfassung seiner Auffassung vom Abendmahl; für ihn ist alles nur ein „Streit um W o r t e " 3 4 . Die Auseinandersetzung kreist um den Sinn der Einsetzungsworte „Dies ist mein L e i b " (Mt. 26,26). Die beiden in Augsburg anwesenden Parteien (Lutheraner und Straßburger/Zwinglianer) halten an der R e alpräsenz Christi fest und bestreiten die allgemeine Auffassung („vulgarius"), nach der Brot und Leib Christi identisch sind. Die Zwinglianer lehnen die Begriffe realiter und corporaliter ab 3 5 — ein räumliches Verständnis, das Luther selbst, weil von Gabriel Biel übernommen, verwirft (der Leib ist nach Luther nur in der sakramentalen Einheit präsent). Neben seiner orthodoxen Lehre zur Transsubstantiation 36 , der K o m m u nion unter beiderlei Gestalt und der Verehrung des Hl. Sakraments hält Biel an der Präsenz im sakramentalen Sein in seiner ganzen Ausdehnung fest, die Jesus im Himmel zukommt: der eucharistische Leib ist vollständig in j e d e m Teil der Hostie anwesend 3 7 . Wenn der Priester die Abendmahlselemente wegträgt, so verleiht die Seele Christi oder Gott dem Leib des Herrn eine ähnliche Bewegung. Biels Werk Canonis Missae expositio, dessen Einfluß auf das Denken des jungen Luther Oberman betont hat 3 8 , dient hier als Beispiel einer Gegenposition zur Ablehnung einer räumlichen I m AUGUSTINUS: D e presentia Dei ad Dardanum, Epist. 187, 41 ( M P L 3 3 , 8 4 8 ) . B C o r IV, 166, 2 - 167,3: „Alß ich gestern ewer achtpar weyßheit zugesagt, yn kurtzen articulen zu stellen die rede, so ich mit euch von dem gehebt, das ichs vor Gott anders nit erkenne, dann das der span [= Streit] vom hjeiligen] sacrament des obentmals Christi, der sich zwischen do[ctor] Martin Luther vnd vnß haltet, alleyn yn worten seye, hab ich solliche in aller eynfalt vnd warheyt, alß ichs yn meynem gewissenn vor den äugen des Almechtigen befind [ . . . ] . " 3 5 B C o r IV, 1 7 1 , 1 0 . 3 6 JOSEPH DE GHELLINCK: A propos du premier emploi du mot „transsubstantiation". In: R S R 1 (1911), 4 6 6 - 4 6 9 . 3 7 GABRIEL BIEL: Collectorium in quattuor libros sententiarium, IV, dist. 10. 3 8 „Gabriel scribens librum super canonem missae liber m e o judicio tarn optimus fuerat; wenn ich darinnen las, da blutte mein Hertz. Bibliae auctoritas nulla fuit erga Gabrielem. Ich behalte noch die bücher, die mich also gemartert h a b e n . " WA T R 3, 564, 5 - 8 , 33 34

N r . 3 7 2 2 ; v g l . G A B R I E L B I E L : C a n o n i s M i s s a e E x p o s i t i o , h g . v. H E I K O A . O B E R M A N / W I L LIAMJ. COURTENAY, B d . 1, W i e s b a d e n 1 9 6 3 ( V I E G 3 1 ) , X I I I , A n m . 2.

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mittelalterlicher

Theologen

in Martin

Bucers Abendmahlskonzeption

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plikation des Leibes Christi in der Hostie. Diese räumliche Auffassung w u r d e seit d e m Marburger Gespräch v o m zwinglianischen Lager den L u theranern z u m Vorwurf gemacht. In Bucers D e n k e n ist diese Ablehnung eine Konstante, erscheint sie doch bereits in d e m Traktat De Coena Dominica von 1524 — einem Traktat, der i m übrigen Biel große B e d e u t u n g einräumt 3 9 u n d damit den nachhaltigen Einfluß aufzeigt, den dieser auf einen Teil der Abendmahlstheologie des Straßburger R e f o r m a t o r s ausübte. 3. Die Autorität

Berengars v. Tours (c.

gegen den eucharistischen

1005-1088)

,Materialismus'

Im Gegensatz z u m gemäßigten Realismus eines T h o m a s von Aquin verurteilt Bucer den übertriebenen Materialismus der Anhänger des strikten Realismus. Im Brief Nr. 327 Bucers an Luther (vom 2 2 . / 2 3 . August 1530) — ein nicht abgesandter Briefentwurf, der aber M e l a n c h t h o n zur B e g u t achtung vorlag — stützt sich Bucer auf Oekolampads Schrift Quid de Eucharistia veteres für den Nachweis, daß die Meinungsverschiedenheiten unter den R e f o r m a t o r e n auf einem Wortstreit b e r u h e n . Bucer lehnt die Transsubstantiation u n d die lokale Gegenwart des Leibes Christi i m Brot ab. Er bekennt andererseits, daß der Leib Christi realiter geschenkt wird u n d kraft eines Bündnisses (Paktes) anwesend ist. Indem er erneut u n d weiterhin im positiven Sinn Augustins Brief (Nr. 187) 40 , den sog. De praesentia Dei ad Dardenum Brief, zur Präsenz des wahren Leibes Christi an einem h i m m l i schen O r t zitiert, schreibt er: „ C u m q u e tu ipse [= Luther] scripseris, etiam si Christo p r o p r i u m in caelis locum, sed celestem propter veri corporis raodum, vt Augustini verbis vtar, tribuamus, posse nihilominus in caena sacra praesentia haberi eius corpus et sanguinem, satis habeas nos huiusmodi praesentiam et credere et confiteri [...] Fatentur sane c u m veteribus et scholasticj Christi corpus animae t a n t u m cibum esse, c u m q u e dicitur manibus tenerj, ore sumj, dentibus terj, in viscera traijci, hasce actiones in symbolis finiri et c o r p o r i ac sanguini Christi tantum (vt tu q u o q u e scripsisti) ob sacramentalem v n i o n e m tribuj."41 O h n e Berengar von Tours direkt anzuführen, bezieht sich dieses Zitat auf die Professio Berengarii, das Glaubensbekenntnis zu einem Realismus, genauer einem eucharistischen Materialismus, das diesem Anhänger eines spirituellen Realismus abgezwungen worden war. Berengar hat in der Tat 39

MARTIN BUCER: D e C o e n a D o m i n i c a , B O L I, L e i d e n 1 9 8 2 , 2 3 , 2 (GABRIEL BIEL:

Canonis Missae Expositio, lec. 16 A, 21 K, 53); De Coena Dominica, BOL I, 32,10 (GABRIEL BIEL: C a n o n i s M i s s a e E x p o s i t i o , lec. 2 6 H ) . 40 41

Vgl. oben Anm. 29 BCor IV, 210,17-21; 211,3-7.

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Lanfrank, den Prior und Scholaster des berühmten Klosters B e c in der Normandie, theologisch herausgefordert. Er bezichtigte ihn vor seinen M ö n c h e n , die realistische Lehre eines Paschasius Radbertus zu vertreten. 4 2 D e r Streit zwischen Lanfrank und Berengar, zwischen einer realistischen Konzeption des allein im Glauben empfangenen Mysteriums und der Konzeption eines Realismus im Symbol — „in Schleier und Figur" —, ist nämlich nichts anderes als die Fortsetzung eines weit älteren Streites, auf den die Reformatoren ausführlich zu sprechen kommen. Es handelt sich um den Streit, der Paschasius Radbertus und Ratramnus von Corbie gegeneinander aufgebracht hat. Der um 8 5 9 gestorbene Paschasius Radbertus bekannte in seinem Liber de corpore et sanguine Domini, der ersten systematischen Abhandlung zur Abendmahlstheologie im Mittelalter, daß durch eine Weiheanapher Brot und Wein zu Leib und Blut Christi würden. G e gen ihn plädiert Ratramnus für einen Wandel der eucharistischen Realitäten „in Schleier und Figur" („in figura"). 4 3 M e h r als zwei Jahrhunderte später, in den Jahren um 1048, wurde der Streit durch Berengar von Tours und Lanfrank von Pavia wieder aufgenommen. Berengar verwirft in seinem Rescriptum j e d e spürbare Präsenz (praesentia sensualis), j e d e materielle und substantielle Präsenz von Leib und Blut Christi im Abendmahlssakrament und behauptet dessen rein intellektuellen, spirituellen und symbolischen Charakter. Berengar leugnet nicht die Realpräsenz, er leugnet lediglich, daß diese Realität erfahrbar sei. Eine spirituelle Präsenz ist real, sie ist aber trotzdem weder physisch noch materiell. Die materielle manducatio wurde von der unter Papst Nikolaus II. in R o m abgehaltene Lateransynode (1059) festgesetzt, an deren Abschluß Berengar zum W i d e r r u f und zu einer Professio aufgefordert wurde. Darin bekannte er, daß der „substantiell anwesende" Leib Christi in der Hostie zerbrochen, mit den Händen des Zelebranten ausgeteilt und von den Gläubigen mit den Zähnen zerkaut werde. Diese Texte erlangten im reformatorischen Abendmahlsstreit der dreißiger Jahre eine gewisse Bekanntheit. Insbesondere ist uns ein B r i e f von M e lanchthon an Veit Dietrich aus dem Jahre 1538 überliefert, in dem Melanchthon den für Karl den Kahlen um 8 4 4 verfaßten Traktat des Ratramnus von Corbie zitiert: „Extat libellus, in quo autor respondet Carolo Magno Imp. Francico primo, quid sit de symbolo coenae dominicae sentiendum, ubi apparet ijs 4 2 Vgl. ANDRÉ CANTIN: La raison dans le „ D e sacra c o e n a " de Bérenger de Tours. In: R e c h e r c h e s Augustiniennes 12 (1977), 1 7 4 - 2 1 1 ; DERS.: R a t i o et auctoritas dans la première phase de la controverse eucharistique entre Bérenger et Lanfranc. In: R e v u e des Études augustiniennes 2 0 (1974), 1 5 5 - 1 8 6 . 4 3 Vgl. JEAN-PAUL BOUHAUT: R a t r a m n e de C o r b i e - Histoire littéraire et controverses doctrinales, Paris 1976.

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temporibus etiam agitatam esse controversiam de praesentia. Autor fuit Augustini studiosus, ut fere illa aetas tota, quare in hac responsione propem o d u m sequitur Augustinum. Et de efficacia multa disserit, de praesentia magis significans quid velit quam explicans [...] Ego vero, etsi, ut dixi, realem pono: tarnen non pono inclusionem seu ferruminationem, sed sacramentalem: Hoc est, ut signis positis adsit vere Christus efficax. Quid requiris amplius?" 44 Zahlreiche Neuausgaben der Traktate von Ratramnus von Corbie und von Paschasius Radbertus sind während des Abendmahlsstreites erschienen; ersterer wurde von den Zwinglianern, letzterer von den Wittenbergern 4 5 herausgegeben. 4. Manducatio

impiorum

Im dritten Teil des Briefes Nr. 320 von Bucer an Gregor Brück (23. oder 24. Oktober 1530) wird die manducatio impiorum angesprochen: Können die Gottlosen den Leib Christi essen? Christus hat die Einsetzungsworte für die wahren Jünger gesprochen. Alle Kirchenväter haben Kap. 6 des Johannesevangeliums auf das Abendmahl bezogen. Für Augustin haben die Jünger das Brot des Herrn gegessen, Judas das Brot gegen den Herrn. „So haben auch alle vetter, das der Herr Johanfnis] sexto [Joh. 6,54] von essen seyns leybs vnd drincken seyns bluts gesagt hat, ob er wol do selbet nichs vom sacramentlichen essen gemeldet, vff das nachtmal gezogenn, wie dann auch, das der Herr im nachtmal geredt, mit ienen gehandlet, auß dem sy auch zu verstohn geben, das sy erkennet haben, Christum ym obentmal nicht das sacramentlich, sonder by vnd mit den selbigen das essen vnd drincken seyns leybs vnd bluts furnemlich gemeynet haben, des man selig wirdt. D o r u m b S[ankt] Augustin schreybt: ,Discipulos manducasse panem dominum, Judam panem dominj contra dominum.' Vnd ob die vetter wol offt auch sagen, das Judas vnd andere bösen Christus leyb niessen, lossen sich doch soliche yre reden ansehen, alß hetten sye das selbige alleyns der sacramentlichen eynigkeit halb also geschriben, die weyl soliche das brot des Herren vnd kelch mit empfiengen. Jedoch möchte man dises spans vber ein komen, wann man wolte reden vff die weyse wie Berna[r]dus, welcher dryerley essen setzet: eyns, so alleyn das sacrament genossen wurdt; alßo, sagt er, issets auch eyn klayne mauß; das ander, so auch der leyb Christi, doch on frucht, genossen wurdt; das dritt, mit frucht." 4 6 44 Zitat n a c h ANNIE NOBLESSE-ROCHER: C h r i s t présent et agissant. U n e lettre de M é l a n c h t h o n sur la C è n e . In: Pos. L u t h . 45 (1997), 131f. 45 Siehe W A 2 6 , 4 4 2 , 2 9 - 4 4 3 , 7 (LUTHER b e z i e h t sich auf Lanfrank). 46 B C o r IV 1 7 4 , 6 - 2 4 .

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Hinter dem als „Bernhardus" angeführten Autor des Sermo de excellentia SS. Sacramenti et dignitate sacerdotum über die manducado des Engelsbrotes (des eucharistischen Brotes) und die Würde der Priester verbirgt sich wahrscheinlich ein unbekannter Zisterzienser. Dieser in seiner Diktion nach der „monastischen T h e o l o g i e " 4 7 der Traktate und Predigten B e r n hards von Clairvaux (gest. 1153) konzipierte sermo hat große Wertschätzung erfahren, so bei Nikolaus von Clairvaux (gest. ca. 1178) oder O g i e r (ca. 1140—1214), und wurde in das bernhardinische Corpus eingefügt 4 8 . D e r Pseudo-Bernhard Text entspricht nicht ganz dem von B u c e r zitierten Text. Nachdem Pseudo-Bernhard die drei Gruppen von Gläubigen als Glieder des Leibes herausgehoben hat, die mit dem Haupt Christus verbunden sind — die Apostel, Märtyrer und die seligen Verstorbenen —, verteidigt er den Glauben bei der Aufnahme des Sakraments: „Mira sunt, fratres, quae de sacramento isto dicuntur. Fides est necessaria; scientia rationis supervacua. Scientia ratione et intellectu colligitur; fides sola auctoritate inducitur." 4 9 Pseudo-Bernhard fragt dann nach der Kirche als corpus mixtum. Er kommt auf zwei Typen des Sakramentsverständnisses zu sprechen: das Verständnis des äußeren und das Verständnis des inneren M e n schen, wobei letzterer unter Brot und Wein den Leib und das Blut des Herrn erkennt. Drei Ebenen überlagern sich: der materielle Aspekt des Brotes, die Wahrheit des Fleisches und die Kraft der Gnade. 5 0 PseudoBernhard zieht daraus die Schlußfolgerung: „Comestio itaque sacramentalis, quantum ad visibilem speciem, et quantum ad corporis Christi veritatem, convenit bonis et malis communiter." 5 1 M i t dem R ü c k g r i f f auf die Autorität des Pseudo-Bernhard lassen sich die Meinungsverschiedenheiten bei den Fragen über die Kommunion überbrücken, deren Gültigkeit den Anhängern anderer Abendmahlsauffassungen zugebilligt werden kann. B u c e r vermischt die beiden Bilder (die drei Gruppen von Seligen mit den beiden Menschentypen, dem inneren und äußeren) und fügt eine Vorstellung von der bei der Kommunion empfangenen Frucht hinzu, die nicht bei Pseudo-Bernhard vorkommt, sondern auf den Ethiker B u c e r in Grund und Ursach (1524) oder auch schon auf das Summary (1523) zurückgeht. A m Ende dieses knappen Uberblicks ist das Ergebnis hinsichtlich der R e z e p t i o n mittelalterlicher T h e o l o g e n bei B u c e r reichlich dürftig: D i e 4 7 Vgl. JEAN LECLERCQ: Saint Bernard et la théologie monastique du X l l e siècle. In: Saint Bernard théologien. Actes du Congrès de Dijon (15.—19. September 1953), R o m 1 9 5 3 (Analecta Cisterciensia 9), 2 3 4 - 2 5 2 . 48 MPL 184,982-991. 49 MPL 184,988. 5 0 M P L 184, 9 9 0 . 51 Ebd.

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U n t e r s u c h u n g zu den zitierten A u t o r e n ergibt mit aller Vorsicht, weil das angeführte B r i e f c o r p u s e b e n sehr begrenzt ist, bei entscheidenden Fragen eine positive K o n n o t a t i o n und B e n u t z u n g der Autoritäten der via antiqua (Augustin, T h o m a s von Aquin), die in den D o m i n i k a n e r k l ö s t e r n zur Z e i t von B u c e r s Studienjahren erneut ausgiebig studiert worden sind. A n d e rerseits ist die negative K o n n o t a t i o n von Vertretern der via moderna (wie Gabriel B i e l ) festzustellen, dessen räumliches Verständnis scharfe A b l e h nung erfuhr. D i e s e Feststellung trifft genau für das J a h r 1 5 3 0 zu. In der Tat sind die Vertreter der via moderna (vor allem Gabriel Biel) in einer älteren Abhandlung B u c e r s — De Coena Dominica von 1 5 2 4 — positiv zitiert. D i e ser Traktat läßt a u f eine entscheidende theologische B e d e u t u n g von Biels D e n k e n für B u c e r s Abendmahlskonzeption schließen.

II. De Coena Dominica 1 5 2 4 k a m es in Straßburg zu einschneidenden Veränderungen und N e u e r u n g e n auf liturgischem Gebiet: A m 3. D e z e m b e r teilte B u c e r anläßlich der H o c h z e i t von Matthias Zell das Abendmahl unter beiderlei Gestalt aus. B u c e r verfaßte seinen Traktat über das Herrenmahl als Antwort auf die Erwartungshaltungen der Straßburger und in R e a k t i o n auf T h o m a s M u r ner. G e g e n M u r n e r und seine Auffassung der Messe als O p f e r setzte B u c e r sein evangelisches Verständnis. D e r Kernpunkt liegt in den v o m Apostel Paulus überlieferten Einsetzungsworten. Sind diese W o r t e einmal gesprochen, so werden aus B r o t und W e i n Leib und Blut Christi. In der N ä h e zu Luther definiert B u c e r das Abendmahl als Bestätigung der göttlichen Verheißung und als Bekräftigung des Glaubens. I m zweiten Teil der A b h a n d lung gegen M u r n e r wendet sich B u c e r schließlich gegen ein Abendmahlsverständnis, für das die sakramentale Speise unentbehrlich für die S ü n d e n vergebung ist. Für den Straßburger R e f o r m a t o r wird die Vergebung i m Glauben o h n e Verpflichtung zu einer sakramentalen Praxis empfangen. In diesem polemischen K o n t e x t gegen T h o m a s M u r n e r zeigt sich B u c e r in großer N ä h e zu Luther bei der Bestreitung der Transsubstantiation 5 2 . D i e Unterscheidung zwischen Substanz und Akzidenz, die A n b e t u n g des A l tarsakraments, deren Ursprung von i h m fälschlicherweise T h o m a s von Aquin zugeschrieben wird, die quantitative Vorstellung v o m Leib Christi und seine Lokalisierung in der Hostie werden verworfen. D e r O c k h a m i s t Pierre d'Ailly wird implizit bei der Bestreitung der Transsubstantiation zi-

32

MARTIN BUCER:

De coena Dominica, B O L 1 , 1 7 - 5 8 , bes. 3 4 .

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tiert: „ O h n e Verstand und ohne die [HL] Schrift erfindet ihr eure Transsubstantiation, so daß man im Stehen einschläft." 5 3 N o c h aufschlußreicher ist die Anzahl der Zitate aus Gabriel Biel. An 12 Stellen des Traktes werden folgende Fragen aufgegriffen: 1. Die Erinnerung und Vergegenwärtigung des Todes Christi in der Messe entspricht der herkömmlichen Auffassung, die B u c e r mit Zitaten aus Thomas von Aquin, Petrus Lombardus und Gabriel Biel übernimmt 5 4 . 2. B u c e r übernimmt von Biel auch die Bezeichnung der Gläubigen als „Erben"55. 3. M i t Biel nimmt B u c e r an, daß allein Taufe und B u ß e die Sünden tilgen, aber nicht das Meßopfer 5 6 . 4. Schließlich und vor allem übernimmt B u c e r von Biel dessen Verständnis der Erwählung. B e i Biel findet sich die Unterscheidung zwischen dem für alle vergossenen Blut Christi, das j e d o c h nur für die Erwählten heilswirksam ist (Lee 53 Q ) : das Heil ist ausschließlich in denen wirksam, die prädestiniert und erwählt sind. Nur sie allein erhalten dadurch die Gnade der Vergebung und die Herrlichkeit der Erben. B e i B u c e r besteht der ordo justificationis aus der Erwählung, aus der Heiligung durch das W i r ken des Heiligen Geistes im Gehorsam gegenüber dem Wort Gottes durch den Glauben und aus der Reinigung durch das Blut Christi: „ Q u o d pulchre et divus Petrus indicat in sua salutatione prioris Epistolae ita scribens: ,Electis advenis secundum prescientiam Dei patris, in sanctificatione spiritus, et in oboedientiam et aspersionem sanguinis Jesu Christi' (1 Petr. 1, l f ) , hic vides primum omnium esse, ut secundum Dei praedefinitionem electi simus, deinde spiritus afflatu sanctificamur, ut obediamus nimirum verbo Dei per fidem, tum demum sanguine Christi aspergimur [ , . . ] . " 5 7 Seit 1524 zeigt sich mit der Prädestination ein Grundzug in Bucers Theologie, der offensichtlich (zum damaligen Zeitpunkt) von der Erwählungstheologie Gabriel Biels herrührt.

53 54 55 56 57

Sentenzenkommentar IV, q. 6F; De Coena Dominica, B O L I, 34. De Coena Dominica, B O L I, 23. Ebd., 20,4 Anm. 16 (GABRIEL BIEL: Canonis Missae Expositio, lec. 53 N). De Coena Dominica, B O L I, 29. Ebd., 31.

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III. Das Florilegium

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patristicum

Das Florilegium patristicum, eine Sammlung patristischer Texte, wurde im Lauf der Jahre von B u c e r angelegt, aber erst nach 1536 durch den Straßburger R e f o r m a t o r und Parker 58 veröffentlicht. Es handelt sich um ein Werk, bei dem zwei „Hände" erkennbar sind: die Bucers und die Parkers mit seinen Schreibgehilfen. Die Zusätze Parkers, die das Abendmahl b e treffen, sind als Beitrag im Sinne kanonistischer 59 , ursprünglich scholastischer 6 0 Lehren wie der des Antoninus von Florenz (1389—1459) zu beurteilen. Antoninus ist Autor eines Chronicorum opus und einer Summa theologica, die stark von der Summa des Thomas von Aquin beeinflußt ist, aber für eine breitere Leserschaft unter den Klerikern verfaßt wurde. Bucers Hand zeigt sich an der Auswahl patristischer 61 und karolingischer Zitate, so von T h e o d o r v. Orléans (gest. 821) 6 2 und monastischen Autoren des 12. Jahrhunderts der realistischen Abendmahlsrichtung ( R u pert von Deutz, De Officiis divinis, c. 2 0 , 1 . 2 6 3 ) . Außerdem wird die Vorliebe Bucers für vorscholastische Theologen an der Tatsache ablesbar, daß alle Zitate aus den Werken dieser Autoren auf ihn selbst zurückgehen: Zitate aus Gregor dem Großen, dessen Ansehen im Hochmittelalter und bei bernhardinischen Autoren bekannt ist (Briefe 33, 37, 86) 6 4 , Bernhard von Clairvaux 6 5 oder aus ihm zugeschriebenen Werken (wie das Zitat aus Guerric d'Igny, gest. 1157 6 6 ) sind allein von ihm. B u c e r und Parker waren offensichtlich aufmerksame Leser der Väter. Dort aber, wo sich B u c e r an die von Beatus Rhenanus (1485—1547) wiederentdeckten Quellen aus der Karolingerzeit hält, studiert Parker die Scholastiker und vor allem Antoni-

B O L III (wie Anm. 9), X I X . B O L IV, 146; AUGUSTINUS, ebd. 56 und 146. Friedberg 1,692: „Conceditur penitentibus quibusdam, ut ,corpus et sanguinem Domini suscipere mereantur'." So bei BUCER: B O L 111,21. 6 0 Vgl. THOMAS VON AQUIN: Summa Theologica III, q.80, art. 12: „ [ . . . ] scribit quod in quibusdam ecclesis suo tempore cepit sacramentum dari sub altera specie." So bei BUCER: B O L III, 27. 61 CYPRIAN, S. BUCER: B O L III, 146; AUGUSTINUS, ebd. 5 6 . 1 4 6 . 6 2 THEODULFI capitula, M P L 1 0 5 , 1 1 1 - 2 2 4 ; bes. 196. 6 3 RUPERTUS ABBAS TUITENSIS, M P L 170, 48/A; BUCER: B O L III, 175; zur Vermengung von Wasser mit dem Abendmahlswein: Rupert behauptet, daß dieser Ritus nicht in das göttliche R e c h t hineingehört. C C M 7, 50: „Hoc autem sacro sanctum altaris mysterium idcirco missa dicitur, quia ad placationem et solutionem inimicitiarum, quae erant inter Deum et homines, sola Valens et idonea missio est." BUCER: B O L III, 72. 6 4 GREGORIUS: epist. 30, lib. 6 ( M G H Ep 1, 478); epist. 33, lib. 7 (MPL 77, 8 9 1 D ) ; BUCER: B O L 111,104. 6 5 M P L 183, 274/A: „Bernhardus in Sermone in Coena Domini: N e m o contemnat aut parvipendat. Impossibile enim est cum eis salvari." BUCER: B O L III, 160. 6 6 M P L 185, 87: Sermo D e Purificatione. 58 59

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nus von Florenz, den gelehrten Autor und reformfreudigen Scholastiker, Chronisten und Humanisten. D e r Aufbau des Werkes folgt in seinem ersten Teil (S. 43—173) der Struktur des 4. B u c h e s der Sentenzen von Petrus Lombardus über die Sakramente und zeigt, daß das Florilegium ein ehrgeiziges, lange Z e i t ausgereiftes Unterfangen von B u c e r war, d e m stellenweise scholastische Zitate von Parkers H a n d hinzugefugt worden sind. M i t der Apologie derTetrapolitana ( 1 5 3 1 ) hat B u c e r seine Vertrautheit mit den Vätern, vor allem mit B e r n hard von Clairvaux, unter Beweis gestellt 6 7 .

Schluß Diese knappe U n t e r s u c h u n g zur R e z e p t i o n mittelalterlicher T h e o l o g e n durch B u c e r in einigen Abendmahlsschriften ergibt seine Loslösung von der durch Gabriel Biel repräsentierten via moderna und den n o c h erkennbaren Einfluß des ursprünglichen T h o m i s m u s in den Jahren u m 1 5 3 0 , wie dies Lambert Leijssen für den R ö m e r b r i e f k o m m e n t a r Bucers nachgewiesen hat 6 8 . B u c e r verwirft nicht das Instrumentarium der Logiker, das in der ursprünglichen thomistischen Scholastik entstanden ist, z.B. das von Petrus C r o c k a e r t 6 9 oder das in der Dialectia des G e o r g von Trebizonde, das in der Argumentation von B u c e r s Schrift Defensio adversus Axioma Catholicum ( 1 5 3 4 ) anklingt. Diese Schrift ist gegen den B e g r i f f der Transsubstantiation gerichtet und spricht sich für einen gemäßigten Abendmahlsrealismus aus 7 0 . I m J a h r 1 5 3 0 j e d o c h und n o c h stärker in den späteren Jahren, b e s o n ders 1 5 3 6 , als sich die konfessionelle, i n n e r - wie außerprotestantische Front verhärtete, kehrte B u c e r zu vorscholastischen, konziliaren, karolingischen oder zisterzienischen Q u e l l e n zurück und knüpfte erneut an den kulturellen und geistigen Grundlagen seiner frühen Studienzeit an, u m einen gemäßigten Sakramentsrealismus zu bestätigen.

67

BUCER: B D S I (wie A n m . 7), 1 5 1 - 1 8 4 ; 2 0 3 ; 2 3 8 ; 241f.

LAMBERT LEIJSSEN: Martin B u c e r und Thomas von Aquin. In: E T h L 55 (1979), 266-296. 68

69

Vgl. IRENA

PIERRE

BACKUS:

FRAENCKEL/LUCE

La t h é o r i e

logique

GIARD/PIERRE

de M a r t i n

Bucer.

LARDET/WALTER

In: IRENA

BACKUS/

SPARN ( H g . ) : L o g i q u e

et

théologie au X V I e siecle: Aux sources de l'argumentation de Martin Bucer, G e n f — Lausanne - Neuchâtel 1980 (Cahiers de la R T h P h 5). 7 0 MARTIN BUCER: Defensio adversus Axioma Catholicum, hoc est criminationem R.P. R o b e r t Episcopi Abrincensis (1534), hg. von WILLIAM I. HAZLETT, B O L V, Leiden

2000.

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in Martin Bucers Abendmahlskonzeption

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Résumé Après avoir exploré les rapports que la théologie bucérienne entretenait avec la théologie luthérienne et la pensée erasmienne, l'historiographie s'attacha, au cours de ces dernières années, à montrer l'originalité de la théologie bucérienne et, dans cette perspective, se tourna vers les sources médiévales qui ont pu façonner la théologie du Réformateur strasbourgeois. Dans sa correspondance de 1530, B u c e r use de peu de références médiévales explicites, mais, quand ils sont invoqués, les auteurs médiévaux le sont sur des thèmes décisifs pour les débats eucharistiques de 1530: le refus de la transsubstantiation, la localisation et la matérialisation du corps du Christ dans la Cène, la manducation des incroyants. Il résulte de l'étude de la correspondance l'attachement de B u c e r à la via antiqua. D e u x traités des années 1524 et c. 1536, le De Coena Dominica et le Florilegium patristicum, permettent de discerner une évolution dans l'utilisation des autorités m é diévales. Nach der Erforschung der Beziehung von Bucers Theologie zu Luthers Theologie und dem Denken des Erasmus konzentrierte sich die historische Forschung in den letzten Jahren auf die Eigenart von Bucers T h e o l o gie. In dieser Perspektive kamen auch die mittelalterlichen Quellen zur Sprache, die bei der Herausbildung der Theologie des Straßburger R e f o r mators eine R o l l e spielten. In seinem Briefwechsel von 1 5 3 0 bezog sich B u c e r explizit nur auf wenige mittelalterliche Quellen, die aber bei den entscheidenden Fragen im Zusammenhang mit den Abendmahlsauseinandersetzungen von 1 5 3 0 angeführt werden: bei den T h e m e n der Transsubstantiation, der Lokalisierung und Materialisierung des Leibes Christi im Abendmahl sowie der manducatio Nicht-Glaubender. Die Untersuchung des Briefwechsels ergibt Bucers Prägung durch die via antiqua. Zwei A b handlungen aus den Jahren 1524 und (um) 1 5 3 6 — De Coena Dominica und das Florilegium patristicum — lassen eine Entwicklung in der Rezeption mittelalterlicher Theologen erkennen. (Ubersetzung: Gerhard Philipp Wolf)

Toleranz und Häresie Martin Bucers prinzipielle Neubestimmung christlicher Gemeinschaft BERNDT

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Der reformatorische Abendmahlsstreit betraf, vordergründig gesehen, nur ein Spezialproblem der Theologie: die Auslegung der Einsetzungsworte Christi und die Frage nach der Art der leiblichen Gegenwart Christi bei der Abendmahlsfeier. Im Verlauf des Konflikts trat aber immer deutlicher zutage, wie weitreichend die Problemhorizonte waren, die sich mit der Frage der Realpräsenz verbanden. Der Streit u m die Deutung weniger B i belworte konnte daher prinzipielle Gegensätze auf vielen Feldern der Theologie von der Ontologie und Gotteslehre über die Christologie und Pneumatologie bis hin zur Bibelhermeneutik und Ekklesiologie offenlegen und forcieren. Eine der wirklich grundlegenden Überlegungen, die durch die Abendmahlskontroverse vorangetrieben wurden und dann völlig unterschiedliche Denkansätze im reformatorischen Lager offenbarten, galt der Frage nach den Bedingungen und Grenzen kirchlicher Gemeinschaft: Wen kann man als christlichen Bruder — von Schwestern ist in diesem Fragehorizont nie eigens die R e d e — anerkennen und dulden? Wieviel Dissens in der Schriftauslegung und in Lehrfragen verträgt die Einheit der Kirche? U n d wo beginnt die unerträgliche Häresie, die zum Ausschluß aus der Gemeinschaft fuhrt? Für Martin Bucer stellten sich diese Fragen durch den enttäuschenden Ausgang des Marburger Religionsgesprächs mit verschärfter Dringlichkeit. Martin Luther hatte ihm gegen Ende des Treffens, am Nachmittag des 3. Oktober 1529, erklärt, der Gegensatz im Verständnis des Abendmahls verbiete seinem Gewissen, die Oberdeutschen und Schweizer als christliche Brüder anzuerkennen 1 . Aus Bucers Sicht riß diese Verweigerung der christlichen Gemeinschaft durch die Wittenberger eine Kluft auf, die viel ' Vgl. BUCERS Reminiszenz in seinem Widmungsschreiben (wie Anm. 9), 51,23-27; vgl. auch B C o r III, 333, 3 - 2 5 (BUCER an Ambrosius Blarer) und B D S IV, 3 5 0 , 2 3 - 2 5 ; 3 5 3 , 1 5 - 2 3 ; 3 5 5 , 1 0 - 1 8 (Berichte über das Marburger Religionsgespräch von Kaspar H e dio, Johannes Brenz und Andreas Osiander).

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tiefer reichte als das Abendmahlsproblem selbst; denn erst jetzt, meinte er, stand die grundlegende kirchliche Einheit mit den Wittenbergern auf dem Spiel. Nicht die Frage nach der leiblichen Präsenz Christi, sondern die Frage nach der Tragfähigkeit christlicher communio war für ihn die echte, eigentliche Grundlagenkontroverse, die den Zusammenhalt der evangelisch Gesinnten zu zerstören drohte 2 . Deshalb beschäftigte sich B u c e r in den Monaten nach Marburg intensiv mit dieser Problematik. Das T h e m a war ihm bereits vertraut. Schon in den ersten Jahren des Abendmahlsstreits vor dem Marburger Gespräch, die zugleich die Jahre der beginnenden Auseinandersetzung mit den Täufern waren, hatte B u c e r im Anschluß an erasmische Gedanken und gemeinsam mit seinen oberrheinisch-schweizerischen Humanisten- und Reformatorenfreunden Zwingli, Oekolampad und C a pito Vorstellungen von der zentralen Bedeutung der christlichen Verhaltensweisen Friedlichkeit und Liebe, Freundschaft und Brüderlichkeit entwickelt 3 . Ein besonderes Gewicht fiel dabei auf die Grundhaltung der Duldsamkeit, d.h. auf die Fähigkeit, innerhalb der christlichen Gemeinde und auf der Verständigungsbasis des biblischen Wortes abweichende M e i nungen auszuhalten, brüderliche Ermahnungen zu ertragen und so zu einer Einheit in der Lehr- und Glaubensvielfalt zu gelangen 4 . Die Konturen der Bucerschen Theologie der Toleranz hatten sich so bereits vor 1529/30 deutlich ausgebildet 5 . Die schockierende Erfahrung von Marburg, die Erfahrung einer Art von Exkommunikation, die durch weitere Äußerungen von Wittenberger Seite 2 Diese Relativierung, j a Bagatellisierung der eigentlichen Abendmahlskontroverse über die Realpräsenz Christi ist bei Bucer und Capito von Anfang an nicht nur Taktik und Strategie (wie Kaufmann betont), sondern in erster Linie die Folge einer theologischen Sachposition: Im Zuge einer Spiritualisierung und Verinnerlichung des Abendmahls wird das Gewicht von den äußeren Zeichen und dem Wortlaut der Einsetzungsworte genommen; der ganze Nachdruck fällt nun auf die glaubende Vergegenwärtigung der Heilstat Christi und die damit durch den Hl. Geist geschenkte Abendmahlsgabe der brüderlichen Liebe. Die Gemeinschaft der Glaubenden und Liebenden wird so pointiert zum Hauptgehalt des Abendmahls gemacht, daß demgegenüber die Differenz im Verständnis der Einsetzungsworte als Streit um Unwesentliches, Mißverstehen und unnötiger Zank um Worte bezeichnet werden kann (vgl. in B C o r IV, Nr. 314, 320, 324, 326, 328, 329, 338, 339). Das wahre Kriterium des rechten Abendmahlsverständnisses sind dann die Früchte der Liebe und des brüderlich-duldsamen Umgangs mit solchen, die eine andere Deutung der Abendmahlsworte vertreten. Vgl. THOMAS KAUFMANN: Die Abendmahlstheologie der Straßburger Reformatoren bis 1528,Tübingen 1992 ( B H T h 81). 3 Vgl. FRIEDHELM KRÜGER: Bucer und Erasmus. Eine Untersuchung zum Einfluß des Erasmus auf die Theologie Martin Bucers (bis zum Evangelien-Kommentar von 1530), Wiesbaden 1970 (VIEG 57); GOTTFRIED BENDER: Die Irenik Martin Bucers in ihren Anfängen ( 1 5 2 3 - 1 5 2 8 ) , Hildesheim 1975 (Studia Irenica 5). 4 Vgl. BENDER ebd. 2 5 - 3 5 (Die sodalitas Christiana der oberrheinisch-schweizerischen Reformatoren). 5 Vgl. z.B. BUCERS Ausführungen auf der Berner Disputation 1528: B D S IV, 8 2 , 8 -

83,18.

Toleranz und Häresie

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noch bitterer und verletzender wurde 6 , verarbeitete Bucer, indem er seine bisherigen Gedanken über die christliche Irenik zuspitzte und noch mehr ins Prinzipiell-Programmatische ausweitete. Er gelangte so im Frühjahr 1530 zu einer grundsätzlichen Neubestimmung der christlichen Gemeinschaft. Innovativ im Prinzipiellen ist dieser neue Weg Bucers einerseits gegenüber dem traditionell katholischen Verständnis von Kirchengemeinschaft und Häresie, andererseits in deutlichem Kontrast zur lutherischen Verhältnisbestimmung von Wahrheit des Glaubens und Duldsamkeit der Liebe 7 ; er führt aber im Kontext einer pointiert biblisch-reformatorischen Theologie auch hinaus über die entdogmatisierenden Friedens- und Einheitsideale des erasmischen Humanismus und den unduldsam-dogmatischen, streitbaren Wahrheitsanspruch Zwingiis 8 . Im Folgenden soll gezeigt werden, welche Besonderheiten diesen Weg Bucers kennzeichnen, in welchem Sinne man also bei ihm von einer neuen Konzeption christlicher Toleranz sprechen kann. Der große programmatische Text, in dem Bucer — als Antwort auf Marburg — die Frage nach den Grundlagen und Grenzen christlicher Bruderschaft und nach dem Wesen von Häresie eindringlich behandelte, war das Widmungsschreiben (Epistola nuncupatoria) vom 20. März 1530 zur zweiten Ausgabe seines Evangelienkommentars 9 . Er richtet es an die Professoren der Marburger Hochschule, mit denen er sich seit der Begegnung beim Religionsgespräch besonders verbunden weiß, vor allem im Bemühen um eine tragfähige christliche Gemeinschaft, die den Gegensatz im Abendmahl überbrückt 1 0 . Der Umfang dieser Epistel — als längster Text unseres 6

I m W i d m u n g s s c h r e i b e n (wie A n m . 9,62,28—66,10) g e h t B u c e r auf die v e r l e u m d e rischen' u n d verletzenden Ä u ß e r u n g e n v o n lutherischer Seite g e g e n die Straßburger T h e o l o g e n in d e n M o n a t e n nach d e m M a r b u r g e r R e l i g i o n s g e s p r ä c h ein: „ I a m n o n p e r G e r m a n i a m solum c i r c u m f e r u n t u r ac volitant n o n p a u c o r u m epistolae [ . . . ] . " 7 Vgl. dazu u n t e n S. 102f. 8 Vgl. z.B. die H a l t u n g in der Bilderfrage u n d dazu FRITZ BÜSSER. In: B u c e r u n d Z w i n g l i , in: CHRISTIAN KRIEGER/MARC LIENHARD (Hgg.): M a r t i n B u c e r and Sixteenth C e n t u r y E u r o p e . Actes d u c o l l o q u e de Strasbourg ( 2 8 - 3 1 a o ü t 1991), Bd. 1, Leiden u.a. 1993 ( S M R T h 52), 3 9 4 - 4 0 2 . Vgl. etwa auch BUCERS deutliche Kritik an Zwingiis ausg r e n z e n d e r P o l e m i k in der A b e n d m a h l s f r a g e : B r i e f an Z w i n g l i , 18. Sept. 1530, in: B C o r IV, N r . 341, 2 8 8 , 3 - 2 8 9 , 2 6 . D e r Brief zeigt deutlich, w i e Bucers K o n z e p t i o n b r ü d e r l i c h e r D u l d s a m k e i t u n d Verständigungsbereitschaft i h n der Streittheologie Z w i n g l i s e n t f r e m d e t , o b w o h l er i m A b e n d m a h l s v e r s t ä n d n i s selbst nach w i e vor sehr n a h e bei Z w i n g l i steht. 9 MARTIN BUCER: W i d m u n g s s c h r e i b e n an die M a r b u r g e r A k a d e m i e , 20. M ä r z 1530, in: B C o r IV, N r . 279, 3 7 - 6 7 . Z u r A u s e i n a n d e r s e t z u n g BUCERS mit M a r b u r g vgl. a u c h b e reits seinen B r i e f an A m b r o s i u s Blarer v o m 26. Jan. 1530 (ebd. N r . 2 7 3 , 1 1 , 2—13, 25) u n d d a z u o b e n d e n B e i t r a g v o n R O L A N D LIEBENBERG. 10 Es ist b e z e i c h n e n d , daß B u c e r sein großes L e h r s c h r e i b e n ü b e r D u l d s a m k e i t u n d Häresie gerade an d e n L e h r k ö r p e r der n e u g e g r ü n d e t e n M a r b u r g e r Landesuniversität richtet. D e n n seine Z u s a m m e n s e t z u n g bietet - i m R a h m e n der V e r p f l i c h t u n g auf die ref o r m a t o r i s c h e Lehre - „ein vergleichsweise buntes, liberales Bild u n t e r s c h i e d l i c h e r S t r ö -

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neuen Bandes der Bucer-Korrespondenz umfaßt sie 30 Seiten — ist Indiz dafür, daß es sich eher um einen selbständigen Traktat als um einen B r i e f handelt. Man kann wohl am besten von einem traktatartigen Lehrbrief sprechen. Dies wird dadurch unterstrichen, daß B u c e r das Widmungsschreiben zunächst separat veröffentlichte und versandte 11 , ehe es in leicht gekürzter Fassung zusammen mit dem D r u c k des neuaufgelegten Evangelienkommentars erschien 1 2 . mungen", in dem sich bereits „die für Hessen kennzeichnende, eigenständige Tradition irenisch-vermittelnder Offenheit im evangelischen Lager" ankündigt; WILHELM ERNST WINTERHAGER: Wittenberg und Marburg als Universitäten der Reformation. Humanistischer Aufbruch, reformatorische Bildungskrise und Hochschulreformdebatte im frühen 16. Jahrhundert. In: Sachsen und Anhalt. Jahrbuch der Histor. Kommission für SachsenAnhalt, Bd. 22 (1999/2000), Köln u.a. 2 0 0 0 , 1 8 9 - 2 3 8 : Zitate 215. Zur positiven Reaktion der Marburger Professoren auf die Widmungsepistel Bucers vgl. die in der folgenden Anm. 11 erwähnten Briefe aus Marburg vom 12. und 13. April 1530. 11 Diese Separatausgabe, die unserer Edition zugrundeliegt, erschien zwischen 20. März und 4. April 1530 in einem Straßburger Doppeldruck (von Johann Prüss d.J.; V D 16, Nr. B 8861) an zweiter Stelle zusammen mit JAKOB BEDROTS lateinischer Übersetzung der deutschen Schrift BUCERS gegen die religiösen Bilder (Non esse ferendas in templis christianorum imagines et statuas coli solitas [...]) unter der Titelangabe: Epistola Martini Buceri in evangelistarum enarrationes nuncupatoria, ad praeclaram Academiam Marpurgensem, in qua quid haeresis, qui haeretici, et quatenus cum dissentientibus societas Christi servanda sit, disseritur. Excutiuntur quoque articuli conventus Marpurgen[sis]. Vgl. B C o r IV, Nr. 2 7 8 , 2 9 und Nr. 2 7 9 , 6 7 . Am 4. April 1530 sandte BUCER diesen Doppeldruck an den Ulmer Prediger Konrad Sam: „Mitto hic tibi, quibus castra Christi defendo a Lutheranis [ . . . ] . " Ebd. Nr. 282, 71, lOf. Am 12. April schreibt der Marburger Professor des Hebräischen SEBASTIAN NOUZENUS an Bucer: „Libellum tuum accepi gratissimo animo [ . . . ] " - wobei der weitere Verlauf des Briefs mit seinen inhaltlichen Anspielungen (und der im Folgenden erwähnte B r i e f vom 13. April) erkennen läßt, daß es sich bei dem .libellus' um den Doppeldruck mit dem Widmungsschreiben an die Marburger handelt, nicht aber um die zweite Ausgabe des Bucerschen Evangelienkommentars; ebd. Nr. 2 8 5 , 7 6 , 2 . Am 13. April bedankt sich das Professorenkollegium der Marburger H o c h schule unter Federführung des Rektors (EURICIUS CORDUS) in einem B r i e f an Bucer für dessen Widmungsschreiben, erwähnt aber zugleich, daß bisher nur das Widmungsschreiben, nicht aber der Evangelienkommentar - den man in Kürze aus Frankfurt erwarte — eingetroffen sei; ebd. Nr. 2 8 6 , 7 9 , 2 0 f . Dies sind deutliche Belege dafür, daß Bucers Separatausgabe seiner Epistel vor der kombinierten Ausgabe des (leicht gekürzten) W i d mungsschreibens und des Evangelienkommentars erschien. Am 18. April schreibt BUCER an Ambrosius Blarer, er sei sich nicht sicher, ob er ihm die „epistola nuncupatoria mea de servanda ecclesiae unitate" bereits geschickt habe, und geht dann im nächsten Satz auf BEDROTS Ubersetzung seines „libellus de tollendis imaginibus" ein, meint also den Straßburger Doppeldruck von Bilderschrift und Widmungsbrief an die Marburger; ebd. Nr. 2 9 0 , 8 6 , 2 - 7 . Schließlich ist noch der B r i e f des Augsburger Arztes GEREON SAILER an den Straßburger Prediger Matthias Zell vom 23. Mai zu zitieren, in dem er ebenfalls den Doppeldruck erwähnt: Sailer schreibt, daß in Augsburg der von den Straßburgern herausgegebene (von Bucer verfaßte) ,libellus' über die Bilder verbreitet werde, mit dem Bucers ,epistola' (an die Marburger Akademie) vereint sei, die bei vielen wegen ihrer Gelehrsamkeit, vor allem aber deshalb Beifall finde, weil sie die Liebe j e n e n unerschöpflichen und wortreichen Streitereien (über die Abendmahlsfrage) vorzieht; ebd. Nr. 301, 109,20 — 110,3.

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Häresie

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Im Aufbau des Textes lassen sich deutlich drei Hauptteile unterscheiden. Der erste und längste Teil 13 behandelt die Grundfragen nach der Reichweite christlicher Duldsamkeit und Gemeinschaft und nach den Kennzeichen der aus der Gemeinde ausschließenden Häresie. Argumentationsbasis ist vor allem das paulinische Briefcorpus des Neuen Testaments. Im zweiten, wesentlich kürzeren Teil 14 wendet sich Bucer dem besonderen Fall des Abendmahlsstreits und der durch Luther und seine Anhänger verweigerten christlichen Bruderschaft zu, um von hier aus wieder zum Prinzipiellen zurückzukommen und vor allem die Duldsamkeit der Liebe zu thematisieren. Der dritte, wieder längere Teil 15 zieht aus dieser Grundlagenerörterung der beiden ersten Teile die Konsequenz für die Beurteilung des Marburger Religionsgesprächs. Indem Bucer die Marburger Artikel der Reihe nach durchgeht, weist er auf die große sachliche Gemeinsamkeit zwischen den Kontrahenten. Diejenigen also, folgert er, handeln wider Christi Geist, die solche Brüder, die offenkundig mit ihnen in Christus verbunden sind, wegen der unterschiedlichen Abendmahlsauffassung nicht als Glieder der christlichen Gemeinschaft anerkennen können 1 6 . Die beiden ersten Teile sind wegen ihrer programmatischen Behandlung des Themas als Einheit zu verstehen; sie bilden den eigentlichen Traktat über christliche Toleranz und widerchristliche Häresie. Damit sind aus Bucers Sicht die Kriterien gewonnen, um im dritten Teil die Einigungsbemühungen in Marburg, besonders von Seiten der Straßburger, angemessen würdigen und verleumderische Fehlinterpretationen der Bucerschen Haltung in Marburg zurückweisen zu können. Die Erstausgabe ebenso wie die Neuauflage des Evangelienkommentars, schreibt er den Marburger Professoren, die ja Zeugen des Marburger Gesprächs gewesen seien, könne ihnen zeigen, daß er mit der Unterzeichnung der Marburger Artikel nichts von seinen früheren Uberzeugungen verleugnet habe, sondern mit seinem Ringen um brüderliche Verständigung seinem theologischen Gewissen treu geblieben sei 17 . Die Verbindung des Widmungsschreibens mit dem Evangelienkommentar unterstreicht, daß Bucers programmatische Überlegungen zu Kircheneinheit und Häresie in den Zentralbereich seiner theologischen Arbeit als Schriftausleger gehören. Zugleich aber war dieses Herzstück seiner Theologie im Frühjahr 1530 auch von großer religionspolitischer Tragweite. Dafür gibt es einen schönen literarischen Beleg von kaum zu übertref12

Vgl. AUGUST LANG: D e r E v a n g e l i e n k o m m e n t a r M a r t i n B u t z e r s u n d d i e G r u n d z ü g e

seiner Theologie, Leipzig 1900 (SGTK II/2), Neudruck: Aalen 1972,63-66. 13 Widmungsschreiben BCor IV, Nr. 279, 38,1-49,37. 14 Ebd., 49,38-56,18. 15 Ebd., 56,19-67,21. 16 Ebd., 57,8-23. 17 Ebd., 62,24-65,7.

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fender Evidenz: Bis in einzelne Argumentationsgänge und Formulierungen hinein hat Bucer seine Ausfuhrungen über Kirchengemeinschaft und Häresie aus den beiden ersten Teilen seines lateinischen Widmungsschreibens an die Marburger Akademie in einen deutschsprachigen Ratschlag übernommen, den er im Auftrag des Straßburger Rats für die Gesandten der Stadt beim Augsburger Reichstag verfaßte 18 . Der Ratschlag ist eine modifizierte, insgesamt kürzende, z.T. aber auch durch ergänzende Argumente weiterführende und noch stärker auf die kontroverse Deutung der Abendmahlsworte zuspitzende Neufassung der programmatischen Überlegungen des Widmungstraktats. Indem der Straßburger Rat das Schriftstück Ende Mai/Anfang Juni 1530 durch seine Augsburger Gesandten dem hessischen Landgrafen Philipp überreichen ließ 19 , wird deutlich, daß Bucer mit seiner theologischen Programmatik nicht nur auf Zustimmung bei der Straßburger Führung stieß, sondern daß seine Ideen auch zum Faktor ihrer Einigungs- und Bündnisstrategie in enger Verbindung mit Philipp von Hessen wurden. Darauf wird am Ende dieses Aufsatzes noch einmal zurückzukommen sein. N u n aber gilt es, Bucers bemerkenswerte, ja frappierende Neubestimmung christlicher Bruderschaft und widerchristlicher Häresie in ihren Hauptzügen zu skizzieren, indem ich mich sowohl auf das Widmungsschreiben an die Marburger beziehe als auch auf den zeitlich und inhaltlich so nahestehenden Ratschlag. Die entscheidende Frage, vor die sich Bucer durch die Zerreißprobe des Abendmahlskonflikts, aber auch durch die Auseinandersetzung mit den Täufern gestellt sah, kann man so formulieren: Wieviel Unterschiedlich18

Er ist als BUCERS sogenannter „Ratschlag A " zum Abendmahlsstreit von BERND MOELLER (nach der einzigen bisher bekannten Abschrift im Stadtarchiv Konstanz) ediert in: B D S III, 321—338. Der enge Z u s a m m e n h a n g des Ratschlags A mit dem W i d m u n g s schreiben ist, soweit ich sehe, der bisherigen Forschung entgangen. Vgl. außer MOELLERS Einleitung zur Edition z.B. FRIEDHELM KRÜGER: Bucer u n d Erasmus. In: CHRISTIAN KRIEGER/MARC LIENHARD (Hgg.): Martin Bucer and Sixteenth C e n t u r y Europe. Actes du colloque de Strasbourg ( 2 8 - 3 1 août 1991), Bd. 2, Leiden u.a. 1993 ( S M R T h 53), 5 8 3 594: 587; TATJANA BALT: Humanistische Traditionen in der Tätigkeit von Martin Bucer. In: ebd., 5 9 5 - 6 0 2 : 6 0 0 - 6 0 2 . 19

A m 2. J u n i s c h r i e b e n d i e G e s a n d t e n JAKOB STURM u n d MATTHIS PFARRER a n d e n

Straßburger R a t , sie hätten den Ratschlag dem Landgrafen übergeben; Politische C o r r e s p o n d e s der Stadt Straßburg im Zeitalter der R e f o r m a t i o n , Bd. 1, bearb. von HANS VIRCK, Straßburg 1882, Nr. 728, 447. Diese Ü b e r g a b e m u ß zwischen dem 28. Mai, dem D a t u m des vorausgegangenen Briefes der Gesandten an den R a t (ebd., Nr. 726, 445), u n d d e m 2. Juni geschehen sein. D e r Landgraf gab den Ratschlag an die in Augsburg weilenden T h e o l o g e n der lutherischen Fürsten weiter. MELANCHTHON und BRENZ reagierten am 11. Juni mit einer strikt ablehnenden A n t w o r t auf das Verständigungsangebot des R a t schlags, bei der sie auch — nach einem nochmaligen Vorstoß des Landgrafen - in einem zweiten Schreiben blieben. A m 21. Juni schickten STURM u n d PFARRER die Schrift B u cers mit der Bemerkung, sie habe bei den „Sachsischen gelerten" nichts ausrichten k ö n nen, nach Straßburg zurück (BDS III, Nr. 747, 459).

Toleranz und Häresie

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keit in der Lehre und im Glauben kann und muß die christliche G e m e i n schaft aushalten? 20 U n d welche Art von Verbundenheit ist der Grund dafür, daß trotz der Gegensätze die kirchliche Einheit bewahrt werden kann? D e r Blick auf die Jünger und Apostel, in die paulinischen Gemeinden des Neuen Testaments und in die Geschichte der Kirchenväter zeigt Bucer, wie gravierend von Anfang an in der Kirche die Irrtümer und die Konflikte um die Wahrheit waren 2 1 . D e r Irrtum in Fragen des Glaubens gehört offenkundig zum Christ- und Kirche-Sein auf Erden unausweichlich dazu, weil in den glaubenden Menschen nicht nur der Geist Christi, sondern immer auch die Gegenkraft der sündigen Verblendung am Werke ist 2 2 . Jeder, so gelehrt und heilig er auch sein mag, muß damit rechen, daß er in schweren Irrtum des Glaubens und der Lehre fallen kann 2 3 . Anschauungsmaterial bieten die heiligen Kirchenväter, unter ihnen z.B. der große Cyprian 2 4 : M i t Eifer und in der festen Uberzeugung, der Wahrheit zu dienen, verfocht er die Irrlehre, die Taufe häretischer Gemeinschaften sei ungültig, so daß die von Ketzern Getauften, die in die Großkirche übertreten wollen, n o c h mals zu taufen seien. Typisch daran ist, daß gerade der schwer Irrende, der meilenweit von der christlichen Wahrheit entfernt ist 2 5 , in der subjektiven Uberzeugung befangen ist, in der wahren Lehre zu sein 2 6 . Felsenfeste Gewißheit und U b e r zeugungstreue einschließlich der Bereitschaft, für die Wahrheit zu leiden, sind daher nach B u c e r kein Beweis dafür, daß man wirklich in der Wahrheit steht 2 7 . Irrt man doch oft gerade da, wo „man meinet, der Sachen am gewüsslichisten zu sein" 2 8 . Dies sagt B u c e r z.B. an die Adresse Luthers und seiner Mitstreiter, die in ihrer Glaubensüberzeugung und ihrem theologischen Gewissen keine andere Auslegung der Abendmahlsworte Christi als die ihrige gelten lassen können 2 9 . B u c e r relativiert also prinzipiell und generell das Argument persönlicher Uberzeugung und Gewißheit: In ihr kann sich gerade die größte Verblendung verbergen. Die Konsequenz für 2 0 Vgl. die Fragestellung in BUCERS Ratschlag B D S III, 324,13f: „wie weyt mit dem irrennden Christlich gemainschafft unnd liebe zuhaltenn seyg". 2 1 Vgl. ebd., 3 2 3 , 1 0 - 3 2 4 , 3 5 mit dem Resümee ( 3 2 4 , 1 4 - 1 6 . 3 0 f ) : „dann nie ists so wol in der kirchen gestannden, es haben sich vil, die billich von Christen nie verworffen sind, schwerlich geirret unnd auch irenn irthumb verfochten"; „es ist auch zwar kainer unnder allen vättern, der nit doch in etlichen stucken unleydennlich geirret habe". 2 2 Vgl. Widmungsschreiben (wie Anm. 9), 4 0 , 1 3 - 1 5 und 4 3 , 2 0 - 4 4 , 1 9 . 2 3 Vgl. ebd., 4 0 , 3 - 5 ; Ratschlag (wie Anm. 18), 3 2 4 , 2 1 f und 3 2 5 , 6 - 8 . 2 4 Vgl. Widmungsschreiben 4 5 , 3 1 - 4 7 , 2 ; Ratschlag 3 3 3 , 1 9 - 3 3 4 , 1 1 . 2 5 Widmungsschreiben (wie Anm. 9), 40,5: „a vero absit quam longissime". 2 6 Ebd., 4 0 , 5 - 7 und 44,lOf. 2 7 Vgl. Ratschlag (wie Anm. 18), 3 2 5 , 8 - 1 5 . 2 8 Ebd., 325,9f; vgl. auch 3 2 4 , 1 1 - 1 4 . 2 9 Vgl. ebd., 3 2 8 , 2 4 - 3 2 9 , 1 0 mit der Formulierung (329,5): „wie sy glauben, allso müssen sy reden unnd hanndien".

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das christliche Verhalten ist eine zweifache: erstens die konsequente Selbstrelativierung, indem man stets mit der Möglichkeit des eigenen Irrtums rechnet und sich nicht im unanfechtbaren Besitz der christlichen Wahrheit wähnt 3 0 ; zweitens die duldsame Rücksichtnahme auf Uberzeugung und Gewissen der Irrenden, die nicht anders können, als innerhalb der Grenzen ihres Glaubens zu denken, zu reden und zu handeln. Angesichts dieser permanenten, oft so schwierig zu durchschauenden Situation des Irrtums bleibt den Christen nur die Möglichkeit, im Gebet sich selbst und alle Irrenden dem Geiste Jesu Christi anzuvertrauen, der allein vom Irrtum befreien und die Wahrheit lehren kann 3 1 . Es ist daher der christlichen Gemeinde aufgetragen, die Irrenden nicht aus ihrer geschwisterlichen Gemeinschaft auszuschließen, auch wenn der Irrtum offensichtlich ist und sich gegen elementare Erkenntnisse des christlichen Glaubens richtet. Auch in einem solchen Fall soll man die Irrenden mit Liebe und Sanftmut annehmen (suscipere), tragen (ferre) und geduldig ertragen (tolerare), mit ihnen unermüdlich sprechen, sie freundlich belehren und gütig ermahnen, also wie Brüder behandeln, aber keinesfalls richten und verurteilen, verachten und verdammen 32 . Das wäre unchristliche Häresie und Tyrannei, die nur alles schlimmer macht 33 . Irrtum an sich, betont Bucer, rechtfertigt noch keine Exkommunikation 3 4 . Hat die Belehrung keinen Erfolg, soll man geduldig zuwarten, bis Gott den Irrenden die U m kehr zur Erkenntnis der Wahrheit schenkt 35 . Ein Vorbild für dieses Verhalten findet Bucer im Umgang des Apostels Paulus mit solchen judaisierenden Irrlehrern, die meinten, es sei heilsnotwendig, bestimmte heilige Zeiten und Speisegebote des mosaischen Zeremonialgesetzes zu beachten 36 . Dieser 30

Vgl. W i d m u n g s s c h r e i b e n (wie A n m . 9), 42,3—6. Vgl. ebd., 4 0 , 3 3 - 3 7 ; 4 2 , 9 - 1 4 ; 4 4 , 1 1 - 1 4 . 32 Vgl. W i d m u n g s s c h r e i b e n (wie A n m . 9), 39,5—49,37 u n d 52,32—56,18, b e s o n d e r s Bucers Lobpreis der s a n f t m ü t i g e n , d u l d s a m e n u n d m e n s c h e n f r e u n d l i c h e n Liebe nach d e m Vorbild Christi 5 3 , 1 7 - 5 6 , 1 8 ; R a t s c h l a g (wie A n m . 18), 3 2 3 , 5 - 3 2 9 , 2 6 u n d 3 3 2 , 9 - 2 0 . D e n Leitbegriff , s u s c i p e r e ' / , a u f n e m e n ' v e r w e n d e t B u c e r in A n l e h n u n g an d e n R ö m e r b r i e f (15,7; 14,1), z.B. W i d m u n g s s c h r e i b e n 4 0 , 3 0 - 3 3 u n d Ratschlag 324,3; 326,6.14; 3 3 2 , 1 6 20. D a n e b e n findet sich bei i h m der in der Vulgata nicht v o r k o m m e n d e T e r m i n u s .tolerar e ' / , d u l d e n ' . So ersetzt B u c e r b e i m Zitat aus d e m paulinischen Lobpreis der Liebe 1. Kor. 1 3 , 1 - 8 das Vulgata-Wort ,patiens' d u r c h ,tolerans': W i d m u n g s s c h r e i b e n 53,38; vgl. auch ebd., 49,8 (tolerare). Vgl. i m R a t s c h l a g d e n e n t s p r e c h e n d e n B e g r i f f , d u l d e n ' : 323,12; 332,11. H i n z u k o m m e n i m W i d m u n g s s c h r e i b e n als S y n o n y m e für ,suscipere' u n d .tolerare' gelegentlich a u c h andere B e g r i f f e w i e ,ferre' (56,17), ,sustinere' (53,30) u n d ,amplecti' (53,24) o d e r , c o m p l e c t i ' (43,5; 56,15). Alle diese T e r m i n i sind i m Sinne Bucers g l e i c h b e d e u t e n d mit ,fratrem (fratres) agnoscere' (40,9.31; 42,4.7 u.ö.) 31

33

Vgl. W i d m u n g s s c h r e i b e n (wie A n m . 9), 5 3 , 3 0 - 5 6 , 1 8 . Z u r U n t e r s c h e i d u n g v o n I r r t u m u n d Häresie vgl. u n t e n S. 93f bei A n m . 4 1 - 4 3 . 35 Vgl. W i d m u n g s s c h r e i b e n 56,1—4; vgl. o b e n A n m . 31. 36 Vgl. W i d m u n g s s c h r e i b e n (wie A n m . 9), 4 0 , 2 1 - 4 1 , 3 5 ; R a t s c h l a g (wie A n m . 18), 323,37-324,10; 325,34-326,17; 332,16-20. 34

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Irrglaube, fuhrt Bucer aus, war so substantiell, daß er das gesamte Heilswerk Christi in Frage stellte. Setzte er doch das grundlegende Bekenntnis außer Kraft, daß wir nur aus Glauben an Christus Gerechtigkeit und Heil empfangen und das Gesetz Christi allein durch die Liebe erfüllen können 3 7 . Trotz der Schwere dieses Irrtums war Paulus so weit davon entfernt, die Irrenden aus der Gemeinde zu verstoßen, daß er den römischen Christen sogar vorschrieb, sie anzunehmen (suscipere), d.h. als Brüder anzuerkennen und ihnen mit ausnehmender Freundlichkeit (singulari humanitate) zugetan zu sein, statt sie in einem Tribunal abzuurteilen 38 . Von diesem frühchristlichpaulinischen Befund her leitet Bucer für die Gegenwart die folgende Maxime ab: Von welcher Art und Größe der Glaubensirrtum in der Gemeinde auch sein mag, kann er doch nicht Grund für die Verweigerung christlicher Gemeinschaft sein 39 . Die Reichweite geschwisterlicher Liebe und Duldsamkeit muß immer noch größer sein. Was ist aber dann das Kriterium christlicher Verbundenheit, und wo findet sie ihre Grenzen? Bucer thematisiert diese Frage, indem er sich mit solchen neutestamentlichen Stellen auseinandersetzt, die vom Ausschluß aus der Gemeinde sprechen, besonders mit dem Imperativ des Titusbriefes (3,10): „Einen häretischen Menschen meide, nachdem du ihn ein- oder zweimal ermahnt hast!" 40 Damit spitzt sich Bucers Fragestellung auf den entscheidenden Begriff des ,Häretischen' zu: Die christliche Gemeinschaft stößt mit ihrem Geist der Duldsamkeit da an ihre Grenze, wo ihr der Geist der Häresie (haeresis, ketzerey) entgegentritt. Nicht der Irrtum, und sei er noch so gravierend und hartnäckig, sondern erst die Häresie trennt von der Gemeinde. Was aber heißt dann ,Häresie' für Bucer, wer gilt ihm als „homo haereticus"? Die christliche Tradition hat unter Häresie Irrlehre verstanden, d.h. eine irrige Haltung, die das eine oder andere Dogma der Großkirche hartnäckig leugnet oder anzweifelt. Häresie ist ein Herausfallen aus der in der Heiligen Schrift gegründeten wahren Lehre der Kirche. Z u m traditionellen Ketzerbild gehört zwar stereotyp auch die lieblose Bosheit, doch was den Ketzer zum Ketzer macht, ist die notorische Irrlehre. Bucer kommt zu einer, wie ich meine, grundlegend anderen, gegenüber dieser dogmatischen Häresiebestimmung neuartigen Bestimmung von Häresie. Ihr Wesen besteht nicht im Irrtum, der gegen die Lehrwahrheit der Kirche, d.h. der biblischen 37

Vgl. besonders Widmungsschreiben 40,26-30 und 41,2-6 („totius Christi negationem"); Ratschlag 326,1-6. 38 Widmungsschreiben (wie Anm. 9), 40,30-33. 39 Vgl. ebd., 47,22-25; Ratschlag (wie Anm. 18), 327,llf; 329.3f.14. 40 Vgl. Widmungsschreiben 43,16-18 mit der anschließenden Erörterung bis 49,37; Ratschlag 326,26-31 mit der anschließenden Erörterung bis 327,32 und der wiederholten Vertiefung dieser Thematik bis zum Ende des Ratschlags.

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Schrift und der dogmatischen Tradition, verstößt, und auch nicht in der Hartnäckigkeit dieses Irrtums 4 1 . Kennzeichen des Häretikers ist vielmehr die Preisgabe der Liebe: daß er das Band der geschwisterlichen Liebe zu seinen Mitchristen zerreißt und ihnen die Gemeinschaft aufkündigt. S o lange ein Irrender noch an der Liebe zu den Andersglaubenden festhält, um Frieden, Verständigung und Einheit der Kirche ringt und sich weder selbst von der Gemeinschaft trennt noch andere aus ihr verbannen möchte, solange kann er nicht als Häretiker oder Ketzer gelten 4 2 . Wer andere nicht verketzern will, zeigt damit, daß er selbst kein Ketzer, kein „homo haereticus" ist - wie auch das Beispiel Cyprians lehrt, der zwar in kapitaler Weise gegen die Glaubenswahrheit der Kirche irrte, aber es nicht an Liebe mangeln ließ, sondern die Einheit der Kirche suchte. Trotz seines Irrtums wirkte in ihm der Hl. Geist, der Früchte in Gestalt der Nächstenliebe, Friedfertigkeit, Duldsamkeit und Sanftmut hervorbringt 4 3 . Diese Lebensfrüchte sind für B u c e r das wesentliche Kriterium, an dem man den Unterschied zwischen dem nicht-häretischen und dem häretischen Menschen erkennt. Er betont das mit besonderem Nachdruck gegenüber Luther und dessen Anhängern im Abendmahlsstreit. Sie können bei ihren Kontrahenten, den Schweizern und Oberdeutschen, die Früchte des Geistes Jesu Christi erkennen und müßten dann anerkennend sagen: „Nun betzeügt ir leben, das sy Cristi sind. D e m [seil. Christo] wollen wir sy bevelhen unnd die frömbden knecht nit richten, sonnder sy als brüder in aller liebe auffnemen, bis inen der herr selb die äugen besser auffthut." 4 4 Entschieden weist B u c e r den Einwand zurück, das Kriterium des geistlichen Lebens sei nicht geeignet, um über die Echtheit einer christlichen, brüderlichen und nicht häretischen Gesinnung zu entscheiden, da die Früchte der Liebe auch heuchlerisch vorgetäuscht werden könnten 4 5 . D a gegen betont er die Evidenz des Lebenszeugnisses: Eine sanftmütige Z u wendung zu den Mitchristen, die sich nicht nur der Gleichgesinnten annimmt, sondern gerade auch der Andersglaubenden, Schwachen und feindlich Eingestellten, kann nicht nur T ü n c h e sein. Solche Früchte einer beharrlich erwiesenen Friedfertigkeit sind untrügliche, sichere Indizien der Präsenz des Heiligen Geistes. Wer sich so zu erkennen gibt, kann nicht als

4 1 Zur pointierten Unterscheidung Bucers zwischen (hartnäckigem) Irrtum und H ä resie vgl. besonders Widmungsschreiben (wie Anm. 9), 4 5 , 1 6 - 3 0 und 4 3 , 1 8 ; vgl. R a t schlag (wie Anm. 18), 3 2 4 , 1 1 - 3 2 7 , 6 . 4 2 Vgl. besonders Widmungsschreiben 4 2 , 1 4 - 4 3 , 1 5 ; 4 4 , 1 2 - 1 4 ; 4 5 , 1 6 - 2 5 ; 4 6 , 2 6 - 4 7 , 2 ; 4 7 , 1 8 - 2 5 ; Ratschlag 3 2 7 , 7 - 1 2 . 2 8 - 3 2 ; 3 2 8 , 1 9 - 2 3 ; 3 3 0 , 4 - 8 . 4 3 Vgl. Widmungsschreiben (wie Anm. 9), 46,7—47,2; Ratschlag (wie Anm. 18), 333,25-30. 4 4 Ratschlag 3 2 9 , 2 3 - 2 6 . 4 5 Vgl. Widmungsschreiben 42,24—26.

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Häretiker gelten, so schwerwiegend und hartnäckig sein Irrtum gegenüber der Wahrheit des Glaubens auch sein mag; ihm ist mit der gleichen brüderlichen Liebe und Duldsamkeit zu begegnen, die er selbst an den Tag legt 46 . In diesem Zusammenhang kommt Bucer zu einer wichtigen Unterscheidung, die eng mit der zwischen Irrtum und Häresie zusammenhängt: Will man in Erfahrung bringen, ob jemand, der eine umstrittene Glaubensmeinung vertritt, ein Christ oder ein Häretiker ist, dann darf man nicht auf diese Meinung an sich blicken, wie irrig sie auch ist oder sein mag, sondern dann muß man sie innerhalb des Herzens sehen, aus dem sie kommt. Nicht der für sich genommene, isoliert gesehene Lehrgehalt einer Meinung samt seiner möglichen Folgerungen ist maßgebend, sondern die Grundintention des Herzens — und das heißt für Bucer: die Grundrichtung des Glaubens und der Liebe 47 . Deshalb, sagt er, konnte der Apostel Paulus im Römerbrief die brüderliche Duldung der so schwer irrenden Gemeindeglieder verlangen, weil er ihren gesetzlichen Irrtum mit all seinen verheerenden Konsequenzen nicht isoliert betrachtete, sondern ihr Herz vor Augen hatte; denn er sah, daß sie sich trotz ihres Irrtums Christus übereignet hatten und ihn von Herzen suchten 48 . Ebenso, folgert Bucer weiter, sollen die Kontrahenten im Abendmahlsstreit nicht die gegensätzlichen Lehrmeinungen bei der Auslegung der Einsetzungsworte isoliert sehen, sondern wahrnehmen, daß zusammen mit diesen Meinungen in den Herzen ihrer Gegner ein wahrer Glaube und eine echte Liebe wohnen, die — wie man deutlich sehen kann — lebendige Früchte hervorbringen 4 9 . Das Kriterium des Herzens hat also bei Bucer die gleiche Bedeutung und Argumentationsrichtung wie das oben beschriebene Kriterium des Lebenszeugnisses 50 . Ausschlaggebend sind die Lebensfrüchte; sie kommen aus dem Herzen, weil sie das fruchtbringende Zeugnis des Glaubens und der Liebe sind. Von der Liebe als Maßstab des rechten, nicht-häretischen Christseins war bereits ausführlich die Rede. In welchem Sinne aber wird das Bekenntnis und Zeugnis des Glaubens zum antihäretischen Kriterium? Welche Tragweite kann hier die Wahrheit des Glaubens haben, nachdem Bucer so pointiert hervorgehoben hat, daß Häresie gerade nicht im Glaubensirrtum besteht, der gegen die Lehrwahrheit der Kirche verstößt, sondern im Mangel an 46 Vgl. ebd., 42,26—43,15; 5 1 , 1 3 - 1 5 („ex tarn certis indiciis [...] spiritum Christi c e r nimus"). 47 Vgl. R a t s c h l a g (wie A n m . 18), 3 2 5 , 3 4 - 3 6 ; 3 2 8 , 1 9 - 2 3 . 3 0 - 3 3 ; W i d m u n g s s c h r e i b e n (wie A n m . 9), 40,26f; 5 1 , 9 - 1 5 . 48 Vgl. Ratschlag 3 2 5 , 3 6 - 3 2 6 , 1 7 ; W i d m u n g s s c h r e i b e n 4 1 , 1 9 - 4 2 , 4 . 49 Vgl. R a t s c h l a g (wie A n m . 18), 3 2 8 , 2 4 - 3 2 9 , 2 9 . 5(1 Vgl. b e s o n d e r s e b d . , 328,32f: „ w i e die [ M e i n u n g der L u t h e r i s c h e n ] stee in d e r L u t h e r i s c h e n h e r t z e n . s o rechtglöybig u n n d gottesförchtig sind".

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Liebe und Duldsamkeit. Bucer nimmt von dieser Position nichts zurück; zugleich aber präzisiert er seine Auffassung, indem er in das ausschlaggebende Kriterium der Nächstenliebe das Kriterium des Christusglaubens integriert. Die theologische Grundlage dafür bildet Bucers Pneumatologie, seine Lehre vom Wirken des Heiligen Geistes. Weil der Heilige Geist der Geist Jesu Christi ist, schenkt er dem Menschen die Fähigkeit zur Liebe nur in der Weise, daß er ihm zugleich den wahren Glauben schenkt, d.h. das Herz auf Christus hin ausrichtet 51 . Zur wahren Nächstenliebe gehört also immer der wahre Gottesglaube, präziser gesagt: das christologische Grundbekenntnis, daß Christus, der Sohn Gottes, für uns Mensch geworden und gestorben ist und daß wir daher nur durch ihn gerettet werden können. Charakteristisch für Bucer in den beiden Schriften des Frühjahres 1530 ist, daß er immer wieder nachdrücklich dieses Grundbekenntnis als Summe, Wesen und Kriterium des christlichen Glaubens herausstellt 52 und davon die Menge der Lehraussagen unterscheidet, mit denen die Einheit der Kirche und das Heil ihrer Glieder nicht steht und fällt. Ein Christ kann also in vielem, ja in Elementarem irren, ohne zum Häretiker zu werden, wenn er nur an der elementarsten Wahrheit festhält, daß Gott sein liebender Vater ist, der ihn allein durch Christus zum Heil fuhrt 5 3 . Auffallend ist, wie stark Bucer vom dogmatischen Lehrgehalt der Tradition, aber auch von spezifischen Lehren der Reformation absieht und den Inhalt des Glaubens auf die Person Christi als Seligmacher reduziert und konzentriert. Mehr soll vom Glauben des christlichen Bruders nicht verlangt werden: „Diser glaub soll auch nit weyter ausgestreckt werden, dann das der menntsch sein säligkayt gewüsslich zu unnserem herren Jesu Cristo setze, frage von hertzen nach gott, wölher glaub dann alsbald zu der liebe unnd alem guten artet (= geartet ist), das man vor allem begert, züchtig, erbar unnd freüntlich zu leben mit aller weit." 5 4 Genauer betrachtet ist der Christusglaube bei Bucer in seinem Wesen, d.h. in seiner vom Heiligen Geist geschenkten Lebendigkeit, nichts anderes als Liebe zu Gott, d.h. ein Glaube, der das eigene Leben Christus übereignet und ihn deshalb von Herzen sucht 55 . Dieser Glaube ist daher nicht primär durch Glaubensinhalte, durch eine „fides quae creditur", bestimmt, nicht durch ein ,Haben' von Wahrheiten, sondern durch ein liebevolles Ausgestrecktsein. In der 51 Vgl. W i d m u n g s s c h r e i b e n (wie A n m . 9), 4 2 , 1 4 - 2 4 ; 4 7 , 1 8 - 2 5 ; Ratschlag (wie A n m . 18), 3 2 7 , 7 - 1 2 . 52 Vgl. W i d m u n g s s c h r e i b e n 4 7 , 1 7 - 2 5 ; 4 8 , 2 5 - 4 0 ; 5 0 , l f ; 5 1 , 3 0 - 5 2 , 2 ; 5 6 , 3 2 - 5 7 , 2 ; R a t schlag 3 2 5 , 2 1 - 3 3 ; 3 2 6 , 3 4 - 3 6 ; 3 2 7 , 1 3 - 1 7 ; 3 2 9 , 1 5 - 1 8 . 53 Vgl. R a t s c h l a g 3 2 5 , 1 - 7 . 54 Ebd., 327,13-17. 55 Vgl. W i d m u n g s s c h r e i b e n (wie A n m . 9), 4 9 , 2 1 - 3 0 ; R a t s c h l a g (wie A n m . 18), 326,13f.

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Bindung an Christus, den alleinigen Seligmacher, ist er vor allem ein eifriges Unterwegssein und B e m ü h e n (studere) inmitten des Irrtums, ein Fragen, Begehren und Suchen, das Gott, Christus und die Nächsten zu erkennen und ihnen zu dienen sucht 5 6 : „Wer also den Herrn Jesus Christus b e kennt, was niemand außer im Heiligen Geiste wirklich kann, wer sein Streben auf Unschuld richtet und auf das B e m ü h e n , sich aller Mitchristen anzunehmen, was eine Eigenart der Kinder Gottes ist, den treibt ohne Zweifel der Geist Christi, dem er angehört. Wenn wir daher einen solchen nicht als Bruder anerkennen, weisen wir in ihm Christus zurück." 5 7 Die Gemeinschaft der Christen, wie Bucer sie versteht, ist also eine G e meinschaft der Gutwilligen und Suchenden und dabei stets Irrenden. Ihr Streben ist auf Christus und ihre Mitchristen gerichtet und daher von Glaube und Liebe bestimmt. Glaube und Liebe stehen aber nicht als unterschiedliche Kriterien christlicher Existenz nebeneinander, sondern fallen in der Lebensbewegung der Rechtfertigung ineinander 5 8 : Die Lebendigkeit des Glaubens, sein Herz, ist die Liebe zu Gott, die Christus erkennt und sucht, indem sie sich den Nächsten zuwendet; und umgekehrt ist der Glaube an Christus den R e t t e r das Herz einer Liebe, die im Nächsten das Kind Gottes sucht und erkennt. Die Wahrheit des Glaubens erweist sich in der Liebe, so wie umgekehrt die liebende Annahme des Bruders nur durch die glaubende Ausrichtung auf Christus hin möglich ist. Oder anders formuliert: Weil die Liebe in Bucers Glaubensbegriff integriert ist, kann er auch umgekehrt den Glauben in das Kriterium der Liebe integrieren. Oft erscheint daher nur noch die Liebe, das Lebenszeugnis der Bruderliebe (Caritas oder dilectio), als Kennzeichen und Maßstab des Christseins 5 9 , so daß man im Sinne Bucers die R e g e l formulieren kann: Wer in der Liebe bleibt, kann kein Häretiker sein; wer außerhalb der Liebe steht, ist Häretiker 6 0 . J e sanftmütiger und duldsamer einer mit seinen irrenden Mitchristen umgeht bzw. j e mehr er trotz eines eigenen Irrtums an der Gemeinschaft mit den Andersglaubenden festhält, desto ferner steht er der Häresie.

5 6 Vgl. Widmungsschreiben 45,15 („qui Christum una quaerunt"); 4 7 , 3 8 („studuerit"); 6 5 , 2 2 („proficit"); 6 6 , 1 6 („Christi nomini studere"); Ratschlag 3 2 7 , 1 5 („frage von hertzen nach gott"); 329,1 („guter eyfer"); 3 3 0 , 5 f („das man warlich gott suchet, sich Cristo dem herren genntzlich begeben [= übereignet] hat"). 5 7 „Qui igitur Dominum Jesum Christum confitentur, quod nisi in Spiritu Sancto nemo serio potest [1. Kor. 12,3], qui innocentiae et demerendi quoslibet studio, quod tantum filiorum Dei est, intenti sunt, eos ut indubitato agit Spiritus Christi, cuius sunt, ita si fratres non agnoscimus, vere Christum in illis rejicimus." Widmungsschreiben 42,20—24. 5 8 Vgl. z.B. Ratschlag 3 2 7 , 7 - 2 7 ; 3 2 8 , 1 9 - 3 0 ; 3 2 9 , 1 1 - 1 8 . 5 9 Vgl. z.B. Widmungsschreiben (wie Anm. 9), 4 2 , 2 4 - 4 3 , 1 5 ; 4 4 , 1 2 - 1 4 ; 4 5 , 1 6 - 2 1 ; 46,32-47,2. 6 0 Vgl. ebd., 4 7 , 1 9 - 2 5 .

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Dieser von der Liebe und brüderlichen Duldsamkeit bestimmte Glaubensbegriff Bucers wirkt sich konsequenterweise auch auf sein Wahrheitsverständnis aus. In der gleichen Weise, wie er den Christusglauben vom Lebenszeugnis der Liebe her bestimmt, findet das Kriterium der Liebe auch Eingang in seine Charakterisierung der Wahrheit im Unterschied zum häretischen Irrtum 6 1 : Während dieser niemanden, der ihm nicht sogleich Beifall zollt, ertragen kann, sondern gegen Andersdenkende wütet und rast, ist es ein Kennzeichen der Wahrheit, daß sie die Irrenden annimmt und liebevoll aus dem Wort Gottes zu überzeugen versucht. Da die Wahrheit des Glaubens identisch ist mit der Wahrheit Jesu Christi und da Christi Geist der Geist der Liebe, der Freundlichkeit, Sanftmut, Langmut und Duldsamkeit ist, liegt der Inbegriff von Wahrheit gerade in der liebevollen Duldsamkeit, die demütig mit dem eigenen Irrtum rechnet und sanftmütig mit dem Irrtum anderer umgeht 6 2 . Es dürfte nun deutlich geworden sein, in welchem Sinne man bei B u c e r von einem Programm christlicher Toleranz, von einem neuen Verständnis der Häresie und von einer Neubestimmung christlicher Gemeinschaft sprechen kann. D e r Neuansatz zeigt sich sowohl im Vergleich mit der mittelalterlichen Tradition als auch im Gegenüber zu Luther, Melanchthon und den mit Wittenberg verbundenen Theologen wie z.B. Wenzeslaus Linck, Johannes Brenz, Andreas Osiander oder Lazarus Spengler. Die Verwendung des Begriffs Toleranz' für das Zeitalter der Reformation ist b e kanntlich heikel; doch wenn man ihn legitimerweise auf bestimmte Phänomene des Mittelalters anwenden kann 6 3 , dann ist es bei aller Vorsicht auch möglich, ihn zur Charakterisierung bestimmter Programme und Forderungen des frühen 16. Jahrhunderts, besonders im Einflußbereich des erasmischen Humanismus, zu verwenden. B e i Martin B u c e r scheint mir der Grad prinzipieller und programmatischer Duldsamkeit erreicht zu sein, der die Verwendung des Terminus Toleranz' rechtfertigt — freilich mit der Einschränkung, daß bei ihm keine interreligiöse Toleranz im Blick ist, sondern nur eine innerchristliche Duldsamkeit und Irenik, die das grundlegende Bekenntnis zu Jesus Christus, „unserem einzigen Erretter" 6 4 , als B a -

(>1 Zum Folgenden vgl. ebd., 56,8—18 („Hoc sane interest inter errorem et veritatem [•••]")• 6 2 Vgl. ebd., 5 3 , 1 7 - 5 4 , 7 („Sed intueamur tandem Christi Dei et servatoris nostri exemplum! [ . . . ] " ) . 63

Vgl. C A R Y J . N E D E R M A N / J O H N CHRISTIAN LAURSEN ( H g g . ) : D i f f e r e n c e a n d

Dis-

sent. Theories o f Tolerance in Medieval and Early Modern Europe, Lanham u. New York 1 9 9 6 ; ALEXANDER PATSCHOVSKY/HARALD ZIMMERMANN ( H g g . ) : T o l e r a n z i m Mittelalter,

Sigmaringen 1998. 6 4 Widmungsschreiben nostrum".

(wie Anm. 9), 49,27f: „Christum unum esse servatorem

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siskonsens voraussetzt 65 . Innerhalb dieses Rahmens formuliert Bucer im Frühjahr 1530 — frühere Gedanken weiterführend, bündelnd und zuspitzend 66 - typische Leitprinzipien eines toleranten Denkens. Unter ihnen haben folgende Aspekte besonderes Gewicht: 1. Bucer relativiert die eigene Glaubensposition, indem er prinzipiell die Außenperspektive des Andersglaubenden einnimmt und mit der Möglichkeit des eigenen Irrtums rechnet, auch und gerade da, wo man seiner Sache besonders gewiß ist 67 . 2. Er rechnet ebenso prinzipiell mit einem Normalzustand des Meinungskonflikts, einem „status dissentiendi" über mehr oder weniger wichtige Fragen des Glaubens in der Gemeinde Christi 68 . Ihre Einheit ist daher nicht durch Homogenisierung des Glaubens, sondern nur auf dem Weg einer durch die Duldsamkeit der Liebe versöhnten Verschiedenheit konkurrierender Schriftauslegungen, Glaubensweisen und Lehrpositionen zu gewinnen. 3. Toleranz ist daher in Bucers Konzeption nicht nur eine vorübergehende Haltung, die dazu dienen soll, einen Endzustand religiöser Ubereinstimmung und Uniformität zu erreichen. Zwar bleibt für ihn der vollkommene Glaubenskonsens der Gemeinde in allen Dingen das erstrebenswerte Ideal, doch hält er seine Realisierung angesichts der sündhaften condicio humana für unmöglich, so daß er in der religiösen Duldung anderer Glaubensweisen eine stets notwendige Grundeinstellung auf Dauer sieht 69 . 4. Charakteristisch für Bucers Programm ist ein hohes Maß von Entdogmatisierung des Glaubens und der Wahrheit. Den für die Glaubensgemein65 B u c e r s H a l t u n g g e g e n ü b e r d e n J u d e n h e b t sich z w a r in m a n c h e r l e i H i n s i c h t , b e s o n d e r s in d e n J a h r e n v o r 1 5 3 0 , v o m scharf p o l e m i s c h e n A n t i j u d a i s m u s vieler Z e i t g e n o s sen ab, d o c h w a r er, insgesamt g e s e h e n , k e i n V e r t r e t e r e i n e r religiösen u n d sozialen T o l e ranz g e g e n ü b e r d e n J u d e n . Z u d i e s e m E r g e b n i s k o m m t d e r g u t d i f f e r e n z i e r e n d e Aufsatz v o n R . GERALD HOBBS: M a r t i n B u c e r et les Juifs. In: KRIEGER/LIENHARD: M a r t i n B u c e r and S i x t e e n t h C e n t u r y E u r o p e , B d . 2 (wie A n m . 18), 6 8 1 - 6 8 9 m i t d e r S c h l u ß b e m e r k u n g : „ L ' o n n e p e u t pas d e m a n d e r d ' u n B u c e r q u ' i l soit u n h o m m e de Y Aufklärung. Mais l ' o n s o u h a i t e r a i t q u ' i l p û t faire p r e u v e d ' u n esprit plus large, plus h u m a n i s t e c o m m e ses c o n t e m p o r a i n s O s l a n d e r , C a p i t o n , R h e g i u s . O n r e g r e t t e aussi q u e cet h o m m e qui a su sur b i e n des plans se libérer des p r é j u g é s et prises de p o s i t i o n s des siècles passés, soit resté, q u a n t a u x j u i f s , si s o l i d e m e n t e n r a c i n é dans c e t t e triste t r a d i t i o n m é d i é v a l e . " 66

Z u r V o r g e s c h i c h t e des B u c e r s c h e n T o l e r a n z d e n k e n s v o r d e m M a r b u r g e r R e l i g i o n s g e s p r ä c h vgl. BENDER: D i e I r e n i k M a r t i n B u c e r s (wie A n m . 3). 67 Vgl. o b e n S. 91 bei A n m . 28. 68 Vgl. z.B. W i d m u n g s s c h r e i b e n (wie A n m . 9), 5 6 , 3 1 - 5 7 , 5 ; 4 0 , 3 - 1 5 . 69 D i e s gilt j e d e n f a l l s f ü r B u c e r s K o n z e p t i o n i m J a h r e 1530. Vgl. d a g e g e n R . EMMET MCLAUGHLIN: M a r t i n B u c e r a n d t h e S c h w e n c k f e l d e r s . In: KRIEGER/LIENHARD (Hgg.): M a r t i n B u c e r and S i x t e e n t h C e n t u r y E u r o p e , B d . 2 ( w i e A n m . 18), 6 1 4 - 6 2 6 : 6 1 5 A n m . 1: „ F o r B u c e r , as f o r m o s t o t h e r s in t h e s i x t e e n t h c e n t u r y , a m e a s u r e of religious t o l e r a t i o n m i g h t b e a c c o r d e d f o r a t i m e , b u t o n l y as a m e a n s t o t h e final goal o f religious c o n c o r d , i.e. u n i f o r m i t y . B u c e r t h u s t o l e r a t e d s o m e dissent in o r d e r t o d o away w i t h it eventually."

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schaft der Christen nötigen Basiskonsens reduziert er auf ein ,Wesen des Christentums', d.h. auf ein christologisches Grundbekenntnis von großer Offenheit und Weite 7 0 . Die eminente Reduktion erschien ihm geboten, um Freiraum und Weite der christlichen Gemeinschaft mit den Irrenden zu bewahren 7 1 . D e m entspricht, daß er prinzipiell das Zeugnis des Lebens über die Lehre stellt: Wo die Lehre trennt, sollen die Lebensfrüchte des Glaubens und der Liebe im Geiste der Duldsamkeit verbinden. 5. Häresie wird daher nicht als Abspaltung in Lehrfragen verstanden, sondern als Preisgabe der Liebe (und damit zugleich als Verstoß gegen das grundlegende Christusbekenntnis) 7 2 . Entsprechend wird die kirchliche Gemeinschaft nicht als Einheit in der Lehre bestimmt, sondern als Verbundenheit durch das Band der Liebe und damit zugleich durch das zusammenführende Lebenszeugnis des Glaubens 7 3 . 6. An diesem Glauben hebt Bucer nicht den assertorischen Charakter der festen, innehabenden Gewißheit hervor, sondern den des liebenden Suchens und Strebens, das danach eifert, Christus und dem Nächsten zu dienen. Nicht die Lehr-, sondern die Lebensbestimmtheit — die stets als Christusbestimmtheit verstanden wird — gibt dem christlichen Glauben Profil. 7. Bucer kann daher sein Programm der Duldsamkeit nicht nur auf den Lehrgegensatz im Abendmahlsstreit, sondern prinzipiell auch auf den Konflikt mit den Täufern beziehen 7 4 . Der Gegensatz im Taufverständnis wäre für ihn kein Grund zur Trennung 7 5 , solange man im Geist duldsamer Liebe und gemeinsamer Suche verbunden bliebe. Das entscheidende Problem bei den Täufern ist daher in Bucers Augen ihre verletzende Lieblo7 0 Vgl. Widmungsschreiben (wie A n m . 9), 49,26—30 („christianismus"). Z u m B e g r i f f ,Wesen des Christentums' vgl. WALTHER KÖHLER (In: Ernst Troeltsch, T ü b i n g e n 1941, 72): „ A b e r der B e g r i f f ist älter [sc. als Troeltsch meint]: Sein Schöpfer ist Bucer, der in d e m Wirrwarr des Abendmahlsstreites im Glauben an Christus [...] die ratio Christianismi über d e m Parteigezänke ergriff." Zitiert nach KAUFMANN: Abendmahlstheologie (wie A n m . 2), 6 A n m . 32. 7 1 Vgl. Ratschlag (wie A n m . 18), 324,13f. 7 2 Vgl. z.B. Widmungsschreiben (wie A n m . 9), 4 9 , 2 7 - 3 0 ; 45,3—21; weitere B e l e g e in A n m . 42. 7 3 Vgl. z.B. ebd., 4 9 , 2 1 - 2 6 ; weitere Belege in A n m . 5 8 - 6 0 . 7 4 Vgl. Widmungsschreiben (wie A n m . 9), 52,18—53,16. Z u Bucers (insgesamt vergleichsweise irenischer, in bestimmten Situationen und gegenüber bestimmten Personen aber auch unduldsam-harter) Haltung gegenüber den Täufern vgl. JOHN S . O Y E R : Bucer and the Anabaptists. In: KRIEGER/LIENHARD (Hgg.): Martin B u c e r and Sixteenth C e n t u r y Europe, B d . 2 (wie A n m . 18), 6 0 3 - 6 1 3 ; STEPHEN E . BUCKWALTER: D i e Stellung der Straßburger R e f o r m a t o r e n zu den T ä u f e r n bis 1528. In: M G B 52 (1995), 5 2 - 8 4 . 7 5 B u c e r betont, daß nicht das äußere Wasser der Taufe den Glauben und das Heil vermittelt (Widmungsschreiben 5 2 , 1 8 - 2 0 und 6 1 , 3 - 5 . 2 4 f ) und daß die Christen gegenüber allem Äußeren, also auch bei der Frage der Kindertaufe, völlige Freiheit („plenam libertatem") haben (52,20f).

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sigkeit und Unduldsamkeit, mit der sie den Andersdenkenden die brüderliche Gemeinschaft verweigern, sie verachten und verdammen 7 6 . 8. Zwar hält Bucer am Prinzip der dogmatischen Rechtgläubigkeit fest, indem er zwischen Lehrwahrheit (gemäß der rechten Auslegung der Hl. Schrift) und Lehrirrtum unterscheidet 77 ; in diesem Sinne kann er die Abendmahlslehre Luthers scharf als völlig unbiblisch zurückweisen: sie widerspreche „aller lere Cristj, der art deß Newen Testamennts unnd eygennschafft der warenn menntschayt Cristj, wie unns die in allen schrifften wirt furgehalten" 7 8 . U n d in diesem Sinne bleibt Bucer auch als Ireniker stets Streittheologe. Zugleich aber öffnet er bei der Verhältnisbestimmung von Wahrheit und Häresie das Wahrheitsverständnis für den Maßstab von Liebe und Duldsamkeit: Wie die Liebe Eingang findet in die Wahrheit des Glaubens, kann nun generell das Bleiben in der Wahrheit Christi gleichgesetzt werden mit dem Bleiben in der sanftmütigen Liebe und brüderlichen Toleranz 79 . Damit gerät auch der Wahrheitsbegriff ebenso wie die Begriffe Häresie, Glaube und Gemeinschaft (societas, communio) in einen Sog der Entdogmatisierung, der Verminderung von Lehrbestimmtheit und der verstärkten Ethisierung. Will man das Profil des Bucerschen Toleranzprogramms im Frühjahr 1530 zusammenfassend charakterisieren, dann wird man vor allem darauf hinweisen, wie sich an unterschiedlichen Problempunkten konsequent das Kriterium des rechten Lebens vor das Kriterium der wahren Lehre schiebt und damit das Kriterium der duldsamen Liebe vor das Kriterium des (im Sinne der ,doctrina') rechtgläubigen Glaubens. Die Bereiche verschmelzen so miteinander, daß die Liebe zum entscheidenden Kriterium wird - mit der Konsequenz: Wer in schwerem Glaubensirrtum lebt, aber duldsam bleibt, kann eher als Christ gelten als derjenige, der in der biblischen Lehrwahrheit steht, aber es an Duldsamkeit mangeln läßt 80 . Diese Theologie der Toleranz ist das Ergebnis einer Synthese von Ingredienzien des erasmischen Humanismus und eines reformatorisch-biblischen Denkens 81 . Sie ist eingebettet in Bucers Verständnis von Rechtfertigung und Heiligung 82 , in seine Pneumatologie, Christologie und Ekkle76

Vgl. besonders ebd., 5 2 , 3 2 - 5 3 , 1 6 . Vgl. z.B. R a t s c h l a g (wie A n m . 18), 325,24f. 78 Ebd. 331,9-12. 79 Vgl. die Belege in A n m . 61 u n d 62. 80 I m Sinne Bucers k a n n m a n präziser so f o r m u l i e r e n : . . . derjenige, d e r zwar formal in der biblischen L e h r w a h r h e i t steht, also k o r r e k t lehrt, aber es an der D u l d s a m k e i t m a n g e l n läßt u n d sich gerade damit d e m biblischen Geist d e r W a h r h e i t u n d w a h r e n Lehre w i d e r setzt. 81 Vgl. o b e n S. 86 mit A n m . 3. 82 Vgl. Bucers p o i n t i e r t e Darstellung der R e c h t f e r t i g u n g als reale H e i l i g u n g der G l ä u bigen i m W i d m u n g s s c h r e i b e n (wie A n m . 9), 5 9 , 5 - 1 9 , m i t der F o r m u l i e r u n g : „Salus siqui77

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siologie 8 3 , kurz gesagt in den Gesamtduktus seiner Theologie, auf den hier nicht näher eingegangen werden kann. Seine Aussagen über Häresie, Irrtum, Wahrheit und Duldsamkeit sind als Anwendungsfall seiner Soteriologie und Rechtfertigungslehre, die ganz auf die heiligende Christusliebe zielt, zu verstehen. Das neuartige Profil dieses Toleranzdenkens wird noch deutlicher, wenn wir einen Blick auf die Vorstellungen Luthers und seiner Anhänger werfen. Sie bleiben mit ihren Auffassungen von Häresie, Lehrwahrheit und Rechtgläubigkeit in den traditionellen Koordinaten, allerdings mit dem Unterschied zur altgläubigen Seite, daß für sie die biblische Schrift zum exklusiven Wahrheitskriterium wird. Gegen die Initiativen der Straßburger, die im Abendmahlsstreit auf Friede, Liebe und Einigkeit setzen, d.h. von der Tragfähigkeit des Gemeinsamen ausgehen und die Brücke brüderlicher Duldung über die Lehrgegensätze hinweg schlagen 8 4 , stellt die Wittenberger Seite ein scharf antiirenisches Modell des Wahrheitseifers und der Unduldsamkeit. Luther verflucht eine Liebe, die sich über den — aus seiner Sicht — völlig klaren und eindeutigen Sinn der biblischen Abendmahlsworte hinwegsetzen will 8 5 . W o es um die unteilbare biblische Wahrheit gebt, hat Liebe, Versöhnlichkeit und Duldsamkeit nichts zu suchen. Da steht Gott gegen den Teufel: Entweder ist die Wittenberger Auslegung der Einsetzungsworte wahr — dann sind die Schweizer und O b e r deutschen Gotteslästerer, Lügner gegen den Hl. Geist, Christusverräter und Verführer der Welt; oder es ist umgekehrt: „Ein teil mus des teufels und Gotts feind sein. Da ist kein mittel." 8 6 Dieses streng bibeldogmatische und exklusive Verständnis von Wahrheit, Wort Gottes und Glaube führt zu einer Verhältnisbestimmung von Glaube dem nostra et felicitas nihil aliud est quam solida iustitia [...] quod quid aliud est quam efficere iustos?" ( 5 9 , 1 4 f . l 7 f ) . Vgl. auch die Charakterisierung des Glaubens als Liebe und der iustificatio als regeneratio im Evangelienkommentar selbst, dem das Widmungsschreiben an die Marburger vorangestellt ist; dazu LANG (wie Anm. 12), 104—120, besonders 1 0 8 - 1 1 0 und 113-116. 8 3 Vgl. besonders GOTTFRIED HAMMANN: Martin Bucer 1 4 9 1 - 1 5 5 1 : Zwischen Volkskirche und Bekenntnisgemeinschaft, Wiesbaden 1989 (VIEG 139), 1 1 3 - 1 2 1 (Die Einheit der Kirche), 127—133 (Gemeinschaft als Voraussetzung), 1 3 9 - 1 4 6 (Die Kirche als „corpus mixtum"). Vgl. auch die Beiträge in: DAVID F. WRIGHT (Hg.): Martin Bucer: R e f o r m i n g Church and Community, Cambridge 1994. 8 4 Vgl. REINHOLD FRIEDRICH: Martin Bucer - ,Fanatiker der Einheit'? Seine Stellungnahme zu theologischen Fragen seiner Zeit (Abendmahls- und Kirchenverständnis), insbesondere nach seinem Briefwechsel der Jahre 1524—1541, Diss. theol. [masch.] Neuchätel 1989; Nachdruck: B o n n 2002 (Biblia et Symbiotica 20). 8 5 MARTIN LUTHER: Daß diese Wort Christi „Das ist mein leib" noch fest stehen, 1527 (WA 2 3 , 8 1 , 1 9 - 2 2 ) : „Verflucht sey solche liebe und einickeit ynn abgrund der helle, darumb das solche einickeit nicht alleine die Christenheit jemerlich zutrennet, sondern sie nach teufelisscher art noch zu solchem yhrem jamer spottet und nerret." Vgl. den ganzen Abschnitt 7 8 , 1 9 - 8 7 , 2 1 . 86

LUTHER ebd., 8 3 , 1 9 - 2 1 .

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und Liebe/Friedfertigkeit/Toleranz, die in schärfstem Gegensatz zur B u cerschen Verschmelzung von Glaube und Liebe steht. Nach Meinung der Wittenberger — ich zitiere nun Lazarus Spengler, der sich hier eng an Luther und Wenzeslaus Linck hält — sind Glaube und Liebe im Blick auf ihre Anwendungsbereiche weit voneinander zu scheiden: Wo es um den Glauben, d.h. um die biblische Wahrheit und Lehre, geht, da ist weder Liebe noch Geduld angebracht; da darf ein Christ kein Handbreit weichen, sondern da muß er mit Gottes Wort zürnen und fechten. Liebe, Erbarmen und Duldsamkeit dagegen beziehen sich auf die ethischen Schwächen der Rechtgläubigen, also nicht auf Glaube und Lehre, sondern auf das gebrechliche Leben der Menschen. D a aber nicht ein sündiges Leben, sondern eine verkehrte Lehre und ein falscher Glaube die Christenheit verderben, muß sich ein Christ im Konfliktfall — wie z.B. im Abendmahlsstreit um die Wahrheit des Gotteswortes — immer für den Glauben gegen die Liebe entscheiden 8 7 . Deutlicher kann man den lutherischen Widerspruch gegen das Bucersche Toleranzprogramm der Liebe und Duldsamkeit gerade in Lehrfragen kaum formulieren. In seinem Widmungstraktat an die Marburger ist Bucer ausdrücklich auf diese Wittenberger Antinomie von Glaube und Liebe eingegangen. Entschieden wendet er sich gegen die Vorstellung, man müsse bei der brüderlichen Liebe Abstriche machen, u m nicht den Glauben zu verletzen 88 . Dieses Denken steht in genauem Gegensatz zu seiner Uberzeugung, daß das Herz des Glaubens die Liebe ist, weil der Glaube an Christus immer vom Geist seiner Sanftmut und Duldsamkeit erfüllt ist und daher als unduldsamer Glaube ein Widerspruch in sich selbst wäre: ein Glaube gegen den Geist Christi. Es kann, sagt Bucer, keine Liebe geben, die darin unrecht hätte („fleischlich" wäre), daß sie, um die Erkenntnis Christi unter den Brüdern und ein geistliches Leben (die „innocentia") zu fördern, die Schwachen annimmt, das zerknickte R o h r nicht zerbricht, sondern aufrichtet und stärkt, und einen glimmenden Docht nicht auslöscht, sondern ihn zum Leuchten bringt. Wie kann, fragt er weiter, eine Liebe dem Glauben zuwider sein, die aus keinem anderen Grunde die im Glauben Schwachen trägt, duldet und umsorgt, als damit sie den Glauben in ihnen stärke, fördere und durch seine Früchte wirksam mache? Dienen wir etwa dem

87

Vgl. LAZARUS SPENGLER Schriften, B d . 2: Schriften der Jahre September 1525 bis

April 1529, hg. v o n BERNDT HAMM/WOLFGANG H U B E R / G U D R U N LITZ, G ü t e r s l o h

1999

( Q F R G 70), 2 5 8 , 8 - 2 5 9 , 1 4 (aus Spenglers B r i e f an G e o r g Maurer, 8. Juli 1528); vgl. auch 2 5 9 , 1 5 - 2 6 1 , 1 1 . Z u r Abhängigkeit Spenglers von Luther und Luthers Freund Wenzeslaus Linck, die bis in die Formulierungen reicht, vgl. ebd. 245—252. Z u entsprechenden LUTHER-Stellen vgl. auch GERHARD EBELING: Lutherstudien I I I , T ü b i n g e n 1 9 8 5 , 1 4 5 f mit A n m . 5 5 - 5 7 , ferner WA T R 5, 273 Nr. 5601 (dazu unten S. 149). 8 8 Widmungsschreiben (wie A n m . 9), 54,7f.

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Glauben durch das gegenteilige Verhalten des Ausreißens und Austilgens? O was für ein verkehrter Eifer und eine unzeitige Strenge! 89 Mit diesen Worten unterstreicht Bucer sein völlig anderes Verständnis von ,Rechtgläubigkeit' und Treue zur biblischen Wahrheit Jesu Christi. Für die Wittenberger (wie auch für die katholische Seite) hört an der Wahrheit des Glaubens die Liebe auf. Bei Bucer hingegen wird die Liebe und ihr Lebenszeugnis der Duldsamkeit zum Kriterium des Glaubens, seiner Christustreue und damit auch der Wahrheit des Christentums. Daß Zwingli, Oekolampad, Hedio und ihre Gesinnungsfreunde in Marburg der Gegenseite angetragen hatten, einander als Brüder anzuerkennen, ist daher in Bucers Augen ein klarer Hinweis darauf, „daß sie durch Christi Geist belehrt und geformt werden" 9 0 . Er schreibt dann weiter: „Von welchem Geist aber die getrieben werden, die dieses lautere Entgegenkommen nun in Briefen, die sie überall verbreiten, so deuten, um nicht zu sagen verleumden, sie [die Schweizer und Straßburger] seien sich der Wahrheit [ihrer Lehre] nicht gewiß, das mögen sie zusehen. Es ist nämlich keineswegs ein sicheres Kennzeichen der Wahrheit, wenn du diejenigen alsbald dem Satan übergibst, die deiner Meinung widersprechen; denn das hat keiner jemals ebenso eifrig getan wie die Anhänger Mohammeds, etliche Päpste und die ihnen verpflichteten Bischöfe und Hochschulen [...]. Denn nicht auf das Vernichten, sondern auf das Bewahren ist Christi Geist gerichtet, in wem auch immer er wirkt." 9 1 Am Ende möchte ich noch einmal auf die religionspolitische Tragweite des Bucerschen Toleranzprogramms zurückkommen. Die Art, wie er Glaube und Liebe mit ihrem wechselseitigen Verbindlichkeitsgefälle zusammendachte, kam der Sorge vieler Politiker — wie dem Ratsherrn Jakob Sturm in Straßburg, dem Stadtschreiber Georg Maurer in Memmingen oder dem Landgrafen Philipp von Hessen — entgegen. Sie sahen im Abendmahlsstreit eine sozial-politische Grundlagenkrise der Reformation, die nicht nur die gemeinsame Glaubensbasis, sondern mit ihr auch den bürgerlichen Frieden und das Verteidigungsbündnis der Evangelischen gegen die

S9

E b d . 5 4 , 8 - 2 0 : „ [ . . . ] O p r a e p o s t e r u m z e l u m et i n t e m p e s t i v a m severitatem!" W i d m u n g s s c h r e i b e n (wie A n m . 9), 57,8—13: „ [ . . . ] hac facilitate Christi se spiritu d o c e r i et formari certo p l a n e q u e d e c l a r a r u n t . " 91 „ Q u o a u t e m agantur spiritu, qui h u n c c a n d o r e m , h a n c facilitatem n u n c per epistolas, quas u n d i q u e spargunt, a r g u m e n t u m i n t e r p r e t a n t u r , ne dicam c a l u m n i a n t u r , a n i m i sibi de veritate p a r u m conscii, ipsi v i d e r i n t . N e q u e e n i m c e r t u m veritatis d o c u m e n t u m est, tradere m o x Satanae, q u i c u n q u e tuae sententiae c o n t r a d i x e r i n t , c u m h o c n e m o u n q u a m a e q u e strenue fecerit atque M a h o m e t a n i et pontifices aliquot R o m a n i hisque o b n o x i i episcopi a t q u e academiae [...]. N e q u e e n i m ad p e r d e n d u m , sed s e r v a n d u m intentus est Christi spiritus, in q u o c u n q u e f u e r i t . " E b d . , 5 7 , 1 3 - 2 3 . Z u m letzten Satz vgl. Lk. 9,56 (Vulgata). 90

Toleranz

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Macht der Altgläubigen bedrohe 9 2 . In dieser Situation bot sich Bucers Irenik mit ihrer Differenzierung zwischen dem Wesentlichen in Gestalt des grundlegenden Christusbekenntnisses und den weiten Bereichen der Lehre, wo Gegensätze und Irrtümer ohne Spaltung auszuhalten sind, als optimale Theologie der Verständigung, des Bündnisses und des sozialen Friedens an. D o c h war Bucers Theologie der Duldsamkeit weit mehr als eine politikgerechte und sozialverträgliche Theorie. Ich erinnere nochmals an ihre Wurzeln: Sie erwuchs aus seiner frühen Begegnung und bleibenden Verbundenheit mit dem Schrifttum des Erasmus von Rotterdam 9 3 , aus dem geistigen Austausch mit seinen Humanisten- und R e f o r m a t o r e n freunden am Oberrhein und in der Schweiz, aus seiner intensiven k o m mentierenden Arbeit am Bibeltext, aus seinen Auseinandersetzungen mit der zur Separation drängenden Strenge der Täufer und schließlich vor allem aus den verletzenden Erfahrungen der Abendmahlskontroverse 9 4 . Auch das für die frühe Reformationsgeschichte Straßburgs während der zwanziger Jahre typische Klima der Gastfreundschaft, Milde und Offenheit gegenüber einströmenden Glaubensflüchtlingen begünstigte solche G e danken. So kam B u c e r zu einer prinzipiellen Neubestimmung der Koordinaten, die für die Kirche Jesu Christi und ein christliches Gemeinwesen orientierend sein sollen. Seine frappierende Sicht des Verhältnisses von biblischer Glaubenswahrheit und Liebe und sein kühnes Neuverständnis von Häresie und Christsein war mit den Koordinaten des katholischen, erasmischen, lutherischen, zwinglianischen und täuferischen Denkens nicht mehr vereinbar, sprengte aber auch das vielgestaltige politische Religionsverständnis der Fürsten, Bürgermeister, Ratsherren, Juristen und Stadtschreiber 9 5 . Dieses Konzept von Toleranz war durchaus politikfähig, zugleich aber waren Bucers Gedanken theologisch so grundlegend und weitge9 2 Vgl. BERNDT HAMM: D i e reformatorische Krise der sozialen W e r t e - drei Lösungsperspektiven zwischen Wahrheitseifer und Toleranz in den J a h r e n 1 5 2 5 bis 1 5 3 0 . In: THO-

MAS A . B R A D Y J r . / E n s A B E T H M Ü L L E R - L U C K N E R ( H g g . ) : D i e d e u t s c h e R e f o r m a t i o n

zwi-

schen Spätmittelalter und F r ü h e r N e u z e i t , M ü n c h e n 2 0 0 2 (Schriften des Historischen Kollegs, K o l l o q u i e n 5 0 ) , 9 1 - 1 2 2 , besonders 9 8 - 1 0 1 ( G e o r g Maurer) und 1 0 5 - 1 0 7 (Jakob S t u r m ) . Vgl. auch HERBERT GRUNDMANN: Landgraf Philipp von Hessen a u f d e m A u g s burger R e i c h s t a g 1 5 3 0 , G ö t t i n g e n 1 9 5 9 . 9 3 BUCERS Verhältnis zu Erasmus erreichte allerdings gerade i m J a h r e 1 5 3 0 einen T i e f punkt. I m April publizierte er eine ,Epistola apologetica' gegen Erasmus, der ihn in seiner ,Epistola contra pseudevangelicos' angegriffen hatte. D o c h b e t o n t er in e i n e m S c h r e i b e n v o m 4. M ä r z (an Ambrosius Blarer, B C o r IV, Nr. 2 7 5 , 2 3 , 1 - 6 ) , daß er diese A p o l o g i e in e i n e m unter T h e o l o g e n ganz u n g e w ö h n l i c h e n T o n abfassen wolle; so sehr werde er die Krallen zurückhalten: „ [ . . . ] talem volente D e o dabo A p o l o g i a m , qualem nostri ordinis h o m i n e s n o n multas dederunt; ita c o n t i n e b o u n g u e s . " Im R a t s c h l a g (wie A n m . 18, 324,31—35) beruft er sich zustimmend a u f Erasmus.

S i e h e o b e n S. 8 5 f . Z u r Verschiedenartigkeit in den K o n z e p t i o n e n der Stadtschreiber und zur b e m e r kenswert e x p o n i e r t e n Toleranzauffassung des N ü r n b e r g e r Kanzleischreibers G e o r g 94

95

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spannt, daß sie über j e d e aktuelle politische Verwertbarkeit hinaus das Lebensmodell einer Ö k u m e n e der Zukunft formulierten. Auch wenn dieser weite Horizont im Blick ist, hat mein Aufsatz nicht mehr als eine Momentaufnahme zum Frühjahr 1 5 3 0 bieten können. Die Bucer-Forschung hat bereits gezeigt bzw. wird noch zeigen müssen, wie diese zwischen dem Marburger Religionsgespräch und dem Augsburger Reichstag so pointiert formulierte Grundsatzposition in den folgenden Jahren weiterwirkte, modifiziert und möglicherweise — in Annäherung an die lutherische Auffassung — abgeschwächt wurde. Auch ist im Einzelnen zu untersuchen, ob und inwieweit der Bucerschen Programmatik der Toleranz eine Praxis der Duldsamkeit entsprach und wie diese Praxis sich mit den unterschiedlichen Stadien der Reformation wandelte 9 6 .

Frölich im März 1530 (die in eine andere Richtung weist als die Bucers) vgl. HAMM: Die reformatorische Krise (wie Anm. 92), passim. — Parallelen zu Bucers Verständnis von Häresie, christlicher Wahrheit und Duldsamkeit kann man bei Sebastian Franck finden, der seit der Jahreswende 1 5 2 9 / 3 0 bis Ende 1531 in Straßburg lebte. D o c h äußert Franck solche Gedanken im Kontext eines völlig spiritualisierten, universalen Kirchenverständnisses, das Bucer fremd ist. Vgl. GUSTAV ADOLF BENRATH: Die Lehre außerhalb der Konfessionskirchen. In: CARL ANDRESEN (Hg.): Handbuch der D o g m e n - und Theologiegeschichte, Bd. 2, Göttingen 5 6 0 - 6 6 4 : hier 5 7 8 - 5 8 1 (mit Literatur 574); KLAUS DEPPERMANN: Sebastian Francks Straßburger Aufenthalt. In: JAN-DIRK MÜLLER (Hg.): Sebastian Franck ( 1 4 9 9 - 1 5 4 2 ) , Wiesbaden 1993 (Wolfenbütteler Forschungen 56), 1 0 3 - 1 1 8 . % Wie schwierig es ist, auf der Skala zwischen Toleranz und Intoleranz Bucers Haltung gegenüber Altgläubigen, Spiritualisten, Täufern, anderen religiösen Außenseitern und Juden sowie bei den Fragen der Kirchenzucht und der Zuständigkeit einer christlichen Obrigkeit fur die reine Religion angemessen zu bestimmen, zeigt im Ansatz MARIJN DE KROON: Martin Bucer und das Problem der Toleranz. In: JEAN-GEORGES ROTT/SIMON L. VERHEUS (Hgg.): Anabaptistes et dissidents au X V I e siècle, Baden-Baden - Bouxwiller 1987 (BiDi.S 3), 4 0 1 - 4 1 1 ; leicht erweiterte Fassung: Martin Bucer and the Problem o f Tolerance. In: SCJ 19 (1988), 1 5 7 - 1 6 8 . Vgl. auch den informativen Überblick (der auch die Position der Straßburger Prediger berücksichtigt) bei MARC LIENHARD: Religiöse Toleranz in Straßburg im 16. Jahrhundert, Stuttgart 1991 (AAWLM.G 1 9 9 1 / Nr. 1). Weder de Kroon noch Lienhard berücksichtigen die Toleranz-Texte Bucers vom Frühjahr 1530 oder vergleichbare Aussagen Bucers über das Wesen von Häresie und die Reichweite christlicher Duldsamkeit. Der konzeptionelle Neuansatz Bucers in diesen Fragen wird daher von ihnen nicht thematisiert und untersucht (obwohl de Kroon zu B e ginn seines Aufsatzes ein Stück aus dem B r i e f BUCERS an Margarete Blarer vom 19. Sept. 1531 zitiert, das genau in diese Richtung weist).

„Contra statuas et imagines": Bucers Haltung im Bilderstreit (1530) ANDREAS

PUCHTA

„Bildersturm! Wahnsinn oder Gottes Wille?" - M i t diesem Titel machte im Jahr 2 0 0 1 eine Ausstellung im Bernischen Historischen Museum und im Musée de l'Œuvre N o t r e - D a m e in Straßburg auf sich aufmerksam. Ganz klar, wird sich der potentielle Ausstellungsbesucher gedacht haben, die Zerstörung wunderschöner und unwiederbringlicher Kunstwerke des Mittelalters kann niemals Gottes Wille gewesen sein und muß dem kranken Geist einer Handvoll Wahnsinniger entsprungen sein. Aus dem B l i c k winkel eines heutigen Kunstliebhabers und mit dem gesamten kunsthistorischen Wissen der letzten 5 0 0 Jahre sicher eine richtige, zumindest nachvollziehbare Entscheidung. Aber darf die gegenteilige Entscheidung von Menschen Anfang des 16. Jahrhunderts so beurteilt werden? Müssen wir uns nicht zuallererst auch vom kunstwissenschaftlichen Standpunkt aus in die Welt der frühen Neuzeit und ihren Wissensstand begeben? D e r Katalog zur Ausstellung 1 läßt uns mit dieser Frage allein. Trotzdem müssen wir sie uns stellen: Was konnte ein Mann wie Martin B u c e r in Straßburg 1530 über Ästhetik, über bildende Kunst, über Kunstgeschichte wissen? Kunstwerke der Antike wird B u c e r nicht gekannt haben. Die Klassische Archäologie und Wissenschaftliche Kunstarchäologie steckten im 16. Jahrhundert in den Kinderschuhen — auch dürften ihre Ergebnisse B u c e r nur wenig interessiert haben. Bekannt waren ihm dagegen die W e r ke der antiken Autoren. In seinen Briefen und theologischen Schriften zeigt er einen virtuosen Umgang mit antiken T h e m e n und Texten, die er in weiten Teilen sogar auswendig kennt. Die eine oder andere Zeile zur T h e o r i e des Schönen in der Antike wird ihm dabei nicht entgangen sein. Autoren, die sich nicht nur beiläufig mit dem T h e m a befassen, sind: H o -

1 Bildersturm. Wahnsinn oder Gottes Wille? Katalog zur Ausstellun im Bernischen Historischen Museum und im Musée de l'Œuvre N o t r e - D a m e Straßburg, hg. v. CÉCILE

DUPONT, PETER JEZLER U.JEAN W I R T H , Z ü r i c h

2000.

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mer 2 , Hesiod 3 , Sappho 4 , Heraklit von Ephesos 5 , Empedokles 6 , Xenophon 7 , Piaton 8 , Aristoteles 9 , Cicero 10 , Vitruv 11 , Horaz 12 , Seneca 13 , Quintilian 14 , Dion von Prusa 15 , Plutarch 16 , Pseudo-Longinus 17 , Lukian 18 , Philostratos 19 und Plotin 20 . Z u m Beispiel Xenophon 2 1 : Er kennzeichnet das Verfahren des Künstlers beim Formen eines schönen Bildes als ein Zusammenordnen des Schönen, das in der Natur einzeln verstreut ist. Geistiges wird durch sein leibliches Spiegelbild dargestellt, Unsichtbares durch Sichtbares. Gegenstände, Besitztum, Farben, seltenes und edles Material - all das ist schön nicht nur im Hinblick auf die Natur, sondern schön auch im Hinblick auf das, was der Mensch daraus macht, also im Hinblick auf seine eigenen Ziele. Bei Piaton 22 kommt der Schönheit keine ästhetische Bedeutung zu, sondern eine ontologische: Schönheit ist Offenbarung des Seins auf seinen verschiedenen Stufen: vom Sinnlichen über das Augenscheinliche bis zum 2 HOMER: Odyssee, insbes. V, 55; X, 221; X, 227f.; XXI, 411; vgl. GRASSI: Die Theorie des Schönen in der Antike, Köln 1980, 52-59. 3 Vgl. GRASSI, ebd.,50f. 4 SAPPHO: insbes. fr. D 27a, 36,49,116a, 152; vgl. GRASSI, ebd., 51. 5 HERAKLIT: insbes. fr. 8,10,101a, vgl. GRASSI, ebd., 59f. 6 EMPEDOKLES: insbes. fr. 7 - 9 , 1 5 - 2 3 , 2 6 , 3 5 , 59,77f„ 98; vgl. GRASSI, ebd., 59f. 7

XENOPHON: insbes. M e m o r a b i l i e n 11,1,21-34,111 8 , 3 - 1 0 , 1 1 1 1 0 , 1 - 1 5 u n d K y r u p ä d i e V 1 , 2 - 1 8 , v g l . GRASSI, e b d . , 2 7 3 - 2 4 7 . 8 PLATON: insbes. Phaidros 249d-251b; 253c-255a und Symposion 199d-212; vgl. GRASSI, ebd., 248-264. 9

ARISTOTELES: i n s b e s . P o e t i k , v g l . GRASSI, e b d . , 1 5 7 - 1 9 0 .

10

CICERO:insbes. De oratore II 193f.,III 178-181 und Orator 8 - 1 0 ; vgl. GRASSI, ebd., 265-268. 11 VITRUV: insbes. De architectura libri decem, I. Buch I 1,1 2, II. Buch III 1, III. Buch I 5; vgl. GRASSI, ebd., 209-212. 12 HORAZ: insbes. Ars poetica,Ep. II 3 und Augustus-Epistel,Ep. II 1; vgl. GRASSI, ebd., 269-273. 13

SENECA: insbes. Briefe an Lucilius, Ep. 58, 16-28, Ep. 65, 1-14; vgl. GRASSI, ebd.,

280-285. 14

QUINTILIAN: Institutio oratoria, VI 2,29, VIII 3,61, XII 10,1; vgl. GRASSI, ebd.,196.

15

D I O N VON PRUSA: X I I . O l y m p i s c h e R e d e 4 4 - 4 7 ; v g l . GRASSI, e b d . , 2 2 2 .

16

PLUTARCH: insbes. Q u o m o d o adulescens poetas audire debeat, 15D-16E, 17F-18D;

v g l . GRASSI, e b d . , 2 8 6 - 2 8 9 . 17

PSEUDO-LONGINUS (unbekannter Autor des 1. Jh. n. Chr.): De sublimitate, I, II, V I I -

I X , X X X V , X X X V I ; v g l . GRASSI, e b d . , 2 9 0 - 2 9 8 . 18

LUKIAN: insbes. De domo 6—8 und Zeuxis oder Antiochos 4—7; vgl. GRASSI, ebd., 299-303. 19 PHILOSTRATOS: insbes. Leben des Apollonius von Tyana, II 20, II 22, IV 7, V 14, V 2 1 , V I 19 u n d I m a g i n e s , 1 1 , 1 - I 2 6 , 4 ; v g l . GRASSI, e b d . , 3 0 4 - 3 1 4 . 20

PLOTIN: insbes. Enneaden, I 6; vgl. GRASSI, ebd., 315-324.

21

Vgl. X E N O P H O N : M e m o r a b i l i e n 1 1 , 1 , 2 1 - 3 4 , 1 1 1 8 , 3 - 1 0 , 1 1 1 1 0 , 1 - 1 5 u n d K y r u p ä d i e V 1 , 2 - 1 8 ; v g l . GRASSI, e b d . , 2 7 3 - 2 4 7 . 22

PLATON: Phaidros 249d-251b; 253c-255a und Symposionl99d-212; vgl. GRASSI, ebd., 248-264.

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Geistigen. Nach Plato kommt der Drang nach Schönheit also dem Drang nach Wirklichkeit gleich. Die Substanzen, aus denen etwas gebaut oder gebildet wird, werden als Stufen des Seins verstanden und bewertet. A u f dieses Verständnis bauen die frühchristliche und byzantinische Kunst auf: Es gibt eine Hierarchie der Materialien, deren Rangstufen sich danach b e stimmen, wie weit der einzelne Werkstoff Anteil hat am Lichthaften, U n vergänglichen und Ewigen. Plutarch 2 3 liefert eines der Argumente, die 1 4 0 0 Jahre später die Bilderstürmer verwenden werden: Kunst ist gefährlich und verleitet zu schädlichen Irrtümern, die Werke der Kunst dürfen also nicht ohne kundige A n leitung genossen werden. Das Problem der Zerstörung von Kunst, das j a unser T h e m a ist, war selbstverständlich auch in der Spätantike bekannt. Ein Mosaik an der rechten Langhauswand der Kirche S. Apollinare Nuovo in Ravenna 2 4 zeigt die Fassade des Theoderichspalastes, mit PALATIVM bezeichnet. W i r sehen den Giebel des Gebäudes, Vorhallen und Wandelgänge mit Säulen. In den Säulenzwischenräumen, vor purpurfarbenem Hintergrund, an Querstangen herabhängende, geknotete Vorhänge. An einzelnen Säulen kleben scheinbar Hände: Hier standen also einmal Mitglieder der kaiserlichen Familie, die zur Zeit des Bischofs Agnellus (557—570) in Ungnade und damit der „Damnatio memoriae" anheimgefallen waren. Man hatte die Figuren aus dem Mosaik herausgebrochen und stattdessen purpurfarbenes Mosaik mit Vorhängen angebracht. Die Kunsttheorie des Mittelalters, soweit sich aus dem Schatz des Schrifttums überhaupt eine solche erheben läßt 2 5 , unterscheidet streng zwischen dem B e g r i f f des Schönen und dem B e g r i f f der Kunst und stellt sie auf verschiedene Ebenen. Die bildende Kunst, wie wir sie heute verstehen, galt dem Mittelalter als „mechanische Kunst" und stand damit auf einer Ebene mit allen handwerklichen Tätigkeiten, die zur Befriedigung der menschlichen Lebensbedürfnisse dienen. Ein Kunstwerk zu zerstören war zwar ebenso verwerflich oder töricht, wie einen Mantel zu zerstören oder ein Brot wegzuwerfen, der Gedanke, etwas unwiederbringlich zu vernichten, das einen Wert auf einer höheren Ebene besitzt, konnte nur in Ansätzen entstehen. Vor diesem Hintergrund haben wir Bucers Verständnis von Schönheit und von Kunst zu sehen, nicht vor unserem eigenen. 23

PLUTARCH: Q u o m o d o adulescens poetas audire debeat, 1 5 D - 1 6 E , 1 7 F - 1 8 D , vgl.

GRASSI, e b d . , 2 8 6 - 2 8 9 . 2 4 Abbildung bei HERBERT ALEXANDER STÜTZER: Ravenna und seine Mosaiken, Köln 1989, Farbtafel 10. 2 5 Einen solchen Versuch hat 1963 Assunto unternommen: ROSARIO ASSUNTO: Die Theorie des Schönen im Mittelalter, Köln 1963.

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Schon 1524 sieht B u c e r sich gezwungen, ausfuhrlicher zur Bilderfrage Stellung zu nehmen, die zu einem wichtigen innerevangelischen T h e m a geworden war 2 6 . D e n letzten Teil seiner Schrift „Grund und Ursach aus göttlicher Schrift der Neuerungen an dem Nachtmahl des Herren, so man die M e ß nennet, Tauf, Feiertagen, Bildern und Gesang in der gemein Christi [ . . . ] zu Straßburg vorgenommen" 2 7 überschreibt er mit „Ursach, darumb die bilder sollen abgestelt werden" 2 8 . Kernaussage der Schrift ist: „Mit dem wort Gottes sol man den leyen, nit mit stummenden blöchern 2 9 , steinen und gemeiden leren [ . . . ] " 3 0 . In Bucers Ausfuhrungen zeigt sich, daß er darin sehr stark von der Zweiten Züricher Disputation abhängig ist. In Bucers Briefen an Zwingli des Jahres 1524 wird deutlich, daß B u c e r in allen anstehenden Fragen, so auch in der Bilderfrage, auf Zürich blickt. Vermutlich hatte sich B u c e r bereits im März 1524 an Zwingli gewandt 31 . Die Antwort Zwingiis, wenn es überhaupt eine gegeben hat, scheint B u c e r aber nicht genügt zu haben, was ihn dazu bewegt, sich am 19. April 1 5 2 4 3 2 erneut und sehr ausführlich und dezidiert an Zwingli zu wenden: „Aber nun zu unseren Bildern, geliebtester Bruder! [...] Seitdem das gegenwärtige Zeitalter durch die Betrügereien des Antichrist verdunkelt wird, wünschte ich von Herzen, daß alle Bilder und Statuen entfernt würden, besonders aus den Kirchen, aber durch einen Elias, das heißt, einen Anstoß durch den Heiligen Geist. Solange aber nichts derartiges geschieht, w ü n sche ich sehr, daß überall, wo wie bei Euch die Weisheit des Wortes bereits im Überfluß vorhanden ist, die Obrigkeit durch denselben Geist, der durch die Schrift spricht, dazu getrieben werde, die Tempel der Christen von den abzulehnenden Bildern zu reinigen, und überall etwas zu unternehmen, wo diese verehrt werden, und all das so bald wie möglich. U n d so, denke ich, stimmen wir in der Hauptsache dieser Angelegenheit überein." 3 3

2 6 Vgl. FRITZ BÜSSER: B u c e r und Zwingli. In: Martin B u c e r and Sixteenth Century Europe, Actes du colloque de Strasbourg ( 2 8 - 3 1 août 1 9 9 1 ) , h g . v. CHRISTIAN KRIEGER U. MARC LIENHARD, Leiden/New York/Köln 1993, B d . I, 397f. 27 B D S 1 , 1 3 5 - 2 7 8 . 28 B D S 1 , 2 6 9 - 2 7 4 . 2 9 Bildwerken aus Metall. 3 0 B D S I, 2 7 3 ; vgl. FRANK MULLER: B u c e r et les images. In: Martin B u c e r and S i x teenth Century Europe (wie Anm. 26), 2 2 9 . 31 Dieser B r i e f ist verloren. Vgl. B C o r I, 28; Nr. 4 4 , 1 9 3 , 1 9 ; Nr. 4 5 , 1 9 4 , 1 . 3 2 B C o r I, Nr. 6 3 , 2 2 6 - 2 3 7 . 3 3 „Sed ad imagines nostras, multo amatissime frater! [...] Imagines et statuas, ut praesens est saeculum Antichristi imposturis obscuratum, optarim ex animo ablatas omnes, praesertim ex templis, sed per Helyam aliquem, hoc est eo diuino spiritu impulsum; dumque huiusmodi abest, magnopere cupio, ubicumque, vt apud vos, verbi scientia inundauit iam, eodem spiritu loquente in scripturis magistratum impelli, vt Christianorum tempia eiôcbXcDV (XJtàvTCJV repurgent neque ferant vspiam, vbi coluntur, idque quam primum. Atque sic puto conuenire nobis de summa rei." Ebd., 2 2 7 , 1 9 ; 2 2 8 , 3 0 - 3 7 .

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B u c e r ist sich also darin mit Zwingli einig, daß eigentlich ein neuer Elias kommen müßte, um die Kirchen von den Bildern und Statuen zu reinigen. Da dies vermutlich nicht geschehen wird, steht die Obrigkeit überall dort, wo das Evangelium schon genügend gepredigt wird, in der Pflicht, die B i l der zu entfernen. Im Gegensatz zu Zwingli, für den in dieser Frage das biblische Gesetz „Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Abbild machen, weder von dem, was oben im Himmel, noch von dem, was im Wasser unter der Erde ist: Bete sie nicht an und diene ihnen nicht. Ich bin der Herr, dein G o t t ! " 3 4 maßgeblich und bindend ist 3 5 , geht B u c e r gerade von der Freiheit des Christen vom Gesetz aus, von der Erkenntnis, daß das Gesetz nicht für den Gerechten bestimmt ist 3 6 . Mit den Wittenbergern, die seit dem Bildersturm vom 11. Januar 1522 gezwungen waren, sich mit dem T h e m a zu befassen, geht B u c e r in der E i n schätzung konform, die Bilder an sich seinen Adiaphora, also weder nützlich noch schädlich, zu verbieten sei lediglich die Anbetung der Bilder: „Du wirst", schreibt er an Zwingli, „zweifellos in dieser Angelegenheit darin übereinstimmen, daß du dich vorrangig darauf stützst, was die Schrift an Bildern überall sowohl zu besitzen als auch zu verehren verbietet, und daß sie auch keine Adiaphora sind, sie werden nämlich durch das Wort Gottes verdammt, demgegenüber kann niemand gleichgültig sein" 3 7 . Bucer unterstreicht seine Auffassung mit verschiedenen Argumenten. Z u m einen werden die Bilder eigentlich und vor allem durch ihre Indifferenz charakterisiert: „Du wirst nämlich, glaube ich, auch nicht Malerei und Bildhauerei als Künste der Gottlosigkeit verdammen. Daher sind die Bilder bedeutungslos, die Statuen sind bedeutungslos und auch ihr Gebrauch, doch ihr M i ß brauch ist nicht bedeutungslos, wenn sie doch angebetet und verehrt werden" 3 8 . Z u m anderen gilt als Konsequenz der für Bucer hier besonders wichtigen Freiheit des Christen: „Ich möchte nämlich nicht, daß die Bilder geduldet werden, wenn dies aus sich selbst heraus unfromm ist, wie auch du nicht. Aber aus demselben Grund, daß sie bedeutungslos sind, können wir sie sowohl fromm als auch unfromm verwenden, und ich sehe auch keine 3 4 E x . 2 0 , 4f.: „ N o n facies tibi sculptile neque o m n e m similtudinem quae est in caelo desuper et quae in terra deorsum nec eorum quae sunt in aquis sub terra. N o n adorabis ea neque coles; ego sum Dominus Deus tuus." 3 5 Vgl. BÜSSER: B u c e r und Zwingli (wie Anm. 26), 3 9 8 . 3 6 Vgl. I T i m 1 , 9 . 3 7 „Tu eandem hanc rationem indubie respondebis, at niteris magis eo, quod eiötoX.a vbique scriptura vetat et haberi et coli, neque esse äöuxcpoQa; quae enim verbo Dei damnantur, indifferentia esse haud posse." B C o r I, Nr. 63, 2 2 8 , 4 7 - 5 0 . 3 8 „ N e q u e enim pictoriam et sculptoriam artes, opinor, impietatis damnabis. Ergo indifferentes sunt imagines, indifferentes statuae ac indifferens vsus earum; at non indifferens abusus earum, nempe si adorentur et colantur." Ebd., 230,109—112.

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bestimmte Schriftstelle dazu, durch die ich diejenigen, die die Bilder verwenden, der Gottlosigkeit überfuhren sollte. Ich glaube, sie müssen einstweilen geduldet werden, bis ich die Schwachen gelehrt habe, über welches Ärgernis sie nichts wissen, und wieviel bis dahin an Nächstenliebe zu denen, die im Glauben noch immer schwach sind, nötig ist, damit ich [die Bilder] später mit ihrer Billigung aus dem Tempel austreibe" 39 . Bucer fragt Zwingli nach seiner Meinung und nach der Stimmung in Zürich: „Können wir den Namen der Christen gleichzeitig beschützen, um dieser Sache willen sündigen und die Gottlosigkeit entschuldigen? Du wirst nämlich, glaube ich, auch nicht Malerei und Bildhauerei als Künste der Gottlosigkeit verurteilen" 40 , und, unter Berufung auf die Interventionen Konrad Schmids 41 anläßlich der Zweiten Zürcher Disputation (26. Oktober 1523): „Und soweit heiße ich die Rede des Komturs Konrad gut, daß er nämlich, nachdem er die Schriften gegen die Bilder zu Rate gezogen hat, nicht die Bilder insgesamt, sondern vor allem die Götzenverehrung zu verurteilen sucht, da ja die Frommen die Bilder und Statuen gut verwenden können, wie auch für die Reinen alles rein ist 42 — und wie auch du es fromm verwenden kannst, wenn sogar du das Bild des Gekreuzigten als Gemälde im Schlafgemach hast." 43

39 „ N a m n o n volo tolerari imagines, si p e r se id i m p i u m est, ut n e q u e tu; sed e o ipso, q u o d indifferentes sunt, et p o s s u m u s pie et i m p i e eis vti, n e q u e c e r t a m v i d e o scripturam, qua impietatis c o n u i n c a m vtentes imaginibus, ferendas tantisper puto, d u m e r u d i e r o infirmos, q u a n t o sint scandalo rudibus, et q u i d hic debeat Charitas proximis in fide a d h u c p a r uulis, ut c u m gratia e o r u m postea t e m p i o eiiciam." E b d . , 234, 248—254. 40 „Possemus christiani n o m e n simul t u e r i et huius rei gratia peccati et impietatis e x cusari? N e q u e e n i m p i c t o r i a m et s c u l p t o r i a m artes, o p i n o r , impietatis d a m n a b i s . " E b d . , 230,107-110. 41 K o n r a d S c h m i d (um 1 4 7 6 / 7 7 - 1531), K o m t u r v o n Kiisnacht u n d A n h ä n g e r Zwingiis. Z u seiner I n t e r v e n t i o n w ä h r e n d der Z w e i t e n Z ü r c h e r D i s p u t a t i o n vgl. „Acta o d e r geschieht, w i e es uff d e m gesprech d e r 26. 27. u n n d 28. tagen w y n m o n a d t s in der christenlichen statt Z ü r i c h vor e i m ersamen g s e ß n e n grossen u n d kleinen radt ... e r g a n gen ist, a n b e t r e f f e n d die g ö t z e n u n d die m e ß " , Z ü r i c h (Froschauer), D e z e m b e r 1523

( = H u l d r e i c h Z w i n g i i s s ä m t l i c h e W e r k e , h g . v. E M I L E G L I u . G E O R G F I N S L E R , B d . I I , L e i p -

zig 1908, 6 9 9 - 7 0 7 ) . 42 Tit 1,15. 43 „Et hactenus probaui o r a t i o n e m C h u n r a d i c o m m e n d a t a r i j , q u o d s c r i p t u m contra idola adduetis n o n in t o t u m idola, sed idolatriam d a m n a r i c o n t e n d e r i t et, quia pij possunt b e n e vti imaginibus et statuis, sicut puris sunt o m n i a pura, et sicut tu, si etiam crucifixi i m a g i n e m in c u b i c o l o habeas d e p i c t a m , ea queas pie u t i . " B C o r I, N r . 63, 230,113—117. — Charles Garside g e h t davon aus, daß Z w i n g l i n o c h m e h r als an a n d e r e n M e n s c h e n F r e u d e an s c h ö n e n K u n s t w e r k e n , G e m ä l d e n u n d Statuen gehabt u n d sich lediglich g e g e n eine pseudoreligiöse o d e r abergläubische V e r w e n d u n g der K u n s t w e r k e g e w a n d t habe. Vgl. CHARLES GARSIDE: Z w i n g l i and t h e arts (= Yale historical publications, Miscellany, 83), N e w H a v e n 1966.

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Im zweiten Hauptteil des Briefes gliedert Bucer seine zentrale Überlegung zur Bilderfrage in zwölf Punkte 4 4 . Zwar nützt die Entfernung von äußeren Bildwerken nichts, wenn nicht vorher die inneren Bilder zerstört werden, wenn aber die Bilder zur Erbauung der christlichen Gemeinde nichts beitragen, sind sie zu beseitigen: „Vt igitur et ego tandem finiam: idola, ut res externas omnes, media puto, sed quia arte Satanae factum est, vt colant ea homines, debent demoliri, sed per ecclesiam aut certe Heliam. Ratio huius esto: N o n aedificant. Nostrum autem est in ecclesia offendicula tollere et omnia ad aedificationem facere; igitur oportuit amoliri ea" 45 . Mit der Beseitigung der Bilder soll jedoch aus Rücksicht auf die Schwachen noch etwas gewartet werden. „Responde, quid in ea probes, quid secus" bittet Bucer schließlich den „ter charissime [...] atque eruditissime" Zwingli, „debemus enim mutuo nos erudire, ut idem sentientes in eadem permaneamus regula" 46 . Zwingli antwortet sechs Wochen später, am 3. Juni 153 0 47 . Zunächst dankt Zwingli artig für Bucers Offenheit, da es nichts schlimmeres als Heuchelei gebe 48 . Zur Lösung des Problems der Bilder sind ihm vor allem zwei Punkte wichtig: 1. Das Gesetz wird durch das Evangelium keineswegs aufgehoben, gerade die Liebe selbst verbietet es. Vor allem ist zu beachten: ,,[...] daß wir nicht töricht die Aufhebung des Gesetzes verkünden, so daß die Draufgänger, die irgendein Wort von Freiheit hören, die Gelegenheit ergreifen, U n sinn zu treiben. [...] So habe ich es daher selbst zur ewigen Gewohnheit, daß ich das Gesetz niemals aufgebe [...]; das Gesetz des Herrn ist nämlich außerdem süß für die Seele des gefälligeren Gläubigen 49 !" 50 und, hier in ganz deutlichem Gegensatz zur Position Bucers: „Für den Gerechten, das heißt: den Gläubigen, ist das ganze Wort Gottes, sei es, daß es Nahrung für das Gesetz, sei es, daß es Nahrung für Versprechen ist, Licht und ein Akt der Gnade" 5 1 . 2. Auch in der Frage der Adiaphora vertritt Zwingli eine Bucer entgegengesetzte Position: „Ich kehre zu dem anderen Aspekt zurück, daß nämlich die Bilder offensichtlich nicht der Masse der Gleichgültigen entstammen, worin wir reichlich uneins sind". Seine grundsätzliche 44

Vgl. B C o r I, Nr. 63, 232,182 - 235, 302. Ebd., 2 3 5 , 2 9 6 - 3 0 0 . 46 Ebd., 2 3 6 , 3 0 3 , 3 0 6 - 3 0 8 . 47 B C o r I, Nr. 67, 2 5 3 - 2 5 8 . 48 Vgl. ebd., 253. 49 Ps 19,11. 50 „[...] ne legis antiquationem i m p r u d e n t e r praedicemus, quo audaces quidam libertatis n o m e n audientes delinquendi occasionem arripiant. [...] Sic igitur ipse in p e r p e t u o more habeo, ut legem nusquam omittam [...]; dulcis est enim lex D o m i n i super mel ori fidelis animae." B C o r I, Nr. 67, 255, 5 0 - 6 0 . 51 „Iusto, id est fideli, o m n e u e r b u m Dei, siue legis sit, siue promissionis, cibus est lux et gratiarum actio." Ebd., 255, 69f. 45

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Ablehnung, die Bilder als Adiaphora zu werten, begründet Zwingli vor allem mit dem Schriftprinzip: „Daher siehst du, wie schwach der Beweisgrund ist, auf den sich die stützen, die sagen: ,ob das Bild nicht erlaubt ist, wie es in der Schrift gelehrt wird?' Zuerst ist dies aus dem Schoß des Papstes hervorgekommen; wer ist es denn, der durch die Schrift belehrt werden soll? W i e viele abertausende von Menschen halten nicht die Schrift, daß sie nicht glauben! Zweifellos ist dieser Glaube keine Sache von Buchstabe oder Alphabet, und er hat nämlich auch nicht in den Sinnen seinen Ursprung, sondern ist von innen heraus eine Angelegenheit eines lehrhaften, heiteren und belebenden Geistes. Zuletzt ist auch der Sinn der Bilder nicht derselbe wie der der Schrift. Wenn du einem U n g e bildeten ein Bild vorsetzst, vermag er niemals, aus dem Buld ihn, der ans Kreuz geschlagen wurde, zu erkennen. Freilich sieht er das Bild, die Sache selbst aber kann er nicht s e h e n " 5 2 . Zwingli resümiert: „Jetzt siehst du, wie schön gläubig wir offenbar sind, weil der Glaube einzig eine innere Angelegenheit des Menschen ist und die Bilder nur den Sinn bewegen, auf dem der Glaube nicht b e r u h t " 5 3 . Als Fazit seiner Überlegungen schreibt Zwingli , daß vor allem die G e mälde und Statuen der verschiedensten Heiligen nur den einen Zweck hätten, „daß wir vom inneren Menschen zu den Sinnen abgelenkt werden, weshalb es geschehen ist, daß wir vom Schöpfer auf das Geschaffene gerichtet wurden. Viel gewisser werden wir durch das ewige Wort gelehrt, als durch das Blendwerk der Bilder." 5 4 Dies ist auch der Hauptgrund, warum nicht nur im Alten, sondern auch im Neuen Testament die Verwendung von Bildern häufig verboten wird: „Kinder, hütet euch vor den G ö t z e n ! " 5 5 Bilder fuhren weg vom Schöpfer und hin zur Vergötzung des Geschöpfes:

5 2 „Ad alterum redeo, videlicet quod idola ex indifferentium numero non sint, qua parte non nihil dissidemus [ . . . ] Hinc uides, quam infirmum sit argumentum, quo nituntur, qum dicunt: an non licet imagine ueluti scriptura doceri? P r i m u m hoc a papae sinu prolatum est; deinde quis est, qui scriptura doceatur? Q u o t hominum xlXiciòeic; scripturam habuerunt, at non crediderunt! N i m i r u m quod fides non est literae aut elementorum, neque enim a sensu proficiscitur, sed spiritus intus docentis, exhilarantis et uiuificantis. Postremo non est eadem ratio imaginum, quae scripturae. Imaginem si rudi proponas, nunquam ex imagine discet eum, qui cruci adfixus est, agnoscere; nam imaginem quidem uidet, rem ipsam non potest uidere." Ebd., 2 5 5 , 71f; 2 5 6 , 1 0 9 - 1 1 9 . 5 3 „Vides nunc, quam simus belle fideles scilicet, cum fides solius interni hominis sit et imagines solum sensum moueant, per quem fides non constat." Ebd., 2 5 7 , 1 2 5 - 1 2 7 . 5 4 „ [ . . . ] ut ad sensum ab interiori homine auocemur, vnde factum est, ut a creatore ad creaturam conuersi simus. M u l t o certius docemur perpetuo uerbo, quam imaginum glaucomate." Ebd., 2 5 7 , 1 4 4 - 1 4 6 . 5 5 I J o h 5 , 2 1 ; vgl. B C o r I, Nr. 6 7 , 2 5 7 , 1 4 8 ; T e x v i a , (pxitó^aaOe a i t ò eìòdAtov.

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„Außerdem weißt du dies genau: Daß du dem Geist so viel wegnimmst, wie du den Sinnen zuteilst." 5 6 Im Briefwechsel wird deutlich, daß Zwingiis drei Hauptargument gegen die Bilder in die Diskussion einfuhrt: Zu einen das Gesetz, das Bilderverbot der Heiligen Schrift. Z u m anderen die Ontologie, danach kann Geistiges nicht durch Sinnliches vermittelt werden. Z u m dritten die reformatorische Argumentationsfigur der Kreaturvergötterung. B u c e r betont, daß die B i l der selbst nicht gefährlich sind, es aber durch ihre Anbetung werden, die deshalb verboten werden muß. Zu dieser Zeit scheint Bucer also noch eher die Linie der Wittenberger als die der Züricher zu vertreten. Im Herbst des Jahres, am 31. O k t o b e r 1524, wendet sich B u c e r noch einmal in der Angelegenheit der Bilder an Zwingli 5 7 , dem er knapp und sachlich die diesbezüglichen Vorgänge in Straßburg schildert: „Der Senat hat kürzlich in der ersten Kirche gewisse Bilder, die ganz besonders verehrt wurden, verbrannt. Was meine Kirche angeht, werden sie bald alles weggeschafft haben 5 8 , mit der Einschränkung, daß die Bilder an den Wänden noch nicht übertüncht worden sind, worum sie sich aber in Kürze k ü m mern werden, und am Hauptaltar ist das alte Bild der ehernen Schlange und des leidenden Christus belassen worden." 5 9 In den folgenden Jahren spielt der Bilderstreit im Briefwechsel Bucers nur eine geringe R o l l e und beschränkt sich im Wesentlichen auf Berichte über die entsprechenden Ereignisse in Straßburg. Was geschah in Straßburg? Das Jahr 1524 war das Jahr der großen E r schütterungen an der III: die Messe in deutscher Sprache, das Abendmahl in beiderlei Gestalt, die Heirat von Priestern, die Liquidierung des katholischen Widerstands und das Entstehen einer agitierenden Gruppe von B ü r gern, die radikaler dachte und handelte als die Reformatoren. Vor diesem Hintergrund müssen die Bilderstürme in Straßburg gesehen werden. Der R a t erläßt schon am 5. September 1524 ein Mandat, nach dem die Bürger „nichts mit tätlicher Handlung vornehmen dürften, sondern alles der gesetzlichen Obrigkeit anheimzustellen h a b e n " 6 0 . Nach ihrer Beschädigung am 22. und 24. O k t o b e r werden am 29. und 30. Oktober 1524 die meisten 5 6 „Iam hoc non ignoras, quod, quantum sensui tribueris, tantum spiritui detraxeris." Ebd., 2 5 7 , 1 5 5 f . 5 7 B C o r I, Nr. 80, 2 7 8 - 2 8 1 . 5 8 Aus St. Aurélien am 2 2 . , 24., 29. und 30. O k t o b e r 1524. 5 9 „Senatus nuper idola quaedam, nempe quae in peculiari veneratione habebantur, submouit in primo tempio; mox, qui ad meam ecclesiam pertinent, omnia submouerunt, nisi quod in parietibus nondum sunt oblitae imagines quod tarnen breui curabunt, et in primo altari dimissa antiqua serpentis enei et Christi passi imagine." B C o r I, Nr. 80, 2 7 9 , 22-26. 6 0 Annales de Sébastien Brant, Fragmente, hg. v. L. DACHEUX. In: Bulletin de la Société pour la conservation des Monuments historiques d'Alsace, 15 (1892), Nr. 3 4 8 2 .

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Skulpturen, Reliquien und Gemälde aus St. Aurelien entfernt. 6 1 Ab 1525 greift der R a t immer öfter ein, stets im Interesse einer schrittweisen, geregelten und unspektakulären Entfernung der Bilder. Als der Pfarrer der Kirche Alt-St.-Peter, Diebolt Schwarz, und seine Anhänger am 23. März die Altäre und Bilder ihrer Kirche zerschlagen und die Wände der Kirche weiß kalken und mit biblischen Zitaten beschreiben, handeln sie sich einen ernsten Verweis des Rates ein. Bucers wichtigste Schrift zum U m g a n g mit Bildern ist „Das einigerlei Bild bei den Gotglaubigen", im N a m e n aller „Prediger der Kirchen Christi zu Straßburg" unter dem Datum 6. März 1530 erschienen. Bereits der U n tertitel ist Programm: „Das einigerlei Bild bei den Gotglaubigen an orten, da sie verehrt, nit mögen geduldet werden, helle anzeyg auß Gottlicher Schrifft, der alten heiligen Vatter leer und beschluß etlicher Concilien. Mit außweisung, aus waß falschem gründe und durch weliche die Bilder in die Kirchen erst nach der zeit der heil [igen] vätter Hieronymi, Augustini und anderer kommen sindt, do durch die Vandalen und Gotthen der R e c h t verstand anfieng zu Grund gehn". Der Untertitel umreißt auch die von Bucer verwendeten Quellen: „die göttliche Schrift, die Lehre der heiligen Väter und die Beschlüsse etlicher Konzilien". Von Bucers Schrift gegen die Bilder liegt nur eine Druckausgabe vor 6 2 , die am Schluß Datum und Ort angibt: „ D a t u m zu Straßburg am Sechsten tage Mertzens im Jar nach der geburt Christi unsers Herren MDXXX". Der Drucker ist nicht angegeben, es ist j e d o c h davon auszugehen, daß es sich um einen Straßburger Druck handelt. Die Schrift umfaßt zwölf Quartblätter. Sie wurde herausgegeben in Band IV von Bucers Deutschen Schriften 6 3 . Nahezu gleichzeitig erschien eine lateinische Ubersetzung der Schrift von Jakob Bedrot unter dem Titel „ N o n esse ferendas in templis Christianorum imagines et statuas, coli solitas, caussae ex arcanis literis, sententiis patrum, edictis religiosorum Caesarum: U n d e Candidus lector videbit, quam pie Senatus Argentoratensis nuper simulacra omnia, cum aris, eliminanda suis templis curaverit. Autoribus Ecclesiastis Argentoratum" 6 4 . In seinen Briefen des Jahres 1530 bezieht sich Bucer nur einmal auf diese Schrift. A m 18. April 6 5 erzählt er Ambrosius Blaurer, Jakob Bedrot sei Vgl. ebd., 19 (1899), Nr. 3483 und Nr. 4545. Vgl. V D 16: Verzeichnis der im deutschen Sprachraum erschienenen Drucke des 16. Jahrhunderts, Nr. B 8860. 6 3 B D S IV, 1 6 1 - 1 8 1 . 61

62

64

Vgl. V D 16, N r . B 8 8 6 1 ; JOHANN WILHELM BAUM: C a p i t o u n d B u t z e r , S t r a ß b u r g s

Reformatoren. Nach ihrem handschriftlichen Brieffschatze, ihren gedruckten Schriften und anderen gleichzeitigen Schriften dargestellt, Elberfeld 1860, 594; GUSTAV C . KNOD: Die Stiftsherren von St. Thomas zu Strassburg (1518-1548), Straßburg 1892, 26. 6 5 B C o r IV, Nr. 290, 86f. 6 6 „Bedrotum nostrum grauiter ofFendi, quod adscribi curaui nomen eius libello de

Contra statuas

et imagines "

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schwer beleidigt, weil Bucer seinen Namen als Übersetzer der lateinischen Ausgabe über den Druck hat setzen lassen — zu nachlässig, so glaubt Bedrot, hat er den Text übersetzt. Bucer kommentiert die Angelegenheit pragmatisch: „Unseren Bedrot habe ich schwer beleidigt, weil ich seinen Namen dem kurzen Traktat über die Beseitigung der Bilder hinzusetzen ließ; so nachlässig glaubt er jenen übersetzt zu haben. Aber wenn dem so wäre, würde er zu Recht öffentlich bloßgestellt für seine Nachlässigkeit büßen; wenn aber nocht, so ziemte es sich, daß er aufrichtig zu dem stünde, was er zu Recht getan hat." 6 6 Reflexe seiner Korrespondenten begegnen uns nur in zwei Briefen: Mitte April 67 bedankt sich Hermann von dem Busche aus Marburg bei Bucer für die Zusendung eines Exemplars. Am 23. Mai 15 3 0 6 8 erfahren wir von Gereon Sailer, daß in Augsburg ein Büchlein aus Straßburg „de simulachris" kursiert 69 , die Verfasserschaft Bucers scheint Sailer nicht bekannt zu sein. Seine Argumentation gegen die Bilder beginnt Bucer mit dem Bilderverbot des Alten Testaments. Der Hauptgrund, so Bucer, Bilder aus Kirchen zu entfernen, sei das Gebot unseres Gottes und Schöpfers 70 . Er zitiert nach Exodus 20,2—6 das Erste und Zweite Gebot. Das Erste Gebot hält uns vor, daß der ewige Gott unser Gott sein soll, das Zweite Gebot verbietet nicht nur fremde Götter, sondern auch alle Bilder 71 . Bucer sieht den Vorwurf voraus, andere Gesetze des Alten Testaments, wie die Beschneidung oder andere kultische Vorschriften, hätten ja nun für die Christen keine Bedeutung mehr — warum dann ausgerechnet das Bilderverbot. Diese kultischen Gesetze, so Bucer, betreffen weder den Glauben noch die Liebe. Die Verehrung von Bildern aber widerspricht dem Glauben und der Liebe zu Gott in hohem Maße - deshalb gilt das Bilderverbot auch in der neutestamentlichen Gemeinde 7 2 . Bilder brechen an Orten, an denen sie verehrt werden (oder auch nur das Risiko der Verehrung in sich bergen), den wahren Glauben und die Liebe zu Gott. Das erfundene und falsche Gedenken Gottes, wie es durch die Verehrung der Bilder entsteht, verstellt den Blick auf die herrlichen, echten Werke Gottes und löscht wahre Gottes-

tollendis imaginibus; neglectim adeo videtur ilium sibi vertisse. Sed si ita est, iure dat poenas negligentiae traductus; sin, conuenit, ut ingenue prae se ferat, q u o d recte fecit." B C o r IV, Nr. 2 9 0 , 8 6 , 3 - 7 . 67 B C o r IV, Nr. 2 8 8 , 8 2 - 8 4 . 68 B C o r IV, Nr. 301,106-111. 69 Ebd., 109, 20f. 70 Vgl.BDS IV, 1 6 6 , 1 - 3 . 71 Vgl. ebd., 5 - 1 9 . 72 Vgl. ebd., 1 6 6 , 1 9 - 1 6 7 , 5 .

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furcht aus. Der Teufel, der nach Meinung Bucers die Bilder aufgebracht hat, hat durch sie wahres Gottesvergessen angerichtet 7 3 . Ohne Martin Luther namentlich zu nennen, wendet sich Bucer nun 7 4 gegen ihn und seine Lehre von den Bildern: „Denen, die Christlich freiheit flirwerffen, das wir wie aller eusserlichen ding, also auch der Bilder halb frei seien 7 5 , und wol besserlicher des leidens Christi, dann anderer weltlichen Sachen Bildnus haben 7 6 , ist erstlich zu antwortten: Wo Bilder verehrt werden, bricht es ab dem glauben, wie ob bewert, darumb solche Bilder haben, jetzt nit meer ein eusserlich frei dinng sein kan. Z u m anderen, ob man sagte, die verstendigen eren sie nit, die unverstendigen mache man durchs Wort verstendig, hilfft das nit an inen, so würt noch weniger helffen, so man schon die bilder abthut 7 7 ." 7 8 Luther erachtete die bereits bestehenden Bilder als Adiaphora, also als weder nützlich noch schädlich. Zwar ist der Kult zu verwerfen, die Kultobjekte aber können bestehen bleiben. In seinen Invocavit—Predigten wendet er sich sogar vehement gegen den Wittenberger Bildersturm von 1522. Wenn Bilder unbedingt entfernt werden müssen, das ist zum Beispiel bei Wallfahrtsbildern der Fall, dann muß das geordnet geschehen, Entscheidung und Durchführung sollen in den Händen der Obrigkeit liegen. Bucer läßt Bilder als Kunstwerke grundsätzlich einmal gelten, aber nur dort, wo sie nicht in Gefahr sind, verehrt zu werden. „Diß leugnet kein verstendiger, das man bilder haben mag, wo die nit verehrt werden" 7 9 . Ja sogar: „Es ist bildhauwen, giessen oder malen auch ein kunst, die Got geben hat" 8 0 . Aber: „In den Kirchen [...] werden sie geert, und keine mehr dann eben die Crucifix und bilder unsers Herrn, das ligt am tag, mags kein verstendiger leugnen, man treibe das wortt wie ernstlich man woll, das so lang die bilder in Kirchen geduldet, sy von vilen einfeltigen von wegen alter gewonheit, öffentlicher anreytzung der boßwilligen, heymlicher des teuffels, anbettet und vereret werden, welchs gentzlich abgstelt wirt, so nach vorgender leer gotlichs worts die bilder auch von äugen k o m m e n " 8 1 . Dies ist ein Hieb gegen Luther. Luther nämlich sieht nicht alle Bilder als Adiaphora, sondern räumt einer Bildgattung eine besondere Berechtigung ein: dem lehrhaften, didaktischen Bild. Gerade die von Bucer genannten Vgl. ebd., 167, 5 - 1 6 8 , 8 . B D S IV, 1 7 0 , 1 9 - 1 7 4 , 1 6 , nach Bucers Gliederung noch im ersten Teil B D S IV 166, 1-174,16. 73

74

75

Vgl. M A R T I N L U T H E R : I n v o c a v i t p r e d i g t e n , W A 10, III, 2 8 .

76

Vgl. LUTHER: Wider die himmlischen Propheten, WA 1 8 , 8 2 f . Vgl. ebd., WA 1 8 , 6 7 f . B D S IV, 1 7 0 , 1 9 - 1 7 1 , 1 . B D S IV, 171, 5f. Ebd., 6f. Ebd., 7 - 1 4 .

77 78 79 811 81

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Einfältigen könnten durch die Bilder zu einem tieferen Verständnis gelangen und im Glauben gefestigt werden. Solche didaktischen Bilder duldet Luther nicht nur, er wirkt sogar tatkräftig an ihrer Entstehung mit 82 . In einem langen und intensiven Arbeitsprozeß bespricht er zum Beispiel mit Lucas Cranach die Illustrationen zu seiner deutschen Bibel 83 . Für Luther ist dabei besonders wichtig, daß die Bilder sehr genau zur Aussage des Textes passen. Für die Arche des Noah verwirft er deshalb die bis dahin übliche Illustration mit einem großen Schiff. Gott weist den Noah an: „Mache dir einen Kasten von Tannenholz und mache Kammern darin und verpiche ihn mit Pech innen und außen" 8 4 . Kein Schiff darf also dargestellt werden, denn davon ist in der Bibel nicht die Rede. In Luthers deutscher Bibel schwimmt so fortan auch kein Schiff mehr auf den Fluten, sondern ein einfacher, rechteckiger Holzkasten 85 . Bucer kann all das nicht nachvollziehen: „ U n d ist nichts, das man sagen wil, die Bilder seien der Leyen Bibel" 86 . Zur Unterweisung der Gläubigen bedarf es keiner Bilder. U m dem Menschen zum Glauben zu verhelfen hat Gott mancherlei Zeichen getan und Zeremonien gestiftet, vor allem hat er das Wort gegeben, das allein zum Glauben führt. Bilderverehrung oder auch nur Bilderverwendung hat er aber nie geboten. „Man hat", so sagt Bucer, „das wort, das sol taglich getriben werden. Man hat die gantz weit und alle geschopffen Gottes, welchen dise nit genugsam leren und ermanen, denselben werden auch die bilder nimmer nichts güttes leren, sonder das bringen, das sie bißher alwegen bracht haben, wie wir doch sehen, das nemlich der gotsdienst an sondre ort eingethon, ja bei gar vilen gentzlich uffgehaben und dafür ein vergebens neygen, knubiegen und etlich wort sprechen anstat des gebets zu undergang aller rechten frombkeit und gotsdienst auffkommen ist" 87 . Uberhaupt ist die ganze Diskussion müßig, denn „Bilder zu haben, hat [Gott] so gar nit zu gütter leer dienstlich geachtet, das er sie zu haben auch auffs gestrengst verbotten hat" 8 8 .

82

Vgl. HILDEGARD ZIMMERMANN: B e i t r ä g e z u r B i b e l i l l u s t r a t i o n des 16. J a h r h u n d e r t s

(Studien

zur

deutschen

Kunstgeschichte

226), Straßburg

1924; EDGAR

LEHMANN:

Ein

Beitrag zur alttestamentlichen historischen Bibelillustration u n d ihrer Ikonographie (Studien zur deutschen Kunstgeschichte 289), Straßburg 1932; GÜNTER

SCHUCHARDT:

Cra-

nach, Luther u n d die Bilder. In: Gesetz u n d Gnade. Cranach, Luther u n d die Bilder, hg. v. d. Wartburg-Stiftung Eisenach, Eisenach 1 9 9 4 , 7 - 1 2 . 83 Das Alte Testament deutsch, W i t t e n b e r g 1523, bzw. Bibha/das ist/die gantze Heilige Schrifft Deudsch. Mart. Luth. Wittemberg, W i t t e n b e r g 1534. 84 Gen 6,14. 85 Durchgesetzt hat sich diese Darstellungsweise allerdings nicht. In den nach Luthers Tod erscheinenden Ausgaben kehrt man zum h e r k ö m m l i c h e n Bild der Arche zurück. 86 B D S IV, 168,15. 87 Ebd., 2 8 - 3 5 . 88 Ebd., 23f.

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Schließlich begegnet B u c e r dem Einwand, mit der Menschwerdung Gottes sei eigentlich auch eine Berechtigung für Bilder gegeben: „So nun got mensch worden, hie gelebt und gecreutzigt ist, das er auch gewolt habe aller Welt bekant sein, so möge man sein und vorab wie er gecreutziget, Bilder zur gedachtnus fürstellen 8 9 " 9 0 zitiert er seine Gegner und hält dem eine Stelle aus dem Johannesevangelium entgegen: „ D e n n wiewohl er unser Heil dadurch geschafft, daß er sich eine Zeit lang sichtbarlich gezeigt hat, so hat er doch selbst gesagt, seine leibliche Gegenwart sei uns nichts nütze 9 1 . D e r Geist macht lebendig, darum uns gut sei, daß er leiblich von uns h i n g e h e 9 2 " 9 3 . Nach den Beweisen aus der Heiligen Schrift kommt B u c e r im zweiten Hauptteil 9 4 zu Beweisen aus der Kirchenväterliteratur. Die Wahrheit über die Bilder hatte Bestand, bis durch die Vandalen und die Goten unser Glaube und alle rechte Erkenntnis einen schweren Stoß genommen hat 9 5 . N o c h zur Zeit des hl. Hieronymus lesen wir, daß kein verständiger B i s c h o f Bilder habe dulden wollen. Dafür kramt B u c e r einen B r i e f von Epiphanius, B i schof von Zypern, an Johannes, B i s c h o f in Jerusalem, hervor, von Hieronymus ins Lateinische übersetzt 9 6 . Epiphanius schreibt über einen Besuch im D o r f Anablatha bei B e t h - E l . Hier fand er an der Kirchentür einen bemalten Vorhang mit dem Bildnis Christi oder eines Heiligen hängen. W e gen dieses eindeutigen Widerspruchs zur Heiligen Schrift zerriß Epiphanius den Vorhang eigenhändig und gab den Kirchenwärtern die Empfehlung, einen armen Toten darin einzuwickeln, um ihn fortzutragen 9 7 . Nächster Gewährsmann Bucers ist Euseb 9 8 . D e r berichtet aus Caesarea Philippi, dort zwei tönerne Statuen gesehen zu haben, die eine als Bild der blutflüssigen Frau, die andere als Bild Christi. Euseb erklärt: „Es ist kein Wunder, daß die, die von Heiden gläubig geworden sind, solche Dinge als Geschenk und Gabe haben opfern wollen für die Guttaten, die sie von unserem Heiland empfangen h a b e n " 9 9 . B u c e r betont hier, die kultische Verehrung von Bildern sei heidnischen Ursprungs und alleine schon deswegen für Christen abzulehnen. In dieselbe R i c h t u n g zielt eine Aussage von 89 [...] Bilder von ihm und vor allem von seiner Kreuzigung zum Gedächtnis aufstellen. 9 0 B D S IV, 1 6 9 , 1 - 3 . 91 J o h 6 , 6 3 . 92 Joh 16,7. 9 3 Vgl. B D S IV, 1 6 9 , 3 - 7 . 9 4 „Das Ander theyl", B D S IV, 1 7 4 , 1 7 - 178, 28. 9 5 Vgl. B D S IV, 174, 2 3 - 2 5 . 9 6 Vgl. HIERONYMUS: Epistola 5 1 , 9 , M P L 2 2 , 526f. 9 7 Vgl. B D S IV, 174, 2 7 - 1 7 5 , 1 8 . 98

Vgl. EUSEBIUS: E c c l e s i a s t i c a e h i s t o n a e V I I , 1 8 , M P G

99

Vgl. B D S IV, 1 7 5 , 2 3 - 2 6 .

20,679.

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Laktanz 100 , die Bucer als nächstes anfuhrt: In seinen Divinae institutiones schreibt Laktanz „Sind dann ewere Bilder nit ewere gotter, sonder bettet an die im himel sind, warumb hebet ir dann nicht ewere äugen und hend in himel und nicht gegen die wend und ewere gotzen?" 101 . Schließlich findet Bucer auch bei Athanasius 102 noch Passendes: „Sagen sie uns doch, welcher maß got durch die bilder erkant werde, ob von wegen der matery, daruß sie gmacht, oder von wegen der gestalt, so in solche matery bracht würt? Dient hiezü die materi, was darffs dann der gstalt? [...] Sol dann sein ein ursach Gütlicher erkantnus die gestalt, so in die materi gemacht ist, was darff man dann gemeld darzu mit allem, das dran ist, und erkennet nicht Gott vil mehr durch die ding selb, deren man Bildnus machet? Dann die herligkeit Gottes vil heller erkennet würt, so man die fiirhielte in und durch bede, vernünfftige und unvernünfftige thier, dann durch die todten und unbeweglichen bilder!" 103 „Martin Bucer" könnte als Unterschrift unter diesen Sätzen des Athanasius stehen. Nach den Beweisen aus der Heiligen Schrift und aus der Kirchenväterliteratur kommt Bucer im dritten Hauptteil 104 zu Beispielen aus der Kirchengeschichte. Zunächst stellt Bucer einige Personen aus der Kirchengeschichte vor, deren Verhalten im Umgang mit Bildern er zur Nachahmung empfiehlt. Da gibt es Serenus von Marseille, etwa 595 bis 600 Bischof in Marseille, der die Statuen und Bilder in seinen Kirchen von Sockeln und Wänden gerissen, zerschmettert und verbrannt hat. Die obrigkeitliche Rüge folgt umgehend: Gregor der Große begrüßt zwar das Abstellen der Bilderverehrung, die Bilder selbst — die ja auch der Lehre dienen — hätten aber nicht angetastet werden dürfen 1 0 5 . Hier wird, in historischer Verbrämung, ziemlich genau die Position Luthers beschrieben. Für Bucer ist diese Begebenheit denn auch der Auslöser, „das es bei der Römischen Kirchen alles anfinge zu schwerem Abgang zu kommen, wie sichs hernacher leider nur zu viel hat sehen lassen" 106 . Dazu paßt genau die Geschichte des griechischen Kaisers Leos III., der 784 die Bilder ordentlich aufgeschichtet und verbrannt hat, und dem Papst in R o m , Gregor III., befohlen hat, es ihm gleichzutun. Der Papst verbrennt natürlich kein einziges Bild, beruft vielmehr nach Ravenna ein Konzil ein, das beschließt, die Bilder sollten mehr in Ehren gehalten werden als je zuvor 107 . 100

Vgl. L A C T A N T I U S : Divinae instututiones II, 2 - 4 , MPL 6, 258-276. BDS IV, 176,18-20; vgl. MPL 6,258. 102 Vgl. A T H A N A S I U S : Oratio contra gentes 2 0 . M P G 25,39f. 103 Vgl. BDS IV, 176,22-33. 104 Sinnabschnitt: BDS IV, 177, 34 - 181, 30, nach der Gliederung Bucers: „Der dritte theyl", ebd., 179,1-181,30. 105 Vgl. ebd., 178, 4-8. 106 Ebd., 9f. 107 Vgl. ebd., 11-28. 101

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Selbstverständlich muß B u c e r auch die andere Seite vorstellen: Diejenigen Menschen, die im Laufe der Kirchengeschichte Bilder in die Kirchen gebracht und für ihren Erhalt gekämpft haben — also die Schuldigen am ganzen Übel. Urheber ist demnach Pontius Paulinus, B i s c h o f zu Nola in den ersten Jahrzehnten des 5. Jahrhunderts. Der ließ die Wände seiner Kirche mit biblischen Szenen aus dem Alten Testament bemalen. „Sunst", schreibt Bucer, „findt man von nieman namhafftigs, der das gmeld in der kirchen hab angfangen" 1 0 8 . Hier schwindelt Bucer. D i e christliche Tradition, Bilder mit biblischen Inhalten zu malen, reicht zurück in das 3. Jahrhundert. Die Wurzeln liegen, wie so oft, in der Bestattungskultur. In den von Christen allein oder mitbenutzten Katakomben R o m s finden sich ab 2 0 0 zunächst einfache Ritzzeichnungen mit Symbolen oder Emblemen, wenig später auch biblische Szenen, hauptsächlich zu den T h e m e n „Christlicher Glaube" und „Ewiges L e b e n " 1 0 9 . Parallel entwickelt sich die Kunst, auch steinerne Sarkophage mit biblischen Reliefs zu schmücken. W i e an den Kirchenwänden des Bischofs Pontius Paulinus überwiegen auch hier die alttestamentlichen Szenen 1 1 0 . Ein Grund dafür liegt sicher darin, daß das frühe Christentum ohne eigene Bildtradition auf Vorlagen des Judentums angewiesen war, das sich in der Spätantike auch nicht sonderlich um das Bilderverbot kümmerte 1 1 1 . Mit der Zulassung des Christentums als gleichberechtigte Religionsgemeinschaft durch Konstantin den Großen 3 1 3 halten Bilder Einzug in die christlichen Kirchen. Als römischer Kaiser war Konstantin auch verpflichtet, der neuzugelassenen R e l i gion angemessene Kulträume zu bauen. Diese entstanden zunächst in R o m , Jerusalem und Konstantinopel. Konstantins Biograph, Euseb von Caesarea, wird nicht müde, die prachtvolle Ausstattung dieser neuen Kirchen durch Konstantin zu loben. Viele der Angaben Eusebs halten einer kritischen Uberprüfung nicht stand, besonders, was die Menge des verwendeten Silbers und Goldes betrifft; die von ihm beschriebenen Bilderzyklen in der Peterskirche und im Lateran hat es wirklich gegeben, archäologische Untersuchungen belegen dies: R e i h e n von Mosaikfeldern mit Szenen aus dem Alten und Neuen Testament 1 1 2 . In der Kirche S. Maria Maggiore sind die Mosaikzyklen aus dem frühen 5. Jahrhundert noch fast 108

B D S IV,179,8f.

109

Vgl. PAUL S T Y G E R : D i e

r ö m i s c h e n K a t a k o m b e n , B e r l i n 1 9 3 3 ; JOHANNES

KOLL-

WITZ: D i e Malereien der konstantinischen Zeit. In: Akten des Internationalen Kongresses fiir Christliche Archäologie Trier 1 9 6 5 , T r i e r 1 9 6 5 . ""

Vgl. G U N T R A M K O C H : F r ü h c h r i s t l i c h e S a r k o p h a g e , M ü n c h e n

2000.

Vgl. ERNST COHN-WIENER: D i e j ü d i s c h e Kunst von den Anfängen bis zur G e g e n wart, Berlin 1 9 2 9 . 1 , 2 Vgl. HUGO BRANDENBURG: R o m s frühchristliche Basiliken des 4.Jahrhunderts, M ü n c h e n 1 9 7 9 ; RICHARD KRAUTHEIMER: C o r p u s basilicarum christianarum R o m a e , 5 Bde., R o m 1 9 3 7 - 1 9 7 7 .

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123

"

vollständig erhalten: An den Wänden des Langhauses fast 50 Bilder aus dem Alten Testament, am Triumphbogen und in der Apsis Schlüsselszenen aus den Evangelien 113 . Die byzantinische Kunst schließlich, die über R a venna auch Einzug nach Italien hielt, geht geradezu verschwenderisch mit biblischen Szenen und später auch mit Märtyrer- und Heiligenviten um 1 1 4 . Bucer hat alle diese Kirchen nicht aus eigenem Augenschein gekannt. Gekannt aber hat er die Konstantinsvita des Euseb, in der — zwar mit einigen Übertreibungen, aber doch im Kern richtig — die verschwenderische Ausstattung der frühchristlichen Kirchen mit Bildern beschrieben wird. Bucer faßt zum Schluß noch einmal die wichtigsten Punkte zusammen: Bilder sind nicht an sich schlecht, sie sind es nur dort, wo die Gefahr ihrer Verehrung besteht. Einfältige Menschen sind hier anfälliger als verständige und bedürfen des besonderen Schutzes. Z u m Entfernen von Bildern ist nur die Obrigkeit befugt, der Hausvater im Hause, die Obrigkeit in der Stadt 115 . U n d die Obrigkeit in Straßburg, dafür dankt Bucer Gott, hat hier richtig gehandelt. Sie hat in rechter Weise für die Entfernung der Bilder aus Straßburger Kirchen gesorgt 116 . Ganz am Ende gibt Bucer noch einen Hinweis zur Praxis: Niemand darf Bilder mutwillig und aus purer Lust an der Vernichtung zerstören. Wer so handelt, der sündigt so schwer, wie jeder sündigt, der an einem heiligen Ding seinen Mutwillen tut. Aber: Mit den unempfindlichen Bildern muß auch nicht so sorgfältig umgegangen werden, als ob sie empfindliche M e n schen wären. Würde man sie nach den Exempeln der Heiligen Schrift abtun wollen, müßte man sie ohnehin zerbrechen und zermalmen, damit sie nie mehr zu derart gottlosem Brauch verwendet werden können 1 1 7 . Bedeutender Reflex der für „Das einigerlei Bild bei den Gotgläubigen" zusammengetragenen Gedanken Bucers ist Artikel XXII, „Von Bildern", der Confessio Tetrapolitana 118 . Zunächst werden in gestraffter Form die

113

Vgl. BEAT B R E N K : D i e

frühchristlichen Mosaiken

in M a r i a

Maggiore

zu

Rom,

Wiesbaden 1975. 114

Vgl. FRIEDRICH WILHELM DEICHMANN: F r ü h c h r i s t l i c h e B a u t e n u n d M o s a i k e n

von

Ravenna, Wiesbaden 1958. 115 Vgl.BDS IV, 1 8 1 , 1 - 5 116 Vgl. ebd., 5f. 117 Vgl. ebd., 2 1 - 2 7 . 118 Die Confessio Tetrapolitana w u r d e im Frühjahr 1530 von Martin Bucer unter M i t w i r k u n g von Caspar H e d i o u n d Wolfgang Capito verfaßt, von Straßburg, Konstanz, M e m m i n g e n u n d Lindau unterzeichnet u n d am 9. Juli 1530 auf dem Augsburger R e i c h s tag d e m K a i s e r ü b e r g e b e n . Vgl. B D S III, 1 3 - 1 8 5 ; M U L L E R ( w i e A n m . 3 0 ) , 2 3 0 ; R E I N H O L D

FRIEDRICH: Martin Bucer - Fanatiker der Einheit?, Univ.-Diss, Neuchätel 1989, 6 7 - 6 9 ; U r k u n d e n b u c h zur Geschichte des Reichstages zu Augsburg im Jahre 1530, hg. v. KARL EDUARD FÖRSTEMANN, Halle 1833, B d . 2 , 2 1 - 7 0 .

124

Andreas

Puchta

kirchengeschichtlichen Beispiele, die wir aus „Das einigerlei Bild bei den Gotglaubigen" schon kennen, wiedergegeben 1 1 9 , dann kommen erneut die Kirchenväter Hieronymus, Euseb, Laktanz und Athanasius zu W o r t 1 2 0 . B u c e r betont für die Confessio Tetrapolitana besonders die Uberflüssigkeit der Bilder, denn „Warlich, hymmel, erd vnnd was darinnen, synd herrliche bilder gottes, der iren nur recht war n e m e " 1 2 1 . W o steht B u c e r im Kontext der Aussagen anderer Reformatoren zur Bilderfrage? Hans von Campenhausen schreibt 1957: Die R e f o r m i e r t e n stimmen theoretisch mit Karlstadt überein, „während Butzers Auffassung trotz der in der Praxis bilderfeindlichen Folgen und einiger Besonderheiten der Substanz nach mit Luthers Gedanken identisch ist" 1 2 2 . Diese Auffassung gewinnt Campenhausen offenbar in erster Linie aus dem B r i e f wechsel Bucers mit Zwingli aus dem Jahr 1524. Nach dem, was wir jetzt über Bucers Position wissen, erscheint der Satz nicht mehr haltbar, Bucers Auffassung sei „der Substanz nach mit Luthers Gedanken identisch". Luthers Hauptakzent liegt auf der Uberwindung des Verdienstgedankens und auf der Zulassung von Bildern als didaktischen Mitteln, während B u c e r durch die Bilderverehrung in erster Linie die Ehre Gottes 1 2 3 verletzt sieht. In seiner Schrift „Das einigerlei Bild bei den Gotglaubigen" 1 2 4 warnt B u c e r den Menschen — selbst „nach Gotlicher bildnußen bschaffen" — davor, die „wunderbarlichen werck" Gottes durch „ein todt, unempfintlich bild" nachzumachen 1 2 5 . Bilder in einen Kontext zu bringen, in dem sie verehrt werden oder möglicherweise verehrt werden könnten, steht wahrem Glauben und der Liebe Gottes entgegen 1 2 6 . Das Verwenden von B i l dern zur Verehrung Gottes führt zum Gegenteil des Beabsichtigten: In anderen Bereichen wird der Mensch dann umso „farleßiger und Gots vergessiger" 1 2 7 , wahre Gottesfurcht wird vertrieben und ausgelöscht, wie B u c e r aus eigener Erfahrung weiß 1 2 8 . D e r Teufel hat die Bilder in die Welt 119 12,1

Vgl.BDS 111,150,152,154. Vgl. ebd., 1 5 4 , 1 5 6 , 1 5 8 .

121

E b d . , 1 5 6 , 8 - 1 0 ; vgl. M U L L E R ( w i e A n m . 3 0 ) , 2 3 0 .

122

H A N S V. CAMPENHAUSEN: D i e B i l d e r f r a g e i n d e r R e f o r m a t i o n . I n : Z K G 6 8

(1957),

69-128. 1 2 3 Vgl. dazu allgemein GERD SCHWERHOFF: Blasphemare, dehonestare et maledicere D e u m . U b e r die Verletzung der göttlichen Ehre im Spätmittelalter. In: Verletzte Ehre. Ehrkonflikte in Gesellschaften des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, hg. v. GERD

S C H W E R H O F F U. K L A U S S C H R E I N E R , K ö l n

1995.

B D S IV, 1 6 1 - 1 8 1 . 1 2 5 Ebd., 167, 2 0 - 2 4 . 1 2 6 „Von keinem recht verstendigen Christen mag geleugnet werden, das Bilder haben an Stetten, da sie vereret oder nun in gfar der vererung ston, warem glauben und der liebe Gottes abbrüchlich ist." Ebd., 3—5. 1 2 7 Ebd., 10. 1 2 8 Vgl. ebd., 1 4 - 1 6 . 124

Contra statuas

et imagines "

125

gebracht und den Menschen vorgespiegelt, durch sie werde die Verehrung Gottes gefördert 129 . Tatsächlich aber fuhren die Bilder zur Verachtung Gottes, zur Störung des Glaubens und zu allem nur vorstellbaren Übel 1 3 0 . Bildersturm — Wahnsinn oder Gottes Wille? O b der Bildersturm dem Willen Gottes entsprochen hat, mag sich wohl niemand anmaßen zu entscheiden. Ihn als Wahnsinn zu bezeichnen, wäre aber auch verfehlt. Am Beispiel Martin Bucers sollte gezeigt werden, daß trotz einiger Einschränkungen — gelegentliche Maßlosigkeit in der Wahl der Mittel oder Zurechtbiegen der Argumentationslinien — die Entfernung von Bildern aus Kirchen das Ergebnis engagierten theologischen und historischen Denkens mit engem Bezug zur Praxis ist. Bucer lagen Gott und Mensch in dieser Frage gleichermaßen am Herzen. Wahnsinn oder Gottes Wille? Diese Frage wird Bucer nicht gerecht. Im ernsthaften Bemühen um Erforschung und Umsetzung von Gottes Willen hat Bucer versucht, dem Wahnsinn Einhalt zu gebieten. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

129

Vgl. ebd., 16-18. „ D a n n wie sie [= die Bilder] die gewisse Verachtung Gottes krefftiglich e i n f u r e n u n d den glauben stören, also geperen sie auch alles übel, so i m m e r erdacht werden mag." Ebd., 168, 3 - 5 . 130

Martin Bucers Bemühungen um Reformation und Einheit der Kirche bei den Religionsgesprächen

1540/41 VOLKMAR

I. Auswirkungen

ORTMANN

des Augsburger

auf die Religionsgespräche

Reichstags 1540/41

In den Ausschußverhandlungen während des Augsburger Reichstags von 1530 hatte erstmals ein „Gelehrtengremium" aus Theologen und Juristen beider Seiten über die strittigen theologischen Fragen beraten. Seither hatten keine reichsweiten Religionsverhandlungen mehr stattgefunden. Auf dem Weg zu den Religionsgesprächen von 1540/41 wurde die in Augsburg praktizierte Verhandlungsform aber wieder aufgegriffen. Der 1539 in Frankfurt zwischen dem Schmalkaldischen Bund und dem Unterhändler des Kaisers, Johann von Weeze, ausgehandelte „Frankfurter Anstand" sah einen Gesprächstag vor, auf dem sich Theologen und gelehrte Laien beider Seiten zu einem „... grossen und clainen ausschuß vergleichen und verainigen ..." 1 sollten, um die theologischen Streitpunkte zu klären. Während des Hagenauer Gesprächstages 1540 wurden immer wieder die Augsburger Ausschußverhandlungen ins Gespräch gebracht. 2 Bereits im Vorfeld (5. Mai) hatte sich König Ferdinand mit der Bitte an Markgraf 1

Akten der deutschen Reichsreligionsgespräche im 16. Jahrhundert. Erster Band (in zwei Teilbänden), hg. v. K L A U S G A N Z E R und K A R L - H E I N Z Z U R M Ü H L E N unter Mitarbeit von Wolfgang Matz, Norbert Jäger, Volkmar O r t m a n n und Christoph Stoll, Göttingen 2000 ( A R R G ) , Bd. 1/2,1075,4f, Nr. 390. 2 Vgl. z.B. Ferdinands Vortrag an die Stände vom 12. Juni 1540, A R R G (wie Anm. 1), Bd. 1/1, 33,31-34,2, Nr. 6: „ . . . Wie und wolcher gstalt in disem strit sonderlich auf di handlung zu Augspurg gepflegen, an dero di vergleichung erwunden sei, dise sach ferrer vor handt zunemen und mit den Protestirenden auf annemlich leidlich und Cristlicher wege und mitl zuhandln . . . " Vgl.auch E U G E N E H O N E E : Uber das Vorhaben und Scheitern eines Religionsgesprächs. Ein Verfahrensstreit auf dem Konvent von Hagenau 1540. In: A R G 76 (1985), 195-216, bes. 199f.

128

Volkmar

Ortmann

Ernst von Baden gewandt, seinen Kanzler Hieronymus Vehus nach Hagenau zu entsenden, weil der ,,... in angezaigter strittigen Religion hievor zu Augspurg gebraucht und der Hanndlung gueten bericht und wissenhait haben mag" 3 . Die altgläubige Seite war auf die Verhandlungen mit den Protestanten nur schlecht vorbereitet und wollte auf diese Weise die Anzahl der zu diskutierenden Punkte möglichst begrenzen. D i e Protestanten hatten sich in ihren Vorbereitungen in Schmalkalden aber auf die C A und die Apologie sowie das Wittenberger Gutachten als Verhandlungsgrundlage geeinigt. In Augsburg, so sagten sie, seien keine verbindlichen Ergebnisse erreicht worden. Deswegen müsse alles neu verhandelt werden. Sie wollten die Grundlagen ihrer Lehre öffentlich verteidigen und bekannt machen. Darüber hinaus wußten sie vermutlich auch nicht, welches Potential den Altgläubigen in den Vehus-Akten zur Verfügung stand, denn selbst der sonst gewöhnlich gut informierte B u c e r schrieb noch Jahre später: „Zudem gaben sie auch für, etliche articul, die solten im gesprech auff dem Reichstag zu Augspurg Anno 3 0 verglichen sein, dan der E c k etwas davon, aber mit öffentlicher onwarheit zusamen gerasplet . . . " 4 Immerhin einigte man sich darauf, am 28. O k t o b e r in Worms erneut zusammen zu kommen. Von jeder Seite wurden dazu elf Delegationen mit j e drei Theologen bzw. Juristen benannt, so daß die beabsichtigte Verhandlungsform in Worms der eines Reichstagsausschusses entsprach: Aus Sicht der altgläubigen Stände ein „kleiner Ausschuß", der die Protestanten zum Verhör vorlud, aus Sicht der Protestanten ein „großer" Ausschuß, der gemeinsam die kontroverstheologischen T h e m e n verhandelte. Faktisch kam es dann j e d o c h nur zu einer Disputation zwischen Johannes E c k und Philipp Melanchthon vom 14. bis 18. Januar 1541, und am 19. Januar wurde der Gesprächstag abgebrochen. In Regensburg 1541 verhandelten dann drei Theologen jeder Seite unter dem Vorsitz Granvellas und in Anwesenheit von juristischen Beisitzern. 5 3 A R R G (wie Anm. 1), Bd. 1 / 2 , 5 3 8 , 3 f , Nr. 2 0 7 . Vgl. dazu auch die Untersuchung von EUGENE HONEE: D e r Libell des Hieronymus Vehus zum Augsburger Reichstag 1530. U n tersuchung und Texte zur katholischen Concordia-Politik, Münster 1968 ( R G S T 125), bes. 2 5 - 4 1 . 4 MARTIN BUCER: Von den einigen rechten wegen und mitlen Deutsche nation inn Christlicher R e l i g i o n zu vergleichen . . . [Straßburg] 1545 (Bucer-Bibliographie [BB] Nr. 80), 37 (Bl. E3). Vgl. auch MARTIN BUCERS Deutsche Schriften (BDS) B d . 9 / 1 . R e l i gionsgespräche ( 1 5 3 9 - 1 5 4 1 ) , hg. v. WILHELM H. NEUSER, bearb. von Cornelis Augustijn unter Mitarbeit von Marijn de Kroon, Gütersloh 1 9 9 5 , 1 7 9 , 2 - 1 2 . 5 Z u m Ablauf der einzelnen Gesprächstage vgl. VOLKMAR ORTMANN: R e f o r m a t i o n und Einheit der Kirche. Martin Bucers Einigungsbemühungen bei den Religionsgesprä-

Martin

Bucers Bemühungen

um Reformation

und Einheit

der Kirche

129

Bei allen drei Gesprächstagen wurde unter der Leitung des Kaisers und ohne maßgebliche Beteiligung des Papstes über die strittigen Religionsfragen verhandelt. Und gleichermaßen waren die Gepflogenheiten eines Reichstags prägend flir die Verhandlungen. Selbst in Hagenau tagten die altgläubigen Stände getrennt in Kurfürsten- und Fürstenkurie. Und bereits 1530 in Augsburg hatte die „vergleichung" im Sinne einer Annäherung der unterschiedlichen Positionen auch für die religiöse Kontroverse an Bedeutung gewonnen: „Das Wort vergleichen' wurde hier in einer spezifischen Bedeutung gebraucht und verwies auf eine von den Ständen seit alters gepflegte Form der Beratung. Es war eine Form des Umgangs, die mit dem Willen zur Zusammenarbeit zusammenhing, mit der Bereitschaft, divergierende Standpunkte nicht um jeden Preis, und zur Not mit Gewalt, durchzusetzen, sondern tunlichst einander anzunähern." 6

II. „Vergleichung " im Sinne Martin

Bucers

Auf protestantischer Seite war Martin Bucer der wohl exponierteste Befürworter eines vom Papst unabhängigen Nationalkonzils. Der im Frankfurter Anstand vereinbarte Gesprächstag erschien ihm immerhin als sinnvoller Ersatz: „Vor dem franckfortischen beschluß aber wundschet ich ..., das unsere forsten und stende hetten irer kirchen recht wol und volckomen herfurgethon ..., und ... ein nationalconcilium begeret ...: alßo wundsche ich jetzunden, das unßere heupter uff die zugesagte handlung triben .. ." 7 Auf einem Nationalkonzil bzw. dem Gesprächstag erwartete er, eine „Vergleichung" über die kontroverstheologischen Punkte erreichen zu können. Bereits vor dem Augsburger Reichstag 1530 hatte Bucer im Blick auf den Abendmahlsstreit von „vergleichung" gesprochen, wofür der Titel des Dialogs „Vergleichung Martin Luthers und seines Gegenteils" charakteristisch ist.8 Im Zusammenhang mit den Religionsgesprächen verwende-

chen in Leipzig, Hagenau, Worms und Regensburg 1539—1541, Mainz 2001 (VIEG 185), 113-126; 149-163; 233-241. 6 Vgl. dazu HONEE: Libell (wie Anm. 3), 49-53, Zitat, ebd., 52. 7 MAX LENZ (Hg.): Briefwechsel Landgraf Philipps des Großmüthigen von Hessen mit Bucer, 3 Bde, Leipzig 1880-1891 (PPSA 5, 28, 47), 90f, Nr. 27. (2. August 1539). Vgl. auch ebd., 128 (14. Januar 1540), Nr. 43. 8

Vgl. B D S 2: S c h r i f t e n d e r J a h r e 1 5 2 4 - 1 5 2 8 , h g . v. ROBERT STUPPERICH, G ü t e r s l o h

1962, (295).305-383. Allerdings blieb Bucer hier bei seiner eigenen Position und übte weiterhin Kritik an der Wittenberger Lehre. Ihm war vor allem daran gelegen, eine gemeinsame Ausgangsbasis für ein weiterführendes Gespräch zu finden. Vgl. z.B. ebd., 350, 22—27. Vgl. dazu auch ORTMANN: Reformation (wie Anm. 5), 41. Dort auch weitere Literatur.

130

Volkmar

Ortmann

te er den B e g r i f f ebenfalls immer wieder 9 und führte dazu aus: „Die vergleichung wollen wir suchen, das die guthertzigen, so nach uff dem gegenteil sind, sollen erkennen, das wir die justification recht leren, und solicher lere auch bei ihnen Stadt geben; item, das wir in kirchenbreuchen nichs wider glauben und liebe, sonder zur besserung geendret haben, und [daß sie] unß bei solicher endrung nach christlicher freiheit der kirchen bleiben lassen und sie die mißbreuch abstellen, die dem glauben und der hebe gantz offenbar entgegen sind ... In übrigen künde man geduld mit einander haben. D i ß were auch ein vergleichung." 1 0 Gegenüber dem juristischen Verständnis liegt bei B u c e r eine Akzentverschiebung vor. „Vergleichung" bedeutet für ihn nicht, die Mitte als verbindlichen Ausgleich zwischen zwei Positionen zu finden, sondern sie ist der Ausgangspunkt, für den Ubertritt altgläubiger Christen ins Lager der Reformation. Dieses Programm hatte B u c e r bereits in seiner ersten großen „Vergleichsschrift", der „Furbereytung zum C o n c i l i o " (1533) dargelegt: 11 Die Voraussetzung für den Dialog und die Herstellung der Einheit ist der Glaube an Jesus Christus, der von keinerlei kirchlichen Sonderlehren und Zeremonien verdunkelt wird. Dieser Glaube an den einen Christus konstituiert die Einheit der Kirche, und für B u c e r ist es selbstverständlich, daß es solche Gläubigen auch innerhalb der römischen Kirche gibt. Sie gilt es zu überzeugen, daß die evangelische Reformation der Kirche nur dazu dient, die wahre Kirche Christi zu sammeln. U n d von dieser Basis aus kann die Einigung über die richtige Lehre nicht schwer sein, weil diese dann sozusagen evident ist. Ebenfalls folgt für B u c e r aus dieser im Glauben begründeten „inneren" Einheit der Kirche auch deren angemessene „äußere" G e stalt in Gottesdienst und Leben, ohne daß deshalb Uniformität in der Kirche herrschen muß. Richtungweisend ist für B u c e r hierbei 1 Kor. 9,22: Allen alles zu werden, um einige zu gewinnen. Zugeständnisse an die römische Kirche etwa im Bereich der Zeremonien könnten dazu beitragen, der Predigt des Evangeliums den Weg zu ebnen und so auch die zögernden Christen langsam zu gewinnen. In diesem Zusammenhang gewährte B u c e r auch der Tradition ihr R e c h t , sofern sie der Bibel als der unumschränkten Richtschnur für T h e o logie und Kirche entsprach. Die Alte Kirche hatte dabei Vorrang, aber B u c e r vermochte auch bei mittelalterlichen und scholastischen Theologen durchaus Wahres zu erkennen. 9

V g l . L E N Z : B r i e f w e c h s e l ( w i e A n m . 7 ) , B d . 1, 5 9 , N r . 2 7 ; 9 5 f , N r . 2 8 . ; 1 2 6 , N r . 4 3 u . ö .

10

LENZ: Briefwechsel (wie Anm. 7), Bd. 1, 95f, Nr. 28. Vgl. auch ebd., 73, Nr. 24. B D S 5: Straßburg und Münster im Kampf um den rechten Glauben 1 5 3 2 - 1 5 3 4 , hg.

11

v. R O B E R T S T U P P E R I C H , G ü t e r s l o h 1 9 7 8 , ( 2 5 9 ) . 2 7 0 - 3 6 0 . V g l . d a z u O R T M A N N : R e f o r m a -

tion (wie Anm. 5), 1 5 - 2 9 .

Martin Bucers Bemühungen

um Reformation

und Einheit der Kirche

131

So schrieb er z.B. auch 1540 an den Landgrafen von Hessen: „Wir werden freilich die leut nit bereden, das alle christliche lere mit unß erst wider uff erden komen, und das die alten vetter davon so gar nicht gewußt haben solten." 12 Keine Gesprächspartner im Sinne Bucers waren jedoch alle diejenigen, die — wie auch der Papst — den Primat der Schrift nicht anerkannten und sich der Reformation widersetzten. Denn Reformation und Kircheneinheit gehörten für Bucer aufs engste zusammen. U n d trotz seiner Bereitschaft, der Gegenseite entgegenzukommen, war für ihn die reformatorische Lehre, wie sie in CA und Apologie dargelegt war, die Grundlage jeder „Vergleichung"; von ihr gedachte er in keinem Fall zu weichen: „In dem solle es, ob Gott will, kein not unserthalben nimer meer haben, das wenigst dupflin von unser confession zu weichen: dieselbige wollen wir zuvor in allen iren articuln steiff und fest halten und wol vertedigen ,.." 1 3 U m die evangelische Wahrheit herauszustellen und eine „Vergleichung" zu erzielen, war ein öffentliches Verhandlungsforum erforderlich. Denn nur im direkten und persönlichen Gespräch konnten „Mißverständnisse" oder Fehlinterpretationen ausgeräumt und zu harte Formulierungen abgemildert werden. 14 U n d offenbar konnte er auch Melanchthon 1540 in Schmalkalden davon überzeugen. 15 Damit war auf protestantischer Seite ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu den Religionsgesprächen erreicht. Ein weiterer wichtiger Schritt war ihm bereits 1536 mit dem Abschluß der Wittenberger Konkordie gelungen. Die innerprotestantische Uneinigkeit schwächte nach Bucers Ansicht die Protestanten im kontroverstheologischen Dialog: politisch und militärisch durch das fehlende Bündnis mit den Oberdeutschen und den Schweizern, theologisch durch eine mangelnde Glaubwürdigkeit. Wie ließ sich das Primat der Schrift und die Ablehnung eines authoritativen Lehramts rechtfertigen, wenn führende Köp12

13

LENZ: B r i e f w e c h s e l (wie A n m . 7), B d . 1, 2 4 5 , N r . 9 0 .

LENZ: Briefwechsel (wie Anm. 7), Bd. 1,128, Nr. 43. Vgl. auch ebd., 121, Nr. 42. Vgl. z.B. LENZ: Briefwechsel (wie Anm. 7), Bd. 1, 97f, Nr. 28: „Wir müssen auch, wa unß Gott zur handlung von der religion hulffe, unß uff kein mittlen einlassen, sonder unß darstellen alß die Gott mit seinem reinen Evangeli begäbet hat, das wir meniglich wollen darthun und ferner unsere widerwertigen uberzeugen, das sie die kirchen uffs jemerlichst verderbet haben und verderben, und dabei die einigen rechten weg zu christlicher reformation auß der schrifft und den canonibus und legibus anzeigen." 15 Vgl. LENZ: Briefwechsel (wie Anm. 7), Bd. 1 ,141, Nr. 51, und unten Anm. 29. Vgl. auch P I E R R E F R A E N K E L : Die Augustana im Gespräch mit R o m 1540-1541. In: M A R T I N B R E C H T / R E I N H A R D S C H W A R Z (Hgg.): Bekenntnis und Einheit der Kirche. Studien zum Konkordienbuch, Stuttgart 1980, 89-103, bes. 92f; W I L H E L M M A U R E R : Confessio Augustana Variata. In: A R G 53 (1962), 97-151, bes.132. 14

132

Volkmar

Ortmann

fe der reformatorischen Lehre in der zentralen Frage des Abendmahls aus derselben Schrift unterschiedliche Schlüsse zogen? 1 6 Z u d e m mag ihm ebenfalls die Warnung des Erasmus vor Augen gestanden haben, die dieser in seiner „Vergleichsschrift", „ D e amabili ecclesiae concordia über" (1532), geäußert hatte: „In tabernaculis impiorum omnia diuersa sunt, in quibus praesidet Satanas . . . " 1 7

III. Martin Bucers „Vergleichsverhandlungen " bei den Religionsgesprächen 1. Hagenau (23. Mai bis 28. Juni 1540) Als nun der von B u c e r so herbeigesehnte und von ihm nach Kräften geförderte Gesprächstag 1 5 4 0 in Hagenau in den Verfahrensfragen steckenblieb, nutzte er die Gelegenheit, um abseits der offiziellen Verhandlungswege vielfältige Kontakte zu Delegierten altgläubiger Stände zu knüpfen. So traf er sich u.a. mit Gesandten aus Trier, dem B i s c h o f von Augsburg sowie mit dem Kurfürsten und Erzbischof von Köln Hermann von W i e d . 1 8 A m intensivsten und für die weitere Geschichte der Religionsgespräche am wirkungsvollsten waren die Begegnungen mit dem kurkölnischen R a t Johannes Gropper. In ihren Gesprächen erörterten sie verschiedene kon1 6 Vgl. hier besonders auch die Auseinandersetzung mit Konrad Treger bei der „ B e r ner Disputation" (1528), mit dem Einwand Tregers, B D S 4: Zur auswärtigen Wirksamkeit 1 5 2 8 - 1 5 3 3 , hg. v. ROBERT STUPPERICH, Gütersloh 1975, 7 4 , 1 3 - 2 1 : „ U n d das er [Bucer, der Vf.] wyter furwendt, wie das ein yegklich, der den geyst des herren hat, die gschrifft selbs wüssen moeg und sol, wil ich in vorsehen, wohaer es kumpt, diewyl er doch nit ein wenig, sonders treffenlich in der geschrifft geuebt und grossen verstand der geschrifft hat, das er sich so treffenlich zweyet in den hoechsten stucken des gloubens mit sinen mitbruedern, die er doch vorzyten so hoch geruempt und brisen hat, nämlich mit dem Luter und mit der Kilchen von Wittenberg. Es muß ye einer in disem val unrecht haben, das sy sich ye bed der geschrifft beruemen, deßglichen des geysts der gschrifft." Vgl. dazu auch THOMAS KAUFMANN: D i e Abendmahlstheologie der Straßburger R e f o r m a t o r e n bis 1528, T ü bingen 1992 ( B H T h 81), 4 0 1 : „Wenn ich recht sehe, dann wurde Martin B u c e r in dieser ersten gewichtigen Auseinandersetzung, die er mit einem altgläubigen Gegner seit 1524 führte, massiv mit der Notwendigkeit konfrontiert, daß der Protestantismus gegenüber der Papstkirche notwendigerweise als Einheit auftreten mußte. Zugleich dürften ihm die D e fizite deutlich geworden sein, die seinem eigenen Versuch anhafteten, diese Einheit zu b e gründen." 1 7 Opera omnia DESIDERII ERASMI ROTERODAMI recognita et adnotatione instrueta notisque illustrata ordinis quinti tomus tertius, Amsterdam 1 9 8 6 , 2 6 9 , 3 9 1 f . 1 8 Vgl. LENZ: Briefwechsel (wie Anm. 7), Bd. 1, 189, Nr. 73. Es ist durchaus wahrscheinlich, daß B u c e r sich ebenfalls im Zusammenhang mit dem Hagenauer Gesprächstag auch im Auftrag des Landgrafen Philipp von Hessen mit dem bayerischen Kanzler L e o n hard von E c k treffen wollte. Das Treffen kam aber nicht zustande, weil E c k nicht nach Hagenau reiste. Vgl. zu dieser Frage ORTMANN: R e f o r m a t i o n (wie Anm. 5), 130f.

Martin Bucers Bemühungen

um Reformation

und Einheit der Kirche

133

troverstheologische T h e m e n , allen voran die Rechtfertigungslehre, aber ebenso die Ekklesiologie, die Sakramentenlehre und den Kirchendienst. Dabei müssen beide gegenseitig ein großes M a ß an Ubereinstimmung wahrgenommen haben, so daß sie einander ihre Werke, das Enchiridion und den Römerbriefkommentar, schenkten. U n d B u c e r hat sich noch später durchaus positiv über Groppers Schrift geäußert: „Aber ich wolt n o c h mals Gott betten, das j a er selb, der dise vermeinte Reformation beschriben, und sein gantzer paepstlicher hauff so weit weren kommen, das sie sich nach diser Gropperischen R e f o r m a t i o n thaetlich hetten gereformieret." 1 9 B u c e r versuchte, im kleinen R a h m e n die „Vergleichung" zu erreichen. U m Geheimgespräche hat es sich bei all dem nicht gehandelt, die protestantischen Stände waren offenbar darüber informiert. 2 0 2. Worms (28. Oktober 1540-19.

Januar

1541)

Ihre Kontakte nahmen beide ganz selbstverständlich im Herbst desselben Jahres in Worms wieder auf. Im Zusammenhang mit diesen B e g e g nungen erging am 14. Dezember 1 5 4 0 von kaiserlicher Seite an B u c e r die Aufforderung, zusammen mit seinem Straßburger Kollegen Wolfgang C a pito in geheime Gespräche mit Gropper und dem kaiserlichen Sekretär Gerhard Veltwyck zur Vergleichung der Religionsstreitigkeiten einzutreten: „Den herren von Granvela belangen hat sichs alßo zutragen, das er durch ein colnischen gelerten und rath, doctor Johann Gropper . . . , und dann auch durch k. mt. secretari, den er bei sich hat, ... hatt dinstag jungst vergangen [Dec. 14] an mich mit höchstem ernst gesinnen lassen, das ich sampt D. Capito mich solte in ein vertrawt gesprech von streitigen articuln unser h. relligon, wie si zu gleichem verstandt beracht [so] werden m ö c h ten, mit j e t z gemeldtem colnischen doctor und k. mt. secretari in höchster geheim einzulassen und weg der vergleichung suchen zu helffen .. . " 2 1

1 9 BUCER: Von den einigen rechten wegen (wie Anm. 4), 6 3 (Bl. H4). Zuvor schreibt B u c e r sehr zurückhaltend, ebd., 62f. (Bl. H 3 v - H 4 ) : „ O b er aber mich von seiner R e f o r mation gefraget, wie mir die gefiele, und ob ich im geantwortet habe, wolte nur Gott, das sollich R e f o r m a t i o n bey den seinen so weyt erhalten und ins werck bracht were, des weyß ich mich in der warheyt nit zu erinneren." 2 0 Vgl. BUCER: Von den einigen rechten wegen (wie Anm. 4), 62 (BL. H3v). Vgl. auch ebd., 56 (BL. G4v), wo er darauf hinweist, daß auch Gropper sich zuvor die Genehmigung Hermanns von W i e d eingeholt habe. 2 1 LENZ: Briefwechsel (wie Anm. 7), B d . 1, 2 7 4 (20. Dezember 1540), Nr. 101. Vgl. auch den Bericht vom 14. Dezember 1540, ebd., 2 6 9 , Nr. 98: „Es hat mir des Granvell secretarius anzeiget, mit graphier von Lutzenburg oder propst von Naves über der C o l n i schen tisch, der Granvel wollte D. Capito'n und mich zu sich beruffen . . . "

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Diese Schlüsselrolle, die Bucer Granvella hier für das Wormser Geheimgespräch zuschreibt und die in seinen Berichten immer wieder anklingt, 2 2 wird durch Granvellas eigenen Bericht an Karl V. vom 11. Januar 1541 bestätigt. 23 Da das offizielle Gespräch in Worms im Dezember 1540 vor dem Scheitern stand, mußte Granvella aktiv werden, u m auf dem Regensburger Reichstag ein brauchbares Ergebnis präsentieren zu können: So veranlaßte er einerseits den päpstlichen Nuntius Tommaso C a m p e g gio in einer R e d e vor den Gesandtschaften zum Fortgang der Verhandlungen aufzurufen. Hinter den Kulissen arbeitete er mit den Präsidenten des Gesprächstages daran, die drei abweichenden Stimmen innerhalb des altgläubigen Lagers (Kurbrandenburg, Kurpfalz und Jülich) in den offiziellen Beratungen zu neutralisieren, um eine Majorisierung durch die Protestanten zu verhindern. Für den Regensburger Reichstag brauchte er schließlich noch anstelle der C A eine konsensfähigere Beratungsgrundlage, die in den geheimen Verhandlungen erstellt werden sollte. 24 Bucer wußte um die Gefahr, daß die Entdeckung des Geheimgesprächs eine Spaltung der Protestanten nach sich ziehen konnte und beriet sich über die Risiken mit dem hessischen Kanzler Johann Feige und dem Straßburger Stettmeister Jakob Sturm. 2 5 Letztlich stimmten aber er und Capito Granvellas Ansinnen z u : , , . . . Weil ich selb wol vermercket, das das gemein gesprech nit hat wollen furgohn, und E.f.g. begeret, das ich mit dem herren von Granvella solte von solichen Sachen red haben, dann auch bedacht, das j e d e m Christen zustaht, wie er seine nechsten, schweige seine obren und heupter zu christo furdre , . . " 2 6 Aus dieser Erklärung Bucers spricht eine nüchterne Einschätzung der Lage: Bucer fürchtete nach dem Scheitern der Religionsverhandlungen Krieg im Reich, und das Stocken der offiziellen Wormser Verhandlungen 2 2 Dies gilt insbesondere für die Zeit A n f a n g Januar, als es u m die Fertigstellung der Artikel und u m die R e i s e Bucers zum Landgrafen ging; vgl. LENZ: Briefwechsel (wie A n m . 7), B d . 1, 294, N r . 106: „ . . . Ich hab nit weil, dann der Granvel u f f die schrifften tringet . . . " Vgl. auch e b d . , 3 0 0 , Nr. 107: „ N u n wirdt bei E.f.g.stöhn, wie sie die schrifften haben wollen. Wir hetten sie gern j e t z gesandt, der secretari hat sie aber unß nit geben w o l len, will vor E.f.g. antwort erwarten . . . " Vgl. auch ROBERT STUPPERICH: D e r H u m a n i s mus und die Wiedervereinigung der Konfessionen, Leipzig 1936 ( S V R G 160), 83f. 2 3 Vgl. A R C E G 3, Nr. 105a, 3 4 1 , 2 7 - 3 4 3 , 2 9 . 2 4 Vgl. dazu ORTMANN: R e f o r m a t i o n (wie A n m . 5), 1 5 7 - 1 6 0 . 2 5 Vgl. LENZ: Briefwechsel (wie A n m . 7), B d . 1, 274, N r . 101: „ . . . Hab ich bei m.g.h., E.f.g. cantzler und herr J a c o b e n rath gesuchet, die beide mit mir die gefar bei diser Sachen bewogen; ... und das auch diserlei handlung solten mit g e m e i n e m gehell [Zustimmung, vgl. ALFRED GÖTZE: Frühneuhochdeutsches Glossar. 7. Auflage, Berlin 1967, 98, der Vf.] der unseren gehandlet w e r d e n . " 26

L E N Z : B r i e f w e c h s e l ( w i e A n m . 7 ) , B d . 1 , 2 7 4 , N r . 1 0 1 . Vgl. h i e r z u STUPPERICH: H u -

manismus (wie A n m . 22), 77, der hier Bucers Hauptmotive genannt sieht.

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und Einheit der Kirche

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verhieß in dieser Hinsicht wenig Gutes. Der Landgraf hatte ihn zudem in der Tat beauftragt, das Gespräch mit Granvella zu suchen, allerdings nicht mit so weitreichenden Konsequenzen. Im letzten Argument jedoch kommt Bucers eigenes Anliegen von der „Vergleichung" zum Ausdruck: Der Gegenseite soll die eigene Position so gut wie möglich erklärt werden, damit sie ihr zustimmen und auf diese Weise die wahrhaft Christgläubigen, die Gutwilligen, in der einen Kirche Jesu Christi vereint werden können. Vor dem Beginn der Geheimverhandlungen hatte Bucer Gelegenheit, etwa eine Stunde mit Granvella zu reden. 27 Nach Bucers Aufzeichnungen warb Granvella nochmals für das Geheimgespräch und erinnerte an die drohende Kriegsgefahr im Reich, falls eine religiöse Einigung ausbleiben sollte. Bucer antwortete nach eigenen Angaben, daß die Protestanten „... an hauptstucken der religion nichs wüsten zu begeben ...", aber ,,... dieselbigen wesentlichen stucken ... verkleren ..." wollten, so daß die Ubereinstimmung der evangelischen Lehre mit der Bibel und den Lehren der Kirchenväter deutlich würde. Ebenfalls seien sie in den Stücken, die „... zur christlichen religion nicht wesentlich gehören ..." und bei den Kirchengütern zu Entgegenkommen bereit. Schließlich legte Bucer Granvella noch dar, daß der Papst mit seiner großen Macht einer Reformation im Wege stehe, und warb für die Idee, nur die weltliche Macht der Bischöfe und Prälaten zu erhalten, um den Weg für die begehrte Reformation frei zu bekommen. Aus dieser kurzen Gesprächsskizze Bucers geht trotz aller vagen Angaben hervor, daß er gegenüber Granvella im Grundsatz die Position vertrat, auf die sich die protestantischen Stände in Schmalkalden geeinigt hatten. 28 Seine Bereitschaft, die unaufgebbaren Artikel erklären zu wollen, entsprach zwar nicht den Schmalkaldischen Beschlüssen, aber Bucer konnte sich auf die Absprache mit Melanchthon berufen. 2 9 Den Bischöfen und Prälaten die weltliche Macht erhalten zu wollen, widersprach ebenfalls nicht der protestantischen Beschlußlage, obwohl hier stärker Bucers eigene Vorstellungen anklingen. 30 27 Vgl. LENZ: B r i e f w e c h s e l (wie A n m . 7), B d . 1, 275, N r . 101 : „ D a r a u f ? m i c h des a n d e ren tages, m o r g e n s zu sechsen, g e m e l t e r d o c t o r [Gropper, der Vf.] z u m h e r r e n v o n G r a n vella gefuret, w e l c h e r w o l ein stund mit m i r geredt . . . " Z u m f o l g e n d e n vgl. ebd., 275f, Zitate ebd. 28 Vgl. W A Br 9 , 1 9 - 3 5 , N r . 3436, ebenfalls unterteilt in u n a u f g e b b a r e u n d v e r h a n d e l bare Stücke. 29 Vgl. LENZ: Briefwechsel (wie A n m . 7), Bd. 1, 141 (8. M ä r z 1540) N r . 51: M e l a n c h t h o n h a b e sich darauf eingelassen, , „ . . . alles, auch d a r i n wir, o b G o t t will, allein nit ein har breit w e i c h e n w o l l e n , g e n u g s a m zu e r k l e r e n ' " . 30 Das Schmalkaldische G u t a c h t e n sah ein E n t g e g e n k o m m e n g e g e n ü b e r den B i s c h ö fen vor, was j e d o c h eine T r e n n u n g v o n w e l t l i c h e m u n d geistlichem A m t einschloss, vgl.

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Bereits in Schmalkalden war Bucer ein Gegner der Position des Alles oder Nichts gewesen. Er meinte, nur eine grundsätzliche Verhandlungsbereitschaft auf Seiten der Protestanten eröffne die Möglichkeit, gegenüber der altgläubigen Seite die evangelische Lehre wirkungsvoll vertreten zu können. Eine so mächtige Obrigkeit wie den Kaiser bzw. Granvella für die Sache des Evangeliums und die reformatorischen Anliegen zu gewinnen, wäre in Bucers Augen ein doppelter Vorteil, weil dann für die von den Protestanten vertretene Position — die Sache Christi — auch politisch und rechtlich eine förderlichere Situation erreicht wäre. Bucers Einwilligung in Granvellas Plan war den politischen Umständen geschuldet, entsprach aber grundsätzlich seinem theologischen, insbesondere seinem seelsorgerlichen Anliegen. Das Geheimgespräch von Worms zeigt in ausgezeichneter Weise, wie Bucer sich als Theologe in den Dienst der Politik zu stellen bereit war und die Politik als wichtigen Faktor der theologisch-kirchlichen Auseinandersetzung wahrnahm und zu nutzen versuchte. Allerdings hätte Bucer von Anfang an klar sein können, daß Granvellas Hauptsorge der Politik und nicht der Religion galt, denn er wich jeder Stellungnahme in theologischen Fragen aus. 31 Aber gerade Bucers naiv anmutender Versuch, Granvella auf die Seite der Protestanten zu ziehen, unterstreicht, wie sehr ihm die religiöse Einigung am Herzen lag. Zugleich wird an dem Gespräch mit Granvella Bucers diplomatisches Geschick in theologischen Fragen deutlich, über das der kursächsische Kanzler Gregor Brück einmal sagte, Bucer sei „ . . . unter allen Theologen, die jetzund leben, in theologischen Sachen nach der Welt Weise zu handeln, ein vortrefflicher Mensch .. , " 3 2 . Dies gilt auch im Blick auf die Wormser Geheimverhandlungen mit J o hannes Gropper, wobei die Quellenlage neben dem Wormser Buch naturgemäß äußerst dürftig ist und nur wenige Rückschlüsse auf den G e sprächsverlauf zuläßt.

WA.B 9,32,480-33,531, Nr. 3436, bes. 33,515ff: „... Das die person, so die welltliche guter verwallten vnd regiren, vnterschieden werden von denjenigen, so die ordinatio, Iurisdictio vnd visitatio halten solten . . . " 31 Vgl. LENZ: Briefwechsel (wie Anm. 7), Bd. 1, 276, Nr. 101: „Aber mit keinem wort wolt er [Granvella, der Vf.] sich in einigen articel einlassen, wie fil anlaß ich im gäbe und ernste vermanung thette . . . " Vgl. auch die Irritation Bucers gegenüber dem Verhalten Granvellas in Besançon, ebd., 277. 3 2 C R 3,795 (23. Oktober 1539), Nr. 1864.

Martin Bucers Bemühungen um Reformation

3. Das Wormser

und Einheit der Kirche

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Geheimgespräch

Die geheimen Verhandlungen zwischen Gropper, Veltwyck, Capito und Bucer begannen am 15. Dezember 1540 unmittelbar nach Bucers Unterredung mit Granvella. 33 Sie dauerten bis zum 31. Dezember, und am 1. Januar 1540 lag das „Wormser B u c h " fertig formuliert vor. Es umfaßt 23 Artikel über kontroverstheologische T h e m e n . 3 4 Der Einfluß Groppers ist unverkennbar, und viele Aussagen lassen sich mehr oder weniger direkt auf sein Enchiridion zurückfuhren. Gleiches gilt für Bucer im Blick auf die protestantischen Anteile im Wormser B u c h . 3 5 Aus den bekannten Quellen ist das Vorhandensein einer schriftlichen Vorlage für diese Geheimverhandlungen nicht zwingend zu belegen. Auch die in diesem Zusammenhang zumeist genannten „Artikell" Groppers gehören zur Polemik um den Kölner Reformationsversuch 1543 und lassen sich nur mittels zusätzlicher Hypothesen mit den Geheimverhandlungen in Verbindung bringen. Vielmehr ist es wahrscheinlich, daß man frei verhandelte und die Ergebnisse von Gropper schriftlich fixiert wurden. 3 6 Insgesamt gesehen ist das Wormser Buch ein Gemeinschafts- und K o m promißwerk, daß deutlich ein altgläubiges Profil aufweist. Es zeigt sich zudem, daß gerade in den Fragen der „praktischen Ekklesiologie", d.h. der Messe, der Heiligenverehrung und Zeremonien keine Ubereinkunft erzielt wurde. Hier stehen die Positionen nebeneinander mit der Erwartung, bei anderer Gelegenheit eine Annäherung zu erreichen. In diesen Fragen ließ sich der Konflikt nicht so einfach wie in den Lehraussagen durch geschickte Formulierungen überdecken. Als Kompromiß konnte nur pragmatisch der jeweilige Status quo sanktioniert werden. Wenngleich damit deutlich wird, daß auch in den Lehrfragen eine Ubereinkunft noch ausstand, so ist dennoch der Wille unverkennbar, G e meinsames festzuhalten und einen Ausgleich zu suchen. Kontroverstheologische Spitzen sind möglichst vermieden worden und in vielen zentralen Lehrpunkten haben sich auch protestantische Gedanken durchgesetzt. Bucer konnte daher den einzelnen Artikeln mit mehr oder weniger Vorbe3 3 Vgl. LENZ: Briefwechsel (wie Anm. 7), Bd. 1, 2 7 6 , Nr. 101: „Auff diß [das Gespräch mit Granvella, der Vf.] haben wir vorgedachte fier ... solich gesprech desselbigen tags und seither geubet . . . " 3 4 Am 31. Dezember 1540 war der Text noch in Arbeit, wie Bucer dem Landgrafen mitteilte, vgl. LENZ: Briefwechsel (wie Anm. 7), Bd. 1, 2 7 8 , Nr. 101 am 1. Januar 1541 schrieb er hingegen von den „gestelleten schrifFten", vgl. ebd., 297, Nr. 107, die sich im Besitz Veltwycks bzw. Granvellas befanden, ebd., 300. Die kritische Edition des „Wormser Buchs". In: B D S 9 / 1 (wie Anm. 4), ( 3 2 3 ) . 3 3 9 - 4 8 3 . Als „Regensburger B u c h " wird hier diejenige Fassung bezeichnet, in der alle Änderungen des Regensburger Religionsgesprächs eingetragen sind. Vgl. dazu unten 3.3. 3 5 Vgl. die Analyse bei ORTMANN: Reformation (wie Anm. 5), 1 9 1 - 2 2 5 . 3 6 Vgl. den Nachweis bei ORTMANN: Reformation (wie Anm. 5), 186—190.

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halt zustimmen, weil die protestantische Position zumindest nicht ausgeschlossen war. So wandelte sich auch Bucers anfängliche Skepsis gegenüber den Geheimverhandlungen allmählich in verhaltene Zufriedenheit: ,,... Der lere halben, sacramenten und christlicher freiheit, wirdt man unß in alleweg so bleiben lassen, das wir nichs zu klagen hetten." 3 7 Angesichts der unbestreitbaren theologischen Defizite im Wormser Buch klingt dies reichlich optimistisch, und Bucer wußte auch u m die Schwachstellen, wie aus seinen Randbemerkungen zum Wormser Buch hervorgeht. Aber im Vordergrund stand für ihn etwas anderes, wie er z.B. im Blick auf die Rechtfertigungslehre an Kurfürst Joachim II. von Brandenburg schrieb:,,... Ist vilberurter schrifft in worten dermaßen temperiret und gemeßiget worden, das den guthertzigen auf j e n e m teil im artikel der justification, an dem alles gelegen, und andern haubtartikeln desto weniger anstoß entgegen geworfen würde ... " 3 8 Im Wormser Buch kommt Bucers Anliegen zum Ausdruck, eine „Vergleichung" zu erreichen und der altgläubigen Seite die protestantische Lehre so darzulegen, daß sie in ihrer Wahrheit anerkannt und der evangelischen Reformation damit der Weg bereitet wird. Es galt, zunächst die G e meinsamkeiten festzuhalten, um von da aus weiterzuverhandeln und gemeinsam die Reformation der Kirche auf der Grundlage von Schrift und Vätern ins Werk zu setzen: „Sust 3 9 erkennen sie wol, das schrifft und vetter dise reformation fordren; erbieten sich auch, diß getrewlich zu leren, damit dann mit der zeit die wircklich reformation auch konde erlanget werden."40 Das Wormser Buch konnte auch für Bucer nicht die C A ersetzen, aber er verstand es als Ausgangspunkt für eine weitere Verständigung über die Reformation der Kirche, in der er die Erhaltung der Einheit begründet sah. 41 Große Bedeutung hatten dabei die „praktischen" Fragen wie Messe, 3 7 LENZ:Briefwechsel (wie Anm. 7),Bd. 1, 288, Nr. 106. Vgl. auch ebd., 290: „ . . . Weil diese schrifften so gestellet sind, das, so fil ichs erkennen kan, wir sie, soweit die lere von der justification, von rechtem brauch der sacramenten und kirchenzucht und Ordnung belanget, nit verwerffen mögen, so were dann bei unß darauff zu arbeiten, das wir so ferr auch soliche schrifft annemen." 3 8 LENZ: Briefwechsel (wie Anm. 7), Bd. 1, Beilage IV, 534, Nr. 15. Vgl. auch ebd., 532: „Doch haben wir [Bucer und Capito, der Vf.] diejenig, so dieselbig schrifft gestellet, nit zu gantzer correction vermocht " 3 9 So vgl. GÖTZE: Glossar (wie Anm. 25), 213. 4 0 LENZ: Briefwechsel (wie Anm. 7), Bd. 1, Beilage IV, 288, Nr. 106. 41 Vgl. LENZ: Briefwechsel (wie Anm. 7), Bd. 1, Beilage IV, 532, Nr. 15: „Wir haben uach[sic!] hofnung, so durch diß rauhwerck [das vorläufig Beratene, vgl. DWb 8, Sp. 254, der Vf.] und gemeines entwerfen nur so vil erlanget würde, das kai. mt. sampt den Stenden

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und Einheit der Kirche

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Zeremonien und Kirchenzucht, an denen sich erweisen mußte, welche Folgerungen aus den Ubereinkünften in der Lehre gezogen würden. Und in diesen Punkten wollte Bucer ohne Rücksicht auf den Papst mit aller Kraft gegen die altgläubige Position streiten. 42 Aber dazu mußten zunächst von der Gegenseite die protestantischen Voraussetzungen anerkannt werden. In den Wormser Geheimgesprächen mit Gropper ist ihm das immerhin soweit gelungen, daß selbst Luther über den Rechtfertigungsartikel sagen konnte: „... Darin sie recht vnd wir auch recht haben." 4 3 Das mag zunächst überraschen, weil der Artikel im Vergleich mit den Aussagen von CA und der Apologie dem protestantischen Anliegen wenig Rechnung trägt. Das Rechtfertigungsgeschehen wird ganz auf Gott hin bezogen und von dessen Gnade her verstanden. Die Betonung des „sola gratia" im Unterschied zu einem strengen „sola fide" ermöglicht einerseits die Lehre der doppelten Rechtfertigung, die sowohl den Glauben selbst als auch die aus ihm folgenden Werke gnadenhaft von Gott gewirkt sieht. Diese enge An- und Einbindung der Werke in das Rechtfertigungsgeschehen kommt altgläubigen Vorstellungen entgegen. Andererseits werden die Werke dem Glauben untergeordnet, was protestantischem Verständnis entgegenkommt. Die Argumentation ist an der Bibel orientiert und nimmt in der Frage der doppelten Rechtfertigung ein dort vorgezeichnetes Problem auf. Die Verfasser formulierten kein Bekenntnis, sondern entfalteten lehrhaft einen theologischen Sachverhalt und ließen zugleich Interpretationsspielräume offen. Trotz der an vielen Stellen deutlich hervortretenden scholastischen Terminologie und Vorstellungswelt wird das protestantische „sola fide" gerade nicht ausgeschlossen, sondern in seiner Berechtigung vielmehr bestätigt. 44 Der Rechtfertigungsartikel im Wormser Buch bietet des reichs soliche streitige artikel w o l t e n lassen durch hiezu taugliche, v o n allen Stenden g e o r d n e t e gelerten u n d f r o m m e n l e u t e n e r ö r t e r e t w e r d e n , da j e d e r teil seine g r ü n d m i t christlicher b e s c h e i d e n h e i t d a r t h u n m ö c h t e . . . , das dise artikel d e r m a ß e n g e m e ß i g e t w ü r den u n d getempereriret[sic!], das si k e i n e m w a r e n Christen a n z u n e m e n beschwerlich sein möchten." 42 Vgl. LENZ: Briefwechsel (wie A n m . 7), B d . 1, 290, N r . 106: „ D a h i n k o n d e es die k. m t . a u c h w o l b r i n g e n , w e n n sie ... erstlich g e n u g h a b e n wolte, die r e f o r m a t i o n bei u n ß D e u t s c h e n a n z u f a h e n u n d d e n papst etwas d a r o b zu e r z ü r n e n . " Vgl. auch ebd., Beilage IV, 533, N r . 15: „ N a c h d e m m a n aber f ü r d e m babst zu rechter f r u c h t b a r e r h a n d l u n g der religion nit w o l k o m m e n kan " 43 W A . B 9 , 4 0 7 , 1 5 f , N r . 3616. 44 Vgl. hierzu B u c e r s Ä u ß e r u n g g e g e n ü b e r K u r f ü r s t J o a c h i m II., LENZ: B r i e f w e c h s e l (wie A n m . 7), Bd. 1, Beilage IV,, 534f, N r . 15.: „ . . . Derselbige [Luther, der Vf.] aber, wa er sieht, das m a n die lere der justification zulesset . . . " (Im O r i g i n a l gesperrt gedruckt.) ATHINA LEXUTT: R e c h t f e r t i g u n g i m Gespräch. Das R e c h t f e r t i g u n g s v e r s t ä n d n i s in d e n R e l i g i o n s g e s p r ä c h e n v o n H a g e n a u , W o r m s u n d R e g e n s b u r g 1 5 4 0 / 4 1 , G ö t t i n g e n 1996 ( F K D G 64), 192—215, kritisiert h i n g e g e n , der Artikel w e r d e „ . . . w e d e r d e r e i n e n n o c h der

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somit nicht nur die Lehre von der doppelten Rechtfertigung, sondern auch gleich eine doppelte Rechtfertigungslehre. Mit dieser Anerkennung war für Bucer ein wichtiger Aspekt der „Vergleichung" gegeben, zumal gerade die strenge Rückbindung der Rechtfertigung an Gott auch nach seiner Vorstellung der „Allwirksamkeit Gottes" entsprach. 45 Gottes Souveränität war gewahrt und im weiteren Gespräch über den Artikel des Wormser Buchs hätte die protestantische Position noch stärker herausgestellt werden müssen (insbesondere dann in den „praktischen Konsequenzen" bezüglich der Messe). 46 Bucer war bereit, der Gegenseite weit, fast bis zur Selbstaufgabe entgegenzukommen, wobei für ihn dabei das Wort aus 1 Kor. 9,22 leitend war, allen alles zu werden, um einige zu gewinnen. 4 7 4. Der Regensburger

Reichstag

(4. April bis 29. Juli

1541)

Wie weit Bucer dabei zu gehen bereit war, zeigt vor allem die Auseinandersetzung während des Regensburger Reichstags 1541 über den Abendmahlsartikel (Art. 14) des Wormser Buchs. Zur großen Überraschung insbesondere Melanchthons hatte Granvella beim Auftakt der Religionsverhandlungen das Wormser Buch präsentiert, das allerdings zuvor noch dem päpstlichen Gesandten Gasparo Contarini zur Kenntnis gegeben und von diese mit einigen Anmerkungen und Korrekturen versehen worden war. Nur widerwillig hatten sich Melanchthon und Johannes Eck in die Verhandlungen über dieses Buch gefügt. Uber den Rechtfertigungsartikel drohte erstmals das Scheitern des ganzen Unternehmens. Nachdem überraschend doch noch eine Formel gefunden werden konnte, ging das Gea n d e r e n S e i t e in i h r e m u r s p r ü n g l i c h e n A n l i e g e n g e r e c h t . . . " u n d i n s b e s o n d e r e die D a r l e g u n g der s e c u n d a i u s t i f i c a t i o e x o p e r i b u s sei „ . . . e o ipso n i c h t m i t d e r r e f o r m a t o r i s c h e n Position zu v e r e i n b a r e n " . Vgl. e b d . , 2 1 5 . 4 5 Vgl. dazu AUGUST LANG: D e r E v a n g e l i e n k o m m e n t a r M a r t i n B u c e r s u n d die G r u n d z ü g e s e i n e r T h e o l o g i e , L e i p z i g 1 9 0 0 [ N e u d r . A a l e n 1 9 7 2 ] ( S G T K U/2), 9 4 - 1 3 2 ; 290ff; 337f. 4 6 Das e m p f i n d l i c h e G l e i c h g e w i c h t des A r t i k e l s w ä r e aber w a h r s c h e i n l i c h d u r c h die Ä n d e r u n g e i n z e l n e r Sätze u n d A b s c h n i t t e n a c h h a l t i g gestört w o r d e n u n d i n h a l t l i c h n a c h d e r e i n e n o d e r a n d e r e n S e i t e u m g e s c h l a g e n . S e i n U m f a n g verschärft dieses P r o b l e m z u sätzlich: 3 6 S e i t e n i m M a n u s k r i p t , i m D r u c k in B D S 9/1 r u n d 2 0 S e i t e n . Von d a h e r ist es e i n l e u c h t e n d , d a ß A r t i k e l 5 i n R e g e n s b u r g n e u f o r m u l i e r t w e r d e n musste, w e i l i h m b e i d e S e i t e n in dieser F o r m nicht z u s t i m m e n k o n n t e n , aber a u c h k e i n e M ö g l i c h k e i t zu e i n e r sinnvollen V e r b e s s e r u n g s a h e n . 4 7 Vgl. h i e r v.a BUCERS S c h r i f t „Von d e r w a h r e n S e e l s o r g e " . In: B D S 7: S c h r i f t e n d e r J a h r e 1 5 3 8 - 1 5 3 9 , h g . v. ROBERT STUPPERICH, G ü t e r s l o h 1 9 6 4 , 1 4 6 , 2 f : „ . . . U n d s u c h e sye m i t s o l i c h e m ernst u n d f l e i ß , das m a n b e r e i t sey, alles allen zu w e r d e n , w i e d e r l i e b e Paulus g e t h o n [I C o r 9 , 2 2 ] . . . " Vgl. a u c h B D S 5 ( w i e A n m . 11), 8 3 , 1 8 ; LENZ: B r i e f w e c h s e l ( w i e A n m . 7), B d . 1 , 1 0 3 , N r . 2 9 u n d 108, Nr. 3 1 .

Martin

Bucers Bemühungen

um Reformation

und Einheit

der Kirche

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sprach über das Wormser Buch weiter, und am 5. Mai wurde über das Abendmahl (Art. 14) verhandelt. Dazu war am R a n d von Contarini die Transsubstantiationslehre nachgetragen worden: „Illis nimirum hoc est pane et vino In corpus et sanguinem dominj transmutatis et trasubstantiatis d[istribuantur]." 48 Bucer hatte dies befurchtet, 4 9 und gemeinsam mit Melanchthon widersetzte er sich dem Ansinnen der Gegenseite, namentlich Ecks, das Wort „Transsubstantiation" im Artikel stehen zu lassen. 50 In dieser Frage herrschte Einigkeit unter den Protestanten, und am 7. Mai trafen Gropper und Bucer zusammen, um eine Formel zu finden, mit der die Konfrontation in der Frage der Transsubstantiation vermieden werden könnte. 5 1 Am 8. Mai berieten alle in Regensburg anwesenden protestantischen Theologen nochmals in dieser Frage. 52 Das Meinungsbild war einhellig und eindeutig: Die Transsubstantiation sei unannehmbar, ebenso das Aufbewahren konsekrierter Hostien und deren Anbetung. 5 3 48 B D S 9 / 1 ( w i e A n m . 4), 4 3 7 , A n m . v). Z u r H e r k u n f t d i e s e r R a n d b e m e r k u n g vgl. LUDWIG PASTOR ( H g . ) : D i e C o r r e s p o n d e n z des C a r d i n a i s C o n t a r i n i w ä h r e n d s e i n e r d e u t s c h e n L e g a t i o n ( 1 5 4 1 ) aus d e m p ä p s t l i c h e n G e h e i m = A r c h i v . In: H J 1 ( 1 8 8 0 ) , 3 2 1 - 3 9 2 u n d 473—501, 3 7 7 , N r . 6 5 : „ A q u e s t a p a r t e d e s a c r a m e n t . altaris, q u a n d o i o la lessi i n s i e m e al N o n t i o et il G r o p p e r o , p e r quella p r i m a o c c h i a t a n o t a i , c h e in q u e s t a p a r t e m a n c a v a q u e s t a t r a n s u b s t a n t i a z i o n e et la feci a g g i u n g e r e in m a r g i n e . . . " 49 Vgl. s e i n e R a n d b e m e r k u n g i m E x e m p l a r des L a n d g r a f e n , B D S 9 / 1 ( w i e A n m . 4), 4 3 7 , 1 9 f . : „ H i c v i d e n d u m est, n e n o s c o n e n t u r v e x a r e d e f i g m e n t a s u o t r a n s s u b s t a n t i a tionis." 5(1 Vgl. d e n B e r i c h t K o n r a d H e l s an d e n A u g s b u r g e r R a t v o m 6. M a i , FRIEDRICH R O T H ( H g . ) : Z u r G e s c h i c h t e des R e i c h s t a g e s zu R e g e n s b u r g i m J a h r e 1 5 4 1 . In: A R G 3 ( 1 9 0 5 / 0 6 ) , 1 8 - 8 3 , 5 3 , N r . 5 9 : „ H a t B u c e r e b e n w i d e r D. E k h e n g e h a n d l e t . . . " A u c h K u r s a c h s e n w a r o f f e n b a r m i t B u c e r s V e r h a l t e n e i n v e r s t a n d e n , vgl. d e n B r i e f an B r ü c k , C R 4, N r . 2 2 1 3 , Sp. 2 5 7 : „ E t ahi d u o t h e o l o g i [ B u c e r u n d P i s t o r i u s , d e r Vf.] e t i a m h a c t e n u s se b e n e g e s s e r u n t ; et i n p r i m i s Pistorius ..." 51 Vgl. C o n t a r i n i s B e r i c h t v o m 9. M a i , PASTOR: C o r r e s p o n d e n z ( w i e A n m . 4 8 ) , 3 7 8 , N r . 6 5 : „ . . . R i m a s e r o , c h e il G r o p p e r o fusse c o l B u c e r o al v e d e s s e r o di c o n v e n i r e in u n a b u o n a f o r m a ; li c o n s i l i e r i di Sassonia et d e l L a n g r a v i o li d e t t e r o b u o n e p a r o l e . " D a s T r e f f e n g e s c h a h also a n s c h e i n e n d a u c h m i t W i s s e n u n d U n t e r s t ü t z u n g d e r h e s s i s c h e n u n d kursächsischen Räte. 52 U b e r diese V e r s a m m l u n g e x i s t i e r t e i n e l a t e i n i s c h e M i t s c h r i f t v o n W o l f g a n g M u s c u lus, vgl. PIERRE FRAENKEL: Les p r o t e s t a n t s et le p r o b l è m e d e la t r a n s s u b s t a n t i a t i o n au C o l l o q u e d e R a t i s b o n n e . D o c u m e n t s et a r g u m e n t s , d u 5 au 10 m a i 1 5 4 1 . I n : O e c . 3, ( 1 9 6 8 ) , 70—116, bes. 99—115, s o w i e e i n e N a c h s c h r i f t des h e s s i s c h e n S e k r e t ä r s S e b a s t i a n A i t i n g e r in d e u t s c h e r S p r a c h e , vgl. LENZ: B r i e f w e c h s e l ( w i e A n m . 7), B d . 3, 21—24. D a A i t i n g e r selbst w o h l n i c h t a n w e s e n d w a r , vgl. LENZ: e b d . , 2 0 f . , s c h e i n t e r sich a u f M i t s c h r i f t e n a n d e r e r zu stützen. Er bietet n u r eine Zusammenfassung der Theologenverhandlung, insbesondere v o n B u c e r s V o t u m , so d a ß h i e r a u f d e n l a t e i n i s c h e n T e x t z u r ü c k g e g r i f f e n w e r d e n m u ß , o b w o h l alle B e t e i l i g t e n a u ß e r C a l v i n i h r V o t u m in D e u t s c h a b g a b e n , vgl. C R 3 9 ( O C 11), Sp. 2 1 6 , N r . 3 0 8 ; L E N Z : e b d . , 2 4 . 53 M u s c u l u s b e r i c h t e t d a r ü b e r n a c h A u g s b u r g (9. M a i ) , R O T H : G e s c h i c h t e ( w i e A n m . 50), 5 8 , N r . 6 3 : „ E s h a t sich g e s t e r n f u n d e n , d a ß alle t h e o l o g i a u f u n s e r e r Seiten e i n h e l l i g m i t e i n a n d e r u n d j e d l i c h e r in Sonderheit solche greuel ... v e r w o r f e n . . . " A h n l i c h ä u ß e r t e

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Dieser Ansicht stimmte auch B u c e r zu, dennoch ist sein Votum in charakteristischer Weise anders, denn er verwies erneut auf diejenigen unter den Altgläubigen, die zur Wahrheit hinneigten. U m ihretwillen gelte es, die Chance des Reichstags zu nutzen und die eigene Lehre zu erklären, um die Irrenden zu gewinnen. 5 4 In diesem seelsorgerlichen Anliegen vollzog er eine Gratwanderung, denn er lehnte einerseits ab, Transsubstantiation, Aufbewahrung und Verehrung der Hostie auf evangelischer Seite wieder einzuführen, andererseits aber war er dazu bereit, sie auf der Gegenseite zu tolerieren. 5 5 Im Gegenzug zu einer solchen Duldung erwartete B u c e r Offenheit flir die reformatorische Predigt und als ersten praktischen Schritt die Abstellung offensichtlicher Mißbräuche. So müsse auf das Wort „Transsubstantiation" verzichtet werden, auch wenn die Gegenseite zunächst der Sache nach noch daran festhielte. 5 6 Eine entsprechende Unterweisung mit der Rückbesinnung auf die Bibel und die Praxis der Kirchenväter würde dann, so Bucer, schon alles Weitere bewirken. Bucer blieb seinem Programm treu, der römischen Kirche in vielem, insbesondere den „äußeren D i n g e n " der Zeremonien nachzugeben, um so der protestantischen Lehre die T ü r zu öffnen. Allerdings konnten die G e gensätze in der Lehre damit nicht wirklich beseitigt werden, und die „ R e formation" kam über eine „ R e f o r m " der Mißbräuche nicht hinaus. 5 7 Die päpstlichen Legaten verstanden zudem die Ankündigung Bucers ganz in ihrem Sinne: Er sei willens, die Transsubstantiation zu predigen. 5 8 B u c e r sich auch Calvin, C R 3 9 ( O C 11), Sp. 215f, Nr. 3 0 8 : „Fuit una o m n i u m vox, transsubstantiationem rem esse fictitiam, . . . quum fiat sine verbo D e i . " 5 4 Vgl. FRAENKEL: Protestants (wie Anm. 52), 102: „Duplex esse genus eorum quibus nobis esse n e g o t i u m : / l . E o r u m qui veritati pertinaciter adversantur/2. eorum qui veritati faveant." U n d ebd., 102: „Deinde Caesarem, id quod hactenus non fecerit, tandem causam nostrani explicemus et adversarios instruamus. Germaniam quoque propendere ad Evangelium, atque ideo impelli se Zelo quodam lucrandi errantes, licet sciat non esse facendum malum ut eveniat b o n u m . " 5 5 Vgl. FRAENKEL: Protestants (wie Anm. 52), 103: „Confiteri quidem nos magnam aliquam mutattionem panis in caena . . . verum non posse fieri solidam concordiam nisi adversarii transsubstantiationis vocabulum abiiciant". 5 6 Vgl. FRAENKEL: Protestants (wie Anm. 52), 104: „Adhaec cogitandum ese, an non sint ferendi aversarii in ista phantasia ita ut non impugnemur in Illa si alioque iustam reformationem admitterent, et nos contrarium sentientes non condemnarent." 5 7 Vgl. hierzu die Bemerkung von Musculus, FRAENKEL: Protestants (wie Anm. 52), 106: „Hic dicturi essent Papistae, nos recte sentimus, at lutheranos pacis gratia ferimus, idem contra dicturi essent et lutherani Nos recte sentimus et toleramus Papistas." 5 8 Vgl. FRANZ DITTRICH (Hg.): D i e Nuntiaturberichte Giovanni Morone's vom Reichstage zu Regensburg 1541. In: HJ 4 (1883), 3 9 5 - 4 7 2 und 6 1 8 - 6 7 3 , 4 5 9 , bes. Nr. 27: „Et il Bucero similmente se portava et prometteva potendosi fare accordo per hora senza quella parola de transubstantiatione, che fra dui mesi egli proprio volea predicarla, et se non fusse stato esso Bucero,la pratica era totalmente rotta . . . "

Martin Bucers Bemühungen

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und Einheit der Kirche

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war aber offenbar bereit, diese Gefahr in Kauf zu nehmen, um den Dialog aufrecht zu erhalten und so langfristig doch sein Ziel zu erreichen. Wie sehr ihm die Verständigung über die kirchliche Einheit am Herzen lag, ist gerade hier deutlich zu erkennen, insbesondere wenn man seine Haltung während des Abendmahlsstreits der 20er Jahre heranzieht. Und gerade angesichts seiner eigenen Abendmahlslehre ist anzunehmen, daß ihn diese Haltung in Regensburg Uberwindung kostete. 59 Verständlich wird seine fast grenzenlos scheinende Kompromißbereitschaft allerdings, wenn man in Rechnung stellt, daß fiir Bucer gerade im Abendmahl die Einheit der Kirche als des einen Leibes Christi zum Ausdruck kommt. In seiner nach dem Reichstag herausgegebenen kommentierten Aktenedition schreibt er auch zu diesem Artikel: „So wir aber nun des eins seindt, das wir im h. nachtmal, wenn wir das nach der einsetzung des herren halten, seinen waren leib und blut empfahen und zugegen haben, was solle uns hoch anfechten, was dem brot geschehe? Weil doch auch der name und wesen der Transsubstantiation bei allen alten H. vaettern unerhoert und unbekant gewesen ist ..." 6 0 Mit seinem „Toleranzprojekt" konnte Bucer sogar Granvella und Karl V. überzeugen, allein Contarini bestand auf der kanonisierten Formulierung. Bucer hielt zwar die religiöse Einigung für die unverzichtbare Voraussetzung des Friedens, aber einer Einigung müßte die Reformation nachfolgen, denn ein äußerer Friede allein, würde der Kirche Christi nichts nützen. 61 Am Ende sah auch Bucer sich genötigt, gemeinsam mit den anderen

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N o c h auf d e m Schmalkaldischen B u n d e s t a g 1540 hatten die o b e r d e u t s c h e n T h e o logen darauf g e d r u n g e n , die Elevation u n d andere R i t e n abzustellen. M e l a n c h t h o n ist dies nicht e n t g a n g e n , vgl. C R 4, Sp. 251, N r . 2 2 2 5 . Andererseits ist es b e m e r k e n s w e r t , daß M e l a n c h t h o n geradezu eine u m g e k e h r t e E n t w i c k l u n g d u r c h m a c h t e , w e n n H e i ü b e r i h n a m 6. M a i an d e n A u g s b u r g e r R a t b e r i c h t e t , ROTH: G e s c h i c h t e (wie A n m . 53), 53, N r . 59: „ . . . Das er lieber w o l t sagen, es w e r das p r o t n u r ain zaichen . . . " 60 MARTIN BUCER: Alle H a n d l u n g e n u n d S c h r i f f t e n zu v e r g l e i c h u n g der R e l i g i o n ... auff j ü n g s t g e h a l t e n e m R e i c h s t a g zu R e g e n s p u r g verhandlet u n d einbracht A n n o D.M.XLI.[sic!] Getrewes fleiß, b e s c h r i b e n , z u s a m m e n getragen u n d erkläret. [Straßburg 1541], Bl. 136 (BB 69c). In: FRIEDRICH HORTLEDER (Hg.): K e y s e r = u n d K ö n i g l i c h e n Maiesteten, A u c h d e ß Heiligen R o e m i s c h e n R e i c h s Geistlicher u n d Weltlicher Staende, C h u r f u e r s t e n , Fuersten, Graven, R e i c h s = u n d andrer Staedte, sambt d e ß h o c h l o e b l i c h e n Kaeiserlichen C a m m e r = G e r i c h t s , Fuerstlicher R e g i e r u n g e n u n d etlicher der H . Schrifft u n d b e y d e r R e c h t e G e l e h r t e n H a n d l u n g e n u n d A u ß s c h r e i b e n etc. G o t h a 1645,302—462, § 464, 392. Vgl. auch FRAENKEL: Protestants (wie A n m . 52), 105: „Alioqui posse ferre ut et h o c l i b e r u m sit si u n a celebraretur caena D o m i n i . " 61 Vgl. C R 39 ( O C 11),, Sp. 250, N r . 333, w o aus e i n e m B r i e f Bucers zitiert wird: „ E x t e r n a m p a c e m o m n e s clamitant ... N e c v i d e o quae adferri possit n o n graviter oblaesura ecclesias. Tarnen ü b e t et a n n i t i m u r p a c e m facere extra C h r i s t u m . " Vgl. auch ebd., Sp. 238, N r . 323: „Bucerus ... scribit,nihil esse a d m i s s u m q u o d n o n o p o r t u e r i t . T a r n e n ad r e f o r m a t i o n e m o m n i a esse suspensa: si illa n o n succedat nihil e r u n t o m n i a . "

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protestantischen Theologen eine Erklärung über das Abendmahl zu formulieren, in der neben der CA auch der Abendmahlsartikel des Wormser Buchs ausdrücklich bestätigt wurde. Wegen seiner vorangegangenen Kompromißbereitschaft geriet Bucer nun zunehmend unter Druck — von beiden Seiten: Granvella war über ihn enttäuscht. 62 Er hatte gegenüber Contarini geäußert, Bucer sei für die römische Kirche zurückgewonnen und wirke bei den Protestanten in diesem Sinne! 63 Diese Fehleinschätzung zeigt, wie weit Bucer gegangen war. U n d um so größer mußte Granvellas Enttäuschung sein, als Bucer sich doch nicht für seine Pläne instrumentalisieren ließ.

V. Schlußfolgerungen Bucer hatte offenbar erkannt, daß weitere Konzessionen seinerseits gegenüber der altgläubigen Seite die innerprotestantische Einheit gefährden würden, denn in einer Gesprächsnotiz heißt es: „Darauf hat Butzer ... vermeldet, daß er je und allewege dahin gesehen, daß die Gutherzigen, so auf ihrer Seite waeren, auch moechten zu der Wahrheit gebracht werden. Denn es waeren zweierlei Leut, auch unter den Papisten, und wiewohl der Boesen halben nicht viel Hofnung zu haben, so meineten es doch etliche auch wohl, und erforderte die Liebe, denselben auch zu helfen. Hat sich auch also etwas weitlaeufig entschuldigt, dieweil er vernommen, daß die andern Theologen keinen Gefallen an seiner Handlung gehabt ..." 6 4 Hinter dieser Entschuldigung klingt aber erneut Bucers Wunsch nach einer „Vergleichung" an, um die „Gutwilligen" und die „Wahrheit Suchenden" zu gewinnen. Seit den frühen 30er Jahren hatte Bucer dieses Ziel konsequent verfolgt, in Regensburg waren diese Bemühungen auf offizieller Ebene an einem Endpunkt angelangt. Das Ergebnis des Reichstags war eine Enttäuschung für ihn:

62 C o n t a r i n i b e r i c h t e t a m 4. J u n i , Granvella h a b e „ m o l t o a l t a m e n t e " m i t B u c e r g e s p r o c h e n u n d d e n P r o t e s t a n t e n m i t K r i e g g e d r o h t , vgl. PASTOR: C o r r e s p o n d e n z (wie A n m . 48), 4 7 7 f , N r . 85. 63 Vgl. DITTRICH: N u n t i a t u r b e r i c h t e (wie A n m . 58), 4 5 4 (3. M a i ) , N r . 26: „ D a l c a n t o d e ' L u t h e r a n i il B u c e r o fa o t t i m o u f f i c i o et se verifica q u e l l o c h e M o n s r di G r a n u e l l a m o l t i g i o r n i fa m e disse, c h e già egli era g n a d g n a t o . N o n d i m e n o n o n si scuopre, p e r p o t e r servire m e g l i o , et è necessario, c h e a n c o r costì sia t e n u t o secreto, p e r c h è questi S i g n o r i Caesarei d i c o n o , c h e alcuni c e r c a n o il d i s t u r b o della c o n c o r d i a , c o m e p e r altre m i e h o s c r i t t o . " 64 C R 4, Sp. 4 3 8 , N r . 2 2 9 4 . Vgl. d e n B r i e f M a r t i n F r e c h t s , C R 3 9 ( O C 11), N r . 3 3 2 , Sp. 2 4 9 : „ D e Bucero ... Calvinus q u o q u e n a r r a b a t , p e r o m n i a b e n e ei c u m reliquis f r a t r i b u s c o n v e n i r e . . . " Vgl. a u c h d e n B r i e f A l e x a n d e r Alesius' an B r ü c k (9. J u n i ) , C R 4, N r . 2 2 6 5 , Sp. 3 9 4 : „Bucerus e d a m sua c o n s t a n t i a vicit s u s p i c i o n e s . "

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Sein Hauptziel einer Konkordie und Reformation der Kirche oder auch nur der Anfang dazu, war nicht erreicht, die Spaltung Deutschlands war sogar noch deutlicher geworden, und seine eigene Konkordienpolitik hatte sogar die Einheit der Protestanten gefährdet. Aber vor allem die offensichtliche Akzeptanz gegenüber der Kirchenspaltung erfüllte ihn mit tiefer Sorge, weil er darin die Zertrennung des einen Leibes Christi erkannte und zugleich die allergrößte Gefahr für den Frieden sah. 6 5 U n d trotz der Anfeindungen wegen seines Verhaltens in Regensburg war er weiterhin von der Richtigkeit seines Tuns überzeugt, wie er an den Landgrafen schrieb: „ U n d hett ich nach so fil unlust auff mich geladen, so rewet mich nit, das ich die Sachen auff milterung gezogen, und wille doch mit der hilff des lieben Gottes von der reine seines worts nymer weichen; und will, so ferr mir der herre das leben gibt, das vor aller weit so bald bekennen mit einer außlage des buchs." 6 6 So ist die „Wende" Bucers in Regensburg auch nicht im Sinne einer grundsätzlichen U m k e h r zu verstehen. 6 7 U m der Einheit der Protestanten willen hatte er eingelenkt. Ansonsten stand er nach wie vor zu den U b e r einkünften im Regensburger B u c h . Da eine weitere Einigung aber gegenwärtig nicht zu erwarten war, sollte wenigstens das Erreichte bewahrt und nun auf die Annahme der konsensfähigen Artikel hin verhandelt werden. U n d noch lange nach der Beendigung des Reichstags bemühte er sich, doch noch eine Anerkennung der „verglichenen" Artikel (immerhin 14 von 23) zu erreichen.

6 5 Vgl. Briefwechsel der Brüder Ambrosius und Thomas Blaurer 1509—1548, hg. v. der Badischen Historischen Kommission, bearb. von TRAUGOTT SCHIESS, 3 Bde, Freiburg 1 9 0 8 - 1 9 1 2 , Bd. 2, 80, Nr. 910: „Videbatur imperator et aliquot alii principes serio cupere dissidium religionis tollere; nam eo non sublato experti omnes bene sumus pacem solidam inter status Germania? restitui non posse." Vgl. auch LENZ: Briefwechsel (wie Anm. 7), Bd. 2, 25f, Nr. 123 und 27, Nr. 124. 6 6 LENZ: Briefwechsel (wie Anm. 7), Bd. 2, 27, Nr. 124. Vgl. auch Briefwechsel der Brüder Ambrosius und Thomas Blaurer, (wie Anm. 65), Bd. 2, 81, Nr. 910. Gemeint ist damit die Schrift „Alle Handlungen und Schriften" (wie Anm. 60). 6 7 Eine „Wende" bzw. „Umkehr" bei sahen z.B. HASTINGS EELLS: Martin Bucer. N e w Häven 1931 (Nachdr. N e w York 1971), 2 9 7 - 2 9 9 , und CORNELIS AUGUSTIJN: D e godsdientsgesprekken tussen rooms-katholieken en Protestanten van 1538 tot 1541 ( V N G G . N S 30), Haarlem 1967, 97. Neuerdings betont aber auch er die Kontinuität in Bucers Anliegen. Vgl. CORNELIS AUGUSTIJN: T h e Quest o f Reformatio: T h e Diet o f R e gensburg 1541 as a Turning-Point. In: Die Reformation in Deutschland und Europa: Interpretation und Debatten. Beiträge zur gemeinsamen Konferenz der Society for R e f o r mation Research und des Vereins für Reformationsgeschichte, 2 5 . - 3 0 . September 1990, im Deutschen Historischen Institut, Washington, D.C., hg. v. HANS R . GUGGISBERG und GOTTFRIED G . KRODEL unter Mitarbeit von Hans Füglister (ARG-Sonderband), Güters-

loh 1 9 9 3 , 6 4 - 8 0 , bes. 7 4 - 8 0 .

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Auf ihrer Grundlage hielt er es weiterhin fiir möglich, um der Wohlmeinenden und wahrhaft Christgläubigen auf Seiten der römischen Kirche willen, die protestantische Lehre im Gespräch zu erklären und die „Vergleichung" zu suchen, damit die Reformation und Einheit der Kirche immer mehr verwirklicht würden.

Bucers Porträt in Luthers Tischreden N I C O L E DE L A H A R P E

Aufzeichnungen von Gesprächen an Luthers Tisch sind uns — leider — erst für die Periode nach 1530 überliefert. Wahrscheinlich haben Gäste Luthers schon 1529, oder sogar früher, dies oder jenes für sich selbst aufgeschrieben; das hatten sie sich während der Vorlesungen und Predigten angewöhnt. Aber die ersten mit relativ Sicherheit datierbaren Tischreden, die uns erhalten sind, stammen aus dem Sommer 1531 (Sammlungen des Veit Dietrich und Conrad Cordatus) 1 . Könnte man die vorhandenen Tischreden präziser datieren, so wäre das keine große Hilfe für unsere Kenntnis der Beziehungen zwischen Luther und Bucer während der Verhandlungen des Augsburger Reichstags, denn der Wittenberger wohnte damals weder im Schwarzen Kloster noch in Augsburg, sondern auf der Veste Coburg, wo er weniger Gäste hatte. So liefern die Tischreden kein direktes Zeugnis über den Augsburger Reichstag. Wir müssen uns deswegen mit Rückblicken zufrieden geben, also mit Zeugnissen, deren Wahrheit mit einem hohen Anteil Dichtung gemischt ist. Diese Zeugnisse können uns über die damalige Stimmung Luthers nur wenig aufklären. Im Rückblick kann Luther mit der Zeit ein deformiertes Bild von der Lage des Jahres 1530 bekommen haben; es ist auch nicht auszuschließen, dass er bestimmte Fakten im Lichte späterer Ereignisse bewusst oder auch unbewusst umgedeutet haben kann. Außerdem handelt es sich nur u m Uberlieferungen aus zweiter Hand, aber dies ist ja ein Charakterzug aller Tischreden. Diese Q u e l l e darf also nicht ohne jeglichen Vorbehalt benutzt werden. Leider muss festgestellt werden, dass solche Zeugnisse nicht nur weniger authentisch, sondern auch spärlich sind. Aus diesen Gründen — geringe Tischredenanzahl, a posteriori-Charakter — halten wir es für interessanter und aufschlussreicher, alle Bucer betreffenden Tischreden (52) zu studieren, u m zu prüfen, ob das so entstandene Porträt konstant bleibt oder mit der Zeit variiert. Als Ergänzung haben wir lo1 HELMAR JUNGHANS: Die Tischreden Martin Luthers. In: D. Martin Luthers Werke, Sonderedition der kritischen Weimarer Ausgabe, Begleitheft zu den Tischreden, Weimar 2 0 0 0 , 3 8 - 3 9 ; WA T R 2 , 2 9 1 , Nr. 2000.

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Nicole de Laharpe

gischerweise Tischreden über das Abendmahl (89) und über die Sakramentarier (43) miteinbezogen, weil sie ihrer T h e m a t i k entsprechend oft als Antwort auf B u c e r s T h e s e n interpretiert werden k ö n n e n und/oder müssen. Das ganze entspricht dann einem Korpus von 1 6 6 Tischreden. E i n e statistische und thematische U n t e r s u c h u n g dieser Tischreden führt zu folgendem Ergebnis: o b w o h l der Abendmahlstreit mit B u c e r und Zwingli in j e n e n Jahren eine bedeutende R o l l e spielt, wird er kaum erwähnt, d.h. in drei Tischreden (vielleicht eben wegen seiner zentralen R o l le, die j a allgemein bekannt ist: D e r Schreiber braucht ihn nicht m e h r zu erwähnen, er weiß darüber Bescheid.) Hingegen werden die Sakramentarier im allgemeinen häufig als G e g n e r genannt (das ist leicht verständlich, wenn man bedenkt, dass in seinen letzten Jahren, eben zu der Zeit, als die Tischreden geschrieben wurden, Luther gegen alle möglichen G e g n e r w ü tete). Was an Luthers T i s c h e ebenfalls wiederholt thematisiert wird, ist die Möglichkeit, besser gesagt die Notwendigkeit, das Abendmahl unter b e i derlei Gestalt zu n e h m e n (32 Aufzeichnungen). Andere Motive wie die manducatio impiorum (7 Aufzeichnungen) und die indignitas des amtierenden Pfarrers (4) werden viel seltener erwähnt (weil sie typisch „katholische" Probleme sind?) A u c h findet die Frage der Realpräsenz, die nach Luther selbst ein zentrales T h e m a seiner T h e o l o g i e — und des Abendmahlstreites — ist, in den Tischreden wenig R e s o n a n z , vielleicht weil es nach Luther eben nichts in Frage zu stellen gibt: „Wollen sie sich an den artickel stossen, w o l len sie das a,b,c, nicht lernen [.. , ] " 2 In den Tischreden führt Luther drei verschiedene Argumente an, u m die Realpräsenz zu rechtfertigen: Erstens entspricht sie den W o r t e n Christi, als er das Abendmahl einsetzte, und Luther wird in Konformität mit diesen W o r t e n handeln, solange der eindeutige Beweis nicht erbracht wird, dass er irrt: „Wenn sie mirs können gewiss machen, quod verbum „est" idem sit in hoc loco quod „significat", so will ich yhn glauben." 3 Zweitens hat Gott, der die M e n s c h e n gut kennt, einen Sinn für Konkretes, Fassbares: „Cave tu ab Ulis spiritualibus! Nam hoc est certum: Quod Deus dat, hoc dat visibiliter et audibiliter, das sollen wir auch an n e h m e n , et non spiritualia. Sic Deus voluit se corporaliter an tag geben, et Christus voluit esse palpabilis, ut Iohannes testatur in sua canonica: ,Quod vidimus oculis nostris, quodperspeximus et manus nostrae contrectaverunt etc. '[l.Joh. 1,1], Sic dedit quoque corporate verbum, baptismum, corpus et sanguinem etc., ut habeamus visibilia et corporalia omnia,»4 Drittens wird die R e a l p r ä senz als der leichteste Glaubensartikel dargestellt: D i e Realpräsenz im B r o t

2 3 4

WA T R 5,303, Nr. 5661. WA T R 1,235, Nr. 515. WA T R 1,408, Nr. 839.

Bucers Porträt in Luthers

Tischreden

149

und W e i n ist insbesondere leichter zu verstehen als die Existenz einer D r e i faltigkeit; w o nur die eine Person fassbar ist. Z w e i Aspekte der T h e o l o g i e B u c e r s sind ebenfalls in den Tischreden zu erkennen: (1) D e r von B u c e r auf die Nächstenliebe gelegte Akzent — die Charitas als K r i t e r i u m des Glaubens — wird von Luther missverstanden und scharf k r i tisiert: „Sie (d.h. die Sakramentarier) haben uns so zuplagt mitt der charitet in iren b u c h e r n und schrifften: Ir von W i t t e n b e r g hatt kein charitateml Wann man denn fragt: Was ist chantas? Es heist, ut consentiamus in doctrina; omittamus istas rixas de religionel Ja, hörstu? Es sein zwu taffei, prima et secunda. Charitas gehört in secundam tabulam, da gehet sie über alle werck dohin. Aber do heist es: Time Deum, audi verbum eius\ D a fragen sie nichts nach. Qui matrem et patrem plus dilexit quam me. W e n n das me kumbt, do höret Charitas auff." 5 (2) D e r ehrliche und ständige Versuch Bucers, in der Kirche Einheit zu bewahren, die Tendenz, den Andersdenkenden nicht direkt und a priori auszuschließen und als Ketzer zu brandmarken, wird ebenfalls falsch verstanden. S o wird B u c e r eine Toleranz zugeschrieben, die viel weiter geht, als der Straßburger bereit war: „Quilibet bene operetur, et salvabitur in sua, er sei Turck, Jud, heid, wird in seinem glauben gerecht vor G o t t , wan er gute wercke t h u t . " 6 Für Luther bedeutet das: D i e Wiedereinführung der W e r k e unter d e m Vorwand der Nächstenliebe — für ihn der reinste Gräuel. U n t e r diesen B e d i n g u n g e n wird man sich nicht wundern, wenn die Tischreden mehrmals behaupten, die einzig wahre — und nicht nur richtige — Lehre sei die in W i t t e n b e r g gelehrte und gepredigte. Infolgedessen k ö n nen diejenigen, die einen anderen W e g gegangen sind, nur im Irrtum sein; viele W ö r t e r unterstreichen diese Auffassung. Von B u c e r sagt Luther: „Ñeque poenitet de errore."7 Idem: „Nondum penitet de falso dogmate."s In Verbindung mit den Katholiken: „Papistae in doctrina sacramentorum nimium in sinistrum errant, sacramentarii nimium aberrant ad dextram,"9 M a n k ö n n t e eine lange Liste solcher Beispiele aufstellen. W e g e n dieser grundsätzlichen Verdammung der T h e s e n von Luthers G e g n e r n , erwartet man in den Tischreden eine genauso grundsätzliche, kontinuierliche und wiederkehrende Argumentation gegen diese T h e s e n . Aber diese Argumentation, die i m Falle der Sakramentarier schon spärlich ist, fehlt fast gänzlich im Falle Bucers. Das bei B u c e r theologisch O r i g i n e l 5 6 7 8 9

WA T R WA T R WA T R WA T R WA T R

5,273, Nr. 5601. 5,333, Nr. 5729. 1,53, Nr. 128. 1,61, Nr. 140. 1,128-129, Nr. 314.

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Nicole de Laharpe

le, seine A b g r e n z u n g von Z w i n g l i , wird ü b e r h a u p t nicht u n t e r s t r i c h e n , i m Gegenteil, es w i r d fast völlig verwischt, i n d e m B u c e r sehr oft i m Z u s a m m e n h a n g m i t d e n S a k r a m e n t a r i e r n , sogar m i t Z w i n g l i e r w ä h n t u n d m i t i h n e n identifiziert wird: „ S u m m u s autem articulus noster est Christus. Illum neque Zinglius tenuit neque Bucerus nec Oecolampadius adhuc tenent. " 1 0 In diesem k u r z e m Auszug ist die G l e i c h b e h a n d l u n g deutlich. Aus der selben Z e i t spanne s t a m m e n zwei Auszüge, in d e n e n B u c e r als A n h ä n g e r Zwingiis o d e r wenigstens als sein Verteidiger auftritt: „Ipse mecumfuit Coburgi, et tarnen iam videtur aliud sentire, neque enim poenitet de errore et iustificat Zinglium. "ll U n d : „Quare Bucerus porro apud me erit sine ulla spe veniae et gratiae, quia iustificat adhuc Zinglium et nondum poenitet de falso dogmate. "12 Bucers R o l l e in d e n R e l i g i o n s v e r h a n d l u n g e n des A u g s b u r g e r R e i c h s tags ist ja w o h l b e k a n n t . A b e r w e n n v o m R e i c h s t a g die R e d e ist, d a n n w e r d e n allein die Sakramentarier g e n a n n t , als hätte B u c e r als I n d i v i d u u m n i c h t existiert. O b B u c e r o d e r Sakramentarier, alle sind i m I r r t u m , sie w e i c h e n v o n der w a h r e n Lehre ab u n d w e r d e n infolgedessen alle in denselben Topf g e w o r f e n . Luthers richtige G e g n e r in A u g s b u r g sind vor allem die K a t h o l i ken u n d die Sakramentarier: In diesem Z u s a m m e n h a n g ist Bucers eigene Lehre k a u m der R e d e w e r t . Diese T e n d e n z , B u c e r eine eigene theologische Existenz zu v e r w e i g e r n , wird auch d a d u r c h deutlich, dass seine A n w e s e n h e i t o d e r seine T e i l n a h m e an b e s t i m m t e n Ereignissen einfach n u r o h n e weitere E r k l ä r u n g e r w ä h n t w e r d e n , so z.B. seine B e s u c h e bei L u t h e r auf der Veste C o b u r g 1 3 o d e r in W i t t e n b e r g 1 4 . Insbesondere fehlt ein B e r i c h t ü b e r die theologischen D i s kussionen, die b e k a n n t l i c h d o c h stattfanden. D a v o n ist n u r ein kleiner A n satz zu e r k e n n e n . U b e r die v o r g e t r a g e n e n A r g u m e n t e wird nichts gesagt, s o n d e r n n u r die U n e i n i g k e i t festgestellt. Weiter ist v e r w u n d e r l i c h , dass B u cers Besuch in W i t t e n b e r g keine K o m m e n t i e r u n g findet; es ist k a u m a n z u n e h m e n , dass die Diskussionen f ü r die T i s c h r e d e n - S c h r e i b e r so u n i n t e r e s sant gewesen sind. M a n ist auf H y p o t h e s e n angewiesen; die w a h r s c h e i n lichste ist, dass i r g e n d w o ein Filter eingesetzt w o r d e n ist. W ä h r e n d b e s t i m m t e T i s c h r e d e n B u c e r g e g e n ü b e r ziemlich neutral bleib e n , insbesondere weil ihr Inhalt bedeutungslos ist, gibt es eine, in der eine gewisse S y m p a t h i e Luthers f ü r den Straßburger z u m Vorschein k o m m e n k ö n n t e , i n d e m Bucers Leiden e r w ä h n t w e r d e n : „Deinde dicebatur de Martino Bucero, qui summis curis et infinitis laboribus senesceret, cum nondum esset quinquagenarius. Respondit Lutherus: Es k ö n n e n g e d a n c k e n w o l einen alt m a c h e n , 10 11 12 13 14

WA T R WA T R WA T R WA T R WA T R

1,48, Nr. 121. 1,53, Nr. 128. 1,61, Nr. 140. 3,14, Nr. 2837. 4,149-150, Nr. 4122; 156, Nr. 4132.

Bucers Porträt in Luthers

Tischreden

151

deinde labores quoque. Ich hab vorweilen auch gearbeitt. Saepe una die 4 contiones

habui,"15

Aber diese Stelle kann auch anders gedeutet werden. W i r wissen nicht, wer das T h e m a angeschnitten hat. Luthers Antwort ist nicht eindeutig: Er weist auf seine eigene Arbeit, aber ohne ausdrücklich zu sagen, dass er sich müde oder alt fühle. Ist es eine verschleierte Kritik an Bucer, der an seinem vorzeitigen „Altern" selbst schuld sei? Die erwähnten curae et labores w ü r den dann Bucers Gesundheit erschüttern, weil sie in eine verkehrte R i c h tung gehen. Diese Interpretation steht mit den restlichen Tischreden im Einklang, die sonst wenig R a u m für Zweifel lassen: Sie zeugen von Luthers Feindlichkeit Bucer gegenüber und vom vermeintlichen Hass Bucers und der Sakramentarier Luther und seiner Lehre gegenüber. Das Wort odium (Hass) insbesondere taucht mehrmals auf; so z.B. sagt Luther von Oekolampad: „Tantum odit, quod non idem docemus quod ipse"16, o d e r v o n d e n S a k r a m e n t a r i e r n : „Sacramentarii et anabaptistae odiunt me plus quam papam " 1 7 u n d v o n B u c e r : „Figura ecclesiae et Christi est ovis, hypocritarum forma serpens, vipera, aspis, id quod experimur ex odio religionis amarulentissimo, quod longe excedit omnia humana etferarum odia, sicut experti sumus in Oecolampadio, Zuinglio, Bucero."18

Luthers Feindlichkeit lässt sich in anderen Tischreden deutlich spüren, wenn der R e f o r m a t o r auf diverse Weisen versucht, seine Gegner in Verruf zu bringen. Die eine Taktik ist leicht, aber effizient: sie besteht darin, Bucer lächerlich zu machen, indem er unter Spitznamen genannt wird — und Luthers Vorliebe für wirkungsvolle Wortspiele ist ja wohlbekannt. So wird aus Bucer „Buchercha" oder „Bucerlin" 1 9 , und die Diminutivform ist hier eher das Zeichen der Abwertung als der Zuneigung. Auch k ö n n e n Bedenken über die Kompetenzen des Gegners geäußert werden, was 1532 geschieht, als Luther erklärt:,, Verus theologus corpus bibliae scire debet, scilicet quis ordo sit et status Mosi, Esaiae, Hierimiae, Dauidis, euangelistarum, Pauli, et non unum et alterum prophetam tantum intelligere. Sed non omnes volunt esse theologi. [.. ,]Bucerus sibi multum eruditionis tribuit, qui numquam eo pervenit. Dicit enim in quodam libro universas gentes eandem religionem servasse

etperillam salvatas; das heisseja genaret." 2 0 O b Bucers „Narrheit" auf einen Mangel an Verstand oder an Arbeit zurückzuführen sei, wird hier nicht genauer formuliert. 15 16 17 18 19 20

WA WA WA WA WA WA

TR TR TR TR TR TR

3,655, Nr. 3843. 1,38, Nr. 101. 3,45, Nr. 2873. 3, 553, Nr. 3709. 1,61, Nr. 140. 2, 478, Nr. 2473

152

Nicole de Laharpe

D e n G e g n e r als D u m m k o p f zu charakterisieren, ist n u r eine Variante in der scharfen K r i t i k Luthers: D a der G e g n e r l e u g n e t , was klar zutage liegt, sich also der W a h r h e i t verschließt, muss er d u m m sein. So b e h a u p t e t L u t h e r v o n d e n S a k r a m e n t a r i e r n : „Es sind tolle eselskopff" 2 1 ; ihre A r g u m e n t a t i o n (in diesem Fall diejenige Bullingers) w i r d mit der B e m e r k u n g „puerilis cavillatio"22 ganz einfach u n d definitiv ausgeräumt. B u c e r w i r d n i c h t besser b e h a n d e l t . Von i h m u n d seinen A n h ä n g e r n sagt L u t h e r : „Stultissimi sunt, quia ex fructibus volunt verbum seu semen iudicare,"23 Seine Lehre darf n i c h t ernst g e n o m m e n w e r d e n , u n d ihre Sinnlosigkeit w i r d verdeutlicht, i n d e m m a n sie ad absurdum f u h r t . So e r g e h t es d e m A r g u m e n t Bucers, n a c h d e m die G o t t l o s e n d e n Leib C h r i s t i n i c h t e m p f a n g e n k ö n n e n , da sie n i c h t g l a u b e n 2 4 . Was s c h l i m m e r ist: D e r G e g n e r will das E v i d e n t e nicht w a h r n e h m e n , weil er sich n i c h t v o m H e i l i g e n Geist, s o n d e r n v o n der m e n s c h l i c h e n Vern u n f t u n d Weisheit leiten lässt. In dieser Hinsicht sind Luthers U r t e i l e ü b e r die Sakramentarier ganz klar: „Hocfallit etiam sacraméntanos: die sagen nach y h r e n gedancken, sed nos dicimus,was G o t sagt." 2 5 U n d weiter: „Sacramentará paulatim recesserunt. Primo nihil nisi panem et vinum docebant; secundo, spiritualiter, id est, speculative adesse corpus et sanguinem; tertio corporaliter, sed cumfide accipi. Das sind eittel philosophisch gedancken! Nam articuli fidei sunt contra omnem philosophiam, geometriam et arithmeticam, immo contra omnem creaturam."26 D i e Lage wäre nicht so besorgniserregend, w e n n Satan selbst n i c h t seine H a n d im Spiel hätte: E r ist derjenige, der dazu v e r f u h r t , d e m M e n s c h e n u n d seiner V e r n u n f t m e h r als G o t t zu trauen. M i t i h m sollen, w i e L u t h e r m e i n t , B u c e r u n d seine F r e u n d e g e m e i n s a m e Sache g e m a c h t h a b e n . Ihr ganzes T u n u n d Treiben weist also die M e r k m a l e des teuflischen Einflusses auf. So w i r d O e k o l a m p a d s v e r m e i n t l i c h e r Hass als w a h r h a f t teuflisch (vere diabolicum) b e z e i c h n e t 2 7 . Steht die A b e n d m a h l s l e h r e Bucers u n d der Sakra21 22 23

WA T R 1,408, Nr. 839. WA T R 1,230, Nr. 505. WA T R 3,108, Nr. 2942.

24 W A T R 1,82—83, N r . 184: „ A r g u m e n t u m Buceri: Impii non accipiunt corpus Christi, quia non credunt. Sic etiam argumentari licet: Impius non/credit decem praecepta, ergo decem praecepta non sunt; impius non credit legibus, ergo leges non sunt. Sie solten y h r halb l e b e n d r u m b g e b e n , das die consequentia r e c h t wer, quia sie nemo damnaretur, et omnia possent excusari et solvi. Et vellem; ut practicaretur cum eis hoc argumentum ad hunc modum: Impius non credit creaturam Dei, ergo impius non habet pecuniam, das man yhn nach der tasschen griff, sed stultissimum est ab impietate impii arguere ad veritatem Dei. Impius non potest aeeipere Christum spiritualiter, ergo nec corporaliter potest? Sic sequeretur ergo: Iudaei non potuerunt Christum crucißgere corporaliter. Sic sunt percussi amentia impii homines."

25 26 27

WA T R 1,229, Nr. 505. WA T R 3,658, Nr. 3849. WA T R 1,38, Nr. 101.

Bucers Porträt in Luthers

Tischreden

153

m e n t a r i e r u n t e r d e m s e l b e n Z e i c h e n ? L u t h e r betrachtet es a n s c h e i n e n d so: „Diabolus non habet meliorem rationem vincendi nos, quam cum abducit a verbo ad spiritum. Ego igitur hoc tanquam miraculum observavi in sacramentariis, quod non considérant verbum, sed tantum res additas verbo, panem et vinum. Sed m a n soi b a y m verbo bleyben u n d den leuten nit e y n r e u m e n d e n geyst sine verbo. Sacramentarii tantum panem et vinum, item aquam vident, verbum non; sic tantum vident serpentem erectum, non verbum in Num. 6."28 U n d L u t h e r w i r d n o c h eindeutiger, w e n n er von B u c e r u n d den Sakrametariern sagt: „Ita illuduntur a Sathana in sua sapientia. " 2 9 H i e r tritt der Teufel ganz klar als d e r j e n i g e auf, der die M e n s c h e n v e r f u h r t (illuduntur) u n d sie dazu treibt, sich auf ihre eigene Weisheit (sua sapientia) zu verlassen. D a sie u n t e r d e m Einfluss des Teufels stehen, greifen B u c e r u n d die Sak r a m e n t a r i e r zu typisch teuflischen M i t t e l n u n d Listen w i e L ü g e n u n d T ä u s c h u n g . So ä u ß e r t sich L u t h e r ü b e r die Sakramentarier, die das E v a n g e l i u m n u r als V o r w a n d b e n u t z t e n 3 0 , o d e r ü b e r B u c e r u n d seine Anhänger, die der Aufrichtigkeit u n f ä h i g seien 3 1 o d e r Luthers N a m e n zu eigenen Z w e c k e n b e n u t z t hätten 3 2 . A u c h g e h ö r t ihre Beredsamkeit, ihre Fähigkeit, die a n d e r e n mit s c h ö n e n W o r t e n zu ü b e r z e u g e n , zu den u n l a u t e r e n M i t teln 3 3 , da sie damit n u r ihren e i g e n e n R u h m suchen. A b e r diese V o r w ü r f e bleiben n o c h relativ harmlos, verglichen mit der A n s c h u l d i g u n g der Blasphemie o d e r der Gottlosigkeit. U n d gerade diese s c h l i m m e n S ü n d e n glaubt L u t h e r bei den S a k r a m e n t a r i e r n , bei B u c e r u n d Z w i n g l i feststellen zu k ö n n e n . So sollen die Sakramentarier mit ihrer A b e n d m a h l s l e h r e die Pfarrer als ministros verbi Dei s c h m ä h e n 3 4 . D e r gewaltsame Tod Zwingiis u n d vieler seiner A n h ä n g e r wird als logische Folge i h rer Blasphemie g e d e u t e t 3 5 . Ein ähnliches E n d e wartet auf Bucer, w e n n d i e ser in seinem I r r t u m b e h a r r t . D i e Sakramentarier m a c h e n sich auch der Gottlosigkeit schuldig. Tatsächlich lässt sich Luthers D e f i n i t i o n der Gottlosigkeit nicht anders d e u t e n : „Impii, qui sunt? Impius dicitur, qui negat Deum, ut sacramentarii. Sunt lupi, quia negant substantiam et usum sacramenti,"36 D a B u c e r u n d seine F r e u n d e Gottlose sind u n d ihre Gottlosigkeit d u r c h Blasphemie z u m A u s d r u c k b r i n g e n , darf mit i h n e n kein K o n t a k t aufrecht

28 29 30 31 32 33 34 35 36

WA T R WA T R WA T R WA T R WA T R WA T R WA T R WA T R WA T R

1,246, Nr. 528 (gemeint ist Num. 21,9). 3,109, Nr. 2942. 2,176, Nr. 1680: fallacias; WA 2, 90, Nr. 1490: täuschen. 3,269, Nr. 3327. 4,284, Nr. 4383. 4,447, Nr. 4719. 2, 56, Nr. 1339. 1,61, Nr. 141. 3,318, Nr. 3442.

154

Nicole de Laharpe

erhalten werden; die Distanznahme und die klare Verurteilung sind das einzig richtige Verhalten gegenüber denjenigen, die dem Fortschritt des Evangeliums so offensichtlich schaden 37 : „Ach, die drey secten, Müntzer, sacramentirer, anabaptistae haben dem euangelio grossen schaden gethan ," 3 8 Wie in den späten sogenannten Judenschriften heißt es, mit den Gotteslästerern — wie mit den Ketzern — deutlich zu brechen, um an ihrer Sünde n i c h t t e i l h a f t i g z u w e r d e n : „ J u d e i , quod aperte blasphemi possunt

sunt et vitari

possunt,

sacramentarii,"39

tolerari; non autem sie

Darf deswegen von einem deutlichen und endgültigen Bruch Luthers mit Bucer in den Tischreden die R e d e sein? Eine relativ späte Tischrede aus dem Jahre 1536 ist etwas rätselhaft und bleibt meiner Ansicht nach s c h w e r z u d e u t e n : „Impii, Christi,

tarnen sunt blasphemi

festo Assumptionis

qui communicant, in signum

cum Pomerano

etiamsi

non sumant

verum

corpus

Dei. — De Bucero, qui communicaverat

et contionatus

in

erat. " 4 0 W i r w i s s e n a u s a n d e -

ren Quellen, dass Bucer am Sonntag nach Himmelfahrt in Wittenberg das Abendmahl nahm und predigte 41 . Wir kennen also die Umstände. Das hilft uns aber wenig weiter. Bezieht sich der erste Satz auf den Inhalt von Bucers Predigt? Wieso aber kommt der Schreiber darauf, anzumerken, dass Bucer selbst am Abendmahl teilgenommen hat? Will man aber den ersten Satz auf Bucer beziehen, der dann zum Gottlosen würde, so darf mit Recht gefragt werden, warum die Wittenberger ihn überhaupt haben predigen lassen. Jedenfalls darf man sich wundern, dass Bucer in Wittenberg auf die Kanzel durfte, wenn man bedenkt, wie gering Luther ihn privatim schätzte. Der — vielleicht nur scheinbare — Widerspruch ist kein Einzelfall in den Tischreden. Im Dezember 1531 äußert sich Luther eher positiv über die Ubersetzung seiner Werke durch Bucer: „In transferendis libris meis nemo unquamfuit Butzero;

diligentior

et qui proprie

sed opiniones

suas, quas

meam sententiam immiseuit,

transtulit

non probo."

42

et animam

Martino

A b e r A n f a n g des

nächsten Jahres wirft Luther Bucer vor, sich Kenntnisse zuzuschreiben, die er überhaupt nicht besitze 43 . Betrachtet man aber die chronologische Reihenfolge der Tischreden, so stellt sich heraus, dass Luther zwischen Vertrauen und Misstrauen schwankt, was zu widersprüchlichen Beurteilungen führt. Die folgende Tabelle verdeutlicht dieses Hin und Her. 37

WA T R 3,440, Nr. 3593. WA T R 3,627, Nr. 3802. 39 WA T R 3,276, Nr. 3336. 40 WA T R 5,325, Nr. 5703. 41 Er hatte an den Verhandlungen über die von Melanchthon ausgearbeitete Formula Concordiae teilgenommen. 42 WA T R 2,382, Nr. 2260a. 43 WA T R 2, 478, Nr. 1473. 38

Bucers Porträt in Luthers Tischreden

155

1530

N r . 101

De Bucero spero fore ut redeat

11.1531

N r . 110

Articulus noster est Christus. Ilium ... neque Bucerus nec

12.1531

N r . 128

B. non penitet de errore

12.1531

N r . 140

B. iustificat adhuc Zinglium

Oecolampadius adhuc tenent et nondum poenitet de falso

dogmate 12.1531

Nr. 2260

In transferendis lihris meis nemo unquam fuit

diligentior

et qui proprie meam sententiam transtulit et animam Martino

Butzero

12.1532

Nr. 2837

1.1533

Nr. 2942

(die S.) nolunt se videri errasse

5.1536

Nr. 5703

B e s u c h Bucers in W i t t e n b e r g ; Predigt

(die Sakramentarier) k ö n n e n n i c h t z u r u c k

1.1538

Nr. 3709

hypocritarum forma serpens

4.1538

Nr. 3843

Bucers vorzeitiges Altern: curae et labores

8.1538

Nr. 3986

Martino Bucero rem et negotium

11.1538 12.1538

commendaho

2. B e s u c h B u c e r s Nr. 4185

1539

v o n B.: ingenium improhum et arrogans Bs Brief aus F r a n k f u r t

1539

Nr. 4719

6.1540

Nr. 5088

Bs Predigtweise: kunstreich Bucero plus confido

6.1540

Nr. 5089

B u c e r : ein w e s c h e r

6.1542

Nr. 5390

Ich trau im n i e m e r

1543

Nr. 5730

W i r müssen uns einmal scheiden

A u c h w e n n S c h w a n k u n g e n feststellbar sind, k ö n n e n in d e n T i s c h r e d e n drei T e n d e n z e n h e r v o r g e h o b e n w e r d e n : B u c e r w i r d m i t d e n S a k r a m e n t a r i e r n assoziiert, u n d es w i r d i h m keine eigene T h e o l o g i e g e w ä h r t . E r selbst wird n i c h t richtig ernst g e n o m m e n , i n d e m L u t h e r f ü r ihn S p o t t n a m e n erfindet. Trotz allem, was ü b e r die Sak r a m e n t a r i e r b e h a u p t e t wird, ü b e r ihre angebliche Gottlosigkeit u n d Blasp h e m i e , u n d trotz der w i e d e r h o l t e n B e h a u p t u n g , keine Allianz sei schlimm e r als eine Allianz mit falschen B r ü d e r n , gibt es k e i n e n endgültigen B r u c h . Aus diesem S c h w a n k e n Luthers lässt sich vielleicht die f o l g e n d e Tischrede ü b e r die W i t t e n b e r g e r K o n k o r d i e erklären: „Ideo nunquam mihi placuit illa ficta concordia. Timeo ne ,posteriora peiora prioribus fiunt' [Matth. 12,45; 2 Petr. 2, 20], quia ipsi non ex cordefaciunt, sed a magistratu compulsi hoc concordiae vinculum quaerunt. "44

44

WA T R 4 , 5 7 , Nr. 3986.

156

Nicole de Laharpe

Bibliographie HANS MARTIN BARTH: D e r Teufel und Jesus Christus in der T h e o l o g i e Martin Luthers, Göttingen 1 9 6 7 . MARTIN BRECHT: Martin Luther, 3 Bde, Stuttgart

1981-1987.

MARK U . EDWARDS J R . : L u t h e r s Last Battles: Politics and Polemics, 1 5 3 1 - 1 5 4 6 , Ithaca & London 1 9 8 3 HEIKO AUGUSTINUS OBERMAN: Luther. M e n s c h zwischen Gott und Teufel, 2. Aufl., München 1986. PRESERVED SMITH: Luther's Table Talk. A critical study, N e w York 1 9 0 7 .

Abkürzungen fiir Bucer-Ausgaben BCor

Correspondance de Martin Bucer, 1979fF; ab Bd. IV: Martin Bucer Briefwechsel — Correspondance

BDS

Martin Bucers Deutsche Schriften, 1960ff

BOL

Martini Buceri Opera Latina, 1954ff

Bibelstellenregister (Sämtliche Register hergestellt von Matthieu Arnold)

Genesis (Gen.) 6,14

Johannes (Joh.) 115

Exodus (Ex.) 20,2-6 20,4f.

117 111

N u m e r i (Num.) 21,9

153

Psalmen (Ps.) 2,4 3,9 19,11 31,11 33,18 49,15 115,1 144,18

15 15 113 24 18 18 20 18

22 155 26 16,18 25 26 20

17,28

14

R ö m e r (Rom.) 2,6

25

I. Korinther (I Kor.) 9,22

130,140

II. Korinther (II Kor.) 4,7 12,9

15 15

Epheser (Eph.) 6,12

16

Philipper (Phil.)

Markus (Mk.) 12,10f.

77 77 120 15 24 25 120 21

Apostelgeschichte (Apg.)

Matthäus (Mt.) 5,18 12,45 6,10 16,18 16,27 21,42 28,18

6 6,54 6,63 10,29 12,35f. 15,17-20 16,7 16,33

26

1,6 l,20f.

24 22

Lukas (Lk.) 17,5 21,28

26 24

I. Timotheus (I Tim.) 1,9

111

160

Bibelstellenregister

Titus

1. J o h a n n e s (1 J o h . )

1,15

112

1,1

148

3,10

93

5,21

114

80 20

19,16

1. P e t r u s (1 Petr.) l,lf. 4,17

Offenbarung

2. P e t r u s (2 Petr.) 2,20

155

14

Personenregister"' Agnellus, Bischof von Ravenna 109 Agricola, Johannes 16,19 Ailly, Pierre d' 79 Amsdorf, Nikolaus von 18 Antoninus von Florenz 81, 82 Argula von Grumbach (geb. von Stauffen) 18,60 Aristoteles 108 Athanasius 121,124 Augustinus 7 0 , 7 3 , 7 5 , 7 7 , 7 9 , 1 1 6 Beatus R h e n a n u s 81 Bedrot, Jakob 14,22,116,117 Berengar von Tours 70, 75, 76 Bernhard von Clairvaux 78, 81, 82 - Pseudo-Bernhard 7 0 , 7 8 Biel, Gabriel 70, 74, 75, 79, 80, 82 Blarer (Blaurer), Ambrosius 3, 6,12,18, 19, 20, 21, 23, 25, 26, 30, 31, 33, 39, 42, 4 3 , 4 4 , 4 6 , 5 4 , 57,116 Bonaventura, Johannes 70, 73 Brenz, Johannes 98 Brück, Gregor 20, 58, 59, 60, 70, 73, 74, 77,136 Bugenhagen, Johannes 51 Bullinger, Heinrich 152 Busche, H e r m a n n von dem 117 Cajetan, Thomas de Vio 72 Calvin, Johannes 3, 67 Campeggio, Tommaso 134 Capito, Wolfgang 10,13, 20, 8 6 , 1 3 3 , 1 3 7 Chrysostomus, Johannes 37, 70 Cicero 108 Contarmi, Gasparo 1 4 0 , 1 4 1 , 1 4 3 , 1 4 4 Cordatus, Conradus 147 Cranach, Lucas d. A. 119

Crockaert, Petrus 82 Cyprian 5 , 9 1 , 9 4 Cyrill von Alexandrien 70 Dietrich, Veit 6 1 , 7 6 , 1 4 7 Diokletian 25 Dion von Prusa 108 Eck, Johannes 128,140,141 Empedokles 108 Epiphanius von Zypern 120 Erasmus von Rotterdam 3, 6, 30, 56, 68, 83,105,132 Ernst, Markgraf von Baden 128 Eusebius von Caesarea 1 2 0 , 1 2 2 , 1 2 3 , 1 2 4 Feige, Johann 134 Ferdinand von Habsburg 127 Fridbolt, Christian 21 Georg von Trebizonde 82 Granvella (Granvelle) Nicolas Perrenot de 1 2 8 , 1 3 3 , 1 3 4 , 1 3 5 , 1 3 6 , 1 3 7 , 1 4 0 , 143,144 Gregor III., Papst 121 Gregor I., der Große, Papst 81,121 Gropper, Johannes 132,133,136,137, 139,141 Guerric d'Igny 81 Hausmann, Nikolaus 17 Hedio, Kaspar 104 Heraklit von Ephesos 108 Hesiod 108 Hieronymus 116,120,124 H o m e r 107f. Horaz 108

Der Name Bucer, Martin wurde weggelassen

162

Personenregister

Joachim II., Kurfürst von Brandenburg 138 Johannes von Jerusalem 120 Jonas, Justus 11,15,19, 20, 22, 24, 25 Karl II. der Kahle, Kaiser 76 Karl V., Kaiser 7 , 1 3 , 1 4 , 1 5 , 1 6 , 1 7 , 18,19, 25, 2 8 , 1 2 7 , 1 2 9 , 1 3 4 , 1 3 6 , 1 4 3 Karlstadt, Andreas Bodenstein v. 49, 124 Kniebs, Nikolaus 13 Konstantin I., der Große, Kaiser 122, 123 Laktanz 121,124 Lanfrank von Pavia 76 Leo III., byz. Kaiser 121 Linck, Wenzeslaus 9 8 , 1 0 3 Longinus, Pseudo- 108 Lukian 108 Luther, Martin 4, 5, 6, 7, 8, 9-29, 31, 33, 40, 50, 51, 52, 53, 54, 56, 57, 58, 59, 61, 62, 63, 64, 67, 68, 69, 70, 73, 74, 75, 85, 89, 91, 94, 98,101,102,103, 118,119,121,124,129,139,147-155 Maurer, Georg 104 Melanchthon, Philipp 2, 3, 7,10,11,12, 13,14,18,19, 22, 23, 24, 26, 27, 28, 40, 56, 57, 59, 60, 61, 62, 63, 67, 68, 70, 75, 76, 9 8 , 1 2 8 , 1 3 1 , 1 3 5 , 1 4 0 , 1 4 1 Morus, Thomas 3 Müntzer, Thomas 154 Murner, Thomas 78 Nikolaus II., Papst 76 Nikolaus von Clairvaux 78 Ogier von Locedio 78 Oekolampad, Johannes 2, 52, 55, 61, 62, 68, 69, 75, 8 6 , 1 0 4 , 1 5 0 , 1 5 1 , 1 5 2 Osiander, Andreas 98 Parker, Matthew 6 8 , 8 1 , 8 2 Paulinus von Nola 122 Plato 108,109 Petrus Lombardus 80, 82

Philipp, Landgraf von Hessen 12, 42, 54, 6 0 , 6 2 , 9 0 , 1 0 4 , 1 3 1 , 1 3 5 Philostratos 108 Plotin 108 Plutarch 108,109 Qumtilian 108 Radbertus, Paschasius 76, 77 Ratramnus von Corbie 76, 77 Rhegius, Urbanus 60 R u p e r t von Deutz 81 Sailer, Gereon 60,117 Sam, Konrad 47 Schnepf, Erhard 18 Schwarz, Diebolt 116 Seneca 108 Serenus von Marseille 121 Schmid, Konrad 112 Spalatin, Georg 1 4 , 1 9 , 2 1 , 2 6 Spengler, Lazarus 98,103 Sturm, Jakob 3 3 , 1 0 4 , 1 3 4 T h e o d o r von Orleans 81 Thomas von Aquin 67, 68, 73, 75, 79, 80, 81 Vadian, Joachim 21, 63 Vehus, Hieronymus 128 Veltwyck, Gerhard 133,137 Vitruv 108 Weeze, Johann von 127 Wied, H e r m a n n von 132 X e n o p h o n 108 Zell, Katharina 5 Zell, Matthias 79 Zwick, Johannes 1 2 , 2 0 , 2 3 , 2 6 Zwingli, Huldrych 2, 4 , 1 1 , 1 2 , 1 3 , 1 4 , 15,17, 20, 22, 24, 25, 27, 29, 33, 41, 50, 51, 52, 53, 54, 55, 57, 58, 60, 61, 62, 63, 64, 70, 73, 86, 87,104,110, 111,112,113,114,115,124,148,150, 151,153

Ortsregister'"1" Anablatha bei Beth-El 120 Basel 41 Bec (in der Normandie) 76 Bern 4 1 , 6 9 Coburg 1 0 , 1 7 , 2 1 , 2 7

- Akademie 3, 33, 34, 70, 71, 87, 90 - Artikel (1529) 2 , 3 3 , 8 9 - Religionsgespräch (1529) 3 1 , 3 4 , 3 5 , 40, 42, 45, 46, 47, 54, 55, 75, 85, 86, 89,106 Marseille 121 Memmingen 57,104

- Veste 147,150 Oberrhein 105 Deutschland 3 , 2 0 , 6 3 , 1 4 5 Frankfurt 127 - Frankfurter Anstand 127,129 Frankreich 3 , 2 9 , 6 1 , 6 3 Hagenau 128 - Religionsgespräch 7 , 1 2 7 , 1 2 9 , 1 3 2 133 Heidelberg 69 Italien 123 Jerusalem 122 Jülich 134 Köln 132 - Reformationsversuch 137 Konstantinopel 122 Kurbrandenburg 134 Kurpfalz 134 Kursachsen 10,27 Leipzig 1 Lindau 57 Marburg 5, 31, 32, 41, 54, 55, 59, 71, 86, 87,104,117 * Augsburg wurde weggelassen

Ravenna 109,121,123 Regensburg 1,145 - Regensburger Buch 145 - Reichstag (1541) 134,140-144 - Religionsgespräch (1541) 128, 140-144 Rom 76,121,122 - Laterankirche 122 - Lateransynode (1059) 76 - Peterskirche 122 Schleiz bei Hof 41 Schmalkalden 3 5 , 4 0 , 1 2 8 , 1 3 1 , 1 3 5 , 136 - Schmalkaldischer Bund 127 - Schmalkaldischer Krieg 20 Schwabach - Schwabacher Artikel 4 1 , 4 2 - Schwabacher Konvent (1529) 4 0 , 4 2 Schweiz 105 Straßburg 20, 26, 41, 79,104,105,107, 115,116,117,123 Trient: siehe Konzil (Sachregister) Trier 132 Ulm 57

164

Ortsregister

Wittenberg 19, 49, 51, 5 6 , 1 4 9 , 1 5 0 , 1 5 4 - Wittenberger Konkordie (1536) 53, 131,155 Worms 1,128 - Wormser Buch 136,137,138,139, 140,141,144 - Edikt (1521) 10

- Reichstag (1521) 14, 22, 28 - Religionsgespräch (1540/41) 7 , 8 , 133-140 Zürich 4 1 , 4 9 , 5 6 , 1 1 0 , 1 1 2 - Zweite Zürcher Disputation 110, 112

Sachregister Abendmahl (siehe auch: Christus) 2, 33, 58, 59, 60, 61, 65, 79, 81, 86, 87,115, 132,141,148,154 - Artikel 58,144 — Auffassung, - Verständnis 5 , 6 9 , 7 4 , 78, 85, 89 — Einsetzungsworte 4, 58, 60, 62, 63, 64, 65, 77, 79, 85, 91, 9 5 , 1 0 2 , 1 4 8 — Elemente 74 — Empfang 64, 65 - G e n u ß 57 — Konkordie 11 - Lehre 5 1 , 5 2 , 5 4 , 5 6 , 1 0 0 , 1 4 3 , 1 5 2 — manducado impiorum 6 2 , 7 6 , 1 4 8 — manducatio indignorum 4, 50, 52, 64 — Mysterium 63 — Realpräsenz: siehe Christus — Streit, — Kontroverse 6, 7, 35, 36, 39, 40, 49, 50, 53, 54, 59, 61, 63, 76, 85, 89, 90, 94, 9 5 , 1 0 0 , 1 0 3 , 1 0 4 , 1 0 5 , 1 2 9 , 143,148 Adiaphora 111,113,114,118 Antichrist: siehe Teufel Antike 107 Auferstehung (siehe auch: Christus) 57 Bekehrung (siehe auch: Buße) 20, 24, 26 Bibel: siehe Schrift Bilder (siehe auch: Kunst) 5,118,119, 120,121,122,123,124,125 - Anbetung 111,115 - Bilderstreit 107-125 - Bildersturm 111,115,118,125 - Entfernung 7 , 2 6 , 1 1 6 , 1 1 7 , 1 2 3 - Verbot 115,117,122 - Verehrung 117,119,121,123,124 - Wallfahrstbilder 118

Blasphemie 153,155 Burgrecht 2 , 1 3 , 4 1 Buße 1 8 , 2 0 , 2 1 , 2 8 , 8 0 Christus 4, 5, 9,19, 25, 31, 39, 45, 46, 47, 49, 53, 56, 57, 60, 63, 77, 95, 97, 98,100,103,105,115,118,120,130, 135,136,143,150 - Anwesenheit (siehe auch: Gegenwart, Präsenz): 60, 61 - Auferstehung 65 - Blut 53, 54, 58, 59, 64, 65, 76, 78, 80 - Ehre 3 , 3 0 - 4 8 , 5 8 , 6 1 - Gegenwart 6 0 , 6 1 , 6 2 , 8 5 - Geist 36, 89, 91, 92, 94, 96, 97, 98, 103,104 - Gemeinde 99 - Gesetz 93 - Haupt 78 - Heilswerk 93 - Herrschaft 1 4 , 1 5 , 4 9 - Kraft 62 - Leib 35, 53, 54, 58, 59, 60, 61, 62, 63, 64, 65, 71, 73, 74, 75, 76, 77, 78, 83, 143,145,152 - Nachfolge 35, 48, 54 - Präsenz im Abendmahl 4, 59, 73, 86 - Realpräsenz 4, 51, 52, 53, 55, 56, 58, 62,64, 65,74,85,148 - Sterben, Tod 6 5 , 8 0 - Wahrheit 9 8 , 1 0 1 , 1 0 4 communicatio idiomatum 64 Confessio Augustana 7 , 1 7 , 1 9 , 57, 58, 128,131,134,138,139,144 - Apologie der CA 128,131,139 Confessio Tetrapolitana 10,14,17, 57, 58,123,124 Dreifaltigkeit 149

166

Sachregister

Duldsamkeit: siehe Toleranz Einheit 3, 5, 8, 23, 31, 33, 34, 37, 41, 42, 44, 46, 47, 48, 49, 51, 52, 57, 85, 86, 94, 96, 9 9 , 1 3 0 , 1 3 8 , 1 4 3 , 1 4 4 , 1 4 5 , 146,149 - in der Lehre 6 , 1 0 0 - sakramentale (siehe auch: unio sacramentalis) 58, 74 Einigkeit 42,102 Erwählung 80 Eucharistie (siehe auch: Abendmahl) 56 Evangelium (als Gegensatz von Gesetz) 113 Exkommunikation 92 Freiheit 111,113 Friede 22, 23, 28, 86, 94, 98,102,104, 105,143 Gebet 1 6 - 2 2 , 2 8 , 9 2 - Erhörung 20 Geist: siehe Heiliger Geist Gemeinschaft (christliche) 5, 6, 44, 85-106 - Glaubensgemeinschaft 54 Gerechtigkeit 93 Geschichte 9, 27, 29, 35, 42, 44, 45, 46 Gesetz (siehe auch: Evangelium) 111, 112,115,117 Glaube (siehe auch: Gemeinschaft) 22, 24, 25, 26, 28, 36, 45, 46, 53, 55, 56, 62, 63, 78, 79, 87, 91, 92, 93, 95, 96, 97, 98, 9 9 , 1 0 0 , 1 0 1 , 1 0 2 , 1 0 3 , 1 0 4 , 112,114,117,119,124,125,130,139, 149 - Früchte 5 , 6 , 1 0 0 - Glaubensbasis 56 - sola fide 139 Gnade - sola gratia 139 Gott 5, 6, 39, 43, 46, 48, 54, 56, 96, 97, 102,121,139,140,148,152 - Allwirksamkeit 8 , 9 , 1 4 0 - Ankunft 27 - Barmherzigkeit 2 1 , 2 5 - Ehre 5 , 4 2 , 4 4 , 4 6 , 1 2 4

-

Furcht vor Gott 117f., 124 Gebot 117 Geist 43 Gesetz 37 Gottlosigkeit 112,153,155 Herrschaft 13,14 Lehre von Gott 85 Macht 42, 44, 46 Menschwerdung 120 Offenbarungspädogogik 44, 45, 46, 47, 48 Pläne 2 2 - 2 6 Strafe 20 Verehrung 124,125 Wahrheit 4 2 , 5 7 Werke 117 Wille 2 9 , 4 2 , 1 0 7 , 1 2 5 Wirken 1 3 , 2 8 , 3 5 , 4 2 , 4 4 , 4 5 , 4 6 Wort 5 0 , 8 0 , 9 8 , 1 0 2 , 1 0 3 , 1 1 1 , 1 1 3 Zorn 19

Häresie 8 5 - 1 0 6 Heiliger Geist (siehe auch: Christus, Gott) 44, 53, 60, 65, 80, 94, 96, 97, 102,110,152 Heiligenverehrung 137 Heiligung 101 Heirat (von Priestern) 115 Humanismus 6 4 , 6 7 , 8 7 , 9 8 , 1 0 1 Interim 20 Irenik: siehe Friede Irrtum: siehe Häresie Juden 6 , 3 2 , 1 4 9 , 1 5 4 Kirche (siehe auch: Christus / Leib, Einheit) 37, 38, 45, 49, 56, 93, 94, 96,105,130,135,138,143,145,146, 149 - Alte Kirche 25 - corpus mixtum 78 - Erbauung 61 - Kirchenzucht 139 Kirchengeschichte 5 , 1 2 1 , 1 2 2 Kirchenväter 5, 62, 63, 77, 91,120,121, 135,138,142 - Kirchenväterlehre 62

167

Sachregister

Konzil 16,121 - Nationalkonzil 7,129 - Trient 72 Kreuz 25 Krieg 2 3 , 1 3 4 , 1 3 5 Kunst 4 , 5 , 1 2 2 , 1 2 3 - Kunsttheorie 109 Lehre (siehe auch: Abendmahl, Gott, Kirchenväter, Rechtfertigung) 51, 64, 91, 93, 9 6 , 1 0 0 , 1 0 3 , 1 0 4 , 1 0 5 , 1 3 2 , 135,136,138,139,142,146,150,151 - Reinheit 40, 41 - Sakramentenlehre 133 - Wahrheit, Irrtum 101,102 Liebe 3, 6, 35, 40, 43, 44, 45, 46, 55, 56, 86, 87, 89, 92, 93, 94, 95, 96, 97, 98, 99,100,101,102,103,104,105,112, 113,117,124 - Duldsamkeit 5 - Früchte 9 4 , 9 5 , 1 0 3 - Liebe zu Christus 102 - Liebe zu Gott 5 6 , 5 7 , 9 6 , 9 7 , 1 1 7 - Nächstenliebe 47, 55, 56, 57, 94, 96, 97,149 - Wahrheitsliebe 54 Märtyrer 78 - Märtyrertod 2 1 , 2 2 , 2 8 Messe 2 , 7 , 8 0 , 1 3 7 , 1 4 0 - Abschaffung 26 - M e ß o p f e r 80 Mysterium 53 Natur 108 Obrigkeit 110,111,118,123 Ontologie 85,115 Pneumatologie (siehe auch: Heiliger Geist) 85, 96 Prädestination: siehe Erwählung Realpräsenz: siehe Christus Rechtfertigung 67, 97,101,133,138, 139,140

-

Lehre von der doppelten Rechtfertigung 140

Sakramente: siehe Lehre Satan: siehe Teufel Scholastik 67 Schönheit 108,109 Schrift, Heilige 45, 94,102,110,114, 115,120,121,123,131,135,138,139, 142 - Schriftauslegung 45, 99 - Schriftprinzip 114 Seele - Speise der Seele 56, 58 Soteriologie 102 Sündenvergebung 52, 79 Taufe 6 2 , 8 0 , 9 1 - Taufverständnis 73,100 Täufer 8 6 , 9 0 , 1 0 0 , 1 0 5 Teufel 8 , 1 5 - 1 6 , 26, 28, 29, 32, 37, 40, 41,102,104,110,118,124,152,153 Toleranz 5, 6, 38, 56, 8 5 - 1 0 6 , 1 4 2 , 1 4 9 Transsubstantiation 60, 74, 79, 82,141, 142 Türken 6 , 2 0 , 3 2 , 1 4 9 unio sacramentalis (siehe auch: Einheit / sakramentale) 53, 64 Verteidigungsbündnis 104 Vorsehung 44, 46 Wahrheit (siehe auch: Christus, Lehre, Liebe) 6, 21, 22, 28, 35, 36, 38, 39, 40, 43, 44, 45, 47, 48, 50, 91, 92, 95, 96, 97, 98, 9 9 , 1 0 1 , 1 0 2 , 1 0 3 , 1 0 4 , 1 2 0 , 131,138,142,144,152 - graduelle Abstufung von Wahrheit 40 - Wahrheitskriterium 102 - Wahrheitsnorm 55 Welt 21 Werke 139,149 Wort (siehe auch: Gott) 8,110,119 - R e i n h e i t 40 - Wortstreit 2 8 , 4 9 - 6 5 , 7 4

Spätmittelalter und Reformation Neue Reihe Begründet von Heiko A. Oberman herausgegeben von Berndt Hamm in Verbindung mit Johannes Helmrath, Jürgen Miethke und Heinz Schilling

Arnold, Matthieu: siehe Martin Bucer zwischen Luther und Zwingli. Ballweg, Jan: Konziliare oder päpstliche Reform. 2001. Band 17. Benad, Matthias: Domus und Religion in Montaillou. 1990. Band 1. Faix, Gerhard: Gabriel Biel und die Brüder vom gemeinsamen Leben. 1999. Band 11. Flachmann, Holger: Martin Luther und das Buch. 1996. Band 6. Cause, Ute: Paracelsus (1493-1541). 1993. Band 4. Hamm, Berndt: siehe Martin Bucer zwischen Luther und Zwingli. - : siehe Spätmittelalterliche Frömmigkeit. Hinz, Ulrich: Die Brüder vom Gemeinsamen Leben im Jahrhundert der Reformation. 1997. Band 9. Hohenberger, Thomas: Lutherische Rechtfertigungslehre in den reformatorischen Flugschriften der Jahre 1521-22. 1996. Band 6. Holtz, Sabine: Theologie und Alltag. 1993. Band 3. Johannes a Lasco (1499-1560) — Polnischer Baron, Humanist und europäischer Reformator. Beiträge zum internationalen Symposium vom 14. bis 17. Oktober 1999 in der Johannes a Lasco Bibliothek Emden. Herausgegeben von Christoph Strohm. 2000. Band 14. Jürgens, Henning P.: Johannes a Lasco in Ostfriesland. 2002. Band 18. Kleinöder-Strobel, Susanne: Die Verfolgung von Zauberei und Hexerei in den fränkischen Markgraftümern im 16. Jahrhundert. 2002. Band 20. Kuropka, Nicole: Philipp Melanchthon: Wissenschaft und Gesellschaft Ein Gelehrter im Dienst der Kirche (1526-1532). 2002. Band 21. Lentes, Thomas: siehe Spätmittelalterliche Frömmigkeit. Lotz-Heumann, Ute: Die doppelte Konfessionalisierung in Irland. 2000. Band 13.

Spätmittelalter

und

Reformation

Martin Bucer zwischen Luther und Zwingli. Herausgegeben von Matthieu Arnold und Berndt H a m m . 2003. Band 23. Der Medici-Papst Leo X. und Frankreich. Herausgegeben von Götz-Rüdiger Tewes und Michael Rohlmann. 2002. Band 19. Miethke, Jürgen: De potestate papae. 2000. Band 16. Rohlmann, Michael: siehe Der Medici-Papst Leo X. und Frankreich. Schulze, Manfred: Fürsten und Reformation. 1991. Band 2. Seegets, Petra: Passionstheologie und Passionsfrömmigkeit im ausgehenden Mittelalter. 1998. Band 10. Simon, Wolfgang: Die Messopfertheologie Martin Luthers. 2002. Band 22. Spätmittelalterliche Frömmigkeit zwischen Ideal und Praxis. Herausgegeben von Berndt H a m m und Thomas Lentes. 2000. Band 15. Stoodt, Hans Christoph: Katharismus im Untergrund. 1996. Band 5. Strohm, Christoph: siehe Johannes a Lasco. Tewes, Götz-Rüdiger: siehe Der Medici-Papst Leo X. und Frankreich. Vogel, Sabine: Kulturtransfer in der frühen Neuzeit. 1999. Band 12. Weinbrenner, Ralph: Klosterreform im 15. Jahrhundert zwischen Ideal u n d Praxis. 1996. Band 7.

Einen Gesamtkatalog erhalten Sie vom Verlag Mohr Siebeck • Postfach 2040 • D-72010 Tübingen. Neueste Informationen im Internet unter www.mohr.de