Marcus Terentius Varro: De Lingua Latina (2 Bände): Edition Antike 9783534276530, 9783534747382, 3534276531

Marcus Terentius Varro (116-27 v. Chr.) war der bedeutendste römische Gelehrte überhaupt. Seiner Produktivität kam kein

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Table of contents :
Band 1
Cover
Titel
Impressum
Inhalt
1. Varros Leben und Werk
1.1 Vita
1.2 Varros literarisches Werk
2. Kontext, Inhalt und Aufbau von Dē linguā Latinā
2.1 Kontext
2.2 Inhalt und Aufbau von Dē linguā Latinā
2.3 Anlage der etymologischen Bücher V-VII
3. Die Überlieferung von Dē linguā Latīnā
3.1 Die Codices
3.2 Parallelüberlieferungen
3.3 Wirkung und Fortleben
4. Sprache und Stil Varros
5. Varros etymologische Theorie und Praxis
5.1 Grundgedanken Varros zur Etymologie
5.2 Bewertung seines Ansatzes
5.3 Varros etymologische Praxis
5.4 Zur Struktur der varronischen Rekonstrukte
5.5 Die historisch-antiquarische Methode
5.6 Wert der varronischen Etymologien
5.7 Varros Einteilung des Stoffs
6. Zur Edition
6.1 Grundsätze
6.2 Textänderungen dieser Ausgabe
7. Zur Übersetzung
Anmerkungen zu Kap. 1-6 der Einleitung
8. Verwendete Literatur
8.1. Editionen von Dē linguā Latīnā
8.2 Andere Autoren – Textsammlungen
8.3 Standardwerke (mit Abkürzungen)
8.4 Spezialliteratur
8.5 Diakritische Zeichen
8.6 Conspectus siglorum
9. Text, Übersetzung, Anmerkungen
10. Indices
10.1 Etymologien aus V-VII
10.2 Eigennamen
10.3 Etymologische Fachtermini in Buch V-VII
Rückcover
Band 2
Cover
Titel
Impressum
Inhalt
1. Aufbau und Überlieferung von De lingua Latina
1.1 Überlieferung von De lingua Latina
1.2 Widmung und Aufbau des Gesamtwerks
2. Inhalt der Bücher VIII-X
2.1 Themensetzung Varros
2.2 Wortbildung und Flexion
2.3 Anomalie versus Analogie: eine Scheindebatte?
2.4 Literarische und rhetorische Form der morphologischen Triade
2.5 Varros Konzept der Ähnlichkeiten und sein mathematisches Modell
2.6 Varros Definition der Analogie und der Ähnlichkeit
2.7 Weitere linguistische Leistungen Varros in Buch X
2.8 Varros „Quellen“
2.9 Nachwirkung von Varros „Morphologie“
3. Gliederung der Bücher VIII-X
4. Text und Übersetzung
5. Anmerkungen
6. Indices
6.1 Linguistische Fachtermini Varros
6.2 Behandelte Wörter aus der Objektsprache
6.3 Eigennamen aus der Metasprache
7. Verwendete Literatur
7.1 Editionen von De lingua Latina
7.2 Andere Autoren - Textsammlungen
7.3 Standardwerke (mit Abkürzungen)
7.4 Spezialliteratur (Auswahl)
Rückcover
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Marcus Terentius Varro: De Lingua Latina (2 Bände): Edition Antike
 9783534276530, 9783534747382, 3534276531

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Seite 1

Edition Antike Herausgegeben von Thomas Baier, Kai Brodersen und Martin Hose Die Edition Antike bietet zweisprachige Leseausgaben wichtiger Texte der antiken Literatur mit modernen Übersetzungen und in einer zeitgemäßen Ausstattung. Autoren und Werke werden eingangs kurz vorgestellt. Ein knapper Sachkommentar am Ende des Bandes erleichtert die Lektüre und das Verständnis der Texte.

Marcus Terentius Varro (116 – 27 v. Chr.) war der bedeutendste römische Gelehrte überhaupt, er verfasste über 70 Werke zur Kulturgeschichte Roms, zu Landwirtschaft, Philosophie und zur lateinischen Sprache. Aus seinem Großwerk »De lingua Latina« ist wenigstens ein Viertel überliefert: Der Teil mit den Etymologien (Buch V – VII, Band I dieser Ausgabe) liest sich wie ein Handbuch der (alt-)römischen Kultur; der zweite Teil (VIII – X, Band II dieser Ausgabe) behandelt rhetorisch packend und durchaus amüsant die grammatische Analogie. Zum ersten Mal wird »De lingua Latina« nun ins Deutsche übersetzt. Ein gründlicher philologischer und linguistischer Kommentar erschließt den Text und macht die zweisprachige Ausgabe zur unverzichtbaren Lektüre für alle, die sich für Latein und die (alt-)römische Kultur interessieren.

Thomas Baier ist Professor für Klassische Philologie (Latinistik) an der JuliusMaximilians-Universität Würzburg. Kai Brodersen ist Professor für Antike Kultur an der Universität Erfurt. Martin Hose ist Professor für Klassische Philologie (Gräzistik) an der LudwigMaximilians-Universität München. ISBN 978-3-534-27653-0

Umschlaggestaltung: Peter Lohse, Heppenheim

€ 140,00 [D] € 144,00 [A]

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EDITION ANTIKE

25.05.2023

Varro · De Lingua Latina I

PR040610_Varro_De Lingua Latina_EA_Bd1:18136-8 Latini Lobreden Bd.1

Marcus Terentius Varro

De Lingua Latina Band I

Quintilian nannte Varro in seinem berühmten Buch über die Redekunst den »gelehrtesten aller Römer«: Marcus Terentius Varro (116 – 27 v. Chr.) war der bedeutendste römische Polyhistor überhaupt. Seiner Produktivität kam kein anderer Römer gleich, sein enorm breites Œuvre ist eine unerschöpfliche Fundgrube für kulturhistorische Erkenntnisse. Varro verfasste über 70 Werke zur Rhetorik, Theologie, Landwirtschaft und Philosophie und hatte damit prägenden Einfluss auf die Kultur des augusteischen Zeitalters. Sein Großwerk »De lingua Latina«, eines der wichtigsten Bücher zur lateinischen Sprache, erscheint nun zum ersten Mal in einer zweisprachigen Ausgabe, kongenial übersetzt (und kommentiert) von Wilhelm Pfaffel.

EDITION ANTIKE

Varro_Lingua Latina_Teil I_Buch.indb 1

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EDITION ANTIKE

Herausgegeben von Thomas Baier, Kai Brodersen und Martin Hose

Varro_Lingua Latina_Teil I_Buch.indb 2

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MARCUS TERENTIUS VARRO

DE LINGUA LATINA Lateinisch und deutsch

Band 1 Herausgegeben, eingeleitet und übersetzt von Wilhelm Pfaffel

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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar. Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. wbg Academic ist ein Imprint der wbg. © 2023 by wbg (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der wbg ermöglicht. Satz: Wilhelm Pfaffel und Maximilian Wolter Herstellung: Arnold & Domnick, Leipzig Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Europe Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-534-27653-0 Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): ISBN 978-3-534-74738-2

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Inhalt Seite 1. Varros Leben und Werk VII 1.1 Vita VII 1.2 Varros literarisches Werk VIII 2. Kontext, Inhalt und Aufbau von Dē linguā Latīnā XI 2.1 Kontext XI 2.2 Inhalt und Aufbau von Dē linguā Latīnā XIII 2.3 Anlage der etymologischen Bücher V-VII XIII 3. Die Überlieferung von Dē linguā Latīnā XV 3.1 Die Codices XVI 3.2 Parallelüberlieferungen XVIII 3.3 Wirkung und Fortleben XX 4. Sprache und Stil Varros XXI 5. Varros etymologische Theorie und Praxis XXIV 5.1 Grundgedanken Varros zur Etymologie XXV 5.2 Bewertung seines Ansatzes XXVI 5.3 Varros etymologische Praxis XXVI 5.4 Zur Struktur der varronischen Rekonstrukte XXXII 5.5 Die historisch-antiquarische Methode XXXIV 5.6 Wert der varronischen Etymologien XXXVI 5.7 Varros Einteilung des Stoffs XXXVIII 6. Zur Edition XXXIX 6.1 Grundsätze XXXIX 6.2 Textänderungen dieser Ausgabe XL 7. Zur Übersetzung XLI Anmerkungen zu Kap. 1-6 der Einleitung XLII 8. Verwendete Literatur LI 8.1 Editionen von Dē linguā Latīnā LI 8.2 Andere Autoren – Textsammlungen LIV 8.3 Standardwerke (mit Abkürzungen) LVII 8.4 Spezialliteratur LIX 8.5 Diakritische Zeichen LXVIII 8.6 Conspectus siglorum LXIX 9. Text, Übersetzung, Anmerkungen 2 10. Indices 334 10.1 Etymologien aus V-VII 334 10.2 Eigennamen 355 10.3 Etymologische Fachtermini in Buch V-VII 365

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Einleitung1 1. Varros Leben und Werk2 1.1 Vita Marcus Terentius Varro, geboren 116 v. Chr. wohl in Reate in den Sabinerbergen, entstammte einer angesehenen Familie, der gēns Terentia. Von seiner Jugend „ist so gut wie nichts bekannt“ (Dahlmann [1935] 1173). Er muss aber bald nach Rom gekommen sein, wo der Gelehrte L. Aelius Stilo (Praeconinus)3 später sein Lehrmeister wurde. Nach Cicero4 gab dieser Erläuterungen zu den Büchern der Priester und zu den Zwölf-Tafel-Gesetzen heraus, erforschte das Alter von Wörtern (verbōrum vetustās prīsca) und Sitten und Gebräuche der Vorfahren (cōnsuētūdinem vītamque) und interpretierte das Salierlied (carmen Saliōrum, nach Varro das älteste lateinische Gedicht: ling. VII 2). Damit hatte er schon den Grund für die wesentlichen Forschungsinhalte des Gelehrten Varro gelegt. Einer von dessen philosophischen Lehrern (magister: Augustinus, civ. XIX 3) und ein familiāris, also 'guter Bekannter' (Cicero, Ac. I 12), war der Akademiker Antiochus von Askalon, den er vielleicht zwischen 84 und 82 v. Chr. (also schon im vierten Lebensjahrzehnt) in Athen gehört haben dürfte.5 Verheiratet war Varro mit Fundania, der Tochter von C. Fundanius, dem Volkstribun von 68 v. Chr., einem der Dialogpartner in seinem Spätwerk rērum rūsticārum librī. Seine öffentliche Laufbahn begann er nach eigenen Angaben (Gell. XIII 6) als triumvir capitālis schon in den 90er Jahren; da war er zuständig für öffentliche Sicherheit und Strafvollzug. Die weiteren Jahreszahlen lassen sich erschließen: Tätigkeiten in der Finanzverwaltung (quaestor 86 v. Chr.?) und im Rechtswesen (praetor 68 v. Chr.?) schlossen sich in großem Abstand an. Im Alter von 38 Jahren war er in Liburnia (Illyrien: rūst. II 10,8) Legat des Proconsuls. Zwei unruhige Jahrzehnte folgten: Varro begleitete Pompeius im Krieg gegen Sertorius in Spanien,6 war später Volkstribun (Gell. XIII 12,6), nahm 67 v. Chr. am Seeräuberkrieg unter Pompeius teil, arbeitete Jahre später in der Kommission für die Landreform Cäsars mit (59 v. Chr.), was ihn nicht daran hinderte, im gleichen Jahr gegen den Dreierbund von Cäsar, Pompeius und Crassus ein politisches Pamphlet mit dem spöttischen Namen Τρικάρανος (Dreikopf, eine Anspielung auf den Zerberus) zu veröffentlichen.7

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VIII

Einleitung

Im Bürgerkrieg stand er auf Seiten des Pompeius, den er nach Dyrrhachion begleitete, widmete aber nach seiner Rückkehr 47 v. Chr. dem Pontifex Cäsar das große Werk Antīquitātēs rērum hūmānārum et dīvīnārum – worauf dieser ihn (46 v. Chr.) beauftragte, eine große Bibliothek mit griech. und lat. Werken einzurichten.8 Im Bürgerkrieg nach Cäsars Ermordung weckte sein Vermögen wohl Begehrlichkeiten:9 Die Proskriptionen des Marcus Antonius überlebte Varro nur dank der Hilfe seines Freundes Calenus, verlor aber drei seiner Güter und wohl den größten Teil seiner Bibliotheken und auch eigener Publikationen.10 Eine besondere Ehre wurde ihm zuteil, als Asinius Pollio dem damals schon 78-Jährigen eine öffentliche Büste aufstellte.11 Hochbetagt starb er 27 v. Chr. – im Alter von 89 Jahren – im selben Jahr, als Octavian den Titel „Augustus“ verliehen bekam. 1.2 Varros literarisches Werk12 Varro schrieb mehr als Cicero, der ihn in einem Brief an Atticus gar als πολυγραφώτατος 'Extremvielschreiber' bezeichnete;13 der Rhetoriker Quintilian (2. Hälfte des 1. Jhs. n. Chr.) nannte ihn Vir Rōmānōrum ērudītissimus,14 den am meisten gebildeten Mann der Römer; der Grammatiker Terentianus Maurus (Mitte 3. Jh. n. Chr.) sah in ihm den Vir doctissimus undecumque Varrō, 15 einen 'Universalhochgelehrten', und vier Jahrhunderte nach Varros Tod schrieb der Kirchenlehrer Augustinus über ihn:16 Tam multa scrīpsit, quam multa vix quemquam legere potuisse crēdāmus: 'Er schrieb so viel, dass ich glaube, so viel hat kaum einer lesen können.'17 Worauf gründete sich dieses Urteil? Die Antwort gibt der Katalog der Schriften, die der Kirchenlehrer Hieronymus im 4. Jh. n. erstellte: Varros Gesamtwerk umfasste 74 Titel in insgesamt ca. 620 Büchern (Schriftrollen), die Mehrzahl in den fünfziger Jahren und nach 42 v. Chr. verfasst. Nur neun Bücher davon sind erhalten, und diese gehören wiederum nur zu zwei Titeln. Der Rest setzt sich aus literarischen, wörtlichen oder indirekt zitierten Fragmenten zusammen, doch ist das Meiste nur als Werktitel aus dem Katalog des Hieronymus bekannt. Die Opera Varros lassen sich in folgende Gruppen unterteilen: In Dichtung, antiquarisch-historische Werke, linguistische und literarhistorische Titel sowie in enzyklopädische und Fachschriften (Die Einteilung folgt Dahlmann [1935]18 und Sallmann [2002]). Die wichtigsten davon sind: 1.2.1 Dichtung Den Beginn in Varros literarischer Produktion markiert die Dichtung: nach Hieronymus waren es 150 Bücher mit Saturae Menippēae, die Varro in der Verbindung von Prosa und Versdichtung verfasste. Diese sind zwischen 80 und

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Einleitung

IX

67 v. Chr. entstanden; von 90 davon sind wenigstens die Titel bekannt, ca. 600 Fragmente sind in der Ausgabe von Astbury (2002) übersichtlich gesammelt. 1.2.2 Antiquarisch-historische Werke Die Geschichte der römischen Zivilisation enthielten die vier dem Atticus gewidmeten Bücher Dē vītā populī Rōmānī (nach 49 v.). Ihnen folgten ebenfalls vier Bücher Dē gente populī Rōmānī (um 43 v.), die sich wohl ebenfalls mit der Herkunft der Römer befassten, die ihrerseits mehrfach in Dē linguā Latīnā, v.a. in Buch V, gestreift wird. Das 47/46 v. Chr. entstandene (und Cäsar gewidmete) Hauptwerk sind die 41 Bücher Antīquitātēs rērum hūmānārum et dīvīnārum, eine Sammlung von zivilen und religiösen „Altertümern“ über Gebräuche und Traditionen der Römer, verfasst kurz vor Dē linguā Lātīnā.19 1.2.3 Linguistische und literaturkritische Werke Früh befasste sich Varro schon mit der Herkunft der lateinischen Buchstaben in Dē antīquitāte litterārum, gewidmet dem damals noch lebenden Tragiker Accius, der um 85 v. Chr. starb; da entwickelte und ordnete er das römische Alphabet, das er auf 16 Buchstaben reduzierte (GRF 1 f.). Vielleicht gehört dorthin auch sein beim Grammatiker Sergius 20 erhaltenes Postulat, die Bezeichnungen für nicht-dauerhaft klingende Konsonanten auf E enden zu lassen, die sēmivocālēs indes (d. h. die Benennung der Sonanten und Resonanten wie f, s und r, l, n) mit E beginnen zu lassen: So sagen wir auch heute noch „ef, el, em, en, er, es“, aber „be, de, ge, pe, te“ etc.: Das lernt jeder ABC-Schütze, ohne dahinter Varro zu vermuten. Weitere linguistische Werke lassen sich – auf dem Hintergrund von Umfang und Inhalt von Dē linguā Latīnā – eher als Vorarbeiten für Varros sprachwissenschaftliches Hauptwerk deuten; ihre Datierung ist indes unsicher: •





Dē orīgine linguae Latīnae (3 Bücher; nur 1 Fragment erhalten [GRF 3]) über den Ursprung des Lateinischen; es thematisierte wohl auch die Einflüsse des Griechischen und der italischen Sprachen auf das Lateinische. In dessen inhaltlicher Nähe ist zu vermuten Dē sermōne Latīnō (5 Bücher), einem Marcellus (dem Konsul des Jahres 50?) gewidmet, das wohl über die gesprochene (lateinische) Sprache handelte. Die beiden folgenden Titel gehören inhaltlich zusammen: Dē similitūdine verbōrum ('Die Ähnlichkeit von Wörtern'; 3 Bücher): Thema ist die Analogie, über die schon Cäsar ein (verlorenes) Werk Dē analogiā geschrieben hatte,21 und

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X

Einleitung



Dē ūtilitāte sermōnis ('Die Nützlichkeit der (Umgangs-)Sprache'; 4 Bücher): Es wird das Pendant zur Analogie behandelt haben: die Anomalie.

Der literarischen Forschung dienten weitere Schriften Varros, darunter • Dē scaenicīs orīginibus (3 Bücher, eine Geschichte des römischen Theaters), die • Quaestiōnēs Plautīnae (5 Bücher, eine Kommentierung einzelner Wörter des Plautus) und – wohl die wichtigste – • Dē comoediīs Plautīnīs: Hier dürfte Varro begründet haben, welche der vielen damals unter dem Namen des Plautus umlaufenden Komödien wirklich von Plautus stammen. Sein Ergebnis ist der Katalog der heute noch als „Plautinisch“ geltenden 21 Stücke, also eine literarhistorisch ungemein wirkungsvolle Arbeit.22 1.2.4 Enzyklopädische und Fachschriften Hebdomadēs vel dē imāginibus ist der Titel eines 15 Bücher umfassenden Großwerks (Datierung unsicher), das die Porträtzeichnungen (!) von etwa 700 bedeutenden Persönlichkeiten der griechischen und römischen Geschichte bot.23 • Die (neun) artēs līberāles (bei Varro gehörten die Architektur und Medizin dazu)24 stellte er in 9 Büchern der Disciplīnārum librī IX vor. • Ein echtes Spätwerk, verfasst nach 36 v., sind die drei Rērum rūsticārum librī, seiner Frau Fundania gewidmet, der Tochter von C. Fundanius, dem Volkstribun von 68 v. Chr.: Da konstruiert Varro – wie es Cicero in vielen seiner Schriften tat – einen aristotelischen, d. h. durch viele Lehrvorträge unterbrochenen Dialog über die Landwirtschaft, in dem er eigene Erfahrungen als Landwirt und die Fachliteratur griechischer Vorbilder verarbeitete. Dieses Werk ist als Ganzes und in relativ guter Qualität erhalten25 – weit besser als das trümmerhafte Werk über das Lateinische, von dem nur ein Viertel, und dies auch mit z. T. größeren Lücken und in schlechter Überlieferungsqualität, auf uns gekommen ist. Durch seine Dialogkomposition ist jenes indes sicher viel flüssiger lesbar (und vielleicht deshalb auch besser erhalten?) als Dē linguā Latīnā. Auch philosophische Fragen behandelte Varro; diese Werke sind allesamt verloren: • Dē philosophiā (Buchzahl unbekannt), wohl eine Darstellung philosophischer Systeme; erst nach 45 v. Chr. verfasst;26 • Dē fōrmā philosophiae (3 Bücher) und •

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Einleitung



XI

Logistōricī (76 Bücher, so der Katalog): Wohl eine Reihe von „EinzelEssays über verschiedene Lebensfragen“ (Sallmann [2002] 1140), davon sind für 18 wenigstens die Titel sicher bekannt. Verfasst wurden sie „wahrscheinlich erst nach 40“ (Dahlmann [1935] 1262). Am meisten zitiert davon ist das Büchlein Catus dē līberīs ēducandīs, das über die richtige Erziehung des (römischen) Sohnes handelt (Dahlmann a. O. 1264). 2. Kontext, Inhalt und Aufbau von Dē linguā Latīnā

2.1 Kontext Das Opus von Dē linguā Latīnā umfasste 25 Bücher, unterteilt in vier Hexaden; den 24 Büchern ging ein Einleitungsbuch voraus; dieses dürfte – ähnlich den Anfangskapiteln des ersten Buchs über die Landwirtschaft – die Widmung des Gesamtwerks an M. Tullius Cicero enthalten haben, es wird dann den Aufbau und die Zielsetzung der 25 Bücher beschrieben und endlich die von Varro verwendeten Autoren verzeichnet haben, vergleichbar den Kapiteln von rūst. 1, 7-10; das erste Buch der ca. hundert Jahre später entstandenen Nātūrālis histōria des älteren Plinius lässt ahnen, wie trocken gerade dieses erste Buch von Dē linguā Latīnā gewesen sein muss. Sicher enthielt es aber eine ausführliche Begründung des Themas, das war: eine ausführliche Gesamtdarstellung des Lateinischen zu bieten, nämlich vom Wort bis zum Satz, von seiner Geschichte bis zu seinen aktuellen Regularitäten. Ehe Varro sein Wissen und Konzept über das Lateinische in ein großes Gesamtwerk goss, hatte er schon seine Theorie der Etymologie entwickelt: Eine erste Triade, nämlich die späteren etymologischen Bücher II-IV, wohl mit dem Titel Dē orīgine verbōrum, hatte er schon Publius Septumius gewidmet (V 1), der unter ihm Quästor gewesen war (VII 109). Dass er für diese theoretische Grundlegung der Etymologie drei Bücher brauchte, lässt ahnen, wie wichtig ihm seine Theorie war; sie wird in den „praktischen“ Büchern V-VII ja erst richtig deutlich. Erst später – zwischen Sommer 4627 und spätestens gegen Ende 43 v. Chr. – vollendete Varro zumindest einen Teil des Werks und widmete es Cicero, der ungeduldig und fast ängstlich auf das opus magnum und natürlich auf die varronische Widmung gewartet hatte:28 Für den damals politisch bereits kaltgestellten Ex-Konsul konnte das nur eine öffentliche Anerkennung durch den damals berühmtesten Wissenschaftler Roms bedeuten, den sogar Cäsar nicht fallen ließ, obwohl er ja – s. o. 1.1 – im Bürgerkrieg auf Seiten des Pompeius gestanden hatte.

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XII

Einleitung

Anhand der bezeugten bzw. erschließbaren Widmungen der Werke Varros, Ciceros und Cäsars ergibt sich ein ganzes Netz von literarischen Verflechtungen Varros:29

Bis ≈ 86 v. vor. 49 v.

Accius De antīquitāte litterārum II +

Caesar Dē analogiā II

Cicero

vor. 48 v.? Pompeius? De orīgine linguae Latīnae 48v.? M. Claudius Marcellus Dē sermōne Latīnō V bis 46 v. Antīquitātēs rērum dīv. et hum. XXXXI 46v.? Postumius quaestor Dē orīgine verbōrum III 45 v. Acadēmica IV bis 43v .

Dē linguā Latīnā XXV Varro

39 v. Hebdomadēs XV 37v. Rēs rūsticae III Fundania Dē vītā populī Rōmānī vor 32 v. Atticus

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Einleitung

XIII

2.2 Inhalt und Aufbau von Dē linguā Latīnā Den Aufbau seines Gesamtwerks skizziert Varro selbst am Ende des siebten Buches. Er hat sein Opus dreigeteilt in die Bereiche Etymologie – Flexion – Syntax: VII 110 … omnis operis de lingua Latina tris feci partis – primo, quemad­ modum vocabula imposita essent rebus, secundo, quemadmodum ea in casus declinarentur, tertio, quemadmodum coniungerentur … 'Nun habe ich ja mein ganzes Werk über das Lateinische in drei Teile gefasst: Erstens, wie die Dinge mit den Wörtern benannt worden sind, zweitens, wie sie in Fälle abgeleitet werden, drittens, wie sie miteinander verbunden werden…' Die etymologischen Bücher umfassten Buch II-VII; die zweite Hexade des Gesamtwerks war der Morphologie gewidmet (VIII-XIII); von ihr sind die Bücher VIII-X erhalten, der theoretische Teil der Diskussion über Analogie und Anomalie. Es fehlen die drei Bücher, welche die konkrete Anwendung von Varros Konzept zur Morphologie enthielten. Es fehlt aber auch – mit Ausnahme weniger Fragmente – die zweite Hälfte von Dē linguā Latīnā (XIV-XXV); sie enthielt seine Darstellung der Syntax und Stilistik (coniūnctiō).30 Von den etymologischen Büchern sind die ersten drei (II-IV) verloren. Doch informiert Varro seine Leser (V 1) knapp über den Inhalt: Sie hatten Varros Theorie und seine Prinzipien der Etymologie entwickelt. Die Argumente gegen die Etymologie (von Varro gemeint ist wohl: gegen das Etymologisieren) standen in Buch II, die Argumente dafür in Buch III, während Buch IV wohl die Etymologie nach Varros Prägung beschrieb; dieses Konzept des Pro und Contra mit der folgenden Synthese zeigt spiegelbildlich die Triade VIII-X anhand des Diskurses über Analogie und Anomalie in der Sprache: Sie ist erhalten und erlaubt eine Ahnung, wie die erste Triade gestaltet gewesen sein mag.31 2.3 Anlage der etymologischen Bücher V-VII Kopisten der Antike und des frühen Mittelalters retteten wenigstens die „praktischen“ etymologischen Bücher aus Dē linguā Latīnā: die Bücher V-VII. Auch diese Triade ist äußerlich streng dreigeteilt und folgt einem außersprachlichen Prinzip: Buch V bringt überwiegend die Etymologien von Wörtern für Örtlichkeiten und Gegenstände, Buch VI für Zeiten und Tätigkeiten,32 Buch VII – was das System der logischen Einteilung zu sprengen scheint – die Etymologien aus beiden Bereichen, aber nun für Wörter aus der Dichtung. So schildert Varro selbst seine Einteilung (V 10): V 10 In hoc libro dicam de vocabulis locorum et quae in his sunt, in secundo de temporum et quae in his fiunt, in tertio de utraque re a poetis comprehensa.

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XIV

Einleitung

'In diesem (d. i. dem vorliegenden fünften) Buch möchte ich über die Wörter für Örtlichkeiten und was sich darauf befindet, schreiben; im folgenden über die Wörter für Zeiten und was in diesen geschieht, im dritten über beides gemeinsam, wie es von den Dichtern ausgedrückt worden ist.' Dieser Dreiteilung schickt er in einer Art Binnenproömium kurz nochmals seine etymologischen Prinzipien und Überlegungen voraus, als wollte er neu ansetzen und Cicero, der ja als Adressat die Bücher I und V-XXV nicht mehr mit Septumius teilen musste (und vielleicht die Bücher II-IV auch nicht gelesen hatte), in seine Gedankenwelt einführen und seine Praxis rechtfertigen. Die zweite erhaltene Triade, die Bücher VIII-X, entwickelt wiederum die theoretische Diskussion über Pro und Contra von Analogie und Anomalie in der Sprache, also im Grunde über die Regularität innerhalb der Sprache. Sie ist erhalten; ihre Ausgabe, Übersetzung und Kommentierung enthält der zweite Band dieser Varro-Ausgabe. Insgesamt stellen sich Aufbau und Erhaltung des Gesamtwerks wie folgt dar: Buch I (verloren) (wohl:) Widmung an Cicero Rechtfertigung des Werks Übersicht über das Gesamtwerk Nennung der verwendeten Literatur und der Vorbilder II-VII: Herkunft der Wörter: Etymologien II-IV (Verloren): Theorie der Etymologie II: Argumente gegen das Etymologisieren III (Drei Fragmente erhalten): Argumente für das etymologische Prinzip nach Varro IV (Ein Fragment erhalten): Beschreibung des Etymologisierens V-VII (Weitestgehend erhalten): Praxis der Etymologie V: Wörter für Orte und Gegenstände VI: Wörter für Zeiten und Tätigkeiten VII (Nur der Anfang fehlt): Wörter für Orte und Zeiten bei den Dichtern

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Einleitung

XV

VIII-XIII: Flexion und Wortbildung VIII-X (Weitgehend erhalten): Theorie der Flexion und Wortbildung VIII (Das Ende ist verloren; zwei Fragmente sind erhalten): Argumente gegen die Regelmäßigkeit IX (Nur der Anfang fehlt): Argumente für die Regelmäßigkeit X (Zweimal 3 Blätter der Vorlage und das Ende sind verloren): Darstellung der Regelmäßigkeit XI-XIII (Nur sechs Fragmente sind erhalten): Praxis der Flexion und Wortbildung XIV-XXV (Dreizehn Fragmente sind erhalten): Theorie und Praxis der Syntax. 3. Die Überlieferung von Dē linguā Latīnā Von den ursprünglich 25 Büchern des Gesamtwerks haben also immerhin sechs den Weg aus der Zeit der Papyrusrollen vom Ende der Republik bis in das Medium des mittelalterlichen Pergamentcodex überlebt.33 Doch auch an den Abschriften Varros hat wie an den Wörtern der Zahn der Zeit, die vetustās, genagt (V 5: Vetustās pauca nōn dēprāvat, multa tollit., 'Der Lauf der Zeit entstellt weniges nicht, vieles beseitigt er.'), und das mangelnde Verständnis der Kopisten hat das Erhaltene weiter entstellt: Die Abschreiber (Varro nennt sie VIII 51 und IX 106 librāriī), konnten oft genug weder alte lateinische Wörter und Formen richtig übernehmen und konnten kein oder zu wenig Griechisch; auch Varros ungewohnte Terminologie machte ihnen sicher Probleme. Was für sie aber wohl das Schwierigste war, das ist die Vermischung von Objekt- und Metasprache; diese konnten sie kaum durchschauen; auch Varros abgehackter Stil erleichterte ihnen das Verständnis sicher nicht (näher dazu s. u. Kap. 4). Zu allem Unglück hängt die Überlieferung von Dē linguā Latīnā de facto am Faden eines einzigen Codex, der um 1100 im Kloster Montecassino geschrieben wurde und Ende des 14 Jhs. in die Biblioteca Laurenziana in Florenz kam, wo er heute noch liegt;34 er ist der Codex Archetypus der weiteren Codices aus dem 14. bis 16. Jahrhundert.35 Lediglich zwei kleine Partien aus Buch V bieten unsjede für sich – eine Parallelüberlieferung (3.2). So ähnelt die Arbeit am Varrotext weitgehend einer Detektivarbeit, die nicht alle Spuren gänzlich aufdecken kann und manche Fragen offen lassen muss.36

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XVI

Einleitung

3.1 Die Codices Laurentianus LI 10: Der Codex Laurentianus LI 10 (im Folgenden: „F“) enthält auf den Folia 2-34 den Text von Dē linguā Latīnā V-X (mit Lücken), daneben den Text von Ciceros Rede Prō Cluentiō und der anonymen Rhētorica ad Herennium.37 Er ist in sog. Beneventanischer Schrift geschrieben,38 in einer sehr feinen Form, 39 und mit Sorgfalt, wie zahlreiche Korrekturen des Schreibers erkennen lassen. Die (erhaltenen) Anfänge der Bücher V, VIII und X sind mit (künstlerisch doch bescheidenen) Initialen eingeleitet, die Buchüberschriften in Unzialbuchstaben (Majuskeln) geschrieben. Auch Reste von Zwischenüberschriften sind erkennbar; sie könnten in Varros Erstausgabe durch Majuskelschrift und/oder Initialen herausgehoben worden sein. Der Codex markiert auch die Lücken, die er in seiner Vorlage schon vorfand; deren Umfang konnte der Schreiber aber genau bemessen, darum hat er auch im VII. Buch einige größere Lücken ausgespart (am Beginn des Buches, nach Kap. 23, zu Beginn des IX. Buches, im ersten Teil von Buch X und an dessen Ende) und z. T. genau auf die Zeilenlänge abgestellt; in welchem materiellen Zustand seine Vorlage war, lässt sich nicht sagen.40 Die vielen griechischen Wörter, die Varros Originaltext enthalten haben muss, sind in F meist entstellt; sie haben auch den späteren Kopisten von F und seinen Nachfolgern erhebliche Schwierigkeiten bereitet. Dieser älteste der erhaltenen Codices war sicher die Grundlage für die wesentlich späteren Handschriften, die heute helfen, die Lücke zu schließen, welche der frühneuzeitliche Verlust eines ganzen Bogens von V 118 bis VI 61 gerissen hat. Der Status von F als Codex Archetypus ist alleine dadurch schon erwiesen, dass von den späteren Codices keiner die Lücken schließen kann, die schon im Codex F explizit vermerkt waren oder die durch Auslassung deutlich sichtbar und von philologischer Seite erschließbar sind; auch haben die jüngeren Handschriften die vielen Hunderte Textverderbnisse und evidenten Fehler, die in F enthalten sind, fast unverändert übernommen. Die Textverbesserungen der einzelnen codices recentiores, vor allem des Codex Vallicellianus D 49.3 (s. u.), sind allesamt durch Konjekturen intelligenter und philologisch gebildeter Kopisten erklärbar; freilich haben auch diese ihrerseits Fehler gemacht.41 Die philologische Kunst und Erfahrung der späteren Herausgeber hat weitaus mehr Fehler ausgemerzt, als die Fülle der jüngeren Handschriften beseitigen konnte; sie stieß und stößt aber oft genug an Grenzen. Von den knapp 70 weiteren Handschriften42 sind nach übereinstimmender Einschätzung der Herausgeber des letzten Jahrhunderts folgende mit Abstand die besten und wurden auch für diese Ausgabe in Kopien bzw. Mikrofilmen

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Anmerkungen

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herangezogen; für die Lücke von F (V 118-VI 61) sind sie ja der unverzichtbare Ersatz,43 doch ist die folgende Handschrift Nr. 1 in ihrem Wert erst seit Marc van Rooijs Entdeckung von 1987 erfasst: 1.

2.

3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11.

12.

13.

Die älteste Abschrift von F ist der Codex Vallicellianus D. 49.3, geschrieben kurz nach 1392 von Coluccio Salutati, hier notiert mit „Vall.“,44 in der Biblioteca Vallicelliana (Rom) verwahrt; stellenweise ist er wie ein Zwilling von F, enthält Lesefehler, v. a. aus der Beneventana, er bietet aber auch zahlreiche Verbesserungen von F. Er war eine wesentliche Quelle für die Editio princeps des Pomponius Laetus von 1471; kurz danach wurde geschrieben der Laurentianus LI 5, von den Herausgebern mit „f“ bezeichnet, 1427 in Florenz geschrieben und wie F in der Florentiner Biblioteca Laurenziana verwahrt; f ist eine sehr saubere Kopie von F, doch hat er zahlreiche Lücken bei den griechischen Wörtern und archaisiert in der Schrift; Parisinus 7489, „a“ (jetzt in der Bibliothèque Nationale de Paris, aus dem 15. Jh.), Havniensis „H“ (Kopenhagen, 15. Jh.), mit ihm Gothanus „G“ (Gotha, 16. Jh.), gemeinsam mit H aus der gleichen Vorlage stammend; Vindobonensis „V“ (Wien, 15. Jh.), Basiliensis F IV 13 „p“ (Basel, 15. Jh.), aus der gleichen Vorlage wie V stammend oder direkt von V kopiert; Vaticanus Latinus 1556 „α“ (Vatikan, 15. Jh.), Guelferbytanus 896 „M“ (Wolfenbüttel, 15. Jh.), Escurialensis g-III-20 „E“ (Madrid, 15. Jh.), wie der Guelferbytanus eine Abschrift von Vall. Der angeblich verlorene „Codex Turnebi“ wurde von Turnebus wohl in der Mitte des 16. Jhs. eingesehen und in dessen Emendationes (postum 1566) eingearbeitet, es handelte sich dabei wohl noch um F, nicht um einen weiteren ominösen Codex; einen ebenfalls verlorenen Codex „B“ mit etlichen Verbesserungen gegenüber F hat Antonius Augustinus für seine Ausgabe von 1554 (2. Auflage Rom 1557) verwendet; er erscheint nicht weiter identifizierbar. Nahezu den Wert einer eigenen Handschrift haben die Lesungen aus F, die 1521 Jacobus Diacetius in die (jetzt in München verwahrte) Editio princeps des Pomponius Laetus (1471) gründlich eingearbeitet hat. Petrus Victorius hat sie mit weiteren Korrekturen und philologischen Anmerkungen angereichert; die Blätter aus F von V 118 bis VI 61 sind also erst danach verloren gegangen.45

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Einleitung

Die Kollationierung des Diacetius ist bedeutsam für die Lücke von V 118-VI 61, ihre Übereinstimmung mit f wird in dieser Ausgabe als „F°“ vermerkt,46 die Übereinstimmung zwischen f, Fv und dem Vallicellianus als „*F“. 3.2 Parallelüberlieferungen 3.2.1 Priscian, Dē figūrīs numerōrum 15 f. (zu V 169-174) Der spätantike Grammatiker Priscian (2. H. 5./Anfang 6. Jh. n. Chr.) überliefert in seinem Büchlein De figūrīs numerōrum quōs antīquissimī habent cōdicēs einen langen Ausschnitt aus V 169-174 über die Bezeichnungen für die römischen Münzen, den er wörtlich aus einer verlorenen Vorlage Varros abgeschrieben hat. Er bietet die älteste längere Parallelüberlieferung zu Dē linguā Latīnā, mit wenigen Abweichungen vom Text des Codex F; doch lassen sich Priscian und F auf eine noch ältere, gemeinsame Fassung zurückführen. 3.2.2 Fragmentum Casinense („Frg. Cas.“; zu V 41-56) Einen Auszug aus Varros Etymologien über die Bezeichnungen für Orte, nämlich die komplette Ausführung zu den römischen Stadtteilen, vom Kapitol bis zu den Tribus, bietet eine Handschrift aus Montecassino, wohl noch im 11. Jh. vom Diakon Petrus in karolingischen Minuskeln geschrieben; sie ist der Codex Archetypus der Abhandlung des Sextus Julius Frontinus Dē aquaeductū urbis Rōmae und enthält auf knapp 1½ Pergamentseiten die genannte Passage Varros, mit kleinen Kürzungen, die sich als Anpassung an die Bedürfnisse der Leser des Frontinus erklären lassen, und auch einigen Ungenauigkeiten. GötzSchöll ([1910] XII f.) betrachten dieses Fragment – wie schon Keil (1847)47 – als Abschrift von F, während Collart in seiner Ausgabe des V. Buches von Dē linguā Latīnā (1954, XXXIV) die Frage nach der Quelle des Fragments als „très délicate“ bezeichnet; Hernández (1998) 70 hält es noch für eine direkte Abschrift aus F. Leonhard Spengel (1854) und Adolf Groth (1880) sehen das Casinenser Fragment als vom Laurentianus F unabhängige Parallelüberlieferung; dafür gibt es trotz der Ungenauigkeiten des Diakons Petrus starke Indizien: Die Abweichungen des Fragmentum Casinense vom Codex F sind so erheblich, dass man die dort aufzufindenden Textverbesserungen nicht einfach als Abschrift von F erklären kann. Vielmehr muss man sie als (wenngleich nicht fehlerfreie) Abschrift aus F*, der Vorlage von F, sehen. Im textkritischen Apparat unserer Ausgabe sind die wesentlichen Unterschiede zwischen F und dem Fragment dargestellt, soweit sie wirkliche Verbesserungen beinhalten; im Varrotext selbst sind sie berücksichtigt.48

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3.2.3 Zitate Winzige Parallelüberlieferungen stellen die Zitate aus anderen Autoren dar – wie aus dem von Varro reich verwendeten Plautus –, soweit sie freilich nicht singuläre Belege sind, sondern auch anderweitig gesichert überliefert sind, z. B. die beiden Verse 191 f. aus der Aululāria (bei Varro in V 14): Virginem habeō grandem, dōte cassam atque inlocābilem / neque eam queō locāre cuiquam.49 Die dichterischen Zitate Varros werden naturgemäß in Buch VII überreichlich, das ja die Etymologien von Wörtern der Dichter zum Gegenstand hat.50 Sie ziehen sich wie ein roter Faden durch alle etymologischen Bücher und zeigen, dass Varro jedenfalls in den etymologischen Büchern auf einer intensiven Belegung und Verwendung (alt-)lateinischer Texte fußt. Das würzt seine ansonsten doch recht trockene linguistische Abhandlung immer wieder. Etliche Abweichungen zwischen dem Varrotext und den außerhalb Varros belegten Zitaten lassen vermuten, dass er einiges aus dem Gedächtnis zitiert und dabei leicht verändert hat, z. B. in V 14 und VI 82 (Ennius), er könnte aber auch bei Plautus einen anderen Text verwendet haben als den uns überlieferten.51 Andere Passagen, in denen Varro altlateinische Quellen zitiert, sind außerhalb Varros meist nicht belegt: Dazu gehören die umfangreichen, aber in F recht fehlerhaft überlieferten Auszüge aus dem Zeremonialbuch der Argäer (sacrāria Argēōrum)52 in V 47-54, der Beginn der Annālēs des Ennius in VII 19, v. a. die berühmten Ausschnitte aus dem uralten Carmen Saliāre (VII 26 f.); sie tragen damit zur Textverbesserung wenig bei. 3.2.4 Stemma zur Varroüberlieferung Eine Darstellung sämtlicher bekannter Handschriften und ihrer Abhängig­ keiten ist weiterhin ein Desiderat und muss einer umfassenden Varroausgabe vorbehalten bleiben, die Giorgio Piras (Rom) für die Editio Teubneriana plant.53 Die folgende Skizze kann daher nur als Annäherung an ein endgültiges Stemma gelten:54

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Einleitung







α

Priscian, Dē numerīs (V 169-174)

(Original Varros) β

F* F Frg. Cas. (V 41-56) Vall. (ca. 1392)

f

x (?)

Fv (1521)

y (?) M

E



G H

a

V

b ??? Laetus (1471/1474?)

p

3.3 Wirkung und Fortleben Die Wirkung von Varros Dē linguā Latīnā auf seine Nachwelt ist schwer zu fassen: Der Schriftenkatalog des Hieronymus kennt immerhin sogar eine Kurzfassung (Epitomā linguae Latīnae) in 9 Büchern – ein Schicksal, das auch die Antīquitātēs (s. o. 1.2.2) in ebenfalls 9 und die Hebdomadēs (1.2.4) in immerhin 4 Büchern teilten. Es muss also in der gelehrten und/oder historisch interessierten Leserwelt Roms eine Nachfrage nach diesen Sachbüchern gegeben haben. Welche Teile aus Dē linguā Latīnā nun wiederum in der o. g. Epitome behandelt waren (zu denken wäre an eine Drittel-Kürzung der drei Teile Etymologie, Morphologie und Syntax in jeweils 2 + 2 + 4 Büchern mit einem Einleitungsbuch), ist nicht klärbar. Von den ca. 460 Varro-Fragmenten aus der Sammlung Funaiolis (GRF S. 190-471) entfallen nur 27 explizit auf Dē linguā Latīnā, also nur 6 %. Allerdings darf angenommen werden: Ein nicht geringer Teil der alphabetisch sortierten Exzerpte, die im 8. Jh. der Diakon Paulus in Monte Cassino aus dem Werk Dē significātiōne verbōrum des Pompeius Festus machte (das war eine „alphabetische Realenzyklopädie“55 des 2. Jhs. n. Chr.), geht direkt oder indirekt auf Varro zurück; doch nennen Festus bzw. wiederum seine Quellen Varro nicht explizit, anders als z. B. die Grammatiker Charisius (7 Fragmente)

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bzw. Diomedes oder Priscian (je 2 Fragmente); er bzw. sie haben ihn eher als Steinbruch für ihre Materialsammlung verwendet. Dem Buntschriftsteller Aulus Gellius (Mitte 2. Jh. n. Chr.) lag Dē linguā Latīnā noch ganz vor, auf ihn gehen immerhin drei z. T. längere Fragmente, zwei davon mit wörtlichen Zitaten, zurück.56 In seinem großen Lob Varros erwähnt der Kirchenlehrer Augustinus, der sich in Dē cīvitāte Deī intensiv mit Varros Antīquitātēs – aus christlicher Sicht – auseinandersetzte, Varros Dē linguā Latīnā mit keinem Wort.57 Waren es Zufälle der Überlieferung, war es das gesunkene Interesse eines kaiserzeitlichen und später christlichen Leserpublikums, das am Bild einer vergangenen Epoche – wie Varro es aufzeichnete – kein Interesse mehr hatte? 4. Sprache und Stil Varros Möglicherweise haben auch Sprache und Stil Varros dazu beigetragen, dass sein linguistisches opus magnum58 so schlecht überliefert wurde. Der große Latinist Eduard Norden beklagte sich in seinem Werk über die antike Kunstprosa,59 „daß dies größte Werk über die lateinische Sprache in dem schlechtesten lateinischen Stil geschrieben ist, den irgendein Prosawerk zeigt; im ganzen genommen kann man überhaupt kaum von einem Stil sprechen: es sind roh aufeinander getürmte Steinblöcke, die von vielen modernen Kritikern, weil sie keinen klaren Einblick in die Arbeitsweise und den Stil Varros haben, noch immer viel zu viel ineinandergefügt und poliert werden.“ Auch wenn der Varroforscher Dahlmann60 diese Kritik etwas zurechtrückt: Die Leser und Schreiber der Antike, die wohl eher an Ciceros flüssigen Stil und seinen durchkonstruierten Satzbau gewöhnt waren, mussten sich an seiner Sprache reiben.61 Das hatte mehrere Gründe. Die wichtigsten sind diese: 1. Zum einen mischen sich in Dē linguā Latīnā ständig Objekt- und Metasprache, bis hin zur teilweisen Unverständlichkeit. Dies geht so weit, dass an vielen Stellen nicht mehr entscheidbar ist, ob der Autor von der Ausdrucksseite oder der Inhaltsseite spricht, von Wörtern oder Dingen.62 Gerade in Syntagmata wie A dictum est ab B oder – knapper – A ab B greifen beide Entitäten untrennbar ineinander, wenn der Ausdruck (ein Substantiv oder Verbum), der hinter B steht, nicht deutlich abgesetzt, sondern im Ablativ angeschlossen ist. Das kann die Übersetzung nur mühsam und oft nur zum Teil auflösen. Ein Beispiel aus Buch V – zu den Etymologien über die Bezeichnung der Getreidesorten:

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V 106 Hordeum ab horrido. Triticum, quod tritum e spicis. Far a faciendo, quod in pistrino fit. Hordeum, Gerste, vom Rauen (sc. der Grannen), horridum. Trīticum, Weizen, weil er aus Ähren gemahlen worden ist, trītum. Far, Dinkel, vom Machen, facere, weil er in der Mühle hergestellt wird. Eine der Ursachen für die Vermischung (in der Übersetzung wird sie teilweise aufgelöst) liegt darin, dass Zeichen wie „Gänsefüßchen“ in den Handschriften fehlen.63 Dadurch wird der Ausdruck des Etymons – hier das Adjektiv horridus – auf die Bedeutungsebene, die intensionale Ebene, verschoben. Varro macht ja im Grunde zwei Aussagen, die sich überlagern: a) Das Subst. hordeum kommt vom Adjektiv horridus. b) Die Gerste, lat. hordeum, ist so benannt, weil ihre Grannen rau sind. Das verkürzt zwar den metasprachlichen Aufwand im Rahmen des etymologischen Texts, reduziert aber die Klarheit der Darstellung.64 2.

3.

Dann sind seine Sätze, je dichter die Etymologien aufeinander folgen, elliptisch und lassen die geforderten Formen von esse oder andere erwartbare Verben einfach aus. Zudem liebt er den Gebrauch von Präpositionalverbindungen, was seinen Stil hart klingen lässt.

Ein Beispiel aus V 21; die zweite Version versucht, den Stil des Beispiels zu „glätten“: Die Auffüllung von Ellipsen ist durch Klammern markiert, die Mischung von Objekt- und Metasprache in der deutschen Übersetzung kursiv gedruckt, die Präpositionalkonstruktion propter limitare iter ist durch einen Gliedsatz ersetzt und durch Fettdruck hervorgehoben. V 21 Terra dicta ab eo, ut Aelius scribit, quod teritur. Itaque TERA in augurum libris scripta cum R uno... Hinc fines agrorum termini, quod eae partis propter limitare iter maxime teruntur; itaque hoc cum IS in Latio aliquot locis dicitur, ut apud Accium, non terminus, sed termen. Hoc Graeci quod τέρμονα; pote vel illinc. Terra, die Erde, ist so benannt, weil sie, wie Aelius schreibt, gerieben wird, teritur. Daher ist sie in den Büchern der Auguren mit nur einem R „TERA“ geschrieben… Daher heißen die Feldgrenzen terminī, weil diese Teile wegen des Grenzwegs am meisten berieben werden, teruntur; und so wird dieser in Latium an einigen Orten auf -is gebildet, wie bei Accius: nicht terminus, sondern termen. Dazu sagen die Griechen τέρμων; vielleicht kommt es auch daher…

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Terra ab eo dicta , quod, ut Aelius scribit, teritur. Itaque in augurum libris TERA scripta cum uno R.… Hinc fines agrorum termini , quod eae partis maxime teruntur, quippe cum limitem agrorum definiant. Termini aliquot locis Latii non terminus, sed termen Hoc Graeci τέρμων . Fortasse < termini > nomen vel illinc … Das Ergebnis zeigt: Der Textumfang würde dadurch massiv aufgebläht, ohne dass der Inhalt sich änderte. Aus dieser fachsprachlichen Gebundenheit erklärt sich auch der abgehackte Nominalstil Varros; doch ein Vergleich mit den ersten Zeilen des Lemmas „terra“ aus Walde-Hofmanns lateinischem etymologischem Wörterbuch65 zeigt eher, dass Varro noch wortreich war: terra, -ae f. (tera 'in augurum libris' Varro ling. 5,21 ist archaische Schreibung) (seit Liv. Andr., Enn., Plaut., Cato; vgl. Terra Māter, Niedermann Mnemos. III 2, 1935, 37 ff. 161 ff.), terreus, -a, -um „irden“ (Varro, rom.), davon mediterreus = mediterrāneus Sisenna, Paul. Fest. P. 123, subterreus Arnob. ... Ansonsten weist der Stil Varros manche Eigentümlichkeiten auf, die den Kopisten wohl ebenfalls Probleme bereiteten; drei Merkmale sollen genügen: - Das Subjekt steht, v. a. in Nebensätzen, nicht selten am Satzende, was gelegentlich nach Verschriftung eines mündlichen Diktats klingt: V 157 … quod regnum occupare voluit is. 'Weil der die Königsherrschaft beanspruchen wollte.'66 - Substantiv und Attribut werden oft durch andere Satzteile getrennt und das Genitivattribut vorangestellt: V 13 Saepe enim ad limitem arboris radices sub vicini prodierunt segetem. 'Denn oft reichen die Wurzeln eines Baumes, der an der Grenze steht, unter die Saat des Nachbarn.'67 - Er trennt nur gelegentlich zwischen Objekt- und Metasprache deutlich: Seine häufigste Konstruktion, mit der er ein Wort A auf ein Etymon B zurückführt, lautet: „A ab B“, dabei wird das an der Position von B stehende Wort regelmäßig im Ablativ flektiert, s. oben hordeum (A) ab horrido (B); steht als B ein Verbum, so erscheint dies meist als Gerund, z. B. in VI 43: cogitare a cogendo dictum (Cōgitāre, denken, ist vom Zusammenbringen, cōgere, benannt.). Dies geht so weit, dass er sogar einmal ein offensichtliches Suffix flektiert (VI 176): Ab eōdem -mentō intertrīmentum ('Mit dem gleichen -mentum ist intertrīmentum … gebildet').

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- Selten belässt Varro das an Position B stehende Verbum im Infinitiv, z. B. VI 55 Ab eodem verbo „fari“ etc. ('Vom gleichen Wort fārī, etc.).68 Oft verwendet er in den Syntagmata A ab B Substantiva der u-Deklination anstelle der häufigen Gerund-Konstruktion, z. B: V 135 Iugum et iumentum ab iunctu. Iugum, Joch, und iūmentum, Zugvieh, von iūnctus, ihrer Verbindung. - Gar nicht selten bildet Varro diese Substantiva für seine Zwecke neu; das musste die Kopisten irritieren und führte in der Überlieferung zu völliger Entstellung oder Streichung des Ausdrucks, der das Etymon bezeichnen sollte, wie in der folgenden Stelle das Subst. lutus, Gen. lutūs, 'Auflösen': V 79 Lutra, quod succidere dicitur arborum radices in ripa atque eas dissolvere, ab < lutu > lutra.69 Weil der Otter, lutra – wie man sagt – die Baumwurzeln am Ufer fällt und sie auflöst, dis-solvere, heißt er lutra vom Auflösen, lutus. An einer Stelle lassen sich Spuren dafür finden, dass der Varrotext auch textkritische Zeichen enthielt, nämlich in VII 31 anlässlich der Etymologie von adagiō 'Sprichwort': Dort hat das rekonstruierbare Strichlein, das der Etymologe dreimal für die Markierung der Präposition amb(i) - 'um – herum' verwendet hat, jeweils das betreffende Wort entstellt. Auch damit waren die Kopisten sicher überfordert – ähnlich wie mit den über fünfzig neuen und nur bei Varro belegten Wörtern, die der Etymologe für seine Zwecke ganz neu erfunden hat; meist werden sie in den modernen lat. Lexika daher gar nicht aufgeführt. 5. Varros etymologische Theorie und Praxis Wie auch immer der Stilist Cicero Varros 25 Bücher über das Lateinische wirklich beurteilt haben mag (falls er denn alles gelesen haben sollte): Den Anfang des V. Buches, das „Binnenproömium“, wohl auch jenen des VII. Buches, dürfte er doch intensiv studiert haben. Denn dort erläutert Varro die Prinzipien und Grundvorstellungen, die seinem praktischen Etymologisieren zugrunde liegen. Warum dort so ausführlich, wenn doch die Bücher II-IV eigentlich der Ort waren, wo Varro sich über seine Gedanken und sein Verfahren breit auslassen konnte? Der Grund ist darin zu suchen: Cicero war zwar das Ganze gewidmet, neu waren aber allenfalls die Bücher V bis XXV; mit einem neuen Anfang der etymologischen Bücher, vor allem des Buches V, konnte Varro ihm eine besondere Reverenz erweisen: Der Leser des Jahres 44 (?) und damit auch Cicero konnte ja gewissermaßen auch erst mit dem etymologisch sicher interessante(re)n Buch V einsteigen, wenn er Wesentliches über den Ursprung des Lateinischen und seiner Wörter – und über Varros Konzept erfahren wollte.

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Die etymologische Theorie Varros lässt sich indes – unabhängig von den kurzen Proömien zu den Büchern V und VII – auch indirekt aus seiner Praxis rekonstruieren. An dieser Stelle soll beides kurz zusammengeführt werden.70 5.1 Grundgedanken Varros zur Etymologie Die Etymologie als Disziplin ist – auch für die moderne Linguistik – die Wissenschaft, die ursprüngliche Form und Bedeutung von Wörtern zum Zeitpunkt ihrer Bildung zu erforschen. Dieser Ansatz findet sich im Grunde auch bei Varro. Für ihn lassen sich folgende Grundgedanken bzw. Ansätze aus seinen grammatischen Aussagen und seinem Verfahren erschließen, allerdings mit deutlichen Einschränkungen und Besonderheiten: (1) Etymologie ist für Varro die Suche nach dem Ursprung der Wörter: orīgō verbōrum (so der Titel zu V; VI 1). (2) Die lateinischen Wörter haben ihre Quelle: (2.1) in der Urzeit: Ein (anonymer) lateinischer Sprachschöpfer und Wortbildner (rēx Latīnus: V 971 bzw. impositor V 18; VII 1,2) benannte die Dinge. Diese wurden also originär durch einen Willensakt eines Individuums benannt (wörtlich: vocābula essent imposita rēbus V 1 f.), sie sind also θέσει, durch eine Setzung, und nicht von Natur aus, φύσει, entstanden.72 (2.2) Sie können unabhängig vom lateinischen impositor ihre Wurzeln (rādīcēs) auch in anderen Sprachen haben, v. a. im Griechischen,73 aber auch in der Sprache der Sabiner74 oder gar der Etrusker: Sie sind aus diesen Sprachen dēclināta, abgeleitet.75 (3.) Es gibt im Lateinischen Grundwörter (prīmigenia: VI 36 f.), die von keinem anderen Wort abgeleitet sind, wie z. B. legō, scrībō, stō, sedeō (VI 37). Die Zahl dieser Grundwörter ist stark begrenzt.76 Manche Wörter lassen sich daher in regelrechten Ableitungsketten auf ein Ur-Wort zurückführen, z. B. opus → ops → oppidum V 141. (4) Auf die Wörter der Urzeit hat die vetustās, der Lauf der Zeit, gewirkt, die alles – auch die materiellen Dinge der Außenwelt – verändert:

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V 5 Vetustas pauca non depravat, multa tollit. Der Lauf der Zeit entstellt weniges nicht, vieles beseitigt er. So sind manche Wörter im Laufe der Zeit verschwunden, manche haben ihre Form verändert, andere ihre Bedeutung (V 3). 5.2 Bewertung seines Ansatzes Im Grunde erkennt Varro also zwei Kräfte, welche auf den Wortschatz des Lateinischen zum Zeitpunkt der Mitte des 1. Jhs. v. Chr. gewirkt haben: die Diachronie und die Interferenz. Über die Kenntnis von Lautgesetzen und ihrer (vermuteten) Ausnahmslosigkeit, wie sie erst im 19. Jh. die Junggrammatiker entdeckten, und die Erkenntnis einer historischen Sprachverwandtschaft (z. B. des Lateinischen mit dem Sabellischen77 als Ur-Italisch, mit dem Griechischen als (Spät-)UrIndoeuropäisch), verfügte er nicht. Wie konnte er diesem Defizit, das er als solches ja nicht verspüren konnte, begegnen? Dass sein Vorhaben schwierig sei und er in ein Dunkel, obscūrum, und Finsternis, tenebrae, vorstoßen müsse, und dass er damit Neuland betreten würde, sagt er ja ausdrücklich zu Beginn des V. Buches: V 3 Quae ideo sunt obscuriora… V 5 Non mediocres enim tenebrae in silva ubi haec captanda neque eo, quo pervenire volumus, semitae tritae, neque non in tramitibus quaedam obiecta quae euntem retinere possent. V 3 Diese Dinge liegen deshalb ziemlich im Dunkeln… V 5 Denn nicht normale Finsternis herrscht in dem Wald, wo man dies fangen muss, und es gibt dorthin, wohin wir kommen wollen, auch keine ausgetretenen Pfade, und auf den Pfaden liegt durchaus auch einiges im Wege, was einen beim Gehen zurückhalten kann. 5.3 Varros etymologische Praxis In den beiden Kapiteln V 7 und V 8 stellt Varro die etymologische Praxis auf vier Erklärungsstufen dar, quattuor explanandi gradus:78 V 7 Infimus quo populus etiam venit: quis enim non videt unde cretifodinae et viocurus? Secundus, quo grammatica escendit antiqua, quae ostendit, quemadmodum quodque poeta finxerit verbum, quod confinxerit, quod declinarit; hic Pacui „rudentum sibilus“, hic „incurvicervicum pecus“, hic „clamide clupeat bracchium.“

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V 8 Tertius gradus, quo philosophia ascendens pervenit atque ea quae in consuetudine communi essent, aperire coepit, ut a quo dictum esset oppidum, vicus, via. Quartus, ubi est adytum et initia regis: quo si non perveniam < ad > scientiam (oder: perveniam scientiā?), at opinionem aucupabor, quod etiam in salute nostra nonnunquam facit cum aegrotamus, medicus. V 7 Die unterste ist die, wohin auch das Volk kommt: Wer sähe nämlich nicht, woher crētifodīnae, Kreidegruben, und viocūrus, Straßenpfleger, kommt? Die zweite ist die, wohin die alte Grammatik hinaufsteigt, die zeigt, auf welche Weise ein Dichter ein jedes Wort gebildet hat, was er zusammengesetzt, was er abgeleitet hat, z. B. bei Pacuvius: rudentum sībilus, der Taue Zischen, incurvicervicum pecus, das krummnackige Vieh, und clamide clupeat bracchium, mit dem Mantel schildet er den Arm. V 8 Die dritte Stufe ist die, wohin die Philosophie in ihrem Aufsteigen gelangt und begonnen hat, das aufzuklären, was im allgemeinen Sprachgebrauch ist, wie z. B. woher oppidum, Kleinstadt, vīcus, Dorf, und via, Straße, kommen. Die vierte ist die, wo das Allerheiligste und die Mysterien des Königs liegen: Wenn ich dorthin nicht zum Wissen (oder: durch Wissen[schaft]?) gelange, will ich doch eine Vermutung erhaschen, was auch manchmal bei unserer Gesundheit der Arzt macht, wenn wir krank sind. Mit dem Gegensatz zwischen scientia und opīniō (denen in V 10 die Prädikate invēnerim und opīner entsprechen werden) erklärt Varro wohl seine beiden spezifischen Verfahren: historisch-antiquarische Forschung durch Aufspüren alter Wortformen oder Quellen, daneben die Bildung von Hypothesen über die sonst erschließbare Herkunft bzw. frühere Lautgestalt von Wörtern. Etymologien der einfachsten, untersten Stufe behandelt Varro im Grunde nicht. Die „grammatische“ Etymologie der zweiten Stufe streift er nur dann, wenn er poetische Wörter auf seine individuelle Weise erklärt, doch nicht im Stile eines griechischen Grammatikers wie Aristophanes von Byzanz (s. u.), sondern als Etymologe Varro. Bei den poētica verba, die er bei Dichtern fand, geht es ihm vielmehr darum, die darin enthaltenen antīqua verba herauszufiltern und sie zu erklären: Denn die cōnsuētūdō der Dichter ist – wie seine Textbelege von Ennius über Plautus bis zu Accius zeigen – älteren Datums und hatte für ihn eine erhöhte Autorität, z. B.:79

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Einleitung

VII 22 Pacuvi: „Liqui in Aegeo fretu.” Dictum fretum ab similitudine ferventis aquae, quod in fretum saepe concurrat aestus atque effervescat. Von Pacuvius: „In der ägäischen Brandung (fretus) habe ich (ihn/sie) zurückgelassen.“ Fretum, Brandung, ist benannt von der Ähnlichkeit mit dem Aufwallen, fervēns, des Wassers, weil die Flut oft in die Brandung zusammenläuft und aufwallt, ef-fervēscat. Anspruchsvoller ist für ihn die Etymologie der Wörter des allgemeinen Sprachgebrauchs. Oft erfordert deren Deutung intellektuellen Spürsinn und eine nicht triviale Erklärung, wie das Beispiel des schon in V 8 genannten oppidum zeigt: V 141: Oppidum ab opi dictum quod munitur opis causa, ubi sint, et quod opus est ad vitam gerendam ubi habeant tuto. Oppidum, Stadt, ist von ops, Hilfe, benannt, weil sie um der Hilfe, ops, willen befestigt wird, um dort zu leben, und weil es für die Lebensführung nötig ist, opus est, einen sicheren Wohnplatz zu haben. Varro leitet also oppidum (verfehlt) aus ops her und – was vorher in V 64 artikuliert wird – ops wiederum aus opus: V 64: Terra Ops, quod hic omne opus et hac opus ad vivendum. Die Erde ist Ops, weil hier alle Arbeit, opus, steckt und man sie zum Leben braucht, opus (sc. est). Beide Etymologien gründen auf intensivem Nachdenken über das Wesen der Dinge und erfüllen das Kriterium der „philosophischen“ dritten Stufe, für die Varro als Autorität ja den Stoiker Kleanthes beansprucht (V 9). Aber wie geht Varro genau vor, d. h. welche Überlegungen bewegen ihn, zwei Wörter in einen etymologischen Zusammenhang zu bringen? Welche linguistischen Methoden wendet er dabei an, welche fachsprachlichen (metasprachlichen) Ausdrücke setzt er dabei ein? Folgende Schritte scheinen ihn geleitet zu haben: 1. Die Lautähnlichkeit zwischen A, dem zu untersuchenden Wort, und dem Etymon B, auf das er A zurückführt, wie oben z. B. oppidum und op(u)s. 2. Zwischen A und B postuliert er einen sachlichen, semantischen Zusammenhang, hier: zwischen der Stadt und der Schutzfunktion bzw. der Hilfe zur Lebensbewältigung, die sie ihren Bewohnern bietet. 3. Den lautlichen Zusammenhang zwischen A und B schafft er:

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Einleitung

XXIX

a) Unkommentiert wie in: V 116 Galea ab galero quod multi usi antiqui. Galea, Lederhelm, von galērus, Kappe, den viele Alten getragen haben. b) Mit einer expliziten Begründung: VI 4 Meridies ab eo, quod medius dies. D antiqui, non R in hoc dicebant, ut Praeneste incisum in solario vidi. Merīdiēs, Mittag, heißt daher so, weil er die Mitte des Tages ist, medius diēs. In diesem Wort sagten die Alten D, nicht R, wie ich in Praeneste in eine Sonnenuhr eingehauen gesehen habe. c) Durch Zwischenschaltung einer Konstruktform (näher dazu u. 5.4): V 116 … ab omine pilum, qui hostis periret, ut perilum. Das pīlum ist von seiner Vorbedeutung benannt, aus perīlum, weil mit ihm der Feind umkommen soll, perīret. 4.

Wenn sich für den Etymologen mehrere Möglichkeiten anbieten, stellt er manchmal beide nebeneinander, zitiert Autoritäten und/oder stellt eine Plausibilitätshierarchie auf, z. B. bei caelum 'Himmel'; bei diesem für ihn wichtigen Wort argumentiert er sehr aufwändig:

V 18 Caelum dictum scribit Aelius, quod est caelatum, aut contrario nomine, celatum, quod apertum est; non: male, quod posteriora multo potius a caelo quam caelum a caelando. Sed non minus illud alterum de celando ab eo potuit dici quod interdiu celatur, quam quod noctu non celatur. V 19 Omnino ego magis puto a chao choum cavum et hinc caelum… V 18 Caelum, Himmel, heißt so, schreibt Aelius, weil er caelātum, herausgetrieben ist, oder – vom Gegensatz her benannt – cēlatum, verborgen, weil er (sc. eigentlich ja) offen ist; nein: schlecht (erklärt)! Denn das Letztere kommt viel eher von caelum, Himmel, als dass caelum von caelāre, (sc. mit dem Meißel, caelum, aus Metall) Heraustreiben, kommt. Aber nicht weniger gut hätte jene zweite Erklärung von ihm (dem Himmel) gesagt werden können, weil er sich manchmal verbirgt, cēlatur, als deswegen, weil er sich nachts nicht verbirgt. V 19 Überhaupt, glaube ich, kommen eher von chaos, leerer Raum, die Höhlung, choum, und cavum, hohl, und daher caelum, Himmel…

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XXX 5.

Einleitung

Erklärungsschwerpunkt für Varro sind die komplexen Wörter, also z. B. oppidum versus ops; Suffixe expliziert er nur in einem greifbaren Fall anlässlich der Et. von inter-trī-mentum 'Verlust', und da lässt sich das „Suffix“ nur durch philologische Textrekonstruktion gewinnen:

V 176 Detrimentum a detritu, quod ea, quae trita, minoris pretii. Ab eodem -mento80 intertrimentum ab eo, quod duo, quae inter se trita, et deminuta. Dētrīmentum, Nachteil, kommt vom Abrieb, dētrītus, weil das, was abgerieben wurde, trīta, weniger wert ist. Mit dem gleichen -mentum ist intertrīmentum, Verlust gebildet, davon, weil zwei Dinge, die sich aneinander gerieben haben, inter sē trīta, auch weniger geworden sind. Überhaupt geht Varro mit dem Hinterglied von Wörtern sehr großzügig um: Die moderne latinistische Linguistik hat eine systematische Aufstellung der nominalen Suffixe vorgenommen und sie den jeweiligen Deklinationsklassen zugeordnet: Manu Leumanns Lateinische Laut- und Formenlehre (München 1977) z. B. behandelt auf über fünfzig Seiten die Suffixe der o- und a-Deklination (286-342), de Melo (2019) stellt im ersten Band seiner Varroausgabe die derivational suffixes unter indogermanistischen Gesichtspunkten (123-126) zusammen. Ähnliches – auch im Ansatz – lässt Varro selbst vermissen. Klassische Ableitungen wie V 135 arātrum 'Pflug' von arāre 'pflügen' oder (V 134) sarculum 'Hacke' von sarere 'hacken' stehen bei ihm neben abenteuerlich wirkenden Beziehungen: V 137 leitet er die Sicheln, falcēs, von far 'Dinkel' ab und postuliert einen Lautwandel (litterā commutātā): Daraus lässt sich ein (varronisches) Suffix -k-s für die konsonantische bzw. i-Deklination erschließen, das es lat. nicht gab, ähnlich z. B. V 138 trapetēs 'Ölmühlen' von ter-ere, auch dies ein varronisches Suffix -pet-, noch krasser bei der Herleitung von tesca 'freies Land' in VII 11 aus tu-esca oder VII 7 templum aus tu-emplum: Da hat offensichtlich das Interesse des Etymologen über die produktiven oder historisch fassbaren Regeln der lat. Wortbildung gesiegt. Dass seine Reflexion durchaus für ihn philosophischen Anspruch hat, zeigt seine Bemerkung, wo er sich zumindest auf die Ebene des stoischen Philosophen Kleanthes (von Assos) stellt: V 9 Quodsi summum gradum non attigero, tamen secundum praeteribo, quod non solum ad Aristophanis lucernam, sed etiam ad Cleanthis lucubravi.

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Einleitung

XXXI

Wenn ich aber die höchste Stufe nicht erreiche, will ich doch die zweite übergehen, weil ich nicht nur beim Licht eines Aristophanes, sondern auch bei jenem des Kleanthes gearbeitet habe. 6.

Der Weg zur Urform von Wörtern.

Doch begnügt sich Varro nicht mit den geschilderten Verfahren: Er will ja den Willen des Sprachschöpfers ergründen. Dafür verwendet er Hilfsmittel, adminicula, weil der Lauf der Zeit bei vielen Wörtern die ursprüngliche Gestalt verdunkelt hat, die er mit der voluntās impositōris gleichsetzt: VII 1 … ut verbum quod conditum est, e quibus litteris oportet, inde post – aliqua dempta – sic obscurior fit voluntas impositoris. … wie ein Wort, das aus den richtigen Buchstaben gebildet ist, wie es sich gehört: Nimmt man aber einen davon weg, so wird später verdunkelt, was der Sprachschöpfer gewollt hat. Dieses Hilfsmittel heißt für Varro: den Lautwandel rückgängig zu machen, den ein Wort im Laufe der Zeit erfahren hat: VII 1 Non reprehendendum igitur in illis, qui in scrutando verbo litteram adiciunt aut demunt, quo facilius, quid sub ea voce subsit, videri possit. Daher darf man bei diesen Dingen diejenigen nicht kritisieren, die bei der Untersuchung eines Wortes einen Buchstaben hinzufügen oder wegnehmen, damit man leichter ersehen kann, was dieser Lautform (vōx) zugrundeliegt. Varro wendet also das Verfahren der linguistischen Rekonstruktion an,81 wie am Beispiel der Etymologie von cervus 'Hirsch' deutlich wird:82 V 101 Cervi, quod magna cornua gerunt, gervi, G in C mutavit ut in multis. Cervī, Hirsche, kommen, weil sie große Geweihe tragen, gerunt, aus gervī. G wurde zu C wie bei vielen Wörtern. Das Wort gervī – das es ansonsten im Lateinischen nicht gibt – hat Varro rekonstruiert. Vergleichsbasis für einen Wandel von g > c (er spricht von multa, vielen Wörtern) waren für ihn offenbar die zahlreichen Fälle der Verbalflexion: legere → PPP lēctus, regere → rēctus usw.: Deren Gesetzmäßigkeit83 hat er zwar nicht durchschaut; er nimmt aber die (innerlateinische) beobachtbare synchrone Alternanz als Ansatzpunkt für die etymologische Erklärung und – hier sogar – echter Rekonstruktion; über 40 Etymologien Varros sind von dieser Art,84 oft eingeleitet mit einem ut, z. B.:

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Einleitung

V 178 Praeda est ab hostibus capta, quod manu parta, ut parida praeda. Praeda, Beute, wurde von den Feinden erbeutet; weil sie mit der Hand gewonnen wurde, parta, heißt sie praeda, aus *parida. 5.4 Zur Struktur der varronischen Rekonstrukte Seine Rekonstrukte dienen nicht nur dazu, eine Wortform etymologisch transparent zu machen, sondern auch, ihre historische Form wiederherzustellen, die durch Lautwandel verunklart worden sei. Die Rekonstrukte – oft durch das kleine Translativ ut eingeführt – haben Folgendes gemeinsam: Sie sind – von der Beleglage her – Hapax legomena, d. h. sie erscheinen in keinem anderen Text außerhalb Varros, mit Ausnahme späterer Sammler wie Festus, die wiederum aus Varro geschöpft haben. - Sie sind als Ableitungen bzw. Komposita von einem (bzw. zwei) Etyma gebildet und - zeigen – in der Regel im Vorderglied – die (varronische) Wurzel des Etymons, oft mit einem Fugenvokal -i-. - Im Hinterglied weisen sie in der Regel ein Suffix auf, das Varro aber nicht thematisiert.85 Dieses Suffix erscheint oft willkürlich gewählt und ist im Lateinischen oft auch sonst nicht belegt. Damit vermeidet es Varro freilich, einen etymologischen Z u s a m m e n h a n g auf der Basis von nur einem einzigen Laut herzustellen, sondern er greift wenigstens auf eine Silbe (des Etymons) zurück, die meist aus der Kombination von Vokal + Konsonant besteht. Gerade Wortpaare wie templum / tesca und rutrum / raster, die Varro jeweils aus einem gleichen Etymon ableitet (tu-ērī bzw. ru-ere), zeigen sein Bemühen deutlich. Dafür einige Beispiele:

Textstelle

Explicandum

Etymon

Rekonstrukt

Lautwandel

V 96

armenta

ar-āre

arimenta

I tertia littera extrita

V 133

pallia

pār

parīlia

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R exclusum propter levitatem

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XXXIII

Einleitung

Textstelle

Explicandum

Etymon

Rekonstrukt

Lautwandel

V 114

tunica

tu-ērī

ut tuendica

VII 6

templum

tu-ērī

tuemplum

primo tuemplum dictum

VII 11

tesca

tu-ērī

tuesca

Tesca … tuesca dicta

VI 49

memoria

manēre + morārī

mani-moria

V 108

cāseus

coāctum

ut coāxeus dictus

VII 31

adagiō

ambi

amb-agiō

V 134

rutrum

ruere

ruitrum

littera commutata

Mit dem rekonstruktiven Verfahren entgeht er der bei Cicero greifbaren Kritik von Zeitgenossen, die gerade an der stoischen Methode der Etymologie geäußert wurde. Während Varro noch an Dē linguā Latīnā schrieb, verfasste Cicero seinen Dialog Dē nāturā deōrum, dessen drei Bücher etwa im Frühjahr 44 v. Chr. abgeschlossen waren.86 Dort hatte Balbus die stoische Etymologie vorgestellt, darunter befand sich die Herleitung des Götternamens Neptūnus von nāre 'schwimmen' (II 66). Doch der Akademiker Cotta spottet darüber:87 Cic. nat. III 62: Quamquam, quoniam Neptunum a nando appellatum putas, nullum erit nomen, quod non possis una littera explicare, unde ductum sit; in quo quidem magis tu mihi natare visus es quam ipse Neptunus. Doch da du meinst, Neptūnus sei von nāre, schwimmen, benannt, wird es keinen Namen geben, bei dem du nicht mit Hilfe eines einzigen Buchstabens erläutern kannst, woher er benannt ist; hierbei scheinst du mir freilich mehr zu schwimmen als Neptunus selbst.

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XXXIV

Einleitung

5.5 Die historisch-antiquarische Methode Nun arbeitet Varro ja auch wissenschaftlich (scientia in V 8) als Historiker und Antiquar und findet Belege für Altes (vgl. invēnerim V 10). So kann er sich alter Wortformen bedienen, die er entdeckt hat, wie bei merīdiēs 'Mittag': VI 4 Meridies ab eo, quod medius dies. D antiqui, non R in hoc dicebant, ut Praeneste in incisum in solario vidi. Merīdiēs, Mittag, weil er die Mitte des Tages ist, medius diēs. Die Alten sagten dabei ein D, nicht R, wie ich in Praeneste in einer Sonnenuhr eingehauen gesehen habe. Er fand auch in augurum librīs (V 21) mit der Form tera eine Schreibung von terra mit nur einem einzigen R (cum R uno) und nahm sie als Ansatz bzw. Bestätigung dafür, dass ter(r)a von ter-ere 'reiben' komme. Dass bis etwa zur Mitte des 2. Jhs. v. Chr. die Doppelkonsonanz in lateinischen Texten generell noch nicht geschrieben wurde, 88 war ihm offensichtlich unbekannt. Das Rekurrieren auf alte Formen allein führte also bei Varro, wie das Beispiel terra zeigt, nicht unbedingt zur richtigen Etymologie. Aber Varro wusste auch von Regelmäßigkeiten, was alte Schreibformen oder Sprachschichten betraf; zwei durch Textkritik gewonnene Beobachtungen stützen diese These: 1. 2.

Die Schreibung von Langvokal [i:] bei Ennius und die Schreibung von klass.-lat. G und C bei den „Alten“ (antīquī).

Zu 1) In VI 61 erläutert Varro die Et. von lat. dīcō 'sage' und leitet das Verbum aus griech. δεικνύω her:89 VI 61 Dico originem habet Graecam, quod Graeci δεικνύειν. Hinc Ennius: „deico” cum EI. Dīcō, sage, hat einen griechischen Ursprung, weil die Griechen δεικνύω sagen. Daher heißt es bei Ennius: „deicō“, ich sage, mit einem EI (sc. geschrieben). Er hatte also beobachtet, dass bei Ennius (sicher nicht nur in den Formen von dīcere) ein EI dort stand, wo zu seiner Zeit nur ein I geschrieben wurde. Er war sich dieses Umstands auch so sehr bewusst, dass er sie zur Stütze seiner Et. dieses wichtigen Verbs machte.

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Einleitung

XXXV

Zu 2) In V 64 erklärt er die Et. des Götternamens Cerēs – mit Hilfe eines Enniuszitats:90 V 64 Quae (sc. Ceres) „dat cibaria”, ut ait Ennius, quae, „quod gerit fruges, Ceres.“ Antiquis enim quod nunc et , idem. Sie „bringt die Lebensmittel“, wie Ennius sagt, sie, „heißt Cerēs, weil sie die Früchte bringt, gerit.“ Denn für die Alten war das, was jetzt als C und G (geschrieben wird), dasselbe. Varro wusste also – aus seiner Kenntnis von alten, offiziellen Inschriften und Texten –, dass bei den „Alten“ (diesen Begriff spezifiziert er nicht weiter) nicht zwischen (der Schreibung von) G und C unterschieden wurde – eine richtige Aussage, die von der modernen Latinistik gestützt wird (Leumann 9 f.). Auch diese Erkenntnis wertete er für seine Et. aus – freilich im Falle von Cerēs in falscher Weise: Er konnte ja nicht wissen, dass Cerēs mit griech. κορέννυμι 'sättige' auf eine idg. Wurzel *kerH- zurückzuführen ist (vgl. de Melo 823). Beide Fälle (VI 61 und V 64) zeigen aber: Varro wusste von alten Sprachbzw. Schreibzuständen, die über mehr als nur einen Einzelfall – wie bei MEDIDIES (VI 4) und TERA (V 21) – hinausgingen. Ob diese MehrfachErscheinungen, auf die ihn zumindest das Studium der Enniustexte führte, für ihn den Status einer Regel hatten, lässt sich nicht sagen. Jedenfalls hatte er damit eine breite Basis gewonnen, auf die er weitere Aussagen aufbauen konnte. Wo er keine alten Wortformen fand, grub er aber doch in alten – und für uns durchaus raren – Texten wie z. B. dem Text der Argiver (sacra Argēōrum) in V 45-54, den Commentāriī Cōnsulārēs in VI 88, zitierte die Spruchformel des Augur auf der Arx von Rom (VII 8) oder das uralte Carmen Saliāre, das Lied der Salierpriester, in seiner ältesten Form (VII 26) : Dies ermöglichte es ihm als Historiker und Antiquar, frühere Zustände der vergangenen römischen Welt zu zeichnen – nicht nur, um Belege für seine Wortforschung zu gewinnen.91 Für uns sind diese Texte als Belege der altrömischen Kultur, fast nur durch Varro erhalten, ungemein wertvoll; für Varro hatten sie einen anderen Wert: Mit beiden Methoden – der Rekonstruktion und der historisch-antiquarischen Forschung – besteigt er ja die vierte und höchste Stufe (quārtus gradus) der Etymologie und kommt mit diesem vertikalen Ansatz, der den Lauf der Zeit, die vetustās, rückgängig macht, der Zeit der ursprünglichen impositiō eines Wortes näher oder erreicht sie gar:

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XXXVI

Einleitung

V 9 Non … videbatur consentaneum quaerere me in eo verbo, quod finxisset Ennius, causam, neglegere, quod ante rex Latinus finxisset, cum poeticis multis verbis magis delecter quam utar, antiquis magis utar quam delecter. Es schien mir … nicht stimmig, zwar den Grund bei dem Wort zu suchen, das Ennius gebildet hat, aber das zu vernachlässigen, das vorher der lateinische König gebildet hat, da ich mich an den dichterischen Wörtern mehr erfreue, als sie zu benutzen, die alten aber mehr benutze, als mich daran zu erfreuen. Zu diesem linguistischen Bemühen, in die Zeit der ursprünglichen Bildung eines Wortes zurückzustoßen, gesellt sich noch ein weiteres: Etliche Stellen von Dē linguā Latīnā enthalten v. a. in Buch V auch nichtlinguistische Aussagen über das frühere Rom, z. B. Varros Bemerkungen über • • • • •

frühere Gebräuche beim Militär (V 89 ff. und 116 f.), die Entwicklung von Einrichtungsgegenständen und Haushaltsgefäßen (V 118 f. und V 126), die älteren Kleidungsstücke (V 132 f.), die Anlage von Städten mit Mauern (V 141 ff.), die früheren Baumbepflanzungen bzw. Parks von Rom, die durch Überbauung weitgehend verschwunden waren und sich nur mehr in Ortsbezeichnungen erhalten hatten (V 49, 51, 152).

Im Grunde fügen sich diese kulturgeschichtlichen Beschreibungen und Varros etymologisches Forschen in ein Gesamtbild: Varro wollte das frühere Rom und seine Entwicklung bis in seine Zeit re-konstruieren: Die f r ü h e r e We l t R o m s u n d seiner Sprache. Dieser Ansatz zieht sich wie ein roter Faden sowohl durch Dē linguā Latīnā als auch durch die unmittelbar vorher veröffentlichen Antīquitātēs: Varro war sich sowohl des Wandels der römischen Welt als auch des Wandels der Sprache Roms bewusst.92 5.6 Wert der varronischen Etymologien Vor allem mit seiner Methode der historischen Rekonstruktion beschreitet Varro neue Wege; das verrät seine Aussage über das Nichtvorhandensein von sēmitae trītae, ausgetretenen Pfaden in V 5, s. oben. Peter Kuhlmann (2015) 231 spricht gar vom „Sonderfall Varro“. Was bedeutet das für uns?

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Einleitung

XXXVII

Die Etymologien Varros bringen der heutigen Sprachwissenschaft primär eine Erkenntnis darüber, wie er linguistisch vorgegangen ist, sie sind aber nicht als etymologisches Handbuch verwendbar.93 So ist Dē linguā Latīnā für die Linguistik ein wissenschaftsgeschichtliches Dokument.94 Die moderne historische Sprachwissenschaft verfügt ja durch Sprachvergleich und Erforschung der Lautgesetzlichkeit über andere Instrumente und kommt eher in wenigen Fällen auf ähnliche Ergebnisse wie Varro, wie z. B. bei seiner Etymologie von ager: V 34 Ager dictus in quam terram quid agebant, et unde quid agebant fructus causa; alii, quod id Graeci dicunt ἀγρόν. Ager, Gebiet/Feld, heißt jenes Terrain, wohin man etwas trieb, agēbant, und woher man etwas führte, agēbant, um des Fruchtertrags willen. Manche sagen, es heiße so, weil die Griechen dazu ἀγρός sagen. Dazu – in der texttypischen Knappheit – zum Vergleich der Artikel aus Walde-Hofmanns „Lateinisches etymologisches Wörterbuch“ (1938) 22 (Auszug): ager, -rī m. „Acker, Feld, Flur“ … : = u. ager „ager”, ai. ájraḫ „Fläche, Flur, Gefilde“, gr. ἀγρός „Feld, Land, Acker“, got. akrs, ahd. ackar, ahhar, nhd. Acker…, arm. art „Acker“…, idg. *aĝ-ro-s „Trift“: agō … Interessant sind Varros Etymologien freilich besonders dort, wo er alte Texte zitiert: Z. B. MEDIDIES VI 4 oder die alte Abkürzung SVC zum pāgus Succūsānus (V 48), und wo er frühere Zustände der römischen Welt beschreibt, die uns aus anderen Quellen nicht oder nicht in diesem Maße zugänglich wären. Das betrifft z. B. seine Erklärung zu den römischen Triben (tribūs) in V 55 f., das betrifft die Beschreibung der Heiligtümer, die bei den Sacra Argēōrum (einer Art Prozession) Stationen darstellten (V 50-54), oder wenn er (VI 89-94) anlässlich der Etymologie von accēnsus 'Amtsbote' und inlicium 'Zusammenrufung' Prozessbräuche beschreibt und aus amtlichen Texten zitiert. Wissenschafts- und literaturgeschichtlich besonders bedeutsam ist aber sein (wohl individueller) Anspruch, durch Rekonstruktion in die Zeit der Wortschöpfung vorzudringen: Das ist sein Weg auf den quārtus gradus etymologiae; den Aufstieg auf den quārtus gradus dignitātis, nämlich zum Konsulat, hat er (anders als Cicero) wohl nie angestrebt – er war ja, so formuliert es Dahlmann (1935) 1176, eine „unpolitische Natur“.96

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XXXVIII

Einleitung

Varros Leser haben, vor allem in der post-klassischen Periode, sein etymologisches Werk intensiv ausgeschlachtet, oft ohne seine Autorschaft zu nennen; sein Einfluss auf die Späteren ist massiv, auch wenn sie seinen historisch-antiquarischen Ansatz und seine rekonstruktive Methode oft nicht durchschaut haben dürften: Womöglich wurden die „theoretischen“ Bücher IIIV ja kaum gelesen.97 Über allen linguistischen Irrtümern, denen Varro als Kind seiner Zeit und seiner begrenzten methodischen Möglichkeiten unterliegen musste, und bei aller Sprödigkeit seiner Sprache bleibt doch noch ein anderer Wert von Dē linguā Latīnā festzuhalten: In den etymologischen Büchern V-VII gibt Varro seinem Leser eine Art sprachlichen Führer durch das alte Rom an die Hand, der uns durch die politische Geschichte, Mythen, Religionsgeschichte, Topographie, Gebräuche und Literatur Roms bis zum Ende der Republik führt. Varros Dē linguā Latīnā offenbart oft unterhaltsame, immer aber interessante Zugänge zum Geistes- und Alltagsleben Roms: so, wie Varro es sah – und wie er es vielleicht auch (als Konservativer) gerne wieder gehabt hätte.98 5.7 Varros Einteilung des Stoffes Während die et. Handbücher der Neuzeit ihre Lemmata alphabetisch einteilen, ist Varro anders vorgegangen: Er gliedert sie nach den Designata, den Dingen der Welt und ihren Begriffen, konkreten wie abstrakten; das wird besonders deutlich in den Büchern V und VI; auch Buch VII, das vornehmlich die verba poētica zum Gegenstand hat, folgt ähnlicher Einteilung.99 Die Grundkategorien für die Stoffgliederung sind Ort und Zeit; sie bestimmen die Inhalte von Buch V bzw. VI. Innerhalb dieser Bereiche findet sich wiederum ein Ordnungskriterium, das zunächst philosophischer Art ist:100 Die Dichotomie von Himmel und Erde (V 17-20 versus V 21-56) zieht sich wie ein roter Faden durch das ganze V. Buch. Bei den beobachtbaren Dingen im Raum z. B. (V 57183) behandelt Varro erst die Bezeichnungen der Gottheiten (für die es in Rom ja sichtbare Tempel gab) und ihrer Wirkungsbereiche (V 57-74), denen die Welt der Sterblichen sich anschließt, auch hier beginnend mit dem Über-Irdischen, den Lufttieren (V 75-76), dann erst folgen die Wassertiere und Landwesen incl. der Früchte (V 77-104).

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Einleitung

XXXIX

Erst die Ordnung der Etymologien für Dinge der konkreten römischen Welt scheint sich praktischen Gesichtspunkten unterzuordnen: Kleidung (113 f.), Waffen (115 ff.), Haushaltsgeräte und Mobiliar (118-129), landwirtschaftliche Geräte und Transportmittel (134-140), schließlich Gebäudlichkeiten und die Teile Roms (141-168); Geld und Geldwirtschaft schließen die Etymologien des V. Buches ab. So konnte Varro seinen – im Grunde nahezu uferlosen – Stoff grob ordnen und auch seinem Leser eine Orientierung geben; die Ungenießbarkeit der (spät) antiken Etymologika hat er damit vermieden.101 Dabei gerät ihm freilich nicht alles ganz systematisch: So unterbricht er die Behandlung der Kleidungsstücke in Buch V (113 f. und 130-133) durch die Kapitel über Waffen (115 ff.), Haushaltsgeräte und Mobiliar (118-129), auch vermissten wohl die antiken Leser die inhaltlichen Übergänge: So folgt z. B. auf die Zwiebel abrupt die Wolle: V 112 f. Das alles dürfte aber dem Unterhaltungs- und Informationswert seiner etymologischen Darstellung kaum Abbruch getan haben – oder tun. 6. Zur Edition 6.1 Grundsätze Die folgende Ausgabe fußt auf den wichtigsten Handschriften, s. 3.1, und geht, mit Ausnahme der großen Lücke von V 118-VI 61 und den beiden kleinen Parallelüberlieferungen (ebd.), primär vom Text des Laurentianus LI 10 aus. Daneben wurden die restlichen Handschriften, vor allem der prächtige Codex Vallicellianus, herangezogen und die Ausgaben der Humanisten und der auf Leonhard Spengel folgenden Philologen intensiv konsultiert. Wir haben in dieser Ausgabe allerdings den Lesungen von F und Vall. mehr vertraut, als die meisten Editoren es getan haben. Die Subjunktion cum 'als, da, wenn' und die Pronominalformen cuius und cui stehen so mit c- in den erhaltenen Partien von F, auch im sorgfältigen Text des Vallicellianus und weiterer guter Handschriften. Die Formen quom bzw. quoius / quoi, welche in den archaisierenden Codices f, G, H und a vorherrschen, wurden daher auch in der großen Lücke von F nicht als Norm übernommen. Sie müssen freilich im originalen Varrotext gestanden haben, wie vereinzelte Stellen (VII 4, 9, 28, 42 und 98) erkennbar machen. Der Langvokal [i:] wurde nur an jenen Stellen mit graphisch < ei > wiedergegeben, wo es von der Textkritik gefordert war, anders, als es z. B. Augustinus in seiner Ausgabe (1557) tat.102

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XL

Einleitung

Im textkritischen Apparat sind die wichtigsten Korrekturen incl. der bekannten Lücken vermerkt; Unterschiede wie Groß- und Kleinschreibung, die Interpunktion von F oder die ungemein häufige Schreibung des Diphthongs bzw. des Graphems < ae > durch e bzw. ẹ wurden mit wenigen Ausnahmen nicht in den Apparat aufgenommen, um diesen nicht aufzublähen; so ist auch schon die umfassende Ausgabe von Götz-Schöll (1910) verfahren. Die Schreibung von konsonantischem [ṷ] haben wir – wie Götz-Schöll – durch graphematisches < v > wiedergegeben; anstelle von nichil hat nihil den Vorzug erhalten, was Varro in IX 53 ja aus ne + hilum erklärt. Für die große Lücke V 118-VI 61 sind im Wesentlichen die Lesungen des Vallicellianus, des Laurentianus LI 5 („f“) und die Kollationierung von Diacetius und Victorius („Fv“) als Basis gewählt; einzelne Abweichungen anderer Handschriften werden vermerkt, soweit sie bedeutsam erschienen, um den Apparat nicht aufzublähen. Gelegentlich erscheinen in F (bzw. F°) Abkürzungen bzw. lassen sich textkritisch für die Vorlage(n) von F postulieren. Sie sind beibehalten bzw. aufgenommen, da sie vielleicht auf Varro selbst zurückgehen. Der originale Varrotext enthielt diakritische Zeichen zur internen Trennung von Wörtern, wie aus seiner Etymologie von ambegna VII 31 hervorgeht. Wo sie auch sonst erkennbar bzw. postulierbar waren, wurden sie daher auch andernorts in den Text aufgenommen. Die intensive Beschäftigung mit dem Text ergab auch, dass Varro weit häufiger, als es die Kopisten (und Hrsgg.) gesehen haben, zur Herleitung eines Etymons Substantive der u-Deklination, verbunden mit der Präposition ā bzw. ab plus Ablativ, gebrauchte, s. o. Kap. 4. Einen Teil dieser Verbalabstrakta hat er, wie es scheint, neu gebildet; ihre Restitution ermöglichte zahlreiche, minimale Eingriffe in den überlieferten Text. 6.2 Textänderungen dieser Ausgabe Diese Ausgabe enthält zahlreiche, wie wir hoffen, echte Verbesserungen des überlieferten Texts und weicht daher auch von den Gesamtausgaben von Kent (1938) und de Melo (2019), der weitgehend an Kent anknüpft, sowie von den Einzelausgaben von Collart (1954) zu Buch V, Riganti (1978) und Flobert (1985) zu Buch VI und wiederum Flobert (2019) zu Buch VII z. T. deutlich ab. Diese werden im textkritischen Apparat jeweils mit „scripsi“ vermerkt; wo wir vermuten, dass der ursprüngliche Varrotext eine andere Fassung

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Einleitung

XLI

gehabt haben könnte, zeigt dies der Apparat an: durch „suspicor“ bzw. die Fragepartikel „an…?“. 7. Zur Übersetzung Die Übersetzung versucht, einen flüssigen Text zu bieten, der die Härte und exzessive Elliptik Varros vermeidet; sein Stil war nicht zu imitieren. Die Trennung zwischen Objekt- und Metasprache wird durch den Einsatz des Kursivdrucks für Elemente der Ausdrucksebene verdeutlicht; wo Varro beide Ebenen eng miteinander verflicht wie z. B. beim oben (4.) genannten Beispiel aus V 106 Hordeum ab horrido. … Far a faciendo, erscheint daher der Nominativ des Etymons bzw. der Infinitiv statt des Gerundiums, also: Hordeum … vom Rauen, horridum…. Far, Spelt, vom Machen, facere… Insofern lässt die Übersetzung teilweise eine Trennung aufscheinen, die das lat. Original mit seiner Vermischung beider Ebenen nicht enthält. Die deutschen Bedeutungen werden im Übersetzungsteil in Kommata abgesetzt, Vokallängen sind im Übersetzungsteil angegeben, wie es auch die Ausgabe von de Melo (2019) tut.

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Einleitung

Anmerkungen

1 Vgl. auch die Einleitung zu Band II. 2 Prägnante, neue Einführung zu Varro: Burkhart Cardauns, Marcus Terentius Varro. Einführung in sein Werk, Heidelberg 2001. Umfassende Darstellung von Leben und Werk Varros: Dahlmann (1935), chronologische Übersicht über die Lebensstationen: Hernández (2000), 9 ff. Ausführlich: Della Corte (1970). 3 NP 1, 174. 4 Dē ōrātōre I 193. 5 Zu Varros Beziehung zu Antiochus: Blank (2012), mit differenzierter Betrachtung der möglichen Einflüsse des Lehrers auf den Schüler, v. a. 279-289. 6 Erschließbar nur aus der an Varro gerichteten Formulierung in rūst. III 12,7 … quod in Hispaniā annīs ita fuistī multīs, ut inde tē cuniculōs persecūtōs crēdam. 'Weil du so viele Jahre in Spanien verbracht hast, dass ich glaube, von dort sind dir die Kaninchen gefolgt.' 7 Baier (1997) 22: „Am wahrscheinlichsten ist es, daß Varro den Triumvirat sehr wohl angegriffen hat, sich aber dann schnell mit der neuen Situation abfand und ein politisches Amt übernahm.“ 8 Suet. Iul. 44,3. 9 Bezeichnend die Äußerung des Brutus in einem Brief an Cicero vom 5. Mai 43 (fam. XI 10,5): Nōn, sī Varrōnis thēnsaurōs habērem, subsistere sumptuī possem. 'Auch wenn ich die Schätze eines Varro hätte, könnte ich den Aufwand (sc. für den Unterhalt der sieben Legionen) nicht finanzieren.' 10 Dahlmann (1935) 1178, vgl. Gellius III 10, 17. 11 Plin. Nāt. VII 115. 12 Plastische Übersicht in: Sallmann (2002) 1135-1138. 13 Cic. ad Att. XIII 18,2. 14 Quint. īnst. X 1, 95. 15 Terentianus Maurus, Dē metrīs: GLK VI 409. 16 Aug. cīv. VI 2. 17 Skydsgaards Urteil, das er auf die Rēs rūsticae bezieht, trifft sicher auf Varro ingesamt zu: „Varro was in great haste … Varro was an extremely quick writer” ([1968] 91). Das Schreib- und Arbeitstempo Varros war enorm, der Preis waren Flüchtigkeiten und Ungereimtheiten, die sich in Dē linguā Latīnā immer wieder finden lassen. 18 S. Anm. 2. 19 Zu den inhaltlichen und methodischen Parallelen zwischen den Antīquitātēs und Dē linguā Latīnā: Katharina Volk (2019). 20 Sergius expl. in Don. 520, 18. 21 Die 31 Fragmente bei GRF S. 146-157.

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Sammlung der Fragmente der sog. „außervarronischen“ plautinischen Stücke: Aragosti (2009), dort auch (S. 43-47) eine ausführlichere Darstellung der literarkritischen Werke Varros. Vollendet erst nach Beginn der 12. Hebdomade seines Lebens, also nach 39 v. Chr.: Gellius III 10,17. NP 1, 62 f. s. v. „Artes liberales“. Neue Ausgabe: Flach (2006), Analyse von Buch I: Skydsgaard (1968). Wahrscheinlich war dieses Werk eines der 76 Bücher Logistōricī, wohl erst nach 40 verfasst: Dahlmann (1935) 1261 f. und Tarver (1997) 145-161. Das erste fassbare Datum enthält die Stelle V 100 anlässlich der Etymologie der Giraffe: Camēlus suō nōmine Syriacō in Latium vēnit, ut Alexandrēa camēlopardālis nūper adducta…. 'Das Kamel ist mit seinem syrischen Namen nach Latium gekommen, wie die Giraffe, camēlopardālis, die neulich aus Alexandria hergebracht worden ist...' Varro dürfte die Giraffe beim Triumphzug Cäsars vom Spätsommer 46 gesehen haben (Cäsar kehrte am 25. Juli nach Rom zurück). Wie weit das Zeitadverb nūper 'neulich' – noch dazu aus der Zeitperspektive eines Siebzigjährigen – zurückreicht, wird aus dem Kontext nicht klar; es kommt in Dē linguā Latīnā nur an dieser Stelle vor. Terminus ante quem ist Ciceros Tod (7.12.43); da Cicero, der ein erbitterter Gegner des Marcus Antonius war, nach der Ermächtigung der Triumvirn durch die lēx Titia (27.11.43) auf die Proskriptionslisten gesetzt wurde, wird man die Fertigstellung und Übersendung (d. h. Widmung) des Werks noch einige Wochen früher ansetzen müssen. Zur Zeitgeschichte: Sommer (2013) 539-545. Ciceros Ungeduld über die zögerliche Arbeitsweise Varros verrät eine Bemerkung in den Acadēmicī I 1,2, die er dem Atticus in den Mund legt: Silent enim diūtius Mūsae Varrōnis, quam solēbant. '… denn die Musen Varros schweigen länger als gewöhnlich'. Umgekehrt wünschte sich auch Varro eine Widmung Ciceros; er erhielt sie in Form der Acadēmicī librī – zudem machte ihn Cicero zu einem der Dialogpartner in deren zweiter Auflage, die in Teilen erhalten ist. Mit der Widmung an Varro hatte Cicero freilich seine Schwierigkeiten (Baier [1997] 23), wie seine Briefe an Atticus zeigen (v. a. ad Att. XIII 25,3). Widmung und Entstehungsgeschichte von Dē linguā Latīnā hat umfassend Barwick (1957) dargestellt; Rösch-Binde (2001) erwägt wie Ax (1995) auch die Möglichkeit einer Edition nach Varros (!) Tod, hält aber „eine eindeutige Lösung … so gut wie unmöglich“ (S. 227). Die vielen Flüchtigkeiten in Dē linguā Latīnā, die sich stilistisch und inhaltlich durch alle erhaltenen Bücher ziehen, und die einheitliche Bezeichnung der Fragmente auch der späteren, verlorenen Bücher mit „Varrō ad Cicerōnem“ (Zusammenstellung: Rösch-Binde [2001] 228 ff.), legen eine Veröffentlichung des Gesamtwerks, dem eine gründliche Endredaktion freilich fehlte, noch vor Ciceros Tod nahe; so auch Collart (1954) XII; auch Hernández (1998) 34 hält eine Fertigstellung noch 43 v. Chr. für denkbar. Quellen: Dahlmann (1932) und Cardauns (2001) passim. Klaus Sallmann ([2002] 1133) vermutet, dass der syntaktische Teil in Bücherpaaren angelegt war und – analog zu Varros Einteilung der etymologischen Bücher – die Anwendung der syntaktischen Prinzipien auf die rēs (XX/XXI), dann die tempora (XXII/XXIII) und schließlich auf die Praxis der Dichter (XXIV-XXV) enthielt. Die vier bei Funaioli (1907) gesammelten Fragmente 20-23 aus Dē linguā Latīnā, die eindeutig den Büchern XIV-XXV zugewiesen werden können, geben aber diese Detailplanung nicht her.

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Das erhaltene Fragment 1 aus Buch III von Dē linguā Latīnā, s. zu Beginn des Textteils, lässt darauf schließen, dass auch diese erste Triade als disputātiō in utramque partem konzipiert war: Die Bücher VIII -X sind also von ihrer Architektur und Intention von der (ersten) etymologischen Triade nicht zu trennen (gegen Ax [1995], der dieses wichtige Fragment ausgeblendet hat) und lassen jedenfalls die erste Hälfte des Gesamtwerks als Einheit erscheinen. Dieses gesamte Prinzip der Stoffdarstellung bzw. Gliederung könnte auf Varros Lehrer Antiochus zurückgehen (Blank [2012] 288 f.). Die Aufteilung in Örtlichkeiten und Zeiten entspricht der Anlage von Varros Antīquitātēs – sowohl der Rērum hūmānārum als auch der Rērum dīvīnārum: Cardauns (2001) 50-54, sie war also in den Antīquitātēs gewissermaßen als Ordnungsprinzip schon angelegt. Hernández (1998) 69 hält zwei Stationen von Vorläufern von F für fassbar: darunter eine, die um die Mitte des 1. Jahrtausends im Schrifttyp der „Capitalis Rustica“ gehalten war (dazu NP 6, 259 ff.; Battelli [1949] 67-71 nennt sie „Capitale corsiva“); in diesem Typ dürfte die letzte Version des Werks auf Papyrus geschrieben worden sein. Viele Fehler in Dē linguā Latīnā lassen sich damit erklären. Zu Indizien, dass die erhaltenen sechs Bücher u. U. auf zwei verschiedene Teilausgaben (V-VII vs. VIII-X) zurückreichen, s. die Einleitung zu Teil II, 1.1. Newton (1999) 201; 266; Beschreibung des Codex: 281 ff. und 345 f. So auch zuletzt Flobert (2019) in seiner Ausgabe des VII. Buches von Dē linguā Latīnā p. XIX, der allerdings den Vallicellianus kaum berücksichtigt. L. Spengel (1854) 450: „… man wird zugeben müssen, dass die ersten drei Bücher (d. i. V–VII, Verf.) zu den schwierigsten gehören, was die lateinische Literatur aufzuweisen hat.“ Nach Adamik (1998) wohl aus den 50er Jahren v. Chr.: NP 10, 958. Beschreibung der „Beneventana“: Newton (1999) passim und Loew (1980). Newton 266 bezeichnet sie als „Fine Script“. Einige Hinweise deuten indes darauf hin, dass die Vorlage von F, hier als „F*“ bezeichnet, ebenfalls in Beneventanischer Schrift verfasst war: z. B. der Lesefehler von * ā tribus → āctibus V 35, die falsche Wiedergabe der Abkürzung ūa (= uerba) als ut z. B. in VI 2 und VI 62 und die (falsche) Wiedergabe von crētifodīnae (V 7) als aretofodīnae, deren Heilung nur minimale Eingriffe in den überlieferten Text von F erfordert. In der Beneventana ist die Schreibung von < t > im Wortinneren ja oft nicht von < a > oder < c > zu unterscheiden. Näher dazu Götz-Schöll (1910) XIV-XXX; L. Spengel (1854) 449: „Die Autorität des Florentinus ist gleich einem uralten Palimpsestus so hoch gestellt, dass alles auffallende zu halten und zu erklären gesucht wird.“ Zusammenstellung von 47 davon bei Götz-Schöll (1910) XXX-XXXV. Nach Giorgio Piras (2007/8) sind es ingesamt aber ca. 70 Handschriften. Eine vollständige Erfassung aller erhaltenen Handschriften, auch der „deteriores“ (Götz-Schöll XXXII f.) incl. eines umfassenden Stemmas, bleibt ein Desiderat. Götz-Schöll kommen in ihrer Ausgabe von 1910 immerhin auf 34 Handschriften, aus denen allerdings der Vallicellianus (Nr. 44 bei Götz-Schöll) herauszunehmen ist. Nachgewiesen von Marc van Rooij (1987). Dazu auch Taylor (1996) 38 und TaylorSarullo (2013). Giulia Sarullo stellt in ihrer Ausgabe des Carmen Saliāre (2014)

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34 Vall., f und V/p jeweils an die Spitze dreier Überlieferungslinien. Zu Unrecht skeptisch dagegen: Flobert (2019) XXVI f. Nach Götz-Schöll (1910) XX handelte es sich um den kompletten Quaternio II. Gewicht erhalten die Korrekturen von Victorius und Diacetius allerdings nur dort, wo sie in den Text der Editio princeps von Laetus eingreifen; wo beide den Text unangetastet ließen, bedeutet das nicht im Umkehrschluss, dass Codex F an der besagten Stelle die gleiche Fassung gehabt habe. Keil (1848). Denkbar ist, dass das Fragmentum Casinense sowohl auf die Vorlage von F als auch auf den ihm vielleicht schon (oder noch) vorliegenden Codex F zurückgegriffen hat: Das wäre möglich, wenn beide Vorlagen um 1100 noch in Montecassino vorhanden waren. Ausführliche Darlegung: Verf., Varros De lingua Latina und das Fragmentum Cassinense (Cod. Cas. 361), in: Würzburger Jahrbücher für die Altertumswissenschaft. Neue Folge. Band 46 (2022), 33-65. Hier bietet der Varrotext f īliam statt virginem, während die Plautushandschriften in virginem übereinstimmen. Dazu: Piras (1998). Dazu auch Traglia (1974), 275-279. Ausgabe: Preibisch (1878). Giorgio Piras, 5.12.2022, brieflich (Mail). Zum System vgl. Graf (1997) 57. NP 4, 495. Die Gelliusstelle in X 21,2 lässt sich unmittelbar mit Varros Text in VI 59 kollationieren und erlaubt sogar eine kleine Korrektur sowohl des Varro- als auch des Gelliustexts. Aug. cīv. VI 2. Cic. Ac. I 2 legt diese Bezeichnung seinem Gesprächspartner Varro selbst in den Mund. (1909) 195; zu Varro insgesamt: 194-200. (1935) 1212 ff. Quintilian X 1, 95 zu Varros Stil: plūs tamen scientiae collātūrus quam ēloquentiae 'Er wollte jedoch mehr Wissen zusammentragen als Eloquenz', ähnlich Augustinus cīv. VI 2 über Varro: Quī tametsi minus est suāvis ēloquiō, doctrīnā tamen atque sententiīs ita refertus est, ut in omnī ērūdītiōne … studiōsum rērum tantum iste doceat quantum studiōsum verbōrum Cicerō dēlectat. 'Auch wenn er weniger elegant formuliert, so quillt er doch so sehr von Gelehrsamkeit und Zitaten über, dass er in jedem Bereich der Bildung einem Wissbegierigen so viel beibringt, wie Cicero einem Wortbegierigen Freude macht.' Zu Varros Fachterminologie aus den etymologischen Büchern: s. Anhang 10.3. Das bei Aelius Stilo (GRF p. 54 Nr. 21) eingereihte Fragment aus Anecd. Paris. CGK VII 533 kennt für Varro, S. Ennius, Aelius (Stilō) aequē et Probus knapp zwei Dutzend diakritische Zeichen, deren meiste – wie es scheint – auf griechische Grammatiker zurückgehen. Diese Zeichen dienten aber der Textedition und nicht der Markierung bzw. Unterscheidung von Objektsprache (wie bei Zitaten) und Metasprache. Zu den erkennbaren Spuren für Trennstrichlein s. das Ende dieses Kapitels (zu adagiō VII 31).

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Möglicherweise hielt sich Varro damit an den linguistischen Sprachgebrauch seiner Zeit. Den vorsichtigen Rückschluss auf die Metasprache der Grammatiker lässt eine Stelle bei Cicero aus den Topica (verfasst Juli 44) zu, falls dieser nicht bereits von Varros Diktion in Dē linguā Latīnā beeinflusst war. Cicero gibt dort eine Etymologie des Aelius Stilo wieder (top. 10): …assiduus, ut ait L. Aelius, appellātus ab aere dandō. 'Assiduus, unermüdlich, ist er genannt, wie L. Aelius sagt, vom Geldgeben, ab aere dandō.' Das klingt wie bei Varro. Die anderen für Stilo überlieferten Etymologien sind allesamt nicht wörtlich zitiert, geben also keine klare Auskunft. Walde-Hofmann (1972) 673. Vielleicht hat Varro manches ja einem Sekretär diktiert, den er – alleine schon zur Verwaltung seiner Bibliothek – gehabt haben muss; bereits auf den Sekretär könnten auch einige Abschreibefehler gerade bei den von Varro ausführlich zitierten, wirklich alten Texten zurückgehen. Die Proömien der Bücher V-VII sind hingegen sprachlich ganz anders geformt und tragen deutliche Zeichen sorgfältiger stilistischer Feile. Zusammenstellung – auf der Basis alter Ausgaben – z. B. Georg Heidrich (1890) und (1892) sowie Francesco Manfrè (1907), beide mit Einbeziehung der Rērum rūsticārum librī, Manfrè auch einzelner Fragmente aus den Saturae Menippēae. So noch in VI 57 concinne a „con“ et „cinere“; VI 58 Pronuntiare dictum a „pro“ et „nuntiare“. In F steht: ab litra , wo das Etymon fehlt und das Wort für den Otter, lutra, entstellt ist. Andere Beispiele für die Nomina actionis auf -us/Gen. -ūs: V 36 īncōnsitū, V 85 < titiatū >, V 136 rutū, V 167 tortū; VI 22 lūsū, VI 81 crētū, VII 43 ambecīsū. Das harte Pauschalurteil Colemans (2001) 68 („All ancient etymologists… suffered from the absence of a coherent and scientific method of linguistic analysis”) kann auf Varro nicht zutreffen, s. im Folgenden. Die Vorstellung geht wohl auf Platons Kratylos 388 d zurück, wo der νομοθέτης 'Gesetzgeber' bzw. ὀνοματουργός 'Namenschöpfer' derjenige ist, der als Erster den Dingen ihre Namen gab. Vermittelt dürfte diese Konzeption über den Akademiker Antiochos von Askalon (+ 68/67 v.Chr.: NP 1, 773 f.) worden sein. In einem bei Augustinus (Contrā Acadēmicōs 2,11,36) überlieferten Fragment aus dem 2. Buch von Ciceros Acadēmicī librī (p. 22, 6-9 Plasberg), verfasst 45 v. Chr., scheint er als vocābulōrum opifex, vielleicht auch durch Varro inspiriert, wieder auf (Michel [1965]). Dieser Ansatz erscheint schon im platonischen Kratylos 426 c-427 d, v. a. in 427 c: Der 'Gesetzgeber' (der wortbildende Sprachschöpfer) bildet „mit Buchstaben und Silben für jedes Seiende ein Zeichen und einen Namen“ und setzt „von da aus auch die übrigen (Wörter) aus denselben Elementen“. Allerdings postuliert Platon keine willkürliche Benennung, sondern eine natürliche: Der Gesetzgeber richtet sich nach der Lautsymbolik, die jedem Laut eine bestimmte Bedeutung zuerkennt, und baut daraus, dem Wesen der Dinge angemessen, die Wörter zusammen. Die Zuweisung des Ausschnitts aus Augustinus' De cīvitāte Deī IV 24 an Varro (bei Cardauns Frg. 189 † seiner Fragmentsammlung der Antīquitātēs rērum dīvīnārum) bzw. seine Interpretation ist m. E. fraglich, Cardauns selbst setzt eine Crux. Varros erschließbare Konzeption der Namengebung in Dē linguā Latīnā folgt mitnichten dem Grundsatz: Nātura … dux fuit ad vocābula impōnenda hominī (so noch Baier [1997] 56). Cardauns äußert sich in seinem Kommentar (S. 216) auch skeptisch:

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„Der Stil der wohlabgewogenen Periode ist … gar nicht varronisch und verrät deutlich die glättende Hand Augustins.“ In dem ganzen Augustinuskapitel ist auch inhaltlich nichts typisch Varronianisches zu erkennen. Anders als Varro ging sein Zeitgenosse P. Nigidius Figulus – das lässt ein Zitat bei Gellius X 4 erschließen – von einer Naturschöpfung der Sprache aus (GRF Frg. 23 p. 169 f. Funaioli). Zu Varros “griechischen” Etymologien: Maltby (2001), Zusammenstellung ebda. 203-210. Zu Varros „Sabinitas“: Coleman (2001) (84-93). Das Land der Sabīnī (Varro meint wohl die Osker) ist der Sprachraum, in dem Varro (* in Reate) groß wurde. Für ca. 100 lateinische Wörter nimmt er griechische Entlehnung an, auch für 20 Verben und Verbformen greift er am Ende von Buch VI auf das Griechische zurück. Varro bezieht sich in VI 36 auf den Grammatiker Cosconius, der diese verba prīmigenia mit 1000 bezifferte. Der Terminus „Sabellisch“ geht zurück auf Gerhard Meisers Lautgeschichte der umbrischen Sprache, Innsbruck 1986, und hat sich seit der Textausgabe von Rix (2002) durchgesetzt. Zur Textkritik dieser Passage s. u. im Kapitel 8. Zum Ganzen: Verf. (1981) 7-50 und 231-256. Zu den Verba poētica und der Konzeption von Buch VII: Piras (1998), besonders 117-121. Ab eadem mente bieten die Handschriften. Verf. (1981) 231-244 und 82 f. Die Kritik de Melos (2019) 40 ff. geht am Kern vorbei: Die Konstruktformen haben für Varro historischen Status, wie seine damit verbundenen Aussagen über den Lautwandel zeigen – z. B. oben zum (verfehlten) Wandel des G zum C bei *gervī > cervī oder bei seiner Et. von turma V 91: Turma terima (E in U abiit): ’Turma 'Schwadron' aus terima (E wurde zu U).’ Zudem haben seine Konstruktformen alleine schon dadurch einen historischen Status, dass er sie oft mit dem PPP dictī 'sie wurden so benannt' versieht, z. B. V 133: < Pallia > … parilia primo dicta, R exclusum propter levitatem. ’Pallia, Mäntel, wurden zuerst parilia genannt; das R ist um der Glätte (des Ausdrucks) willen entfernt worden.’ Sie sind also für Varro echte Re-Konstrukte und dienen nicht nur dazu, eine morphologische Struktur zu verdeutlichen. Dass er die Rekonstrukte oft mit dem translativen ut einführt (in unserer Übersetzung wiedergegeben mit „aus“), dient der metasprachlichen Verdeutlichung seines Ansatzes. Dieses ut setzt er einmal sogar ein, um eine echte Urform zu kennzeichnen: Den EN Pollux führt er V 73 auf das griechische Πολυδεύκης zurück; die nötige Zwischenstufe Polluces hat er aber nicht rekonstruiert, sondern in alten Texten gefunden: In Latinis litteris veteribus nomen quod est, inscribitur ut Πολυδεύκης Polluces, non ut nunc Pollux. 'Der Name, der in alten lateinischen Texten steht, ist Pollūcēs geschrieben, aus Πολυδεύκης, nicht Pollux wie jetzt.' Textkritik dieser Stelle s. u. Stimmhafter Verschlusslaut (Media) wird vor stimmlosem Verschlusslaut (Tenuis) stimmlos: Leumann (1977) 196; die dabei gesetzmäßig entstehende Länge („Lachmannsches Gesetz“) ist eine Art Ausgleichsvorgang (dazu Meiser [1998] 227).

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Übersicht in: Verf. (1981) 156. Dieses Verfahren ist, wenn ich recht sehe, zum ersten Mal in Ansätzen greifbar in Platons Kratylos 431 d/e. Sokrates sprach über die Leistung des Sprachschöpfers = Gesetzgebers (νομοθέτης): Er könne als Wortbildner Fehler machen, wenn er den Wörtern nicht die richtigen Buchstaben zuweist. Darauf Kratylos: „Wenn wir diese Buchstaben, das A und das B und alle übrigen Elemente mit der grammatischen Kunst den Namen zuweisen und wenn wir dann etwas wegnehmen oder hinzutun oder umstellen, dann haben wir den Namen zwar geschrieben, aber nicht richtig…“ 85 Erst bei Varros Zeitgenossen P. Nigidius Figulus, der auch mit Cicero befreundet war (* um 100 v.: NP 8, 890 f.), ist ein Terminus für das Suffix greifbar: Im Fragment 4 GRF p. 162 bezeichnet er das Adjektivsuffix -ōsus als inclināmentum (Gellius IV 9, 1). 86 von Albrecht (1992) 426. 87 Vielleicht ist diese Passage Ciceros auch eine (positive) Reaktion auf das grammatisch fundierte Verfahren Varros, dessen Rekonstrukte ja eine breitere lautliche Basis eröffneten. Cicero könnte im Frühjahr 44 v. Chr. ja Dē linguā Latīnā, ggf. wenigstens die an Postumius gerichtete erste Triade (II-IV), schon in Händen gehalten haben. 88 Frühester Beleg wohl: Hinnad (= Enna: 211 v. Chr.: Degrassi 295, CIL I2 608); sie setzte sich erst seit ca. 100 v. Chr. durch: Leumann (1977) 14. Das Senatūs cōnsultum dē Bacchānālibus (186 v.: CIL I2 581) kennt sie noch gar nicht: Meiser (1998) 5 f. (mit Text des SC). 89 Textkritische Diskussion dieser bislang nicht erkannten Stelle s. zu VI 61. 90 Zur Textkritik dieser – bislang anders gelesenen – Stelle s. zu V 64. 91 Bezeichnend Eduard Norden (1939) 5: „Er besass, wie wir sagen würden, Urkundensinn.“ 92 Vgl. Volk (2019), v. a. 193-208. 93 Einen Vergleich der einzelnen varronischen Etymologien mit den „richtigen“ der heutigen historisch-vergleichenden Sprachwissenschaft bietet der ausführliche Kommentar von de Melo (2019) 651-1036: Er bezieht aus der Sicht des modernen Indogermanisten gewissermaßen einen Archimedischen Punkt und stellt Varros et. Aussagen den heutigen sprachhistorischen Erkenntnissen kontrastiv gegenüber. Darauf verzichtet der Kommentar unserer Ausgabe explizit, weil sie Varro auf andere Weise gerecht werden will; die Schwächen der varronischen Et. hat auch Cavazza (1981) 97-105 dargestellt, eine umfassende Bewertung („balance“) der varronischen Et. auch bei Hernández (1998) 52 ff. 94 Zu den Aufgaben der Sprachwissenschaftsgeschichte: Daniel J. Taylor (1987) 1-16. 95 Das harte Urteil von Tarver (1997) 161, der Varros innovative Leistung u.a. auf dem Gebiet der Etymologie ausblendet, ist völlig unzutreffend: “Varro was never a profound or original thinker“. 96 Baier (1997) 39: „… die 'negotia publica' scheinen ihn nie existentiell berührt zu haben.“ 97 Coleman (2001) 93 betont vor allem „the extent of his influence on later research.” Dass Varro ein eigenständiger Denker war, hebt Flobert (2001) 128 hervor: „Varron est un penseur original et non un simple compilateur.“ 98 Dass Varro auch in seiner Beschreibung der Örtlichkeiten Roms einen früheren Zustand rekonstruiert, der durch Sullas und Cäsars Umbaumaßnahmen schon nicht mehr aktuell war, zeigt MacDonald (2016) 200 f. 84

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Dazu: Gerschel (1958), s. auch die Übersichten zu Beginn der jeweiligen Bücher in dieser Ausgabe und in den Einleitungen von Collart (1954) LIV, Flobert (1985) XXXVII ff., (2019) XLV und de Melo (2019) 46 f., 51 f., 55. 100 Pythagoreisches und Stoisches gehen hier ineinander über: Cavazza (1981) 61 f., das stoische Gliederungsprinzip betont Dahlmann (1935) 1206 f. 101 Prägnante Zusammenfassung der „Etymologie“ in der Antike: Kuhlmann (2016). 102 Aus VI 61 lässt sich textkritisch rekonstruieren, dass Varro die Schreibung < EI > für Langvokal [i:] als alt ansah und bei Ennius beobachtet hatte. Auch andere, textkritisch verderbte Passagen aus Dē linguā Latīnā zeigen Spuren für die Schreibung von altem EI, z. B. V 15 eit statt emit, V 68 simul eit statt simulet, VI 29 (altlat.) eiset statt īret (überliefert ist dort esset). 99

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8. Verwendete Literatur

8.1. Editionen von Dē linguā Latīnā Abkürzung Ald.

Nicolò Perotti, Cornucopiae sive linguae Latinae commentarii diligentissime recogniti atque ex archetypo emendati…. M. Terentii Varronis De lingua Latina libri tres, quartus, quintus, sextus; eiusdem De analogia libri tres…, Venetiis in aedibus Aldi et Andreae 1513

Aug.

M. Terentii Varronis. Pars librorum quattuor et viginti de lingua Latina. Ex bibliotheca Antonii Augustini, Rom 21557 [= “vulg(ata)”]

Bent.

M. Terentii Varronis De lingua Latina libri tres: totidemque de Analogia: cum Michaelis Bentini castigationibus… Basel 1526 (Paris 1530 etc.)

Canal

M. Terenzio Varrone. Libri intorno alla lingua latina. Riveduti, tradotti, annotati da Pietro Canal, Venedig 1846

Coll.

Varron De lingua Latina. Livre V. Texte établi, traduit et annoté par Jean Collart, Paris 1954

De Melo

Wolfgang David Cirillo de Melo,Varro, De lingua Latina. Vol. I : Introduction, Text and Translation, Vol.II: Commentary, Oxford 2019

Diac.

Hss. Anmerkungen in der Editio princeps des Laetus (1471?), Exemplar in der Bayerischen Staatsbibliothek München

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Einleitung

Abkürzung Duso

Antonella Duso, Varro: De lingua Latina IX. Introduzione, testo critico, traduzione e commento, Hildesheim 2017

Flo.

Varron. La langue Latine Livre VI. Texte établi, traduit et commenté par Pierre Flobert, Paris 1985 Varron. La langue Latine Livre VII. Texte établi, traduit et commenté par Pierre Flobert, Paris 2019

GS

M. Terenti Varronis de lingua Latina quae supersunt. Accedunt grammaticorum Varronis librorum fragmenta. Recensuerunt Georgius Goetz et Fridericus Schoell, Lipsiae 1910

Hernández

Luis Alfonso Hernandez Miguel, Varrón. La lengua Latina libros V-VI. Introducción, traducción y notas de L. A. Hernández Miguel. Revisada por P. M. Suárez Martínez, Madrid 1998. Ders., Varrón. La lengua Latina Libros VII - X y fragmentos, Madrid 1998

Kent

Varro on the Latin Language. With an English Translation by Roland G. Kent, London/Cambridge (Mass.) 1938

Lae.

M. Terentii Varronis De lingua Latina ed. Iulius Pomponius Laetus, Rom (?) 1471/72 (?)

Mue.

Karl Otfried Müller, M. Terenti Varronis De lingua Latina librorum quae supersunt, Leipzig 1833

Pius

Marci Terentii Varronis De lingua Latina libri tres. De analogia libri duo, Mediolani 1510

Popma

M. Terenti Varronis operum quae exstant nova editio, Leiden 1601

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Einleitung

LIII

Abkürzung Rhol.

M. T. Varronis De lingua Latina ed. Franciscus Rholandellus, Venedig 1475

Rig.

Varrone De lingua Latina libro VI. Testo critico, traduzione e commento a cura di Elisabetta Riganti, Bologna 1978

Salvadore

Marcello Salvadore, M. Terenti Varronis Fragmenta omnia quae extant collegit recensuitque Marcello Salvadore. Pars 1: Supplementum, Hildesheim/New York/ Zürich 1999; Pars 2: De vita populi Romani libri IV, Hildesheim/ New York/Zürich 2004

Sciop.

Gaspar Scioppius, M. Terenti Varronis De lingua Latina ex recensione Gasp. Scioppii, Ingolstadt 1605

A.Sp.

Andreas Spengel, M. Terenti Varronis De lingua Latina libri, Berlin 1885

L.Sp.

Leonhard Spengel, M. Terenti Varronis De lingua Latina libri qui supersunt, Berlin 1826

Tayl.

Daniel J. Taylor, Varro De lingua Latina X. A New Critical Text and English Tranlation with Prolegomena and Commentary, Amsterdam/Philadelphia 1996

Traglia

Opere di Marco Terenzio Varrone. A cura di Antonio Traglia, Torino 1974

Turn.

Adrianus Turnebus, De Lingua Latina cum emendationibus, Paris 1566

Vertr.

M. Terentii Varronis Pars librorum quattuor et viginti de lingua Latina. M. Vertranius Maurus recensuit, Lugdunum (Lyon) 1563

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LIV

Einleitung

Abkürzung Vict.

- Hss. Anmerkungen in der Editio princeps des Laetus (1471?), Exemplar in der Bayerischen Staatsbibliothek München - M. Terentii Varronis opera omnia, quae extant, cum notis Iosephi Scaligeri, Adriani Turnebi, Petri Victorii, Augustini…, Durdrechti 1619

Weger

Fabian Weger, Varro, De lingua Latina liber Decimus. Übersetzung und Kurzkommentar, Graz 2019

8.2. Andere Autoren - Textsammlungen Aragosti

Andrea Aragosti, Frammenti Plautini dalle commedie extravarroniane, Bologna 2009

Artigas

Esther Artigas, Marc Pacui. Tragèdies, Fragments. Introducció, Text establert, traducció i notes de Esther Artigas, Barcelona 2009

Astbury

M. Terentius Varro. Saturarum Menippearum fragmenta. Edidit Raymond Astbury, München/Leipzig 2002

Blänsdorf

Fragmenta poetarum Latinorum epicorum et lyricorum praeter Ennium et Lucilium et Ciceronis Germanicique Aratea editionem quartam auctam curavit Jürgen Blänsdorf, Berlin/New York 2011

Cardauns

Burkhart Cardauns, M. Terentius Varro. Antiquitates rerum divinarum, Wiesbaden 1976

ChristesGarbugino

Lucilius. Satiren. Lateinisch und deutsch. Eingeleitet, übersetzt und erläutert von Johannes Christes und Giovanni Garbugino, Darmstadt 2015

Courtney

E. Courtney, The Fragmentary Latin Poets, Cambridge 1969

Varro_Lingua Latina_Teil I_Buch.indb 54

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Einleitung

LV

Dangel

Accius. Oeuvres (fragments). Par Jacqueline Dangel, Paris 1995

Degrassi

Inscriptiones Latinae liberae rei publicae. A cura di Attilio Degrassi, Firenze 21965

Flach (2004)

Dieter Flach (Hrsg.), Das Zwölftafelgesetz – Leges XII tabularum. Herausgegeben, übersetzt und kommentiert von Dieter Flach, Darmstadt 2004

Flach (2006)

Marcus Terentius Varro. Über die Landwirtschaft. Herausgegeben, eingeleitet und übersetzt von Dieter Flach, Darmstadt 2006

Frassinetti

Paulus Frassinetti, Atellanae fabulae, Roma 1967

Funaioli (= GRF) Grammaticae Romanae fragmenta. Collegit, recensuit Hyginus Funaioli, Leipzig 1907 (Nachdruck Stuttgart 1969) GLK

Grammatici Latini. Ex recensione Henrici Keil, Leipzig 1857

Humbert

M. Humbert, La loi des XII Tables, Rom 2018

Jocelyn

Ennius. The Fragments edited with an Introduction and Commentary by H. D. Jocelyn, Cambridge 1967

Manuwald

Tragicorum Romanorum fragmenta. Vol. II. Ennius. Edidit Gesine Manuwald, Göttingen 2012

Mariotti

Scevola Mariotti, Il Bellum Poenicum e l´ arte di Nevio. Saggio con edizione dei frammenti del Bellum Poenicum, Bologna 32001

Marx

C. Lucilii carminum reliquiae. Recensuit et enarravit Fredericus Marx, Bd. 1 und 2, Leipzig 1904/1905 (Nachdruck Amsterdam 1963)

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LVI

Einleitung

Pfaffel = QuGr

Wilhelm Pfaffel, Quartus gradus etymologiae. Untersuchungen zur Etymologie Varros in „De lingua Latina“, Königstein/Ts. 1981

Pisani

Vittore Pisani, Testi latini arcaici e volgari. Con commento glottologico, Torino 21960

Preibisch

Paul Preibisch, Fragmenta librorum pontificiorum, Tilsit 1878

Regell

Paul Regell, De augurum libris, Diss. Breslau 1878

Ribbeck = CRF

Scenicae Romanae poesis fragmenta II. Comicorum Romanorum praeter Plautum et Terentium fragmenta. Secundis curis recensuit Otto Ribbeck, Leipzig 1873 (Repr. Nachdruck Hildesheim 1962)

Ribbeck = TRF

Scenicae Romanae poesis fragmenta I. Tragicorum Romanorum fragmenta. Secundis curis recensuit Otto Ribbeck, Leipzig 1871 (Repr. Nachdruck Hildesheim 1962)

Salvadore

M. Terenti Varronis. Fragmenta omnia quae extant collegit recensuitque Marcello Salvadore. Pars II: De vita populi Romani libri IV, Hildesheim/Zürich/New York 2004

Sarullo

Giulia Sarullo, Il „Carmen Saliare“. Indagini filologiche e riflessioni linguistiche, Berlin/Boston 2014

Schauer

Tragicorum Romanorum fragmenta. Vol. I. Livius Andronicus. Naevius. Tragici minores. Fragmenta adespota. Edidit Markus Schauer cum Oliver Siegl socio in opere conficiendo, adiuvante Elisabeth Hollmann, Göttingen 2012

Schierl

Petra Schierl, Die Tragödien des Pacuvius. Ein Kommentar zu den Fragmenten mit Einleitung, Text und Übersetzung, Berlin/New York 2006

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Einleitung

LVII

Skutsch

The Annals of Q. Ennius. Edited with Introduction and Commentary by Otto Skutsch, Oxford 1985

Spaltenstein

François Spaltenstein, Commentaire des fragments dramatiques de Naevius, Bruxelles 2014

SVF

Johannes v. Arnim, Stoicorum veterum fragmenta, Leipzig 1903-1905

Vetter

Emil Vetter, Zum Text von Varros Schrift über die lateinische Sprache, in: Rheinisches Museum für Philologie, 101 (1958), 257-285; 289-323

Warmington

Remains of Old Latin. Edited and Translated by E. H. Warmington, (4 Bde.) Cambridge/London 1935

Wilmanns

De M. Terenti Varronis libris grammaticis scripsit relliquiasque subiecit Augustus Wilmanns, Berlin 1864 (Sammlung der Fragmente: S. 139-223)

8.3 Standardwerke (mit Abkürzungen) Battelli

Giulio Battelli, Lezioni di paleografia, Città del Vaticano 31949

Calboli

Papers on Grammar VI. Edited by Gualtiero Calboli, Bologna 2001

Cappelli

Adriano Cappelli, Lexicon abbreviaturarum. Dizionario di abbreviature Latine ed Italiane. Per cura di Adriano Cappelli, Milano 61973

DK

Die Fragmente der Vorsokratiker. Griechisch und deutsch von Hermann Diels. Herausgegeben von Walther Kranz, Dublin/Zürich 61951

Frisk

Griechisches etymologisches Wörterbuch. Von Hjalmar Frisk, Heidelberg 21973

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LVIII

Einleitung

Kaser

Max Kaser, Römisches Privatrecht, München 131983

Latte

Kurt Latte, Römische Religionsgeschichte, München 1960

Leumann

Manu Leumann, Lateinische Laut- und Formenlehre, München 1977

Liddell-Scott

A Greek-English Lexicon. Compiled by Henry George Liddell and Robert Scott. Revised and augmented throughout by Sir Henry Stuart Jones, Oxford 1968

LomantoMarinone

Index Grammaticus. An Index to Latin Grammar Texts. Edited by Valeria Lomanto and Nino Marinone, Hildesheim/Zürich/New York 1990

LTUR

Eva Maria Steinby (Hrsg.), Lexicon Topographicum Urbis Romae, Rom 1993 ff.

Meiser

Gerhard Meiser, Historische Laut- und Formenlehre der lateinischen Sprache, Darmstadt 1998

NP

Der Neue Pauly. Enzyklopädie der Antike. Herausgegeben von Hubert Cancik und Helmuth Schneider u. a., Stuttgart/Weimar 1996 - 2003

OLD

Oxford Latin Dictionary, ed. by P. G. W. Glare, Oxford 1968

Otto

Andreas Otto, Die Sprichwörter der Römer, Leipzig 1890 (Nachdruck Hildesheim/New York 1971)

RE

Georg Wissowa u. a. (Hrsg.), Paulys Real-Encyklopädie der classischen Altertumswissenschaft. Neue Bearbeitung, Stuttgart 1893 - 1980

Rix

Helmut Rix, Sabellische Texte. Die Texte des Oskischen, Umbrischen und Südpikenischen, Heidelberg 2002

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Einleitung

LIX

Salvadore

Marcello Salvadore, Concordantia in M. Terenti Varronis libros de lingua Latina et in fragmenta ceterorum operum; vol. 1, A-K; vol 2, L-Z, verba Graeca, Hildesheim/New York/Zürich 1995

WH

Lateinisches etymologisches Wörterbuch. Von Anton Walde. Neu bearbeitet von Johann Baptist Hofmann, Erster Band. A-L, Heidelberg 41965, Zweiter Band. M-Z, Heidelberg 51972

8.4 Spezialliteratur Michael von Albrecht, Geschichte der römischen Literatur, München/Bern 1992 Anthos Arizzoni, Varrone De lingua Latina V 6, in: GIF 20 (1967), 27 ff. Wolfram Ax, Aristophanes von Byzanz als Analogist. Zu Fragment 374 Slater (= Varro, de lingua Latina 9,12), in: Glotta 68 (1990) 2-18. Wolfram Ax, Aristarch und die „Grammatik”, in: Glotta 60 (1982), 96-109. Wolfram Ax, Disputare in utramque partem. Zum literarischen Plan und zur dialektischen Methode Varros in De lingua Latina 8-10, in: Rheinisches Museum für Philologie 138 (1995) 146-177. Wolfram Ax, Quadripertita Ratio: Bemerkungen zur Geschichte eines aktuellen Kategoriensystems (adiectio – detractio – transmutatio – immutatio), in: Taylor (1987) 17-40. Thomas Baier, Werk und Wirkung Varros im Spiegel seiner Zeitgenossen. Von Cicero bis Ovid, Stuttgart 1997. Thomas Baier, Varrone tra analogia e anomalia. Riflessioni sulla teoria dell´ Origine della lingua e della Cultura in Varrone, in: Papers on Grammar VI, 1-20. Marc Baratin, La naissance de la syntaxe à Rome, Paris 1989. Karl Barwick, Remmius Palaemon und die römische ars grammatica, Leipzig 1922 (= Philologus Suppl.- Band XV Heft II). Karl Barwick, Probleme der stoischen Sprachlehre und Rhetorik, Berlin 1957. Karl Barwick, Widmung und Entstehungsgeschichte von Varros De lingua Latina, in: Philologus 101 (1957) 298-304. Hugo Beikircher, princeps, terticeps usw. Zur Argeerfrage, in: Museum Helveticum 53 (1996), 262 ff. Walter Belardi, L´ordinamento dei casi nella grammatica tradizionale greca e latina, in: Studi Linguistici in onore di Tristano Bolelli, Pisa 1974, 38-90. Hermann Bengtson, Römische Geschichte, München 1973.

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LX

Einleitung

Thomas Bergk, Varroniana. Index scholarum in universitate litteraria Fridericiana Halensi cum Vitebergensi consociata, Halle (= Opuscula philologica Bergkiana), Halle 1884, 571-580. Yann Berthelet, Auguracula et auspices pré-comitiaux: une articulation à déconstruire, in: Manuel de Souza (éd.), Les collines dans la répresentation et l´organisation du pouvoir a Rome, Bordeaux 2017 . David Blank, Varro and Antiochus, in: Sedley (2012), 250-289. David Blank, Varro and the epistemological status of etymology, in: HEL 30 (2008), 49-73. Friedrich Blume (et al.), Die Schriften der römischen Feldmesser, Berlin 18481852. Pierre Boyancè, Étymologie et théologie chez Varron, in: REL 53 (1975), 99115. C. Brakmann, Varroniana, in: Mnemosyne 60 (1932) 1-19. Maximilianus Breithaupt, De Parmenisco grammatico, Leipzig/Berlin 1915. Klaus Bringmann, Untersuchungen zum späten Cicero, Göttingen 1971. Julia Burghini / Javier Uria, Los grados del diminutivo: una doctrina confusa en la gramática Latina antigua, in: Emerita 86 (2018) 327-348. Luca Cadili, Un nuovo frammento del De lingua Latina di Varrone, (ΣΒΒ ad Verg. Georg. I.4, II 1, p. 33a.1-4 Cadili [4d]), in: Paideia LXII (2007), 145-170. Gualtiero Calboli, Varrone, “De lingua Latina” 8, 16, in: Filologia e forme letterarie. Studi offerti a Francesco Della Corte, Vol. II, Urbino 1987, 127150. Gualtiero Calboli, Varrone e la teoria dei casi, in: Papers on Grammar VI, 33-60. Christopher K. Callanan, Die Sprachbeschreibung bei Aristophanes von Byzanz, Göttingen 1987. Burkhart Cardauns, M. Terentius Varro. Antiquitates Rerum Divinarum, Mainz 1976. Franco Cavazza, Studio su Varrone etimologo et grammatico, Florenz 1981. Clive Cheesman, Two textual emendations in Varro´s De lingua Latina, in: RPh 68 (1994) 101-105. Wilhelm Christ, Beiträge zur kritik der bücher Varro´s de lingua latina, in: Philologus 17 (1861) 59-68. Conrad Cichorius, Zur Geschichte der Atellanendichtung, in: Römische Studien. Historisches, Epigraphisches, Literargeschichtliches aus vier Jahrhunderten Roms, Berlin/Leipzig 1922, 82-88. Robert Coleman, Varro as an etymologist, in: Papers in Grammar VI, 61-96. Jean Collart, Varron. Grammairien latin, Paris 1954. Jean Collart (al.), Varron. Grammaire antique et stylistique latine, Paris 1978. Hellfried Dahlmann, Varro und die hellenistische Sprachtheorie, Berlin/Zürich 1932 (21964).

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Anmerkungen

LXI

Hellfried Dahlmann, Art. M. Terentius Varro, in: RE Suppl. 6 (1935) 1173-1277. Hellfried Dahlmann, Vates, in: Philologus 97 (1948) 337-353. Hellfried Dahlmann, Zu Varro, De lingua Latina VI, 12, in: RhM XVVVII (1989), 303-313. Jacqueline Dangel, Varron et les citations poétiques dans le De lingua Latina, in: Papers on Grammar VI, 97-122. Francesco Della Corte, VARRONE - il terzo gran lume romano, Florenz 21970. Tim Dennecker/ Pierre Swiggers, The articulus according to Roman grammarians up to the Middle Ages: The complex interplay of tradition and innovation in grammatical doctrine, in: Glotta 94 (2018), 127-152. Lucienne Deschamps, Verbum quod conditum est… Réflexions sur une expression varronienne, in: Latomus 47 (1988) 3-12. Albrecht Dihle, Analogie und Attizismus, in: Hermes 85 (1957) 170-205. P. Drossart, Le théâtre aux Nones Caprotines, in: RPh XLVIII (1974) 55-64. Harry Erkell, Varroniana. Topographisches und Religionsgeschichtliches zu Varro, De lingua Latina, in: OR XIII (1981) 35-39. Harry Erkell, Varroniana II: Studi topografici in Varro, De lingua Latina V, §§ 45-50, in: OR XV (1985), 55-65. Harry Erkell, Varroniana III: Studi topografici. Il culto all´ Ara Maxima, in: OR XVI (1987), 51-57. Pierre Flobert, Varron et la langue poétique d´après le livre VII du De lingua Latina, in: Papers on Grammar VI, 123-134. Alessandro Garcea, Varron et la constitution des paradigmes flexionnels du latin, in: HEL 30 (2008) 75-89. Remo Gelsomino, Varrone e i sette colli di Roma, Roma 1975. Lucien Gerschel, Varron logicien, in: Latomus 17 (1958), 65-72. Helmut Glück, Michael Rödel, Art. “Sprachwandel”, in: Metzler Lexikon Sprache, Stuttgart 42010, 656 f.  Fritz Graf, Einleitung in die lateinische Philologie, Stuttgart/Leipzig 1997. Adolphus Groth, De M. Terenti Varronis de lingua Latina librorum codice Florentino, Diss. Straßburg (Argentorati) 1880. Jakub Gruchalski, Capitolium Vetus: A New Street in Rom? In: Classical Philology 116 (2021) 599-603. Jakub Gruchalski, Collis Latiaris or Catialis? In: Archeologia Classica 71 (2020) 585-601. Andrea Guasparri, Varrone linguista: Impositio nominum e creatività linguistica in una tassonomia esemplare, in: BStudLat 28 (1998) 408-414. Charles Guittard, La délimitation du templum augural: Les formules d´auguratio de Varron (L., VII,8) et de Tite-Live (I, 18,6.10), in: Olivier Devillers / Jean Meyers (Éd.), Pouvoirs des hommes, pouvoir des mots, dès Gracques à Traian: Hommages au professeur Paul Marius Martin, Bordeaux 2009, 77-89.

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LXII

Einleitung

H.-J. Hartung, Παρεπόμενα ῥήματος bei Varro? (De lingua Latina 10,31-33), in: Glotta 51 (1973), 293-311. Georg Heidrich, Varroniana. I. Der Gebrauch des Gerundiums und Gerundivums bei Varro, in: Vierzigster Jahresbericht des k. k. Stiftsgymnasiums der Benedictiner zu Melk, Melk 1890, 5-23. Georg Heidrich, Der Stil des Varro, in: Zweiundvierzigster Jahresbericht des k. k. Stiftsgymnasiums der Benedictiner zu Melk, Melk 1892, 3-82. Luis Alfonso Hernández Miguel, Varrón, Madrid 2000. Ludwig Jeep, Zur Geschichte der Lehre von den Redetheilen bei den lateinischen Grammatikern, Leipzig 1893. Henri Jordan, Topographie der Stadt Rom im Alterthum. Erster Band. Zweite Abtheilung, Berlin 1885. Markus Junkelmann, Das Spiel mit dem Tod. So kämpften Roms Gladiatoren, Mainz 2000. Francisco García Jurado, Comentario a Varrón V 131-133: Una Clasificación poco rigurosa de las prendas de vestir, o un reflejo de la mentalidad indumentaria Romana?, in: Emerita 63 (1995) 263-278. Francisco García Jurado, Axitiosae (Varro, Ling. VII 66), in: Emerita 72 (2004), 287-300 . Max Kaser, Das römische Zivilprozeßrecht, München 1966. Max Kaser, Römisches Privatrecht, München 131983. Hermann Keil, Das Fragmentum Casinense des Varro De lingua Latina, in: RhMus 6 (1848) 142-145. Rudi Keller, Sprachwandel. Von der unsichtbaren Hand in der Sprache, Tübingen/Basel 21994. Paul Kiparsky, Linguistic Universals and Linguistic Change, in: Universals in Linguistic Theory. Edited by Emmon Bach / Robert Harms, New York/Chicago/ San Francisco etc. 1968, 171-202, v. a. 196-202, und (1973), mündlich. Angelika und Ingemar König, Der römische Festkalender der Republik, Stuttgart 1991. Thomas Köves-Zulauf, Varros Definition von fārī und die schicksalhafte Bedeutung des ersten Schreis (De lingua Latina 6,52), in: Glotta 59 (1981) 265-295. Konrad Kokoszkiewicz, Varro De lingua Latina 5,52: „Horum deorum arae“, in: AantHung 49 (2009), 189 f. Peter Krafft, Varro, De lingua Latina 5,1, in: RhMus 112 (1969), 306-311. Peter Krafft, Stilos Etymologie von caelum im Urteil Varros (ling. 5,18), in: Philologus 120 (1976), 215-231. Raphael Kühner / Carl Stegmann, Grammatik der lateinischen Sprache. Zweiter Teil: Satzlehre. Hannover 41962. Peter Kuhlmann, Konzepte von „Etymologie“ in der Antike von Platon bis

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Einleitung

LXIII

zu Isidor von Sevilla, in: „dat ich dir it nu bi huldi gibu“. Linguistische, germanistische und indogermanistische Studien Rosemarie Lühr gewidmet. Hrsg. Von Sergio Neri u. a., Wiesbaden 2016, 227-237. Karl Lachmann, Zu Varro de lingua Latina über pecus und über spondere, in: Karl Lachmann, Kleinere Schriften zur classischen Philologie, Berlin 1876, 163-179. Karl Lachmann, Zu Varro de lingua Latina V, p. 35-40 Sp. über ager, actus, via etc.: in: Karl Lachmann (1876), 179-187. Aude Lehmann, Varron, critique littéraire. Regard sur les poètes latins archaïques, Brüssel 2002. Yves Lehmann, Varron théologien et philosophe romain, Brüssel 1997. Adriano La Regina, „Lacus ad sacellum Larum”, in: Dall´ Italia: Omaggio a Barbro Santillo Frizell, Florenz 2013, 133-150. Heinrich Lausberg, Handbuch der literarischen Rhetorik. Eine Grundlegung der Literaturwissenschaft, München 1960 . Federica Lazzerini, Romulus´ „adytum“ oder „asylum”? A new exegetical proposal for De lingua Latina 5,8, in: Ciceroniana OL N. S. 1(1) (2017), 97-218. Jürgen Leonhardt, Ciceros Kritik der Philosophenschulen, München 1999. Albin Lesky, Geschichte der griechischen Literatur, München 31971. Manu Leumann, Lateinische Etymologien und Bedeutungen. Anxicia, axitia u. aixitiosus. Fustibalus, fundibalus, -bulum, -bulator. Mīscellus, in: Glotta 11 (1921), 185-192 . Elias A. Loew, The Beneventan Script. A History of the South Italian Minuscule, 2nd Edition prepared and enlarged by Virginia Brown, Roma 1980. Valeria Lomanto, Nomi a confronto, in: Papers on Grammar VI, 165-190. Giuseppe Lugli, Roma antica. Il centro monumentale, Rom 1946. Carolyn MacDonald, Rewriting Rome: Topography, etymology and history in Varro De lingua Latina 5 and Propertius´ Elegies 4, in: Ramus 45 (2016), 192-212. André Magdelain, L´auguraculum de l´arx à Rome et dans d´ autres villes, in: Ius imperium auctoritas. Publications de l´ École Française de Rome 133 (1990) 193-207. Robert Maltby, Varro´s attitude to Latin derivations from Greek, in: Papers of the Liverpool Latin Seminar 7 (1993) 47-60. Robert Maltby, Greek in Varro, in: Papers on Grammar VI, 191-210. Francesco Manfrè, Saggio di sintassi Varroniana, Lucca 1907. Wolfgang de Melo, Two textual problems in Book 7 of Varro´s „De lingua Latina”, in: CQu 65 (2015) 397-401 . Wolfgang de Melo, A typology of errors in Varro and his editors: A close look at selected passages in the „De lingua Latina”, in: BICS 60 (2017) 108-122

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LXIV

Einleitung

Reinhold Merkelbach, Ephesische Parerga (12): Eine tabula lusoria für den ludus latrunculorum, in: ZPE 28 (1978) 48 ff. Hans-Joachim Mette, Parateresis. Untersuchungen zur Sprachtheorie des Krates von Pergamon, Halle 1952. Marcel Meulder, Varron, De lingua Latina 6, 18-19: “Toga praetexta”, “Togata praetextata” ou “togata, praetexta”?, in: Latomus 75 (2016), 862-887 . Ernst Meyer, Einführung in die lateinische Epigraphik, Darmstadt 1973 . Alain Michel, Le philosophe, le roi et le poéte dans De lingua Latina, in: RPh 39 (1965) 69-79. Theodor Mommsen, Römisches Staatsrecht, Leipzig 1883. Fredericus Muller, De veterum, imprimis Romanorum, studiis etymologicis, Traiecti ad Rhenum 1910. Christoph Neumeister, Das antike Rom. Ein literarischer Stadtführer, München 1991. Francis Newton, The Scriptorium and Library at Montecassino, 1058 - 1105, Cambridge 1999. Eduard Norden, Die antike Kunstprosa vom VI. Jahrhundert v. Chr. bis in die Zeit der Renaissance, Leipzig/Berlin 21909. Lorenzo Nosarti, Note acciane. Esegetiche e testuali III ex inc. Fab. 678-680 Ribb.3, in: Quaderni dell´Istituto di Fililogia Latina dell´ Università di Padova 1974, 67-74. August Otto, Die Sprichwörter und sprichwörtlichen Redensarten der Römer. Gesammelt und erklärt von August Otto, Leipzig 1890 (Nachdruck Hildesheim/New York 1970). Wilhelm Pape, Lectiones Varronianae. Praecedit quaestio de linguarum studii consilio ac ratione, Berlin 1829. Chiara Pavone, A proposito della formula augurale (Varrone, De lingua Latina VII 8), in: BStudLat 23 (1993), 265-281. Chiara Pavone, Bell& tueri (Varrone ling. VII 12). Proposta per un emendamento, in: Maia 50 (1998) 291-298. Chiara Pavone, Ancora su Varrone Ling. VII 12: Un problema di traduzione, in: GIF L (1998) 85-91. Chiara Pavone, La tutela delle fanciulle (Varron ling. VII 12) e la stella della sera (Varrone ling. VII 50), in: Papers on Grammar VI, 211-222. Chiara Pavone, R. G. Kent ad Varr. Ling. VII 17: una traduzione da rivedere, in: GIF 55 (2003), 245-255. Chiara Pavone, Teorie di fisica e biologia nel „De lingua Latina“ in rapporto al pensiero di Aristotele e degli Stoici, in: Maia 62 (2010), 41-56. José Joaquín Caerols Pérez, Augures ex arce profecti (Varro ling. 5,47), in: CFC(L) 8 (1995), 59-65. Wilhelm Pfaffel, Wie modern war die Varronische Etymologie? In: Historiographie Linguistica XIII no. 2/3 (1986) 381-402.

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Einleitung

LXV

Wilhelm Pfaffel, Ein neuer Plautusvers bei Varro?, in: Gymnasium 128 (2021) 327-331. Wilhelm Pfaffel, Varros De lingua Latina und das Fragmentum Cassinense (Cod. Cas. 361), in: Würzburger Jahrbücher für die Altertumswissenschaft. Neue Folge. Band 46 (2022), 33-65 Giorgio Piras, Varrone e i poetica verba. Studio sul settimo libro del De lingua Latina, Bologna 1998. Giorgio Piras, Nuove testimonianze dalla biblioteca di Petrarca: Le annotazioni al de lingua Latina di Varrone, in: Quaderni Petrarcheschi XVII-XVIII, Florenz (2007/8), 829-856. E. Platner / C. Bunsen, E. Gerhard / W. Röstell, Beschreibung der Stadt Rom. Mit Beiträgen von B. G. Niebuhr, Stuttgart-Tübingen. 3 Bände, 1830-1842. Gerhard Radke, Vetus vinum, novum vinum, in: WJA XIV (1988) 108-111. José Luis García Ramón, Altlatein. cortumio ´Geländeausschnitt´, in: Aevum (ant) N. S. 7 (2007) 285-298. Richard Reitzenstein, Geschichte der griechischen Etymologika. Ein Beitrag zur Geschichte der Philologie in Alexandria und Byzanz, Leipzig 1897 (Nachdruck Amsterdam 1964). Otto Richter, Topographie der Stadt Rom, München 21901. Christiane Rösch-Binde, Vom „δεινὸς ἀνήρ“ zum „diligentissimus investigator antiquitatis“: Zur komplexen Beziehung zwischen M. Tullius Cicero und M. Terentius Varro, München 1998. Christiane Rösch-Binde, „Ego exspectatione promissi tui moueor ut admoneam te, non ut flagitem.” Zur Frage der zeitlichen Redaktion und Edition von Varros De lingua Latina, in: Papers on Grammar VI, 223-246. Marc van Rooij, Das älteste Apographon des Archetypus von Varros De lingua Latina (Codex Vallicellianus D. 49.3), in: Codices Manuscripti 13,3,77 f. Herbert Jennings Rose, Griechische Mythologie. Ein Handbuch, München 21961. Klaus Sallmann, Censorinus. Betrachtungen zum Tag der Geburt. ´De die natali´. Mit deutscher Übersetzung und Anmerkungen herausgegeben von Klaus Sallmann, Leipzig 1988. Klaus Sallmann, V. Terentius, M. (Reatinus), in: Der Neue Pauly. Enzyklopädie der Antike. Herausgegeben von Hubert Cancik und Helmuth Schneider, Band 12/1, Stuttgart/Weimar 2002, 1130-1144. Marcello Salvadore, Lettori di Varrone, in: Papers on Grammar VI, 247-260. Giulia Sarullo / Daniel J. Taylor, Two Fragments of the Carmen Saliare and the Manuscript Tradition of Varro´s De lingua Latina. With Appendix I - III, in: Codices Manuscripti & Impressi. Zeitschrift für Buchgeschichte 91/92 (2013), 1-10.

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LXVI

Einleitung

Stefan Schaffner, Zur Wortbildung und Etymologie von lateinisch autumnus, in: Graecolatina et Orientalia XXXV-XXXVI (2014), 67-102. D. M. Schenkeveld, Studies in the History of Ancient Linguistics IV: Developments in the Study of Ancient Linguistics, in: Mnemosyne 43 (1990) 289-306. Robert Schröter, Studien zur varronischen Etymologie, Wiesbaden 1959. Robert Schröter, Die varronische Etymologie, in: Entretiens sur l´ antiquité classique. Tome IX: Varron, Genève 1963, 79-100 . D. M. Schenkeveld, Studies in the History of Ancient Linguistics IV: Developments in the Study of Ancient Linguistics, in: Mnemosyne 43 (1990) 289-306. David Sedley (ed.), The Philosophy of Antiochus, Oxford 2012. Elmar Siebenborn, Die Lehre von der Sprachrichtigkeit und ihren Kriterien, Amsterdam 1976. Jens Erik Skydsgaard, Varro the Scholar. Studies in the first Book of Varro´s De re rustica, Kopenhagen 1968. Michael Sommer, Römische Geschichte I. Rom und die antike Welt bis zum Ende der Republik, Stuttgart 2013. Leonhard Spengel, Über die Kritik der Varronischen Bücher zu de lingua Latina, in: Abhandlungen der königlich-bayerischen Akademie der Wissenschaften VII. 2, München 1854, 1-54. Leonhard Spengel, Zu M. Terentius Varros de lingua latina, in: Philologus 17 (1861) 288-306. Leonhard Spengel, Die Sacra Argeorum bei Varro de lingua latina, in: Philologus 32 (1873) 92-105. Markus Stachon, Papinius, Pomponius oder Pompilius (p. 120 FPL Bl.)? Zum Autor des Epigramms auf Casca und seine Alte bei Varro (L. 7.28) und Priscian (Inst. Gramm. 3.11), in: Mnemosyne 71 (2018) 653-666. Heymann Steinthal, Geschichte der Sprachwissenschaft bei den Griechen und Römern mit besonderer Rücksicht auf die Logik. Erster Teil, Berlin 1890; Zweiter Teil, Berlin 1891. Thomas Tarver, Varro and the Antiquarianism of Philosophy, in: Jonathan Barner / Miriam T. Griffin, P hilosophia Togata II: Plato and Aristotle at Rome, Oxford 1997, 130-164. Daniel J. Taylor, Declinatio. A Study of the Linguistic Theory of Marcus Terentius Varro, Amsterdam 1974. Daniel J. Taylor, Rethinking the History of Language Science in Classical Antiquity, in: The History of Linguistics in the Classical Period. Edited by Daniel J. Taylor, Amsterdam / Philadelphia 1987, 1–16. Antonio Tovar, Altlatein und Romanisch: sarrare, nicht sardare, in: Glotta 46 (1968), 267-274.

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Einleitung

LXVII

Antonio Traglia, Sopra alcune citazioni di Plauto e di Terenzio nel De lingua Latina di Varrone, in: Poesia Latina in frammenti. Miscellanea filologica, Genova 1974, 275-279. Katharina Volk, Varro and the Disorder of Things, in: Harvard Studies in Classical Philology 110 (2019), 183-212. Georg Wissowa, Religion und Kultus der Römer, München 1912. Adam Ziolowski, Where was „infima Nova via”?, in: ArchClass N. S. 6 (2016) 573-591. Adam Ziolowski, “Pagus Succusanus”: una voce scettica, in: Index 44 (2016) 61-72.

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LXVIII

Einleitung

8.5 Diakritische Zeichen (auch für die Lesungen der Handschriften) * terima :

Die Form terima ist rekonstruiert.

medidiēs > meridiēs :

Die Form medidiēs wird zu meridiēs.

uls < ols :

uls kommt aus ols.

arāre → arātrum :

Aus arāre ist arātrum mittels der lat. Wortbildung abgeleitet.

arātrum ´Pflug´ :

arātrum bedeutet 'Pflug'.

< pallia > :

Das Wort pallia ist zu ergänzen.

[ ideo ] :

Das Wort ideo ist zu streichen.

+ KROKHN

Das überlieferte KROKHN ist fraglich und lässt sich nicht sicher verbessern.

+++

Hier ist eine Lücke im Text.

amb/egna

Hier hat der Varrotext eine Trennlinie zur Markierung der (morphologischen) Segmente.

Zur Bezeichnung von Lautung und Schriftrepräsentation: [a:]

Langvokal ā

< A >

Graphem A

perti / net

Hier ist das Element pertinet durch einen Zeilenumbruch in F getrennt.

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Einleitung

LXIX

8.6 Conspectus siglorum F Laurentianus LI 10 (Florenz) f Laurentianus LI 5 (Florenz) Vall. Vallicellianus D. 49.3 (Rom) Fv Kollationierung von F durch Diacetius bzw. Victorius in der Editio princeps des Laetus (1471) (Fv) Fehlen einer Korrektureintragung von Diacetius bzw. Victorius F° Übereinstimmung von f und Fv *F Übereinstimmung von Vall., f und Fv F* Erschließbarer Vorgänger von F Frg. Cas. Fragmentum Casinense (V 41-56) Prisc. Priscian, De figuris numerorum (V 169-174) codd. Die Handschriften p Basiliensis F IV 13 V Vindobonensis LXIIII (Wien) G Gothanus (Gotha) H Havnensis (Kopenhagen) M Guelferbytanus 896 (Wolfenbüttel) E Escurialensis g-III-20 (Madrid) a Parisinus 7489 b Parisinus 6142 c Parisinus 7435 B Verlorener Codex des Augustinus, von Victorius noch eingesehen α Vaticanus Latinus 1556 (Rom) edd. Herausgeber

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Der Beginn von Kap. V 1–7 aus Codex F (bis rudentum / sibilus). Quelle: Biblioteca Medicea Laurenziana, Ms. Plut. 51.10, p. 1 r. Mit freundlicher Erlaubnis des Ministero di Cultura (Rom). Weitere Reproduktionen sind untersagt.

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2

Varronis De lingua Latina librorum III et IV fragmenta Liber III Frg. 1 (= 1 Kent, 2 GS) – Serv. Dan. In Aen. XII 139: Deus autem vel dea generale nomen est omnibus; nam quod Graece δέος, Latine timor vocatur, inde deus dictus est, quod omnis religio sit timoris. Varro ad Ciceronem tertio: „Ita respondeant, cur dicant deos, cum omnes1 antiqui dixerint divos2.”

Frg. 2 (= 2 Kent, 3 GS) – Diomedes, Ars grammatica I 377, 11-13 Keil: Figor ambigue declinatur apud veteres tempore perfecto; reperimus enim „fictus“ et „fixus”. Scaurus de vita sua „sagittis”, inquit, „confictus”. Varro ad Ciceronem tertio: „fixum”. Frg. 3 (= 3 Kent, 7 GS) – Philarg. in Buc. II 63: Hoc nomen (sc. leaena) licet veteres Latinum negent, auctoritate tamen valet. Dicebant enim leonem masculum et feminam, ut Plautus in Vidularia: „nam audivi feminam ego leonem semel parire”. Cicero „de gloria” libro… sic ait: „Statuerunt simulacrum leaenae.” Leam vero Varro ad Ciceronem dicit libro III: „sicut non est3 panthera et lea.”

1  omnibus: codd.; < de > omnibus Thilo; omnes Mascivius, Wilmans; an: omneis? 2  divos codd.; scripsi, cf. ad VI 61. 3  Nocẽ Laur. Plut. XLV, no cest Paris. 11308: Kent.

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3

Varro, De lingua Latina – Fragmente aus den Büchern III und IV Buch III Frg. 1 (aus dem Kommentar des Servius zu Aeneis XII 139): Aber deus, Gott, oder dea, Göttin, ist eine Bezeichnung, die alle gemeinsam haben; denn was auf Griechisch δέος, Furcht, heißt, (sc. heißt) auf Lateinisch timor; von daher (sc. von δέος) wurde deus, Gott, benannt, weil jede Gottesverehrung der Furcht eignet. Varro sagt im dritten Buch an Cicero: „Daher sollen sie (sc. die Gegner der Etymologie) antworten, warum sie (die Götter) deōs nennen, während doch alle Alten dazu deivōs gesagt haben.“1 Frg. 2 (aus der Grammatik des Diomedes, GLK I 377, 11-13): Fīgor, ich werde geheftet, wird bei den Alten im Perfekt auf zwei Arten dekliniert; ich finde nämlich (sc. als Partizip) fīctus und fīxus. Scaurus2 schreibt in seiner Biographie: „von Pfeilen durchbohrt, cōnfīctus“. Varro schreibt im dritten Buch an Cicero: „fīxum“. Frg. 3 (aus dem Kommentar des Iunius Filagrius, 5. Jh. n. Chr., zu den Bucolica Vergils II 63):3 Wenn auch die Alten bestreiten, dieses Wort (leaena) sei ein lateinisches Wort, so hat es doch Gültigkeit durch die Autorität (sc. der Schriftsteller). Denn sie bezeichneten den Löwen, leō, im Maskulinum und Femininum, wie Plautus in der Vidularia: „Ich habe ja gehört, dass ein Löwenweibchen, fēmina leō, nur éin Kind gebiert.“ Cicero sagt in seinem Buch De gloria Folgendes: „Sie beschlossen, der Löwin, leaena, eine Skulptur zu errichten.“ Varro aber sagt im dritten Buch an Cicero: „… wie es auch (sc. im Femininum) nicht panthēra, Pantherin, und lea, Löwin, heißt.“4

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4

Librorum III-IV Fragmenta

Liber IV Frg. 4 (= 4 Kent, 5 GS) – Nonius p. 64,15: Varro de lingua Latina lib. IV: Prolubium1 et lubidinem2 dici ab eo quod lubeat: unde etiam lucus Veneris Lubentina dicatur. Frg. 4 a = Varro, De lingua Latina VI 2: Sic, inquam, consuetudo nostra multa declinavit ua3 a vetere: ut ab sodio solium4, ab Loebeso Liberum5, ab Lasibus Lares.

1  proluviem: Guietus. 2  pro lubidinem: Quicherat. 3  ut F°; scripsi. 4  solu solum: Flo. 5  libero liberam *F, cett.: Mue.

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Buch IV Frg. 4 – Nonius p. 89,15 ff. L.: Varro schreibt im vierten Buch von De lingua Latina, Prōlubium, Belieben, und lubīdō, Begierde, kämen daher, weil etwas beliebe, lubeat: Davon heiße auch der Hain der Venus Lubitīna so.5 Frg. 4 a – Varro De lingua Latina VI 2: So hat auch, wie schon gesagt, unser heutiger Sprachgebrauch viele Wörter von einem alten abgeleitet: z. B. aus sodium, Sessel, solium, von Loebeso den (Gott) Līber, die Laren, Larēs, aus Lasēs.

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Liber V

Übersicht über Buch V 1-13 : Einführung:

1-9 : Theorie des Sprachwandels und die Probleme des Etymologen



10 : Aufbau der Bücher V-VII



11-13 : Philosophische Grundlegung der Einteilung

14-184 : Die Etymologien von Bezeichnungen der 'Dinge' 14-56 : Das Wortfeld 'Raum' 14-16 : Raum (locus) 17-20 : Himmel (caelum) 21-56 : Erde: 21-23 : Erde und Boden 24-30 : Gewässer 31-32 : Europa 33-40 : ager und Verwandtes

41-56 : Rom und seine Topographie

57-183 : Die Dinge im Raum



57-74 : Gottheiten und ihre Wirkungsbereiche 74-183 : Die Welt der Sterblichen

75-76 : Lufttiere 77-79 : Wassertiere 80-101 : Landwesen 80-94 : Menschen und ihre Funktionen und Eigenschaften 95-101 : Tiere in Landwirtschaft und Wildtiere

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7 101-104 : Pflanzen und Früchte 105-183 : Menschliche Erzeugnisse 105-112 : Nahrungsmittel

113-114 : Kleidungsstücke I



115-117 : Waffen



118-129 : Haushaltsgeräte und Mobiliar



130-133 : Kleidungsstücke II

134-138 : Landwirtschaftliche Geräte 139-140 : Transportmittel 141-165 : Gebäudlichkeiten 141-147 : Teile einer Stadt 148-159 : Wichtige Gebäude Roms 160-162 : Teile des Hauses 163-165 : Die Tore Roms

166-168 : Betten und Polster



169-183 : Geld und Geldwirtschaft

184 : Schluss und Übergang zu Buch VI

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Liber V

M. TERENTI · UARRONIS · DE LINGUA LATINA · DE DISCIPLINA ORIGINV̅ · VERBORVM · AD CICERONEM LIBER IIII · EXPLICIT · IN̅ C · LI̅ B · V · 1 Quemadmodum vocabula essent imposita rebus in lingua Latina, sex libris exponere institui. De his tris ante hunc feci, quos Septumio misi; in quibus est de disciplina, quam vocant ἐτυμολογικήν. Quae contra ea1 dicerentur, volumine primo, quae pro ea, secundo, quae de ea, tertio. In his ad te scribam, a quibus rebus vocabula imposita sint in lingua Latina et ea quae sunt in consuetudine2 apud poetas. 2 Cum 3 unius cuiusque verbi naturae sint duae, a qua re et in qua re vocabulum sit impositum – Itaque a qua re sit pertinacia cum requitur4, [h]ostenditur esse a pertendo5; in qua re sit impositum dicitur, cum demonstratur, in quo non debet pertendi et pertendit, pertinaciam esse, quod in quo oporteat manere, si in eo perstet6, perseverantia sit –, priorem illam partem, ubi cur et unde sint verba, scrutantur, Greci vocant ἐτυμολογίαν 7, illam alteram περὶ σημαινομένων8. De quibus duabus rebus in his libris promiscue dicam, sed exilius de posteriore. 3 Quae ideo sunt obscuriora, quod neque omnis impositio verborum exstat, quod vetustas quasdam delevit, nec quae exstat, sine mendo omnis imposita, nec quae recte est imposita, cuncta manet (multa enim verba literis commutatis sunt interpolata); neque omnis origo est nostrae linguae e vernaculis verbis, et multa verba aliud nunc ostendunt, aliud ante significabant, ut „hostis“: Nam tum eo verbo dicebant peregrinum, qui suis legibus uteretur, nunc dicunt eum quem tum dicebant „perduellem“. 4 In quo genere verborum aut casu erit illustrius, unde videri possit origo, inde repetam. Ita fieri oportere apparet, quod recto casu quem dicimus inpos, obscurius est esse a potentia, qua9 cum dicimus inpot[ent]em10; et eo obscurius fit, si dicas pos[t]11 quam inpos: videtur enim pos12 significare potius pontem quam potentem. 1  ea : p, Rhol. 2  Lac. susp. L. Sp., sed cf. Krafft (1969), Piras (1998). 3  cui: Rhol. 4 sequitur: GS. 5 pertendo F (Vetter): Rhol. 6 perstet: perstetur Sciop., A. Sp. 7 ethimologiam: edd. 8 ΠΕΡChΜΑΙΝΟΜΕΝΟΝ : edd. 9 qua F: a. 10 inpotentem: Aug. 11 post F: B, edd. 12 pos < pons F.

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1 – 4

9

Marcus Terentius Varro – Latein.

Lehre vom Ursprung der Wörter. Gewidmet Cicero. Ende von Buch IV. Anfang von Buch V.6 1 Auf welche Weise die Dinge im Lateinischen benannt sind, wollte ich in sechs Büchern darlegen. Drei davon habe ich vor diesem gemacht und schon dem Septumius7 geschickt; darin geht es um die sogenannte „etymologische“ Wissenschaft. Was gegen sie gesagt wird8, steht im ersten Band, was für sie, im zweiten, was über sie, im dritten. In diesen (drei) Büchern an dich will ich darüber schreiben, nach welchen Dingen die Wörter benannt sind: diejenigen im (sc. üblichen) Lateinischen und diejenigen, die bei den Dichtern im Gebrauch sind.9 2 Jedes Wort hat zwei Wesenheiten: woher und wofür es benannt ist. Wenn man daher fragt, woher (sc. das Wort) pertinācia, Hartnäckigkeit, kommt, lässt sich zeigen, dass es von pertendere, beharren, kommt; man spricht davon, was es benennt, wenn man zeigt, dass es Hartnäckigkeit ist, wenn einer auf etwas beharrt, wo er es nicht sollte, während es Ausdauer (persevērantia) ist, wenn einer auf etwas besteht, wobei er bleiben soll.10 Daher nennen die Griechen jenen ersten Teil, wo man nach Grund und Herkunft der Wörter fragt, Etymologie, den zweiten Bedeutungslehre. Über beides will ich in diesen Büchern gemeinsam sprechen, über das Zweite aber knapper11. 3 Diese Dinge liegen deshalb ziemlich im Dunkeln, weil zum Einen nicht jede Benennung (noch) existiert – denn der Lauf der Zeit hat einige zerstört –, zum Anderen nicht jede, die existiert, fehlerfrei vorgenommen wurde, außerdem nicht jede richtig vorgenommene ganz bleibt (viele Wörter wurden nämlich dadurch, dass Buchstaben verändert wurden, verfälscht); zudem stammt nicht jedes Wort unserer Sprache von einheimischen Wörtern, und außerdem bedeuten viele Wörter jetzt etwas Anderes als vorher, wie hostis: Denn damals bezeichnete man damit einen Fremden, der seine eigenen Gesetze hatte, jetzt bezeichnet man damit denjenigen, den man damals perduellis, Feind, nannte.12 4 Ich werde in dem Genus oder Kasus ansetzen, von wo sich der Ursprung klarer sehen lässt. Dass es so gemacht werden muss, ist klar: Denn wenn wir im Nominativ einen inpos nennen, ist es weniger deutlich, dass es von potentia, Macht, kommt, als wenn wir (im Akkusativ) sagen inpotem; und noch undeutlicher wird es, wenn man sagt pōs statt inpōs: Denn pōs bezeichnet offensichtlich eher eine Brücke, pōns, als einen Mächtigen, potēns.13

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Liber V

5 Vetustas pauca non depravat, multa tollit. Quem puerum vidisti formosum, hunc vides deformem in senecta. Tertium seculum non videt eum hominem, quem vidit primum. Quare illa, quae iam maioribus nostris ademit oblivio, fugitiva1 secuta sedulitas Muci2 et Bruti retrahere nequit. Non, si non potuero indagare, eo ero tardior, sed velocior ideo, si quivero3. Non mediocris enim tenebrae in silva, ubi haec captanda, neque eo quo pervenire volumus, semitae tritae, neque non in tramitibus quaedam obiecta,4 quae euntem retinere possent. 6 Quorum5 verborum novorum ac veterum discordia omnis in consuetudine comuni;6 quot modis [litterarum]7 commutatio sit facta qui animadverterit, facilius scrutari origines patietur verborum. Reperiet enim esse commutata, ut in superioribus libris ostendi, maxime propter bis quaternas causas. Litterarum enim fit demptione aut additione et propter earum trac[ta]tionem8 aut commutationem, item syllabarum, < earumque > productione.9 Quae quoniam in superioribus libris quoiusmodi10 essent, exemplis satis demonstravi, hic ammonendum esse modo putavi. 7 Nunc singulorum verborum origines expediam, quorum quattuor explanandi gradus. Infimus is,11 quo populus etiam venit: quis enim non videt, unde cretifodine12 et viocurus? Secundus, quo grammatica [d]escendit13 antiqua, quae ostendit, quemadmodum quodque poeta finxerit verbum, quod confinxerit, quod14 declinarit. Hic Pacui : „rudentum sibilus“, hic „incurvicervicum15 pecus“, hic „clamide clupeat bacchium.16 8 Tertius gradus, quo philosophia ascendens pervenit atque ea quae in consuetudine communi essent, aperire coepit, ut a quo dictum esset oppidum, vicus, via. 1  fugitiva < fugiva F2; < ut > fugitiva Sciop. 2  Muti: Turn. 3 ꝗvero F. 4 oblecta: edd. 5 quorum: quoniam Rhol., quom L. Sp., quo Mue. 6 In consuetudine comuni · quot modis interp. F. 7 Del. Fritzsche. 8 tractationem: Scal. 9 Secl. L. Sp.; addidi et scripsi. 10 գ (= qui) cuiusmodi: qui del. Aug. Scripsi. 11 in del. Sciop.: scripsi. 12 aretofodine: argentifodinae Canal: Turn. 13 descendit: Sciop. 14 quod (bis): quod GS. 15 incurvice ruicum: Ald. 16 Edd. sec. Non. 124,23 L.

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5 – 8

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5 Der Lauf der Zeit entstellt weniges nicht, vieles beseitigt er. Wen man als Kind schön aussehend gesehen hat, den sieht man entstellt im Alter. Die dritte Generation sieht nicht den Menschen, den die erste gesehen hat. Darum kann das, was schon unseren Vorfahren das Vergessen geraubt hat, der Fleiß eines Mucius und Brutus, der Flüchtigem nachspürt14, nicht wieder hervorholen. Wenn ich es nicht aufspüren kann, werde ich deshalb nicht langsamer sein, sondern umso schneller, wenn ich es geschafft habe. Denn nicht normale Finsternis herrscht in dem Wald, wo man dies fangen muss, und es gibt dorthin, wohin wir kommen wollen, auch keine ausgetretenen Pfade, und auf den Pfaden liegt durchaus auch einiges im Wege, was einen beim Gehen zurückhalten kann. 6 Zwischen diesen neuen und alten Wörtern herrscht im allgemeinen Sprachgebrauch eine totale Diskrepanz.15 Wer merkt, auf wie viele Weise der Wandel entstanden ist, wird es leichter zulassen, die Ursprünge der Wörter zu erforschen. Er wird nämlich finden, dass sie sich – wie ich in den vorherigen Büchern gezeigt habe – im Wesentlichen aus zweimal vier Gründen verändert haben. Es geschieht nämlich durch Wegnahme oder Hinzufügung von Buchstaben und wegen deren Umstellung oder Veränderung, ebenso bei den Silben, und deren Dehnung.16 Da ich ja in den vorherigen Büchern an Beispielen genügend gezeigt habe, wie das ist, glaubte ich hier nur mehr daran erinnern zu müssen. 7 Jetzt will ich die Ursprünge der einzelnen Wörter aufzeigen, wofür es vier Erklärungsstufen gibt17. Die unterste ist die, wohin auch das Volk kommt: Wer sähe nämlich nicht, woher crētifodīnae, Kreidegruben,18 und viocūrus, Straßenpfleger, kommt? Die zweite ist die, wohin die alte Grammatik hinaufsteigt, die zeigt, auf welche Weise ein Dichter ein jedes Wort gebildet hat, was er zusammengesetzt und was er abgeleitet hat, z. B. bei Pacuvius19:

rudentum sībilus, der Taue Zischen, incurvicervicum pecus, das krummnackige Vieh, und clamide clupeat bracchium, mit dem Mantel schildet er den Arm.

8 Die dritte Stufe ist die, wohin die Philosophie in ihrem Aufsteigen gelangt und begonnen hat, das aufzuklären, was im allgemeinen Sprachgebrauch ist, wie z. B. woher oppidum, Kleinstadt, vīcus, Dorf, und via, Straße, kommen.

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Liber V

Quartus, ubi est adytum1 et initia regis: quo si non perveniam 2 scientiam, at3 opinionem aucupabor, quod etiam in salute nostra nonnunquam facit, cum egrotamus, medicus. 9 Quodsi summum gradum non attigero, tamen secundum praeteribo, quod non solum ad Aristophanis lucernam, sed etiam ad Cleantis lucubravi. Volui praeterire eos, qui poetarum modo verba ut sint ficta, expediunt. Non enim videbatur consentaneum quare4 me in eo verbo, quod finxisset Ennius, causam, neglegere, quod ante rex Latinus finxisset, cum poeticis multis verbis magis delecter, quam utar, antiquis magis utar, quam delecter. An non potius mea verba illa, quae hereditate a Romulo rege venerunt, quam quae a poeta Livio5 relicta? 10 Igitur, quoniam in haec sunt tripertita verba, quae sunt aut nostra aut aliena aut oblivia: de nostris dicam, cur sint, de alienis, unde sint, de obliviis relinquam: Quorum partim quid aut invenerim aut opiner6, scribam. In hoc libro dicam de vocabulis locorum et quae in his sunt, in secundo de temporum et quae in his fiunt, in tertio de utraque re a poetis comprehensa. 11 Pythagoras Samius ait omnium rerum initia esse bina ut finitum et infinitum, bonum et malum, vitam et mortem, diem et noctem. Quare item duo: status et motus. Quod stat aut agitatur, corpus, ubi agitatur, locus, dum agitatur, tempus, quod est in agitatu, actio. Quadripertitio magis sic apparebit: corpus est ut cursor, locus stadium, qua currit; tempus hora, qua currit, actio cursio. 12 Quare fit, ut ideo fere omnia sint quadripertita, et ea aeterna, quod neque unquam tempus, quin fueri[n]t7 motus: eius enim8 intervallum tempus; neque motus, ubi non locus et corpus, quod alterum est, quod movetur, alterum, ubi; neque ubi ins9 agitatus, non actio ibi. Igitur initiorum quadrigae locus et corpus, tempus et actio.

1  2  3  4  5  6  7  8  9 

aditum < aditus: Sciop.; asylum Lazzerini (2017). ad : add. L. Sp.; an: quo – scientiá (= abl. instrumenti) ? Cf. IX 112. ad: Sciop. quare: Aug. liuio < libio F. quo ita invenerim, ita opiner F: quid tamen invenerim aut opiner Fay. Scripsi. fuerint: edd. animi: Aug. ins vel his (is F2): scripsi.

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Die vierte ist die, wo das Allerheiligste und die Mysterien des Königs20 sind: Wenn ich dorthin nicht zum Wissen (?) gelange, will ich doch eine Vermutung erhaschen, was auch manchmal bei unserer Gesundheit der Arzt macht, wenn wir krank sind.21 9 Wenn ich aber die höchste Stufe nicht erreiche, will ich doch die zweite übergehen, weil ich nicht nur beim Licht eines Aristophanes22, sondern auch bei jenem des Kleanthes gearbeitet habe. Ich wollte diejenigen übergehen, die nur erklären, wie die Wörter der Dichter gebildet sind.23 Es schien mir nämlich nicht stimmig, zwar den Grund bei dem Wort zu suchen, das Ennius24 gebildet hat, aber das zu vernachlässigen, das vorher der lateinische König25 gebildet hat, da ich mich an vielen dichterischen Wörtern mehr erfreue, als sie zu benutzen, die alten aber mehr benutze, als mich daran zu erfreuen. Sind etwa nicht eher diejenigen meine Wörter, die als Erbe von König Romulus stammen, als die, die vom Dichter Livius26 hinterlassen wurden? 10 Die Wörter sind ja nun in folgende drei Gruppen eingeteilt: unsere eigenen, die fremden und die in Vergessenheit geratenen. Daher möchte ich von unseren eigenen sagen, warum sie sind, von den fremden, woher sie kommen, die in Vergessenheit geratenen lasse ich übrig; von einem Teil davon möchte ich schreiben, was ich entweder gefunden habe oder worüber ich eine Vermutung habe.27 In diesem Buch möchte ich über die Wörter für Örtlichkeiten und was sich darauf befindet, schreiben; im folgenden über die Wörter für Zeiten und was in diesen geschieht, im dritten über beides gemeinsam, wie es von den Dichtern ausgedrückt worden ist. 11 Pythagoras von Samos28 sagt, die Prinzipien aller Dinge seien je zwei: das Endliche und das Unendliche, Gut und Böse, Leben und Tod, Tag und Nacht. Daher gibt es ebenfalls zwei, nämlich Zustand und Bewegung. Was steht oder sich bewegt, ist ein Körper, wo es sich bewegt, ein Ort, während es sich bewegt, die Zeit, und was in Bewegung ist, ist die Handlung. Die Vierteilung wird deutlicher folgendermaßen: Körper ist z. B. ein Läufer, Ort das Stadion, wo er läuft; Zeit die Stunde, zu der er läuft, Handlung das Laufen. 12 So kommt es, dass daher fast alles in vier Teile zerfällt, und das auf Ewigkeit: Denn es gibt ja nie Zeit ohne Bewegung, denn deren Intervall ist die Zeit; und keine Bewegung ohne Ort und Körper, weil das eine das ist, was sich bewegt, das andere, wo es sich bewegt; und dort, wo doch ein Bewegen innewohnt, agitātus, gibt es auch Handlung, āctiō. Also gibt es ein Viergespann von Prinzipien: Ort und Körper, Zeit und Handlung.

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Liber V

13 Quare, quod1 quattuor genera prima rerum, totidem verborum. Enim horum de quis locis2 et iis rebus, que in his videntur, in hoc libro summatim ponam. Sed qua cognatio eius erit verbi, quae radices egerit extra fines suas, persequemur. Sepe enim ad limitem arboris radices sub vicini prodierunt segetem. Quare non, cum de locis dicam, si ab agro ad agros[i]um3 hominem, ad agricolam, pervenero, aberraro. Multa societas verborum, nec vinalia sine vino expediri nec Curia Calabra sine calatione potest aperiri. 14 Incipiam de locis ab ipsius loci origine. Locus est, ubi locatum quid esse potest, < aut > ut4 nunc dicunt, collocatum. Veteres id dicere solitos apparet apud Plautum: „Filiam habeo grandem cassa dote atque inlocabili5 neque eam queo locare cuiquam.“ Apud Ennium: „O Terra Treca ubi Liberi fanum inclutum6 / Maro locavi7.“ 15 Ubi quidque consistit, locus8. Ab eo praeco dicitur „locare”, quod usque id eit9, quoad in aliquo consistit pretium. In10 locarium, quod datur in stabulo et taberna, ubi consistant. Sic loci muliebres, ubi nascendi initia consistunt. 16 Loca natura11 secundum antiquam divisionem prima duo: terra et caelum, deinde particulatim utriusque multa. Caeli dicuntur loca supera et ea deorum; terrae: loca infera, et ea hominum. Ut caelum, sic Asia12 dicitur modis duobus: Nam et Asia, quae non Europa, in quo etiam Syria, et Asia dicitur prioris13 pars Asiae, in qua est Ionia ac provincia nostra. 1  quod < quot F. 2  dequis locis et his rebus: e quis < de > locis et iis rebus Kent; scripsi. 3  agrosium : Sciop. 4  < aut > add. Vetter. 5  Virginem habeo grandem, dote cassam atque inlocabilem Plautus. 6  inciuium: Guglielmus. 7  locavi: Ribbeck. 8  locus : Hoenigswald, de Melo. 9  id emit : idem it Scal; scripsi, cf. V 68. 10  in : Lae. 11  natura : naturae Aug., edd. 12  Asia sic caelum: scripsi. 13  prioris : Bergk.

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13 Weil es vier Grundelemente der Dinge gibt, gibt es daher ebenso viele bei den Wörtern.29 Darum möchte ich von denen in diesem Buch über die Orte und die Dinge, die sich in diesen zeigen, insgesamt handeln. Aber wo dieses Wort eine Verwandtschaft hat, die ihre Wurzeln über ihre eigenen Grenzen hinausgezogen hat, werden wir sie verfolgen. Denn oft reichen die Wurzeln eines Baumes, der an der Grenze steht, unter die Saat des Nachbarn.30 Wenn ich daher über Orte rede und vom Acker, ager, zu einem Menschen mit vielen Äckern, agrōsus homō, nämlich dem Bauern, agricola, komme, bin ich nicht abgeirrt.31 Vielgestaltig ist die Gesellschaft der Wörter; und das Weinfest, vīnālia, lässt sich nicht ohne den Wein, vīnum, erklären, und die Cūria Calābra, Ort der Ausrufung, lässt sich nicht ohne das Ausrufen, calātiō, erklären.32 14 Bei den Orten möchte ich mit dem Ursprung von locus selbst beginnen. Locus, Ort, ist, wo etwas aufgestellt, locātum, sein kann, oder, wie man heute sagt: collocātum.33 Dass die Alten es üblicherweise so gesagt haben, wird bei Plautus34 klar: „Ich habe eine erwachsene Tochter mit leerer Mitgift, die nicht anzu- bringen ist (inlocābilī), und ich kann sie bei keinem Mann unterbrin- gen (locāre).“ Und bei Ennius35: „O thrakisch' Land, wo das berühmte Heiligtum des Bacchus Maro hat aufgestellt (locāvit).“ 15 Wo jedes Ding fest steht, cōnsistit, ist der Ort, locus.36 Daher sagt man, dass der Ausrufer etwas festsetze, locāre, weil er bis zu dem Punkt geht, wo der Preis bei einem (sc. Bieter) stehen bleibt.37 Von daher heißt es locārium, Standgeld, das gegeben wird, damit man sich in Unterkunft oder Laden hinstellen kann. So heißen auch die Stellen bei der Frau, wo der Anfang des Entstehens sich festsetzt, locī.38 16 Die Orte sind – von Natur her – nach alter Einteilung zuerst Erde und Himmel, dann gibt es aufgeteilt von jedem dieser beiden viele. Beim Himmel spricht man von den oberen Orten, loca supera, und zwar jenen der Götter; bei der Erde von den unteren, und zwar jenen der Menschen, loca īnfera. Vom Himmel und Asien spricht man auf zweierlei Weise: Denn man nennt Asia sowohl das, was nicht Europa ist, wo auch Syrien liegt, als auch den äußersten Teil, in dem Jonien und unsere Provinz liegen.39

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17 Sic caelum et pars eius1, summum, ubi stellae, et id, quod Pacuvius, cum demonstrat, dicit: „Hoc vide circum supraque quod complexu continet / terram“, cui subiungit: „id quod nostri caelum memorant.“ A qua bipertita divisione Lucilius2 suorum unius3 et viginti librorum initium fecit hoc: „Aetheris et terrae genitabile querere tempus.“ 18 Caelum dictum, scribit Aelius, quod est caelatum4, aut contrario nomine, celatum, quod apertum est; non: male! Quod posterior5 multo potius a celo quam caelum a celando. Sed non minus illud alterum de celando ab eo potuit dici, quod interdiu celatur quam quod noctu non celatur. 19 Omnino eo6 magis puto a chao chovum et7 hinc caelum, quoniam, ut dixi, hoc circum supraque quod complexu continet terram, cavum caelum. Itaque dicit Androma8 Nocti, „que9 cava caeli signitenentibus conficis bigis“, et Agamemno: „in altisono caeli clipeo“: cavum enim clipeum; et Ennius item ad cavationem10: „caeli ingentes fornices“. 20 Quare, ut a cavo cavea et caulle 11 et convallis, cavata vallis, et caveae a cavatione ut navium12, sic ortum, unde omnia apud esiodum, a chao, cavo caelum.13 1  pars eius secl. A. Sp. 2  Lucretius: Scal. 3  unum: Lae.. 4  celatum : cȩlatum Vall., caelatum G, Aug. 5  posterior: A. Sp. 6  omnino. eo F: Ald. 7  a chao / chouum et F, sed cf. V 135: GS. 8  androma: Scal.; Andromacha Sciop. 9 noctique: Aug. 10 vacationem: Aug. 11 cavile: Scal. 12 cavea e cavitione ut cavium : scripsi. cavea e cavitione ut cavium : scripsi. 13 < cavum >, a cavo Sciop.

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17 So ist caelum, Himmel, sowohl ein Teil davon, nämlich das Allerhöchste, wo die Sterne sind, als auch das, wovon Pacuvius spricht, wenn er darauf hinweist: „Sieh das rings umher über dir, was umfangen hält die Erde“, wozu er hinzufügt: „… das, was unsere Landsleute caelum, Himmel, nennen.“40 Von dieser Zweiteilung her hat Lucilius zum Anfang seiner 21 Bücher folgenden Vers gemacht: „Des Äthers und der Erde Entstehungszeit zu suchen…“41 18 Caelum, Himmel, heißt so, schreibt Aelius 42 , weil er caelātum, herausgetrieben, ist, oder – vom Gegensatz her benannt 43 – cēlatum, verborgen, weil er (eigentlich ja) offen ist; nein44: schlecht (erklärt)! Denn das Letztere kommt viel eher von caelum, Himmel, als dass caelum von caelāre, (sc. mit dem Meißel, caelum, aus Metall) Heraustreiben, kommt. Aber nicht weniger gut hätte jene zweite Erklärung von ihm (dem Himmel) gesagt werden können, weil er sich manchmal verbirgt, cēlātur, als deswegen, weil er sich nachts nicht verbirgt.45 19 Überhaupt, glaube ich, kommen eher von chaos, leerer Raum, die Höhlung, choum, und cavum, hohl, und daher caelum, Himmel; denn, wie gesagt, das rings umher und darüber, was die Erde umfangen hält, ist der leere Himmel, cavum caelum.46 Daher sagt die Andromeda zur Nacht: „… die du des Himmels Höhlung (cava caeli) mit sterntragendem Gespann durchläufst“,47 und Agamemnon: „im hoch tönenden Schild (clipeō) des Himmels“,48 denn ein Schild ist ausgehöhlt, cavum, und ebenso sagt Ennius zur Wölbung, cavātiō, des Himmels: „des Himmels (caelī) gewaltige Wölbung“.49 20 Wie daher vom Hohlen, cavum, der Zuschauerraum, cavea, und caullae, Schafspferch, kommen und der Talkessel, convallis, ein ausgehöhltes Tal ist, cavāta vallis50, und von der Aushöhlung, cavātiō, auch cavernae, Grotten, wie auch die Schiffsbäuche, kommen: So entstammt aus dem Chaos, chaos, aus dem alles bei Hesiod entstanden ist, nämlich vom Hohlen, cavum, der Himmel, caelum.51

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21 Terra dicta ab eo, ut Aelius scribit, quod teritur. Itaque TERA in augurum libris scripta cum R uno. Ab eo colonis locus communis, qui prope oppidum relinquitur, teritorium1, quod maxime teritur. Hinc linteum, quod teritur corpore, extermentarium. Hinc in messi tritura, quod tum frumentum teritur, et trivolum, qui teritur. Hinc fines agrorum termini, quod eae partis propter limitare iter 2 maxime teruntur; itaque hoc cum IS3 in Latio4 aliquot locis dicitur, ut apud Antium5, non terminus, sed termen. Hoc Greci quod τέρμονα; pote vel illinc6: Euander enim, qui venit in Palatium, e Grecia Arcas. 22 Via squidem7 iter, quod ea vehendo teritur, iter iterum actus, quod agendo teritur: etiam ambitus ter8, quod circumeundo teritur: nam ambitus circuitus. Ab eoque Duodecim Tabularum interpretes „ambitus parietis“ circuitum esse describunt. Igitur tera terra, et ab eo poetae appellarunt summa terrae, quae sola teri9 possunt, „sola terae“. 23 Terra, ut putant, eadem et humus. Ideo Ennium in terram cadentis dicere: „cubitis pinsibant humum“, et quod terra sit humus, ideo is humatus mortuus, qui terra obrutus. Ab eo, qui10 Romanus combustus est, in sepulchrum eius 11 abiecta gleba non est, aut si os exceptum est mortui ad familiam purgandam, donec in purgando humo12 est opertum (ut pontifices dicunt: quod13 inhumatus sit), familia funesta manet. Et dicitur humilior, qui14 ad humum15 demissior, infimus humillimus, quod in mundo infima humus. 1  Sic F. territorium Aug. 2  item : Lae. 3  cum .is. : cum i Sp. 4  latio < latiō F. 5  Accium: ten Brink. 6  poTЄ VЄljllINC F. 7  Vias quidem: via[s] quidem GS: G, Aug. 8  ambituster: Groth. 9 sola F, edd.; solo Scal., sola Birt. 10  qui F: quom Mue. 11  add. Turn., huc transposuit Vetter. 12  homo: Turn. 13  quod: Rhol. 14  quę: Mue. 15 Ab demissior, infimus usque ad cap. 32 (nomine ab hominibus) haec pars errore translata erat ad cap. 41 (Septem montium) in F: Mue. sec. Scal. et Turn.

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21 Terra, die Erde, ist so benannt weil sie, wie Aelius schreibt, gerieben wird, teritur. Daher ist sie in den Büchern der Auguren mit nur einem R „TERA“ geschrieben52. Daher ist der gemeinsame Ort für die Siedler, der ihnen nahe einer Stadt überlassen wird, teritōrium, weil er am meisten gerieben wird, teritur. Davon heißt das Abreibetuch extermentārium, weil es mit dem Körper abgerieben wird, teritur. Davon kommt das Dreschen bei der Ernte, trītūra, weil dann das Getreide gedroschen wird, teritur, und trīvolum, Dreschmaschine, womit es gedroschen wird. Daher heißen die Feldgrenzen terminī53, weil diese Teile wegen des Grenzwegs am meisten berieben werden, teruntur; und so wird dieser in Latium an einigen Orten auf –is gebildet, wie bei Antium: nicht terminus, sondern termen.54 Dazu sagen die Griechen τέρμων; vielleicht kommt es auch daher: Denn Euander, der auf den Palatin gekommen ist, war ein Arkadier aus Griechenland.55 22 Wenn nun via ein Weg ist, weil er vom Fahren, vehī, gerieben wird56, ist dann auch āctus, Trift, ein Weg, weil er vom Treiben, agere, gerieben wird: Auch ambitus, Umgang, ist ein Weg, weil er durch das Herumgehen gerieben wird: Denn der Umgang, amb-itus, ist ein Umlaufen, circu-itus. Und daher erklären die Interpreten der Zwölf Tafeln ambitus parietis als Umlauf, circuitus.57 Also ist terra, die Erde, (sc. von) tera; und daher haben die Dichter die Erdoberfläche sola terae genannt, die sōla terī, als einzige berieben werden kann.58 23 Die Erde, terra, ist, wie man glaubt, dasselbe wie humus, Erdboden.59 Deshalb soll Ennius zu den Menschen sagen, die auf die Erde fallen: „Mit den Ellbogen zerstampften sie den Erdboden (humus),“60 und weil der Erdboden Erde sei, ist deswegen derjenige Tote ein Bestatteter, humātus, der mit Erde zugeschüttet ist. Wenn daher ein Römer verbrannt worden ist, aber auf sein Grab noch keine Erdscholle geworfen wurde, oder wenn zur Reinigung seiner Familie ein Knochen herausgenommen ist, bleibt seine Familie noch in Trauer, bis der Knochen bei der Reinigung mit Erde, humus, bedeckt ist (wie die Priester sagen: Solange er noch unbestattet, in-humātus, ist).61 Und humilior, niedriger, heißt der, der näher beim Boden, humus, ist; und wer zuunterst ist, ist humillimus, weil das Unterste auf der Erde der Erdboden, humus, ist.62

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Liber V

24 Humor hinc. Itaque [ideo]1 Lucilius: „Terra abi[i]it2 in nimbos imbremque“3. < Ideo > Pacuvius: „Terra exalat auram atque4 auroram humidam“, humectam5. Hinc ager uliginosus humidissimus; hinc udus, uvidus, hinc sudor et udor.6 Is si quamvis deorsum in terra, unde sum[m]i7 pote, puteus. 25 Nisi potius quod eolis dicebant ut πύταμоν sic πύτεоν8 a potu, non ut nunc φρέ9. A puteis oppidum ut Puteoli, quod incircum eum locum aquae frigidae et caldae multae, nisi a putore potius, quod putidus odoribus sepe ex sulphure et alumine. Extra oppida a puteis puticuli, quod ibi in puteis obruebantur homines, nisi potius, ut Aelius scribit, puticulae10, quod putescebant ibi cadavera proiecta, qui locus publicus ultra Exquilias. Itaque eum Afranius putilucos11 in Togata appellat, quod inde suspiciunt per puteos12 lumen. 26 Lacus: lacuna magna, ubi aqua contineri potest. Palus: paululum aquae in altitudinem et palam latius diffusae. Stagnum a Graeco, quod ii στεγνόν, quod non13 habet [p]rimam. Hinc ad villas rutunda14 stagna, quod rutundum facillime continet, anguli maxime laborant. 27 Fluvius: quod fluit, item flumen: A quo lege praediorum urbanorum scribitur sic15: „Stillicidia fluminaque16 ut ita cadant fluantque.“ Inter haec hoc inter17, quod stillicidium eo, quod stillatim cadit18; flumen, quod fluit continue. 1  ideo huc ante Pacuvius transposui et scripsi. 2  abiit: abit a, b, c. 3  imbremque: humoremque Kent. 4  atque: ad auroram Ribbeck. 5  < humidam > humectam Fay (de Melo). 6  iudorissi in marg. F1: A. Sp. 7  summi : edd. 8  potamon potura : L. Sp. sec. Buttmann. 9 ΦΡΕ F: Vict. 10 puticulae: puticuli Mue. 11 cuticulos: Lae. 12 perpetuos: Canal. 13 noṁ habet primam: Scal. 14 rutundas / rutundum: rotundas etc. Aug., sed cf. V 118. 15 scribitur scribitur F; alterum del. GS.; scripsi. 16 fluminaquę F. 17 inter edd.: Vetter. 18 cad&: a, edd.

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24 Daher kommt hūmor, Feuchtigkeit63. Deshalb sagt Lucilius: „Die Erde löst sich in Wolken und Regen auf.“ 64 Daher sagt Pacuvius: „Die Erde atmet Dunst und feuchtes (hūmidam) Morgenlicht aus“65, was (sc. dasselbe wie) hūmecta ist. Von da ist ein nasser (ūlīginōsus) Acker extrem feucht, hūmidissimus; daher kommen ūdus, feucht, und ūvidus, daher sūdor, Schweiß, und ūdor, Feuchtigkeit. Wenn diese Feuchtigkeit ganz unten in der Erde ist, dann ist es ein Brunnen, puteus, weil man daraus (Wasser) entnehmen kann, pote. 25 Wenn der Brunnen nicht eher so heißt, weil die Äolier wie πυταμός (statt ποταμός, Fluss,), so auch πυτεός, trinkbar, vom Trinken, pōtus, sagten, aber den Brunnen nicht φρέαρ nannten, wie er jetzt heißt.66 Von den Brunnen, puteī, ist eine Stadt wie Puteolī benannt, weil es rings um diesen Ort viele kalte und heiße Wasser gibt, wenn es nicht eher vom pūtor, Faulgeruch, so heißt, weil der Ort oft von Düften aus Schwefel und Alaun faulig, pūtidus, riecht67. Außerhalb der Städte gibt es – von puteī, Brunnen – Brunnenlöcher, puticulī, weil dort in den Brunnen Menschen bestattet wurden, wenn sie nicht eher, wie Aelius68 schreibt, pūticulae heißen, weil dort die hingeworfenen Leichen vor sich hin faulten, pūtēscēbant (dieser öffentliche Ort liegt außerhalb des Esquilin). Drum nennt ihn Afranius69 in einer Togata putilūcī, weil man von dort durch die Brunnen, puteī, (unten) das Licht sieht, lūmen. 70 26 Lacus, See, ist eine große Lücke, lacūna, wo Wasser zurückgehalten werden kann. Palūs, Pfuhl: ein wenig, paululum, Wasser in die Höhe, das sich offen, palam, weiter verteilt.71 Stāgnum, Teich, kommt von griechisch στεγνός, Zelt: Weil er keine Ritze hat.72 Daher sind bei den Gehöften die Teiche rund, weil das Runde am besten (das Wasser) hält, die Ecken aber am meisten strapaziert sind. 27 Fluvius, Fluss, weil er fließt, fluit, ebenso flūmen. Davon ist im Gesetz über die Stadtgehöfte73 so geschrieben: „… dass die Dachtraufen (stīllicidia) und Flüsse (flūmina) so fallen und fließen.“ Dazwischen liegt folgender Unterschied: stīllicidium, Dachtraufe, weil es (sc. das Wasser) tröpfchenweise, stīllātim, fällt, cadit; der Fluss, flūmen, aber, weil er dauernd fließt, fluit.

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28 Amnis id flumen, quod circuit aliquod: nam ab ambitu amnis. Ab hoc, qui circum A[l]ter[u]num1 habitant, Amiternini appellati. Ab eo, qui populum candidatus circum it2, ambit, et qui aliter facit, indagabili3 ex ambitu causam dicit. Itaque Tiberis amnis, quod ambit Martium Campum et urbem. Oppidum Interamna dictum, quod inter amnis est constitutum. Item Antemnae, quod ante amnis, qu Anio4 influit in Tiberim, quod bello male acceptum consenuit. 29 Tiberis, quod caput extra Latium, si inde nomen quoque exfluit 5 in linguam nostram, nihil < ad >6 ἐτυμόλογον Latinum, ut, quod oritur ex Samnio, Volturnus nihil ad Latinam linguam: At 7 quod proximum oppidum ab eo secundum mare, Volturnum, ad nos iam: ad8 Latinum vocabulum, ut Tiberinus nn9. Et colonia enim nostra Volturnum et deus Tiberinus. 30 Sed de Tiberis nomine anceps historia. Nam et suum Etruria et Latium suum esse credit, quod fuerunt, qui ab Thebri vicino regulo Veientum10 dixerint appellatum 11, primo Thebrim. Sunt, qui Tiberim priscum nomen Latinum Albulam vocitatum litteris tradiderint, posterius propter Tiberinum regem Latinorum mutatum, quod ibi interierit: nam hoc eius, ut tradunt, sepulcrum. 31 Ut omnis natura in caelum et terram divisa est, sic caeli regionibus terra in Asiam et Europam. Asia enim iacet ad meridiem et austrum, Europa ad septemtriones et aquilonem. Asia dicta ab nympha12, a qua et Iapeto traditur Prometheus. 32 Europa ab Europa Agenoris, quam ex Phenice Manlius scribit taurum exportasse, quorum egregiam imaginem ex aere Pytagoras13 Tarenti 14. Europae loca multae incolunt nationes. Ea fere nominata aut translaticio nomine ab hominibus15 ut Sabini et Lucani, aut declinato ab hominibus, ut Apulia et Latium, < aut >16 utrumque, ut Etruria et Tusci[a].17 1 Alterunum: Aug. 2 circumid ambitet F : edd. 3 indagabilis Scal. 4 quanto : Canal. 5 exfluit [influit] F. 6 add. Thiersch. 7 ad : edd. 8 ad : del. A. Sp.; aliter interpunxi. 9 tiberinus < tiberini, ut videtur, F; ñ F, r add. in margine F: A. Sp. 10 uenientum: Aug. 11 appellatam: Aug. 12 nẙmpha (an: numpha?) F. 13 fenice – pytagoras: edd. 14 < fecit > Lae. (Sciop.). Scripsi. 15 ut Sabini et Lucani usque Septimontium (cap. 41) etc. huc transposita sunt e folio IIIo codicis F, cf. ad V 23. 16 add. Aug. 17 Tuscia: Scal.

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28 Amnis, Strom, ist der Fluss, der um etwas herumgeht: Denn amnis kommt vom Herumgehen, ambitus. Von daher heißen die, die um den Aternus herum wohnen, Amiterninī. 74 Von da her sagt man, wer als Kandidat um das Volk herum geht, er ambit, und wer etwas Anderes macht, muss wegen nachweislicher Bestechung, ambitus, vor Gericht. Daher ist der Tiber ein Strom, amnis, weil er um Marsfeld und Stadt herumgeht, ambit. Die Stadt Interamna heißt so, weil sie zwischen zwei Strömen, inter amnīs, liegt.75 Ebenso Antemnae, weil es vor zwei Strömen, ante amnīs, liegt: dort, wo der Anio in den Tiber mündet; doch ist die Stadt, weil sie im Krieg große Schäden erlitten hat, verfallen.76 29 Der Tiber, Tiberis, betrifft, weil seine Quelle außerhalb Latiums liegt, den lateinischen Etymologen nicht, wenn von dort auch sein Namen in unsere Sprache geflossen ist. So gehört ja auch der (Fluss) Volturnus nicht zum Lateinischen, weil er in Samnium entspringt. Aber die Stadt Volturnum, die ganz nahe vom Volturnus am Meer liegt, gehört schon zu uns; das Wort gehört zum Lateinischen, wie der Name Tiberīnus. Denn sowohl ist Volturnum eine Kolonie von uns als auch Tiberinus ein Gott von uns.77 30 Aber über den Namen (sc. des Flusses) Tiberis gibt es zwei Versionen.78 Denn sowohl Etrurien als auch Latium meinen, er gehöre zu ihnen; denn es gab welche, die behaupteten, er sei nach Thebris, dem Nachbarherrscher von Veii, ursprünglich Thebris genannt worden. Andere haben aber überliefert, der alte lateinische Name des Tibers habe Albula geheißen, und er sei dann wegen Tiberīnus, dem König der Latiner, umbenannt worden, weil er dort umgekommen sei: Denn da sei, wie sie überliefern, sein Grab. 31 Wie die ganze Natur in Himmel und Erde unterteilt ist, so nach den Himmelsgegenden die Erde in Asien und Europa. Denn Asien liegt zum Mittag und Süden hin, Europa zum Großen Wagen und Norden. Asien, Asia, heißt nach der Nymphe (Asia), aus deren Verbindung mit Iapetus – so die Überlieferung – Prometheus stammt79. 32 Eurōpa (heißt) nach Eurōpa, der Tochter Agenors; Manlius80 schreibt, ein Stier habe sie aus Phönizien entführt, von dem Pythagoras81 in Tarent ein gewaltiges Erzstandbild gemacht hat. Europas Gegenden bewohnen viele Völker. Jene sind in der Regel entweder durch Übertragung nach den Menschen benannt, wie die Sabiner, Sabīnī, und Lukaner, Lūcānī, oder durch Ableitung nach den Menschen, wie Āpulia, Apulien (sc. von Āpulī, die Apulier), und Latium (sc. von Latīnī, die Latiner), oder in beiden Formen, wie Etrūria, Etrurien, und Tūscī, die Etrusker.

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Liber V

Qua regnum fuit Latini, universus ager dictus Latius particulatim < ab > 1 oppidis cognominatus, ut a Praeneste Praenestinus, ab Aricia Aricinus. 33 Ut nostri augures publici disserunt, agrorum sunt genera quinque: Romanus, Gabinus, peregrinus, hosticus, incertus. Romanus dictus, unde Roma, ab Rom

    o2; Gabinus ab oppido Gabis; peregrinus ager pacatus, qui extra Romanum et Gabinum, quod uno modo in his servntur3 auspicia. Dictus peregrinus a pergendo, id est a progrediendo: eo, quod eo4 ex agro Romano primum progrediebantur. Quocirca Gabinus quoque5 peregrinus, sed quod6 auspicia habe[n]t singularia, ab reliquo discretus. Hosticus dictus ab hostibus; incertus is, qui de his quattuor, qui sit, ignoratur. 34 Ager dictus, in quam terram quid agebant, et unde quid agebant fructus causa. Ali, quod id7 Greci dicunt ἀγρόν8. Ut ager, quo d9 agi poterat, sic, qua agi, actus. Eius finis minimus constitutus in latitudinem pedes quattuor (fortasse an ab eo quattuor, quod ea quadrupes agitur), in longitudinem pedes centum viginti, in quadratum actum et latum et longum < ut > esset10 centum viginti. Multa antiqui duodenario numero finierunt ut duodecim decuriis actus.11 35 Iugerum dictum iunctis duobus actibus quadratis. Centuria prim12 a centum iugeribus dicta, post, duplicata,13 retinuit nomen, ut tribus a tribus,14 multiplicatae idem tenent nomen. Ut, qua agebant, actus, sic qua vehebant15, a ctu16 viae dictae; quo[d]17 fructus convehebant, villae. Qua ibant, ab [hab] itu18 iter appellarunt, qua id anguste, semita, ut sem-iter19 dictum. 1  add. Sciop. 2  Romo F, GS: edd. 3  seruntur : Vall. (Lae. 4  eo quod enim : eo quod edd.; scripsi. 5  quo sive peregrinus : Scal. 6  quos – habent : Turn. 7  aliquod : L. Sp. 8  ΑΓΡΟ: edd. 9  quod : quo Turn.; scripsi. 10  esse[t] Hultsch (de Melo). Addidi sec. Vetter. 11  actus < actum F. 12  prima ̷ F, primum A. Sp.: Aug. 13  Sic interpunxit F. 14  ut tribus actibus: tribus a partibus Coll., alii aliud. Scripsi. 15 ….' / bant (in loco eraso) F. 16 actus : del. Ald., edd. Scripsi. 17 quod: Ald. 18 abhabitu : Lae. 19 semiiter Sciop. Scripsi.

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    Wo das Königreich von Latīnus war, heißt das Gebiet insgesamt (ager) Latius; teilweise ist es nach Städten benannt, wie (ager) Praenestīnus nach Praeneste, (der ager) Arīcīnus nach Arīcia. 82 33 Wie unsere öffentlich bestellten Auguren83 darlegen, gibt es fünf Arten von Gebieten, agrī: der (ager) Rōmānus, Gabīnus, peregrīnus, der fremde, hosticus, der feindliche, und incertus, der unklare. Der ager Rōmānus ist – wie Rōma, Rom – nach Rōmulus 84 benannt, der Gabīnus von der Stadt Gabiī; der ager peregrīnus ist ein befriedetes Gebiet, das zwischen dem ager Rōmānus und dem Gabīnus liegt, weil man in diesen Gebieten die Vogelschau auf ein und dieselbe Weise vornimmt. Der peregrīnus kommt von pergere, weitergehen, das heißt vom Vorangehen, prōgredī: Denn dorthin (sc. zum ager peregrīnus) ging man vom ager Rōmānus als Erstem vor. Daher ist auch der (ager) Gabīnus ein fremdes Gebiet, aber weil er eine besondere Vogelschau hat, ist er vom übrigen Gebiet getrennt. Der hosticus, feindliche, ist nach den hostēs, Feinden, benannt; der incertus, unklare, ist das Gebiet, bei dem man nicht weiß, wozu von diesen vieren es gehört. 34 Ager, Gebiet/Feld, heißt jenes Terrain, wohin man etwas trieb, agēbant, und woher man etwas führte, agēbant, um des Fruchtertrags willen. Manche sagen, es heiße so, weil die Griechen dazu ἀγρός sagen.85 Wie ager das Terrain heißt, wohin man etwas treiben, agere, konnte, so heißt āctus, Trift / Halbmorgen, so, wo man etwas treiben konnte. Dessen Mindestmaß ist festgesetzt auf vier Fuß in die Breite (vielleicht deswegen vier, weil dort vierfüßiges Vieh getrieben wird) und 120 Fuß in die Länge, und der QuadratActus 120 Fuß auf Länge und Breite.86 Die Alten haben viel mit dem Zwölfermaß bemessen, wie den Actus mit zwölf Zehnern. 35 Iūgerum, Tagwerk/Morgen, ist nach den zwei miteinander verbundenen, iūnctī, Quadrat-Actus benannt. Die Zenturie, centuria, ist zuerst von hundert, centum, Morgen benannt und behielt später, nachdem sie verdoppelt wurde, den Namen, so wie die Triben, tribūs, von dreien, tribus, und jetzt, obwohl vervielfacht, den gleichen Namen behalten.87 Wie die āctūs so heißen, wo man etwas hintrieb, agēbant, so heißen vom vectus, Fahren, viae, die Wege, wo man etwas fuhr, vehēbant; wohin man die Früchte einfuhr, con-vehēbant, heißen sie vīllae, Gehöfte.88 Wo man ging, ībant, nannte man (den Weg) iter vom Gehen, itus; wo der eng geht, ist er sēmita, Pfad, benannt, also *sēm-iter, Halbpfad.89

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    Liber V

    36 Ager cultus: ab eo, quod ibi cum terra semina coalescebant, et ab inconsitu[s]1 incultus. Quod primum ex agro plano fructus capiebant, campus dictus. Posteaquam proxuma superiora loca colere ceperunt2, a colendo colles appellarunt. Quos agros non colebant propter silvas aut id genus, ubi pecus possit pasci, et possidebant, ab usu svo3 saltus nominarunt. Haec etiam Graeci νέμη,4 nostri nemora. 37 Ager quod videbatur pecudum5 ac pecuniae esse fundamentum, fundus dictus, aut quod fundit quotquot annis [multa].6 Vineta ac vineae a vite multa. Vitis a vino, id a vi: hinc vindemia, quod est vinidemia aut vitidemia. Seges ab satu, id est semine. Semen, quod non plane id, quod inde; hinc seminaria, sementes7, item alia. Quod segetes ferunt, fruges, a fruendo fructus. A spe spicae, ubi et culmi, quod in summo campo nascuntur et sumum culmen. 38 Ubi frumenta secta, ut terantur, et arescant, area. Propter horum similitudinem in urbe loca pura areae. A quo potest etiam ara deum, quod pura, nisi potius ab ardore, ad quem ut sit, fit ara. A quo ipsa area non abest, quod qui arefacit, ardor est solis. 39 Ager restibilis, qui restituitur ac reseritur quotquot annis. Contra, qui intermittitur, a novando novalis ager. Arvus et arationes ab arando; ab eo, quod aratri vomer sustulit, sulcos8. Quo ea terra iacta, id est poriecta9, porca.

    1  ab inconsitus incultus : ab < eo quod > inconsitus Lae. Scripsi. 2  ceperunt : edd. 3  suo : Lachmann. 4  ΝηΜη : Lachmann. 5  pecodum : edd. 6  .R. ante vineta suprascripsit F2, ut praecedens deleatur. 7  sem̅entē : Lae. 8  sulcos F, sulcus Lae. 9  ϼiecta: porrecta Aug.; scripsi.

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    36 Ager cultus, bestelltes Feld: Es heißt so, weil man dort gemeinsam mit der Erde Samen großzog, coalēscēbant, und vom Nicht-Bepflanzen (incōnsitus) heißt er in-cultus, unbestellt, brach.90 Weil man zuerst aus einem ebenen Feld Früchte nahm, capiēbant, ist das Feld, campus, benannt91. Nachdem man das nächsthöhere Gelände zu bestellen, colere, begann, nannte man die Hügel collēs. Die Felder, die man wegen der Wälder nicht bestellte, oder die Art (Felder), wo Vieh weiden konnte, und die man deshalb in Besitz nahm, nannte man nach ihrer unbeschadeten, salvus, Nutzung saltūs, Waldtäler/Weideplätze.92 Dazu sagen die Griechen auch νέμη, die Unseren nemora, Wälder/Haine. 37 Der Boden, fundus, wurde so benannt, weil ein Feld die Grundlage, fundāmentum, für Vieh und Geld zu sein schien, oder weil er Jahr für Jahr hervorbringt, fundit.93 Vīnēta, Weinberge, und vīneae, Weinstöcke, kommen von der reichlichen Weinrebe, vītis. Vītis kommt von vīnum, Wein, der wieder von vī(s), Macht.94 Davon heißt die Weinlese, weil sie die Weinabnahme ist, vīnidēmia, oder Rebenabnahme, vītidēmia. Seges, Saatfeld, kommt vom Aussäen, satus, das heißt vom Samen, sēmen. Der Samen, sēmen, (heißt so), weil das nicht ganz (sc. sē) klar ist, was daraus wird95; davon kommen die sēmināria, Pflanzschulen, sēmentēs, Saaten, und ebenso anderes. Weil die Saatfelder sie hervorbringen, ferunt, heißen die Ackerfrüchte frūgēs. Frūctūs, Früchte, kommen vom Genießen, fruī.96 Von spēs, Hoffnung, kommen spīcae, Ähren; dort gibt es auch Halme, culmī, weil sie auf der höchsten Stelle im Feld wachsen und culmen der höchste Punkt ist. 38 Ārea, Tenne, ist der Ort, wo das geerntete Getreide auch trocknen soll, ārēscant, damit es gedroschen werden kann. Wegen der Ähnlichkeit damit heißen in der Stadt die sauberen Örtlichkeiten āreae, freie Plätze. Daher könnte auch der Götteraltar, āra, kommen, weil er sauber ist, falls er nicht eher von ārdor, Feuer, kommt, zu dessen Entstehen ein Altar gemacht wird. Davon ist auch die ārea, Platz, nicht fern, denn es ist die Hitze, ārdor, der Sonne, die trocknet, ārēfacit. 97 39 Ein ager restibilis, wiederbestellbarer Acker, ist der, der jährlich wiederhergestellt, restituitur, und wieder eingesät wird. Dagegen ist der, dessen Bestellung unterbrochen wird, ein ager novālis, Neubruch, von novāre, erneuern. Arvus, Saatland, und arātiō, Ackerbau, kommen vom Pflügen, arāre. Die Furche heißt davon sulcos, weil sie die Pflugschar aushalten musste, sustulit.98 Porca, Ackerbeet, ist der Ort, worauf diese Erde geworfen, d. h. geopfert, wurde, poriecta.99

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    Liber V

    40 Prata dicta ab eo, quod sine opere parata. Quod in agris quotquot annis rusum [rursum]1 facienda eadem, ut rursum capias fructus, appellata rura. Dividi tamen esse ius2 scribit Sulpicius plebei rura3 largiter4 adoream5. Predia dicta, item ut praedes, a praestando, quod ea pignore data publice mancupis6 fidem praestent.7 41 Ubi nunc est Roma, Septemmontium8 nominatum ab tot montibus, quos postea urbs muris comprehendit. E quis9 Capitolinum dictum, quod hic, cum fundamenta foderentur10 aedis Iovis, caput humanum dicitur inventum. Hinc11 mons ante Tarpeius dictus a virgine Vestale12 Tarpeia, quae ibi ab Sabinis13 necata armis et sepulta; cuius nominis monimentum relictum, quod etiam nunc eius rupes Tarpeium appellatur saxum. 42 Hunc ante 14 montem Saturnium appellatum prodiderunt, et ab eo Lati15 Saturniam terram, ut etiam Ennius appellat. Antiquum oppidum in hac fuisse Saturnia scribitur. Eius vestigia etiam nunc manent tria: Quod Saturni fanum in Faucibus; quod Saturnia porta, quam Iunius scribit ibi, quam nunc vocant Pandanam; et id [eo],16 quod post aedem Saturni in aedificiorum legibus privatis parietes postici muri „S(ATURNI)I“17 sunt scripti. 43 Aventinum aliquot de causis dicunt: Nevius ab avibus, quod eo se ab Tiberi18 ferrent aves; alii ab Albanorum rege Aventino19, ibi quod sit20 sepultus, alii Aventinum21 ab adventu hominum, quod comune Latinorum ibi Dianae templum22 sit constitutum. 1  rursum / rursum: alterum rursum del. edd.; scripsi. 2  dividit in eos eius F : Lachmann. 3  rura F, i littera r initiali suprascripta. 4  largiter vel largitur, F, Vall. 5 ad aream : ad oream Fay sec. Scal. 6 mancupes : Gesner. 7 praestant Traglia. 8 septem montium : septimontium Turn., Coll. 9 Hic incipit Fragmentum Casinense (Frg.). 10 foderentur fundamenta Frg., fundamenta foderentur F. 11 Hinc F, Vall.; hic edd. 12 Vestale : Vestali Lae. 13 savinis : edd., ut saepius. 14 antea F, ante Frg. 15 late : ten Brink. 16 quod F, et ideo quia Frg.; scripsi. 17 muri sunt scripti F; murisssunt scripti Frg.: ten Brink. 18 Tyberi : edd 19 ab rege auentino albano F, ab rege albanorum auentino Frg., ten Brink. 20 quod sit sepultus F, ibidem sepulto Frg.; ibi post quod add. Lae. 21 M, Mue. 22 Dianę templum F, templum Diane Frg., ten Brink.

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    40 Prāta, Wiesen, heißen daher, weil sie ohne Mühe hergerichtet wurden, parāta.100 Weil auf den Feldern Jahr für Jahr wieder, rūsum, das Gleiche gemacht werden muss, um wieder, rūrsum, Früchte zu gewinnen, wurden diese rūra, Felder, genannt.101 Sulpicius102 aber schreibt, es sei Recht, das Land reichlich dem Volk als Anerkennung (adōrea) zu geben.103 Praedia, Landgüter, heißen so – wie auch die praedēs, Bürgen – vom Garantieren, praestāre, weil sie, da sie als Pfand übergeben wurden, öffentlich das Wort des Schuldners garantieren sollen, praestent.104 41 Wo jetzt Rom ist, hieß es früher Septemmontium von so vielen Bergen, montēs, wie sie später die Stadt mit ihren Mauern umfasste.105 Von diesen (Bergen) heißt das Kapitol, Capitōlīnum106, so, weil man, als man die Fundamente des Jupitertempels grub, dort angeblich einen menschlichen Schädel, caput, fand. Deswegen ist der früher mōns Tarpēius genannte Berg nach der Vestalin Tarpēia benannt, weil sie dort, von den Sabinern mit Waffen getötet, auch bestattet wurde. Als Erinnerung an diesen Namen ist geblieben, dass auch heute noch seine Felswand Tarpēium saxum, Tarpeischer Fels, heißt. 42 Man hat überliefert, dass dieser Berg früher Sāturnius hieß und danach Latium eine Sāturnia terra, Saturnisches Land sei, wie es auch Ennius nennt. Darin, so schreibt man, soll es eine alte Stadt Sāturnia gegeben haben.107 Spuren dafür sind drei geblieben: Das Sāturnus-Heiligtum am engen Aufgang; die porta Sāturnia, die Iunius108 dort lokalisiert (jetzt heißt sie Pandāna); und schließlich, dass in den Abmachungen, die die Privatgebäude betreffen, die hinter dem Saturnustempel liegenden Mauern mit SATURNII beschrieben sind, Saturnus-Mauern.109 43 Für den Aventinus bringt man mehrere Erklärungen: Naevius110, er komme von den Vögeln, avēs, weil dorthinauf die Vögel vom Tiber flögen; andere sagen, er komme vom Albanerkönig Aventīnus, weil er dort bestattet sei; wieder andere, er sei Aventīnus von der Ankunft, adventus, der Menschen benannt, weil dort ein den Latinern gemeinsamer Dianatempel errichtet worden sei.

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    Liber V

    Ego maxime puto, quod ab advectu: Nam olim paludibus mons erat ab reliquis disclusus. Itaque eo ex urbe advehebantur ratibus. Cuius vestigia, quod ea, qua < tum vec>tum1, dicitur Velabrum, et unde ascendebant2 ad fimam3 novam viam, lacus < ad > sacellum La[b]rum.4 44 Velabrum a vehendo. Velaturam facere etiam nunc dicuntur5, qui id mercede faciunt.6 Merces (dicitur a merendo et ere) huic vecturae, qui ratibus transibant, quadrans. Ab eo Lucilius scripsit: „quadrantis ratiti“. 45 Reliqua urbis loca olim discreta, cum Argeorum sacraria [in]7 septem et viginti partis urbi8 sunt disposita. Argeos dictos putant a principibus, qui9 cum Hercule Argivo venerunt Romam et in Saturnia subsederunt. E quis prima scripta est regio Suburana10, secunda Esquilina, tertia Collina, quarta Palatina. 46 In Suburanae11 regionis parte princeps est Celius mons, a Cele Vibenna12, Tusco duce nobili, qui cum sua manu dicitur Romulo venisse 13 auxilio contra Tatium14 regem. Hinc post15 Celis16 obitum, quod nimis munita loca tenerent, neque sine suspicione essent, deducti dicuntur17 in planum. Ab eis dictus vicus Tuscus, et ideo ibi Vortumnum stare, quod is deus Etruriae princeps.18 De Caelianis, qui a suspicione liberi essent, traductos in eum locum, qui vocatur Caeliolum. 1  qua tum F, Frg., qua vectum L. Sp.: scripsi. 2  escendebant F, Vall., ascendebant Frg., Lae. 3  add. Turn. 4  sacellum labrum : La Regina. 5  facere etiam nunc dicuntur F, quod usque nunc faciunt Frg. 6  Merces – ratiti deest ap. Frg. 7  in transposuit L. Sp. 8  urbi sunt F; urbisunt Frg.; < quattuor > partis L. Sp.; scripsi. 9  Argei autem Frg. 10  Subura < suburbana F, suburbana Frg.: Aug. 11  suburbanae : Aug. 12  acelevibenno F, Frg. (sic): edd. 13  venit in auxilium Frg. 14  latinum : Puccius sec. Serv. in Aen. 5, 560. 15  post < potest F2. 16  celii : edd. 17  sunt Frg. 18  Et ibi uortumnum posuerunt, quem adorabant. Princeps Frg.

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    Ich glaube aber, er kommt am ehesten von advectus, Bootanlege: Denn einst war der Berg von den übrigen durch Sümpfe getrennt. Daher fuhr man, advehēbantur, dorthin auf Flößen. Spuren davon sind: Die Stelle, wo damals gefahren wurde, vectum, heißt Vēlābrum, und die Stelle, von wo man auf die unterste Stelle der Nova Via hinaufging, ist der „Teich beim Larenheiligtum“, lacus ad sacellum Larum.111 44 Vēlābrum kommt von vehere, fahren. 112 Auch heute sagt man, dass diejenigen eine Überfuhr, vēlātūra, machen, die das gegen Lohn machen. Der Lohn, mercēs (von merēre, verdienen, und aes, Kupfergeld), für diese Überfuhr mit Fähren war ein Viertelas, quadrāns.113 Daher schrieb Lucilius: „…eines Viertelas (quadrantis) mit Fährenbild“.114 45 Die übrigen Örtlichkeiten der Stadt waren einst voneinander getrennt, als man die 27 Schreine der Argäer auf die vier Stadtteile verteilte.115 Man glaubt, die Argäer, Argēī, sind nach ihren Fürsten benannt, die mit Herkules, dem Argiver, Argīvus, nach Rom kamen und sich auf Saturnia niederließen.116 Von diesen Gegenden ist die erste auf der Liste die Subūrana, die zweite die Esquilīna, die dritte die Collīna117 und die vierte die Palātīna.118 46 Im Subura-Viertel ist der Hauptberg, der Caelius, nach Caele Vibenna, einem vornehmen Etruskerführer, benannt, der mit seiner Schar dem Romulus gegen König Tatius119 zu Hilfe gekommen sein soll. Von dort seien sie nach Caeles Tod in die Ebene hinunter verlagert worden, weil sie ihr Gelände zu sehr befestigt hatten und nicht frei von Verdacht standen. Nach ihnen ist der Stadtteil vīcus Tūscus, Etruskerviertel, benannt worden120; und (das Standbild des) Vortumnus stehe dort, weil dieser der höchste Gott Etruriens ist.121 Diejenigen Gefolgsleute des Caele, die in keinem Verdacht standen, seien an die Stelle überführt worden, die Caeliolum heißt122.

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    Liber V

    47 Cum Celio nc 1 iunctum Carinae et inter eas, quem locum Ceriolensem2 appellatum apparet, quod primae regionis quartum sacrarium scriptum est sic3: „Cerolense S.4: quarticeps5, circa Minervium qua in Cae- liu monte6 itur, in tabernola est.“ Caeriolensis7 a Carinarum iunctu dictus; Carinae po[s]te a8 caerimonia9, quod hinc oritur caput Sacrae Viae ab Streniae sacello, quae pertinet in arce10, qua sacra quotquot mensibus feruntur in arcem et per quam augures ex arce profecti solent inaugurare. Huius Sacrae Viae pars haec sola volgo nota, quae est a foro eunti primore11 clivo. 48 Eidem regionei12 adtributa Subura, quod sub muro terreo Carinarum; in ea est Argeorum sacellum sextum. Subura14: Iunius scribit ab eo, quod fuerit sub antiqua urbe; cui testimonium potest esse, quod subest15 ei16 loco, qui terreus murus vocatur. Sed17 a pago potius Succusano dictam puto Succusam; nunc scribitur < SVC > 18 tertia littera C, non B. Pagus Succusanus, quod succurrit Carinis. 13

    49 Secundae regionis Esquili[n]ae.19 Alii has scripserunt ab excubiis regis dictas, alii ab eo quod esculta e20 rege Tullio essent. Huic origini magis concinunt luci vicini21, quod ibi lucus22 dicitur Facutalis et Larum23 Querquetulanum24 sacellum et lucus Mefitis et Iunonis Lucinae; quorum angusti fines. Non mirum: iam diu enim late25 avaritia ea est.26 1  celionĉiunctum F, Frg.: Celio[n] coniunctum edd., scripsi. 2  Ceroniensem F, Frg.: Kent. 3  scriptum sic est F, est scriptum sic Frg. 4  Cerolienses : Caeriolensis Kent, Caeriolense Coll., scripsi, cf. ad V 54. 5  quaetriceps F, qtriceps Frg.: Aug. 6 Celiomonte F, celiomon͂ Frg.: Aug. 7 Cerulensis : Kent. 8 posteA : Jordan. 9 cerionia : Becker. 10 arce : Aug. 11 primoro : Ald. 12 regioni F, regioni est Frg.; scripsi. 13 eo: Aug. 14 Subura F, Subura add. Wissowa. 15 Et pro eo qui subest Frg. 16 et loco F, ɿ loco vel i loco Frg.: Vict. 17 Sed pago F, Sed a pago Frg.; Sed ego a pago Lae. 18 Lacunam III litterarum in F suppl. Merklin. nunc scribitur . tertia lidtera (sic!) Frg. 19 Esquilinae : Esquiliae G, Exquiliae Turn. 20 excultae F exculte Frg., < aesculis > excultae ten Brink: Scripsi. 21 loca vicini : Lae. 22 lacus : Lae.; lucus < qui > Vetter. 23 virarum Scal. cum Festo. 24 querquetulanum < querquetulanumest F, querquetulanū ē Frg. 25 an: Latii vel Latiei? 26 auaritia unẹ · ē F; auaritiẹa ē Frg.: avaritia < domina > prop. GS. Scripsi.

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    47 Mit dem Caelius verbunden sind jetzt die Carīnae, die Kiele123. Und zwischen diesen ist die Caeriolēnsis genannte Stelle offensichtlich so benannt, weil der vierte Schrein des ersten Stadtviertels so geschrieben ist124: „Caeriolenser Schrein (sacrārium): der vierte beim Minervatem- pel125, wo man auf den Caelius hinaufgeht, er steht in einer kleinen Hütte.“ Caeriolēnsis ist nach der Verbindung der Kiele, carīnae, benannt; die carīnae vielleicht von der Zerimonie, caerimōnia, weil hier die Via Sacra vom Streniatempelchen126 beginnt, die bis auf die Burg geht: Hier werden die Opfergaben jeden Monat auf die Burg getragen und machen die Auguren, wenn sie von der Burg losgegangen sind, ihre Beobachtungen.127 Von der Via Sacra kennen die Leute nur den Teil, der – wenn man vom Forum kommt – am ersten Hügel liegt. 48 Zum selben Stadtviertel gehört die Subūra, weil sie unter der irdenen Mauer, sub mūrō, der Carinae liegt; dort liegt der sechste Schrein der Argäer. Subūra: Das kommt nach Iunius128 daher, dass sie unter, sub, der alten Stadt, urbs gelegen habe.129 Beweis dafür könnte sein, dass sie unterhalb der Stelle liegt, die irdene Mauer, terreus mūrus, heißt. Ich glaube aber, dass sie eher *Succūsa vom Bezirk Succūsānus benannt wurde; jetzt schreibt man sie SVC mit einem C als drittem Buchstaben, nicht B. Der Bezirk Succūsānus heißt so, weil er unterhalb den Carinae läuft, suc-currit. 49 Zum zweiten Stadtviertel gehören die Esquiliae, der Esquilin130. Manche haben geschrieben, sie hießen so nach den Wachposten, excubiae, des Königs, andere daher, weil dort seit König Tullius Eichenhaine, aesculēta, waren.131 Zu dieser Etymologie passen besser die Wäldchen der Nachbarschaft: Denn der Hain dort heißt lūcus Fāgūtālis, ein Buchenhain, dort gibt es das Eichentempelchen der Laren, Querquētulānum sacellum, den Hain der Mefitis und der Juno Lucina; deren Ausmaße sind ganz klein. Kein Wunder: Schon lange regiert nämlich weithin der Geiz.132

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    Liber V

    50 Esquiliae duo montes habiti, quod pars < Oppius, pars >1 Cespius2 mons suo antiquo nomine etiam nunc in sacris appellatur. In sacris Argeorum scriptum sic est3: „Oppius mons: princeps quilis ols4 lucum5 Facu[l]talem: sinistra [q]ua[e]6 secundum merum7 est. Oppius mons: terticeps ols8 lucum9 Esquilinum: dexterior10 via in tabernola est. Oppius mons: quarticeps ols11 lucum12 Esquilinum: via[m] dexterio- re[m]13 in figlinis est. Cespius14 mons: quinticeps ols15 lacum16 Poetelium Esquili[n]is17 est. Cespius mons: sexticeps apud edem Iunonis Lucinae ubi edi- tumus habere solet.” 51 Tertiae regionis colles quinque ab deorum fanis appellati, e quis nobiles duo: Collis Viminalis18 a Iove Vimino19, quod ibi ara e20. Sunt qui, quod ibi vimineta21 fuerint. Collis Quirinalis: Quirini fanum. Sunt, qui a Quiritibus, qui cum Tatio Curibus venerunt, ab Roma22 quod ibi habuerint23 castra. 1 2 3 4

    Suppl. Mue Cespeus : Cespius Aug. siē Frg. princeps quilisouis F, princeps quilisours Frg., princeps Esquiliis uls Kent, Coll.; oels ten Brink; ols scripsi abhinc saepius. 5 lacum facultalem : Lae. 6  quae : Scal. 7  merum : edd. 8 terticepsois F, terticeps ors Frg., terticeps cis GS, terticeps uls Coll. 9  lacum : Ald. 10 add. Coll. 11 quarticepsos F, quarticeps ols Frg., quarticeps cs Mue. quarticeps uls Coll. 12 lacum : Lae. 13 viam dexteriorem : Kent. 14 sceptius mons : Mue. 15 quinticepsois F, Frg., quinticeps cis Mue., GS., Kent; quinticeps uls Coll. 16 lacum F, quod servandum putat Palombi (LTUR s. v.); lucum Lae. 17 esquilinis: Scal. 18 colles viminales F (colles viminales – fuerint deest ap. Frg.): L. Sp. 19 vimino F, Vimineo Sciop.: Aug. 20 arae sunt. qui : prop. L. Sp. 21 viminata : Aug.; G. 22 ab roma : ad Romam ten Brink. 23 habuerunt Frg.

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    50 Als Esquilin gelten zwei Berge, weil ein Teil mit seinem alten Namen mōns Oppius, der andere mōns Cespius auch jetzt noch bei den Zeremonien genannt wird.133 In den sacra Argēorum (Argäerzeremonien) steht Folgendes: „Oppius mōns: erster Schrein (sacrārium) auf dem Esquilin jen- seits134 des lūcus Fācūtālis: Er liegt auf der linken Wegseite, entlang der Mauer.135 Oppius mōns: dritter jenseits des lūcus Esquilīnus: Er liegt auf der rechten Wegseite in einer Hütte. Oppius mōns: vierter jenseits des lūcus Esquilīnus: Er liegt auf der rechten Wegseite bei den Töpfern.136 Cespius mōns: Der fünfte liegt jenseits des lacus Poetelius, Poete- liusteich, auf dem Esquilin.137 Cespius mōns: Der sechste beim Tempel der Iūnō Lūcīna, wo der Tempelaufseher138 wohnt.“ 51 Zum dritten Stadtviertel139 gehören fünf Hügel, benannt nach Heiligtümern von Göttern, von denen zwei Hügel berühmt sind: Der collis Vīminālis, Viminal, nach Jupiter Vīminius, weil dort sein Altar ist. Manche glauben, weil dort eine Weidenpflanzung war, vīminēta.140 Der collis Quirīnālis, Quirinal: ein Heiligtum des Quirīnus. Manche glauben, er heiße so von den Quirītēs, Quiriten, die mit Tatius aus Curēs kamen, weil sie dort – in der Nähe von Rom – ihr Lager aufgeschlagen hätten.141

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    52 Quod vocabulum coniunctarum regionum [nomina] obliteravit1. Dictos enim collis pluris apparet ex Argeorum sacrificiis, in quibus scriptum sic est: „Collis Quirinalis: terticeps ols2 edem Quirini. Collis Salutaris: quarticeps; adversum est polvinar ols3 edem Salutis.4 Collis Mucialis quinticeps apud edem Dei Fidi5 in delubro ubi editumus habere solet. Collis Catialis6 sexticeps in vico Insteia- no7 summo apud tabernaculum;8 aedificium solum est.” Horum deorum arae, a quibus cognomina9 habent, in eius regionis10 partibus sunt. 53 Quartae regionis Palatium, quod Palantes11 cum Euandro venerunt o; < sunt, > quia Palatini12 aborigines ex agro Reatino, qui appellatur Palatium, ibi consederint13. Sed hoc alii ab Palant[i]o14 uxore Latini putarunt. Eundem15 hunc locum a pecore dictum putant quidam; itaque Nevius „Balatium” appellat. 54 Huic Cermalum et Vel[l]ias16 coniunxerunt, quod in hac re[li]gione17 scriptum est: „Cermalense:18 quinticeps apud aedem Romuli” et „Veliense S.:19 sexticeps in Velia apud edem deum Penatium.“ Germalum20: a germanis Romulo et Remo, quod ad ficum Ruminalem, et21 ii ibi inventi, quo aqua hiberna Tiberis eos detulerat in alveolo expositos. 1 regionum obliteraū Frg. 2 terticepsois F, Frg., terticeps Mue., GS, Kent; terticeps uls Coll.; 3 ē pilonarois F, Frg., est Apollinar cis Mue, est Apollinar, uls Coll., pulvinar cis C. Bunsen: scripsi sec. ten Brink. 4 Collis – salutis om. Frg. 5 de i de fidi F, dī delfidi (= dei delfidi) Frg.; Dei Fidi GS, Dei Fidei L. Sp.; scripsi. 6 colles latioris (< latiores) F; colles latiaris Frg.: Gruchalski (2020). 7 instelano F, instegano Frg.: Jordan. 8 auraculum : auraculum Turn.; scripsi. 9 Cognomina: Kokoszkiewicz (2009). 10 regionis F, qua Frg. 11 palantes < pallantes F, palantes Frg. 12 venerunt. Quiet palatini aborigines F, venerunt O qui et palatini aborigines Frg.; venerunt, qui et Palatini; sunt qui quod L. Sp.; scripsi. 13 conserunt F, consederunt Frg.; scripsi. 14 Sed hoc alii ab palantio F, et hoc a palante Frg.: Mue. (Palantia ten Brink). 15 Eundem – deum Penatium deest ap. Frg. 16 vellias : edd. 17 religione : M, edd. 18 Cermalense < Germalense F. 19 Velienses F, Veliense Bentinus; scripsi, cf. ad V 47. 20 Germanum < Germarum Frg., ut vid. 21 et deest ap. Frg.; e Tiberi invecti Scal.

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    52 Diese Benennung hat die der damit verbundenen Stadtteile ausgelöscht.142 Dass man nämlich von mehreren Hügeln sprach, wird aus den Argäerzeremonien klar, in denen Folgendes steht: Collis Quirīnālis, Quirinal: Dritter Schrein (sc. sacrārium) jenseits des Quirinustempels.143 Collis Salūtāris, Salutarishügel: Vierter, gegenüber ist das Pulvinar jenseits des Tempels der Salus.144 Collis Mūciālis, Mucialishügel: Fünfter beim Tempel des Dius Fidius145 in dem Heiligtum, wo üblicherweise der Tempelaufseher wohnt. Collis Catialis, Catius-Hügel146: der sechste am höchsten Punkt des vīcus Īnsteiānus, bei der Hütte (sc. der Auguren); es ist ein einzelner Bau.“ Altäre dieser Gottheiten, von denen sie (sc. die Hügel) ihre Benennung haben, befinden sich in den Teilen dieses Viertels. 53 Zum vierten Stadtviertel gehört der Palatin, Palātium, weil die Palantēs mit Euander dorthin kamen. Manche meinen147, er heiße so, weil die Palātīnī, Palatiner, Ureinwohner aus dem Gebiet von Reate, das auch Palātium heißt, sich dort niedergelassen hätten. Aber wieder andere meinten, der Palatin sei nach Palantō148, der Gattin des Latinus, benannt. Manche glauben, dieser Ort sei nach dem Vieh benannt; darum nennt ihn Naevius Bālātium, Blök-Ort.149 54 Mit diesem hat man den Cermal, Cermalus150, und die Veliae verbunden, weil bei diesem Viertel geschrieben ist: „Cermalēnse (sc. sacrārium), Germalenser Schrein: Er ist der fünfte beim Tempel des Romulus.“151, und „Veliēnse s(acrārium), Velienser Schrein: Er ist der sechste in der Velia beim Tempel der Penatengötter.“152 Germalum: von den Zwillingen, germānī, Romulus und Remus; er liegt ja bei der fīcus Rūminālis, der Säuglingsfichte, und sie wurden dort gefunden, wo sie – in einem Körbchen ausgesetzt – das Winterwasser des Tiber an Land gespült hatte.

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    Liber V

    Veliae unde essent, plures accepi causas, in quis, quod ibi pastores Palatini ex ovibus1 ante tonsuram inventam vellere lanam sint soliti, a quo vellera2 dicuntur. 55 Ager Romanus primum3 divisus in partis4 tris, a quo tribus appellata: Titiensium5, Ramnium, Lucerum. Nominatei6, ut ait Ennius, Titienses ab Tatio, Ramnenses a Romulo, Luceres, ut Iunius7, ab Lucumone; sed omnia hec vocabula Tusca, ut Volnius, qui tragoedias8 Tuscas scripsit, dicebat. 56 Ab hoc quattuor quoque9 partis urbis tribus dictae ab locis: Suburana, Palatina, Esquilina, Collina; quinta, quod sub Roma, Romilia10; sic reliquae trita11 ab his rebus, quibus in tribum libro Io 12 scripsi.13 57 Quod ad loca quaque his coniuncta fuerunt, dixi. Nunc de his, quae in locis esse solent immortalia et mortalia, expediam, ita ut prius, quod ad deos pertinet, dicam. Principes dei Caelum et Terra. Hi dei idem qui Aegypti14 Serapis et Isis, etsi Arpocrates digito significat, ut ta taceam15. Idem principes in Latio Saturnus et Ops.16 58 Terra enim et Caelum, ut mothracum17 initia docent, sunt dei magni, et hi, quos dixi, multis nominibus, non quas Samothracia 18 ante portas 19 statuit duas virilis species aeneas, Dei [i]Mag[i]ni20, neque ut volgus putat, hi Samotraces dii, qui Castor et Pollux, sed hi: mas et femina et hi, quos augurum libri scriptos habent sic: „divi qui21 potes” pro illo, quod Samotraces θεοὶ δυνατοί.22 1  exquibus F, Frg.: Vict. 2  velleinera F, vellera < vellara, ut videtur, Frg.: Lae. 3 primum < primus Frg. 4 partis < partes Frg. 5 Tatiensium F, tatientium Frg.: Groth. 6 Nominatę F; scripsi. Nominatae – Ennius deest ap. Frg.. 7 ut Iunius et verba „sed omnia – dicebat ab” desunt ap. Frg. 8 tragaedias F. 9 quoque quattuor F1, corr. F2. 10 Quinta subromaromilio Frg. 11 relique trita > reliqua trita F (Frg.): Turn. 12 tribum F, tribum Lae., sed cf. Leumann 443; libros scripsi F, librosscripsi Frg.: Scripsi. 13 Hic explicit Frg. 14 գaegipti F: edd. 15 tataseam F, taceam Turn.; scripsi. 16 obs : codd., edd. 17 mothracum : Lae. 18 ambracia : Lae. 19 portas F, portum L. Sp. 20 imagini: Lae. 21 qui del. Lae.; an: aeuei ? 22 ΤΗΕΟΕδΥΝΑΤOΕ : Kent.

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    Woher der Name Veliae kommt153, dafür habe ich mehrere Erklärungen erhalten, darunter: Weil dort gewöhnlich die Hirten des Palatin, ehe die Schur erfunden wurde, den Schafen die Wolle ausrupften, vellere, woher das Vlies vellera heißt. 55 Das Territorium von Rom ist in drei, trīs, Teile aufgeteilt, wonach tribus, die Tribus, benannt ist: die der Titienses, der Ramnes und der Luceres. Wie Ennius sagt, sind die Titiēnsēs nach Tatius benannt, die Ramnēnsēs nach Romulus;154 die Lucerēs, wie Iunius155 sagt, nach Lucumō; aber alle diese Wörter sind etruskisch, wie Volnius gerne sagte, der etruskische Tragödien geschrieben hat.156 56 Daher sind auch die vier Stadtteile tribūs, Triben, nach den Örtlichkeiten benannt: die Subūrāna, die Palātīna, die Esquilīna, die Collīna, und die fünfte, Rōmilia (weil sie unterhalb der Stadtmauern Roms, Rōma, liegt). So sind auch die übrigen dreißig von den Dingen benannt, von denen ich im ersten Buch über die Triben geschrieben habe.157 57 Was die Örtlichkeiten und das mit ihnen Verbundene betrifft, habe ich gesagt. Jetzt will ich mich über die unsterblichen und sterblichen Dinge äußern, die sich in den Örtlichkeiten befinden; und zuerst über das, was die Götter betrifft. Die ersten Götter sind Himmel, Caelum, und Erde, Terra158. Sie sind dieselben wie in Ägypten Serapis und Isis159, auch wenn mich Harpokrates mit dem Finger mahnt, darüber zu schweigen. Diese ersten Götter sind in Latium Saturnus und Ops.160 58 Erde und Himmel sind nämlich – wie die Mysterien der Samothraker161 lehren – große Götter, und zwar haben sie, wie ich sagte, viele Namen; es sind nicht die „großen Götter“ (Deī Magnī), die Samothrakien als zwei bronzene Männerstatuen vor den Toren aufgestellt hat, nämlich Kastor und Pollux: Sondern das sind Mann und Frau und zwar die, zu welchen die Bücher der Auguren162 so schreiben: Dīvī quī potēs, „Götter, die ihr mächtig seid“ (?), wozu die Samothraker sagen: θεοὶ δυνατοί, mächtige Götter.163

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    59 Haec duo Caelum et Terra, quod anima et corpus. Humidum et frigidum terra, sive „Ova parire1 solet genus pennis condecoratum, non animam“, ut ait Ennius, et „post inde venit divinitus pullis ipsa anima”, sive, ut Zenon Citus2, animalium semen ignis, is, qui anima3 ac mens, qui caldor e caelo, quod huic4 innumerabiles et immortales ignes. Itaque Epicharmus, < cum > dicit5 de mente humana, ait: „istic est de sole sumptus ignis”; idem sole[m]:6 „isque totus mentis est”, ut humores frigidae sunt humi, ut supra ostendi. 60 Quibus iuncti7 caelum et terra omnia „exgenuerunt”8, quod per hos natura „frigori miscet calorem atque humori9 aritudinem.” Recte igitur Pacuvius, quod ait: „animam ether10 adiugat”, et Ennius terram corpus quae dederit, ipsam capere, neque dispendi facere hilum. Animae et corporis discessus, quod natis is exius11, inde exitium, ut cum in unum ineunt, initia. 61 Inde omne corpus, ubi nimius ardor aut humor, aut interit aut, si manet, sterile. Cui testis estas et hiems12, quod in altero13 aer ardet et spica aret, in altera natura ad nascenda cum imbre et frigore luctare non volt et potius ver[e]14 expectat. Igitur causa nascendi duplex 15: ignis et aqua. Ideo ea nuptiis in limine adhibentur, quod coniungit16 hic, et ma[r]s17 ignis, quod ibi semen, aqua femina, quod fetus18 ab eius humore, et horum vinctionis vis19 Venus. 1  pareŗe (sic!) F: Lae. 2 citus : Citieus Aug.; scripsi. 3 animam > anima F. 4 hinc : huic Lachmann. 5 Add. L. Sp. 6 idem solem : L. Sp. 7 iuncti : iunctis prop. Mue. 8 exgenuerunt F, ex < se > add. Lae. 9 homori : edd. 10 ether < aether F, ut videtur. 11 nati sis exius : Sciop. 12 hiemps < hiems F. 13 altero : altera Mue. 14 totius vere : Aldus. 15 duplex nascendi F1, corr. F2. 16 coniungit hic : A. Sp. 17 mars F, mas GHa, Lae. 18 fętus F. 19 vinctione suis : iunctionis vis Turn.: Pape.

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    59 Diese beiden sind Himmel und Erde, wie Seele und Körper.164 Das Feuchte und Kalte ist die Erde, oder, wie Ennius165 sagt: „Eier zu gebären pflegt das federgeschmückte Geschlecht, nicht eine Seele“, und: „Dann kommt von dort durch göttliche Fügung in die Küken die Seele selbst“. Oder, wie Zenon von Kition166 sagt: Der Samen der Lebewesen ist das Feuer, das gleiche, das Seele und Geist ist, das die Wärme aus dem Himmel ist, weil dort zahllose und unsterbliche Feuer sind. Deshalb sagt Epicharmus, wenn er vom menschlichen Geist spricht167: „Das ist Feuer, das von der Sonne genommen wurde“, und ebenso von der Sonne: „und die ist ganz Geist.“, so wie alle Feuchtigkeit vom kalten Erdreich kommt, wie oben gesagt. 60 Zusammen mit diesen haben Himmel und Erde alles hervorgebracht, weil die Natur durch sie „mit der Kälte die Wärme und mit der Feuchte die Trockenheit mischt“.168 Recht hat also Pacuvius, wenn er sagt: „Der Äther verknüpft damit die Seele“. Und Ennius sagt, dass die Erde jeden Leib, den sie gegeben, aufnimmt und um den Verlust sich kein Fäserchen sorgt.169 Die Trennung von Seele und Leib heißt, weil dies das Ende, exitus, für alles Geborene ist, von daher exitium, Untergang, und wenn sie in Eines zusammengehen, ineunt, heißt es initia, Anfänge. 61 Deshalb geht jeder Körper, wo zu viel Hitze oder Feuchte sind, zugrunde oder ist unfruchtbar, wenn er (am Leben) bleibt. Zeuge dafür sind Sommer und Winter, weil in der einen Jahreszeit die Luft glüht und die Ähre dürr ist, im Letzteren die Natur, um der Zeugung willen, mit Regen und Frost nicht kämpfen will und eher auf den Frühling wartet. Also gibt es eine doppelte Ursache für die Zeugung: Feuer und Wasser. Daher werden diese beiden bei der Hochzeitszeremonie auf der Schwelle angewandt: Denn hier vereint man sich, und der Mann ist das Feuer, weil dort der Samen ist, und die Frau ist das Wasser, weil die Leibesfrucht aus deren Feuchte kommt und die Kraft ihrer Verbindung, vīs vīnctiōnis, die Venus ist.

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    62 Hinc κωμικός1: „Huic victrix2 Venus, videsne haec?”, non quod vincere velit Venus, sed vincire. Ipsa Victoria ab eo, quod superati vinciuntur. Utrique testis3 poesis, quod et Victoria et Venus dicitur caeligena: Tellus enim quod prima vincta Caelo, Victoria ex eo. Ideo haec cum corona et palma, quod corona vinclum capitis, et ipsa a vinctura dicitur. Viere est vincire4; a quo est in Sota Enni: „Ibant malaci viere5 Veneriam corollam.” Palma[m]6, quod ex utraque parte natura vincta habet paria folia. 63 Poetae de Caelo quod semen igneum cecidisse dicunt in mare ac natam e spumis Venerem, coniunctione ignis et humoris, quam habent7 vim, significant esse Veris.8 A qua vi natis dicta vita, et illud a Lucilio: „Vis est vita, vides, vis nos facere omnia cogit.9” 64 Quare, quod caelum principium, ab satu est dictus Saturnus. Et quod ignis, Saturnalibus cerei superioribus mittuntur. Terra Ops, quod hic omne opus et hac opus ad vivendum, et ideo dicitur Ops mater, quod terra mater. Haec enim: „Terris gentis omnis peperit et resumit denuo.” Quae „dat cibaria”, ut ait Ennius, quae, „quod gerit fruges, Ceres.” Antiquis enim quod nunc < C > et < G >, idem.10

    1 comicos : κωμικῶς ? dubitanter GS. Scripsi. 2 viċtrix F (sic!); victrix edd. Scripsi. 3 vinciuntur utrique. Testes : edd. 4 viere est vincere: vieri id est vinciri Sciop.; scripsi. 5 mala civiere : edd. 6 palmam : prop. Scal. 7 haberent Scal. 8 significantesse veris : L. Sp. 9 Nunc in F illegibile. 10 Quod nunc & idem F; C quod nunc G. Idem hi etc. Mue., quod nunc G C. Lachmann; scripsi.

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    62 Drum sagt der Komödiendichter170: „Dessen Fesslerin (vīnctrīx) ist die Venus (Venus), siehst du's nicht?“,171 nicht, weil Venus siegen will, vincere, sondern verbinden, vincīre. Victōria, Sieg, kommt daher, weil die Besiegten gefesselt werden, vinciuntur.172 Für beides ist die Dichtung Zeuge, weil sowohl Victōria als auch Venus Himmelskind genannt werden, caeligena: Denn weil die Erde ursprünglich mit dem Himmel zusammengefesselt wurde, vīncta, kommt Victōria, der Sieg, daher. Aus diesem Grund wird sie (Victoria) dargestellt mit Krone und Palmzweig, und von der Fesslung, vīnctūrā, ist sie (sc. Venus) selbst benannt. Viēre, winden, ist eigentlich fesseln, vincīre; daher heißt es im Sotas des Ennius173: „Es gingen die zarten Kerlchen, das Kränzlein der Venus zu winden (viēre).“ Der Palmzweig, palma (heißt so), weil er von Natur aus auf beiden Seiten gleiche Blätter hat, paria folia174. 63 Weil die Dichter sagen, aus dem Himmel sei feuriger Samen ins Meer gefallen und aus dem Schaum Venus geboren, aus einer Verbindung von Feuer und Feuchte, zeigen sie an, dass die Gewalt, die diese Elemente haben, von Venus stammt.175 Nach dieser Gewalt, vī(s), ist das Leben für die Geborenen benannt, vīta, und so sagt Lucilius: „Gewalt ist das Leben, siehst du: Gewalt zwingt uns, alles zu machen.“176 64 Weil der Himmel der Anfang ist, wurde daher Sāturnus von der Aussaat, satus, benannt. Und weil er das Feuer ist, werden den Himmlischen an den Saturnalien, Sāturnālia,177 Wachskerzen gestiftet. Die Erde ist Ops, weil hier alle Arbeit, opus, steckt und man sie zum Leben braucht, opus (sc. est). Und deshalb heißt Ops Mutter, weil die Erde die Mutter ist. Denn sie „hat auf Erden alle Völker geschaffen und nimmt sie wieder zurück.“178 Sie „bringt die Lebensmittel“, wie Ennius sagt, sie „heißt Cerēs, weil sie die Früchte bringt, gerit.“ Denn für die Alten war das, was jetzt als C und G (geschrieben wird), dasselbe.179

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    65 Hi dei Caelum et Terra Iupiter et Iuno quod, ut ait Ennius, „Istic est is Iupiter quem deico1, quem Graeci vocant Aerem, qui ventus est et nubes, imber postea, atque ex imbre frigus, ventus2 post fit, aer denuo. Haec3 propter Iupiter sunt ista, quae deico1 tibi, qua mortalis atque urbes beluasque omnis iuvat.”4 Quod hic5 omnes et sub hoc, eundem appellans dicit: „deivumque6 hominumque pater rex.” Pater, quod patefacit semen: nam tum es7 conceptum et,8 inde cum exit, quod oritur. 66 Hoc idem magis ostendit antiquius Iovis nomen: Nam olim Diovis et Dispiter9 dictus, id est dies pater. A quo dei dicti divi; inde10 et dies11 et divum, unde sub divo, Dius Fidius. Itaque inde eius perforatum tectum, ut ea videatur divum, id est caelum. Quidam negant sub tecto per hunc deierare oportere. Aelius Dium Fidium12 dicebat Diovis filium, ut Graeci Διόσκορον Castorem, et putaba[n]t13 hunc esse Sanc[t]um14 ab Sabina15 lingua, et Herculem a Greca. Idem hic Di[e]s16 pater dicitur infimus, qui est coniunctus terrae, ubi omnia oriuntur vl17 aboriuntur; quorum finis ortum, Orcus18 dictus. 67 Quod Iovis Iuno coniunx et is caelum, haec Terra, quae eadem Tellus, et ea dicta, quod una iuvat cum Iove19, Iuno, et Regina, quod huius omnia terrestria. 1  dico: Scripsi (bis), cf. VI 61. 2  ventis F: M, Lae. 3  haec : L. Sp. 4  qua – iuvat F; quando – iuvant Lachmann. 5  hic : L. Sp. 6  divumque: scripsi sec. ling. III Frg. 1 et VI 61. An: deivom ? 7  ē· i. e. est F : Kent duce Mue. 8  et F : Mue. 9  dióvis (cum accentu!) – dispiter F; Dispiter Lae.; cf. IX 75 et 77. 10  dei dicti qui inde: Vetter. 11  dies F; dius Bent.; dies et, [Dius et Divum] unde sub dio etc. A. Sp. 12  dium fidum F : dius fidius Vall. 13  putabant: Puccius. 14  sanctum : Scal. 15  savina F (in rasura). 16  dies pater : Mue. 17  vi : ubi Coll., ut Kent (de Melo). Scripsi. 18  ortus : Turn. 19  cum Iove iuvat F1 , corr. F2.

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    65 Diese Götter, Himmel und Erde, sind Jupiter und Juno, denn, wie Ennius sagt: „Dies ist der Gott, den ich Jupiter heiße, den die Griechen nennen Luft, der Wind ist und Wolken, darauf Regen, und aus dem Regen Frost, dann wieder Wind wird, endlich wieder Luft. Deswegen ist alles dies Jupiter, das ich dir sage, womit er Sterbliche und Städte und Tiere allesamt fördert.“180 Weil von dort alle stammen und unter ihm alle stehen, nennt er ihn wörtlich so: „Der Götter und Menschen Vater und König.“181 Pater, Vater, weil er den Samen öffnet, patēfacit: Denn dann wird klar, patet, dass etwas empfangen wurde, wenn etwas, was geboren wird, von dort herauskommt. 66 Genau das zeigt noch mehr der ältere Namen Jupiters, Iovis. Denn einst hieß er Diovis und Diēspiter, das heißt „Tag Vater“, diēs pater. Davon wurden deī, die Götter, dīvī genannt, und diēs, Tag, und dīvum, freier Himmel, woher sub dīvō, im Freien, und Dīus Fidius kommen.182 Und so hat sein (des Jupitertempels) Dach deswegen Öffnungen, damit man von da das Freie, dīvum, sehen kann, das heißt: den Himmel. Manche sagen, unter einem Dach dürfe man deshalb keinesfalls einen Schwur leisten. Aelius sagte, Dīus Fidius sei eigentlich Diovis fīlius, Jupiters Sohn, wie die Griechen zu Kastor Διόσκορος sagen, und glaubte, er sei Sancus aus dem Sabinischen183 und Herculēs aus dem Griechischen. Er heißt auch Dīs pater, als Gott der Unterwelt184, der mit der Erde verbunden ist, wo alles entsteht oder auch vergeht; weil er das Ende dieser Entstehungen, ortūm, ist, ist der Orcus so benannt. 67 Weil Juppiters, Iovis, Gattin Iūnō und er der Himmel ist, ist sie die Erde, Terra (ebenso Tellūs); und sie ist so benannt, weil sie gemeinsam, ūnā, mit Jupiter hilft, iuvat; und sie heißt auch Rēgīna, Königin, weil ihr alles Irdische gehört185.

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    68 Sol < vel > a svel1 quod ita Sabini vel < quod >2 solus ita lucet, ut ex eo deo dies sit. Luna [vel]3 quod sola lucet noctu. Itaque ea dicta Noctiluca in Palatio: nam ibi noctu lucet templum. Hanc ut Solem Apollinem quidam Dianam vocant; Apollinis vocabulum Grecum alterum4, alterum Latinum, et hinc, quod luna in altitudinem et latitudinem simul et5, Diviana appellata. Hinc Epicharmus Enni[i]6 „Proserpinam” quoque appellat, quod solet esse sub terris. Dicta Proserpina, quod haec ut serpens modo in dexteram, modo in sinisteram partem late movetur. Serpere et proserpere idem dicebant, ut Plautus, quod scribit: „quasi proserpens bestia”. 69 Quae ideo quoque7 videtur a Latinis Iuno Lucina dicta, vel quod est e8 terra, ut physici9 dicunt, et lucet; vel quod10 ab luce eius, qua quis conceptus est, usque ad eam, qua partus quis in lucem, una11 iuvat, donec mensibus actis produxit in lucem, ficta ab iuvando et luce Iuno Lucina. A quo parientes eam invocant: luna enim nascentium dux, quod menses huius. Hoc vidisse antiquas apparet, quod mulieres potissimum supercilia sua attribuerunt ei deae. Hic enim debuit maxime collocari Iuno Lucina, ubi ab diis lux datur oculis. 70 Ignis a nascendo12, quod hinc nascitur et omne13 quod nascitur, ignis se indit14: Ideo calet, ut qui denascitur, eum amittit ac frigescit. Ab ignis iam maiore vi ac violentia Volcanus dictus. Ab eo, quod ignis propter splendorem fulget, fulgor et fulmen et fulgur15, quod fulmine ictum. 1  solà vel F, sol[a] vel GS, Coll., Kent (de Melo). Addidi et scripsi. 2  Add. Aug. 3  Del. Ald. 4  Primum alterum del. Vict. 5  et : del. Rhol., et Sciop., it Coll.; scripsi sec. A. Sp. 6  Ennii : Vp, Aug. 7  ideo* : q̅q̅ (= quoque) add. in margine F. 8  e terra : e terra L. Sp., GS, Coll.; scripsi. 9  phisici : edd. 10  quod vel : Vall. (Lae.). 11  lucem; una F : Sciop.; fort. Luna una, cf. V 67. 12  a nascendo : Mue. 13  omne: scripsi. 14  ignis scīndit (sic) F: Canal sec. Scal. 15  fulgur F; suppl. Scal.

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    68 Sōl, Sonne, kommt entweder aus savel (?) weil so die Sabiner sagen, oder weil sie alleine, sōlus, so leuchtet, dass aus diesem Gott der Tag besteht.186 Lūna, Mond, (heißt so), weil er alleine nachts leuchtet, lūcet noctū.187 Darum gibt es die Noctilūca, Nachtleuchte, auf dem Palatin: Denn dort leuchtet nachts, noctū lūcet, der Tempel.188 Manche nennen sie Diāna, wie die Sonne Apollō; das eine Wort – Apollō – ist griechisch, das andere (Diāna) lateinisch. Und weil der Mond zugleich in die Höhe und in die Breite geht, wurde sie (ursprünglich) Dīviāna genannt.189 Von daher nennt sie der Ennianische Epicharmus Prōserpina, weil sie gewöhnlich unter der Erde lebt.190 Prōserpina wurde sie genannt, weil sie sich wie eine Schlange, serpēns, bald nach links, bald nach rechts fortbewegt. Serpere und prōserpere sagte man mit gleicher Bedeutung, wie Plautus, wenn er schreibt: „… quasi prōserpēns bēstia“, wie ein kriechendes Tier.191 69 Sie scheint deswegen auch von den Latinern Iūnō Lūcīna benannt worden zu sein: Entweder, weil sie – wie die Naturphilosophen sagen – Erde ist und leuchtet;192 oder: Weil der Mond von dem Tag, lūx, an, wo einer empfangen wurde, bis zu dem, an dem einer ans Licht geboren wird, hilft, Lūna iuvat, bis er (der Mond) ihn nach Ablauf der Monate ans Licht bringt: Deswegen ist aus iuvāre, helfen, und lūx, Licht, Iūnō Lūcīna gebildet worden.193 Daher rufen ihn auch die Frauen bei der Entbindung an: Denn der Mond ist Führer der Gebärenden, weil die Menses sein Werk sind. Dass die Frauen das schon früher gesehen haben, wird daraus klar: Die Frauen haben ihre Augenbrauen dieser Göttin geweiht. Hier hätte eigentlich Iūnō Lūcīna ihren Platz haben müssen, wo die Augen von den Göttern das Licht, lūx, erhalten. 70 Ignis, Feuer, vom Entstehen, gnāscī, weil von daher geboren wird, nāscitur, und in alles, was geboren wird, Feuer (ignis) eindringt194: Daher ist es warm, und wer stirbt, verliert das Feuer und erkaltet. Von der deutlich größeren Kraft, vī, und Gewalt, violentia, des Feuers ist der Gott Volcanus benannt. Von daher, weil das Feuer wegen seines Glanzes funkelt, kommen fulgor, Wetterleuchten, und fulmen, Blitz, und fulgurītum, geblitzt, was vom Blitz getroffen ist, fulmine ictum.

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    Liber V

    71 < E > contrariis diis1: Ab aquae lapsu lubrico lumpa. Lumpa2 Iuturna, quae iuvaret: itaque multi egroti propter id nomen hinc aquam petere solent. A fontibus et fluminibus ac ceteris aquas3 dei, ut Tiberinus ab Tiberi, et ab lacu Velini Velinia, et lumpae + comitiis4 + ad lacum Cutiliensem a commotu, quod ibi insula in aqua commovetur. 72 Neptunus, quod mare terras obnubit ut nubes caelum, ab nuptu, id est5 opertione, ut antiqui, a quo nuptiae, nuptus dictus. Salacia Neptuni a salo. Venilia6: a veniendo ac ventu7 illo, quem Plautus dicit: „Quod ille8 dixit, qui secundo vento vectus est tranquillo marei9, ventum gaudeo.” 73 Bellona: ab bello nunc, quae Duellona a duello. Mars: ab eo, quod maribus in bello praeest, aut quod Sabinis acceptus ibi est Mamers. Quirinus: a Quiritibus. Virtus: ut Viritus10 a virilitate. Honos11 ab honesto12 onere: itaque honestum dicitur, quod oneratum, et dictum: „Onus est honos, qui sustinet rem publicam.” Castoris13 nomen Grecum, Pollucis a Grecis: In Latinis litteris veteribus nomen quod est, inscribitur ut Πολυδεύκης14 Polluces, non ut nunc15 Pollux. Concordia a corde congruente. 74 Feronia, Minerva, Novensides a Sabinis16. Paulo aliter ab eisdem dicimus hec: Palem17, Vestam, Salutem, Fortunam, Fontem, Fidem. 1  ictum / contrariis diis : ictum. < In > Madvig; < Nunc dicam de > Vetter. Scripsi. 2  limpha (ter) F, lymphae edd.; lumpha – Numpha prop. L. Sp., lumpa Deschamps (1988): Scripsi (ter). 3  ceteras aquas vel ceteras aquar˙ F, ceteris aquis Vp; GS. Scripsi. 4  comitiis: Commotiles prop. GS; Commotiae Aug.: an: Comitiles? 5  iđ (idem) : id est f, (Fv), ī Vall.; edd. 6  Venelia : Aug. 7  vento : Sciop. 8  ibi : ille codd. Plautini. 9  mari : mare codd. Plautini. Scripsi. 10  viriius : Scal. 11  honos < honor F 12  honesto del. Wölfflin. 13  Castoris F, edd.; Kastoris scripserim. 14  pollideuceps > pollideuces F : Πολλυδεύκης Rhol. 15  nuns : codd. 16  savinis : Sabinis plurimi codd. 17  hecralem : Scal.

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    71 Von den entgegensetzten Götter heißen: Vom glatten Dahingleiten, lāpsus lūbricus, des Wassers, heißt lumpa, das Quellwasser. Lumpa Iūturna (heißt die Nymphe so), weil sie helfen soll, iuvāret.195 Daher haben viele Kranke wegen dieses Namens gerne ihr Wasser davon. Von den Quellen, Flüssen und den übrigen (Gewässern) sind die Wassergottheiten196 benannt: Tiberīnus vom Tiber, Velīnia vom lacus Velīnī197, und die … Nymphen beim lacus Cutiliēnsis198 von der Bewegung, commōtus, weil sich dort eine Insel im Wasser bewegt, commovētur. 72 Neptūnus (heißt so), weil das Meer die Länder umwindet, obnūbit, wie die Wolken, nūbēs, den Himmel, von nuptus, d. h. dem Verhüllen, wie die Alten sagten, von wo nuptiae, Hochzeit, und nuptus, Bräutigam, so heißen.199 Neptuns (Gattin) Salacia kommt von salum, hohe See. Venīlia: von venīre, kommen, und jenem Landen, ventus, von dem Plautus spricht: „Wie jener sagte, der bei günstigem Wind auf ruhiger See gefahren ist: Ich freue mich über die Landung.“200 73 Bellōna: jetzt von bellum, Krieg, früher hieß sie Duellōna von duellum, Zweikampf.201 Mārs: von daher, weil er die Männer, marēs, im Krieg befehligt, oder weil er, beliebt bei den Sabinern, dort als Mamers gilt. Quirīnus: von den Quirītes, Quiriten. Virtūs aus *viritūs von der Mannhaftigkeit, virīlitās.202 Honōs, Ehre, heißt so von der ehrenvollen Last, onus. Daher nennt man honestum, ehrenvoll, was beladen ist, onerātum, und daher kommt das Wort: „Last (onus) ist ein Ehrenamt (honōs), das den Staat aufrechterhält.“203 Der Namen von Kastor ist griechisch, Pollūx kommt von den Griechen: Der Name, der in alten lateinischen Texten steht, ist Pollūcēs geschrieben, aus Πολυδεύκης, nicht Pollūx wie jetzt.204 Concordia: von der Übereinstimmung des Herzens, corde congruente. 74 Ferōnia205, Minerva und die Novēnsidēs kommen von den Sabinern.206 Etwas anders sprechen wir folgende von ihnen stammende Namen aus: Palēs, Vesta, Salūs, Fortūna, Fōns, Fidēs.207

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    Liber V

    Et re1 Sabinum linguam olent, quae Tati regis voto sunt Romae dedicatae: Nam, ut annales dicunt, vovit Opi, Flore, Vedio[io]vi2 Saturnoque, Soli, Lunae, Volcano et Summano, itemque Larundae, Termino, Quirino, Vortumno, Laribus, Dianae Lucinaeque; e quis nonnulla nomina in utraque lingua habent radices, ut arbores, quae in confinio natae in utroque agro serpunt3: potest enim Saturnus hic de alia causa esse dictus atque in Sabinis, et sic Diana e4 de quibus supra dictum est. 75 Quod ad immortalis attinet, haec; deinceps, quod ad mortalis attinet, videamus. De his animalia in tribus locis quod sunt, in aere, in aqua, in terra, a summa parte < ad >5 infimam descendam. Primum nomina omnium6: Alites < ab > alis7, volucres a volatu. Deinde generatim8: De his pleraeque ab suis vocibus ut haec: upupa, cuculus, corvus, irundo, ulula, bubo; item haec: pavo, anser, gallina, columba. 76 Sunt, quae aliis de causis appellatae, ut noctua, quod noctu canit ac vigilat, lusciola9, quod luctuose canere existimatur atque esse ex Attica Progne in luctu facta avis. Sic galeritus10 et motacilla; altera, quod in capite habet plumam elatam, altera, quod semper movet caudam. Merula, quod mera, id est sola, volitat: contra ab eo graguli, quod gregatim, ut quidam Greci greges γέργερα. Ficedulae et miliariae a cibo, quod altere fico, alterae milio fiunt pingues. 77 Aquatilium vocabula animalium partim sunt vernacula, partim peregrina. Foris murena, quod μύραινα11 Graece, κύβιον12 et thynnus, cuius item partes Graecis vocabulis omnes, ut melander atque uraeon.

    1  etre vel eare : Mue. 2  floreve · dioiovi : Mue. 3  serpent : edd. 4  Dianẹ : Mue. 5  ad add. G, H, edd.; < in > Christ. 6  nomen nominem : Fay sec. Mue. 7  alii : Aug. 8  Ige- > ge- F1. 9  lusciola : Vict. 10  galericus : Aug. 11  foris ·Murena · quod mirena grece : Aug. 12  cytYBiuM, thinnus: scripsi.

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    Auch die Altäre, die auf ein Gelübde von König Tatius in Rom geweiht wurden, duften nach der Sprache der Sabiner: Denn, wie die Annalen sagen, weihte er der Ops, Flora, dem Vediovis208 und Saturnus, dem Sol, der Luna, dem Volcanus und Summanus, ebenso der Larunda, dem Terminus, Quirinus, Vortumnus, den Laren, der Diana und Lucina (Altäre); von diesen haben manche Namen ihre Wurzeln in beiden Sprachen, wie Bäume, die an einer Grenzscheide gewachsen sind und nun in beiden Feldern wurzeln: Denn Sāturnus kann hier aus einem anderen Grunde so benannt worden sein als bei den Sabinern, und ebenso Diāna und die (sc. Gottheiten), worüber oben schon209 gesprochen wurde. 75 Das war es betreffs der Unsterblichen210. Jetzt wollen wir sehen, was die Sterblichen angeht. Weil von diesen die Lebewesen an drei Orten sind – in der Luft, im Wasser, auf der Erde –, will ich vom höchsten Teil zum untersten hinabsteigen. Als erstes die Bezeichnung für alle: ālitēs, Vögel, von den Flügeln, ālis; volucrēs, Flügeltiere, vom Fliegen, volātus. Dann nach Gattungen. Von diesen heißen die meisten nach ihren Tönen wie folgende: Upupa, Wiedehopf, cucūlus, Kuckuck, corvus, Rabe, irundō, Schwalbe, ulula, Käuzchen, būbō, Uhu; ebenso folgende: pāvō, Pfau, ānser, Gans, gallīna, Henne, columba, Taube. 76 Manche sind aus anderen Gründen benannt worden: z. B. die Nachteule, noctua, weil sie nachts, noctū, singt und wacht; die Nachtigall, lusciniola, weil sie, wie man glaubt, traurig singt, lūctuōsē canere, und Prokne (aus Attika) in ihrer Trauer zum Vogel wurde211. Die Haubenlerche, galērītus, und Bachstelze, mōtacilla, sind wie folgt benannt: Die Erste, weil sie auf ihrem Kopf eine herausragende Daune hat, die Zweite, weil sie immer ihren Schwanz, caudam, bewegt, movet.212 Merula, die Amsel, weil sie immer mera, das heißt alleine, fliegt, volitat.213 Dagegen heißen die Dohlen grāgulī, weil sie schwarmweise, gregātim, fliegen, wie einige Griechen zu Herden γέργερα sagen.214 Fīcēdula, die Feigendrossel, und miliāriae, die Hirsenvögel, sind von ihrem Futter benannt, weil die einen von der Feige, fīcus, die anderen von der Hirse, milium, fett werden.215 77 Die Namen der Wassertiere sind teils einheimisch, teils Fremdwörter. Von draußen kommen: mūraena, Muräne, weil sie Griechisch μύραινα heißt, κύβιον, junger Thunfisch, und thynnus, Thunfisch, von dem auch alle Teile griechische Namen haben: melander (Stück vom Thunfisch) und ūraeon, Schwanzstück.216

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    Vocabula piscium pleraque translata a terrestribus ex aliqua parte similibus rebus, ut anguilla, lingulaca, sudis1; alia a coloribus, ut haec: asellus, umbra, turdus; alia a vi quadam, ut haec: lupus, canicula, torpedo. Item in conchyliis2 aliqua ex Grecis, ut peloris, ostrea, echinus. Vernacula ad similitudinem, ut surenae3, pectunculi, ungues. 78 Sunt etiam animalia in aqua, quae in terram interdum exeant: alia Graecis vocabulis, ut polypus 4, hippopótamos 5, crocodílos 6, alia Latinis, ut rana, 7, mergus: a quo Graeci ea, quae in aqua et terra possunt vivere, vocant ἀμφίβια8. E quis rana ab sua dicta voce, anas a nando, mergus, quod mergendo in aquam captat escam. 79 Item alia9 in hoc genere a Graecis, ut querquedula, κερκήδης10, alcedo11, quod ea ἁλκυών12; Latina, ut testudo, quod testa tectum hoc animal, lolligo, quod subvolat, littera commutata, primo volligo. Ut egypti in flumine quadrupes, sic in Latio nominati lura13 et fiber. Lura, quod succidere dicitur arborum radices in ripa atque eas dissolvere, ab lutra14. Fiber, ab extrema ora fluminis dextra et sinistra maxime quod solet videri et antiqui februm dicebant extremum, a quo in sagis fimbriae et in iecore extremum fibra, fiber dictus. 80 DE ANIMALIBUS IN LOCIS TERRESTRIBUS15. Quae sunt hominum propria primum, deinde de pecore, tertio de feris scribam. Incipiam ab honore publico. Consul nominatus, qui consuleret populum et senatum, nisi illinc potius, unde Accius16 ait in Bruto: „qui recte consulat, consul cluat17.” 1  lingula casudis : Ald. 2  conchiliis : Aug. 3  syrenẹ : GS. 4  polipus: edd. 5  Yppo potamios F, hippopotamios L. Sp.; scripsi. 6  crocodillos : crocodilos edd., scripsi. 7  rana · / mergus : add. Aug. 8  amphibia F, amphybia Vall.: edd. A quo – ἀμφίβια Sciop., Mue. et L.Sp. additicia putant. 9  aliẹ : alia B, edd. 10 querquedula · cerceris : scripsi sec. Kent. 11 algedo : Groth. 12 alcyon : Mue. 13 lira (bis) : Turn. (lytra Aug.). 14 ab litra : ab < luere > lutra Kent; scripsi. 15 Sic F. 16 taccius > tatius vel actius F2, Accius Vall. 17 consulciat: Scal. (consul fuat Aug.).

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    Von den Fischnamen sind die meisten Übertragungen von Dingen, die es auf dem Land gibt und denen sie teilweise ähnlich sind, wie anguilla, Aal, lingulāca, Seezunge, und sudis, Hecht; andere kommen von Farben, wie asellus, Seehecht, umbra, Äsche, und turdus, Lippfisch217; andere von einer bestimmten Kraft, wie lupus, Seewolf, canīcula, Hundshai, und torpēdō, Zitterrochen. Ebenso kommen etliche bei den Muscheln von den Griechen: pelōris, Riesenmuschel, ōstrea, Auster, und echīnus, Seeigel. Einheimische sind nach der Ähnlichkeit benannt, wie sūrēnae (Wadenbeine)218, pectunculī, Kamm-Muscheln, und unguēs, Fingernägel. 78 Es gibt auch Tiere im Wasser, die manchmal an Land gehen. Die einen haben griechische Namen wie der Polyp, polypūs, das Flusspferd, hippopótamos, und das Krokodil, crocodīlos219, andere lateinische, wie der Frosch, rāna, die Ente, anas, und der Taucher, mergus: daher nennen die Griechen die Tiere, die zu Wasser und zu Land leben können, ἀμφίβια. Von diesen ist der Frosch, rāna, von seiner Lautäußerung benannt, die Ente, anas, vom Schwimmen, nāre, der Taucher, mergus, weil er beim Ins-WasserTauchen, mergere, seine Nahrung fängt. 79 Ebenso kommen andere in dieser Gattung von den Griechen: querquēdula, Knäkente, von κερκήδης, alcēdō, Eisvogel, weil er ἁλκυών heißt; lateinisch sind: testūdō, Schildkröte, weil dieses Tier mit einer Schädeldecke, tēstā, geschützt ist; lollīgō, Tintenfisch, weil er nach oben (im Wasser) wegfliegt, subvolat; es hat sich ein Laut verändert, er hieß ursprünglich vollīgō.220 Wie es in Ägypten im Fluss einen Vierfüßler gibt, so gibt es auch in Latium die so genannten lutra, Otter, und fiber, Biber. Weil der Otter – wie man sagt – die Baumwurzeln am Ufer fällt und sie auflöst, dis-solvere, heißt er lutra vom Auflösen, lutus221. Fiber: Weil man ihn gerne am äußersten linken und rechten Flussrand sieht und die Alten das Äußerste februm nannten (daher heißen die Troddeln an den Umhängen fimbriae und das äußerste Stück der Leber fibra, Faser), wurde er fiber genannt. 80 DIE LEBEWESEN AUF DEM LANDE.222 Als Erstes möchte ich über die speziellen Bezeichnungen für Menschen, dann vom Vieh, drittens von Wildtieren schreiben. Ich möchte mit den Ehrenämtern beginnen. Der Konsul, cōnsul, wurde so benannt, weil er Volk und Senat befragen soll, cōnsuleret, wenn er nicht eher daher kommt, wie es Accius im Brutus sagt: „Cōnsul soll heißen, wer rechten Rat geben kann, cōnsulat.“223

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    Pretor dictus, qui praeiret iure et exercitu; a quo id Lucilius: „Ergo praetorum est ante et pre ire.” 81 Censor: ad cuius censionem, id est arbitrium, censeretur populus. Aedilis: qui aedis sacras et privatas procuraret. Quaestores a querendo, qui conquirerent publicas pecunias et maleficia, quae triumviri capitales nunc conquirunt: ab his postea, qui quaestionum iudicia exercent, quaestores1 dicti. Tribuni militum: quod terni tribus tribubus Ramnium, Lucerum, Titium, olim ad exercitum mittebantur. Tribuni plebei, quod ex tribunis militum primum tribuni plebei facti, qui plebem defenderent, in secessione Crustumerina. 82 Dictator, quod a consule dicebatur, cui dicto audientes omnes essent. Magister equitum, quod summa potestas huius in equites et accensos, ut est summa populi dictator, a quo is quoque magister populi appellatus. Reliqui, quod minores quam hi magistri, dicti magistratus, ut ab albo albatus. 83 Sacerdotes universi a sacris dicti. Pontufices2, ut M.3 Scevola Quintus pontufex maximus dicebat4, a posse et facere, ut po[n]tifices.5 Ego a ponte arbitror: nam ab his sublicius est factus primum, ut restitutus sepe, cum ideo sacra et uls6 et cis7 Tiberim non mediocri ritu fiant. Curiones dicti a curiis, qui fiunt, ut in his sacra faciant. 84 Flamines, quod licio in apice velato8 erant semper ac caput cinctum habebant filo, flamines9 dicti. Horum singuli cognomina habent ab eo deo, cui sacra faciunt; sed partim sunt aperta, partim obscura: aperta ut Martialis, Volcanalis; obscura Dialis et Furinalis, cum Dialis ab Iove sit (Diovis enim), Furialis a Furrina10, cuius etiam in fastis feriae Furinales sunt. Sic flamen Falacer a divo patre Falacre.

    1  quaestóres : Mommsen. 2  Pontvfices < Pontifices F. 3  a F. Scripsi. 4  dicebat < dicebant F. 5  pontifices : Turn. 6  uis : Aug. 7  cis < gis F (suprascriptum). 8  in Latio capite velato: Scal. (qui legit velati). Scripsi. 9  flamines: Canal. 10 furialis – furida: L. Sp., cf. VI 19.

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    Prätor, praetor, wurde so genannt, weil er bei Recht und Heer vorangehen soll, praeīret; daher kommt dieses Luciliuszitat: „Also ist der Prätoren Aufgabe, als Erste und voran zu gehen (prae-īre).“224 81 Cēnsor: Auf dessen Schätzung, cēnsiō, das heißt Urteil, das Volk eingeschätzt werden soll, cēnsērētur. Aedīlis, Ädil: wer sich um sakrale und private Gebäude, aedīs, kümmern soll. Quaestōrēs, Quästoren, vom Untersuchen, quaerere, weil sie öffentliche Gelder und die Vergehen untersuchen sollen, welche jetzt die triumvirī capitālēs untersuchen. Daher wurden nach ihnen später diejenigen, die Untersuchungsprozesse führen, quaesitōrēs, Untersucher, genannt. 225 Militärtribune, tribūnī mīlitum: Weil einst jeweils drei den drei Triben, tribus tribubus, der Ramnes, Luceres und Tities zum Heer geschickt wurden. Volkstribune, tribūnī plēbeī, weil aus den Militärtribunen heraus zunächst die Volkstribunen zur Verteidigung der Plebs, plēbs, geschaffen wurden, und zwar bei der Crustumerischen Sezession.226 82 Dictātor, Diktator, weil er vom Konsul ernannt wurde, dīcēbātur, damit alle auf dessen Wort, dictum, folgen. Magister equitum, Reiterführer, weil er das Kommando über Reiter, equitēs, und Reservisten hat, wie der Diktator über das Volk, wonach dieser auch magister populī, Volksführer, genannt wurde. Weil die Übrigen geringeren Rang haben als diese Führer, magistrī, wurden sie magistrātūs, Beamte, genannt, wie von albus, weiß, albātus, weißgekleidet (gebildet ist).227 83 Alle Priester, sacerdōtēs, sind von den sacra, Opfern, benannt. Die Oberpriester, pontuficēs, sind – wie Quintus Mucius Scaevola, der Pontifex māximus228, sagte – vom Können, posse, und Machen, facere, aus *potificēs, benannt. Ich glaube, es kommt von pōns, Brücke: Denn von diesen wurde zuerst der Pōns sublīcius gemacht (der oft wiederaufgebaut wurde); deshalb werden ja jenseits und diesseits des Tibers durchaus besondere Opfer gebracht.229 Die cūriōnēs, Kurienvorsteher, sind nach den cūriae, Kurien, benannt: Sie werden es, um in diesen die Opfer zu vollziehen.230 84 Flāminēs, Eigenpriester, sind, weil sie auf ihrer Priestermütze ein Trumm hatten und den Kopf mit einem Faden, fīlum, umschnürt hatten, fīlāminēs genannt worden.231 Jeder Einzelne hat seinen Beinamen vom Gott, dem er opfert; aber teils sind sie klar, teils undurchsichtig: Klar wie (flāmen) Mārtiālis, Marspriester, und Volcānālis, Volcanuspriester; undurchsichtig sind (flāmen) Diālis und Fūrīnālis: Denn Diālis kommt von Iūpiter (er hieß nämlich Diovis), Fūrīnālis von Furrīna, der auch in den Fasten die fēriae Fūrīnales gehören, das Furrinafest.232 So kommt der flāmen Falacer vom Gott Falacer Pater.233

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    Liber V

    85 Salii: ab salitando, quod facere in Comitiis in sacris quotannis et solent et debent. Luperci, quod Lupercalibus in Lupercali sacra faciunt. Fratres arvales dicti, qui sacra publica faciunt propterea, ut fruges ferant arva, a ferendo et arvis fratres arvales dicti. Sunt, qui a fratria dixerunt. Φρατρία1 est Grecum vocabulum partis hominum, ut apoli2 etiam nunc. Sodales Titii dicti +++,3 quas in auguriis certis observare solent. 86 Fetiales, quod fidei publicae inter populos praeerant: Nam per hos fiebat, ut iustum conciperetur bellum et inde desitum4, ut federe fides pacis constitueretur. Ex his mittebantur, ante quam conciperetur, qui res repeterent, et per hos etiam nunc fit foedus, quod „fidus”5 Ennius scribit dictum. 87 In re militari pretor dictus, qui praeiret exercitui. Imperator: ab imperio populi qui eos, qui id attemptassent6, oppressi hostis7. Legati, qui lecti publice, quorum opera consilioque uteretur peregre magistratus, quive nuntii senatus aut populi essent. Exercitus, quod exercitando fit melior. Legio, quod leguntur milites in delectu. 88 Cohors, quod ut in villa ex pluribus tectis coniungitur ac quiddam fit unum, sic hic8 ex manipulis pluribus copulatur; cohors quae in villa, quod circa eum locum pecus cooreretur, tametsi cohortem in villa Ypsicrates9 dicit esse Graece χόρτον10 apud poetas dictam. Manipulos11 exercitus minimast12 manus, quae unum sequitur signum. Centuria, quia13 sub uno centurione sunt, quorum centenarius iustus numerus.

    1  fratria – fratria : φρατρία – φρατρία de Melo. 2  a poli : Turn. (Apoli Sciop.). 3  Sodales · titii F, lac. ind. Lae. A. Sp.; scripserim. 4  Lac. suspicatus Vetter: ind desitum, ut foedere. 5  fidus: scripsi, cf. ad VI 61. 6  attemptasset F, attentassent Vall. 7  oppressi hostis : Kent. 8  his F (cum signo correctionis in marg.) : Mue. 9  Ipsicrates : Hypsicrates Ald.; scripsi, cf. Arpocrates V 57. 10  cohorton : Scal. 11  manipulos F, Vall.; manipulus L. Sp., cf. sulcos V 39. 12  minimas F, scripsi. 13  quae : qui Mue., scripsi.

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    85 Saliī, Salier: vom Tanzen, salīre, was sie jährlich im Rahmen der Komitien bei der Opferhandlung gewohnheits- und pflichtgemäß tun.234 Lupercī, weil sie an den Lupercālia im Lupercal die Opferhandlung vollziehen.235 Frātrēs arvālēs, die Arvalbrüder – sie vollziehen das öffentliche Opfer, damit die Felder, arva, Früchte bringen, ferant – sind vom Bringen, ferre, und den Feldern, arva, frātrēs arvālēs genannt worden. Manche haben gesagt, es komme von der Bruderschaft, frātria. Φρατρία ist ein griechisches Wort für eine Gruppierung von Menschen, wie sie in Neapel jetzt noch heißt. Die Titiusbrüder, Sodālēs Titiī, sind von (sc. wohl: dem Tschilpen, titiātus) der Vögel, so benannt, die sie bei der Vogelschau normalerweise beobachten.236 86 Fētiālēs, Fetialen, weil ihnen die Zuverlässigkeit, fidēs, des Staates zwischen den Völkern oblag: Denn durch sie wurde ein gerechter Krieg, bellum iūstum, begonnen und auch wieder beendet, so dass durch einen Vertrag Friedenstreue hergestellt wurde, fidēs pācis. Aus deren Kreis wurden welche vor Kriegsbeginn ausgesandt, die das Gut wieder zurückfordern sollten, und durch sie wird auch heute noch der Vertrag, foedus, geschlossen, der – wie Ennius schreibt – einmal feidus, Treu, hieß.237 87 Beim Militär ist der Prätor, praetor, so benannt, weil er dem Heer vorangehen soll, praeīret.238 Imperātor: von der Befehlsgewalt, imperium, des Volks: Er überwältigt die Feinde, wenn sie diese (die Befehlsgewalt) angefochten haben.239 Die Legaten, lēgātī, weil sie von Staats wegen ausgewählt, lēctī, sind, damit sich die Beamten deren Handelns und Rats auswärts bedienten, und weil sie Boten von Senat und Volk sein sollen. Das Heer, exercitus, weil es durch Exerzieren, exercitāre, besser wird. Die Legion, legiō, weil die Soldaten bei der Musterung, dēlēctus, ausgewählt werden, leguntur.240 88 Die Kohorte, cohors: Weil sie, wie auf einem Landgut aus mehreren Gebäuden eine Verbindung entsteht und ein Ganzes geschaffen wird, so hier aus mehreren Manipeln verbunden wird, cō-pulatur; der Viehhof, cohors, auf einem Gut (heißt so), weil um diese Stelle das Vieh geboren wird, coorerētur241; Hypsikrates freilich sagt, der Viehhof sei bei den Dichtern griechisch χόρτος genannt worden.242 Der Manipel, manipulos, ist beim Militär die kleinste Handvoll, manus, die einem Zeichen folgt. Die Zenturie, centuria, weil sie unter einem einzigen Zenturionen, centuriō, steht, deren richtige Zahl eine Hundertschaft ist.

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    89 Milites, quod trium milium primo legio fiebat ac singulae tribus Titiensium, Ramnium, Lucerum milia militum mittebant. Hastati dicti, qui primi hastis pugnabant, pilani, qui pilis, principes, qui a principio gladiis; ea post, commutata re militari, minus illustria sunt. Pilani triarii1 quoque dicti, quod in acie tertio ordine extremi[s]2 subsidio deponebantur; quod hi subsidebant, ab eo subsidium dictum, a quo Plautus: „Agite nunc, subsidite3 omnes, quasi solent triarii.” 90 Auxilium appellatum ab auctu, cum accesserant, ei4 qui adiumento essent alienigenae. Presidium dictum, qui extra castra praesidebant in loco aliquo, quo tutior regio esset. Obsidium dictum ab obsidendo, quo minus hostis egredi posset. Indie5 item ab [ab]sedendo6, cum id ideo facerent, quo facilius deminuerent hostis. Duplicarii dicti, quibus ob virtutem duplicia cibaria ut darentur, institutum. 91 Turma terima (E in U abiit), quod ter deni equites ex tribus tribubus Titiensium, Ramnium, Lucerum fiebant. Itaque primi singularum decuriarum decuriones dicti, qui ab eo in singulis turmis sunt etiam nunc terni. Quos hi primo administros ipsi sibi adoptabant, optiones vocari cepti, quos nunc propter ambitionem tribuni faciunt. Tubicines a tuba et canendo, similiter liticines7. Classicos a classe, qui item cornum8 canit9 ut tum, cum classes comitiis ad comitatum10 vocant. 92 Quae a fortuna vocabula: In his quaedam minus aperta, ut pauper, dives, miser, beatus; sic alia. Pauper a paulo lare. Mendicus a minus, cui, cum opus est, minus nullo est.

    1  2  3  4  5  6  7  8  9  10

    triani : triarii Vall. (Lae.). extremis : Aug. subsidete : Lae. Add. Stroux. Indiẹ : Sp. ab absidendo : L. Sp. litigines : < a lituo > Sciop. cornu uo canit F: cornu uo Coll.; scripsi. Sic F; canunt Aug., GS, Coll. comitatum : Vertr.

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    89 Die Soldaten, mīlitēs, weil anfangs eine Legion aus dreitausend, trium mīlium, Mann gebildet wurde und jede Tribus der Titienses, Ramnes und Luceres tausend Soldaten, mīlia mīlitum, schickte. Hastātī, die Speerträger, sind die, die als Erste mit Speeren, hastae, kämpften, die Pīlānī sind die, die mit Pilen, pīlīs, kämpften, die Prīncipēs die, die von Anfang an, ā prīncipiō, mit den Schwertern kämpften; das ist heute, nachdem sich das Militärwesen verändert hat, weniger bekannt.243 Die Pīlānī wurden auch triāriī genannt, weil sie in der Schlachtreihe an dritter Stelle, tertiō ōrdine, ganz hinten als Reserve platziert wurden; weil diese zurückblieben, subsidēbant, ist davon subsidium, Hilfe, benannt, woher es bei Plautus heißt:244 „Los jetzt, haltet euch bereit (subsīdite), wie es die Reserve (triāriī) tut!“ 90 Auxilium, Hilfe, ist so benannt vom Zuwachs, auctus, wenn zum (römischen) Bürger Fremde hinzugekommen waren, die ihm helfen sollten.245 Praesidium, Schutz, wurde es genannt, wenn die, die außerhalb des Lagers an einer Stelle praesidēbant, davorsaßen, damit die Gegend sicherer war. Obsidium, Belagerung, ist vom obsīdere, Belagern, genannt, damit der Feind nicht ausrücken konnte. Īnsidiae, Hinterhalt, kommt ebenfalls vom Sitzen, sedēre, da man das machte, um den Feind zu schwächen. Duplicāriī, Doppelrationer, sind die benannt, die – so ist es bestimmt – wegen ihrer Tapferkeit doppelte, duplicia cibāria, Ration bekommen sollen. 91 Turma, Schwadron, aus terima (e ist in u übergegangen), weil es (für eine Schwadron) dreimal, ter, je zehn Reiter aus den drei Triben der Titienses, Ramnes und Luceres wurden.246 Darum wurden die Ersten aus jeder Dekurie, decuria, decuriōnēs genannt, von denen es in jeder Schwadron davon auch jetzt je drei gibt. Diejenigen, welche diese sich anfänglich als Adjutanten hinzuwünschten, ad-optābant, wurden anfangs optiōnēs genannt; jetzt ernennen sie aus Ehrgeiz die Tribunen. Die Tubabläser, tubicinēs, kommen von der Tuba, tuba, und dem Tönen, canere, ähnlich die Signalbläser, liticinēs (sc. vom lituus, der Zinke).247 Die classicī, Hornisten, (benannte man) nach der Klasse, classis: Der Hornist bläst ebenso das Horn, wie dann, wenn sie die Klassen, classēs, an den Tagen der Komitien zur Versammlung rufen.248 92 Welche Wörter vom Glück stammen:249 Bei diesen sind einige weniger klar, wie pauper, arm, dīves, reich, miser, elend, und beātus, glücklich, ähnlich andere. Pauper, arm, weil er nur wenig, paulum, Haus (Lar) hat. Mendīcus, Bettler, von minus, weniger, der dann, wenn er es bräuchte, weniger, minus, als Nichts hat.

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    Dives a divo, qui ut deus nihil indigere videtur. Opulentus ab ope, cui eae opime; ab eadem inops, qui eius indiget. Et ab eodem fonte copi[i]s1 ac copiosus. Pecuniosus a pecunia magna; pecunia a pecu: a2 pastoribus enim horum vocabulorum origo. 93 Artificibus maxima causa ars, id est, ab arte medicina ut sit medicus dictus, a sutrina sutor, non a medendo ac suendo, quae omnino ultima hinc nec earum3 rerum radices, ut in proximo libro aperietur. Quare, quod ab arte artifex dicitur nec multa in eo obscura, relinquam. 94 Similis causa, quae ab scientia vocantur aliqua,4 ut praestigiator, monitor, nomenclator. Sic etiam, quae a studio5 quodam dicuntur, cursor, natator6, pugil. Etiam in hoc genere quae sunt vocabula, pleraque aperta, ut legulus, alter ab oleis, alter ab uvis. Haec si minus aperta – vindemiator, vestigator et venator – , tamen idem, quod vindemiator vel quod vinum legit7, dicitur, vel quod de viti id demunt; vestigator a vestigiis ferarum, quas indagatur; venator a vento, quod sequitur cervum8 ad ventum et in ventum.9 95 Haec de hominibus. Hic quod sequitur de pecore, haec: Pecus ab eo, quod perpescebant10, a quo pecora universa. Quod in pecore pecunia tum pastoribus consistebat11 et standi fundamentum pes (a quo dicitur in aedificiis area pes magnus et qui negotium instituit, pedem posuisse), a pede pecudem appellarunt, ut ab eodem pedicam et pedisequum et peculiariae 12 oves aliudve quid: id enim13 peculium primum. Hinc peculatum publicum primo, ut cum pecore diceretur multa et id esse14 coactum in publicum, si erat15 aversum16. 1  copiis : Turn. 2  apecua : edd. 3  ultima huic rei. earum rerum F: ultima vice earum rerum Coll.; scripsi. 4  vocatur F, vocantur Vall., Aug. 5  spatio : studio Sciop. 6  natator < natagor F. 7  legere : Sp. 8  verbum: Scal. 9  a ventu – verbum adventum et inventum : Vertr. 10  ꝑpascebant (= perpascebant) F, Vall., [per]pascebant GS: Lachmann. 11  pastoribus consistebat < consistebat pastoribus F. 12  peculatoriȩ oves : Lachmann. 13  indidem Scal. 14  esse : Aug. 15  erat < erit F, ut videtur. 16 < DESVNT NONNULLA > Sciop.

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    Dīves, reich, von dīvus, göttlich, dem offensichtlich wie einem Gott nichts fehlt. Opulentus, vermögend, vom Vermögen, ops, der dieses reichlich, opīmae, besitzt; danach ist inops, unvermögend, wer dieses nicht hat. Und von der gleichen Quelle kommt cōpis, reich, und cōpiōsus, sehr bemittelt.250 Pecūniōsus, geldreich, vom vielen Geld, pecūnia; pecūnia vom Vieh, pecus: Denn diese Wörter haben ihren Ursprung bei den Hirten. 93 Für die Handwerker, artificēs, ist der Hauptgrund ihre Kunst, ars; d. h., dass von der ärztlichen Kunst, der ars medicīna, der Arzt, medicus, kommt und von der Schusterkunst, sūtrīna, der Schuster, sūtor, nicht vom Heilen, medērī, und Flicken, suere: Diese kommen überhaupt als letzte (sc. Elemente) von diesen und sind nicht die Wurzeln dieser Dinge, wie im nächsten Buch erklärt werden wird.251 Weil daher der Handwerker nach seiner Kunst benannt wird, ab arte artifex, und dabei nicht viel unklar ist, lasse ich das aus.252 94 Ähnlich ist die Ursache für das, was nach einem bestimmten Wissen (scientia) benannt wird, wie praestīgiātor, Gaukler, monitor, Rechtsberater, und nōmenclātor, Namennenner. So gibt es auch einige, die nach einer Art Streben benannt werden, wie cursor, Läufer, nātātor, Schwimmer, und pugil, Faustkämpfer.253 Auch in dieser Gattung sind die Bezeichnungen meist klar, wie legulus, Leser/Sammler: der eine von den Oliven, der andere von den Beeren. Wenn diese Worte weniger klar sind – vīndēmiātor, vestīgātor und vēnātor –, so sind sie doch gleich (gebildet): Denn der Weinleser, vīndēmiātor, heißt entweder so, weil er den Wein, vīnum, liest oder weil man diesen vom Rebstock, vītis, abnimmt, dēmunt254; der Fährtenleser, vestīgātor, von den Spuren, vestīgia, der wilden Tiere, denen er nachspürt; der Jäger, vēnātor, vom Wind, weil er den Hirschen mit und gegen den Wind, ventus, verfolgt.255 95 Soweit zu den Menschen. Was hier zum Vieh folgt, ist dies: Pecus, (Stück) Vieh, weil man es einhegte, perpēscēbat, wovon das gesamte Vieh, pecora, kommt.256 Weil damals das Geld für die Hirten aus Vieh bestand und die Grundlage für das Stehen der Fuß ist, pēs (daher heißt eine Fläche in den Gebäuden pēs magnus, Großfuß,257 und sagt man für den, der ein Geschäft begonnen hat, er habe seinen Fuß, pēs, gesetzt), nannten sie das Stück Vieh, pecus, nach dem Fuß, pēs, wie vom gleichen Wort auch pedica, Fessel, und pedisequus, Diener, und pecūliāriae ovēs, Privatschafe, und anderes kommen: Denn darin bestand das erste Privatvermögen, pecūlium.258 Daher nennt man es pecūlātus pūblicus, öffentliche Unterschlagung, da ja die Strafe anfänglich in Form von Vieh, pecus, ausgesprochen wurde und dieses dem Staatsvermögen zugeschlagen wurde, wenn etwas unterschlagen war.259

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    Liber V

    96 Ex quo1 fructus maior, huic2 est qui Graecis usus: < sus >3, quod ὗς,4 bos, quod βοῦς5, taurus, quod < ταῦρος >6, item ovis, quod ὄϊς7 : ita enim antiqui dicebant, non ut nunc πρόβατον8. Possunt in Latio quoque ut in Grecia ab suis vocibus haec eadem ficta. Armenta, quod boves ideo maxime parabant9, ut inde eligerent ad arandum; inde arimenta dicta, postea I tertia littera extrita. Vitulus, quod Grece antiquitus ἰταλός, aut quod plerique vegeti, vegitulus10. Iuvencus, iuvare11 qui iam ad agrum colendum posset. 97 Capra carpa, a quo scriptum „omnicarpae caprae”. ircus12, quod Sabini fircus; quod illic fedus13, in Latio rure hedus14, qui in urbe ut in multis A addito aedus15. Porcus, quod Sabini dicunt aprunom porcom; proinde16 porcus, nisi si a Grecis, quod Athenis in libris sacrorum scripta est πόρκη et πόρκος17. 98 Aries, quia iam18 dicebant ares veteres, nostri aruiga, hinc ariugas.19 Haec sunt, quorum in sacruficiis exta in olla19, non in veru coquuntur, quas et Accius scribit et in pontificiis libris videmus. In hostis20 eam dicunt ariugam21, quae cornua habeat. Quoniam si cui22 ovi mari testiculi dempti et ideo vi23 natura versa, vervex24 declinatum. 99 Pecori ovillo quod agnatus, agnus. Catulus a sagaci sensu et < cato, id est>25 acuto, catulus. Hinc canis, nisi quod ut tuba ac cornua, quod signum cum dent[e]26, canere dicuntur, quod hic item et noctulucus in custodia et in venando signum voce dat, canis dictus. 1 qua : Mue. 2 hinc : hic Mue.; scripsi. 3 add. Scal. 4 hys cum suprascripto ov : Scal. 5 BVS : edd. 6 add. Rhol. 7 ois : Bent. 8 probaton : f, H, a. 9 parabant < parabantur F. 10 vigitulus : Lae.; < ut > vegitulus L. Sp. 11 iuvare < iovare F. 12 ircus: Aug. 13 fȩdus : fedus codd. 14 qui in urbe hedus F; edus GS, Coll. 15 aedus : aedus Kent. 16 apruno porco poride : aprino porco, porcum Coll. (proinde Scal.). Scripsi. 17 porcae porco : Kent. 18 qui eam : quod eum Coll.; scripsi. 19 ariuga – ariugas : aruiga – ariuga Coll. 19 ollo : edd., G, V. 20 hostis : Rhol. 21 ariugem : Kent. 22 is cui : Lindemann. 23 ut : Sciop. 24 verbex : Aug. 25 acuto Catulus GS; scripsi sec. A. Sp., cf. VII 46. 26 dente : A. Sp.

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    96 Das Vieh, von dem man größeren Ertrag gewinnt, wird ebenso gebraucht wie bei den Griechen: Denn sūs, Schwein, ist ὗς; bōs, Rind, ist βοῦς, taurus, Stier, ist ταῦρος, ebenso ist ovis, Schaf, dort ὄις: Denn so sagten (sc. bei den Griechen) die Alten, nicht, wie jetzt, πρόβατον. Es kann sein, dass – wie in Griechenland – auch in Latium diese Worte nach den Lauten (der Tiere) gebildet worden sind.260 Armenta, Großvieh, weil man die Rinder vor allem zu dem Zweck hielt, um daraus Vieh zum Pflügen, arāre, auszuwählen; von daher hießen sie arimenta, später wurde der dritte Laut, i, ausgestoßen. Vitulus, Kalb, weil es im Griechischen zu alten Zeiten ἰταλός hieß, oder weil die meisten munter, vegetī, sind, aus vegitulus. 261 Iuvencus, Jungstier, weil er bei der Feldbestellung schon helfen konnte, iuvāre. 97 Capra, Ziege, aus carpa, woher geschrieben ist: 262 „die allespflückenden Ziegen.“ Hircus, Bock, weil die Sabiner fircus sagen263; was dort fēdus heißt, ist auf dem Land in Latium hēdus, in der Stadt, wie bei vielen Wörtern – mit Zusatz eines a –, haedus.264 Porcus, Schwein, weil die Sabiner zum Wildschwein, aprūnos, porcos sagen; daher kommt porcus – falls es nicht von den Griechen kommen sollte, weil es in Athen in Ritualbüchern πόρκη und πόρκος geschrieben ist.265 98 Ariēs, Widder, weil die Alten das Opfertier arēs nannten, die Heutigen aruiga, daher die ariugas. Dies sind die Tiere, deren Eingeweide beim Opfer in einem Topf, nicht am Spieß gebraten werden, wie Accius schreibt und wir in den Priesterbüchern sehen.266 Bei den Opfertieren nennen sie jenes ariuga, das Hörner hat. Denn wenn einem männlichen Schaf die Hoden entfernt wurden und deshalb gewaltsam sein Wesen verändert worden ist, vī versa, ist davon vervex, Schöps, abgeleitet. 99 Das Lamm, agnus, weil es dem Schafsvieh angeboren wurde, agnātus. Das Hündchen, catulus, heißt von seinem witternden und catus, d. h. scharfen, Spürsinn her catulus. Daher kommt canis, Hund, es sei denn, aus folgendem Grund: Wie man sagt, dass Tuba und die Hörner canere, tönen, wenn sie ein Zeichen geben, gibt auch der Hund, ebenso wie der Nachtwächter, beim Wachen und auch beim Jagen mit seiner Stimme ein Zeichen und heißt deshalb canis.267

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    Liber V

    100 Ferarum vocabula item partim peregrina, ut panthera, leo: utraque Greca, a quo etiam et rete quoddam panther et leena1 et muliercula Pantheris et Leéna.2 Tigris, qui est ut leo varius, qui vivus capi adhuc non potuit: Vocabulum e lingua Armenia; nam ibi et sagitta et quod vehementissimum flumen dicitur, Tigris. Ursi Lucana origo vel, unde illi, nostri ab ipsius voce. Camelus suo nomine Syriaco in Latium venit, ut Alexandrea camelopardalis nuper adducta, quod erat figura ut camelus, maculis ut panthera. 101 Apri ab eo, quod in locis asperis, nisi a Grecis, quod hi κάπροι 3. Caprea a similitudine quadam caprae. Cervi, quod magna cornua gerunt, gervi4, G in C mutavit ut in multis. Lepus, quod Siculis5 quidam Greci dicunt λέποριν6. A Roma quod orti Siculi, ut annales veteres nostri dicunt, fortasse hinc illuc tulerunt et hic reliquerunt id nomen. Volpes, ut Aelius dicebat, quod volat pedibus. 102 Proxima animalia sunt ea, quae vivere dicuntur neque habere animam, ut virgulta. Virgultum dicitur a viridi, id a vi quadam humoris; quae si exaruit, moritur. Vitis, quod ea vini origo. Malum, quod Greci eolis dicunt μᾶλον.7 < Pirum8 > +++ pinus. Iuglans, quod cum haec nux, antequam purgatur, similis glandis, haec glans optima et maxima a Iove et glande iuglans est appellata. Eadem nux, quod ut nox aerem huius sucus corpus facit atrum. 103 Quae in ortis9 nascuntur, alia peregrinis vocabulis, ut Grecis ocimum, menta, ruta, quam nunc πήγανον10 appellant; item caulis, lapathum11, radix: sic enim antiqui Greci, quam nunc ῥάφανον12; item haec Grecis vocabulis: serpyllum, rosa, una littera commutata, item ex his Grecis Latina: κολίανδρον, μαλάχη, κύμινον; item lilium ab λειρίῳ et malva13 ab μαλάχῃ et sisymbrium ab σισυμβρίῳ.14 1  leena : add. Sciop. 2  Sic F. 3  aproe : Bentinus. 4  corvi : Vall. (Lae.); < ut > gerui L. Sp. 5  Siculis F: Siculi[s] L. Sp.: Manfrè (1907) 18. 6  LEPORIN : edd. 7  malon : edd. 8  pinus / iuglans F; scripsi sec. L. Sp., cf. VII 4. 9  ortis : Aug. 10 ΠeΓaΝΟΝ F: edd. 11 lapatium : lapathium edd.; scripsi. 12 raphanum: Scal. 13 malba: edd. 14 Coliandron, malachen, cyminon – ab malache – sysimbrio F, Vall.: litteris Graecis varii edd.

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    100 Die Wörter für die Wildtiere sind zum Teil Fremdwörter, wie panthēra, Panther, und leō, Löwe; danach ist auch eine Art Netz panthēr und die Löwin, leaena, benannt und die Hetäre Panthēris und Leéna.268 Tigris, Tiger, ist wie der Löwe bunt; bis heute hat er sich lebend noch nicht fangen lassen.269 Das Wort kommt aus dem Armenischen: Denn dort heißt auch der Pfeil so und der Fluss Tigris, der als äußerst gewaltig gilt. Der Ursprung für ursus, Bär, ist lukanisch oder – woher auch die Lukaner es haben – die Unsrigen haben es von seiner Stimme.270 Das Kamel, camēlus, ist mit seinem syrischen Namen nach Latium gekommen, wie die Giraffe, camēlopardalis, die aus Alexandria neulich hergebracht worden ist, (so heißt,) weil sie von der Form her wie ein Kamel aussieht, camēlus, aber von den Flecken wie ein Panther, panthēra.271 101 Aprī, Eber, heißen davon, weil sie in rauem, asperīs, Gelände sind, falls es nicht von den Griechen kommt, weil diese κάπροι sagen.272 Das Reh, caprea, heißt so wegen einer gewissen Ähnlichkeit mit der Ziege, capra. Cervī, Hirsche, kommen, weil sie große Geweihe tragen, gerunt, aus gervī. G wurde zu C wie bei vielen Wörtern.273 Lepus, Hase, weil bei den Siziliern manche Griechen zu ihm λέπορις sagen.274 Weil die Sizilier von Rom abstammen, wie unsere alten Annalen sagen, haben sie vielleicht den Namen von hier nach dort gebracht und hier diesen Namen zurückgelassen275. Volpēs, Fuchs, wie Aelius gerne sagte, weil er mit den Füßen fliegt, volat pedibus.276 102 Die nächsten Lebewesen sind die, die – wie man sagt – leben, ohne eine Seele zu haben, wie virgulta, Gestrüpp. Virgultum ist benannt vom Grün, vīride, dies von einer bestimmten Kraft, vī(s), ihres Saftes; wenn dieser versiegt, stirbt es. Vītis, Rebe, weil sie Ursprung des Weines, vīnī, ist.277 Mālum, Apfel, weil die äolischen Griechen ihn μᾶλον nennen. Die Birne, pirum,278 +++ die Fichte, pīnus. Die Walnuss, iūglāns, weil diese Nuss, bevor sie geschält wird, einer Eichel, glāns, ähnelt und diese Eichel – sie ist die beste und größte – von Iovis und glāns, Eichel, iūglāns benannt worden ist.279 Sie heißt auch nux, Nuss, weil ihr Saft den Körper schwarz macht wie die Nacht, nox, die Luft. 103 Von dem, was in den Gärten wächst, sind die einen Fremdwörter, wie griechisch ōcimum, Basilikum, menta, Minze, rūta, Raute, die sie jetzt πήγανον nennen; ebenso caulis, Kohl, lapathum, Sauerampfer, rādīx, Rettich280: So sagten nämlich die alten Griechen, wozu sie jetzt ῥάφανον sagen. Ebenso haben griechische Namen: serpyllum, Thymian, rosa, Rose (dabei wurde ein Buchstabe verändert); so stammen von folgenden griechischen Wörtern die lateinischen: κολίανδρον, Koriander, μαλάχη, Malve, κύμινον, Kümmel; und līlium, Lilie, von λείριον, malva von μαλάχη und sisymbrium, Rauke, von σισύμβριον.

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    Liber V

    104 Vernacula: lactc1 a lacte, quod olus id habet lact. Brassica ut praesica,2 quod ex eius scapo minutatim praesicatur. Asparagi3, quod ex asperis virgultis leguntur, et ipsi scapi asperi sunt, non leves; nisi Grecum: illic quoque enim dicitur asparagus4. Cucumeres dicuntur a curvore, ut curvimeres dicti. Fructus a fruendo5, res eae, quas fundus et ea[e], que6 in fundo, ferunt, ut fruamur. Hinc declinatae fruges et frumentum, sed ea e terra; etiam frumentum quod 7 exta ollicoqua8 solet addi ex mola, id est ex sale et farre molito. Uvae ab uvore. 105 Quae manu facta sunt, dicam: De victu, de vestitu, de instrumento et si quid aliud videbitur his aptum. De victu antiquissima puls; haec appellata vel quod ita Greci, vel ab eo, unde scribit Apollodorus, quod ita sonet, cum aqua9 ferventi insipitur. Panis, quod primo figura faciebant, ut mulieres in lanificio, panus10; posteaquam ei figuras facere instituerunt alias, a pane et faciendo panificium ceptum dici. Hinc panarium, ubi id servabant, sicut granarium, ubi granum frumenti condebant, unde id dictum; nisi ab eo quod Greci id κράνον 11. A quo a Grecis quoque κράϊνον12 dictum, in quo ea, quae conduntur. 106 Hordeum13 ab horrido14. Triticum, quod tritum e spicis. Far: a faciendo, quod in pistrino fit. Milium a Greco: nam id μελίνη. Libum, quod ut libaretur, priusquam essetur15, erat coctum. Testuacium quod in testu caldo coquebatur, ut etiam nunc Matralibus id faciunt matronae. Circuli, quod mixta farina et caseo et aqua circuitum aequabiliter fundebant.

    1  lacte a lacte : M, Lae. 2  Blassica ut passica : Turn. sec. Lae. 3  asparagi < asparaci F. 4  asparagus : ἀσπάραγος edd. 5  ferundo : Turn., cf. V 37 a fruendo fructus. 6  res eaequas fundus et eaeque infundo : A. Sp. 7  Add. Turn. 8  extacolliquo : Turn. 9  aqua ferventi : Turn. 10  panus F : G, Coll. 11  KPOKEN F: Kent (de Melo). 12  granum : granum Kent, de Melo; scripsi. 13  horreum : edd. 14  orrido : Vall. 15  essetut : Turn.

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    104 Einheimische Wörter sind: lactūca, Lattich, von lact, Milch, weil dieses Gemüse Milch hat, lact.281 Brassica, Kohl, aus *praesica, weil man aus seinem Stengel in kleinen Stückchen abschneidet, praesicatur.282 Asparagī, Spargel, weil er aus rauem, aspera, Gebüsch geerntet wird und seine Stengel rau, asperī, sind, nicht glatt; falls es nicht griechisch ist: Denn auch dort heißt er asparagus.283 Cucumerēs, Gurken, heißen nach ihrer Krümmung, curvor, aus * curvimerēs. 284 Frūctūs, Frucht, kommen von fruī, genießen: Es sind die Dinge, die der Boden und das, was auf dem Boden wächst, tragen, damit wir sie genießen, fruāmur. Davon abgeleitet sind frūgēs, Feldfrüchte, und frūmentum, Getreide (aber das, was man aus dem Boden holt); frūmentum heißt auch das, was man zum gekochten Opferschmaus aus der Mühle, mola, hinzugibt, das heißt aus Salz und gemahlenem Spelt, far molitum. 285 Ūvae, Trauben, kommen von ihrem Saft, ūvor. 105 Jetzt möchte ich das behandeln, was von Hand geschaffen wurde: Lebensmittel, Kleidung, Gerät und wenn noch etwas Anderes dazu zu passen scheint. Von den Lebensmitteln ist puls, der Getreidebrei, am ältesten; er ist so benannt, entweder weil die Griechen so sagen, oder – wie Apollodorus sagt – weil es so klinge, wenn er in kochendes Wasser hineingeworfen wird.286 Pānis, Brot, weil man es zuerst in Form eines Fladens, pannus, formte, wie die Frauen beim Weben. Nachdem man eingeführt hatte, ihm andere Formen zu geben, begann man von pānificium, Brotbacken, zu sprechen, von pānis, Brot, und facere, machen.287 Daher ist der Brotkorb, pānārium, benannt, wo man dieses (das Brot) aufbewahrte, wie grānārium, Kornspeicher, wo man das Korn, grānum, des Getreides aufbewahrte, wonach dieser (sc. der Kornspeicher) benannt ist: Wenn es (sc. das Korn) nicht daher kommt, weil die Griechen dazu κράνον sagen.288 Daher wird auch von den Griechen κράϊνον genannt, wo sich das, was aufbewahrt wird, befindet. 106 Hordeum, Gerste, vom Rauen, horridum. Trīticum, Weizen, weil er aus den Ähren gemahlen worden ist, trītum. Far, Dinkel: vom Machen, facere, weil er in der Mühle hergestellt wird, fit. Milium, Hirse, kommt aus dem Griechischen: Denn dort heißt sie μελίνη. Lībum, Opferkuchen, weil er, um gespendet zu werden, lībārētur, vor dem Essen gebacken wurde. Testuācium, weil es in einer heißen Schüssel, testū, gekocht wurde, wie es auch jetzt noch am Fest der Mātrālia die Matronen tun.289 Circulī, Kringel, weil man sie – aus einem Gemisch von Mehl, Käse und Wasser – in Form eines Kreises, circuitus, gleichmäßig ausgoss.

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    107 Hos1 quidam, qui magis incondite faciebant, vocabant lixulas et similixulas2 vocabulo Sabino3, itaque frequentia Sabinis. A globo farinae dilatato, item in oleo cocti, dicti a globo glomi4. Crustulum a crusta pultis, cuius ea, quod ut corium et uritur5, crusta dicta. Cetera fere opera a vocabulis Graecis sumpta, ut thrion et placenta. 108 Quod edebant cum pulte, ab eo pulmentum, ut Plautus; hinc pulmentarium dictum: hoc primum tepuit6 pastoribus. Caseus a coacto lacte ut coaxeus7 dictus; dein, posteaquam desierunt esse contenti his, quae suapte natura8 ferebat sine igne, in quo erant poma, quae minus cruda esse poterant, decoquebant in olla. Ab olla olera dicta, quorum a cruore9 cruda olera. E quis ad coquendum, quod e terra erure10, ruapa, unde rapa. Olea ab ἐλαίᾳ11. Olea grandis orchitis, quod eam Attici12 ὄρχιν μορίαν.13 109 Hinc ad pecudis carnem perventum est. < Ut ab sue > suilla,14 sic ab liis15 generibus cognominata. Hanc16 primo assam, secundo elixam, tertio e iure uti cepisse natura docet. Dictum assum, quod id ab igni assudescit17: sucidum18 enim, quod humidum, et ideo ubi id non est, sucus abest; et ideo sudandum assum destillat calore[m]19, et ut crudum nimium habet humoris, sic excoctum parum habet suci. Elixum e liquore aquae dictum, et ex iure20, quod iucundum magis conditione. 1  hoc : L. Sp. 2  et similixulas om. Vall. 3  savino : edd. 4  a globo loco raso F; glomi scripsi sec. Paul. Fest. 87,14 f. L. 5  &uritur F, exuritur Vall. 6  debuit : Scal.; defuit A. Sp. (de Melo). 7  coxeus : Aug. 8  < terra > suapte natura de Melo. 9  genere > gerere F; cruore prop. GS (Coll.). 10  e terrȩrure : eruitur Turn., GS; erueretur Sciop.: de Melo. 11  elea : Kent. 12  attico : Sp. 13  orchen mora F : Canal 14  suilla < suilli F.; < ut ab sue > add. A. Sp. 15  abilis : Mue. 16  hinc : Aug. 17  assudescit < assuescit F. 18  ubidum F, uvidum Vall. (Lae.): A. Sp. 19  calorem : Aug. 20  iuro : Lae., G.

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    107 Diese nannten manche, die sie weniger würzten, lixulae und sīmilixulae mit einem sabinischen Wort, und so sind sie bei den Sabinern geläufig. Von einer ausgezogenen Kugel, globus, aus Mehl, ebenso wenn sie in Öl gebacken wurde, sind die Klöße, glomī, nach globus, Kugel, benannt. Crustulum, Zuckerplätzchen, ist von der Kruste, crusta, aus Teig; sie heißt crusta, weil sie wie Leder ist, corium, und gebrannt wird, ūritur. Die meisten übrigen Gebäcke sind griechischen Wörtern entnommen, wie thrīon, Omelette, und placenta, Kuchen.290 108 Was sie mit Brei, puls, aßen, heißt daher pulmentum, Happen, wie bei Plautus; davon ist pulmentārium, Häppchen: Das war das erste warme Essen für die Hirten.291 Cāseus, Käse, von der geronnenen, coāctum, Milch, aus *coāxeus292; als man sich später nicht mehr mit dem zufrieden gab, was die Natur ohne Feuer aus sich selbst hervorbrachte – dazu gehörte Obst, das man, wenn es weniger unreif war, essen konnte –, kochte man es im Topf. Von ōlla, Topf, kommt das Gemüse, olera,293 und von dessen Saft, cruor, das rohe, crūda, Gemüse. Was man davon kochen musste, die Rüben, rāpa, waren – weil man sie aus dem Boden ausgrub, ē-ruēre – ruāpa, woraus rāpa wurde.294 Die Olive, olea, kommt von ἐλαία. Die große Olive heißt orchītis, weil man sie in Attika ὄρχις μορία nennt. 109 Von da sind wir nun beim Tierfleisch angekommen. Wie suīlla, Schweinefleisch, vom Schwein, sūs, so sind die Fleischsorten nach den anderen Gattungen benannt. Dass man es erst gebraten, zweitens gekocht, drittens mit Soße benutzt hat, zeigt die Natur. Assum, Gebratenes, weil es vom Feuer zum Schwitzen kommt, assūdēscit; sūcidum, saftig, ist nämlich das, was hūmidum, feucht, ist, und daher fehlt der Saft, sūcus, wo dies (die Feuchtigkeit) fehlt; deshalb tropft durch die Hitze der Braten, wenn er schwitzt, sūdandum, aus. Und wie das rohe Fleisch zu viel Feuchtigkeit hat, so hat das Ausgebratene zu wenig Saft. Ēlixum, Gesottenes, ist nach der Flüssigkeit, liquor, des Wassers benannt, und ex iūre, aus dem Saft, sagt man zu dem, was durch Würzen mehr schmackhaft, iūcundum, wird.

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    Liber V

    110 Succidia: ab suibus cedendis1: Nam id pecus primum occidere coeperunt domini, et ut servarent, sallere2. Tegus suis: ab eo, quod eo tegitur. Perna a pede. Sueris a nomine eius. Offula ab offa, minima suere.3 Insicia ab eo, quod insecta caro, ut in carmine Saliorum 4 est, quod in extis dicitur nunc prosectum. Murtatum a murta, quod ea ad5 large fartis. 111 Quod fartum intestinum crassundiis, Lucanam6 dicunt, quod milites a Lucanis didicerint, ut quod Faleriis, Faliscum ventrem. Fundolum a fundo, quod < non >7 ut reliquae lactes8, sed ex una parte sola apertum; ab hoc Graecos puto τυφλὸν ἔντερον appellasse. Ab eadem fartura farcimina < ex >9 extis appellata, a quo < fartum >; in eo quod tenuissimum10 intestinum [fartum]11, hila ab hilo12 dicta illo,13 quod ait Ennius: „neque dispendi[i]14 facit hilum.” Quod in hoc farcimine summo quiddam eminet15, ab eo quod ut in capite apex, apexabo dicta. Tertium fartum est longavo, quod longius quam duo illa. 112 Augmentum, quod ex immolata hostia desectum in iecore in poriendo agendi16 causa. Magmentum17 a magis, quod ad religionem magis pertinet: itaque propter hoc mentaria18 fana constituta locis certis, quo id imponeretur. Mattea19 ab eo, quod ea Grece ματτύη.20 Item < a >21 Grecis singillatim haec22: ovum < ᾠόν>, < bulbus > βολβός .23 1  cedendis : plurimi codd. 2  sallire : Mue. 3  sue re : Vall. (Lae.). 4  Add. GS, cf. Paul. Fest. 252,11 L. 5  eo adlarge fartis : A. Sp. 6  Lucanam : Lae. 7  Add. Ald. 8  partes : Fay. 9  Add. prop. A. Sp. 10  In eo quod testinu*issimum intestinum (sic) F : A. Sp. 11 Post quo lac. sign. L. Sp.; transposui et scripsi. 12  ab hilo suprascriptum in F. 13  hilo : Lachmann. 14  dispendii : edd.; an: dispendei? 15  eminet < seminet F. 16  im/poriendo: L. Sp.; agendi: Turn. 17 magnentum : Aug. 18 mentarea : Turn. 19 Mattȩ : Popma. 20 MaTTYЄ : L. Sp. 21 add. L. Sp. 22 heȩ : Mue. 23 Ovum BVLBVM F; lac. suspicatus est Scal.. Scripsi.

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    110 Succīdia, Schweineschinken, ist von der Schweineschlachtung, suibus caedendīs, benannt. Denn die Besitzer begannen, dieses Vieh erst zu schlachten (caedere) und dann zu pökeln, um es aufzubewahren. Tegus suis, Schweinerücken: Daher, weil das Schwein damit bedeckt wird, tegitur. Perna, Schinken, vom Fuß, pēs. Sueris, Schweinernes, kommt von seinem Namen (sc. des Schweines, suis). Offula, Bisschen, kommt von offa, Bissen, einem winzigen Stück Schweinernem. Īnsicia, Gehacktes, kommt daher, weil das Fleisch kleingeschnitten ist, īnsecta, wie es im Salierlied prōsicium heißt295; jetzt sagt man beim Eingeweide dazu prōsectum, zerschnitten. Murtātum, mit Myrte Gewürztes, kommt von murta, Myrte, weil diese der Füllung reichlich zugegeben wird. 111 Eine Eingeweidewurst aus fettem Schweinefleisch heißt man Lūcānica, weil die Soldaten sie bei den Lukanern, und Faliscus venter, Faliskerbauch, weil sie ihn in Faleriī kennengelernt haben sollen. Fundulus, Blinddarm, kommt von fundus, Grund, weil er nicht wie die übrigen Eingeweide (sc. nach beiden Seiten), sondern nur nach einer Seite offen ist; daher hätten ihn die Griechen τυφλὸς ἔντερος, blinder Darm, genannt. Von der gleichen Füllung, fartūra, haben die Würste, farcīmina, aus dem Opfermahl ihren Namen, wovon fartum, Füllsel, kommt.296 Weil es (das hīlum) die dünnste Eingeweidefaser ist, sind die hīla, Fäserchen, nach jenem hīlum benannt, von dem Ennius sagt: „… und sorgt sich kein Fäserchen (hīlum) um den Verlust.“297 Weil am Ende dieser Wurstart etwas herausragt, heißt es apexābō, Zipfel, daher, weil sie aussieht wie am Kopf die Priestermütze, apex. Die dritte Wurstsorte ist longāvō, Längling, weil sie länger, longius, als jene zwei ist. 112 Augmentum, Zugabe, weil von dem geopferten Tier an der Leber beim Opferakt etwas abgeschnitten wurde, um es (das Opfer) zu vermehren, augēre. Magmentum, Opferzusatz, von magis, mehr, weil es mehr zur Verehrung gehört: Und so sind daher magmentāria fāna, zusätzliche Heiligtümer, an bestimmten Stellen eingerichtet, wo dieser Opferzusatz daraufgelegt werden soll.298 Mattea, Leckerbissen, kommt von griechisch ματτύη. Ebenso kommen einzeln folgende Wörter von den Griechen: ōvum, Ei, von ᾠόν, und bulbus, Zwiebel, von βολβός.299

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    113 Lana Grecum, ut Polybius et Callimachus scribunt. Purpura a purpure maritumae colore; ut1 Penicum, quod a Poenis2 primum dicitur allata. Stamen a stando, quod eo stat omne in tela velamentum. Subtemen, quod subit stamini. Trama, quod tramat3 frigus id genus vestimenti. Densum a dentibus pectinis, quibus feritur. Filum, quod minimum est hilum: id enim minimum est in vestimento. 114 Pannus Grecum, ubi E A fecit. Panuvellium dictum a pano et volvendo filo. Tunica ab tuendo corpore, tunica ut endica4. Toga a tegendo. Cinctus et cingillum a cingendo, alterum viris, alterum mulieribus attributum. 115 Arma ab arcendo, quod his arcemus hostem. Parma, quod e medio in omnis partis par. Conum, quod cogitur in cacumen versus. Asta, quod astans solet5 ferri. Iaculum, quod ut iaciatur, fit. Tragula a traiciendo. Scutum a6 sectura ut secutum, quod a minute consectis7 fit tabellis. Umbonis a Graeco, quod ἄμβονες.8 116 Gladius9 C in G10 commutato a clade, quod fit ad hostium cladem gladium. Similiter ab [h]omine11 pilum, qui hostis periret12, ut perilum. Lorica, quod e loris de corio crudo pectoralia faciebant; postea subcidit13 galli14 e ferro sub id vocabulum, ex anulis ferrea[m] tunica[m]15. Balteum, quod cingulum e corio habebant bullatum, < ut > bulteum dictum16. Ocrea, quod opponebatur ob crus. Galea ab galero, quod multi usi antiqui. 1  colerent. Penicum F: colore ut Lachmann. 2  poenis < penis F. 3  trama : Sciop. 4  indica : prop. GS. 5  sollet: Vall. (Lae.). 6  a add. Vall. (Lae.). 7  consectum : Aug. 8  ambonis: Scal. / Turn. 9  gladius F, gladium L. Sp., GS, Coll., Kent. 10  G in G : codd., edd. 11  homine : Vall., Aug. 12  hostes feriret Vall.: Aug. 13  subcidit < succidit F. 14  gallie ferro : Mue. 15 ferream tunicam : Turn. 16  balteum dictum : prop. GS.

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    113 Lāna, Wolle, ist ein griechisches Wort, wie Polybius und Kallimachus schreiben.300 Purpura, Purpur, kommt von der Farbe der maritimen Purpurschnecke, purpura; wie der Granatapfel, Poenicum, weil der Baum ursprünglich von den Puniern hergebracht worden sein soll.301 Stāmen, Webfaden, vom Stehen, stāre, weil das ganze Gewebe am Webstuhl durch ihn aufrecht steht, stat. Subtēmen, Einschlag (im Gewebe), weil er unter dem stāmen läuft, subit. Trāma, Kettfaden, weil die Kälte durch diese Art Kleidungsstück hindurchgeht, trāmeat. Dēnsum, Dichtgewebe, von den Zähnen, dentēs, des Kamms, mit denen es durchgeschlagen wird. Fīlum, Faden, weil er die kleinste Faser, hīlum, ist: Er ist nämlich das kleinste Element am Kleidungsstück.302 114 Pannus, Tuch, ist ein griechisches Wort, wo das E zum A wurde303. Pānuvellium, Tuchrupfen, ist vom Tuch, pānus, und dem Drehen, volvere des Fadens, benannt. Tunica, Tunika, vom Schützen, tuendō, des Körpers, aus *tuendica.304 Toga kommt vom tegere, Bedecken. Cīnctus, Gurt, und cingillum, Gürtel, kommen vom Gürten, cingere; der eine gehört zu den Männern, der andere zu den Frauen. 115 Arma, Waffen, von arcēre, abwehren, weil wir damit den Feind abwehren, arcēmus. Parma, Rundschild, weil er von der Mitte aus nach allen Seiten gleich ist, pār. Cōnum, Helmkegel, weil er zur Spitze hin zusammengezogen wird, cōgitur. (H)asta, Lanze, weil sie gewöhnlich im aufrechten Stand, astāns, getragen wird. Iaculum, Wurfspieß, weil er hergestellt wird, um geworfen zu werden, iaciātur. Trāgula, Wurfspieß, von trāicere, hinüberwerfen. Scūtum, Schild, vom Schnitt, sectūra, aus *secūtum, weil er aus klein zusammengeschnittenen Brettchen gemacht wird.305 Umbōnēs, Schildbuckel, aus griechisch ἄμβονες. 116 Gladius, Schwert, mit Wandel von C zu G, von clādēs, Niederlage, weil das Schwert, gladium, für die Niederlage, clādēs, der Feinde gemacht wird.306 Ähnlich ist von seiner Vorbedeutung das pīlum benannt, aus *perīlum, weil mit ihm der Feind umkommen soll.307 Lōrīca, Panzerhemd, weil man die Brustteile aus Riemen, lōra, von rohem Leder herstellte; später fiel das gallische Panzerhemd unter dieses Wort, ein eisernes Hemd aus Ringen. Balteum, Wehrgehenk, wurde so genannt, weil man einen mit Buckeln versehenen, bullātum, Gurt aus Leder hatte308, aus *bulteum. Ocrea Beinschiene, weil sie vor den Unterschenkel, ob crūs, gesetzt wurde. Galea, Lederhelm, von galērus, Kappe, den viele Alten getragen haben.

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    117 Tubae ab tubis, quos etiam nunc ita appellant tubicines sacrorum. Cornua, quod ea, quae nunc sunt ex aere, tunc fiebant bubulo e cornu. Vallum vel, quod ea varicare nemo posset vel quod singula ibi extrema bacilla1 furcillata habent figuram litterae V. Cervi ab similitudine cornuum cervi; item reliqua fere ab similitudine ut vineae, testudo, aries. 118 Mensam escariam cillibam appellabant; ea erat2 quadrata, ut etiam nunc in castris est. A cibo cilliba dicta; postea rutunda facta3, et quod a nobis media et a Graecis μέσα, mesa dict4 potest; nisi etiam, quod ponebant pleraque in cibo mensa. Trulla a similitudine truae, quae quod magna et haec pusilla, ut truola5; hinc6 Graeci τροῦλλαν.7 Trua[e] qua e culina8 in lavatrinam aquam fundunt,9 trua, quod travolat ea aqua. Ab eodem est appellatum truleum: Simile enim figura, nisi quod latius est, quod concipiat10 aquam, et quod manubrium cavum non est nisi in vinario truleo.11 119 Accessit matellio12 a matula dictus et fictus13, qui, posteaquam longius a figura matulae discessit, et ab aqua aqualis dictus. Vas aquarium vocant futim14, quo[d]15 in triclinio allatam aquam infundebant; quo postea accessit nanus16 cum Graeco nomine et cum Latino nomine, Graeca figura, barbatus. Pelvis pedeuis17 a pedum lavatione. Candelabrum a candela: Ex his enim funiculi ardentes figebantur. Lucerna post inventa, quae dicta a luce, aut quod id vocant λύχνον18 Graeci. 1  vacilla : Aug. 2  erant F: Vall. (Lae.). 3  rutunda facta < rutundȩ factȩ F. 4  m̄ sa (= mensa) F: Kent; dici : Mue. 5  troula : Turn., A. Sp. 6  hinc : hanc L. Sp., edd. 7  TRVllan : scripsi. 8  Truȩ que e culina: Mue. 9  „Hic multa desunt quae in codicibus impressis habentur.” in codice F tarda manu scripta. Incipit lacuna maior codicis F usque VI 61. 10  concipiat Fv, concipit fVall. 11  uinaria trulla *F: Christ. 12  matiolio *F: Ald. 13  dictus et dictus *F; dictus et ductus MG: A. Sp. 14  butim Vall. 15  quod *F: Sciop. 16  magnus *F, μάγινος Aug.: Scal. 17  pedeuis *F: Scal. duce Turn. 18  lichnon Fv : edd.

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    117 Tubae, Tuben, von den Rohren, tubī, die die Tubisten bei den Opfern auch jetzt noch so nennen. Cornua, Hörner, weil die, die jetzt aus Metall sind, damals aus Rindshorn, cornu, gemacht wurden. Vallum, Wall, heißt entweder so, weil sie keiner mit einer Grätsche überspringen können sollte, vāricāre, oder weil auf seiner Spitze die einzelnen, gabelförmigen Holzpflöcke die Form eines V haben. Die cervī, spanischen Reiter, heißen nach der Ähnlichkeit mit dem Geweih des Hirschs, cervī. Ebenso die übrigen Dinge meist nach ihrer Ähnlichkeit, wie vīneae, Schirmdächer, testūdō, Schilddach, und ariēs, Sturmbock. 118 Den Speisetisch nannte man cilliba; er war quadratisch, wie er auch jetzt noch beim Militär ist. Von cibus, Speise, wurde er cilliba benannt; später wurde er rund gemacht, und er könnte mēsa genannt worden sein, weil er von uns media, in der Mitte, und von den Griechen μέσα genannt wurde; falls nicht auch deswegen, weil man das Meiste beim Essen abgemessen, mēnsa, kredenzte.309 Trulla, Schöpflöffel, kommt von seiner Ähnlichkeit mit der Kelle, trua, weil diese groß und jener kleiner ist, aus *truola; daher haben die Griechen (sc. das Wort) τροῦλλα.310 Die Kelle, mit der man aus der Küche in die Latrine Wasser gießt, heißt trua, weil in ihr das Wasser durchfließt, trāvolat.311 Vom gleichen Wort ist truleum, Waschbecken, gebildet: Es hat eine ähnliche Form, ist allerdings breiter, weil es Wasser aufnehmen soll, und hat keinen hohlen Griff, anders als beim Weinschöpfer, vīnārium truleum. 119 Hinzu kam matelliō, Nachttopf, nach matula, Topf, benannt und nach ihm geformt; nachdem er sich weiter von der Topfform entfernt hatte, wurde er nach aqua, Wasser, aquālis, Wassereimer, genannt. Fūtis nennt man ein Wassergeschirr, womit man im Triclinium das herbei­ge­ brachte Wasser eingoss, infundēbant. Später kam der nānus, Zwerg, hinzu, mit einem griechischen Namen; sein lateinischer Name, aber mit griechischer Form, ist barbātus, Bärtiger. Pelvis, Schüssel, aus pedeluis, vom Fußwaschen, pedum lavātiō. Candēlābrum, Leuchter, von candēla, Kerze: An diesen wurden nämlich die brennenden Dochte befestigt. Die Lampe, lucerna, wurde später erfunden; sie ist von lūx, Licht, benannt – oder weil die Griechen dazu λύχνος sagen.

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    120 Vasa in mensa1 escaria: Ubi pultem2 aut iurulenti quid3 ponebant, a capiendo catinum nominarunt, nisi quod Siculi dicunt κάτινον,4 ubi assa ponebant. Magidam autem < aut >5 langulam alterum a magnitudine, alterum a latitudine finxerunt. Patenas a patulo dixerunt, ut pusillas, quod his libarent cenam, patellas. Tryblia6 et canistra quod putant esse Latina, sunt Graeca: τρύβλιον enim et κανοῦν7 de Graeca8. Reliqua quod aperta sunt, unde sint, relinquo. 121 Mensa vinaria rotunda nominabatur cilliba ante9, ut etiam nunc in castris. Id videtur declinatum a Graeco κυλικείῳ10, a poculo κύλικε.11 Quia illa capit, < capis >12, et minores capulae a capiendo, quod ansatae ut prehendi possent, id est capi. Harum figuras in vasis sacris ligneas ac fictiles antiquas etiam nunc videmus. 122 Praeterea in poculis erant paterae, ab eo quod patent,13 ita dictae. Hisce etiam nunc in publico convivio antiquitatis retinendae causa, cum magistri fiunt, potio cirumfertur, et in sacrificando deis hoc poculo magistratus dat deo vinum. Pocula a potione, unde potatio et etiam posca14. Haec possunt a πότῳ,15 quod πότος16 potio Graece. 123 Origo potionis aqua, quod equa17 summa. Fons, unde funditur e terra aqua viva, ut fistula, a qua fusus aquae. Vas vinarium grandius sinum ab sinu, quod sinum maiorem cavtionem18 quam pocula habeba[n]t19; item dictae lepestae20, quae etiam nunc in diebus sacris Sabinis vasa vinaria in mensa deorum sunt posita; apud antiquos scriptores Graecos inveni appellari poculi genus δεπέσταν21: quare vel inde radices in agrum Sabinum et Romanum sunt profectae. 1 immensa F°, in mensa Vall. 2 pultem f, Vall., cett.; pultes Fv 3 quod f; quid cett. 4 κάτινον a, catinon cett. 5 autem Vall., autem aut Lae. (Fv). 6 triplia *F, tryblia B. 7 Triplion – canun f, Triplion – canunun Fv, Vall.: A. Sp. 8 de Graeca (Fv), Vall., Graeca f; de Graeco Vp. 9 cylibantum fVallMGH, cilibantum (Fv)ab: prop. GS. 10 cyliceo *F: κυλικείῳ, < id > Mue. 11 cylice F°, cilice Vall.; κύλικι Coll. 12 Qui illa capit, et minores *F : a quo illa capis Sciop.; scripsi. 13 Patere ita dicte ab eo quod latini ita dicunt Fv, patere ab eo quod latini ita dicte Vall.fVp: L. Sp. 14 postea *F, poma Aug.: Turn. 15 poto *F: prop. Mue. 16 potos *F: Mue. 17 equa *F: Aug. 18 cautionem *F: Ald. 19 habebant *, habeant Ald.: Aug. 20 dicta flepeste *F: Turn. 21 depestā Fv (lac. f), Vall.: H.

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    120 Die Gefäße auf dem Speisetisch: Wo man Brei oder etwas Brühehaltiges auftischte, das nannte man catīnus, Tiegel, von capere, anfassen – wenn es nicht daher kommt, dass die Sizilier κάτινον dazu sagen, wo man Gebratenes servierte. Aber (die Bezeichnungen für) magida, Schüssel, oder langula, Schüsselchen, hat man nach ihrer Größe, magnitūdō, bzw. Breite, lātitūdō, gebildet. Die patenae, Platten, hat man nach ihrem Offensein, patulum, benannt, wie man die kleinen patellae nannte, weil man damit das Essen ausgoss. Tryblia, Schalen, und canistra, Brotkörbe, hält man zwar für lateinisch: Sie sind aber griechisch: Denn τρύβλιον und κανοῦν kommen aus dem Griechischen. Weil die Herkunft der übrigen Wörter klar ist, lasse ich sie aus. 121 Der runde Tisch für den Wein wurde cilliba früher genannt, wie er auch jetzt noch beim Militär heißt. Das Wort scheint von griechisch κυλικεῖον zu kommen, (das) vom Becher, der κύλιξ. Weil sie etwas aufnimmt, capit, heißt sie capis, Schüssel, und auch die kleineren capulae kommen von capere, weil sie einen Henkel haben, damit man sie in die Hand nehmen kann, das heißt capere. Die alten Formen davon sehen wir aus Holz und Ton bei sakralen Gefäßen auch heute noch. 122 Außerdem gab es unter den Bechern paterae, Opferschalen; sie sind so benannt, weil sie offen sind, patent.312 In diesen wird auch heute noch bei einem Staatsbankett aus Gründen der Tradition, wenn die Beamten in ihr Amt eingeführt werden, der Trank herumgereicht, und mit diesem Becher gibt beim Opfer für die Götter der Beamte dem Gott Wein. Die Becher, pōcula, kommen von pōtiō, Trank, wovon pōtātiō, Sauferei, und pōsca, Weinschorle, kommen. Dies alles kommt vielleicht von πότος, weil so der Trank auf Griechisch heißt.313 123 Des Tranks Ursprung, das Wasser, aqua, heißt so, weil seine Oberfläche eben ist, aequa. Fōns, Quelle, (heißt so der Ort,) woher lebendiges Wasser aus der Erde ausgegossen wird, funditur, wie durch eine Röhre, woher fūsus aquae, der Wasserguss, kommt. Das größere Weingefäß heißt sīnum, Krug, von sinus, Bausch, weil der Krug eine größere Höhlung als die Becher hatte; ebenso heißen die lepestae, Weingefäße, die auch heute noch an den sabinischen Festtagen auf dem Göttertisch aufgestellt werden; bei alten griechischen Autoren fand ich, dass ein Trinkgefäß δεπέστα heißt: Daher sind evtl. von dort seine Wurzeln aufs sabinische und römische Gebiet vorgedrungen.314

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    124 Qui vinum dabant, ut minutatim funderent, a guttis guttum appellarunt. Qui sumebant minutatim, a sumendo simpuium1 nominarunt: In huiusce locum in conviviis e Graecia successit epichysis et cyathus, in sacruficiis remansit guttus et simpuium. 125 Altera vasaria2 mensa erat lapidea, quadrata, oblonga, una columella;3 vocabatur cartibulum: Haec in aedibus ad compluvium apud multos me puero ponebatur, et in ea et cum ea4 aenea vasa: a gerendo cartibulum potest dictum. 126 Praeterea erat tertium genus mensae, et quadratae, vasorum: vocatur urnarium, quod urnas cum aqua positas ibi potissimum habebant in culina. Ab eo etiam nunc ante balineum locus, ubi poni solebat, urnarium vocatur. Urnae dictae, quod urinant in aqua haurienda, ut urinator: urinare5 est mergi in aquam. 127 Inde urceus. < Vel >6 fictum ab urvo,7 quod ita flexus, ut redeat sursum versus < ut > est8 in aratro, quod est urvum.9 Calix a caldo, quod in eo calda puls apponebatur et caldum eo bibebant. Vas, ubi coquebant cibum, ab eo caccabum appellarunt. Veru a versando. 128 Ab sedendo appellatae sedes, sedile, solium10, sellae, seliquastrum11. Deinde ab his subsellium; ut subsipere, quod non plane sapit, sic quod non plane erat sella, subsellium. Ubi in eiusmodi duo, bisellium dictum. Arca quod arce[b]antur12 fures ab ea clausa. Armarium et armamentarium ab eadem origine, sed declinata aliter. 129 Mundus muliebris13 dictus a munditia. Ornatus quasi ab ore natus. Hinc enim maxume sumitur, quod eam deceat. Itaque adparatur speculum14. 1  simpulum *F: Brinkmann (bis). 2  vasaria < vinaria F°, vasaria GH, vinaria Vall. 3  columbella fGHVpVallEM, columnella a: Fv. 4  cum ea *F, circa ea H: Christ. 5  orinare – orinator *F: p, Aug. 6  impurro *F, imburum Aug., incuruum Coll., amburvo Kent. Addidi et scripsi. 7  urbo *F: Mue. 8  est *F, ut Ald.: < ut > addidi. 9  arvum *F, urvum B, urbum Aug. 10  souum *F: Aug. 11  siliquastrum *F: Ald., Aug. 12  arcebantur *F: Vict., Sciop. 13  Mundus muliebris prop. GS. 14  Itaque id paratur *FVpGH, Itaque ob id paratur b, Lae., Aug.; scripsi.

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    124 Das Gefäß, womit man den Wein kredenzte, um ihn in kleinen Dosen auszugießen, nannte man von gutta, Tropfen, guttus. Womit man in kleinen Dosen etwas nahm, das nannte man von sūmere, nehmen, simpuium, Opferschale315. An dessen Stelle traten bei Banketten die Epichysis und der Kyathus, bei den Opfern blieben der Guttus und das Simpuium. 125 Der andere Tisch für Gefäße war aus Stein, rechteckig und hatte nur ein Säulchen (als Fuß); er wurde cartibulum genannt: Er wurde im Haus beim Compluvium in meiner Kindheit bei vielen Leuten aufgestellt, und auf ihm und um ihn herum standen metallische Gefäße: Er könnte vom Tragen, gerere, cartibulum benannt worden sein.316 126 Außerdem gab es eine dritte Art von Tisch für Gefäße, und zwar einen quadratischen: Der heißt urnārium, weil man Töpfe, urnae, mit Wasser vor allem dort in der Küche aufgestellt hatte. Davon heißt auch heute noch der Platz vor dem Bad, wo man ihn (diesen Tisch) gewöhnlich aufstellte, urnārium.317 Urnae heißen sie, weil sie beim Wasserschöpfen ūrīnant, eintauchen, wie ein Taucher, ūrinātor: ūrināre bedeutet: ins Wasser eintauchen. 127 Daher (von urna) kommt urceus, Wasserkrug. Oder das Wort ist von urvus, gekrümmt, gebildet, weil er so gebogen ist, dass er sich nach oben verengt, wie das Teil am Pflug, das gebogen ist, urvum318. Calix, Kelch, kommt von calidus, warm, weil in ihm der Brei heiß serviert wurde und man aus ihm heiß trank. Das Gefäß, wo man Essen kochte, coquēbant cibum, nannte man daher caccabus.319 Verū, Bratspieß, von versāre, drehen. 128 Vom Sitzen, sedēre, sind benannt: sēdēs, Stuhl, sedīle, Sitz, solium, Thron, sellae, die Sessel, und seliquastrum, Hochstuhl.320 Dann kommt von diesen subsellium, Schemel: Wie man subsipere, etwas leicht schmeckt, von dem sagt, was man nicht völlig schmeckt, sapit, so ist das, was nicht recht ein Sessel war, eine Sitzbank, subsellium. Wo es zwei solche sind, heißt es bisellium, Doppelsitz. Arca, Kasten, weil von ihm – wenn er geschlossen ist – die Diebe abgehalten werden sollen, arceantur. Armārium, Schrank, und armāmentārium, Rüstkammer, haben die gleiche Quelle, sie sind aber anders hergeleitet.321 129 Mundus muliebris, der Putz der Frauen, ist von munditia, Sauberkeit, benannt.322 Ōrnātus, Schmuck, ist gewissermaßen vom Gesicht entstanden, ōre nātus; denn daher wird meistens das genommen, was die Frau zieren soll323. Deshalb richtet man sich den Spiegel her.

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    Calamistrum, quod his calfactis in cinere capillus ornatur. Qui ea ministrabat, a cinere cinerarius est appellatus. Discerniculum, quo discernitur capillus. Pecten, quod per eum explicatur capillus. Speculum a speciendo,1 quod ibi e spectant.2 130 Vestis a vellis, vel[a]3 ab eo, quod vellus lana tonsa universa ovis. Id dictum, quod vellebant4. Lana,5 ex lana facta. Quod capillum contineret, dictum a rete reticulum. Rete ab raritudine. Item texta fasciola, qua capillum in capite alligarent6, dictum capital a capite, quod sacerdotulae in capite etiam nunc solent habere. Sic rica ab ritu, quod Romano ritu sacrificium feminae cum faciunt, capita velant. Mitra et reliqua fere in capite postea addita cum vocabulis Graecis. 131 Prius de indutui aut amictui7 quae sunt, tangam. Capitium ab eo, quod capit pectus, id est, ut antiqui dicebant, comprehendit. Indutui alterum quod subtus, a quo subucula, alterum quod supra, a quo supparus, nisi quod id8 item dicunt Osce. Alterius generis item duo: unum, quod foris ac palam, palla, alterum, quod intus, a quo < indusium, ut > intusium,9 id quod Plautus dicit: „indusiatam10, patagiatam, caltulam11 ac crocotulam12.” Multa post luxuria attulit, quorum vocabula apparet esse Graeca ut asbeston.13 132 Amictui dictum, quod ambiectum14 est, id est circumiectum15. A quo etiam quo[d]16 vestitas se involvunt, circumiectui appellant et quod amictui habet purpuram circum, vocant circumtextum. Antiquissimi amictui17 ricinium. Id, quod eo utebantur duplici, ab eo quod dimidiam partem retrorsum iaciebant18, ab reiciendo ricinium19 dictum.

    1  spiciendo F°VH speciendo Vall.EM (Lae.), Aug., a spicio G. 2  Ibi ex espectant f, ibi espectant Vall., Fv: Turn. 3 vela ab eo F°: vel ab eo Vall. (Lae.). 4 vellabant *F: Aug. 5 lana *F: Turn. 6 alligarent F°GH, colligarent Vall.EM. 7 deindeutuitumamictui F°Vpa, deinde ut vitium amictui GH: Vall., Turn. 8 id quod *FVpGH, quod id Ma, Aug. 9 intusium *F : add. GS. 10 intusiatam: indusiatam codd. Plautini. 11 caltulum codd., caltulam codd. Plautini. 12 accrocolatum fGH: (Fv)Vall.EM, codd. Plautini. 13 asbeston : GS sec. Plin. nat. XIX 4,20. 14 abiectum F°, aƀlectum Vall.: Mue. 15 circumlectum *F: Aug. 16 quod *F: G, Aug. 17 amictus: Scal. 18 faciebant F°aHVpE: Vall. (Lae.), MG. 19 ricinium codd, edd.; scripsi.

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    Calamistrum, Brenneisen, weil das Haar damit, wenn diese in Asche erhitzt worden sind, calfactīs, geschmückt wird. Wer diese reichte, ministrābat, ist cinerārius, Aschensklave, von cinis, Asche, benannt worden.324 Discerniculum heißt die Haarnadel, mit der das Haar auseinandergehalten wird, discernitur. Pecten, Kamm, weil durch ihn das Haar entfaltet wird, ex-plicātur. Speculum, Spiegel, von specere, schauen, weil man sich dort ansieht, spectant.325 130 Vestis, Gewand, kommt von den Zotteln, vellī, oder daher, weil die ganze geschorene Wolle eines Schafes vellus, Vlies, heißt. Dies heißt so, weil man es rupfte, vellēbant. Das Wollene, lānea, ist aus Wolle, lāna, gemacht. Rēticulum, Haarnetz, kommt von rēte, Netz, weil es das Haar zusammenhalten soll. Rēte kommt von seiner Dünnheit, rāritūdō.326 Ähnlich ist das capital, Kopftuch – ein gewobenes Band, mit dem man sich das Haar auf dem Kopf festband –, von caput, Kopf, benannt; die Priesterinnen haben es gerne auch jetzt noch auf dem Kopf. So heißt rīca, Kopftuch, vom rītus, weil die Frauen, wenn sie nach dem römischen Ritus opfern, sich das Haupt verhüllen. Die Mitra, mitra, und die meisten übrigen Kopfbedeckungen kamen später mit griechischen Namen hinzu. 131 Eher möchte ich das behandeln, was zum Anziehen oder Überziehen dient.327 Capitium, Mieder, heißt so, weil es die Brust fasst, capit, das heißt – wie die Alten sagten – festhält, comprehendit. Zum Anziehen ist das eine unterhalb, subtus, woher subūcula, Untergewand, kommt; das andere ist, weil suprā, oberhalb, supparus, Überwurf, wenn nicht deshalb, weil es ebenso auf Oskisch heißt. Von der zweiten Art (sc. dem Übergewand) gibt es ebenso zwei: zum einen die Palla, weil sie außerhalb und öffentlich, palam, getragen wird; das Andere ist das Indūsium, aus *intusium, weil es innerhalb, intus, liegt, wozu Plautus sagt: „im Unterkleid (indūsiatam) mit Bordüre und einem safranfarbenen Büstenband.“328 Viel hat später der Luxus hinzugebracht, wovon die Bezeichnungen natürlich griechisch sind, wie das unverbrennbare Asbestinon.329 132 Überzieher, amictuī, heißt so, weil er herumgeworfen ist, ambiectum, das heißt, rings herum geworfen, circumiectum. Daher sagen die Frauen zu dem, womit sie sich einhüllen, circumiectuī, Überwurf, und das, was zum Überziehen rings herum, circum, Purpur hat, nennen sie circumtextum, eingefasst. Das älteste Kleidungsstück zum Überwerfen war das rīcinium, Kopftuch. Weil sie es doppelt trugen, wurde es – da sie die eine Hälfte nach hinten warfen – vom Zurückwerfen, reicere, reicinium genannt.330

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    133 Hinc quod facta duo simplicia paria, < pallia >1 parilia primo dicta, R exclusum2 propter levitatem. Parapechia, clamides, sic multa, Graeca. Lena3 quod de lana multa, duarum etiam togarum instar: ut antiquissimum mulierum ricinium, sic hoc duplex virorum. 134 Instrumenta rustica, quae serendi aut colendi fructus causa facta: Sarculum a [serendo ac] sariendo4. Ligo, quod eo propter latitudinem, quod sub terra, facilius legitur. Pala a pangendo, < L > GL5 quod fuit. Rutrum < ut > ruitrum6 a ruendo. 135 Aratrum quod aruit7 terram. Eius ferrum vomer, quod vomit eo plus terram. Dens, quod eo mordetur terra. Supra id regula, quae stat, stiva a stando, et in ea transversa regula manicula, quod manu bubulci tenetur. Qui quasi temo est inter boves, bura a bubus. Alii hoc a curvo urvum8 appellant. Sub iugo medio cavum, quod bura extrema addita oppilatur, vocatur coum a cavo9. Iugum et iumentum ab iunctu. 136 Irpices regula compluribus dentibus quam, item ut plaustrum, boves trahunt, ut eruant, quae in terra ser

    unt10, sirpices; postea < irpices >11 S12 detrito a quibusdam dicti. Rastelli ut irpices serrae leves; itaque13 homo in pratis per fenisecia14 eo festucas corradit15, qua ab rasu rastelli dicti. Rastri, quibus dentatis16 penitus eradunt terram atque eruunt, a quo rutu ruatri17 dicti. 137 Falces a farre littera commutata. Hae in Campania seculae a secando; a quadam similitudine harum aliae, ut quod apertum unde, falces fenariae et arboriae, et quod non apertum unde, falces lumariae et sirpiculae: 1  Add. Canal (sed ante quod). 2  Resculum Fv, Resclusum fVHa, Reclusum Vall.Gb, Aug.: Mue. duce Turn. 3  lena : Aug. 4  sarcendo *FHVp., sacerdo G; serendo ac delendum videtur. 5  G L quod fuit *F : < L > GL quod fuit prop. GS sec. Ellis. 6 < ut > ruitrum : Sciop. 7  aruit : Turn. 8  curvum: Turn., cf. V 127. 9  coum a couo fVall.GHpa, cauum a couo Fv: Kent sec. Rhol., cf. V 19. 10  serunt *FGVa, sercit H: Scal. 11  add. Mue. 12  est detrito fGHa, .S. detrita Vall.E : p, Turn. 13  Ita qua : Aug. 14  fenisecta Vall.EM, feni secta cett.: Aug. 15  corradit F°GHa, abradit Vall.EM. 16  dentalis: Turn. 17  ruturbatri *Fp, rutu ut ruastri Coll.: Kent.

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    133 Davon, dass die Mäntel, pallia, aus zwei einzelnen gleichen Teilen, paria, gefertigt sind, wurden sie zuerst parilia genannt; das R ist um der Glätte (des Ausdrucks) willen entfernt worden.331 Parapēchia332 und clamidēs, Feldmäntel, sind, wie vieles, griechisch. Die laena, Überwurf, heißt so, weil sie aus reichlich Wolle, lāna, besteht und wie zwei Togen wirkt: Wie der älteste Überwurf der Frauen das Ricinium ist, so ist es dieser doppelte für die Männer. 134 Landwirtschaftliches Gerät, das hergestellt wurde, um Früchte zu säen oder zu kultivieren: Sarculum, kleine Hacke, (kommt) vom Hacken, sarīre.333 Ligō, Hacke, weil wegen ihrer Breite das, was unter der Erde ist, leichter aufgelesen wird, legitur. Pāla, Spaten, vom Einschlagen, pangere, weil das L einmal GL war. Rutrum, Schaufel, von ruere, aufwühlen, aus ruitrum (Wühlzeug?).334 135 Arātrum, Pflug, weil er die Erde aufwühlt, arruit. Sein Eisen ist die Pflugschar, vōmer, weil sie mit ihm die Erde besser von sich gibt, vomit.335 Der Sauzahn (die Zinke), dēns, weil mit ihm die Erde gebissen wird. Der Steg, der über dem Pflug steht, heißt stīva, Pflugsterz, von stāre, stehen, und das Querholz darinnen ist die manicula, Sterzgriff, weil er von der Hand, manus, des Ackerknechts gehalten wird. Das Teil, das eine Art Deichsel zwischen den Ochsen ist, heißt būra, Krümmel, von bubus, den Ochsen. Andere nennen sie urvum, Krummes, von ihrer gekrümmten, curvus, Form. Die Höhlung, cavum, unterhalb der Mitte des Jochs, die man mit dem Ende des Krümmels verrammelt, heißt coum vom Hohlen, cavum.336 Iugum, Joch, und iūmentum, Zugvieh, von iūnctus, ihrer Verbindung. 136 Irpicēs, Eggen, sind eine Querstange mit mehreren Zähnen, die Ochsen wie einen Wagen ziehen, um das aufzuwühlen, was in der Erde kriecht, serpunt, aus sirpicēs; später wurden sie – nach Ausstoßung des S – von einigen irpicēs genannt.337 Rastellī, kleine Rechen, sind, wie die Eggen, leichte Sägen; daher kratzt der Mensch auf den Wiesen bei der Heuernte damit die Halme zusammen; von diesem Kratzen, rāsus, sind sie rāstellī genannt worden. Rāstrī sind die großen, gezähnten Hacken, mit denen man tief die Erde aufkratzt und aufwühlt, ē-ruunt; von diesem Wühlen sind sie ruāstrī genannt worden.338 137 Falcēs, Sicheln, kommen von far, Getreide, mit Veränderung eines Buchstabens.339 Sie heißen in Kampanien seculae von secāre, schneiden; nach einer Ähnlichkeit mit diesen heißen die einen (woher, ist klar) falcēs fēnāriae, Heusicheln, und falcēs arboriae, Baumsicheln; wo weniger klar ist, woher sie kommen, das sind die falcēs lūmāriae und die (falcēs) sirpiculae:

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    Lumariae sunt, quibus secant lumecta, id est, cum in agris serpunt spinae, quas quod ab terra agricolae solvunt, id est luunt, lumecta. Falces sirpiculae vocatae ab sirpando, id est ab alligando. Sic sirpata1 dolia quassa, cum alligata his, dicta. Utuntur in vinea alligando fasces. Incisos fustes faculas, has φάγκλας2 Cherronesioe3 dicunt. 138 Pilum, quod eo far pisunt, a quo ubi id fit, dictum pistrinum (L4 et S inter se saepe locum5 commutant). Inde post in Urbe Lucili pistrina et pistrix. Trapetes molae oleariae: vocant trapetes a terendo, nisi Graecum est; ac molae a moliendo6: harum enim motu eo coniecta moliuntur. Vallum a volatu, quod cum id iactant, volant inde levia. Ventilabrum, quod ventilatur in aёre frumentum. 139 Quibus comportantur7 fructus ac necessariae res, de his fiscina a ferendo dicta. Corbes ab eo, quod eo spicas aliudve quid corruebant. Hinc minores corbulae dictae. De his, quae iumenta ducunt, tragula, quod ab eo trahitur per terram. Sirpea, quae virgis sirpatur, id est colligando implicatur, in qua stercus aliudve quid vehitur. 140 Vehiculum, in quo faba aliudve quid vehitur, quod e viminibus vietur8 aut eo vehitur, brevi est vehiculum dictum. Est aliis vel arcera, quae etiam in Duodecim Tabulis appellatur; quod ex tabulis vehiculum erat factum ut arca, est9 arcera dictum. Plaustrum ab eo, quod non ut in his, quae supra dixi, sed ex omni parte palam est, quae in eo vehuntur, quod perlucet, ut lapides10, asseres, tignum.

    1  sirpita *F: Aug. 2  phanclas F°Ga, fancelas H, fanclas V, Vall.: scripsi. 3  Chermonesioe FvVall.V : Chersonesioe Mue; scripsi. 4  R : edd. 5  locum om. Vall.EM. 6  moliendo – moliuntur: Scal. 7  comportatur F°aGH, comportantur Vall.EMpV, Aug. 8  utetur F°Ga, uteretur Vall.EMH: Turn. 9  ut archar arcera f, ut arcar arcera FvVall.MaVpG: Scripsi. 10  lapidem fVp, lapides (Fv)Vall.EMGH.

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    Lūmāriae sind die, mit denen man die lūmecta, das Dorngewächs, abschneidet, das bedeutet: Sie heißen lūmecta, weil die Bauern dann, wenn auf den Feldern Dornen kriechen, diese aus der Erde herauslösen, das heißt luunt, lösen. Falcēs sirpiculae sind von sirpāre benannt, das heißt vom Anbinden. So heißen zerbrochene Fässer, wenn sie mit Binsen (scirpī) wieder zusammengebunden wurden, sirpāta, binsengebunden.340 Am Weinstock benützt man zum Anbinden fascēs, Ruten. Beschnittene Stöcke nennt man faculae, Späne; die Bewohner der Chersones nennen sie φάγκλαι.341 138 Pīlum, Stössel, weil man damit das Getreide zerstößt, pīsunt; danach ist der Ort, wo das gemacht wird, pīstrīnum, Stampfmühle, genannt (L und S tauschen oft miteinander den Platz). Daher heißt es später in der Urbs des Lucilius pīstrīna, Backstube, und pīstrīx, Bäckerin.342 Trapētēs sind die Ölmühlen. Man nennt sie trapētēs von terere, reiben (wenn das Wort nicht griechisch ist); und molae, Mühlen, vom Weichmachen, mollīre: Denn durch deren Bewegung wird das, was man dort hineinwirft, weich gemacht, molliuntur. Vallum, Getreideschwinge, kommt vom Fliegen, volātus, weil dann, wenn man sie schwingt, die leichteren Teile herausfliegen, volant343. Ventilābrum, Wurfschaufel, weil das Getreide in der Luft geworfelt wird, ventilātur. 139 Von den Gegenständen, womit Früchte und notwendige Dinge zusammengetragen werden, heißt fiscina, Weidenkorb, vom Tragen, ferre. Corbēs, Körbe, kommen daher, dass man dorthin Ähren oder Anderes zusammenscharrte, corruēbat. Davon heißen die kleineren corbulae, Körbchen344. Von den Gerätschaften, die das Vieh zieht, heißt trāgula, Schlitten, so, weil er vom Vieh über die Erde gezogen wird, trahitur. Sirpea, Binsenkorb, weil er mit Ruten gebunden wird, sirpātur, das heißt durch Flechten verbunden wird: Darin wird der Mist oder etwas Anderes gefahren. 140 Vehiculum, Fuhrwerk: Darauf werden Bohnen oder etwas Anderes gefahren; weil es aus Flechtwerk, vīmina, geflochten wird, viētur, oder weil damit gefahren wird, vehitur, wurde es kurz vehiculum genannt345. Für andere heißt es auch arcera, (geschlossener) Wagen, wie er auch im Zwölftafelgesetz genannt wird; weil dieses Fuhrwerk aus Holzbrettern gemacht war wie eine Kiste, arca, wurde es (dort) arcera genannt.346 Plaustrum, Lastwagen, heißt daher so, weil – anders als bei den eben erwähnten Fuhrwerken – nach allen Seiten öffentlich ist, palam, was auf ihm transportiert wird, wie Steine, Stangen oder Balken, da er ja das Licht durchlässt.

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    141 Aedificia nominata a parte ut multa. Ab aedibus et faciendo maxume aedificium. Et oppidum ab opi dictum, quod munitur opis causa ubi sint, et quod opus est ad vitam gerendam, ubi habeant1 tuto.2 Oppida, quod opere3 muniebant, moenia dicta. Quo moenitius4 esset, quod exaggerabant5, aggeres dicti, et qui aggerem contineret, moerum6. Quod muniendi causa portabatur, munus7, quod saepiebant oppidum eo8 moenere, moerus9. 142 Eius summa pinnae ab his, quas insigniti milites in galeis habere solent et in gladiatoribus Samnites. Turres a torvis, + quod eae proiciunt + ante alios.10 Qua viam relinquebant in muro, qua in oppidum portarent, portas. 143 Oppida condebant in Latio Etrusco ritu multi, id est11 iunctis bobus, tauro et vacca interiore, aratro circumagebant sulcum (hoc faciebant religionis causa die auspicato), ut fossa et muro essent muniti. Terram unde exculpserant, fossam vocabant, et introrsum iactam12 murum. Post ea 13, qui fiebat orbis, urbis principium: qui quod erat post murum, postmoerium dictum, eo usque14 auspicia urbana finiuntur. Cippi pomeri stant et circum Ariciam et15 circum16 Romam. Quare et oppida, quae prius erant circumducta aratro, ab orbe17 et urvo urbes18. Et ideo coloniae nostrae omnis in litteris antiquis scribuntur „URBEIS”,19 quod item conditae ut Roma, et ideo coloniae et urbes conduntur, quod intra pomoerium20 ponuntur. 1  habeant FvVall.EMVp, habitent f, cett. 2  tuto: tuta (Fv)Vall.EM. 3  operi : Coll. 4  moenitius F°GH, monitius Vall.EM. 5  agerebant H, exagerabant G: *FVpE. 6  murum < morum Vall., murum EM; moerum F°aG. 7  manus : Mue. 8  eae a moenere f, eę o moenere Fv, ee omoenere Vall.VH: Turn. 9  murus : Sciop. 10  quod eae prospiciunt ante alios Lae.; an: a torvo visu, quo eae prospiciunt ? 11  idem f, idē G; . i . (= id est) cett. 12  factam : Mue. 13  postea : Mue. 14  eiusque : Mommsen. 15  ars clamet : Sciop. 16 circoum *FHVp, circum Gap. 17 urbe : Lae. 18 urbs est : Ald. 19 urbis *F, urbes GH, scripsi. 20 pomerium *FEMGH, pomoerium aVp.

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    141 Gebäude sind – wie vieles – nach einem Teil benannt.347 Von aedēs, Feuerstellen, und facere, machen, ist ganz sicher das Gebäude, aedificium, benannt.348 Und oppidum, Stadt, ist von ops, Hilfe, benannt, weil sie um der Hilfe, ops, willen befestigt wird, um dort zu leben, und weil es für die Lebensführung nötig ist, opus est, einen sicheren Wohnplatz zu haben. Weil man die Städte mit einer Anlage bewehrte, mūniēbant, wurden die Mauern moenia benannt. Damit das, was man aufhäufte, exaggerābant, besser bewehrt war, wurden die Dämme, aggerēs, benannt, und das, was den Damm umfasste, nannte man moerus, Mauer. Was zum Befestigen, mūnīre, getragen wurde, war mūnus, Leistung, und weil man mit dieser Leistung, moenus, die Stadt einhegte, wurde sie moerus, Mauer, genannt.349 142 Deren höchste Stelle sind die pinnae, Federn, benannt von denen, die die Elitesoldaten und bei den Gladiatoren die „Samniten“ auf ihren Helmen haben.350 Turrēs, Türme, vom Trotzigen, torva, weil sie vor den anderen (sc. Mauern) hervorragen (?).351 Wo man in der Mauer einen Weg offen ließ, um etwas in die Stadt zu tragen, portāre, das nannte man portae, Tore. 143 Städte, oppida, gründeten viele in Latium nach dem etruskischen Ritus, das heißt: Mit einem Joch Rinder – mit einem Stier und innen der Kuh – zog man mit dem Pflug ringsum eine Furche, um von Graben und Mauer bewehrt zu sein; aus religiösen Gründen machte man dies nach vollzogener Vogelschau. Die Erde, von wo man herausgepflügt hatte, nannte man fossa, Graben, und die Erde, die man nach innen geworfen hatte, murus, Mauer. Der Kreis, orbis, der dahinter entstand, war der Anfang der Stadt, urbs. Weil dieser sich hinter der Mauer, post mūrum, befand, wurde er postmoerium genannt, und bis dorthin reicht die Vogelschau der Stadt. Grenzsteine für das Pomerium stehen um Aricia352 und um Rom. Daher heißen auch die Oppida, um die man vorher einen Pflug gezogen hatte, urbēs, Städte, von orbis, Kreis, und urvus, gebogen.353 Darum schreibt man in alten Dokumenten alle unsere Kolonien URBEIS, weil sie ebenso wie Rom gegründet wurden; und Kolonien und Städte werden deshalb „zusammen-gelegt“, con-duntur, weil sie innerhalb des Pomeriums angelegt werden.

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    Liber V

    144 Oppidum, quod primum conditum in Latio stirpis Romanae, Lavinium. Nam ibi dii Penates nostri. Hoc a Latini filia, quae coniuncta Aeneae, Lavinia appellatum1. Hinc post triginta annos oppidum alterum conditum Alba. Id ab sue alba nominatum. Haec e navi Aeneae cum fuisset2 Lavinium, triginta parit porcos. Ex hoc prodigio post Lavinium conditum 3 annis triginta haec urbs facta. Propter colorem suis et loci naturam Alba Longa dicta. Hinc mater Romuli Rhea, ex hac Romulus, hinc Roma. 145 In oppido vici a via, quod [d]ex traque4 parte viae sunt aedificia. Fundulae5: a fundo, quod exitum non habet ac pervium non est. Angiportum: si id angustum, ab agendo6 et portu. Quo conferrent suas controversias et, quae venderentur vellent, quo 7 ferrent, forum appellarunt. 146 Ubi quid generatim, addictum8 ab eo cognomen ut Forum Bovarium, Forum Olitorium. Hoc erat antiquum Macellum, ubi olerum copia; ea loca etiam nunc Lacedaemonii vocant μάκελλον. 9 Sed Iones [h]ostia10 ortorum μακελλωτάς [ortorum]11, et castelli μάκελλα. Secundum Tiberim ad tunium12 forum Piscarium vocant. Ideo ait Plautus: „apud Piscarium”. Ubi variae res ad Corneta, Forum Cuppedinis a cu

    pedio, < id est > fastidio,13 quem multi Forum Cupidinis14 a cupiditate. 147 Haec omnia posteaquam contracta in unum locum, quae ad victum pertinebant, et aedificatus locus, appellatum Macellum, ut quidam scribunt, quod ibi fuerit ortus: alii quod ibi domus furis15, cui cognomen fuit Macellus16, quae ibi publice sit 17 diruta. E qua aedificatum hoc, quod vocetur ab eo Macellum. 1  appellata: Stanley. 2 fuisset: Aug. 3 conditum *FEMGaVp, condita H. 4 dextra qui F°Vpa, dextra quid Vall.EM : Aug. 5 fundullae *FMap : GH, Aug. 6 agendo : Gryphius. 7 Venderentur vellent F°; add. Aug. 8 addictum F°GH, additum aVpVall.EM. 9 macellum – macellotas – macelli *F: Scal. 10 hostia fVpGHVall.EM: Lae. 11 Seclusi sec. Sp. 12 Iunium f(Fv)EM, tunium Vall.: Jordan. 13 cuppedinis a fastidio *F; scripsi sec. GS. 14 cuppedinis F°, cupedinis Vall.EM: ab. 15 fuerit : Stowasser sec. Festum 112 L. 16 Marcellus prop. de Melo. 17 publice sit F°, fuit publice Vall.EM.

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    144 Die erste Stadt, die in Latium als Spross Roms gegründet wurde, ist Lāvīnium.354 Denn dort befinden sich unsere Penaten. Sie ist nach Lāvīnia, der Tochter des Latinus, die mit Äneas verheiratet war, benannt worden. Von dort wurde nach 30 Jahren eine zweite Stadt gegründet, Alba. Sie wurde nach einer weißen, alba, Sau Alba genannt. Nachdem diese vom Schiff des Äneas nach Lavinium geflohen war, warf sie dreißig Ferkel. Auf Grund dieses Vorzeichens entstand dreißig Jahre nach Gründung Laviniums unsere Stadt. Wegen der Farbe der Sau und der Beschaffenheit des Ortes wurde sie Alba Longa genannt. Von dort stammt Rhea, die Mutter des Romulus, von ihr Romulus, von daher Rom.355 145 In einer Stadt sind die Straßenzüge, vīcī, von via, Straße, benannt, weil zu beiden Seiten der Straße Gebäude sind. Fundulae, Sackgassen: von fundus, Grund, weil sie keinen Ausgang hat und es keinen Durchgang gibt. Angiportum, Engstelle, nennt man es, wenn es dort eng ist, angustum, von angēre, beengen, und portus, Eingang. Den Ort, wo man seine Streitigkeiten austrug, cōn-ferrent, und wohin man alles brachte, ferrent, was man verkauft haben wollte, nannte man forum, Markt. 146 Wo ein Markt durch seine Ware unterschieden war, erhielt er von dieser einen Namenszusatz, wie das Forum Bovārium, Rindermarkt, und Forum Olitōrium, Gemüsemarkt.356 Das war das alte Macellum, wo es viel Gemüse gab357; diese Orte nennen die Spartaner auch heute noch μάκελλον. Aber die Jonier nennen den Zugang zu den Parks μακελλωταί und zu einem Kastell μάκελλα. Am Tiber nennt man den Markt beim Portunustempel358 Piscārium, Fischmarkt. Daher sagt Plautus: apud Piscārium, beim Piscarium.359 Wo es bei den Kornelkirschen (Cornēta) Buntes gibt, heißt es Forum Cuppēdinis, Markt der Leckerei, nach cuppēdium, Leckerbissen, das heißt Feingeschmack, den viele Forum Cupīdinis, Markt der Begierde, von cupīditās, Begehrlichkeit, nennen.360 147 Nachdem dies alles, was sich auf Lebensmittel bezog, an einem Ort zusammengezogen und eine Stätte dafür aufgebaut worden war, wurde sie Macellum benannt. Einige schreiben, weil dort ein Park gewesen sei; andere, weil dort das Haus eines Diebes namens Macellus (?) gestanden habe, das von Staats wegen zerstört worden sei. Auf seinen Ruinen sei das heute so genannte Macellum erbaut worden.361

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    Liber V

    148 In foro Lacum Curtium a Curtio dictum constat, et de eo triceps historia. Nam et Procilius non idem prodidit quod Piso nec quod i

    se C. Aelius Stilo1 secutus. A Procilio relatum in eo loco dehisse terram et id ex S. C. ad aruspices relatum esse. Responsum deum Maniom2 postilionem postulare, id est civem fortissimum eo de[m]mitti3. Tum quendam Curtium virum fortem armatum ascendisse in equum et a Concordia4 versum cum equo eum praecipitatum: eo facto locum coisse atque eius corpus divinitus humasse ac reliquisse genti suae monumentum. 149 Piso in annalibus scribit Sabino bello, quod fuit Romulo et Tatio, virum fortissimum Mettium Curtium Sabinum, cum Romulus cum suis ex superiore parte impressionem fecisset: Curtium5 in lacum palustrem qui tum fuit in foro, antequam cloacae sunt factae, secessisse atque ad suos6 in Capitolium recepisse. Ab eo lacum invenisse nomen. 150 C. Aelius7 et Q. Lutatius8 scribunt eum lacum9 esse fulguritum10 et ex S. C. septum esse; id quod11 factum est a Curtio consule, cui M. Genutius fuit collega, Curtium appellatum. 151 Arx ab arcendo, quod is locus munitissimus urbis, a quo facillime possit hostis prohiberi12. Carcer: a coercendo, quod exire prohibentur. In hoc pars quae sub terra, Tullianum ideo, quod additum a Tullio rege. Quod Syracusis, ubi de causa13 custodiuntur, vocantur latomiae, inde14 lautomia translatum, quod hic quoque in eo loco lapidicinae fuerunt.

    1  is Cornelius Stilo codd. is, C. Aelius Stilo Vict., Aug.; scripsi. 2  Manio : Manium Aug.; scripsi. 3  eodem : Turn. sec. Scal. 4  a Concordia: Scal. 5  Del. GS, Coll. 6  ad suos < se > Mue. 7  Cornelius : Aug. 8  Luctatius : Lae., Aug. 9  locum : scripsi. 10  fulguritum F°GHM; fulguratum Vall.E (Lae). 11  Idque fGa, id quod FvVall.EMHp. 12  prohibere fVall.MVpa, prohiberi FvHG. 13  de causa : de causa Bergmann. 14  inde p, et de cett.

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    148 Auf dem Forum wurde der Lacus Curtius362 bekanntlich nach Curtius benannt, und darüber gibt es drei verschiedene Erzählungen. Denn Procilius363 hat nicht das Gleiche überliefert wie Piso und wie auch C. Aelius Stilo selbst nicht, der auf sie gefolgt ist. Von Procilius wird berichtet: An dieser Stelle sei die Erde aufgeklafft, und das habe man auf Senatsbeschluss hin den Haruspices gemeldet. Die Antwort war: Der Gott der Manen fordere ein Gottesopfer, das heißt: Man müsse den Tapfersten dort versenken. Da habe sich ein gewisser Curtius, ein tapferer Mann, mit Waffen auf sein Pferd gesetzt und sich – dem Concordiatempel zugewandt – samt seinem Pferd hineingestürzt.364 Daraufhin habe sich die Stelle wieder geschlossen, seinen Leib wundersam begraben und seiner Familie ein Denkmal hinterlassen. 149 Piso schreibt in seinen Annales: Im Sabinerkrieg, den Romulus und Tatius miteinander führten, sei der ungemein tapfere Sabiner Mettius Curtius, als Romulus mit seinen Leuten von einer Anhöhe aus einen Einfall gemacht habe: Da sei Curtius in das sumpfige Gewässer, das es damals auf dem Forum gab, ehe die Kloaken angelegt wurden, ausgewichen und habe sich aufs Kapitol zu seinen Leuten zurückgezogen. Nach ihm habe das Gewässer, lacus, seinen Namen bekommen. 150 C. Aelius und Q. Lutatius365 schreiben, dieses Gewässer, lacus, sei von einem Blitz getroffen und dann auf Senatsbeschluss umzäunt worden; weil das vom Konsul Curtius gemacht wurde, dessen Amtskollege M. Genutius war, sei er (lacus) Curtius benannt worden. 151 Arx, Burg, von arcēre, abhalten; denn das ist der am meisten befestigte Ort der Stadt, von wo aus der Feind am leichtesten abgewehrt werden kann.366 Carcer, Gefängnis, kommt von coercēre, einschließen, weil man am Verlassen gehindert wird. Der unterirdische Teil davon heißt Tulliānum, und zwar deswegen, weil er von König Tullius hinzugefügt wurde.367 Weil man in Syrakus, wenn ein Angeklagter bewacht wird, von latomiae spricht, wurde das Wort lautomia von dort übertragen, weil auch hier an dieser Stätte ein Steinbruch war, lapidicīnae.

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    152 Inde1 Lauretum: ab eo, quod ibi sepultus est Tatius rex, qui a Laurentibus interfectus2; < aut > est3 ab silva laurea, quod ea ibi excisa et aedificatus vicus, ut inter sacram viam et macellum editum Corneta. Quae abscisae loco reliquerunt nomen, ut esculetum ab esculo4 dictum et Fagutal a fago. Unde etiam Iovis Fagutalis, quod ibi sacellum. 153 Armilustrum5 ab ambitu lustri locus. Item6 Circus Maximus7 dictus, quod circum spectaculis aedificatus, ubi8 ludi fiunt: et quod ibi circum metas fertur pompa et equi currunt. Itaque dicunt9 in Cornicula10 milites ad vectim11, quem circum eunt ludentes: „Quid cessamus ludos facere? Circus noster ecce adest.” In circo, primum12 unde mittuntur equi, nunc dicuntur carceres. Naevius oppidum appellat. Carceres dicti, quod coercuntur13 equi, ne inde exeant, antequam magistratus signum misit. Quod ad muri speciem14 pinnis15 turribusque16 carceres olim fuerunt, scripsit poeta: „Dictator ubi currum insidit, pervehitur usque ad oppidum.” 154 Intumus Circus Ad Murciae17 vocatur, ut Procilius aiebat, ab urceis, quod is locus esset inter figulos. Alii dicunt a murteto declinatum, quod ibi id fuerit. Cuius vestigium manet, quod ibi est sacellum etiam nunc Murteae18 Veneris. Item simili de causa Circus Flaminius dicitur, qui circum aedificatus est Flaminium campum, et quod ibi quoque ludis Tauriis equi circum metas currunt. 1  In eo : Aug. 2  occisus Vall.EM; interfectus cett. 3  < aut > add. Sciop. 4  escula: Vall. 5  armilustrium Vp, armilustrum cett. 6  lustri. locus idem : Aug. 7  mecinus FvGHpa, maximus fVall.M (mecinus Vall. in margine). 8  ibi : Aug. 9  dictum: scripsi. 10  Cornicula codd., Non. 88,1 L.; Cornicularia Vertr., Non. 195,29 L. 11  ad vectim Aug. „ex libris”; adventu cett. codd. 12  primum fFvGHp, primo Vall.EM. 13  coercuntur : coercentur p, Aug. 14  a muris partem: Mue. 15  pennis : Lae. 16  turribus qui : Aug. 17  Murcim fGHVa Murtim p, Murcis vel Murcie Vall.: L. Sp. 18  murteae fHpa, murtete GVallEM.

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    152 Aus jener Zeit stammt das Lauretum: Laurētum kommt daher, weil dort König Tatius bestattet ist, der von den Laurentern, Laurentēs, ermordet wurde368, oder es kommt vom Lorbeerwald, silva laurea, weil der dort gerodet und ein Viertel errichtet wurde, so wie zwischen der Via Sacra und dem Macellum die Cornēta, ein Kornelkirschenhain, angepflanzt worden waren.369 Nachdem man sie gefällt hatte, hinterließen sie der Stelle ihren Namen, wie das Aesculētum, Eichenwald, von der Wintereiche, aesculus, benannt ist und das Fāgūtal, Buchenhain, von der Buche, fāgus. Daher heißt auch der Jupitertempel dort Fāgūtālis, weil sich dort (sc. im Fāgūtal) sein Heiligtum befindet.370 153 Armilūstrum, Waffenreinigung: Der Ort heißt so vom Umgang, ambitus, bei der Reinigungszeremonie, lūstrum. 371 Ebenso heißt auch der Circus Māximus so, weil er dort, wo die Spiele stattfinden, in Kreisform, circum, für die Schauspiele gebaut wurde, und weil sich dort um die Wendemarken herum, circum, der Festzug bewegt und die Pferde laufen. Darum sagen in der Cornicula die Soldaten zur Brechstange, um die sie zum Spaß herum, circum, gehen:372 „Was warten wir noch darauf, Spiele zu machen? Da haben wir ja unseren Circus.“ Die Stelle im Zirkus, wo zu Beginn die Pferde losgelassen werden, heißt jetzt carcerēs, Schranken. Naevius nennt ihn oppidum, Stadt. Carcerēs heißt er, weil die Pferde festgehalten werden, coercuntur, damit sie dort nicht loslaufen, bevor der Offizielle das Zeichen gibt. Weil wie bei einer Mauer die Carcerēs einst Zinnen und Türme hatten, schrieb der Dichter:373 „Sobald der Diktator auf dem Wagen Platz nimmt, fährt er durch bis zum Oppidum.“ 154 Der innerste Teil des Circus heißt ad Murciae;374 wie Procilius sagte, benannt von den Krügen, urceī, weil diese Stelle im Töpferviertel liege. Nach anderen ist er von murtētum, Myrtenhain, abgeleitet, den es dort gegeben habe. Als Spur davon bleibt, dass dort auch heute noch ein Tempelchen der Venus Murtea ist, der Venus mit den Myrten. Und aus einem ähnlichen Grund hat der Circus Flāminius seinen Namen, weil er circum, um, das Flāminius-Feld gebaut worden ist und weil dort auch an den lūdī Taureī die Pferde um die Wendemarken, circum mētās, laufen.375

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    Liber V

    155 Comitium ab eo, quod coibant eo comitiis curiatis et litium causa1. Curiae duorum generum: Nam et ubi curarent sacerdotes res divinas, ut Curiae Veteres, et ubi senatus humanas, ut Curia Hostilia, quod primus aedificavit Hostilius rex. Ante hanc Rostra; cuius id vocabulum, ex hostibus capta fixa sunt rostra. Sub dextra huius a Comitio locus substructus, ubi nationum subsisterent legati, qui ad senatum essent missi. Is Graecostasis2 appellatus a parte, ut multa. 156 Senaculum supra Graecostasin, ubi aedis Concordiae et Basilica Opimia. Senaculum vocatum, ubi senatus aut ubi seniores consisterent, dictum ut γερουσία3 apud Graecos. Lautolae ab lavando, quod ibi ad Ianum Geminum aquae caldae fuerunt. Ab his palus fuit in Minore Velabro a quo, quod ibi vehebantur lintribus4, Velabrum, ut illud maius, de quo supra dictum est. 157 Aequimelium, quod aequata 5 Meli 6 domus publice, 7 quod regnum occupare voluit is. Locus8 Ad busta Gallica, quod Roma recuperata Gallorum ossa, qui possederunt urbem, ibi coacervata ac consepta. Locus, qui vocatur Doliola ad Cluacam Maxumam, ubi non licet despuere, a doliolis sub terra. Eorum duae traditae historiae: quod alii inesse aiunt ossa cadaverum, alii Numae Pompilii religiosa quaedam post mortem eius infossa. Argiletum9 sunt, qui scripserunt ab Argo, Iason10 quod istuc11 venerit ibique sit sepultus; alii ab argilla, quod ibi id genus terrae sit. 158 Clivos Publicus12 ab aedilibus plebei Publicis13, qui eum publice aedificarunt. Simili de causa Pullius et Cosconius, quod ab his viocuris dicuntur aedificati. 1  causae F°, causa < esse Vall.: Aug. 2  Graeco (lac. ca. 5 litterarum) f, greco stasis FvVpVall.M. 3  Ierusia *FEMHpa, gerusia G, γερυσία Rhol.: Aug. 4  lustribus *F: Lae. 5  aquata *FEGH, acquata p, equata M: Rhol. 6  meli : Kent. 7  publico : Ald., Vict. 8  voluit. Is locus : Aug. 9  Argeletum *FEaVpGH, Arge/latium M: Lae. 10 Argola seu *FVEM, Argo Laso Kent: Muller-Izn (1910) 266. 11  is huc : scripsi. 12 publicus : Aug. 13  publicis : Vict.

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    155 Das comitium, (Platz der) Volksversammlung, kommt daher, weil man dort bei der Wahlversammlung (comitia cūriāta) und bei Prozessen zusammen kam, coībant. Von den Kurien, cūriae, gibt es zwei Typen: Wo die Priester ihre sakralen Dinge besorgten, cūrārent – wie die Cūriae Veterēs, alte Kurie – , und die Cūria Hostīlia, weil als Erster König Hostilius das Gebäude errichten ließ.376 Vor dieser sind die Rōstra: Ihr Name kommt daher, dass dort von den Feinden erbeutete Schiffsschnäbel, rōstra, angebracht sind.377 Rechts davon, abseits vom Comitium, ist ein tiefer gelegener Platz, wo die ausländischen Gesandten, die zum Senat geschickt worden waren, warten mussten. Er wurde Graecostasis, Griechenhalt, genannt, nach einem Teil, wie vieles. 156 Das Senāculum liegt oberhalb der Graecostasis, wo der Tempel der Concordia und die Basilica Opimia stehen378. Es heißt senāculum, weil dort der Senat, senātus, oder die Älteren, seniōrēs, sich versammelten, benannt wie die γερουσία bei den Griechen. Lautolae, Warmbad, kommt von lavāre, waschen, weil dort beim Tempel des Doppelköpfigen Janus warme Quellen waren379. Diese gaben ein Sumpfgelände auf dem Kleineren Velabrum; es heißt Vēlābrum, weil man dort auf Kähnen fuhr, vehēbantur, wie jenes größere Velabrum, von dem oben schon gesprochen wurde.380 157 Aequimaelium, weil das Haus des Maelius von Staats wegen dem Erdboden gleich gemacht wurde, aequāta, weil der Kerl die Königsherrschaft beanspruchen wollte.381 Die Stelle Ad busta Gallica, Bei den Gallischen Gräbern, (heißt so,) weil die Gebeine der Gallier, die die Stadt besetzt hatten, nach der Rückeroberung Roms dort aufgehäuft und eingeschlossen wurden. Die Stelle bei der Cloaca Maxima382, die Dōliola, Fässchen, heißt, ist von den Fässchen, dōliola, unter der Erde benannt; dort ist Spucken verboten. Dafür sind zwei Berichte überliefert: Die einen sagen, dass darin Totengebeine seien; die anderen, es seien einige heilige Stücke von Numa Pompilius nach seinem Tode dort vergraben worden. Zum Argilētum haben die einen geschrieben, es komme von (dem Schiff) Argō, weil Iason dorthin gekommen und dort bestattet worden sei; andere, es komme vom Mergel, argilla, weil der Boden dort lehmig sei. 158 Der Clīvos Pūblicius, Publiciushang, hat seinen Namen von den Ädilen der Plebs aus der Familie der Pūbliciī, die ihn im staatlichen Auftrag, pūblicē, anlegten.383 Aus ähnlichem Grund heißen der Pullius- und Coscōnius-Hang so, weil sie von diesen Wegebauern angelegt worden sein sollen.

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    Clivus proxumus a Flora susus1 versus Capitolium Vetus, quod ibi sacellum Iovis, Iunonis, Minervae. Et id antiquius quam aedis, quae in Capitolio facta. 159 Esquiliis2 Vicus Africus, quod ibi obsides ex Africa bello Punico dicuntur custoditi. Vicus Cuprius a cupro,3 quod ibi Sabini cives additi consederunt, qui a bono omine4 id appellarunt. Nam cuprum5 Sabine bonum. Prope hunc Vicus Sceleratus, dictus a Tullia Tarquini Superbi uxore, quod ibi cum iaceret pater occisus, supra eum carpentum mulio ut inigeret6 iussit. 160 Quoniam vicus constat ex domibus, nunc eorum vocabula videamus. Domus7 Graecum. Et ideo in aedibus sacris ante cellam, ubi sedes dei sunt, Graeci dicunt πρόδομον8, quod post est9, ὀπισθόδομον10. Aedis ab aditu, quod plano pede adibant11. Itaque ex aedibus efferri indictivo12 funere praeco etiam eos dicit, qui ex tabernis efferuntur, et omnes in censu villas inde dicamus13 aedes. 161 Cavum aedium dictum, qui locus tectus intra parietes relinquebatur patulus, qui esset ad communem omnium usum. In hoc locus si nullus relictus erat, sub divo qui esset, dicebatur testudo ab testudinis similitudine, ut est in praetorio et castris. Si relictum erat in medio, ut lucem caperet deorsum, quo impluebat, dictum impluvium; susum qua compluebat, compluvium, utrumque a pluvia. Tuscanicum dictum a Tuscis, posteaquam illorum cavum aedium simulare coeperunt. Atrium appellatum ab Atriatibus Tuscis. Illinc enim exemplum sumptum. 162 Circum cavum aedium erat unius cuiusque rei utilitatis causa parietibus dissepta. Ubi quid conditum esse volebant, a celando cellam appellarunt. Penariam, ubi penus. 1  2  3  4  5  6  7  8  9  10 11 12 13

    a Floras usus : Vict. et Turn. Exquiliis Fv, Exquilis M, Esquilis fVall.GHa: p. Ciprius – cipro F°, cyprius – cyprio Mue.: de Melo. omine FvVHGaVall.E, homine fMp. cyprum : de Melo. iniceret : Scal. domum faVpH, domus FvVall.EMG. Prodomum (lac. fH) FvVp, prodomus Vall.EMG πδομος (?) a: edd. potest F°HVpa, post MG: prop. GS. opisthodum (lac. fHM) Fv, opistodium G, opysthodum Vall.E.: Vict. abibant : Lae. inductivo : Aug. Dicamus : Vict.

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    Der Hang, der unmittelbar vom Floratempel nach oben führt, ist das Alte Kapitol (Capitolium Vetus), weil dort das Heiligtum von Jupiter, Juno und Minerva steht. Und das ist älter als der Tempel, den man auf dem Kapitol erbaut hat.384 159 Auf dem Esquilin liegt der Vīcus Āfricus, Afrikanerviertel, weil dort im Punischen Kriege angeblich Geiseln aus Afrika in Gewahrsam waren. Vīcus Cuprius, das Cupriusviertel, ist von cuprum benannt, weil sich dort die Sabiner niedergelassen hatten, die zur Zahl der Bürger hinzugenommen worden waren; sie nannten es vom guten Vorzeichen so, denn cuprum bedeutet im Sabinischen 'gut'.385 Nahe davon ist der Vīcus Scelerātus, das Verbrecherviertel, benannt nach Tullia, der Frau des Tarquinius Superbus: Denn als ihr ermordeter Vater dort (auf der Straße) lag, gab sie einem Maultiertreiber den Befehl, seine Leiche mit der Karosse zu überfahren.386 160 Da ein Viertel aus Häusern besteht, wollen wir uns jetzt deren Wörter ansehen. Domus, Haus, ist griechisch. Und deshalb nennen die Griechen jenen Teil in den Tempeln vor der Cella, wo die Göttersitze sind, πρόδομος, und was dahinter liegt, ὀπισθόδομος. Aedis, Gebäude, heißt vom Zugang, aditus, weil man ebenerdig hineinging, adībant. Deshalb sagt der Herold bei einem angesagten Begräbnis auch zu denen, die aus Hütten herausgetragen werden, sie würden ex aedibus, aus dem Hause, getragen, und deswegen geben wir beim Zensus alle Häuser als aedēs an. 161 Cavum aedium, Innenhof, ist die überdachte Stelle benannt, die zwischen den Mauern offen gelassen wurde, um der gemeinsamen Nutzung aller zu dienen.387 Wenn darin kein Platz für den freien Himmel gelassen worden war, nannte man es testūdō, Schildkröte, von der Ähnlichkeit mit der Schildkröte, wie es sie im Prätorium und im Felde gibt. Wenn in der Mitte etwas frei gelassen worden war, um von oben Licht zu bekommen, nannte man es Impluvium, wohin es hineinregnete, impluēbat; die Stelle, wo es hereinregnete, compluēbat, Compluvium, beides von pluvia, Regen, benannt. Das Tuscānicum (im etruskischen Stil) ist nach den Etruskern, Tūscī, benannt, nachdem man begonnen hatte, deren Innenhof nachzubauen. Das Ātrium ist von den Etruskern aus Ātria benannt.388 Denn von dort hat man es übernommen. 162 Um den Innenhof herum war das Haus durch Mauern unterteilt, um jedem einzelnen Zweck zu dienen. Wo man etwas bergen wollte, nannte man es von cēlāre, verbergen, cella. (Sc. Cella) Penāria, Vorratskammer, wo der Vorrat, penus, war.

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    Liber V

    Ubi cubabant, cubiculum, ubi cenabant, cenaculum vocitabant, ut etiam nunc Lanuvi 1 apud aedem Iunonis et in cetero 2 Latio ac Faleriis 3 et Cordubae dicuntur. Posteaquam in superiore parte cenitare coeperunt, superioris domus universa cenacula dicta. Posteaquam, ubi cenabant, plura facere coeperunt, ut in castris ab hieme hiberna, hibernum domus vocarunt. Contraria4… Hic deficit5 exemplar foliis duobus. 163 +ligionem6 Porcius7 designat, cum de Ennio scribens dicit eum coluisse Tutilinae loca. Sequitur porta Naevia, quod in nemoribus Naeviis8: etenim9 loca, ubi ea, sic dicta. Deinde10 Rauduscula, quod aerata fuit: aes raudus dictum. Ex eo enim11 veteribus in mancipiis scriptum: „Raudusculo libram ferito.” Hinc Lavernalis ab ara Lavernae, quod ibi ara eius. 164 Praeterea intra muros video portas dici: In Palatio Mucionis a mugitu, quod ea pecus in buceta tum12 antiquum oppidum exigebant. Alteram Romanulam, ab Roma dictam, quae habet gradus in Nova Via13 ad Volupiae sacellum. 165 Tertia est Ianualis. Dicta ab Iano, et ideo ibi positum Iani signum et ius institutum a Pompilio, ut scribit in Annalibus Piso, ut sit aperta semper, nisi cum bellum sit nusquam. Traditum est memoriae Pompilio rege fuisse opertam14 et post Tit[i]o Man[i]lio15 consule, bello Carthaginiensi primo confecto, et eodem anno apertam.16 1  Lanubi fMHVpa, Lanuui Fv. 2  cetero F° altero Vall.EM. 3  faleriis fG, faleris Vall.EM. 4  Contraria ligionem p, Contra aestivum Aug. 5  deficit f .; Hic defecit exemplar foliis duobus Fv, hic deficiunt duo folia Vall. 6  ligionem : Aug. 7  Portius Vall.EMa, Porcius fGHp(Fv). 8  Naevius : Lae. 9  et enim fHap, ea enim FvVall.EM. 10  porta Rauduscula Vall.EM (Lae.). 11 in : del. L. Sp.; scripsi. 12 inbucitatum : in bucita cum Mue.: L. Sp.; add. Kent sec. L. Sp. 13 novalia : Scal. 14 apertam : Scal. 15 Titio Manilio : Aug. 16 imo clausam. R.liiij.I V. add. V, immo clausam. p.

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    Wo man schlief, cubābat, nannte man es cubiculum, Schlafzimmer; wo man speiste, cēnābant, cēnāculum, Speisezimmer. So heißt es auch heute noch in Lanuvium beim Junotempel und im übrigen Latium sowie in Falerii und Corduba. Nachdem man begann, öfter im oberen Stock zu speisen, wurde der gesamte obere Stock cēnācula (Pl.) genannt. Nachdem man begann, dort, wo man speiste, mehr zu machen, nannte man es – wie beim Militär das Winterlager, hīberna, von hiems, Winter – Winterwohnung, hībernum des Hauses, domūs. Im Gegensatz dazu … Hier fehlten in der Vorlage zwei Blätter.389 163 < Diese > Götterverehrung meint Porcius390, wenn er – als er von Ennius schreibt – sagt, er habe die Örtlichkeit der Tūtilīna verehrt. Es folgt die Porta Naevia, so benannt, weil sie im Naevius-Hain liegt: Denn das Gelände, wo sie steht, heißt so. Dann kommt die (Porta) Rauduscula, weil sie mit Erz beschlagen war; das Erz, aes, hieß nämlich einmal raudus. Denn daher steht in den alten Formeln über die Manzipationsakte: „Mit einem Erzstück (raudusculum) soll er an die Waage schlagen.“ Dann kommt die (Porta) Lavernālis, vom Altar der Laverna benannt, weil sie dort einen Altar hat. 164 Außerdem sehe ich, dass folgende Tore innerhalb der Mauern benannt werden391: Auf dem Palatin die (Porta) Mūciōnis vom Muhen, mūgītus, weil man durch sie einst das Vieh zur Trift vor die alte Stadt hinaustrieb. Als zweite die (Porta) Rōmānula, von Rōma benannt; sie hat Stufen auf der Via Nova, die zum Heiligtum der Volupia führen. 165 Die dritte ist die (Porta) Iānuālis. Sie ist von Iānus benannt, und deshalb steht dort ein Standbild des Janus und wurde – wie Piso in seinen Annales schreibt392 – von Pompilius rechtlich festgelegt: Sie soll immer offen bleiben, außer wenn es nirgends Krieg gibt. Es ist überliefert, dass sie zur Zeit von König Pompilius geschlossen wurde und später wieder unter dem Konsulat von Titus Manlius nach Beendigung des Ersten Punischen Krieges; und dass sie im gleichen Jahr wieder geöffnet worden sei.393

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    Liber V

    166 Super lectulis origines quas adverti, hae: Lectica, quod legebant, unde eam1 facerent, stramenta atque herbam, ut etiam nunc fit in castris. Lecticas2 ne essent in terra[s]3, sublimis in his4 ponebant, nisi ab eo, quod Graeci antiqui dicebant λέκτρον5 lectum potius. Qui6 lecticam involvebant, quod fere stramenta erant e segete, segestria appellarunt, ut etiam nunc in castris, nisi si a Graecis, nam στέγαστρον.7 Ubi lectus mortui fertur8, dicebant feretrum nostri, Graeci φέρετρον. 167 Posteaquam transierunt ad culcitas, quod in eas acus aut 9 tomentum aliudve quid calcabant, ab inculcando culcita dicta. Hac10 quicquid insternebant, ab sternendo stragulum appellabant. Pulvinar vel a plumis vel a pellulis 11 declinarunt. Quibus operibantur, 12 operimenta et pallia13 opercula dixerunt. In his multa peregrina ut sagum, reno Gallica14, gaunacum[a]15 et amphimallum Graeca. Contra Latinum torale16 quod ante torum, et torus a tortu17, quod is in promptu; ab hac similitudine torulus18 in mulieris capite ornatus. 168 Qua simplici scansione scandebant in lectum non altum19, scabellum. In altiorem, scamnum.20 Duplicata scansio gradus dicitur, quod gerit in inferiore21 superiorem. Graeca sunt περιστρώματα et περιπετάσματα.22 Sic alia quae23 item convivii causa ibi multa.24 1  iam : Fv. 2  lecticas : lectos Aug., lecti Turn., Mue. 3  terras : Aug. 4  in his codd.; cum cruce GS.; in tis Stroux. 5  λέκτρον, lectron (Fv)Vall.EM. 6  quam codd., qui Fv, Lae. 7  στέγαστρον – φέρετρον fa, stegastron – feretron Vall.EM. 8  fitur : Lae. 9  in ea sagusa ut f, in ea sagus aut cett: Scal. 10 hoc Fv, hac codd. 11 a pluribus vel a pollulis F°: Vict. 12 operiebantur Vall.EM. 13 Del. prop. A. Sp. 14 Galli quid : Turn. 15 gaunacuma: Scal. 16 tore *F : Vict. 17 torvo : torto Meursius; scripsi. 18 toruius faVall.E, torius M, torvinus Vict.: Aug. 19 alium F°Va, altum Vall.EMG, Aug. 20 scannum f, scamnum (Fv)Vall.EMpHG. 21 inferiora F°GaVp, in inferiora H, in inferiore Vall.EM, Aug.. 22 peristromata et peripetasmata *FEM, περιστρώματα et περιπετάσματα a. 23 aliquid HGa aliquod *FEM, aliud aliquid Aug.: L. Sp. 24 Hic incipit excerptum Prisciani. Ibi multa. interp. L. Sp.

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    166 – 168

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    166 Was ich über das Bettzeug, lectulī, an Etymologien bemerken konnte, ist Folgendes: Lectīca, Feldbett, weil man als Material, womit man es machte, Streu und Heu sammelte, legēbant, wie es auch heute noch beim Militär geschieht. Damit die Betten nicht auf der Erde waren, stellte man sie im Lager höher.394 Vielleicht kommt das Wort (lectus) auch eher davon, dass die alten Griechen λέκτρον zum Bett, lectus, sagten. Das Material, womit man die lectīca, Feldbett, überzog, nannte man segestria, Überzug, weil die Decken in der Regel aus Saatmaterial, seges, waren, wie auch heute beim Militär, wenn es nicht gar von den Griechen kommt, denn dort heißt es στέγαστρον. Wo das Totenbett getragen wird, fertur, das nannten unsere Leute feretrum, die Griechen φέρετρον. 167 Nachdem man zu Kissen, culcitae, überging, wurde es, weil man Nadeln oder Füllstoff oder etwas Anderes hineinstopfte, calcābant, vom Stopfen, inculcāre, culcita benannt.395 Alles, was man da hinbreitete, nannte man strāgulum, Decke, vom Hinbreiten, sternere. Pulvīnar, Polstersitz, leitete man entweder von Federn, plūmae, oder von pellulae, Fellchen, ab. Womit man sich zudeckte, operībantur, nannte man operīmentum, Decke, und die Mäntel (pallia) nannte man opercula, Bedeckung. Dabei sind viele Fremdwörter: Gallisch sind sagum, Wollmantel, und rēnō, Pelz, griechisch gaunacum und amphimallum, Doppelfell.396 Lateinisch sind hingegen torāle, Decke, weil es vor dem Polster ist, ante torum, und torus, Polster, kommt von tortus, der Drehung, weil es sofort parat ist; von dieser Ähnlichkeit (sc. mit dem gedrehten Polster) heißt der geflochtene Zopf, der Schmuck auf dem Kopf einer Frau, torulus.397 168 Wo man mit einem einfachen Steigen, scānsiō, in ein nicht so hohes Bett stieg, scandēbant, hieß es scabellum, Schemelchen. Wenn in ein höheres Bett: scamnum, Schemel. Zweimaliges Steigen heißt gradus, Stufe, weil sie einen auf einer niedrigeren Position in eine höhere bringt, gerit. Griechisch sind περιστρώματα, Decken, und περιπετάσματα, Teppiche. So (kommen aus dem Griechischen) auch etliche andere Wörter in großer Zahl, die man für Gastlichkeiten verwendet.

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    Liber V

    169 Pecuniae signatae vocabula sunt aeris et argenti haec: As ab aere, dupondius a duobus ponderibus: quod unum pondus assipondium dicebatur. Id ideo, quod as erat libra pondo I1. Deinde ab numero reliquum dictum2 usque ad centussis,3 ut as [a] singulari numero4 ab tribus assibus tressis, et sic proportione usque ad nonussis. 170 In denario numero hoc mutat, quod primum est ab decem assibus decussis5, secundum a duobus decussibus vicessis6, quod dici solum7 a duobus bicessis8. Reliqua conveniunt, quod est9 ut tricessis10 proportione usque ad centussis, quo11 maius aeris proprium vocabulum non est: Nam ducenti12 et sic13 proportione quae14 dicuntur, non magis asses quam denarii aliaeve quae15 res significantur. 171 Aeris minima pars sextula, quod sexta pars unciae16. Sem-uncia17, quod dimidia pars unciae. [Se18 valet dimidium ut in selibra et semodio19.] Uncia ab uno20. Sextans ab eo, quod sexta pars assis21, sicut quadrans,22 quod quarta, et triens, quod tertia pars. Semis, quod semis23, id est [ut]24 dimidium assis, ut supra dictum est. Septunx a septem et uncia conlisum.25 1  Libra. Pondus F°; libra pondus. Prisc., libram pondo Gronov. Scripsi. 2  reliquum dictum om. Prisc. 3  cennissis f, centussis (Fv) Vall.EM, centussem Prisc. 4  ut as a singulari numero om. Prisc.; [a] del. Lae. 5  Decusis f, decussis (Fv) Vall.EM. 6  decusibus bicesis fVall.EM, decussibus bicensis Vict.: Prisc. 7  solum: Turn. 8  Quod dici – bicessis om. Prisc., delendum putant L. Sp., Mue., GS.; bicensis F°, Vict.: Lae. 9  quod est om. Prisc., Vall.EM. 10 tricensis *FEM: Prisc. 11 quod f, quo (Fv)Vall.EM, Prisc. 12 ducenti Prisc., F°GHa, centi Vall.EM: L. Sp. 13 in *F : Prisc. 14 qui *F: Prisc. 15 aliaeve quae *F, aliaeque Prisc. 16 unciae est Prisc. 17 Semiuncia *F, semuncia Prisc. Scripsi. 18 Sic *F: Bentinus. 19 Se valet – semodio deest ap. Prisc. Seclusi. 20 uno dicta Prisc. 21 assis est Prisc. 22 sicut om. Prisc.; sicut Vall.EM, ut F°GHa. 23 semis, quod semis codd., Prisc.: semis ut semias Turn. Scripsi. 24 ut dimidium codd., dimidium Prisc. 25 conclusum : collisum Prisc., scripsi.

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    169 Die Bezeichnungen für geprägtes Bronze- und Silbergeld sind folgende398: As kommt von aes, Kupfer, dupondius, Zwei-As-Stück, von zwei Pfund, duō pondera, weil ein Pfund assipondium genannt wurde. Und zwar deshalb, weil ein As vom Gewicht her, pondō, éin Pfund (libra I) war.399 Dann wird das übrige nach der Zahl benannt, bis zu centussis, 100 As, so wie der As im Singular von drei As, trēs assēs, trēssis heißt, und so entsprechend bis zu nōnussis, neun As. 170 Bei den Zehnern ändert sich Folgendes: Der erste heißt von decem assēs, 10 As, decussis, der zweite von zwei decussēs, Zehn-As-Stücken, vīcessis, Zwanziger, wofür man üblicherweise – nach zweien400 – bicessis sagt. Das Übrige passt, denn wie trīcessis, 30 As, geht es bis centussis, 100 As; ein eigenes Wort für eine größere Kupfermünze gibt es nicht. Denn mit ducentī, 200, und den Zahlen, die man entsprechend sagt, werden ebenso die (einzelnen) Asse wie die Zehner oder irgendwelche anderen Dinge bezeichnet.401 171 Die kleinste Kupfermünze ist die sextula, Sechstel, der sechste, sexta, Teil einer Unze, ūncia. Sēmūncia heißt es, weil sie die Hälfte einer Unze, ūncia, ist. [„Sē“ bedeutet 'halb', wie in sēlibra, Halbpfund, und sēmodius, Halbscheffel.]402 Ūncia, Unze, kommt von ūnum, 1. Sextāns daher, weil er der sechste Teil eines As ist, sexta assis, wie der Quadrāns, weil er der vierte, quārta, und der triēns, weil er der dritte Teil ist. Sēmis (sc. heißt so), weil es aus *sēmias kommt, das heißt, Hälfte eines As, wie oben gesagt.403 Septūnx ist aus septem, 7, und ūncia, Unze, zusammengequetscht.

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    Liber V

    172 Reliqua obscuriora, quod ab deminutione1, et ea, quae deminuuntur, ita sunt, ut extremas syllabas habeant, ut de una2 dempta uncia deunx; dextans dempto sextante, dodrans dempto quadrante, bes ut olim des3, dempto triente. 173 In argento nummi (id ab Siculis): Denarii, [quod denari] 4 quod denos aeris valebant, quinarii, quod quinos, sestertius,5 quod semis tertius.6 Dupondius enim et semis antiquus sestertius est, et veteris consuetudinis, ut retro aera7 dicerent ita, ut semis tertius, semis quartus, semis quintus8 pronuntiarent. Ab semis tertius sestertius9 dictus. 174 Nummi denarii decuma libella,10 quod libram pondo as valebat et erat ex argento parva. Simbella, quod libellae dimidium, quod semis assis. Terruncius a tribus unciis, quod libellae ut11 haec quarta pars, sic quadrans assis. 175 Eadem pecunia vocabulum mutat: Nam potest item dici dos, arrabo, merces, corollarium. Dos, si nuptiarum causa data. Haec Graece δωτίνη12, ita enim hoc Siculi. Ab eodem donum, nam Graece ut Iones δῶρον13 et ut alii δόμα14 et ut Attici δόσιν15. Arrabo sic data16, ut reliquum reddatur, hoc verbum item a Graeco ἀρραβών17. Reliquum, quod ex eo quod debitum, reliquum.18 1  deminutione – deminuuntur *FE, Prisciani cod. A, diminutione – diminuuntur M, Vict., Prisciani codd. RV. 2  ut de una codd.; om. Prisc., duodecim una dempta Vict. Scripsi. 3  dēs (= dens) f, des (Fv) Vall.EM. 4  del. Fv, om. Prisc. 5  sextertius (bis) : Prisc. 6  Sestertius quod semis tertius F°, sestertius duobus semis Prisc. 7  aere *FEM : Prisc. 8  semis tertius quartus semis *FEM; semis quintus, semis quartus, semis tertius Prisc. 9  sestertius Prisc., deest in codd. 10  a decima libella Prisc. Deinde explicit excerptum Prisciani. 11  ut F°aGH, valet Vall.EM. 12  δο a; dotine VpVall.EM, lac. fGH. 13  ut issedonion FvVall.E, ut is δόνειον Bergk. Scripsi sec. Aug. 14  δοτ a, doma Vall.E, domon M: Aug. 15  δοσ a; lac. fGH; dossin Vall.EM; δόσις Aug.: edd. 16  dicta f, data Fv Vall.EM, 17  ἀρραβον a, ἀρραβομ H arrabon VVall.EM: Vict. 18  reliquum : an: relicuum? reliquom (bis) Mue.

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    172 – 175

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    172 Die übrigen Bezeichnungen sind unklarer, weil sie vom Abziehen gebildet werden und das, was man abzieht, nur die Randsilben hat: z. B. wenn man (sc. von zwölf) eine Unze wegnimmt, dē ūna, (gibt es eine) deūnx, 11 Unzen; ein dextāns, fünf Sechstel / 10 Unzen, wenn man einen sextāns wegnimmt, dōdrāns, 9 Unzen, wenn man einen quadrāns, drei Unzen, wegtut, und bēs (früher hieß es *dēs), 8 Unzen, wenn man einen triēns, 4 Unzen, wegnimmt.404 173 Bei den Silbermünzen, nummī (dieses Wort kommt von den Siziliern): Denare, dēnariī, weil sie den Wert von zehn As, dēnōs aeris, hatten, quīnārii, weil fünf As, sēstertius, Sesterz, weil zweieinhalb, sēmis tertius. Denn das Zweiasstück, dupondius, und der alte Halbas, sēmis, ergeben einen Sesterz, sēstertius; es ist eine alte Sitte, das Bronzegeld umgekehrt zu sagen: Man sprach also so aus: sēmis tertius, 2 ½, sēmis quārtus, 3 ½, und sēmis quīntus, 4 ½. Von sēmis tertius ist der Sesterz, sēstertius, benannt. 174 Vom Silberdenar, nummus dēnārius, ist ein Zehntel die lībella, weil der As vom Gewicht eine lībra, ein Pfund, wog und sie in Silber klein war. Simbella, Halblibella, weil sie die Hälfte der lībella ist, also ein halber As. Terrūncius, Viertelas, kommt von drei Unzen, tribus ūnciis, weil so, wie die Unze der vierte Teil einer lībella ist, der Quadrans der eines Asses ist.405 175 Das Geld ändert auch seinen Namen: Denn es kann ebenso dōs, arrabō, mercēs oder corōllārium heißen. Dōs, Mitgift, wenn es zur Hochzeit gegeben wurde, data. So heißt es griechisch δωτίνη, denn genauso nennen es auch die Sizilier. Davon kommt auch dōnum, Geschenk, denn auf Griechisch sagen die Jonier δῶρον, andere δόμα und die Attiker δόσις. So wird arrabō, das Pfand, gegeben, damit man den Rest zurückgibt; dieses Wort heißt auf Griechisch ebenso: ἀρραβών. Reliquum, Rückstand, heißt so, weil von dem, was geschuldet ist, noch etwas rückständig ist, reliquum.

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    Liber V

    176 Damnum a demptione, cum minus re factum quam quanti constat: Lucrum ab luendo, si amplius, quam ut exsolveret, quanti esset, ceptum1. Detrimentum a detritu, quod ea, quae trita, minoris pretii. Ab eodem -mento2 intertrimentum ab eo, quod duo, quae inter se trita, et deminuta, a quo etiam intrigo3 dicta. 177 Multa 4 a 5 pecunia, quae a magistratu dicta, ut exigi posset ob peccatum; quod singulae dicuntur, appellatae eae multae,6 quod olim unam dicebant mulctam7. Itaque, cum8 dolium aut culleum vini9 abducunt rustici, prima urna addita dicunt etiam nunc. Poena a poeniendo aut quod post10 peccatum sequitur. Pretium, quod emptionis aestimationisve causa constituitur, dictum a peritis, quod hi soli facere possunt recte id. 178 Si quid datum pro opera aut opere, merces a merendo. Quod manu factum erat et datum pro eo, manupretium, a manibus et pretio. Corollarium: si additum praeterquam quod debitum. Eius vocabulum fictum a corollis, quod eae, cum placuerant actores in scena, dari solitae. Praeda est ab hostibus capta; quod manu parta, ut parida praeda. Praemium a praeda, quod ob recte quid factum concessum. 179 Si datum, quod reddatur, mutuum, quod Siculi μοῖτον. Itaque scribit Sophron μοῖτον ἀντὶ μοίτου.11 Munus, quod mutuo animo qui sunt, dant officii causa. Alterum – quod moenus12 – quod muniendi causa imperatum. A quo etiam municipes, qui una munus fungi debent, dicti. 1  ceptum : prop. L. Sp. 2  Ab eadem mente codd., ab eodem trimento prop. A. Sp., Kent; ab eodem -trimento Traglia: Scripsi. 3  intrigo : Vict. 4  mulcta Lae. > multa Fv. 5  a pecunia : Groth; [a] del. GS. 6  multas codd., mulctas (Fv): Turn. 7  unum dicebant mulctae Fv, unum dicebant multae fVall.EMapH; < et > quod olim vnum dicebant multam Kent. Scripsi. 8 < in> add. Aug. 9  vinum addunt : Scripsi. 10  post om. fHa. 11 Moeton antimo & f, moeton anthimo Vall.: Huschke ap. Kaibel CGF I fr. 168. 12 alterum munus faGH; alterum quod moenus Vall.EM (munus Fv). Scripsi.

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    176 – 179

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    176 Damnum, Schaden, kommt vom Wegnehmen, dēmptiō, wenn weniger durch ein Geschäft eingebracht wurde, als es kostet. Lucrum, Gewinn, kommt von luere, zahlen, wenn man mehr erhalten hat, als man für den Wert zahlte. Dētrīmentum, Nachteil, kommt vom Abrieb, dētrītus, weil das, was abgerieben wurde, trīta, weniger wert ist. Mit dem gleichen -mentum ist intertrī-mentum, Verlust, gebildet: davon, weil zwei Dinge, die sich aneinander gerieben haben, inter sē trīta, auch weniger geworden sind, woher auch intertrīgō, Wundrieb, benannt ist. 177 Multa, Geldbuße, ist das Geld, das vom Beamten verhängt wurde, damit es wegen eines Vergehens eingetrieben werden konnte; weil sie einzeln ausgesprochen werden, heißen sie (sc. im Plural) multae, viele, wozu sie einst einzeln mulcta sagten. Und so (sc. wohl: Mulcta! Gemolken!) sagen deshalb die Bauern, wenn sie ein Fass oder einen Schlauch Wein abziehen, auch heute noch, wenn sie die erste Urne hinhalten.406 Poena, Strafe, kommt von poenīre, bestrafen, oder weil sie auf das Vergehen, post peccātum, folgt, sequitur. Pretium, Preis, weil er zum Zweck von Kauf oder Schätzung von Fachleuten, perītī, festgesetzt wird, weil diese alleine das richtig machen können.407 178 Wenn etwas für Mühe oder Arbeit gegeben worden ist, heißt es mercēs, Lohn, von merēre, verdienen. Weil er mit der Hand, manus, geschaffen und dafür gezahlt worden ist, kommt der Arbeitslohn, manupretium, von manūs, Hände, und pretium, Preis. Corōllārium, Trinkgeld: Wenn etwas über das Geschuldete noch dazugegeben worden ist: Dessen Name ist von den corōllae, Kränzchen, gebildet, weil man sie gerne gab, wenn einem die Schauspieler auf der Bühne gefallen hatten.408 Praeda, Beute, wurde von den Feinden erbeutet; weil sie mit der Hand gewonnen wurde, parta, heißt sie praeda, aus *parida.409 Praemium, Belohnung, kommt von praeda, Beute, weil sie zugestanden wurde, wenn etwas recht gemacht worden war. 179 Wenn etwas gegeben wurde, das zurückgegeben werden soll, ist es ein Darlehen, mūtuum, wozu die Sizilier μοῖτος sagen. Daher schreibt Sophron: μοῖτον ἀντὶ μοίτου, Gefallen gegen Gefallen.410 Eine Gefälligkeit, mūnus, gibt man sich pflichtgemäß, weil man gegenseitiges, mūtuus, Einverständnis hat. Ein anderes (mūnus) – nämlich moenus – ist die Aufgabe, die zum Zwecke der Schutzbewehrung, mūnīre, befohlen worden ist411. Daher sind auch die Mitbürger, mūnicipēs, benannt, die eine gemeinsame Aufgabe, mūnus, zu erfüllen haben.

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    Liber V

    180 Stlis ea1 pecunia, quae in iudicium2 venit in litibus, sacramentum a sacro. Qui3 petebat et qui infitiabatur, [de aliis rebus]4 uterque quingenos aeris ad pontem5 deponebant. De aliis rebus item certo alio legitimo numero assum. Qui iudicio vicerat, suum sacramentum e sacro auferebat, victi ad aerarium redibat.6 181 Tributum dictum a tribubus, quod ea pecunia, quae populo imperata erat, tributim a singulis proportione census exigebatur7. Ab hoc ea, quae assignata erat, attributum dictum. Ab eo quoque, quibus attributa erat pecunia, ut militi reddant, tribuni aerarii dicti. Id quod attributum erat, aes militare; hoc est, quod ait Plautus: „Cedit miles, aes petit.” Et hinc dicuntur milites aerarii ab aere, quod stipendia facerent. 182 Hoc ipsum stipendium a stipe dictum, quod aes quoque stipem dicebant. Nam quod asses libras pondo erant, qui acceperant8 maiorem numerum, non in arca ponebant, sed in aliqua cella stipabant, id est componebant, quo minus loci occuparet. A stipando stipem dicere coeperunt (stips ab στοιβή9 fortasse, Graeco verbo.). Id apparet, quod, ut tum institutum, etiam nunc diis cum thesauris10 asses dant, stipem dicunt, et qui pecuniam alligat, stipulari et restipulari. Milites stipendii11 ideo, quod eam stipem pendebant. Ab eo etiam Ennius scribit: „Poeni stipendia pendunt.“ 183 Ab eodem aere pendendo dispensator, et in tabulis scribimus expensum et in prima12 pensio et sic secunda aut quae alia, et dispendium, ideo, quod in dispendendo solet minus fieri; compendium quod cum compenditur,13 una fit. 1  si is F°; om. Aug., del. GS : Vetter. 2  indicium F°GHa, inditium M: Vall.E (Lae.). 3  quis : Vict. 4  del. Vetter. 5  pontem : Aug. 6  redibant F°G, reddibat H : Vall.EMa., Vict. 7  exigebantur : Ald. 8  acceperunt fHa, acceperant FvVVall.EMG. 9  στο fHa STOEBE FvVp, STOEPE Vall. E STOPE M: edd. 10  thesaurus fHaVall.EM, thesauris FvG, Aug. 11  stipendii: Aug. 12  Inprima : Aug. (in del. GS). 13  compendetur *FMHGap, comperitur E: edd.

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    180 – 183

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    180 Stlīs ist das Geld, das im Zuge eines Rechtsstreits, lītēs, vor Gericht kommt412; sacrāmentum, Eidgeld, kommt von sacrum, Heiligtum. Der Kläger und der Leugner hinterlegten beim Priester jeweils 500 Asse. Wegen anderer Punkte verfuhr man ebenso, mit einer bestimmten anderen, vom Gesetz vorgesehenen Zahl Asse.413 Der Prozessgewinner trug sein Haftgeld aus dem Heiligtum nach Hause, jenes des Verlierers fiel an die Staatskasse. 181 Tribūtum, Tribut, kommt von den Tribus, tribūs, weil das Geld, das vom Volk gefordert war, Tribus für Tribus von jeder einzelnen entsprechend ihrem Zensus eingetrieben wurde. Daher wurde das Geld, das (den Triben) angewiesen wurde, attribūtum, Anweisung, genannt. Daher wurden auch diejenigen, denen das Geld zur Auszahlung an die Soldaten attribūta, zugewiesen worden war, tribūnī aerāriī genannt, Zahlmeister. Das Geld, das zugewiesen war, hieß aes mīlitāre, Sold. Das meint Plautus, wenn er sagt: „Es rückt der Soldat an, er fordert Geld.“414 Und daher heißen die Soldaten auch aerāriī, Söldner, von aes, Sold, weil sie gelöhnten Dienst leisten, stīpendia. 182 Dieses stīpendium, Löhnung, ist von stīps, Abgabe, benannt, weil man das Geld, aes, auch stīps nannte. Denn weil die Asse vom Gewicht ein Pfund (lībrās) waren, legten es diejenigen, die eine größere Summe bekommen hatten, nicht in eine Kiste, sondern häuften es in einer Kammer auf, stīpābant, das heißt, sie legten es zusammen, damit es weniger Platz verbrauchte. Vom Aufhäufen, stīpāre, begann man es stīps zu nennen (stīps kommt vielleicht aber auch von griechisch στοιβή, Stopfen.). Das erhellt aus Folgendem: Wenn man, wie damals eingerichtet, den Göttern auch heute noch für die Tempelschätze Asse gibt, nennt man das stīps; und wer Geld verbindlich macht, das nennt man stīpulārī, ein Zahlungsversprechen machen, und restīpulārī, ein Zahlungsversprechen einfordern. Mīlitēs stīpendiāriī, Söldner, heißen deshalb so, weil sie diese Abgabe, stīps, abwogen, pendēbant. Daher schreibt auch Ennius: „Die Punier zahlen ihre Abgaben (stīpendia pendunt).“415 183 Von diesem Abwägen des Geldes, aere pendendō, ist der dispēnsātor, Kassierer, benannt; und in den Kassenbüchern notieren wir die Ausgabe, expēnsum, und von daher heißt es auch prīma pēnsiō, erster Posten, und so der zweite oder auch was Anderes; und dispendium, Verlust, kommt davon, weil es (das Geld) beim Auswiegen, dispendere, meist weniger wird. Compendium, Ersparnis, weil es beim Zusammenwiegen, compendere, eine Summe ergibt.

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    Liber V

    A quo usura, quod in sorte accedebat, impendium appellatum. Quae cum accederet1 ad sortem usu,2 usura dicta, ut sors, quod suum fit sorte. Per trutinam solvi solitum: Vestigium etiam nunc manet in aede Saturni, quod ea iam3 nunc [et]4 propter pensuram trutinam habet positam. Ab aere Aerarium appellatum. 184 Ad vocabula quae pertinere sumus rati, ea, quae loca et ea, quae in locis sunt, satis, ut arbitror, dicta, quod neque parum multa sunt aperta neque si amplius velimus, volumen patietur. Quare in proxumo, ut in primo libro dixi, quod sequitur de temporibus, dicam.

    1  < non > accederet prop. Canal; Kent. 2  usum < usu f, usum (Fv) Vall.EM: Ald. 3  Add. Mue. 4  del. L. Sp.

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    Daher wurde der Zins, ūsūra, weil er beim Kapital noch hinzukam, impendium, Verlust, genannt. Weil er durch die Nutzung, ūsus, zum (geliehenen) Kapital hinzukam,416 wurde er ūsūra genannt, wie sors, das Kapital, weil es durch das Los, sors, zum Eigentum wird. Man zahlte gewöhnlich mit der Waage. Eine Spur davon hat sich bis jetzt im Saturnustempel erhalten: Denn dort steht wegen des Abwägens, pēnsūra, auch heute noch eine Waage. Die Staatskasse, aerārium, ist von aes, Kupfergeld, so benannt. 184 Was unserer Meinung nach zu den Wörtern für Orte und das, was sich in diesen befindet, gehört: Davon ist, wie ich glaube, genügend gesagt. Denn zu wenig davon ist klar und selbst, wenn wir noch mehr sagen wollten, würde es die Schriftrolle nicht aushalten.417 Daher möchte ich in der nächsten, wie ich im ersten Buch418 gesagt habe, über das nächste Thema handeln: die Zeiten.

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    Liber V

    Anmerkungen 1



    2

    3

    4

    Dieses erste Fragment aus der „etymologischen Triade“ ist das interessanteste. Es steht – wenngleich auch nicht fehlerfrei überliefert, s. den Apparat – im Vergilkommentar des spätantiken Philologen Servius zu einem Vers aus dem XII. Buch der Aeneis (Serv. Dan. 12, 139), wo die Formen (Nom.) dīva 'die Göttin' und (Akk.) deam nebeneinander stehen: Aen. XII 138 f.: Extemplo Turni sic est adfata sororem / diva deam… „Sogleich sprach sie (Juno) zur Schwester des Turnus, als Göttin zu einer Göttin…“ Rahmen und Inhalt dieses Varro-Fragments dürften sein: Es sprechen die Verteidiger der Etymologie und wenden sich – virtuell – gegen die Kritik, welche Varro den Gegnern der Etymologie in Buch II in den Mund gelegt haben muss. Was diese gegen den Wert des Etymologisierens vorgebracht haben, lässt sich nicht erschließen, wohl aber die Argumentation der Verteidiger, hinter denen natürlich Varro zu sehen ist. Sie lief vermutlich so: 'Wenn es zwei Formen wie deus und dīvus nebeneinander gibt, dann ist dies historisch erklärbar, weil alle Alten ja – wie Ennius (vgl. zu VI 61) – deivos gesagt haben, woraus dann deus geworden ist; es ist aber ein lateinisches Wort und hat mit griechisch δέος, Furcht, nichts zu tun.' Dieses Fragment zeigt im Übrigen genau jenen Disputationsstil, der in den morphologischen Büchern VIII und IX immer wiederkehrt, und ist ein – wenngleich isolierter – Beweis dafür, dass die theoretischen Triaden (II ‑ IV über die Etymologie und VIII ‑ X über die Morphologie) parallel aufgebaut bzw. konzipiert waren, vgl. unten zu V 1 und VII 109 f. Der Grammatiker Q. Terentius Scaurus, zur Zeit Trajans bzw. Hadrians Verfasser einer (verlorenen) Ars grammatica (NP 12/1, 154 f.). Sein Zitat mit dem PPP cōnf īctus neben Varros f īxum dient Diomedes (2. H. des 4. Jhs.) nur als Beleg für eine der beiden Bildungsvarianten des PPPs von f īgere. Iunius Filagrius – (oder Philagrius: NP 6, 70 f.) – schrieb im 5. Jh. n. Chr. u. a. Kommentare zu den Werken Vergils. Der Aeneis-Komm. ist verloren; im Komm. zu den Hirtengedichten (Bucolica/Eclogae) zu Vers 63 der II. Ekloge kommentiert er das Femininum leaena 'Löwin' (ein griech. Lehnwort < λέαινα), das auch Varro in V 100 gebraucht. Filagrius diskutiert die 'Richtigkeit', d. h. Latinizität des Subst. léaena anhand dreier Belege bewährter lat. Schriftsteller: einmal mit einem Beleg aus der nur trümmerhaft überlieferten Plautuskomödie Vidularia, der 'Kofferkomödie' (Frg. XVIII Leo): Plautus umschrieb also 'Löwin' mit fēmina leō, während Cicero in dem (verlorenen) Buch De gloria, 'der Ruhm', die aus dem Griech. entlehnte Form leaena gebraucht habe – sie ist auch für andere klass. Autoren gut bezeugt, der früheste ist wohl Catull 60,1, s. OLD 1012 s. v. Varro scheint im III. Buch (der Codex Parisinus 7960 bietet freilich die Zahl „IIII“) die Form lea abgelehnt zu haben, wie er auch panthēra nicht als lateinisches Wort ansieht. Das passt zu ling. V 100, wo er panthēr und sogar das Mask. leō als Graeca, also als griechische Fremdwörter, bezeichnet. Die Textverbesserung (nōn est) – von Götz-Schöll noch bezweifelt, von Kent aber aufgenommen – ist inhaltlich zwingend und passt genau zu Varros Sprachgebrauch. Im Kontext des III. (oder IV.?) Buches ging es Varro wohl darum, zu sagen, dass panthēra und lea als Bezeichnung der Raubtierweibchen nicht originär lateinisch seien. Er könnte dabei auch auf Plautus verwiesen haben, eine seiner Lieblings-Autoritäten.

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    Anmerkungen

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    5

    Αus dem Sammelwerk De conpendiosa doctrina ad filium des Nonius Marcellus, um 400 n. Chr., dem viele Varrozitate zu verdanken sind: Nonius Marcellus hat Varro in indirekter Rede zitiert, wie die Konjunktive zeigen. Das Fragment entstammt Buch IV, in dem Varro seine etymologische Methode gerechtfertigt und an Beispielen vorgeführt hat. Das entspricht seinem Verfahren in Buch X, wo er seine morphologische Theorie der Regelmäßigkeit vorgestellt hat. Der linguistische Gehalt von Frg. 4 ist: 'Verschiedene Wörter – hier: die Substantive prōlubium, lubīdō und Lubentīna – lassen sich auf ein gemeinsames Grundwort (hier: lubēre) zurückführen und sind durch ihren etymologischen Zusammenhang als lateinisch erwiesen.' Daran kann auch die unterschiedliche Schreibung (lubēre neben libēre) nichts ändern, die vielleicht sogar teilweise auf Nonius und nicht auf Varro selbst zurückgeht. Die Parallelpassage in VI 47 lautet nämlich: Ab lubendo libīdō (sic!), libīdinōsus ac Venus Lubentīna et Libitīna, sic alia. 'Vom Begehren, lubēre, ist libīdō, Begierde, benannt, libīdinōsus, wolllüstig, und die Venus Lubentīna, die Venus der Lust, und Libitīna, die Leichengöttin, und so auch andere Wörter.' 6 Codex F beginnt mit einer gemalten Initiale Q, dem ersten Buchstaben von Quemadmodum in V 1, der sechs Zeilen umfasst. Ob die Titulatur von Varro stammt, ist ungewiss. In der rot gemalten Titulatur von F vermengen sich Zeichen der Unziale und der Capitalis, s. Battelli (1949) 72-80 und 56-66. 7 Septumius war unter Varro Quästor (VII 109) und ist der Adressat der ersten drei Bücher. Diese stellten sicher nur das varronianische Konzept der Etymologie dar, mit einer auf zwei Bücher (II bzw. III) verteilten Kontra- und Pro-Debatte, wie in den Büchern VIII und IX. Zur Widmung und Entstehungsgeschichte umfassend: Barwick (1957); s. auch Della Corte (1970) 175 Anm. 41, Duso 17. Das Verb mittere 'schicken' bedeutet freilich, dass Varro seinem Ex-Quästor diese Bücher auch gewidmet hatte, wie er später das Gesamtwerk Cicero widmete (und nicht nur per Boten 'schickte'). Die bei Funaioli (GRF S. 190 f. Nr. 6-8) gesammelten Fragmente des III. Buches werden dort intituliert als Varro ad Ciceronem tertio (bzw. III); das wäre das zweite Buch der an Septumius geschickten ersten Auflage gewesen, von der sich jede weitere Spur verlor. 8 Der Konjunktiv Imperfekt nimmt Bezug auf einen Zeitpunkt der Kritik, die zeitlich vor der Abfassung dieses Binnenproömiums erfolgte: Das wird sich schlicht auf die frühere Abfassung der Bücher II-IV beziehen und muss nicht bedeuten, dass (ggf. schon weit vor Varro) die etymologische Methode kritisiert wurde. Deutlich wird diese Kritik, wenn ich recht sehe, in Rom zum ersten Mal erst in Ciceros De natura deorum II 66, das etwa zeitgleich zu De lingua Latina entstand, wohl noch vor dem 15. März 44 v. Chr. – eine pikante Koinzidenz, s. Vorwort 5.4. 9 Varro trennt scheinbar streng zwischen den Wörtern des allgemeinen Sprachgebrauchs: in linguā Latīnā und der Dichtersprache (cōnsuētūdō poētārum); seine et. Methoden sind davon nicht betroffen. Die überlieferte Textfassung von F, in welche die letzten Hrsg. eingegriffen haben, ist beizubehalten: Piras (1998) 86 f. 10 Die fehlende Unterscheidung von notātiō (einem Terminus Ciceros: Top. 35), der Bestimmung der Bedeutung, und orīginātiō (Quintilian I 6, 28), der Suche nach dem sprachlichen Etymon, hebt Coleman (2001) 66 f. noch als eine der Schwächen der antiken Etymologie hervor.

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    Liber V

    11 Varro trifft hier die fundamentale Unterscheidung zwischen der Ausdrucksform von Wörtern – ihr geht er historisch nach und versucht, mit dem Mittel der Etymologie den Grund ihrer Bildung herauszufinden, aber eben nicht ihre phonologische Struktur – und ihrer Bedeutung. Gleich beim ersten Beispiel, mit dem er das Designans und das Designatum erläutern will, stürzt er sich auf ein Abstraktum ('Hartnäckigkeit'). Das überlieferte pertendō wurde von Rholandellus und den Hrsgg. zu pertendendo verändert, gebraucht Varro doch meist das Gerund, um die Herkunft eines Wortes A von einem Verbum B zu erklären. Eine unflektierte Infinitivform verwendet er als Etymon nur ganz selten, z. B. in VI 57: Concinne loqui dictum a „con“ < et > „cinere“ 'Es heißt concinnē loquī, in Übereinstimmung reden (von con und cinere, zusammen singen) …' und in VII 107 (confictant aus con + fingere), s. Einleitung Anm. 68. Die 1. Pers. Sing. (wie pertendō es wäre) ist den et. Büchern fremd; in der morphologischen Triade VIII-X erscheint sie nur als Bestandteil einer Flexionsreihe, z. B. IX 96 lēgī legō, legam. 12 Perduellis: Varro bezieht sich wohl auf die 2. Tafel des Zwölftafelgesetzes, die das Wort perduellis enthielt (XII tab. II 2 g Flach), und zitierte möglicherweise auswändig; Cicero berichtet ja in de legibus II 59, dass er sie als Schuljunge ut carmen necessārium noch lernen musste, als „unentbehrlichen Text“; in welcher sprachlichen Form die Texte damals auch gelernt wurden, entzieht sich unserer Kenntnis: Flach (2004) 23. Varro erfasst mit dieser Aufreihung der fünf Schwierigkeiten des Etymologen sowohl den Sprachwandel als auch die linguistische Interferenz (das SichÜberlagern von Sprachsystemen, darunter das Eindringen von Fremdwörtern). Den Sprachwandel gliedert er richtig auf in: Veränderungen des Lexikons (vetustās quāsdam dēlēvit), Veränderung der Ausdrucksform (d. i. den punktuellen Lautwandel: Varro spricht aber nicht von Lauten, sondern von litterae) und den Bedeutungswandel (anhand des treffenden Beispiels von hostis 'Fremder' > 'Feind'). Den zweiten Grund (nec quae extat sine mendō … imposita) verdeutlicht er leider nicht, so bleibt seine Kritik an der Richtigkeit der ursprünglichen Benennung, d. i. wohl an der Tätigkeit des Sprachschöpfers, des impositor (= des ὀνοματοθέτης), s. u., etwas vage. Im Grunde verrät sein Konzept des Sprachwandels, dass er sich unter dem Begriff der vetustās am diachronen Verfall orientierte, wohl im Rahmen der Deszendenztheorie, wie sie wenige Jahrzehnte später Ovid in den Weltaltern (met. I 89 – 153) poetisch verarbeitet hat, s. Vorwort 5.1. und 5.2. Die moderne historische Sprachwissenschaft erklärt den Sprachwandel indes generell als eine Bündelung von Faktoren: Zweckmäßigkeit, Evolution, Analogie, Entlehnung und Lautgesetzen (Glück [2010] s. v.), oder noch einfacher: als Vereinfachung und damit Reduzierung von Regeln: Paul Kiparsky (1968), 171-202, v. a. 196-202, und (1973), mündlich. Rudi Keller (1994) 142 f. scheint Ähnliches mit der „Ökonomiemaxime“ zu meinen, näher dazu 165 ff. Ein Konzept von „Sprachwandel als evolutionärer Prozess“, wie er es dort (191-205) vorgestellt hat, musste Varro, 1900 Jahre vor Darwin, noch fremd sein.– Da Varro zudem nicht über das Konzept von Lautgesetzen verfügte, blieb ihm nur der Exkurs auf die Parallele zu den materiellen Veränderungen der Außenwelt. Zur geschichtlichen Einordnung der varronischen Etymologie: QuGr (1981) 244-256.

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    Anmerkungen

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    13 Durch diesen Ansatz löst Varro die graphematische Abfolge von < POS > in die beiden unterschiedlichen morphonematischen Strukturen auf: Dahinter verbergen sich ja a) pot-s (< * pótis 'mächtig') und b) der nasalierte Nominativ pȭns zu Stamm pont- 'Brücke'. Auf die Aussprache (die Nasalierung des -n- vor -s) geht Varro nicht ein. 14 Mucius: P. Mucius Scaevola, Konsul 133 v. Chr. (NP 8, 425, Nr. I 5); Brutus: M. Iunius Brutus, mit Scaevola der „Begründer der röm. Jurisprudenz“ (NP 6, 70). 15 Die Interpunktion von F übernimmt Collart: Das Kap. beginnt mit einem Hauptsatz, quōrum ist sog. „relativer Satzanschluss“. Ardizzoni (1967) vermutet, dass ein Schreiber erst litterārum eingefügt habe, commutātiō – als Glosse zu discordia – dann zusätzlich in den Text geraten sei. De Melo begnügt sich mit der Tilgung von litterārum, wohl zu Recht. 16 Gemeint ist: Die vier Prozesse (Tilgung, Hinzufügung etc.) gibt es sowohl bei Lauten (Buchstaben) als auch bei Silben. Hinzukommen muss die Dehnung von Silben (d. h. der silbentragenden Vokale), die mit den vier genannten Prozessen noch nicht erfasst war. Es sind also insgesamt neun Gründe; das vorausgehende māximē erlaubt die Abweichung von der Rechnung '2 x 4'. Das Dilemma ist durch eine minimale Textveränderung entstanden. 17 Dazu Piras (1998) 57-89 und QuGr (1981) 12-50. 18 Das überlieferte aretofodine, von Canal zu argentifodīnae geändert, muss auf einen Lesefehler des Schreibers zurückgehen, dessen Vorlage sicher in Beneventanischer Schrift geschrieben war, s. Vorwort 3.1 zum Codex F und Taylor (1996) 36. Crētifodīnae gibt es auch bei röm. Juristen: Gaius dig. 39,4,13 und Ulpian dig. 7,1,9,2 (nach OLD s. v.). 19 Röm. Dramendichter des 2. Jhs. v. Chr. Von seinen Stücken sind nur ca. 400 Fragmente überliefert, von denen ein gutes Dutzend nur durch Varro erhalten ist. Das lautmalende Subst. sībilus ist bei Pacuvius erstmals belegt, das Kompositum incurvicervicus nur durch diese Stelle und durch das ausführlichere Zitat bei Quintilian inst. 5,67 bekannt – es bezeichnet eine Gruppe Delphine (Schierl S. 492 f.). Ein singulärer Beleg ist die metaphorische Ableitung clupeāre (eine Rückbildung vom Adj. clupeātus, dieses von clipeus bzw. clupeus 'Schild'). Die ersten beiden Zitate entstammen der Tragödie Teucer (Pacuvius 379 und 368 Artigas bzw. Frgg. 238 und 241 Schierl); sie dürften die Heimfahrt des Teukros schildern, der nach dem Tod seines Halbbruders Aiax alleine nach Salamis zurückkehrt (Schierl S. 468); das dritte Zitat entstammt der Hermiōna (Frg. 134 Schierl): Um Hermione, die Tochter von Menelaos und Helena, kämpfen als Rivalen Neoptolemos und Orestes, das Zitat muss sich auf diesen Zweikampf beziehen. Varro variiert in seinen Beispielen: ein Onomatopoetikum, ein Kompositum und eine Wortableitung; dazu auch Piras (1998) 74. Die dazugehörigen Fachtermini Varros sind fingere, cōnfingere und dēclināre; er hatte sie wohl samt der Erklärung ihrer Bildhaftigkeit in der ersten Triade eingeführt, da cōn-fingere zur Bezeichnung der Zusammensetzung erstmals hier erscheint und nicht weiter kommentiert wird. 20 Gemeint ist der lateinische Sprachschöpfer: Die Vorstellung geht wohl auf Platons Kratylos 388 d zurück, wo der νομοθέτης 'Gesetzgeber' bzw. ὀνοματουργός 'Namenschöpfer' derjenige ist, der als Erster den Dingen ihre Namen gab. Vermittelt dürfte diese Konzeption über den Akademiker Antiochos von Askalon

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    Liber V (†  68/67 v. Chr.: NP 1, 773f.) worden sein. In einem bei Augustinus (Contra Academicos 2,11,36) überlieferten Fragment aus dem 2. Buch von Ciceros Academici libri (p. 22, 6-9 Plasberg), verfasst 45 v. Chr., scheint er als vocābulōrum opifex, vielleicht auch durch Varro inspiriert, wieder auf (Michel [1965]). Lazzerini (2017) erwägt alternativ die Lesung asylum mit Bezug auf die Romulussage, der auf dem Kapitol einen Bezirk gegründet habe, der für alle Heimatlosen offenstand. Eine Schlüsselstelle für Varros etymologischen Anspruch: Der empirische Arzt schließt von sichtbaren Phänomenen auf etwas Unsichtbares und Dahinterliegendes. Zu Varros quārtus gradus der Etymologie: QuGr (1981), v. a. 231-256. Freilich ist die Überlieferung hier nicht gesichert. Denkbar ist auch: quō sī nōn perveniam scientiā 'wenn ich dorthin nicht mit Wissen(schaft) kommen sollte', d. h. Varro würde dann explizit scientia, also die historisch-antiquarische Forschung, die ihm zu alten Formen und Texten verhalf, neben opīniō als eine von zwei Methoden seines etymologischen Arbeitens bzw. Forschens stellen. Damit wäre diese wichtige Stelle eine Vorwegnahme der beiden Prädikate aus V 10 (invēnerim vs. opīner). Der Fehler könnte durch eine Schreibung scientiá mit Bezeichnung der Vokallänge entstanden sein, die dann weitere Missverständnisse nach sich ziehen musste. Scientia zur Bezeichnung von 'Wissenschaft' erscheint nochmals in IX 112: scientia ōrātiōnis 'Sprachwissenschaft'. Aristophanes von Byzanz (ca. 265/257-190/180 v. Chr.) war ein bedeutender alexandrinischer Grammatiker, der hauptsächlich Texte herausgab und dafür diakritische Zeichen einführte sowie seltene Wörter der klassischen Autoren erläuterte: NP 1, 1130f.; Kleanthes von Assos (331/330-230/229 v. Chr.) war das zweite Schuloberhaupt der stoischen Schule: NP 6, 499f. Auf die Stoa (wenngleich wohl nicht unmittelbar auf Kleanthes) geht die Einteilung des von Varro etymologisch behandelten Wortschatzes in V und VI zurück: Dahlmann (1932) 16f. Varro behandelt zwar in VII die Wörter der (altlat.) Dichtersprache, doch erklärt er sie als Etymologe genauso, wie er es mit Wörtern der Alltagssprache (Buch V / VI) zu tun gedenkt. Auch der innere Aufbau der Lemmata von Buch VII entspricht dem von V und VI: Piras (1998) 127-189, v. a. 187 ff. Q. Ennius (239-169), einer der bedeutendsten vorklassischen Dichter Roms, von Varro ganz reichlich zitiert. D. i. der lateinische Sprachschöpfer, s. V 8 und Vorwort 5.1., nicht aber König Latinus (so noch Collart [1954] 9 und 155). Livius Andronicus (+ ca. 200 v. Chr.), erster namentlich fassbarer lateinischer Dichter; wie bei Ennius sind viele seiner Verse nur durch Varros Zitate in De lingua Latina erhalten. Die Stelle bezieht sich direkt auf Varros etymologisches Konzept: durch historischantiquarische Forschung (wie bei meridiēs VI 4 oder der Etymologie von centuria V 35) alte Gegebenheiten und Wortformen zu eruieren, aber auch – wie in der modernen historischen Linguistik – frühere Wortformen zu rekonstruieren: Für Letzteres lassen sich ca. vier Dutzend Beispiele in De lingua Latina finden (QuGr [1981] 62-156 und 231-243), s. auch Vorwort 5. 3. Zum Gegensatz zwischen scientia und opīniō: Piras (1998) 66 und 71. Die Veränderung vom varronischen Ur-Text zur Fassung von F dürfte jüngeren Datums sein: Im Schrifttyp der „Beneventana“ waren die Zeichen für a und t ja leicht zu verwechseln, so dass aus * qđaut ein quoita werden konnte.

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    Anmerkungen

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    28 Griech. Naturphilosoph, um 500 v. Chr. (NP 10, 649-653; DK I 96-105): Das Konzept von den Gegensätzen bei den Pythagoreern ist durch Aristoteles, Metaphysik 986 a, überliefert, woraus Varro oder seine Quelle(n) vielleicht geschöpft hat. Im Katalog der zehn (!) bei Aristoteles überlieferten „pythagoreischen“ Gegensatzpaare fehlt allerdings das von Varro genannte Paar von Leben und Tod. Möglicherweise geht Varros Neigung, Dinge und Phänomene dichotomisch darzustellen, d. h. sie in Gegensatzpaare einzuteilen, auf die Pythagoreer zurück. 29 Diese Einteilung der Welt und – analog dazu – des Wortschatzes nach den Dimensionen Raum/Zeit, Himmel/Erde, Unsterblich/Sterblich ist allerdings durch und durch stoisch: Dahlmann (1932) 16f. 30 Die Stelle verrät, dass Varro „ein Kind des Landes“ war (Dahlmann [1935] 1173), was sich auch in seiner Konzeption der dēclinātiō (VIII-X) äußert, die er bildhaft dem Wein- bzw. Obstbau entnommen hat. 31 Der Fehler in der Überlieferung agrosium in F wurde durch Scioppius geheilt. agrōsum (hominem) bezeichnet eigentlich 'einen ackerreichen Menschen'; das sonst nicht belegte Adjektiv wurde Opfer der Kopisten, das -i- ist wohl aus einem Akzentzeichen (= Strichlein) auf dem ó von agrōsum entstanden. 32 Die Cūria Calābra lag auf dem Kapitol und ist so benannt, weil dort von einem Priester die Kalenderdaten ausgerufen wurden (Macr. Sat. 1,15,9). VI 27 zitiert sogar aus dem Text der Priester. 33 Die Grundbedeutung von locāre ist klass. 'aufstellen'; Varro denkt wohl eher an die Bedeutung 'festsetzen' und registriert damit einen Bedeutungswandel bei locāre. 34 Aus der Plautuskomödie Aulularia Vs. 191; der überlieferte Plautustext lautet anders, s. den textkritischen Apparat. Möglicherweise hat Varro den Text aus dem Gedächtnis zitiert, so auch Traglia (1974). 35 Aus einem nicht identifizierbaren Drama des Ennius (352 f. Joc. = 167 Manuwald). Marō(n) war nach Hesych cat. 238 Urenkel des Dionysos/Bacchus: NP 7, 943. 36 In V 14 liefert Varro eine Definition von locus 'Ort', hier die Etymologie. Faszinierend ist der Vorschlag von Hoenigswald, hier das alte und inschriftlich bezeugte stlocus anzunehmen (dazu, mit anderen Beispielen für altes stl- : Leumann 189), vgl. stlīs (> līs 'Streit') in V 180; sonst hinge Varros Et. von locus nur am seidenen Faden der Semantik von cōnsistere 'feststehen', was für ihn ganz ungewöhnlich wäre. Er analysierte also wohl: con-si-st-: st- → st-loc-us. 37 Das überlieferte id emit hat Turn. zu idem it verbessert; doch der Vergleich mit V 68 und VI 29 (eiset statt esset) zeigt: Im Varrotext sind die alten Formen von īre mit der Schreibung des [ī] als < ei > erhalten, ähnliches Schicksal hatte die Schreibung deico für dīcō, die Varro VI 61 für Ennius bezeugt. Zu den alten Formen von īre: Leumann 521f. 38 Diese Verwendung von locī für die weiblichen Genitalien ist gar nicht so selten und in landwirtschaftlichen und naturwissenschaftlichen Texten auch außerhalb Varros (Cato, Columella; Plinius, Celsus) belegt. 39 Anhand des einleuchtenden Beispiels von Asia, das sowohl Kleinasien als auch den Kontinent Asien bezeichnet, hat Varro somit de facto schon die Mehrdeutigkeit von Begriffen eingeführt, die er gleich bei caelum andeutet. Die kleine Umstellung (Asia/caelum) ist textlogisch erforderlich.

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    40 Aus der Pacuvius-Tragödie Chryses: 136 f. Artigas = Frg. 79 Schierl, die den Vers mit den ersten beiden Zitaten aus V 19 verbinden möchte (S. 231 f.): Chryses ist der Sohn von Chryseis und Agamemnon; auf der Flucht vor König Thoas gelangen Orestes und Pylades mit Iphigenia zu deren Halbbruder. S. auch zu V 60. 41 Lucilius 1 M. = 2 Chr. Lucilius dichtete in der 2. Hälfte des 2. Jhs. v. Chr. angeblich 30 Bücher Satiren (NP 7, 463), Varro nennt aber die Zahl 21. Im Archetyp stand wohl abgekürzt “ I; ” für ūnīus, s. zu VI 76, was den Fehler erklärt. 42 L. Aelius Stilo, * um 150 v. Chr., „erster römischer Gelehrter“ (NP 1, 174) und einer der Lehrer Varros; er verfasste auch einen Kommentar zum Carmen Saliare, dem Kultlied der Salierpriester, zu den Zwölftafelgesetzen und zur Verwendung diakritischer Zeichen für lit. Texte. Die Sammlung der römischen Grammatikerfragmente von Funaioli führt immerhin 78 Fragmente Stilos auf (GRF p. 57-76). 43 Varro denkt hier an eine sog. etymologia ē contrāriō: Das Gegenteil dessen, was eigentlich gemeint ist, wird (ironisch) genannt: Lausberg (1960) 255. 44 nōn steht hier in der klass.-lat. extrem seltenen Bedeutung 'nein', wie VI 72. „Non, erreur“ übersetzt Collart 13. Die Kritik an seinem Lehrer Aelius zeigt, dass er sich deutlich von Aelius absetzen will. Das passt zu seinem Anspruch, der aus dem quartus gradus etymologiae (V 8) erkennbar wird. 45 Varro unterscheidet nicht zwischen caelum 'Himmel' und caelum 'Meißel'. Bei seiner Erklärung von caelum aus cēlāre spielt er mit der vulgärlat. Monophthongierung von ae > ē, die ihm aus Lucilius bekannt ist, wie seine Ausführungen zum EN Caecilius > Cēcilius VII 96 zeigen. Zur Et. des Homonyms caelum s. de Melo 662 ff. 46 Der Unterschied zwischen graphisch und scheint Varro nicht zu stören: Er ging ja von einer Aussprache des (griech.) als [k] aus, wie seine Et. zum Ortsnamen Caere 'Cerveteri' zeigt (GRF p. 347 Funaioli): 'Caere, weil die vorbeifahrenden Seeleute mit χαῖρε ('sei gegrüßt!') grüßten'. 47 Aus der Andromacha des Ennius (96 f. Joc. = 34 Manuwald). 48 Aus der Iphigenia des Ennius (188 Joc. = 83 Manuwald). 49 Aus einer weiteren Tragödie des Ennius (319 Joc. = 149 Manuwald). Erst hier nennt Varro den Autor seiner Zitate, weil er ihm vorher schon selbstverständlich erschien. 50 Varro scheint über die nasalierte Aussprache von cȭvallis und die Austauschbarkeit von Diphthong [au] mit vulgärlat. [ō] die uns absurd erscheinende Verbindung von convallis zu caullae hergestellt zu haben. 51 Schon in Kap. 19 hatte Varro asyndetisch zwei Substantive aneinandergereiht: chovum – dort noch zur Irritation der Kopisten. 52 Die librī augurum wurden nach Regell (1878) 21 wohl schon zur Zeit der Zwölftafelgesetze angelegt. Die Doppelschreibung von Konsonanten hat sich in der röm. Orthographie erst um 100 v. Chr. durchgesetzt, so dass Varro angesichts des Alters der librī augurum problemlos auf eine Schreibung TERA zurückgreifen konnte. Terra indes aus *tersā 'die Trockene' zu torrēre: Leumann (1977) 180. Aus den Augurenbüchern zitiert Varro ausführlich in VII 8. 53 Daneben termō (seit Ennius) und termen (n.), was inschriftlich gut belegt ist. 54 Das überlieferte Accium gibt – als literarischer Beleg – hier keinen Sinn. Ten Brink (1855) 3 hat treffend den Ortsnamen Antium (heute Anzio) vermutet. Die

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    Hafenstadt lag 100 km westlich von Casinum, wo Varros Villa stand; Varro kannte die Flexion von termen durch die Einwohner von Antium sicher aus eigener Beobachtung. Der Accius-Beleg bei Dangel inc. XXXIII p. 249 ist zu streichen. Varro greift öfter auf die auch bei Vergil Aen. 8, 51 ff. und Livius 1,5 überlieferte Legende zurück, dass der griech. Heros Euandros in archaischer Zeit aus Arkadien nach Italien gekommen sei. Nach Tacitus (Ann. 11,14) habe er die Ureinwohner die Buchstabenschrift gelehrt; möglicherweise geht diese Nachricht auf Varros verlorene Schrift De antiquitate litterarum zurück. Mit dem Bezug zum mythischen Euander (auch V 43 und V 53) versucht Varro wohl das Phänomen griechischer Wörter im Lateinischen bzw. die Nähe des Griechischen zum Lateinischen teilweise zu lösen, wenn es sich nicht um offensichtliche Fremdwörter handelt, s. u. VI 61 zu d(e)icō und VI 96. Hier hat Varro die Etymologie von via 'Weg', zu vehere 'fahren', (so auch V 35) ganz en passant abgehandelt, ausführlicher V 35 (ā vectū viae); in rust. 1,2,14 führt er die Form vea aus der Sprache der rūsticī als Stütze für seine Etymologie von via < * veha an. XII tab. VII 7 Flach. Interpretēs: vielleicht Aelius Stilo, der ja einen Kommentar zu den Zwölf-Tafel-Gesetzen verfasst hatte (Cic. orator I 193). Zu Varros Anwendung von morphologisch bedeutsamen Trennstrichlein: VII 31 zu adagiō, amb-egna etc. Auch der Unterschied zwischen den Quantitäten (Vokallängen) spielt in Varros Et. keine Rolle: solum 'Boden' hat ja kurzes [o], sōlus 'alleine' langes [o:]. Die Erklärung: Die Quantitäten waren für den Grammatiker nur in der Dichtung relevant, in der Sprache waren sie nur selten distinktiv wie z. B. bei Präsens legit 'liest' und Perfekt lēgit 'las' oder beim Präs. pluit 'es regnet' versus Perf. plūit (thematisiert in IX 104). Mit sōla terī ist wohl gemeint, dass die Wasseroberfläche als einzige nicht berieben werden kann. Vermutlich bezieht sich Varro hier auf eine Etymologie zu humus, die Andere vor ihm entwickelt hatten, vielleicht Aelius Stilo. Wohl aus einer Tragödie des Ennius (354 Joc. = 168 Manuwald). Varro griff wohl auf einen Kommentar zu Ennius zurück (dīcere steht ja im AcI). Der sagenhafte König Numa Pompilius hatte die Brandbestattung verboten (Plut. Numa 22, 2). Doch setzte sie sich im Laufe der Zeit wieder durch: Vor der Brandbestattung wurde dem Verstorbenen ein Körperglied abgetrennt, und erst wenn darauf Erde geworfen worden war, besaß der Bestattungsort die notwendige Heiligkeit, vgl. NP 9, 80 s. v. „Os resectum“. Ut pontificēs dīcunt: Frg. 59 Preibisch. Die Partie nach ad humum bis dēmissior ist in F nach hinten (Kap. 41) verschoben, sicher durch die Herauslösung und Verdrehung eines ganzen Blattes in einer der Vorlagen. Der Umfang – 40 Zeilen, also ziemlich genau eine ganze Seite von F – passt nicht exakt zum errechenbaren Seitenumfang von F*; das Verhältnis des Textumfangs einer Seite von F zu der seines Vorgängers F* ist etwa 24 : 7, die Verschiebung, bedingt durch falsche Drehung eines Blattes, könnte also beim VorVorgänger von F geschehen sein, was für die Existenz eines Pergament-Codex noch zeitlich vor F* spräche: 1 ¾ Seiten von F entsprechen 6 Seiten von F*, wie sich aus X 23 ergibt, s. dort. Varro benutzt die Steigerungsformen humilior bzw. humillimus, weil an ihnen die konkrete Bedeutung von humilis 'niedrig' und die Nähe zum Erdboden klarer wird, vgl. V 4.

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    63 Das h- in hūmor ist wohl volksetymologisch (WH s. v. ūmeō 'bin feucht'); die Wortfamilie ū(vi)dus und hūmidus sowie hūmecta hat Varro zwar richtig zusammengestellt, sie hat aber mit humus 'Erde' sprachhistorisch nichts zu tun. Den Unterschied zwischen Kurz- und Langvokal vernachlässigt Varro wieder, s. zu V 22. 64 Lucilius 1308 M. = 1291 Chr. Die Konjektur von Kent (humoremque) ist unnötig: Varro geht es mit dem Luciliuszitat um Inhaltliches, die Et. wird erst mit dem folgenden Pacuviusvers behandelt. 65 Pacuvius inc. 412 Artigas = Frg. 267 Schierl, das Fragment ist nicht zuordenbar. Es handelt sich um eine Schilderung des Morgennebels oder des Tagesanbruchs (Schierl S. 540). 66 Die Erklärung von puteus aus pote 'möglich' scheint Varro selbst nicht geheuer. Die griech. Formen auf -u- (statt -o-) sind lexikalisch nicht belegt, könnten aber im äolischen Dialekt so ausgesprochen worden sein, möglicherweise kannte sie Varro von alexandrinischen Grammatikern. Varro setzt einen Bedeutungswandel von äol.-griech. πυταμός an, das zu seiner Zeit durch φρέαρ verdrängt worden sei, und unterstellt einen innergriech. Bedeutungswandel von 'trinkbar' > 'Brunnen'. 67 Die Zuordnung von Puteolī (ital. Pozzuoli) zu pūtēre ist spekulativ, zeigt aber erneut, dass Varro die Vokalquantitäten (hier: kurzes -u- versus -ū-) überspringt, wenn ihn eine Herleitung überzeugt. 68 Aelius Stilo, der Grammatiker, s. zu V 18. 69 Komödiendichter der 2. Hälfte des 2. Jhs. v. Chr. Die Togāta ist eine Komödie, die im römischen Milieu spielt, im Gegensatz zur (griechischen) Palliāta, s. auch zu VI 18. 70 Puti-lūcī ist eine wohl von Afranius selbst vorgenommene komische Umformung, ein Wortspiel, zu puti-culī. Puticulus gehört zu puteus mit Kurzvokal -u-, nicht zu pūtēre, s. o. (Afranius 431 Daviault). 71 Eine der abstrusesten Erklärungen Varros: Ob er als Etymon das Adverb palam oder paululum 'ein wenig' oder gar beide zur Erklärung von palūs heranzieht, wird nicht klar. 72 Στεγνός zu στέγω und lat. tegō; die phonetische Nähe von stagnum zu στεγνός und damit die Erklärung als Fremdwort/Lehnwort hat den semantischen Hintergrund: Zelt und Teich haben keinen Abfluss (rīma 'Ritze') und sind eher rund. 73 Die Regelungen zum Wasserabfluss der Dachtraufen waren Thema auch bei Cicero als die iura stillicidiorum (De oratore I 173, verfasst 55 v. Chr.). Das Syntagma „Inter haec hoc inter, quod …“ enthält die seltene, elliptische Verwendung von inter als Adverb. Zu inter: Vetter 260, cf. OLD s. v. inter2 p. 939. 74 Aternus: ein Fluss in Samnium, der ca. 100 km östlich von Reate und 80 km östlich von Amiternum, dem Geburtsort des Historikers Sallust, in die Adria fließt. 75 Das heutige Terni, ca. 20 km nördlich von Reate, bei dem Velino und Nera zusammenlaufen: NP 5, 1029. 76 Antemnae lag eine Wegstunde nördlich des antiken Rom, wo der heutige Aniene in den Tiber mündet; Ende des 1. Jhs. v. Chr. gab es dort nur noch eine vīlla: NP 1, 727. Der Krieg ist wohl der Sabinerkrieg (Liv. I 10) zwischen deren König Titus Tatius und den Römern unter Romulus (NP 12/1, 44). 77 Der Ort Volturnum (heute Castel Volturno) liegt an der Mündung des Volturno, ca. 25 km westlich von Capua. Dass Varro den Flussnamen vom Ortsnamen trennt,

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    wirkt künstlich, ist aber aus seiner Sicht konsequent: Er hat ja ein naturalistisches Konzept von Sprache und vergleicht sie immer wieder mit Pflanzen, v. a. Bäumen und deren Wurzeln. Da er die Quelle des Volturnus in Samnium sieht, lag für ihn die Interpretation des Flussnamens als nichtlateinisch nahe. Der Satzbau ist elliptisch und schwer zugänglich, die Lesung von F beizubehalten: iam ad Latīnum (sc. adtinet 'bezieht sich' bzw. 'gehört') vocābulum. Entsprechend der Trennung zwischen Fluss- und Ortsnamen Volturnus bzw. Volturnum hält Varro in der ersten von ihm genannten Version (deren Autoren er nicht nennt) eine etruskische Herkunft und damit eine Trennung zwischen dem Götternamen Tiberīnus und dem Flussnamen Tiberis für denkbar. Tiberis (und damit auch seine Ableitung Tiberīnus) wohl zu etr. EN θefarie(s), Veii war ja etruskisch (NP 12/1 1257f.). Thebri(s) schreibt der Vergilkommentator Servius (um 400 n. Chr.). Als Mutter des Prometheus nennen griech. Quellen auch Klymene (Hesiod Theog. 508) oder Gaia/Themis; zu den Varianten: NP 10, 402. Von diesem Manlius ist, wenn bei Varro richtig überliefert, sonst nichts bekannt. Pythagoras aus Rhegion (it. Reggio di Calabria) arbeitete als Bronzebildner zwischen 480-448 v. Chr. In einer der Vorlagen von F wird die Abkürzung f. für das Künstlerprädikat fēcit ausgefallen sein, das Laetus ergänzt hat; der Satz wäre sogar für Varro zu elliptisch. Praeneste (heute Palestrina): ca. 40 km östlich Roms; Aricia (Ariccia): ca. 25 km südöstlich Roms. Augurēs pūblicī nennt auch Cicero leg. II 8,20; sie waren zu einem Kollegium organisiert: NP 2,280. Das in F überlieferte Rōmō haben die meisten Herausgeber zu Rōm

      ō ergänzt, unter Heranziehung von VIII 18 (ut ab Rōmulō Rōma). Einen Rōmus kennt immerhin auch Festus p. 326,35 L., der vielleicht auf einer Varroausgabe fußt: „…ab Rōmō urbī trāctum nōmen.“ Auch Plutarch nennt in seiner Biographie des Romulus (Rom. 2) zweimal einen Ῥῶμος (aus Varro?). Da Varro aber auch in VIII 80, IX 34, 50 und X 15 konstant auf der Herleitung von Rōma  Rōmulus besteht und man Varro bei diesem (für einen Römer bedeutsamen) Wortpaar auf so engem Raum von De lingua Latina keine Inkonsistenz unterstellen wird, bleibt nur die Ergänzung zu Rōm
        ō übrig. Eine Lösung des Dilemmas ist die Annahme, dass Plutarch bereits eine fehlerhafte Version Varros vor sich hatte, die im Umlauf gewesen sein kann, es musste ja nur über dem m ein kleines Häkchen zur Markierung der l-haltigen Silbe ausgefallen sein, z. B. * Romʼo, ein Schreiber las das Häkchen als Längezeichen – und Romulus ward um eine Silbe verkürzt. Varro bevorzugt also die innerlateinische Etymologie. Die Etymologie von āctus hatte Varro schon in V 22 behandelt; nun erweitert er die Erklärung auf die Spezialbedeutung des Längen- bzw. Feldmaßes. Der āctus quadrātus maß etwa 1260 m 2. Nach V 55 waren es ursprünglich drei Triben, daher – zu Recht – der Name, allerdings nicht, wie Varro es darstellt, nur auf der Basis des Ablativs des Numerales trēs → tribus: Das ist ja sein in V 4 eingeführtes Verfahren, von geeigneten Demonstrationsformen auszugehen: tri-bus bedeutet ursprünglich 'Dreiheit', vgl. WH s. v. Ab der mittleren Republik waren es 35 Triben (4 städtische und 31 ländliche), s. die Liste in NP 12/1 805f.

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        88 Nach rust. I 2,14 kannte Varro auch eine (rustikale) Aussprache „vēlla“ (vulgär monophthongiert aus *ueilla) für vīlla, die ihm die Anbindung an vehere erleichterte. Varro wählte zur Erläuterung des Etymons, wenn es sich um ein Verbum handelte, gerne ein Nominalabstraktum auf –us (Gen. -ūs), hier vec-t-us, das in der Überlieferung, je seltener es war, oft verderbt wurde, s. Vorwort 4. am Ende. 89 In seiner Etymologie von sēmita ut sēmiter versucht Varro den Weg der morphologischen Transparenz: Er zerlegt das Wort in die Bestandteile sēm(i)'halb' und -ita, was er mit iter 'Weg' gleichsetzt. Sēmiter ist ein varronisches Kunstwort wie * sēmi-as für sēmis 'Halb-As' in V 171. Einleuchtend Scioppius mit seiner Konjektur: Dann stand bei Varro *sem-iter, das erste (vermeintliche) i war der (senkrechte) Trennstrich, wie er sich für amb-agio VII 31 nachweisen lässt. Ähnlich wohl in V 171 bei sem-uncia, s. dort. 90 Hier hat Varro das Nominalsubstantiv in-cōn-situs, Gen. -ūs, Abl. -ū neu gebildet; es ist ein sog. „Hapax legómenon“, das es nur hier gibt, deshalb wurde es in der Überlieferung entstellt. 91 Varro bediente sich bei der Herleitung von campus < cap-ere des Phänomens aus der Verbalflexion, dass bei einigen Verben der kons. Konjugation im Präsensstamm ein Nasalinfix erscheint, wie in rumpere, Perf. rūpī, PPP ruptus 'brechen'. Dass sich das Phänomen auf Verben beschränkte, war ihm wohl nicht klar. 92 saltus, Gen. saltūs, hat zwei getrennte Bedeutungen: a) 'Waldtal/Waldschlucht' und b) 'Viehtrift/Weideplatz'. Varro versucht, mit der Rückführung auf das Adjektiv salvus und durch den Aspekt der unbeschadeten (salvus) Nutzung beide doch weit auseinanderliegenden Bedeutungen zu erklären. 93 Das Objekt multa nach fundit hat schon der Schreiber von F als Dopplung (.R. = repetitio o. ä.) aufgefasst. 94 Die Rückführung von vītis ← vīnum ← vī offenbart Varros Bemühen, auf ein begrenztes Inventar an Wurzelwörtern zurückzukommen und sich dabei geeigneter Formen zu bedienen, die seine Etymologie deutlicher machen (V 4), wie bei Abl. vī. Mit der Erklärung von vīndēmia aus vīnidēmia oder vītidēmia beschreitet er wieder den Weg der (historischen) Rekonstrukte: QuGr (1981) 147150. Weshalb er sich nicht mit vīndēmia < vīni-dēmia begnügt, hat semantische Gründe: Bei der Weinlese wird ja eigentlich nicht der (erst noch entstehende) Wein gelesen, sondern die Traube, die von der Rebe, vītis, genommen wird. 95 Varro äußert sich hier wortkarg. Ihm schwebt wohl folgende Herleitung vor: Vom Präfix sē- 'weg, fort'  sē-men, davon sēminārium und sēmentis, während er seges (mit kurzem -ĕ -!) aus serere (satus) erklärt; dem Kontrast zwischen dem Präsens serō 'säe, pflanze' und PPP satus 'gesät, gepflanzt' konnte er auch den Vokalwechsel e:a entnehmen. Vielleicht stand in F* auch se-men mit einem verdeutlichenden Trennstrich, vgl. zu VII 31 (amb-agiō etc.). 96 Varro trennt frūgēs (← fer-) und frūctus (← fru-or). Für spīca 'Ähre' nennt er andernorts eine rustikale Aussprache spēca (rust. I 48,2), die er hier wohl voraussetzt. 97 Varro sieht diese Abfolge: ārē-sc-ō → āre-a → āra, dies evtl. auch  ārdor. Zu deren tatsächlichen sprachhistorischen Zusammenhängen: de Melo 682f. 98 Varro bedient sich der Perfektform sus-tulit (statt Präsens tollit), um den von ihm postulierten Zusammenhang zu verdeutlichen, wie V 4. Der (alte) Nom. Sing. aus -os ist gestützt durch manipulos V 88 und reos (= reus) VI 74.

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        99 Porca (zu nhd. Furche): Die Überlieferung (Quo est terra iacta, id est proiecta, porca) wird fehlerhaft sein: Hätte Varro porca aus prō-icere (PPP prōiecta) herleiten wollen, dann hätte es der Erklärung „iacta id est proiecta“ nicht bedurft. Der Rekurs auf die Etymologie in rust. I 29,3 bringt die Lösung: Varro denkt an das seltene por-iciō (PPP porrectum) aus der Opfersprache (Leumann 214). Überliefertes proiecta wird eher als poriecta zu lesen sein, eine (rekonstruierte) varronische Zwischenstufe zwischen pro-icere (< iacta) und porrecta > porca. 100 Eine etymologia ē contrāriō, s. o. zu caelum V 18. 101 Bei Varros Paar rūs < rūsum (statt rūrsum) liegt wieder das in V 4 begründete Verfahren vor, auf eine klärende Form zu rekurrieren. Mit der für *F anzunehmenden Schreibung rūsum ist das vor facienda stehende und zu tilgende rūrsum als Marginalkorrektur oder ‑bemerkung eines Kopisten erklärbar. 102 Sulpicius: der Jurist Servius Sulpicius Rufus (* 124/123 v. Chr.), nach Cicero (Brutus 203) ein grandis ōrātor. Er „beabsichtigte die gleichmäßige Verteilung aller Neubürger aus dem Bundesgenossenkrieg auf alle tribūs.“ (NP 11, 1101). 103 Diese Stelle ist durch wenige Eingriffe heilbar. Das über das erste r von rūra geschriebene i in F ist wohl Zeichen dafür, dass der Schreiber von F (oder schon sein Vorgänger) einen Fehler in der Vorlage bemerkt hat. Am wahrscheinlichsten ist die Ergänzung Fays, in erhaltenem āream ein * ōream 'als Ehrenspeisung' zu sehen, das schon dem Schreiber der Vorlage von F unbekannt gewesen sein mag; die Et. von adōreum brachte Varro in De vita populi Romani (Frg. 311 Salvadore), verfasst zwischen 49 und 32 v. Chr.: Dahlmann (1935) 1243. 104 Zu Varros Et. von praes: VI 74. 105 Der in F überlieferte Terminus Septemmontium wurde von Turnebus in Septimontium verändert, dem die Hrsgg. gefolgt sind. Aus Gelsomino (1975) 23 Anm. 4 erhellt aber, dass das Toponym für die Sieben-Hügel-Stadt vom Fest diēs Septimontium, das Varro in VI 24 zitiert und das auch so überliefert ist, zu trennen ist. Vgl. auch Plutarch, Romulus 25,5, wo dieser das Toponym Σεπτεμπάγιον als 'siebenteilig' erklärt. Den Kanon der sieben Berge, bestehend aus Aventin, Capitol, Cispius/Cespius, Esquilin, Palatin, Quirinal und Viminal, scheint Varro so formuliert zu haben; vor ihm gibt es für diese Zusammenstellung keinen Beleg: Gelsomino 38f. Abzulehnen Louise Adams Holland (1953). 106 Mit Capitōlīnum dictum beginnt die Einlage aus dem Werk des Sextus Iulius Frontinus, das sog. „Fragmentum Casinense“ aus Montecassino, s. Vorwort 3.2.2. Dieser Ausschnitt aus Varro stellt eine minimale Verkürzung der Vorlage F* dar, d. i. der gemeinsamen Vorlage von F und des Frg. Cas.: So hat der Schreiber, der Diakon Petrus, die Passagen, in denen Varro auf andere Autoren verweist, weggelassen, weil dies dem Ziel seiner Einlage entsprach, und die Beschreibung des Viminals (V 51) vergessen. Dass ihm beim Kopieren etliche weitere Fehler unterlaufen sind, die der unbekannte Schreiber von F wiederum vermieden hat, ändert wenig an seiner Qualität als Parallelüberlieferung, s. u. im Einzelnen. Näher dazu: Verf. (2022). 107 Saturn wurde wohl früh mit Kronos gleichgesetzt (NP 11, 117), daher vielleicht die schon vorvarronische Idee, dass ihm das Kapitol geweiht gewesen sei. Bei Ennius dürfte die Stelle „Sāturnia terra“ (im Nominativ) gelautet haben, vergleichbar der Sāturnia tellūs bei Vergil (georg. II 173, Aen. VIII 329). Zur Information, dass auf dem Kapitol eine alte Stadt Saturnia gelegen habe, nennt er keine Quellen.

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        Die in der Nähe von Vulci liegende Stadt Saturnia wurde erst so benannt, als dort 280 v. Chr. eine römische Militärpräfektur eingerichtet wurde (NP 11, 115). Eine Etymologie zu Sāturnus liefert Varro erst V 64 (ab satū: von der Aussaat, satus). 108 Wohl Iunius Congus Gracchanus, s. o. 109 Die verschiedenen Vorschläge zur Textverbesserung lassen sich durch Rekurs auf die (fehlerhafte) Überlieferung des Frg. Cas. heilen; dessen „murisssunt scripti“ verrät, dass in der Vorlage von F zwischen mūrīs und sunt scrīptī etwas stand, das mit (wenigstens éinem) S begann, sicher eine Abkürzung („SS“ oder „SI“). Mit Abkürzungen ist für die Vorgänger von F, möglicherweise bis zu Varros Originalausgabe zurück, mehrmals zu rechnen, s. unten zu V 47. Nach Erkell (1981) 35 wird lēgēs hier aber 'Abkommen, Übereinkunft' bedeuten, es hat sich ja eher um Kaufkontrakte zwischen Privatleuten gehandelt. 110 Der Dramatiker und Epiker Naevius aus dem 3. Jh. v. Chr., Verfasser u. a. eines Epos Bellum Poenicum über den 1. Punischen Krieg (im Versmaß des Saturniers): NP 8, 687 ff. 111 Das überlieferte locus sacellum labrum, von Mueller zu locus sacellum labrum verändert, hat Adriano La Regina (2013) verbessert. 112 Das sog. Vēlābrum war ursprünglich ein Sumpfgelände westlich des Palatins, zum Tiber hin gelegen, das schon zu Varros Zeit aufgeschüttet war. 113 Varro deutet mercēs als Kompositum aus merēre + aes, ohne dass er das -c (wie in merx, mercis f. 'Ware') klärt. Daraus lässt sich aber erkennen, dass er von einer monophthongierten Form von ae > vulgärlat. ē ausging, einem Phänomen, das bei ihm z. B. bei der Et. von sc(a)ena in VII 96 thematisiert wird; also wohl *merc-ēs. 114 1272 M. = 1328 Chr. 115 „La question des Argées est très mal éclaircie.“ (Coll. zu V 45). Varro zitiert im Folgenden (bis V 54) mehrfach aus dem Zeremonienbuch der „Argäer“, ohne es näher zu erklären, dazu auch Erkell (1985), mit detailliertem Kommentar zu den Stationen Varros. Die von Varro beigebrachten Daten konstituieren „das älteste topographische System, das für Rom bekannt ist.“ (Coarelli in: LTUR I 122). Dieses beschreibt den Verlauf der Prozession, die verschiedene Stationen bei den einzelnen sacrāria bzw. sacella (Schreinen bzw. winzigen Kapellen) hatte: Gelsomino (1975) 42. Der Inhalt des Varrotexts ist ein kostbares Zeugnis für ein komplexes, hocharchaisches Ritual (Coarelli a. O. 121): Zweimal im Jahr (am 16./17. März und 14. Mai) hielt man eine Prozession ab. Bei der Maiprozession führte man Figürchen aus Flechtwerk oder Stroh mit, die dann in den Tiber geworfen wurden. Nach Beikircher (1996) 264 handelt es sich „um irgendwelche mehr oder weniger deutlich markierte Stellplätze, Nischen u. ä., wo man die Puppen hinlegen oder vielleicht eher noch aufhängen konnte“. Der überlieferte Text des Ritualbuchs dürfte vor der – von Spengel verschobenen – Präposition in noch das Zahlzeichen IV für '4' enthalten haben; einer der Kopisten hat es dann als (zweites) „in“ oder versehentliches zweites vī(g)in(ti) gedeutet und dann getilgt. 116 Varro äußert sich hier sehr knapp; Ausführlicheres dürfte er in seinen je vier Bücher umfassenden Werken De vita populi Romani oder in De gente populi Romani dargelegt haben, s. Vorwort 1.2.2. und Dahlmann (1935) 1237-1246. 117 Collīna: Der Wechsel von collis 'Hügel' und mōns 'Berg' erklärt sich am besten aus der Skizze von Richter (1901) 38 ff.: Die collēs lagen alle (auch der Quirinalis) in der Region III, die montēs waren (im Uhrzeigersinn) der Viminal, Cispius, Oppius

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        und der Caelius, dann das Palatium und das Kapitol. Der Esquilin umfasste den Cispius und den Oppius: V 50. Der Quirinal wiederum verdrängte die Namen der früheren collēs (V 52). 118 Der Text des Ritualbuchs der Argäer war nach Gelsomino (1975) 41-47 wohl wie folgt gegliedert: I. regio (Suburana): Caelius mons – Caeriolense; II. regio (Esquilina): Oppius mons und Cespius mons (die regio Esquilina umfasste zwei „montes“); III. regio (Collina): Collis Quirinalis – collis Salutaris – collis Mucialis – collis Latiaris; IV. regio (Palatina): Germalense und Veliense. Innerhalb der Regionen zählte das Ritualbuch die durchnummerierten (27) Schreine/Kapellen auf und beschrieb ihre Lage, z. B. V 47 beim Caeriolense: quārticeps s(acellum): circā Minervium quā in Caelium montem ītur, in tabernolā est. 'Caeriolenser Schrein: der vierte beim Minervatempel, wo man auf den Caelius hinaufgeht, er steht in einer kleinen Hütte.' (Zur Textkritik s. u. bei V 47). Der vermutete Prozessionsweg lässt sich im Zusammenhang nicht völlig rekonstruieren. Varro lässt einige Stationen aus: In seiner Abhandlung über die Stadtteile und ihre Benennungen dominiert das etymologische Prinzip, nicht das touristische; er bzw. seine Vorlage beginnt jedenfalls in der südöstlichen Ecke der Stadt und geht zur nordöstlichen Ecke über, der regiō Esquīlīna (Erkell [1981] 35 f., mit weiterer archäologischer Debatte). 119 (Titus) Tatius: Der Sage nach Sabinerkönig, der wegen des Raubs der Sabinerinnen gegen Rom zog und nur durch den Verrat der Tarpeia das Kapitol besetzen konnte (NP 12/1, 44), s. V 28 und V 41 (zu Tarpeia) und Liv. I 11, 5-9. 120 Vīcus Tūscus: ein (späterer) Straßenzug zwischen Palatin und Velabrum, der als Etruskerviertel lange noch im Namen seinen Siedlungsursprung bewahrte, als es dort längst keine Etrusker mehr gab. 121 Varro bringt die Form Vortumnus (jünger: Vertumnus), bei Livius IV 23,5 heißt die Gottheit Voltumna. Zur Zeit des Augustus aus Bronze, war sie ursprünglich vielleicht aus Holz: NP 12/2 102. 122 Das Caeliolum liegt nordöstlich des mōns Caelius und nordwestlich der Porta Caelimontāna. In klass. Zeit war diese Gegend mit sieben vīcī und insgesamt 3.600 (!) īnsulae dicht bebaut (LTUR I 209f.). Der Name Caeliolus findet sich nur hier: Erkell (1985) 56. 123 Die Carīnae waren zwei Gebiete zwischen Esquilin und Palatin, die durch einen Teil der vorservianischen Mauer getrennt waren. (NP 2, 985f.), jetzt „die Höhe von S. Pietro in vincolo nebst der von da sich hinabziehenden Tiefe“ (Georges [1913] s. v.). Dessen südöstlicher Teil wurde Velia genannt (LTUR I 239). 124 Das erste Zitat aus dem Ritualbuch (Prozessionsbuch bzw. Schrein-Verzeichnis) der Argäer, s. zu V 45 (Frg. 26 Preibisch). Der von Varro verwendete Text enthält mit ‑ceps gebildete Formen der Ordinalia, die ansonsten – den Belegen des OLD zufolge – ungebräuchlich waren; deren Hinterglied -ceps ist analog zu prīn-ceps < * prīmo-cap-s 'der als Erster zupackt', zu capere. In den Argäerschriften ist mehrmals ein überliefertes S von den Hrsgg. getilgt worden. Dahinter muss sich aber eine Abkürzung von s(acrārium) verbergen; die Nummerierung betrifft ja die sacrāria: Erkell (1985) 56. Die Bezeichnung des Caeriolēnsis selbst ist eine Ableitung von * Caeliolus und hat das -r- sicher durch Dissimilation erhalten. 125 Beim Minervium könnte es sich laut Coarelli (LTUR I 123) um das Heiligtum der Minerva Capta handeln, das Ovid in den Fasti III 835-846 nennt. Seine

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        Lage wird im Bereich der Kirche der Quattro Coronati vermutet, von woher eine Minervastatue stammt (Coarelli in: LTUR III 255; weitere, ältere Diskussion bei Erkell [1985] 58 f.). 126 Der Beginn der Via Sacra dürfte zwischen Palatin und Fagutal gelegen haben: Rodriguez Almeida in: LTUR I 239f. Von einem caput Sacrae Viae weiß nach Coarelli (LTUR V 223-228) nur Varro. Varro kennt als Einziger eine 'Langversion' der Via Sacra, die das Haus des Königs (Rēgia) mit dem Comitium, dem Ort der Volksversammlung im westlichen Drittel der Straße, und der Arx ganz im Westen verband (LTUR IV 226f.), s. die Skizze ebda. S. 474. Die Strēnia – ihr Kult ist nur von antiquarischen Quellen bezeugt: Coarelli, LTUR V 378 – lag in einem lūcus, also Hain, wo von einer fēlīx arbōs Zweige genommen wurden, die am Jahresanfang der König erhielt (Coarelli in: LTUR IV 378). Varro etymologisiert seltsamerweise hier nicht; die Herleitung von Strēnia ( strēna 'Zweig, Neujahrsgeschenk') setzt er voraus, er hatte sie sicher schon in den Antiquitates rerum divinarum erklärt, vgl. Frg. 132 Cardauns, auch wenn der Zeuge Augustinus spöttisch – ohne Varro zu nennen – glauben macht, der Name komme von strēnuus 'wacker'. 127 Dazu liefert Varro in VII 7 ff. eine nähere Beschreibung der Beobachtungspraxis der Auguren und die rituelle Formel, mit der diese die Grenzen der Vogelschau bestimmen. 128 Wohl Iunius Congus Gracchanus, s. zu V 42. 129 Die Subūra war nach Welch (in LTUR IV 379) „a residential and commercial district whose character was described as lower class and disreputable.” Subūra mit langem [u:] kaum aus sub + urbs; die Erklärung von Iunius (Congus) dürfte eine Volksetymologie sein wie vielleicht Carīnae (s. zu V 47). Auch bei der Et. von Subūra (die Länge des Vokals wird von Varro wie so oft vernachlässigt) geht Varro seinen historisch-antiquarischen Weg und versucht, aus der Abkürzung SVC seine Et. zu begründen: suc-cur(r)ere → * Succusa > Subūra, also eine Verbindung der historisch-antiquarischen mit der rekonstruktiven Methode: Die Abkürzung SVC für eine Tribus ist inschriftlich bezeugt (z. B. CIL 6,200). Weitere Erklärungen bei de Melo 690f.. Erkell (1981) 38: „Vielleicht war pagus Succusanus dasselbe wie Subura, bevor dies eine Region wurde, vielleicht war es ein Gebiet in der Nähe.“, weitere Diskussion der Etymologien von Subūra: Erkell (1985) 62 f. 130 Die Esquiliae waren ein Stadtgebiet, das ursprünglich außerhalb der Servianischen Mauern lag (< *eks-kwel-i̯ ai̯ ), die Bewohner waren die e(k)s-quilīnī, die innerhalb Wohnenden die in-quilīnī. 131 Servius Tullius, nach altröm. Überlieferung der sechste König Roms in der 2. Hälfte des 6. Jhs. v. Chr., Vorgänger des berüchtigten Tarquinius Superbus, teilte angeblich Rom in die tribūs ein (Livius I 43, 12f.). 132 In seinen Etymologien für diese ON rekurriert Varro auf seine Erkenntnisse, dass beim sog. Lūcus Fācūtālis (zur Schreibung s. im Folgenden) und beim Schrein der Larēs Querquētulānī ursprünglich Baumbepflanzung stand, s. zu V 47. Der Fāgūtālis war ein Buchenwäldchen, „un boschetto di faggi“ (Buzzetti im LTUR s. v.). Die alte Schreibung war mit C statt späterem G, also Fācūtālis statt Fāgūtālis, wie noch im Pränomen < Cn. > für Gnaeus; das Zeichen < G > wurde wohl erst Anfang des 3. Jhs. v. Chr. eingeführt (Leumann [1977] 9f.). Varro selbst schrieb den māiōrēs nur 16 Buchstabenzeichen zu und hielt die späteren – einem Fragment des Grammatikers Pompeius aus dem 5. Jh. n. Chr. zufolge (GLK V 98, 20-25) –

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        für überflüssig (GRF 2 p. 184 Funaioli, wohl aus de antiquitate litterarum, s. Vorwort 1.2.3). Das Fāgūtal war das Heiligtum des Iupiter Fagutalis (Buzzetti in: LTUR II 241). Die Gottheit Mef ītis stand wohl mit dem Aufkommen schwefelhaltiger Ausdünstungen in Zusammenhang. Iūnō Lūcīna war die Göttin der Geburt; das Heiligtum der Mef ītis lag am Nordost-Rand des Cispius, gegenüber der Iūnō Lūcīna: Coarelli in: LTUR III 239f. Der Name war vielleicht die Bezeichnung für eine Ortsgottheit, ein nūmen locī, ursprünglich nur ein Beinamen für ein Wäldchen (Giannelli in: LTUR III 123). Der in F überlieferte Text (auaritia unẹ ē = auaritia unae est) deckt sich nicht mit dem im Frg. Cas. erhaltenen (auaritiẹa ē). Der Schreiber von F hat wohl das (alte, kursive) r in era 'Herrin', das Götz-Schöll mit ihrer Ergänzung < domina > schon vorgezeichnet hatten, als Interpunktion gedeutet. Erus 'Herr' bzw. das Femininum era war in den Komödien geläufig und wird sogar von Catull (c. 64,395: Tritōnis era = Minerva) noch (archaisierend) verwendet. Hieß es vielleicht ursprünglich nicht lātē, sondern Latiī oder (mit alter Lokativform) Latiei 'in Latium'? Der umgekehrte Fehler (late > Lati) liegt in V 42 vor. 133 Der (mōns) Oppius und der Cespius sind „in realtà … due parti dello stesso monte” (Gelsomino 48). Der Oppius verband den Esquilin mit dem Cispius. Im 8. Buch seiner Antiquitates rerum humanarum (Festus 476,6 f. L.) bringt Varro eine einfache Etymologie: Der ON Oppius komme von Opiter Oppius, einem Bürger aus Tusculum (LTUR III 361 Buzzetti), was vielleicht erklärt, weshalb Varro hier seine Et. übergeht (NP 8, 1265). Darüber, wie man sich so ein sacellum/sacrārium im Einzelnen vorzustellen habe bzw. hatte, verliert Varro kein Wort. Näher dazu: Coarelli in: LTUR I 120-125. 134 In Varros Textauszug aus den Sacra Argēōrum sind – wie die Form merum statt mūrum 'Mauer' zeigt (überliefert ist merum) – altlat. Formen enthalten, die den Abschreibern Probleme bereiteten. Codex F bietet in V 50 und 53 fünfmal ‑ois, das jeweils an das Numerale wie terticeps angehängt ist und wie ein Suffix aussieht (einmal ‑os in V 50); das haben die Herausgeber zur Präp. uls = ultra 'jenseits' bzw. zu cis 'diesseits' korrigiert. Das Fragmentum Casinense weist die Spur: Es bietet in V 50 einmal ols, einmal liest es sich wie ‑ois oder ‑ors, beim ersten Auftreten (nach * Esquiliis) ist nur ein o sicher zu lesen, dem noch zwei oder drei Zeichen folgen. Dahinter verbirgt sich das sonst nicht erhaltene altlat. ols (mit alt. ol vor Konsonant > klass. ul vor Konsonant, vgl. Leumann [1977] 48f.), vgl. altes olle > ille. Mit dieser Lösung lässt sich auch die sehr entstellte Passage in V 53 (vor aedem Salūtis) heilen, s. u. 135 Nach Coarelli LTUR I 123 lag das erste sacrārium zwischen der heutigen Kirche S. Martino ai Monti und den Servianischen Mauern. 136 Dieses sacrārium lag nach Coarelli LTUR I 123 außerhalb der Stadtmauern. Reste von Töpfereien sind aus der mittleren Republik auf dem Esquilin bezeugt: Coarelli a. O. 137 Seine Lage ist unbekannt, der Name ist wohl mit der gēns Poetelia in Verbindung zu bringen: NP 9, 1189. Freilich wäre der lūcus Poetelius nach Palombi (LTUR III 195) der einzige lūcus, der nach einer gēns oder Familie benannt ist, weshalb der Archäologe die überlieferte Lesung lacus (statt lūcus, so Laetus) erwägt.

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        138 Der aeditumus (aedituus daneben in VII 12) war eine Art Sakristan, der sich um die Pflege und Erhaltung der kleinen Heiligtümer und des Tempels der Iūnō Lūcīna zu kümmern hatte. Die Lage des Tempels der Iūnō Lūcīna ist durch den Fund einer spätrepublikanischen Inschrift aus dem Jahre 41 v. Chr. bekannt: bei der Kirche S. Francesco di Paola. Da ihr Tempel 375 v. Chr. gegründet wurde, ergibt sich ein terminus post quem für die Redaktion des von Varro zugrundegelegten Texts (Coarelli LTUR I 124). 139 Nach Subūra und Esquiliae ist die regiō Collīna – das Hügelviertel – der dritte der vier (alten) Stadtteile (V 45). Dazu gehören – wie der Name sagt – nicht montēs, Berge, sondern Hügel, collēs. Insgesamt sind dies – nach Varro bzw. seiner Quelle, dem Argäerritual – vier: der (collis) Quirīnālis, der collis Salūtāris mit dem Tempel der Salus (V 51), der collis Mūciālis, benannt nach einem Angehörigen der gēns Mūcia, und schließlich der collis Catiālis, benannt nach einem Catō (Gruchalski [2020]). Die letzten beiden waren aber zu Varros Zeiten schon nicht mehr bekannt, weil ihre Namen von der Bezeichung des Quirīnālis verdrängt worden waren. 140 Wie öfter, gibt Varro seine Quelle nicht an und belässt den Verweis auf anonyme Autoren (sunt quī). Spengels Ergänzung ist paläographisch gut denkbar: eꞁ ist als Abkürzung für eius auch in F mehrmals verwendet und konnte leicht auf dem Weg durch die Kopierstationen sein zweites Element verloren haben. Inhaltlich sucht man ansonsten einen genaueren Bezug zum Iuppiter Vīminus. Das Frg. Cas. hat die gesamte Passage zum (collis) Vīminālis übersprungen. 141 Cures liegt ca. 35 km nordöstlich von Rom am Tiber im Sabinerland. 142 Gemeint ist der (collis) Quirīnālis. Nach Coarelli LTUR I 124 lässt sich der Prozessionsweg an dieser Stelle rekonstruieren: von Nordosten nach Südwesten. Varro übergeht allerdings die ersten beiden sacrāria, von denen eines beim Hain des Iuppiter Vīminus gelegen haben dürfte. 143 Der Tempel des Quirinus lag nach Coarelli a. O. 124 vielleicht leicht nordöstlich der Via Quattro Fontane. 144 Der Tempel der Salus (inschriftlich ist ein vīcus Salūtis bezeugt) lag bei der Piazza del Quirinale, wo auch die porta Salūtāris lokalisiert wird (Coarelli a. O. 124). Der überlieferte Text hat verschiedene, konträre Heilungsversuche erfahren. Ausgehend von der zwingenden Lesung des häufigen –ois als altlat. ols 'jenseits', s. zu V 50, ist statt des schon 1830 von Bunsen (in: Beschreibung der Stadt Rom I 1830, 698) vorgeschlagenen * pulvinar cis eher polvinar ols zu lesen, so schon ten Brink (1855). 145 Der Dīus Fidius bzw. Sēmo Sancus war „ein Gott rätselhafter Herkunft“ und wohl ein „Schwur- und Blitzgott“ (NP 11, 32f.). Die Schwurformel „mē Dīus Fidius“ war auch Cicero ( fam. 5,21,1) und Gellius (10,14,3) geläufig. In der Vorlage von F bzw. *F dürfte noch die Form des alten Genitivs auf –ei gestanden haben, die hineinkorrigiert wurde – was einen späteren Kopisten irritiert haben muss, zudem war offenbar über altes dī (so Frg.: eine Abkürzung noch aus dem 6. Jh. n. Chr. für dei: Battelli 97) ein i darübergeschrieben worden, so dass scheinbar zwei synonyme Ausdrücke nebenbzw. übereinanderstanden. 146 Am höchsten südlichen Punkt des Quirinals, an die heutigen Mercati Traianei angrenzend. Der vīcus Īnsteiānus (aus Livius XXIV 10, 8 ist nur ein vīcus Īnsteius bekannt) ist nicht lokalisierbar. Jakub Gruchalski (2020) liest die

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        (falsche) Überlieferung mit Bezug auf eine Glosse von Lactantius Placidus so; der Collis Catiālis könnte mit dem Catus der Catī fōns identisch sein und geht auf eine ganz alte Gottheit Catius zurück, vgl. Aug. civ. IV 21. Das überlieferte aurāculum, von Turnebus zu aurāculum verändert, versieht Gruchalski (2020) mit Cruces und bezweifelt auch den in V 52 angegebenen Platz als Ort einer Vogelschau. Wahrscheinlich liegt eine Verschreibung im Schrifttyp der „Beneventana“ vor, die dem Schreiber von F unterlief: Mit anderer Interpunktion, die auch Gruchalski vorschlägt, gibt auch das sonst irritierende aedificium einen Sinn. Das tabernāculum war wohl schlicht eine Hütte, ein einfacher Bau, kaum die „Schauhütte“, der „von dem Augur vor Abhaltung der Komitien außerhalb der Stadt zur Beobachtung der Auspizien eingenommene Standort“: Georges II 3001. Die tabernācula, die für die Auspizien verwendet wurden, sind nicht mit dem augurāculum auf der Arx zu verwechseln, das der Ort für die Investitur der Beamten war (Berthelet [2017] 60); dieser vermutet (S. 53), dass es sich bei dem tabernāculum um ein einfaches Zelt gehandelt habe, vergleichbar einem Soldatenzelt, das von den griechischen Autoren σκηνή bezeichnet wurde. 147 Die Stelle war schon in der Vorlage von F verderbt; der Schreiber des Frg. Cas. hat über dem -t von vēnērunt einen Kringel verzeichnet, wohl Zeichen dafür, dass etwas einzufügen war. Inhaltlich liegen bei Varro drei verschiedene Erklärungen vor: a) Das Palatium ist nach den Pallantēs so benannt. b) Es könnte auch nach den Reatiner Ureinwohnern so benannt sein, weil die Palātīnī nach einem dortigen Gebiet namens Palātium heißen. c) Wieder andere führen den Namen „Palātium“ auf Palantō zurück. – Die dritte Erklärung lässt sich inhaltlich und sprachlich von den vorhergehenden gut abtrennen, doch brauchen diese wiederum einen kleinen Zusatz; die Lücke hat schon A. Spengel erkannt. Der geringste Eingriff ist < sunt >, quia. 148 Sie war die Tochter des Hyperboreos und nach dieser Version Gattin des Latinus: G. Tagliamonet in: LTUR IV 14 – 22; nach C. Koch (RE 1942, 2515) – vgl. Paul. Fest. 220 M. – war sie aber die Mutter des Latinus, dessen Vater Hercules; vielleicht ist uxōre späterer gelehrter Zusatz und stand im Original einfach Palanto Latini. 149 Naevius fr. 21 Mariotti. 150 Der Cermalus / Germalus lag zwischen dem späteren Circus Maximus und der Anhöhe südöstlich des Palatins (Coarelli LTUR I 125). 151 Nach Coarelli LTUR I 125 schwer zu identifizieren. Die aedēs Penātium in Veliā wird auch im Tatenbericht des Augustus Kap. 19 als eines der Heiligtümer genannt, das er erbaut habe. Numerisch ist es, nimmt man die Aufzählung Varros bzw. des Argäerrituals ernst, das 27. und damit das vorletzte von insgesamt 28. 152 Das überlieferte Veliēnsēs dürfte der gleiche Fall sein wie in V 47 bei Caeriolēnsēs: Hinter dem (falschen) Endungs-s wird sich eine von den (frühen?) Abschreibern nicht erkannte Abkürzung von S. verbergen, also s(acrārium) oder s(acellum). 153 Das Areal der Veliae (Varro gebraucht den Plural, das Ritualbuch den Singular Velia) verband den Palatin mit dem mōns Oppius: Coarelli (LTUR V 109-112), der Plural für den ON ist schwer erklärbar; Varro selbst scheint hinter dieser Et. nicht recht zu stehen, da ein Kommentar wie „Sed ego ā…“ oder „Mihi magis vidētur“ etc. fehlt. 154 Annales I frg. LIX V. 155 Wohl Iunius Congus Gracchanus, s. zu V 42.

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        156 Sonst nicht bekannt. Aus dieser Varrostelle ist zu schließen, dass Volnius kraft seiner Kompetenz des Etruskischen die Namen der drei Triben dem Etruskischen zuweisen konnte. Seine (verlorenen) tragoediae wären damit eines der letzten Zeugnisse für ein aktives Weiterleben des Etruskischen. 157 Die Frage, ob es sich um ein einziges oder mehrere Bücher handelte, hängt von der Verbesserung des (falsch) überlieferten in tribuum librōs ab. Vermutlich liegt – ähnlich der Abkürzung S(aturni)i in V 42 – auch hier eine Abkürzung vor: Das Zahlzeichen „I“ (für „prīmō“), vielleicht mit angefügtem –o, wurde als Zeichen für S verlesen. Dann umfasste Varros Werk über die Triben aber mindestens zwei Bücher (anders noch Dahlmann [1935] 1247). Die Reihenfolge der regiōnēs, die Varro hier anführt, unterscheidet sich von der Reihenfolge in V 45; Varro „è stato libero di scegliere l'ordine da sé“ und orientierte sich hier vielleicht an einem Plan der Stadt: Erkell (1985) 56. 158 Die gleiche Einteilung schon V 16. Die Formulierung prīncipēs deī bedeutet hier in einem doppelten Sinne 'die grundlegenden Gottheiten', was die Weltentstehung betrifft, und 'die wichtigsten Götter', was ihren hierarchischen Status angeht: vgl. Collart (1954) 174. 159 Isis war bei den Ägyptern die Gattin des Osiris (später Serapis genannt), von dem sie den Sohn Horus empfing. In ihrer Rolle als „Mutter und Amme“ (NP 5, 1130) wurde sie auch in Rom rezipiert. Abbildung mit der Isisklapper z. B. in: Neumeister (1991) 157. Der Isis-Kult hielt um 100 v. Chr. in den süditalienischen Hafenstädten Einzug und weitete sich bis in die Hauptstadt aus, wo er gegen Mitte des 1. Jhs. v. Chr. eine heftige Opposition seitens des Senats erfuhr: Er drang ja in das System der traditionellen römischen Götter ein (NP a. O.). Womöglich spielt Varro mit seinem Verweis auf Harpokrates genau auf diese Debatte an. Der ägyptische Horus-Knabe wird mit dem Finger an den Mund gelegt dargestellt, als Zeichen des Schweigens. 160 Saturnus und Ops sind die italischen Pendants zu Kronos und Rhea. Saturnus war auch der Gott der Feldfrüchte, und so wurde ihm Ops – als Göttin des Erntesegens – zugewiesen: NP 11,116 ff. 161 Samothrake, Insel im Norden der Ägäis, besaß ein gewaltiges Heiligtum der „Großen Götter“ (Plan in: NP 11, 26) und verdankte diesem seinen Ruhm; diese θεοὶ μεγαλοί wurden später mit den Dioskuren Kastor und Pollux verschmolzen, von denen Varro sie trennen will. 162 Regell S. 16; s. zu V 21. 163 Aus Varros Logistoricus Curio de cultu deorum (Dahlmann [1935] 1262 neigt zu einer Datierung der Logistorici libri LXXVI „um die Mitte des Jahrhunderts“) stammt ein umfangreiches wörtliches Zitat, in dem Varro von drei Altären aus der Mitte des Circus Maximus berichtet: Einer sei den DII MAGNI geweiht, einer den DII POTENTES, der dritte den DII VALENTES, die er mit Terra und Caelum gleichsetzt: „… et hī Diī magnī appellātī in Samothrācē.“ (Cardauns [1976] S. 35): Das klingt wie ein antiquarisch-historisch gewonnener Beleg Varros für die Stelle aus De lingua Latina. Die Textüberlieferung dürfte hier einiges entstellt haben: Zu potes passt qui in dieser Form nicht. Konsequent wäre, mit Schreibung < ei > für [ī], quei poteis, doch ein Relativsatz zu Beginn (?) einer Anrufung stört. Evtl. stand ursprünglich statt quei das Adverb *aevei 'ewig', falls das Zitat nicht schon entstellt auf Varro gekommen ist (also * DEIUOI AEUEI POTEIS ?).

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        Anmerkungen

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        164 Diese Theologie erscheint auch in den bei Tertullian (Ad nationes: um 200 n. Chr.) überlieferten Fragmenten aus Varros Antiquitates rerum divinarum, die ja kurz vor De lingua Latina entstanden: v. a. Frg. 23 und 24 Cardauns. 165 Aus den Annales 10-14 V. = 8-10 Skutsch. 166 Zenon von Kition, der Begründer der stoischen Schule (334 – 262/1 v. Chr.), kam wohl kurz vor 300 nach Athen, lehrte in der bunt bemalten Halle, der Stoā poikilē, von der die Stoiker ihren Namen haben. Aus welcher Quelle Varro zitiert, ist nicht feststellbar (Citius schreibt Plin. nat. XXXI 84). Ciceros Dialog De natura deorum, in dessen zweitem Buch der Stoiker Balbus sich immer wieder auf Zenon bezieht, entstand etwa zur gleichen Zeit wie De lingua Latina. Mit „mēns“ wird sich Varro auf den Logos der Stoa beziehen, die göttliche Vernunft, die den Kosmos lenkt. Das Feuer, von dem Varro spricht, verbreitet sich in kleinsten rationalen Keimen (lógoi spermatikoí ≈ geistige Samen) auch in die Menschen und kommt von dort als Seele in die Lebewesen: NP 11, 1015 ff. 167 Epicharmus: Dichter der frühen griech. Komödie (1. H. 5. Jh. v.) aus Syrakus, „angeblicher Schüler des Pythagoras“ (NP 3, 1093 ff.) und Verfasser von Lehrgedichten; Varro zitiert aus dem gleichnamigen Gedicht Epicharmus des Ennius (NP 3, 1094 ff.), auf das er mehrmals zurückkommt (Ennius, Varia 52 und 53 V). Die Epicharmusverse des Ennius sind Trochäen. 168 Ennius Epicharmus (Varia 46 V.); exgenuerunt klingt nach einem Zitat: Varro scheint sich hier eher selbst zu paraphrasieren, was erklärt, weshalb er keinen Autor nennt: In seiner Menippeischen Satire Promētheus līber (Non. p. 99 L.) ist für ihn überliefert: „humanae quandam gentem stirpis concoquit, frigus calore atque umore aritudinem miscet.“ Das folgende Pacuviuszitat stammt aus seiner Tragödie Chrysēs (143 Artigas = Frg. 183 Schierl). Das Pacuviuszitat ist bei Nonius 105 L. ganz überliefert, was die Zuordnung zum Chrysēs erlaubt. 169 Ein leicht abgewandeltes Enniuszitat wohl aus den Annales (13 V. = 6 f. Sk.), bei wörtlicher Rede im Hexameter: „terraque corpus/quod dedit, ipsa capit, neque dispendī facit hīlum“, so in IX 54. 170 Der Komödiendichter bleibt unbekannt. Evtl. zitiert sich Varro hier selbst (aus den Saturae Menippeae); das würde das auffallend große Gewicht erklären, das Varro seiner Et. Venus < vincīre beilegt. 171 Der Vers bzw. Witz des Dichters ist nur sinnvoll, wenn als Attribut der Venus – siehe Varros Folgesatz – nicht vincere 'siegen', sondern vincīre 'fesseln' unterstellt wird. Das Nomen Agentis * vīnctrīx ist freilich sonst nicht belegt – und wohl deshalb in der Tradition der Kopisten zu victrīx entstellt worden. In F steht (wie öfter bei Corrigenda) ein kleiner Punkt über dem C von victrīx; er kann zeigen, dass in *F oder wiederum dessen Vorlage der Fehler bemerkt (aber nicht korrigiert) worden war. 172 Varro leitet also auch vincere 'siegen' von vincīre 'fesseln' her. 173 Ennius, Varia 25 V. Der Sōtās scheint eine Übersetzung gewesen zu sein, die Ennius von einem Werk des griechischen Dichters Sotas oder Sotades angefertigt hat. Fünf Verse bzw. Versteile daraus sind erhalten. Der Archaist Fronto (Mitte des 2. Jhs. n. Chr.) hatte den Sōtās in einer neuen Ausgabe noch ganz vorliegen (Fronto, ep. I p. 78 Haines). 174 Varro scheint an ein Kompositum wie *pari-folia zu denken oder an eine Ableitung *parima > palma.

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        175 Der Name Aphrodites wurde schon von Hesiod (wohl um 700 v. Chr.: Lesky [1971] 113) in seiner „Theogonie“ (195 ff.) mit dem Subst. ἀφρός 'Schaum' in Verbindung gebracht, so auch im etymologisierenden Platonischen Dialog Kratylos (406 c); darauf spielt Varro, wie auf selbstverständliches Kulturwissen zurückgreifend, an. 176 1340 M. = 1133 Chr. Das Luciliuszitat lässt sich keinem seiner Satirenbücher mit Sicherheit zuordnen; schon der Satirendichter scheint in diesem Vers mit der Etymologie von vīta ← vīs zu spielen. 177 Am 17. Dezember, einige Tage nach der Winteraussaat in Italien, ursprünglich also wohl ein Bauernfest. An das Opfer für den Gott schloss sich „eine bis in die Nacht ausgedehnte Feier“ an (Latte [1960] 254). Dabei schenkte man sich u. a. auch gegenseitig Kerzen, was ebenfalls auf ein altes Winterfest hindeutet (Latte a. O.). 178 Aus dem Epicharmus des Ennius (Varia 48 V.). 179 Ennius, Varia 50 V. Die Stelle wurde seit Lachmann (der wiederum Müller folgte) so gelesen, dass die „Alten“ statt G früher ein C gehabt (d. h. geschrieben) hätten. Lachmann hat dabei das Zeichen „ & “ zu „C G“ aufgelöst (de Melo 701 lobt das noch als „restored convincingly“): Ein sehr aufwändiges Verfahren, das die Entstehung des massiven Überlieferungsfehlers nicht plausibel erklären kann. Die paläographisch einfachere Lösung erfordert eine andere Interpunktion und trennt das Pronomen īdem (bislang zu Beginn von V 65) vom folgenden hī, wo es ohnehin sprachlich redundant war: An das nunc (es war sicher einmal als nc̅   abgekürzt) war das Graphem < C > angeschlossen, das dann von einem Kopisten, der die Stelle nicht mehr verstand, als vermeintliche Doppelschreibung gestrichen wurde; dieser fiel dann auch das folgende < G > zum Opfer. Hinter dem Satz „Antīquīs enim quod nunc C et G, idem.“ enthüllt sich die interessantere Erkenntnis Varros: Dass die Alten nicht zwischen G und C unterschieden – weil sie eben nur das Zeichen < C > hatten, s. Vorwort 5.4. 180 Dieses lange Zitat stammt aus dem Epicharmus (Varia 54-58 V.). Versmaß: achthebiger Trochäus, dem die letzte Kürze fehlt. Der Vers bedarf keiner Änderung gegenüber F, lediglich der Annahme eines Hiates zwischen atque und urbēs. Entsprechend der restituierten Fassung in VI 61 kann hier und in Vers 4 deico geschrieben werden. 181 Ein Zitat aus den Annales (580 V. = 591 Sk.). Die wörtliche Übersetzung der homerischen (Zeus-)Formel πατὴρ ἀνδρῶν τε θεῶν τε, z. B. Ilias I 544. Zur Schreibung von deivum mit < ei > bei Ennius s. zu VI 61 und zu Frg. 1 (aus dem III. Buch von De lingua Latina). 182 Iū-piter kommt aus dem Vokativ *di̯ eṷ pater! Diēspiter ist eine Nebenform, die auf dem alten Akk. diēm beruht (Meiser [1998] 143 f.). Die Konjekturen von Bentinus bis Andreas Spengel hängen von der Behandlung des überlieferten Dispiter ab; die Verbesserungen von Vetter (1958) 292 ersetzen das redundante, überlieferte quī inde. 183 S. zu V 52. Außer Varro hat kein römischer Autor Interesse für Dialekte gezeigt: Coleman (2001) 92 und 84-93 (zu Varros Sabinitas). 184 Dīs pater (= dīves pater) ist die unmittelbare Übersetzung des griechischen Plūtōn: Latte (1960) 247. 185 Varros Et. gibt Rätsel auf: Wollte er zwei Wörter (ūnā 'gemeinsam' und iuvāre 'helfen') miteinander verschmelzen oder etwa ein Kompositum *iuv-ūnā ansetzen? Mehrere seiner Etymologien sehen so aus, z. B. VI 46 cūra, quod cōr  ūrat

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        Anmerkungen

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        'cūra 'Sorge, weil sie das Herz, cōr, brennen soll, ūrat'. Die Quelle für dieses Übereinanderlegen bzw. Verschmelzen zweier Wörter dürfte im stoischen Raum zu suchen sein (Barwick [1957] 58-63). Vielleicht hatte Varro sogar – von woher auch immer – erfahren, dass Iūnō der etruskischen UNI entspräche? Zum Etr. vgl. Gerhard Radke, Beobachtungen zur 'Religion' der Etrusker, in: Würzburger Jahrbücher für die Altertumswissenschaft 14 (1988) 99. 186 Für die Klärung der Stelle sind drei Ansätze in Kombination miteinander bedeutsam: 1) Codex F hat über dem a von Solà einen auffällig langen Akzent (Gravis), der auf ein früheres Zeichen mit langem Hals hinweist und sich von den üblichen Strichlein, die gelegentlich über einem Vokal zu finden sind, erheblich unterscheidet; F enthält auch keine Marginalkorrektur hierzu. Die paläographisch einfachste Erklärung für diesen Strich ist ein – in einer der Vorlagen von F – früher vorhandenes s-. 2) Im nächsten Satz, beginnend mit Lūna, steht ein vel, wo es nicht hingehört; es ist also wohl von oben (von der Sōl-Etymologie) „verschleppt“. 3) Sprachhistorisch wäre *sāṷol zu erwarten (Meiser 88), vgl. griech. ἥλιος dor. ἀέλιος < *sāṷel-įos. Von der Überlieferungsgeschichte musste aber eine Form sauel inmitten der durch zweimaliges uel markierten alternierenden Erklärungen eher als * sauol zu Verlesung bzw. Verschreibung führen und ist daher für den ursprünglichen Varrotext mit größter Wahrscheinlichkeit anzunehmen. Zweifacherklärungen, deren eine auf eine Fremdsprache zurückgeht, sind bei Varro ja häufig, z. B. alternativ aus dem Griechischen V 21 terminus, V 25 puteus, V 34 ager, V 88 cohors, V 96 vitulus, V 97 porcus, V 100 ursus, V 105 grānum, V 119 lucerna, V 120 catinus, V 122 pōtiō, alternativ aus dem Oskischen V 131 supparus etc. Varro wird hier kaum auf (vorlat.?) * ausel zurückgegriffen haben, weil diese Form lautlich zu weit von seinem lat. Bezugswort sōl entfernt gewesen wäre. Zu etruskisch (!) Usel 'Sonnengott/Mittag' < * ausel 'Sonne': Heiner Eichner, Sakralterminologie und Pantheon der Etrusker aus sprachwissenschaftlicher Sicht, in: Kulte – Riten – religiöse Vorstellungen bei den Etruskern und ihr Verhältnis zu Politik und Gesellschaft. Akten der 1. Internationalen Tagung der Sektion Wien/ Österreich des Istituto Nazionale di Studi Etruschi ed Italici (Wien, 4 .-6.12.2008), hrsg. von Petra Amann, Wien 2012, 17-46. 187 Von Varro als Kompositum aus lūc- 'leuchten' und noct- mit reichlichem Silbenschwund interpretiert, quasi als Umkehrung von Nocti-lūca. 188 Noctilūca erstmals in Varros Menippeischer Satire Marcopolis (als varronische Neubildung?) belegt: Frg. 292 Astbury. Vom Brauch einer Art „Nachtlicht“ auf dem Palatin erfahren wir sonst nichts. 189 Dīviāna dürfte eines der varronischen Rekonstrukte sein, s. Vorwort 5.3. und QuGr (1981) 99 ff. Diana wurde in Rom seit dem 5. Jh. v. Chr. verehrt (NP 1, 863f.) und seit dem 5. Jh. in Griechenland bereits, wie Tragikerbelege zeigen, mit Helios gleichgesetzt, worauf Varro anspielt. Er denkt offenbar daran, dass der Mond in zwei Richtungen (in Länge und Breite) auseinandergeht, mit einem Vorderglied dis- 'auseinander', was also Di(s)-viā-na ergäbe. Das überlieferte et muss auf graphematisch * eit in einer der Vorlagen zurückgehen, also altlat. īt (Plautus) mit langem [i:], cf. Meiser (1998) 58 und Leumann 521 (altlat. eiti !). Vgl. VI 29 eiset (= īret). 190 Ennius, Varia 59 V. 191 Plautus, Poenulus 1034, Stichus 724. Lat. Proserpina über etr. φerssipnei < griech. Περσεφόνη.

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        192 Varro könnte sich auf Herakleides Pontikos bezogen haben (4. Jh. v. Chr.: NP 5, 373 ff.): Dieser sah im Mond eine Erde, die von Nebel umgeben sei (Frg. 114 Wehrli): Werner Ekschmitt, Weltmodelle. Griechische Weltbilder von Thales bis Ptolemäus, Mainz 1989, 144. 193 Zu Iūnō Lūcīna s. o. zu V 50. Varros Et. zeigt viele Aspekte: 1) Er erklärt Iūnō Lūcīna als alte lat(e)inische Prägung. 2) Dafür liefert er zunächst zwei Erklärungen: a) eine naturphilosophische Erklärung: Lūcīna von lūx bzw. lūcēre; b) eine medizinische: Iūnō Lūcīna ist die Göttin der Geburt – vom Licht der Empfängnis bis zum Tag/Licht der Geburt – und der Frauen (Monatszyklus). Eine dritte, philosophische Erklärung schiebt er nach: c) Die Frauen weihen von alters her ihre Augenbrauen der Iuno Lucina: Dies hätte eigentlich – nach Varro – der Grund für die Verehrung der Göttin sein sollen, weil wir – d. h. die Augen – das Licht, lūx, von den Göttern haben. 194 Gnātus ist altlat. poet. für klass. nātus (Naevius, Ennius), gnāscendō ist wegen des sonst fehlenden -g- von ignis eine Konjektur Müllers. Überliefertes omne muss Dativ sein mit der älteren Schreibung von für [i:], woraus im Zuge der Überlieferung omne wurde. Varro greift auf stoisches Gedankengut zurück, nach dem das göttliche Feuer Anfangs- und Endzustand der Welt ist und jedem Individuum innewohne: Das Feuer brachten die Stoiker ja mit dem Weltlogos „in enge Beziehung“ (NP 4, 500). Der Satz omnei quod nascitur ignis se indit klingt mit der Konjektur Canals poetisch und ist vom Rhythmus her Teil eines jambischen oder trochäischen Verses. Die Thematik des Elements Feuer und die textuelle Nähe zu V 68 sprechen dafür, den Vers zu Ennius' Epicharmus zu stellen, der im trochäischen Septenar verfasst ist. Sein Platz ist dann unmittelbar vor oder nach ROL Frg. 8 W. – Varros Et. von Volcānus ist wohl so zu deuten: vī(s) → viol-entia → V(i)ol-cānus. Das Adj. fulgurītus erklärt er als Kompositum aus fulgur + ictus, ohne auf die Länge des Vokals zu achten, wie oft. 195 Lumpa / Lympha (altlat. inschr. Numphis neben Lumphieis) ist entlehnt aus griech. νύμφα. Die Wassernymphe Iuturna galt als Geliebte Iuppiters. In Vergils Aeneis ist Venilia ihre Mutter. Der lacus Iūturnae wurde beim Tempel der Dioskuren ausgegraben (NP 6, 109f.). In den römischen Sagen erscheint sie als Helferin Roms, worauf Varro wohl seine Et. gründet. Varro ging offenbar von einer Aussprache / Schreibung lumpa aus, vgl. IX 44 Phrux für Phryx 'Phrygier', was ihm den Anschluss an lūbricus erleichterte. Auch in VII 87 überliefert F die Schreibung limpha, wohl ehedem auch dort * lumpa, was schon Lucienne Deschamps (1988) vorgeschlagen hat. Diese Schreibung war für Varro, der eine innerlat. Etymologie suchte und daher kein griechisches -ph- brauchte, konsequent. 196 Im überlieferten aquās (das vorausgehende cēterīs wurde in der Tradition zwangsläufig angeglichen) dürfte sich der altlat. Genitiv auf –ās erhalten haben, wie in pater familiās: Leumann 409 f. 197 Ein See unterhalb von Reate. 198 Der lacus Velīnī liegt unterhalb von Reate; der lacus Cutiliēnsis (bei Reate) wurde von Plinius nat. III 109 wegen seiner zentralen Lage als umbilīcus Italiae 'Nabel Italiens' bezeichnet. Der Text ist kaum heilbar; paläographisch am nächsten liegt * Comitiles.

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        199 Varros Et. von Neptūnus umgeht das Problem des Vokalwechsel e > u, unterscheidet sich aber fundamental von der stoischen Et. (Neptūnus a nandō 'N. vom Schwimmen, nāre'), die der Akademiker Cotta in Ciceros De natura deorum III 62 f. spöttisch aufspießt, weil sie nur mit einem einzigen Buchstaben als Etymon arbeite (dem n- von nāre): QuGr (1981) 255 und Vorwort 4. 200 Plautus (Cistellaria 14f., ähnlich Curculio 314 ff.) treibt ein Wortspiel mit der Homonymie der Nominative von ventus, -ī 'Wind' und ventus, -ūs 'Kommen'. Varro scheint sich auf das zweite ventus 'Kommen, Landung' zu beschränken. 201 Lautgesetzlich wurde aus dṷ- > b-: Leumann (1977) 131. Noch im Senatus consultum de Bacchanalibus (186 v. Chr.) steht DVELONAI (= Bellonae). 202 Viritūs ist ein varronisches (wohl richtiges) Rekonstrukt: QuGr (1981) 146. Zum ut vor viritūs s. u. zu Πολυδεύκης. 203 Ein (sprichwörtlicher?) sechshebiger Jambus: Otto 167. 204 Varro gibt richtig die altlat. Form Pollūcēs als belegte Vorstufe von Pollūx an; das ut vor Πολυδεύκης ist sein (wohl schon von Aelius Stilo herrührendes) fachsprachliches Translativ, vergleichbar dem modernen Asterisk * : QuGr (1981) 125 f. 205 Nach Latte (1960) 189 stammt sie aus Etrurien. 206 Minervas Kult gelangte „vermutlich aus Falerii noch in der Königszeit nach Rom“: Leumann (1977) 179 (nach Wissowa). Die dīvī Novēnsidēs sind eine Gruppe von Gottheiten, vielleicht eine „Neungöttergruppe“ sabinischen Ursprungs (NP 8, 1029), später Novēnsilēs: Leumann 155. 207 Ob alle die von Varro genannten Gottheiten wirklich sabinischen Ursprung haben, ist unklar, ebenso, inwieweit sie lateinisch anders ausgesprochen worden sein sollen. 208 Vē-diovis (mit einem ungeklärten Präfix: Leumann [1977] 399). Nach Latte 81 Anm. 2 ist er „ein Iuppiter…, der die von diesem erwartete Funktion, günstiges Wetter zu senden, schlecht erfüllt, also ungünstiges sendet.“ 209 In V 64 bzw. 68. 210 Nach dem großen Abschnitt, in dem Varro die Bezeichnungen für die Gottheiten (beginnend V 57 mit Caelum und Terra) abgehandelt hat, wendet er sich nunmehr den irdischen Gegenständen zu und gliedert diese ebenso auf. Dem Leser gibt er Orientierung durch einleitende Sätze wie zu Beginn von V 75 (Tiere in Luft, Wasser und Land, darunter auch der Mensch als 'Landtier' V 80), mit Adjektiva zur Bezeichnung von Zuständen V 92, mit Subst. für Künste/Handwerke in V 93, in V 95 für Landtiere. An die Tiere schließt er V 102 die Pflanzen an, zu denen er Fleisch- und Milchprodukte hinzunimmt. Über Textilien V 113 schließlich kommt er zu Gerätschaften, V 115 mit Waffen beginnend, ehe die Bezeichnungen für Gebäude sich anschließen (V 141). Den letzten Teil in Buch V nehmen Geld und Münzen ein (ab V 169). Die Sachgruppen dieses Etymologikons reihen sich durchaus nachvollziehbar aneinander; anstelle von Überschriften stehen die einleitenden Sätze. Der Codex Archetypus F (bzw. ab V 118 die codices recentiores) lässt eine darüber hinausgehende, graphische Unterteilung nur selten erkennen: Zu Beginn von V 80 s. dort, eine vergrößerte Initiale steht z. B. auch in V 92. Das häufigste Gliederungssignal ist ansonsten ein Nunc 'Jetzt', das den Beginn eines neuen Abschnitts markiert und wie ein Pausenzeichen wirkt, häufiger erst in Buch VII, s. dort. Aus dem Rahmen fällt in F das völlig überdimensionierte

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        und einer Initiale gleichende A von Aquātilium zu Beginn von V 77: Das könnte auf eine Art Gliederungsinitiale hinweisen, doch sind die Zeichen in F dafür zu spärlich, um auf eine frühere, generelle Praxis der Vorläufer von F zu schließen. 211 Luscinia: Prokne, Gattin des Tereus und Schwester der Philomele, tötet mit ihrer Schwester ihren eigenen Sohn Itys, den sie Tereus (er hatte vorher Philomela vergewaltigt) zum Mahle vorsetzt, und wird auf der Flucht vor jenem von den Göttern zur Nachtigall verwandelt. Varro denkt wohl an *lucticania zu lugēre 'trauern'. 212 galērītus: Es gibt ein Adj. galērītus 'mit einer Pelzkappe/Perücke bedeckt' – was zur Haubenlerche passt. Mōtacilla: Varro denkt an ein Kompositum * mōtacauda. 213 Im Gegensatz zur Drossel, die ein Schwarmvogel ist. 214 Das griech. Wort ist nur beim Lexikographen Hesych belegt, der es mit πολλά 'viele' erläutert. 215 miliāria: Vielleicht die Ammer. Sie wurden – wie die Drossel – in Volieren gehalten und regelrecht gemästet (Pfauen wurden sogar in Herden gehalten), wie aus Varros rust. III 4 ff. (dort erschreckend plastisch) erhellt. 216 Die Einteilung Varros erfolgt systematisch; einige seiner Bezeichnungen sind aber nur bei ihm belegt, ihre zoologische Zuordnung ist daher spekulativ. 217 Anguilla ← anguis 'Schlange', lingulāca ← lingua 'Zunge', sudis 'Pfahl': vielleicht der extrem längliche Seehecht. Asellus 'Esel' ist als Fisch nicht eindeutig identifizierbar: Collart und Kent tippen auf 'Seehecht'. Umbra 'Schatten': nach Coll. und Kent die Äsche. Turdus 'Drossel' (als Vogel) könnte eine Dorschart oder – aufgrund der Sprenkelung des Vogels – eine ähnlich gemusterte Forellenart sein. 218 Vielleicht die länglichen Pfahlmuscheln (sūra 'Wade/Wadenbein'). 219 Die ins Lateinische übernommenen (und als solche von Varro zu Recht erkannten) griech. Fremdwörter sind in der Überlieferung geringfügig entstellt worden. Sowohl das zweite -i- in yppopotamios als auch das zweite -i- in crocodillos werden auf einen Akzent in einer der Vorlagen zurückgehen, die Begriffe dürften indes lateinisch geschrieben gewesen sein, anders als das explizit davon abgehobene ἀμφίβια. 220 vollīgo ist varronisches Rekonstrukt: QuGr (1981) 70 u. 148. Von Varros Gliederung her hätte der Tintenfisch eher nach Kap. 77 zu den Fischen und Muscheln gehört. 221 Varro hat offensichtlich Otter und Biber verwechselt. Im Text dürfte das Subst. lutus, -ūs 'Lösen' (zu lu-ere) gestanden haben; erstaunlicherweise denkt Varro nicht an das zweite luere 'waschen'. Varro arbeitete mehrmals mit Nomina actionis, die er oft – sprachlich korrekt – neu gebildet hatte und als Ersatz für die Gerundkonstruktion (z. B. * ab luendō) gebrauchte, s. Vorwort 4. Diese seltenen oder neu geschaffenen Substantiva mussten den Kopisten Probleme bereiten. 222 Der Beginn von V 80 (Dē animālibus in locīs terrēstribus) ist in F mit Majuskeln in Semiuncialis geschrieben wie schon V 1. Das könnte ein Relikt einer Art Überschrift sein, die vielleicht Varros erste Auflage enthalten hat. Diese Überschrift ist syntaktisch nicht eingebunden und in F durch einen Punkt abgesetzt. Das Q, mit dem das Relativpronomen Quae beginnt, ist wie eine Initiale überdimensioniert und fällt ebenfalls aus dem Rahmen, vgl. zu V 92. 223 Accius 673 Dangel. Nach der Vertreibung der Tarquinier geht es um die Ernennung des ersten Konsuls, der Sprecher ist unklar.

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        224 Praetor < * prae-i-tor (Leumann 119). Vielleicht spielt Lucilius (1160 M. = 1102 Chr.) aber auch mit den beiden Bedeutungen von praeit a) 'geht voran' und b) *prae-ait 'spricht vor' (zu aiō). 225 Die Verbesserung Mommsens ist u. a. gestützt durch den Kommentar des Servius zu Aen. VI 432 (quaesītōrēs sunt, quī exercendīs quaestiōnibus praesunt), der Akzent auf dem ó in F dürfte ein Relikt des ursprünglichen -i- sein. 226 S. o. zu V 35 und 55. Secessiō Crustumerīna: Varro bezieht sich auf die berühmte Auswanderung der Plebs auf den Mōns sacer (Livius I 38, 4) ins Areal von Crustumerium des Jahres 494 v. Chr., die Menenius Agrippa beilegte. 227 Morphologisch eine Fehldiagnose Varros: albus → albātus bedeutet 'der mit Weiß (albus) Versehene'; magistrātus ist hingegen ein Subst. der u-Deklination und ein Abstraktum, ursprünglich wohl das Amt und nicht das Individuum bezeichnend. 228 Quintus Mucius Scaevola (+ 82 v. Chr.) war mit L. Crassus 95 v. Chr. Konsul und verfasste 18 Bücher über das Zivilrecht (NP 8, 427f.). Das Fragment steht bei GRF S. 125. potificēs ist nur hier belegt und wohl schon von Scaevola künstlich gebildet. Das a in F ist aus der Abkürzung M. verlesen bzw. verschrieben. 229 Der pōns Sublīcius (der Sage nach von Ancus Marcius erbaut) verband die Stadt mit dem Iāniculus am rechten Tiberufer. Varro leitet pontifex zunächst als Kompositum, entsprechend der Erklärung von Scaevola, aus potis, mächtig, und facere aus *potifex her, ehe er seiner anderen Erklärung (von pōns, Brücke) den Vorzug gibt. Nach dem Indogermanisten Heiner Eichner (Regensburg 1981, mündlich) dürfte pontufex (sic!) aber ein Zahlwort-Kompositum sein: aus (osk.) *ponto-fak-s 'der als Fünfter (sc. das Opfer) vollzieht'; lat. wäre es *quīntifex. Codex F hat zweimal das alte -u- (auch inschriftlich belegt) für pontufex noch bewahrt. Mit dem nōn mediocris rītus meint Varro wohl die Opferung der Holzbzw. Strohfiguren, die in V 45 im Rahmen der sacra Argēōrum angesprochen wurden. Varro gebraucht hier die seltene, alte Form uls statt klass. ultrā, die in ihrer noch älteren Form ols mehrmals in den Büchern der Argäer (V 50) verwendet worden war. 230 Jede der 30 Kurien hatte einen Vorsteher; in der späten Republik hatte er wohl weitgehend nur mehr sakrale Funktion (NP 3, 241f.). 231 Fīlāminēs ist von Canal aus der nachvarronianischen, grammatischen Literatur ergänzt (Paul. Fest. p. 77,29 f. L. flāmen, quasi f īlāmen), vielleicht handelt es sich um ein varronisches Rekonstrukt. Die Flamines hatten „eine Mütze aus Leder, an deren Spitze ein mit einem Wollfaden umwickeltes Holzstäbchen war.“, das sog. „Trumm“: NP 4, 537, cf. Gellius X 15. Zum licium: NP 7, 180. Mit Latium hat das Ganze nichts zu tun: Die Überlieferungsfehler hatte schon Scaliger geheilt. 232 Fur(r)īna war eine altrömische Göttin, deren Fest nach dem röm. Festkalender, den Fasten, am 25. Juli war. NP 4, 721. Nach VI 19 war zu Varros Zeit selbst ihr Namen nur mehr wenigen bekannt. 233 Von Falacer (pater) ist sonst nicht bekannt (Latte 37; 137), er erscheint nicht einmal in den Fasten. Einige dieser Priesternamen etymologisiert Varro kurz nochmals in VII 45, dort allerdings aus einem Enniuszitat heraus. 234 Die Salierpriester waren Waffentanzpriester (NP 10, 1249f.). Sie waren in zwei Vereinen (sodālitātēs) organisiert und besaßen eigene Ritualbücher, von denen Varro in VI 14 berichtet. Das altertümliche (nur in Fragmenten erhaltene) Salierlied, das Carmen Saliare, hat schon Aelius Stilo, Varros Lehrer, zu

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        interpretieren versucht, nach Varro VII 3 gilt es als älteste lat. Dichtung (NP 2, 990f.). 235 Die Lupercālia waren ein Ritus, der in Form eines Umgangs am 15. Februar begangen wurde. Sie waren dem Gott Faunus gewidmet, dabei waren die Ausführenden, die Lupercī, nur mit einem Lendenschurz bekleidet (Lupercī nūdī: VI 34) und schlugen die Umstehenden mit langen Riemen. „Zu Varros Zeit war das Fest zu einer Volksbelustigung herabgesunken“ (Latte 85). Das Lupercal war der sagenhafte Ort am Fuß des Palatins, wo die Wölfin Romulus und Remus gesäugt haben soll (NP 7, 509f.). 236 Wohl ein vom König Titus Tatius eingerichtetes Kollegium; kaum nach den Vogelgeräuschen (titiātus) benannt. Hier könnte Näheres noch in der Lücke gestanden haben, die als solche sicher ist, s. die Übs.. Ungewöhnlich wäre es, wenn sich Varro den Rekurs auf den alten König Titus (Tatius) hätte entgehen lassen. Immerhin rühmte sich Augustus in seinem Tatenbericht (I 45) noch, dem Titierkollegium angehört zu haben: Latte 295. Vielleicht stand in der Lücke sogar Folgendes: Sodālēs Titiī < vel ā Tatiō rēge, ā quō īnstitūtī, vel ab avium titiātū >. 237 Die Fetialen waren ein Kollegium von 20 Mitgliedern, dem man auf Lebenszeit angehörte. Zuständig waren sie für den „sakralen Rechtsverkehr von Volk zu Volk“ (NP 4, 496). Zur Vorphase des bellum iūstum gehörte die Forderung, entwendetes Gut wieder zurückzufordern; geschah dies nicht, wurde vom Fetialen eine Lanze ins feindliche Land geworfen und eine sakrale Formel ausgerufen; Beschreibung des Rituals mit – wohl aus alten Texten genommenen Formeln – bei Livius I 24 und 32, umfassend bei Latte 121 ff. Varro führt Fētiālis auf foedus zurück und stützt seine Et. mit (bei Ennius wohl als Wortspiel gebrauchtem) f īdus (geschrieben wohl feidus). Fēti-ālis  vorlat. *fētis, ein „altes Wort der sakralrechtlichen Sprache“ (WH s. v.). Das Problem der konkurrierenden Langvokale [i:] versus [e:] und der Okklusiven [d] versus [t] überspringt Varro; da er keine Lautgesetzlichkeit kannte und bei seinen Etymologien generell auf die Vokallänge nicht achtete, dienten ihm wohl Fälle wie legere: colligere bzw. ad+tendere > at-tendere als Vorlage. 238 Die Et. von praetor hatte Varro ähnlich schon V 80 vorgetragen. 239 Diese Stelle wurde schon in F – teilweise – korrigiert. Die leichteste Heilung ist die Annahme eines (vom Schreiber vergessenen) –t in oppressit, wo ein sog. „gnomisches Perfekt“ vorliegt, da es sich hier um einen allgemeinen Erfahrungssatz (aus Sicht des Römers) handelt, vgl. Kühner-Stegmann II/1 132f. 240 Varro bleibt in seinen Erklärungen, da es sich für ihn wohl eher um triviale Et. handelte, auf der Ebene der Sacherklärung; eine evidente sprachliche Herleitung z. B. von imperātor ← imperāre übergeht er daher. 241 Hinter dieser absurd erscheinenden Erklärung verbirgt sich das Phänomen, dass cohors – auch bei Varro – in mehreren orthographischen Varianten erscheint: Die Noniusfragmente aus den Saturae Menippeae bieten neben Akk. Pl. cohortis (Frg. 66 Astbury) auch Gen. chortis und Abl. Pl. cortibus (Frg. 55 bzw. 383 Astbury), in rust. I 13,3f. schwankt die Schreibung auch bei besten Handschriften (choorte(s) bzw. chohortes und choors, s. die Ausgabe von Flach [2006]). Varro könnte sich also bei der militärischen Kohorte auf die erste, bei der agrarischen auf die zweite Schreibung gestützt und beides nur unter dem gleichen Lemma zusammengefasst haben.

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        Anmerkungen

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        242 Ein ansonsten unbekannter Grammatiker, der sich – nach Gellius XVI 12,5 – mit der Erklärung griechischer Wörter im Lateinischen befasste (GRF p. 107f.). 243 Varro schöpft aus seiner eigenen militärischen Erfahrung (s. Vorwort 1.1), in deren Rahmen er sicher einiges über die Vorgeschichte des Miltärwesens erfahren hatte. 244 Frg. 5 Leo / Aragosti aus dem Stück Frivolaria, von dem 10 Fragmente erhalten sind, s. auch VII 58. Das überlieferte subsidēte bedeutet 'helft'; Laetus (danach auch Leo) liest subsīdite 'lasst euch nieder'; Plautus dachte wohl daran, dass sich die Angesprochenen bereithalten sollten wie die Reservisten, Aragosti 163 denkt an einen Trick eines servus callidus. 245 Die Ergänzung von Stroux (1923) 323 entspricht der Stelle bei Paul. Fest. 204 M., wonach die Hilfstruppen (auxiliārēs) Angehörige auswärtiger Nationen waren. 246 Das Thema der drei Tribus ist im ganzen Text ein Dauermotiv (V 55; 89). Varro postuliert mit ter-'drei(mal)' ein (rekonstruiertes) * ter-i-ma (QuGr, 79-82). 247 Die Et. von liticen 'Zinkenbläser' von lituus 'Krummhorn' deutet Varro nur an. 248 Der classicus wird von Varro hier, zum Tubisten und Zinkenbläser passend, auf die Bedeutung 'Hornist' eingeengt. Der überlieferte Text ist weniger schadhaft, als es die bisherigen Hrsg. vermuten lassen. Der Lapsus des falschen Numerus (canit statt canunt) könnte auch Varro unterlaufen sein. Die Kopisten wiederum hatten mit Varros Maskulinum cornus (statt klass. cornu als Neutrum) Probleme, daher wird * cornum zu cornu uo entstellt worden sein, wo sich im isolierten uo noch die Spuren des –m erkennen lassen: Akk. cornum bzw. Nom. cornus sind für Varro bezeugt (rust. III 9, 14 und Sat. Men. 131 Astbury). 249 Mit diesem Abschnitt betritt Varro ein neues Terrain. Das einleitende Q von Quae (ā fortūnā vocābula) ist in F überdimensioniert wie eine Initiale; diese Aufmachung erinnert an den Anfang von V 80. Auch sind die ersten Worte nicht zwingend mit dem folgenden Satz verbunden und abtrennbar. All dies deutet auf systematische Visualisierung der Einleitungswörter bzw. Überschriften zu Beginn größerer Sinnblöcke in den Vorgängern von F hin. 250 Alle von Varro angeführten Wörter lassen sich mit op-s in Verbindung bringen. Das altlat. Adj. cōp- 'reich' (< * co-op-) bereitete den Kopisten Probleme, daher der Fehler. 251 Varro sieht die abstrakte Fähigkeit des Handwerkers als primär an, die hinter seiner konkreten Tätigkeit steht, wie sie sich im Verbum manifestiert. Doch gebraucht er das Subst. rādīx 'Wurzel' eben nicht im grammatischen, sondern – übertragen – im ontologischen Sinn. Die Passage in V 93 ist sicher nicht so zu verstehen, dass für Varro medicīna das Etymon zu medērī sei (so noch de Melo); vgl. dazu seine Herleitung von „a praedandō praeda“ 'vom Plündern, praedārī, kommt praeda, die Beute' in VIII 19. Sein Versprechen, darüber im folgenden Buch zu handeln, löst Varro allerdings nicht ein: Er schlägt sich hier offensichtlich auf die philosophische Seite der Erklärung und nicht auf die grammatisch-etymologische: Collart (1954) 203. 252 Der ganze Abschnitt ist wohl so zu verstehen: Ursache (causa) für das Heilen bzw. Schustern ist die Kunst (als abstrakte, vielleicht rationale Kompetenz), über die der Handwerker primär verfügen muss, weil er sonst nicht zur praktischen Umsetzung gelangt. Das erinnert an die Debatte bei Platon, Sophistes 219 a – 221 d, bzw. Aristoteles, Metaphysik 982 a, wo es um die Ursachen der Künste bzw. Fertigkeiten geht. Wenn Varro hier von rādīcēs spricht, dann meint er primär nicht

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        die Worte, sondern die Fähigkeiten. Zu Varros Sicht passt aber VIII 15 ā prūdentiā prūdēns 'von der Klugheit ist der Kluge benannt'. – Der Überlieferungsfehler in F ist durch minimales Verlesen bzw. Verschreiben erklärbar (huic reī < hinc nec). 253 Varro unterscheidet zwischen ars und der (trivialeren) scientia. Hier betritt er nun bereits das Feld der Wortbildung, das erst in der dritten Triade (VIII ‑ X) sein Thema ist. Mit dem ersten Tripel (praestīgiātor, monitor und nōmenclātor) nennt er drei gleiche Bildungen von Nomina agentis, die ihm so klar sind, dass er sie gar nicht weiter erklärt. Das zweite Tripel (cursor, nātātor, pugil) wirft für die Überlieferung Fragen auf: spatiō gibt wenig Sinn – wieso beim Boxer? Die Konjektur von Scioppius (studiō) trifft das Richtige, der Fehler muss schon mindestens zwei Stufen vor F passiert sein und passt nicht zur Beneventana, in der wohl auch der Vorgänger *F geschrieben war. Subst. pugil leitet Varro offenbar aus pugnāre 'kämpfen' ab, nicht von pugnus 'Faust'. 254 Die gleiche Alternativetymologie schon in V 37 (vīndēmia, quod est vīnidēmia aut vītidēmia). 255 Dieses dritte Tripel wirft für Varro folgende Probleme auf, die ihn zur (jeweils falschen) Erklärung drängen: 1) Bei vīndēmiātor könne es sich um *vīnidēmiātor oder *vītidēmiātor handeln, s. o. zu V 37 (hier wäre im Lat. aber eher *vīndēmptor zu erwarten: Das Subst. ist also vom Nomen vīndēmia gebildet, nicht direkt von einem Verbum.). 2) Für vestīgator setzt er als Etymon vestīgium 'Spur' an und nicht das (passende) Verbum vestīgare 'aufspüren'. 3) Beim Jäger, vēnātor, wiederum geht er vom Subst. ventus 'Wind' aus und lässt Jagdkenntnisse einfließen, statt ans richtige Verbum vēnārī 'jagen' anzuschließen. Der Fehler von ceruum > verbum (so in F) ist leicht zu erklären: ceruum wurde, bilabial [u̯ ] als [b] gesprochen, zu *cerbum, dann zu verbum verschlimmbessert. 256 Pecūs, -ūdis f. ist die Bezeichnung für das einzelne Tier, das Neutrum pecus, -oris hingegen für das Vieh als Gesamtheit. Varro leitet pecus (Neutrum) von per-pēscere ab, einem Kompositum das er selbst gebildet hatte, zu compēscere 'in Fesseln halten' (von compēs, compedis 'Fußfessel'), das Fem. pecūs, -ūdis hingegen von pēs 'Fuß'. Zur Textverbesserung s. Lachmann (1876) 165. 257 Der römische Fuß maß 29,6 cm, Varro wird mit pēs magnus an ein Flächenmaß gedacht haben, also einen Quadratfuß; der Terminus ist sonst nicht belegt: OLD s.v. pes Nr. 11. 258 Sklaven durften in Rom nur mit Genehmigung des Herrn ein kleines Privatvermögen besitzen (NP 9, 461). Das pecūlium als Begriff spiegelt die Entwicklung dieses Vermögenswerts wider: Vom Naturale 'Vieh' zum Geld. Auch pecūnia zeigt diese Entwicklung: vom Viehgeld zum Metallgeld. 259 Der pecūlātus war „im wesentlichen jede strafbare Aneignung staatlichen oder dem Tempel- bzw. Grabkult gewidmeten Vermögens“ (NP 9,460). Dazu zählte auch Münzfälschung. 260 Varro etymologisiert hier wie selbstverständlich auch im Griechischen. 261 Für die lautliche Übereinstimmung bzw. Nähe zwischen den lat. und griech. Tierbezeichnungen bringt Varro bei Schwein, Rind, Stier und Schaf keine explizite Erklärung; aus dem folgenden vitulus, quod Graeci antiquitus ταῦρος, lässt sich indes schließen, dass er an Entlehnung denkt; oder er erklärt sich diese als – voneinander unabhängige – Lautmalerei (ab suīs vōcibus ficta). Bei sūs, bōs und ovis handelt es sich freilich um alte uridg. Erbwörter, bei taurus wohl ebenfalls,

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        Anmerkungen

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        wenn es zu kelt. tarvos gehören sollte (Leumann 101). Varros Et. von armenta zeigt wieder den Rekonstruktor (*arimenta, mit Ausfall des -i- an der Wortfuge); auch *carpa (> capra) 'Pflückerin' > 'Ziege' und *vegitulus (Laetus) bzw. vigitulus (F) sind varronische Rekonstrukte mit angenommenem Schwund der Binnensilbe bzw. Kontraktion. 262 Der Verfasser dieser Formel ist nicht identifizierbar. 263 Welche Sprachgemeinschaft Varro genau mit Sabīnī meint, wird nicht klar; ob es ein sabellischer Dialekt aus der Gruppe des Oskischen bzw. Umbrischen oder ein lokaler ländlicher Dialekt aus seiner eigenen Heimat Reate ist, bleibt offen. Varro bezieht wohl seine linguistische Aussage über das anlautende f- in fircus bzw. fēdus gegenüber lat. h- aus eigener Beobachtung; der Wechsel von anlautendem lat. f- und h- wird auch als „sabinisch“ bezeichnet: Leumann 168 § 172. 264 Das Phänomen der Monophthongierung von ai̯ > vulgärlat. ē kannte schon Lucilius (1130 M. = 1225 Chr.), Varro stellt es in VII 96 breiter dar. 265 Im varronischen Satz gehört aprūnom (aus *apro-gnos, das als aprūgnus z. B. bei Plautus überliefert ist) wohl noch als direktes Akk.-Objekt zum Lateinischen. Die Quelle der von Varro genannten athenischen Ritualbücher ist nicht fassbar. 266 Frg. 110 Preibisch. Diese Stelle wirft viele Rätsel auf. Arēs statt ariēs könnte eine wirkliche Aussprachevariante repräsentieren (vgl. Leumann 129). Das feminine Pronomen eam (so in F überliefert) vor dīcēbant weist darauf hin, dass hier einmal ein feminines Substantiv gestanden haben wird. Das ganze Textfeld von Kap. 98 klingt nach Opfertieren, insofern dürfte hostia zu Beginn gestanden haben. Paul. Fest. 89,9 f. L. kennt, wohl aus Varro, eine hariuga (Bezeichnung eines Opfertiers, bei dem die Anhängsel, adhaerentia, seiner Eingeweide inspiziert wurden), der Grammatiker Velius Longus (1. Hälfte 2. Jh. n. Chr.) kennt – wohl ebenfalls aus Varro – die Form arispex für (h)aruspex: arispex ab ariugā, quae esset hostia, nōn aruspex: 'arispex, Eingeweideschauer, kommt von ariuga, weil dies ein Opfertier sein soll, er heißt nicht aruspex' (p. 72,22 = GRF p. 295): weitere Testimonia bei Funaioli Varro Frg. 275. Die Eingriffe, die Kent in den Text vornimmt, sind zu massiv. 267 Catulus, Hündchen: Varros et. Praxis und Sprache lassen vor dem zweiten catulus eine Lücke vermuten. Da Varro in VII 46 catus mit acutus erklärt, muss er catulus (richtig) mit dem Grundwort catus erklärt haben, s. Apparat. Ebenso erklärt er im Fragment aus den Antiquitates rerum divinarum (Cardauns Frg. 139, aus Augustinus): catōs id est acūtōs. – Varros Et. von canis 'Hund' ist im Vergleich zu der berüchtigten etymologia ē contrāriō („canis ā nōn canendō“ – 'Hund, weil er nicht singt') raffiniert: Über das Deminutivum catulus führt er zu canis – auf welchem lautlichen Wege auch immer – und bietet als Alternative die Verbindung mit canere 'singen' an, deren semantische Problematik er durch den Vergleich mit dem Tönen der Signalinstrumente zu lösen versucht; es heißt ja auch – s. V 91 – tubicinēs und liticinēs (aus * tubí-can-ēs). 268 Codex F unterscheidet zwischen dem Tiernamen leena und dem Hetärennamen Leéna: Letzterer war wohl – wie der Akzent über dem zweiten é zeigt – vulgär monophthongiert; dazu auch Varros Frg. 3 (aus Buch III) oben S. 2. 269 Nach dem grammaticus Athenaios (Ende 2. Jh. n. Chr.) XIII 590 schenkte Seleukos Nikator (312-281 v. Chr.) den Athenern als Erster einen Tiger (NP 12/1 565). Der erste lebende Tiger kam erst 19 v. Chr. als Geschenk indischer Gesandter nach Rom.

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        270 Wie bei anderen Tiernamen (s. o. V 96) bietet Varro auch hier sowohl Entlehnung als auch Onomatopöie an. 271 Der Panther ist ein Leopard; die Leopardin kann in einem Wurf sowohl schwarze als auch gefleckte Junge werfen. Mit camēlopardalis muss sich Varro auf die Giraffe beziehen, die Cäsar nach seiner Rückkehr (25. Juli 46) bei seinem Triumphzug in Rom vorführen ließ. Mit dieser Angabe Varros ist zumindest ein terminus post quem für die Abfassung von Buch V gewonnen, freilich lässt das Adverb nūper einen zeitlichen Spielraum offen, s. Vorwort 2. 272 Varros Et. (aper < asper bzw. < kaproi) zeigt wieder nachdrücklich seinen Ansatz, mit diachronem Schwund von Lauten zu rechnen. 273 Gervī ist varronisches Rekonstrukt, den Lautwandel g > c entnahm er dem synchronen Wechsel wie in legere : lēctus, s. Vorwort 5.3. Auf das umgekehrte historische Phänomen, dass in altlat. Texten bis ins 3. Jh. (Leumann 10) der stimmhafte Velarlaut [g] noch mit < c > geschrieben wurde, geht er hier nicht ein, vgl. aber zu V 64. 274 Sonst griech. nicht belegt. Strabon III 2,6 (Mitte 1. Jh. n. Chr.) kennt einen Terminus für Kaninchen λεβηρίς. Vielleicht wurde Varro Opfer einer falschen Information oder Überlieferung durch Hypsikrates (s. zu V 88). Das übliche griech. Wort für den Hasen ist λαγώς (s. auch Frisk s. v.). 275 Bei dieser Et. überrascht, dass Varro sich nicht der Et. von Stilo bedient hat: … quod levipes esset (GRF p. 61 Funaioli). Er schlägt einen anderen Weg ein – als Historiker und selbständiger Forscher: In rust. III 12,6 setzt er sich explizit von Stilo ab: Ego arbitror ā Graecō vocābulō antīquō, quod eum Aeolīs Boeōtum λέποριν appellābant. 'Ich glaube, er kommt von einem alten griechischen Wort, weil ihn die Äoler unter den Böotern λέπορις nannten.' 276 Aelius' Etymologie von volpēs (GRF 45 p. 69) zeigt die gleichen Züge wie seine Et. von lepus 'Hase': Varro rust. III 12,6 zitiert die Et. Stilos von lepus: „… quod levipēs esset“ – weil er leichtfüßig sei. Hier entwickelt Aelius Stilo das Prinzip der Komposita (levipēs, dann wohl analog *volipēs), das auch Varro in wenigen Fällen anwendet, z. B. VI 49 memoria < *mani-mor-ia und *vīnidēmia bzw. *vītidēmia > vīndēmia V 37, s. dort. 277 Varro baut eine ganze Kette von Et. auf, vgl. V 37: vī(s), Kraft,  vīnum → vītis, daneben vī(s) → vīridis → virgultum. 278 Hier muss wenigstens die Et. für pirum 'Birne' bzw. pirus 'Birnbaum' gestanden haben, da mālum vorausgeht und es sich um früchtetragendes Obst handelte; L. Spengel: „Desidero piri originem“ (Ich vermisse die Etymologie von pirum 'Birne'). Vielleicht hieß es so: pirum, < quod ii ἄπιον; inde et > pinus. 'pirum, Birne, weil sie zu ihr ἄπιον sagen; davon kommt auch pīnus, Fichte.' Die Lücke könnte dem Schreiber von F unterlaufen sein, da pinus am Zeilenende steht; die Et. von pīnus hätte sich auch inhaltlich zwanglos an die von pirum anschließen lassen, da der Zapfen einer umgedrehten Birne ähnelt und die Piniensamen essbar sind. 279 Iūglāns ist eine Lehnübersetzung von griech. Διὸς βάλανος, eigentlich 'Zeuseichel' = 'Kastanie'. 280 Griech. ῥάδιξ – mit kurzem [a] – bedeutet 'Zweig'. Varro trennte vielleicht zwischen seinem Schlüsselwort rādīx 'Wurzel' (wofür er aber keine Et. liefert) und dem Rettich.

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        Anmerkungen

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        281 Der Grammatiker Probus (GLK IV p. 7) bezeugt ausdrücklich, dass Varro lact schreibt. 282 Die Form praesica ist Konjektur. Sie entspricht aber dem varronischen Verfahren, als Konstrukt eine Form zu bieten, in welcher die Form des Etymons (hier: prae-sic-are) nach Möglichkeit vollständig erhalten ist (s. Vorwort 5.4). Die Textverderbnis wird über eine Zwischenstufe entstanden sein: * praesica > * prassica > passica. 283 Hier könnte das in F überlieferte asparagus richtig sein, die Nähe zur lat. Version ist durch das quoque 'auch' gesichert, zudem heißt es griech. meist ἀσφάραγος (s. die Belege in Liddell-Scott s. v.). 284 Auch curvimerēs ist ein varronisches Rekonstrukt, das er braucht, um seine Herleitung aus curvus 'krumm' zu erklären. F interpungiert nach dictī (so auch Kent), während Collart den nächsten Satz erst mit Dictī frūctūs beginnen lässt. 285 Varro teilt frūmentum künstlich auf: a) Futter und b) Weizen, d. h. er konstituiert zwei Homonyme (gleich lautende Wörter, die durch Lautwandel zusammengefallen sind). Bei a) 'Futter' dachte der ehemalige Militär wohl an das Einholen von Proviant, durch den Anschluss an fru-ī unterstellte er wohl ein Suffix –mentum (mit „ē terrā“, aus der Erde, werden wohl Rüben bzw. Rettich und andere Wurzelgemüse gemeint sein); b) 'Weizen' führt er – als virtuelles Kompositum – auf far 'Spelt' und molitum 'gemahlen' zurück. 286 Apollodoros (aus Athen, * um 180 v. Chr.) schrieb u. a. eine umfassende Homerexegese und lexikographische Werke über Etymologie(n) und Glossen, d. h. Worterklärungen (NP 1, 858); dessen Erklärung kommentiert Varro gar nicht weiter (wohl von πόλτος). 287 Varros Et. von pānis 'Brot' klingt uns abenteuerlich, ist aber für ihn als Antiquar typisch: Er braucht den Rückgriff auf einen früheren Zustand der (römischen) Welt und geht von einer Art Fladen- oder Pizzabrot aus, das flach war, also lappenförmig wie ein pa(n)nus,Tuch (zu ndh. Fahne). Vom Brotkorb, pānārium, schwenkt er zum Kornspeicher, grānārium, über – doch dann bereitet die Überlieferung ganz andere Probleme. 288 Das griech. Wort in F (KROKEN) ist als Substantiv mit Bezug auf grānum nicht plausibel lösbar. Es muss sich a) um ein so seltenes griechisches Wort handeln, dass schon die Vorläufer der Schreiber von F und F* damit Probleme hatten, b) das semantisch etwas mit dem Begriff 'Speicher' zu tun hat und c) lautlich zu grān(āri) um passt. Am nächsten liegt ein Eintrag des Lexikographen Hesych (um 500 n. Chr.: NP 5 514f.): κρήϊνον, was wohl so viel wie 'Speisekammer' bedeutet und wegen des η (statt α, das nach ρ zu erwarten wäre) eine jonisch-äolische Variante zu κράϊνον sein muss. Das müsste dann an der Stelle von überliefertem grānum gestanden haben. Hinter dem sicher verderbten KPOKHN verbirgt sich am ehesten das von Kent vorgeschlagene κράνον, dessen Bedeutung 'Kern der Kornelkirsche' aber seltsam ist; mit einer Bedeutung 'Korn' oder 'Kern' lässt es sich retten. 289 Ein nicht genauer bestimmbares Gebäck; es wurde wohl in einer Art Römertopf gebacken; die Mātrālia waren das Fest der Māter Mātūta am 11. Juni (Latte 97). 290 Lat. thrīon ist nur hier belegt. Griech. θρῖον bedeutet eigentl. 'Feigenblatt'; sachlich ist es eine Art Omelett, das in Feigenblättern eingewickelt wurde. 291 Der Sinn der Stelle wird erst durch die kleine Korrektur von Scaliger klar. 292 Coāxeus ist varronisches Konstrukt, vgl. V 43.

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        293 Davon wieder das Forum (H)olitōrium: V 146. Codex F schreibt konsequent olera, nicht holera, was vielleicht auf Varro selbst zurückgeht. Auch für den fast gleichzeitigen Catull (c. 94) ist olera gut überliefert. 294 ruāpum ist varronisches Konstrukt (QuGr [1981] 89f.), Varro gebraucht hier den Plural, vgl. rust. I 40, 2. Ruēre = ruērunt ist Perfekt. 295 Das fehlende Bindeglied zwischen prōsectum und īnsicia haben Götz-Schöll nach Paul. Fest. 252,11 L. ergänzt: Prōsicium, quod praesecātum porricitur: 'prōsicium, weil es vorne abgeschnitten, praesecātum, geopfert wird.' (prōicitur bzw. prōiciātur bieten dort die Handschriften). Zum Carmen Saliōrum s. V 85. 296 Die Stelle lässt sich mit einer einfachen Umstellung lösen. Das von Götz-Schöll vorgeschlagene farticulum (ein Hapax nach OLD) löst das Problem nicht. Zum Opferablauf s. zu V 112. 297 Ennius Ann. 12 V. = 6 f. Sk., s. zu V 60. Aus ne + hīlum,Fäserchen, > nihil(um): IX 54. 298 Den Opferablauf schildert Latte 388-391: Nach der Tötung des Tieres wurden die Eingeweide (exta) herausgeschnitten, mit mola salsa (s. zu V 104) bestreut und auf den Altar gelegt, meist nachdem sie gekocht waren. Zu den exta wurden weitere Teile des Opfertieres hinzugelegt (magmenta = augmenta). Die Stücke wurden zerkleinert und hießen zu Varros Zeit prosecta (V 110). Typisches Verbum für die Darbringung ist porricere (aus por- + iaciō; das PPP lautet porrectum). 299 Nach singillātim hat Mueller eine größere Lücke konstatiert. Doch verrät die Kombination aus normaler Beneventaner Minuskel bei ōvum und der Imitation griechischer Majuskeln in BVLBVM (Akk. Mask. bzw. fälschlich mit Endung eines Neutrums, beeinflusst von ōvum), dass der Schreiber von F bzw. dessen Vorlage(n) die üblichen Schwierigkeiten bei der Übernahme griechischer Schrift hatte; das Adverb singillātim grenzt die Zahl der fehlenden Ausdrücke stark ein: Es werden wohl nur die griechischen Pendants zu ōvum und bulbus hier gestanden haben. 300 Die beiden griechischen Gewährsmänner Varros – der Historiker Polybios (Mitte 2. Jh. v. Chr.) und der hellenistische Dichter und Grammatiker Kallimachos (1. Hälfte 3. Jh. v. Chr.) – verwiesen wohl auf die dorische Variante λᾶνος (zu jon.-att. λῆνος). Auch hier könnte die direkte Quelle Varros der schon in V 88 genannte Hypsikrates gewesen sein. 301 Die überlieferte Inkongruenz des Genus (Poenicum versus allāta) erklärt sich durch die knappe Formulierung Varros, der von der Frucht (Poenicum) zum Baum (Poenica ist Fem.) wechselt. 302 Varro dürfte an Paare wie („sabinisch“) fircus – hircus gedacht haben, die er V 84 schon angesprochen hatte. 303 Pan(n)us < griech. πῆνος (dor. πᾶνος). Auf diesen innergriechischen Wandel hebt Varro ab, darum drückt er sich anders aus: 'E ergab/machte ein A.' Welcher Vorgang genau mit dem folgenden panuvellium gemeint ist, lässt sich nicht exakt bestimmen. 304 Tuendica ist varronisches Rekonstrukt, für dessen Form er sich diesmal des Gerunds tuendō bediente. Die Konjektur von Götz-Schöll entspricht genau dem Bauplan der varronischen Rekonstrukte, s. die Übersicht bei QuGr 255 ff. 305 Secūtum ist wieder ein varronisches Konstrukt (QuGr 133). 306 Varro postuliert also *cladius > gladius.

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        Anmerkungen

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        307 Perīlum ist varronisches Konstrukt (QuGr 140f.). 308 Balteus (bei Varro Neutrum): Nach Charisius GLK I p. 77 erklärt Varro in einem sonst nicht bekannten Text „Scaurus“ das Subst. balteum als etruskisch. 309 Varro spielt mit der nasalierten Aussprache, mit der er zu einer Schreibung < mesa > kommt und das Wort an das griech. Adjektiv μέσος anschließen kann. Die Erklärung scheint ihm aber nicht zwingend gewesen zu sein, so dass er alternativ auf das PPP zu mētīrī 'messen' kommt. 310 D. h. Varro sieht griech. τροῦλλα als Fremdwort aus dem Lat. an. Dass lat. Wörter auch ins Griech. übernommen werden können, zeigt die grundsätzliche Passage aus VI 2, wo es sich allerdings um Eigennamen handelt. 311 truola (überliefertes troula ist so zu verbessern) ist varronisches Konstrukt (QuGr 143 ff.). Nach fundunt beginnt die große Lücke in F, die – nach Verlust eines ganzen Bogens – erst in VI 61 endet, aber durch die Handschriften, v. a. Vall. und f, sowie die Kollationierung von Diacetius in Fv, gut schließbar ist. 312 Hinter dem überlieferten Latini dürfte das von L. Sp. ergänzte patent stecken, es muss ein ganz alter Überlieferungsfehler sein, vielleicht in der Kursiva entstanden. 313 Diese Passage ist – durch die Überlieferung bzw. den Ausfall von F bedingt – nur durch Rekurs auf zwei griechische Formen heilbar. Erstaunlich ist, dass Varro nicht explizit auf das Part. Perf. Akt. pōtus bzw. das Subst. pōtus, -ūs 'Trinken' zurückgreift, sondern alternativ (possunt) die Parallele zu griech. πότος anbietet. 314 Mit δεπέστα, das sonst nicht belegt ist, kann es sich nur um eine (dorische) Ableitung von griech. δέπας 'Humpen, Pokal' handeln; die Stelle spricht für Varros intensive Recherche auch bei – wohl – raren Quellen, auch wenn sein Ergebnis nicht (mehr) überprüfbar ist. 315 Das überlieferte simpulum ist wohl als simpu(v)ium 'Opferschale' zu lesen, so auch in Varros Menippea „Est modus matulae“ (Frg. 115 Astbury). 316 Der et. Weg von ger-ere  car-tibulum ist für Varro weit, er scheint sich seiner Sache daher auch nicht sicher zu sein (potest). 317 Culīna 'Küche' war in kleinen Wohnungen mit Herd auch der Platz der Latrine, die wohl unmittelbar neben dem Herd offen lag. 318 Die Deutung dieser Stelle hängt an der Überlieferung: Impurro ist nicht identifizierbar, etliche Texteingriffe sind nötig, um sie zu heilen. Im Kontext zwischen urna (126) und cālīx fehlt ein kleineres Gefäß: der Krug, urceus. Es muss sich dabei um ein Gefäß handeln, das so geformt ist, dass es nach oben zurückgeht, d. h. sich – anders als die nach oben offenen urna oder cālīx – verengt, wie ein (von Varro nicht weiter spezifizierter) Teil am Pflug: Das wird wohl der Pflugsterz sein, die būra. Die anderen Lösungen (Collart bzw. Kent) müssen Gefäße postulieren, für die es im Lat. keinen Beleg gibt. Urvum wird V 135 dann weiter etymologisiert. Die beiden Einsilbler vel und ut (beide waren ja zu verwechseln) werden einem zweifelnden Kopisten zum Opfer gefallen sein. 319 Varro denkt wohl an ein Kompositum wie * coqui-cibus > * coccibus > caccabus. 320 Die Zuordnung von solium, sella etc. zu sedēre war für Varro kein Problem: Er wusste, dass sodium (mit -d-) die ältere Form für solium war: VI 2. 321 Varro spielt darauf an, dass er auch arma (V 115) auf das Etymon arcēre zurückführte. 322 Varro muss mit dem Zusatz muliebris das Homonym mundus ('Welt' oder 'Putz') trennen.

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        323 Mit quasi leitet Varro kein Rekonstrukt ein, sondern verdeutlicht nur seine Wortbildung. Da er VII 97 ōmen 'Vorzeichen' aus ōsmen herleitet, hätte er kaum ein Rekonstrukt mit -r- gewählt. Vgl. seine Ausführungen zu * Casmēna > * Carmēna > Camēna in VII 97. 324 Diese abenteuerlich klingende Et. Varros löst sich durch den Folgesatz mit dem Verbum ministrāre auf: Er dachte wohl an ein *cal(a)-mi(n)strum, also 'Wärme-Diener', und verlangte von seinem römischen (!) Leser viel Phantasie. Der Grammatiker Charisius zitiert für Varro und Cicero (GLK I 80) neben dem Neutrum ein Maskulinum calamister, was die Herleitung Varros (als *cal(a)minister) deutlicher gemacht hätte. 325 Das überlieferte spiciendō setzt ein Verbum simplex *spicere voraus, das es im Lat. nicht gab. Der Fehler ist durch die – in der Überlieferung entstandene – Verbindung mit dem vorausgehenden a entstanden, was als ā-spiciendō verstanden worden sein wird. 326 Die einzige Et., bei der Varro scheinbar mit nur einem einzigen Laut etymologisiert; doch hat er wohl ein *rā-te angesetzt, d. h. als Etymon eine ganze Silbe gewählt, und mit einem Lautwandel a > e gerechnet, vgl. umgekehrt V 114 zu pannus. 327 Amictuī und circumiectuī sind veraltete Dative eines Verbalnomens (Supinums) auf -us, die möglicherweise zur Zeit Varros bereits zum Substantiv erstarrt waren und als Neutrum konstruiert wurden (circumiectum). Zu den (römischen) Kleidungsstücken in V 131-133 näher: Jurado (1995). 328 Epidicus 231: Der Sklave Epidicus lästert über den Textilluxus der Frauen. Die Ergänzung von Götz-Schöll folgt Nonius p. 866,35 L. = Frg. 329 Salvadore, aus De vita populi Romani I. Der genaue semantische Unterschied zwischen Indūsium, Subūcula und Supparus ist kaum zu bestimmen. Caltula dürfte nach dem wörtlichen Zitat bei Non. p. 880,24 L. (Frg. 330 Salvadore) und der Definition bei Isidor orig. 19,33,4 eine Art Büstenhalter sein. 329 Ein Gewebe, in das nach Plinius nat. XIX 19 unverbrennbare Mineralfasern eingewoben waren. 330 Reicinium ist, wenn richtig konjiziert, wieder ein varronisches Konstrukt; Varros überlieferte Formulierung wäre ansonsten redundant: Es läge zu großes Gewicht auf dem Zusammenhang mit re-icere; so aber fügt sie sich ins Schema der übrigen Rekonstruktpassagen. Zudem bietet die unmittelbar folgende Et. von pallia ebenfalls ein Rekonstrukt plus einer lautlichen Erklärung des (nach Varro) dazu erforderlichen Lautwandels. 331 Varro trennt also etymologisch palla und pallium: Er konstruiert *parilia und denkt – wohl über ein kontrahiertes *parlia – an Schwund des R. Die Idee, dass die Erleichterung der Aussprache ein Faktor für Sprachwandel sein kann, geht letztlich auf Platons Kratylos 414 c zurück: Dort nennt der Sprecher drei Ursachen für den Sprachwandel: εὐστομία 'bequemere Aussprache', καλλωπισμός 'Verschönerung' und die Zeit (ὑπὸ χρόνου). 332 Griech. παράπηχυ (Varros parapēchion muss davon abgeleitet sein) deuten LiddellScott als „woman's garment with a purple border on each side”; dem griechischen Wortsinn nach dürfte es sich um einen bis zum Unterarm reichenden Mantel handeln. 333 F bietet hier gleichzeitig zwei Etyma an: serere und sarīre, was für Varro un­ gewöhnlich ist; serendo ac ist wohl durch eine spätere Glosse in den Text gelangt, bedingt durch das vorausgehende serendi. Beim späteren vehiculum (V 140) – aus

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        viēre und vehere – setzt Varro ein Kompositum an, ähnlich wohl bei der Et. von memoria VI 49 (aus manēre + morārī  * mani-moria). 334 Für pāla setzt Varro implizit also eine Form *pagla an – die Ergänzung von Ellis überzeugt und passt ins varronische System, wo die Rekonstrukte entsprechend den Regeln der lat. Wortbildung so eng wie möglich an ihr Etymon angeschlossen sind (Vorwort 5.4.). Mit ruitrum nennt er explizit sein Rekonstrukt, das an der Fuge zwischen Stamm und Suffix den Fugenvokal -i- aufweist; damit wollte Varro die Bildung des Substantivs als Ableitung deutlicher machen, cf. V 73 virtūs ut viritūs. 335 plūs ist hier adverbiell gebraucht (OLD 1394). 336 Vgl. dazu V 19. 337 Varro beruft sich auf eine nicht näher genannte Gruppe, die sirpicēs (anstelle von irpicēs) gesagt habe; ein reines Konstrukt scheint die Form nicht zu sein, da sie bei einem Etymon serpere sonst *serpicēs hätte lauten müssen. Es handelt sich wohl um eine Volksetymologie mit sekundär angefügtem s-, also mit einem umgekehrtem Weg als jenem, den Varro postuliert. 338 Ru-aster ist wieder ein varronisches Rekonstrukt, um den Anschluss an das Etymon ru-(ere) herzustellen. Die Ergänzung von ut (Coll., de Melo) ist nicht nötig. 339 Varro nimmt wohl folgenden Prozess an: far → * far-cēs > falcēs. Einen „Wandel“ von r > l konnte er evtl. in Dissimulationen wie peregrīnus > pel(l)egrīnus oder griech. ἔργαστρον > ergastulum 'Arbeitshaus' finden. 340 Varro übergeht das Etymon scirpus 'Binse', wohl, weil es ihm klar erscheint, und verweist nur mit hīs wortkarg auf das Substantiv. Er verwendet die verkürzte Form sirpus statt scirpus, die sich in der Volkssprache verbreitet haben dürfte, so auch in V 139. 341 Unklare Quelle Varros; von Hypsikrates (vgl. V 88)? 342 1250 M. = 1258 f. Chr. Mit Urbs 'Stadt' wird Rom aus einer sonst nicht belegten Satire des Lucilius gemeint sein. Den angeblichen „Tausch“ von L und S konnte Varro in Fällen wie pellere 'treiben'  PPP pulsus finden, also in synchronen Vergleichspaaren. Das adverbielle post beweist wieder den diachronrekonstruktiven Anspruch Varros. 343 Vallus war eine Art Sieb für kleinere Mengen Getreide. 344 Im klass. Latein war der Halbvokal [u̯ ] zwischen Vokalen artikulatorisch so nahe am stimmhaften Reibelaut [b] bzw. am Okklusivlaut b, dass ein Etymon corru-ere für Varro möglich war, evtl. als * co-ru-ēs > corbēs. 345 Das Adverb brevī 'kurz' lässt die varronische Et. so auflösen: Für vehi-culum sind zwei Etyma gleichzeitig verantwortlich: viēre 'winden' und vehere 'fahren'; im Subst. vehi-culum liegt eine (varronische) Verkürzung von viē-(ve)hi-culum vor, ähnlich bei memoria 'Gedächtnis' aus *mani-moria: VI 49. 346 Varro bezieht sich auf eine berühmte Passage aus der ersten Tafel des Zwölf­ tafel­gesetzes (des Jahres 450 v. Chr.), die sinngemäß festlegte: 'Wenn einer vom Prozessgegner vor Gericht gerufen wird, muss er kommen; sollte er krankheits- oder altersbedingt nicht kommen können, soll ihm ein Zugtier gegeben werden. Lehnt er das ab, muss ihm aber kein Wagen zur Verfügung gestellt werden.' (arceram nē sternitō: XII tab. I 3 Flach): D. h. den Komfort eines geschlossenen Wagens konnte der Beklagte nicht beanspruchen (NP 11, 1200 ff.). Die Verlesung des auslautenden -r in arcar (statt ē = est) wird im Schrifttyp der Kursiva passiert sein, ist also ganz alt.

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        347 Varro wendet hier das rhetorische Stilmittel des pars prō tōtō auf das Benennungsprinzip an. 348 Das Adverb māxumē lässt durchschimmern, dass die Et. von aedificium für Varro nicht trivial war. 349 Die alte Form für mūrus kannte Varro zumindest aus dem Ritualbuch der Argäer (V 50), den Zusammenhang zwischen dem Neutrum mūnus und Pl. moenia, mit dem er spielte, sicher auch, ebenso wie die Form moenītum für mūnītum aus Plautus (Bacch. 926). 350 Die Samnitēs waren der ursprüngliche Typ des Gladiators, mit Schwert, Beinschienen, rechteckigem Schild und Helm. Die spektakulären Helmfedern wurden später auch von anderen Gladiatorentypen wie dem Murmillō oder dem Thra(e)x getragen. Abb. bei Junkelmann (2000) 59 und 108f. 351 Das überlieferte torvīs und ante aliōs 'vor den anderen' gibt nur mit Mühe einen Sinn: Kent übersetzt: „… from torvi 'fiercely staring eyes, because they stand out in front of the rest'“, dem de Melo noch folgt. Proiciunt müsste dann intransitiv sein (so Mue.). Schon Laetus hat das Problem mit seiner Konjektur proiciunt im Ansatz bemerkt, wie auch der Schreiber von M. Evtl. hieß es ursprünglich: a tor vis, quo eae prospiciunt etc. 'vom grimmen Aussehen, mit dem sie vor den übrigen (Mauern) herausschauen'. 352 Aricia: Alte Stadt in Latium, ca. 30 km südöstlich Roms an der Via Appia, 338 v. Chr. von Rom unterworfen. 353 Varros Et. (urbs von orbis 'Kreis' und urvum 'Krümmung') suggeriert zwei Wörter als Etyma von urbs; da es sich nicht um ein Kompositum handelt, dürfte er an ein einzelnes Wort als orīgō gedacht haben, also orbis → urvum → urb(is) 'Stadt'. 354 Ca. 30 km südlich Roms am Meer gelegen. Varro nimmt hier aus Historikern wie vermutlich Fabius Pictor, Porcius Cato und Cassius Hemina die Legende der trojanischen Herkunft von Äneas und den späteren Römern auf, die zwei Jahrzehnte später Vergil in der Aeneis (I 257-277, dem ersten Teil der Trostrede Jupiters an Venus) poetisch ausgestaltet hat. 355 Varros Formulierung sagt hier nicht eindeutig, dass auch der Ortsname Rōma von Rōmulus stamme: In V 33 – so ist es in F überliefert – heißt es ja: Rōmānus dictus, unde Rōma, ab Rōmō, s. dort im Kommentar. Die Beziehung zwischen Rhea und Romulus ist ja genealogisch, nicht onomasiologisch. Eindeutig hingegen: VIII 18, IX 34, X 15 f. 356 Das Forum Boārium lag westlich des Kapitols und des Tarpejischen Felsens am Tiber, nördlich davon das Forum Holitōrium. Karte in: NP 10, 1087f. 357 Das Macellum war wie ein Hof von einer Mauer umgeben, an die nach innen die Läden eingebaut waren; rekonstruierter Plan eines Macellum aus Puteoli in: NP 7, 619. 358 Das ad Portūnium ist eine Konjektur des Archäologen Jordan ([1885] 485 f.) und wird sich am Tiberhafen beim Forum Boārium befunden haben: NP 10, 194. 359 Im Curculio 474: Der Impresario des Stücks schildert zynisch die Örtlichkeiten Roms und ihr Personarium: Beim Forum Piscarium treffe man Arrangeurs von Einladungen, symbolārum collātōres apud forum Piscārium. Varro hat das Plautuszitat also verkürzt.

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        360 Die Cornēta lagen nach V 152 (s. dort) zwischen der Via Sacra und dem Macellum. Es kann sich aber angesichts der Beengtheit des Raumes nur um eine kleine Anpflanzung von Kornelkirschen gehandelt haben. 361 Das Macellum war der älteste Markt der Stadt und lag beim Comitium, neben der später erbauten Basilica Aemilia. Nach dem Brand von 210 v. Chr. wurde es 179 v. Chr. wieder aufgebaut. Es enthielt in der Mitte einen kleinen Rundbau (Tholos), wahrscheinlich im hellenistischen Stil, wovon es dann auch den (griechischen) Namen bezog: Lugli (1946) 101. Die quīdam, von denen Varro spricht, könnten die im folgenden Kapitel erwähnten Procilius und Piso, evtl. auch sein Lehrer Stilo, gewesen sein. Der von Varros Quellen genannte Macellus ist sonst nicht bezeugt; de Melo 777 denkt an eine Überlieferungskorruptele aus Marcellus, doch könnte der vermeintliche Fehler schon auf Varros Zeit zurückgehen, wenn das -r- in Marcellus von einem seiner Informanten nicht genügend „gerollt“ ausgesprochen worden wäre. 362 Ursprünglich wohl ein kleiner Tümpel in der Senke des späteren Forum Romanum, vor den Rōstra, später zum Monument mit Altar ausgebaut: NP 6, 148f. 363 Procilius, Historiker wohl in der 2. Hälfte des 2. Jhs. v. Chr.; L. Calpurnius Piso Frugi war Konsul 133 v. Chr. und schrieb mindestens 7 Bücher Annalen, die Varro V 165 erwähnt: NP 2 948f. Der überlieferte Cornēlius Stīlō ist unbekannt. Überzeugend ist die Konjektur von Aug., der CORNELIUS zu C. AELIUS auflöst, was paläographisch plausibel ist (der Punkt nach C war als kleines o „verlesen“). Dann handelt es sich um Varros Lehrer Aelius Stilo – und das erhaltene, schwer unterzubringende Pronomen is lässt sich zu ipse erweitern (wohl als ip̄ abgekürzt). 364 Der Concordia-Tempel, 366 v. Chr. errichtet, lag zu Varros Zeiten unterhalb der Arx und ca. 100 m westlich des lacus Curtius (Lugli [1946] 72 f., mit Ausschnitt aus der „Forma Urbis“): NP 3, 116. Die zeitliche Zuordnung der Annalisten, die Varro auswertet (die Romuluszeit), passt nicht dazu. 365 Q. Lutatius Catulus, * ca. 150 v. Chr., Konsul 102, Verfasser einer Autobiographie De consulatu et de rebus gestis suis. Er ist wohl auch der Verfasser einer Communis historia ('allgemeine Geschichte'), aus der Varro geschöpft hat (NP 7, 524f.). Laetus (und nach ihm Augustinus) hat aus dem falsch überlieferten Luctātius das C herausgeschnitten und als Praenomen dem Lutātius vorangestellt. 366 Nach arma 'Waffen' (V 115) und arca 'Kiste, Truhe' (V 128) leitet Varro nun auch arx 'Burg' von arc-ēre her; das Verbum ist somit eines der prīmigenia verba (Elementarwörter), von denen er VI 36f. spricht. 367 Der Carcer war „der Ort der persönlichen Haft im röm. Recht“ (NP 2, 984) und nicht der Ort der Bestrafung. Das Tulliānum hingegen war der Ort, wo die zum Tode Verurteilten vor der Hinrichtung festgehalten wurden: Hierzu zählten die Verschwörer der Catilinarischen Verschwörung von 63/62 und der Gallierfürst Vercingetorix, den Cäsar noch im Triumphzug von 46 vorführen ließ. Der christlichen Legende nach hat der eingekerkerte Apostel Petrus mit dem Quellwasser des Tulliānum seine Mitgefangenen getauft. 368 Laurentum war eine alte Stadt in Latium zwischen Ostia und Lavinium; die Ermordung von Titus Tatius in Laurentum berichtet u. a. auch Livius I 14,1. 369 Cornēta: s. zu V 146.

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        370 Vgl. dazu V 49f. mit den Auszügen aus den Sacra Argēōrum. Dort wird der lūcus Fācūtālis in älterer Schreibung mit C geschrieben. – Hierher gehört eigentlich die Passage von V 163-165 samt der dort noch fehlenden Teile, s. dort. 371 Das Armilūstrium war ein Fest am 19. Oktober, wenn das Heer vom Kriegszug heimkehrte, eine „Entsühnung der Waffen“ (Latte 120). Das dazu gehörende Pferderennen wurde am 15. Oktober durchgeführt. Varro unterscheidet durch den Zusatz locus den Ort Armilūstrum (so in F überliefert) vom Fest Armilūstrium (VI 22). Das folgende item 'ebenso' erhält seinen Sinn durch die semantische Verbindung von ambi 'rings herum' mit circum. 372 Frg. 1 Leo / Aragosti. Von dieser Plautuskomödie sind 7 Fragmente erhalten. Sie heißt bei Nonius auch Cornicularia. Die Konjektur des Augustinus (vectis 'Brechstange' statt ad-ventus) gibt der Stelle den besten Sinn. Dīcunt wurde – wohl im Gefolge der Verlesung von ad vectim > adventum – zu dīctum verändert. 373 Poēta: Da kurz vorher Plautus genannt war, könnte er auch der Autor sein, das Stück war dann vielleicht die gleiche Cornicula; es könnte sich um eine Art Mauerschau mit Blick auf den Circus Maximus handeln. Die von Varro genannten Türme waren zu seiner Zeit wohl noch aus Holz; richtige Türme wurden erst in spätantiker Zeit hinzugefügt (NP 2, 1213). Insofern ist die Konjektur Müllers zwingend. 374 Das Heiligtum der Murcia lag am nördlichen Fuß des Aventin; es handelt sich dabei wohl um eine alte Ortsgottheit (NP 8, 496). 375 Der Circus Flāminius lag auf dem südlichen Campus Martius und wurde von C. Flaminius 220 v. Chr. errichtet (NP 2/1213), auf den die Anlage der Via Flaminia von Rom nach Ariminum (Rimini) zurückgeht. 376 Das Comitium lag im nordöstlichen Bereich des Forums und wurde später durch das von Cäsar errichtete Forum Iūlium überbaut; es hatte auch eine Rednerbühne, darunter die Graecostasis. Die Curia lag erhöht am Nordrand des alten Forums oberhalb der Rostra. 377 Die Schiffsschnäbel aus der Seeschlacht von Antium (338 v. Chr.), die im Latinerkrieg erbeutet worden waren. Das Relief auf dem Konstantinsbogen zeigt sie noch im Ansatz (Lugli 140f.). 378 An der Nordwestecke des Forums. 379 Nach Lugli (82 f.) lag er zwischen Comitium und der Basilica Aemilia, die genaue Lage ist unklar. 380 S. zu V 44f. 381 Spurius Maelius war nach Livius IV 13 ein schwerreicher Ritter, der in der Hungersnot von 440/39 Getreide mit privatem Geld aufkaufte und an die Plebs verteilte, um sich Anhänger zu beschaffen. Das Aequimēlium lag im Süden des Forum Boarium bei den nördlichen Ausläufern des Kapitols: NP 1,187. 382 Ihre Lage zur Zeit der späten Republik ist „nicht sicher lokalisiert“ (NP 3, 35). Sie dürfte an der Basilica Aemilia am Forum verlaufen sein. Vielleicht verbirgt sich hinter dieser Beschreibung der Hinweis auf eine archaische Bestattungsstelle mit vergrabenen Aschenurnen. 383 Er war die „erste befahrbare Straße auf dem vorwiegend plebeischen Aventin“ (NP 3, 35). Erbauer waren die plebeischen Ädilen Lucius und Marcus Poblicius Malleolus.

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        384 Der Floratempel lag auf dem Quirinal; der alte Tempel der Kapitolinischen Trias (Jupiter, Juno, Minerva) wurde nach dem Brand des Jahres 83 v. Chr. neu aufgebaut, worauf Varro anspielt. In seiner etymologisierenden Stadtführung bewegt sich Varro offensichtlich vom Forum über den Aventin zu Quirinal, Kapitol und Esquilin. Capitolium Vetus war nach Gruchalski (2021) zu Varros Zeit ein Straßenname, nach Coarelli (LTUR I 234) war der Kultort selbst „probabilmente … di piccole dimensioni, forse solo un'area munita di altare“. 385 Der Vīcus Cyprius (bzw. – so de Melo – Cuprius) könnte von der Subura zur Via Sacra geführt haben (Collart 247). Zur Beleglage von *kuprom s. de Melo 784 f. 386 Ausführlicher berichtet bei Livius I 48, 7. 387 Eine detaillierte Beschreibung des Cavum aedium und der Formen des Atriums bietet der Architekt Vitruvius VI 3 (2. Hälfte des 1. Jhs. v. Chr.). 388 Atria lag ca. 40 km südlich von Padua zwischen den Mündungen von Po und Adige im Landesinneren. Varro greift mit seinem Verweis auf die 'Etrusker aus Atria' viele Jahrhunderte zurück. Das ātrium Tūscānicum ist nach Vitruv (VI 3) freischwebend gewesen. 389 In der Lücke muss etwas zur Sommerwohnung im kühleren Erdgeschoss gestanden haben. Der Vermerk über die Lücke entspricht jenen, die in Fv auch an anderer Stelle festgehalten sind, z. B. zu Beginn von VII 1, s. dort. Allerdings steht in V 163 ‑ 165 eine Passage über die verschiedenen Portae der Stadt, die nicht hierhergehört. Ihr Platz ist nach V 152, wo Varro ja eine Art etymologischen Stadtführers anhand der Heiligtümer bietet. Der Beginn von V 163 wird etwas über die loca Tutilīnae enthalten haben, bezog sich also auf eine heilige Stätte. Die drei Kapitel und der fehlende Teil, der mit religiōnem fortgesetzt wurde, werden weitere Heiligtümer des alten Roms enthalten haben, jedenfalls war dies so viel Text, dass sich wenigstens ein Blatt mit Vorder- und Rückseite damit füllen ließ; sie werden von einem der Schreiber der Vor-Vorgänger von F noch lange vor dem Verlust der beiden folia als ehedem loses Blatt hier eingereiht worden sein. Die Bestimmung des Umfangs der Lücke hängt davon ab, auf welcher Kopierstufe der Verlust stattgefunden hat. 390 Porcius Licinius, 2. Hälfte des 2. Jhs. v. Chr. Er verfasste ein literarhistorisches Gedicht über die römische Dichtung, das wohl mit Ennius begann (fr. 2 Bl.). 391 D. h. Varro hat – als er dies schrieb – gerade in einem Text über Rom bzw. Roms portae gelesen. 392 S. o. zu V 148. 393 Im Jahre 235 v. Chr.; der Erste Punische Krieg war 241 schon beendet. Der Anlass für die erneute Eröffnung könnten die bürgerkriegsähnlichen Unruhen auf Sardinien und Corsica gewesen sein; die beiden Inseln hatte Karthago im Jahre 237 an Rom übergeben (Sommer [2013] 264). 394 Über die richtige Rekonstruktion dieser Stelle wurde viel gerätselt, s. dazu auch Stroux (1923) 323. Das Kapitel steht im Rahmen des Militärs, zweimal kommt hier auf so engem Raum in castrīs vor, also wird sich in hīs auf das Lager beziehen. 395 Mit acūs 'Nadeln' dürften entweder weiche Lärchennadeln gemeint sein – oder Varro bezog sich auf das Nähen der Kissenüberzüge. 396 Das Amphimallum war innen und außen gefüttert. Die Gaunaca (< griech. καυνάκης) hatte persischen Ursprung; es wird sich dabei ebenfalls um eine Pelzart gehandelt haben.

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        397 Zu den römischen Frauenfrisuren mit den verschiedenen Flechtkonstruktionen s. die Grafik in NP 5, 43. Varro hatte längliche Polster vor Augen, die eher gedreht als gepresst aussahen. 398 S. dazu die Aufstellung in NP 16, 450. Mit pecūniae signātae setzt die Parallelüberlieferung aus Priscians De figuris numerorum liber (Kap. 15f. = GLK III 410 f.) ein. Diese ging von einer Vorlage aus, die von den Vorgängern von F nicht selten abwich, s. den Apparat und Vorwort 3.2.1. In der Abhandlung Varros fehlen die von Cäsar 46 und 45 geschlagenen Goldmünzen; daraus lässt sich – mit Vorsicht (!) – schließen, dass diese Passage „wohl bis spätestens 46 v. Chr. geschrieben sein müsste.“ (Rösch-Binde [2001) 239). 399 Das ‑s nach pondo (falsch überliefert ist bei Priscian und Varro pondus) dürfte vom Zahlzeichen für '1' herrühren, das schon in V 56 seine Spuren hinterlassen hat, s. dort. Priscian hat wohl den Text so bereits vorgefunden. Die Form pondō gebraucht Varro auch in De vita populi Romani Frg. 379 Salvadore. 400 D. h. nach bi-, z. B. in bis 'zweimal' etc. 401 Ducentī ist eine grammatisch zwingende Konjektur von L. Spengel; auch dieser Fehler muss schon in der Vorlage von Priscian enthalten gewesen sein. Ein zweiter „Fehler“, nämlich mit dem bei Varro gar nicht seltenen Pronomen aliusve quī, findet sich auch bei Gellius X 21, s. zu VI 59: Der Varrotext wurde also schon früh und in verschiedenen Stationen verunstaltet. 402 Das gut überlieferte semiuncia (Priscian hat nur semuncia) dürfte einen Trennstrich enthalten haben, wie er in VII 31 für ambagio, ambustum und ambegna gesichert ist, s. dort, und in sem-(i)iter V 35 wahrscheinlich ebenso vorliegt. In Priscians Exemplar fehlte er vielleicht schon. Der Satz „Se valet dimidium ut in selibra et semodio“ fehlt bei Priscian und ist wohl ein späterer Zusatz, der am grammatischen Kern ohnehin vorbeigeht: Nicht sē bezeichnet ja das Halbe, sondern sēm(i). 403 Sēmias ist wieder ein varronisches Konstrukt, das sicher mit < ut > eingeführt wurde, während das ut vor dīmidium assis in die falsche Zeile gerutscht war. 404 Die römische Zählweise ist ausgesprochen kompliziert: Es handelt sich hier nicht um ein Subtraktionsverfahren, wie es bei den römischen Zahlen z. B. bei '18' der Fall war: duodēvīgintī bedeutet ja: 'zwei weniger als zwanzig': Vielmehr war die Ausgangszahl das Dutzend: Z. B. bēs '8 Unzen' sind zwei Drittel von einem zwölfteiligen Ganzen, also 2/3 von 12 = 8 Unzen, vgl. die Übersicht in NP 16, 450. Varros Etymologie von deūnx ist abenteuerlich, aber innerhalb seiner Möglichkeiten denkbar; wahrscheinlich nahm er an: dē + ūna + ūncia. Priscian hat dē ūna ausgelassen, vielleicht hat er das absurde et. Spiel Varros nicht durchschaut. dēs dürfte varronisches Rekonstrukt sein. 405 Aus der Abkürzung von lībra = (ineinander geschrieben) lb, wurde unser Zahlzeichen für Pfund. Die Zählung nach dem Zwölfersystem führt dazu, dass der Terrūncius ein Viertel eines As war. Die Römer mussten jedenfalls im kleinen Geldgeschäft sowohl mit dem Zehnersystem als auch mit dem Zwölfersystem rechnen können. 406 Die Überlieferung des Texts spiegelt die Probleme wider, die Varro selbst mit der Et. von multa hatte: Das Subst. multa 'Strafe' fällt im Plural des Femininums ja mit dem Zahlwort multae 'viele' (Fem.) zusammen – zudem kannte er wohl eine Form mulcta, die nach Fv auch für F restituierbar ist, vgl. auch Leumann 190 und 217 zu mul(c)ta. Seine Et. ist eine zweifache: Er versucht mit dem Spiel zwischen Singular

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        Anmerkungen

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        und Plural eine etymologia ē contrāriō (s. zu V 18), im Sinne: „multa 'Strafe', weil sie normalerweise nicht in der Vielzahl, multae, sondern einzeln ausgesprochen wird.“ Zudem greift er offenbar auf einen Spruch der Winzer zurück, den sie beim Abziehen des ersten Weins äußerten: „Mulcta!“. Das bedeutet hier aber wohl nicht 'Strafe', sondern ist das PPP von mulgēre 'melken'. Kulturgeschichtlich scheint der Ruf dem Bairischen „Ozapft is!“, vergleichbar, das beim Anzapfen des ersten Fasses im Bierfest gerufen wird. Unsere Eingriffe in den Text sind relativ wenige; dass die hier restituierte Version in der Überlieferung entstellt wurde, ist beim Fast-Zusammenfall dreier Wörter (multae 'viele'/ multa 'Strafe' und mulcta 'gemolken') nicht verwunderlich. Zu ita-que 'und so' an dieser Stelle: Stroux 319. 407 Varro dachte wohl – in seinem eigenen System gefangen – an ein Kompositum * pecci-sequa-na > poena. Die Et. von pretium (varronisch aus *perītium) klingt ähnlich abenteuerlich. 408 Der Ausdruck in scēnā lässt sich – mit veränderter Interpunktion – auch anders beziehen: „… weil man sie auf der Bühne gerne gab“. 409 Parida ist varronisches Konstrukt. 410 Sophron (2. Hälfte 5. Jh. v. Chr.) verfasste sog. Mīmoi, heitere dramatische Dialoge oder Monologe, von denen Fragmente – wie hier – erhalten sind. Die Ergänzung von Huschke wirft ein nettes Licht auf ein Wortspiel, das ja als solches schon den Inhalt der Gegenleistung widerspiegelt. 411 Die Überlieferung führt zur komplizierteren Lesung, der lectio difficilior, des Vallicellianus. Varro verweist auf die zweite Bedeutung von mūnus, die er mit den schon in Kap. 141 etymologisierten moenia, Stadtmauern, in Verbindung bringt. In V 141 sind auch mehrfach die Formen mit Diphthong oe bezeugt, s. dort. 412 Das überlieferte si is hat Vetter mit Stroux zu stlīs verbessert, einem Archaismus in der Rechtssprache (Cic. orator 156), den die Kopisten nicht mehr kannten, wie auch bei stlocus statt locus in V 15. 413 Nach Kaser (1983) 356 handelte es sich dabei um eine Art „Prozesswette“, deren Anfänge in einem Eid lagen, was Flach (2004) 21 anzweifelt: Nach ihm wurde um den Betrag, der als Meineidsbuße zu entrichten war, „nicht gewettet, sondern gestritten“. Um für den Verlierer die Meineidsfolge abzuwenden, wurde ein piāculum, ein Sühnegeld, beim Tempelschatz hinterlegt. Die Summe betrug nach dem röm. Juristen Gaius (2. Jh. n. Chr.) 500 As bei Streitsachen von über 1000 As, darunter auch nur 50 As. 414 Aus der Aulularia, der „Goldtopfkomödie“, Vers 526. Der Alte Megadorus klagt über die Geldforderungen Dritter. Die Regelung war schon im Zwölftafelgesetz verankert (XII tab. I 11 Flach). 415 Annales 265 V. = 215 Sk. 416 Gemeint ist: Für den, der einen Kredit zurückzahlen will, addieren sich Kapital und Zinsen. 417 Eine berechtigte Sorge Varros: Der erhaltene Teil von Buch V hat fast den doppelten Umfang wie jedes der folgenden Bücher – was für die Überlieferung der Papyrusrollen, falls das Buch oft benutzt wurde, gewiss nicht förderlich war. 418 Damit meint Varro das erste Buch, das Cicero selbst gewidmet war, also Buch V, nicht Buch I; Varro dachte in Triaden, vgl. eine ähnliche Formulierung in X 1, wo er auf die beiden vorangegangenen Bücher VIII und IX mit prīmō librō bzw. secundō verweist. Vgl. dazu auch V 10.

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        M. TERENTII VARRONIS DE LINGUA LATINA LIBER V EXPLICIT · INCIPIT LIBER SEXTUS.

        MARCUS TERENTIUS VARRO. ENDE DES 5. BUCHES ÜBER DIE LATEINISCHE ­SPRACHE. BEGINN DES 6. BUCHES.

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        Übersicht über Buch VI 1-2 : Einführung: Inhalt von VI und Varros Quellen 3-34 : Die Zeiten und ihre Etymologien 3 : Definition von tempus 4-34 : Etymologie von Substantiva zum Wortfeld 'Zeit' 4 : Astronomische Einteilung der Zeiten 4-7 : Tag und Nacht 8-11 : Jahr und Monate

        12-34 : Der römische Festkalender

        12-26 : Religiöse Festtage im Laufe eines Jahres (Januar – Dezember) 27-34 : „Weltliche“ Tage und Zeiten 27-29 : Kalenden, Nonen, Iden; diēs fāstī 30-32 : diēs nefāstī und intercīsī; Tage mit besonderen Bezeichnungen 33-34 : Die Monatsnamen



        35-96 35:

        Was sich in der Zeit vollzieht: Verben Definition der Verben

        36-39: Wortbildung der Verben und ihre Produktivität 40: Problem der verbalen Etyma 41-96 Etymologie der Verben 41-42: Drei-Stufen-Modell Varros: Denken/Lauten/Handeln 43-50 Mentales und Emotionales 43-44: Denken und Erinnern 45-50: Emotionen

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        51-76 : Sprechen / Lautäußerungen

        51-62 : Reden 63-65 : Erörtern 66 : Lesen 67-68 : Onomatopoetica 69-74 : spondēre : Geloben (als Sprechakt) 75 : canere 76 : ōrāre und ōmen

        77-96 : Nonverbales Handeln 77 : 78 : 79 :

        Definition des Handelns facere und agere lugēre und quaerere

        80 – 85 : Die fünf Sinneswahrnehmungen 81-82 : Sehen 83 : Hören 84 : Schmecken, Trinken etc. 85 : Tasten, Berühren: manus und Verwandtes 86 – 95 : Das inlicium 86-87 : Auszug aus den Tabulae Censoriae 88 – 91 : Auszug aus den Commentarii Consulares 92 : Auszug aus dem Commentarius anquisitionis 93-95 : Etymologie des inlicium 96 : Verben aus dem Griechischen 97 : Schlusswort zu Buch VI und Überleitung zu Buch VII

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        o

        Liber Sextus

        1 rigines verborum quae sint1 locorum et ea quae2 in his, in priore libro scripsi. In hoc dicam de vocabulis temporum et earum rerum, quae in agendo fiunt aut dicuntur cum tempore aliquo: ut sedetur, ambulatur, loquontur3. Atque si qua erunt ex diverso genere adiuncta, potius cognationi verborum quam auditori calumnianti geremus4 morem: 2 Huius rei auctor satis mihi Chrysippus et Antipater et illi, in quibus si non tantum acuminis, at plus litterarum, in quo est Aristophanes et Apollodorus. Qui omnes verba ex verbis ita declinari scribunt, ut verba litteras alias adsumant, alia mittant5, alia commutent: ut fit in turdo, in turdario, in6 turdelice. Sic declinantes Graeci nostra nomina dicunt Leucienum7 Λευκιηνόν8 et Quinctium Κοΐντιον9, et Ἀρίσταρχον10 < nos >11 Aristarchum et Δίωνα Dionem12. Sic, inquam, consuetudo nostra multa declinavit ua13 a vetere: ut ab sodio solium14, ab Loebeso Liberum15, ab Lasibus Lares. Quae obruta vetustate, ut potero, eruere conabor. 3 Dicemus primo de temporibus quam quae16 per ea fiunt17: sed ita, ut ante de natura eorum. Ea enim dux fuit ad vocabula imponenda homini. Tempus esse dicunt invallum18 mundei19 motus. Id divisum in parteis aliquot maxime ab solis et lunae cursu. Itaque ab20 eorum tenore temperato tempus dictum, unde tempestiva; et a motu eorum21, qui toto caelo coniunctus, mundus. 1 sunt pb, Flo.; sint cett. 2 qua fp, quae VallFvaVHG, ea om. Vall. 3 loquitur abLae., loquuntur Vall., loquontur Fv, cett. 4 oremus fHVall., geremus FvVaG , gerimus p. 5 mutent GH, mittant cett. 6 .T. *FEGHVpa. 7 Leucienum *F. 8 λευκίηνον fHa, Leucienon FvVallVp : Kent. 9 Quintium (lac. 8) faGH, Quintium Quintion Vall.M, Quincium Quincton E, Quinctium Quinction FvVp: Aug. 10 Aρίσταρχον (+ lac.) Ha; (lac. +) Aristarchum f; Aristarcon Aristarcum VpG, Aristarchon Aristarchum Vall.EM: Ald. 11 < nostri illorum > L. Sp.; < nos illorum > de Melo; scripsi. 12 διόνα f, διόνα Dionem Ha, diona dyonem Vall.: Aug. 13 ut F°; scripsi. 14 solu solum : Flo. 15 libero liberam : *F, cett.: Mue. 16 primo – quam quae codd.; primo – quaeque A. Sp. 17 fiunt Fv, fiant GH 18 in vallum codd., intervallum a, Lae. 19 mundi et codd.; et del. Turn.; scripsi. 20 ab eorum (Fv)Vall.EMVp, eorum cett. 21 a motore eorum Popma.

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        Sechstes Buch

        w

        1 oher die Wörter für Örtlichkeiten kommen und das, was sich in diesen befindet, habe ich im vorangegangenen Buch geschrieben. In diesem möchte ich von den Bezeichnungen für Zeiten und die Dinge sprechen, die beim Handeln geschehen oder mit einem Tempus gesagt werden, z. B. sedētur, man sitzt, ambulātur, man geht umher, loquontur, man spricht.1 Und wenn etwas aus einem anderen Bereich damit verbunden ist, werde ich eher der Verwandtschaft der Wörter als dem mäkelnden Zuhörer zu Gefallen sein2:1 2 Mir genügt dafür die Autorität eines Chrysippus3 und Antipater und jener Männer, die vielleicht nicht so viel Scharfsinn hatten, aber mehr darüber geschrieben haben: darunter Aristophanes und Apollodorus.4 Sie alle schreiben, die Wörter seien voneinander so abgeleitet, dass die einen Buchstaben hinzunähmen, andere abgäben, wieder andere veränderten, z. B. bei turdus, Drossel, turdārium, Drosselkäfig, und turdēlīx, Misteldrossel. So leiten die Griechen unsere Namen ab und sagen zu Leuciēnus Λευκιηνός und zu Quīnctius Κοΐντιος, umgekehrt wir Aristarchus zu Ἀρίσταρχος und Diō zu Δίων.So hat auch, wie schon gesagt, unser heutiger Sprachgebrauch viele Wörter von einem alten abgeleitet5: z. B. aus sodium, Sessel, solium, von Loebesō den (Gott) Līber, die Laren, Larēs, aus Lasēs.6 Das ist zwar durch den Lauf der Zeit verschüttet, doch will ich nach Kräften versuchen, es wieder auszugraben.72 3 Ich werde also erst über die Zeiten sprechen, dann über das, was in ihnen geschieht: aber vorher über ihre Natur. Denn sie hat den Menschen bei der Benennung der Dinge geführt. Tempus, Zeit, sagt man, ist ein Intervall der Erdbewegung. Dieses ist in etliche Teile unterteilt, vornehmlich nach dem Lauf von Sonne und Mond. Nach deren geregeltem, temperātum, Lauf, tenor, ist daher tempus, die Zeit, benannt, davon tempestīva, die rechten Zeitpunkte; und von deren Bewegung, mōtus, ist mundus, Welt, benannt, die ja mit dem gesamten Himmel verbunden ist.8 3

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        Liber VI

        4 Duo motus < solis > +++1 casum2 venit, quo tempus id ab hoc deo dies appellatur. Meridies ab eo quod medius dies. D antiqui, non R, in hoc dicebant, ut Praeneste incisum in solario vidi. Solarium dictum id, in quo horae in sole inspiciebantur, < vel >3 quod Cornelius in Basilica Aemilia et Fulvia inumbravit. Diei principium mane, quod tum4 manat dies ab oriente, nisi potius quod bonum antiqui dicebant manum, ad cuiusmodi religionem Graeci quoque, cum lumen affertur, solent dicere φῶς ἀγαθόν. 5 Suprema summum diei, id ab superrimo. Hoc tempus Duodecim Tabulae dicunt occasum esse solis. Sed postea lex Plaetoria5 id quoque tempus esse iubet supremum, quo praeco6 in comitio supremam pronuntiavit populo. Secundum hoc dicitur crepusculum, a crepero. 7 Id vocabulum sumpserunt a Sabinis, unde veniunt Crepusci nominati 8 Amiterno, qui eo tempore erant nati, ut Luci9 prima luce in Reatino10: Crepusculum significat dubium. Ab eo res dictae dubiae creperae, quod crepusculum dies etiam nunc sit an iam nox, multis dubium. 6 Nox quod, ut Pacuius11 ait, „Omnia nisi interveniat sol, pruina obriguerint“, quod nocet, nox, nisi quod Graece νύξ nox. Cum stella prima exorta (eum Graeci vocant ἕσπερον, nostri vesperuginem, ut Plautus: „Neque vesperugo neque Vergiliae12 occidunt.”), id tempus dictum a Graecis ἑσπέρα, Latine vesper; ut ante solem ortum, quod eadem stella vocatur iubar, quod iubata, Pacuvi13 dicit pastor14: „Exorto iubare noctis decurso itinere”; Enni15 Aiax: „Lumen – iubarne? – in caelo cerno.” 1 Lac. ind. Popma; < alter cum caelo, id est Diove, cum ab oriente > etc. scripserim. 2 casu : Sciop. 3 Add. Flo. sec. Riganti; an: < ut > ? 4 tum faGH, tum < cum Vall., cum cett. 5 praetoria : Scal. 6 praetor: Sciop., Mue. 7 Del. L. Sp., de Melo. 8 Add. Flo. 9 luci : Lae. 10 creatione F°G, reatione aHVpE, reactione Vall.: Mue. 11 Catulus: Scal., Schierl. 12 Vergiliae (Fv) aGM, Vergilliae H, Vergeliae Vall.E. 13 pacui Vall.pV, Pacuvianus Canal. 14 partor faHGVp, pastor (Fv)Vall.EM. 15 Ennius : GS.

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        4 – 6

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        4 Zwei verschiedene Bewegungen (der Sonne) gibt es: +++ 9 (sc. wohl: Die eine, wenn sie mit Iupiter, Diovis, von ihrem Aufgang) zum Punkt ihres Untergangs kommt, wodurch dieser Zeitraum nach diesem Gott (sc. nach Diovis, Iupiter) diēs, Tag, genannt wird. Meridiēs, Mittag, heißt daher so, weil er die Mitte des Tages ist, medius diēs. In diesem Wort sagten die Alten D, nicht R, wie ich in Praeneste in eine Sonnenuhr eingehauen gesehen habe. Sōlārium ist die Sonnenuhr genannt, auf der man an der Sonne, sōl, die Stunden, hōrae, ersehen konnte, aber auch die Terrasse, die Cornelius in der Basilica Aemilia und Fulvia beschattet hat. 10 Der Beginn des Tages ist der Morgen, mānē, weil er zu diesem Zeitpunkt vom Osten herauffließt, mānat, oder eher, weil die Alten mānum zum Guten, bonum, sagten; nach dieser frommen Denkweise sagen auch die Griechen gerne, wenn ein Licht herbeigebracht wird, φῶς ἀγαθόν, gutes Licht.4 5 Der letzte Punkt des Tages, summum, ist die suprēma, letzte Stunde, das kommt von superrimum, dem Äußersten. Die Zwölf Tafeln sagen, dieser Zeitpunkt sei der Sonnenuntergang.11 Aber die Lex Plaetoria legt fest, dass auch jener Zeitpunkt der äußerste, suprēmum ist, an dem der Ausrufer beim Komitium dem Volk die letzte Stunde, suprēma, ansagt.12 Danach schließt sich das crepusculum, die Dämmerung, an, von creperum, Dunkelheit.13 Dieses Wort hat man von den Sabinern genommen; daher kommen auch die so genannten Crepuscī – so nennt man im Gebiet von Amiternum die zu dieser Zeit Geborenen –, wie im Gebiet von Reate die beim ersten Morgenlicht Geborenen Lūciī heißen. Crepusculum bedeutet etwas Zwielichtig-Zweifelhaftes. Danach sagt man zu zweifelhaften Dingen, sie seien creperae, zwielichtig, weil vielen nicht klar ist, ob die Dämmerung, crepusculum, noch Tag oder schon Nacht ist.5 6 Pacuvius14 sagt, „Alles würde vom Reif erstarren, käme nicht die Sonne dazwischen.“ So heißt die Nacht, nox, so, weil sie schadet, nocet, wenn nicht deswegen, weil sie auf Griechisch νύξ heißt. Wenn der erste Stern aufgeht (ihn nennen die Griechen ἕσπερος, Abendstern, die Unsrigen vesperūgō, wie Plautus:15 „Weder der Abendstern (Vesperūgō) noch die Plejaden gehen unter.“), dieser Zeitpunkt heißt bei den Griechen ἑσπέρα, lateinisch vesper, Abend. So heißt der Stern vor Sonnenaufgang iubar, Morgenstern, weil er eine Mähne, iuba, hat, und sagt bei Pacuvius der Hirte16: „Aufgegangen ist der Morgenstern (iubar), die Reise der Nacht ist beendet“, und der Aiax bei Ennius17: „Licht – oder erst den Morgenstern (iubar)? – sehe ich am Himmel.“6

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        Liber VI

        7 Inter vesperuginem et iubar dicta nox intempesta, ut in Bruto L. Accii1 quod dicit Lucretia: „Nocte intempesta nostram devenit domum.” Intempestam Aelius dicebat, cum tempus agendi est nullum. Quod alii concubium 2 appellarunt, quod omne fere tunc cubarent, alii ab eo, quod sileretur, silentium noctis. Quod idem Plautus tempus “conticinnium”3 scribit enim: „Videbimus4; factum volo; redito5 conticinnio.”6 8 Alter motus solis est ac iter caeli,7 quo[d]8 movetur a bruma ad solstitium. Dicta bruma, quod brevissimus tunc dies est. Solstitium, quod sol eo die sistere videbatur, [a]ut quo[d]9 ad nos versum proximus10 est. Solis iter11 cum venit in medium spatium inter brumam et solstitium, quod dies aequus fit ac nox, aequinoctium dictum. Tempus a bruma ad brumam, dum sol redit, vocatur annus, quod ut parvi circuli anuli, sic magni dicebantur circites ani, unde annus. 9 Huius temporis pars prima hiems, quod tum multi imbres: hinc hibernacula, hibernum; vel quod tum anima, quae flatur, omnium apparet, ab hiatu hiems. Tempus secundum ver, quod tum virere12 incipiunt virgulta ac vertere se tempus anni, nisi quod Iones dicunt ἦρ13 ver. Tertium ab aestu aestas. Hinc aestivum, nisi forte a Graeco αἴθεσθαι14. Quartum autumnus +++15 10 < Annus > ab sole,16 sicut17 mensis a lunae motu, dictus, dum ab sole profecta, rursus redit ad eum. Luna: quod Graece olim dicta μήνη18, unde illorum μῆνες19, ab eo nostri.20 1 Cassii : Vict.; L. Accii scripsi sec. Mue. 2 inconcubium F°aHG, incocubium Vall.EM, concubium pV, Lae, an: aliei etc.? 3 conticinnium fpVVall.M, conticinium (Fv) aHG. 4 videbitur codd. Plautini. 5 redito codd.; redito huc Plaut. 6 conticinnio fVpVall.EM, conticinio (Fv)aGH, conticinno codd. Plautini. 7 alter caeli del. Sciop.; aliter ac caeli Mue.; scripsi. 8 quod : Sciop. 9 aut quod : [aut] quo[d] A. Sp.; aut del. Flo.; scripsi. 10 proximum : L. Sp. 11 solstitium : sol A. Sp.; scripsi. 12 vivere : Ald. 13 et : L. Sp. 14 αἴθερε f, αἴθεσθαι aFv, Ἔθεσθε Vall.MVp. 15 Lac. ind. Aug., < ab auctis opibus ut auctumnus dictus.> suspicor. 16 < Ut annus > GS. Scripsi. 17 ut L. Sp. 18 mene Fv,pV; μ f, om. a; menen Vall.EM.: Ald. 19 menes *FaVp; menses GH: Aug. cum B. 20 < menses > add. Sciop. (A. Sp).

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        7 Zwischen Abendstern und Morgenstern heißt die Nacht intempesta, Unzeit, wie Lucretia im Brutus des L. Accius sagt18: „Zur Unzeit der Nacht (nocte intempestā) kam er in unser Haus.“ Intempesta, Unzeit, meinte Aelius19, heißt es, wenn keine Zeit, tempus, zum Handeln ist. Das nannten die Einen concubium, nachtschlafende Zeit, weil da fast alle ruhten, cubārent, die Anderen silentium noctis, Nachtstille, weil man da Stille hält, silērētur. Genau zu dieser Zeit sagt nämlich Plautus conticinnium20: „Wir werden seh'n; so seiʼ getan; komm zur stillen Nacht (conticinniō) zurück.“7 8 Anders ist die Bewegung der Sonne und ihr Weg am Himmel, auf dem sie sich von der Wintersonnwende bis zur Sommersonnwende bewegt21. Brūma, Wintersonnwende, heißt so, weil der Tag da am kürzesten ist, brevissimus.22 Sōlstitium, (Sommer-)Sonnwende, weil an diesem Tag sōl sistere, die Sonne stillzustehen schien, da sie uns da ja am nächsten ist.23 Wenn der Weg der Sonne in die Mitte des Zeitraums zwischen Winter- und Sommersonnwende kommt, heißt es aequinoctium, Tag- und Nachtgleiche, weil der Tag aequus, gleich lang, wird wie die Nacht, nox. Die Zeit von einer Wintersonnwende zur anderen, bis die Sonne wieder zurückkehrt, heißt annus, Jahr: Denn so, wie kleine Kreise ānulī, Fingerringe, heißen, so nannte man die großen Umläufe ānī, wovon annus, Jahr, kommt.24 8 9 Der erste Teil dieses Zeitraums ist hiems, der Winter, weil es da viel Regen gibt, imbrēs: Davon kommen hībernācula, Winterlager, und hībernum, Wintersturm; ja, vielleicht kommt hiems, Winter, auch daher: Weil der Atem aller beim Ausatmen sichtbar wird, kommt vielleicht hiems von hiātus, dem Mundöffnen. Die zweite Jahreszeit ist der Frühling, vēr: Denn da beginnen die Büsche zu grünen, virēre, und die Jahreszeit sich zu ändern, vertere;25 wenn das Wort nicht daher kommt, dass die Jonier zum Frühling, vēr, ἦρ sagen. Die dritte, aestās, der Sommer, kommt von der Hitze, aestus (Daher kommt das Sommerlager, aestīvum), falls er nicht doch von griechisch αἴθεσθαι, brennen, kommen sollte. Die vierte, der Herbst, autumnus, (sc. wohl: ist benannt nach der Vermehrung, augēre, des Vermögens, aus *auctumnus).26 +++9 10 Das Jahr ist nach der Sonne benannt so wie der Monat, mēnsis, nach der Bewegung des Mondes benannt ist, bis er, nachdem er sich von der Sonne entfernt hat, wieder zu ihr zurückkommt. Lūna, Mond: Weil er griechisch einst μήνη hieß, woher ihre μῆνες, Monate, kommen, heißen daher unsere Monate (sc. mēnsēs).

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        Liber VI

        Ab mensibus intermestris dictus1, quod putabant inter prioris mensis senescentis extremum diem et novam lunam esse diem, quem diligentius Attici ἕνην καὶ νέαν2 appellarunt, ab eo, quod eo3 die potest videri extrema et prima luna. 11 Lustrum nominatum tempus quinquennale: a luendo, id est solvendo, quod quinto quoque anno vectigalia et ultro tributa per censores persolvebantur. Seclum spatium annorum centum vocarunt, dictum a sene, quod longissimum spatium senescendorum hominum id putant. 4 Aevom 5 ab aetate omnium annorum: hinc aeviternum quod factum6 est aeternum; quod Graeci αἰῶνα7, id ait Chrysippus esse ἀεὶ ὤν8. Ab eo Plautus: „Non omnis aetas ad perdiscendum est satis9”: Hinc poetae: „Aeterna templa caeli.” 12 Caeli10 a naturali discrimine civilia vocabula dies11 accesserunt. Dicam prius, qui deorum12 causa, tum, qui hominum sunt instituti. Dies13 Agonales, per quos rex in regia arietem immolat, dicti ab < eo, quod >14 „Agon?” interrogatur < et > a principe15 civitatis [et] princeps gregis immolatur. Carmentalia nominantur, quod sacra tum16 et feriae Carmentis. 13 Lupercalia dicta, quod in Lupercali Luperci sacra faciunt. Rex cum ferias menstruas Nonis Februariis edicit, hunc diem „februatum“ appellat. Februm Sabini purgamentum, et id in sacris nostris verbum, nam17 et Lupercalia februatio, ut in Antiquitatum libris demonstravi. Quirinalia a Quirino, quod i deo18 feriae et eorum hominum, qui Furnacalibus suis non fuerunt feriati. 1 dictum faGH, dictus (Fv)VallEM. 2 (lac. G), m f, H; Menēnan p menencenean V, menecenean Vall.EM; μεναν καὶ νε Fv: Ald. 3 ea Vall.EM, eo F°GHaVp. 4 putarunt faG, putarant H, putant (Fv)Vall.EM. 5 aevum: Mue. 6 fictum Rhol. 7 A fa, AEONA Vall.M V (lac. p), αἰῶνα FvE. 8 esse εον V, esse ΕΟΝ Vall. Fv: Turn. 9 Sic codd.; sat est codd. Plautini. 10 Del. GS (Rig.) sec. Lae. 11 diem F°aGHVp, dies Vall.ME,Lae. 12 quid eorum : Rhol., Vict. 13 instituti dies. Agonales dist. Mue. 14 ab agone eo F°VpVall.EM, ab agoneo eo GH: Dahlmann (1989). 15 Transposuit Dahlmann. 16 sacratum : Lae. 17 non : Vict. 18 ideo : Aug. sec. Lae.

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        Von den Monaten, mēnsēs, ist intermēstris, Neumond, benannt: Man glaubte ja, dass zwischen dem letzten Tag des vorangegangenen, abnehmenden Mondes und dem zunehmenden Mond ein Tag sei, den die Bewohner von Attika genauer ἕνην καὶ νέαν, den alten und neuen, nannten, weil man an diesem Tag den letzten und ersten Mond sehen kann.10 11 Lūstrum (Fünfjahreszeitraum) wurde vom luere, d. h. Zahlen, benannt: Weil jedes fünfte Jahr Steuern und zusätzliche Abgaben über die Zensoren bezahlt wurden.27 Sēclum, Jahrhundert, nannte man den Zeitraum von hundert Jahren; er heißt so von senex, Greis, weil man glaubt, dies sei die längste Zeitspanne für Menschen im Alter.28 Aevum, Ewigkeit, vom Alter, aetās, aller Jahre. Daher kommt aeviternum, ewig, was zu aeternum wurde; was die Griechen αἰών nennen, das erklärt Chrysippus als ἀεὶ ὤν, als ewig seiend.29 Daher sagt Plautus: „Nicht das ganze Leben (aetās) reicht zum Lernen aus.“30 Daher stammt das Dichterwort: „Die ewʼgen (aeterna) Gefilde des Himmels.“31 11 12 Zu dieser natürlichen Unterteilung am Himmel kamen als bürgerliche Bezeichnungen die Tage, diēs, hinzu. Ich möchte erst über die Tage sprechen, die um der Götter willen, dann über jene, die um der Menschen willen eingerichtet worden sind.32 Die diēs Agōnālēs, an denen der König in der Königshalle einen Widder opfert, sind nach der Frage „Agō-n(e)?“, „Soll ich jetzt?“, benannt, die dem Ersten des Staates gestellt wird und (sc. wo dann) der beste Widder der Herde geopfert wird.33 Die Carmentālia heißen so, weil da Opfer und Fest für die Carmentae sind.34 12 13 Die Lupercālia heißen so, weil die Lupercī im Lupercal ihre heiligen Riten vollziehen.35 Den Tag, an dem der Opferkönig am 15. Februar die monatlichen Feste verkündet, nennt er diēs februātūs, Reinigungstag.36 Februm sagen die Sabiner zur Reinigung, und dieses Wort existiert auch in unseren Riten, denn auch die Lupercalia sind eine Reinigung, wie ich in den Büchern der Antiquitates, Altertümer, gezeigt habe.37 Die Quirīnālia sind nach Gott Quirīnus benannt, weil sie das Fest für ihn und für all jene Menschen sind, die an ihren persönlichen Furnācālia nicht gefeiert haben.38

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        Liber VI

        Fer[i]alia1 ab inferis et ferendo, quod ferunt tum epulas ad sepulchrum quibus ius [s]ibi 2 parentare 3. Terminalia, quod is dies anni extremus constitutus. Duodecimus enim mensis fuit Februarius, et cum intercalatur, inferiores quinque dies duodecimo demuntur mense. Ecurria4 ab equorum cursu. Eo die enim5 ludis currunt in Martio campo. 14 Liberalia dicta, quod per totum oppidum eo die sedent sacerdotes6 Liberi, anus edera coronatae, cum libis et foculo pro emptore sacrificantes. In libris Saliorum, quorum cognomen Agonensium, forsitan hic dies ideo appelletur 7 potius Agonia. Quinquatrus: hic dies unus 8 ab nominis errore observatur proinde, ut sint quinque; dictus, ut ab Tusculanis post diem sextum Idus similiter vocatur sexatrus et post diem septimum Septematrus9, sic10 hic, quod erat post diem quintum Idus, quinquatrus. Dies Tubulustrium11 appellatur, quod eo die in Atrio Sutorio sacrorum tubae lustrantur. 15 Megalesia dicta a Graecis: quod12 ex libris Sibyllinis < ea > arcessita ab Attalo rege Pergama13; ibi prope murum Μεγαλήσιον14, id est15 templum eius deae, unde advecta Romam. Fordicidia a fordis bubus. Bos forda, quae fert in ventre: quod eo die publice immolantur boves pregnantes in curiis compluris, a fordis caedendis fordicidia dicta. Palilia dicta a Pale, quod ei16 feriae, ut Cerialia a Cerere. 16 Vinalia a vino. Hic dies Iovis, non Veneris. Huius rei cura non levis in Latio: Nam aliquot locis vindemiae primum ab sacerdotibus publice fiebant, ut Romae etiam nunc. Nam flamen Dialis auspicatur vindemiam, et ut iussit vinum legere, agna Iovi facit, inter cuius exta caesa et porrecta17 flamen potus18 vinum legit. 1 ferialia : Ald. 2 ius sibi : Aug.; an: ius ē (=est)? 3 parent arae f parent/are V, parentare (Fv)Vall.EMHG. 4 Ecurria *FGVE, Decurria M, ecuria H. 5 eo die enim *FaVpM, eo enim die HGEb. 6 < ut > sacerdotes prop. GS. 7 appelletur F° (Flo); appellatur cett. 8 cinus fH, cunus G, unus (Fv), cett. 9 septematrus fVall., septimatrus (Fv), cett. 10 sit F°Vp, sic vel sit HG, sic Vall. (< sit) EM. 11 Tubulustrium *FHGVpaEM, tubilustrum Aug. ex B. 12 Lac. suspicantur Giard., Rig.; ex de Melo; scripsi. 13 Pergama codd.; Pergamo Bloch, de Melo. ea addidi. 14 murum: Μητρῷον Scal., mirum Popma; Megalesion codd.; scripsi. 15 in : GS, del. Scal. 16 et : Vict. 17 proiecta : Aug., cf. V 39. 18 porus (poorus Vall.EM) Fv, cett.; prorsus Aug., primus Mue. Scripsi.

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        Die Fērālia heißen so nach der Unterwelt, īnferī, und dem Tragen, ferre, weil da diejenigen Speisen zum Grab bringen, die dort opfern dürfen.39 Die Terminālia heißen so, weil dieser Tag als Jahresende (terminus) festgelegt ist. 40 Denn der letzte Monat des Jahres war der Februar, und wenn ein Schaltmonat eingelegt wird, werden die letzten fünf Tage vom zwölften Monat abgezogen. Die Ecurria heißen vom Pferdelauf, equōrum cursus.41 Denn an diesem Tag laufen sie, currunt, bei den Spielen ein Rennen auf dem Marsfeld.13 14 Die Līberālia heißen so, weil an diesem Tag in der ganzen Stadt alte Frauen, als efeubekränzte Priesterinnen des Līber (Bacchus), sitzen und mit Opferkuchen (lība) und einem Öfchen für den Käufer ein Opfer bringen. 42 Vielleicht könnte dieser Tag in den Büchern der Salier, die auch den Beinamen Agōnēnsēs haben, aus diesem Grunde wohl eher Agōnia bezeichnet werden.43 Quīnquātrūs, die Quinquatren: Dieser Tag wird als einziger mit einem falschen Namen begangen, als handle es sich um fünf, quīnque. (Sc. eigentlich) Benannt ist er so: Wie man in Tusculum am sechsten Tag nach den Iden, sextus, ähnlich von Sexātrus spricht und am siebten Tag, septimus, von Septemātrus, so heißt dieser Tag, weil er am fünften, quīntus, Tag nach den Iden begangen wird, Quīnquātrus. 44 Das Tubulūstrium wird so genannt, weil an diesem Tag im Ātrium Sūtōrium die heiligen Tuben, tubae, sakral gereinigt werden, lūstrantur.45 14 15 Die Megalēsia haben ihren Namen von den Griechen: Denn nach den Sibyllinischen Büchern wurde sie (sc. die Μεγάλη Μήτηρ, Magna Māter) von König Attalos nach Pergamon geholt; dort ist in der Nähe der Mauer das Μεγαλήσιον, d. h. der Tempel dieser Göttin; von dort brachte man sie nach Rom.46 Das Fest Fordicīdia ist nach den trächtigen Kühen, fordae, benannt. Die Kuh heißt forda, weil sie im Leib trägt, fert. Weil man an diesem Tag trächtige Kühe in größerer Zahl in den Kurien von Staats wegen opfert, ist das Fest vom Töten der fordae Fordicīdia, Kalbinnenschlachtung, benannt worden.47 Die Palīlia (Parilia) heißen so von Palēs, weil diese Gottheit da ihr Fest hat, wie die Ceriālia von Ceres.48 15 16 Die Vīnālia, Weinfest, kommen vom Wein, vīnum. Dieser Tag ist ein Jupiterfest, kein Venusfest. In Latium wird es recht ernst genommen: Denn an etlichen Orten wurde die Weinlese offiziell von Priestern begonnen, wie in Rom auch heute noch. Denn der Jupiterpriester beginnt die Weinlese mit der Vogelschau, und sobald er befiehlt, den Wein zu lesen, opfert er Jupiter ein Lamm; während dessen Eingeweide geöffnet und geopfert werden, nimmt der Priester einen Schluck und beginnt darauf mit der Lese49.

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        Liber VI

        In Tusculanis portis1 est scriptum: „Vinum novum ne vehatur in urbem, antequam Vinalia kalentur2.” Robicalia3 dicta ab Robigo. Secundum segetes huic deo sacrificatur, ne robigo occupet segetes.4 17 Dies Vestalia, ut Virgines Vestales, a[ut]5 Vesta. Quinquatrus minusculae dictae Iuniae Idus ab similitudine maiorum: quod tibicines tum6 feriati vagantur per urbem et conveniunt ad aedem Minervae. Dies Fortis Fortunae appellatus ab Servio Tullio rege quod is7 fanum Fortis Fortunae secundum Tiberim extra urbem Romam dedicavit Iunio mense. 18 Dies Poplifugia videtur nominatus, quod eo die8 tumultu repente fugerit populus. Non multo enim post hic dies, quam decessus Gallorum ex urbe, et qui tum sub urbe populi, ut Ficuleates ac Fidenates et finitimi alii, contra nos coniurarunt. Aliquot huius diei vestigia fugae in sacris apparent, de quibus rebus Antiquitatum libri plura referunt. Nonae Caprotinae, quod eo die in Latio Iunoni Caprotinae mulieres sacrificantur et sub caprifico faciunt: e caprifico9 adhibent virgam. Cur hoc, togata10 praetexta data eis Apollinaribus ludis docuit populum. 19 Neptunalia a Neptuno, eius enim dei11 feriae. Furrinalia Furrinae12, quod ei deae feriae publicae dies is. Cuius deae honos apud antiquos, nam ei sacra instituta annua et flamen attributus. Nunc vix nomen notum paucis. Portunalia dicta a Portuno, cui eo die aedes in portu Tiberino facta et feriae institutae. 20 Vinalia Rustica dicuntur ante diem XIV. Kal.13 Septembres, quod tum Veneri dedicata aedes et orti ei deae dicantur14 ac tum sunt feriati olitores. 1 sacris fGHVall.EMV, sortis Fv : Bergk. 2 calentur : Aug. 3 Robicalia *FHGVpEM, Robigalia Ald. 4 Lac. hic susp. Mue. 5 aut : Lae., ab Mue.; Vestalia, ut virgines Vestales veste sacrificent Lae. 6 cum : Lae. 7 dis faH,Vp, diis G, die Vall. (Lae.). 8 eo die *FaEMGH, ea die pV. 9 caprificio f, caprifico cett. 10 toga Lae. 11 diei : Vict. 12 Furrinae : a Furrina Flo. sec. Aug. 13 XII calend. (Fv), XII. kal. Vall.pV, XII kal. H, XII kals G: Aug. 14 dicuntur : Mue.

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        Auf den Toren von Tusculum steht: „Neuer Wein darf erst nach Ausrufen der Vīnālia in die Stadt gefahren werden.“50 Die Rōbīcālia, das Robigusfest, heißen so von Rōbīgus. Diesem Gott wird auf den Feldern geopfert, damit der Getreiderost, rōbīgō, die Felder nicht befällt.51 16 17 Der Tag der Vestālia kommt, wie Virginēs Vestālēs, die Vestalischen Jungfrauen, von Vesta, der Göttin Vesta.52 Quīnquātrūs minusculae, kleinere Quinquatren, heißen die Juni-Iden nach ihrer Ähnlichkeit mit den größeren: Denn da ziehen Flötenspieler feierlich durch die Stadt und treffen sich beim Minervatempel.53 Der Tag der Fors Fortūna, diēs Fortis Fortūnae, erhielt seinen Namen von König Servius Tullius: Denn er hat das Heiligtum der Fors und Fortūna am Tiber außerhalb der Stadt Rom im Juni geweiht.54 17 18 Der Tag Poplifugia ist wohl danach benannt, dass an diesem Tag plötzlich das Volk im Aufruhr geflohen ist, fūgerit populus. Denn dieser Tag kam nicht viel später, als die Gallier aus der Stadt abgezogen waren und die Völker, die unter römischer Herrschaft standen, wie die Leute aus Ficulea und Fidenae und andere Nachbarn, sich gegen uns verschworen hatten. Etliche Spuren dieses Fluchttages zeigen sich noch in den Opferriten, worüber die Bücher über die Altertümer, Antiquitates, mehr berichten.55 Die Nōnae Caprōtīnae, Caprotina-Nonen, heißen so, weil an diesem Tag in Latium die Frauen der Iūnō Caprōtīna opfern und (sc. den Ritus) unter einem Feigenbaum, caprifīcus, vollziehen: Sie nehmen dazu einen Zweig vom Feigenbaum. Der Grund, warum sie das tun, hat an den lūdī Apollinārēs eine Prätextenkomödie dem Volk erklärt, die für sie (sc. die Frauen) aufgeführt wurde.56 18 19 Die Neptūnālia, Neptunfest, kommen von Neptūnus, denn sie sind das Fest dieses Gottes. Die Furrīnālia sind das Fest der Furrīna, weil dieser Tag der offizielle Festtag dieser Göttin ist.57 Sie stand bei den Alten in Ehren: Denn es war ein jährliches Opfer für sie eingerichtet, und sie hatte auch einen eigenen Priester (flāmen). Jetzt sagt selbst ihr Namen nur mehr wenigen etwas. Die Portūnālia heißen so von Portūnus: Ihm wurde im Tiberhafen, portus Tiberīnus, ein Tempel errichtet und ein Feiertag eingerichtet.58 19 20 Die Vīnālia Rūstica, das bäuerliche Weinfest, liegen am 19. August, weil da der Venus ein Tempel geweiht worden ist und ihr die Gärten geweiht werden und damals die Gärtner gefeiert haben.59

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        Liber VI

        Consualia dicta a Conso, quod tum feriae publicae ei deo, et in Circo ad aram eius ab sacerdotibus ludi illi, quibus virgines Sabinae raptae. Volcanalia a Volcano, quod ei tum feriae et quod eo die populus pro se in ignem animalia mittit. 21 Opeconsiva1 dies a dea2 Ope Consiva, cuius in regia sacrarium, quod adeo adytum3, ut eo praeter Virgines Vestales et sacerdotem publicum introeat nemo. „Is cum eat, suffibulum ut4 habeat”, scriptum. Id dicitur ne a suffiendo, < ut a subligando > subligaculum.5 Vortumnalia6 a deo Vortumno, cuius feriae tum. Octobri mense Meditrinalia; dies dictus a medendo, quod Flaccus flamen Martialis dicebat hoc die solitum novum7 et vetus libari et degustari medicamenti causa, quod facere solent etiam nunc multi, cum dicant: „Novum vetus vinum bibo8, novo veteri9 morbo medeor.” 22 Fontanalia a Fonte, quod is dies feriae eius. Ab eo10 tum11 et in fontes coronas iaciunt et puteos coronant. Armilustrium ab eo, quod in Armilustrio armati sacra faciunt, nisi locus potius dictus ab his. Sed quod de his prius: id ab luendo aut lusu12: id est, quod circumibant ludentes ancilibus armati. Saturnalia: dicta ab Saturno, quod eo die feriae eius, ut post diem tertium Opalia Opis. 23 Angeronalia ab Angerona, cui sacrificium fit in curia Acculeia et cuius feriae publicae is dies. Larentinae: quem diem quidam in scribendo Larentalia appellant: ab Acca Larentia nominatus, cui sacerdotes nostri publice parentant13 festo14 die, qui ab ea15 dicitur dies16 parentum17 Accas Larentias.18 1 Opiconsivia Flo. 2 ab ea *F, ab dea H, á dea aG, ab deo pV. 3 ideo : adeo GS; actum: sanctum Huschke, augustum Flo.: Vetter. 4 aut : Can., L. Sp. 5 ne a suffiendo : a suffiendo ut subligaculum Aug.; scripsi. 6 Vortunalia – Vortuno f, Vortun(n)alia – vorturno Fv, Vortūnalia – Vortūmno cett.: Aug., Sciop. 7 vinum > novum f, vinum GHVpVall.EM, nimium a, vinum novum (Fv), Lae. Scripsi. 8 bibo: libo / < bibito > Radke. 9 veteri vino Vall. (Fv)., Lae. 10 ab eo codd., Rig.; ideo Flo. 11 autem f, et tum Fv; tum Vall.MpVHG. 12 luendo aut lustro : id ab lustro id est luendo, aut < ludendo > Flo.; scripsi. 13 parent ante: Aug., lac. susp. Vetter 14 sexto: Scal, Flo. 15 atra Fo, ara HG, atria Vall.ME, acta pb, aera a: Mue. 16 diem: Kent. 17 tarentum: Mommsen (Flo.). 18 tarentinas: Traglia.

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        Die Cōnsuālia sind nach Cōnsus benannt: Da ist nämlich der offizielle Feiertag für diesen Gott und gibt es beim Altar im Circus durch die Priester eine Aufführung jener Spiele, die den Raub der Sabinerinnen zeigen.60 Die Volcānālia kommen von Volcānus, denn da ist sein Feiertag, und an diesem Tag schickt das Volk an seiner Stelle Tiere ins Feuer.6120 21 Der Tag Opecōnsīva ist nach der Göttin Ops Cōnsīva benannt, die ein Heiligtum im Königspalast (rēgia) hat. Dieses ist so sehr unzugänglich, dass außer den Vestalinnen und dem staatlichen Priester niemand dort hineindarf. 62 Es steht geschrieben: „Wenn dieser geht, soll er eine Stirnbinde (suffībulum) tragen.“63 Diese wird sicher von suffīre 'räuchern' so genannt, (sc. das Wort ist gebildet) wie von subligāre, unten anbinden, die Schürze, subligāculum.64 Die Vortumnālia kommen vom Gott Vortumnus, dessen Fest da liegt.65 Im Oktober liegen die Meditrīnālia, benannt vom Heilen, medērī: 66 Der Marspriester Flaccus sagte, an diesem Tag habe man üblicherweise – als Medizin – alten und neuen Wein ausgegossen und probiert, was auch heute gerne noch viele tun, wobei sie sagen: „Neu und alt trink ich den Wein und heile Krankheit, neu und alt.“67 21 22 Die Fontānālia heißen von Fōns, Quelle, weil dieser Tag ihr Feiertag ist. Von daher wirft man dann auch Kränze in die Quellen und bekränzt die Brunnen. 68 Armilūstrium, Waffenweihe, kommt daher, weil man am Armilūstrium in Waffen, arma, opfert, falls der Ort nicht eher nach dem Fest benannt ist. Aber was ich darüber früher schon gesagt habe: Dieses Wort kommt von luere, lösen, oder vom Spiel, lūsus: Das heißt, weil man im Spiel, lūdentēs, mit heiligen Schilden bewaffnet, herumging.69 Die Sāturnālia sind von Sāturnus benannt, weil an diesem Tag sein Fest ist, so wie zwei Tage später die Opālia das Fest der Ops sind.70 22 23 Die Angerōnālia kommen von Angerōna, der in der Cūria Acculeia geopfert wird und deren Festtag dieser Tag ist.71 Der Lārentīna-Tag – manche nennen ihn in ihren Schriften Lārentālia – ist von der Acca Lārentia ('Mutter Larentia'?) benannt, der unsere Priester von Staats wegen an dem Festtag opfern, parentant, der nach ihr heißt: „Tag der Totenopfer, parentālia, für die Acca Lārentia.“72

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        24 Hoc sacrificium fit in Velabro, qu[i]a1 in Novam Viam exitur, ut aiunt quidam, ad sepulchrum Accae, ut 2 quod ibi prope; 3 faciunt diis Manibus servilibus4 sacerdotes. Qui uterque locus extra urbem antiquam fuit, non longe a Porta Romanula, de qua in priore libro dixi. Dies Septimontium nominatus ab his septem montibus, in quis sita Urbs est. Feriae non populi, sed montanorum modo, ut Paganalibus, qui sunt alicuius pagi. 25 De statutis diebus dixi: de annalibus5 < nunc > nec de6 statutis dicam. Compitalia: dies attributus Laribus vialibus;7 ideo ubi viae competunt, tum in competis sacrificatur. Quotannis is dies concipitur. Similiter Latinae feriae dies conceptivus,8 dictus a Latinis populis, quibus in9 Albano monte ex sacris carnem10 petere fuit ius cum Romanis: a quibus Latinis Latinae dictae. 26 Sementivae feriae dies is, qui, a pontificibus dictus, appellatus a semente, quod sationis causa suscepta11. Paganicae eiusdem agriculturae causa susceptae, ut haberent in agris omnes pagus, unde Paganicae dictae sunt. Praeterea feriae conceptivae, quae non sunt annales ut hae, quae dicuntur sine proprio vocabulo aut cum perspicuo12, ut Novendialis sunt. 27 De his diebus nunc iam, qui hominum causa constituti, videamus. Primi dies mensium nominati Kalendae, quod his diebus calentur13 eius menses. Nonae a pontificibus quintanae an septimanae sint futurae, in Capitolio in Curia Calabra sic dictae: „Quinque14 kalo15 lunad16 novellad.” 1 quia : qua, ut vid., Vall., Lae. 2 Del. Rig. sec. Giardina (de Melo); < aut > Flo. 3 Interp. Vetter. 4 arvalibus prop. Scal. 5 nunc de Annalibus > de Annalibus Fv; < Nunc > de annalibus Aug.; scripsi. 6 de : Mommsen. 7 ut alibi ideo ; ut alibi, ideo Aug.: Bongars (Canal). 8 conseptivus F°aVGH, conseptius (< conceptíus) Vall.: Ald. 9 ex : in Flo., de Melo. 10 carnem Fv, carmen cett. 11 suscepta : Ald. 12 perspicio : Ald. 13 calantur fGHaVpFv, calentur Vall.EM, kalentur Sciop., fort. recte. 14 quinque codd.; quinquies Turn. Scripsi. 15 calo < cano Vall., cano EM; calo cett.: Aug., Mommsen. 16 Iuno Covella *FaHGVall.EMp; vino couella M, Novella prop. Scal.; Iuno Novella Turn., Popma. Scripsi.

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        24 Dieses Opfer wird im Velabrum beim Ausgang in die Via Nova vollzogen, und zwar – wie einige sagen – beim Grab der Acca, weil es dort in der Nähe liegt; die Priester opfern den Totengeistern der Sklaven.73 Beide Orte lagen außerhalb der alten Stadt, unweit der Porta Romanula, von der ich im vorhergegangenen Buch gesprochen habe.74 Der Tag Septimontium ist nach den sieben Bergen, septem montēs, benannt, in denen die Stadt liegt75. Er ist ein Festtag nicht für das Volk, sondern nur für die montānī (die Bewohner der Berge), wie an den Pāgānālia, Dorffesten, nur die mitfeiern, die zu irgendeinem pāgus, Dorf, gehören.24 25 Die festen Tage habe ich besprochen. Nun möchte ich über die jährlich wiederkehrenden, aber nicht auf einen Tag festgelegten, sprechen.76 Compitālia: Der Tag ist den Larēs viālēs, den Wege-Laren, zugeordnet, deshalb wird dort, wo Wege zusammentreffen, competunt, an diesem Tag an den Kreuzungen, competa, geopfert.77 Dieser Tag wird jährlich angeordnet, concipitur. Ähnlich sind ein angeordneter Tag, diēs conceptīvus, die Fēriae Latīnae, das Latinerfest, benannt nach den latinischen Völkerschaften, die auf dem mōns Albānus das Recht hatten, gemeinsam mit den Römern (sc. ihren Anteil am) Fleisch vom Opfer zu verlangen: Von diesen Latinern heißt es Latinerfest, Latīnae (fēriae).78 26 Das Fest der Sēmentīvae ist jener Tag, der von den Priestern ausgerufen wird und nach sēmentis, Aussaat, benannt ist, weil es wegen des Aussäens, satiō, gehalten wird.79 Die Pāgānicae, Dorffeste, werden aus Gründen der gleichen Landbestellung gehalten; alle Dörfer, pāgūs, sollen sie auf ihren Feldern halten, wonach sie Pāgānicae heißen80. Außerdem gibt es noch angesagte Feste, fēriae conceptīvae, die nicht jährlich wiederkehren, wie die, die keinen eigenen Namen haben oder einen sofort verständlichen, wie es die Novendiālēs sind, die Neuntagfeiern.81 26 27 Nun möchte ich zu denjenigen Tagen kommen, die um der Menschen willen festgelegt sind. Die ersten Tage im Monat heißen jeweils Kalendae, Kalenden, weil an diesen Tagen die Monate ausgerufen werden sollen, calentur.82 Die Nonen, Nōnae, werden von den Priestern im Kapitol in der Cūria Calābra, der Ausruf-Kurie, je nachdem, ob sie am fünften oder siebten Tag kommen sollen, folgendermaßen genannt: „Fünf (Tage) rufe ich aus vom Neumond.“83

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        Liber VI

        Septem1 dictae: „< Septem > kalo lunad2 novellad.”3 28 Nonae appellatae aut quod ante diem nonum Idus semper aut quod ut novus annus Kalendae Ianuariae ab novo sole appellatae, novus mensis nova < a >4 luna Nonae5. Eodem die enim in Urbem6 [in] agris ad regem conveniebat populus: Harum rerum vestigia apparent in sacris Nonalibus in Arce, quod tunc ferias primas menstruas, quae futurae sint eo mense, rex edicit populo. Idus ab eo, quod Tusci Itus vel potius, quod Sabini idus7 dicunt. 29 Dies postridie Kalendas, Nonas, Idus appellati Atri, quod per eos dies < nil >8 novi inciperent. Dies fasti, per quos praetoribus omnia verba sine piaculo licet fari. Comitiales dicti, quod tum „ut eiset9 populus” constitutum est ad suffragium ferundum, nisi si quae feriae conceptae essent, propter quas non liceret, 10 Compitalia et Latinae. 30 Contrarii horum vocantur Dies nefasti, per quos dies nefas fari praetorem: „Do, dico, addico.” Itaque non potest agi. Necesse enim11 aliquo uti verbo, cum lege quid12 peragitur. Quod si tum13 imprudens id verbum emisit ac quem manumisit, ille nihilominus est liber, sed vitio, ut magistratus vitio creatus nihilo secius14 magistratus. Praetor qui tum fa[c]tus15 est, si imprudens fecit, piaculari hostia facta piatur; si prudens dixit, Q. Mucius16 a[b]i[g]ebat17 eum expiari, ut impium, non posse. 1 Septem – Covella om. faGH; septem dictae (Fv)Vall.EMVp.; septem dies Scal.; septies Turn.; septies dicto L. Sp. Scripsi. 2 uino vel iuno Vall., uino VpEM. 3 < Septem > addidi et scripsi. 4 a add. Sciop., sed ante nova. Scripsi. 5 Nonis : Sciop. 6 in urbem in Vall.; in urbe in cett.: Aug. Delevi. 7 idus : Aug.; edus Flo., de Melo. 8 Add. Turn. 9 esset : coiret Mue., Flo., esset L. Sp., esset Bergk. Scripsi. 10 Add. Lae. 11 est codd.; enim post est add. Vertr. Scripsi. 12 quid Vall.EM, qui cett. 13 situm fGVp, si tum (Fv)aHVall.EM. 14 sed ius *FfaVp: Vict. 15 factus : Aug. 16 Mutius faGHVall.M, Mucius FvVpE (Q. om. M). 17 abigebat F°GHVp; agebat a : Vict.

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        Wenn es sieben sind, heißen sie: „Sieben (Tage) rufe ich aus vom Neumond.“ 28 Die Nonen, Nōnae, wurden so benannt entweder, weil sie am neunten Tag, nōnum, vor den Iden liegen, oder weil so, wie das neue Jahr, die Kalendae Iānuāriae, Januarkalenden, nach der neuen Sonne, novus sōl, benannt ist, der neue Monat, novus mēnsis, vom Neumond, novā lūnā, Nōnae, heißt.84 An diesem Tag kam nämlich das Volk von den Feldern her beim König in der Stadt zusammen. Spuren davon zeigen sich in den Nonen-Riten auf der Arx, weil zu diesem Zeitpunkt der König die ersten Monatsfeste, die es in diesem Monat geben soll, dem Volk verkündet. Īdūs, die Iden, daher, weil die Etrusker Itus sagen oder eher daher, weil die Sabiner Eidūs sagen.85 28 29 Die Tage unmittelbar nach den Kalenden, Nonen und Iden heißen ātrī, schwarz, weil man an diesen nichts Neues anfangen sollte.86 Die Diēs fāstī, die rechtmäßigen Tage, sind die, an denen die Prätoren ohne Sühnopfer sprechen dürfen, fārī.87 Die Comitiālēs heißen so, weil festgesetzt ist, dass da „das Volk zur Stimmabgabe gehen soll“, wenn es keine angesagten Festtage waren, an denen dies nicht erlaubt war88, wie die Compitālia und die (sc. feriae) Latīnae, das Latinerfest.29 30 Im Gegensatz dazu spricht man von Diēs nefāstī, an denen es dem Prätor untersagt ist, nefās, zu sagen, fārī: „Dō, dīcō, addīcō.“ (Ich gebe, spreche, spreche zu.) Daher kann da nicht verhandelt werden. Man muss ja ein bestimmtes Wort gebrauchen, wenn etwas gesetzmäßig verhandelt wird.89 Wenn er (sc. der Prätor) an einem solchen Tag aber unvorsichtig diese Formel braucht und einen freilässt, ist dieser zwar dennoch frei, aber fehlerhaft, so wie ein Beamter, der fehlerhaft gewählt wurde, gleichwohl sein Amt hat. Wenn der Prätor, der zu diesem Zeitpunkt (Recht) spricht, dies unvorsichtig tut, wird er nach Opferung eines Opfertieres entsühnt; tut er dies absichtlich, dann, so sagte Q. Mucius90, könne er – wie ein Verbrecher – nicht entsühnt werden.30

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        Liber VI

        31 Intercisi1 dies sunt, per quos mane et vesperi est nefas, medio tempore inter hostiam caesam et exta porrecta2 fas, a quo quod fas tum3 intercedit aut eo[s]4 intercisum nefas, intercisi5. Dies, qui vocatur6 sic: „Quando rex comitiavit, fas”, [s]is7 dictus ab eo, quod eo die rex sacrificolus8 litat9 ad Comitium, ad quod tempus est nefas, ab eo fas. Itaque post id tempus lege actum saepe. 32 Dies, qui vocatur „Quando stercus10 delatum fas”, ab eo appellatus, quod eo die ex aede Vestae stercus everritur et per Capitolinum clivum11 in locum defertur certum. Dies Alliensis ab Allia12 fluvio dictus, nam ibi exercitu nostro fugato Galli obsederunt Romam. 33 Quod ad singulorum dierum vocabula pertinet, dixi. Mensium nomina sunt aperta fere13, si a Martio, ut14 antiqui instituerunt, numeres: Nam primus a Marte. Secundus, ut Fulvius scribit et Iunius, a Venere, quod ea sit Ἀφροδίτη.15 Cuius nomen ego, antiquis litteris quod nusquam inveni, magis puto dictum, quod ver omnia aperit, Aprilem.16 Tertius a maioribus Maius, quartus a iunioribus dictus Iunius. 34 Dehinc quintus Quintilis et sic deinceps usque ad Decembrem a numero. Ad hos qui additi, prior a principe deo Ianuarius appellatus, posterior ut idem17 dicunt scriptores, ab diis inferis Februarius appellatus, quod tum his parentetur18. 1 intercensi FvfGHaVp, intercisi Vall.EM. 2 proiecta : Aug. 3 fastum : Aug. 4 eos : eo est Mue., eo GS. 5 intercisum : A. Sp. 6 notatur Sciop. 7 fas sis faVall.ME, fassis (Fv)HGpV: Vict. 8 sacrificio ius fGHa, Kent; sacrificiolus FvVall.EMpV. Scripsi. 9 dicat : Hirschfeld. 10 stercus G, Lae., stercum cett. 11 clivom Mue, fort. recte. 12 avio f, allio FvpGHaVall.EM: V, Lae. 13 fere sunt aperta fHGb, fere aperta sunt a, sunt aperta fere (Fv)VpVall.ME. 14 ut a Martio fHGVpVall.ME: Fva. 15 sit a frodite pVall.EM, sit aphrodite (Fv): Aug. 16 An: Aperilem? 17 íídem fab, idem cett. 18 parentur faHVpb, paretur G, parentetur FvVall.ME.

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        31 Intercīsī, unterbrochen, sind die Tage, an denen es morgens und abends nicht erlaubt ist (sc. zu verhandeln), dazwischen aber – zwischen der Schlachtung eines Opfertieres und der Darreichung seiner Eingeweide – erlaubt; und weil da das Recht dazwischentritt, intercēdit, oder weil das Verbot dadurch unterbrochen ist, intercīsum, heißen sie intercīsī. Der Tag, der so heißt: „Quandō rēx comitiāvit, fās“ (Wenn der König das Volk zum Comitium ruft, ist es erlaubt), ist daher benannt: An diesem Tag opfert der rēx sacrificolus, der Opferpriester, am Comitium: Bis dahin gilt das Verbot, ab diesem Zeitpunkt ist es erlaubt, fās. Daher wird nach diesem Zeitpunkt oft nach dem Gesetz verhandelt.91 31 32 Der Tag, der heißt: „Quandō stercus dēlātum fās“ (Wann es erlaubt ist, Mist wegzubringen), heißt daher, weil an diesem Tag aus dem Vestatempel der Mist, stercus, ausgeräumt wird und über den Kapitolinischen Hügel an einen bestimmten Ort weggebracht wird, dēfertur.92 Der diēs Alliēnsis, Allia-Tag, ist nach dem Fluss Allia benannt, denn dort haben die Gallier unser Heer in die Flucht geschlagen und danach Rom besetzt.93 32 33 Was sich auf die Bezeichnungen für die einzelnen Tage bezieht, das habe ich gesagt. Die Namen für die Monate sind meist klar, wenn man ab dem Mārtius, März, zählt, wie es die Alten eingerichtet haben. Denn der erste Monat kommt von Mārs. Der zweite, wie Fulvius und Iunius schreiben, kommt von Venus, weil sie Ἀφροδίτη sei.Weil ich deren Namen aber in alten Texten nirgends gefunden habe, glaube ich eher, er ist Aprīlis, April, genannt worden, weil der Frühling alles öffnet, aperit.94 Der dritte ist Māius, Mai, nach den Älteren, māiōrēs, benannt worden, der vierte Iūnius, Juni, nach den Jüngeren, iūniōrēs.33 34 Ab da heißen sie nach der Zahl: der fünfte, quīntus, Quīntīlis – und so fort bis zum Dezember, Decembris. Von den weiteren Monaten ist der erste, Iānuārius, Januar, vom ersten Gott (Iānus) benannt, der folgende – wie die gleichen Autoren sagen – Februārius, Februar, von den Göttern der Unterwelt, īnferī, weil man ihnen in diesem Monat opfere.

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        Liber VI

        Ego magis arbitror Februarium a die februatus1, quod tum februatur populus, id est Lupercis nudis lustratur antiquum2 oppidum Palatinum3 gregibus humanis cinctum. 35 Quod ad temporum vocabula Latina attinet, hactenus sit satis dictum. Nunc, quod ad eas res attinet, quae in tempore aliquo fieri animadvertuntur4, dicam, ut haec sunt: legisti, cursus,5 ludens. De quis duo praedicere volo: quanta sit multitudo eorum et quei6 sint obscuriora quam alia. 36 Cum verborum declinatuum7 genera sint quattuor8 – unum, quod tempora adsignificat neque habet casus, ut ab lego: leges, lege9; alterum, quod casus habet neque tempora adsignificat, ut ab lego: lectio et lector; tertium, quod habet utrumque, tempora et casus, ut ab lego: legens, lecturus; quartum, quod neutrum habet, ut ab lego: lecte ac lectissime: Horum verborum si primigenia sunt ad mille10, ut Cosconius scribit: Ex eorum declinationibus verborum discrimina quingenta milia esse possunt ideo, quia < a > 11 singulis verbis primigenii12 circiter quingentae species declinationibus fiunt. 37 Primigenia dicuntur verba ut lego, scribo, sto, sedeo et cetera, quae non sunt ab ali quo13 verbo, sed suas habent radices. Contra verba declina14 sunt, quae ab ali quo 15 oriuntur, ut ab lego: legis, legit, legam et sic indidem16 hinc permulta. Quare, si quis primigeniorum verborum origines ostenderit, si ea mille sunt, quingentum milium simplicium verborum causas aperuerit17 una18. Sin nullius, tamen, qui ab his reliqua orta ostenderit, satis dixerit de originibus verborum, cum, unde nata sint, principia erunt pauca, quae inde nata sint, innumerabilia. 1 februato : scripsi. 2 antiquom Mue. 3 Palatium, nunc Scal. 4 animadverterentur : Dahlmann (1932) 401 sec. M. 5 currus *FaEMVp, cursus HG, cursus L. Sp., Rig.: Mue. 6 qui fHG, Rig.; quae Fvap, que VbVall.ME.; scripsi. 7 declinativum F°aVpVall.E, declinantium MHG: Lae. 8 IIIIor Vp, quattuor Fv, quatuor faHGVall.EM. 9 lego F°GHVall.EM, lege Vb: A. Sp. 10 admitte f(Fv)pVHGVall.M : Vict., Aug. 11 Add. L. Sp. 12 primigenii : Aug. 13 aliquo : Mue. 14 declina F°HVpabE declina + lac. 2-3 litt. Vall.: Aug. cum G. 15 alio faGH, aliquo VpVall.EM (Fv): Kent. 16 sic in indidem FvVVall.EM: L. Sp. cum faGp. 17 aperuit HG, aperuerit cett. 18 undas. In H, unas. In cett.: Turn.

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        Ich glaube eher, der Februar, Februārius, kommt vom Reinigungstag, diēs februātūs, weil da das Volk sich reinigt, februātur, das heißt: An den Lupercī nūdī, den „nackten Lupercalien“, wird der Palatin, die alte Stadt, umgeben von Menschenherden, entsühnt.95 435 Was die lateinischen Wörter für die Zeiten betrifft, dürfte nunmehr genug gesagt sein. Nun möchte ich über das sprechen, was jene Dinge betrifft, die sich – wie man bemerkt – innerhalb irgendeiner Zeit vollziehen, wie z. B. lēgistī, du hast gelesen, cursus, der Lauf, lūdēns, spielend/beim Spielen. Davon will ich zwei Punkte vorherschicken: Wie groß ihre Zahl ist und wieso sie unklarer sind als anderes.96 35 36 Es gibt ja vier Arten von Ableitungen (dēclinātūs) der Wörter97: Eine, die die Tempora bezeichnet und keine Kasus hat, wie von legō, ich lese: legēs, du wirst lesen, lege, lies!; die zweite, die Kasus hat und keine Tempora bezeichnet, wie von legō: lēctiō, Lesung, und lēctor, Leser; die dritte, die beides hat, Tempora und Kasus, wie von legō: legēns, gerade lesend, lēctūrus, im Begriff zu lesen; eine vierte, die keines von beiden hat, wie von legō: lēctē, erlesen (Adv.), und lēctissimē, ganz auserlesen (Adv.): Wenn nun die Urwörter etwa tausend sind, wie Cosconius98 schreibt, dann kann es von den Ableitungen dieser Wörter fünfhunderttausend einzelne Wortformen geben, weil aus jedem einzelnen Urwort etwa fünfhundert verschiedene Einzelformen durch die Ableitungen entstehen.36 37 Urwörter (prīmigenia) heißen Wörter wie legō, lese, scrībō, schreibe, stō, stehe, sedeō, sitze, und übrige, die nicht von irgendeinem anderen Wort stammen, sondern ihre eigenen Wurzeln haben. Dagegen sind abgeleitete (dēclināta) Wörter diejenigen, die von irgendeinem anderen abstammen, wie von legō, lese: legis, du liest, legit, er liest, legam, ich werde lesen, und so von da aus ganz viele. Wenn jemand daher den Ursprung der einzelnen Urwörter zeigt – und wenn diese tausend sind: Dann wird er wohl die Erklärung für fünfhunderttausend einfache Wörter auf einmal gegeben haben. Wenn er dies bei keinem schafft, hat er doch – falls er die übrigen Abkömmlinge dieser Urwörter erklärt hat – wohl genug über den Ursprung der Wörter gesagt. Denn Anfangswörter werden es nur wenige sein, von denen die anderen herkommen, aber unzählig viele, die von diesen stammen.37

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        Liber VI

        38 A quibus iisdem principiis, antepositis praeverbiis 1 paucis, immanis verborum accedit numerus: quod praeverbiis2 mutatis additis atque commutatis aliud atque aliud fit: ut enim cessit3 et recessit, sic accessit et abscessit: item incessit et excessit, sic successit et decessit, < discessit >4 et concessit: Quod si haec decem sola praeverbia essent, quoniam ab uno verbo declinationum quingenta discrimina fierent, his decemplicatis coniuncto praeverbio ex uno quinque milia numero effierent5, ex mille ad quinquagies centum milia discrimina fieri possunt. 39 Democritus, Ecurus6, item alii, qui infinita principia dixerunt, quae unde sint, non dicunt, sed cuiusmodi sint, tamen faciunt magnum: quae ex his constant7 in mundo, ostendunt. Quare, si ἐτυμόλογος8 principia verborum postulet9 mille, de quibus ratio ab se non poscatur, et reliqua ostendat, quod non postulat, tamen inmanem10 verborum expediat numerum. 40 De multitudine quoniam, quod satis esset, admonui 11, de obscuritate pauca dicam. Verborum, quae tempora adsignificant12, ideo locus13 difficillimus ἔτυμα14, quod neque his fere societas cum Graeca lingua neque vernacula ea, quorum in partu15 memoria adfuerit nostra16. E quibus, ut dixi[t]17: quae poterimus. 41 Incipiam hinc: primum,18 quod dicitur, ago: Actio ab agitatu facta. Hinc dicimus: agit gestum tragoedus, et: agitantur quadrigae. Hinc: agitur pecus pastum; < hinc angustum >19, qu[i]a20 vix agi potest, hinc angiportum, qua nil potest agi. Hinc angulus, quod in eo locus angustissimus, cuius loci21 is angulus. 1 praeverbis faHVall.EM, praeverbiis (Fv)GVp. 2 praeverbis aHVall.EM, praeverbiis (Fv)fGVp. 3 cessit : Fritzsche. 4 Add. GS. sec. Vertr. 5 efficient a, efficerent cett., efficerentur Ald. (de Melo): A. Sp. 6 securus *FaGHEMVp, secutus b: Turn. 7 constat faGHV, constant (Fv)Vall.Mp, constent E. 8 ethimologus faGHVVall.E, etymologos Rhol.: Flo. 9 postulet – postulat: Scal. 10 inmanem FvVp, immanem faGVall.ME. 11 admonui b; admonuit cett.: Lae. 12 consignificant Vall.EM, adsignificant cett. 13 locus < locutus f 2 , ut vid.; locutus cett.: Vict. 14 est TYMa F° est (lac.5) VpE, ē.TUma Hpa, est om. G (lac. 5-6 litt.); ē TUNa Vall.M. 15 Impartum fa ī partum HVp, in partum Vall.EM : Rhol. 16 nostrae FvfaVpHGVall.EM : Aug. 17 dixֿ H, dixi b, dixit cett.: Lae. 18 primus : Vall. (Lae.). 19 Suppl. Madvig. 20 quia: Ald. 21 locis is f, loci hi (< his) angulus V, loci hiis p, loci is (Fv) aVall.EMG.

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        38 Von eben diesen Anfangswörtern kommt, stellt man nur wenige Vorwörter (praeverbia) davor, eine riesige Zahl Wörter hinzu: Denn gibt man verschiedene und (sc. in der Form) veränderte Vorwörter hinzu, dann wird immer wieder etwas Anderes daraus: z. B. prōcessit, (er) ging voran, und recessit, ging zurück, accessit, kam hinzu, und abscessit, ging weg; ebenso incessit, ging hinein, und excessit, ging heraus, so auch successit, kam nach, dēcessit, verschied, discessit, ging davon, und concessit, kam überein.99 Gäbe es aber nur diese zehn Vorwörter: So könnten – da ja von einem einzigen Wort fünfhundert abgeleitete Einzelformen entstünden und so aus einem einzigen Wort, verzehnfacht durch die Verbindung mit einem Vorwort, zahlenmäßig fünftausend würden – aus tausend bis zu fünf Millionen Einzelformen gebildet werden.100 38 39 Demokrit, Epikur101 und andere haben gesagt, es gebe unendlich viele Anfangsteile (prīncipia), von denen sie aber nicht sagen, woher sie kommen, nur: wie sie aussehen. Dennoch leisten sie Großes, indem sie die Bestandteile der Welt aufzeigen. Wenn daher vom Etymologen tausend Anfangswörter (prīncipia) verlangt werden sollten, für die von ihm keine (weitere) Erklärung gefordert wird, und er doch die übrigen Wörter aufzeigen sollte, so wird er dennoch – ohne dazu aufgefordert zu werden – eine riesige Menge Wörter erklären.102 39 40 Da ich ja nun ausreichend über die Menge informiert habe, möchte ich über das, was unklar ist, nur weniges sagen. Von den Wörtern, die Tempora bezeichnen, sind der schwierigste Punkt die Etyma. Sie haben nämlich in der Regel 103 keine Gemeinsamkeit mit dem Griechischen noch sind die einheimischen derart, dass wir bei ihrer Entstehung zugegen waren. Von diesen werde ich, wie schon gesagt, nach Kräften bringen.40 41 Ich möchte dabei als erstes bei dem Wort anfangen, das agō, treibe / handle, heißt: āctiō, Handlung, ist von der Bewegung, agitātus, geschaffen. Daher sagen wir: Der Schauspieler führt eine Geste aus, agit, und: Das Viergespann wird in Bewegung gesetzt, agitantur; daher wird das Vieh zur Fütterung getrieben, agitur. Daher ist etwas angustum, eng, wo kaum gehandelt werden kann; daher die Engstelle, angiportum, wo man nichts treiben kann104; daher die Ecke, angulus, weil in ihr der Platz am engsten ist, angustissimus, wozu angulus, die Ecke, gehört.41

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        Liber VI

        42 Actionum trium primus agitatus mentis, quod primum ea, quae sumus acturi, cogitare debemus, dein1 tum dicere ac facere. De his tribus minime putat volgus esse actionem cogitationem; tertium, in quo quid facimus, id maximum. Sed et cum cogitamus2 quid et eam rem agitamus3 in mente, agimus, et cum pronuntiamus, < os > agimus. Itaque ab eo orator agere dicitur causam4 et augures augurium agere dicuntur, cum in eo plura dicant, quam faciant. 43 Cogitare a cogendo dictum5: Mens plura in unum cogit, unde eligere6 possit. Sic e lacte coacto caseus nominatus. Sic ex hominibus < coactis >7 contio dicta, sic coemptio, sic compitum nominatum. A cogitatione concilium (inde consilium), quod, ut vestimentum apud fullonem cum cogitur, conciliari8 dictum. 44 Sic reminisci, cum ea, quae tenuit mens ac memoria, cogitando repetuntur; hinc etiam comminisci dictum a „con” et „mente”, cum finguntur9 in mente, quae non sunt. Et ab hoc illud, quod dicitur ementiri10, cum commentum pronuntiatur. Ab eadem mente meminisse dictum et amens, qui a mente sua discedit.11 45 Hinc etiam metuo: mente[m] quodammodo12 mota[m],13 vel metuisti a movisti.14 Sic, quod frigidus timor, < a >15 tremuisti timuisti. Tremo dictum a similitudine vocis, quae tunc, cum valde tremunt, apparet. < Horreo >16, cum etiam in corpore pili, ut arista in spica ordei17, horrent. 1 dein faGVall.EM, deinde (Fv)HVp. 2 os agitamus fapVpGHVall., hos agitamus (Fv)Mb; nos agitamus Canal; < os > transposui sec. Sciop. et scripsi. 3 agitamus faGb, agimamus H, cogitamus VpVall.EM. 4 causas Vall.EM, causam cett. 5 dictum < quom > Canal. 6 elicere codd. (ellicere G, dicere H): Ald. 7 Add. Christ sec. L. Sp. 8 consiliari : Lae. 9 An: finguntur? 10 reminisci : prop. G.S. 11 descendit : Aug. 12 Quodammodo F°; admodum p, quod ad modum V. 13 mentem – motam : mente – mota Traglia cum b. 14 āmovisti f, á movisti Ha, amovisti Fv,GV : Giard. 15 Add. Giard. 16 Add. Rig. duce Canal. 17 ordei : Aug.

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        42 Von den drei Handlungen, āctiōnēs, ist die erste die Bewegung, agitātus, des Geistes: Denn wir müssen zuerst das, was wir ausführen wollen, āctūrī, bedenken, dann erst reden und tun. Von diesen dreien glaubt die Masse am allerwenigsten, dass Denken eine Handlung sei; das dritte aber, nämlich wo wir etwas tun, das sei das Wichtigste. Aber auch wenn wir etwas bedenken und diese Sache im Geiste hin und her bewegen, agitāmus, dann handeln wir, agimus, und wenn wir aussprechen, bewegen wir, agimus, den Mund. Daher sagt man, dass der Redner einen Prozess führe, agere, und dass die Auguren die Vogelschau ausführen, agere, während sie doch dabei mehr sprechen als tun.42 43 Cōgitāre, denken, ist vom Zusammenbringen, cōgere, benannt: Der Geist bringt mehr Dinge auf einen Punkt, cōgit, von wo er auswählen kann. So ist der Käse, cāseus, vom Zusammenpressen der Milch, coāctum lac, benannt. So ist cōntiō, die Versammlung, vom Zusammenbringen der Menschen, coāctīs, benannt, so coemptiō, die Kaufehe105, ebenso compitum, die Kreuzung (sc. vom Zusammentreffen der Wege). Vom Denken, cōgitātiō, kommt die Versammlung, concilium (von da der Plan, cōnsilium), weil man sagt, die Versammlung werde verbunden, conciliārī, so wie wenn ein Gewandstück beim Tuchwalker zusammengepresst wird, cōgitur.43 44 So heißt es reminīscī, sich erinnern, wenn das, was Geist, mēns, und Gedächtnis, memoria, behalten haben, durch Denken zurückgerufen wird, re-petuntur; daher ist auch comminīscī, sich ausdenken, benannt – aus con, zusammen, und mēns, Geist –, wenn man sich im Geist etwas erdichtet, was es nicht gibt. Und davon kommt auch das sogenannte ēmentīrī, erlügen, wenn man etwas behauptet, was nur ausgedacht ist, commentum. Vom gleichen mēns, Geist, ist meminisse, sich erinnern, benannt und āmēns, wahnsinnig, für den, der von seinem Verstand, ā mēnte, geschieden ist.44 45 Daher kommt auch metuō, fürchte, wenn der Geist, mēns, irgendwie erregt ist, mōta, oder es kommt metuistī, du hast dich gefürchtet, von mōvistī, du hast dich bewegt.106 Weil die Furcht, timor, etwas Kaltes ist, kommt timuistī, du hast dich gefürchtet, von tremuistī, du hast gezittert. Tremō, zittere, ist von der Ähnlichkeit mit dem Laut benannt, der dann, wenn man sehr zittert, auftritt. Horreō, schaudere, wenn sich auch am Leib die Haare aufstellen, horrent, wie die Granne auf der Gerstenähre, hordeum.45

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        Liber VI

        46 Curare a cura dictum. Cura, quod cor urat. Curiosus, qui1 hac praeter modum utitur.2 Recordare3: rursus in cor revocare. Curiae: ubi senatus rem p. curat, et illa, ubi cura sacrorum publica; ab his curiones. 47 Volo a voluntate dictum et a volatu, quod animus ita est, ut puncto temporis pervolet, quo volt.4 Lubere5 ab labendo dictum, quod „lubrica mens ac prolabitur”6, ut dicebant olim. A lubendo libido, libidinosus ac Venus Libentina7 et Libitina, sic alia. 48 Metuere a quodam motu animi, cum id, quod malum casurum putat, refugit mens. Cum vehementius in movendo, ut ab se abeat, foras fertur, formido. Cum < parum >, pavet,8 et ab eo pavor. 49 Meminisse ab memoria, cum id, quod remansit in mente, init, quo[d]9 rursus movetur. Quae a manando10 ut mani-moria11 potest esse dicta. Itaque Salii quod cantant: „Mamuri”,12 veterum significant13 memoriam. Ab eodem monere[m]14, quod is, qui monet, proinde sit ac memoria. Sic15 monitio menta16, quae in sepulchris, et ideo secundum viam, quo praetereuntis admoneant et se fuisse et illos esse mortalis. Ab eo cetera, quae scripta et facta memoriae causa, monumenta dicta. 1 qui VpVall.ME; quod faGH. 2 Vertitur H, utitur cett. 3 recordare F°a, recondere Vall.ME (Lae.), revocare HG, recordari b, Aug.; scripsi. 4 vult : Aug. 5 libere: L. Sp., Sciop. 6 prolabitur. Ut Flo.; prolabitur, ut edd. 7 Libentia GH, Libentina cett.; Lubentina Sciop. 8 cum < parum movetur>, pavet : L. Sp. Scripsi. 9 In mente // rursus f; in mente in id quod rursus FvHGpVMap; init quod Canal; scripsi. 10 manendo b, Sciop., edd.; manando cett. Scripsi. 11 maniomoria *FGM; mamomoria HV, manomoria p: scripsi sec. Lae. 12 memuríi veterum *Fa memuriā m M, menuri veterum HG menuriJ veterum p; mamuri beturi (= memoriam veterem) Turn., cf. Plut. Numa c. 13. 13 significant codd., significat prop. L. Sp. 14 monere p, monerem vel monerē cett.; meminere ab eodem manē monerem Vall.EM. 15 sit fpV sic (Fv)aHG (om. M). 16 monumenta G, monimenta (Fv), Lae., monitio menta cett. Scripsi.

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        46 – 49

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        46 Cūrāre, sich sorgen, ist von cūra, Sorge, benannt. Cūra heißt so, weil sie das Herz verbrennt, cōr ūrat107. Cūriōsus, neugierig, ist der, der sich übermäßige Sorge (cūra) macht. Recordārei, sich erinnern, heißt 'wieder ins Herz zurückrufen'. Die Kurien, cūriae: (sc. die eine), wo der Senat die Staatsgeschäfte besorgt, cūrat, und jene, wo die staatliche Sorge, cūra, um den Kult erfolgt. Daher heißen die Cūriōnēs, die Priestergehilfen, so.46 47 Volō ist vom Wollen, voluntās, und vom Fliegen, volātus, so benannt, weil der Geist so ist, dass er in einem Moment hinfliegt, pervolet, wohin er will, volt. Lubēre, begehren, ist von lābī, ausrutschen, benannt, weil „schlüpfrig (lūbrica) der Geist ist und dahinrutscht (lābitur)“, wie man einst sagte.108 Vom Begehren, lubēre, ist libīdō, Begierde, benannt, libīdinōsus, wolllüstig, und die Venus Libentīna, die Venus der Lust, und Libitīna, die Leichengöttin, und so auch andere Wörter.109 47 48 Metuere, sich fürchten, kommt von einer Art Bewegung, mōtus, der Seele, wenn der Geist vor dem, von dem er glaubt, dass es schlimm ausgeht, zurückflieht. Wenn er bei der Bewegung zu heftig außer sich gerät, forās fertur, so dass er einen verlässt, spricht man von formīdō, Grauen. Wenn er sich zu wenig, parum, bewegt, ängstigt man sich, pavet, und daher kommt pavor, Beklemmung. 48 49 Meminisse, sich erinnern, kommt von memoria, Erinnerung, wenn das, was im Geist geblieben ist, re-mānsit, dorthin eingeht, wo es wieder bewegt wird. Memoria kann vom Bleiben, manēre, und Verweilen, morārī, benannt worden sein, aus *mani-moria.110 Wenn daher die Salier singen: „Mamuri“, bezeichnen sie damit die memoria, Erinnerung, wie die Alten sie nannten.111 Monēre, mahnen, kommt genau daher, weil der, der einen erinnert, monet, genau so wie eine Erinnerung, memoria, ist. So sind eine Mahnung, monitiō, auch die Mahnmäler, monumenta, die auf den Gräbern sind, und die deshalb entlang den Wegen stehen, um die Vorübergehenden daran zu erinnern, ad-moneant, dass sie (sc. die Verstorbenen) gewesen sind und jene (sc. die Passanten) sterblich sind. Daher hat man auch die übrigen Denkmäler monumenta genannt, die man ob der Erinnerung, memoriae, willen niedergeschrieben und geschaffen hat.49

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        Liber VI

        50 Maerere1: a marcore2, quo[d] etiam corpus marcescere.3 Hinc etiam macri dicti. Laetari ab eo, quod latius gaudium propter magni boni opinionem diffusum. Itaque Iuventius ait: „Gaudia sua si omneis4 homines conferant unum in locum, tamen mea exsuperet laetitia.” Sic cum se habent, laeta. 51 Narro5, cum alterum facio narum6, a quo narratio, per quam cognoscimus rem gestam. Quae pars agendi est ab dicendo,7 ac sunt aut coniuncta cum temporibus aut ab his, eorum8 hoc genus videntur ἔτυμα. 52 Fatur [h]is9, qui primum10 homo significabilem ore mittit vocem. Ab eo, antequam ita faciant pueri, dicuntur infantes. Cum id faciunt, iam fari. Cum hoc vocabul[or]um11, a similitudine12 vocis pueri ac fatuis13 fari id dicuntur14. Ab hoc, tempora15 quod tum pueris constituant Parcae fando, dictum fatum et res fatales. Ab ha[n]c ea[n]dem voce[m]16, qui facile fantur, facundi dicti. Qui futura praedivinando soleant fari, fatidici. Dicti idem17 vaticinari, qui d18 vesana mente faciunt. Sed de hoc erit usurpandum, cum de poetis dicemus. 1 moerere fHGa, Merere Fv, Merore M, merere pV. 2 marcere : Aug. (Rig.). 3 quod < maeror facit > etiam Flo., quod etiam < faciat > Rig.; scripsi. 4 omnis Vall.Vp; omnes f. Scripsi. 5 An: Naro? 6 narum fa, Vict., edd.; narrum FvHGVp. 7 adiacendo Vall.f, ab dicendo Fv. 8 eorum a; earum cett. 9 his fpVG, ijs H is a. 10 primus fGH, primum (Fv) pV 11 vocabulorum : Aug. 12 Cum hoc vocabulorum similitudine fGH, cum hac etc. a; Cum vocabulorum a similitudine V, Cum hoc a vocabulorum similitudine p, Cum hoc vocabulorum a similitudine Vall.; Cum hoc del. prop. Vetter. Quod [hoc] vocabul[um] a similitudine vocis pueri [ac fatuus fari id] dictum. Rig. (de Melo). Scripsi. 13 fatuus : fatui Köves-Zulauf, fatus Vetter; scripsi. 14 dictum : scripsi. 15 Ab hoc tempore: Popma. 16 Ad haec eandem vocem F°GHpVa (eadem H) : Canal. 17 Idem est M; idē Vall., cett. 18 quod f(Fv)Vall.paHG; edd. Scripsi.

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        50 Maerēre, trauern, kommt von der Mattigkeit, marcor, wovon auch der Leib erschlaffen würde, marcēsceret.112 Davon sind auch die Mageren, macrī, benannt. Laetārī, sich freuen, kommt daher, dass die Freude wegen der Erwartung eines großen Gutes weiter, lātius, ausgebreitet ist. Daher sagt Iuventius: „Wenn alle Menschen ihre Freuden auf einen Platz zusammentrügen, würde dennoch meine Freude (laetitia) jene übertreffen.“113 Wenn die Dinge so stehen, ist es Glück, laeta.50 51 Narrō, erzähle, wenn ich einen Anderen zum Wissenden mache, nārum; davon kommt die Erzählung, narrātiō, durch die wir von einem Geschehen Kenntnis erhalten.114 Jener Teil des Handelns, der vom Sprechen kommt und (sc. dessen Bezeichnungen) entweder mit Zeiten verbunden sind oder von diesen kommen, deren Etyma dürften von dieser Art sein.51 52 Fātur, es spricht der Mensch, sobald er einen bedeutungsvollen Laut von sich gibt. Daher sagt man zu den Kindern, ehe sie das tun, sie sind īnfantēs, Kleinkinder (= Nichtsprechende). Wenn sie das aber tun, dann sagt man, dass sie schon sprechen, iam fārī.115 Wenn dies (sc. aber schon) ein Wort ist, dann sagt man – von der Ähnlichkeit zwischen der Lautäußerung des Kindes und dem Sprechen, fātus, – dass sie das fārī, sprächen.116 Davon, dass die Parzen durch ihren Spruch, fandō, den Kindern da 117 die Lebenszeit bestimmen, heißt das Schicksal fātum, und spricht man von rēs fātālēs, vom Schicksal bestimmten Dingen. Von eben diesem Wort heißen die fācundī, redegewandt, die leicht sprechen, fantur. Die durch Vorhersehung gerne die Zukunft ansagen, fārī, sind fātidicī, Weissager. Ebenso sagt man zu denen, die das im Wahn tun, vēsānā mente, dass sie prophezeien, vāticinārī. Aber damit werden wir uns befassen müssen, wenn wir über die Dichter sprechen.118 52

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        Liber VI

        53 Hinc fasti dies, quibus verba certa legitima sine piaculo1 praetoribus licet fari. Ab hoc nefasti, quibus diebus ea fari ius non est; et si fati sunt, piaculum faciunt. Hinc effata dicuntur, qui augures finem2 auspiciorum caelestum3 extra urbem agri4 sunt effati, ut esset5. Hinc effari templa dicuntur: ab auguribus6 effantur7 qui in his fines sunt. 54 Hinc fana nominata, quae8 pontifices in sacrando fati sint9 finem.10 Hinc profanum, quod est ante fanum coniunctum fano. Hinc profanatum [quid]11 in sacrificio atque12 Herculi decuma13 appellata ab eo est, quod sacrificio quodam fanatur14, id est, ut fani lege fit15. Id dicitur pollutum 16, quod a porriciendo 17 est fictum. Cum enim ex mercibus libamenta porrecta18 sunt Herculi in aram, tum polluctum est: ut cum profanum19 dicitur, id est proinde, ut sit fani factum. Itaque ibi20 olim 21 fano consumebatur omne, quod profanum erat, ut etiam fit quod PR. VRB.22 quotannis facit, cum Herculi immolat publice iuvencam. 55 Ab eodem verbo „fari” fabulae ut tragoediae et comoediae dictae. Hinc fassi ac confessi, qui fati id, quod ab his quaesitum. Hinc professi, hinc fama et famosi. 1 periculo faGH piaculo (Fv)VallEMpV. 2 qui : quis Canal. 3 caelestum F°pVaVall.EM, caelestium GH. 4 agris (Fv) Lae., Aug.; agri codd. 5 ut esset post fines transp. Rig. 6 augures f, auguribus (Fv) MaGHpV. 7 effantur codd., affantur M(Fv), adfari – adfantur Vict. 8 quae fVall.aGH, quod (Fv), edd. 9 sunt ap; st Vall., sint cett. 10 Hinc – finem om. M. 11 quid del. Rig. 12 ad quae codd., atque MV, ad que p : Lae. 13 dicuma faGVall.ME decuma (Fv). 14 fanantur faGH, fanatur (Fv)MEpV. 15 sit : Canal. 16 pollutum : Aug. (bis). 17 poriciendo fGVall.ME; porriciendo (Fv)Vp, Lae. 18 proiecta F° : Aug. 19 profanum : Turn. (bis). 20 ubi : Vertr. 21 Add. Vertr. 22 P. R. urb. (vel urƀ) codd., praetor urbanus edd.; scripsi.

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        53 – 55

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        53 Daher kommen die diēs fāstī, erlaubte Tage, an denen die Prätoren ohne Sühnopfer bestimmte, gesetzlich wirksame Worte sprechen, fārī, dürfen. Davon die diēs nefāstī, verbotene Tage, an denen es nicht rechtens ist, sie zu sprechen, fārī; und wenn sie (die Prätoren) sie dennoch ausgesprochen haben, machen sie ein Sühnopfer.119 Von daher spricht man von effāta (Weiheformeln), womit die Auguren die Grenze der himmlischen Vogelschau außerhalb des Stadtgebietes erklärt haben, effātī, auf welchem Teil des Gebietes (ager) sie sein soll.120 Von daher sagt man auch templa effārī, Beobachtungsräume bestimmen: Von den Auguren werden die Grenzen effantur, bestimmt, die innerhalb dieser Räume liegen. 53 54 Von daher wurden die fāna, Heiligtümer, benannt, weil die Priester beim Opfern sie als Grenze ausgesprochen, fātī, haben. Daher profānum, unheilig, weil es vor (prō) dem Heiligtum, fānum, liegt, aber mit ihm verbunden ist. Davon kommt auch beim Opfer das profānātum, Geweihte, 121 und auch der Zehnte für Herkules, Herculī decuma, ist so benannt, weil er in einem bestimmten Opfer geweiht wird, fānātur, das heißt: Er wird nach dem Gesetz Eigentum des Opfers.122 Das heißt auch pollūctum, dargebracht, ein Wort, das von porricere, als Opfer darbringen, gebildet ist123. Denn wenn dem Herkules auf dem Altar von den gekauften Waren Opfergaben dargebracht worden sind, dann ist das pollūctum, dargebracht, wie wenn etwas profānātum, geopfert, heißt, das ist genauso, wie wenn es Eigentum des Opfers, fānum, geworden wäre. Daher wurde einst dort im Heiligtum alles verzehrt, was geopfert worden war: So geschieht es auch heute noch bei dem Opfer, das der Stadtprätor124 jährlich bringt, wenn er von Staats wegen dem Herkules eine Jungkuh opfert.125 54 55 Vom gleichen Verbum „fārī” kommen die fābulae, Theaterstücke, wie die Tragödien und Komödien. Daher haben auch die fassī (die etwas zugegeben haben) und cōnfessī (die etwas bekannt haben) etwas gesagt, fātī, wonach man sie gefragt hatte. Daher kommen die professī (die etwas öffentlich erklärt haben / Professoren), daher fāma, Gerücht, und fāmōsus, berüchtigt.

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        190

        Liber VI

        Ab eodem falli, sed et falsum et fallacia, quae propterea, quod fando quem decipit, ac contra, quam dixit, facit1. Itaque si quis re2 fallit, in hoc non proprio nomine fallacia, sed tralatio3, ut a pede nostro pes lecti ac betae. Hinc etiam famigerabile4 et sic compositicia5 alia, item ua6 declinata multa, in quo et Fatuus et Fatue. 56 Loqui ab loco dictum, quod qui primo dicitur iam fari, is 7 vocabula et reliqua verba dicit, antequam suo quidque8 loco ea dicere potest. Hunc Chrysippus negat loqui9, sed ut loqui. Quare, ut imago hominis non sit homo, sic in corvis, cornicibus, pueris primitus incipientibus fari verba non esse verba, quod non locentur10. Igitur is loquitur, qui suo loco quodque verbum sciens ponit, et is tum prolocutus11, cum in animo quod habuit, extulit loquendo. 57 Hinc dicuntur eloquium ac reloqui12 in fanis Sabinis, e cella dei < quom > quid eloquuntur13. Hinc dictus loquax, qui nimium loqueretur. Hinc eloquens, qui copiose loquitur. Hinc colloquium, cum conveniunt 14 in unum locum loquendi causa. Hinc adlocutum mulieres ire aiunt, cum eunt ad aliquam locutum consolandi15 causa. Hinc quidam loquelam dixerunt verbum, quod in loquendo efferimus. Concinne loqui dictum, a „con” „cinere”16, ubi inter se conveniunt partes ita, < ut > [inter se] concinant17 aliud alii. 1 faciat (Fv)Vall.ME, facit cett. 2 refallit f(Fv)HpVE, resfallit G re fallit a. 3 translatio f, translato Vict. : A. Sp. (cf. V 32). 4 famiger, habile f, Vall., famigerabile Vp, Scal. 5 compositia f, composititia Fv, M; compositicia Vall., compositiua V. 6 ut : scripsi. 7 fari a vocabula et f, fari x (illegibile) vocabula Fv, faria vocabula et Vall.Vp; fari et Lae., Flo., fari[t] Rig.; scripsi. 8 quisque : Aug. 9 non loqui Vict. 10 loquebantur codd., loquantur Aug.: Flo. 11 istum prolocutum codd.; is tum Canal, prolocutus Fay. 12 eloquium ac reliqui codd.; eloqui ac reloqui Aug. Scripsi. 13 qui [de] delloquntur V, qui ēloquuntur Vall., quid elloquuntur G, < qui > quid loquuntur Flo. Scripsi. 14 Veniunt f, conveniunt Vall.(Fv). 15 consulandi F°; consolandi G, prop. Vict. 16 concinne F°aVMHG, continue p; concinere Scal., concinendo Rig. Scripsi, cf. VI 44. 17 ut add. A. Sp; cūdeant Vall., condeant fpGH: Mue.; inter se del. Sp.

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        55 – 57

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        Vom gleichen (sc. fārī) kommt fallī, sich irren, aber auch falsum, falsch, und fallācia, Betrügerei; sie heißt deswegen so, weil der Betrüger durch sein Sprechen, fandō, einen täuscht und anders handelt, als er gesagt hat. Wenn daher einer durch einen Akt täuscht (sc. und nicht verbal), dann handelt es sich nicht im eigentlichen Wortsinn um Betrügerei, sondern im übertragenen, wie von unserem eigenen Fuß der Fuß eines Bettes oder der Rübe so heißt. Daher kommt auch fāmigerābile, berühmt, und so andere Komposita, ebenso viele abgeleitete Wörter, worunter Fātuus (der Gott der Weissagung / Faunus) und Fātuae (die weissagenden Nymphen).126 55 56 Loquī, sprechen, ist von locus, Platz, benannt: Denn derjenige, von dem man sagt, er fange schon zu sprechen an, fārī, der plappert Nennwörter und die übrigen Wörter, ehe er jedes an der richtigen Stelle sagen kann. Der – sagt Chrysippus – spreche nicht wirklich, sondern tut so, als spräche er. 127 Wie daher das Bild eines Menschen nicht der Mensch sei, so seien es bei Raben, Krähen und Kindern, die gerade zu sprechen begännen, nicht Worte, weil sie nicht an der richtigen Stelle angebracht würden, locentur. Daher spricht, loquitur, (erst) der, der wissentlich jedes Wort an die richtige Stelle setzt; und der hat sich dann ausgedrückt, prōlocūtus, wenn er das, was er im Kopf hatte, durch Sprechen, loquendō, hervorgebracht hat.56 57 Von daher nennt man es bei den Gottesdiensten der Sabiner ēloquium, Rede, und reloquium, Antwortrede, wenn sie aus, ē, der Cella des Gottes, etwas heraussagen, ē-loquuntur. 128 Davon wurde einer loquāx, geschwätzig, genannt, wenn er zu viel sprach, loquerētur. Und beredt, ēloquēns, ist der, der wortreich spricht, loquitur. Von da kommt das conloquium, wenn man an einem gemeinsamen Ort zusammenkommt, con-veniunt, um zu reden, loquī. So sagt man auch, dass die Frauen zum Zureden, adlocūtum, gehen, wenn sie, um Trost zu spenden, zu, ad, einer Anderen zum Reden, locūtum, gehen. So haben manche loquēla das Wort genannt, das wir beim Sprechen, loquī, äußern. Es heißt concinnē loquī, in Übereinstimmung reden (von con und cinere, zusammen singen), wo die Parteien sich miteinander so verständigen, dass der eine dies, der andere jenes einklingen lässt, concinant.57

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        Liber VI

        58 Pronuntiare dictum < a „pro” >1 et „nuntiare”: Pro idem valet quod ante, ut in hoc: „proludit”. Ideo actores pronuntiare dicuntur, quod in proscenio enuntiant poeta cogita ante.2 Quod maxume tum [id]3 dicitur proprie, novam fabulam cum agunt. Nuntius enim est a ovis4 rebus nominatus; quod a Graeco νέος 5 potest declinatum. Ab eo itaque Neapolis6 illorum Nova Polis ab antiquis vocitata nostris. 59 A quo etiam extremum novissimum quoque dici7 coeptum volgo, quod mea memoria, ut Aelius, sic senes alii qui, 8 nimium novom9 verbum quod esset10, vitabant. Cuius origo, ut a vetere vetustus11 ac veterrimus12, sic ab novo declinatum < novius et >13 novissimum, quod extremum. Sic ab eadem origine novitas et novicius14 et novalis in agro. Et „Sub Novis“ dicta pars in foro aedificiorum. Quod vocabulum ei pervetustum15, ut Novae Viae, quae via iam diu vetus. 60 Ab eo quoque potest dictum nominare, quod res novae in usum quom odo16 additae erant, quibus ea novissent, nomina ponebant. Ab eo nuncupare, quod tunc civitatei 17 vota nova suscipiuntur. Nuncupare nominare valere apparet in legibus, ubi „nuncupatae pecuniae” sunt scriptae. Item in choro, in quo est: „Aenea!” – „Quis est, qui meum nomen nuncupat?” Item in „Medo”18: „Quis tu es, mulier, quae me insueto nuncupasti nomine?” 1 Add. Groth. 2 poeta cogitante : Pasoli. 3 Del. Lae. 4 a quis : Turn. 5 Verbo Graeco / potest f; a Graeco verbo Vall., a Graeco verbo a νέος Aug.; a verbo Graeco < νέος > Rig. Scripsi. 6 Νεάπολις Flo. 7 dico *FaVpVall.ME, dictum HG: Lae. 8 aliquot *FEH aliquod pGM, aliquo a, alii Gell. X 21,2. Scripsi. 9 novum: Mue. 10 extet Vall.EM, estet pV, esset cett. 11 vetustus faVp, vetustas GH: vetustius Gellius. 12 vetsumus Vall., veturinus M, veterrimus cett. 13 Add. Aug. sec. Gellium. 14 novitius faHGVpM, novicius FvVall.E. 15 pervetustas (< pervetustu Vall.): Lae. 16 quomodo : A. Sp. 17 civitate : civitati Flo., < pro > civitate L. Sp.; scripsi, cf. VI 68. 18 Medio codd.; Medea Aug.: Ald.

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        58 Prōnūntiāre, ankündigen, ist gebildet aus prō, vor, und nūntiāre, künden: Prō bedeutet dasselbe wie ante, vor, wie im Wort prōlūdit, spielt vor. Daher sagt man, dass die Schauspieler vortragen, prōnūntiāre, weil sie auf der Bühne das aussprechen, was der Dichter sich vorher, ante, ausgedacht hat. Das wird besonders dann im eigentlichen Sinne gesagt, wenn sie ein neues Stück aufführen. Nūntius, Nachricht, ist ja von den neuen, novae, Sachen benannt; dieses Wort (novus) könnte vom griechischen νέος, neu, abgeleitet sein. Davon ist ja ihr Neapolis, Neapel, von unseren Vorfahren immer wieder Nova Polis, Neue Stadt, bezeichnet worden.58 59 Von da auch hat das Volk begonnen, das Äußerste, extrēmum, novissimum zu nennen, was zu meiner Zeit wie Aelius so auch etliche andere Ältere 129 vermieden, weil es ein zu neues Wort war, wie sie sagten. Sein Ursprung: Wie von vetus, alt, vetustius, älter, und veterrimus, der Älteste, so sind von novus, neu, abgeleitet novius, neuer, und novissimum, was das Äußerste bedeutet. So kommt vom gleichen Ausgangswort novitās, Neuheit, novīcius, Neuling, und beim Acker novālis, Neubruch. Und Sub Novīs, Unter den Neuen (Buden?), hat man einen Teil der Gebäude auf dem Forum benannt. Diese Bezeichnung dafür ist aber uralt, so wie die der Via Nova, Neue Straße, die schon lange alt ist.130 59 60 Davon könnte auch nōmināre, nennen, benannt worden sein: Denn sowie gerade neue Dinge in Gebrauch gekommen waren, gab man ihnen Namen, nōmina, um sie zu kennen, nōvissent. Daher kommt auch nūncupāre, benennen, weil sich da die Bürgerschaft neuen, nova, Gelübden unterzieht, sus-cipiuntur. 131 Nūncupāre bedeutet in den Gesetzestexten nennen, nōmināre, wonach man dort von nūncupātae pecūniae schreibt, namentlich (beim Erbfall) vermachtem Geld.132 So heißt es auch im Chor: „Aeneas!“ – „Wer istʼs, der meinen Namen nennt (nūncupat)?“133 Und ebenso im Medus134: „Wer bist du, Frau, dass du mich mit ungewohntem Namen ansprichst, (nūncupāstī)?“60

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        Liber VI

        61 Dico originem habet Graecam, quod Graeci δεικνύω1. Hinc Ennius „deico” cu EI.2 Hinc3 dicare. Hinc iudicare, quod tunc ius dicatur. Hinc iudex, quod iu 4 dicat accepta potestate. < Hinc dedicat >5, id est, quibusdam verbis dicendo finit; sic enim6 aedis sacra a magistratu, pontifice praeunte7, dicendo dedicatur. Hinc + ab dicando + 8 indicium, hinc illa: indicit bellum9, indixit funus, prodixit diem, addixit iudicium. Hinc appellatum dictum in mi[ni]mo10 ac dictiosus. Hinc in manipulis castrensibus < dicta a >11 ducibus, hinc dictata in ludo; hinc dictator, magister populi, quod is a consule debet dici. Hinc antiqua illa: dici nummo12 et dicis causa et addictus. 62 Si dico quid scienti13, quod ei,14 quod ignoravit trado, hinc doceo declinatum, vel quod cum docemus, ua15 dicimus vel quod, qui docentur, inducantur in id, quod docentur. Ab eo, quod scit ducare quid, dux16 aut ductor. < Doctor >17, qui ita inducit, ut doceat. Ab docendo decere18 disciplina, discere, litteris commutatis paucis. Ab eodem principio documenta, quae exempla docendi causa dicuntur.

        1 Νιδικε („sic ibi“) Fv (lac. faGEVp), N (lac.) H, ΝιδιΚΕ Vall.M; quod Graece ius δίκη Canal. Scripsi. 2 Dico qui : Scripsi. 3 Hunc : Rig.; Dico qui hunc dicare Flo., de Melo, Dico qui hunc dicare cupit Ald., Dico VI hunc dicare < circum metulas > Kent. Scripsi. 4 Add. A. Sp. 5 Add. Stroux. 6 Abhinc incipit denuo codex F, fol. VIII r.; ante sic lac. 3 litterarum; enim F, etiam L. Sp., Rig. 7 pֿ unce F, Vall. (praeunte f): Ald. 8 dicando Stroux 318, del. A. Sp., dicendo L. Sp.; an: Hinc abdicado – indicium? 9 illum : Turn.; illicium susp. Scal., duellum Mue. 10 Del. Ald. 11 Add. Aug. 12 dici nu mo F, addicitur nummo Popma: Flo. 13 scienti : nescienti Scal., Rig., inscienti Mue., Flo. 14 det : Sciop. 15 ut F, add. Vall. supra lineam, del. Lae., edd.; scripsi. 16 ducare գ ē (= qui est) F, ducereգēdux Vall.: scripsi. 17 Add. L. Sp. 18 docere F: del. Mue.; Ab ducendo [docere] de Melo. Scripsi.

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        61 Dīcō, sage, hat einen griechischen Ursprung, weil die Griechen δεικνύω sagen. Daher heißt es bei Ennius: „deicō“, ich sage, mit einem EI (sc. geschrieben).135 Daher kommt dicāre, weihen. Daher auch iūdicāre, urteilen, weil dann Recht gesprochen werden soll. Daher iūdex, der Richter, da er ja Recht spricht, iūs dīcat, weil ihm dazu die Amtsgewalt übertragen worden ist.136 Daher auch dēdicat, tut kund / bestimmt, d. h. indem einer mit bestimmten Worten durch sein Sprechen, dīcendō, festsetzt; 137 so wird ja ein Tempel vom Beamten, wobei der Priester (sc. die Formel) vorsagt, durch Sprechen, dīcendō, geweiht, dē-dicātur.138 Von daher +++ kommt indicium, Anzeige, ebenso : indīcit bellum, man erklärt den Krieg, indīxit fūnus, hat ein Begräbnis angezeigt, prōdīxit diem, hat einen Termin verschoben, addīxit iūdicium, hat das Klagerecht zuerkannt.139 Von daher ist das Bonmot, dictum, im Possenspiel benannt und dictiōsus, wortgewitzt. So heißen bei den Manipeln im Lager die Befehle, dicta, von den Kommandierenden, und die Diktate, dictāta, in der Schule; so heißt der Volksbefehlshaber dictātor, weil er vom Konsul ernannt werden muss, dīcī. Daher kommen auch jene alten Formeln: addīcī nummō, um einen Sesterz (als Sklave) zugeschlagen werden, und dicis causā, der Form halber, und addictus, zum Sklaven erklärt.61 62 Wenn ich einem etwas sage, dīcō, der es nicht weiß, davon – weil ich ihm etwas übergebe, was er nicht gewusst hat – ist doceō, belehre, abgeleitet: Denn indem wir belehren, sagen wir Worte, dīcimus; oder es kommt daher, weil die, die belehrt werden, docentur, in das eingeführt werden sollen, in-dūcantur, was ihnen gelehrt wird, docentur. Davon, dass er etwas dūctāre, zu ziehen/führen, versteht, kommen dux, Führer, oder ductor, Zieher/Anführer.140 Doctor, Lehrer, (sc. ist der,) der so (in etwas) einführt, indūcit, dass er es lehrt, doceat.141 Von docēre, belehren, kommen decēre, sich schicken, disciplīna, Lehre, und discere, lernen, mit Veränderung von nur wenigen Buchstaben. Vom gleichen Ausgangswort (sc. docēre) kommen die Zeugnisse, documenta, die – wenn es um Belehrung geht, docendī causā – auch exempla, Beispiele, genannt werden. 62

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        Liber VI

        63 Disputatio et computatio ex1 propositione2 putandi, quod valet purum facere. Ideo antiqui purum „putum” appellarunt; ideo putator, quod arbores puras facit. Ideo ratio putari dicitur, in qua summa fit pura: Sic is sermo, in quo pure disponuntur verba, ne sit confusus atque ut diluceat, dicitur disputare.3 64 Quod dicimus „disserit”, item translatio4 atque ex agris verbo, nam ut olitor disserit in areas sui cuiusque generis res, sic in oratione qui facit, disertus5. Sermo, opinor, a serie, unde serta. (Etiam in vestimento sartum, quod comprehensum.)6 Sermo enim non potest in uno homine esse solo, sed ubi ratio7 cum altero coniuncta. Sic conserere manum8 dicimur cum hoste. Sic ex iure manu9 consertum vocare. Hinc adserere manu[m]10 in libertatem, cum prendimus. Sic augures dicunt: „Si mihi auctor es[t]11 verbenam12 manu[m]13 asserere, dicit14 consortes.” 65 Hinc etiam, a[b]15 quo ipsi consortes, sors. Hinc etiam sortes, quod in his iuncta tempora cum hominibus ac rebus; ab his sortilegi. Ab hoc pecunia, quae in faenore, sors est, impendium quod inter16 se iungat. 66 Legere dictum, quod leguntur ab oculis litterae. Ideo etiam legati: qui ut17 publice mittantur, leguntur. Item ab legendo leguli, qui oleam aut qui uvas legunt. Hinc legumina in frugibus variis. Etiam leges, quae lectae et ad populum latae, quas observet. 1 et : Holtz, e L. Sp. 2 ꝓpositione (ꝓ = pro-) F, Fv, Vall.; praepositione faHG; compositione Rig.; scripsi. 3 disputare : disputatio Flo. 4 tralatio < translatio F: Aug., cf. ad VI 55 et VI 78. 5 disertus F, edd.; scripsi, cf. Cat. c. 12,8. 6 Etiam – comprehensum delendum videtur. 7 Aug. 8 manu F, manum aHGVbVall. 9 manu: Sciop., cf. Gell. XX 10. 10 Aug. 11 Del. vulg. 12 verbi. Nam : Bergk. 13 Vulg.; lac. susp. Scal. 14 Add. A. Sp. 15 ad qui F, ad quod Vall.: L. Sp. 16 inter se: in se de Melo sec. Holtz. 17 quod : Ald.

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        63 Disputātiō, Erörterung, und computātiō, Berechnung, kommen von der Vorstellung des putāre, was 'sauber machen' bedeutet. Daher nannten die Alten pūrum, das Saubere, putum; daher heißt der putātor, Baumausschneider, so, weil er die Bäume pūrās, sauber macht. Darum sagt man, eine Rechnung (ratiō) wird überrechnet, putārī, in der die Summe sauber gemacht wird, pūra. So sagt man zur Rede, in der die Wörter sauber, pūrē, angeordnet werden, damit sie nicht wirr ist und vielmehr (der Sinn) durchscheint, dass sie disputāre, ins Reine bringe/erörtere.63 64 Wenn wir sagen, disserit, erörtert, so ist dies ein Wort, das aus der Landwirtschaft übertragen ist: Denn so, wie der Gärtner jede Sorte auf ihren eigenen Beeten getrennt aussät, dis-serit, so heißt auch der, der es in der Rede macht, dissertus, beredt. Sermō, Rede/Gespräch, kommt, glaube ich, von der Reihenfolge, seriēs, woher auch serta, Girlanden, kommen. (Und auch beim Gewand ist das sartum, geflickt, was zusammengefasst ist.)142 Einen sermō (Rede) kann es nämlich nicht bei einem einzigen Menschen alleine geben, sondern dort, wo die Rede (ōrātiō) mit einem Zweiten verbunden ist. So sagen wir, dass man handgemein wird, manum cōnserere, mit dem Feind. So nennt man beim (Eigentums-)Prozess das Auflegen der Hand, manum cōnsertum, daher auch adserere manū in lībertātem, mit der Hand als frei erklären, wenn wir (einen) anfassen.143 So sagen die Auguren: „Wenn du mich autorisierst, die heilige Rute mit der Hand zu berühren, asserere, nenne meine Mitgenossen, cōnsortēs!“144 64 65 Daher kommt auch sors, Anteil, wovon die cōnsortēs selbst, die Teilhaber, kommen. Daher kommen auch die sortēs, Lose, weil in diesen die Zeitumstände mit Menschen und Dingen verbunden wurden; von diesen sind die sortilegī, Weissager, benannt. Daher ist Geld, das auf Zins ausgeliehen ist, ein Anteil, sors, weil der Zins (sc. Schuldner und Gläubiger) miteinander verbinden soll. 65 66 Legere, lesen, ist so benannt, weil von den Augen die Buchstaben aufgelesen werden, leguntur. Daher heißen auch die legātī, Gesandten, so, weil sie ausgelesen werden, leguntur, um von Staats wegen gesandt zu werden. Ebenso vom legere, Lesen, kommen die legulī, Leser, die Oliven auflesen oder Trauben lesen, legunt. Daher kommen die legūmina, Hülsenfrüchte, bei verschiedenen Gemüsen. Auch lēgēs, Gesetze (sc. kommen von legere), weil sie gelesen, lēctae, und vor das Volk gebracht worden sind, damit es diese beachtet.

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        Liber VI

        Hinc legitima et collegae, qui una lecti, et qui in eorum locum suppositi, sublecti. Additi allecti et collecta, quae ex pluribus locis in unum lecta. Ab legendo ligna quoque, quod ea caduca legebantur in agro, quibus in focum uterentur. Indidem ab legendo legio et diligens et dilectus. 67 Murmurari1 (dictum a similitudine sonitus) dictus2, qui ita leviter loquitur, ut magis e sono id facere, quam ut intellegatur, videatur. Hinc etiam poetae: „Murmurantia litora.” Similiter fremere, gemere, clamare, crepare ab similitudine vocis sonitus dicta. Hinc illa: „Arma sonant, fremor oritur.” Hinc: „Nihil me increpitando commoves.” 68 Vicina horum quiritare, iubilare. Quiritare dicitur is, qui Quiritum fidem clamans inplorat. Quirites a Curensibus; ab his cum Tatio rege in societatem venerunt civitatei.3 Ut quiritare urbanorum, sic iubilare rusticorum. Itaque hos imitans Parasitus4 ait: „Io, bucco!” „Quis me iubilat?” „Vicinus tuus antiquus.” Sic triumphare appellatum, quod cum imperatore milites redeuntes clamitant per urbem in Capitolium eunti: „o5 triumphe!” Id a θριάμβῳ ac Greco Liberi cognomento potest dictum. 69 Spondere est dicere: „Spondeo.” A sponte, nam id valet a voluntate. Itaque Lucilius6 scribit de Cretaea7, cum ad se cubitum venerit sua voluntate: sponte ipsam suapte adductam ut tunicam et cetera8 reiceret. Eandem voluntatem Terentius significat, cum ait satius esse „sua sponte recte facere quam alieno metu.” 1 murmuratur F; murmuratur < murmur > Stroux: scripsi. 2 Del. Lae. 3 civitates : civitatis Sciop. Scripsi, cf. VI 60. 4 Aprissius : Cichorius. 5 o : Lae. 6 Licinius prop. A. Sp. 7 gretea : Marx. 8 ceterȩ : vulg.

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        Daher die rechtmäßigen Maßnahmen, lēgitima, und die Kollegen, collēgae, weil sie zusammen (con), gewählt wurden, lēctī, und so heißen die, die an ihre Stelle (sc. als Ersatz) darunter (sub) gesetzt wurden, sublēctī, Nachgewählte. Zusätzliche (sc. Beamte) heißen allēctī, Hinzugewählte, und collēcta, Sammelgut, ist das, was von mehreren Stellen auf einen Punkt hin gesammelt worden ist, lēcta. Vom Lesen, legere, sind auch die Hölzer, ligna, benannt, weil es, wenn es heruntergefallen war, auf dem Feld gesammelt wurde, legēbantur, um es für den Herd zu verwenden. Vom gleichen Lesen, legere, her, kommen legiō, Legion, und dīligēns, sorgfältig, und dīlēctus, Truppenaushebung.66 67 Murmurārī (benannt von der Klangähnlichkeit): Dass einer murmelt, sagt man über den, der so leise spricht, dass man den Eindruck hat, er tut dies mehr wegen des Tons, als um verstanden zu werden. Daher kommt das Dichterzitat: „Murmelnde (murmurantia) Gestade“.145 Ähnlich sind fremere, brummen, gemere, seufzen, clāmāre, laut rufen, und crepāre, knurren, von der Klangähnlichkeit her benannt. Daher jene Worte: „Es tönen die Waffen, Brüllen (fremor) kommt auf.“146 Daher: „Gar nicht bewegst du mich mit Geschimpfe (increpitandō).“67 68 Diesen nahe sind quirītāre, schreien, und iūbilāre, plärren. Quirītāre, sagt man, macht der, der mit seinem lauten Rufen den Beistand der Quirītēs, der Bürger Roms, anruft.147 Die Quirītēs, Quiriten, kommen von den Curēnsēs, den Bürgern von Cures; von dort sind sie mit König Tatius gekommen, um sich mit der Stadt zu verbünden.148 Wie man bei den Städtern quirītāre, schreien, sagt, so bei den Landleuten iūbilāre, plärren. Deshalb sagt der Parasit, um diese nachzuahmen: „Iō, Iuchhe, Backe!“ „Wer juche-zt (iūbilat) nach mir?“ „Dein Nachbar von Gegenüber.“149 So ist auch triumphāre, triumphieren, benannt, was die Soldaten, wenn sie mit ihrem Kommandeur zurückkehren, diesem zurufen, wenn er durch die Stadt aufs Kapitol zieht: „Iuchhe, Triumph (Iō, triumphe)!“150 Dieses Wort könnte von θρίαμβoς und dem griechischen Beinamen des Bacchus kommen.68 69 Spondēre, versprechen, heißt: „Spondeō!“ (Ich verspreche) sagen.151 Es kommt von spōns, das bedeutet: vom freien Willen (voluntās). Daher schreibt Lucilius von der Kreterin, weil sie zu ihm aus eigenem Willen zum Beischlaf gekommen sei: „...ganz aus eignem Antrieb (sponte suā) und ganz von selbst, um Unterkleid und das Übrige abzuwerfen.“152 Den gleichen Willen bezeichnet Terenz, wenn er sagt, es sei besser, „aus eignem Antrieb (suā sponte) recht zu tun als aus Furcht vor Anderen.“153

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        Liber VI

        Ab eadem sponte, a qua dictum spondere, declinatum spondit1 et respondet et [de]sponsor 2 et sponsa, item sic alia. Spondet enim, qui dicit a sua sponte: „Spondeo.” < Qui > spondit3, est sponsor; qui dem4 faciat, obligatur sponsu[s]5, consponsus. 70 Hoc Naevius significat, cum ait: „Consponsi.” Spondebatur pecunia aut filia, nuptiarum causa; appellabatur et pecunia et quae desponsa erat, sponsa. Quae6 pecunia inter se contra sponsum rogata erat, dicta sponsio. Cui desponsa quae7 erat, sponsus; quo die sponsum erat, sponsalis. 71 Quo8 spoponderat filiam, despondisse9 dicebant, quod de sponte eius, id est de voluntate, exierat. Non enim, si volebat, dabat, < sed dare debebat > 10 , quod sponsu erat alligatus. Nam ut in comoediis vides dici: „Sponden tuam [a]gnatam11 filio uxorem meo?” Quod tum et praetorium ius ad legem et censorium iudicium ad aequum existimabatur. Sic despondisse animum quoque dicitur, ut despondisse filiam, quod suae sponti s12 statuerat finem. 72 A qua sponte dicere, re-spondere13 quoque dixerunt cum a sponte14 responderent, id est ad voluntatem, rogat[i]oris15. Itaque, qui ad id, quod rogatur, „Non!”16 dicit, non respondet, ut non sponte ille statim, qui dixit „Spondeo”, si iocandi causa dixit, neque agi potest cum eo ex sponsu. 1 spondit F, spondit Flo.: Lachmann. 2 Del. Lachmann. 3 spondit : Kent. 4 ꝗ dem : Rhol. 5 L. Sp. 6 quae: qua prop. Turn. sec. Sipontinum. 7 quo : Mue. 8 Quo F, qui edd.; scripsi. 9 dispondisse : Ald. 10 Add. Vetter. 11 agnatam: gnatam Vall. (Lae.). 12 spontis : Ursinus, scripsi. 13 dicere cum spondere : dicere cum spondere, < respondere > Lachmann. Scripsi. 14 a sponte: ad spontem Turn., edd. Scripsi sec. Lachmann. 15 rogationis : L. Sp. 16 Sic interp. Stroux (1923) 317.

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        Vom gleichen Willen, spōns, von dem spondēre, versprechen, benannt ist, sind abgeleitet dēspondit, hat (sc. zur Heirat) versprochen, respondet, antwortet, spōnsor, Bürge, spōnsa, Braut, und anderes mehr.154 Denn es gelobt der, der aus eigenem Antrieb, sponte, sagt: „Spondeō.“ (Ich gelobe). Der etwas gelobt hat, spopondit, ist spōnsor, Bürge; wer durch sein Gelöbnis, spōnsū, verpflichtet ist, das Gleiche zu tun, ist cōnspōnsus, durch ein Gelöbnis verbunden.69 70 Das meint Naevius, wenn er sagt: „Die Zusammenverlobten (cōnspōnsī).“155 Man versprach, spondēbātur, Geld oder Tochter, um der Heirat willen; sowohl das Geld als auch das Mädchen, das verlobt worden war, wurden spōnsa, versprochen, genannt. Das Geld, das zwischen den Partnern als Garantie, contrā spōnsum, gefordert war, nannte man spōnsiō, Bürgschaft. Der, dem eine (Braut) versprochen worden war, dēspōnsa, ist der Bräutigam, spōnsus; der Tag, an dem das Versprechen gegeben worden war, der Verlobungstermin, ist der (diēs) spōnsālis.70 71 Wenn einer seine Tochter verlobt hatte, spoponderat, dann sagte man, er habe sie dēspondisse, weil sie aus, dē, seiner spōns, das heißt aus seinem Willen, ausgetreten war. Man gab sie nämlich nicht, wenn man wollte, sondern musste sie geben, weil man durch das Gelöbnis, spōnsū, verpflichtet war. Denn man sieht ja, dass es so in den Komödien heißt: „Versprichst du (spondē(s)ne) deine Tochter als Gattin meinem Sohne?“156 Dies hielt man damals für ein prätorisches Recht157 entsprechend dem Gesetz, und das Urteil des Zensors galt als der Billigkeit entsprechend. So sagt man auch, einer habe sich aufgegeben, dēspondisse animum (genauso wie man sagt, einer habe seine Tochter vergeben, dēspondisse fīliam), weil der seinem Willen ein Ende gesetzt hatte.71 72 Von diesem freien Willen her, der spōns, zu sprechen, nannte man auch re-spondēre, gegen-versprechen, wenn man aus freiem Willen, der spōns, d. h. nach dem Willen des Antragstellers, antwortete, respondērent.158 Wer daher auf das, worum er gebeten wird, „Nein!“ sagt, der gibt kein GegenVersprechen, re-spondet, so wie mit dem, der nicht freiwillig, sponte, sofort sagt: „Spondeō“, sondern das nur zum Scherz gesagt hat, nicht rechtskräftig auf Grund eines Gelöbnisses, spōnsū, gehandelt werden kann.159

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        Itaque si qui1 dicit in tragoedia2: „Meministin te [de]spondere3 mihi [a]gnatam4 tuam?”: quod sine sponte sua dixit, cum eo non potest agi ex sponsu. 73 Etiam spes a sponte potest esse declinata, quod tum sperat, cum, quod5 volt fieri, putat. Nam quod non volt, si putat, metuit, non sperat. Itaque hic6 quoque, qui dicunt in „Astraba” Plauti: „Ne7 sequere adseque, Polubadisce. Meam spem cupio consequi!” / „Sequor, hercle, equidem8, nam libenter meam sperata9 consequor.”, quod sine sponte dicunt, vere neque ille sperat, qui dicit adolescens, neque illa sperata est. 74 Sponsor et pres et vas neque idem10 neque res, a quibus hi, sed e re simile11. Itaque pres, qui, a magistratu interrogatus, in publicum ut praes tet12, a quo ei13 cum respondet, dicit: „praes”. Vas appellatus, qui pro altero vadimonium promittebat. Consuetudo erat, cum reos14 parum idoneus inceptis rebus, ut pro se alium daret. A quo caveri postea lege coeptum est ab his, qui praedia venderent, vadem ne darent. Ab eo ascribi15 coeptum in lege mancipiorum: „Vadem nec poscet16 nec dabitur.” 75 Canere17, accanit et succanit ut canto et cantatio ex Camena permutato pro M. N.18 Ab eo, quod semel, canit; si sepius, cantat; hinc cantitat, item alia. Nec sine canendo tibicines19 +++ dicti. Omnium enim horum quoda20 canere. Etiam bucinator a vocis similitudine et cantu dictus.

        1 Itaգ;siqui F, Ita quisquis Vall.: Lachmann. 2 comoedia susp. L. Sp. 3 Meministine te despondere F: Lachmann. 4 Rhol. 5 quod cum F, (Fv), Vall., cum quod Vp: Aug. 6 hic : hi L. Sp.; scripsi sec. F et Lachmann. 7 Plautine : Lachmann. 8 erclem quidem F; hercle f, hercles quidem Vall.: L. Sp. 9 meam sperata F: Ritschl. 10 ideo : Lae. 11 simile : similes Lae. (simili Sciop.). 12 praestet: praes siet Mue. Scripsi. 13 et : Giard. 14 reos F, Groth: reus Lae., edd. 15 ascribi F, scribi Vall. (Lae.). 16 nec poscerent : Sciop. 17 canerę F, canere cett. 18 N. M. : Mue. 19 Lac. susp. Mue., Flo.; < tubicines, liticines, cornicines, > tibicines prop. L. Sp. 20 qđacanere : quod a canere Flo.: Can., Rig.

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        Wenn daher einer im Drama sagt:160 „Denkst du daran, mir deine Tochter zu verloben (spondēre)?“: So kann mit diesem, weil er (sc. der Angesprochene) das unfreiwillig gesagt hat, nicht rechtskräftig auf Grund eines Gelöbnisses gehandelt werden.72 73 Auch spēs, Hoffnung, könnte von spōns, dem freien Willen, abgeleitet sein, weil man dann hofft, spērat, wenn man glaubt, es geschieht, was man will.161 Denn wenn man glaubt, es geschieht, was man nicht will, dann fürchtet man und hofft nicht. Darum sagen hier auch die Sprecher in der Astraba des Plautus162: „Folgʼ mir ja auf dem Fuß, Polybadiscus! Ich will meine Hoffnung (spēs) verwirklichen.“ „Ich folge dir ja, bei Hercules, denn der, auf die ich hoffe, spērāta, laufʼ ich gerne nach.“ Aber das sagen sie ohne spōns, den (sc. rechtsverbindlichen freien) Willen: Weder hofft das der junge Mann, der spricht (sc. was der Erste meint), noch ist jene diejenige, die er erhofft hatte, spērāta.73 74 Spōnsor, Bürge für Kapital, praes, Bürge für Leistungen, und vas, Bürge vor Gericht: Weder sind sie dasselbe noch die Dinge, nach denen sie benannt wurden, sondern sie sind nur von der Sache her etwas Ähnliches. Denn der praes wird vom Beamten befragt, um sich gegenüber dem Staat als Garant zur Verfügung zu stellen, praes stet; von da her und in dem Moment, wo er antwortet, sagt er: „praes“ (ich garantiere)163. Vas ist der benannt, der für einen anderen eine Bürgschaftsleistung, vadimōnium, versprach. Es war Sitte, dass der Angeklagte, wenn er nach Beginn der Streitigkeiten zu wenig geeignet war, sich durch einen anderen vertreten ließ.164 Von daher begann man später gesetzlich zu verhindern, dass die Verkäufer von Grundbesitz einen Bürgen, vas, stellten. Daher wurde bald im Gesetz über die mancipia, Eigentumserwerbungen, hinzugeschrieben: „Man darf keinen Bürgen (vas) verlangen – und er darf auch nicht gegeben werden.“165 74 75 Canere, singen/tönen, accanit, singt dazu, succanit, begleitet, wie cantō, singe, und cantātiō, Gesang, kommen aus Camēna, Muse, wobei aus M ein N geworden ist. Wenn einer einmal singt, heißt es canit; wenn öfter, cantat; davon cantitat, singt immer wieder, ebenso bei anderen Verben. Ohne canere, blasen/tönen, sind auch die Flötenbläser, tibicines < und Hornisten etc. > nicht benannt. Denn alle diese haben eine Art Tönen, canere, gemeinsam.166 Auch der būcinātor, Hornbläser, ist von der Ähnlichkeit seines Tons (sc. des „bū“) und vom Spielen, cantus, so benannt.75

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        Liber VI

        76 Oro ab ore, et perorat et exorat et oratio et orator et osculum dictum. Indidem omen, ornamentum. Alterum, quod ex ore primum elatum est, osmen dictum. Alterum nunc cum < unius > propositione1 dicitur vulgo ornamentum, quod – sicut olim ornamenta2 – m.3 scenici plerique dicunt. Hinc oscines dicuntur apud augures, quae ore faciunt auspicium. 77 Tertium gradum agendi esse dicunt, ubi quid faciant. In eo propter similitudinem4 agendi et faciendi et gerendi quidam error his, qui putant esse unum. Potes[t]5 enim aliquid facere et non agere, ut poeta facit fabulam et non agit. Contra actor6 agit et non7 facit. Et sic a poeta fabula fit, non agitur, ab actore agitur, non fit. Contra imperator, quod dicitur res gerere, in eo neque facit neque agit, sed gerit, id est sustinet; translatum8 ab his, qui [h]onera gerunt, quod hi sustinent. 78 Proprio nomine dicitur facere a facie, qui rei, quam facit, imponit faciem; ut fictor, cum dicit: „fingo”, figuram imponit, cum dicit: „[In]9 formo”, formam, sic, cum dicit: „facio”, faciem imponit. A qua facie discernitur, ut dici possit aliud esse vestimentum, aliud vas. Sic item, quae fiunt apud fabros, fictores, item alios alia. Qui[c] quid10 amministrat, cuius opus non extat, quod sub sensu11 veniat, ab agitatu, ut dixi, magis agere quam facere putatur. Sed quod his magis promiscue quam diligenter consuetudo est usa, translaticiis utimur verbis, nam et qui dicit, facere verba dicimus, et qui aliquid a[g]it12, non esse inficientem.

        1 ꝓpositione (= propositione) : proportione Flo. Scripsi. 2 ornamentum F, osnamenta Vall., osnamentum Sciop.: prop. GS. 3 m(ultitudinis) scripsi, cf. IX 64-66. 4 simul- > simili- F. 5 potest: A. Sp. 6 actor < auctor F. 7 Add. Vall., vulg. 8 tralatum F, translatum Vall. 9 informo F, īformo Vall.: L.Sp. 10 quicquid : Aug. 11 sensu F, sensū H, Vict. 12 agit (= agit): negat Scal.: Scripsi.

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        76 – 78

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        76 Ōrō, bitte, kommt von ōs, Mund, auch perōrat, hält eine Rede, exōrat, fleht an, ōrātiō, Rede, ōrātor, Redner, und ōsculum, Kuss. Vom gleichen Wort kommt auch ōmen, Vorzeichen, und ornāmentum, Redeausschmückung. Das Erste hieß ōsmen, weil es zuerst aus dem Mund, ōs, geäußert worden ist. Das Zweite heißt jetzt mit der Vorstellung (prōpositiō) von einem Einzelnen beim Volk (sc. im Singular) ornāmentum, wozu – wie einst – die meisten Bühnendichter im Plural ornāmenta sagen.167 Davon heißen die ōscinēs, Weissagungsvögel, so bei den Auguren, die mit dem Schnabel, ōs, die Vogelschau machen.76 77 Die dritte Stufe des Handelns, agere, sei, so sagt man, wo man etwas macht, faciant.168 Dabei besteht aber wegen der Ähnlichkeit von Handeln, agere, Machen, facere, und gerere, Ausführen, doch ein Irrtum bei denen, die glauben, es sei ein und dasselbe. Man kann ja etwas machen und nicht handeln, so wie der Dichter ein Stück macht, facit, und nicht aufführt, agit. Der Schauspieler dagegen, āctor, führt es auf und macht es nicht. Und so (sc. im Passiv) wird ein Stück vom Dichter gemacht, fit, aber nicht aufgeführt, agitur, vom Schauspieler aufgeführt, agitur, aber nicht gemacht, fit. Der Kommandeur hingegen – wenn man sagt, er führe Operationen aus, gerere – macht dabei nicht und handelt auch nicht (sc. selbst), sondern führt aus, gerit, d. h. sustinet, übernimmt. Das ist übertragen von denen, die Lasten tragen, gerunt, weil sie diese aufnehmen, sustinent.77 78 Im eigentlichen Sinne sagt man, dass einer mache, facere, von faciēs, Aussehen/Gesicht, der der Sache, die er macht, ein Gesicht gibt, faciēs. Wie der Bildhauer, wenn er sagt: „ fingō“ (ich bilde), ihr ein Aussehen, figūra, gibt; wenn er sagt: „fōrmō“ (ich forme), eine Form, fōrma. So setzt er ihr ein Gesicht, faciēs, auf, wenn er sagt: „faciō“ (ich mache). Von diesem Aussehen, faciēs, her kann man Unterscheidungen treffen, so dass man sagen kann, das eine sei ein Gewand, das andere ein Gefäß. Genauso ist es bei den Dingen, die bei Zimmerleuten, fabrī, und Bildhauern, fictōrēs, hergestellt werden, f īunt, wie auch bei anderen Objekten von anderen Handwerkern. Jeder, der etwas verrichtet, bei dem kein Objekt existiert, das sinnfällig wird: Der, so glaubt man, handelt – von der Tätigkeit her – mehr, als dass er herstellt, wie ich gesagt habe. Aber weil der Sprachgebrauch diese Verben mehr miteinander vermischt, als sorgfältig verwendet hat, gebrauchen wir die Verben in Übertragung (trānslātīcia): Denn auch, wer spricht, sagen wir, macht Worte, facere verba, und wer etwas sagt, ait, ist nicht untätig, īn-ficiēns.169

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        Liber VI

        79 < A faciendo fax. Quae >1 quod2 adlucet, dicitur lucere; < quod >3 ab luere, et luce dissolvuntur tenebrae. Ab luce noctiluca. Lugere4 item ab luce, quod propter lucem amissam is cultus institutus. Acquirere est „ad”5 et „querere”. Ipsum querere ab eo, quod quae res ut reciperetur, datur opera. A querendo questio, < quaestor >,6 ab his conquestor. 80 Video a visu, < is a vi >7. Quinque enim sensuum maximus in oculis. Nam cum sensus nullus, quod abest mille passus, sentire possit, „Oculorum sensus vis usque pervenit ad stellas.” Hinc „Visenda vigilant, vigilium invident.“ Et anticum8 illud: „Oblivio lavet qui incidit in invidendum.” A quo etiam „violavit virginem” pro „vitiavit”9 dicebant. Aeque eadem modestia potius cum muliere „fuisse” quam „concubuisse” dicebant. 81 Cerno idem valet. Itaque pro „video” ait Ennius: „Lumen – iubarne? – in caelo cerno.” Canius:10 „Sensumque inesse et motum / in membris cerno.” Dictum cerno a cretu11, id est a creando. Dictum ab eo, quod cum quid creatum est, tunc denique videtur. Hinc fines capilli discreti12, quod finis videtur, discrimen. Et quod13 in testamento < „cernito” >14, id est „facito, videant te esse heredem”, itaque in cretione adhibere iubent testes.

        1 Lac. ind. Mue.; < Et facere lumen, faculam > Fay. Scripsi. 2 qui : scripsi. 3 Add. A. Sp. 4 lucere: Popma. 5 < ab > ad Lae. 6 < quaestor > addendum susp. Mue., A. Sp. 7 Video a vi De Pauw, Flo.; < id a vi > Kent. Scripsi. 8 atticum : Vict. 9 vitavit F, vitiavit Vall. (Lae.). 10 Canius F Cassius Schöll, Accius Flo. 11 cereo F, edd. Scripsi. 12 descripti : discripti A. Sp.: Aug. 13 qui id : Turn. 14 Add. Turn.

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        79 – 81

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        79 < Vom Machen, facere, kommt fax, Fackel.> 170 Was sie anleuchtet, das – so sagt man – leuchtet, lūcēre; das kommt von luere, auflösen, und durch Licht, lūx, löst sich die Finsternis auf, dissolvuntur.171 Von lūx, Licht, kommt die Nachtleuchte, noctilūca. Lūgēre, trauern, kommt auch von lūx, Licht; denn wegen des Verlusts des (Lebens-)Lichts ist dieser Brauch eingerichtet worden.172 Acquīrere, erwerben, ist ad, hinzu, und quaerere, suchen. Quaerere selbst kommt davon, dass man sich Mühe gibt, die Sache, quae rēs, zu bekommen.173 Von quaerere kommen die Untersuchung, quaestiō, und der Untersuchungsrichter, quaestor, und daher conquaestor, Inspekteur.79 80 Videō, sehe, vom Gesichtssinn, vīsus, der von seiner Kraft, vīs. Denn von allen fünf Sinnen liegt der größte in den Augen. Während nämlich kein Sinn das, was eine Meile entfernt ist, wahrnehmen kann, „reicht der Augen Sinneskraft (sēnsus vīs) bis hin zu den Sternen.“174 Daher heißt es: „Sie bewachen, was zu sehen ist (vīsenda); sie hassen (invident) die Nachtwache.“175 Und jenes alte Wort: „Vergessen soll den wegwaschen, der auf Neid (invidendum) verfallen ist.“176 Daher (d. h. von vīs, Kraft/Gewalt) sagte man auch, „er hat einem Mädchen Gewalt angetan“, violāvit, statt vitiāvit, „er hat sie verwaltigt“. Genau mit der gleichen Zurückhaltung sagte man lieber, dass man mit einer Frau „zusammen war“, cum muliere fuisse, statt dass man „mit ihr geschlafen habe“, concubuisse. 80 81 Cernō bedeutet dasselbe. Daher sagt Ennius anstelle von videō : „Licht – ist es ein Lichtstreif ? – sehe ich (cernō) am Himmel,“177 und Canius: „Dass Gefühl und Bewegung in den Gliedern ist, sehe ich (cernō).“178 Cernō, sehe, kommt vom crētus, Wachsen/Sehen, das wiederum von creāre, erschaffen.179 Benannt ist es davon, dass etwas erst dann, wenn es erschaffen ist, creātum, gesehen wird. Daher heißt das Ende der Unterteilung der Haare, dis-crētī, weil man nur ihr Ende sieht, discrīmen, Zöpfchen. Und wenn es bei einem Testament heißt: „Cernitō!“, „Du musst sehen“, das heißt: „Du musst machen, dass sie sehen, dass du der Erbe bist“: Daher muss man bei der Erbschaftsübernahme, crētiō, Zeugen beiziehen.

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        Liber VI

        Ab eodem est, quod ait Medea: „Ter sub armis malim vitam1 cernere quam semel modo parere.” Quod, ut decernunt de vita, eo tempore multorum videtur vitae finis. 82 Spectare dictum ab antic o 2, quo etiam Ennius usus: „uos3 Epulo postquam spexit”, et quod in auspiciis distributum est, qui habent 4 spectionem, qui non habeant, et quod in auguriis etiam nunc augures dicunt „avem specere”. Consuetudo comunis, quae cum praeverbiis5 coniunta6 fuerunt, etiam nunc servat, ut „aspicio, conspicio, respicio, suspicio, inspicio”7, sic alia. In quo etiam expecto, quod spectare volo, hinc speculor8. Hinc speculum, quod in eo specimus imaginem. Specula, de qua9 prospicimus. Speculator, quem mittimus ante, ut respiciat, quae volumus. Hinc, qui oculos inunguimus, quibus specimus, specillum. 83 Ab auribus verba videntur dicta „audio” et „ausculto”. Aureis10: ab avitu11, quod his avemus dicere12 semper. Quod Ennius videtur ἔτυμον ostendere velle in „Alexandro”, cum ait: „Iam dudum ab ludis animus atque aures avent, avide expectantes nuntium.” Propter hanc aurium aviditatem theatra replentur. Ab audiendo etiam auscultare declinatum, quod hi auscultare dicuntur, qui auditis parent. A quo dictum poetae: „Audio; aut13 ausculto14.” Littera commutata dicitur odor, olor. Hinc olet et odorari et odoratus15 et odora res. 1 multa vel uiulta F: Aug. 2 antiquo: < specio > add. vulg.; ab antiquo verbo Flo. Scripsi. 3 vos : A. Sp. 4 habent : Aug. 5 praeverbis F, ut videtur: Fv. 6 coniunta : vulg. 7 đidestspicio F, .i.spicio HVpb, despicio Vall. 8 specula : Canal. 9 quo : Aug. 10 audio : aures A. Sp., auris Mue. Scripsi. 11 aucto : aveo Lae.; scripsi. 12 dicere F: prop. Vict. 13 Add. Turn. 14 aǔt obsculto F, absculto Vall., ausculto GHVp. 15 odoratur F, corr. L. Sp.

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        81 – 83

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        Von daher sagt Medea: „Dreimal lieber möchte ich in Waffen dem Tod ins Auge schauen (cernere), als einmal nur gebären.“180 Denn sowie man über Leben (sc. und Tod) entscheidet, dēcernunt, scheint dieser Zeitpunkt schon das Ende des Lebens für viele zu sein.81 82 Spectāre kommt von dem alten Wort, das auch Ennius noch gebraucht hat: „Nachdem Epulo sie gesehen hatte (spexit)“;181 und bei der Vogelschau hat man eingeteilt in die, die die Schau, spectiō, haben sollen, und die nicht. Und auch heute noch sagen bei der Vogelschau die Auguren „einen Vogel spähen (specere).“182 Der Sprachgebrauch bewahrt die Wörter, die mit Vorwörtern verbunden worden waren, auch jetzt noch: aspiciō, erblicke, cōnspiciō, schaue an, respiciō, berücksichtige, suspiciō, beargwöhne, īnspiciō, besichtige, und noch andere. Hierher gehören auch exspectō, erwarte, weil ich etwas sehen will, davon speculor, kundschafte aus. Daher kommt der Spiegel, speculum, weil wir in ihm ein Bild sehen, specimus. Specula ist die Anhöhe, von der aus wir in die Ferne sehen, prō-spicimus. Speculātor, Kundschafter, den wir vorausschicken, damit er auf das achtet, respiciat, was wir wollen. Davon kommt auch specillum, womit wir die Augen salben, mit denen wir sehen, specimus.183 82 83 Von aurēs, Ohren, scheinen die Verba audiō, höre, und auscultō, höre zu, benannt zu sein. Aureis, Ohren, von avitus, dem Begehren, weil wir mit diesen immer zu lernen begehren, avēmus.184 Dieses Etymon scheint Ennius im Alexander aufzeigen zu wollen, wenn er sagt: „Schon lange sind mein Herz und Ohren voll Begierde (avent), von den Spielen erwarten sie begierig (avidē) Kunde.“185 Wegen dieser Begierde der Ohren füllen sich die Theater. Von audīre, hören, ist auch auscultāre, zuhören, abgeleitet, weil – wie man sagt – diejenigen zuhören, auscultāre, die dem, was sie gehört haben, audīta, gehorchen. Daher kommt das Dichterwort: „Ich höre (audiō), doch höre ich dir nicht zu (auscultō).“186 Mit Veränderung eines Buchstabens sagt man odor und olor, Duft. Von daher olet, riecht es, kommen odōrāri, wittern, und odōrātus, Geruch, und ist odōra rēs eine duftende Sache.187

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        Liber VI

        84 < ….. > sic1 ab ore: edo, sorbeo, bibo, poto. Edo a Graeco ἔδω2. Hinc esculentum et esca < et > edulia3, et quod Graece γεύεται4, Latine gustat. Sorbere, item bibere, a vocis sono, ut fervere aquam ab eius rei simili sonitu. < Poto >5 ab eadem lingua: quod ποτόν6, potio, unde poculum, potatio, repotia7. Indidem puteus, quod sic Graecum antiquum8, non ut nunc φρέαρ dictum. 85 A manu manupretium9. Mancipium, quod manu capitur. Cum iungit10 plures manus, manip[u]lus11, manipularis, manica. Manubrium, quod manu tenetur. Mantelium, ubi manus terguntur. +++12 86 Nunc primum ponam < e >13 Censoriis Tabulis. „Ubi noctu in templo 14 censor[a] 15 auspicaverit atque de caelo nuntium16 erit, praeconei17 sic imperato, ut viros vocet: 'Quod bonum18 fortunatum felix salutareque sie[ri]t19 populo R., Quiritibus20 reique publicae populi R. Quiritium, mihique collegaeque meo, fidei magistratuique nostro! Omnes Quirites, < equites >21, pedites, armatos privatosque, curatores omnium tribuum, si quis pro se sive pro22 altero rationem dari volet, vocato23 inlicium huc ad me.' 1 sic < sib F.; sic alia A. Sp.; lac. susp. Vetter, qui supplet: < ut illa ab aure >. Sic. 2 edoñ : Ald. (ἔδομαι Flo.) 3 escędulia : A. Sp. 4 geuete : Vict. 5 potare add. Traglia, poto Flo. 6 potón : Ald. 7 repotatio : Aug. 8 antic- > antiqu- F. 9 manturpretium : Vict. 10 cֿ iungit F, cū iungit Vall., coniungit Fv, quod coniungit GH, L. Sp.: Aug. 11 manipulus : scripsi. 12 Lac. indic. Aug. 13 Add. L. Sp. 14 templum : Bergk. 15 censovra F : Ald.; a add. Vetter. 16 nuntium Turn. 17 praeconis F, Vall.: praeconi Vict., Ald.; scripsi. 18 < faustum > fortunatum Scal. 19 salutare quesierit : Lae. 20 Quiritium : Brisson. 21 Add. Ursinus, Sciop. 22 si / verbo : Sciop. sec. Aug. 23 vocat F; voca edd.: Bruns.

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        884 – 86

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        884 (Sc. wohl: Wie dies von Ohren und Nase kommt,) so r ühren folgendermaßen vom Mund her:188 edō, esse, sorbeō, schlürfe, bibō und pōtō, trinke. Edō, esse, von griechisch ἔδω.Von da kommen ēsculentum, Speise, ēsca, Essen, und edūlia, das Essbare; und was auf Griechisch γεύεται, das kostet man, gustat, auf Lateinisch. Sorbēre kommt wie bibere vom Wortklang, so wie das Aufkochen, fervēre, des Wassers, vom ähnlichen Geräusch dieser Angelegenheit kommt. Pōtō, trinke, kommt aus derselben Sprache (sc. dem vorher erwähnten Griechischen): Weil er etwas Trinkbares ist, ποτόν, heißt der Trank pōtiō, daher pōculum, Trinkbecher, pōtātiō, das Trinken, und repōtia, die Sauferei. Von genau dem Gleichen kommt auch puteus, Brunnen, denn so ist das alte griechische Wort, nicht φρέαρ, wie es jetzt heißt.189 84 85 Von manus, Hand, kommt manupretium, Handgeld. Mancipium, Kaufobjekt/Sklave, weil es/er mit der Hand, manus, ergriffen wird, capitur. Dadurch, dass man mehrere, plūrēs manūs, Trupps, verbindet, heißt es Manipel, manipulus, und (sc. daher heißt auch) manipulāris, der gemeine Soldat, (sc. so auch) manica, Ärmel.190 Manubrium, Griff, weil er mit der Hand gehalten wird. Mantēlium (sc. heißt das) Handtuch, wo man die Hände, manus, abwischt, terguntur.+++191 85 86 Jetzt möchte ich als Erstes aus den Tabulae Censoriae (Anweisungen für die Zensoren) zitieren.192 „Sowie nachts der Zensor im festgelegten Bereich ( t e m p l u m ) d i e Vo g e l s c h a u d u r c h g e f ü h r t h a t u n d v o m Himmel ein Zeichen gegeben wurde, soll er dem Herold folgendermaßen befehlen, die Mannen zusammenzurufen: 'Dies sei gut, günstig, glückverheißend und heilbringend für das römische Volk, die Quiriten und für den Staat des römischen Volkes und der Quiriten, für mich und meinen Amtskollegen, unsere Treue und unser Amt: Rufe nun alle Quiriten, Reiter und Fußvolk, Bewaffnete und Zivilisten, die Betreuer aller Triben, wenn einer will, dass für sich oder einen anderen Rechenschaft gegeben wird, zur Versammlung (inlicium) hierher zu mir!'86

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        Liber VI

        87 Praeco in templo primum vocat, postea de moeris1 item vocat. Ubi lucet2, censor3, scribae, magistratus murra unguentisque ungu[e]ntur.4 Ubi praetores tribunique plebei quique in consilium vocati sunt, venerunt, censores inter se sortiuntur,5 uter lustrum faciat. Ubi templum factum est, post tum conventionem habet, qui lustrum conditurus est.” 88 In Commentariis Consularibus scriptum sic inveni: „Qui exercitum imperaturus erit, accenso dicit hoc6: 'Calpurni, voca inlicium omnes Quirites huc ad me!' Accensus dicit sic: 'Omnes Quirites, inlicium visite7 huc ad iudices!' 'C. Calpurni', cos.8 dicit, 'voca ad conventionem omnes Quirites huc ad me!' Accensus dicit sic: 'Omnes Quirites, ite ad conventionem huc ad iudices!' Dein consul eloquitur ad exercitum: 'Impero: Qua convenit9 ad comitia centuriata!' ” 89 Quare hi[n]c10 accenso, illic praeconi dicit, haec est causa: In aliquot rebus item11 ut praeco accensus acci[pi]ebat12, a quo accensus quoque dictus. Accensum13 solitum ciere, Boeotia ostendit, quam comoediam alii14 esse dicunt, hoc versu: „Ubi primum accensus clamarat meridiem.” Hoc idem Cosconsius in Actionibus scribit15 praetorem accensum solitum tum16 esse iubere, ubi ei videbatur horam esse tertiam, inclamare horam tertiam esse itemque meridiem et horam nonam. 1 post eadem aeris : Vertr. 2 licet : Aug. 3 censores prop. L. Sp. 4 unguentur : Aug. 5 sortitiuntur > sortiuntur F. 6 dicit hoc F, dicito Bruns. 7 visite F, vos ite A. Sp. 8 Calpurnicos F, Fv, Vall.: Sciop., Calpurni, consul Flo. 9 qua convenit F, (Fv), Vall.: quo conveniatis Rig. 10 hinc : Ald. 11 idem : Bentinus. 12 accipiebat : Lae. 13 adcensum : Lae. 14 alii : Aquilii Turn., alii Riese, Rig. Scripsi. 15 suiscribit > scribit F. 16 Del. Sciop.

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        87 – 89

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        87 Der Herold ruft als erstes im festgelegten Bereich (templum), dann ebenso von den Mauern herab. Sowie es Tag wird, werden Zensor, Schreiber und die Amtsträger mit Myrrhe und Salben gesalbt. Sobald die Prätoren, die Volkstribunen und wer sonst zur Versammlung gerufen ist, gekommen sind, losen die Zensoren untereinander aus, wer von ihnen die Reinigung (lūstrum) durchführt. Sobald der Beobachtungsbereich (templum) festgelegt ist, hält darauf dann derjenige die Versammlung, der die Reinigung durchführen wird.“193 87 88 In den Commentarii Consulares (Konsulaufzeichnungen) fand ich Folgendes geschrieben: „Wer das Kommando über das Heer übernehmen will, sagt dem Amtsdiener Folgendes: 'Calpurnius, rufe alle Quiriten zur Versammlung zu mir her!' Der Amtsdiener sagt: 'Alle Quiriten, findet euch zur Versammlung hier bei den Richtern ein!' Der Konsul sagt: 'Gaius Calpurnius, rufe zur Zusammenkunft alle Quiriten zu mir!' Der Amtsdiener sagt: 'Alle Quiriten, kommt zur Zusammenkunft hierher zu den Richtern!' Dann spricht der Konsul zum Heer Folgendes: 'Ich befehle: (Sc. Stellt euch auf), so wie man sich bei der Versammlung der Zenturien (comitia centūriāta) aufstellen soll!'“ 88 89 Warum dieser zum Amtsdiener, jener zum Herold spricht, hat folgenden Grund: Bei etlichen Gelegenheiten holte der Amtsdiener wie der Herold (sc. die Leute) zusammen, acciēbat, wonach er auch accēnsus genannt wurde194. Dass normalerweise der Amtsdiener aufrief, zeigt die Komödie Boeotia in folgendem Vers (die Einen sagen, sie stamme von Plautus, andere, sie sei von Aquilius): „Sobald der Amtsdiener den Mittag ausgerufen hatte…“.195 Genau dies, so schreibt Cosconius in den Actiones (Zivilprozessen)196, habe damals der Prätor normalerweise dem Amtsdiener befohlen: Wenn er meinte, es sei schon die dritte Stunde, solle er die dritte Stunde ausrufen, und ebenso den Mittag und die neunte Stunde.89

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        Liber VI

        90 Circum oeros1 mitti solitum2, quomodo inliceret populum in eum < locum > 3, unde vocare posset ad contionem, non solum ad consules et censores, sed etiam questores, commentarium indicat vetus anquisitionis4 M’. Sergii Mani5 filii questoris6, qui capitis anquisivit7 rogum8, in [a] qua9 sic est: 91 „Auspicio operam des10, et in templo auspices11, dum12 aut ad praetorem aut ad consulem mittas auspicium petitum. Comitiatum13 praetores vocet ad te et eum14 de muris vocet praeco. Id imperare portet15. Cornicem16 ad privati ianuam et in Arcem mittas, ubi canat17. Collegam18 roges19, ut comitia edicat20 de rostris, et argentarii tabernas occludant. Patres censeant exqueras21 et adesse iubeas. Magistratus censeat22 exquaeras23: consules, praetores tribunosque plebis collegasque uos,24 et25 in templo adesse iubeas [h]om[i]nes26; ac cum mittas, contionem avoces.”27 92 In eodem commentario anquisitionis28 ad extremum scriptum caput edicti hoc est: „Item, quod attingat, qui de censoribus29 classicum ad comitia centuriata redemptum habent: uti curent eo die, quo die comitia erunt, in Arce classicus canat, tum30 circumque moeros31 et ante privati huiusce T. Quinti32 Trogi scelerosi ostium canat. Et ut in campo cum primo luci adsit.”33 1 auras : Ursinus. 2 solitus F: Kent. 3 Add. Aug.; in reum Sciop. 4 inquisitionis : Aug. 5 M. Sergii Mani: L. Sp. 6 quaestores: Aug. 7 accusavit: Scal. 8 rogum: Aug. cum B. 9 in aqua F: Aug. 10 orande sed: Bergk. 11 auspiciis: Mommsen, Vetter. 12 dum: tum prop. Kent.; Flo. 13 commeatum: Sciop. 14 eum: Flo. 15 portet: Lae. 16 cornicem F, cornicinem Aug. (edd.), sed cf. Leumann 235. 17 cannat F (Fv), Vall., canat faHG. 18 colligam F: collegamHG, Rhol. 19 rogis: Mue. 20 comitię dicat : Vict. 21 exqueras: Bergk, Rig. 22 censeat: Mue. 23 extra F: Bergk, Rig. 24 uos: Sciop. 25 Del. Bruns-Mommsen; Rig. 26 homines: Sciop. 27 avoces: Aug. 28 acquisitionis: Aug. 29 decessoribus F: Aug. 30 cannatum F: Aug. 31 můros F: Aug. 32 Quinti: Bruns. 33 adsit. Et: Sciop.

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        90 Normalerweise wurde er innerhalb der Mauern herumgeschickt, um das Volk dorthin zusammenzurufen, inliceret, von wo aus er es zur Versammlung rufen konnte, nicht nur zu den Konsuln und Zensoren, sondern auch zu den Untersuchungsrichtern (quaestōrēs): Das zeigt das alte Protokoll des Strafantrags des Quästors Manius Sergius, Sohn des Manius, der gegen Trogus Untersuchung wegen eines Kapitalverbrechens beantragte197; darin steht:90 91 „Kümmere dich um die Vogelschau und führe sie im festgelegten Gebiet (templum) durch, ehe du zum Prätor oder zum Konsul schickst, um sie um die Vogelschau zu bitten. Der Herold soll die Prätoren zur Versammlung zu dir rufen und den Angeklagten von den Mauern herab rufen. Das soll er befehlen. Schicke den Hornisten zur Tür des Privatmanns und schicke ihn auf die Burg (Arx), wo er blasen soll. Bitte deinen Kollegen, er solle die Versammlung von den Rostra aus ansagen, und die Geldhändler sollen ihre Buden schließen. Bitte die Senatoren um Beschlussfassung und befiehl ihnen zu erscheinen. Bitte die Beamten um Beschlussfassung: die Konsuln, Prätoren, Volkstribunen und deine Kollegen; und befiehl ihnen allen, sich im festgelegten Bereich einzufinden; und indem du zu ihnen schickst, berufe die Versammlung ein.“91 92 Im gleichen Protokoll des Strafantrags ist am Ende des Kapitels dieses Erlasses Folgendes geschrieben: „Weiter: Betreffs derer, die von den Zensoren einen Trompeter für die Zenturiatskomitien bestellt haben: Sie sollen dafür sorgen, dass am Tag der Komitien auf der Burg (Arx) der Trompeter bläst, und dass er dann (sc. innen) um die Mauern herum und vor der Haustür dieses Verbrechers, des T. Quinctius Trogus, bläst. Und er (sc. der Angeklagte) muss sich auf dem Campus (sc. Mārtius) bei Tagesanbruch einfinden.“92

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        Liber VI

        93 Inter id, cum circum muros mittitur et cum contio advocatur, interesse tempus apparet ex his, quae interea fieri illicitum 1 scriptum est. Sed ad comitiatum2 vocatur populus ideo, quod alia de causa hic magistratus non potest exercitum urbanum convocare; censor, consul, dictator, interrex potest. Quod censorem3: exercitum centuriato constituit quinquennalem, cum lustrare[t]4 et in urbem ad vexillum ducere debet. Dictator et consul, in singulos annos quod hic exercitui imperare potest, quo eat, id quod propter centuriata comitia imperare solent. 945 Quare non est dubium, quin6 hoc inlicium sit, cum circum muros7 itur, ut populus inliciatur ad magistratus conspectum, qui ros8 vocare9 potest in eum locum, unde vox ad contionem vocantis exaudiri possit. Quare una origine10 illici et inlicis, quod in Choro Proserpinae est, et pellexit, quod in ermiona11 est, cum ait Pacuius: „Regni alieni cupiditas / pellexit.” Sic Elicii Iovis12 ara in Aventino ab eliciendo. 95 Hoc nunc aliter fit atque olim, quod augur consuli adest tum, cum exercitus imperatur, ac preit, quid eum dicere oporteat. Consul augur13 imperare solet, ut is licium14 vocet, non accenso aut praeconi. Id inceptum credo, cum non adesset accensus; et nihil intererat, cui imperaret, et dicis causa fiebat15 quaedam neque item facta neque item dicta semper. Hoc ipsum inlicium < inlegium >16 scriptum inveni in M. Iunii commentariis; quod tamen ibi dem17 est quod illicit, e illex, I qua18 cum E et C cum G magnam habet comunitatem. 1 illicitum > illicium F2, ut videtur. Del. Sciop., sed servandum videtur. 2 comitia tum : Sciop. 3 censorem F; censor Lae, edd.; scripsi sec. Dahlmann (1940) 126 f. 4 lustraret : Scal. 5 Istuc transponendum videtur primum capitulum sequens (Hoc nun aliter fit – neque item dicta semper.). 6 cum F : Vertr. ; quom in F* scriptum fuisse suspicor. 7 moeros Scal. 8 ꝗ ros (sic) F: lac. suppl. L. Sp. 9 vocari : Ald. 10 origo Flo. 11 ermiona F, hermiona Vall. (Lae.). 12 iobis visa ara F : Aug. 13 augur Imperare (sic) F : lac. suppl. Vict. 14 Is / licium F, inlicium Lae.: Mue. 15 fiebat F, fiebant HG : Aug. 16 inlicium F, inlegium Canal: Scripsi. 17 Add. Vetter. 18 illexit, quae F (quia Aug.) : Scripsi sec. Vetter.

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        93 Zwischen dem Zeitpunkt, wo er um die Mauern herumgeschickt wird und wo die Versammlung einberufen wird, liegt Zeit dazwischen: Das wird aus den Dingen ersichtlich, die – wie geschrieben ist – inzwischen zum Einberufen (illicitum) passieren. Aber zum Komitium wird das Volk deswegen gerufen, weil dieser Beamte (d. i. der Quästor)198 das Stadtheer nicht zusammenrufen kann; Zensor, Konsul, Diktator und Interrex199 (Zwischenkönig) können das. Was den Zensor angeht: Er legt das Heer zenturienweise für fünf Jahre fest, wenn er an ihm die Reinigung (lūstrātiō) vornehmen und es in die Stadt zur Standarte führen muss. Der Diktator und Konsul – Letzterer darf es nur jeweils für ein einzelnes Jahr befehligen – haben normalerweise das Kommando wegen der Zenturiatskomitien. 93 94 Daher gibt es keinen Zweifel: Das ist ein inlicium, wenn um die Mauern herumgegangen wird, damit das Heervolk zur Heerschau vor den Beamten „gelockt“ wird, inliciātur, der die Mannen zu dem Platz rufen kann, von wo man die Stimme dessen hören kann, der zur Versammlung ruft.200 Daher haben illicium, Einberufung, und inlex, Anlocker/Köder, den gleichen Ursprung. Das kommt im Chor Proserpinas vor, und (sc. das Wort) pellexit in der Hermiona des Pacuvius201: „Die Gier nach einem fremden Reich / hat ihn verlockt.“ So heißt auch der Altar des Iūpiter Ēlicius auf dem Aventin von ēlicere, herauslocken.202 95 Diese Prozedur wird jetzt anders als einst durchgeführt: Denn der Augur assistiert dem Konsul dann, wenn das Heer befehligt wird, und spricht vor, was jener sagen soll. Der Konsul befiehlt normalerweise dem Augur, zur Versammlung, inlicium, zu rufen, nicht einem Amtsdiener oder Herold. Ich glaube, der Anfang dafür war, als es keinen Amtsdiener gab; und es war egal, wem er den Befehl gab; und manches geschah der Form halber und wurde nicht immer in gleicher Weise ausgeführt oder gesagt.203 Im Kommentar des M. Iunius fand ich die Schreibung inlegium für inlicium, wobei doch dort derjenige, der illicit, verlockt, ebenso auch gesetzlos ist, illēx: Denn zwischen I und E bzw. C und G gibt es eine große Gemeinsamkeit.204 95

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        Liber VI

        96 Sed quoniam in hoc de paucis rebus verba feci plura, de pluribus rebus faciam pauca. Et potissimum, quae in Greca lingua putant Latina. Ut scalpere a σκαλεύειν1 et sternere a στρωννύειν2, lingere a λιχμᾶσθαι3, i ab εἶ 4, ite ab ἴτε5, gignitur < a > γίγνεται6, ferte a φέρετε7, providere8 < a > προιδεῖν9, errare ab ἔρρειν10. Ab eo, quod dicunt στραγγαλᾶν,11 strangulare, tingue a τέγγειν12. Praeterea deps δέψειν13, ab eo quod illi μαλάσσειν14 nos malaxare, ut gargarissare ab ἀναγαργαρίζεσθαι15, putere16 a πύθεσθαι17, domare a δαμάζειν18, mulgere ab ἀμέλγειν19; pectere a πέκειν20, stringere a στλεγγίζειν21; id enim < a >22 στλεγγίς23, ut runcinare a runcina, cuius ῥυκάνη24 origo Greca. 97 Quod ad origines verborum huius libri pertinet, satis multas arbitror positas huius generis; desistam. Et quoniam de hisce rebus tri25 libros ad te mittere institui – de oratione soluta duo, poetica unum – et ex soluta oratione ad te misi duo, priorem de locis et quae in locis sunt, hunc de temporibus et quae cum his sunt coniuncta, deinceps in proximo de poeticis verborum originibus scribere in26 1 SCOLPSA : Rhol. 2 STRONYIN : L. Sp. (ut abhinc saepius). 3 Λhμαιστε prop. A. Sp. 4 hЄ < hi F; L. Sp., εἶ L. Sp. (1826), Flo. 5 hƬЄ: L. Sp. 6 γhγΝόιτε : L. Sp. 7 ferete: L. Sp. 8 providete : Lae. 9 πραhoiЄhN F: Rhol. 10 ЄppЄhμ : Scal. 11 strangalam : L. Sp. 12 ΤΗΝΚЄΔЄ : Buttmann. 13 ades ψЄC Ellis. 14 ΜΑΛΛΑΣЄΝ : L. Sp. 15 ΑΝΑΡΓΑΡΗCΤЄ : L. Sp. 16 potare : Canal. 17 ΠοιΘЄCTAЄ : Canal. 18 Δμαισhν : L. Sp. 19 ΑΜЄΛΓΗΝ : Rhol. 20 ΠЄΣЄΡЄ : L. S. 21 CΡΗΝΓΗΔЄ : GS. 22 Add. vulg. 23 CΗΝЄΗΛΛΗC : GS. 24 ΡΗΧΑΝЄ: Scal. 25 tri F, tris cett. 26 in F, institui Vall., Lae. incipiam suppl. Groth. Post in in codice F vacant 20 lineae. Sequitur initium libri VII, cuius primum verbum repens est. In margine legitur, prima manu scriptum: „Hic deest in exemplari folium, in quo est principium libri VIIi.”

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        96 – 97

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        96 Aber weil ich hierbei über wenige Dinge mehr Wörter gebraucht habe, möchte ich über mehr Dinge nur wenige verlieren, vornehmlich über die lateinischen Wörter, die man im Griechischen zu finden glaubt.205 Wie scalpere, schnitzen, von σκαλεύειν, kratzen, und sternere, ausbreiten, von στρωννύειν, kommen lingere lecken, von λιχμᾶσθαι, belecken, ī, geh!, von εἶ, du gehst, īte, geht!, von ἴτε, gignitur, es entsteht, von γίγνεται, es wird; ferte, tragt! von φέρετε, prōvidēre, vorhersehen, von προιδεῖν, errāre, umherirren, von ἔρρειν, fortgehen. Davon, dass sie (die Griechen) sagen στραγγαλᾶν, strangulieren, (heißt es bei uns) strangulāre, tinguere, eintauchen, von τέγγειν, benetzen. Außerdem kommt depsere, kneten, von δέψειν; davon, dass jene μαλάσσειν, erweichen, sagen, sagen wir malaxāre, weich machen, wie gargarissāre, gurgeln, von ἀναγαργαρίζεσθαι, pūtēre, stinken/faulen, von πύθεσθαι, domāre, bändigen, von δαμάζειν, mulgēre, melken, von ἀμέλγειν, pectere, kämmen, von πέκειν, stringere, streifen, von στλεγγίζειν, striegeln; das kommt nämlich von στλεγγίς, Striegel, wie runcināre, hobeln, vom Hobel, runcina, dessen griechischer Ursprung ῥυκάνη ist.96 97 Was die Ursprünge der Wörter in diesem Buch betrifft, habe ich – glaube ich – genügend viele dieser Art geklärt; drum möchte ich Schluss machen. Und da es mein Vorsatz ist, an dich darüber drei Bücher zu schicken – zwei über die Prosa, eines über die Dichtersprache – und ich dir von der Prosa schon zwei geschickt habe (das erste über die Orte und was sich in diesen befindet, dieses hier über die Zeiten und was mit ihnen verbunden ist), möchte ich nun im nächsten Buch gleich über die Ursprünge der poetischen Wörter schreiben.206

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        Liber VI

        Anmerkungen 1

        Varro bedient sich der unpersönlichen Form des Passivs, um kein handelndes Subjekt angeben zu müssen. Loquontur im Plural wählt er aus, weil es ein Deponens ist; mit sedēre, ambulāre und loquī nimmt er jeweils auch Verben aus verschiedenen Konjugationen, was auf grammatische Reflexion weist. 2 In V 13 hatte Varro als Inhalt des V. Buches die Örtlichkeiten und das, was sich in ihnen zeigt, zum Thema gemacht; zugleich hatte er sich da gerechtfertigt, falls er auch andere Bereiche ansprechen würde, da die Verwandtschaft der Wörter vielfältig sei (multa societās verbōrum: V 13). Das Eingangskapitel von Buch VI nimmt diesen Gedanken nochmals auf, mutatis mutandis. 3 Der Stoiker Chrysippus, das dritte Schuloberhaupt der stoischen Schule (Mitte 3. Jh. v. Chr.) und Schüler des Kleanthes, den Varro zu Beginn von Buch V als Beispiel für einen Philosophen nennt: NP 2,1177-1183. Antipatros von Tarsos leitete in der 2. Hälfte des 2. Jhs. die stoische Schule: Varro macht mit beiden Namen klar, in welche philosophische Tradition er sich stellt. 4 Aristophanes von Byzanz (ca. 265-180 v. Chr.) hingegen ist einer der bedeutendsten Grammatiker, die in Alexandria gewirkt haben; er war Zeitgenosse des Chrysippos, wenngleich auf einem völlig anderen Gebiete tätig (NP 1, 11301133); Apollodoros von Athen war wiederum dessen Schüler. Dass Varro, dessen De lingua Latina doch auch ein grammatisches Opus ist, sich so abwertend über die Grammatiker äußert (ähnlich schon in V 9), mag überraschen. Er sah sich – als Etymologe – wohl doch eher in einer philosophisch anspruchsvollen Rolle. 5 „inquam“: Damit wird sich Varro auf das beziehen, was er in Buch IV ausführlich (und wohl systematisch) behandelt hat: den Sprachwandel; die Stelle = Varro ling. Frg. 4 a dieser Ausgabe. 6 Auch hier variiert Varro in den Beispielen: Mit sodium > solium rekurriert er auf den (sog. „sabinischen“) Wandel d > l (Leumann 155), in Lasēs > Larēs nur auf den Rhotazismus des intervokalischen (alten) s (Leumann 178), in Loebesō > Līber(ō) kommt zusätzlich noch der Vokalwandel oe > ī hinzu (Leumann 61). Den Rhotazismus behandelt er im Rahmen jenes Zitats aus dem Carmen Saliorum (VII 26 f.), das er für seine Herleitung von Camēna 'Muse' aus *Casmēna > * Carmēna benötigt. 7 Die vetustās, das Alter = die linguistische Diachronie, war schon ein Thema in V 5 und V 6 und kehrt implizit wieder zu Beginn von Buch VII – auch wenn die Anfangssätze dort verloren sind: Es ist das Leitmotiv, das sich durch die ganzen etymologischen Bücher zieht, s. Vorwort 3. Die Kategorien der lautlichen Veränderung der Wörter erscheinen ähnlich in V 6, wo freilich auch die Silben angesprochen werden. 8 Varro leitet also tempus von tenor ab; er bleibt damit seinem (erschließbaren, aber nirgends formulierten) Grundsatz treu, dass das Etymon allenfalls kürzer, aber nicht länger sein darf als das abgeleitete Wort. Der Zusatz des Adjektivs temperātus 'geregelt' bildet für ihn die semantische Brücke zu tempus. Mundus 'Welt' fasst er offensichtlich als *movendus (zu movēre 'bewegen') auf, ohne das weiter zu thematisieren. Das Subst. mundus 'Putz' hatte er V 129 zum Adj. mundus 'sauber' gestellt.

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        Anmerkungen 9

        10

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        17 18

        19 20

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        Inhalt der verlorenen Zeile(n) dürfte die Definition der ersten Sonnenbewegung (Tag- und Nachtwechsel) gewesen sein, während die zweite die des Jahreslaufes ist, s. VI 8. Dabei kann auch der Bezug zu griech. Ζεύς, Gen. Διός thematisiert gewesen sein, so Flobert, der aus Paul. Fest. 65,10 ff. L. ergänzt: < solis; alter cum Iove, ut putabant, rectore quem Graeci Δία vocant, cum caelo ab ortu ad oc>casum venit etc.; doch genügen wenige Worte, um den Text wieder verständlich zu machen. In diesem ganzen Abschnitt entfaltet Varro seine astronomischen Kenntnisse – die er sicher in dem Buch über die astrologia aus den Disciplinae, der Darstellung der (neun) artēs, ausführlich dargestellt hat; s. Vorwort 1.2.4 und Cardauns (2001) 77f. P. Cornelius Scipio Nasica (Konsul 162 und 155 v. Chr. (NP 3, 184). Die Basilica Aemilia et Fulvia stand im NO des Forums und datiert zum Jahr 179 v., benannt nach den damaligen Zensoren M. Aemilius Lepidus und M. Fulvius Nobilior (Lugli 172-176). Die von Varro angesprochene 'Sonnenuhr' war in Wirklichkeit eine Wasseruhr (inumbrāvit ist ein Scherz Varros: Riganti 92). Vielleicht dachte Varro an eine Et. * sōl-(h)ōrium. XII tab. I 6 Flach: Sol occasus suprema tempestas esto. (Gell. XVII 2, 9); der Satz wird in mehreren geringfügig voneinander abweichenden Varianten zitiert. Der Text dieses Gesetzes ist bei Censorinus, De die natali 24,3 erhalten; es wurde 192 v. Chr. erlassen (Sallmann [1988] 139). Knappe Wiederholung der Et. in VII 77. Das folgende Amiternō ist Adjektiv: Flobert (1985) 64 f. Q. Lutatius Catulus war Konsul 102 v. Chr., Plinius d. J. erwähnt ihn auch als Verfasser von Gelegenheitsgedichten (NP 7, 524f.). Doch liegt wohl eine Verwechslung mit Pacuius vor (s. zu V 7), die schon Ribbeck vermutete, so auch Schierl (2006) S. 106. Der Fehler ist wegen der Nähe des C zum P nur im Schrifttyp der Kursiva denkbar, auf Papyrus geschrieben, und muss also sehr alt sein (s. Battelli [1949] 67-71, mit Schriftbeispielen). Aus dem Munde des Sosias im Amphitruo (Vers 275). Der Vers wird ganz zitiert in VII 50. Aus der Antiopa des Pacuvius: 27 Artigas = Frg. 7,3 Schierl: Nach Schierl (S. 106) ist der Vers dem Hirten als Prologsprecher zuzuordnen, der den anbrechenden Tag begrüßt. Antiope ist die Tochter des Asopos, die dem Zeus die Brüder Amphion und Zethos gebiert, die Gründer Thebens. Enn. 13 Joc. = F 9 Manuwald. Das Zitat gebraucht Varro noch einmal in VI 81, ein drittes Mal in VII 76 (dort vollständig). Sicher nicht der in f überlieferte Cassius (Flobert 67), sondern aus Accius' Brutus: Wohl die Stelle, da Lucretia ihrem Vater von der Vergewaltigung durch den Tarquiniussohn Sextus berichtet (Livius I 58f.): Acc. Trag. 675 Dangel. Die Nennung des Pränomens L(ucius), so L. Sp., ist zwar für Varro ungewöhnlich, gibt hier aber angesichts der vielen Eigennamen Sinn; paläographisch – so K.-O. Müller – ist sie naheliegend. Varros Lehrer Aelius Stilo, der von ihm in De lingua Latina neunmal zitiert wird (Flobert 67), s. zu V 18. Aus der Asinaria, Vers 685: Libanus, Sklave des Demaenetus, des Vaters von Argyrippus, schmiedet mit diesem ein kleines Komplott. Der Vers ist bei Plautus anders überliefert; Varro bringt ihn, leicht verändert, auch VII 79, wo er auch

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        Liber VI

        die Et. von contici(n)nium liefert. Er hat offensichtlich in beiden Fällen aus dem Gedächtnis zitiert und jeweils conticinnum zu conticin(n)ium abgewandelt, so dass sich ein glatter, achthebiger Jambus ergab. 21 Er greift damit die erste Form der Sonnenbewegung von VI 4 wieder auf; der Kopist hat sich vom ersten alter verleiten lassen, doch zeigt auch das überlieferte Neutrum in quod, dass ursprünglich ein Neutrum im Kontext stand. 22 Varro sah also die Endsilbe von brūma ( < * brevimā oder *breu̯mā: Leumann 498) als Superlativsuffix an, wozu er durch mini-mus 'kleinster' oder ipsi-mus 'höchstpersönlich' gekommen sein mag. 23 Ut quō hat kausale Bedeutung, s. OLD 2114 Nr. 21. Dahinter steckt für Varro die Vorstellung, dass die Sonne uns im Sommer nähersteht als im Winter. 24 Den 'Wandel' von ān- zu ann- übergeht Varro. Die Vokallänge spielt bei seinen Etymologien keine beobachtbare Rolle. 25 Das ist einer der wenigen Fälle, wo Varro gleich zwei Etyma miteinander verschmilzt (vīrēre und vertere), um zu einem neuen (vēr) zu gelangen; er scheint aber die Herleitung aus dem Griechischen zu bevorzugen. 26 Der Bezug zu augēre ist durch Paul. Fest. 21,27 f. L. bezeugt: Autumnum quidam dictum existimant, quod tunc maxime augeantur hominum opes, coactis agrorum fructibus. 'Manche glauben, autumnus, Herbst, heiße so, weil da vor allem der Reichtum der Menschen dadurch, dass die Früchte der Felder zusammengetragen wurden, sich mehre, augeantur.' Freilich hätte sich dann Varro bei dieser Erklärung nur auf den Diphthong au- gestützt, was er sonst, wie es scheint, vermied (QuGr. 255). Mit einer Zwischenstufe *auctumnus, die wohl in der Lücke stand (so auch GS), hätte er dieses Problem gelöst. < ab augendis hominum opibus dictus frugibusque coactis quasi auctumnus > ergänzen breiter Götz-Schöll (Kent, de Melo). 27 Lūstrum ist die Reinigungszeremonie, die nach dem alle fünf Jahre stattfindenden Cēnsus, der Volkszählung und Vermögensschätzung, (ursprünglich) am Bürgerheer durchgeführt wurde. 28 Varro bedient sich der vulgären, monophthongierten Aussprache von saeculum > sēclum, wie er in VII 96 thematisiert; das Verfahren als solches hat er V 4 gerechtfertigt. 29 Chrysippus SVF II 163. 30 Plaut. Truculentus 22, der erste Vers der Handlung nach dem Prolog. Varro hat ihn sicher aus dem Gedächtnis zitiert; für einen gut siebzigjährigen Gelehrten wie ihn war der Vers ja auch Programm. Traglia (1974) 276 denkt auch an eine andere Plautusüberlieferung, die Varro selbst schon vorlag. 31 Frg. 88 Schauer. Der anonyme Dichter ist nicht identifizierbar. 32 Varro beginnt seine folgende, umfangreiche (etymologisierende) Abhandlung des römischen Kalenders mit dem frühesten Fest des Jahres, den diēs Agōnālēs. Seine Erklärung erlaubt es ihm, vom sakralen Akt des Opferns auszugehen, ehe er die einzelnen Formen der religiösen Feste bespricht. 33 Die Agōnālēs (auch Agōnium oder Agōnālia) wurden am 9. Januar, 17. März, 21. Mai und 11. Dezember gefeiert (NP 6, 163-166), ausführlich dazu Riganti 98f. Die rēgia war der alte Königspalast von Numa Pompilius, gelegen an der Via Sacra beim Vestatempel; sie war später das Haus des Opferpriesters, erhalten sind nur mehr Fundamente (Lugli 212 ff.).

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        Anmerkungen

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        34 Die Carmentālia, gefeiert am 11. und 15. Januar. Nach einem Varrozitat bei Gellius XVI 16,4 waren die Carmentae zwei Geburtsgöttinnen (Postverta und Prōrsa), die bei falscher Lagerung des Kindes angerufen wurden. 35 Es handelt sich um einen „Umgangsritus“, der „karnevaleske Züge“ hatte (NP 7, 509), aber wohl als Fruchtbarkeits- oder Reinigungsritus zu deuten ist: Vgl. zu V 85 und Latte 84 ff. Das Lupercal war die heilige Grotte des Pan am Abhang des Palatins, wo der Sage nach die Wölfin (lupa) die Zwillinge Romulus und Remus gesäugt haben soll. 36 Februātus wird hier kein Adjektiv sein – februātus würde ja bedeuten 'gereinigt', was für einen ganzen Tag ja nicht passen würde – , sondern ein -tu- Abstraktum der u-Deklination: februātus, Gen. -ūs 'Reinigung': Der Tag wird also 'Reinigung' genannt; ähnlich VI 34. Die Stelle bei Paul. Fest. 75 f. – das Meiste davon dürfte aus Varro stammen – spricht nicht dagegen; die Iūnō Februāta, von der dort die Rede ist, kann 'die gereinigte Iuno' bedeuten, wo februāta ein echtes PPP sein wird. Die Satzstruktur dürfte im Grunde heißen: „Rex … hunc diem Februatum appellat.“ 'Der (Opfer-)König nennt diesen Tag „Reinigung“'. 37 Die 41 Bücher Antiquitates rerum divinarum et humanarum hatte Varro kurz vor De lingua Latina verfasst und davon wenigstens die 16 Bücher Antiquitates rerum divinarum dem Pontifex Maximus Cäsar gewidmet, s. Vorwort 1.2.2, Dahlmann (1935) 1229-1237 und Cardauns (2001) 50-54. 38 Die Furnācālia / Fornācālia wurden im Februar gefeiert und waren eine Art Dankopfer, das an den Öfen dargebracht wurde, an denen Getreide gedörrt wurde (Latte 143). Die Quirīnalia (17. Februar), schon in vorklassischer Zeit mit den Furnācālia zusammengelegt, waren dem Gott Quirīnus gewidmet, der wiederum schon früh mit Romulus identifiziert worden war (Latte 113). 39 Die Feier für die Toten der Familie, die sog. Parentālia, lag im Zeitraum vom 13. bis 21. Februar, doch steht im röm. Festkalender (NP 6, 163-166) nur der letzte Tag als eigentliches Fest, an dem man neben Brot, Salz und Wein auch Kränze an den Gräbern ablegte (Latte 98). Varro ist sich bei seiner Erklärung offenbar nicht sicher und zieht wieder zwei verschiedene Etyma gleichzeitig heran ( ferre und īnferī), die sich quasi zu überlagern scheinen. 40 Die Terminālia lagen am 23. Februar und waren im Grunde das Fest der sakral verehrten Grenzsteine (Latte 64). Varro erklärt den Begriff aber aus ihrer Lage am Ende des altrömischen Jahres. Bis zur Einführung des Julianischen Kalenders im Jahre 45 v. Chr. dauerte ein römisches Jahr nur 355 Tage; dies hatte zur Folge, dass in bestimmten Intervallen ein zusätzlicher Schaltmonat eingeschoben werden musste, um diese Differenz wieder auszugleichen, der aber nur 22 bzw. 23 Tage umfasste und die letzten 5 Tage des Februars ersetzte (NP 6, 161f.). 41 Die Ecurria bzw. Equirria fanden – als Vorbereitung auf den im Frühjahr beginnenden Feldzug – am 27. Februar statt (Latte 117). 42 Die Līberālia lagen nach dem röm. Festkalender auf dem 17. März. In den Fasten der Salierpriester wurden sie als Agōnium (Mārtis) bezeichnet. Die bei Varro genannten Opferkuchen waren reich an Honig; Latte schließt daraus, dass die Līberālia „zunächst ein ländliches Fest“ waren (a. O. 70). Nach dem griech. Historiker Dionysios von Halikarnassos gab es zwei Gruppen von Saliern: die Palātīnī und die Agōnālēs, deren Letztere ihren Sitz am Quirinal hatten.

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        43 Die Salier waren „Waffentanzpriester“ (NP 10, 1249) und bestanden aus 2 x 12 Mitgliedern, von denen eine Gruppe Agōnēnsēs hieß; sie vollführten ihre Kriegstänze vor und nach der Kriegssaison (März / Oktober): Latte 115. Die Agōnia gab es viermal im Jahr (s. zu VI 12); Varro meint das Fest am 17. März, das mit den Līberālia zusammenfiel. 44 Die Quīnquātrūs, ein Fest der Minerva, wurden am 19. März begangen, d. h. eigentlich vier Tage nach den (März-)Iden. Nach der röm.-lat. Zählung wurde nicht der Abstand zwischen verschiedenen Kalenderpunkten angegeben, sondern die Reihenfolge, also 'der fünfte Tag nach den Iden', worauf Varro hier abzuheben scheint. Die Quinquatren dauerten indes tatsächlich fünf Tage und wurden daher so genannt (Flobert 84). 45 Das Tubilūstrium lag auf dem 23. März und somit auf dem fünften Tag der Quīnquātrus: „Es handelt sich darum, die Pferde, die Waffen und die Hörner nach der Winterzeit von allem Unheil zu reinigen und kraftvoll zu machen für den nun beginnenden Krieg.“ (Latte 117). Die Lage des Ātrium Sūtōrium 'Schuster-Atrium' ist unbekannt. 46 Die röm. Magna Māter war die griechische Mētēr Megalē 'Große Mutter', die orientalische Göttin Kybele. Ihr Kult kam unter Attalos Philhetairos (* ca. 340 v. Chr.) nach Pergamon, ihr Kultbild, eine Silberstatue mit einem Meteoriten, kam Ende des 3. Jhs. unter Attalos, dem Verbündeten Roms, nach Rom. (NP 6, 952 ff.). Die Megalēnsia wurden am 10. April gefeiert, am Ende der lūdī Megalēnsēs, die eine Woche dauerten. – An der überlieferten Textstelle fehlt elliptisch das Subjekt zu arcessīta, das auch für die Et. von Megalēsia benötigt wird. Die einfachste Ergänzung der Lücke ist das Pronomen ea, was voraussetzt, dass die et. Erklärung für Varro und seine gebildeten Zeitgenossen nahelag. 47 Die Fordicīdia beging man am 15. April; sie galten der Tellūs, der Verkörperung der Erde. Durch die Schlachtung der trächtigen Kühe sollte der Erde selbst die fruchtbringende Kraft übertragen werden (Latte 68f.). 48 Die Parīlia (sic!) waren ein Hirtenfest am 21. April und dienten der Reinigung (der Ställe?). Palēs war wohl eine Göttin (NP 9, 186f.). Nach Latte 88 hat Varro das Fest mit den Palīlia zusammengebracht, freilich ist eher an das Nebeneinander zweier Formen, mit und ohne Lautdissimilation l > r, zu denken, so auch Flobert 86. Die Ceriālia wurden am 19. April gefeiert. 49 Hinter dem überlieferten porus verbirgt sich sicher das alte Partizip Perf. Akt. pōtus zu bibere 'trinken' (wie cēnātus zu cēnāre 'speisen'). Der Fehler wird bereits im Schrifttyp der Cursiva entstanden sein, in dem Verwechslungen T/R denkbar waren (s. die Beispiele bei Battelli [1949] 79). – Zeremoniell nahm der Priester den ersten Schluck und begann dann – wohl selbst – mit der Weinlese, freilich im Spätsommer und nicht im April. Subst. agnā ist hier ablativus instrumentalis. 50 Die eigentlichen Vīnālia lagen auf dem 19. August, doch kennt der röm. Festkalender Vīnālia auch schon für den 23. April: Diese dienten „dem Schutz der Weinberge gegen Unbilden der Witterung“ (Latte 75) und galten Jupiter als dem Herrn des Wetters. 51 Die Rōbīgālia (Rōbicālia, gut überliefert, ist wohl eine alte Schreibung; in rust. I 1,6 steht Rōbigālia) wurden am 25. April gefeiert – zum Schutz vor dem Getreiderost.

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        Anmerkungen

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        52 Das Fest lag am 9. Juni. Varro sprang wohl deswegen von den Festen aus dem April in den Juni, weil am 8. Juni die zweiten Palīlia im röm. Festkalender standen (s. die Rekonstruktion des Kalenders in NP 6, 163 ‑ 166). Augustinus überliefert aus Varros Antiquitates rerum divinarum (s. o. zu VI 13) das wörtliche Zitat: „Vesta(m), quod vestiatur herbis.“ (Frg. 268 Cardauns). Inhaltlich wird sich Varro hier darauf bezogen haben, wenngleich er V 74 Vesta noch (ohne nähere Et.) zu sabinischen Gottheiten zählt; wenige Sätze später (VI 18) erwähnt er ja ausdrücklich seine Antiquitates. Möglicherweise stand hier ursprünglich: a tu Vesta. 53 Das Fest fiel auf den 17. Juni und nicht auf die Iden, den 13. Juni. Aus der Angabe Varros ist indirekt zu schließen, dass auch dieses Fest fünf Tage dauerte (vom 13. bis 17. Juni), ähnlich den Quinquatren vom März (VI 14). 54 Fors Fortūna hatte „einen alten Tempel in Trastevere am ersten Meilenstein der Via Portuensis“ (Latte 180), der am 24. Juni geweiht worden war. 55 Das Fest Poplifugia am 5. Juli könnte die Bedeutung 'Heer' für pop(u)lus enthalten (Latte 128). Die genaue Erklärung des Fests ist umstritten (NP 10, 148), jedenfalls legt Varro die Ursprünge des Fests auf die Zeit kurz nach dem Galliereinfall von 390 v. Chr. Da sich seine 41 Bücher Antiquitates (s. o. zu VI 13) nur in Fragmenten erhalten haben (zu VI 13), lassen sich auch die Spuren (vestīgia), die er hier andeutet, nicht weiterverfolgen. 56 Die Nōnae Caprōtīnae, ein „Frauenfest“ (Latte 106), wurden am 7. Juli begangen. Im röm. Festkalender fehlt es. Der caprif īcus ist der wilde Feigenbaum, der keine essbaren Früchte hat, während die zahme f īcus „ganz besonders weiblich“ ist (Erkell [1981] 38). Es handelte sich dabei wohl um einen Fruchtbarkeitsritus; nähere Erklärung mit Hypothesen ( facere sei von Varro euphemistisch verwendet, der ein heikles Geschehen dezent umschreibt): Erkell a. O. – Die Textüberlieferung (togāta praetextāta) weist auf eine genuin römische Komödie hin; sie dürfte in heiterer Form die Ursprünge oder Begleiterscheinungen des Festes thematisiert haben, lag aber auch für Varro schon in der Vergangenheit (docuit). Marcel Meulder (2016) sieht in togātā etc. (ohne Not) einen Ablativus absolutus (S. 884 f.). Die lūdī Apollinārēs dauerten vom 6. bis 13. Juli, d. h. das Stück wurde in diese Spiele integriert, ohne ausdrücklich mit dem Apollokult zu tun zu haben. Zu data eīs: Drossart (1974) 63. 57 Das Fest der Furrīna war am 25. Juli. Recht viel mehr ist über sie nicht bekannt. Die Endstellung eines Demonstrativums (hier: is) ist bei Varro gar nicht so selten, z. B. V 157 quod regnum occupare voluit is; VI 22 cuius feriae tum: Heidrich (1892) 13. 58 Die Portūnālia fielen auf den 17. August und galten primär wohl nicht dem Hafen(gott), sondern den Türen, da an diesem Tag die Schlüssel ins Feuer geworfen wurden, „um sie durch die Kraft des Feuers von allem daran haftenden Unheil zu befreien“ (Latte 89). 59 Die Vīnālia Rūstica lagen nach dem röm. Festkalender eigentlich am 19. August (König [1991] 95); in der Überlieferung ist aus der Ziffer XIV ein XII geworden. Sie waren der Venus geweiht und dienten, kurz vor der Weinlese, der Abwehr von Sommergewittern (Latte 75), nicht nur für die Weinberge, wie der Verweis auf das Gärtnerfest vermuten lässt. 60 Der Gott Cōnsus war für das bereits geerntete Getreide zuständig, sein Fest liegt am 21. August, wo in Italien das Getreide schon gedroschen wurde. Der

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        Altar des Gottes war unterirdisch: Das Getreide wurde vor dem Drusch erst in Gruben gelagert. An den Cōnsuālia gab es auch Wettrennen und wurden Pferde und Maultiere bekränzt, vermutlich als Dank für ihre geleistete Erntearbeit, vergleichbar dem alpenländischen Almabtrieb im Oktober. 61 Die Volcānālia (23. August) lagen in der Phase der Sommerhitze und der brandgefährlichen Trockenheit. Die kleinen lebenden Fische, die man ins Feuer warf, dienten als „Ersatzopfer, damit das Feuer anderes Leben schonte.“ (Latte 129). 62 Das Fest für die Ops Cōnsīva (25. August) sollte die Getreidevorräte vor den sommerlichen Bränden schützen. Die Penaten, die eigentlich zum Gott Cōnsus gehörten, verschmolzen noch vor Varros Zeit mit der Vesta und wurden im Atrium Vestae verehrt (Latte 108). Kaum beachtet wurde der Vorschlag von Vetter. 63 Gemeint ist: In den alten Priesterbüchern: Frag. 28 Preibisch. Da stand der Satz, den Varro paraphrasiert, sicher auf Altlatein, z. B. * Is quom eit etc. 64 Der Text wirft wenigstens zwei Probleme auf: Im überlieferten nē steckt wohl die seltene Partikel 'wirklich' (vgl. griech. ναί): OLD s. v. -ne 7 S. 1164, weniger wahrscheinlich die Fragepartikel -ne, weil Varro die Et. sonst ja offengelassen hätte. Dann versucht er eine komplizierte Erklärung von suffībulum. Er vermeidet den Anschluss an sub + f ībula 'Spange' (WH 492) und verlegt sich auf die sakrale Erklärung des Räucherns, suf-f īre: Jetzt braucht er eine parallele Wortbildung als Beleg, da mit dem Anschluss an suffīre das -bulum plötzlich zum Instrumentalsuffix geworden war. Diese fand er pikanterweise in sub-ligāculum (es war eine Unterkleidung, ein 'Unterband', aus sub + ligāre 'binden'). Die Suffixe -bulum und -culum konnten ja die gleiche instrumentale Funktion haben (Leumann 312f.). Die Ergänzung von < ut a subligando > versucht dem mit einem relativ geringen Eingriff Rechnung zu tragen. Das suffībulum, der weiße Kopfschleier der Vestalinnen, war nach Fest. p. 474,3-6 L. ein rechteckiges weißes Stoffstück mit Bordüre, das beim Opfer getragen wurde. 65 Das Fest lag am 27. August. Außer der Information, dass der Gott einen eigenen Priester ( flāmen) hatte (VII 45), ist nichts darüber bekannt. 66 Die Meditrīnālia wurden am 11. Oktober gefeiert. Circa zwei Monate nach der Weinlese konnte der erste „Federweiße“ getrunken werden, der noch nicht voll ausgegoren war. Der von Varro zitierte Spruch könnte alt sein (Latte 75). Der Enzyklopädist Festus 110,23 L. zitiert ihn mit leichter Umstellung (Vetus novum vinum bibo / veteri novo morbo medeor); er muss nicht unmittelbar mit dem Fest in Verbindung stehen (Riganti 119), die et. Erklärung der Meditrīnālia ist unklar. 67 Die Überlieferung weist auf alleinstehendes nouum (so eindeutig in margine korrigiert in f), das zu uinum verlesen wurde. Das Adjektiv war wohl bereits im sakralen Kontext zum Substantiv geworden. Nach Radke (1988) war der Spruch ursprünglich in den Akten einer Priesterkanzlei aufbewahrt; er habe einmal so gelautet: „Vetus / novum vinum libo / bibito, veteri novo morbo medeor / mordeor“. Die Adjektive novo veteri könnten sich grundsätzlich sowohl auf den Wein (als Ablativus instrumentalis) als auch auf morbo (dann als Dativ) beziehen. Zum Abl. von vetus auf -i: Kühner-Holzweissig 2. Aufl. 1912 359. 68 Am 13. Oktober, zunächst wohl „auf die Zeit fixiert, in der die Quellen nach der sommerlichen Dürre wieder alle Wasser führen“ (Latte 77). Schon in der Antike wurden nicht nur Kränze, sondern auch Geldstücke in die Brunnen geworfen (Latte a. O.), allerdings damals aus sakralen Motiven.

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        Anmerkungen

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        69 Varro trennt zwischen dem Fest und dem Ort des Armilūstrium: Die Et. des Ortes hatte er schon früher (prius bezieht sich auf die Stelle V 153) abgehandelt; dort hatte er die Et. ab ambitū lūstrī entworfen und den Begriff der Spiele, lūdī, eher beiläufig ins Spiel gebracht. Hier kehrt sie, leicht verändert, wieder. In VI 11 hatte Varro lūstrum auf luere 'lösen/zahlen' zurückgeführt. Er wird hier wohl das Hinterglied von armi-lūstrium sowohl mit luere als auch mit lūdere 'spielen' erklärt haben'. Die Fassung lūsū (statt überliefertem lūstrum) trägt dieser innervarronisch alternativen Erklärung Rechnung: Auf so engem Raum wird man ihm schwerlich Inkonsistenz vorwerfen wollen. Die Version von Flobert S. 14 ist aufwändig, zeigt aber das Problem. 70 Am 17. Dezember feierte man die Saturnalien, ein ausgelassenes Fest bäuerlichen Ursprungs, nach Beendigung der Winteraussaat (Latte 254 f.). Am 19. Dezember folgten die Opālia. 71 Das Fest der Dīva Angerōna fiel auf den 21. Dezember, das Wintersolstitium. Die Cūria Acculēia lag an der Nordecke des Palatins (Latte 134). 72 Acca Lārentia ist eine „schwer faßbare Gestalt von Mythos und Kult in Rom“ (NP 1, 46). Einer Sagenversion nach war sie eine lupa, Dirne, und zog die Zwillinge auf. Sie hatte einen Altar im Vēlābrum bei der Einmündung der Via Nova. Hier kommen wohl die Laren ins Spiel, deren Mutter Larunda von Larentia „nicht zu trennen“ ist (Latte 92). Acca – ein Lallwort – dürfte etr. Ursprung haben und 'Mutter' bedeuten (so auch de Melo 832). Im röm. Festkalender steht der Tag nur abgekürzt als LARE (NP 6, 166); Varro kennt wohl eine Auflösung zu LARE(ntālia). Der alte Ausdruck für die Toten ist dīvī parentum (Latte 98) und in der Textüberlieferung (mit t- statt p-, einem Fehler der Kursivschrift) erhalten, könnte also grundsätzlich hinter dem überlieferten diem parentum stecken. Accās Larentiās selbst ist sicher ein alter Genitiv wie in (pater) familiās. Hinter dem – aus diem – verbesserten diēs kann ja nur ein anderer Genitiv stehen. 73 Damit spielen Varro oder seine Quellen auf die niedere Herkunft der Acca Lārentia an. 74 In V 164. 75 Auch hier trennt Varro zwischen Ort und Fest: Ersteren besprach er als Septemmontium (so überliefert) schon V 41, hier das Fest Septimontium, das am 11. Dezember lag und kein Staatsfest war, sondern „ein Fest der ältesten Stadt, das sich als Begehung der Anwohner erhalten hatte“ (Latte 112). 76 Die Ergänzung ergibt sich aus dem Satzkontext, der Analogie zum Beginn von Kap. VI 27 (s. u.) und aus der Korrektur in Fv, die auf eine Verbesserung bereits in F hinweist. 77 Die Compitālia waren das Hauptfest der Laren und wurden an den Stellen gefeiert, wo mehrere Grundstücke verschiedener Besitzer zusammenstießen; dort standen auch Kapellen, vor denen geopfert wurde, der Zeitpunkt wurde vom Stand der Feldarbeit bestimmt, daher war es ein wandelbares Fest (conceptīvae: Latte 90f.). 78 Das Latinerfest geht auf die Zeit zurück, als Rom noch nicht die spätere Führungsrolle hatte. Dadurch, dass die latinischen Städte ihr Opfermahl gemeinsam feierten, erhielt es „religiöse Weihe“ (Latte 144).

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        79 Das Fest der Sēmentīvae stand unter dem Schutz der Göttinnen Tellūs (Erde) und Cerēs (Getreide) und wurde im Abstand einer Woche an zwei verschiedenen Tagen begangen (Latte 71). 80 Die überlieferte Form pāgūs ist Nom. Plural, Varro hat offensichtlich pāgus hier wie senātus,-ūs als u-Stamm gebraucht. Pāgānālia wohl = Pāgānicae (VI 26). 81 Novendiālis bedeutet 'neuntägig'; wenn es z. B. „Steine“ regnete, wurde solch ein Sühnopfer begangen. Es kann auch bedeuten 'am neunten Tage' und bezeichnete dann die Opfer, die in Verbindung mit einem Leichenschmaus eine Woche nach der Beerdigung gebracht wurden, entsprechend waren die nūndinae die Wochenmärkte, die alle acht Tage am gleichen Wochentag gehalten wurden, nach römischer Zählung (die den ersten Tag mit einschloss) aber am sog. neunten Tage. 82 Zum römischen Kalender prägnant: König (1991) 75: „An dem Tag, da sich der Mond erneuerte, kam der mit der Mondbeobachtung beauftragte Pontifex minor, ein Gehilfe des Pontifex maximus, zum Opferpriester (Rex sacrorum), um ihm dieses Ereignis mitzuteilen. Dieser rief für den nächsten Tag Senat und Volk auf das Capitol vor die Curia Calabra und ließ ausrufen (kalare), am wievielten Tag vor der Monatsmitte (Idus) der Mond in sein erstes Viertel trete: Kalation der Nonae.“ Die Schreibung mit ka- (so Scioppius) ist hier im Kontext von Kalendae und kalo (so Aug.) naheliegend. 83 Die angebliche „Iuno Covella“ kommt nur hier vor; vom Kontext her ist aber Novella zu lesen (so Scaliger), denn wenn die Iden auf den Vollmond fielen (NP 6, 162), dann die Kalenden auf den Neumond. Für den Rest wurden verschiedene, stark abweichende Vorschläge gemacht, s. den Apparat. Paläographisch ist eine Verlesung bzw. Verschreibung von lūnā (was wohl Ablativ der Trennung ist, also 'vom Neumond aus gerechnet') zu Iūnō ('Juno') unproblematisch, daraufhin wird einer der Kopisten zu * Iuno ein neues Attribut statt novella erfunden haben. Der Fehler dürfte ganz alt und im Schrifttyp der sog. „Capitalis Cursiva“ entstanden sein (Battelli 69 ff.). Vermutlich stand einst für den alten Ablativ der Trennung: * lunad novellad, vgl. u. a. sententiad (Senatus Consultum de Bacchanalibus, 186 v. Chr.), Troiad exibant Naevius carm. 4 Morel: Leumann 420, was den bzw. die Kopisten ja irritieren musste. 84 Varro bietet für Nōnae tatsächlich zwei Erklärungen: die evidente von nōnus 'neunter' und eine Verkürzung aus nova lūna > nōna. Der Grund, weshalb er der Erklärung mit der Ordinalzahl eine Alternative an die Seite stellt, wird sein: Der Bezug zum Neumond war ihm als Antiquar, gerade gestützt auf den priesterlichen Text (Kap. 27), genauso wertvoll. 85 Die īdūs mussten im Etruskischen, das keine stimmhaften Verschlusslaute kennt, mit T geschrieben werden; für das Oskische hingegen ist einmal (Cp 31 bei Rix [2002] 100) eídúís (Ablativus temporis) inschriftlich bezeugt. Als EIDVS werden sie auch im röm. Festkalender geschrieben, die Schreibung des Langvokals [ i: ] als < EI > war bis 70 v. Chr. ganz gebräuchlich (Leumann 13) und findet sich an etlichen Stellen auch bei Varro konserviert, in VI 61 für Ennius auch thematisiert und erwiesen; Augustinus (1554 bzw. 1557) gebraucht sie noch ständig, künstlich archaisierend bzw. normierend. 86 Die sog. „schwarzen Tage“ waren also ursprünglich nicht die sprichwörtlich gewordenen Unglückstage.

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        Anmerkungen

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        87 Im röm. Festkalender sind insgesamt 42 Tage mit „F“, also F(āstī), verzeichnet: Dem Prätor blieben demnach nicht viele Tage, um mit voller Gültigkeit und mit allen nötigen Wortformeln Gericht halten zu können. Der römische Prätor war der staatliche Gerichtsmagistrat und übte die staatliche Gerichtsbarkeit aus, was in den Kleinstädten (Munizipien) wie in Pompeji die sog. Duōvirī iūrei dīcundō leisteten. Varro leitet fāstī offenbar von fās und dies wiederum von fārī 'sprechen' ab. 88 An den diēs comitiālēs durfte sich das Volk „sub auspiciīs versammeln…, d. h. in einer von einem Magistrat einberufenen Versammlung“ (König [1991] 76, s. zu VI 27). Das überlieferte essent repräsentiert die alte verschleppte Form von eisent (Konjunktiv Imperfekt zu klass. īrent, mit altem -s- zwischen Vokalen statt dem späteren -r-: sog. „Rhotazismus“, s. Leumann 178f.) und musste – in der von Varro wohl gewählten alten Schreibung – ja von einem Kopisten zu essent entstellt werden. Dazu auch Varro selbst in VII 27. Das Originalzitat dürfte spätestens aus einem Text des frühen 4. Jhs. stammen, da der Rhotazismus in die 2. Hälfte des 4. Jhs. datierbar ist. 89 Im röm. Kalender stehen insgesamt 52 Tage diēs nefāstī (König [1991] 77), daneben gibt es noch 49 mit der Sigle NP, was „nefās piāculum“ bedeuten könnte ('Da kann kein Sühneopfer gebracht werden'). Die drei von Varro genannten Verben repräsentieren drei unterschiedliche richterliche Entscheidungen. Nach Kaser (1966) 41f. musste der Prätor „diese tria verba sollemnia (legitima) gebrauchen, die vermutlich in förmlicher Weise gesprochen wurden.“ Dabei bezeichnet dare „die magistratische Gewährung“ (der Klage), dīcere „die zunächst unverbindliche Erteilung des Zwischenbesitzes“ und addīcere „den Beitritt des Prätors zur förmlichen Erklärung einer Partei“, also letztlich die Entscheidung am Ende des Prozesses. 90 Der Jurist Q. Mucius (Scaevola): s. zu V 5. 91 Am 25. März war Beginn des Sommerfeldzugs; der Tag Quandō rēx comitiāvit fās (abgekürzt GRCF) ist wohl in Verbindung damit zu sehen (Latte 117f.): Der rēx ist als „Führer des Heerbanns“ (Latte 118) zu verstehen; nach dem Ende der Königsherrschaft blieb davon nur mehr ein Formalakt übrig. Den Tag gab es am 24. Mai ein zweites Mal, unmittelbar nach dem zweiten Tubulūstrium. Nach Latte 118 ist hier noch ein Rest früherer Zustände zu sehen, als der Feldzug nur die kurze Zeit zwischen Frühjahrsaussaat und Ernte dauerte. 92 Um die Vestālia (9. Juni) wird der Vorratsraum im Vestatempel geöffnet und ausgekehrt, damit die neue Ernte eingebracht werden kann. (Latte 110). Mit stercus dürfte Unrat jeglicher Art gemeint sein, auch Reste der Asche und der Opfer, die am 15. Juni durch die Porta Stercorāria, das 'Misttor', transportiert und in den Tiber geworfen wurden (Lugli 203). 93 Am 18. Juli 390 (oder 387) erlitt das römische Heer an der Allia, ca. 20 km nordöstlich Roms, eine vernichtende Niederlage; es war ein dies āter 'schwarzer Tag' für Rom, der mit der Einnahme des Kapitols und der sagenhaften Drohung des Keltenführers Brennus (Vae victīs! 'Wehe den Besiegten!') endete; daraufhin erst erhielt Rom eine vollständige Ringmauer, die „Servianische Mauer“, die später dem König Servius Tullius zugeschoben wurde (Sommer 118) und das Kapitol und den Aventin einbezog (Bengtson 38f.).

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        94 Quod nusquam invēnī : Ein interessanter Einblick in Varros antiquarische und etymologische Forschungsarbeit. Von Varros Formulierung her wäre an eine erklärende Form Aprilem zu denken, die auch Macrobius Sat. I 12,14 kennt (Aprilem … quasi Aperilem). 95 Dahinter liegt wohl – wie schon in VI 13 – das Nomen actionis februātus, -ūs 'Reinigung', das von einem frühen Kopisten als Adj. interpretiert und an den Abl. diē angeglichen wurde. 96 Varro wählt, ausgehend vom finiten Verb lēgistī (2. Pers. Ind. Perf. Akt.), zwei Verbalableitungen aus: ein Nomen actionis (cursus 'Lauf') und das Partizip Präsens lūdēns, um so die Vielfalt der von einem Verbum ausgehenden Formen zu demonstrieren. quei (so stand es sicher in F) ist das Fragewort 'Wie? Weshalb?'. 97 Varro entwirft in diesen vier Kapiteln eine sehr komplexe Wortlehre: Diese ist durch vier Gedanken gekennzeichnet: 1) Es gibt eine begrenzte Menge von Elementarwörtern bzw. Anfangs- oder Grundwörtern (prīmigenia); diese kann der Etymologe erklären oder auch nicht. 2) Die Wörter weisen bestimmte Kategorien auf oder lassen sie vermissen: Aus der Kombination der beiden Kategorien Tempus und Kasus (tempus und cāsus sind bei Varro schon zu Fachtermini geworden) lassen sich vier verschiedene Typen bilden: finite Verben, vom Verb abgeleitete Substantiva, Partizipien und Adverbien. 3) Jede Wortform (discrīmen) steht als ein eigenes Wort da, d. h. auch die einzelne Flexionsform wie legō 'ich lese' und legis 'du liest'. 4) Durch Mittel der Wortbildung – Varro nimmt als einleuchtendes Beispiel die Komposition mit Präpositionen (prae-verbia, auch dies schon ein Fachterminus) – lässt sich die Zahl der möglichen Einzelwörter bzw. -formen vervielfachen. So kommt er im Gefolge des Quintus Cosconius auf fünf Millionen Einzelwörter bzw. -formen (VI 38). Dieses mathematische Modell der Wortbildung und Flexion entwirft Varro an dieser Stelle etwas überraschend. Da er aber im Folgenden hauptsächlich Verben bzw. davon abgeleitete Wörter behandelt, sieht er sich wohl genötigt, anfangs etwas zu Komposition und Ableitung sagen, was er zu Beginn von Buch V übergangen oder schon in Buch I bzw. in der ersten Triade von De lingua Latina schon vorgearbeitet hatte. In der dritten Triade (VIII ‑ X) wird er detaillierter darauf wieder zurückkommen. Dieser Riesensatz, den Kap. 36 umfasst, ist ein Anakoluth, d. h. er ist unvollständig: Es fehlt ja der mit dem einleitenden quom/cum korrespondierende Hauptsatz; das offenbart die rasche und stilistisch nicht gerade ausgefeilte, vielleicht auf ein Diktat basierende, Schreibweise Varros. 98 Quintus Cosconius, Redner und Grammatiker um ca. 100 v. Chr.: NP 3, 212 Nr. I 5. Varro denkt mit verba prīmigenia hier an Verben, nicht an Substantiva. 99 Der Begriff der praeverbia, hier mit „Vorwörter“ übersetzt, kommt noch einmal in VI 82 – in ähnlichem Kontext. Ob Varro zwischen der Wortart der Präpositionen und dem Begriff des Präfixes (wie re-, das isoliert vom Verbum nicht vorkommt) unterschieden hat, lässt sich nicht klären. De Melo übersetzt mit „prefixes“, was wohl zu weit gegriffen ist. – Wenn man das überlieferte mūtātīs beibehält, ergibt sich folgender linguistischer Sinn: Aus der Kombination von praeverbia (einem Mix aus Präposition und Präfix) und Verbum lässt sich eine große Zahl weiterer Verben generieren, wenn man nur die jeweiligen praeverbia austauscht (commūtātīs). Im Akt dieser Kombination verändern die praeverbia ihre Form (aus cum wird con, aus sub wird suc- wie in successit), das dürfte mit mūtātīs

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        Anmerkungen

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        gemeint sein. Die Ergänzung von cessit bzw. < discessit > ergibt sich aus der von Varro vorgegebenen Zahl decem. 100 In diesem mathematischen Modell hat Varro den Begriff der „Regel“ (Flexion plus Wortbildung) ausgeklammert, dem er in der nächsten Triade durch sein Konzept der (morphologischen) dēclinātiō und der Analogie näherkommen wird. 101 Die beiden bekanntesten griechischen Atomisten; der Urheber der Atomlehre war Leukippos (2. Hälfte des 5. Jhs. v. Chr.); Varro vermeidet den griech. Begriff ἄτομον 'Unteilbares' in diesem Zusammenhang wohl deswegen, weil seine verba prīmigenia zwar Elementarwörter sind, aber, aus Lauten bzw. Buchstaben bestehend, ja weiter zerlegbar sind. Der epikureische Dichter Lukrez (Mitte der 90er Jahre bis Ende der 50er Jahre v. Chr., also knapp 10 Jahre vor der Abfassung von De lingua Latina verstorben) verwendet in De rerum natura für die physikalisch unteilbaren Teilchen den Terminus prīmōrdia; vielleicht wollte Varro diesen vermeiden, da er ja schon besetzt war. Lukrez wiederum musste prīmōrdia neu bilden, da prīmigenium nicht in den Hexameter gepasst hätte. 102 Hier liegt eine Konstruktion wie bei pōscere zugrunde, d. h. Varro gebraucht postulāre mit doppeltem Akk., dessen persönliches Objekt hier im Passiv erscheint. Es ist ja nicht der Etymologe, der eine Erklärung verlangt, sondern das (interessierte) Publikum, wie die Ergänzung Scaligers geklärt hat. 103 Das gilt – innervarronisch argumentierend – nicht für dīcō (VI 61) und die vielen Verben, die er am Ende des VI. Buches (Kap. 96) anführt. 104 Für angiportum bietet Varro in V 145 eine andere Et.: Zu agendō, also eine Anbindung an angustus 'eng'. Hier hingegen wählt er die Herleitung aus agere und nimmt den Weg der etymologia ē contrāriō (weil man an der Engstelle ja weder Vieh noch Wagen treiben kann). Ob es sich um eine Flüchtigkeit Varros oder um die Grenzen der Textedition und -überlieferung handelt, bleibe offen. 105 Co-emptiō, wörtlich 'Zusammen-Kauf', ist eine von drei Formen der Eheschließung: „Der paterfamilias der Frau … tritt … vor fünf Zeugen … die Gewalt über sie für einen symbolischen Kaufpreis … dem Ehemann ab.“ (Kaser [1983] 264). 106 Mit dem Paar metuō und PPP mōtā (Abl. abs.) greift Varro auf das Verfahren aus V 4 zurück: die Formen auszuwählen, an denen die et. Verwandtschaft am deutlichsten wird, was beim Präsens metuere : movēre weniger klar würde. Ungewöhnlich an dieser Erklärung ist, dass Varro die 2. Person des Perfekts wählt. Der Grund dürfte sein: Die Präsensform metuis 'du fürchtest' war lautgleich mit dem Gen. Sg. von metus 'Furcht', der für Varro in der Endung -uis ausdrücklich bezeugt ist (Gellius IV 16,1), die Perfektform hingegen war eindeutig. 107 Varros Et. ist also ein Kompositum, etwa *cōr-ūra → cūra. 108 Vielleicht ein altes lat. Sprichwort. In der Sammlung von Otto fehlt das Zitat. 109 Diese Passage entspricht inhaltlich – mutatis mutandis – dem Fragment 4 aus dem IV. Buch, das Nonius Marcellus überliefert hat. Da Varro offensichtlich im IV. Buch genau die Wortfamilie von lubēre mit den verschiedenen, daraus abgeleiteten Substantiva schon ausführlicher behandelt hat, kann er sich hier kurz fassen. 110 Varronisches Rekonstrukt, das dem Bauprinzip der lat. Nominalkomposita mit dem „Kompositionsvokal“ -i- wie in agri-cola entspricht: Leumann 389f. Aus der Struktur von *mani-moria und dem überlieferten manandō ergibt sich (für Varro) ein Kompositum, das aus den Bestandteilen von manēre 'bleiben' und morārī 'verzögern, verweilen' gebildet ist, daher die Ergänzung, s. App. Das ominöse -o-

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        an der Kompositionsfuge zwischen mani- und -moria ist so erklärbar: Hier stand in der Vorlage von F (sic!) ein Trennstrichlein oder Trennkringelchen, das die Fuge markieren sollte; zu einem ähnlichen, aus F sicher erschließbaren Fall: s. zu VII 31 (adagiō). Die Hrsgg. haben es großzügig getilgt. 111 Überliefert, d. h. für F rekonstruierbar, ist: memurii veterum significant memoriam. Monere ab eodem etc. Aus dem vorangehenenden manendō ut manimoria (s. App.) ergibt sich ein Zusammenhang mit manēre 'bleiben'. Das begründende itaque 'deshalb' bezieht also das Folgende mit dem ersten Wort aus dem Salierzitat auf manēre, also hatte Turnebus mit seiner Form mamuri Recht, die auch durch Plutarch bestätigt wird. Varro hebt aber sicher nicht auf ein 'altes Gedächtnis' ab, sondern auf eine alte Form von memoria, die zu seinem Konstrukt *manimoria passt. Die Plutarchstellen in dessen Biographie des Numa 13, 6 und 11 zeugen bereits von einer fehlerhaften Überlieferung spätestens im 2. Jh. n. Chr.: Schon Plutarch argumentiert ja gegen eine Lesung bzw. Deutung Mamurius Veturius (s. App.) und plädiert – auf Griechisch – für eine Lesung *veterem memoriam, was er allerdings als 'altes Gedächtnis' deutet. Was sich hinter der Form mamuri historisch wirklich verbirgt, bleibt offen: Varro erklärt sie jedenfalls als alte Form von memoria, wozu ihn sein eigenes Re-Konstrukt *mani-moria verleitet haben wird. 112 Varro gebraucht nicht selten, außerhalb der klassischen Consecutio temporum, im Nebensatz auch den Konjunktiv Imperfekt, z. B. auch VI 57: loquāx, quī nimium loquerētur, ohne dass sich ein sicherer grammatischer Grund dafür finden ließe. Hier: vielleicht ein Irrealis. 113 Iuventius Com. 2-4; ein wenig bekannter Komödiendichter des 2./1. Jhs. v. Chr. (NP 6, 115). Flobert (1985) 128 datiert den von Varro zitierten Iuventius allerdings auf das 2. Jh. v. Chr. 114 Vom Grammatiker Papinianus liest man bei Cassiodor, De orthographia 4 (GLK VII 159): „Narare per unum R scribitur, ut Varroni placet.“, also hat Varro dafür plädiert, nar(r)āre mit nur éinem R zu schreiben. 115 Mit fā-rī 'sprechen' hat Varro eines der verba prīmigenia, der Urwörter oder Anfangswörter, berührt, die er als Basis für insgesamt 25 weitere Wörter ansah (VI 52-56). 116 Das überlieferte fatuus 'Narr' warf etliche interpretatorische und editorische Fragen auf. Der Vorschlag von Vetter führt zur paläographisch einfachsten Lösung: ein Nomen actionis auf -us, Gen. -uis (sic!), wie öfter bei Varro; s. Vorwort 4. am Ende. Zu aufwändig Köves-Zulauf (1981): fatuī als Gen. des Adjektivs fatuus (eigentlich 'albern'). 117 tum: D. h. zur Geburtsstunde: Köves-Zulauf (1981) 274. 118 Varro dürfte sich hier vorausschauend auf Buch VII beziehen, wo er (VII 36) vātēs 'Seher' mit 'Dichter' gleichsetzt und von viēre herleitet, doch nicht auf sein (späteres?) Buch De poetis (dazu Dahlmann [1935] 1222). 119 Hier wiederholt sich Varro, wenngleich in knapper Form, s. o. zu VI 29 und 30; ein weiteres Zeichen raschen, aber flüchtigen Arbeitens. 120 Einer der am schwersten verständlichen Sätze Varros. Aus der Sprache bzw. Welt der Auguren stammt der t. t. effārī, wie die Testimonia (s. Flobert 131) zeigen. Mit ager ist das Gebiet am Boden gemeint, das für die Vogelschau maßgeblich ist, s. V 33, wonach die Auguren fünf verschiedene agrī unterschieden (ut hier

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        in der seltenen Bedeutung 'wo', s. OLD s. v. Nr. 24). Der Begriff templum im folgenden Satz zeigt die ursprüngliche Bedeutung: 'ein abgetrennter Bereich', d. h. für die Vogelschau waren bestimmte Bereiche des Areals festzulegen. Näher zur Festlegung der Grenzen (des templum) und der Vogelschau: VII 8. 121 Erst nachdem der für den Gott bestimmte Teil des Opfer(tiers) geopfert war, durfte der Rest von den Teilnehmern am Opfer verzehrt werden: Dieser Schritt hieß prōfānāre (Latte 391). 122 Der Zehnte für Hercules hat eine lange, sagenhafte Tradition: für eine Unternehmung, für eine Reise, v. a. von Kaufleuten; der reiche Crassus hat noch im 1. Jh. v. Chr. den Zehnten seines Vermögens an der Ara maxima auf dem Forum Boarium geopfert: Latte 215 f. 123 Pollūcēre ist der terminus technicus für die ganze Darbringung (sc. des Opfers), für den Einzelakt selbst wurde hingegen porricere gebraucht, s. zu V 112. Varro verwischt hier die Bedeutungsgrenzen für die beiden Termini. 124 Die praetōrēs waren seit 367 v. Chr. die Oberbeamten Roms, wohl zur Entlastung der beiden Konsuln, und hatten sowohl militärische als auch judiziarische Kompetenz. Seit 242 v. Chr. wurde ein praetor peregrīnus eingeführt, der für die Nichtbürger Recht sprechen sollte, der andere – für die Vollbürger Roms zuständige – war der praetor urbānus. Ihre Zahl wuchs im Laufe der Zeit. (NP 10, 260 ff.). – Die Abkürzung PR. URB. ist für F° gesichert und könnte bis auf Varro selbst zurückgehen, vgl. das Abkürzungsverzeichnis bei Meyer (1973) 122. 125 Bei den Herkulesopfern vor der Ara maxima wurde „ein Teil des Opfermahls dem Volk überlassen“: Latte 390. 126 Fātuus ist hier gleichbedeutend mit Faunus; Fātua im Singular ist die Gattin des Faunus, im Plural sind es Nymphen: Flobert zu VI 55. 127 Chrysippus' Position (SVF II 143) geht davon aus, dass der Logos (Geist) eine überlegte Sprache erfordert. Plutarch (Anfang 2. Jh. n. Chr.) zitiert Chrysippos in seiner Abhandlung über die Fähigkeiten der Tiere (lat.: De sollertia animalium 314) mit der Formulierung Varros des ut loquī, griech. ὡσανεὶ φωνεῖν. Aber warum hat Varro loquī nicht vom griech. λόγος hergeleitet? Das Wort war ihm offenbar, wie seine vielen Ableitungen im Folgenden zeigen, so wichtig, dass er mit loquī ← locus auf eine genuin lateinische Et. zurückgreifen wollte. 128 Die Stelle ist in der Überlieferung entstellt worden, aber leicht heilbar, s. den Apparat. Wenn unsere Version stimmt, dann gab es – jedenfalls bei den Zeremonien der Sabiner, die Varro aus seiner Heimat ja kennen musste – so etwas wie ein sakrales Zwiegespräch zwischen den Priestern im Inneren des Tempels, der Cella, und den außerhalb Stehenden (Gläubigen oder anderen Priestern); es könnte sich um eine Art „Responsorium“ handeln, wie es in heutigen Gottesdiensten beim Psalmodieren üblich ist. 129 Die Textüberlieferung ist pikant: Die Parallelstelle bei Gellius X 21,2 (sie ist eine der wenigen längeren Parallelüberlieferungen zu De lingua Latina, s. Vorwort 3.2) wirft ein interessantes Licht auf die Geschichte des Varrotexts: Anstelle von senēs aliquot 'etliche Ältere', das sich für Varros F* sicher rekonstruieren lässt, steht bei Gellius senēs aliī 'andere Ältere'; beide Versionen lassen sich auf eine noch weiter zurückliegende Fassung zurückführen: senēs aliī quī, was eine für Varro gar nicht so seltene Konstruktion von alius quī = aliquī ist: D. h. Gellius hatte wohl

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        eine geringfügig andere Vorlage als die Vorläufer von F, auch sein Text war indes schon gegenüber dem Original verändert. 130 Die Gebäudeteile Sub Novīs (ihre mit Karikaturen überzogenen Wände sind bei Cicero, De oratore II 266 erwähnt) werden überdachte Verkaufshallen vor der Basilica Aemilia gewesen sein. Sie waren nach einem Brand 210 v. Chr. wieder aufgebaut worden. Die Via Nova verlief am Nordabhang des Palatin und machte hinter dem Vestatempel einen Knick nach Südwesten. 131 Cīvitātei (so wird zu lesen sein) ist Dativus auctoris. 132 Beim Testament „manzipiert“, d. h. verselbständigt der Erblasser sein Vermögen an einen Treuhänder; in einer weiteren Bestimmung (nūncupātiō) gibt er an, wer dieses (oder einen Teil davon) bekommen soll (Kaser [131963] 310). 133 Aus einem Stück eines ungenannten Autors (Frg. 89 Adespota Schauer); vom Kontext her aber eher Pacuvius, dessen Kenntnis Varro voraussetzte: Der Chor hatte wohl Aenēās! gerufen, der daraufhin antwortete: Warmington S. 608. 134 Eine Tragödie des Pacuvius (277 Artigas = Frg. 183 Schierl). Es spricht wohl Aeetes zu Medea, „der seine Tochter noch nicht erkannt hat und sich wundert, weshalb er Vater genannt wird“: Schierl S. 380. 135 Überliefert ist: dico qui. Das gibt vom etymologischen Kontext keinen Sinn – und als Enniuszitat auch nicht. Der Fehler liegt in der Überlieferung: Hinter qui muss * cum EI stecken, das über paläographisch cū ei zu quei und dann zu quī entstellt wurde. Varro wollte also sagen: 'Dass unser lateinisches dīcō aus griechisch δεικνύω kommt, zeigt die Ennianische Schreibung deico mit EI statt I.' Damit lässt sich dieser Enniusbeleg auf die zeitliche Stufe des Senatsbeschlusses über die Bacchanalien (186 v. Chr.) stellen, s. Leumann 63. Varro könnte dabei z. B. an die Stelle aus dem Epicharmus des Ennius gedacht haben, die er V 65 ausführlich zitiert; sie enthält sogar zweimaliges dīcō, wo nunmehr deico zu schreiben ist. Einen weiteren Beleg für die Schreibung von ei für Langvokal ī bei Ennius hat wohl Nonius 563,18 L. erhalten (Enn. 153 Joc. = F 61 Manuwald), wohl aus Hectoris lytra, Hektors Auslösung): Hector ei summā armatōs ēdūcit forās. 'Hektor führt mit größter Kraft seine Bewaffneten nach draußen.', mit graphematischem < vei > statt < vi >, allerdings ist die Überlieferung zweifelhaft. (+ ei summa + schreibt Jocelyn). 136 Dīcat ist Konjunktiv im quod-Satz: Stroux (1923) 318. 137 Varro setzt hier wohl auf die Grundbedeutung von dēdicāre, nämlich 'erklären', d. h. einen Akt (im juristischen Sinne) abschließen, während die Weihe erst wenige Worte später zur Sprache kommt. Durch die Überlieferung und Varros knappe Ausdrucksweise ist hier aber keine letzte Sicherheit zu gewinnen. 138 Dēdicāre / dēdicātiō bezeichnet allgemein die „Übereignung von Gegenständen und Immobilien … an eine Gottheit.“ (NP 3, 359), sowohl für offizielle Weihungen als auch für private Übereignungen. Zum formellen Akt der dēdicātiō: Georg Wissowa, Art. „Dedicatio“, in: RE IV 2356. Varro kommt es darauf an, den Sprechanteil (dīcendō) an diesen Akten für die et. Erklärung zu verwerten. 139 Die Stelle gibt Rätsel auf. Varro wird ein Verb zu erklären versucht haben, dessen Bedeutung sich nicht trivial aus dīcere bzw. dicāre erschließt; abdicāre 'abdanken' könnte dazu gehören, doch ist zu vieles unsicher. Den Ausdruck ab dicandō mit A. Spengel als spätere Glosse zu streichen, befriedigt nicht.

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        140 Ductor ist eher der 'Zieher' (ductor ferreus ist der 'Eisenzieher'), dux der 'Führer': Varro geht damit auf die beiden Bedeutungen von dūcere (bzw. ductāre) ein, die bei ductāre mit seinem engeren Bedeutungsspielraum (4 Ziffern im OLD bei ductāre gegenüber 30 bei dūcere) deutlicher werden. Eine Verschreibung von dūcere > (ductāre >) ducare ist paläographisch wenig wahrscheinlich: In der Vorlage von F wird noch ductare und qd gestanden haben. 141 Varro führt dūcere 'führen' auf docēre und damit indirekt auf dīcere zurück, auch wenn er das nicht expressis verbis kundtut. Insgesamt ist also d(e)icere für ihn ein verbum prīmigenium, von dem docēre, dūcere, decēre und discere samt den dazugehörigen Nomina abgeleitet sind. Dass dīcere (angeblich) aus dem Griechischen stamme und somit alle folgenden, in Kap. 61 und 62 behandelten Verben keine genuinen lat. Wurzeln hätten, scheint ihn nicht gestört zu haben. 142 Der hier in Klammern gesetzte Satz mit der Et. von sarcīre wirkt wie ein späterer Zusatz eines Glossisten. 143 Wohl ein Bezug auf die Bestimmung des Zwölftafelgesetzes (XII tab. I 11 a-i Flach). 144 Regell 18. 145 Das Dichterzitat lässt sich keinem Autor zuordnen. 146 Trag. Inc. Frg. XXXIV Ribbeck (Frg. 90 Adespota Schauer); wenn oritur und fremor umgestellt werden, wird der Vers hexametrisch und könnte aus einem Epos (Ennius?) stammen; das folgende Zitat kommt wohl aus einer Komödie, Frg. CXXXV (Frg. 91 Schauer). Ob Varro, da er keine Autoren nennt, aus dem Gedächtnis oder aus Exzerpten oder gar sich selbst (im letzten Zitat) aus seinen Satiren zititiert, bleibt unklar. 147 Quirītāre 'die Quiriten anrufen' ist ein sog. „illokutives Verbum“: Es inkorporiert eine Lautäußerung, nämlich „Quirītēs!“, woraus dann durch Ableitung ein Verbum der a-Konjugation wird (daraus wurde italienisch grīdāre 'schreien'). Ein ähnliches Muster unterlegt Varro auch triumphāre ('„Triumphe!“-Rufen'), evtl. auch schon Plautus – s. u. – dem iūbilāre. 148 Das hatte Varro schon in V 51 erklärt. 149 Nach Cichorius (1922) 85-88 stammt dieser kurze Dialog aus einer Atellane. Die Varrostelle ist die einzige, an der ein Atellanendichter namens Aprissius in der Überlieferung erscheint. Aprissius ist indes, so Cichorius, aus parasītus entstellt, das im Text – ohne Autor – unvermittelt gestanden hatte. Das Stück, aus dem Varro den Minidialog genommen hat, dürfte aber der Parasitus piger des Plautus sein, aus dem Varro immerhin zweimal (VII 62 und VII 77) zitiert. Da ihm der Autor selbstverständlich war, hat er an dieser Stelle den Autorennamen ausgelassen. Näher dazu: Verf. (2021); hyperkritisch dagegen : Erik Pulz in: Forum Classicum 1/2022, 55 f. 150 Den letzten Triumph (Cäsars) hatte Varro am 25. Juli 46 v. Chr. erlebt, als u. a. Giraffen aus Afrika vorgeführt wurden; s. zu V 100. 151 Die römische Praxis der Schuldverpflichtung war an mündliche Rechtsformeln gebunden: Die mündlichen (!) Schuldversprechen äußerten sich im Sprechakt von Frage und Antwort: Der künftige Gläubiger fragte: „Spondēsne…?“, der werdende Schuldner musste knapp antworten: „Spondeō.“ Bedingung war, dass beide Parteien anwesend waren und Frage und Antwort sofort auf einander folgten: Kaser (s. o.) 45. Lachmann (1876) 167 f. deutet die Stelle nichtetymologisch: ā

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        sponte (nam id valet) et ā voluntāte, d. h. : 'aus freiem Willen heraus (denn das gilt)'. 152 925 M. = 920 ff. Chr. Christes ergänzt bzw. formt den ursprünglichen Luciliustext folgendermaßen um: „Cretaea < nuper > cum ad me cubitum venerat / sponte ipsa suapte adducta ut tunicam et cetera / reiceret.“ Varro hat seine poetische Vorlage leicht umgeformt, um sie in Duktus und Kontext seiner et. Abhandlung einzupassen, das Zitat ist nicht wörtlich. 153 Adelphoe 75: Der Alte Micio stellt das erzieherische Konzept vor, das er seinem (Adoptiv-) Sohn angedeihen lässt. 154 Ausführliche Begründung seiner Textkritik: Lachmann (1876) 167-172. 155 Die Glosse ist keinem Werk des Naevius sicher zuweisbar; vielleicht handelt es sich – so Flobert 147 f. – um den Titel einer unbekannten Naeviuskomödie (Naevius Com. Inc. XXVI). 156 Von einem unbekannten Komödiendichter (CRF p. 134 Ri.). Da passt eine VaterTochter-Beziehung besser als die zwischen einem (unbekannten) Vormund und dessen Verwandter, einer a(d)-gnāta. Der Schreiber kannte wohl die Form gnātus nicht mehr, wohl aber ad-gnātus, und hat entsprechend geändert. 157 Das iūs praetōrium (= iūs honōrārium) war eine „gefestigte(n) sittliche(n) Pflicht“: Kaser 202. 158 Varro geht damit von der Grundbedeutung von re-spondēre aus. Der Überlieferungsfehler dürfte aus der falschen Auflösung von kursiv geschriebenem re-spondere zu ĉ-spondere (= cum spondere) entstanden sein, vielleicht im Schrifttyp der Cursiva (s. Battelli [1949] 69 f.). 159 Nōn in der Bedeutung 'Nein': cf. V 18: „Nōn, male!“ 160 Von einem unbekannten Dichter (TRF p. 264 Ri., Frg. 92 Schauer); Lachmann (1876) 174 denkt an den Kresphontes des Ennius. Der Vers passt allerdings eher in eine Komödie. 161 Analog zu seinem Ansatz aus V 4 wird Varro wohl von nasaliertem spõs ausgegangen sein, so dass der (graphische) Weg zu spēs für ihn nicht so weit war. 162 Frg. 1 Leo / Aragosti. Das erste von insgesamt 7 Fragmenten dieses Stücks, aus dem Varro noch einmal zitiert (VII 66). Zur näheren Interpretation: Aragosti 95 f., der den ersten Satz einem unbenannten jungen Mann zuschreibt, der zweite gehört dem Polybadiscus. 163 Praestāre ist ein Homonym: Hier sind zusammengeflossen prae + stāre 'voranstehen' und praes + stāre '(als) Bürge stehen'. 164 Im cum-Satz fehlt das verbale Prädikat (wie esset/erat), was die lapidare Knappheit der juristischen Texte wie im Zwölftafelgesetz widerspiegelt, s. i. F. Der Nom. reos dürfte alt sein, wohl einem altlat. juristischen Text entstammend, und nicht, wie Flobert (1985) 150 vermutet, auf präromanischen Lautwandel zurückgehen. 165 Zum spōnsor s. o. zu VI 69 („Spondeō.“). Der vas war ein „Gestellungsbürge“ (Kaser 359): Konnte ein Prozess nicht binnen eines Tages erledigt werden, so musste er für den neuen Termin einen Bürgen stellen, der ihn vor Gericht vertrat. Bei Nichterscheinen hätte er ja den Prozess verloren gehabt, was im Prinzip bereits im Zwölftafelgesetz (450 v.) auf der ersten Tafel angelegt war, s. zu V 140. Auch der praes (aus *prae-vas) ist ein Gestellungsbürge, war allerdings begrenzt auf Geldleistungen: Für die Dauer des Verfahrens erhielt eine Partei die in Frage stehende Sache „zu vorläufigem Besitz zugewiesen“ (Kaser 125) und musste dem

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        Prozessgegner einen Bürgen (praes) stellen, der der anderen Seite – sollte sie später die Sache zuerkannt bekommen – deren Herausgabe garantierte. 166 Das rätselhafte qdacanere lässt sich so am besten auflösen: quoddam als Attribut zum Inf. canere musste für einen Kopisten Probleme bereiten, vgl. tōtum hoc displicet philosophārī '... missfällt dieses ganze Philosophieren' Cic. fin. I 1. Floberts Lösung hätte bei Varro heißen müssen: quod ā canendō. 167 Die Stelle hat vielfältige Heilungsversuche erlebt. Der Schlüssel liegt im Hinweis Varros, wie die Komödiendichter das Wort gebrauchen: Plautus kennt nur den Plural ornāmenta (Rig. 172), demnach dürfte Varro auf den Unterschied zwischen (vulgärem) Singular und (poetischem) Plural abgehoben haben. Die Ergänzung von < ūnīus > ist paläographisch die einfachste, wenn es aus „Iꝯ“entstand. Multitūdinis ist bei Varro der Fachausdruck für den Plural, deutlich v. a. in Buch IX; er wird sich hinter der Abkürzung M verbergen, die dann in die Endung von ornāmentum eingeflossen ist. Abkürzungen sind im Varrotext nicht selten, wurden aber von den meisten Herausgebern aufgelöst und dadurch „weggeheilt“, was auch den Kopisten widerfahren ist. ōsmen ist varronisches Konstrukt, s. zu VII 97. 168 D. h. nach dem Denken (VI 43-50) und Sprechen (VI 51-76). Zur Einteilung Varros: VI 41 f. Die Einteilung ist stoisch: Dahlmann (1932) 40-43. 169 Scaliger wollte das blasse agit zu negat verändern: Doch eine Verschreibung bzw. Verlesung von ait > agit ist weit wahrscheinlicher. 170 Zwischen den komplexen Ausführungen über den Unterschied zwischen agere und facere und diesem Kapitel, wo es um Licht und Leuchten geht, fehlt ein Bindeglied. Fay schlägt im Gefolge von Götz-Schöll vor: < facere lūmen, faculam > quī adlūcet. Allerdings ist facere lūmen 'Licht machen' lat. nicht belegt (das müsste aber der Fall sein, wenn man dīcitur zu facere lūmen zöge) und klingt nach Germanismus. Die einfachste Verbindung ist mit fax 'Fackel' herzustellen, der Fehler ist u. a. durch das folgende (von A. Sp. gut konjizierte) < quod > bedingt. 171 Lu-ere 'lösen' ist damit das varronische verbum prīmigenium, auf das er lūcēre 'leuchten' mit seinen Ableitungen wie lūx und lugēre 'trauern' zurückführte. Auch das gleichlautende Perfekt lūxī (für lūgēre wie auch für lūcēre) wird Varro darin bestärkt haben, beide Verben et. so nahe aneinanderzurücken. 172 Mit 'Verlust des Lichts' wird Varro auf die antike Trauergeste angespielt haben, wo der Trauernde sein Haupt verhüllt oder die Hand vor die Augen hält. Auch war die Farbe der Trauerkleidung meist schwarz (NP 12/1 767); zudem dürfte der Gedanke, dass der Verstorbene nicht mehr das Tageslicht erblicken würde, zu dieser etymologia ē contrāriō Varros geführt haben. 173 Dies ist die abenteuerlichste Et. Varros: quae + rēs → quae-re-re; freilich ergäbe die Futurform (2. Ps.) quaerēs 'du wirst fragen' genau die Form, auf die er (wohl) abgehoben hat. 174 Hier ist ein (sprichwörtliches ?) Zitat zu vermuten; die Formulierung Varros klingt in Vokabular, Satzbau und Rhythmus poetisch und ergibt mit einem minimalen Eingriff einen jambischen Septenar: * Oculōrum sēnsūs vīs ad stēllās usque pervenit. 175 Aus einem unbekannten Stück, sicher nicht nur eine Anreihung von Ableitungen von vīs (so noch Canal). 176 Die Korrektur des Victorius (atticum < anticum) ist paläographisch nächstliegend (anticum > aticum > atticum), während Kent und de Melo noch an Acci(us) denken.

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        Auf Grund der Probleme der Textgestaltung fehlt dieses altes Sprichwort (?) bei Otto (1890); Blänsdorf hat es als Frg. 33 aufgenommen. 177 Den Vers (aus dem Aiax des Ennius) hatte Varro schon in VI 6 gebraucht: dort, um iubar 'Morgenröte' zu belegen, hier geht es um das Verb cernō; er wird ihn VII 76 erneut wegen des Subst. iubar in poetischem Kontext zitieren. 178 Von diesem Canius (wenn richtig überliefert) ist sonst nichts bekannt. Cicero nennt einen C. Canius (De officiis III 14) und bezeichnet ihn als 'durchaus witzig und recht gebildet' (nec īnfacētus et satis litterātus). A. Spengel schlug Cassius vor, dann würde das Zitat in den Brutus passen, aus dem Varro in VI 7 und VII 72 zitiert. Metrisch-prosodisch liegt in der Versmitte ein Hiat (Aufeinandertreffen zweier Vokale an den Wortgrenzen) vor. 179 Cereō wäre – wenn es Verbum sein sollte – ein varronisches Rekonstrukt; ein Verbum * cerēre (?) ist ja nicht belegt. Doch fällt es aus dem Rahmen der üblichen varronischen Rekonstrukte (QuGr. 227 ff.) und lässt überdies keine evidente Verbindung zu creāre 'schöpfen' erkennen. Es liegt eher ein Überlieferungsfehler vor: Varro ließ sich ja kaum die Möglichkeit entgehen, cernere über das PPP crētus und dessen Homophonie mit dem (seltenen) PPP von crēscere, wachsen, auszunutzen. Vielmehr wird er – wie in etlichen Fällen – ein Nominalabstraktum verwendet haben: crētus,-ūs, was sowohl '(das) Sehen' als auch 'das Wachsen' bedeuten konnte. Das Abstraktum ist korrekt gebildet, war aber für die Kopisten nicht mehr durchschaubar und damit Kandidat für weitere Entstellungen. Das Problem wird in den Kommentaren umgangen, ein Verbum *cereō ist zu streichen. 180 Aus der Medea des Ennius (232 Joc. = F 93 Manuwald). 181 Aus den Annales des Ennius (421 V. = 408 Sk.); das vollständige (und wohl korrekte) Zitat steht bei Festus 446,5 L.: „Quos ubi rex Epulo spexit de cotibus celsis.“ Das Adj. antiquo dürfte in der Überlieferung aus der Verbindung * antico ūo (= uerbo) komprimiert worden sein, da das Subst. hier, für Varro ungewöhnlich, fehlt. Der Schreiber von F war mehrmals mit der Abkürzung von u(erb)a bzw. u(erb)o (in F*, d. h. im Schrifttyp der Beneventana) überfordert. 182 Regell 16. 183 Form und Funktion des specillum (wörtlich: 'Spiegelchen' < speculum 'Spiegel') sind nicht klar; es dürfte sich um ein kleines, metallenes Instrument gehandelt haben, auf dem Salben aufgetragen wurden, die man wohl vorher (mit diesem Spatel) aus einem Töpfchen entnahm. Flobert übersetzt es mit „sonde“, Kent mit „eye-spatula“ und de Melo gar mit „seeing-aid“ 'Seehilfe'. 184 Das überlieferte ab aucto hat Laetus zu ab aveo verändert, dem die Hrsgg. gefolgt sind. Dies wirft aber mehrere Probleme auf: die Dopplung von avēre (in aveō und avēmus), die Verwendung der 1. Person Präsens (statt des eher zu erwartenden Gerundiums avendō) und die Entstellung durch die Kopisten. Vermutlich liegt eine ähnliche Konstruktion wie bei cernere VI 81 vor, wo diese Ausgabe liest: „cernere a cretu“, d. h. es liegt ein Nomen actionis der u-Deklination vor, also ein Supinum, das von Varro hier neu gebildet worden war. Zu avēre ist zwar kein Supinum belegt, doch war – analog zu habēre 'haben' – für Varro ein * avitus,-ūs 'das Begehren' leicht bildbar; es passt auch gut zum folgenden Adj. avidus. Dass ein * avitu zu aucto entstellt wurde, liegt nahe. In avēmus discere semper klingt das Ende eines Hexameters nach, die Endstellung von semper spricht für eine (unbekannte) dichterische Quelle.

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        Anmerkungen

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        185 Aus dem Alexander des Ennius (= Paris), Sprecher ist Priamus (62 f. Joc. = F 15 Manuwald) oder Hecuba (Riganti 178). 186 Keinem Autor sicher zuweisbar: Pall. inc. 74 (nach Flobert). 187 Odor neben olor zeigt das sog. „sabinische l“: Leumann 155. 188 Vor Sic vermuteten A. Spengel und Vetter eine Lücke. In IX 30 thematisiert Varro ausdrücklich die fünf Sinne, eine Überleitung vom Hör- und Geruchs- zum Geschmackssinn liegt also nahe. F hat aus Sib- korrigiert; stand hier einmal sībilus 'Pfeifen' oder sībilāre? Varro bemühte sich offensichtlich, die fehlenden Verben rasch abzuarbeiten; der ganze Rest des VI. Buches spiegelt große Eile wider und ist nicht frei von Flüchtigkeit, die auf Varro selbst zurückgehen mag und nicht (nur?) auf die Unbilden der Überlieferung. 189 In V 25 bietet Varro eine Alternativetymologie: a) unde sūmī pote, d. h. aus pote 'möglich'; b) zu griech. πυτεός, das wiederum von pōtus 'Trinken'. Hier beschränkt er sich auf b), d. h. auf das (griech.) Verbum, dem Thema von Buch VI entsprechend. 190 Das ganze Kap. 85 passt inhaltlich nicht hierher und bricht am Ende auch ab, als wäre ein Papyrusfetzen nachträglich hier eingefügt worden. – Varro leitet also manipulus von * manūs plūrēs ab. Daher bietet sich eine winzige Textänderung zu maniplus an; diese Form (Adj. manuplāris bei Plautus) ist ohnehin die ältere (Leumann 394). 191 Hier ist ein größeres Stück ausgefallen: Es fehlen all jene Verben (bzw. die damit verbundenen Substantive), die gemäß Varros Einteilung in VI 77f. inhaltlich und sprachlich zu agere bzw. gerere zu stellen wären. Möglicherweise schließen sich die folgenden, breiten Partien mit Auszügen aus den Originaldokumenten an den Begriff des Fungierens der Offiziellen an, die unter gerere subsumierbar waren: ähnlich Flobert 161f. Jedenfalls kann Varros Bemerkung am Ende von Buch VI diese Lücke nicht geschlossen haben: VI 96: Sed quoniam in hoc de paucis rebus verba feci plura, de pluribus verba faciam pauca… 'Aber da ich hierbei über wenige Dinge viele Worte verloren habe, möchte ich über mehr Dinge nur wenige Worte verlieren'. Denkbar ist: Hier könnte bereits in der Papyrusphase des Texts ein Blatt ausgefallen sein, das Varro zur Endredaktion nachgeschoben hatte. 192 Die ganze Passage wirkt wie ein Fremdkörper im etymologischen Kontext; sie dient Varro dazu, den Begriff des inlicium ('Zusammenrufung des Volkes'; er wird erst in VI 94 erklärt) durch Entfaltung der realen Prozeduren innerhalb Roms vorzubereiten und den Aktionsbereich des accēnsus ('Amtsdiener/Adjutant' bzw. 'Beigezählter') zu erläutern, der in VI 88f. im Zentrum steht. Varro ist dabei seinen historisch-antiquarischen Interessen gefolgt, d. h. über die römische Welt von einst zu schreiben und zu dokumentieren, denn die Hauptakteure in VI 87, die cēnsōrēs, waren von Cäsar in ihrer (moralischen) Kompetenz beschnitten worden. Die Censoriae Tabulae hielten das Prozedere am Ende des Census fest, d. h. der Volkszählung und Vermögensschätzung der römischen Bürger. NP 2, 1056f. (s. v. Censores). Näher dazu Flobert 16 ff. und Berthelet (2017). 193 Das Lustrum war die zeremonielle Reinigung, die nach Abschluss des Census durchgeführt wurde. Das Ritual ist archaisch und diente der Reinigung des Bürgerheers (populus), das zu diesem Zweck auf dem Campus Martius zusammengerufen wurde (NP 7, 522f.).

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        Liber VI

        194 Varro spielte wohl mit einer Form acce͂sus mit nasaliertem n, neben accītus 'herbeigeholt'. In VII 58 bringt er die (richtige) Et. für accēnsus aus dem Kommentar Catos: von ad + cēnsēre. 195 CRF Ribbeck II p. 35; Frg. 2 Leo / Aragosti; der Vers könnte Teil eines Monologs sein. Gellius III 3,5 überliefert ein 9 Verse umfassendes Stück aus dieser Komödie und diskutiert die Frage, wer der Autor der Boeotia sei, mit Bezug auf Varro: Dieser habe es dem Plautus zugeschrieben; Varros Urteil schließt sich Gellius an, daher ist die Ergänzung von Riese im Grunde plausibel. 196 Der Verfasser auch einer Terenzbiographie: GRF p. 109f. Funaioli. S. auch zu VI 36. Die sonst nicht bezeugten āctiōnēs dürften eine Abhandlung über das römische Prozessrecht gewesen sein (āctiō 'Prozess'). 197 Der Quästor Manius Sergius (sein Pränomen ist mit L. Sp. wegen des Vaterpränomens so aufzulösen) ist sonst nicht bekannt, ebenso nicht der Angeklagte Titus Quinctius Trogus, wenn die Namen nicht fiktiv sind (Flobert 167). 198 Darauf bezieht Flobert 169 das hic (magistrātus). 199 Der interrēx 'Zwischenkönig' wurde von den patrizischen Senatoren bestimmt: Wenn die Konsuln ausfielen, musste er die Ersatzwahlen mit den dazugehörigen Auspizien durchführen; noch im Jahre 43, dem Geburtsjahr Ovids (Tristia IV 10, 6), als beide Konsuln im Bürgerkrieg gefallen waren, wurde an die Einsetzung eines Interrex gedacht: NP 5, 1043f. 200 In-licere aus in + lacere 'locken'; Varro führt inlicium darauf zurück, als 'Anlocken'. Der Umstand, dass er sich solche Mühe gibt, inlicium (oder illicium) zu erklären, lässt vermuten: Es gab eine gegenteilige Auffassung, vielleicht eine Volksetymologie, die inlicium als eine Zusammenrückung von in + līcium auffasste: līcium ist ein t. t. der Weberei: 'Webfaden', d. h. die Fäden des alten Gewebes, das mit dem neuen verbunden wird, was dann als 'Band' oder allgemein 'Gewebe' verstanden worden sein könnte (Mommsen [1883] 398f.; vgl. de Melo 891). Dieser Deutung stellt Varro seine eigene, aus Recherchen gewonnene, entgegen. So ist auch die Emphase zu Beginn des Kapitels erklärbar: „Quārē nōn est dubium, quīn…“ 201 Der „Chor der Proserpina“ ist keinem Autor sicher zuweisbar: Flobert 170; Ribbeck denkt an einen sakralen Hymnus, näher dazu Riganti 190. Von der Hermiona des Pacuvius (im Mythos die Tochter des Menelaos) sind zwei Dutzend Fragmente überliefert; hier: Hermiona 191 f. Artigas = Frg. 119 Schierl. Als Sprecher wird Orestes angenommen, der dem Rivalen Neoptolemos unterstellen könnte, aus Machtgier auf der Vermählung mit Hermione zu bestehen (Schierl 289). S. auch zu V 7. 202 Der Altar des Iupiter Elicius war von König Numa Pompilius gestiftet worden (Livius I 20 7). 203 Inhaltlich gehört der Passus von „hoc nun aliter fit atque olim“ bis „neque item dicta semper.“ an den Anfang von Kap. 94 und ist vielleicht durch Verschiebung eines herausgefallenen bzw. -gebrochenen Blattes (noch in der Papyrusphase?) hierher geraten. 204 Varros knapper Hinweis auf die Gemeinsamkeit zwischen E und I bzw. C und G verrät zweierlei: a) Er kennt sie aus der Flexion, wo sich z. B. bei col-lig-ere 'sammeln' und dem PPP col-lēc-tus die Paare e:i und g:c quasi gegenüberstehen, also aus einer synchronen Alternanz des klass. Lateinischen; b) die (konjzierte)

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        Anmerkungen

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        Schreibung < inlegium > für inlicium, die er bei M. Iunius vorfand, muss statt des c ein g enthalten haben und thematisierte wohl die Gesetzlosigkeit eines Verführers, der gleichzeitig ein il-lek-s 'Anlocker' und ein in-lēg-s 'Gesetzloser' war; der lat. Nominativ il-lex (ohne Kennzeichnung der Vokallänge) ließ als solcher aber die passende Bedeutung nicht erkennen. 205 An eine historische Sprachverwandtschaft zwischen dem Griechischen und Lateinischen denkt Varro nicht. Hier denkt seine Quelle (putant) wohl an Entlehnungen des Griechischen aus dem Lateinischen; ab der Mitte des Kapitels nimmt Varro hingegen eine umgekehrte Entlehnung des Lat. aus dem Griechischen an (ab eō quod illī etc.), ähnlich jener wie schon in Kap. VI 2. 206 In diesem letzten Kapitel des VI. Buches nimmt Varro den Faden wieder auf, den er zu Beginn des V. Buches entrollt hatte (V 1): Der Leser von Buch V 1 weiß, dass mit dem Angesprochenen Cicero gemeint ist: Er ist der Adressat zumindest dieser drei etymologischen Bücher. In den Proömien der morphologischen Bücher VIII und X über den Komplex von Analogie und Anomalie hingegen erscheint er nicht, der Beginn von IX ist verloren.

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        Liber Septimus < M. TERENTI VARRONIS DE LINGUA LATINA. LIBER VI EXPLICIT · INCIPIT LIBER VII.1> 1 … repens ruina 2 operuit 3 , ut verbum quod conditum est, e quibus litteris oportet, inde post – aliqua dempta – sic4 obscurior5 fit voluntas impositoris.6 Non reprehendendum igitur in illis, qui in scrutando verbo litteram adiciunt aut demunt, quo7 facilius, quid sub ea voce subsit, viderei8 possit. Ut9 enim facilius obscuram operam yrmecidis10 ex ebore oculi videant, extrinsecus admovent nigras setas. 2 Cum haec amminicula addas ad eruendam11 voluntatem impositoris, tamen latent multa. Quod si poetice12 in carminibus servavit, multa prisca quae essent, sic etiam, cur essent, posuisset13, fecundius14 poemata ferrent fructum. Sed ut in soluta oratione, sic in poematis verba15 < non >16 omnia, quae habent17 ἔτυμα, possunt dici, neque multa ab eo, quem [non]18 erunt in lucubratione litterae prosecutae, multum licet legeret19. Aelii,20 hominis in primo in litteris Latinis exercitati, interpretationem Carminum Saliorum videbis et exili littera expedita21 et praeterita[m] 22 obscura multa. 1 HIC DEEST IN EXEMPLARI FOLIVM I IN QVO EST PRINCIPIVM LIBRI VII add. F in margine, vacantibus 21 lineis in pagina sinistra. Superscriptionem add. edd. 2 ruina F, Vall., Fv; < Nam > repens ruina Turn. 3 aperuit : Turn. 4 sit : Turn.; post - < si >… sit - Canal. 5 obscurius: Vict., Ald. 6 inposterioris : Aug. 7 quid F: Turn. 8 videre: videre possint Canal; videri possit L. Sp.; scripsi. 9 et: prop. Vict. 10 oscuram operam yrmicedum: Aug. (Myrmicedum Bent., Myrmecidis Ald.). 11 eruendam F, Vall.; eruendum Kent, Flo. 12 poetice < quae > L. Sp. 13 posuissent: Vict. 14 secundius: Vall. (Lae.) 15 verba / omnia F, verbo / omnia Vall. 16 Add. Mue.; < neque > verba Canal. 17 haberent: Vall. (Lae.) 18 non transposui et scripsi. 19 legeret F, legerit Sciop. 20 Helii: Ed. Veneta. 21 expedita vel expeditao F: Vict.; expedita Vall. (Lae). 22 praeteritam - obscuram F: Vict.; obscura Vall. (Lae.).

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        Siebtes Buch M. TERENTIUS VARRO, LATEIN. ENDE DES VI. BUCHES, ANFANG DES VII. BUCHES 1 < Sinngemäß: Die Wörter des allgemeinen Sprachgebrauchs für die Örtlichkeiten und die Zeiten habe ich in den beiden vorangegangenen Büchern erklärt. In diesem möchte ich über die dichterischen Wörter sprechen. Das ist aber schwierig: Denn oft hat ja die ursprüngliche Form und Gestaltung eines Hauses > ein jäher Einsturz verschüttet: Wie bei einem Wort, das aus den richtigen Buchstaben gebildet ist: nimmt man aber einen davon weg, so wird später verdunkelt, was der Sprachschöpfer gewollt hat.1 Daher darf man bei diesen Dingen diejenigen nicht kritisieren, die bei der Untersuchung eines Wortes einen Buchstaben hinzufügen oder wegnehmen, damit man leichter ersehen kann, was dieser Lautform (vōx) zugrundeliegt. Denn man nimmt ja auch von außen schwarze Fäden zu Hilfe, um leichter die Elfenbeinarbeit eines Myrmecides2 sehen zu können, die mit Augen schwer zu durchschauen ist. 2 Selbst wenn du diese Hilfsmittel hinzunimmst, um den Willen des Sprach­ schöpfers zu eruieren, bleibt vieles im Dunklen3. Wenn nun die Dichtkunst in den Gedichten viele alte Wörter bewahrt hat, so nun auch niedergelegt hätte, warum sie so heißen, dann brächten die Gedichte in reicherem Maße Frucht.4 Aber wie in der Prosa, so lassen sich auch in den Gedichten nicht alle Etyma der Wörter sagen; und auch wenn einen bei der Nachtarbeit die Wissenschaft (die Buchstaben) verfolgt, kann man nicht viele (sc. Etyma) sagen, selbst wenn man noch so viel lesen würde. Aelius5, ein Mensch, der in der lateinischen Literatur ausgezeichnet versiert war, hat die Interpretation der Carmina Saliorum, der Salierlieder, ganz detailliert ausgeführt – und dennoch musste er vieles Unklare übergehen, wie du sehen kannst.6

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        Liber VII

        3 Nec mirum, cum non modo Epimenides 1 < ὁ σ>οφός 2 post annos L experrectus a multis non cognoscatur, sed etiam Teucer Livii post XV annos ab suis, qui sit, ignoretur. At3 hoc quid ad verborum poeticorum aetatem? Quorum si Pompili regnum fons in Carminibus Saliorum neque ea ab superioribus accepta, tamen habent DCC annos. Quare cur scriptoris industriam reprehendas, qui herois tritavum, atavum non potuerit reperire, cum ipse tui4 tritavi matrem dicere non possis? Quod intervallum multo tanto5 propius nos, quam hinc ad initium Saliorum, quo Romanorum prima verba poetica dicunt Latina6? 4 Igitur de originibus verborum qui multa dixerit commode, potius boni consulendum, quam qui aliquid nequierit, reprehendendum, praesertim quom dicat ἐτυμολογική 7 non omnium verborum posse dici causa 8, ut qui a9 quare res valeat < quae>que10 ad medendum medicina; neque, si non norim radices arboris, non posse me dicere pirum esse ex ramo, ramum ex arbore, eam ex radicibus, quas non video. Quare: qui ostendit equitatum esse ab equitibus, equites ab equite, equitem ab equo neque equus unde sit, dicit, tamen hic docet plura et satis faciat grato, quem imitari possimusne ipse liber erit indicio. 5 Dicam in hoc11 libro de verbis, quae a poetis sunt posita: Primum de locis, dein12, quae in locis sunt. Tertio de temporibus, tum, quae cum temporibus sunt coniuncta: sed ita13, ut que cum his sint coniuncta, adiungam; et si quid excidit14 ex hac quadripertitione, tamen in ea ut comprehendam.

        1 Epamenidis : Aug. 2 opôs (sic!) F, om. Vall., somno Turn., sopore prop. GS.: Vetter. 3 at : Vict. 4 tui: avi Canal. 5 tanto del. Aug. 6 Sic F, Vall.; dicunt lata Mue., prolata lingua Latina Vetter; dicunt inlata Canal, dicunt elata Flo. 7 ethimologice F, ethymolegice Vall.: scripsi. 8 Add. L. Sp. 9 quit: Ellis. 10 valeat que in rasura, sed vix legibile F, lac. ca. 10 litt. Vall.; valeat legit Flo.; scripsi. 11 hoc F, Fv, isto Vall. 12 < de his > Vall. 13 di s F, lac. ca. 5 litt. Vall.: Mue. 14 excidit F, an: exciderit?

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        3 Kein Wunder: Wird doch auch nicht nur Epimenides, der Weise, der nach 50 Jahren erwacht ist, von vielen nicht mehr erkannt7; sondern auch beim Teucer des Livius8 wissen nach 15 Jahren seine Angehörigen nicht mehr, wer er ist. Was bedeutet das aber für das Alter der poetischen Wörter? Wenn deren Quelle die Königszeit von (Numa) Pompilius9 bei den Salierliedern war und diese nicht von noch Früheren übernommen wurden, sind sie dennoch 700 Jahre alt. Warum solltest du daher den Fleiß eines Autors kritisieren, der zwar den Urgroßvater eines Heroen herausfinden konnte, nicht aber dessen Urururgroßvater, während man selber die Mutter des eigenen Urgroßvaters nicht angeben kann? Dieser Zeitraum liegt doch so viel näher bei uns, als es von hier zur Anfangszeit der Salier ist, wo man die ersten dichterischen Wörter auf Latein sprach?10 4 Wenn einer daher über die Ursprünge der Wörter vieles passend sagt, muss man damit eher zufrieden sein, als den zu kritisieren, der etwas nicht schafft: Denn die etymologische Wissenschaft verspricht ja nicht, dass sich der Grund für jedes Wort angeben lasse, so wie es auch die Medizin nicht sagen kann, auf welche Weise und weshalb alles zur Heilung beiträgt; und wenn ich die Wurzeln eines Baumes nicht kennen sollte, dürfe ich deshalb nicht sagen können, dass die Birne vom Zweig kommt, der Zweig vom Baum, der wieder von Wurzeln, die ich nicht sehe.11 Wer daher zeigt, dass equitātus, Reitertruppe, von equitēs, Reitern, kommt, die Reiter, equitēs, von éinem Reiter, eques, der Reiter von equus, Pferd, ohne zu sagen, woher equus, Pferd, kommt12: Der erklärt dennoch mehr Wörter und wird wohl für einen dankbaren Menschen genügend leisten. Ob wir jenen nachahmen können oder nicht, soll dieses Buch selbst zeigen. 5 Ich möchte in diesem Buch über die Wörter sprechen, die von den Dichtern verwendet worden sind:13 Erstens bezüglich der Örtlichkeiten, zweitens zu dem, was sich in den Örtlichkeiten befindet. Drittens bezüglich der Zeiten, dann zu dem, was mit den Zeiten verbunden ist14: aber so, dass ich das noch anschließe, was mit diesen Teilen verbunden ist; und – wenn aus dieser Vierteilung etwas herausfällt – doch so, dass ich es in sie mit aufnehme.

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        Liber VII

        6 Incipiam hinc: „Unus erit, quem tu tolles in cerula caeli templa.” Templum tribus modis dicitur: Ab natura, ab auspicando1, a similitudine. 2 natura in caelo, ab auspiciis in terra, a similitudine sub terra. In caelo teplum dicitur, ut in ecuba3: „O magna templa caelitum4, commixta stellis splendidis!” In terra, ut in Periboea: „Scrupea saxea5 Bachi 6/ templa prope aggreditur.” Sub terra, ut in Andromacha: „Acherusia templa alta Orci, salvete, infera!” 7 Quaqua7 intuiti erant8 oculi, a tuendo primo templum9 dictum. Quocirca caelum, qua attuimur, dictum templum; sic: „Contremuit templum Iovis altitonantis”, id est, ut ait Nevius, „emisphaerium10 ubi concha caerula11 septum stat.” Eius templi partes quattuor dicuntur: sinistra ab oriente, dextra ab occasu, antica ad meridiem, postica ad septemtrionem. 8 In terris dictum templum locus augurii aut auspicii causa quibusdam conceptis verbis finitus. Concipitur verbis non isdem12 usque quaque. In Arce sic: 1 auspicendo : Groth. 2 ab add. prop. L. Sp. 3 Vall. (Lae.). 4 cȩli · tum : Sciop. 5 saxea < saxa F. 6 Bachi : Aug. 7 quaquia : Aug. 8 initium erat : Sciop. 9 Scripsi. 10 hiemisferium : Turn. 11 concacherulo: Turn. 12 hisdem : isdem Vall., Mue.

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        6 Anfangen möchte ich mit dieser Stelle:



        „Einen wird es geben, den du erheben wirst in des Himmels blaue Gefilde (templa).“15

        Templum wird auf dreierlei Art gesagt: Von der Natur, von der Vogelschau und von seiner Ähnlichkeit. Von der Natur am Himmel, von der Vogelschau auf der Erde und von seiner Ähnlichkeit unter der Erde. Am Himmel spricht man von templum, Gefilde, wie in der Hecuba: „O weite Gefilde (templa) der Himmlischen, vermischt mit glänzenden Sternen!“16 Auf der Erde, wie in der Periboea: „Dem schroffen, felsigen Bezirk (templa) des Bacchus nähert er sich.“17 Unter der Erde, wie in der Andromacha: „Des Acherons tiefe Gefilde des Orcus, Unterwelt, seid gegrüßt!“18 7 Alles, was die Augen erblickt hatten, in-tuitī, wurde vom Erblicken, tuērī, anfänglich tuemplum, Blickfeld, genannt.19 Daher wurde der Himmel, wohin wir sehen, at-tuimur, templum, Gefilde, genannt, wie in: „Es erbebte das Gefilde des in der Höhe donnernden Jupiter“,20 das ist, wie Naevius sagt, „wo die Halbkugel steht, von blauer Höhlung eingehegt.“21 Bei diesem templum, Bereich, spricht man von vier Teilen: dem linken im Osten, dem rechten im Westen, dem vorderen gen Süden, dem rückwärtigen gen Norden.22 8 Auf der Erde heißt templum der Platz, der für Wahrzeichendeutung und Vogelschau mit bestimmten, festgelegten Worten begrenzt ist. Er wird nicht überall mit den gleichen Worten festgelegt. Auf der Arx folgendermaßen23:

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        Liber VII

        „Tem tescaque1 metta2 sunto, quo/ad ego easte3 lingua[m]4 nuncupavero: Ollaber5 arbos,6 quirquir est, quod7 me sentio dixisse, templum / tescumque m esto8 in sinistrum. Ollaner arbos,9 quirquir est, quod10 me sentio dixisse, teplum tescum/que m esto11 < in >12 dextrum. Inter ea conregione13, conspicione, cortumione14 utique eae15 rectissime / sensi.”



        9 In hoc templo faciundo arbores constitui fines apparet, et intra eas regiones, qua oculi conspiciant, id est tueamur, a quo templum dictum, et contemplare, ut apud Ennium in „Medea“: „Contempla et templum Cereris ad levam aspice.” „Contempla” et „conspicare” id16 esse apparet, < et >17 ideo dicere tum, quom teplum18 facit, augurem „conspicione“, qua oculorum conspectum finiat. Quod cum dicunt „conspicionem“, addunt „cortumionem”, dicitur a cordis visu: cor enim cortumionis origo. 10 Quod addit templa ut sit19 „tesca”20, aiunt sancta esse, qui glossas scripserunt. Id est falsum: Nam Curia Hostilia templum est et sanctum non est. Sed hoc, ut putarent, aedem sacram esse templum, est21 factum, quod in urbe Roma pleraeque aedes sacrae sunt templa, eadem sancta, et quod loca quaedam agrestia, quod alicuius dei sunt, dicuntur22 „tesca”. 1 item testaque : Turn.; -que del. de Melo. 2 meIta : Vetter, cf. Liv. I 10, 6. 3 eas te : Otto Regenbogen. 4 linquam : Vict. 5 ullaber : Norden. 6 arbos < arbor F. 7 quam: Norden. 8 tectumquem festo : Turn., m sunto Pavone. 9 arbos < arbor F. 10 quod F (quam Mue.). 11 tectumquem festo : Turn. (tēplūtectū / quē Vall.). 12 Add. Lae. 13 conregione < conrectione F. 14 < templa tescaque sunto > add. Pavone. 15 eaerectissime F, ea rectissime Vall.: eae Vetter; scripsi. 16 Add. Bent. 17 Add. L. Sp. 18 cum / conteplum F, cū cōtēplūm Vall.: Scripsi. 19 Add. Lae. 20 dextra: Turn. 21 esse: Flo. 22 dicentur: Bent.

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        „Beobachtungsbezirke (templa) und -felder (tesca) sollen so weit abgesteckt sein, wie ich diese (sc. Bäume) da mit meiner Zunge benenne:24 Jener Baum rechts, wo immer er ist, insoweit ich mir bewusst bin, ihn benannt zu haben 25, soll im linken Viertel von mir aus Beobachtungsbezirk und -areal sein.26 Jener Baum links, wo immer er ist, insoweit ich mir bewusst bin, ihn benannt zu haben, soll im rechten Viertel von mir aus Beobachtungsbezirk und -areal sein. Dazwischen (sc. zwischen den genannten Bäumen) habe ich ganz sicher aus der Bestimmung der Richtung, dem Überblick und dem Geländeausschnitt dieses völlig richtig wahrgenommen.“27 9 Es ist klar, dass bei der Schaffung dieses Bezirks Bäume als Grenzen bestimmt werden und zwischen diesen wiederum Bereiche, wohin die Augen sehen, das heißt, wir schauen, tueāmur, wovon templum benannt ist und contemplāre, sich umschauen, wie bei Ennius in der Medea: „Schau dich um und erblicke links den Tempel der Ceres!“28 „Contempla!“ und „Cōnspicāre!“ bedeutet ja das Gleiche29; und darum sagt ja der Augur, wenn er den Beobachtungsbezirk festlegt, cōnspiciōne, durch Überblick, um den Gesichtskreis der Augen zu begrenzen. Nun fügen sie aber – wenn sie cōnspiciō, Überblick, sagen – cortumiō hinzu: Dieses Wort kommt vom Sehen mit dem Herzen, cordis vīsū: Denn cōr, Herz, ist der Ursprung von (sc. dem Wort) cortumiō.30 10 Der Augur fügt aber hinzu, dass die Beobachtungsbezirke tesca sein sollen, freies Feld: Die Verfasser von Glossen31 haben dazu geschrieben, diese seien geweiht, sancta. Das ist aber falsch: Denn die Cūria Hostīlia ist ein templum, Bezirk; geweiht ist sie nicht. Aber dass sie (sc. die Verfasser dieser Glossen) meinen, ein Gotteshaus sei ein templum, das kommt daher: In der Stadt Rom sind die meisten Gotteshäuser templa, Tempel, und auch geweiht, sancta; zudem heißen einige Gelände auf dem Land, weil sie zu irgendeinem Gott gehören, tesca (freies Feld).

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        11 Nam apud Accium in1 Philocteta2 Lemnio: „Quis tu es mortalis, qui in deserta et tesca te apportes3 loca?” Enim loca quae sint, designat, cum dicit: „Lemnia presto litora rara4 et celsa Cabirum delubra tenes5, mysteria6 quae pristina castis7 concepta sacris.” Dein: „Volcania8 < iam >9 templa sub ipsis10 collibus, in quos delatus locos dicitur alto ab limine11 caeli”, et: „nemus expirante vapore vides,12 unde ignis13 clauet14 mortalibus divisus15!” Quare hec quo16 tesca dixit, non erravit, neque ideo, quod sancta; sed quod ubi mysteria fiunt, attuentur17, tuesca dicta. 12 Tueri duo significat, unum ab aspectu, ut dixi, unde est Enni illud: „Tueor te, senex? Pro Iupiter”, et „Quis, pater aut cognatus, volet vos18 contra tueri?” Alterum a curando ac tutela, ut cum dicimus: „Bell t tuere19 villam!” A quo etiam quidam dicunt illum, qui curat aedes sacras, edituum, non aeditumum.20 1 ut : Lae. 2 philocao etatem F, phylocto ętatem Vall.: Diac. 3 appones : Ald. 4 prestolitor/ararat : Aug. 5 teues F, tenes Vall. (Lae.). 6 misteria : Ald. 7 castris : Ald. 8 uolgania : Volcania edd., Volkania scripserim. 9 Add. Ribbeck. 10 ipsis : Vetter. 11 lumine : Aug. 12 vides F, vide Vall. 13 ignes : Vertr. 14 clavet : Vetter, sec. Vict. 15 divisus < divis F. 16 Add. A. Sp. 17 aut tuentur : Mue. 18 nos: Aug. 19 bell et tueri (sic) F, lac. 3-5 litt. Vall., vellet Ellis: Belle, tuere! Vetter,

        uell et tueri villam Pavone (1998). Scripsi. 20 aeditomum : Ald.

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        11 Denn bei Accius im Philocteta Lemnius (Philoktetes auf Lemnos)32 heißt es: „Wer bist du, Mensch, dass du dich in verlassene und tesca, unwirtliche, Orte begibst?“ Denn um welche Orte es sich handelt, bedeutet er, wenn er sagt: „Hier hast vor Augen du von Lemnos die unbewohnten Gestade und in der Höhe der Kabiren Heiligtümer, alte Mysterien, für reine Opfer geschaffen.“ Dann: „Auch die Bezirke des Volkanus unterhalb seiner Hügel selbst, auf die er, sagt man, von des Himmels hoher Schwellʼ geworfen ward“, und: „den Hain, wo Dampf ausatmet, siehst du, von wo, so heißt es, heimlich für die Sterblichen das Feuer ward entwendet!“33 Wenn er diese Gefilde tesca nannte, machte er keinen Fehler, auch nicht, weil sie heilig sind; aber sie wurden tuesca genannt, weil man auf den Ort, wo Mysterien vollzogen werden, genau schaut, at-tuentur.34 12 Tuērī hat zwei Bedeutungen: Eine vom Anschauen, wie gesagt, daher jene Stelle bei Ennius: „Sehe ich dich, Alter (tueor)? Beim Jupiter!“,35 und: „Wer, Vater oder Verwandter, wird euch ins Gesicht sehen wollen (tuērī)?“36 Die andere kommt vom Sorgen und dem Schutz, tutēla, wie wenn wir sagen: „Schau du ja schön (tuēre) auf das Haus!“37 Daher sagen manche zu dem Tempelaufseher, der sich um einen Tempel kümmert, aedituus, nicht aeditumus.

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        Sed tamen hoc ipsum ab eadem est profectum origine: quod quem volumus domum curare dicimus: „Tu domi videbis!”, ut Plautus, cum ait: „Intus para, cura, vide, quod opus,1 fiat!” Sic dicta vestisca2, quae vestem spiceret, id est videret vestem ac tueretur. Quare a tuendo et templa3 et tesca dicta cum discrimine eo, quod dixi. 13 Etiam indidem illud Enni4: „Extemplo acceptum5 me necato6 et filium!” Extemplo enim est continuo, quod omne templum7 esse debet continuo 8 septum nec plus unum introitum habere. 14 Quod est apud Accium: „Pervade polum, splendida mundi sidera bis qui9 continui sex10 sepit11 spatiis12”: Polus Grecum, id significat circum caeli;. Quare, quod est „pervade polum”, valet13 „vade περὶ πόλον “14. Signa dicuntur eadem et sidera. Signa, quod aliquid significent, ut Libra Aequinoctium. Sidera, quia < qua>si 15 insidunt; atque ita significant aliquid in terris perurendo aliave qua re,16 ut signum candens in pecore. 15 Quod est „terrarum anfracta revisam17“: anfractum est flexum, ab origine duplici dictum: ab ambitu et frangendo. Ab eo leges iubent in directo pedum VIII < viam >18 esse, in anfracto XVI, id est in flexu. 1 opus F, opust codd. Plautini (Menaechmi 352). 2 vestisca : Ald. 3 et templa : in rasura, vix legibile, F; lac. ca. 8 litt. Vall. 4 enim : Mue. 5 acceptum < ateptum F. 6 negato F, necato < negato Vall.; Scal. 7 teplum F : Vall. 8 contio < contiū, ut videtur; conseptum Vall., Scal.: Sciop. 9 bigis F, bimis Bothe, binis Popma: Nosarti (1974). 10 continui se : Scal. 11 se cepit, F, Vall.: Nosarti. 12 spoliis: Flo. 13 valde : Vict. 14 peripolum: Mue. 15 quȩ si F; quę s Vall., quae quasi edd.; scripsi. 16 aliudve. Quare : A. Sp. 17 anfractare visum : Aug. 18 Add. GS post esse: post VIII transposui cum de Melo.

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        Dennoch aber hat dies (sc. die Bedeutung von 'Sehen' und 'Aufpassen') den gleichen Ursprung: Denn wenn wir wollen, dass sich einer um das Haus kümmert, sagen wir: „Du sollst im Haus nach dem Rechten sehen!“, wie wenn Plautus sagt: „Du schaffʼ und sorgʼim Inneren; schau, dass das Nötige gemacht wird!“38 So heißt die vestispica, Gewandschauerin, weil sie auf das Gewand schauen soll, vestem spiceret, das heißt nach dem Gewand, vestis, sehen und darauf schauen soll, tuērētur. Daher sind die templa, Gefilde, und tesca, freies Land, von tuērī, benannt mit dem besagten Unterschied. 13 Genau daher kommt auch jenes Enniuswort: „Augenblicklich sollst du meinetwegen mich und meinen Sohn töten!“39 Extemplō, augenblicklich, bedeutet nämlich 'ohne Unterbrechung', weil jeder sakrale Bezirk, templum, durchgehend, continuō, umhegt sein muss und nur einen einzigen Zugang haben darf. 14 Bei Accius steht: „Umschreite den Pol, der die glänzenden Gestirne der Welt mit zweimal sechs zusammenhängenden Zeichen umzäunt hat!“40 Polus, Pol, ist griechisch; das bezeichnet den Himmelskreis. Pervade polum bedeutet daher „Schreite περὶ πόλον (um den Pol)!“ Signa, Sternzeichen, werden ebenso wie sīdera, Gestirne, genannt. Signa, Zeichen (sc. heißen sie), weil sie etwas bezeichnen sollen, signi-ficent, wie die Waage die Tag- und Nachtgleiche. Sīdera, Gestirne (sc. heißen so), weil sie sich gewissermaßen (sc. auf den Himmel) daraufsetzen, īn-sīdunt; und so bezeichnen sie auf Erden irgendetwas durch Erhitzen oder irgendein anderes Mittel, wie ein Brandzeichen, signum candēns, auf dem Vieh. 15 Es heißt nun auch: „Der Länder Krümmungen (ānfrācta) werde ich wieder sehen“:41 Ānfrāctum, Krümmung/Biegung, bedeutet 'gebogen', es kommt von zwei Ursprüngen: vom ambe, Herum-Gehen, und frangere, Brechen. 42 Daher schreiben die Gesetze vor: Geradeaus soll der Weg 8 Fuß breit sein, im ānfrāctus (d. i. in der Kurve) 16 Fuß.43

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        16 Ennius: „Ut tibi Titanis Trivia dederit stirpem liberum.“ Titanis Trivia Diana est. Ab eo dicta Trivia, quod in trivio ponitur fere in oppidis Grecis, vel quod luna dicitur esse, quae in caelo tribus viis movetur: in altitudinem et latitudinem et longitudinem. Titanis dicta, quod eam genuit, – ut, ni:1 Plautus ! – , Lato. Ea,2 ut scribit Manilius: „Est Coe3 creata Titano.” Ut idem scribit: „Latona” parit4 “casta complexu Iovis5 Deliadás6 geminos”, id est Apollinem et Dianam; Dli quod7 Titanis, Deliadae.8 Eadem9< +++ > 17 „O sancte Apollo, qui umbilicum certum terrarum optines!” Umbilicum dictum aiunt ab umbilico nostro, quod is medius locus sit terrarum, ut umbilicus in nobis. Quod utrumque est falsum: Neque hic locus est terrarum medius neque noster umbilicus est hominis medius. Igitur pingitur quae10 vocatur χθων Πυθαγόρα11, ut media caeli ac terrae linea ducatur infra umbilicum per id, quo discernitur, homo mas an femina sit, ubi ortus humanus similis12 ut in mundo13. Ibi14 enim omnia nascuntur in medio, quod terra mundi media. Preterea, si quod medium, id est umbilicus, in pila15 terrae: non Delphi medium, et terrae medium non hoc, sed quod vocant Delphis in aede ad latus16 est quiddam ut thesauri specie, quod Graeci vocant ὀμφαλόν17, quem Πύθωνος18 aiunt esse tumulum19. Ab eo nostri interpretes ὀμφαλόν umbilicum dixerunt. 1 Del. Sp. 2 Lato˙ea (sic!) F, Latona Ald. Scripsi. 3 coecreata F, coecrata Vall.: Mue. 4 parit F, pariit Scal., pariet Neue. 5 Iobis: Lae. 6 delia dōs F, deliadeos: Lachmann, cum accentu scripsi. 7 dii quōd F: Deli quod ibi nati prop. A. Sp.; scripsi. 8 deliadae eadem F; edidit. Eidem Flo.; scripsi. 9 eadem F, eidem A. Sp. 10 qui: Mue. 11 IXTON pytagora: add. G. Hermann sec. Turn. 12 similis < situlis F. 13 ubi - mundo iteratum in F, corr. edd. 14 ubi : Aug. 15 ut pila F : Pavone (2003). 16 allatus : Turn. 17 OMΦAΛON F, Vall.; quem - interpretes om. Vall. (Lae.). 18 pithonos : Flo. 19 tumulos : Lobeck, Mue.

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        16 Ennius: „Sobald dir die Titanentochter Trivia einen Stamm von Kindern gebiert.“44 Tītānis Trivia ist Diana. Trivia heißt sie daher, weil sie gerne an einer Wegkreuzung, trivium, in griechischen Städten verehrt wird,45 oder weil sie auch der Mond sein soll, der sich am Himmel auf dreierlei Wegen, tribus viīs, bewegt: in Höhe, Breite und Länge. Tītānis, Titanentochter, wurde sie benannt, weil – wie, ja: Plautus! sie nennt – Lātō sie geboren hat. Diese, wie Manilius46 schreibt, „wurde vom Titanen Koios gezeugt.“ Wie er wiederum schreibt, gebiert „Latona keusch durch Jupiters Umarmung die Deliadischen Zwillinge“, nämlich Apollo und Diana; Dēliadae, Deliaden, heißen sie, weil sie Titanis auf Dēlos (sc. gebiert).47 Genauso (sc. gehört hierher das Zitat):48 < +++ > 17 „Heilʼger Apoll, der du den unfehlbaren Nabel (umbilīcum) der Welt beherrschst!“49 Umbilīcus, Nabel, so sagt man, sei von unserem Nabel benannt: Denn dieser Ort (Delphi) sei der Nabel der Welt wie der Nabel bei uns. Beides ist falsch: Weder ist dieser Ort der Mittelpunkt der Welt noch ist unser Nabel die Mitte des Menschen.50 Daher wird die sogenannte ἀντίχθων Πυθαγόρα, die Gegenerde des Pythagoras, so gezeichnet51: Mitten zwischen Himmel und Erde wird eine Linie unterhalb des Nabels durch den Punkt gezogen, wo sich unterscheidet, ob ein Mensch Mann oder Frau ist, wo also die Entstehung des Menschen ähnlich ist wie bei der Welt. Dort entsteht nämlich alles in der Mitte, weil die Erde die Mitte der Welt ist. Außerdem: Wenn etwas in der Mitte der Erdkugel ist, das heißt, der umbilīcus, Nabel, ist52: Dann ist nicht Delphi die Mitte, und die Mitte der Erde ist nicht jener Ort, sondern man nennt so ein Ding, das in Delphi auf der Seite im Tempel liegt, äußerlich wie ein Schatz;53 das nennen die Griechen ὀμφαλός, Nabel, der – wie man sagt – Grabhügel des Python sei. Davon haben unsere Interpreten den ὀμφαλός umbilīcus, Nabel, benannt.

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        18 Pacuvius: „Calydonia1, altrix terra exuperantum virum.” Ut ager Tusculanus, sic Calydonius ager est, non terra; sed lege poetica, quod terra etolia2, in qua Calydon, a parte totam accipi Aetoliam voluit. 19 Acci: „Mystica ad dextram vada praetervecti.” Mystica3 a mysteriis, quae ibi in propinquis locis4 nobilia fiunt. Enni: „Areopagitae quia5 dedere quam6 pilam.” Areopagitae ab Areopago; is locus7 Athenis. 20 „Musae, quae pedibus magnum pulsatis Olympum.” Caelum dicunt Graeci Olympum, montem in Macedonia omnes; a quo potius puto Musas dictas „Olympiadas”8: Ita enim ab terrestribus locis aliis cognominatae „Libethrides”, „Pipleides”9 „Thespiades”, „eliconides”. 21 Cassi10: „ellespontei11 claustra“, quod Xerxes12 quondam eum locum clausit. Nam, ut Ennius ait: „Isque Hellesponto pontem contendit in alto.” Nisi potius ab eo, quod Asia et Europa ibi concludit13 mare 14 inter angustias facit Propontidis fauces. 1 2 3 4 5 6 7 8 9

        Calidonia : Ald. (et infra). etolia : Vict. (et postea). Mistica : Ald. locis < locas F. Գd (= quid F), quid Vall.: Ribb. quam pudam: Ribb. sec. Mue. His locis : Lae. olimpiadas F, olympiadas Vall. (Lae.). piple · idē · espiacades · eliconides F, pipleides, Thespiades, Eliconides Vall.; Heliconides Lae. 10 quasi : qua Turn., Cassi Mue., Acci Flo. 11 ellespontum et F; add. Lae.; scripsi sec. Scal. 12 exerses F; Xerxes Vall. < claustra > quod edd. sec. Scal. 13 colludit : Lae. 14 Add. Lae.

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        18 Pacuvius (sc. schrieb): „Calydon, Land, das hervorragende Helden hervorbringt.“54 Wie der ager Tūsculānus, das Gebiet von Tusculum, so ist jenes von Calydon ein ager, nicht ein Land, terra; aber mit dichterischer Freiheit wollte er, weil Calydōn im ätolischen Land, terra Aetōlia liegt, dass man ā parte tōtam, vom Teil her ganz Ätolien darunter versteht.55 19 Von Accius stammt: „… nachdem sie an den rechts liegenden, mystischen (mystica) Untiefen vorübergefahren waren.“56 Mystica kommt von den berühmten Mysterien, mystēria, die dort im benachbarten Gebiet vollzogen werden. Von Ennius: „… weil die Richter des Areopags eine gerechte Stimmkugel abgaben.“57 Arēopagītae heißen so vom Arēopag; dieser Ort liegt in Athen. 20 „Musen, die ihr mit euren Füßen den hehren Olymp betanzt…“58 Olympus, Olymp, bezeichnen die Griechen den Himmel, alle aber bezeichnen damit einen Berg in Makedonien; von daher glaube ich eher, wurden die Musen, Mūsae, Olympiadēs, Olympbewohnerinnen, benannt: So tragen sie nämlich von anderen Stätten der Erde ihre Beinamen: Libēthridēs, Piplēidēs, Thespiadēs und Helicōnidēs, Bewohnerinnen von Libethrion, Pimpleia, Thespiae und vom Helikon.59 21 Von Cassius:60 „… des Hellesponts Riegel (claustra)“, weil Xerxes einst diesen Ort verschloss, clausit. Denn, wie Ennius sagt: „Und er spannte über den tiefen Hellespontus eine Brücke (pōns)“.61 Wenn es nicht eher daher kommt, dass Asien und Europa dort das Meer absperrt, conclūdit, und in der Engstelle den Eingang zur Propontis schafft.62

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        22 Pacuvi: „Liqui1 in egeo fretu[m]2.“ Dictum fretum ab similitudine ferventis aquae, quod in fretum sepe concurrat estus atque effervescat. egeum3 dictum ab insulis, quod in eo mari scopuli in pelago vocantur ab similitudine caprarum αἶγες.4 23 „Ferme aderant equore in alto ratibus repentibus”.5 < Aequor >6 mare appellatum, quod aquatum,7 cum commotum vento non est. Ratis navis longa8 dixit, ut Nevius, cum ait: „9 conferre queant10 ratem aeratam, qui per liquidum11 mare sulcantes12 eunt atque sudantes13.” Ratis dicta navis longa propter remos, quod hi, cum per aquam sublati sunt dextra et sinistra, duas rates14 efficere videntur. Ratis enim, unde hoc tralatum, illi ubi plures mali aut asseres15 < …>16 24 < Agrestis infulatas hostias >.17 Agrestis18 ab agro dictas apparet. Infulas hostias,19 quod velamenta his e lana, quae adduntur, infulae. Itaque tum quod ad sepulchrum ferunt frondem ac flores, addidit: „non lana[s], sed velatas frondentis comas20.” 1 liqui : linqui Kent. 2 egeo : Ald. (Aegaeo de Melo, bis); fretum : A. Sp. 3 Egeum : Ald. 4 eges : Aug. 5 ratibus repentibus aequore in alto A. Sp. 6 Add. Vall. post mare: Ald. 7 aqua tum : equatum Vall.: Ald. 8 longa : Mue. 9 Add. Kent; < Si > Traglia. 10 conferreque aut : Turn. 11 perit qui dum F, qui dium mare Scal.: GS. 12 sudantes: prop. A. Sp. 13 sedantes F, sedentes Vall. (Lae.). Scripsi. 14 partes F, corr. Mue. 15 asseres F; trabes Serv. Dan. 16 HIC DEEST IN EXEMPLARI FOLIVM I F in margine; deest folium . I . Vall. Sequitur spatium 39 + 25 linearum in F eiusdem folii. Lacunam primam supplevit Mue. ex Ps.-Servio Aen. I 43, p. 31, 6-10: < iuncti aqua ducuntur. Hinc naviculae cum remis ratiariae dicuntur. > 17 Add. Canal e textu sequenti. 18 F partim in margine. 19 infulas hostiis: Mue. 20 lanas ... frondentis comas : Ribb.

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        22 Von Pacuvius: „In der ägäischen Brandung (fretus) habe ich (ihn/sie) zurückgelassen.“63 Fretum, Brandung, ist benannt von der Ähnlichkeit mit dem Aufwallen, fervēns, des Wassers, weil die Flut oft in der Brandung zusammenläuft und aufwallt, ef-fervēscat. Aegēum, ägäisch, ist von den Inseln benannt: Denn in diesem Meer heißen die Inseln von der Ähnlichkeit mit Ziegen αἶγες. 23 „Nahe waren sie auf hoher See mit ihren dahingleitenden Booten (ratibus).“64 Aequor, Meeresspiegel, wurde das Meer benannt, weil es – wenn es vom Wind nicht bewegt ist – eben geglättet ist, aequātum. Mit ratēs, Booten/Flößen, nannte er die Kriegsschiffe, wie Naevius, wenn er sagt: „ …, um das bronzebewehrte Boot (ratem) voranzubringen, mit dem sie schwitzend das klare Meer durchpflügen.“65 Ratis wurde das Kriegsschiff wegen der Ruder genannt: Denn wenn sie links und rechts durch das Wasser gehoben werden, sieht es so aus, als würden sie zwei Flöße, ratēs, bilden. Ein Floß, ratis, nämlich, von wo dieses Wort durch Übertragung gebildet ist, (sc. wohl: ist ein Gebilde), wo dort mehr Masten oder Stangen (sc. vielleicht: miteinander verbunden sind und im Wasser gezogen werden. Von daher heißen kleine Schiffe mit Rudern ratāriae, Floßschiffe).66 24 „Opfertiere vom Land (agrestīs) mit Stirnbinden (īnfulae).“67 Dass die ländlichen, agrestīs, Opfertiere, von ager, Acker, benannt sind, ist evident. Īnfulātās (sc. nennt er) die Opfertiere, weil sie mit einer īnfula geschmückt sind und weil die wollenen Hüllen, die man ihnen beigibt, īnfulae heißen. Weil sie dann Laubzweige, frondem, und Blumen zum Grabmal bringen, sind sie daher, so hat er (sc. der Dichter) hinzugefügt, „nicht mit Wolle verhüllt, sondern im Haar belaubt (frondentīs).“68

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        25 „ cornuam tauram umbram iacit1.” Dicere apparet cornutam2 a cornibus; cornua a curvore3 dicta, quod pleraque curva. 26 „Musas4, quas memorant nosce5 nos esse 6.” Camenarum7 priscum vocabulum ita natum ac scriptum est alibi. Carmenae ab eadem origine sunt declinatae. In multis verbis, in quo[d]8 antiqui dicebant S, postea dicunt R, ut in Carmine Saliorum sunt haec: „Cozeui oborieso9! Omina vo10 adpatula, cosmis es11! Iane, coisa nes12! Duonus Cerus es, dunus manusve13 vel pomelios14 eum recum.”15 + 27 … fedesum federum16, plusima plurima, meliosem meliorem, asenam arenam, ianitos ianitor. Quare e17 Casmena Carmena, carmina, carmen, R extrito Camena factum. Ab eadem voce canite18, pro quo in Saliari versu scriptum est cante, hoc versu: „Divum19 em20 patrem21 cante, divum deo supplica[n]te22.” 1 Cornua taurum umbram iaci F, Vall.: Schauer sec. Mue. 2 Add. vulg. 3 curvore vel curvere F, curvore Vall.. 4 Curuam; ac F, curuamus. At quas Vall. (Lae.): Scal. 5 nosce : Jordan. 6 Add. Jordan. 7 Add. Lae. 8 quod F, quo Vall. (Lae.). 9 Cozeulodorieso F, Vall.; Cozeui Havet, oborieso Kent. 10 omnia vero: omina scripsi sec. Ovidi Fast. I 178. ūo = u(erb)o fuisse suspicor; scripsi. 11 coemisse F, Vall.: Vetter. 12 Iancusianes F, iā/cusianes Vall.; iam Turn; cousiad nes Pisani; scripsi. 13 duonus / ceruses dum Ianusve F, duo nusceruses dūque ianusque Vall.; duonus Bergk, manusve Radke. Vet transposui et cum eum iunxi. 14 vet pom melios F, ue uet pos melios eū recūm Vall.: pomelios Pisani; et pomelios eum recum Flo., cf. Fest. 222,22 f. L.; scripsi. 15 Hic vacant in F et Vall. 4 lineae. 16 fedesum federum F: Aug. 17 ē (= est) : A. Sp. 18 canitem < canite F, canitē Vall. 19 Sic F; divom scripserim, cf. VI 61 de Ennio. 20 em = dominum scripsi. 21 empta : em patrem Bergk; scripsi. 22 supplicante F, suplice cante Vall.: Grotefend.

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        25 „… wirft den Schatten auf eine gehörnte (cornuāta) Kuh.“69 Evident ist, dass er cornuātam, gehörnt, von cornua, Hörnern, her sagt; cornua, Hörner, sind von der Krümmung, curvor, benannt, weil die meisten gebogen sind, curva. 26 „Du wirst kennenlernen, dass wir, die Camēnae, die sind, die man Mūsae, Musen, nennt.“70 Das alte Wort für die Camenen ist als Casmēnae so entstanden und anderswo auch geschrieben. Die Carmēnae sind vom gleichen Ursprungswort abgeleitet.71 In vielen Wörtern, wo die Alten ein S sagten, sagt man später ein R, wie Folgendes im Carmen Saliorum, dem Gebet der Salier72: „Consevius73, erhebe dich! Eröffne die Vorzeichen74 durch dein Wort! Sei wohlgesonnen! Janus, sorge für uns!75 Du bist der gute Cerus76, der Gute und Gütige, ja77: der beste der Herren und78 der Könige.79“ 27 … (sinngemäß wohl: Der Text des Carmen Saliare mit seiner alten Sprache zeigt viele Beispiele, wo S statt R steht, wie oborieso statt oborīre, coisā statt cūrā, esūm statt erūm 'der Herren'; aber wir sehen auch) foedesum 'der Verträge', jetzt foederum, plūsima 'sehr viele' und plūrima, meliōsem 'den Besseren' und meliōrem, asēnam 'den Sand' und arēnam, iānitōs 'Pförtner' und iānitor.80 Daher wurde aus Casmēna Carmēna, dann carmina, die Lieder, (sc. im Singular) carmen, das Lied, und – nach Ausstoßung des R – Camēna.81 Vom gleichen Wort stammt canite, singt!, wofür im folgenden Vers des Salierlieds cante geschrieben ist: „Den Vater und Herrn der Himmlischen besingt, fleht zum Gott der Himmlischen!“82

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        28 In carmine Priami1 quod est ….: „[Veteres]2 Casmenas cascam rem volo profarier3.” Primum: Cascum significat vetus, secundo eius origo Sabina4, quae usque radices in Oscam linguam egit. Cascum vetus esse significat Ennius, quom5 ait: „Quam prisci6 casci populi tenuere7 Latini.” Eo magis Manilius, quom8 ait: „Cascum duxisse cascam non mirabile est, quoniam cariosas9 conficiebat nuptias.” Item ostendit Pompili10 ἐπιγραμμάτιον11, quod in adolescentem fecerat Cascam: „Ridiculum est, cum te Cascam tua dicit amica,12 Fili13 Potoni, sesquisenex14 puerum. Dic illam pusam:15 Sic fiet mutua[m]16 muli. Nam vere pusus tu, tua amica senex.” 29 Idem ostendit, quod oppidum vocatur Casinum (hoc enim ab Sabinis orti Samnites tenuerunt) et nomine17 nostri etiam nunc Forum Vetus appellant.18 Item significant in Atellanis aliquot Pappum, senem quod Osci19 casnar appellant. 30 Apud Lucilium: „Quid tibi ego ambages Ambivi20 scribere coner?” Profectum a verbo ambe, quod inest in ambitu et ambitioso. 1 Post Priami lacunam reliquit ca. 15 litterarum ultima in linea F. 2 Del. A. Sp. 3 profari · & : Scal. 4 sauina : Lae. 5 quod: scripsi. 6 prisci del. Traglia. 7 genuere : Colonna. 8 quod: scripsi. 9 carioras F, canoras Vall. (Lae.): Lachmann. 10 Papini: Stachon (2018). 11 epigrammation F, epygramation Vall.: Flo. 12 amici F: Lae. 13 fili : Popma. 14 potonis es qui senex : Turn. 15 dicit pusum puellam : Aug. 16 mutuam : Pantagathus ap. Aug. 17 Del. L. Sp. (Kent, Flo.). Scripsi. 18 Item - appellant. om. Vall. (Lae.). 19 ostii : Ald. 20 ambiu vel ambui F, Vall.: Lae.; ambītus Brakmann.

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        28 Und im Gedicht des Priamus … heißt es:83 „Ich will, dass die Casmenen (Musen) eine alte Geschichte vortragen.“, Erstens bedeutet cascum 'alt'. Zweitens: Der Ursprung des Wortes ist sabinisch, er hat seine Wurzeln bis in die oskische Sprache getrieben. Dass cascum alt meint (vetus), zeigt Ennius an, wenn er sagt: „… das die alten (cascī) Völker des alten (sc. Königs) Latinus in der Vorzeit im Besitz hatten.“ 84 Umso mehr zeigt das Manilius, wenn er sagt85: „Dass ein Alter (Cascus) eine Alte (Casca) geheiratet hat, ist nicht verwunderlich, da er eine morsche (cariōsa) Hochzeit feierte.“86 Ebenso zeigt es das kleine Epigramm des Pompilius, das er gegen den jungen Casca verfasst hatte87: „Lachhaft ist's , wenn dich Casca (Alten) nennt deine Freundin, des Potonius Tochter, eine Greisin sie einen Jungen. Nenne doch du sie „Junge“! So kannst du ihr Gleiches vergelten. Denn echt ein Junger bist du; doch eine Greisin dein Schatz.“ 29 Das zeigt ebenso die Stadt namens Casinum (sie war einst im Besitz der Samniten, die von den Sabinern abstammen)88: Unsere eigenen Leute bezeichnen sie auch heute noch namentlich als Forum Vetus, Altmarkt. Ebenso bezeichnet man (sc. mit Cas-) in etlichen Atellanen den Pappus, weil die Osker zum Alten casnar sagen.89 30 Bei Lucilius: „Wieso sollte ich versuchen, dir die Umtriebe (ambāgēs) des Ambi- vius zu beschreiben?“90 Das Wort (sc. ambāgēs) kommt von ambe, herum, das in ambitus, Herumgehen/ Bewerbung, und ambitiōsus, ehrgeizig steckt.

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        31 Apud Valerium Soranum: „Vetus adagio est, o Publi1 Scipio.” Quod verbum usque eo evanuit, ut Graecum pro eo positum magis sit apertum: Nam id est, quod παροιμίαν vocant Graeci, ut est: „Auribus lupum teneo”, „Canis caninam non est”. Adagio est littera commutata ambagio,2 dicta ab eo, quod ambit orationem neque in aliqua una re consistit sola. /agio3 ficta4 ut amb/ustum5, quo6 circum ustum est, ut amb/egna7 bos apud augures, quam circum aliae hostiae8 constituuntur. 32 Cum tria sint coniuncta in origine verborum, quae sint animadvertenda: A quo sit impositum et in quo et quid, sepe non minus de tertio quam de primo dubitatur, ut in hoc: utrum primum una „canis“ aut „canes” sit appellata. Dicta enim apud veteres una „canes“. Itaque Ennius scribit: „Tantidem quasi feta9 canes sine dentibus latrat.“ Lucilius: „Nequam et magnus homo, laniorum immanis10 canes ut.” Impositio unius debuit esse canis, plurium canes; sed neque Ennius consuetudinem illam sequens reprehendendus nec is, qui nunc dicit: „Canis caninam non est”. Sed canes quod latrat11 signum dant, ut signa canunt, canes appellatae, et quod ea voce indicant, noctu quae12 latent, latratus appellatus. 33 Sic dictum a quibusdam ut una canes, una < trabes >:13 „trabes remis rostrata per altum”. Ennius: „Utinam ne in nemore Pelio14 securibus cesa15 accidisset16 abiegna ad terram trabes!”, cuius verbi singularis casus rectus17 correptus18 ac facta „trabs”. 1 P. Scipio F, Vall.: GS. 2 abagio F, ābagio Vall. 3 agio F, adagio Vall. (Lae.). Scripsi sec. L. Sp.; 4 dicta F : Scripsi, cf. V 7. 5 adustum : scripsi sec. Turn. 6 quo F, quod Vall. (Lae.). 7 ambiegna : Turn. Scripsi. 8 hostiae < hostȩȩ F. 9 fȩta F, feta Vall. 10 immanes : Aug. 11 latratus F, latratu Vall. (Lae.), Scal. 12 noctu / que F, quae noctu Vall. (Lae.). 13 Add. Colonna. 14 polio F, pelio Vall. (Lae.). 15 cesa : Ald. 16 accidisset < saccidisset F. 17 recte : Sciop. 18 correctus : Lae.

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        31 Bei Valerius Soranus: „Alt ist das Sprichwort, adagiō, o Publius Scipio…“91 Dieses Wort ist so sehr verblasst, dass das griechische dafür klarer ist: Denn dazu sagen die Griechen παροιμία, wie z. B. „Ich habe den Wolf bei den Ohren“92, und „Eine Hündin frisst keine andere.“ Adagiō, Sprichwort, ist – mit Veränderung eines Buchstabens – ambagiō benannt worden: daher, weil es um das Thema herumgeht, ambit, und bei keinem einzigen festen Punkt stehen bleibt.93 Amb-agiō ist gebildet wie amb-ūstum, versengt, wo etwas rundum angebrannt ist, ūstum, wie amb-egna das Rind bei den Auguren genannt wird, um das herum, circum, die anderen Opfertiere aufgestellt werden.94 32 Beim Ursprung der Wörter sind ja drei Dinge verbunden, die zu beachten sind: Woher das Wort seine Benennung hat, für welches Ding und wie das Wort (sc. grammatisch) aussieht: Nicht weniger Unsicherheit herrscht beim dritten als beim ersten, z. B.: Heißt (sc. im Singular) eine Hündin canis oder canēs? Denn bei den Alten hieß eine einzelne „canēs“. Daher schreibt Ennius: „Genauso bellt er wie eine trächtige Hündin (canēs) ohne Zähne.“95 Lucilius: „Ein großer Nichtsnutz, wie eine riesige Metzgerhündin (canēs).“96 Die Grundform im Singular hätte canis sein sollen, im Plural canēs; aber weder ist Ennius zu kritisieren, der jenen Sprachgebrauch befolgte, noch der, der heute sagt: „Eine Hündin, canis, frisst keine Hündin, canīnam.“97 Aber weil die Hunde durch ihr Bellen ein Zeichen geben, so wie die Signale „tönen“, canunt, wurden die Hündinnen canēs, „Töner“, benannt, und weil sie mit ihrer Stimme das anzeigen, was nachts verborgen ist, latent, ist das Bellen lātrātus benannt worden. 33 So, wie von manchen eine einzelne Hündin canēs genannt wurde, (sc. heißt es auch) im Singular trabēs, Balken: „… Balken (trabēs), geschnäbelt mit Rudern durch die See.“98 Ennius: „Wäre doch in Pelions Hain nie, von Beilen Gefällt, zur Erde gefallen der Balken (trabēs) von Tannenholz!“99 Der Nominativ Singular dieses Wortes (sc. trabēs) wurde verkürzt und zu trabs gemacht.

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        34 In „Medo”: „Caelitum1 camilla, expectata advenis: salve, hospita2!“ „Camilla”3: Qui glosemata4 interpretati, dixerunt administram; addi oportet: in his quae5 occultiora. Itaque dicitur nuptiis s camillus,6 qui cum[m]erum7 fert, in quo quid sit, in ministerio plerique extrinsecus neciunt.8 Hinc Casmi[l]lus9 nominatur Samothrece mysteriis10 dius quidam administer11 diis magnis. Verbum esse Graecum arbitror, quod apud Callimachum in poematibus eius inveni. 35 Apud Ennium12: „Subulo quondam marinas propter adstabat plagas13.” Subulo dictus, quod ita dicunt tibicines Tusci; quocirca radices eius in Etruria14, non Latio quaerundae.15 36 „Versibus, quos16 olim Faunei17 vatesque canebant.” Fauni dei Latinorum, ita ut et Faunus et Fauna sit; hos versibus, quos vocant Saturnios, in silvestribus locis traditum est solitos fari,18 < a >19 quo fando Faunos20 dictos. Antiqui21 poetas vates appellabant, a versibus viendis viateis22, ut < de >23 poematis cum scribam, ostendam.24 37 „Corpore Tartarino prognata Paluda virago.” Tartarino dictum25 a Tartaro. Plato in IIIIo, de fluminibus apud inferos quae sint, in his unum Tartarum appellat. Quare Tartari origo Graeca. Paluda: a paludamentis; haec insignia atque ornamenta militaria. Ideo ad bellum cum exit imperator ac lictores mutarunt vestem et signa incinuerunt, paludatus dicitur proficisci. Quae propter quod conspiciuntur, qui ea habent ac fiunt palam, paludamenta dicta. 1 Celi tum F, cęlitum Vall. (Lae.). 2 ospita F, hospita Vall. (Lae.). 3 camilla F, Camillam Mue., edd. 4 glosemata : Lae. 5 Addidi. 6 scamillus F, Scamillus Vall.; scripsi. 7 quicum merum : Vertr., Scal. 8 nectunc F, nectunt Vall.: Turn. 9 casmillus : Turn. 10 misteris : Ald. 11 admminister F, administer Vall. (Lae.). 12 enim : Lae. 13 astabat : scripsi sec. Fest. 402,4 f. L.; aquas : plagas Mue. ex Festo. astabat : scripsi sec. Fest. 402,4 f. L.; aquas : plagas Mue. ex Festo. 14 etria F, Etruria Vall. (Lae.). 15 querunda e versibus : Vict. 16 quo : Vict. 17 fauni et : L. Sp. 18 < futura > add. Mue. 19 Add. Aug. 20 faunos F: fatuos Vall. (Lae.). 21 antiquos : Canal. 22 viendis viendis F; viendis Vall., edd.: Scripsi. 23 Add. L. Sp. 24 offendam : Lae. 25 dicta : Lae.

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        34 Im Medus100: „Der Himmlischen Dienerin (camilla), du kommst, erwartet: Sei gegrüßt, Fremde!“ Camilla: Die Interpretatoren der Glossen sagten, das bedeute 'Dienerin'; dazu muss man anfügen: Hierbei ist manches ziemlich geheim. (occultiōra).101 Denn bei Hochzeitsfeiern heißt der camillus, der den Getreidekorb (cumerus) trägt; was darin ist, wissen bei der Zeremonie die meisten Außenstehenden nicht. Daher heißt Casmilus bei den Mysterien in Samothrake eine Art göttlicher Diener für die Großen Götter. Das Wort halte ich für griechisch, weil ich es bei Kallimachos in seinen Gedichten gefunden habe.102 35 Bei Ennius steht: „Der Flötenspieler stand einst nahe am Meeresstrand.“103 Subulō heißt er, weil so die Etrusker zu den Flötenspielern sagen; daher sind die Wurzeln des Worts in Etrurien, nicht in Latium zu suchen. 36 „… mit Versen, die einst die Faune und Dichter (vātēs) sangen.“104 Faunī, Faune, sind latinische Götter, so dass es sowohl einen Faunus als auch eine Fauna gibt.105 Der Überlieferung nach sollen diese in Versen, die man „Saturnier“ nennt, gesprochen haben, fārī; von diesem fandō, Sprechen, seien sie Fauni benannt worden.106 Die Alten nannten die Dichter vātēs (vom Flechten der Verse, aus *viāteis), wie ich zeigen möchte, wenn ich über die Gedichte schreiben werde.107 37 „Die streitbare Jungfrau Paluda, aus Tartarinischem (Tartarinō) Leibe geboren.“108 Tartarinō: Das ist benannt von Tartarus. Im vierten Buch (sc. der Dialoge) nennt Plato einen der Flüsse, die es in der Unterwelt gibt, Tartarus. Daher ist der Ursprung von Tartarus griechisch.109 Palūda: von den palūdāmenta, Feldherrnmänteln; das sind Abzeichen und Auszeichnungen beim Militär. Wenn daher der General zum Krieg ausrückt, die Liktoren sich umgezogen und das Signal angestimmt haben, dann, so sagt man, bricht er palūdātus, im Kriegsmantel, auf. Weil die, die sie tragen, sich sehen lassen und das öffentlich geschieht, palam, heißen die palūdāmenta so.110

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        38 Plautus: „Epeum fumificum qui legioni nostrae habet coctum cibum.” Epeum fumificum, cocum: ab Epeo illo qui dicitur ad Troiam1 fecisse equum Troianum et Argivis cibum curasse. 39 Apud Nevium2: „Atque3 prius pariet / locusta[m]4 Lucam bovem.” Luca bos elephans5. Cur ita sit dicta, duobus modis inveni scriptum: Nam et in Cornelii commentario erat ab Libycis6 Lucas, et in Vergilii7 ab Lucanis Lucas. Ab eo, quod nostri, cum maximam quadripedem, quam ipsi haberent, vocarent bovem, et in Lucanis Pyrri bello primum vidissent apud hostis elephantos8, ideo9 nos item quadripedes cornutas10 (nam quos dentes multi dicunt, sunt cornua), Lucanam bovem quod putabant, Lucam bovem appellasse. 40 Si ab Libya6 dictae essent Lucae, fortasse an pantherae quoque et leones non Africae11 bestiae dicerentur, sed Lucae, neque ursi potius Lucani quam Luci. Quare e[r]go 12 arbitror potius Lucas ab luce, quod longe relucebant propter inauratos regios clupeos, quibus eorum tum ornatae13 erant turres. 41 Apud Ennium: „Orator sine pace redit regique refert rem.” Orator dictus ab oratione; qui enim verba oratui14 haberet publice adversus eum, quo legabatur15, ab oratione orator dictus; cum res maior oratione < egebat >16, legebantur potissimum, qui causam commodissime17 orare poterant. Itaque Ennius ait: „Oratores doctiloqui”. 1 tro · iam F, arolam Vall.: Lae. 2 neuium F, Ennium Vall. (Lae.). 3 At quae F, Atque Vall. (Lae.). 4 lucustam F, locustam Vall.: Lae. 5 elefans F, elephans Vall. 6 libicis - libia F : Lae.; an: Libucis? . 7 virgilii : Lae. 8 elefantos F, elephantos Vall. (Lae.). 9 Idē·ñ itē F, Idē nō itē Vall.: ideo Funaioli. Scripsi. 10 cornuatas Ald. 11 Africanae Ald. 12 ergo F, ego Vall. (Lae.). 13 eorum tumor natae : Aug., Vict. 14 orationum : del. edd., rationum Scal.: Scripsi. 15 legebatur : Scal. 16 maiore ratione F : scripsi sec. Stroux. 17 commodisse F, commodissime Vall. (Lae.).

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        38 Plautus: „Den Räucherer (fūmificum) Epeus, der unserer Legion das Essen gekocht hat.“111 Epeum fūmificum, den Räucherer Epeus (einen Koch): Er ist von jenem Epeus benannt, der angeblich bei Troia das Troianische Pferd gebaut und sich um das Essen der Argiver gekümmert hat. 39 Bei Naevius: „Und eher wird gebären / einʼ Heuschreckʼ einen Elefanten (lūca bōs).“112 Lūca bōs ist der Elefant. Warum der so heißt, dafür fand ich zwei Erklärungen: Denn im Kommentar des Cornelius kam Lūcās von den Libyern, Libycī, und im Kommentar des Vergilius Lūcās von den Lūcānī, Lukanern.113 Unsere Landsleute, sagt er (sc. Vergilius), nannten den größten Vierbeiner, den sie selbst hatten, bōs, Rind; und im Pyrrhuskrieg114 hätten sie zum ersten Mal in Lukanien bei den Feinden Elefanten gesehen. Deshalb hätten wir, weil diese ebenfalls Vierfüßler mit Hörnern sind (in Wirklichkeit sind es Hörner, wozu viele „Zähne“ sagen) und sie jene für ein Rind aus Lukanien hielten, sie Lūca bōs, lukanisches Rind, genannt. 40 Wenn Lūcae von Libya, Libyen, käme, sagte man doch vielleicht auch zu den Panthern und Löwen nicht „afrikanische Tiere“, Āfricae bēstiae, sondern „lucische“, Lucae, und die Bären hießen nicht eher Lūcānī, lukanisch, sondern lucisch, Lucī. Ich glaube daher eher, dass Lūcae vom Licht, lūx, kommt: Denn die vergoldeten Königsschilde, mit denen damals ihre Türme geschmückt waren, leuchteten weithin, lūcēbant. 41 Bei Ennius: „Der Gesandte (ōrātor) kommt ohne Frieden zurück und berichtet dem König.“115 Ōrātor, Redner, ist von ōrātiō, Rede, benannt. Wer nämlich von Staats wegen gegenüber dem, wohin er gesandt wurde, Worte hatte zu reden, ōrātuī,116 wurde von der Rede, ōrātiō, Redner, ōrātor, genannt; wenn eine größere Sache einer Rede bedurfte, wurden vornehmlich diejenigen ausgewählt, die die Angelegenheit am passendsten vortragen, ōrāre, konnten. Daher sagt Ennius: „Gesandte (ōrātōrēs), die das Sprechen gelernt hatten, doctīloquī.“117

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        42 Apud Ennium: „Olli respondit suavis sonus Egriai.1” Olli valet illi, dictum2 ab olla et ollo, quod3 alterum comitiis, cum recitatur a praecone, dicitur „olla centuria”, non illa. Alterum apparet in funeribus indictivis, quod dicitur „ollus leto4 datus est”, quod Graecus dicit λήθῃ5, id est6 oblivioni. 43 Apud Ennium: „Mensas constituit idemque ancilia7.“ Dicta ab ambecisu, quod ea arma ab utraque parte ut Tracum incisa st.8 44 „Libaque,9 fictores, Argeos et tutulatos10.” Liba, quod libandi causa fiunt. Fictores dicti a fingendis libis. Argei ab Argis. Argei fiunt e scirpeis, simulacra hominum XXVII; ea quotannis de ponte sublicio a sacerdotibus publice deici11 solent in Tiberim. Tutulati12 dicti hi, qui in sacris in apicibus13 habere solent ut metam; id tutulus14 appellatus ab eo, quod matres familias crines convolutos, ad verticem capitis quos habent viti15 velatos16, dicebantur tutuli, sive ab eo, quod id tuendi causa capilli fiebat, sive ab eo, quod altissimum in urbe quod est, Arcs17, tutissimum vocatur. 45 Eundem Pompilium ait fecisse flamines, qui cum omnes sunt a singulis deis cognominati, in quibusdam apparent ἔτυμα, ut cur sit Martialis et Quirinalis. Sunt, in quibus flaminum cognominibus latent origines, ut in his, qui sunt versibus plerique: „Volturnalem, Palatualem, Furrinalem18, Floralemque19 < patremque > Falacrem20 et Pomonalem fecit hic idem”. Quae obscura sunt; eorum origo Volturnus; diva Palatua, Furrina, Flora, Falacer pater, Pomona22. 1 egria ∙ I ∙ F , egria Vall.: Vict. 2 valet dictum illi ab olla: transp. de Melo. 3 quod F, quorum Mue. 4 lȩto F, leto Vall. (Lae.). 5 Λετε : Ald. 6 Idē F, .i. (id est) Vall. 7 < primus > add. Scal. 8 saliba F: sa < * stֿ (= sunt). 9 incisa. Saliba quȩ : Scripsi sec. Vict. 10 tutulatos: titulatos Vall. (Lae.). 11 duci F, díici Vall.: Rhol. 12 ti ∙ Tĩtulati F, Tutulati Vall., Aug. 13 capitibus: Scal. 14 tutulus < titulus F. 15 uti : Popma. 16 velatas F, velatas Vall. (Lae.). 17 ares F, ea res Vall.: GS. 18 Furinalem : Mue. 19 floralem ∙ Qui : Mue. 20 Metri gratia addidi et scripsi. 21 oscura F, obscura Vall. (Lae.). 22 pomorum . Nam : Turn.

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        42 Bei Ennius: „Jenem (ollī) antwortete die liebliche Stimme Egerias.“118 Ollī bedeutet so viel wie (sc. Dativ) illī und kommt von olla und ollus: Das Erste sagt man bei den Komitien, wenn vom Herold vorgelesen wird: olla centuria, jene Zenturie, nicht illa. Das Zweite kommt bei den öffentlich angesagten Bestattungen, weil es heißt: Ollus lētō datus est, Jener ist dem Tode (lētō) übergeben worden, wozu der Grieche sagt λήθῃ, das heißt: 'dem Vergessen'.119 43 Bei Ennius: „Opfertische richtete er ein und auch die heiligen Schilde (ancīlia)...“120 Die (sc. ancīlia) sind vom Ringsumbeschneiden, ambe-cīsus, benannt, weil diese Waffen wie die Schilde der Thraker beidseits eingeschnitten sind, incīsa.121 44 „Opferfladen, Kuchenbäcker, Argäer und Tutulusträger.“122 Lība, Opferkuchen/Fladen, weil sie zum Opfern, lībāre, hergestellt werden. Fictōrēs, (Kuchen-)Former, sind vom Formen, fingere, der Opferkuchen benannt. Die Argäer, Argēī, sind von der Stadt Argos benannt. Die Argäer werden aus Binsen gemacht, 27 Menschenfiguren; die werden jedes Jahr von Priestern in öffentlicher Zeremonie immer von der Pfahlbrücke (pōns sublīcius) in den Tiber geworfen.123 Tutulātī, Tutulusträger, sind die benannt, die gewöhnlich beim Opfer auf ihren spitzen Mützen eine Art Wendepfosten124 haben; dieses Ding wurde aus folgendem Grund tutulus genannt: Wenn die Hausmütter ihre Haare zum Scheitel hin mit Kopfbinden verhüllt haben, dann wurde diese Haarform tutulus genannt; oder das Wort kommt daher, dass dies zum Schutz, tuendum, des Haares gemacht wurde, oder auch daher, weil der höchste Punkt in der Stadt, die Arx, tūtissimum heißt, das Sicherste. 45 Er (sc. Ennius) sagt, (Numa) Pompilius habe auch die flāminēs (Spezial­ priester) geschaffen; da sie alle ihren Beinamen jeweils von einem einzelnen Gott haben, sind bei einigen die Etyma klar, z. B. beim (sc. flāmen) Mārtiālis, Marspriester, und Quirīnalis, Quirinuspriester. Bei einigen Beinamen der flāminēs sind die Ursprünge versteckt, z. B. in den folgenden, die in großer Zahl in diesen Versen stehen: „Den (sc. flāmen) Volturnālis, Palātuālis, Furrīnālis, Flōrālis, Vater Falacer und Pōmōnālis schuf er ebenso“.125 Diese Namen sind unklar; ihr Ursprung sind Volturnus, die Göttin Palātua, Furrīna, Flōra, Vater Falacer und Pōmōna.

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        46 Apud Ennium: „Iam cata signa ferae1 sonitum dare voce parabant”. Cata acuta: hoc enim verbo dicunt Sabini2. Quare: „Catus elius3 Sextus”, non, ut aiunt , sapiens, sed acutus; et quod est: „Tunc coepit4 memorare5 simul6 < … > cata dicta”, accipienda acuta dicta. 47 Apud Lucilium quod est7: „Thynno8 capto cobium9 excludunt foras.” Et: „Occidunt, Lupe, saperde10 te et iura siluri.” Et: „Sumere te atque amian.”, piscium nomina sunt eorumque in Grecia origo. 48 Apud Ennium: „… cava quaeque in11 corpore caeruleo caeli cortina receptat.”12 Cava cortina dicta, quod est inter terram et caelum ad similitudinem cortinae Apollinis; ea a corde, quod inde sortes primae < exisse >13 existimatae. 49 Apud Ennium: „Quin inde invitis sumpserunt14 perduellibus?“ Perduelles dicuntur hostes. Ut perfecit, sic perduellis15 < a per >16 et duellum, id postea bellum; ab eadem causa facta Duellona17 Bellona. 1 ferae F, fere Vall., ferā Mue., fort. recte. 2 savini : Lae. 3 elius : Ald. 4 cepit : Ald. 5 memorari : Scal. 6 < stulta et > cata Bergk. < docta et > praetulerim.. 7 quidem ˑ : quid est L. Sp.; scripsi. 8 Thinno : Thynno Ald. 9 corium : Mue. 10 lupes / aper de F, lupes aքdete Vall.: Turn. 11 Quaeque in corpore causa ceruleo cȩlo ( felo Vall.) ortanare/ ceptat F: quae Mue.; in del. Scal.; cava quaeque in / corpore Turn.; caeruleo Aug.; caelo del. Scal.; caeli cortina receptat Turn. 12 Hic lac. susp. Aug. 13 Add. Vetter. 14 invitis sumpserint : Lae.(Aug.). 15 perduellum : L. Sp. 16 Add. A. Sp. 17 duelliona : Lae.

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        46 Bei Ennius: „Schon hoben die Tiere an, mit ihrer Stimme spitz (cata) klingende Zeichen zu geben.“126 Cata bedeutet 'spitze', acūta: Denn mit diesem Wort sagen es die Sabiner. Daher heißt es: „Der gewitzte (catus) Aelius Sextus“,127 er ist nicht, wie man sagt, sapiēns, weise, sondern scharfsinnig, acūtus; und wenn es heißt: „Da begann er die zugleich (gelehrten ?) und gewitzten (cata) Worte zu zitieren“128, so ist das zu verstehen als acūta, scharfsinnig. 47 Wenn es bei Lucilius heißt: „Wenn man einen Thunfisch fängt, wirft man den Gründling raus.“129 Und: „Dich bringen, Lupus, noch um die Sardellen und Soßen vom Welse.“130 Und: „… dass du auch ein Thunfischlein nimmst.“131, so sind das alles Namen von Fischen; sie kommen aus Griechenland.132 48 Bei Ennius: „… und welche der hohle Kessel (cava cortīna) im blauen Körper des Himmels aufnimmt.“133 Cava cortīna, hohler Kessel, heißt es, weil es (sc. das offene Himmelsgewölbe) zwischen Erde und Himmel ähnlich hohl ist wie der Dreifußkessel, cortīna, Apolls; der kommt von cōr, Herz, weil – wie man glaubt – aus diesem Dreifuß die ersten Weissagungen gekommen sind. 49 Bei Ennius: „Warum nahmen sie aber dann nicht von den unbesiegbaren Gegnern (perduellēs)?“134 Perduellēs werden die Feinde, hostēs, genannt. Wie perfēcit, machte fertig, so ist auch perduellis, Gegner, gebildet: aus per und duellum, woraus später bellum, Krieg, wurde. Aus demselben Grund wurde Duellōna zu Bellōna.135

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        Liber VII

        50 Apud Plautum: „Nec Iugulae1 neque Vesperugo neque Vergiliae occidunt.” Iugula: signum, quod Accius appellat Oriona, cum ait: „Citius Orion patescit2.” Huius signi caput dicitur ex tribus stellis, quas infra duae clarae, quas appellant Umeros; inter quas quod videtur iugulum, Iugula dicta. Vesperugo: stella, quae vespere oritur, a quo eam Opillus scribit vesperum. Itaque dicit Valerius:3 „Vesper adest!” Quem Graeci dicunt δῖ Ἑσπέριον4. 51 Nevius: „Patrem suum supremum / optumum appellat.” Supremum ab superrumo dictum. Itaque XII < in >5 tabulis dicunt: „Solis occasu diei suprema tempestas esto.” Libri augurum pro „tempestate” „tempestutem” dicunt, supremum augurii tempus. 52 In Cornicula6: „Qui regi latrocinatu's7 decem annos8 Demetrio.” Latrones dicti ab latere, qui circum latera erant regi atque ad latera habebant ferrum, quos postea a stipatione stipatores9 appellarunt, et qui conducebantur: Ea enim merces Grece dicitur λάτρον10. Ab eo veteres poetae – non ut nunc –11 milites appellant latrones 12, quod item13 ut milites14 cum ferro, aut quod latent ad insidias faciendas. 1 Neque iugula : Nec Iugulae Plaut. Amph. 275. 2 Patefit vel patescit F, patefit Vall.: pallescit Buecheler, Ribbeck; patescit H, Dangel. 3 dicitur alterum F : Schwabe. 4 δΙ / ΕCΠΕΡΙΟΝ : di Ἑσπέριον Fay; διεσπέριον de Melo, Pavone. Scripsi. 5 duodec im tabulis F; XII ta. Vall.: duodecim tabulis Lae. Scripsi. 6 cornicula F; cornicularia Vertr., sed cf. V 153. 7 latrocinatus : Ritschl. Latrocinatus annos < sum > prop. A. Sp. 8 decem annos F, duodecim annos Aug.; annos decem Ritschl. 9 stipateres F, stipatores Vall. (Lae.). 10 CΑΤΡΟΝ : Turn. 11 nonnunquam (< * ñutñc ): post latrones scriptum transposui et scripsi. 12 Lac. ind. A. Sp. 13 itent Aug. 14 milites < sunt > GS. (Kent, Flo.).

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        50 Bei Plautus: „… Weder gehen Orion noch der Abendstern noch die Plejaden unter.”136 Iugula ist das Sternbild, das Accius Ōriōn nennt, wenn er sagt: „Eher wird der Orion sichtbar.“137 Man sagt, dass der Kopf dieses Sternbilds aus drei Sternen besteht, unterhalb derer zwei helle sind, die man Schultern nennt; weil zwischen denen das Schlüsselbein, iugulum, erscheint, wurde es Iugula genannt. Vesperūgō ist der Stern, der am Abend, vesperē, aufgeht, weshalb Opillus ihn Vesper nennt.138 Daher sagt Valerius (sc. Catullus): „Vesper adest!“ (Der Abendstern ist da!) Zu diesem Stern sagen die Griechen Δῖος Ἑσπέριος, Αbendgott.139 51 Naevius: „Seinen Vater nennt er den Allerbesten (suprēmum optumum).“140 Suprēmus, der Beste, ist von superrimus, Höchster, benannt. Daher sagt man in den Zwölf Tafeln: „Bei Sonnenuntergang soll die letzte Zeit (tempestās) des Tages sein.“141 Die Bücher der Auguren sagen tempestūs statt tempestās, was die letzte Zeit für die Vogelschau ist.142 52 In der Cornicula (sc. des Plautus): „Du hast ja zehn Jahre dem König Demetrius gedient (latrōcinātus es).143 Latrōnēs, Söldner, sind von latus, Seite, benannt: Sie standen dem König zur Seite, ad latera, und hatten an der Seite, latera, eine Waffe; später nannte man sie stīpātōrēs, Leibwächter, vom dichten Gedränge, stīpātiō, und weil sie Sold (sc. stīpendium) bekamen.144 Diese Bezahlung heißt nämlich auf Griechisch λάτρον. Daher sagen die alten Dichter zu den Soldaten latrōnēs : nicht wie heute (sc. wo wir die Räuber latrōnēs nennen), weil sie ebenso wie Soldaten eine Waffe tragen oder weil sie für die Überfälle latent, versteckt sind.145

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        53 Apud Nevium: „Risi egomet mecum1 cassabundum ire ebrium.” Cassabundum: a cadendo. Idem: „Diabathra2 in pe[cu]dibus3 habebat, erat amictus epicroco.“ Utrumque vocabulum Graecum. 54 In Menechmis: „Inter ancillas sedere iubeas, lanam carere.“ Idem hoc est verbum in Cemetria4 Nevii. Carere a carendo, quod eam tum purgant ac diducunt5, ut careat spurcitia; ex quo carminari dicitur tum lana, cum ex ea carunt,6 quod in ea heret7 neque est lana, quae in Romulo Nevius appellat „asta” ab Oscis. 55 In Persa: „Iam pol ille hic aderit, credo, congerro meus.” Congerro a gerra. Hoc8 Grecum est et in Latina cratis.9 56 In Menechmis: „Idem istuc aliis ascriptivis fieri ad legionem solet.” Ascriptivi dicti, quod olim ascribebantur inermes armatis militibus, qui succederent, si quis eorum deperisset. 57 In Trinummo: „Nam illum tibi10 < ferentarium esse amicum inventum intellego.> ”11 Ferentarium: a ferendo, id12 est inane13 ac sine fructu; aut quod ferentarii equites hi dicti, qui ea modo habebant arma, quae ferrentur, ut iaculum. Huiuscemodi equites pictos vidi in esculapii ede vetere et ferentarios ascriptos14. 1 me / cum F, me / Vall.: Bergk. 2 Dyabathra - epycroco : Lae. 3 pecudibus: Rhol. 4 Cemetria F, oemētria Vall. : Commotria Turn., Demetria prop. GS, alii aliud. 5 deducunt : scripsi. 6 carent F, careat Vall. (Lae.): Neukirch. 7 heret : Ald. 8 hic F, ħ (= hoc vel hic) Vall.: L. Sp. 9 gratis : Ald. 10 libi F, li / Vall.: Vict. 11 Totum versum suppl. L. Sp. ex Plauti Trin. 456. 12 < quod non > add. L. Sp. 13 Add. Aug. 14 ascriptum Vetter.

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        53 Bei Naevius: „Ich habe ganz schön gelacht, wie der Hurer nur mehr torkelnd, cassabundus, gehen konnte, voller Rausch.”146 Cassabundus, torkelnd, von cadere, fallen. Auch wieder Naevius: „Sandaletten (diabathra) hatte er an den Füßen, er trug ein gelbes Frauenkleid (epicrocon).“147 Beide Wörter sind griechisch. 54 In den Menachmi (sc. des Plautus): „Heißʼ ihn unter Mägden sitzen und Wolle auskämmen.”148 Dieses gleiche Wort gibt es auch in der Cemetria des Naevius.149 Cárere, auskämmen, kommt von carēre, frei sein, weil man die Wolle dann putzt und auseinanderzieht, damit sie frei ist von Schmutz150; daher sagt man, dass man die Wolle dann durchhechelt, carminārī, wenn man aus ihr das auskämmt, carunt, was noch an ihr hängt und keine Wolle ist; dazu sagt Naevius asta im Romulus – das Wort kommt von den Oskern.151 55 Im Persa: „Gleich wird er doch da sein, glaube ich, mein Kumpel (congerrō).“152 Congerrō, Kumpan, von gerra, Rutengeflecht. Das Wort ist griechisch und im Lateinischen crātis, Geflecht. 56 In den Menaechmi: „Genau das passiert gern beim Militär den anderen Reservisten (ascrīptīvī).“153 Ascrīptīvī, zusätzlich eingetragen, heißen sie, weil sie früher – ohne Bewaffnung – den bewaffneten Soldaten hinzugezählt wurden, um ihnen nachzurücken, falls einer von ihnen ausfiel. 57 Im Trinummus: „Denn ich sehe ja, dass du in jenem Freund einen Helfer (ferentārius) gefunden hast.“154 Ferentārius: von ferre, (er)tragen, nämlich einen nutz- und fruchtlosen Kerl;155 oder weil ferentāriī equitēs, Wurfreiter, jene genannt wurden, die nur Waffen zum Tragen hatten, ferre, wie einen Wurfspieß. Solchartige Reiter habe ich – mit der Beischrift FERENTARII – im alten Äskulaptempel aufgemalt gesehen.156

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        58 In Frivolaria: „Ubi rorarii1 estis?” „En2 sunt.” „Ubi sunt accensi?” „Ecce 3.” Rorarii dicti ab rore, qui bellum committebant ideo, quod ante rorat, quam pluit.4 Accensos5 ministratores Cato esse scribit; potest id6 ab arbitrio, nam is est7 ad arbitrium eius, cuius minister. 59 Pacuvius: „Cum deum triportenta…“8 60 In Mercatore: „Non tibi9 istuc magis dividiaest10 quam mihi hodie fuit.” Hoc eadem11 est in Corollaria Nevius < usus >.12 Dividia: ab dividendo dicta, quod divisio distractio est doloris; itaque idem in Curculione ait: „Sed quid tibi est?” – „Lien enecat13, renes dolent, pulmones distrahuntur.” 61 In Phagone:14 „Honos syncerasto15 periit16, pernis glandio.”17 Syncerastum15 est omne edulium,18 antiquo vocabulo Greco.

        1 rorani : Rhol. (bis). 2 en < an F. 3 Ecce : Ecce < nos > add. Bothius ap. Leo. 4 plusti : Lae. 5 accensos < adcensos F. 6 < ab censione, id est > add. prop. GS. 7 inde : idem Brakmann, Kent, Flo.; adest de Melo; scripsi. 8 Lac. ind. Scal. 9 in Mercatore non tibi iteratum del. L. Sp. 10 dividia ē F : dividiae est codd. Plautini (Merc. 619), Aug. 11 eadem < vi > susp. GS, < Vi > eadem hoc Flo., Hoc eadem < vi > de Melo. 12 Add. prop. L. Sp. 13 Lienenegat F : Fleckeisen e Plauto. 14 pagone : Scal. 15 sincerasto F, syncerasto Aug. 16 perit : L. Sp. 17 Gladios < gaudios, ut videtur, F : Pius. 18 medullium < medulium F : Aug.; edulium, < ab > Flo.

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        58 In der Frivolaria: „Wo sind die Vorkämpfer (rōrāriī)?“ „Da sind sie.“ „Und wo die Ersatzleute?“ „Da sind wir.“ 157 Rōrāriī sind die, die den Kampf eröffnen; sie sind von rōs, Tau, benannt, weil es vorher Tau gibt, rōrat, ehe es regnet. Accēnsī, Ersatzleute, sind Helfer, ministrātōrēs, schreibt Cato; accēnsus kann vom Gutdünken (sc. nämlich cēnsus) kommen; denn dem Gutdünken dessen, wessen Diener, minister, er (sc. der accēnsus) ist, ist er ausgeliefert.158 59 Pacuvius: „Wenn der Götter dreifache Vorzeichen…“159 60 Im Mercator: „Das macht dir genauso viel Kummer, wie es mir schon heute gemacht hat.“160 Diese Wendung (sc. dīvidiaest) hat ebenso auch Naevius in der Corōllāria benutzt.161 Dīvidia, Zerwürfnis: Es ist von dīvidere, teilen, benannt, weil die Zerstückelung, distrāctiō, des Schmerzes eine Teilung ist, dīvīsiō; deshalb sagt er (sc. Plautus) auch162 im Curculio: „Doch was ist los mit dir?“ – „Die Milz bringt mich um, die Nieren tun mir weh, mir zerreißt's (distrahuntur) die Lunge.“163 61 Im Phago (Esser): „Meine Ehre ist mit dem Ragout (syncerastum) verloren gegangen, mit Hinterschinken und Schweinsdrüsen.“164 Das Syncerastum ist alles Essbare, mit einem alten griechischen Wort.165

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        Liber VII

        62 In Parasito pigro: „Domum ire cepi1 tramite dextra via.” Trames2 a transverso dictus. 63 In Fugitivis: „Age ergo3, specta! Vide vibices4 quantas!” „Iam inspexi. Quid est?” Et5 vibices a vi6, excitatum verberibus corpus. 64 In Cistellaria: „Non quasi nunc haec sunt hic, limaces lividae.” Limax ab limo, quod ibi vivit. „Diobolares7 schoenicolae8 miraculae.” Diobolares a binis9 obolis. Schoenicolae10 ab scheno, nugatorio11 unguento12. Miraculae a miris, id est monstris; a quo Accius ait: „Personas < has >13 distortis14 oribus, deformis miriones.” 65 Ibidem: „Scrattae,15 scrupipedae, strittabillae, tantulae.“ Ab excreando scr screattae16; scrattas significat17. Scrupipedam: Aurelius scribit ut scauripeda18. Iuventius comicus dicebat a vermiculo piloso, qui solet esse in fronde cum multis pedibus; Valerius a pede ac scrupea. Ex eo Acci positum curiose;19 itaque est in Melanippo20: „Reicis abs te religionem? scrupeam imponas21!“ Strittabillas a strettilando; strittare ab eo qui sistit egre22. 1 cepi : Ald. 2 tramis F, trames Vall. (Lae.). 3 agerge : prop. L. Sp. 4 spectavi de vivices : Aug. (bis). 5 գđ ē& F (= quid est et): quid est Scal. Scripsi. 6 alii F, corr. Canal. 7 diovolares : Ald. (bis). 8 scenicolae : Scal. 9 sabinisobolis F, tibinis obolis Vall.: Vict. 10 schenicolȩ < schenicolis F : schaenicolae Turn. 11 nugatorio F, nugario Vall. 12 nungento : Ald. 13 Add. J. Soubiran ap. Dangel. 14 distortas : Madvig. 15 Scraties ruppę idesrittabillę : Mue. (scrattae, scrupedae, strittivillae sordidae Gellius III 3,6). 16 screaciae Turn. Scripsi. 17 scraties. Sic assignificat F; scrattae siccas assignificat Flo. sec. L. Sp. Scripsi. 18 tuscauripeda vel auscauripeda F; auscaripeda Vall., auscaripedam Lae.: Scal. 19 curiosa : Ribbeck. 20 melanippe : Scal. 21 imponas < tibi > Mue. 22 egre : Ald.

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        62 Im Parasitus piger (Der faule Parasit): „Ich wollte eben schon auf der Querstraße (trāmite) rechts nach Hause gehen.“166 Trāmes, Querweg, ist von trānsversus, quer, benannt.167 63 In den Fugitivi (Die Flüchtlinge): „Schau doch nur! Sieh dir diese Riesenstriemen an!“ „Hab ich schon. Was ist los?“168 Vībīcēs, Striemen, kommt von vī(s), der Gewalt169: Denn der Leib ist von Schlägen aufgeschwollen. 64 In der Cistellaria:170 „Nicht so, wie sie hier jetzt sind, bläuliche Schnecken (līmācēs).“ Līmāx, Schnecke, von līmus, Schlamm, weil sie dort lebt. „Monsterweiber (mīrāculae) um zwei Groschen (diōbolārēs), geschmierte Nutten (schoenicolae).“ Diōbolārēs heißen sie von den zwei Obolī (sc. die sie kosten). Schoenicolae von schoenum, der billigen Duftsalbe. Mīrāculae von mīra, d. h. Ungeheuern; daher sagt Accius171: „Diese Masken mit verdrehten Mündern, hässliche Fratzen (mīriōnēs).“ 65 Ebendort (sc. im gleichen Stück von Plautus):172 „Nutten, klumpfüßige, kahlgerupfte; solche Dinger!” Vom Ausspucken, excreāre, des Schleims, screa, (hieß es ursprünglich) screattae; er bezeichnet damit die scrattae.173 Scrūpipeda: Das, so schreibt Aurelius, kommt von scauripeda, klumpfüßig174. Der Komiker Iuventius175 sagte, das Wort komme von einem behaarten Würmchen, das gern mit seinen vielen Beinen, pedibus, im Laub steckt; Valerius, es komme von pēs, Fuß, und scrūpeus, spitzsteinig. Von daher hat es Accius etwas sonderbar verwendet; deshalb heißt es im Melanippus: „Wirfst du denn alle Scheu ab? Du solltest Skrupel (scrūpea) haben!“176 Strittabillās nennt er (sc. Plautus) sie von strettilāre, zittern; strittāre sagt man zu einem, der sich nicht still halten kann, sistere.

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        Liber VII

        66 In Astraba1: „Acsitiose2 annonam caram e vili3 concinnant viris.” Ideo in Sitellitergo idem ait: „Mulier es4, uxorculavit5; ego novi; scio acsitiosa quam sit6.“ Claudius scribit axitiosas demonstrari consumptrices:7 ab agendo axitiosas. Ut ab una faciendo factiosae, sic ab una agendo actiosae, < inde >8 acsitiosae dictae. 67 In Cesistione: „Di9 stribula / ut de lumbo obscoena viscera10.” Stribula, ut Opillus11 scribit, circum cox[a]endices12 sunt bovis13. Id Grecum est ab eius loci versura. 68 In ervolaria14: „Scobina m15 ego illum16 actutum adrasi enem17.” Scobina[m]: a scobe: lima enim materia18 fabrilis est. 69 In Poenulo: „Vinceretis cervum cursu19 vel grallatorem20 gradu[m]21.” Grallator a gradu magno dictus. 1 Astriba : Ald. 2 ac sitiose F, acsitiose Vall.: acsitiosae GS, axitiosae Ald. 3 evili F. 4 Mulieres : mulier es Turn., mulier est Seyffert. Totum versum sic legit Scal.: „Mulier es, uxor.“ „Cuia, vir?“ „Ego novi, scio: axiosa es.“ 5 uxorculavit : uxorcula ut Flo. 6 acsitio aquam sic : GS; sic: Kent. 7 consupplatrices F, consupplicatrices Vall. (Lae.): conspicatrices Vict., suspicatrices Turn., consolatrices Fay. Scripsi. 8 Addidi. < axitiosae ut > actiosae de Melo. 9 distribula ut: dist. Buecheler. (aut Sciop.). 10 obscoenavis cerȩ < obscenabis cera F, ut videtur; obcenabis cera Vall. (Lae.): Mue. 11 opilius : GS. 12 coxa indices : Ald. 13 vobis : Sciop. 14 ervolaria F, orvolaria Vall.: Ald. 15 scobinam : Sciop. (bis). Scobina m scripsi. 16 illum F, illam Vall. (Lae.); illunc A. Sp. (Flo.). 17 enim : Lachmann. 18 Add. Canal. 19 Circumcurso - gradum F, corr. Ald. ex Plauti Poen. 530. 20 grulatorem F : grallatorem Kent ex Fest. p. 86 L. (bis). 21 gradum : Ald.

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        66 In der Astraba: „Geschäftige (acsitiōsae) Frauen machen den Männern das Leben teuer statt billig.“177 Deshalb sagt er auch im Sitellitergus ('Topfputzer'): „Sie ist ein Weib, hat Weiberzeug gemacht; ich kennʼ sie; ich weiß, wie geschäftig (acsitiōsa) sie ist.“178 Claudius schreibt, mit axitiōsae würden die Verschwenderinnen, cōnsumptrīcēs, bezeichnet:179 von agere, tun, hießen sie axitiōsae. Wie die factiosae, Handlungsfreudigen, vom gemeinsamen Handeln, facere, heißen, so sind sie vom gemeinsamen Tun, agere, actiōsae, geschäftig, und von daher acsitiōsae benannt. 67 Im Cesistio:180 „Den Göttern Hüftfleisch (stribula) oder vom Unterleib die obszönen Eingeweideteile.“ Stribula, Hüftfleisch, liegt, wie Opillus schreibt, um das Hüftbein des Rinds. Das Wort ist griechisch und kommt von der Drehung dieser Partie.181 68 In der Nervolaria:182 „Mit meiner Raspel (scobīna) habʼ ich gleich den Alten da rasiert.“ Scobīna, Raspel, von scobis, Sägespäne; die Feile gehört ja zum Schreinermaterial. 69 Im Poenulus: „Ihr würdet den Hirsch im Lauf oder den Stelzengänger (grallātor) im Schritt besiegen.“183 Grallātor, Stelzengänger, ist von seinem großen Schritt, gradus, benannt.



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        70 In Truculento: „Sine virtute argutum civem mihi habeam pro prefica.“ Dicta1, ut Aurelius scribit, ab luco2 quae conduceretur3, quae ante domum mortui laudis eius caneret. Hoc factitatum Aristoteles scribit in libro, qui scribitur4 Νόμιμα βαρβαρικά.5 Quibus testimonium est, quod fatum6 est Nevii: „Haec quidem, hercle, opinor, praefica est: nam mortuum collaudat.” Claudius scribit: „Quae praeficeret[ur]7 ancillis, quemadmodum lamentarentur, praefica est dicta.” Utrumque ostendit a praefectione praeficam dictam. 71 Apud Ennium: „Decem Coclites quas montibu summis Ripeis8 fodere9.” Ab oculo Cocles ut ocles dictus, qui unum haberet oculum. Quocirca in Curculione est: „De Coclitum prosapia < te >10 esse arbitror: Nam hi sunt unoculi.” 72 Nunc de temporibus dicam. Quod est apud Accium11: „Nocte intempesta nostram devenit domum.” Intempesta nox dicta ab tempestate, tempestas a tempore. Nox intempesta: quo tempore nihil12 agitur. 73 „Quid noctis videtur in altisono caeli clipeo?” „Temo superat stellas13 sublime14 agens15 etiam atque etiam noctis iter.” Hic multam noctem ostendere volt a temonis motu; sed temo unde et cur dicatur, latet. 1 dicta del. Ald. 2 ab luco < Lubitinae > prop. Vetter 309. 3 cū duceretur Vall. 4 scribitur : Aug. 5 nomima barbarica F, nomina barbarica Vall.: Scal. 6 fretum est F : freto inest Canal, in freto est GS. Scripsi sec. Brakmann. 7 praeficeretˀ (= praeficeretur) : Scripsi. 8 ripeis : Ripaeis GS, Rhipaeis de Melo. 9 federe: Turn. 10 Add. Aug. < ted > pro < te > Turn.; an: prosapia ? 11 Cassium: Vict., Scal. 12 nichil F, nil Vall. (Lae.). 13 plaustri ante stellas add. Jocelyn. 14 Add. Buecheler. 15 cogens Vall. (Lae.).

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        70 Im Truculentus: „Ohne Mannestat habʼ ich ja ʼnen schlauen Bürger als Klageweib, praefica.“184 So (sc. praefica, Klageweib) wurde eine Frau genannt, wie Aurelius185 schreibt, die im Hain (sc. der Venus Libitina) gemietet wurde, um vor dem Haus des Toten sein Loblied zu singen.186 Aristoteles schreibt in seinem Buch Νόμιμα βαρβαρικά ('Barbarenbräuche'), dass dies immer wieder praktiziert wurde. Beleg dafür ist, dass es einen Spruch des Naevius gibt:187 „Ich glaub', bei Gott, die ist ein Klageweib (praefica): Denn den Toten lobt sie über alles.“ Claudius188 schreibt: „Praefica wurde sie genannt, um den Mägden vorzumachen, praeficeret, wie sie klagen sollen.“189 Beides zeigt, dass praefica, Klageweib, vom Vormachen, praefectiō, benannt wurde. 71 Bei Ennius steht: „(Schätze?), die die zehn Zyklopen auf den Ripäischen Berggipfeln vergraben haben.“190 Cocles, Einäugiger, ist von oculus, Auge, benannt, aus *ocles, weil er nur ein Auge hatte. Deshalb heißt es im Curculiō: „Aus der Zyklopen Geschlecht stammst du, glaubʼ ich: Denn die sind einäugig.“191 72 Jetzt möchte ich über die Zeiten sprechen.192 Bei Accius steht:193 „Zur Unzeit der Nacht (intempesta nox) kam er in unser Haus“: Intempesta wurde die Nacht von tempestās, Zeitpunkt, benannt, tempestās von tempus, Zeit. Unzeitig, intempesta, heißt die Nacht, weil zu dieser Zeit, tempus, nichts gemacht wird. 73 „Welche Nachtzeit ist jetzt im hoch klingenden Himmelschild ?“ „Es überschreitet die Deichsel die Sterne auf ihrem immer wieder kehrenden nächtlichen Weg in der Höhe.“194 Hier will er die tiefe Nacht – nach der Bewegung des Großen Wagens – anzeigen; aber woher das Wort für die Deichsel, tēmō, kommt und warum es (das Sternbild) so heißt, ist nicht klar.195

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        Liber VII

        Arbitror antiquos rusticos primum notasse quaedam in caelo signa, quae praeter alia erant insignia1 atque ad aliquem usum culturae2 tempus designandum convenire animadvertebantur. 74 Eius 3 signa sunt, quod has septem stellas Greci ut omerus vocat4 Ἅμαξαν5 et propinquum6 eius signum Βοώτην7. Nos tries8 septem stellas boves,9 et temonem et prope eas axem: Triones enim et10 boves appellantur a bubulcis etiam nunc, maxime cum arant terram; e quis, ut dicti valentes „glebarii“11, qui facile proscindunt glebas, sic omnes, qui terram arabant, a terra „terriones”12, unde triones ut dicerentur < E > detrito13. 75 Temo dictus a tenendo: is enim continet iugum et plaustrum, appellatum a parte14 totum15, ut multa. Possunt triones dicti, VII quod ita sitae stellae, ut ternae trigona faciant. 76 „Aliquod lumen – iubar ∙ ne? – in caelo cerno.” Iubar dicitur stella Lucifer, quae in summo quod habet lumen diffusum, ut leo in capite iubam. Huius ortus significat circiter esse extremam noctem. Itaque ait Pacuvius16: „Exorto iubare, noctis decurso itinere.” 77 Apud Plautum in Parasito Pigro: „Inde hic bene17 potus prim

          o18 crepusculo.” Crepusculum ab Sabinis19, et id tempus dubium, noctis an diei sit. Itaque in Condalio est: „Tam crepusculo, fere20 ut amant, lampades accendite!“ Ideo ubiae res21 creperae dictae. 1 quae - insignia lineae minutatim suprascripta sunt in F. 2 Addendum prop. GS. 3 Eɉ (bis) F. Equi Vall., qui om. quod. 4 vocat : Aug. 5 ΑΜΑΣΑΝ F, ΑΝΑΣΑΝ Vall.: Vict. 6 propinquam : Lae. 7 ΒΟΟΤΕΝ signum F, signum ΒΟΟΤΕΝ Vall., signum booten Lae. 8 Nostri eas: Scripsi. 9 boues F; rones L. Sp. 10 et : del. Sciop. (de Melo). 11 valentes „glebarii“ sic distinguendum prop. Vetter 309. 12 An: teriones? Cf. V 21 terra < tera. 13 de tritu : Aug. 14 aꝑte (= aperte) : Vall. (Lae.). 15 totius Vall. (Lae.). 16 paculus : edd. 17 de nepotus F, denepotus Vall.: Vict. (bene appotus Scal.). 18 Add. Scal. 19 savinis : Lae. 20 fere : Buecheler. 21 ubi heres : Lae.

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          Ich glaube: Die früheren Bauern nahmen zuerst bestimmte Sternbilder am Himmel wahr, die aus den übrigen hervorstachen, und bei denen sie bemerkten, dass sie sich dazu eigneten, irgendeine Nutzung und Zeit für die Feldbestellung zu bestimmen. 74 Zeichen dafür sind: Die Griechen nennen diese sieben Sterne – wie Homer – Ἅμαξα, Wagen, und das ihm benachbarte Sternbild Βοώτης, Pflüger. Wir nennen die sieben Sterne triōnēs, also Ochsen, bovēs, und Deichsel, tēmō, und daneben die Achse, axis: 196 Denn auch triōnēs werden die Ochsen heute noch von den Ochsenknechten vor allem dann genannt, wenn sie das Land pflügen; wie nun die Tüchtigen von diesen glēbāriī, Schollerer, benannt wurden, die die Schollen, glēbae, mit Leichtigkeit aufspalten, so nannte man alle, die das Land pflügten, von terra, Land, terriōnēs, so dass sie von daher triōnēs genannt wurden, nach Ausstoßung des E.197 75 Tēmō, Deichsel, kommt von tenēre, halten: Denn sie hält Joch und Wagen zusammen, das Ganze (sc. der Große Wagen) ist vom Teil benannt, wie vieles198. Das Siebengestirn, die triōnēs, könnte auch deswegen so heißen, weil die sieben Sterne so liegen, dass je drei, ternae, ein Dreieck, trigōnum, bilden. 76 „Irgendein Licht – ist's gar Morgenschimmer (iubar)? – sehe ich am Himmel.”199 Iubar wird der Stern Lucifer genannt, der an seiner höchsten Stelle sein Licht aufgelöst hat, diffūsum, so wie der Löwe am Kopf die Mähne, iuba. Dessen Aufgang zeigt an, dass es ungefähr das Ende der Nacht ist. Daher sagt Pacuvius: „Nach Aufgang des Morgenschimmers (iubar), am Ende seiner nächtlichen Bahn.“ 200 77 Bei Plautus heißt es im Parasitus Piger: „Von da kam er, stockbetrunken, beim allerersten Dämmerschein (crepusculō).“ Crepusculum, Dämmerung, kommt von den Sabinern, und bei dieser Zeit ist es zweifelhaft, ob sie zu Nacht oder Tag gehört. Darum heißt es im Condalium:201 „Es ist schon so dämmrig (crepusculum), wie das Wild es liebt: Macht Licht!“ Daher heißen die zweifelhaften Dinge auch creperae, ungewiss.

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          78 In Trinummo: „Concubium sit noctis, priusquam < ad >1 postremum perveneris.“ Concubium a concubitu dormiendi causa dictum. 79 In Asinaria: „Videbitur2; factum volo: at redito3 conticinnio!” Putem a conticiscendo conticinnium4 sive, ut Opillus5 scribit, ab eo, cum conticuerunt homines. 80 Nunc de his rebus, quae assignificant aliquod tempus, cum dicuntur aut fiunt, dicam. Apud Accium: „Reciproca tendens nervo equino concita tela.” Reciproca est, cum, unde quid profectum, redit eo; ab recipere reciprocare fictum, aut quod poscere procare6 dictum. 81 Apud Plautum: „Ut7 transversus8, non proversus, cedit, quasi cancer solet.”,9 dicitur ab eo, qui in id, quod10 < ante >, est versus, et ideo, qui exit in vestibulum, quod est ante domum, prodire et procedere. Quod cum leno11 non faceret, sed secundum parietem transversus iret, dixit: „Ut transversus cedit quasi cancer”, non proversus ut homo.12 82 Apud Ennium: „Andromachae nomen qui indidit, rected13 indidit.” Item: „Quapropter Parim pastores nunc Alexandrum vocant.“ 1 Add. Aug. e Plauto. 2 Videbimus eodem versu VI 7 scribitur. Videbitur codd. Plaut. 3 ad reditum : sed cf. VI 7; conticinno˙ (sic) F; redito < huc > conticinio codd. Plaut.; scripsi. 4 conticinnam : conticinium Lae.; scripsi. 5 opilius : GS. 6 քrogare (= prorogare) < քrocare, ut videtur, F : Ald. 7 aut F : Bentinus. 8 Aut transversum F, aut occidēs versum Vall. (Lae.) : Aug. 9 < Proversus > add. L. Sp. 10 in id, quod F, in id, quo it, Mue. (Flo.); quod est < ante, est > Christ; scripsi. 11 lemo : Ald. 12 Sic F; ut transversus, non proversus cedit, quasi cancer solet. Codd. Plaut. 13 recte ei : recte Vict., edd.; scripsi bis, vide infra.

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          78 Im Trinummus: „Es wäre wohl schon Nacht und Schlafenszeit (concubium), ehe du an das Ende kommst.“202 Concubium, Schlafenszeit, ist vom Zusammenliegen (um des Schlafens willen), concubitus, benannt. 79 In der Asinaria: „Man wird ja sehn; so sei's getan! Doch komm zur stillen Nacht zurück!“203 Ich möchte denken, dass es conticinnium heißt vom Stillwerden, conticīscere, oder, wie Opillus schreibt, vom Zeitpunkt, wo die Menschen still geworden sind, conticuērunt.204 80 Jetzt möchte ich über die Dinge schreiben, die irgendeine Zeit bezeichnen, indem man sie sagt oder tut.205 Bei Accius steht: „Indem er den Bogen mit der Sehne aus Pferdehaar nach hinten spannt, < verschießt er > die schnellen Pfeile.“206 Reciproca bedeutet: Wenn etwas dorthin, von wo es losgegangen ist, zurückkommt; von recipere, zurücknehmen, ist reciprocāre gebildet, oder deswegen, weil pōscere, fordern, procāre genannt wird. 81 Bei Plautus: „Seitwärts, nicht vorwärts, geht er, wie's der Krebs stets tut.“,207 (Sc. proversus, nach vorn gerichtet) sagt man von dem, der auf das gerichtet ist, was vor ihm liegt; und deshalb – so sagt man – geht der, der ins Vestibül hinausgeht (es liegt ja vor dem Wohntrakt), vor, prodīre, und nach vorne, procēdere. Da dies der Kuppler nicht machte, sondern an der Mauer entlang seitwärts, trānsversus, ging, sagte er: „Seitwärts geht er wie ein Krebs“, nicht vorwärts wie ein Mensch. 82 Bei Ennius steht: „Wer Andromache den Namen gegeben hat, hat ihn zu Recht gegeben.”208 Und: „Deshalb nennen die Hirten den Paris jetzt Alexander.“209

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          Imitari dum voluit1 Euripidem2 et ponere ἔτυμον, est lapsus; nam Euripides quod Greca posuit, ἔτυμα sunt aperta. Ille ait ideo nomen inditum3 Andromache4, quod ἀνδρὶ μάχεται5. Hoc Ennium6 quis potest intellegere in versu[m]7 significare „Andromache nomen qui indidit, recte8 indidit” aut Alexandrum ab eo appellatum, in Grecia qui Paris fuisset? A quo Herculem quoque cognominatum Ἀλεξίκακον ab eo, quod defensor esset hominum? 83 Apud Accium: „Iamque auroram rutilare procul cerno.” Aurora dicitur ante solis ortum, ab eo, quod ab igni solis tum aureo aer aurescit. Quod addit “rutilare”, est ab eodem colore: aurei enim rutili, et inde etiam mulieres valde rufae “rutilae” dictae. 84 Apud Terentium: „Scortatur9, potat, olet unguenta de meo.” Scortari est sepius meretriculam ducere, quae dicta a pelle: id enim non solum antiqui dicebant scortum, sed etiam nos dicimus scortea ea, quae e corio ac pellibus sunt facta. In aliquot10 sacris ac sacellis scriptum habemus: „Ne quod scorteum adhibeatur”, ideo11, ne morticinum quid adsit. In Atellanis licet animadvertere rusticos dicere se adduxisse pro scorto pelliculam. 85 Apud Accium: „multis nomen vestrum numenque12 ciendo”. Numen dicunt esse imperium, dictum ab nutu: < cuius nutuis >13 omnia sunt, eius imperium maximum esse videatur. Itaque in Iove hoc et Homerus et Accius14 aliquotiens. 1 volunt : Ald. 2 euripeden - euripedes: Lae. 3 additum: Vict. 4 andromache : Ald. 5 andromachete : Ald. 6 ennii : prop. L. Sp. 7 inversum : Turn. 8 Addidi. 9 opsonat codd. Terentii. 10 aliquot < aliquod F. 11 ideo F : an: id est? 12 numerique F, numenque Vall. (Lae.). 13 quod cuius nutus add. Lachmann. Scripsi. 14 alius : Vahlen.

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          Indem er (Ennius) Euripides nachahmen und das Etymon deutlich machen wollte, machte er einen Fehler; denn weil Euripides griechische Namen gebrauchte, sind seine Etyma klar. Deshalb, so sagt er, wurde Andromache ihr Namen gegeben, weil sie ἀνδρὶ μάχεται, gegen einen Mann kämpft. Wer kann erkennen, dass Ennius darauf im Vers anspielen will? „Wer Andromache den Namen gegeben hat, hat ihn zu Recht gegeben“, oder dass Alexander daher (sc. vom Abwehren der Männer) benannt worden ist, der doch in Griechenland Paris hieß? Mit einem Namen, von dem her auch Hercules den Beinamen Ἀλεξίκακος bekam, deshalb, weil er Verteidiger gegen das Böse sei?210 83 Bei Accius: „Und schon sehe ich in der Ferne Aurora rötlich schimmern (rutilāre).“211 Mit Aurōra wird das Morgenrot vor Sonnenaufgang bezeichnet: daher, weil sich dann die Luft vom goldenen, aureus, Feuer der Sonne golden färbt, aurēscit. Wenn der Dichter rutilāre, rötlich schimmern, hinzufügt, so kommt das von der gleichen Farbe: Die Goldmünzen, aureī, sind nämlich rötlich, und daher sagt man auch zu Frauen, die stark fuchsrotes Haar haben, sie seien rutilae, Rothaarige. 84 Bei Terenz: „Er hurt und säuft und riecht nach Parfüm – von meinem Geld!“212 Scortārī, huren, bedeutet 'öfter eine Hure nehmen'; die (sc. scortum) ist vom Leder so benannt: Dazu sagten nämlich nicht nur die Alten scortum, sondern auch wir bezeichnen als scortea, ledern, alles, was aus Tierhaut und Fell gemacht ist. In etlichen Heiligtümern und Kapellchen finden wir geschrieben: „Nichts aus Tierhaut (scorteum) darf verwendet werden!“, und zwar deswegen, damit nichts Abgestorbenes dabei ist. In den Atellanen lässt sich feststellen, dass die Bauern sagen, sie hätten sich ein „Fellchen“, pellicula, mitgenommen – statt scortum, Hure.213 85 Bei Accius steht: „… indem ich mit vielen Worten Euren Namen (nōmen) und Majestät (nūmen) anrufe.“214 Nūmen, Majestät, sagt man zur Herrschaft, benannt von nūtus, Nicken: Denn der, von dessen Nicken/Wink, nūtus, alles abhängt, dessen Herrschaft wird man wohl als die größte ansehen. Deshalb gebrauchen dieses Wort für Iuppiter Homer und Accius etliche Male.215

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          86 Apud Plautum: „Si1 unum: epityrum2 estu[e]r3 insane4 bene.” Epityrum vocabulum est cibi, quo frequentius Sicilia quam Italia usa. Id < edi >5 vehementer cum vellet dicere, dixit insane, quod insani omnia faciant vehementer. 87 Apud Pacuvium: „Flexanima taquam6 lymphata < aut Bacchei sacris commota.” Flexanima: …. Lymphata >7: dicta a lympha8; 9 a Nympha, ut quia10 apud Grecos Θέτις11, apud Ennium: „Thelis12 illi mater.” In Grecia commota mente, quos νυμφολήπτους appellant, ab eo lymphatos dixerunt nostri. Bachi13: Liber, cuius comites a Bachae14, et vinum in ispania15 baca.16 88 Origo in his omnibus Greca, ut quod apud Pacuvium: „Alcyonis17 ritu litus pervolgans feror18.” Haec enim avis nunc. Grece19 dicitur ἀλκυών, nostri alcedo. Hec hieme quod pullos dicitur tranquillo mari facere, eos dies alcyonia20 appellant. Quod est in versu „alcyonis21 ritu”, id est22 eius instituto, ut cum aruspex23 praecipit, ut suo quisque ritu sacrificium faciat, et nos dicimus XV viros Greco ritu sacra, non Romano facere. Quod enim fit rite, id ratum ac rectum est. 1 Si : nisi codd. Plautini. 2 epytira : Ald. cum Plauto (bis). 3 estuer : Lae. cum Plauto. 4 insane F, Vall. (Lae.): insanum Plautus. 5 Add. hoc loco Mue. 6 flex animat aquam : Turn. 7 Add. Turn. e Cicerone. Ante Lymphata lacunam suspicor, flexanimae etymologiam continentem. Scripsi. 8 limpha - nimpha : Ald., sed cf. V 71 9 < lympha > add. L. Sp., scripsi. 10 qoai ( = quia ) < qa F, quod edd. 11 THETIC : L. Sp. 12 thetis : Turn. 13 bachi et F : prop. L. Sp. 14 abache : Scripsi sec. L. Sp. 15 Inispani/a F : Ald. 16 baca F, bacca Vall. 17 alcionis F, alcyonis Vall. (Lae.). 18 furor : Scal. 19 haec enim avis. nunc F; aliter interpunxi et scripsi. 20 alciona : GS. 21 alcionis F, alcyonis Vall 22 idē (= idem): Lae. 23 aruspex : Popma

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          86 Bei Plautus: „Nur das Eine: Olivenmus (epityrum) isst man (sc. hier) wahnsinnig gut.“216 Epityrum ist ein Wort für eine Speise, die man in Sizilien häufiger als in Italien hat. Da er sagen wollte, dass man dieses hektisch (vehementer) isst, sagte er īnsānē, wahnsinnig, weil die Wahnsinnigen/Unvernünftigen, īnsānī, alles hektisch tun.217 87 Bei Pacuvius: „Im Herzen tief erregt, wie eine Wahnsinnige (lymphāta) < oder von Bacchusʼ Kult Erregte.“218 Flexanima, tief bewegt: … Lymphāta, Wahnsinnige >: Sie ist von lympha, Wasser, benannt; dies von der Nymphe, Nympha, wie ja auch bei den Griechen Θέτις (Thetis) eine ist; bei Ennius steht:219 „Thelis war seine Mutter.“ In Griechenland bezeichnet man die, die verrückt sind, νυμφολήπτους; daher haben die Unseren sie lymphātōs genannt. Bacchī, des Bacchus: Er ist Līber, dessen Gefolge nach ihm Bacchae, Bacchen, heißt, wie auch der Wein in Spanien bacca. 88 Der Ursprung bei all diesen Wörtern ist griechisch, wie wenn es bei Pacuvius heißt: „Wie Alkyone treibe ich an der Küste entlang.“220 Sie ist nämlich jetzt ein Vogel. Auf Griechisch heißt er ἀλκυών, bei uns alcēdō, Eisvogel. Und weil er angeblich seine Jungen im Winter bei ruhiger See ausbrütet, heißen diese Tage alcyōnia, Eisvogeltage. 221 Der Ausdruck „alcyōnis rītū“ im Vers bedeutet 'nach des Eisvogels Sitte'; so, wie wenn der Haruspex vorgibt, dass jeder nach seiner Art (rītus) das Opfer vollziehen solle, und wir sagen, dass das Fünfzehnerkollegium auf griechische Art, Graecō rītū, nicht auf römische, opfert.222 Denn was rītē, ritusgerecht, geschieht, das ist rechtskräftig (ratum) und richtig (rēctum).

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          Ab eo Accius „rite1 perfectis sacris” < recte >2 volt accipi. 89 Apud Ennium: „Si voles advortere animum, comiter monstrabitur.” Comiter: hilare ac lubenter; cuius origo Greca κῶμος, inde comisatio Latine dicta et in Grecia, ut quidam scribunt, κωμῳδία.3 90 Apud Atilium: „Cape, cede4, Lyde, come, condi5!” Cape, unde accipe; sed hoc in proximo libro retractandum. 91 Apud Pacuvium: „Nulla res neque6 cicurare neque mederi potis est7 neque + reficere + 8.” Cicurare9: mansuefacere; quod enim a fero10 discretum, id dicitur cicur, et11 ideo dictum „Cicur ingenium optineo”, mansuetum. A quo Veturii quoque nobiles cognominati Cicurini. 12 Natum a cicco cicur videtur. Ciccum13 dicebant membranam tenuem, quae est ut in malo Punico discrimen. A quo etiam Plautus dicit: „Quod volt densum,14 ciccum non interduo.“ 92 Apud Nevium: „Circumvenire15 video ferme iniuria.” Ferme dicitur, quod nunc fere; utrumque dictum a ferendo, quod id quod fertur, est in motu atque adventat. 1 recte : Turn. 2 Add. Turn. 3 comodiam : L. Sp. 4 cede, lide : Aug. 5 conde : Kent. 6 nec Lachmann. 7 potis est < potest F. 8 reficere : refingere Lachmann, Warmington; refigere Ribbeck, Klotz; neque < rem > reficere A. Sp. An: refficere (= re-efficere)? . 9 cicorare F, cicůrare Vall.: Lae. 10 afero afero F 11 cicuret : edd. 12 cicuri. Innatum : Groth. 13 ciccū < ciccur F, Vall. 14 densum : Canal 15 ciccum venire video F, Vall. (Lae.): circumveniri Ribbeck; Eccum venire video de Melo sec. alios. Circumvenire video: Schauer Frg. 44.

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          Von daher will Accius, dass man unter rītē perfectīs sacrīs (nachdem das Opfer ritusgerecht vollzogen war)223 versteht, dass es richtig, rēctē, geschehen ist. 89 Bei Ennius: „Wenn du aufmerken willst, wird es dir freundlich (cōmiter) gezeigt werden.“224 Cōmiter, freundlich: d. h. heiter und gerne; dessen griechischer Ursprung ist κῶμος, von da ist lateinisch die cōmi(s)sātiō, der lustige Umzug, benannt und von da kommt in Griechenland, wie einige schreiben, die Komödie, κωμῳδία.225 90 Bei Atilius: „Fassʼ und schlachte, Lydus, iss und würz'!“226 Cape, fasse! Daher kommt accipe, nimm an! Aber das ist im nächsten Buch zu behandeln.227 91 Bei Pacuvius: „Nichts kann mich weder besänftigen noch heilen noch alles wieder gutmachen.“228 Cicurāre: zahm machen, mānsuēfacere; denn was sich vom Wilden unterscheidet, das heißt cicur, zahm, und deshalb heißt es: „Ich habe einen zahmen (cicur) Charakter“, mānsuētum.229 Von diesem Wort haben die adligen Veturier230 den Beinamen Cicurīnī. Cicur, zahm, kommt wohl von ciccum, dem Inneren des Granatapfels. Ciccum nannte man die dünne Haut, die ein Scheidehäutchen wie beim Granatapfel ist. Daher sagt auch Plautus: „Welche Ration er will – das ist mir egal.“231 92 Bei Naevius: „Ich sehe, dass er/sie … zu Unrecht fast umzingelt.”232 Fermē heißt das, was jetzt ferē, ungefähr, ist; beides kommt von ferre, tragen, weil das, was man trägt, in Bewegung ist und bald kommt.

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          Liber VII

          93 Apud Plautum: „Euax, iurgio uxorem tandem1 abegi a2 ianua.“ Euax verbum nihil significat, sed effutitum naturaliter est, ut apud Ennium: „Hehae, ipse clipeus cecidit“, apud Ennium: „[h]Eu3, mea puella, < e >4 spe quidem id successit5 tibi”, apud Pompilium: „Heu, qua me causa, Fortuna, infeste premis?6” Quod ait „iurgio”, id est litibus. Itaque quibus res erat in controversia, ea vocabatur „lis“. Ideo in actionibus videmus dici: „… quam rem me sive litem7 dicere oportet.“ Ex quo licet videre iurgare esse ab iure dictum, cum quis iure litigaret; ab quo obiurgat is, qui id facit iuste. 94 Apud Lucilium8: „Atque aliquos ibi < si >9 ab rebus clepsere foro qui10.” Clepsere dixit, unde etiam alii clepere, id est corripere. Quorum origo a clam, ut sit dictum clapere, unde clepere, E ex A11 commutato, ut multa. Potest vel a Greco dictum κλέπτειν12 clepere. 95 Apud Matium: „Corpora Graiorum maerebat13 mandier igni.” Dictum mandier a mandendo. Unde manducari, et a quo in Atellanis Dossennum14 vocant Manducum.

          1 Euax, iurgio, hercle, tandem uxorem abegi ab ianua. Codd. Plaut. 2 abregia : Vict. 3 Heu F, Eu Ribbeck (Flo., de Melo). 4 Add. Ribbeck. 5 succenset : Mue. 6 promis : Lae. 7 militem : litem Ald., mi litem Canal. *me transposui et scripsi. 8 Lucretium : Vertr. 9 aliquosibi F, aliquot sibi Kent. : Add. Marx. 10 ꝗ (= qui) : An: qui? 11 et ex ea commutatio : L. Sp. 12 cleptin F : Aug. 13 merebar F, maerebant Scal. ex Homero: Mue. 14 adobsenum : Dossenum Mue.: Flo.

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          93 Bei Plautus233: „Juchhe (euax)! Endlich habʼ ich die Frau mit dem Geschimpfe von der Tür vertrieben!“ Das Wort „euax“ bezeichnet gar nichts, sondern ist ganz natürlich herausgestoßen, wie bei Ennius: „Ha (hehae)! Der Schild ist schon gefallen!“,234 bei Ennius: „Bravo (eu), mein Mädchen, das ist dir wirklich wie gewünscht gegangen!“,235 bei Pompilius: „Ach (heu)! Aus welchem Grund, Fortuna, drückst du mich so feindlich nieder?“236 Wenn er (sc. Plautus) sagt: iūrgiō, so bedeutet das 'mit Streit'. Wenn daher eine Sache strittig war, dann hieß das līs, Streit. Daher sehen wir, dass es bei den Prozessregeln (āctiōnēs) heißt: „…, was ich Sache, rēs, oder eher Streitsache, līs, nennen muss.“ Man kann daraus ersehen, dass iūrgāre, streiten, von iūs, Recht, benannt ist, wenn einer mit Recht, iūre, seine Streitsache verfocht, lītigāret; von da sagt man: Der, das zu Recht macht, obiūrgat, macht Vorwürfe. 94 Bei Lucilius: „Und die Anderen, wenn sie sich dort auf dem Forum von den Dingen (etwas) gestohlen haben (clepsēre).“237 Er sagte clepsēre, wovon andere auch clēpēre gebildet haben, das heißt an sich reißen, corripere. Diese Wörter kommen von clam, heimlich, es hieß also * clapere, woher clepere kommt, wobei das A zu E wurde, wie bei vielen Wörtern. Clepere könnte aber auch vom griechischen κλέπτειν kommen.238 95 Bei Matius: „Es schmerzte ihn, dass die Leichen der Griechen vom Feuer verzehrt wurden.“239 Mandier ist von mandere, kauen, benannt. Daher kommt mandūcārī, kauen/ essen, und Mandūcus, Fresser, wie sie in den Atellanen den Dossennus (Buckligen) nennen.240

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          Liber VII

          96 Apud Matium: „Obsceni1 interpres funestique ominis2 auctor.“ Obscenum3 dictum ab scena.4 Ea, ut Greci aut Accius scribit, scena5. In pluribus verbis A ante E alii ponunt, alii non, ut quod partim dicunt 6 sceptrum, alii Plauti Faeneratricem7, alii Feneratricem8. Sic faenisicia9 ac fenisicia10, ac rustici pappum Mesium11, non Maesium. A quo Lucilius scribit: „Cecilius < pretor >12 ne rusticus fiat.” Quare turpe ideo obscenum13, quod – nisi in scaena14 – palam dici non debet15. 97 Potest vel ab eo, quod puerulis 16 turpicula res in collo quaedam suspenditur, ne quid obsit, u 17 bonae scevae causa, scevola 18 appellata. Ea dicta ab scaeva19, id est sinistra, quod quae sinistra sunt, bona auspicia existimantur. A quo dicitur comitia aliudve quid, sit20 dixi, < scaeva fieri >21 avi22, sinistra quae nunc est. Id a Greco est, quod hi sinistram vocant σκαιάν23. Quare, quod dixi, obscaenum24 omen est omen turpe, quod unde id dicitur < os >25, osmen, e quo S26 extritum. 1 obsceni F, obscaeni Ald. 2 om̅s F (= omnis), corr. Aug. 3 obscenum : Ald. 4 scena : Ald. 5 scena < scaena F, scaena Vall. 6 Add. Lae. 7 faeneratricem < feneratricem F; Vall. 8 foeneratricem < feneratricem F; Vall.: Lae. 9 faenisicia < fenisicia F; Vall. 10 foenisicia : Aug. 11 maesium - moesium : Mesium - Maesum Lae. 12 Add. Scal. ex Diomede GLK I 452, 18. 13 obserrõum F, obsedū Vall.: Vertr. 14 scaenā : Ald. 15 debet < dedet F. 16 pueriis < puerilis F, pueris < pueriis Vall.: Turn. 17 ubonȩ : u del. edd.; scripsi. 18 scevȩ - scevola : Ald. 19 scaeva < sceva F. 20 sit F : GS. 21 Add. GS. 22 aut : Turn. 23 scean F, σκάιαν Ald.: Aug 24 scevum : Mue. sec. Aug. 25 Addendum prop. L. Sp. 26 os mene quod F : Mue.

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          96 Bei Matius steht: „Vermittler von Unanständigem (obscaenī) und Urheber eines tödlichen Vorzeichens.“241 Obscaenum, unanständig, ist von scaena, Bühne, benannt. Sie ist, wie die Griechen (sc. sagen) oder Accius schreibt, (sc. eigentlich) scēna.242 In mehr Wörtern setzen die einen ein A vor das E, andere nicht: So sagt man teils scaeptrum, Szepter, teils scēptrum, die einen zu (sc. der gleichnamigen Komödie) des Plautus 'Wucherin' Faenerātrīx, die anderen Fēnerātrīx.243 So gibt es faenisicia, Heuernte, und fēnisicia, und die Leute auf dem Lande sagen zum Alten (sc. in der Komödie) Mēsius, nicht Maesius. Daher schreibt Lucilius: „… dass ja der Pretor Cecilius nicht zum Bauern wird!“244 Also bezeichnet man das Unanständige deshalb als obscaenum, weil es – außer auf der Bühne – öffentlich nicht gesagt werden darf.245 97 Vielleicht kommt es (sc. obscaenum) aber auch daher, dass dieses ganz unanständige kleine Ding, das man den kleinen Buben um den Hals hängt, damit ihnen nichts schade, als wäre es bonae scaevae, um des guten Vorzeichens willen, scaevola ('Linkerlein'), genannt worden ist.246 Dieses Ding (sc. das kleine Phallus-Amulett) ist von scaeva, d. h. der linken Hand, benannt: Denn man hält die Vorzeichen, die links sind, für gute. Daher sagt man, dass Versammlungen oder irgendetwas Anderes, wie ich gesagt habe247, mit einem „guten“, scaeva, Vogel vollzogen werden, der jetzt linker heißt, sinistra. Dieses Wort kommt aus dem Griechischen: Denn die sagen zur Linken σκαιά. Daher ist, wie gesagt, ein obscaenum ōmen ein unanständiges Vorzeichen (ōmen, Vorzeichen, kommt von ōs, aus ōsmen, aus dem das S ausgeschieden wurde)248.

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          98 Apud Plautum: „Quom1 ego antehac te amavi < et mihi amicam esse crevi.”2 Crevi >3 valet constitui. Itaque heres cum constituit se heredem esse, dicitur „cernere”4, et, cum id fecit, „crevisse”. 99 Apud eundem quod est: „Mi5 frequentem operam dedistis“, valet assiduam. Itaque, qui adest assiduus fere et6 ques: oportet, [h]is7 frequens; < cui infrequens >8 opponi solet. Itaque illud, quod eaedem mulierculae dicunt: „o9 quidem nos10 pretio pertanti11 est frequentare. Ita in prandio nos lepide ac nitide accepisti.”, apparet dicere: „Facile est curare, ut < adsidue >12 adsimus, cum tam13 bene nos accipias.” 100 Apud Ennium: „Decretum est stare < et fossari >14 corpora telis.” Hoc verbum Ennii dictum a fodiendo, a quo fossa. 101 Apud Ennium: „Vocibus concide fac, si musset,15 obrutum16.“ Mussare dictum, quod muti non amplius quam MU dicunt; a quo idem dicit id, quod minimum est: „Neque, ut aiunt, μῦ17 facere audent.“ 1 quia F, cum codd. Plautini; scripsi. 2 Add. Aug. (qui scribit quia etc.) ex Plauti Cist. 1. 3 Add. L. Sp. 4 canere : cernere prop. Vict. 5 Quodesimi F , quodesinu Vall. : Aug.; mi : mihi codd. Plautini Cist. 8. 6 ferret quem F, fere et quom Canal; que scripsi. 7 Aug. 8 Add. L. Sp. 9 Add. Mue. ex Plauto. 10 An: nos? 11 pretio // ptanti F, precio քtanti Vall. (Lae.); tanti Lindsay, del. Leo. Scripsi. 12 Add. Goetz p. LI. 13 iam : Aug. 14 Add. Bergk; atque fodari add. GS. 15 facimus et F, faxim et Vall. : L. Sp. s 16 obrutu vel obrutum F, obrutus Vall. (Lae.). 17 Μῦ F, Μυ Vall. (Sp.).

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          98 Bei Plautus: „Weil ich dich schon immer lieb habe und entschieden habe (crēvī), dass du meine Freundin bist.“249 Crēvī bedeutet cōnstituī, ich habe mich entschlossen. Wenn daher der Erbe sich entschließt, das Erbe anzunehmen, dann sagt man, dass er cernere, entscheide, und, sobald er das getan hat, er habe sich entschieden, crēvisse.250 99 Wenn es bei ihm auch heißt: „Ihr habt euch vielfache (frequentem) Mühe mit mir gemacht“,251 dann bedeutet dieses frequentem 'beharrlich' (assiduam). Wer daher in der Regel, ferē, beharrlich (assiduus) da ist und wenn er kann, queēns: Der ist sicherlich frequēns; im Gegensatz immer zu dem, der unregelmäßig da ist.252 Wenn daher die gleichen Frauenzimmer sagen:253 „Beim Pollux! Um diesen Preis ist es uns superviel254 wert, dich zu besuchen (frequentāre). Du hast uns ja beim Essen so fein und glänzend bewirtet.“, so meinen sie damit offensichtlich: 'Wir können es leicht einrichten, dauernd, adsiduē, da zu sein, weil du uns so gut bewirtest.' 100 Bei Ennius heißt es: „Beschlossen ist's, Stand zu halten und den Leib mit Geschossen durchlöchern zu lassen (fossārī).“255 Dieses Wort des Ennius ist von fodere, graben, benannt, woher auch fossa, der Graben, kommt. 101 Bei Ennius: „Machʼ ihn mit Worten fertig, los, falls er noch muckt (musset), deckʼ ihn ein!“256 Mussāre, brummeln, ist daher benannt, dass die Stummen, mūtī, nicht mehr als MU sagen; daher sagt Ennius auch zu dem, was das Wenigste (sc. an Lautäußerung) ist: „Und sie getrauen sich nicht einmal, wie es heißt, μῦ zu machen.“257

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          Liber VII

          102 Apud Pacuvium: „Dei1 monerint meliora atque2 amentiam averruncassint .”3 < Ab >4 avertendo averruncare, ut deus, qui in eis rebus praeest, Averruncus. Itaque ab eo precari solent, ut pericula avertat. 103 In Aulularia: „Pipulo5 te6 differam ante aedis”, id est convicio, declinatum a piatu7 pullorum. Multa ab animalium vocibus tralata in homines, partim quae8 sunt aperta, partim obscura. Perspicua, ut Ennii: „Animus cum pectore9 latrat”, Plauti: „Gannit odiosus omni totae familiae”, cilii:10 „Tantum rem dibalare ut pro nilo habuerit”, Lucilii: „Haec, inquam, rudet ex rostris atque heilitabit“11, eiusdem: „Quantum hinnitum atque equitatum!“. 104 Minus aperta:12 Porcii ab lupo: „volitare ululantis.”, Eni a vitulo: „Tibicina maximo labore mugit.” Eiusdem a bove: „clamore[m]13 bovantes.” Eiusdem a leone: „pausam fecere14 fremendi”. Eiusdem ab edo15: „Clamor ad caelum volvendus per ethera vagit.“ 1 dī F, Vall.1, dȓ (= dicitur) Vall.2 (Lae.); dei legit Diacetius. 2 Del. Flo. 3 Add. Ribb. ex Paul. Fest. 511 f. L. et Non. 104,22 L. 4 Add. Turn. 5 populo codd. Plaut. 6 te hic codd. Plaut. (Lindsay), te del. Leo. 7 piatu F, pittu Vall.: pipatu Ald.; scripsi. 8 partimque : edd. 9 Animusque in pectore prop. Scal. 10 Cilii : Lae. 11 heilitabit : GS. 12 aperiant. F : L. Sp. sec. Aug. 13 clamorem : Ald. 14 facere : Rhol. 15 edo : Aug.

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          102 Bei Pacuvius: „Die Götter sollen dich zu Besserem gemahnen und deinen Wahn abwenden (āverruncassint)!“258 Vom Abwenden, āvertere, kommt āverruncāre, wie der Gott Āverruncus, der bei solchen Dingen (sc. beim Wahnsinn) maßgeblich ist. Daher betet man gerne zu ihm, dass er Gefahren abwenden möge, āvertat.259 103 In der Aulularia: „Mit Wimmern (pīpulō) werde ich dich vor dem Hause verschreien!“,260 das heißt: mit Geschimpfe; abgeleitet ist es vom Piepen, pīpiātus, der Küken. Viele Wörter sind von Lautäußerungen der Tiere auf die Menschen übertragen, die teils klar, teils undurchsichtig sind. Durchsichtig sind z. B. von Ennius: „Mein Herz bellt (lātrat) mit der Brust“,261 von Plautus: „Er kläfft (gannit) voll Ärger seine gesamte Familie an“,262 von Caecilius: „Dass es ihm nichts ausmachte, die Sache einfach umherzublöken (dībālāre).“,263 von Lucilius: „Das, sagte ich, wird er von den Rostra ausschreien und heulen (hēiulitābit)“264, und auch von ihm: „Welch ein Gewieher (hinnītus) und Gerosse!“265 104 Weniger klar sind: aus Porcius266 vom Wolf: „heulend (ululantīs) davonzufliegen“, aus Ennius vom Kalb: „Die Flötistin brüllt (mūgit) aus Leibeskräften.“,267 genauso vom Rind: „… mit ihrem Geschrei brüllen sie wie Rinder (bovantēs)“,268 ebenso vom Löwen: „Im Brummen (fremere) legten sie eine Pause ein.“269, ebenso vom Kitz: „Sein Geschrei, das bis zum Himmel rollen soll, bäht (vāgit) durch den Äther.“270

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          Liber VII

          Suei a +++1: „Frendit e fronde et fritinni suaviter.”2 Macci[us]3 in Casina a fringuilla: „Quid fringultis4? Quid istuc tam cupide cupis?” 5 Suei a volucribus6: „Ita tradet que in re7 neque in iudicium esopi8 nec theatri trittiles.” 105 In Colace: „Nexum”. < Nexum >9 Manilius10 scribit: omne, quod per libram et aes geritur, in quo sint mancipia; Mucius, quae per aes et libram fiant, ut obligentur, praeter quae11 mancipio detur.12 Hoc verius esse ipsum verbum ostendit, de quo querit: Nam id es[t]13, quod obligatur per libram nec14 suum fit, inde nexum dictum. Liber, qui suas operas in servitutem pro pecunia, quam debebat, < nectebat >15, dum solveret, nexus vocatur, ut ab aere obaeratus. Hoc C. Poetelio derogante Sulla16 dictatore sublatum, ne fieret, et omnes, qui bonam copiam iurarunt, ne essent nexi, dissoluti. 106 In Casina: „Sine amet17 , sine quod lubet, id faciat,18 quando tibi domi nihil19 delicuum est.” Dictum20 ab eo, quod < ad >21 deliquandum non sunt, ut turbida quae sunt, deliquantur, ut liquida fiant. Aurelius scribit delicuum esse ab liquido, Cladius22 ab eliquato. Si quis alterutrum sequi mal[l]et23, habebit auctorem. 1 sueta F, Suei a L. Mue.; cicada add. Flo., merula prop. GS (de Melo), a scripserim. 2 frendice frunde et frutinni : Stowasser. 3 Macci < Maccius F, ut videtur: GS. 4 fringuttis F, fringuatis Vall.: Gesner. 5 Sues : Baehrens. 6 avoluerat F, Vall. : a volucri L. Sp., a volucribus Mue. (Flo., de Melo). 7 tradedeq∙ in re F, Vall.: Kent. 8 Esopi : Ald. 9 Add. L. Sp. 10 Mamilius : Lae. 11 praeterquam : Niebuhr (praeterquam < quae > Aug.). 12 detur : GS. 13 Idē F (id est) : Mommsen. 14 neque : scripsi. 15 Add. Kent; < dabat > Flobert. 16 Popillio vocare sillo : Poetelio Libone Visolo Lachmann (Kent, Flo., de Melo); Poetelio Visolo rogante Sylla Aug.; scripsi. 17 casineam ∙ eēs : corr. Ald. ex Plauto. 18 facias : Aug. 19 domi nichil F, nihil domi Plaut. 20 < Nihil delicuum est. > add. A. Sp. 21 Add. A. Sp. 22 Cladius : Lae. 23 mallet : Lae.

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          Von Sueius271 als Laut (der Mönchsgrasmücke?): „Sie knirscht, frendit, aus dem Laub und zwitschert lieblich.“ Von Maccius (sc. Plautus) in der Casina vom Fink: „Wieso stotterst du (fringultīs)? Wieso willst du das so gierig?“272 Von Sueius von Vögeln:273 „So wird er (sc. ihn?) einfach vor Gericht bringen und nicht vor das Urteil des Äsop274 oder die Zwitscherer (trittilēs) des Theaters!“ 105 Im Colax (sc. des Plautus): „… die Schuldverpflichtung (nexum).“275 Nexum, schreibt Manilius, ist alles, was mit Waage und Erz (per aes et lībram) durchgeführt wird, wozu die mancipia gehören276; Mucius (sc. schreibt, ein nexum sei), was per aes et lībram zum Zwecke einer Verpflichtung geschieht, mit Ausnahme dessen, was als mancipium gegeben werde.277 Dass dies richtiger ist, zeigt das Wort selbst, worüber er forscht: Denn das Kupfer(geld), das mit der Waage, per lībram, verpflichtet wird und nicht sein Eigentum, nec suum, wird, das heißt von da her nexum. Ein freier Bürger, der seine Arbeitskraft für Geld, das er schuldete, zum Sklavendienst band, nectēbat, bis er es abzahlen konnte, der wird nexus („Gebundener“), genannt, so wie der Verschuldete, obaerātus, vom Kupfergeld, aes (sc. so heißt).278 Der Vollzug dieser Bestimmung – C. Poetelius279 schaffte sie teilweise ab – wurde während der Diktatur Sullas aufgehoben, und alle, die ihre Zahlungsunfähigkeit beschworen, um nicht Schuldknechte, nexī, zu sein, wurden (sc. von der Schuldknechtschaft) befreit.280 106 In der Casina heißt es: „Lass ihn doch lieben, lass ihn tun, worauf er Lust hat, solange dir zuhause nichts fehlt (dēlicuum est).“281 Es (sc. dēlicuum) ist daher so benannt, weil das nicht zu klären ist, dēliquāre, so wie Flüssigkeiten, die trübe sind, geklärt werden, dēliquantur, damit sie klar werden, liquida. Aurelius schreibt, dēlicuum komme von liquidus, flüssig/klar, Claudius, es komme von ēliquātus, geläutert. Wer lieber dem einen oder anderen von diesen beiden folgen will, hat einen Gewährsmann.282

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          Liber VII

          Apud Atilium: „…per laetitiam liquitur animus.“ Ab liquando liquitur fictum. 107 Multa apud poetas reliqua esse verba, quorum origines possint dici, non dubito, ut apud Nevium: In esiona muo1 gladii „lingula” a lingua, in Clastidio: „vitulantes” a Vitula, in Dolo: „caperrata fronte” a caprae fronte, in Demetrio: „persibus” [a]2: perite; itaque sub hoc glossema „callide” subscribunt. In Lampadione: „protinam” a protinus, continuitatem significans; in Nagidone: „cludatus3” suavis, tametsi a magistris accepimus mansuetum; in Romulo: „sponsus”4 contra sponsum rogatus; in Stigmatia: „proebia” a prohibendo5, ut sit tutus, quod sit6 remedia in collo pueris; in T[h]echnico: „confictant”7 a conficto, < a > con < et > fingere8, dictum. 108 In Tarentilla: „praelucidum”9 a luce, illustre; in Tunicularia: „Exbolas10 aulas quassant.”, quae eiciuntur; a Greco verbo ἐκβολή dictum; in Bello Punico: „…nec satis sarrare11”, a re-serare12 dictum, id est aperire; hinc etiam sera e13, qua remota fores panduntur.

          1 In esionam ūo : Groth. 2 Del. Scal. 3 caudacus : Scal. 4 sponsus : Popma. 5 praebia - praehibendo: Scal. e Festo 235,3. 6 sit : Lae. 7 Thechnico ∙ Conficiant F : Turn. 8 conficto convenire : scripsi. 9 Pacui dum : praelucidum Mue., pallucidum Sp. 10 exbolas : ecbolicas Kent. (Flo.). 11 sarrare F (Tovar): sardare A. Sp. ex Festo 428 L. (Flo.). 12 ab serare : scripsi, cf. sequens [re]scripserim. 13 serę F : serae Ald.; scripsi.

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          Bei Atilius steht: „… vor lauter Freude schmilzt (liquitur) der Verstand.“283 Von liquāre, klären, ist liquitur 'schmilzt', gebildet. 107 Zweifelsohne gibt es bei den Dichtern viele weitere Wörter, deren Ursprünge sich sagen ließen, wie bei Naevius:284 In der Hesiona die Schwertspitze als kleine Zunge (lingula), von lingua, Zunge, im Clastidium: vītulantēs (Jubellieder singend), von Vītula (sc. der Jubelgöttin), im Dolus: caperrātā fronte (mit gerunzelter Stirn), von der Ziegenstirn, caprae fronte285, im Demetrius: persībus (superschlau), d. i. 'erfahren', perītus; daher schreiben sie unter diese Glosse callidē, schlau.286 Im Lampadio: prōtinam (geradewegs) von prōtinus, ununterbrochen, was Kontinuität bedeutet; im Nagido (?): clucidātus (versüßt), also lieblich (suāvis), auch wenn ich von meinen Lehrern gehört habe, es bedeute 'zahm', mānsuētus;287 im Romulus: cōnspōnsus (versprochen/gelobt): der, der im Gegenzug, contrā, zu einem Gelöbnis, spōnsum, um etwas gebeten worden ist;288 im Stigmatiās: proebia (Amulette) von prohibēre, abhalten, damit der Junge geschützt ist, weil sie an seinem Hals Medizin sind;289 im Technicus: confictant (sie schmieden zusammen) ist von confictō, aus con, zusammen, und fingere, bilden, benannt.290 108 In der Tarentilla: praelūcidum (sehr hell) von lūx Licht, (sc. es bedeutet) 'hell leuchtend', illūstre291; in der Tunicularia: „Sie schütteln als/zum Auswurf, exbola, die Töpfe.“, 292 weil sie ausgeworfen werden, ēiciuntur; es ist vom griechischen Wort ἐκβολή (Auswurf) benannt; im Bellum Punicum (Punischen Krieg): „…und nicht genügend verstehen, sarrāre (?)“, benannt von re-serāre, entriegeln, das heißt öffnen; daher kommt auch der Riegel, sera, nach dessen Entfernung die Türflügel sich öffnen.293

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          Liber VII

          109 Sed quod vereor, ne plures sint futuri, qui de hoc genere me, quod nimium multa [re]scripserim1, reprehendant, quam, quod2 reliquerim quaedam, accusent: Ideo potius iam reprimendum quam procudendum puto esse volumen. Nemo reprensus, qui e segete ad spicilegium reliquit stipulam. Quare institutis sex libris, quemadmodum rebus Latina nomina essent imposita ad usum nostrum – e quis tris3 scripsi P.o4 Septumio, qui mihi fuit questor5, tris tibi, quorum hic est tertius; priores de disciplina verborum originis, posteriores de verborum originibus. In illis, qui ante sunt, in primo volumine est, quae dicantur, cur ἐτυμολογική6 neque ars sit7 neque ea utilis sit, in secundo, quae sint, cur et ars sit et il[l]is8 sit, in tertio, quae forma et[h]ymologiae9; 110 in secundis tribus, quos ad te misi, item generatim discretis: Primum, in quo sunt origines verborum locorum et earum rerum, quae in locis esse solent; secundum, quibus vocabulis tempora10 sint notata et eae res, quae in temporibus fiunt; tertius hic, in quo a poetis item sumpta ut illa11, quae dixi in duobus libris < e >12 soluta oratione – : Quocirca, quoniam omnis operis de lingua Latina tris feci partis, primo, quemadmodum vocabula imposita essent rebus, secundo, quemadmodum ea in casus declinarentur, tertio, quemadmodum coniungerentur: prima parte perpetrata, ut secundam ordiri possim, huic libro faciam finem.

          1 rescripserint : Vall. (Lae.). 2 quamquam : Ald. 3 tres F, tris Vall. (Lae.), cf. V 1. 4 po F (Vall.). Scripsi. 5 questor : Ald. 6 ethimologice : L. Sp. 7 ansit : L. Sp. 8 et illis : Turn. 9 ethimologiae : Ald. 10 tepora F: Vall. (Lae.). 11 utilia : Vict. 12 Add. de Melo.

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          109 Ich fürchte aber, es wird mehr Leute geben, die mich kritisieren, dass ich in diesem Genre zu viel geschrieben habe, als Leute, die mir vorwerfen, dass ich manches ausgelassen habe. Daher muss ich, glaube ich, diesen Band eher beschränken als weiterschmieden. Niemand wird doch getadelt, wenn er auf dem Getreidefeld zur Nachlese einen Kornhalm ausgelassen hat. Ich habe ja nun sechs Bücher darüber angelegt, wie die Dinge mit lateinischen Namen uns zum Gebrauch benannt worden sind –294 von diesen habe ich drei dem Publius Septumius gewidmet, der mein Quästor war, drei dir, von denen dies das dritte ist; die vorangehenden handelten von der Wissenschaft über den Ursprung der Wörter, die folgenden über die Ursprünge der Wörter selbst. In denen, die vorher sind, geht es im ersten Band über die Argumente, warum die Etymologie keine Wissenschaft ist und auch nicht nützlich ist; im zweiten, was dafürsteht, weshalb sie eine Wissenschaft ist und nützlich ist; im dritten, wie die Etymologie aussieht; 110 die zweiten drei Bücher, die ich dir gewidmet habe, sind ebenfalls nach Klassen unterschieden: Im ersten Band sind die Ursprünge der Wörter für Orte und die Dinge, die gewöhnlich in den Orten sind; im zweiten die Wörter, mit denen Zeiten und die Dinge bezeichnet sind, die in Zeiten geschehen; das dritte Buch ist dieses, in dem die Wörter ebenso aus den Dichtern genommen sind wie jene, die ich in den zwei Büchern aus der Prosa genommen und besprochen habe. – Nun habe ich ja mein ganzes Werk über das Lateinische in drei Teile gefasst: Erstens, wie die Dinge mit den Wörtern benannt worden sind, zweitens, wie sie in Fälle (cāsūs) abgeleitet werden, drittens, wie sie miteinander verbunden werden: Da der erste Teil geschafft ist, setze ich nun also, um den zweiten beginnen zu können, diesem Buch ein Ende.

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          Varro nimmt in knapper Form den Gedanken von V 3 ff. wieder auf: den Sprachwandel und die Schwierigkeit des Etymologen, diesen wieder rückgängig zu machen, um die ursprüngliche Form (und Bedeutung) des jeweiligen Wortes deutlicher machen zu können. Der Begriff der rēpēns ruīna greift auf Parallelen der Sprache mit der materiellen Außenwelt zurück und verdeutlicht, dass Varro den Sprachwandel, wie den Einsturz eines Hauses, als spontanen und nicht generellen Prozess ansah. Die kleine Passage zeigt auch, dass Varro zwischen littera 'Buchstabe/Laut' und der rein akustischen Lautform vōx unterschied. Die Ausführlichkeit des im Grunde zweiten Binnenproömiums in De lingua Latina zu Beginn von Buch VII verrät, dass Varro sich hier an den Adressaten Cicero wendet, von dem er vielleicht nicht erwartet hat, dass dieser die erste Triade des Werks (Buch II-IV) studiert hatte. Con-dere bedeutet hier im linguistischen Sinne 'bilden', d. h. eigentlich 'zusammensetzen', nicht aber 'bewahren' („sauvegarder“ noch Dangel [2001] 107, so auch Deschamps [1988] 7 und 10). Die Ergänzung des Buchanfangs ist sinngemäß der Ausgabe von Laetus (1474) entnommen. Myrmēcidēs war – so bewundern es Cicero (acad. II 120) und Plinius der Ältere (nat. VII 85) – der Schöpfer von Elfenbeinminiaturen, deren feine Linien nur durch Kontrast mit einem schwarzen Hintergrund sichtbar wurden. Das gleiche Thema wiederholt Varro in IX 108 bei der Verbalmorphologie. In den ersten Kapiteln des VII. Buches verwendet Varro mehrfach Verben in der 2. Person des Angesprochenen: addās und später vidēbis in VII 2, reprehendās und possīs in VII 3. Er bezieht sich damit sicher auf Cicero, wie schon am Ende von Buch VI. Eine fast drollige Vorstellung eines Etymologen, der doch selber als Dichter tätig war. Varro geht es aber im VII. Buch darum, aus dem Vokabular der von den Dichtern verwendeten Wörter die antīqua verba herauszuschälen und diese zu analysieren, konnten sich doch bei den Dichtern isolierte Formen des älteren Sprachgebrauchs halten, die durch die Dichter wiederum eine erhöhte auctōritās besaßen: Piras (1998) 117‑121. Aelius Stilo, s. zu V 18. Das Salierlied (s. zu VI 49) war ein Hymnus der Salierpriester (s. zu V 85). Varro spielt hier auf die Schwierigkeit an, die Wörter dieses uralten Liedes zu deuten, was er VI 49 anlässlich der Et. von memoria und dessen Bezug zu Mamurī schon versucht hatte. Von Aelius Stilos Interpretation des Salierliedes sind nur drei Fragmente erhalten (GRF 1-3 S. 57 f. Funaioli). Epimenides aus Kreta, eine sagenhafte Figur des 6. Jhs. v. Chr., der als junger Mann 40 oder 50 Jahre im Schlaf verbracht haben soll. (NP 3, 1143). Diogenes Laertios, Verfasser von Philosophen-Viten, widmet ihm eine kurze Biographie (I 109 ‑ 115) und zitiert gar einen Brief des Epimenides an Solon, was vielleicht für Varro der Grund war, ihn einen Weisen zu nennen. Aus einer Tragödie des Livius Andronicus (2. H. 3. Jh. v. Chr.), des Autors der Odusia, einer lat. Fassung der Odyssee, die schon V 9 erwähnt war: Teukros von Salamis, Sohn des mythischen Helden Telamon und Halbbruder des Aias, kam nach langer Seereise nach Hause, ohne von seinem Vater erkannt zu werden.

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          Anmerkungen

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          9 Numa Pompilius: s. zu V 157. 10 Varro rechnet also damit, dass das Salierlied die älteste lat. Dichtung war (s. zu V 85). Der Begriff carmen ist freilich nicht zu eng zu fassen: „Er bezeichnet einen mündlich vorgetragenen feierlichen Spruch“ (v. Albrecht [21994] 35). Mit dem historischen Präsens dīcunt rückt Varro die Entstehung des Salierlieds unmittelbar und lebhaft nahe und nimmt ihr Alter als echt an (Kühner-Stegmann I 115 nennen es auch „repraesentativum“). – Wer ist der Adressat der 2. Person Singular reprehendās? Es könnte sowohl noch Cicero sein, dem das Werk gewidmet war, als auch schon der anonyme Leser, der in der analogistischen Triade VIII-X öfters angesprochen ist. 11 Varro bleibt bei seinem Bild vom Baum und den Wurzeln, das er in V 74 entwickelt und VI 37 wieder aufnimmt. Der Begriff rādīx bezeichnet bei ihm freilich nicht den Wurzelbestandteil eines Wortes (dafür hat er ja, wie für das Suffix, keinen eigenen metasprachlichen Begriff, s. Vorwort 5.1), sondern die Verwandtschaft eines Wortes. Hier ist das Beispiel die Birne, pirum, die in V 102 als Pendant zu mālum 'Apfel' (statt überliefertem pīnus) nur konjiziert werden konnte. Das Thema der Kritik an der Etymologie nimmt Varro wohl aus dem verlorenen Buch II wieder auf; die indirekte Rede von nōn posse mē dīcere entstammt dem Munde der ungenannten Kritiker und hat nicht als Subjekt die Etymologie per se. 12 Tatsächlich liefert Varro in De lingua Latina keine Et. von equus. Sein Konzept der dēclinātiō betrifft nicht nur die Wortableitung (z. B. equus → eques), sondern auch die Bildung des Plurals aus dem Singular, daher führt er Pl. equitēs ähnlich auf den Sg. eques zurück wie eques auf das Etymon equus. 13 Varro sagt also nicht, dass er im VII. Buch Wörter behandle, die von den Dichtern neu gebildet worden seien – das wäre ja die triviale Methode des secundus gradus etymologiae, s. zu V 9 und Vorwort 5.2 –, sondern sein Gegenstand hier sind Wörter, die auch von Dichtern benutzt wurden: Piras (1998) 111. 14 D. h. die Tätigkeiten → Verben. Die Vierteilung entspricht jener außersprachlichen, nach semantischen Kriterien vorgenommenen Aufteilung in locus/corpus und tempus/āctiō, die das Gliederungsprinzip schon für die Bücher V und VI war: s. V 11, VI 1 und VI 3: vgl. Piras (1998) 144f. 15 Enn., Ann. 65-66 V. = 54-55 Sk.: Wohl das Versprechen, das Jupiter auf der Götterversammlung dem Gott Mars bezüglich Romulus gibt. Den Vers – wie auch die folgenden – hielt Varro für so bekannt, dass er seinen Verfasser gar nicht angab. 16 Aus der Hecuba des Ennius (171 Joc. = F 72 Manuwald). 17 Aus der Pacuviustragöide Periboea Frg. XXIII 351 Artigas = 221 Schierl: Dafür ist kein gleichnamiges (griech. bzw. lat.) Stück bezeugt. Die Verse könnten einem Chorlied entstammen (Schierl S. 423). Periboia ist die zweite Gattin des Oeineus, des Königs von Kalydon (NP 9 Sp. 565 Nr. 6); zum Mythos von Oineus: Rose (1961) 258 f. 18 Aus der Andromacha des Ennius (98 Joc. = F 24 Manuwald). 19 Der Zusatz prīmō und der Anschluss an tu-ērī erfordern den Ansatz eines (varronischen) Rekonstrukts * tuemplum, vielleicht von ihm segmentiert als tuem(p)lum wie ex-em-plum 'Beispiel' zu ex-im-ere 'herausnehmen'. Vgl. dazu seine Et. von tesca < * tu-esca VII 11. 20 Enn. Ann. 541 V. = 554 Sk.

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          21 Ein Naeviusfragment, das sich nicht sicher zuordnen lässt und in den Fragmentsammlungen fehlt. A. Spengel erwägt, ob hemisphaerium überhaupt dem Naeviusvers zugerechnet werden kann und nicht Teil der Sprache Varros sei. 22 D. h. der Sprecher steht mit dem Blick nach Süden, damit zeigt die Linke gen Osten. Das Adj. antīcus hat hier die Grundbedeutung 'nach vorne sehend, nach vorne gewandt'. 23 Die Trennzeichen geben im Folgenden die Zeilenenden in F wieder. Varro zitiert aus einem alten Text des Augurenkollegiums, dem z. B. Cicero angehörte (Norden [1939] 4 f.), nach dem sich in Stadtrom auf der Arx, wo sich das augurāculum befand, die Vogelschau richtete. Die Auguralformel war alt (Norden a. O. 6 f.) und war möglicherweise selbst auf Varro nicht mehr in der Form gekommen, die sie ursprünglich gehabt hatte; möglicherweise hat er sie sogar „als erster … in ihrer Gesamtheit bekannt gemacht.“ (Norden 5); aus den Augurenbüchern hatte er schon V 21 die Form TERA (= terra) zitiert. Der Text der Formel selbst hat unter der nachvarronischen Überlieferung weiter gelitten, weil er Ausdrücke enthält, die den Kopisten fremd waren. Nicht alles davon ist mit Sicherheit zu klären. Die Anordnung in dieser Ausgabe folgt der Einteilung von Norden a. O. 15, doch nicht seinem Text. Das Pronomen olla-ner bedeutet wohl 'links' oder 'unten' (-ner zu umbrisch * nertru 'links'- und griech. νέρτερος 'unterirdisch': Vetter [1958] 299 ff.), entsprechend dürfte –ber 'oben' oder 'rechts' bedeuten (evtl. zu griech. φέρτερος 'vorzüglicher', so Vetter a. O.). Auch quirquir – verdoppeltes Adverb – ist nur hier bezeugt, dessen -r hat lokale Bedeutung wie in cū-r zu got. ƕar 'wo?': WH s. v. cūr. Das ganz seltene mētāre bedeutet 'abstecken' (eines Areals): Vetter a. O. Ausführlich zum Ort und Procedere der Vogelschau in Rom, in Cosa und in Bantia: Magdelain (1990) 193-207, Pavone (1993); dazu Guittard (2009) 79 f. zur Beziehung zwischen Livius I 18,6 und Varro. 24 Der Unterschied zwischen templum und tescum im auguralen Kontext ist: templum bedeutet den auf beiden Seiten markierten Beobachtungswinkel (also in caelō), tescum das Feld, das sich dadurch in terrīs ergibt; Letzteres bedeutet „ein menschenleeres, unwirtliches Gelände“: Norden (1939) 21. Das überlieferte eas te ist der alte Akk. Pl. Fem. des Pronomens iste (Leumann 470, Meiser 163), statt jüngerem istās; freilich irritiert zunächst, dass die Kongruenz nicht beachtet ist: templa und tesca sind ja Neutra im Plural, s. dazu auch am Ende der Formel eae (?). Die Erklärung: Das feminine Pronomen eās-te bezieht sich auf Folgendes, ist also kataphorisch, was durch die Situationsdeixis bedingt ist, es verweist in der Situation auf die beiden folgenden Bezeichnungen der Bäume (arbōs).- Das Fut. II von nuncupāverō (statt nuncupāssō) ist wohl eine modernisierte Form, es „gibt dem Vorspruch feierlichen Ausklang.“ (Norden 51). 25 quam mē sentiō dīxisse: Eine alte Formel, die von einem antiken Redaktor überarbeitet wurde; im zweiten Satz ist quod richtig überliefert, aber von den Hrsgg. wiederum an dieses erste quam angeglichen worden: Norden (1939) 53-57, zur Deutung von sentiō auch 85-89. 26 Die Ergänzung Turnèbes, aus dem falschen -m von -quē zweimal heraus gewonnen, wird das Richtige treffen. Möglicherweise stand im ältesten Text sogar MED (ablativus separativus von klass. mē), was einen frühen Schreiber irritiert haben muss und zu einer Lesung als „F“ führen konnte. An eine Abkürzung von m. f. = mea fīnis, so Norden (1939) 31-40 und noch Guittard (2009) 81, ist nicht zu

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          Anmerkungen

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          denken: Die Grenzen sind ja durch templum (in der Luft) und tesca (am Boden) bestimmt, zudem ist eine Abkürzung im Rahmen eines Gebetstexts selbst für Varro unplausibel; bei der Abkürzung „S“ (für sacrārium) im Rahmen des Argäertexts (V 47 und 54) handelt es sich um einen deskriptiven Text ganz anderen Charakters. 27 Die Begriffe conregiō, cōnspiciō und cortumiō entstammen der Auguralsprache und sind semantisch nur unscharf zu bestimmen, cōnspiciō und cortumiō sind nur hier belegt; dazu auch Norden (1939) 71-85. De Melo fasst cortumiō als „interpretation“ auf, so ist ja auch Varros ā cordis vīsū zu verstehen, nach Ramón (2007) ist damit allerdings der Ausschnitt aus dem Gelände gemeint. Utique übersetzt Norden a. O. 371 als „wiemassen“, um den „Kurialstil“ nachzuahmen. Hinter eae (so Codex F) vermutete Vetter ([1958] 301) ea-pte, was das Pronomen im Satz überbetont, ist doch schon rēctissimē als Superlativ gewichtig genug. U. E. liegt bei einem so alten Text / Sprachzustand eher – entsprechend zum oben überlieferten Akk. Pl. Fem. eās-te – die Form des Neutr. Pl. ea + te vor, die sonst nicht belegt ist, dessen -t- von einem Kopisten als Akzent verstanden wurde und die dann zwangsläufig verändert werden musste. Jetzt ist das Demonstrativum, wie der Kontext nahelegt, zurückverweisend, also anaphorisch. Vermutlich fasst der letzte Abschnitt des auguralen Texts das Ergebnis der Vogelschau zusammen, liegt also in der jeweiligen Vogelschausituation zeitlich nach den vorangehenden. 28 Das Fragment (Enn. 240 Joc. = F 94 Manuwald) dürfte ans Ende der Medea exul gehören, wo Medea nach der Ermordung ihrer Kinder, schon auf ihrem Wagen in den Lüften fahrend, nach unten blickt. Jetzt versucht Varro, das Element des 'Blickens', tuērī, das er für seine Et. von templum braucht, einzubringen, wendet also den Blick vom konkreten Gebäude auf den Akt des Sehens. 29 Contemplārī wird gewöhnlich als Deponens – mit passivischen Endungen – gebraucht; cōnspicāre ist der korrekte Imperativ des Deponens cōnspicārī. 30 Varro segmentiert cortumiō als cōr-tu-miō und führt den zweiten Wortbestandteil auf tuērī zurück, wie sich aus cordis vīsū erschließen lässt, wohl eine schon antike Fehldeutung, gespeist von seinem Bemühen, einen et. Anschluss an Bekanntes zu finden, hier: an cōr 'Herz'. 31 GRF 8 p. 113 Funaioli. 32 Acc. 228 f. Dangel und 200-209 Dangel: Philoktetes, eine Sagenfigur aus dem Umfeld der Troiasagen, erkrankte nach einem Schlangenbiss schwer und wurde, nur mit seinem sagenhaften Bogen bewaffnet, auf der Insel Lemnos ausgesetzt. Doch eine Prophezeiung sagte, Troia könne nur mit Hilfe dieses Bogens erobert werden. So sollte Odysseus ihn überreden, letztlich doch ins Kriegsgeschehen einzugreifen; in dessen Verlauf tötet er später Paris. Angesprochen im ersten (jambischen) Vers ist Odysseus, die bei Varro folgenden Verse sind Anapäste (Rhythmus: ˘ ˘ x). Die Verse der zweiten Acciuspassage sind die längste erhaltene lyrische Passage des Accius (Dangel 310). Sprecherin ist wohl Minerva, die Odysseus über die Kabiren, Vulkanus und Prometheus unterweist; nach Dangel a. O. ist auch an einen Chor der Lemnier zu denken, der bei der Ankunft der griech. Delegation ihr Land besingt. 33 Anspielung auf Prometheus, der für die Menschen das göttliche Feuer stahl. 34 *tuesca ist – wie vorher * tuemplum VII 7 – ein varronisches Rekonstrukt, mit dem er beide Substantive auf das Etymon tu-(ērī) zurückführen will. Er operiert wie in vielen Fällen mit einer einsilbigen Verbalwurzel (hier: tu-) und lässt Herkunft und Bedeutung der vermeintlichen Suffixe -esca bzw. -emplum offen,

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          Liber VII s. Vorwort 5.4. In dieser Passage (von VII 6 bis 13) verbindet er sein eigenes rekonstruktives Verfahren mit Dichterinterpretation, ähnlich breit wie in VI 8695 für die Erklärung von inlicium. Die Zuordnung des Fragments ist unsicher: 361 Joc. = F 169 Manuwald. Aus den Annales (462 V. = Inc. 54 Sk.). F und Vall. haben zwischen bell und et tueri eine Lücke von 3-5 Zeichen, die zu füllen nicht viel Raum bleibt (gegen Pavone [1998]), s. den App., vgl. das Adv. bellē in Plautus' Asinaria 676: ī sānē, bella, bellē ! 'Geh hübsch, du Hübsche!' (Leonida zur Hetäre Philaenium). Menaechmi 352: Die Prostituierte Erotium gibt einem Sklaven im Haus Anweisungen. Varro meint mit hoc ipsum nicht das Wort aeditu(m)us, sondern referiert auf den semantischen Zusammenhang zwischen 'Schauen' und 'Aufpassen': Pavone (1998). Die Zuordnung des Fragments ist unsicher (Enn. 362 Joc. = F 170 Manuwald). Gemeint sind wohl die 12 Tierkreiszeichen. Das in F überlieferte spoliīs gibt wenig Sinn, mit spatiīs sind die Zwischenräume der Sternbilder markiert. Die Zuordnung der Varrostelle zu einem bestimmten Acciusdrama ist unsicher (Acc. Inc. 711 ff. Dangel.). Die Verbesserungen von Nosarti (1974) geben den besten Sinn und sind paläographisch gut denkbar. Dahinter steckt das Bild des nächtlichen Wagens, möglicherweise eine Anrufung der Nacht (Dangel S. 379). Aus dem Eurysaces des Accius: Ein Verbannter (Telamon?) kehrt in seine Heimat zurück (Acc. 338 Dangel). Für Varro ist das erste Etymon nicht ambitus, sondern ambe: zu amb- auch VII 31 (adagiō). Festus 508,22-25 L. zitiert die gleichen Maße für private Wege; für öffentliche Straßen war vorgeschrieben: quantum ratiō ūtilitātis permittit 'soweit die Berücksichtigung der Nützlichkeit es erlaubt'. Die Bestimmung geht nach dem Juristen Gaius (2. Jh. n. Chr.) auf Tafel VII (6-7) des Zwölftafelgesetzes zurück: XII tab. VI 6-7 Flach, mit Rekonstruktion des möglichen Textes der Tafel. Nach Humbert (2018) 355 ist ANFRACTVM „les endroits où la direction suivie (ambitus) est infléchie ou rompue ( fractus), c' est-à-dire les lieux de croisement.“ Enn. 363 Joc. = F 171 Manuwald; das Fragment ist keinem Enniusstück eindeutig zuordenbar, Flobert (2019) 49 vermutet die Andromeda. Līberum ist Gen. Pl. wie deum. Das war möglich durch ihre Gleichsetzung mit der griech. Hekate, die als „Geisterherrin“ auch Eingänge und Wegkreuzungen beschützte, an denen man sich Geister vorstellte (NP 5, 268). Ein Dichter des frühen 1. Jhs. v. Chr (Manil. frg. 2 Blänsdorf). Flobert (2019) 50 vermutet als Versmaß jambischen Senar. Die Stelle hat den Kopisten Probleme bereitet a) durch die komplizierte Genealogie, die sich hinter Diana als Titanenabkömmling verbirgt, b) durch die gelehrten Anspielungen des Manilius und c) durch den Gebrauch der äußerst seltenen Interjektion nī (OLD 1175), die Begeisterung ausdrückt. Koios (lat. Coeus) war einer der sechs Titanen und zeugte Asteria und Lētō, dorisch Lātō, wie sie sogar (nī!) Plautus nennt (Bacchides 893 Lindsay, wo so ediert ist). Diese wurde lat. normalerweise Lātōna genannt; sie gebiert auf der Insel Delos Apollon und Artemis/Diana, woher Manilius den Zwillingen die Beinamen Dēliadae gibt. Die Heilung des Varrotexts bedarf lediglich zweier Buchstaben. Die Bezeichnung der Leto/Latona mit (dorisch) Lātō

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          bei Plautus erschien Varro als Besonderheit (die Varrostelle erlaubt hier sogar die Korrektur einer problematischen Plautusüberlieferung), daher die Emphase mit nī. 47 Die textkritische Gestaltung dieser Passage versucht, mit möglichst wenigen Eingriffen in den Text von F auszukommen. Das bedingt, dass das Verbum parit (die Hrsgg. machten daraus eine Futurform, pariet) als Teil der Beschreibung Varros aufzufassen ist, was wiederum die Ellipse des Schlusssatzes erklärt. 48 Hier vermuten Götz-Schöll eine Lücke. Der Zusammenhang zum Folgenden ist daher nicht gesichert. Das (jambische) Zitat stammt vielleicht von Ennius (und nicht, wie Varros Formulierung suggeriert, von Manilius), da die Stelle bei Cicero, De divinatione II 56, 115, nach einem anderen Enniuszitat genannt wird: Flobert 50 (Frg. 77 b Schauer). 49 Gemeint ist das Orakel des Apollo in Delphi. 50 Bei Leonardo da Vincis Vitruvianischem Menschen, der in einen Kreis eingezeichnet ist, ist allerdings der Nabel die Einstichstelle für den Zirkel. 51 Gemeint ist die südliche Halbkugel im Erdmodell des Pythagoras, cf. Cic. Tusc. I 68. 52 Varros Auffassung fußt auf dem Konzept der Kugelgestalt (pīla 'Ball') der Erde, die in Rom spätestens im Somnium Scipionis, dem VI. Buch von Ciceros De re publica VI 20 (veröffentlicht 51 v. Chr.), weiter verbreitet und Varro, wie sein o. g. Bezug auf das Modell des Pythagoras zeigt, bekannt war. Seine astronomischen Kenntnisse fasste Varro selbst ja in seinem Buch über die Astronomie zusammen, das er im Rahmen der neun Bücher Disciplinae (Datierung unsicher: Cardauns [2001] 78) verfasst hat. 53 Der Omphalos „dürfte seinen Platz im Opisthodom des Tempels gehabt haben.“ (Maass in NP 3, 407f.). 54 Kalydon: Stadt in der Ebene von Ätolien (eine weite Landschaft in Mittelgriechenland). Pacuvius inc. VII 413 Artigas = 268 Schierl; wegen des Lobs von Kalydon vielleicht aus der Periboea, s. zu VII 6 (Schierl S. 541 f.). 55 Ā parte tōtam: Die Verwendung eines rhetorischen Tropus, nach dem ein Teil für das Ganze stehen kann (pars prō tōtō): Quintilian inst. VIII 6, 19 f. 56 Accius inc. Dangel 698 f. Dangel S. 380 denkt an ein Zitat aus dem Philoctetes des Accius, s. zu VII 11, es würde dann zur Seefahrt der Griechen nach Lemnos gehören. 57 Die Zuordnung ist unsicher (Eumenides? So Flobert): Enn. 364 Joc. = F 172 Manuwald). 58 Der erste Vers der Annales des Ennius. 59 Griech. Μοῦσα (Mūsa) nach Helmut Rix, mündlich, vielleicht aus *mont-jā 'die vom Berg Stammende'. 60 Vielleicht der Vieldichter Cassius Etruscus, der aus einer Horazsatire bekannt ist (Frg. 93 Schauer). Der Vers passt inhaltlich zu den von Seneca (epist. XI 18) überlieferten Zeilen 69 ff. (ROL p. 612 W. = Trag. Rom. Frg. Inc. 104-106 Ribb.) und lässt sich mit der dritten Zeile des Senecafragments verbinden: „… urgētur Isthmus Hellespontī et claustra“ '(wo) der Isthmus und des Hellesponts Enge bedrängt wird.' 61 Aus den Annales (378 V. = 369 Sk.). 62 Die Meerenge am westlichen Ende des Marmarameeres (antik: Propontis) ist an den Dardanellen bei Abydos, wo Xerxes sein Heer 480 v. Chr. übersetzte, nur 1,2 km breit. Der Ausdruck Propontidis faucēs klingt poetisch; vielleicht verbirgt sich dahinter ein weiteres Dichterzitat, das durch die Überlieferung verstümmelt wurde.

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          63 Pacuvius inc. VIII 414 Artigas = 269 Schierl. Schierl S. 542 denkt an Teukros als Sprecher, vgl. zu V 7. Bei Kents Ergänzung (liquī) wäre an Ariadne auf Naxos zu denken. Das Subst. kann lat. sowohl Neutrum ( fretum) als auch Mask. sein ( fretus,-ūs). Scaliger sieht das Fragment aus dem Dulorestes des Pacuvius genommen. 64 Der Vers ist nicht sicher zuordenbar (Trag. Inc. Inc. 225 Ribb., Frg. 163 Schauer), auch das Metrum ist nicht sicher; die Umstellung Spengels ergäbe einen Hexameter (so auch de Melo). 65 Vielleicht aus Naevius' Epos Bellum Poenicum, das im Versmaß des Saturniers verfasst war. (Naev. Poet. 64 Blänsdorf). Das Relativpronomen quī in Vers 2 ist instrumental 'womit', die Konjektur von A. Spengel zwingend, aber kaum beachtet. 66 Der mit asserēs endende Satz wurde von Müller nach dem Kommentar des (Pseudo-)Servius zu Aeneis I 43, der fast wörtlich aus VII 23 zitiert, und nach Gellius X 25,5 ergänzt, der ratāriae kennt. Das würde bedeuten, dass Varro ratis nicht weiter et. analysiert hat: Es ist ja kein verbum poēticum. 67 Der Schreiber von F konnte das Ausmaß der Lücke in F* genau bemessen und ließ (wohl in der Hoffnung, das verlorene Blatt lasse sich noch finden) 39 + 25, also 64 Zeilen, frei. Der Inhalt der Lücke lässt sich nicht bestimmen, da Varro in seinen Dichterzitaten durchaus sprunghaft war, was Autoren wie Inhalte angeht. Der Vers, der in der Lücke unmittelbar voranging, muss die Adjektive agrestīs und īnfulātās enthalten haben, und zwar in dieser Reihenfolge und im Akkusativ, vielleicht sogar im jambischen Rhythmus. 68 Das überlieferte frondentīs comās ist wohl sog. „griechischer Akkusativ“: Schauer Frg. 94. 69 Frg. 95 Schauer mit Erklärung der vielen, über vier Jahrhunderte angesammelten Textverbesserungen. 70 Enn. Ann. 2 V. = 487 Sk., wohl ein Teil der Musenanrufung des Dichters. 71 Möglicherweise eine Volksetymologie durch die Assoziation zu carmen: de Melo 929. 72 Zum Salierlied bietet eine umfassende Diskussion der Lesungen: Giulia Sarullo (2014); zu dieser Varrostelle: Sarullo 157-198. Das archaische Latein des Salierliedes ist durch die Überlieferung entstellt und nicht vollständig restituierbar. Die in dieser Ausgabe vorgestellte Version ist damit auch nur wahrscheinlich, lehnt sich aber sehr eng an den überlieferten Text an; die Begründung für den vorgeschlagenen Text sei einer weiteren Publikation (in Vorbereitung) vorbehalten. Schon Horaz, epist. II 1, 86f. verstand es nicht mehr: Iam Saliāre Nūmae carmen quī laudat et illud, / quod mēcum ignōrat sōlus volt scīre vidērī, / ingeniīs nōn ille favet plauditque sepultīs, / nostra sed inpugnat, nōs nostraque līvidus ōdit. 'Wer das Salierlied aus Numas Zeiten preist und als der Einzige dastehen möchte, der es kennt (obwohl er es genausowenig versteht wie ich), der fördert mit seinem Applaus nicht verstorbene Talente, sondern bestreitet nur das meine und lehnt mich und meine Werke neidisch ab.' Auch der erhaltene Varrotext trägt zum Verständnis dieses Lied-Gebets – außer dem Verweis auf meliōsem, ianitōs und dem Imperativ cante (VII 27) – zunächst wenig bei; was in der von F markierten Lücke der 4-5 Zeilen stand, erschließt sich nicht; aus dem Umfang der Lücke lässt sich allenfalls vermuten, dass der Originaltext fortgesetzt, aber von Varro nicht

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          weiter kommentiert wurde. Der Kommentar seines Lehrers Aelius Stilo zum Salierlied (s. zu VII 2) ist verloren. Leider gilt: „The interpretation of the Hymn remains by and large obscure.” (de Melo 930). Sicher ist: Varro geht es primär um Belege für den sog. „Rhotazismus“, d. h. den Wandel von intervokalischem, stimmhaftem [z], zu [r], wofür er in diesem – von ihm gewählten – Ausschnitt (dem Beginn) des Salierliedes reichlich Belege finden konnte; als Archivar, der an der Überlieferung von alten Dokumenten interessiert war (s. Vorwort 5.5), darf ihm durchaus unterstellt werden, dass er eine längere Passage beibrachte, auch wenn diese für ein einzelnes sprachliches Phänomen (wie hier: den Rhotazismus) sprachlich nur wenig ergiebig war. Cozevi: Nach Macrobius Saturnalia I 9,15 ein Epitheton des Janus. Die Schreibung des intervokalischen, stimmhaften [z] mit Graphem < z > innerhalb des Carmen Saliare ist gesichert durch Velius Longus, De orthographia GLK VII 51, 5-8. Janus „wird zu Beginn jedes Opfers angerufen“ (NP 5, 860); so auch Horaz in seiner Satire II 6, 20-23: „Matutine pater, seu Iane libentius audis, … tu carminis esto / principium.“ 'Vater der morgendlichen Frühe – oder hörst du lieber auf den Namen „Janus“? –, du sollst am Anfang meines Gebetes stehen!' adpatula: Imperativ des (hypothetischen) Verbums *adpatulō, zu pándere 'öffnen' bzw. patēre 'offenstehen': Pisani (1960) 37. Die überlieferte Schreibung om̄ ia könnte sowohl in omnia als auch in omina aufgelöst werden; für die Lesung omina spricht die Stelle in Ovids Fasti I 178, wo Ianus selbst spricht: „Omina principiis“, inquit, „inesse solent“, 'Vorzeichen wohnen gewöhnlich in den Anfängen'. Das folgende ūo wird einfach eine Abkürzung von uo sein, die gelegentlich in F erhalten ist und auf eine Vorlage in Beneventanischer Schrift hinweist, s. Vorwort 3.1. Janus wird also wohl – nach dieser Deutung – als Künder der Zukunft angerufen. cosmis > klass. cōmis: Leumann 205. cusia < coisa: alter Diphthong * oi > oe > ū, als Graphem < u > in der Schrift erst im 2. Jh. v. Chr.: Leumann 65. Nach Festus p. 109,6 f. L. ist Cerus mānus der creātor bonus, der 'gute Schöpfer'. Das in F überlieferte vet wird durch Verlesen des ‑l zu ‑t auf vel zurückgehen, das auch verstärkend gebraucht sein kann (OLD 2022 Nr. 5 und 6). Die Silbe po- bedeutet nach Festus 222 im Salierlied potissimum 'ganz besonders', ist also steigernd. rēcūm (mit archaischem graphematischem C statt späterem G) ist der Gen. Pl. von rēx 'König', esūm dürfte Gen. Pl. zu vorklass. erus 'Herr' sein (alat. esa 'Herrin' ist in GL IV 508,41 bezeugt), das in den Komödien noch geläufig ist. Die Konstruktion von pomelios mit Genitiv kann komparativische Bedeutung haben und ist von Plautus und sogar noch bis Varro rust. bezeugt: Kühner-Stegmann II 2 468 f. Im Text Varros (oder seiner Vorlage?) wird freilich die alte Form des Gen. Pl. gestanden haben: esōm und rēcōm. Gerade an dieser von Varro so breit zitierten Stelle sind zudem – außer oborieso – noch weitere Belege für intervokalisches -szu erwarten. Die Form iānitōs „is spurious“: Coleman (2001) 71, da iānitor das idg. Suffix -tōr enthält; sie könnte schon auf Stilo zurückgehen und muss keine varronische Erfindung sein (vgl. Leumann 179). Varro thematisiert hier – wie schon in VI 76 bei der Et. von ōsmen > ōmen 'Vor­ zeichen' angedeutet – den Schwund von altem s vor stimmhaften Konsonanten,

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          Liber VII der auch in cosmis > cōmis sichtbar war. Er verbindet ihn allerdings mit dem Rhotazismus, s. o. Die Lautgesetzlichkeit erkennt er nicht und kommt so zu einer Reihenfolge Casmēna > * Carmēna > Camēna. Aus dem – von ihm selbst vielleicht rekonstruierten – Carmēna geht er zum Plural cármina über, leitet daraus den Singular carmen ab und gewinnt mit dem (künstlichen) Schwund des R schließlich Camēna, unter Vernachlässigung der Vokallängen bzw. -kürzen. In der Lücke dürfte auch ein Verweis auf die Interpretation des Carmen Saliāre durch Aelius Stilo gestanden haben, die Varro schon VII 2 trotz der (schon) damaligen Verständnisschwierigkeiten gelobt hatte. Der Unterschied in der Überlieferung zwischen überliefertem em (hier) und eum ( < *esūm) oben ist so erklärbar: Die längere Form (eum) geht auf den alten Gen. Pl. auf *-ōm zurück, später als – ūm geschrieben, die kürzere, der Akk. Sg., hatte kurzes –om und wurde vielleicht auch deshalb nur als em überliefert. Das könnte eine Folge der mündlichen Überlieferung des (ur)alten Carmen Saliare sein, das ja schon Aelius Stilo nicht mehr ganz erklären konnte (VII 2). Die Schreibung deivum ist angesichts des Alters des Texts zu erwarten, s. zu VI 61 (Ennius habe deico geschrieben, nicht dico), doch könnte sich Varro auf die jüngere Version des Aelius Stilo bezogen haben, in die vielleicht auch mündliche Elemente eingegangen sind, s. zu VII 2. Von einem unbekannten Dichter (Frag. Poet. Lat. p. 29 Morel; Courtney p. 44), ein sechshebiger Jambus; veterēs wird eine frühe Glosse sein. In der Lücke, die F und Vall. nach carmine Priami gelassen haben, wird ein Verweis auf den Autor oder das Alter des Gedichts gestanden haben, z. B. < veteris quoiusdam poetae > 'von einem ganz alten Dichter': Dabei bräuchte man nur das folgende veterēs, das A. Sp. aus dem Zitat getilgt hat, mit in die Lücke einbeziehen. Eine Schreibung wie z. B. quoiusdam statt cuiusdam konnte die Irritation des Kopisten von F* bzw. F begünstigen. Auch im folgenden Zitat aus Ennius scheint früh eine Glosse eingedrungen zu sein, nämlich prīscī, was Traglia wiederum (als Glosse) tilgte. Annales 24 V. = 22 Sk. Die Änderung von genuēre > tenuēre ist durch die Einreihung des Verses in die Geschichte Altitaliens bedingt. Überzeugend ist die Lösung von Coleman (2001) 72, Latīnus als Genitiv zu sehen, so dass sich prīscus auf (König) Latinus bezieht und keine Glosse ist, wie Traglia noch annahm. Ein Spottepigramm in sechshebigen Jamben (Manilius frg. 1 Blänsdorf). Zu Manilius s. VII 16. Das Adj. cariōsus könnte auch ein Wortspiel sein zwischen cārus 'lieb, teuer' und cariōsus 'morsch', wie der Dichter auch mit dem Adj. cascus und dem Cognomen Cascus spielte: Wer von den beiden Partnern Cascus bzw. Casca hieß bzw. der wirklich 'Alte' war, bleibt unklar; Manilius kann auch den Aufwand für die teure Hochzeit als Verschleierung des morschen Zustands der beiden Alten interpretiert haben. Ein Spottepigramm in zwei elegischen Distichen, wie sie – noch zur Zeit Varros – Catull produzierte. Der Dichter heißt in Codex F und Vall. Papinius; der Grammatiker Priscian – der Teile dieses Epigramms zitiert (GLK II 90) – nennt ihn Pompilius. Nach Markus Stachon (2018) ist der Version Priscians der Vorzug zu geben. In Vers 3 spielt der Dichter auf ein römisches Sprichwort an (Otto 232f.), das in der Form Mūtuum mūlī scabunt ('Ein Maulesel kratzt den anderen') Titel einer (Menippeischen) Satire von Varro selbst war (Frg. 322-325 Astbury). Casca war ein röm. Cognomen; zwei Cascas waren unter Cäsars Mördern.

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          88 Das heutige Montecassino mit dem Benediktinerkloster, in dem wohl um 1100 der Codex F geschrieben wurde, ca. 100 km südöstlich Roms; eine röm. Villa, die dort gefunden wurde, wird Varro zugeschrieben (NP 2, 1002). Varro kannte sich dort aus: Die Information über die Benennung des Forum Vetus ist Insiderwissen. Dass die Samniten von den Sabinern abstammen, behauptet auch Varros griechischer Zeitgenosse Strabon (5,4,12: NP 11, 13), freilich vielleicht aus Varro. 89 Atellanen: Die Atellana fabula war ein lat. Possenspiel. Der Pappus war der Typ des vertrottelten Alten (NP 2, 151 ff.). Atellanen mit dem Titel Pappus Agricola bzw. Pappus praeteritus sind überliefert (Frassinetti [1967] 46f.). De Melo 936 vermutet hinter (osk.) kasnar ein *kasnāris. 90 1281 M. = 1103 Chr. Nach Brakmann (1932) gehe es nicht um den Schauspieler L. Ambivius Turpio, wie Laetus im 15. Jh. konjiziert hat, sondern verberge sich das PPP von ambīre hinter dem überlieferten ambiu bzw. ambui (so F und Vall.), so auch Christes in seiner neuen Luciliusausgabe. Paläographisch ist die Konjektur von Laetus bei weitem vorzuziehen, sie wirkt im Gesamt des Lucilius auch witziger: Schon der Name des Ambi-vius verrät sein Wesen als eines Menschen, der doppelte Wege oder Umwege gehe. 91 Quintus Valerius aus Sora, als Redner von Cicero gerühmt, + 83 v. Chr. Eines seiner Lehrgedichte war dem P. Cornelius Scipio gewidmet (NP 12/1, 1117): Val. Soran. Frg. 7 Blänsdorf. P. Scipio bezieht sich vielleicht auf P. Cornelius Scipio Africanus (236-186 v. Chr.). Der Vers könnte einen doppelten Sinn haben: 'Das (ungenannte) Sprichwort ist alt – das Wort adagiō aber auch'. 92 Als Sprichwort schon in der Terenzkomödie Phormio 506 (Auribus teneō lupum), sinngemäß wohl: 'Ich kann etwas weder loslassen noch festhalten, beides ist gefährlich.' (Otto 199). Canis canīnam non ēst (Otto 70) ist sinngemäß: „Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus.“ 93 Den Schwund des -m- (amb- > ad-) übergeht Varro. 94 Die Textfassung in F verrät, dass im (ursprünglichen) Varrotext tatsächlich ein Trennungszeichen nach amb- gestanden hat, wahrscheinlich ein senkrechtes Strichlein, das die Kopisten bald zur Tilgung von amb- veranlasst hat (amb-agiō), in amb-egna zur Einfügung eines i und in ambustum zur Verschreibung bzw. Verlesung von amb-ustum zu adustum. Damit folgte Varro seinem Lehrer Stilo, für den – ebenso wie für Varro – die Verwendung diakritischer Zeichen durch ein ausführliches Grammatikerzitat (GRF p. 54 ff. Funaioli) bezeugt ist. Statt des überlieferten dicta muss bei Varro ficta gestanden haben, da es hier um die Wortbildung geht, nicht mehr um die Etymologie; vgl. V 7. 95 Enn. Ann. 528 V. = 542 Sk. 96 Lucilius 1221 M. = 1176 Chr. 97 Ein römisches Sprichwort: Otto 70 Nr. 9. 98 Von Vahlen bei den Annales eingeordnet (616). 99 Enn. 208 f. Joc. = F 89 Manuwald. Sprecherin ist Medea, bezeugt u. a. durch die Folgeverse in der Rhetorica ad Herennium II 22. 100 Eine Tragödie des Pacuvius, Frg. XIII 265 Artigas = Frg. 174 Schierl: Sprecher ist wohl der Chor, Adressat ist Medea als Priesterin der Diana/Artemis (Schierl S. 369). 101 Varro ergänzt die Bemerkung der Glossatoren um die eigene Erkenntnis, dass in diesem Bereich manches (rituell bedingt) weniger offen liegt, was aufzudecken

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          oder wenigstens anzudeuten wiederum seinem et. Niveau entspricht (zu V 10). Flobert (2019, 14; danach de Melo) fasst die Stelle (mit quae) so auf: „Il faut ajouter, dans les rites secrets.“ (p. 14). Es bedarf aber, textgrammatisch bedingt, einer Ergänzung von quae zu quaedam, da sowohl das Relativpronomen quae als auch das folgende Itaque sonst zu viel Gewicht haben. 102 Kallimachos (2. H. 4. Jh. v. Chr.) war als Dichter und grammatischer Forscher eine Berühmtheit. Seine Iamboi (Jamben) und elegischen Epigramme waren wiederum für die römischen jungen Dichter, die „Neoteriker“ um Catull, prägend (NP 6, 188-194). Varros Bemerkung (invēnī) zeigt, wie weit seine lit. Interessen bzw. Forschungen gingen. 103 Aus den Saturae des Ennius (Enn. Sat. 65 V.): Die bei Herodot erzählte Legende vom Flötenspieler, der mit seinem Flötenspiel die Fische an Land locken wollte. 104 Aus den Annales (216 V. = 207 Sk.), ein bei Cicero und Quintilian mehrmals zitierter Vers. Varro bzw. Ennius spielen hier – wie die Parallelzitate in Ciceros Brutus 71 und 75 zeigen – auf das alte Versmaß des Saturniers an. Bei Ennius bedeutet vātēs aber noch 'Prophet'; die Bedeutung 'Dichter' hat Varro hier wohl eingeführt: Dahlmann (1948) 337-353, auch Piras (1998) 154f. 105 Faunus war der „Gott des Draußen“ (NP 4, 440); er wurde früh mit Pan, dem griech. Hirtengott, identifiziert. Der Plural ist häufiger, Fauna wurde sowohl als Gattin als auch als Tochter des Faunus erklärt. Da schon Ennius die Faune (sic!) mit Sehern/Dichtern (vātēs) verbindet, erscheint Varros Et. (Faunus ā fandō) nachvollziehbar. Als Orakelgott behandeln ihn Vergil und Ovid (NP a. O. 441). Varros drei Bücher De poematis (näher: Cardauns [2001] 65f.) sind verloren. 106 Der „Saturnier“ ist das alte lateinische Versmaß, in dem die Odusia des Livius Andronicus verfasst war; deren erster Vers zeigt grob die Struktur: Virum mihi, Camēna / īnsece versūtum ('Den Mann nenne mir, Muse, den gewandten'). Die Silbenzahl liegt bei etwa sieben Silben (erste Hälfte) und sechs für die zweite; lange Silben konnten durch zwei Kürzen ersetzt werden. Die Abhandlung von Leo (1905) dazu ist immer noch maßgeblich. Die hexametrische Dichtung der Annales des Ennius verdrängte den Saturnier, doch hielt er sich in archaistischem Kontext, wie die Verse auf dem sog. Larunda-Altar in Regensburg, verfasst um 180 n. Chr. (sic!), zeigen: Verf. (2004). 107 Hinter dem zweiten viendis in F (von den Hrsgg. getilgt, in F zu viendis korrigiert) wird sich ein varronisches Konstrukt verbergen, das den Anschluss von vātēs und viēre herstellen musste, da Varro seine Et. – für ihn ganz ungewöhnlich – sonst auf nur einem einzigen Laut bzw. Buchstaben aufgebaut hätte. *Viātēs entspricht dem morphologischen Bau von tu-emplum (VII 7) und tu-escum (VII 11). Er rechnete offenbar mit einem Suffix –ātēs, das er in der Ableitung von Arpīnum → Arpīnās, Pl. Arpīnātēs (von Ciceros Geburtsort) gefunden haben mag. Das Versprechen, in De poematis (das somit später als De lingua Latina zu datieren wäre) über die Et. von vātēs Näheres zu schreiben, lässt sich nicht mehr verifizieren; dazu Dahlmann (1935) 1221 f. und Piras (1998) 154 f. Varro wird in De poematis wohl die Deutung der Dichter als Propheten / Seher begründet haben und auch näher auf seine Et. von vātēs eingegangen sein. 108 Ebenfalls aus den Annales (521 V. = 20 Sk.): Die 'Heldin' virāgō ist die Göttin der Zwietracht, Discordia.

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          109 Gemeint ist der Phaidon Platons: Dessen Werke waren in Vierergruppen eingeteilt, zu deren erster – als vierter Dialog – der Phaidon gehörte (112 a). 110 In V 131 hatte Varro palla 'Mantel' schon von palam abgeleitet, hier also: Adv. palam → palūdā-tus und palūdā-mentum  Palūda. 111 Ein Vers, der sich keinem sonst bekannten Plautusstück zuweisen lässt (Frg. 1 inc. Leo / Aragosti). In habet coctum zeichnet sich – schon bei Plautus – bereits das vulgärlateinische Perfekt mit habēre + PPP ab. – Als 'Koch vor Troja' ist Epeus sonst nicht bekannt; der Dichter Stesichoros bezeichnet ihn aber als 'Wasserträger der Atriden' (NP 3, 1066). 112 Aus Naevius' Epos Bellum Poenicum, s. zu VII 23 (Frg. 53 Mariotti). 113 Varro hebt nun zu einer umfangreichen Diskussion der Et. von lūca bōs an. Daraus geht hervor, dass Naevius schon zu Varros Zeit Kommentatoren hatte: Für die Identifikation des Cornelius wurden Cornelius Sisenna, Cornelius Balbus und Cornelius Epicadus vorgeschlagen; die Identität des Vergilius/Virgilius bleibt ganz im Dunklen: Piras (1998) 178 Anm. 203. Die Deutung beider Kommentatoren von lūca bōs lehnt Varro ab (VII 40). Seine eigene (von lūcēre 'leuchten') ist zwar abenteuerlich, zeigt aber wieder sein historisch-antiquarisches Bemühen und seine etymologische Praxis, mit linguistischen Argumenten eine andere Deutung zu verwerfen. 114 Gemeint ist wohl die Schlacht bei Herakleia in Lukanien (280 v. Chr.), wo die römische Reiterei beim Anblick der für sie unbekannten Elefanten aus Panik floh: Sommer (2013) 136. 115 Annales 207 V. = 202 Sk.: Die Episode, wo Kineas, der Gesandte des Pyrrhos, dem König von seiner erfolglosen Mission berichtete. 116 ōrātiōnum wurde von den Hrsgg. getilgt; es steckt aber wohl ein Supin im Dativ dahinter, vgl. Cic. Verr. III 70: istum (sc. Verrem) sibi quaestuī praedaeque habuisse bona 'dass dieser Typ die Güter für sich zu Erwerb und Beute hatte'. 117 Annales 582f. V. = 593 Skutsch. 118 Vom Beginn des 2. Buches der Annales (119 V. = 113 Sk.): Aus dem Gespräch zwischen König Numa und der Nymphe Egeria. Zu alat. olle vgl. die Präp. ols 'jenseits' (zu V 50). 119 En passant eine weitere Et. Varros: lētum 'Tod' von gr. λήθη 'Vergessen'. 120 Annales 120 V. = 114 Sk., wo – wie auch im Folgenden – die Maßnahmen von König Numa beschrieben werden. Die ancīlia wurden von den Saliern zu ihrem Waffentanz getragen. 121 Varro hatte VII 15 schon ānfrāctus von ambe + frāctus hergeleitet, nun deutet er ancīle als Kompositum aus ambe + cīs-le (?), ohne über den Lautschwund in –cīle zu sprechen. Die Schilde der Thrācēs (eines Gladiatorentyps), die mit dem Krummschwert kämpften, waren etwas kürzer als die der murmillōnēs und fast quadratisch. Sie waren an den Ecken abgerundet, was Varro wohl (irrtümlich?) mit incīsus meint (Junkelmann [2000] 119f.). 122 Annales 121 V. = 115 Sk., der Folgevers zum vorhergehenden. 123 Vgl. V 50 ff. Auszüge aus dem Ritualbuch der Argäer brachte Varro in V 5054 anlässlich der Beschreibung der (alten) Stadtteile. Der hölzerne pōns sublicius ging ca. 300 m unterhalb des heutigen Ponte Palatino, nordwestlich der Carceres des Circus Maximus, über den Tiber (NP 10, 1093 Nr. 14 im Plan ROMA III). 124 Meta ist der Pfosten in der Rennbahn, um den die Gespanne herumlaufen mussten.

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          125 Annales 122 ff. V. = 116 Sk., wohl die Folgeverse. Rom hatte 15 flāminēs (Latte 36f.), darunter die von Varro zitierten. Der Volturnālis war für den (etr.) Gott Volturnus zuständig, Palātua ist die Ortsgottheit des Palatins (Latte 112), Pōmōna ist mit den Früchten (pōma) zu verbinden; Flōra wird mit der Getreideblüte zu tun haben (Latte 73); der Bereich von Furrīna (zu VI 19) und (pater) Falacer (V 84) bleibt im Dunkeln. 126 Annales 459 V. = 450 Sk. Wenn mit ferae 'Tiere' Elefanten gemeint sein sollten (Flo. 66), dann bezögen sich die Verse auf die Kämpfe mit Pyrrhos oder den Karthagern. Der Übergang von Wörtern aus sakralem Kontext zu den Tieren ist abrupt, hat aber seine Parallele in der Struktur des V. Buches, wo in V 75 der erste Satz das Scharnier zwischen beiden Themenbereichen darstellt. Inhaltlich reizvoll ist die Konjektur von Müller, ferā als Attribut zu vōce zu ziehen. Die Schwierigkeiten, diesen Vers ohne Kontext zu interpretieren, werden bei Coleman (2001) 72 f. deutlich. 127 Annales 331 V. = 329 Sk.; der Vers steht komplett mehrmals bei Cicero, De re publica I 18,30 (Tusc. I 9,18 und De oratore I 198): Ēgregiē cordātus homō catus Aelius Sextus: 'ein ausnehmend gescheiter Mann, der gewitzte Aelius Sextus': Aelius Sextus (Konsul 198 v. Chr.) war ein berühmter und von Cicero besonders geschätzter Jurist. Daher passt in die Lücke < docta > besser. 128 Wohl auch aus den Annales (529 V. = 543 Sk.). Die Konjektur von Bergk ergänzt zwar den Hexameter und passt zu simul, ist aber ganz fraglich und muss auch nicht auf Varros Textzitat zurückgehen. 129 Vers 938 M. = 926 Chr., mit Bezug auf eine(n) abservierte(n), ärmere(n) Geliebte(n). Das überlieferte qdē (= quidem oder quid est) wird als quod est das Zitat eingeleitet haben, wie z. B. das vorausgehende Enniuszitat, und gehört nicht in den Luciliustext. 130 54 M. = 926 Chr.; Lupus ist auch die Bezeichnung für den Raubfisch Seewolf (V 77); Lucilius machte aus der Namensgleichheit wohl das Wortspiel, dass die Sardellen einen Seewolf (Lupus / lupus) töten könnten. 131 1304 M. = 1317 Chr.; Christes S. 505 übersetzt: „dass du (den hier) nimmst und einen Thunfisch.“ Die griechischen Fischnamen sind: θύννος, κωβιός, σαπέρδης, σίλουρος, ἀμίας. Varro hat seine Exzerpte nach dem Gesichtspunkt der Textsorte gesammelt; in V 77 kommen – mit Ausnahme von thynnus und lupus – aus der Prosa genommene, andere Fischbezeichnungen vor. 132 Nach diesen griechischen Fischbezeichnungen erzeugt der Übergang zum Himmel (cava cortīna) in VII 48 einen Bruch; auch die Et. von perduellis im übernächsten Kapitel 49 wirkt wie ein Fremdkörper. Codex F lässt aber keine Lücke erkennen. Vermutlich hat Varro einfach seine Notizen abgearbeitet und zwei Belege aus Ennius nachgeschoben, ehe er dann in den Kapiteln 50 -71 Plautus ausgeschlachtet hat. Zu den vermeintlichen oder echten Brüchen: Piras (1998) 158 ff. 133 Der Vers hat viele Eingriffe erlitten. Vahlen weist ihn als Vers 9 den Annales zu, Jocelyn den Tragödien (Inc. 365 f.); die Klanggestalt (die vielen mit [k] anlautenden Silben) imitiert den Klang eines hohlen Kessels. Die wenigsten Korrekturen erfordert die Verbesserung Turnèbes. 134 Ein Tragikervers des Ennius (367 Joc. = F 174 Manuwald). Scaligers Änderung geht zu weit, Laetus' Vorschlag – invictīs statt invītīs – liegt näher als das überlieferte invītīs. 135 Der Lautwandel von Duellōna > Bellōna war schon V 73 thematisiert worden, der Bedeutungswandel von hostis 'Fremder' > 'Feind' in V 3. Das -i- in überliefertem

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          duelliona könnte ein uraltes Trennungszeichen des Varrotexts sein, wie sie mehrfach erschließbar sind, z. B. in VII 31, oder ein Längezeichen/Akzent. 136 Amphitruo 275: Sosias, der Diener des echten Amphitruo, wundert sich, dass die Nacht so lange dauert und es nicht Morgen werden will – Jupiter hat ja seine Liebesnacht mit Alkmene künstlich verlängert. – Der Name des Plautus wird in den folgenden Textbeispielen bis VII 70 nicht mehr genannt, Varro nennt nur mehr die Titel; diese zeigen in Kap. 50-57 und 66-70 eine alphabetische Reihenfolge der Komödientitel; dahinter sind die Plautuskommentatoren Servius Claudius und Aurelius Opillus zu vermuten: Piras (1998) 163 f. und Schröter (1960) 846 f. Der Plautusvers wird verkürzt schon VI 6 zitiert. 137 Accius inc. 714 Dangel. Inhaltlich rückt Dangel S. 380 die Stelle zu jener Acciuspassage aus VII 14. 138 Aurelius Opillus (GRF p. 93 Frg. 23 Funaioli): Ein Lehrer der Philosophie und Grammatik aus der späten Republik und Kommentator seltener Wörter: NP 8, 1255. 139 Innerhalb der (griech.) Bezeichnung für den Abendstern liegt in Codex F ein Zeilenumbruch (δΙ / ЄCΠЄΡΙΟΝ), der den Abbruch nach der ersten Silbe erklärbar macht. Ein griech. * διεσπέριον ist sonst nirgends belegt; dazu auch Schwabe (1870) und – ohne Berücksichtigung des Zeilenumbruchs und mit anderer Lösung – Pavone (2001) 212-220. Im falsch überlieferten dīcitur alterum erkannte Schwabe den Neoteriker Valerius (Catullus), dessen Carmen 62 damit beginnt. 140 Ein Saturnier des Naevius mit zweimal Hiat (Aufeinandertreffen von Vokalen bzw. –um + Vokal an den Wortenden). Frg. Poet. Lat. Morel p. 20 = Naevius frg. 46 Mariotti; Venus wendet sich an Jupiter. 141 XII Tab. I 6 h Flach. Eine Paraphrase davon lieferte Varro schon in VI 5. Außerhalb Varros (Gellius XVII 2,10) ist allerdings überliefert: Sōl occāsus, d. h. 'die untergegangene Sonne' mit occāsus als Part. Perf. Akt., nicht als Subst. der u-Deklination, wie Varro es hier darstellt. 142 Regell, Frg. aug. p. 16. 143 Frg. 2 Leo / Aragosti. Vielleicht an einen Soldaten gerichtet: Aragosti 145. 144 Die Et. dazu lieferte Varro in V 182. 145 Eine spektakuläre et. Passage: Varro bietet ja insgesamt vier Erklärungsversuche für latrō – zweimal vom Neutrum latus, -eris 'Seite', dann von griech. λάτρον und schließlich vom Verbum latēre – und integriert darüber hinaus noch einen Bedeutungswandel ('Soldat' > 'Bandit'), mit dem er eine Verbindung zwischen der „griechischen“ Erklärung und der „lateinischen“ (latēre) herstellt. Die vermeintliche Lücke, die L. Sp. konjiziert und Kent aus Paul. Fest. 105 L. ergänzt hat (so noch de Melo), lässt sich als falsch verstandene Auflösung der Abkürzung für nōn ut nunc erklären, was dann – zu nōnnunquam verändert – aus Sinngründen vor mīlitēs verschoben werden musste, s. den Apparat, wohl ein recht alter Fehler. Bei Ennius und Plautus bezeichnet latrō noch einen Söldner, s. OLD 1007 Nr. 1 a. 146 Naev. Com. 120. Die Ergänzung von Bergk passt weit besser als die Dopplung, die das überlieferte egomet mēcum enthielt. 147 Aus Naevius' Tragödie Lycurgus: Naev. Trag. 57 = TRF I fr. 43 Schauer.

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          148 Aus den Menaechmi, der Komödie um die Zwillinge (Vers 797): Der Schwiegervater des Zwillings aus Epidamnos will seine Tochter, die Frau des Zwillings beruhigen, der er unterstellt, Unwürdiges von ihrem Manne zu verlangen. 149 Naevius Com. 35. Turnèbe ändert in Commotria, GS schlagen Dēmētriō vor; doch für keinen der Titel ist ein Naeviusfragment sicher überliefert. 150 Im technischen Vorgang der Wollreinigung fehlt das Auseinanderziehen der noch zusammenhängenden Vliese, bevor sie gehechelt werden konnten; statt dēdūcunt stand sicher einmal dīdūcunt (aus dis + dūcunt). 151 Naev. Trag. praet. 3. 152 Plautus, Persa 89. Toxilus spricht von Saturio, der eben erscheint. 153 Vers 183, Sprecher ist der Parasit Peniculus, dem die Hetäre Erotium vorwirft, außertourlich (extrā numerum) mitzulaufen. 154 Vers 455 f. Sprecher ist Stasimus, der Sklave des Lesbonicus: Er rät seinem Herrn, das Angebot des Philto anzunehmen, das jenem zupass käme. 155 Varro meint das wohl ironisch: Der reiche Philto möchte seinen Sohn mit der Schwester des verarmten Lesbonicus verheiraten, was dieser ablehnt. Die Ergänzung von L. Spengel ist damit unnötig, so auch Schröter (1959) 851. 156 Er befand sich an der südöstlichen Spitze der Tiberinsel: Degrassi in: LTUR 1, 21 f. 157 Frg. 4 Leo / Aragosti. Hinter ecce ergänzt Bothe < nōs >. Interpretation: Aragosti 162 f. 158 Die Et. von accēnsus hatte Varro kurz vorher in VI 89 schon geliefert (von accīre 'herbeiholen'). Hier geht es um die Erklärung, weshalb Cato sie als ministrātōrēs bezeichnet; dafür braucht Varro den Weg über das arbitrium 'Gutdünken' des Vorgesetzten. M. Porcius Cato (234-149 v. Chr.) hatte in 7 Büchern Origines die röm. Geschichte dargestellt; daraus dürfte seine Erklärung über das Wesen der accēnsī stammen, auf die sich Varro bezieht (zu Cato: NP 2, 1033 ff.). Die Ergänzung von GS (potest id < ab cēnsiōne, id est > ab arbitriō), die von den Hrsgg. übernommen wurde, ist irreführend; für Beibehaltung des Textkerns plädiert auch Schröter (1959) 852. 159 Die Lücke im Text dürfte alt sein und umfasst sowohl das Pacuviuszitat als auch Varros Erklärung; Codex F fährt unmittelbar darauf mit der nächsten Plautusstelle aus dem Mercator fort, d. h. schon in der Vorlage F* war keine Spur mehr davon erkennbar. Das kleine Pacuviuszitat lässt sich nicht weiter einordnen (inc. IX 415 Artigas = 270 Schierl). 160 Mercator 619: Der junge Athener Charinus hat soeben von Eutychus schlechte Nachricht erhalten, worauf dieser ihn bemitleidet (der Vers wird von Leo als Beginn eines späteren Einschubs bewertet). 161 Naev. Com. 48: Corollaria ist der Titel einer Naeviuskomödie, von der Warmington (ROL II S. 86 ff.) 8 Fragmente kennt. Mit dem adverbiellen eādem 'ebenso, auf gleiche Weise' ist gemeint: 'In der gleichen Konstruktion' (also mit sog. „doppeltem Dativ“); GS schlugen nach eādem den Abl. vī als Ergänzung vor (ähnlich Flobert und de Melo), also 'in gleicher Bedeutung' – doch geben die Belege für dīvidia keine zweite Bedeutung her. 162 Varros īdem bezieht sich wieder auf Plautus, dessen Stücke von VII 50-70 ja im Vordergrund stehen. 163 Curculio 235f. Der Sklave Palinurus fragt den Kuppler Cappadox, der gerade Prügel bekommen hat.

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          Anmerkungen

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          164 Von diesem Plautusstück gibt es nur dieses eine Fragment. Aufgrund des Inhalts dieser Zeile vermutete Augustinus den Titel Phagō 'Schlemmer/Esser'. 165 Griech. συγκεραστόν bedeutet nach Liddell-Scott ein Mischgetränk. 166 Frg. 2 Leo / Aragosti. Kontext: Der Protagonist, der faule Parasit, kommt von einer Fete nach Hause. Das Fragment gehört nahe zu jenem aus VII 77, das diesem wohl vorausgeht: Aragosti 191 ff. 167 Trāmis (so F) ist – bezeugt durch ein spätes Glossar – eine Nebenform zu trāmes,itis. Der Vallicellianus hat allerdings trāmes, so auch Laetus. Ein zweites Zitat aus dieser verlorenen Plautuskomödie folgt in VII 77, dem ging in VI 68 ein erstes voraus, das fälschlich einem Aprissius zugeschrieben wurde, s. dort. Varro sieht wohl in -mis eine Art Suffix, wie in cucumis 'Gurke'  curvus, < * curvi-mis V 104, einem varronischen Rekonstrukt. 168 Von den Fugitivi ist nur dieser Vers bei Varro erhalten. Aragosti 170 denkt bei dem Verletzten entweder an einen Kuppler, der Prügel erhalten hat, oder einen bestraften Sklaven. 169 Varro bedient sich wieder der Ablativform von vīs 'Gewalt, Kraft', weil er diese als Basis – hier: für vībīx 'Strieme' – besser verwenden kann, s. z. V 4. 170 Cistellaria 405 ff. Die Plautusverse entstammen einer Passage, die nur bruckstückhaft überliefert ist. In der Cistellaria spielen eine Bordellbetreiberin und eine Prostituierte (namens Gymnasium) wichtige Rollen. Der Sprecher der varronischen Plautusverse lässt sich nicht sicher bestimmen. Sicher gehört aber auch der zu Beginn von Kap. 65 stehende Vers „Scrattae, scrupipedae“ etc. hierher. Die Kapitel 64 ff. bringen Beinamen für merētrīcēs, eine beliebte Figur in den (Plautinischen) Komödien: Piras (1998) 162. 171 Warmington ordnet den Vers unter die Didascalica des Accius ein, ein Werk des Dichters über das römische Theater, so auch Dangel S. 389 (p. 582 ROL II W. = Acc. pragm. XIX = 25 f. Dangel). 172 Mit ibīdem verweist Varro sicher auf den Rahmenautor Plautus, auf den er sich in der großen Passage von VII 50-70 so maßgeblich bezieht, dass er meist nur die Titel der Stücke nennt, nicht aber auf Accius. Der Vers gehört von seiner Thematik her ans Ende der Cistellāria-Verse 405 ff., wo – in negativen Bildern und Termini – die Eigenschaften der Prostituierten beschrieben werden, kaum in die (verlorene) Nervolāria (so Schröter [1959] 846 und Aragosti [2009] 184 f.). In den maßgeblichen Textausgaben von Leo (Berlin 1908 ) und Lindsay (Oxford 1904) ist der Vers ebenfalls noch unter die Nervolāria eingereiht. 173 Festus p. 448,4 L. kennt die Form scraptae und erklärt diese Bezeichnung für Prostituierte, die sich durch Ausspucken der screa 'Schleim, Auswurf' entledigten. Dieses Subst. wird Varros Etymon gewesen sein, screa-ttae ist ein varronisches Rekonstrukt, das er brauchte, um wenigstens eine ganze Silbe als Wortkern für das spätere scrattae ansetzen zu können. Das Adj. siccās der Hrsgg. (sicac F) gibt hier keinen Sinn. Durch das seltene screa und das Hapax * screattās musste die kleine Stelle ja in der Überlieferung entstellt werden. Turnèbe hat das Konstrukt als solches (quasi screaciae) erkannt. 174 Aurelius Opillus, s. zu VII 50. Die Stelle ist entstellt: Codex F bietet auscauripeda oder tuscauripeda. Dahinter verbirgt sich ein Konstruktwort, vielleicht schon von Opillus gebildet und in Varros Fachsprache (ut !) eingebettet: * scauripeda.

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          175 Der Komiker Iuventius, wohl einer Generation vor Varro entstammend: NP 6, 115 [I 2]. Iuventius dürfte eine Art Tausendfüßler gemeint haben; vielleicht dachte er an ein Kompositum *scurri-peda ('Clownfuß', zu scurra 'Possenreißer, Clown'). Valerius ist Valerius Soranus, s. zu VII 31. Die Stelle zeigt, dass sich verschiedene Interpreten um die Erklärung seltener Wörter bei Plautus bemühten. 176 Acc. Trag. 430 f. R. (Vs. 531 Dangel). Melanippus, einer der Verteidiger von Theben, war vor der Stadt versehentlich von seinem Bruder Tydeus, einem der Angreifer, getötet worden; dieser ist wohl der angesprochene Gesetzesbrecher (Dangel S. 355). 177 Plautus Astraba Frg. 2 Leo / Aragosti. Vgl. zu VI 73. Die Stelle könnte eine Anspielung auf die Lex Oppia von 215 v. Chr. sein, in der nach der Niederlage von Cannae der Schmuck- und Textilluxus der Frauen beschränkt werden sollte: Jurado (2004) 288, dazu Sommer (2013) 313. Das Fragment könnte sich auch auf jenes in VI 73 beziehen. Zur Interpretation: Aragosti (2009) 96 f. 178 Plautus Sitellitergus Frg. 1 Leo / Aragosti; Letzterer denkt beim Titel-Substantiv sitelli-tergus an einen peiorativen Gebrauch, d. h. beim Akteur an einen Fresser bzw. Trinker (203). Freilich könnte es auch die Klage eines Ehemannes sein, der selber das Geschirr reinigen muss, während seine Frau verschwenderisch lebt. 179 Claudius ist Servius Clodius, Zeitgenosse von Aelius Stilo (+ 60 v. Chr.) und Verfasser von gelehrten Commentarii. Das Verbum dēmōnstrārī, das Varro anführt, dürfte der Metasprache des Claudius zuzuweisen sein – bei Varro wirkt es wie ein Fremdkörper. Das überlieferte cōnsupplicātrīcēs wirkt im Kontext merkwürdig. Vom Zusammenhang der weiblichen Verschwendungssucht ist eher cōnsūmptrīcēs zu erwarten. Claudius scheint die Stelle schon nicht mehr recht verstanden zu haben, Varro schließt sich der Deutung von Claudius an, verdeutlicht aber die Wortbildung mit der Parallele zu factiōsus, was für axitiōsus die Zwischenstufe āctiōsus erfordert, auf die auch de Melo hinweist. Leumann (1921) führt das Adj. axitiōsus auf ein Neutrum Pl. axitia zurück und denkt „an etwas Kostspieliges…, vielleicht Schminken oder Salbentöpfchen“. 180 Das einzige Fragment dieses Stücks; sein Name ist zweifelhaft, s. Aragosti 131; vielleicht ist er eine Kunstbildung aus *cessistiō < * cessi-sistiō im Sinne von 'der Superlangsame'. Aragosti 132 denkt an einen Metzger (lanius) als Sprecher. 181 Griech. στρεβλόω 'drehe'. 182 Plautus Nervolaria Frg. 1 Leo / Aragosti. Für diesen Titel sind noch weitere 5 bzw. 6 Fragmente belegt (Leo p. 537 ff.), s. zu VII 65. Die drei Elisionen (Verschleifung von Vokalen an den Wortenden) ahmen offenbar das Glätten = Abrasieren nach. 183 Plautus Poenulus 530. Der junge Agorastocles vor Gericht zu den Zeugen, die er mitgebracht hat; diese sind ihm zu langsam. 184 Plautus Truculentus 495 f. Der Offizier Stratophanes kommt nach Athen zurück und beklagt sich bei den Zuschauern über die Schwätzer, denen es an soldatischer virtūs fehle, zu ergänzen sinngemäß „…, das andre rühmt, sich selbst aber nicht rühmen kann“:. 185 Aurelius Opillus, s. zu VII 65. 186 Die Venus Libitina war die Leichengöttin. 187 Naevius Com. 129 = Frg. 11 f. Spaltenstein. Die Schrift des Aristoteles über Bräuche der Nichtgriechen ist nicht erhalten. Die Hrsgg. haben für überliefertes fretum est den Titel Fretum einer Naeviuskomödie konjiziert, von der sonst

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          Anmerkungen

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          nichts bekannt ist (Spaltenstein 350). Die kaum wahrgenommene Konjektur von Brakmann (1932) 9 ist auch paläographisch die nächstliegende: Aus prōfātum, geschrieben wohl * pfatum, konnte fretum werden. 188 Sergius Clodius, s. zu VII 66. 189 Einer der Kopisten konnte mit der Bedeutung praeficere 'vormachen' nichts anfangen und hat daher aus dem Aktiv praeficeret ein Passiv gemacht. Varro hatte sicher ein Subst. praefectiō 'Vormachen' gebildet, ein Hapax. Im OLD ist es noch in der falschen Bedeutung aufgeführt. Anders noch Flobert und de Melo. 190 Enn. Sat. 67 V. Die rhipäischen Gebirge (Rhipaia orē: NP 10, 992) liegen aus griechischer Sicht im Norden (Skythien?); die 'Schätze' (aus dem Femininum quās ist opēs für den vorausgehenden Vers zu fordern) könnten das Silber bedeuten, das der griech. Philosoph Poseidonios (2. Jh. n. Chr.) mit den Rhipäischen Gebirgen verbindet. 191 Plautus Curculio 393f.: Der Geldwechsler Lyco spottet über den Parasiten Curculio, der sich mit einer Augenbinde getarnt hat. Cocles kommt über etr. Cuclu wirklich aus griech. Κύκλωψ ‚'Ring-Auge'. Varros Konstrukt *ocles trifft im Grunde semantisch das Richtige. 192 Entsprechend der thematischen Aufteilung von Buch V (Orte) und VI (Zeiten) beginnt nun der zweite, kürzere Teil von Buch VII, in F durch eine vergrößerte Majuskel markiert, die vielleicht schon in F* und/oder seinen Vorlagen enthalten war. 193 Das gleiche Zitat – ebenfalls mit dem Autorennamen Cassius – erschien schon in VI 7, es stammt aber aus der Tragödie Brutus des Accius, s. dort. Sprecherin ist Lucretia. 194 Aus der Iphigenia des Ennius, deren Verse Ennius aus der „Iphigenie in Aulis“ (6 ff.) des Euripides übertragen hat. Fragesteller ist dort Agamemnon, Angesprochener sein alter Diener. Varro nennt den Verfasser nicht – er hatte aus dieser Passage der Iphigenia ja schon V 19 und VI 11 zitiert. Hier: Enn. 188-191 Joc., wo aber (zu) massiv in den überlieferten Text von F eingegriffen wird. 195 Wenig später (VII 75) liefert Varro freilich die Et. von tēmō – ein Zeichen der Flüchtigkeit seines Produktionsprozesses? 196 Der Kontext dieses Satzes erfordert die Nennung von triōnēs; dies hat L. Sp. (so auch noch Flobert) aus bovēs gewonnen und die Ochsen getilgt. Triōnēs steckt aber bereits in nostrī. 197 Terriōnēs ist ein varronisches Rekonstrukt. Seine Et. zeigt, dass er in dem zu postulierenden Schwund des zweiten R kein Problem sah, vgl. auch seine Auslassung zu TERA in V 21. Eine Paraphrase dieser Varro-Etymologie bei Gellius II 21 6-10. Varro erklärt triōnēs nicht als 'Drescher', schließt das Subst. also nicht ans Verbum terere 'reiben' an, sondern – als einfache, erdverbundene Ochsen – an terra (zur Et.: de Melo 987f., der freilich Spengels alte Textänderung für „convincing“ hält). 198 ā parte tōtum: s. zu VII 18. 199 Enn. 13 Joc. = F 9 Manuwald. S. zu VI 6 und VI 81. 200 Aus der Antiopa: Auch diesen Vers hatte Varro schon in VI 6 zitiert. 201 Von Plautus' Condalio gibt es allenfalls noch ein zweites, winziges Fragment: Leo p. 532, I; Aragosti 141 denkt an einen Sklaven als Sprecher, vielleicht der Eingangsszene. 202 Plautus Trinummus 886. Sprecher ist ein Gauner, der einen Alten damit foppen will, dass er einen ganzen Tag bräuchte, um dessen Fragen zu beantworten.

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          203 Plautus Asinaria 685. Den Vers zitierte Varro schon in VI 7, in fast der gleichen Textfassung, die sich vom sonst überlieferten Plautustext leicht unterscheidet, s. zu VI 7, vielleicht beides aus dem Gedächtnis zitiert, was die Abweichungen vom Original und untereinander erklärte, s. auch Traglia (1974). 204 (Valerius) Opillus: Der schon in VII 50, 65 und 70 genannte Plautuskommentator. 205 Das N des Nunc ist in F mit einer übergroßen Majuskel geschrieben, wohl Relikt eines Absatzbeginns in *F oder einem Vorgänger davon. 206 Aus dem Philoctetes Lemnius (Acc. Trag. 220 f. Dangel), s. zu VII 11. 207 Plautus Pseudolus 955. Sprecher ist der Schelm (Pseudolus), der den Gang des Kupplers beschreibt. Die Wiederholung des Verses am Ende von Kap. 81 zeigt eine leicht geänderte Wortstellung, die eine Mischung aus Zitat und Paraphrase Varros darstellt. Das von Christ ergänzte < ante > dürfte als Abkürzung in das einleitende [a]ut verschleppt worden sein. 208 Enn. 99 Joc. = F 25 Manuwald; aus der Andromacha des Ennius. Hinter überliefertem rectei steckt wohl die alat. Form des Adverbs auf -ēd (Meiser 155), womit auch der Hiat zwischen rēctē und indidit beseitigt ist. 209 Enn. 64 Joc. = F 16 Manuwald, aus dem Alexander (= Paris) des Ennius. 210 Hier bietet Varro sowohl Etymologien griechischer Heldennamen als auch die Kritik des römischen Etymologen an einem gelehrten Wortspiel des Ennius: Dessen Vers setzte ja bei seinem Leser bzw. Hörer die Kenntnis des Griechischen voraus, was Varro kritisierte. Er liefert dabei en passant auch eine Et. von Alexandros als Ἀλέξανδρος, Abwehrer von Männern, die er mit der Et. des Beinamens von Hercules verdeutlicht; im Griech. liegt bei der Interpretation des Eigennamens als 'Abwehrer von Männern' wohl eine Volksetymologie vor, da nach den Regeln der griech. Wortbildung eher * Ἀλεξήνωρ zu erwarten wäre (Helmut Rix, vivus, mündlich). 211 Acc. Inc. 695 f. Dangel. Warmington denkt an ein Zitat aus der Acciustragödie Phoenissae, die Zuordnung ist unsicher (Inc. Frg. 8 ROL II W.). 212 Terenz, Adelphoe 117. Der alte Micio klagt über seinen missratenen Sohn. Die Terenzhandschriften bieten opsōnat 'schlemmt' statt scortātur: Varro hatte wohl eine andere Terenzversion vorliegen: Traglia (1974) 277 f. 213 Varro hat also in den schlichten Dorfkomödien (Atellānae) bei pellicula einen Bedeutungswandel feststellen können. 214 Acc. Inc. 704 f. Dangel. 215 Varro denkt an das mit lat. nuere 'nicken' verwandte Verbum νέυω 'nicke zu', das auch für Zeus gebraucht wird, z. B. Ilias I 528 und VIII 246; für Accius noch ein weiteres Mal belegt in der Tragödie Tereus (650 ROL II W.): Alia hic sanctitūdō est, aliud nōmen et nūmen Iovis. 'Hier gibt es eine andere Heiligkeit, anders als Namen und Geheiß Jupiters.' 216 Plautus Miles Gloriosus 24; der Parasit Artotrogus preist still die leckeren Häppchen des prahlerischen Offiziers Pyrgopolinices. Die Form ēstur ist Passiv zu ēst (= edit) 'isst'. 217 Hier hat Varro die umgangssprachliche Verwendung von īnsānē als Verstärkung von bene wohl nicht erkannt, sondern das Adverb wörtlich gedeutet; die Plautuscodices haben īnsānum bene. 218 Aus dem Teucer (Frg. II 359 f. Artigas = 251 Schierl). Die Stelle bei Cicero (div. I 80) erlaubt es, den Pacuviusvers zu ergänzen. Vielleicht stand bei Varro ganz knapp: Flexanima unde sit, apertum. 'Woher flexanima kommt, ist klar.' Inhalt:

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          Anmerkungen

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          Die Mutter Hesione trauert um Teukros (Schierl S. 510). Jedenfalls ist flexanima als Beginn der Et. zu ergänzen. 219 Enn. 368 Joc. = F 175 Manuwald. Die Namensform Thelis statt Thetis erklärt Varro in rust. III 9, 19: … quod antīquī ut Thetim Thelim dīcēbant, sic Mēdicam Mēlicam vocābant. 'weil die Alten so, wie sie zu Thetis Thelis sagten, das medische Huhn Mēlica, nicht Mēdica nannten.' In V 71 freilich hatte Varro lympha (bei Varro geschrieben: lumpa) noch von (lāpsus) lūbricus hergeleitet. Hier dagegen dürfte die Schreibung mit y angemessen sein. 220 Pacuvius Inc. X 416 Artigas = 271 Schierl. Alkyone war eine Tochter des Windgottes Aiolos und Gattin des Keyx, nach dessen Tod sie in einen Eisvogel verwandelt wurde. Mit dem Eisvogel vergleicht sich der unbekannte Sprecher. Auf diese Metamorphose spielt Varro an; Ovid hat sie später im 11. Buch der Metamorphoses 379-592 groß ausgearbeitet. Der Text bedarf lediglich einer anderen Interpunktion, die in F schon vorbereitet ist, s. App., keiner Verschiebung des nunc (so noch de Melo); auf einen Bedeutungs- oder Lautwandel innerhalb des Griechischen hat Varro nicht abgezielt. Der Ablativ rītū fungiert nur als Vergleichspartikel: Schierl S. 544. 221 Die alcyōnia waren die Windstille und sturmfreie Zeit um die Wintersonnenwende herum. 222 Die Quīndecimvirī sacrīs faciundīs waren eines der großen Priesterkollegien Roms und beaufsichtigten die Sibyllinischen Bücher. Zu ihren Aufgaben gehörten auch Kulthandlungen für die Götter der röm. Staatsreligion, die Graecō rītū, d. h. mit unverhülltem Haupt, verehrt wurden (NP 10, 713f.). 223 Accius Inc. 719 Dangel. 224 Enn. 369 Joc. = F 176 Manuwald; die Zuordnung ist unsicher. 225 Varro führt hier cōmis auf griech. κῶμος zurück, nicht auf alat. cosmis, das er auch im Carmen Saliare hätte vorfinden können: s. zu VII 26. Die Et. von κωμῳδία stammt wohl (quīdam) von griech. Grammatikern. 226 Atilius Com. Frg. 4 (fr. com. P. 38 R.), aus dem 2. Jh. v. Chr. (NP 2, 210). Gerichtet wohl an einen Koch. Amüsant ist die expressive Lautsymbolik, die das Hauen des Schlächters nachahmen soll. 227 Über die Komposita (verba compositīcia) handelt Varro u.a. knapp in VIII 61, aber dort nicht so, wie er es hier ankündigt: Die eigentliche Ausführung der lat. Wortbildung (sicher auch mit dem Lautwandel capere > -cipere, d. h. der Schwächung von Kurzvokalen in der Binnensilbe: Leumann 79-83) kam erst in der vierten Triade (Buch XI-XIII) an die Reihe. 228 Pacuvius Inc. XI 417 f. Artigas = 272 Schierl. Nach Schierl S. 544 könnte von Aias die Rede sein, der Text ist am Ende unsicher. 229 Das bei Varro zitierte dictum ist im Anapäst gehalten (˘ ˘ -), was für eine poetische Quelle spricht. Vom folgenden Kontext ist an Plautus zu denken. 230 Die Familie der Veturiī Cicurīnī war in der frühen und mittleren Republik bedeutend (NP 12/2, 155). 231 Plautus Frg. Inc. 2 Leo / Aragosti. Eine lat. Redewendung, z. B. ciccum nōn interduim 'ich mache keinen Unterschied' = 'etwas ist mir egal', in Plautus' Rudens 580. Ein Kontext lässt sich nicht herstellen: Aragosti 211. 232 Naev. Trag. 59 Ribbeck = Frg. 44 Schauer; eine Zuordnung des Verses zu einem Stück und eine genauere Bestimmung des Kontexts sind nicht möglich. Mit den

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          Liber VII

          Adverbien fermē bzw. ferē behandelt Varro erstmals eine Wortart, die zum Thema 'tempora' (dem zweiten Hauptteil von Buch VII) nicht passt. 233 Mit diesem Kapitel behandelt Varro die Interjektionen, denen in Kap. 103f. die tierischen Lautäußerungen entsprechen. Einen richtigen logischen Platz im Rahmen der tempora haben sie freilich nicht. Im ersten Zitat hat wohl Varro selbst die Interjektion hercle ausgelassen, die bei Plautus, Menaechmi 127, überliefert ist: Der Zwilling aus Epidamnos hat gerade mit einer Schimpftirade seine Frau hinausgescheucht. 234 Enn. 370 Joc. = F 177 Manuwald; die Zuordnung ist unsicher. 235 Enn. 371 Joc. = F 207 Manuwald. 236 Pompil. Trag. p. 227. / TRF I Fr. 1 Schauer. Pompilius war – nach Varros Men. 356 – Schüler des Pacuvius, so wie Pacuvius der des Ennius. 237 1118 M. = 1168 Chr., eine nähere Zuordnung ist nicht möglich. 238 Eine für Varros Praxis sehr aufschlussreiche Et.: Mit clam 'heimlich' setzt er ein kurzes Etymon an, aus dem er sein Konstrukt * cla-p-ere bildet (mit einem willkürlichen Suffix -p-), aus dem er dann clepere werden ließ. Den häufigen Wandel von a > e wird er in Fällen wie capiō : (Perf.) cēpī gefunden haben, das Problem der Vokallänge in clām versus clepere mit Kurzvokal vernachlässigt er, ut in multīs. Laut Varro gab es auch (aliī) ein (Dehnungs-)Perfekt clep-ō  Perfekt clēp-ī, wofür es aber sonst keinen Beleg gibt. 239 (Gnaeus) Matius Frg. 1 Courtney p. 99 = Frg. 1 Blänsdorf. Der Infinitiv Präsens auf –ier (Passiv wie auch Deponens) wurde klass. durch –ī verdrängt: Meiser 225. Matius war ein Dichter des frühen 1. Jhs. v. Chr. und unter anderem Verfasser einer Iliasübersetzung. 240 Dossennus ist der Typ des Bucklingen in den Atellanen. Eine Atellane mit dem Titel Duo Dossennī ist bezeugt durch Fest. 500,12 L. (Frassinetti 75), s. zu VII 28. 241 Frg. 2 Courtney p. 99 f. = Frg. 2 Blänsdorf. 242 Dangel p. 258 (Pragmatica XVII) = Frg. 28 Blänsdorf. 243 Von der Faeneratrix sind zwei Fragmente erhalten (Frg. 1 und 2 Leo / Aragosti). 244 Lucilius 1130 M. = 1225 Chr. Zu Beginn des Hexameters ist noch ein Versfuß (Daktylus oder Spondeus) zu ergänzen, den Varro weggelassen hat, die Stelle hat Scaliger nach dem Zitat aus dem Grammatiker Diomedes (4. Jh.) ergänzt. 245 In dieser breit angelegten Stelle thematisierte Varro de facto die Folgen der vulgärlat. Monophthongierung von altem Diphthong [ai] > [ȩ], die der Satiriker Lucilius womöglich schärfer als Varro beobachtet hat, wie sein Spottvers auf den Prätor Caecilius zeigt. Dass im Lat. aus griech. σκηνή ein scaena als „hyperurbane Aussprache“ (Leumann 68) wurde, mag Varro dazu gebracht haben, hier keinen Wandel – wie oben bei *clapere > clepere – anzunehmen, sondern nur die beiden Alternanten gegenüberzustellen. Die Überlieferung in F hat einige editorische Eingriffe schon in Humanistenzeit erfordert, einige Fehler hat der Schreiber von F – s. den Apparat – selbst schon geheilt. 246 Es wird sich um einen kleinen Phallus gehandelt haben, den man den Buben als Amulett umhängte. Scaevola wurde lat. zum Cognomen, z. B. bei Mucius Scaevola (zu VI 30). Scaeva 'gutes Vorzeichen' ist bei Plautus mehrfach belegt (OLD 1698 s. v. scaeua 2). Das verbindende Element zwischen diesem und dem vorangehenden Kapitel ist der Begriff des Obszönen. 247 Das hatte Varro aber in den vorangegangenen Partien nicht behandelt. 248 Die Et. von ōmen < ōsmen hatte Varro schon VI 76 behandelt. Er legte auf diese seine Erkenntnis so großen Wert, dass er hier (wo gar nicht der Platz war) nochmals

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          Anmerkungen

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          ausführlicher als im VI. Buch darauf zurückkam. Das legt den Verdacht nahe, dass osmen ein Konstrukt Varros ist; außerhalb Varros ist es nicht belegt. 249 Der erste Vers der Cistellaria: Die Prostituierte Selenium zu ihrer Kollegin Gymnasium und deren Mutter, einer Kupplerin. Der Grammatiker Priscian GLK II 529 zitiert den Vers Jahrhunderte später in anderer Form und interpretiert dort das Verbum crēvī als vīdī 'habe gesehen'. 250 Varro interpretiert den Plautusvers, weil die Deutung von crēvī als 'ich habe entschieden' als juristischer Terminus nicht trivial ist – das zeigt die andere Interpretation der Stelle bei Priscian. Zur Et. von cernere vgl. VI 81. 251 Plautus Cistellaria 6. 252 Diese Stelle ist in der Überlieferung entstellt. Man vermisst eine Et. zu frequēns; alleine das Adverb ferē 'gewöhnlich, in der Regel, etwa' reicht für die varronischen Ansprüche, die sich sonst offenbaren, nicht aus. Es stand wohl unmittelbar nach ferē das Partizip zu queō 'kann', nämlich queēns, das hinreichend belegt ist. Der Gegensatz dazu, nämlich īnfrequēns, bezieht sich wohl auf das Militär: Bei Festus 100 L. ist das erläutert: Īnfrequēns appellātur mīles quī abest āfuitve ā signīs. 'Īnfrequēns heißt ein Soldat, der fehlt und sich von der Truppe entfernt hat'. 253 Plautus Cistellaria 8 ‑ 11. 254 Im überlieferten ptantī wird ꝑtantī stecken, d. h. das – sonst nicht belegte, aber bildbare – per-tantī, vgl. per-magnī 'ganz viel'; aus dem Mund der Prostituierten Gymnasium, die ihren Auftritt auf der Bühne singt, klang diese Neuerung umgangssprachlich und keck. Varro dürfte hier einen besseren Text gehabt haben als den offiziell überlieferten, s. App. 255 Enn. Annales Frg. 571 V. = 583 Sk. 256 Enn. 372 Joc. = F 178 Manuwald. 257 Enn. Inc. 10 V. 258 Aus dem Chryses: Frag. XIV 112 Artigas = Frg. 75 Schierl. Chryseis, die Mutter des Chryses, könnte ihren Sohn daran hindern wollen, den flüchtigen Orestes an seinen Verfolger Thoas zu übergeben; es könnte auch Orestes der Sprecher sein, der Pylades davon abhalten will, für ihn zu sterben (Schierl S. 225). Averruncāre ist ein alter Terminus technicus der Religionssprache, die Endung –(a)ssint ist in der Gesetzessprache und bei Plautus reich belegt, ein Rest des alten, mit -sgebildeten Konjunktivs Aorist (Leumann 621-624). 259 Der Gott Averruncus (die jüngere Form, bei Gellius V 12,14, ist Auruncus) ist sonst kaum bekannt (NP 2, 367). 260 Plautus, Aulularia 445; Sprecher ist der Koch Congrio, der dem Alten Euclio nachschimpft. Der Ausfall des hīc im Varrotext könnte noch durch Varros „solita citazione a memoria“ bedingt sein: Traglia (1974) 277. 261 Enn. Annales 584 = 481 35 Sk. 262 Aus einer unbekannten Komödie (Frg. Inc. 3 Leo / Aragosti). Sprecher ist ein Sklave, der über einen Mitsklaven schimpft: Aragosti 212. 263 Caecilius CRF 249 Ribbeck. 264 Lucilius 261 M. = 239 Chr. 265 Lucilius 1275 M. = 1266 Chr. Equitātus muss in diesem Luciliusvers nicht die Reiterei per se, sondern könnte auch das biologische Rossen der Stuten bezeichnen, so Warmington ROL III S. 408. Johannes Christes hingegen übersetzt es mit „Galoppieren“.

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          Liber VII

          266 Porcius Licinus: Dichter wohl aus der 2. Hälfte des 2. Jhs. (NP 10, 162). Porc. Poet. 7. 267 Enn. Inc. 7 V. 268 Enn. Annales 585f. V. = 594 Sk. 269 Enn. Annales 586 V. = 595 Sk. 270 Enn. Annales 531 V. = 545 Sk. 271 Sueius: Dichter „ländlicher Idyllen“ (NP 11, 1081): Frg. 5 Courtney = 5 Bl. Von der Beschreibung des Vogelsangs her ist am ehesten an die Mönchsgrasmücke (Sylvia atricapilla) zu denken. Eine ātricapilla 'Schwarzkäppchen' ist bei Paul. Fest. P. 111,28 f. bezeugt; erklärt die Parallele zum Mönchskopisten den Fehler? 272 Plautus, Casina 267: Die Dame Cleostrata hat den Alten Lysidamas in Verlegenheit gebracht. Das Stottern selbst wird durch die Silben –uc … cu-pide cu-pis ausgedrückt. 273 Sueius Frg. 6 Courtney = 6 Bl. 274 Aesōpus: Nicht der griech. Fabeldichter, sondern der Schauspieler Aesopus, den Cicero (Tusculanae disputationes II 39 und IV 55) offenbar verehrte. 275 Frg. 4 Leo / Aragosti. Varro schweift zugunsten eines längeren Exkurses über die juristische Bedeutung von nexum ab und zitiert juristische Fachautoren. Die mancipātiō ist „ein förmlicher Akt, mit dem jemand einem anderen das Eigentum … über bestimmte Personen oder Sachgüter einräumt“, ein altertümlich wirkender Vorgang: Der Erwerber ergreift das Objekt (manū capit), schlägt dabei eine Kupfermünze (aes) an die Waage (lībra) und übergibt diese – symbolisch für den Kaufpreis – dem Veräußerer.“ (Kaser 41f.). Das nexum ist dabei ein „Haftungsgeschäft für die Zwecke eines Darlehens oder zur Eingehung einer Schuldknechtschaft“ (Kaser 44). 276 Manius Manilius, Konsul 149 v. Chr.; Q. Mucius Scaevola war Konsul 95, Varro erwähnt ihn schon VI 30. 277 Manilius und Mucius haben sich offenbar auf eine Bestimmung des Zwölftafelgesetzes bezogen; die Varropassage lässt sich der Tafel XII zuordnen (XII tab. 6 c Flach). 278 Varro unterscheidet also kurioserweise zwischen der Erklärung für das Neutrum nexum (< nec suum) und dem Maskulinum nexus (= PPP von nectere 'knüpfen'). 279 C. (? oder P.) Poetelius (Libo Visolus) war der erste Plebejer als Konsul 360 v. Chr. Er gilt als Urheber der lex Poetelia, mit der die Folgen der Schuldknechtschaft abgemildert werden sollten (Kaser 183; NP 9, 1189). Der überlieferte Text legt nahe, dass sie unter Sulla aufgehoben wurde, doch hat dessen lex Cornelia 81 v. Chr. nur die „Höchstgrenze für Bürgschaften“ festgelegt: Kaser 254. 280 Bonam cōpiam iūrāre war ein juristischer Terminus technicus zur eidesstattlichen (iūrārunt) Erklärung der Insolvenz, cf. OLD 442 5 c. 281 Plautus Casina 206: Die Matrone Myrrhina will ihre Nachbarin Cleostrata, die Frau des Lysidamas, beruhigen. 282 Aurelius Opillus: s. zu VII 65; Sergius Claudius: s. zu VII 66. 283 Atilius Frg. 2: s. zu VII 90. 284 Varro führt im Folgenden 10 Wortzitate aus Stücken des Naevius – in nahezu alphabetischer Reihenfolge der Stücke – an; die jeweiligen Varroglossen aus Tragödien bzw. Komödien des Naevius sind mit wenigen Ausnahmen sonst nicht belegt, ihr Kontext ist meist unklar, s. die Ausgabe mit Kommentar von Spaltenstein (2014). Diese Passage lässt erkennen, wie Varro gearbeitet hat oder wie seine Vorlage (als fortlaufendes Glossar zu den Stücken?) angelegt war,

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          Anmerkungen

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          ähnlich der Abfolge der Plautuszitate aus den Kapiteln 50–70, s. o. Die rasche, fast nicht mehr weiter kommentierte Abfolge der Zitate in VII 107 gleicht der Masse an griechischen Verben bzw. Verbformen, mit denen Varro auch das VI. Buch (VI 96) in aller Eile abgeschlossen hatte. 285 Die Komödie Equus Troianus (Frg. 166 Spaltenstein). 286 D. h. die Glossatoren, deren sich auch Varro für die Erklärung seltener Wörter bediente. 287 Eine Erinnerung Varros an seine Schulzeit, in der die Lektüre und mündliche Dichtererklärung eine große Rolle spielte, während er sich später der Fachliteratur (glōssēmata/glōssātōrēs) bediente. Der Titel Nagido ist fraglich: Spaltenstein (2014) 177. 288 Der Titel war „Romulus sive Lupus“ ('Romulus oder der Wolf'): Spaltenstein Frg. 32. 289 Eine Anspielung auf die Phalli, die die röm. Knaben um den Hals trugen: VII 97. 290 Die kleine Stelle ist heilbar durch die Parallele in VI 44: comminīscī: a „con“ et „mente“, s. dort. Als „unverständlich überliefert“ sieht sie Schröter (1959) 841. 291 Die Lesung von Klussmann (bei A. Sp.) liegt dem überlieferten Pacui dum zwar am nächsten; Varros Et. zeigt, dass er das Adj. vor -lūcidum segmentiert. Da er das Vorderglied des Adj.-Kompositums aber nicht weiter erklärt, muss es ihm transparent gewesen sein, was für die Konjektur von Müller spricht. Die Tarentilla ist die Naeviuskomödie, aus der am meisten überliefert ist (S. 215-262 Spaltenstein [2014]). 292 Naevius Com. 103: Es handelt sich um eine Szene, in der mittels eines Topfes (aul(l)a = ōlla) gelost wird. Georges I 2512 deutet das Wort als 'Ausschussware'. 293 Das überlieferte sarrare will Tovar (1968) halten. Dagegen hat Festus 428 L., wohl aus Varro: < Sardare > intellegere < significat. Nae>vius belli Pud bruti nec satis < sardare queunt.”> Sardi venales etc. Die Ergänzungen dürfen als sicher gelten. Von der alphabetischen Einordnung, dem folgenden Sardī und dem Exzerpt des Paulus (p. 429, 8 f. L.) her stand vor intellegere aber sardāre: Naevius könnte gemeint haben, dass der Personenkreis, von dem die Rede war (die brūtī, Begriffsstutzigen), nicht genügend Sardisch konnte (eine Ableitung vom Personalsubstantiv: Leumann 545 f.); ohne Kontext ist die Stelle aber nicht klärbar. – Beim überlieferten serāre ist das Präfix re- zu ergänzen, das aus dem zwei Zeilen später folgenden re-scrīpserim im Zuge eines frühen Korrekturvorgangs verrutscht ist, wahrscheinlich war es – wie öfter bei Varro zu beobachten, cf. zu VII 31 – durch einen Trennstrich an der Fuge zu serāre abgetrennt. 294 Nun greift Varro nochmals – zum Teil mit gleichen Formulierungen wie zu Beginn von Buch V – auf die Gesamtanlage seines Werks De lingua Latina und auf die Komposition der sechs etymologischen Bücher zurück. Für den Leser war dies wichtig, da ihm auf diese Weise eine Orientierung über das Ganze gegeben wurde. Für den persönlichen Adressaten der zweiten Hexade, nämlich den Stilisten und brillanten Redner Cicero, muss die Lektüre vor allem dieser beiden Abschlusskapitel eine Strapaze gewesen sein: Immerhin umspannt der Schlusssatz fast 200 Wörter, enthält Parenthesen und viele Nebensätze und liest sich insgesamt auch sperrig. Mit den wortreichen Proömien selbst der großen Reden Ciceros kann der Abschluss von Buch VII allenfalls, was den Umfang betrifft, Schritt halten.

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          Etymologien aus V - VII

          10. Indices 10.1 Etymologien aus V-VII (* = Rekonstrukt Varros) A(d)ventinus V 43 abscedere VI 38 Acca Larentia VI 23 ? accanere VI 75 accedere VI 38 accensus VI 89, VII 58 accipere VII 90 acquirere VI 79 acsitiosus VII 66 actio VI 41 actor VI 77 actus, us V 22, 34 Ad busta Gallica V 157 Ad Murciae V 154 adagio VII 31 addicere VI 61 addictus VI 61 adlocutum VI 57 adlucere VI 79 adserere VI 64 aedificium V 141 aedilis V 81 aedis V 160 aedituus VII 12 Aegeus VII 22 Aequimaelium V 157 aequinoctium VI 8 aequor VII 23 aerarium V 183 aerarius miles V 181 aes militare V 181 Aesculetum V 152 aestas V 61

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          aestivus VI 9 aeternum VI 11 aeviternum VI 11 aevum VI 11 ager V 34 agere VI 41 agger V 141 agitare VI 41 agitatus VI 41, VI 78 agnatus V 99 Agonales VI 12 agone? VI 12 Agonenses VI 14 Agonia VI 14 agrarius V 13 agrestis VII 24 agricola V 13 aio VI 78 Alba V 144 alcedo V 79, VII 88 alcyo VII 88 alcyonia VII 88 ales V 75 Alexander VII 82 allectus VI 66 Alliensis (dies) VI 32 ambages VII 30 ambagio * VII 31 ambegnus VII 31 ambire V 28 ambitiosus VII 30 ambitus V 22, 28, VII 30 Ambivius VII 30

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          Etymologien aus V - VII

          ambustus VII 31 amens VI 44 amias VII 47 amictus V 132 Amiternini V 28 amnis V 28 amphimallum V 167 anas V 78 ancile VII 43 Andromacha VII 82 anfractum VII 15 Angeronalia VI 23 angiportum V 145, VI 41 anguilla V 77 angulus VI 41 angustus VI 41 annus VI 8 anser V 75 Antemnae V 28 aper V 101 apexabo V 111 Apollo V 68 Aprilis VI 33 (* Aperilis? ) Apulia V 32 aqua V 123 ara V 38 aratio V 39 aratrum V 135 arca V 128 arcera V 140 area V 38 Areopagita VII 19 ares V 98 Argei V 45 Argeus VII 44 Argiletum V 157 Aricinus (ager) V 32 aries V 117 arimenta * V 96 Aristarchus VI 2 ariuga V 98

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          ariugas V 98 arma V 115 armarium V 128 armatus VI 22 armenta V 96 armentarium V 128 armilustrium VI 22 armilustrum V 153 arrabo V 175 artifex V 93 arvus V 39 arx V 151 as V 169 asbestinon V 131 ascriptivus VII 56 asellus V 77 Asia V 16, 31 asparagus V 104 aspicere VI 82 assiduus VII 99 assipondium V 169 assum V 109 asta (osk.) VII 54 asta V 115 atrium V 161 attributum V 181 audire VI 83 augmentum V 112 auris VI 83 aurora VII 83 auscultare VI 83 autumnus VI 9 (* auctumnus?) auxilium V 90 Aventinus V 43 averruncare VII 102 Averruncus VII 102 aviditas VI 83 avidus VI 83 ávitus, -us VI 83 axitiosus VII 66

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          336 Bacchus VII 87 Balatium V 53 balteum V 116 barbatus V 119 Bellona V 73, VII 49 bes V 172 bibere VI 84 bicessis V 170 bisellium V 128 bos V 96 bovare VII 104 brassica V 104 bruma VI 8 bubo V 75 bucinator VI 75 bulbus V 112 bulteum * V 116 bura V 135 c(h)lamis V 133 caccabus V 127 caelare V 18 Caeliolum V 46 Caelius (mons) V 46 caelum V 16, 18 Caeriolensis V 47 Calabra (curia) V 13 calamistrum V 129 calix V 127 Calydonius VII 18 camelopardalis V 100 camelus V 100 Camena VII 26 camilla VII 34 campus V 36 candelabrum V 119 canere VI 75 canes f. VII 32 canicula V 77 canis m. f. V 99, VII 32

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          Etymologien aus V - VII

          canistrum V 120 cantare VI 75 cantatio VI 75 cante! VII 27 cantitare VI 75 caperratus VII 107 capis V 121 capital V 130 capitium V 131 Capitolinum V 41 capra V 97 caprea V 101 Caprotina Iuno VI 18 Caprotinae VI 18 capula V 121 carcer V 151, 153 cárere VII 54 Carinae V 47 Carmena VII 26 Carmentalia VI 12 cartibulum V 125 cascus VII 28 caseus V 108, VI 43 Casinum VII 29 Casmena * VII 26 casmilus VII 34 casnar VII 29 cassabundus VII 53 Castor V 73 catinus V 120 catulus V 99 catus VII 46 caulis V 103 caullae V 20 cavatio V 19 cavea V 20 cavernae V 20 cavum aedium V 161 cavum V 19 celare V 18 cella V 162

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          Etymologien aus V - VII

          cenaculum V 162 censor V 81 centuria V 35, 88 centurio V 88 centussis V 169, 170 Ceres V 64 Cerialia VI 15 Cermalus V 54 cernere VI 81 cervus V 101, 117 chaos V 19 choum V 19 ciccus VII 91 cicur VII 91 cicurare VII 91 Cicurini VII 91 cilliba V 118, 121 cinctus V 114 cinerarius V 129 cingillum V 114 circuli V 106 circumiectus V 132 circumtextum V 132 Circus Flaminius V 154 Circus Maximus V 153 circus V 153 clamare VI 67 clapere * VII 94 classicus V 91 claustra Hellesponti VII 21 clepere VII 94 Clivos Publicius V 158 Clivus Proxumus V 158 clucidatus VII 107 clupeare V 7 coaxeus * V 108 cobium VII 47 Cocles VII 71 coemptio VI 43 cogitare VI 43 cohors V 88

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          coisa (?) VII 26 coliandrum+ V 103 collectus VI 66 collega VI 66 Collina (tribus) V 56 collis V 36 columba V 75 comis VII 89 comis(s)atio VII 89 comitiales (dies) VI 29 comitium V 155 comminisci VI 44 Commotiles nymphae (?) V 71 compendium V 183 competum VI 25 compitalia VI 25 compitum VI 43 compluvium V 161 computatio VI 63 concedere VI 38 concilium VI 43 concinne (Adv.) VI 57 Concordia V 73 concubium VI 7, VII 78 confessus VI 55 confictare VII 107 congerro VII 55 conloquium VI 57 conquaestor VI 79 conregio VII 9 conserere VI 64 consertum VI 64 consilium VI 43 consors VI 65 conspicere VI 82 conspicio VII 9 consponsus VI 69 Consualia VI 20 consul V 80 contemplare VII 9 conticin(n)ium VI 7, VII 79

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          338 contio VI 43 conum V 115 convallis V 20 copiosus V 92 copis V 92 corbis V 139 corbula V 139 Cornetum V 152 cornu V 117, VII 25 cornutus VII 25 corollarium V 175, 178 cortina VII 48 cortumio VII 9 corvus V 75 coum V 135 crepare VI 67 creperum VI 5 Crepusci VI 5 crepusculum VI 5, VII 77 crescere VI 81 cretifodinae V 7 cretio VI 81 cretus, -us VI 81 crevisse VII 98 crocodilos V 78 crudus V 108 crusta V 107 crustulum V 107 cubiculum V 162 cuculus V 75 cucumis V 104 culcitum V 167 culmus V 37 cultus (ager) V 36 cuminum V 103 cupido V 146 Cuppedium V 146 cura VI 46 Curia Hostilia V 155 curia V 155, VI 46 Curiae Veteres V 155

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          Etymologien aus V - VII

          curio V 83, VI 46 curiosus VI 46 cursor V 94 Curtius lacus V 148 ff. curvimis * V 104 curvum V 135 cyathus V 124 cybium V 77 damnum V 176 decedere VI 38 Decembris VI 34 decere VI 62 decernere VI 81 decurio V 91 decussis V 170 dedicare VI 61 deicere VI 61 divus Frg. 1 delectus V 87 Deliadae VII 16 delicuus VII 106 denarius V 170, 173 dens V 135 densum V 113 depsere VI 96 des (*) V 172 despondere VI 69, 71 desponsa f. VI 69 desponsor VI 69 detrimentum V 176 deunx V 172 deus Frg. 1 dextans V 172 diabathrum VII 53 Dialis (flamen) V 84 Diana V 68, 74 dibalare VII 103 dicare VI 61 dicere VI 61 dicis causā VI 61

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          Etymologien aus V - VII

          dictator V 82, VI 61 dictatum VI 61 dictiosus VI 61 dictum VI 61 dies V 66 dies „quando rex comitiavit fas“ VI 31 dies „quando stercus delatum fas“ VI 32 Diespiter V 66 dilectus VI 66 diligens VI 66 diobolaris VII 64 Dion VI 2 Dis pater V 66 dis(s)ertus VI 64 discedere VI 38 discere VI 62 discerniculum V 129 disciplina VI 62 discretum VI 81 discrimen VI 81 dispendium V 183 dispensator V 183 disputare VI 63 disputatio VI 63 disserere VI 64 distractio VII 60 Dius Fidius V 66 dives V 92 dividia VII 60 divisio VII 60 divum V 66 docere VI 62 doctor VI 62 documentum VI 62 dodrans V 172 doliola V 157 domare VI 96 domus V 160 donum V 175

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          dos V 175 (ducere VI 62) ductare VI 62 ductor VI 62 Duellona V 73, VII 49 duellum VII 49 duplicarii V 90 dupondius V 169 dux VI 62 (ecbolicus VII 108) echinus V 77 Ecurria VI 13 édere VI 84 edulia VI 84 effare VI 53 effatum VI 53 elixum V 109 eloquens VI 57 eloquium VI 57 ementiri VI 44 epichysis V 124 epicrocon VII 53 epityrum VII 86 eques VII 4 equitatus VII 4 esca VI 84 esculentum VI 84 Esquiliae V 49 Esquilina (tribus) V 56 eus (?) VII 26 Etruria V 32 eu! VII 93 euax! VII 93 Europa V 32 exbolus VII 108 ex iure V 109 excedere VI 38 excercitus V 87 exitium V 60 exorare VI 76

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          340 expensum V 183 exspectare VI 82 extemplo VII 13 extermentarium V 21 faber VI 78 fabula VI 55 facere VI 78 facula V 137 facundus VI 52 Facutalis (lucus) V 49 faeneratrix VII 96 faenisicium VII 96 Fagutal V 152 Fagutalis Iuppiter V 152 Falacer (flamen) V 84 Falacer (pater) VII 45 Faliscus (venter) V 111 fallacia VI 55 fallere VI 55 falsus VI 55 falx V 137 fama VI 55 famigerabilis VI 55 famosus VI 55 fanare VI 54 fanum VI 54 farcimen V 111 fari VI 52 fartum V 111 fassus VI 55 fasti (dies) VI 29 fastus VI 53 fatalis VI 52 fatidicus VI 52 Fatua VI 55 fatum VI 52 fatus, us VI 52 Fatuus VI 55 Faunus, a VII 36 fax VI 79

          Varro_Lingua Latina_Teil I_Buch.indb 340

          Etymologien aus V - VII

          Februarius VI 13, 34 februatus, us VI 13 februm V 79, VI 13 fedus V 97 femina V 61 feneratrix VII 96 fenisicium VII 96 Feralia VI 13 ferentarius VII 57 feretrum V 166 ferme (Adv.) VII 92 Feronia V 74 ferre VI 96 fervere VI 84 Fetiales V 86 fiber V 79 fibra V 79 ficedula V 76 fictor VI 78, VII 44 Fides V 74 figura VI 78 filum V 113 fimbriae V 79 fircus V 97 fiscina V 139 flamen V 84 < flexanimus VII 87 > Flora V 74 Floralis VII 45 flumen V 27 fluvius V 27 foedesa VII 27 foedus V 86 Fons V 74 fons V 123 Fontanalia VI 22 forda VI 15 Fordicidia VI 15 forma VI 78 formido VI 48 Fors Fortuna VI 17

          31.05.23 12:04

          Etymologien aus V - VII

          Fortuna V 74 Forum Bovarium V 146 Forum Cuppedinis V 146 Forum Olitorium V 146 Forum Piscarium V 146 forum V 145 fossa V 143 fossare VII 100 Fratres Arvales V 85 fratria V 85 fremere VI 67, VII 104 fremor VI 67 frendere VII 104 frequens VII 99 frequentare VII 99 fretum VII 22 fringultire VII 104 fritinnire VII 104 frondens VII 24 fructus V 37, 104 fruges V 37, 104 frumentum V 104 fulgor V 70 fulguritus V 70 fulmen V 70 fundolus V 111 fundula V 145 fundus V 37 Fur(r)inalis (flamen) V 84, VII 45 Furrinalia VI 19 futis V 119 Gabinus (ager) V 33 galea V 116 galeritus V 76 gallina V 75 gannire VII 103 gargarissare VI 96 gaunacum V 167 gemere VI 67 gerra VII 55

          Varro_Lingua Latina_Teil I_Buch.indb 341

          341

          gervi * V 101 gignere VI 96 gladium V 116 gladius V 116 glebarius VII 74 glomus V 107 gradus V 168 Graecostatis V 155 graguli V 76 gral(l)ator VII 69 granarium V 105 gustare VI 84 guttus V 124 haedus V 97 (h)asta V 115 hastatus V 89 hedus V 97 hehae! VII 93 heiulitare VII 103 Heliconides VII 20 heu! VII 93 hiberna (Pl.) V 162 hibernaculum VI 9 hibernum V 162, VI 9 hiems VI 9 hilum V 111 hinnire VII 103 hippopotamos V 78 hircus V 97 honestus V 73 honos V 73 hordeum V 106 horrere VI 45 hosticus (ager) V 33 humare V 23 humecta V 24 humidus V 24 humilis V 23 humillimus V 23 humor V 24

          31.05.23 12:04

          342 i! VI 96 Ianualis porta V 165 Ianuarius VI 34 Idus VI 28, 29 ignis V 70 illēx VI 95 illicium VI 94 imperator V 87 impluvium V 161 incedere VI 38 incertus (ager) V 33 increpitare VI 67 incultus (ager) V 36 incurvicervicus V 7 indicere VI 61 indicium VI 61 indusiatus V 131 indusium V 131 infans VI 52 inficiens VI 78 infrequens VII 99 infulatus VII 24 inhumatus V 23 initium V 60 inlex VI 94 inlicium VI 94 inligium * (?) VI 95 inlocabilis V 14 inops V 92 inpos V 4 insane (Adv.) VII 86 insicium V 110 insidiae V 90 inspicere VI 82 intempesta (nox) VI 7 intempestus VII 72 Interamna V 28 intercisi (dies) VI 31 intermestris VI 10 intertrigo V 176 intertrimentum V 176

          Varro_Lingua Latina_Teil I_Buch.indb 342

          Etymologien aus V - VII

          < intusium * > V 131 invidere VI 80 Iovis V 66 ircus V 97 ire VI 96 irpex V 136 irundo V 75 ite! VI 96 iter V 35 iubar VI 6, VII 76 iubilare VI 68 iudicare VI 61 iugerum V 35 iuglans V 102 iugula VII 50 iugum V 135 iumentum V 135 Iunius VI 33 Iuno V 67 iurgare VII 93 iurgium VII 93 Iuturna V 71 iuvencus V 96 Kalendae VI 27 lactuca V 104 lacuna V 26 Lacus Curtius V 148 ff. lacus V 26 laena V 133 laetari VI 50 laetitia VI 50 lana V 113 laneus V 130 lapathum V 103 lapicidinae V 151 Larentalia VI 23 Larentinae VI 23 Lares V 74, VI 2 Larunda V 74

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          Etymologien aus V - VII

          Lases VI 2 Latiaris (collis) V 52 Latinae (feriae) VI 25 Latium V 32 Latius (ager) V 32 latomiae V 151 Latona VII 16 latrare VII 32, 103 latro VII 52 latrocinari VII 52 Lauretum V 152 lautolae V 156 lautomia V 151 Lavernalis porta V 163 Lavinium V 144 lea f. Frg. 3 Leaena V 100 lecte VI 36 lectica V 166 lectio VI 36 lectissime VI 36 lector VI 36 lecturus VI 36 lectus V 166 legatus V 87, VI 66 legens VI 36 legio V 87, VI 66 legitimus VI 66 legulus V 94, VI 66 legumen VI 66 leo V 100 lepesta V 123 lepus V 101 letum VII 42 lex VI 66 Lica (bos) VII 39 libella V 174 Libentina (Venus) VI 46 Līber VI 2, 14 Liberalia VI 14 libere VI 47

          Varro_Lingua Latina_Teil I_Buch.indb 343

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          Libethrides VII 20 libidinosus VI 46 libido VI 46 Libitina VI 46 libum V 106, VII 44 lignum VI 66 ligo V 134 lilium V 103 limax VII 64 lingere VI 96 lingula VII 107 lingulaca V 77 liquare VII 106 liticen V 91 lixula V 107 locare V 14, 15, VI 56 loci muliebres V 15 locus V 14 Loebeso(s) VI 2 lolligo V 79 longavo V 111 longula V 120 loquax VI 57 loquela VI 57 loqui VI 56 lorica V 116 Lubentina Frg. 4 lubere VI 47 luca (bos) VII 39 Lucani V 32 Lucanica V 111 lucere VI 79 Luceres V 55 lucerna V 119 Lucienus VI 2 Lucina (Iuno) V 69, 74 Lucius VI 5 lucrum V 176 lugere VI 79 lumaria V 137 lumecta V 137

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          344 lumpa V 71 luna V 68, 74 Lupercal VI 13 Lupercalia VI 13 luperci V 85 lupus V 77 lusciniola V 76 lustrum VI 11, 22 lutra V 79 (lympha V 71, VII 87) lymphatus VII 87 Macellum V 146, 147 macer VI 50 maerere VI 50 Maesius VII 96 magida V 120 magister equitum V 82 magistratus V 82 magmentarium V 112 magmentum V 112 Maius VI 33 malaxare VI 96 mālum V 102 malva V 103 mamuri VI 49 mancipium VI 85 manducare VII 95 manducus VII 95 mane VI 4 manica VI 85 manicula V 135 mani-moria * VI 49 manip(u)los VI 85, 88 manipularis VI 85 mantelium VI 85 manubrium VI 85 manupretium V 178, VI 85 manus VI 4 marcescere VI 50 Mars V 73

          Varro_Lingua Latina_Teil I_Buch.indb 344

          Etymologien aus V - VII

          Martialis (flamen) V 84 Martius VI 33 matellio V 119 mattea V 112 me(n)sa V 118 medicamentum VI 21 ? medicina V 93 medidies VI 4 Meditrinalia VI 21 Megalesia VI 15 melander V 77 melios VII 27 meminisse VI 44, 49 memoria VI 49 mendicus V 92 menses (pl.) VI 10 mensis VI 10 menta V 103 -mentum V 176 merces V 44, 175, 178 mergus V 78 meridies VI 4 merula V 76 mēsa V 118 Mesius VII 96 metuere VI 45, 48 miles stipendiarius V 182 miles V 89 miliaria V 76 milium V 106 Minerva V 74 miracula VII 64 mirio VII 64 mitra V 130 moenia V 141 moerus V 141 mola V 138 monere VI 49 monumenta VI 49 motacilla V 76 Mucialis (collis) V 52

          31.05.23 12:04

          Etymologien aus V - VII

          Mucionis porta V 164 mugire VII 104 mulcta V 177 mulgere VI 96 multa f. V 177 mundus muliebris V 129 mundus VI 3 municeps V 179 munus V 141, 179 muraena V 77 murmurare VI 67 murtatum V 110 murtetum V 154 mussare VII 101 mutus VII 101 mutuum V 179 mysticus VII 19 Naevia porta V 163 nanus V 119 narratio VI 51 narro VI 51 natator V 94 Neapolis VI 58 nefastus (dies) VI 30, 53 nemus V 36 Neptunalia VI 19 Neptunus V 72 nexum n. VII 105 nexus m. VII 105 noctiluca V 68, VI 79 noctua V 76 nomen VI 60 nomenclator V 94 nominare VI 60 Nonae VI 28 nonussis V 169 Nova via VI 59 novalis (ager) V 39, VI 59 novendiales (feriae) VI 26 Novensides V 74

          Varro_Lingua Latina_Teil I_Buch.indb 345

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          novicius VI 59 novissimum VI 59 novitas VI 59 novius Adv. VI 59 novus VI 58 nox VI 6 numen VII 85 nuncupare VI 60 nuntius VI 58 nuptiae V 72 nux V 102 obaeratus VII 105 obiurgare VII 93 obscaenus VII 96 obscultare VI 83 obsidium V 90 ocimum V 103 ocrea V 116 odorari VI 83 odoratus VI 83 odorus VI 83 offula V 110 olea V 108 olera V 108 olere VI 83 olitor V 94 olle, a VII 42 olor VI 83 Olympiades VII 20 omen VII 97 Opalia VI 22 Opeconsiva dies VI 21 operculum V 167 operimentum V 167 oppidum V 8, 141, 153 Ops V 64, 74 optio V 91 opulentus V 92 orare VI 76 oratio VI 76, VII 41

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          346 orator VI 76, VII 41 oratus, -us VII 41 orchitis V 108 Orcus V 66 ornamenta (Pl.) VI 76 ornamentum VI 76 ornatus V 129 oscen VI 76 osculum VI 76 osmen (*) VI 76, VII 97 ostrea V 77 ovis V 96 ovum V 112 (pagla ? *) V 134 Paganalia VI 24 Paganicae (feriae) VI 26 pala V 134 Palatina (tribus) V 56 Palatium V 53 Palatualis VII 45 Pales V 74 Palilia VI 15 palla V 131 pallia V 133 palma V 62 paluda VII 37 paludamentum VII 37 paludatus VII 37 palus V 26 pan(n) us V 114 panarium V 105 panificium V 105 panis V 105 panthera V 100, Frg. 3 Pantheris V 100 panuvellium V 114 parapechia V 133 parida * V 178 parilia * V 133 parma V 115

          Varro_Lingua Latina_Teil I_Buch.indb 346

          Etymologien aus V - VII

          patella V 120 patena V 120 pater V 65 patera V 122 pauper V 92 paveo VI 48 pavo V 75 pavor VI 48 pecten V 129 pectere VI 96 pectunculus V 77 peculatus V 95 peculiarius V 95 peculium V 95 pecunia V 92 pecuniosus V 92 pecus, oris V 95 pedeuis * V 119 pedica V 95 pedisequus V 95 pellicere VI 94 peloris V 77 pelvis V 119 penaria V 162 pensio V 183 perduellis VII 49 peregrinus V 33 perilum * V 116 perna V 110 perorare VI 76 persibus VII 107 pervolare VI 46 pilanus V 89 pilum V 116, 138 pinna V 142 pinus V 102 pipiatus VII 103 Pipleides VII 20 pipulum VII 103 < pirum > V 102 pistrina V 138

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          Etymologien aus V - VII

          pistrinum V 138 pistrix V 138 placenta V 107 plaustrum V 140 po(n)s V 4 poculum V 122, VI 84 poena V 177 Polluces / Pollux V 73 polluctum VI 54 polus VII 14 polypus V 78 pomelios VII 26 pomerium V 143 Pomonalis VII 45 pontifex V 83 Poplifugia VI 18 porca V 39 porcus V 97 porricere VI 54 Porta Ianualis V 165 Porta Lavernalis V 163 Porta Mucionis V 164 Porta Naevia V 163 Porta Rauduscula V 163 Porta Romanula V 164 porta V 142 Portunalia VI 19 Portunus VI 19 posca V 122 poscere VII 80 postmoerium V 143 potare VI 84 potatio V 122, VI 84 potifex * V 83 potio VI 84 praebium VII 107 praeda V 178 praedium V 40 praefectio VII 70 praefica VII 70 praelucidus VII 108

          Varro_Lingua Latina_Teil I_Buch.indb 347

          347

          praemium V 178 Praenestinus (ager) V 32 praes , -dis V 40, VI 74 praesica * V 104 praesidium V 90 praestigiator V 94 praetor V 80, 87 pratum V 40 pretium V 177 prima pensio V 183 princeps V 89 procedere VI 38 procus V 97 prodicere VI 61 profanatum VI 54 profanum VI 54 professus VI 55 proloqui VI 56 proludere VI 58 pronuntiare VI 58 prosectum V 110 proserpere V 68 Proserpina V 68 prosicium V 110 protinam VII 107 proversus VII 81 providere VI 96 Publicius clivus V 158 pugil V 94 pulmentarium V 108 pulmentum V 108 puls V 105 pulvinar V 167 purpura V 113 putare VI 63 putator VI 63 Puteoli V 25 putere VI 96 puteus V 24, 25, VI 84 puticuli V 25 putidus V 25

          31.05.23 12:04

          348 putiluci V 25 putus VI 63 quadrans V 171 quaerere VI 79 quaesitor V 81 quaestio VI 79 quaestor V 81, VI 79 querquedula V 79 Querquetulanus V 49 quinarius V 173 Quinctius VI 2 Quinquatrus VI 14 Quintilis VI 34 Quintus VI 2 Quirinalia VI 13 Quirinalis V 51 Quirinus V 73, 74 quiritare VI 68 Quirites V 51, VI 68 radix V 103 Ramnes V 55 rana V 78 rapum V 108 rastellus V 136 raster V 136 ratis VII 23 ratitus V 44 raudus V 163 Rauduscula porta V 163 recedere VI 38 reciprocus VII 80 recordari VI 46 regina V 67 reicinium * V 132 reliquium VI 57 reliquum V 175 reminisci VI 44 reno V 167 reos/reus VI 74

          Varro_Lingua Latina_Teil I_Buch.indb 348

          Etymologien aus V - VII

          repotium VI 84 reserare VII 107 respicere VI 82 respondere VI 69, 72 restibilis (ager) V 39 restipulari V 182 rete V 130 reticulum V 130 rica V 130 ricinium V 132 ritus VII 88 Robicalia / Robigalia VI 16 Roma V 33, 144 Romanula porta V 164 Romanus (ager) V 33 Romilia (tribus) V 56 Romulus V 144 rorarius VII 58 rosa V 103 rostra V 155 ruapum * V 108 ruaster * V 136 ruitrum * V 134 runcina VI 96 runcinare VI 96 rus V 40 ruta V 103 rutilare VII 83 rutrum V 134 s(a)eclum VI 11 s(c)irpea V 139 Sabini (terra) V 32 sacramentum V 180 sagum V 167 Salacia V 72 Salii V 85 saltus V 36 Salus V 74 Salutaris (collis) V 52 Sancus V 66

          31.05.23 12:04

          Etymologien aus V - VII

          saperda VII 47 sarculum V 134 sarrare VII 108 sartum VI 64 Saturnalia V 64, VI 22 Saturnia (terra) V 42 Saturnius (mons) V 42 Saturnus V 64, 74 scabellum V 168 scaena VII 96 scaeptrum VII 96 scaevola VII 97 scaevus VII 97 scalpere VI 96 scamnum V 168 scauripeda * VII 65 scena VII 96 sceptrum VII 96 schoenicula VII 64 scobina VII 68 scortari VII 84 scorteus VII 84 scortum VII 84 scratta VII 65 screatta * VII 65 scrupipeda VII 65 scutum V 115 secula V 137 secutum * V 115 sedes V 128 sedile V 128 seges V 37 segestria V 166 selibra V 171 sella V 128 semen V 37 sementis V 37, VI 26 sementivae (feriae) VI 26 semias * V 171 seminarium V 37 semis V 171, 173

          Varro_Lingua Latina_Teil I_Buch.indb 349

          349

          semita V 35 semiter * V 35 semodius V 171 semuncia V 171 senaculum V 156 senescere VI 11 Septematrus VI 14 Septemmontium (locus) V 41 Septimontium (dies) VI 24 septunx V 171 sermo VI 64 serpyllum V 103 sertum VI 64 sestertius V 173 sexatrus VI 14 sextans V 171 sextula V 171 sibilus V 7 sidus VII 14 signum VII 14 silentium (noctis) VI 7 siliquastrum V 128 silurus VII 47 simbella V 174 similixula V 107 simpuvium V 124 sinum V 123 sirpatus V 137 sirpea V 139 sirpex (* ? ) V 136 sirpicula V 137 sisymbrium V 103 sodium VI 2 Sol V 68, 74 sola terrae V 22 solarium VI 4 solium V 128, VI 2 solstitium VI 8 sorbere VI 84 sors V 183, VI 65 sortilegus VI 65

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          350 specere VI 82 specillum VI 82 spectare VI 82 spectio VI 82 speculari VI 82 speculator VI 82 speculum V 129, VI 82 sperare VI 73 spes VI 73 spica V 37 spondere VI 69 sponsa VI 69 sponsalis (dies) VI 70 sponsio VI 70 sponsor VI 69, 74 sponsus VI 70, VII 107 sponsus, us VI 69, VII 107 sponte sua VI 69 stagnum V 26 stamen V 113 sternere VI 96 stillicidium V 27 stipendiarius miles V 182 stipendium V 182 stips V 182 stipulari V 182 stiva V 135 stragulum V 167 strangulare VI 96 stribulum VII 67 stringere VI 96 strittabilla VII 65 sub divo V 66 Sub Novis VI 59 sublectus VI 66 subligaculum VI 21 subsellium V 128 subsidium V 89 subtemen V 113 subucula V 131 subulo VII 35

          Varro_Lingua Latina_Teil I_Buch.indb 350

          Etymologien aus V - VII

          Subura V 48 Suburana (tribus) V 56 succanere VI 75 succedere VI 38 succidium V 110 sucidus V 109 Succusa * V 48 Succusanus (pagus) V 48 sudis V 77 sudor V 24 sueris V 110 suffibulum VI 21 suilla V 109 sulcos V 39 Summanus V 74 supparus V 131 suprema VI 5 supremus VI 5, VII 51 surena V 77 sus V 96 suspicere VI 82 sutrina V 93 syncerastum VII 61 Tarpeium (saxum/mons) V 41 Tartarinus VII 37 Tartarus VII 37 taurus V 96 tegus V 110 temo VII 73, 75 temperatus VI 3 tempestas VII 72 tempestivus VI 3 tempestus VII 51 templum VII 6, 7 tempus VI 3 ter(r)itorium V 21 tera V 21 terima * V 91 termen, inis V 21 Terminalia VI 13

          31.05.23 12:04

          Etymologien aus V - VII

          terminus V 21 Terminus V 74 terra V 21 terrio * VII 74 terruncius V 174 tesca VII 10, 11 testuacium V 106 testudo V 79, 117, 161 Thelis VII 87 Thespiades VII 20 thrion V 107 thynnus V 77, VII 47 Tiberinus V 71, VI 19 Tiberis V 29, 30 tibicen VI 75 tigris V 100 timere VI 45 tinguere VI 96 Titanis VII 16 Titienses V 55 Titii (sodales) V 85 torale V 167 torpedo V 77 torulus V 167 torus V 167 trab(e)s VII 33 tragula V 139 trama V 113 tramis VII 62 transversus VII 81 trapes V 138 tremere VI 45 tressis V 169 triarii V 89 tribunus (aerarii) V 181 tribunus (militum) V 81 tribunus (plebei) V 81 tribus V 35 tributum V 181 tricessis V 170 triens V 171

          Varro_Lingua Latina_Teil I_Buch.indb 351

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          trio VII 74 triportentum VII 59 triticum V 106 trittilis m. VII 104 tritura V 21 triumphare VI 68 triumphus VI 68 Trivia VII 16 trivolum V 21 trua V 118 truleum V 118 trulla V 118 truola * V 118 tryblium V 120 tuba V 117 tubicen V 91 tubulustrium VI 14 tuemplum * VII 7 tuendica * V 114 tueri VII 12 tuesca * VII 11 Tullianum V 151 tunica V 114 turdarium VI 2 turdelix VI 2 turdus V 77 turma V 91 turris V 142 Tuscanicum V 161 Tusci V 32 Tuscus (vicus) V 46 Tutilinae loca V 163 tutulatus VII 44 udor V 24 udus V 24 ulula V 75 ululare VII 104 umbilicus terrae VII 17 umbo V 115 umbra V 77

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          352 uncia V 171 unguis V 77 upupa V 75 uraeon V 77 urbs V 143 urceus V 127 urinator V 126 urna V 126 urnarium V 126 ursus V 100 usura V 183 uva V 104 uvidus V 24, V 109 vadimonium VI 74 vagire VII 104 vallum V 117, 138 vas, vadis VI 74 vates VII 36 vaticinari VI 52 Vediovis V 74 vegitulus * V 96 vehiculum V 140 Velabrum V 43, 44, 156 Velia V 54 Veliensis V 54 Velinia V 71 velle VI 46 vellus V 130 venator V 94 Venilia V 72 ventilabrum V 138 Venus V 61 ver VI 9 veru V 127 vervex V 98 vesperugo VI 6, VII 50 Vesta V 74 Vestalia VI 17 Vestalis VI 17 vestigator V 94

          Varro_Lingua Latina_Teil I_Buch.indb 352

          Etymologien aus V - VII

          vestis V 130 vestispica VII 12 veterrimus VI 59 vetustius VI 59 via V 8, 22, 35 viates * VII 36 vibex VII 63 vicessis V 170 Victoria V 62 Vicus Africus V 159 Vicus Cuprius V 159 Vicus sceleratus V 159 vicus V 8, 145 videre VI 80 vigilare VI 80 villa V 35 Viminalis V 51 Vinalia V 13, 16, 20 vincire V 62 vinctrix V 62 vindemia V 37 vindemiator V 94 vinea V 37, 117 vinetum V 37 vinidemia * V 37 vinum V 37 viocurus V 7 violare VI 80 virgultum V 102, VI 9 viridis V 102 viritus * 73 Virtus V 73 visere VI 80 visus, -us VI 80 vita V 63 vitidemia * V 37 vitis V 37, 102 vitulare VII 107 vitulus V 96 volare VI 46 Volcanalia VI 20

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          Etymologien aus V - VII

          353

          Volcanalis (flamen) V 84 Volcanus V 70, 74 volligo * V 79 volpes V 101 Volturnalis VII 45 Volturnum V 29 Volturnus V 29 volucres V 75 vomer V 135 Vortumnus V 74 Vortumnalia VI 21 αἰών VI 11 Ἀλεξίκακος VII 82 ἀμφίβια V 78 βοῦς V 96 Βοώτης VII 74 ἐκβολή VII 108 ἔνη καὶ νέα VI 10 Ἑσπέριος VII 50 θρίαμβος VI 68 κράϊνον (?) V 105 κυλικεῖον V 121 κύλιξ V 121 Μεγάλη Μήτηρ VI 15 μῆνες VI 10 μήνη VI 10 νυμφόληπτος VII 87 ὄϊς V 96 ὀπισθόδομος V 160 περιστρώματα V 168 περιπετάσματα V 168 πρόδομος V 160 πυταμός V 25 πυτεός V 25 ὗς V 96

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          10.2 Eigennamen Nomina hominum et locorum Acca Larentia VI 23, 24 Accius V (21), 80, 98, VI 7, VII 11, 14, 19, 50, 64, 65, 80, 83, 85, 88, 96 Acculeia curia VI 23 Acherusia templa VII 6 Ad busta Gallica V 157 Ad Murciae V 154 Aegeus fretus VII 22 Aegyptus V 57, 79 Aelius Sextus VII 46 Aelius Stilo V 18, 21, 25, 66, 101, 148, 150, VI 7, 59, VII 2 Aeneas V 144, VI 60 Aeolis V 25, 102 Aequimaelium V 157 Aequinoctium VII 14 Aër (griech.) V 65 Aerarium V 183 Aesculapii aedes VII 57 Aesculetum V 152 Aesopus actor VII 104 Aetolia VII 18 Afranius V 25 Africa V 159 Agamemno V 19 Agonenses (Salii) VI 14 Aiax VI 6 Alba V 144 Alba Longa V 144 Albanus V 43 Albanus mons VI 25

          Varro_Lingua Latina_Teil I_Buch.indb 355

          Albula V 30 Alcyone VII 88 Alexander VII 82 Alexandrea V 100 Allia (fluvius) VI 32 Ambivius VII 30 Amiternini V 28 Amiternum VI 5 Andromacha VII 82 Angerona VI 23 Anio (fluvius) V 28 Antemnae V 28 Antipater VI 2 Antium V 21 Apollinares ludi VI 18 Apollo V 68, VII 16, 17, 48 Apollodorus V 105, VI 2 (Aprissius VI 68) Apulia V 32 Aquilius VI 89 Arcas V 21 Areopagita VII 19 Areopagus VII 19 Argei V 45, 48, 50, 52, VII 44 Argoi (griech.) VII 44 Argiletum V 157 Argivi VII 38 Argivus V 45 Argo V 157 Aricia V 143 Aricinus (ager) V 32 Aristarchus VI 2 Aristophanes V 9, VI 2

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          356 Aristoteles VII 70 Armenia lingua V 100 Armilustrum V 153 (H)Arpocrates V 57 Arx VI 28, 91, VII 8 Asia V 16, 31, VII 21 Atellanae VII 29, 84, 95 Aternus (fluvius) V 28 Athenae V 97, VII 19 Atilius VII 90, 106 Atriatici Tusci V 161 Atrium Sutorium VI 14 Attici V 108 Aurelius VII 65, 70, 106 Aventinus V 43, VI 94 Averruncus VII 102 Bacchus VII 6, 87 (v. Liber) Balatium V 53 Basilica Aemilia VI 4 Basilica Fulvia VI 4 Basilica Opimia V 156 Bellona V 73, VII 49 Brutus V 5 C(a)ecilius praetor VII 96 Cabirum litora VII 11 Caecilius VII 103 Caele Vibenna V 46 Caeliani V 46 Caeliolum V 46 Caelius (mons) V 46,47 Caelum V 16, 58, 62, 65 Caeriolense sacrarium V 47 Caeriolensis V 47 Calabra (curia) V 13, VI 27 Callimachus V 113, VII 34 Calpurnius C. VI 88 Calydon VII 18 Calydonius ager VII 18 Camena VI 75, VII 26, 27

          Varro_Lingua Latina_Teil I_Buch.indb 356

          Eigennamen

          Campania V 137 Campus Martius V 28 Canius poeta VI 81 Capital V 130 Capitolinum V 41 Capitolium V 149, VI 27, 68 Capitolium Vetus V 158 Carinae V 47, 48 Carmena VII 26, 27 Carthaginiense bellum V 165 Casca iuvenis VII 28 Casinum VII 29 Casmena * VII 26, 27, 28 Cassius VII 21, 72 Castor V 58, 73 Catialis (collis) V 52 Cato VII 58 Catullus (poeta) v. Valerius Catulus VI 6 Cecilius pr(a)etor VII 96 Ceres V 64, VI 15 Cermalense (sacrarium) V 54 Cermalus V 54 Cerus VII 26 Cespius mons V 50 Cherronesioe V 137 Chrysippus VI 11, VI 2, 56 Cicurini VII 91 Circus Flaminius V 154 Circus Maximus V 153 Circus V 153, VI 20 Claudius VII 66, 70, 106 Cleanthes V 9 Clivos Publicius V 158 Clivus Proxumus V 158 Cluaca Maxuma V 157 Cocles VII 71 Coēus VII 16 Collina (regio) V 45 Collina (tribus) V 56 Commotiles (?) lymphae V 71

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          Eigennamen

          Compitalia VI 29 Concordia V 73, 148, 156 Consus VI 20 Corduba V 162 Cornelius P., Nasica VI 4 Cornelius VII 39 Cornetum V 136, 152 Cosconius V 158, VI 36, 89 Cozevius VII 26 Crepusci VI 5 Cretaea VI 69 Crustumerina secessio V 81 Cuppedium V 146 Curenses VI 68 Cures V 51 Curia Calabra VI 27 Curia Hostilia VII 10 Curtius (consul) V 150 Curtius lacus V 148 ff. Curtius (Romanus) V 148 Cutiliensis lacus V 71 Dei Magni V 58 Deliadae VII 16 Delphi VII 17 Delus VII 16 Demetrius VII 52 Democritus VI 39 Dialis (flamen) V 84, VI 16 Diana V 43, 68, 74, VII 16 Dies V 66 Diespiter V 66 Dion VI 2 Dis pater V 66 Dius (Deus) Fidius V 52, 66 Diviana * V 68 Divum V 66 Dossennus VII 95 Duellona V 73, VII 49

          Varro_Lingua Latina_Teil I_Buch.indb 357

          357

          Ennius V 9, 14, 19, 23, 42, 55, 59, 60, 62, 64, 65, 68, 86, 111, 163, 182, VI 6, 61, 81, 82, 83, VII 9, 12, 13,16, 19, 21, 28, 32, 33, 35, 41, 42, 43, 46, 48, 49, 71, 82, 87, 89, 93, 100, 101, 103, 104 Epeus fumificus VII 38 Epicurus VI 39 Epimenides VII 3 Epulo (rex) VI 82 Esquiliae (Exquiliae V 25) V 49, 50, 159 Esquilina (tribus) V 56 Esquilina (regio) V 45 Esquilinus lucus V 50 Etruria V 30, 32, 46, VII 35 Etruscus ritus V 143 Euander V 21, 53 Euripides VII 82 Europa V 31, 32, VII 21 Facutalis (lucus) V 49, 50 Fagutal V 152 Fagutalis Iuppiter V 152 Falacer (flamen) V 84 Falacer pater V 84, VII 45 Falerii V 111, 162 Faliscus (venter) V 111 Fatuae, Fatuus VI 55 Fauna, Fauni, Faunus VII 36 Feronia V 74 Fetiales V 86 Ficuleates VI 18 Fidenates VI 18 Fides V 74 Flaminius campus V 154 Flora V 74, VII 45 Floralis (flamen) VII 45 Fons V 74, VI 22 Fors Fortuna VI 17 Fortuna V 74, VII 93

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          Eigennamen

          Forum Bovarium V 146 Forum Cuppedinis V 146 Forum Olitorium V 146 Forum Piscarium V 146 Forum Vetus VII 29 Fratres arvales V 85 Fratria V 85 Fulvius VI 33 Furinalis (flamen) V 84, VII 45 Furrina V 84, VI 19, VII 45 Gabinus (ager) V 33 Galli V 157, VI 18, VI 32 Galli VI 18, 32 Gallica V 116 Gallica busta V 157 Gallicus V 167 Genucius consul V 150 Germalus V 54 Graeca figura V 119 Graeca lingua V 66, VI 40, 96 Graeca origo VI 61, 96, VII 37 88, 89 Graecē V 88, 96, 112, 123, 175, VI 6, 10, VII 52, 88 Graeci V 2, 21, 34, 36, 65, 73, 76, 77, 78, 79, 96, 97, 101, 102, 103, 105, 107, 111, 112, 118, 119, 123, 156, 166; VI 2, 6, 11, 15, 61; VII 17, 20, 31, 50, 74, 87, 96 Graecia V 21, 96, 124, VII 47, 87, 89 Graeco ritu VII 88 Graecostasis V 155 Graecum V 68, 85, 100, 103, 104, 106, 113, 114, 119, 120, 121, 131, 133, 138, 160, 167, 168, 175, 182; VI 9, 58, 68, 84, 94; VII 14, 31, 34, 53, 55, 61, 67, 82, 94, 97, 108 VI 9, 58, 84, 94 Graecus VII 42 Graii VII 95

          Varro_Lingua Latina_Teil I_Buch.indb 358

          Heliconides VII 20 Hellespontus VII 21 Hercules V 45, 66, VII 82 Hesiodus V 20 Hispania VII 87 Homerus VII 85 Honos V 73 Hostilia Curia V 155 Hostilius (rex) V 155 Ianualis porta V 165 Ianus V 156, 165 Iapetus V 31 Iason V 157 Insteianus vicus V 52 Interamna V 28 Iones V 146, 175 Ionia V 16 Isis V 57 Italia VII 86 Iunius M. V 55, VI 33, 95 Iuno Caprotina VI 18 Iuno Lucina V 49, 50, 69 Iuno V 65, 67, 158, 162 Iupiter (Iovis) V 65, 67, 66, 158, VI 16 Iupiter Elicius VI 94 Iuppiter Viminius V 51 Iuturna V 71 Iuventius VI 50, VII 65 Lacedaemonii V 146 Lacus Curtius V 148 ff. Lanuvium V 162 Lares V 43, 74 Lares Querquetulani V 49 Lares viales VI 25 Larunda V 74 Lases VI 2 Latiaris (?) (collis) V 52, v. Catialis Latina (lingua) VII 55, 110, V 29

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          Eigennamen

          Latinae feriae VI 25, 29 Latine VI 84, VII 3, 89 Latini populi VI 25, VII 28 Latini V 30, 43, VI 25, VII 36 Latinum (nomen, vocabulum) V 30, 68, 103, 119, 79, 120, 167, VI 35, 96 Latinus (rex) V 53, 144 Latinus etymologus V 29 Latium V 21, 28, 30, 32, 42, (49 ?) 57, 79, 84, 97, 100, 143, 162, VII 35 Latius (ager) V 32 Lato, Latona VII 16 Laurentes V 152 Lauretum V 152 Lavernalis porta V 163 Lavinia V 144 Lavinium V 144 Leaena V 100 Liber (Bacchus) V 14, VI 2, 14, 58 Libethrides VII 20 Libitina VI 47 Libra VII 14 Libya VII 40 Libyca bos VII 40 Libyci VII 39 Livius Andronicus V 9, VII 3 Loebesos VI 2 Lubentina (Venus) IV Frg. 4 Luca(na) bos VII 39 Lucani V 32, VII 39 Lucanica V 111 Lucanus V 100 Lucas VII 39 Luceres (tribus) V 55, 81, 89, 91 Lucienus VI 2 Lucifer VII 76 Lucii VI 5 Lucilius V 17, 24, 44, 63, 80, 138, VI 69, VII 30, 32, 47, 94, 96, 103 Lucina (Iuno) V 69, 74

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          Lucumo V 55 Lump(h)a V 71 Luna V 68, 74 Lupercal V 85 Lupercalia V 85 Luperci V 85, VI 34 Lupus VII 47 Lutatius V 150 Lydus VII 90 (Lympha V 71) Maccius (Plautus) VII 104 Macellum V 146, 147 Ma(r)cellus V 147 Maelius V 157 Maesius VII 96 Mamers V 73 Manducus VII 95 Manes V 148, VI 24 Manilius (poeta) VII 28 M.’ Manilius (Jurist) VII 105 Manlius V 32 Maro V 14 Mars V 73, VI 33 Martialis (flamen) V 84, VI 21, VII 45 Martius campus V 28, VI 13 Matius VII 95, 96 Matralia V 106 Mefitis V 49 Megalesion VI 15 Mesius VII 96 Mettius Curtius V 149 Minerva V 74, 158, VI 17 Minervium V 47 Mitra V 130 Mucialis collis V 52 Mucionis porta V 164 Mucius Q. V 5, VI 30, VII 105 Murtetum V 154 Musae VII 20, 26 Myrmecides VII 1

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          360

          Eigennamen

          Naevia nemora V 163 Naevia porta V 163 Naevius V 43, 53, 153, VI 70, VII 7, 23, 39, 51, 53, 54, 60, 70, 92, 107 Neapolis V 85, VI 58 Neptunus V 72, VI 19 Noctiluca V 68 Nova Polis VI 58 Nova Via V 164, VI 24 Novensides V 74 Nox V 19 Numa Pompilius V 157, v. Pompilius Nuptiae V 72 Nympha VII 87 Olympiades VII 20 Olympus VII 20 Opillus VII 50, 67, 79 Opimia Basilica V 156 Oppius mons V 50 Ops Consiva VI 21 Ops V 57, 64, 74, VI 22 Orcus V 66, VII 6 Orion VII 50 Osca lingua VII 28 Osce V 131 Osci VII 29, 54 Pacuvius V 7, 17, 24, 60, VI 6, 94, VII 18, 22, 59, 76, 87, 88, 91, 102 Pal(l)antes V 53 Palanto V 53 Palatina (tribus) V 56 Palatina (regio) V 45 Palatini V 53, V 54 Palatinum (oppidum) VI 34 Palatium V 21, 53, 68 Palatua VII 45 Palatualis (flamen) VII 45 Pales V 74, VI 15 Paluda VII 37

          Varro_Lingua Latina_Teil I_Buch.indb 360

          Pandana porta V 42 Pantheris V 100 Papinius VII 28 Parcae VI 52 Paris VII 82 Pelium nemus VII 33 Penates V 54 Phoenice V 32 Pipleides VII 20 Piso L. Calpurnius V 148, 149, 165 Plaetoria lex VI 5 Plato VII 37 Plautus Frg. 3, V 14, 68, 72, 89, 108, 131, 146, 181, VI 6, 7, 11, 73, , VII 12, 16, 38, 50, 77, 81, 86, 91, 93, 96, 98, 103, 104 Poeni V 113, 182 Poenicum V 113 Poetelius lacus V 50 Poetelius (consul) VII 105 Pollux V 58, 73 Polybadiscus VI 73 Polybius V 113 Pomona VII 45 Pomonalis (flamen) VII 45 Pompilius Numa (rex) V 157, 165, VII 3, 45, Pompilius (poeta) VII 93 Porcius Licinus (poeta) V 163, VII 104 Porta Ianualis V 165 Porta Lavernalis V 163 Porta Mucionis V 164 Porta Naevia V 163 Porta Rauduscula V 163 Porta Romanula V 164, VI 24 Portunium Forum V 146 Portunus VI 19 Potonius VII 28 Praeneste VI 4 Praenestinus (ager) V 32

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          Eigennamen

          Procilius V 148, 154 Prometheus V 31 Propontis VII 21 Proserpina V 68 Publicius clivus V 158 Publius Scipio VII 31 Pullius V 158 Punicum bellum V 159 Punicum mālum VII 91 Puteoli V 25 Pyrrhus VII 39 Pythagoras (sculptor) V 32 Pythagoras Samius V 11 Querquetulanus V 49 Quinctius Trogus, T. VI 92 Quinctius VI 2 Qurinalis (collis) V 51 Quirinalis (flamen) VII 45 Quirinus V 51, 52, 73, 74, VI 13 Quirites V 51, 73, VI 68, 86, 88 Ramnes (tribus) V 55, 81, 89, 91 Rauduscula porta V 163 Reatinus ager VI 5 Regina V 67 Remus V 54 Rex (Latinus) V 8, 9 Rhea V 144 Roma V 33, 41, 45, 51, 56, 101, 143 144, 157, 164, VI 15, 16, 17, 32 Romani VI 25, VII 3 Romano ritu V 130, VII 88 Romanula porta V 164 Romanus (ager) V 33, 55, 123 Romanus populus VI 86 Romanus (civis) V 23 Romilia (tribus) V 56 Romuli (aedes) V 54 Romulus rex V 9, 46, 54, 55, 144, 149, VII 54

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          361

          Romus (?) V 33 Ruminalis ficus V 54 Sabina fana VI 57 Sabina lingua V 66 Sabina origo VII 28 Sabinae virgines VI 20 Sabine V 159 Sabini V 32, 41, 68, 73, 74, 97, 107, 123, 159, VI 5, 13, 28, VII 29, 46, 77 Sabinum bellum V 149 Sabinum vocabulum V 107 Sabinus ager V 123 Sacra Via V 47 Salacia V 72 Saliaris versus VII 27 Salii V 85, Salii VII 3 Salus V 52, 74 Salutaris (collis) V 52 Samnites VII 9 Samothrace / Samothrece V 58, VII 34 Samothracia V 58 Sancus V 66 Saturnalia V 64 Saturni (aedes) V 183 Saturnia (terra) V 42 Saturnia porta V 42 Saturnia V 45 Saturnii muri V 42 Saturnius (mons) V 42 Saturnius versus VII 36 Saturnus V 42, 57, 64, 74, VI 22 Scaevola Quintus Mucius V 83 Sementivae feriae VI 26 Septemmontium (locus) V 41 Septimontium (dies) VI 24 Septumius (quaestor) V 1, VII 109 Serapis V 57 Sergius Manius M‘. VI 90

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          Eigennamen

          Servius Tullius (rex) VI 17 Sicilia VII 86 Siculi V 101, 120, 175, 179 Sol V 68, 74 Strenia V 47 Sub Novis VI 59 Subura V 45, 46, 48 Suburana (tribus) V 56 Succusa * V 48 Succusanus (pagus) V 48 Sueius VII 104 Sulla (dictator) VII 105 Sulpicius V 40 Summanus V 74 Syracusae V 151 Syria V 16 Syriacum nomen V 100 Tarentum V 32 Tarpeia Vestalis V 41 Tarpeium (saxum) V 41 Tarpeius (mons) V 41 Tarquinius Superbus V 159 Tartarinum (corpus) VII 37 Tartarus VII 37 Tatius (rex) V 46, 51, 55, 149, 152, VI 68 Taurii ludi V 154 Tellus V 62 Terentius VI 69, VII 84 Terminus V 74 Terra V 58, 65 Thebris V 30 Thelis / Thetis VII 87 Thespiades VII 20 Thraces (gladiatores) VII 43 Thraeca (terra) V 14 Tiberinus portus VI 19 Tiberinus V 29, 30, 71 Tiberis (amnis) V 28, 29, 30, 43, 54, 71, 83, 146, VI 17, VII 44

          Varro_Lingua Latina_Teil I_Buch.indb 362

          Titanis VII 16 Titanus VII 16 Titienses V 55, 91 Titiensis (tribus) V 89 Tities V 81 Titii (sodales) V 85 Titus Manlius (cos.) V 165 Togata V 25 Trivia VII 16 Trogus reus VI 90, VI 92 Troia VII 38 Tullia V 159 Tullianum V 151 Tullius (rex) V 49, 151, v. Servius Tusca vocabula V 55 Tuscanicum V 161 Tusci V 32, 161, VI 28, VII 35 Tusculanae portae VI 16 Tusculani VI 14 Tusculanus ager VII 18 Tuscus (vicus) V 46 Tutilinae loca V 163 Valerius (Catullus) VII 50 Valerius (Soranus) VII 31, 65 Vediovis V 74 Veientes V 30 Velabrum Minus V 156 Velabrum V 43, 44, 156, Velabrum VI 24 Velia(e) V 54 Veliensis V 54 Velini lacus V 71 Velinia V 71, 72 Venus Murtea V 154 Venus V 61, 62, 63, 74, VI 16, 20, 33 Vergiliae VI 6 Vergilius VII 39 Vesta VI 17 Vestales virgines VI 17, 21 Veturius VII 91

          31.05.23 12:04

          Eigennamen

          Via Nova V 43, 164; VI 24, 59 Via Sacra V 47, 152 Victoria V 62 Vicus Africus V 159 Vicus Cuprius V 159 Vicus Insteianus V 52 Vicus Sceleratus V 159 Viminalis (collis) V 51 Viminius Iuppiter V 51 Virtus V 73 Vitula (dea) VII 107 Volcanalis (flamen) V 84 Volcanus V 70, 74, VI 20 Volcania templa VII 11 Volnius V 55 Volturnalis (flamen) VII 45 Volturnum (oppidum) V 29 Volturnus (fluvius) V 29, VII 45 Vortumnus V 46, 74, VI 21 Xerxes VII 21 Zenon Citius V 59 Graeca nomina hominum vel deorum (Aër) V 65 Ἀλεξίκακος VII 82 Ἅμαξα VII 74 Διόσκορος V 66 Ἑσπέριος VII 50 Βοώτης VII 74 Θέτις VII 87 Πυθαγόρας VII 17 Πύθων VII 17 Ἀφροδίτη VI 33 Ἀρίσταρχος VI 2 Δίων VI 2 Κοίντιος VI 2 Λευκιηνός VI 2

          Varro_Lingua Latina_Teil I_Buch.indb 363

          363

          Nomina fabularum, carminum, librorum Fabulae: Aesiona VII 107 Alexander VI 83 Andromacha VII 6 Andromeda V 19 Asinaria VII 79 Astraba VI 73, VII 66 Aulularia VII 103 Boeotia VI 89 Brutus V 8, VI 7 Casina VII 104, 106 Cemetria VII 54 Cesistio VII 67 Cistellaria VII 64 Clastidium VII 107 Colax VII 105 Condalium VII 77 Cornicula V 153, VII 52 Corollaria VII 60 Curculio VII 60, 71 Demetrius VII 107 Dolus VII 107 Faeneratix / Feneratrix VII 96 Fretus VII 70 Frivolaria VII 58 Fugitivi VII 63 Hecuba VII 6 Hermiona VI 94 Lampadio VII 107 Medea VI 81, VII 9 Medus VI 60, VII 34 Melanippus VII 65 Menaechmi VII 54, 56 Mercator VII 60 Nagido VII 107 Nervolaria VII 68 Parasitus Piger VI 68, VII 62, 77

          31.05.23 12:04

          364

          Eigennamen

          Periboea VII 6 Persa VII 55 Phago VII 61 Philocteta Lemnius VII 11 Poenulus VII 69 Proserpina VI 94 Romulus VII 107 Sitellitergus VII 66 Sotas V 62 Stigmatia VII 107 Tarentilla VII 108 Technicus VII 107 Teucer VII 3 Trinummus VII 57, 70, 78 Tunicularia VII 108 Nomina carminum: Bellum Poenicum (Naevi) VII 108 Epicharmus (Enni) V 59, 68 Carmen Saliorum VII 2, 3, 26 Priami carmen (anon.) VII 28 Nomina librorum: Argeorum sacra V 47-54 Augurum libri V 21, 33, 58; VII 8, 51 Censoriae Tabulae VI 86 Commentarii Consulares VI 88 Duodecim Tabulae V 3, 22, 140, 180, VI 5, 60, 64, VII 15, 51 Saliorum libri VI 14 Sybillini libri VI 15

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          10.3 Etymologische Fachtermini Varros in V - VII (Belegstellen in Auswahl) abire in + Akk. 'werden zu' E in U abiit V 91 accipere 'verstehen (als)': “Calydonia” Pacuvius … lege poetica a parte totam accipi Aetoliam voluit VII 18 addere 'hinzufügen': praeverbiis additis VI 38 adicere 'hinzufügen': litteram VII 1 ad-significare (assignificare VII 80) 'bezeichnen, angeben': tempus VI 36 adsumere 'aufnehmen': litteras: VI 2 anteponere: 'vorne hinsetzen': praeverbium VI 38 antiquus 'alt': Graecum antiquum (verbum) VI 84 apertus 'klar, offen' : mensium nomina aperta VI 33 appellare / dicere / (ab) 'etwas nennen, heißen (nach etw.)' „Amiternini“ appellati V 28 casus singularis rectus 'Nominativ Singular' VII 33 cognatio 'Verwandtschaft' (eines Wortes): V 13 cognominare 'einen Namen geben' (nur bei EN): Musae cognominatae Libethrides VII 20 commutare / commutatio 'wandeln' / 'Wandel': passim compositicium verbum 'Kompositum': fami-gerabile VI 55 con = cum (in Komposita): comminisci: a „con“ et „mente“ VI 49; a „con” et „cinere” VI 57 condere ˈvon Anfang an bilden': verbum, quod conditum est e quibus litteris oportet VII 1 coniungere 'verbinden': mit praeverbia: VI 82; zu einem Satz: quemadmodum conlīdere 'zusammenquetschen' (bei der Bildung von Komposita): V 171 coniungerentur VII 110 consuetudo 'Sprachgebrauch': communis: V 6, 8; in consuetudine apud poetas V 1 consuetudo nostra 'unser Sprachgebrauch' VI 2 contrario nomine 'vom Gegenteil her benannt' V 18 corripere 'zusammenziehen, kürzen' trabes > trabs VII 33 cum unīus propositione 'Vorstellung der Einzahl / Singular' VI 76 cum 'mit' (Orthographie): Tera … cum R uno V 21; “deico” cum EI VI 61; cum 'auf' (Morphologie): terminus cum IS dicitur...V 21 declinare 'ableiten' (aus einer anderen Sprache oder aus einem anderen Wort) passim declinatio 'Ableitung' (Wortbildung) verborum: VI 36, 38 declinatus, us m. 'Bildung von Wörtern aus einem anderen Wort': VI 36 demere / demptio 'abziehen' / 'Abzug, Wegfall' : VII 1 und V 6 dicere 'sagen, sprechen, (be)nennen': passim

          Varro_Lingua Latina_Teil I_Buch.indb 365

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          366

          Etymologische Fachtermini Varros

          discrimen '(einzelne) Wortform': verborum discrimina VI 36 effutire 'ausstoßen' (Interjektion, z. B. „euax“) VII 93 esse 'bedeuten' : passim etymologia: 'Etymologie': VII 109 exterere 'ausreiben, ausstoßen' R extrito Camena factum VII 27 fieri 'werden' VII 49 fingere 'bilden' (im Rahmen der Wortbildung) V 7, VII 31 genus (verborum) 'Klasse (von Wörtern)': verborum genus, quod tempora adsiginificat VI 36 Graeca (lingua) / Graecum / Graece (Adv.) 'Griechisch': passim imponere ab 'nach etw. benennen' (im etymologischen Sinne): passim imponere verba + Dat. bzw. + Abl. ab '(nach etw.) einen Namen geben, etwas benennen': passim impositio 'Benennung ' V 3, 'richtige Deklination' VII 32 impositor 'Benenner à Wortschöpfer': VII 1, 2 initium 'Ursprung, Ursprungswort': V 12; 'Mysterium': V 8, V 98 interpolare 'verfälschen, unkenntlich machen': verba litteris commutatis interpolata V 3 littera 'Buchstabe / Laut': arimenta … postea I tertia littera extrita V 96. Litteram adicere VII 1 mittere 'abgeben, verlieren': (verba) … litteras alia mittant VI 2 multitudinis 'Plural' VI 76 mutare 'verändern': praeverbiis mutatis VI 38; nomen mutare 'umbenennen' V 30. nomen 'Namen': passim nominare 'benennen': a lacte coacto caseus VI 43 obscurus 'dunkel, undurchsichtig' V 3; VII 103 oratio poetica 'Verssprache, Dichtersprache' VI 97 oratio soluta 'Prosa' VI 97, VII 110 origo 'Ursprung': V de disciplina originum verborum 'Etymologie' permutare 'austauschen, vertauschen' ex Camena permutato pro M. N. VI 75 perspicuus 'sofort verständlich, durchsichtig': cum perspicuo vocabulo VI 26 poetica verba / verba poetarum 'dichterische Wörter; Wörter der Dichtersprache': VI 97 poetice 'Dichtung' VII 2 ponere 'setzen': in pluribus verbis A ante E alii ponunt VII 96 praeverbium 'Vorsilbe': VI 38 primigenium 'Urwort' VI 36 principium 'Anfangswort' VI 37 ff. priscus 'alt, antiquiert': prisca verba VII 2, Camenarum priscum vocabulum VII 26

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          Etymologische Fachtermini Varros

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          productio 'Dehnung' (von Silben) V 6 proficisci (ab) 'herkommen, stammen (von)' profectum a verbo „ambe“ VII 30 pronuntiare 'aussprechen' VI 42 propositio 'Vorstellung': disputatio … e propositione putandi VI 63 proprio nomine 'im eigentlichen Sinn' VI 78 radix 'Wurzel' (nicht morphologisch)' : cognatio verborum quae radices egerit extra fines suas V 13 rectus casus 'Nominativ': V 4 rex (Latinus) '(lateinischer) Sprachschöpfer': V 8 adytum et initia regis scientia 'Wissen, Wissenschaft' V 8 sermo 'Gespräch, Rede' (VI 63 f.) significabilis vox ˈbedeutungstragender Laut' VI 52 significare 'bedeuten, bezeichnen': crepusculum significat dubium VII 6 singularis casus rectus 'Nominativ Singular' VII 33 societas verborum 'Verbindung der Wörter': verborum societas cum Graeca lingua VI 40 subesse 'zugrundliegen' (historisch): quid sub ea voce subsit VII 1 syllaba 'Silbe' V 6 traiectio 'Umstellung': traiectio litterarum / syllabarum V 6 tra(ns)laticium nomen/verbum 'übertragenes Wort' V 32, VI 64 transferre 'übernehmen' (aus anderer Sprache) V 151 transferre 'übertragen' VII 23 unīus 'Singular': impositio unius debuit esse canis, plurium canes VII 32; cum unius propositione VII 76 ut manimoria 'aus *manimoriaˈ VI 49 valere 'gelten, bedeuten' VI 58 verbum / vocabulum ˈWort': passim vetus 'alt' (an Zeit): vetus adagio VII 31 vetustas 'Lauf der Zeit ': V 5; VI 2 vocare 'nennen': locum, qui vocatur Caeliolum V 46 vocis sonus 'Lautklang' VI 84 vox 'Laut, Lautäußerung, Lautform' VI 52; VII 1 ἔτυμον 'Grundwort, Ausgangswort': non omnia quae habent ἔτυμα possunt dici VII 2. ἐτυμολογική 'Etymologie' (als Disziplin) V 1, VII 2, VII 109; = etymologia (sic!) : VII 109 περὶ σημαινομένων 'Semantik' V 2. Diakritische Zeichen im Varrotext (soweit erschließbar): amb/agio … ut amb/ustum… ut amb/egna bos VII 31 maniᵒmoria VI 49

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          11:35 Uhr

          Seite 1

          Edition Antike Herausgegeben von Thomas Baier, Kai Brodersen und Martin Hose Die Edition Antike bietet zweisprachige Leseausgaben wichtiger Texte der antiken Literatur mit modernen Übersetzungen und in einer zeitgemäßen Ausstattung. Autoren und Werke werden eingangs kurz vorgestellt. Ein knapper Sachkommentar am Ende des Bandes erleichtert die Lektüre und das Verständnis der Texte.

          Marcus Terentius Varro (116 – 27 v. Chr.) war der bedeutendste römische Gelehrte überhaupt, er verfasste über 70 Werke zur Kulturgeschichte Roms, zu Landwirtschaft, Philosophie und zur lateinischen Sprache. Aus seinem Großwerk »De lingua Latina« ist wenigstens ein Viertel überliefert: Der Teil mit den Etymologien (Buch V – VII, Band I dieser Ausgabe) liest sich wie ein Handbuch der (alt-)römischen Kultur; der zweite Teil (VIII – X, Band II dieser Ausgabe) behandelt rhetorisch packend und durchaus amüsant die grammatische Analogie. Zum ersten Mal wird »De lingua Latina« nun ins Deutsche übersetzt. Ein gründlicher philologischer und linguistischer Kommentar erschließt den Text und macht die zweisprachige Ausgabe zur unverzichtbaren Lektüre für alle, die sich für Latein und die (alt-)römische Kultur interessieren.

          Thomas Baier ist Professor für Klassische Philologie (Latinistik) an der JuliusMaximilians-Universität Würzburg. Kai Brodersen ist Professor für Antike Kultur an der Universität Erfurt. Martin Hose ist Professor für Klassische Philologie (Gräzistik) an der LudwigMaximilians-Universität München. ISBN 978-3-534-27653-0

          Umschlaggestaltung: Peter Lohse, Heppenheim

          € 140,00 [D] € 144,00 [A]

          Mitmachen lohnt sich: Viele Vorteile für Mitglieder! wbg-wissenverbindet.de

          EDITION ANTIKE

          25.05.2023

          Varro · De Lingua Latina I

          PR040610_Varro_De Lingua Latina_EA_Bd1:18136-8 Latini Lobreden Bd.1

          Marcus Terentius Varro

          De Lingua Latina Band I

          Quintilian nannte Varro in seinem berühmten Buch über die Redekunst den »gelehrtesten aller Römer«: Marcus Terentius Varro (116 – 27 v. Chr.) war der bedeutendste römische Polyhistor überhaupt. Seiner Produktivität kam kein anderer Römer gleich, sein enorm breites Œuvre ist eine unerschöpfliche Fundgrube für kulturhistorische Erkenntnisse. Varro verfasste über 70 Werke zur Rhetorik, Theologie, Landwirtschaft und Philosophie und hatte damit prägenden Einfluss auf die Kultur des augusteischen Zeitalters. Sein Großwerk »De lingua Latina«, eines der wichtigsten Bücher zur lateinischen Sprache, erscheint nun zum ersten Mal in einer zweisprachigen Ausgabe, kongenial übersetzt (und kommentiert) von Wilhelm Pfaffel.

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          Seite 1

          Edition Antike Herausgegeben von Thomas Baier, Kai Brodersen und Martin Hose Die Edition Antike bietet zweisprachige Leseausgaben wichtiger Texte der antiken Literatur mit modernen Übersetzungen und in einer zeitgemäßen Ausstattung. Autoren und Werke werden eingangs kurz vorgestellt. Ein knapper Sachkommentar am Ende des Bandes erleichtert die Lektüre und das Verständnis der Texte.

          Marcus Terentius Varro (116 – 27 v. Chr.) war der bedeutendste römische Gelehrte überhaupt, er verfasste über 70 Werke zur Kulturgeschichte Roms, zu Landwirtschaft, Philosophie und zur lateinischen Sprache. Aus seinem Großwerk »De lingua Latina« ist wenigstens ein Viertel überliefert: Der Teil mit den Etymologien (Buch V – VII, Band I dieser Ausgabe) liest sich wie ein Handbuch der (alt-)römischen Kultur; der zweite Teil (VIII – X, Band II dieser Ausgabe) behandelt rhetorisch packend und durchaus amüsant die grammatische Analogie. Zum ersten Mal wird »De lingua Latina« nun ins Deutsche übersetzt. Ein gründlicher philologischer und linguistischer Kommentar erschließt den Text und macht die zweisprachige Ausgabe zur unverzichtbaren Lektüre für alle, die sich für Latein und die (alt-)römische Kultur interessieren.

          Thomas Baier ist Professor für Klassische Philologie (Latinistik) an der JuliusMaximilians-Universität Würzburg. Kai Brodersen ist Professor für Antike Kultur an der Universität Erfurt. Martin Hose ist Professor für Klassische Philologie (Gräzistik) an der LudwigMaximilians-Universität München. ISBN 978-3-534-27653-0

          Umschlaggestaltung: Peter Lohse, Heppenheim

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          EDITION ANTIKE

          25.05.2023

          Varro · De Lingua Latina II

          PR040610_Varro_De Lingua Latina_EA_Bd2:EA

          Marcus Terentius Varro

          De Lingua Latina Band II

          Quintilian nannte Varro in seinem berühmten Buch über die Redekunst den »gelehrtesten aller Römer«: Marcus Terentius Varro (116 – 27 v. Chr.) war der bedeutendste römische Polyhistor überhaupt. Seiner Produktivität kam kein anderer Römer gleich, sein enorm breites Œuvre ist eine unerschöpfliche Fundgrube für kulturhistorische Erkenntnisse. Varro verfasste über 70 Werke zur Rhetorik, Theologie, Landwirtschaft und Philosophie und hatte damit prägenden Einfluss auf die Kultur des augusteischen Zeitalters. Sein Großwerk »De lingua Latina«, eines der wichtigsten Bücher zur lateinischen Sprache, erscheint nun zum ersten Mal in einer zweisprachigen Ausgabe, kongenial übersetzt (und kommentiert) von Wilhelm Pfaffel.

          EDITION ANTIKE

          Varro_Lingua Latina_Teil II_Buch.indb 1

          30.05.23 09:35

          EDITION ANTIKE

          Herausgegeben von Thomas Baier, Kai Brodersen und Martin Hose

          Varro_Lingua Latina_Teil II_Buch.indb 2

          30.05.23 09:35

          MARCUS TERENTIUS VARRO

          DE LINGUA LATINA Lateinisch und deutsch

          Band 2 Herausgegeben, eingeleitet und übersetzt von Wilhelm Pfaffel

          Varro_Lingua Latina_Teil II_Buch.indb 3

          30.05.23 09:35

          Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar. Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. wbg Academic ist ein Imprint der wbg. © 2023 by wbg (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der wbg ermöglicht. Satz: Wilhelm Pfaffel und Maximilian Wolter Herstellung: Arnold & Domnick, Leipzig Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Europe Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-534-27653-0 Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): ISBN 978-3-534-74738-2

          Varro_Lingua Latina_Teil II_Buch.indb 4

          30.05.23 09:35

          Inhalt 1.

          2.

          3. 4. 5. 6.

          7.

          Seite

          Aufbau und Überlieferung von De lingua Latina VI 1.1 Überlieferung von De lingua Latina  VI 1.2 Widmung und Aufbau des Gesamtwerks VII Inhalt der Bücher VIII-X X 2.1 Themensetzung Varros X 2.2 Wortbildung und Flexion X 2.3 Anomalie versus Analogie: eine Scheindebatte? XI 2.4 Literarische und rhetorische Form der morphologischen Triade XIII 2.5 Varros Konzept der Ähnlichkeiten und sein mathematisches Modell XVIII 2.6 Varros Definition der Analogie und der Ähnlichkeit XIX 2.7 Weitere linguistische Leistungen Varros in Buch X XXI 2.8 Varros „Quellen“ XXI 2.9 Nachwirkung von Varros „Morphologie“ XXIV Gliederung der Bücher VIII-X XXV Text und Übersetzung 2 Anmerkungen 166 Indices 6.1 Linguistische Fachtermini Varros 211 6.2 Behandelte Wörter aus der Objektsprache 223 6.3 Eigennamen aus der Metasprache 232 Verwendete Literatur 235 7.1 Editionen von De lingua Latina 235 7.2 Andere Autoren ‑ Textsammlungen 238 7.3 Standardwerke (mit Abkürzungen) 240 7.4 Spezialliteratur (Auswahl) 242

          Eine Übersicht über Leben und Werk Varros sowie über die Textausgaben, die seit dem späten 15. Jahrhundert erschienen sind, bietet das Vorwort zu Band I. In dieser Einleitung soll dennoch ausführlicher auf die Struktur von De lingua Latina eingegangen werden, weil diese Ausführungen für die Interpretation der Bücher VIII-X bedeutsam sind. Auch Fragen der Textüberlieferung von De lingua Latina betreffen die Triade dieser sog. „morphologischen“ Bücher, wie sich zeigen wird. Bei Zitaten einzelner Wörter aus der Objektsprache werden in dieser Ausgabe die Längen der Vokale angegeben, nicht aber bei der Nennung von Buchtiteln.

          Varro_Lingua Latina_Teil II_Buch.indb 5

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          VI

          Einleitung

          1. Überlieferung und Aufbau von De lingua Latina 1.1 Überlieferung von De lingua Latina Varros Opus magnum über das Lateinische umfasste 25 Bücher. Von diesen sind aber nur sechs (die Bücher V-X) erhalten, die um 1100 – wohl im Kloster Monte Cassino – aus einer älteren Vorlage kopiert wurden. Dieser Codex Archetypus, „F“ genannt, liegt in der Biblioteca Medicea-Laurenziana in Florenz, doch auch er enthält Lücken: Die größte entstand erst in der Neuzeit, als der Codex schon mehrmals abgeschrieben worden war (V 118-VI 61), s. Vorwort 3.1 in Band I; dieser Codex Laurentianus (Pluteus) 51.10 vermerkt auch explizit, dass bereits seine Vorlage (wir nennen ihn hier „ F*“) größere Lücken enthielt, die die Bücher VIII-X betreffen: Am Ende von Buch VIII scheint ein ganzer Bogen von F* ausgefallen zu sein, ebenso in Buch X drei Lagen nach Kap. 23 und 34; auch das wichtige Ende von Buch X fehlt. Möglicherweise wurden diese sechs Bücher allerdings nicht in éinem Zug aus einer Gesamtausgabe (sei es in Papyri, sei es bereits als Pergamentcodex) zum jetzigen Gebinde zusammengefasst: Einige auffallende Altertümlichkeiten finden sich nur in den Analogiebüchern VIII-X, nicht aber in den etymologischen Büchern V-VII1: Der unbekannte Redaktor könnte also zwei verschiedene Ausgaben bzw. Auflagen der beiden Triaden verwendet und dann verbunden haben. Dort, wo F heute schlecht zu lesen ist, hilft der bestens erhaltene und vorbildlich geschriebene, jetzt in Rom befindliche Codex Vallicellianus 49.3 („Vall.“) weiter, der Ende des 14. Jhs. von Coluccio Salutati in Florenz abgeschrieben wurde und trotz einiger Kopierfehler fast als Zwilling von F fungieren darf, ja an vielen Stellen die Fehler seiner Vorlagen durch kluge Verbesserungen sogar korrigiert hat. Die weiteren, späteren Handschriften helfen nur in ganz wenigen Fällen mit ihren Anregungen weiter. Der größte Teil der Verbesserungen, die der heutige Varrotext enthält, geht auf die Philologen der Renaissance wie Turnebus, Scaliger, Antonius Augustinus und Scioppius zurück; ihre Ausgaben stellen jeweils einen Fortschritt gegenüber der Erstausgabe von Pomponius Laetus (1471) dar, die ihrerseits maßgeblich auf dem Vallicellianus fußt. Einen großen Entwicklungssprung machte die Varroedition durch die Forschungen von Leonhard Spengel: Seine Erstausgabe von 1826 hat den Wert von F erkannt, die letzte Ausgabe seines Sohnes Andreas Spengel (1885) fasst sein lebenslanges Ringen um den idealen Varrotext zusammen.

          Varro_Lingua Latina_Teil II_Buch.indb 6

          30.05.23 09:35

          Einleitung

          VII

          Das letzte Jahrhundert brachte durch die Gesamtausgabe von Roland G. Kent (1938), durch die Einzelausgaben von Hellfried Dahlmann (1940) für Buch VIII und Daniel R. Taylor für Buch X (1996) weitere wichtige Erkenntnisse. Ihnen gesellen sich die Edition von Buch IX durch Antoniella Duso (2017) und die neue Gesamtausgabe von Wolfgang de Melo (2019) an die Seite. Unsere Ausgabe geht auf intensive Analyse der Handschriften, v. a. von F und Vall., zurück und verdankt den Beobachtungen und Ideen der Renaissancephilologen sowie den Forschungen v. a. von Dahlmann und Taylor Wesentliches. Wo wir von den tradierten Editionen abweichen, ist dies mit „scripsi“ bzw. „addidi“ im textkritischen Apparat vermerkt. 1.2 Widmung und Aufbau des Gesamtwerks Varros Gesamtwerk über die lateinische Sprache war Cicero gewidmet; das bezeugen zahlreiche Fragmente, die spätere Autoren zitieren, das bezeugt auch die Titulatur von Codex F zu Beginn des V. Buches.2 Innerhalb von De lingua Latina selbst erscheint der Name Ciceros nirgends. Varro hatte, ehe er das Gesamtwerk verfasst hatte, drei Bücher (die späteren Bücher II-IV) schon seinem früheren Quästor Septumius geschickt bzw. gewidmet (V 1), welche eine theoretische Triade über die Etymologie darstellten und vermutlich den Titel De disciplina originum verborum trugen, 'Die Wissenschaft vom Ursprung der Wörter'; erst das ganze Opus magnum mit dem umfassenden Titel De lingua Latina „gehörte“ Cicero.3 Der Inhalt des ersten Buches kann nur durch den Vergleich mit Varros (erhaltenem) Gesamtwerk über die Landwirtschaft und mit dem ersten Buch von Plinius' 37 Bücher umfassenden Opus Naturae historiae erschlossen werden: Es enthielt sicher die Widmung an Cicero, eine ausführliche Rechtfertigung und Beschreibung des Themas, die Angabe der Literatur, die Varro zugrundlegte, und eine Übersicht über das Ganze.4 Über den Aufbau von De lingua Latina und den Inhalt der restlichen 24 Bücher sind wir durch Bemerkungen Varros selbst informiert, mit denen er z. B. dem Adressaten am Ende von Buch VII und zu Beginn von Buch VIII einen Überblick über das Zurückliegende wie auch Kommende gibt: VII 110: Quocirca, quoniam omnis operis de lingua Latina tris feci partis, primo, quemadmodum vocabula imposita essent rebus, secundo, quemadmodum ea in casus declinarentur, tertio, quemadmodum coniungerentur: Prima parte perpetrata, ut secundam ordiri possim, huic libro faciam finem. Nun habe ich ja mein ganzes Werk über das Lateinische in drei Teile gefasst: Erstens, wie die Dinge mit den Wörtern benannt worden sind, zweitens, wie

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          VIII

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          sie in Fälle (cāsūs) abgeleitet werden, drittens, wie sie miteinander verbunden werden: Da der erste Teil geschafft ist, setze ich nun also, um den zweiten beginnen zu können, diesem Buch ein Ende. VIII 1: Quom oratio natura tripertita esset, ut superioribus libris ostendi, cuius prima pars, quemadmodum vocabula rebus essent imposita, secunda, quo pacto de his declinata in discrimina ierunt, tertia, ut ea inter se ratione coniuncta sententiam efferant, prima parte exposita, de secunda incipiam hinc. Die Sprache besteht von Natur an aus drei Teilen – wie ich in den vorangegangenen Büchern gezeigt habe: Der erste Teil ist, wie die Dinge mit Wörtern benannt sind; der zweite, auf welche Art sie, wenn sie aus diesen abgeleitet worden sind, zu einzelnen Formen wurden; der dritte, mit welchem Prinzip sie, miteinander verbunden, einen Satz hervorbringen. Da der erste Teil schon vorgestellt ist, möchte ich hier mit dem zweiten anfangen. Die eigenartige Dopplung der Inhaltsangaben an der Schnittstelle zwischen Buch VII und VIII zeigt, dass dem Werk eine Einteilung in Sechsergruppen (Hexaden) innewohnt. Eine ähnlich symmetrische Aufteilung zeigt das Gesamtwerk: Es bestand aus zwei Hälften von je zwölf Büchern: Das erste Dutzend (II-XIII) befasste sich mit dem Wort, das zweite mit dem Satz und der Stilistik (XIV-XXV). Insgesamt stellen sich Aufbau und Erhaltung des Gesamtwerks wie folgt dar: Buch I (verloren) wohl: Widmung an Cicero, Rechtfertigung des Werks, Übersicht über das Gesamtwerk Nennung der verwendeten Literatur und der Vorbilder II-VII: Herkunft der Wörter: Etymologien II-IV (verloren): Theorie der Etymologie II: Argumente gegen das Etymologisieren III (Drei Fragmente erhalten): Argumente für das etymologische Prinzip nach Varro IV (Ein Fragment erhalten): Beschreibung des Etymologisierens V-VII (Weitestgehend erhalten): Praxis der Etymologie

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          V: Wörter für Orte und Gegenstände VI: Wörter für Zeiten und Tätigkeiten VII (Nur der Anfang fehlt): Wörter für Orte und Zeiten bei den Dichtern VIII-XIII: Flexion und Wortbildung VIII-X (Weitgehend erhalten): Theorie der Flexion und Wortbildung VIII (Das Ende ist verloren; zwei Fragmente sind erhalten): Argumente gegen die Regelmäßigkeit IX (Nur der Anfang fehlt): Argumente für die Regelmäßigkeit X (Zweimal 3 Blätter der Vorlage und das Ende sind verloren): Darstellung der Regelmäßigkeit XI-XIII (zwanzig Fragmente sind erhalten): Praxis der Flexion und Wortbildung XIV-XXV (Fünf Fragmente sind erhalten): Theorie und Praxis der Syntax. Erhalten sind also von der ersten Hexade nur die drei Bücher, welche Varros praktische Umsetzung der etymologia zeigen (V-VII), während von der morphologischen Hexade wiederum nur die theoretische Diskussion über die dēclinātiō, nämlich über Flexion und Wortbildung, überliefert ist. Für die „theoretischen“ Triaden hat Varro ein Konzept verwendet, das als Gliederungsprinzip für so große literarische Gebilde in der klassischen lateinischen Literatur wohl einzigartig ist: Nach dem Grundsatz der disputātiō in utramque partem5 wird der Themenbereich – also für die erste Hexade: die Etymologie, für die zweite: die Morphologie – erst von seiner negativen Seite, mit Kontra-Argumenten, kritisiert; das folgende Buch erwidert dann die Kritik,6 ehe das dritte Buch der Triade in Kürze das varronische Konzept darstellt. Das sagt Varro selbst explizit für die erste Triade zu Beginn von Buch V: V 1: Quemadmodum vocabula essent imposita rebus in lingua Latina, sex libris exponere institui. De his tris ante hunc feci, quos Septumio misi; in quibus est de disciplina, quam vocant ἐτυμολογικήν. Quae contra eam dicerentur, volumine primo, quae pro ea, secundo, quae de ea, tertio. Auf welche Weise die Dinge im Lateinischen benannt sind, wollte ich in sechs Büchern darlegen. Drei davon habe ich vor diesem gemacht und schon dem Septumius geschickt; darin geht es um die sogenannte „etymologische“ Wissenschaft. Was gegen sie gesagt wird, steht im ersten Band, was für sie, im zweiten, was über sie, im dritten.

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          2. Inhalt der Bücher VIII-X 2.1 Themensetzung Varros Im abschließenden Kapitel VII 110 skizziert Varro auch die Thematik der zweiten Hexade: VII 110: … quemadmodum ea (sc. vocabula) in casus declinarentur … wie sie (die Wörter) in Kasus abgeleitet werden,… Das ist eine unscharfe Themenangabe, da in der zweiten Hexade auch Verben behandelt werden; Varro hätte also schreiben müssen: quemadmodum in casus et tempora declinarentur. Allgemeiner fasst er das Thema zu Beginn des VIII. Buches: VIII 1: … quo pacto de his declinata in discrimina ierunt … … auf welche Art sie, wenn sie aus diesen (sc. den ersten, benannten Wörtern) abgeleitet worden sind, zu einzelnen Formen wurden… Das klingt alles nach einer Gesamtdarstellung der lateinischen Morphologie, doch hat der erste Teil der morphologischen Hexade, nämlich die Bücher VIII-X, als Thema nicht die Prinzipien der Deklination und Wortbildung, wie wir es von modernen Grammatiken erwarten würden,7 sondern die linguistische Analogie. Sie war Varro so wichtig, dass er ihrer Behandlung das eigentliche Kernstück seiner morphologischen Triade widmete. Diese Schwerpunktsetzung ist aus der Geschichte der Sprachwissenschaft bzw. Grammatik vor Varro historisch erklärbar; denn dafür waren, so erklärt es Varro zu Beginn von Buch X, weder die theoretischen Grundlagen so, wie es sich gehörte, gelegt, noch war es entsprechend strukturiert und dargestellt worden: X 1: Quarum rerum quod nec fundamenta, ut debuit, posita ab ullo, neque ordo ac natura, ut res postulat, explicita, ipse eius rei formam exponam. Da noch keiner so, wie es nötig gewesen wäre, die Grundlage für diese Fragen gelegt noch ihre Reihenfolge und ihr Wesen, wie die Sache es erforderte, erklärt hat, möchte ich selbst diesen Gegenstand umreißen. 2.2 Wortbildung und Flexion Ein Schlüsselbegriff Varros für seine gesamte Behandlung des Komplexes 'Wort' ist dēclinātiō, wörtlich 'Abbiegung'. Der Begriff dürfte dem Weinbau entnommen sein: Wenn neue Triebe abgebogen und in die Erde gesteckt werden, können daraus neue, selbständige Gebilde entstehen. Auch im Bereich der Etymologie (in den Büchern V-VII) gebraucht Varro immer wieder den Begriff dēclinātiō, wenn er davon spricht, dass neue Wörter (durch Ableitung

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          oder Zusammensetzung) aus Grundwörtern gebildet oder durch historische Veränderung aus älteren Formen entstanden sind, s. den Index zu Band I; gerade bei Neubildungen ist der botanische Begriff der dēclinātiō ja passend. Dass Varro mit einem einzigen, weit gefassten und metaphorischen Begriff so grundsätzlich verschiedene Prozesse bzw. Phänomene bezeichnet, spricht dafür, dass seine grammatische Metasprache (aus heutiger Sicht) noch nicht vollends ausgefeilt war; Daniel Taylor spricht daher von einer „rather embryonic metalanguage“ Varros, einer 'eher embryonalen Metasprache'.8 Allerdings unterscheidet Varro in den Büchern VIII-X grundsätzlich zwei verschiedene Arten von dēclinātiō – sie ist mit unserem modernen Begriff 'Deklination' (sc. der Nomina) nicht gleichzusetzen: Er trennt zwischen der Flexion der Nomina und Verba (unserer „Deklination“ + „Konjugation“), der dēclinātiō nātūrālis, der 'natürlichen Ableitung', auf der einen Seite, auf der anderen Seite der eigentlichen Wortbildung (durch Ableitung und Zusammensetzung), die er dēclinātiō voluntāria nennt, 'willkürliche Ableitung'. Die strikte Trennung zwischen dēclinātiō nātūrālis und dēclinātiō voluntāria ist ein wichtiger Teil des offensichtlich von ihm selbst entwickelten Konzepts:9 VIII 21 Declinationum genera sunt duo: voluntarium et naturale. Voluntarium est, quo, ut cuiusque tulit voluntas, declinavit... 22 Contra naturalem declinationem dico, quae non a singulorum oritur voluntate, sed a communi consensu. Itaque omnes impositis nominibus eorum, item declinant casus, atque eodem modo dicunt: huius Artemidori et huius Ionis et huius Ephesii, sic in casibus aliis. VIII 21 Es gibt zwei Arten der Ableitung: die willkürliche und die natürliche. Die willkürliche ist die, wohin einer je nach seinem Gutdünken abgeleitet hat… 22 Hingegen bezeichne ich als natürliche Ableitung die, die nicht aus der Willkür Einzelner entsteht, sondern aus allgemeiner Übereinkunft. Wenn daher die Dinge benannt sind, dann leiten alle in gleicher Weise die Kasus ab und sagen auf dieselbe Weise: (Gen.) Artemidōrī und (Gen.) Iōnis und (Gen.) Ephesiī und so auch in den anderen Kasus. 2.3 Anomalie versus Analogie: eine Scheindebatte? Für seine weitere Behandlung der Morphologie fehlt Varro ein wichtiger linguistischer Begriff, der uns heute so selbstverständlich erscheint: das 'Merkmal'; als metasprachlichen Hilfsbegriff führt er stattdessen māteria ein (X 11 und X 36), als dessen Synonym gelegentlich einfach rēs erscheint (z. B. X 63), die 'grammatische Substanz' – z. B. die Zugehörigkeit eines Wortes zu den Substantiva und sein Genus. Das Pendant von māteria ist figūra; dies ist

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          allerdings ein schillernder Begriff, weil damit sowohl die phonologische Form (z. B. figūra vōcis in IX 42) als auch der morphologische Bau gemeint sein kann, z. B. ob ein Substantiv wie ein Femininum gebaut ist, aber ein männliches Individuum bezeichnet (X 27), oder ob ein Verbum mit angehängtem -ne als Frageform gebraucht ist (X 32). Stattdessen versucht Varro die Regel oder Regelmäßigkeit und die Deklina­ tions­muster als Relation von Ähnlichkeiten (similitūdinēs) zwischen Formen und Wörtern zu fassen: Darum geht es im Grunde in den gesamten Büchern VIII-X;10 das wird vor allem in Buch X deutlich, wo Varro sein persönliches Konzept der dēclinātiō entwickelt. In den beiden vorangehenden Büchern VIII und IX hingegen baut er, gewissermaßen als Vorbereitung auf die Darstellung seines persönlichen Konzepts und ähnlich wie bei den (verlorenen) Büchern II und III, eine Debatte zwischen zwei scheinbar konträren Polen auf: hier zwischen 'Analogie' und 'Anomalie'. Der Begriff der ἀνωμαλία als „Terminus für eine bestimmte Form der Sprachgestaltung begegnet innerhalb der griechischen Sprachphilosophie zuerst bei Chrysippos von Soloi“ (Mette [1952] 11 f.). Der stoische Philosoph, das dritte Oberhaupt der stoischen Philosophenschule, verwendete ihn freilich, um die Diskrepanz zwischen der Ausdrucksform von Wörtern und den von diesen bezeichneten Inhalten zu benennen, aber nicht, um ungewöhnliche oder unregelmäßige Deklinationsformen zu kennzeichnen.11 Varro jedenfalls hat die beiden Begriffe 'Anomalie' und 'Analogie' in den Büchern VIII und IX so verwendet, dass sie zueinander in einer regelrechten Opposition erscheinen. So kommt er im achten Buch zur wiederholten Formulierung der These der „Anomalisten“: Es gebe keine Analogie in der lateinischen Sprache; als Gegenthese der Kontrahenten im neunten Buch gilt entsprechend: Es gibt eine deutlich beobachtbare Analogie in der lateinischen Sprache.12 In einem dialektischen Diskussionsprozess stellt er demzufolge das Ringen um die Regularität als eine Debatte um Ähnlichkeit (similitūdō) und Unähnlichkeit (dissimilitūdō) dar (zur Textkritik der folgenden Beispiele s. die entsprechenden Kapitel unten im Textteil): VIII 23 Cum utrumque nonnunquam accidat, et ut in voluntaria declinatione animadvertatur natura et in naturali voluntas: quae cuiusmodi sint, aperientur infra. Quod utraque declinatione alia fiunt similia, alia dissimilia, de eo Graeci Latinique libros fecerunt multos, partim cum alii putarent in loquendo ea verba sequi oportere, quae ab similibus similiter essent declinata,

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          quas appellarunt ἀναλογίας, alii, cum id neglegendum putarent ac potius sequendam dissimilitudinem (quae in consuetudine est), quam vocarunt ἀνωμαλίαν; cum, ut ego arbitror, utrumque sit nobis sequendum, quod in declinatione voluntaria sit anomalia, in naturali magis analogia. 24 De quibus utriusque generis declinationibus libros faciam bis ternos: prioris tris de earum declinationum disciplina, posteriores de eius disciplinae propaginibus. De prioribus primus erit hic, quae contra similitudinem declinationum dicantur, secundus, quae contra dissimilitudinem, tertius de similitudinum forma. De quibus, quae experiero, singulis tribus, tum de alteris totidem scribere ac dividere animus. VIII 23 Es geschieht ja manchmal beides: Bei der willkürlichen Ableitung beobachtet man Natur und bei der natürlichen Willkür. Wie dieses aussieht, wird unten erklärt. Weil nun durch beide Ableitungsarten die einen Wörter ähnlich, die anderen unähnlich werden, haben hierüber Griechen und Lateiner viele Bücher geschrieben: Teils meinten dabei die einen, man müsse beim Sprechen die Wörter befolgen, die von ähnlichen Wörtern auf ähnliche Weise abgeleitet seien – das nannten sie Analogien –, hingegen meinten die anderen, das sei zu vernachlässigen: Eher müsse man der Unähnlichkeit folgen (die es im Sprachgebrauch gibt) – das nannten sie Anomalie. Ich hingegen glaube, wir müssen beides befolgen: Denn bei der willkürlichen Ableitung gibt es Anomalie und bei der natürlichen mehr Analogie. 24 Über die Ableitungen beider Art möchte ich zweimal je drei Bücher schreiben: die ersten drei über die Lehre von diesen Ableitungen, die späteren über die konkreten Auswüchse dieser Lehre. Von den ersten dreien wird dies das erste sein: Was man gegen die Ähnlichkeit in den Ableitungen sagt; das zweite, was gegen die Unähnlichkeit; das dritte: wie die Ähnlichkeiten aussehen. Was ich darüber herausgefunden habe, habe ich vor, in drei einzelnen Büchern, dann über das Andere in ebenso vielen Büchern zu schreiben und aufzuteilen. 2.4 Literarische und rhetorische Form der morphologischen Triade Das klingt nach einer trockenen Debatte, doch hat Varro zu einem lite­ra­ rischen Verfahren gegriffen, das die Entwicklung von Kontra- und Pro-These und den dazugehörigen Argumenten und Beispielen lebendig und nach­ vollziehbar macht:

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          Er hat Kontra- und Pro-These auf zwei Parteien von Sprechern aufgeteilt: auf die „Anomalisten“ und „Analogisten“; den beiden Parteien hat er Namen von griechischen Grammatikern und Philologen zugewiesen, die auch außerhalb Varros dafür bekannt waren, dass sie entweder die Anomalie in der Sprache nachgewiesen hatten oder vorwiegend mit dem Verfahren der Analogie als Philologen Texte der griechischen Dichter erklärt hatten. Als Hauptrepräsentanten der Anomalisten wählte er den stoischen Philosophen und Grammatiker Krates von Mallos (VIII 64), der in der 1. Hälfte des 2. Jhs. v. Chr. am Hofe der Attaliden in Pergamon forschte und lehrte;13 er hatte, so Varro, 6 Bücher über die Anomalie verfasst (IX 1). Seine Gegenpartei sind Grammatiker und Philologen, die sich in Alexandria seit dem 3. Jh. v. Chr. um die Edition und Interpretation der griechischen Dichter bemüht hatten: Aristophanes von Byzanz (* um 265 v. Chr.: X 68)14 und – eine Generation nach ihm – der bedeutende Grammatiker Aristarchos aus Samothrake, dessen Schüler (VIII 63). Eine unmittelbare fachliche Kontroverse zwischen Aristarchos und Krates bezeugt Varro explizit zu Beginn des IX. Buches (IX 1), nicht ohne polemischen Unterton. Freilich haben sich beide Seiten diese fachliche Kontroverse anhand griechischer Beispiele geliefert, wohl aber kaum mit der Heftigkeit, wie Varro sie vor allem in den Büchern VIII und IX erscheinen lässt; hier scheint Varro vieles künstlich, aber mit Absicht effektvoll aufgebauscht zu haben. Die Debatte zwischen den Vertretern beider Parteien hat er nämlich mit Polemik und rhetorischen Tricks gespickt: a.

          In den beiden komplementären Büchern VIII und IX lässt er seine beiden Parteien (die Anomalisten und die Analogisten) immer wieder die Gegenseite zu Antworten provozieren und verschärft von Argument zu Argument den Ton. Gerade die Anomalisten äußern sich zunächst behutsam: Nach dem ersten Argument (VIII 25) heißt es: analogiā … nihil … opus est (man braucht keine Analogie), darauf in VIII 27: nihil prōdest analogia (die Analogie nützt nichts), in VIII 38 gar kommt das vernichtende Urteil: Nōn est ergō analogia (also gibt es keine Analogie). Der Gipfel wird schließlich in VIII 41 erreicht: Impudentēs sunt, quī dīcunt esse analogiās (diejenigen, die behaupten, es gebe Analogien, sind unverschämt).

          b.

          Varro (bzw. seine literarische Figur, sein literarisches Ich) steigert sich auch im Satzbau gelegentlich in einen Rede- und Streitschwall mit Wiederholungen und unvollendeten Sätzen (Anakoluthen) hinein, wie z. B. inmitten der Attacke der Anomalisten:

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          VIII 31 Quod si quis duplicem putat esse summam, ad quas metas naturae sit perveniendum in usu, utilitatis et elegantiae, quod non solum vestiti esse volumus, ut vitemus frigus, sed etiam, ut videamur vestiti esse honeste; non domum habere, ut simus in tecto et tuto solum, quo necessitas contruserit, sed etiam, ubi voluptas retineri possit; non solum vasa ad victum habilia, sed etiam figura bella atque ab artifice ficta, quod aliud homini, aliud humanitati satis est – quodvis sitienti homini poculum idoneum humanitati nisi bellum parum – ; sed cum discessum est ab utilitate ad voluptatem, tamen in eo ex dissimilitudine plus voluptatis quam ex similitudine saepe capitur. VIII 31 Sollte freilich jemand glauben, es gebe ein zweifaches höchstes Ziel der Natur, zu dem man beim Gebrauch kommen müsse – nämlich Nützlichkeit und feinen Geschmack (ēlegantia) – (wir wollen ja nicht nur bekleidet sein, um der Kälte zu entgehen, sondern auch, um anständig gekleidet auszusehen; nicht ein Haus bewohnen, um unter Dach und Schutz zu sein, wohin uns die Not getrieben hat, sondern auch, wo man recht genießen kann; nicht nur Gefäße, die zum Bedarf taugen, sondern auch hübsch aussehende und von einem Künstler geformte: Denn das eine ist dem Menschen (homō), das andere dem gebildeten Geschmack (hūmānitās) genug – jedes beliebige Gefäß taugt einem dürstenden Menschen; dem gebildeten Geschmack nur, wenn es ausreichend hübsch ist – ; aber sobald man von der Nützlichkeit zum Genießen übergeht, bezieht man doch dabei oft aus der Unähnlichkeit mehr Genuss als aus der Ähnlichkeit. Dieser riesige Satz der Anomalisten wird hier gar nicht weiter bzw. zu Ende geführt – dadurch entsteht der Eindruck einer spontanen Verve der jeweiligen Partei, ja man meint sogar Varro beim mündlichen Diktieren einer längeren Passage zu erleben, die sein Sekretär (wenn er einen solchen hatte) gerade noch mitschreiben konnte. c.

          Gerade in Buch IX werden die Argumente der Anomalisten von ihren Gegnern mit weniger Polemik, aber vielen aufeinander folgenden rhetorischen Fragen entkräftet, deren Antwort im Grunde in der Frage­ stellung schon gegeben ist, z. B.:15 IX 24 Nonne in caelo, ut ab aequinoctiali circulo ad solstitialem et hinc ad septemtrionalem divisum, sic contra paribus partibus idem a bruma versum contraria parte? Non quantum πόλος superior abest a septemtrionali circuitu et is ad solstitium, tantundem abest inferior ab eo, quem ἀνταρκτικὸν vocant astrologi et is ad brumalem? Non, quemadmodum quodque signum exortum hoc anno: quod quotquot annis eodem modo exoritur?

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          25 Num aliter sol a bruma venit ad aequinoctium, ac contra, cum ad solstitium venit, ad aequinoctialem circulum et inde ad brumam? Nonne luna, ut ab sole discedit ad aquilonem et inde redit in eandem viam, sic inde fertur ad austrum et regreditur inde? Sed quid plura de astris, ubi difficilius reperitur, quid sit aut fiat in motibus dissimiliter? IX 24 Ist es nicht so am Himmel? Wie er vom Kreis des Äquinoctiums zur Sommersonnwende und von da zum nördlichen Kreis aufgeteilt ist, so dagegen in gleichen Teilen genauso von der Wintersonnwende auf der anderen Seite? Ist nicht der Nordpol vom nördlichen Kreis und dieser wiederum von der Sommersonnwende ebenso weit von dem entfernt, den die Astrologen „antarktischen“ nennen, und der wiederum zur Wintersonnwende? Geht nicht jedes Sternbild, das in diesem Jahr aufgegangen ist, alle Jahre auf die gleiche Weise auf? 25 Kommt etwa die Sonne von der Wintersonnwende zum FrühjahrsÄquinoctium anders, als wenn sie zur Sommersonnwende kommt, zum Äquinoktialkreis und von da zur Wintersonnwende? Bewegt sich nicht der Mond, so wie er von der Sonne nach Norden weicht und von dort auf denselben Weg zurückgeht, so von dort nach Süden und kehrt von dort wieder zurück? Aber was soll ich noch mehr von den Gestirnen sagen, wo es schwieriger ist, etwas zu finden, das in seinen Bewegungen unähnlich ist oder sich vollzieht? Von der Wirkung her ist dadurch jedenfalls insgesamt ein lebendiges und gelegentlich auch hinreißendes, virtuelles Wortgefecht zwischen beiden Parteien entstanden, verteilt auf zwei komplementäre Bücher: Das zu lesen ist durchaus amüsant, sicher aber nie langweilig; das muss varronische Absicht gewesen sein und könnte letztlich wohl auch dazu beigetragen haben, dass ein (spät-) antiker Redaktor genau diese drei Bücher aus der morphologischen Hexade ausgewählt hat.16 Über die Echtheit dieser Debatte ist in den letzten Jahrzehnten wiederum von deutschen Philologen eine heftige Kontroverse entstanden, die v. a. Detlev Fehling (1956 und 1957) mit der ernüchternden These angefacht hat, die Diskussion, so wie Varro sie in den Büchern VIII und IX darstellt, sei eine Erfindung Varros. Das dürfte in dieser Radikalität nicht stimmen: Zum einen reicht die Debatte um die „Analogie“ von den Alexandrinern bis zu Julius Caesar (sic!), der (wie 200 Jahre später Fronto schreibt17) im Feldlager des Gallischen Krieges, inter tēla volantia, mitten im Geschosshagel, zwei Bücher über De analogia verfasste, die er Cicero widmete.18

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          Zum anderen hat Fehling in seiner Kritik an Varros Darstellung „die … außervarronischen Zeugnisse vernachlässigt, nach denen ἀναλογία nicht die Anwendung einer Regel, sondern der Vergleich mit einer einzigen ähnlichen Form ist.“ (Siebenborn a. O. 69). Sicher hat Varro diese Schein-Debatte rhetorisch-stilistisch und dramatisch wirkungsvoll zugespitzt und an die Stelle griechischer Beispiele der griechischen Grammatiker lateinische gesetzt. Dass er die Debatte über Anomalie / Analogie auf zwei Parteien verteilte, entspricht aber der rhetorischen Praxis der disputātiō in utramque partem, der Erörterung nach beiden Seiten, die schon in der Antike eine „besonders für die Akademie charakteristische Unterart der dialektischen Methode“19 war und auch von Cicero in seinen Dialogen verwendet wurde, z. B. in De natura deorum, das etwa zeitgleich mit De lingua Latina entstand: Varro selbst hatte ja (wie Cicero) den akademischen Skeptiker Antiochos von Askalon als Lehrer und war in diesem Diskussionsverfahren geschult: So erwartet man es heute ja auch von Gymnasiasten, die im Zuge einer schriftlichen, dialektischen Erörterung ebenfalls Kontra- und Pro-Argumente vortragen müssen, ehe sie (wie Varro in Buch X) zu einer vermittelnden Synthese kommen, auch wenn sie keine konkreten Sprecher für ihre Argumente angeben müssen. Zu Beginn des X. Buches, das kompakt die „Theorie“ Varros selbst enthält, wirkt die Gegenüberstellung von Anomalie und Analogie denn auch abgeschwächt, der Ton ist eher ruhig: X 1 In verborum declinationibus disciplina loquendi dissimilitudinem an similitudinem sequi deberet, multi quaesierunt, cum ab his ratio, quae ab similitudine oriretur, vocaretur analogia, reliqua pars appellaretur anomalia. De qua re primo libro, quae dicerentur, cur dissimilitudinem ducem haberi oporteret, dixi. Secundo, contra quae dicerentur, cur potius similitudinem conveniret praeponi. Χ 1 Soll die Redeschule bei der Ableitung von Wörtern Unähnlichkeit oder Ähnlichkeit befolgen? Diese Frage haben viele gestellt; denn die Regel, die aus der Ähnlichkeit entsteht, wird von ihnen „Analogie“, der Rest „Anomalie“ genannt. Darüber habe ich im ersten Buch gesprochen: Was man dazu sagt, weshalb man sich von der Unähnlichkeit leiten lassen soll. Im zweiten (sc. habe ich gesprochen), was dagegen vorgebracht wird, weshalb es passender ist, die Ähnlichkeit vorzuziehen.

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          XVIII

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          Zu unserer Interpretation hinzu kommt ein wichtiges Fragment aus Buch III (Frg. 1), dessen Bedeutung erst im Kontext der morphologischen Triade erkennbar wird: Es steht, wenngleich auch nicht fehlerfrei überliefert, im Vergilkommentar des spätantiken Philologen Servius zu einem Vers aus dem XII. Buch der Aeneis (Serv. Dan. 12, 139). Der Vergilvers enthält die Formen (Nom.) dīva 'die Göttin' und (Akk.) deam nebeneinander: Buch III Frg. 1: Varro ad Ciceronem tertio: „Ita respondeant cur dicant deos, cum omneis1 antiqui dixerint divos2. Varro im dritten Buch, das Cicero gewidmet ist: „So sollen sie antworten, warum sie die Götter (sc. im Akk.) deos nennen, während alle Alten dazu deivos gesagt haben.“ Die etymologische Thematik dieses Fragments sei hier ausgeklammert; für die Bücher VIII-X ist es aber insofern bedeutsam: Auch hier ist eine Gruppierung von Individuen angesprochen, die auf etwas antworten soll (respondeant), was sie offenbar vorher (nämlich im II. Buch) in Frage gestellt hatte. Der ganze Duktus dieses Fragments entspricht jenem Disputationsstil, der in den morphologischen Büchern VIII und IX immer wiederkehrt: Da Servius als Fundort des Fragments das III. Buch von De lingua Latina angibt, entstammt es der Debatte, in der (sicher mit Pro-Argumenten) die Konzeption Varros zur Etymologie verteidigt werden sollte, wie es in Buch IX die Verteidiger seiner Konzeption der dēclinātiō tun, hinter denen im Grunde natürlich er selber steckt. Die beiden großen Themenblöcke (II-IV und VIII-X) waren also auch von der literarischen Form her symmetrisch strukturiert. Heute scheint die Debatte über Authentizität oder Fiktionalität von Varros Kontroverse freilich nahezu „passé“ – so Schenkeveld in seinem Überblick über die Erforschung der antiken Sprachwissenschaft.20 2.5 Varros Konzept der Ähnlichkeiten und sein mathematisches Modell Entscheidend für die Interpretation und Beurteilung des Linguisten Varros ist indes das X. Buch von De lingua Latina.21 Im letzten Buch dieser „theoretischen“ Triade geht es Varro primär darum, ein Instrumentarium zu entwickeln bzw. vorzustellen, mit dem sprachliche Regularität fassbar und darstellbar ist. Da er die Regularität als System von Ähnlichkeiten (similitūdinēs) auffasst, braucht er ein Modell, um diese 1 omnibus: < de > omnibus Thilo omnis Commelinus; omnes Masvicius, Wilmans; scripsi. 2 divos : divos scripsi, cf. zu VI 61 dieser Ausgabe Band I.

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          Ähnlichkeiten genauer zu fassen. Diese bestimmt er als Analogie zwischen verschiedenen Entitäten und findet sie zunächst in der nichtsprachlichen Außenwelt (X 37 f.), z. B. im Verhältnis des Aussehens von (eineiigen) Zwillingen oder im numerischen Verhältnis von Münzen (X 38): Wie sich ein As zum Halbas verhält, so beim Silbergeld das Pfund zum Halbpfund. Er geht nun über zum abstrakten Verhältnis von Zahlenrelationen: Die Zahlen 1:2 verhalten sich wie 10:20 (X 41). Dieses stellt er als Kombination von waagrechten und senkrechten Spalten dar (X 43): 1 10 100

          2 20 200

          4 40 400

          Die Übertragung auf sprachliche Gegebenheiten gelingt ihm bei den Adjektiven: Ausgehend vom Nom. Sing. Mask., siedelt er auf der waagrechten Ebene die Kasus, auf der senkrechten die Genera an (X 44): (Nom. Mask.) albus (Dat.) albō (Gen.) albī (Nom. Fem.) alba (Dat.) albae (Gen.) albae (Nom. Neutr.) album (Dat.) albō (Gen.) albī Mit dieser Anwendung eines mathematischen Modells auf das linguistische Problem der Analogie ist Varro im Übrigen – nach Taylor (1996) 10 – der erste und einzige antike Sprachwissenschaftler, der so verfährt.22 Er benutzt das Modell ja, ebenso wie sein übergeordnetes Konzept der Analogie, um sprachliche Regularität zu beschreiben (X 2): Hierbei erweist er sich als echter Linguist und setzt sich klar von seinen griechischen Vorläufern ab (Taylor [1996] 12), was er in X 75 auch andeutet. 2.6 Varros Definition der Analogie und der Ähnlichkeit Wie er die sprachliche Analogie definiert, sagt er kurz in X 74: X 74 Analogia non item ea definienda, quae derigitur ad naturam verborum, atque illa, quae ad usum loquendi. Nam prior definienda sic: Analogia est verborum similium declinatio similis, posterior sic: Analogia est verborum similium declinatio similis, non repugnante consuetudine communi. Ad quam harum duarum ad extremum si additum erit hoc „ex quadam parte”, poetica analogia erit definita. Harum primam sequi debet populus. Secundam omnes singuli e populo. Tertiam poetae.

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          74 Die Analogie, die sich nach der Natur der Wörter ausrichtet, ist nicht ebenso zu definieren wie jene, die sich auf den Gebrauch im Sprechen ausrichtet. Denn die erstere ist so zu definieren: „Analogie ist die ähnliche Ableitung ähnlicher Wörter“, die letztere so: „Analogie ist die ähnliche Ableitung ähnlicher Wörter, ohne dass der allgemeine Sprachgebrauch dagegen spricht.“ Wenn man ans Ende dieser beiden Definitionen hinzufügt: „in bestimmter Hinsicht“, dann wird auch die Analogie in der Dichtersprache definiert sein. Die erste Analogie muss das Volk befolgen. Die zweite jeder Einzelne aus dem Volk. Die dritte die Dichter. Das klingt so, als ginge es Varro darum, normierend zu wirken, also Unregelmäßiges auszusondern und die Sprache zu reinigen, doch zeigt der folgende Zusatz, dass es für Varro eine Konstituente gibt, die der Ähnlichkeit im Wege stehen kann, nämlich den tatsächlichen Sprachgebrauch, die cōnsuētūdō: X 78 Adiectum est „non repugnante consuetudine communi”, quod quaedam verba contra usum veterem inclinata patietur, ut passa Hortensium dicere pro haec cervices cervix, quaedam non, ut si dicas pro fauces faux. 78 Hinzugefügt ist „ohne dass der allgemeine Sprachgebrauch dagegen spricht“, weil dieser manche Wörter, die entgegen der Tradition flektiert sind, akzeptiert: So hat er akzeptiert, dass Hortensius cervīx im Nominativ statt (sc. der Pluralform) cervīcēs sagte, manches aber nicht, wie wenn man statt faucēs, Rachen, (sc. eine Singularform) faux sagen wollte. Varro will also offensichtlich dem Verdacht entgegentreten, dass er – als Grammatiker – jene Formen ausmerzen möchte, die unregelmäßig gebildet sind: Das Korrektiv für die Sprachrichtigkeit, die bei den alexandrinischen Grammatikern noch einen hohen Stellenwert hatte, ist für ihn aber eben nicht nur die mechanische Bildung analoger Formen, die sich in einem starren Deklinationssystem darstellen lassen, sondern eben auch die Akzeptanz bestimmter Formen durch den Sprachgebrauch; besondere Freiheiten hierbei weist er den Dichtern zu (s. o. zu X 74) oder, wie im eben vorgestellten Beispiel, einem so prominenten Redner wie Hortensius, der die entsprechende auctōritās besitze.23 Die wesentliche Leistung Varros, die sich aus der erhaltenen morphologischen Triade somit erschließen lässt, ist die Entdeckung des Paradigmas als Beschreibungs- und Ordnungssystem in der Sprache und die Formulierung seiner theoretischen Grundlagen. Die Flexionstabellen, die heute jede Schulgrammatik enthält und die den Lateinschülern als Orientierung dienen,

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          gehen damit indirekt auf Varros System der similitūdinēs und sein Konzept der Analogie zurück. 2.7 Weitere linguistische Leistungen Varros in Buch X Sein theoretisches und methodisches Vorgehen im Ringen um die Beschreibung der Regeln, die sich in der Deklination von Nomina und Verben zeigen, offenbart aber noch weitere linguistische Leistungen, die ihm als Linguisten einen herausragenden Rang zuerkennen lassen.24 Die wichtigsten Punkte – v. a. nach der Darstellung von Taylor (1996) S. 21: die „Highlights“ – dürften folgende sein: • •



          • • •

          Er entdeckt und arbeitet Deklinationen und Konjugationen im Nominalund Verbalsystem als Erster heraus. Er entdeckt den Faktor der grammatischen Substanz eines Wortes, die er māteria bzw. rēs nennt (IX 52, X 11 u. ö.), und deren Bedeutung für die Analogie und die Grammatik insgesamt. Er führt für das lateinische Verbum die Kategorie des Aspekts (dīvīsiō: IX 96) ein, mit der er den progressiven und perfektiven Aspekt erfassen konnte. Er erkennt das Futur II (Perfektfutur) als eigene Kategorie (IX 99 und X 48). Er kategorisiert das Verbum nach sechs speciēs, einer Mischung aus Modi und Sprechakten (X 31).25 Er teilt die Wortarten nach dem Vorhandensein oder Fehlen der Merkmale 'Kasus' und 'Tempus' ein (X 17) und nicht nach logischsemantischen Kategorien.

          Das alles führte dazu, dass Daniel Taylor (1996) 10 gar summarisch von einer „Varronian Revolution in Linguistics“ sprechen konnte. 2.8 Varros „Quellen“ Die Frage, welche Herkunft die lateinischen Wörter – in Prosa und Dichtung – haben, war Varros Thema in den etymologischen Büchern II-VII gewesen; innerhalb dieser Hexade hatte er zu Beginn des V. Buches (V 9) zwei verschiedene Richtungen einander gegenübergestellt: die philosophische Betrachtung des Wesens der Dinge – als Autorität dafür hatte er den Stoiker Kleanthes v. Assos angeführt – und die grammatische Analyse, wofür er den alexandrinischen Grammatiker Aristophanes von Byzanz als Autorität zitiert hatte; dass er selbst – als gebildeter Grammatiker und philosophisch denkender

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          Römer – nicht nur eine Synthese aus dieser Opposition bilden, sondern, ausgestattet mit dem Wissen des Historikers und Antiquars und als Schüler seines Landsmanns Aelius Stilo, darüber hinaus einen Fortschritt schaffen würde, dessen war er sich stolz bewusst (V 8). Eben die personale Antithetik von Philosophie und systematischer Grammatik zeigt Varro nun auch in der morphologischen Triade, und zwar zu Beginn von Buch IX: Hier nennt er wiederum (s. o. 2.4) den Alexandriner Aristophanes als einen Bezugspunkt, als dessen Kontrahenten hingegen einen anderen Grammatiker, Krates von Mallos, der sich wiederum auf den literarisch wirkungsmächtigsten Stoiker Chrysippos von Soloi gestützt habe (IX 1): Krates habe immerhin sechs Bücher über die Anomalie verfasst, während Varro die Publikationsmenge der systematischen alexandrinischen Grammatiker nicht nennt. Immerhin wird aus der analogistischen Triade deutlich, dass schon bei den Griechen eine lebhafte Debatte zwischen den „Analogisten“ und den (philosophisch geprägten) „Anomalisten“ geherrscht hatte; das philologische Bemühen um die richtigen Lesarten der großen griechischen Texte, die von den Alexandrinern herausgegeben und kommentiert worden waren, hatte seinerzeit sicher die Diskussion um die Sprachrichtigkeit bestimmt. Hatte nun Varro – entsprechend seinem etymologisierenden Lehrer Aelius Stilo für die erste Hexade von De lingua Latina – als Analogist innerhalb Roms ein Vorbild oder einen Bezugspunkt? Eine Passage aus dem X. Buch, bislang wenig beachtet,26 weist die Spur: X 9 Quare: Quae et cuius modi sunt genera similitudinum ad hanc rem, perspiciendum ei, qui declinationes verborum proportione sintne, quaeret. Quem locum, quod est difficilis, qui de his rebus scripserunt, aut vitaverunt aut inceperunt neque adsequi potuerunt. 9 Wer daher fragt, ob die Ableitungen der Wörter „entsprechend“ (prōportiōne) sind, muss durchschauen, welche Arten von Ähnlichkeiten es zu diesem Gegenstand gibt und wie sie aussehen. Dieses Thema haben (weil es schwierig ist) diejenigen, die über diese Gegenstände geschrieben haben, entweder gemieden oder begonnen und nicht fertigstellen können. Kaum eine Stelle aus den analogistischen Büchern spiegelt so sehr das Selbstverständnis Varros wie dieser Passus wider. Wem es da aber nicht vergönnt war, das Thema abschließen zu können, das verschweigt Varro, fast pietätvoll. Dabei hatte er doch im Grunde einen prominenten Bezugspunkt, der zur Zeit der Abfassung von De lingua Latina der mächtigste Mann Roms war: Cäsar selbst.

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          Der Biograph Suetonius Tranquillus (um 100 n. Chr.) berichtet in seiner Cäsarvita (56,5): Als Cäsar nach Abhaltung der Kreistage (conventibus perāctīs) zu seinem Heer ins jenseitige Gallien wieder zurückkehrte, habe er in trānsitū Alpium, also beim Alpenübergang, zwei Bücher De analogia verfasst.27 Diese sind zwar nicht erhalten, doch finden sich von Ciceros Brutus (253) über Gellius bis zu den römischen Grammatikern insgesamt 30 Fragmente aus diesem kleinen Werk.28 Von diesen befassen sich, soweit sie sicher lokalisierbar sind, die meisten mit grammatischen Einzelfragen wie der Flexion von lacer 'zerfetzt' (Frg. 6), turbō 'Wirbelwind' (Frg. 7) oder der Deklination von diēs 'Tag' (Frg. 9). Überschneidungen mit Varros eigener Forderung nach richtigem Pluralgebrauch finden sich in Cäsars Frg. 3 (inimīcitiae, nicht inimīcitia, vgl. X 73, und quadrīgae, nicht quadrīga, vgl. X 67). Es fällt auch auf, dass Varro Cäsar in den morphologischen Büchern an keiner Stelle, nicht einmal in Form einer Anspielung, erwähnt.29 An Zufall mag man nicht denken; die Beziehung Varros zu Cäsar scheint ja von gegenseitiger Achtung geprägt gewesen zu sein: Varro hatte sein großes Werk Antiquitates rerum humanarum et divinarum unmittelbar vor Beginn seiner Arbeit an De lingua Latina Cäsar selbst gewidmet; dieser wiederum hatte Varro zum Leiter seiner geplanten Bibliothek ernannt (Dahlmann [1935] 1178), zu deren Gründung es aber nicht mehr kam. Warum bezieht sich Varro nicht wenigstens in seinen morphologischen Büchern auf Cäsar? Wenn er dies nicht in der verlorenen Triade XI-XIII nachgeholt haben sollte, so könnte das mit Varros Respekt oder Vorsicht gegenüber dem damaligen Herrn Roms erklärbar sein; es könnte damit zusammenhängen, dass Cäsars kleine Schrift Cicero gewidmet war und eben nicht Varro; es könnte aber, je nach dem Datum der Publikation von De lingua Latina, auch mit den politischen Wirren nach Cäsars Tod zu tun haben. Jedenfalls war das Thema „Analogie“ in Rom mit Cäsars kleiner Publikation vorbereitet, vielleicht sogar die Debatte durch dessen Autorität erst richtig eröffnet. Da nun die Cäsarfragmente (GRF 2-28 Funaioli) auch keine intensive theoretische Grundlegung der Analogie erkennen lassen, wie es Varros morphologische Triade hingegen bietet, gewinnt die oben bereits (2.2) zitierte Formulierung zu Beginn des X. Buches ein größeres Gewicht: X 1 Quarum rerum quod nec fundamenta, ut debuit, posita ab ullo, neque ordo ac natura, ut res postulat, explicita, ipse eius rei formam exponam. Da noch keiner so, wie es nötig gewesen wäre, die Grundlage für diese Fragen gelegt noch ihre Reihenfolge und ihr Wesen, wie die Sache es erforderte, erklärt hat, möchte ich selbst diesen Gegenstand umreißen.

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          Varro erhebt also – wie schon in der Einleitung zu den „praktischen“ etymologischen Büchern (V 9) – deutlich den Anspruch, über die Vorgänger hinauszugehen: Er sieht und betont den Fortschritt in seiner linguistischen Abhandlung, vor allem, was die Theorie betrifft. Das hat er zwar bescheiden formuliert, aber für den sorgfältigen Leser seiner Zeit war es doch eigentlich nicht zu übersehen. 2.9 Nachwirkung von Varros „Morphologie“ Welche Nachwirkung hatten die morphologischen Bücher von De lingua Latina? Das ist schon alleine deshalb schwer zu bemessen, weil der eigentliche Teil, nämlich die „praktischen“ Bücher XI-XIII, mit Ausnahme weniger Fragmente30 verloren sind. Vermutlich war Varro selbst daran schuld, dass das Opus magnum von De lingua Latina bei den Späteren so wenig Spuren hinterließ: Er verfasste nämlich nicht nur – in neun Büchern – eine Kurzfassung des Werks, die Epitome de lingua Latina (von ihr ist nur der Titel bekannt), sondern ein fünf Bücher umfassendes Opus De sermone Latino, das einem gewissen Marcellus gewidmet war.31 Zudem schrieb er auch ein großes Werk Disciplinae, in ebenfalls neun Büchern, wo jede Wissenschaft (ars) in einem eigenen Buch dargestellt wurde,32 also neben dem Trivium Grammatik, Rhetorik und Dialektik die Geometrie, Arithmetik, Astrologie, Musik und auch Medizin und Architektur. Vermutlich wurde diese Gesamtdarstellung der artēs erst ein Jahrzehnt nach De lingua Latina verfasst, so dass Varro, dann wohl immerhin schon ein Achtzigjähriger, vieles aus De lingua Latina in das erste Buch der Disciplinae, die Behandlung der Grammatik, übernehmen konnte. In der Flexionslehre der römischen Schulgrammatik hat diese ars grammatica Varros, wohl aber eben nur diese, Spuren hinterlassen, deren Ausmaße nur mit Mühe messbar sind.33 Karl Barwick hat aus späteren grammatischen Werken die „Grammatik“ des Remmius Palaemon rekonstruiert, der ca. 100 Jahre nach Varro Lehrer des Rhetoriklehrers Quintilian war. In diese Grammatik Palaemons scheinen größere Teile Varros eingeflossen zu sein. Denn die Neuerung, die Varro durch seine Flexionslehre in die römische ars grammatica eingeführt hatte, „konnte von der Schulgrammatik nicht übersehen werden und scheint eine starke Überarbeitung derselben hervorgerufen zu haben“.34 War letztlich die Länge von De lingua Latina der Grund dafür, dass das 25 Bücher umfassende Werk in der Folge so wenig rezipiert wurde? Es dürfte jedenfalls die Entscheidung eines spätantiken Philologen gewesen sein, zwei inhaltlich selbständige Triaden, nämlich die drei Bücher über die Etymologie (V-VII) und die drei Bücher über die Theorie der Analogie

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          (VIII-X) zusammenzufassen; vielleicht geschah dies zeitlich an der materiellen Schnittstelle zwischen Papyrus und Codex. Weshalb sich der Unbekannte auf die Bücher V-X beschränkte, bleibt ein weiteres Rätsel der Vergangenheit. Dass auch diese wiederum nur mit starken Beschädigungen auf uns gekommen sind, hat immerhin Phantasie und Forschung ganzer Philologengenerationen provoziert. Als Linguist jedenfalls ist Varro im Kontext der römischen Grammatik einzigartig. Es mag sein, dass gerade sein ungewöhnlicher linguistischer Ansatz – sowohl im Bereich der Etymologie als auch in der Morphologie – von seinen Zeitgenossen und Nachfolgern in seiner Tragweite nicht recht erkannt wurde: War der Senior Varro, der erst als Siebzigjähriger mit der Formulierung von De lingua Latina begonnen haben dürfte, für seine Zeitgenossen und Nachfolger sogar zu modern? Weitere Fragen stellen sich, lassen sich aber kaum beantworten: Weshalb hat Varro keine Schule mit einem Schülerzirkel gebildet, die das Wissen und die Ideen des Meisters weiter verfolgt und seine Tradition incl. der Abschriften in Ehren gehalten haben? Haben die Wirren des Bürgerkriegs, in denen Varro fast seine gesamte Bibliothek verlor, ihn zu einem isoliert schreibenden Forscher gemacht, der in recessū gearbeitet hat? Wie auch immer: Für uns Heutige hat Varro jedenfalls, so will es scheinen, an Frische nichts verloren, wenngleich ihm sowohl sein sperriger Stil (s. Vorwort I Kap. 4) als auch die Unbilden der Überlieferung mehr Patina verleihen, als er verdient hätte. 3. Gliederung der Bücher VIII-X Dem besseren Überblick über die Bücher VIII bis X sollen die folgenden Übersichten über ihren Aufbau und Inhalt Gliederung dienen. 3.1 Die Bücher VIII und IX 3.1.1 Buch VIII 1-23: Gesamteinleitung für die Bücher VIII-XIII: 1: Überleitung von der etymologischen Hexade 2: Übersicht über die Darstellung der Grundlagen der dēclinātiō 3-8: Theorie der dēclinātiō I: das „Warum“ (cūr): 3: Kulturhistorische Begründung der dēclinātiō 4: Linguistische Begründung 5-6: Unterscheidung der zwei Arten von dēclinātiō 7-8: Die Sprachschöpfer und die dēclinātiō

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          9-12: Theoretische Klärung I: 9-10: Die Wortarten: Unterscheidung der Declinabilia und Indeclinabilia 11-12: Die Redeteile und ihre Attribute (Adjektiv und Adverb) 13-20: Theorie der dēclinātiō II: das „Wohin“ (quō): 13-15: Die nōmina und ihre Ableitungen 16: Die Kasus des Lateinischen 17: Ableitungen zum Ausdruck der Steigerung (incrēmentum) 18-19: Prinzipien der (etymologischen) Ableitung von Nomina 20: Grundlagen des Verbums: Tempora und Personen 21-23: Theorie der dēclinātiō III: das „Wie“ (quemadmodum): 21-22: Die dēclinātiō voluntāria und nāturālis 23: Analogie und Anomalie als Thema bei Griechen und Römern 24-25: Übersicht über die Bücher VIII-X und XI-XIII 26-43: Allgemeine Argumentation gegen die Analogie Metathese (oft wiederholt): Es gibt keine Analogie in Welt und Sprache. 26-32: These I: Nützlichkeit und feiner Geschmack sind Prinzipien des Lebens. 26-27: Nützlichkeit in der Rede steht über der Analogie. 28-29: Nützlichkeit im Alltag hat Vorrang gegenüber der Ähnlichkeit. 30: Auch in der Sprache herrscht die Nützlichkeit. 31-32: Der feine Geschmack bedient sich der Unähnlichkeit. 33: Fazit: Der Sprachgebrauch (cōnsuētūdō) braucht keine Analogie. 33-43: These II: Die Ähnlichkeit hat ihre Grenzen und Schwächen. 34-36: Ähnliche Wörter erzeugen nicht immer Ähnliches. 37: Mehr Wörter haben Unähnlichkeit. 38: Nur teilweise Ähnlichkeit reicht nicht. 39-41: Die Ähnlichkeit ist ungenügend definiert. 42-43: Für die Beurteilung der Ähnlichkeit darf nichts Äußeres herangezogen werden.

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          44-46: Theoretische Klärung II: Redeteile, Wortarten, Genus/Numerus/ Kasus These III: Bei den partēs appellandī (Nomina) gibt es keine durchgehende Analogie. . 47-57 Die Nomina: 47-49: Argument I: Allgemeine Unähnlichkeit bei Genus/ Numerus/Kasus 47: Unähnlichkeit beim Genus 48: Unähnlichkeit bei den Numeri 49: Unähnlichkeit bei den Kasus 50-57: Argument II: Spezielle Unähnlichkeit bei den nominalen Wortarten: 50-51: Unähnlichkeit bei den Pronomina (articulī) 52-62: Unähnlichkeit bei den nōminātūs (EN + Gattungsnamen) 52: Grundlagen: Formen der Ableitung bei den Substantiva 53-55: Unähnlichkeit bei den Benennungen: 56: Unähnlichkeit bei den Eigennamen (nōmina) 57: Unähnlichkeit bei den Nomina agentis 58-60: (Bruch bzw. Zwischenblock: Die Verba I) 58: Unähnlichkeit bei den Partizipien (participia) 59: Unähnlichkeit bei den Deponentia 60: Unähnlichkeit bei den Iterativa/Frequentativa 61-62: Unähnlichkeit bei Komposita aus Substantiv + Verb 63-74 Argument III: Unähnlichkeit bei den Kasus 63: Fehlende Kasus bei etlichen Wörtern 64-65: Ungleiche Behandlung von nichtlat. Buchstaben- u. Eigennamen 66-71: Unterschiedliche Bildung von Kasusendungen bei Substantiva 72: Unterschiedliche Silbenlänge bei ähnlich klingenden Subst. 73-74: Diskrepanz im Gen. Pl. bei ähnlichen Substantiva 75-79: Argument IV: Unähnlichkeit bei Adjektiva (Komparation/ Deminutivbildung) 75: Unregelmäßige Komparation bei bonus etc. 76: Fehlende Steigerungsformen 77: Unregelmäßige Superlativformen 78: Inkonsequenz beim Genus der Superlativformen

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          Einleitung

          79 Fazit: Es dominiert der Sprachgebrauch, nicht die Analogie. 80-84 Argument V: Unähnlichkeit bei der Wortbildung von Eigennamen < Theorie der Verben: Rückgriff auf Kap. 20 und Erweiterung; verloren > < These IV : Auch bei den Verben gibt es keine durchgehende Analogie: Verloren außer dem Zitat bei Gellius II 25,5 > < Schluss und Übergang zu Buch IX: verloren > 3.1.2 Buch IX < Anfang verloren, s. die Lücke am Ende von Buch VIII. Auf Fol. 22 r. sind 16 Zeilen dafür frei gelassen > 1-6: Vorbemerkung: Kritik an den Anomalisten, speziell an Krates, der 6 Bücher über die Anomalie verfasst habe und sich zu Unrecht auf Chrysippus berufe. 2: Sprachgebrauch und Regel (ratiō) liegen nicht so weit auseinander. 3: Keines von beiden Prinzipien darf zurückgewiesen werden. 4-6: Theoretische Klärung I: Es gibt drei Gegensatzpaare: nātūra und ūsus / multitūdō und fīnis / populus und singulī. 6: Hinwendung an den Leser: sī animadvertēs, intellegēs etc. < kleine Lücke > 7: Übersicht über den Plan von Buch IX 8-35: Allgemeine Argumentation gegen die Anomalisten Meta-These: Es gibt Analogie neben der Anomalie, in Welt und Sprache. These I: Wer den Sprachgebrauch befolgt, tut das nicht ohne Regel (ratiō). 9: Argument: Nennwörter und Verben liegen im Sprachgebrauch. Wer Fehler korrigiert, braucht dazu eine Regel. Beispiel: Triklinium → Fehler in der Rede. 10-12: Erklärung: Es gibt Fehler in der dēclinātiō bei falscher Aufnahme von Wörtern und falschem Gebrauch. Beispiele: Hinkender Junge und die griech. Maler.

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          12-16: Klarstellungen: • Aristophanes ging es um die Richtigkeit (vēritās). • Neuerungen kosten Widerstand. Beispiele: Militär, Schüler und Ammen/Säuglinge 16-18: Vorgezogenes Argument zu These II: Fehler im Sprachgebrauch lassen sich ausmerzen. These II: Der Sprachgebrauch ist in Bewegung. 18: Beispiel: Lysippus richtete sich nach der ars. 19: Forderung I: Verlorenes darf wieder ersetzt werden. 20-22: Forderung II: Neue und reguläre Wörter sind aufzunehmen. Beispiele: Kleidung / Gefäßformen / Sklavennamen / Schmuck. These III: Analogie gibt es auch in der kosmischen Welt. 24-25: Beleg I: Der Jahreskreis und die Sternbilder verlaufen regelmäßig. 26-27: Beleg II: Gezeiten und Aussaat haben einen festen Rhythmus. 27: Beleg III: Die Erdteile haben ähnliche Teile. 28-29: Argument I: Die Natur erzeugt gleiche Nachkommen (+ Beispiele). 30: Argument II: Harmonie / gleichmäßige Einteilung herrscht in • der menschlichen Seele und • der Sprache. 31: Beleg IV: Griechisch und Lateinisch sind gleich strukturiert. 32

          Argument III: Das Lateinische ist systematisch aufgebaut: Beleg I: je drei Tempora, Personen und 'Modi' (ohne t. t.). Beleg II: Innerhalb dieser drei ist alles analog.

          33 Meta-These aus 2 (Wiederaufnahme): Analogie besteht in der Natur neben der Anomalie. Beleg: Verstümmelte Tiere und Menschen. 34: Theoretische Klärung II: dēclinātiō nātūrālis und voluntāria.

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          XXX

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          35: Es herrscht Gleichmäßigkeit in der natürlichen Ableitung, aber es gibt Ungleichmäßigkeit in der willkürlichen Ableitung. 36: Gliederung II: Widerlegung der einzelnen Teile der Vorwürfe der Anomalisten. 37: Theoretische Klärung III (Hinwendung an den Leser: animadvertitō!): Vierfaches Schema: rēs – vōx – ūsus – similitūdō figūrae. 38-39: Beispiele zur Erläuterung dafür – aus Sprache und Welt. Teil II: Zurückweisung der Einzelvorwürfe < These: fehlt > 40: Klärung des Bereichs der Ähnlichkeit: von der Lautform (vōx) her. (→ VIII 40) 41: Klärung des Begriffs virīle vom Pronomen her. 42-44: Klärung der Analogie: Es müssen auch andere Kasusformen herangezogen werden. (→ VIII 42) Argument I: Analogie auch in Teilen reicht für deren Existenz. (→ VIII 37) 46-47: Argument II: Abwechslung (varietās) erfreut im Leben. (→ VIII 31) Beispiele: Kleidung, Spielbretter, Betten, Kissen.



          45:

          Argument III: Nützlichkeit (als Grund für Einführung der Rede) spricht nicht gegen Anwendung der Ähnlichkeit. (→ VIII 28) 49-50: Weitere Klärung des Begriffs der Analogie: (→ VIII 54) • Unterscheidung von Verbformen • Analogie nicht bei Ableitung in den Nominativ! 51-52: Gegenargument: Buchstabennamen sind ein ungeeignetes Beispiel. (→ VIII 51 f.) 53: Gegenargument: Nomina müssen nicht immer ein gleiches Pendant haben. (fehlt in VIII) 54: Klärung: Es gibt Nomina mit festem Gen.-Attribut, wo das vorangehende Subst. gebeugt wird, z. B. nihilī. (fehlt in VIII)

          48:

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          Einleitung



          XXXI

          55-58: Gegenargument: Nicht jedes Nomen muss drei Genera haben. (→ VIII 55) 59-61: Beispiel: EN von Göttern, Sklaven und Eigennamen.

          62: Zwischenthese: Anomalisten beseitigen die Analogie zu Unrecht: 63: Argument: Basis für die Analogie ist die Natur. Beispiele: Gemüse, Pferde, Musen, Zweispänner. 65-69: Vertiefung des Gegenarguments: Nicht alle Nennwörter brauchen ein Pendant im Singular oder Plural. (→ VIII 48) Beispiele: Pluralia tantum, Singularia tantum.





          70 71:

          Gegenargument: Nicht alle Nomina müssen alle Kasus haben. Begründung: Basis dafür ist die Natur. Klärung: Schwankungen bei Einzelfällen (Gladiatorentruppen) entziehen sich der Analogie.

          72-74: Adjektiva: Steigerung und Deminutiva: (→ VIII 75-79) Gegenargument: Steigerungsfähigkeit hängt von der Natur ab. Weitere Einzelphänomene / Unregelmäßigkeiten bei Nomina: 75-80: Nomina ohne Casus rectus bzw. obliquus: • Einige Kasusformen sind zu selten, • andere sind historisch verunklart. • Baumnamen werden im Plural falsch gebildet. Zahlen und Geld: 81-85: Argument I: Bezeichnungen für Geld haben eine Ähnlichkeit. 86-88: Argument II: Analogie gibt es bei den Zahlen.

          89-90: Klärung des Phänomens der Homonymie und Synonymie. 91-94: Weitere Klärung des Begriffs der Ähnlichkeit: Man darf nicht nur vom Äußeren ausgehen: Gegenargument zu den Vokativen (→ VIII 68) 95-101: Verben (fehlt in VIII, sicher in der Lücke nach VIII 84): 95: Klärung der vier Dimensionen Tempus, Person, Genus verbi, Aspekt (dīvīsiō)

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          XXXII

          Einleitung

          96-110: Gegenthese: Es gibt Ähnlichkeit bei den Verben. 96-101: Argument I: Es gibt sie innerhalb der Aspektebene. 102-103: Argument II: Es gibt sie innerhalb der Klassen. 104: Klärung: Vokallänge (pluit/plūit) ist ein Kriterium für Ähnlichkeit. 105-107: Argument III: Auch beim Genus verbi gibt es Analogie. 108-109: Klärung: Beim Vergleich der Präsensformen muss das Perfekt beachtet werden. 110:

          Partizipien: Argument: Das Genus verbi ist zu berücksichtigen.

          Generelle Schlussklärungen: 111-112: Gegenargument: Fehlende Übereinstimmung der Grammatiker oder der Sprecher ist kein Argument gegen die Analogie. 113: Schlusszusammenfassung: Die These der Anomalisten ist falsch. Schlussargument I: Es gibt Anomalie und Analogie auch in der Natur. 114: Schlussargument II: Es gibt einen Konflikt zwischen dem Einzelnen und dem Sprachgebrauch der Gesamtheit. 115:

          Überleitung zu Buch X.

          3.2 Buch X 1

          Einleitung: Rückblick auf Buch VIII und IX Rechtfertigung der Behandlung: Fehlende theoretische Grundlegung durch die Vorgänger.

          2

          Hauptthemen der dēclinātiōnēs verbōrum: (1) die Ähnlichkeit (das simile) (2) die Regel (ratiō) (3) die Analogie (prōportiōne) (4) die Rolle des Sprachgebrauchs (cōnsuētūdō).

          3-5 (1) Die similitūdō: Definition mit Beispielen aus der Außenwelt 6 Präzisierung der Ähnlichkeit: ähnlich in einem bestimmten Teil 7-8 Übertragung auf die Sprache: ähnlich nach bestimmten Merkmalen Beispiele: suis (Homonymie); nemus / lepus

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          Einleitung

          XXXIII

          9-10 Abgrenzung von griechischen Grammatikern



          11

          Einführung der Begriffe māteria (grammatische Substanz) und figūra māteriae (phon. Struktur) 12-13 Eingrenzung der Ähnlichkeit / duplex und perfecta similitūdō

          14-17 Dichotomische Einteilung der Wörter (dīvīsiō): 14: Indeklinabilia / Deklinabilia 15 f.: Wortbildung und Flexion (dēclinātiō voluntāria / nāturālis) 17: +/- Vorhandensein der Merkmale Kasus und Tempus 18 Einteilung der Wörter mit Kasus: - Nomina (nōminātūs) und „Artikel“ (articulī = Demonstrativpronomen) - Bestimmte und unbestimmte (+/- fīnītum) 19 Probleme der Analogie bei den articulī 20 Einteilung der Nomina: vocābulum (Nennwort) / nōmen (Eigennamen) Die nōminātūs (Nomina) 21 Kriterien für die Ähnlichkeit bei den Nomina: Gleich im genus / speciēs (Nennwort oder Eigennamen) / cāsus / exitus (Ausgang) 22 Mathematisches Modell der Ähnlichkeit (fōrma) 23 Erklärung der Querreihen 23: Klärung des Terminus (cāsus) nōminandī bzw. nōminātīvus (fehlt: Klärung der Termini für die übrigen Kasus) 24

          < Lücke von 3 Blättern, Umfang wie nach Kap. 34 > Besprechung der Pluralia tantum und ihrer Flexion

          25 f. Methodenkapitel: Einführung eines weiteren Kriteriums für die Ähnlichkeit: die figūra verbī (phonologische Struktur) 27 Präzisierung des Begriffs figūra: Berücksichtigung der Funktion / Flexion 28 Beispiele für unterschiedliche Flexion (socer/macer) 29 Erweiterung des Ähnlichkeitsbegriffs: Heranziehung eines zweiten Kasus

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          XXXIV





          Einleitung

          30

          Die articulī (Pronomina): Skizzierung der Einteilung und ihrer Merkmale

          31

          Die Verba Einteilung nach sechs speciēs: Tempus, Person, Frageform (rogandī), Antwortform (respondendī), Wunschform (optandī) und Befehlsform (imperandī) Präzisierung der vier letztgenannten speciēs (≈ 'Modi') Einführung weiterer Merkmale der Verben: Aspekt (perfectum/īnfectum), Häufigkeit (+/- Iterativ), Numerus.

          32 33 34 35

          Die Partizipien (participālia) < Lücke von 3 Blättern, wie nach Kap. 23 > < Ende des Abschnitts über die Ähnlichkeiten, s. Kap. 2 >

          37

          (3) Die Rolle von prōportiōne = ἀνὰ λόγον, s. Kap. 2 38-41 Analogie in der Außenwelt (Zwillinge / Münzen / Zahlen) 42 Analogie in der Sprache: die Aristarcheer 43 f. Das mathematische Modell der Analogie 45 Einführung der vierfachen (quadruplex) Analogie 46 Die vierfache Analogie in der Außenwelt 47 Die vierfache Analogie in der Sprache 48 f. – bei den Verben: Korrektur der Zeitstufen 49 f. – bei den Nomina.

          (2) Die Rolle der ratiō (Regel), s. Kap. 2 Die Kasusflexion der Nomina

          51 f. Unterscheidung: Wortbildung und Flexion (dēclinātiō voluntāria/ nāturālis)

          53 ff. Methodenkapitel: Wovon soll bei der Analogie ausgegangen werden? 56-61 Der Plural als Ausgangspunkt (Beispiel: trab(ē)s/duc(ē)s) 62 Der Ablativ Singular als Ausgangspunkt. 63

          Präzisierung der Analogie: rēs / vōx / beides 64 f. Unterschiede in der grammatischen Substanz (rēs) 66 f. Unterschiede in der Lautform (vōx)

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          Einleitung

          XXXV

          68 Die doppelte (duplex) bzw. vollkommene (perfecta) Analogie in rēs und vōx 69: Drei Formen der analogia perfecta 70: Die Rolle der Dichter 71: Die Behandlung der (griech.) Eigennamen. 72

          Methodenkapitel: Überleitung zum Gebrauch der Wörter (ūsus)



          (4) Die Rolle des Sprachgebrauchs (cōnsuētūdō) 73 Drei Arten der cōnsuētūdō (alt/aktuell/keines von beiden) 74 Präzisierung des Begriffs Analogie: Einbeziehung der cōnsuētūdō 75 Bezug auf griechische Grammatiker.

          76

          Methodenkapitel: Definitionen von sechs Begriffen und Kriterien: Verbum / similitūdō verbī / dēclinātiō / similitūdō dēclinātiōnis / „Nōn repugnante cōnsuētūdine commūnī”/ „ex quādam parte”.

          77 Definition von verbum, dēclinātiō und similitūdō dēclinātiōnis 78 Definition von „Nōn repugnante cōnsuētūdine commūnī” und „ex quādam parte” 79

          Einschränkung des Geltungsbereichs der Analogie 80 f.: „Flexion“ der Indeklinabilia 82: Wörter mit nur einem Kasus oder abweichender Flexion.

          83 f. Vier Abstufungen (gradūs) der Analogie. < Lücke am Ende von X; Umfang: mindestens 1 ½ Seiten (in F)>

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          XXXVI

          Einleitung

          Anmerkungen 1 Z. B. die Schreibung von quor für klassisch cūr, das dreimal in F über cūr geschrieben ist, sowie das auffällige infeineiteis (sic!) für īnf īnītīs in VIII 50, mehrmaliges iei statt iī ´diese´, z. B. in IX 35. 2 M. TERENTI UARRONIS ˑ DE LINGUA / LATINA ˑ DE DISCIPLINA ORIGINṼˑ VERBORVM ˑ / AD CICERONEM LIBER ˑ IIII ˑ EXPLICIT ˑ IN̓ C ˑ LI̓ B ˑ Vˑ. 3 Zur Datierung s. Vorwort zu Band I Kap. 2.1. Die Fülle der griechischen Fachliteratur, die Varro für die Bücher VIII ‑ X verwendet hat, spricht für eine Abfassung des Gesamtwerks noch vor Ciceros Tod: In den folgenden Bürgerkriegswirren, in denen Varro seine Bibliotheken verlor (Dahlmann [1935] 1178), wäre dieser Rekurs nicht mehr möglich gewesen. 4 Wilmanns (1864) 36 vermutet, Varro habe in diesem I. Buch auch grundsätzlich über die Zeichenfunktion der Wörter geschrieben („de ratione, quae inter res et verba intercedat“), doch finden sich für diese (anregende) Hypothese keine weiteren Hinweise. 5 Zum Disputāre in utramque partem: Ax (1995). 6 Das bestätigt auch das wenig beachtete Fragment aus dem III. Buch, das im Vergilkommentar des Servius zu Aeneis XII 139 stammt (Frg. 1 in Band I dieser Ausgabe = Varro Frg. 6 p. 190 Funaioli). 7 Z. B. widmet diesem Themenbereich die DUDEN-Grammatik von 1984 die Seiten 88 ‑ 501 (Gesamtumfang ohne Register: 763 Seiten), die ausführliche „Lateinische Grammatik“ von Rubenbauer-Hofmann von 1975 (Gesamtumfang ohne Register: 339 Seiten) immerhin etwa ein Drittel (S. 17 ‑ 114). 8 Daniel J. Taylor, Varro De lingua Latina X. A New Critical Text and English Translation with Prolegomena and Commentary, Amsterdam/Philadelphia 1996, S. 2 (i. F.: „Taylor [1996]”). 9 Taylor (1996) 10 und 17. Zwischen ratiō – als Regelhaftigkeit – und ihrem Pendant, dem (unvorhersagbaren) Zufall (ālea 'Würfel'), unterscheidet Varro auch in rust. I 18,7 f., wo es um die Übernahme bzw. Entwicklung von Regeln für die Landwirtschaft geht: Baier (2001) 11. Varro bezeichnet diese Opposition dort als bivium, Scheideweg. 10 Elmar Siebenborn, Die Lehre von der Sprachrichtigkeit und ihren Kriterien: Studien zur antiken normativen Grammatik, Amsterdam 1976, S. 10. 11 Siebenborn S. 99 und Karl Barwick, Remmius Palaemon und die römische Ars grammatica, Leipzig 1922, 179. 12 Später – in IX 2 f. – vermittelt Varro zwischen den beiden Extremen, s. dort. 13 NP 6, 812 ‑ 814; Sammlung der Krates-Fragmente mit Interpretation bei Hans Joachim Mette, Parateresis: Untersuchungen zur Sprachtheorie des Krates von Pergamon, Halle 1952. 14 NP 1, 1130 ‑ 1132; dazu: Christopher Callanan, Die Sprachbeschreibung bei Aristophanes von Byzanz, Göttingen 1988, und D. M. Schenkeveld, Studies in the History of Ancient Linguistics IV: Developments in the Study of Ancient Linguistics, in: Mnemosyne 43 (1990), 289 ‑ 308, v. a. 290 ‑ 298. 15 Zur Textgestaltung s. unten im Rahmen der Edition.

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          Einleitung

          XXXVII

          16 Wolfram Ax (1995) bezieht in seine Analyse (S. 168 ‑ 177) Überlegungen zur Entstehungs- und Publikationsgeschichte von De lingua Latina mit ein und kommt zur Hypothese, Varro habe ursprünglich „keine 'Fachbuchsektion', sondern einen literarischen Dialog schreiben“ wollen (168): eine, wie Ax (S. 169) selbst zugibt, „kühne These“. Sie überzeichnet aber die wenigen Stellen in VIII und IX, in denen Varro sich an eine zweite Person wendet (VIII 47 und 53; IX 31): Diese lassen sich unschwer als Leserapostrophe inmitten einer engagierten Darstellung interpretieren. Rhetorische Lebendigkeit wird Varro beabsichtigt haben, und das Fragment aus Buch III (das Ax nicht einbezogen hat) spricht im Grunde die gleiche Sprache, s. im Folgenden. 17 Fronto p. 221 N. = S. 145 GRF Funaioli. 18 Cicero, Brutus 252, vgl. Gellius XIX 8,3 = C. Iulius Caesar Frg. 3 p. 147 Funaioli. 19 Ax (1995) 158. 20 Schenkeveld, (1990), 289-306; hier: S. 293. 21 Taylor (1996) 10. 22 Taylor (1996) 10. 23 Von den vier wesentlichen Punkten, welche die dēclinātiōnēs verbōrum umfassen, fehlt freilich die Ausführung zum vierten Punkt – der Rolle des Sprachgebrauchs, der cōnsuētūdō; sie ist der Lücke am Ende von Buch X zum Opfer gefallen. 24 Zur Bewertung Varros als Linguist: Taylor (1996) 10 ‑ 30. 25 Dieser bislang wenig beachtete Ansatz Varros soll in einer eigenen Abhandlung weiter verfolgt werden. 26 Auch Taylor (1996) übergeht diese Stelle in seinem Kommentar S. 105. 27 Klotz denkt im 3. Band seiner Cäsarausgabe (Stuttgart 21966, 178) an die Winter 55/54 bzw. 53/52. 28 Gesammelt bei Funaioli GRF p. 146 ‑ 157. Aus der Cicerostelle erhellt auch, dass Cäsars Schrift Cicero gewidmet war. 29 Auf Cicero hingegen spielt er an in VIII 10 (cōnsul fuit Tullius et Antōnius) und – dezenter – mit den Praenomina der Cicerobrüder Mārcus und Quīntus (X 51). 30 Fragment 13-18 in GRF Funaioli, davon sind nur Nr. 13, 16 und 18 wörtliche Zitate, s. im Anhang dieser Ausgabe. 31 Nach GLK VI 555, 11 f. und 556, 7 und 14; von dem Verfasser Rufinus, der die Metrik des Terentianus Maurus kommentiert hatte, wird das Werk Varros irrtümlich als de lingua latina bezeichnet; es hat auch metrische und rhythmische Fragen behandelt, wie die drei Stellen aus Rufinus verraten. Der Empfänger Marcellus war wohl der Konsul des Jahres 50 v.: Dahlmann (1932) 1214. 32 Dahlmann (1932) 1255 – 1259. 33 Karl Barwick, Remmius Palaemon und die römische Ars grammatica, Leipzig 1922, 234 ff. 34 Barwick (1922) 242.

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          Der Beginn von Buch X aus Codex F mit der Initiale „I“ (In verborum declinationibus). Mit freundlicher Erlaubnis des Ministero di Cultura (Rom). Weitere Reproduktionen sind untersagt.

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          Liber VIII

          M. TERENTI UARRONIS ٠ DE LINGUA LATINA ٠ LĨB UII ٠ EXP̃ L. IÑC LĨB ٠ UIII ٠ QUĘ DICANTUR ٠ CUR ٠ NON SIT ANALOGIA ٠ LĨB ٠ I ٠1

          1 Quom2 oratio natura tripertita esset, ut superioribus libris ostendi, cuius prima pars, quemadmodum vocabula rebus essent imposita, secunda, quo pacto de his declinata in discrimina ierunt, tertia, ut ea inter se ratione coniuncta sententiam efferant: prima parte exposita de secunda incipiam hinc. Ut propago omnis natura secunda quod prius illud rectum, unde ea: sic declinata. Itaque declinatur in verbis rectum homo, obliquum hominis, quod declinatum a recto. 2 De huiusce multiplici natura discriminum orae sunt hae: Cur et quo et quemadmodum in loquendo declinata sunt verba. De quibus duo prima duabus causis percurram breviter, quod et tum, cum de copia verborum scribam, erit retractandum, et quod de tribus, tertium quod est, habet suas permultas ac magnas partes. 3 Declinatio inducta in sermones non solum Latinos, sed omnium hominum, utili et necessaria de causa; nisi enim ita esset factum, neque discere3 tantum numerum verborum possemus – infinitae enim sunt naturae, in quas ea declinantur – neque, quae didicissemus, ex his quae inter se rerum cognatio esset, appareret. At nunc < id >4 ideo videmus, quod simile est. Quod propagatum legi vm < a lego >5 declinatum est, duo simul apparent: quodam modo eadem dici et non eodem tempore factum, ut si – verbi gratia – alterum horum diceretur Priamus, alterum ecuba, nullam unitatem adsignificaret, quae apparet in lego legi et in Priamus Priamo. 1 Sic scribendum erat: ... Lib. I. Cur non sit analogia. 2  Quom̊ ratio F: vulg. 3  dicere: Mue. 4  Da. 5  legium: legi < a lego > Da. Scripsi.

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          M. Terentius Varro, Latein. Ende des VII. Buches. Anfang von Buch VIII: Warum es keine Analogie gibt. Erstes Buch.1

          1 Die Sprache besteht von Natur an aus drei Teilen – wie ich in den vorangegangenen Büchern gezeigt habe: Der erste Teil ist, wie die Dinge mit Wörtern benannt sind; der zweite, auf welche Art sie, wenn sie aus diesen abgeleitet worden sind, zu einzelnen Formen wurden; der dritte, wie sie, logisch miteinander verbunden, einen Satz hervorbringen. Da der erste Teil schon vorgestellt ist, möchte ich hier mit dem zweiten anfangen. Jeder Spross ist ja ein zweites Wesen: Denn zuerst war jenes Gerade, von dem dieser stammt. So ist es auch mit dem Abgeleiteten. Denn bei den Wörtern wird abgeleitet: ein Gerades (Nominativ) homō, der Mensch, ein Schiefes (oblīquum) hominis, des Menschen, was vom Geraden abgeleitet ist.2 2 Die Punkte, welche die Vielfalt der Einzelformen bei dieser Ableitung eingrenzen, sind: Warum und zu welchem Ergebnis und auf welche Weise die Wörter abgeleitet sind3. Von diesen möchte ich die ersten beiden kurz und rasch abhandeln; denn wenn ich über die Menge der Wörter schreibe, werde ich darauf zurückkommen müssen, und der dritte Punkt weist ja für sich sehr viele bedeutende Unterteilungen auf.4 3 Die Ableitung wurde in die Sprachen – nicht nur in die lateinische, sondern in die aller Menschen – aus einem nützlichen und notwendigen Grunde eingeführt; ansonsten könnten wir weder eine so große Zahl Wörter lernen – denn die Einzelformen, zu denen sie abgeleitet werden, sind unendlich5 –, noch würde bei denen, die wir gelernt haben, klar, wie sie untereinander verwandt sind. Jetzt aber sehen wir das deshalb, weil eine Ähnlichkeit 6 besteht. Weil die Sprossform lēgī, habe gelesen, von legō, ich lese, abgeleitet ist, werden gleich zwei Dinge deutlich:7 Dass irgendwie damit dasselbe gemeint ist und dass es nicht zur gleichen Zeit passiert ist. Wenn z. B. die eine Form Priamus hieße, die andere Hecuba, würde das keine Einheit bezeichnen, wie sie hingegen deutlich wird bei legō, lese, und lēgī, habe gelesen, und Priamus und Priamō, dem Priamus.

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          Liber VIII

          4 Ut in hominibus quaedam sunt agnationes ac1 gentilitates, sic in verbis. Ut enim ab emilio homines orti emilii2 ac gentiles, sic ab emilii nomine declinatae voces in gentilitate nominali: ab eo enim, quod est impositum recto casu emilius, orta emilii emilium emilios emiliorum, et sic reliqua3 eiusdem quae sunt stirpis. 5 Duo igitur omnino verborum principia: impositio < et declinatio >4, alterum ut fons, alterum ut rivus. Impositicia nomina esse voluerunt quam paucissima, quo citius ediscere possent, declinata quam plurima, quo facilius omnes, quibus ad usum opus esse[n]t, dicerent5. 6 Ad illud genus, quod prius, historia opus est: nisi discend[end]o6 enim aliter id non pervenit ad nos; ad reliquum genus, quod posterius, ars: ad quam opus est praeceptis, quae sunt brevia. Qua enim ratione in uno vocabulo declinare didiceris, in infinito numero nominum uti possis: itaque novis nominibus allatis < in >7 consuetudinem sine dubitatione eorum declinatus statim omnis dicit populus; etiam novicii servi empti in magna familia cito omnium conservorum nomina8 recto casu accepto in reliquos obliquos declinant. 7 Qui si non9 numquam offendunt, non est mirum: Et enim illi, qui primi nomina imposuerunt rebus, fortasse an in quibusdam sint lapsi: Volui 10 enim putant singularis res notare, ut ex his in multitudinis11 declinaretur, ab homine homines. Sic11 mares liberos voluisse notari, ut ex his feminae declinarentur, ut est ab Terentio Terentia. Sic in recto casu, quas imponerent voces, ut illinc essent futurae, quo declinarentur; sed haec in omnibus tenere nequisse, quod et unae ss.12 dicuntur scopae et mas et femina aquila et recto et obliquo vocabulo vis. 1 ad: L. Sp. 2  agnati Cheesman (1994). 3  reliqֿ (= reliqua): reliquae Da. 4  Add. Mue. 5  essent: L. Sp.; dicerent < dicerentˀ F. 6  descendendo: Steph. 7  allatis F; add. Aug. 8  omnes: Aug. 9  Quis non – illa: Vall. 10  Voluis /F, voluiś Vall.: vulgo. 11  multitudine F: prop. L. Sp.; sic F, sicut Vall.: vulg. 12  una & : Scripsi.

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          4 Wie es bei Menschen bestimmte Blutsverwandtschaften und Familien gibt, so auch bei den Wörtern: Denn wie die Abkömmlinge und Familienangehörigen eines Aemilius Aemiliī heißen, so liegen auch die vom Eigennamen Aemilius abgeleiteten Wortformen in der Namensfamilie: Denn von der Benennung Aemilius im Nominativ sind abgeleitet (Gen.) Aemiliī, (Akk.) Aemilium, (Akk. Pl.) Aemiliōs, (Gen.) Aemiliōrum, und so die übrigen Formen, die vom gleichen Stock (stirps) stammen.8 5 Es gibt also überhaupt zwei Anfangsgründe für die Wörter: Benennung und Ableitung; der erste ist wie eine Quelle, der zweite wie ein Bach. Man wollte möglichst wenige Anfangsbenennungen, um sie schneller lernen zu können, aber möglichst viele Ableitungen, damit alle umso leichter die Wörter, die sie brauchen, sagen können.9 6 Für diese erstere Art bedarf es des Wissens (historia): Denn sie erreicht uns nur durch Lernen; die zweite, die später ist, bedarf der Fertigkeit (ars): Dafür braucht es Anweisungen, und die sind kurz.10 Denn das Prinzip (ratiō), mit dem man bei einem einzigen Wort die Bildung gelernt hat, kann man ja wohl bei einer unendlichen Zahl von Benennungen anwenden: Daher sagt das ganze Volk, wenn neue Benennungen in den Sprachgebrauch eingebracht wurden, deren Ableitungsformen sofort ohne Zögern; in einem großen Hausgesinde leiten auch frisch gekaufte Sklaven die Namen all ihrer Mitsklaven, wenn sie diese im Nominativ erfahren haben, rasch in die übrigen obliquen Kasus ab.11 7 Kein Wunder, wenn sie manchmal einen Fehler machen: Haben vielleicht ja auch diejenigen, die als Erste den Dingen Namen gegeben haben, in manchem Fehler begangen12: Sie glauben nämlich13, jene (sc. die ersten Wortschöpfer) hätten nur im Singular bezeichnen wollen, damit man daraus in den Plural ableiten kann, wie von homō, Mensch, hominēs, Menschen. Sie hätten gewollt, dass (sc. erst) die frei geborenen Männer so bezeichnet werden, dass von ihnen die Frauen abgeleitet werden, z. B. von Terentius Terentia. So hätten sie die Benennung im Nominativ vorgenommen, damit es von da aus Wörter gibt, zu denen abgeleitet wird; aber das hätten sie nicht in allen Fällen durchhalten können: Man sagt ja im Singular ūnae scōpae, ein Besen (sc. obwohl die Form in der Mehrzahl ist), und aquila, Adler, für Männchen und Weibchen, und vīs, Macht, sowohl im Nominativ als im obliquen Kasus.14

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          Liber VIII

          8 Cur haec non tam sint1 in culpa quam putant, pleraque solvere non difficile, sed nunc non necesse: non enim, qui potuerint adsequi, sed qui voluerint, ad hoc quod propositum refert, quod nihilo minus declinari potest ab eo, quod imposiverunt scopae scopa, quam si imposuissent scopa, ab eo scopae, sic alia. 9 Causa, inquam, cur ea m.2 ab impositis nominibus declinarint, quam ostendi. Sequitur, in quos voluerint declinatus3 declinari aut noluerint, ut generatim ac summatim item informem. Duo enim genera verborum, unum fecundum4, quod declinando multas ex se parit disparilis formas, ut est lego legis legam, sic alia, alterum genus sterile, quod ex se parit nihil, ut est et, iam, vix, cras5, magis, cur. 10 Quarum rerum usus erat simplex, < simplex > 6 ibi etiam vocabuli declinatus, ut in qua domo unus servus, uno servili opust7 nomine, in qua multi8, pluribus. Igitur et in his rebus, quorum9 sunt nomina, quod discrimina vocis plura, propagines plures, et in his rebus, quae copulae sunt ac iunguntur,10 verba, quod non opus fuit declinari in plura, fere singula sunt. Uno enim loro alligare possis vel hominem vel equum vel aliud quod, quicquid est, quod cum altero potest colligari. Sic, quod dicimus in loquendo „consul fuit Tullius et Antonius”, eodem illo „et” omnis binos consules colligare11 possumus, vel dicam amplius: omnia nomina, atque ideo etiam omnia verba, cum fulmentum12 ex una syllaba13 illud „et” maneat unum. Quare duce14 natura si quae imposita essent vocabula rebus, ne ab omnibus his declinandum15 putarent.

          1  si°nt < sit F. 2  eam /F; eas Vall. (Lae.); scripsi. 3  in quas voluerint declinarint declinari F : Scripsi. 4  ferundum: Rhol. 5  etiam: GS; vix/erat: Aug. 6  Sciop. 7  ser/vilio post: L. Sp. sec. Sciop. 8  m pli ante multi del. F. 9  quorum F, quae L. Sp., Da. 10  iunguntur: iungunt Mue. 11  colligere F: edd. 12  fulm en / tunc: Mue. 13  sillaba F. 14  duce natura < dumce cena F. 15  declinandus : Canal.

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          8 Warum dies nicht so fehlerhaft ist, wie man glaubt, lässt sich zumeist leicht auflösen, doch ist das hier nicht nötig: Für unser Thema15 ist es nämlich nicht wichtig, wie sie es geschafft haben, sondern wie sie es gewollt haben; denn genauso gut lässt sich von der ursprünglichen Benennung scōpae (sc. die Singularform) scōpa ableiten, wie wenn sie aus einer Benennung scōpa (die Mehrzahl) scōpae gebildet hätten, wie auch anderes. 9 Der Grund, sagte ich, warum sie diese im Plural von den (sc. den Dingen) aufgelegten Namenwörtern abgeleitet haben, ist der, den ich gezeigt habe.16 Es folgt, dass ich allgemein und ebenso nach den Hauptpunkten darstelle, in welche Ableitungsformen sie abgeleitet haben wollten oder nicht. Es gibt nämlich zwei Klassen von Wörtern: die eine ist die fruchtbare, die beim Ableiten viele unterschiedliche Formen aus sich hervorbringt, wie von legō, ich lese: legis, du liest, legam, ich werde lesen, usw.; die andere ist die unfruchtbare, die aus sich heraus nichts hervorbringt, wie et, und, iam, schon, vix, kaum, crās, morgen, magis, mehr, und cūr, warum.17 10 Wo man die Dinge nur einmal gebrauchte, dort gab es auch nur eine einmalige Ableitungsform: Wenn es z. B. in einem Haus nur einen einzigen Sklaven gibt, braucht es nur einen einzigen Sklavennamen; wo viele, braucht es mehr.18 Weil es daher bei den Dingen, für die es Namenwörter gibt, auch mehrere Abkömmlinge gibt (es gibt ja mehrere lautlich unterschiedliche Formen), sind in der Regel auch bei den Dingen, die Verknüpfungen darstellen und verbunden werden, die Verben im Singular, weil man sie nicht in die Mehrzahl ableiten musste. Denn mit einem einzigen Riemen kann man ja doch einen Menschen, ein Pferd oder irgendetwas anderes anbinden, das sich mit einem Zweiten zusammenspannen lässt. Wenn wir daher im Gespräch sagen: „Konsul war Tullius und Antonius“19, dann können wir mit genau diesem „und“ (et) alle zwei Konsuln zusammenspannen, ja – ich möchte sagen – darüber hinaus alle Namenwörter, und deshalb auch alle Verben, während als Stütze jenes einzige einsilbige Wort et, „und“, bleibt. Wenn daher die Dinge unter Führung der Natur benannt worden sein sollten, dann sollen sie nicht glauben, man müsse von all diesen Wörtern auch abgeleitete Formen bilden!20

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          11 Quarumque rerum 1 declinationes oriantur, partes orationis sunt duae; si2 item ut Dion3 in tris diviserimus partes res, quae verbis significantur: unam 4 , quae adsignificat casus 5 , alteram, quae tempora, tertia6, quae neutrum. De his Aristoteles orationis duas partes esse dicit: vocabula et verba, ut homo et equus, et legit et currit. 12 Utriusque generis, et vocabuli et verbi, quaedam priora, quaedam posteriora. Priora ut homo, scribit, posteriora ut doctus et docte. Dicitur enim homo doctus et scribit docte. Haec sequitur locus et tempus, quod neque homo nec scribi7 potest sine loco et tempore esse, ita ut magis sit locus homini coniunctus et tempus scriptioni. 13 Cum de his nomen sit primum – prius enim nomen est quam verbum temporale et reliqua posterius quam nomen et verbum –, prima igitur nomina: quare de eorum declinatione quam de verborum ante dicam. 14 Nomina declinantur aut in earum rerum discrimina, quarum nomina sunt – ut ab Terentius Terenti8 –, aut in earum9 extrinsecus, quarum ea nomina non sunt, ut ab equo equiso. In sua discrimina declinantur: aut propter ipsius rei naturam, de quo dicitur, aut propter illius < usum >10, qui dicit. Propter ipsius rei discrimina aut ab toto < aut a parte: A toto >11, ut ab homine homunculus, ab capite capitulum; propter multitudinem, ut ab homine homines; ab eo < abeo >12, quod alii dicunt cervices et id ortensius in poematis cervix. 15 Quae a parte declinata, aut a corpore, ut a mamma mammosae, a manu manubiarii13, aut ab animo: ut a prudentia prudens14, ab ingenio ingeniosi. Haec sine agitationibus. At ubi motus maiores, item ab animo < aut a corpore > 15, 1  Quarum generum: quorum generum Lae. (edd.). Scripsi. 2  si: scripsi. 3  Dyon F: vulg. 4  unum – alterum – tertia: vulg. 5  capus: Lae. 6  tertia: Mue. 7  scribi: Vall. (Lae.). 8  Reitzenstein. 9  ea res : L. Sp. 10  Add. GS. 11  Add. Aug. 12  Add. Fay. 13  manubria F; manuati A. Sp.: Scripsi sec. Plaut. Truc. 880 (Camerarius). 14  prudens L. Sp. 15  Prop. L. Sp.

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          11 Für alle Dinge, für die Ableitungen entstehen können, gibt es zwei Redeteile; falls wir nicht – wie Dion – die Dinge, die durch Wörter bezeichnet werden, in drei Teile einteilen sollten21: den Teil, der Kasus bezeichnet, einen zweiten, der Zeiten, und einen dritten, der keines von beiden bezeichnet22. Zwei von diesen, sagt Aristoteles, sind Redeteile: Namenwörter und Zeitwörter, wie homō, Mensch, und equus, Pferd, und legit, liest, und currit, läuft.23 12 Von beiden Arten – Namenwort und Zeitwort – gibt es manche (sc. Wörter), die vorrangig sind (priōra), manche, die nachgeordnet (posteriōra) sind. Vorrangig sind z. B. homō, Mensch, scrībit, schreibt, nachrangig z. B. doctus, gelehrt, und doctē, auf gelehrte Weise. Denn man sagt homō doctus, ein gelehrter Mensch, und scrībit doctē, er schreibt auf gelehrte Weise.24 Diesen folgen Ort und Zeit; es kann ja weder homō, Mensch, noch scrībit, schreibt, ohne Ort und Zeit geben, so dass der Ort mehr mit dem Menschen verbunden ist und die Zeit mit dem Schreiben. 13 Von diesen ist ja das Namenwort das erste – der Namen ist nämlich früher als das Zeitwort, und die übrigen kommen später als Namenwort und Zeitwort; am Anfang stehen also die Namenwörter: Daher möchte ich eher über deren Ableitung als über die der Zeitwörter sprechen.25 14 Die Namenwörter werden entweder zu den Unterschieden der Dinge abgeleitet, für die sie Namen sind – wie von Terentius Terentia –, oder zu denen der außerhalb davon liegenden Dinge, für die sie keine Namen sind, wie von equus, Pferd, der Reitknecht, equīsō. Zu den unterschiedlichen Formen werden sie abgeleitet: entweder wegen des Wesens der Sache selbst, wovon geredet wird, oder wegen der Anwendung (ūsus) durch den Sprecher.26 Wegen der Unterschiede, die in der Sache selbst liegen, werden sie abgeleitet entweder vom Ganzen oder vom Teil her27: Vom Ganzen, wie von homō, Mensch, homunculus, das Menschlein, von caput, Kopf, capitulum, das Köpfchen; wegen der Anzahl, wie von homō, Mensch, hominēs, Menschen; ich sehe davon ab, dass die Einen zum Nacken (sc. nur im Plural) cervīcēs sagen, doch Hortensius in seinen Gedichten cervīx (sc. im Singular).28 15 Die Ableitungen von einem Teil stammen entweder vom Körper – wie z. B. von mamma, Mutterbrust, die mammōsae, Vollbusigen, von manus, Hand, die manubiāriī, Handlanger – oder vom Geist: wie von der Klugheit, prūdentia, ein Kluger, prūdēns; von ingenium, Talent, die ingeniōsī, Talentierten.29 Dies ist ohne Bewegungen; wo es aber größere Bewegungen gibt, gibt es ebenso Ableitungen vom Geist oder vom Körper:

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          ut ab strenuitate et mobilitate1 strenui et mobiles, sic a pugilando2 et currendo pugiles et cursores. Ut aliae declinationes ab animo, aliae a corpore, sic aliae, quae extra hominem, ut pecuniosi, agrarii, quod foris pecunia et ager. 16 Propter eorum, qui dicunt, sum3 declinati casus, uti is4, qui de altero diceret, distinguere posset, cum vocaret, cum daret, cum accusaret, sic alia eiusdem 5 discrimina, quae nos et Graecos ad declinandum duxerunt: Sine controversia sunt quique6: Quis vocetur, ut Hercules7; quemadmodum vocetur, ut Hercule; quo vocetur, ut ad Herculem; a quo vocetur, ut ab Hercule; cui vocetur, ut Herculi; cuius vocetur, ut Herculis. 17 Propter ea verba, quae erant proinde ac cognomina, ut prudens, candidus, strenuus, quod in his praeterea sunt discrimina propter incrementum, quod maius aut minus in his esse potest, accessit declinationum genus, ut a candido candidius candidissimum, sic a longo, divite, id genus aliis ut fieret. 18 Quae in eas res, quae extrinsecus, declinantur, sunt 8 ab equo equile, ab ovibus ovile, sic alia (Haec contraria illis, quae supra dicta, ut a pecunia pecuniosus, ab urbe urbanus, ab atro atratus):9 Ut nonnunquam ab homine locus, ab eo loco homo, ut ab Romulo Roma, ab Roma Romanus. 19 Aliquot modis declinata ea, quae foris; nam aliter, qui a maioribus suis, Latonus10 et Priamidae, aliter quae 11 facto, ut a praedando praeda, a merendo merces. Sic alia sunt, quae circumire non difficile; sed quod genus iam videtur et alia urgent, omitto.

          1  nobilitate – nobiles: Christ. 2  pugnando: Reitzenstein. 3  dicuntur. SŪ: Vertr. 4  ut iis F. 5  eiusdem : Mue. 6  Sunt qֿ que: quinque Lae.; quidem Calboli; < sunt, qui sex putent > Da.; qui quaerant Mette. 7  Ercules etc. ercules: vulg. 8  extrinsecus declinantur / sunt F: declinantur, ut L. Sp. 9  atratus ˑ Ut F, Mette. 10  Laton; (= Latonus): Lae. 11  Add. vulg.

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          von der Umtriebigkeit, strēnuitās, und Beweglichkeit, mōbilitās, die strēnuī, Umtriebigen, und mōbilēs, Beweglichen; vom Boxen, pugilāre, und Laufen, currere, die Boxer, pugilēs, und die Läufer, cursōrēs. Wie die einen Ableitungen vom Geist, die anderen vom Körper kommen, so gibt es andere, die von außerhalb des Menschen kommen, wie pecūniōsī, die Geldreichen, und agrāriī, die Ackerleute, weil Geld, pecūnia, und Acker, ager, außerhalb (sc. des Menschen) liegen.30 16 Wegen der Anwendung (ūsus) durch den Sprecher sind die Kasus abgeleitet, damit derjenige, der von einem Anderen spricht, unterscheiden kann, wenn er ruft, wenn er gibt, wenn er anklagt31, und so andere derartige Unterscheidungen, die uns und die Griechen zum Ableiten geführt haben. Unstrittig sind fünf:32 Wer gerufen wird: (Nom.) Herculēs; wie er angerufen wird: (Vok.) „Hercule!“; wohin er gerufen wird: (Akk.) ad Herculem, zu Hercules; von wem er gerufen wird: (Abl.) ab Hercule; für wen er gerufen wird: (Dat.) Herculī; wessen er genannt wird: (Gen.) Herculis.33 17 Bei den Wörtern, die wie Beinamen waren, z. B. Prūdēns, der Kluge, Candidus, der Weiße, und Strēnuus, der Umtriebige, gibt es unterschiedliche Formen wegen der Mehrung (incrēmentum), da es bei diesen ein Mehr oder Weniger geben kann: Daher kam eine Art von Ableitungen bei diesen hinzu: So wurde z. B. vom Weißen, candidum, das Weißere, candidius, und Weißeste, candidissimum, gebildet und so auch von longum, lang, und dīves, reich, und auch bei anderen Wörtern Derartiges (sc. gebildet).34 18 Wörter, die zu den außerhalb liegenden Dingen abgeleitet werden, sind von equus, Pferd, equīle, Pferdestall, von ovēs, Schafe, ovīle, Schafstall, usw. (Die sind das Gegenteil von dem oben Gesagten: Vom Geld, pecūnia, ist der Geldreiche, pecūniōsus, von der Stadt, urbs, der Städter, urbānus, vom Schwarzen, ātrum, der Schwarz Gekleidete, ātrātus, abgeleitet): So wird manchmal von einem Menschen ein Ort und von diesem Ort wiederum ein Mensch abgeleitet, z. B. von Rōmulus Rōma, von Rōma wieder der Römer, Rōmānus.35 19 Auf etliche Art sind die Wörter abgeleitet, die außerhalb liegen; denn (sc. die Namen von) Personen, die nach ihren Vorfahren benannt sind – Lātōnius, der Leto-Sohn, und Prīamidae, die Priamussprosse –, sind anders gebildet als die, die nach einer Handlung benannt sind: praeda, Beute, vom Plündern, praedārī, mercēs, Lohn, vom Verdienen, merēre. 36 So gibt es auch andere Beispiele, die sich leicht bestimmen lassen; aber weil die Art schon deutlich ist und anderes drängt, lasse ich es aus.

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          20 In verborum genere, quae tempora adsignificant, quod ea erant tria – praeteritum, praesens, futurum –, declinatio facienda fuit triplex, ut ab saluto salutabam, salutabo. Cum item personarum natura triplex esset – qui loqueretur, < quoi >1, de quo –, haec ab eodem verbo declinata2: Quae in copia verborum explicabuntur. 21 Quoniam dictum de duabus declinationibus3, cur et in qua4 sit facta5, tertium quod relinquitur, quemadmodum, nunc dicitur.6 Declinationum genera sunt duo: voluntarium et naturale. Voluntarium est, quo, ut cuiusque tulit voluntas, declinavit. Sic tres cum emerunt Ephesi singulos servos, nonnunquam alius declinat nomen ab eo, qui vendit, Artemidorus, atque Artemam7 appellat, alius a regione, quod ibi emit, ab Iona Iona[m]8, alius quod Ephesi, Ephesium, sic alius ab alia aliqua re, ut visum est. 22 Contra naturalem declinationem dico, quae non a singulorum oritur voluntate, sed a comuni consensu. Itaque omnes impositis nominibus eorum, item declinant casus, atque eodem modo dicunt: huius Artemidori et huius Ionis et huius Ephesii9, sic in casibus aliis. 23 Cum utrumque nonnunquam accidat, et ut in voluntaria declinatione animadvertatur natura et in naturali voluntas (quae cuiusmodi sint, aperientur infra): quod utraque declinatione alia fiunt similia, alia dissimilia, de eo Graeci Latinique libros fecerunt multos, partim cum alii putarent in loquendo ea verba sequi oportere, quae ab similibus similiter essent declinata, quas appellarunt ἀναλογίας10, alii, cum id neglegendum putarent ac potius sequendam similitudinem11 (quae in consuetudine est), quam vocarunt ἀνωμαλίαν12; cum, ut ego arbitror, utrumque sit nobis sequendum, quod < in >13 declinatione voluntaria sit anomalia,14 in naturali magis analogia. 1  cui add. Barwick (1941). Scripsi. 2  declinata quę: declinata: Quae interp. Mette, Barwick (1957) 452. 3  Declinationibus: declinationibus Da. Scripsi. 4  Da. 5  fama: A. Sp. 6  drֿ (= dicitur): dicetur Aug. 7  Arteman prop. Steph. 8  Iona Ionam F, Ionia (< Iona) Ionam Vall. (Lae.): Mue. 9  ephesis : Ephesi Lae., Rhol. (Da.). Scripsi. 10  analogijas F. 11  Add. vulg. 12  ΛωΜΑΕΝΑΝ F, συνήθειαν Ald.: Aug. 13  Add. vulg. 14  ἀνομαλία Ald.

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          20 Weil es bei der Gattung von Wörtern, die Tempora bezeichnen, drei gab – Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft –, musste eine dreifache Ableitung geschaffen werden, wie von salūtō, ich grüße, salūtābam, ich grüßte, salūtābō, ich werde grüßen.37 Da ebenso das Wesen der Personen dreifach war – wer sprach, zu wem, über wen –, wurden diese (sc. drei Personen) vom gleichen Wort abgeleitet: Das wird erläutert werden, wenn es um die Menge der Wörter geht.38 21 Wir haben ja über zwei Begrenzungen der Ableitung gesprochen: warum und wohin sie vorgenommen wurde39. Jetzt wird daher über den dritten Punkt gesprochen: das Wie. Es gibt zwei Arten der Ableitung: die willkürliche und die natürliche.40 Die willkürliche ist die, wohin einer je nach seinem Gutdünken abgeleitet hat. Wenn also drei Leute in Ephesus jeder einen Sklaven kaufen, dann leitet manchmal der Erste dessen Namen vom Verkäufer – Artemidōrus – ab und nennt ihn Artema; der Zweite von der Gegend – Iōnia –, weil er ihn dort gekauft hat, Iōn; der Dritte, weil er ihn in Ephesus gekauft hat, Ephesius, wieder andere von irgendeiner anderen Sache, wie es ihm gut schien. 22 Hingegen bezeichne ich als natürliche Ableitung die, die nicht aus der Willkür Einzelner entsteht, sondern aus allgemeiner Übereinkunft. Wenn daher die Dinge benannt sind, dann leiten alle in gleicher Weise die Kasus ab und sagen auf dieselbe Weise: im Genitiv Artemidōrī und Iōnis und Ephesiī – und so auch in den anderen Kasus. 23 Es geschieht ja manchmal beides: Bei der willkürlichen Ableitung be­­ obachtet man Natur und bei der natürlichen Willkür (Wie dieses aussieht, wird unten erklärt.41): Weil nun durch beide Ableitungsarten die einen Wörter ähnlich, die anderen unähnlich werden, haben hierüber Griechen und Lateiner viele Bücher geschrieben42: Teils meinten die einen, man müsse beim Sprechen die Wörter befolgen, die von ähnlichen Wörtern auf ähnliche Weise abgeleitet seien – das nannten sie Analogien –, hingegen meinten die anderen, das sei zu vernachlässigen, eher müsse man der Unähnlichkeit folgen, die es im Sprachgebrauch gibt – dies nannten sie Anomalie.43 Ich hingegen glaube, wir müssen beides befolgen: Denn bei der willkürlichen Ableitung gibt es Anomalie und bei der natürlichen mehr Analogie.44

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          24 De quibus utriusque generis declinationibus libros faciam bis ternos: prioris tris de earum declinationum disciplina, posteriores de1 eius disciplinae propaginibus. De prioribus primus erit hic, quae contra similitudinem declinationum dicantur, secundus, quae contra dissimilitudinem, tertius de similitudinum forma. De quibus, quae experiero, singulis tribus, tum de alteris totidem scribere ac dividere nc animus.2 25 Incipiam, quod huiusce3 libri est, dicere contra eos, qui similitudinem sequuntur, quae est ut in aetate puer ad senem, 4 ad anum, in verbis ut est scribo scribam, dico dicam; prius contra universam analogiam, dein tum de singulis partibus. A natura sermo5 incipiam. 26 Omnis oratio cum debeat dirigi ad utilitatem, ad quam tum denique pervenit, si est aperta et brevis – quae petimus, quod obscurus et longior6 orator est odio –; et cum efficiat aperta, ut intellegatur, brevis, ut7 cito intellegatur, et aperta8 consuetudo, brevem temperantia loquentis, et utrumque fieri possit sine analogia, nihil ea opus est. Neque enim utrum Herculi an Herculis clavam dici oporteat, si doceat analogia, cum utrumque sit in consuetudine, non neglegendum sit9, quod aeque sunt brevia10 et aperta. 27 Praeterea: Quoius11 utilitatis causa quaeque res sit inventa, si ex ea quis id sit consecutus, amplius eam12 scrutari cum sit nimium otiosi, et cum utilitatis causa verba ideo sint imposita rebus, ut ea13 significent, si id consequimur una consuetudine, nihil prodest analogia. 28 Accedit14, quod, quaecumque usus causa ad vitam sint assumpta, in his mos15 utilitatem querere, non similitudinem. 1  ex : L. Sp. 2  incipimus: incipiam Lommatzsch, inceptum Vat. Lat. 3311. Scripsi. 3  huiuscę: vulg. 4  ad anum imberbis ut est Ald.; puellam add. Ald.; scripsi, cf. Varro ap. Non. 229, 11 L. et Men. sat. 87. 5  Vulg. 6  obscurum : Ald.; longi: GS. 7  et : Ald. 8  Aug. 9  sunt : scripsi. 10  brevi: Vall. (Lae.). 11  Quod his : Mue. 12  ea: vulg. 13  Vertr. 14  accidit: Ald. 15  ñ (= non): Da.

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          24 Über die Ableitungen beider Art möchte ich zweimal je drei Bücher schreiben: die ersten drei über die Lehre von diesen Ableitungen, die späteren über die konkreten Auswüchse dieser Lehre. Von den ersten dreien wird dies das erste sein: Was man gegen die Ähnlichkeit in den Ableitungen sagt; das zweite, was gegen die Unähnlichkeit; das dritte: wie die Ähnlichkeiten aussehen. Was ich darüber herausgefunden habe, habe ich jetzt vor, in drei einzelnen Büchern, dann über das Andere in ebenso vielen Büchern zu schreiben und aufzuteilen.45 25 Anfangen möchte ich – weil es Thema dieses Buches ist –, gegen die zu sprechen, welche die Ähnlichkeit befolgen, die besteht: beim Lebensalter, wie sich der Junge zum Greis, so das Mädchen zur Greisin verhält; bei den Wörtern: wie (sc. das Verhältnis) scrībō – scrībam, ich schreibe – werde schreiben, dīcō – dīcam, ich sage – werde sagen, ist; erst gegen die Analogie im Allgemeinen, dann über einzelne Teile. Beginnen möchte ich mit dem Wesen der Sprache (sermō).46 26 Jede Rede muss sich ja nach der Nützlichkeit orientieren; die erreicht sie dann erst, wenn sie klar und kurz ist – was wir wollen, weil ein unverständlicher und zu langatmiger Redner gehasst wird; und da eine klare Rede bewirkt, dass man sie versteht, eine kurze, dass man sie rasch versteht, und der (sc. normale) Sprachgebrauch ihr Klarheit verleiht, Kürze die Zurückhaltung des Sprechers, und da beides ohne Analogie geschehen kann, braucht es diese nicht.47 Denn sollte die Analogie lehren, ob man clāva Herculī, „die Keule Herkuls“, oder Herculis, „des Hercules“, sagen soll, obwohl doch beides im Sprachgebrauch ist: Das ist doch wohl zu vernachlässigen, weil es gleichermaßen kurz und klar ist. 27 Außerdem: Wenn jemand den Nutzen, um dessentwillen jedes Ding erfunden wurde, aus diesem schon gewonnen hat, dann ist es schon arg müßig, dieses Ding noch weiter zu untersuchen; und da aus Gründen der Nützlichkeit die Wörter den Dingen zu dem Zweck auferlegt sind, um sie zu bezeichnen: Dann bringt, wenn wir den Zweck alleine schon durch den Sprachgebrauch erreichen, die Analogie nichts. 28 Hinzukommt Folgendes 48: Es ist ja üblich, bei allem, was man in den täglichen Gebrauch aufgenommen hat, Nützlichkeit zu suchen, nicht Ähnlichkeit.

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          Itaque in vestitu, cum dissimillima sit virilis toga tunica1, muliebri2 stola pallio, tamen inaequabilitatem hanc sequimur3 nihilo minus. 29 In edificiis, quom4 non videamus habere atrium < ad >5 περίστυλον6 similitudinem et cubiculum ad equile, quod tamen propter utilitatem in his dissimilitudines potius quam similitudines sequamur. Itaque et hiberna triclinia et estiva non item valvata ac fenestrata facimus. 30 Quare, cum ut 7 in vestitu, edificiis, sic in supellectile, cibo, ceterisque omnibus, quae usus < causa >8 ad vitam sunt assumpta, dominetur inaequabilitas, in sermone quoque, qui est usus causa constitutus, ea non repudianda. 31 Quod si quis duplicem putat esse summam, ad quas metas9 naturae sit perveniendum in usu, utilitatis et elegantiae, quod non solum vestiti esse volumus, ut vitemus frigus, sed etiam, ut videamur vestiti esse honeste; non domum habere, ut simus in tecto et tuto solum, quo[d]10 necessitas contruserit, sed etiam, ubi voluptas retineri possit; non solum vasa ad victum habilia, sed etiam figura bella atque ab artifice 11, quod aliud homini, aliud humanitati satis est – quodvis sitienti homini poculum idoneum, humanitati si12 bellum parum –; sed cum discessum et13 ab utilitate ad voluptatem, tamen in eo ex dissimilitudine plus voluptatis quam ex similitudine sepe capitur. 32 Quo nomine et gemina conclavia dissimiliter polient14 et lectos non omnis paris magnitudine ac figura faciunt. Quodsi esse[n]t15 analogia petenda supellectili, omnis lectos haberemus domi ad unam formam et aut cum fulcro aut sine eo, nec cum ad tricliniarem gradum, non item ad cubicularem; neque potius delectaremur supellectile distincta, quae esset ex ebore < 1  Lae. 2  Cuypers. 3  sequitur: vulg. 4  quod: Mue., quid? Scal. 5  Mue. 6  ΠΕΡΗCΣΤΛΟΝ: vulg. 7  et: Stephanus. 8  L. Sp. 9  mętas F. 10  qđ F: Aug. 11  Lac. 5-6 litterarum F et Vall.: Da. 12  Ald. 13  et: vulg. 14  pollent: poliunt Koeler. Scripsi. 15  Quod essent: quodsi essent Vall.: esset Lae.

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          So ist es bei der Kleidung: Obwohl beim Mann die Toga sich von der Tunika völlig unterscheidet, bei der Frau die Stola vom Mantel, befolgen wir dennoch diese Unähnlichkeit nichtsdestoweniger. 29 Und bei den Gebäuden (sc. kommt hinzu): Weil wir ja nicht sehen, dass ein Peristyl Ähnlichkeit mit dem Atrium und ein Schlafzimmer mit dem Pferdestall hat, befolgen wir dennoch wegen der Nützlichkeit hier lieber die Unähnlichkeiten als Ähnlichkeiten. 49 Daher statten wir Winter- und Sommertriklinium nicht mit den gleichen Flügeltüren und Fenstern aus. 30 Wie daher bei Kleidung und Gebäuden, ebenso bei der Hausausstattung, Speise und allen übrigen Dingen, die in den täglichen Gebrauch aufgenommen worden sind, ja wohl die Unähnlichkeit herrscht, so darf man sie auch in der Sprache nicht zurückweisen, die ja um des Gebrauchs willen eingerichtet worden ist. 31 Sollte freilich jemand glauben, es gebe ein zweifaches höchstes Ziel der Natur, zu dem man beim Gebrauch kommen müsse – nämlich Nützlichkeit und feinen Geschmack (ēlegantia) – wir wollen ja nicht nur bekleidet sein, um der Kälte zu entgehen, sondern auch, um anständig gekleidet auszusehen; nicht ein Haus bewohnen, um unter Dach und Schutz zu sein, wohin uns die Not getrieben hat, sondern auch, wo man recht genießen kann; nicht nur Gefäße, die zum Bedarf taugen, sondern auch hübsch aussehende und von einem Künstler geformte: Denn das eine ist dem Menschen (homō), das andere dem gebildeten Geschmack (hūmānitās) genug – jedes xbeliebige Gefäß taugt einem dürstenden Menschen; dem gebildeten Geschmack nur, wenn es ausreichend hübsch ist – ; aber sobald man von der Nützlichkeit zum Genießen übergeht, bezieht man doch dabei oft aus der Unähnlichkeit mehr Genuss als aus der Ähnlichkeit.50 32 Aus diesem Grunde wird man auch identische Räume unterschiedlich ausmalen und macht man nicht alle Betten an Größe und Form gleich. Wenn aber in der Ausstattung Analogie zu erstreben wäre, hätten wir zuhause alle Betten in einheitlichem Format und entweder mit oder ohne Kopflehne; und da wir für das Trikliniumssofa einen Schemel haben, hätten wir ihn genauso für das Schlafsofa; und wir hätten auch nicht mehr Freude an unterschiedlichen

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          alisve mate>riebus1 disparibus figuris quam grabattis, qui 2 ἀνὰ λόγον3 ad similem formam plerumque eadem materia fiunt. Quare: aut negandum nobis disparia esse iucunda aut, quoniam necesse est confiteri dicendum verborum dissimilitudinem4, quae sit in consuetudine[m]5, non esse vitandam. 33 Quod si analogia sequenda est nobis, aut ea observanda est, quae est in consuetudine, aut quae non est. Si ea, quae est, sequenda est, praeceptis nihil opus est, quod, cum consuetudinem sequemur, ea nos sequetur. Si, quae non est in consuetudine, queremus: Ut quisque duo verba in quattuor formis finxeri[n]t6 similiter, quamvis haec nolemus, tamen erunt sequenda, ut Iuppiti, Marspitrem 7? Quas si quis servet analogias, pro insano sit reprehendendus. Non ergo ea est sequenda. 34 Quod si oportet id es8, ut a similibus similiter omnia declinentur verba, sequitur, ut a dissimilibus9 dissimilia debeant fingi, quod non fit: Nam et < ab >10 similibus alia fiunt similia, alia dissimilia, et ab dissimilibus partim similia, partim dissimilia. Ab similibus similia: ut a bono et malo: bonum malum; ab similibus dissimilia, ut ab lupus lepus: lupo lepori. Contra[ria]11 ab dissimilibus dissimilia, ut Priamus Paris: Priamo Pari; ab dissimilibus similia ut Iupiter ovis: Iovi12 ovi. 35 Eo iam magis – analogia[s]13 – dissimilia finguntur, sed etiam ab iisdem14 vocabulis dissimilia neque a dissimilibus similia, sed etiam eadem: Ab iisdem vocabulis dissimilia fingi apparet, quod, cum duae sint Albae, ab una dicuntur Albani, ab altera Albenses. Cum trinae fuerint Athenae, ab una dicti Athenaei15, ab altera Athenaiis, a tertia Atheneopolitae16. 1  Lac. 6-7 litt. ante ṙebus F, Vall.: aliisque suppl. Lae., factis Da., aliisve Fay. Scripsi. 2  Om. Vall. (Lae.). 3  analogon: Mue. 4  dissimilitudine: Vall. (Lae.). 5  consuetudinem: Lae. 6  finxerunt: Vertr. 7  Iuppiti Marspitrem: add. Klotz. 8  Idē F, · I · (= id est) Vall.: Canal. 9  his similibus: A. Sp. 10  Add. L. Sp. 11  contraria: vulg. 12  Iupiter – Iobi: Vall. 13  analogias: add. et scripsi. 14  hisdem (bis): vulg. 15  athenę: Lae. 16  atheneopolitę: vulg.

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          Ausstattungsstücken aus Elfenbein oder anderen Materialien in verschiedenen Formen als an einfachen Ruhebetten, die analog nach gleichem Muster meist aus dem gleichen Material gemacht werden. Also muss man entweder bestreiten, dass uns Unterschiedliches angenehm ist, oder – da man ja zugeben muss, dass es bei den Wörtern Unähnlichkeit gibt, die im Sprachgebrauch liegt – man darf ihr nicht aus dem Wege gehen. 33 Wenn wir aber die Analogie befolgen sollen, muss man entweder die beobachten, die es im Sprachgebrauch gibt, oder die, die es nicht gibt. Wenn man die befolgen soll, die es schon gibt, braucht es keine Vorschriften: Denn indem wir dem Sprachgebrauch folgen, wird uns die Analogie folgen. Wenn wir die Analogie befolgen, die es im Sprachgebrauch nicht gibt, werden wir fragen: Wenn einer z. B. zwei Wörter in vier Formen auf die gleiche Weise bildet, müssen wir – auch wenn wir das nicht wollen – diese dennoch befolgen, wie Iuppiter, Iuppitris, Iuppitrī, Iuppitrem, und Mārspiter Mārspitris, Mārspitrī, Mārspitrem? Wenn einer diese Analogien beachtet, wird man ihn doch als verrückt tadeln. Also muss man sie nicht befolgen.51 34 Wenn aber das der Fall sein solle, dass von ähnlichen Wörtern alle Wörter auf ähnliche Weise abgeleitet werden, so folgt, dass von unähnlichen die Formen unähnlich gebildet werden müssen – was aber nicht passiert: Denn man macht von ähnlichen Wörtern bald ähnliche, bald unähnliche Formen; und ebenso von unähnlichen Wörtern teils ähnliche, teils unähnliche Formen. Ähnliche Formen von ähnlichen sind z. B. von bonus, gut, und malus, schlecht: (Neutr.) bonum, Gutes, und malum, Schlechtes; von ähnlichen unähnliche z. B. von lupus, Wolf, und lepus, Hase, (Dat.) lupō und leporī. Hingegen von unähnlichen unähnliche Formen: z. B. Priamus und Paris: (Dat.) Priamō und Parī; von unähnlichen ähnliche Formen: z. B. Iupiter und ovis, Schaf: (Dat.) Iovī und ovī. 35 Und so bildet man schon eher – ohne Analogie52 – Unähnliches, aber auch aus denselben Worten unähnliche Formen und nicht von unähnlichen ähnliche, sondern sogar dieselben: Evident werden aus denselben Wörtern unähnliche gebildet, denn obwohl es zwei (sc. Orte namens) Alba gibt, heißen die (sc. Bewohner) von dem einen Albānī, Albaner, die vom anderen Albēnsēs, Albenser. Und wo es schon dreifach ein Athen, Athēnae, gibt, heißen die vom ersten Athēnaeī, Athener, vom zweiten Athēnaiīs, Athenienser, vom dritten Athēnaeopolītae, Athenäopoliten.53

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          36 Sic ex diversis verbis multa facta in declinando inveniuntur eadem, ut cum dico ab Saturni Lua Luam, et ab solvendo [ab]luo [ab]luam1. Omnia fere nostra omina2 virilia3 et muliebria multitudinis cum recto casu fiunt dissimilia, eam dand4: dissimilia, ut mares Terentiei, feminae Terentia5, eadem in dandi vireis6 Terentieis et mulieribus Terentieis. Dissimile Plautus et Plautius et comune, ut huius Plauti et Marci. 37 Denique: Si est analogia, quod in multis verbis et 7 similitudo verborum, sequitur, quod in pluribus est dissimilitudo, ut non sit in sermone sequenda analogia. 38 Postremo: Si est in oratione, aut in omnibus eius partibus est aut in aliqua [esse parum]8 et in omnibus non est: in aliqua esse parum est, ut album esse ethiopa[m]9 non satis est, quod habet candidos dentes: non est ergo analogia. 39 Cum ab similibus verbis, quae declinantur, similia fore polliceantur, qui analogias esse dicunt, et cum simile [lae]tum10 denique dicant esse verbo verbum, ex eodem si[t]11 genere eadem figura transitum de cassu12 in cassum similiter ostendi possit, qui haec dicunt, utrumque ignorant, et in quo loco similitudo debeat esse et quemadmodum spectari soleat, simile sit necne. Quae cum ignorant, sequitur ut, cum analogiam dicere non possint, sequi < non >13 debeamus. 40 Quero enim, verbum utrum dicant vocem, quae ex syllabis est ficta, eam, quam audimus, an quod ea significat, quam intellegimus? an utrumque? Si vox voci esse debet similis, nihil refert, quod significat, mas an femina sit et utrum nomen an vocabulum sit, quod illei14 interesse dicunt. 1  abluo abluam: Suerdsioeus. 2  omīa: L. Sp. 3  liberalia: Scal. 4  eū dant: L. Sp. sec. Lae. (Vall.). 5  terentia: Lae. 6  viris < vireis F : L. Sp. 7  &: Aug. 8  Del. Aug. 9  ethiopam: Mue. 10  Del. vulg. 11  Del. L. Sp. 12  Sic F (bis). 13  Vertr. 14  illę: illi Lae.: L. Sp.

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          36 So findet man beim Ableiten aus verschiedenen Wörtern gleichlautende Formen: wenn ich z. B. von Lua, der zu Saturn gehörenden (Göttin) Lua, (Akk.) Luam sage und von solvere, lösen, luō, ich löse, luam, werde lösen.54 Fast alle unsere männlichen und weiblichen Eigennamen werden, während sie im Nominativ Plural unähnlich werden, im Dativ gleich: Unähnlich z. B. Männer Terentieī, Frauen Terentiae, gleiche Formen im Dativ: den Männern Terentieis und den Damen Terentieis.55 Unähnlich sind Plautus und Plautius, doch gemeinsam haben sie die Genitivform Plautī und Mārcī.56 37 Schließlich: Wenn es Analogie gibt (weil es bei vielen Wörtern ja eine Ähnlichkeit der Wörter gibt), folgt: Weil es bei mehr Wörtern Unähnlichkeit gibt, dass man in der Sprache die Analogie nicht befolgen muss. 38 Letztens: Wenn es sie in der Sprache gibt und sie entweder in all ihren Teilen oder in irgendeinem Teil, aber nicht in allen, ist: Dann ist es zu wenig, nur in irgendeinem Teil zu sein: Es ist ja ein Äthiopier nicht deswegen schon weiß, weil er weiße Zähne hat. Ergo gibt es keine Analogie. 39 Diejenigen, die behaupten, es gebe Analogien, versprechen ja: Es würden sich aus ähnlichen Wörtern bei der Ableitung ähnliche ergeben; und sie sagen, dann erst sei ein Wort dem anderen ähnlich, wenn sich zeigen lasse, dass aus demselben Geschlecht und demselben Aufbau (figūra) der Übergang von einem Fall zum anderen ähnlich gehe57: Die das sagen, wissen beides nicht: An welcher Stelle die Ähnlichkeit sein müsse und auf welche Weise man gewöhnlich sieht, ob es eine Ähnlichkeit gibt oder nicht.58 Indem sie das nicht wissen, folgt, dass wir – da sie ja die Analogie nicht bestimmen können – sie auch nicht befolgen müssen. 40 Ich frage nämlich, ob sie mit verbum, Wort, die Lautform (vōx) meinen, die aus Silben besteht, die wir hören, oder das, was jene bezeichnet, die wir verstehen? Oder beides?59 Wenn eine Lautform der anderen ähnlich sein muss, spielt es keine Rolle, ob das, was sie bezeichnet, männlich oder weiblich ist und ob es ein Eigenname oder ein Gattungswort ist – was doch, wie jene sagen, wichtig ist.

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          41 Sin illud, quod significatur, debet esse simile, Diona et Theona, quos dicunt esse pene ipsi geminos, inveniuntur esse dissimilis, si alter erit puer, alter senex, aut unus albus et alter ethiops, item aliqua re alia dissimile. Sin ex [ex]1 utraqua parte debet verbum esse simile, non cito invenietur, qui2 in altera utra re claudicet, nec Perpenna et Alf[a]ena3 erit simile, quod alterum nomen virum, alterum mulierem significat. Quare, quoniam ubi similitudo esse debeat, nequeunt ostendere, impudentes sunt, qui dicunt esse analogias. 42 Alterum illud, quod dixi, quemadmodum simile [ec]pectari4 oporteret, ignorare apparet ex eorum praecepto, quod dicunt, cum transierit in nominandi casibus in eos quos appellant vocandi, tum denique posse dici rectos esse similis aut dissimilis: Esset enim, ut si quis Menaechmos5 geminos cum videat, dicat non posse iudicare similesne sint, nisi qui ex his sint nati, considerarit, num discrepant6 inter se. 43 Nihil, inquam, quo7 magis minusve sit simile, quod conferas cum altero, ad iudicandum extrinsecus oportet sumi. Quare cum ignorant8, quemad­ modum similitudo debeat sumi, de analogia dicere non possunt. Haec apertius dixissem, nisi brevius eo nunc mallem, quod infra sunt planius usurpanda. Quare, quod ad universam naturam verborum attinet, haec attigisse modo satis est. 44 Quod ad partis singulas orationis, deinceps dicam. Quoius quoniam sunt divisiones plures, nunc ponam potissimum eam,9 qua dividitur oratio secundum10 naturam in quattuor partis: In eam,11 quae habet casus, et quae habet < tempora, et quae >12 neutrum, et in qua est utrumque. Has vocant quidam13 appellandi, dicendi, adminiculandi14, iungendi. Appellandi dicitur ut homo et Nestor, dicendi ut scribo et lego, iungendi ut < et et >15 que, adminiculandi ut docte et commode. 1  Sin ex / ex: vulg. 2  qui: vulg. 3  alfaen F, Vall.: alfaena Lae., alphena vulg. 4  expectari: Vict. 5  Me hechmos: Ald. 6  Nunc discrepat F, num discrepent Aug.: Mette. 7  Scripsi. 8  ignorarent: GS (ignorent Lae.). 9  Iam: Lachmann, in quae Aug., Item Vall. 10  secunda ut: Lachmann. 11 Iniam: Mue. An iam < Iam (= unam)? Cf. ad VI 76 et VIII 36. 12  Add. Vetter sec. codd. HG. 13  quidem: Lae. 14  adminiculandi ٠dicendi Iungendi: corr. F. 15  Add. Mue.

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          41 Wenn aber das Bezeichnete ähnlich sein muss, dann stellt sich heraus, dass Dion und Theon – zwei Wörter, die, wie sie sagen, fast Zwillinge sind – unähnlich sind, wenn der eine ein Junge, der andere ein Greis ist, oder der eine weiß und der andere ein Äthiopier, und sie ebenso in irgendeinem anderen Merkmal unähnlich sind60. Wenn aber ein Wort von beiden Teilen her ähnlich sein soll, dann wird sich schwerlich eines finden, das nicht in beiden Dingen hinkt: Und Perpenna und Alfēna werden nicht ähnlich sein, weil der eine Name einen Mann, der andere eine Frau bezeichnet.61 Weil sie daher nicht zeigen können, wo die Ähnlichkeit bestehen muss, sind diejenigen, die behaupten, es gebe Analogien, unverschämt. 42 Jener andere schon erwähnte Punkt, nämlich auf welche Weise man das Ähnliche sehen müsse: Dass sie das nicht wissen, wird aus ihrer Vorschrift klar, wenn sie sagen, man könne erst dann sagen, dass die geraden Kasus ähnlich seien, wenn ein Wort in den Nennfällen (nōminandī cāsūs) in jene, die sie Ruffälle nennen (vocandī), übergeht: Das wäre ja, wie wenn einer zwei Menaechmische Zwillinge62 sähe und sagte, er könne nicht entscheiden, ob sie ähnlich sind, wenn er nicht aus deren Abkömmlingen beurteilt hat, ob sie voneinander abweichen.63 43 Nichts darf, wie gesagt, beim Vergleich mit einem anderen (Wort), weswegen es (sc. diesem) mehr oder weniger ähnlich sei, von außen zur Beurteilung herangezogen werden.64 Weil sie daher nicht wissen, auf welche Weise man die Ähnlichkeit nehmen muss, können sie nicht über Analogie reden. Dies hätte ich klarer gesagt, wenn ich es nicht deshalb lieber kürzer machen wollte, weil es unten ausführlicher zu behandeln ist.65 Es reicht also, dies nur berührt zu haben, weil es die allgemeine Natur der Wörter betrifft.66 44 Was die einzelnen Redeteile betrifft, das möchte ich der Reihe nach besprechen: Davon gibt es ja mehrere Einteilungen; ich möchte besonders die bringen, mit der die Rede – gemäß der Natur – in vier Teile eingeteilt wird: In einen, der Kasus hat; einen, der Tempora hat; einen, der keines von beiden hat, und einen, bei dem es beides gibt.67 Diese nennen manche (sc. Redeteile) des Nennens, des Sagens, des Stützens und des Verbindens. Als Redeteil des Nennens (appellandī) bezeichnet man z. B. homō, Mensch, und Nestor; als Redeteil des Sagens z. B. scrībō, ich schreibe, und legō, lese; des Verbindens z. B. et, und, und –que; des Stützens z. B. doctē, gelehrterweise, und commodē, passenderweise.

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          45 Appellandi partes sunt quattuor, e quis dicta a quibusdam provocabula, que sunt ut quis, que,1 2 ut scutum, [ut]3 gladium; nomina ut Romulus, Remus; pronomina ut hic, hec. Duo media dicuntur nominatus; prima et extrema articuli. Primum genus est infinitum, secundum ut infinitum, tertium ut [ef]finitum4, quartum finitum. 46 Haec singulatim triplicia esse debent, quod 5 sexum, multitudinem, casum: Sexum, utrum virile an muliebre an neutrum sit, ut doctus, docta, doctum; multitudinem, unum an plura significet, ut hic, hi, hec; casum, utrum recto sit, ut Marcus, an obliquo, ut Marco, an comuni, ut Iovis. 47 His dicretis6 partibus singulas perspice, quo facilius nusquam esse analogias, quas sequi debeamus, videas. Nempe esse oportebat vocis formas ternas ut in hoc: humanus, humana, humanum. Sed habent quaedam binas, ut cervus, cerva, quedam singulas, ut aper, et sic multa. Non ergo est in huiuscemodi generibus analogia. 48 Et in multitudine: ut unum significat pater, plures patres, sic omnia debuerint7 esse bina. Sed et singularia solum sunt multa, ut cicer, siser (nemo enim dicit cicera, sisera) et multitudinis sunt, ut salinae (non enim ab his singulari specie dicitur salina) et balnea8. Neque ab eo, quod dicunt balneum, habet multitudinis consuetudo: nam quod est ut praedium balneum, debuerit9 esse plura, ut praedia balnea, quod non est: Non est ergo in his quoque analogia. 49 Adque10 casus: Alia casus habent et rectos et obliquos, alia rectos solum, alia modo obliquos habent: Utrosque ut Iuno, Iunonis, rectos modo ut Iupiter, Maspiter, obliquos solum ut Iovis, Iovem: Non ergo in his est analogia.

          1  quisque: Aug. 2  Add. Lae. 3  ut del. Bent. 4  effinitum: Aug. 5  Add. L. Sp. 6  decretis: Aug. (dictis Lae.). 7  debuerint F, Vall.; debuerunt vulg. 8  Add. L. Sp. 9  debuerit F, Vall.; debuerunt vulg. 10 [Alia casus] alia casus edd.; scripsi.

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          45 Redeteile des Nennens gibt es vier: Zu einer Gruppe hiervon sagen manche prōvocābula, Fürwörter, z. B. quis, wer? quae, welche?68; vocābula, Nennwörter, z. B. scūtum, Schild, gladium, Schwert; nōmina, Eigennamen, z. B. Rōmulus, Rēmus; prōnōmina, Pronomina, z. B. hic, dieser, haec, diese. Die beiden mittleren Gruppen heißen nōminātūs, Nomina, die erste und letzte articulī, Artikel. Die erste Klasse ist unbestimmt, die zweite so gut wie unbestimmt, die dritte so gut wie bestimmt, die vierte bestimmt.69 46 Diese müssten – jede für sich – dreifach sein, insofern es Geschlecht, Zahl und Kasus betrifft.70 Geschlecht: ob es männlich, weiblich oder sächlich ist, z. B. doctus, docta, doctum, gelehrt (Mask./Fem./Neutr.); Menge: ob es eines oder mehr bezeichnet, wie hic, dieser, hī, diese (Mask. Pl.), haec, diese (Neutr. Pl.); Kasus: ob es im Nominativ ist wie Mārcus, oder im obliquen Kasus, wie Mārcō (Dat./Abl.), oder in beiden Fällen, wie Iovis, Juppiter / Juppiters (Nom./Gen.). 47 Sieh dir nun, nachdem diese Teile (sc. voneinander) unterschieden sind, die einzelnen durch, damit du leichter sehen kannst, dass es nirgends Analogien gibt.71 Es hätte ja drei Wortformen geben müssen, wie im Folgenden: hūmānus, hūmāna, hūmānum (der/die/das Menschliche). Manche Wörter haben aber nur zwei, wie cervus, Hirsch, und cerva, Hirschkuh, manche nur eine einzige, wie aper, Eber, usw. Also gibt es in derartigen Klassen keine Analogie.72 48 Und bei der Zahl: Wie pater, Vater, einen einzigen bezeichnet, patrēs hingegen mehrere, so hätten alle (sc. Nomina) beide Formen bilden müssen73. Aber es gibt viele Wörter, die es nur im Singular gibt, wie cicer, Kichererbse, und siser, Rapunzel (denn keiner sagt cicera und sisera); und es gibt auch Pluralwörter wie salīnae, Salzgrube (denn keiner sagt davon in der Einzahl salīna), und balneae, Badeanstalt.74 Und wenn man balneum, Bad, sagt, hat der Sprachgebrauch davon auch keinen Plural: Denn weil balneum, Bad, wie praedium, Landgut, ist, hätte es auch mehr geben müssen, wie praedia, Landgüter, auch balnea, was nicht der Fall ist: Also gibt es auch hier keine Analogie. 49 Und zu den Kasus: Einige Wörter haben Nominative und oblique Kasus, andere nur den Nominativ, wieder andere nur die obliquen: Beide z. B. Iūnō, Iūnōnis, Juno, Junos; nur Nominative z. B. Iūpiter, Māspiter, Jupiter und Marspiter; nur oblique z. B. Iovis, Iovem, Jupiter (Gen., Akk.). Also gibt es hier keine Analogie.

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          50 Nunc videamus in illa quadripertita. Primum: Si esset analogia, ut in infeineiteis1 articulis, ut est quis, quem, quoius2, sic diceretur qua[e]3, quam, ius4; et ut est quis, quoi4, sic diceretur qua, quai5. Nam est proportione simile: Ut Deae Bonae quae, sic6 Dea Bona qua[e]7 esse8, et ut est quem quis, sic quos ques. Quare: quod nunc dicitur qui homines, dici oportuit ques. 51 Preterea: Ut est ab [h]is < ei >, sic9 ab ea eae diceretur, quod nunc dicitur ei. 10 pronuntiaretur ut in is11 viris, sic eais12 mulieribus, et ut est in rectis casibus < is >, ea [id]13, in obliquis esset eius, eaius; nunc non modo in virili sicut in muliebri dicitur eius, sed etiam in neutris articulis, ut eius viri, eius mulieris, eius pabuli, cum discriminentur in rectis casibus is, ea, id. De hoc genere parcius tetigi, quod librarios haec sposiora14 indiligentius15 elaturos putavi. 52 De nominatibus 16 quae accedunt proxime ad finitam 17 naturam articulorum atque appellantur vocabula, ut homo equus: eorum declinationum genera sunt quattuor: Unum nominandi, ut ab equo equile, alterum casuale, ut ab equo equum, tertium augendi, ut ab albo albius, quartum minuendi, ut cista cistula. 53 Primum genus, ut dixi, id est, cum < ab >18 aliqua parte orationis ­declinata sunt recto casu vocabula19 ut a balneis balneator. Hoc fere triplices habet ­radices, quod et a vocabulo oritur, ut a venatore venabulum, et a nomine, ut a Tibure20 Tiburs, et21 a verbo, ut22 a currendo cursor. In nullo horum analogiam servarei23 videbis. 1  utInInfei / Inej ٠ teis F. Ut in his sequente lacuna ca. 10 litterarum Vall. 2  cuius: Aug. 3  quę: Lae. 4  ius – cui: Aug. 5  quę: Lommatzsch. 6  sit: L. Sp. 7  quę: Sciop. 8  ē (= est): scripsi. 9  ab his ٠ sic: Lae. 10  C. F. W. Mueller. 11  his: is Da.; scripsi. 12  Scripsi. 13 ea id: is add. Aug., id del. Mue. 14 sponsiora: Vict. 15 indulgentius: Sciop. 16 nominativis: L. Sp. 17 Add. Aug. 18 Add. L. Sp. 19 vocabulum: Aug. 20 tibura: Lae. 21 tibur. Sed: Aug. 22 et: vulg. 23 servare: servari Aug.: L. Sp.

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          50 Jetzt wollen wir bei jener Vierteilung nachsehen75. Erstens: Gäbe es Analogie, wie bei den unbestimmten Artikeln76, wie bei quis, quem, quoius, wer, wen, wessen, dann würde (sc. im Femininum) gesagt werden: qua, quam, quaius, welche (Nom., Akk., Gen.); und wie es quis, quoi, wer, wem, gibt, so würde (sc. im Femininum) gesagt werden qua, quai (Nom., Dat.): Denn es ist entsprechend (prōportiōne)77 ähnlich: Wie Deae Bonae quae, der Guten Göttin78, welche, so gäbe es Dea Bona, qua; und wie es quem, quis, wen, wer, gibt, so (sc. müsste es geben) quōs, quēs, welche (Nom./ Akk. Pl. Mask.). Daher hätte das, was jetzt quī hominēs heißt, welche Menschen, quēs (sc. hominēs) heißen müssen. 51 Außerdem: Wie von is, dieser, (sc. im Dativ) eī, so würde von ea, diese, (sc. im Dativ) eae gesagt werden, was jetzt eī heißt. Und man würde, wie bei eīs virīs, diesen Männern (Dat./Abl.), so auch eaīs mulieribus aussprechen; und wie es im Nominativ is, ea, dieser, diese, heißt, so gäbe es in den obliquen eius (m.) und eaius (f.); jetzt aber heißt es nicht nur beim Maskulinum wie auch beim Femininum eius, sondern auch in den sächlichen Artikeln, z. B. eius virī, eius mulieris, eius pābulī, dieses Mannes, dieser Frau, dieses Futters, während sie im Nominativ als is, ea, id unterschieden werden. Diese Art habe ich sparsamer behandelt, weil ich glaube, dass die Kopisten diese wirklich dornigen Formen zu wenig sorgfältig wiedergeben würden.79 52 Was von den Nomina (nōminātūs) dem unbestimmten Wesen der Pronomina (articulī) am nächsten kommt und vocābula, Nennwörter, heißt, wie homō, Mensch, und equus, Pferd: Die haben vier verschiedene Arten von Ableitungen: Eine der Benennung: z. B. von equus, Pferd, equīle, Pferdestall; eine zweite des Kasus: z. B. von equus (Akk.) equum; eine dritte der Steigerung, z. B. von album, weiß, albius, weißer; eine vierte der Minderung, wie cista, Kiste, und cistula, Kistchen.80 53 Die erste Art ist, wie gesagt, wenn von irgendeinem Redeteil im Nominativ Nennwörter abgeleitet werden, z. B. von balneae, Badeanstalt, balneātor, Bademeister. Diese Art hat dreifache Wurzeln: Sie kann von einem Nennwort kommen, wie von vēnātor, Jäger, der Jagdspieß, vēnābulum; oder von einem Eigennamen, wie (von der Stadt) Tibur der Tiburtiner, Tiburs; oder von einem Verbum, wie von currere, laufen, der Läufer, cursor. Bei keinem davon wirst du sehen, dass die Analogie eingehalten wird.81

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          54 Primum: Cum dicatur ut ab ove et sue ovile et suile1, sic a bove bovile non dicitur. Et cum simile sit avis et ovis, neque dicitur ut ab ave aviarium < ab ove oviarium neque ut>2 ab ove ovile, ab ave avile. Et cum debuerit esse ut a cubatione cubiculum, sic3 a sessione sediculum non est. 55 Quoniam taberna, ubi venit4 vinum, a vino vinaria, a creta cretaria, ab unguento unguentaria dicitur, ἀνὰ λόγον5 si essent vocabula, ubi caro venit, carnaria, ubi pelles, pelliaria, ubi calcei, calcearia diceretur, non laniena ac pellesuina et sutrina. Et sicut est ab uno uni, ab tribus trini, a quattuor quadrini, sic a duobus duini, non bini diceretur; nec non ut quadrigae trigae, sic potius duigae quam bigae. Permulta sunt huiusce generis, quae quoniam admonitus perspicere potes[t]6, omitto. 56 Vocabula, quae ab nominibus oriuntur, si ab similibus nominibus similia esse debent, dicemus – quoniam gemina sunt Parma atque7 Roma – Parmenses 8; aut quoniam est similis Roma, Nola, Parma, dicemus ut Romani, Nolani, sic Parmani. Et a Pergamo, ab Ilio similiter Pergamenus Ilienus; aut ut Ilius unus9 et Ilia mas et femina, sic Pergamus et Pergama vir et mulier, et quoniam similia nomina sunt Asia Libya10, dicemus Asiaticos et Libyaticos homines. 57 Quae vocabula dicuntur a verbis, fiunt ut a scribendo scriptor, a legendo lector. Haec quoque non servare similitudinem licet videre ex his: Cum similiter dicatur ut ab amando amator, ab salutando salutator: a cantando < non > cantator11, et cum dicatur: „lassus sum metendo, ferendo.”, ex his vocabula non reddunt proportionem, quo12 non fit ut messor fertor.

          1  2  3  4  5  6  7  8  9  10  11  12 

          ovile – suile < oville – suille F (Vall.). Add. Mue. sit: Lae. venet: vulg.; ubi venit vinum delenda prop. L. Sp. analogjon: GS. potest: scripsi, cf. VIII 53. Alba: scripsi. Roma Parmenses: scripsi sec. Canal. Del. Aug., sed cf. ad VI 76 et VIII 44. libia – libiaticos: vulg. cantando / F: Scripsi sec. Da. quo: L. Sp.

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          54 Erstens: Während man von ovis, Schaf, und sūs, Schwein, den Schafstall ovīle und den Schweinestall mit suīle bezeichnet, so sagt man von bōs, Rind, nicht bovīle, Rinderstall. Und obwohl avis, Vogel, und ovis, Schaf, ähnlich sind, sagt man z. B., wie es von avis aviārium, Vogelhaus, gibt, nicht auch von ovis oviārium (Schafhaus); und auch nicht, wie von ovis ovīle, Schafstall, so von avis avīle (Vogelstall). Und während z. B. vom Schlafen, cubāre, der Schlafraum cubiculum heißt, hätte vom Sitzen, sessiō, der Sitzraum sediculum heißen müssen, was es nicht gibt. 55 Nun heißt ja zwar die Bude, wo man Wein verkauft, von vīnum, Wein, vīnāria, Weinladen; von crēta, Kreide, der Kreideladen crētāria; von unguentum, Parfüm, der Parfümladen unguentāria: Wenn die Wörter aber analog wären, müsste der Laden, wo man Fleisch carō, verkauft, carnāria heißen, wo Felle, pellēs, pelliāria, wo Schuhe, calceī, calceāria; nicht aber laniēna, Metzgerei, pellesuīna, Kürschnerei, und sūtrīna, Schusterladen. Und so, wie es von ūnum, eines, (sc. im Plural) ūnī, je eines, gibt, von trēs, drei, trīnī, je drei, von quattuor, vier, quadrīnī, je vier; so müsste es von duo, zwei, duīnī heißen, nicht bīnī; und so, wie das Viergespann quadrīgae, das Dreiergespann trīgae heißt, so müsste es eher duīgae als bīgae, Zweispänner, heißen. Von dieser Art gibt es ganz viele; da du, weil du darauf aufmerksam gemacht worden bist, das durchschauen kannst, übergehe ich es.82 56 Zu den Nennwörtern, die von Eigennamen stammen: Wir werden (wenn von ähnlichen Eigennamen ähnliche kommen müssen), da ja Parma wie Rōma Zwillingswörter sind, (sc. die Einwohner) Parmēnsēs und Rōmēnsēs nennen; oder, da Rōma, Nōla und Parma sich ähnlich sind, werden wir so wie Rōmānī, Römer, und Nōlānī, Nolaner, auch Parmānī sagen. Und von Pergamon und von Īlion werden wir ähnlich Pergamēnus und Īliēnus sagen; oder, wie im Singular Īlius und Īlia männlich und weiblich heißen, so müssten Mann und Frau auch Pergamus und Pergama heißen83; und da Asia, Asien, und Libya, Libyen, ähnliche Eigennamen sind, werden wir die Menschen Asiāticī und Libyāticī nennen.84 57 Die Nennwörter, die man von Verben bildet, werden wie von scrībere, schreiben, scrīptor, Schreiber, so von legere, lesen, lēctor, Leser. Dass auch diese keine Ähnlichkeit beachten, kann man an Folgendem ersehen: Während man ähnlich z. B. von amāre, lieben, amātor, Liebhaber, sagt und von salutāre, grüßen, salūtātor, Begrüßer, heißt es nicht cantātor, Sänger, von cantāre; und während man sagt: „Ich bin müde vom Ernten und Tragen (metendō, ferendō).“, geben die Nennwörter von diesen Verben keine Entsprechung wieder, da z. B. wie messor, der Ernter, ein fertor (Träger) nicht gebildet wird.85

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          Multa sunt item in hac specie, in quibus potius consuetudinem sequimur quam rationem verborum. 58 Preterea: Cum sint ab eadem origine verborum vocabula dissimilia superiorum, quod simul habent casus et tempora, quo vocantur participia, et multa sint contraria ut amo amor1, seco secor, ab amo et eiusmodi omnibus verbis oriuntur praesens et futurum ut2 amans [u]et amaturus3, ab eis verbis tertium, quod debet fingi praeteriti, in lingua Latina reperiri non potest: non ergo est analogia. Sic ab amor4 legor et eiusmodi verbis vocabulum eius generis praeteriti teporis fit ut amat[ur]us5 eram, sum, ero, neque praesentis et futuri ab his fit. 59 Non est ergo analogia, praesertim cum tantus numerus vocabulorum in eo genere interierit6, quod dicimus. In his verbis, quae contraria non habent, loquor et venor, tamen dicimus loquens et venans, locuturus < et venaturus >7, quod secundum analogias non est, quoniam dicimus loquor et venor, < non loquo et veno >, un[t]de8 illa erant superiora. E9 minus servantur, quom10 ex his, quae contraria verba non habent[ur]11, alia efficiunt terna, ut ea, quae dixi, alia bina, ut ea, quae dicam: currens ambulans, cursurus ambulaturus: tertia enim praeteriti non sunt, ut cursus sum ambulatus sum. 60 Ne in his quidem, quae sepius quid fieri ostendunt, servatur analogia: Nam ut est a cantando cantitans, ab amando amitans non est, et sic multa. Ut in his singularibus, sic in multitudinis: sicut enim cantitantes, seditantes12 non dicuntur. 61 Quoniam est vocabulorum genus, quod appellant compositicium et negant conferri id oportere cum simplicibus, de quibus adhuc dixi, de compositis separatim dicam. 1  amor amo: L. Sp. 2  et: Bentinus. 3  a mansueta maturus: Lae. 4  amabor: Aug. 5  amaturus: L. Sp. 6  inter orierit: Lae. 7  Add. Lae. 8  et venerunt de illa: L. Sp. sec. Lae. 9  eminus: L. Sp. 10  quod cum F: quod Mue.; scripsi. 11  habent: vulg. 12  sed ettitantes (sedettiantes Vall.): Lae.

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          Viele Beispiele gibt es in dieser Art, in denen wir eher den Sprachgebrauch befolgen als eine Wortregel.86 58 Außerdem: Vom gleichen Ursprung der Verben gibt es ja Nennwörter, die jenen vorher genannten (Verben) unähnlich sind und – weil sie zugleich Kasus und Tempora haben – participia, Teilhaber, heißen87. Und bei diesen gibt es ja viele gegensätzliche Formen: z. B. von amō, ich liebe, amor, ich werde geliebt, secō, ich schneide, secor, ich werde geschnitten; von amō, ich liebe, und allen derartigen Verben entstehen eine Form des Präsens und des Futurs, z. B. amāns, liebend, und amātūrus, bald liebend; aber von diesen Verben lässt sich im Lateinischen eine dritte Form, die man im Präteritum bilden müsste, nicht finden88: Also gibt es keine Analogie. So wird von amor, ich werde geliebt, legor, ich werde gelesen, und derartigen Verben ein Wort dieser Art im Präteritum gebildet, z. B. amātus eram, sum, erō, ich war, bin geliebt worden, werde geliebt worden sein; doch eine Form des Präsens und Futurs wird von diesen nicht gebildet. 59 Es gibt also keine Analogie, zumal da eine so große Zahl von Wörtern in dieser Art, von der wir sprechen, untergegangen ist. Bei den Verben, die keine gegensätzliche Form (sc. im Aktiv) haben89, loquor, ich spreche, und vēnor, ich jage, sagen wir dennoch loquēns, sprechend, und vēnāns, jagend, (sc. im Futur) locūtūrus und vēnātūrus, was den Analogien nicht entspricht, weil wir ja sagen: loquor, ich spreche, und vēnor, ich jage, nicht loquō und vēnō, woher jene vorher genannten Formen stammen. Umso weniger beachtet man die Analogien, als von den Verben, die keine gegensätzliche Form haben, die einen drei (sc. Partizipien) bilden, wie die gerade genannten, andere nur zwei, wie die folgenden: currēns, laufend, ambulāns, spazierend, cursūrus, ambulātūrus, bald laufend, bald spazierend. Denn die dritten im Präteritum wie cursus sum und ambulātus sum gibt es nicht. 60 Nicht einmal bei den Verben, die bezeichnen, dass etwas öfter passiert, beachtet man die Analogie: Denn wie es zwar von cantāre, singen, ein cantitāns, immer wieder singend, gibt, so gibt es von amāre, lieben, kein amitāns, immer wieder liebend, und so bei vielen Verben. Wie bei diesen Singularformen, so auch im Plural: Denn man sagt zwar cantitantēs, immer wieder Singende, aber seditantēs, immer wieder Sitzende, sagt man nicht. 61 Da es eine Klasse von Nennwörtern gibt, die sie compositīcium, Kompo­ si­tum, nennen 90, und die man – wie sie sagen91 – nicht mit den einfachen vergleichen dürfe, über die ich soeben gesprochen habe, möchte ich über die zusammengesetzten separat sprechen.

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          Cum ab tibiis et canendo tibicines dicantur, querunt, si analogias sequi oporteat, cur non a cithara1 et psalterio et pandura dicamus citharicen et sic alia. Si ab aede et tuendo < aeditumus, cur non >2 potius atritumus sit quam atriensis? Si ab avibus capiendis auceps dicatur, debuisse aiunt a piscibus capiendis ut aucupem sic piscupem3 dici. 62 Ubi lavetur aes, erarias4, non aerelavinas nominari; et ubi fodiatur argentum, argentifodinas dici, neque < ubi >5 fodiatur ferrum, ferrifodinas. Qui lapides cedunt6, lapicidas, qui ligna, lignicidas non dici; neque ut aurificem, sic argentificem. Non doctum dici indoctum, non salsum < non > insalsum.7 Sic ab hoc quoque fonte, quae profluant, animadvertere est facile. 63 Relinquitur de casibus, in quo Aristarchei8 suos contendunt nervos. Primum: Si in his esse[n]t9 analogia, dicunt10 debuisse11 omnis nominatus12 et articulos habere totidem casus: nunc alios habere unum solum, ut litteras singulas omnes, alios tris, ut praedium praedii praedio, alios quattuor, ut mel mellis melli melle, alios quinque, ut quintus quinti quinto quintum quinte, alios sex, ut unus unius uni unum, une, uno: Non esse ergo in casibus analogias. 64 Secundo: Quod Crates 13, cur, quae singulos habent casus, ut litterae Graecae, non dicantur alpha alphati alphatos, si idem mihi respondebitur quod Crateti, non esse ea14 vocabula nostra, sed penitus barbara, queram, cur idem nostra nomina et Persarum et ceterorum, quos vocant barbaros, cum casibus dicant15? 65 Quare: Si essent in analogia, aut, ut Poenicum et egyptiorum vocabula, singulis casibus dicerent16, aut pluribus, ut Gallorum ac Celtiberorum17: Nam dicunt alauda alaudas18 et sic alia. 1  cythara – cytharicen: vulg. 2  Scripsi sec. Lae. 3  piscipem: GS. 4  ęserarias: Lae. 5  Add. Lae. 6  Vulg. 7  non salsum insulsum: Steph. 8  Aristarchéi: Sed Aristarchii X 16 (F). 9  esset: vulg. 10 dicant: Lae. 11 de risse: Ald. 12 nominativos: L. Sp. 13 grates – grateti: Lae.; Crates < dicebat: > Lae. 14 essent: esse Aug., scripsi. 15 dicat : Vall. (Lae.). 16 dicerent Mette. 17 ceterorum: Vetter, Whatmough. 18 alacco alaucus: Scal.

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          Während die Flötisten, tībicinēs, von tībiae, Flöten, und canere, spielen/singen, so genannt werden, warum – so fragen sie92 – sagen wir dann nicht, wenn man doch die Analogien befolgen müsse, von cithara, Kithara, und psaltērium, dem Psalter, und pandūra, der Pandura, nicht citharicen, Kitharist, und so weiter? Wenn von aedēs, Tempel, und tuērī, behüten, der aeditumus, Tempelhüter, kommt: Warum heiße es nicht eher ātritumus als ātriēnsis?93 Wenn der Vogelfänger, auceps, von den Vögeln, avēs, und capere, fangen, so genannt werde: Dann – so sagen sie – hätte man von piscēs, Fische, und capere, den Fischfänger pisceps heißen müssen. 62 Den Ort, wo Erz gewaschen wird, aes lavātur, nenne man aerāria, nicht aerelavīnae; und wo nach Silber, argentum, gegraben werde, spreche man von argentifodīnae: aber wo nach Eisen gegraben werde, nicht von ferrifodīnae. Diejenigen, die Steine, lapidēs, hauen, caedunt, hießen lapicīdae; diejenigen, die Holz, ligna, hauen, hießen aber nicht lignicīdae, Holzhauer 94. Und es gebe nicht – so wie einen aurifex, Goldschmied – auch einen argentifex, Silberschmied. Einer, der nicht gebildet sei, doctus, heiße indoctus, aber einer, der nicht witzig, salsus, sei, heiße nicht īnsalsus.95 So kann man leicht erkennen, was auch aus dieser Quelle herausfließt. 63 Es bleiben noch die Kasus, bei denen die Aristarcheer96 ihre Kräfte besonders bemühen. Erstens: Wenn es bei diesen Analogie gäbe, hätten alle Nomina und Artikel, so sagen sie, ebensoviele Kasus haben müssen: Sie hätten jetzt aber teils nur einen, wie jeder einzelne Buchstabe, andere drei, z. B. praedium, praediī, praediō, Landgut, wieder andere vier, z. B. mēl, mellis, melli, melle, Honig, wieder andere fünf, z. B. quīntus, quīntī, quīntō, quīntum, quīnte, wieder andere sechs, z. B. ūnus, ūnīus, ūnī, ūnum, ūne, ūnō. Also gebe es bei den Kasus keine Analogien. 64 Zweitens: Wenn Krates97 sagt, warum man bei den Wörtern, die nur éinen Kasus haben, nicht wie bei den griechischen Buchstaben sagt: alpha, (Dat.) alphati, (Gen.) alphatos, und mir dann die gleiche Antwort gegeben wird wie dem Krates: „Das sind nicht Wörter von uns, sondern völlig barbarische.“, dann möchte ich doch fragen: Warum bezeichnen sie dann unsere (sc. lateinischen) Eigennamen genauso wie die der Perser und der Übrigen, die sie „Barbaren“ nennen, mit Kasusformen?98 65 Wenn sie sich daher in Analogie befänden, dann würde man diese (sc. die Buchstabennamen) wie die Wörter der Phönizier und Ägypter nur mit einem einzigen Kasus aussprechen oder mit mehreren, wie bei den Kelten und den Keltiberern: Denn man sagt alauda und alaudas, Lerche,99 – und so anderes.

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          Sin1, quod scribunt2, dicent, quod Poenicum sit,3 singulis casibus ideo eas litteras Graecas nominari: Sic Graeci nostra senis casibus, non quinis4 dicere debebant; quod cum non faciunt, non est analogia. 66 Quae si esse[n]t5, negant ullum casum duobus modis debuisse dici; quod fit contra. Nam sine reprehensione vulgo alii dicunt in singulari hac ovi et avi, alii hac ove et ave, in multitudinis hae puppis restis et hae puppes restes. Item quod in patrico6 casu hoc genus dispariliter dicuntur civitatum parentum et civitatium parentium, in accusandi hos montes fontes et hos montis fontis. 67 Item: Cum, si sit analogia, debeant ab similibus verbis similiter declinatis similia fieri, et id non fieri ostendi possit, despiciendam eam esse rationem. Atqui ostenditur: Nam qui potest similius esse quam gens, mens, dens?7 Cum horum casus patricus et accusativus in multitudine sint disparilis: Nam a primo fit gentium et gentis, utrubique ut sit < I >8, ab secundo mentium et mentes9, ut in priore solo sit I, ab tertio dentum et dentes, ut in neutro sit. 68 Sic item, quoniam simile est recto casu surus, lupus, lepus, rogant, quor10 non dicatur proportione[m]11 item suro, lupo, lepo. Sin respondeatur similia non esse, quod ea vocemus dissimiliter sure, lupe, lepus (Sic enim respondere voluit Aristarcus Crateti: Nam cum scripsisset similia esse Philomedes Heraclides Melicertes, dixit non esse similia: in vocando enim cum brevi < E >12 dici Philomede13, cum E longo Heraclide, cum brevi 14 Melicerta15), in hoc dicunt Aristarcum non intellexisse, quod querere>tur,16 se non solvere[t]17. 1  alias. In: Popma. 2  scribent: Popma. 3  sit: Rhol. 4  quinis non: Lae.; del. vult A. Sp. 5  essent: Lae. 6  patricos: Lae. 7  mens٠gens٠ dens: L. Sp. 8  Add. Aug. 9  mentis: Lae. 10  quor: Minimis litteris cur suprascriptum est, ut saepius; om. Vall. (Lae.). 11  proportionem: Aug. 12  Add. Lae., huc transposui. 13  Philomede F; Philomedes Mue., sed cf. IX 91. 14  cum < A > brevi Sciop., scripsi. 15  melicerte: Scal. 16  queretur: Aug. 17  si non solveret: Groth.

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          Wenn sie aber – wie sie schreiben100 – sagen werden: „Weil diese von den Phöniziern kommen, werden deshalb die griechischen Buchstaben nur in je einem einzigen Kasus benannt“: Dann müssten aber die Griechen unsere Bezeichnungen in sechs, nicht in fünf Kasus sagen; da sie dies nicht machen, gibt es keine Analogie. 66 Wenn es die Analogie gäbe, dann – so sagen sie – hätte kein Kasus auf zweierlei Art gebildet werden dürfen; das Gegenteil aber ist der Fall. Denn ohne Kritik sagen allgemein die einen im Singular Abl. ovī, mit dem Schaf, und avī, mit dem Vogel, andere ove und ave, im Plural Nom. puppīs, Achterdecke, restīs, Stricke, aber auch puppēs und restēs. Weiter: Im Genitiv101 sagt man bei dieser Wortklasse ungleich bald cīvitātum, der Städte, parentum, der Eltern, bald cīvitātium und parentium, im Akkusativ montēs, Berge, und fontēs, Quellen, neben montīs und fontīs. 67 Weiter: Wenn es eine Analogie gäbe, müssten ja von ähnlichen Wörtern, die auf ähnliche Weise abgeleitet worden sind, ähnliche gebildet werden: Da sich aber zeigen lasse, dass dies nicht passiert, sei von diesem Prinzip abzusehen. In der Tat lässt sich zeigen: Kann es denn etwas Ähnlicheres geben als gēns, Geschlecht, mēns, Geist, und dēns, Zahn? Aber deren Genitiv und Akkusativ Plural sind ja verschieden: Denn vom ersten wird gebildet gentium und gentīs, mit einem I in beiden, vom zweiten mentium und mentēs, wobei nur das erste ein I hat, vom dritten dentum und dentēs, beides ohne I. 68 So fragen sie weiter: Da ja im Nominativ sūrus, Pfahl, lupus, Wolf, und lepus, Hase, ähnlich sind: Warum werde dann nicht entsprechend auch (sc. im Dativ) sūrō, lupō, lepō gesagt? Sollte aber geantwortet werden, sie seien nicht ähnlich, weil wir sie (sc. im Vokativ) unähnlich sūre, lupe, lepus rufen: (So wollte nämlich Aristarch dem Krates antworten: Denn nachdem dieser geschrieben hatte, Philomēdēs Hēraclīdēs und Melicertēs seien ähnlich, sagte Aristarch, sie seien es nicht: Denn beim Rufen102 werde Philomēde! mit kurzem E gesprochen, Hēraclīdē! mit langem E, Melicerta! mit kurzem A.) So habe – sagen sie – hierbei Aristarch nicht begriffen, dass er das, wonach gefragt werde, nicht auflöse.

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          69 Sic enim, ut quicque in obliquis casibus discrepavit, dicere potuit propter eam rem rectos casus non1 esse similis. Quom2 queratur, duo inter se similia sint necne, non debere extrinsecus adsumi3, cur similia sunt. 70 Item, si esset analogia, similiter ut dicunt aves, oves, sues, dicerent item ut avium ovium suium. Si analogia est, inquit, cur populus dicit dei Penates, dei Consentes, cum sit ut hic reus ferus4 deus, sic hei5 rei ferei dei6? 71 Item querunt, si sit analogia, cur appellant omnes aedem deum Consentium et non deorum Consentium? Item, quor7 dicatur mille denarium, non mille denariorum? Est enim hoc vocabulum figura ut Vatinius8, Manilius denarius: Debet igitur dici ut Vatiniorum, Maniliorum, denariorum; et non equum puplicum9 mille assarium esse, sed mille assariorum: ab uno enim assario multi assarii, ab eo assariorum. 72 Item secundum illorum rationem debemus secundis syllabis longis Hectórem Nestórem: Est enim ut questor praetor Nestor questórem praetórem10 Nestórem, questóris praetóris Nestóris; et non debuit dici quibus das, quis das: Est enim ut ei qui11 his quis at12 sicut quibus hibus. 73 Cum dicatur da patri familiái, si analogias sequi vellent, non debuerunt dicere hic13 pater familias, quod est ut Atiniae Catiniae familiae, sic una Atinia Catinia familia. Item plures patres familias dicere non debuerunt, sed, ut Sisenna scribit, patres familiarum. 74 Neque oportebat consuetudinem natare 14 alios dicere boum greges, alios boverum, et signa alios Ioum, alios Ioverum, cum esset ut Iovis bovis struis et Iovem bovem struem, Iovi bovi strui. 1  2  3  4  5  6  7  8  9  10  11  12  13 

          noti: Aug. quom: con suprascr. F, cf. VIII 69, 71. adsum: Vall. (Lae.). ferus – ferei F; ferus – ferei plurimi edd. Scripsi. hei F, Vall.: hi Da. rei – dei: Add. L. Sp. Supra quor prima manus suprascripsit cur; cf. VIII 69. Varinius – Variniorum: Lae. publicum < puplicum F. quaestorem praetorem Nestórem F : scripsi. ei qui: scripsi, cf. VIII 70. at: L. Sp. hic < da hic F. 14  notare: prop. L. Sp.; et addidi.

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          69 Denn so hätte er sagen können: Bei allem, was in den obliquen Kasus nicht zusammenpasst, seien deshalb auch die Nominative nicht ähnlich. Wenn gefragt werde, ob zwei einander ähnlich sind oder nicht, dürfe man (sc. zur Beurteilung), weshalb sie ähnlich sind oder nicht, nichts von außen heranziehen103. 70 Weiter: Wenn es Analogie gäbe, dann würde man – so wie man avēs, Vögel, ovēs, Schafe, und suēs, Schweine sagt – ebenso (sc. im Genitiv) z. B. sagen: avium, ovium, suium104. Wenn es Analogie gibt, sagt er,105 warum sagt dann das Volk deī Penātēs, die Götter des Hauses, deī Cōnsentēs, die Götter des Rates, während es ja (im Nominativ) heißt: reus, Angeklagter, ferus, wild, deus, Gott, und (sc. Plural) reei, ferei, deei?106 71 Weiter fragen sie: Wenn es Analogie gäbe, warum nennen dann alle den Tempel deum Cōnsentium, der Götter des Rates, und nicht deōrum Cōnsentium?107 Und warum hießen 1000 Denare mīlle dēnārium, nicht mīlle dēnāriōrum? Dieses Nennwort – dēnārius – hat doch den gleichen Aufbau wie Vatīnius und Manīlius. Gesagt werden müsste also z. B. (sc. im Gen. Pl.) Vatīniōrum, Manīliōrum, dēnāriōrum. Und das Ritterpferd (equus pūplicus) koste ja nicht 1000 As-Stücke, assārium, sondern assāriōrum: Denn von einem assārius kommen viele assāriī, davon assāriōrum. 72 Weiter müssten wir nach deren Regel108 mit langer zweiter Silbe (sc. im Akkusativ) Hectōrem Nestōrem sagen. Denn Nestor ist wie quaestor und praetor, (sc. also) quaestōrem, praetōrem, Nestōrem, quaestōris, praetōris, Nestōris109; und man hätte nicht im Dativ sagen dürfen: quibus und quīs: Denn wie hei, quei, diese, welche, ist ja hīs, quīs oder quibus hibus.110 73 Da man im Dativ sagt: patrī familiāi, hätten sie – wollten sie die Analogien befolgen – nicht sagen dürfen: Nom. pater familiās, denn (sc. Pl.) familiae ist wie Ātīniae und Catīniae, und im Singular Ātīnia, Catīnia und familia. Ebenso hätten sie im Plural nicht sagen dürfen patrēs familiās, sondern – wie Sisenna schreibt111 – patrēs familiārum. 74 Und der Sprachgebrauch sollte nicht schwimmen und bald die einen (sc. im Genitiv) zu den Herden von Rindern boum, die anderen boverum sagen, und die einen zu den Statuen von Jupiter (sc. im Plural) Ioum, die anderen Ioverum sagen, wo doch gleich sind112: Iovis (Jupiters), bovis (des Rindes), struis (des Haufens), und (sc. Akk.) Iovem, bovem, struem, (sc. Dat.) Iovī, bovī, struī.

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          Nec cum haec convenirent in obliquis casibus, dubitare debuerunt in rectis, [prop]in quibus nunc1 in consuetudine aliter dicere pro Iovis Iupiter, pro bovis2 bos, pro struis3 strues. 75 Deinceps dicam de altero genere vocabulorum, in quo contentiones fiunt: ut album4 albius albissumum5. In quo item6 analogias non servari apparet: Nam cum sit simile salsum, caldum, et dicatur ab his salsius, caldius, salsissimum, caldissimum, debuit dici, quoniam simile est bonum, malum ab his bonius et malius, bonissimum et malissimum. Nonne dicitur bonum, melius, optimum7? 76 In aliis verbis nihil est 8, ut dulcis dulcior dulcissimus, in aliis primum, ut peium peius pessimum, in aliis medium, ut caesius caesior 9 cesisumus10. In aliis bina sunt, quae sint11 ab eadem voce declinata, et ea ita, ut alias desint secundum et tertium, ut in hoc: mane manius manissime, alias ut duo prima absint, ut ab optimum optius optum, alias ut primum et tertium desit, ut a melius melum12 melissumum. 77 Preterea: Si dicerentur similiter cum similia essent acer13 sacer tener et macerrimus sacerrimus tenerrimus, non discreparet in his macrior sacri14 tenerior neque alia trisyllaba, < aliud quadrisyllabum >15 fierent. Et si in his dominaretur similitudo, diceremus ut candidissimus candidissima, pauperrumus pauperrima, sic candidus candida, pauper paupera. Et ut dicimus doctus docta, doctissimus doctissima, sic diceremus frugalissumus frugalissima, frugus et fruga16.

          1  2  3  4  5  6  7  8  9  10  11  12  13  14  15  16 

          propinquibus . Nunc: L. Sp. bus: Mue. struus: vulg. albus: Lae., Rhol. albussumum : albussumus Vall., albissimus Lae. id: Mue. optǐmum F; add. Aug. Add. Ald. caesior caesius: L. Sp. cesisumus < cesifumus F: Mue. Add. Mue. melum melius: L. Sp. Add. Lae. scre in marg. F: suppl. Da. alia quadrisyllaba add. Sciop.; scripsi. frugus et fruga: prop. L. Sp.

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          75 – 77

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          Und wenn dies schon in den obliquen Kasus passte, hätten sie nicht bei den Nominativen zweifeln dürfen: Da sage man ja jetzt im Sprachgebrauch Iūpiter für Iovis, bōs für bovis und struēs für struis. 75 Anschließend möchte ich über eine andere Klasse von Wörtern sprechen, bei der es Streitdebatten113 gibt: z. B. bei album, weiß, albius, albissumum. Evident werden hier ebenfalls die Analogien nicht beachtet: Denn zwar sind salsum, witzig, und caldum, warm, ähnliche Wörter, und es heißt davon (sc. in der Steigerung) salsius, caldius und salsissimum, caldissimum; doch hätte man – da ja bonum, gut, und malum, schlecht, (sc. diesen) ähnlich sind – sagen müssen: bonius und malius, besser und schlechter, bonissimum und malissimum, am besten und schlechtesten. Heißt es denn nicht: bonum, melius, optimum? 114 76 Bei den einen Wörtern fehlt nichts, z. B. bei dulcis, süß, dulcior, süßer, und dulcissimus, der Süßeste; bei anderen das erste: peium, peius, schlechter, pessimum, am schlechtesten, bei anderen das mittlere: caesius, blaugrau, caesior, caesissumus. Bei einigen gibt es je zwei Formen, die als Ableitung vom gleichen Wort fehlen, und zwar so: Bald fehlt das zweite und dritte, z. B. bei mānē, früh: mānius, mānissimē, bald die ersten beiden, z. B. von optimum, am besten: optius, optum, bald das erste und dritte, wie von melius, besser: melum und melissumum. 77 Außerdem: Macer, mager, sacer, heilig, und tener, zart sind ja ähnlich, auch macerrimus, sacerrimus und tenerrimus; wenn sie aber ähnlich gesprochen werden, dann dürften sich bei diesen nicht macrior, sacrior und tenerior unterscheiden und die einen dreisilbig werden, das andere viersilbig. Und wenn bei diesen die Ähnlichkeit vorherrschen würde, würden wir – wie candidissimus, candidissima, der/die Weißeste, pauperrumus, pauperrima, der/ die Ärmste – auch sagen: candidus, der Weiße, candida, die Weiße, pauper, der Arme, paupera die Arme.115 Und wie wir sagen: doctus, docta, der/die Gelehrte, doctissimus, doctissima, der/die Gelehrteste, so würden wir sagen: frūgālissumus, frūgālissima, der/die Ordentlichste, und so frūgālus und frūgāla, der/die Ordentliche116.

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          Liber VIII

          78 Et si proportione[m]1 essent2 verba, ut3 uno vocabulo dicimus virum et mulierem sapientem et diligentem et sapientiorem et diligentiorem, sic diceremus item, cum pervenissemus ad summum, quod nunc facimus aliter: Nam virum dicimus sapientissimum 4 et diligentissimum, feminam sapientissimam et diligentissimam. Quod ad vocabulorum huius generis exempla pertinet, multa sunt reliqua, sed ea, quae dicta, ad iudicandum satis sunt, quor5 analogias in collatione verborum sequi non debeamus. 79 Magnitudinis vocabula cum possint esse terna, ut cista cistula cistella: in mediis non sunt, ut in his macer, macricolus, macellus, niger, nigricolus, nigellus. Item minima in quibusdam non sunt, ut avis avicula aucella, caput, capitulum, capitellum. In hoc genere vocabulorum quoniam multa desunt, dicendum est non esse in eo potius sequendam quam consuetudinem rationem. Quod ad vocabulorum genera quattuor pertinet, ut in hoc potius consuetudinem quam analogias dominari facile animadverti possit, dictum est. 80 Sequitur de nominibus, quae differunt a vocabulis ideo, quod sunt finita ac significant res proprias, ut Paris elena: cum vocabula sint infinita ac res comunis designent[ur]6 ut vir mulier; e quibus sunt alia nomina ab nominibus, ut Ilium ab Ilo et Ilia ab Ilio,7 alia a vocabulo, ut ab albo Albius, ab atro Atrius. In neutris servata est analogia: Nam et cum sit a Romulo Roma, proportione non est, quod debuit esse < Romula, et >8 Perpennae9 filia non Perpennae. 81 Perpenna mulieris nomen esse debuit et nata esse a Perpenno, quod est ut Arbernus Percelnus Perpennus, Arberna Percelna Perpenna. Quod si Marcus Perpenna virile est nomen et analogia sequenda, Lucius elia et Quintus Mucia virilia nomina esse debebunt.

          1  Del. Lae. 2  esse: Vall. (Lae.). 3  &: Aug. 4  sapentissimum: Vall. (Lae.). 5  quod < quor F: L. Sp., cf. VIII 69 et 71. 6  designent r: Aug. 7  illum ab illo et illa ab illo: Aug. 8  Prop. L. Sp. 9  Perpenni: Scripsi.

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          78 Und wenn die Wörter sich entsprächen, dann – wie wir mit einem einzigen Wort für Mann und Frau sapientem, weise, und dīligentem gewissenhaft, und sapientiōrem, weiser, und dīligentiōrem, gewissenhafter, sagen – würden wir ebenso beim höchsten Grad117 die gleiche Form sagen; das machen wir jetzt aber anders: Denn männlich sagen wir sapientissimus, der Weiseste, und dīligentissimus, der Gewissenhafteste, weiblich aber sapientissima und dīligentissima. Was die Beispiele zu dieser Klasse von Wörtern betrifft, bleibt vieles übrig; aber das Gesagte reicht zur Beurteilung, warum wir bei der Komparation der Wörter die Analogien nicht befolgen müssen.118 79 Wörter119 für Größen könnte es ja jeweils drei geben, z. B. cista, Kiste, cistula, Kistchen, und cistella, Kistelchen. Doch gibt es sie bei den mittleren Größen nicht, z. B. macer, mager, macricolus und macellus, etwas mager; niger, schwarz, nigricolus und nigellus, etwas schwarz/schwärzlich.120 Ebenso gibt es bei einigen keine Formen für das Kleinste, z. B. avis, Vogel, avicula, Vöglein, aucella121; caput, Kopf, capitulum, Köpfchen, capitellum. Da bei dieser Klasse von Nennwörtern viele fehlen, muss man sagen, dass man hier nicht eher der Regel als dem Sprachgebrauch folgen soll. Was die vier Arten von Nennwörtern betrifft – nämlich dass sich leicht feststellen lässt, dass hier eher der Sprachgebrauch als die Analogien vorherrscht –, ist abgehandelt. 80 Nun kommen die Eigennamen, die sich von den Nennwörtern insofern unterscheiden, als sie bestimmt sind122 und ganz eigene Dinge bezeichnen, wie Paris und Helena, während die Nennwörter unbestimmt sind und allgemeine bezeichnen wie vir, Mann, und mulier, Frau. Von diesen Eigennamen kommen die einen wieder von Eigennamen, wie Īlium, Ilion, von Īlus und Īlia von Īlius, andere von einem Nennwort wie Albius von albus, weiß, und Ātrius von āter, schwarz. In keinem von beiden ist die Analogie beachtet: Denn während Rōma von Rōmulus kommt, gibt es das Entsprechende nicht, das Rōmula hätte sein müssen, und die Tochter des Perpenna hätte nicht Perpennae, Perpennas Tochter, heißen dürfen.123 81 Perpenna hätte der Eigennamen einer Frau sein müssen und sie die Tochter eines Perpennus sein, denn Arberna, Percelna und Perpenna sind ja so wie Arbernus, Percelnus und Perpennus. Wenn aber Marcus Perpenna ein Name für einen Mann ist und die Analogie zu beachten ist, dann werden Lucius Aelia und Quintus Mucia ebenso Eigennamen für Männer sein müssen.124

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          Liber VIII

          82 Item quae dicunt ab Rhodo, Andro, Cyzico Rhodius, < Andrius > 1, Cyzicenus, similiter Cyzicius dici < debuit >2 ut3 civis unusquisque – non4 ut Atheneus dicitur rhetor nomine, etsi non sit Atheniensis. In hoc ipso analogia non est, quod alii nomina habent ab oppidis, alii aut non habent aut non ut debent, habent. 83 Habent plerique libertini a municipio manumissi in quo, ut societatum et fanorum servi, non servarunt proportione[m] 5 rationem, et Romanorum liberti debuerunt dici ut a Faventia Faventinus, ab Reate Reatinus, sic a Roma Romanus, ut nominantur a libertinis orti publicis servis Romani, qui manumissi, ante quam sub magistratus nomina qui eos liberarunt, succedere ceperunt. 84 Hinc quoque illa nomina: Laenas6, Sufenas7, Carrinas, Mecenas. Quae cum essent ab loco, ut < ab Urbino >8 Urbinas, et tamen Urbinius,9 ab his debuerunt dici ad nostrorum nominum < similitudinem >10+++ Frg. 5 (= 8,5 Kent) = Gellius, Noctes Atticae II 25,1-9: In Latino sermone, sicut in Graeco, alii ἀναλογίαν sequendam putaverunt, alii ἀνωμαλίαν. Ἀναλογία est similium similis declinatio, quam quidam Latine „proportionem” vocant. Ἀνωμαλία est inaequalitas declinationum consuetudinem sequens. Duo autem Graeci grammatici illustres, Aristarchus et Crates, summa ope, ille ἀναλογίαν, hic ἀνωμαλίαν defensitavit. M. Varronis liber < ad > Ciceronem de lingua Latina octavus nullam esse observationem similium docet inque omnibus paene verbis consuetudinem dominari ostendit: „ Sicuti cum dicimus”, inquit, „lupus lupi, probus probi et lepus ­leporis, item paro paravi et lavo lavi, pungo pupugi, tundo tutudi et pingo pinxi. C umque”, inquit, „a ceno et prandeo et poto et cenatus sum et ­pransus sum et potus sum dicamus, a destringo tamen et extergeor et lavor destrinxi et extersi et lavi dicimus. 1  Add. Ald. 2  Prop. L. Sp. 3  et: scripsi. 4  nam: Canal. 5  proportionem: L. Sp. 6  Lesas: Aug. 7  Ufenas: Scal. 8  Addidi. 9  ūbinus (= uerbinus): GS. 10  Add. Lae.; < Laenius Sufenius Carrinius Maecenius > add. Da. sec. GS. Hic vacant in exemplari F dimidius versus, folium XXII v et primum dimidium folii XXIIIi.

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          82 – Frg. 5

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          82 Weiter sagt man von Rhodus, Andrus und Cyzicus: Rhodius, Rhodier, Andrius, aus Andrus, und Cyzicēnus, aus Cyzicus; man hätte aber ähnlich Cyzicius sagen müssen wie bei jedem einzelnen Bürger (sc. eines gleich­ lautenden Ortes) –, aber nicht so wie der Redner namens Athēnaeus, obwohl er nicht aus Athen kommt. Gerade hierbei gibt es keine Analogie, weil die einen ihre Namen von den Städten haben, andere sie entweder nicht haben oder nicht so haben, wie sie es müssten. 83 Es haben die meisten Freigelassenen (sc. ihre Namen) von dem Municipium, von dem sie freigelassen wurden; doch dabei hat man, wie bei den Sklaven von Gesellschaften und Heiligtümern, nicht entsprechend die Regel eingehalten125; auch die Freigelassenen der Römer hätten so wie vom Ort Faventia ein Faventīnus, von Reāte ein Reātīnus, so von Rōma Rōmānus genannt werden müssen, so wie die Abkömmlinge von freigelassenen Stadtsklaven Rōmānī heißen, wenn man sie freilässt, ehe sie begannen, den Namen desjenigen Beamten anzunehmen, der sie freigelassen hat. 84 Daher kommen auch jene Eigennamen: Laenās, Sufēnās, Carrinās und Maecenās: Obwohl sie von einem Ort kommen, wie Urbīnās von Urbīnum, heißt es dennoch auch Urbīnius; und so hätten von diesen (sc. wohl: Orten), ähnlich zu unseren Eigennamen, (sc. wohl: Laenius, Sufēnius, Carrīnius und Maecēnius gebildet werden müssen).126 Frg. 5 (Gellius, Attische Nächte II 25,1-9): Im Lateinischen – wie im Griechischen – glaubten die einen, man müsse die Analogie befolgen, die anderen, die Anomalie. „Analogie“ ist die ähnliche Ableitung ähnlicher Wörter, wozu einige lateinisch prōportiō sagen. „Anomalie“ ist die Verschiedenheit der Ableitungen, die dem Sprachgebrauch folgt. Zwei berühmte griechische Grammatiker aber, Aristarch und Krates, haben mit größter Energie jener die Analogie, dieser die Anomalie verteidigt. M. Varros achtes Buch an Cicero De lingua Latina lehrt, dass sich überhaupt nicht beobachten lasse, dass es Ähnliches gebe, und zeigt, dass bei fast allen Wörtern der Sprachgebrauch vorherrscht. Er sagt127: „ (Sc. wohl: Ähnlichkeit ist so,) wie wenn wir sagen: lupus lupī, probus probī und lepus leporis, ebenso parō parāvī und lavō lāvī, pungō pupugī, tundō tutudī und pingō pinxī. Während wir aber von cēnō, prandeō und pōtō, ich esse, f­ rühstücke, trinke, (sc. im Präteritum) sagen: cēnātus sum, prānsus sum und pōtus sum, sagen wir dennoch von dēstringor, extergeor und lavor, ich ­frottiere, trockne, wasche mich, dēstrinxī, extersī und lāvī.

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          Liber VIII

          I tem cum dicamus ab Osco Tusco, Graeco Osce, Tusce, Graece, a Gallo tamen et Mauro Gallice et Maurice dicimus. Item a probus probe, doctus docte, sed rarus non dicitur rare, sed alii raro dicunt, alii rarenter.” Inde M. Varro in eodem libro: „Sentior, inquit, nemo dicit et id per se nihil est, adsentior tamen fere ommes dicunt. Sisenna unus adsentio in senatu dicebat et eum postea multi secuti, neque tamen vincere consuetudinem potuerunt.”

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          Frg. 5 – Frg. 5

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           eiter: Obwohl wir vom Oskischen, Etruskischen und Griechischen, W Oscum, Tūscum, Graecum, sagen: Oscē, Tūscē, Graecē, auf Oskisch, Etruskisch und Griechisch, sagen wir doch vom Keltischen und Maurischen Gallicē und Mauricē. Ebenso sagt man (sc. als Adverb) probē, tüchtig, von probus, und doctē, gelehrt, von doctus, aber von rārus, selten, sagt man nicht rārē, sondern die einen sagen rārō, die anderen rārenter.“ Daher sagt M. Varro im gleichen Buch: „Sentior sagt keiner und hat auch keine Bedeutung; adsentior aber ­sagen fast alle. Sisenna sagte als einziger im Senat adsentiō, ich ­stimme zu, und obwohl ihm später viele gefolgt sind, konnten sie doch den Sprachgebrauch nicht besiegen.“

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          Liber IX

          Liber IX

          1 … nesciunt docere, quam discere, quae ignorant: In quo fuit Crates, nobilis grammaticus (qui fretus Chrysippo1, homine acutissimo), qui reliquit περὶ ἀνωμαλίας2 VI3 libro4 contra analogian atque Aristarchum est nixus, sed ita, ut scripta indicant eius, ut neutrius videatur pervidisse voluntatem: quod et Chrysippus, de inaequabilitate cum scribit sermonis5, propositum habet ostendere similis res dissimilibus verbis et dissimiles similibus esse vocabulis notatas, id quod est ver[b]um6, et quod7 Aristarchus, de aequabilitate quom scribit8 et de verborum < similitudine >9, similitudinem qua[ru]ndam10 inclinatione[s]11 sequi iubet, quoad patiatur consuetudo. 2 Sed ii, qui in loquendo partim sequi iubet12 nos consuetudinem, partim rationem, non tam discrepant, quod consuetudo et analogia coniunctiores sunt inter se, quam iei13 credunt, 3 quod est nata ex quadam consuetudine analogia et ex hac14 consuetudo. < Quae quod >15 ex dissimilibus et similibus verbis eorumque16 declinationibus constat, neque anomalia neque analogia est repudianda, nisi si non est homo ex anima, quod est [homo ex anima quod est]17 ex corpore et anima. 1  Chrisippo: vulg. 2  perianomalias: vulg. 3  Цj F: III L. Sp., IV Wilmanns; scripsi sec. Mue. 4  libri F, libris Vall.: L. Sp.; scripsi et addidi. 5  sermones: Stephanus. 6  verbum: Ald. 7  cum: Mue. 8  conscribit: Scripsi. 9  Add. Da. 10  quarundam: Groth. 11  inclinationes: A. Sp. 12  iubet: Vict. 13  Sic F, Vall. 14  Lac. sign. Mue. 15  Addidi. 16  eorumque < eorum quod F, ut videtur; L. Sp. 17  Del. L. Sp. sec. Aug; an: quod est < et > ex corpore et anima ?

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          Buch IX

          1 (Sc.: Die Verfechter der Anomalie) können noch weniger lehren als lernen, was sie nicht verstehen128: Dazu gehörte der berühmte Grammatiker Krates129 – er stützte sich auf Chrysippus130, einen ganz scharfsinnigen Menschen –, der 6 Bücher über die Anomalie hinterließ und gegen die Analogie und Aristarchos131 ankämpfte; er tat dies aber so (wie seine Schriften zeigen132), dass er die Absicht von keinem von beiden durchschaute: Denn wenn Chrysippus über die Unregelmäßigkeit der Sprache schreibt, hat er vor, zu zeigen, dass ähnliche Dinge mit unähnlichen Wörtern und unähnliche mit ähnlichen Wörtern bezeichnet sind (was ja stimmt); und wenn Aristarchus über die Gleichmäßigkeit und die Ähnlichkeit der Wörter schreibt, empfiehlt er ja auch, bei der Flexion133 eine gewisse Ähnlichkeit der Wörter zu befolgen, soweit es der Sprachgebrauch zulasse. 2 Aber diejenigen, die wollen, dass wir beim Sprechen teils den Sprach­ gebrauch, teils eine Regel befolgen, liegen nicht so weit auseinander, weil Sprachgebrauch und Analogie enger miteinander verbunden sind, als diese glauben134: 3 Ist doch die Analogie aus einem bestimmten Sprachgebrauch entstanden und aus dieser wiederum der Sprachgebrauch. Weil dieser aus unähnlichen und ähnlichen Wörtern und deren Ableitungen besteht, sind weder Anomalie noch Analogie zurückzuweisen, wenn man nicht behaupten will, der Mensch bestehe nicht aus Seele, weil er aus Leib und Seele besteht.135

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          Liber IX

          4 Sed ea, quae dicam, quo facilius pervideri possint, prius de trinis copulis discernendum (nam [cum]1 confusim ex utraque parte pleraque dicuntur, quorum2 alia ad aliam referri debent summam): Primum de copulis naturae et suis3: haec enim duo sunt, quo derigunt4 diversa, quod aliud est dicere 5 verborum analogias, aliud dicere uti oportere analogiis. Secundum de copulis multitudinis ac finis, utrum omnium verborum dicatur esse analogiarum6 usus an maioris partis; tertium de copulis personarum, qui eis debent uti, quae sunt plures. 5 Alia enim populi universi, alia singulorum, et de ieis non eadem oratoris et poetae, quod eorum non idem ius. Itaque populus universus debet in omnibus verbis uti analogia et, si perperam est consuetus, corrigere se ipsum, cum orator non debeat in omnibus uti, quod sine offensione non potest facere, cum poeta[e]7 transilire lineas impune possit. 6 Populus enim in sua potestate, singuli in illius: Itaque, ut suam quisque consuetudinem, si mala est, corrigere debet, sic populus suam. Ego populi consuetudinis non sum ut dominus, at ille meae est. Ut rationi optemperare debet gubernator, gubernatori unusquisque in navi, sic populus rationi, nos8 singuli populo. Quare: ad quamcumque summam in dicendo referam, si animadvertes, intelleges, utrum dicatur analogia esse an uti oporteret9 + redigeretur dici id in populum aliter ac [inde omnibus dici]10 in eum qui sit in populo. 7 Nunc iam primum dicam pro universa analogia, cur non modo < non >11 videatur esse reprehendenda, sed etiam cur in usu quodammodo sequenda; secundo de singulis criminibus, quibus rebus possint, quae dicta sunt contra, solvi, dicam : ita ut generatim comprehendam12 et ea, quae in priore libro sunt dicta, et ea, quae possunt dici atque13 illic praeterii. 1  Del. Aug. 2  quarum: Ald. 3  suis: L. Sp. 4  quod erigunt F, quod exiguntur Vall., quae exiguntur Lae.: GS. 5  Add. L. Sp. 6  analogia an: Mue. 7  poetę: L. Sp. 8  ñsinguli: Lae. 9  Lac. vidit Mue; Fay sec. GS. Scripsi. 10  Del. Mue.; suspicor: uti oporteret < ea adque eam disparia ut > redigeretur < atque > dici id in populum, id est omnibus [dici], aliter ac in eum etc., cf. IX 9. 11  Add. Steph. sec. Vertr. 12  comprehendant: Ald. 13  atquę: Vall. (Lae.).

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          4 Aber damit man umso leichter das durchblicken kann, was ich sagen möchte, muss man zuvor drei Gegensatzpaare klären (denn das Meiste wird durcheinander von beiden Seiten her gesagt, während man jede doch auf ein anderes Prinzip beziehen muss): Erstens über das Paar von „Natur“ (nātūra) und „Anwendung“ (ūsus); denn dies sind die beiden, auf die hin sich Verschiedenes ausrichtet – es ist ja etwas anderes, ob ich sage, es gebe Analogien bei den Wörtern, oder ob ich sage, man müsse sie anwenden.136 Das zweite Paar sind Vielzahl (multitūdō) und Begrenzung (fīnis) – ob man sagt, man solle die Analogien bei allen Wörtern anwenden oder nur bei ihrer Mehrzahl; das dritte Paar sind die Personen, die sie anwenden sollen, ein Paar, das mehr Leute umfasst. 5 Die eine Seite ist nämlich die des gesamten Volkes, die andere die von Einzelnen; und von Letzteren ist die Seite des Redners nicht die gleiche wie die des Dichters, weil beide nicht die gleichen Rechte haben. Denn das gesamte Volk muss bei allen Wörtern die Analogie anwenden und wenn es eine falsche Gewohnheit entwickelt hat, muss es sich selbst korrigieren, während der Redner sie nicht in allem anwenden muss, was er freilich nicht tun könnte, ohne Anstoß zu erregen, während der Dichter die Grenzen straflos übertreten kann. 6 Das Volk nämlich steht in seiner eigenen Macht, der Einzelne aber in der Macht des Volkes. Wie daher jeder Einzelne seinen eigenen Sprachgebrauch, wenn er schlecht ist, korrigieren muss, so das Volk den seinen. Ich bin nicht quasi der Herr über den Sprachgebrauch des Volkes, aber jenes über meinen. Wie der Kapitän der Regel gehorchen muss, aber jeder auf dem Schiff dem Kapitän, so muss das Volk der Regel gehorchen, wir Einzelne aber dem Volk. Wenn du also merkst, auf welches Prinzip ich mich bei meiner Erörterung beziehe, dann wirst du begreifen, ob es heißt, dass eine Analogie besteht oder dass man sie anwenden müsste137… (sc.: so dass das Abweichende nach der Analogie zurechtgestutzt wird), und dass man das zum Volk anders sagen müsse als zu dem, der sich im Volk befindet. 7 Nunmehr möchte ich als Erstes für die gesamte Analogie sprechen: Warum man sie nicht nur nicht kritisieren darf, sondern warum man sie bei der sprachlichen Anwendung irgendwie befolgen muss; an zweiter Stelle möchte ich über einzelne Kritikpunkte, die dagegen schon vorgetragen wurden, sprechen: auf welche Weise sie sich auflösen lassen138. Ich werde aber alles Punkt für Punkt umfassen: sowohl das, was im vorhergehenden Buch gesagt wurde, als auch das, was gesagt werden könnte und ich dort übergangen habe.

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          8 Primum : Quod aiunt, qui bene loqui velit, consuetudinem sequi oportere1, non rationem similitudinum, quod, alterum si neglegat, sine offensione facere non possit, alterum si sequatur, quod2 sine reprehensione non sit futurum, errant 3: quod qui in loquendo consuetudinem, qua oportet uti, sequitur, < sequitur eam >4 non sine [ea]5 ratione. 9 Nam vocabula ac verba, quae declinamus similiter, ea in consuetudine esse videmus et ad ea6 conferimus, et si quid est erratum, non sine ea corrigimus. Nam ut, qui triclinium constrarunt, si quem lectum de tribus unum imparem posuerunt aut de paribus nimium aut parum produxerunt, una corrigimus et ad consuetudinem comunem et ad aliorum tricliniorum analogias: sic, si quis in oratione in pronuntiando ita declinat verba, ut dicat disparia, quod peccat, redigere debemus ad ceterorum similium verborum rationem. 10 Cum duo peccati genera sint in declination vm7, unum, quod in consuetudinem perperam receptum est, alterum, quod nondum est et perperam dicatur: unum dant non oportere dici, quod < nondum >8 sit in consuetudine; alterum non conceditur, quin ita dicatur, ut si9 similiter, cum id faciant, ac si quis puerorum per delicias pedes male ponere atque imitari vatias ceperit, hos corrigi oportere si concedat10. Contra, si quis in consuetudine ambulandi iam factus sit11 vatia aut conpernis, si eum corrigi non concedat12: 11 non sequitur, ut stulte faciant, qui pueris in geniculis alligent serper­ astra, ut eorum depravata corrigant crura? Cum deculpandus 13 non sit medicus, qui e longinqua mala consuetudine aegrum in meliorem traducit, quare reprehendendus sit, qui orationem minus valentem propter malam consuetudinem traducat in meliorem? 1  sequi oportere om. Vall. (Lae). 2  Del. Duso. 3  erat: Aug. 4  eam sequitur add. Mue.; scripsi. 5  Del. GS. 6  ad ea: Aug. 7  declinationum: Scripsi (um < * ūm, i. e. abbreviatum). 8  non add. Aug.: L. Sp. 9  si: Lae., qui scribit simile. 10  concedat : Ald. 11  sit < ē F. 12  concedat: Aug. 13  detuperandus: Lae.

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          8 Erster Punkt: Sie (sc. die Anomalisten) sagen ja: Wer gut sprechen wolle, müsse den Sprachgebrauch befolgen, nicht eine Regel von Ähnlichkeiten; weil der, der das eine (sc. den Sprachgebrauch) außer Acht lasse, das nicht ohne Anstoß tun könne; wer aber das andere (die Regel) befolge, auch nicht ohne Kritik sein werde. 139 Hier irren sie: Denn wer beim Sprechen den Sprachgebrauch befolgt, wie es sich gehört, der tut dies nicht ohne Regel (ratiō). 9 Wir sehen, dass die Nennwörter und Verben, die wir mit Ähnlichkeit bilden, im Sprachgebrauch liegen, und wir beziehen uns auf diesen; und wenn es einen Fehler gibt, dann korrigieren wir ihn nicht ohne den Sprachgebrauch. Ein Beispiel140: Wenn diejenigen, die ein Triklinium ausstatten, eines von den drei Betten schief aufstellen oder von den gleichen eines zu weit vor- oder zurückgestellt haben, dann korrigieren wir das zusammen: sowohl mit Bezug auf den allgemeinen Brauch (cōnsuetūdō commūnis) als auch auf die Analogie zu den anderen Triklinien141: Wenn daher einer in einem Redevortrag die Wörter so bildet, dass er sie unregelmäßig sagt, dann müssen wir seinen Fehler nach der Regel der übrigen ähnlichen Wörter zurechtstutzen. 10 Bei der Ableitung von Wörtern gibt es ja zwei Arten von Fehlern 142: Der eine besteht darin, dass ein Wort fehlerhaft in den Sprachgebrauch aufgenommen worden ist; der andere, dass ein Wort noch nicht aufgenommen ist und fehlerhaft gesprochen wird.143 Das eine Wort, geben sie (sc. die Anomalisten) zu, dürfte nicht gesagt werden, weil es noch nicht im Sprachgebrauch liegt; beim zweiten wird nicht erlaubt, dass so gesprochen wird: Wenn sie das tun, das liegt doch ähnlich zu Folgendem: Wenn ein Junge zum Spaß anfinge, seine Füße schlecht aufzusetzen und Hinkende nachzuäffen: Das zu korrigieren, würden sie erlauben. Wenn hingegen einer in seiner Gehgewohnheit schon hinkend oder krummbeinig ist: Das zu korrigieren würden sie nicht erlauben. 11 Folgt daraus nicht, dass die töricht handeln, die den Jungen Beinschienen anlegen, um ihre missgebildeten Unterschenkel zu korrigieren?144 Wenn schon ein Arzt nicht zu schelten ist, der einen Kranken aus einer schon chronischen schlechten Gewohnheit zu einer besseren überleitet, wieso sollte dann jemand kritisiert werden, der eine Rede, die wegen einer schlechten Gewohnheit weniger wirkungsvoll ist, zu einer besseren überleitet?145

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          12 Pictores Ap[p]elles 1 , Protogenes, sic alii artufices egregii non reprehendundi, quod consuetudinem Miconos2, Dioris, Arimme3, etiam superiorum non sunt secuti: Aristophanes improbandus, qui potius in quibusdam ve[te]ritatem4 quam consuetudinem secutus? 13 Quod si viri sapientissimi, et in re militari et in aliis rebus, multa contra veterem consuetudinem cum essent usi5, laudati, despiciendi sunt, qui potiorem dicunt oportere esse consuetudine[m] ratione?6 14 An, cum quis perperam consuerit quid facere in civitate, non modo < non > 7 patiemur, sed etiam pena m8 afficiemus; idem, si quis perperam consuerit dicere verbum, non corrigemus, cum id fiat9 sine pena? 15 Et hi, qui pueros in ludum mittunt, ut discant, quae nesciunt verba, quemadmodum scribant, idem barbatos, qui ignorabunt verba, quemadmodum oporteat dici, non docebimus, ut sciant, qua ratione conveniat dici? 16 Sed ut nutrix pueros a lacte non subito avellit a consuetudine, cum a cibo pristino in meliorem traducit, sic maioris in10 loquendo a minus11 commodis verbis ad ea, quae sunt cum ratione, modice traducere oportet. Cum sint < in >12 consuetudine contra ratione13 alia verba ita, ut ea facile tolli possint, alia, ut videantur esse fixa: Quae leviter herent ac sine offensione commutari possunt14, statim15 ad rationem corrigi oportet; quae autem16 sunt ita, ut in praesentia corrigere nequeas, quin ita dicas: his oportet, si possis, non uti. Sic enim obsolescent ac postea iam obliterata facilius corrigi poterunt. 1  Appelles: Aug. 2  Myconos: vulg., Miconis de Melo. 3  Dioros arim. me: vulg. (Arimnae Aug.). 4  veteritatem: Lae. 5  usi: Canal. 6  consuetudinem ratione: Stroux 316. 7  Add. Aug. 8  penam: pena Lae. Scripsi. 9  fiat [fiat] F. 10  Inmaioris: Mue. 11  animus F: vulg. 12  Add. ed. Ven., Aug. 13  Lae. 14  possint: Ald. 15  Sienī: Mue. 16  aū (= autem) F, tum Vall. (Lae.), non Aug.; alterum ad rationem del. F, ut videtur.

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          12 Die Maler Apelles, Protogenes und andere exzellente Künstler darf man nicht kritisieren, weil sie dem Brauch eines Mikon, Diores, Arimma und noch Älterer nicht gefolgt sind146: Soll man dann Aristophanes einen Vorwurf machen, der bei einigen Wörtern eher die Richtigkeit als den Sprachgebrauch befolgt hat?147 13 Wenn aber hochweise Männer – im Militärwesen und anderen Bereichen –, da sie vieles gegen den alten Brauch gewagt hatten, dafür gelobt worden sind: Muss man dann diejenigen für gering achten, die sagen, dem Sprachgebrauch sei die Regel überlegen? 14 Wenn jemand im Staat sich daran gewöhnt hat, etwas fehlerhaft zu machen, dann werden wir das nicht nur nicht zulassen, sondern ihn sogar bestrafen;148 wenn er sich aber angewöhnt hat, ein Wort fehlerhaft zu sprechen: Werden wir ihn dann nicht korrigieren, obwohl das doch ohne Strafe passiert? 15 Auch diejenigen, die ihre Jungen in die Schule schicken, damit sie lernen, wie sie die Wörter, die sie nicht kennen, schreiben sollen; und die Erwachsenen, die nicht wissen, wie Wörter gesprochen werden sollen: Werden wir die nicht belehren, damit sie wissen, nach welcher Regel gesprochen werden soll? 16 Aber wie eine Amme die Kleinen nicht plötzlich der Milch entwöhnt, wenn sie diese von ihrer früheren Nahrung auf eine bessere überleitet: So muss man die Älteren beim Sprechen von weniger korrekten Wörtern maßvoll zu denen, die mit der Regel übereinstimmen, überleiten. Denn im Sprachgebrauch sind die einen Wörter dergestalt gegen die Regel, dass man sie leicht ausmerzen kann, die anderen so, dass sie fester eingewachsen scheinen: Diejenigen, die nur locker haften und sich ohne Anstoß ändern lassen, die muss man sogleich regelgemäß korrigieren; diejenigen aber, die man im Augenblick nicht korrigieren kann, die sollte man, falls man kann, nicht gebrauchen. So werden sie außer Gebrauch geraten und lassen sich später, wenn sie schon in Vergessenheit geraten sind, leichter korrigieren.

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          17 Quas novas verbi declinationes, ratione s1 introductas, respuet forum, his boni poetae, maxime scenici, consuetudine subigere aures populi debent, quod poetae multum possunt in hoc: propter eos quaedam verba in declinatione melius, quaedam deterius dicuntur. Consuetudo loquendi est in motu: itaque solet fieri et meliora2 deteriora < et deteriora > meliora; verba perperam dicta[m]3 apud antiquos aliquos propter poetas non modo nunc dicuntur recte, sed etiam, quae ratione dicta sunt tum, nunc4 perperam dicuntur. 18 Quare, qui ad consuetudinem nos vocant, si ad rectam, sequemur: in eo quoque enim est analogia. Si5 ad eam invitant, quae est depravata, nihilo magis sequemur, nisi cum erit necesse, [se]quam6 in ceteris rebus mala exempla: nam ea quoque, cum aliqua vis urget, < quamvis >7 inviti, sequemur. Neque enim Lysippus8 artificum priorum potius < secutus >9 est vitiosa quam artem; sic populus facere debet, etiam singuli, sine offensione quod fiat populi. 19 Qui amissa < non >10 modo querant, sed etiam quod indicium dent, idem, ex sermone si quid deperiit, non modo nihil impendunt, ut requirant, sed etiam contra indices repugnant, ne restitua[n]tur11? 20 Verbum, quod novom12 et ratione introductum, quo minus id13 recipiamus, vitare non debemus. Nam ad usum in vestimentis, aedificiis, supellectili[s]14 novitati non impedit vetus consuetudo: Quem enim amor assuetudinis potius in pannis possessorem retinet, quam15 ad nova vestimenta traducit? An non sepe veteres leges abrogatae novis cedunt? 1  rationes/: ratione edd.; scripsi. 2  meliore: corr. et add. Canal. 3  dicta: Aug. 4  num: Aug. 5  Steph. 6  sequar: Canal. 7  Addidi. 8  lisippus: vulg. 9  Add. GS duce Lae. 10  Add. Steph. 11  restituantur: Ed. Ven., Aug. 12  novom < novam F. 13  ut: Scripsi sec. L. Sp. 14  supellectilis: Aug. 15  quem: Vict.

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          17 Wenn nun die Masse auf dem Forum neue, aber regelgerecht eingeführte Wörter verschmäht 149: Denen müssen die guten Dichter, am meisten die Bühnendichter, die Ohren des Volkes durch Gewöhnung unterwerfen, weil die Dichter hierbei viel vermögen: Ihretwegen leitet man ja manche Wörter besser, manche schlechter ab. Der Sprachgebrauch ist in Bewegung: Daher wird Besseres gerne schlechter und Schlechteres besser; man spricht nicht nur Wörter, die bei einigen Alten fehlerhaft gesprochen wurden, dank der Dichter jetzt richtig, sondern man spricht jetzt auch Wörter, die ehedem regelgemäß gesprochen worden waren, fehlerhaft. 18 Wenn sie uns daher zum (allgemeinen) Sprachgebrauch aufrufen 150, werden wir ihn, wenn er richtig ist, befolgen: Denn auch darin herrscht Analogie. Wenn man uns aber zu dem Sprachgebrauch aufruft, der verunstaltet ist, werden wir ihn um nichts mehr befolgen, außer wenn es unumgänglich ist, als wir schlechte Beispiele im übrigen Leben befolgen: Denn auch die werden wir befolgen, wenn uns irgendeine Macht dazu drängt, wenn auch widerwillig. Hat doch auch ein Künstler wie Lysippus eher die Kunst als die Fehler seiner Vorgänger befolgt; so müsste das Volk es machen, auch Einzelne, wenn es ohne Anstoß beim Volk möglich ist.151 19 Wenn nun Leute nicht nur nach Verlorenem suchen, sondern auch irgendetwas (sc. als verloren) anzeigen152: Werden die gleichen Leute, wenn etwas aus der Sprache verlorengegangen ist, nicht nur nichts unternehmen, um das Verlorene zu suchen, sondern sich gegenüber denen, die ihn anzeigen, deren Wiederherstellung widersetzen? 20 Wir dürfen der Aufnahme eines Wortes, das neu ist und regelgemäß eingeführt worden ist, nicht aus dem Wege gehen. Für den Gebrauch bei Kleidungsstücken, Gebäuden und Hausausstattung ist ja doch eine alte Gewohnheit nicht deren Neuheit hinderlich: Welchen Besitzer hält denn die Liebe zum Gewohnten bei seinen (sc. alten) Tüchern eher zurück, als dass sie ihn zu neuen Kleidungsstücken bringt? Machen nicht oft alte Gesetze, wenn man sie abschafft, neuen Platz?

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          21 Nonne inusitatis formis vasorum recentibus e Grecia adlatis 1 obliteratae antiquae consuetudinis sinorum et capu[l]larum2 species? His formis vocabulorum incontaminati3 uti nol[l]lent, quas4 docuerit5 [o]ratio6 propter consuetudinem veterem? Et tantum inter duos sensus interesse volunt, ut oculis semper aliquas figuras supellectilis novas conquirant, contra auris expertis velint esse? 22 Quotus quisque iam servos7 habet priscis nominibus? Quae mulier suum instrumentum vestis atque auri veteribus vocabulis appellat? Sed indoctis8 non tam irascendum quam huiusce pravitatis patronis. 23 Si enim usquequaque no[me]n9 esset analogia, tum sequebatur, ut in verbis quoque non esset, non, cum esset usquequaque, ut est, non esse in verbis. Quae enim est pars mundi, quae non innumerabiles habeat analogias? Caelum an mare an terra10 quae11 in his? 24 Nonne in caelo, ut ab aequinoctiali circulo ad solstitialem et hinc ad septemtrionalem divisum, sic contra [a]12 paribus partibus idem a bruma versum contraria parte? Non quantum πόλος13 superior abest [et abest et]14 a septemtrionali circuitu et is15 ad sol[i]stitium16, tantundem abest inferior ab eo, quem ἀνταρκτικὸν17 vocant astrologi, et is ad brumalem? Non, quemadmodum quodque signum exortum hoc anno: quod 18 quotquot annis eodem modo exoritur? 25 Num aliter sol a bruma venit ad aequinoctium, ac contra, cum ad solstitium venit, ad aequinoctialem circulum et inde ad brumam? Nonne luna, ut ab sole discedit ad aquilonem et inde redit in eandem viam, sic inde fertur ad austrum et regreditur inde? 1  ablatis: Aug. 2  synorum et capullarum: vulg. (capidum Steph.). 3  incontaminati: L. Sp. 4  nollent quae: Steph. 5  docurit: Vall. (Lae.). 6  oratio: Rhol. 7  servor: Ald. 8  inductis: Aug. 9  nomֿ : Aug. 10  < an aer et cetera > Aug. 11 quae. Scripsi sec. L. Sp. 12 Del. Vall., vulg. 13 polo: polus edd.; πόλος scripsi sec. GS. 14 abest. / &abest F; del. Mue. 15 circumit cum his : Duso. 16 Vulg. 17 Arciarcticon : Aug. 18 quod del. Ald.

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          21 Sind nicht – nachdem man neue, ungewohnte Gefäßformen aus Griechenland importiert hat – die Gattungen der altgewohnten, dicken Tonkrüge und -schalen in Vergessenheit geraten? Werden sie (sc. die Anomalisten) dann diese unverdorbenen Wortformen, die die Regel lehrt, wegen der alten Sprachgewohnheit nicht benutzen wollen?153 Und wollen sie einen so großen Unterschied zwischen den beiden Sinnen, dass sie zwar immer mit den Augen nach neuer Ausstattung suchen, ihre Ohren hingegen unbeteiligt lassen? 22 Wie viele haben noch Sklaven mit den alten Namen? Welche Frau bezeichnet ihre Garderobe und Goldschmuck noch mit den alten Wörtern? Aber einem Ungebildeten darf man nicht so sehr böse sein wie vielmehr den Anwälten einer derartigen Perversion.154 23 Gäbe es nämlich überhaupt keine Analogie, dann folgte daraus, dass es sie auch bei den Wörtern nicht gibt; nicht aber, dass es sie, während es sie sonst überall gibt (wie es der Fall ist), (sc. nur) bei den Wörtern nicht gibt.155 Denn welcher Teil der Welt hätte nicht zahllose Analogien? Himmel oder Meer oder Erde und was sich alles in diesen befindet?156 24 Ist es nicht so am Himmel? Wie er vom Kreis des Äquinoctiums zur Sommersonnwende und von da zum nördlichen Kreis aufgeteilt ist, so dagegen in gleichen Teilen genauso von der Wintersonnwende auf der anderen Seite? Ist nicht der Nordpol vom nördlichen Kreis und dieser wiederum von der Sommersonnwende ebenso weit von dem entfernt, den die Astrologen „antarktischen“ nennen, und der wiederum zur Wintersonnwende?157 Geht nicht jedes Sternbild, das in diesem Jahr aufgegangen ist, alle Jahre auf die gleiche Weise auf? 25 Kommt etwa die Sonne von der Wintersonnwende zum FrühjahrsÄquinoctium anders, als wenn sie zur Sommersonnwende kommt, zum Äquinoktialkreis und von da zur Wintersonnwende? Bewegt sich nicht der Mond, so wie er von der Sonne nach Norden weicht und von dort zum selben Weg zurückgeht, so von dort nach Süden und kehrt von dort wieder zurück?

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          Sed quid plura de astris, ubi difficilius reperitur, quid sit aut fiat in motibus dissimiliter? 26 At in mari, credo, motus non habent eas similitudines1 geminas, qui in XXIIII2 horis lunaribus cotidie quater se mutant, ac cum sex horis estus creverunt, totidem decreverunt, rursus idem, itemque ab his? An hanc analogian ad diem servant, ad mensem non item, alios motus sic item cum habeant alias3 inter se convenientes? De quibus in libro, quem de estuariis feci, scripsi. 27 Non in terra in sationibus servata analogia? Nec cuius modi in praeterito tempore fructuum genera reddidit, similia in praesenti reddit? Et cuius modi tritico iacto reddidit segetes, sic ordeo sato proportione reddidit parilis? Non, ut Europa habet flumina, lacus, montis, campos, sic habet Asia? 28 Non ut in volucribus generatim servatur analogia? Non ex aquilis aquilae atque ut ex turdis qui procreantur turdi, sic ex reliquis sui[s]4 cuiusque generis? An aliter hoc fit quam in aëre in aqua? Non hic conchae inter se generatim innumerabili numero similes? Non pisces s? An e5 murena fit lupus aut merula? Non bos ad bovem collatus similis et, qui ex his progenerantur, inter se vituli? Etiam ubi dissimilis fetus, ut ex equa < et asino >6 mulus, tamen ibi analogia: Quod ex quocumque asino et equa nascitur idem7 mulus aut mula, ut ex equo et asina hinnulei. 29 Non sic ex viro et muliere omnis similis partus, quod pueri et puellae? Non horum ita inter se: non8 omnia similia membra, ut separatim in suo utroque genere similitudine sint ea paria9? Non, omnes cum sint ex anima et corpore, partes quoque10 horum proportione similes?

          1  habent dissimilitudines: habent similitudines Mue.; scripsi. 2  XXIIj: Ald. 3  alterum alios del. prop. GS; scripsi. 4  suis: Aug. 5  pisces sane: pisces [s]an e Aug.; alios Duso; scripsi. 6  Add. Aug. 7  id est: item Aug.; scripsi cum Vp. 8  Del. Sciop. 9  similitudines ٠ Intra paria : Lachmann sec. Mue. 10  quaque: Vall. (Lae.).

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          Aber was soll ich noch mehr von den Gestirnen sagen, wo es schwieriger ist, etwas zu finden, das in seinen Bewegungen unähnlich ist oder sich vollzieht? 26 Aber haben nicht im Meer, glaube ich, die Bewegungen diese Ähnlichkeiten zweifach? Ändern sie sich nicht binnen 24 Mondstunden täglich viermal, und fallen, wenn die Fluten in sechs Stunden gestiegen sind, dann ebenso, und steigen und fallen ebenso wieder? Beachten sie diese Analogie nur für einen Tag und nicht für einen Monat genauso, wo sie doch andere Bewegungen haben, die ansonsten in gleicher Weise miteinander harmonieren? Darüber habe ich in dem Buch geschrieben, das ich über die Flutgebiete gemacht habe.158 27 Ist nicht auf dem Land bei der Aussaat die Analogie beachtet? Gibt das Land nicht die ähnlichen Fruchtarten, wie es sie in der Vergangenheit gebracht hat, auch in der Gegenwart wieder? Und so wie es, wenn man Weizen ausgeworfen hat, Weizensaat hervorbringt, bringt es nicht so, wenn Gerste ausgesät ist, entsprechend vergleichbare Saat?159 Hat nicht – so, wie Europa Flüsse, Seen, Berge und Ebenen hat – diese nicht auch Asien? 28 Wird nicht auch bei den Vögeln – Art für Art – die Analogie beachtet? Kommen nicht so, wie von Adlern Adler und von Drosseln Drosseln kommen, so von den übrigen (sc. Nachkommen) jeweils ihrer eigenen Art? Geschieht dies etwa in der Luft anders als im Wasser? Sind hier nicht die Muscheln untereinander, jede in ihrer Art, in unzähliger Menge einander ähnlich? Sind es nicht auch die Fische? Wird etwa aus einer Muräne ein Seewolf oder eine Meeramsel? Ist nicht ein Rind, wenn man es mit einem Rind vergleicht, diesem ähnlich und untereinander auch die Kälber, die aus diesen durch Fortpflanzung entstehen? Und auch dort, wo die Jungen unähnlich aussehen, wie der Maulesel, der aus Eselhengst und Pferdestute stammt, gibt es eine Analogie: Denn aus einem jeden Eselhengst und Pferdestute wird ebenso ein Maulesel oder eine Mauleselin geboren, so wie aus Pferdehengst und Eselstute ein Maultier. 29 Kommen nicht aus Mann und Frau lauter ähnliche Nachkömmlinge, nämlich Jungen und Mädchen? Haben nicht alle von ihnen untereinander ähnliche Glieder, so dass sie – getrennt, jedes in seinem Geschlecht – diese gleich haben? Da sie alle aus Leib und Seele bestehen: Sind nicht auch ihre Teile entsprechend ähnlich?

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          30 Quid ergo? Cum omnes animae hominum sint divisae in octonas partes, eae inter se non proportione similes? Quinque, quibus sentimus, sexta, qua cogitamus, septuma, qua progeneramus, octava, qua voces mittimus? Igitur, quoniam, qua loquimur, voce, oratio, nem1 hanc quoque necesse est natura habere analogias: itaque habet. 31 An non vides, ut Greci habeant eam quadripertitam: unam, in qua sit2 casus, alteram, in qua tempora, tertiam, in qua neutrum, quartam, in qua utrumque, sic nos habere? Ecquid3 verba nescis, ut apud illos sint alia finita, alia non4, sic utra esse apud nos? 32 Equidem non dubito, qui animadverteris 5 item in ea[m] 6 innumerabilem similitudinum7 numerum, ut trium temporum verba, ut trium personarum. Quis enim potest non una animadvertisse in omni oratione esse ut legebam lego [lego]8 legam, si9 lego legis legit, cum haec eadem dicantur alias ut singula, alias ut plura significentur? Quis est tam tardus, qui illas quoque non animadvertit10 similitudines, quibus utimur < in >11 imperando, quibus in optando, quibus in interrogando? Quibus in infectis rebus, quibus in perfectis, sic in aliis discriminibus? 33 Quare, qui negant esse rationem12 analogiae, non videt13 naturam non solum orationis, sed etiam mundi; qui autem vident et sequi negant oportere, pugnant contra naturam, non contra analogian, et pugnant volsillis, non gladio, cum pauca excepta verba ex pelago sermonis puli14 minus trita, afferant, cum dicant propterea analogias non esse: similiter, ut si quis viderit < cornibus >15 mutilum bovem aut luscum hominem claudicantemque equum, neget in [cornibus] bovom hominum et equorum natura similitudines proportione constare. 1  orationem hanc: Scripsi. 2  sit: Mue. 3  habere et quid: Sciop. 4  ne sic utra: Aug. 5  qui animadvertunt: Sciop. 6  in eam: L. Sp. 7  similitudinem: Sciop. 8  Del. F. 9  legā Si ٠ : Bent. 10  animadvertit: L. Sp. 11  Add. Sciop. 12  orationem F: Vall. 13  Vulg. 14  puli : Canal. 15  Transposui et scripsi.

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          30 Und dann? Da alle Seelen der Menschen in acht Teile geteilt sind: Sind diese nicht untereinander entsprechend ähnlich?160 Sind es nicht fünf Teile, mit denen wir wahrnehmen, ein sechster, mit dem wir denken, ein siebter, mit dem wir uns fortpflanzen, ein achter, mit dem wir Lautäußerungen von uns geben?161 Also: Da ja die Sprache von dem Teil stammt, mit dem wir sprechen, der Stimme, muss doch sicher auch diese von Natur aus Analogien haben: Sie hat sie daher. 31 Siehst du denn nicht, dass wir so, wie die Griechen die Sprache/Rede in vier Teile unterteilt haben – einen, wo es Kasus gibt, einen zweiten, wo es Tempora gibt, einen dritten, wo es keines von beiden gibt, und einen vierten, wo beides: Dass wir das genauso haben?162 Weißt du etwa nicht, dass die Wörter, wie sie bei jenen teils bestimmt, teils unbestimmt sind: dass es beide Formen auch bei uns gibt?163 32 Und zweifellos hast du bemerkt, dass wir in der Sprache genauso eine unzählbare Zahl an Ähnlichkeiten haben, z. B. die Verben mit drei Tempora und drei Personen. Wer könnte denn nicht zugleich bemerkt haben, dass es in jeder Rede Formen wie legēbam, ich las, legō, ich lese, legam, ich werde lesen, gibt und ebenso legō, ich lese, legis, du liest, legit, er liest, wobei dieselben Wörter so gesagt werden, dass bald der Singular, bald der Plural bezeichnet wird?164 Wer wäre so begriffsstutzig, dass er nicht auch jene Ähnlichkeiten bemerkt hätte, die wir beim Befehlen, Wünschen und Fragen gebrauchen165? Die wir bei unvollendeten Handlungen oder auch bei vollendeten gebrauchen166 – und so auch bei anderen Unterscheidungen? 33 Diejenigen, die bestreiten, dass es das Prinzip der Analogie gibt: Die sehen daher weder die Natur der Sprache noch die der Welt; die sie aber sehen und bestreiten, dass man ihr folgen müsse, die kämpfen gegen die Natur167, nicht gegen die Analogie, und sie kämpfen mit Zängelchen, nicht mit dem Schwert: Denn sie bringen wenige Wörter heran, die aus dem Meer der Sprache des Volkes herausgenommen und weniger gebräuchlich sind; und dabei behaupten sie, deswegen gebe es keine Analogien: Das ist ähnlich, wie wenn einer, der ein an den Hörnern verstümmeltes Rind oder einen schielenden168 Menschen oder ein hinkendes Pferd sieht, bestreitet, dass in der Natur von Rindern, Menschen und Pferden entsprechende Ähnlichkeiten bestehen.

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          34 Qui autem duo genera esse dicunt analogiae, unum naturale, quod ut ex satis1 nascuntur < lentibus >2 lentis sic et lupinum, alterum voluntarium, ut in fabrica, cum vident scenam, ut in dexteriore parte sint ostia, sic esse in sinisteriore simili ratione factam, de his duobus generibus naturalem esse analogian, ut sit in motibus caeli, voluntariam non esse, quod ut quoque3 fabro lubitum sit, possit facere partis scenae: Sic in hominum partibus esse analogias, quod ea natura faciat, in verbis non esse, quod ea homines ad suam quisque voluntatem fingat: Itaque de eisdem rebus alia verba habere Grecos, alia Syros4, alia Latinos. Ego declinatus verborum et voluntarios et naturalis esse puto: Voluntarios, quibus homines vocabula imposierint rebus quaedam, ut ab Romulo Roma, ab Tibure5 Tiburtes; naturales unt6 ab impositis vocabulis, quae inclinantur in tempora aut in casus, ut ab Romulo7: Romuli Romulum, et ab dico: dicebam dixeram. 35 Itaque in voluntariis declinationibus inconstantia est, in naturalibus constantia. Quas utrasque quoniam iei8 non debeant negare esse in oratione, quom9 in mundi partibus omnibus sint, et declinationes verborum innumerabiles, dicendum est esse in his analogias. Neque ideo statim ea in omnibus verbis est sequenda: Nam si qua perperam declinavit verba consuetudo, ut ea aliter sine offensione multorum < efferri non possint >10: Hinc [o]rationem11 verborum praetermittendam ostendit loquendi ratio. 36 Quod ad universam pertinet causam, cur similitudo et sit in oratione et debeat observari et quam ad finem quoque, satis dictum. Quare, quod sequitur de partibus singulis, deinceps expediemus ac singula crimina, quae dicunt < contra >12 analogias, solvemus. 37 In quo animadvertito natura quadruplicem esse formam, ad quam in declinando accommodari debeant verba: 1  natis : Aug. 2  Add. prop. L. Sp. 3  quoque: B, cuique Aug. 4  siros: vulg. 5  tybere tyburtes: Aug. 6  ut: Del. L. Sp.; scripsi. 7  ab < Romulus > Romulo Aug. 8  IꞒI F. 9  quam: Muel. 10  Add. huc L. Sp. sec. Ald. 11  orationem F: Sciop., a. 12  Add. L. Sp.

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          34 Diejenigen aber, die sagen, es gebe zwei Arten von Analogie169: eine natürliche – wie aus ausgesäten Linsen wieder auch Linsen entstehen und so auch die Lupine – und eine willkürliche – wie in einer Schreinerwerkstatt: Wenn man die Bühne sieht, dass so, wie auf der rechten Seite eine Tür ist, sie so auf ähnliche Weise auf der linken Seite gemacht sei –, und von diesen beiden Arten sei die Analogie, wie bei den Himmelsbewegungen, natürlich; die willkürliche aber gebe es nicht, weil ja jeder Schreiner so, wie es ihm beliebt, die Teile der Bühne machen könne: So gebe es bei den menschlichen Teilen Analogien, weil das die Natur schaffe, bei den Wörtern nicht, weil das die Menschen, jeder nach seinem Gutdünken, bilden: Und so hätten die Griechen für die gleichen Dinge andere Wörter als die Syrer oder die Lateiner. Ich glaube, es gibt sowohl willkürliche als auch natürliche Ableitungsformen der Wörter: Willkürliche sind die, mit denen die Menschen die Dinge mit bestimmten Wörtern benannt haben: z. B. von Rōmulus Rōma, von (sc. der Stadt) Tibur die (Bewohner von) Tibur, die Tiburtiner; natürliche kommen von Wörtern, die (sc. bereits) Benennungen sind, die in Zeiten oder Kasus gebeugt werden, wie von Rōmulus Rōmulī, des Romulus, und Rōmulum, den Romulus, und von dīcō, ich sage, dīcēbam, ich sagte, und dīxeram, ich hatte gesagt.170 35 Daher gibt es bei den willkürlichen Ableitungen Ungleichmäßigkeit, bei den natürlichen Gleichmäßigkeit. Da jene (sc. die Anomalisten) nicht leugnen dürften, dass es diese beiden in der Sprache gibt, weil es sie ja in allen Teilen der Welt gibt und die Ableitungen der Wörter unzählige sind, muss man sagen: Es gibt in diesen Analogien.171 Doch muss man sie deshalb nicht sofort bei allen Wörtern befolgen: Denn wenn der Sprachgebrauch irgendwelche Wörter fehlerhaft ableitet, so dass man sie nicht äußern kann, ohne bei vielen Anstoß zu erregen: Dann zeigt von daher die Vernunft (ratiō) des Sprechens, dass man die Regel der Wörter außer Acht lassen soll.172 36 Was unsere Streitfrage insgesamt betrifft – warum es in der Sprache Ähnlichkeit gibt und warum und zu welchem Punkt man sie beachten soll –, dazu ist genug gesagt.173 Was über die einzelnen Teile folgt, das werde ich daher der Reihe nach darlegen und die einzelnen Vorwürfe, die sie (sc. die Anomalisten) gegen die Analogien sagen, auflösen. 37 Dabei sollst du bemerken, dass es von Natur aus ein vierfaches Schema gibt, auf das die Wörter bei der Ableitung angepasst werden müssen174:

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          Quod debeat subesse res, que designe[n]tur1, et ut sit ea res in usu, et ut vocis natura ea sit, quae significavit, ut declinari possit, et similitudo figura2 verbi ut sit ea, quae ex se declinatu3 genus prodere certum possit4. 38 Quo neque a terra terrus ut dicatur postulandum est, quod natura non subest, ut in hoc alterum maris, alterum feminae debeat esse. Sic neque propter usum, ut Terentius significat unum, plures Terentii, postulandum est, ut sic dicamus faba et fabae: Non enim in simili us5 utrumque. Neque, ut dicimus ab Terentius Terentium, sic postulandum, ut inclinemus ab A et B, quod non omnis vox natura habet declinatus. 39 Neque in forma collata querendum solum, quid habeat in figura simile, sed etiam nonnunquam, in eo quem habeat effectum. Sic enim lana Gallicana et Apula videtur imperito similis propter speciem, cum peritus Apulam emat pluris, quod in usu firmior sit. Haec nunc strictim6 dicta apertiora fient infra. Incipiam hinc. 40 Quod rogant, ex qua parte oporteat simile esse verbum, a voce 7 an a significatione, respondemus: a voce. Sed tamen nonnunquam querimus, similiane sint, quae significantur, ac nomen virile cum virili conferimus, feminae cum muliebri: non quod id, quod significant, vocem commoveat, sed quod nonnunquam in re dissimi
        • lis figurae formas, in [dis]simili8 imponunt dispariles9; ut calcei, muliebres sint an viriles, dicimus ad similitudinem figurae, cum tamen sciamus nonnunquam et mulierem habere calceos viriles et virum muliebris. 41 Sic dici virum10 Perpennam ut Alfenam muliebri forma[m]11 et contra parietem ut abietem esse forma[m] similem, quo12 alterum vocabulum dicatur13 virile, alterum muliebre, et utrumque natura neutrum sit.14 1  designentur: Rhol. 2  Mue. 3  declinata: declinatu L. Sp.; scripsi. 4  possunt: Aug. 5  similius: L. Sp. 6  strictim < stricta F. 7  boce: Lae. 8  dissimilis figurae formas indissimiles: Duso sec. GS. 9  disperiles: vulg. 10 Sic dici vi/rum: Scripsi sec. Mette. 11  formam: corr. Aug. primum, alterum Ald. 12  Mue. 13  dicatur < vocatur F. 14  Sic itaque: Reiter.

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          Dass eine Sache zugrundeliegen muss, die bezeichnet wird; dass diese in Gebrauch ist; dass das Wesen der Lautform, die sie bezeichnet hat, so ist, dass man damit ableiten kann; und dass das Ähnlichkeitsschema des Wortes (similitūdō figūrae) so ist, dass es aus sich eine bestimmte Ableitungsklasse (genus dēclinātūs) hervorbringen kann.175 38 Deshalb darf man nicht fordern, dass von terra, Erde, ein terrus gebildet werde, weil dem keine natürliche Substanz zugrundeliegt, so dass hierbei das eine männlich, das andere weiblich sein müsste. Und wegen des Gebrauchs darf man nicht verlangen, dass wir, wie Terentius einen Einzelnen, Terentiī aber mehrere bezeichnet, so auch faba, Bohnen, und fabae, Bohnen (Pl.), sagen: Denn beides ist nicht in ähnlichem Gebrauch.176 Und so, wie wir von Terentius (sc. im Akkusativ) Terentium sagen, darf man aber nicht fordern, dass wir (sc. die Buchstabennamen) A und B deklinieren, weil nicht jede Lautform (vōx) von Natur aus Ableitungsformen bildet.177 39 Und beim Vergleich von zwei Formen ist nicht nur zu fragen, was sie im äußeren Aufbau (figūra) Ähnliches haben, sondern manchmal auch, welche Wirkung sie dabei hat. So erscheint nämlich die Wolle aus Gallien und aus Apulien einem, der keine Erfahrung hat, wegen ihres Aussehens ähnlich; der Erfahrene hingegen kauft die Wolle aus Apulien zu einem höheren Preis, weil sie beim Gebrauch kräftiger ist.178 Das habe ich jetzt knapp gesagt. Klarer wird es im Folgenden. Ich möchte hiermit beginnen: 40 Wenn sie fragen, von welchem Teil her ein Wort „ähnlich“ sein müsse – von der Lautform oder von der Bedeutung –, antworten wir: von der Lautform.179 Dennoch aber fragen wir manchmal, ob das Bezeichnete ähnlich ist, und vergleichen ein männliches Namenwort mit einem männlichen, das einer Frau mit einem weiblichen: nicht etwa, weil das, was sie bezeichnen, Einfluss auf die Lautform hätte, sondern weil man manchmal unähnlichen Dingen gleich gebaute äußere Formen gibt und ähnlichen ungleich gebaute; wir sagen ja z. B. bei Schuhen nach der Ähnlichkeit des Aufbaus, ob sie Frauen- oder Männerschuhe sind, obwohl wir wissen, dass manchmal eine Frau Männerschuhe trägt und ein Mann Frauenschuhe. 41 So sehen wir, dass ein Mann Perpenna heißt – mit einer weiblichen Form wie Alfēna –, dagegen pariēs, Mauer, und abiēs, Tanne, äußerlich ähnliche Form haben, während das eine Nennwort (pariēs) männlich ist, das andere (abiēs) weiblich – und beide von Natur aus sächlich sind.

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          Itaque ea virilia dicimus non, quae virum significant, sed quibus proponimus hic et hi1, et sic muliebria, in quibus dicere possumus2 haec aut hae. 42 Quare: nihil est, quod dicunt Theona et Diona non esse similis, si alter est ethiops, alter Gallus3: si4 analogia rerum dissimilitudines adsumat ad discernendum vocis verbi figuras! 43 Quod dicunt: simile sit necne nomen nomini, impudenter 5 Aristarcum praecipere oportere spectare non solum ex recto, sed etiam ex eorum vocandi casu, esset enim deridiculum, si similes inter se parentes sint, de filiis iudicare: Qui errant, quod non ab eo6 obliquis casibus fit, ut recti simili facie ostendantur, sed propter eos facilius perspici similitudo potest eorum, quam vim habea[n]t7, ut lucerna in tenebris allata non facit, quae ibi sunt posita, < ut >8 similia sint, sed ut videantur, quae sunt, quoiusdi[s]9 sint. 44 Quid similius videtur, quam in his est extrema littera crux Phrux10? Quas qui audit voces, auribus discernere potest nemo, cum easdem non esse similes ex declinatis11 verbis intellegamus, quod cum sit cruces et Phruges et de his extremis syllabis exemptum12 sit E, ex altero fit, ut ex C et S, crux, ex altero G et S, Phrux. Quod item apparet, cum est demptum S: Nam fit unum cruci, alterum Phrugi.13 45 Quod aiunt, cum in maiore parte orationis non sit similitudo, non esse analogian, dupliciter stulte dicunt, quod et in maiore parte est, et si in minore parte [est et si in minore]14 sit, tamen sit [in maiore]15, nisi etiam nos calceos negabunt habere, quod in maiore parte corporis calceos non habeamus. 1  hei prop. A. Sp., cf. VIII 70. 2  possimus: Lae. 3  Gallus: albus prop. Mue., cf. VIII 41. 4  Addidi. 5  Aug. 6  eo: L. Sp. 7  habeant: Lae. 8  < ut > ante quae ibi add. L. Sp. Scripsi. 9  dissint: L. Sp. 10  frix etc.: prop. L. Sp.; Phryx vulg. 11  aliis: Duso sec. GS. 12  exēptvm < exēplis F: Ald. 13  frigi: L. Sp. 14  Del. L. Sp. 15  et si in maiore non sit, tamen sit in minore Steph.; del. L. Sp.

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          Virīle, männlich, nennen wir daher nicht die Wörter, welche einen Mann bezeichnen, sondern jene, denen wir hic, dieser, und (sc. Plural) hī, diese, voranstellen, und so auch muliebria, weiblich, diejenigen, bei denen wir sagen können: (sc. im Singular) haec, diese, oder (sc. im Plural) hae.180 42 Daher macht es gar nichts, wenn sie (sc. die Anomalisten) sagen, Theōn und Diōn seien unähnlich, wenn der eine ein Äthiopier, der andere ein Gallier ist: Als zöge die Analogie die Unähnlichkeiten der Dinge heran, um den Aufbau der Lautform eines Wortes zu unterscheiden! 181 43 Sie sagen: Aristarch gebe eine unkluge Anweisung, wenn er sage, man müsse bei der Frage, ob ein Namenwort dem anderen ähnlich sei, nicht nur auf den Nominativ schauen, sondern auch auf deren Vokativ: Es wäre nämlich ganz lachhaft, von den Kindern her zu entscheiden, ob die Eltern untereinander ähnlich sind.182 Dabei irren sie sich aber: Denn nicht von deren (sc. der Nomina) obliquen Kasus her zeigt sich doch, dass die Nominative ein ähnliches Aussehen haben, sondern wegen der obliquen Kasus lässt sich leichter durchschauen, welche Bedeutung ihre Ähnlichkeit hat. So ist es ja auch bei einer Laterne, die man im Dunkeln herbeischafft: Sie bewirkt nicht, dass die Dinge, die dort aufgestellt sind, ähnlich sind, sondern dass man sehen kann, von welcher Art die Dinge dort sind. 44 Was sieht ähnlicher aus als der letzte Buchstabe in crux, Kreuz, und Phrux, Phryger183? Keiner, der diese Laute hört, kann sie mit den Ohren unterscheiden; während wir erst aus den abgeleiteten Wortformen einsehen, dass sie nicht ähnlich sind: Denn da es (sc. im Plural) crucēs und Phrugēs heißt, so wird, wenn man aus diesen letzten Silben das E herausnimmt, aus dem einen crux – aus C und S –, aus dem anderen Phrux – aus G und S. Das wird ebenso deutlich, wenn man das S wegnimmt: Denn das eine wird (sc. im Dativ) crucī, das andere Phrugī. 45 Sie sagen auch: Da es im größeren Teil der Sprache keine Ähnlichkeit gibt, gebe es keine Ähnlichkeit. Das sagen sie aber doppelt dumm: Erstens gibt es Ähnlichkeit im größeren Teil der Sprache; und zweitens gäbe es sie wohl auch, wenn es sie nur im kleineren Teil gäbe. Es sei denn, sie wollen deswegen bestreiten, dass wir Schuhe haben, weil wir sie am größeren Teil des Körpers nicht hätten.

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          46 Quod dicunt nos dis similitudinem:1 Itaque in vestitu, in supellectile delectari varietate, non paribus subuculis uxoris, respondeo: Si varietas iucunditas, magis varium esse, in quo alia sunt similia, alia non sunt: Itaque sicut abacum argento ornari, ut alia < paria sint, alia >2 disparia, sic orationem. 47 Rogant: Si similitudo sit sequenda, cur malimus habere lectos alios ex ebore, alios ex testudine, sic item genere aliquo alio. Ad quae dico: non dis3 similitudines quoque sequi sepe. Idque4 ex eadem supellectili licet videre: Nam nemo facit triclinii lectos nisi paris et materia et altitudine et figura. Qui5 facit mappas triclinaris non similis inter se? Quis pulvinos? Quis denique cetera quae unius generis sint plura? 48 Cum, inquit6, utilitatis causa introducta sit oratio, sequendum non, quae habebit similitudinem, sed quae utilitatem. Ego utilitatis causa orationem factam concedo, sed ut vestimenta: Quare, ut hic similitudines sequimur7, ut virilis tunica sit virili similis, item toga togae, sic mulierum stola8 ut sit stola9 proportione et pallium pallio simile10, sic, cum sint nomina utilitatis causa, tamen virilia inter se similia, item muliebria inter se sequi debemus. 49 Quod aiunt, ut persedit et perstitit, sic percubuit < et > +++11 quoniam non sit, non esse analogian: ut in hoc erant12! quod duo posteriora ex prioribus declinata non sunt, cum analogia polliceatur ex duobus similibus similiter declinatis similia fore. 50 Qui dicunt, quod sit ab Romulo Roma et non Romula neque ut ab ove ovilia sic a bove bovilia 13, < non > 14 esse analogias: errant! Quod nemo pollicetur e vocabulo15 vocabulum declinari recto casu singulari in rectum singularem, sed ex duobus vocabulis similibus casus similiter declinatos similes fieri. 1 

          Lac. ind. L. Sp.; < potius gratam acceptamque habere quam similitudinem > prop. GS. (de Melo). An: Dis ? Cf. IX 47. 2  Add. Aug. 3  Add. Mue. 4  itaque: Mue. 5  qui: Ald. 6  inquit: Vertr. 7  sequeremur: Sciop. 8  stola < toga F. 9 stola: Aug. 10 simile < similj F. 11 Lac. ind. L. Sp.; < et > addidi. An: < permansit > ? 12 erant: Rhol. 13 ovilla – bovilla: Aug. 14 Add. Steph. 15  < dissimili > add. prop. Steph.

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          46 Sie sagen, dass wir die Unähnlichkeit (sc. lieber hätten) als die Ähnlichkeit: Deshalb erfreuten wir uns in der Kleidung und in der Hausausstattung an der Vielfalt; bei der Gattin, wenn sie nicht die gleiche Unterwäsche trägt.184 Darauf meine Antwort: Wenn die Vielfalt Freude bedeutet, ist sie doch größer, wo die einen Dinge einander ähnlich sind, die anderen nicht. Wie daher eine Anrichte mit Silber verziert wird, so dass ihre einen Teile gleich sind, die anderen ungleich, so auch die Sprache.185 47 Sie fragen: Wenn man die Ähnlichkeit befolgen solle, warum wir dann lieber die einen Betten aus Elfenbein, die anderen aus Schildkrötschale hätten, und ebenso in irgendeiner anderen Gattung.186 Dazu kann ich nur sagen: Wir folgen oft nicht nur der Unähnlichkeit, sondern auch der Ähnlichkeit. Und das kann man an der gleichen Ausstattung sehen: Denn jeder macht doch die Speisesofas gleich an Material, Höhe und Aussehen. Wer macht die Sofadecken nicht untereinander gleich? Wer nicht auch die Kissen? Wer schließlich nicht auch noch mehr von dem Übrigen, das zur gleichen Gattung gehört? 48 Sie sagen: Da die Sprache um der Nützlichkeit187 willen eingeführt worden sei, müsse man nicht dem, was Ähnlichkeit aufweist, folgen, sondern dem, was Nützlichkeit bringt. Ich gebe zu: Die Sprache ist geschaffen worden um der Nützlichkeit willen, aber wie Kleidungsstücke: Wie wir daher hier die Ähnlichkeiten befolgen – nämlich: dass eine Männertunika einer Männertunika ähnlich ist, ebenso eine Toga der anderen, so auch eine Frauenstola einer anderen entsprechend ähnlich ist und ein Mantel dem anderen –, so müssen wir ja, weil es die Namen um der Nützlichkeit willen gibt, dennoch bei den männlichen denen folgen, die untereinander ähnlich sind, ebenso bei den weiblichen den untereinander ähnlichen. 49 Wenn sie sagen: Es gebe keine Analogie, da ja nicht so wie persēdit, saß lange, und perstitit, stand lange, so nicht auch percubuit, lag lange, und +++ (sc. gebildet) seien: Wie irren sie da! Denn die zwei letzteren sind ja nicht aus den ersteren abgeleitet, während die Analogie (sc. nur) verspricht, dass Wörter ähnlich sind, die aus ähnlichen auf ähnliche Weise abgeleitet worden sind.188 50 Sie sagen auch: Weil von Rōmulus Rōma abgeleitet sei und nicht Rōmula, und wie von ovis, Schaf, der Schafstall, ovīle, so nicht auch von bōs, Rind, der Kuhstall, bovīle, abgeleitet sei, gebe es keine Analogie189: Sie irren sich! Denn niemand verspricht, dass aus einem Nennwort im Nominativ Singular ein anderes in den Nominativ Singular abgeleitet werde; sondern dass aus zwei ähnlichen Nennwörtern ähnliche Kasus, nach ähnlicher Ableitung, entstehen.

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          51 Dicunt, quod vocabula litterarum Latinarum non declinentur in casus, non esse analogias. Hi ea, quae natura declinari non possunt, eorum declinatus requirunt1, proinde ut non ea2 dicatur esse analogia, quae ab similibus verbis similiter esse3 declinata. Quare non solum in vocabulis litterarum haec non requirenda analogia, sed < ne >4 in syllaba quidem ulla, quod dicimus hoc BA, huius BA, sic alia. 52 Quod si quis in hoc quoque velit dicere esse analogias rerum, tenere potest: Ut eni5 dicunt ipsi alia nomina, quod quinque habeant figuras, habere quinque casus, alia quattuor, sic minus alia: Dicere poterunt esse litteras ac syllabas6, in voce quae singulos habeant casus, in rebus plureis7. Quem ad modum inter se conferent ea, quae quaternos habebunt vocabulis casus, item ea inter se, qua ternos8; sic, que9 singulos habebunt, ut conferant inter se dicentes, ut sit hoc A, < huiusce A >10, huic A, esse hoc E,11 huiusce E12, huic E. 53 Quod dicunt esse quaedam verba, quae habeant declinatus, ut caput, quorum par reperiri quod non possit, non esse analogias, respondendum: Sine dubio, si quod est singulare verbum, id non habere analogias: Minimum duo esse debent verba, in quibus sit similitudo. Quare in hoc tollunt esse analogias? 54 Sed „nihilum”13 vocabulum recto casu apparet in hoc: „Quae dedit, ipsa14 capit neque dispendi facit hilum”, quod valet: nec dispendii facit quicquam. Idem hoc obliquo apud Plautum: „Video”, enim,15 „te nihili16 pendere prae Philolacho17 omnis homines“, quod est ex „ne” et „hili”: Quare dictus est nihili, qui non hili erat. 1  requirunt < sequuntur F, ut videtur. 2  eadicatur: eo L. Sp., edd.; scripsi. 3  ēē (= esse) F: L. Sp. 4  Add. Ald. 5  eni: vulg. 6  sillabas: vulg. 7  plurimis: scripsi sec. Canal. 8  quaternos: Koeler. 9  sicque: vulg. 10 Addidi. 11 hoc E < hoc est F. 12 huiusce E del. L. Sp. 13 initium: Lachmann. 14  ira: Sciop.; caput: Scal. 15 video te codd. Plaut. Most. 245. Sic scripsi. 16 nichili (bis): Lae. 17 Philolache codd. Plaut.

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          51 Sie sagen: Weil zu den Bezeichnungen für die lateinischen Buchstaben keine Kasusformen abgeleitet werden, gebe es keine Analogien. 190 Die verlangen nach Ableitungsformen für das, was von Natur aus nicht abgeleitet werden kann; man bezeichnet aber doch als Analogie das, was von ähnlichen Wörtern auf ähnliche Weise abgeleitet worden ist!191 Daher darf man nicht nur bei den Bezeichnungen für Buchstaben diese Analogie nicht verlangen, sondern nicht einmal bei einer Silbe; sagen wir doch im Nominativ BA und im Genitiv BA usw.192 52 Wollte aber jemand sagen, auch hierbei gebe es Analogien in der grammatischen Substanz (rērum), kann er dabei bleiben: Sie selbst (sc. die Anomalisten) sagen ja193, die einen Namenwörter hätten – weil sie fünf Formen haben – auch fünf Kasus, die anderen vier, und wieder andere noch weniger: Dann werden sie sagen können, es gebe Buchstaben und Silben, die in der Aussprache (vōx) jeweils nur einen einzigen Kasus hätten, in der grammatischen Substanz (in rēbus) aber mehr.194 Auf diese Weise werden sie miteinander die (sc. Nomina) vergleichen, die jeweils für die Nennwörter vier Kasus haben195, ebenso miteinander die mit drei Kasus; so auch die, die jeweils nur einen einzigen Kasus haben, so dass sie diese, wenn sie sie aussprechen, miteinander so vergleichen: Wie es im Nominativ A und im Genitiv A und im Dativ A sei, gebe es auch im Nominativ E und im Genitiv E und Dativ E.196 53 Weil es, wie sie sagen, einige Wörter gibt, die Ableitungsformen haben, wie caput, Haupt, von denen sich keine zweite Paarform finden lasse: Deswegen gebe es keine Analogien.197 Da ist zu antworten: Zweifellos hat ein Wort, das singulär ist, keine Analogien: Mindestens muss es zwei Wörter geben, bei denen eine Ähnlichkeit besteht. Warum bestreiten sie an diesem Beispiel, dass es Analogien gibt? 54 Aber das Wort nihilum, nichts, erscheint im Nominativ in diesem Zitat:198 „Was sie gegeben, nimmt sie selbst wieder weg und sorgt sich um den Verlust kein Fäserchen.“, was bedeutet: 'Und sie sorgt sich um den Verlust gar nicht.' Dasselbe Wort steht bei Plautus ja im obliquen Kasus:199 „Ich sehe, für Philolachos gibst du auf alle Männer kein Fäserchen.“, was aus ne, nicht, und hīlī, (Gen.) Faden, gebildet ist. Darum heißt dér nihilī, der keinen Faden, hīlum, wert war.

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          Casus tantum1 commutantur de quo dicitur, de homine: Dicimus enim hic homo nihili [est]2 et huius hominis nihili et hunc hominem nihili. Si in illo commutaremus, diceremus ut hoc linum et limum, sic nihilum, non hic nihili, et < ut >3 huic lino et limo, sic nihilo, non huic nihili. Potest dici patricus casus, ut et4 praeponantur [prae]nomina5 plura, ut hic casus Terentii, hunc casum Terentii, hic miles legionis huius militis legionis, hunc militem legionis. 55 < Nec > negant6, cum omnis natura sit aut mas aut femina aut neutrum, debuisse ex singulis vocibus ternas figuras vocabulorum fieri, ut albus alba album; nunc fieri in multis rebus binas, ut Metellus Metella7, Ennius Ennia8, nonnulla singula, ut tragoedus, comoedus9; sic esse Marcum, Numerium, at Marcam, at Numeriam non esse. Dici corvum10, turdum, non [non]11 dici corvam, turdam; contra dici pantheram, merulam, non dici pantherum, merulum. Nullius nostrum12 filium et filiam non apte13 discerni marem ac feminam, ut Terentiúm et Terentium14 et Terentiam, contra deorum liberos et servorum non itidem15, ut Iovis filium et filiam non Iovom16 et Iovam. Item magnum numerum vocabulorum in hoc genere non servare analogias. 56 Ad hec dicimus: Omnis orationis quamvis res natura17 subsit, tamen si ea in usu18 non pervenerit, eo non pervenire verba: ideo equus dicitur ac equa: In usu enim horum discrimina;19 corvus et corva non, quod sine usu id, quod dissimilis natura20. 1  casus tum cum: Fay. 2  Del. L. Sp. 3  Add. Mue. 4  ei: scripsi. 5  Pֿ ponuntur: Mue.; p̅ nomina: Kent. 6  Add. prop. A. Sp. 7 metelle: Lae. 8  enuus enua: equus equa Cheesman (1994): Lae. 9  tragoedia comedia: Christ. 10  dici ٠ Corbum: Ald. 11  ñ / ñ : del. Ald. 12  neutros: Aug. 13  apta: Aug. 14  et Terentium del. vulg. Scripsi. 15  ididem: ed. Ven. 16  Iovem Iovem et Iovam: Iovem del. vulg.: scripsi sec. de Melo. 17  natura: vulg. 18  Aug. 19  discrimine: Aug. 20  natura: Vertr.

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          Nur bei dem, von dem die Rede ist, beim Menschen, homō, ändern sich die Kasus: Wir sagen ja im Nominativ homō nihilī, Nichtsnutz, im Genitiv hominis nihilī, des Nichtsnutzes, und im Akkusativ hominem nihilī, den Nichtsnutz. Wenn wir dabei (sc. die Endungen) ändern würden, würden wir z. B. im Nominativ sagen: līnum, Lein, und līmum, Schmutz, und nihilum, nicht nihilī, und wie – im Dativ – līnō und līmō, so auch nihilō, nicht nihilī. Es kann (sc. nihilī) aber nur im Genitiv gesagt werden, so dass auch mehrere Nomina vorangestellt werden, so wie bei: cāsus Terentiī, (Nominativ) der Kasus von Terentius, cāsum Terentiī, (Akkusativ) den Kasus von Terentius; Nominativ mīles legiōnis, Soldat der Legion, Genitiv mīlitis legiōnis, Akkusativ mīlitem legiōnis.200 55 Sie sagen auch: Da jedes Geschöpf von Natur aus entweder männlich oder weiblich oder sächlich ist, hätten doch unbedingt aus jedem einzelnen gesprochenen Wort (vōx) drei Formen von Nomina werden müssen, wie albus, weiß, alba, weiße, album, weißes; jetzt würden aber in vielen Fällen nur je zwei gebildet, z. B. Metellus und Metella, Ennius und Ennia, manche gebe es nur in einer einzigen Form, wie tragoedus, der tragische Schauspieler, und comoedus, der komische Schauspieler; so gebe es auch Mārcus und Numerius, aber keine Mārca oder Numeria.201 Man sage zwar corvus, Rabe, und turdus, Drossel, aber nicht corva, Rabin, und turda, Drosselin; andererseits sage man (sc. im Femininum) panthera, Panther, merula, Amsel, nicht aber pantherus, Pantherich, oder merulus, Amslerich.202 Bei wirklich jedem von uns würden Sohn und Tochter passend nach männlich und weiblich unterschieden, z. B. von den Terentiī, den Terentiern, sowohl ein Terentius und auch eine Terentia, dagegen bei den Kindern von Göttern und Sklaven nicht ebenso: Jovisʼ Sohn und Tochter heiße nicht Iovos und Iova. Ebenso beachte eine große Zahl von Nennwörtern in dieser Klasse nicht die Analogien. 56 Dazu sagen wir Folgendes: Obwohl für jedes Ding, das in der Sprache vorkommt, auch ein Ding in der Natur zugrundeliegt, so kommen doch die Wörter, wenn dieses Ding nicht in Gebrauch kommt, auch nicht in Gebrauch: Daher spricht man von equus, Pferdehengst, und equa, Pferdestute: Denn deren Geschlechtsunterschiede sind ja im Gebrauch; corvus und corva, Rabe und Rabin, sagt man nicht, weil ihr Unterschied nicht im Gebrauch ist, sie sind ja von ganz unähnlicher Art (sc. im Vergleich zu den Pferden).

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          Itaque quaedam alter1 olim ac nunc: Nam et tum omnes mares et feminae dicebantur columbae, quod non erant in eo usu domestico quo nunc; < nunc >2 contra, propter domesticos usus quod internovimus, appellatur mas columbus, femina columba. 57 Natura cum tria genera transit et id est in usu discrimina[to]tum3, tum denique apparet, ut est in doctus4 et docta et doctum: doctrina enim per tria haec transire potest et usus docuit discriminare doctam rem ab hominibus et in his marem ac feminam. In mare et femina et neutro neque natura maris5 transit neque feminae neque neutra, et ideo non dicitur feminus femina feminum, sic reliqua: itaque singularibus ac secretis vocabulis appellati sunt. 58 Quare in quibus rebus non subest similis natura aut usus, in his vocabulis huiusce modi ratio queri6 non debet: ergo dicitur ut surdus vir, surda mulier, sic surdum theatrum, quod omnes tres < res >7 ad auditum sunt comparatae; contra nemo dicit cubiculum surdum: ad silentium < enim >8, non ad auditum. At si fenestram non habet, dicitur cecum9, ut cecus et ceca, quod omnia < quo > habent10, lumen habere debent. 59 Mas et femina habent inter se natura quandam societatem, < nullam >11 neutra cum his, quod sunt diversa. Inter se12 quoque de his perpauca sunt, quae habeant quandam comunitatem. Dei- et servinomina13, quod non item ut libera nostra transeunt, eadem et14 causa, quod ad usum attinet < et >15 institui opus fuit de liberis, de reliquis nihil adtinuit, quod in servis gentilicia natura non subest in usu, in nostri 16 nominibus, qui sumus in Latio et liberi, necessaria. Itaque ibi apparet analogia ac dicitur Terentius vir, Terentia femina, Terentium genus. 1  alter: vulg. 2  nunc; contra F: Sciop. 3  discrimina ٠totum: Reiter. 4  docto: Aug. 5  mares: L. Sp. 6  queri: vulg. 7  Add. Mue. 8  surdum, < quod > Canal. Scripsi. 9  caecum etc.: vulg. 10 omīa habent lumֿ ٠ habere debent: omnia < quod non > Stroux; scripsi sec. Canal. 11 Scripsi sec. A. Sp. 12 Intֿ ē (= interest): Aug. 13 Dei (lac. 2) et servinomina F; Dei et servi, nomina A. Sp. Scripsi. 14 Prop. L. Sp. 15 Add. L. Sp. 16 nostri: nostris vulg.

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          Daher sagte man früher manches anders als jetzt: Denn damals sagte man zu allen männlichen und weiblichen Tauben columba, weil sie nicht in jenem häuslichen Gebrauch waren wie jetzt; jetzt aber nennt man die männliche columbus, Tauber, die weibliche columba, Taube, weil wir sie wegen des Gebrauchs im Hause unterschieden haben.203 57 Da die Natur204 durch drei Geschlechter geht und diese Unterscheidung gebräuchlich geworden ist, zeigt sie sich schließlich z. B. bei doctus, gelehrt, und (Fem.) docta und (Neutrum) doctum: Denn Gelehrsamkeit kann durch alle diese drei Geschlechter gehen, und der tägliche Gebrauch hat uns gelehrt, eine gelehrte Sache von (sc. gelehrten) Menschen zu unterscheiden und bei diesen (sc. einen gelehrten) Mann und (eine gelehrte) Frau. Bei dem, was Mann und Frau und sächlich ist, geht weder das Wesen des Mannes noch der Frau noch das sächliche in das andere Geschlecht über; und deshalb sagt man nicht fēminus fēmina fēminum und so auch bei den übrigen Wörtern: Daher sind sie mit einzelnen und getrennten Nennwörtern benannt worden.205 58 Daher darf man bei den Dingen, die kein ähnliches Wesen (nātūra) oder ähnlichen Gebrauch haben, in diesen Wörtern auch keine Regel dieser Art suchen: Wie man daher sagt: surdus vir, ein tauber Mann, und surda mulier, eine taube Frau, so auch surdum theātrum, ein taubes Theater, weil alle drei Objekte zum Hören gemacht sind; niemand dagegen spricht von einem cubiculum surdum, einem tauben Schlafzimmer: Es ist nämlich zum Schweigen, nicht zum Hören gemacht. Wenn es aber kein Fenster hat, spricht man von einem blinden Zimmer, caecum, wie caecus, ein Blinder, und caeca, eine Blinde, weil alles zum Wohnen Licht braucht.206 59 Männlich und Weiblich haben untereinander von Natur aus eine gewisse Verbindung, die Sächlichen aber nicht mit ihnen, weil sie verschieden sind.207 Auch untereinander gibt es bei den Sächlichen nur ganz wenige, die eine gewisse Gemeinsamkeit haben. Weshalb Götter- und Sklavennamen nicht ebenso wie unsere Freien-Namen durch alle Formen208 gehen, hat folgenden Grund: Es bezieht sich auf den Gebrauch und musste bei den Freien so eingeführt werden, bei den Übrigen nicht: Denn bei Sklaven ist die Angabe der Familienzugehörigkeit nicht im Gebrauch; bei unseren Eigennamen, die wir in Latium sind und Freie sind, ist sie nötig.209 Daher zeigt sich dort die Analogie und sagt man zum Mann Terentius, zur Frau Terentia, und Terentium genus, das Terentische Geschlecht.210

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          60 In praenominibus ideo non fit item, quod haec instituta ad usum singularia, quibus discernerentur nomina gentilicia, ut ab numero1 Secunda, Tertia, Quarta, in viris ut Quintus, Sextus, Decimus, sic ab aliis rebus. Cum essent duo Terentii aut plures, discernendi causa, ut aliquid singulare haberent, notabant; forsitan ab eo, qui mane natus diceretur, ut is Manius esset, qui luci, Luci[li]us2, qui post patris mortem, Postumus. 61 E quibus aeque, cum idem3 accidisset feminis, proportione ita appellata declinarant4 praenomina mulierum: antiqua Mania, Lucia, Postuma: Videmus enim Maniam matrem Larum dici, Luciam Volumniam5 Saliorum carminibus appellari, Postumam a multis post patris mortem etiam nunc appellari. 62 Quare, quocumque progressa est natura cum usu vocabulei6, similiter proportione propagata est analogia, cum in quibus declinationibus voluntariis maris et feminae et neutri, quae voluntaria, non debeant similiter declinari, sed in quibus naturales sint declinatus hi, qui esse reperiuntur. Quocirca in tribus generibus nominum inqu[a]e7 tollunt analogias. 63 Qui autem eas reprehendunt, quod alia vocabula singularia sint solum, ut cicer, alia multitudinis solum, ut scalae, cum debuerint omnia esse duplicia, ut equus equi, analogiae fundamentum esse obliviscuntur naturam et usu8. Singulare est, quod natura unum significat, ut equus, aut quod coniuncta quodammodo ad unum usu[m]9, ut bigae: itaque < ut >10 dicimus una Musa, sic dicimus unae bigae. 64 Multitudinis vocabula sunt unum infinitum, ut Musae, alterum finitum, ut < hae, >11 duae, tres, quattuor: Dicimus enim ut hae Musae, sic12 unae bigae et binae et trinae bigae, sic deinceps. 1  < in mulieribus > add. prop. L. Sp. 2  Lucilius: Ald. 3  quę – idem: A. Sp., del. Mue. 4  declinarant: declinabant Mette. 5  Volaminiam : Aug. 6  vocabula: vocabuli Aug. Scripsi. 7  īquę: Ald. 8  usu: Mue. 9  usum: A. Sp. 10 Add. L. Sp. 11 Addidi. 12 sic < duae et tres et quattuor Musae, et ut una Musa et duae et tres Musae, sic > Mette (de Melo).

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          60 Bei den Vornamen geschieht das deshalb nicht ebenso, denn sie sind – zum Gebrauch – als Einzelnamen eingerichtet, um die Familiennamen zu unterscheiden, z. B. von der Zahl Secunda, die Zweite, Tertia, die Dritte, Quārta, die Vierte, bei den Männern z. B. Quīntus, der Fünfte, Sextus, der Sechste, Decimus, der Zehnte; so benannte man sie auch von anderen Dingen her.211 Weil es zwei Terentier – oder mehr – gab, bezeichnete man sie, damit sie etwas Individuelles hätten, vielleicht von Folgendem: Der, von dem man sagte, er sei am Morgen, mānē, geboren, hieß dann Mānius; der beim Morgengrauen, lūcī, war Lūcius, der nach dem Tode, post mortem, des Vaters Geborene war Postumus. 61 Da dies auch den Frauen geschah, hatte man in gleicher Weise davon entsprechend die Vornamen der Frauen so benannt und gebildet: alt sind Mānia, Lūcia und Postuma: Wir sehen nämlich, dass Mānia die Mutter der Laren heißt, dass eine Lūcia Volumnia in den Salierliedern genannt wird212 und auch jetzt noch nach dem Tode ihres Vaters von vielen die Nachgeborene Postuma genannt wird. 62 Überall, wohin die Natur mit dem Gebrauch eines Wortes vorgerückt ist, hat sich daher entsprechend die Analogie ausgebreitet: Nicht aber bei den willkürlichen Ableitungen von männlich, weiblich und sächlich (weil man die willkürlich abgeleiteten Wörter nicht ähnlich bilden darf), sondern nur, wo es diese natürlichen Ableitungsformen gibt, die man vorfindet213. Daher beseitigen sie (die Anomalisten) bei den drei Genera der Nomina zu Unrecht die Analogien. 63 Diejenigen aber, die die Analogien mit der Begründung kritisieren, einige Nennwörter gebe es nur im Singular, wie cicer, Kichererbse(n), andere nur im Plural, wie scālae, Treppe, obwohl es doch alle Wörter in beiden Numeri geben müsste, wie equus, Pferd, und equī, Pferde: Die vergessen, dass Basis der Analogie Natur und Gebrauch sind. Singular ist214, was von Natur aus nur ein Einzelnes bezeichnet, wie equus, Pferd, oder was Dinge bezeichnet, die durch den Gebrauch auf bestimmte Weise zu Einem verbunden sind, wie bīgae, Zweispänner: Daher sagen wir ūna Mūsa, éine Muse, so wie wir sagen ūnae bīgae, éin Zweispänner. 64 Von den Nennwörtern im Plural ist das eine unbestimmt, z. B. Mūsae, Musen, das andere bestimmt wie hae, diese, duae, trēs, quattuor, zwei, drei, vier215: Wir sagen ja so wie hae Mūsae, diese Musen, so auch ūnae bīgae, ein Zweispänner, und bīnae, trīnae bīgae, zwei und drei Zweispänner usw.

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          Quare, tam unae et uni et una quodammodo singularia sunt quam unus et una et unum; hoc modo mutat, quod altera in singularibus, altera in coniunctis rebus; et ut duo tria sunt multitudinis, sic bina trina. 65 Est tertium quoque genus singulare ut in multitudine: uter, in quo multitudinis [ut] utrei:1 uter poeta singulari, utri2 poetae multitudinis est. Qua explicata natura apparet non debere omnia vocabula habere par singulare: omnes enim numeri ab duobus susum versus multitudinis sunt, neque eorum quisquam habere potest singulare compar. Iniuria igitur postulant, si qua sint singularia, oportere habere multitudinis. 66 Item qui reprehendunt, quod non dicatur ut unguentum unguenta, vinum vina, sic acetum aceta, garum gara, faciunt imperite: Qui ibi desiderant multitudinis vocabulum, quae sub mensuram ac pondera potius quam sub numerum succedunt. Nam in plumbo, oleo3, ageto4, cum incrementum accessit, dicimus esse multum oleum5, sic multum plumbum, argentum; non multa olea,6 plumba, argenta; cum quae ex hisce fiant, dicamus plumbea et argentea (aliud enim cum argenteum; nam id tum, cum iam vas: argentum7 enim, si pocillum aut quid item: quod pocilla argentea multa, non quod argentum multum.). 67 Ea, natura in quibus est mensura, non numerus, si genera in se habet8 plura, et ea in usum venerunt, a genere multo, sic vina et unguenta, dicta: Alii generis enim vinum quod Chio, aliut quod Lesb[i]o9, sic ex regionibus aliis. que10 ipsa dicuntur nunc melius unguentá11, cui nunc genera aliquot. Si item discrimina magna essent olei et aceti et sic ceterarum rerum eiusmodi in usu comuni, dicerentur sic olea et < aceta ut >12 vina.

          1  ut utre ٠I ٠ : utri L. Sp., utrei A. Sp., ut del. L. Sp. 2  utri: scripsi. 3  Del. L. Sp. 4  aceto: Aug. 5  enī –oleum F: del. A.Sp. (1858), Duso; scripsi. 6  Del. A. Sp. sec. L. Sp. 7  argentum: argentum Aug., edd. 8  habet: Lae. 9  Lesbio: Ald. 10  Quae: A. Sp. 11  unguentia: unguenta vulg.; scripsi cum accentu. 12  Add. L. Sp.

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          Daher sind die Formen (Fem.) ūnae und (Mask.) ūnī und (Neutr.) ūna gewissermaßen Singular so wie ūnus, ūna und ūnum; es ändert sich dabei nur, dass das eine für Singulardinge, das andere für verbundene Dinge verwendet wird; und wie duo, tria, zwei und drei, ein Plural sind, so auch bīna und trīna. 65 Es gibt auch eine dritte Klasse im Singular und in der Mehrzahl: nämlich uter, welcher von beiden, wo der Plural utrei heißt: uter poēta?, welcher Dichter?, ist Singular, utrei poētae?, welche zwei Dichter?, ist Plural. Nachdem dieses Wesen (nātura) geklärt ist, ist evident: Nicht alle Nennwörter müssen einen Partner im Singular haben: Denn alle Zahlen von Zwei aufwärts sind Plural, und keine von ihnen kann einen Partner im Singular haben. Die Anomalisten fordern also zu Unrecht, dass Wörter, die es im Singular gibt, auch einen Plural haben müssen.216 66 Sie kritisieren ja: Während man bei unguentum, Parfüm, (sc. im Plural) unguenta, Parfümsorten, und vīnum, Wein, (sc. im Plural) vīna, Weinsorten, sage, sage man nicht auch (sc. im Singular und Plural) acētum acēta, Essig, Essigsorten, und garum gara, Fischsoße, Fischsoßensorten. Da fehlt ihnen die Erfahrung: Denn sie verlangen dort ein Nennwort im Plural, das eher unter Maß und Gewicht als unter die Zahl fällt.217 Denn wenn bei plumbum, Blei, ōleum, Öl, und argentum, Silber, eine Mehrung hinzutritt, sagen wir, es sei multum ōleum, viel Öl, so auch multum plumbum, viel Blei‚ und (sc. multum) argentum, viel Silber; nicht multa ōlea, plumba, argenta, viele Öle, Bleie, viele Silber; hingegen nennen wir die Gegenstände, die aus diesen Materialien entstehen, plumbea, bleierne, und argentea, silberne (Ein argenteum, Silbergefäß, ist nämlich etwas Anderes: Denn so heißt es dann, wenn es schon ein Gefäß ist; massives Silber ist es nämlich, wenn es Becherchen oder etwas ebensolches ist. Denn silberne Becherchen, pōcilla argentea, gibt es viele, aber viel Silber, argentum multum, gibt es nicht.).218 67 Wenn das, wofür es von Natur aus ein Maß gibt und keine Zahl, verschiedene Arten dabei hat und wenn diese in Gebrauch gekommen sind, hat man von den verschiedenen Arten vīna, Weine, und unguenta, Parfüms, gesagt: Denn der Wein aus Chios ist von anderer Art als der aus Lesbos und so aus den anderen Gegenden. In gleicher Weise sagt man bei den Parfüms selbst jetzt besser unguentá, weil es dafür jetzt ziemlich viele Arten gibt.219 Gäbe es ebenso große Unterschiede im allgemeinen Gebrauch bei Öl und Essig und so bei den übrigen derartigen Dingen, dann würde man genauso ōlea, Öle, und acēta, Essigsorten, sagen wie vīna, Weine.

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          Quare in utraque re nique1 rescindere conantur analogiam, [s]et2 cum in dissimili usu similia vocabula querant3, et cum item ea, quae metimur atque ea quae numeramus, dici putent oportere. 68 Item reprehendunt analogias, quod dicantur multitudinis nomine publicae balneae, non balnea, contra quod privati dicant unum balneum, quod plura balnea < non >4 dicant. Quibus responderei5 potest non esse reprehendendum, quod scalae et aquae caldae, pleraque [quae]6 cum causa, multitudinis vocabulis sint appellata neque eorum singularia in usum venerint – idemque item contra. Primum: Balneum (nomen et Grecum), < cum >7 introiit in urbem, publice ibi consedit, ubi bina essent coniuncta aedificia lavandi causa, unum, ubi viri, alterum, ubi mulieres lavarentur. Ab eadem ratione domi suae quisque ubi lavatur, balneum dixerunt et, quod non erant duo, balnea dicere non consuerunt, cum hoc antiqui non balneum, sed lavátrinam8 appellare consuessent.9 69 Sic aquae caldae ab loco et aqua, quae ibi scateret10, cum, ut colerentur, venissent in usum nostris, cum aliae ad alium morbum idoneae essent, eae cum plures essent ut Puteolis et in Tuscis, quibus utebantur, multitudinis potius quam singulari vocabulo appellarunt. Sic scalas, quod ab scandendo dicuntur et singulos gradus scanderent, magis erat querendum11, si appellassent singulari vocabulo scalam12, cum origo nominatus ostenderet contra. 70 Item reprehendunt de casibus, quod quidam nominatus habent rectos, quidam obliquos, quod dicunt utrosque in vocibus13 oportere. Quibus idem responderi potest: In quibus usus aut natura non subsit, ibi non esse analogiam. 71 Sed ne14 in his vocabulis, quae declinantur, si transeunt e recto casu in rectum casum: Quae tamen fere non discedunt ab ratione sine iusta causa, ut hi, qui gladiatores Faustinos: 1  utraque denique rê scindere: Canal. 2  sed < et F: Aug. 3  querunt: L. Sp. 4  Popma. 5  respondere: responderi Ald. Scripsi sec. L. Sp. 6  Del. A. Sp. 7  & Grecum introiit: prop. GS. 8  Laviatrinam: scripsi. 9  consuescent: ed. Ven. (consuevissent Aug.). 10  scateret < scaterent F. 11  Sic F; quaerendum edd.: Steph. 12 scalam < scale F. 13 < esse > Reitzenstein. 14 ne – < quidem > Kent, nec Mue.

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          Deshalb versuchen die Anomalisten unbilligerweise die Analogie zurückzustutzen; sowohl, weil sie – bei einem unähnlichen Gebrauch (sc. der Dinge) – ähnliche Nennwörter suchen, aber auch, weil sie glauben, das, was wir messen, müsse ebenso wie das, was wir zählen, gesagt werden. 68 Ebenso kritisieren sie die Analogien, dass man die öffentlichen Bäder mit einem Pluralwort balneae nennt, nicht (sc. im Singular) balnea, während dazu die Privatleute im Singular balneum sagen, wozu sie bei mehreren nicht balnea sagen. Dem lässt sich entgegnen: Es ist nicht zu kritisieren, dass scālae, Treppe, und aquae caldae, Thermen (heiße Wasser), zumeist aus gutem Grund, mit Pluralwörtern benannt sind und nicht ihre Singularformen in Gebrauch gekommen sind – und umgekehrt. Denn erstens: Das Wort balneum (es ist ein griechisches Nomen)220 hat sich, sobald es in Rom Einzug gehalten hatte, offiziell dort festgesetzt, wo je zwei Badegebäude miteinander verbunden wurden: das eine für Männer, das andere für Frauen. Aus demselben Grund nannte man es balneum, wo sich jeder bei sich zuhause badet, und gewöhnte man es sich nicht an, balnea zu sagen, weil es keine zwei waren, während die Alten dazu nicht balneum, sondern lavấtrīna zu sagen pflegten.221 69 So heißen die Thermen aquae caldae, heiße Wasser, von der Örtlichkeit und dem Wasser, das dort sprudelt: Sie kamen ja bei uns in Gebrauch, um sich zu pflegen, denn jede Therme war für eine andere Krankheit geeignet. Da es nun wie in Puteoli und in Etrurien mehrere gab, deren man sich bediente, benannte man sie eher mit einem Plural- als mit einem Singularwort. So hätte sich man bei der Treppe, scālae (sie heißt so vom Steigen, scandere, und weil man jeweils eine einzelne Stufe steigt, scanderent), eher beschweren müssen, wenn man sie mit einem Singularwort scāla benannt hätte, wo doch die Etymologie des Nomens das Gegenteil anzeigt. 70 Ebenso kritisieren sie bei den Kasus, dass einige Nomina (nur) Nomi­ na­tive hätten, einige nur oblique, wo es doch – wie sie sagen – beide Formen gesprochen (in vōcibus) geben müsste. Darauf lässt sich das Gleiche antworten: Wo kein Gebrauch oder keine (sc. Sache in der) Natur zugrundeliegt, dort gibt es keine Analogie. 71 Aber doch nicht222 bei den Nennwörtern, die abgeleitet werden, wenn sie von einem Nominativ in einen Nominativ übergehen: Sie weichen doch normalerweise nicht ohne einen berechtigten Grund von der Regel ab, wie jene, die zu den Gladiatoren (sc. aus der Truppe des Faustus) Faustīnī sagen.

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          Nam quod plerique dicuntur, ut tris extremas syllabas 1 habeant easdem, Cascelliani < Caeciliani >2, Aquiliani3, animadvertant, unde oriuntur, nomina dissimilia Cascellius, Cecilius, Aquilius, Faustius, 4 recte dicerent Faustianos; sic 5 a Scipione quidam male dicunt Scipioninos: nam est Scipionarios. Sed, ut dixi, quod ab huiuscemodi cognominibus raro declinantur cognomina neque in usum etiam perducta, natant quaedam. 72 Item dicunt, cum sit simile stultus luscus et dicatur stultus stultior stultissimus, non dici luscus luscior luscissimus, sic in hoc genere multa. Ad quae dico id eo6 fieri, quod natura nemo lusco magis sit luscus, cum stultior fieri videatur. 73 Quod rogant, cur dicamus mane, < non >7 manius manissime, item de vesperi: In8 tempore vere9 magis et minus esse non potest, ante et post potest. Itaque prius est hora prima quam secunda, non magis hora. Sed „magis mane” surgere tamen dicitur, qui primo mane surgit quam qui non primo10: Ut enim dies non potest esse magis quam < minus, sic non magis quam minus >11 mane. Itaque ipsum hoc, quod dicitur magis, sibi non constat, quod magis mane significat primum mane, magis vespere novissimum vesper. 74 Item ab huiuscemodi similitudinibus12 reprehenditur analogia, quod cum sit anus cadus simile et sit ab anu anicula anicilla, a cado duo reliqua quod non sint propagata, sic non dicatur a piscina piscinula piscinilla. Ad < haec >13: Huiuscemodi vocabulis14 analogias esse, ut dixi, ubi magnitudo animadvertenda sit in unoquoque gradu, eaque sit in usu comuniter15, ut est16 cista, cistula, cistella et canis, catulus, catellus, quod in pecoris usu non est. 1  sillabas: vulg. 2  Add. L. Sp. sec. Aug. 3  aquiliani < aquiliniani F. 4  Add. Mue. 5  si: Vall. (Lae.). 6  < id > ideo L. Sp. 7  Add. A. Sp. sec. Aug. 8  vespertino: Popma. 9  vero vel vere F. 10 prior: Steph. 11 Lac. ind. L. Sp.; addidi. 12 similitudinibus: L. Sp. 13 Ad < haec respondeo > prop. L. Sp.; scripsi. 14 vocabula: L. Sp. 15 comuniter suprascr. F, ut videtur (communi legunt apographi). 16 caput capitulum capitellum F2 in margine, fort. recte.

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          Denn die meisten heißen ja so, dass sie die letzten drei Silben gleich haben: Cascelliānī, Caeciliānī und Aquiliānī.223 Da sollten sie doch merken, dass die Eigennamen, von denen sie stammen, unähnlich sind: Cascellius, Caecilius, Aquilius und Faustus. Wäre es aber Faustius, müsste man sie richtig Faustiānī nennen (sc. und nicht Faustīnī); so sagen manche unkorrekt zu den Gladiatoren des Scipiō Scipiōnīnī: Richtig ist aber Scipiōnāriī.224 Aber, wie gesagt, weil von derartigen Beinamen selten andere abgeleitet werden und sie nicht in Gebrauch genommen wurden, ist einiges im Schwanken.225 72 Ebenso sagen sie226: Obwohl sich stultus, dumm, und luscus, einäugig, ähnlich sind und man sagt: stultus, stultior, stultissimus, dumm, dümmer, am dümmsten: So werde doch nicht gesagt luscus, luscior, luscissimus, einäugig, einäugiger, am einäugigsten, und so in dieser Art bei vielen Wörtern. Darauf sage ich: Das geschieht deswegen, weil mehr einäugig als einäugig von Natur niemand ist, während man offenbar dümmer, stultior, werden kann.227 73 Sie fragen, warum wir sagen: mānē, morgens, aber nicht mānius, mānissimē, früher am Morgen, frühestens am Morgen, ebenso bei vesperī, abends: Bei der Zeit kann es doch wirklich ein Mehr oder Weniger nicht geben, ein ante, Vor, und post, Nach, aber schon. Daher ist die erste Stunde früher, prius, als die zweite, nicht aber um eine Stunde mehr, magis. Man sagt aber schon für einen, er stehe eher, magis, am Morgen, mānē, auf, wenn er am frühen Morgen aufsteht, als für den, der nicht früh aufsteht. Wie es nämlich Tag nicht mehr sein kann als weniger, so kann es auch nicht mehr Morgen als weniger Morgen geben. Daher stimmt auch genau dieses Wort magis, mehr, hier nicht; denn magis mānē bezeichnet den ganz frühen Morgen, aber magis vesperē bezeichnet das Ende des Abends.228 74 Ebenso kritisierte man – ausgehend von derartigen Unähnlichkeiten – die Analogie229: Während anus, Greisin, und cadus, Krug, ähnlich seien und man von anus anicula, altes Mütterchen, und anicilla, altes kleines Mütterchen, bilde, hätten sich die beiden übrigen Formen von cadus nicht herausgebildet, und man sage auch von piscīna, Fischteich, nicht piscīnula, Fischteichlein, und piscīnilla, Fischteichelchen. Dazu (sc. ist zu sagen): Derartige Nennwörter haben Analogien, wie gesagt, wo sich in einem jeden Grade eine Größe beobachten lässt und diese allgemein in Gebrauch ist, wie bei cista, Kiste, cistula und cistella, Kistchen und Kistelchen, und bei canis, Hund, catulus und catellus, Hündchen und Hündlein, was beim Großvieh nicht üblich ist.230

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          Itaque consuetudo frequentius res in binas dividi1 partis ut maius et minus, ut lectus et lectulus, arca et arcula, sic alia. 75 Quod dicunt casus alia non habere rectos, alia obliquos, et ideo non esse analogias, falsum est. Negant habere rectos, ut in hoc frugis, frugi, frugem, item colis, coli, colem2, obliquos non habere ut in hoc Diespiter, Diespitri, Diespitrem, Maspiter, Maspitri, Maspitrem. 76 Ad haec respondeo: Et priora habere nominandi et posteriora obliquos. Nam et frugi rectus est natura frux, at secundum consuetudinem dicimus ut haec avis, haec ovis, sic haec frugis. Sic secundum naturam nominandi est casus cols3, secundum consuetudinem colis, cum utrumque conveniat ad analogian, quod et id, quod in consuetudine non est, cuius modi debeat esse, apparet, et quod est in consuetudine nunc in recto casu, eadem est analogia, ac pleraque, quae, ex multitudine cum transeunt in singulare, difficulter efferuntur ore. Sic cum transiretur ex eo, quod dicebatur haec oves, una non est dicta ovs sine I4, sed additum I ac factum ambiguum, verbum nominandi an patrici esse5 casus: ut ovis, et avis. 77 Sic in obliquis casibus, cur negent esse Diespitri, Diespitrem, non video, nisi quod minus est tritum in consuetudine quam Diespiter. Quod nihili 6 argumentum est: Nam tam casus, qui non tritus, est, quam qui est. Sed est:7 in casuum serie alia vocabula non habere nominandi, alia de obliquis aliquem: nihil enim ideo, quo minus siet ratio, percellere poterit hoc crimen. 78 Nam ut signa, quae non habent caput [et]8 aut aliquam aliam partem, nihil[h]ominus9 in reliquis membris eorum esse possunt analogiae, sic in vocabulis casuum possunt item fieri ac reponi, quod aberit, ubi patietur natura et consuetudo. Quod nonnunquam apud poetas invenimus factum, ut in hoc apud Nevium in Clastidio: „Vita insepulta laetus in patriam redux.” 1  dividit vulg. 2  rolem rolis role: Mue. 3  rois – rolis: Mue. 4  sine una: L. Sp., cf. VI 76 (cum I; propositione). 5  esse: L. Sp. 6  innihil: Aug., Steph. 7  est: L. Sp. 8  Del. Lae. 9  nihil homin; : vulg.

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          Daher teilt man häufiger die Dinge in zwei Teile: ein Größer und ein Kleiner, wie lectus, Bett, und lectulus, Bettchen, arca, Kasten, und arcula, Kästchen, und so anderes. 75 Sie sagen, einige Wörter hätten keine Nominative, andere keine obliquen Kasus, und deshalb gebe es keine Analogien: Das stimmt aber nicht. Sie behaupten, ohne Nominative seien z. B. frūgis, frūgī, frūgem, Frucht, ebenso cōlis, cōlī, cōlem, Kohl, ohne oblique Kasus z. B. Diēspiter, Diēspitrī, Diēspitrem, und Māspiter, Māspitrī, Māspitrem. 76 Darauf meine Antwort: Sowohl haben die ersten Beispiele einen Nominativ (nōminandī) als auch die letzteren oblique Kasus. Denn frūgī hat von Natur aus einen Nominativ frūx, aber nach dem Sprachgebrauch sagen wir – wie Nom. avis, Vogel, Nom. ovis, Schaf – so auch Nom. frūgis. So lautet – nach der Natur – der Nominativ cōls, aber nach dem Sprachgebrauch cōlis, während doch beides der Analogie entspricht. Denn es ist klar, wie das, was nicht im Sprachgebrauch ist, lauten müsste; und das, was jetzt – im Nominativ – im Sprachgebrauch ist, hat die gleiche Analogie; auch gibt es sehr viele Wörter, die sich, wenn sie aus dem Plural in den Singular übergehen, schwer aussprechen lassen. Als man z. B. von dem gesagten Nom. Pl. ovēs, Schafe, (sc. in den Singular) überging, nannte man das éine Schaf nicht ovs ohne i, sondern man hat ein i zugefügt, und so wurde zweideutig, ob das Wort die Form des Nominativs oder Genitivs ist. Wie bei ovis, Schaf, ist es auch bei avis, Vogel. 77 Warum sie bestreiten, dass es bei den obliquen Kasus (sc. Dat.) Diēspitrī und (Akk.) Diēspitrem gebe, verstehe ich nicht – außer dass es im Sprachgebrauch weniger gebräuchlich ist als (sc. Nom.) Diēspiter. Dieses Argument ist wertlos: Denn auch ein Kasus, der wenig gebräuchlich ist, ist genauso ein Kasus. Aber zugegeben: Selbst wenn in der Kasusreihe einige Wörter keinen Nominativ haben und von anderen irgendein obliquer Kasus fehlt, so kann doch dieser Vorwurf das Vorhandensein einer Regel nicht erschüttern231. 78 Denn wie bei Statuen, bei denen ein Kopf oder irgendein anderer Teil fehlt, nichtsdestoweniger bei ihren übrigen Gliedern Analogien bestehen können, so können auch bei Wörtern ebenso welche von den Kasusformen gebildet und das Fehlende wiederhergestellt werden, wo es Natur und Sprachgebrauch zulassen.232 Das finden wir manchmal bei Dichtern, wie bei folgendem Zitat im Clastidium bei Naevius:233 „Froh, dem Grab entronnen zu sein, in die Heimat zurückkehrend, redux.“

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          79 Item reprehendunt, quod dicatur haec strues, hic Hercules1, hic homo: debuisset enim dici, si esset analogia, hic Hercul, haec strus, hic2 homon.3 Haec < non ostendunt > nullam4 analogian esse, sed obliquos casus non habere caput ex sua analogia. Non, ut si in Alexandri statua[m]5 imposueris caput Philippi, membra conveniant ad rationem, sic eius6 ad [Alexandri] membrorum simulacrum < Alexandri >7 caput, quod respondeat, item sit? Num8, si quis tunicam in usu ita consuit, ut altera plagula9 sit angustis clavis, altera latis, utraque pars in suo genere caret analogia? 80 Item negant esse analogias, quod alii dicunt cupressus, alii cupressei 10, item de ficis, platanis et plerisque arboribus, de quibus alii extremum US, alii EI faciunt. Id est falsum: Nam debent dici E et I, fici ut nummi, quod est ut nummi fici11, ut nummorum ficorum. Si essent plures ficus, essent ut manus; diceremus ut manibus, sic ficibus, et ut manuum, sic ficuum, neque has ficos diceremus, sed ficus, ut non manos appellamus, sed < manus, nec >12 consuetudo diceret singularis obliquos casus huius fici neque hac fico, ut non dici13 huius man[u]i14, sed huius manus, ec hac15 mano, sed hac manu. 81 Etiam illud putant esse causae, cur non sit in < nummis >16 analogia, quod Lucilius scribit: „decuis17 sive decusibus est”. Qui errant, quod Lucilius non debuit dubitare, quod utrumque: Nam in aere usque ab asse ad centussis numerus aes adsignificat, et eius numero finiti casus omnis ab dupondio sunt, quod dicitur a multis duobus modis hic dupondius et hoc dupondium, ut hoc gladium et hic gladius. 1  herculis: Lae. 2  hic < hoc F. 3  homon: homon Mette (1931) 6. 4  ostendunt noua ñ : Scripsi sec. Groth. 5  statuam: vulg. 6  et: scripsi. 7  &ad alexandri … caput: scripsi sec. L. et A. Sp. 8  Nam < Non F: Mette. 9  placula: Ald. 10  cupressi – fici – nummi: prop. Mue. 11  L. Sp. 12 Add. Mue. 13  dici: Aug. 14 manui: Lae. 15 et hac: L. Sp. 16 in del. Ald.; in < numeris > prop. GS: scripsi. 17 decuis: Lachmann.

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          79 Ebenso kritisieren sie, dass es heiße: Nom. struēs, Haufen, Herculēs, homō, Mensch: Es hätte nämlich – gäbe es Analogie – heißen müssen: Nom. Hercul, strūs, homon. Dies beweist nicht, dass es keine Analogie gibt, sondern dass die obliquen Kasus aus ihrem analogen Schema heraus keinen „Kopf“ haben. Wenn man z. B. auf eine Alexanderstatue das Haupt Philipps setzte, passen da nicht die Glieder für sich zur Regel? Und setzte man auf ein Abbild von Philipps Gliedern das Haupt Alexanders, dass es (sc. dem Torso) entspricht: Wäre das nicht ebenso?234 Wenn einer in der Praxis eine Tunika so zusammennäht, dass das eine Tuchblatt schmale Streifen hat, das andere breite: Hat da jeder von den beiden Teilen in seiner Art keine Analogie? 80 Ebenso bestreiten sie, dass es Analogien gebe, weil die einen (sc. im Plural) cupressūs, Zypressen, sagen, die anderen cupressei, ebenso bei Feigenbäumen, fīcīs, Platanen, platanīs und den meisten Baumnamen, von denen die einen auf US, die anderen auf EI ausgehen.235 Das ist falsch: Denn sie müssen (sc. im Nom.) mit E und I gesagt werden: fīcei wie nummei, Münzen, weil fīcīs wie nummīs ist und fīcōrum wie nummōrum. Wenn die Feigenbäume im Plural fīcūs, wären, gingen sie (sc. im Plural) wie manūs, Hände; wir würden wie (Abl.) manibus so fīcibus sagen, und wie (Gen.) manuum, so fīcuum, und würden nicht (sc. im Akkusativ) fīcōs sagen, sondern fīcūs, wie wir ja auch die Hände nicht (Akk.) manōs nennen, sondern manūs, und der Sprachgebrauch würde die obliquen Kasus im Singular nicht Genitiv fīcī und Ablativ fīcō bilden, wie er ja auch nicht sagt Genitiv manī, sondern manūs, und nicht Ablativ manō, sondern manū. 81 Auch das halten sie für einen Grund, weshalb es bei den Münzbezeichnungen keine Analogie gebe,236 wenn Lucilius schreibt: „Einen decusis, Zehn-As-Stück, oder decusibus, um ein Zehn-As- Stück, speist er.“237 Da irren sie, denn Lucilius hätte nicht zweifeln müssen, weil es beides gibt: Beim Kupfergeld bezeichnet nämlich die Zahl von einem bis 100 As die Kupfermünze, und alle seine Fälle sind bestimmt, ausgehend vom Zweipfünder, der von vielen auf zweierlei Weise im Mask. dupondius und Neutr. dupondium heißt, wie gladium und gladius, Schwert.

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          Ab tressibus virilia multitudinis „hi tresses” et „his tressibus confido”, singulare „hoc tressis habeo” et „huic tresi1 confido”, sic deinceps a2 centussis. Deinde numerus aes non significans: 82 Numeri, qui es non significant, usque a quattuor ad centum, triplicis habent formas, quod dicuntur hi quattuor, hae quattuor, haec quattuor; cum perventum est ad mille, quartum assumit singulare neutrum, quod dicitur hoc mille denarium, a quo multitudinis fit milia denarium3. 83 Quare, cum ad analogias quod pertineat, < opus >4 non est, ut omnia similia dicantur, sed ut in suo quaeque genere similiter declinentur, stulte querunt, cur as et dupondius et tressis non dicantur proportione, cum as sit5 simplex, dupondius6 fictus, quod duo asses pendeba[n]t7, tressis ex tribus aeris quod sit. Pro assibus nonnunquam aes dicebant antiqui, a quo dicimus assem tenentes „hoc [ab]8 aere aeneaque libra“ et „mille eris legasse“. 84 Quare, quod ab tressis usque ad [du]centussis 9 numeri [ex] eiusdem modi sunt compositi10, eiusdem modi habent similitudinem: dupondius, quod dissimilis est, ut debuit, dissimilem habet rationem. Sic as, quoniam simplex est ac principium, et unum significat et multitudinis habet suum infinitum: dicimus enim asses, quos cum finimus, dicimus dupondius et tressis et sic porro. 85 Sic videtur mihi, quoniam finitum et infinitum habeat dissimilitudinem, non debere utrumque item dici; eo magis, quod in ipsis vocabulis 11, ubi additur certus numerus, in miliariis aliter atque in reliquis dicitur; nam sic loquontur: „hoc mille denarium”, non „hoc mille denarii”12, et „haec duo milia denarium”13, non „duo milia denarii”14. 1  hoc tresis: huic Christ; scripsi. 2  acentussis: Aug. 3  denaria: Aug.; 4  pertineat / n̅ ē F: Add. prop. GS. 5  adsit: Aug. 6  dipondius: Aug. 7  pendebant: Aug. 8  Del. Sciop. 9  ducentussis: Aug. 10  ex del. Aug. (Duso); ex ... < partibus > Kent. 11  vocalibus: Lae. 12  denarii: denariorum L. Sp. 13  denaria: Aug. 14  denarii: denariorum Christ.

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          Von trēssis an, dem Drei-As-Stück, sind es Maskulina im Plural: Nom. „trēssēs“ und Dat. „Den trēssibus vertraue ich“, doch (sc. Neutra) im Singular „Ich habe das trēssis“ und „Dem trēssis vertraue ich“, und so der Reihe nach bis zu hundert As, centussis.238 Nun die Zahl, die kein Kupfergeld bezeichnet: 82 Die Zahlen, die kein Kupfergeld bezeichnen, haben – von vier bis hundert – dreifache Formen; denn man sagt bei 4 im Nominativ hī quattuor, hae quattuor, haec quattuor (sc. in allen drei Genera); wenn man bei 1000 angekommen ist, nimmt sie (sc. die Zahlangabe) eine vierte Form im Neutrum Singular an, denn man sagt: Nom. mīlle dēnarium, 1000 Denare, wovon eine Pluralform gebildet wird: mīlia dēnarium, Tausend(e) Denare.239 83 Was die Analogien betrifft, ist es ja nicht erforderlich, dass alles ähnlich abgeleitet wird, sondern nur, dass es – jedes in seiner Klasse – ähnlich abgeleitet wird. Dumm fragen daher die Anomalisten, weshalb As und Zwei-Pfünder und Drei-As nicht entsprechend gesagt werden: Denn der As ist ja ein Simplex, der Zwei-Pfünder, dupondius, eine Bildung (sc. durch Zusammensetzung), fictus, weil er zwei As, duo, wog, pendēbat, und der Drei-As, trēssis, besteht ja aus drei Assen.240 Für die Asse, assēs, sagten die Alten manchmal aes, Kupfer; daher sagen wir, wenn wir einen As in der Hand halten: „Mit diesem Kupfer (aes) und der kupfernen (aenea) Waage“, und dass man „mīlle aeris“ vermacht habe, 1000 aus Kupfer241. 84 Weil vom Drei-As bis zum Hundert-As die Zahlen gleichartig zusammen­ gesetzt sind, haben sie daher auch Ähnlichkeit der gleichen Art: der dupondius, Zwei-Pfünder, hat – weil er ja unähnlich ist – ein unähnliches System. So bezeichnet der As, weil as (sc. als Wort) ein Simplex ist und er den Anfang darstellt, die Eins und hat den Plural unbestimmt242: Wir sagen nämlich assēs, und wenn wir sie (sc. näher) bestimmen, sagen wir dupondius für zwei und trēssis für drei As und so weiter243. 85 Da nun das Bestimmte und das Unbestimmte eine Unähnlichkeit auf­ weisen, muss man meiner Ansicht nach auch beides nicht ebenso sagen; umso mehr, als man bei den Wörtern selbst, wenn man eine gewisse Zahl hinzufügt, bei den Tausendern anders als bei den übrigen Zahlen sagt; denn man sagt so: Nominativ mīlle dēnārium, tausend Denar, nicht Nominativ mīlle dēnāriī, tausend Denare; und Nominativ duo mīlia dēnārium, zweitausend Denar, nicht duo mīlia dēnāriī, zweitausend Denare.244

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          Si esset denarii in recto casu atque infinitam multitudinem significaret, tunc in patrico denariorum dici oportebat; et non solum in denariis, victoriatis, drachmis1, nummis, sed etiam in viris2 idem servari oportere, cum dicimus iudicium fuisse triumvirum, decemvirum 3, non centum virorum. 86 Numeri antiqui habent analogias, quod omnibus est una [non] novenaria4 regula, duo actus, tres gradus, sex decuriae, qua5 omnia similiter inter se respondent. Regula[e]6 est numerus novenarius, quod, ab uno ad novem cum pervenimus, rursus redimus ad unum et V 7: Hinc et LX 8 et nongenti 9 ab una sunt natura novenaria [sic ab octonaria, et deosum versus ad singularia perveniunt]10. 87 Actus primus est ab uno < ad >11 DCCCC, secundus a mille ad nongenta12 milia. Quod idem valebat unum et mille, utrumque singulari nomine appellatur: nam ut dicitur hoc unum, haec duo, < sic hoc mille, haec duo >13 milia et sic deinceps multitudinis in duobus actibus reliqui omnes item numeri. Gradus singularis est in utroque actu ab uno ad novem, denarius14 gradus < a > decem ad LX, centenarius a centum < ad > DCCCC. Ita tribus gradibus sex decuriae fiunt tres miliariae, tres15 minores. Antiqui his numeris fuerunt contenti. 88 Ad hos tertium et quartum actum ab decies16 iuniores17 imposuerunt vocabula, neque ratione, sed tamen non contra est eam, de qua scribimus analogiam. 1  & rachmis: Rhol. 2  viris < utris F. 3  Add prop. Mue. 4  novenaria del. L. Sp.; non del. Aug. 5  Rhol. 6  regulae: Sciop. 7  V: L. Sp. (scribens novem). 8  LX: Ald. (scribens XC). 9  nungenti: nongenta L. Sp. 10  Del. Mette. 11  Add. Aug. 12  nungenta: vulg. 13  Add. Gronovius. 14  denarios; < a > – < ad >: corr. et add. Aug. 15  miliaria & res minores: L. Sp. 16  decies: vulg., Mue. 17  minores: scripsi.

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          Wenn es dēnāriī im Nominativ hieße und das eine unbestimmte Menge bezeichnen würde, dann müsste man im Genitiv dēnāriōrum sagen; und nicht nur bei den Denaren, den Victoriati, den Drachmen und den Sesterzen (nummī), sondern auch bei der Bezeichnung der Männerzahl müsste man meiner Ansicht nach dasselbe beachten245, wo wir sagen: „Es war eine Entscheidung der Triumvirn, triumvirum, der Dezemvirn, decemvirum, der Zentumvirn, centumvirum“, nicht: centum virōrum, von hundert Männern.246 86 Die alten Zahlen haben Analogien: Denn sie haben alle ein Neunermaß, zwei Abteilungen (āctūs), drei Abstufungen (gradūs) und sechs Zehnereinheiten (decūriae), die sich alle untereinander entsprechen.247 Das Maß ist eine Neunereinheit: Denn wenn wir von 1 zu 9 gekommen sind, kommen wir wieder (sc. in den Zehnern) auf 1 und 9 zurück. Deshalb sind auch 90 und 900 – ausgehend von der 1 – von Natur aus Neunerzahlen.248 [So von 8 an und kommt man nach unten bis zur 1.] 87 Die erste Abteilung geht von 1 bis 900, die zweite von 1000 bis 900.000. Weil darin 1 und 1000 das Gleiche bedeuten, wird beides mit einem Singularwort benannt: Denn man sagt (Nom.): hoc ūnum, die Eins, haec duo, die Zwei, und so auch (Nom.) hoc mīlle, haec duo mīlia, das Tausend, die zweitausend, und so gehen der Reihe nach im Plural in zwei Einteilungen alle übrigen Zahlen. Die Einer-Abstufung gibt es in beiden Abteilungen von 1 bis 9, die Zehnerstufe von 10 bis 90, die Hunderterstufe von 100 bis 900. So werden es in drei Abstufungen sechs Zehnereinheiten: drei in den Tausendern, drei darunter. Die Alten waren mit diesen Zahlen zufrieden. 88 Zu diesen haben die Jüngeren249 als dritte und vierte Einteilung vom Zehnfachen Wörter geschaffen, zwar nicht mit System, aber doch nicht gegen die Analogie, unser Thema.

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          Nam [ut]1 decien[i]s2 cum dicatur hoc deciens, ut mille hoc mille ut sit utrumque sine casibus vocis, dicemus ut hoc mille, huius mille, sic hoc deciens3, huius deciens, neque eo minus4 in altero, quod est mille, praeponemus hi mille, horum mille.5 89 Quoniam in eo est nomen comune, quam vocant ὁμωνυμίαν6, obliqui casus ab eodem capite, ubi erit ὁμωνυμία, obliqui casus7 quo minus dissimiles fiant, analogia non prohibet. Itaque dicimus hic Argus, cum hominem dicimus; cum oppidum, Graecanceve8 hoc Argos, cum Latine < hi >9 Argi. Item faciemus, si eadem vox nomen et10 verbum significabit, ut et in casus et in tempora dispariliter declinetur, ut faciamus a „METO”: quod nomen est: Metonis Metonem, quod verbum est: metam metebam. 90 Reprehendunt, cum ab eadem voce plura sunt vocabula declinata, quas συνωνυμίας11 appellant, ut [sapho et ]12 Alceus et Alceo,13 sic Geryon, Geryonus, Geryones14. In hoc genere, quod casus perperam permutant quidam, non reprehendunt analogiam, sed qui eis utuntur imperite: Quod quisque caput prenderit, sequi debet eius consequenti15 casus in declinando ac non facere, cum dixerit recto casu Alceus, in obliquis < et >16 [dicere] Alceoni et Alceonem; quod si miscuerit,17 [et] non secutus erit analogias. 91 Reprehendunt18 Aristarchum, quod haec nomina Melicertes et Philomedes similia neget esse, quod vocandi casus habet alter Melicerta, alter Philomede, sic qui dicat lepus et lupus non esse simile, quod alterius vocandi casus sit lupe, alterius lepus, sic socer, macer, quod in transitu fiat ab altero trisyllabum19 soceri, ab altero bisyllabum macri. 1  Del. L. Sp. 2  decienis: Aug. 3  deciens F. 4  minus: minus < ut > Mette. 5  Lac. suspexit Mue.; < sic hi deciens horum deciens > L. Sp. 6  Omonimya(n) (bis): vulg. 7  Del. Aug., sed servari potest. 8  Graecancęene: Graecanice Pius (Duso): Fay. 9  Vertr.; an: hei? Cf. VIII 70. 10  nomin& – significavit : Pius. 11 synonimyas: vulg. 12  Del. Aug. 13  alceus et alceo: vulg. (Alceus etc. Kent). 14  geron gerionus geriones: vulg. (Geryonus Mue.). 15  consequenti: L. Sp. 16 Transposui et scripsi sec. Mue. 17  et del. Aug. 18 reprehendendum: Aug. 19  trisillabum: vulg.

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          Denn deciēns, zehnmal, heißt ja (Nom.) hoc deciēns, das Zehnfache, wie der Tausender, hoc mīlle, ein Neutrum ist und beides ohne ausgesprochene Kasus gebildet wird: So werden wir (sc. ohne Flexion der Zahl) sagen: wie (Nom.) hoc mīlle, das Tausend, (Gen.) huius mīlle, des Tausends, so auch (Nom.) hoc deciēns, das Zehnfache, (Gen.) huius deciēns, des Zehnfachen, und ebenso in der zweiten Einteilung, den Tausendern, werden wir (sc. zur Bezeichnung der Kasus) voransetzen: Nominativ hī mīlle, Genitiv hōrum mīlle.250 89 Nun gibt es hierbei 251 ja einen gemeinsamen Namen, wozu man Homonymie sagt: Dass von dem gleichen Kopf, wo es Homonymie gibt, unähnliche oblique Kasus gebildet werden, das verhindert die Analogie nicht.252 Daher sagen wir im Nominativ Argus, Argiver, wenn wir den Menschen meinen; meinen wir die Stadt, heißt es auf Griechisch oder auf gräzisierende Art im Nom. (Neutr.) Argos, während man auf Lateinisch im Nom. (Pl.) Argī sagt253. Ebenso werden wir es machen, wenn die gleiche Lautform ein Nomen und Verbum bezeichnet, so dass es – auf ungleiche Weise – in Kasus und in Tempora abgeleitet wird, wie bei METŌ: Ist es ein Eigenname, bilden wir Metōnis (Gen.), Metōnem (Akk.); ist es ein Verbum, dann metam, ich werde ernten, metēbam, ich erntete. 90 Sie kritisieren es, wenn von der gleichen Lautform mehr Wörter abgeleitet sind – dazu sagt man Synonymien –, wie (sc. Nom.) Alcaeus und Alcaeō, so auch Geryōn oder Geryōnus und Geryōnēs. Weil einige in dieser Klasse die Kasus fälschlicherweise verwechseln, dann kritisieren sie (die Anomalisten) aber nicht die Analogie, sondern diejenigen, die die Kasus ohne Erfahrung gebrauchen: Dem Kopf254, den sich jeder nimmt, muss einer bei der Ableitung in die nächsten Fälle folgen und nicht, wenn er im Nominativ Alcaeus sagt, in den obliquen sowohl Alcaeōnī (Dat.) als auch Alcaeōnem (Akk.) bilden; wenn er die Formen aber mischt, dann hat er die Analogien nicht eingehalten. 91 Sie kritisieren Aristarchus, weil er behauptet, die Eigennamen Melicertēs und Philomēdēs seien nicht ähnlich, weil der eine als Vokativ Melicerta hat, der andere Philomēde255: Ebenso seien (sc. nach den Anomalisten) auch lepus, Hase, und lupus, Wolf, nicht ähnlich, weil der Vokativ des einen lupe sei, beim anderen lepus, ebenso socer, Schwiegervater, und macer, mager, weil beim Übergang (sc. in die Kasus) vom einen ein Dreisilber socerī entstehe, beim anderen ein Zweisilber macrī.

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          92 De hoc etsi supra responsum est, cum dixi de lana, hic hoc 1 quoque amplius adiciam: Similia non solum a facie dici, sed etiam ab aliqua coniuncta vi et potestate, quae et oculis et auribus latere soleant: Itaque sepe gemina facie mala negamus esse similia, si sapore sunt alio; sic equos eadem facie nonnullos negamus esse similis, si2 nationes ex < se > procreant[e]3 dissimilis. 93 Itaque in hominibus emendis, si natione alter est melior, emimus 4 pluris. Atque in hisce omnibus similitudines non sumimus tantum a figura, sed etiam aliude5, ut in equis et as[ut]inis6, cuius modi faciant pullos, ut in pomis, quo sint suco. Si7 igitur idem sequitur in similitudine verborum quis, reprehendendus non est. 94 Quare similitudinum8 discernendarum causa nonnunquam ut pronomen assumitur, sic casum aliquem assumi9, ut in his nemus, lepus: hic lepus, hoc nemus. Itaque discedunt ac dicuntur hi lepores, haec nemora; sic aliud, si quid assumptum erit extrinsecus, quo similitudo penitus perspici possit. Non enim erit remotum ab natura: neque enim magnetas lapides duo inter se similis sint necne, perspicere possis, nisi minutum extrinsecus prope apposueris ferrum, quod similes lapides similiter ducunt, dissimiliter dissimiles. 95 Quod ad nominat[i]uum 10 analogia 11 pertinet, ita deliquatum 12 arbitror, ut omnia, quae dicuntur contra ad respondendum, ab his fontibus sumi possit. Quod ad verborum temporalium rationem attinet – cum partes sint quattuor, temporum13, personarum, generum, divisionum –, ex omni parte quoniam reprehendunt, ad singula respondebo. 1  hic hic: alterum hic del. vulg.; scripsi. 2  in: Sciop. 3  exprocreante: Mette. 4  emimus < &mimis F. 5  aliude: vulg. 6  Ineգis ٠ ętas ٠ ut InIs F: Groth sec. Lachmann. 7  sucosi · / Igitur sequitur idem sequitur F. 8  similitudinem: L. Sp. 9  assumi: L. Sp. 10  nominativom: nominatuom L. Sp.; scripsi. 11  analogia: Aug. 12  declinatum: prop. GS, cf. VII 106. 13  tempora: Rhol.

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          92 Darauf habe ich ja schon oben geantwortet, als ich über die Wolle gesprochen habe.256 Hier möchte ich auch dieses ausführlicher hinzufügen: Als ähnlich bezeichnen wir etwas nicht nur vom Aussehen, sondern auch von einer damit verbundenen Kraft und Fähigkeit, was gerne Augen und Ohren verborgen bleibt257: Daher bestreiten wir oft, dass Äpfel, die sich wie Zwillinge gleichen, ähnlich sind, falls sie einen anderen Geschmack haben; so bestreiten wir auch, dass manche ähnlich aussehende Pferde ähnlich sind, wenn sie unähnliche Abkömmlinge hervorbringen. 93 Wenn wir Menschen kaufen und der eine von besserer Herkunft ist, kaufen wir ihn daher teurer ein. Und bei all diesen Fällen nehmen wir die Ähnlichkeiten nicht nur vom Äußeren, sondern auch von anderswo her, wie bei Pferden und Eseln, je nachdem, welche Fohlen sie bringen, und wie beim Obst, welchen Saft sie geben. Wenn also einer bei der Ähnlichkeit von Wörtern genauso verfährt, darf man ihn nicht kritisieren. 94 Wie man daher – um die Ähnlichkeiten zu unterscheiden – manchmal ein Pronomen hinzunimmt, so nehmen wir irgendeinen Kasus (sc. des Pronomens) hinzu, wie bei nemus, Hain, und lepus, Hase: Nominativ hic lepus und Nominativ hoc nemus258. Daher gehen sie (sc. im Plural) auseinander und sagt man im Nominativ leporēs, aber nemora; so auch bei anderem, wenn man etwas von außen hinzunimmt, damit die Ähnlichkeit genau durchschaut werden kann. Das wird auch nicht fern von der Natur sein: Man kann ja kaum durchschauen, ob zwei Magnetsteine ähnlich sind oder nicht, wenn man nicht ein kleines Eisenstück von außen heranbringt, weil ähnliche Steine auf ähnliche Weise anziehen, unähnliche aber auf unähnliche Weise. 95 Was sich auf die Analogie der Nomina bezieht, das ist, glaube ich, so geklärt, dass man alles, was man zur Entgegnung antworten kann, aus diesen Quellen schöpfen kann.259 Was das Prinzip der Zeitwörter betrifft – es gibt ja vier Teile: nämlich Tempora, Personen, Genera und Aspekte260 –: Da die Anomalisten das von allen Teilen her kritisieren, werde ich auf die einzelnen Punkte antworten.

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          96 Primum: Quod aiunt analogias non servari in temporibus, cum dicant legi lego legam et sic simile1 alia: Nam quae sint ut legi rem2 perfectam significare, duo reliqua lego et legam [et lego]3 inchoatam, iniuria reprehendunt: Nam ex eodem genere et ex divisione idem verbum, quod sumptum est, per tempora < tria infecti >4 traduci potest, ut discebam disco discam, et eadem perfecti, sic didiceram, didici, didicero. Ex quo licet scire verborum ratione5 constare, sed eos, qui trium temporum verba pronuntiare velint, scienter6 id facere. 97 Item7 illos, qui reprehendunt, quod dicamus amor, amabor, amatus sum: Non enim debuisse in una serie unum verbum esse duplex, cum duo simplicia essent. Neque ex divisione, si unius modi ponas verba, discrepant inter se: Nam infecta omnia simplicia sunt, et perfecta duplicia inter se paria in omnibus verbis, ut haec: amabar amor amabor, amatus < eram, sum, >8 ero. 98 Quare item male dicunt ferio feriam percussi, quod est ordo feriam < ferio >9 feriebam, percussi percussero percusseram10. Sic deinceps in reliquis temporibus reprehendenti responderi potest. 99 Similiter errant, qui dicunt ex utraque parte verba omnia commutare syllabas oportere aut nullum, < ut >11 in his: pungo pungam pupugi, tundo tundam tutudi: Dissimilia enim conferunt, verba infecti cum perfectis.12 Quod si infecta modo conferrent, omnia verbi principia incommutabilia viderentur, ut in his: pungebam pungo pungam, et contra ex utraque parte commutabilia, si perfecta ponerent, ut pupugeram pupugi pupugero.

          1  simile alia: similia A. Sp., similiter Kent. 2  legerem: C. F. W. Mueller., legei rem L. Sp. 3  Del. L. Sp. 4  infecti add. Christ, Mette. Scripsi. 5  ratione: Aug. 6  scienter: L. Sp. 7  Idem: Aug. 8  Scripsi sec. Da. ad VIII 58. 9  Add. Mue. sec. Ald. 10  percussi percutio percutiam: Mue. 11  Add. Mette. 12  perfecti L. Sp.

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          96 Erstens: Sie sagen ja, dass die Analogien bei den Tempora nicht beachtet werden, wenn man sagt: lēgī, ich habe gelesen, legō, ich lese, legam, ich werde lesen, und so anderes ähnlich: Denn Formen wie lēgī würden eine vollendete Sache bezeichnen, die zwei übrigen – legō und legam – eine erst begonnene. Das kritisieren sie zu Unrecht: Denn das gleiche Verbum, das man aus dem gleichen Genus (sc. verbi) und gleichen Aspekt nimmt, kann durch die drei Zeiten des Nicht-Vollendeten (īnfectum) geführt werden wie discēbam, discō, discam, ich lernte, lerne, werde lernen, und ebenso des Vollendeten (perfectum): didiceram, didicī, didicerō, hatte gelernt, habe gelernt, werde gelernt haben. Daraus kann man ersehen: Bei den Verben besteht die Regel, aber diejenigen, die die Verben in drei Tempora aussprechen wollen, tun dies ohne Wissen.261 97 Das tun auch jene, die kritisieren, dass wir sagen amor, ich werde geliebt, amābor, ich werde geliebt werden, und amātus sum, ich bin geliebt worden: In einer einzigen Reihe hätten, so sagen sie, nicht éin Verbum ein Doppelwort sein dürfen, während zwei Einzelwörter seien.262 Auch aus dem Aspekt heraus – nimmt man nur die Verben einer einzigen Art – liegen sie nicht auseinander: Denn alle unvollendeten sind Einzelwörter, und die vollendeten sind als Doppelwörter bei allen Verben untereinander gleich, wie z. B. amābar, ich wurde geliebt, amor, ich werde geliebt, amābor, und amātus sum, eram, erō, ich bin, war geliebt worden, werde geliebt worden sein. 98 Ebenso schlecht sagen sie daher feriō, ich stoße, feriam, werde stoßen, percussī, habe gestoßen: Denn die Reihenfolge ist: feriam, feriō, feriēbam, aber percussī, percusserō, percusseram.263 So lässt sich der Reihe nach auf einen antworten, der bei den übrigen Tempora kritisiert. 99 Ähnlich irren sich diejenigen, die sagen, entweder müssten alle Verben in beiden Teilen ihre Silben ändern oder keines, wie bei pungō, pungam, pupugī, ich steche, werde stechen, habe gestochen, und tundō, tundam, tutudī, ich stoße, werde stoßen, habe gestoßen: Sie vergleichen nämlich Unähnliches miteinander, Verben des unvollendeten Aspekts mit vollendeten. Würden sie aber nur die unvollendeten vergleichen, dann sähen alle Anfänge der Verben unveränderlich aus, wie bei pungēbam, pungō, pungam, ich werde stechen, steche, stach; dagegen in beiden Teilen veränderlich, wenn man vollendete nähme, wie pupugeram, pupugī, pupugerō, ich hatte, habe gestoßen, werde gestoßen haben.264

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          100 Item male conferunt fui sum ero, quod fui est perfectum, cuius series sibi, ut debet, in omnibus temporibus1 constat, quod est fueram fui fuero. De infectis sum, quod nunc dicitur, olim dicebatur esum et in omnibus2 personis3 constabat, quod dicebatur esum es est, eram eras erat, ero eris erit. Sic huiusce modi cetera servare analogiam videbis. 101 Etiam in hoc reprehendunt, quod quaedam verba neque personas habent ternas neque tempora terna: Id imperite reprehendunt, ut si quis reprehendat naturam, quod non unius modi finxerit animalis omnis. Si[c]4 enim natura non omnes formae verborum terna habeant5 tempora, ternas personas, non habent totidem verborum divisiones. Quare cum imperamus, natura quod infecta va6 solum habet7, cum aut8 praesenti aut absenti imperamus, fiunt terna ut lege legito legat: perfectum enim imperat nemo. Contra, quae sunt indicandi9, ut lego legis legit, novena fiunt verba infecti, novena perfecti. 102 Quocirca, non si genus cum genere discrepa[n]t10, sed in suo quoque11 genere si quid deest, requirendum. Ad haec addita si erunt ea, quae de nominatibus12 supra sunt dicta, facilius omnia solventur. Nam ut illic externi13 caput rectus casus, sic hic in forma est persona eius, qui loquitur, et tempus praesens, ut scribo lego. 103 Quare ut illic fit, sic14 hic: Item15 acciderit in formula, ut aut caput non sit aut ex alieno genere sit. Proportione eadem, quae illic, dicimus, cur nihilominus servetur analogia. 1  in omnibus personis: Del. L. Sp.; in omnibus partibus A. Sp. (Kent); scripsi. 2  omnibus < nominibus F. 3  Del. L. Sp. 4  Sic: Aug. 5  habeant: habent GHa (Kent). 6  infectaba: Scripsi sec. Mue. (G). 7  habet: Christ. 8  et: L. Sp. 9  imperandi: L. Sp. 10  discrepant: Lae. 11  Գsq: (= quisque): scripsi (quoiusque Mue., quique Lachmann). 12  nominativis: L. Sp. 13  externi: Fay, caput suprascr. F. 14  sic: si Mue, edd. 15  Sic interpunxit F. Scripsi.

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          100 Ebenso vergleichen sie schlecht miteinander fuī, sum, erō, bin gewesen, bin, werde sein: Denn fuī ist ein vollendetes (sc. Verbum), dessen Reihe, wie sie sein muss, in allen Zeitstufen konstant ist; sie heißt ja fueram, fuī, fuerō, ich war gewesen, bin gewesen, werde gewesen sein. Von den unvollendeten hieß sum, bin, wie es jetzt heißt, einst esum und war in allen Personen konstant; denn es hieß: esum, es, est, bin, bist, ist; eram, erās, erat, ich war, du warst, er war; erō, eris, erit ich werde sein, du wirst sein, er wird sein.265 So wirst du sehen, dass auch die übrigen Wörter dieser Art die Analogie beachten.266 101 Auch dabei üben sie Kritik, dass einige Verben weder drei Personen noch drei Tempora haben: Das kritisieren sie mangels Erfahrung, als würde einer die Natur kritisieren, dass sie nicht alle Lebewesen gleich geschaffen habe. Denn wenn von Natur aus nicht alle Verbformen drei Tempora und drei Personen haben sollten, können sie auch nicht ebenso viele (Verb-)Aspekte haben. Immer wenn wir daher einen Befehl äußern – was von Natur aus nur unvollendete Verben haben267–, dann werden es, wenn wir einem Gegenwärtigen oder Abwesenden befehlen, drei Formen, z. B. lege, lies!, legitō, er soll lesen, legat, er möge lesen: Denn etwas Vollendetes befiehlt niemand. Die (sc. Verbformen) des Anzeigens hingegen, z. B. legō, legis, legit, ich lese, du liest, er liest, werden je neun im unvollendeten und vollendeten Aspekt.268 102 Darum ist nicht zu fragen, wenn eine Klasse mit der anderen nicht harmoniert, sondern wenn innerhalb einer jeden Klasse etwas fehlt. Wenn man das, was oben über die Nomina gesagt worden ist, hinzunimmt, wird sich alles leichter lösen lassen: Denn wie dort der Nominativ der Kopf für die außerhalb (sc. des Schemas) liegenden Wortformen ist, so sind es hier im Schema die Person des Sprechers und das Tempus Präsens, wie scrībō, ich schreibe, legō, ich lese. 103 Wie es daher dort (sc. bei den Kasus) vorkommt, so hier: Im Schema kann es ja doch ebenso passieren, dass entweder der Kopf fehlt oder aus einer anderen Klasse kommt. Wir sagen hier entsprechend dasselbe wie dort: Weshalb die Analogie nichtsdestoweniger gewahrt bleibt.

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          Item, si[c] ut1 illic caput suum habebit et in obliquis casibus transitio erit in ali quam2 formulam3, qua assumpta reliqua facilius possint videri verba, unde sint declinata: Fit enim, ut rectus casus nonnunquam sit ambiguus, ut in hoc verbo: volo, quod id duo significat, unum a voluntate, alterum a volando; itaque a volo intellegimus et volare et velle. 104 Quidam reprehendunt, quod pluit et luit dicamus in praeterito et praesenti tempore, cum analogie sui cuiusque temporis verba debeant discriminare. Falluntur: Nam est ac putant aliter, quod in praeteritis U dicimus longum pluit < luit >4, in praesenti breve pluit luit: Ideoque in venditionis lege fundi „ruta cesa” ita dicimus, ut U producamus. 105 Item reprehendunt quidam, quod putant idem esse sacrificó5 et sacrificór, et lavat6 et lavatur. Quod sit an non, nihil commovet analogian, dum sacrificó7 qui dicat, servet sacrificabo, et sic per totam formam, ne dicat sacrificaturus aut sacrificatus sum: Haec enim inter se non conveniunt. 106 Apud Plautum cum dicit: „Piscis ego credo, qui usque, dum vivunt, lavant, diu minus lavari quam haec lavat Phronesium”, ad lavant lavarí8 non convenit, ut Í9 sit postremum, sed E; ad lavantur analogia lavari reddit: Quod Plauti aut librarii mendum10 si est, non ideo analogia, sed qui scripsit, est reprehendendus. Omnino et lavat et lavatur dicitur separatim recte in rebus certis, quod puerum nutrix lavat,11 puer a nutrice lavatur, nos in balneis et lavamus et lavamur. 107 Sed consuetudo alterum utrum cum satis haberet, in toto corpore potius utitur lavamur, in partibus lavamus, quod dicimus lavo manus, sic pedes et cetera. 1  sicut: A. Sp. 2  aliquam: Mue. 3  formvlam < formam F. 4  pluit ٠ / In : add. Aug.; an: plúit lúit ? 5  sacrificio: sacrifico L. Sp.; scripsi. 6  Sacrifico ٠relavat: sacrificor, lavat L. Sp.; scripsi. 7  sacrificļ F, sacrificí Vall.: Scripsi sec. Aug. 8  Sic – cum puncto – F. 9  Ĩ F. Scripsi. 10  mendum < mendunt F. 11  lava ٠ F, lavat Vall. (Lae.).

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          Genauso ist es, wenn es (das Schema) z. B. dort seinen Kopf hat und in den obliquen Kasus ein Übergang in irgendein anderes Schema stattfindet: Wenn man dieses Schema übernimmt, lässt sich bei den übrigen Wörtern leichter ersehen, von woher sie abgeleitet sind. Es passiert nämlich, dass der Nominativ manchmal zweideutig ist, wie beim Verbum volō. Denn das hat zwei Bedeutungen, die eine vom Wollen, voluntās, die andere vom Fliegen, volāre; daher verstehen wir unter volō sowohl Fliegen, volāre, als auch Wollen, velle.269 104 Manche kritisieren, dass wir im Präteritum und Präsens pluit, regnet/hat geregnet, und luit, löst/hat gelöst, sagen, obwohl die Analogien die Wörter in jeder eigenen Zeit unterscheiden müssten. Da täuschen sie sich: Denn es ist anders, als sie glauben, weil wir im Präteritum ein langes U sagen: plūit, lūit, im Präsens ein kurzes: plŭit, lŭit. Und deshalb sprechen wir im Gesetz über den Grundstücksverkauf in der Formel rūta caesa ('Was ausgegraben und gefällt ist') das U lang aus.270 105 Ebenso kritisieren einige, dass – so glauben sie – sacrificó und sacrificór, ich opfere, und lavat und lavātur, er badet, dasselbe seien.271 Ob dies so ist oder nicht, bewegt die Analogie nicht, solange der, der sacrificō sagt, (sc. im Futur) bei sacrificābō bleibt und so im ganzen Schema, wenn er nur nicht sagt: (sc. im Präsens sacrificō, im Futur) sacrificātūrus sum oder (sc. im Perfekt) sacrificātus sum: Denn das passt nicht zusammen. 106 Wenn er (sc. Diniarchus) bei Plautus sagt: „Ich glaube, die Fische, die ihr Leben lang baden (lavant), baden sich (lavārī) weniger lang, als die Phronesium badet (lavat).“272, dann passt lavārī (sich baden) nicht zu lavant, sie waschen/baden: insofern am Ende ein (sc. langes) Ī steht, statt eines E; aber zu lavantur, sie baden sich, gibt die Analogie (sc. die Form) lavārī wieder: Wenn das der Fehler des Plautus oder des Kopisten ist, darf man nicht die Analogie, sondern den kritisieren, der das geschrieben hat.273 Überhaupt sagt man – getrennt für sich – bei bestimmten Gelegenheiten sowohl lavant als auch lavatur korrekt: Denn die Amme badet den Knaben, lavat, und der Knabe wird von der Amme gebadet, lavātur; in den Thermen waschen wir, lavāmus, und baden wir uns, lavāmur. 107 Aber da der Sprachgebrauch mit jeweils éiner Form zufrieden war, gebraucht er, wenn es um den ganzen Leib geht, eher lavāmur, wir baden; bei einzelnen Körperteilen waschen wir, lavāmus, weil wir sagen: lavō manūs, ich wasche (mir) die Hände, – und so auch bei den Füßen und dem Übrigen.

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          Quare e balneis1 non recte dicunt lavi, lavi manus recte. Sed quoniam in balneis lavor lautus sum, sequitur, ut contra, quoniam est soleo, oportet2 dici solui, ut Cato et Ennius scribit, non ut dicit volgus, solitus sum, debere dici; neque propter haec, quod3 discrepant in sermone pauca, minus est analogia, ut supra dictum est. 108 Item, cur non sit analogia, afferunt, quod ab similibus similia non declinentur, ut ab dolo et colo: Ab altero enim dicitur dolavi, ab altero colui. In quibus assumi solet aliquid, quo facilius reliqua dicantur, ut i4 Myrmecidis5 operibus minutis solet fieri: igitur in verbis temporalibus, quo6 similitudo sepe sit confusa, ut discerni nequeat7, nisi transieris in aliam personam aut in tempus, quae proposita sunt, nosse8 similia intellegitur, cum transitum est in secundam personam, quod alterum est dolas, alterum colis. 109 Itaque in reliqua forma verborum suam ut[e]rque9 sequitur formam. Utrum in secunda persona10 verb[or]um11 temporale habeat in extrema syllaba AS an ES an IS12, ad discernendas similitudines interest: quocirca ibi potius index analogiae quam in prima, quod ibi abstrusa est dissimilitudo, ut apparet in his meo neo ruo13: ab his enim dissimilia fiunt transitu, quod sic dicuntur meo meas, neo nes, ruo ruis, quorum unumquodque suam conservat similitudinis formam. 110 Analogiam item de his, quae appellantur participia, reprehendunt multi14. Iniuria: Nam non debent duci 15 terna ab singulis verbis amaturus, amans, amatus, quod est ab amo amans et amaturus, ab16 amabar amatus. Illud, analogia quod praestare debet, in suo quicque genere habet casus, ut amatus amato et amati amatis; et sic in muliebribus amata et amatae, item amaturus eiusdem modi habet declinationes, amans paulo aliter. Quod hoc genus omnia sunt in suo genere similia proportione, sic virilia et muliebria sunt eadem. 1  ualneis: vulg. 2  oportet: L. Sp. 3  qđ < qđę F, ut videtur: quod he Vall., quod hę Lae., quod haec quoque Aug. 4  uti: Aug. 5  Murmecidis: Pius. 6  quo: quo Aug., edd. 7  nequeat: scripsi. 8  nosse : Vertr. 9 uterque: Sciop. 10 forma: scripsi. 11 verborum: Mue. 12 anIs ٠ At si: A. Sp. (anIs < anes F, ut videtur). 13 meoneo ruo < meorum F. 14 multa. Iniuria F: GS; an multei? 15 dici: Aug. 16 abamoturus amabar: Rhol.

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          Daher sagt man, wenn man aus dem Bad kommt, falsch lāvī, ich habe gewaschen, aber richtig: lāvī manūs, ich habe (mir) die Hände gewaschen. Aber da ich mich im Bad bade, lavor, und gebadet habe, lautus sum, folgt: Man müsste so, wie es soleō, ich pflege, heißt, (sc. im Präteritum) sagen soluī, wie Cato und Ennius es schreiben274, und dürfte nicht – wie das Volk – solitus sum, ich bin gewohnt, sagen; und es gibt nicht wegen dieser wenigen Formen, weil sie in der gesprochenen Sprache nicht zusammenpassen, weniger Analogie, wie oben gesagt. 108 Ebenso führen sie als Begründung dafür, dass es keine Analogie gebe, Folgendes an: Von ähnlichen Wörtern würden keine ähnlichen abgeleitet, wie z. B. von dolō, ich behaue, und colō, ich bebaue. Vom einen sagt man nämlich dolāvī, ich habe behauen, vom anderen coluī, ich habe bebaut. Bei diesen nimmt man gern etwas hinzu, damit die übrigen Formen leichter gesagt werden, wie man es ja gerne bei den Miniaturarbeiten des Myrmecides275 macht: Bei den Zeitwörtern – wo ja die Ähnlichkeit oft verwischt ist, so dass man sie nicht unterscheiden kann – muss man in eine andere Person oder ein anderes Tempus übergehen, um zu begreifen, ob die vorliegenden Wörter ähnlich sind; geht man aber in die zweite Person über, (sc. erkennt man es,) weil das eine dolās, du behaust, ist, das andere colis, du bebaust. 109 Daher folgt im übrigen Wortschema jedes von beiden seinem eigenen Muster (forma). Ob ein Zeitwort in der zweiten Person in der letzten Silbe AS oder ES oder IS hat, ist für die Unterscheidung der Ähnlichkeiten wichtig: Daher liegt dort eher als in der ersten Person ein Anzeiger für die Analogie, weil in der ersten Person die Unähnlichkeit verborgen ist, wie es bei folgenden Beispielen deutlich wird: meō, ich gehe, neō, ich spinne, ruō, ich grabe: Von diesen Verben werden die Formen beim Übergang unähnlich, weil sie so lauten: meō meās, neō nēs, ruō ruis, von denen ein jedes sein eigenes Ähnlichkeitsschema bewahrt. 110 Ebenso kritisieren viele die Analogie bei den Wörtern, die Partizipien heißen276. Zu Unrecht: Man darf nämlich nicht von einem einzelnen Wort drei Partizipien heranziehen, wie amātūrus, amāns, amātus, künftig liebend, liebend, geliebt: Denn amāns und amātūrus kommt von amō, ich liebe, und amātus von amābar, ich wurde geliebt. Die Analogie muss Folgendes gewährleisten: Jedes Partizip hat Kasus in seiner Klasse: z. B. von amātus: amātō und amātī, amātīs, und so bei den Feminina amāta und amātae, ebenso hat amātūrus gleichartige Ableitungen, amāns ein wenig anders.277 Weil bei dieser Wortart alle Wörter in ihrer Klasse entsprechend ähnlich sind, sind es auch die Maskulina und die Feminina.

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          111 De eo, quod in priore libro extremum est – ideo non es analogia1, quod qui de ea scripserint, aut inter se non conveniant aut in quibus conveniant, ea cum consuetudinis discrepent2 verbis – utrumque < falsum >3. Sic enim omnis repudiandum erit artis, quod et in medicina et in musica et in aliis multis discrepant scriptores; item, in quibus conveniunt in4 scriptis, si ea tamen5 repudiant6 natura: quod ita, ut dicitur, non sit ars, sed artifex reprehendendus, qui < dici >7 debet in scribendo non vidisse verum, non ideo non posse sciri8 verum. 112 Qui dicit hoc monti et hoc fonti, cum alii dicant hoc monte et hoc fonte, sic alia quae duobus modis dicuntur, cum alterum sit verum, alterum falsum: non uter peccat, tollit analogias, sed uter recte dicit, confirmat. Et quemadmodum is, qui – cum9 peccat in his verbis, ubi duobus modis dicuntur – non tollit rationem, cum sequitur falsum: sic etiam in his, < quae > non [in]10 duobus dicuntur, si quis aliter putat dici oportere atque oportet, non scientiam tollit orationis, sed suam inscientiam denudat. 113 Quibus rebus solvi arbitraremur posse, quae dicta sunt priori libro contra analogian, ut potui, brevi percucurri. Ex quibus si id confecissent11, quod volunt, ut in lingua Latina esset anomalia, tamen nihil [l]egissent12 ideo, quod in omnibus partibus mundi utraque natura inest, quod alia inter se < similia >, alia < dissimilia >13 sunt, sicut in animalibus dissimilia sunt, ut equus, bos, ovis, homo, item alia, et in unoquoque horum genere inter se similia innumerabilia. Item in piscibus dissimilis murena lupo, [h]is14 soleae, haec murene15 et mustelae, sic aliis, ut maior ille numerus sit similitudinum earum, quae sunt separatim in murenis, separatim in asellis, sic in generibus aliis. 1  ē analogia: Mue. 2  discrepant: Mue. 3  Add. A. Sp. sec. L. Sp. 4  ut: in A. Sp., del. Mue. 5  ea etiam: prop. GS. 6  repudiant < repudiat F; repugnat Aug. 7  < dici > add. prop. GS (de Melo). 8  scribi: prop. Steph. 9  quicum: cum del. L. Sp.; scripsi. 10  Add. et del. Aug. 11  conficissent: vulg. 12  legissent: Aug. 13  similia – dissimilia: add. Mue. 14  his: L.Sp. 15  murene < merene F: Ald.

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          111 Von dem, was im vorangegangenen Buch am Ende steht278 – es gebe deshalb keine Analogie, weil die, die darüber geschrieben haben, miteinander nicht übereinstimmten oder dort, wo sie gleicher Meinung sind, dies mit den Wörtern des Sprachgebrauchs nicht zusammenpasste – ist beides falsch. Denn so müsste man ja alle Künste zurückweisen, weil in der Medizin und in der Musik und in vielen anderen Künsten die Schriftsteller voneinander abweichen; ebenso ist es dort, wo sie in ihren Schriften übereinstimmen, wenn ihre Ergebnisse indes von der Natur zurückgewiesen werden: Denn dann, wie es heißt, ist ja wohl nicht die Kunst, sondern der Künstler zu kritisieren, von dem man sagen müsste: Weil er beim Schreiben das Richtige nicht gesehen hat, kann man deshalb das, was richtig ist, auch nicht wissen. 112 Wenn nun einer im Ablativ sagt: montī, Berg, und fontī, Quelle, während die anderen monte und fonte sagen, und so auch bei anderen Wörtern, die auf zweifache Art gesagt werden, obwohl das eine richtig, das andere falsch ist: Dann beseitigt aber nicht derjenige von den beiden die Analogien, der den Fehler macht, sondern der bestätigt sie, der richtig spricht. Und wie derjenige, der – wenn er bei diesen Wörtern einen Fehler macht, wo sie auf zweifache Art gesagt werden – die Regel nicht beseitigt, indem er dem Falschen folgt: So beseitigt der die Sprachwissenschaft (scientia ōrātionis) nicht, der bei dem, was nicht auf zweifache Art gesagt wird, glaubt, man müsse anders sprechen, als es sich gehört, sondern er enthüllt seine Unwissenheit.279 113 Womit ich glaubte, die Vorwürfe auflösen zu können, die im vorigen Buch gegen die Analogie vorgebracht wurden, das bin ich jetzt nach Kräften kurz und rasch durchgegangen. Hätten die Anomalisten das, was sie wollen, (sc. in ihrer Argumentation) geschafft, nämlich dass es im Lateinischen Anomalie gibt, hätten sie doch nichts geleistet, weil es beides (sc. Analogie und Anomalie) in allen Teilen der Welt von Natur an gibt;280 denn die einen Dinge sind untereinander ähnlich, die anderen sind sich unähnlich, so wie es auch unter den Lebewesen unähnliche gibt wie Pferd, Rind, Schaf und Mensch und ebenso andere, und in jeder Art davon untereinander unzählig viele ähnliche. Ebenso ist ja bei den Fischen die Muräne dem Seewolf unähnlich, dieser der Seezunge, diese wiederum der Muräne und dem Katzenhai (?), so auch anderen, so dass die Zahl von Ähnlichkeiten größer ist, die es separat bei den Muränen und separat bei den Seehechten gibt, wie auch bei anderen Arten.

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          Liber IX

          114 Quare, cum in inclinationibus verborum numerus sit magnus a dissimilibus verbis ortus, quod etiam vel maior est, in quibus similitudines reperiuntur, confitendum1 est esse analogias. Item, quom2 ea non multo minus quam in omnibus verbis patiatur uti consuetudo comunis, fatendum illud: Quoquo modo3 analogian sequi nos debere universos, singulos autem, praeterquam in quibus verbis offensura sit consuetudo comunis, quod, ut dixi, aliud debet praestare populus, aliud e populo singuli homines. Neque id mirum est, cum singuli quique4 non sint eodem iure: Nam liberius potest poeta quam orator sequi analogias. 115 Quare, cum hic liber id, quod pollicitus est demonstraturum, absolverit5, faciam finem; proxumo deinceps de declinatorum verborum forma6 scribam.

          1  conferendum: Aug. 2  Itemquę cum: L. Sp. 3  quo quando: Canal. 4  quoque: scripsi. 5  absolverim: Ald. 6  firma: Pius.

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          114 Also: Bei der Flexion der Wörter ist ja eine große Zahl aus unähnlichen Wörtern entstanden; weil die Zahl derer, bei denen sich Ähnlichkeiten finden lassen, noch größer ist, muss man zugeben, dass es Analogien gibt.281 Zweitens: Da der allgemeine Sprachgebrauch es um nicht viel weniger als bei allen Wörtern zulässt, die Analogie anzuwenden, ist auch jenes zuzugeben: Wir müssen alle auf jegliche Weise die Analogie befolgen, jeder Einzelne aber mit Ausnahme der Wörter, wo der allgemeine Sprachgebrauch daran Anstoß nähme; denn – wie gesagt – das Volk hat anderes zu leisten als die einzelnen Menschen aus dem Volke. Und das ist auch nicht verwunderlich, da nicht jeder Einzelne282 das gleiche Recht hat: Denn der Dichter kann die Analogien freier befolgen als der Redner.283 115 Da nun dieses Buch das, was es versprochen hat zu zeigen, erledigt hat, möchte ich schließen; im nächsten möchte ich anschließend über das Schema der abgeleiteten Wörter schreiben.

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          Liber X

          M. TERENTI٠VARRONIS DE LINGVA LATINA AD CICERONĒ L͞IB٠VIIII EX͞P٠INC٠X٠ 1 In1 verborum declinationibus disciplina loquendi dissimilitudinem an similitudinem sequi deberet, multi quesierunt, cum ab his ratio, quae ab similitudine oriretur, vocaretur analogia, reliqua pars appellaretur anomalia. De qua re primo libro, quae dicerentur, cur dissimilitudinem ducem haberi oporteret, dixi. Secundo, contra quae dicentur2, cur potius [dis]similitudinem conveniret praeponi. Quarum rerum quod nec fundamenta, ut debuit3, posita ab ullo, neque ordo ac natura, ut res postulat, explicita, ipse eius rei formam exponam. 2 Dicam de quattuor rebus, quae continent4 declinationibus verborum: Quid sit simile ac dissimile, quid ratio, quam appellant λόγον, quid proportione, quod dicunt ἀνὰ λόγον5, quid consuetudo. Quae explicatae declarabunt analogiam et anomalia6, unde sit, quid sit, cuius modi sit. 3 De similitudine et dissimilitudine ideo primum dicendum, quod ea res est fundamentum omnium declinationum ac continet rationem verborum. Simile est, quod res plerasque habere videtur easdem, quas illud, cuiusque7 simile; dissimile est, quod videtur esse contrarium huius. Minimum ex duobus constat omne simile, item dissimile, quod nihil potest esse simile, quin alicuius sit simile; item nihil dicitur dissimile, quin addatur, quoius sit dissimile. Littera „ I “ initialis in margine sinistra graciliter picta usque ad „ea res est” verba pertinet. 2  dicentur – dissimilitudinem: Ald. 3  debita: Aug. 4  continent: Ald. 5  logon – analogon F; λόγον Ald., ἀνὰ λόγον Plasberg. 6  anomalia: Pius (ἀναλογίαν / ἀνωμαλίαν Mue.). 7  quoius quid Mue. 1 

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          ENDE DES IX. BUCHES VON MARCUS TERENTIUS VARRO AN CICERO ÜBER DAS LATEINISCHE. ANFANG VON BUCH X. 1 Soll die rhetorische Praxis bei der Ableitung von Wörtern Unähnlichkeit oder Ähnlichkeit befolgen? Diese Frage haben viele gestellt; denn das Prinzip, das aus der Ähnlichkeit entsteht, wird von ihnen „Analogie“, der Rest „Anomalie“ genannt284. Darüber habe ich im ersten Buch gesprochen: Was man dazu sagt, weshalb man sich von der Unähnlichkeit leiten lassen soll. Im zweiten (sc. habe ich gesprochen), was dagegen vorgebracht wird, weshalb es passender ist, die Ähnlichkeit vorzuziehen.285 Da aber noch keiner so, wie es nötig gewesen wäre, die Grundlage für diese Fragen gelegt noch ihre Reihenfolge und ihr Wesen, wie die Sache es erforderte, erklärt hat, möchte ich selbst diesen Gegenstand umreißen.286 2 Ich möchte über vier Fragen sprechen, die in den Ableitungen der Wörter enthalten sind: Was „ähnlich“ und „unähnlich“ ist, was die Regel (ratiō) ist, die man λόγος nennt, was das „Entsprechend“ (prōportiōne) ist, wozu man ἀνὰ λόγον sagt, und was der Sprachgebrauch ist (cōnsuētūdō). Die Erläuterung dieser Fragen wird dann erklären, woher Analogie und Anomalie kommen, was sie bedeuten und wie sie aussehen.287 3 Über Ähnlichkeit und Unähnlichkeit ist deshalb als Erstes zu sprechen, weil dieser Gegenstand die Grundlage aller Ableitungen ist und das Prinzip der Wörter enthält. Simile, ähnlich, ist etwas, das offensichtlich das Meiste gleich hat mit all dem, dem es ähnlich ist; dissimile, unähnlich ist das, was offensichtlich das Gegenteil davon ist. Jedes Ähnliche besteht mindestens aus zwei Elementen, ebenso das Unähnliche: Denn nichts kann ja ähnlich sein, ohne ein Anderes zu haben, dem es ähnlich ist; ebenso kann man nichts als unähnlich bezeichnen, ohne etwas dazuzugeben, dem es unähnlich ist.

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          4 Sic dicitur similis homo homini, equus equo, et dissimilis homo equo: Nam similis1 est homo homini ideo, quod easdem figuras membrorum habent, quae eos dividunt ab reliquorum animalium specie. In ipsis hominibus simili de causa vir viro similior quam vir mulieri, quod plures habent easdem partis, et sic senior seni similior quam puero. Eo porro similiores sunt, qui facie quoque pene eadem, habitu corporis, filo: itaque qui plura habent eadem, dicuntur similiores; qui proxume2 accedunt ad id, ut omnia habeant eadem, vocantur gemini, simillimi. 5 Sunt, qui tris naturas rerum putent esse: simile, dissimile, neutrum, quod alias vocant non simile, alias non dissimile (sed quamvis tria sint simile dissimile neutrum, tamen potest dividi etiam in duas partes, sic, quodcumque conferas, aut simile esse aut non esse).3 Simile esse et dissimile, si videatur esse, ut dixi; neutrum, si in neutram partem praeponderet, ut si duae res, quae conferuntur, vicenas habent partes, et in his denas habeant easdem, denas alias, ad similitudinem et dissimilitudinem eque animadvertendas. Hanc naturam plerique subiciunt sub dissimilitudinis nomen. 6 Quare: Quoniam f[u]it,4 ut potius de vocabulo quam de re controversia esse videatur, illud est potius advertendum, quom5 simile quid esse dicitur, quoi6 parti simile dicatur esse. In hoc enim solet esse error: quod potest fieri, ut homo homini simile sit < et >7 non sit, ut8 multas partis habeat similis et ideo dici possit similis habere oculos, manus, pedes, sic alias res separatim et una plures. 7 Itaque, quod diligenter videndum est in verbis, quas partis et quot modis oporteat similis habere, < similia quae >9 dicuntur: ut infra apparebit, is locus maxime lubricus est. Quid enim similius potest videri indiligenti quam duo verba haec: suis et suis? Quae non sunt, quod alterum ne10 significat suere, alterum suem.

          1  similis < simile F, ut videtur; simił Vall. (Tyl.). 2  proxume < proxime F. 3  sed quamvis – esse secl. Tyl. sec. Mue. 4  fuit: Aug. 5  qm̅ (= quoniam), cui suprascriptum est cū F. 6  գncui : L. Sp. 7  Add. Aug.; sit, [non] sed Mette. 8  at A. Sp. 9  quot modis < similia esse > dicuntur Tyl. Scripsi. 10  n̅ (= non) F, del. Aug.; scripsi: cf. ad VII 16.

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          4 So sagt man, ein Mensch sei einem Menschen ähnlich, ein Pferd einem Pferd, und ein Mensch einem Pferd unähnlich: Denn ähnlich ist ein Mensch einem anderen, weil sie beide die gleichen Formen der Gliedmaßen haben, die sie von der Gattung der übrigen Lebewesen trennen. Bei den Menschen selbst ist – aus ähnlichem Grunde – ein Mann einem Mann ähnlicher als einer Frau, weil jene mehr gleiche Teile haben, und genauso ist ein Greis einem anderen Greisen ähnlicher als einem Jungen. Ferner sind einander diejenigen ähnlicher, die gleiche Gesichtszüge, Körperhaltung und äußere Form haben: Darum werden diejenigen, die mehr gleich haben, ähnlicher genannt; diejenigen aber, die dem Punkt, alles gleich zu haben, am nächsten kommen, heißen Zwillinge; sie sind sich am ähnlichsten. 5 Manche meinen, es gebe drei Wesenszüge (nātūrae) der Dinge: das Ähnliche, das Unähnliche und keines von beiden (neutrum); zu Letzterem sagt man bald „nicht ähnlich“, bald „nicht unähnlich“ (aber obwohl ähnlich, unähnlich und keines von beiden drei sind, kann man sie doch in zwei Teile aufteilen: So, dass das, womit man es vergleicht, entweder ähnlich ist oder nicht)288. Ähnlich und unähnlich sei etwas (sc. glauben sie), wenn es so aussieht, wie gesagt; keines von beiden, wenn es zu keiner von beiden Seiten mehr neigt: Wie wenn von zwei Dingen, die miteinander verglichen werden, jedes zwanzig Teile hat und darunter zehn gleiche und zehn verschiedene haben sollte, die man in gleicher Weise in Richtung Ähnlichkeit und Unähnlichkeit wahrnehmen kann. Diesen Wesenszug subsumieren die meisten unter dem Begriff „Unähnlichkeit“.289 6 Es sieht ja nun so aus, als ginge der Streit eher um das Wort als um die Sache; also ist daher eher darauf zu achten, wenn man etwas als „ähnlich“ bezeichnet, welchem Teil „ähnlich“ es heißt. Hier liegt nämlich gerne ein Irrtum vor: Es kann ja passieren, dass ein Mensch zugleich einem anderen ähnlich ist und doch nicht ist, dergestalt, dass er viele Teile ähnlich hat und man deshalb sagen kann, er habe ähnliche Augen, Hände und Füße, so auch andere Dinge und mehr noch getrennt und gemeinsam. 7 Bei den Wörtern, von denen man sagt, sie seien ähnlich, muss man ja genau darauf sehen, welche Teile und auf welche Weise sie diese ähnlich haben müssten: An dieser Stelle kann man, wie unten deutlich werden wird, am meisten ausrutschen. Was kann denn einem Menschen, der nicht genau hinsieht, ähnlicher erscheinen als diese zwei Wörter: suis (du flickst) und suis (des Schweins)?290 Sie sind es aber nicht, denn das eine bezeichnet natürlich das Flicken, suere, das andere ein Schwein, sūs.

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          Liber X

          Ita, que1 similia vocibus esse ac syllabis confitemur, dissimilia esse partibus orationis videmus, quod alterum habet tempora, alterum casus, quae duae res vel maxime discernunt analogias. 8 Item propinquiora genere inter se verba similem sepe pariunt errorem, ut in hoc, quod nem[er]us2 et lepus videtur esse simile, quom3 utrumque habeat eundem casum rectum. Sed non est simile, quod eis certe4 similitudines opus sunt, in quo est, ut in genere nominum sint eodem, quod in his non est: Nam in virili genere [nominum sint eodem]5 est lepus, ex neutro nemus: dicitur6 enim hic lepus et hoc nemus. Si eiusdem generis esset7, utrique praeponeretur idem ac diceretur aut hic lepus et hic nemus aut hoc nemus, hoc lepus. 9 Quare: Quae et cuius modi sunt genera similitudinum ad hanc rem, perspiciendum ei, qui declinationes verborum proportione sintne,8 queret. Quem9 locum, quod est difficilis, qui de his rebus scripserunt, aut vitaverunt aut inceperunt neque adsequi potuerunt. 10 Itaque in eo dissensio, neque ea unius modi apparet: Nam alii de omnibus universis discriminibus posuerunt numerum, ut Dionysius Sidonius 10, qui scripsit ea[s]11 esse septuaginta unum, alii partis12 eius, quae habe[n]t casus, cuius eidem13 hic, cum dicat esse discrimina quadraginta14 septem, Aristocles rettulit in litteras XIIII, Parmeniscus VIII, sic alii pauciora aut plura. 11 Quarum similitudinum si esset origo recte capta et inde orsa ratio15, minus erraret16 in declinationibus vborum17. 1  Itaque: Scripsi. 2  numerus: Rhol. (G H). 3  գdcum (= quod cum): Mue. 4  eas certe: Aug. 5  Del. Aug. 6  dȓ < dȓ ٠ dȓ (= dicitur) F. 7  esset: essent Aug. 8  sint ne ٠ F. 9  quod: Mue. 10  dyonisius sydonius: vulg. 11  eas – unam: L. Sp. 12  partes – habent: Mue. 13  eidem (= īdem) F. 14  quadringenta – rutulit: Vall. (Lae.). 15  orsaratio F: scripsi. 16  erraret ٠ In : Vertr. 17  uborum: vulg.

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          So sehen wir, dass Wörter, von denen wir zugeben, dass sie in Lautform und Silben ähnlich sind: dass diese hingegen nach den Redeteilen unähnlich sind, weil das eine Tempora hat, das andere Kasus – zwei Dinge, die die Analogien ja am meisten trennen. 8 Ebenso erzeugen zwei von der Art sich näher stehende Wörter oft einen ähnlichen Irrtum wie bei folgendem Beispiel: nemus, Wäldchen, und lepus, Hase, scheinen ähnlich zu sein, weil doch beide den gleichen Nominativ haben. 291 Sie sind es aber nicht, weil sie dafür bestimmte Ähnlichkeiten bräuchten, darunter, dass sie zum gleichen Genus der Namenwörter gehören – was bei ihnen nicht der Fall ist. Denn lepus, Hase, gehört zum männlichen Geschlecht, zum neutralen nemus, Wäldchen. Man sagt nämlich (Nom.) hic lepus, der Hase, und hoc nemus, das Wäldchen. Würde es zum gleichen Genus gehören, müsste man beiden das gleiche (sc. Pronomen) voranstellen, und es hieße entweder hic lepus und hic nemus oder hoc nemus und hoc lepus. 9 Wer daher fragt, ob die Ableitungen der Wörter „entsprechend“ (prōportiōne) sind, muss durchschauen, welche Arten von Ähnlichkeiten es zu diesem Gegenstand gibt und wie sie aussehen. Dieses Thema haben (weil es schwierig ist) diejenigen, die über diese Gegenstände geschrieben haben, entweder gemieden oder begonnen und nicht fertigstellen können.292 10 Und so offenbart sich hierbei ein Dissens – und nicht nur auf eine Weise: Denn die einen haben zu allen Unterschieden in den Einzelformen ins­gesamt eine Zahl festgelegt: so Dionysius von Sidon293, der sagte, es gebe einundsiebzig; andere nur für den Redeteil, der Kasus hat; davon gebe es, sagte derselbe, siebenundvierzig unterschiedliche Formen; Aristokles reduzierte sie auf 14 Ziffern294, Parmeniskus auf 8, und wieder andere auf mehr oder weniger. 11 Wenn man richtig beim Ursprung der Ähnlichkeiten angepackt hätte und den Diskurs dort begonnen hätte, gäbe es weniger Irrtum bei den Ableitungen der Wörter.295

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          Quarum ego principia prima duum generum sola arbitror esse, ad quae1 similitudines exigi2 oporteat: E quis unum positum in verborum materia, alterum vo3 in materiae figura, quae ex declinatione fit. 12 Nam debet esse unum, ut verbum verbo, unde declinetur, sit simile; alterum, ut e verbo in verbum declinatio, ad quam conferetur4, eiusdem modi sit: Alias enim ab similibus verbis similiter declinantur, ut ab [h]erus ferus, [h]ero fero; alias dissimiliter [h]erus ferus, [h]eri ferum5. Cum utrumque et verbum verbo erit simile et declinatio declinationi: Tum denique dicam esse simile[m]6 ac duplicem et perfectam similitudinem habere, id quod postulat analogia[m]7. 13 Sed ne astutius videar posuisse duo genera esse similitudinum sola, cum utriusque inferiores species sint plures, si de his reticuero, ut mihi relinquam latebras, repetam ab origine similitudinum8, quae in conferendis verbis et inclinandis sequenda aut vitanda9 sint. 14 Prima divisio in oratione, quod alia verba nusquam declinantur, ut haec vix mox, alia declinantur10, ut ab lima limae11, a fero ferebam. Et cum nisi in his verbis, quae declinantur, non possit esse analogia, qui dicit simile esse mox et nox, errat: Quod non est eiusdem generis utrumque verbum, cum nox succedere debeat sub casuum ratione12, mox neque debeat neque possit. 15 Secunda divisio est de his verbis, quae declinari possunt, quod alia sunt a voluntate, alia a natura. Voluntatem appello, cum unus quivis a nomine aliei13 imponit nomen, ut Romulus Romae. Naturam dico, cum universi acceptum nomen ab eo, qui imposuit, non requirimus, quemadmodum is14 velit declinari, sed ipsi declinamus, ut huius Romae, hanc Romam, hac Roma. 1  atque: Ald. 2  exegi: vulg. 3  ut: scripsi. 4  conferetur F, conferatur Vall. (Mue.). 5  herus – heri (quater): GS. 6  similem: a, L. Sp. 7  analogiam: vulg. 8  similitudinum < similitudine F. 9  sequende aut vitande: scripsi. 10  declimantur: vulg. 11  limabo: GS in adnot. (limo limabo Aug.). 12  ratione: Steph. 13  alię: L. Sp.; aliae rei Kent; aliquo rei aliae Mette (Tyl., de Melo). 14  is: id Vall. (Lae.).

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          Bei den Ableitungen gibt es, glaube ich, nur zwei Arten von Grundprinzipien, auf die man die Ähnlichkeiten ausrichten muss: Das eine davon liegt in der (grammatischen) Substanz (māteria) der Wörter, das andere aber in der Struktur (figūra) der Substanz, die aus der Ableitung entsteht.296 12 Denn das eine Prinzip muss darin bestehen, dass ein Wort einem anderen, von dem es abgeleitet werden soll, ähnlich ist; das zweite, dass die Ableitung von Wort zu Wort, mit der man es vergleicht, vom gleichen Typ ist: Denn von ähnlichen Wörtern leitet man bald ähnlich ab: z. B. von erus, Herr, ferus, wild: (sc. Dat./Abl.) erō, ferō; bald leitet man unähnlich ab: erus, ferus, aber erī (Gen.), ferum (Akk.). Erst, wenn beides ähnlich ist – ein Wort dem anderen und eine Ableitung der anderen –: Dann erst kann ich sagen, es sei ein „Ähnliches“ und habe eine zweifache und vollendete Ähnlichkeit – was die Analogie ja verlangt. 13 Aber es soll ja nicht so aussehen, als hätte ich spitzfindig behauptet, es gebe nur zwei Klassen von Ähnlichkeiten, obwohl es von beiden mehr untergeordnete Arten gibt (und über diese schweige, um mir einen Schlupfwinkel zu lassen). Darum möchte ich beim Ursprung der Ähnlichkeiten ansetzen: Was muss man beim Vergleichen und Flektieren von Wörtern befolgen oder vermeiden?297 14 Die erste Einteilung in der Sprache ist, dass einige Wörter nie abgeleitet werden, wie z. B. vix, kaum, und mox, bald; dass andere abgeleitet werden, wie von līma, Feile, līmae, der Feile; von ferō, trage, ferēbam, trug. Und da es nur bei den Wörtern, die eine Ableitung bilden, eine Analogie geben kann, so irrt der, der behauptet, mox, bald, und nox, Nacht, seien ähnlich: Denn beide Wörter gehören nicht zur selben Klasse, da nox ins System der Kasus eintreten muss, mox weder muss noch kann. 15 Die zweite Einteilung betrifft die Wörter, die abgeleitet werden können: nämlich dass die einen es aus dem Willen, voluntās, heraus sind, die anderen von Natur aus. Voluntās, Wille, nenne ich es, wenn ein jeder Beliebige von einem Namen her ein Anderes benennt, wie Romulus Rom (sc. benannt hat), Rōma.298 Nātūra, Natur, meine ich, wenn wir alle bei einem Namen, den wir von dem, der ihn verliehen hat, erfahren haben, nicht fragen, auf welche Weise ér möchte, dass er abgeleitet wird, sondern wenn wir selbst ihn ableiten, wie z. B. Gen. Rōmae, Akk. Rōmam, Abl. Rōmā.

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          De his duabus partibus voluntaria declinatio1 refertur ad consuetudinem, naturalis ad [o]rationem2. 16 Quare: proinde ac simile conferri non oportet ac dicere, ut sit ab Roma Romanus, sic ex Capua dici oportere Capuanus; quod in consuetudine vehementer natat, quod declinantes imperite rebus nomina imponunt, a quibus cum accepit consuetudo, turbulenta necesse est dicere. Itaque neque Aristarchei3 neque alii in analogiis defendendam eius susceperunt causam, sed, ut dixi, hoc genere declinatio in comuni consuetudine verborum egrotat, quod oritur e populo multiplicei < et >4 imperito: Itaque in hoc genere in loquendo5 magis anomalia quam analogia. 17 Tertia divisio est: Quae verba declinata natura. Ea dividitur in partis quattuor: In unam, quae habet casus neque tempora, ut docilis et facilis; in alteram, quae tempora neque casus, ut docet, facit; in tertiam, quae utraque, ut docens, faciens; in quartam, quae neutra, ut docte et facete. Ex hac divisione singulis partibus tres reliqu[er]e6 dissimiles. Quare, nisi in sua parte inter se collata erunt verba, si non7 conveniunt, non erit ita simile, ut debeat facere idem. 18 (20)8 Unius cuiusque partis9 quoniam species plures, de singulis dicam. Prima pars casualis: dividitur in partis duas, in nominatus10 < inque articulo>s. Quod < genus aeque finitum >11 neque finitum est ut hic et quis. De his generibus duobus utrum sumpseris, cum reliquo non conferendum, quod inter se dissimiles habent analogias. 19 (18) In articulis vix adumbrata est analogia et magis rerum quam vocum. In nominibus 12 magis expressa ac plus etiam in vocibus earumque similitudinibus quam in rebus13 suam optinet rationem. 1  declinatiō / F; del. Steph. 2  orationem: Aug. 3  Aristarchii: Kent, cf. VIII 63. 4  multiplici imperito: < et > add. Groth; multiplici imperio Tyl.; scripsi. 5  loquenda: vulg. 6  reliquere: Canal. 7  si non: non del. Canal, sin Tyl. 8  Haec duo capita transposuit e parte inferiore Mue. 9  artes: Sciop. 10  nominatus · ŝ · (= sunt) F, Tyl. S Lae., < scilicet et articulos > Mue. Scripsi. 11  Scripsi sec. Mue. et Tyl. 12 nominibus: L. Sp. 13  in vocibus ac similitudinibus quam in rebus F: quam in rebus: post vocibus transposuit Tyl. Scripsi.

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          Von diesen beiden Teilen bezieht sich die willkürliche Ableitung, voluntāria dēclinātiō, auf die Sprachgewohnheit, die natürliche, nāturālis, auf die Regel, ratiō.299 16 Daher darf man nicht als ähnlich vergleichen und sagen: So, wie von Rōma, Rom, Rōmānus, Römer, kommt, müsse auch der Einwohner von Capua Capuānus genannt werden300: Das schwankt im Sprachgebrauch heftig, weil die Leute bei der Ableitung die Dinge mangels Erfahrung benennen und man dann, wenn der Sprachgebrauch sie übernommen hat, ein Durcheinander sagen muss. Daher haben weder die Aristarcheer noch andere bei der Behandlung der Analogie deren Verteidigung übernommen301, sondern – wie gesagt – in dieser Art laboriert die Ableitung im allgemeinen Sprachgebrauch, weil sie aus einem vielfältigen Volke hervorgeht, das keine Erfahrung hat.302 Daher herrscht beim Sprechen in diesem Bereich mehr Anomalie als Analogie. 17 Die dritte Einteilung betrifft die Wörter, die von Natur aus abgeleitet sind. Sie wird in vier Teile eingeteilt303: In einen, der Kasus hat und keine Tempora, wie docilis, belehrbar, und facilis, machbar; in einen zweiten, der Tempora, aber keine Kasus hat, wie docet, lehrt, und facit, macht; in einen dritten, der beides hat, wie docēns, lehrend, und faciēns, machend; in einen vierten, der keines von beiden hat, wie doctē, gelehrterweise, und facētē, witzigerweise. Von dieser Einteilung sind die drei übrigen Teile den jeweils einzelnen Teilen unähnlich. Wenn daher die Wörter nicht innerhalb ihres Teils miteinander verglichen werden, so wird es – falls sie dann nicht zusammenpassen – kein derart Ähnliches geben, dass man daraus die gleiche Form bilden müsste. 18 Da es von jedem Teil mehr Arten gibt, möchte ich über die einzelnen sprechen. Der erste Teil – mit Fällen (cāsuālis) – wird in zwei Teile unterteilt: in Nomina (nōminātūs) und in Artikel (articulī). 304 Die zweite Klasse ist gleichermaßen bestimmt und auch nicht bestimmt wie hic, dieser, und quis? wer?305 Welches (sc. Wort) man von diesen zwei Klassen nimmt: Es ist mit dem Rest nicht vergleichbar, weil sie untereinander unähnliche Analogien haben.306 19 Bei den Artikeln ist die Analogie allenfalls schattenhaft sichtbar und besteht mehr in der grammatischen Substanz (rēs) als in der lautlichen Form. Bei den Nomina ist sie deutlicher ausgeprägt und behauptet auch mehr in den lautlichen Formen und deren Ähnlichkeiten als in der grammatischen Substanz ihre Regel.307

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          Etiam illud accedit, ut in articulis habere analogias ostendere sit difficile, quod singula sint verba, hic contra facile, quod magna sit copia similium nominatuum. Quare non tam hanc partem ab illa abiungendum1 quam illud videndum, ut satis sit verecundi etiam illam in eandem arenam vocare pugnatum. 20 (19) Ut in articulis duae partes, finitae et infinitae, sic in nominatibus2 duae, vocabulum et nomen: Non enim idem oppidum et Roma, cum oppidum sit vocabulum, Roma nomen. Quorum discrimen in his reddendis rationibus alii discernunt, alii non; nos sicubi opus fuerit, quid sit et cur, ascribemus3. 21 Nominatus ut similis sit nominatus4, habere debet, ut sit eodem genere, specie eadem, sic casu exituque5: specie6, ut si nomen est, quod conferas, cum quo conferas, sit nomen; genere simile7, ut non solum < unum, sed >8 utrumque sit virile; casu simile, ut si alterum sit dandi, item alterum sit dandi; exitu, ut quas unum habeat extremas litteras, easdem alterum habeat. 22 Ad hunc quadruplicem fontem ordines deriguntur bini, uni transversi, alteri derecti, ut in tabula solet, in qua latrunculeis9 ludunt. Transversi sunt, qui ab recto casu obliqui declinantur, ut albus, albi, albo; derecti sunt, qui ab recto casu in rectos declinantur, ut albus, alba, album; utrique sunt partibus senis. Transversorum ordinum partes appellantur10 casus, derectorum genera,11 utrisque inter se implicatis forma[m]12. 23 Dicam13 prius de transversis. Casuum vocabula alius alio modo appellavit; nos dicemus, qui nominandi causa dicitur, nominandi vel nominativum +++14

          1  ab dividendum: ab del. Aug.; abiungendum prop. L. Sp. 2  vocabulis: L. Sp. 3  ascribimus: Sciop. 4  nominatus: prop. L. Sp., nominatui – nominatus Mue. 5  exitu eɉ (= eius): scripsi (1981). 6  genere – specie: transp. Luebbert. 7  Del. L. Sp. (bis). 8  < unum > add. prop. Mue., < sed > Aug.: Tyl. 9  latrunculus: latrunculis Bentinus (edd.); scripsi. 10  expellantur: Ald. 11  genere: Aug. 12  formam: Aug. 13  dicam o prius F, ut videtur. 14  Hic des. tria fo. in exemplari F in margine dextro.

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          Auch das kommt hinzu: Bei den Artikeln ist es schwierig, Analogien aufzuzeigen, weil es sich um einzelne Wörter handelt; hier hingegen (sc. bei den Nomina) ist es leicht, weil die Menge ähnlicher Nomina groß ist. Daher sollte man diesen Teil nicht so sehr von jenem abkoppeln als vielmehr auf dieses achten: Es erfordert reichlich Vorsicht, auch jenen Teil (sc. der Artikel) in die gleiche Arena zum Kampf zu rufen. 20 Wie es bei den Artikeln zwei Teile gibt, die bestimmten und unbestimmten, so gibt es zwei bei den Nomina: Nennwort (vocābulum) und Eigenname (nōmen). Denn oppidum, Stadt, und Rōma, Rom, sind nicht das Gleiche, da oppidum ein Nennwort ist, Rōma ein Eigenname. Deren Unterscheidung machen die einen bei ihrer Rechtfertigung, andere nicht; wir werden, so wie es nötig ist, hinzufügen: Worin und weshalb sie besteht. 21 Damit ein Nomen einem Nomen ähnlich sein kann, muss es Folgendes aufweisen: Es muss gleiches Genus und gleiche Art, auch gleichen Kasus und Ausgang haben. (Sc. gleiche) Art: Wenn es ein Eigenname ist, den man heranzieht, muss das Wort, mit dem man ihn vergleicht, ein Eigenname sein; gleiches Genus: Nicht nur eines, sondern beide Nomina müssen männlich sein; gleicher Kasus: Wenn das eine ein Dativ ist, muss auch das andere Dativ sein; (gleicher) Ausgang: Die gleichen Buchstaben, die das eine am Ende hat, muss auch das andere haben. 22 Auf diese aus vier Armen bestehende Quelle hin richten sich zwei Reihen aus 308: die einen quer, die anderen senkrecht ausgerichtet, wie auf einem Spielbrett, auf dem man mit Brettfiguren spielt. Quer stehen die, die von einem Nominativ in die obliquen Kasus abgeleitet werden, z. B. (Nom.) albus, (Gen.) albī und (Dat.) albō; senkrecht sind die, die von einem Nominativ in andere Nominative abgeleitet werden, z. B. albus (Mask.), alba (Fem.), album (Neutr.). Beide bestehen aus sechs Teilen. Die Teile der Querreihen heißen Kasus, die der senkrechten Genera; wenn beide miteinander verflochten sind, ist es eine fōrma, ein Schema.309 23 Ich möchte zuerst über die Querreihen sprechen. Die Bezeichnungen für die Kasus hat jeder anders gewählt. Ich werde den Kasus, der wegen des Nennens, nōminandī, so heißt, als nōminandī oder nōminātīvus bezeichnen; (sc. inhaltlich wohl: den Kasus, der nach dem Vater benannt ist, als patricus cāsus; den, der vom Geben benannt ist, als cāsus dandī; den, der vom Anklagen benannt ist, als accūsandī, den, der vom Rufen benannt ist, als cāsus vocandī; der sechste Kasus, sextus cāsus, ist ein typisch lateinischer Kasus).310

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          24 … et1 scopae, non dicitur una scopa: alia enim natura, quod priora < in >2 simplicibus, posteriora in coniunctis rebus vocabula ponuntur, sic bigae, sic quadrigae a coniunctu dictae. Itaque non dicitur ut haec una lata et alba, sic una biga, sed unae bigae, neque, ut3 dicitur [ut]4 hae duae latae, albae, sic hae duae bigae et quadrigae. 25 Item figura verbi qualis sit, refert, quod in figura vocis aliás5 commutatio fit in primo verbo suit, modo súit6, aliás in medio, ut curso cursito, aliás in extremo, ut doceo docui, aliás comunis, ut lego légi7. Refert igitur, ex quibus litteris quodque verbum constet, maxime extrema, quod ea8 in plerisque commutantur. 26 Quare in his quoque partibus similitudines ab aliis male, ab aliis bene quod solent sumi in casibus conferendis, recte an perperam, videndum. Sed ubicumque commoventur litterae, non solum eae sunt animadvertendae, sed etiam, quae proxumae sunt neque moventur: Haec enim vicinitas aliquantum potes9 in verborum declinationibus. 27 In quis figuris non ea similia dicemus, quae similis res significant, sed quae ea forma sunt10, ut eius modi res similis11 ex instituto significare plerumque solent12: Ut tunicam virilem et muliebrem dicimus non eam, quam habet vir aut mulier, sed quam habere ex instituto debet: potest enim muliebrem vir, virilem mulier habere, ut in scena ab actoribus haberi videmus, sed eam dicimus muliebrem, quae de eo genere est, quo indutui mulieres, ut uterentur, est institutum. Ut actor stolam muliebrem, sic Perpenna et Cecina et purinna13 figura muliebria dicuntur habere nomina, non mulierum. 1  … < dicuntur una>e scopae Kent. 2  Add. Mette. 3  Del. Sciop. 4  Del. Mue. 5  Sic – cum accentu – bis F; quater scripsi. 6  modo suit F. Scripsi. 7  lege: vulg., légi scripsi. 8  ea : Scripsi. 9  potes: Mue. (potest Ald.). 10  sint: L. Sp. 11  similia: Mue.; del. L. Sp. 12  solent F, soleat Vall.: Ald. 13  purinna: Aug.

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          24 … und (sc. zu einem Besen sagt man als Pluralwort) scōpae, Besen, man sagt zu einem nicht im Singular scōpa: Der Besen hat nämlich ein anderes Wesen, weil man die vorhergegangenen Nennwörter bei einfachen, die später genannten bei verknüpften Dingen verwendet, z. B. heißt der Zweispänner bīgae, der Vierspänner quādrīgae von der Verknüpfung (sc. der Pferde) her. Und so sagt man nicht im Singular ūna bīga wie ūna lāta und ūna alba, sondern ūnae bīgae, ein Zweispänner; und es heißt auch nicht, wie man im Plural sagt – duae lātae, albae, zwei breite, weiße –, so auch duae bīgae, und quādrīgae, zwei Zweispänner und Vierspänner.311 25 Ebenso kommt es darauf an, wie die lautliche Struktur des Wortes ist, weil bei ihr bald eine Veränderung am Anfang eintritt wie bei suit, näht, sūit, hat genäht, bald in der Mitte, wie cursō, laufe, cursitō, laufe immer wieder, bald am Ende, wie doceō, ich lehre, docuī, habe gelehrt, bald in beiden Teilen, wie legō, ich lese, lēgī ich habe gelesen.312 Es kommt also darauf an, aus welchen Buchstaben ein jedes Wort besteht, besonders am Ende, weil die letzten sich bei den meisten Wörtern ändern. 26 Auch bei diesen Teilen nehmen gerne die einen – beim Vergleichen der Kasus – die Ähnlichkeiten schlecht heraus, andere gut: Ob richtig oder falsch, muss man sehen. Aber wo auch immer sich die Buchstaben bewegen, darf man nicht nur auf diese achten, sondern muss auch auf die in ihrer unmittelbaren Nähe achten, die sich nicht bewegen: Diese Nähe hat nämlich ziemlichen Einfluss auf die Ableitungen der Wörter. 27 Bei dieser (lautlichen) Struktur werden wir nicht die Wörter ähnlich nennen, die ähnliche Dinge bezeichnen, sondern die, die so aufgebaut sind, dass sie normalerweise solche nach Brauch und Sitte (ex īnstitūtō) ähnlichen Dinge bezeichnen: Wir nennen ja „Männertunika“ und „Frauentunika“ nicht die, die ein Mann oder eine Frau trägt, sondern die, die man nach Brauch und Sitte tragen muss: Es kann ja ein Mann eine Frauen-, eine Frau eine Männertunika tragen, wie sie auf der Bühne – so können wir es sehen – von Schauspielern getragen werden. Vielmehr nennen wir diejenige eine Frauentunika, die von der Art ist, wie sie nach Brauch und Sitte Frauen zum Anziehen gebrauchen. Wie ein Schauspieler eine Frauenstola (sc. tragen kann), so haben, sagt man, Perpenna, Caecina und Spurinna von der lautlichen Struktur weibliche Eigennamen, nicht aber Frauennamen313.

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          28 Flexurae quoque similitudo videnda ideo, quod alia verba, quam vim1 habeant, ex ipsis verbis, unde declinantur, app[ell]aret2, ut quemadmodum oporteat, ut a praetor consul, praetori consuli. Alia ex transitu intelleguntur ut socer, macer, quod alterum fit socerum, alterum macrum. Quorum utrumque in reliquis a transitu suam viam sequitur et in singularibus et in multitudinis declinationibus. Hoc fit ideo, quod naturarum genera sunt duo, quae inter se conferri3 possunt: unum, quod per se videri potest, ut homo et equus; alterum, sine assumpta aliqua re extrinsecus, perspici non possit, ut eques et equiso: uterque enim dicitur ab equo. 29 Quare hominem homini similem esse aut non esse, si contuleris, ex ipsis homini4 animadversis scies. At duo inter se similiterne5 sint longiores quam sint eorum fratres, dicere non possis, si illos breviores, cum quibus conferuntur, quam longi sint, ignores. Si6 latiorum atque altiorum, item cetera7 eiusdem generis sine assumpto extrinsecus aliquo perspici similitudines non possunt. Sic igitur quidam casus, quod ex hoc genere sunt, non facile est dicere similis esse, si eorum singulorum solum animadvertas voces, nisi assumpseris alterum, quo flectitur in transeundo8 vox. 30 Quod ad nominat[i]uom9 similitudines animadvertendas arbitratus sum satis es10 tangere, haec sunt. Relinquitur de articulis, in quibus quaedam eadem, quaedam alia. De quinque enim generibus duo prima habent eadem, quod sunt et virilia et muliebria et neutra, et quod alia sunt, ut significent unum, ,11 ut plura, et de casibus, quod habent quinos: Nam vocandi voce notatus non est. Proprium illud habent, quod partim sunt finita, ut hic < et >12 haec, partim infinita, ut quis et quae. [et] Quorum quod adumbrata et tenuis analogia, in hoc libro plura dicere necesse < non >13 est. 1  vim: viam Schoell. 2  appellarit: Pius. 3  conferri < non > Mette. 4  homini / F: L. Sp. 5  similiter · nesint : Aug. 6  si: Aug. 7  cetera: Mette. 8  transeundum: Aug. 9 nominativom: L. Sp. 10  est angere: Aug. 11 Add. Aug. 12 < et > post quae positum transposuit Aug. inter hic, haec; del. L. Sp. 13  Add. Aug. ante necesse.

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          28 Man muss auch aus folgendem Grunde auf die Ähnlichkeit in der Flexion sehen314: Bei einigen Wörtern wird aus den Worten selbst ersichtlich, wohin sie gehen, wie z. B. dass aus praetor und cōnsul (sc. im Dativ) praetōrī und cōnsulī werden müssen. Bei anderen sieht man es erst beim (Kasus-) Übergang, z. B. bei socer, Schwiegervater, und macer, mager: Denn das eine wird (sc. im Akkusativ) socerum, das andere macrum. Von denen befolgen beide in den übrigen Formen vom Übergang (sc. aus dem Nominativ) ihren eigenen Weg sowohl in den Singularals auch in den Pluralableitungen. Das geschieht deshalb: Es gibt zwei Arten von Wesen, die man miteinander vergleichen kann: Die eine kann man per se verstehen, z. B. homō, Mensch, und equus, Pferd; die andere wird sich, wenn man kein Hilfsmittel von außen heranzieht, nicht durchschauen lassen, wie eques, Reiter, und equīsō, Reitknecht: Beide sind nämlich von equus, Pferd, benannt. 29 Dass ein Mensch einem anderen ähnlich ist oder nicht, wird man ja beim Vergleichen erst dann wissen, wenn man die Menschen selbst in Augenschein nimmt. Aber ob zwei in ähnlicher Weise länger sind als ihre Brüder, kann man kaum sagen, wenn man nicht weiß, wie lang jene kürzeren sind, mit denen man sie vergleicht.315 So kann man ja bei Breiterem und Höherem, ebenso bei übrigen Dingen gleicher Art die Ähnlichkeiten nur durchschauen, wenn man von außen irgendein Hilfsmittel heranzieht. So lässt sich also bei manchen Kasus – weil sie ja von dieser Art sind – nicht leicht sagen, sie seien ähnlich, wenn man nur bei jedem einzelnen ihre Lautform betrachtet: Es sei denn, man zieht einen zweiten hinzu, zu dem hin die Lautform beim Kasusübergang gebeugt wird. 30 Jetzt habe ich meiner Meinung nach genügend die Punkte berührt, die man braucht, um die Ähnlichkeiten bei den Nomina wahrzunehmen. Es bleiben noch die Artikel, bei denen manche das Gleiche haben, manche Anderes. Denn von den fünf Arten (sc. der Ähnlichkeiten)316 haben sie die ersten beiden gleich, weil sie männlich, weiblich und sächlich sind, und weil einige so sind, dass sie nur Eines bezeichnen, andere aber eine Mehrzahl, und von den Kasus, dass sie jeweils fünf haben. Denn der Vokativ hat keine eigene Lautform. Als Eigenheit haben sie, dass ein Teil von ihnen bestimmt ist, wie hic und haec, dieser und diese, ein Teil unbestimmt, wie quis, wer? und quae, welche? Weil bei diesen die Analogie nur schwach und in Umrissen deutlich ist, ist es in diesem Buch nicht erforderlich, mehr zu sagen.

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          31 Secundum genus, quae verba tempora habent neque casus. Si1 habent personas, eorum declinatuum species sunt sex: Una, quae dicitur temporalis, ut legebam, gemebam, lego2, gemo; altera personarum, ut sero, meto, seris, metis; tertia rogandi, ut scribone, legone, scribisne, legisne; quarta respondendi, ut fingo pingo, fingis, pingis; quinta optandi, ut dicerem, facerem, dicam, faciam; sexta imperandi, ut cape, rape! Capito, rapito! 32 Item sunt declinatuum species quattuor, quae tempora habent sine personis: In rogando, ut foditurne, seriturne? Et: fodieturne, sereturne? Ab respondendi specie eaedem figurae fiunt extremis syllabis demptis. Opandi3 species, ut vivatur ametur, viveretur amaretur. Imperandi declinatus sintne, habe[n]t4 dubitationem, et eorum si[n]tne5 haec ratio: paretur pugnetur, parari pugnari6. 33 Accedunt ad has species a copulis divisionum quadrinis: Ab infecti et perfecti emo edo, emi edi; ab semel et sepius, ut scribo lego, scriptitavi lectitavi; faciendi et patiendi, ut uro ungo, uror ungor; a singulari et multitudinis, ut laudo culpo, laudamus culpamus. Huius generis verborum, cuius species exposui, quam late quidque pateat, et cuius modi efficiat figuras, in libris, qui de formulis verborum erunt, diligentius expedietur.

          1  si F (Tyl.): sed Aug. 2  logo: Vall. (Lae.). 3  opandi: Vall. (Lae.). 4  declinatussum ne habent F: Aug. 5  sintne: Aug. 6  parari pugnari: parator pugnator Canal.

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          31 Die zweite Klasse sind die Wörter, die Tempora haben und keine Kasus. Wenn sie Personen haben, dann gibt es davon sechs Arten, speciēs, von Ableitungen317: Eine, die temporale (temporālis) heißt, wie legēbam, gemēbam, ich las, seufzte; legō, gemō, ich lese, seufze. Eine zweite ist die der Personen, wie serō, metō, ich säe, ernte, seris, metis, du säst, erntest. Die dritte ist die des Fragens, wie scrībōne, legōne? Schreibe, lese ich? Scrībisne, legisne? Schreibst, liest du? Die vierte ist die des Antwortens, wie fingō, pingō, ich forme, male, fingis, pingis, du formst, malst. Die fünfte ist die des Wünschens, wie dīcerem, facerem, ich würde sagen, tun; dīcam, faciam, ich möchte sagen, tun.318 Die sechste ist die des Befehlens, wie cape, rape! Packe, raube! Capitō, rapitō! Er soll (du sollst) packen, rauben! 32 Ebenso gibt es vier Arten von Ableitungen bei den Verben, die Tempora ohne Personen haben:319 Beim Fragen, wie foditurne, seriturne? Wird gegraben, gesät? Und: fodiēturne, serēturne? Wird gegraben, gesät werden? Von der Art des Antwortens, respondendī, werden die gleichen Formen gebildet, indem man die letzten Silben wegnimmt. Die Art des Wünschens, optandī, sind z. B. vīvātur, amētur, Man soll leben, lieben! Vīverētur, amārētur! Man würde leben, lieben.320 Ob die Befehlsform eigene Ableitungen hat, darüber gibt es Zweifel, und ob ihre Reihenfolge folgende ist: parētur, pugnētur, es soll fertig gemacht, gekämpft werden! Parārī, pugnārī, Fertigmachen! Kämpfen!321 33 Zu diesen Arten kommen von jeweils vier Paaren Abteilungen hinzu: Vom Unvollendeten und Vollendeten: emō edō, ich kaufe, esse, und ēmī ēdī habe gekauft, gegessen322; vom Einmal und Häufiger z. B. scrībō legō, ich lese, schreibe, scrīptitāvī lēctitāvī ich habe immer wieder geschrieben, gelesen; vom Tun und Leiden z. B. ūrō ungō, ich brenne, salbe, ūror ungor, werde gebrannt, gesalbt; vom Singular und Plural z. B. laudō culpō, ich lobe, tadle, laudāmus culpāmus, wir loben, tadeln. Wie weit bei dieser Wortklasse, deren Arten ich dargestellt habe, alles geht und welche Formen sie bildet, wird in den Büchern, welche die Wortschemata behandeln, ausführlicher erklärt werden.323

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          34 Tertii generis, quae declinantur cum temporibus ac casibus, ac vocantur a multis ideo participalia, sunt hoc ge1 +++ 35 +++2 quemadmodum declinamus, querimus casus eius. Etiam, sei3 qui finxit poeta aliquod vocabulum et ab eo casu4 ipse aliquem perperam declinavit, potius eum reprehendimus quam sequimur. Igitur ratio, quam dico utrubique, et5 in his verbis, quae imponuntur, et in his, quae declinantur, neque non etiam tertia illa, quae ex utroque miscetur genere. 36 Quarum unaqueque ratio collata cum altera aut similis aut dissimilis, aut sepe verba alia, ratio eadem, et nonnunquam ratio alia, verba eadem. Quae ratio in amor amori, eadem in dolor dolori, neque eadem in dolor dolorem; et cum eadem ratio, quae est in amor et [amor et]6 amoris, sit in amores et amorum, tamen ea, < quae est in amor et amores >7, quod non in ea, quae oportet, confertur [a]8 materia, per se solum efficere non potest analogias propter disparilitatem vocis figurarum, quod verbum copulatum singulare[m]9 cum multitudine: Ita cum est proportione, ut eandem habeat rationem, tum denique ea ratio conficit id, quod postulat analogia; de qua deinceps dicam. 37 Sequitur tertius locus, quae sit ratio proportione; a10 Graece voca[n]tur11 ἀνὰ λόγον12; ab ἀνὰ λόγον13 dicta analogia. Ex eodem genere, quae res inter se aliqua parte dissimiles rationem habent aliquam, si ad eas duas alterae duae res collatae sunt, quae rationem habeant eandem, quod ea verba bina habent eundem λόγον, dicitur utrumque separatim ἀνάλογον, simul collata quattuor ἀνάλογα14. 1  ge: L. Sp. (genere Rhol.); post ge incipit lacuna maior (F). Ibidem in margine sinistro scriptum est: Hic des. folj. III. in exemplari. Vacant in F lineae 28 lineae folii XXXi et tota pagina folii XXXIi. 2  Folium XXXI v. hic incipit. 3  si is: is del. Traglia. Scripsi. 4  casu F (Tyl.), casum A. Sp. Cf. X 22. 5  < est > et Aug. 6  Del. vulg. 7  Addidi. 8  Del. Aug. 9  singularem: Aug. 10  a grece: L. Sp. 11  vocantur: Aug. 12  Verba Graeca in codice F hic usque ad caput XL. Latinis litteris scripta corr. edd.; analogia(n) retinui, ut saepius. 13  analogo: Tyl. 14 analoga F, Traglia; ἀναλογία GS. Scripsi.

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          34 Die Wörter der dritten Klasse, die mit Tempora und Kasus abgeleitet werden und von vielen participālia, Partizipien, genannt werden, sind von folgender Art324: +++ 35 +++ wie wir ihre/seine Kasus ableiten, fragen wir. Auch, wenn ein Dichter irgendein Nennwort gebildet und von diesem Kasus irgendeinen fehlerhaft abgeleitet hat, werden wir ihn eher kritisieren als ihm folgen.325 Daher gibt es ein regelhaftes Verhältnis326 (von dem ich auf beiden Seiten spreche), sowohl bei den Wörtern, die neu vergeben werden, als auch bei denen, die abgeleitet werden; und sogar jenes dritte, das aus beiden Typen gemischt wird.327 36 Ein jedes Verhältnis von diesen, das mit einem anderen verglichen wird, ist entweder ähnlich oder unähnlich; oder oft sind die Wörter andere, aber das Verhältnis das gleiche, und manchmal ist das Verhältnis ein anderes, aber die Wörter die gleichen: Das Verhältnis, das zwischen amor, Liebe, und amōrī besteht, ist in dolor, Schmerz, und dolōrī gleich, doch nicht zwischen dolor und dolōrem; und obwohl das gleiche Verhältnis, das zwischen amor und amōris besteht, auch zwischen (sc. Plural) amōrēs und amōrum besteht, kann doch das, das zwischen amor und amōrēs besteht – da nicht in der erforderlichen grammatischen Substanz (māteria) verglichen wird –, per se keine Analogien bewirken: Denn die lautlichen Strukturen sind ungleich, weil ein Singularwort mit einem Pluralwort verknüpft worden ist:328 Erst dann also, wenn es entsprechend ist (prōportiōne), so dass es genau das gleiche Verhältnis hat: Erst dann bewirkt dieses Verhältnis das, was die Analogie fordert; darüber möchte ich im Anschluss sprechen. 37 Es folgt nun der dritte Punkt: Was eine ratiō prōportiōne ist, ein entsprechendes Verhältnis: Das heißt auf Griechisch ἀνὰ λόγον, dem Verhältnis entsprechend; davon ist analogia (sc. im Lateinischen) benannt. Wenn nun zwei Dinge aus der gleichen Klasse, die sich in einem bestimmten Teil unähnlich sind, irgendein Verhältnis zueinander haben und mit ihnen zwei andere verglichen werden, die das gleiche Verhältnis haben: Dann sagt man – weil diese Paare den gleichen λόγος haben – zu jedem getrennt, es sei analog, ἀνάλογον, und wenn man alle vier miteinander vergleicht, sie seien ἀνάλογα.

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          Liber X

          38 Nam ut in geminis, cum simile 1 dicimus esse Menechmum Menechmo, de uno dicimus; cum similitudine2 esse in his, de utroque: sic, cum dicimus eandem rationem habere assem ad semissem, quam habet in arg[um]ento3 libella ad simbellam,4 quid sit ἀνάλογον, ostendimus, cum utrubique dicimus et in aere et in argento esse eandem rationem: tum5 dicimus de analogia. 39 Ut sodalis et sodalitas, civis et civitas non est idem, sed utrumque ab eodem ac coniunctum, sic ἀνάλογον et ἀναλογία idem non est, sed item est congeneratum. Quare si homines sustuleris, sodalis sustuleris; si sodalis, sodalitatem: Sic item si sustuleris λόγον, sustuleris ἀνάλογον; si id, analogian. 40 Quae cum inter se tanta sint cognatione, debebis suptilius audire, quam dici expectare, id est, cum dixero quid de utroque et erit comune, 6 expectes, dum ego in scribendo transferam in reliquum, sed ut potius tu persequare animo. 41 Haec fiunt in dissimilibus rebus, ut in numeris: si contuleris cum uno duo, sic cum decem viginti (nam < quam >7 rationem duo ad unum habent, eandem habent viginti ad decem); in nummis, in similibus, sic8 est ad unum victoriatum denarius, si9 ad alterum victoriatum alter denarius. Sic item in aliis rebus omnibus proportione dicuntur ea, in quo est sic quadruplex natura, ut in progenie, cum est filius ad patrem, sic – si est – filia ad matrem, et ut est in teporibus meridies ad diem, sic media nox ad noctem. 42 Hoc poetae genere in similitudinibus utuntur multum, hoc acutissime geometrae, hoc in oratione diligentius quam alii ab Aristarco10 grammatici. Ut cum dicuntur proportione similia esse amorem amori, dolorem dolori, cum ita dissimile[m]11 esse videant amorem [et dolorem] < amori >12, quod est alio casu, item dolorem dolori, sed dicunt, quod ab similibus. 1  simile: similem C. F. Mue. 2  similitudine: Aug. 3  argumento: Pius. 4  singulam: Pius. 5  < denique > addiderim, cf. X 12, 36. 6  Add. Sciop. 7  Add. Ald. 8  sic < si F. 9  si : Aug. (sic L. Sp.). 10  Aristarco: Aug. 11  dissimilem: vulg. 12  amorem et dolorem: L. Sp., Christ.

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          38 Denn wenn wir bei Zwillingen sagen, es sei ein Menaechmus einem anderen ähnlich, dann sprechen wir von éinem; sagen wir, bei ihnen bestehe eine Ähnlichkeit, dann sprechen wir von beiden: Und wenn wir sagen, ein as, As, habe zum Halbas, sēmissis, das gleiche Verhältnis wie im Silbergeld eine lībella, Silberas, zur simbella, Silberhalbas: So zeigen wir, was analog ist, wenn wir sagen, auf beiden Seiten – sowohl beim Kupfer- als auch beim Silbergeld – bestehe das gleiche Verhältnis: Dann erst sprechen wir von Analogie.329 39 Wie sodālis, Genosse, und sodālitas, Genossenschaft, cīvis, Bürger, und cīvitās, Bürgerschaft, nicht dasselbe sind, sondern beide jeweils vom gleichen Wort abgeleitet sind und miteinander zusammenhängen, so sind ἀνάλογον und ἀναλογία nicht dasselbe, aber beide Begriffe sind ebenso gemeinsam gebildet. Wenn man also die Menschen beseitigt, wird man auch die Genossen beseitigen; wenn die Genossen, dann die Genossenschaft: Ebenso wird man, wenn man das Verhältnis beseitigt, den λόγος, dann auch das ἀνάλογον beseitigen; wenn man das beseitigt, dann auch die Analogie. 40 Da diese Dinge so sehr miteinander verwandt sind, wirst du genauer hinhören müssen, als darauf zu warten, dass es gesagt wird330: D. h. wenn ich etwas über beides sage und es sich auf beides bezieht331, dann warte doch nicht, bis ich beim Schreiben etwas auf später verschiebe, sondern denke eher mit! 41 Bei unähnlichen Dingen – wie bei den Zahlen – passiert Folgendes: Wenn man 1 mit 2 vergleicht und 10 mit 20 (denn das gleiche Verhältnis, das 2 zu 1 hat, hat 20 zu 10): Bei den Münzen, und zwar bei ähnlichen, verhält sich der Denar zu einem Victoriatus genauso, wie sich ein anderer Denar zu einem anderen Victoriatus verhält332. So bezeichnet man ebenso bei allen anderen Dingen jene als entsprechend (prōportiōne), wo das Wesen so vierfältig ist wie es bei der Abstammung ist, wenn der Sohn sich zum Vater verhält wie – wenn es eine gibt – sich die Tochter zur Mutter, und wie bei den Tageszeiten sich der Mittag zum Tag verhält so wie die Mitternacht zur Nacht. 42 Dieser Art (sc. der Analogie) bedienen sich die Dichter bei den Ähn­lich­ keiten (sc. der Formen) reichlich, besonders genau die Mathematiker; in der Sprache mit größerer Genauigkeit als andere die Anhänger des Aristarchos. Wenn es z. B. heißt, dass (Akk.) amōrem – (Dat.) amōrī und dolōrem – dolōrī entsprechend ähnlich seien, während sie (sc. die Anomalisten) doch sehen, dass amōrem und amōrī einander unähnlich sind, weil sie in einem anderen Kasus stehen (ebenso dolōrem zu dolōrī): Dann sagt man es aber (sc. dass sie einander entsprechend ähnlich seien), weil sie von ähnlichen Wörtern abgeleitet sind.

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          Liber X

          431 Nonnunquam rationes habet implicatas duas, ut sit2 una derecta, altera transversa. Quod dico, apertius sic fiet: Esto sic expositos esse numeros, ut in primo versu sit unum duo quattuor, in secundo decem viginti quadraginta, in tertio centum ducenti quadringenti. In hac formula numerorum duo inerunt, quos dixi λόγοι3, qui diversas faciant analogias: unus duplex, qui est in obliquis versibus, quod est ut unus ad duo, sic duo ad quattuor; alter decemplex in derectis4 ordinibus, quod est ut unum ad decem, sic decem ad centum. 44 Similiter in verborum declinationibus est bivium, quod et ab recto casu < declinatur in obliquom et ab recto casu > 5 in rectum, 6 ita, ut formulam similiter efficiant, quod sit primo versu: Hic albus, huic albo, huius albi, secundo: hec alba, huic albae, huius albae, tertio: hoc album, huic albo, huius albi. Itaque fiunt per obliquas declinationes ex his analogiae hoc genus: Albius7 Atrius, Albio Atrio; per directas declinationes: Albius Atrius, Albia Atria. Quae scilicet erit particula ex illa binaria8 [Atria quae scilicet]9 et denaria10 formula analogiarum, de qua supra dixi. 45 Analogia quae dicitur, eius genera sunt duo. Unum diiunctum11 sic est: Ut unum ad duo, sic decem ad viginti. Alterum coniunctum sic: Ut est unum ad duo, sic duo ad quattuor. In hoc, quod duo bis dicuntur et tunc, < cum >12 conferimus ad unum, et tunc, cum < ad >13 quattuor: 46 hoc quoque natura dicitur quadruplex. Sic e septem cordis citharae14 tamen duo dicuntur habere tetracorda, quod quemadmodum crepat prima ad quartam cordam, sic quarta ad septumam respondet, media est alterius prima, alterius extrema. 1 

          Cap. 43 cum 44 Tyl. transposuerat post cap. 50. (his Caeliis. Nonnunquam rationes habet etc.). 2  sic: Aug., si Vall. (Lae.). 3  logoe: Vict. 4  directis: Mue. 5  Add. Mue. 6  Inrecto ˑ ita: Mue. sec. L. Sp. 7  Albius < Albi F. 8  vicenaria: prop. Mue., ducenaria Lae. 9  Del. L. Sp. 10  centenaria: Kent. 11  deiunctum: Aug. 12  tum conferimus: cum add. L. Sp., tunc scripsi. 13  Add. Sciop. 14  cytharae: vulg.; chordis etc. Aug.

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          43 Manchmal hat sie (sc. die Ähnlichkeit) zwei miteinander verschlungene Verhältnisse, nämlich ein senkrechtes und ein waagrechtes. Was ich meine, wird folgendermaßen klarer werden: Es seien die Zahlen so aufgestellt, dass in der ersten Zeile 1, 2 und 4 steht, in der zweiten 10, 20 und 40, in der dritten 100, 200 und 400. In diesem Zahlenschema sind zwei – ich nannte sie: λόγοι – Verhältnisse enthalten, die verschiedene Analogien schaffen: Das eine ist die Verdopplung, die in den schrägen (i. e. seitwärts stehenden) Zeilen steckt, weil sich 1 zu 2 wie 2 zu 4 verhält; das andere ist die Verzehnfachung in den senkrechten Reihen, weil sich 1 zu 10 wie 10 zu 100 verhält. 44 Auf ähnliche Weise gibt es bei den Ableitungen der Wörter einen Dop­ pel­weg: Denn vom Nominativ aus wird in einen obliquen Kasus und vom Nominativ auch in andere Nominative abgeleitet, so dass sie ähnlich ein Schema ergeben, in dessen erster Zeile steht: Nom. (Mask.) albus, Dat. albō, Gen. albī, in der zweiten: Nom. (Fem.) alba, Dat. albae, Gen. albae, in der dritten: Nom. (Neutr.) album, Dat. albō, Gen. albī. Und so entstehen durch die waagrechten Ableitungen hindurch aus diesen Analogien folgender Art: Albius Ātrius, Albiō Ātriō; durch die senkrechten Ableitungen: Albius Ātrius, Albia Ātria. Dies ist natürlich nur ein kleiner Teil aus jenem Zweier- und Zehnerschema von Analogien, von dem ich oben gesprochen habe. 45 Es gibt zwei Arten der sogenannten „Analogie“: Die eine ist folgendermaßen unterschieden: Wie 1 zu 2, so 10 zu 20. Die andere ist folgendermaßen verknüpft: Wie sich 1 zu 2 verhält, so 2 zu 4. Dadurch, dass die Zwei zweimal gesagt wird – sowohl dann, wenn wir sie mit der Eins vergleichen, als auch dann, wenn wir sie mit der Vier vergleichen: 46 Dadurch sagt man auch zu diesem Gebilde, es sei vierfältig. So sagt man zur siebensaitigen Kithara dennoch, sie habe zwei Viersaitengruppen, denn so, wie die erste Saite zur vierten klingt, so klingt entsprechend die vierte zur siebten; die mittlere ist die erste der zweiten, aber die letzte der anderen Gruppe.333

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          Liber X

          Medici1 in egroto[s]2 septumos dies qui observant, quarto die ideo diligentius signa morbi advertunt, quod quam rationem habuit primus dies ad quartum, eandem praesagit habiturum, qui est futurus ab eo quartus, qui est septumus a primo. 47 Quadruplices diiunctae3 in casibus sunt vocabulorum, ut rex regi < lex legi >4, coniunctae sunt triplices in verborum tribus temporibus, ut legebam lego legam, quod quam rationem habet legebam ad5 lego, hanc habet lego ad legam. In hoc fere omnes homines peccant, quod perperam in tribus temporibus haec verba dicunt, cum proportione volunt pronuntiare. 48 Nam cum sint verba alia infecta, ut lego et legis, alia perfecta ut legi et legisti, et debeant sui cuius6 generis in coniungendo copulari; et cum recte sit ideo lego ad legebam, non recte est lego ad legi, quod legi significat, quod perfectum. Ut haec: tutudi, pupugi, tundo pungo, tundam pungam, item haec: < ne>catus7 sum verberatus sum, < necor verberor, necabor >8 verberabor: iniuria reprehendunt, quod et infecti inter se similia sunt et perfecti inter se, ut tundebam tundo tundam et tutuderam tutudi tutudero, sic amabar amor amabor, et amatus eram amatus sum, amatus ero. Itaque reprehendund,9 qui contra analogias dicunt, cur dispariliter in tribus temporibus dicantur quaedam verba, natura cum quadruplex sit analogia. 49 Id nonnunquam, ut dixi, pauciores videtur habere partes, sic etiam alias pluris, ut cum est: Quemadmodum ad tria unum et duo, sic ad sex duo et quattuor, quae tamen quadripertita comprehenditur forma, quod bina ad singula conferuntur, quod in oratione quoque nonnunquam reperietur sic: Ut10 Diomedes confertur Diomedi[bu]s11, sic dicitur ab Hercules Herculi et Herculi[bu]s12. 1  Midici: vulg. 2  egrotos: aegroto L. Sp.. 3  deiunctae: scripsi, cf. X 45. 4  Add. Mue. 5  ab: Aug. 6  cuius: vulg. 7  catus: Aug. 8  Add. Mue. 9  reprehendunt: reprehendundi sunt Tyl.; scripsi. 10  Ut < ad > Mette. 11  diomedibus: L. Sp. 12  herculibus: L. Sp.

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          Die Ärzte, die beim Kranken eine Woche lang beobachten, achten am vierten Tage deshalb genauer auf die Krankheitszeichen, weil der Tag, der von diesem (sc. vierten) Tag gerechnet der vierte ist und vom ersten aus gerechnet der siebte, das gleiche Verhältnis für die Zukunft vorhersagt.334 47 Vierfältig getrennt sind die Verhältnisse bei den Fällen der Nennwörter, z. B. rēx, König, rēgī, dem König, lēx, Gesetz, lēgī, dem Gesetz; dreifältig verknüpft sind die Verhältnisse bei den drei Tempora der Verben, z. B. legēbam, ich las, legō, ich lese, legam, ich werde lesen: Denn das gleiche Verhältnis, das legēbam zu legō hat, das hat legō zu legam. Das machen fast alle falsch, weil sie diese Verben dann, wenn sie sie entsprechend aufsagen wollen, bei den drei Tempora fehlerhaft sagen.335 48 Denn die einen Verben sind ja unvollendet, wie legō, ich lese, und legis, du liest; die anderen sind vollendet, wie lēgī, ich habe gelesen, und lēgistī, du hast gelesen336; und sie müssen – jedes in seiner Gruppe – beim Verknüpfen verkoppelt werden; und da legō zu legēbam im richtigen Verhältnis steht, steht es nicht legō zu lēgī, weil lēgī das bezeichnet, was vollendet ist. Z. B. tutudī pupugī, ich habe gestoßen, gestochen, tundō pungō, ich stoße, steche, tundam pungam, ich werde stoßen, stechen; ebenso necātus sum, verberātus sum, ich bin getötet, geprügelt, necor verberor, ich werde getötet, geprügelt, necābor verberābor, ich werde getötet werden, geprügelt werden: Alle diese kritisiert man zu Unrecht, weil die nicht vollendeten untereinander ähnlich sind und untereinander die vollendeten, wie es der Fall ist bei tundēbam tundō tundam, ich stieß, stoße, werde stoßen, und tutuderam tutudī tutuderō, ich hatte, habe gestoßen, werde gestoßen haben; so auch bei amābar amor amābor, ich wurde geliebt, werde geliebt, werde geliebt werden, und amātus eram, amātus sum, amātus erō, ich war, bin, werde geliebt worden sein. Deshalb sind diejenigen zu kritisieren, die gegen die Analogien vorbringen, weshalb manche Wörter ungleich in drei Zeiten gesagt werden, wo doch die Analogie in Wirklichkeit vierfältig ist.337 49 Dies scheint manchmal, wie gesagt, weniger Teile zu haben, ein andermal aber auch mehr, z. B. wenn es so aussieht: Wie 3 zu 1 und 2, so verhält sich 6 zu 2 und 4, ein Schema, das man dennoch als vierteilig erfasst, weil immer zwei mit einem Einzelnen verglichen werden, wie es sich in der Sprache manchmal so finden wird: Wie man Diomēdēs mit (Dat.) Diomēdī und (Gen.) Diomēdis vergleicht, so von Herculēs ein Herculī und Herculis.338

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          50 Et ut haec1 ab uno capite, ab recto casu, in duo obliquos discedunt casus, sic contra multa ab duobus capitibus recti casuis2 confluunt in obliquom unum. Nam ut ab his rectis hi3 abiei4, hae Bebiae, fit his Bebieis5, sic est ab his hi Caelii6, hae Celiae: his Celiis. A7 duobus similibus similiter declinantur, ut fit in his: nemus olus, nemora olera. Alia ab dissimilibus similiter declinantur, ut in articulis ab hic iste, hunc istun8. 51 Analogia fundamenta habet aut a voluntate hominum aut a natura verborum9 aut re utraque. Voluntatem dico impositionem vocabulorum, naturam declinationem vocabulorum, quo decurritur sine doctrina. Qui impositionem sequetur, dicet, si simile in recto casu dolus et malus, fore in obliquo dolo et malo. Qui naturam sequetur, si sit simile in obliquis Marco Quinto, fore ut sit Marcus Quintus10. Qui utrumque sequetur, dicet: Si sit simile, transitus ut est in servus serve, fore ut sit item cervus cerve. Comune omnium est, ut quattuor figurae vocis habeant proportione declinatus. 52 Primum genus est ortum ab similitudine in rectis casibus, secundum ab similitudine, quae est in obliquis, tertium ab similitudine, quae est in transitibus de casu in casum. Primo genere ab imposito ad naturam proficiscimur11, in secundo contra, in tertio ab utroque. Quocirca etiam hoc tertium potest, bifariam divisum, tertium et quartum dici, quod in eo vel prosus et rosus potest dici. 53 Qui initia faciet analogiae impositiones, ab his obliquas figuras declinare debebit; qui naturam, contra; qui ab utraque, reliquas declinationes ab eius modi transitibus. Impositio est in nostro dominatu, nos in natura12: Quemadmodum enim quisque volt, imponit nomen, at declinat, quemadmodum volt natura. 1  he hic: Mue. 2  casuum: prop. A. Sp. 3  hi: scripsi, cf. VIII 70. 4  abiei … bebiae: Mue. 5  bebieis: A. Sp. 6  Caelii – Caeliis: scripsi, cf. Baebiei. 7  Hanc partem ab A duobus usque hunc istunc Tyl. transposuerat ad finem cap. 42. 8  istum: prop. Mue. 9  Del. prop. Steph. 10  marcum quintum: Christ. 11  proficiscimur edd., proficiscuntur Vall. (Lae.), in F vixdum legibile. 12  natura · / : Stephanus.

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          50 Und wie diese von einem Kopf, nämlich von einem Nominativ, in zwei oblique Kasus auseinandergehen, so fließen umgekehrt viele Wörter, die aus zwei Köpfen im Nominativ ausgegangen sind, in einem einzigen obliquen zusammen. Denn wie aus folgenden Nominativen Plural (Mask.) Baebieī und (Fem.) Baebiae ein Dativ Baebieīs wird, so aus Nominativ Plural (Mask.) Caelieī und Caeliae (Fem.) ein Dativ Caelieīs.339 Aus zwei ähnlichen wird ähnlich abgeleitet wie bei folgenden Wörtern: nemus, Wäldchen, olus, Kraut: (sc. im Plural) nemora olera. Andere werden von unähnlichen ähnlich abgeleitet z. B. bei den Artikeln von hic, dieser, und iste, der da, (Akk.) hunc und istunc. 51 Die Analogie hat ihre Grundlage entweder im Willen der Menschen oder in der Natur der Wörter oder in beidem. Mit voluntās, Willen, meine ich die Benennung der Wörter, mit nātūra, Natur, die Ableitung der Wörter, zu der man ohne Belehrung kommt. Wer der Benennung folgt, der wird sagen: Wenn dolus, List, und malus, böse, im Nominativ ähnlich sind, dann werden sie im obliquen Kasus dolō und malō heißen340. Wer der Natur 341 folgt, (sc. der wird sagen,) wenn in den obliquen Kasus Mārcō und Quīntō ähnlich seien, dann müsste es (sc. im Nominativ) Mārcus und Quīntus ergeben.342 Wer beidem folgt, wird sagen: Wenn es ein Ähnliches ist, dann muss es, so wie der Kasusübergang z. B. bei (Nom.) servus, Sklave, (Vok.) serve ergibt, ebenso cervus, Hirsch, (Vok.) cerve ergeben, . Allen gemein ist: Die vier Lautformen haben einander entsprechende Ableitungen. 52 Die erste Art ist von der Ähnlichkeit in den Nominativen entstanden, die zweite von der Ähnlichkeit in den obliquen, die dritte von der Ähnlichkeit, die in den Übergängen von einem Kasus zum anderen liegt. Mit der ersten Art machen wir uns von einer Benennung zur Natur auf, in der zweiten umgekehrt, in der dritten von beidem. Deshalb kann auch diese dritte Art, wenn man sie wieder zweifach aufteilt, als dritte und vierte bezeichnet werden, weil etwas in ihr nach vorne oder rückwärts gesagt werden kann. 53 Wer als Anfang der Analogie die Benennung nimmt, wird die Lautformen der obliquen Kasus von diesen ableiten müssen; wer die Natur nimmt, umgekehrt; wer von beiden ausgehen will, wird die übrigen Ableitungen von derartigen Übergängen bilden müssen. Die Benennung liegt in unserer Hand, wir in der der Natur: Denn jeder benennt, wie er will, aber er leitet ab, wie die Natur es will.

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          54 Sed quoniam duobus modis imponitur vocabulum, aut re singulari aut multitudine: singulari ut cicer, multitudinis ut scalae; nec dubium est, quin ordo declinatuum1, in quo res singulares declinabuntur solae, ab singulari recto2 casu proficisca[n]tur3, ut cicer ciceri, ciceris, item contra in eo ordine, qui multitudinis erit solum, quin a multitudinis recto4 casu ordiri conveniat, ut scalae scalis scalas5: Aliud videndum est, cum duplex natura copulata ac declinatum6 bini fiant ordines, ut est mas mares7, unde tum ratio analogiae debeat8 ordiri: utrum ab singulari re in multitudinem an contra. 55 Neque enim, si natura ab uno ad duo pervenit, icirco9 non potest amplius esse in docendo posterius, ut inde incipias, ut quid sit prius, ostendas. Itaque et hi, qui de omni natura disputant atque ideo vocantur physici10, tamen ex his ab universa natura profecti, retro quae essent principia mundi ostendunt. Oratio cum ex litteris constat, tamen ea11 grammatici de litteris ostenderunt. 56 Quare in demonstrando, quoniam potius proficisci 12 [de litteris ostendunt]13 oportet ab eo, quod apertius est, quam ab eo, quod prius est, et potius quam < ab corrupto >14 ab incorrupto principio, ab natura rerum quam ab lubidine hominum: et haec tria, quae sequenda magis sunt, minus sunt in singularibus quam in < multitudinis : a >15 multitudine commodius potest ordiri, quod in his principiis16 minus errationis17 verbis fingendis. < Ex multitudinis >18 verborum forma facilius singularia videri posse quam ex singularibus multitudinis, haec ostendunt: trabes trabs, duces dux. 1  ordo declinatuum : lac. ca. 10 litt. in Vall., in F vixdum legibile. 2  aliquo: scripsi sec. Steph., v. infra. 3  proficiscantur F, Vall.; proficiscuntur Lae.: Stephanus. 4  a multitudinis aquo (non aliquo) F: scripsi sec. Steph. 5  Lac. ca. 5 litt. in Vall. 6  declinatum: vulg. 7  mars martes : Mue. 8  debuit Vall. (in F vixdum legibile), debeat GHa. 9  icirco: vulg. 10  phisici: vulg. 11  Sic F, Vall., < ex > ea L. Sp., ea Mue. 12  proficisse: profecisse Aug.: Sciop. 13  Del. Aug. 14 Add. Canal. 15  Add. Canal. 16 principibus : Ald. 17  minus orationis F, minus rationis L. Sp: Scripsi sec. Canal. 18  Add. Tyl. duce Groth.

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          54 Nun wird aber ja ein Wort auf zweierlei Weise als Benennung gegeben: von einem Einzelding oder einer Mehrzahl: einem Einzelding z. B. cicer, die Kichererbsen, im Plural z. B. scālae, die Treppe; und ohne Zweifel geht die Ableitungsreihe, in der die einzelnen Dinge alleine abgeleitet werden, vom Nominativ Singular aus – wie von cicer: (Dat.) cicerī, (Gen.) ciceris; und ebenso muss umgekehrt in der Reihe, die es nur im Plural gibt, vom Nominativ Plural begonnen werden, z. B. von scālae: (Dat.) scālīs, (Akk.) scālās: Daher muss man auf etwas anderes achten: Da die Natur, die da verbunden ist, eine doppelte ist und zwei Reihen Ableitungen entstehen – so ist es bei mās, Mann, und mārēs343: Wovon müsste dann die Analogieregel beginnen – von einem Ding in der Einzahl hin zur Mehrzahl oder umgekehrt? 55 Denn wenn die Natur von einem zu zweien kommt, kann es deshalb doch nicht unmöglich sein, dass bei der Belehrung das Spätere mehr erklärt, wenn man von dort beginnt, um das aufzuzeigen, was das Frühere ist. So machen es doch auch die, die über die ganze Natur diskutieren und deshalb physicī genannt werden: Sie sind doch von der gesamten Natur ausgegangen, um nach rückwärts zu zeigen, was die Anfangselemente der Welt waren344. Obwohl die Sprache aus Buchstaben besteht, haben dennoch die Grammatiker Erklärungen betreffs der Buchstaben mit ihrer Hilfe (sc. der Sprache) gemacht.345 56 Nun ist es ja besser, wenn man bei einer Erklärung von dem ausgeht, was klarer ist, als von dem, was früher ist; und es ist auch besser, von einem unverfälschten Anfang auszugehen als von einem verfälschten, und besser, vom Wesen der Dinge auszugehen als von der Willkür der Menschen: Diese drei Punkte, die man mehr befolgen muss, liegen aber im Singular weniger vor als im Plural: Also ist es zweckmäßiger, vom Plural auszugehen, weil in diesen Anfangselementen für die Bildung von Wörtern weniger Irrtum herrscht.346 Dass man leichter aus der Pluralform den Singular sehen kann als aus dem Singular den Plural, zeigen folgende Beispiele: trabēs trabs, Balken (Plural – Singular), und ducēs dux, Führer (Plural – Singular).347

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          57 Videmus enim ex his verbis trabes, duces de extrema syllaba E litteram exclusam et ideo in singulari factum esse trabs, dux. Contra, ex singularibus non tam videmus, quemadmodum facta sint ex B et S trabes, et ex C et S duces. 58 Si multudinis1 rectus casus forte figura corrupta erit, id quod accidit raro, prius id corrigemus, quam inde ordiemur; < ab >2 obliquis adsumere oportere 3 figuras eas, quae non erunt ambiguae, sive singulares sive multitudinis,4 ex quibus id cuius modi debeat5 esse, perspici possi[n]t6. 59 Nam nonnunquam alterum ex altero videtur, ut Chrysippus7 scribit, quemadmodum pater ex filio et filius ex patre; neque minus in fornicibus propter sinistram dextra stat quam propter dextram8 sinistra. Quapropter et ex rectis casibus obliqui et ex obliquis recti et ex singularibus multitudinis et ex multitudinis singulares nonnunquam recuperari possunt. 60 Principium id potissimum sequi debemus, ut in eo fundamentum sit in natura, quod in declinationibus ibi facilior ratio. Facile est enim animadvertere, peccatum magis cadere posse in impositiones eas, quae fiunt plerumque in rectis casibus singularibus, quod homines imperiti et dispersi vocabula rebus imponunt, quocumque eos libido invitavit: Natura incorrupta plerumque est suapte sponte, nisi qui eam usu inscio depravabit.9 61 Quare: Si quis principium analogiae potius posuerit in naturalibus casibus quam in positiciis10, non multa e11 in consuetudine occurrent, et a natura libido humana corrigetur, non a libidine natura. Quod qui impositionem sequi voluerint, facient contraria12.

          1  Similitudinis: Mue. 2  Add. Canal. 3  oportere: oportet L. Sp.; scripsi, cf. IX 107. 4  multitudines: Aug. 5  debet < debent F: prop. L. Sp. 6  possint: Sciop. 7  chrisippus: vulg. 8  dextras: Lae. 9  depravabit (sic Vall.) < depravavit F, ut videtur. 10  Add. L. Sp. 11  multae: Tyl. 12  contraria: contra Aug. (Kent).

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          57 Wir sehen nämlich, dass aus den Wörtern trabēs und ducēs aus der letzten Silbe der Buchstabe E ausgestoßen wurde und deshalb im Singular trabs und dux geworden sind. Aus dem Singular hingegen sehen wir nicht so gut, wie aus B und S trabes und aus C und S duces geworden sind.348 58 Wenn der Nominativ Plural zufällig in seiner Form verfälscht wurde – was selten passiert –, werden wir eher diesen korrigieren, als von dort zu beginnen; von den obliquen Kasus müsste man jene Formen heranziehen, bei denen nicht mehrdeutig ist, ob sie nun Singular oder Plural seien: aus denen sich erkennen lässt, von welcher Art sie sein müssten. 59 Denn manchmal lässt sich das eine aus dem anderen ersehen, wie Chrysippus schreibt,349 wie der Vater aus dem Sohn und der Sohn aus dem Vater; und nicht weniger steht bei Arkaden der rechte Stützpfeiler wegen des linken als der linke wegen des rechten. Deshalb lassen sich manchmal aus den Nominativen die obliquen Kasus und aus den obliquen die Nominative wiedergewinnen – und aus dem Singular der Plural und aus dem Plural der Singular. 60 Als Ausgangspunkt müssen wir vor allem das nehmen: Die Grundlage muss dabei in der Natur liegen, weil dort bei den Ableitungen die Regel einfacher ist. Leicht lässt sich nämlich feststellen, dass ein Fehler mehr bei denjenigen Be­­ nennungen eintritt, die meist im Nominativ Singular vorgenommen werden, da die Menschen – unerfahren und verstreut350 – den Dingen Wörter geben, wozu sie die Willkür verleitet hat: Von sich aus ist die Natur meist unverfälscht, wenn sie nicht jemand ohne Wissen missbräuchlich verunstalten wird.351 61 Wenn einer daher den Ausgangspunkt für die Analogie eher bei den na­­ türlichen Kasus nimmt als bei den durch Benennung geschaffenen, dann wird er im Sprachgebrauch nicht oft Anstoß erregen; und die menschliche Willkür wird von der Natur korrigiert werden, nicht aber die Natur von der Willkür352. Wer aber der Benennung folgen will, wird das Gegenteil machen.

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          62 Sin ab singulari quis potius proficisci volet, initium1 facere oportebit ab sexto casu, qui est proprius Latinus: Nam eius casuis2 litterarum discriminibus facilius reliquorum varietate3 discernere poterit, quod ei habent exitus aut in A, ut hac terra, aut in E, ut hac lance, aut in I4, ut hac + levi5, aut in O, ut hoc caelo, aut in U, ut hoc versu. Igitur ad demonstrandas declinationes biceps via6 hec. 63 Sed quoniam, ubi analogia, [a]tria7: unum, quod in rebus, [alterum], alterum,8 quod in vocibus, tertium, quod in utroque: duo priora simplicia, tertium duplex, animadvertendum, haec quam inter se habeant rationem. 64 Primum ea, quae sunt discrimina in rebus, partim sunt, quae ad orationem non attineant, partim quae pertineant. Non pertinent, ut ea, quae observant in aedificiis et signis faciendis ceterisque rebus artifices, e quis vocantur aliae armonicae, sic item aliae nominibus aliis: Sed nulla harum fit loquendo pars ad orationem < quae pertineat >9. 65 Quae pertinent, res eae sunt, quae verbis dicuntur proportione, neque a similitudine quoque vocum declinatus habent, ut Iupiter, Marspiter, Iovi, Marti. Haec enim genere10 nominum et numero et casibus similia sunt inter se, quod utraque et nomina sunt et virilia sunt et singularia et casu nominandi et dandi. 66 Alterum genus vocale est, in quo voces modo sunt proportione similes, non res, ut biga bigae, nuptia nuptiae: Neque enim in his res singularis subest una, cum dicitur biga quadriga, neque ab his vocibus, quae declinata sunt, multitudinis significant quicquam: Ideo quod omnia multitudinis, quae declinantur ab uno, ut a merula merulae, sunt eius modi, ut singulari subiungatur11, sic merulae duae, catulae tres, faculae quattuor. 1  Inillum: Groth. 2  casus his: A. Sp., cassuis Mue. 3  varietate: Aug. 4  I < hi vel ei vel ui F. 5  leui: pelui prop. L. Sp., febri GS: Groth. lavi scripserim. 6  una: L. Sp. 7  atria: Ald. 8  alterum · Alterum: del. vulg. 9  < quae attineat > Tyl. duce Mette. Scripsi. 10  genera: Mue. 11  Addidi.

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          62 Will einer aber lieber im Singular beginnen, so wird er den Anfang beim sechsten Kasus machen müssen, der für das Lateinische typisch ist353: Denn an den Buchstabenunterschieden, die es bei diesem Kasus gibt, wird er leichter die Verschiedenheit der übrigen Kasus unterscheiden können, weil diese entweder auf A enden, wie Abl. terrā, Erde, oder auf E, wie Abl. lance, Schüssel, oder auf I, wie Abl. clāvī, Schlüssel (?), oder auf O, wie Abl. caelō, oder auf U, wie Abl. versū.354 Daher gibt es, um die Ableitungen zu zeigen, diese zwei (sc. gezeigten) Wege. 63 Es gibt ja drei Arten von Analogie: Eine, die in der grammatischen Substanz (rēs) liegt, eine zweite, die in der Lautform liegt, eine dritte, die in beidem vorliegt; die ersten beiden sind jeweils einfach, die dritte doppelt. Daher ist darauf zu sehen, welches Verhältnis diese drei Arten zueinander haben.355 64 Erstens: Die Unterschiede, die in der grammatischen Substanz (rēs) liegen, betreffen zum Teil die Sprache nicht, zum Teil beziehen sie sich auf sie. Nicht darauf beziehen sie sich z. B. wie das, was die Handwerker bei Gebäuden und Anfertigen von Skulpturen und den übrigen Dingen beachten: Einige von diesen (sc. Analogien) werden „harmonisch“ genannt, andere mit anderen Bezeichnungen; aber keine davon wird beim Sprechen ein Teil, der sich auf die Sprache bezieht.356 65 Diejenigen, die sich auf die Sprache beziehen, sind jene grammatischen Merkmale (rēs), die mit Worten entsprechend ausgedrückt werden und die Ableitungsformen nicht auch von der Ähnlichkeit ihrer Lautformen her haben, wie Iūpiter, Mārspiter und Iovī, Mārtī. 357 Diese nämlich sind durch ihre Wortklasse, durch Numerus und Kasus untereinander ähnlich, weil sie beide Eigennamen, männlich und Singular und im Nominativ und Dativ sind. 66 Die zweite Art ist lautlich: Hier sind nur die Lautformen entsprechend ähnlich, nicht die grammatischen Merkmale, z. B. bīga und bīgae, Zweispänner, nūptia und nūptiae, Hochzeit. Denn bei diesen liegt kein Objekt in der Einzahl zugrunde, wenn man sagt: bīga, quadrīga; und was von diesen Lautformen gebildet ist, hat keine Pluralbedeutung. Denn alle Wörter im Plural, die von einem Einzelnen abgeleitet werden (wie von merula, Amsel: merulae, Amseln), sind dergestalt, dass sie einem Singular untergeordnet sind: also merulae duae, zwei Amseln, catulae trēs, drei Hündchen, faculae quattuor, vier Fackeln.

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          67 Quare: Cum item1 non possit subiungi, cum < non >2 dicimus biga[e] una[e]3, quadrigae duae, nuptiae tres, sed pro eo unae bigae, binae quadrigae, trinae nuptiae, apparet non esse a biga et quadriga et4 bigae et quadrigae, sed ut est huius ordinis: una[e]5, duae, tres principum6 una, sic in hoc ordine altero unae, binae, trinae principium est unae. 68 Tertium genus est illud duplex, quod dixi, in quo et res et voces similiter proportione dicuntur, ut bonus, malus, boni, mali. De quorum analogia et Aristophanes et alii scripserunt 7. Et enim 8 haec denique perfecta ut in oratione, illae duae simplices inchoatae analogiae, de quibus tamen separatim dicam, quod his quoque utimur in loquendo. 69 Sed prius de perfecta, in qua et res et voces quadam similitudine continentur. Cuius genera sunt tria: Unum vernaculum ac domi natum, alterum adventicium, tertium nothum, ex peregrino hic natum. Vernaculum est, ut sutor et pistor, sutori pistori. Adventicium est ut Hectores, Nestores, Hectoras, Nestoras. Tertium illud nothum, ut Achilles et Peles9. 70 Quo genere10 multi utuntur, non modo poetae, sed etiam plerique11, qui soluta oratione loquuntur haec. Primo omnes dicebant ut questorem praetorem, sic Hectorem Nestorem. Itaque Ennius ait: „Hectoris natum12 de [Troiano] moero iactari13.” Accius haec in tragoediis largius a prisca consuetudine movere coepit et ad formas Grecas verborum magis revocare. Itaque14 Valerius ait: „Accius Hectorem nollet facere, Hectora mallet.” 1  idem: Mette. 2  Add. Sciop. 3  bigęunę : A. Sp. 4  Del. L. Sp. 5  unae: Aug. 6  principum: Aug. 7  scripserunt < dixerunt F. 8  Sciop. 9  peles: Peleus Lae. 10  De genere F: Sciop. 11  plerique haec. Primo omnes : transp. Lachmann. 12  natum: Bergk (1884). 13  iactari F, vulg.: del. et add. Scal. 14 et a quo: Tyl.

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          67 Also: Da ebenso nicht untergeordnet werden kann – wir sagen ja nicht bīga ūna, quadrīgae duae, nūptiae trēs, sondern stattdessen ūnae bīgae, ein Einspänner, bīnae quadrīgae, zwei Vierspänner, trīnae nūptiae, drei Hochzeiten –, wird klar: von bīga und quadrīga kommen nicht auch bīgae und quadrīgae, sondern – wie bei ūna, duae, trēs, wo der Anfang ūna ist – ist in der folgenden Reihe ūnae, bīnae, trīnae, (je) eine, zwei, drei, der Anfang ūnae. 68 Die dritte Art ist jene doppelte, wie gesagt, in der die grammatische Substanz und die Lautform entsprechend ähnlich gesagt werden, z. B. bonus – malus, gut – schlecht (Nom.), bonī – malī. Über deren Analogie haben sowohl Aristophanes als auch andere geschrieben. Denn das ist erst die vollkommene Analogie, wie in der Sprache; jene zwei (erstgenannten) einfachen sind nur unvollständig. Über sie möchte ich dennoch getrennt sprechen, weil wir auch die beim Sprechen benutzen. 69 Erst aber zur vollkommenen, in der sowohl die grammatische Substanz als auch die Lautformen durch eine bestimmte Ähnlichkeit zusammengehalten werden. Von ihr gibt es drei Gruppen: Die eine ist einheimisch und im Land entstanden, die zweite ist zugereist, die dritte ist unecht, denn sie kommt zwar aus einer fremden Sprache, ist aber hier entstanden. Einheimisch (vernāculum) sind z. B. sūtor und pīstor, Schuster und Bäcker, (Dat.) sūtōrī, pīstōrī. Zugereist sind z. B. Hectorĕs Nestorĕs, Leute wie Hektor/ Nestor, und (Akk.) Hectoras Nectoras. Die dritte ist jene unechte, z. B. Achillēs, Achill, und Pēlēs, Peleus.358 70 Von dieser (sc. der letztgenannten) Art machen viele Gebrauch, nicht nur Dichter, sondern auch die meisten, die solche Wörter in Prosa sprechen.359 Anfänglich sagten alle z. B. Hectōrem und Nestōrem so wie quaestōrem und praetōrem. Und so sagt Ennius: „... dass Hektors Sohn von der Mauer herabgeworfen wird.“360 Accius begann diese Wörter in seinen Tragödien weiter vom alten Sprachgebrauch zu entfernen und mehr zu den griechischen Wortformen zurückzurufen. Daher sagt Valerius361: „Accius würde nicht Hectōrem bilden wollen, Héctora lieber.“

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          Quod adventicia pleraque habemus Graeca, secutum, ut de nothis Graecanicos quoque nominatus1 plurimos2 haberemus. 71 Itaque ut hic alia Graeca, alia Graecanica, sic analogiae. E quis, quae hic notae fiunt declinationes, de his aliae sunt priscae, ut Bachidés et Chrysidés3, aliae iuniores4, ut Chrýsides et Báchides, aliae recentes5, ut Chrysidas et Bachidas. Cum his omnibus tribus utantur nostri, maxime qui sequontur media in loquendo, offendunt minimum, quod prima parum similia videntur esse Graecis, unde sint tralata, tertia parum similia nostris. 72 Omnis analogiae fundamentum similitudo quaedam; ea, ut dixi, quae solet esse in rebus et in vocibus et in utroque: In qua harum parte cumque sit conferendo6 et cuius modi, videndum: Nam, ut dixi7, neque rerum neque vocis similitudo separatim satis est, quod utraque parte opus est simili ad has duplicis, quas8 in loquendo querimus, analogias verborum exprimendas: Quas ad loquendum ut perducas, accedere debet usus. Alia enim ratio, qua facias vestimentum, alia, quemadmodum utare vestimento. 73 Usui9 species videntur esse tres: Una consuetudinis veteris, altera consuetudinis huius, tertia neutra10. Vetera, ut cascus casci, surus suri11; huius consuetudinis, ut albus caldus, albo caldo; neutrae, ut scala scalam, falera faleram. Ad quas accedere potest quarta mixta, ut amicitia inimicitia, amicitiam inimicitiam. Prima est, qua usi antiqui et nos reliquimus. Secunda, qua nunc utimur. Tertia, qua utuntur poetae. 74 Analogiae non item ea definienda, quae derigitur ad naturam verborum, atque illa, quae ad usum loquendi. 1  nominatos < nominatus, ut videtur, F: V. 2  plurimus: A. Sp. (a); plurimum Vall. (Lae.). 3  Bachid- et Chrisid- ter F: vulg.; apices addidi. 4  minores: Sciop. 5  regentes: Ald. 6  inferendo: Tyl. duce L. Sp. 7  Sequentia verba ad has – quaerimus post similitudo extraxit et huc transposuit Tyl. 8  quae: Mue. 9  L. Sp. 10  Canal. 11  furus furi : Scal.; falera faleram: Aug.

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          Da wir sehr viele zugereiste griechische Wörter haben, war die Folge, dass wir von den unechten, gräzisierenden auch sehr viele Nomina haben. 71 Wie daher manche Wörter griechisch, manche gräzisierend sind, so auch die Analogien. Diejenigen von diesen, die im Lateinischen unechte Ableitungen haben, sind teils alt, z. B. (Nom. Pl.) Bacchídēs und Chrysídēs, die Mädchen Bacchis bzw. Chrysis, teils jüngeren Datums, wie (Nom. Pl.) Chrýsidĕs und Bácchidĕs, teils ganz neu, wie (Akk.) Chrýsidas und Bácchidas.362 Wir Lateiner gebrauchen ja alle drei; vor allem, wer die mittlere Art beim Sprechen befolgt, erregt am wenigsten Anstoß: Denn die erste Art scheint den griechischen Formen, von wo sie übertragen wurden, zu wenig ähnlich, die dritte unseren eigenen zu wenig ähnlich. 72 Jede Analogie hat als Grundlage eine bestimmte Ähnlichkeit; und zwar eine, wie gesagt, die normalerweise in der grammatischen Substanz, in der Lautform und in beiden besteht363. Bei welchen Teilen davon auch immer sie liegt, wenn man einen Vergleich anstellt, und von welcher Art sie ist, das muss man sehen: Denn, wie gesagt, weder die Ähnlichkeit der grammatischen Substanz noch die Ähnlichkeit der Lautform ist, jede für sich, ausreichend: Denn ein Ähnliches braucht beide Teile, um diese doppelten Analogien der Wörter ausdrücken zu können, die wir beim Sprechen ja suchen. Um diese Analogien ins Sprechen einzubringen, muss der praktische Gebrauch hinzukommen364. Denn es ist ein anderes Prinzip, mit dem man ein Kleidungsstück herstellt, als jenes, wie man es gebraucht. 73 Vom Gebrauch gibt es, wie man sieht, drei Arten: Die eine ist die des alten Sprachgebrauchs, die zweite ist die des jetzigen Sprachgebrauchs, die dritte gehört zu keinem von beiden. Alt sind z. B. cascus (Gen.) cascī, uralt, und surus surī, Spross; dem jetzigen Sprachgebrauch gehören an z. B. albus caldus, weiß, warm, (Dat./Abl.) albō caldō; zu keinem von beiden gehört z. B. scāla (Akk.) scālam, Stufe, und falera faleram, Brustschmuck. Dazu könnte noch eine vierte, gemischte Art hinzutreten, z. B. amīcitia und inimīcitia, Freundschaft und Feindschaft, (Akk.) amīcitiam und inimīcitiam.365 Die erste Art haben die Alten gebraucht und wir aufgegeben. Die zweite gebrauchen wir jetzt. Die dritte gebrauchen die Dichter. 74 Von der Analogie darf man diejenige, die sich nach der Natur der Wörter ausrichtet, nicht ebenso definieren wie jene, die sich auf den Gebrauch im Sprechen ausrichtet.

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          Nam prior definienda sic: Analogia est verborum similium declinatio similis, posterior sic: Analogia est verborum similium declinatio similis, non repugnante consuetudine comuni. Ad quam harum duarum ad extremum additum < si > 1 erit hoc „ex quadam parte”, poetica analogia erit definita. Harum primam sequi debet populus. Secundam omnes2 singuli e populo. Tertiam poetae. 75 Haec diligentius quam apertius dicta esse arbitror, sed non obscurius, quam de re simili definitiones grammaticorum sunt, ut Aristeae3, Aristodemi, Aristocli, item aliorum, quorum obscuritates4 eo minus reprehendendae, quod pleraeque definitiones re incognita propter summam brevitatem non facile perspiciuntur, nisi articulatim sunt explicata5. 76 Quare magis apparebit, si erit aperte6 de singulis partibus: Quid dicatur verbum, quid similitudo verbi, quid declinatio, quid similitudo declinationis, < quid >7 non repugnante consuetudine comuni, quid ex quadam parte. 77 Verbum dico: Orationis voca[bu]lis8 partem, quae sit indivisa et minima. Si declinationem naturalem habeat, simile est9 verbum verbo tum, quom10 et re[s], quam significat, et voce[m]11 qua significat, e[s]t [in]12 figura e transitu declinationis parile. Declinatio est, cum ex verbo in verbum aut ex verbi discrimine, ut transeat mens, vocis commutatio fit aliqua. Similitudo declinationis, cum item ex aliqua figura in figuram transit, ut id transit, cum quo confertur. 1  Add. prop. L. Sp. post duarum. Scripsi. 2  omnem: Aug. 3  An: Aristiae ? 4  obscuritates < obscuritas F. 5  explicata: Sciop. 6  aperte < dictum > prop. L. Sp. 7  Add. Mette. 8  vocabulis: Aug. 9  similem: prop. L. Sp. 10  qm̅ (= quoniam): Aug. 11  res – vocem: Mue. 12  est in figura e transitu: Scripsi.

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          Denn die erstere ist so zu definieren: „Analogie ist die ähnliche Ableitung ähnlicher Wörter“, die letztere so: „Analogie ist die ähnliche Ableitung ähnlicher Wörter, ohne dass der allgemeine Sprachgebrauch dagegenspricht.“ Wenn man ans Ende dieser beiden Definitionen hinzufügt: „in bestimmter Hinsicht“, dann wird auch die Analogie in der Dichtersprache definiert sein. Die erste Analogie muss das Volk befolgen. Die zweite jeder Einzelne aus dem Volk. Die dritte die Dichter. 75 Das habe ich – glaube ich – eher zu ausführlich als zu klar gesagt, sicher aber nicht unklarer, als über das ähnliche Thema die Definitionen der Grammatiker sind, wie die eines Aristeas, Aristodemus, Aristokles und ebenso anderer366: Doch darf man ihre dunkle Ausdrucksweise umso weniger kritisieren, als man – ohne dass man die Sache kennt – die meisten Definitionen wegen ihrer extremen Kürze nicht leicht durchschaut, falls sie nicht Punkt für Punkt erläutert sind.367 76 Also wird es deutlicher werden, wenn es klar um die einzelnen Teile geht: Was mit verbum, Wort, gemeint ist, was mit similitūdō verbī, Ähnlichkeit eines Wortes, was mit dēclinātiō, Ableitung, was mit similitūdō dēclinātiōnis, Ähnlichkeit der Ableitung, was mit „ohne dass der allgemeine Sprachgebrauch dagegenspricht“, und was mit „in bestimmter Hinsicht“. 77 Wort: Damit meine ich den kleinsten und unteilbaren Teil der artikulierten Sprache.368 Falls es eine natürliche Ableitung haben sollte, so ist ein Wort einem anderen dann ähnlich, wenn es in der Sache, die es bezeichnet, in der Lautform, mit der es bezeichnet, und in seinem äußeren Bau aus dem Übergang (sc. von einer Wortform zur anderen) im Zuge der Ableitung heraus gleichartig ist.369 Ableitung ist, wenn eine Veränderung der Lautform von einem Wort zum anderen oder von einer Einzelform aus entsteht, so dass auch der Sinn sich ändert.370 Ähnlichkeit der Ableitung liegt vor, wenn das Wort ebenso von irgendeiner Bauform zu einer anderen übergeht, wie das Wort übergeht, mit dem es verglichen wird.

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          78 Adiectum est „non repugnante consuetudine comuni”, quod quaedam verba contra usum veterem inclinata patietur, ut passa Hortensium dicere pro haec1 cervices cervix, quaedam non, ut si dicas pro fauces faux. Ubi additur „ex quadam parte”, significat non esse in consuetudine in his verbis omnis partis, ut declinatum < ab > am[ab]o2 vivo amor, < non >3 vivor. 79 Quid videretur analogia in oratione et quas haberet species et quae de his sequenda videretur4, ut brevi potui,5 informavi. Nunc, in quibus non debeat esse ac proinde ac debeat, soleat queri, dicam. Ea fere sunt quattuor genera: Primum: in id genus verbis, quae non declinantur, analogia non debet queri, ut in his: nequam mox vix. 80 De his magis [in alio] quam in alio < quo > 6 erratur verbo. Dant enim non habere casus mox et vix, nequam habere, quod dicamus hic nequam et huius nequam et huic nequam. Cum enim dicimus hic nequam et huius nequam, tum hominis eius, que7 volumus ostendere esse nequam, dicimus casus, et ei proponimus tum hic nomen8, cuius putamus nequitiam. 81 Quod vocabulum factum, ut ex non9 et volo nolo, sic ex ne et quicquam item media extrita syllaba coactum10 est nequam. Itaque, ut eum quem putamus esse non hili, dicimus a nhili11, sic in quo putamus esse ne quicquam, dicimus nequam. 82 Secundo: Si unum solum habent casum in voce, quod non declinetur12, ut litterae omnes. Tertio: Si singularis est vocabuli series neque habet, cum qua comparari possit, ut esse putant caput capiti capitis capite.

          1  hac si: scripsi sec. Steph. (del. L. Sp.). 2  amabo: add. et del. prop. L. Sp. 3  < sed non > add. Kent; scripsi. 4  videretur: Aug. 5  potuit informavit (potuit F): Lae. 6  in alio quam in alio F: scripsi. 7  quę: Aug. 8  hic non: scripsi sec. L. Sp. 9  Ut – nequam ap. Gellium VI 11. n̅ & volo F : nō et volo Vall. (Lae.). 10  compositum Gellius. 11  ạnhili F (Vall.) : scripsi. 12  declinetur: declinentur Lae. quod non < est quo > declinetur Mette.

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          78 Hinzugefügt ist: „ohne dass der allgemeine Sprachgebrauch dagegenspricht“, weil dieser manche Wörter, die entgegen der Tradition flektiert sind, akzeptiert. So hat er akzeptiert, dass Hortensius371 cervīx im Nominativ statt (sc. der Pluralform) cervīcēs sagte, manches aber nicht, wie wenn man statt faucēs, Rachen, (sc. eine Singularform) faux sagen wollte.372 Der Zusatz „in bestimmter Hinsicht“ bedeutet: Bei diesen Wörtern liegen nicht alle Teile im Sprachgebrauch, wie z. B. von amō und vīvō, ich liebe und lebe, amor, ich werde geliebt, abgeleitet ist, nicht aber vīvor, ich werde gelebt. 79 Wonach die Analogie in der Sprache aussieht, welche Arten sie hat und was daraus zu folgen scheint: Das habe ich, so weit ich es in der Kürze konnte, geschildert. Jetzt möchte ich darüber sprechen: Wo es sie nicht geben muss und wo man gerne nach ihr sucht, als müsste es sie geben. Davon gibt es etwa vier Arten: Die erste: Bei derartigen Wörtern, die nicht flektiert werden, darf man nicht nach der Analogie suchen, wie z. B. bei nequam, nichtsnutzig, mox, bald, vix, kaum.373 80 Betreffs dieser Wörter gibt es mehr Irrtum als bei irgendeinem anderen Wort.374 Sie (sc. wohl: die Anomalisten) räumen nämlich ein, dass mox und vix keine Kasus bilden, nequam aber habe einen, weil wir sagen: (Nom.) hic nequam, der Nichtsnutz, (Gen.) huius nequam, des Nichtsnutzes, und (Dat.) huic nequam, dem Nichtsnutz.375 Indem wir nämlich sagen: Der Nichtsnutz und des Nichtsnutzes, dann bilden wir ja Kasus von jenem Menschen, bei dem wir zeigen wollen, dass er ein Nichtsnutz ist, und wir setzen das Pronomen hic, d(ies)er, bei demjenigen voran, bei dem wir Nichtsnutzigkeit vermuten376. 81 Dieses Wort wurde – wie nōlō, ich will nicht, aus nōn, nicht, und volō, ich will – aus ne, nicht, und quicquam, etwas, gebildet; und wie bei nōlō wurde hier die Mittelsilbe ausgestoßen und durch Zusammenziehen nequam gebildet.377 Wie wir zu dem, von dem wir glauben, er sei kein Fäserchen wert, nōn hīlī (aus ne und hīlī) sagen: nihīlī, so sagen wir zu dem, in dem – wie wir glauben – nicht (einmal) ein Etwas stecke, ne quicquam, er sei ein nequam, Nichtsnutz.378 82 Zur zweiten Art: Wenn ein Wort in der Lautform nur einen einzigen Kasus hat und nicht dekliniert wird, wie alle Buchstabennamen379. Zur dritten Art: Wenn ein Wort eine singuläre Reihe hat und kein anderes hat, mit dem man es vergleichen kann, wie – so glaubt man – caput, Kopf, (Dat.) capitī, (Gen.) capitis und (Abl.) capite.

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          Liber X

          Quartum: Si ea vocabula quattuor, quae conferuntur inter se, rationem < non >1 habent, quam oportet, ut socer socrus, soceros socrum2. 83 Contra, in quibus debeat queri3 analogia, fere totidem gradus debent esse coniuncti: Primum, ut sint res.4 Secundum, ut earum sit usus. Tertium, uti hae res vocabula habeant. Quartum, ut habeant declinatus naturalis. De primo gradu, quod natura subest et multitudinis et singularis, dicimus: Hi asses, hosce asses5, hic as, hunc assem. Contra, quod in numeris finitis multitudinis natura singularis non est, dicitur hi duo et hi tres, his duobus et his tribus. 84 Secundo gradu, si est natura neque est usus, id genus ut sit discriminandum, ut fit in faba et id genus, quae item et ex parte et universa nominamus: Non enim opu fuit6 ut in servis ***7

          1  Add. Mue. 2  socerum: socruum Tyl.; scripsi. 3  queri: vulg. 4  res < tres F, ut videtur. 5  asces: vulg. 6  opufuit: Vall. 7  ut in / servis: Abhinc cetera in codice desunt.

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          83 – 84

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          Vierte Art: Wenn diese vier Wörter, die miteinander verglichen werden, keine Regel haben, wie sie sein sollte, wie z. B. socer, Schwiegervater, und socrus, aber (Akk. Pl.) socerōs und (Gen. Pl.) socrūm.380 83 Hingegen haben die Wörter, bei denen man die Analogie suchen muss, normalerweise ebensoviele Abstufungen, die miteinander verbunden sind:381 Erstens: Es muss dazu Dinge geben. Zweitens: Diese Dinge müssen im Gebrauch sein. Drittens: Diese Dinge müssen Nennwörter haben. Viertens: Sie müssen natürliche Ableitungen bilden. Von der ersten Stufe – dass es eine natürliche Substanz für Mehrzahl und Einzahl gibt – sagen wir: Nominativ Pl. assēs, Akk. assēs, Nominativ Sing. as, Akk. assem. Weil es hingegen bei den bestimmten Zahlen im Plural von Natur aus keine Einzahl gibt, heißt es: Nominativ duo, zwei, und trēs, drei, Dativ duōbus, zweien, und tribus, dreien. 84 Aus der zweiten Stufe – wenn es zwar eine natürliche Substanz gibt, diese aber nicht derart im Gebrauch ist, dass man Einzelnes unterscheiden muss, wie es bei faba, Bohne(n), und derartigen (sc. Gattungsnamen) der Fall ist, die wir ebenso vom Teil als auch als ganze benennen (sc. ist zu sagen)382: Es war ja – wie bei Sklaven – nicht erforderlich, (sc. wohl: jedem Einzelnen einen Namen zu geben) ***383

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          Liber XI

          Fragmenta librorum XI – XXV Liber XI Frg. 6 (= 7a Kent, 8 GS) – (Sergii) Expl. In Donatum GLK IV 492,37: Nunc de generibus dicamus. Varro dicit: „Genera dicta a generando. Quidquid enim gignit aut gignitur, hoc potest genus dici et genus facere.“ Quod si verum est, nulla potest res integrum genus habere nisi masculinum et femininum.

          Frg. 7 (= 7 b Kent, 9 GS) – Pompeius, Commentum Artis Donati GLK V 159, 23-26: Varro ait genera tantum illa esse, quae generant: illa proprie dicuntur genera. Quodsi sequemur auctoritatem ipsius, non erunt genera nisi duo, masculinum et femininum. Nulla enim genera creare possunt nisi haec duo. Frg. 8 (= 6 Kent, 7 GS) – Iulianus Toletanus, Commentarius in Donatum GLK V 318,31: … Et ubi auctoritas maiorum genus tibi non demonstraverit, quid ibi faciendum est? Scripsit Varro ad Ciceronem: „Potestatis nostrae est illis rebus dare genera, quae a natura genus non habent.” Ubi discernis ista genera? In articulis… Frg. 9 (= 8 Kent, 9 GS) – Cledonius, Ars grammatica GLK V 41, 24-28: Ostrea1 si primae declinationis fuerit, sicut Musa, feminino genere declinabitur, ut ad animal2 referamus; si ad testam, ostreum dicendum est neutro genere et ad secundam declinationem, ut sit huius ostrei, huic ostreo, quia dicit Varro nullam rem animalem neutro genere declinari.

          1  ostria cod. Bernensis. 2  animam: Keil.

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          Frg. 6 – Frg. 9

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          Fragmente aus den Büchern XI-XXV384 Buch XI Frg. 6 385: Jetzt möchte ich über die Genera sprechen. Varro sagt: „Die Genera heißen so vom Hervorbringen, generāre. Denn alles, was etwas erzeugt, gignit, oder was erzeugt wird, gignitur, von dem kann man sagen, dass es ein Geschlecht, genus, hat und ein Geschlecht hervorbringt.“ Wenn das stimmt, dann kann nur das Männliche und Weibliche ein reines Genus, Geschlecht, haben. Frg. 7: Varro sagt, Genera seien nur jene, die hervorbringen, generant: Jene heißen Genera, Geschlechter, im eigentlichen Sinne. Wenn wir aber ihm als Autorität folgen, dann wird es nur zwei Genera geben, männlich und weiblich. Nur diese beiden Geschlechter können ja etwas erschaffen. Frg. 8: … Und wenn dir die (sprachliche) Autorität der Vorfahren das Genus (sc. eines Substantivs) nicht zeigt, was ist dann zu tun? Es schrieb Varro (sc. in seinem Werk) an Cicero: „Es liegt in unserer Hand, jenen Dingen ein Geschlecht, genus, zu geben, die kein natürliches Geschlecht haben.“ Wo kannst du dieses Genus bestimmen? In den Pronomina… Frg. 9: Wenn ostrea, Auster, zur ersten Deklination gehört, wie Mūsa, Muse, wird es als Femininum dekliniert, so dass wir das Wort auf ein Lebewesen beziehen; wenn auf die Austernschale, muss es ostreum im Neutrum heißen und gehört zur zweiten Deklination, also Genitiv ostreī, Dativ ostreō; denn Varro sagt: „Kein belebtes Ding wird im Neutrum dekliniert.“386

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          Liber XI

          Frg. 10 (= 9 Kent, 10 GS) – Pompeius, Commentum Artis Donati GLK V 164, 13-18: Ait Plinius Secundus secutus Varronem: „Quando dubitamus principale genus, redeamus ad diminutionem, et ex diminutivo cognoscimus principale genus. Puta arbor – ignoro cuius generis sit: fac diminutivum arbuscula, ecce hinc intellegis et principale genus quale sit. Item si dicas colum- na, cuius generis est? Facis inde diminutivum, id est columella, et inde intellegis, quoniam principale feminini generis est.” Frg. 11 (= 10 Kent, 11 GS) – Charisius, Inst. Gramm. GLK I 37, 13-18: ypocorismata semper generibus suis, und1, hic ranunculus, hic ungis haec ungula, h hoc pastillum. Ut Varro dixit: „haec beta, hic betace sic in Rudente Plautus.“

          Frg. 12 (= 11 Kent, 12 GS) – Charisius, Inst. Gramm. GLK I 110, 8-16: Dies communis generis est. Qui masculino genere dicendum putaverunt, has causas reddiderunt, quod dies festos auctores dixerunt, non festas, et2 quartum et quintum Kalendas, non quartam nec quintam; et cum hodie dicimus, nihil aliud quam hoc die intelligitur.3 Qui vero feminino, catholico utuntur, quod ablativo casu E non nisi producta finiatur, et quod deminutio eius diecula sit, non dieculus, ut ait Terentius: „Quod tibi addo dieculam.” Varro autem distinxit, ut4 masculino genere unius diei cursum significaret, feminino autem temporis spatium; quod nemo servavit. 1 

          Supplevit Keil hic et infra e Charisii I p. 155,13; ex ercerptis p. 535 et 551,36, ubi de Varrone tacetur. 2  ut: Keil. 3  intellegatur: Keil. 4  et: Keil.

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          Frg. 10 – Frg. 12

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          Frg. 10: Plinius Secundus sagt – wobei er Varro gefolgt ist –: „Gehen wir doch, wenn wir beim Hauptgenus unsicher sind, zur Ver‑ kleinerungsform, und am Deminutivum erkennen wir das Hauptge- nus. Zum Beispiel arbor, Baum: Wenn ich das Genus nicht weiß, bildet man das Deminutivum, arbuscula, Bäumchen, und gleich sieht man das Hauptgenus. Genauso bei columna, Säule: Was hat sie für ein Genus? Bildet man davon das Deminutivum, columella, Säul- chen, so sieht man daran, dass das Hauptgenus Femininum ist.“387 Frg. 11: Verkleinerungen (hypocorismata) passen in ihren Genera immer zu den Wörtern, von denen sie stammen. Nur wenige passen nicht dazu, wie z. B. (Nom. Fem.) rāna, Frosch, aber (Mask.) rānunculus, Fröschlein, (Nom. Mask.) unguis, (Fuß-)Nagel, aber (Fem.) ungula, Kralle, (Nom. Neutr.) glandium, Schweinsdrüse, (Fem.) glandula, Rachenmandel, (Nom. Mask.) pānis, aber pāstillus und (Neutr.) pāstillum, Brötchen. Wie Varro sagte: „(Nom. Fem.) bēta, Rübe/Beete, (Nom. Mask.) bētāceus, (von der) Beete, (Nom. Fem.) malva, Malve, (Nom. Mask.) malvāceus, mal- venförmig, (Nom. Neutr.) pīstrīnum, Stampfmühle, (Nom. Fem.) pīstrilla, kleine Mühle; wie Terenz in den Adelphi. Und (Nom. Mask.) ēnsis, Schwert, (Nom. Fem.) ēnsicula, Schwert chen, und – so Plautus im Rudens – (Nom. Mask.) ēnsiculus.“388 Frg. 12: Diēs, Tag, gibt es in beiden Genera. Diejenigen, die meinten, man müsse das Wort im Maskulinum sagen, führten als Gründe an: Die Autoren sprachen von diēs festī, Festtagen, nicht festae, und (sc. man spricht vom) vierten und fünften Tag vor dem Ersten, (sc. ante diem) quārtum et quīntum Kalendās, nicht quārtam oder quīntam; und wenn wir hodiē, heute sagen, versteht man darunter nichts anderes als hōc diē, an diesem Tage. Diejenigen aber, die es als Femininum sagen, bedienen sich des allgemeinen Arguments, dass der Ablativ nur auf langes E ende, und dass sein Deminutivum diēcula, kleine Frist, sei, nicht diēculus, denn Terenz sage ja: „… dass ich dir eine kleine Frist zugebe“.389 Varro aber traf die Unterscheidung, dass diēs im Maskulinum den Lauf eines ganzen Tages bezeichnen solle, im Femininum aber einen Zeitraum; das hat aber niemand beachtet.

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          Liber XI

          Frg. 13 (= 12 Kent, 13 GS) – Charisius, Inst. Gramm. GLK I 79, 23 – 80, 4: Catinus masculino genere dicitur … et hinc deminutive catillus fit… Sed Varro ad Ciceronem XI catinuli dixit, non catilli. Frg. 14 (= 13 Kent, 14 GS) – (Anon.) De dubiis nominibus GLK V 584,27: Nevus generis neutri, sed Varro ad Ciceronem „hic nevus”. Frg. 15 (= 14 a/b Kent, 15 GS) – Priscian, Inst. Gramm. GLK II 333, 9-14: Antiquissimi … et „hic gausapes” et „haec gausapa” et „hoc gausape” et plurale neutri „haec gausapa” quasi a nominativo „hoc gausapum” protulisse inveniuntur, unde Cassius ad Maecenatem: „gausapo purpureo salutatus”. Varro vero de lingua Latina ait, talia ex Graeco sumpta ex masculino in femininum transire et A litera finiri: „ὁ κοχλίας haec cochlea, ὁ χάρτης haec charta, ὁ γαυσάπης haec gausapa.”

          Frg. 16 (= 15 Kent, 16 GS) – Probus, Catholica GLK IV 30, 26 sq.: VAS terminata et sis faciunt genetivo et dis, hoc vas huius vasis; utrumque Varro ait de lingua Latina: „hic vas, huius vadis….“ Frg. 17 (= 16 Kent, 17 GS) – Probus, Catholica GLK IV 30, 30 – 31, 2: VIS et ipsa tertiae sunt declinationis et similem nominativo faciunt genetivum: < hic >1 civis, huius civis, haec vis huius vis et plurali hae vis, sicut retius2 et Varro: nam hae vires numero semper plurali declinantur. Frg. 18 (= 17 Kent, 18 GS) – Gellius IV 16,1: M. Varronem et P. Nigidium, viros Romani generis doctissimos, comperimus non aliter elocutos esse et scripsisse quam senatuis et domuis et fluctuis, qui est patrius3 casus ab eo, quod est senatus, domus, < fluctus >4; huic senatui, < domui >, fluctui ceteraque is consimilia pariter dixisse. 1  Addidi. 2  Add. Keil ex Prisciano GLK II 249, 9 sq. 3  Addidi. Cf. VIII 66, 67 IX 54, 76, 85. 4  fluctus et domui addiderunt codd. recentiores (Marshall).

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          Frg. 13 – Frg. 18

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          Frg. 13: Catinus, Hündchen, wird im Maskulinum gesagt … und davon wird das Deminutivum catillus, Hündelchen, gebildet. Aber Varro sagt im XI. Buch an Cicero „catinulī“, nicht „catillī“.390 Frg. 14: Naevus, Muttermal, ist Neutrum, aber Varro schreibt (sc. in seinem Werk) an Cicero: „Hic naevus“, (Nom. Mask.) naevus.391 Frg. 15: Die ältesten Autoren haben, wie ich gefunden habe, im Nominativ (Mask.) gausapēs, Wolldecke, und (Fem.) gausapa und (Neutr.) gausape, im Neutrum Plural gausapa gebildet, als käme es von einem Nominativ (Neutr. Sing.) gausapum. Daher schreibt Cassius an Maecenas: „gausapō purpureō salūtātus“ (begrüßt in einem purpurfarbenen Wollumhang). Varro sagt aber in De lingua Latina, solche aus dem Griechischen genommenen Wörter würden vom Maskulinum ins Femininum übergehen und auf A enden: „ὁ κοχλίας, Schnecke, (sc. wird lat.) Nom. Fem. cochlea, ὁ χάρτης, Blatt, Nom. Fem. charta, ὁ γαυσάπης, Wolldecke, Nom. Fem. gausapa.“392 Frg. 16: Die Wörter VAS bilden als Endung im Genitiv –sis und –dis: Nom. (Neutr.) vās, Gefäß, Gen. vāsis; beides sagt Varro in De lingua Latina: „(Nom. Mask.) vas, Bürge, (Gen.) vadis.“ Frg. 17: Wörter auf VIS gehören selbst zur dritten Deklination und bilden den Genitiv wie den Nominativ: Nom. cīvis, Bürger, Gen. cīvis; Nom. (Fem.) vīs, Kraft, Gen. vīs und im (Nom.) Plural vīs, wie Lucrez und Varro: Denn Nom. vīrēs, Kräfte, wird immer im Plural dekliniert. 393 Frg. 18: Ich habe in Erfahrung gebracht: M. Varro und P. Nigidius394, zwei hochgelehrte Männer Roms, haben (sc. die Substantive der u-Deklination) genauso gesprochen und geschrieben: senātuis, des Senats, domuis, des Hauses, und flūctuis, der Flut: Das ist nämlich der Genitiv von dem, was (sc. im Nominativ) senātus, domus, flūctus ist; und dass sie im Dativ senātuī, domuī, flūctuī und so auch in gleicher Weise bei den übrigen Wörtern gesagt haben, die ihnen ähnlich sind.395

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          Frg. 19 (= 18 Kent, 19 GS) – Charisius, Inst. Gramm. I 122, 23-29: „Amni“ Maro: „Secundo defluit amni.“ Ubi Plinius eodem libro: „Ab antiquis“, inquit, „quos Varro reprehendit, observatio omnis illa damnata est, non quidem in totum. Dicimus enim”, inquit, „ab hoc canali siti tussi febri. Maiore tamen ex parte forma mutata est. Ab hoc enim cane orbe carbone turre falce igne veste fine monte fonte ponte strigle tegete ave asse axe nave classe dicimus.”

          Frg. 20 (= 19 Kent, 20 GS) : Charisius, Inst. Gramm. I 142, 20 sq.: Quem (sc. Varronem) Plinius ad eundem (sc. Ciceronem) XI „rure ordinatum arbustum“1 dixisse laudat. Frg. 21 (= 20 Kent, 21 GS) – Charisius, Inst. Gramm. I 129, 19-24: Fonteis2: „Quorum nominum genetivi pluralis ante UM syllabam I litteram merebuntur, accusativus“, inquit Plinius, „per EIS loquetur, montium monteis; licet Varro“, inquit, „exemplis hanc regulam confutare temptarit istius modi, falcium falces non falceis facit, nec has merceis, nec hos axeis lintreis ventreis stirpeis urbeis corbeis3 vecteis menteis4. Et tamen manus dat praemissae regulae ridicule ut exceptis his nominibus valeat regula.”

          Frg. 22 (= 21 Kent, 22 GS) – Charisius, Inst. Gramm. I 141, 29 sqq.: Poematorum et in II et in III idem Varro adsidue dicit et his poematis tam quam nominativo hoc poematum sit et non hoc poema. Nam et ad Ciceronem XI horum poematorum et his poematis oportere dici.

          Frg. 23 (= 22 Kent, 23 GS) – Charisius, Inst. Gramm. I 131, 7 sq.: Git. Varro ad Ciceronem XI per omnes casus id nomen ire debere conmeminit; vulgo autem hoc gitti dicunt. 1  ambustum: corr. Editio princeps. 2  fontis: corr. Editio princeps. 3  curueis: corr. Editio princeps. 4  inerteis: corr. GS, cf. VIII 67.

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          Frg. 19 – Frg. 23

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          Frg. 19: Vergil sagt (sc. im Ablativ) amnī: „Secundō dēfluit amnī.“ Er (der Widder) driftet mit dem Strome ab. Dazu sagt Plinius im gleichen Buch:396 „Von den Alten, die Varro kritisiert, wurde jene ganze Regel verurteilt, allerdings nicht komplett. Wir sagen nämlich im Ablativ canālī, sitī, tussī, febrī. Beim größeren Teil indes hat sich die Form verändert. Wir sagen nämlich im Ablativ cane, orbe, carbōne, turre, falce, igne, veste, fīne, monte, fonte, ponte, strīgile, tegete, ave, asse, axe, nāve und classe.“ Frg. 20: Plinius lobt Varro, der im XI. Buch an Cicero gesagt habe: „rūre ordinātum arbustum.“ , eine Baumpflanzung in Reihe auf dem Lande, rūre.397 Frg. 21: Fonteis, Quellen: Plinius sagt, der Genitiv Plural dieser Nomina verdient vor der Silbe UM den Buchstaben I, der Akkusativ heißt auf EIS, also montium und monteis. Allerdings hat Varro mit Beispielen diese Regel dergestalt niederzuschlagen versucht: Er bildet zum Genitiv falcium (sc. im Akkusativ) falcēs, Sicheln, nicht falceis, und nicht (im Akk. Pl.) merceis, axeis, lintreis, ventreis, stirpeis, urbeis, corbeis, vecteis und menteis. Und doch reicht er – was lächerlich ist – der eben genannten Regel die Hand, so dass die Regel gelten soll mit Ausnahme der genannten Nomina.398 Frg. 22: Poēmatōrum (sc. als Gen. Pl.), der Gedichte, sagt Varro beharrlich im II. und III. Buch (sc. De poematis), und (im Dativ/Ablativ Plural) poēmatīs, gleich als heiße es im Nominativ Singular poēmatum und nicht poēma. Denn auch im XI. Buch an Cicero sagt Varro, es müsse im Genitiv poēmatōrum und Dativ poēmatīs heißen.399 Frg. 23: Git, Schwarzkümmel: Varro erwähnt im XI. Buch an Cicero, dass dieses Nomen (sc. in dieser Form) durch alle Kasus gehen müsse; im Volk aber sagen sie im Ablativ gittī.400

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          Liber XI

          Liber XIII Frg. 24 (= 23 Kent, 24 GS) – Charisius, Inst. Gramm. I 105, 14 sqq.: Palpetras per T Varro ad Ciceronem XIII dixit. Sed Fabianus de animalibus primo palpebras per B. Alii dicunt palpetras genas, palpebras autem ipsos pilos.

          Frg. 25 (= 24 Kent, 25 GS) – Charisius, Inst. Gramm. I 139, 15 sq.: Oxo Varro ad Ciceronem XIII. „Olivo et oxo putat fieri”, inquit Plinius sermonis dubii libro VI.

          Liber XVIII Frg. 26 (= 25 Kent, 26 GS) – Nonius Marcellus, 126 24 sqq. M.: Indiscriminatim, indifferenter. Varro de lingua Latina lib. XVIII: „Quibus nos in hoc libro, proinde ut nihil intersit, utemur indiscrimi- natim, promisce.”

          Liber XXII Frg. 27 (= 26 Kent, 27 GS) – Charisius, Inst. Gramm. I 142 18 sqq.: Rure Terentius in Eunucho: „Ex meo propinquo rure hoc capio commodi.” Itaque Varro ad Ciceronem XXII: „rure veni”.

          Liber XXIII Frg. 28 (= 27 Kent, 28 GS) – Serv. Dan. in Georg. III 431: Varro ad Ciceronem in libro XXIII: „Ingluvies tori”, inquit, „sunt circa gulam, qui propter pinguedinem fiunt atque interiectas habent rugas.” Sed nunc pro gula positum.

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          Frg. 24 – Frg. 28

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          Buch XIII Frg. 24: Palpetrās, Wimpern, mit T, sagt Varro im XIII. Buch an Cicero. Aber Fabianus nennt sie in seinem 1. Buch De animalibus (Über die Tiere) palpebrae mit B. Andere bezeichnen mit palpetrae die Lider, mit palpebrae aber die Wimpern selbst.401 Frg. 25: Oxō, (Abl.) Weinessig, sagt Varro im XIII. Buch an Cicero. Plinius sagt im VI. Buch Sermonis dubii: „Er (sc. Varro) glaubt, dass (sc. der Ablativ) als olīvō und oxō gebildet wird.“402

          Buch XVIII Frg. 26: Indiscrīminātim, das heißt 'ohne Unterschied'. Varro sagt in De lingua Latina, Buch XVIII: „Diese Wörter werde ich in diesem Buch, als wäre kein Unterschied zwischen ihnen, unterschiedslos (indiscrīminātim), durcheinander (prōmiscē), gebrauchen.“403

          Buch XXII Frg. 27: Rūre, vom Land, sagt Terenz im Eunuchus: „Aus meinem Land, rūre, in der Nähe ziehe ich folgenden Gewinn.“ Daher sagt Varro im XXII. Buch an Cicero: „Rūre vēnī.“, Ich komme vom Land.404

          Buch XXIII Frg. 28: Varro sagt im XXIII. Buch an Cicero: „Ingluviēs sind Muskeln um die Kehle herum, die bei Fettleibigkeit entstehen und dazwischen Falten gebildet haben.“ Jetzt steht das Wort (sc. ingluviēs) aber anstelle von gula, Kehle.405

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          Liber XI

          Liber XXIV Frg. 29 (≈ 28 Kent, 29 GS) – Gellius XVI 8, 6-8: … M. Varro in libro de lingua Latina ad Ciceronem quarto vicesimo expeditissime ita finit: „Proloquium est sententia, in qua nihil desideratur.” Erit autem planius, quid istud sit, si exemplum eius dixerimus: ἀξίωμα igitur, sive id proloquium dicere placet, huiusmodi est: „Hannibal Poenus fuit”; „Scipio Numantiam delevit”; „Milo caedis damnatus est.” „Neque bonum est voluptas neque malum”. Et omnino, quicquid ita dicitur plena atque perfecta verborum sententia, ut id necesse sit aut verum aut falsum esse, id a dialecticis ἀξίωμα appellatum est, a M. Varrone, sicuti dixi, proloquium. A M. autem Cicerone pronuntiatum, quo ille tamen vocabulo tantisper uti se adtestatus est, „quoad melius”, inquit, „invenero”.

          Frg. 30 (= 29 Kent, 30 GS) – Priscian Inst. Gramm. GLK IUI 540,3 sqq.: Excipiuntur „haurio hausi“. Invenitur tamen etiam „haurivi” vel „haurii”. Varro in XXIIII ad Ciceronem: „cum indidem haurierint”.

          Incertae sedis Frg. 31 (= 30 a/b Kent, 31 GS): Schol. Cod. Ambr. In Aen. III 58 Proceres: Varro ad Ciceronem dixit: „Proceres, qui processerunt ante alios, unde et proceres tigna, quae alia tigna porro excesserunt.” Serv. In Aen. I 740: Proceres autem ideo secundum Varronem principes civitatis dicuntur, quia eminent in ea, sicut in aedificiis mutuli quidam, hoc est capita trabium, quae proceres nominantur.

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          Frg. 29 – Frg. 31

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          Buch XXIV Frg. 29: Marcus Varro definiert in seinem XXIV. Buch De lingua Latina an Cicero ganz frei so: „Prōloquium, Aussage, ist ein Satz, in dem nichts fehlt.“ Klarer wird aber, was damit gemeint ist, wenn ich sein Beispiel zitiere: Ein ἀξίωμα ist also (oder, wenn man mag: prōloquium) folgendermaßen: „Hannibal war Punier.“ „Scipio hat Numantia zerstört.“ „Milo wurde wegen Mordes verurteilt.“ „Die Lust ist weder ein Gut noch ein Übel.“ Und überhaupt: Alles, was als ganzer und vollständiger, aus Worten gebildeter Satz gesagt wird, so dass er entweder wahr oder falsch sein muss, das wurde von den Logikern ἀξίωμα genannt, von Marcus Varro aber, wie gesagt, prōloquium. Von Marcus Cicero aber wurde es prōnūntiātum genannt, ein Wort, das er aber, wie er selbst bezeugt hat, nur solange gebrauchen wollte, „bis ich ein besseres finde.“406 Frg. 30: Ausnahmen (sc. in der Perfektbildung der i-Konjugation) sind: „hauriō – hausī“, ich schöpfe, habe geschöpft. Dennoch findet man auch haurīvī oder hauriī. Varro schreibt im XXIV. Buch an Cicero: „… da sie aus genau der gleichen Quelle geschöpft haben, haurierint.“407

          Keinem bestimmten Buch zuweisbar: Frg. 31: Procerēs, die Vornehmsten. Varro sagt (in seinem Werk) an Cicero: „Procerēs, die Vornehmsten (sc. heißen so), weil sie vor, prō, den anderen vorherschreiten, cessērunt; daher sagt man auch zu den Bal- ken, die bei weitem vor anderen herausragen, procerēs.“ Serv. In Aen. I 740: Procerēs heißen aber nach Varro die Vornehmsten des Staates deshalb, weil sie in ihm herausragen, wie bei den Gebäuden sogenannte Sparrenköpfe (mutulī), das sind die Köpfe von Balken, die procerēs genannt werden.408

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          Liber XI

          Frg. 32 (= 31 a/b Kent, 32 GS): Serv. In Aen. V 409: Senior: Secundum Varronem senior et iunior comparativi sunt per inminutionem… Ergo senior non satis senex, sicut iunior non satis iuvenis, intra iuvenem, sicut pauperior intra pauperem. Dicit autem hoc Varro in libris ad Ciceronem. Serv. In Aen. VI 304: Iam senior: aut pro positivo posuit, id est senex, aut, ut diximus, senior est virens senex, ut iunior intra iuvenem est: quam rem a Varrone tractatam confirmat et Plinius.

          Frg. 33 (= 32 Kent, 33 GS) – Lactantius, De opificio Dei V 6: In summo vero constructionis eius, quam similem navali carinae diximus, caput conlocavit, in quo esset regimen totius animantis, datumque illi hoc nomen est, ut quidem Varro ad Ciceronem scribit, quod hinc capiant initium sensus ac nervi. Frg. 34 (= 33 Kent, 34 GS) – Serv. Dan. in Georg. I 75: Nonnulli proprie calamos lupinorum alas dici putant, ut Aelius „alae ex lupino, sliis, Cato in Originibus „alae ex lup leg de lingua Latina: „Alam culmum fabae dic***”1

          1  dici docet prop. Thilo.

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          Frg. 32 – Frg. 34

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          Frg. 32: Senior, Älterer: Nach Varro sind senior und iūnior Komparativformen mit Verminderung … Also ist ein senior einer, der nicht hinreichend Greis ist, so wie ein iūnior einer ist, der nicht genug jung ist, im Vergleich zu einem anderen Jungen, iuvenis, so wie ein pauperior im Vergleich zu einem Armen etwas arm ist. Das sagt Varro in den Büchern an Cicero. „Iam senior“, schon etwas älter: Er (sc. Vergil) hat das entweder für das eigentliche Wort genommen, nämlich senex, Greis, oder, wie ich schon gesagt habe, ein senior ist ein Greis, der noch Kräfte hat, wie ein iūnior im Vergleich zu einem jungen Mann iuvenis, etwas jünger ist. Dass Varro dieses Thema behandelt hat, bezeugt auch Plinius.409 Frg. 33: Am höchsten Punkt seines (sc. Gottes) Baus, der – wie ich sagte – einem Schiffsbau ähnelt, platzierte er den Kopf, caput, in dem die Leitung des ganzen belebten Wesens sein sollte. Den Namen (caput) hat er, wie jedenfalls Varro an Cicero schreibt, davon, dass von hier die Gefühle und Nerven ihren Anfang nehmen, capiant.410 Frg. 34: Manche glauben, die Halme von Lupinen würden eigentlich ālae, Blattachseln, genannt, wie es bei Aelius heißt: „ālae aus der Lupine, Schösslinge ohne Blätter“; Cato in seinen Origines schreibt: „ālae aus der Lupine, der Hülsenfrucht.“ Varro in De lingua Latina (sc. wohl: sagt, es bezeichne) āla den Halm der Bohnen.411

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          Anmerkungen

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          Die Betitelung des VIII. Buches in Codex F gibt die Zweiteilung der überlieferten sechs Bücher wieder: Die erste erhaltene Triade (V-VII) hat das Thema „orīgō verbōrum“, die Etymologie; die zweite die Analogie, davon ist Buch VIII das erste – so beziffert es Varro selbst in X 1. Zur möglichen zweiphasigen Überlieferung der beiden erhaltenen Triaden s. Vorwort II 1.1. Die Titulatur in F ist freilich fehlerhaft, denn nur das erste Buch der „analogistischen“ Triade hat als Thema „Cur non sit analogia“., s. App., sie ist also nicht original. Die Reihenfolge Nominativ – Genitiv wird wieder aufgenommen in X 22, wo sich der Dativ noch anschließt, ähnlich X 15; das komplette „System“ zeigt VIII 63: Dort ist die Reihung Nom.–Gen.–Dat.–Akk.–Vok.–Abl. Hierin stimmt Varro mit dem griech. Grammatiker Dionysios Thrax überein (ca. 180/170 ‑ ca. 90 v. Chr.: NP 3, 632). Allerdings kennt Varro auch eine andere Reihung, in welcher auf den Nominativ der Dativ folgt: VIII 3, VIII 34, VIII 46, X 28, X 47 und X 54. Diese Reihenfolge könnte auf Aristarch von Samothrake zurückgehen (1. Hälfte 2. Jh. v. Chr.: NP I 1091): Belardi (1974) mit ausführlicher Diskussion der Herkunft und Tradition der beiden divergierenden Systeme, v. a. 72 f. Eine weitere Reihung (Nom.–Vok., Akk.– Dat.–Gen.) zeigt ein Papyrus zu Apollonios Dyskolos (1. H. 2. Jh. n. Chr.). Es scheint, dass Varro sich je nachdem, welche Reihung in seiner morphologischen Triade zweckmäßig war, mal der einen, mal der anderen bediente. Sicher stand für ihn der Ablativ am Ende, den er als sextus casus bezeichnet (X 62), s. auch zu VIII 16. Der Terminus für 'eingrenzen' ist das (überlieferte) Substantiv ōrae, eigentlich 'Rand, Grenze': Dahlmann (1940) 52. Darauf wird Varro ab Kap. VIII 47 zu sprechen kommen. Hier nimmt Varro die Theorie von Cosconius wieder auf, die er VI 36 f. bei der Grundlegung der Konjugation und Wortbildung der Verba schon skizziert hatte. Er führt damit ein linguistisches Universale ein, nämlich die dēclinātiō (= Flexion und Wortbildung) als Grundprinzip für Erlernen und Verstehen von Sprache(n). Mit dem Adj. simile (in ling. meist als Neutrum gebraucht) legt Varro seinen Schlüsselbegriff für die gesamte Behandlung der Morphologie in der zweiten Hexade VIII-XIII offen: Ihm geht es um Ähnlichkeit (similitūdō), die sich bald streng als systematische Entsprechung wie in der Mathematik fassen lässt, bald als Prinzip eines linguistischen Paradigmas, wie es in Buch X deutlich wird. „lēgī“ verbum: Das Verb, nicht der Dativ des Subst. lēx 'Gesetz'. Zur seltenen Trennung von Objekt- und Metasprache bei Varro vgl. VII 30 ā verbō „ambe“. Hinter dem überlieferten -um von legium (Vall.: legi ut) verbirgt sich die in F oft verstümmelte Abkürzung von verbum: Der Schreiber von F kannte sie wohl nicht und hat sie daher oft verlesen, auch als Subjunktion bzw. Translativ ut, was in der Beneventanischen Schrift nahelag (Battelli 128 f.), in der sicher schon die Vorlage von F, nämlich F*, geschrieben war (Taylor [1996] 35 ff.). Varro zieht zwei Parallelen zwischen Sprache und Außenwelt: Zum einen das Prinzip der Verwandtschaft und Familienbildung, zum anderen das Prinzip von Stamm und Ableitung, wie es v. a. im Weinbau herrscht; diesem ist der t. t. dēclinātiō entnommen. In diesem Kapitel ist cāsus rēctus bereits der t. t. für 'Nominativ'. Die Bezeichnung des Kasus als 'Fall' kommt vom Fallen des Würfels, auf das Nomen wurde er erstmals wohl bei Aristoteles in De interpretatione 16 b 1 eingegrenzt.

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          Anmerkungen

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          Nōmen bedeutet hier allgemein 'Benennung', vergleichbar dem Terminus 'Namenwort'. Auf Eigennamen eingeengt erscheint das Subst. im folgenden Kap. VIII 6, abgegrenzt von den (allgemeinen) Nennwörtern = vocābula wird es dann in VIII 45. 10 Zu historia und ars s. Dahlmann (1940) 57. Schon Chairis, ein Grammatiker aus der Schule des berühmten Aristarchos von Samothrake (+ 144 v. Chr.), unterschied nach einem Scholion zur Grammatik des Dionysios Thrax zwischen ἱστορία und τέχνη = ars (NP 2, 1083). 11 Mit der cōnsuētūdō bringt Varro – nach Baier (2001) 4 – schon hier einen neuen Aspekt ins Spiel: den des Sprachwandels. 12 Varro geht – schon in den etymologischen Büchern, deutlich v. a. in V 1-9 – von einer bewussten Benennung (impositiō) der Dinge aus und gesteht den ersten Wortschöpfern auch Fehler zu (V 3). 13 Die anonyme Gruppe im Plural sind die Vertreter des Prinzips der Analogie, die im Folgenden (dem Rest des VIII. Buches) von ihren Gegnern attackiert werden. Dass die Gegenüberstellung als solche konstruiert und von Varro rhetorischdialektisch zugespitzt ist, konnte Fehling (1956) und (1958) erweisen. Im Grunde handelt es sich um eine Personalisierung der alten disputātiō in utramque partem, der Pro-und-Contra-Argumentation aus der Rhetorik, wie sie heute noch in der Stilform der dialektischen Erörterung gelehrt wird, s. Ax (1995) und Vorwort 2.3. 14 Grammatisch gebräuchlich sind aber im Sing. außer dem Nom. nur Akk. vim und Abl. vī. Das falsche Zeichen & dürfte – im Schrifttyp der Cursiva oder der Seminuncialis (Battelli 70 f. u. 85) – aus der Abkürzung ss für s(ingulāri)s entstanden sein, vgl. in VIII 9 die (konjizierte) Abkürzung m. für m(ultitūdinis) 'Plural', beides vielleicht individuelle Abkürzungen, die Varros Sekretär im Diktat verwendet hat. 15 Mit prōpositum endet fol. XVII v; der folgende Text bis VIII 12 ut doctus et ist – von anderer Hand geschrieben – auf fol. XVIII in Form einer Sanduhr auf Vorder- und Rückseite verteilt. Die knapp 290 Wörter entstammten wohl einem ganzen Blatt des Vorläufers von F, das vor dem Binden von F entdeckt wurde, so dass der Schreiber das Fehlende auf dem Folium XVIII unterbringen musste. Das lässt Rückschlüsse auf den Textumfang dieses Blattes zu: Auf ein Blatt von F passen knapp 1200 Wörter mit ca. 6900 Zeichen, also knapp das Vierfache. Das entspricht etwa dem Platzverhältnis zwischen den Seiten von F und F*, wie es z. B. in der Lücke von X 23 deutlich wird, s. dort. 16 Hinter dem hochgestellten (falschen) -m von eam muss sich die Abkürzung m. für m(ultitūdinis) verbergen, die schon in VI 76 Spuren hinterlassen hatte, s. dort, und auch in X 56 die Textentstellungen erklären lässt. 17 Die Unterscheidung zwischen den Deklinabilia und Indeklinabilia trifft Varro mit eher blumigen Worten, die wieder der Landwirtschaft bzw. Biologie entstammen ( fēcundus vs. sterilis); indēclinābilis z. B. bezeichnet im klass. Latein auch jemanden, der unbeugsam ist (bei Seneca und Gellius, s. OLD s. v.). Als grammatischer t. t. erscheint das Wort erstmals – den Indices von Keils „Grammatici Latini“ zufolge – bei Priscian inst. V 68 f. (GLK II 184, 6) aus dem 5./6. Jh. n. Chr. 18 Vor multi steht in F: m pli, mit einem Tilgungspunkt über dem p: Ein Zeichen dafür, dass – ähnlich wie im vorhergehenden Kapitel VIII 9 – in F* multi mit m abgekürzt war und dann vom Schreiber von F aufgelöst (und korrigiert) wurde.

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          Anmerkungen

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          19 Ein Bezug auf Cicero, der mit C. Antonius Hybrida im Jahre 63 v. – als die Catilinarische Verschwörung aufgedeckt wurde – Konsul war. Grammatisch thematisiert Varro (etwas verklausuliert), dass in diesem Beispiel das Verbum fuit im Singular steht, statt im Plural. Ursache dafür ist für ihn das Bindewort et (das Wort cōpula ist noch nicht auf den grammatischen t. t. festgelegt: Dahlmann [1940] 61). Varro geht es um die Entsprechung zwischen der Außenwelt und dem Kosmos der Sprache, die nicht immer bruchlos ist. 20 „Subjekt zu putārent sind die Anomalisten.“: So Dahlmann (1940) 62; noch geht es ja um theoretische Klärung, nicht um die unmittelbare Auseinandersetzung zwischen Anomalisten und Analogisten: Übergeordneter Sprecher des putārentSatzes selbst ist hingegen Varro, der ja nicht der Meinung war, dass die Dinge auf rein natürlichem Wege benannt worden seien, sondern von einem Konzept von Sprachschöpfern ausging. Zum Gebrauch des Konj. Imperfekt als Jussiv: Kühner-Stegmann II 1 187. – Die Junktur duce nātūrā atmet den Geist der Stoa: s. Dahlmann (1932) 6-10. 21 Die Überlieferung quarum / generum, vom zweiten (Ersatz-)Schreiber von F zu zwei Zeilen auseinandergezogen, ist als Entstellung von quarumc̅գrerum heilbar: Hier geht es Varro sichtlich nicht um verschiedene genera (von ihnen ist auch im weiteren Kontext nicht die Rede), sondern um die Dinge (rēs) der Realität, wie schon in Kap. 10, für die es entsprechende Bezeichnungen mit ihren Ableitungen gibt. Dion: der Akademiker Dion, der 56 v. Chr. als Gesandter Alexandrias in Rom war (Dahlmann [1940] 63 f.); er wird dort mit Varro zusammengekommen sein. Aristoteles erkannte nur zwei primäre Redeteile (Satzglieder!) an, Thema (Subjekt) und Rhema (Prädikat); Dion hingegen scheint nach Wortarten, nicht nach Redeteilen eingeteilt zu haben, die Ergänzung von sī zu sīn ist inhaltlich daher nötig. Näheres bei Dahlmann l. c. Vocābulum bezeichnet hier noch allgemein die Substantiva, also die sog. „Namenwörter“, während Varro ab Kap. 45 zwischen vocābula = Gattungswörtern / Nennwörtern und nōmina = Eigennamen unterscheidet. So, wie Varros Terminologie hier noch oszilliert, versucht die Übersetzung, die verschiedenen Schattierungen von nōmen und vocābulum deutlich zu machen. Die prägnanteste Darstellung der Redeteile und Wortarten steht in der „Poetik“ des Aristoteles c. 20, der diese Elemente kennt: Buchstabe/Laut (stoicheion), Silbe, Konjunktion (syndesmos), Nomen/Namen (onoma), Verb (rhēma), Artikel (arthron), Kasus (ptōsis; damit bezeichnet er die Flexion für Nomina und Verben) und Sinn/Satz (logos). Varro scheint sich auf die ausführliche Darstellung in Aristoteles' „Rhetorik“ 1404 b 26 ff. zu beziehen, in der die zwei grundlegenden Bestandteile des Satzes/Logos (sic!) Onomata und Rhēmata sind. Der Terminus 'Redeteil' ist logisch-syntaktisch zu verstehen, das Rhēma ist freilich Verb und Prädikat in einem, s. auch Lidell-Scott s. v. ῥῆμα. Demgegenüber ist Varros grammatische Theorie schon deutlich differenzierter; ihre wirkliche Entfaltung konnten erst die syntaktischen Partien XIV-XXV zeigen – die verloren sind. 22 „adsignificare ist ein Lieblingswort Varros, das wohl von ihm geprägt ist und fast nur bei ihm begegnet“: Dahlmann (1940) 63. 23 Aristoteles (Rhet. III 2 1404 b 26) hatte den Satz bzw. seine Satzglieder nach logischen Gesichtspunkten binär in ὄνομα und ῥῆμα eingeteilt, s. o.; die Konjunktion

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          Anmerkungen 'und' war für ihn kein Redeteil. Die Beispiele homō und equus stammen aus der griechischen Logik und Grammatik (ἄνθρωπος – ἵππος): Die Einteilung Varros ist also für seine Zeit ganz modern. Näher Dahlmann (1940) 64. Einen Terminus für 'Adjektiv' hat Varro hier noch nicht; in VIII 52 ist es unter die Nomina (nōminātus) eingereiht; nur hier erscheint das Adverb dem Verbum nachgeordnet, während es VIII 44 immerhin als Redeteil des Stützens (adminiculandī) fungiert: dort dominiert die stoische bzw. alexandrinische Einteilung der Redeteile (Dahlmann 65), hier offenbar die aristotelische, die von logischen Prinzipien ausgeht. Diese Priorisierung hat ihre Entsprechung in der Thematik der etymologischen Bücher: Buch V behandelte ja die Bezeichnungen für Orte, Buch VI für Zeiten und – damit verbunden – die Verben, ähnlich wiederum die Anlage des VII. Buches; s. das Vorwort I 2. zu den etymologischen Büchern. Eine recht pragmatische Erklärung der dēclinātiō, die dem Sprachbenutzer plötzlich einen hohen Stellenwert einräumt. Die Begriffe ā tōtō und ā parte entstammen der antiken Lehre von den Stilfiguren und Tropen, zu denen auch die Metapher (trālātiō) gehört, s. NP 4 512-516 s. v. „Figuren“ und Quintilian inst. IX 1. Hortēnsius: Der von Cicero sowohl bewunderte als auch – als Prozessgegner – bekämpfte Redner (+ 50 v. Chr.). Von Gedichten des H. wissen wir auch durch Catulls Epigramm c. 95, wo er als Schnell- und Vieldichter verspottet wird. Das Beispiel erscheint X 78 nochmals als Beleg dafür, dass in Ausnahmefällen Verstöße gegen die Sprachrichtigkeit (hier: ein Singularwort statt eines üblichen reinen Pluralworts) von der Sprachgemeinschaft akzeptiert werden. Die leichte Inkonsequenz zwischen dem Sing. prūdēns und dem Plural ingeniōsī versuchte L. Spengel zu heilen. Aber Barwick (1957) 413 traut sie „dem rasch arbeitenden Varro“ zu. Das Paar ager – agrōsus (agrosium F) nahm Varro in V 13 als Beispiel für etymologische Zusammenhänge, auch currere und cursor fungieren zu Beginn des V. Buches (V 11) als Beispielpaar. Der Kasus 'Akkusativ' hat primär mit dem Akt des Anklagens nichts zu tun: accūsāre ist eine Lehnübersetzung von griech. αἰτιατικὴ πτῶσις 'Fall des Verursachens'. Näheres bei Dahlmann (1940) 76 f. Die varronischen Termini für die Kasus finden sich in dieser Triade: für den Dativ (dandī: VIII 36, X 21, 65), den Akkusativ (accūsandī: 66 und accūsātīvus 67), den Genitiv als patricus cāsus in VIII 16, 66 f. und IX 54, 76, 85 und den Vokativ als vocandī cāsus in VIII 42, 68, IX 42, 91 und X 30. Der Ablativ heißt bei ihm sextus cāsus: X 62, hat also – aus guten Gründen – keinen auf eine einzelne semantische bzw. syntaktische Funktion eingeengten Terminus, da im lat. Abl. ja (mit wenigen Resten) die drei urindoeuropäischen Kasus Lokativ als auch Separativ und Instrumental zusammenflossen sind: Kühner-Stegmann II 1 S. 347. Nur dieser Kasus dürfte zu Varros Zeit umstritten gewesen sein. Der überlieferte Text bedarf daher keiner Änderung; anders noch Dahlmann (1940) und de Melo. Ausführlicher wird Varro über den Ablativ in den (verlorenen) syntaktischen Büchern gehandelt haben. Zu den beiden verschiedenen Einteilungen der Kasus: (fünf = traditionell: Dionysius Thrax; sechs: Varro und Apollonios Dyskolos): Belardi (1974) und Calboli (1987), der allerdings quidem statt quique liest, und das einleitende,

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          erste ut ercules als Vokativ interpretiert; Calboli kommt damit insgesamt auf sieben Kasus (darunter ein Ablativ mit Präposition), gegen den Befund von F. 33 Varro erklärt also den Akkusativ nicht mit accūsāre, sondern mit dem Richtungsakkusativ (ad + Herculem). 34 Als eigene Wortart wird in dieser Triade das Adjektiv nicht deutlich, s. zu VIII 12. Nur das Adverb wie doctē hat einen eigenen Platz – als 'Stütze ' (pars adminiculandī) in VIII 44; der Terminus adverbium erscheint erstmals bei Quintilian (Ende 1. Jh. n. Chr.) IX 4, 24, wo das Adjektiv noch als adpositum bezeichnet wird. Incrēmentum ist bei Varro noch an der Grenze zwischen t. t. und übertragenem Gebrauch. 35 In V 33 wird nach der Überlieferung von Codex F Rōma von Rōmus hergeleitet, s. aber dort. 36 In dieser kleinen etymologischen Passage leitet Varro das konkrete Objekt, praeda, von der Tätigkeit des Plünderns, praedārī, ab. Das ähnelt seiner Bemerkung in V 93, dass der Arzt, medicus, nach der (abstrakten) ärztlichen Kunst, der ars medicīnā, benannt worden sei. 37 Auch hier scheint das Konzept der vom Menschen bewusst vorgenommenen Gestaltung der Sprache auf, das bei der impositiō (Benennung) schon deutlich wurde: s. auch zu VIII 5 und 7. 38 Also in den (verlorenen) Büchern XI-XIII. 39 Varro nimmt die eingangs (VIII 2) genannten ōrae der Ableitung – cūr et quō et quemadmodum – wieder auf (Dahlmann 84 f.). Das zu ergänzende Subst. ratiōnibus ist aber inhaltlich von seiner Entsprechung ōrae zu weit weg, f īnibus liegt näher, das Subst. kann (selten) auch Fem. sein (OLD s. v.), was den Fehler begünstigt haben wird. 40 Die Unterscheidung zwischen dēclinātiō nāturālis und voluntāria, zwischen Flexion und Wortbildung, prägt die Diskussion in den beiden folgenden Büchern. 41 īnfrā: nämlich in IX 34 f. 42 Erhalten sind von diesen multī librī nur Fragmente: Für Julius Cäsar z. B. ist ein Werk De analogia in zwei Büchern bezeugt, das er Cicero (!) gewidmet hat (GRF p. 146-157 Funaioli, immerhin gut zwei Dutzend Fragmente). Für die griechischen Autoren ist an die alexandrinische Kommentierung zu Homer, den Lyrikern und Tragikern zu denken. Möglicherweise hat der Brand der Bibliothek von Alexandria im Oktober 48 v. Chr. das Meiste davon vernichtet; zum hist. Rahmen knapp: Michael Sommer, Römische Geschichte I. Rom und die antike Welt bis zum Ende der Republik, Stuttgart 2013, 510 f. 43 Das überlieferte Durcheinander von griech. Buchstaben hat Aldus als Reflex des griech. Terminus συνήθεια für cōnsuētūdō gedeutet und das Relativpronomen quam auf cōnsuētūdō bezogen, was der paläographische Befund und der Kontext aber nicht hergeben. Es geht ja um den Gegenbegriff zur ἀναλογία. Das Schlüsselwort für die gesamte Debatte in Buch VIII ist hier zum ersten Mal gebraucht: sequī, 'folgen' bzw. 'befolgen': Varro lässt die Vertreter der anomalistischen Position damit spielen: Das Verb kann ja bedeuten: 'streng befolgen', so dass man im Gebrauch der Sprache bestimmte Formen vermeidet, wie man Verbote bzw. Gebote befolgt, oder 'sich an etwas orientieren, etwas nachgehen', wie man bestimmten Empfehlungen nachgeht. Beide Spielarten stehen nebeneinander besonders in Kap. VIII 33, s. u.

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          Anmerkungen

          44 Hier offenbart Varro im Grunde seine gesamte Position bezüglich Analogie versus Analogie, die v. a. in Buch X deutlich werden wird. Dieser Riesensatz, der das ganze Kap. 23 ausmacht, ist syntaktisch unvollständig und wirkt mit seinen ineinandergeschachtelten quod- und cum-Sätzen so, als sei er mit Verve in mündlichem Diktat entstanden. 45 Aus überliefertem incipimus haben die Hrsgg. einmütig incipiam gemacht; das ist wenig wahrscheinlich, denn das folgende Kapitel 24 beginnt und endet jeweils mit incipiam: So hypertroph hätte Varro nicht formuliert, es sei denn, er hätte hier arbeitstechnisch eine Zäsur erlebt bzw. gesetzt; aber ein unbedachter Schreiber konnte von dem folgenden incipiam infiziert worden sein. Richtig ist wohl die Endung -imus, passend das elliptische animus (est) 'mir steht der Sinn, ich habe vor', cf. OLD s. v. animus Nr. 7 b. und den Beginn von Ovids Metamorphoses I 1. Zudem geht es mit diesem Gedanken um den Plan, nicht um den Beginn. Gerade die schwierige Ellipse wird den Fehler begünstigt haben, wahrscheinlich stand davor die Abkürzung nĉ (= nunc), das – verbunden mit folgendem āimus – leicht zu incipimus werden konnte. Der pathetische Ton von nunc animus passt zudem gut zum Gewicht und Ort der varronischen Willenserklärung: Sie steht ja am Beginn einer langen Diskussion. 46 Varro teilt seine Darstellung im VIII. Buch in zwei Blöcke ein (s. Vorwort 3.1.1): Kap. 26-43 enthalten allgemeine Argumente gegen die Analogie, ab Kap. 47 folgen die Argumente zu den einzelnen Wortarten. Vom zweiten Teil ist aber im Wesentlichen nur die Debatte zu den Nomina (incl. der Pronomina) erhalten, der Teil über die Verben ist, mit Ausnahme einer kleinen Einlage zu den Partizipien, Deponentien und Iterativa (58-60), verloren. 47 Satzbau und Länge dieses (lat.) Satzes und auch der Mammutsatz des folgenden Kapitels (27) stehen im Widerspruch zu seinem Inhalt: Die Sätze sind ja weder kurz noch sofort klar verständlich. 48 Es folgen fünf Kapitel (28-32), in denen Varro außersprachliche Argumente gegen die Befolgung der Analogie vorbringt; sie sind für den heutigen Leser v. a. wegen ihres kulturgeschichtlichen Aspekts informativ. 49 „Der Satz ist textlich schwer verderbt.“ (Dahlmann 97). Doch reichen die Ergänzung von < ad > und Müllers Verbesserung des ersten quod > quom aus, die auch in den et. Büchern gelegentlich zeigt, dass der Originaltext Varros die Fassung mit qu- hatte, vgl. auch quoius < quodhis in VIII 27. Der Konj. in sequāmur rührt noch vom vorausgehenden quom her. 50 Auch in diesem Satzgefüge verleiht Varro den Anomalisten schwungvollen Nachdruck und ihren Argumenten große Lebendigkeit. Der ganze Satz ist ein Anakoluth und wird syntaktisch nicht zu Ende geführt. In Varros Wortspiel von homō 'Mensch' und (ursprünglich) hūmānitās 'Menschlichkeit' zeigt das Subst. hūmānitās '(feiner) Geschmack' schon seine neue Bedeutung, die zuerst bei Cicero und Caesar fassbar wird (s. OLD 808 Nr. 2). Inhaltlich arbeitet Varro hier de facto mit drei Gegensatzpaaren: 1) ūtilitās und ēlegantia, 2) necessitās und voluptās und 3) ūtilitās und voluptās: Baier (2001) 15. 51 In IX 75 stehen die Formen Diēspiter bzw. Māspiter (dies auch in VIII 49) etc. Der Vokativ fehlt hier, daher wird nur von zweimal vier Formen gesprochen. Sprachgeschichtlich ist indes im EN Iūpiter der Vokativ inkorporiert, vgl. griech.

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          Anmerkungen

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          Ζεῦ πάτερ 'o Vater Zeus!', wohl eine alte spätidg. Formel, die im Lat. (als * Iūpater) fest geworden ist: Leumann 183. 52 Hier wird die alte, „fast verschollene Präposition sē 'ohne'“ (alt sēd) ausgefallen sein: Leumann 229. Der gebildete Römer kannte sie ja aus der Formulierung des Zwölftafelgesetzes (XII 3,6 und 10,8) sēd fraude 'ohne betrügerische Absicht'. Varro kann hier auf die berühmte Formulierung angespielt haben. Die Hrsgg. haben konjiziert < contra > analogias, de Melo < ab similibus contra > analogias. 53 Athēnaeī ist die latinisierte Form von griech. Ἀθηναῖοι , die überlieferte Form Athēnaiīs findet ihre Entsprechung in Aeolīs 'Äolier' in V 25. 54 Lua: Göttin „wahrscheinlich ital. Ursprungs“ (NP 7, 451), die Verbindung mit Saturn geht wohl auf die Priesterbücher zurück. Die Argumentation der Anomalisten greift nun auf die Fälle von Homonymie zurück (dem lautlichen, meist historisch bedingten, Zusammenfall von Formen verschiedenen Ursprungs), dazu IX 89. 55 Die Überlieferung von F zeigt wieder, dass in F* noch die Endung -eis (klass. -īs) überliefert war. 56 Varro formuliert elliptisch: Sowohl Mārcus als auch Mārcius bilden die gleiche Genitivform Mārcī. Mit Plautius ist ein Angehöriger der Plebeierfamilie Plautia (= Plōtia) gemeint, s. NP 9, 1112-115. 57 Die Schreibung von cassu und cassum mit -ss- findet sich nur hier. 58 Varro greift hier auf drei Kategorien der griechischen Grammatiker zurück: auf Genus, Kasus und Aufbau (γένος, πτῶσις, σχῆμα); figūra meint, ob ein Wort einfach oder zusammengesetzt oder eine Mischform ist: Dahlmann 113. Der verschraubte lat. Satzbau passt zu der Verve, die Varro in VIII den Anomalisten unterlegt, und spricht für ein mündliches Diktat Varros. 59 Nach intellegimus und utrumque bietet F ein aus drei kleinen Punkten bestehendes Dreieck, möglicherweise ein (archaischer?) Rest eines diakritischen Zeichens, das bei Varro als Fragezeichen fungierte, cf. die Aufstellung der diakritischen Zeichen, die nach dem Anecdotum Parisinum bei Funaioli GRF p. 54 auch Aelius Stilo und Varro zugeschrieben werden. 60 Dissimile: Varro gebraucht oft das Adjektiv simile als Neutrum, wozu elliptisch verbum zu denken ist; die Quelle für diese Beispiele ist griechisch. 61 Perpenna ist ein etruskischer Individualname, vgl. Caele(s) Vibenna V 46, Alfēna hingegen das Fem. zu Alfēnus (einen Alfēnus attackiert Catull in c. 30). Das Beispiel wird in VIII 81 nochmals ausgebreitet. 62 Anspielung auf die Plautuskomödie Menaechmi, deren Hauptfiguren zwei eineiige männliche Zwillinge sind. 63 Das überlieferte discrepat verrät, dass Varro im indirekten Fragesatz auch den (umgangssprachlichen) Indikativ gebraucht hat. 64 quō fasst Dahlmann (1940) 31 final auf. Es liegt aber eher die kausale (Grund-) Bedeutung in einem indirekten Fragesatz vor, der von cōnferās abhängt, evtl. auch noch ἀπὸ κοινοῦ vom späteren ad iūdicandum; eine Verschreibung von quor > quo in F* oder F ist nächstliegend, s. zu VIII 68, 71 und 78. Quō 'weswegen' vgl. OLD 1564 s. v. quō no. 1a liegt ferner, da es bei Varro kaum festzustellen ist, während quor mehrmals in den Analogiebüchern in F bezeugt ist: Es wurde dort offenbar aus F* kopiert und vom Schreiber „modern“ korrigiert. 65 Verweis auf die Passage in VIII 68 f., die aber auch nicht besonders ausführlich ist. 66 Sc. und weil es keine Spezialfrage der Anomalisten ist.

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          Anmerkungen

          67 Varro entwickelt hier – unabhängig von der Debatte zwischen Anomalisten und Analogisten – eine Theorie der Redeteile (Satzglieder) und Wortarten, vgl. auch zu VIII 11 f. Dabei greift er auf die griechischen Grammatiker, v. a. den Alexandriner Dionysius Thrax (ca. 175-90 v.: NP 3, 632 ff.) zurück, also auf einen Grammatiker, der – aus Varros Sicht – zumindest zeitlich „modern“ war. Die Begriffe des Alexandriners scheint Varro erstmals ins Lateinische übertragen zu haben, freilich weder fehlerfrei noch problemlos, s. die ausführliche Darlegung bei Dahlmann (1940) 119-130. Die Einteilung ähnelt jener, die Varro schon in VI 36 vorgestellt hatte, dort indes mit Bezug auf die deklinierbaren Wortarten (sic!), die dēclinātūs verbōrum: In VI 36 unterschied er nach morphologischsemantischen Merkmalen zwischen den Wörtern mit Kasus (Nomina), Tempora (Verben), Wörtern mit Kasus und Tempora (Partizipien) und Wörtern ohne Kasus und Tempora (Adverbien). Hier hingegen hebt er auf die syntaktisch-logische Funktion der Satzglieder ab und nimmt daher auch die Konjunktionen (pars iungendī) mit auf, was wiederum die Partizipien verdrängt. Welche Grammatiker sich hinter den quīdam von Kap. 44 bzw. den quibusdam in Kap. 45 verbergen, wird nicht klar. Das Adverb als pars adminiculandī, als Stütze, geht metaphorisch – wie Varros komplettes Bild der dēclinātiō – auf den Weinbau zurück und verrät stoischen Ursprung; adminicula sind die „Stützen der Weinrebe“ (Dahlmann 120). 68 Der Begriff prōvocābulum (gemeint sind Frage- und Indefinitpronomina) tritt überhaupt nur hier auf (Dahlmann 123), prōnōmina sind, Varros Beispielen nach zu schließen, die Demonstrativa, die ja für (prō) ein Subst. stehen können; nōminātus ist von Varro eingeführt und erscheint bei ihm öfter, v. a. in Buch IX und X. Über diese Vierteilung legt Varro (bzw. seine anonyme Quelle) ein weiteres Netz an Merkmalen, nämlich die semantische Bestimmtheit (+/– f īnītum), die vom Indefinitpromen bis zum (situativ-kontextuell) eindeutig bestimmten Demonstrativum reicht. Was Varro hier an Neuem leistet, stellt er selbst nicht explizit heraus, anders als seine Innovationen im Bereich der Etymologie, wo er (V 8) den Anspruch erhebt, in die Zeit des Sprachschöpfers vorzudringen und somit den höchsten Grad der Etymologie, den quārtus gradus, zu erreichen. S. dort und Verf. (1981). Das von Laetus richtig ergänzte < vocabula > ist wohl aus einer falschen Auflösung der Abkürzung für < ūa > = verba oder vocābula entstanden, das dann von einem späteren Schreiber als zweites ut verstanden, daher von ut scūtum getrennt und vor gladium eingeschoben worden war, s. o. zu. VIII 4. 69 Die Aufteilung der Wortarten nach den beiden Merkmalen 'bestimmt/unbestimmt' und 'wie bestimmt/wie unbestimmt' ist nach Dahlmann 123 „ganz unlateinisch“ und zeigt ihre Herkunft aus einer „griechischen grammatischen Scheidung, und zwar … einer modifizierten stoischen.“ Die Aufteilung folgt logischsemantischen Kriterien; Varro meint Folgendes: das Demonstrativum (hic/haec) ist durch die Deixis genau bestimmt, der Eigennamen so gut wie bestimmt, weil er ein Individuum bezeichnet; das vocābulum als Gattungsnamen so gut wie unbestimmt, da mit ihm ja mehrere nicht spezifizierte Dinge gemeint sein können. Nur das Fragepronomen ist gänzlich unbestimmt – es wartet ja auf Bestimmung durch die Antwort. 70 Mit dēbent (grammatisch liegt ein sog. „Realis“ vor: Kühner-Stegmann II 1 170-175) kehrt Varro wieder zur Argumentation der „Anomalisten“ zurück: Die Forderung, dass jedes Nomen die drei Merkmale Genus, Numerus, Kasus tragen

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          Anmerkungen

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          müsste, legt hohe Maßstäbe an das Vorhandensein von Analogie an, die – wie die folgende Argumentation zeigt – von einer natürlichen Sprache nicht erfüllt werden können. Varro verwendet sexus als (zunächst biologischen) Begriff für das Geschlecht, weil genus im klass. Latein als Bezeichnung der Gattung bzw. Klasse anders belegt ist. Perspice – videās: Zur Anrede in der 2. Person vgl. unten zu VIII 53; in Buch IX kommt sie häufiger vor. Ob hier als Adressat der Empfänger Cicero oder der anonyme Leser gemeint sind, bleibt offen. Sie verleiht jedenfalls der Argumentation der „Anomalisten“ – nach den trockenen theoretischen Kapiteln 44-46 – Unmittelbarkeit und Schwung, s. auch zu VIII 53. Da die Anomalisten zwischen Substantiv und Adjektiv nicht unterscheiden und beide Wortarten bei ihnen zusammenfallen, entsteht dieses skurrile Argument. Varros Formulierung ist – im Potentialis – sehr verkürzt und nur aus einem fachsprachlichen Jargon erklärbar. Das Adj. singulāre und der Genitiv des Substantivs multitūdinis sind Varros Fachausdrücke für 'Singular' und 'Plural ', s. auch zu IX 63 f., zu ihrer Abkürzung in VIII 7. Varro greift auf die vier Redeteile von VIII 45 zurück und beginnt mit den sog. articulī, unter denen er die prōvocābula und die prōnōmina subsumiert; im Grunde wendet sich der Hortativ videāmus auch wieder an den Leser. Die entstellte Wiedergabe in F zeigt einen der Reste der Schreibung von für phonematisches [i:]. Articulus umfasst bei Varro die bestimmten und unbestimmten Pronomina: VIII 45. Die Verbindung prō portiōne, in F und von den Hrsgg. zusammengeschrieben, ist Varros Übersetzung des griech. ἀνὰ λόγον (Dahlmann [1940] 133) und für ihn ein Schlüsselbegriff. Da sie von Varro oft mit simile 'ähnlich' kombiniert ist, bietet sich als deutsche Übersetzung eher „entsprechend“ an als „analog“. „Eine Frauengottheit, von deren Kult und Tempel Männer ausgeschlossen waren.“ (NP 2, 743). Die zahlreichen Korrekturen, die die Hrsgg. binnen vier Jahrhunderten vornehmen mussten, bestätigen die Richtigkeit von Varros Befürchtung. In VIII 17 subsumierte Varro die Steigerung bzw. das Deminutivum unter den Begriff incrēmentum, quod māius aut minus in hīs esse potest. Zu den Hintergründen in der grammatischen Diskussion vor Varro: Dahlmann 136 ff. Vidēbis: Nach VIII 47 diesmal eine echte Hinwendung an den Leser (LeserApostrophen), wie sie auch in VIII 55 und v. a. in Buch IX vorkommt: IX 6, 37 und 100. Siehe zu IX 6. Hier dürfte statt des nüchternen Stils der 3. Person Sing. mit potes die Anrede an den Leser gestanden haben, vgl. VIII 53, das falsche -t war wohl ein Interpunktionszeichen. Für die Argumentation der Anomalisten ist das Merkmal „Singular“ wichtig, da der Plural Mask. * Īliī bzw. Īlī weniger klar ist. Das von den Hrsgg. seit Aug. getilgte ūnus ist damit beizubehalten. Das Numerale ūnus hatte bei Varro – abhängig vom Kontext – auch die Bedeutung 'Singular', cf. zu VI 76, VIII 7 (ūnae dīcuntur scōpae) und VIII 44. Die Einwohner wurden aber Asiānī und Libyēs bezeichnet.

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          Anmerkungen

          85 Der Sänger heißt cantor, der Träger lātor. Dadurch, dass diese – für den Römer – Selbverständlichkeiten ausgespart werden, erhält die trockene Passage mehr Schwung. 86 Über die Nomina agentis (die Substantiva auf -tor bzw. -sor) gleitet die anomalistische Argumentation zu den Verben ab, was an dieser Stelle im Grunde ein Fremdkörper ist. Die eigentliche Passage, in der Unregelmäßigkeiten bei der Verbalflexion ausgebreitet wurden, ist – bis auf ein kleines Stück aus Gellius (s. zu VIII 84) – verloren. 87 Demnach war der Terminus participium bereits vor Varro geprägt; er ist in der stoischen Grammatik beheimatet und eine Lehnübersetzung von griech. μετοχή 'Anteilhabe', weil das Partizip sowohl an der Natur des Verbums (Tempus und Genus Verbi) als auch des Nomens (Deklinierbarkeit) Anteil hat, μετ-έχει; er erscheint nochmals IX 110. Zur Geschichte: Dahlmann 144 f. 88 Die Anomalisten bemängeln also das Fehlen eines Partizips Präteritum (Perfekt) Aktiv, das lat. nur die Deponentien haben. Das ist ein echt lateinisches Argument, im Griechischen gibt es ja regulär ein Partizip der Vergangenheit im Aorist bzw. sogar im Perfekt; Varros Formulierung gerade hier legt nahe, dass zumindest dieser Teil der Debatte in Rom tatsächlich geführt wurde (gegen Fehling [1956] / [1957]). 89 Der Terminus dēpōnēns erscheint erst bei Probus' Instituta artium GLK IV 157, 4 (wohl Anfang 4. Jh.) und Charisius (Mitte 4. Jh. n. Chr.): Inst. VIII GLK I 165, 18. 90 Der Terminus compositīcium war demnach schon vor Varro geprägt worden. Anders Dahlmann 56. 91 Subjekt sind hier die Vertreter der Analogie, im nächsten Absatz die Anomalisten. 92 Das sind die Anomalisten. Varro wechselt hier die Darstellungsform und geht immer mehr zur indirekten Rede über, die ihm – als Analogisten – die Distanz des Referats Dritter verleiht. 93 Daneben kennt Varro die Form aedituus (VII 12), der er – aus etymologischen Gründen – dort den Vorrang gegenüber aeditumus gibt. 94 Das war vielmehr der lignārius oder lignātor. Die Eisen(erz)mine war einfach metallum: Sueton Caligula 27,3 und Ulpian dig. XXVII 9,3,6. 95 Gemeint und für dem röm. Leser selbstverständlich ist: Es heißt aber nicht īnsalsus, sondern īn-sulsus. Erst die Verbesserung von Stephanus gibt dem Text den passenden Sinn. 96 Der Grammatiker Aristarchus und seine Schüler (vgl. auch X 16): Der Grammatiker aus Samothrake (+ 144 v. Chr.) stellte mit Aristophanes von Byzanz „den Höhepunkt der alexandrinischen Philologie dar“ (NP I 1091). Für die Erklärung und philologische Heilung der alten Texte, besonders Homers, bediente er sich v. a. des Mittels der Analogie, aber natürlich innerhalb des Griechischen und zu philologischen Zwecken, nicht für eine Kritik bzw. gar Steuerung der cōnsuētūdō, was die (von Varro wohl konstruierten und künstlich polemischen) Anomalisten ausblenden. 97 Krates von Mallos, bedeutender Grammatiker am Hof der Attaliden in Pergamon (1. Hälfte des 2. Jhs. v. Chr., also ≈ zeitgleich mit Aristarchos), und Stoiker. 98 Die lat. Buchstabennamen wie A, E etc. wurden nicht eigens dekliniert, sondern ihre Kasusfunktion wurde durch den Zusatz des Pronomens huius, huic etc. kenntlich gemacht: IX 52.

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          Anmerkungen

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          99 Nach Weisgerber, dem Dahlmann folgt, handle es sich bei Alacco Alaccus „mit größter Wahrscheinlichkeit um keltische Namensformen aus griechischen Texten.“, doch Scaliger bringt mit dem (kelt.) Wort für 'Lerche' eine näher liegende Lösung, s. WH I 26. 100 Dieser kleine Zusatz – ut scrībunt – verleiht der Passage weitere Authentizität; deutlicher noch in Kap. 68 f. Es muss demnach innerhalb der griechischen Grammatik des 2. Jhs. v. Chr. eine Debatte über die Flexion der Buchstabennamen gegeben haben. Die Kontroverse, die sich aus der etwas verschraubten Formulierung Varros herauslesen lässt, dürfte etwa so abgelaufen sein: a) Die Alexandriner vertreten – auf ungenannten Fällen fußend – das Prinzip der Analogie. b) Krates nimmt als Gegenbeispiel die griechischen Buchstabennamen und führt die Analogisten = Alexandriner ad absurdum mit der Forderung, dann müssten auch die Buchstabennamen wie „alpha“ oblique Kasus bilden. c) Die Alexandriner (die diese Forderung wohl nicht erhoben haben) verteidigen sich mit der Begründung, die Buchstabennamen seien nicht griechisch. – Alles Weitere in Kap. 64 f. ist wohl (lateinischer) anomalistischer Zusatz. S. dazu auch Dahlmann 156 f. 101 Patricus (cāsus) für Genitiv erscheint hier zum ersten Mal (später noch in IX 54, 76 und 85). „genetivus“ heißt er erst bei Quintilian und Plinius: Charisius GLK I 120 (Dahlmann 76). 102 In vocandō = in vocandī cāsū. 103 Ähnlich war schon in Kap. 43 aus Aristarcheischer Sicht argumentiert worden. Sunt bietet den Indikativ im indirekten Fragesatz, wie öfter. 104 Der Gen. Plural heißt aber suum, nicht suium: Das Subst. flektiert also als normaler Konsonantenstamm. 105 Das Subjekt von inquit ist nicht klar: Varro hat die Formel wohl eingeführt, um dem (fiktiven) Streit mehr Lebendigkeit zu verleihen. Keiner der beiden in Kap. 68 genannten Griechen kommt jedenfalls für diese Details der lateinischen Grammatik in Frage. Dahlmann 165 sieht als Sprecher von inquit den lateinischen Anomalisten, dem Varro keinen Namen gibt. Oder meinte er gar Cäsar selbst? S. Vorwort XXII f. 106 Die Pluralformen der drei Substantiva und des Pronomens hic wurden zu Varros Zeit sicher schon mit langem, geschlossenem [i:] gesprochen, aber in historischer Schreibung (auch noch) mit < EI > geschrieben; das Phänomen hat Varro VI 61 schon für Ennius (sic!) konstatiert, der dīcō mit EI geschrieben habe, s. dort (vgl. auch Meiser 49). Der (anonyme) Anomalist spielt mit dieser Erscheinung; wohlweislich steht bei den Pluralformen nur das blasse sit, nicht dīcitur 'wird gesagt', weil es sich ja um kein Aussprachephänomen handelt. 107 Die Endung des Gen. Plural auf -um (aus -ōm) ist alat. noch gut bezeugt und hat sich in Formeln wie z. B. dem praefectus fabrum 'Präfekt der Pioniere' oder trium virum 'der Triumvirn' erhalten: Leumann 428. 108 D. h. nach der Regel der Analogisten. (Dēbēmus mit Ellipse des Inf. dīcere.) 109 Nach strengem Anlegen der analogistischen 'Regel' (ratiō) hätten auch die griech. Eigennamen Hector und Nestor wie die lat. Nomina agentis auf -tor flektiert werden müssen, doch Varro kennt sogar (X 70) beim Dichter Valerius die Form Héctora. Codex F (und sein sorgfältiger Schreiber) bewahrt in vier von sechs Fällen die Markierung des Langvokals mit dem Apex über dem Vokal, die in der lat. Epigraphik gut belegt ist: Leumann 13 f.

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          Anmerkungen

          110 Die belegten Doppelformen (Dat.) quibus neben dem selteneren quīs (das auch Varro selbst gelegentlich verwendet) und hībus (Varro konnte die Form aus Plautus Curc. 506 kennen) mussten die Analogisten stören. Sie entstanden durch die Dopplung der regulären Flexion der Pronomina als o-Stämme (hīs, quīs) mit den Endungen der konsonantischen auf -bus. Varros Ausdrucksweise ist hier auffallend knapp. Das hier (falsch) überlieferte ei geht mit dem in VIII 70 bezeugten hei sicher auf diese Form bei Varro zurück, danach muss es auch quei geheißen haben, s. auch zu VIII 70. 111 Sisenna: Der Historiker, * um 118 v. Chr. und Verfasser eines zeitgeschichtlichen Werks Historiae, das etwa bis 79/78, also in die Zeit Sullas, reichte. Sallusts Historien schlossen daran an. Seine Sprache „verbindet vorklass. Vielseitigkeit mit Einflüssen mod. doctrina (analogistische Formen und Neologismen…)“: NP 11, 597. Die Anomalisten hätten also – wenn Varros Darstellung nicht fiktiv ist – eine analog gebildete Pluralform Sisennas (patrēs familiārum) ausgerechnet gegen die analogistische Position ins Feld geführt, was doch pikant wäre. 112 Cato, De agricultura 62, kennt den Genitiv Plural boverum; nach dem Grammatiker Charisius (GLK I 54, 4. Jh. n. Chr.) sind z. B. für Coelius Antipater (Ende des 2. Jhs. v. Chr.) nucerum statt nucum 'Nüsse' bezeugt, für Gellius (2. Jh. n. Chr.) noch die Formen rēgerum und lapiderum (statt rēgum und lapidum). 113 Contentiōnēs: Das Substantiv ist mehrdeutig: Es kann 'Streit, Debatte' bedeuten oder – im Sinne des 'Zusammenspannens' – auch 'Vergleich', wofür Dahlmann mit Verweis auf einige (wenige) Cicerostellen plädiert. VIII 78 gebraucht Varro freilich für 'Vergleich' das eindeutige collātiō, einen Terminus, der sich in der grammatischen Literatur fortgesetzt hat, während contentiō 'Vergleichung – Komparation' singulär bliebe. Der Kontext legt aber die (traditionelle) Bedeutung 'Streit' nahe, das folgende ut album etc. bezieht sich nicht auf contentiō, sondern leitet wie üblich die Beispiele ein. 114 Nach optimum hat Augustinus schulmäßig ergänzt: < malum, peius, pessimum >, dem die Hrsgg. folgen. Die Formen von peius, pessimum kommen aber gleich in Kap. 76. 115 Genau diese nichtkonsonantischen Formen der o-Deklination haben sich in ital. póvero, póvera aber fortgesetzt. 116 Sc. während der Positiv frūgālis heißt, also als i-Stamm flektiert. 117 Ad summum: Ein Fachbegriff für 'Superlativ' scheint Varro noch zu fehlen. 118 Collātiō verbōrum: der einzige Fall, wo Varro für die Steigerung der Adjektiva einen terminus technicus gebraucht; er wird ihn wohl in der Triade XI-XIII, v. a. in Buch XI, mehrfach verwendet haben; in VIII 17 bediente er sich noch des nichtfachsprachlichen Begriffs incrēmentum 'Mehrung, Zuwachs', so auch in IX 66. 119 Codex F beginnt diesen neuen Abschnitt mit einer überdimensionalen, unzialen Majuskel M: Das dürfte ein Relikt einer Initiale aus einer der Vorlagen von F sein, wie sie in der etymologischen Triade mehrmals beobachtbar sind. 120 Die Anomalie liegt also nach der anomalistischen Argumentation in der Unregelmäßigkeit der Deminutivbildung, vgl. Charisius GLK I 94: Dahlmann 180. Nigricolus und macricolus waren also ungebräuchlich. 121 Diese Form hat sich vlat. durchgesetzt und wurde als Mask. zu ital. uccello 'Vogel'. 122 Zur Unterscheidung der vier Klassen von f īnītum, ut f īnītum bzw. īnf īnītum und ut īnf īnītum s. o. zu VIII 45.

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          Anmerkungen

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          123 Spengels Ergänzung von Rōmula ist zwingend. Für den Rest wurden z. T. recht aufwändige Stücke ergänzt, die nicht nötig sind. Der Sinn ist einfach, der Eingriff minimal: Da Perpenna ein (etruskischer) Männername ist, s. o. zu VIII 41, hat er als Genitiv Perpennae, womit seine Tochter ja Perpennae f īlia war. Perpennae klang aber nach dem Genitiv eines Femininums, worauf das folgende Kapitel eingeht. 124 Varro übersteigert hier die Argumentation der Anomalisten ins Absurde: Einen Lūcius Aelia gab es natürlich nicht. 125 Sklaven, die zu einer Art Genossenschaften gehörten, konnten ein Pseudogentile von diesen Berufen bekommen, z. B. ein Fabricius von den fabrī, ein Vēlātius von den vēlātī: Dahlmann 185. Der Sinn in dieser voraussetzungsreichen Argumentation dürfte im Weiteren sein: Früher erhielten die Gemeindesklaven bei ihrer Freilassung das Cognomen des Ortes, wie Rōmānus (ein Livius-Beispiel aus dem Jahre 404 v. Chr. bei Dahlmann 186); später wurden sie nach dem Magistraten benannt, also nach einem anderen Prinzip, was die (fiktive) Regel der Analogie durchbrochen hat. Der Rest des Kapitels ist Opfer der Überlieferung. Die Eigennamen auf -ās sind etruskischer Herkunft (Maecēnās); das bekannteste Cognomen ist sicher Arpīnas  Arpīnum (Ciceros Geburtsort). Nach der vermutlichen Darstellung der Anomalisten hätte es einer Bildung wie Urbīnius (vom Ortsnamen Urbīnum, wozu es schon einen Eigennamen Urbīnās gab) gar nicht bedurft. 126 Der Rest von Buch VIII (der Umfang ist nur abschätzbar, s. zu IX 1) hat die Verben behandelt, wie aus Gellius II 25, 5 hervorgeht, s. o. Auch der Beginn des IX. Buches ist verloren, dafür ist in F auf Folium XXIII eine halbe Seite ausgespart. Aus der genau kalkulierten Aussparung ist – bei aller Vorsicht – zu schließen, dass dem Schreiber entweder ein völlig entstelltes Pergamentblatt noch vorlag, das er nicht weiter bearbeiten wollte oder konnte; oder dass bereits seine Vorlage F* die Lücke z. B. durch Seitennummerierung genau angegeben hatte. Dass das erste Wort von IX durch eine Hand mit lang ausgestrecktem Zeigefinger mit nesciunt 'sie wissen nicht' beginnt, ist ein netter Zufall. Zu Fragment 5: 127 Die Formulierung des Gellius und sein (angebliches) Zitat aus Varros Buch VIII passen zwar inhaltlich zu Buch VIII. Es irritiert aber die Mischung der Beispiele auf so engem Raum (Verben neben Nomina und Adjektiva); sie passt nicht zur Abfolge der Argumentation, wie sie Buch VIII trotz der Lücken zeigt. Vermutlich ist des Gellius inquit nicht zur Bezeichnung eines wörtlichen Zitates aufzufassen, sondern im Sinne von '(Varro) meint' zu deuten, es wäre dann eher eine Paraphrase. Zu Buch IX: 128 Der Beginn von Buch IX fehlt, s. zu VIII 84. Auf Folium XXII r fehlen ca. 15 Zeilen, während die Versoseite von XXI sehr schadhaft ist und vielleicht nie beschrieben war. Die Länge der Lücke von F* schwankt damit u. E. zwischen ca. 55 und 15 Zeilen, könnte aber deutlich mehr umfasst haben, schließlich fehlt ja die komplette Argumentation der Anomalisten zur Verbalflexion. Die erhaltenen Anfänge von Buch VIII und X beginnen jeweils mitten auf der Seite, eingeleitet von einer kunstvollen Initiale, wie sie vielleicht schon in F*, der Vorlage von F, enthalten war.

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          Anmerkungen

          Mit einer solchen ist für F auch hier zu rechnen. Boot (Varroniana, in: Mnemosyne 22 [1894] 409-412) schlug als Ergänzung vor: < Insignis eorum est error qui malunt quae > nesciunt docere quam discere quae ingnorant. etc., was Kent und de Melo übernommen haben. Sinngemäß könnte Boot das Richtige getroffen haben: Varro wirft den Anomalisten ja ein fundamentales Missverständnis vor. 129 Krates aus Mallos: s. zu VIII 64 und Vorwort 2.4. Eine antike Quelle bezeichnet ihn als „stoischen Philosophen“, was zu Varros Bemerkung hier passt. 130 Chrysippos aus Soloi, das dritte Oberhaupt der stoischen Schule (Mitte des 3. Jhs. v. Chr.) und Verfasser von ca. 700 Buchrollen. Varro erwähnt ihn schon in VI 2 mit großem Respekt und nimmt ihn hier, so scheint es, in Schutz (nochmals erwähnt auch VI 11, 56 und X 59). Die in F überlieferte Zahl ist wohl in VI aufzulösen, entsprechend den Schreibgewohnheiten des Schreibers von F, dessen Zahlzeichen für '5' einem Ц ähnelt. Hier wäre also noch eine 1 angehängt, freilich ist auch die Lesung LII, also 52, nicht ganz ausgeschlossen, wenngleich vom Umfang her nicht wahrscheinlich. Die Angabe der Bücher gehört aber zu Krates und nicht zu Chrysippus, weil das Hauptgewicht von Varros Aussage auf Krates liegt. In der Vorlage von F oder F* war wohl * libros zu lb. abgekürzt, was den Fehler erklärt. 131 Aristarchos aus Samothrake: s. zu VIII 63. 132 D. h. Varro hat die Schriften des Krates studiert und sich nicht auf Sekundärüberlieferungen verlassen. 133 Der Terminus inclinātiō für die Flexion erscheint nochmals in IX 114. 134 Varro entwickelt hier ganz knapp sein persönliches Credo (Baier [2001] 16) und vermittelt zwischen beiden Extremen. Das nimmt der von ihm künstlich aufgebauschten Opposition zwar im Nachhinein die Schärfe, aber nicht die rhetorische Wirkung. 135 Der überlieferte Text (nisi si non est homo ex anima, quod est ex corpore et anima.) wird erst auf dem Hintergrund von Varros Fragment aus seinem Liber de philosophia, bei Augustinus civ. XIX 3 überliefert und von Duso angeführt, verständlich. Dort stellt Varro die Frage, utrum anima sola sit homo ..., an corpus solum sit homo,... an vero nec anima sola nec solum corpus sed simul utrumque sit homo, und beantwortet die Frage - nach Augustinus - so: animam simul et corpus esse arbitratur: 'Er glaubt, dass der Mensch zugleich Seele und Leib sei': So wird die Parallele zur Koexistenz von Anomalie und Analogie deutlich. 136 Hier handelt es sich de facto um eine Vorwegnahme der linguistischen Theorie, die Varro ausführlich erst in Buch X entwickelt. Mit den drei cōpulae baut Varro zu Beginn seiner Erörterungen drei Paare von Dichotomien auf, die aber streng genommen keine Gegensätze sind, sondern sich gegenseitig bedingen. Was Varro mit nātūra meint, wird erst aus X 15 klar: Naturam dico, cum universi acceptum nomen ab eo, qui imposuit, non requirimus, quemadmodum is velit declinari, sed ipsi declinamus, ut huius Romae, hanc Romam, hac Roma. 'Nātūra, Natur, meine ich, wenn wir alle bei einem Namen, den wir von dem, der ihn verliehen hat, übernommen haben, nicht fragen, auf welche Weise ér möchte, dass er abgeleitet wird, sondern wenn wir selbst ihn ableiten, wie Gen. Rōmae, Akk. Rōmam, Abl. Rōmā.' 137 Der Inhalt der Lücke lässt sich unter Heranziehung von Kap. IX 9 annäherungsweise erschließen, s. die Übersetzung. Textlinguistisch bedeutsam an diesem Abschnitt sind die grammatischen Formen der 2. Person: intellegēs und animadvertēs: Sie

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          wenden sich an den Leser; ob unmittelbar damit Cicero als der 'Empfänger' des Gesamtwerks gemeint ist (s. Vorwort 1.2), lässt sich nicht mit Sicherheit sagen, aber vermuten. Wolfram Ax (1995) 170 f. sieht diese und ähnliche Passagen (VIII 47 und 53; auch IX 31 und 37) als Indizien dafür, dass Varro ursprünglich einen aristotelischen Dialog zwischen verschiedenen Gesprächsteilnehmern konzipiert hatte. Das geben dieser Passus und die vergleichbaren Stellen aber nicht her. Die vielen gliedernden Bemerkungen – auch das folgende Nunc prīmum dīcam prō ūniversā analogiā und die theoretischen Passagen wie IX 4-6 – sprechen für eine von Anfang an als Referat geplante systematische Abhandlung, die nur durch verschiedene rhetorische Mittel, wie den gesamten Streit zwischen Anomalisten und Analogisten, aufgelockert ist. Lukrez hat in seinem epikureischen Lehrgedicht De rerum natura (das Cicero im Februar 54 bereits in Händen hielt, also fast zehn Jahre vor De lingua Latina: von Albrecht 247) immer wieder solche Leserapostrophen, z. B. alleine im ersten Buch z. B. I 80, 102, 140, wo er sich an seinen Freund Memmius wendet, den er aber erst in I 411 explizit anspricht. Varros Adressat Cicero könnte in den verlorenen Anfängen von Buch VII und IX enthalten gewesen sein, doch können sich die Passagen mit Formen der 2. Person auch an den anonymen Leser wenden. In der Form redigerētur – wohl am Ende der Lücke – wird die Bedeutung 'zurechtstutzen' stecken, die in Kap. 9 noch einmal als Prädikat der Korrektur auftaucht; wohl haben die komplizierte Satzkonstruktion Varros, der Wechsel vom Konj. Präsens (dīcātur) in den Konj. Imperfekt (oportēret / redigerētur) und die von uns angenommene Verwendung der ähnlich klingenden adque und atque zur Textverderbnis geführt. 138 Der allgemeine Teil, in dem Varro die Vorwürfe der Anomalisten zurückweist, erstreckt sich von Kap. 8 bis 33. Der spezielle mit der Zurückweisung der Einzelvorwürfe beginnt erst mit Kap. 40. Siehe auch die Übersichten im Vorwort 1.2 und die Gliederung in 3.1.2. 139 Damit bezieht sich Varro auf die anomalistische Argumentation in VIII 33, s. o. Den Sprachgebrauch als Instanz erwähnt Varro schon in den etymologischen Büchern immer wieder: Er ist für ihn eine feste linguistische Größe, die sowohl in der historischen Entwicklung einzelner lateinischer Wörter als auch in der Frage der Regelbefolgung eine wichtige Rolle spielt. In VIII 32 f. hatten die Anomalisten mit dem Sprachgebrauch so argumentiert: Man brauche keine Regeln der Analogie, da der Sprachgebrauch ohnehin seine Regeln schon befolge. Hier hingegen geht es Varro – auf der Seite der Analogisten stehend – um die Frage der Sprachrichtigkeit und um die mögliche Korrektur „falscher“ Formen. 140 Der zweite, ebenfalls mit nam eingeleitete Satz dieses Kapitels, ist Varro recht lang geraten: Daran hat v. a. seine Neigung Schuld, umfassende Vergleichssätze zu bilden und in den ut-Satz wie auch den mit sīc eingeleiteten Hauptsatz weitere Nebensätze einzubauen. Eine Erklärung dafür könnte sein, dass er vieles einem Schreiber mündlich diktiert hat: Im Diktat werden durch entsprechende Intonation die Satz- und Sinnzusammenhänge deutlich, die sich im Schriftbild nicht so rasch erschließen. 141 Auf den Gegenstandsbereich der Betten hatte sich schon VIII 32 bezogen; dort ging es allerdings um die Ausstattung der Trikliniums-Liegen, hier um deren Anordnung.

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          Anmerkungen

          142 Das überlieferte declinationum ist sicher aus der falschen Verschmelzung von declinatione mit der Abkürzung ūm entstanden, wie sie für die Kasus von u(erbu)m bzw. u(erb)um oder u(erb)o für F* öfter rekonstruierbar ist, vgl. zu VI 2. Codex F und der Vallicellianus hingegen gebrauchen die Abkürzung ūba bzw. u՜ ba etc. 143 Varro unterscheidet zwei Fehlerquellen, die sich aber nicht in der Form der Regelverletzung unterscheiden, sondern in dem Grad, mit dem sie im Sprachgebrauch verankert sind. Er will offenbar Sprachkorrekturen, die von der analogistischen Grammatik empfohlen werden, auch dann akzeptieren, wenn der Regelverstoß sich schon festgesetzt hat; die Anomalisten sind aber nur zu Eingriffen bereit, wenn es sich um frische peccāta handelt. 144 Der Stil dieser Passage ist stark rhetorisch gefärbt und gerade durch die rhetorische Frage „ nōn sequitur, ut …?“ typisch für die „prosa didascalica di Varrone“, wie Duso S. 155 bemerkt. Dieser Passus ist wieder der Partei der Analogisten zuzuschreiben, die auch ältere Fehler korrigieren wollen. 145 Auf die Tätigkeit der Ärzte hatte Varro schon zu Beginn der etymologischen Bücher in V 8 verwiesen; dort ging es allerdings um die Hypothesenbildung bei der Diagnose einer Krankheit, hier um die therapeutische Wirkung des Arztes. 146 Apelles von Kos (Mitte des 4. Jhs. v. Chr.) ist nur als Maler bekannt, v. a. als Porträtist von Alexander d. Großen, Protogenes (eine Generation später in Rhodos tätig) auch als Bildhauer (NP 10, 463 f.). Der Maler Mikon aus Athen wiederum war Mitte des 5. Jhs. berühmt (NP 8, 162), während Dioris und Arimma (wenn richtig überliefert) sonst unbekannt sind. 147 Aristophanes von Byzanz (ca. 265/257 - ca. 190/180 v. Chr.) war ein bedeutender alexandrinischer Grammatiker; Varro nennt ihn als grammatische Autorität auch V 9 und VI 2 und nochmals X 68: Als Herausgeber antiker Texte waren für Aristophanes Sprachrichtigkeit und Analogie (zu sicher belegten Wörtern bzw. Formen) ein wichtiges Kriterium für die philologische Textgestaltung. Mit vēritās meint Varro die sprachliche Korrektheit: s. Wolfram Ax (1990). 148 Varros Argumentation ist hier rhetorisch geschickt: Er zieht einleuchtende Beispiele für Fortschritt und Korrekturen aus verschiedenen Bereichen des Lebens heran (Medizin, Malerei, Militärwesen, Politik, Schule und Kindeserziehung) und unterstellt, dass die außersprachliche Welt mit der Sprache in paralleler Korrelation steht. Die Anomalisten in Buch VIII hingegen hatten bei ihrem Bezug zur Außenwelt auf Nützlichkeit und Abwechslung abgehoben, v. a. in VIII 26-32. 149 Hinter dem falschen -s von rationes (es steht in F am Zeilenende) wird sich die ganz alte Abkürzung s für sed verbergen, vgl. Cappelli 336. 150 quī – vocant etc.: die Anomalisten (aus Buch VIII). 151 Lysippos aus Sikyon war ein berühmter Bildhauer des 4. Jhs. v. Chr. Von seinem Werk (konkret sind ca. 50 Plastiken bekannt, angeblich produzierte er etwa 1500) hat sich u. a. die berühmte Plastik des sich abschabenden Athleten in den Vatikanischen Museen gehalten. Der Antike, auch Varro, galt er als Neuerer: NP 7, 610 f. Wenn Varro sich im Bereich der Künste auf die Seite der Neuerer schlägt, wird er wohl auch an sich als Sprachwissenschaftler gedacht haben. 152 Damit spielt Varro auf die Rolle des Etymologen an, der verlorene Wörter erforscht: s. zu Buch V 6-8. Quod indicium hier = aliquod indicium wegen des kondizionalen Sinns des Relativsatzes.

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          Anmerkungen

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          153 Wolfram Ax (1995, 173 f., mit Anm. 52; s. o. zu IX 12) versucht in Varros Verweis auf die neuen Gefäßimporte aus Griechenland die neuen capulae für die Datierung von De lingua Latina heranzuziehen, doch kann die Archäologie den Zeitpunkt für diese Neuerung nur unscharf angeben. Die capulae hatte Varro schon in V 121 erwähnt, im etymologischen Kontext. 154 Prāvitātis patrōnīs: Ein rhetorisch schweres Geschütz gegen die Anomalisten, das Varro hier auffährt; er bedient sich der Doppeldeutigkeit von prāvus: 'fehlerhaft' und (auch moralisch) 'verdorben'. 155 Damit kontert der Verteidiger der Analogie die überspitzte Behauptung der Anomalisten aus VIII 38: Es reiche für die Rechtfertigung der (Existenz der) Analogie nicht, wenn man sie nur in Teilen beobachten könne. 156 Auf Beispiele aus dem Bereich der Astronomie (lat. astrologia) hatten sich die Anomalisten in Buch VIII nicht eingelassen; hier spielt Varro seine Stärke aus seinen naturwissenschaftlichen Beschäftigungen aus: Er hatte vorher schon ein Buch über die Gezeiten verfasst (de aestuariis: IX 26) und stellte in den wohl später erschienenen neun Büchern über die disciplīnae, d. h. die artēs līberālēs, zu denen Varro auch die Medizin und die Architektur zählte, die Astronomie dar. Dafür hatte er sicher die entsprechenden Vorkenntnisse aus anderen – meist griechischen – Autoren: Er konnte auf die Phainómena des Aratos aus Soloi (3. Jh. v. Chr.) zurückgreifen, ein Werk über Astronomie und Meteorologie, das von Cicero schon in jungen Jahren ins Lat. übersetzt worden war (und in Teilen in sein 2. Buch von De natura deorum integriert wurde): Autor und Inhalt waren also in Rom bekannt. Auch Ciceros Darstellung der Kugelgestalt der Erde mit den beiden schneebedeckten Polen (De re publica VI 20, veröffentlicht um 51 v. Chr.) dürfte ihm bekannt gewesen sein: Der Universalgelehrte Varro wusste, wovon er bei seiner Erforschung der Analogie in der physikalischen Welt schrieb. Eine fast parallele Darstellung des Universums – aus dem Munde des Stoikers Balbus – bietet Cicero im zweiten Buch von De natura deorum (verfasst wohl noch vor dem 15. März 44, s. von Albrecht 426): Die Übereinstimmungen hat Antonella Duso (2019) in ihrem Kommentar (S. 165-171) herausgearbeitet. Sie könnten darauf zurückzuführen sein, dass sowohl Cicero als auch Varro in der stoischen Philosophie versiert, Varro sogar darin verwurzelt war (vgl. Barwick [1957] passim); Duso S. 170 denkt an Poseidonios als gemeinsame Quelle beider; auf sein Modell einer Welt-Sphaera verweist Cicero dort II 88, das Poseidonios nūper, also erst vor kurzem, hergestellt habe. Denkbar ist freilich auch, dass Cicero Varros Opus magnum schon vorliegen hatte, als er das 2. Buch von De natura deorum schrieb. Zur Datierung von De lingua Latina s. Vorwort zu Band I 2.1 und Barwick (1957; zur Widmung und Entstehungsgeschichte von De lingua Latina). 157 In den überlieferten Text müssen nur wenige Eingriffe gemacht werden; Kent hat nach a septemtrionali cir[ massiv ergänzt, was de Melo aufgegriffen hat, doch ist der Text mit den wenigen Korrekturen von GS (so auch Duso) gut verständlich. Varro geht es um die Gleichförmigkeit der Jahreszeiten und deren Entsprechung in Form der Wendekreise am Himmel, deren nördlichster jener des Krebses beim Sommeranfang (21. Juni) ist. Aus der Regularität der Sonnenbewegung (IX 25: sōl ā brūmā venit) leitet er die Existenz einer außersprachlichen, vom Menschen nicht geschaffenen Analogie ab, die sich in den Gezeiten (Kap. 26) fortsetzt.

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          Anmerkungen

          Was Varro verschweigt: Die sog. Anomalisten hatten sich, so wie er es in VIII darstellt, weitgehend auf die Ebene der sprachlichen Analogie beschränkt, seine eigene Position in Buch IX holt hingegen viel weiter aus, um die Hauptthese der Analogisten aus Buch VIII zu widerlegen, es gebe keine Analogie(n). 158 Über dieses Buch ist sonst nicht bekannt. Aestuāria sind 'Flutgebiete': In diesem kleinen Werk, wohl einer Sonderschrift, hat Varro „die Lehre von Ebbe und Flut auseinandergesetzt“ (Dahlmann [1935] Sp. 1252). 159 Zu prōportiōne vgl. VIII 50. – Was Varro hier – als Verfechter der Analogie – unter dem Begriff analogia alles subsumiert, entfernt sich von dem Prinzip der mathematisch-logischen Entsprechung: Er dehnt den Begriff in diesen Kapiteln IX 27-29 auf die diachrone, genealogische Dimension aus und zieht die Reproduktion und die Ähnlichkeiten innerhalb der Gattungen heran, ehe er in Kap. 31 auf rein sprachliche Gegebenheiten zu sprechen kommt. Diese großzügige Auslegung des Analogiebegriffs findet in der Gleichsetzung von similitūdō 'Ähnlichkeit' und analogia ihren Niederschlag. 160 Die Einteilung der Seele in acht Teile mit fünf Sinnen geht auf Chrysippos zurück und wird von Diogenes Laertios (3. Jh. n. Chr.) in seiner Chrysippvita (SVF II fr. 828) referiert (Duso [2019] 172); der siebte, der Fortpflanzungssinn, fehlt allerdings bei Diogenes Laertios. 161 Die Einteilung ist stoisch: Schmidt (1979) 45. 162 Die Aufteilung der partēs ōrātiōnis in vier Teile findet sich in De lingua Latina durchgehend: VI 36, VIII 44 und X 17. Dass Varro sie hier in rhetorische Fragen kleidet, lässt sich mit der argumentativen Verve erklären, mit der er – als Grammatiker – das System der Grammatik als eine Grundlage für seine analogistische Position verteidigt. An nōn vidēs: Eine sehr betonte Leserapostrophe, aber kein Indiz dafür, dass Varros Bücher VIII und IX „nicht anders als für einen Dialog gedacht verstanden werden können.“ (So Ax [1995] 170). Varro ahmt in seiner Lebendigkeit vielleicht einen Dialog nach. An Cicero als Adressaten (des Gesamtwerks) wird man an dieser Stelle wegen der Vehemenz der rhetorischen Frage nicht denken wollen. 163 Vielleicht geht Varros Einteilung auch auf Aristarch zurück, s. Matthaios (1999) und Duso 174. – Die Unterscheidung zwischen f īnītum und īnf īnītum erklärte er schon in VIII 45: Bestimmt sind die Wortarten, denen auf der Ebene der bezeichneten Dinge genau ein Individuum zugeordnet wird, also die Demonstrativpronomina wie hic 'dieser'; quasi bestimmt sind entsprechend Eigennamen. Unbestimmt sind hingegen Fragepronomina wie quis?, quasi unbestimmt (ut īnf īnītum) sind Nennwörter (vocābula) wie scūtum oder gladium. 164 Den Dual des Griechischen klammert Varro hier natürlich aus, ebenso den griechischen Aorist, der zu einer Siebenzahl von Tempora geführt hätte, cf. Bornemann-Risch, Griechische Grammatik, Frankfurt am Main 21978 S. 74. Die drei Personen – Sprecher, Angesprochener, Besprochener – hingegen sind Universalia. 165 Die Sprechakte des Befehlens, Wünschens und Fragens decken sich nicht mit den drei Modi des Lateinischen (Imperativ, Konjunktiv und Indikativ). Sie werden in X 31 als verbōrum speciēs dēclinātuum um die Kategorie des respondendī (des echten Indikativs) erweitert: … rogandī, ut scrībōne…? respondendī, ut fingō…, optandī, ut dīcerem…, imperandī, ut cape…, capitō. Varro geht es um

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          Anmerkungen

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          die Regularität innerhalb dieser Kategorien, wie z. B. des Imperativs, nicht um Beziehungen zwischen diesen vier Ausdrucksformen der Sprechakte – eines Terminus, den er nicht kennt. 166 Hier vermengt der Analogist die grammatische Dimension der vollendeten = abgeschlossenen bzw. unvollendeten/unabgeschlossenen Handlung, nämlich des Aspekts (Varro bezeichnet diese in IX 95 als dīvīsiō), mit der Ähnlichkeit der Formen an sich, die nur innerhalb der entsprechenden Dimension bestehen kann, s. IX 96 ff. 167 Der Analogist spielt mit der Doppeldeutigkeit von nātūra als 'Wesen' (ōrātiōnis) und physikalischer Natur (mundī), ein sophistischer Trick. 168 Vor luscum ist an den linken Zeilenrand eine – mit dem Zeigefinger – mahnende Hand gemalt: ein Zeichen für die Kurzsichtigkeit des Schreibers von F? 169 Der erste Teil dieses umfangreichen Kapitels besteht wieder aus einem gewaltigen Satzgefüge. Dieses ist aber nicht abgeschlossen: Es fehlt ein Hauptsatz, dessen Subjekt wiederum die Anomalisten hätten sein müssen. Diese hatten sich in Buch VIII aber der Unterscheidung zwischen der dēclinātiō nāturālis und voluntāria gar nicht bedient: Sie steht in Buch VIII (21 f.) im Rahmen des allgemeinen, theoretischen Teils. Die Argumentation der Anomalisten scheint widersprüchlich: Einerseits unterschieden sie zwischen zwei Arten der Analogie, dann bestritten sie aber die Existenz der „natürlichen“ in der realen Welt. – Der Analogist setzt hier mit der gleichen Verve ein, die die anomalistische Seite z. B. in VIII 31 verwendet hatte – und die die trockenen Partien innerhalb von VIII und IX so lebendig macht. Ruhiger wird der Ton erst im zweiten Teil des Kapitels, das mit ego beginnt: Das klingt, als hätte Varro seinem Schreiber einen langen Text mündlich – vielleicht im peripatetischen Gehen – enthusiastisch diktiert und wäre erst gegen Ende wieder in das deskriptive Fahrwasser zurückgekommen. 170 Dazu Taylor (1974) 22 f. 171 Die knappen Formeln wie dīcendum est esse in hīs analogiās entsprechen den apodiktischen, wiederholten Behauptungen der Anomalisten in Buch VIII wie nōn esse ergō … analogiās (VIII 64) oder nōn est analogia (VIII 65). 172 Möglicherweise spielt hier Varro in sophistischer Manier mit der Mehrdeutigkeit von ratiō: 'Vernunft' (des Sprechens) und 'Regel' (der Wörter), so wie er in IX 33 mit der Doppeldeutigkeit von nātūra gespielt hat. 173 In causa klingt auch die juristische Bedeutung 'Rechtsfall, Prozess' mit an, die zur Heftigkeit der varronischen Verteidigungsrede prō analogiā passt. 174 Animadvertitō: An die 2. Person des Lesers (Cicero?) gerichtet, wie sī animadvertēs, intellegēs in IX 6: s. dort. Der Imperativ Futur auf -tō „spricht einen Befehl (einen Rat, eine Ermahnung) aus, dessen Ausführung erst in einer bestimmten Zeit der Zukunft … erwartet wird.“ (Kühner-Stegmann II 1 196). Er ist auch regelmäßig in der Sprache der Gesetze und Verträge. Das animadvertere kann ja erst dann einsetzen, wenn die späteren Sätze wahr werden: quod dēbeat subesse rēs etc. – und tritt nicht sofort ein. Der Imperativ Futur hat freilich auch einen sakralen Ton, wie ihn 51 v. Chr. Cicero im VI. Buch von De re publica anschlägt: Dort unterweist C. Scipio Africanus, aus dem Jenseits und im Traume seines Adoptivsohns Scipo Aemilius Africanus, den Jüngeren in Kosmologie und Seelenlehre und verpflichtet ihn regelrecht mit Formen wie Sīc habētō auf ein bestimmtes, späteres Handeln. Varros animadvertitō klingt hier auch feierlich, schließlich ist die Stelle für seine

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          Anmerkungen

          Sprachphilosophie und Theorie der Analogie zentral: Für ihn ist es wichtig, dass die Wörter Dinge in der realen Welt bezeichnen: quod dēbeat subesse rēs quae dēsignētur. Ohne die Zeichenrelation an dieser Stelle terminologisch zu fassen, unterscheidet Varro also implizit zwischen der abstrakten Bedeutung und ihrem Pendant (rēs) in der physischen Welt. Zur stoischen Herkunft s. Duso S. 180; mit rēs ist hier sicher nicht die „grammatical substance of a word“ gemeint, so noch de Melo 1129, denn das Objekt muss ja im konkreten Gebrauch (ūsus) sein. Vergleichbar ist dazu der Zusammenhang von rēs und nātūra in IX 56. 175 Das überlieferte declinata hat L. Sp. zu declinatu korrigiert. Es wird sich hier aber um den Genitiv des Substantivs auf -ūs handeln. Eine Verschreibung von -us zu -a ist auch paläographisch leicht denkbar. Varro hat ja an ganze Deklinationsreihen (Paradigmata) gedacht, was er in Buch X weiter ausführt, vgl. Taylor (1996) 21. 176 Der Singular von Hülsenfrüchten wie faba wurde als Kollektiv verwendet, der Plural hingegen bezeichnet viele einzelne Objekte davon. 177 Auf das Problem der Deklination von Buchstabennamen geht Varro in IX 51 f. ausführlicher ein; hier tippt er das Thema nur an, das die Anomalisten in VIII 64 f. breiter behandelt hatten. – Das Verbum inclināre gebraucht Varro selten: IX 34, X 13, als Subst. inclinātiō IX 1 und 114. Es scheint sich aber zu Varros Zeit als t. t. für 'Flexion' bzw. 'flektieren' eingebürgert zu haben: Sein Zeitgenosse Nigidius Figulus, von dem Funaioli immerhin 46 grammatische Fragmente gesammelt hat (GRF S. 161-178), gebraucht inclināmentum als t. t. für die Suffixableitung von Adj. auf -ōsus: GRF 4 p. 162 Funaioli (wörtlich zitiert bei Gellius IV 9, 1 f.). 178 Taylor (1974) 106 Anm. 30 hat die Parallele zu Lucrez gezogen (De rerum natura I 358-363), wo das Phänomen des spezifischen Gewichts anhand gleicher Volumina von Wollballen und Blei behandelt wird, s. auch Duso S. 183. 179 Diese Passage von Kap. IX 40-61 antwortet im Einzelnen auf die Fragen bzw. Einwände der Anomalisten, vgl. VIII 40. 180 Varro unterscheidet also zwischen grammatischem und natürlichem Geschlecht und macht die Zugehörigkeit durch Voraussetzung des Demonstrativums hic etc. deutlich, das den griechischen Artikel ersetzen muss: Taylor (1974) S. 91 f. Die eigentliche Klärung der Begriffe 'grammatische Substanz' (māteria) und grammatische Form ( figūra) erfolgt erst im X. Buch (Kap. 11). 181 In VIII 41 stellt Varro dem (dunkelhäutigen) Äthiopier einen Weißhäutigen (albus) gegenüber; hier lenkt er hingegen den Akzent eher auf die rotfarbenen Haare als auf die Hautfarbe. Die beiden Beispiele weisen auf Herkunft aus griechischer Quelle.– Der auf Gallus folgende Satz vertritt die analogistische Position, daher ist die Ergänzung zu si nötig, vgl. in IX 51 den mit proinde eingeleiteten Nebensatz. 182 Vgl. VIII 42 f. Die scheinbare Aggressivität Varros (impudenter wäre 'unverschämt') entfällt durch die Verbesserung von Augustinus. 183 Zu Varros Zeit wurde das griech. ph- wie [p] artikuliert, s. das Deminutivum von griech. amphora → ampulla, das y von Phryx wiederum als [u]. Maßgeblich für die Textkonstitution ist die Notiz aus Ciceros Orator 160, Ennius habe nie Pyrrhum, sondern immer Burrum geschrieben, und Brugēs (sic!) statt Phrygēs, belegt durch das Ennius-Zitat „vī patefēcērunt Brugēs“, was des Ennius antīquī librī beweisen sollten. Die Stelle aus dem Orator steht in so enger Verbindung mit Varro (s. Ax [1995] 6-11), dass sie als Korrektiv der fehlerhaften Überlieferung von F dienen kann.

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          Anmerkungen

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          184 In der entsprechenden Partie aus VIII 31 hatten die Anomalisten allerdings nicht mit der varietās wie hier argumentiert, sondern mit ūtilitās, Nützlichkeit, und ēlegantia, also eher mit dem feinen Geschmack. 185 Abacus kann sowohl das Side-Board als auch ein Spielbrett bezeichnen (NP 1, 3). Wegen des Kontexts der Hausausstattung dürfte hier die erste Bedeutung vorliegen: Varro scheint eine Art Silberintarsien im Auge zu haben. 186 Das Beispiel mit den Betten hat seine Entsprechung in VIII 32 und gewährt – hier wie dort – einen interessanten Blick auf die römische Trikliniumskultur. 187 In VIII 28 spielt die anomalistische Seite mit den Termini ūsus 'Nutzen' und ūtilitās 'Nützlichkeit', während der Verteidiger sich hier auf die 'Nützlichkeit' beschränkt. 188 Die drei überlieferten Perfektformen unterscheiden sich alle – also auch das erste Beispielspaar – in der Art ihrer Bildung; die vierte ist ausgefallen. Vorgeschlagen wurden < periacuit et > prop. Canal (de Melo); < et percupivit > Aug.; aber wenn es Varro um den Bildungstyp ging, dann würde ein s-Perfekt wie permānsit passen, das ja auch das Merkmal 'Dauer' trägt. 189 Vgl. VIII 54 (zur Bezeichnung der Ställe). Bovīle ist wohl – trotz eines Belegs bei Cato maior – ein Grammatikerkonstrukt, üblich war bubīle. 190 Vgl. VIII 64. 191 In diesem Satz verfällt Varro – wenn die Überlieferung stimmt – aus dem hochsprachlichen Stil in umgangssprachlichen Jargon: Die Pronomina ea, quae – eōrum passen, strenggenommen, nicht zueinander; ähnlich ist es beim Wechsel des Numerus nōn ea dīcātur esse analogia, quae … essent dēclināta. 192 Dieser kleine Abschnitt zeigt durch das vorangestellte Pronomen hoc, dass Varro auch die Bezeichnung für Silben als Neutra behandelte, nicht nur die einzelnen Buchstaben/litterae. Zur Deklination der litterae vgl. VIII 64 f. und X 82. 193 Vgl. VIII 51. 194 Damit bezieht sich Varro wieder auf das Phänomen bzw. Problem der Flexion von (eigentlich) indeklinablen Buchstabennamen, die allerdings – z. B. durch den Vorsatz eines flektierbaren Pronomens wie hoc bzw. huius und huic etc. – syntaktisch als Genitiv bzw. Dativ etc. gebraucht werden können. Der Gegensatz zwischen rēs als grammatischer Substanz und vōx zieht sich wie ein roter Faden durch die Bücher IX und X, s. auch zu X 19. 195 Quae quaternōs habēbunt vocābulīs cāsūs: Die Form vocābulīs ist wohl Dativ des Vorteils und gehört zu habēbunt; in dieser Vierzahl ist der Vokativ nicht berücksichtigt. 196 Der Analogist versucht, aus der Argumentation der Anomalisten Munition für seine Verteidigung zu gewinnen: Wenn diese aber verschiedene Wörter ins Feld führen, die nur jeweils fünf, vier oder weniger Kasus (als lautlich unterschiedliche Formen) bilden, so müsste man ja bei einem Vergleich nur innerhalb dieser diversen Gruppen bleiben – und die Analogie bliebe gewahrt. Schlüssel hierfür ist die schon erwähnte Größe der grammatischen Substanz (rēs), s. Vorwort 2.7. 197 Das dazu gehörende Argument der anomalistischen Seite fehlt in Buch VIII; Varro hat das Gegenargument hier offensichtlich nachgeschoben, während bzw. weil er in VIII das anomalistische vergessen hatte; zu dieser Praxis äußert er sich in IX 7. 198 Zitat aus Ennius' Annales 14 V., leicht abgewandelt schon in V 60 und 111. Dieses Kapitel bringt einen kleinen grammatischen Exkurs Varros mit Belegen für Genitivattribute (hic cāsus Terentiī etc.), die literarisch sonst nicht greifbar sind.

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          Anmerkungen

          Allerdings ist hīlum (Neutrum) im Enniuszitat syntaktisch ein Akkusativobjekt, kein rēctus cāsus. 199 Mostellaria 245: Sprecher ist die Sklavin Scapha, Angesprochene die Prostituierte Philematium, die Geliebte des Philolaches, der dabeisteht. Die Konjunktion enim, die der Varrotext überliefert, fehlt bei Plautus. Sie gehört zur einleitenden Formulierung Varros und ist ein Einschub in das Originalzitat. 200 Diese Beispiele wird Varro in der (verlorenen) Syntax wieder aufgenommen haben, da sie weniger morphologischer Natur sind. 201 Vgl. VIII 56, die Argumentationsbasis für die Anomalisten. Die lat. Pränomina – zu denen Mārcus und Numerius gehören – standen als alte Individualnamen vor dem Gentile, dem Familiennamen. Sie waren im Lauf der Zeit in Rom auf elf begrenzt, aber nicht für Frauen gebraucht (NP 10, 256); diese trugen in der Regel das Gentile, z. B. Cornēlia oder Līvia, die Metella aus dem varronischen Beispiel dürfte eine Angehörige der gēns Caecilia gewesen sein: NP 2, 882. 202 Das Maskulinum hat sich aber in it. merlo 'Amsel' durchgesetzt. 203 Mit dem Kriterium des ūsus, des Gebrauchs von Wörtern für Dinge in der realen Welt (nātūra), greift Varro auf das Begriffspaar zurück, das er schon in IX 4 eingeführt hatte. 204 Nātūra hat hier fast schon die Bedeutung von 'Merkmal' zur Kennzeichnung eines Bedeutungselements. 205 Die Adjektiva māsculīnus bzw. fēminīnus für die Bezeichnung des grammatischen Geschlechts sind erst für Quintilian (Ende des 1. Jhs. n. Chr.) bezeugt; Varro bedient sich noch – metaphorisch – der Substantiva mās bzw. fēmina, auch alternativ der Adjektiva virīle bzw. muliebre (IX 41): Das ist ein Zeichen dafür, dass sich die linguistische Fachsprache noch nicht stabilisiert hatte; nur das Adj. neutrum hat sich (seit Varro?) durchgesetzt, s. die Belege im OLD. 206 Der Text ist verstümmelt überliefert. Die geringsten Eingriffe am Ende des Kapitels benötigt die Konjektur von Canal (1874). 207 Varro bewegt sich hier mit mās, fēmina und neutra (im Plural!) immer noch an der Grenze zwischen etablierter grammatischer Terminologie und ontologischer Beschreibung des Männlichen. 208 Trānsīre ist – wie schon in Kap. 57 deutlich wird – Varros Terminus für 'Formen bilden', sei es Kasus oder Genera. Dahinter steht das Bild eines Musters mit quer und senkrecht verlaufenden Reihen, wie er es in X 43 f. vorführt und wie wir es aus den Tabellen der Grammatiken kennen. 209 Varros Wortbildung mit dem selten vorangestellten Genitivattribut – deī et servīnōmina, so in F zwiefach auffällig mit einer Lücke von 2 Zeichen nach Dei bzw. zusammengeschrieben – hat ihre Entsprechung in V 71: aquās (Gen.) deī 'Wassergottheiten'; entsprechend wird das überlieferte nostrī nōminibus den Gen. des Personalpronomens nōs enthalten: 'die Eigennamen von uns' = 'unsere Eigennamen' und braucht nicht zu nostrīs verändert zu werden. Diese sog. „Zusammenrückung“ entspricht jener von aquaeductus (Leumann 399), pignoriscapiō 'Pfändung', senātūscōnsultum 'Senatsbeschluss' und multitūdinis nōmen IX 68 'Pluralwort'; die Schreibung in F legt nahe, dass bei Varro ursprünglich sogar so geschrieben war, ohne Worttrennung. Vgl. dazu auch VII 31, wo für Varro selbst Trennstriche bei amb-agēs etc. bezeugt sind, die wohl ursprünglich senkrechte Strichlein waren.

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          Anmerkungen

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          210 In dieser breit geratenen Passage zeigt sich Varros historisch-antiquarisches Interesse an der Erforschung von Namen und deren Etymologie, was mit der Analogiedebatte zunächst nichts zu tun hat. Über achtzig der bei Funaioli (GRF 323-406) gesammelten Varro-Fragmente haben Eigennamen von Menschen bzw. Göttern oder Orten als Thema. 211 Nach Helmut Rix (NP 10, 256) gehen Praenomina wie Quīntus (gegen Varro) vielleicht auf die Bezeichnung der Geburtsmonate zurück (Quīntus wäre also 'der im Juli Geborene', Decimus das Dezemberkind, nicht 'der als zehntes Kind Geborene'). 212 Frg. 6 Sarullo. Die Mutter der Laren, Mānia, wurde auch Larunda genannt, der um 180 n. Chr. noch ein Militärtribun in den frisch fertiggestellten Castra Reginēnsia (Regensburg) einen Altar weihen ließ. Volumnia ist auch der Name der Frau des Marcius Coriolanus (Livius II 39 f.); die Lūcia Volumnia ist außerhalb des Salierliedes nicht bekannt. 213 neutrī: Genitiv statt neutrīus: Kühner / Holzweißig 625. Der ganze Absatz bedarf keines Eingriffs, wie ihn L. Spengel und Kent noch vornehmen. 214 Varros t. t. für 'Singular' und 'Plural' sind das Adj. singulāre bzw. die Ablativform singulārī (IX 65) und der Genitiv multitūdinis, s. zu VIII 48. 215 Die Unterscheidung zwischen bestimmten ( f īnīta) und unbestimmten Wörtern (īnf īnīta) hatte Varro schon VIII 45 vorgenommen und erklärt. Entsprechend ist das Demonstrativum < hae > zu ergänzen, da es seinen Bezug genau festlegt, vgl. VIII 45. 216 Damit hat Varro das Argument der Anomalisten aus VIII 48 erledigt. 217 Am folgenden Teil wurde seit Augustinus so massiv geändert wie an keiner anderen Varropassage. Dabei bedarf es nur dreier kleiner Eingriffe, um einen plausiblen Sinn zu ergeben. Aus Silber, argentum, machte wohl ein hungriger Kopist Essig (acētum), den er dem Öl beigesellen wollte; diese Änderung haben die Nachfolger von Augustinus übernommen. Doch vor multum ōleum fehlt nur noch ein ut als Pendant zum folgenden sīc. Das inkriminierte enim (in F abgekürzt enī) nach dīcimus dürfte – wie öfter im Laurentianus – aus ēē (= esse) verlesen sein. Worum es Varro geht, sagt ja schon der erste Teil von Kap. 66. Warum Varro als (denkbare) Beispiele die Münzen genommen hat (wie den Aureus oder gar den Argenteus, s. OLD s. v. argenteus2), liegt am Genus: Die Münzen waren Maskulina (aus der Ellipse von nummus 'Münze' entstanden); für die Stoffe, um die es hier geht, brauchte Varro aber Neutra. 218 Silbergeschirr gehörte in Rom ab dem 2. Jh. v. Chr. zu den „Statussymbolen der röm. Nobilität“ (NP 11, 548 ff.). Nōn quod argentum multum: Varro wusste, dass auf der Apennin-Halbinsel Silber praktisch nicht vorkam; Hauptquelle des Silbers waren für die Römer Griechenland und Spanien: NP 11, 546. 219 Unguentum: Berühmt ist die literarische Verarbeitung des Parfüm-Motivs in Catulls c. 13. 220 Aus griech. βαλανεῖον. 221 Überliefertes laviatrinam geht sicher auf ein Akzentzeichen im Varrotext zurück, das die Länge des Vokals markieren sollte (dazu: Leumann 12 ff.) und hier wohl dazu diente, das Wort vor der Verkürzung zu lātrīna 'Latrine' zu bewahren. 222 Nē ist hier adverbiell, vgl. OLD s. v. nē S. 1163 Nr. 7, es wirkt stark betont; Kent (1938) 493 nimmt hier noch eine Lücke an.

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          Anmerkungen

          223 Das lat Suffix -ānus bildet „Zugehörigkeitsadjektiva“ (Leumann 324), -iānus wird für Ableitungen von Personennamen verwendet (Leumann 325). 224 Die von Varro Genannten waren die Unternehmer (ēditōrēs) von solchen öffentlichen Gladiatorenspielen (mūnera). Aus seiner Diskussion über die Benennung der Gladiatorentruppen lässt sich – mit Vorsicht – schließen, dass sie zu seiner Zeit in Rom gar nicht so selten waren. 225 Dass der Sprachgebrauch nicht starr ist, sondern schwankt (Varro sagt dazu: natāre 'schwimmen'), hat er schon in VIII 74 angesprochen. 226 Vgl. VIII 75-79. 227 Ein Seitenhieb auf die Anomalisten, vgl. unten zu IX 83: stultē quaerunt 'Sie (die Anomalisten) fragen dumm'. 228 In der Überlieferung ist ein kleiner Teil ausgefallen. Die Korrektur von Stephanus (s. App.) trifft wohl das Richtige. Varro scheint hier eine umgangssprachliche Ausdrucksweise anzugreifen, um die Steigerung von mānē, die die Anomalisten vermissen (VIII 76), auszuschließen. Er meint wohl: magis mānē und magis vesperē bezeichnet nicht jeweils ein Früher, sondern im einen Fall das Frühere, im anderen das Spätere. Einen wichtigen Gedanken überspringt Varro: Wenn aber magis mānē schon bedeutet 'eher am Morgen', dann kann es dazu keine Steigerung (wie mānius, mānissimē) mehr geben: Seine Argumentation ist (un-) ausgesprochen knapp. 229 Die Bildung von Deminutiva, das genus minuendī, ist für Varro das Pendant zur Steigerung, dem genus augendī: VIII 52. 230 Über usu hat der Schreiber von F eingefügt comuniter (mit Abkürzung der Endsilbe -ter), was Vall. und f aber als com(m)uni gelesen haben, so auch die Hrsgg. Der allgemeine Sprachgebrauch heißt zudem bei Varro cōnsuētūdō (commūnis), nie ūsus. 231 Siet ist die altlat. Form zu sit und in der Sprache der Komödie noch gut vertreten (Leumann 523); den bei Kühner-Holzweißig (803, s. zu IX 62) genannten Belegen zufolge ist diese Varrostelle der letzte Beleg in klassischer Zeit. Das hier isoliert erhaltene siet (von Müller aus überliefertem si et restituiert) verleiht dem Satz archaisierend Gewicht: Dass es Analogie gebe, ist ja die programmatische These des ganzen IX. Buches. 232 Possunt fierī ac repōnī, quod aberit: Hier haben GS eine Lücke konstatiert und reichlich ergänzt, da der Plural possunt mit dem Singular des Relativpronomens quod nicht kongruent ist. Die Lösung ist, dass sich fierī auf analogiae bezieht und – inhaltlich ja schon weiter entfernt – repōnī auf aberit. Varros Latein ist freilich stilistisch (auch hier) nicht gerade elegant. 233 Naevius fr. praet. 2 Ribbeck: Das Zitat muss sich auf den siegreichen Konsul M. Claudius Marcellus beziehen, der 222 v. Chr. bei Clastidium (heute Casteggio/ Lombardei) in einem Zweikampf den Gallierfürsten besiegte und seine Rüstung als Trophäe mitnahm. Der Nominativ Singular redux war also ungebräuchlich. 234 Eine leicht heilbare Stelle: Einer der Kopisten hat aus altem eius (abgekürzt wohl ej) ein et gemacht und dann Alexandrī verschoben. 235 Diese Stelle ist einer von mehreren ausdrücklichen Beweisen dafür, dass zur Zeit Varros der Langvokal [i:] mit dem Graphem < EI > geschrieben wurde. Vgl. dazu Varros Aussage über die Schreibungen bei Ennius in VI 61. Augustinus hat in seiner Ausgabe von 1557 durchgehend die Schreibung ei restituiert, auch dort, wo sie textkritisch nicht erschließbar ist.

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          Anmerkungen

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          236 Dieses Argument der Anomalisten steht so nicht in Buch VIII; dort ist allenfalls die Bildung des Gen. Pl. von dēnāriūm statt dēnāriōrum (VIII 71) kurz angesprochen. 237 Lucilius 1153 f. Marx. Die Schreibung mit nur einem S dürfte auf den Luciliustext zurückgehen, nicht auf Varro selbst, der in V 170 decussis bzw. decussibus schreibt. Das Verbum EST bedeutet hier wohl nicht est 'ist', sondern ēst 'isst/speist': Der Unbekannte 'verspeiste' 10 As – er tafelte also teuer. Zur Bezeichnung der Münzen und deren etymologischer Herkunft äußerte sich Varro ausführlich in V 169-174, einer der wenigen Passagen, für die es eine Parallelüberlieferung zum Codex F gibt: beim Grammatiker Priscian, De figuris numerorum 15 f. (in: GLK III 410 f.). 238 D. h. ähnlich, wie es z. B. gladius (Mask.) neben gladium (Neutr.) gibt, werden die Münzen im Singular und Plural jeweils mit anderem Genus gebraucht. Über dieses Problem huscht Varro etwas eilig hinweg. 239 D. h. wenn vorher die Zahl für die Tausender noch angegeben wird, z. B. quattuor mīlia dēnārium '4000 Denare'. Varro hat den alten Genitiv Plural dēnārium etc. (aus *-ōm) wohl als Form des Neutrum Singular interpretiert. 240 Eine der Stellen, wo sich Varros fachsprachlicher Gebrauch für die Wortbildung andeutet: as ist ein Simplex (also nicht zusammengesetzt), dupondius eine Bildung (durch Zusammensetzung), fictus. In VIII 61 verwendet er für das Kompositum allerdings compositum, andere sagten dazu – so Varro – compositīcium, in V 7 bezeichnet er die Pacuvius-Bildung von incurvicervicus 'krummnackig' als confinxerit: Die grammatische Terminologie war offenbar (noch) im Fluss. 241 aeneāque lībrā: Aus der alten Formel der Manzipationsakte, s. zu VII 105. 242 Suum īnf īnītum ist elliptisch, zu ergänzen ist wohl suum (numerum); oder vielleicht – was Varro aber nicht expressis verbis gebraucht – suum multitūdinis? Mit īnf īnītum ist gemeint, dass die Zahl der assēs unbestimmt ist, vgl. zur Abgrenzung auch VIII 45. 243 Vgl. V 169: ab tribus assibus trēssis. 'Trēssis, Drei-As, kommt von trēs assēs.' 244 Die in F zweimal überlieferte Schreibung denarii, von den Hrsgg. zu denariorum verändert, ist beizubehalten: Varro ging es ja um die Verwendung der Pluralform dēnāriī, nicht um den Gen. Pl. -ōrum. 245 Der Infinitiv oportēre ist noch von vidētur mihi zu Beginn des Kapitels abhängig. 246 Der Sesterz (aus sēmis tertius 'ein halber vom Dritten') zählte 2 ½ As, also einen Viertel Denar, und hieß kurz einfach nummus. Der Victōriātus, eine mit dem Bild der Siegesgöttin Victoria geschmückte Silbermünze, war nach Plinius nat. XXXIII 46 drei Sesterzen wert, die Drachme hatte griechischen Ursprung und galt zu Varros Zeit so viel wie ein Denar. Die alte Endung des Gen. Pl. der o-Stämme war -um < *-ōm, erhalten noch z. B. in (Gen. Pl. ) praefectus fabrum (= fabrōrum) 'Pionierkommandant' bis in die mittlere Kaiserzeit; vgl. Leumann 428. 247 Varro versucht hier als Mathematiker zu brillieren: Er hatte ja u. a. – nach dem Verzeichnis von Hieronymus – ein Werk De principiis numerorum verfasst und einen Logistoricus (s. Vorwort 1.2 zu Band I) namens Atticus de numeris. Primär geht es ihm in diesen Kapiteln um die Systematik der Zahlen, also der rēs, denen in etwa die Bezeichnungen in Form der Flexion (sic!) der Zahlwörter entsprechen; eine etymologische Erklärung für die interne Wortbildung z. B. der Zehnerzahlen liefert er nicht. Das System beschreibt er mit Termini, die sich für uns nicht leicht erschließen lassen: Das Subst. āctus ist in dieser Verwendung einmalig,

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          Anmerkungen

          übernommen wohl aus der Einteilung des Dramas, und beschreibt offensichtlich die Zahlengruppen von 1-999, dann 1000 und höher; gradus, Stufe, bezeichnet die Trias aus Einern, Zehnern und Hundertern, mit decūria sind die Zehnereinheiten gemeint. Das Subst. rēgula ist kaum die 'Regel' (de Melo: „rule“, Duso: „regola“), sondern das Maß für die jeweilige Zahlenspanne von 1 bis 9. 248 Der Passus Sic – perveniunt muss ein späterer, halbgelehrter Zusatz sein, den Mette als solchen erkannt hat. Auch Kent (1938) S. 509 bemängelt, dass dieser Satz nicht zur vorher formulierten Regel passe („do not constitute the 'rule'.”). 249 In diesem Satz hat das überlieferte minores für große Verwirrung gestiftet; Müller musste einen großen Einschub konjizieren, den Kent und de Melo übernommen haben. Dabei fehlt doch ein Pendant zu den antīquī, den Alten, von Kap. 86; minōrēs löst sich als Verlesung bzw. Verschreibung von iūniōrēs auf, umgekehrt war X 71 minōrēs zu iūniōrēs geworden. Am Ende des Kapitels muss auch nichts Weiteres konjiziert werden: Varro geht es nur um die Flexion von mīlle in den Genera, vorher war die Flexion in den Kasus das Thema. 250 Diese ganze Passage von IX 85-88 liest sich wie ein Auszug aus einer Grammatik des röm. Münz- und Zahlsystems und hat erst in zweiter Linie mit der Verteidigung der linguistischen Analogie zu tun. Der ganze Komplex endet abrupt, die Annahme einer Lücke bzw. ihre Ergänzung (L. Sp.) glättet den Bruch nicht. 251 In eō: Varro greift hier auf das Thema von Kap. 80 – die unregelmäßige Nominalflexion – wieder zurück und verlässt sein arithmetisch-numismatisches Kurzreferat; der Übergang wirkt wenig geschmeidig, daher hat Müller (1833) eine Lücke vermutet. 252 Ὁμωνυμία zur Bezeichnung der verbalen Identität bei ganz verschiedener Bedeutung erscheint zum ersten Mal bei Epikur (in einem Papyrusfragment), συνωνυμία schon bei Aristoteles Rhet. 1404 b 39. Varro hatte den ersteren Terminus sicher aus der grammatischen Literatur.– Die überlieferte Dopplung von oblīquī cāsūs, die Augustinus (1557) getilgt hat, könnte, wie das zweifache nōn in VIII 29, auf eine Phase des mündlichen Diktats durch Varro selbst zurückgehen und wäre dann authentisch. 253 Lateinisch ist die Ortsbezeichnung ein Pluralwort (Gen. Argōrum) wie Delphī. 254 Caput 'Kopf' ist eine bildhafte Bezeichnung des Ausgangspunkts für die Flexion: s. schon Kap. IX 79. 255 Vgl. VIII 68. Auch dort bietet F die Vokativform Philomēde, die Müller in beiden Fällen zu Philomēde geändert hat. 256 In IX 39, wo es um die Diskrepanz zwischen Aussehen und (spezifischem) Gewicht ging. 257 Varro betont dies so sehr, weil es ihm um die grammatische Substanz geht, die rēs (s. IX 52), die er mit diesen Beispielen aus der nichtsprachlichen Welt veranschaulichen will und vielleicht selbst entdeckt hat, s. Vorwort 2.7. 258 Den t. t. prōnōmen gebraucht Varro auch X 80 – er bezeichnet an beiden Stellen nicht die Wortart (das wäre ja articulus), sondern die Funktion des Demonstrativums hic, haec, hoc als Operator, um den entsprechenden Kasus des folgenden Substantivs zu zeigen. 259 Die Partien aus Buch VIII, welche die Argumente und Beispiele der Anomalisten enthalten haben müssen, sind der dortigen Lücke (in F bzw. F*) am Ende von VIII zum Opfer gefallen.

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          Anmerkungen

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          260 Genera: die Dimensionen des „genus verbi“, nämlich Aktiv/Passiv; dīvīsiō ist – den folgenden Beispielen zufolge – der Aspekt: perfektiv/non perfektiv (perfectum/ infectum in 97 ff.), letzterer bei Varro als inchoātum genannt. Der Aspekt wird von Varro als dīvīsiō, also eigentlich „Abtrennung“ bezeichnet, da der Unterschied zwischen abgeschlossener/vollendeter und noch nicht abgeschlossener/ unvollendeter Handlung auch als eine Art Abtrennung verstanden werden kann. Die folgenden Kapitel zeigen, dass Varro das Substantiv bereits als etwas Bekanntes verwendet: Erstens erklärt er es nicht mehr, sondern setzt sein Verständnis beim Leser voraus, wohl, weil er in der Lücke von Buch VIII schon erklärt war. Auch den dazu gehörenden Terminus īnfectum erläutert er (in 97 ff.) nicht weiter, sondern gebraucht ihn sowohl als Adjektiv (97) als auch substantivisch in 99: dissimilia cōnferunt, verba īnfectī cum perfectīs 'sie vergleichen Unähnliches, die Verben des Unvollendeten (d. i. nichtperfektiven Aspekts) mit den vollendeten'. Das spricht dafür, dass für Varro und sein Umfeld zumindest dīvīsiō, wohl aber auch die Begriffe perfectum und īnfectum termini technici waren und ihre Dichotomie bekannt war. Daher wird dīvīsiō hier mit „Aspekt“ wiedergegeben, auch um der fachsprachlichen Gebundenheit bei Varro gerecht zu werden. Die Bedeutung von perfectum bzw. īnfectum wird indes auch durch die Wiedergabe mit „(un-) vollendet“ hinreichend klar, da beide in der Grauzone zwischen dem gebundenen Fachausdruck und der wörtlichen Wiedergabe stehen. 261 Also wurde beim römischen Grammatiklehrer folgende Formentrias gelehrt: Präsens – Futur – Perfekt, z. B. dīcō, dīcam, dīxī. Vgl. auch IX 99. Ähnliches gilt auch für das Passiv im Folgenden, anders als im heutigen (deutschsprachigen) lateinischen Grammatikunterricht, wo das Quartett dīcere – dīcō – dīxī – dīctum verbreitet sein dürfte. 262 Verbum duplex: Das war – jedenfalls bei Varro – offenbar der Terminus für die analytische Bildung von PPP zuzüglich der Formen von esse. Das Pronomen illōs steht noch im AcI, der vom vorausgehenden scīre abhängt. 263 Aus dieser Stelle geht hervor, dass in der röm. Schule bzw. bei den zeitgenössischen Grammatikern ferīre 'stoßen' als sog. Suppletivparadigma behandelt wurde, d. h. anstelle von ferīvī wurden die Formen des Perfektstamms von percutere übernommen. Die Formen feriī etc. sind allerdings bei späteren Grammatikern überliefert. 264 Prīncipia: Varro hat (noch) keinen festen Terminus für 'Verbalstamm' oder 'Verbalwurzel' und nimmt mit prīncipium ein ganz allgemeines Substantiv für 'Anfang'. 265 Varro führt die Form esum so nebenbei und ohne großen Pomp ein: Das klingt für seine Verhältnisse ungewöhnlich bescheiden. Er hatte diese Form – im Gegensatz zu vielen anderen seiner etymologischen Konstruktformen – wohl wirklich in alten Texten (im Carmen Saliare?) vorgefunden und eben nicht konstruiert: Leumanns Deutung (523), „die Form war wohl nur zu diesem Zweck von einem Grammatiker konstruiert“, ist zu korrigieren. Varro wird die Form, die historisch richtig ist, in einem der beiden etymologischen Bücher III oder IV erklärt haben, in dem er sein eigenes Etymologisieren verteidigt bzw. das Wesen der Etymologie erläutert hat. ESUM ist für das Präsamnitische, eine „Schwester“ des Altlateinischen, aus dem 6. Jh. bezeugt: Meiser (1986) 20. 266 Vidēbis: Wieder eine Leser-Apostrophe wie schon in VIII 53, vgl. intellegēs in IX 6, animadvertitō in IX 37 und possīs in IX 94 f.

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          Anmerkungen

          267 Im überlieferten infectaba steckt wieder die Abkürzung von * ūa für u(erb)a, die sich in F mehrfach festmachen lässt. 268 Indicandī: Das ist der erste Fall, dass Varro sinngemäß den Indikativ als Modus mit einem Terminus erwähnt; wenn er hier die Form indicandī nicht weiter erläutert, weist das vielleicht darauf hin, dass sie zu Beginn der Partie zur Verbalmorphologie behandelt war, die in Buch VIII verloren ist. – In IX 32 unterscheidet Varro die Modi Imperativ, Optativ und Fragemodus noch ohne festen Terminus technicus (< in > imperandō, optandō, interrogandō), in der entsprechenden Partie von X 31 subsumiert er die Formen des Indikativs unter die Kategorie respondendī, ut fingō, pingō etc.: Der Terminus imperātīvus war also noch nicht geboren. – Novēna: D. h. im Imperfekt, Präsens und Futur I bzw. Plusquamperfekt, Perfekt und Futur II (jeweils im Ind. Singular). 269 Der ganze Satzbau, beginnend mit Item, trägt Züge eines emphatisch formulierten Diktats, dessen Hauptsatz nicht vollendet wurde, als hätte sich zum (schon absehbaren?) Ende des IX. Buches Varros Formulierungstempo beschleunigt. 270 Eine Form des Plusquamperfekts plūerat ist bei Plautus noch belegt, alte Perfektstämme auf * -ū-vī, die zu -ūī wurden, s. bei Leumann 595. Die juristische Formel rūta caesa bezeichnete „alles, was auf einem Grundstücke ausgegraben (ruta) und gefällt (caesa) worden ist, ohne verarbeitet zu sein“: Georges II 2429. 271 Die Überlieferungsfehler bei sacrifico bzw. sacrificor – s. den Apparat – lassen sich als Relikte von Akzentzeichen erklären, vgl. zu VIII 72 und IX 105 (F). 272 Aus dem Trūculentus ('der Grobian') 322 f.: Der junge Diniarchus steht wartend vor dem Haus der Hetäre Phronesium, die er besuchen will. Angesprochen ist Astaphium, die Dienerin der Phronesium. 273 Tatsächlich bieten die Plautuscodices lavāre bzw. lávere, nicht lavārī, allerdings auch die Wortstellung minus diū (lavāre) statt diū minus. Die Stelle gibt einen kleinen Einblick in die Arbeit des Plautusherausgebers Varro. Die von Varro selbst vorgenommene Korrektur des Plautustexts hat sich aber nicht durchgesetzt, s. auch Traglia (1974) 278 f. 274 Weder in den Fragmenten der Reden des M. Porcius Cato noch bei den Enniusfragmenten haben sich indes Formen des Perfekts auf -u- zu solēre erhalten. 275 Myrmēcidēs war der Schöpfer von Elfenbeinminiaturen, deren feine Linien nur durch Kontrast mit einem schwarzen Hintergrund sichtbar wurden. In VII 1 hatte Varro sich des gleichen Beispiels bedient, um seine etymologische Rekonstruktion zu erläutern, hier braucht er die Miniaturen, um die Auflösung morphologischer Homonymien zu veranschaulichen. 276 Zum t. t. participium s. zu VIII 58; dort schreibt Varro: ... quo vocantur participia: Er gebraucht den Terminus participium vorsichtig, wie wenn er neu eingeführt worden wäre, und erläutert ihn wohl in der (verlorenen) Triade XI-XIII. 277 Nämlich amāns, amantis: Ein t. t. für die verschiedenen Flexionsklassen (wie „o-Deklination“ oder „konsonantische Dekl.“) fehlt Varro. 278 Auch diese Passage ist am Ende von Buch VIII verloren; das Argument der Anomalisten lässt sich also nur indirekt aus dieser Stelle erschließen. 279 Ein verschraubter Satz Varros, dessen Konstruktion aus dem Schwung erklärbar ist, mit dem er am Ende des IX. Buches in einem Sprachspiel den Anomalisten īnscientia vorwirft, während er selber die Sprachwissenschaft, scientia ōrātiōnis, vertritt. Der Analogist hat das Recht, auch dann korrigierend einzugreifen, wenn

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          eine einzelne Form falsch gebraucht wird. Varro plädiert also dafür, den Ablativ der i-Stämme generell wie den Dativ auf -ī zu bilden. Das Problem der zweifachen Flexion des Ablativs Singular der i-Stämme thematisiert Varro auch im XI. Buch, wie Fragment 19 erweist, das über Plinius den Älteren überliefert ist, s. dort. 280 Hier greift Varro wieder auf seine Aussage aus IX 3 zurück, dass Anomalie und Analogie nebeneinander existieren, da beides im allgemeinen Sprachgebrauch beobachtbar ist. Er geht hier aber weiter, denn weite Teile des vorher Gesagten liefen ja darauf hinaus, dass Ähnliches mit Ähnlichem zu vergleichen sei: Damit ist die Grundlage für das theoretische Buch X gelegt. 281 Am Ende des Buches wiederholt Varro also kurz die Eingangsthese. Er setzt darauf eine deontische Forderung, dass alle die Analogie befolgen sollten, und erweist sich in gewisser Weise als Sprachnormierer. 282 Das überlieferte quoque trägt nur einen schwachen Sinn; es liegt wohl das Pronomen quisque vor: Dieses kann auch mit dem Plural verbunden werden (Kühner-Stegmann II 1 S. 646 c), was hier einen besseren Sinn ergibt. 283 Diese deontische Passage am Ende des IX. Buches nimmt Teile dessen vorweg, was in den verlorenen Büchern XI-XIII exemplifiziert worden sein muss; dort wird Varro auch auf die Rolle der Dichtersprache näher eingegangen sein. Nur zwei der bei Funaioli gesammelten Fragmente (GRF Nr. 14 und 15) zeigen, dass Varro normierend wirken wollte, s. im Anhang zu den Fragmenten. Zu Buch X: 284 So knüpft Varro an die Frage aus Buch IX an, wie der Redner sich zur Analogie verhalten soll (IX 5 und 114; beide Stellen markieren ja den Rahmen von Buch IX). Disciplīna loquendī kann per se sowohl die Redeschule (als Ort des Lernens) als auch die Rhetorik als (theoretische bzw. praktische) Disziplin sein, vergleichbar der Verwendung von disciplīna zur Bezeichnung der etymologischen Wissenschaft in V 1. Taylors Übersetzung „language science“ greift zu weit, Kents „the art of speaking“ (so auch de Melo) und Traglias „l'arte del ben parlare“ sind Varros Intention näher. Die beiden o. g. Parallelstellen aus Buch IX führen zur 'rhetorischen Praxis'. 285 Das „erste Buch “ zur Analogie war im varronischen Gesamtkontext das achte. So erklärt sich auch die Titulatur des VIII. Buches, s. o. zu VIII 1. 286 Aus dieser Formulierung Varros gehen sowohl Sendungsbewusstsein als auch Stolz hervor: Er schafft also etwas Neues. Vermutlich hat er Ähnliches zu Beginn von Buch IV, dem letzten Buch aus der ersten etymologischen Triade von Buch II-IV , skizziert: Denn auch in seinem Etymologisieren hat er ja Neuland betreten, s. Vorwort 5. zu Band I. Aus der Behauptung, etwas Neues geschaffen zu haben, erklärt sich auch die Methode, Pro und Contra der Analogie aufwändig in jeweils einem Buch behandelt zu haben; s. Vorwort 2.3 zu Band II. Zur möglichen Verbindung mit Cäsars De analogia s. Vorwort 2.8. – Die Verlesung debuit > debita mit der häufigen Verwechslung von t und a wird auf den Schreiber von F zurückgehen; auch F* war ja in Beneventana geschrieben: Taylor (1996) 35 f. 287 Dieser systematische und klare Beginn des X. Buches spiegelt Varros analytischen Anspruch wieder und verrät, wie intensiv er seinen Gegenstand durchdrungen haben wollte. In diese klare Diktion reihen sich die folgenden Kapitel ein. Varro behält die griechischen Termini analogia und anomalia – wie in den beiden

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          vorangehenden Büchern – in seiner Metasprache bei, nur seine Übersetzung von ἀνὰ λόγον als prōportiōne (in F regelmäßig als ein Wort geschrieben) ist Lateinisch, vielleicht hat er den – schon vor ihm außerlinguistisch verwendeten Begriff (s. OLD 1408) – als terminus technicus in seine eigene linguistische Metasprache übernommen. 288 Die eingeklammerte Passage wird von Taylor (1996) 100 ff. im Gefolge von K. O. Müller als Marginalkommentar Varros getilgt, den dieser – so Müller – nicht mehr eingearbeitet habe. Sie wirkt aber nur scheinbar wie ein Fremdkörper und geht jedenfalls auf Varro selbst zurück, weil die Opposition von Ähnlich/Unähnlich wegen ihrer binären Natur durchaus Varronianisches Gepräge zeigt und im Kontext auch inhaltlich ihren Platz findet; der Folgesatz bezieht sich ja unmittelbar darauf. 289 Ohne Namen zu nennen, greift Varro hier auf Darstellungen anderer Grammatiker zurück (Sunt, quī etc.). Das Thema war also unter diesem quantitativen Aspekt in Fachkreisen so intensiv behandelt, dass Varro hier wie selbstverständlich (plērīque) daran anknüpft. 290 Das Phänomen der Homonyie hatte Varro auch IX 89 mit dem Beispiel metō (von metere 'ernten' und dem EN Metō) behandelt; hier variiert er mit einem anderen Beispiel aus der Welt des Haushalts. Zu nē ‚wirklich, natürlich‘ s. OLD S. 1163 nē2. 291 Lepus, -oris 'Hase' ist ein bei Varro mehrfach angeführtes Beispiel – sowohl aus Sicht der Anomalisten (VIII 68 und das Gelliusfragment am Ende von Buch VIII) als auch bei der analogistischen Replik (IX 91). 292 Kaum eine Stelle aus den analogistischen Büchern spiegelt so sehr das Selbstverständnis Varros wie dieser Passus; wer da mit dem Thema begonnen hatte, es aber nicht abgeschlossen hatte, lässt sich allenfalls spekulativ vermuten: Zu denken ist in erster Linie an Julius Cäsar und seine zwei Bücher De analogia, s. Vorwort 2.8. und X 1. 293 Dionysios von Sidon: Er war Grammatiker in der 2. Hälfte des 2. Jhs. v. Chr. und zählt zur Schule des Aristarchos, der ja Hauptvertreter der analogistischen Seite in Buch IX war. Er war Homerexeget und bezog bei Fragen der Textkritik einen analogistischen Standpunkt: NP 3, 632. Mit der Zahl von 71 discrīmina ingesamt, davon alleine 47 bei den Nomina, ist wohl gemeint, dass er so viele Flexionsschemata oder -muster festgestellt hat. Zum Vergleich: Die für schulische Zwecke verfasste „Griechische Grammatik“ von Bornemann-Risch (Frankfurt am Main 21978) kennt immerhin alleine bei den Substantiva – ohne Adjektiva und Pronomina, und nur auf das Attische bezogen – 22 Paradigmata. Aristokles aus Rhodos war ein Grammatiker der Generation vor Varro (NP 1, 1111); etwa eine Generation später, aber noch vor Varro, war Parmeniskos tätig und verfasste u. a. eine Schrift gegen Krates von Mallos, sicherlich aus analogistischer Position (NP 9, 343). Vielleicht war er die Hauptquelle für Varros Polemik gegen die Anomalisten, jedenfalls auf griechischem Terrain. Dass Aristokles und Parmeniskos in der Zahl der Nominalparadigmata noch unterhalb der o. g. deutschen Schulgrammatik des letzten Jahrhunderts liegen, ist nur aus deren Bemühen erklärbar, stark zu straffen – zugunsten der Analogie. 294 Littera hier: 'Ziffer', da die griechischen Zahlzeichen durch Buchstaben mit zusätzlichen Strichlein markiert waren, z. B. ια ' = 11, ιδ ' = 14. Aristokles hat also nur 14 Schemata anerkannt .

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          295 Statt des überlieferten ratiō liegt inhaltlich näher ratiō, sinngemäß: '… und die Debatte dort begonnen hätte': Hier geht es eher um die Diskussion per se als um die Handhabung einer vorher fixierten Regel. Die umgekehrte Verschreibung bzw. Verlesung findet sich in X 15. 296 Diese zwei Sätze sind grundlegend: māteria und figūra sind zwei Dichotomien – entsprechend rēs und vōx –, die nur wieder in X 36 vorkommen. Māteria bezeichnet die per se zunächst unsichtbaren grammatischen Merkmale, also das grammatische Potenzial eines Worts (Taylor [1996] übersetzt es mit „morphological substance“, de Melo [2019] mit „substance of words“): d. i. z. B. bei einem Substantiv die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Deklinationsklasse und einem Genus; figūra bezeichnet die äußere und phonologisch relevante Struktur eines Worts, seine phonologische Repräsentation, die sich von Kasus zu Kasus ändern kann. Näher dazu: Taylor (1974) 78–99. Vermutlich sind diese Unterscheidung und die Formulierung dieser Begriffe eine Entdeckung bzw. Innovation Varros, da er hier so großes Gewicht auf sie legt. – Das ut am Satzende ist sicher aus der Abkürzung ūo in F* verlesen bzw. missverstanden, vgl. Battelli 395. 297 Das überlieferte sequende / vitande bezöge sich grammatikalisch auf similitūdinēs, wohl kaum auf den Singular orīgine, und gibt keinen rechten Sinn. Es liegt das Neutrum zugrunde, das aus sequenda aut verschrieben wurde. 298 Die Benennung der Stadt Rom durch Romulus ist bei Varro das am meisten gebrauchte Beispiel für eine von einem konkreten Menschen vorgenommene impositiō, vgl. V 33, 144, VIII 18, 80, IX 50. 299 Der umgekehrte Kopierfehler bei dem Paar ratiō / ōrātiō, vgl. X 11. 300 Er hieß aber zu Varros Zeit Capuēnsis; Capuānus war demnach umgangsssprachlich. 301 Aristarchēī: die Anhänger (Schüler) des Grammatikers Aristarch, s. zu VIII 63, der bei Varro als Hauptvertreter der Analogie erscheint. Varro schreibt in analogiīs und meint mit dem Plural verschiedene Abhandlungen der Grammatiker über die Analogie. Mit causam suscipere gebraucht er metaphorisch ein juristisches Vokabular und knüpft an die leidenschaftliche Debatte über die Analogie in den vorangegangenen Büchern an. 302 Zwischen multiplici und imperito hat Groth ein et eingesetzt; der Ausfall des et in der Überlieferung ist leichter erklärbar, wenn man im Varrotext als Schreibung für langes [i:] das alte EI annimmt, das an vielen Stellen in F durchscheint. 303 Dīvīditur: ohne Nennung einer Autorität, d. h. für Varro ist diese Einteilung selbstverständlich. Sie kommt in De lingua Latina mehrfach vor: VI 36; VIII 11, 44; IX 31, 95; X 7. 304 Die Unterscheidung der Nomina hatte Varro schon in Buch VIII 44 f. vorgenommen, um die Kritik der Anomalisten an den einzelnen Wortarten und ihren angeblichen Unregelmäßigkeiten festmachen zu können, s. dort auch zum t. t. articulus. Hier braucht er die Unterscheidung als Basis für sein theoretisches Gebäude. Sie gehört hierher, obwohl der Text in der Überlieferung von F dieses Kapitel erst nach den beiden Kapiteln über die Artikel anführt. Die Vertauschung der Absätze muss einem der Kopisten unterlaufen sein, möglicherweise schon der Vorlage von F*, also dem Vor-Vorläufer von F. In F stellt sich die Lage so dar: Kapitel 23 enthält nur drei Sätze und bricht dann ab; die Lücke ist in F freigelassen, der Freiraum umfasst knapp zwei Seiten von F, insgesamt auf Folium XXVIIII 19 Zeilen, auf Folium XXVIIII verso 39 Zeilen, auf Folium XXX 9 Zeilen, also

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          insgesamt 57 Zeilen. Verloren waren aber, dem Randtext von F zufolge, „tria folia“ in der Vorlage, also enthielt jede Seite (!) von F textmäßig knapp so viel wie eineinhalb Blätter von F*, s. näher zu VIII 8. Nach den letzten Worten von Kap. 17 ( facere idem) setzt F mit den ersten Worten des (verschobenen) Kap. 19 ein, während das vermutlich ursprünglich passende Kap. 18 (von Unius cuiusque partis bis dissimiles habent analogias) in F 2 ½ Zeilen umfasst. Dieser kleine Streifen ist also verrutscht und lag als loser Zettel, wohl unten auf dem Pergament abgebrochen, der Vorlage bei. Der Kopist begann zunächst, nach idem facere mit In articulis weiterzuschreiben, und führte den Komplex bis ascribemus, dem Ende des alten Kapitels 19, fort. Dann fügte er den 'Zettel' von 18 (neu) ein und setzte hierauf mit Nominatui ut similis sit etc. (Kap. 21/22) bis zur Lücke von 23 Anfang fort. Nun fehlen – nach einer weiteren Randnotiz des Schreibers von F – nach Kap. X 34 ebenfalls drei ganze Blätter. Das deutet wiederum darauf hin, dass ein ganzer Pergamentbogen herausgebrochen ist. 305 Mit f īnītum 'bestimmt' ist gemeint, dass das bezeichnete Individuum in der Welt genau bestimmt ist: Das ist bei Eigennamen wie bei dem Demonstrativum der Fall, natürlich nicht bei Fragepronomina oder bei Gattungsbegriffen wie scūtum 'Schild' (das war das Beispiel in VIII 45) oder oppidum, von denen es ja mehrere gab, während Rōma einmalig ist. Der Kontext erfordert die Einführung des Substantivs genus, das erst im Folgenden wieder aufgenommen wird. 306 Dieser Satz bezieht sich auf die Eigenart der Pronomina, die im Grunde (jedenfalls im Singular) fast lauter getrennte Flexionsschemata haben. 307 Dieser Abschnitt bedarf nur eines kleinen Eingriffs (ac < earumque, wohl aus earumգ): Übergeordnet ist für Varro hier das abstrakte Prinzip der Analogie, das sich bei den Nomina auch in der Klanggestalt und der evidenten Ähnlichkeit zwischen den verschiedenen Formen eher greifen lässt als bei den Pronomina; deren Formen waren durch die Sprachgeschichte wohl auch für einen Römer schwer durchschaubar, was Varro im Folgenden deutlicher macht. Mit rēs, der grammatischen Substanz, hatte Varro in IX 52 bereits den Begriff eingeführt, der für sein Analogiekonzept zentral ist. 308 Ordō: Varro gebraucht den Begriff aus der Militärsprache und meint einen 'Zug' von insgesamt 36 Einzelfiguren bzw. -formen, der aus hintereinander gestaffelten Formen besteht. Aus der Multiplikation von sechs Kasus und je drei Geschlechtern im Singular und Plural ergibt sich der Umfang von sechsmal sechs Wörtern. Es dürfte also – anders, als es Merkelbach (1978) darstellt – so ausgesehen haben: albus albī albō album albe albō alba albae albae albam alba albā album albī albō album album albō. albī albōrum etc. albae albārum etc. alba albōrum etc. 309 Diesen Begriff wird Varro aus der Rhetorik übernommen haben, vgl. Ciceros Brutus 69, wo dieser damit griech. σχῆμα übersetzt. 310 Auch diese Randnotiz über den Umfang der Lücke stammt vom Schreiber von F. Der Abschnitt mit der Bezeichnung der Kasus erklärte sicher die bereits in VIII 66 f. verwendeten Termini für die Kasus: den Genitiv als patricus cāsus, den Akkusativ wohl als accūsandī (VIII 66) oder accūsātīvus (VIII 67), den Dativ

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          als (cāsus) dandī wie in VIII 36 und X 21. Der Vokativ heißt vocandī (X 30), der Ablativ ist der sextus cāsus und typisch für das Lateinische (proprius Latīnus: X 62); Varro könnte also den sechsten Kasus als cāsus Latīnus bezeichnet haben. – Die Lücke nach X 23 umfasst ca. 66 Zeilen des Codex F, etwa jenen Raum, den die Kap. X 7 bis X 23 einnehmen; die 1 ¾ Seiten von F entsprechen drei Blättern = sechs Seiten von F*, eine Relation, die sich schon in VIII 8 findet, s. dort. Die Lücke macht damit etwa ein Sechstel der erhaltenen Teile von Buch X aus. In dieser ersten Lücke von Buch X stand sicher eine Diskussion der Nominalflexion (nicht der Pronomina). Die Verben waren, wie sich unten aus X 31-34 ersehen lässt, in der zweiten großen Lücke (drei Blätter) behandelt worden, s. die Anm. zu X 18. Die detaillierte Aufstellung der Deklinationsschemata stand wohl in den Büchern XI-XIII, und zwar XI für die Nomina, XII für die Verben; Buch XIII könnte die Dichtersprache behandelt haben, analog Varros Vorgehen in der (zweiten) etymologischen Triade V-VII. 311 Sc. es müsste heißen: bīnae bīgae und quadrīnae bīgae. Die Pluralform quadrīgae verteidigte nach Gellius XIX 8,7 auch Cäsar im 1. Buch von De analogia (GRF Frg. 3 a p. 147 Funaioli). 312 Figūra vōcis ist die phonologische Struktur, mit der Varro auch die Vokallänge – und nicht nur die Silbenzahl – erfasst, im Gegensatz zur grammatischen Substanz, māteria bzw. rēs, s. o. zu X 11. Die Vokallänge wurde bei röm. Inschriften – wenn überhaupt – entweder durch Verdopplung des Vokals oder durch einen Apex markiert, wie ihn F gelegentlich bei Langvokalen noch konserviert. Vermutlich stand also auch über der Perfektform súit der Apex, während wir die Länge durch einen Längebalken markieren, vgl. Leumann 12 ff. 313 Das Problem der Männernamen etruskischen Ursprungs wie Perpenna behandelt Varro mehrmals: in VIII 41, 81 und IX 41. 314 Der Terminus flexūra, der eigentlich für Varros Position zentral sein müsste, erscheint erstaunlicherweise nur hier in De lingua Latina: Er dürfte in den Büchern XI-XIII häufiger gewesen sein; hier hingegen haben ihn trānsitus und dēclinātiō (noch ?) verdrängt. 315 Wenn Varro hier die Formen der 2. Person Singular gebraucht, spricht er – aufgrund der Trivialität des Inhalts – kaum den Adressaten Cicero, sondern den imaginären Leser an. Dazu passt auch das folgende, unpersönliche cōnferuntur 'mit denen sie verglichen werden'. Siehe aber die Bem. zu animadvertitō in IX 37. 316 Mit genus, einem bei Varro ungemein schillernden Begriff ('Klasse', 'Geschlecht', 'Gruppe'), ist hier die grammatische Kategorie gemeint: Genus, Numerus, Kasus; die beiden restlichen dürften die beiden Merkmale 'bestimmt/unbestimmt' sein, die die Demonstrativa und Fragepronomina unterscheiden; so kommt Varro auf die Zahl 5. Taylor übersetzt genus hier frei mit „characteristics“, de Melo mit „categories“. Varro gebraucht in X 30 genera elliptisch und meint dasselbe wie in X 13, wo er von genera … similitudinum spricht. 317 Es kommt Varro offensichtlich darauf an, mit der Zahl '6' der Verbalkategorien eine Entsprechung zu den sechs Kasus der Nomina zu finden. Den Begriff modus (für Indikativ, Konjunktiv und Imperativ) kennt er nicht, stattdessen trennt er nach den vier Sprechakten, also nach pragmatischen Kategorien – Fragen, Antworten, Wünschen und Befehlen –, nicht nach grammatischen oder logischen (so noch Hartung [1973] 204), und entwickelt in den Kapiteln 31-33 keine Deklinationslehre; zu seinen

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          griechischen Vorbildern, v. a. Aristoteles: Hartung (1973) 299-307. Bei Varro ist der Indikativ der Modus des Antwortens, respondendī. Dass er hier elliptisch von (speciēs) rogandī, respondendī, optandī und imperandī spricht, zeigt, wie selbstverständlich für ihn dieser fachsprachlich gebundene Gebrauch des Gerundiums geworden ist; er entspricht seiner Art der Bezeichnungen der Kasus: nōminandī, dandī, vocandī, s. o. zu X 21 und 23. Den Ablativ bezeichnet Varro hingegen als 'sechsten Kasus' = sextus cāsus: X 62, den Genitiv als patricus (cāsus) VIII 66 f., IX 54 u. ö. Mit dēclinātus, ūs bezeichnet Varro die Ableitungs- bzw. Flexionsform, dēclinātiō hingegen ist in den morphologischen Büchern der Ableitungsvorgang: Hartung (1973) 29825. 318 Vermutlich intendiert Varro mit dīcerem etc. nicht den sog. „Optativ der Vergangenheit“, sondern den viel häufigeren Irrealis, der ja – wenn etwas nicht realisierbar ist – auch in die Nähe eines Wunsches gerückt werden kann. 319 Das Kapitel führt die Kategorie 'unpersönlich' ein, unter die das sog. „unpersönliche Passiv“ subsumiert wird. Daher trennt Varro die üblichen (finiten) Verbformen davon ab. Zur Lesung sed (statt sī): Hartung (1973) 2933 , dagegen Tyl. (1996) 129; wohl kein alter Überlieferungsfehler oder gar ein „späterer Zusatz einer flüchtigen Überarbeitung“ durch Varro (Hartung 295 und Anm. 8 ebda.). Dem Zusatz sī habent persōnās entspricht im folgenden Kap. 32 sine persōnīs. 320 Beide Beispiele klingen wie eine Umformung des Beginns von Catulls berühmtem Liebesgedicht c. 5: „Vīvāmus, mea Lesbia, atque amēmus!“ 'Lass uns leben, meine Lesbia, und lieben!'. Varro zitiert Catulls c. 62,1 in VII 50 (wo Catulls Name durch die Überlieferung zu alterum statt Valerius verstümmelt ist; s. dort). Er kann also auch dieses kleinere Gedicht gekannt haben. Varro, der in seinen jüngeren Jahrzehnten Menippeische Satiren verfasst hatte, war sicher für Catulls Witz und Lyrik offen und verschmähte den neoterischen Dichter nicht so sehr, wie Cicero dies tat; vgl. Hans Peter Syndikus, Catull. Eine Interpretation. Erster Teil: Die kleinen Gedichte (1-60), Darmstadt 1984, 247-250 und Niklas Holzberg, Catull. Der Dichter und sein erotisches Werk, München 22002, 58 f. 321 Die Verwendung des Infinitivs (Passiv) setzt elliptisch ein Verbum des Befehlens wie volō 'ich will', iubeō oder eines unpersönlichen Verbs wie oportet / opus est 'es ist nötig' voraus, während parātor/pugnātor (so Canal) eine eigene morphologische Form wären. Die beiden Beispiele entstammen sicher der militärischen Vergangenheit Varros, vielleicht waren sie sogar Teil der militärischen Kommandosprache, s. OLD S. 1298 zu parō Nr. 6. Ein Infinitiv wie parārī könnte ja bedeutet haben: 'Fertigmachen!' – Der Vorschlag Canals greift stärker in den Text ein als die Annahme einer (militärsprachlichen?) Ellipse. 322 Die Dichotomie des perfectum / īnfectum betrifft den Verbalaspekt (dīvīsiō bei Varro), s. zu IX 95 f. 323 Ein Vorverweis auf die (verlorenen) Bücher XI-XIII, speziell wohl auf Buch XII (Verben); eine genauere Angabe der folgenden Bücher fehlt hier noch. 324 Varro selbst gebraucht den Terminus participia: VIII 58 und IX 110; nach dem OLD s. v. ist er zum ersten Mal bei Varro bezeugt: Geht der Terminus gar auf ihn zurück? Der Terminus participālia hat sich nicht durchgesetzt; nach den Belegen im OLD ist er zwar einmal bei Quintilian inst. I 29 belegt, kommt aber bei den römischen Grammatikern nur spärlich vor (z. B. Maximus (Marius?) Victorinus [4. Jh. n.] GLK VI p. 201,11). Participiālis heißt das seltene Adjektiv bei Priscian, s. den Index in GLK III p. 587.

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          Die große Lücke enthielt sicher ausführlich die Behandlung der Partizipien, die in VIII 58 kurz angesprochen waren, aber auch in IX 110 nur knapp abgehandelt worden waren; hier muss auch der Komplex über die Ähnlichkeiten abgeschlossen worden sein, s. die Übersicht zur Gliederung von Buch X. Es fehlt auch die Behandlung der Adverbien wie doctē und facēte, die Varro in X 17 nur kurz angetippt hatte. Die Lücke bemaß 28 + 39 = 67 Zeilen in F, was etwa dem Umfang von Kap. X 1-16 entspricht; es war also für beide Komplexe (Partizipien und Adverbien) reichlich Platz (gewesen). 325 Nicht die falsche Benennung (impositiō) war in der Lücke unmittelbar vor dieser Stelle als Problem angesprochen, also nicht die Bildung des Nominativs, sondern die fehlerhafte Bildung weiterer Kasus. Mit eō cāsū meint Varro hier den Nominativ, vgl. IX 50 und X 22. 326 Ratiō bezeichnet in diesen Kapiteln, wie griech. λόγος, das regelhafte Verhältnis zunächst zwischen Zahlen, hier: zwischen Wörtern. 327 Mit tertia illa wird Varro die Bildung von Suffixableitungen gemeint haben, in denen wiederum bestimmte Regelmäßigkeiten herrschen. 328 Das Paar amor – amōrēs fehlt im überlieferten Text, muss aber wegen des Gegensatzes zwischen Singular und Plural (s. die Übersetzung) ergänzt werden; ein Rest davon ist im scheinbar gedoppelten [amor et] erhalten, das in F eine Zeile darüber steht. 329 Die Verhältnisse zwischen den Münzen erklärte Varro anhand der Etymologien ihrer Bezeichnungen in V 174 und behandelt sie auch in IX 81-85. Das Vorderglied der beiden Komposita (sēmis bzw. sim-) bedeutet 'halb', wie in sēstertius 'Sesterz', was der sēmis-tertius ist, der halbdritte (As), also 2 ½ As. 330 Wieder eine Leserapostrophe, doch aufgrund des belehrenden Charakters kaum an Cicero als den Adressaten des Gesamt-Opus gerichtet, sondern an den anonymen Leser wie in IX 6. (s. auch zu VIII 53), den Varro eher wie einen Schüler behandelt. Hervorsticht das Pronomen tū am Ende des Kapitels. – Das kleine Kapitel unterbricht lebendig den trockenen Diskurs, von dem es umgeben ist; es passt auch nicht zur These von Ax (1995), Varro habe einen literarischen Dialog schreiben wollen, s. auch Anm. 16 der Einleitung. 331 Dē utrōque: Wohl auf die Dopplung der Analogie in Welt und Sprache bezogen. 332 Zum Victoriatus und Denar: vgl. IX 85. 333 Spuren von Varros musikalischen Kenntnissen und seiner Vorliebe für die Zahl 7 scheinen noch in Censorinus' Büchlein De die natali durch (aus der 1. Hälfte des 3. Jhs. n. Chr.: Klaus Sallmann [1988] S. 6, v. a. dort Kap. 9 f.). Zu den verschiedenen Stimmungen der Kithara: John Curtis Franklin, Hearing Greek Microtones, in: Stefan Hagel/Christine Harrauer (Hrsgg.), Ancient Greek Musik in Performance. Symposion Wien 29. Sept.-1. Okt. 2003, Wien 2005, 9-50, und: Stefan Hagel, Twenty-four in auloi. Aristotle, Met. 1093 b, the harmony of the spheres, and the formation of the Perfect System, ebda. 51-91. 334 Hier hebt Varro die prognostische Kompetenz des Arztes hervor; in dem zentralen etymologischen Kapitel V 8 hingegen zielt er auf die diagnostische Kompetenz der Mediziner ab, die aus Symptomen auf verborgene Krankheiten schließen. Für den Pythagoreer Varro hat die Zahl 7 eine besondere Funktion; er nimmt sie ja auch als Grundlage für seine Einteilung der Lebensalter. Eine kleine Fachschrift „Tubero de origine humana“ hat er wohl um die Mitte des Jahrhunderts verfasst

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          Anmerkungen

          (die Datierung dieser kleinen Fachschriften, Logistorici genannt, schwankt: Dahlmann [1935] 1261 ff.), in seinem Sammelwerk der Disciplinae behandelte jeweils ein Buch die Musik und die Medizin; sie sind allerdings erst Alterswerke Varros (Dahlmann a. O. 1255 f.), also wohl nach De lingua Latina entstanden. 335 Varro nimmt die Darstellung wieder auf, die er in IX 96-101 zur Verteidigung der angeblichen Unregelmäßigkeiten bei den Verben schon skizziert hatte. Seine Verhältnisse sind bei den Nomina a:b :: c:d (a = rēx, c = lēx), bei den Verben a:b :: b:c (a= legēbam, b= legō). 336 Diese grundlegende Einteilung bzw. Abtrennung erklärt Varro IX 96-101. Er nennt sie dort dīvīsiō; sie erfasst das, was wir heute als „Aspekt“ bezeichnen. 337 Eine Wiederaufnahme der Argumentation und der Beispiele aus IX 97 und 99. 338 Varro erweitert die zunächst einfach erscheinende Analogie von einer Relation a:b :: c:d, indem er mehrere Kasusformen zu einem System ausbaut: Er bildet also eine doppelte Dreierrelation a:b:c :: d:e:f, wobei der Schlüssel, die ratiō, das Regelsystem ist, das hinter dem ganzen Tripel bzw. Sextupel liegt: Letztlich entdeckt er ja in diesen Büchern das morphologische Paradigma, s. Vorwort 2.5., auch wenn dieser Terminus bei ihm nirgends erscheint. Aus diesem varronischen Ansatz erklärt sich auch z. T. der Aufwand, den er im Folgenden treibt, wo er auch den umgekehrten Weg der ratiō akzeptiert, also c:b:a :: f:e:d, s. im Folgenden. 339 Die folgenden beiden Sätze hat Tyl. ans Ende von Kap. 42 verschoben, die Kap. 43 mit 44 (alter und unserer Zählung) hierher. Die Verschiebung erzeugt aber andere Unausgewogenheiten, während die vorliegende, (zugegeben) gelegentlich sprunghafte Darstellung Varros hier durchaus zu seinem schwungvollen Stil passt und solch schwere Eingriffe nicht rechtfertigt. Allerdings wirken die Sätze A duobus similibus bis hunc istunc hier fremd; sie dürften Notizen sein, die Varro unterbringen wollte und hier im Nachhinein eingefügt hat. 340 Eine juristisch bekannte Junktur: dolus malus ist die Arglist bzw. die arglistige Täuschung, im Gegensatz zur bona fidēs, Treu und Glauben: Kaser (1983) 50-56. 341 Varros Gebrauch des Begriffs nātūra ist durchaus schillernd: Hier – wie in den folgenden Kapiteln – meint er das der Sprache innewohnende Regelsystem, das sich in Paradigmen darstellen lässt und regelmäßige Flexion erlaubt, sich also der Willkür (voluntās bzw. libīdō) des Einzelnen entzieht. Willkür sieht Varro aber auch im Akt der Namensgebung, der Benennung der Dinge; diesen Akt nennt er impositiō: Wie er schon in VIII 21 und erneut in X 15 klarlegte, stehen sich nātūra und voluntās v. a. im Bereich der Wortbildung diametral entgegen. Auf diesen Gegensatz hebt er auch in Buch X immer wieder ab. 342 Varro hat als Beispiele die beiden Praenomina der Brüder Tullius Cicero gewählt – kaum ein Zufall. 343 Das Mārs-Beispiel, das in Codex F überliefert ist, wirkt merkwürdig, da der Plural ungebräuchlich ist und zudem das Phänomen des Singulare / Plurale tantum mit cicer und scālae schon gerade abgehandelt war. Besseren Sinn gibt die Konjektur von Müller. Vielleicht stand bei Varro auch – mit Akzent zur Bezeichnung der Vokallänge – más, was dann als mars verlesen wurde. 344 Die physicī sind die (griech) Naturphilosophen; so bezeichnet Varro in rust. I 1,8 auch den Atomisten Demokrit als physicus. Seine Argumentation ist trickreich: Die Naturphilosophen sind vom Komplexen – der gesamten Natur in ihren Ausprägungen – ausgegangen und haben dann, rückwärts forschend, die prīncipia

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          Anmerkungen

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          gesucht. Der folgende Satz rührt an ein Grundproblem der Linguistik überhaupt: Der grammaticus hat als Arbeitsinstrument das, was er eigentlich erforscht: die Sprache. Hinter Varros tamen muss sich die fundamentale Erkenntnis dieser Zirkularität verbergen, auch wenn er das nicht so deutlich artikuliert hat. Taylors Übersetzung lässt das Richtige erahnen: „… although speech consists of letters, nevertheless it is on the basis of speech that grammarians model their descriptions of letters.” Ostendere dē bedeutet hier: Die Grammatiker zeigen etwas (ostendunt) über die Buchstaben, dē litterīs, aber nicht die Buchstaben an sich. 345 Konzessives cum hier mit Indikativ statt des klass. Konjunktivs: Kühner-Stegmann II 2 349 Anm. 6. 346 Am überlieferten Text hat schon Müller (1833) verzweifelt. Das überlieferte orationis kann nicht stimmen; die Hrsgg. haben verschiedene Heilungsversuche unternommen, am meisten greift Taylor in den Text ein. Vermutlich stand in einer der Vorlagen von F minusērationis, was zu minus orationis vereinfacht wurde. Es geht aber hier darum, dass die Pluralformen – nimmt man sie als Ausgangspunkt und nicht die Singularformen – weniger Anlass zu Fehlurteilen geben. Das Subst. errātiō ist nach Ausweis des OLD selten und für Entstellungen prädestiniert, ist aber seit Plautus (bis zu Cicero) hinreichend belegt. Der Vorschlag Canals trifft den Punkt, vgl. X 11 minus errārētur in declinatiōnibus verbōrum, und X 80 magis in aliō quam in aliō errātur verbō. – Vermutlich stand in einem ganz alten Vorläufer von F* auch nicht multitudinis, sondern abgekürzt M., was zu den Verlusten gerade in diesem Kapitel geführt haben muss, vgl. zu VI 76 : ornamenta m(ultitudinis). 347 In VII 33 thematisiert Varro genau dies: Dass der Nom. Sing. von trabs einmal trabēs gelautet habe, und zitiert zweimal Ennius als Beleg dafür. Beim Leser des X. Buches setzt er offenbar diese Kenntnis voraus. 348 Varro meint, dass die Formen des Plurals die zugrundeliegende phonologische Struktur deutlicher machen als die (historisch) entstellten Formen des Nom. Sing. – und dass der Nom. Sing. sich leichter aus dem Nom. Plural rekonstruieren lässt als umgekehrt der Plural aus dem Singular. Das entspricht – mutatis mutandis – seinem Verfahren, im Prozesse des Etymologisierens diejenigen Formen heranzuziehen, aus denen die Etymologie eines Wortes deutlicher wird (V 4). Dahinter klingt das Bedauern des Etymologen und Historikers Varro durch, dass sich das Alte und Ursprüngliche diachron verändert habe und nicht mehr so klar erkennbar ist, vgl. zu V 4-8 und VII 1 f. 349 SVF 155 v. Arnim, s. zu IX 1. 350 Der Aspekt der (mangelnden) Erfahrung wird immer wieder thematisiert, z. B. IX 66, 90, 101; X 16. Mit dispersī muss Varro gemeint haben: Wenn die Menschen zerstreut, also vereinzelt und nicht in Verbänden, leben, gibt jeder seine Benennung für die Dinge, wie er will, und erfolgt keine Absprache. 351 Schon zu Beginn der (zweiten) etymologischen Triade (V 3) klagt Varro darüber, dass nicht jede Benennung richtig vorgenommen worden sei: … nec quae exstat (sc. impositio verborum) sine mendo omnis imposita.: '… und weil nicht jede (Benennung), die existiert, fehlerfrei vorgenommen wurde'. 352 Das ist ein von Varro favorisierter Gedanke: Dass falsche Wortformen Anstoß erregen (vgl. IX 5 f.) und die Sprache deshalb auch korrigiert werden müsse. 353 Auch der Grammatiker Diomedes (4. Jh. n. Chr.) weiß, dass Varro den Ablativ als „sechsten Fall“ bezeichnet hat: Ablativum Graeci non habent. Hunc tamen Varro sextum, interdum Latinum appellat quia Latinae linguae proprius est.

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          Anmerkungen

          'Einen Ablativ haben die Griechen nicht. Doch Varro nennt ihn „sechsten Fall“, manchmal „lateinischen“ Fall, weil er für das Lateinische typisch ist.' (GLK I 302). 354 An Varros Text irritieren auf den ersten Blick zwei Umstände: a) Er bringt als Beispiel für die Ablativendung -e nicht ein Nomen der e-Deklination (wie rēs oder seriēs), sondern einen Vertreter der (freilich viel reicher vertretenen) konsonantischen Deklination, deren Ablativ auf kurzes -e endete, nicht auf den Langvokal wie z. B. rē. b) Als Beispiel für ein Nomen mit Ablativ -ī ist das Adjektiv levis  levī überliefert. Dafür hat Groth ein Substantiv vorgeschlagen: clāvī, dessen Ablativ Varro in rust. I 22,6 wirklich so gebraucht und das hier aus Symmetriegründen (der gleichen Wortart) naheliegt. Vielleicht stand in F*, der Vorlage von F, nicht aut in I, sondern aut in EI, s. App., was zum häufigen Gebrauch der varronischen Schreibung von ei für langes ī passen würde, s. auch zu VI 61 mit Verweis auf die Schreibung von deico für dīcō bei Ennius. 355 Tria etc: sc. genera 'Arten'. 356 Der Sinn dieser Passage ist, selbst unter Einbeziehung der Korrektur von Mette/ Taylor, nicht sofort klar (Taylor [1996] 163: „far from clear“). Varro dürfte gemeint haben: Die Unterschiede in den grammatischen Merkmalen finden in der realisierten Sprache (beim Sprechen: loquendō, der parole) weniger Niederschlag als in der Theorie. 357 Varro bringt Mārtī als Dativ von Mārspiter: Er hatte das Phänomen des – analog bildbaren – Dativs von Mārspiter schon in IX 75 thematisiert, scheint ihn aber, entsprechend zu Diēspiter: Diēspitrī in IX 77, als weniger gebräuchlich angesehen zu haben. 358 Die Unterscheidung Varros ist z. T. sehr fein gestrickt: sūtor und pīstor sind mit den Regeln der lat. Wortbildung gebildete Nomina agentis von suere 'flicken' und pīnsere 'stampfen'. Die beiden anderen Paare sind Eigennamen und kommen aus dem Griechischen. Der Unterschied: Bei (Akk.) Hectoras und Nestoras sind die Eigennamen auch in ihrer Flexion nicht verändert (die Akkusativendung -as ist ja griechisch), sie wirken also noch als Fremdwörter; aber Achill bzw. Peleus lauten im Griechischen (transkribiert) Achilleús bzw. Pēleús, nicht (lat.) Achillēs bzw. Pēlēs, sie sind also lat. bereits zu Lehnwörtern geworden.– Das Adj. adventīcius trägt das Merkmal 'hergekommen', das die Übersetzung mit „zugereist“ (statt „Fremdwort“) beizubehalten versucht. 359 Die für Varro mehrmals bezeugte Endstellung des Pronomens (z. B. V 157: quod regnum occupare voluit is. '… weil dér die Königsherrschaft beanspruchen wollte.') hat sicher zur Umstellung in F bzw. einer seiner Vorlagen geführt. Vgl. Vorwort I 4.4). 360 Wohl aus der Andromache des Ennius (TRF 93 Ribbeck), der Vers würde mit Scaligers Änderungen zum jambischen Senar. Troiānō ist wohl als Glosse eines gelehrten Kopisten in den Text gerutscht. Gesine Manuwald (Ennius Frg. Inc. 179.) verweist auf Euripides' Andromacha 9 f.: Demnach handelt es sich um Astyanax, der von der Mauer herabgeworfen wird. 361 Ein spöttischer Hexameter des Dichters Valerius aus Sora, + 83 v. Chr.; Cicero rühmte ihn, Varro zitiert ihn auch VII 31 und 65 (NP 12/1, 1117). 362 Eine sehr differenzierte Abstufung der drei Spielarten, wie Roms Dichter griechische EN übernahmen: Bacchidēs mit langem ē hat eine lat. Pluralendung, Bacchidĕs mit kurzem ĕ ist die Imitation eines griech. Plurals wie rhētores 'die Rhetoren', ähnelt aber mit Ausnahme der Vokalkürze noch den lat.

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          Anmerkungen

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          Konsonantenstämmen, während Bacchidas mit der Endung -as eine dem Lat. fremde Endung trägt. Wahrscheinlich waren im Varrotext die Längen bzw. Betonungen mit Apices markiert. Varro spielt auf den Titel der Plautuskomödie Bacchides an. 363 Die Unterscheidung zwischen rēs und vōx im grammatischen Sinne hatte Varro schon in IX 52 eingebracht, vgl. auch X 63, daher auch hier der wiederholte Gebrauch der Floskel ut dīxī, die naturgemäß in Buch X, wo Varro auf Vorhergehendes zurückgreifen muss, häufiger ist. 364 ūsus ist ein weiteres Beispiel für den oszillierenden Gebrauch von Substantiva, die Varro in seiner Fachsprache verwendet: Es kann der Gebrauch des Wortes oder einer speziellen Wortform in der Sprache sein, also seine Geläufigkeit oder Frequenz, aber eben auch die Verwendung eines realen Dings (das von einem Wort bezeichnet wird) in der Welt. 365 Cascus und surus waren schon für Varro altertümlich, vgl. seine etymologischen Ausführungen zu cascus in VII 28. Albus und caldus (nicht calidus!) entstammten seiner eigenen Zeit. Scāla 'Stufe' und phalera kamen normalerweise nur im Plural vor (scālae 'Treppe': vgl. zu IX 63, 68 f. und X 54), für Varro waren offenbar die Singularformen Rückbildungen aus dem (korrekten) Plural. Ähnliches sah er wohl in inimīcitia, bei dem der Singular ungebräuchlich war, aber aus amīcitia durch Analogie gebildet werden konnte. Den Plural inimīcitiae forderte nach Gellius XIX 8,3 auch Cäsar in De analogia I (GRF 3 p. 147 Funaioli). 366 Von diesen drei griech. Grammatikern, die Varro in (griechischer) alphabetischer Reihenfolge zitiert, ist wenig bekannt: Aristodemos war Schüler des Aristarch von Samothrake (nicht erst 2. Jh. n. Chr.: NP 1, 1108), Aristokles (s. zu X 10) war Zeitgenosse Varros. Aristeas (wenn richtig überliefert) ist ansonsten unbekannt. Das Bekenntnis Varros, dass es (sc. für ihn als Römer) schwierig sei, die knappen Definitionen der Griechen zu verstehen, macht verständlich, weshalb er das Phänomen der Analogie so ausführlich behandelt und er seine Ansätze, sie zu definieren, so systematisch und breit behandelt. Mit diesem Eingeständnis Varros lassen sich auch viele Redundanzen in den analogistischen Büchern VIII-X erklären. 367 Genau diese articulātim aufgebaute Erklärung (eigentlich: 'Glied für Glied', wie ein Mediziner schon damals den Aufbau eines Skeletts erklärt haben dürfte) versucht er im Folgenden. 368 Mit dem Zusatz des Adjektivs vocālis will Varro das Subst. ōrātiō von der Bedeutung 'Rede' im Sinne von 'Redevortrag' absetzen. 369 Die Verbindung et figurā ē trānsitū dēclinātiōnis hat nicht nur den Kopisten Probleme bereitet, die die drei hintereinanderstehenden Ablative (rē, vōce, figūrā) nicht verstanden, vgl. die breite Debatte bei Taylor (1996) 176-182; der Sinn ist aber aus dem Kontext klar: Zwei Wörter müssen auch das gleiche Flexionsschema haben, damit sie als „ähnlich“ bezeichnet werden können. – rēs meint hier das reale Objekt der Welt, nicht – so Taylor (1996) 89 und 179 ff. – die grammatische Substanz (= māteria), was in X 83 deutlicher wird. 370 Diese Definition ist viel enger als Varros sonstiger Gebrauch von dēclinātiō bzw. dēclināre, da er das Bild des 'Abzweigens' ständig auch in den etymologischen Büchern verwendet, das er aus dem Wein- bzw. Obstbau übernommen hat. 371 Q. Hortensius Hortalus, der große rhetorische Gegenspieler Ciceros: s. zu VIII 14 mit dem gleichen Beispiel cervīx wie hier in X 78.

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          Anmerkungen

          372 Die Subst. faucēs und cervīces sind sog. Pluralia tanta. Dass der Regelverstoß des Hortensius, nämlich cervīcēs in den Singular zu setzen, von der Sprachgemeinschaft akzeptiert wurde, lag wohl daran, dass er das nicht auf der Rednerbühne tat, sondern – wie Varro in VIII 14 mitteilt – in poēmatīs, also in Gedichten. Das Passiv von vīvere ist nur unpersönlich möglich, wie in Ovids Metamorphosen I 144: Vīvitur ex raptō 'Man lebt vom Geraubten'. Haec kann auch – statt hae – den Plural des Femininums bezeichnen, s. zu IX 76, und hat den Kopisten sicher irritiert. 373 Vgl. X 14. 374 Der (angenommene) Überlieferungsfehler ist sicher durch die Verbindung von alius + quis entstanden, die bei Varro gelegentlich erscheint, z. B. VIII 10 aliud quod; wahrscheinlich hatte einer der Kopisten korrigierend darüber geschrieben: * in aliquo, was der nächste dann vereinfacht und weiter verfälscht hat. 375 Das nicht genannte Subjekt des Prädikats dant werden die Anomalisten sein, deren Ausführungen am (verlorenen) Ende von Buch VIII gestanden haben könnten. 376 Den Terminus prōnōmen gebraucht Varro auch in IX 94, bei gleichem Kontext: Er hebt hier nicht auf die Wortart speziell ab (hier hätte er articulus sagen müssen), sondern auf die Funktion als Operator zur Verdeutlichung des Kasus. 377 Das wörtliche Zitat bei Gellius VI 11 bietet compositum, was sicher falsch ist. 378 Vgl. die Ausführung der Analogisten bzw. Varros in IX 54, wo nihīlī explizit auf ne + hīlī zurückgeführt wird; daher ist die Textverbesserung hier unumgänglich. 379 Die lapidare Knappheit Varros erklärt sich daraus, dass er genau dieses Problem – die (Nicht-)Flexion der nichtlateinischen Buchstabennamen – schon vorher breit behandelt hatte: in VIII 64 f. und IX 51 f. 380 Socer bildet klass. die obliquen Kasus sowohl mit dem Stamm socer- als auch mit socr-: Kühner-Holzweissig S. 482. Aber auch ein u-Stamm ist im Mask. Abl. socrū belegt: Kühner-Holzweissig 268, das Subst. bot also gleich mehrere Unregelmäßigkeiten. Das überlieferte socerum am Ende von Kap. 82 wird Gen. Pl. des u-Stamms gewesen sein, dessen kontrahierte Form -ūm den Fehler am ehesten erklärt. Socrus muss also gar nicht das Fem. 'Schwiegermutter' bezeichnen, vielmehr dürften beim Mask. mehrere Deklinationsvarianten im Umlauf gewesen sein. 381 Varro variiert in den metasprachlichen Substantiven, mit denen er Klassen bzw. Kategorien bezeichnen will. Hier führt er das Subst. gradus, Stufe, ein, das in seinen etymologischen Büchern, übertragen aus den Karrierestufen der röm. Beamten, wirklich 'Stufe' bezeichnete, s. v. a. V 7-9. Die Bildhaftigkeit einer Stufe greift hier nur zum Teil; Varro dachte wohl daran, dass die erste Kategorie die wichtigste ist, weil ein Wort ohne zugeordnetes Objekt nur Schall ist. Taylor übersetzt frei mit „prerequisite conditions“, de Melo „successive conditions“, um das Bedeutungsmerkmal der 'Aufeinanderfolge' aufzunehmen. Im Gegensatz zu den quattuor gradūs bei den Etymologien ist hier die erste Stufe die wichtigste, bei Varros et. Bemühen ist die vierte die höchste – wie das Konsulat in der realen röm. Welt. 382 Das Phänomen, dass manche Subst., die schon im Singular eine (kaum mehr zählbare) Menge kleiner Objekte bezeichnen und keinen Plural bilden (Singularia tanta), hatte Varro schon in IX 38 kurz angesprochen. 383 Hier endet der erhaltene Teil von Buch X. Auf der Rückseite von fol. XXXIII sind ca. 25 Zeilen frei gelassen, fol. XXXIIII ist zwar vorliniert, aber nicht mehr beschrieben. Vermutlich standen im Rest von Buch X weitere Ausführungen zum

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          Anmerkungen

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          Aufbau eines gesamten Paradigmas für Nomina und Verben, vielleicht sogar je ein tabellenartiges Beispiel ähnlich dem, das Varro in X 43 f. angedeutet hat. Von den restlichen Büchern sind nur knapp vierzig Fragmente erhalten, s. im Folgenden. Die Versoseite von fol. XXXVII beginnt mit der Überschrift: M. T. – Pro aulo cluentio, also der Titulatur zu Ciceros Cluentiusrede, deren Text dann auch in F folgt. Dem verlorenen Teil ordnet Luca Cadili (2007) ein Fragment zu, das er aus den von ihm herausgegebenen Scholia Bernensia B zu Vergils Georgica 1.4 gewonnen hat. Das in Frage stehende Scholion erläutert den vom Vergil im vierten Vers des 1. Buchs der Georgica verwendeten Begriff experientia 'Erfahrung'. Cadilis verbesserter Text lautet: EXPERIENTIA (Varro) ad Ciceronem dixit: „Proprie si quaeratur nihil est.“ Ab imperitis solus tu abes, qui amentis 'experimentum' dicunt actum rei, 'experientiam' rem ipsam.' Die Zuweisung zum X. Buch (so Cadili S. 161) ist indes ganz unsicher, da es hier nicht um die Bedeutung von Suffixen geht (experientia versus experīmentum). Welchem Buch das Fragment angehören soll, muss offen bleiben. Das Subst. experientia ist für Varro auch durch Gellius I 18,2 aus einem Fragment der Antiquitates rerum divinarum bezeugt (Frg. 89 Cardauns), die allerdings Cäsar gewidmet waren, nicht Cicero. Ein Irrtum des Scholiasten? 384 Die Fragmente 1-4 betreffen die etymologischen Bücher II-VII und sind in Band I unserer Ausgabe enthalten. Fragment 5 steht am Ende von Buch VIII. 385 Die ersten drei Fragmente behandeln das Thema 'Genus'. Frg. 6 und 7 liegen so nahe beieinander, dass der Kommentar des Pompeius eine Paraphrase derselben Stelle sein könnte, die der Kommentar des (Pseudo-)Sergius zu Donat wörtlich zitiert. Beide Fragmente nähern sich – typisch für Varro – dem Thema erst von der etymologischen Seite her (genus ā generandō); sie erklären die Bedeutung des Genus zunächst biologisch, daher sind māsculīnum und fēminīnum schillernde Begriffe und oszillieren zwischen Natur und Grammatik. Frg. 8, ebenfalls aus einem Kommentar zur Donat-Grammatik, behandelt vom Thema 'Genus' die Spezialfrage, wie das grammatische Geschlecht eines Substantivs bestimmt werden kann. Die Antwort Varros ist sinngemäß: 'Mit Hilfe des articulus'. Das Pronomen (nämlich hic, haec, hoc) ist bei Varro das Pendant zum griechischen Artikel, den das Lateinische an sich nicht hat, und dient der Verdeutlichung von Kasus, Genus und Numerus, s. zu IX 41 und X 80. Dieses Pronomen verwendet Varro in der ersten morphologischen Triade regelmäßig als Hilfsmittel zur Angabe des Kasus. Da Frg. 8 (nur dieses verweist auf De lingua Latina) die Frage des Genus spezieller angeht als die definitorischen Fragmente 6 und 7, könnte es auch aus einer späteren Passage der zweiten morphologischen Triade stammen; alle drei werden von den Hrsgg. freilich dem XI. Buch zugeordnet. 386 Cledonius, Grammatiker des 5. Jhs. n. Chr., Senator aus Konstantinopel, zitiert Varro insgesamt dreimal, wohl aus dem Original von De lingua Latina. Dass er sein Zitat in indirekter Rede anführt, ist im Vergleich mit den anderen „Zitaten“ nicht ungewöhnlich. Wilmanns, De M. Terenti Varronis libris grammaticis, Berlin 1864, 32 und 151, ordnet dieses Fragment nachvollziehbar dem XI. Buch zu. Varros Unterscheidung ist recht normativ und analogistisch. Ostrea ist griech. Lehnwort (aus ostreon), also ursprünglich Neutrum. Zum Femininum wurde es nicht durch Varro, sondern im normalen Sprachgebrauch wohl in Analogie zu cochlea 'Schnecke'.

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          Anmerkungen

          387 Das Zitat entstammt dem Dubius Sermo von Plinius dem Älteren, einem ursprünglich 8 Bücher umfassenden (verlorenen) Werk. Plinius nimmt dabei einen Gedanken auf, den Varro in Buch IX 74 – bei seiner kurzen Besprechung der Analogie in den Deminutiva – noch nicht weiter ausgeführt hatte. Varro selbst lässt in De lingua Latina noch keinen t. t. für die Deminutiva erkennen, sondern spricht in VIII 52 nur vom „genus minuendī“, dessen Pendant das genus augendī (bei der Steigerung der Adjektiva) sei. Andere Grammatiker wie Charisius (4. Jh.; s. im Folgenden) gebrauchen dafür den griechischen Terminus ὑποκόρισμα. 388 Im 1. Buch des Charisius befasst sich ein kleiner Absatz mit Ausnahmen bei den Deminutivbildungen, die im Genus von ihren Grundwörtern abweichen. Das umfangreiche Zitat hat Keil nach Parallelstellen aus Charisius bzw. seinen Exzerpten ergänzt. Von Varro selbst stammt wohl nur der zweite Teil, vielleicht incl. der Zitate aus Terenz (Adelphi 584) und Plautus (Rudens 1156 f.). Bei Plautus ist allerdings das Deminutivum von ēnsis zweimal nur als Maskulinum gebraucht. Entweder hatte Charisius einen anderen Plautustext vor sich (und nicht alles aus Varro zitiert) oder er hat etwas verwechselt: In Rudens 1158 kommt das Deminutivum securicula 'Beilchen' vor, was den Fehler verursacht haben könnte. Das Charisiusstück fügt sich zwanglos zum vorhergehenden, das Plinius d. Ä. vermittelt hatte (Frg. 10). 389 Andria 710. Die Unterscheidung Varros hat sich aber – im Gegensatz zum harschen Urteil des Charisius – weitgehend bis in die heutigen (Schul-)Grammatiken durchgesetzt, vgl. die „Lateinische Grammatik“ von Rubenbauer und Hofmann, Bamberg 101977, 34. 390 Die genaue Angabe des XI. Buches durch Charisius erlaubt es, auch die vorhergehenden Varrozitate aufgrund des thematisch engen Zusammenhangs in das XI. Buch einzuordnen. In IX 74 gebrauchte Varro aber als (analogistisches) Musterbeispiel für Deminutiva (hier: von canis) catulus und catellus; wahrscheinlich hatte er also in Buch XI catinulus nicht als Musterbeispiel für (analoge) Deminutivbildungen gebraucht, sondern einfach nur als weitere Bildungsmöglichkeit angeführt. 391 Ein Neutrum naevus (oder * naevum) ist nicht belegt. 392 Eine Parallele des Priscian-Zitats mit fast gleichem Wortlaut auch bei Charisius, Inst. Gramm. GLK I 104, 13-16. Charisius bringt zu Cassius auch das Cognomen: „Severus“, es war der Redner (≈ 40 v.-32 n. Chr.): NP 2, 1017. Wer da in eine Purpurdecke eingehüllt war (Cäsar? Octavian?), wird aus dem Kontext nicht klar. 393 Dieses Fragment schließt sich inhaltlich an das vorhergehende an und wird deshalb ebenfalls De lingua Latina zugeordnet. 394 P. Nigidius Figulus, Naturforscher und Grammatiker des 1. Jhs. v. Chr. und Freund Ciceros. Funaiolis Sammlung Grammaticae Romanae fragmenta (Stuttgart 21969) enthält ca. vier Dutzend Fragmente von Nigidius Figulus. 395 Dieses Gelliuszitat muss nicht unbedingt aus De lingua Latina stammen, bezeugt aber das, was an etlichen Stellen in den Codices von De lingua Latina gerade an Stellen fehlerhafter Überlieferung erkennbar ist. Die Textänderung patrius ergibt sich aus Varro, s. den App. 396 Im VI. Buch von Dubii sermonis, s. Anm. zu Frg. 10. Das Pliniusfragment entstammt dem Charisius De analogia ut ait Romanus (GL I 116-147), in dem sich weitere Varrofragmente (Nr. 20-23, 25 und 27) finden. Welche der bei Plinius

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          Anmerkungen

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          genannten neueren Ablativformen auf -e von Varro abgelehnt wurden, lässt sich nicht mit Bestimmtheit sagen. Varro kennt in VIII 66 den Ablativ ave neben avī, ove neben avī, in IX 112 freilich nur montī. Varro hat – so ist die Stelle bei Plinius zu verstehen – andere Grammatiker kritisiert, die die konsequente Bildung des Ablativs auf -ī (bei den sog. „i-Stämmen“) nicht akzeptierten. Zur Zeit des Plinius, gut 100 Jahre nach Varro, war der Abl. auf -ī immerhin noch in wenigstens den genannten vier Fällen erhalten. Das Vergilzitat entstammt den Georgica III 447. 397 Nach Plinius hatte Varro den Lokativ (sic!) von rūs 'Land' nicht als rūrī (so wie domī) gebildet, sondern rūre, also als normalen Ablativ, wie in Frg. 27, s. u. 398 Demnach forderte Varro, den Akk. Pl. von (alten) i-Stämmen auf -eis zu bilden. In der Stelle aus dem XI. Buch von De lingua Latina wird Varro also die Unregelmäßigkeit zweier konkurrierender Akkusativbildungen (montēs neben montīs) mit analogistischer Haltung bereinigt haben, mit der die Vertreter der Anomalie in VIII 66 noch argumentiert hatten; aus der Stelle in IX 112, welche die Entgegnung der Analogisten (= Varros selbst) enthalten sollte, wird Varros Forderung noch nicht klar. Der genaue Kontext bei Plinius ist nicht erhalten; auch Missverständnisse seitens des Plinius oder Fehler der Varroüberlieferung auf dem Weg zu Plinius sind denkbar. 399 Auch in VII 36 gebraucht Varro den Ablativ (dē) poēmatīs, nicht poēmatibus, vielleicht auch schon in VI 52 (dort ist überliefert de poetis, wofür Canal in seiner Ausgabe von 1874 dē poetis ergänzen wollte; dazu Piras (1998) 152 und Anm. 86). In VII 34 schreibt er hingegen „quod apud Callimachum in poematibus eius inveni“. Wenn das alles richtig überliefert ist, dann stand das griechische poēma (so noch Catull c. 50,15) zu Varros Zeit an der Grenze zwischen Fremdwort und Lehnwort, d. h. als solches hatte es bereits latinisierte Endungen. Zur Schrift De poematis: Dahlmann (1932) 1221 f. 400 Git ist indeklinabel. Wenn Varro die Forderung aufstellt, es müsse so (unverändert) durch alle Kasus gehen, während das Volk – nach Charisius – es bereits flektiert, so zeigt dies: Varro versuchte hier als Analogist eine Norm zu setzen. 401 Der Varrobeleg dürfte lediglich auf verschiedene Varianten für die Bezeichnung der Wimpern eingegangen sein, nicht auf Probleme der Flexion. 402 Der Kontext des Auszugs aus Plinius ist nicht vollends klar: Geht es um ein Produkt (z. B. eine Soße), die aus Weinessig und Oliven zubereitet wird (so Kent in seiner Übersetzung S. 617)? Es wird wohl weniger an Kulinarisches zu denken sein, sondern an schnöde Grammatik: lat. oxos (aus griech. ὄξος) bedarf als Fremdwort einer grammatischen Klärung: Es sollte den Ablativ auf -ō bilden, wie olīvum. 403 Dem Sammler und Lexikographen Nonius Marcellus (um 400 n. Chr.) geht es in diesem Fragment um Varros Adverbbildung indiscrīminātim. Varro hingegen wollte klarstellen, dass er im XVIII. Buch zwei verschiedene Termini synonym verwendete: Das könnten zwei Ausdrücke gewesen sein, die ein syntaktisches oder logisch-semantisches Problem bezeichneten. In Frg. 29 schreibt Gellius, Varro habe (sc. zu 'Aussagen') bald prōfāta, bald prōloquia gesagt – darauf würde die Beschreibung des Noniusfragments genau passen. 404 Charisius geht es um die Kasusbildung von rūs, Gen. rūris, s. zu Frg. 20. In Varros Buch XXII wird eher der Satz als Gebilde thematisiert gewesen sein (Dahlmann [1932] 1212), also die Funktion des Ablativs als reinen Separativs ohne

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          Anmerkungen

          Präposition. Allenfalls bot ein Miniatursatz wie „Rūre vēnī.“ noch Anlass, den Tempusgebrauch auszuführen: 'Ich komme vom Land.' oder perfektivisch 'Ich bin vom Land gekommen.'(Ter. Ennuchus 971, Sprecher ist der Alte). 405 Über den Kontext dieses Fragments kann nur spekuliert werden. Syntaktisch wäre folgendes Problem denkbar: Wonach richtet sich das Prädikat in einem Satz „Ingluviēs torī sunt.“? Das Subst. ingluviēs ist ja Singular, torī hingegen Plural: Richtet sich das Prädikat also nach dem Subjekt des Satzes (ingluviēs) oder nach dem Prädikatsnomen, dem Plural torī? 406 Gellius widmet in seinen Noctes Atticae ('Attische Nächte') ein ganzes Kapitel von gut zwei Seiten Umfang dem Begriff axiōma. Ein Ausschnitt daraus ist die Passage, die sich auf Varros Definition von ἀξίωμα bzw. prōloquium bezieht. Bei Varro ging es um die Bestimmung, was ein einerseits syntaktisch vollständiger, logisch aber – als Aussage – wahrer Satz ist; die Frage ist ein Grundpfeiler von Syntax und Logik. Denkbar ist, dass schon der einleitende Satz (ἀξίωμα - huiusmodi est) mit Ausnahme des igitur aus Varro wörtlich entnommen ist. Die kluge Reihung der vier varronischen Minisätze spricht dafür, dass sie kompakt aus Varro stammen. 407 Das kleine Fragment aus Priscian fängt nur die ungewöhnliche Perfektbildung haurierint ein. Als Kontext lässt sich vermuten: Varro zitierte mehrere Autoren, die aus der gleichen Quelle (einem Logikbuch?) geschöpft hatten. 408 Die beiden Zitate bei den spätantiken Kommentatoren gehen auf denselben Textausschnitt aus De lingua Latina zurück. Sie tragen etymologisierenden Charakter, gehören also wohl eher in die erste, etymologische Hexade des Gesamtwerks. Am wahrscheinlichsten sind sie dem IV. Buch entnommen: Dort entwickelte Varro seine eigene Theorie und Praxis der Etymologie. Mit der Erklärung „procerēs von prōcessērunt“ schlug er zwei Fliegen auf einmal: Er erklärte den Terminus für die Aristokraten und für einen Gebäudeteil. Dass er dabei auf die Perfektform prōcessērunt zurückgreift, hat folgenden Grund: Die Perfektform bot das -r- von procerēs. Zu Varros Verfahren, bestimmte Formen auszuwählen, die seine Erklärung erleichterten, s. zu V 4. 409 Varro hat die semantische Nuance des Komparativs herausgearbeitet, dass eine Komparativform auch eine Abschwächung (per inminūtiōnem) bedeuten kann, also senior 'etwas alt'. Die Originalstelle, aus der Plinius geschöpft hat, wird der zweiten morphologischen Triade (XI-XIII) entstammen, wo die Flexion und sicher auch die Bedeutung der Declinabilia behandelt wurden. 410 Das Fragment ist dem theologischen Werk des Lactanz 'Über das Schöpfungswerk Gottes' entnommen (303/304 n. Chr.: NP 6, 1043). Es trägt etymologischen Charakter. Damit könnte es aus der ersten etymologischen Triade stammen, d. h. aus Buch III oder IV. Alternativ ist denkbar: Varro etymologisierte den technischen Terminus caput, der in Buch IX zur Bezeichnung der Ausgangsform (meist: des Nominativs Singular) eine größere Rolle spielt, s. den alphabetischen Index. Dann gehörte das Fragment zu den morphologischen Büchern XI-XIII. 411 In seinem Kommentar zu Vergils Georgica I 75 äußert sich Servius über die Lupine und fügt dazu eine gelehrte Erklärung des Terminus āla an, der an dieser Vergilstelle gar nicht vorkommt. Der spätantike Gelehrte trägt noch zwei Zitate von Aelius Stilo, Varros Lehrer, und von Cato Censorius aus dessen Geschichtswerk Origines ('Ursprünge') bei. Der Platz für diesen knappen Zitatfetzen aus De lingua Latina lässt sich nicht bestimmen.

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          6. Indices 6.1 Linguistische Fachtermini Varros (mit griechischen Termini)

          Zeichenerklärung: Der Doppelpunkt zwischen A und B bedeutet: B ist von A gebildet bzw. abgeleitet. Der Stern * nach einem Wort bedeutet: Dieses Wort (z. B. aceta*) ist von Varro konstruiert und nicht gebräuchlich. a corpore 8,15 ab animo 8,15 ab toto 8,14 abiungere 10,19 abstrudere 9,109 accommodare 9,37 accusandi (casus) 8,66 accusativus (casus) 8,67 (< accusare 8,16) actus (bei Zahlen: Einteilung) 9,86; 9,87 adminiculandi pars (Adverb) 8,44 adsignificare 8,11; 8,20 adumbratus 10,19; 10,30 adventicium (verbum) 10,69/70 aequabilitas 9,1 agnatio 8,4 ambiguus 9, 76; 9,103; 10,58 amissum (verbum) 9,19 analogia (Definition) 10,74 analogia 8,23; 8,25; 8,26; 8,27; 8,32; 8,33; 8,35; 8,37; 8,39; 8,41; 8,43; 8,47; 8,48; 8,49; 8,50; 8,53; 8,58; 8,59; 8,60; 8,61; 8,63; 8,65; 8,67; 8,70; 8,71; 8,73; 8,75; 8,78; 8,81; 8,82; 9,1; 9,2; 9,3; 9,4; 9,5; 9,6; 9,7; 9,18; 9,23; 9,26; 9,27; 9,28; 9,30;

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          9,33; 9,34; 9,35; 9,36; 9,42; 9,45; 9,50; 9,51; 9,52; 9,53; 9,55; 9,62; 9,67; 9,68; 9,70; 9,74; 9,75; 9,76; 9,78; 9,79; 9,80; 9,81; 9,83; 9,86; 9,88; 9,89; 9,90; 9,95; 9,96; 9,100; 9,103; 9,104; 9,105; 9,107; 9,108; 9,109; 9,110; 9,111; 9,112; 9,113; 9,114; 10,1; 10,2; 10,7; 10,12; 10,14; 10,16; 10,16; 10,18; 10,19; 10,30; 10,36; 10,37; 10,38; 10,39; 10,43; 10,45; 10,48; 10,51; 10,53; 10,54; 10,61; 10,63; 10,68; 10,71; 10,72; 10,74; 10,79; 10,83 analogias gr. 8,23 animalis res 11, Frg. 9 animus 8,24 anomalia 8,23; 10,1 anomalia 8,23; 9,3; 9,113; 10,2; 10,16; antiqui (die Alten) 9,17; 9,68; 10,73 aperta oratio 8,26 appellandi pars 8,44; 8,45 appellare 9,57; 9,68; 9,69 argumentum 9,77 ars 8,6; 9,18 articulus (≈ Artikel/Pronomen, um­ fassend bestimmte + unbestimmte

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          Indices

          Pronomina) 8,45; 8,63; 10,18; 10,19; 10,20; 10,30; 10,50 assuetudo 9,20 assumere (heranziehen als Hilfe) 9,82; 9,94; 9,103; 10,28; 10,29 augendi genus (Steigerung) 8,52 barbari 8,64 barbarum vocabulum 64 bisyllabum 9,91 bivium 10,44 brevis oratio 8,26 caput 9,78; 9,79; 9,90; 9,102; 9,103; 10,50 casualis 8,52; 10,18 cassus (sic!) 8,39 casus 8,11; 8,16; 8,22; 8,44; 8,46; 8,49; 8,58; 8,63; 8,64; 8,65; 8,66; 8,67; 9,31; 9,34; 9,52; 9,52; 9,54; 9,70; 9,75; 9,88; 9,89; 9,90; 9,94; 9,110; 10,7; 10,10; 10,14; 10,17; 10,21; 10,22; 10,23; 10,26; 10,29; 10,30; 10,34; 10,35; 10,42; 10,44; 10,47; 10,50; 10,58; 10,61; 10,65; 10,80; 10,82 casus dandi (Dat.) 8,36 casus naturalis 10,61 (casus) nominandi (Nominativ) 8,42; 9,76; 9,77; 10,23; 10,65 casus obliquus 8,6; 8,46; 8,49; 8,69; 8,74; 9,43; 9,77; 9,79; 9,80; 9,89; 9,103; 10,22; 10,50; 10,51; 10,52 casus patricus (Genitiv) 8,66; 8,67; 9,54; 9,76; 9,85; casus rectus (Nominativ) 8,4; 8,6; 8,7; 8,36; 8,42; 8,46; 8,49; 8,51; 8,53; 8,58; 8,69; 8,74; 9,43; 9,50; 9,54; 9,70; 9,71; 9,75; 9,76; 9,85; 9,90; 9,102; 9,103; 10,8; 10,22; 10,44; 10,50; 10,51; 10,52; 10,58; 10,59; 10,60; 10,60 casus sextus (Ablativ) 10,62

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          casus vocandi (Vokativ) 8,42; 9,43; 9,91 casuum series 9,77 causa Frage 9,36 civitas 9,14 cogere (kontrahieren) 10,81 cognatio (rerum: sachl./inhaltl. Verwandtschaft) 8,3; 10,40 cognomen 8,17; 9,71 collatio (Komparation) 8,78 commodus (passend) 9,16 commovere (litterae) 10,26 commune nomen (Homonymie) 9,89 communitas (Gemeinsamkeit) 9,59 communiter 9,74 commutabilis (in der Flexion) 9,99 commutare ändern 9,16; 9,54; 9,99; 10,25 commutatio vocis (bei der declinatio) 10,25; 10,77 compar (Adj.: Partner) 9, 65 comparare 82; 9,58 componere (zusammensetzen) 9,84 compositicium (= compositum) 8,61 conferre (vergleichen) 9,39; 9,99; 9,100; 10,5; 10,13; 10,17; 10,18; 10,21; 10,26; 10,28; 10,36; 10,37; 10,45; 10,49; 10,72; 10,77; 10,82 congeneratus (gemeinsam gebildet) 10,39 coniungere 8,12; 9,64; 10,45; 10,48; 10,83 consensus communis 8,22 conservare 9,109 constantia (Gleichmäßigkeit) 9,35 constare (gleich bleiben) 9,100 consuesse 9,14; 9,68 consuetudo (Gewohnheit, Gewöhnung) 9,16; 9,17; 9,74 consuetudo (Sprachgebrauch) 8,6; 8,23; 8,26; 8,27; 8,32; 8,33; 8,48;

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          Indices

          8,57; 8,74; 8,79; 9,1; Frg. 5; 9,2; 9,3; 9,6; 9,8; 9,10; 9,11; 9,12; 9,13; 9,17; 9,18; 9,21; 9,35; 9,76; 9,78; 9,80; 9,107; 9,111; 10,2; 10,15; 10,16; 10,16; 10,61; 10,70; 10,73; 10,74; 10,78 consuetudo communis 9,9; 9,114; 10,16; 10,74; 10,77 consuetudo prisca 10,70 consuetudo vetus 9,20; 9,21; 10,73 contentio (Streitdebatte) 8,75 contrarium (Pendant zum Aktiv/ Passiv) 8,59 controversia 8,16; 10,6 convenire (zusammenpassen) 9,105; 9,106; 9,111; 10,17 copia verborum 8,2; 8,20 copula (Paar) 9,4; 10,33 copula (Konjunktion) 8,10 copulare 10,36; 10,48; 10,54 corrigere 9,7; 9,9; 9,14; 9,16 crimen 9,7; 9,36; 9,77 culpa 8,8 dandi (casus: Dat.) 8,36; 10,21; 10,65 dare (zum Dativ) 8,16 declinare 8,1; 8,2; 8,6; 8,7; 8,10; 8,15; 8,16; 8,36; 8,39; 8,76; 9,9; 9,37; 9,44; 9,49; 9,50; 9,71; 9,83; 9,89; 9,90; 9,103; 9,115; 10,12; 10,14; 10,15; 10,16; 10,17; 10,34; 10,35; 10,50; 10,53; 10,54; 10,66; 10,79; 10,82 declinare quo: 8,7; in casus 9,51 declinatio 8,3; 8,5; 8,11; 8,13; 8,15; 8,21; 8,23; 8,52; 9,3; 9,10; 9,17; 9,110; 10,1; 10,2; 10,3; 10,9; 10,11; 10,12; 10,15; 10,16; 10,26; 10,44; 10,60; 10,62; 10,74; 10,76 declinatio (Definition) 10,74; 10,77 declinatio multitudinis (Pluralbildung) 10,28

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          declinatio singularis (Singularbildung) 10,28 declinatio naturalis 9,35; 10,77 declinatio voluntaria 9,35; 9,62 declinatus, ūs (Ableitungsform) 8,6; 8,9; 8,10; 9,10; 9,34; 9,37; 9,38; 9,51; 9,53; 9,62; 10,31; 10,32; 10,51; 10,54; 10,65; declinatus naturalis 10,83 declinatūs genus (Ableitungsklasse) 9,37 defendere 10,16 definire 10,74 definitio 10,75 dei nomina (Göttername) 9,59 demere (Laute/Buchstaben) 9,44 denarius gradus 9,87 depravare 10,60 derectus 10,22; 10,43 derigere 10,74 designare (bezeichnen) 9,37 dicendi pars (Verbum) 8,44 dicere (passim, z. B.) 8,5; 8,57; 8,60; 8,65; 8,73; 8,81; 9,67; 9,76; 9,79; 9,83; 9,85; 9,89; 9,97; 9,99; 10,16; 10,38; 10,41; 10,48; 10,49; 10,67; 10,83 diiunctus 10,47 diminutio (?) (Deminutivbildung) Frg. 10 directus 10,43; 10,44 discere 8,3; 8,6; 9,1; 9,15 discernere 9,55, 9,94; 9,108; 10,20 disciplina declinationum (Lehre von den Ableitungen) 8,24 disciplina loquendi (Redeschule) 10,1 discrepare 8,42; 8,69; 8,77; 9,2; 0,97; 9,102; 9,107; 9,111; 10,62 discrimen (Unterscheidung, Unterschied) 8,1; 8,2; 8,10; 8,14; 8,16; 8,17; 9,32; 9,56; 9,67; 9,104;

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          214

          Indices

          10,10; 10,20; 10,64 discrimen (Einzelform) 8,14; 10,10; 10,77 discriminare 8,51; 9,57; 9,104 dispar 9,9; 9,46 disparilis 8,66; 9,40; 9,89; 10,48 disparilitas 10,36 disputare 10,55 dissensio 10,10 dissimilis (Definition) 10,3 dissimilis 8,23; 8,23; 8,34; 8,35; 8,41; 8,42; 8,68; 9,3; 9,28; 9,40; 9,56; 9,67; 9,71; 9,84; 9,89; 9,94; 9,109; 9,113; 9,114; 10,2; 10,5; 10,17; 10,18; 10,36; 10,37; 10,41; 10,50; dissimilitudo 8,23; 8,24; 8,29; 8,31; 8,32; 8,37; 9,42; 9,46; 9,47; 9,74; 9,85; 9,109; 10,1; 10,3; 10,5 dividere 8,24; 8,44; 9,74; [10,19;] 10,52 divisio (Abteilung/Einteilung) 8,44; 9,96; 10,14; 10,15; 10,17; 10,33 divisio (Verbalaspekt) 9,95; 9,96; 9,97; 9,101 docere 9,1 doctrina (Belehrung) 10,51 dominatus, ūs 10,53 ducere (heranziehen) 9,110 duplex similitudo 10,12 duplex verbum (Doppelwort: Ve r b f o r m a u s z w e i W ö r t e r n gebildet) 9,97 E breve 8,68 E longum 8,68 ediscere 8,5 efferre (aussprechen) 8,51; 9,76 efficere (bilden) 8,59 elegantia 8,31 errare 10,80 erratio 10,56

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          esse (morphologisch: lauten, gehen) 9,80 u.ö. esse ex (gebildet sein aus) 9,54 excludere 10,57 exemplum 9,18 eximere (Laute) 9,44 exitus (Ausgang/Endung) 10,21; 10,62 exterere 10,81 extrema littera 10,21 extrema syllaba 9,71; 9,109; 10,32; 10,57; extremum (am Ende) 9,111; 10,25 extremum facere (ausgehen auf) 9,80 extrinsecus 8,18; 8,43; 8,69; 9,94; 10,28; 10,29 facere /fieri (gramm: bilden) 8,57; 8,67; 9,90; 10,17; 10,57 faciendi (Aktiv) 10,33 facies (Aussehen) 9,43 fecundum genus 8,9 femina (biol.) 8,7; 8,56; 9,57; 9,59 femina (gramm.) 8,40; 9,38 figura (äußere/lautliche) Form 9,40; 9,42; 10,25; 10,27; 10,36; 10,51; 10,53 figura (Aufbau) 8,39; 8,71; 9,39; 9,93; 10,77 figura (Form) 9,52; 9,55; 10,4; 10,32; 10,33; 10,58 figura materiae (Wortstruktur) 10,11 fingere (gramm.: bilden) 8,34; 8,58; 9,83; 10,35; 10,56 fingere (schaffen) 9,101 finire (bestimmen) 9,84 finis (gramm.: Begrenzung) 8,21; 9,4 finitus (semantisch bestimmt) 8,45; 8,80; 9,31; 9,85; 10,18; 10,20; 10,30; 10,83 finitus casus 9,81

          30.05.23 09:35

          Indices

          flectere (beugen) 10,29 flexura (Flexion) 10,28 fons 8,5; 10,22 foris (res) 8,19 forma (Aufbau/Form) 8,9; 8,32; 8,33; 9,21; 9,39; 9,82; 9,101; 10,1; 10,27; 10,56 forma Graeca 10,70 forma (gramm. Einzelform) 8,47; 9,41 forma similitudinis (Aussehen) 8,24; 9,109 forma (Schema) 9,37; 9,102; 9,109; 9,115; 10,22; 10,49 formula (Schema) 9,103; 10,33; 10,43; 10,44 fulmentum 8,10 fundamentum 10,51; fundamentum 10,72 futurum (Futur) 8,20; 8,58 geminus 8,41; 8,56; 10,4; 10,38 gentilicia natura 9,59 gentilitas 8,4 genus (Art) 8,17; 8,19; 8,21; 8,24; 8,51; 8,52; 9,10; 9,34; 9,37; 9,72; 9,67; 9,79; 10,9; 10,11; 10,13; 10,16; 10,22; 10,27; 10,29; 10,30; 10,31; 10,34; 10,35; 10,45; 10,52; 10,66; 10,68; 10,69; 10,70; 10,79 genus (Bereich) 10,16 genus (Gattung) 9,47; 9,113; 10,28 genus (gramm. Genus) 8,39; 9,62; 10,8; 10,21; 11, Frg. 6-9 genus verbi (Akt./Pass.) 9,95; 9,96 genus (gramm: Klasse) 8,9; 8,47; 8,61; 8,66; 8,75; 8,78; 8,79; 9,65; 9,83; 9,90; 9,102; 9,103; 9,110; 10,14; 10,33; 10,34; 10,37; 10,48; 10,65 genus finitum/infinitum 10,18

          Varro_Lingua Latina_Teil II_Buch.indb 215

          215

          generis eius/huiusce, genus hoc/id (derart) 8,55; 8,58; 10,44; 10,84 gradus (Abstufung) 9,74; 9,86; 10,83; 10,84 gradus singularis (math.: Einer) 9,87 grammaticus 9,1; 10,42; 10,55; 10,75 gubernator 9,6 historia 8,6 homo 10,4; 10,6; 10,29; 10,56 humanitas 8,31 I (littera) 8,67 imperandi (species/declinatus: Imperativ/Jussiv) 10,31; 10,32 imperare 9,32; 9,101 imperītus 9,39; 9,66; 9,90; 9,101; 10,16; 10,60 implicare (verknüpfen: Schema) 10,22; 10,43 imponere (benennen) 8,7; 8,8; 8,10; 9,34; 9,88; 10,15; 10,35; 10,53; 10,54; 10,60 impositicium nomen (Anfangs­b e­ nennung) 8,5 impositio (Benennung) 8,4; 10,51; 10,60; 10,61 impositum (nomen/verbum/voca­ bulum) 8,4; 8,9; 8,22; 9,12; 9,34; 10,52 improbare 9,12 inaequabilitas 8,28; 8,30; 9,1 inchoata (res: unvollendete Handlung) 9,96; inchoata analogia 10,68 inclinare (flektieren) 9,34; 9,38; 10,13; 10,78 inclinatio (Flexion) 9,1; 9,114 incommutabilis (in der Flexion) 9,99 inconstantia (Ungleichmäßigkeit) 9,35 incontaminatus 9,21 incrementum (Mehrung, Steigerung)

          30.05.23 09:35

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          Indices

          8,17; 9,66 indicandi (Indikativ) 9,101 indiscrīminātim ≈ 'synonym': 18 Frg. 26 indivisus 10,77 infectus (unabgeschlossen/unvoll­ endet): 9,32; 9,96; 9,97; 9,100; 9,101; 10,33; 10,48; infinita natura 8,52 infinitus (unbestimmt) 8,45; 8,52; 8,80; 9,31; 9,64; 9,84; 9,85; 10,18; 10,20; 10,30 initium (Ausgangspunkt) 10,53; 10,62 inminutio (?) (Deminutivbildung) Frg. 32 insanus 8,33 institutum (Brauch und Sitte) 10,27 intellegere (semantisch verstehen) 9,103 interire 8,59 interrogare 9,32 introducere 9,20 iucunditas 9,46 iungendi pars (Konjunktion) 8,44 iunior (neuere Wortform) 10,71 liber (Buch) 8,1; 8,23; 8,24; 8,25; 9,1; 9,7; 9,111; 9,115; 10,1; 10,30; 10,33 libera nomina (Namen von Freien) 9,59 libertinus 8,83 libido / lubido (hominum) 10,56; 10,60; 10,61 librarius 8,51; 9,106 lingua Latina 9,113 littera (griech. Ziffer) 10,10 littera (Buchstabe/Laut) 8,63; 8,64; 9,44; 9,51; 9,52; 10,21; 10,25; 10,55; 10,62; 10,82 locus 8,12; 8,18

          Varro_Lingua Latina_Teil II_Buch.indb 216

          longus (Vokallänge) 8,72; 9,104 loqui 8,23; 9,2; 9,8; 9,17; 9,85; 10,16; 10,64; 10,68; 10,71; 10,72; loquens (Sprecher) 8,26 ludus (Schule) 9,15 m = m(ultitudinis) 8,9 magnitudo 8,79; 9,74 mas (gramm.) 8,7; 8,40; 8,56; 9,38; 9,57; 9,59 materia (= res: gramm. Substanz) 10,11; 10,36 medium (mittlere Größe) 8,79 mendum 9,106 mens (Sinn) 10,77 mensura 9,67 meta (naturae: Ziel) 8,31 minimum 8,79 minuendi genus 8,52 modus (Typ) 10,12 motus 8,15; (Schwanken der Sprache) 9,17 muliebris (Femininum) 8,36; 8,46; 8,51; 9,41; 9,48; 9,110; 10,27; 10,30; 10,40 mulier 8,56; 8,81; 10,4 multitudo (Menge) 9,85 multitudo (Mehrzahl) 8,7; 8,14; 9,4; 9,65; 9,76; 10,36; 10,54 multitudinis (gramm.: Plural): 8,36; 8,48; 8,60; 8,66; 9,63; 9,64; 9,65; 9,81; 9,82; 9,84; 10,28; 10,33; 10,54; 10,56; 10,58; 10,59; 10,66; 10,83 multitudinis (vocabulum: Pluralwort) 9,66; 9,68; 9,69 multitudo (Numerus) 8,46; 8,48 natare (schwanken) 8,74; 9,71 nationes (Abkömmlinge) 9,92 naturā (von Natur) 9,37; 9,38; 9,41;

          30.05.23 09:35

          Indices

          9,51; 9,59; 9,67; 9,67; 9,72; 9,111; 9,113; 10,17; 10,46; 10,83 natura (ling. Definition) 10,15 natura (sprachl. Produkt) 8,3; 10,28 natura (Geschöpf) 9,55 natura (Natur) 8,1; 8,10; 8,23; 8,31; 9,4; 9,33; 9,56; 9,57; 9,62; 9,63; 9,70; 9,76; 9,78; 9,94; 9,101; 10,15; 10,52; 10,53; 10,55; 10,61; 10,74 natura (nat. Substanz) 9,38; 10,83; 10,84 natura (personarum/rerum/sermonis/ verbi/vocis: Wesen) 8,1; 8,2; 8,14; 8,20; 8,25; 8,43; 8,52; 9,37; 9,57; 9,58; 9,65; 10,1; 10,24; 10,28; 10,41; 10,51; 10,54; 10,56 natura (Wesenszug) 10,5 naturale genus (analogiae/declina­ tionis) 8,21; 9,34 naturalis (analogia/declinatio) 8,22; 9,34; 10,15 necessitas 8,31 neutrum (natura rerum: Definition) 10,5 neutrum (gramm. Neutrum) 8,46; 8,51; 9,41; 9,57; 9,59; 10,8; 10,30; 11, Frg. 9 neutrum (kein Kasus, kein Tempus) 8,11; 8,44; 9,31 neutrum (weder ähnlich noch unähn­ lich) 10,5 nomen (dissimilitudinis: Begriff) 10,5 nomen (Benennung) 8,5; 8,6; 8,9; 10,16 nomen (Eigennamen) 8,36; 8,40; 8,45; 8,53; 8,56; 8,80; 8,82; 8,84; 9,22; 9,40; 9,59; 9,71; 9,89; 10,27 nomen gentilicium 9,60 nomen (Name) 8,6; 8,10; 8,14; 9,68; 9,89; 10,15; 10,64

          Varro_Lingua Latina_Teil II_Buch.indb 217

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          nomen (Namenwort/Nomen) 8,13; 8,14; 9,43; 9,48; 9,52; 9,54; 9,62; 9,89; 10,8 nomen muliebre: 8,36; 8,46; 9,40; 9,48 nomen virile 9,40; 9,48 nomen (Grund) 8,32 nominalis Adj. 8,4 nominandi (Nom.) 8,42; 9,76; 9,77; 10,23; 10,65 nominare (benennen) 8,52; 8,62; 8,65; 8,83; 10,84 nominatus (Nomen) 8,45; 8,52; 8,63; 9,69; 9,70; 9,95; 9,102; 10,18; 10,19; 10,20; 10,21; 10,30; 10,70 nominativus (casus) 10,23 nostri nomen (Eigennamen) 9,59 nostrum (vocabulum) 8,64; 10,71 notare (markieren) 10,30 nothus (unecht) 10,69; 10,70; 10,71 novenaria regula (Neunermaß) 9,86 novicius servus 8,6 novitas 9,20 numeri (Zahlen/Zahlwörter) 9,65; 9,66; 9,81; 9,86; 10,83 numerus (im Schema) 10,43 numerus (Numerus) 10,65 obliqua declinatio 10,44 obliqua figura 10,53 obliquum (Wort im casus obliquus) 8,1 obliquus (casus): 8,6; 8,46; 8,49; 8,69; 8,74; 9,43; 9,70; 9,75; 9,77; 9,79; 9,80; 9,89; 9,103; 10,22; 10,50; 10,51; 10,52; 10,58; 10,59 obliquus (versus: seitwärts, waag­ recht) 10,43 obscuritas 10,75 offendere 8,7; 9,114; 10,71 offensio 9,8; 9,16; 9,18; 9,35

          30.05.23 09:35

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          Indices

          optandi (species: Optativ) 10,31; 10,32 optare 9,32 ora (Grenze) 8,2 oratio (Rede/Sprache) 8,1; 8,11; 8,26; 8,38; 8,53; 9,9; 9,11; 9,30; 9,31; 9,32; 9,33; 9,36; 9,45; 9,46; 9,48; 9,56; 9,112; 10,14; 10,42; 10,49; 10,55; 10,64; 10,68; 10,77; 10,79; 10,79 oratio (soluta: Prosa) 10,7 oratio (vocalis: Rede) 9,9; 10,77 ratio (Diskurs) 10,11 orator 8,26; 9,5; 9,114 ordo (Reihe) 10,22; 10,43; 10,54; 10,67 ordo (Reihenfolge) 9,98; 10,1 origo 10,11; 10,13 origo (Etymologie) 9,69 oriri 8,58; 9,71; 9,114 ostendere 9,79; 10,55; 10,80 ostendere (bezeichnen) 8,60 par Adj. 9,46; 9,47 par (Partner, Paarform) 9,53; 9,65 párere 8,9 parilis 9,40; 10,77 pars casualis 10,18 pars orationis (Satzglied/Redeteil/Wort­ art) 8,11; 8,38; 8,44; 8,53; 10,78 pars (Teil) 9,36; 9,40; 9,45; 9,95; 10,49; 10,78 participale (Partizip) 10,34 participium 8,58; 9,110 particula (kleiner Teil) 10,44 patiendi (species: Passiv) 10,33 patricus (casus: Genitiv) 8,66; 8,67; 9,54; 9,76; 9,85; perducere (Analogien ins Sprechen einbringen) 10,72 peregrinum (vocabulum) 10,69 perfecta (analogia/similitudo) 10,12;

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          10,68; 10,69 perfectae (res: vollendete/abge­ schlossene Handlung) 9,32; 9,96 perfecti (Gen.: Perfekt) 9,101 perfectum (vollendeter/abge­schlos­ se­n er Aspekt) 9,96; 9,97; 9,101; 10,33; 10,48 permutare (verwechseln) 9,90 persona (Person) 8,20; 9,4; 9,32; 9,95; 9,100; 9,101; 9,102; 9,108; 10,31; 10,32 perspicere 9,94; 10,28; 10,29; 10,58; 10,75 physici 10,55 plura (Plural) 9,32; 10,30 poema 8,14 poeta 9,5; 9,17; 9,78; 9,114; 10,35; 10,42; 10,70; 10,73; 10,74 poetica analogia 10,74 populus 8,6; 8,70; 9,5; 9,6, 9,18; 9,114; 10,16; 10,74 posterius (nachgeordnet bei Satzgliedern) 8,12; 8,13 postremum (letzter Laut) 9,106 praeceptum 8,6 praenomen (Praenomen) 9,60; 9,61 praeponere (voransetzen) 9,54; 9,88; 10,8 praesens (Tempus) 8,20; 8,58; 9,27; 9,102; 9,104; praestare (gewährleisten) 9,110; 9,114 praeteritum (Tempus) 8,20; 8,58; 8,59; 9,27; 9,104 primum verbum (Anfang) 10,25 principium (Ausgangspunkt) 10,55; 10,56; 10,60; 10,61; 10,67 principium primum (Grundprinzip) 10,11 principium (Wortanfang) 9,99 principium verborum (Anfangsgrund) 8,5

          30.05.23 09:35

          Indices

          priscus 10,71 prius 8,12 prodere (hervorbringen) 9,37 producere (gramm: dehnen) 9,104 progenies 10,41 proloquium (Def.) 24, Frg. 29 pronomen 8,45; 9,94; 10,80 pronuntiare (aussprechen/vortragen/ aufsagen) 8,51; 9,9; 9,96; 10,47 propagare 9,62; 9,74 propagatum (verbum: Sprossform) 8,3 propago (Ableger, Abkömmling) 8,1; 8,10; 8,24 proponere (gramm.: voranstellen) 9,41; 10,80 propositum (vorliegend) 9,108 propositum (Thema) 8,8 proportio (Analogie) 8,57; 8,80; 8,83; 10,36 proportione (analog/entsprechend) 8,68; 8,78; 8,80; 9,29; 9,30; 9,33; 9,48; 9,61; 9,62; 9,83; 9,110; 10,2; 10,9; 10,37; 10,41; 10,42; 10,47; 10,51; 10,65 provocabulum (Pronomen) 8,45 quadripertitus 8,50; 10,49 quadrisyllabum (viersilbig) 8,77 quadruplex (forma/fons: vierteilig) 9,37; 10,22; 10,41 radix (Wurzel) 8,53 ratio (Art u. Weise) 8,6; 9,34 ratio (Grund) 9,68 ratio (Logik) 8,1 ratio loquendi (Vernunft) 8,1; 9,35 ratio (Prinzip, Regelhaftigkeit) 8,67; 9,33; 9,95; 10,1; 10,2; 10,3; 10,72 ratio (Regel) 8,57; 8,72; 8,79; 8,83; 9,2; 9,6; 9,8; 9,13; 9,15; 9,16; 9,17; 9,20; 9,21; 9,35; 9,58; 9,71; 9,77;

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          9,79; 9,112; 10,1; [10,11;] 10,15; 10,19; 10,20; 10,54; 10,56; 10,60; 10,82 ratio (System) 9,84; 9,88; 9,96; 10,14; 10,32 ratio ([regelhaftes] Verhältnis) 10,35; 10,36; 10,37; 10,38; 10,41; 10,43; 10,46; 10,63 recens 10,71 recipere (in consuetudinem) 9,10 rectum (im Nom.) 8,1 rectus casus (Nominativ) 8,4; 8,6; 8,7; 8,36; 8,42; 8,46; 8,49; 8,51; 8,53; 8,58; 8,69; 8,74; 9,43; 9,50; 9,54; 9,70; 9,71; 9,75; 9,76; 9,85; 9,90; 9,102; 9,103; 10,8; 10,22; 10,44; 10,50; 10,51; 10,52; 10,58; 10,59; 10,60; 10,60 rectus casus singularis (Nom. Sg.) 10,60 recuperare 10,59 reddere (proportionem) 8,57; 9,106 redigere 9,6 regula novenaria (Neunermaß) 9,86 reponere (wiederherstellen) 9,78 reprehendere 8,33; 9,7; 9,11; 9,63; 9,66; 9,68; 9,70; 9,74; 9,79; 9,90; 9,91; 9,93; 9,95; 9,97; 9,98; 9,101; 9,104;9,105; 9,106; 9,110; 10,48 reprehensio (Kritik) 8,66; 9,8 repudiare (?) 9,111 repugnare (consuetudo) 9,111; 10,76; 10,78 res (Ding/Sache) 8,1; 8,3; 8,7; 8,10; 8,11; 8,14; 8,18; 8,80; 9,1; 9,32; 9,34; 9,37; 9,56; 9,58; 9,60; 9,64; 9,96; 10,6; 10,15; 10,16; 10,24; 10,41; 10,60; 10,64; 10,77; 10,83 res animalis: 11 Frg. 9 res (Frage/Gegenstand) 10,1; 10,3; 10,9

          30.05.23 09:35

          220

          Indices

          res (gramm. Substanz ) 9,52; 10,19; 10,63; 10,64; 10,66; 10,68, 10,69, 10,72 res singularis (Einzahl) 10,54; 10,66 rescindere 9,67 respondendi (species: Indikativ) 10,31; 10,32 rivus 8,5 rogandi (species: Fragemodus) 10,31 rogare 10,32 scena 10,27 scenici poetae 9,17 s c i e n t i a o r a t i o n i s (Sprachwissenschaft) 9,112 scribere 9,15; 9,111; 10,40 scriptio 8,12 scriptor 9,111 secretum vocabulum 9,57 semel 10,33 senex 8,25 sententia (Satz) 8,1 sequi (befolgen) 8,73; 8,78; 9,1; 9,47; 9,90; 9,114; 10,51; 10,61; 10,71; 10,74 series (Reihe) 9,77; 9,100 sermo (Sprache) 8,3; 8,25; 8,30; 8,37; 9,1; 9,19, 9,33; 9,107 servare (einhalten) 8,53; 8,59; 8,60; 8,75; 9,28; 9,55; 9,85; 9,96; 9,100; 9,103 servi nomina (Sklavennamen) 9,59 sextus casus (Ablativ) ; 10,62 sexus (Geschlecht) 8,46 significare 8,27; 8,40; 8,48; 8,80; 9,37; 9,38; 9,40; 9,41; 9,73; 9,81; 9,84; 9, 103; 10,7; 10,27; 10,30; 10,48; 10,66; 10,77; 10,78 significatio 9,40 similis (Definition) 10,3 similis 8,3; 8,23; 8,34; 8,32; 8,35;

          Varro_Lingua Latina_Teil II_Buch.indb 220

          8,39; 8,42; 8,43; 8,56; 8,67; 8,68; 8,69; 8,75; 8,77; 9,1; 9,3; 9,9; 9,28; 9,29; 9,39; 9,40; 9,43; 9,44; 9,49; 9,50; 9,51; 9,72; 9,74; 9,83; 9,92; 9,94; 9,108; 9,110; 9,113; 10,2; 10,4; 10,5; 10,6; 10,8; 10,12; 10,16; 10,17; 10,21; 10,27; 10,29; 10,36; 10,38; 10,42; 10,48; 10,50; 10,51; 10,65; 10,66; 10,71; 10,72; 10,75; 10,77 similiter 8,23; 8,34; 8,39; 8,57; 8,67; 8,70; 8,77; 8,82; 9,62; 9,86; 10,44; 10,50; 10,68 similitudo declinationis (Definition) 10,77 similitudo figurae (Ähn­l ich­k eits­ schema) 9,37 similitudo 8,24; 8,25; 8,28; 8,29; 8,31; 8,37; 8,41; 8,43; 8,77; 8,84; 9,1; 9,8; 9,29;9,32; 9,33; 9,36; 9,40; 9,43; 9,45; 9,46; 9,47; 9,48; 9,53; 9,84; 9,93; 9,94; 9,108; 9,114; 10,1; 10,3; 10,5; 10,8; 10,9; 10,11; 10,19; 10,26; 10,28; 10,29; 10,30; 10,42; 10,52; 10,65; 10,69; 10,72; 10,76 simplex (Gegensatz: compositum) 8,61; 9,83; 9,84 simplex verbum (Gegensatz: duplex) 9,97 singulare (vocabulum: Wort im Singular) 8,7; 8,48; 8,60; 8,66; 9,60; 9,63; 9,65; 9,68; 9,69; 9,76; 9,80; 9,81; 9,82; 10,33; 10,36; 10,56; 10,57; 10,65; 10,83 singulare (tanta) 8,48; 9,63 singularis (Adj.: im Sing.) 10,58; 10,59 singularis (casus/declinatio im Sing.) 10,28; 10,54; 10,60 singularis (res: Einzelding) 10,54 singularis (einzeln) 9,53; 9,57; 9,64; 10,82

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          Indices

          singularis (Einer) 9,86; 9,87; 10,62 singula (beim Verb) 9,32 singuli 9,5; 9,6; 9,18; 9,114; 10,74 societas 9,59 species (Art, Gattung): 8,57; 9,21; 10,4; 10,13; 10,18; 10,21; 10,31; 10,32; 10,33; 10,73; 10,79 species (Aussehen) 9,39 species (singularis: Einzahlform) 8,48 spinosus 8,51 sterile genus 8,9 stirps 8,4 subesse 9,58; 9,70; 10,66, 10,33 subiungere 10,66; 10,67 summa (Höchstes/Prinzip) 8,31; 9,4; 9,6 summum (höchster Grad) 8,78 syllaba 8,10; 8,72; 8,81; 9,44; 9,51; 9,52; 9,71; 9,99; 9,109; 10,7; 10,32; 10,57 tabula 10,22 temporale (verbum: Zeitwort) 8,13; 9,95; 9,108; 9,109 temporalis (species) 10,31 tempus 8,11; 8,12; 8,20; 8,44; 8,58; 9,27; 9,31; 9,34; 9,89; 9,95; 9,96; 9,98; 9,101; 9,108; 10,7; 10,17; 10,31; 10,32; 10,34; 10,47; 10,48 traducere 9,16; 9,96 tragoedia 10,70 tralatus 10,71 transire (in andere Form/Kategorie) 8,42; 9,71; 9,76; 9,108; 10,29; 10,77 transitio 9,103; 10,28 transitus (in andere Form/Kategorie) 8,39; 9,91; 9,108; 10,28; 10,51; 10,52; 10,53; 10,77 transversus 10,22; 10,23; 10,43 tripertitus 8,1

          Varro_Lingua Latina_Teil II_Buch.indb 221

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          trisyllabum 8,77; 9,91 trītum (gebräuchlich) 9,77 unitas 8,3 universi 9,114 unum (die Eins) 9,84 unus (Singular) 8,7; 8,56; 9,68; 10,30 usus 8,10; 8,14; 8,16; 8,28; 8,30; 8,31; 9,4; 9,7; 9,37; 9,38; 9,39; 9,56; 9,57; 9,59; 9,60; 9,62; 9,63; 9,67; 9,68; 9,69; 9,70; 9,71; 9,74; 10,60; 10,73; 10,78; 10,83; 10,84 ut finitum genus 8,45 ut infinitum genus 8,45 uti 9,90; 10,70; 10,71; 10,72; 10,73 utilitas 8,26; 8,27; 8,28; 8,29; 8,31; 9,48 utrumque (casus + tempus) 8,44; 9,31 valere (bedeuten) 9,54; 9,87 varietas 9,46; 10,62 verbi gratia 8,3 verbum (Definition) 10,77 verbum (als Satzglied: Rhema) 8,11 verbum (Verb) 8,12; 8,53; 8,57; 8,58; 9,9; 9,89; 9,99; 9,101; 9,103; 10,47; 10,48 verbum temporale 8,13; 9,95; 9,108; 9,109 verbum duplex (Verb aus zwei Teilen) 9,97 verbum (Wort) 8,9; 8,10; 8,11; 8,17; 8,20; 8,33; 8,36; 8,39; 8,40; 8,76; 8,78; 9,1; 9,5; 9,9; 9,15; 9,16; 9,17; 9,20; 9,23; 9,34; 9,35; 9,53; 9,53; 9,56; 9,76; 9,93; 9,111; 9,112; 10,7; 10,8; 10,12; 10,17; 10,19; 10,25; 10,26; 10,28; 10,31; 10,33; 10,36; 10,44; 10,56; 10,57; 10,65; 10,70; 10,72; 10,74; 10,76; 10,79; veritas 9,12

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          Indices

          vernaculum (vocabulum) 10,69 versus (Zeile) 10,43 vetus 10,73; 10,78 via (Ableitungsweg) 10,28 [vim F] vicinitas 10,26 vir 8,56; 10,4 virile (genus/Maskulinum) 9,41; 9,81; 9,110; 10,21; 10,30; 10,65 virile (nomen) 8,36; 8,81; 9,48 virilis (Maskulinum) 8,46; 8,51 vis (Bedeutung) 9,43 [10,28] vita 8,30 vocabulum (Nomen) 8,11; 8,12 vocabulum (Gattungswort) 8,40 vocabulum (Nennwort) 8,45; 8,52; 8,53; 8,56; 8,57; 8,61; 8,71; 8,79; 8,80; 9,9; 9,41; 9,50; 9,52; 9,57; 9,64; 9,65; 9,67; 9,71; 10,20; 10,24; 10,47 vocabulum (Wort allgemein) 8,1; 8,7; 8,35; 8,55; 8,58; 8,59; 8,65; 8,78; 8,79; 8,81; 9,1; 9,21; 9,34; 9,51; 9,54; 9,55; 9,62; 9,74; 9,77; 9,78; 9,85; 9,88; 9,90; 10,6; 10,54; 10,60; 10,82; 10,83 vocabulum (Bezeichnung) 10,23 vocabulum singulare (Singulare tantum) 9,63 vocabulum vetus 9,22 vocalis (lautlich) 10,66; 10,77 vocalis oratio (geäußerte Sprache) 10,77 vocandi casus (Vokativ) 8,42; 9,43; 9,91; beim Artikel: 10,30 vocare 8,16 volgus 9,107 voluntaria analogia 9,34 voluntaria declinatio 8,23 voluntarium genus analogiae 9,34 voluntarium genus declinationis 8,21 voluntas 8,21; 8,22; 8,23; 9,34; 10,51

          Varro_Lingua Latina_Teil II_Buch.indb 222

          voluntas (Definition) 10,15; 10,51 voluptas 8,31 vox (Aussprache) 9,52 vox (Laut) 9,30; 9,44 vox (Lautform) 8,40; 9,37; 9,40; 9,42; 9,55; 9,89; 9,90; 10,7; 10,19; 10,29; 10,63; 10,65; 10,66; 10,72; 10,77; 10,82 vox (Stimme) 9,30 vox (Wort allgemein) 8,76; 10,68; 10,69; 10,82 vulgo 'allgemein' 8,66 ἀνὰ λόγον 8,32; 8,55; 10,2; 10,37 ἀναλογία 10,39 ἀνάλογον 10,37; 10,38; 10,39; Pl. ἀνάλογα 10,37 ἀνωμαλία 8,23 ἀξίωμα (= proloquium) 24, Frg. 29 λόγος (Verhältnis) 10,2; 10,39; 10,43 ὁμωνυμία 9,89 συνήθεια (?) 8,24 συνωνυμία 9,90

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          6.2 Behandelte Wörter aus der Objektsprache Alphabetisches Verzeichnis der sprachlichen Beispiele aus der Objektsprache von Buch VIII-XXV (incl. der Fragmente). Zeichenerklärung: Der Doppelpunkt zwischen (lat.) A und B (A : B) bedeutet 'B ist von A abgeleitet' bzw. 'gebildet'. Der Stern * nach einem Wort bedeutet: 'Dieses Wort (z. B. aceta*) ist von Varro konstruiert, aber nicht gebräuchlich.'

          A (littera: Dekl.) 9,52; als Endung: 10,62 ab A et B 9,38 abies 9,41 acetum: aceta* 9,66; 9,67 Achilles 10,69 adsentire: adsentio / adsentior Frg. 5 aedis 8,61 aeditumus 8,61 Aemilius: Aemilii 8,4 aes: aeraria, aerelavina* 8,62 ager: agrarius 8,15 ala Frg. 34 alauda 8,65 alba albae albae 10,44 Alba: Albanus / Albensis 8,35 Albia, Albius 10,44 albus: alba album 9,55; 10,22; albi albo 10,22; 10,44; 10,73; albius albissimum 8,52; 8,75 Alcaeus: Alcaeo, Alcaeonem*, Alcaeoni* 9,90 Alfena 8,41; 9,41 alpha: alphati alphatos 8,64 amicitia: amicitiam; inimicitia 10,73 amare 8,57; 8,58; 8,60; 9,110; 10,78 : amor 8,58; 9,97; 10,48; amabor

          Varro_Lingua Latina_Teil II_Buch.indb 223

          9,97; 10,48; amabar 9,110; 10,48; a m e t u r, v i v a t u r 1 0 , 3 2 ; P a r t . Amaturus / amatus: 8,58; 9,110; amans 8,58; 9,110; amitans* 8,60; amatus eram, sum, ero 9,97; 10,48 amator (Subst.) 8,57 ambulans: ambulaturus, ambulatus sum* 8,59 amicitia: amicitiam 10,73 amor: amori amores amorum 10,36; 10,42 Andrus: Andrius 8,81 Animalis res 11, Frg. 9 anus f.: anicula, anicilla 9,74 Antonius 8,10 aper m./f. 8,47 aquae caldae 9,69 aquila mas/femina 8,7 Aquilius: Aquiliani 9,71 arbor: arbuscula 11 Frg. 10 arca: arcula 9,74 argentum: argenta* 9,66; argenteus 9,66; argentifodina / argentifex* 8,62; Argos: Argus, Argi 9,89 Artema: Artemidorus / Artemidori 8,21 f.

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          224

          Indices

          as, assis 9,83; 9,84; 9,109; assarius Nom. Sg. 8,71, Gen. assariorum / assarium* 8,71; asellus 9,113 Asia : Asiaticus* 8,56 ater: atratus 8,18 Athenae: Athenaeopolita / Athenaeus / Athenaiis 8,35 Athenae: Athenaeus / Atheniensis 8,81 Atinia familia 8,73 atrium: atriensis / atritumus* 8,61 Atrius: Atrio, Atria 10,44 auceps 8,61 aurifex 8,62 avis: 8,54; 8,61; 8,70; 8,79; 9,76; Abl. avi / ave 8,66; Gen. Pl. avium 8,70; Dem. avicula / aucella 8,79; aviarium / avile* 8,54 axis: Akk. Pl. axēs 11, Frg. 21 B (littera) 10,57; 9,38 BA (hoc/huius) 9,51 Bacchidas / Bacchídes / Bácchides 10,71 Baebius: Baebiae, Baebiei, Baebieis 10,50 balneum 8,48; 9,68; balnea* (Sing.) 9,68; balneae 8,48; 8,53; 9,68; 9,107 balneator 8,53 beta: betaceus 11, Frg. 11 bigae: 8,55, 9,63; 10,24; 10,66; biga* 10,24; 10,66; 10,67 bini 8,55: binae 9,64; 10,67 bonus: bonum 8,34; 8,75; boni 10,68; bonius*/ bonissimum* 8,75; melius: melum* melissumum 8,75; 8,76; optimum 8,75; 8,76; optius* optum* 8,76 bos: bovile* 8,54; 9,50; 9,113; bovis,

          Varro_Lingua Latina_Teil II_Buch.indb 224

          bovi, bovem, boum, boverum 8,74 C (littera) 9,44 cadus 9,74 Caecilius: Caeciliani 9,71 Caecina 10,27 caecus: caecum cubiculum 9,58 Caelius: Caeliei, Caeliae, Caelieis 10,50 Caelum: caelo 10,62 caesius: caesior*; caesissumus 8,76 calcei: calcearia* 8,55 caldum: caldius caldissimum 8,75; caldus: caldo 10,73 canalis: Abl. canali: 11, Frg. 19 candidissimus 8,77 candidum: candidius candidissimum 8,17; 8,77 canis 9,74 canere: tibicen, citharicen* 8,61 cantare: cantator* 8,57; cantitans 8,60 capere: auceps, pisciceps* 8,61; cape! capito! 10,31 Capua: Capuanus 10,16 caput: capitis 9,53; capitulum 8,14; 8,79; Frg. 33 capitellum 8,79; caput capiti etc. 10,82 caro: carnaria* 8,55 Carrinas 8,84 Cascellius: Cascelliani 9,71 Cascus: casci 10,73 catellus 9,74 Catinia familia 8,73 catulus: catula 10,66; catellus 9,74; catinuli 11, Frg. 13 cenare: ceno cenatus sum 8, Frg. 5 centumvir: Gen. centumvirūm / centumvirorum* 9,85 centussis 9,81; 9,84 cervos: cerve 10,51; cerva 8,47 cervices 8,14, 10,78; cervix(*) 8,14;

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          Indices

          10,78 chartēs (griech. m.): charta f.: 11, Frg. 15: Chrysídēs: Chrýsides, Chrysidas 10,71 cicer 8,48; 9,63; 10,54; cicera* 8,48 cista: cistula 8,52; 9,74; cistella 8,79, 9,74 cithara: citharicen* 8,61 civis: civitas 10,39; civitat(i)um 8,66 clavis, Abl. clavi 10,62 cochléas (griech. m.): cochlea f.: 11, Frg. 15 colere: colo colui 9,108 cōlis 9,76; cōle, cōlem, colis 9,75; Nom. cōls (*) 9,76 columba: columbus 9,56 columna: columella 11, Frg. 10 commode Adv. 8,44 comoedus 9,55 Consentes dei 8,70; 8,71 consul: consuli 10,28 corbis: Akk. Pl. corbes 11, Frg. 21 corvus: corva* 9,55; 9,56 cras 8,9 creta: cretaria 8,55 crux: cruce 9,44 cubare: cubatio, cubiculum 8,54 culpare: culpo culpamus 10,33 cupressus: cupressei / cupressūs (Pl.) 9,80 currere: currit 8,11; 8,53; curso: cursito 10,25; cursurus / cursus sum* 8,59 cursor 8,15; 8,53 Cyzicus: Cyzicenus, Cyzicius* 8,81 dea bona 8,50 decemvir: Gen. decemvirūm 9,85 deciens 9,88 Decimus 9,60

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          decusis: decusibus 9,81 denarius: Gen. Pl. denariūm / denariorum* 8,71; 9,82 dens: Akk. Pl. dentes 8,67; Gen. Pl. dentum 8,67 destringere: destrinxi Frg. 5 deus: Nom. Pl. deei* 8,70; Gen. Pl. deum/deorum 8,71 dicere: dico dicam 8,25; 9,34; dicebam 9,34; dicerem dicam 10,31; dixeram 9,34 dies: m. ´Tag´, f. ´Termin´: 11, Frg. 12 Diespiter: Diespitrem/Diespitri 9,75; 9,77 diligens: diligentior diligentissimus 8,78 Diomedes: Diomedi, Diomedis 10,49 Dion 8,41; 9,42 discere: disco discebam discam 9,96 dives 8,17 docere: doceo docui 10,25; docet, docens, docilis 10,17 doctus: docta doctum 8,46; 9,57; doctē Adv. 8,12; 8,44; Frg. 5; 8,62; doctissimus, doctissima 8,77 doctrina 9,57 dolare: dolo dolavi 9,108; 10,51 dolor: dolori 10,36; 10,42 dolus 10,51 domus: Gen. domuis 11, Frg. 18 duae 9,64; 10,51; 10,67; duae* bigae / quadrigae 10,24 duiga* 8,55 duini* 8,55 dulcis: dulcior 8,76 duo 9,65; 9,87; duo milia 9,85; 9,87 dupondius / dupondium 9,81; 9,83; 9,84 dux: duces 10,56; 10,57

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          Indices

          E: hoc E, huiusce E 9,52; als Endung: 10,62 ea: Nom. Pl. eae / ei 8,51, Gen. m.f.n. eius, f. eaius* 8,51; eais* mulieribus 8,51 edere: edo edi 10,33 emere: emo emi 10,33 (Ennius, Ennia 9,55) ensis: Dem. ensiculus / ensicula 11, Frg. 11 Ephesus: Ephesius 8,21; 8,22 equus 8,11; 8,14; 8,18; 8,52; 8,71; 9, 55; 9,63; 9,113; 10,28: eques 10,28; equile 8,18; 8,52; equiso: 8,14; 10,28 eram / ero / esum: s. sum erus ´Herr´ 10,12 et 8,9; 8,10; 8,44 ex B et S 10,57; ex C et S 10,57 extergeri: extergeor: extersi 8, Frg. 5 faba: fabae 9,38; 10,84 facere: facit 10,17; facerem faciam 10,31; faciens 10,17; Adv. facētē 10,17, Adj. facilis 10,17 facula 10,66 falera: faleram 10,73 falx: Akk. Pl. falces 11, Frg. 21 Faustus: Faustini, Faustiani* 9,71 fauces: faux* 10,78 Faventia: Faventinus 8,83 febris: Abl. febrī 11 Frg. 19 femina: m. feminus* 9,57; n. feminum* 9,57 ferire: ferio feriam 9,98 ferre 8,57: fero 10,14; ferebam 10,14; fertor* 8,57 ferrum: ferrifodina 8,62 ferus 10,12; Nom. Pl. ferei 8,70 ficus 9,80 fingere: fingis 10,31

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          fluctus: Gen. Fluctuis 11, Frg. 18 fodere 8,62; foditurne? fodieturne? 10,32 fons: Akk. Pl. fonteis / fontes 8,66; 11, Frg. 21; Abl. fonte / fonti 9,112 frugalis: frugalissimus 8,77; frugalus / frugala* 8,77 frux: frugis frugi frugem 9,75; 9,76 fauces 10,78 fueram / fuero / fui s. sum 9,100 G (littera) 9,44 Gallum, Adv. Gallicē Frg. 5 garum: Pl. gara* 9,66 gausápēs (griech. m.): gausapa f.: 11, Frg. 15 gemere: gemo gemebam 10,31 gens: Akk. Pl. gentis, Gen. Pl. gentium 8,67 Geryon: Geryoneus, Geryones 9,90 git: indekl. 11, Frg. 23 gladium 8,45; Nom. gladius / gladium 9,81 Graecum, Graece Frg. 5 haurire, Perf. haurivi 24, Frg. 30 Hector: Hectórem 8,72; Héctores Héctoras 10,69; Hectora Hectorem Hectoris 10,70; Hecuba 8,3 Heraclides: Heraclide (Vok.) 8,68 Hercules (9,79; 10,49): Hercule! Herculi, ad Herculem, ab Hercule 8,16; 8,26; Herculis 8,16; 8,26; Herculi 10,49; Hercul* 9,79 hic, haec, hoc: 8,45; 8,46; 9,41; 10,18: 10,80; Nom. Pl. m. hi 9,41; Dat. Pl. hīs; hibus* 8,72; hic hunc 10,50; Fem. haec 8,45, hae 9,41; 9,64; 10,24 hilum: hili 8,81; 9,54

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          Indices

          homo 8,1; 8,3; 8,11; 8,14; 8,14; 8,44; 8,52; 9,54; 9,79; 9,113; homines 8,7; homo nihili 9,54; Nom. homon* 9,79; homunculus 8,14 humanus,a,um 8,47 I (als Endung) 10,62 iam 8,9 Ilion 8,56: Ilius / Ilienus*; Ilia 8,56 indoctus 8,62 ingenium: ingeniosus 8,15 ingluvies 23, Frg. 28 inimicitia: inimicitiam 10,73 insulsus 8,62 Ion: Ionia 8,21; Ionis 8,22 Iupiter (8,74; 9,55; 10,65): Iuppitrem Iuppitri Iuppitris 8,33; Iovi 8,34; Iovis 8,46; 8,49; Iovi, Iovis, Iovem 8,74; Iova* 9,55; Ioum / Ioverum Gen. Pl. 8,74; Iovi 10,65; Iovus* 9,55 is, ea: 8,51; īs virīs 8,51; es* mulieribus 8,51; Fem. ea: Nom. Pl. eae / ei 8,51, Gen. m.f.n. eius, f. eaius* 8,51; iste istunc 10,50 iunior: comparativus per inminutionem Frg. 32 Iuno, onis 8,49 Laenas 8,84 lana: laniena* 8,55 lanx: lance 10,62 lapis: lapicida 8,62 Lato: Latonius 8,19 laudo: laudamus 10,33 lavare 8,62; lavari 9,105; 9,105; 9,106; 9,107; lavor lautus sum 9,107; Perf. lavi 8, Frg. 5 lavatrina 9,68 lector 8,57

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          lectus: lectulus 9,74 lego: 8,44; 9,96; 9,102; 10,47; 10,48; legit 8,11; 9,32; legam (Fut.) 8,9; lege! legat! legito! 9,101; legebam legam 9,32; 10,31; légi legisti 8,3; 10,25; legone? legisne? 10,31; lectitavi 10,33 lepus Nom. 8,68; 9,91; 10,8; Vok. lepus 8,68; Dat. lepori 8,34; Gen. leporis Frg. 5; Nom. Pl. lepores 9,94 levis: levi 10,62 (?) lex: legi 10,47 Libya: Libyaticus* 8,56 lignum 8,62; lignicida* 8,62 lima: limae 10,14 limum 9,54 linter: Akk. Pl. lintres 11, Frg. 21 linum 9,54 longus 8,17 loqui: loquor, loquens locuturus 8,59; loquo* 8,59 Lua : Akk. Luam 8,36 Lucius: Lucia 9,60; 9,61 luere: luit 9,104; luam 8,36 lupus 8,68; 9,91; Vok. lupe 8,68; Dat. lupo 8,34; Gen. lupi Frg. 5 luscus: luscior* luscissimus 9,72 macellus 8,79 macer 8,77; 8,79; 9,91; macrum 10,28; macri 8,77; macrior macerrimus 8,77; macellus macriculus 8,79 Maecenas 8,84 magis 8,9; 9,73; magis mane 9,73 malus: malum 8,34, mali 10,68, malo 10,51; malius* malissimum* 8,75; peius: peium*; pessimum 8,76 malva: malvaceus 11, Frg. 11 mamma: mammosa 8,15

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          Indices

          mane Adv. 9,73; magis mane 9,73; manius* manissime* 8,76; 9,73 mane: Manius 9,60; Mania 9,61 Manilius 8,71 manus 8,15; 9,80; manubiarius 8,15 Marcus: Marci, Marcius 8,36; Marco 8,46; 10,51; Marca* 9,55 Mars: Martis 10,65 (10,54); Marspiter, Marspitris, Marspitri, Marspitrem 8,33; 10,65; Maspiter 8,49: Maspitrem*, Maspitri* 9,75 mas: mares 10,54 Maurum, Adv. Mauricē Frg. 5 mel 8,63 Melicertes: Vok. Melicerta 8,68; 9,91 melius: melum* melissumum 8,75; 8,76 mens: Akk. Pl. mentes 8,67; 11, Frg. 21; Gen. Pl. mentium 8,67 meare: meo meas 9,109 mereri: merces 8,19 merula: merulus* 9,55; 10,66 merx: Akk. Pl. merces 11, Frg. 21 messor 8,57 Metellus: Metella 9,55 Meto: Gen. Metonis 9,89 metere: meto: 8,57; metis 10,31; metam metebam 9,89 mille 9,88; milia 9,82; mille aeris 9,83; mille denariorum*, mille denarium 9,85; 9,87 mobilis: mobilitas 8,15monte 9,112 mons: Abl. monti 9,112; Akk. Pl. monteis / montes 8,66 mox 10,14; 10,79; 10,80 murena 9,113 Musa 9,63; Musae 9,64 mustela 9,113

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          naevus m. 11, Frg. 14 ne ´nicht´ 9,54; ne + hili 10,81; ne + quicquam 10,81 necare: necor necabor necatus sum 10,48 nemus 9,94; 10,8; 10,50; Abl. nemore 10,50 nēre: neo nes 9,109 nequam < ne + quicquam 10,79; 10,81 N es tor (8,44): N es tórem 8,72, Néstorem 10,70; Nestores Nestoras 10,69 niger 8,79: nigellus nigricolus 8,79 nihil: nihili 9,54; 10,81; nihilum 9,54 Nola: Nolanus 8,56 nolle: nolo < non + volo 10,81 novus: novissimum vesper 9,73 nox 10,14 Numerius: Numeria* 9,55 nummus 9,80 nuptiae: nuptia* 10,66, 10,67 O (als Endung) 10,62 oleum 9,66; Pl. olea* 9,66; 9,67 olus: olera 10,50 optimum 8,75; 8,76; optius* optum* 8,76 Oscum: Adv. Oscē Frg. 5 ovis 8,18; 8,54; 8,70; 9,50; 9,76; 9,113: Dat. ovi 8,34; Abl. ove/ ovi 8,66; Nom. Pl. oves 9,76; Gen. Pl. ovium 8,70; Nom. Sg. ovs* 9,76; ovile 8,18; 8,54; 9,50; oviarium 8,54 oxon (griech.): Abl. oxo 13, Frg. 25 palpetra 13, Frg. 24 pandura 8,61 panther: pantherus* 9,55 parentes: Gen. parent(i)um 8,66

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          Indices

          paries 9,41 Paris 8,34 Parma: Parmanus*, Parmensis 8,56 paro paravi 8, Frg. 5; Imp. parari! paretur! 10,32 pater 8,48: pater familias / familiarum 8,73; Dat. patri familiae 8,73 pauper: paupera* 8,77; pauperrumus 8,77 pecunia 8,15; 8,18; pecuniosus 8,15; 8,18 peius: peium* 8,76 Peles 10,69 Pelles: pellesuina 8,55; pelliaria* 8,55 Penates 8,70 per-: percubuit (?), percupivit (?), percurrit (?), persedit, perstitit 9,49 percutere: percussi 9,98 Pergamon: Pergamus*; Pergamenus 8,56 Perpenna 8,41, 9,41; 10,27: Perpennae 8,80 peius: peium*; pessimum 8,76 Philomedes: Vok. Philomede 8,68; 9,91; Phrux: Phruge, Phruges 9,44 Pingo: pingis 10,31; Perf. pinxi 8, Frg. 5 piscina: piscinula* piscinilla* 9,74 piscis: pisceps* 8,61 pistor: pistori 10,69 pistrinum: pistrilla 11, Frg. 11 platanus 9,80 Plautus: Plautius 8,36 pluit 9,104 plumbum: plumbeus 9,66; Pl. plumba* 9,66 poēma: Gen. Pl. poēmatōrum Dat. poēmatīs 11, Frg. 22 Postumus 9,60: Postuma 9,61 poto potus sum 8, Frg. 5

          Varro_Lingua Latina_Teil II_Buch.indb 229

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          praedari: praeda 8,19 praedium 8,48; 8,63; Pl. praedia 8,48 praetor: praetórem praetóris 8,72; Dat. praetori 10,28, Akk. praetorem 10,70 prandeo: pransus sum 8, Frg. 5 Priamus (8,34): Priamo 8,3, Priamidae 8,19 probus: Adv. probe 8, Frg. 5 proceres (Et.?) Frg. 31 prudens 8,15; 8,17; 8,17; prudentia 8,15 psalterium 8,61 pugilare: pugil 8,15 pugnare: (Imp.) pugnari! pugnetur! 10,32 pungere: Fut. pungam 9,99; 10,48; pungebam 9,99; Perf. pupugi 8, Frg. 5; 10,48; pupugeram 9,99 puppis: Nom. Pl. puppes 8,66 quadriga 8,55; quadrigae 10,67 quadrini 8,55 quaestor: quaestorem 10,70; quaestórem quaestóris 8,72 Quarta 9,60 quattuor 9,64; 9,82 -que 8,44 qui, quae, quod: quem 8,50, ques (*) 8,50; quibus 8,72; quintus (casus) 8,63 Quintus 9,60; Quinto 10,51 quis 8,20; 8,45; 8,50; 10,18; quis, quae 10,30; quīs dat. pl. 8,72; Nom. Fem. quae 8,45; 8,50; qua* 8,50; Akk. Fem. quam; Gen./Dat. quaius* / quai* 8,50 rapere: rape! rapito! 10,31 rarus: raro / rare* / rarenter 8, Frg. 5 Reate: Reatinus 8,83

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          Indices

          redux 9,78 reus: Nom. Pl. reei 8,70 Remus 8,45 restis: Nom. Pl. restes/restis 8,66 rex: regi 10,47 Rhodus: Rhodius 8,81 Romulus (8,45; 9,50): Roma 8,18; 9,34; 10,15; 10,16; Romula* 8,80; 9,50; Romuli / Romulo / Romulum 9,34; Roma: Romanus 8,18; 8,56; 8,83; 10,16; Romensis* ruo: ruis 9,109; rūta caesa 9,104 rūs: Abl. rūre 11, Frg. 20; 22, Frg. 27 S (littera) 10,57 sacer: sacerrimus 8,77 sacrificabo 9,105 sacrificare: Inf. sacrificari; Fut. sacrificabo / sacrificaturus sum, Perf. sacrificatus sum 9,105 salinae: salina* 8,48 salsus: insulsus 8,62; salsum salsius salsissimum 8,75 salutare: saluto 8,20; 8,57: salutabo, salutabam 8,20; Subst. salutator 8,57 sapiens: sapientior sapientissimus 8,78 scalae 9,63; 9,69; 10,54; scala* 9,69; scalam 10,73 Scipio: Scipionarii, Scipionini* 9,71 scopae 8,7; 8,8; 10,24; scopa* 8,8; 10,24 scribere 8,57: scribe 8,44; scribit 8,12; 8,25; 9,102; scribisne? 10,31; Fut. scribam; scriptitavi 10,33 scriptor 8,57 scutum 8,45 seco: secor 8,58 Secunda 9,60

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          sedere: sediculum* 8,54; seditans* 8,60 senatus: Gen. senatuis 11, Frg. 18 senior: comparativus per inminutio­ nem Frg. 32 sero: seris 10,31; seriturne? Sereturne? 10,32 servus: serve 10,51 sessio 8,54 Sextus 9,60 siser: sisera* 8,48 sitis: Abl. sitī 11, Frg. 19 socer: Gen. Sg. soceri 9,91; Fem. socrus 10,82; Akk. Pl. soceros, Gen. Pl. socrum 10,82 sodalis: sodalitas 10,39 solea 9,113 solere: solui / solitus sum 9,107 Spurinna 10,27 stirps: Akk. Pl. stirpēs 11, Frg. 21 strenuus: 8,15; 8,17; strenuitas 8,15 strues: 8,74; 9,79; Akk. Strume 8,74; Gen./Dat. struis/strui 8,74; strus* 9,79 stultus: stultior stultissimus 9,72 suere: suis 10,7; suit 10,25; Perf. sūit 10,25 Sufenas 8,84 sum (9,100): eram, ero 9,100; es 9,109; alt esum 9,100; fueram / fuero / fui 9,100 surdus vir / surda mulier / surdum theatrum 9,58 surus: Gen. suri 10,73; Vok. sure 8,68 sus 8,54; 8,70; Gen. suis 10,7; Gen. Pl. suium* 8,70; suile 8,54 sutor: sutori 10,69 sutrina 8,55 tener: tenerior tenerrimus 8,77 Terentius: Terentia 8,7; Terentiei,

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          Indices

          Terentiae 8,36; Terentii 9,38; 9,60; Terentiūm Gen. 9,55; Terentius vir/ Terentia femina 9,59, Terentium genus 9,59; terra 9,38; Abl. terrā 10,62; m. terrus* 9,38 Tertia 9,60 Theon 8,41; 9,42 tibiae: tibicen 8,61 Tibur: Tiburs 8,53; 9,34 trabs: trabes 10,56; 10,57 tragoedus 9,55 tres 9,64; 9,83; 10,67; tressis 9,81; 9,83; 9,84 trigae 8,55 trini 8,55; trinae 9,64 10,67 triumvirūm Gen. 9,85 tueri 8,61 Tullius 8,10 tundere: tundo 10,48; Fut. tundam 9,99; Perf. tutudi 9,99; 10,48; 8, Frg. 5 turdus: Fem. turda* 9,55 Tuscum: Tuscē 8, Frg. 5 tussis: Abl. tussī 11, Frg. 19 U longum 9,104, U als Endung 10,62 ungere: ungo ungor 10,33 unguentum: 8,55; 9,66; unguenta 9,66; 9,67; unguentaria tabula 8,55 unus: Pl. uni 8,55; 9,64; Fem. una: unae (bigae) 9,64; 10,67 unum (Einer) 9,87 Urbinum: Urbinas/Urbinius 8,84 urbs: urbanus 8,18 urere: uro uror 10,33 US (Ausgang) 9,80 uter: Nom. Pl. utrei 9,65; Dat. Sg. utri 9,65

          231

          vas: vasis n. 11, Frg. 16 Vatinius 8,71 vectis: Akk. Pl. vectēs 11, Frg. 21 velle: volo 9,103 venari: venor, veno* 8,59; venans venaturus 8,59 venter: Akk. Pl. ventrēs 11, Frg. 21 v erb ero : ve rbe ror, ve rbe ra bor, verberatus sum 10,48 versus: versu 10,62 vesper: vespere; magis vespere / novissimum vesper 9,73 vinaria taberna 8,55 vinum 8,55; 9,66; Pl. vina 9,66; 9,67 vis (Nom./Gen.) 8,7; Pl. vires 11, Frg. 17 vivo: vivor* 10,78; vivatur, viveretur 10,32 vix 8,9; 10,14; 10,79; 10,80 volare: volo 9,103 Volumnia 9,61 voluntas 9,103 ἀξίωμα 24, Frg. 29 γαυσάπης 11, Frg. 15 κοχλίας 11, Frg. 15 χάρτης 11, Frg. 15

          vas: vadis m. 11, Frg. 16

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          Indices

          6.3 Eigennamen aus der Metasprache Accius 10,70 Aegyptii 8,65 Aethiops 9,42 Apelles 9,12 Apula (lana) 9,39 Arimma 9,12 Aristarchiei 8,63; 10,16 Aristarchus 8,68; 9,1; 9,43; 9,91; 10,42 Aristeas 10,75 Aristocles 10,10; 10,75 Aristodemus 10,75 Aristophanes 9,12; 10,68 Aristoteles 8,11 Carmen Saliorum 9,61 Cato 9,107 Celtiberi 8,65 Chios 9,67 Chrysippus 9,1; 10,59 Clastidium 9,78 Crates 8,64; 8,68; 9,1 Dion 8,11 Dionysius sidonius 10,10 Diores 9,12 (Ennius) 9,54 Ennius 10,70 Ennius 9,107 Ephesus 8,21 Galli 8,65 Gallicana (lana) 9,39 Graeca forma 10,70 Graecae litterae 8,65

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          Graeci 8,16; 8,23; 8,65; 9,34 Graecanicus (gräzisierend) 9,89; 10,70; 10,71 Graece 9,89 Graecum (t) 9,68; 10,70; 10,71 Hortensius 8,14; 10,78 Ionia 8,21 Larum mater 9,61 Latina lingua 9,113 Latinae litterae 9,51 Latinē (Adv.) 9,89 Latini (Stamm) 8,23; 9,34 Latinus (casus = Abl.) 10,62 Latium 9,59 Lesbos 9,67 Lucilius 9,81 Lysippus 9,18 Menaechmus 10,38 Micon 9,12 Myrmicedes 9,108 Naevius 9,78 Parmeniscus 10,10 Persae 8,64 Phronesium 9,106 Plautus 9,54; 9,106; 11, Frg. 11 Poenicum vocabulum 8,65 Protogenes 9,12 Puteoli 9,69 Roma, Romulus 9,34

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          Indices

          233

          Saliorum carmen 9,61 Sisenna 8,73; Frg. 5 Syri 9,34 Terentius 11, Frg. 11 Tibur 9,34 Tusci 9,69 Valerius (Soranus) 10,70

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          7. Verwendete Literatur 7.1. Editionen von De lingua Latina Abkürzung Ald.

          Nicolò Perotti, Cornucopiae sive linguae Latinae commentarii diligentissime recogniti atque ex archetypo emendati…. M. Terentii Varronis De lingua Latina libri tres, quartus, quintus, sextus; eiusdem De analogia libri tres…, Venetiis in aedibus Aldi et Andreae 1513

          Aug.

          M. Terentii Varronis. Pars librorum quattuor et viginti de lingua Latina. Ex bibliotheca Antonii Augustini, Rom 21557 [= „vulg(ata)”]

          Bent.

          M. Terentii Varronis De lingua Latina libri tres: totidemque de Analogia: cum Michaelis Bentini castigationibus… Basel 1526 (Paris 1530 etc.)

          Canal

          M. Terenzio Varrone. Libri intorno alla lingua latina. Riveduti, tradotti, annotati da Pietro Canal, Venedig 1846

          Coll.

          Varron De lingua Latina. Livre V. Texte établi, traduit et annoté par Jean Collart, Paris 1954

          Da.

          Varro De lingua Latina, Buch VIII. Erklärt von Hellfried Dahlmann, Berlin / Zürich/ Dublin 21966

          De Melo

          Wolfgang David Cirillo de Melo, Varro, De lingua Latina.: Introduction, Text, Translation, Commentary, Oxford 2019

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          Verwendete Literatur

          235

          Abkürzung Diac.

          Hss. Anmerkungen in der Editio princeps des Laetus (1471?), Exemplar in der Bayerischen Staatsbibliothek München

          Duso

          Antonella Duso, Varro: De lingua Latina IX. Introduzione, testo critico, traduzione e commento, Hildesheim 2017

          Flo.

          Varron. La langue Latine Livre VI. Texte établi, traduit et commenté par Pierre Flobert, Paris 1985 Varron. La langue Latine Livre VII. Texte établi, traduit et commenté par Pierre Flobert, Paris 2019

          GS

          M. Terenti Varronis de lingua Latina quae supersunt. Accedunt grammaticorum Varronis librorum fragmenta. Recensuerunt Georgius Goetz et Fridericus Schoell, Lipsiae 1910

          Hernández

          Luis Alfonso Hernandez Miguel, Varrón. La lengua Latina libros V-VI. Introducción, traducción y notas de L. A. Hernández Miguel. Revisada por P. M. Suárez Martínez, Madrid 1998. Ders., Varrón. La lengua Latina Libros VII-X y fragmentos, Madrid 1998

          Kent

          Varro on the Latin Language. With an English Translation by Roland G. Kent, London/Cambridge (Mass.) 1938

          Lae.

          M. Terentii Varronis De lingua Latina ed. Iulius Pomponius Laetus, Rom (?) 1471/72 (?)

          Mue.

          Karl Otfried Müller, M. Terenti Varronis De lingua Latina librorum quae supersunt, Leipzig 1833

          Pius

          Marci Terentii Varronis De lingua Latina libri tres. De analogia libri duo, Mediolani 1510

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          236

          Verwendete Literatur

          Abkürzung Popma

          M. Terenti Varronis operum quae exstant nova editio, Leiden 1601

          Rhol.

          M. T. Varronis De lingua Latina ed. Franciscus Rholandellus, Venedig 1475

          Rig.

          Varrone De lingua Latina libro VI. Testo critico, traduzione e commento a cura di Elisabetta Riganti, Bologna 1978

          Salvadore

          Marcello Salvadore, M. Terenti Varronis Fragmenta omnia quae extant collegit recensuitque Marcello Salvadore. Pars 1: Supplementum, Hildesheim/New York/ Zürich 1999; Pars 2: De vita populi Romani libri IV, Hildesheim/ New York/Zürich 2004

          Sciop.

          Gaspar Scioppius, M. Terenti Varronis De lingua Latina ex recensione Gasp. Scioppii, Ingolstadt 1605

          A.Sp.

          Andreas Spengel, M. Terenti Varronis De lingua Latina libri, Berlin 1885

          L.Sp.

          Leonhard Spengel, M. Terenti Varronis De lingua Latina libri qui supersunt, Berlin 1826

          Tayl.

          Daniel J. Taylor, Varro De lingua Latina X. A New Critical Text and English Tranlation with Prolegomena and Commentary, Amsterdam/Philadelphia 1996

          Traglia

          Opere di Marco Terenzio Varrone. A cura di Antonio Traglia, Torino 1974

          Turn.

          Adrianus Turnebus, De Lingua Latina cum emendationibus, Paris 1566

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          Verwendete Literatur

          237

          Abkürzung Vertr.

          M. Terentii Varronis Pars librorum quattuor et viginti de lingua Latina. M. Vertranius Maurus recensuit, Lugdunum (Lyon) 1563

          Vict.

          - Hss. Anmerkungen in der Editio princeps des Laetus (1471?), Exemplar in der Bayerischen Staatsbibliothek München - M. Terentii Varronis opera omnia, quae extant, cum notis Iosephi Scaligeri, Adriani Turnebi, Petri Victorii, Augustini…, Durdrechti 1619

          Weger

          Fabian Weger, Varro, De lingua Latina liber Decimus. Übersetzung und Kurzkommentar, Graz 2019

          7.2. Andere Autoren - Textsammlungen Astbury

          M. Terentius Varro. Saturarum Menippearum fragmenta. Edidit Raymond Astbury, München/Leipzig 2002

          Blänsdorf

          Fragmenta poetarum Latinorum epicorum et lyricorum praeter Ennium et Lucilium et Ciceronis Germanicique Aratea editionem quartam auctam curavit Jürgen Blänsdorf, Berlin/New York 2011

          Christes-Garbugino

          Lucilius. Satiren. Lateinisch und deutsch. Eingeleitet, übersetzt und erläutert von Johannes Christes und Giovanni Garbugino, Darmstadt 2015

          Dangel

          Accius. Oeuvres (fragments). Par Jacqueline Dangel, Paris 1995

          Flach (2004)

          Dieter Flach (Hrsg.), Das Zwölftafelgesetz - Leges XII tabularum. Herausgegeben, übersetzt und kommentiert von Dieter Flach, Darmstadt 2004

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          238

          Verwendete Literatur

          Funaioli (= GRF)

          Grammaticae Romanae fragmenta. Collegit, recensuit Hyginus Funaioli, Leipzig 1907 (Nachdruck Stuttgart 1969)

          GLK

          Grammatici Latini. Ex recensione Henrici Keil, Leipzig 1857

          Jocelyn

          Ennius. The Fragments edited with an Introduction and Commentary by H. D. Jocelyn, Cambridge 1967

          Manuwald

          Tragicorum Romanorum fragmenta. Vol. II. Ennius. Edidit Gesine Manuwald, Göttingen 2012

          Marx

          C. Lucilii carminum reliquiae. Recensuit et enarravit Fredericus Marx, Bd. 1 und 2, Leipzig 1904/1905 (Nachdruck Amsterdam 1963)

          Pfaffel = QuGr

          Wilhelm Pfaffel, Quartus gradus etymologiae. Untersuchungen zur Etymologie Varros in „De lingua Latina“, Königstein/Ts. 1981

          Regell

          Paul Regell, De augurum libris, Diss. Breslau 1878

          Ribbeck = CRF

          Scenicae Romanae poesis fragmenta II. Comicorum Romanorum praeter Plautum et Terentium fragmenta. Secundis curis recensuit Otto Ribbeck, Leipzig 1873 (Repr. Nachdruck Hildesheim 1962)

          Ribbeck = TRF

          Scenicae Romanae poesis fragmenta I. Tragicorum Romanorum fragmenta. Secundis curis recensuit Otto Ribbeck, Leipzig 1871 (Repr. Nachdruck Hildesheim 1962)

          Sarullo

          Giulia Sarullo, Il „Carmen Saliare“. Indagini filologiche e riflessioni linguistiche, Berlin/Boston 2014

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          Verwendete Literatur

          239

          Schauer

          Tragicorum Romanorum fragmenta. Vol. I. Livius Andronicus. Naevius. Tragici minores. Fragmenta adespota. Edidit Markus Schauer cum Oliver Siegl socio in opere conficiendo, adiuvante Elisabeth Hollmann, Göttingen 2012

          Skutsch

          The Annals of Q. Ennius. Edited with Introduction and Commentary by Otto Skutsch, Oxford 1985

          Vetter

          Emil Vetter, Zum Text von Varros Schrift über die lateinische Sprache, in: Rheinisches Museum für Philologie, 101 (1958), 257-285; 289-323

          Warmington

          Remains of Old Latin. Edited and Translated by E. H. Warmington, (4 Bde.) Cambridge/London 1935

          Wilmanns

          De M. Terenti Varronis libris grammaticis scripsit relliquiasque subiecit Augustus Wilmanns, Berlin 1864 (Sammlung der Fragmente: S. 139-223)

          7.3 Standardwerke (mit Abkürzungen) Battelli

          Giulio Battelli, Lezioni di paleografia, Città del Vaticano 31949

          Cappelli

          Adriano Cappelli, Lexicon abbreviaturarum. Dizionario di abbreviature Latine ed Italiane. Per cura di Adriano Cappelli, Milano 61973

          Kaser

          Max Kaser, Römisches Privatrecht, München 131983

          Kühner-Holzweissig

          Raphael Kühner / Friedrich Holzweissig, Ausführliche Grammatik der lateinischen Sprache. Erster Teil: Elementar-, Formen- und Wortlehre, Hannover 21912

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          240

          Verwendete Literatur

          Kühner-Stegmann

          Raphael Kühner / Carl Stegmann, Grammatik der lateinischen Sprache. Zweiter Teil: Satzlehre. Hannover 41962

          Leumann

          Manu Leumann, Lateinische Laut- und Formenlehre, München 1977

          Liddell-Scott

          A Greek-English Lexicon. Compiled by Henry George Liddell and Robert Scott. Revised and augmented throughout by Sir Henry Stuart Jones, Oxford 1968

          Meiser

          Gerhard Meiser, Historische Laut- und Formenlehre der lateinischen Sprache, Darmstadt 1998

          NP

          Der Neue Pauly. Enzyklopädie der Antike. Herausgegeben von Hubert Cancik und Helmuth Schneider u. a., Stuttgart/Weimar 1996-2003

          OLD

          Oxford Latin Dictionary, ed. by P. G. W. Glare, Oxford 1968

          Otto

          Andreas Otto, Die Sprichwörter der Römer, Leipzig 1890 (Nachdruck Hildesheim/New York 1971)

          RE

          Georg Wissowa u. a. (Hrsg.), Paulys Real-Encyklopädie der classischen Altertumswissenschaft. Neue Bearbeitung, Stuttgart 1893-1980

          SVF

          Stoicorum veterum fragmenta. Collegit Joannes ab Arnim, Stuttgart 31968 (3 Bände)

          WH

          Lateinisches etymologisches Wörterbuch. Von Anton Walde. Neu bearbeitet von Johann Baptist Hofmann, Erster Band. A-L, Heidelberg 41965, Zweiter Band. M-Z, Heidelberg 51972

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          Verwendete Literatur

          241

          7.4 Spezialliteratur (Auswahl): Wolfram Ax, Aristophanes von Byzanz als Analogist. Zu Fragment 374 Slater (= Varro, de lingua Latina 9,12), in: Glotta 68 (1990) 2-18. Wolfram Ax, Disputare in utramque partem. Zum literarischen Plan und zur dialektischen Methode Varros in De lingua Latina 8-10, in: Rheinisches Museum für Philologie 138 (1995) 146-177. Wolfram Ax, Quadripertita Ratio: Bemerkungen zur Geschichte eines aktuellen Kategoriensystems (adiectio - detractio - transmutatio - immutatio), in: Taylor (1987) 17-40. Thomas Baier, Werk und Wirkung Varros im Spiegel seiner Zeitgenossen. Von Cicero bis Ovid, Stuttgart 1997. Thomas Baier, Varrone tra analogia e anomalia. Riflessioni sulla teoria dell' origine della lingua e della cultura in Varrone, in: Papers on Grammar VI. Edited by Gualtiero Calboli, Bologna 2001, 1-20. Karl Barwick, Remmius Palaemon und die römische ars grammatica, Leipzig 1922 (= Philologus Suppl.- Band XV Heft II). Karl Barwick, Probleme der stoischen Sprachlehre und Rhetorik, Berlin 1957. Karl Barwick, Widmung und Entstehungsgeschichte von Varros De lingua Latina, in: Philologus 101 (1957) 298-304. Maximilianus Breithaupt, De Parmenisco grammatico, Leipzig/Berlin 1915. Klaus Bringmann, Untersuchungen zum späten Cicero, Göttingen 1971. Christopher K. Callanan, Die Sprachbeschreibung bei Aristophanes von Byzanz, Göttingen 1987. Burkhart Cardauns, M. Terentius Varro. Antiquitates Rerum Divinarum, Mainz 1976. Emanuele Casamassima - Elena Starz, Varianti e cambio grafico nella scrittura dei papiri latini. Note paleografiche, in: Scrittura e civiltà 1 (1977), 9-110. Franco Cavazza, Studio su Varrone etimologo et grammatico, Florenz 1981. Wilhelm Christ, Beiträge zur kritik der bücher Varro´s de lingua latina, in: Philologus 17 (1861) 59-68. Jean Collart, Varron. Grammairien latin, Paris 1954. Jean Collart (al.), Varron. Grammaire antique et stylistique latine, Paris 1978. Hellfried Dahlmann, Varro und die hellenistische Sprachtheorie, Berlin/Zürich 1932 (2. Auflage 1964). Hellfried Dahlmann, Art. M. Terentius Varro, in: RE Suppl. 6 (1935) 11731277. Francesco Della Corte, VARRONE - il terzo gran lume romano, Florenz 21970. Albrecht Dihle, Analogie und Attizismus, in: Hermes 85 (1957) 170-205. Detlev Fehling, Varro und die grammatische Lehre von der Analogie und der Flexion, in: Glotta 35 (1956), 214-270 und 36 (1957), 48-100.

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          Verwendete Literatur

          Adolphus Groth, De M. Terenti Varronis de lingua Latina librorum codice Florentino, Diss. Straßburg (Argentorati) 1880. Georg Heidrich, Varroniana. I. Der Gebrauch des Gerundiums und Gerundivums bei Varro, in: Vierzigster Jahresbericht des k. k. Stiftsgymnasiums der Benedictiner zu Melk, Melk 1890, 5-23. Georg Heidrich, Der Stil des Varro, in: Zweiundvierzigster Jahresbericht des k. k. Stiftsgymnasiums der Benedictiner zu Melk, Melk 1892, 3-82. Heinrich Lausberg, Handbuch der literarischen Rhetorik. Eine Grundlegung der Literaturwissenschaft, München 1960. Jürgen Leonhardt, Ciceros Kritik der Philosophenschulen, München 1999. Albin Lesky, Geschichte der griechischen Literatur, München 31971. Elias Avery Lowe, The Beneventan Script, Oxford 1914. Francesco Manfrè, Saggio di sintassi Varroniana, Lucca 1907. Stephanos Matthaios, Untersuchungen zur Grammatik Aristarchs: Texte und Interpretation zur Wortartenlehre, Göttingen 1999. Hans-Joachim Mette, Parateresis. Untersuchungen zur Sprachtheorie des Krates von Pergamon, Halle 1952. Wilhelm Pfaffel, Varros De lingua Latina und das Fragmentum Cassinense (Cod. Cas. 361), in: Würzburger Jahrbücher für die Altertumswissenschaft. Neue Folge. Band 46 (2022) 33-65 Giorgio Piras, Varrone e i poetica verba. Studio sul settimo libro del De lingua Latina, Bologna 1998. Robert Henry Robins, Analogy and Anomaly, in: Simon Hornblower - Antony Spawforth (Hrsgg.), The Oxford Classical Dictionary, Oxford/New York 31996, 81. Marc van Rooij, Das älteste Apographon des Archetypus von Varros De lingua Latina (Codex Vallicellianus D. 49.3), in: Codices Manuscripti 13,3, 77 f. Klaus Sallmann, V. Terentius, M. (Reatinus), in: Der Neue Pauly. Enzyklopädie der Antike. Herausgegeben von Hubert Cancik und Helmuth Schneider, Band 12/1, Stuttgart/Weimar 2002, 1130-1144. Giulia Sarullo / Daniel J. Taylor, Two Fragments of the Carmen Saliare and the Manuscript Tradition of Varro´s De lingua Latina. With Appendix I-III, in: Codices Manuscripti & Impressi. Zeitschrift für Buchgeschichte 91/92 (2013), 1-10. D. M. Schenkeveld, Studies in the History of Ancient Linguistics IV: Developments in the Study of Ancient Linguistics, in: Mnemosyne 43 (1990) 289-306. Rudolf T. Schmidt, Die Grammatik der Stoiker. Einführung, Übersetzung und Bearbeitung von Karlheinz Hülser. Mit einer kommentierten Bibliographie zur stoischen Sprachwissenschafft (Dialektik) von Urs Egli, Braunschweig/ Wiesbaden 1979.

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          Verwendete Literatur

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          Elmar Siebenborn, Die Lehre von der Sprachrichtigkeit und ihren Kriterien, Amsterdam 1976. Michael Sommer, Römische Geschichte I. Rom und die antike Welt bis zum Ende der Republik, Stuttgart 2013. Leonhard Spengel, Über die Kritik der Varronischen Bücher zu de lingua Latina, in: Abhandlungen der königlich-bayerischen Akademie der Wissenschaften VII. 2, München 1854, 1-54. Leonhard Spengel, Zu M. Terentius Varros de lingua latina, in: Philologus 17 (1861) 288-306. Heymann Steinthal, Geschichte der Sprachwissenschaft bei den Griechen und Römern mit besonderer Rücksicht auf die Logik. Erster Teil, Berlin 1890; Zweiter Teil, Berlin 1891. Johannes Stroux, Zu Varro: De lingua Latina, in: ΑΝΤΙΔΩΡΟΝ. Festschrift Jacob Wackernagel, Göttingen 1923, 309-325. Daniel J. Taylor, Declinatio. A Study of the Linguistic Theory of Marcus Terentius Varro, Amsterdam 1974. Daniel J. Taylor, Rethinking the History of Language Science in Classical Antiquity, in: The History of Linguistics in the Classical Period. Edited by Daniel J. Taylor, Amsterdam / Philadelphia 1987, 1-16. Fabian Weber, Marcus Terentius Varro, De lingua Latina Liber decimus. Übersetzung und Kurzkommentar, Graz 2010.

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          Edition Antike Herausgegeben von Thomas Baier, Kai Brodersen und Martin Hose Die Edition Antike bietet zweisprachige Leseausgaben wichtiger Texte der antiken Literatur mit modernen Übersetzungen und in einer zeitgemäßen Ausstattung. Autoren und Werke werden eingangs kurz vorgestellt. Ein knapper Sachkommentar am Ende des Bandes erleichtert die Lektüre und das Verständnis der Texte.

          Marcus Terentius Varro (116 – 27 v. Chr.) war der bedeutendste römische Gelehrte überhaupt, er verfasste über 70 Werke zur Kulturgeschichte Roms, zu Landwirtschaft, Philosophie und zur lateinischen Sprache. Aus seinem Großwerk »De lingua Latina« ist wenigstens ein Viertel überliefert: Der Teil mit den Etymologien (Buch V – VII, Band I dieser Ausgabe) liest sich wie ein Handbuch der (alt-)römischen Kultur; der zweite Teil (VIII – X, Band II dieser Ausgabe) behandelt rhetorisch packend und durchaus amüsant die grammatische Analogie. Zum ersten Mal wird »De lingua Latina« nun ins Deutsche übersetzt. Ein gründlicher philologischer und linguistischer Kommentar erschließt den Text und macht die zweisprachige Ausgabe zur unverzichtbaren Lektüre für alle, die sich für Latein und die (alt-)römische Kultur interessieren.

          Thomas Baier ist Professor für Klassische Philologie (Latinistik) an der JuliusMaximilians-Universität Würzburg. Kai Brodersen ist Professor für Antike Kultur an der Universität Erfurt. Martin Hose ist Professor für Klassische Philologie (Gräzistik) an der LudwigMaximilians-Universität München. ISBN 978-3-534-27653-0

          Umschlaggestaltung: Peter Lohse, Heppenheim

          € 140,00 [D] € 144,00 [A]

          Mitmachen lohnt sich: Viele Vorteile für Mitglieder! wbg-wissenverbindet.de

          EDITION ANTIKE

          25.05.2023

          Varro · De Lingua Latina II

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          Marcus Terentius Varro

          De Lingua Latina Band II

          Quintilian nannte Varro in seinem berühmten Buch über die Redekunst den »gelehrtesten aller Römer«: Marcus Terentius Varro (116 – 27 v. Chr.) war der bedeutendste römische Polyhistor überhaupt. Seiner Produktivität kam kein anderer Römer gleich, sein enorm breites Œuvre ist eine unerschöpfliche Fundgrube für kulturhistorische Erkenntnisse. Varro verfasste über 70 Werke zur Rhetorik, Theologie, Landwirtschaft und Philosophie und hatte damit prägenden Einfluss auf die Kultur des augusteischen Zeitalters. Sein Großwerk »De lingua Latina«, eines der wichtigsten Bücher zur lateinischen Sprache, erscheint nun zum ersten Mal in einer zweisprachigen Ausgabe, kongenial übersetzt (und kommentiert) von Wilhelm Pfaffel.