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German Pages [803] Year 2018
Lothar I. (795–855) und das Frankenreich
Maria Schäpers
Band 159 | Rheinisches Archiv Die vorliegende biographische Studie zu Lothar I. (795–855) schließt eine Lücke, die die Forschung bis dato offengelassen hat. Lothar, der vor allem wegen seiner Rebellionen gegen den Vater und der blutigen Auseinandersetzung mit seinen Brüdern um das Erbe meist negativ von der Nachwelt memoriert wurde, stand bisher kaum im Fokus der Forschung. Detailliert werden nun erstmals Leben und Herrschaft des Karolingers betrachtet. In kritischer Auseinandersetzung mit der bisherigen Forschung werden viele Erkenntnisse zu Lothar und seiner Zeit bestätigt und ergänzt, an mehreren Stellen jedoch auch revidiert. Durch die umfangreiche Sammlung der Belege, die Lothar betreffen, bietet die Arbeit zudem eine fundierte Grundlage für die weitere Betrachtung dieser „zentralen Gestalt“ seiner Zeit und des Frankenreiches insgesamt.
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Lothar I. (795–855) und das Frankenreich
Maria Schäpers
978-3-412-50126-6_schaepers_k01.indd All Pages
20.08.18 14:00
Rheinisches Archiv Veröffentlichungen der Abteilung für Geschichte der Frühen Neuzeit und Rheinische Landesgeschichte des Instituts für Geschichtswissenschaft der Universität Bonn Gegründet von H. Aubin und Th. Frings Herausgegeben von M. Rohrschneider und C. Wich-Reif 159
Maria Schäpers
Lothar I. (795 – 8 55) und das Frankenreich
BÖHLAU VERLAG WIEN KÖLN WEIMAR
Gedruckt mit freundlicher Unterstützung des Vereins für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande und des Landschaftsverbands Rheinland
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar. © 2018 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Lindenstraße 14, D-50674 Köln Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Lothar I., Lothar-Psalter, Quelle: London, British Library, MS. 37768, f. 4r Satz: büro mn, Bielefeld Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-412-50129-7
Inhalt VORWORT .................................................................................................
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1. EINLEITUNG ................................................................................... 11 1.1 Problemstellung und Forschungsstand ................................................ 11 1.2 Quellenlage und Einzelfragen .............................................................. 18 2.
795 – 829: LOTHAR – DIE HOFFNUNG DES REICHES ........... 51 2.1 Lothars Geburt, Kindheit und Erziehung . . .......................................... 51 2.2 Lothar als Unterkönig in Bayern .. ........................................................ 58 2.3 Die Ordinatio imperii . . ......................................................................... 71 2.3.1 Bestimmungen der Ordinatio imperii ...................................... 71 2.3.2 Auswirkungen der Ordinatio imperii auf Lothars Position .. ..... 78 2.4 Lothars Sendung nach Italien: vorausgehende Entwicklungen ............ 85 2.4.1 Der Aufstand König Bernhards von Italien ............................. 85 2.4.2 Hochzeit und Bestätigung der Position Lothars ...................... 88 2.4.3 Exkurs: Der vermeintliche Zug Lothars gegen Liudewit 820 .... 96 2.5 Lothars Italienaufenthalte 822/823 und 824/825 ............................... 101 2.5.1 Die Situation in Italien und Lothars Maßnahmen .................. 101 2.5.2 Krönung des novus imperator durch den Papst ........................ 115 2.5.3 Lothars Taufpatenschaft über Karl den Kahlen und Erlass der Constitutio Romana .. ......................................... 121 2.5.4 Schwerpunkte und Wirkung der Kapitularien Lothars ........... 134 2.5.5 „A minor like his two predecessors?“ Lothars Stellung zwischen 822 und 825 .................................. 147 2.5.5.1 Charakter der Aufgabe Lothars in Italien .................. 147 2.5.5.2 Mittel der Herrschaftsausübung und deren Nutzung durch Lothar ............................................................. 150 2.5.5.3 Exkurs: Münzrecht für Lothar . . ................................. 158 2.5.5.4 Die Rolle seiner Berater . . ........................................... 166 2.6 825 – 829: Hludouuicus et Hlotharius divina ordinante providentia imperatores augusti ................................................................................ 169 3.
830 – 8 40: ZEIT DER AUSEINANDERSETZUNG MIT DEM VATER .. ........................................................................... 195 3.1 Erste Rebellion gegen Ludwig den Frommen ...................................... 195
3.1.1
Lothars Sendung nach Italien und Ausbruch der ersten Rebellion ................................................................. 195
6
Inhalt
3.1.2 Scheitern der Rebellion und Lothars erneuter Verweis nach Italien .............................................................................. 213 3.1.3 Bestrafung und Wiederannäherung ......................................... 221 3.1.4 Lothar in Italien und die Konflikte des Jahres 832 .................. 226 3.2 Zweite Rebellion gegen Ludwig den Frommen ................................... 236 3.2.1 Ausbruch der zweiten Rebellion .............................................. 236 3.2.2 Lothars Machtübernahme ....................................................... 254 3.2.3 Scheitern der neuen Ordnung ................................................. 271 3.3 Italienaufenthalt 834 – 840 ................................................................... 299 3.3.1 Ausstattung seiner Begleiter und Festigung der Macht Lothars ................................................................... 299 3.3.2 Verhandlung über die Erbfolge: Lothars Erfolg trotz trauriger Verluste ............................................................. 316 4.
840 – 843: LOTHARS RINGEN MIT SEINEN BRÜDERN UM DAS ERBE DES VATERS ......................................................... 345
4.1 Hoffnung auf den unblutigen Gewinn im Zeichen der Ordinatio imperii ........................................................................... 345 4.1.1 Werben um und Warten auf die Anerkennung ....................... 345 4.1.2 Exkurs: Walahfrids Parteinahme und die Frage nach der Verfasserschaft verschiedener Werke ......................... 378 4.2 Der aufgedrängte Kampf ..................................................................... 383 4.3 Der Kaiser gibt nicht auf ..................................................................... 405 4.3.1 Das weitere Ringen .................................................................. 405 4.3.2 Exkurs: Neudatierung des Lothar-Evangeliars ......................... 426 4.3.3 Fortsetzung der Auseinandersetzung .. ...................................... 430 4.4 Zugeständnisse und Reichsteilung ....................................................... 437 5.
843 – 855: REGIERUNG DES MITTELREICHES UND LOTHARS BEZIEHUNGEN ZU SEINEN BRÜDERN ............... 451 5.1 Festigung von Lothars Herrschaft bis zum Sommer 844 ..................... 451 5.1.1 Die ersten Schritte nach der Teilung von Verdun .................... 451 5.1.2 Entscheidungen in Rom .......................................................... 460
5.2 Etablierung der Brüdergemeinschaft und Herausforderungen des Kaisers . . .......................................................................................... 472 5.2.1 Diedenhofen/Yütz: Eine Frage der Gleichberechtigung .. ......... 472 5.2.2 Aufstand gegen den Kaiser und die Entführung seiner Tochter .......................................................................... 478 5.2.3 Die Herausforderung des Schutzherrn von Rom . . ................... 492
Inhalt
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5.2.3.1 Der Angriff auf St. Peter und Annäherung an die Brüder . . ........................................................... 492 5.2.3.2 Kaiser, König und Papst: gemeinsam für die römische Kirche ............................................. 503 5.3 Die kaiserliche Einflussnahme auf die Brüder und ihre Reichsteile ..... 515 5.3.1 Lothars Eintreten für Hinkmar und Ludwigs Bemühungen um einen Ausgleich .. ................................................................ 515 5.3.2 Lothars Blick nach Westen: Karl und sein Reichsteil . . ............. 522 5.3.2.1 Die Versöhnung in Péronne zwischen Lothar und Karl .................................................................... 522 5.3.2.2 Lothar, Pippin II. und die Frage nach Lothars Ambitionen in Karls Reichsteil ................................. 524 5.3.2.3 Lambert und Nominoё: Lothars Werkzeuge gegen Karl? ................................................................ 531 5.3.2.4 Lothars Beziehung zu Adalhard und Altheus ............ 535 5.3.3 Lothars Blick nach Osten: Ludwig und sein Reichsteil ........... 540 5.3.3.1 Waltbert: Förderer des Glaubens und Unruhestifter im Namen des Kaisers? ................ 540 5.3.3.2 Wer gehört zu wem? Otgar, Altfrid und ihre Klöster ........................................................ 546 5.3.3.3 Lothars Beziehung zu Hrabanus Maurus .................. 549 5.3.4 Lothar, Ludwig und Karl und ihre „islands of influence“ ........ 553 5.4 Lothar und sein Mittelreich ................................................................. 554 5.4.1 Der Mitkaiser Ludwig und Lothars Beziehungen zum Papst bis 855 .................................................................... 554 5.4.1.1 Die Mitkaiserkrönung und päpstliche Geschenke für die Kaiserin .......................................................... 554 5.4.1.2 Das Wirken des Mitkaisers in Italien unter Aufsicht des Vaters ........................................... 559 5.4.2 Die Personen und das Leben in Lothars direkter Umgebung .... 569 5.4.2.1 Die ministeriales des Kaisers ...................................... 569 5.4.2.2 Die Kaiserin und andere wichtige Frauen ................. 573 5.4.2.3 Der Hof: Ein Ort der Dichtung und Gelehrsamkeit? .. 581 5.4.2.4 Exkurs: das Äußere des Kaisers . . ................................ 588 5.4.3 Beratungen und Rechtsetzung ................................................. 594 5.4.3.1 Unterschiedliche Versammlungen ............................. 594 5.4.3.2 Die Synode von Valence und die Lehre der (doppelten) Prädestination .................................. 597 5.4.4 Kaiserliche Rechtsprechung und Machtfragen ........................ 609 5.4.5 Soziale, wirtschaftliche und administrative Aspekte ................ 613
8
Inhalt
5.5 Die letzten Jahre .................................................................................. 629 5.5.1 Das Treffen in Meerssen 851 und die Beziehung zu Hinkmar von Reims .. .......................................................... 629 5.5.2 Gemeinschaft im Kampf – Lothar und Karl gegen die Bedrohung aus dem Norden . . .................................. 642 5.5.3 Lothars später Erfolg: Lösung der Bindung zwischen Karl und Ludwig ...................................................... 646 6.
LOTHARS KLOSTEREINTRITT UND NACHFOLGEREGELUNG IM ANGESICHT DES TODES ...... 653
7. SCHLUSSBETRACHTUNG . . .......................................................... 669 8. VERZEICHNISSE . . ........................................................................... 685 8.1 Abkürzungen ....................................................................................... 685 8.2 Quellen ................................................................................................ 687 8.3 Regestenwerke .. .................................................................................... 701 8.4 Online-Abbildungen: Handschriften, Bulle, Münzen und Siegel ........ 702 8.5 Literatur ............................................................................................... 703 9. REGISTER ......................................................................................... 781
Vorwort
Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2016 von der Philosophischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn als Dissertation angenommen und für die Drucklegung geringfügig überarbeitet. Mein aufrichtiger Dank gilt meinem Doktorvater, Professor Dr. Matthias Becher, dessen Vorlesungen über die Merowinger und Karolinger mein Interesse am Frühmittelalter schon zu Beginn meines Studiums geweckt haben. Nachdem er mir ermöglicht hatte, meine Magisterarbeit über Ludwig den Frommen und die Jagd zu verfassen, ließ er sich auch bereitwillig auf die Betreuung meiner Studie zu Lothar I. ein. In all der Zeit hatte er stets ein offenes Ohr für meine Fragen und ermutigte mich in meiner detaillierten Betrachtung des karolingischen Kaisers. Mein Dank gilt auch Professor Dr. Theo Kölzer, der mir mit viel Wohlwollen während meines Studiums in Bonn begegnet ist und die Mühe des Zweitgutachtens auf sich genommen hat. Vielfach hatte ich Gelegenheit, Einzelaspekte meiner Arbeit vorzustellen. Besonders erwähnt s eien die Colloquien meines Doktorvaters, meine gemeinsam mit Dr. Elina Screen und Marianne Pollheimer, Mag. phil. gestaltete „session“ zu Lothar in Leeds und die beiden deutsch-französischen Forschungsateliers in Freiburg i. Br., an denen ich auf Einladung von Dr. Jessika Nowak teilnehmen konnte, sowie mein auf Einladung des Geschichtsvereins „Prümer Land“ e. V. gehaltener Vortrag über Lothars Klostereintritt am Ende seines Lebens. All denen, die dabei ihre Kritik äußerten, mir Rat und Anregung gaben, sei aufrichtig an dieser Stelle gedankt. Ein Stipendium der Konrad-Adenauer-Stiftung e. V. förderte meine Arbeit nicht nur finanziell, sondern ermöglichte mir auch den anregenden Austausch mit vielen anderen Stipendiaten und Stipendiatinnen bei Seminaren, Gruppentreffen und dem internen Doktorandenkreis. Ein großzügiger Druckkostenzuschuss vonseiten des Vereins für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande und vonseiten des LVR im Rahmen der Förderung von Publikationen zur rheinischen Geschichte ermöglicht das Erscheinen der Arbeit im „Rheinischen Archiv“. Für die Aufnahme meiner Dissertation in diese Reihe sei Professor Dr. Michael Rohrschneider und Professorin Dr. Claudia Wich-Reif mein verbindlicher Dank ausgesprochen. Für die freundliche Betreuung zunächst durch Dorothee Rheker-Wunsch, M. A. und dann durch Kirsti Doepner, M. A. beim zuständigen Verlag „Böhlau“ bin ich ebenfalls dankbar.
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Vorwort
All meinen Freunden und Freundinnen und meiner Schwester Dr. Uta Schäpers gilt mein besonderer Dank für ihr Verständnis und ihre Ermutigung, immer dann, wenn es wieder einmal hakte mit Lothar, und einfach dafür, dass sie immer da waren. Zwei von ihnen haben mit viel Geduld die Arbeit in unterschiedlichen Phasen ihrer Entstehung gelesen und korrigiert; dafür gilt Yvonne Breuer, M. A. und Dr. des. Manuel Hagemann mein herzlicher Dank. Professorin Dr. Margret Wensky hat sich viel Mühe mit der Endkorrektur gemacht, wofür ich ihr sehr verbunden bin. Alle im Text noch verbleibenden Fehler und Unzulänglichkeiten sind selbstverständlich allein mir geschuldet. Meiner M utter, die die ersten Entwürfe der Arbeit gelesen hat, und meinem Vater kann ich nicht genug danken. Sie haben mich immer in jeder nur erdenklichen Weise unterstützt und eine bewundernswerte Geduld bewiesen. Ihnen sei diese Arbeit gewidmet. Maria Schäpers
Bochum, im August 2018
1. Einleitung
1.1 Problemstellung und Forschungsstand Tu decus o regni, imperii fidissima spesque,/ Sat bene, Hlothari, pulcher ephoebe, vale 1. Continet hic tumulus memorandi Caesaris ossa/ Hlotharii magni, principis atque pii./ Qui Francis, Italis, Romanis praefuit ipsis,/ Omnia sed sprevit, pauper et hinc abiit./ Nam bis tricenos monachus sic attigit annos,/ Et se mutavit, ac bene post obiit./ III. Cal. Octob 2. Die Hoffnung, die im dichterischen Lob Theodulfs, des ehemaligen Bischofs von Orléans, zu Beginn von Lothars „politischer Karriere“ anklingt 3, scheint sich nach der Grabinschrift Lothars vom Mainzer Erzbischof Hrabanus Maurus auf das Beste erfüllt zu haben 4. Es entsteht ein Lebensbild vom vielversprechenden, schönen Jüngling, an den die ganze Hoffnung für das Wohl des Reiches geknüpft wird, und der dann als großer und gottesfürchtiger K aiser über seine Unter tanen herrscht und sein Leben schließlich Gott ganz nahe als Mönch beschließt. Dem Bild des fähigen und frommen Kaisers spricht ein anderer Bericht Hohn. Seinen Vater habe Lothar aus der Herrschaft vertrieben, das christliche Volk habe er e idbrüchig gemacht, Mord, Ehebruch, Brand und Schandtaten seien durch seine ruchlose Habgier entstanden; insuper autem neque scientiam gubernandi rem publicam illum habere nec quoddam vestigium bone voluntatis in sua gubernatione quemlibet invenire posse ferebant 5. So lautet das Urteil der Bischöfe seiner Brüder 842 nach der heftigen Auseinandersetzung Lothars mit seinen Brüdern um das Erbe L udwigs des Frommen 6. Die Aussagen könnten unterschiedlicher nicht sein. Die Forschung übernahm aber zumeist das negative Bild von Lothar 7. Zwar wird man heute ein solch drastisches Urteil wie das E. Dümmlers, „[d]er Tod des Kaisers in der Mönchskutte war 1 MGH Poet. 1, Nr. 78, V. 11 f., S. 579. 2 MGH Poet. 2, Nr. 91, S. 241. 3 Vgl. unten Kap. 2.3.2. 4 Vgl. unten Kap. 6. 5 Nithard, Historiae IV, c. 1, S. 118; 128: Die erste Seitenangabe bezieht sich auch im Folgenden auf die Edition Lauers, die Angabe nach dem Semikolon auf die Neubearbeitung Glansdorffs. 6 Vgl. unten Kap. 4.3.3. 7 Vgl. Screen, Lothar, S. 257.
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Einleitung
der klägliche Ausgang eines verfehlten Daseins“ 8, nicht mehr finden, aber noch für E. Boshof stand Lothar „am Ende seines Lebens als Verlierer da“ 9. Mit E. Boshofs Beitrag ist schon eine der wenigen Arbeiten angesprochen, die sich in den letzten Jahren ausführlicher mit Lothars Leben beschäftigt haben. Seine sechzigseitige Abhandlung ist Teil eines 2005 zum 1150. Todesjahr Lothars vom Geschichtsverein Prümer Land herausgegebenen Sammelbandes. Wie der Titel „Lothar I. Kaiser und Mönch in Prüm“ besagt, wird jedoch besonders auf das Verhältnis zum Kloster Prüm, auf den Klostereintritt gegen Ende seines Lebens und auf das Kloster selbst großen Wert gelegt. Zwar wird im einleitenden Aufsatz von E. Boshof Lothars Leben komplett dargestellt und in einem Beitrag von S. Kaschke auch näher auf dessen Nachfolgeregelung eingegangen 10, doch konnte bei der Begrenzung eines solchen Bandes Vieles nur kurz angesprochen werden. Die Quellen- und Literaturschau musste daher ebenfalls beschränkt bleiben 11. E. Screen legte Ende der 1990er Jahre ihre Dissertation zu den Urkunden Lothars vor, die allerdings bis heute unveröffentlicht ist 12. Den Wert der Urkunden für die Betrachtung Lothars und seiner Zeit unterstrich sie erneut in einer Studie über die Position Lothars während der Bruderkriege nach dem Tod Ludwigs des Frommen 13. Sie ließ bis 2015 drei weitere Arbeiten zu Einzelaspekten von Lothars Herrschaft folgen 14. In seiner Dissertation zur (italienischen) „Kapitulariengesetzgebung“ Lothars konzentrierte sich M. Geiselhart vor allem auf die Rechtsnormen; er versuchte daher nicht, „anhand der Kapitularien Lothars eine umfassende Darstellung des Regnum Italiae im 9. Jahrhundert“ zu bieten 15. Dennoch gibt die Arbeit einige interessante Einblicke in Lothars Aufgabe in Italien. Eine moderne, umfassende Studie über Lothars Leben fehlt jedoch. Für die ältere Forschung sind für die Zeit Lothars bis zum Tod des Vaters G. Eitens Arbeit über die Unterkönigtümer und die immer
8 Dümmler, Geschichte, S. 392. 9 Boshof, Lothar, S. 55. 10 Ders., Lothar, S. 11 – 71; Kaschke, Dispositio, S. 89 – 98. 11 Vgl. Boshof, Lothar, S. 57, Anm. 1. Hier verweist er auf Boshof, Ludwig und Schieffer, Karolinger, (hier 3. Aufl. 2000) sowie das Lexikon des Mittelalters als neueste Forschungsliteratur. Dabei bleiben neuere Werke wie die Dissertation von Geiselhart, Kapitulariengesetzgebung und der Artikel von Screen, Importance unerwähnt. Sehr eng hält sich E. Boshof an seine Biographie Ludwigs des Frommen, übernimmt sogar manchmal ganze Passagen wörtlich, vgl. Boshof, Ludwig, S. 159 und ders., Lothar, S. 16 über die Geburt Karls des Kahlen. Auch Reihenzitate wie in Anm. 51 – 55 mögen dies verdeutlichen. 12 Screen, Reign. Ich möchte der Autorin meinen herzlichen Dank für die Möglichkeit der Einsichtnahme in ein Exemplar ihrer Dissertation aussprechen. 13 Dies., Importance, S. 25 – 51. 14 Dies., Lothar, S. 255 – 274; dies., Italy, S. 231 – 252; dies., Hincmar, S. 76 – 92. 15 Geiselhart, Kapitulariengesetzgebung, S. 4.
Problemstellung und Forschungsstand
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noch hilfreichen Bände B. Simsons über Ludwig den Frommen in den Jahrbüchern der Deutschen Geschichte, für die spätere Zeit R. Parisots „Le royaume de Lorraine sous les Carolingiens“ und die Abhandlungen E. Dümmlers über das ostfränkische Reich hervorzuheben 16. Doch fehlt auch hier der eingehende, auf Lothar konzentrierte Blick. Seine Brüder Ludwig der Deutsche 17 und Karl der Kahle waren für die ältere Forschung stets von größerem Interesse. Dies lag nicht zuletzt an der oft diskutierten Frage nach der Entstehung Deutschlands und Frankreichs. Lothar I. und sein vergleichsweise kurzlebiges Mittelreich wurden dabei „naturgemäß“ nur en passant behandelt 18. Den großen Nutzen umfassender Studien für die Forschung zeigen die jüngeren biographischen Arbeiten von J. Nelson, E. Boshof, W. Hartmann und E. Goldberg 19. Die Erkenntnis, dass auch Ludwig der Fromme, Ludwig der Deutsche und Karl der Kahle neben Karl dem Großen einen bedeutenden Stellenwert in der karolingischen Geschichte besitzen und eine Beschäftigung mit ihnen wichtige Einsichten über die Veränderungen in ihrer Zeit und den häufig beweinten Zerfall des Großreiches im 9. Jahrhundert bringen kann, ist gewiss ein Verdienst dieser Studien 20. Der biographische Ansatz erwies sich in den genannten Arbeiten als lohnend, ist in der Forschung jedoch nicht unumstritten 21. Vor allem die Schwierigkeit, aufgrund der dürftigen Quellenlage eine frühmittelalterliche
16 Eiten, Unterkönigtum, bes. S. 59 – 95 im Hinblick auf Lothar; Simson, Ludwig und Parisot, Royaume, bes. S. 27 – 77 im Hinblick auf Lothar. Groth, in regnum successit, S. 460 problematisiert die Bezeichnung „Reich“ für die jeweiligen Herrschaftsgebiete der karolingischen Familienangehörigen. Der Begriff suggeriere allzu leicht ein klar definiertes Territorium und einen abgeschlossen Raum in der Definition eines modernen Staatsgebietes. 17 Der für Ludwig nicht unproblematische Beiname soll, wie dies auch bei anderen Persönlichkeiten geschehen wird, beibehalten werden, um eine leichte Unterscheidung und Erkennbarkeit der Personen zu gewährleisten. 18 Vgl. zu dieser Problematik z. B. Kaschke, Dispositio, S. 89. Vgl. auch im Hinblick auf seine Brüder Goldberg, Struggle, S. 5: „Much of the early scholarship on Louis the German was made to fit into the framework of these decline-of-empires and birth-of- nations narratives“. 19 Nelson, Charles; Boshof, Ludwig; Hartmann, Ludwig; Goldberg, Struggle. Vgl. auch die Studie MacLeans, Kingship für Karl den Dicken. 20 Die Zeit Karls des Großen wurde quasi zur goldenen Zeit und er selbst als unerreichbares Vorbild für seine Nachfolger stilisiert, wie Schieffer, Karolinger, S. 111 erläutert. Die Veränderungen unter den Nachfolgern sind in der neueren Forschung unbestritten, jedoch erscheint das 9. Jahrhundert nicht mehr nur im Lichte des Untergangs, sondern vielmehr „as a turbulent time, but also as one of opportunities and achievements“; vgl. Bates, Editor’s preface, S. VII (Zitat). 21 Vgl. zur Problematik und unterschiedlichen biographischen Ansätzen allgemein Bates, Introduction.
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Einleitung
Persönlichkeit, ihren Charakter 22, Beweggründe und Motive ihres Handelns zu erfassen 23, sind dabei thematisiert worden. Auch die Problematik der eigenen Nähe zur untersuchten Person, die schnell zum „Helden“ stilisiert werden kann 24, und die Gefahr, einer vermeintlich aktuellen Mode der Rehabilitierung in Bezug auf die Karolinger verfallen zu können 25, sind diskutiert worden. Tatsächlich kann beim Fehlen „persönlicher Dokumente“ 26 und dem oftmaligen Schweigen der Quellen über die Motive des Handelns lediglich eine Deutung geboten werden 27. Man geht bei der Suche nach diesen Motiven sicher nicht fehl, wenn man vor allem die gegebenen Strukturen und jeweiligen Umstände und das, was die Zeitgenossen als wichtig erachteten, als die Handlungen prägend bzw. leitend erachtet 28. Wenn Motive und letztlich auch Ziele Lothars benannt werden, ist aber auch die Möglichkeit zu beachten, dass, wie J. Nelson es für den nur wenig älter als Lothar gewordenen Karl den Großen zusammenfasst: „Such a man’s personality was bound to evolve over decades“, und ergänzt: „allow for
22 Vgl. zum Problem, eine frühmittelalterliche Persönlichkeit bzw. den Charakter zu erfassen, Schieffer, Möglichkeiten, S. 85 – 95; Becher, Karl, S. 7 – 11; Hartmann, Hadrian, S. 4; McKitterick, Charlemagne, S. 380. Je nach Quellenlage sind die Voraussetzungen unterschiedlich; vgl. dazu Becher, Chlodwig, S. 11. Vgl. zu Versuchen sich dem Charakter bzw. individuellen Charakterzügen und Einstellungen einer Person mit Hilfe einzelner Quellen aussagen und aufgrund des jeweiligen Handelns zu nähern Nelson, Charles, S. 14 – 15 und passim; Hartmann, Ludwig, S. 18 – 24 und passim; Goldberg, Struggle, S. 44 – 47 und passim. Vgl. noch Tremp, Worte, S. 36. 23 Vgl. zur Frage, inwieweit Beweggründe und Motive anhand vom Handeln der Person erschlossen werden können, die Auseinandersetzung zwischen Althoff, Fakten, bes. S. 113 f. und Fried, Schreiben, S. 123 – 126. Vgl. auch Borgolte, Biographie, S. 134, 140 und in einem anderen Zusammenhang König, Bekehrungsmotive, S. 16, 22 – 25. 24 Vgl. Clauss, Kriegsniederlagen, S. 141 mit Hinweis auf Le Goff, Ludwig, S. 777 – 788 und dessen Äußerung, wie vertraut Ludwig der Heilige ihm bei der Betrachtung geworden, ja wie er ihm zum Held geworden sei. Vgl. noch Screen, Lothar, S. 257. 25 Dies wurde in der Diskussion im Anschluss an die session „The Formation of an Emperor – Lothar I“, die E. Screen, M. Pollheimer und die Verfasserin 2009 in Leeds gehalten haben, thematisiert. 26 Becher, Karl, S. 10. 27 Vgl. Borgolte, Biographie, S. 134, der ausführt, „daß erst die Deutung der Historiker/ innen im ,quellenfreien Raum‘ die Zeugnisse zum Sprechen bringen, auch wenn man über die gefundenen Lösungen unendlich streiten kann“. Vgl. zu einer positiven Einschätzung der Möglichkeiten einer Biographie Nelson, Charlemagne the man, S. 24 in Bezug auf Karl den Großen, „that evidence of sufficient quantity and quality exists“ […] to percieve him not only shaped by and responding to, given structures and circumstances, but possessed of a strong sense of his own identity and a personal drive to shape and inspire his world“. 28 Vgl. Görich, Versuch, bes. S. 197. Vgl. aber auch die vorherige Anm.
Problemstellung und Forschungsstand
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change and adaption“ 29. Bei aller berechtigten Kritik am biographischen Ansatz haben die genannten Arbeiten gezeigt, wie nützlich solche auf eine Persönlichkeit konzentrierten Studien für das Verständnis ihres jeweiligen Untersuchungszeitraumes sein können. Dementsprechend versteht sich diese Arbeit, die Lothar in den Fokus nimmt, ganz explizit als ein Beitrag zur Erforschung der Geschichte des Frankenreiches zwischen 795 und 855 insgesamt. Früh zum Mitkaiser seines Vaters erhoben, gestaltete Lothar schon in den 820er Jahren die fränkische Politik aktiv mit, rebellierte gegen den Vater, den er zeitweise sogar als Kaiser ersetzte und stritt schließlich um das Erbe des fränkischen Reiches mit seinen Brüdern. Er sicherte sich die Kaiserherrschaft und behauptete bis zu seinem Tod 855 das ihm seit dem Vertrag von Verdun 843 unterstellte sogenannte Mittelreich. Lothar ist so zu Recht als eine „zentrale Gestalt“ bezeichnet worden 30. Doch ist durch die Konzentration auf seinen Vater und seine Brüder gleichsam ein Ungleichgewicht in der Forschung entstanden 31. Lothars Anteil an den Ereignissen und seine Entwicklung spielten zwar eine Rolle, deren Betrachtung blieb aber bruchstückhaft und nur so lange von Interesse, wie sie für die jeweilige Darstellung von Nöten war. Umso lohnender erscheint es daher, den Blick in einer eigenen Studie auf Lothar zu richten. In der Gesamteinschätzung ist meist ein negatives Urteil über Lothar gefällt worden, doch, wie oben angedeutet, bestehen in Einzelfragen durchaus unterschiedliche Meinungen und Einschätzungen 32. Durch die Untersuchung der Darstellungen von Lothars Handeln in den Quellen und der Einschätzung seiner Person in der Forschung soll der Blick auf den Kaiser selbst und die politischen Entwicklungen zu seinen Lebzeiten z wischen 795 und 855 im Frankenreich insgesamt geschärft werden 33. Hierfür erscheint eine biographische Studie geeignet.
29 Nelson, Charlemagne the man, S. 23. 30 Schieffer, Lothar, S. 215 bemängelt, dass Lothar „der gebührende Platz im Geschichtsbewusstsein“ bisher versagt geblieben sei; vgl. Kaschke, Dispositio, S. 95. 31 Vgl. zu diesem Aspekt die Anmerkung Parisots, Royaume, S. 77, Anm. 1, die zwar überspitzt formuliert ist und auf die ältere Forschung Bezug nimmt, aber das Problem des Ungleichgewichtes bzw. der Interessen in Geschichtsschreibung und Forschung im Kern trifft. Vgl. auch Kleinclausz, Empire, S. 363 f. mit Anm. 1. 32 So sieht beispielsweise Kaschke, Dispositio, S. 95 Lothar im Hinblick auf seine Nachfolgeregelung „in einem besseren Licht und als fähigeren Politiker, als es seiner üblichen Bewertung in der Forschung entspricht“. Vgl. zur Nachfolgeregelung Lothars unten Kap. 6. 33 Hinzuweisen sei in diesem Zusammenhang auf die Ausführungen Kochs, Judith, S. 14, in seiner von ihm selbst als „politische Biographie“ bezeichneten Arbeit über Kaiserin Judith. Er sieht die Notwendigkeit einer „gesonderten Arbeit“ durch die widersprüchlichen Quellenaussagen und die Differenzen der Forschung über Judiths Person gegeben
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Einleitung
Die hier gewählte chronologische Betrachtung von Lothars Leben hat den Vorteil, dass Entwicklungen in seiner Stellung nachvollzogen werden und möglichst alle Aspekte zur Sprache kommen können, um den Betrachtungen, die Lothar bisher teils nur streifend oder oberflächlich behandelt haben, mehr Tiefe zu verleihen. Eine umfangreiche Sammlung der Belege, die Lothar betreffen und die in dieser Form noch nicht vorhanden ist, dient diesem Ziel und kann auch für die weitere Forschung als Grundlage dienen. Da Lothars Geschichte stark mit den Entwicklungen unter Ludwig dem Frommen verwoben ist, wird man nicht umhinkommen, auch diese umfassend einzubeziehen. Doch soll der jeweilige Anteil Lothars im Vordergrund stehen und gefragt werden, inwieweit er auf sie einwirkte bzw. einwirken konnte 34. Nicht nur für diese Phase, sondern auch für die spätere Zeit ist damit die Frage nach seinen Handlungsspielräumen verbunden, die stark, wie bei jedem Akteur, von der jeweiligen „sozialen Prägung“, „äußeren Machtverhältnissen“ und „personellen Beziehungsgeflechten“ abhängen, und deren Ausgestaltung durch Lothar 35. Es ergeben sich passend zu den einzelnen Lebensphasen immer wieder allgemeine Fragen zur karolingischen Herrschaft, so, um nur zwei Beispiele aus der frühen Zeit zu nennen, zum Phänomen des Unterkönigtums während Lothars Zeit in Bayern ab 815 oder zum Verhältnis zum Papsttum während seiner Aufenthalte in Italien ab 82236. Sie sind wichtige Aspekte, nicht zuletzt um ein besseres Verständnis für die Handlungsspielräume Lothars zu erlangen. Durch den Blick auf Lothar lassen sich daneben an seinem Beispiel die bisherigen Erkenntnisse der Forschung zu Einzelaspekten der karolingischen Geschichte immer wieder prüfen. Nach der Betrachtung des anfangs sehr hoffnungsvollen, dann aber konfliktreichen Werdegangs Lothars zu Lebzeiten seines Vaters 37 werden die verschiedenen Ansprüche Lothars und seiner Brüder auf das Erbe Ludwigs des Frommen nach dessen Tod 840 und die daraus resultierenden Bruderkriege im Vordergrund der Untersuchung stehen 38. Schließlich wird die Phase seiner eigenständigen Herrschaft über das ihm seit 843 unterstehende Mittelreich in den Blick genommen 39. Die Ausgestaltung s einer
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und hält es für möglich, durch die „Erforschung Judiths Rückschlüsse auf die verhängnisvollen Entwicklungen der Regierungszeit Ludwigs“ ziehen zu können. Vgl. hierzu Herbers, Leo, S. 10. Er thematisiert die Gefahr, nur eine Geschichte der Zeit der im Zentrum stehenden Person zu schreiben, der damit zu begegnen sei, den Anteil der Person, ihres Amtes und ihrer Umgebung an der Gestaltung dieses Zeitalters zu bestimmen. Görich, Versuch, S. 183 f. Vgl. auch Herbers, Leo, S. 199. Vgl. unten Kap. 2.2 und bes. 2.5.2 und 5.3. Vgl. unten Kap. 2 und 3. Vgl. unten Kap. 4. Vgl. unten Kap. 5.
Problemstellung und Forschungsstand
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Herrschaft über seinen Reichsteil 40, aber auch die Frage nach der Beziehung Lothars, des senior der Familie und Kaisers, zu seinen königlichen Brüdern im ost- und westfränkischen Teil des karolingischen Reiches werden näher in den Blick zu nehmen sein 41. Das Postulat Max Webers von der „Vergänglichkeit aller wissenschaftlichen Erkenntnis“ 42 erinnert daran, dass jede Forschung niemals zu einem „endgültige[n] Ergebnis“ 43 führen kann, zumal sie zwangsläufig zeitgebunden ist 44. Aber gerade dadurch wird der Historiker immer neu herausgefordert, Fragen an die Quellen zu richten, „die aus der Vergangenheit auf uns gekommen sind“ 45, und unser „Geschichtsbild zu konstruieren“ 46. Dabei wird Geschichte aber keineswegs „fingiert“ 47: Das Geschichtsbild ist nicht „willkürlich“ 48, da es sich auf das „historische Material“ bezieht 49, das die Geschichtswissenschaft mit Hilfe „eines methodischen Instrumentariums“ ihrer Kritik unterzieht und im Hinblick auf die jeweilige Frage stellung interpretiert 50; bemüht um eine „intersubjektive […] N achprüfbarkeit“ der 40 Vgl. unten bes. Kap. 5.1 und 5.4. 41 Vgl. unten bes. Kap. 5.2, 5.3 und 5.5. 42 So Oexle, Fakten, S. 42 nach Weber, Wissenschaftslehre, S. 206. Vgl. auch Borgolte, Mittelalterforschung, S. 622. 43 Hechberger, Adel, S. 567 kommt zu dem Schluss, dass keine endgültigen Ergebnisse zu erzielen seien. 44 Vgl. zur Zeitgebundenheit u. a. Goetz, Mediävistik, S. 9 f. 45 Landwehr, Diskursanalyse, S. 53, der noch einmal darauf aufmerksam macht, dass das Vergangene, da vergangen, nur „vermeintlicher Gegenstand der Geschichtswissenschaft“ sei, der eigentliche Gegenstand seien nur jene unterschiedlichen, auf uns gekommenen Überlieferungen. Vgl. auch Oexle, Kultur, S. 20: „Es geht demnach also um die grundsätzliche Unterscheidung des ‚Gewesenen‘ (der ‚Vergangenheit‘) vom ‚Gegebenen‘ (dem historischen Material) und von der ‚Geschichte‘ (als Ergebnis der Arbeit des Historikers mit d iesem Material).“ Vgl. ergänzend dazu auch Lorenz, Konstruktion, S. 28 – 34 mit grundsätzlichen, geschichtstheoretischen Überlegungen in dieser Hinsicht. 46 Goetz, Mediävistik, S. 27 beschreibt die Konstruktion des Geschichtsbildes als Aufgabe der Geschichtswissenschaft. Vgl. zur Formulierung der „Konstruktion“, die die Erkenntnis unterstreicht, dass das Ergebnis der Arbeit des Historikers nicht eine „Abbildung“ oder „Rekonstruktion der Vergangenheit“ ist, sondern das Erkannte, Gedeutete, eben Konstruierte u. a. Oexle, Kultur, bes. S. 20 f., 23; ders., Fakten, bes. S. 18. Vgl. auch Lorenz, Konstruktion, der dies schon im Titel „Konstruktion der Vergangenheit“ mitteilt; Goetz, Konstruktion, S. 225 f. 47 Gabriel, Fakten, S. 25. Vgl. auch Patzold, Ich, S. 288. 48 Oexle, Kultur, S. 23. 49 Ebd. 50 Goetz, Mediävistik, S. 26. Vgl. auch Oexle, Kultur, S. 23; Borgolte, Erfindung, S. 292 f.; Patzold, Ich, S. 18. Goetz, Konstruktion, S. 227 – 230 erläutert noch, dass zwar w issenschaftliche Arbeiten Texte seien und damit die Literazität ihrer Produkte gegeben sei, worauf besonders Hayden White hingewiesen habe, dies widerspräche aber nicht ihrer Wissenschaftlichkeit.
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Einleitung
Ergebnisse 51. Dies gilt auch für das hier zu entwerfende Bild Lothars. Es ist kein willkürliches, aber eines der „individuellen Interpretation“ 52 geschuldetes, das zum weiteren Nachdenken aufruft.
1.2 Quellenlage und Einzelfragen Die Quellenlage für die Betrachtung der karolingischen Geschichte im hier gefragten Zeitraum ist insgesamt gut 53, Annalen und Viten, Urkunden und Kapitularien, Briefe und Gedichte, insgesamt ist eine Vielzahl von Zeugnissen aus den unterschiedlichsten Bereichen überliefert. Zwar wurde Lothar keine Vita ähnlich der beiden Lebensbeschreibungen über seinen Vater Ludwig zuteil und der Blick solch zentraler historiographischer Quellen wie der Annales regni Francorum, der Annales Bertiniani und der Annales Fuldenses richtet sich stärker auf seinen Vater bzw. auf seine Brüder 54, doch spielt Lothar in all diesen Quellen eine wichtige Rolle, die es zu untersuchen gilt. Insbesondere mit den erzählenden Quellen, aus denen ein Großteil der Erkenntnisse zu ziehen ist, sind vielfältige Fragen und Problemen verbunden. Abgesehen von ganz praktischen Bedenken hinsichtlich unzureichender Editionen, die die Arbeit mit den Quellen erschweren, müssen grundsätzliche Fragen an die Editionen gestellt werden, und zwar inwieweit bei manchen Texten mit Hilfe der unterschiedlichen Überlieferungen die Möglichkeit besteht, den Urtext herauszukristallisieren 55. Die causa scribendi und der Art und Weise, wie die Historiographen ihre Botschaft vermitteln sind vom großen Interesse 56. Geschichtsfälschung und damit ein Konstruieren von Geschichte wurden 57 genau wie die Arbeit mit einer
51 Goetz, Proseminar, S. 314. 52 Becher, Karl, S. 11 betont dies im Hinblick auf jede moderne Biographie. Vgl. Patzold, Ich, S. 19. 53 Vgl. zu diesem Aspekt Boshof, Ludwig, S. 7; Hartmann, Ludwig, S. 6; Nelson, Charles, S. 8. 54 Vgl. zur Zentrierung von Historiographie auf den Herrscher allgemein Goetz, Erwartungen, S. 473. 55 Bezüglich verbesserungswürdiger Editionen vgl. Boshof, Ludwig, S. 7. Bezüglich der Schwierigkeiten der Konstruktion von authentischen Urtexten am Beispiel der Annales Fuldenses vgl. Corradini, Annales, bes. S. 122 f. Zudem weist McKitterick, History, passim darauf hin, wie wichtig es ist, nicht nur einzelne Werke zu betrachten, sondern auch den Zusammenhang, in dem sie jeweils überliefert sind. 56 Vgl. u. a. Althoff, Causa scribendi; Scharff, Kämpfe, S. 5. 57 Vgl. Becher, Eid, bes. S. 74 ff.; ders., Macht, S. 52; McKitterick, History and its Audience, S. 24 f.; Patzold, Episcopus, S. 49 f. Vgl. Schneidmüller, Gott, S. 202, der in
Quellenlage und Einzelfragen
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gemeinsamen Erinnerung an historische Ereignisse und ihrer Manipulation in der Geschichtsschreibung 58 herausgearbeitet 59. S. Patzold vergleicht die Geschichtsschreibung mit einem Leitartikel in heutigen Tageszeitungen; es sollten hier nicht nur Informationen weitergegeben, sondern es sollte letztlich von der Sicht auf die Dinge überzeugt werden 60. Da es besonders nach dem „‚linguistic turn‘ nicht mehr verpönt [ist], Geschichtsschreibung als literarisches Erzeugnis zu betrachten“, werden auch diese Elemente mehr hervorgehoben und fruchtbar gemacht 61. Mit dem Blick auf die Verfasser sei auch die Unzuverlässigkeit des menschlichen Gedächtnisses zu beachten, d. h. die Frage, wie das kollektive und das individuelle Gedächtnis verformend wirken 62. Nicht nur diese quellenkritischen Ergebnisse haben längst dazu geführt, den Autor und seine Wahrnehmung als eigenes Erkenntnisziel zu sehen. „Die erhaltenen Werke werden […] insgesamt als Zeugnisse über den Autor selbst und seine Wahrnehmung der Wirklichkeit, seine Deutungen und Wertungen und seine Stilisierungen der dargestellten Sachverhalte interessant. Gegenüber einer traditionellen (historistischen) Geschichtswissenschaft wird der Autor hier vom Informanten zum Zeitzeugen; aus der ‚Quelle‘ wird unversehens ein ‚Zeitzeugnis‘“ 63. In der historischen Diskursanalyse, als einem weiteren Ansatz, interessieren an den Quellen vor allem „diejenigen Gegebenheiten […], die zu einem bestimmten historischen Zeitpunkt als dann ›wahr‹ und ›wirklich‹ gewusst wurden“, also was selbstverständlich, mithin sagbar war 64. eine ähnliche Richtung geht, aber weniger eine „bewußte Verbreitung falscher Tatsachen“ sieht, als „die Befestigung der eigenen Vorstellung einer angemessenen, richtigen Vergangenheit“. Vgl. auch Barnwell, Kings, S. 3. 58 Vgl. McKitterick, History, S. 22, 272 f.; McKitterick, History and its audience, S. 24. 59 Weitere Aspekte wie die Unzuverlässigkeit des menschlichen Erinnerns hebt Fried, Schleier hervor. Goetz, Erwartungen, S. 472 macht darauf aufmerksam, dass die Chronisten vor allem das Besondere, nicht das Alltägliche interessiert habe. 60 Patzold, Episcopus, S. 50. 61 Plassmann, Origo gentes, S. 33, dort auch zur Kritik im Hinblick auf die Betrachtung literarischer Muster, denen die Quellen folgen, da „die Bibel mit ihrer Heilsgeschichte“ als Vorbild oft vernachlässigt würde. Vgl. noch Goetz, Textualität, S. 11 – 14; Clauss, Kriegsniederlagen, S. 54. 62 Vgl. Fried, Schleier. Vgl. auch Schneider, Hinkmar, S. 23 f.; Schlieben, Macht, S. 22 f. Zur Kritik an Frieds Ansatz vgl. Patzold, Episcopus, S. 39, Anm. 118, der den Ansatz Frieds zwar für überzeugend hält, aber im Einzelnen als nicht durchführbar erachtet und in der Frage der von Fried benannten Kontrollzeugen auch Probleme sieht: „Wenn menschliche Wahrnehmung stets selektiert und formt und jede menschliche Erinnerung weiterformt, dann kann es aus dem Mittelalter per definitionem keine neutralen Kontrollquellen geben“. 63 Goetz, Gott, S. 19. 64 Landwehr, Diskursanalyse, S. 165 und passim.
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Bei den zuletzt genannten Ansätzen stehen einzelne Ereignisse oder Personen und ihr Handeln weniger im Vordergrund 65. Der hier gewählte biographische Ansatz bringt aber gerade diese Fragen an die Quellen mit sich. Selbstredend ist aber, dass die meisten der genannten Ansätze schon insofern in der Untersuchung eine Rolle spielen, als die durch sie gewonnen Erkenntnisse auch immer wieder wichtig für unsere Fragestellung sind. Wichtige Korrektive für die narrativen Quellen und oftmals die einzigen Zeugen geschichtlicher Ereignisse gerade in Bezug auf Lothar sind Urkunden 66 und andere Rechtsquellen 67. Insgesamt besteht immer die Gefahr, einen Anschein einer „glatte[n] Synthetisierbarkeit“ der Quellen zu erwecken, weil man zu sehr nach einer „kohärente[n] Erzählung“ strebt, obwohl die Quellenbelege divergieren 68. Dementsprechend ist es eine wichtige Aufgabe, immer wieder die Widersprüche, Abweichungen, Brüche und Lücken in den Quellen zu thematisieren und keine Sicherheit vorzugeben, wo allenfalls eine plausible Vermutung oder die Wahrscheinlichkeit ihren Platz hat 69. Es ist unerlässlich, sich der Einschätzungen, Probleme und Fragestellungen, die an die überlieferten Quellen geknüpft sind, bewusst zu sein, um die Aussagekraft für die an sie gestellten Fragen richtig einschätzen zu können 70. Die von der Forschung erarbeiteten Erkenntnisse bezüglich der für uns besonders wichtigen Quellen sollen im Folgenden thematisiert und die sich daraus
65 Was die Frage danach nicht unmöglich macht, aber andere Akzentuierungen, eben auf die Wahrnehmung legt, vgl. dazu auch Goetz, Konstruktion, S. 230 f., mit Anm. 18; ders., Wahrnehmungs- und Deutungsmuster, S. 28 f. 66 Vgl. zu diesem Aspekt Kölzer, Diplomatik, bes. S. 19; ders., Ludwig, bes. S. 6 f. Dabei können auch in Urkunden historiographische Elemente wie in der Narratio einer Urkunde eine Rolle spielen; vgl. dazu Merta, Recht, S. 141; Scharff, Kämpfe, S. 9. Vgl. Mischke, Kapitularienrecht, S. 102 zur auch in Urkunden zu findenden „Darstellungsabsicht“. 67 Vgl. Koch, Judith, S. 12. 68 Stollberg-Rilinger, Rezension zu Jussen, Macht. Besonders deutlich weisen Buc, Handelnden und Nelson, Versionen in diesem von B. Jussen herausgegebenen Sammelband auf die Problematik hin. 69 Vgl. König, Bekehrungsmotive, S. 25 zum „Kriterium der Plausibilität“. Vgl. auch Patzold, Ich, S. 23. 70 Vgl. Barnwell, Kings, S. 3: „Despite the initial appearance of some of the narrative evidence, no source was written to provide answers to the questions modern historians pose: each had its own purpose, in accordance with which the material included was selected and presented. Unless that purpose is understood the significance of the evidence each provides (or does not provide) cannot be assessed, and a distorted picture may be drawn“.
Quellenlage und Einzelfragen
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e rgebenden Folgerungen und Einzelfragen angesprochen werden 71. Dies soll die Darstellung selbst entlasten, denn im Laufe der Arbeit wird immer wieder darauf zurückzugreifen sein. Annalen Für die vorliegende Untersuchung sind die nach Inkarnationsjahren geordneten Berichte eine wichtige Informationsquelle. Sie sind in vielerlei Hinsicht das chrono logische Gerüst der Betrachtung und geben über innere und äußere Ereignissen und Verhältnissen Auskunft. Dabei stehen die vier größeren zeitgenössischen Annalenwerke im Vordergrund, aber auch andere, meist weniger umfangreiche Annalen und Chroniken 72, bieten weitere Aspekte. Annales regni Francorum Die Annales regni Francorum gelten durch ihre weite Verbreitung und Benutzung in anderen Quellen als äußerst „erfolgreiche“ Geschichtsschreibung 73. Die genaue Entstehung der sogenannten Reichsannalen, die für ihre Abfassung verantwortlichen Personen und ein möglicher Einfluss des Königs bzw. Kaisers werden bis heute diskutiert 74. Weitgehender Konsens besteht in der Forschung darüber, dass die vom Jahr 741 bis in das Jahr 829 reichenden Berichte als eine offiziöse Darstellung der Geschichte zu sehen sind 75. Geradezu konstruierte bzw. gefälschte Berichte, die den Aufstieg der Karolinger und besonders Karl den Großen positiv darstellen, finden sich im ersten Teil, der rückblickend um 788/793 abgefasst wurde 76. Die Annalen wurden unter Karl dem Großen und Ludwig dem Frommen fortgeführt.
71 In diesem Überblick ist keine Analyse für alle benutzten Quellen zu leisten. Für die hier nicht erwähnten werden die jeweils relevanten quellenkritischen Informationen an Ort und Stelle gegeben. 72 Zur Problematik der Gattungsunterscheidung vgl. Ganshof, Historiographie, S. 660 – 685. 73 Vgl. Patzold, Episcopus, S. 106. Vgl. schon McKitterick, Constructing, S. 124 ff. mit Angabe zu einzelnen Handschriften. Vgl. noch dies., History, S. 21 f. und dies., Charlemagne, S. 32 zu einer vom Hof geförderten Verbreitung. 74 Vgl. dazu Kaschke, Reichsteilungen, S. 174. 75 Vgl. Wattenbach-Levison, II. Heft, S. 247, Ganshof, Historiographie, S. 675, Becher, Eid, S. 19, mit starker Betonung für den offiziellen Charakter der Annalen. Vgl. dazu Kaschke, Reichsteilungen, S. 174, der mit McKitterick, Ideology, S. 172 eine weitere Perspektive betont und hier die „voice of the elite“ vernimmt. Vgl. dies., Charlemagne, S. 31, die die Annalen als „[t]he closest thing to ,official history‘ we have from the early Carolingian period“ bezeichnet. 76 Vgl. Wattenbach-Levision, II. Heft, S. 246 ff. Vgl. zur Verfälschung Becher, Eid, bes. S. 21 – 77, McKitterick, Constructing, S. 116 und dies., History, S. 23 f., dort auch zur triumphalen Darstellung der Geschichte.
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Dabei überliefern die Handschriften der Klasse E noch eine überarbeitete Form der älteren Jahresberichte, die als Annales qui dicuntur Einhardi bezeichnet werden, die ab 813 aber kaum noch Abweichungen zu den anderen Handschriften aufweisen 77. Meist wurde zwischen zwei stilistisch recht heterogenen Abschnitten, einmal für die Jahre 795 bis 807 und dann von 808 bis 829, unterschieden, aber jeweils von einer kontinuierlichen Abfassung ausgegangen 78. R. McKitterick dagegen nimmt für die Jahre 799/801 – 814 eine einheitliche Abfassung an, da die Berichte ganz darauf angelegt seien, Ludwig den Frommen als „fitting heir“ seines Vaters zu präsentieren 79. Mit der älteren Forschung konform erscheinen für M. de Jong die Jahre ab 814 bis 829 weniger „reconstructed“ 80 und ähnlich nimmt S. Patzold für die 820er Jahre eine kontinuierliche Abfassung an 81. Dabei wird in der Forschung auf die vermehrte Erwähnung von Unwettern, Seuchen und Himmelszeichen in den 820er Jahren aufmerksam gemacht, und zum Teil eine göttliche Kritik an Ludwig dem Frommen vermutet, der zuvor als starker Herrscher dargestellt wurde 82. Aussagen wie die des Mönchs Ardo von Aniane, dass es Sitte der Könige sei, die Begebenheiten ihrer Zeit aufzeichnen zu lassen, deuten vielleicht darauf hin, dass das Abfassen der Annalen von Karl und wohl auch Ludwig gefördert wurde 83. So 77 Vgl. Wattenbach-Levison, II. Heft, S. 254 – 256. Vgl. zu Abweichungen von den Annales regni Francorum und zu unterschiedlichen Auffassungen zur Entstehung der Überarbeitung Kaschke, Reichsteilungen, S. 175, 277 und McKitterick, Charlemagne, S. 27 – 31. 78 Vgl. Wattenbach-Levison, II. Heft, S. 252 f.; Kaschke, Reichsteilungen, S. 174 f. 79 McKitterick, Charlemagne, S. 48 – 56 (Zitat S. 54); zustimmend Goldberg, Louis, S. 624 f. Zu weiteren Vorschlägen bezüglich einer nachträglichen Abfassung bzw. Überarbeitung vgl. Fried, Elite, S. 101, 103; Fried, Erfahrung, S. 146; kritisch zu einer redigierten Fassung aufgrund des Handschriftenbefundes äußert sich Kaschke, Reichsteilungen, S. 262. 80 De Jong, State, S. 63. 81 Patzold, Episcopus, S. 226. 82 Vgl. Dutton, Politics, S. 86 ff., der auch die sonstige Schilderung der Ereignisse als negativ für Ludwig sieht. Kaschke, Reichsteilungen, S. 281 referiert lediglich die These Duttons. De Jong, State, S. 64 bleibt unentschlossen und McKitterick, Historiography, S. 111 betont, dass der Annalist gerade nicht Ludwig den Frommen damit verbinde, „but this very silence effectively acts as a series of disturbing warnings that all is not as smooth as might appear“. Zur Historiographie als Exegese und den Deutungen von solchen Zeichen als Offenbarung von Gottes Willen vgl. Werner, Gott, S. 103; Becher, Mantik, bes. S. 168 f.; zukünftig auch Breuer, Katastrophen. 83 Ardo, Vita Benedicti, S. 201/ed. Kettemann S. 141. Vgl. Wattenbach-Levison, II. Heft, S. 248, Nelson, Annals, S. 174 sieht hier weniger den König im Vordergrund: „The stress here seems to be on the historical consciousness of the learned than any use-value to the king“ und ebd., S. 191, „annal-keeping had always been the product of clerical, not royal enthusiasm“; vgl. noch Innes/McKitterick, Writing, S. 211 f.; de Jong, State, S. 66 f.; Kettemann, Subsidia, S. 73. Vgl. für weitere Beispiele einer Erwähnung von einer königlichen bzw. kaiserlichen Geschichtsschreibung Wattenbach-Levison, II. Heft, S. 249
Quellenlage und Einzelfragen
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werden aufgrund der insgesamt positiven Darstellung der fränkischen Geschichte und der Könige bzw. Kaiser die Verfasser meist am karolingischen Hof vermutet 84. Für die Zeit Ludwigs des Frommen wurde die Abfassung unter Aufsicht u. a. von dem Erzkapellan Hilduin von Saint-Denis diskutiert 85. Es sind also für die hier sehr wichtigen Jahre ab 814 ein offiziöser Charakter sowie eine kontinuierliche Abfassung der Reichsannalen vorauszusetzen. Annales Bertiniani Die nach der ältesten Handschrift sogenannten Annales Bertiniani setzen die Annales regni Francorum mit dem Jahr 830 fort 86. Sie fanden eine geringere Verbreitung im Vergleich zu den Annales regni Francorum, schaut man auf die Handschriften und ihre Rezeption in späteren Werken 87. In einem Brief an den Erzbischof Eigil von Sens im Jahr 866 zitiert Erzbischof Hinkmar von Reims eine Passage aus den Annalen und sagt einleitend, dass Prudentius in annali gestorum nostrorum regum, quae composuit, dies geschrieben habe 88. Bischof Prudentius von Troyes gilt dementsprechend für und auch die Conversio Bagoariorum et Carantanorum, c. 10, S. 118: Enumeratis itaque episcopis Iuvavensium conamur, prout veracius in chronicis imperatorum et regum Francorum et Bagoariorum scriptum repperimus, scire volentibus manifestare. 84 Vgl. Wattenbach-Levison, II. Heft, S. 247; Becher, Eid, S. 21. Vgl. McKitterick, Charlemagne, S. 31 und dies., Historiography, S. 103, die die Nähe zum Hof erkennt, aber nicht unbedingt ein Abfassen am Hof annehmen möchte; vgl. auch schon Schieffer, Geschichtsschreibung, bes. S. 18; vgl. noch de Jong, State, S. 63 f. 85 Zur Ansicht von mehreren Verfassern/Schreibern unter Oberaufsicht des Erzkapellans vgl. Wattenbach-Levison, II. Heft, S. 251, 253. Vgl. schon Monod, Études, S. 131 f., der dies auch für Karl den Großen annimmt, und Malbos, Annaliste, die den jeweiligen Erzkapellan zusammen mit dem Erzkanzler, d. h. bei Ludwig den Frommen Helisachar, tätig sieht. Vgl. noch Wattenbach-Levison, V. Heft, S. 502; Kaschke, Reichsteilungen, S. 175 f.; Patzold, Episcopus, S. 226; de Jong, State, S. 66, die die Verfasser als „autho ritative insiders at court“ umschreibt. Vgl. zu Hilduin Depreux, Prosopographie, S. 250 – 256. 86 Vgl. zu der vormals im Kloster Saint-Bertin aufbewahrten und nun geteilten Handschrift Saint-Omer Nr. 697 + 706 vom Ende des 10. Jahrhunderts und weiteren Handschriften Levillain, Introduction, S. V, XVI-XXXVIII; Ganshof, Annales, S. 160 – 164; Nelson, Annals, S. 175; McKitterick, History, S. 50 f., die (erneut) auf die weiteren Werke, die hier enthalten sind, aufmerksam macht und die Handschrift als „a continious history from the foundation of Rome to the Carolingians“ zeigt. Die Kontinuität zu den Annales regni Francorum wird in den Handschriften deutlich, denn sie knüpfen ohne Kommentar daran an; vgl. Levillain, Introduction, S. V; Nelson, Annals, S. 175; Kaschke, Annales Bertiniani, S. 402. Vgl. zu Ergänzungen der hier gegebenen Annales regni Francorum in den Jahren 749 und 757 Ganshof, Historiographie, S. 680, Anm. 162. 87 Vgl. Kaschke, Annales Bertiniani, S. 407. 88 MGH Epp. 8,1, Nr. 187, S. 196. Vgl. Nelson, Introduction Annals, S. 7.
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den Text der Annalen bis zu seinem Tod 861 als Verfasser 89. Für den letzten Teil der 882 endenden Annalen wird Erzbischof Hinkmar von Reims in den Historiarum Libri IIII Richers von Reims als Verfasser genannt 90. Prudentius scheint im Jahr 835 seinen Teil der Annalen begonnen zu haben, wofür vor allem stilistische Unterschiede zwischen den Jahren 830 bis 835 und den dann folgenden Jahren sprechen 91. Da der erste Teil die Ereignisse im Sinne Ludwigs des Frommen schildert, wurde hier ein hofnaher Verfasser vermutet und meist Fulco 92 genannt 93, der wohl ab 834 schrieb 94. Dieser hatte die Nachfolge des Erzkapellans Hilduin von Saint-Denis, unter dessen Aufsicht, wie gesehen, die Abfassung von Teilen der Annales regni Francorum vermutet wird 95, angetreten. Der dann ab 835 schreibende Prudentius, der ebenfalls als Unterstützer Ludwigs gesehen wird 96, schloss sich nach dem Tod Ludwigs des Frommen, spätestens 841, dessen Sohn Karl an und wurde zwischen 843 und 846 Bischof von Troyes 97. Die Darstellung des Prudentius versucht zwar, die Ereignisse in den anderen Reichen auch nach der Teilung 843 zu beschreiben, allerdings liegt der Schwerpunkt auf dem westfränkischen Reich 98. Da er zwischen 843 und 846 vom Hof auf den Bischofsstuhl von Troyes wechselte und die Annalen dort weiterführte, ist er weniger gut über die Entwicklungen unterrichtet 99. Es lassen sich nun auch kritische Töne gegenüber Karl dem Kahlen herauslesen 100.
89 Vgl. Nelson, Introduction Annals, S. 7 ff. Zu einer möglichen anfänglichen Abfassung unter Oberaufsicht des Erzkapellans Drogo von Metz vgl. Nelson, Annals, S. 176; Patzold, Episcopus, S. 227. Vgl. zu Prudentius Depreux, Prosopographie, S. 349 f. 90 Richer, Historiarum Prologus, S. 35. Vgl. zusammenfassend zur Verfasserschaft und der wohl zunächst erfolgten Abschrift eines Exemplars des Prudentius durch Hinkmar Levillain, Introduction, S. XVI – XXII; Nelson, Introduction Annals, S. 9 – 13. 91 Vgl. Rau, Quellen 2. T., S. 1 zu den stilistischen Untersuchungen von Dom Lebeuf und der Möglichkeit eines Wechsels erst zu 837 und Nelson, Introduction Annals, S. 6. Vgl. Kaschke, Annales Bertiniani, S. 401. 92 Vgl. zur Person Depreux, Prosopographie, S. 194 – 196. 93 Vgl. Nelson, Introduction Annals, S. 6. De Jong, State, S. 65 vermutet seine Aufsicht. Vgl. zu der positiven Schilderung Ludwigs im Gegensatz zu seinen Söhnen auch Booker, Convictions, S. 28 f. 94 Vgl. Patzold, Episcopus, S. 226 f. 95 Vgl. oben Kap. 1.2. 96 Vgl. Depreux, Prosopographie, S. 350; Goldberg, Struggle, S. 87. 97 Vgl. Nelson, Annals, S. 178 f.; Depreux, Prosopographie, S. 349; Kaschke, Annales Bertiniani, S. 403. 98 Vgl. Kaschke, Annales Bertiniani, S. 403 f. 99 Vgl. ebd. 100 Vgl. Wattenbach-Levison, III. Heft, S. 349; Löwe, Geschichtsschreibung, S. 7. Zu der Kritik am Herrscher, die nicht gegen eine Abfassung für den König bzw. ein breiteres Publi kum sprechen muss, vgl. Nelson, History-writing, S. 439, 441 f.
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Wenn bei Prudentius schon nicht mehr von einer offiziösen Berichterstattung gesprochen werden kann, so ist für den Fortsetzer der Annalen, Hinkmar von Reims, wohl zu Recht von einer „höchst subjektive[n] Darstellung der politischen Zeitgeschichte“ gesprochen worden 101. Tatsächlich ging das „Eigeninteresse“ 102 Hinkmars sogar soweit, dass er in einigen der Jahreseinträge seines Vorgängers Prudentius Veränderungen vorgenommen hat 103. Eine hof- und zeitnahe 104 Abfassung der Berichte, die wohl die offiziöse Sicht des Hofes wiedergeben 105, ist dementsprechend für die erste Zeit anzunehmen. Ob sie aber damit als „most reliable account“ 106 für diese Zeit zu sehen sind, scheint fraglich, besser trifft wohl eine Charakterisierung als „Gegenpropaganda“ 107 zu den bei der Buße Ludwigs des Frommen 833 verfassten Protokollen der Bischöfe zu. Für die darauffolgenden Jahre ist für die Interpretation der in den Annalen gegebenen Darstellungen zu beachten, dass sich Prudentius zu Karl dem Kahlen bekannte, wenn dieser auch nicht ohne Tadel blieb, und gegenüber Lothar schon im Jahr 840 deutlich Kritik übte 108. Annales Fuldenses Die sogenannten Fuldaer Annalen beginnen ihren Bericht über die fränkische Geschichte im Jahr 714109. Dabei ist die Abhängigkeit von anderen Quellen wie den Annales regni Francorum für die Jahre bis 829 deutlich nachzuvollziehen 110, erst im 830/838 einsetzenden zweiten Teil ist eine selbständige Berichterstattung erkennbar 111. Die Edition von F. Kurze steht unter starker Kritik, wobei sogar ganz grundsätzlich Zweifel an der Möglichkeit der Rekonstruktion des ursprünglichen Textes geäußert werden 112. Tatsächlich ist die Überlieferungslage der Annalen
101 Goetz, Vergangenheitswahrnehmung, S. 200. Dies wurde besonders von Nelson, Annals, S. 185 – 190 herausgearbeitet. 102 Goetz, Vergangenheitswahrnehmung, S. 200. 103 Vgl. Nelson, Introduction Annals, S. 14 f. und dies., Life, S. 49 f. 104 Der erste Teil wurde wohl 834 begonnen vgl. dies., Annals, S. 175 und Patzold, Episcopus, S. 226 f. 105 Patzold, Episcopus, S. 230. 106 Goldberg, Struggle, S. 59: „Most reliable account of the 830 rebellion“. 107 Patzold, Episcopus, S. 196. Vgl. auch ders., Ich, S. 261. 108 Vgl. Wattenbach-Levison, III. Heft, S. 349. Vgl. Goetz, Erwartungen, S. 476, 480. 109 Vgl. Kaschke, Annales Fuldenses, S. 449 ff. 110 Vgl. McKitterick, History, S. 34 betont aber zu Recht, dass die Art und Weise der Zusammenstellung von Interesse ist. 111 Vgl. Kaschke, Annales Fuldenses, S. 449. Vgl. zu den einzelnen Abschnitten ebd., S. 449 f.; schon Wattenbach-Levison, VI. Heft, S. 681 – 685. 112 Vgl. Wattenbach-Levison, VI. Heft, bes. S. 673; Corradini, Annales, S. 122 f. Vgl. ebd., S. 135 zu der These, dass die „Annalen in ihrer heute erhaltenen Form eine reduktive,
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komplex, kleinere und größere Textvarianten und unterschiedliche Fortsetzungen finden sich in den Handschriften, deren älteste vom Ende des 9. Jahrhunderts datiert 113. Doch gelten die Annalen weiterhin als wichtige Informationsquelle über die Entwicklungen im ostfränkischen Reich 114. Die genauen Entstehungszusammenhänge werden noch diskutiert 115, aber die kenntnisreichen Berichte über die Mainzer Geschehnisse machen eine Bearbeitung vor Ort für den für unsere Betrachtung besonders wichtigen zweiten Teil wahrscheinlich 116. Die in der Schlettstadter (Sélestat) Handschrift, die F. Kurze als Handschrift 1 einstufte, da er gegenüber den anderen Handschriften hier die älteste Entwicklungsstufe zu erkennen meinte, gegebenen Vermerke huc usque Enhardus und huc usque Ruodolfus sind als Kennzeichnung der Verfasserschaft zumindest für den ersten Teil für den „Karlsbiographen“ Einhard abgelehnt worden 117. S. Patzold hält es aber weiterhin für denkbar, dass Einhard als Verfasser in Betracht kommt 118. Ob Rudolf von Fulda für den zweiten Teil als Verfasser bzw. als derjenige, unter dessen Oberaufsicht die Annalen wohl zeitnah in Mainz geführt wurden, gesehen werden darf, wurde von F. Staab bezweifelt 119. Er schlug vor, dass sie aufgrund der Nähe zum Mainzer Erzbischof unter Hrabanus Maurus begonnen und dann jeweils unter den Mainzer Erzbischöfen weitergeführt worden seien 120: „Diese Annalen geben daher weitgehend auch die Bewertung der Ereignisse durch diese Erzbischöfe wieder“ 121. Etwas zurückhaltender sieht R. Corradini die Abfassung „in den 840er bis 860er Jahren am Mainzer erzbischöflichen Stuhl“ 122; dass dabei die Annalen durch das Interesse des Erzbischofs Hrabanus Maurus geprägt wurden, selektive Überarbeitung einer Fuldaer Quelle [sein können], die heute nicht mehr erhaltene Annales Fuldenses-Redaktionen eingearbeitet hat oder zumindest mit ersteren in einem gemeinsamen Feld historiographischer Aktivität zu sehen ist“. 113 Vgl. Wattenbach-Levison, VI. Heft, S. 673; Hartmann, Ludwig, S. 6. Als Beispiele für größere Varianten sind die Stellen Annales Fuldenses a. 848, S. 38 und a. 856, S. 46 f. zu nennen. 114 Vgl. Kaschke, Annales Fuldenses, S. 450. 115 Vgl. zusammenfassend Wattenbach-Levision, VI. Heft, S. 671 – 687; Kaschke, Annales Fuldenses, S. 449 f.; Patzold, Episcopus, S. 363. 116 Vgl. Wattenbach-Levison, VI. Heft, S. 681. 117 Vgl. ebd., S. 677 f. 118 Patzold, Ich, S. 17 mit Anm. 18, S. 308 schlägt vor, dass Einhard für sich selbst knapp die Ereignisse in einer Arbeitshandschrift, vielleicht als Gedächtnisstütze verfasst haben könnte, vgl. noch ebd., S. 280. 119 Vgl. zur Rolle Rudolfs von Fulda Wattenbach-Levison, VI. Heft, S. 680 f. 120 Staab, Bildung, bes. S. 667. 121 Ebd. 122 Corradini, Annales, S. 133. Vgl. Nelson, Life, S. 49: „From the 840s until the late 880s, the so-called Annals of Fulda were produced in the orbit of the archbishop of Mainz“.
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merkt er ebenfalls an 123. „Die Vertrautheit derselben [Annales Fuldenses] mit den Akten des Hofes und des Mainzer Erzbischofs“ sowie eine positive Darstellung der ostfränkischen Politik besonders gegenüber dem Westreich 124, wobei Ludwig der Deutsche positiv beschrieben wird 125, ist jedenfalls insgesamt zu erkennen. Die durch genaue Textstudie der Annalen erfolgten Einschätzungen besonders der Nähe zu Mainz und Hrabanus Maurus ist für hier von besonderem Interesse. Denn Hrabanus Maurus stand in guter Beziehung zu Lothar, wie beispielsweise Lothars Bitten um Kommentare und nicht zuletzt das eingangs zitierte Epitaph zeigen 126. Trifft die Nähe der Annalen zu Hrabanus Maurus zu, ist daher zu fragen, ob etwas von dieser Beziehung in den Annalen zu finden ist, oder genauer formuliert, ob sich diese positiv auf die Darstellung Lothars ausgewirkt hat. Annales Xantenses Bei den drei bisher betrachteten Annalen sind die Schwierigkeiten bezüglich ihrer genauen Entstehung, der Identifizierung der Verfasser und letztlich der Frage nach dem Einfluss der Kaiser und Könige deutlich geworden. Dabei scheinen die Annales regni Francorum einem offiziösen Werk entsprochen zu haben, dessen Entstehung und Fortführung sicherlich von Karl und Ludwig gefördert wurde und von Autoritäten wie Hilduin von Saint-Denis, wenn nicht selbst verfasst, so zumindest beaufsichtigt worden ist. Ihre weite Verbreitung und Rezeption spricht für eine Akzeptanz des hier gezeichneten Bildes der fränkischen Geschichte. Bei Ludwigs Nachfolger Karl dem Kahlen ist zwar ein Interesse an den Annales Bertiniani, er hat ein Exemplar des Teiles der Annalen des Prudentius besessen 127, zu erkennen. Daneben ist eine Auseinandersetzung mit ihren Inhalten am Hof durchaus denkbar – aber sie wurden fern vom Hof verfasst und besonders Hinkmars Fortführung zeigt eine große „kritische […] Distanz zum König“ 128. Auch die Annales Fuldenses sind ein Werk, das nicht mehr die Nähe zum Hof aufweist 129 wie einst die Annales regni Francorum. Beide 123 Corradini, Annales, S. 133: „Die Annales Fuldenses erwähnen nichts von der Resignation [Hrabans]; möglicherweise wollte man in diesem Teil der Annalen […] die Abdankung des eben erst zum Mainzer Metropoliten erhobenen Abtes von Fulda besser aussparen“. Vgl. Patzold, Episcopus, S. 364. 124 Vgl. Wattenbach-Levison, IV. Heft, S. 681. 125 Vgl. Hartmann, Ludwig, S. 7. 126 Vgl. Boshof, Lothar, S. 54; oben Kap. 1.1. 127 MGH Epp. 8,1 Nr. 187, S. 196, vgl. Wattenbach-Levison, II. Heft, S. 248. 128 Patzold, Episcopus, S. 362. 129 Über die spätere Nähe zum Hof in der Regensburger Fortsetzung ab 882 vgl. Kaschke, Annales Fuldenses, S. 450.
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Annalen sind aber noch nach 843 auf einen Blick über den eigenen Reichsteil hinaus bemüht und ihrem jeweiligen König, bei den Annales Bertiniani weniger als bei den Annales Fuldenses, geneigt 130. Mit dem Blick auf Lothars Mittelreich ist den Annales Bertiniani und den Annales Fuldenses kaum Vergleichbares entgegenzusetzen. Allein die sogenannten Annales Xantenses, die wahrscheinlich von Gerward 131, dem ehemaligen Bibliothekar Ludwigs des Frommen, in Gannita, d. h. in Gendt in der Nähe von N imwegen, verfasst worden sind, bieten etwas umfangreichere Berichte 132. H. Löwe nahm an, dass Gerward seine Tätigkeit vielleicht erst Ende der 840er Jahre aufnahm 133. Für den ersten Abschnitt von 790 bis 831 stützte er sich auf andere Quellen wie die Annales regni Francorum, ergänzte aber auch aus eigener Erinnerung und fuhr dann selbständig fort 134. Ab dem Jahr 852 sind die Einträge dürftiger, was H. Löwe auf die Wikingereinfälle, die die Arbeit an dem Werk erschwerten, zurückführte 135. Gerward selbst scheint sie bis 860, vielleicht auch noch bis 862 geführt zu haben 136. Gerwards Annalen gelangten dann nach Köln 137. Hier widmete sich 870 eine dem Kölner Erzbischof nahestehende Person dem Werk 138. Der Verfasser, der für die Jahre ab 861/63 bis zum Ende der Annalen 873 verantwortlich war, hat auch in die Berichte Gerwards eingegriffen, wobei er wohl nicht nur stilistische Veränderungen, sondern auch die eine oder andere Kürzung vornahm, b eispielsweise im Hinblick
130 Vgl. Kaschke, Annales Fuldenses, S. 451. 131 Vgl. zu ihm Depreux, Prosopographie, S. 214 f. Vgl. auch Löwe, Annales, S. 87 – 99. 132 Vgl. zur Verfasserschaft und Ort der Niederschrift ausführlich Löwe, Annales, S. 59 – 99, der annimmt, dass Gerward Mönch geworden sei (noch vor 837, S. 90) und als Verwalter seiner an das Kloster Lorsch geschenkten Besitzungen in Gendt fungiert habe; auch Löwe, Besprechung, S. 574. Vgl. noch Eggert, Reich, S. 132; Kaschke, Annales Bertiniani, S. 409 f.; Patzold, Episcopus, S. 362 f.; Nelson, Life, S. 49. 133 Löwe, Annales, S. 95, 98 mit Beispielen, die für eine rückwirkende Bearbeitung sprechen. Vgl. Eggert, Reich, S. 132. 134 Löwe, Annales, S. 60, 97. Vgl. Patzold, Episcopus, S. 362 f. 135 Löwe, Annales, S. 73 f. Vgl. auch dort S. 91 zu der These, dass Gerwards herannahender Tod ebenfalls dazu beigetragen haben könnte. Vgl. Eggert, Reich, S. 132. 136 Vgl. Löwe, Annales, S. 60; Löwe, Geschichtsschreibung, S. 4. Vgl. Eggert, Reich, S. 132; Patzold, Episcopus, S. 362. 137 Wie genau die Annalen nach Köln gelangten, ob Gerward sie selbst vor den Wikinger fliehend dorthin brachte oder das Werk, wie ein anderes Werk Gerwards, dorthin vermittelt wurde, ist nicht genau zu bestimmen, vgl. Löwe, Annales, S. 98; Wattenbach-Levison, VI. Heft, S. 883; Kaschke, Annales Bertiniani, S. 409. Depreux, Prosopographie, S. 215 geht vom Tod Gerwards in Gendt aus. 138 Vgl. zur Tendenz und Ziel der Annalen in d iesem Teil Löwe, Annales, S. 60, 75; Eggert, Reich, S. 132 f.; Patzold, Episcopus, S. 363, 369 – 373.
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auf die Wikingereinfälle 139. Neben einigen chronologischen Irrungen ist ab dem Jahr 854 – wohl durch den Abschreiber der einzigen erhaltenen Handschrift – noch der Fehler unterlaufen, dass die Jahre jeweils ein Jahr zu hoch angesetzt wurden 140. Zwar ist eine Überarbeitung der Berichte durchaus auszumachen, dennoch scheint die Einschätzung der Ereignisse sowohl vor als auch nach Ludwigs des Frommen Tod durch den ehemaligen Bibliothekar noch deutlich hervorzutreten 141. Gerwards meist recht knappe Berichte zeigen sich zunächst Lothar im Vergleich zu Ludwig dem Deutschen geneigter, wie H. Löwe betonte 142. Das bedeutet aber nicht, dass er beispielsweise die Rebellion gegen den Vater gutgeheißen hätte, die Taten Lothars bzw. seiner Brüder werden nicht beschönigt. Ab 842 wird Ludwig der Deutsche positiver in den Annalen gewürdigt 143, wobei Lothar kritische Einträge erhält 144. Zwar galt Gerwards Aufmerksamkeit neben den ganz nahen und bedroh lichen Entwicklungen durch die Wikingerangriffe den Ereignissen im gesamten Reich, aber der weit vom Hof Lothars schreibende ehemalige Bibliothekar Ludwigs verfügte nicht über detaillierte Informationen 145. Und so trifft für die Annales Xantenses wie die anderen Annalen das Urteil S. Kaschkes zu, „dass nach der Teilung von Verdun 843 […] von einem rapiden Rückgang des Interesses für eine Hofhistoriographie nach Art der alten Reichsannalen an den einzelnen Höfen gesprochen werden [muss]“ 146. Viten Lebensbeschreibungen von wichtigen Persönlichkeiten sind in karolingischer Zeit vielfach anzutreffen, man denke nur an die Heiligenviten 147. Auch die in dieser Zeit amtierenden Päpste fanden ihre Biographen. Die Sammlung von Papstviten oder gestae, der Liber Pontificalis, wurde im 6. Jahrhundert begonnen und dann
139 Vgl. Löwe, Annales, S. 60, 62 mit Anm. 7, S. 72; Eggert, Reich, S. 132. Die späteren Angaben Löwes in Wattenbach-Levison, VI. Heft, S. 883 verkürzen seine Erkenntnisse, so dass Kaschke, Annales Bertiniani, S. 409, der sich darauf bezieht, fälschlich annimmt, dass „der Beginn der Überarbeitung nun jedoch erst mit dem Bericht zum Jahr 861 angesetzt [wird]“. 140 Vgl. Löwe, Annales, S. 95 mit Anm. 4. Zur Handschrift vgl. Rau, Quellen 2. T., S. 9 und Gumbert-Hepp, Inleiding, S. XIII – XVII. Vgl. ebd., S. 63, Anm. 1, zur chronologischen Verschiebung, die auch auf einen anderen Jahresstil zurückzuführen sein könnte. 141 Vgl. dazu Löwe, Annales, S. 72 über die persönliche Betroffenheit vor allem bezüglich der Wikingereinfälle. 142 Ebd., S. 65, S. 66 mit Anm. 1, S. 92. Vgl. Eggert, Reich, S. 142. 143 Vgl. Ebd., S. 143. 144 Vgl. Ebd., S. 142 – 145. 145 Vgl. Löwe, Annales, S. 93 – 95; Patzold, Episcopus, S. 363. 146 Kaschke, Annales Bertiniani, S. 410. Vgl. Patzold, Episcopus, S. 361 f. 147 Vgl. zu Heiligenviten und anderen hagiographischen Texten Herbers, Hagiographie. Vgl. für Beispiele aus der Karolingerzeit die Liste bei Breschin, Biographie, S. 440 f.
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s pätestens ab dem 7. Jahrhundert regelmäßig zum Teil noch zu Lebzeiten der einzelnen Päpste in deren Umgebung fortgeführt 148; sie umfasst auch die Viten der in Lothars Zeit aktiven Päpste. Im Mittelpunkt des Interesses der Viten liegt Rom und sie zeichnen fast ausschließlich ein positives Bild der jeweiligen Päpste 149. Überragendes Beispiel im Hinblick auf Herrscherviten der Karolinger ist die Vita Karls des Großen, die schon von den Zeitgenossen hoch gelobt wurde und noch heute als „Werk einsamer Größe“ gilt 150. Dabei bleiben Abfassungszeit und damit zusammenhängend Intention in der Forschung umstritten, reichen von der Ansicht einer frühen Abfassung um 817 zur Stützung von Ludwigs des Frommen Politik besonders der Ordinatio imperii, bis hin zu einer späteren Abfassungszeit um 828, die eine Warnung und Kritik an Ludwig den Frommen beinhaltet bis zur Ansicht, dass Einhard hiermit sein Können unter Beweis stellen und damit ein Empfehlungsschreiben für eine neue Position abseits des Hofes schreiben wollte 151. Zentraler für unsere Betrachtung sind aber die „Biographien“ 152 Ludwigs des Frommen. Die beiden über ihn verfassten Viten bieten eine wichtige weitere Perspektive und Einzelheiten über die Rolle Lothars zu Lebzeiten seines Vaters, dabei spiegeln ihre jeweilige Beschreibung und Erklärung von Ereignissen, besonders der Rebellionen gegen Ludwig den Frommen, ihre Perspektiven und Standpunkte deutlich wider.
148 Vgl. Herbers, Leo, S. 12 f.; McKitterick, History, S. 142; Hartmann, Hadrian, S. 15 f.; Parton, Liber, S. 27 f.; Scherer, Pontifikat, S. 17 f. Zum Begriff „Vita“ im Zusammenhang mit dem Liber Pontificalis vgl. Herbers, Leo, S. 13 f. Zum Personenkreis und Ort der Abfassung vgl. ebd., S. 16, der von einer Abfassung in der Kanzlei oder dem Vestiarium ausgeht. Vgl. dazu kritisch vor allem im Hinblick auf die Ausprägung der päpstlichen Kanzlei Hartmann, Hadrian, S. 18. Vgl. auch Herbers, Leo, S. 243 selbst, der die Kanzlei nicht als „festumrissene Behörde“ verstanden wissen möchte. Gantner, Freunde, S. 24 ff. plädiert für eine Arbeitsteilung und für die Möglichkeit unterschiedlicher Lösungen je nach Vita. Parton, Liber, S. 31 f. geht von einer Abfassung „within the Lateran“ aus und Scherer, Pontifikat, S. 22 kommt in Bezug auf Gregor IV. zum Schluss, dass die Vita im vestiarium angefertigt worden sei. An dieser Stelle sei Mrs. Parton mein herzlicher Dank ausgesprochen, dass sie mir ihre (unveröffentlichte) Dissertation zur Verfügung gestellt hat. 149 Vgl. Herbers, Leo, bes. S. 16, 19, 32, 48; Hartmann, Hadrian, bes. S. 17, 20; Parton, Liber, zusammenfassend in Bezug auf die Viten des 9. Jahrhunderts S. 89; Scherer, Ponti fikat, S. 22; vgl. noch Gantner, Freunde, S. 22 f. 150 Vgl. zum zeitgenössischen Lob Berschin, Biographie, S. 200 ff. (Zitat S. 220). 151 Zu Einhards Vita Karoli, deren Abfassungszeit und damit Intention immer noch umstritten ist, vgl. aus der jüngeren Literatur Berschin, Biographie, S. 199 – 220; Krüger, Beobachtungen; Tischler, Vita, bes. 238 f.; McKitterick, Charlemagne, bes. S. 7 – 20; de Jong, State, S. 67 ff.; Patzold, Episcopus, S. 136, S. 181 f. Fried, Karl, S. 599; Patzold, Leser; ders., Ich, S. 191 – 199. Vgl. auch die Zusammenfassung bei Hartmann, Einhard, S. 3 – 6. 152 Vgl. zum Begriff Berschin, Personenbeschreibung, S. 186.
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Gesta Hludowici imperatoris Durch den Prolog Walahfrid Strabos 153, der z wischen 840 und 849, wohl 842154, entstand, wissen wir, dass ein Chorbischof der Trierer K irche namens Thegan die „Taten Ludwigs“ verfasst hat 155. Dem Editor E. Tremp folgend, hält die Forschung eine Abfassung bald nach 835, vielleicht ab Herbst 836 für wahrscheinlich 156. Das Werk Thegans beginnt mit Ausführungen über Ludwigs Herkunft und endet im Jahr 835157, dabei wird die annalistische Darstellung an zwei Stellen, einmal für die Persönlichkeitsbeschreibung Ludwigs, das andere Mal für seine Auslassungen gegen Erzbischof Ebo von Reims, unterbrochen 158. Zwar hatte Thegan Zugang zu schriftlichen Quellen wie den Annales regni Francorum und Einhards Vita Karls des Großen, doch benutzte er sie nicht im größeren Umfang 159. Sein eigenes Wissen und Erleben, aber wohl auch Informationen ihm nahestehender Personen wie den Äbten Adalung von Lorsch, Grimald von Weißenburg und Markward von Prüm waren die Grundlage für sein Werk 160.
1 53 Zu Walahfrid Strabo vgl. Depreux, Prosopographie, S. 393 f.; Booker, Prologue, S. 83 f. 154 Booker, ebd., S. 83 – 105 argumentiert überzeugend für 842. 155 Thegan, Gesta, S. 168. Vgl. Tremp, Studien, S. 4, 112 – 127. Vgl. Booker, Prologue, S. 83 – 105 zu Walahfrids Arbeit an den Gesta, die er mit dem Protokoll der Bischöfe über die Buße Ludwigs des Frommen von Oktober 833 (MGH Capit. 2, Nr. 197, S. 51 – 55), vor dem er den Leser ausdrücklich warnt, wohl schon bald nach Ludwigs Tod zusammenfasste. Vgl. zu dem wohl einige Zeit vor 800 geborenen Thegan, dessen adlige Familie wohl im karolin gischen Kerngebiet beheimatet war, ausführlich mit allen Quellenbelegen Tremp, Studien, S. 4 – 18. 156 Tremp, Studien, S. 19 – 21; ders., Einleitung Thegan, S. 6 f. Wichtige Anhaltspunkte sind dabei vor allem, dass Thegan vom Tod Graf Matfrids von Orléans wohl im Herbst 836 wusste, aber noch nicht vom Ableben Abt Adalungs im August 837. Vgl. noch u. a. Boshof, Ludwig, S. 11; Patzold, Episcopus, S. 232; de Jong, State, S. 72. 157 Zu einer Fortsetzung für die Jahre 836 – 837, die wahrscheinlich von einem Angehörigen des St. Kastorstifts in Koblenz verfasst wurde, vgl. Tremp, Studien, S. 100 – 112. 158 Vgl. ders., Einleitung Thegan, S. 18 f. 159 Vgl. ders., Studien, S. 21 – 44, 55 – 63 zur Benutzung von schriftlichen Quellen; Patzold, Episcopus, S. 231. Einhards Vita scheint für Thegan vor allem ein Muster für seine Beschreibung Ludwigs des Frommen gewesen zu sein, vgl. hierzu Tremp, Studien, S. 62; de Jong, State, S. 74. Zum Stil und Sprachgebrauch der Schrift vgl. Tremp, Studien, S. 83 – 90; ders., Einleitung Thegan, S. 22; de Jong, State, S. 78, die andeutet, dass weniger ein Unvermögen Thegans für den rustikalen Sprachgebrauch verantwortlich, sondern dieser der Schmähschrift geschuldet sei. 160 Vgl. Tremp, Studien, S. 44 – 55 zur Benutzung von mündlichen Quellen. Vgl. Patzold, Episcopus, S. 228, der ihn als gut informiert bezeichnet. Allerdings war es wohl weniger der Erzbischof Hetti von Trier, wie hier angedeutet, der als Gewährsmann zu nennen wäre, vgl. Tremp, Studien, S. 47.
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Über die causae scribendi herrscht Einigkeit in der Forschung 161: Thegan, der nach den Rebellionen gegen den K aiser schrieb, ging es in seiner Darstellung von Ludwigs Leben darum, Ludwig als den durch göttlichen Willen legitimen Kaiser und das Vorgehen gegen ihn als falsch, aber auch als göttliche Probe wie die des Ijob darzustellen 162. „Damit bettet der Autor die Ereignisse der Regierungszeit Ludwigs des Frommen in den größeren Rahmen der Heilsgeschichte ein; er wird zum Interpreten des Wirkens und Heilsplanes Gottes, die sich in den Taten des Kaisers und in dessen Kampf gegen die Widersacher erfüllen“ 163. Thegan steht mit diesem Ansatz nicht alleine da: Da Geschichte als Fortsetzung der biblischen Geschichte, ja als Heilsgeschichte verstanden wurde, und die Überzeugung bestand, dass das Wirken und der Wille Gottes sich in den Ereignissen offenbarte, war der Geschichtsschreiber ein Interpret d ieses Wirkens und Willens von Gott, war Geschichtsschreibung auch ein „Wegweiser“ für die Leser bzw. Zuhörer 164. Mit dem Heranziehen biblischer Beispiele wird „die Vergangenheit zur Stützung oder zum Beweis der eigenen Anschauung“ Thegans, wie das auch bei anderen Verfassern der Fall ist 165; „‚Geschichte‘ wurde zum ‚Argument‘ in der aktuellen Diskussion“ 166. Daneben hat Thegan Erzbischof Ebo von Reims, den er als Hauptschuldigen für die Absetzung und Buße Ludwigs 833 darstellt und dessen Rückkehr aus der Haft in Fulda zu befürchten war, den Kampf angesagt. Und schließlich trat er für Ludwigs des Frommen gleichnamigen Sohn ein, den er als Retter seines Vaters und als würdigsten Sohn darstellt, auch indem er unangenehme Details verschweigt. Er konnte noch nichts vom späteren Zerwürfnis z wischen Ludwig dem Frommen und Ludwig dem Deutschen wissen. Lothar steht hierbei in starker Kritik Thegans, aber wie bei seinem Vater und König Bernhard von Italien wird Thegan nicht müde, wie E. Tremp anmerkt, den Einfluss der schlechten, besonders der nicht adligen Ratgeber zu betonen 167. Doch wollte Thegan damit wohl kaum die Verantwortung für Fehlentscheidungen von ihnen nehmen; letztlich wählten sie ihre
161 Vgl. auch im Folgenden Tremp, Studien, S. 69 – 81; Boshof, Ludwig, S. 11; de Jong, State, S. 77 ff.; Patzold, Episcopus, S. 232. Vgl. zur Bevorzugung Ludwigs des Deutschen auch Hartmann, Ludwig, S. 34 f. und Goldberg, Struggle, S. 76 f. 162 Vgl. Booker, Convictions, S. 32 f. Vgl. Thegan, Gesta, c. 44, S. 236, wo der Vergleich zwischen Ludwig dem Frommen und Ijobs Prüfung durch Gott gezogen wird. 163 Tremp, Studien, S. 88. 164 Vgl. unter vielen Werner, Gott, bes. S. 103 f., (Zitat S. 104); Epp, Von Spurensuchern, bes. S. 47, 49; Becher, Mantik, S. 168 f.; Plassmann, Origo gentes, S. 33 ff. 165 Goetz, Vergangenheitswahrnehmung, S. 214; vgl. ebd., passim. 166 Ebd. 167 Tremp, Studien, S. 70.
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Ratgeber selbst 168. Die Rolle der Ratgeber wird mehrfach, nicht nur bei Thegan, thematisiert, sie wird daher noch zu erörtern sein. Vita Hludowici imperatoris Über die Identifizierung des Astronomus, wie der Verfasser der Vita Ludwigs des Frommen aufgrund seines astronomischen Wissens bezeichnet wird, besteht bis heute kein Konsens 169. Einem annalistisch-chronologischen Schema folgend 168 Vgl. ebd., S. 96. Die Schonung, die E. Tremp hier erkennt, wird aber nicht zu Unrecht von Patzold, Episcopus, S. 235, Anm. 350, auf Ludwig den Frommen bezogen und eher als Kritik am Kaiser gewertet. Schon Tremp, Studien, S. 70 sieht diese Kritik; so lag es am Kaiser, die richtigen Räte zu wählen. Boshof, Lothar, S. 53 meint, dass Thegan Lothar „als Marionette seiner Ratgeber“ beschreibe. Vgl. dazu schon Tellenbach, Grundlagen, S. 201 f. Vgl. zum guten und schlechten Rat bzw. guten und schlechten Ratgebern Brunner, Gruppen, S. 21 – 25; Dohmen, Konflikte, S. 285 – 316. 169 Tremp, Studien, S. 147 schlug Hilduin den Jüngeren vor. Vgl. dann aber ders., Einleitung Astronomus, S. 54 zurückhaltender und S. 63 zu einem Lehrer-Schüler-Verhältnis zwischen dem Verfasser und Bischof Theodulf von Orléans. Vgl. ebd., auch zu älteren Vorschlägen wie dem Diakon Hirminmaris und dem Sachsen Gerold. Vgl. dazu auch schon Tenberken, Einleitung, S. 1 – 11 mit weiteren Überlegungen zur Herkunft. Depreux, Prosopographie, S. 114 bringt den auf astronomischem Gebiet bewanderten Iren Dicuil ins Gespräch. Tischler, Vita, S. 1109 – 1111 sieht Bischof Jonas von Orléans als möglichen Kandidaten, wozu auch Patzold, Episcopus, S. 239 neigt. Einer unveröffentlichten Arbeit von Hugh Doherty, The Maintenance of Royal Power and Prestige in the Carolingian regnum of Aquitaine under Louis the Pious, die mir nicht zur Verfügung stand, folgend halten es McKitterick, History and its Audience, S. 9, Anm. 7, Nelson, Funerals, S. 159, Anm. 117, Screen, Importance, S. 27 und de Jong, State, S. 80 für möglich, dass der Verfasser unter der Aufsicht bzw. im Auftrag Bischof Drogos von Metz arbeitete; dabei schlägt H. Doherty eine spätere Abfassungszeit während der politischen Einigung von 843 vor, vgl. McKitterick, Charlemagne, S. 21, Anm. 81. Zuletzt hat Booker, Convictions, S. 293, Anm. 129 für Walahfrid Strabo plädiert. Es kann hier nicht Aufgabe sein, der Verfasserfrage noch einmal nachzugehen, zumal ein eingehender Vergleich der Vita mit den (soweit vorhandenen) Werken der einzelnen genannten Kandidaten zu leisten wäre, vgl. dazu Depreux, Prosopographie, S. 114 und Tischler, Vita, S. 1109, Anm. 679. Bei den gerade in den letzten Jahren diskutierten (und namentlich genannten) Personen Jonas und Walahfrid wäre hinsichtlich Jonas zu beachten, dass er zum Zeitpunkt (um den 10. April 837, vgl. Tremp, Einleitung Astronomus, S. 54 bzw. Ashley, Louis, S. 47 um den 11. April) der ersten Beobachtung des Halley’schen Kometen wohl noch nicht in Aachen gewesen sein konnte. Zumindest ist Jonas in der Zeugenliste der Urkunde Aldrichs von Le Mans vom 1. April 837 über die Bestätigung des Besitzes des von ihm gegründeten Kanonikerstiftes (Weidemann, Geschichte, T. 2, Nr. 63, S. 346 – 351, hier S. 348) genannt. Allerdings ist die Urkunde auch in ihrer heutigen Form verfälscht; vgl. Weidemann, Geschichte, T. 2, Nr. 63, S. 351; auch die Bestätigung Ludwigs des Frommen † – 376, S. 938 ff. ist eine Fälschung. War Jonas tatsächlich zu Ostern in Le Mans, hätte er Aachen kaum rechtzeitig erreichen können. Der Bericht der Vita legt aber nahe, dass der Verfasser der Vita schon bei der ersten hier beschriebenen Beobachtung in Aachen war
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Einleitung
beschreibt er Ludwigs Leben 170 in der Frühzeit bis 814, gestützt auf Aussagen bzw. schriftliche Darstellungen des Mönchs Adhemar 171, später auf sein eigenes Erleben am Hof und das, was er sonst in Erfahrung bringen konnte, wie er selbst im Prolog zu seinem Werk schreibt 172. Der vielseitig gebildete Kleriker 173 beriet aufgrund seines astronomischen Wissens Ludwig den Frommen in diesen Fragen, wie die Episode bei einer Himmelserscheinung 837 verdeutlicht 174. Er ist insgesamt gut über die Ereignisse in Ludwigs Leben informiert 175. Jedoch sind besonders in dem Teil, in dem er nicht mehr auf die Annales regni Francorum zurückgreifen konnte, die, wie auch Einhards Vita, zu denjenigen Quellen gehörten, aus denen er schöpfte, chronologische Unsicherheiten zu erkennen 176. Bei der Benutzung der Reichsannalen konnten Ph. Depreux und E. Tremp zeigen, dass der Astronomus durchaus eigenständig mit den Informationen umging, teilweise eigene Kenntnisse beisteuerte 177. In seinem Prolog nennt der Astronom auch den Grund seiner Arbeit, nämlich den Wunsch, „die Taten und das Leben des Gott wohlgefälligen und rechtgläubigen Kaisers Ludwig auf[zu]zeichnen“ 178, zum Nutzen für die Nachwelt 179. (Astronomus, Vita, c. 58, S. 518/520). Gesichert ist seine Anwesenheit dann für den 6. Mai (vgl. zum Datum Ashley, Louis, S. 35), als er mit Ludwig über eine weitere Himmelserscheinung sprach (Astronomus, Vita, c. 58, S. 520). Auch wird in der Vita nichts über die 825/826 unternommenen kaiserlichen Maßnahmen bezüglich des Bilderstreites, worin Jonas selbst involviert war, erwähnt; vgl. zu den Ereignissen Kap. 2.6. Bei Walahfrid könnten die recht positive Darstellung der Absetzung Ebos, fehlende Erwähnungen der Reichenau und seines Gönners Grimalds in der Vita und die nahezu allein auf den westfränkischen Raum beschränkte Verbreitung gegen seine Verfasserschaft sprechen; vgl. unten Kap. 4.1.2. 170 Vgl. Tremp, Einleitung Astronomus, S. 101. 171 Zu Adhemar vgl. ebd., S. 54; Depreux, Prosopographie, S. 87 f. 172 Astronomus, Vita, S. 284. Vgl. Tremp, Einleitung Astronomus, S. 54. 173 Vgl. dazu Tremp, Einleitung Astronomus, S. 65 f. 174 Astronomus, Vita, c. 58, S. 518/520. Vgl. dazu, den weiteren Kenntnissen und seiner Bildung Tremp, Einleitung Astronomus, S. 55 – 60. Ashley, Louis, S. 27 – 49 geht davon aus, dass der Astronomus und Ludwig nicht den Halley’schen Kometen während ihres Gespräches thematisiert haben (Astronomus, Vita, c. 58, S. 520), sondern eine andere Erscheinung vielleicht den Merkur oder eine Nova. Vgl. auch Patzold, Ich, Anm. 11, S. 350. 175 Vgl. Tremp, Einleitung Astronomus, S. 65 macht auch auf mündliche Informationen aufmerksam. 176 Vgl. zur Benutzung von Einhards Karlsvita, den Reichsannalen und den chronologischen Problemen Tremp, Einleitung Astronomus, S. 75 – 86, 110. Vgl. schon Tenberken, Einleitung, S. 27; noch de Jong, State, S. 82 f. 177 Vgl. Depreux, Poètes, S. 319 – 328; Tremp, Einleitung Astronomus, S. 84. 178 Astronomus, Vita, S. 281. 179 Astronomus, Vita, S. 280: Cum gesta priscorum bona malave, maxime principum, ad memoriam reducuntur, gemina in eis utilitas legentibus confertur: alia enim eorum utilitati et aedificationi prosunt, alia cautelae.
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Einen ganz aktuellen Grund für die Abfassung macht dabei E. Tremp wahrscheinlich, so scheint dem Astronomus daran gelegen gewesen zu sein, dass Lothar und Ludwigs jüngster Sohn, Karl, eine Übereinkunft fanden im Sinne der letzten Bestimmungen Ludwigs des Frommen 180. Am besten passen für diese Botschaft die Wintermonate von 840/841, nachdem Karl der Kahle und Lothar nach Ludwigs des Frommen Tod im Herbst zu einem befristeten Ausgleich gekommen waren und noch vor dem sich ab März 841 verschlechternden Verhältnis, das mit der verheerenden Schlacht z wischen den Brüdern in Fontenoy vollends zerrüttet war 181. In seiner Darstellung zu den Aufständen gegen Ludwig den Frommen hat er sicherlich einen differenzierteren Blick auf die Ereignisse als Thegan, doch scheint das Urteil „ausgewogen“ von E. Tremp etwas zu positiv 182. Zumindest sieht der Astronomus ein allgemeines Versagen bei den Rebellionen und nimmt auf Lothar in Einzelfällen besondere Rücksicht 183. Gut denkbar ist, dass er das Werk zunächst für Lothar konzipierte 184. Wie für Thegan ist für den Astronomus der Friede im Reich und die familiäre Einigkeit oberstes Gebot 185. In Konflikt und Zerwürfnis sieht er letztlich das Wirken des Teufels, der gewissermaßen von der Schlechtigkeit der Menschen angezogen wird und mit Hilfe dieser Menschen agiert 186.
180 Tremp, Überlieferung, S. 138 – 140; ders., Einleitung Astronomus, S. 66 ff. Vgl. dazu schon Tenberken, Einleitung, S. 43 f.; noch Boshof, Ludwig, S. 13; Hartmann, Ludwig, S. 35; de Jong, State, S. 86 f. 181 Vgl. Angaben der vorherigen Anm. De Jong, State, S. 80 f., 85 bleibt unentschieden, nachdem sie die These der unveröffentlichten Arbeit von Hugh Doherty, der einen Ausgleich aller Brüder als Thema des Astronomus sieht und die Abfassung auf 843 legen möchte, kritisch diskutiert hat, und setzt sie z wischen „840 – 1, in 843 or well before this“. Mir scheinen E. Tremps Argumente immer noch plausibel. Vgl. noch Booker, Convictions, S. 34, Anm. 118, S. 291, Anm. 129, S. 293. 182 Vgl. Tremp, Einleitung Astronomus, S. 110; schon Tenberken, Einleitung, S. 32. 183 Tremp, Einleitung Astronomus, S. 67 ff., 105 ff. Vgl. schon Tenberken, Einleitung, S. 31 f. Vgl. noch Screen, Importance, S. 27; de Jong, State, S. 85; Booker, Convictions, S. 36 f., Anm. 118, S. 291 f. 184 Vgl. Tremp, Überlieferung, S. 142. Da die handschriftliche Überlieferung allerdings größtenteils auf das westfränkische Gebiet beschränkt ist, könnte der Verfasser ins Reich Karls gewechselt sein und dort seine Vita veröffentlicht haben, vgl. Tremp, ebd., S. 144 und passim. Vgl. Screen, Importance, S. 27; Patzold, Episcopus, S. 239; de Jong, State, S. 80. Goetz, Perception, S. 25 meint hingegen, dass der Astronomus „was probably writing for Charles the Bald“. 185 Vgl. Tremp, Einleitung Astronomus, S. 107; ders., Stabilitas, S. 125; de Jong, State, S. 85. 186 Vgl. Tremp, Einleitung Astronomus, S. 107; ders., Stabilitas, S. 121 f.; de Jong, State, S. 47, 85; Goetz, Erwartungen, S. 478.
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Weitere Geschichtswerke Die hier folgenden zwei Werke sind zum einem die Totenklage auf den ehemaligen Abt des Klosters Corbie, Wala († 836), von Paschasius Radbertus und die Beschreibung des Bruderkriegs nach Ludwigs des Frommen Tod durch den Getreuen Karls des Kahlen, Nithard. Nicht nur Radbert berührt einen weiten Zeitraum, sondern auch Nithard lässt der Beschreibung der Auseinandersetzung des Bruderkampfes einen Überblick über die Entwicklungen unter Ludwig dem Frommen vorangehen. Epitaphium Arsenii Radbertus, der sich selbst im Epitaphium Paschasius nennt und auch in seinen anderen Schriften und Briefen diesen Beinamen führt 187, kam als Kind in das Kloster der heiligen Maria in Soissons und legte 812 seine Profess im Kloster Corbie ab. Dem dortigen Abt Adalhard und später dessen Halbbruder Wala stand Radbert zur Seite und wurde schließlich selbst Abt in Corbie 188. Radbert hatte schon nach dem Tod Adalhards († 826) diesen in der Vita Adalhardi gewürdigt und mit dem Epitaphium Arsenii 189 schrieb er eine „Rechtfertigungsschrift“, vielleicht sogar als Gegenstück zu anderen Werken der Zeit 190, für Wala, der während der Rebellionen gegen Ludwig den Frommen eine wichtige Rolle gespielt hatte 191. Die Totenklage, die als ein Dialog zwischen Radbert und unterschiedlichen Mönchen des Klosters gestaltet ist, ist in zwei Bücher unterteilt 192. Das erste Buch behandelt Walas Werdegang bis zu seiner Sendung mit Lothar nach Italien 822 und seiner Rückkehr aus Italien 193. Das zweite Buch setzt mit dem Jahr 828 ein, beschreibt Walas weitere Laufbahn und legt besonderes Gewicht auf die Krisenjahre 194. Wann genau die beiden Bücher entstanden sind, ist umstritten; L. Weinrich nimmt an, dass das erste Buch schon bald nach Walas Tod entstanden sei, das zweite Buch erst
187 Paschasius Radbertus, Epitaphium I, S. 18; Brief an Abt Warin von Corvey (MGH Epp. 6, Nr. 2, S. 133); zur Datierung des Briefes 831/832 vgl. Weinrich, Wala, S. 76 f., Anm. 47. Vgl. zur Bedeutung des Namens die Überlegungen von de Jong, Jeremiah, S. 189 f. 188 Seinen Werdegang wird vor allem durch seine eigenen Werke ersichtlich, vgl. de Jong, Jeremiah, S. 187 f. 189 Vgl. zur Betitelung der Quellen Berschin, Biographie, S. 308. 190 Paschasius Radbertus, Epitaphium II, S. 88 spricht indirekt andere Darstellungen der Ereignisse an. Ganz, Epitaphium, S. 547 f. sieht das Epitaphium als Kritik an Nithards Darstellung, die Radbert gekannt haben dürfte. Vgl. Booker, Convictions, S. 44 mit Anm. 176, S. 297. 191 Vgl. Krüger, Studien, S. 67. Vgl. dazu unten Kap. 3.1 und 3.2. 192 Vgl. Verri, Libro, S. 34 f. 193 Vgl. Krüger, Studien, S. 68 f. 194 Vgl. zum Bericht über die Versammlung Ende 828 Patzold, Episcopus, S. 136 f. Nur gegen Ende erfahren wir noch etwas über seinen Eintritt in das Kloster St. Columban und seinen Tod, vgl. Paschasius Radbertus, Epitaphium II, S. 92, 97 f.
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lange nach Ludwigs des Frommen Tod 195. D. Ganz legt hingegen dar, dass mit dem ersten Buch die Totenklage unvollständig gewesen sei und beide Bücher im Zusammenhang gesehen werden sollten; als letzter gesicherter historischer Anhaltspunkt für die Abfassungszeit sei der Tod Bernhards von Septimanien 844 zu nennen 196. M. de Jong betont ebenfalls die Korrespondenz der beiden Bücher untereinander und plädiert für ein „long-time project“ 197. Sie geht aber wie L. Weinrich davon aus, dass das erste Buch schon kurz nach dem Tod Walas 836 entstanden sei, das zweite in der Mitte der 850er Jahre 198. Daher sei gerade bei den Schilderungen der Ereignisse durch Radbert, der mit „much explicit hindsight“ und „with constant reference to his expirence of the time of writing“ schreibe, im zweiten Buch auch immer mit der Übertragung der aktuellen Probleme und F ragen der Abfassungszeit zu rechnen 199. Die nur in einer Handschrift überlieferte Schrift 200 hat D. Ganz vermuten lassen, dass sie eher für einen privaten Gebrauch gedacht gewesen sei als für eine weite Verbreitung 201. Dagegen sieht M. de Jong besonders das zweite Buch für ein breiteres Publikum auch am Hof Karls des Kahlen, das die Krise miterlebt hatte und dessen Meinung es zu beeinflussen galt, geeignet 202. Letztlich ist diese Frage nicht mehr zu klären, doch könnte Paschasius Radbertus durchaus daran gelegen gewesen sein, einem breiten Publikum die „wahre Geschichte“ 203 zu Gehör kommen zu lassen. Das war für ihn die Geschichte über Wala, der pro principe contra principem und gleich einem J eremia, dem keiner zuhören wollte, für die Wahrheit und Gerechtigkeit gekämpft hatte 204. Die von Radbert benutzten „Decknamen“ sind mit Bedacht gewählt und spiegeln viel von der Person und den Ereignissen wider 205. D. Ganz hebt dabei hervor,
195 Weinrich, Wala, S. 7; vgl. Dümmler, Einleitung, S. 4; Krüger, Studien, S. 65; Verri, Libro, S. 40 – 43. 196 Ganz, Epitaphium, S. 538 f. 197 De Jong, State, S. 104. 198 Dies., Discourse, S. 98; dies., Paschasius, S. 151; dies., God, S. 106. Vgl. auch schon Dümmler, Einleitung, S. 11. 199 De Jong, Discours, S. 98; dies., Paschasius, S. 160 f. 200 Vgl. Dümmler, Einleitung, S. 16 f. 201 Ganz, Epitaphium, S. 538. 202 De Jong, State, S. 105; dies., Jeremiah, S. 193; dies., Paschasius, S. 159. 203 Zum Aspekt der wahren Geschichte im Gegensatz zu fabulae vgl. Paschasius Radbertus, Epitaphium, S. 21; vgl. dazu Dümmler, Einleitung, S. 18; de Jong, State, S. 111. 204 Paschasius Radbertus, Epitaphium II, S. 73 und schon I, S. 19 – 24; vgl. auch MGH Epp. 6, Nr. 3, S. 133. Vgl. Weinrich, Wala, S. 83 ff.; Ganz, Epitaphium, S. 542 – 550; Krüger, Studien, S. 65; de Jong, Jeremiah, S. 192 – 195. 205 Vgl. Ganz, Epitaphium, S. 541 f., 538; de Jong, State, S. 110; de Jong, Jeremiah, S. 186, die gegen die Theorie von Decknamen zum Schutz Radberts einwendet, dass diese recht leicht zu durchschauen seien. Vgl. auch die Überlegungen Bookers, Convictions, S. 45 f.
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dass Paschasius Radbertus Lothar, den er Honorius nennt, nicht nur als „pupil“ des Arsenius (Walas) darstellt, sondern hier auch die problematischen Entwicklungen unter diesem Kaiser (Fall Roms) mitschwingen 206. Wala war als Ratgeber Lothars in Italien und schließlich durch die Rebellionen mit Lothar verbunden gewesen; er vermittelte zwischen Lothar und dessen Vater bis kurz vor seinem Tod 207. Radbert differenziert durchaus z wischen dem aus seiner Treue und Verpflichtung gegenüber dem Vater und dem Reich handelnden Lothar 208 und dessen Verhalten besonders nach der zweiten Rebellion; die Einnahme des Platzes Ludwigs des Frommen wird als übereilt und ohne wohl überlegten Rat Walas geschildert 209. Der in der Natur der Sache gelegene starke Konzentration auf seinen „Helden“ Wala als auch die kritische Sicht gegenüber dem Mitkaiser müssen beim Rückgriff auf die hier besonders interessanten Schilderungen Radberts, und zwar die der Begleitung Lothars durch Wala nach Italien und die der Rebellionen, berücksichtigt werden. Historiarum Libri IIII Nithard war durch seine Mutter Bertha, eine Tochter Karls des Großen, ein Vetter der Söhne Ludwigs des Frommen und kämpfte während des Bruderkrieges auf der Seite Karls des Kahlen 210. 844 starb er, als er wiederum an der Seite Karls kämpfte, d ieses Mal in Aquitanien 211. Sein in vier Bücher aufgeteiltes Werk ist meist als Parteischrift für die Sache Karls des Kahlen gegen seinen Halbbruder Lothar gelesen worden 212, zumal Nithard am Anfang des ersten Buches ausführlich von Karls Auftrag und Lothars Agieren gegen diesen berichtet 213. Sein Werk dürfte so für ein Publikum aus der Umgebung Karls des Kahlen gedacht gewesen sein 214. Mitte Mai 841 dürfte er den Auftrag von Karl erhalten haben und die
2 06 Ganz, Epitaphium, S. 542. 207 Vgl. Kap. 2.5 und 3. 208 Paschasius Radbertus, Epitaphium II, S. 87 ff. Vgl. zu der Darstellung de Jong, State, S. 225 f. 209 Paschasius Radbertus, Epitaphium II, S. 72, 89 f. Vgl. Weinrich, Wala, S. 74, 81 f.; Booker, Convictions, S. 43. 210 Nithard, Historiae IV, c. 5, S. 138; 150. Vgl. Nelson, Histories, S. 269. 211 Vgl. Nelson, Histories, Appendix 2, S. 291 – 293. Zum zeitgenössischen Epitaph (MGH Poet. 3, Nr. 33, S. 310 f.) vgl. auch Nelson, ebd., S. 280, Anm. 120; Wattenbach-Levison, III. Heft, S. 355; Dümmler, Überlieferung, S. 520 f.; Krah, Potestas, S. 177. 212 Vgl. Meyer von Knonau, Geschichten, S. 81. 213 Nithard, Historiae I, Prologus, S. 2; 2. Vgl. Scharff, Kämpfe, S. 87. 214 Vgl. Patze, Iustitia, S. 149, 152; Nelson, History-writing, S. 438 ff., die von ihrer ursprünglichen Ansicht, Nelson, Histories, S. 281 – 285, dass das letzte sehr kritische Buch wohl nicht mehr für Karl und seinen Hof bestimmt gewesen sei, abweicht; Krah, Potestas, S. 34;
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ersten beiden Bücher, die mitten in der Beschreibung der Schlacht von Fontenoy enden mit dem Hinweis Nithards, dass er dies während einer Sonnenfinsternis am 18. Oktober (d. J.) des Jahres geschrieben habe, sind dementsprechend z wischen Mai und Oktober 841 entstanden 215. J. Nelson sieht die beiden Bücher „as parts of a whole: together they constituted a fulfillment of Charles’s request at Châlons and presented events in the perspective of Charles’s God-given victory at Fontenoy“ 216. Doch schrieb Nithard über dieses Ereignis – zumindest über die Schlacht von Fontenoy – schon in dem Bewusstsein, dass Lothar seine dortige Niederlage nicht akzeptiert hatte und kein Frieden eingetreten war 217. Nach Nithards eigenem Bekunden war die Beschreibung der Ereignisse unter Ludwig dem Frommen zum Verständnis der gegenwärtigen Konflikte wichtig, deutlich habe sich schon hier Lothars Schlechtigkeit, ja insgesamt der Eigennutz vieler, der das Allgemeinwohl gefährdet, gezeigt 218. Die schon vorher erkannte allgemeine Kritik besonders im vierten Buch seiner Historien, die auch gegen Karl den Kahlen gerichtet ist 219, hat J. Nelson genauer analysiert 220. Sie konnte zeigen, dass Nithard, solange sich seine Interessen mit denen Karls deckten, durchaus für Karl den Kahlen und auch seinen verbündeten Bruder Ludwig Partei gegen Lothar ergriff. In dem Augenblick aber, als mit der geplanten Teilung des Reiches die Gegend, wo Nithards Besitzungen zu suchen sind, Lothar, dessen Herrschaftsunfähigkeit für Nithard feststand, zugedacht wurde und Nithard nur noch die Abtei Saint-Riquier blieb, schlägt seine Darstellung um 221. Sie wird zur „unverblümt[en] Zeitkritik“, die niemanden auslässt 222.
Airlie, World, S. 75; Patzold, Episcopus, S. 228, Anm. 295; de Jong, State, S. 97, die beim letzten Buch „prosperity alone“ als Adressat erkennt. 215 Nithard, Historiae I, Prologus S. 2; 2 und II, c. 10 S. 76/78; 86/88. Vgl. Meyer von Knonau, Geschichten, S. 35; Nelson, Histories, S. 255; Nelson, Charles, S. 106; Krah, Potestas, S. 169, 171, auch 35, 114 f.; BF 194. 216 Nelson, Histories, S. 255. Vgl. Krah, Entstehung, S. 35, 76 zur retroperspektiven Berichterstattung der Schlacht. 217 Vgl. Krah, Potestas, S. 169, 171, auch S. 35, 114 f. 218 Nithard, Historiae I, Prologus, S. 2; 2. Vgl. zu diesem Aspekt Patze, Iustitia, S. 149; Krah, Potestas, S. 35; de Jong, State, S. 99 f.; Booker, Convictions, S. 39 f.; Glansdorff, Introduction, S. XVI. 219 Vgl. Meyer von Knonau, Geschichten, S. 79 f., 85. 220 Nelson, Histories, bes. S. 281 – 289. Vgl. dies., History-writing, bes. S. 438 ff. 221 Dies., Histories, S. 279 – 282. Vgl. Airlie, World, S. 74; de Jong, State, S. 97. Krah, Potestas, S. 180 weist in anderem Zusammenhang ebenfalls auf den Verlust Nithards hin, ohne aber Nelsons zu erwähnen. 222 Patzold, Episcopus, S. 228. Vgl. de Jong, State, S. 97; Airlie, World, S. 75; Booker, Convictions, S. 41.
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Die Kritik an Lothar und seinem Versuch, das Erbe seines Vaters anzutreten, ist für Nithard besonders wichtig. Sowohl Th. Scharff also auch E. Screen haben sich eingehend mit der Argumentation beschäftigt, die Nithard anwendet, um den Kaiser in einem möglichst negativen Licht erscheinen zu lassen 223. Nithard versucht durch die Darstellung Lothars persönlicher Vergehen, wie dessen Eidbrüchigkeit, zu zeigen, dass er damit jegliche legitime Ansprüche auf die Herrschaft verloren habe. Nithards Bild Lothars gerät zum Gegenbeispiel eines guten Kaisers, wie schon die eingangs zitierte Stelle zeigt 224. Die Darstellung des Bruderkrieges ist in ihrer Ausführlichkeit unübertroffen und Nithards Betrachtung eine sehr wichtige Quelle für diese Zeit, wenn auch nicht die einzige 225. Trotz der negativen Sicht Nithards auf Lothar, ist im Vergleich mit anderen Quellen wie den Urkunden Lothars viel über Lothars Stellung zu erfahren 226. Dichtung und Handschriftenproduktion Dichtung konnte, wie die am Anfang wiedergegeben Verse verdeutlichen 227, ganz unterschiedliche Formen annehmen: Sei es wie dort ein Begrüßungsgedicht des Kaisers oder eine Grabinschrift. Auch Widmungsgedichte bzw. Verse, die ein Werk des Verfassers begleiteten oder in dieses integriert waren, sind nicht unüblich. Hier wären beispielsweise die Gedichte des Mönches Wandelbert von Prüm 228, die zu einem Martyrilogium, das er Lothar widmete, gehören, oder die Verse des Mönches Sigilaus in einem Evangeliar aus Saint-Martin in Tours, das auch ein Bildnis Lothars zeigt, zu nennen 229. Sie identifizieren Kaiser Lothar als Auftraggeber und Schenker des Evangeliars. In der Forschung wird die Dichtung nicht nur als kulturelles Zeugnis begriffen, sondern daraus werden auch Hinweise zu Verhältnissen und Ereignissen der Zeit entnommen, wie es bei den folgenden Beispielen besonders der Fall ist.
223 Scharff, Kämpf, bes. S. 159 ff., 167; ders., Streitschlichtung, bes. S. 253 ff.; Screen, Importance. 224 Scharff, Kämpfe, bes. S. 159 ff., 167; ders, Streitschlichtung, bes. S. 253 ff.; Screen, Importance, bes. S. 46 f. Vgl. oben Kap. 1.1 zum Zitat. 225 Vgl. Nelson, Search, bes. S. 104. 226 Dies zeigt zum Beispiel Screen, Importance, S. 25 – 51. 227 Vgl. oben Kap. 1.1. 228 MGH Poet. 2, S. 575 f. Vgl. zu ihm und seinem Widmungsgedicht Kap. 5.4.2.3. 229 MGH Poet. 2, Nr. 25, S. 670 f.
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Ermoldus Nigellus und Walahfrid Strabo Bisweilen werden Gedichte zu „Primärquelle[en] für prosopographische und faktische Einzelheiten“ 230 und sie spiegeln wider, wer als wichtig und einflussreich galt 231. In dieser Hinsicht sind das Epos In honorem Hludowici christianissimi caesaris augusti von Ermoldus Nigellus und das Gedicht De imagine Tetrici von Walahfrid Strabo beispielhaft. Der aus nicht mehr eindeutig zu klärenden Gründen von Aquitanien nach Straßburg verbannte Ermoldus Nigellus sucht mit seinen Versen, wohl Ende der 820er Jahre geschrieben, die Gunst Ludwigs des Frommen wiederzuerlangen 232. In seinem Gedicht beschreibt er nicht nur ausführlich die Krönung Ludwigs durch den Papst 816, die Feldzüge gegen die Bretonen 818 und 824 sowie die Taufe des Dänenkönigs Harald 826, sondern nennt auch alle einflussreichen Personen in der Hoffnung, ihre Fürsprache zu erlangen 233. Doch bieten die Schilderungen in dem Gedicht auch Probleme, zumal der Verfasser an einzelnen Stellen nachweislich Geschehnisse übergangen oder verschränkt hat 234. Das Gedicht musste vor allem dem Zuhörer gefallen und plausibel sein, nicht unbedingt genau 235. Ph. Depreux hat auf den Wert des Gedichtes als „une source de première importance quant à l’histoire des mentalités, en l’occurrence quant à l’idée que certains lettrés carolingiens se faisaient du gouvernement exercé par un empereur idéal, par un empereur chrétien“, hingewiesen 236. Auch Walahfrid, der gerade erst an den Hof gekommen war, nicht zuletzt aufgrund seiner Begabungen, rühmt im Frühjahr 829 die kaiserliche Familie und andere Personen am Hof 237. Bei beiden Dichtern wird neben dem kaiserlichen Vater auch der caesar Lothar gelobt: Hluthariusque celer florens fretusque juventa, 2 30 Im Hinblick auf Ermoldus Nigellus vgl. mit Zitat Schaller, Ermoldus Nigellus, Sp. 2161. 231 Ebenfalls im Hinblick auf Ermoldus Nigellus vgl. u. a. de Jong, State, S. 91. 232 Die Informationen über seine Person sind allein seinen Werken zu entnehmen, vgl. Faral, Introduction, S. V – XII; Schaller, Ermoldus Nigellus, Sp. 2160 f.; Bobrycki, Nigellus, S. 162 f. 233 Vgl. Buch II, III und IV. Für die auf dem Weg zum Bretonenfeldzug genannten Personen vgl. Buch II, V. 1525 – 1552, S. 116 – 120, vgl. hierzu und zur Intention Godman, Louis, S. 253 – 271; de Jong, State, S. 91. 234 Vgl. Salten, Vasallität, S. 93 f., der auf die Verbindung der Ereignisse der Gründung des Klosters Conques im 8. Jahrhundert mit dem Schutzversprechen Ludwigs des Frommen 819 durch Ermoldus hinweist. Auch macht er auf das Übergehen der Taufhandlung in St. Alban in Mainz 826 in Ermoldus Gedicht aufmerksam. Er vermutet schließlich, dass Harald 826 sich Ludwig dem Frommen nicht, wie Ermoldus behauptet, kommendiert habe. 235 Vgl. Patzold, Ich, S. 90. Vgl. auch zur Problematik Clauss, Kriegsniederlagen, S. 63 f. 236 Depreux, Pietas, S. 204. Vgl. auch Bobrycki, Nigellus, S. 167. 237 Vgl. zu ihm und seiner Berufung an den Hof Fees, Walahfrid, bes. S. 48. Die Skepsis bezüglich seiner Aufgabe als Lehrer für Karl den Kahlen wird meist nicht geteilt vgl. Booker, Prologue, S. 83.
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Einleitung
Hlutharius pulcher, und wieder, wie bei dem oben zitierten Gedicht Theodulfs 238, als Hoffnung des Reiches, als Josua, bezeichnet; doch es treten besonders Judith, die seit 819 mit Ludwig verheiratet war, und ihr Sohn Karl hervor 239. Der Exilant und der Neuling gingen offensichtlich davon aus, dass Judiths Stellung so einflussreich war, dass ihre Fürsprache Gewicht hatte, zumindest legten beide besonderes Augenmerk auf sie: Die wichtige Rolle, ja Dominanz Judiths und ihres Sohnes Karl, dessen Erbanspruch betont wird, wird bei Walahfrid und Ermoldus beschrieben 240. Sich abzeichnende Spannungen innerhalb der kaiserlichen Familie lassen sich zwar bei Walahfrids Gedicht ablesen, wenn im Lob Ludwigs des Deutschen Eintracht angesprochen und Pippin als abwesend beschrieben wird 241. Doch warnt M. de Jong zu Recht davor, Walahfrid und Ermoldus als Hellseher oder „prophet[s] of doom“ zu sehen, die die kommenden Auseinandersetzungen in den 830er Jahren ihren Versen voraussagen 242.
2 38 Vgl. oben Kap. 1.1. 239 Ermoldus Nigellus, In honorem Hlodowici IV, V. 2390, S. 182 und V. 2426, S. 184; MGH Poet. 2, Nr. 23, V. 1 f., S. 375. Vgl. bei Ermoldus Nigellus, In honorem Hludowici IV, V. 2644 f., S. 200 die Beschreibung der Taufe und der anschließenden Jagd sowie den Appell Ermoldus’ am Ende des Gedichtes und Walahfrid, MGH Poet. 2, Nr. 23, V. 175 – 208, S. 375 f. 240 Vgl. dazu bes. Koch, Judith, S. 97 f. 241 Ludwig: MGH Poet. 2, Nr. 23, V. 165 – 170, S. 375: Quamquam cura minor, tamen est tibi gloria consors,/ Nec doleas, quod gaza negat, concordia preastat. Diese Stelle wurde als Ermahnung an den Sohn mit seinem Anteil an der Herrschaft zufrieden zu sein gedeutet, wobei einerseits auf die (noch folgende) Ausstattung Karls des Kahlen hingewiesen wurde, vgl. Bezold, Judith, S. 395, Anm. 2, und Boshof, Ludwig, S. 179, andererseits Hoffmann, Theoderichstatue, S. 328 und Smolak, Panegyrik, S. 103, was dem Text näher kommen dürfte, auf Ludwigs Ungleichstellung in Bezug auf Lothar. Eine Hinwendung von Lothar zu Ludwig als Garant für eine Erbschaft Karls sieht hingegen Koch, Judith, S. 80 ff., wobei er Staubach, Herrscherbild, S. 66 weitestgehend folgt. In einen weiteren Rahmen, der das Gedicht gut beschreibt, setzt Goldberg, Struggle, S. 57 diese Stelle, als „Walahfrid’s hopes of Carolingian harmony“, und auch Smolak, Panegyrik, S. 104 tut dies, er sieht die drohenden discordia unter (allen) Söhnen hierin, vgl. de Jong, State, S. 95; Costambeyes et al., World, S. 178. Zu Pippin: MGH Poet. 2, Nr. 23, V. 171 – 173, S. 375. Smolak, Panegyrik, S. 107 sieht die knappe Beschreibung als gegen Ermoldus Nigellus, der zu Pippins Entourage gehört hatte und gegen den Walahfrid in seinem Gedicht generell Kritik übt, gerichtet. Doch deutet diese eher, wie Nelson, Charles, S. 88 und de Jong, State, S. 42 annehmen, auf eine Unstimmigkeit hin. 242 Godman, Louis, S. 283 und Koch, Judith, S. 96 deuten das Gedicht Walahfrids in diese Richtung, wobei besonders dessen erster Teil hier ins Gewicht fällt, vgl. aber zur Interpretation des ersten Teils auch Smolak, Panegyrik, S. 94 f. Zur Interpretation von Ermoldus Nigellus’ Werk in dieser Hinsicht, vgl. Godman, Hunt, S. 588. Zu Kritik vgl. de Jong, State, S. 95.
Quellenlage und Einzelfragen
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Trotz Problemen im Detail geben die Gedichte einiges von den zeitgenössischen Vorstellungen und Ansichten, Verhältnissen und Ereignissen preis, wie sich auch bedingt anhand des Klagelieds des an Lothars Seite kämpfenden Angilbert über die Schlacht von Fontenoy oder dem nicht minder berühmten Gedicht von Florus von Lyon über den Verfall des Frankenreiches zeigen wird 243. Sedulius Scottus und die Kunst am Hof Lothars Mit Blick auf die spätere Zeit findet Sedulius Scottus die schmeichelhaftesten Töne für Lothar, er nennt ihn rector serenus, decusque Romae, Dauid serena species, alter Salemon, Sion uenusta soboles und Caesar 244. In den Augen E. Boshofs ist aber dessen Dichtung wegen ihrer „Lobhudelei“ wenig wert 245. Seine Kritik bezieht sich vor allem auf die Tatsache, dass Sedulius Scottus nicht allein für Lothar gedichtet hat, sondern in sehr ähnlicher Weise seine panegyrischen Verse auch für Lothars Brüder verfasste 246. Bis hin zu wörtlichen Übernahmen ähneln sich die Preisungen 247. Nicht nur Lothar, sondern auch Karl und Ludwig werden ob ihrer kriege rischen Tüchtigkeit gepriesen 248. Wie Lothar gelten für Sedulius auch Karl der Kahle und Ludwig der Deutsche als Salomon 249. Die Abstammung und das Vorbild Karls des Großen hebt der Ire bei allen Nachfahren – nicht nur beim gleichnamigen Karl dem Kahlen – hervor 250. Gerade den letzten Punkt führt E. Boshof
243 Angilbert, Versus, S. 93 – 98; MGH Poet. 2, Nr. 28, S. 559 – 564. Vgl. dazu u. a. Nelson, Search, S. 101 f. 244 Sedulius, Carmina, Nr. 54, S. 92. 245 Boshof, Lothar, S. 53. 246 Ebd.; vgl. ders., Karl, S. 141. 247 Sedulius, Carmina, Nr. 30, V. 7, S. 55; vgl. mit Nr. 12, V. 3, S. 28 und Nr. 30, V. 33, S. 56; vgl. mit Nr. 12, V. 41, S. 29 und Nr. 59, V. 29, S. 99. Vgl. dazu Godman, Poets, S. 158 mit Anm. 46. Freilich ist bei ein und demselben Verfasser eine solche Übernahme nicht weiter verwunderlich. 248 Sedulius, Carmina, für Lothar: Nr. 59, V. 23, S. 99; Nr. 60, bes. ab V. 29, S. 101; für Karl: Nr. 12, V. 31, S. 28; Nr. 14, V. 3, S. 31; Nr. 28, V. 48, auch V. 71 f. S. 52 f.; für Ludwig: Nr. 30, z. B. V. 89 f., S. 55; vgl. dazu Scharff, Kämpfe, S. 57. 249 Sedulius, Carmina, für Lothar: Nr. 20, V. 33, S. 40; Nr. 54, V. 8, S. 92; Nr. 59, V. 25, S. 99; Nr. 60, V. 18, S. 100; (und wohl Nr. 26, V. 12, S. 50); für Karl: Nr. 12, V. 3, S. 28; und für Ludwig: Nr. 30, V. 67 f., S. 56; vgl. dazu Düchting, Sedulius, S. 102 mit Anm. 169; Screen, Lothar, S. 269. 250 Sedulius, Carmina, für Lothar vgl. Nr. 59, V. 2, S. 99; sein Sohn Karl wird als novus Karo lus bezeichnet, vgl. Nr. 22, V. 1 – 6, S. 44; zumeist wird angenommen, dass das Gedicht zur Geburt entstanden ist, vgl. Düchting, Sedulius, S. 91, was ihm die von Boshof, Karl, S. 149 attestierte „Lächerlichkeit“ nehmen dürfte, war da doch Karls Epilepsie noch nicht offensichtlich. Für Ludwig vgl. Nr. 30, V. 4, 22, S. 55, vgl. dazu Goldberg, Struggle, S. 196, „that his only equal was his grandfather“. Zu Karl vgl. bes. Nr. 14, S. 31.
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Einleitung
an, um zu zeigen, dass es äußerst schwierig sei, in Sedulius’ Dichtung das eigene Herrschaftsverständnis des jeweiligen Königs abzulesen 251. Dass die Themen und Vorbilder sozusagen von außen an den Herrscher herangetragen wurden, aber in die Vorstellungswelt der besungenen Personen gepasst haben, ist sicher nicht zu bestreiten. Der Dichter wollte und musste ihm gefallen, wenn davon auszugehen ist, dass seine Dichtung Teil seines Broterwerbes war 252. Trotz des wiederkehrenden Lobes und der Schwierigkeit, die die Datierung vieler Gedichte mit sich bringt 253, sind immer wieder interessante, sonst nicht weiter überlieferte, aber doch wohl vertrauenswürdige Einzelaspekte durch Sedulius 254 zu erfahren. Sedulius bezeichnete sich selbst einmal als caesaris illustris poeta 255. J. M. Wallace- Hadrille nennt ihn sogar Hofpoet Lothars, berücksichtigt aber, dass er in Lüttich lebte 256. Damit wird die Frage, inwiefern Lothar solche Dichtung förderte, aufgeworfen. Ähnliches gilt auch für die Produktion von Handschriften. Neben dem oben erwähnten Tourer Evangeliar sind auch Handschriften aus seinem eigenem Reichsteil mit Lothar in Verbindung zu bringen 257. Inwieweit die Vorstellung einer „Hofschule“, die W. Koehler und F. Mütherich in Aachen lokalisieren 258, hierbei zutrifft, wird ebenfalls zu untersuchen sein. Urkunden Neben Lothars eigenen Urkunden erweisen sich immer wieder die seines Vaters, und zwar nicht nur die, w elche er – zumindest formal – zusammen mit ihm aus259 gestellt hat , und die seiner Brüder als wichtige Quelle für die Betrachtung seines Lebens. Hinzu kommen noch eine große Anzahl von Privaturkunden und Gerichtsurkunden (Placita).
251 Boshof, Karl, S. 139 – 143, äußert sich besonders kritisch gegenüber Staubach, Rex, S. 197 – 221, der den Vorbildcharakter Karls des Großen für dessen Enkel Karl u. a. mit Sedulius Gedichten hervorhebt. 252 Vgl. zu Sedulius Scottus in dieser Hinsicht Düchting, Sedulius, S. 30 f. Vgl. auch Staubach, Sedulius, S. 549 – 555 auch zu Sedulius Scottus weiteren Schriften und biographischen Einzelheiten. 253 Vgl. Düchting, Sedulius, passim bleibt meist skeptisch gegenüber einer sicheren Datierung, vgl. Staubach, Sedulius, S. 552. 254 Vgl. dazu Düchting, Sedulius, S. 30, 53, 87. 255 Sedulius, Carmina, Nr. 16, V. 17, S. 34. 256 Wallace-Hadrill, Church, S. 332. 257 Ausführlich zu den Handschriften, zu denen ein Sakramentar und drei Evangeliare zählen, vgl. Koehler/Mütherich, Hofschule Lothars; zum Fragment eines weiteren Evangeliars vgl. McKitterick, Uncial, bes. S. 9 – 12. Vgl. unten Kap. 5.4.2.3. 258 Koehler/Mütherich, Hofschule Lothars, S. 32. 259 Vgl. Kap. 2.6.
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Lothars Urkunden Von Lothar selbst sind 139 Urkunden überliefert und der Editor Th. Schieffer hat weitere 53 Deperdita festgestellt 260. Der Bestand umfasst den Zeitraum von 822 bis zu seinem Todesjahr 855. Die Urkunden geben nicht nur Auskunft über rechtliche und administrative Aspekte oder das Itinerar 261, sondern können auch für andere Fragen herangezogen werden. Th. Schieffer zeigt in dem knappen geschichtlichen Überblick seiner Edition, wie schon aus dem Urkundenformular, besonders durch Titel und Datierung, Einblicke in die „politische Geschichte“ und die eigenen Ansprüche Lothars zu gewinnen sind 262. So signalisiert beispielsweise die Übernahme der Titulatur seines Vaters und der fehlende Bezug auf diesen, dass Lothar 833 nach der Rebellion dessen Platz einnahm 263. Die Urkunden, besonders einzelne Teile wie die Arengen, versteht H. F ichtenau als „monarchische Propaganda“, an denen man die zentralen Vorstellungen des politischen Handelns ablesen könne 264. P. Rück, der Begründer der diplomatischen Semiotik, legte besonderen Wert auf die äußere, teilweise sehr beeindruckende Gestaltung, die der Herrschaftsrepräsentation diente 265. Dass die Urkunden sowohl durch ihre inneren als auch äußeren Merkmale eine repräsentative Funktion annehmen konnten, besonders wenn sie im festlichen Rahmen übergeben und vorgetragen 260 Vgl. Schieffer, Urkunden Lothars, S. 10; Screen, Reign, S. 24. „[D]aß das Bild durch die eingetretenen und teilweise sogar nachweisbaren Urkundenverluste beeinträchtigt wird und somit der Wirklichkeit nur relativ entsprechen kann“, ist kaum zu bezweifeln. Vgl. dazu Schieffer, Urkunden Lothars, S. 11 (Zitat); Screen, Reign, S. 237, 239; Screen, Importance, S. 31 ff.; Depreux, Bitte, S. 67. Mit wie vielen Verlusten zu rechnen ist, ist nur schwer zu ermitteln. Besonders bei Laienempfängern geht die Forschung allgemein von hohen Verlustraten aus, bei kirchlichen Institutionen waren die Urkunden meist besser gesichert. Vgl. aus der neueren Forschung u. a. Screen, Italy, S. 248; Kölzer, Edition, S. 20; Mersiowsky, Urkunde, Bd. 1, S. 41 f., Bd. 2, S. 903 – 938. Hingegen geht Koziol, Politics, bes. S. 88 f., 140, 180, 185 davon aus, dass die Überlieferung durchaus repräsentativ sei, vgl. kritisch dazu Fees, Rezension zu Koziol, Politics, S. 238; Patt, Studien, S. 145 mit Anm. 28. 261 Vgl. zum Itinerar bes. Kap. 2.5.5.2 mit Anm. 634. 262 Schieffer, Urkunden Lothars, S. 3 – 6. 263 Vgl. ebd., S. 5. 264 Fichtenau, Propaganda, S. 32. Für die Betrachtung Lothars und seiner „Ideologie“ wertet Screen, Reign, S. 195 – 225 die Arengen seiner Urkunden aus. Vgl. Screen, Importance, passim. Für die Zeit Ludwigs des Frommen sieht Zwierlein, Arengen, S. 74 politische Zielsetzungen und herrscherliches Selbstverständnis gespiegelt, zudem zeigt sie, „daß die Arengen auch auf die jeweiligen politischen Situationen reagierten“. Vgl. auch Mischke, Kapitularienrecht Beispiel, S. 103. 265 Rück, Kunstwerk, S. 311 ff. Vgl. Kölzer, Diplomatik, S. 20 ff. zur Problematik der objektiven Vergleichbarkeit mancher Beobachtung P. Rücks sowie Chancen und Risiken seiner Schule. Zur Gestaltung von Lothars Urkunden vgl. Mersiowsky, Urkunde, Bd. 1, S. 115 – 118. Vgl. auch schon Worm, Rekognitionszeichen, S. 59 – 68.
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wurden, ist sicherlich nicht zu leugnen, doch waren sie zunächst einmal und vor allem Rechtstitel, wie A. Stieldorf betont 266. Meist ist nur wenig über die Entstehung einer einzelnen Urkunde, und wie genau sich die Übergabe an den Empfänger gestaltete, bekannt 267. Es ist daher nicht leicht zu bestimmen, wer die Urkunde zu Gesicht bzw. wem ihr Inhalt zu Gehör kam. Nach der Niederlage Lothars gegen seine Brüder 842 restituierte Lothar in Trier auf einer großen Versammlung, zu der auch eine byzantinische Gesandtschaft kam, Erzbischof Hetti Güter. Die Urkunde selbst, die, sorgsam formuliert, Lothar als „effective ruler“ präsentiert, wurde aber erst später in Mötsch ausgestellt 268, sie kam also nicht (mehr) vor dem großen Trierer Publikum zur Verlesung. Im Zusammenhang mit der Diskussion der Urkunde als „monarchischer Propaganda“ wird schließlich auch die Frage diskutiert, inwieweit die „Stimme“ des Königs und Kaisers in den Urkunden spricht und wie dabei der Anteil von Ratgebern und Urkundendiktatoren einzuschätzen ist 269. Dass auch die Empfänger selbst Einfluss auf die Formulierungen von Urkunden nahmen, sollte nicht übersehen werden 270. Bei Ludwig dem Frommen gibt es nicht wenige 266 Stieldorf, Magie, S. 1 – 32 zur Hervorhebung der Urkunde als Rechtstitel und der Bewertung verschiedener anderer Funktionen. Vgl. auch Kölzer, Diplomatik, S. 24; ders., Solemni donatione, S. 84. Anders argumentiert Koziol, Politics, S. 39, der zwar nicht die rechtlichen bzw. administrativen Aspekte der Urkunden verneint, aber die Urkunden vor allem als „strategically manipulable instruments of politics“, „always as part of the politics that created networks of allies and clients or redefined their relationships“ erachtet; vgl. kritisch dazu Fees, Rezension zu Koziol, Politics, S. 238. 267 Vgl. Kölzer, Solemni donatione, bes. S. 72. 268 D Lo. I. 67, S. 179 f. 269 Scharer, Stimme, S. 13 – 21 versucht besonders an einer Urkunde Karls des Kahlen für das Marienstift in Aachen zu zeigen, dass nicht nur der Wille des Herrschers, sondern auch sein Wort zu vernehmen sei. Zur Diskussion mit einem Forschungsüberblick vgl. Wolfram, Diplomatik, bes. S. 250 ff. Vgl. zum Einfluss der Umgebung Groten, Arengen, bes. S. 51 f.; Zwierlein, Studien, S. 2 f., die in ihrer Untersuchung der Arengen Ludwigs des Frommen davon ausgeht, dass die Arengen die Auffassungen des Kaisers und seines unmittelbaren Umfeldes wiedergeben, zeigt ebd., S. 369 – 381, an konkreten Beispielen die Spiegelung der eigenen Ansichten Ludwigs des Frommen und der seiner Zeitgenossen in den Arengen. Ubl, Stimme, S. 60 – 66 plädiert für die „Beteiligung an den Formulierungen“ der Urkunden in mehren Fällen durch Ludwig den Frommen selbst. 270 Vgl. zu diesem Aspekt Kölzer, Diplomatik, S. 15 – 18, der im Zusammenhang mit neuen Forschungen über Papst- und Herrscherurkunden schließt, dass die Urkunden „nicht mehr nur ausschließlich als herrscherliche Selbstaussagen gelten“. Vgl. auch ders., Ludwig, S. 23 f. und ders., Edition, S. 19 zu Beispielen unter Ludwig dem Frommen. Vgl. schon Groten, Arengen, S. 57, der mit Blick auf Kaiser Heinrichs IV. Urkunden den Zeitgeist in manchen Arengen gespiegelt sieht.
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Empfängerausfertigungen 271. Th. Schieffer konnte unter Lothars Urkunden ebenfalls Empfängerausfertigungen wahrscheinlich machen, wenn auch nur wenige 272. Doch bleibt das, was R. Schieffer über Urkunden und andere Dokumente, die im Namen Karls des Großen verfasst worden sind, bemerkt hat, nämlich dass „[n]ichts dafür [spricht], daß sich seine ‚Ghostwriter‘ dauerhaft und grundsätzlich von den Bahnen seines Denkens hätten entfernen können oder daß einer seiner Berater ihn seinem exklusiven Einfluß zu unterwerfen vermochten hätte“, auch für Lothar plausibel 273. Privaturkunden und Placita Privaturkunden und Placita, die entweder im Original oder in Abschrift in Tradi tionsbüchern oder Chartularen 274 erhalten sind, sind vor allem aufgrund ihrer Datierung von Interesse. Die Nennung Lothars und seiner Herrscherjahre in der Datierung der Urkunden wurde von der Forschung als wichtige Quelle für das bayerische Unterkönigtum Lothars herangezogen 275. Problematisch erweist sich dabei, dass von den Traditionsbüchern, in denen die Urkunden in d iesem geographischen Bereich überliefert sind, nur das aus Freising die Königsjahre Lothars verzeichnet 276. Mit Blick auf Lothars Herrschaft in Italien gilt es weiterhin zu klären, inwieweit die sogenannte Vulgärepoche in italienischen Placita und Urkunden für einen dortigen Herrschaftsbeginn Lothars schon im Jahre 820 spricht, wie J. Jarnut vermutet, d. h. nicht erst 822. Dazu wird noch einmal genauer auf die Privaturkunden und Placita einzugehen sein 277. In der Zeit der Auseinandersetzung mit seinem Vater und später mit seinen Brüdern sowie auch während seiner eigenständigen Regierung bieten die Datierungen von Privaturkunden ebenfalls interessante Einblicke, werfen aber auch Fragen auf, die es zu beantworten gilt 278. Kapitularien und Synodalbeschlüsse Weltliche und kirchliche Erlasse, die Festsetzung von Normen also, sind wichtige Quellen für das, was der König bzw. Kaiser und die weltlichen und geistlichen 2 71 Vgl. Eichler, Kanzleinotare, S. 42; Kölzer, Edition, S. 19. 272 Schieffer, Urkunden Lothars, S. 49. Vgl. Screen, Italy, S. 232 f., Anm. 11. 273 Schieffer, Karl Intentionen, S. 5. 274 Zur Begrifflichkeit vgl. Kölzer, Codex, S. 622 ff. 275 Vgl. dazu schon Eiten, Unterkönigtum, S. 60. 276 Vgl. unten Kap. 2.2. 277 Jarnut, Ludwig, S. 350 ff. Vgl. unten Kap. 2.4.3. 278 Vgl. unten passim Kap. 3, 4 und 5.
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Großen als wichtig und richtig für die Gesellschaft erkannten. Zwar trifft zu, dass Gesetze die Gesellschaft so darstellen, wie sie sein sollte, weniger wie sie ist, doch reagieren die Verordnungen auf die Verhältnisse ihrer Zeit 279. Erlasse und Verträge in Kapitularienform Unter den Kapitularien subsumieren sich bekannterweise die „von den fränkischen Herrschern (Kaiser, Königen, Hausmeiern) ausgehenden, meist in Kapitel gegliederte – daher der Name – Erlasse, Verordnungen und Verlautbarungen von gesetzgeberischem, administrativem, religiös-belehrendem Charakter“ 280. Die in dieser Definition schon anklingende inhaltliche und formale Vielfalt der Kapitularien findet sich auch zu Lothars Zeit. So zählen dazu, um nur einige Beispiele zu nennen, die Ordinatio imperii (817) und die Constitutio Romana (824), das Capitu lare Olonnense (823) und die Memoria Olonnae comitibus data (823), aber auch die Capitula de expeditione Corsica (825) und die Capitula de expeditione contra Sarace nos (847) und die Kapitularien, w elche auf den Brüdertreffen wie in Meerssen 851 beschlossen wurden 281. Da die Kapitularien in Kopie, oft in rechtlichen Sammelhandschriften, überliefert sind, ist ihre ursprüngliche Form, ihr jeweiliger Umfang, nicht immer eindeutig zu klären 282. So ist auch die Zuschreibung mancher Erlasse nicht mehr eindeutig, in manchen Sammlungen werden Kapitularien schlicht dem falschen
2 79 Vgl. Geiselhart, Kapitulariengesetzgebung, S. 4. 280 Mordek, Fränkische Kapitularien, S. 1 f. In Abgrenzung zu anderen ähnlichen Erlassen, wie den Capitula episcoporum, vgl. ebd. sowie Mordek, Karolingische Kapitularien, S. 27 mit der Bezeichnung capitula regia für Herrschererlasse, vgl. Buck, Admonitio, S. 31; Patzold, Normen, S. 332 f. Vgl. zur formalen und inhaltlichen Vielfalt Mordek, Karolingische Kapitularien, bes. S. 27 – 40; Mordek, Fränkische Kapitularien, bes. S. 8 – 29; Buck, Admonitio, S. 31; Mischke, Kapitularienrecht, S. 21 f. 281 MGH Capit. 1, Nr. 136, S. 270 – 273; Nr. 161, S. 322 – 324; Nr. 157, S. 316 – 317; Nr. 158, S. 317 – 320; Nr. 162, S. 324 – 325; MGH Capit. 2, Nr. 203, S. 65 – 68 (= MGH Conc. 3, Nr. 12, S. 133 – 139); Nr. 205, S. 72 – 74. 282 Vgl. Mordek, Bibliotheca, mit einer umfassenden Auflistung auch der für Lothars Kapitularien wichtigen Handschriften sowie Geiselhart, Kapitulariengesetzgebung, S. 17 – 46. Vgl. Patzold, Normen, S. 334 ff. mit konkreten Beispielen zu den mit der Überlieferung verbundenen Problemen; diese Probleme werden in der Edition von A. Boretius und V. Krause oftmals nicht genügend sichtbar. Vgl. Mischke, Kapitularienrecht, S. 17 ff. zusammenfassend zur Diskussion, w elche Rolle Mündlichkeit und Schriftlichkeit bei „Herstellung“ und Verbreitung der Kapitularien gespielt hat. Sie kommt zu dem Schluss, dass seit Ludwig dem Frommen die Schriftlichkeit immer wichtiger geworden sei und die Kapitularien nun meist sehr genaue Angaben enthalten haben, im Gegensatz zur Zeit Karls des Großen, wo die oft sehr knappen Angaben geradezu mündliche Ergänzungen gefordert hätten.
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Herrscher zugeordnet 283. Dennoch sind mehrere von Lothar erlassene Kapitularien sicher bezeugt. Hier sind besonders seine italienischen Kapitularien hervorzuheben, die in der Tradition der für diesen Reichsteil gesondert erlassenen Bestimmungen seit dessen Eroberung stehen 284. Die Kapitularien umfassen weltliche ebenso wie kirchliche Belange; eine syste matische Scheidung ist kaum möglich 285. Viele weitere Fragen und Probleme sind an die Kapitularien geknüpft: Sei es, wer im Einzelnen an ihnen mitwirkte, in welchen Rahmen sie entstanden sind und wie sie verbreitet wurden und w elche rechtliche Bedeutung sie hatten. In ihrer Interpretation, „die in den Kapitularien den Versuch der karolingischen Herrscher sieht, in Zusammenarbeit mit den Großen auf die unterschiedlichen Verhältnisse im fränkische Reich zu reagieren“, fasst A. Stieldorf zusammen, was als Minimalkonsens der Forschung gelten kann 286. Dabei konnten Kapitularien einen regelrecht programmatischen Charakter annehmen, wie beispielsweise die Admonitio generalis Karls des Großen oder die Admonitio ad omnes regni ordines Ludwigs des Frommen zeigen 287. Welche Rolle Kapitularien in Lothars Regierung gespielt haben, auf welche Bereiche sie sich bezogen und inwieweit er sich in diesen Erlassen an seinen Vorgängern orientierte, sind Fragen, die uns beschäftigen werden. Synoden und ihre Beschlüsse Kapitularien sind oft im Zusammenhang mit Reichsversammlungen, nachdem sie teilweise vorher im kleinen Kreis beraten worden waren, zustande gekommen 288. 283 Vgl. für Beispiele bei Lothar Geiselhart, Kapitulariengesetzgebung, S. 201 – 226; vgl. Geiselhart, ebd., S. 65 zu einzelnen Kapiteln, deren Zugehörigkeit zum Beispiel zur Memoria Olonnae comitibus data fraglich sind, vgl. Geiselhart, ebd., S. 250 noch zur (vermutlich) falschen Zuschreibung von Kapitularien anderer Herrscher zu Lothar. 284 Vgl. Geiselhart, Kapitulariengesetzgebung, S. 2 f. 285 Vgl. Eichler, Reichsversammlungen, S. 31. Der Versuch des Abtes Ansegis, in seiner Kapitulariensammlung zwischen den geistlichen und weltlichen Angelegenheiten zu scheiden, gelingt nicht immer, vgl. mit Beispielen Schmitz, Das Werk, S. 18 f. Vgl. auch Mischke, Kapitularienrecht, S. 22. 286 Stieldorf, Begriffe, S. 65; vgl. Mischke, Kapitularienrecht, S. 22 f. und insgesamt zu den einzelnen Problematiken ebd., S. 8 – 23; vgl. auch dies., Kapitularienrecht Beispiel, S. 102. 287 Admonitio generalis, S. 180 – 239. Vgl. Mordek, Fränkische Kapitularien, S. 14 f., der von einem Grundsatzprogramm spricht; Buck, Admonitio, passim; Schieffer, Karl Intentionen, S. 10 f. MGH Capit. 1, Nr. 150, S. 303 – 307. Vgl. Schmitz, Kapitulariengesetzgebung, S. 503; Guillot, Ordinatio. 288 Vgl. Mordek, Fränkische Kapitularien, S. 5. Zu den Memoranden, oder nach einem Stück Ludwigs des Frommen auch Capitula adhuc conferenda genannt, die sich wie „Tagesordnungspunkte“ für die Behandlung auf zukünftigen Treffen lesen, vgl. Mordek, Schriftlichkeit, S. 311; Patzold, Normen, S. 343, Anm. 61, der auch an die Bemerkungen
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Auch konnten auf solchen Versammlungen Synodalbeschlüsse beraten werden. In Yütz tagte 844 parallel zum Treffen Lothars, Ludwigs und Karls eine Synode unter Vorsitz des Bischofs Drogo von Metz. Die hier beschlossenen Kanones wurden den Brüdern und deren fideles vorgelegt und von ihnen bestätigt 289. Synoden sind insgesamt von Interesse, besonders dann, wenn sie von den Königen und Kaisern selbst einberufen und mit Vorgaben über die zu behandelnden Th emen ausgestattet wurden, wie dies 828/829 auf Geheiß Ludwigs des Frommen und Lothars geschah 290 oder als Lothar 855 eine Synode nach Valence berief, die u. a. das Reizthema der Prädestinationslehre Gottschalks von Orbais beriet 291. Insgesamt zeigt sich eine Vielzahl von Problemen, die mit den Quellen verbunden sind, dennoch ermöglichen uns die einzelnen Quellen bei einer kritischen Betrachtung und ihrem gegenseitigen Vergleich eine Annäherung an die damaligen Geschehnisse. Die Frage nach Lothars Anteil an diesen ist nun zu stellen.
Hinkmars, De ordine palatii, c. 7, S. 90/92 erinnert. McKitterick, Charlemagne, S. 229 f. stellt aber heraus, dass oftmals der Entstehungshintergrund einzelner Kapitularientexte nicht gesichert ist. 289 MGH Conc. 3, Nr. 6, S. 27 – 35. Vgl. Hartmann, Synoden, S. 199 ff. Vgl. in diesem Zusammenhang zum Problem der Scheidung von Synoden (auf Reichsebene) und Reichsversammlungen besonders für die Zeit Ludwigs des Frommen Eichler, Reichsversammlungen, S. 29 – 38. 2 90 MGH Conc. 2,2, Nr. 50, S. 596 – 680. Vgl. Hartmann, Synoden, S. 179 – 187. 291 MGH Conc. 3, Nr. 33, S. 347 – 365.
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2.1 Lothars Geburt, Kindheit und Erziehung Wie bei den meisten karolingischen Herrschern ist das genaue Geburtsdatum Lothars unbekannt, was aber das Ereignis der Geburt des ersten legitimen Erbens Ludwigs des Frommen nicht als unwichtig für die Zeitgenossen erscheinen lassen sollte 1. Die wenigen Angaben, die über Lothars Kindheit und Erziehung gemacht werden können, sind meist späteren Zeugnissen entnommen oder müssen indirekt erschlossen werden. Das Gewicht der meisten Quellen liegt in dieser Phase von Lothars Leben noch auf dem Gesamtherrscher Karl dem Großen 2. So ist es nicht verwunderlich, dass die Annales regni Francorum zum Beispiel keine Notiz von den frühen Jahren des ersten Sohnes des Unterkönigs von Aquitanien nehmen. Auch den über die aquitanischen Verhältnisse durch einen Augenzeugen informierten Astronomus interessierten nur die Taten Ludwigs des Frommen. So wissen wir allein durch die Aussage der Grabinschrift des Erzbischofs Hrabanus Maurus von Mainz, dass Lothar gerade 60 Jahre alt war, als Lothar am 29. September verstarb; da andere Quellen seinen Tod im Jahr 855 anzeigen, ist das Jahr 795 als Geburtsjahr sehr wahrscheinlich 3. Lothar ging aus der Verbindung Ludwigs des Frommen mit Irmingard hervor 4. Offensichtlich wurde er geboren, noch bevor Ludwig und Irmingard die 1 Vgl. Hartmann, Ludwig, S. 24 mit Anm. 30; Goldberg, Struggle, S. 26 f. Dass die Geburt eines Sohnes, also eines Erben, durchaus wichtig war und sozusagen zukunftsweisend, ist anzunehmen, vgl. Schieffer, Väter, S. 155 f. und Kasten, Königssöhne, S. 238. Allerdings muss hier ergänzt werden, dass Lothar zum Zeitpunkt seiner Geburt eben noch nicht unbedingt als zukünftiger Erbe betrachtet worden sein muss, da die Verbindung zwischen Ludwig und Irmingard erst später in eine Ehe mündete; vgl. das Folgende. 2 Vgl. zur Zentrierung von Historiographie auf den Herrscher allgemein Goetz, Erwartungen, S. 473. 3 MGH Poet. 2, Nr. 91, S. 241: Nam bis trecenos monachus sic attigit annos,/ Et se mutavit, ac bene post obiit./ III. Cal. Octb. Vgl. zum Todesjahr u. a. Annales Fuldenses a. 855, S. 46, hier findet sich ebenfalls die Angabe III. Kal. Octob., und Annales Bertiniani a. 855, S. 71. 4 Thegan, Gesta, c. 4, S. 180 zu den Kindern aus dieser Ehe. Ludwig der Fromme hatte schon aus einer oder vielleicht zwei vorherigen Verbindungen eine Tochter, Alpais, und einen Sohn, Arnulf. Alpais wurde mit Bego verheiratet, den Ludwig als Grafen von Paris einsetzte, er starb aber schon 816 und Arnulf erhielt die Grafschaft von Sens. Vgl. hierzu Schieffer, Karolinger, S. 112, 114, 252. Die M utter bzw. die Mütter der beiden sind nicht weiter bekannt. Bei Arnulf wird die M utter als concubina im Chronicon Moissiacense, S. 138 und im Chronicon Anianense, S. 138 bezeichnet. Vgl. zu den beiden „Chroniken“,
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Ehe schlossen 5. Irmingard war eine Tochter des noblissimi ducis Ingrammi, qui erat filius fratris Hruotgangi sancti pontificis 6; zwar findet der Vater Irmingards nur bei Thegan und beim Astronomus Erwähnung, aber beide weisen eindeutig auf die edle Herkunft hin – stammte er doch aus dem Geschlecht des Chrodegang von Metz. Beide betonen, dass Ludwig Irmingard auf den Rat der Seinigen hin heiratete 7. Dabei darf aber der allgemein übliche Einfluss bzw. die Wahl des Vaters bei der Verheiratung seines Sohnes nicht unterschätzt werden. Thegan bemerkt dann auch weiter, dass Ludwig Irmingard mit Zustimmung Karls des Großen zur Königin erhob 8. Da Ludwig zum Zeitpunk der Geburt seines ältesten Sohnes, wie gerade erwähnt, Unterkönig in Aquitanien war, liegt es nahe, dass Lothar dort in einer der königlichen Pfalzen geboren wurde. Ludwig selbst war in Chasseneuil in Aquitanien geboren worden, doch kommen auch andere Orte in Frage 9. Über die Gründe der
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die auf ein älteres, verlorenes Annalenwerk aus dem Kloster Aniane zurückgehen, wobei die Handschrift des sogenannten Chronicon Moissiacences die Vorlage zumeist am besten repräsentiert, Kettemann, Subsidia, S. 40. Vgl. zum Konkubinat in karolingischer Zeit Esmyol, Geliebte, zusammenfassend S. 246 f. und zu Ludwigs Beispiel S. 152 f. Vgl. auch Hartmann, Concubina, S. 562; dies., Einhard, S. 10. Da die Ehe erst 797/798 geschlossen, Lothar aber wohl schon 795 geboren wurde, muss bereits vorher eine Verbindung bestanden haben. Vgl. Thegan, Gesta, c. 4, S. 178/180, 181, Anm. 23 sowie Astronomus, Vita, c. 8, S. 306/308, 307, Anm. 11, 308, Anm. 117 zum Zeitpunkt der Heirat. Vgl. Hartmann, Concubina, S. 563; dies., Einhard, S. 9 f. Zur Ehe allgemein und auch zur schwierigen Frage der Abgrenzung zu anderen Verbindungen vgl. Dohmen, Ursache, S. 36 – 34. Vgl. f. Anm. Thegan, Gesta, c. 4, S. 178/180; Astronomus, Vita, c. 8, S. 306/308. Vgl. Schieffer, Karolinger, S. 114; vgl. zur Familie Werner, Adelsfamilien, S. 119, Anm. 133 f.; vgl. ders., Raum, S. 197 – 202 zu Chrodegang und dessen einflussreicher Stellung sowie Ingrams Stellung und seine Kritik in Bezug auf ein Verwandtschaftsverhältnis mit Angilram von Metz. Thegan, Gesta, c. 4, S. 180. Hartmann, Königin, S. 143 geht gar davon aus, dass die Heirat gewollt war, um Ludwig dem regionalen Adel zu entziehen. Astronomus, Vita, cc. 2, S. 286 und 3, S. 280/282. Vgl. Boshof, Ludwig, S. 23. Die genannte Pfalz ist als eine von vier Pfalzen neben Doué, Angeac und Ebreuil bezeugt, die dieser abwechselnd alle vier Jahre zur Sicherstellung der ausreichenden Versorgung, oder wie der Astronomus, Vita, c. 7, S. 304 es ausdrückt, aus Mildtätigkeit besuchen sollte. Vgl. Boshof, Ludwig, S. 56 f. Folgt man dem Wortlaut des Epitaphs (vgl. oben Anm. 3) genau, könnte man auf eine Geburt im Sommer schließen, da Lothar gerade 60 war, als er Ende September starb. Daher würden diese Pfalzen nicht als Geburtsort in Frage kommen, falls die Regelung tatsächlich genau eingehalten wurde. Am 7. April 808 ist eine Urkunde Ludwigs des Frommen in Chasseneuil ausgestellt (D LdF. 4, S. 12 ff.), was darauf hindeutet, dass er dort den Winter verbracht hat. In Doué hatte Ludwig noch für Februar 814 eine Versammlung einberufen, als ihn die Nachricht des Todes Karls des Großen erreichte, wie
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Namenswahl, die auf den merowingischen Königsnamen (C)hlothar fiel, auf den auch der früh verstorbene Zwillingsbruder Ludwigs des Frommen getauft worden war, ist nichts weiter bekannt 10. Seine infantia und pueritia sowie Teile seiner ado lescentia wird Lothar in Aquitanien verbracht haben, wo er sich zumindest bis 814, als Ludwig die Gesamtherrschaft im Frankenreich übernahm, zum größten Teil aufgehalten haben dürfte 11. B. Kasten hat in ihrer Betrachtung über fränkische Königssöhne einige wichtige Punkte zusammengestellt, die zur Erziehung und Ausbildung von Königssöhnen und adligen Kindern gehört haben dürften 12. Dabei sind zwei wesentliche Bereiche zu nennen, die schlagwortartig von Einhard in seiner Vita Karls des Großen hervorgehoben worden sind: zum einem das Studium der septem artes liberales (auch als studia liberalia bezeichnet) und zum anderen die Beschäftigung mit Reiten, Waffen und der Jagd 13. Sowohl die geistige als auch die körperliche Erziehung waren von besonderer Wichtigkeit für die Königssöhne 14. Zwar wird man sich in Zeiten, wo das Bemühen um Bildung, correctio und emendatio einen großen Stellenwert besaß, mit Sorgfalt der Erziehung königlicher Söhne gewidmet haben, jedoch sollte das Ausmaß, vor allem was das Studium der Freien Künste angeht, nicht überschätzt werden 15. Schon J. Nelson und E. Boshof, dann auch W. Hartmann und E. G oldberg rmoldus Nigellus, In honorem Hludowici II, V. 744 – 753, S. 58, überliefert. Vgl. ebd. die E stark stilisierten Beschreibungen des Ortes als sehr fruchtbar mit einem schönen Pfalz gebäude und einem Wald, der zur Jagd einlud. Vgl. Boshof, Ludwig, S. 59, 91. Daneben ist noch Jouac (Le Palais) als Pfalz in Aquitanien zu nennen, vgl. Boshof, Ludwig, S. 61, 190. Vgl. auch Martindale, Kingdom, S. 154 – 158. 10 Zur „politischen“ Entscheidung Karls des Großen, die Zwillinge auf die Namen C hlodwig/ Ludwig und Chlothar/Lothar zu taufen, und zum frühen Tod Lothars vgl. Jarnut, Chlodwig und Chlothar. Vgl. D Lo. I. 80, S. 200 für Saint-Denis, in der Lothar dem gleichnamigen König Chlothar gedenkt. Vgl. Becher, Merowinger, S. 74. 11 Vgl. Boshof, Lothar, S. 12. Beispielsweise Isidor, Etymologiarum XI, c. 2,1 – 6 und auch Hrabanus Maurus, De rerum naturis VII, Sp. 179 ff. unterscheiden die infantia, die bis ins siebte, die pueritia, die bis ins fünfzehnte und die adolescentia, die bis ins achtundzwanzigste Lebensjahr dauerte. Vgl. Arnold, Kind, S. 18 f.; Offergeld, Reges, S. 11; Salten, Vasallität, S. 169, die alle auf die unterschiedlichen Einteilungen und Bezeichnung der Altersabschnitte genauer eingehen. 12 Kasten, Königssöhne, S. 238 – 244. 13 Einhard, Vita, c. 19, S. 23: Liberos suos ita censuit instituendos, ut tam filii quam filiae primo liberalibus studiis, quibus et ipse operam dabat, erudirentur. Tum filios, cum primum aetas patiebatur, more Francorum equitare, armis ac venatibus exerceri fecit. 14 Vgl. zur körperlichen Erziehung Schieffer, Väter, S. 157; Scharff, Kämpfe, S. 124 – 128, der die Wichtigkeit der Jagd betont, vgl. zur Jagd in Aquitanien Martindale, Kingdom, S. 154 – 158. 15 Zu Bemühungen um Bildung, correctio und emendatio sowie den damit verbundenen Fragen und Problemen vgl. Laudage, Aufbruch, S. 91 – 145, bes. S. 106 – 128; Contreni,
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haben sich in ihren biographischen Betrachtungen Karls des Kahlen, Ludwigs des Frommen und Ludwigs des Deutschen ebenfalls mit der Frage der Bildung und Erziehung auseinandergesetzt. Dabei kommen sie zu vergleichbaren Ergebnissen 16. Richtig dürfte sein, dass Vieles bei der Königserziehung ähnlich verlaufen sein wird, nimmt man allein die Brüder Lothar, Ludwig und Karl als Beispiele. Jedoch ist bei den Verallgemeinerungen einzelner Belege Vorsicht geboten. Inhalte bzw. Schwerpunkte des Unterrichtes dürften oft von den jeweiligen Personen, die den Kindern zur Seite gestellt wurden, abhängig gewesen sein 17. P. Riché vermutet sowohl Clemens Scottus als auch Einhard als Lothars Lehrer 18. Der Ire Clemens scheint schon bei Karl dem Großen als Lehrer tätig gewesen zu sein, wenn wir Notkers Bericht vom Ende des 9. Jahrhunderts glauben dürfen 19. In einem Katalog der Äbte von Fulda wird berichtet, dass der Abt Ratgar (802 – 817) modestum cum aliis ad Clementem Scottum grammaticam studendi [dixerit]20. Schließlich wird Clemens eine Grammatik in Dialogform
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Renaissance, S. 709 – 757; McKitterick, History, S. 242 f. Vgl. Schieffer, Väter, S. 157 f.; Kasten, Königssöhne, S. 242, Anm. 164 zur Intensität der Ausbildung. Nelson, Charles, S. 82 – 85; Boshof, Ludwig, S. 26 f.; Hartmann, Ludwig, S. 212 – 217; Goldberg, Struggle, S. 32 – 44. Vielfach wird durch indirekte Belege, wie der späteren Beschäftigung mit religiösen Texten und dem Besitz von bestimmten Büchern, versucht, die Ausbildungsinhalte der Königssöhne nachzuvollziehen. Nelson, Charles, S. 85 sieht zum Beispiel den Einfluss Walahfrids auf Karl, „his [Charles’] taste for poetry too reflects his tutor’s [Walahfrid’s] skill“. Skeptisch auf Grund der Quellen lage äußern sich Fees, Walahfrid und Koch, Judith, S. 71, bes. Anm. 103, S. 95, bes. Anm. 302 zu Walahfrids Position als Lehrer. Vgl. Booker, Prologue, S. 83, der diese Bedenken nicht teilt. Riché, Écoles, S. 77, er gibt allerdings keine Quellenangaben. Notker, Gesta I, cc. 1 – 3, S. 1 – 5. Hier wird über die Ankunft im Frankenreich, Aufnahme durch Karl den Großen und Lehrtätigkeit Clemens berichtet. Vgl. zu Clemens u. a. Manitius, Geschichte, S. 456 ff.; Riché, Irlandais, S. 739; Spilling, Handschriftenüberlieferung, bes. S. 877 – 879, Silagi, Clemens Scottus, Sp. 2149; Depreux, Prosopographie, S. 155 f. Er wird in einer Würzburger Handschrift M. p.th. f.49, f. 13v (Martyrologium Bedae mit nekrologischen und historischen Nachträgen), als magister palatinus benannt; der Eintrag wurde von einer Hand des 9. Jahrhunderts vorgenommen. Die Handschrift ist abrufbar unter . Vgl. zur Handschrift Thurn, Pergamenthandschriften, S. b38; vgl. zum Eintrag Dümmler, Miscellen, S. 116. Sämtliche Onlineangebote wurden am 15. 06. 2016 zuletzt abgerufen, im Weiteren wird nicht mehr eigens darauf verwiesen. Gesta Abbatum, S. 212. Vgl. ebd., S. 205 ff. zu dieser List der Äbte, die im 10. Jahrhundert niedergeschrieben wurde. Auch Ermoldus Nigellus, In honorem Hlodowici IV, V. 2284 f., S. 174, erwähnt Clemens anlässlich der Taufe des Dänenkönigs Harald 826. Die Verspottung eines „Schotten“ in einem Gedicht Theodulfs von Orléans (MGH Poet. 1, Nr. 25, S. 483 – 489, V. 160 – 174 und V. 214 – 234) ist allerdings nicht auf Clemens, sondern wohl
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zugewiesen, die zusammen mit einem Gedicht überliefert ist, das als Widmungsgedicht dieser Grammatik gelten kann 21. Hier rät ein Clemens dem caesar Lothar ein lebenslanges Lernen. Er hätte ihm nur wenig zu lesen gegeben, den Rest für das selbstständige Studium vorgesehen, denn der Geist wachse wie der Körper allmählich 22. B. Bischoff sieht trotz der „Unklarheit der Überlieferung“ die Grammatik mit unverkennbar irischem Charakter als Werk Clemens’ an 23. Es scheint sich also bei der Person des Clemens Scottus tatsächlich um einen Lehrer Lothars zu handeln, der besonders gewandt in der ersten der Sieben Freien Künste gewesen ist, dabei aber auch dichterische Fähigkeiten besaß und die Bedeutung des weiteren Studiums der Weisheit der Alten Lothar empfahl 24. Wann das Gedicht geschrieben wurde, ist nicht genau zu klären, jedoch deutet die Ansprache Lothars mit caesar auf eine Verfassung nach der Mitkaisererhebung hin 25. Vielleicht verabschiedete sich damals der alte Lehrer mit dem Geschenk der Grammatik und ein neuer „Mentor“ 26 trat an seine Stelle, denn 817, als Ludwig der Fromme Lothar zum Mitkaiser erhob, wurde Einhard, wie er selbst bezeugt, dazu bestimmt, Lothar beizustehen: […] postquam vos in societatem nominis et regni consensu totius populi adsumpsit meaeque parvitati precepit, ut vestri curam gererem ac vos de moribus corrigendis et honestis atque utilibus sectandis sedulo
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auf einen anderen Iren, nämlich Cadac-Andreas, zu beziehen. Vgl. Bischoff, Theodulf, S. 92 – 98. Dahingegen scheint MGH Poet. 1, Nr. 79, V. 55 f., S. 580, ihn zu meinen. Vgl. Spilling, Handschriftenüberlieferung, S. 878, allerdings ist das Gedicht wohl nicht von Theodulf verfasst, vgl. Schaller, Untersuchungen (Dissertation), S. 148; Schaller, Untersuchungen, S. 28; Riché, Irlandais, S. 739. Clemens, Ars Grammatica. Vgl. ebd. die Einleitung, bes. S. VI-X zu den der Edition zugrundeliegenden Handschriften, der Zuschreibung zu Clemens und dem Widmungs gedicht. Vgl. auch Manitius, Geschichte, S. 457 zu einer weiteren Widmung in Abkürzung am Ende der eigentlichen Ars, die mit Clemens grammaticus principi augustissimo Hlothario filio domni Hludowici imperatoris aufgelöst werden kann. MGH Poet. 2, Nr. 24, S. 670. Vgl. zu dem Gedicht Simson, Ludwig, Bd. 2, S. 258; Spilling, Handschriften, S. 878. Bischoff, Einteilung, S. 280. Vgl. Bischoff, Bibliothek, S. 218 zum Stellenwert bzw. zur Bearbeitung der Grammatik bei den irischen Gelehrten. Simson, Ludwig, Bd. 2, S. 258 spricht von „anmuthigen Distichen“. Vgl. MGH Poet. 2, Nr. 24, V. 4, S. 670 über das weitere Studium Lothars. Simson, Ludwig, Bd. 2, S. 257, Anm. 1, betont, dass es nach 817 entstanden sei. Godman, Poets, S. 167, glaubt, es sei wahrscheinlich in Lothars „boyhood or youth“ geschrieben worden. Boshof, Lothar, S. 12 benutzt diesen wohl am besten passenden Ausdruck für Einhards Aufgabe. Vgl. schon Schefers, Lebensbild, S. 12 mit Anm. 57. Patzold, Ich, S. 154 geht nicht näher darauf ein; Einhards Aufgabe sei es gewesen, „den jungen K aiser zu beraten und zu bilden“, vgl. ebd., S. 223.
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commonerem 27. Der Brief – zu Beginn des ersten Aufstandes gegen Ludwig den Frommen verfasst – ist eine Ermahnung an Lothar, sich gehorsam gegenüber dem Vater zu verhalten und nicht den Überzeugungen Anderer, die nur ihre eigenen Interessen im Sinn hätten, zu folgen 28. In für seine Zeit üblicher Weise unterstreicht Einhard seine Botschaft mit einem anschaulichen Bibelzitat und mit der Autorität der Kirchenväter 29. Lothar zeigte sich später immer wieder interessiert an theologischen Fragen und bat beispielsweise Hrabanus Maurus und Angelomus von Luxeuil um Auslegungen von Bibelstellen und theologischen Schriften 30. Hier sind sich die Söhne Ludwigs des Frommen durchaus ähnlich 31, und dass dies erheblich mit ihrer Erziehung und Ausbildung zusammenhängt, darf man wohl als gegeben sehen. Mit Einhard hatte Lothar eine schon zu Karls Zeiten wichtige Persönlichkeit zur Seite gestellt bekommen. Der vor allem als Vitenschreiber Karls des Großen bekannte Einhard verfügte über ein weites Spektrum an Wissen und Gelehrsamkeit und hatte durch seinen langjährigen Dienst für K aiser Karl und dann Ludwig Erfahrung mit dem Leben am Hof 32.
27 MGH Epp. 5, Nr. 11, S. 114. Vgl. dazu u. a. Kasten, Königssöhne, S. 243, Anm. 167. Da der Wortlaut auf die Mitkaisererhebung hindeutet, ist mit BM ² 1014e 817 als Beginn dieser Tätigkeit auszugehen, vgl. Simson, Ludwig, Bd. 2, S. 103. Die Annahme Boshofs, Lothar, S. 12, mit Anm. 13, dass Einhard schon 814, als Lothar in Bayern eingesetzt wurde, diesem als Mentor diente, ist so kaum mit dieser Stelle zu belegen. Vgl. Fleckenstein, Einhard, Sp. 1738, den Boshof ebenfalls zitiert; dieser sieht aber auch 817 als den Zeitpunkt, zu dem Einhard Lothar als Berater zur Seite gestellt wurde. Es wird nichts Genaues über die Personen, die Lothar nach Bayern begleitet haben, in den Quellen berichtet, vgl. unten Kap. 2.2. 28 Vgl. unten Kap. 3.1.1 zu den Umständen und zur Frage, inwieweit Einhard hier freiwillig schrieb. 29 MGH Epp. 5, Nr. 11, S. 115, V. 15 – 18 und V. 21 – 23. 30 Vgl. Boshof, Lothar, S. 53 f.; unten Kap. 5.3.3.3 und 5.4.2.2. 31 Vgl. Nelson, Charles, S. 82 – 85; Boshof, Ludwig, S. 26 f.; Hartmann, Ludwig, S. 212 – 217; Goldberg, Struggle, S. 32 – 44. 32 Einhard wurde um 770 in Mainfranken geboren und stammte aus adliger Familie. Er wurde im Kloster Fulda erzogen und wohl auf Grund seines großen Talentes von Abt Baugulf an den Hof Karls des Großen geschickt. Dort war er anscheinend für die Aufsicht bzw. eigene Fertigung von „Zierkunst“ zuständig, auch ist er als Schreiber von kaiserlichen Briefen fassbar und er wurde mit Gesandtschaften betraut. Sein Wissen und poetisches Geschick wird dann auch von Zeitgenossen wie Modoin von Autun, Theodulf von Orléans und Lupus von Ferrières mehrfach gerühmt. Vgl. zu Einhard, dessen Leben besonders durch den eigenen Briefwechsel, seine Werke sowie Gedichte und den Prolog Walahfrid Strabos zur Vita Karoli erhellt wird, Schefers, Lebensbild, S. 1 – 67; Depreux, Prosopographie, S. 177 – 182, des Weiteren die einzelnen Beiträge im Tagungsband Einhard. Studien; Dutton, Einhard, S. XI – XLI . Zur Bewertung seiner letzten Jahre vgl.
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Letztlich war die Erziehung zum richtigen Verhalten in dieser Umgebung für den jungen K aiser von besonderer Wichtigkeit 33. Für den Bereich der körperlichen Erziehung, d. h. den Umgang mit Waffen, Reiten und Jagen, können keine Personen namentlich ausgemacht werden. Dass Lothar als Sohn Ludwigs des Frommen, dessen Jagdtätigkeit die zeitgenössischen Quellen immer wieder belegen 34, intensiv in der Jagd ausgebildet wurde, dürfte außer Frage stehen 35. So ist er einige Male als Jäger in zeitgenössischen Quellen bezeugt 36. Noch in einer Handschrift aus dem 11. Jahrhundert, die u. a. seine Kapitularien enthält, findet sich ein Bild, das ihn hoch zu Ross bei der Jagd darstellt 37. Als akiver Kämpfer wird er zum Beispiel im Klagegedicht des Angilbert über die Schlacht bei Fontenoy, als er gegen seine Brüder Karl und Ludwig um das Erbe des Vaters stritt, präsentiert 38. auch die Überlegungen von Smith, Einhard, S. 55 – 78; Ganz, Einhardus, S. 37 – 50. Vgl. zuletzt umfassend Patzold, Ich. 33 Vgl. zu diesem Aspekt Becher, Karl, S. 43. 34 Vgl. zu den vielen Zeugnissen für Ludwig als Jäger Lindner, Jagd, S. 398 f.; Rösener, Geschichte, S. 95; Zusammenstellung bei Schäpers, Ludwig, S. 81 – 86. Rösener, Geschichte, gibt zu Recht an, dass auch andere Karolinger gerne gejagt haben; vgl. Schäpers, Ludwig, S. 22; Goldberg, Louis, bes. S. 624, 642, der annimmt, dass die Betonung Ludwigs Jagdaktivitäten in den Quellen allen voran beim Astronomus eine Möglichkeit gewesen sei, Ludwigs Tapferkeit und Kraft unter Beweis zu stellen. In Zeiten, in denen sich dem Kaiser nur noch wenig Gelegenheiten geboten habe, diese Eigenschaften, die von einem guten Herrscher erwartet worden seien, zu demonstrieren, sei die Jagd ein guter Ersatz gewesen. Vgl. zur Jagd und ihrer Funktion für die karolingischen Herrscher Le Jan (Hennebicque), Espaces; Jarnut, Jagd, passim; Rösner, Geschichte, S. 94 – 104; Nelson, Ritual, bes. S. 169 ff.; Scharff, Kämpfe, S. 124 – 127; Fenske, Jagd, passim; Zotz, Beobachtungen, passim; Szabó, Kritik, passim; Giese, Aspekte, passim; Mischke, Kapitularienrecht, S. 63 – 96, die sich ausführlich zum Jagdrecht äußert. 35 Vgl. zur körperlichen Erziehung insgesamt Schieffer, Väter, S. 157. Hrabanus Maurus äußert sich in seinem Werk De procinctu Romanae miliciae, c. 4, S. 445, das er für Lothars I. Sohn Lothar II. schrieb, zur Nützlichkeit der Jagd im Hinblick auf die Schulung von kriegerischen Fähigkeiten. Vgl. zum Werk und Inhalt Goldberg, Struggle, S. 40 ff. Vgl. schon Jarnut, Jagd, S. 772 zur Jagd als Kriegsvorbereitung. Vgl. zur Jagd in Aquitanien Martindale, Kingdom, S. 154 – 158. 36 Astronomus, Vita, c. 48, S. 480; Nithard, Historiae IV, c. 4, S. 132; 142; Annales Xantenses a. 850, S. 17. 37 Vgl. Mordek, Gesetzgeber, S. 1036 f. mit Anm. 151 und Taf. XXIX (Cod. Cava de’ Tirreni, Biblioteca della Badida della SS. Trinità, 4, fol. 241r; ein Video, in dem die Handschrift „Codex Legum Langobardorum, Capitularia Regum Francorum“ beschrieben und auch die entsprechende Abbildung Lothars gezeigt wird, ist