Karolingische Staatlichkeit: Das karolingische Frankenreich als Verband der Verbände 3110641933, 9783110641936

Karolingische politische Ordnung ist, anders als das Reich der Ottonen, in der Forschung durchaus als hoch entwickelt er

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German Pages 518 [520] Year 2019

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Table of contents :
Vorwort v
Einleitung 1
Vorbemerkungen: Zur Theorie des Reiches bei Sedulius Scottus und Hinkmar von Reims 43
DIE HERRSCHERFAMILIE
1. Die Teilungen des Herrschaftsraumes 57
2. Die Aufgabe der einzelnen Teile der Herrscherfamilie 73
3. Institutionalisierte familiäre Bindungen 109
4. Die Herrscherfamilie als körperschaftlich organisierter Zusammenhang 121
KIRCHEN UND KLÖSTER
1. Grundlagen und Voraussetzungen 133
2. Kirchenorganisation im Reich der Karolinger 169
DER STAAT ALS VERBAND
1. Karolingische politische Theorie – Von der Gemeinschaft als "domus" des Herrschers zum Verband aus "res publica" und "ecclesia" 307
2. "societas societatum" – Zur Organisation des karolingischen Staates 315
Ergebnisse 449
Abkürzungen 453
Quellen und Quellensammlungen 455
Literaturverzeichnis 469
Register 501
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Karolingische Staatlichkeit: Das karolingische Frankenreich als Verband der Verbände
 3110641933, 9783110641936

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Jürgen Strothmann Karolingische Staatlichkeit

Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde

Herausgegeben von Sebastian Brather, Wilhelm Heizmann und Steffen Patzold

Band 116

Jürgen Strothmann

Karolingische Staatlichkeit Das karolingische Frankenreich als Verband der Verbände

Zugleich Habilitationsschrift, Universität Siegen, 2013.

ISBN 978-3-11-064120-2 e-ISBN (PDF) 978-3-11-064193-6 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-064190-5 ISSN 1866-7678 Library of Congress Control Number: 2019949221 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.dnb.de abrufbar © 2019 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Satz: Integra Software Services Pvt. Ltd. Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com

Vorwort Von karolingischer „Staatlichkeit“ zu reden bedeutet eine klare Positionierung in der Forschung. Dabei geht es eigentlich nur darum, die Gestalt der politischen Ordnung zu beschreiben und ihre innere Funktionsweise zu erfassen. Nun wäre es scheinbar leicht, einfach von politischer Ordnung zu reden und den Staatsbegriff komplett zu vermeiden. Das hieße aber, politische Ordnung lediglich zu konstatieren, sie aber nicht eigentlich benennen zu können. Denn das Politische an sich ist etwas, das nur im Rahmen von Staatlichkeit eigentlich bestehen kann bzw. diese unmittelbar nach sich zieht. Hätte diese Arbeit die Herrschaft der Ottonen und das Geflecht des von ihnen geführten Reiches zum Gegenstand, würde es weniger leicht fallen, das Politische zu erkennen und also von Staatlichkeit zu sprechen. Aber nach den vorliegenden Untersuchungen, die auch grundsätzlich frühmittelalterlicher politischer Ordnung gelten, müsste man auch von einer „ottonischen Staatlichkeit“ reden, nur dass diese gegenüber der Staatlichkeit des Karolingerreiches weit weniger sichtbar ist. Politische Ordnung ist der Rahmen, in der Gesellschaft ihre Geschichte findet. Und dieser Rahmen wandelt sich, wird aber meist nicht aus dem Nichts neu erschaffen. Das gilt sowohl für die mutmaßlich rudimentäre Staatlichkeit des Ottonenreiches wie auch für die politische Ordnung des Frankenreiches, das als Erbe des Römischen Reiches in Gallien gelten kann. Das geht wesentlich zurück auf die inzwischen gut begründete Grundannahme eines kontinuierlichen Wandels von der Spätantike zum frühen Mittelalter aus der römischen Welt heraus, was auch die Karolingerzeit an die Antike bindet und aus diesem langen Wandel heraus verstehbar werden lässt. Die vorliegende Arbeit fügt sich in ein entstehendes Konzept von Kontinuität und Wandel von der römischen Republik bis in das hohe Mittelalter. Nach der hier vorliegenden leicht überarbeiteten Habilitationsschrift, die im September 2012 an der Universität Siegen eingereicht wurde, aber in wesentlichen Teilen 2007 bereits vorgelegen hatte, hat sich der Autor zunächst sehr intensiv mit den sogenannten Merowingischen Monetarmünzen auseinandergesetzt, deren Verständnis nur möglich war, indem die politische Ordnung des 7. Jahrhunderts als eine nachantike Ordnung begriffen wird, in der bis zum Ende der Monetarmünzprägung um 670 das merowingische Gallien wesentlich auf die Städte als Ordnungskräfte zurückgriff. Der Versuch der Erklärung dieses Phänomens, dass politische Organismen das Römische Reich so lange überdauerten, führt nun zu einem übergreifenden Konzept von römischer und nachrömischer Staatlichkeit unter dem Schlagwort „Unsichtbares Römisches Reich“. Aus diesem Blick und der Wahrnehmung grundlegender Veränderung im politischen System mit dem Ende der Karolingerreiche (trotz wesentlicher Kontinuitäten im Prinzipiellen) heraus kann der Autor nicht anders als die karolingische Ordnung als einen vormodernen Staat aufzufassen, der neben modernen mittelalterlichen Elementen eben noch über ehemals antike Verwaltungstechniken und Ressourcen verfügt. https://doi.org/10.1515/9783110641936-202

VI

Vorwort

Die vorliegende Arbeit ist im Laufe von insgesamt nun 20 Jahren entstanden. In dieser Zeit sind die Kinder groß geworden und gab es manches berufliche Engagement, das mit mittelalterlicher Geschichte nicht viel zu tun hatte, aber letztlich doch Erkenntnisgewinn beförderte. Zu danken habe ich vielen, vor allem aber Prof. Dr. Jörg Jarnut, der den Fortgang seit 1998 begleitete, für scharfsinnige Kritik, beständiges Fordern und tiefes Verständnis für die Fragestellung und für die Ergebnisse. Den Gesprächen mit ihm verdanke ich viel – und verdankt die Arbeit viel von dem, was an ihr gelungen sein mag. Auch danke ich dem Historischen Seminar der Universität Siegen für die sehr freundliche Aufnahme und insbesondere Prof. Dr. Raphaela Averkorn für die Möglichkeit zur Habilitation an der Universität Siegen sowie Prof. Dr. Ulrich Huttner für die Gewährung des Asyls in der Alten Geschichte. In den vielen Jahren gab es immer wieder Gelegenheiten zum Gespräch über die hier behandelten Fragen, von denen die Arbeit wie ihr Autor nachhaltig profitierten, etwa mit Prof. Dr. Joachim Ehlers, Prof. Dr. Hagen Keller, Prof. Dr. Bernhard Jussen, Prof. Dr. Matthias Becher, Prof. Dr. Steffen Patzold, Prof. Dr. Janet Nelson, Prof. Dr. Walter Pohl, Prof. Dr. Matthias Springer, Prof. Dr. Harald Siems, Prof. Dr. Wilfried Hartmann, Prof. Dr. Dieter Geuenich, Prof. Dr. Wolfram Brandes, Prof. Dr. Caspar Ehlers, Prof. Dr. Ulrich Nonn, Prof. Dr. Philippe Depreux, Dr. Gerd Kampers, Dr. Martin Heinzelmann, Dr. Stefanie Dick, Dr. Jens Schneider, Dr. Guido Berndt, Dr. Simon Groth, Prof. Dr. Hermann Kamp, Prof. Dr. Lutz von Padberg. Herrn Prof. Dr. Bernd Fuhrmann danke ich für die Übernahme eines Habilitationsgutachtens und meinem lieben ehemaligen Siegener Kollegen Dr. Christian Schuffels für zahlreiche Gespräche und die sehr freundliche Begleitung des Habilitationsverfahrens. Prof. Dr. Manfred Wundram hat die Veröffentlichung nun nicht mehr erlebt. Ihm bin ich dankbar dafür, dass er da war. Prof. Dr. Hans-Werner Goetz hat all mein Tun mit einer gewissen liebenswürdigen Ironie begleitet und mich immer wieder darin bestärkt. Der Familie danke ich für ihre Geduld, meiner Frau, Dr. Meret Strothmann, für ihre intellektuelle Gnadenlosigkeit und ihr wie meinen Kindern für ein Höchstmaß an Verständnis, meinem verstorbenen Vater für die große Zuneigung und umfassende Unterstützung in jeder Hinsicht. Prof. Dr. Steffen Patzold (dem ich auch für sein umsichtiges Mitlesen der Korrekturen außerordentlich dankbar bin), den Herausgebern der Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde sowie dem Verlag, insbesondere Frau Laura Burlon und Frau Maria Zucker, bin ich zu Dank verpflichtet, dass dieses Buch nun auch an einem schönen Ort erscheinen kann. Wattenscheid / Siegen, 3. Mai 2019

Inhaltsverzeichnis Vorwort

V

Einleitung 1 1 Herrschaft und Genossenschaft 7 2 Das Problem 9 3 Zur Geschichte der modernen Vorstellungen von frühmittelalterlicher politischer Ordnung: Vom „Staat“ über das Haus des Königs zum „Staat“ 14 4 Definitionen von „Staat“ 16 5 Die frühmittelalterliche politische Organisation in der aktuellen Forschung 19 5.1 Gruppen 24 5.2 Adel 25 5.3 Konsens 26 5.4 Kapitularien 27 5.5 Mitwirkung 28 5.6 Raum 29 5.7 Subsidiarität 30 5.8 Personenverband oder Transpersonalität des Reiches 31 6 Die Ausgangslage 36 7 Absicht der vorliegenden Untersuchungen 37 Vorbemerkungen: Zur Theorie des Reiches bei Sedulius Scottus und Hinkmar von Reims 43 1 Sedulius Scottus 44 2 Hinkmar von Reims: De ordine palatii 47

Die Herrscherfamilie 1 1.1 1.2 1.2.1 1.2.2 1.3

Die Teilungen des Herrschaftsraumes 57 Die Teilungen des Reiches bis zu Karl dem Großen 57 Die karolingische Familie und die Herrschaft bis zum Tod Karls des Großen 59 Die karolingische Familie 59 Zur Divisio regnorum von 806 63 Ludwig der Fromme und die Mitherrschaft seiner Söhne: Die Ordinatio imperii von 817 70

VIII

2 2.1

Inhaltsverzeichnis

2.2 2.3 2.4

Die Aufgabe der einzelnen Teile der Herrscherfamilie Das biblische Bild vom Vater als karolingisches Herrschaftsideal 73 Verwandtschaft und Nachfolge 75 Adel und Nachfolge 83 Der Adel und die Königin 88

3 3.1 3.2

Institutionalisierte familiäre Bindungen Brüdergemeine 109 consortium 114

4

Die Herrscherfamilie als körperschaftlich organisierter Zusammenhang 121 Die Familie als Herrscher 122 Auflösung der Körperschaftlichkeit der Familie 125

4.1 4.2

73

109

Kirchen und Klöster 1 1.1 1.1.1 1.1.2 1.1.3 1.1.4 1.1.5 1.1.6 1.1.7 1.2 1.2.1 1.2.2 2 2.1 2.1.1 2.1.2 2.2 2.2.1 2.2.2

Grundlagen und Voraussetzungen 133 Die Alte Kirche – Die Kirchen als Verbände im römischen Reich 133 Kirchen und Römisches Reich 133 Zur rechtlichen Stellung der Kirchen 136 Zur Organisation der Kirchenverbände 142 Kirchengut und Veräußerungsverbot 145 Bischofskollegium und Metropolit 148 Eigentum am Kirchengut 149 Kirchen und römischer Staat 151 Die Kirchen Galliens zur Zeit der Merowinger 152 Die Kirchen der merowingischen Spätantike 152 Die fränkischen Kirchen seit Columban 163 Kirchenorganisation im Reich der Karolinger 169 Der Aufbau der karolingischen Kirchenorganisation 169 Klöster und Kirchen als Kapitalanlagen und Herrschaftsinstrumente 169 Klostergründungen der Arnulfinger und Karolinger 176 Neuorganisation der Kirchen und ihrer Verbände (751–814) Die Stellung des Bischofs 183 Kirchengut und kirchliche Amtsträger 184

181

Inhaltsverzeichnis

2.2.3 2.2.4 2.2.5 2.2.6 2.3 2.3.1 2.3.2 2.3.3 2.3.4 2.3.5 2.3.6 2.3.7 2.4 2.4.1 2.4.2 2.4.3 2.4.4 2.4.5 2.4.6 2.4.7 2.4.8 2.5 2.5.1 2.5.2 2.5.3 2.5.4 2.5.5 2.5.6 2.5.7 2.5.8 2.5.9

Kontinuitätssicherung und Bestandserhalt kirchlicher Einrichtungen 187 Kirchliche Organisation 188 Gehorsam und Konsens 190 Zur Verschränkung von kirchlicher Ordnungsgesetzgebung und herrscherlichem Willen 192 Konsolidierung der Kirchenorganisation und Krise des Königtums 195 Die Stellung des Bischofs 196 Kirchengut – Definition und Eigentumsfrage 198 Wahl des Abtes und herrscherlicher Einfluss 203 Gehorsam und Konsens 205 Kirchliche Verbände und herrscherliche Organisation 207 Das Konzil von Paris und die Definition des Kirchengutes 210 Die neue Rolle der kirchlichen Organisation 213 Die erneute Ausbildung von Kirchenstaatlichkeit im Westfrankenreich 216 Voraussetzungen und Quellen für Kirchenstaatlichkeit im Westfrankenreich 216 Der Bischof 219 Bischofserhebung 224 Kirchengut 234 Bischofsversammlung 241 Bischofsanklage 245 Die Stellung des Metropoliten 247 Kirchenstaatlichkeit 260 Von der Kirchenstaatlichkeit zum Staat der Karolinger im Konzept des Benedictus Levita 263 Die Kapitulariensammlung des Benedictus Levita als Quelle 263 Die Stellung des Bischofs 266 Bischofserhebung und -anklage 268 Kirchengut 270 Amt und Person 273 Bischofsversammlung, Metropolit und Primas 274 Kirchenstaatlichkeit 277 Trennung der Sphären – Kirchenstaatlichkeit in Abgrenzung zur weltlichen Ordnung 281 Weltliche Ordnung als Staatlichkeit im Konzept des Benedictus Levita 285

IX

X

Inhaltsverzeichnis

Der Staat als Verband 1

Karolingische politische Theorie – Von der Gemeinschaft als domus des Herrschers zum Verband aus res publica und ecclesia 307

2

societas societatum – Zur Organisation des karolingischen Staates 315 consensus und consilium 315 Die Großen als Handlungsträger 326 Fremde Verbände 330 Der Staat als Verband 333 Organologie 333 Verbandshandeln 335 Verbandserhalt 336 Verbandsbildung 341 Der Vertrag von Coulaines 347 Verbandsintegrität 350 Einheit und Teilreichsverbände 353 Verbandsstruktur 359 Herrscher und Große 359 Der Papst als Verbandsmitglied 361 societas Francorum und fremde Verbände 363 Verbandsbegriff 368 Eid und Verbandsbindung 374 Verband und Herrschaft 378 Verbandshandeln und Mitgliedschaft 378 Erwählung des Herrschers durch die Großen 380 Grundlegende politische Entscheidungen 385 crimen maiestatis 387 Die Großen als Teilhaber 390 Die Großen als Amtsträger 392 Die Großen als Subjekte und Objekte der Herrschaft 396 Politische Gemeinschaft und Individuum 397 dona et honores 400 Der Herrscher als Verbandsvertreter 404 Die Familie als Herrscher 414 Staatlichkeit im Reich der Karolinger 421 Einheitlichkeit, Zentrale und Kontrolle 423 Zwei Staaten – Erhalt der Kirchenstaatlichkeit im Reich Karls des Kahlen 437 Zwei Staaten – Zur Verschränkung von Reich und Kirchen 441

2.1 2.2 2.3 2.4 2.4.1 2.4.2 2.4.3 2.4.4 2.4.5 2.4.6 2.4.7 2.5 2.5.1 2.5.2 2.5.3 2.5.4 2.5.5 2.6 2.6.1 2.6.2 2.6.3 2.6.4 2.6.5 2.6.6 2.6.7 2.6.8 2.6.9 2.7 2.8 2.9 2.9.1 2.9.2 2.9.3

Inhaltsverzeichnis

Ergebnisse

449

Abkürzungen

453

Quellen und Quellensammlungen Literaturverzeichnis Register

501

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XI

Einleitung „Karolingische Staatlichkeit“ ist nun doch zum Titel der vorliegenden Untersuchungen geworden. Denn genau darum geht es. Die Frage ist, wie dieses Reich funktioniert. Ordnungen, die nicht auf eine von oben ordnende Kraft zurückgehen, verdanken ihre Genese in aller Regel einem Zusammenschluss von Akteuren auf der Basis ihrer Ressourcen. Dieser Prozess ist im Falle des Karolingerreiches mit dem Aufstieg der Karolinger verbunden, die gemeinsam mit anderen Großen und in Konkurrenz zu diesen die alte merowingische nachantike staatliche Ordnung ablösten, ohne sie in jeder Hinsicht zu zerstören.1 Die neue Ordnung, die zum Reich der Karolinger führte, konnte auf den vorgegebenen Raum, und vor allem auf die Funktionalität von Kirchen bauen, möglicherweise auch mit der Verwaltungsfähigkeit von bedingt funktionsfähigen ehemals antiken civitates rechnen. Sie selbst ist mittelbar Ausdruck eines Elitenwandels, der Herrschaft wesentlich von der Grundherrschaft ausgehen lässt, nicht mehr von städtischen Märkten, und so den unmittelbaren Zusammenschluss der Herren der großen Grundherrschaften verlangte. Daraus entstand das Frankenreich bis zum Königtum Pippins neu, nämlich als Zusammenschluss der Großen. Die Zeitgenossen fassen es bzw. seine Teile immer wieder als einen Verband, als societas Francorum etwa. So ist auch der Begriff „confaederatio totius regni“ als Bezeichnung der politischen Ordnung der Karolinger zeitgenössisch. Die Begriffsbildung stammt von Hinkmar von Reims bzw. aus dessen Vorlage für „De ordine palatii“.2 Der Begriffsgebrauch steht gegen die verbreitete Position in der modernen Forschung, dass es einen solchen Zusammenhang im frühen Mittelalter gar nicht gegeben habe, der nicht wesentlich an der (persönlichen) Herrschaft des Königs gehangen habe.3 Nun ist das totum regnum gewiss nicht die „gesamte Herrschaft des Königs“, da diese als Singular kaum hätte zusammengeschlossen bzw. verbunden werden müssen. Der „Verbund des gesamten Reiches“ ist auch im Kontext kaum anders zu verstehen als ein Ausdruck für einen reichsweiten politischen Zusammenhang. Inwieweit dieser Zusammenhang transpersonal zu verstehen ist, wie ja dieser Begriff nahelegt, ist zu untersuchen. Dabei ist es nicht notwendig, einen transpersonalen Begriff für die politische Gesamtheit auch als handelndes Subjekt eines Satzes nachzuweisen, nicht etwa weil dies bedeutungslos wäre, sondern weil dies letztlich nur etwas über die gesteigerte Reflexion des „Politischen“ im Reich der Karolinger aussagte, deren eingehende Untersuchung hier nicht ausdrücklich vorzunehmen ist. Die Frage gilt der

1 S. dazu Monetarmünzen 2013 und programmatisch STROTHMANN, Monetarmünzen 2018. 2 In der dünnen und sehr späten, nämlich frühneuzeitlichen Überlieferung (s. dazu GROSS/SCHIEFFER: Hinkmar von Reims, De ordine palatii 1980, 12 ff.) ist tatsächlich von „confaederatio“ die Rede anstelle von „confoederatio“. – Vgl. aber auch die Ordinatio imperii (817), MGH Cap. I, Nr. 136, S. 270–273, Vorrede, S. 270: „[. . .] de statu totius regni et de filiorum nostrorum [. . .] tractaremus [. . .].“ 3 S. dazu unten stellvertretend die Kontroverse von Johannes Fried und Hans-Werner Goetz. https://doi.org/10.1515/9783110641936-001

2

Einleitung

Funktion, nicht der Vorstellung von einer Funktion, wobei die Quellen beides mitteilen, und – das muss bereits an dieser Stelle erwähnt werden – es methodisch unerlässlich ist, die in den Quellen geäußerten Vorstellungen auch für die Untersuchung der faktischen Funktion heranzuziehen.4 Dabei kommt es nicht notwendigerweise darauf an, dass der einzelne Beleg nachweislich ein „wahres Geschehen“, etwa wie es „wirklich war“, abbildet, sondern dass er im Verbund mit weiteren Belegen den Rahmen beschreibt, in dem das Mögliche stattfinden könne. Insofern werden etwa die „Vorstellungen“ des Benedictus Levita von der Organisation des Politischen als Ausdruck bestehender Bedingungen gewertet, innerhalb deren sich seine „Vorstellungen“ bewegen. Die von Hinkmars Begriff vom Reich gestützte Annahme von grundsätzlicher Transpersonalität wird also zu verfolgen sein. Das „Reich der Karolinger“ könnte sich letztlich als „Reich der Franken unter Führung der Karolinger“ erweisen. Wie lässt sich die politische Ordnung der Karolinger respektive der Franken zur Zeit der Karolinger, vielleicht sogar überhaupt frühmittelalterliche politische Ordnung, begreifen? Das ist die Frage, der die vorliegenden Untersuchungen nachgehen. Das Konzept von frühmittelalterlicher politischer Ordnung, das die Arbeit entwickelt, begreift politische Ordnung aus dem „Sozialen“ heraus, nicht als der Gesellschaft fremde Angelegenheiten, sondern als Angelegenheit der Gesellschaft.5 Die gewählte Herangehensweise der vorliegenden Arbeit ist eine systematische und keine forschungsgeschichtlich-evolutionäre. Es müßten eigentlich in absehbarer Zeit forschungsgeschichtliche Studien folgen, die sich intensiv mit dem Wandel in den Konzepten der Mediävistik und auch mit ihrem partiellen Beharren auseinandersetzen. Das kann hier aber nicht geleistet werden. Die Aufgabe solcher Studien läge vor allem darin, auch die der Forschung selbst unbewussten Bedingungen politischen Denkens in der Mediävistik offenzulegen und vor dem Hintergrund gesamtgesellschaftlicher Bedingungen zu analysieren. Ein weiteres Desiderat der Forschung läge im Falle der Akzeptanz des hier vorgelegten Konzepts in einer aufbauenden Untersuchung der institutionellen Bedingungen. So lässt sich etwa vermuten, dass die Umsetzung der Kapitularienbestimmungen die städtische Verwaltungsfähigkeit verlangte, was aber zum gegenwärtigen Zeitpunkt bloße Vermutung bleiben muss. Interessant wäre auch, zu untersuchen, inwieweit die umfangreichen Regelungsbemühungen des karolingischen Reiches Aussicht auf praktische Umsetzung hatten; die Frage indes ist nicht neu. Ebenfalls hier ausgeklammert bleibt die Münzprägung, die den Charakter der Staatlichkeit unmittelbar abzubilden in der Lage ist, die aber verstanden werden will. So hat ja Harald Witthöft gezeigt, dass die karolingische Münzprägung nicht nur einem reichsweiten System

4 S. hierzu das Konzept vom „Wissen“ über Rollen, das Erwartungen generiert und daraus Faktizität entstehen lässt, bei PATZOLD, Episcopus 2008. 5 S. ausführlich zu diesem Konzept STROTHMANN, Karolingische politische Ordnung 2009.

Einleitung

3

folgt, sondern auch allgemeine Maße und Gewichte einschließt und übrigens auf antiken Voraussetzungen beruht,6 was auch nach den Arbeiten zu den merowingischen Monetarmünzen in einem größeren Zusammenhang zu verstehen wäre.7 Bewusst ist die Frage auf die politische Ordnung bezogen, nicht exklusiv auf den „Staat“ oder die „Staatlichkeit“. Es soll aber dennoch kein Zweifel bestehen, dass ein Ergebnis der Untersuchungen die Erkenntnis ist, dass unter den geschilderten Bedingungen von einem frühmittelalterlichen Staat gesprochen werden darf und sollte, wobei der Begriff „Staat“ nicht den im Absolutismus geformten modernen Anstaltsstaat verlangt.8 Jede Frage nach frühmittelalterlicher politischer Ordnung stößt unmittelbar an die vermeintlich zentrale Frage nach dem Bestehen eines frühmittelalterlichen Staates überhaupt;9 oft wird diese Frage jedoch dadurch umgangen,10 dass der Zusammenhang, den man versucht sein könnte, „Staat“ zu nennen, gar nicht selbst thematisiert wird. Will man aber gerade diesen Zusammenhang zum Thema einer Untersuchung machen, kommt man um dieses Problem nicht herum.11 Darüber kam es in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts zu einer verspäteten Kontroverse,

6 WITTHÖFT, Münzfuß 1984. 7 In den Jahren 2007–2011 wurde ein großes Projekt zu den Merowingischen Monetarmünzen als interdisziplinäre Herausforderung von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert, dessen Leiter auf der geschichtswissenschaftlichen Seite Prof. Dr. Jörg Jarnut war; s. dazu die zentrale Projektpublikation aller Disziplinen: Merowingische Monetarmünzen 2017. 8 Vgl. auch DEUTINGER, Königsherrschaft 2006, 23, der – allerdings wenig reflektiert – einen Staat im Sinne von „politischer Ordnung“ voraussetzt, einen modernen Staat hingegen (natürlich) ausschließt. Der moderne Staat ist anstaltlich organisiert und verfügt über besoldete Beamte und eine dienstrechtliche Struktur in den Verwaltungsbehörden. Es gibt eine unübersehbare Fülle an Literatur über diese Form von Staat und zu seiner Entwicklung. Eine oft an den Staat gestellte Frage gilt seiner Genese. Dabei werden aber meist politische Formen der Vormoderne als Vorläufer moderner Staatlichkeit untersucht, s. zuletzt OSIANDER, Before the State [2007] 2009, der sich ebenda 1 f. immerhin gegen die verbreitete Annahme (vor allem des Faches „International Relations“) von vermeintlich sicherer Kenntnis vergangener Strukturen wendet. – Vgl. die hybride Herangehensweise von STEIGER, Ordnung der Welt 2010 mit dem bemerkenswerten Untertitel „Eine Völkerrechtsgeschichte des karolingischen Zeitalters“, der einerseits (durchaus begründet) von Recht zwischen den Völkern schreibt, andererseits den Völkern selbst gar keine politische Handlungsfähigkeit zugesteht, weil er Herrschaft in höchstem Maße als personalisiert versteht (etwa ebenda 45 f. zu „regnum“ und 261 zum Herrschaftsraum sowie grundsätzlich zu Herrschaft ebenda 267 und zum König als Rechtsperson in der „‘internationalen‘ normativen Ordnung“ ebenda 268 f.). Eigentlich wäre es dann eine Geschichte des Rechts zwischen den Herrschern. 9 Neben den unten zu diskutierenden sehr grundsätzlichen Positionen s. hier die eher abwägende Haltung von Hagen KELLER, Forschung zur Staatlichkeit 2009. – Vgl. die umfassende Diskussion der Forschung bei GROTH, regnum 2017, 231 ff. 10 SCHIEFFER, Internationale Forschung 2009, 46 sieht eine Abkehr von Fragen der „Phänomenologie“ zu Gunsten von „zeitgenössischer Wahrnehmung“. 11 S. hierzu ausführlich DEUTINGER, Königsherrschaft 2006, 19 ff.

4

Einleitung

die sich an einem Aufsatz von Johannes Fried entzündete.12 Verspätet war diese Kontroverse deshalb, weil die frühmittelalterliche politische Ordnung selbst als Untersuchungsgegenstand bis dahin keinen rechten Platz in der Nachkriegsmediävistik gefunden hatte.13 Stattdessen wandte man sich verstärkt den einzelnen Größen dieser Ordnung zu, vor allem dem Adel.14 Fried formulierte 1982 ein Konzept von frühmittelalterlicher Ordnung, das jeder weiteren Frage nach ihrer Funktionalität eine Absage erteilte, weil er den Zeitgenossen eben jedes Konzept von einem Staat absprach und den in Frage kommenden zentralen zeitgenössischen Begriff für Staatlichkeit, nämlich „regnum“, lediglich auf das Königshaus bezogen wissen wollte,15 was in einer Vielzahl der Belege auch durchaus im Rahmen der Bedeutung liegt. Hans-Werner Goetz hielt dieser Annahme auf der Basis eigener Forschungen16 1987 eine auf diesen Zentralbegriff abzielende Examination der These Frieds entgegen, in der er zeigen konnte, dass es sehr wohl einen abstrakten Begriff von „regnum“ gab, mit dem das „Reich“ als transpersonaler Zusammenhang bezeichnet wurde.17 Einige Jahre später replizierte Fried, indem er die von Goetz dargestellten Ergebnisse für methodisch nicht zulässig erklärte, weil sich die Gesellschaft des 9. Jahrhunderts eben letztlich unseren modernen Kategorien entzöge.18 Beide Positionen bestehen fort,19 wobei dahinter eigentlich ein noch grundsätzlicherer Gegensatz steht, nämlich die Annahme einer völligen Alterität des Mittelalters gegen die Annahme einer grundsätzlichen Verstehbarkeit des Untersuchungsgegenstandes und seiner Begriffe.20 Will man also frühmittelalterliche politische Ordnung verstehen, was die Deutung Frieds nahezu unmöglich macht, hat man eine politische Ordnung anzunehmen, die man dann vielleicht „Staat“ nennen darf.21 Ein Weg aus dem Dilemma der Deutung von Belegen für die Begriffe „regnum“, „ecclesia“ und weiterer Begriffe wie „fiscus“ und „publicus“22 besteht darin, dass man eben nicht danach fragt, was denn die Zeitgenossen über ihre politische Ordnung

12 FRIED, Der karolingische Herrschaftsverband 1982. – S. zur Kontroverse POHL, Staat und Herrschaft 2006, 13 f.; MEYER, Streit um den Staat 2010 und GROTH, regnum 2017, 255 ff. 13 Das weiter unten zu thematisierende Konzept des Personenverbandsstaats wurde bis dahin so gut wie nicht in Frage gestellt. 14 SCHMID, Geblüt 1998. 15 FRIED, Der karolingische Herrschaftsverband 1982. 16 GOETZ, Staatsvorstellung 1986. 17 GOETZ, Regnum 1987. 18 FRIED, Gens und Regnum 1994; s. erläuternd dazu JARNUT, Anmerkungen [2004] 2006, 200 f. 19 Vgl. Der frühmittelalterliche Staat 2009. – KLUGE, Kontinuität 2014, 70 lobt Otto Brunner für „das Verdienst [. . .] sich erstmals klar von der anachronistischen Annahme eines mittelalterlichen ‚Staates‘ gelöst zu haben.“ 20 Vgl. zu diesem Zusammenhang GROTH, regnum 2017, 244 f. 21 So jedenfalls JARNUT, Anmerkungen [2004] 2006, 201 f. 22 S. nun auch zu „publicus“, vor allem aber zu „administratio“ BUSCH, Amtswalten 2007.

Einleitung

5

dachten, ob sie nun transpersonal sei oder nicht, sondern dass man untersucht, ob diese Ordnung faktische Transpersonalität enthält oder nicht. Grundsätzlich wird auch in der Frühmittelalterforschung immer mehr die Rolle der Kommunikation bei der Herstellung sozialer Gegebenheiten gewürdigt; das gilt in gewisser Weise natürlich besonders für Rituale;23 das gilt aber ebenso für den Bereich der Vorstellungsgeschichte.24 Dabei steht die Frage im Raum, wie das Verhältnis zwischen dem willentlichen Handeln von Personen und den Bedingungen des sozialen Zusammenhangs zu bewerten ist. Wie souverän kann eine Person „Politik“ gestalten, wenn die Person selbst als Teil eines sozialen Zusammenhangs aufzufassen ist, gegen dessen Kommunikation sie mutmaßlich nicht „regieren“ kann? Dabei bedeutet Kommunikation zweierlei, nämlich die thematischen Voraussetzungen (was kann überhaupt zum Thema gemacht werden, und was würde von dem sozialen System bzw. der Gruppe gar nicht aufgegriffen werden?)25 und die Weise der Kommunikation (wie bildet sich der Rang der jeweiligen Mitglieder ab und welche Möglichkeiten bei der Gestaltung der Kommunikation kommen dem Einzelnen zu?). Die Frage nach dem Spielraum von Regierenden ist nicht neu, wird aber zumeist unter dem Eindruck gestellt, dass der Regierende in seiner Kommunikation „frei“ sei.26 Was aber kommt ihm gar nicht erst in den Sinn oder wird von ihm niemals artikuliert oder gar versucht, weil er im Vorfeld weiß, dass es nicht ginge? Einen Hinweis auf dieses Problem gibt das Handeln demokratisch legitimierter Regierender, die mitunter mit großer Klugheit erst abwarten, welche Kommunikation sich abzeichnet, um sich schließlich an die Spitze derselben zu stellen und die möglichen Themen selbst zu besetzen. Bewusst wird hier auf eine ausführlichere Behandlung bestehender theoretischer Konzepte ohne direkten Bezug auf den Untersuchungsgegenstand verzichtet, weil keines dieser Konzepte für die vorliegenden Untersuchungen in einem eigentlichen Sinn leitend sein kann. Eine Auseinandersetzung mit den herrschenden sozialwissenschaftlichen Theorien könnte in der Folge an anderer Stelle vorgenommen

23 Grundlegend zu diesem Ansatz zahlreiche Arbeiten von Gerd Althoff, etwa ALTHOFF, Macht der Rituale 2003. – Vgl. zum Ritualbegriff und seiner Funktion für die Frage nach Staatlichkeit POHL, Staat und Herrschaft 2006, 20–25. – Vgl. an dieser Stelle den Ansatz von GARIPZANOV, Symbolic Language 2008, der eine umfassende Darstellung der Abbildung von Herrschaft in der Karolingerzeit vorgelegt hat, am Ende (ebenda 320 f.) aber die Frage nach der sozialen Interaktion zwischen Herrscher und Beherrschten in Abbildungen weiteren Studien überlässt, weshalb er auch kein Konzept von „Staat“ für die Karolinger entwickelt, was nach seiner Ansicht eben auf der Basis von Herrschaft und persönlichen Bindungen (die er ebenda für wesentlich erachtet) geschehen müßte. 24 Grundlegend zu diesem Ansatz zahlreiche Arbeiten von Hans-Werner Goetz, vor allem in GOETZ, Vorstellungsgeschichte 2007. 25 S. hierzu das theoretische Konzept der „doppelten Kontingenz“ bei LUHMANN, Soziale Systeme [1984] 1991, 148 ff. 26 S. aber für die Alte Geschichte schon FLAIG, Kaiser 1992.

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Einleitung

werden. Dies wäre dann eine Auseinandersetzung zwischen absoluten Gegenwartskonzepten, also Konzepten von Gesellschaft, wie sie aus der Beobachtung der Gegenwart des 20. und 21. Jahrhunderts resultieren, mit reflektierten Beobachtungen, die maßgeblich auf der Untersuchung karolingischer sozialer und politischer Bedingungen und Konzeptionen beruhen. Es muss möglich sein, dass eine geschichtswissenschaftliche Arbeit selbst konzeptualisiert, also aus dem Gegenstand heraus Konzepte zum Verständnis, zur Vermittlung desselben und auch zur weiteren (modifizierten) Anwendung an anderen Forschungsgegenständen erarbeitet. Ein solches Konzept zu fassen ist eine wesentliche Aufgabe der vorliegenden Arbeit. Bei der Frage, woraus eigentlich der Staat besteht bzw. wie sein Bestehen herzuleiten ist, ob nämlich aus einem herrscherlichen Haus oder aus einer Vereinigung verschiedener Kräfte mit partiell gleichen Interessen, sei hier auf Aristoteles verwiesen, der uns m. E. ein brauchbares Bild gibt, wie aus Familien Verbände werden und aus Verbänden der Staat erwächst, dessen Zweck es ist, den Menschen neben dem Überleben ein Wohlleben zu bieten, ihnen in Sicherheit Wohlstand zu ermöglichen und Freiheit für ihr privates Handeln zu bieten.27 Aristoteles erteilt der Theorie von der Entstehung der staatlichen Herrschaft aus dem herrscherlichen Haus28 eine klare Absage, da nämlich die griechischen Poleis nicht notwendigerweise nach monarchischer Herrschaft verlangten,29 und so diese Kongruenz gar nicht erst erwartet wurde. Die Umwelt des griechischen Philosophen war nicht grundsätzlich monarchisch geprägt. Griechische Poleis sind in der Mehrzahl wesentlich aristokratisch geordnet, selbst wenn sie sich eine monarchische Spitze geben. Die politische Theorie der Polis folgt nicht dem Primat der Monarchie. Ganz anders verhält sich das mit den Gesellschaften des frühen Mittelalters, auch in ihrer Nachfolge des römischen Reiches, das ein zutiefst monarchisches Erbe hinterließ. Bereits für den späten römischen Staat ist der Leitgedanke des politischen Konzepts die Monarchie, hergeleitet aus dem Königtum Davids und aus der transzendentalen Monarchie Christi. Königtum wird im Christentum nur sekundär konstitutionell begründet. Das bedeutet für die Konzeption politischer Ordnung grundsätzlich, dass auch bestehende Verbände nicht als solche theoretisch gefasst werden, weil dies der vermeintlichen göttlichen Weltordnung widerspräche. Daher wird jedes ordentliche politische System grundsätzlich

27 Aristoteles, Politik, ed. Ross, A,1–2 (1252a-1253a). 28 Wie es zum Beispiel noch bei SCHLESINGER, Herrschaft und Gefolgschaft 1953, 13 ff. zu lesen ist. 29 Die Herleitung des römischen Staates aus der Verbindung von Familien durch Bernhard LINKE, Von der Verwandtschaft zum Staat 1995 ergänzt das aristotelische Konzept von antiker Herrschaftsordnung und ihrer Entstehung. – SCHMITZ, Nachbarschaft 2004, 485 weist darauf hin, dass in der Genese das Dorf wohl nicht aus dem Zusammenschluss der Familien herzuleiten ist. Jedenfalls versteht Aristoteles das Dorf als aus Familien bestehend; und dieses theoretische Konzept scheint zu seiner Zeit die Dorfstrukturen abzubilden.

1 Herrschaft und Genossenschaft

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unter diesen Gesichtspunkten aus der Monarchie Gottes verstanden und kann also nicht anders als monarchisch legitimiert sein.30

1 Herrschaft und Genossenschaft Zwei ausgesprochen aufgeladene Begriffe des 19. Jahrhunderts prägen unsere Vorstellung von dem Funktionieren frühmittelalterlicher politischer Ordnung. Sowohl „Herrschaft“ als auch „Genossenschaft“ folgen Kategorien des 19. Jahrhunderts. Dabei sind beide Begriffe Ausdruck und Komplementäre eines Begriffes von politischer Ordnung, den wir heute gewiss nicht neu formulieren würden. Die dahinterstehende dialektische Vorstellung von einem „miteinander Ringen“ zweier sich eigentlich ausschließender Vorstellungen, um schließlich ihre Synthese zu finden, ist eindeutig im 19. Jahrhundert zu verorten und wäre in der Welt des 21. Jahrhunderts mit ihrer tiefen Komplexitätserfahrung eigentlich nicht zu thematisieren, wenn nicht ihre Nachwirkungen in der deutschen Mediävistik nach wie vor eine leitende Funktion hätten. Als maßgeblich für die Entwicklung eines umfassenden historischen Konzeptes auf der Basis dieser Dichotomie kann wohl Otto von Gierke gelten, dessen vierbändiges „Deutsches Genossenschaftsrecht“ selbst einem „Ringen“ geschuldet ist, nämlich letztlich der Frage, auf welchen Rechtsvorstellungen das schließlich im Jahr 1900 erlassene Bürgerliche Gesetzbuch beruhen sollte, auf germanistischen oder romanistischen Grundlagen nämlich.31 Leitender Gedanke Gierkes ist dabei, dass „germanische“ Ordnungsvorstellungen auf der „Genossenschaft“ beruhten, während die „Herrschaft“ als römisch-rechtliches Prinzip ihr im Mittelalter entgegenträte. Das bedeutet in der Konsequenz, dass mittelalterliche politische Ordnung aus zwei Komponenten bestünde, die als „eigenberechtigt“ zu verstehen sind und so Herrscher und Beherrschte in einen Gegensatz geraten lassen, der sie keinem gemeinsamen Prinzip zuordnet.32 Hiermit wurde künstlich – der Konzeptualisierung wegen – eine Dichotomie geschaffen, die in der Folge immer wieder relativiert wurde und so aber aufrechterhalten werden konnte. So betont noch Gerhard Dilcher, dass Herrschaft und Genossenschaft nicht als Dichotomie zu verstehen seien.33 Ebenso hatte schon Walter Schlesinger erklärt, dass Herrschaft und Genossenschaft „einander“ „durchdringen“ würden. Dennoch zieht sich durch seine Arbeiten eine deutlich erkennbare Dichotomie, die aber dadurch

30 Vgl. EHLERS, Grundlagen 2000/2001. 31 Otto GIERKE: Das Deutsche Genossenschaftsrecht 1868 ff. 32 Konsequent spricht GIERKE, Genossenschaftsrecht I 1868, 149 der karolingischen Ordnung die Staatlichkeit ab. 33 DILCHER, Ländliche Herrschaftsstrukturen 2000, 102.

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scheinbar aufgelöst wird, dass der Genossenschaftsbegriff nicht mehr thematisiert wird.34 Wenn Werner Hechberger in seinem monumentalen Werk über die Konzeption von Adel feststellt, dass in der Forschung Herrschaft lange ohne den Blick auf die Genossenschaft behandelt wurde,35 nun aber mit den Arbeiten von Oexle und Blickle diese wieder in den Blick gerate, so erkennt und begrüßt er eine gewisse Rückkehr zu Gierkeschen Positionen. Sowohl Blickle als auch Oexle beschreiben ja nicht einfach – wie übrigens schon Gierke – Genossenschaften im Sinne des Zusammenkommens Gleicher, sondern sie beschreiben auch die Ungleichheit. Und es ist auch eine wesentliche Erkenntnis neuerer Forschung, dass die Voraussetzung zum Abschließen von Verträgen nicht die Gleichheit ist, sondern die grundsätzliche Freiheit, im Grunde Mündigkeit.36 Der Kommunalismus etwa, also die politisch-soziale Organisation von Dörfern in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, basiert auf der vertraglichen Ordnung von Ungleichen in einem der Ungleichheit angemessenen Verhältnis. Das beginnt bei der gemeindlichen Regelung der Weidewirtschaft, in der jedem sein angemessener Anteil an der Produktion unter Berücksichtigung von Quantität und Qualität zugestanden wird. Das ist das Prinzip des Konsenses, nicht der Gleichheit.37 Wissenschaftlich, in einem technischen Sinn nämlich, ist der Genossenschaftsbegriff für unsere Fragestellungen weitgehend obsolet. Was immer wieder als Genossenschaft gefasst wird, ist eigentlich „Körperschaft“, jedenfalls nach einem internationalen sozialwissenschaftlichen Verständnis.38 Dass deutsche Historiker sich mit dem Begriff „Körperschaft“ schwer tun, liegt vielleicht an dem korporativen Grundverständnis des Nationalsozialismus. Der Begriff aber wird in der Zukunft an Bedeutung zunehmen, weil gerade die Verbindung von Ungleichen in einem sozialen System die Normalität sein wird, nicht wie als Ergebnis der Industrialisierung die Verbindung von sozial weitgehend homogenen Arbeitern in den Gewerkschaften. Das wird es nicht mehr geben. Das gibt es nur dort, wo Lebensverhältnisse, politische Bedürfnisse und persönliche Lebensplanung weitgehend deckungsgleich sind.39

34 Dies erklärtermaßen bei SCHLESINGER, Herrschaft und Gefolgschaft [1953] 1963, 9. – Vgl. WEITZEL, Bedeutung der Dinggenossenschaft 2006, 359: „Das Reich ist auf allen Ebenen herrschaftlichautokratisch und genossenschaftlich zugleich strukturiert.“ 35 S. mit dieser Einschätzung auch DILCHER, Ländliche Herrschaftsstrukturen 2000, 102. 36 So sind die meisten vertraglich gebundenen Gruppen in sozialer Hinsicht eben nicht homogen. 37 Vgl. hierzu BLICKLE, Kommunalismus I 2000, 57. – S. zur Diskussion um die Rolle des Kommunalismus in der Entwicklung des schweizerischen Staates WEINMANN, Bürgergesellschaft 2002, 19 ff., die sehr wohl den Kommunalismus als ein auf sozialer Verbandsbildung begründetes politisches Konzept begreift, das als Erklärungsmodell für die Entstehung der schweizerischen politischen Ordnung gelten darf. 38 S. hierzu grundlegend COLEMAN, Sozialtheorie 1992. 39 Arbeitslose teilen vielleicht die Lebensverhältnisse, nicht jedoch die persönliche Lebensplanung.

2 Das Problem

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Es ist ganz offensichtlich, dass ein angemessener Herrschaftsbegriff der Schlüssel zum Verständnis des Sozialen wie des Politischen ist. Für Otto von Gierke beginnt der Staat im Abendland mit den mittelalterlichen Städten, die erstmalig von der ursprünglich germanischen Genossenschaft zur Bildung von Korporationen vorangeschritten seien und damit eine Rechtsperson gebildet hätten. Der Staat Gierkes fordert die Rechtspersönlichkeit, die er bei den politischen Organisationen des Frühmittelalters nicht erkennen kann.40 Grundlegend für die abendländische Geschichte war für Gierke der Weg von der „germanischen“ Genossenschaft über den Einfluss römisch-vermittelter „Herrschaft“ zum modernen Staat, der in der Lage sein würde, zur endgültigen Synthese von Genossenschaft und Herrschaft zu gelangen. Der Staatsbegriff Gierkes verlangte im Grunde nach der Dichotomie von Herrschaft und Genossenschaft; dem Monarchen mit seiner Gewalt stand immer die Gruppe der Beherrschten gegenüber, bis sie sich im zweiten deutschen Kaiserreich miteinander verbinden sollten. So wurde in der Folge bereits für das frühe Mittelalter ein Verhältnis zwischen „Oben“ und „Unten“ konstruiert, das von oben die Befehle kommen lässt und von unten den Widerstand erwartet. Letztlich hängt das mit einem nicht erst von Gierke begründeten Axiom älterer Frühmittelalterforschung zusammen, nämlich, dass die Genossenschaft ein reines „germanisches“ Element sei, das der „Herrschaft“ entgegentritt. Beide Formen des Politischen stünden sich gewissermaßen „eigenberechtigt“ gegenüber, so sah man es auch noch in der Forschung der Mitte des 20. Jahrhunderts.41 Und erst aus dem möglichen Widerstand heraus lässt sich dann die Beratung des Herrschers durch die Beherrschten erklären. Bei genauer Ansicht der Quellen und Berücksichtigung karolingischer Theoriebindung entsteht aber eher ein Bild von einem gemeinsamen Miteinander zu einem gemeinsamen Zweck. Ja, es lässt sich an manchen Stellen der karolingischen Geschichte sogar erkennen, dass die Großen den König regieren lassen, weil sie es so wollen. Die Frage ist, ob das Ausdruck der bestehenden politischen Ordnung ist oder ihres Versagens.

2 Das Problem Unser begriffliches Problem einer adäquaten Darstellung von Herrschaftsverhältnissen beginnt im Grunde mit der frühmittelalterlichen Glossierung von „res publica“

40 So faßt es BRUNNER, Land und Herrschaft [1939] 1973, 156. 41 SCHLESINGER, Herrschaft und Gefolgschaft [1953] 1956, 51 f. zur „Genossenschaft“ gegenüber der „Herrschaft“: „Eigenberechtigt tritt sie vielmehr jener gegenüber, aus selbständiger Wurzel erwachsend.“ – Vgl. aber schon DANNENBAUER, Adel [1941] 1956, etwa 85 u. ö., der den Adel als wesentliches Prinzip der Gesellschaft der „Germanen“ entdeckte.

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Einleitung

und „regnum“ mit „hertuom“.42 Anders als in der Deutung solcher Glossierungen noch in der Mitte des 20. Jahrhunderts ist der römische Staat in der spätantiken lateinischen Literatur keinesfalls noch „Gemeinwesen“ im klassischen Sinn von „res publica“. Dennoch heißt er in der Regel „res publica“.43 Der autoritäre Staat bzw. die autoritäre politische Ordnung ist im Frühmittelalter begrifflich alternativlos. In der frühmittelalterlichen „Leitkultur“, dem späten – christlich geprägten – römischen Reich nämlich, gibt es keine lebendige Vorstellung vom Staat als „gemeinsame Sache“. Von Anfang an trägt das deutsche Wort „Herrschaft“ den „Herrn“ in sich, dessen Befehl Gehorsam verlangt. Allein der Begriff „Herrschaftsverhältnisse“ relativiert eine solche einfache Beziehung, indem er die Beziehungen vervielfältigt. Wir verfügen über manche begriffliche Strategien, die Eindeutigkeit dieses Herrschaftsbegriffes zu relativieren.44 Im gedanklichen Austausch mit Franzosen und Engländern etwa ist unser Herrschaftsbegriff kaum zu kommunizieren,45 weil pouvoir und power jeweils auf dem lateinischen „potestas“ basiert, das die näher zu definierende Möglichkeit der autoritativen Einflussnahme bis hin zur sanktionierten Gewaltausübung meint und nicht das Verhältnis zwischen Herrn und Untertan selbst bezeichnet.46 Aber genau das ist ein Aspekt, den wir zur begrifflichen Erfassung frühmittelalterlichen politischen Handelns brauchen. Es ist die Komplexität frühmittelalterlicher – und nicht nur frühmittelalterlicher – Wirklichkeit, die wir mittlerweile immer deutlicher sehen, aber mit einem einfachen – Max Weber zugeschriebenen Herrschaftsbegriff – nicht begrifflich fassen können.47 Die Gesellschaftslehre Max Webers ist zu einem Teil Ergebnis seiner Zeit, sowohl der Geschichts- und Rechtswissenschaft des ausgehenden Kaiserreiches, der

42 PATZOLD, Bischöfe im karolingischen Staat 2006, 133 zitiert einen Satz Walter SCHLESINGERs dazu „Der antike Staat ist gemeines Wesen, der germanisch-deutsche Staat ist ‚Herrschaft‘.“ (Entstehung der Landesherrschaft 1941, 113). Vgl. dazu auch GOETZ, Wahrnehmung 2006, 41. – Vgl. SCHLESINGER, Herrschaft und Gefolgschaft [1953] 1956, 139, zur Glossierung von „res publica“ mit „kunigrîche und eben „hêrtuom“: „Man setzte also Staat und Herrschaft gleich, der Staat ist nicht wie in der Antike Sache des populus, sondern Sache des Herrn, und das ist der König.“ Schlesinger impliziert „unseren“ geläufigen Herrschaftsbegriff. 43 SUERBAUM, Staatsbegriff 1961 zur Historia Augusta ebenda 147 und ff., zu Augustinus ebenda 183 (als nicht an eine Verfassungsform gebunden). 44 Etwa „Herrschaftsordnung“. S. die Bedeutung von „regnum“ als „Herrschaft“, die GOETZ, Perception 2006, 27 mit „public power“ glossiert. 45 So weist GOETZ, Wahrnehmung 2006, 39 auf das Fehlen eines Äquivalents zu dem deutschen Herrschaftsbegriff hin. 46 S. zum begrifflichen Problem der Unübersetzbarkeit, aber auch zur Relationalität des Begriffes „Herrschaft“ PATZOLD, Episcopus 2008, 31–33. – S. die Unterscheidung zwischen „political power“ und „political authority“ bei GARIPZANOV, Symbolic Language 2008, 8 f., die sich aber beide letztlich auf die Möglichkeiten des „Herrschenden“ richten. 47 S. POHL, Herrschaft 1999, 452 der einen Herrschaftsbegriff fordert, der die Komplexität der mit Herrschaft verbundenen Beziehungen zu erfassen in der Lage ist. – Vgl. zur Komplexität des Begriffes auch knapp KELLER, Forschung zur Staatlichkeit 2009, 116.

2 Das Problem

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politischen Bedingungen und Konzeptionen des Kaiserreiches selbst sowie der Umbrüche zu Beginn der Weimarer Republik. Bei aller Weitsicht und allem Scharfsinn Webers ist es fragwürdig, ob ein solchermaßen gebildeter Begriff nach einer sehr intensiven hundertjährigen gesellschaftlichen und politischen Entwicklung, sowohl der Wissenschaft wie der politischen Realität, noch angemessen sein kann.48 Nun wird der Herrschaftsbegriff Webers in aller Regel nach seiner in einen Satz gegossenen Definition zitiert.49 Würde man sein Herrschaftskonzept im Ganzen zu Grunde legen, wäre manches nicht mehr so offensichtlich klar und einfach.50 Walter Pohl deutet in seinem grundlegenden Artikel „Herrschaft“ einen Ausweg an, indem er nämlich im Herrschaftsbegriff auch die Möglichkeit der Darstellung erhöhter Komplexität erkennt.51 Die drei von Weber beschriebenen Formen der Herrschaft beinhalten letztlich sehr wohl auch die Möglichkeit, Herrschaft nicht absolut darzustellen.52 Auch Webers einleitender Bezug auf den Verbandscharakter von Herrschaftssystemen relativiert die einfache Definition. Weber, mehr aber noch die Geschichtswissenschaft bis weit in das 20. Jahrhundert hinein, standen in Traditionen und gesellschaftlichen Bedingtheiten, die letztlich aus der vermeintlichen Verwirklichung der Gierkeschen Utopie erwachsen waren. Dass wir Deutsche – anders als etwa die Franzosen – aus diesen Vorstellungen, die einmal durchaus europäisches Gemeingut waren, nur schwer ausbrechen können, liegt sicher auch an unserem Herrschaftsbegriff, der eben nicht die Freiheit enthält, auf die Beschreibung einer festen Beziehung von Herrscher und Untertan zu verzichten.53 Es ist nach diesem Verständnis ein politischer Begriff, während das „Bewirken können“ ein eigentlich sozialer Begriff ist.

48 Vgl. die Kritik an Webers vermeintlich aus der Neuzeit abgeleiteten Staatsbegriff BRUNNER, Land und Herrschaft [1939] 1973, 160. 49 WEBER, Wirtschaft und Gesellschaft [1921–22], 980: „Unter ‚Herrschaft‘ soll hier also der Tatbestand verstanden werden, daß ein bekundeter Wille (‚Befehl‘) des oder der ‚Herrschenden‘ das Handeln anderer (des oder der ‚Beherrschten‘) beeinflussen will und tatsächlich in der Art beeinflußt, daß dies Handeln, in einem sozial relevanten Grade, so abläuft, als ob die Beherrschten den Inhalt des Befehls, um seiner selbst willen, zur Maxime ihres Handelns gemacht hätten (‚Gehorsam‘).“ – Diese und andere „voreditorische“ Fassungen sind maßgeblich geworden für die Geschichtswissenschaft. Die moderne Editionswissenschaft hat dagegen das Ziel, Webers Schriften selbst zu edieren und, während die unkritische postume Ausgabe diejenige ist, die von der Forschung mehrerer Fächer rezipiert wurde. 50 S. dazu schon GRAUS, Verfassungsgeschichte 1986, 574, Anm. 153: „Einflußreich war die Rezeption des Weberschen Herrschaftsbegriffs, der jedoch aus der Gesamtanalyse Webers herausgelöst wurde.“ 51 POHL, Herrschaft 1999. 52 WEBER: Die drei reinen Typen der legitimen Herrschaft 1956, 151–166. S. zu Webers Staats- und Herrschaftsbegriff WEBER-FAS, Staatsgewalt 2000, 242 ff. 53 BARTHÉLEMY, Herrschaftsmythos 2000, 56 erinnert daran, dass Herrschaft nicht ohne Beherrschte zu denken ist und daher eine Beziehungskategorie impliziert.

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Unsere Trennung des Politischen vom Sozialen ist aber keinesfalls naturgegeben. In der Untersuchung eines vormodernen Staates ist mit dieser Trennung nicht zu arbeiten. Der aristotelische Begriff des Politischen beinhaltet im Grunde unseren modernen Begriff des Sozialen, und der Begriff des Sozialen bei Thomas von Aquin hat eine hochpolitische Qualität. Die jeweiligen zentralen Kategorien zum Verständnis von Gesellschaft, nämlich die Qualifizierung des Menschen als zoon politikon bei Aristoteles und in der lateinischen Übersetzung seit Seneca als animal sociale zielen letztlich auf dieselbe Frage und eröffnen den Blick auf grundsätzlich unterschiedliche Herangehensweisen an das Politische.54 Hinter unserer Dichotomie von politisch und sozial steht eine weitaus wirkmächtigere Dichotomie, nämlich die von Gesellschaft und Staat.55 Erst eine übergangslose Unterscheidung der Begriffe erlaubt es uns, unseren Herrschaftsbegriff beizubehalten. Das funktioniert im modernen Staatsrecht, in einer modernen Gesellschaftslehre, die im Grunde der Gierkeschen Fiktion erlegen ist, dass Freiheit die Herrschaft brauche. Damit wird der Bürger in seiner Freiheit zum Privatmann. Im öffentlichen Raum dagegen ist er Untertan eines Staates, den er angeblich selbst bildet. Übersehen werden in einer solchen Auffassung von gewährter Freiheit, dass es neben den angeblich gleichen und freien Personen, die den modernen Souverän bilden, Mechanismen gibt, die sowohl im sozialen Raum als auch neben den parlamentarischen Wegen über Parteihierarchien und Interessenverbände das Leben des Privatmannes gestalten, ja eigentlich maßgeblich mitbestimmen. Das erklärt unser obrigkeitlicher Herrschaftsbegriff nicht. Diese moderne staatsrechtliche Fiktion von der Freiheit durch Herrschaft basiert faktisch auf der Übernahme des Staates mit seinen Institutionen von der Monarchie, die mit einigem Recht ein herrschaftliches Moment dieser Art für sich reklamierte, was zumindest phänomenologisch greifbar ist. Wenn wir jetzt, wie es von berufener Seite für den modernen Staatsbegriff gefordert wird,56 Gesellschaft und Staat nicht mehr trennen würden, könnte die Fiktion von Freiheit und Gleichheit nicht mehr aufrechterhalten werden. Was bliebe, wäre das Recht, das Sicherheit schafft und konsensuale Gerechtigkeit möglich macht. Dass wir das aber aktuell nicht tun können, hat einen Grund in der Ideologie des Nationalsozialismus, der die Identität von Gesellschaft und Staat forderte,57

54 MEIER, Mensch und Bürger 1994, 70 f. 55 Vgl. BRUNNER, Moderner Verfassungsbegriff [1939] 1956, 12. – MITTEIS, Land und Herrschaft [1941] 1964, 37 f. referiert Otto Brunners Ablehnung einer solchen Trennung für das Mittelalter bei Gierke, der damit zu sehr Hegel gefolgt sei. 56 SCHACHTSCHNEIDER, Res publica 1994, 162 f. u. ö. 57 BORGOLTE, Sozialgeschichte des Mittelalters 1996, 42. – Vgl. hierzu die Analyse von MÜLLERMERTENS, Reichsstruktur 1980, 40 f. mit Zitaten aus der 2. und 3. Auflage von Otto Brunners Buch „Land und Herrschaft“, mit denen genau dieser Impetus nationalsozialistischen Denkens offenbar wird. Vgl. auch die bei MÜLLER-MERTENS ebenda zitierten Passagen aus dem Geleitwort von Paul RITTERBUSCH zu „Das Reich und Europa“ 1941, in der die „Überwindung“ des modernen Staates durch eine „neue Wirklichkeit“ gefordert wird. – Übrigens war der Zusammenhang auch SCHLESINGER,

2 Das Problem

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weil das totalitäre Prinzip das Private, also dem Staat nicht zugängliche, nicht duldet. Zugleich aber lehrt eben dieses Beispiel die Gefahren, die von einem Verzicht auf eine solche Trennung in der politischen Wirklichkeit ausgehen. Nun ist das Problem der Frühmittelalterforschung gerade umgekehrt zu denken. Wir alle wissen, dass der Begriff des Politischen im Frühmittelalter letztlich unverständlich wird, wenn wir ihn wesenhaft unterschieden sehen vom Sozialen. Das zeigen Althoffs Forschungen in aller Deutlichkeit. Die Steigerung des gemeinhin Sozialen ist im Frühmittelalter – und sicher nicht nur dort – das Politische. Das Frühmittelalter kennt unsere Hilfskonstruktionen des modernen Staatsrechtes nicht. Das „Private“ ist im frühen Mittelalter möglich, aber nicht als Gegensatz des „Öffentlichrechtlichen“, sondern als ein vom „Öffentlichen“ abgegrenzter Raum, der selbst immer auch eine gewisse Öffentlichkeit beinhaltet.58 Der Staat ist die Ordnung der Gesellschaft, nicht ihr Gegenentwurf. Erst der moderne, schließlich auch der freiheitlich-demokratische Rechtsstaat, begreift sich selbst in Abgrenzung zur Gesellschaft, der er ein „privates“ Eigenleben zugesteht, weil anders er an der Komplexität der Gesellschaft in einer verfassten Form scheitern müsste. Wie aber fasst man nun einen angemessenen Begriff von Herrschaft, der der Komplexität sozialer Bindungen gerecht wird? Ist es möglich, das Wort Herrschaft an pouvoir und power anzulehnen und somit stärker die Möglichkeit zur Gewalt zu sehen und auf die Verhältnishaftigkeit des Begriffes zu verzichten? Oder ist es sinnvoller, gerade die Verhältnishaftigkeit des Begriffes zu erhalten und ihm lediglich die hoheitliche Bedeutung und simplifizierende Gerichtetheit zu nehmen? Oder ist das mit dem Begriff gar nicht möglich? Der Wert des Begriffes scheint tatsächlich darin zu liegen, dass er in der Lage ist, ein Verhältnis zu beschreiben. Nur sollte der Begriff die Möglichkeit bekommen, zahlreiche Verhältnisse zugleich denken lassen zu können. Herrschaft als sozialer Begriff, wie er dem Untersuchungsgegenstand angemessen wäre, müsste Verhältnisse beschreiben können, die zugleich reziprok und ungleich sein dürfen. Er sollte in jedem Fall auf ein genossenschaftliches Element verzichten können und stattdessen auch die soziale Qualität von Gruppen zum Ausdruck bringen können, die wir in ihrer Konsequenz dann ruhig eine Politische nennen dürfen.

Verfassungsgeschichte [1953] 1963, 11 klar, der daraufhin die Geschichte aus der Verantwortung des Vorbildhaften nimmt. – Vgl. zu dem daraus resultierenden Herrschaftsbegriff STROTHMANN, Karolingische politische Ordnung 2009, 53. – S. etwa zum Spätmittelalter mit forschungsgeschichtlicher Wirkung BRUNNER, Land und Herrschaft [1939] 1973 und die systematische moderne Entgegnung bei ALGAZI, Herrengewalt [Diss. 1992] 1996, der zeigen kann, dass eine romantisierende Vorstellung von „schirmender“ Herrschaft nicht zu postulieren ist (s. ebenda bes. 115 f.). 58 Zur Kategorie der Öffentlichkeit s. Öffentliche und Private 1998, darin v. a. VON MOOS, Das Öffentliche und das Private 1998.

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3 Zur Geschichte der modernen Vorstellungen von frühmittelalterlicher politischer Ordnung: Vom „Staat“ über das Haus des Königs zum „Staat“ Der um die Wende zum 20. Jahrhundert entstandene Idealtypus eines karolingischen Staates verlangte in seiner grundsätzlichen Ähnlichkeit mit dem politischen Konzept des Kaiserreiches selbst nach einer Reihe von Bedingungen, die zu erfüllen man dem karolingischen Staat möglich machte. So blieb wie eben im Kaiserreich die Frage nach dem Ursprung königlicher Macht letztlich unbeantwortet. Es wurde dem Karolingerreich ein dei-gratia-Konzept angepasst, das sich mit „Gottesgnadentum“ übersetzen ließ. Es musste einen Herrscher geben, der allein Gott verantwortlich war, und folglich musste es auch anstaltsstaatliche Formen geben. Kurz gesagt, der karolingische Staat hatte letztlich unserer Vorstellung von einem modernen Staat zu entsprechen. Er hatte Beamte und eine territoriale Gliederung. Das System von Grafen wurde in dieser Weise gedeutet, nämlich als „Grafschaftsverfassung“.59 Da aber offensichtlich war, dass diese „Beamten“ keine eigentliche Besoldung erhielten, musste man die Erwähnung von beneficia, die diese Amtsträger erhielten, als eine Art Besoldung deuten.60 Die Feststellung, dass diese beneficia recht bald erblich wurden, irritierte folglich, und die Feststellung des Verfalls der Ordnung war insofern konsequent. Begreifen konnte man diesen Staat eigentlich nur mit den Hilfsbegriffen von Herrschaft und Genossenschaft, da man recht früh erkannte, dass der Herrscher in seinem Handeln Begrenzungen unterworfen war, was durchaus auch zu seiner Absetzung führen konnte.61 Alles in allem aber war das Konzept weitgehend tragfähig, bis zum endgültigen Ende des zugrundeliegenden politischen Gegenwartskonzepts des Kaiserreiches irgendwann in der Weimarer Republik. So begann man, erneut, aber auf der Basis älterer Gewissheiten, ein Konzept zu entwickeln. Es ist dies die Vorstellung vom „Personenverbandsstaat“,62 mit deren Hilfe man das Fehlen fester Ordnungen kompensierte. Denn feste Ordnungen fehlten in gewisser Weise sowohl in der Weimarer Republik als auch – nun in neuem Licht – dem karolingischen Staat. Eine neue Ordnung verlangte nach Charisma, also nach einer Neuerfassung des Politischen als etwas Persönlichem. Die neue Ordnung wurde als persönlich gestaltet begriffen,

59 Das gleichnamige Buch von Hans K. SCHULZE, Grafschaftsverfassung 1973 zeigt aber bereits eine höchst differenzierte Sicht des offensichtlichen Phänomens weitgehender Durchdringung des karolingischen Reiches mit „Grafschaften“. 60 So behalf sich auch Max WEBER, Der Beruf zur Politik 1956, 180 f. S. dazu WEBER-FAS, Staatsgewalt 2000, 243. 61 Vgl. hierzu grundlegend KERN, Gottesgnadentum und Widerstandsrecht [1914] 1954. 62 S. dazu unten.

3 Zur Geschichte der modernen Vorstellungen

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und Vorstellungen von Treue und Untreue als Kategorien politischer Beschriftung wurden allenthalben üblich.63 Es ist die Zeit des „Dritten Reiches“ und seiner Vor-, aber auch seiner Nachgeschichte in der Adenauerzeit, die auch solche Teile der Gesellschaft ergriff, die nun gänzlich unverdächtig der Vertretung des nationalsozialistischen Regimes waren. Ordnung wurde zu einer Sache der persönlichen Bindung, und auch nach der sogenannten „Stunde Null“ blieb sie trotz einer stark auf Institutionen basierenden Verfassung dem Persönlichen stark verhaftet. Der Staat aus der Verbindung von Personen funktioniert eben nur, wenn dieser von charismatischen Zügen ergriffen ist. Und das ist ja eigentlich kein Staat, von dem man nämlich verlangt, dass seine Ordnung überpersönlich ist. Daher ist die Kritik an einer solchen Staatsvorstellung ausgesprochen berechtigt. Seit mehreren Jahrzehnten wird in der Forschung der frühmittelalterliche Staat dekonstruiert. Zuerst wird die Rolle der Großen hervorgehoben, von denen man erkennt, dass sie nicht eigentlich als Genossenschaft handeln, man es aber nicht begrifflich fasst, sondern bloß von „Genossenschaft“ als dem Komplementär der Herrschaft nicht mehr spricht. So gerät der Herrschaftsbegriff nach Verlust des Komplementärs zu einem wenig brauchbaren Konzept. Sodann beginnt man die Wirkmächtigkeit des Lehnswesens in seinen Anfängen zu bestreiten,64 weil es tatsächlich seine angebliche Funktion als staatliches Amalgam in karolingischer Zeit nicht erfüllt. Das Handeln der Großen wird nicht mehr als Ausdruck einer institutionalisierten Ordnung begriffen, sondern als persönliches Handeln verstanden, das zwar Regeln folgt, aber mutmaßlich nicht an eine Gesamtheit gebunden zu sein scheint, die man früher ohne zu zögern „Staat“ nannte.

63 S. noch das Germanenbild bei SCHLESINGER, Herrschaft und Gefolgschaft [1953] 1956, 147: „Was Führer und Gefolgsmann fester verkettete als er [Gehorsam], war das Band der Freundschaft und der Treue.“ Solche Sätze projizieren Wunschbilder und vielleicht auch verlorene ‚völkische Heimeligkeit‘ auf einen den Quellen nach weitgehend unbekannten Gegenstand. – S. aber auch die Relativierungen ebenda 172. – Zur Problematik dieser Begrifflichkeit s. POHL, Staat und Herrschaft 2006, 12. 64 Schon deutlich bei MAGNOU-NORTIER, Foi et Fidélité 1976; in aller Deutlichkeit und gewiss weit über das Ziel hinaus REYNOLDS, Fiefs and Vassals 1994, wobei die grundsätzliche Kritik, dass nämlich unser Begriff vom Lehnswesen, „the system of feudal and vassal institutions“ (ebenda 1), wesentlich von späteren Fassungen seines Inhalts abhängt, wobei vielleicht weniger die libri feudorum den Zeitpunkt der Festschreibung markieren als etwa das Lehnrecht des Sachsenspiegels, überzeugt. – Vgl. zu den Thesen von Reynolds durchaus pointiert KROESCHELL, Lehnrecht 1998. – Vgl. mit der Feststellung, dass die angenommene Exklusivität des Lehnswesens für die Gestaltung der politischen Ordnung nicht bestand, LE JAN, Introduction, in: Royauté 1998, 9. – Vgl. nun den Exkurs von APSNER, Vertrag und Konsens 2006, 257 ff., der zwar das Lehnswesen für das Westfrankenreich als bestehend annimmt, ihm jedoch nicht die staatsbildende Rolle beimisst, wie sie der Vertragsgedanke gehabt habe.

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4 Definitionen von „Staat“ Grundsätzlich stellt sich die Frage, ob als Staat nur gelten kann, was Gegenstand der modernen europäischen Staatstheorie geworden ist, nämlich der Anstaltsstaat, wie er sich erstmalig im Absolutismus zeigt.65 Dabei gilt grundsätzlich, dass dieser Begriff des „modernen Staates“, dessen früheste Entwicklung je nach Einschätzung um 1000,66 im Investiturstreit67 oder seit dem 12./13. Jahrhundert68 einsetzt, unser Begriff ist, also ein gebräuchlicher und aus der alltäglichen Erfahrung mit dem Gegenstand ständig aktualisierter Begriff, der sich unter anderem dadurch auszeichnet, dass er etwas bezeichnet, das dem gemeinen Bürger fremd, ja feindselig, gegenübersteht. Der Staat ist mithin der „große Andere“, und das hat seinen Grund. Die moderne Trennung von Staat und Gesellschaft fordert vom Staat sehr viel, nämlich eine vom einzelnen Bürger getrennte juristische Person darzustellen,69 die auch gegen den einzelnen Bürger handeln kann und handeln wird, wenn es dem durch den Staat vertretenen Souverän, nämlich der Gesamtheit der Bürger als solcher, dient. Das Spätmittelalter kennt dafür den Begriff der utilitas publica, des Gemeinnutzes, der vor dem Eigennutz steht.70 Der moderne Staat geht aber noch weiter, indem er eine eigene Hierarchie von loyalen Amtsträgern ausbildet und diese besoldet. Er ist immer ein wenig Leviathan, ja er muss es sein, weil er für das von ihm verwaltete Volk die Aufgabe hat, ein Gewaltmonopol durchzusetzen. Sein Prinzip ist Freiheit durch Herrschaft. Dabei ist der Beamte unbedingter Untertan der staatlichen Ordnung und zugleich freier Bürger. Er muss allzeit zwischen

65 RÜCKERT, Rechtsbegriff 2006, 576 f. berichtet von einem abendlichen Gespräch mit Jörg Jarnut, auf das er antwortet, dass man wohl „Staat“ als einen „Kategorialbegriff“ gebrauchen könne. Seine Sorge, dass man dann ein „Abgrenzungsproblem“ bekäme, ist nur dann begründet, wenn man Gesellschaften ohne Staat postuliert, das heißt, den Begriff „Staat“ zu einer absoluten Größe erhebt, die es gibt oder nicht gibt. Schließlich wird in der Entgegnung Rückerts ebenda auch deutlich, dass er eine kontinuierliche Entwicklung hin zum modernen Staat annimmt, also letztlich doch den modernen Anstaltsstaat als ‚den‘ vollendeten Staat ansieht und nicht bloß als eine Erscheinungsform des Phänomens: „Von den spätmittelalterlich aufkommenden konkreten Elementen her wäre zurückzublicken, um analoge Verhältnisse zu überprüfen, auch wenn die explizite Sprache dazu offenbar fehlt.“, ebenda 577. Vgl. hierzu GÖTTMANN, Geistliche Staaten 2003 zu den Geistlichen Staaten als komplexe Herrschaftsgebilde. – S. dazu auch den Staatsbegriff bei BELOW, Staat I 1914, etwa 167 ff. der den Staat nicht recht vom Herrscher zu trennen vermag und ihn daher stark über die Untertanenschaft definiert. – S. zur karolingischen Ordnung ähnlich WAITZ, Verfassung IV 1885, 644, der das personale Element in der karolingischen Herrschaftsordnung überwiegen sieht. 66 BENZ, Moderner Staat 2001, 10. 67 BERMAN, Recht und Revolution [1983] 1995 konkret zur Entwicklung des modernen Rechts, dem man ja eine gewisse Verwandtschaft zum „modernen“ Staat unterstellen darf. 68 Das ist in etwa die Position der zahlreichen Bände des Centre national de la recherche scientifique zu „Génese de l’Etat moderne“, etwa: Renaissance du pouvoir legislatif 1988. 69 S. etwa die Definition des modernen Staates bei MITTEIS, Land und Herrschaft [1941] 1956, 35. 70 S. die begriffsgeschichtliche Untersuchung von HIBST, Utilitas publica 1991.

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Amt und Person trennen können, was er aber nicht immer tut. In dieser Vorstellung vom modernen Staat steckt einige Fiktion von der Überwindung des Sozialen, nämlich der Kräfte der Gesellschaft, die dem Wesen des modernen Staates immer auch entgegenstehen. Nun zeigt gerade das gegenwärtige Völkerrecht die Notwendigkeit, den Staat eben nicht nach unserer modernen Anstaltsstaatlichkeit zu definieren. Viele Staaten genügen der modernen mitteleuropäisch geprägten Definition eben nicht. So hat man sich zu diesem Zweck darauf geeinigt, lediglich zu verlangen, dass ein Staat, um als ein solcher anerkannt werden zu können, über ein ihm zugehöriges Territorium verfügen müsse, ein festumgrenztes Staatsvolk aufzuweisen und als Staat souverän zu sein habe, also über die Mittel zu verfügen, sich selbst gegen Gewalt von innen und außen behaupten zu können.71 Der politische Raum des Frankenreiches ist begrenzt, wie präzise seine Grenzen sind, ist noch Gegenstand von Überlegungen.72 Immerhin dürfte der zum regnum Francorum gehörende Raum fester Bestandteil der politischen Ordnung sein, was u. a. deutlich wird, wenn ganze Familien in einen anderen politischen Raum wechseln und dies in den Quellen als solches vermerkt wird.73 Die Franken stellen gewissermaßen das „Staatsvolk“ dar,74 das im Laufe der Zeit auf weitere „Völker“, besser

71 Die Definition folgt Georg Jellinek, s. WEBER-FAS, Staatsgewalt 2000, 15 f. – Vgl. auch POHL, Staat und Herrschaft 2006, 10. – Vgl. zu dieser Definition JARNUT, Der langobardische Staat 2009 und PATZOLD, Episcopus 2008, 536, der diese Faktoren in der karolingischen Ordnung nicht beobachtet, wohl aber unter abgewandelten Vorgaben eine solche politische Ordnung erkennen kann. Das Gewaltmonopol als Kriterium von Staatlichkeit ist aber auch für die Gegenwart zum Teil bloße Theorie. Zahlreiche Staaten sind gar nicht in der Lage, auch nur annähernd ein Gewaltmonopol durchzusetzen. Eine Aufzählung dürfte sich erübrigen. Dass es im karolingischen Frankenreich starke Ansätze zu einer Grundlegung des Rechts als verlässliches Instrument der politischen Zentrale auch auf subsidiarer Ebene gibt, wird im Laufe der vorliegenden Arbeit mehrfach deutlich werden. Einen Anspruch auf ein (sehr) bedingtes Monopol der politischen Ordnung auf die Ausübung von Gewalt ist in den Kapitularien allgegenwärtig. 72 S. mit der begründeten Annahme von klaren Grenzen GOETZ, Frontiers 2001, zur Herleitung der klaren Grenzen aus einer Hierarchie der Orte STROTHMANN, Grenzen 2005 und sehr ähnlich in der Grundannahme EHLERS, Integration Sachsens 2007. 73 S. die Familie Karlmanns nach der Übernahme der Herrschaft im gesamten regnum Francorum durch Karl den Großen. Vgl. aber auch die bei den Reichsteilungen entstehenden Konflikte, wie sie für die Kirchenverbände dokumentiert sind, aber auch im Falle des Untertaneneides deutlich werden. 74 S. zu der Rolle der Identitäten bei der Entstehung organisierter Gesellschaften vor allem am Rand des Frankenreiches Franks, Northmen and Slavs 2008. – Eine mit dem Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Arbeit durchaus verwandte Frage richtet sich eben auf die Kategorie der „Identität“, die vor allem für die Entstehung von „gentes“ in der Völkerwanderungszeit zentral ist und nach neueren Forschungsergebnissen eben keine genetische Qualität hat, sondern auf im weitesten Sinne „politischen“ Strukturen basiert. So stellt Janet NELSON, Frankish Identity 2008 in aller Deutlichkeit fest, dass für das Karolingerreich keine emphatisierten Konzepte von Abstammungsgemeinschaften bestehen, sondern Identität eine politische Kategorie ist. Die Kategorie der Identität wird in der angelsächsischen bzw. englischsprachigen Forschung leicht mit der Kategorie von

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„Herrschaftsverbände“, ausgedehnt wird,75 nicht jedoch in einem engeren Sinn auf das regnum Langobardorum; auch Bayern genoss bis zum endgültigen Sturz Tassilos und in Grenzen sogar danach eine gewisse Autonomie. Die vielleicht wichtigste Frage im Hinblick auf die Staatlichkeit des Frankenreiches ist die nach der Transpersonalität des Gebildes, das die Zeitgenossen in der Regel mit „regnum“ bezeichnen,76 zeitweise aber auch mit dem Hilfsbegriff „ecclesia“ benennen. Die Frage hängt ganz wesentlich an den Erwartungen der Geschichtswissenschaft an die jeweilige Gesellschaft. Allgemein stellen wir dort Transpersonalität fest, wo sie auch reflektiert wurde. Nach Reflexionen über die politische Organisation als solche muss man in karolingischer Zeit schon suchen, oft wird man mit festen Vorstellungen konfrontiert, die entweder der Fiktion vom Staat als Haus des Herrschers dienen oder aber dem politischen Kampf gelten. Dennoch gibt es einige eindeutige Belege für eine Vorstellung karolingischer Zeitgenossen vom Staat.77 Wenn wir aber von der modernen Trennung von Staat und Gesellschaft absehen – nicht als politisches Ideal – sondern als politisches Prinzip aktueller Staatlichkeit, unseren aktuellen Begriff von Staat dieser Forderung entkleiden, so bleibt die Forderung nach Transpersonalität zwar bestehen, allein um die Dauerhaftigkeit und innerer Ruhe des Staates zu gewährleisten, nicht jedoch die Notwendigkeit der anstaltlichen Form des Staates. Es stünden eben nicht mehr notwendigerweise gesellschaftliche Kräfte neben den staatlichen Organen, sondern diese würden jene unmittelbar selbst darstellen können. Auch dabei gilt grundsätzlich die Vorrangigkeit der utilitas publica. Ein solcher Staat garantiert aber keine absolute Freiheit für das Individuum – ihm fehlt ja ein Konzept von grundsätzlicher Gleichheit in der politischen Verantwortung, wie übrigens auch dem wilhelminischen Staat mit der Permanenz des preußischen Dreiklassenwahlrechtes bis 1918. Für den karolingischen Staat gilt das Prinzip „Recht durch Herrschaft“. Der karolingische Staat zeichnet sich durch einen Begriff von „Rechtsstaatlichkeit“ aus. Das Recht ist Prinzip der staatlichen Ordnung, es gilt die Forderung – deutlich in den Kapitularien – nach Vorrang des Rechtes vor der Gewalt. Dabei wäre interessant, zu wissen, wie weit im Einzelnen dieser Anspruch durchgesetzt werden konnte; für den Bestand eines solchermaßen definierten Staates jedoch

„state formation“ in Verbindung gebracht, ohne jedoch die Mechanismen im Einzelnen nachzuvollziehen, die von der Identität zur politischen Ordnung führen, Franks, Northmen, and Slavs 2008. – Vgl. OEXLE, Konsens – Vertrag – Individuum 2001, 27, der die Verengung der modernen Perspektive auf das Königtum kritisiert. 75 Bestes Beispiel ist Sachsen, vgl. EHLERS, Integration Sachsens 2007. 76 S. etwa GOETZ, Wahrnehmung 2006, 50. – Der Begriff regnum ist grundsätzlich mehrdeutig, GROTH, regnum 2017, 493, dort 408 ff. zum Begriff, seinen Bedeutungen und Funktionen, auch als transpersonale Bezeichnung für „das Reich“, etwa auch als „Herrschaftsraum“ ebenda 417. 77 S. GOETZ, Wahrnehmung 2006, 55 und unten (Vorbemerkungen zur Theorie des Reiches), v. a. zu Sedulius Scottus und Hinkmar von Reims.

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ist das Maß der Rechtsstaatlichkeit zweitrangig. Man müsste andernfalls aus sittlichen Erwägungen zahlreichen modernen Staaten ihre Staatlichkeit absprechen,78 weil sie weder Freiheit noch Recht zu wahren vermögen.

5 Die frühmittelalterliche politische Organisation in der aktuellen Forschung Merkwürdigerweise ist das Ende der sogenannten „Neuen deutschen Verfassungsgeschichte“79 nicht unmittelbar über den dem Gegenstand unangemessenen personalen Staatsbegriff eingetreten, sondern eigentlich durch einen Generationenwechsel in der Mediävistik. Gewehrt hat sich diese Generation von Historikern nicht gegen das personale Element, sondern gegen die Vorstellung, „das Mittelalterliche“ sei verstehbar. Man hat es abgelehnt, moderne Ordnungsbegriffe zur Beschreibung mittelalterlicher Gesellschaft zu gebrauchen und stattdessen ganz in der Tradition der „Neuen deutschen Verfassungsgeschichte“ die Quellenbegriffe zu obersten Kriterien der Gliederung mittelalterlicher „Strukturen“ erhoben, ist dabei aber einen Schritt weitergegangen als die Doktorväter. Man erkannte im Mittelalter eine fremde Welt, der man sich phänomenologisch zu nähern begann, von der man eben keine Maximen für die Gegenwart erwarten konnte. Das personale Element, das man bis dahin gewissermaßen an die Stelle der Unbekannten in der Gleichung „Mittelalter“ gesetzt hatte, blieb im Hintergrund bestimmendes Moment. Damit zusammen hängt eine durchaus internationale Herangehensweise, die in aller Welt nach Vergleichsmöglichkeiten für mittelalterliche Phänomene sucht, diese aber bemerkenswerter Weise meist in einfachen Stammeskulturen findet – sicher fände man viele dieser Phänomene auch in Spielfilmen aus Hollywood. Der scheinbar konsequente Schritt ist die Annahme von der „Oralität“ der frühmittelalterlichen Gesellschaften Europas.80 Dabei ist die zentrale Frage, ob eine kleine schreibende bzw. mittelbar über Schrift verfügende Elite im Zentrum des Forschungsinteresses stehen darf. Nun ist während des gesamten Mittelalters und auch noch lange danach das politische Geschehen meist nicht von Kreisen bestimmt worden, die als schriftfern zu bezeichnen wären. Ja selbst die Französische Revolution ist eine wesentlich

78 Zur Kategorie der Sittlichkeit für die Definition des Staates s. HEGEL, Philosophie des Rechts [1821] 1970, § 257, S. 398. 79 Vgl. dazu GROTH, regnum 2017, 243 ff. 80 S. hierzu v. a. VOLLRATH, Typik 1981; vgl. die vermeintlich vermittelnde Position, die aber der Annahme einer rein oral geprägten Gesellschaft eine Absage erteilt bei GREEN, Orale Gesellschaft? 2003. – HLAWITSCHKA, Frankenreich 1986, 2–6 schildert das „Andere“ in der Sache völlig zutreffend, aber eben an höchst prominenter Stelle, womit er der „Alterität“ des Mittelalters einen besonderen Stellenwert einräumt.

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von Schriftkundigen geleitete Veranstaltung gewesen, obwohl auch diese Zeit gewiss nicht von einer allgemeinen Literalität erfasst gewesen sein dürfte. Die Schrift ist – wie neuere Forschungen immer drängender nahelegen – auch im frühen Mittelalter wesentliches Herrschafts- und Verwaltungsinstrument.81 Nach der erneuten Hinwendung auf ein von Gegenwartsfragen vermeintlich ungestörtes Mittelalter, etwa mit der Annahme von Alterität und Oralität, die ja wiederum auch Ausdruck wesentlicher Gegenwartsfragen war, gelangen nun wieder die Erklärungspotentiale der mittelalterlichen Geschichte für die europäische Gesellschaft und ihre tragenden politischen Konzepte in den Blick: Die mittelalterliche Geschichte ist ein wesentlicher Referenzraum für solche Fragen. War die Vorstellung von dem so anderen Mittelalter auch der Versuch, die Gefahren der Instrumentalisierung des Faches durch ideologische Vereinnahmung gar nicht erst möglich werden zu lassen, weil man das Mittelalter wesentlich nicht als Vorbereitungsraum für die Gegenwart begreifen wollte, so sind diese Rücksichten politisch zwar erneut politisch aktuell, sollten aber einem aktualisierten Verständnis von frühmittelalterlicher politischer Ordnung nicht im Wege stehen. Dabei darf die Gefahr nicht übersehen werden, dass mit einer Erneuerung der Wissenschaft von der mittelalterlichen Geschichte auch als politische Wissenschaft bestimmte Gefahren erneut im Raum stehen. Die größte Gefahr darf man in der Personalisierung der Geschichte sehen, die die großen Männer (und verstärkt auch Frauen) als Träger der Geschichte versteht, weil auf diese Weise – wie schon vor hundert Jahren – Geschichte leichter zu vermitteln ist, dies besonders unter den medialen Vorzeichen des 21. Jahrhunderts. Das ist aber vor allem ein Problem des öffentlichen Diskurses, nicht aber mehr in der Weise der Geschichtswissenschaft selbst. Die aktuelle, wesentlich europäische Herangehensweise an die mittelalterliche Geschichte zeichnet sich neben einem ungebrochenen kulturwissenschaftlichen „Turn“ durch eine Rückkehr zu klassischen Fragen aus, die aber nun unter neuen Vorzeichen gestellt werden. Dabei profitieren zunehmend die Untersuchungen von den Erfahrungen auch der Geschichtswissenschaft des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts, schließlich, weil der Abstand zu den politischen Fragen dieser Zeit groß genug geworden ist, um ihre Implikationen wissenschaftlich isolieren zu können. Zugleich wird aber auch deutlich, dass zwischen dem frühen und dem späteren Mittelalter grundsätzliche Unterschiede bestehen, nicht nur in der Quellenlage. Das wird in der Frage nach der politischen Ordnung besonders deutlich. Unsere moderne Vorstellung von „Staat“ setzt unwillkürlich eine gewisse formale Institutionalisiertheit voraus. Die aber ist im Frühmittelalter, anders als etwa in spätmittelalterlichen Städten, ja auch im Reich, nahezu nicht vorhanden. Während also für das Spätmittelalter meist die Frage nach dem Beginn der modernen

81 S. etwa STRATMANN, Hinkmar von Reims 1991. – S. auch HARTMANN, Kirchenrecht 2008, 5 f. und 57–59.

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Staatlichkeit erfragt wird und die Andersartigkeit politischer Ordnung eher als Defizit verstanden wird, muss für das Frühmittelalter die Frage nach politischer Ordnung respektive Staat anders gestellt werden, grundsätzlicher nämlich. Dabei können Arbeiten zur frühmittelalterlichen politischen Ordnung durchaus von Erkenntnissen zu Spätmittelalter und Früher Neuzeit profitieren, dies aber wesentlich mittelbar, wie etwa im Vergleich mit Erkenntnissen zum Kommunalismus und zu den geistlichen Staaten.82 Die neuen Fragen an die frühmittelalterliche Ordnung tragen frühmittelalterlichen Besonderheiten Rechnung, dies aber auch um den Preis einer Entfernung von der Forschung zur späteren Geschichte des Mittelalters. Einen wesentlichen Schritt machte Matthew Innes in einem Buch zu Staat und Gesellschaft am Mittelrhein.83 Dieses grundlegende Buch, dessen Gegenstand zwar regional begrenzt aber eben prototypisch ist, enthält aber bereits wesentliche Elemente einer sich abzeichnenden neuen Auffassung von historischen politischen Systemen. Die Ausgangsvorstellung des Autors bereits ist eine andere. Innes ist bereit, frühmittelalterliche Herrschaft im Kleinen zu suchen. Er durchbricht damit bereits ein klassisches Konzept der traditionellen (deutschen) Geschichtswissenschaft, ohne unmittelbar an die Vorgehensweise der deutschen Landesgeschichte anzuknüpfen. Außerdem zeugt sein Buch zwar von profunder Literaturkenntnis, die Basis seiner Arbeit scheint aber die offene Auseinandersetzung mit einem großen Quellenbestand zu sein. Seine Ergebnisse sind wegweisend, nämlich darin, dass er die Möglichkeit zeigt, dass frühmittelalterliches Handeln in sozialen Kategorien beschreibbar ist. Dieser Erkenntnis sind auch manche französischsprachige Forschungen verpflichtet, die jedoch einen gewissen Abstand von den Kategorien des Politischen halten, die für Innes und andere angelsächsische Historiker ganz unwillkürlich eben kein Problem darstellen.84 Die angelsächsische Forschung hat in großen Teilen kein Problem mit den Begriffen „State“ und möglicherweise auch nicht mit „Staatlichkeit“, was mitunter als „Statehood“ übersetzt wird oder aber wie „Kindergarten“ als Lehnwort eingeführt wird. „State“ ist dort ein gebräuchlicher Begriff für politische Ordnung,85 trägt damit nicht notwendigerweise all die Implikationen in sich, die wir in Deutschland damit

82 S. etwa BLICKLE, Kommunalismus I 2000. – Zu den konstitutionell erklärbaren geistlichen Staaten s. GÖTTMANN, Geistlicher Staat 2003, 30 ff. 83 INNES, State and Society [2000] 2001. 84 S. hier etwa DEVROEY, Puissant et misérables 2006, der die Gesellschaft des frühen Mittelalters umfassend darzustellen versucht und dabei sich wesentlich in und mit sozialen Konzepten bewegt und zugleich eine Art Geschichte sozialer Kategorien schreibt. 85 Die angelsächsische Forschung zeichnet sich eher durch einen unbefangenen und wenig reflektierten Gebrauch des Begriffes „Staat“ aus (vgl. resümierend POHL/WIESER, Vorwort 2009, IX).

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oft unwillkürlich verbinden, weswegen ja in Deutschland auch vor einem Gebrauch des einfachen Staatsbegriffes gewarnt wird. Es ist ausgesprochen schwierig, in einem internationalen Zusammenhang kompatible Kriterien für die Untersuchung politischer Ordnungen zu finden, wenngleich das Gespräch möglich und fruchtbar ist.86 Nun geht es ja im Folgenden um karolingische, also fränkische Staatlichkeit, womit die angelsächsische Forschung, deren Kriterien oft auf der Kenntnis britischer Verhältnisse beruhen, mit anderen Erwartungen umgeht, als etwa die französische Forschung. Dort hat sich eine ebenfalls wegweisende Herangehensweise etabliert, die die soziale Ordnung – nicht unbeeinflusst durch die moderne Ethnologie – in den Blick nimmt und etwa im Bereich der Adelsforschung Fragefelder eröffnet, die alte starre Vorstellungen von Adel als einem „Stand“ längst überholt haben. Hier wird auch die herrscherliche Familie als Teil des Adels verstanden, was theoretisch zu reflektieren ist.87 Die deutschsprachige Forschung lässt sich in zwei Felder gliedern, von denen das eine „moderne“ sich an der internationalen Forschung orientiert und damit auch offen für ethnologische Konzepte ist, was zu bemerkenswerten Infragestellungen führt. Das andere Feld lässt sich beschreiben als reflektiert-traditionell. Die Fragen werden in einem Kontext mit älteren deutschsprachigen Konzepten neu formuliert. Dabei ist die Auseinandersetzung mit der dunklen Vergangenheit deutscher Geschichtswissenschaft von einiger Bedeutung, weil nur so ältere theoretische Konzeptualisierungen verfügbar gemacht werden können. Anders als das „moderne Feld“, das versucht, sich weitgehend von deutschsprachigen Traditionen zu befreien, suchen diese reflektierten Traditionalisten die Auseinandersetzung. Es ist die Frage, ob es nicht notwendigerweise zu einer Verschränkung beider Felder kommen muss, damit die Innovationen des Faches sowohl der internationalen Gegenwart angemessen als auch begrifflich hoch reflektiert zu begründen sind. Auf der Ebene der Einzelfragen kommt es jedoch aus beiden Feldern zu Ergebnissen, die miteinander kompatibel sind und gemeinsam einen Forschungsstand beschreiben, der den Weg zu einem tragfähigen Konzept internationaler Forschung zu weisen in der Lage ist. Ein gutes Beispiel ist die Dekonstruktion des Lehnswesens für die Karolingerzeit. Nach einem massiven angelsächsischen Vorstoß, der in Deutschland (zum Teil berechtigt) auf einigen Widerstand stieß,88 hat sich die Fragestellung mittlerweile international etabliert. Die Befunde werden als Ausdruck persönlicher Verbindung über dingliche Elemente neu begriffen. Die Funktionen des beneficium werden in ihrer

86 Ein guter Nachweis dafür ist der Erfolg der Forschergruppe „Staat“, auf die die beiden Wiener Bände Staat im frühen Mittelalter 2006 und Der Frühmittelalterliche Staat 2009 unmittelbar zurückgehen. 87 S. Abschnitt „Die Herrscherfamilie“. 88 REYNOLDS, Fiefs and Vassals 1984.

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spezifischen Vielfältigkeit neu erkannt.89 Der Vorstellung von Herrschaftsnachfolge als Ausdruck eines Ringens zweier Rechte, nämlich „Anwachsung“ gegen „Eintritt“ wird eine Absage erteilt, was zu neuen Möglichkeiten des Verstehens führt, wie nämlich Söhne und Brüder im Herrschaftssystem zueinander stehen.90 Diese Eröffnung eines Fragefeldes erlaubt den Anschluss an französische Ansätze zu Familie und Verwandtschaft, die weitgehend unbeeindruckt von den Kategorien der deutschen Rechtsgeschichte Familienverbände neu zu verstehen suchen.91 Ähnliches gilt für die Rolle der Frauen im politischen System. Es wird deutlich, dass Frauen keine Verfügungsmasse der Familien darstellen, sondern Schlüsselfunktionen im „réseau de parenté“ einnehmen. Zu dieser Erkenntnis war es auch nötig, die Ehe nicht immer vom Mann aus zu betrachten, der sich eine Frau nimmt, oder zwei. Ehen sind eben oft Verbindungen von Familien, und auf dieser Voraussetzung beruhen verschiedene Eheformen, nicht etwa auf verschiedenen normativen Regeln für die männliche Rolle in einer Ehe.92 Zum Verständnis des frühmittelalterlichen politischen Systems bietet die neuere Forschung Kategorien, die sich wesentlich von denen der klassischen Verfassungsgeschichte unterscheiden.93 Nur konsequent ist also die im Folgenden unternommene Abkehr von dichotomen Deutungskategorien wie „Herrschaft und Genossenschaft“ und von einem personalisierbaren Begriff des Geschehens, also der Geschichte. Natürlich aber handeln Menschen und spielen Biographien eine Rolle; sie erklären jedoch nicht das Ergebnis von Gruppenhandeln. Der methodische Wandel in der Mediävistik bedeutete eine Abkehr von verfassungsgeschichtlichen juristischen und pseudo-juristischen Kategorien, die die politische Ordnung mit den Vorstellungen des Anstaltsstaates und seiner statischen Gliederung zu erfassen suchten. Das führte eben zunächst zu einer Überbewertung des personalen Elements. Recht früh aber begann man, die Rolle von Gruppen zu untersuchen und ihre personale Zusammensetzung zu verstehen. Die Forschung hat in der Folge eine Reihe von Untersuchungsgegenständen erschlossen, die hier als eine wesentliche Basis dienen, weshalb eine traditionelle Herangehensweise an die Frage nach der politischen Ordnung unterlassen werden kann. Das hat zur Folge, dass die ältere Forschungsliteratur verhältnismäßig selten in den Gang der Untersuchungen einfließen wird. Mit den Personengruppen eng verbunden ist die Frage nach dem Adel, davon ausgehend findet die Forschung einen Schwerpunkt mit der Frage nach dem

89 S. hierzu etwa KASTEN, Beneficium 1998. 90 S. bes. BECHER, Vater, Sohn und Enkel 2008. 91 S. auch hierzu für das Frühmittelalter bes. die Arbeiten von Régine Le Jan, die sehr wohl Bezug nimmt auf die Kategorien der (älteren) deutschen Rechtsgeschichte, diese jedoch nicht den eigenen Fragestellungen zu Grunde legt. – S. auch die von ihr mitherausgegebenen Bände „Les Élites“. 92 S. KOCH, Judith 2005. 93 SCHNEIDMÜLLER, Verfassungsgeschichte 2005 skizziert die Entwicklungen und die Gründe, die eine „klassische“ deutsche Verfassungsgeschichte ermöglicht, begleitet und beendet haben.

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Konsens als wesentliche Basis von politischen Entscheidungen. Diese wiederum finden in institutionalisierter Form auf den Versammlungen statt, von denen die Kapitularien ausgehen, deren Entstehung, Funktion und Bedeutung ebenfalls einen wichtigen Bereich der Forschung darstellen. Verbunden mit den Fragen nach Gruppen, Adel und Kapitularien ist die der Mitwirkung von Großen an politischen Entscheidungen, die substanziell über reinen Konsens hinausgeht und für den Gang der folgenden Fragestellungen wesentlich sein wird. Das Agieren von Personengruppen findet im Raum statt, wobei dieser Raum selbst auch an die Akteure gebunden ist. Die Erfassung von Raum jedenfalls ist ein Problem und zugleich eine Notwendigkeit für die Bildung eines mutmaßlich transpersonalen Reiches. Subsidiarität schließlich ist als Prinzip der Verwaltung eines solchen Reiches, das über einen zugehörigen Raum, angehörende Große und über die Absicht der Regelung innerer Angelegenheiten und der Vertretung nach außen verfügt, mutmaßlich wesentlich. Die folgenden kategorialen Begriffe verbinden jeweils und in ihrer Gesamtheit die neuere Forschung zur karolingischen politischen Ordnung mit der Herangehensweise der vorliegenden Arbeit.

5.1 Gruppen Die Gruppen als mittelalterliche Handlungsträger zu untersuchen und damit dem Individuum in der politischen Ordnung zur Seite zu stellen ist eine eminent wichtige Aufgabe, der sich seit den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts mehrere bedeutende Mediävisten zuwandten. Um eine theoretische Einordnung der Gruppe bzw. von Gruppen in das Verständnis vom Mittelalter bemühte sich vor allem Otto Gerhard Oexle, der damit unserem Verständnis mittelalterlicher Gesellschaften in Beziehung zu unseren modernen Erwartungen und Annahmen über Gesellschaft eine neue Basis gibt.94 Dabei ist der Begriff der „Gruppe“ trotz aller definitorischen Bemühungen zu unspezifisch, um dem Anspruch an einen erklärenden Begriff für die Gruppe auch als politische Größe gerecht werden zu können. An einigen Stellen wird in den folgenden Untersuchungen der Begriff der Körperschaft gebraucht werden, der im Ganzen nicht unproblematisch ist. Das offensichtliche Problem ist, dass es außer dem Begriff der Körperschaft keinen Begriff gibt, der sowohl der Aufeinanderbezogenheit der Gruppe als auch einer Hierarchisierung des sozialen Systems, das die Gruppe darstellt, gerecht zu werden in der Lage ist, und darüber hinaus noch erkennen lässt, dass eine

94 S. etwa OEXLE, Soziale Gruppen 1998 und OEXLE, Conjuratio et Ghilde 1982/1983 zu den antiken Wurzeln frühmittelalterlicher Schwureinungen. – Zum Begriff der „Gesellschaft“ als „Gruppe von Gruppen“, aber bezogen auf die mittelalterliche Stadt, s. OEXLE, Konflikt und Konsens 2001, 80 f.

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solche Gruppe zwei wesentlich unterschiedliche Aufgaben hat, nämlich das Aufnehmen verschiedener Beteiligungspotenziale der Mitglieder und die organisierte Abgabe des gesammelten Potenzials durch dazu bestimmte Agenten einer solchen Gruppe.95 Mit anderen Worten: Eine solche Gruppe wäre eben keine Genossenschaft, weil sie in aller Regel nicht homogen ist und die Mitwirkung nicht den Grundsätzen der Gleichheit folgt. Sie wäre aber zugleich eine Gruppe, deren Gesamtwillen von den Mitgliedern getragen und von einzelnen ihrer Vertreter nach außen artikuliert wird. Eine solche Gruppe, die streng genommen Körperschaft zu nennen ist,96 ist ihrem Wesen (dieser Ausdruck mag an dieser Stelle erlaubt sein) nach transpersonal. Es wird an mancher Stelle der folgenden Untersuchungen deutlich werden, dass das politische Handeln im Frankenreich ganz wesentlich auf solchermaßen zu beschreibenden Gruppen beruht. So soll herausgearbeitet werden, dass die Handlungsträger im karolingischen Frankenreich in aller Regel zumindest auch als Vertreter solcher Gruppen zu verstehen sind.

5.2 Adel Dazu gehören neben den Kirchen die Adelsverbände, die ja als ein gemeineuropäischer Forschungsgegenstand gelten können. Auch hier wieder ist die französische Forschung besonders mit Régine Le Jan weit vorangeschritten in der Erforschung der Funktionsweise von Netzwerkstrukturen,97 während vor allem auf deutscher Seite v. a. systematische Prosopographie betrieben wird, etwa mit der Erforschung der Verbrüderungsbücher.98 Nach den Forschungen von Régine Le Jan,99 dem monumentalen Werk von Hechberger100 und nun dem alte Kategorien auflösenden Buch von Gerhard Lubich101 darf im Folgenden auf eine eingehendere Untersuchung des Adels verzichtet

95 Über die Verwendbarkeit des von VON MOOS, Das Öffentliche und das Private 1998, 20, Anm. 30 vorgeschlagenen Begriffs der „universitas“ ist unbedingt nachzudenken; s. dazu auch MICHAUDQUENTIN, Universitas 1970. 96 KAUFMANN, Körperschaft 1978 stellt sehr stark auf die Qualität der vollausgebildeten Körperschaft als „Juristische Person“ ab, was aber im Kern an der Tatsache hängt, dass eine solche Gruppe einen Gesamtwillen artikulieren kann, der sich von den Einzelwillen unterscheiden kann bzw. muss. 97 Vgl. dazu auch die Reflexe dieser Erkenntnisse etwa bei DEVROEY, Puissants et misérables 2006, 104 ff. 98 S. die Arbeiten von Schmid, Geuenich und anderen. Eine Abbildung der Forschungslandschaft etwa in Person und Gemeinschaft 1988. – S. auch zahlreiche Beiträge in FMS, verbindend DEPREUX, Prosopographie 1997. 99 LE JAN, Famille et Pouvoir 2003. 100 HECHBERGER, Adel 2005. 101 LUBICH, Verwandtsein 2008.

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werden, da – z. T. aber bereits auf der Basis älterer Forschungen – festgestellt werden kann, dass der Adel mit seinen Netzwerkstrukturen und seiner Bezogenheit auf die Spitze der politischen Ordnung, sichtbar etwa in der Bereitschaft bedeutender Adelsfamilien, sich mit der königlichen Familie zu verbinden, Verbandsstrukturen ausbildet, die – so die Ergebnisse Lubichs – unübersichtlich, dennoch aber der politischen Ordnung wesentlich sind.102

5.3 Konsens Von Burkhardt Apsner erneut betont, ist das Amalgam der politischen Ordnung mit Begriffen wie Vertrag und Konsens zu beschreiben.103 Die karolingische politische Ordnung basiert wesentlich auf Konsens.104 Aber gilt das nicht letztlich für jede funktionierende politische Ordnung? Denn nicht der Konsens aller ist hier maßgeblich. Nach dem Konsens von Randgruppen – und seien sie zahlenmäßig noch so groß – fragen die tragenden Kräfte doch nicht. Alle anderen Kräfte werden gebraucht – und sei es nur in der Weise, dass ihr Widerstand vermieden werden muss, um das System zu erhalten.105 Das Ziel einer neu etablierten politischen Ordnung muss also ein größtmögliches Maß an Konsens sein.

102 LUBICH, Verwandtsein 2008, 178 u. ö. 103 APSNER, Vertrag und Konsens 2006. Vgl. zum Vertrag als eine wesentliche Voraussetzung für die Bildung von Gruppen OEXLE, Konsens, Vertrag – Individuum 2001. 104 Nach HANNIG, Consensus fidelium 1982, der die Frage über den Quellenbegriff des Consiliums erstmalig neu zu greifen versuchte und für lange Zeit damit das grundlegende Werk zur Mitwirkung der Großen und ihrer Entsprechung in der Wahrnehmung der Quellen geschaffen hatte, kam von rechtshistorischer Seite das zweibändige Werk von WEITZEL, Dinggenossenschaft 1985 dazu, dem aber wegen seiner in der Geschichtswissenschaft nicht mehr üblichen Orientierung an Begriffen der älteren Rechtsgeschichte wenig Beachtung geschenkt wurde, obwohl in der Sache einige wesentliche Beobachtungen zum Prinzip der Mitwirkung größere Beachtung durchaus gerechtfertigt hätten. Aber erst in jüngerer Zeit fanden vor allem angelsächsische Historiker zu einer grundlegend neuen Sicht auf die Mitwirkung der Großen als Prinzip der Herrschafts- und Verwaltungsordnung, so vor allem INNES, State and Society 2000 und AIRLIE, Semper fideles? 1998. Roman DEUTINGER, Königsherrschaft 2006 hat in seinem Versuch einer „Pragmatischen Verfassungsgeschichte“ der Mitwirkung die ihr gebührende Stelle zugewiesen. – Deutlich weist übrigens SCHNEIDMÜLLER, Konsensuale Herrschaft 2000, 65 auf die „autogen gewachsenen Adelsrechte“ hin. – S. die Feststellung zur Bedeutung des Consiliums unter Hinweis auf die Arbeiten von Janet Nelson bei GARIPZANOV, Symbolic Language 2008, 10. 105 Auf die kompetitive Qualität der „konsensualen Herrschaft“ hat Steffen PATZOLD, Konsens und Konkurrenz 2007 eindringlich hingewiesen und damit den Blick auf die Gesamtheit der Handelnden geöffnet, denn erst durch die Konkurrenz wird der Charakter des Konsenses als aktive Teilnahme recht deutlich.

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Das zeigt sich nicht nur im politischen Handeln, sondern auch im Rechtssystem, das ganz wesentlich auf Ausgleich angelegt ist.106 Roman Deutinger hat auf die Bedeutung des Konsenses bei den politischen Verfahren mit aller Deutlichkeit hingewiesen.107 Aber eine Voraussetzung zur Herstellung von Konsens ist die Ordnung von Konflikten; erst wenn Konflikte einem „ordentlichen“ Verfahren unterworfen werden können – das ist eine wesentliche Voraussetzung von Staatlichkeit – lässt sich der notwendige Konsens herstellen und erhalten.108

5.4 Kapitularien Zur Herstellung eines ordnenden Konsenses gehören in besonderem Maße die Kapitularien,109 denen in den letzten Jahrzehnten eine besondere Aufmerksamkeit galt, dies besonders im Rahmen der Schriftlichkeitsdebatte.110 Es hat sich weitgehend als communis opinio herausgestellt, dass die Kapitularien eben keine „Herrschererlasse“ im eigentlichen Sinn darstellen,111 sondern Ausdruck eines Konsenses unter den maßgeblichen Kräften darstellen.112 Steffen Patzold hat dies aus einem ganz eigenen Zugriff heraus bestätigt, indem er die Normativität der Kapitel nicht in ihrer schriftlichen Form als Kapitular erkennt,

106 LE JAN, Justice royale 1997. – DEUTINGER, Königsherrschaft 2006, 253 f. sieht den König im Gerichtsverfahren wie im politischen Prozess in der Rolle eines „Moderators“. „Ziel des Konsenses war mit anderen Worten nicht so sehr die Eintracht zwischen König und Volk als vielmehr die Eintracht im Volk selbst, die der König herbeizuführen hatte.“ 107 DEUTINGER, Königsherrschaft 2006, 164 sieht die Bestellung der Grafen abhängig von einem konsensualen Verfahren. 108 PATZOLD, „Spielregeln“ 2001. 109 Zur Effizienz in Hinblick auf Veröffentlichung und Verbreitung der Kapitularien in Neustrien s. KRAH, Kapitulariengesetzgebung 1989, 580. 110 MORDEK, Fränkische Kapitularien [1986] 2000, 6 etwa will nicht „die Dominanz des Mündlichen [. . .] bestreiten“, erkennt aber für die Kapitularien eine erhebliche Rolle der Schriftlichkeit. 111 Diese Meinung vertrat dezidiert etwa François Louis Ganshof, etwa in GANSHOF, Kapitularien 1961. 112 Darauf zielt auch die Einschätzung Deutingers im Hinblick auf die Entscheidungsfindung, DEUTINGER, Königsherrschaft 2006, 249 ff. Er sieht den Konsens bereits als Ausdruck einer Mitwirkung durch einen engeren Kreis von Großen, bereits die der Reichsversammlung vorgelegten Absichten des Königs sind geboren im Konsens eines engeren Kreises von Großen gemeinsam mit dem König (v. a. ebenda 251). Damit bildet er die Darstellung des Verfahrens in „De Ordine Palatii“ ab, s. unten. – S. zur Diskussion und zur älteren Forschung MORDEK, Karolingische Kapitularien [1986] 2000, 56 ff. – S. mit dem Hinweis auf für Kapitularien notwendigen Konsens MORDEK, Fränkische Kapitularien 2000, 5.

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sondern in ihrer Urheberschaft durch König und Große und somit eigentlich als Einzelbestimmungen.113 Das verweist auf ihre Entstehung bzw. ihren Beschluss auf den Reichsversammlungen.114

5.5 Mitwirkung Was sich mit den Kapitularien bereits deutlich zeigt, ist die Mitwirkung der Großen an den Entscheidungen. Es hat sich weitgehend durchgesetzt, die Großen mehr als „Mitwirkende“ denn als Beherrschte zu sehen.115 Diese Sicht findet sich schon stark ausgeprägt bei Karl Ferdinand Werner, der den Adel nicht als „Gegenspieler“, sondern vielmehr als „Mitspieler“ des Königtums sieht und mit seinen Positionen die Dichotomie von Herrschaft und Genossenschaft geradezu auflöst.116 Sehr deutlich wird die Rolle der Großen als „Mitwirkende“ in den Arbeiten von Stuart Airlie, der seinen Zugriff in einer sinnvollen methodischen Verbindung von Mitwirkung und Subsidiarität findet. So sieht er den Aufstieg der Karolinger und die Etablierung des karolingischen politischen Systems als nur möglich im Verbund mit einer starken Aristokratie, die aus eigenen Mitteln heraus besteht, und betont die reichsweite und damit Teilreiche übergreifende Mobilität des Adels, der zudem über nutzbare Netzwerke verfügt.117

113 Das hat PATZOLD, Normen 2007 am Beispiel des „Capitulare missorum generale“ (vgl. MORDEK, Bibliotheca capitularium 1995, 474) und seiner Überlieferungszusammenhänge deutlich gemacht, die nämlich annehmen lassen, dass dieses „Kapitular“ keine als Zusammenhang konzipierte herrscherliche Willenserklärung mit normativem Charakter darstellte, sondern den einzelnen Kapiteln normative Geltung zuzuschreiben ist, in der Weise nämlich, dass diese einmal von König und Großen durchaus gemeinsam mit anderen Kapiteln ausgegangen waren, um dann immer wieder zu „Kapitularien“ zusammengefügt zu werden. So entsteht eben ein „Capitulare generale“. Für die vorliegende Arbeit bedeutet das, dass die Zitation von Kapitularienbestimmungen auf eine ausführliche Diskussion ihres Entstehungszusammenhanges verzichten kann, weil auf Grund der Überlieferungslage nicht klar sein kann, welchem Kontext das einzelne Kapitel zuzuordnen ist. Wenn unten von „Kapitularien“ als Zusammenhängen die Rede ist, dann in der Weise, dass neben der grundsätzlichen Urheberschaft durch König und Große der Zeithorizont in diesen Vergemeinschaftungen von Bestimmungen in der Regel wohl gemeinsam sein dürfte. S. zur forschungsgeschichtlichen Einordnung auch PATZOLD, Episcopus 2008, 61–65. 114 EICHLER, Reichsversammlungen 2007, 51 definiert Reichsversammlungen als „alle herrscherberufenen und herrschergeleiteten Zusammenkünfte“, womit er in bestimmter Hinsicht an dem Begriff vorbeidefiniert, nämlich was die Bedeutung „Reichs“-Versammlung betrifft. Das können nur Versammlungen sein, in denen es um das Reich geht und nicht bloß solche, die von der „Herrschaft“ des Königs ausgehen, andernfalls könnte er auch den Begriff „placitum“ verwenden, der eher allgemeinen Charakter hat. 115 S. etwa AFFELDT, Mitwirkung 1972. Vgl. die Phänomenologie bei HLAWITSCHKA, Frankenreich 1986, 38. 116 WERNER, Adelsfamilien 1965, 84 und öfter. 117 AIRLIE, Aristocracy 1995. – Dabei beruht Airlies Modell vor allem auf der Beziehung von Königtum und Adel.

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Airlie geht dabei so weit, dass er vorschlägt, anstelle von „royal government“ von „regnal government“ zu sprechen.118 Im Zusammenhang mit der „Admonitio ad omnes regni ordines“ stellt Airlie fest: „Such figures were not simply in royal service but in public service [. . .]“119 Aus der Beobachtung der Teilhabe der Großen an den Entscheidungen des Königs ergibt sich schließlich die Frage, wer in der Karolingerzeit im Frankenreich eigentlich herrscht.120

5.6 Raum Seit einiger Zeit gewinnen Fragen nach Raum neue Bedeutung. Nachdem in Deutschland der Begriff „Raum“ nach seinem extensiven und ideologisch aufgeladenen Gebrauch im Dritten Reich fast ein halbes Jahrhundert lang geradezu tabu für die Mittelalterforschung war, ist aus dem Westen Europas seit einigen Jahren der Raum als „espace“ und „space“ geradezu zu einem Schlüsselbegriff der Mittelalterforschung geworden. Ausgehend von der Frage, wie im Mittelalter Raum begriffen wurde und ob dieser als eine Kategorie auch des mittelalterlichen Denkens überhaupt zu verstehen ist, hat sich eine kaum überschaubare Fülle von Literatur über die Forschungslandschaft ergossen.121 Dabei zeichnet sich ab, dass für das Spätmittelalter etwa in der päpstlich-kirchlichen Verwaltung durchaus ein räumliches Bild von Europa verfügbar und nutzbar war, aber für das frühere Mittelalter oft ein solches Konzept von Raum bestritten wird. Dabei steht vor allem in Frage, ob es überhaupt klare

118 AIRLIE, Aristocracy 2006, 93. 119 Ebenda 100, mit der Einschränkung der „anachronistic undertones of this term“. 120 EDER, Who rules? 1991. S. auch STROTHMANN, Wer ist das Reich?, 2014. – LE JAN, Les Élites 2010, 335 f. weist auf die Diskrepanz zwischen der politischen Theorie der Fürstenspiegel und der politischen Realität des 9. Jahrhunderts hin, nämlich zwischen der Theorie von einem allein herrschenden König und der faktischen Stellung der Großen im Reich als Mitherrschende. – SCHNEIDMÜLLER, Konsensuale Herrschaft 2000 entwirft ein Bild vom Mittelalter, das trotz aller Wandlungen die konsensuale Herrschaft als zentrale Kategorie kennt, und fordert ebenda 66 ausdrücklich zur „Analyse ihrer [der „Adelsgruppen“] staatlichen Kreativität“ und damit zur „systematischen Revision der Geschichte des 8. und 9. Jahrhunderts aus der Perspektive von Konsensualität als Bauprinzip frühmittelalterlicher Ordnung“ auf. Damit soll hier begonnen werden. 121 S. die nahezu umfassende Literaturübersicht bei JASPERT, Grenzen 2007. – Die Frage nach Raum als zeitgenössische Kategorie ist auch für die Alte Geschichte ein Problem, das auf der einen Seite Kai Brodersen, etwa in mehreren Artikeln in Der Neue Pauly dazu führt, anzunehmen, dass in der Antike Raum nur über Reisewege und Landmarks erfasst worden sein konnte, auf der anderen Seite aber von HÄNGER, Welt im Kopf 2001 nachgewiesen wurde, dass in der Verwaltung und Vermessung mittelgroßer Räumen die Römer mitnichten hilflos, sondern durchaus in der Lage waren, große Räume Italiens zum Zwecke der Landverteilung zu vermessen.

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Grenzen gab oder nur Grenzen in Form von Marken, weil eine Grenzziehung nicht möglich gewesen sei.122 Das korrespondiert mit der verbreiteten Annahme, im früheren Mittelalter habe es einen Staat in keiner Form gegeben. Der Annahme fehlender Grenzen ist mit Recht widersprochen worden.123 Es gibt Grenzen, nur dass sich diese nicht aus einer karthesianisch-geographischen Herangehensweise ergeben, sondern aus den Besitzverhältnissen, die mit Kommunikationsräumen korrespondieren. Solche Kommunikationsräume näher zu erforschen ist im Übrigen eine implizite Forderung von Stuart Airlie, die er nämlich als Forderung nach den Kommunikationsstrukturen des Reiches formuliert.124

5.7 Subsidiarität Ein Reich von der Größe des Frankenreiches ohne den Einsatz moderner Kommunikationsmittel ordnen zu können setzt voraus, dass die regionalen Gewalten am politischen Handeln konstruktiv teilnehmen, also sowohl an der Beschlussfassung der Zentrale beteiligt sind als auch – was damit zusammenhängt – bereit sind, die gefassten Beschlüsse (in Grenzen) zuhause umzusetzen.125 Dabei muss davon ausgegangen werden, dass das Frankenreich eine ausgeprägte regionale Struktur aufweist,126 die mit einiger Vorsicht gegenüber dem modernen Begriff als „föderal“ bezeichnet werden könnte. Innes sieht dabei den Adel als Mittler zwischen der Zentrale und den Regionen.127 Dabei ist das gemeinsame politische Wirken der Kräfte nicht notwendigerweise harmonisch, sondern beruht durchaus auf der Erwartung eines „Mehrwertes“, wie Karl Ferdinand Werner deutlich machte.128 Die Herrschaft

122 Dieser Annahme folgt die Konzeption des von Klaus Herbers und Nikolas Jaspert herausgegebene Banden „Grenzen und Grenzräume“ 2007. 123 GOETZ, Frontiers 2001; STROTHMANN, Grenzen 2005. 124 AIRLIE, Aristocracy 2006, 110 f. – S. aber schon EHLERS, Integration Sachsens 2007, der ein Konzept einführt, das Beziehungen der Ordnung zum Raum und zu Gruppen in seiner Komplexität begreift. S. nun auch EHLERS, Rechtsräume 2016. 125 S. unter dem Gesichtspunkt der Einheit des Reiches und den erheblichen Schwierigkeiten, diese zu erhalten EHLERS, Entstehung des Deutschen Reiches 1994, 11: „Als wesentliches Hindernis der Einheit hatte sich schon zur Zeit Karls die schiere Größe des Reiches erwiesen, der zwar durch Anerkennung regionaler Eigenständigkeit Rechnung getragen wurde, die aber unter den Kommunikationsbedingungen der Zeit administrativ nicht zu bewältigen war.“ 126 Zur Regionalität des Reiches seit spätmerowingischer Zeit s. WERNER, Missus 1980, 210 f. 127 INNES, State and Society 2000, 259: „Early medieval politics was defined by the mediating role of the aristocracy as the interface between the political centre and the localities. We therefore cannot see politics as a struggle between king and aristocracy, the former representing centralization, the latter fragmentation.“ 128 WERNER, Missus 1980, 238: „La tare essentielle et incurable du système, c´était le fait que l’Empire et ses bienfaits ne pouvaient se réalisier qu’à travers l’aide, la participation, l’énergie, mais aussi l’égoisme de l’aristocratie qui elle, retenait les fruits matériels des conquêtes qui passaient

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im Frankenreich kann – folgt man Matthew Innes – auch nicht mehr als von der Zentrale ausgehende Delegation von Befugnissen gesehen werden, sondern muss der Komplexität einer Ordnung von Kräften Rechnung tragen, die auf den verschiedenen Ebenen und ohne klare Abgrenzungen untereinander ihre Interessen in das politische System einbringen.129 Die Aufgabe der vorliegenden Arbeit liegt folglich darin, diese Einsicht nachzuvollziehen und – wie an anderer Stelle noch zu präzisieren – in ein Konzept zu fassen. Dabei ist auch zu fragen, ob die Komplexität des Systems wirklich ursächlich für die Probleme des 9. Jahrhunderts ist,130 oder ob nicht gerade die Komplexität wesentlicher Faktor von Stabilität sein kann.131

5.8 Personenverband oder Transpersonalität des Reiches Während noch Heinrich Mitteis sich für hochmittelalterliche Gesellschaften weitgehend auf die Beschreibung staatlicher Formen beschränkte,132 hatte kurz zuvor Theodor Mayer eine Bezeichnung für den hochmittelalterlichen Staat gefunden, die auf den ersten Blick recht treffend zu sein scheint: „Personenverbandsstaat“.133 Im Gegensatz zum modernen Anstaltsstaat, der seine frühen Formen im Territorialstaat finde, sei der Personenverbandsstaat Kennzeichen früh- und hochmittelalterlicher Staatlichkeit. In seiner reinen Form setzt sich dieser Personenverbandsstaat aus natürlichen Personen zusammen, deren Zusammenhalt aus verschiedenartigen Treueverhältnissen erwächst.

seulement par les mains des rois pour parvenir à ceux qu’il fallait payer pour leurs services. Gouverner et administrer a ´té ainsi, du moins économiquement, un contrat d’exploitation commune, conclu entre le monarque et les administrateurs aux frais de administers.“ 129 INNES, State and Society 2000, 140: „Political power was claimed and negotiated through the collective action of a series of overlapping and interleaving groups on a hierarchy of public stages. These local patterns of the public, manifest and collective must replace administrative delegation in our minds as the foundation stones of the Carolingian polity.“ 130 INNES, State and Society 2000, 260: „Carolingian problems in the ninth century did not result from partition or royal weakness, but from the inherent complexity of the system.“ 131 „The paradox of early medieval states was that their stability depended on chronic instability [. . .]“, NELSON, Kingship 1995, 387. Eine darüber hinausgehende Antwort auf diese Frage soll hier nur theoretisch gegeben werden, da sie eigentlich eine Untersuchung voraussetzte, die das kollektive Handeln des Westfrankenreiches in Beziehung zur wirtschaftlichen Entwicklung und vor allem zu äußeren Bedrohungen verfolgen müßte, wobei eine wesentliche Frage auf die mangelnde Solidarität mit durch die Normannen unmittelbar bedrohten Regionen gerichtet sein würde. 132 MITTEIS, Staat des Hohen Mittelalters [1940] 1986. 133 MAYER, Grundlagen des modernen deutschen Staates [1939], 457 ff., hier zitiert aus: Herrschaft und Staat 1964, 284–331. – Auch SCHLESINGER, Herrschaft und Gefolgschaft [1953] 1956, 179 setzt dem modernen „‚institutionellen‘ Flächenstaat“ den frühmittelalterlichen Personenverbandsstaat entgegen, dem er ebenda 185 auch die Herrschaft über Land impliziert sieht.

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Die vielzitierte germanische „Treue“ wird als einzigartige Bedingung dieses Staates aus Personen verstanden, und eine idealisierte Form des Lehnswesens, in der die Treue des Lehnsnehmers als selbstverständlich und konstitutiv postuliert wurde, galt als direkt entstanden aus germanischer Gefolgschaft. Als Modell hat sich die Vorstellung von einem Personenverbandsstaat weitgehend durchgesetzt,134 wenngleich eine gewisse Distanz zu der Begriffsbildung Mayers allgemein nicht zu übersehen ist.135 Auch enthält das Lexikon des Mittelalters kein Lemma „Personenverbandsstaat“. Eberhard Isenmann erwähnt in seinem Artikel „Staat“ zwar den Personenverbandsstaat alternativlos, jedoch mit der Bezeichnung „idealtypisch“.136 Schon Walter Schlesinger hat erkannt, dass der Personenverbandsstaat nicht ohne eine (ergänzende) „Tendenz zur Flächenhaftigkeit“ zu verstehen ist.137 Zur Illustration dessen, was Mayer bei der Bildung des Begriffes vom Personenverbandsstaat vorschwebte, sei die abschließende Bemerkung seines Aufsatzes zur „Ausbildung der Grundlagen des modernen Staates“ von 1939 zitiert: Noch rund sieben Jahrhunderte hat es gedauert, bis in unseren Tagen jene höhere Synthese zwischen dem Volksstaat als dem Personenverbandsstaat und dem institutionellen Flächenstaat herbeigeführt worden ist, durch die das Volk wieder unmittelbarer, verantwortlicher Träger des Staates und nicht mehr Objekt der Herrschaft geworden ist, bis die alten germanischen Grundlagen des Staates, die lange von der Technik der Staatsverwaltung überwuchert worden waren, wieder zu eigenem Leben durchdrangen und die Herrschaft im Staate an sie überging.138

134 MITTEIS, Staat des Hohen Mittelalters [1940] 1986, 3; KROESCHELL, Deutsche Rechtsgeschichte 1 [1972] 1992, 278; DINZELBACHER, Personenverbandsstaat 1992, 629; SCHULZE: Grundstrukturen der Verfassung 3, 1998, 88. – S. zum fortgesetzten Begriffsgebrauch etwa APSNER, Vertrag und Konsens 2006, 27. – DEUTINGER, Königsherrschaft 2006, 158 gebraucht den Begriff in Anführungszeichen, obwohl er – wie mancherorts ersichtlich wird – in einem eigentlichen Sinn den karolingischen Staat des Westfrankenreiches für einen solchen hält, nämlich für einen Verband aus Personen. – Vgl. ESDERS, Eliten und Raum 2007, 29, der seine Kritik an dem Begriff in einem resümierenden Satz sehr überzeugend deutlich werden lässt: „Denn am Ende der frühmittelalterlichen Entwicklung stehen keine rechtsfreien Räume und auch keine raumfreien Personenverbände, sondern lediglich neue Rechtsräume.“ 135 S. zum Begriff und seinem ideologischen Hintergrund ALTHOFF, Verwandte 1990, 5 f. – Vgl. KLUGE, Kontinuität 2014, 71, die zwar auf die völkischen Implikationen des Begriffes verweist, aber offensichtlich die methodische Brisanz der Aufgabe einer eigenen staatlichen Ebene gegenüber der Gesellschaft, dem Volk nämlich, nicht sieht. So lobt sie implizit die moderne Forschung gerade für die Aufgabe eines solchen Konzeptes (ebenda 69 ff.), wobei die Überbetonung des Persönlichen möglicherweise die größere ideologische Gefahr bedeutet, der man eben nur durch die der Ablehnung jedes Staatsbegriffes für das frühe und hohe Mittelalter komplementäre Vorstellung von mittelalterlicher „Alterität“ Herr werden könne. 136 ISENMANN, Staat 1995, 2151–2156. 137 SCHLESINGER, Herrschaft und Gefolgschaft [1953] 1956, 184. 138 MAYER, Grundlagen [1939] 1956, 315 f.

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Was Mayer hier unter „germanischen Grundlagen“ versteht, darf vermutet werden im Führerprinzip, in Gefolgschaft als bedingungslose Unterwerfung und in der persönlichen Herrschaft ohne Legitimation von einer Gesamtheit oder Gottheit, in der Verantwortung der Herrschaft nur dem vorgesetzten Führer gegenüber. Die Fiktion, dass Volkes Wille bei dieser Herrschaftsform repräsentiert sei, ist eine Fiktion, denn gewählt wird nicht oder alternativlos. Im Übrigen ist nie ganz klar, wie sich hier hinein das hoch gepriesene genossenschaftliche Prinzip fügt, das seinen Niederschlag theoretisch im Begriff der „Volksgenossen“ findet. All diese dem Personenverbandsstaat offensichtlich zugrundeliegenden Vorstellungen sind nicht eigentlich germanisch und haben mit der christlich geprägten Herrschaftsidee des abendländischen Mittelalters nun gar nichts zu tun. Die zentrale Frage zur Bewertung frühmittelalterlicher Ordnung gilt der Transpersonalität der Reiche. Das Frankenreich ist ein Gebilde, das entweder in voller Überzeugung von seiner Transpersonalität als Staat bezeichnet wird oder aber mit der kritischen Distanz zu modernen Kategorien als „Königsherrschaft ohne Staat“.139 Dabei ist vor allem die Zuspitzung höchst kontrovers; in der Einschätzung von politischen Mechanismen dagegen ist der Konsens in der Forschung recht breit, wie Forschungen zu Gruppen, Konsens, Mitwirkung der Großen und Subsidiarität zeigen. Vor allem Hagen Keller und Gerd Althoff, die den Gebrauch des Staatsbegriffes nach einigem Abwägen ablehnen,140 haben ganz wesentlich zum Stand der Forschung beigetragen.141 Und auch Johannes Fried und Bernhard Jussen, deren Ablehnung des Staatsbegriffes ausgesprochen vehement ist,142 sehen ja gerade sehr deutlich das Handeln der Großen. Fried hat vor einiger Zeit das Reich als „Meer von

139 S. ALTHOFF, Ottonen 2000, der diesen Begriff für das Reich der Ottonen gefunden hat. – S. NITSCHKE, Karolinger und Ottonen 2001, der den Staatsbegriff für die Karolinger ebenso wie für die Ottonen rundweg ablehnt. 140 KELLER, Forschung zur Staatlichkeit 2009, etwa 121 und ALTHOFF, Rituale 2009, etwa 391 unter Verweis auf gebotene Vorsicht im Hinblick auf (wohl politische) Missverständnisse. – Vgl. zum Konzept GROTH, regnum 2017, 249–251. 141 S. etwa KELLER, ‚Staatlichkeit‘ [1989] 2002, der im Gegensatz zum Reich der Ottonen für das Reich der Karolinger grundsätzlich und mit aller Vorsicht eine Interpretation als „staatlich“ für „möglich“ erachtet. 142 JUSSEN, Diskutieren über Könige 2005 sieht die Macht der Begriffe und kommt in Bezug auf Reich und Staat zu ähnlichen Einschätzungen wie Fried. Für ihn ist aber offensichtlich der Weg der Geschichte ein Weg in die Gegenwart, der die Moderne kontinuierlich entstehen lässt. So sieht er einen Begriff von Reich erstmalig im 10. Jh. aufscheinen und erst 1157 bestehen. „Staat“ gar lehnt er als Begriff für die Zeit vor dem 12. Jahrhundert grundsätzlich ab. Er konzediert zwar, dass der Staatsbegriff definabel ist, erklärt aber jede Definition, die im frühen Mittelalter Staaten zulässt, für eine Beraubung historischer Erkenntnis, weil ein solcher Staatsbegriff ungeeignet sei, das „byzantinische politische System“ etwa „von den Systemen der lateineuropäischen Gesellschaften im frühen Mittelalter“ (XVII) begrifflich abzugrenzen. Allein die daraus folgende umständliche Bezeichnung der barbarischen Reichsbildungen macht die Forderung fragwürdig.

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Häusern“ bezeichnet.143 Und damit hat er ja auch Recht, wenn man diese Häuser als Ausdruck für die Kräfte des Reiches, Kirchen und Familien nämlich, ansieht. Wenn man jedoch versucht, die karolingische politische Ordnung zu konzeptualisieren, ist eine Ablehnung eines Begriffes für das konkrete politische System hinderlich; gelegentlich vorgeschlagene Begriffe wie „Kirche“ oder „regnum“ sind wegen ihrer changierenden Inhalte wenig geeignet, dem gesamten Frankenreich als politische Größe einen Namen zu geben, mit dem sich arbeiten lässt. Wesentlich aber ist zahlreichen Annahmen von „Nichtstaatlichkeit“ des Frankenreiches, dass ihnen die Vorstellung vom sogenannten „Personenverbandsstaat“ zugrunde liegt,144 der eigentlich eben kein Staat ist. Die Ablehnung des Begriffes „Staat“ ist oftmals vor allem eine Ablehnung älterer Konzepte von frühmittelalterlicher staatlicher Ordnung, in erster Linie eine Ablehnung der älteren Verfassungsgeschichte, die den frühmittelalterlichen Staat als Kopie und Vorstufe des modernen Verfassungsstaates verstand. Bisher fehlt eine neue Konzeptualisierung des frühmittelalterlichen politischen Systems, das ohne diese Hypothek auszukommen in der Lage ist. Um es in aller Deutlichkeit zu sagen: Einen „Personenverbandsstaat“ hat es nicht gegeben. Der Begriff ist eine semantische Unmöglichkeit. Ein Personenverband – wie er der älteren Forschung vorschwebte – kann keinen Staat bilden, weil diesem die Transpersonalität fehlte.145 Andererseits wäre ja eigentlich ein Verband eo ipso transpersonal, wie jeder eingetragene Verein nur transpersonal zu fassen ist. Nur liegt in dem Konzept vom „Personenverbandsstaat“ die Annahme vom Handeln der Personen als souveräne Handlungseinheiten; ein Konzept von der Transpersonalität von Gruppen hatte sich nicht entwickeln können. Der Begriff „Personenverbandsstaat“ indes wird bis heute gebraucht, entweder um den Begriff des Staates überhaupt gebrauchen zu können oder aber um eine Zwischenlösung zu suchen, die zwar keinen Staat voraussetzt, andererseits aber immerhin das politische System als solches anzusprechen in der Lage ist.146 Der Personenverbandsstaat jedenfalls geht dem Problem der Transpersonalität aus dem Weg. Nun wird in aller Regel die Transpersonalität einer politischen Ordnung von ihrer Reflexion abhängig gemacht. Und über diesen Punkt, nämlich der Existenz oder Nichtexistenz reflektierter Transpersonalität letztlich hat sich die Forschung auf zwei Positionen verteilt, die an der Auseinandersetzung zwischen

143 FRIED, Herrschaftsverband 1982. 144 DILCHER, Leges – Regna – Gentes 2005, 30 zu den Gentes als Verbänden: „Nach den Aussagen der Quellen sind aber hier Personenverbände repräsentiert, die Träger von Rechtsordnungen sind und als solche rechtlich handelnd auftreten; und darauf kommt es für unsere Fragestellung an.“ 145 Darauf wies implizit schon KELLER, ‚Staatlichkeit‘ [1989] 2002, 11 f. hin. 146 S. etwa HLAWITSCHKA Frankenreich 1986, 28, 177. – DEUTINGER, Königsherrschaft 2006, 31 sieht das regnum „aus einer Vielzahl von Personen zusammengesetzt“.

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Johannes Fried und Hans-Werner Goetz sichtbar werden.147 Diese eigentliche Auseinandersetzung der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts hat sich in ihrer Grundsätzlichkeit nicht aufgelöst. Auch die vorliegende Arbeit versammelt einige Belege für reflektierte Transpersonalität, die jedoch nicht im Zentrum der Fragestellung stehen. Diese Belege hielten durchaus auch der Untersuchung in ihrem jeweiligen Kontext stand. Auf eine solche Untersuchung ist jedoch verzichtet worden, weil die Argumentation von Goetz für völlig ausreichend erachtet werden kann.148 Im Übrigen sei darauf verwiesen, was wohl eine Studie zur Wahrnehmung der Transpersonalität des modernen Staates in der heutigen europäischen Bevölkerung zu Tage förderte. Die Forderung nach der Reflexion der Transpersonalität als Bedingung für die Annahme des Bestehens derselben ist vor diesem Hintergrund nicht adäquat. Es gilt gemeinhin als Besonderheit, dass Wipo im Jahr 1025 den König gegenüber den Pavesen die Gültigkeit des Eides über den Tod des aktuellen Kaisers hinaus erklären lässt,149 gleiches aber findet sich bereits in einem Kapitular Karls des Großen, jedoch mit weit weniger theoretischem Erklärungspotential: nunc ipsum promissum nominis cesaris faciat [. . .] non, ut multi usque nunc extimaverunt [sic!], tantum fidelitate domno imperatori usque in vita ipsius.150

147 FRIED, Reich der Franken 2005 sieht den Begriff regnum nur als „Königsherrschaft“ und schließt jede Transpersonalität eines frühmittelalterlichen „regnum“ aus. Das Entstehen eines Reiches sieht er erst für die nachkarolingische Zeit beginnen. Als Belege dienen ihm nahezu durchweg Quellen aus dem ostfränkischen Raum, von dem ja bekannt ist, dass theoretische Reflexionen über das Gemeinwesen nicht einmal in den wenigen Konzilsakten eine nennenswerte Rolle spielen. Nun unterstellt Fried wie schon 1982, dass erst die Reflexion der Transpersonalität eine solche belegen könne. Man frage „den Mann auf der Straße“, „die Menschen da draußen“, nach ihrem Staatsbegriff. Das Ergebnis wäre, dass unser Staat in etwa so abstrakt zu denken wäre wie eine Suppenschüssel. 148 Mayke DE JONG, Ecclesia 2006, 113 findet die Argumente von Hans-Werner Goetz „entirely convincing“. – Vgl. auch TREMP: Stabilitas 1998, 114 zur zeitgenössischen Unterscheidung von Herrscher und Staat nach Astronomus und Thegan. 149 S. BEUMANN, Staatsvorstellungen 1956, 186 mit dem zentralen Satz des Königs gegenüber den Pavesen bei Wipo: „Si rex periit, regnum remansit.“ 150 Capitulare missorum generale (802), in: MGH Cap., Nr. 33, cap. 2, S. 91–99, 92. – Vgl. POHL, Staat und Herrschaft 2006, 34 zu der vermeintlichen Neuartigkeit der Erklärung gegenüber den Pavesen und Hinweisen darauf, dass diese Einschätzung mitnichten als neuartig anzusehen ist. – Hans-Werner GOETZ, Herrschaft 2009, 173 f. sieht mit einigen Argumenten das Reich als „eigenständige Größe“, die eben auch nach dem Tod des Königs fortbestand.

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Einleitung

6 Die Ausgangslage In jüngeren Arbeiten wird eine neue Perspektive in die Frage nach dem politischen System eingeführt.151 Während mit Ausnahmen152 ältere Arbeiten die Frage nach der Rolle des Königs stellten, um den „Staat“ zu verstehen, findet man nun das politische System selbst als Untersuchungsgegenstand; man beginnt es als eigene Größe aufzufassen, deutlich außer bei Oexle,153 Airlie154 etwa bei Fouracre,155 Patzold156 und Deutinger,157 der eine ganze Reihe weiterführender Einschätzungen mitteilt, etwa feststellt, dass das ältere Konzept von einer Dichotomie der Herrschaft aus „delegiert“ und „autogen“ nicht trägt158 und darüber hinaus das Königtum in gewisser Weise als Akteur im politischen Gefüge neu definiert, nämlich als eine Art

151 PATZOLD, Konsens und Konkurrenz 2007, 75 stellt in aller Deutlichkeit fest, dass „in den letzten Jahren [. . .] die mediävistische Politik- und Verfassungsgeschichte endgültig jene königszentrierte Sicht überwunden“ habe, „die die Geschichtswissenschaft aus dem 19. Jahrhundert ererbt hatte“. 152 Vgl. die Kritik am Staatsbegriff des 19. Jahrhunderts in der Beschreibung des früheren Mittelalters und an der Annahme, alle Gewalt gehe vom Monarchen aus, aus bedingt marxistischer Sicht MÜLLER-MERTENS, Reichsstruktur 1980, 24 ff. 153 OEXLE, Konsens – Vertrag – Individuum 2001, 27. 154 AIRLIE, Aristocracy 2006. 155 „What we would term the ‘state’ was in the period a rather loose collection of persons and institutions exercising power perceived to be derived from royal authority, an arrangement in which (at least to our eyes) the boundary between the ‘public’ and the ‘private’ uses of power was blurred.“, FOURACRE, Frankish Gaul 1995, 86. 156 PATZOLD, Konsens und Konkurrenz 2007. 157 DEUTINGER, Königsherrschaft 2006, 380 zur Reichsstruktur nach den Itinerarien der Herrscher: „Das alles zeigt, dass man die politische Raumstruktur des Ostfränkischen Reichs nicht nur und gar nicht in erster Linie vom Königtum her betrachten darf, sondern dass vielmehr die Voraussetzungen und Interessen der Reichsangehörigen selbst diese Strukturen wesentlich mitprägen.“ – DEUTINGER, Königsherrschaft 2006, 37 sieht „das Reich – nicht ausschließlich aber anscheinend in erster Linie – als die Gemeinschaft des Volkes aufgefaßt“. Er sieht ebenda 389 f. das Netz der Großen, in dem der ostfränkische König sich bewegt, (die von ihm beobachtete Struktur des Reiches) eher als ottonisch denn als karolingisch an. S. besonders ebenda 397, wo Deutinger einen Wandel vor der Zeit des Ostfränkischen Reiches postuliert, der die Strukturen geschaffen hätte, die er dann später als ottonisch ansieht. So fragt er ebenda 398 aber alternativ, ob nicht diese Strukturen auch für das frühe 9. Jh. gelten würden, es nur durch die Quellen bisher verdeckt worden sei. Er fordert Arbeiten, die seiner Herangehensweise folgen, für die Zeit Karls des Großen und Ludwigs des Frommen. DEUTINGER, Königsherrschaft 2006, 34 f. (zur Transpersonalität) sieht das Reich an mehreren Beispielen des 9. Jahrhunderts als Personenverband auch ohne einen König bestehen. 158 DEUTINGER, Königsherrschaft 2006, 188 zur Genese der „jüngeren Stammesherzogtümer“: „[. . .] und so regen sich neuerdings berechtigte Zweifel, ob die Dichotomie ‚delegiert oder autogen‘ überhaupt aufrechtzuerhalten ist, ob nicht vielmehr erst das Zusammenwirken von regionaler Verankerung und königlicher Anerkennung die dauerhafte Etablierung dieser neuen Verfassungsinstitution ermöglicht hat.“

7 Absicht der vorliegenden Untersuchungen

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Mediator.159 Deutingers Einschätzungen des ostfränkischen politischen Systems, die von Gerhard Schmitz bereits auch für das Westfrankenreich reklamiert wurden,160 lassen sich zwar nicht unmittelbar zur Basis einer grundsätzlichen Konzeptualisierung karolingischer politischer Ordnung machen – dafür verweisen sie auch zu stark auf das ottonische politische System, das ja gerade in besonderer Weise als „nichtstaatlich“ qualifiziert worden ist;161 sie zeigen aber einen neuen Blick auf alte Fragen, die ganz gewiss nun völlig anders gestellt in den kommenden Jahren, vielleicht Jahrzehnten, mit neuen Antworten versehen werden können.

7 Absicht der vorliegenden Untersuchungen Die folgenden Untersuchungen verstehen sich als ein Versuch, die politische Ordnung des Karolingerreiches zu verstehen, wozu sowohl die Ebene des Faktischen als auch die der Vorstellungen relevant sind. Eine zeitgenössische theoretische Auseinandersetzung mit Fragen politischer Ordnung verweist immer auch auf die politische Ordnung (in der Wahrnehmung des Zeitgenossen) selbst. Ist der Autor Teil des politischen Systems, so haben seine Ausführungen als Gegenentwurf (eher selten) oder als Ausführung zum Bestehenden Relevanz für die Kenntnis des Systems. Das gilt in besonderer Weise für Kapitularien, die die kenntnisreichen Vorstellungen und Erwartungen der reichsweit handelnden Elite abbilden, damit aber nicht notwendigerweise tatsächlich allgemein gültige Regeln beschreiben.162 Die Basis der Forderungen solcher Quellen aber muss die Realität sein. Wenn von einem comes etwas gefordert wird, so gibt es ihn, und er muss theoretisch in der

159 DEUTINGER, Königsherrschaft 2006, 383 f. implizit zur Frage von Herrschaft und Genossenschaft: „Die klassische Frage der Verfassungsgeschichtsschreibung, inwieweit königliche Politik im Frühmittelalter von der Zustimmung des Volkes – oder des Adels, oder der Großen – abhängig war, erweist sich vor diesem Hintergrund als wenigstens teilweise falsch gestellt, setzt sie doch unausgesprochen voraus, es habe eine solche königliche, von den Vorstellungen des Adels unabhängige Politik überhaupt gegeben. Sieht man im Königtum jedoch eher diejenige Instanz, die legitime und verbindliche Entscheidungen nicht zu treffen, sondern bei Bedarf durch Konsensstiftung herbeizuführen hatte, dann erweist sich der vermeintliche Dualismus zwischen König und Volk als wenig fruchtbar [. . .].“ 160 SCHMITZ, Rezension zu DEUTINGER, Königsherrschaft, in DA 2008. 161 Karolingische Ordnung ist trotz der zunehmend beobachteten Kontinuität zur ottonischsalischen Ordnung stärker organisiert als diese, was gewiss auf die unterschiedlichen Kernräume zurückzuführen ist, in denen unterschiedliche zivilisatorische Bedingungen bestanden. Darauf weist EHLERS, Strukturen früher Staatlichkeit 2009, 96 eindringlich hin, dass nämlich das westfränkische Reich in seiner „anthropogeographische[n] Grundstruktur“ „römisch“ war. – Daher sind auch die Ergebnisse von DEUTINGER, Königsherrschaft 2006 nur in Teilen auf das Westfrankenreich übertragbar. 162 Vgl. PATZOLD, Normen 2007, 350.

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Einleitung

Lage sein, die Forderung umzusetzen; ob er es tut, ist schließlich eine Frage der Integrität des politischen Systems. So ist das Anliegen der vorliegenden Arbeit auch kein eigentlich „verfassungsgeschichtliches“. Das würde verlangen, dass die Institutionen der politischen Ordnung intensiver behandelt werden müssten, zugleich aber hätte das eine völlige Veränderung der Konzeption zur Folge. Absicht ist eben keine „pragmatische Verfassungsgeschichte“, sondern eine Untersuchung der Strukturen des Politischen in der karolingischen Ordnung, von der angenommen wird, dass sie eine Funktion des Sozialen darstellt, und also die Institutionen in gewisser Weise sekundär sind. Selbstverständlich wäre eine mögliche weitere Aufgabe eine Untersuchung des Verhältnisses zwischen den politisch-sozialen Strukturen und den überkommenen und neu eingerichteten Institutionen. Diese methodischen Überlegungen korrespondieren mit dem von Steffen Patzold entwickelten Konzept vom Wissen als Kategorie politischer Macht.163 Das zugängliche Wissen über eine Funktion der Gesellschaft etwa von der Rolle eines Bischofs, der über sein Amt bestimmte Funktionen in Kirche und Reich wahrnimmt, generiert über Erwartung die Möglichkeit für diese Funktion respektive diesen Akteur, diese Macht wahrzunehmen. In der Konzeption der vorliegenden Arbeit müsste – leicht abgewandelt – hier von Herrschaft die Rede sein, weil das Wissen um die Möglichkeit der Macht ein verdecktes Wissen um die Möglichkeiten der anderen Akteure im System voraussetzt und damit eigentlich ein doppeltes Verhältnis beschreibt, nämlich das zu anderen Funktionen respektive Akteuren und das zur Gesamtheit, die mit res publica, ecclesia und regnum bezeichnet sein kann, wegen der wechselhaften Bedeutung dieser Begriffe aber besser mit „politische Ordnung des Frankenreiches“ oder aber unter Berücksichtigung begrifflicher Implikationen mit „Staat“ benannt werden kann. Die Arbeit ist in drei Teile gegliedert, denen jeweils verschiedene Funktionen zukommen. Nach einer kurzen Untersuchung zweier zeitgenössischer theoretischer Konzeptionen der politischen Ordnung folgt ein Abschnitt zu den Funktionen der herrscherlichen Familie in dem komplexen Geflecht der politischen Ordnung des Frankenreiches. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass diese Familie in ihren Strukturen denen der Großen entsprechen wird, die ja in gewisser Weise ihrerseits ebenfalls als herrscherliche Familien anzusprechen sind. Sie erfüllen zum Teil auf niedrigerer politischer Ebene ähnliche Aufgaben, was letztlich einen Rückschluss aus den Ergebnissen der Arbeit darstellt. Jedenfalls ist auf eine umfangreiche Untersuchung der aristokratischen Familien des Frankenreiches verzichtet worden.

163 PATZOLD, Episcopus 2008, 37–47.

7 Absicht der vorliegenden Untersuchungen

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Zu diesem Komplex gibt es eine beständig wachsende Zahl von Arbeiten, die die Quellenlage im Hinblick auf die Funktionalität dieser Familien wohl ausschöpfen dürften. Hier sei noch einmal an die genannten Arbeiten zu Gruppen, Adelsverbänden und Verwandtschaft erinnert.164 Fragen an die herrscherliche Familie als solche sind für die vorliegende Arbeit insofern von erheblichem Interesse, da diese als zentrale Stelle des politischen Verbandes anzusehen ist. Eine These geht dahin, nicht die Person des Königs als Haupt der politischen Ordnung anzusehen, sondern die herrscherliche Familie, deren Sachwalter er ist. Daher ist es geboten, diese Familie im Hinblick auf die Funktionen ihrer Mitglieder zu untersuchen und auch die Frage neu zu stellen, ob die Rolle der Familienmitglieder in den Quellen angemessen dargestellt wird. Ganz deutlich wird das im Falle der herrscherlichen Gattinnen: Wer glaubt schon daran, dass Judith von Ludwig zur Frau genommen wurde, weil sie so schön gewesen sei? Und kann man tatsächlich annehmen, dass gerade diese Judith, deren eigene Familie zu den mächtigsten des Reiches gehörte, in ihrem Einfluss auf die Entscheidungen des Königs nur deshalb so weit gehen konnte, weil sie so klug gewesen sei? Ähnliche Fragen werden im Hinblick auf Töchter und Söhne ebenfalls zu stellen sein. In einem zweiten Abschnitt werden die mutmaßlichen Vermittlerinnen antiker Zivilisationstechnik untersucht, die Kirchen nämlich, die im Westfrankenreich ganz offensichtlich der politischen Organisation ihre „staatlichen“ Strukturen und die zugehörige Theorie liehen und von denen die politische Ordnung ihre eigene Staatlichkeit auch praktisch entwickeln ließ.165 Dabei kommen zwei Fragestellungen in den Blick, nämlich die Wege der Vermittlung antiker Zivilisationstechnik durch kirchliche Organisation und die Rolle der Kirchen und ihrer Zivilisationstechnik bei der Organisation des Westfrankenreiches. An Hand der Akten der Konzilien Galliens wird die Entwicklung und Tradition von Zivilisationstechniken nachvollzogen. Besonderes Augenmerk gilt dabei der Thematisierung von Kontinuitätsfragen. Das gilt für die Bischofserhebung und die Funktion des Bischofs ebenso wie unmittelbar für die Sicherung des Kirchengutes. Der Bischof ist die zentrale Gestalt in der Organisation der Kirchen, vermutlich weil er in der vorchristlichen Antike rechtlich als Inhaber des Kirchengutes gegolten haben wird, da die Kirchen selbst nicht als Rechtspersonen auftreten konnten. Die Abläufe bei der Wahl eines neuen Bischofs folgen unbedingten Notwendigkeiten kirchlicher Transpersonalität. Ebenso wie die Bestimmungen, die das Kirchengut betreffen, lässt sich für die Regeln der Bischofswahl und -erhebung eine Kontinuität in den Konzilsbeschlüssen beobachten, die in gewissen Grenzen die Praxis abzubilden in der Lage sind. Die Kirchen des 9. Jahrhunderts folgen – zumindest im 164 LUBICH, Verwandtsein 2008. – Vgl. auch JUSSEN, Verwandtschaft 2001, der den Begriff „Verwandtschaft“ ebenfalls loszulösen versucht von rein biologischen Kategorien. 165 Zu den Kirchen als Ordnungsrahmen des frühmittelalterlichen Staates s. grundsätzlich DE JONG, Ecclesia 2006.

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Einleitung

Westfrankenreich – den antiken Regeln der Selbstorganisation und sind deshalb auch fähig, die Organisationsweise der weltlichen Herrschaft zu gestalten. Steffen Patzold hat nachgezeichnet, dass die Bischöfe – und mit Ihnen die Kirchen – im Laufe des 9. Jahrhunderts im Reich eine neue Rolle einnahmen, die sie aus kirchlichen Legitimationsräumen heraus zu wesentlichen Akteuren im Reich machte und sie bedingt auch dem Königtum gegenüberstellten.166 Diese Rolle der Bischöfe fand auch Eingang in die politischen Strukturen des Ostfrankenreiches und so auch in das Reich der Ottonen und Salier.167 Der dritte Abschnitt, der zugleich als eigentlicher Hauptteil gelten kann, hat die Aufgabe, das Zusammenwirken der Kräfte zu beschreiben und konzeptionell zu fassen. Das Handeln der Gesamtheit, die Hinkmar von Reims als „confaederatio totius regni“ benennt, wird als Verbandshandeln nachgezeichnet. Dabei wurde ein Weg gewählt, der in möglichst feiner Differenzierung die verschiedenen Stufen der Mitwirkung der Großen, vom reinen stillen Konsens bis zur reflektierten Beteiligung an der Reichsherrschaft verfolgt, um dann dieses gemeinsame Handeln von Großen und König konzeptionell zu fassen. Gerade im Hauptteil zu den societates und ihrer Funktionsweise ist es geboten, systematisch vorzugehen und den einzelnen Fragen nach inhaltlichen – auch feinen Differenzierungen – nachzugehen, weshalb es keine klare Chronologie geben kann. Wenn größere chronologische Abweichungen vorkommen, so liegt das am inneren Zusammenhang der beschriebenen Phänomene und daran, dass diese grundsätzlicher Art sind. Die Fragestellung verlangt im Wesentlichen nach zwei Wegen im Umgang mit den Quellen. Neben der Analyse von textlich manifestierten inhaltlichen Zusammenhängen wird eine Vielzahl von Belegen ohne ihren Textzusammenhang gebraucht. Wo es notwendig ist, wurde auf den Zusammenhang verwiesen. Da der Gegenstand der vorliegenden Arbeit ausdrücklich nicht die Verfassungsgeschichte ist, folgt der Gang der Untersuchungen auch nicht ihren Wegen, sondern einer Fragestellung, die unmittelbar auf das Politische gerichtet ist. Dieser Weg wird nur von einer begrenzten Menge an Literatur unmittelbar begleitet, weshalb die Auseinandersetzung mit derselben zu einem großen Teil Sache der Einleitung ist, zumal mit den Werken von Hechberger und Deutinger erst vor kurzer Zeit umfangreiche Auseinandersetzungen mit der mittelbar relevanten Literatur vorliegen. Da nach den jüngeren Arbeiten zu Staat und Staatlichkeit im frühen Mittelalter wesentliche Erkenntnisse zur Mitwirkung der Großen und der Beschränkung königlicher Kompetenz bereits vorliegen, dürfte nach einer

166 PATZOLD, Episcopus 2008, 521. 167 PATZOLD, Episcopus 2008, 537–540. – Vgl. zur Rolle von Kirchen und vor allem Bischöfen für die Stabilität der politischen Ordnung des Ostfrankenreiches und des Ottonenreiches BÜHRERTHIERRY, Évêques 1997. – Vgl. zur Kontinuität von Ostfrankenreich und dem Reich der Ottonen nun GROTH, regnum 2017, bes. 28.

7 Absicht der vorliegenden Untersuchungen

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weiteren Verdichtung der grundsätzlichen Erkenntnisse zu diesen Tatbeständen die Frage erlaubt sein, wie also die Kräfte des Frankenreiches zusammenwirkten und wie dieses Zusammenwirkten zu konzeptualisieren ist. Das ist die wesentliche Frage der folgenden Untersuchungen. Ziel dieser Arbeit ist also eine systematische und quellenbasierte Untersuchung der sozial-politischen Ordnung des karolingischen Frankenreiches.

Vorbemerkungen: Zur Theorie des Reiches bei Sedulius Scottus und Hinkmar von Reims Obwohl die Staatstheorie selbst nicht das Thema der Untersuchungen sein soll, sondern die Funktionsweise der politischen Ordnung in ihrer konzeptionellen Realitität, sollen am Anfang der Untersuchungen aber dennoch zwei Hauptquellen karolingischer politischer Theorie stehen. Beide Quellen, sowohl der „Liber de rectoribus christianis“ des Sedulius Scottus als auch „De ordine palatii“ Hinkmars von Reims stehen ein wenig außerhalb des Untersuchungsgegenstandes. Sedulius gehört dem Lotharreich an, das zwar in engem Kontakt mit dem Westfrankenreich steht und auch in Teilen die antiken Voraussetzungen in der Kirchenorganisation teilt, das aber nach dem Tod Ludwigs des Frommen unter Kaiser Lothar eigene Wege ging. Der „Liber de rectoribus christianis“ kann v. a. dann mit einigem Erkenntniswert berücksichtigt werden, wenn es um grundsätzlichere Zusammenhänge geht, so etwa in der Frage nach der Rolle der Herrscherin im Reich. In dieser Weise soll das Werk des Sedulius auch im Folgenden seine Berücksichtigung finden. Das zweite Werk, das gesondert behandelt werden muss und sich nicht in den regulären Gang der Untersuchungen einfügen lässt, ist „De ordine palatii“ des Erzbischofs Hinkmar von Reims.1 Hinkmar verfasste diese Darlegung der karolingischen politischen Ordnung in einer Zeit, die nach dem Untersuchungszeitraum der vorliegenden Arbeit liegt.2 Seine Ansichten und Einsichten sind also trotz der Benutzung einer älteren Quelle eher Ergebnis der Geschichte des Westfrankenreiches zur Zeit Karls des Kahlen und zugleich grundsätzliche Annäherung eines Zeitgenossen an den karolingischen politischen Zusammenhang selbst.3 Dem ist Rechnung zu tragen, indem die Quelle gesondert untersucht werden wird. Beide Quellen sind – anders als die meisten im Laufe der Untersuchungen heranzuziehenden Quellen – reflexiv angelegt; sie beantworten zwar nicht direkt unsere Fragen an die Struktur der politischen Ordnung des Karolingerreiches, erlauben es aber ihrer Konzeption nach vorläufige Schlüsse zu ziehen im Hinblick auf unsere Fragen und damit eine Arbeitshypothese zu bilden, die es möglich machen soll, über das Beschreiben der Befunde hinaus das Reich der Karolinger auch konzeptionell zu fassen.

1 Vgl. etwa APSNER, Vertrag und Konsens 2006, 112 f. mit einem Forschungsüberblick. – Zu Hinkmar s. immer noch grundlegend SCHRÖRS, Hinkmar von Reims 1884; sodann DEVISSE, Hincmar 1975–1976. 2 Im Jahr 882, PATZOLD, Konsens und Konkurrenz 2007. 3 Vgl. die Diskussion der Forschung zum Anteil Hinkmars an De ordine palatii bei PATZOLD, Konsens und Konkurrenz 2007, 77 ff.; dort findet sich auch der Hinweis auf das persönliche Interesse Hinkmars, das sich in der Betonung eines inneren Kreises der Beratungen manifestiert, von dem Hinkmar zu dieser Zeit vermutlich ausgeschlossen war. https://doi.org/10.1515/9783110641936-002

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Zur Theorie des Reiches bei Sedulius Scottus und Hinkmar von Reims

1 Sedulius Scottus Die Biographie des Sedulius Scottus ist weitgehend unbekannt. Er lebte in Lüttich in der Mitte des 9. Jahrhunderts. Gemeinhin galt sein „Liber de rectoribus christianis“ als Fürstenspiegel für Lothar II. und wurde in die Jahre von 855 bis 859 datiert. Nun hat vor einiger Zeit Nikolaus Staubach mit sehr guten Argumenten plausibel gemacht, dass der „Liber de rectoribus christianis“ weitaus besser zur Königserhebung Karls des Kahlen im Lotharreich passen würde, und favorisiert also eine Entstehungszeit um 870.4 Dann wäre der Fürstenspiegel Ausdruck der verbreiteten Zustimmung unter den Großen zur Königserhebung Karls als Nachfolger Lothars II. Einige Gedichte auf Karl den Kahlen, die von Sedulius Scottus überliefert sind, deuten ebenfalls auf eine gewisse Nähe zum Herrscher des Westfrankenreiches hin. Wenngleich einiges für die Abfassung für Karl den Kahlen als Herrscher im Mittelreich spricht, so soll hier dennoch nicht davon ausgegangen werden. Der „Liber de rectoribus christianis“ ist von seiner Konzeption her eine umfassende Orientierung über den Herrscher im Frankenreich zur Zeit der Karolinger, dessen Inhalte gewiss auch von aktuellen politischen Debatten des Mittelreiches geprägt sind. Aber gerade die grundsätzlichste Auseinandersetzung des Mittelreiches war eine Auseinandersetzung, an der vor allem das Westfrankenreich großen Anteil nahm, nämlich die Eheangelegenheiten Lothars II., der geradezu verzweifelt versuchte, seinen Nachkommen das Reich zu erhalten, indem er seinen einzigen männlichen Nachkommen zu legitimieren suchte. Nach seinem Tod gab es schließlich keine nachfolgefähigen Nachkommen. Die Frage war also lediglich, ob Karl der Kahle allein oder Karl der Kahle und Ludwig der Deutsche gemeinsam die Nachfolge antreten würden. Und zunächst sah es so aus, als würde Karl der alleinige Nachfolger Lothars II. sein. Der Bruder Lothars II., Kaiser Ludwig II., kam offensichtlich wegen der räumlichen Ferne seines Reiches als Nachfolger gar nicht in Frage. Ob also die Schrift sich nun an Lothar II. richtete oder aber einige Jahre später an Karl den Kahlen, ändert nichts an der grundsätzlichen Herangehensweise des Werkes. Es soll aber hier nicht der umfassend angelegten Konzeption des Sedulius gefolgt werden, sondern es sind die Stellen seines Werkes zu untersuchen, die etwas aussagen über die Organisation des Politischen, vor allem im Hinblick auf Kontinuität und Transpersonalität.5 Die karolingische politische Theorie zeichnet sich vor allem in ihren früheren Jahren nicht gerade dadurch aus, dass sie sehr reflexiv wäre. Im Vordergrund steht

4 STAUBACH, Rex Christianus 1993, 105 ff. – ANTON, Fürstenspiegel 2006, 17 f., der die Arbeit des Sedulius klar Lothar II. als Adressaten zuordnet. 5 Zum Liber de rectoribus Christianis als Fürstenspiegel und zu seiner Konzeption s. ANTON, Fürstenspiegel 1968 und STAUBACH, Rex Christianus 1993.

1 Sedulius Scottus

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die Vorbildhaftigkeit des Alten Bundes6 der Bibel und die Aufladung dieses Bildes mit christlichen Vorstellungen von der Nachfolge Christi. Im Zentrum dieser „Staatstheorie“ steht aber meist nicht der „Staat“, sondern der Herrscher und seine Aufgaben, weshalb grundsätzlich auch eher von Fürstenspiegeln zu reden ist. Aus dem Bereich der Kapitularien und Konzilsbeschlüsse kommt eine zentrale Frage des 9. Jahrhunderts hinzu, nämlich die nach der Rolle der Kirchen in der politischen Gemeinschaft. Behandelt werden beide Sphären dann aber getrennt. Es kommt bis zu Hinkmars Schrift „De ordine palatii“ nicht zu einer systematischen Reflexion über das politische Geschehen. Die Folie zum Verständnis des Politischen bleibt die Bibel, die ja auch – das ist nicht zu unterschätzen – einige brauchbare Konzepte von Herrschaft bereithält. So erfährt man aus den Quellen viel mehr über das Bild der Zeitgenossen von ihrer politischen Ordnung als über diese selbst. Sedulius Scottus zeigt im seinem „Liber de rectoribus christianis“ an zahlreichen Stellen einen transpersonalen Reichsbegriff. Dieser Begriff von regnum zeigt das Fortbestehen einer politischen Größe „Reich“ über den Herrscherwechsel hinaus, etwa in der Formulierung „Postquam regale sceptrum regnique gubernacula rector Christianus susceperit [. . .]“.7 Als wenn Sedulius es ausdrücklich sagen wollte, erläutert er das „regale sceptrum“ mit „regni gubernacula“. Der Herrscher übernimmt nicht bloß die Herrschaft, „regale sceptrum“ oder einfach „regnum“, sondern die „gubernacula“ über das „regnum“. Auch der Begriff „res publica“ wird von ihm transpersonal gebraucht: „Res enim publica tunc suo initio pulcherrime consecratur, cum regia sollicitudo et sacra devotio sancto superni regis timore simul et amore accenditur [. . .].“8 Das bestehende Gemeinwesen wird also „aufs Schönste geweiht, indem die ‚königliche Sorgfalt‘ von Furcht und Liebe zum Allerhöchsten „entzündet wird“. Und an anderer Stelle wird Sedulius ähnlich deutlich: „Omnis autem regia potestas, quae ad utilitatem rei publicae divinitus est constituta [. . .].“9 Die königliche Gewalt dient (allein) dem Nutzen des Gemeinwesens. Sedulius sieht das Königtum nicht mehr als unhinterfragbaren Bestandteil der göttlichen Ordnung, sondern weiß, wie anzunehmen ist, auch um die Entstehung und Funktion des Königtums bei den Juden. Mehr noch aber scheint Sedulius hier Erfahrungen zu reflektieren, die wohl mit der Struktur des Lotharreiches und mit der Sorge um seinen Erhalt zusammenhängen. Im Lotharreich war während der Ehefrage Lothars II. bereits deutlich geworden, wie sehr ein karolingisches regnum des 9. Jahrhunderts auf ein Konzept von sich selbst angewiesen war, denn das Königtum Lothars II. hatte mit der offenen Nachfolgefrage nicht mehr die Kraft besessen, allein für die

6 DE JONG, Ecclesia 2006, 120 bezeichnet „the Old Testament histories and their autoritative tales of kings past“ als „constant source of inspiration and trepidation [. . .]“. 7 Sedulius Scottus, Liber de rectoribus christianis, cap. 1, ed. Dyson, S. 50 (ed. Hellmann, S. 22). 8 Sedulius Scottus, Liber de rectoribus christianis, cap. 1, ed. Dyson, S. 50 (ed. Hellmann, S. 22). 9 Sedulius Scottus, Liber de rectoribus christianis, cap. 4, ed. Dyson, S. 68 (ed. Hellmann, S. 30).

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Zur Theorie des Reiches bei Sedulius Scottus und Hinkmar von Reims

Identität des Reiches zu sorgen. Und auch Karl der Kahle war ja ganz offensichtlich mehr Leiter eines Gemeinwesens, denn das Reich sein Patrimonium. Der Bezugsrahmen musste sich ändern. Nun war nicht mehr der König, sondern das Reich die zentrale Größe. Das gilt wohl für Lotharreich und Westfrankenreich aus verschiedenen Gründen gleichermaßen. Wenn es also stimmen sollte, dass der Fürstenspiegel des Sedulius anlässlich der Übernahme der „sceptra“ des Lotharreiches durch Karl den Kahlen entstand, dann erklärte dies den eigentlich ungewöhnlichen konzeptionellen Schwerpunkt des Sedulius auf dem Gemeinwesen, dessen Bestand nicht von seinem Herrscher abgeleitet ist. Aber auch Sedulius verlässt den Erklärungsrahmen nicht, den die Schriften der Bibel vorgeben. Gerade aus diesem Erklärungszusammenhang entwickelt Sedulius eine Vorstellung von der Transpersonalität des Reiches. Das ist neu. Es ist das Gebot der „stabilitas“, das für jeden Staat gewissermaßen die Grundvoraussetzung bedeutet und das er als absolute Größe aus der stabilitas des himmlischen Reiches ableitet. Er begründet die Herstellung irdischer politischer stabilitas mit der Notwendigkeit, die irdische Ordnung der himmlischen anzugleichen. Bisher war dieser Abgleich der Ordnungen vorrangig auf den Herrscher und die Forderung an ihn, Ähnlichkeit zum himmlischen Herrscher herzustellen, bezogen worden. Dabei musste das Gemeinwesen zwangsläufig aus dem Blick geraten. Das Motiv des dritten Kapitels ist die solchermaßen abgeleitete Forderung nach politischer stabilitas. Beschlossen wird der Prosateil des Kapitels mit dem Satz: „Qui dum sit in divinis praeceptis stabilis, illius regnum magis magisque in hoc saeculo stabilitur et ad aeterna stabilitatis gaudia superno iuvamine perducitur.“ Aber nicht bloß die gezogene Analogie dient Sedulius zum Argument für die Sorge um stabilitas, auch die von ihm erkannte Notwendigkeit der Befriedung, der Abwehr von unkontrollierter Gewalt, also die Herstellung von Frieden und Eintracht, verbindet Sedulius mit dem Gebot der stabilitas.10 So versteht er stabilitas sowohl im Sinne von aktueller Festigkeit also auch im Sinne von Kontinuität. Er setzt gewissermaßen das Kontinuitätsgebot an den Anfang und leitet es zusätzlich aus dem Friedensgebot ab, das er aber selbst aus den praktischen Notwendigkeiten heraus begründet. Er hätte stattdessen auch das christliche Gebot der „pax“ als zentralen Punkt aufnehmen können. Seine Absicht liegt offensichtlich nicht bloß in der Verfertigung eines gelehrten Fürstenspiegels, sondern in der Sicherung der politischen Ordnung.

10 S. Sedulius Scottus, Liber de rectoribus christianis, cap. 3, ed. Dyson, S. 66 (ed. Hellmann, S. 28).

2 Hinkmar von Reims: De ordine palatii

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2 Hinkmar von Reims: De ordine palatii Der Ansatz Hinkmars in seinem „De ordine palatii“ ist ein anderer. Hinkmars Absicht wird vor allem in dem Erhalt der politischen Kultur über seinen Tod hinaus liegen. Über 30 Jahre lang hatte er die Geschicke des Westfrankenreiches maßgeblich mitbestimmt,11 hatte mit den Mitteln überlegener kirchlicher Organisation schließlich dem Reich Karls des Kahlen die nötige Stabilität verliehen. Dabei verfasste Hinkmar eher nebenbei eine Art „Hofordnung“. „De ordine palatii“ handelt von der Funktion des Hofes und deshalb von seinen Funktionsträgern und ihrer Ordnung zueinander. Der Text lässt sich durchaus als politisches Testament verstehen, das das wesentliche Instrument zur Erhaltung politischer Stabilität zum einen in seiner Funktion erläutert12 und zum anderen möglicherweise auch idealisiert als verbessertes Instrument zur Bewältigung politischer Unruhe empfiehlt. Das bedeutet, dass „De ordine palatii“ nicht in allen seinen Teilen eine Quelle für den königlichen Hof seiner Zeit darstellen muss, so auch als „saubere“ Quelle für die Zeit Karls des Großen ausfällt. Dieser Einwand gilt jedoch nicht für die prinzipielle Funktionsweise von Hof und Reichsversammlung.13 In dem Fall hätte sich Hinkmar die Mühe sparen können, denn nur wenn den Akteuren selbst, die ja die Strukturen der Reichsverwaltung täglich erfahren, die dargestellten Prinzipien vertraut sind, kann eine „Verbesserung“ für die Zukunft möglich werden. Die zum Verständnis der politischen Organisation des Frankenreiches zentrale Aussage Hinkmars bezeichnet den doppelten Zugriff auf den „status totius regni“, nämlich in der Verwaltung durch den königlichen Hof,14 gewissermaßen der Reichsregierung, und direkt auf die „totius regni confaederatio“.15 Der erste Zugriff wird von Hinkmar ausführlich erläutert, sowohl die einzelnen Zuständigkeiten der ministri palatii als auch der grundsätzliche Aufbau des Hofes im Zusammenwirken zwischen Familie und ministri. Der zweite Zugriff ist nicht weniger wichtig, verlangt jedoch nicht nach solcher Ausführlichkeit, da die Akteure in eigenem Namen handeln und also keine exakte Funktionsbeschreibung möglich ist. Das sind im Wesentlichen die Reichsversammlungen. Dieser Teil der Schrift ist für das Verständnis der politischen Ordnung des Frankenreiches gewiss der Wichtigere. Hier beschreibt Hinkmar die

11 NELSON, Legislation and Consensus [1983] 1986, 97 weist darauf hin, dass die größere Zahl von Kapitularien im Reich Karls des Kahlen die Handschrift Hinkmars trägt. 12 Der Teil zu den Reichsversammlungen repräsentiere die Praxis der 60er und 70er Jahre des 9. Jahrhunderts, so jedenfalls NELSON, Legislation and Consensus [1983] 1986, 106 13 FLECKENSTEIN, Karl der Große und sein Hof 1965, 33 sieht auch die „allgemeinen Angaben über die Hofämter“ als für die Zeit Karls des Großen zutreffend an. Dem ist sicher zuzustimmen. 14 INNES, Charlemagne’s Government 2005, 72 bezeichnet Hinkmars Sicht des Hofes als „microcosm of the kingdom“. 15 Hinkmar von Reims, De ordine palatii, ed. Gross/Schieffer, IV (cap. 17).

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Zur Theorie des Reiches bei Sedulius Scottus und Hinkmar von Reims

Entstehung der zentralen politischen Entscheidungen im Reich. Die nämlich werden nach „De ordine palatii“ nicht eigentlich am Hof getroffen.16 Das Reich selbst bezeichnet Hinkmar als Bund, nämlich als „totius regni confaederatio“. Der zentrale Satz Hinkmars, in dem er die Verbindung von palatium und dieser totius regni confaederatio beschreibt, soll hier wiedergegeben werden: [. . .] veruntamen, quamvis et ipsi singuli iuxta suam qualitatem ad hoc intenti essent, non tamen ad eos, sicut ad ceteros principaliter, ut subter insertum est, totius regni confaederatio in maioribus vel minoribus singulis quibuscunque cottidianis necessitatibus occurentibus cum palatio conglutinabatur.17

Die Übersetzung des Textes durch die Herausgeber,18 die ausdrücklich nicht den Anspruch auf Endgültigkeit erhebt,19 hat mit dem Problem zu kämpfen, dass bei einer Übersetzung von „ad eos“ mit „zu ihnen“ bzw. einfach „ihnen“ das Prädikat „conglutinabatur“ keinen Sinn ergibt, wenn man die eigentlich klare Übersetzung von „conglutinare“ als „zusammenbinden“ gebraucht. Dann aber verliert der Satz, etwa in der Übersetzung von „conglutinare“ mit „aufbürden“, was die Wörterbücher keinesfalls hergeben, seine eigentliche Aussage. Es werden zwei Dinge zusammengebunden, nämlich die „totius regni confaederatio“ und das „palatium“. Eine Übersetzung, die dem Rechnung trägt, sähe etwa wie folgt aus: [. . .] gleichwohl, wie sehr auch einzelne selbst nach ihrer Befähigung dazu geeignet wären, wird weder bei ihnen noch bei den anderen hauptsächlich, wie unten eingeschoben ist, das Bündnis des gesamten Reiches in den größeren und kleineren sowie irgendwelchen anfallenden täglichen Notwendigkeiten mit dem Hof zusammengehalten.

Das bedeutet also, dass beide Sphären wohl zusammengebunden werden, nicht jedoch bei den ministri des Hofes, sondern allein über die königliche Familie bzw. den König selbst. Dazu ist aber die Erkenntnis notwendig, dass Hof und Reichsversammlung völlig verschiedene politische Instrumente darstellen. Der Hof bezeichnet den Apparat des Königs, mit dem der König die täglichen Geschäfte führt bzw. führen lässt, übrigens

16 Philippe DEPREUX, Lieux des Rencontre 1998 ist der Frage nachgegangen, inwieweit sich die Angaben Hinkmars aus der Analyse der Quellen zu den einzelnen Reichsversammlungen und ihren Teilnehmern der Zeit Ludwigs des Frommen bestätigen lassen. Es hat danach den Anschein, als seien dort zwar nicht alle Entscheidungen getroffen worden, als Ort der Begegnung der Großen und damit auch als Ort der Verständigung über Grundfragen hingegen müssen die Reichsversammlungen aber sehr wohl gesehen werden. 17 Hinkmar von Reims, De ordine palatii, ed. Gross/Schieffer, IV (cap. 17), S. 66, Übersetzung S. 67. 18 Zu den Schwierigkeiten der Übersetzung vor allem von Ausdrücken s. NELSON, Legislation and Consensus [1983] 1986, 105. 19 GROSS/SCHIEFFER, Einleitung in: Hinkmar von Reims, De ordine palatii 1980, 20: „Die deutsche Übersetzung hat an manchen sachlich und sprachlichen undeutlichen Stellen allenfalls den Charakter eines Vorschlags; sie ist stets im Zusammenhang mit dem Kommentar zu sehen.“

2 Hinkmar von Reims: De ordine palatii

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auch unter Berücksichtigung der Regionen und Großen, indem etwa die ministri durchaus aus den verschiedenen Regionen des Reiches rekrutiert werden sollen20 und zudem ständig Gesandte der Großen sich am Hof aufhalten,21 die von den ministri zu betreuen sind. In seiner Erörterung der Reichsversammlungen erklärt Hinkmar auch indirekt seinen Reichsbegriff. Die erste Reichsversammlung des Jahres beschließt die grundlegenden Dinge des kommenden Jahres.22 Dabei besteht die Aufgabe der „seniores“ in „consilium ordinandum“, wähernd die der „minores“ darin besteht „idem consilium suscipiendum et interdum pariter tractandum et non ex potestate, sed ex proprio mentis intellectu vel sententia confirmandum“.23 Außerdem haben die minores die Aufgabe, die „dona generalia“24 zu entrichten.25 In der Unterscheidung zwischen seniores und minores wird deutlich, dass es bei dem oben genannten „consilium“ nicht einfach um Rat geht, sondern durchaus um Ratschluss und auch „Beschlussfassung“. Denn die minores nehmen das consilium nur auf und haben es zu verstehen, manchmal dürfen sie bei seiner Entstehung mitwirken, nicht jedoch – wie die seniores – aus ihrer potestas heraus, sondern aus dem Vermögen ihres Geistes. Das consilium, das auf dieser Reichsversammlung entsteht, beruht wesentlich auf der jeweiligen potestas der Großen. Die Entstehung der Beschlüsse einer Reichsversammlung macht die genannte potestas der Großen deutlich.26 Einzelne Vorlagen zu Beschlüssen entstehen zwischen Herrscher und Hof. Das entspricht in etwa der Tätigkeit einer modernen Regierung, die unter der Führung eines Ministerpräsidenten bzw. des Bundeskanzlers Gesetze einbringt. Die einzelnen Vorlagen werden nacheinander, Beschlussvorlage nach Beschlussvorlage, von den Großen der Reichsversammlung kommentiert und mit dem Hof ausgelotet, was möglich ist – der Hof verfügt als integrierende Institution über die nötigen Informationen und kann jederzeit Kontakt zum Herrscher herstellen. Sodann werden die Kapitel dem Herrscher zugesandt. Hier findet wohl auch die eigentliche Versammlungstätigkeit der Großen miteinander statt. Der Herrscher schließlich entscheidet über die einzelnen Fragen und verabschiedet die Kapitel.

20 Hinkmar von Reims, De ordine palatii, ed. Gross/Schieffer, IV (cap. 18). – S. dazu DEUTINGER, Königsherrschaft 2006, 273. 21 Zur Anwesenheit auch von Großen selbst am Hof Karls des Großen s. FLECKENSTEIN, Karl der Große und sein Hof 1965, 40. 22 „Unum, quando status regni ad anni vertentis spatium [. . .]“, Hinkmar von Reims, De ordine palatii VI (cap. 29). 23 Hinkmar von Reims, De ordine palatii, ed. Gross/Schieffer, VI (cap. 29), S. 83 f. – Vgl. DEUTINGER, Königsherrschaft 2006, 244 f. zur Unterscheidung von seniores und minores. 24 Zu den dona annualia s. „Der Staat als Verband“, 2.6.9. 25 Hinkmar von Reims, De ordine palatii, ed. Gross/Schieffer, VI (cap. 29). S. dazu NELSON, Legislation and Consensus [1983] 1986, 104 f. 26 Hinkmar von Reims, De ordine palatii VII (cap. 34).

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Zur Theorie des Reiches bei Sedulius Scottus und Hinkmar von Reims

Es handelt sich bei der Reichsversammlung um eine Versammlung der „totius regni confaederatio“, eines Bundes der Großen und des Herrschers. Das Reich in dieser Weise zu begreifen, bedeutet einen Reichsbegriff zu haben, der der Tatsache Rechnung trägt, dass die Großen mit dem König zusammen über die potestates des Reiches verfügen und dass diese Kräfte zu bündeln sind, um aus ihnen eine „confaederatio“ zu bilden.27 So tritt dem Hof als Regierung in der ersten Reichsversammlung eine Art Parlament entgegen, das gewissermaßen aus zwei Kammern besteht. Eine zweite Reichsversammlung besteht nur aus dem König, seinen consiliarii und den seniores, die die strategische Planung für das kommende Jahre vornehmen. Auch hier handeln die Großen als Inhaber der potestates. Hier werden die Entscheidungen getroffen, die dann im folgenden Frühjahr von der Generalversammlung beschlossen werden sollen.28 Während der Vergleich mit einer modernen Regierung des Politischen wegen sicherlich der näher liegende ist, drängt sich als ein vielleicht adäquaterer Vergleich der mit einer Kapitalgesellschaft auf. Die Voraussetzungen sind insofern ähnlich, als dass es auch bei einer Kapitalgesellschaft um die Verwaltung einer gemeinsamen Sache zum Nutzen aller Inhaber geht. Dabei funktioniert diese aus der Sicht der Aktionäre grundsätzlich wie ein Staat, der für alle Sicherheit und Frieden bereitzustellen hat, so jedenfall auch die karolingische Idealvorgabe für das Reich. Aber wenn das anschaulichste Beispiel in einer modernen Kapitalgesellschaft zu finden ist, ist das Prinzip grundsätzlich anwendbar, wenn es um die effiziente Verwaltung einer gemeinsamen Sache geht. Die Gesellschafter sind Eigentümer und verfügen jeweils über einen Teil an der Sache. Dabei kann die Größe der Anteile erheblich divergieren. Die Hauptversammlung

27 S. auch NELSON, Kingship 1995, 426, die das Reich in der Sicht Hinkmars in der Führung eines „collective body, the generalitas universorum maiorum, the universitas“ sieht, der der König hinzutritt. Nelson setzt den König dieser universitas hinzu, wobei nicht klar wird, in welcher Weise die „universitas“ ihren Charakter ändert, jeweils ohne bzw. mit König. 28 Hinkmar von Reims, De ordine palatii, ed. Gross/Schieffer, VI (cap. 30). Diese Teilung in engeren und äußeren Kreis der fideles beobachtet auch SCHNEIDER, Brüdergemeine 1964, 33 zum Treffen von Koblenz (860), wo die Capitula von einem engeren Kreis erarbeitet werden und ihnen der weitere Kreis der fideles beitritt. – S. zur Beratungsgliederung PATZOLD, Konsens und Konkurrenz 2007, 77 f. und 88, der das Moment der persönlichen Motivation Hinkmars, dieses Beratungsverfahren zu beschreiben, ausführt. – Die Kritik von EICHLER, Reichsversammlungen 2007, 22 f. und 52 f. zielt darauf ab, eine institutionalisierte Abfolge beider Versammlungstypen als nicht bewiesen zu betrachten, wozu er Reflexe in der Historiographie gesucht hat. Dass von der kleineren Versammlung dort nur selten die Rede ist, liegt aber schlicht an ihrem Charakter als vorbereitende Versammlung eines kleinen Kreises. Die ebenda 42 f. versuchte Eliminierung der vorbereitenden Versammlung aus der politischen Ordnung der Franken erfolgt aus Argumenten ex silientio und könnte nur dann glaubhaft sein, wenn etwa „De ordine palatii“ ohne jede Kenntnisse der Verhältnisse der Zeit Ludwigs des Frommen entstanden wäre, was nicht der Fall ist, oder aber Hinkmar einen Grund gehabt haben sollte, eine zweite Versmmlung einzuführen, was man dann aber nachweisen müsste.

2 Hinkmar von Reims: De ordine palatii

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der Eigentümer, im Falle der fränkischen Großen ist das Kapital ihre potestas, beschließt alle grundlegenden Entscheidungen und delegiert das Tagesgeschäft an einen Vorstand, der das Vertrauen der Hauptversammlung hat und je nach Stärke des Vertrauens mehr oder weniger ohne Rücksprache mit den Anteilseignern entscheiden kann. Dieser Vorstand ist der Herrscher, der das Unternehmen Frankenreich mit Hilfe seines Hofes regiert. Zur eigentlichen Steuerung dieses Unternehmens aber tritt einmal jährlich eine Art Aufsichtsrat zusammen, der sich aus den Hauptanteilseignern zusammensetzt, hier aus dem König und den Großen sowie einigen Consiliarii, in einer modernen Kapitalgesellschaft wären die Consiliarii vielleicht Rechtsanwälte. Die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in einer deutschen Kapitalgesellschaft basiert darauf, dass die Kapitalgesellschaft letztlich staatlicher Kontrolle unterliegt, während die „confaederatio totius regni“ der Franken der Staat selbst ist. Wie bei einer modernen Kapitalgesellschaft dient die innere Struktur des Verbandes der Gesellschafter der Artikulierung eines verbindlichen gemeinsamen Willens und gemeinsamen Handelns. Das Ergebnis ist faktische Transpersonalität, weil eben nicht jeder seinen eigenen Anteil allein und unter eigener Hoheit verwaltet und eben auch nicht der Herrscher das Reich wie sein Haus regiert, was tatsächlich nicht nach Transpersonalität verlangte. Hinkmar hätte es nur dann klarer ausdrücken können, wenn er uns den Terminus „confaederatio totius regni“ in eine moderne Sprache übersetzt hätte. Inhaltlich aber ist der Ausdruck sehr treffend. Er bezeichnet einen komplexen Verband aus Inhabern von potestas zur Verwaltung des Frankenreiches. Das ist ein vormodernes politisches System, das Hinkmar voraussetzt und das in seinen sozialen und politischen Mechanismen zu beschreiben Aufgabe der vorliegenden Untersuchungen ist.

Für die Beurteilung der Staatlichkeit des fränkischen Reiches ist es geboten, die Frage zunächst auf das Haupt des Reiches zu richten. Vielfach wird ja angenommen, dass dieses Haupt, der König bzw. Kaiser, als natürliche Person über der Genossenschaft der Großen schwebt und in Auseinandersetzung mit dieser Genossenschaft seine persönliche Herrschaft ausübt. Da vor allem die zeitgenössische Geschichtsschreibung den Herrscher des Frankenreiches als weitgehend ungebunden in seiner Herrschaft beschreibt und auch in seinen Kapitularien besonders Karl der Große den Eindruck erweckt, die Herrschaft entstamme seiner Person und über sie allein Gott selbst, außerdem die kirchliche Herrschaftstheorie dieser Zeit die Monarchie als ungebundene Herrschaft des Einen durch Gott, kontrolliert allenfalls durch die Bischöfe, propagiert, liegt es nahe, den Herrscher im Frankenreich tatsächlich als einzigen irdischen Ursprung seiner Herrschaft anzusehen. Dem ist nicht so. Zwar ist vor allem Karl der Große in der Ausübung der Herrschaft nur wenig beschränkt, die irdische Herkunft seiner Herrschaft verlangt dennoch nach einer weiteren Herleitung. Die herrscherliche Familie ist in letzter Zeit zunehmend in den Blick der Forschung geraten, nämlich vor allem über die Frage nach der Rolle der herrscherlichen Frauen, also vornehmlich der Königinnen des fränkischen sowie des deutschen Reiches.1 Daneben hat die Aktualität der Untersuchung von Konflikten sowohl im weltpolitischen Zusammenhang als auch in der Geschichtswissenschaft sicher dazu beigetragen, sich auch wieder mit den herrscherlichen Söhnen auseinanderzusetzen.2 Eine große Rolle bei der Frage nach der Struktur der herrscherlichen Familie spielen die Auseinandersetzungen innerhalb und außerhalb der Familie zur Zeit Ludwigs des Frommen.3

1 S. hier etwa FÖßEL, Königin 2000. S. aber besonders KOCH, Judith 2005, der die „politische Biographie“ Judiths zum Anlass nimmt, wesentliche Ergebnisse zur Rolle der herrscherlichen Frau auszubreiten. – S. auch die Untersuchung zur Nachfolge von Söhnen nach den zeitgebundenen Vorstellungen KASCHKE, Reichsteilungen 2006. 2 KASTEN, Königssöhne 1997. Noch immer grundlegend zur Rolle der Frauen der karolingischen Herrscher ist die Dissertation von Silvia KONECNY, Frauen 1976. – S. unter dem Gesichtspunkt der Minderjährigkeit OFFERGELD, Reges pueri 2001. S. ebenfalls grundlegend zur karolingischen Familie SCHIEFFER, Karolinger 1992 und zum Ostfrankenreich DEUTINGER, Königsherrschaft 2006, 274 ff. – S. auch die Übersicht über die Funktionen und das Handeln von Königinnen DUFOUR, Rôle des Reines 1998. 3 Siehe hier vor allem grundlegend für die Geschichte Ludwigs auch aus neuerer Sicht BOSHOF, Ludwig der Fromme 1996, der in Ludwig nicht mehr den unfähigen Sohn eines großen Herrschers sieht; s. dazu vor allem auch den Sammelband Charlemagne’s Heir 1990. – S. zu den Konflikten selbst und den Strategien zur Bewältigung der Krise, die geradezu eine Konzeption von einem „penitential state“ hervorgebracht haben, DE JONG, penitential state 2009. – Leise sei gefragt, was denn wohl ursächlich war, der „penitential state“ in Auseinandersetzung mit dem funktionalen „Staat“ Karls des Großen oder die Krise in der Folge der Herrschaft Karls. Einige Befunde zur politischen Ordnung und ihrer Konzeption können aber wohl durchaus stimmig in dieses Konzept eingefügt werden, wenngleich es wohl eine eigene Frage ist, ob denn die „Frömmigkeit“ Ludwigs und seiner https://doi.org/10.1515/9783110641936-partI

Die Herrscherfamilie

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Die Frage richtet sich zunächst auf die Struktur und Funktion der herrscherlichen Familie. Dabei werden bewusst Fragestellungen, die sich unmittelbar auf das Reich richten, zunächst ausgeklammert. Damit wird eine Trennung vorgenommen, die die Quellen oft nicht vorgeben, die jedoch notwendig wird, weil die Kenntnis der Familie und ihrer Funktionen eine Voraussetzung darstellen für das Handeln von Herrscher und Großen in den Belangen des Reiches. Die Deutlichkeit, mit der die Quellen und besonders die Ereignisse zur Zeit Ludwigs des Frommen auf das (verlorengehende) Prinzip der Körperschaftlichkeit4 der herrscherlichen Familie hinweisen, fehlt den Quellen aus der Zeit bis zu Karl dem Großen. Es ist aber notwendig, gerade für die Zeit vor dem Verfall des Prinzips dasselbe herauszuarbeiten. Das soll geschehen, indem besonderes Augenmerk auf die beiden grundsätzlichen Versuche geworfen wird, Familie und Reich dauerhaft zu ordnen, nämlich die Divisio regnorum (806) und die Ordinatio imperii (817). In dem darauf folgenden systematischen Teil des Kapitels sollen die im ersten Teil gewonnenen ansatzweisen Erkenntnisse vertieft werden. Dabei lässt sich das Material nicht allein nach den einzelnen Teilen der Familie, Söhne, Frauen, Töchter, ordnen. Es kommt für die Beurteilung der familiären Organisation wesentlich auf die verschiedenen Bezüge der Teile der Familie innerhalb und außerhalb der Familie an. Daher werden die Institutionen des consortium und der Brüdergemeine gesondert behandelt, da sie vornehmlich familieninterne Beziehungen bezeichnen, während die jeweiligen Aufgaben und Funktionen der Teile der Familie entscheidend von ihrer Mittlerschaft zu Großen des Reiches abhängen, wie zu sehen sein wird.

Entourage nicht eben doch auch funktional zu deuten ist, etwa im Sinne einer (nicht sehr erfolgreichen) „symbolischen Kommunikation“. 4 Der Begriff ist problematisch, bezeichnet aber die Familie sehr präzise, weil diese als eine zunächst recht klar bestimmte Gruppe eine Art Schicksalsgemeinschaft darstellte (s. „Die Herrscherfamilie“, 3.2) und doppelt gegliedert ist, einmal in Mitglieder unterschiedlicher Stellung (qualitativ und quantitativ) und auch in unterschiedliche Funktionen für die Gesamtheit. Das erfüllt die Voraussetzungen für den Begriff der Körperschaft. Wenn vom Verlust der „Körperschaftlichkeit“ die Rede sein wird, dann bedeutet das eigentlich, dass der Charakter der Familie als Schicksalsgemeinschaft an Bedeutung verliert, weil die herrscherliche Familie zunehmend aufgespalten wird.

1 Die Teilungen des Herrschaftsraumes 1.1 Die Teilungen des Reiches bis zu Karl dem Großen Teilungen des Reiches zur gesamten Hand sind für das Frankenreich lange Zeit geradezu als Rechtsinstitut aufgefasst worden.1 Aus der Absicht, das gesamte Reich in der Hand der Familie zu behalten, erwächst bei den Teilungen des Reiches ein grundsätzliches Problem, nämlich das der Definition der Familie im engeren Sinne: Wann wird in der Gemeinschaft mit den eigenen Nachkommen die Familie gesehen und nicht mehr in der Gemeinschaft der Brüder oder sogar Vettern?2 In den häufigen Fällen dieser innerfamiliären Konflikte kommt es in merowingischer Zeit nahezu bei jedem Erbfall zu Unklarheiten in der Erbteilung und in der Folge oft zur Beseitigung von Konkurrenten um die Herrschaft im Reich. Vor allem durch die merowingische Gewohnheit, Konkurrenten zu beseitigen, wird die Einheit des Reiches bis zum Ende der Dynastie letztlich gewahrt.3 Im Falle der Nachfolge wurden schon zu merowingischer Zeit die Söhne eines rex Francorum selbst zu reges Francorum. Dabei erhält jeder der Söhne einen Teil der Francia zur Verwaltung – nicht zu Eigen. Die Herrschaft über die Francia gehört der Familie, gewissermaßen zur gesamten Hand, die reges francorum handeln strenggenommen als Teile der Familie. Der Eindruck der Teilung im Sinne von Teilung zu Eigen entsteht durch die Verteilung der regna unter den Söhnen des verstorbenen rex Francorum: Jeder der neuen reges zieht in sein regnum, dem er alleine vorsteht. Dort entstehen Bindungen der Großen zu dem König des Teilreiches.4 In den anderen regna ist der König eines Teilreiches nicht zuständig. Daraus ergibt sich die faktische Teilung des Reiches nach Räumen und damit verbunden nach persönlichen Bindungen an die jeweiligen Großen. Im Falle des Todes eines Teilkönigs haben seine Söhne – eben nach der fränkischen Gewohnheit, nicht etwa nach bindendem Recht, der Erbteilung zur gesamten Hand – Ansprüche auf die Nachfolge des Vaters. Das ist das strukturelle Problem fränkischer

1 WOLF, Königssöhne 1991, 287 sieht „die Herrschaft gesamter Hand“ als „typisch fränkisch“ an und als „bei den Merowingern nachweisbar und üblich“. Konkret sieht z. B. SCHNEIDER, Königswahl 1972, 73 die Teilung des Reiches nach dem Tod Chlodwigs 511 unter seine vier Söhne (Gregor von Tours, libri historiarum III,1) als Teilung zur gesamten Hand. Auch MITTEIS, Verdun 1943, 67 betrachtete die merowingischen Teilungen im Ergebnis als Samtherrschaft. Eher nach Erbrecht als aus politischem Kompromiss erwachsen sind die Teilungen der Merowinger nach ERKENS, Teilungspraxis 1996, 440. 2 S. nun BECHER, Vater, Sohn und Enkel 2008. 3 So z. B. auch ERKENS, Teilungspraxis 1996, 441. S. auch SCHNEIDER, Einheit des Frankenreiches 1995, 18. 4 BECHER, Dynastie 2009, 188 hat jüngst auf die Bedeutung dieser Bindungen für die faktische Nachfolge- und Teilungspraxis hingewiesen. https://doi.org/10.1515/9783110641936-003

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1 Die Teilungen des Herrschaftsraumes

Reichsteilungen in der Zeit der Merowinger. In den meisten Fällen waren aber die Söhne eines der Teilkönige zu jung, um selbst die Herrschaft im regnum auszuüben. Wenn in diesen Fällen die Brüder des Vaters das Teilreich ihres verstorbenen Bruders unter sich aufteilten – auch dies nach der fränkischen Gewohnheit der Teilung zur gesamten Hand – kam ein wesentlicher Vorteil des fränkischen Teilungsprinzips zum Tragen. Im Idealfall, dem fränkische Könige häufig nachhalfen, blieb einer der Brüder übrig, bevor die Söhne seiner verstorbenen Brüder in der Lage waren, die Geschäfte eines Königs selbst zu führen, also alt genug, dass ihnen die Großen des Teilreiches zu folgen bereit waren.5 Die zentrale Frage nach der Rolle von Söhnen eines verstorbenen Teilreichsherrschers ist die Frage, ob das Teilreich als Entität aufgefasst wird, ob und wie weit also das Teilreich ein Reich, ein regnum, ist. Da geht es um die Kongruenz von Familie und Herrschaft. Besteht nach allgemeiner Vorstellung das Teilreich als Entität und somit als von den anderen Teilreichen abgegrenzt, so kann auch davon ausgegangen werden, dass hier die Kleinfamilie des Teilreichsherrschers die Nachfolge antritt, wie das ja nach dem Tod Ludwigs des Frommen in allen Teilreichen maßgeblich zutrifft.6 In aller Deutlichkeit ist an dieser Stelle zu betonen, dass die Erbengemeinschaft als Gesamthand ein Prinzip ist, dass auch nach römischem Recht und auch nach gegenwärtigem deutschen Recht besteht. Die Erben treten vor Erteilung eines Erbscheins die gesamthänderische Nachfolge an; sie haften gemeinsam. Erst bei Erteilung des Erbscheines wird eine Teilung des Erbes vorgenommen. Diese Teilung hat aber dennoch nichts notwendigerweise Endgültiges. Wenn etwa nach Jahren ein weiterer Erbe festgestellt wird, so tritt er in die Erbengemeinschaft ein, und es ist neu zu teilen. Wenn also in der Folge von „Gesamthand“ die Rede sein wird, so ist dem Rechnung zu tragen. Hier geht es nicht um etwas spezifisch „Germanisches“. Was jedoch für die fränkische Gesellschaft typisch ist, dies aber gewiss nicht aus „germanischen“ Ursprüngen heraus, ist der Umstand, dass die Teilung des Erbes einen willentlichen Akt bedeutet, der nicht automatisch vorgenommen wurde, was daraus erhellt, dass es zu diesem Zweck Formulare gab und auch Bestimmungen der Kapitularien, die diesen Akt als willentlich vorzunehmen behandeln.7

5 ERKENS, Teilungspraxis 1996, 438 führt mehrere Fälle an, in denen die Söhne eines verstorbenen Königs von ihren Oheimen (sicherheitshalber) ermordet wurden. – SCHNEIDER, Einheit des Frankenreiches 1995, 29 gibt denn auch zu bedenken, dass möglicherweise gerade die Reichsteilungen bis in das 9. Jahrhundert hinein gerade die Einheit bewahrt hätten, weil eben die Brüder eines verstorbenen Teilkönigs sich regelmäßig dessen Herrschaft aneigneten. 6 Dies ist auch der Ansicht von KASCHKE, Reichsteilungen 2006, 121 entgegenzuhalten, der die Neffen eines lebenden Teilreichsherrschers ohne Anspruch auf die Nachfolge ihres verstorbenen Vaters zeigt, was aber eben nur so lange gilt, wie das Gesamtreich die entsprechende Entität bildet und nicht die Teilreiche, also bis zum Tod Karls des Großen bzw. Verwandlung des Reiches in den ersten Jahren Ludwigs des Frommen. 7 S. hier nur „Pactum inter fratres“, Formulae salicae merkelianae 21, in: MGH Formulae, S. 249.

1.2 Die karolingische Familie und die Herrschaft bis zum Tod Karls des Großen

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1.2 Die karolingische Familie und die Herrschaft bis zum Tod Karls des Großen 1.2.1 Die karolingische Familie Anders als bei den Merowingern entscheidet bei den Karolingern augenscheinlich der Vater über die Nachfolge der Söhne.8 Ein solches „ius paternum“ ist erstmalig für 768 erwähnt.9 In der Folge wurde es von den karolingischen Herrschern als Grundlage zur Nachfolgeregelung hervorgehoben.10 In vielen der Fälle, in denen der Vater die Nachfolge regelte, ist sie dann aber nicht in dieser Form vollzogen worden bzw. hatte keinen Bestand, was die Bedeutung eines solchen Rechtes immerhin als eingeschränkt ansehen lässt.11 Unzweifelhaft war die Stellung der karolingischen Herrscher nicht nur ihrer Familie, sondern auch den Großen gegenüber ungleich stärker als die zumindest der letzten merowingischen Könige.12 Das erlaubte den karolingischen Herrschern neben ihrem ohnehin starken Bezug auf biblische Vorbilder die Betonung der väterlichen und damit auch herrscherlichen Gewalt. Eine weitere Neuerung, die die Karolinger einführten, war die Trennung von Erbe und Nachfolge. Während die Söhne der merowingischen Könige unabhängig von der Stellung ihrer Mutter herrschafts- und erbfähig waren,13 unterschieden die Karolinger zwischen Herrschaftsnachfolge und Erbe.14 Sie gewannen damit ein Stück Handlungsfreiheit, da sie so nicht gegen die Rechtsgewohnheit des Erbes aller Kinder zur gesamten Hand verstießen,15 wenn sie Söhne aus Verbindungen ohne kirchliche Sanktion lediglich von der Nachfolge ausschlossen.16

8 KASTEN, Königssöhne 1997, 117 f., die ebenda 57 vermutet, dass die merowingischen Könige sich mit einer solchen Entscheidung zu Lebzeiten selbst die Herrschaft entzogen hätten. 9 In den Annales Mettenses ad. a. 815, nach KASTEN, Königssöhne 1997, 132. 10 KASTEN, Königssöhne 1997, 135. 11 Zu dieser Feststellung s. auch OFFERGELD, Reges pueri 2001, 300 f. – S. die Diskussion bei GROTH, regnum 2017, 55. 12 Auch wenn z. B. Einhard die Rolle der letzten Merowinger im Frankenreich unangemessen unbedeutend ausfallen lässt; vgl. dazu GAUERT, Einhard 1984. 13 SCHNEIDER, Königswahl 1972, 85. – S, auch HARTMANN, Königin 2009, 69. 14 KASTEN, Königssöhne 1997, 560, was in der Nachfolgeregelung von 768 und besonders deutlich im Testament Karls des Großen zu erkennen ist. – Aber wie JOCH, Legitimität 1999, 63 zeigt, wird eine solche Trennung bereits im Erbfall Pippins des Mittleren deutlich, denn Karl Martell erbte gleichrangig mit seinen Brüdern, wurde aber wegen seiner Herkunft in der Herrschaftsnachfolge zurückgesetzt. 15 Zum fränkischen Erbrecht s. KASTEN, Chancen und Schicksale 2002, 28, wonach uneheliche Nachkommen, deren Mutter eine Freie war, gleichrangig erbberechtigt waren. 16 Schon bei der Nachfolge Karl Martells, bei der Grifo, der Halbbruder Pippins und Karlmanns, ausgeschlossen wurde (vgl. Continuatio Fredegarii 23), vgl. dazu KASTEN, Königssöhne 1997, 77. WOLF, Grifos Erbe 1992, 3 f. weist auf die Nachbesserung der Reichsteilung vom März 741 im Herbst 741 hin, bei der Grifo beteiligt wurde; außerdem stellt er glaubhaft in Frage, dass es sich bei

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1 Die Teilungen des Herrschaftsraumes

Die kirchliche Sanktion wurde 751/54 zur Grundlage des karolingischen Königtums. Bei der Übertragung des Königtums an Pippin und seine Söhne wurde das Prinzip der Familie als Inhaber der Gesamtherrschaft (zur gesamten Hand)17 nicht nur aufrechterhalten, sondern befestigt, 18 indem 754 Papst Stephan Pippin und anschließend die Söhne Karl und Karlmann zu Königen salbte, 19 sowie auch wohl Bertrada zur Königin erhob.20 Beim Tod Pippins 768 traten seine Söhne gemeinsam die Nachfolge an, nicht aber ohne zuvor noch von den Großen in ihrem Königtum bestätigt worden zu sein.21 Sie wurden in Orten ihrer Teilreiche erhoben, Karl in Noyon und Karlmann in Soissons.22 Einhard betont, dass die Großen es zur Bedingung gemacht hätten, dass die Brüder „totum regni corpus ex aequo partirentur“, dass sie das Reich gleichmäßig verteilen würden. Für Teile des regnum Francorum wurde vermutlich eine gemeinsame Herrschaft der Brüder verabredet.23 Zwischen den Brüdern wurde ein Unterschied allenfalls dadurch gemacht, dass Karl das Teilreich bekommen sollte, das sein und Karlmanns Vater Pippin einst verwaltet hatte,24 der ja über diesen Teil des Reiches zum Alleinherrscher in der Francia aufgestiegen war, nachdem sein Bruder ins Kloster gegangen war. Nach dem frühen Tod Karlmanns und der Flucht seiner Frau mit ihren Söhnen und Getreuen zu dem Langobardenkönig Desiderius trat Karl, wie Einhard berichtet, „consensu omnium Francorum“

Swanahild um eine Konkubine gehandelt haben sollte (ebenda 3). KASTEN, Königssöhne 1997, 163 betont die Gleichrangigkeit ehelicher und nichtehelicher Kinder Karls des Großen als Erben. – SCHÜSSLER, Reichsteilung 1985, 55 verweist darauf, dass die erste Teilung unter Pippin und Karlmann unter Zustimmung der Großen stattfand, die spätere Einbeziehung Grifos jedoch nicht. 17 Nicht zu verstehen als Terminus „germanischen“ Rechts. 18 ERKENS, Teilungspraxis 1996, 463 sieht in der Samtherrschaft geradezu ein Merkmal arnulfingischer Herrschaftspraxis, die er von den Teilungen der Merowinger unterschieden sieht. 19 ARF ad a. 754. Dazu KASTEN, Königssöhne 1987, 127, die in der Salbung der Söhne unter Verweis auf ANGENENDT, Familie der Könige 1989 15 f. eine Firmung vermutet. Jedenfalls bezeichneten die Päpste fortan die Söhne ebenfalls als „reges“, KASTEN, Königssöhne 1987, 127. 20 S. NELSON, Bertrada 2004, 102 f. und STROTHMANN, Königtum Pippins 2008. 21 Bei Einhard, Vita caroli 3 als souveräne Entscheidung der Großen, bei dem Continuator Fredegarii 53 und den Annales Mettenses priores ad. a. 768 als Verfügung Pippins unter Zustimmung der Großen. 22 U. a. nach ARF ad. A. 768, den Annales Mettenses priores ad a. 768 und der Continuatio Fredegarii 53. – S. auch HARTMANN, Karl der Große 2010, 46. 23 Das vermutet KASTEN, Königssöhne 1997, 133 für den elsässisch-alemannischen Raum, für Aquitanien und für den Pariser Raum, letzteres belegt durch eine Urkunde vom 5. Juni 769, die nach beiden Königen datiert (Chartae Latinae Antiquiores 15, Nr. 609). Vgl. zu den jeweiligen Herrschaftsgebieten der beiden Brüder die Continuatio Fredegarii 53, wonach Karl das regnum Austrasiorum erhielt und sein Bruder Karlmann „Burgundia“, „Provintia“ und „Gotia“ sowie das Elsaß und Alemannien, Aquitanien wurde danach geteilt. 24 Einhard, Vita caroli 3.

1.2 Die karolingische Familie und die Herrschaft bis zum Tod Karls des Großen

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die Herrschaft über die gesamte Francia an.25 Die als „Anwachsungsrecht“ der Brüder bezeichnete Gewohnheit der Nachfolge durch den bzw. durch die Brüder des Verstorbenen, die nach fränkischer Übung und Rechtsauffassung sich oft gegen die als „Eintrittsrecht“ bezeichnete Nachfolge der Söhne durchsetzen konnte,26 erlaubte auch Karl, das Teilreich seines Bruders an sich zu ziehen. Aber was erhält er eigentlich? Nach der Angabe Einhards ist es nicht das Teilreich Karlmanns, das er dazu bekommt, sondern das Gesamtreich, das er erst jetzt erhält: „consensu omnium Francorum rex constituitur“; nicht nur die Franken aus Karlmanns Teilreich stimmen zu, alle Franken stimmen der Königserhebung Karls über alle Franken zu.27 25 Einhard, Vita caroli 3, wo es heißt: „Karolus autem fratre defuncto consensu omnium Francorum rex constituitur.“ Der Satz beinhaltet beides, die „Zustimmung aller Franken“ und „unter Zustimmung König aller Franken“. In den Annales Mettenses priores 771 wird erst nach der Erhebung Karls zum König aller Franken von der Flucht der Gerberga zu den Langobarden berichtet. Von der eigentlichen Erhebung zu unterscheiden ist die Angabe der ARF ad. a. 771, zur Huldigung mehrerer namentlich genannter Großer, die möglicherweise aber als Teil der Erhebung „unter Zustimmung aller“ aufzufassen ist. Auf den Widerspruch einiger Großer bei der Übernahme von Karlmanns Reichsteil durch Karl weist KRAH, Absetzungsverfahren 1987, 9 f. hin. Sie sieht ebenda im späten Bericht Hinkmars von Reims, Instructio ad Hludowicum Balbum, MPL 125, Sp. 983–994, 985 den Reflex einer größeren Bewegung von Anhängern Karlmanns gegen Karl. 26 Zum Gebrauch beider Komplementärbegriffe etwa SCHLESINGER, Auflösung des Karlsreiches [1965] 1987, [847] 112. Beide Begriffe sind jedoch Hilfsbegriffe, die kein jeweils positives Recht bezeichnen können, sondern allenfalls Ansprüche und ihre mögliche Umsetzung benennen. – Vgl. SCHNEIDER, Königswahl 1972, 251 zur Konkurrenz von Eintritts- und Anwachsungsrecht in der als „erbrechtlicher Fiktion aufrechterhaltenen Brüdergemeine“. Vgl. auch ebenda 80. – KASCHKE, Reichsteilungen 2006, 44 f. verweist auf den Fortbestand eines gemeinsamen Verfügungsrechtes der als Erben verbundenen Brüder. S. nun vor allem BECHER, Vater, Sohn und Enkel 2008. – ERKENS, Teilungspraxis 1996, 438 sieht bei den Merowingern die Oheime „in aller Regel“ als Sieger im Erbfall. Siehe auch ANTON, Konzept, karolingischer Synoden [1979] 2002, [108–109] 229 f. zu den widerstreitenden Nachfolgeprinzipien. S. dazu unten „Der Staat als Verband“. 27 Vgl. dazu SCHIEFFER, Karolinger 1992, 73. Glaubwürdiger aber ist die entsprechende Angabe der Annales Mettenses priores 771: „Ibi [Corbeny, Aisne] venientes ad eum Wileharius archiepiscopus et Fuldradus capellanus cum aliis episcopis ac sacerdotibus, Warinus quoque et Adalhardus comites cum aliis principibus, qui fuerant ex partibus Carolomanni, et unxerunt super se dominum suum Carolum gloriosissimum regem, et obtinuit feliciter monarchiam totius regni Francorum.“ Nach den Annales Mettenses priores trat zunächst also das Königtum im Teilreich Karlmanns zu Karls eigenem hinzu. Im Ergebnis wurde er damit König des gesamten Frankenreiches. Vermutlich liegt Einhard aber im Kern richtig. Dass Karl zum Herrscher des gesamten Frankenreiches und nicht zum Herrscher zweier Reiche wurde, setzt in der Tat voraus, dass entweder vorher das Frankenreich von seinen beiden Herrschern tatsächlich gesamthänderisch regiert wurde oder aber es eine ausdrückliche Zustimmung „aller Franken“, also der Großen beider Teilreiche, zu dem alleinigen Königtum Karls über das gesamte Frankenreich gab. Einhard postuliert aus der Rückschau und nach dem weiteren Vordringen kirchlicher Rechts- und Staatsauffassung zur Zeit Ludwigs des Frommen, dass die Einheit des Frankenreiches durch einen staatsrechtlich korrekten Akt der Erhebung Karls wiederhergestellt wurde. Die Angabe der Annales Mettenses priores zeigt aber – vor dem Hintergrund der Schilderung Einhards – , dass die Einheit des Frankenreiches im Denken der Zeit fortbestanden hatte. So war auch keine erneute Zustimmung „aller Franken“ notwendig

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1 Die Teilungen des Herrschaftsraumes

Ob die Franken nun souverän über die Nachfolge und das Königtum entschieden oder nur auf Anfrage zustimmten, ist für die Frage nach der Familie nicht eigentlich von Belang und wird an anderer Stelle behandelt werden.28 Ihre Zustimmung wird jedenfalls notiert und scheint bei jeder Veränderung der Herrschaftsverhältnisse erneut notwendig geworden zu sein: Das Königtum Pippins hing 751 von der Zustimmung der Großen ab,29 und obwohl seine Söhne 754 ebenfalls zu Königen gesalbt worden waren, wird die Zustimmung der Großen bei ihrem Herrschaftsantritt 768 erneut erwähnt, und dann wurde nach dem Tod Karlmanns Karl der Große noch einmal als rex Francorum bestätigt. Die Familie kann also über die Nachfolge nicht ohne Mitwirkung der Großen entscheiden, und sei diese Mitwirkung auch noch so klein.30 Das heißt, dass nicht Erbrecht die Nachfolge im Königtum regeln kann31 und vermutlich auch bei den Merowingern nicht das Erbrecht die Nachfolge bestimmte.32 Das Erbe zur gesamten Hand, wie es in der fränkischen Gesellschaft üblich war,33 kann also im Falle des Königtums nicht in einer reinen Form aufrechterhalten werden, dies umso mehr, da das Erbe einen beträchtlichen Raum umfasst, den gemeinsam zu verwalten erhebliche Probleme mit sich gebracht hätte. Das Erbe zur gesamten Hand verkommt aber deshalb nicht zur Fiktion, sondern bleibt als zumindest gewohnheitsrechtliches Prinzip von solcher Bedeutung, dass noch im 9. Jahrhundert darauf Bezug genommen werden musste, wobei zu vermuten ist, dass die Karolinger nach einem Weg suchten, die Gesamthand mit dem Erhalt der Einheit des Reiches zu verbinden, was spätestens

geworden, um Karl zum König des gesamten Reiches werden zu lassen. Vgl. zum Ablauf und der Bewertung der Quellen MÜHLBACHER, Regesten 1889, 59. 28 S. unten „Der Staat als Verband“. 29 S. zur Zustimmung als Bestandteil der Königserhebung von 751/754 BECHER, Subiectio principum 2006, 167. 30 S. unten „Der Staat als Verband“. 31 Auch SCHLESINGER, Karlingische Königswahlen [1958] 1975, 206 („Nachfolge ist etwas anderes als Erbschaft“) und 209 f. unter Bezug auf die Ordinatio imperii Ludwigs des Frommen, in der das offensichtlich wird. 32 SCHNEIDER, Königswahl 1972, 251 f. sieht für die Merowinger die letztliche Entscheidung in der Herrschaftsnachfolge in aller Regel denn auch nicht nach erbrechtlichen Regeln getroffen, sondern als abhängig von politischen Faktoren und damit von dem Willen der Großen. ERKENS, Teilungspraxis 1996 sieht dagegen eher das fränkische Erbrecht als Grund für die Teilungspraxis denn „politische Kompromisse“. Zu bedenken ist, dass potentielle Konkurrenten in der Nachfolge mit ihrer Beseitigung auch als Erben ausgeschlossen wurden. 33 KASTEN, Erbrechtliche Verfügungen 1990, 239 betont, dass der germanische Eigentumsbegriff keine Testierfreiheit kannte, weil das Familienmitglied lediglich Anteil am Familieneigentum, nicht jedoch davon getrenntes Eigentum hatte. Hier ist jedoch daran zu denken, dass die Vorstellung vom Eigentum als Individualeigentum Strukturen voraussetzt, die das Individuum in seinem Handeln erkennen, was aber eigentlich ein Charakteristicum der bürgerlichen Gesellschaft ist, in der das Kapital grundsätzlich teilbar und veräußerbar ist, weil die Subsistenz zumeist nicht auf Kapital allein beruht, anders als das bei Bauern der Fall ist.

1.2 Die karolingische Familie und die Herrschaft bis zum Tod Karls des Großen

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nach der Kaiserkrönung Karls und seinem Versuch der Erneuerung des Reiches über seine kirchliche Organisation und kirchliche „Staatsauffassung“ zu einer entscheiddenden politischen Aufgabe wurde.

1.2.2 Zur Divisio regnorum von 806 Nach Karls Kaiserkrönung wurde die Nachfolgeregelung erheblich erschwert, weil das Kaisertum an die Einheit des Imperiums gebunden war. Zum Erhalt des Kaisertums war es also notwendig, die Einheit des Reiches zu bewahren, zugleich aber war es unmöglich, einem Sohn allein das Gesamtreich zu hinterlassen und weitere Söhne von der Nachfolge auszuschließen. Dagegen stand die an die Vorstellung von der Gesamthand gebundene Gewohnheit der Reichsteilung im Erbfall. Und vor allem stand dagegen die Erwartung der Großen, „ihren“ karolingischen König und persönlichen Bezugsrahmen zu erhalten. Das später vor allem von kirchlicher Seite propagierte Prinzip der Primogenitur war zu Beginn des 9. Jahrhunderts für die königliche Familie als Nachfolgeregelung schwer vorstellbar34 und hätte die Rechte der jüngeren Söhne entscheidend verletzt, hätte somit einen dauerhaften Anlass für Unruhen gegeben, wie sich das ja auch wenig später mit den Aufständen gegen Ludwig den Frommen zeigte. Wenn Karl der Große in seinem Versuch der Nachfolgeregelung von 806, der Divisio regnorum,35 betont, dass es Gottes Wille sei, dass er seine drei legitimen Söhne zu gleichen Teilen als Erben einsetze, so hält er an dem Prinzip der Nachfolgeregelung zur gesamten Hand fest. Zunächst sollen die Söhne consortes des Reiches werden, das Karl von Gott übertragen bekommen hatte, also consortes seiner Herrschaft,36 nach seinem Tod soll das totum regni corpus unter die Söhne aufgeteilt werden.37 Das regnum vel imperium bezeichnet Karl als von Gott bewahrt und als zu bewahren, nämlich in seiner Gesamtheit, was er zu Beginn der Auflistung des Anteils seines Sohnes Ludwig

34 So auch HÄGERMANN, Reichseinheit 1975, 295, der das Teilungsprinzip für 806 als „selbstverständlich“ bezeichnet. 35 MGH Cap. I, Nr. 45. – Vgl. zur Überlieferungsgeschichte TISCHLER, Diviso regnorum 2008. 36 Das consortium gilt auch für das Kaisertum, wie SCHLESINGER, Kaisertum [1958] 1972, 165–167 unter Bezugnahme auf die Rezeption antiker Gewohnheit (z. B. Suetons durch Einhard) nahelegt. Vgl. dazu weiter unten „Die Herrscherfamilie“ 3.2. 37 Wenn HÄGERMANN, Reichseinheit 1975, 286 erklärt, dass Karl seine Söhne „keinesfalls zu Mitherrschern“ einsetzte und die Bestimmungen zum consortium der Söhne („der dunkle Passus“) allenfalls für eine Erklärung Karls hält, noch zu Lebzeiten die Nachfolge regeln zu wollen, so deutet er den Absatz 20 der Divisio nicht richtig, in der Karl sich seine uneingeschränkte „potestas“ lebenslang vorbehält und auf den Gehorsam der Söhne Wert legt. Da Karl in der Diviso aber kaum aus Versehen seine Söhne zu „consortes regni“ erklärt haben wird, muss die Erklärung für den scheinbaren Widerspruch an anderer Stelle gesucht werden. Karl verfügte über die Angelegenheiten in den regna seines Sohnes Ludwig z. B. ebenso wie derselbe Ludwig das mit dem Reich z. B. seines Sohnes tat, BOSHOF, Ludwig der Fromme 1996, 160.

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noch einmal betont: „Divisiones vero a Deo conservati atque conservandi imperii vel regni nostri tales facere placuit.“ Die Einheit des Reiches ist ihm ein Anliegen und Gottes Wille, zugleich aber war es Gottes Wille, dass er drei Söhne haben sollte, die alle an der Nachfolge beteiligt werden mussten. Daher blieb Karl nichts anderes übrig, als von vorneherein mögliche Zwietracht unter den Brüdern so weit wie möglich auszuschließen, was er einerseits in der abgewogenen und detaillierten Aufteilung des Reiches unternimmt und andererseits den Söhnen zusätzlich einschärft, wenn er an das Gebot der brüderlichen caritas erinnert.38 Wie schon angedeutet mit der Erhebung seiner beiden jüngeren Söhne zu Königen in Italien und Aquitanien (781)39 und der Salbung und Krönung Karls des Jüngeren zum rex Francorum durch den Papst anlässlich der Kaiserkrönung des Vaters 800 in Rom,40 wird auch in der Divisio regnorum sein ältester Sohn Karl durch das Mitkönigtum und die Nachfolge in der eigentlichen Francia hervorgehoben.41 Indem Karl von der merowingischen Gewohnheit, jedem Sohn einen Anteil an der eigentlichen Francia zu überlassen, abwich, trug er in erster Linie der Ausweitung des Reiches auf eigenständige regna Rechnung. Ein Nebeneffekt war dabei, dass der Sohn, der die Francia erhalten sollte, zu einem primus inter pares wurde. Inwieweit das aber als Designation des ältesten Sohnes zum alleinigen Nachfolger oder etwa Oberkönig aufzufassen ist, ist unklar,42 vor allem, da Karl 38 Seit merowingischer Zeit bezeichnete der Begriff „caritas“ das „bindende Band der Brüdergemeine“ und erhielt an der Wende zum 9. Jahrhundert eine zusätzliche christlich-religiöse Bedeutung, die ebenfalls eine gewisse rechtliche Bindung beinhaltete, nach SCHNEIDER, Brüdergemeine 1964, 171. 39 Ermoldus Nigellus, In honorem Hludowici I, 35–40 sieht Karl den Jüngeren schon für 780/81 als „successor tandem si valet esse patris“, wie KASTEN, Königssöhne 1997, 154 bemerkt. 40 Überliefert mit der Gratulation, die Alkuin 801 an Karl den Jüngeren richtete (Ep. Alcuini 217, MGH, Epp IV, 360 f.), hervorgehoben als Designation zur Nachfolge Karls des Großen von KASTEN, Königssöhne 1997, 148–152. 41 Das nimmt CLASSEN, Karl der Große 1972, 132 zum Anlass, Karl als einzigen echten rex Francorum zu sehen, der damit einen Anspruch auf den Erhalt des Kaisertums gehabt hätte, was HÄGERMANN, Reichseinheit 1975, 303–305 mit überzeugenden Argumenten zurückweist, u. a. mit dem Hinweis auf Vergrößerung und Veränderung des Frankenreiches. Ihm folgt darin BOSHOF, Einheitsidee 1990, 169 f., der die Notwendigkeit des Erhalts der hinzugekommenen regna betont, die als Gesamtheiten zur „Selbständigkeit tendierten“. KASTEN, Königssöhne 1997, 150 weist in diesem Zusammenhang auf die Ausstattung Karls des Jüngeren mit Maine im Jahr 789 hin (vgl. dazu EITEN, Unterkönigtum 1907, 46 f.), das schon Karl der Große seit 763 innegehabt hatte. Möglicherweise hatte er Maine sogar als rex inne, wie KASTEN, Königssöhne 1997, 141 f. vermutet. Gegen „eine Sonderrolle“ spricht sich KASCHKE, Reichsteilungen 2006, 310 aus. 42 Das nimmt EWIG, Teilungen 1981, 242 an. Dass im Fall von Karls des Großen Tod die jüngeren Söhne daher dem älteren Bruder untergeordnet gewesen wären, wie sie Karl untergeordnet waren, wie WOLF, Thonfolgerecht 1991, 295 annimmt, scheint mir sehr unwahrscheinlich. Die Erhebung der beiden jüngeren Söhne Karls zu Königen in Italien und Aquitanien 781 deutet allerdings auf eine „gewisse Primogenitur“, wie WOLF, Thronfolgerecht 1991, 295 unter Bezug auf JARNUT, Langobarden 1982, 116 ff. betont.

1.2 Die karolingische Familie und die Herrschaft bis zum Tod Karls des Großen

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der Jüngere im Alter von über 30 Jahren im Gegensatz zu seinen jüngeren Brüdern noch unverheiratet und ohne mögliche Nachkommen war, mit ihm als Nachfolger der Erhalt der Dynastie also in Frage gestanden hätte.43 Eine Lösung des Problems liegt möglicherweise darin, dass im Falle des Scheiterns der Brüdergemeine als Herrschaftskonsortium im imperium vel regnum eben doch einer der Brüder als rex Francorum das eigentliche Frankenreich und mit ihm möglicherweise das Kaisertum hätte fortführen können.44 In dieser Option liegt auch ein Zwang der Brüder zur gegenseitigen caritas und zur gemeinschaftlichen Führung des regnum vel imperium, da nämlich andernfalls Ludwig und Pippin wirklich zu marginalen Königen (fremder Völker) geworden wären. Gegen Pippin und Ludwig als in der Divisio regnorum gleichermaßen mit Ressourcen bedachte Söhne des Kaisers und ausdrückliche Miterben am regnum vel imperium des Vaters hätte Karl der Jüngere vermutlich keine Monarchie in demselben regnum vel imperium durchsetzen können. Träfen diese Vermutungen zu, hätte Karl der Große allerdings das Problem, das das Kaisertum ihm bei der Nachfolgeregelung aufgab, annähernd gelöst. Außerdem trägt Karl Sorge für den Fall des Todes eines der Söhne. Er legt genau dar, wie in dem jeweiligen Fall das Reich unter die beiden verbleibenden Brüder geteilt werden solle. Neben dem Anwachsungsprinzip sieht Karl aber ausdrücklich die Möglichkeit vor, dass ein Sohn des Verstorbenen in dessen Rechte eintritt, vorausgesetzt, dass diesen „populus eligere velit ut patri suo in regni hereditate succedat“. Dass nach dem Tod eines seiner Söhne das Reich neu verteilt werden sollte, ist dazu angetan, einer Auflösung des Reiches in viele kleine Reiche entgegenzuwirken. Karl versucht, die Reichseinheit unter der Vorgabe, dass er drei nachfolgeberechtigte Söhne hat, mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln zu bewahren. Übrigens kommt an mehreren Stellen die Wendung regnum vel imperium vor. Sie drückt keinesfalls eine Unsicherheit über den Erhalt des Imperiums aus, zeigt auch keine begriffliche Unschärfe in der Formulierung, sondern ist als Versuch zu verstehen, regnum und imperium untrennbar miteinander zu verbinden. Regnum ist an diesen Stellen der Begriff für das gesamte Frankenreich, das durch die Teilung in regna nicht in seinem Bestand in Frage gestellt werden soll. Geschützt wird das regnum in dem so verstandenen Sinne durch den als Synonym verwandten Begriff des imperium. Das imperium ist als römisch-rechtlicher Begriff klar als Einheit und als transpersonal45 definiert und durch die kirchliche Organisation geschützt. Die

43 Darauf weist KASTEN, Königssöhne 1997, 158 hin. 44 CLASSEN, Karl der Große 1972, 126 f. betont denn auch, dass damit die „gentile Einheit des fränkischen Reichsvolkes“ bewahrt werden sollte. 45 SCHLESINGER, Kaisertum [1958] 1972, 155 belegt das mit einer Anweisung zum Eid des Jahres 802 (Capitulare missorum generale 802, ca, 2, MGH Cap. I, Nr. 33, S. 92, Z. 29 f.): „[. . .] non, ut multi usque nunc extimaverunt, tantum fidelitate domno imperatori usque in vita ipsius [. . .].“ An dieser Stelle ist doch wohl zu fragen, ob die für diese Stelle unbestreitbare Transpersonalität nicht eher

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1 Die Teilungen des Herrschaftsraumes

kirchliche Organisation des Frankenreiches ist nicht erst seit Karl dem Großen Träger der Erneuerung der fränkischen Herrschaftsordnung. Karl hatte ja gerade durch die sogenannte „Karolingische Renaissance“ Kirche und Reich so tief in einander zu verschränken gesucht, dass das Reich in seiner neuen Gestalt als das Reich der Karolinger schon vor seiner Kaiserkrönung weitgehend auf der kirchlichen Organisation gründete.46 Er selbst hat vor allem in der Admonitio generalis die fränkische Kirche als populus Dei bezeichnet.47 Träger der „Karolingischen Renaissance“ waren in aller Regel Geistliche, die bevorzugt aus den Regionen stammten, in denen Formen christlich-antiker politischer Ideen und römisch-rechtliche Vorstellungen in großer Kontinuität fortbestanden hatten. Als Bischöfe und Äbte im Frankenreich beförderten sie gemeinsam mit den Bischöfen und Äbten fränkischer Herkunft die Bildungsreform Karls des Großen und damit die Erneuerung der Gesellschaft, vor allem der Herrschaftsordnung. Den Bischöfen fiel im Herrschaftssystem Karls und seiner Nachfolger eine wesentliche Rolle in der Verwaltung des Reiches zu.48 Dadurch wurde die ohnehin römisch-rechtlich geprägte kirchliche Herrschaftsidee im Frankenreich erheblich gestärkt. Aus den kirchlichen Kreisen des Frankenreiches stammten die Verfechter einer Einheitsidee, die bald in schärfste Konkurrenz zu der fränkischen Gewohnheit der Teilung des Reiches unter die königlichen Nachkommen treten sollte. Karl der Große bemühte sich gerade mit Hilfe auch der kirchlichen Rechts- und Herrschaftsvorstellungen sein Reich von den strukturellen Problemen des Frankenreiches zu befreien, nicht zuletzt weil diese Ideen ihm die Stärkung seiner monarchischen Stellung versprachen: Das kirchlich propagierte und von ihm gerne angenommene Königsideal finden die Hofkreise vor allem in König David, dessen ungebundene Stellung zum eigentlichen Herrschervorbild wird.49

aus der herrscherlichen Familie herzuleiten ist, als aus dem Kaisertum, denn die Stelle bezieht sich doch auf den Eid auf des Kaisers Namen, nicht etwa auf das „Kaisertum“. Der Stelle vorangestellt ist nämlich die Maßgabe, dass „nunc ipsum promissum nominis cesaris faciat“. 46 STROTHMANN, Karolingische Renaissance 2000; dort u. a. nicht unter den Literaturangaben: CONTRENI, Carolingian Renaissance 1995. 47 Vorwort, in: MGH Cap. I, Nr. 22, neu ed. in: Die Admonitio generalis 2013, S. 181. SCHLESINGER, Kaisertum [1958] 1972, 143 verweist auf die Vorstellung der frühen Karolingerzeit, dass die fideles regis zugleich die fideles Dei seien und umgekehrt, womit er sich auf HELBIG, Fideles 1951 bezieht. 48 S. unten “Kirchen und Klöster“ und „Der Staat als Verband“. 49 Vgl. zum fränkischen König als „novus David“ EWIG, Königsgedanke 1956, 44 ff. zu Pippin dem Jüngeren und 59 ff. zu Karl dem Großen. Vgl. besonders den Davidszyklus in St. Johannes in Müstair, s. dazu SENNHAUSER, Kloster Müstair 1999. – Zur Rezeption des Alten Testaments durch die Karolinger und in der karolingischen Geschichtsschreibung vgl. GARRISON, Franks as the New Israel 2000, die aber 123 ff. den Gedanken der Auserwähltheit der Franken der Autorschaft der Päpste zur Zeit der Königserhebung Pippins zuweist, was gewiss eine zutreffende Beobachtung spiegelt, zumal mit dem Königtum Pippins die Karolinger erstmals als Könige beschreibbar sind. Die Rezeption alttestamentlicher Formen jedoch mag der Königserhebung durchaus vorausgegangen sein, ebenso wie der verstärkte Petrusbezug der Karolinger.

1.2 Die karolingische Familie und die Herrschaft bis zum Tod Karls des Großen

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Die Wendung „imperium vel regnum“ besagt nichts weniger, als dass das regnum den Kern des imperium bilden soll und das imperium auch im Falle der Teilung die Einheit des regnum aufrechterhalten möge. Es ist dies der einzig mögliche Ausweg aus der gottgegebenen Ausgangslage, dass nämlich Karl drei nachfolgeberechtigte Söhne hatte. Wenn Schlesinger die Söhne nach der Divisio regnorum von 806 zwar als consortes am imperium als einen Raum und der zugehörigen potestas sieht, aber nicht am nomen imperiale, so ist das eine eher künstliche Unterscheidung,50 denn Karl der Große erklärt seine Söhne vor seinem Ableben zu consortes regni und erst danach zu „imperii vel regni nostri heredes“.51 Sie erhalten am Imperium als consortes regni einen ideellen Anteil insofern, als imperium vel regnum von Karl in Eines gesetzt werden, wie er ja auch den populus Dei mit der Kirche des Frankenreiches identifiziert, was räumlich gewiss nicht zutraf. Karl nimmt also tatsächlich eine Abstufung vor, die ihm das nomen imperiale vorbehält, seine Söhne aber dazu designiert. Dass Karl nach der Erlangung seiner kaiserlichen Würde diese nicht unbedingt als von der päpstlichen Vermittlung abhängig sehen wollte, zeigen die von Schlesinger herangezogenen Anspielungen der Annales Mettenses priores52 auf ein Kaisertum der Franken lange vor der Kaiserkrönung Karls.53 Die Söhne sollen das

50 Das greift auch HÄGERMANN, Reichseinheit 1975, 279 f. auf. 51 SCHLESINGER, Kaisertum [1958] 1972, 169. Hier ist die Deutung Beumanns m. E. überzeugender, der darlegt, dass nach Karls Auffassung das nomen imperatoris dem gebühre, „der die imperiale potestas der Sache nach bereits besitzt“ (Namentheorie), BEUMANN, Nomen imperatoris [1958] 1972, 209, vgl. auch ebenda 197. Zur Namentheorie vgl. BORST, Kaisertum und Namentheorie [1964] 1972, der gewichtige Argumente beibringt, die ihre Bedeutung für Karl den Großen und sein Kaisertum unterstreichen. WOLFRAM, Lateinische Herrschertitel 1973, 40 f. warnt im Zusammenhang mit dem Kaisertitel Karls des Großen vor einer künstlichen Trennung von „nomen“ und „potestas“. Vgl. STROTHMANN, Augustusnomen Karls des Großen 2014. 52 Nach SCHLESINGER, Kaisertum [1958] 1972, 156 noch als Angaben eines „Verlorenen Werkes“ angenommen. Erst HOFFMANN, Karolingische Annalistik 1958, 9 ff. hat nachgewiesen, dass es sich bei dem ersten Teil der Metzer Annalen, den Annales Mettenses priores, um einen bis 805 reichenden selbständigen Text eines Autors handelt. Vgl. dazu ausführlich HASELBACH, Aufstieg 1970, 9; 14–17 und passim. Zur Bewertung als karolingische Konstruktion einer Erfolgsgeschichte vgl. auch MCKITTERICK, L’idéologie politique 1998, 63 ff. – S. ausführlich unter dem Gesichtspunkt von Reichseinheit und Teilungspraxis im Hinblick auf herrscherliche Gestaltung KASCHKE, Reichsteilungen 2006, 203–248. – S. zu den Annales Mettenses priores und ihrer Funktion als „piece of propaganda“ im Vorfeld der Divisio regnorum Karls des Großen HEN, Annals of Metz 2000, 190. 53 SCHLESINGER, Kaisertum [1958] 1972, 156–159; wenn er ebenda 161 f. Belege für kaiserliche epitheta früherer fränkischer Könige versammelt, kann er das jedoch eigentlich nicht in diesem Sinne heranziehen. Die Verwendung kaiserlicher Vorrechte in der Titulatur für barbarische Könige ist ein verbreitetes Phänomen und dient natürlich zur Erhöhung des eigenen Königtums, zur imitatio des Kaisers, ist aber von dem Kaisertum, wie es Karl der Große 800 empfangen hat, zu unterscheiden. Wenn Karl nach 800 eine Kaisergleichheit seiner Dynastie schon für die Zeit vor seinem Kaisertum herleiten lässt, so hat das legitimatorische Funktion und bedeutet keinesfalls, dass das „imperiale Königtum der Franken schon vor 800“ für Karl das Kaisertum in irgendeiner Weise hätte ersetzen können (wie SCHLESINGER ebenda 162 f. nicht ausschließen möchte). Wenn Karl 813 die Vermittlung

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Kaisertum erben, möglicherweise als Brüdergemeine,54 über das nomen imperatoris trifft Karl jedoch keine Verfügung in der Divisio regnorum von 806, wie Schlesinger hervorhebt.55 Nach seiner eigenen Kaisererhebung durch den Bischof von Rom und die Akklamation des römischen Volkes ist zunächst die Auffassung, dass eine erneute Übertragung des Kaisertums an die Familie Karls des Großen zum Erhalt desselben notwendig sei, nicht unbedingt vorauszusetzen. Wenn man das Kaisertum, wie Beumann es tut, in Analogie zum Königtum Pippins sieht, ergibt sich vielmehr die Möglichkeit, dass Karl – wie bei der Krönung Ludwigs des Frommen – gar nicht an eine erneute Vermittlung des Papstes gedacht hat. Wenn Karl in der Divisio regnorum über das nomen imperiale nicht verfügt,56 jedoch seine drei Söhne zur Nachfolge im imperium designiert, so ist die naheliegende Lösung des scheinbaren Widerspruches darin zu suchen, dass bei dem Erhalt der Einheit des Reiches trotz Teilung auch das Kaisertum der Familie erhalten bleiben sollte, und das je nach Lage der Dinge beim Ableben Karls das nomen imperiale entweder ein Sohn erhalten hätte oder möglicherweise, wie es Schlesinger andeutete, es nach antik-römischem Vorbild mehrere caesares gemeinsam hätten innehaben können.57 Das aber musste Karl nicht verfügen, wenn das Kaisertum der Familie weiterhin erhalten bliebe, wozu Karl alle möglichen Anstrengungen in der Divisio regnorum unternahm. Nach dieser Deutung hätte sich Karl nicht erst 813 entschlossen, das Kaisertum „auf die gens Francorum“ zu stellen, wie Beumann meint,58 sondern schon 806 das Kaisertum und mit ihm das nomen imperatoris wie das Königtum im Besitz der Familie und dazu hinzutretend in der Verfügung der Großen zu sehen. Die Divisio regnorum als reine Nachfolgeregelung betont das Prinzip der Brüdergemeine,59 die ihren gesamtherrschaftlichen Ausdruck in den gemeinschaftlich zu betreuenden Aufgaben der Söhne findet: Den Söhnen wird vor allem der gemeinsam auszuübende Schutz der römischen Kirche aufgetragen, sie werden zur gegenseitigen

des Papstes bei der Kaiserkrönung seines Sohnes Ludwig umgeht und allein von der Zustimmung der Großen abhängig macht, so könnte das eher zu verstehen sein als Fortführung des einmal erlangten Kaisertums durch die Familie. 54 KASTEN, Königssöhne 1997, 158 f. sieht ein „genossenschaftlich im Sinne einer aufgabenbezogenen Samtherrschaft“ konzipiertes Verhältnis unter den Nachkommen in der Divisio regnorum angestrebt. 55 Ebenda 167, die mutmaßt, dass Karl an eine Nachfolgeregelung nach dem Vorbild Konstantins gedacht haben könnte. HÄGERMANN, Reichseinheit 1975 geht unter Bezugnahme auf Schlesinger davon aus, dass der Begriff „imperium sicherlich auf die räumliche Erstreckung des Gesamtreiches“ abhebe, wozu der römisch-rechtlich definierte Begriff „imperium“ nicht notwendig wäre und auch zu Irritationen hätte führen können. 56 Das hebt HÄGERMANN, Reichseinheit 1975, 285 hervor, der den Grund darin sieht, dass andernfalls das Gleichgewicht unter den Brüdern „empfindlich gestört“ worden wäre. 57 SCHLESINGER, Kaisertum [1958] 1972, 166–168. 58 BEUMANN, Nomen imperatoris [1958] 1972, 214. 59 BOSHOF, Einheitsidee 1990, 167. – Das betont auch KASCHKE, Reichsteilungen 2006, 312 f.

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militärischen Hilfeleistung verpflichtet, zum Schutz kirchlichen Streubesitzes, des Eigentums Freier und Vasallen und zum Schutz des Besitzes der über die Teilreichsgrenzen hinweg heiratenden Frauen aufgefordert.60 Die Söhne sollen eine Brüdergemeine bilden, die das regnum vel imperium als Einheit erhält und zugleich den Teilkönigen weitgehende Autonomie gewährt. Die Familie soll als politische Institution fortbestehen. Da die Divisio regnorum die Söhne auch zu Lebzeiten zu consortes des Reiches erklärt, trägt sie ihrer Stellung als Angehörige der herrscherlichen domus Rechnung. Offensichtlich offenbart Karl der Große mit dieser Konzeption die – sicherlich geringe – Teilhabe der Söhne an der von ihm ausgeübten Herrschaft. Nach dem Tod seiner Söhne Pippin (810) und Karl (811) blieb Karl dem Großen nur Ludwig als möglicher Nachfolger. Dennoch entsteht in den Quellen der Eindruck, als habe Karl gezögert, seinen überlebenden Sohn zum Nachfolger zu designieren.61 Über die Motive Karls bei der zögerlichen Unterstützung seines Sohnes besteht Unklarheit.62 Möglicherweise hatte er Sorge vor einem Überhandnehmen des kirchlichen Einflusses auf die Königsherrschaft. Nach der Anerkennung des westlichen Kaisertums durch Byzanz (812) wurde im Jahr 813 Ludwig zum „consors totius regni et imperialis nominis heredem“ erhoben.63 Die Krönung erfolgte ohne Mitwirkung des Papstes in Aachen.64 Karl demonstrierte damit, dass nach dem Akt des Jahres 800 die Familie und er selbst als ihr Oberhaupt das Kaisertum innehatten.65

60 Das führt KASTEN, Königssöhne 1997, 158 f. aus. 61 HÄGERMANN, Reichseinheit 1975, 296 f.; BOSHOF, Ludwig der Fromme 1996, 86 f. hebt das ebenfalls hervor. 62 Vgl. KASTEN, Königssöhne 1997, 163 f. 63 Einhard, Vita Caroli 30. Für den Zusammenhang der Ereignisse vgl. BOSHOF, Ludwig der Fromme 1996, 88 f. 64 Nach BOSHOF, Einheitsidee 1990, 172 f. kam eine „päpstliche Mitwirkung an der Übertragung der Kaiserwürde nach den Erfahrungen von 800 für Karl nicht in Frage“. 65 Einhard, Vita Caroli 30: „[. . .] congregatis sollempniter de toto regno Francorum primoribus, cunctorum consilio consortem sibi totius regni et imperialis nominis heredem constituit, impositoque capiti eius diademate, imperatorem et augustum iussit appellari.“ – ARF 813: „Ac deinde habito generali conventu, evocatum ad se apud Aquasgrani filium suum Hludowicum Aquitaniae regem, coronam illi inposuit et imperialis nominis sibi consortem fecit.“ Die von Thegan berichtete Selbstkrönung ist unwahrscheinlich, so BOSHOF, Ludwig der Fromme 1996, 89, Anm. 29. – Ausführlich berichtet Thegan, Gesta Hludowici 6 von der Krönung; vgl. auch Astronomus, Vita Hludowici 20. Vgl. WENDLING, Mitkaiser 1985, v. a. 230, der im Vorgehen Karls des Großen (bes. im Krönungszeremoniell) den Versuch sieht, das Mitkaisertum als Verfassungsinstitution einzuführen.

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1.3 Ludwig der Fromme und die Mitherrschaft seiner Söhne: Die Ordinatio imperii von 817 Nach dem Tod Karls trat Ludwig der Fromme 814 die Nachfolge an, nicht ohne erneut die Zustimmung der Großen einzuholen.66 Seine Söhne erscheinen noch grundsätzlich gleichberechtigt nebeneinander, da er die beiden Älteren zu Königen erhob, während der Jüngste bei ihm blieb.67 Schon im Jahr 817 regelte Ludwig die Nachfolge.68 Wie sein Vater hatte er zum Zeitpunkt der Nachfolgeregelung drei Söhne zu versorgen. Anders als Karl entschied sich Ludwig aber für eine weitgehende Primogenitur.69 Anders als sein Vater Karl der Große verwirft Ludwig ausdrücklich die mögliche Manifestation des göttlichen Willens in der Zahl der Söhne. Hatte Karl 806 noch die Liebe zu den Söhnen als Begründung für die Teilung zur gesamten Hand hervorgehoben, so erklärt Ludwig die Einheit des von Gott (nicht zuletzt durch den Tod seiner Brüder) bewahrten Einheit des Reiches für höherwertig70 und entschließt sich dazu, den erstgeborenen Sohn Lothar zum Nachfolger zu erheben, wobei die beiden anderen Söhne Pippin und Ludwig zu dessen Unterkönigen erklärt werden, wie sie es faktisch auch zu seinen, Ludwigs, Lebzeiten waren. Auch für die der Herrschaft des Erstgeborenen nachgeordneten Teilreiche setzt er die Erhebung eines legitimen Sohnes als Nachfolgeprinzip fest, womit die Kontinuität in den Teilreichen gefördert werden sollte,71 und damit auch das Gesamtreich an Stabilität hätte gewinnen können. Für den Fall des Todes eines Teilkönigs ohne legitime Nachkommen greift er auf das fränkische Prinzip der „Anwachsung“ der Brüder zurück, das Teilreich solle dann zurückkehren („revertatur“).72 Für den Fall, dass der Älteste, also der Kaiser und damit das Familienoberhaupt, ohne männliche Nachkommen sterbe, beschließt er, dass einer der Brüder zu seinem Nachfolger gewählt werden solle.73

66 BOSHOF, Ludwig der Fromme 1996, 92. Zu „The conquest of Aachen“ und seinen Umständen vgl. DE JONG, penitential state 2009, 19–24. 67 Lothar wurde König von Bayern, Pippin erhielt Aquitanien, KASTEN, Königssöhne 1997, 167 f. Vgl. auch EITEN, Unterkönigtum 1907, 59 ff. 68 Ordinatio imperii, in: MGH Cap. I, Nr. 136, S. 270–273. Vgl. die prägnante Zusammenfassung bei BOSHOF, Ludwig der Fromme 1996, 131 f. 69 S. die Diskussion der Ordinatio imperii aus der Perspektive auf Kaiser Lothar bei SCHÄPERS, Lothar 2018, 71 ff. 70 Vgl. z. B. GANSHOF, Observations 1955, 28, der die Einheitsforderung unabhängig von der Person des Herrschers und untrennbar mit der Kirche verbunden sieht. 71 Darauf weist KASTEN, Königssöhne 1997, 180, Anm. 157 hin. 72 MGH Cap. I, 136, S. 273: „15. Si vero absque legitimis liberis aliquis eorum decesserit, potestas illius ad seniorem fratrem revertatur.“ 73 MGH Cap. 136, S. 273: „18. Monemus [. . .], ut, si filius noster qui nobis divino nutu successerit, absque legitimis liberis rebus humanis excesserit, propter omnium salutem et ecclesiae tranquillitatem et imperii unitatem in elegendo uno ex liberis nostris [. . .]“

1.3 Ludwig der Fromme und die Mitherrschaft seiner Söhne

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Ludwig stellt in der Ordinatio imperii Teilung und Einheit als Gegensätze dar. Der Gegensatz liegt aber nicht, wie man gemeinhin annimmt, in Teilung und Einheit selbst, sondern in den ihnen zugrundeliegenden politischen Grundauffassungen.74 Ludwig folgte – das anzunehmen liegt nahe – seinen kirchlichen Beratern,75 unter denen die an sich plausible Vorstellung von der Monarchie als Grundprinzip christlicher Ordnung als für ein christliches Reich alternativlos galt. Es gilt der Grundsatz von der Analogie des einen Gottes und des einen Herrschers.76 Darin liegt die Einheitsidee der sogenannten „Reichseinheitspartei“,77die unter bzw. zur Zeit Ludwigs des Frommen zu einigem Einfluss gelangte.78 Es ist ja nicht so, dass Karl der Große in der Divisio regnorum die Einheit des Reiches unter die Liebe zu seinen Söhnen gestellt hätte, wie man seinen Worten entnehmen könnte. Gerade durch die Entscheidung für die sogenannte Realteilung, eigentlich aber eine Teilung zur gesamten Hand, hatte er die Einheit des Reiches zu bewahren versucht, wie oben gezeigt werden konnte. Die Ordinatio imperii ist die erste und letzte Nachfolgeordnung Ludwigs des Frommen, die er verhältnismäßig frei von tagespolitischen Zwängen entworfen hat. Alle weiteren Versuche, die Nachfolge zu regeln, sind im Wesentlichen kein direkter Ausdruck politischer Idee, sondern richten sich auf die Wiederherstellung einer

74 HÄGERMANN, Reichseinheit 1975, 300 weist darauf hin, dass die Herrschaft der Brüdergemeine ja auch eine „abstrakte Reichseinheit“ zum Ziel hat. Er sieht in der Ordinatio imperii den „unzulänglichen Versuch [. . .] beide Prinzipen zu vermengen“ (ebenda 291), was aber nicht den Kern des Problems trifft, denn Ludwig führt nur dort fränkische Gewohnheit ein, wo es kein anderes probates Mittel zur Herrschaftssicherung und auch zum Erhalt der Einheit gibt. Die jüngeren Brüder hätte man allenfalls ins Kloster schicken können, um jeden Widerstand gegen die Superiorität des Ältesten auszuschließen. – KASCHKE, Reichsteilungen 2006, 379 formuliert: „Die Frage nach ‚Einheit oder Teilung‘ stellte sich dagegen nicht [. . .]“. 75 MGH Cap. I, Nr. 136, 270 f.: „ne forte hac occasione scandalum in sancta ecclesia oriretur et offensam illius in cuius potestate omnium iura regnorum consistunt incurreremus.“ BOSHOF, Einheitsidee 1990, 178 erblickt in dieser Passage „deutlich die Sprache der Theologen“; vgl. auch HÄGERMANN, Reichseinheit 1975, 290. 76 Formuliert wurde das z. B. von Theodulf von Orléans als Reaktion auf die Divisio regnorum (MGH, PL I, S. 526, Nr. 34 „Quod potestas impatiens consortis est“, vgl. dazu FAULHABER, Reichseinheitsgedanke 1931, 21; – zu bedenken ist, dass Theodulf als Westgote römischen Vorstellungen von Herrschaft näher gestanden haben wird); und deutlicher bei Dungal (Hibernicus Exul), wie BOSHOF, Einheitsidee 1990 hervorhebt. 77 Der Begriff ist in der Diskussion, s. ausführlich und grundlegend PATZOLD, ‚loyale Palastrebellion‘ der ‚Reichseinheitspartei‘? 2006. – HINDRICHS, Reichseinheit 2010 examiniert die Forschungspositionen und gelangt zu dem Ergebnis, dass die Annahme einer Reichseinheitspartei im Wesentlichen den nationalen Ideologismen des 19. und 20. Jahrhunderts geschuldet sei, was aber den ekklesiologischen Aspekt einer Einheitsidee des 9. Jahrhunderts nicht ausreichend beachtet. S. auch die Diskussion der Forschung bei GROTH, regnum 2017. 169 ff. 78 BOSHOF, Einheitsidee 1990, 175–177. – S. auch KASCHKE, Reichsteilungen 2006, 348, der die Einheitsidee nicht auf den Raum bezieht, sondern auf das Kaisertum und seine ethische Anbindung an Gottes Willen.

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1 Die Teilungen des Herrschaftsraumes

äußeren Einigkeit in Herrscherhaus und Reich. Daher soll im Folgenden auf detaillierte Untersuchungen von weiteren Nachfolgeordnungen verzichtet werden.79 Die Konflikte im Herrscherhaus und ihre Verbindung zu Parteiungen im Reich sagen weit mehr aus über die Stellung der Mitglieder der herrscherlichen Familie und über die Rolle der Familie im Reich.

79 S. aber zu allen Aufteilungen von Herrschaft im Reich Ludwigs KASCHKE, Teilungsprojekte 2018.

2 Die Aufgabe der einzelnen Teile der Herrscherfamilie 2.1 Das biblische Bild vom Vater als karolingisches Herrschaftsideal [. . .] et ut obedientes habeamus praedictos dilectos filios nostros atque Deo amabilem populum nostrum cum omni subiectione quae patri a filiis et imperatori ac regi a suis populis exhibetur.1

So beschließt Karl der Große seine Divisio regnorum von 806. Es ist beobachtet worden, dass Karl seinen Söhnen gegenüber auch faktisch eine geradezu erdrückende väterliche Stellung einnahm.2 Man hält ihn für einen unumschränkten Herrscher auch in seiner Familie. Seine königlichen Söhne waren weitestgehend weisungsgebunden3 – auch noch nach der Divisio regnorum, in der sie zu consortes regni erklärt wurden.4 In der Historiographie wird diese Seite herrscherlicher Kraft besonders betont, indem dort Karl seine Söhne in derselben Weise an die verschiedensten Orte schickt, wie er das mit einfachen Gesandten tut. Bekommt der Sohn eine Aufgabe gestellt, so entspringt der Historiographie zufolge die Anweisung allein dem väterlichen Willen – und der Sohn folgt dem väterlichen Befehl.5 Begründet wird die Stellung des Königs zu seinem Volk mit der Analogie zu seiner Stellung als Vater ebenso wie umgekehrt seine Stellung als Vater mit seiner Aufgabe als König begründet wird, so jedenfalls in der zitierten Passage aus der Divisio regnorum.6 Der König Karl findet sein großes Vorbild in König David, nicht so sehr in

1 Divisio regnorum, MGH Cap. I, Nr. 45, S. 130, Z. 13–15. 2 KASTEN, Königssöhne 1997, 220 ff. 3 Ludwig der Fromme war als Unterkönig in Aquitanien bei Streitfällen zwischen Aprisionären und Grafen nur mittelbar beteiligt, die eigentliche Entscheidung trifft rechtsgültig Karl der Große, BOSHOF, Ludwig der Fromme 1996, 35 f. Pippin von Italien bindet ein Kapitular von 787 (MGH Cap. I, Nr. 94) an einen Befehl Karls des Großen, den er als „dominus noster“ bezeichnet („secundum iussionem domini nostri Karoli regis“). Zur Restitution entfremdeter Reichsgüter in Aquitanien schickte Karl der Große seine missi, um, wie der Astronomus, Vita Hludowici 6 meint, die Regierung seines Sohnes nicht zu belasten. Vgl. zur Rolle Ludwigs des Frommen als König von Aquitanien auch Astronomus, Vita Hludowici 4. 4 So z. B. Ludwig der Fromme als König in Aquitanien, BOSHOF, Ludwig der Fromme 1996, 78. Vor der Erhebung zum Mitkaiser musste Ludwig der Fromme z. B. geloben, dem Vater gehorsam zu sein, nach Thegan, Gesta Hludowici 6. 5 So vor allem in den Reichsannalen, z. B. zu 784 (Karl der Jüngere, „dimittere“), 794 (Karl der Jüngere, „mittere“), 796 (Pippin von Italien, „mittere“), 797 (Pippin von Italien, „mittere“), 801 (Pippin von Italien, „mittere“), 804 (Karl der Jüngere, „mittere“), 806 („Imperator dimisso utroque filio [. . .]“). – Ähnlich auch in den Annalen von Fulda zu 784 (Karl der Jüngere, „mittere“), 800 (Pippin, „iubere“) und 805 (Karl der Jüngere). 6 Vgl. aber auch mehrere von Alkuins Carmina, in denen Karl als „pater“ angesprochen wird (Alkuin, Carmina 45, 75, 82, 84), auch in Zusammenhang mit der Anspielung auf König David, die sein https://doi.org/10.1515/9783110641936-004

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2 Die Aufgabe der einzelnen Teile der Herrscherfamilie

Salomo, auch hierin ist er der Vater. Seine Stellung als König ist theoretisch die des biblischen Herrschers David und in der Praxis nicht weit davon entfernt. Das hat Karl seiner Persönlichkeit, mehr aber noch den politischen Rahmenbedingungen zu verdanken. Keinesfalls ist in der Dynastie der Pippiniden bzw. Karolinger der Vater grundsätzlich in solcher Weise als Herrscher und als Familienvater ungebunden. Pippin der Mittlere errang seine beherrschende Stellung im Frankenreich als Stellung seiner Familie u. a. durchaus mit Hilfe seiner Söhne, die dazu politische Aufgaben wahrnahmen und eigenständig politisch handelten,7 wobei er aber Haupt der Familie blieb. Zu diesem Zweck delegierte er das Hausmeieramt an seinen Sohn Grimoald und behielt selbst nur die Leitung des austrischen Adelsverbandes in seiner Hand.8 Karl Martell erlangte die Nachfolge der Pippiniden noch bevor er handlungsfähige Söhne hatte und ließ Zeit seines Lebens seinen Söhnen keinen politischen Spielraum.9 Und auch sein Sohn Pippin, der zwar seine Söhne zur Konsolidierung der Herrschaft brauchte, gewährte diesen dennoch kaum die Möglichkeit zur Profilierung als geeignete Nachfolger.10 Karl der Große konnte dem Adel des Reiches fast ständige Expansion bieten, und auch in seinem Fall fällt die Handlungsfähigkeit seiner Söhne in eine Zeit, da er ihrer tätigen Mithilfe nur wenig bedurfte. Auf dem Höhepunkt karolingischer Macht befand sich Ludwig der Fromme nach der Herrschaftsübernahme, etwa als er die Ordinatio imperii erließ. Zu diesem Zeitpunkt hatte er ebenfalls bereits erwachsene Söhne. Es gelang ihm aber nicht, diesen Zustand zu erhalten. Je weniger er seinen Anspruch auf väterliche Gewalt seinen Söhnen gegenüber durchsetzen konnte, desto stärker wurde die theoretische Grundlage

im Hofkreis gebräuchlicher Name „David“ mit sich bringt (Alkuin, Carmina 45, 75), ausdrücklich wird er auch als pater patriae bezeichnet (Alkuin, Carmina 45 und 82); im Epos Karolus magnus et Leo papa (PL I, 379, v. 504) ist er gar „pater Europae“ und „pater optimus“ (v. 93). 7 Der Sohn Drogo hatte nach KASTEN, Königssöhne 1997, 61 als „dux von der Champagne“ die Aufgabe, „die väterliche Oberherrschaft in einigen Teilen Neustriens durchzusetzen“. – Vgl. ausführlich zum Amtsbereich Drogos JOCH, Legitimität 1999, 42 ff. 8 KASTEN, Königssöhne 1997, 59–69, 63 (zum Hausmeieramt). JAHN, Hausmeier 1994, 327 f. sieht die Einsetzung des Sohnes und später des Enkels Theudoald durch Pippin als Ausdruck „prinzipaler Oberherrschaft“. Zu bedenken ist aber, dass Pippin sich darauf verlassen musste, dass „seine“ Hausmeier auch in seinem Sinne handelten und sich nicht von einer Adelsopposition instrumentalisieren ließen. Also liegt doch wohl nahe, dass zumindest für Grimoald das Amt des Hausmeiers ausreichend Möglichkeit zu Gestaltung bot. – S. ausführlich zu Grimoald JOCH, Legitimität 1999, 46 ff. 9 KASTEN, Königssöhne 1997, 102, 107. SCHIEFFER, Väter und Söhne 1990, 159 vermutet den Grund für dieses Verhalten im Einfluß Swanahilds, der zweiten Frau Karl Martells. Vgl. auch SCHIEFFER, Karl Martell 1994, 309 f. 10 Die Söhne wurden zunächst am Hof gehalten und später mit Grafschaften ausgestattet, nicht jedoch mit „anspruchsvollen eigenständigen Herrschaften“ betraut, KASTEN, Königssöhne 1997, 135.

2.2 Verwandtschaft und Nachfolge

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patriarchaler Gewalt betont.11 Anlass zu theoretischer Beschäftigung mit dem rechten Verhältnis von Vätern und Söhnen waren dann die offenen Auseinandersetzungen zwischen Ludwig dem Frommen und seinen Söhnen, die offenbarten, dass Ludwig seine Söhne zu sehr von der Teilhabe an der Herrschaft ferngehalten hatte – nicht nur wegen der unglücklichen Nachfolgeregelung von 817 und ihrer nicht minder unglücklichen Nachbesserungen. In den Schriften zugunsten Ludwigs wurde nicht allein die Forderung nach Gehorsam dem Vater gegenüber aus der Bibel heraus begründet, vor allem mit dem 4. Gebot: „Du sollst Vater und Mutter ehren [. . .]“, wobei das Gebot verstanden wird als Forderung des uneingeschränkten Gehorsams der Kinder vor allem ihrem Vater gegenüber.12 Auch wird mehr oder weniger ausdrücklich das Verhältnis zu Gott mit dem irdischen Verhältnis zum Vater parallelisiert, wie das schon Karl der Große getan hatte.13

2.2 Verwandtschaft und Nachfolge Die königlichen Söhne waren zur Zeit Ludwigs des Frommen wie zu Karls des Großen Zeiten in ihrer Regierung eingeschränkt durch die Markgrafen und missi des Gesamtherrschers.14 Sie stellten keine Zwischengewalten dar, sondern eher Mittler zum Vater.15 Immerhin hatten die Unterkönige zur Zeit Ludwigs des Frommen doch einige Befugnisse in ihren Reichen, nämlich:16 die Gründung eines Klosters auf Königsgut, die Wiederherstellung eines Klosters mit Hilfe fiskalischer Zuwendungen, die Vergabe von Wüstungen zur Einrichtung von Klöstern, die Verleihung einer Villikation als beneficium, die jährliche Anweisung aus dem königlichen Schatz für ein Kloster, Schenkungen von Königsgut, Vergabe von Königsklöstern, Tausch von Gütern, Rückgabe von entfremdetem Kirchenbesitz, die Befreiung von Abgaben, Lasten und Zöllen, die

11 NELSON, Search of Peace 1996, 95 vergleicht die Regierung Ludwigs des Frommen mit der eines römischen pater familias. 12 Einhard, Ep. 11 (MGH Epp. V, 114 f.) spricht Kaiser Lothar gegenüber von der verletzten „oboedientia debita“ dem Vater gegenüber; auch er versteht das Gebot als Gebot des Gehorsams den Eltern gegenüber, auch im Falle eines Mitherrschers, ja sogar Mitkaisers. Gesandte Ludwigs des Frommen forderten Kaiser Lothar gegenüber mit biblischen Worten den unbedingten Gehorsam gegen den Vater ein, nach Thegan, Gesta Hludowici 53. 13 So z. B. in einem Schreiben der Bischöfe an Ludwig den Frommen von 829 (MGH Cap. II, Nr. 196). Hrabanus Maurus, Ep. 16 (MGH, Epp. V, 417) argumentiert mit Philipper II,8, wenn er sagt, dass Christus als Menschensohn („hominis filius“) „non solum Deo patri oboedientiam inpendit, de quo scriptum est: ‚Factus est oboediens patri usque ad mortem, mortem autem crucis‘.“ Zur Doppeldeutigkeit der Forderung der Treue gegen den Schöpfer („creator“) als Treue zu Gott und dem Vater bzw. Kaiser vgl. KASTEN, Königssöhne 1997, 226. 14 KASTEN, Königssöhne 1997, 296 f. 15 KASTEN, Königssöhne 1997, 569. 16 Nach einer Aufstellung von KASTEN, Königssöhne 1997, 348–350.

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2 Die Aufgabe der einzelnen Teile der Herrscherfamilie

Verleihung des Marktrechts, die Umwandlung von Benefizial- in Eigengut, die Freilassung von Hörigen. Bei der Ernennung von Grafen lässt sich häufig eine Mitwirkung der Teilkönige nachweisen.17 Auch hatten die Unterkönige Anteil an der Einsetzung von Äbten und Bischöfen, besonders im Falle der Äbte.18 Die Beschränkung der königlichen Söhne auf die Vermittlung und untergeordnete Befugnisse in ihren Reichen scheint den realen Machtverhältnissen zwischen Gesamtherrscher und Adel bzw. Söhnen aber bald nicht mehr angemessen gewesen zu sein, denn seit den 30er Jahren des 9. Jahrhunderts verhinderten die Teilkönige zunehmend den Zugriff des kaiserlichen Vaters auf die Angelegenheiten der Teilreiche.19 In den offenen Rebellionen der königlichen Söhne gegen den inzwischen unangemessen absoluten Führungsanspruch des Vaters zeigt sich auch nicht ein Abweichen von einer rechtmäßigen „Verfasstheit“ von Familie und Reich, sondern lediglich die Regulierung überzogener Machtfülle des Hauptes der Familie, das man kaum mehr als Vertreter der Familiengewalt erkennen konnte. Nun aber, seit den 30er Jahren des 9. Jahrhunderts, da sie sich bereits aufzulösen begann, lässt sich erneut eine körperschaftliche Struktur der Familie erkennen. Ein Merkmal von Körperschaft ist die Differenzierung von Mitgliedern eines Verbandes nach Bedeutung und Funktion. Im Falle der karolingischen Familie gilt dies besonders für die unterschiedliche Handhabung von Erbe und Nachfolge. Der Ausschluss Pippins des Buckligen von der Nachfolge gestaltete sich recht schwierig, da Pippins Legitimität in den Augen der Zeitgenossen vermutlich grundsätzlich einwandfrei war.20 Letztlich wird aber der körperliche Makel eine Rolle beim Ausschluss Pippins des Buckligen von der Nachfolge gespielt haben.21 Die Erhebung Pippins, durch seine fortgesetzten Zurücksetzungen gegenüber seinen jüngeren Brüdern durch Karl den Großen geradezu provoziert, richtete sich aber nach einer zeitgenössischen Quelle gegen „regis vitam seu filiorum eius qui ex 17 KASTEN, Königssöhne 1997, 322–327. 18 KASTEN, Königssöhne 1997, 313–322. In wieweit der Friedensschluss König Pippins von Italien mit dem Patricius Nicetas (nach ARF Ad a. 807) in eigener Verantwortung des Teilkönigs geschah, muss wohl offen bleiben. 19 KASTEN, Königssöhne 1997, 328. Kaiser Lothar zog in dieser Zeit sogar Fernbesitz fränkischer Klöster und Kirchen in Italien ein und bemächtigte sich mancher Bistümer und Grafschaften (KASTEN, Königssöhne 1997, 208). – S. zum Problem der Behandlung von Fernbesitz bei Reichsteilungen und das zeitgenössische Wissen um dieses Problem BÜTTNER/KASCHKE, Grundherrlicher Fernbesitz 2006. 20 KASTEN, Königssöhne 1997, 144–148. Sie belegt dies mit einem Hinweis auf seine Aufnahme in das Verbrüderungsbuch von St. Peter in Salzburg von 784 und in die Laudes regiae von Soissons zwischen 783 und 792, ebenda 145. – S. BECHER, Arnulf 2008, 666 und ff. zu Fragen der vermeintlichen Kongruenz von Name und Legitimität. 21 JARNUT, Selbstverständnis 1997, 60 weist darauf hin, dass Karls Bruder Karlmann seinen ältesten Sohn ebenfalls Pippin genannt hatte, dieser – vorausgesetzt, der körperliche Makel war bereits sichtbar geworden – aber ohne körperlichen Makel war und somit die Familie Karlmanns gegenüber derjenigen Karls gestärkt haben wird. S. auch schon JARNUT, Bruderkampf [1993] 2002, 238. S. auch KASTEN, Königssöhne 1997, 139 f.

2.2 Verwandtschaft und Nachfolge

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legitima matrona geniti sunt“, also gegen den Vater und die legitimen Brüder.22 Dass Pippin bei seinem Aufstand nicht ohne Anhang war,23 zeigt, dass seine körperliche Missgestaltung bei den Franken ebensowenig ein Grund für Nachfolgeunfähigkeit war wie seine nach späteren und kirchlichen Auffassungen mangelnde Legitimität. Auch ist ein Einwirken der Familie Hildegards, der Mutter seiner Halbbrüder Karl, Pippin (Karlmann) und Ludwig (der Fromme) über die gesamte Zeit der Zurücksetzung Pippins sehr unwahrscheinlich, da Hildegard bereits 783 gestorben war. Ganz offensichtlich liegt der Grund für seine Aussonderung von den möglichen Nachfolgern bei Karl dem Großen selbst. Unwahrscheinlich ist es aber, dass Karl selbst den kirchlichen Vorstellungen von der Legitimität anhing oder der Buckel – gewiss ein Makel – als eigentlicher Grund anzusehen ist. Da die Heiligkeit24 der Familie Karls aber 754 mit kirchlicher Sanktion begründet worden war, nämlich als einer Familie nach kirchlichen Rechtsvorstellungen, im Kern bestehend aus Vater und Mutter und zwei zur Nachfolge vorgesehenen Söhnen, 25 musste Karl dafür Sorge tragen, dass seine Nachfolge nach Möglichkeit jeder kirchenrechtlichen Argumentation standhalten konnte. Denn anders als für Karls eigenen Lebenswandel spielte für die Legitimität der zur Nachfolge ausersehenen Söhne die Ehe der Eltern eine erhebliche Rolle. Für die Sicherung der Herrschaft im Frankenreich war der Erhalt der „Erhabenheit“ der herrscherlichen Familie unabdingbar, denn jeder Zweifel hätte den Akt von 754 ebenso zunichte gemacht wie die darauf gründenden Königserhebungen von 781 und 800. Nachdem nun die Söhne von der über jeden Legitimitätszweifel erhabenen Hildegard über das Kleinkindalter hinaus herangewachsen waren,26 konnte Karl im Vertrauen auf ihr weiteres Überleben daran gehen, seinen Sohn Pippin, dessen Makel entweder in unehelicher (Konkubinat)27 oder in vorehelicher Geburt28 bestand, von der Nachfolge auszuschließen.29

22 Annales Laureshamenses 792 (cap. 25). KASTEN, Königssöhne 1997, 148 f. vermutet, dass nach Pippins eigener Einschätzung er nur als einzig überlebender Sohn Karls des Großen noch an die Königsherrschaft hätte gelangen können. Sie weist aber an anderer Stelle (ebenda 146) darauf hin, dass Karl der Große zu seiner „Ausschaltung“ nach eherechtlichen Argumenten suchte, wie z. B. eine Bemerkung des Paulus Diaconus nahelege. 23 Hierauf verweist KRAH, Absetzungsverfahren 1987, 38. 24 Der Begriff wird hier gebraucht im Sinne von „sakral erhöht“, was nicht zu verwechseln ist mit „Heiligkeit“ im kirchlichen Sinn. 25 STROTHMANN, Königtum Pippins 2008. 26 In ähnlichem Alter wurden Karl und sein Bruder Karlmann 754 zu Königen gesalbt. 27 Davon geht eine ganze Reihe von Quellen aus, aufgeführt bei KASTEN, Königssöhne 1997, 144, Anm. 28. Zu den Klassifikationen der Ehe bzw. eheähnlicher Verbindungen s. stark relativierend ESMYOL, Geliebte 2002, die die „Friedelsehe“ in das Reich der wissenschaftlichen Phantasie verweist, deren Arbeit aber einer starken Betonung der Rolle männlicher Sexualität und Gewalt verpflichtet ist und möglicherweise soziale Bedingungen der Verbindung von Mann und Frau etwas vernachlässigt. 28 So Paulus Diaconus, Gesta episcoporum Mettensium, S. 265 und schließlich auch KASTEN, Königssöhne 1997, 146. 29 S. zur Diskussion ESMYOL, Geliebte 2002 146 f.

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2 Die Aufgabe der einzelnen Teile der Herrscherfamilie

Unbestritten illegitime Söhne Karls des Großen waren Drogo,30 Hugo und Theoderich.31 Die bei seinem Tod noch minderjährigen Söhne waren von Karl dem Großen 806 von der Nachfolge ausgeschlossen worden.32 Nach der Kaiserkrönung seines Sohnes Ludwig (der Fromme) im Jahr 813 kommendierte Karl seinem Sohn Ludwig dessen Halbbrüder,33 die zwar von der Nachfolge ausgeschlossen waren, nicht jedoch vom Erbe. Da aber Ludwig sich vermutlich nicht ganz sicher sein konnte, ob ihm in seinen Halbbrüdern nicht Konkurrenten erwuchsen oder erwachsen waren,34 ließ er 818 seine Halbbrüder scheren und ins Kloster schicken.35 Damit bannte er zumindest die akute Gefahr. Anlass zu dieser Maßnahme war sein Vorgehen gegen Bernhard von Italien und dessen Anhänger.36 Was ihn dazu veranlasste, liegt nicht gänzlich offen. Dass seine Halbbrüder noch im Jahr 818 wirklich eine direkte Gefahr für seine Herrschaft darstellten, ist unwahrscheinlich. Sicherlich hätten sie unter den Großen Zustimmung und Anhänger finden können, da die Vorstellungen der Großen in Bezug auf die Legitimität der Abstammung von der Auffassung der Familie und der Auffassung der Kirche sich vermutlich deutlich unterschieden. Möglicherweise traf Drogo, Hugo und Theoderich der Zorn Ludwigs über die zögerliche Erhebung seiner Person zum Nachfolger Karls des Großen nach dem Tod der anderen legitimen Söhne Karls. Im Jahr 822 nahm Ludwig im Rahmen seiner Kirchenbuße für sein Vorgehen in der Angelegenheit Bernhards von Italien seine Halbbrüder wieder in seine Huld auf.37 Zu dieser Zeit kann Ludwig nicht mehr befürchtet haben, dass ihm in den Halbbrüdern Konkurrenz erwachsen könne. Sie gehörten jedoch zur Familie und im Falle, dass sie keinen Anspruch auf Beteiligung an der Nachfolge Karls oder Ludwigs geltend machen konnten, wovon auszugehen ist, konnten sie in der Organisation der Herrschaft der Familie ausgeprochen nützlich sein. Daher vergab

30 Zu Drogo vgl. DEPREUX, Prosopographie 1997, 163 ff. 31 Zu Theoderich vgl. DEPREUX, Prosopographie 1997, 382 f. 32 In der Divisio regnorum wird ihrer als möglicher Nachfolger nicht gedacht. Im Jahr 813 waren nach KASTEN, Königssöhne 1997, 164 Drogo 12, Hugo 10/11 und Theoderich 6 Jahre alt. 33 Chron. Moissiac. 813 (S. 311): „[. . .] commendavitque ei filios suos Drogonem, Theodericum, et Hugonem.“ Vgl. dazu WENDLING, Mitkaiser 1985, 202. – Vgl. zum Chronicon Moissiacense und seiner Wurzel in „verlorenen Annalen des Klosters Aniane“ PATZOLD, Episcopus 2008, 111. 34 KASTEN, Königssöhne 1997, 165 vermutet, dass der Ausschluss illegitimer Söhne zu dieser Zeit immer noch strittig gewesen sei. Und BOSHOF, Ludwig der Fromme 1996, 144 sieht in Ludwigs Vorgehen daher auch eine prophylaktische Maßnahme. – Vgl. auch KOCH, Judith 2005, 22. 35 Chron. Moissiacense 817. 36 So jedenfalls BOSHOF, Ludwig der Fromme 1996, 144. 37 BOSHOF, Ludwig der Fromme 1996, 148. Zur Buße Ludwigs für sein Vorgehen gegen seine Halbbrüder und Vettern und an Bernhard von Italien vgl. MOHR, Einheitspartei 1961, 11 und JARNUT, Ludwig der Fromme 1989, 647. COLLINS, Charlemagne and his critics 1998, 209 weist in diesem Zusammenhang auf die erreichte Ungefährlichkeit der inzwischen geschorenen, ehemaligen potentiellen Konkurrenten unter den Familienmitgliedern hin, sowie darauf, dass „Bernard remained dead“.

2.2 Verwandtschaft und Nachfolge

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Ludwig dem Drogo das Bistum Metz und Hugo mehrere Abteien. 38 Als treue und ungefährliche Angehörige der karolingischen Familie wurden sie zu wichtigen Vertrauten Ludwigs. Drogo wurde später Leiter der Hofkapelle, Hugo nahm die Funktion des Kanzlers wahr.39 Ludwig musste offensichtlich seine Halbbrüder erst endgültig von jeder noch so kleinen Aussicht auf Nachfolge ausschließen, weshalb er sie zu Klerikern werden ließ, bevor er sie als Mitglieder der weiteren Familie in seine Herrschaft einbinden konnte. Hier nahmen sie dann ihre eigentliche Funktion als Bewahrer karolingischer Herrschaft im Reich Ludwigs wahr. Es ist zu vermuten, dass sie über ihre Funktion für die Familie auch Einfluss auf die Entscheidungen Ludwigs nehmen konnten. Aus ähnlichen Beweggründen, aus denen heraus Karl der Große seine unehelichen Söhne seinem Nachfolger kommendierte, versorgte Lothar II. seinen Sohn Hugo mit einer eigenständigen Herrschaft, nämlich mit dem Herzogtum Elsaß, und kommendierte Hugo Ludwig dem Deutschen, dem er das übrige Reich übergab.40 Bei Lothar kam hinzu, dass es ihm nicht möglich war, die Ehe mit Hugos Mutter zu legalisieren, weil ihm die Scheidung von Theutberga auch mit den übelsten Mitteln nicht gelang.41 Während die Stellung der illegitimen Mitglieder der Familie und ihre Rolle im Herrschaftsverband der Karolinger noch zur Zeit Ludwigs des Frommen eindeutig geklärt wurde, ist die Behandlung der Neffen sehr viel komplizierter. Es gibt keine kirchenrechtlich-relevante Einschränkung ihrer Funktion für die Herrschaft der Familie. Wohl gibt es von kirchlicher Seite das Gebot der Einheit des Reiches, das die selbständige Herrschaft königlicher Neffen erschweren könnte, andererseits wird ja schon in der Divisio regnorum beim Tod eines Teilherrschers seinen Untertanen gestattet, einen der Söhne verbindlich zum Nachfolger zu erwählen. Karl der Große selbst aber war es, der seinen Enkel Bernhard zum Nachfolger des Vaters, Pippins von Italien nämlich, erhob.42 Karl setzte ihn vermutlich schon im Jahr 812, und nicht erst anlässlich der Erhebung Ludwigs des Frommen zum Mitkaiser als

38 KASTEN, Königssöhne 1997, 182 f. 39 BOSHOF, Ludwig der Fromme 1996, 209 f. Drogo wurde vermutlich direkt nach der Wiedereinsetzung des Kaisers am 1. März 834 zum Erzkapellan erhoben (FLECKENSTEIN, Hofkapelle I 1959, 55). Ebenfalls im Jahr 834 erhielt Hugo die Position des Kanzlers (ebenda 83.). Auf Betreiben Kaiser Lothars I. erhob Papst Sergius II. Drogo 844 zum apostolischen Vikar für Gallien und Germanien (SCHIEFFER, Karolinger 1992, 143). Um Hugo bemühte sich nach dem Tod Ludwigs des Frommen Karl der Kahle, letztlich mit Erfolg, SCHIEFFER, Karolinger 1992, 145. 40 Ann. Bert. 867: „filioque suo de Waldrada Hugoni ducatum Elizatium donat, eumque Hludowico commendat, ac ceterum regnum suum quasi Romam perrecturus et Waldradam praemissurus committit.“ 41 Vgl. BÖHRINGER im Vorwort zu Hinkmar von Reims: De divortio 1992, 1–28. 42 GEUENICH, Pippin 2013, 120 mit der Vermutung, dass Bernhard die Nachfolge Pippins auch in Bayern angetreten habe. – Zu Bernhard von Italien vgl. DEPREUX, Prosopographie 1997, 134 ff.

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2 Die Aufgabe der einzelnen Teile der Herrscherfamilie

König von Italien ein.43 Er tat dies nach den Reichsannalen in Form eines Befehls.44 Es erfolgte offensichtlich keine Salbung oder Krönung. Auch war Bernhards Herrschaft ausgesprochen unselbständig,45 also schon von Karl dem Großen nicht als die eines möglichen Nachfolgers konzipiert. Dennoch mag Ludwig auch Bernhard als Konkurrenten in der Nachfolge gesehen haben, da diesem entgegen der Angabe bei Thegan wohl nicht der Makel der Illegitimität anhaftete.46 Zunächst bestätigte Ludwig Bernhard als König von Italien, allein aber in der Zeremonie der Bestätigung wurde deutlich, dass er Bernhard als Unterkönig und nicht als Teilhaber an der Herrschaft der Familie betrachtete,47 was übrigens in der Ordinatio imperii deutlich darin zum Ausdruck kam, dass im Gegensatz zu den Söhnen Ludwigs Bernhard nicht einmal namentlich genannt wurde.48 Dies und die Tatsache, dass Bernhard an den Verhandlungen, die der Ordinatio vorausgingen, nicht beteiligt wurde,49 veranlassten diesen zur äußersten Vorsicht. Er ergriff militärische Maßnahmen zur Verteidigung seiner Herrschaft, indem er Alpenübergänge sichern50 und sich von den Städten den Treueid leisten ließ.51 Das bzw., was ihm darüber bekannt geworden war, genügte Ludwig, mit militärischer Macht seinem Neffen entgegenzuziehen. Bernhard begab sich vermutlich zu Ludwig, ihm die Situation zu erklären.52 Dennoch ließ Ludwig Bernhard und seine Anhänger verhaften und einer Anklage wegen Hochverrats zuführen. Bernhard und seine weltlichen Anhänger wurden zum Tode verurteilt, die geistlichen Anhänger

43 FRIED, Elite 1998, 88 verweist unter Hinweis auf DEPREUX, Königtum Bernhards 1992 darauf, dass die eigentliche Erhebung Bernhards zum König bereits 812 stattgefunden hatte. S. auch die ausführliche und überzeugende Argumentation bei FRIED, Elite 1998, 103 ff. 44 ARF 813: „Berhardumque, nepotem suum, filium Pippini filii sui, Italiae praefecit, et regem appellari iussit.“ 45 JARNUT, Ludwig der Fromme 1989, 639 unter Verweis auf EITEN, Unterkönigtum 1907, 51 ff. – KRAH, Absetzungsverfahren 1987, 47 verweist darauf, dass die Datierung von italienischen Urkunden bis 814 den Jahren Karls des Großen als Kaiser folgt, danach aber Bernhards eigenen Regierungsjahren. 46 KASTEN, Königssöhne 1997, 163 hält Überlegungen Karls des Großen, Bernhard an der Nachfolge zu beteiligen, für möglich, wie auch OFFERGELD, Reges pueri 2001, 314 f., der die Herrschaft Bernhards und seiner respektive Karls des Großen Berater als Gegengewicht zur Alleinherrschaft Ludwigs konzipiert sieht. – Zur Frage der ehelichen Geburt Bernhards s. ESMYOL, Geliebte 2002, 152. S. FRIED, Elite 1998, 93–95 mit der begründeten Vermutung, dass Bernhard von Vater und Mutter Karolinger war, nämlich seine Mutter eine Schwester Walas. 47 Vgl. z. B. die Schilderung bei Thegan, Gesta Hludowici 12. Seine Bestätigung erfolgte mit „Treueid und Unterwerfungsgeste“, KASTEN, Königssöhne 1997, 166. KASTEN, ebenda vermutet daher, dass Bernhard damit einem „Großen“ gleichgestellt wurde. 48 S. auch die weitere Herleitung des Affrondes gegen Bernhard bei KASTEN, Chancen und Schicksale 2002, 35 ff. – Vgl. KOCH, Judith 2005, 17 f. mit dem Hinweis auf das Chronicon Moissiacense zum Jahr 817. 49 Das betont als Affront gegen Bernhard auch FRIED, Elite 1998, 97. 50 Dass er sie nicht „sperrte“, betont nach den ARF 817 WOLF, Aufstand 1998, 578. 51 ARF 817, dazu JARNUT, Ludwig der Fromme 1989, 640 f. 52 So vermutet JARNUT, Ludwig der Fromme 1989, 643 f.

2.2 Verwandtschaft und Nachfolge

81

verfielen der Absetzung und Klosterhaft. Die Todesstrafe Bernhards und seiner bedeutenderen Anhänger wurde in Blendung umgewandelt, andere wurden zur Verbannung begnadigt oder zu Mönchen geschoren.53 Bernhard starb bei der Blendung. Damit hatte Ludwig der Fromme sein Ziel erreicht.54 Er konnte nun nicht nur über das Königtum Italien frei verfügen,55 sondern hatte zugleich dafür gesorgt, dass er seine Familie von Mitgliedern befreit hatte, die ihm nicht wie einem Vater unterstanden. Denn Bernhard verfügte über potentiellen Einfluss auf die Geschicke der Familie,56 wie auch die Halbbrüder Ludwigs und möglicherweise auch Wala57 und Adalhard,58 Vettern Karls des Großen. Ludwig reduzierte damit die Herrscherfamilie auf die Kernfamilie, über die er die uneingeschränkte patria potestas besaß. Die Funktion der Neffen im karolingischen Familienverband war eben nicht so eindeutig geklärt wie die der illegitimen Söhne. Deutlich wird das später im Falle Pippins II. von Aquitanien, der ein Sohn Pippins I. von Aquitanien war, somit Enkel Ludwigs des Frommen. Karl der Kahle tat sich sehr schwer mit diesem Konkurrenten um das Königtum Aquitaniens. Auch hier konnte sich der Sohn des Königs Pippin I. auf die Ordinatio imperii berufen.59 Die Großen Aquitaniens hatten sich Pippin II. unterworfen. Im Jahr 845 schwor Pippin Karl dem Kahlen die Treue, wofür er die Herrschaft in fast ganz Aquitanien ausüben durfte, was aber von den Großen als Anerkennung der Herrschaft Pippins durch Karl den Kahlen verstanden wurde. Nachdem Pippin von seinen Anhängern verlassen worden war, ließ sich Karl der Kahle selbst durch Huldigung zum König erheben, obwohl er bereits König des gesamten Teilreichs war, womit Pippin als abgesetzt galt. Pippins Bruder Karl zog nach Aquitanien, dennoch konnte Karl der Kahle das Land 849 in Besitz nehmen. Karl der Kahle konnte bald Karl, den Sohn Pippins von Aquitanien, aufgreifen lassen; und obwohl nach Aussage der Quelle er den Tod verdient hätte, ließ er ihn nach einer öffentlichen Erklärung der Freiwilligkeit zum Mönch

53 JARNUT, Ludwig der Fromme 1989, 644 ff. 54 WOLF, Aufstand 1998, 580 sieht in der schnellen militärischen Reaktion auf den „Aufstand“ ein Zeichen dafür, dass Ludwig bereits vorbereitet war und schließt auf eine ursächliche Provokation durch den Kaiser – über die Nichtbeteiligung Bernhards an der Ordinatio imperii hinaus. Ebenda 585 vermutet WOLF, dass Ludwig den Tod Bernhards „billigend in Kauf genommen“ habe. 55 So vermutet WOLF, Aufstand 1998, 587 denn auch, dass der Erhalt der Ordinatio imperii Ludwigs Ziel gewesen sei. 56 Deutlich wird dies darin, dass er Anhänger unter den Großen, aber auch unter den hohen Geistlichen hatte. 57 S. KOCH, Judith 2005, 19. – Zu Wala vgl. auch DEPREUX, Prosopographie 1997, 390 ff. 58 KASTEN, Adalhard 1986, 104 f. betont, dass Adalhard vermutlich bereits direkt nach Regierungsantritt Ludwigs des Frommen exiliert wurde. Sie vermutet ebenda, dass Adalhard und auch Wala noch zu Lebzeiten Karls des Großen für das Nachfolgerecht Bernhards von Italien eingetreten waren; so auch WEINRICH, Wala 1963, 27 f. – Zu Adalhard vgl. DEPREUX, Prosopographie 1997, 76 ff. 59 Die Schilderung folgt KASTEN, Königssöhne 1997, 428 ff.

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2 Die Aufgabe der einzelnen Teile der Herrscherfamilie

scheren.60 Im Jahr 853 wurde auch Pippin gefangengenommen und musste das Mönchsgelübde und darüber hinaus einen Treueid ablegen.61 Zwischenzeitlich versuchte auf Ruf aquitanischer Großer Ludwig, der Sohn Ludwigs des Deutschen, sein Glück in Aquitanien.62 854 entkam Pippin aus dem Kloster und fand einigen Zulauf, sein Bruder Karl floh ebenfalls aus dem Kloster (Corbie).63 Im Jahr 855 erhob Karl der Kahle seinen Sohn Karl auf Bitten der aquitanischen Großen zum König von Aquitanien. Bald kam es zum Aufstand gegen Karl den Kahlen, sein Sohn Karl wurde vertrieben, Pippin wieder eingesetzt,64 aber schon bald (856) holte man Karl zurück.65 Im Juli 858 kam es zu Verhandlungen Karls des Kahlen mit Pippin, wobei letzterer mehrere aquitanische Grafschaften und Abteien erhielt und dafür wohl Karl das Königtum ließ. Im Jahr 862, noch nicht 15 Jahre alt, heiratete Karl, Sohn Karls des Kahlen, auf Rat eines gewissen Stephan ohne Wissen seines Vaters die Witwe des Grafen Humbert, was als offene Rebellion aufgefasst wurde.66 Verhandlungen zwischen Vater und Sohn hatten keinen Erfolg, wobei der Sohn nicht wie ein Sohn auftrat, sondern wie ein König einem anderen König gegenüber.67 Endlich, als der Vater zum Krieg rüstete, unterwarf sich der Sohn und musste am väterlichen Hof bleiben. Schließlich wurde Pippin II. von Aquitanien im Jahr 864 aufgegriffen und als Verräter an Christentum und Vaterland auf einer Reichsversammlung zum Tode verurteilt und in Haft genommen.68 Bemerkenswert ist einmal das nachgiebige Verhalten Karls des Kahlen gegen seinen Sohn, der nach seiner Rebellion und seinem hochmütigen bzw. selbstbewussten Auftreten vermutlich nicht einmal sein Königtum verlor, sondern nur in Gewahrsam genommen wurde. Aber auch Pippin wurde mit großer Nachsicht behandelt. Im Falle des eigenen Sohnes geht es dem Vater um den Erhalt der Familie und ihrer Herrschaftsfähigkeit, im Falle Pippins kann eigentlich nur ein Grund zur Erklärung ausreichen, nämlich die Rolle der Großen in Aquitanien, ohne deren Zustimmung Karl der Kahle nichts hätte ausrichten können, wie seine Bereitschaft zeigt, sich – obwohl bereits als rex Francorum König über Aquitanien – ausgerechnet von den Großen Aquitaniens nochmals zum König erheben zu lassen. Auch ist

60 Ann. Bert. 849. ANGENENDT, Familie der Könige 1989, 32 weist daraufhin, dass ein Grund für die Schonung die Patenschaft Karls des Kahlen für seinen Neffen Karl gewesen sei. 61 Ann. Bert. 852 und 853. 62 Im Jahr 854, HARTMANN, Ludwig der Deutsche 2002, 49. Vgl. auch SCHIEFFER, Karolinger 1992, 151. 63 Ann. Bert. 854. Karl wurde später Erzbischof von Mainz und starb im Jahr 863, nach ANGENENDT, Familie der Könige 1989, 32; vgl. SCHIEFFER, Karl von Aquitanien 1960, 45. 64 Ann. Bert. 856. 65 Ebenda. 66 Vgl. SCHIEFFER, Karolinger 1992, 158 f., der darauf hinweist, dass Ludwig der Stammler ebenfalls eigenmächtig und unter Einfluss Großer (der Rorgoniden) die Tochter des Grafen Harduin ehelichte. 67 Das hebt KASTEN, Königssöhne 1997, 435 hervor. 68 Ann. Bert. 864.

2.3 Adel und Nachfolge

83

erwähnenswert, dass die Mönchung eines Konkurrenten, die lange Zeit ein sehr effektives Mittel zur Beseitigung von Konkurrenten gewesen war,69 gleich in zwei Fällen ohne Wirkung blieb; auch dies ist nur zu erklären über die Unabhängigkeit des aquitanischen Adels, der sich nicht mehr an die fränkische Herrscherfamilie gebunden sah. Die Rolle des Adels für das Reich der Karolinger, die hier an einem Rand des Reiches anklingt und natürlich in einer Krisensituation besonders deutlich hervortritt, ist an den aquitanischen Ereignissen um Pippin II. und Karl den Kahlen nicht wirklich abzugrenzen von Einfluss desselben Adels auf die Herrscherfamilie. Der Adel entscheidet in dieser Krise der karolingischen Herrschaft in Aquitanien darüber, welches Mitglied der herrscherlichen Famile – zu der ja auch Pippin und sein Bruder Karl gehören – die Funktion des Königs in seinem Herrschaftsraum ausübt. In Betracht kam schließlich auch Ludwig der Deutsche bzw. sein Sohn Ludwig. Deutlich wird auch an der Heirat Karls, des Sohnes Karls des Kahlen, der Einfluss von Ratgebern, vermutlich Großen, auf die innere Organisation der Familie.

2.3 Adel und Nachfolge Sobald die Söhne aus dem Schatten des Vaters treten und sich aus der strengen Untertänigkeit dem Vater gegenüber zu befreien suchen, werden sie zum Objekt der Machtinteressen der Großen. Diese nehmen dann direkt Einfluss auf die wenig mächtigen Söhne. So war das möglicherweise auch im Falle Pippins des Buckligen.70 In den häufigen Fällen von Ungehorsam und Aufruhr der Söhne waren Teile des Adels die bzw. eine treibende Kraft. Es gibt sodann eine gewisse Kongruenz in den Positionen der Söhne und ihrer Großen.71 Sie befinden sich in einer Art Schicksalsgemeinschaft, mit dem zeitgenössischen Begriff in einer Art „consortium“. Besonders deutlich wird dieses Phänomen zur Zeit Ludwigs des Frommen. Es waren Große, die dem Ehrgeiz und der Ungeduld der Söhne entgegenkamen. Verschärft wurde die Situation durch die Unsicherheit der Söhne Lothar, Ludwig und Pippin bezüglich der Nachfolge, nachdem nämlich ihre Stiefmutter Judith einen Sohn zur Welt gebracht hatte und danach trachtete, ihn in die Nachfolgeregelung einzubinden. Man kann nämlich den damit verbundenen Aufstand der Söhne als

69 Vgl. dazu grundsätzlich BUSCH, Vom Attentat zur Haft 1996. 70 Das ließe sich jedenfalls aus der Darstellung der Annales Petavini (MGH SS, S. 18) ad annum 792 schließen: „Et eodem anno patefactum est consilium iniquum, quem consiliaverunt cum Pipino, filio Karoli, iniqui consiliatores [. . .].“ 71 Thegan, Gesta Hludowici 46 zur Position der Söhne und ihrer Großen gegenüber Ludwig dem Frommen: „[. . .] quia omnes quos Hlutharius habebat secum, adversarii erant patris sui iniuste, quos autem Hludovicus habebat secum, fideles erant patri suo ac sibi.“

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2 Die Aufgabe der einzelnen Teile der Herrscherfamilie

Konflikt unter den Großen beschreiben.72 Schon Hinkmar von Reims hat den Bruderkrieg als Kampf der „primores“ um „honores“ geschildert.73 Die Unsicherheit unter den Söhnen konnte eigentlich keine existentielle Verunsicherung darstellen, da die Stellung Ludwigs und Pippins nach der Ordinatio imperii ohnehin die von Unterkönigen bleiben sollte. Für sie ging es „lediglich“ um die Größe und die Lage ihres Herrschaftsbereiches. Allenfalls Lothar hätte um seine herausgehobene Stellung unter den Brüdern fürchten können, was aber durch seine Taufpatenschaft für den Halbbruder Karl und sein bestehendes Kaisertum keine realistische Einschätzung seiner Lage gewesen wäre. Zwar drängte Judith und mit ihr Ludwig der Fromme für Karl den Kahlen auf eine möglichst vorteilhafte Regelung, womit Karls Anspruch ein permanentes Mittel zur Disziplinierung der anderen Söhne darstellte; einen Grund, die Risiken eines Aufstandes in Kauf zu nehmen, stellte das allein für die älteren Söhne wohl kaum dar. Schließlich hatte auch Karl der Große seine Söhne sehr kurzgehalten. Mithin war der Zorn der Söhne vor allem auf die Machenschaften und den Einfluss der Stiefmutter groß genug, eine sich bietende Chance zur Verbesserung ihrer Lage zu nutzen. Die Gelegenheit bot sich, als der Kämmerer Bernhard, der am Hof die Sache Judiths vertrat, bei Ludwig dem Frommen einen unsinnigen Feldzug gegen die Bretonen durchsetzte.74 Die daraus resultierende Missstimmung im Volk, das diese unnötige Belastung nicht zu tragen bereit war, nutzten „aliqui ex primoribus“ und riefen die Söhne Lothar und Pippin auf, mit militärischer Macht gegen dem Vater und die Stiefmutter vorzugehen.75 Und tatsächlich nahm Pippin seinem Vater die Herrschaft und verbrachte die Stiefmutter in ein Kloster. Die Brüder der Kaiserin wurden geschoren und in aquitanische Klöster verbracht.76 Gerade das Vorgehen gegen die Brüder Judiths77 zeigt die weit über die engere Familie hinausreichende Dimension des Konfliktes. Ganz offensichtlich brach der Aufruhr erst aus, als Teile der Großen die Dominanz der Familie Judiths nicht mehr hinnehmen wollten. Sie fanden Zustimmung nicht nur bei den Söhnen, sondern auch bei der

72 BRUNNER, Oppositionelle Gruppen 1979, 110 f. 73 Hinkmar, Ad Ludowicum Balbum regem, MPL 125, 985–990 und explizit für die Zeit nach dem Tod Ludwigs des Frommen: „Interea coeperunt regni primores, qui cum tribus fratribus erant, singillatim certare de honoribus [. . .].“ Vgl. dazu CLASSEN, Verträge 1963, 8. 74 BOSHOF, Ludwig der Fromme 1996, 182 f. – Zu Bernhard von Septimanien, Graf von Barcelona, vgl. DEPREUX, Prosopographie 1997, 137 ff. – S. auch PATZOLD, Überlegungen 2015, 165 f., der darauf hinweist, dass aus Sicht von Pachasius Radbertus Bernhard und seine Stellung am Hof ein viel gravierenderes Problem darstellten als die späteren Ereignisse. 75 Ann. Bert. 830. Ähnlich berichten auch Thegan, Gesta Hludowici 36 und Astronomus, Vita Hludowici 44. 76 BOSHOF, Ludwig der Fromme 1996, 183, s. dazu Nithard I,3 „reginam velaverunt, fratres eius Cunradum et Rodulfum totonderunt atque in Aquitaniam servandos Pippino comiserunt.“ 77 Davon berichtet neben Ann. Bert. 830 auch Thegan, Gesta Hludowici 36.

2.3 Adel und Nachfolge

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kirchlichen „Reichseinheitspartei“ um Wala.78 Die Söhne Lothar und Pippin sahen die Zustimmung großer Teile des Adels auf sich vereinigt, was sie gewissermaßen in Zugzwang brachte, da sie ihrerseits als Nachfolger gegen den Adel ihr Königtum kaum hätten zur Geltung bringen können. Der weitere Verlauf der Auseinandersetzungen wird von den Quellen im Wesentlichen geschildert als eine Auseinandersetzung zwischen Vater und Söhnen.79 Voraussetzung für den weiteren Verlauf und die weitere Schwächung der Macht des Vaters war aber die fortgesetzte Einflussnahme der Großen, zunächst der Familie Judiths und dann der Opposition gegen diese Machtkonzentration.80 Es waren schließlich die Großen, die es nicht hinnehmen konnten, von ihresgleichen regiert zu werden. Sie konnten zudem bei der ungeklärten Nachfolgesituation nicht wissen, wessen Große sie einmal sein würden, mit welchem der Königssöhne sie als ihrem König rechnen mussten. Kaiser Ludwig konnte den Konflikt im Wesentlichen nur im Ausgleich mit seinen Söhnen steuern, denen er ihre Reichsteile vergrößern oder verkleinern konnte.81 Die einhellige Zustimmung der Großen hatte er verloren und hätte sie nur wiedergewinnen können durch eine Entmachtung der Familie Judiths und eine Trennung von seiner Frau. In der publizistischen Auseinandersetzung ging es denn ebenfalls nicht um die Rolle der Großen. Dort war es die Stiefmutter, die „die Entfremdung zwischen einem ‚guten Vater‘ und seinen ‚guten Söhnen‘ zu verantworten hatte,“82 bzw. waren es die Söhne, die den schuldigen Gehorsam vermissen ließen.83 78 BOSHOF, Ludwig der Fromme 1996, 182. Vgl. WEINRICH, Wala 1963, 72 f. Der Begriff „Reichseinheitspartei“ ist unglücklich und wird daher auch von BRUNNER, Oppositionelle Gruppen 1979, 117 zurecht abgelehnt, der die Vorstellung von einer solchen Partei auf die Schlussphase des Konflikts zurückführt. – Die „Reichseinheitspartei“ bezeichnet SCHIEFFER, Einheit 2005, 45 als bloße „Kaiserpartei“. 79 Wiewohl Thegan, Gesta Hludowici 55 den Grafen Matfrid als Hauptanstifter nennt, womit er die anderen Großen wie auch die Familie zu entlasten sucht. 80 Zur Wiederaufnahme Lothars durch den Vater berichtet Thegan, Gesta Hludowici 55: „Tunc veniens Hlutharius cacidit ad pedes patris, et post eum socer eius Hug timidus, tunc Matfridus et ceteri omnes, qui primi erant in facinore illo.“ Hier werden die Mitaufrührer, „socii“, des Sohnes genannt. Thegan fährt weiter unten fort: „[. . .] et statim Matfridus, qui erat maximus incentor omnium illorum malorum, mortuus est, et ceteri nonnulli.“ – ALTHOFF, Privileg der deditio 1997, 44 schildert die Streitbeilegung zwischen Ludwig und Lothar als Beispiel für deditio. Das ist ganz gewiss ein gutes Beispiel, jedoch gehört zur wirklichen Streitbeilegung in diesem Fall mehr, nämlich die vom Geschichtsschreiber betonte „Schuldabwicklung“. Die wahren Schuldigen sind nach Thegan eben die socii Lothars, und die trifft sodann die gerechte Strafe Gottes; Matfrid selbst stirbt bald darauf, und die anderen wurden vom Fieber befallen. Hier ist also die Deditio nur ein Teil der Voraussetzungen für die Streitbeilegung. Thegan bildet hier die Frustration ab, die entstanden ist, weil Lothar gar nichts anderes übrig blieb als die Deditio seines Sohnes anzunehmen. 81 831 vergrößerte Ludwig die Reichsteile der jüngeren Söhne auf Kosten Lothars (BOSHOF, Ludwig der Fromme 1996, 187). 82 BOSHOF, Ludwig der Fromme 1996, 196 zu Agobard von Lyon, Liber apologeticus, Teil I. 83 Ausführlich z. B. Hrabanus Maurus, ep. 15 und 16.

86

2 Die Aufgabe der einzelnen Teile der Herrscherfamilie

Kaiser Ludwig verlor in dem Konflikt an Autorität. Davon profitierten seine Söhne, die zugleich an Autorität gewannen.84 Die gewachsene Autorität der Söhne zu Lebzeiten des Vaters war aber ein Wechsel auf ihre Zukunft als Nachfolger des Vaters, denn eigentliche Gewinner in dieser Neuordnung des Einflusses auf die Geschicke im Reich waren die Großen, deren vermehrter Einfluss auf das Königtum nach den Ereignissen der frühen 30er Jahre nicht mehr rückgängig zu machen war. Fortan nahmen die Großen immer offener Einfluss. Kaiser Lothar bekam im Vertrag von Verdun einen größeren Teil als zuvor, weil er auf die Zahl der Gefolgsleute verwies, die er zu versorgen hatte. Es ging also nicht mehr um eine Teilung des Reiches unter die Söhne, sondern mehr als zu früheren Zeiten um eine Teilung, mit der die Großen zufriedengestellt werden konnten.85 In den Straßburger Verträgen von 842 wurden die fideles beider Seiten, Karls des Kahlen und Ludwigs des Deutschen, mit einbezogen und von der Pflicht, dem eigenen König zu folgen, für den Fall des Vertragsbruches durch ihren jeweiligen senior entbunden.86 Bei den Verhandlungen des Vertrages von Verdun wurden insgesamt 120 Unterhändler von den drei Brüdern abgestellt, zweifellos handelte es sich dabei auch um Große, die ihre eigenen Interessen wahren konnten und sollten.87 Im Reich Karls des Kahlen wurde der Einfluss des Adels auf die Familie besonders deutlich,88 wobei mehrere männliche Nachkommen dem Adel wie im Reich Ludwigs des Deutschen immer neue Entfaltungs- und Gestaltungsmöglichkeiten boten.89 Die ungehorsamen Söhne beider Könige waren sicherlich nicht einfach ungehorsam, sondern häufig den Verlockungen erlegen, die ein allzu mächtiger Adel dem einzelnen potentiellen Nachfolger bieten konnte. Ludwig, Sohn Karls des Kahlen, ließ sich von den Großen Guntfrid und Gauzfrid verleiten, die Getreuen seines Vaters zu verlassen.90

84 KASTEN, Königssöhne 1997, 189. 85 Darauf verweist WERNER, Ursprünge [1984] 1995, 432. Vgl. auch Hinkmar ad Ludowicum Balbum, MPL 125, 986A: „seniores et regni primores in tres partes regnum diviserunt“, zit. nach CLASSEN, Verträge 1963, 13. – Vgl. zum Vertrag von Verdun und verwandten Fragen aus der Sicht der deutschen Verfassungsgeschichte vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs Vertrag von Verdun 1943. 86 Hludowici et Karoli Pactum Argentoratense, in: MGH Cap. II,1, Nr. 247, S. 171–172; vgl. CLASSEN, Verträge 1963, 9. 87 Das betont CLASSEN, Verträge 1963, 13. 88 So wurde z. B. Karl der Kahle in Italien gegen Karlmann, Sohn Ludwigs des Deutschen, im Stich gelassen, Ann. Bert. 877. 89 SCHIEFFER, Karolinger 1992, 155. – OFFERGELD, Reges pueri 2001, 319 f. sieht sehr deutlich eine Rückkehr zu merowingischen „Nachfolgemodalitäten“, indem nämlich die Söhne von einem Herrschaftsinstrument des königlichen Vaters zu einem Instrument der regionalen Großen wurden. 90 Ann. Bert. 862: „[. . .] a praefatis Guntfrido [et Gozfrido] sollicitatus, relictis fidelibus patris cum paucis noctu aufugit [. . .].“ Karl verzieh seinem Sohn wenig später. – S. zu dem Grafen Gauzfrid und zur Angelegenheit WERNER, Adelsfamilien [1965] 1967, 139.

2.3 Adel und Nachfolge

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Ludwig, Sohn Ludwigs des Deutschen erhob sich 866 auf Anraten Großer gegen seinen Vater, u. a. um einem Warnarius die vom Vater genommenen honores zurückzuerstatten.91 Sein Bruder Karlmann erhob sich ebenfalls gegen den Vater, ein erstes Mal als er „cum Restico Winidorum regulo foederatur“,92 ein weiteres Mal im Verbund mit Großen, konkret einem Markgrafen, der ihm gegen den Willen des Vaters seinen ehemaligen Herrschaftsraum in Besitz zu nehmen half.93 Die aquitanischen Großen konnten sich eine Zeit lang ihren König faktisch nicht nur aus dem Haus Karls des Kahlen wählen, sondern auch den Sohn Pippins von Aquitanien erwählen. So konnten sie es sich 848 auch erlauben, Karl den Kahlen selbst, zu dessen Teilreich sie ja in gewisser Weise ohnehin gehörten, zu ihrem König zu wählen.94 Nach dem Tod Karls des Kahlen wurde sein Sohn Ludwig sein Nachfolger, aber erst nachdem Ludwig den Großen einige materielle Zugeständnisse gemacht hatte,95 was in dieser Offenheit die historiographischen Quellen zu früheren Zeiten gar nicht zum Ausdruck gebracht hätten. Es ließ sich nicht mehr übersehen bzw. verschweigen. Die Fiktion, dass Nachfolgeregelungen allein Sache des Vaters und der Söhne gewesen seien, wurde von den Zeitgenossen zur Zeit Ludwigs des Frommen noch weitgehend aufrechterhalten. Die Annales Bertiniani berichten schließlich offen davon, dass die Teilung des Reiches Karls des Kahlen nach dem Tod seines Nachfolgers Ludwig unter dessen Söhne erfolgte, „sicut fideles illorum invenerunt“.96 Bei der Nachfolge Kaiser Lothars I. führte eine Adelsgruppe den Sohn Lothar vor seinen Onkel Ludwig den Deutschen, um dessen Einwilligung zum Königtum Lothars zu erlangen.97 Die Annalen von Fulda schildern den Vorgang folgendermaßen: Principes autem et optimates regni filium eius Hlutarium super se regnare cupientes ad Hludowicum regem orientalium Francorum, patruum eius, in Franconofurt eum adducentes, cum consensu et favore illius sibi regnare consentiunt.98

Entschieden haben schon damals die Großen; sie ersuchten nur um die Einwilligung eines karolingischen Königs. Damit folgten sie der entsprechenden Bestimmung der Divisio regnorum Karls des Großen, nach der ein Sohn des verstorbenen Teilkönigs vom Volk zu dessen Nachfolger gewählt werden durfte.99

91 92 93 94 95 96 97 98 99

Ann. Bert. 866. Ann. Bert. 861. Ann. Bert. 864. Ann. Bert. 848. Ann. Bert. 877. Ann. Bert. 880. KASTEN, Königssöhne 1997, 385. Ann Fuld. 855. Vgl. zu dem erfolgreichen Ansinnen MGH Cap. II,1, Nr. 243. MGH Cap. I, Nr. 45, cap. 5.

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2 Die Aufgabe der einzelnen Teile der Herrscherfamilie

Während grundsätzlich noch zu Kaiser Ludwigs des Frommen Zeiten von der Einflussnahme des Adels auf die Familie gesprochen werden kann, wobei dann die Familie als handelnd hervortritt, ist zu späteren Zeiten der Umweg über die Familie nicht mehr unbedingt nötig gewesen bzw. manchesmal nur noch der Form halber beschritten worden.

2.4 Der Adel und die Königin Talem autem decet non solum viro suo casta copula esse connexam et subditam, sed pietatis et sanctae conversationis semper ostendere formam ac prudentium consiliorum esse repertricem. Sicut enim persuasione malae coniugis damnosa nascuntur pericula, ita prudentis uxoris consilio multa proveniunt utilia quae sunt Omnipotenti beneplacita, [. . .]100

Nach dieser Auffassung von der Frau des Herrschers, wie sie Sedulius Scottus vertritt, ist sie zwar ihrem Mann untergeben, wie es die biblische Autorität fordert, hat aber Teil an der Herrschaft ihres Mannes, indem sie guten Rat vom schlechten trennt und den guten Rat ihrem Mann übermittelt. Sie wird auch damit selbst zur Ratgeberin, wie Sedulius mit dem nächsten Satz nahelegt. In den weiter unten folgenden Versen erscheint sie dann selbst als rectrix neben dem princeps.101 Sedulius trägt mit dieser Auffassung von der Aufgabe und Funktion der Frau in der herrscherlichen Familie der Realität seiner Zeit Rechnung, die nämlich den Topos von der untertänigen Gattin des Herrschers nicht mehr recht aufrechterhalten kann. Woher die für die Aufgabe der Gattin nötige Autorität stammt, sagt Sedulius nicht. Er erweckt den Eindruck, als würde ihre Stellung gänzlich von der Urheberschaft ihres Mannes abhängen, wenngleich er an einer Stelle von der Beziehung des Herrschers und seiner Frau als einem „foedus“ spricht.102 Dass dem aber nicht so ist, sondern dass die Großen, wie der von Sedulius gebrauchte Begriff „foedus“ andeutet, auch über die Frau des Herrschers grundsätzlich an der Herrschaft der Familie teilnehmen, nämlich über die Familie der Königin,103 soll

100 Sedulius Scottus, Liber de rectoribus christianis cap. 5, ed. Dyson, S. 78 (ed. Hellmann, S. 35, Z. 15 ff.). S. dazu NELSON, Kinghship 1995, 402. – Vgl. die deutsche Übersetzung bei ANTON, Fürstenspiegel 2006, 127. 101 Sedulius Scottus, Liber de rectoribus christianis cap. 5, ed. Hellmann, S. 37, Z. 21 f.: „Princeps et rectrix populum si rite gubernant, Suam regant prosapiam.“ – Vgl. dazu STAUBACH, Rex Christianus 1993, 177. 102 Sedulius Scottus, Liber de rectoribus christianis cap. 5, ed. Hellmann, S. 37, Z. 13 f.: „[. . .] duobus Sit foedus et concordia.“ – NELSON, Kingship 1995, 399 weist nachdrücklich auf die Rolle von Frauen für die soziale Bindung von Personen und Familien hin und damit auf ihre Bedeutung zum Verständnis der „sociology of power“. 103 SCHMID, Heirat 1977, 108 ff. sieht durchaus den Zusammenhang von Eheverbindung und den Verpflichtungen, die sich grundsätzlich daraus ergeben. – Vgl. die ostfränkische „pragmatische Verfassungsgeschichte“ von DEUTINGER, Königsherrschaft 2006, 305 mit dem Hinweis auf den

2.4 Der Adel und die Königin

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der folgende Abschnitt zeigen. Es gibt nämlich so etwas wie das Prinzip der stillen Mitsprache. Das heißt, dass die Interessen der großen Familien bei der Eheschließung eines karolingischen Herrschers bzw. Nachfolgers gewahrt werden. Es fällt auf, dass die Quellen zu den meisten Eheschließungen der Karolinger Angaben zur Familie der Frau machen,104 es sei denn, dass die Familie nicht von Bedeutung war, bzw. die Frau keine Bedeutung für die Zukunft der herrscherlichen Familie haben würde.105 Das heißt aber, dass die bloße Erwähnung des Vaters der Braut bereits einen Hinweis auf die Bedeutung der Familie der Braut für den ehelichen Bund darstellt. Das Übereinkommen, das eine reguläre Ehe darstellte, war nicht auf die heiratenden Personen beschränkt, sondern kann als Vertrag zwischen zwei Familien aufgefasst werden. Das wussten auch die nicht unmittelbar beteiligten Großen, weshalb sie in Fragen der Ehe Einfluss nahmen.106 Ob der für die Eheschließung gelegentlich gebrauchte Begriff „sociare“ auf die Verbindung zwischen zwei Familien verweist, muss aber wohl ungeklärt bleiben.107 Jedenfalls verbanden sich auch Karl und Ludwig, die Söhne Karls des Kahlen mit ihren Genossen unter den Großen durch Eheschließungen.108

„Rückhalt im Adel“, den der König durch eine Eheverbindung gewann. DEUTINGER sieht ebenda 294, die Mitgestaltung der Politik durch die „angeheirateten Verwandten“ des Königs. 104 Etwa Astronomus, Vita Hludowici 32: „[. . .] Iudith filiam Uuelponis nobilissimi comitis in matrimonium iunxit.“ – ARF 822: „[. . .] in quo Hlotharius, primogenitus domni imperatoris Hludowici, Irmingardam Hugonis comitis filiam solemni more duxit uxorem.“, sehr ähnlich dazu Astronomus, Vita Hludowici 34. – Zur Ehe Karls des Kahlen etwa Nithard IV,6: „Accepit quidem Karolus, uti praefatum est, in coniugio Hirmintrudem Uodonis et Ingeltrudis filiam et neptem Adelardi.“ 105 Etwa Ann. Bert. 853 zu Lothar, der sich „duas ancillas“ nahm, da die Nachfolgeverpflichtungen erfüllt waren und eine Wiederholung der Konflikte um die Ehe Ludwigs des Frommen mit Judith und dem unverhofften Sohn Karl gewiss ausgesprochen unerwünscht war. 106 Das gilt etwa für die Auseinandersetzungen um das Erbe Karl Martells, der Grifo, seinen Sohn aus einer angeblich nicht regulären Ehe mit Swanahild, bedacht hatte, dies aber durchaus auf Betreiben von Swanahild, mit dem vorläufigen Ergebnis, dass „Franci valde contristati erant, ut per consilium improbae mulieris fuissent divisi et a legitimis heredibus seiuncti.“ (Annales Mettenses priores 741). – Über die Stellung Judiths nach dem Aufstand von 830 entschied der Verband, jedenfalls nach dem Astronomus, Vita Hludowici 46: „quam tamen coniugis honore non est dignatus, donec se legali praescriptio modo ab obiectis purgaret.“ Die politische Unruhe, die die Eheaffäre Lothars II. im ganzen Frankenreich mit sich brachte, ist neben der damit verbundenen Nachfolgefrage auch eine Frage der Rolle von Familien, insbesondere der Familie der regulären Gattin Lothars. 107 Gebraucht wird der Begriff für die Ehe Karls des Großen mit Fastrada, 783: „sociavit sibi in matrimonium“, aus Annales Mettenses priores 783 und auch in ARF 783. Auch die Ehe Ludwigs des Frommen mit Judith wird solchermaßen beschrieben: „societatam sibi in coniugio“, Annales Mettenses priores 830. 108 Ann. Bert. 862: „Karolus rex Aquitanorum, Karoli regis filius, necdum quindecim annos complens, persuasione Stephani relictam Humberti comitis sine voluntate et conscientia patris in coniugem ducit. Sed et sepefatus Hludowicus, frater ipsius Karoli, e vestigio in ipso quadragesimae sanctae initio filiam Harduini quondam comitis, sororem scilicet Odonis sui multum complaciti, sibi coniugem copulat.“

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In aller Regel heirateten karolingische Herrscher – anders als zahlreiche Merowinger – Frauen aus dem Frankenreich, Ausnahmen sind selten.109 Für die eheliche Verbindung der herrscherlichen Familie mit den Großen gibt es – zumindest für die Karolinger – eine gewisse Gesetzmäßigkeit. Entstanden ist diese Verbindung zwischen der karolingischen Familie und den Großen des Reiches zu gegenseitigem Vorteil noch vor der Königserhebung Pippins.110 Diese Gesetzmäßigkeit ergibt sich aus der jeweiligen Stellung der „Vertragschließenden“. Dabei lassen sich relativ sicher drei Hierarchieebenen bzw. Schichten des Adels ausmachen,111 es dürfte also möglich sein, die Familien der Frauen der Karolinger entsprechend zu klassifizieren. Zu beachten ist, dass die wesentlich auf der Basis der Forschung erhobenen Daten zur Bedeutung von Familien keine absoluten Größen darstellen können. Sie sollen in ihrer Relationalität für die Beantwortung der gestellten Frage als Basis dienen können, die gewiss in späteren Arbeiten zu präzisieren und zu verbreitern sein wird.112 Plektrud, die erste Frau Pippins des Mittleren, gehörte zu einer sehr vornehmen austrischen Familie.113 Plektruds Vater Hugobert war vermutlich merowingischer

109 Festgelegt wurde das etwa in der Ordinatio imperii von 817. KASTEN, Königssöhne 1997, 255 begründet das mit „dem ambivalenten Machtverhältnis zwischen Königtum und Adel“. Schon Papst Stephan III. hatte zu dem Plan einer Heirat Karls des Großen oder Karlmanns mit der Tochter des Desiderius (Stephan wusste nicht, für wen die Ehe geplant wurde) auf die Ungewöhnlichkeit einer auswärtigen Heirat der Karolinger hingewiesen, Codex Carolinus, MGH, Epp. III, 45. Vgl. dazu JARNUT, Bruderkampf 1993, 170. Vgl. dazu auch HELLMANN, Heiraten [1903] 1961, 300f., der aber solche Regelungen für nicht bindend hält, sondern den Grund für die Zurückhaltung der Karolinger auswärtigen Ehen gegenüber in einem nicht vorhandenen internationalen Staatensystem sieht, weshalb es auch keinen Grund für solche Ehen gegeben habe. Anders sieht das SCHMID, Heirat 1977, 109 ff. ebenfalls unter Bezugnahme auf den Brief Papst Stephans III. und das Kapitel 13 der Ordinatio imperii. 110 LUBICH, Verwandtsein 2008, 213 und ebenda 165 ff. 111 WERNER, Adelsfamilien 1965, 127. 112 S. hierzu schon die den folgenden Ausführungen sehr ähnliche Fragestellung von LUBICH, Verwandtsein 2008, 169 ff. 113 Vgl. KONECNY, Frauen 1976, 47 f. und WERNER, Adelsfamilien 1965, 116, der die Familie zwar nicht ausdrücklich als bedeutend bezeichnet, aber für sehr alt hält. Gegen die Zuordnung der Familie Plektruds zu der Familie Adelas von Pfalzel, als deren Schwester sie gemeinhin angenommen wird, wendet sich Matthias WERNER, Adelsfamilien 1982, 241 ff., der selbst jedoch zahlreiche Hinweise auf eine mögliche Identität der Frau Pippins mit der Schwester Adelas versammelt, sie jedoch nicht für ausreichend hält, eine solche Identität festzustellen. Vgl. Auch WERNER, Lütticher Raum 1980, 166–169. Hier wird deutlich, wie angreifbar Karl Ferdinand Werners Vorgehen bei der Zuordnung von Personen zu Familien ist (z. B. programmatisch WERNER, Adelsfamilien 1965). K. F. Werner selbst hatte Namensgleichheiten diesen Zuordnungen zugrundegelegt, was aber oft die Gefahr der Beliebigkeit birgt, da er selbst bemerkt, dass die Namen auch in weiblicher Folge weitergegeben werden, was dazu führt, dass manche Familien die Wahl unter mehreren Namen haben und bei der vermutlichen Verwandtschaft der meisten großen Familien untereinander, diese Verwandtschaftshinweise z. T. möglicherweise nur mehr wenig aussagen über die Bedeutung einer Familie, da das herrschaftliche, anders als das materielle Erbe (dazu HEIDRICH, Plectrud 1988, 1 ff.) üblicherweise unter die Söhne verteilt wurde.

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Seneschall und Pfalzgraf.114 Sie war jedoch nur eine von fünf Töchtern.115 Die Familie Hugoberts war zwar in Austrien vermutlich eine der ersten Familien; bezogen auf das Gesamtreich, das für die Pippiniden nach 687 zum Raum ihrer Herrschaftsentfaltung wurde, war sie vermutlich für die Familie Pippins keine Konkurrenz. Zu vermuten ist auch, dass die Eheverbindung mit der Familie Plektruds über Amt und Einfluss Hugoberts die austrische Basis für die Ausweitung des Einflusses der Pippiniden auf Neustrien schuf, denn für die Erlangung der Vormachtstellung im gesamten Frankenreich durch den Sieg bei Tertry 687 war der Rückhalt unter den austrischen Großen unabdingbar. Um diese Zeit ging Pippin eine weitere Ehe ein, mit der vermutlich vornehmen Chalpaida, deren Familie aber weit weniger bedeutend war als die Plektruds.116 Sollte

Andererseits ist zu bedenken, dass die in den Quellen vorkommenden Namen in aller Regel keinen unbedeutenden Personen gehören und somit durchaus von Aussagekraft für die Familienzugehörigkeit sein werden (WERNER, Adelsfamilien 1965, 95 engt den Kreis der Träger von Leitnamen, die auf Grund ihres Namens bestimmten Familien zugeordnet werden dürfen, auf die an erster Stelle genannten bzw. ausdrücklich als besonders vornehm erwähnten Personen ein). Nun ist es ja nicht so, als hätte sich Karl Ferdinand WERNER gänzlich auf Namensgleichheiten bei der Zuordnung von Personen verlassen (ebenda 96 ff.). Es bleibt eine Frage, ob es legitim ist, ohne genealogische Präzision Personen bestimmten Familien zuzuordnen. Beweiskraft hat die Zuordnung wegen Namensgleichheit nicht, fragt sich aber, ob es des „Beweises“ überhaupt bedarf. Bei Namensgleichheit – das ist auch zu bedenken – wird eine Beziehung zu der Familie hergestellt, die im eigentlichen Besitz dieser Namen ist, ob durch Verwandtschaft oder Ansippung. So kommt denn auch (vor den Einwänden Werners) WENSKUS, Stammesadel 1976, 424 zu der Überzeugung, dass in solchen Fällen, wie auch immer die genaue verwandtschaftliche Beziehung gewesen sei, man eine Verwandtschaft annehmen müsse. Vgl. aber kritisch zu dieser methodischen Annahme GOETZ, Probleme 2006, 322 f., der einige Beispiele aufführt, nach denen Namen durchaus auch „zufällig“ identisch sein können, obwohl die Personen gewiss nicht verwandt gewesen sein dürften. 114 KASTEN, Königssöhne 1997, 71, obwohl WERNER, Adelsfamilien 1982, 247 und ff. festgestellt hatte, dass es keinen Beweis dafür gibt, dass Plektruds Vater Hugobert mit dem Seneschall Hugobert identisch ist. Indes handelt es sich bei der Namensgleichheit und der gesicherten Zugehörigkeit von Plektruds Vater zu den Großen vermutlich um dieselbe Person. 115 Ebenda unter Verweis auf HLAWITSCHKA, Herkunft 1962, 17. KONECNY, Frauen 1976, 47 vermutet, dass Plektrud unerwartet an eine größere Erbschaft gelangt sei, was erklären würde, warum sich zwischen 691 und 714 Schenkungen aus dem Besitz Plektruds häuften. 116 JOCH, Karl Martell 1994, 167, die darüber hinaus unter Hinweis auf JARNUT, Beziehungen 1976, 341 f. vermutet, dass die Familie Plektruds nicht nur selbst zu den „einflußreichsten“ Familien Austriens gehörte, sondern auch mit dem bayerischen Herzogshaus verschwägert war. Vgl. KASTEN, Königssöhne 1997, 72; KASTEN diskutiert ebenda 71–77 ausführlich die Stellung Chalpaidas. Sie vermutet ebenda 76, dass Plektrud mit Willen Pippins die eigentliche Hausherrin war. Die Herkunft und die Bedeutung der Familie der Frau hält sie anders als Joch für nicht ausschlaggebend. Zur Bedeutung Plektruds und ihrer Familie und den Auswirkungen auf die Rolle Karl Martells s. GERBERDING, 716 1994, 205 ff. – S. zu Chalpaida auch JOCH, Legitimität 1999, 27 ff. und bes. 130 ff. zu ihrer Herkunft. Vgl. die Kritik an der Annahme ehelicher Geburt Karl Martells bei KASCHKE, Reichsteilungen 2006, 78 f., dessen Annahme einer empirisch hergeleiteten Regelhaftigkeit im Umgang mit legitimen Söhnen ihn dazu führt, den Ausschluß Karl Martells von der Nachfolge als

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es sich bei der zweiten Ehe nicht um eine Verbindung aus Zuneigung gehandelt haben, so läge eine plausible Erklärung darin, dass Pippin erstens die Stellung der Familie Hugoberts nicht einschränken konnte oder wollte und darüber hinaus vermutlich keine weitere Mitsprache innerhalb der Familie zulassen wollte.117 Seit 708 wurde Karl Martell, der Sohn Pippins von Chalpaida, den Söhnen Plektruds nachgestellt,118 was dafür spricht, dass tatsächlich die Familie Plektruds über größeren Einfluss verfügte als die der Chalpaida. Karl Martell verband sich lange vor seiner Herrschaftsübernahme mit der einer verhältnismäßig unbedeutenden Familie entstammenden Chrodtrud, die als seine Frau keine besondere Stellung einnahm.119 Von ihr stammen die Söhne Karlmann und Pippin der Jüngere.120 Nach der Übernahme der Herrschaft und des Hausmeieramtes in der Francia und dem Tod der Chrodtrud (725) ging Karl noch im selben Jahr eine Ehe mit Swanahild ein, die aus der Familie der121 Agilolfinger stammte, die als „merowingische Amtsträger“ die Herzogswürde in Bayern innehatten,122 zugleich aber auch mit dem Langobardenkönig verschwägert waren.123 Das entsprach Karls erlangter Stellung im Frankenreich. Er hatte damit eine Verbindung gefunden, die seine Stellung – und die seiner Familie – dokumentierte, stärkte, aber nicht

Beleg für seine Illegitimität zu werten, anstatt andere, politische, Gründe zu bedenken, wie die Rolle der jeweiligen Mutter und ihrer Familie für die Chancen ihrer Söhne. 117 JOCH, Legitimität 1999, 26 f. und 123 sieht eine Trennung von Pippin und Plektrud in den Jahren 685–710 als Grund für die Möglichkeit einer weiteren Ehe, eben mit Chalpaida. 118 JOCH, Legitimität 1999, 67 f.; s. auch KASTEN, Königssöhne 1997, 73. – Vgl. zu Anzeichen einer Nachfolgekrise seit diesem Zeitpunkt die Beobachtungen von HEIDRICH, Urkunden Pippins 1994, 25 ff., die feststellt, dass ab 709 die Königsurkunden wieder zahlreicher werden und erst mit der endgültigen Durchsetzung Karl Martells die Hausmeierurkunden die Königsurkunden an Zahl wieder übertreffen. 119 SCHIEFFER, Karl Martell 1994, 309: „von nicht näher bestimmbarer adeliger Abkunft“. – Sie tritt in den Quellen nur anlässlich ihres Todes in Erscheinung, ebenda. 120 Ebenda. 121 Vgl. HAMMER, From Ducatus to Regnum 2007, 68 f. 122 Swanahilds genaue Zugehörigkeit zu der Familie der Agilolfinger ist nicht lückenlos festzustellen, SCHIEFFER, Karl Martell 1994, 311 nach JARNUT, Herkunft Swanahilds 1977, 245–249, der aber immerhin ebenda ermitteln konnte, dass sie die Tochter des bayerischen Herzogssohns Tassilo und der alemannischen Herzogstochter Imma war. Vgl. zu den Agilolfingern auch WERNER, Adelsfamilien 1965, 107 ff., der ebenda 109 betont, dass diese Familie auch im eigentlichen Frankenreich von Bedeutung war. Vgl. zur Familie Swanahilds auch JARNUT, Beziehungen 1976, 350 f. und JAHN, Ducatus Baiuvariorum 1991, 128. Das Verhältnis Bayerns zum Frankenreich qualifiziert JAHN, ebenda 131 bis zur Nachfolgekrise im Frankenreich nach dem Tod Karl Martells als gut. Er vermutet ebenda 132, dass die Übergabe des Herzogtums durch die Franken „zur weitgehend autonomen Verwaltung und Herrschaftsausübung“ erfolgte. 123 Swanahilds Tante Guntrud war die Frau König Liutprands (JARNUT, Genealogie 1991, 11). – BECHER, Nachfolge Karl Martells 2003, 112 betont unter Hinweis auf JARNUT, Agilolfingerstudien 1986, 79 ff. die eminente Bedeutung der Agilolfinger, die allesnfalls mit derjenigen der Merowinger zu vergleichen sei.

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wesentlich behinderte, da die vitalen Interessen der Familie Swanahilds außerhalb der Francia lagen. Nach der durch Karl Martell erreichten Stellung der karolingischen Familie im Frankenreich, aber noch vor der Stabilisierung der eigenen Herrschaft gegen Grifo und dann gegen Karlmann,124 heiratete Pippin Bertrada, eine Tochter Graf Chariberts von Laon.125 Die Familie gehörte wohl zu einer Nebenlinie der Merowinger und war vermutlich in Neustrien besonders begütert.126 Sie scheint zwar regional von erheblicher Bedeutung, aber wohl nicht unter den ersten Familien des gesamten Reiches gewesen zu sein; insofern war die Verbindung mit ihr angemessen, da Pippin bei seiner noch nicht gefestigten Stellung und als einer von zwei Nachfolgern Karl Martells im Hausmeieramt sich nicht mit einer Familie verbinden konnte, zu deren Sachwalter er gänzlich geworden wäre. Nach seinem Aufstieg zum faktischen Alleinherrscher im Frankenreich und schließlich zum König war das die Voraussetzung für ein starkes Königtum der Familie, da so Pippin keinen Neid unter den Großen auf die Familie der Königin zu befürchten hatte und durch die sakralisierte Stellung der königlichen Familie er als König den Großen in einer Weise gegenüberstand, die es ihnen möglich machte, sich seinem Königtum in gleicher Weise unterzuordnen. Ähnlich wie Karl Martell mit der Ehe mit Chrodtrud heiratete Pippin vor seiner eigentlichen Herrschaftsübernahme und war so nach derselben – da er an der Monogamie mit Bertrada festhielt – nicht über die Maßen an eine Adelssippe gebunden. Übrigens war ja gerade die kirchliche Sanktion seines Königtums ein Akt, der voraussetzte, dass seine Familie nicht in Abhängigkeit eines Teiles der Untertanen stand oder geraten würde. Andernfalls hätte auch die Sanktion die anderen Großen nicht von Angriffen auf die Herrschaft der königlichen Familie abhalten können. Karl der Große heiratete zunächst ein vornehmes Mädchen namens Himiltrud, mit der er sich vermutlich bald nach 763, also noch zu Lebzeiten seines Vaters, zusammengetan hatte.127 Nach der Erhöhung der karolingischen Kleinfamilie von 754128 war Karl nicht auf die Verbindung mit einem besonders vornehmen

124 Grifo hatte zu dieser Zeit noch großen Rückhalt unter den Großen (WOLF, Grifos Erbe 1992, 11). – Vgl. zum Verhältnis zwischen Pippin und Karlmann und der Rolle Alemanniens dabei JARNUT, Alemannien 1990. 125 KASTEN, Königssöhne 1997, 121. – Vgl. zu diesem „Heribert“ HLAWITSCHKA, Vorfahren 1965, 79 f. – Zur Familie Chariberts s. WERNER, Adelsfamilien 1965, 105, der diesen als Verwandten der Merowinger anspricht. – Vgl. dazu auch Eckhardt, Studia Merovingica [1965] 1975, 101–115. 126 WERNER, Adelsfamilien 1965, 105 f. – HARTMANN, Königin 2009, 95 sieht die Familie jedoch unter den „führenden Familien Austrasiens“. 127 KONECNY, Frauen 1976, 67. – Vgl. übersichtlich zu den Ehen Karls HARTMANN, Karl der Große 2010, 50–64. 128 S. dazu STROTHMANN, Königtum Pippins 2008, der in dem Akt von 754 die Königserhebung der Familie Pippins erkennt und diese zugleich durch päpstliches Zutun mit religiös überhöhter Exklusivität versehen sieht.

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Geschlecht angewiesen, um zur Nachfolge zu gelangen. So war er wie sein Vater und Großvater nach der Erlangung der Herrschaft nicht zum Teilen gezwungen, sondern konnte auch weiteren Prestigegewinn ganz für seine Familie verbuchen. Seine zweite Frau, die Tochter des Desiderius, eine Protagonistin der wenigen auswärtigen Heiraten der Karolinger, eingefädelt von Bertrada, seiner Mutter,129 verstieß Karl nach kurzer Zeit, womit er sich von lästigen Rücksichten befreite. Hildegard, Karls dritte Frau, gehörte einer recht vornehmen Familie an, die im Reichsteil Karlmanns Einfluss besaß, der Ende 771 starb. Gerold, der Vater Hildegards, war verheiratet mit Imma, einer Verwandten des Alemannenherzogs Gottfried.130 Die Ehe war sicherlich hilfreich, den Reichsteil des Bruders Karlmann zu gewinnen. Insgesamt aber lässt sich wohl festhalten, dass Karl der Große sicher nicht „über seine Verhältnisse“ heiratete, wenngleich er sich eine Ehe mit einer Frau aus sehr vornehmer Familie leistete.131 Ähnlich vornehm wie die der Hildegard war die Familie Fastradas, der vierten Frau Karls des Großen, die er 783, im Todesjahr Hildegards, heiratete. Sie war die Tochter des ostfränkischen Grafen Radulf, der ihm eine Hilfe bei den Unternehmungen gegen die Sachsen gewesen sein könnte.132 Vermutlich war ihre Familie mit derjenigen Hildegards verschwägert,133 was heißen könnte, dass Karl sich die Zustimmung bestimmter Kreise erhalten und keine neuen Verpflichtungen eingehen wollte bzw. musste. Liutgard schließlich war vermutlich unbedeutender vornehmer Herkunft.134 Ein politischer Grund für eine weitere Ehe Karls bestand nach dem Tod Fastradas zunächst nicht mehr, und Karl hat wohl erst aus Anlass des Besuches Papst Leos III. die Ehe mit ihr geschlossen.135

129 Vgl. zu den genauen Zusammenhängen und der Rolle Bertradas JARNUT, Bruderkampf 1993. 130 Nach KONECNY, Frauen 1976, 67 die Tochter, nach Wenskus die Urenkelin des Alemannenherzogs „Gotfried“; vgl. auch KONECNY, Eherecht 1977, 4. – Gerold gehörte zu einer fränkischen Linie der Agilolfinger und erhielt vermutlich nach dem Sturz Tassilos von Bayern das Amt des bayerischen Präfekten (WERNER, Adelsfamilien 1965, 111 f., wohingegen WENSKUS, Stammesadel 1976, 430 u. ö. die beiden Gerolde trennt, aber ebenfalls mehrere verschiedene Gerolde für Verwandte der Agilolfinger hält, ebenda 425 ff.). S. dazu JAHN, Ducatus Baiuvariorum 1991, 466, der Gerold mit großer Wahrscheinlich als Agilolfinger ausweist und Hildegard als Urenkelin des Herzogs Gottfried bestimmt. 131 Die geringe öffentliche Bedeutung der Hildegard führt HEIDRICH, Plectrud 1988, 12 f. auch auf ihre häufigen Schwangerschaften zurück. Diese Annahme zeigt deutlich, wie wenig erklärlich die Stellung der Königin oftmals erscheint. 132 KONECNY, Frauen 1976, 68. 133 Nach WENSKUS, Stammesadel 1976, 432. 134 Sie stammte vermutlich aus Alemannien; die Verbindung mit Karl wurde erst später zur regulären Ehe, KONECNY, Frauen 1976, 69. 135 Das nimmt KONECNY, Frauen 1976, 69 f. an.

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Ohne Not scheint auch Karl der Große, dessen monarchische Stellung doch als ausgesprochen sicher gilt, sich nicht in der Form der Ehe mit einzelnen Großen verbunden zu haben. Die erste Ehefrau Ludwigs des Frommen war Irmingard, die er noch zu Lebzeiten seines Vaters heiratete, vermutlich noch 794.136 Sie war als Tochter des Grafen Ingram von ausgesprochen vornehmer Herkunft, wenngleich die vermutlich neustrische Familie Ingrams nicht zu den ersten des Reiches gehörte.137 Thegan betont, dass die Eheschließung mit Willen und Wissen des Vaters geschah,138 dieser die Schwiegertochter also vermutlich ausgesucht hatte.139 Ludwig, König von Aquitanien, verband sich damit mit einer Familie aus der Francia, was sicherlich verhindern sollte, dass seine persönlichen Bindungen in Aquitanien zu stark würden, und zugleich gewährleistete, dass bei einer möglichen Nachfolge im Gesamtreich er nicht ohne Beziehungen in der Francia sein würde. Die für einen Unterkönig verhältnismäßig vornehme Familie der Frau stellte allein deshalb für die Herrschaft der Karolinger keine Gefahr dar, weil Ludwig im Schatten seines Vaters regierte und eine weitergehende Einflussnahme auf den Sohn vermutlich zu Lebzeiten des Vaters keinen nennenswerten Machtzuwachs der Familie Irmingards bedeutet hätte. Nach dem Tod des Vaters würde den Sohn als König von Aquitanien die relative Ferne des Königtums vom Herrschaftsraum der Familie seiner Frau schützen, als Gesamtherrscher des Frankenreiches würde die Familie der Königin nicht zu stark sein. Nach dem Tod Irmingards im Oktober 818 heiratete Ludwig im Februar 819 erneut. Seine Wahl fiel nach einer Brautschau auf Judith, die Tochter des Grafen Welf. Die Güter der Familie lagen vor allem in Bayern und Alemannien.140 Die Familie gehörte schon zu Karls des Großen Zeiten zu den bedeutenderen Familien,141 aber schon nicht mehr zur „Reichsaristorkratie“.142 Ludwig verband sich und seine Familie mit einer sehr einflussreichen Adelsfamilie, die durch die nun erlangte Königsnähe unter die ersten Familien des Reiches aufstieg.143 Aus der Position der vermeintlichen Stärke

136 BOSHOF, Ludwig der Fromme 1996, 59, der berichtet, dass Ludwig damals bereits (mit 16 Jahren) einen Sohn und eine Tochter von einer Konkubine hatte. – Zu Irmingard vgl. DEPREUX, Prosopographie 1997, 188 f., mit dem Heiratsdatum 795. 137 Angeblich war der Schwiegervater Ludwigs ein Neffe des Bischofs Chrodegang von Metz und mit den Robertinern verwandt, BOSHOF, Ludwig der Fromme 1996, 59. WERNER, Adelsfamilien 1965, 119 hält die Familie für mit den Robertinern verbunden und meint, dass der Ursprung der Familie in Neustrien gelegen habe. Er verweist ebenda Anm. 133 auf die bedeutende Rolle, die mehrere Robertiner zur Zeit Ludwigs des Frommen spielten. 138 Thegan, Gesta Hludowici 4: „[. . .] cum consilio et consensu patris reginam constituit.“ 139 KASTEN, Königssöhne 1997, 249. 140 Zu Verortung der Familie im rechtsrheinischen Raum s. KOCH, Judith 2005, 28. 141 BOSHOF, Ludwig der Fromme 1996, 151–153. – S. auch ALTHOFF, Verwandte 1990, 49. – Régine LE JAN, Aux frontièrs 2018, 278 f. diskutiert die Herkunft Judiths auch über ihre mütterliche Familie. 142 KOCH, Judith 2005, 27. – Zu Judith vgl. DEPREUX, Prosopographie 1997, 279 ff. 143 Ebenda. – S. zu Judiths Brüdern FLECKENSTEIN, Herkunft der Welfen 1957, 119 ff.

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als Nachfolger Karls des Großen heraus hatte Ludwig sich für die Verbindung mit einer Familie entschieden, die bei Erhalt der Stärke des fränkischen Königs und der karolingischen Familie ohne jede Gefahr für die königliche Position geblieben wäre. Möglicherweise bestand in der Wahl der Welfen für eine neuerliche Eheverbindung aber auch der Versuch, deren mutmaßliche verwandtschaftliche Nähe zu den gerade mit der Niederschlagung des Aufstands Bernhards von Italien ausgeschalteten Kräften zu nutzen.144 Da aber die fränkische Expansion abgeschlossen war und die inneren Probleme immer deutlicher hervortraten,145 wurde es zunehmend schwieriger, die Großen zufriedenzustellen und in ihrer Gesamtheit dem Königtum unterzuordnen.146 In dieser Lage wurde die Verbindung mit der Familie Judiths zum Problem. Sie selbst und damit ihre Familie gelangten zu Einfluss, der das für die herrscherliche Familie und die Großen Zuträgliche überstieg. In den Quellen und auch in der Literatur wird der große Einfluss Judiths auf das Handeln des Kaisers fast ausschließlich über ihre Persönlichkeit und die Empfänglichkeit Ludwigs für ihre Wünsche erklärt.147 Es ist aber unzweifelhaft, dass ihre Familie an Einflussnahme auf das Königtum sehr interessiert war, und es ist zu vermuten, dass Ludwig ohne den Druck der Familie Judiths wohl kaum die eigene Familie so vernachlässigt hätte. Die eigene Familie ist ja nicht seine Kleinfamilie allein, sondern das Erbe der Vorfahren, besonders die Einheit des Reiches, und das Erbe der Nachkommen, die sichere Stellung des karolingischen Königtums. Der Einfluss Judiths mag sehr wohl gesteigert worden sein durch ihre Persönlichkeit und die große Zuneigung Ludwigs; das, so ist anzunehmen, ist aber nur akzidentiell. Ludwig war nicht der Schwächling, als den die Historiker des 9. Jahrhunderts ihn hinzustellen geneigt waren.148 Dass er seine zweite Ehefrau Judith nahm, weil sie besonders schön war, wie behauptet wird, kann nicht der eigentliche Grund gewesen sein.149 Auch das muss man m. E. als akzidentiell bezeichnen. Zuviel hing von der Eheschließung ab, als dass Ludwig die Stellung seiner königlichen Familie aus Begeisterung für die Schönheit einer Frau riskiert hätte. Auch dass die Notwendigkeit der Versorgung Karls des Kahlen Ludwig zu fortgesetztem seine Familie schädigenden Verhalten veranlasst haben soll, kann nicht

144 KOCH, Judith 2005, 28 ff., der mit einigen Indizien verwandtschaftliche Zusammenhänge etwa mit Wala und Adalhard belegt und durchaus glaubhaft darlegt, dass diese Ehe eine Antwort auf eine erste Krise der Herrschaft Ludwigs war, die mit der Niederschlagung von Bernhards vermeintlichem Aufstand zusammenhing. 145 Vgl. die Schilderung bei BOSHOF, Ludwig der Fromme 1996, 155. Vgl. ausführlich REUTER, Military Expansion 1990. 146 Vgl. dazu WERNER, Adelsfamilien 1965, 122. 147 Vgl. WARD, Caesar’s Wife 1990, 227, die die Legitimität von Judiths Vorgehen hervorhebt, sie aber als gänzlich abhängig von ihrem Zugang zu Kaiser Ludwig beschreibt. 148 Auf Ludwigs Rücksichtslosigkeit weist WOLF, Aufstand 1998, 587 f, hin. 149 HARTMANN, Königin 2009, 107 unter Bezug auf KOCH, Judith 2005. – S. zur Verbindung mit der Familie Judiths BRUNNER, Oppositionelle Gruppen 1979, 102 f.; dort auch zur Brautschau und ihrem Vorbild am byzantinischen Hof.

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als ausreichende Begründung für die Förderung Karls hingenommen werden. Gerade die Karolinger haben die Trennung von Erbe und Nachfolge praktiziert. Kaiser Ludwig hätte seinen Sohn Karl ohne größere Schwierigkeiten am Erbe beteiligen können, ohne die Nachfolgeregelung der Ordinatio imperii wesentlich zu stören. Zu Beginn des offenen Konfliktes mit den älteren Söhnen und den Großen war Karl ja tatsächlich nicht zu einem König erhoben, sondern nur über den Anteil Lothars wirtschaftlich versorgt worden.150 Mit einer verlässlichen Regelung dieser Art hätten die älteren Söhne gewiss leben können. Verlässlichkeit in dieser Frage indes konnte der Vater nicht bieten. Denn in höchstem Maße an der Beteilung Karls des Kahlen an der Nachfolge, vielleicht sogar anstelle Lothars, interessiert, musste die Familie seiner Mutter sein, da sie sich dauerhaften Einfluss auf die Geschicke des Reiches gesichert hätte.151 Judith fungiert hier in ihrem Handeln für ihren Sohn als Sachwalterin ihrer Familie. Kaiser Ludwig hingegen konnte kein Interesse an der Beteiligung Karls an der Nachfolge haben, womit die Ordinatio imperii, auf die er die Großen noch 821 verpflichtet hatte,152 hinfällig geworden wäre und mit ihr eine verlässliche und relativ sichere Ordnung der Regierung des Reiches durch die Familie verloren gegangen wäre. Die Großen hatten sich mit ihrem jeweiligen senior längst arrangieren können, dass heißt, dass die Familienordnung, die die Ordinatio Imperii bedeutete, zugleich eine Reichsordnung darstellte. Der erste deutliche Akt der Einflussnahme der Familie Judiths auf die karolingische Familie und deren Herrschaft lag in der Verheiratung Ludwigs des Deutschen mit Hemma, einer Schwester der Kaiserin im Jahr 827,153 womit weitere Einflussnahme möglich wurde. So wird diese Ehe ihren Teil dazu beigetragen haben, dass beim Aufstand der Söhne Ludwigs Ludwig der Deutsche zunächst unbeteiligt blieb und später auf ehrenvolle Behandlung des Vaters drängte.154 Mit der Taufpatenschaft Lothars für Karl155 hatten Kaiser Ludwig und seine Frau zunächst nur dafür gesorgt, dass Karl beim Erbe beteiligt werden würde, insofern muss dafür zur Erklärung keine Verantwortlichkeit der Familie Judiths angenommen werden. Die Entmachtung der überaus einflussreichen Grafen Matfrid von Orléans156 und Hugo von

150 BOSHOF, Einheitsidee 1990, 183 (August 829 in Worms). Der Anteil Karls war jedoch verhältnismäßig groß; er umfasste Alemannien, das Elsaß, Churrätien und einen Teil Burgunds, ebenda. 151 SEMMLER, Renovatio Regni Francorum 1990, 143 sieht den entscheidenden Fehler Kaiser Ludwigs denn auch nicht in der Ausstattung Karls, sondern in dem Bruch mit Lothar. 152 Im Mai in Nimwegen und im Oktober in Diedenhofen (BOSHOF, Ludwig der Fromme 1996, 153). 153 BOSHOF, Ludwig der Fromme 1996, 158. Zu Hemma s.HARTMANN, Ludwig der Deutsche 2002, 64–66. – S.auch DEUTINGER, Königsherrschaft 2006, 291. – Das genaue Jahr der Eheschließung ist nicht mit letzter Sicherheit belegt, HAMMER, From Ducatus to Regnum 2007, 214. 154 BOSHOF, Ludwig der Fromme 1996, 205. 155 BOSHOF, Ludwig der Fromme 1996, 159. 156 Zu Matfrid und der Differenzierung von sozialem Status und Besitz von Ämtern s. AIRLIE, Aristocracy 2006, 109 f. – Zur Beurteilung Matfrids s. auch LE JAN, Justice royale 1997, 59. – Zur Person Matfrids vgl. auch DEPREUX, Prosopographie 1997, 329 ff.

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Tours157 im Jahr 828 wegen militärischen Versagens158 war ganz im Sinne der Familie Judiths und schwächte besonders Lothar,159 der sich unter dem Einfluss beider von Judith und Karl bereits entfernt hatte.160 Direkt gefördert wurde die Familie Judiths durch die Berufung ihrer Brüder an den Hof.161 Ludwig der Deutsche hatte Hemma, die Schwester seiner Stiefmutter geheiratet, womit er sich vermutlich übernommen hatte, da das Schwergewicht dieser Familie mit Bayern und Alemannien im Reich Ludwigs lag. So war er dem Einfluss der Familie seiner Frau ausgeliefert. Ein Ergebnis dieser für die Karolinger ungünstigen Verbindung war vermutlich die fortwährende Versuchung seiner Söhne, die noch mehr als die Söhne Karls des Kahlen zum Spielball von Adelsfraktionen wurden. Lothar heiratete 821 Irmingard, eine Tochter Hugos, des Grafen von Tours, aus der elsässischen Familie der Etichonen, die zu der Zeit zu den ersten des Reiches gehörten.162 In gewisser Weise mag Lothar letztlich davon profitiert haben, dass Hugo im Reich entmachtet wurde163 und zu ihm kommen musste und dass die Familie seiner Frau im Kernland seiner Herrschaft vermutlich nicht über eine bedrohliche Machtbasis verfügte.164 Hätte Lothar die Nachfolge als Gesamtherrscher angetreten und sich einer solch mächtigen Familie gegenübergesehen, hätte sich die Herrschaft der Familie gewiss noch weniger behaupten können. Lothar war indes klug genug, in einer solchen Lage auf die Primogenitur zu setzen, er verzichtete auf eine Königserhebung seiner jüngeren Söhne, während er seinen Ältesten 850 zum Mitkaiser erhob.165 Damit nahm er den Großen die Möglichkeit, die Söhne gegeneinander auszuspielen und so die Familie zu schwächen. Kurz vor seinem Tod durchbrach der Kaiser sein Nachfolgekonzept, indem er seinen zweiten Sohn, Lothar II. mit Friesland ausstattete, immerhin ohne ihn zum

157 S. zu Hugo, zum Dissenz zwischen Hugo und Bernhard von Septimanien sowie zur Opposition Hugos zur Familie Judiths HUMMER, Politics and Power 2005, 160 ff. 158 BOSHOF, Ludwig der Fromme 1996, 173. – Zu Hugo von Tours vgl. DEPREUX, Prosopographie 1997, 262 ff. – Vgl. zur Absetzung der beiden auch KRAH, Absetzungsverfahren 1987, 57 f. 159 Vgl. zur Auswirkung der Enthebung Hugos auf Lothars Stellung JARNUT, Regnum Italiae 1990, 355 f. 160 BOSHOF, Ludwig der Fromme 1996, 179. 161 BOSHOF, Ludwig der Fromme 1996, 180. 162 Auf der Versammlung von Diedenhofen, wohl auf Geheiß des Vaters, KASTEN, Königssöhne 1997, 254. – ZOTZ, Etichonen, LMA 4 (1989), 57 mit weiterer Literatur; darunter besonders VOLLMER, Etichonen 1957, dessen Untersuchungen ebenda 163 ff. nahelegen, dass mit Hugo von Tours zur Zeit Ludwigs des Frommen ein erneuter Aufstieg der Familie verbunden ist. – Vgl. zu den Etichonen HUMMER, Politics and Power 2005, 46 ff., ebenda 157 ff. zu Hugo. – Vgl. auch unter der Perspektive auf das Elsaß, seine Gestalt und seine Integration in das Reich WEBER, Elsass 2011, 100 ff. 163 Vgl. hierzu VOLLMER, Etichonen 1957, 164. 164 HLAWITSCHKA, Franken 1960, 221–223 zu Liutfried I., dem Bruder Irmingards, und betont ebenda 223 die elsässische Machtbasis der Familie. Die besondere Stellung, die Hugo auch in Italien einnahm, verdankte er wohl zum großen Teil seinem Schwiegersohn (VOLLMER, Etichonen 1957, 164). 165 KASTEN, Königssöhne 1997, 382.

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König zu erheben. Nach den Annales Bertiniani hat er dann kurz vor seinem Tod sein Reich außer Italien unter die beiden jüngeren Söhne geteilt.166 Die Annalen von Fulda berichten, dass ein Teil der Großen Lothar II. vor Ludwig den Deutschen als ältesten karolingischen König führte und dort die Einwilligung zu Lothars Königserhebung erlangte.167 Möglich ist, dass Lothar sich tatsächlich von dem Prinzip der Primogenitur abgewandt haben könnte,168 wenn er nämlich die Söhne bis zu seinem Tod vor den Versuchungen der Großen schützen wollte, um sie dann doch an der Nachfolge zu beteiligen. Viel wahrscheinlicher ist aber, dass tatsächlich die Großen die Teilung herbeiführten, so oder ähnlich, wie es die Annalen von Fulda berichten, möglicherweise über eine letzte Nachfolgeregelung des Vaters. In dem Fall hätten einzelne Große ihre Verbindungen zu einem Königssohn erhalten und nutzen wollen, die keinen Einfluss auf Kaiser Ludwig zu nehmen in der Lage waren. Übrigens ist auch die Vermählung Lothars mit Irmingard ein deutliches Zeichen für die schon 821 bestehende Notwendigkeit für die herrscherliche Familie, sich der Unterstützung einzelner Großer zu versichern. Karl der Kahle heiratete nach dem Tod seines Vaters Irmintrud, eine Tochter des Grafen Odo von Orléans und Nichte des Seneschalls Adalhard.169 Karl, der jede Unterstützung brauchen konnte, die ihm half, seinen Reichsteil zu sichern, verband sich mit einer sehr mächtigen Familie, womit auch er sich in Abhängigkeit begab.170 Nithard berichtet davon, nicht ohne darauf hinzuweisen, dass Karl die Absicht gehabt habe, damit „maximam partem plebis sibi vindicare posse“.171 Ebenfalls einflussreich war die Familie Richildes, der zweiten Frau Karls. Diese Ehe zielte aber wohl eher auf das Reich Ludwigs II., aus dem die Familie Richildes stammte, zu der auch Theutberga, die Frau Lothars II., gehörte, von der sich Lothar mit aller Macht zu trennen bemühte.172 Waldrada, Lothars II. erste Frau, die vermutlich einer adeligen Familie aus dem Maas-Mosel Gebiet entstammte,173 hatte ihm noch sein Vater, Kaiser Lothar,

166 Ann. Bert. 855. 167 Ann. Fuld. 855. 168 KASTEN, Königssöhne 1997, 386 hält das für sehr unwahrscheinlich. 169 KASTEN, Königssöhne 1997, 428. – Vgl. Ann. Bert. 842. – Zu den Adalharden vgl. WERNER, Untersuchungen zur Frühzeit 1958, 274 ff. – Zu Adalhard (III) s. DEPREUX, Prosopographie 1997, 80 ff. 170 KONECNY, Frauen 1976, 136 vermutet, dass diese Familie, die im gesamten Reich Einfluss besaß, einem Ausgleich unter den Brüdern dienlich war. Die Vorteile der Ehe für die Adalharde betont WERNER, Untersuchungen zur Frühzeit 1958, 275. 171 Nithard IV, 6. S. dazu NELSON, Kingship 1995, 404. 172 KONECNY, Frauen 1976, 136 f. 173 SCHNEIDMÜLLER, s.v. Waldrada, LMA 8 (1997), 1958 f. Sie wurde später als Konkubine abqualifiziert. – Vgl. zu ihr und ihrer Familie, den Gerolden WENSKUS, Stammesadel 1976, 539 ff. bzw. 425 ff. Sie gehörte derselben Familie an, wie schon Hildegard, Gemahlin Karls des Großen, ebenda 432 f.

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zugeführt.174 Um seine Herrschaft erhalten bzw. durchsetzen zu können, brauchte er aber vermutlich die Hilfe einer der ersten adeligen Familien,175 die er in den Bosoniden,176 der Familie seiner zweiten Frau Theutberga, der Tochter Hukberts, fand.177 Die Familie Theutbergas war auch in Italien, dem Reich seines Bruders, einflussreich. Nachdem aber im Herbst 856 das Reich Lothars I. doch nach der Nachfolgeregelung Lothars geteilt wurde, nämlich Ludwig Italien erhielt, war die der Eheverbindung zugrundeliegende Strategie hinfällig, und bald darauf versuchte Lothar II. sich seiner Frau durch Scheidung zu entledigen.178 Sein Verhältnis zu Waldrada konnte er aber Zeit seines Lebens nicht legalisieren, weil es ihm nicht möglich war, sich von Theutberga zu trennen, die breite Unterstützung in kirchlichen Kreisen und unter den Großen fand.179 Übrigens trat Lothar vermutlich 859 den Herrschaftsraum Hukberts in Gänze an seinen Bruder Ludwig ab, womit er sich eines einflussreichen Großen entledigte, der nun auch zu seinem Gegner geworden war.180 Kaiser Ludwig II. ging bald nach seiner Kaisererhebung und Bestellung zum Nachfolger Kaiser Lothars vermutlich im Jahr 851 eine Verbindung mit Angilberga ein,181 deren Familie in Italien nicht unbedeutend war.182 Anders als die anderen karolingischen Könige nach Ludwig dem Frommen scheint Ludwig jedoch nicht „über seine Verhältnisse“ geheiratet zu haben, indem er eben nicht versuchte, sich mit einer Adelsfamilie zu verbinden, die über die Heirat seine Handlungsfähigkeit

174 KASTEN, Königssöhne 1997, 391 unter Verweis auf Regino von Prüm, Chronicon 864. Vgl. BÖHRINGER in: Hinkmar von Reims, De divortio 1992, 7, die die Ehe mit Waldrada als „Friedelehe“ ansieht, aber ebenfalls die Deutung der Ehe als Konkubinat ablehnt. 175 So auch BÖHRINGER in: Hinkmar von Reims, De divortio 1992, 5. 176 Vgl. RICHARD, s.v. Bosoniden, LMA 2 (1983), 479 f. 177 SCHNEIDMÜLLER, s.v. Theutberga, LMA 8 (1997), 689. Sie war die Schwester Hukberts, Laienabtes von St. Maurice d’Agaune, und Tante König Bosos von Vienne. Die Eheschließung fand im November 855 statt, ebenda. Bald erhielt auch Hukbert die Abtswürde von St. Maurice, die er 857 bereits innehatte (nach einem Brief Papst Benedikts III., MGH Epp. V, 613), und wurde wohl auch über seine Abtswürde hinaus von Lothar gefördert, ZUFFEREY, Saint-Maurice d’Agaune 1988, 54 f. unter Bezug auf Regino von Prüm, Chronicon 859 (relativierend BÖHRINGER in Hinkmar von Reims, De divortio 1992, 6). Hukbert war es auch, der Lothar II. Theutberga zuführte, BÖHRINGER in: Hinkmar von Reims, De Divortio 1992, 5. 178 So BÖHRINGER in: Hinkmar von Reims, De divortio 1992, 6. 179 BÖHRINGER in: Hinkmar von Reims, De divortio 1992, 7. – S. zum Ehestreit mit dem Blick auf die beiden Frauen HARTMANN, Königin 2009, 127–131. 180 Die Diözesen Genf, Lausanne und Sion (Sitten), Ann. Bert. 859: „id est Genuvam, Lausonnam et Sedunum civitates, cum episcopatibus, monasteriis et comitatibus, praeter hospitale quod est in monte Iovis et Pipincensem comitatum.“ – Vgl. BÖHRINGER in: Hinkmar von Reims, De divortio 1992, 9 und ZUFFEREY, Saint-Maurice d’Agaune 1988, 55. 181 KONECNY, Frauen 1976, 119 f. Zu den Umständen der Verbindung s. HARTMANN, Königin 2009, 122. 182 HARTMANN, Königin 2009, 122; s. auch KONECNY, Frauen 1976, 121 nach HLAWITSCHKA, Franken 1960, 299 ff. – Vgl. zur genauen Verwandtschaft Angilbergas mit den Supponiden HLAWITSCHKA, Franken 1960, 306.

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hätte einschränken können. Die Supponiden verdankten ihren Aufstieg unter die ersten Familien Italiens wohl seiner Förderung.183 Ludwig verstand es, die Großen über ein „consiliarius-System“ zu kontrollieren. Zu den consiliarii Ludwigs gehörten Angehörige von Familien zweiten und dritten Ranges, mit deren Hilfe es ihm gelang, sein Reich zu regieren ohne in größere Abhängigkeit von den Großen zu geraten.184 Das setzt aber voraus, dass die Herrschaftsstruktur Italiens weit weniger von wenigen großen Familien bestimmt war, als dies in anderen Reichsteilen der Fall war.185 Die besondere Stellung Angilbergas186 resultiert denn auch aus einer Vertreterschaft, die sie für die vermutlich breite Schicht von Familien zweiten Ranges in Italien ausübte, also für Familien, die nicht unmittelbar und allein die Geschicke des Reiches maßgeblich mitbestimmen konnten. Sie steht seit etwa 866 als „consors imperii“ an der Seite ihres Mannes.187 Zwischenzeitlich ehelichte Ludwig, vermutlich um sich der Zustimmung Großer gegen Benevent zu versichern, die Tochter des Winigis, eines Gegners der Supponiden.188 Es wurde vermutet, dass Angilberga aus ihrer starken Position als Mitherrscherin heraus ihre eigene Familie eigenmächtig und über das der Herrscherfamilie Zuträgliche hinaus förderte.189 Jedenfalls erlangte Angilberga ihre alte Stellung zurück oder behielt sie gar. Sie erscheint auch fortan in der Regierung neben dem Kaiser.190 Eine herausgehobene Stellung konnte sie weitgehend auch nach dem Tod ihres Mannes behaupten, obwohl die Ehe kinderlos geblieben war.191 Die Unabhängigkeit ihrer Stellung von ihrer Funktion innerhalb der Herrscherfamilie – sie hatte keinen Sohn – erlaubt, sie als Sachwalterin einer ausgedehnten Adelsgruppe zu sehen, die zu übergehen der Herrschaft Ludwigs sehr geschadet hätte. Hätte sie nur für ihre Familie gehandelt, ist anzunehmen, dass

183 KONECNY, Frauen 1976, 121. KASTEN, Königssöhne 1997, 411 bemerkt nach KELLER, Königsherrschaft 1967, 141 ff., dass die Supponiden nicht zu den großen Amtsträgern des italischen Reiches gehörten (bes. ebenda 144 f.). 184 KASTEN, Königssöhne 1997, 411 f. nach KELLER, Königsherrschaft 1966, 153. – Zur Familie und ihrer Bedeutung s. nun BOUGARD, Supponides 2006. 185 Zumindest kamen die „Regenten“ der karolingischen Unterkönige in Italien aus der Francia und auch spätere consiliarii kamen meist aus dem Frankenreich und nahmen dennoch eine bedeutende Stellung in der Regierung Italiens ein (KELLER, Königsherrschaft 1967, 146 ff.). 186 Zu ihrer Stellung vgl. mit Belegen KONECNY, Frauen 1976, 121. Sie vermittelte z. B. in Vertretung ihres Mannes im Ehestreit Lothars II. (von PÖLNITZ-KEHR, Angilberga 1940, 434). 187 So z. B. DLudowici II. 45 (bald nach dem 17. Mai 866) und 46 (Capua, verm. 866); DELOGU, Consors regni 1964, 93 f. – Vgl. auch von PÖLNITZ-KEHR, Angilberga 1940, 435. 188 KONECNY, Frauen 1976, 122 f. Der Autor der Ann. Bert. 872 sieht als Grund für die Ehe den Hass der Großen Italiens auf Angilberga. 189 KONECNY, Frauen 1976, 123. 190 KONECNY, Frauen 1976, 124. Sie führte zeitweilig die Regierungsgeschäfte im Süden des Reiches, ebenda. 191 KONECNY, Frauen 1976, 124 f. Vgl. POCHETTINO, Angilberga 1921, 100 ff. und STAFFORD, Queens 1983, 136.

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spätestens nach dem Tod Ludwigs ein anderes – männliches – Familienmitglied an ihrer Stelle besonders hervorgetreten wäre. Nur die Einigkeit weiter Teile des Adels konnte ihr – wie auch Ludwig – bzw. ihnen gemeinsam erlauben, ohne die Mitherrschaft weniger Großer weitgehend unabhängig die Herrschaft im Reich auszuüben. Karl der Kahle trug rechtzeitig dafür Sorge, dass nicht eine zu große Zahl von Söhnen die Großen ermutigte, über die Söhne das Königtum der Familie zu stören und zu schwächen, indem er nämlich zwei seiner vier Söhne zu Klerikern bestimmte. Karl, Sohn Karls des Kahlen, seit 855 König von Aquitanien, dies bereits auf Wunsch der aquitanischen Großen,192 die ihn dann auch wieder verließen, heiratete im Jahr 862 gegen den Willen des Vaters auf Rat eines gewissen Stephan die Witwe des Grafen Humbert. Die Ehe war gegen den Vater Karls gerichtet und bedeutete mehr oder weniger offenen Aufstand gegen die Herrschaft des Vaters.193 Der andere nachfolgeberechtigte Sohn Karls des Kahlen, Ludwig, nahm gegen den Willen des Vaters die Tochter des verstorbenen Grafen Harduin,194 der vermutlich der Familie der Robertiner angehörte.195 Ludwig unterwarf sich noch im selbem Jahr dem Vater.196 Um 875 heiratete er dann Adelheid, die der mächtigen Familie der Adalharde angehörte,197 womit auch Ludwig der Stammler „über seine Verhältnisse“ geheiratet haben wird, was aber im Westfrankenreich mittlerweile nicht mehr zu vermeiden war, da die karolingische Königsherrschaft ohne die Hilfe starker Verbündeter wohl kaum noch aufrechtzuerhalten gewesen wäre. Ebenfalls gegen den Willen des Vaters heiratete Karlmann, ältester Sohn Ludwigs des Deutschen, nämlich vermutlich im Jahr 861 die Tochter des Herzogs Ernst.198 Noch im selben Jahr verlor Karlmanns Schwiegervater wegen Untreue sein Amt und seine Amtsgüter.199 Auch in diesem Fall verband sich der Königssohn mit einer Familie, deren Einfluss er sich nicht verschließen konnte.200 Solange er aber ein aufstrebender Königssohn blieb, war damit sein eigener Einfluss auf die Herrschaft der eigenen Familie sehr groß, so groß, dass er zeitweilig mit Zustimmung des Vaters sich die Grafen unterordnen konnte.201

192 Ann. Bert. 855. 193 Ann. Bert. 862. Vgl. knapp KASTEN, Königssöhne 1997, 434. 194 Ann. Bert. 862. Vgl. KASTEN, Königssöhne 1997, 449; BECHER, Arnulf 2008. 195 KONECNY, Frauen 1976, 142 f. 196 KASTEN, Königssöhne 1997, 449. 197 KONECNY, Frauen 1976, 143. 198 KASTEN, Königssöhne 1997, 507. 199 KASTEN, Königssöhne 1997, 509 f., die auch den Zusammenhang mit dem Aufstand Karlmanns hervorhebt, es aber ebenda 510 auch für möglich hält, dass erst nach der Amtsenthebung des Präfekten Ernst Karlmann als „Rebell“ betrachtet worden sein könnte. 200 Herzog Ernst war bayerischer Präfekt, KASTEN, Königssöhne 1997, 507. 201 KASTEN, Königssöhne 1997, 512.

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Später nahm er möglicherweise Liutswind zur Frau, die zur Familie der Liutpoldinger gehört haben könnte, wenn nicht Liutswind der Name der Tochter des Grafen Ernst gewesen sein sollte.202 Karlmanns Bruder Ludwig war zunächst – gegen den Willen des Vaters – verlobt mit einer Tochter des Adalhard.203 Diese Verbindung fand aber wohl ihr Ende, als Ludwig sich mit seinem Vater versöhnte.204 Auch die Verbindung Ludwigs mit Liutgard, der Tochter des sächsischen Grafen Liudolf, war wohl durchaus gegen den Vater Ludwigs, Ludwig den Deutschen, gerichtet, wie die Erhebung Ludwigs und seines Bruders Karls des Dicken gegen den Vater und die Stellung Karlmanns im Jahr 871.205 Karl der Dicke heiratete zu Lebzeiten des Vaters und auf dessen Anweisung hin eine Tochter des Erchangar, dessen Familie wohl im Ehestreit Lothars II. eine bedeutende Rolle gespielt hatte,206 vermutlich handelte es sich bei ihr um Richgard,207 von der er sich bald zu trennen versuchte, um seinen Sohn Bernhard aus einer früheren Verbindung zu legitimieren.208 Anzunehmen ist, dass Ludwig der Deutsche bei der Verheiratung Karls des Dicken darauf geachtet haben wird, dass die Familie, mit der sich der Sohn verband, keine Gefahr für die Herrschaft des Vaters darstellen würde. Anders verhielt sich das bei den notorisch aufständischen und vermutlich leicht verführbaren Söhnen Karlmann und Ludwig, deren Ehen geradezu auf den persönlichen Machtgewinn gerichtet waren. Das bedeutete zugleich eine Steigerung ihrer Stellung innerhalb der Herrscherfamilie und eine Schwächung der Familie im Ganzen. Die Stellung der Königin hing entscheidend davon ab, welcher Familie sie entstammte, darüber hinaus davon, ob und wieviele nachfolgefähige Söhne sie hatte.209 Außerdem wird ihre politische Begabung ebenso wie ihre persönliche Beziehung zum König eine Rolle gespielt haben, deren Bedeutung man aber nicht überschätzen sollte. Basis der relativen und unterschiedlich ausgeprägten Mit-Herrschaft der Königin war neben ihrer Nähe zum Herrscher ihre Aufgabe als Hausherrin. Im königlichen Haus verfügte sie über die nötigen Verbindungen,210 die sie je nach ihrem politisch-

202 KONECNY, Frauen 1976, 139, die aber erwägt, ob Karlmann möglicherweise keine zweite Ehe eingegangen sein könnte, sondern es sich um dieselbe Frau handeln könnte, wenn nämlich Liutswind zu den Sighardingern gehörte. 203 Ann. Bert. 865. 204 Ebenda und KONECNY, Frauen 1976, 140. 205 KASTEN, Königssöhne 1997, 526. 206 KONECNY, Frauen 1976, 141. 207 Davon geht z. B. HLAWITSCHKA, Nachfolgeprojekte 1978, 19 aus. 208 Ann. Bert. 862; KONECNY, Frauen 1976, 141 f., die aber Richgard und die Tochter des Grafen Erchangar für zwei verschiedene Personen hält, mithin die Tochter des Grafen Erchangar für die Mutter Bernhards. – Anders KASTEN, Königssöhne 1997, 512. Vgl. ausführlich zu den Trennungsabsichten und den Versuchen, einen Nachfolger zu designieren, HLAWITSCHKA, Nachfolgeprojekte 1978. 209 STAFFORD, Queens 1983, 152. 210 WARD, Caesar’s Wife 1990, 206 f.; vgl. ausführlich unter Bezug auf Hinkmars De ordine palatii STAFFORD, Queens 1983, 99 ff.

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herrschaftlichem Hintergrund, nämlich ihrer eigenen Familie, der Existenz nachfolgefähiger Söhne und ihrer persönlichen Stellung zum König, nutzen konnte. Plektrud, die Gattin Pippins des Älteren verfügte über eine solche Stellung, dass sie nach dem Tod Pippins die Fäden der Herrschaft der Familie an der Stelle ihres Mannes in ihren Händen behalten konnte.211 Sie war die Verbindungsstelle zwischen ihrem Enkel Theodoald, der das Amt des Hausmeiers verwaltete,212 ihrem Enkel Arnulf, der die Aufgabe des Herzogs wahrnahm, und auf der anderen Seite zu den Großen,213 als deren Sachwalterin sie selbst einmal in die herrscherliche Familie gekommen war. Auch Swanahild, die zweite Frau Karl Martells, war mit der Volljährigkeit214 ihres Sohnes Grifo in der Lage, „zeitweilig und partiell“ ihrem Mann die Herrschaft zu entziehen.215 Die Stellung der Kaiserin Judith ist hinlänglich beschrieben worden, wird aber einmal mehr illustriert, wenn ihr Bücher gewidmet216 und wenn Bitten an sie gerichtet werden.217 Ihre Stellung kann die Königin bei entsprechender persönlicher bzw. eigener familiärer Grundlage ausweiten bis zur Stellvertretung, die in deutlichster Form Angilberga für Kaiser Ludwig II. ausübte. Die Gegner der Königin beschuldigten in vielen Fällen denn auch sie, die Frau des Herrschers, schlechten Einfluss auszuüben, was in karolingischer Zeit zum Topos wird.218 Bei näherem Hinsehen wird das den karolingischen Eheverbindungen zugrunde liegende Prinzip deutlich:219 Anders als die Merowinger heirateten die Karolinger bevorzugt Töchter von fränkischen Großen.220 Für die Erlangung reichsweiter

211 ERKENS, Teilungspraxis 1996, 464 f. 212 Zu Theudoald vgl. COLLINS, Deception 1994, 229 ff. 213 Zu der Konstruktion vgl. SCHIEFFER, Karolinger 1992, 36. 214 Vgl. Grundsätzlich zu Fragen der Mündigkeit im früheren Mittelalter OFFERGELD, Reges pueri 2001, 10 ff. 215 KASTEN, Königssöhne 1997, 114 f. S. auch JAHN, Ducatus Baiuvariorum 1991, 174 f. S. hierzu die Beobachtungen von NONN, Nachfolge Karl Martells 2004, 66 f., nach denen es Ende 740/Anfang 741 zu einem „politischen Umschwung“ gekommen sein muss, dessen Nutznießer die Familie Swanahilds und damit auch ihr Sohn Grifo waren. – S. zur Rolle Swanahilds für das Regierungshandeln auch BECHER, Nachfolge Karl Martells 2003, 121. 216 Z. B. der zweite Teil der Chronik des Frechulf von Lisieux (MGH, Epp V, 319 f.) und die Kommentare zu den biblischen Büchern Judith und Esther des Hrabanus Maurus (MGH Epp V, 420 f.). – Zu Frechulf vgl. DEPREUX, Prosopographie 1997, 197 f. 217 Frotharius von Toul an Judith (MGH Epp. V, 295 f.) und auch die Kirchenversammlung von Sens, 828 (MGH, Epp. V, 286 f.). 218 Für Judith gilt das ganz besonders, aber z. B. auch für Fastrada (Einhard, Vita Caroli, cap. 20) und Liutberga, die Frau des Bayernherzogs Tassilo (ARF 788). Vgl. zu den negativen Qualifizierungen Swanahilds, der Stiefmutter Pippins des Jüngeren, durch die offiziöse Geschichtsschreibung NONN, Nachfolge Karl Martells 2004, 66 f. 219 HEIDRICH, Plectrud 1988, 18, die die politische Rolle der Frauen karolingischer Herrscher bis zu Karl dem Großen untersucht hat, kommt zu dem Schluss, dass es „kein einheitliches Gesamtbild“ gebe, „dessen Einzelbezüge jeder Verallgemeinerung widerstreb(t)en“. 220 Zu dem Prinzip „der Verbindung mit einer Angehörigen des regionalen Adels“ s. HARTMANN, Königin 2009, 143.

2.4 Der Adel und die Königin

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Vorherrschaft war es geboten, sich mit einer Familie zu verbinden, die reichsweit nicht zu den ersten Familien zu rechnen ist, aber in der Lage ist, die Hilfe weiterer Großer zu mobilisieren (so im Falle Plektruds). Ähnlich verhält es sich, wenn die Herrschaft stabilisiert werden soll, also ein breiter und dauerhafter Konsens unter den Großen hergestellt werden soll (das ist der Fall bei Bertrada). Sobald das Erreichte einigermaßen gesichert ist, muss der Herrscher zusehen, dass er die vorhandenen Bindungen nicht zerstört und keine weiteren Verpflichtungen eingeht (dazu beispielhaft Chalpaida und Liutgard). Gelegentlich kann es dann dennoch sinnvoll sein, sich neuer Hilfe zu versichern, die aber nicht zu einer zu großen Belastung werden darf, wie etwa die Verbindung mit einer Herzogsfamilie am Rand des fränkischen Reiches, etwa mit der bayerischen (Swanahild). Sehr günstig für die Zukunft der Familie kann es sein, wenn der Herrscher noch zu Lebzeiten seines Vaters verheiratet wurde, wobei in aller Regel entweder die Frau der Bedeutung des noch nicht (allein) regierenden Sohnes angemessen ausgewählt wurde (Himiltrud, ähnlich auch Chrodtrud und Angilberga, der Möglichkeit nach auch Waldrada, Frau Lothars II.) oder aber sie aus einem Teilreich stammte, das nicht zu dem Herrschaftsgebiet des Sohnes gehörte (Irmingard, Frau Ludwigs des Frommen, vermutlich auch Richgard, Frau Karls des Dicken). Bis zur ersten Ehe Ludwigs des Frommen, die er noch zu Lebzeiten Karls des Großen eingegangen war, lässt sich das erfolgreiche Prinzip, nach dem sich die Herrscher über die Wahl der Ehefrau mit dem Adel verbanden, verfolgen. Es sind zwar viele verschiedene Herrschaftssituationen, zu denen jeweils die passende Frau ausgewählt wurde, und manchmal rechtfertigte sich die Wahl der Frau auch erst im nachhinein (wie etwa bei Karl Martell und Chrodtrud), das Prinzip aber, größtmöglichen Nutzen für die Herrschaft der Familie des Herrschers bei möglichst geringer Verpflichtung gegenüber einzelnen großen Familien zu erreichen, lässt sich festhalten, wie auch die Regel, dass sich niemals die herrscherliche Familie auf diese Weise mit einer der ersten Familien des Gesamtreiches verbinden sollte. Diese Grundregel für das Heiraten der herrscherlichen Familie wurde nach dem Tod Karls des Großen zunehmend weniger beachtet, vermutlich aber weniger aus Unkenntnis des erfolgreichen Prinzips bis hin zu Karl dem Großen, als aus Notwendigkeit zum Erhalt der persönlichen Herrschaft im Reich. Die Verbindung Ludwigs des Frommen mit der Familie Judiths wird im Jahr 819 noch angemessen – wenn auch nicht vorsichtig – gewesen sein. Mit dem Eintreten einer Verringerung der an den Adel verteilbaren Ressourcen, nämlich der Beendigung der Eroberungen, und dem Ende der vermutlich länger als ein halbes Jahrhundert währenden Aufbruchsstimmung, begann sich der Abstand des Königtums von den Großen zu verringern. Der Erhalt der Ordnung und vor allem der inneren Sicherheit – auch Rechtssicherheit – wurde seit der Regierung Ludwigs des Frommen immer schwieriger. Dazu brauchte der Herrscher Hilfe, die seine persönliche Stellung verbesserte (so am Beispiel Theutbergas, der zweiten Frau Lothars II.). Daher wurde bereits die Familie Judiths über die Maßen gefördert, was zur

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2 Die Aufgabe der einzelnen Teile der Herrscherfamilie

Konsequenz hatte, dass für eine kurzfristige Stärkung der königlichen Macht alte und dauerhafte Bindungen zu Gunsten einer neuen Partei aufgegeben wurden und damit die Stellung des Königtums schweren Schaden erlitt. Das System, das die Stellung der Karolinger und ihres Königtums über mehrere Generationen hinweg garantiert hatte, führte nun zu einer fortschreitenden Verschlechterung der Stellung des Königtums, indem nämlich zuerst einzelne Große und bald auch die Großen insgesamt über die Maßen von diesem System profitierten, das ja immer schon ein System der Gegenseitigkeit gewesen war. Die Herrscher heirateten weit über ihre Verhältnisse (Beispiele sind Hemma, Frau Ludwigs des Deutschen und Irmintrud, Frau Karls des Kahlen), förderten so einzelne Adelsfamilien, die dann in der Lage waren, über das Königtum der Karolinger ihre Interessen zu vertreten (Judith). Die Folge war neben dem direkten Schaden für die Stellung der Karolinger eine Zerstörung des Gleichgewichts unter den Großen und eine Störung der Ordnung im Adel insgesamt, die nicht ohne Rückwirkungen auf das Königtum blieb. Besonders schädlich für die herrschende Familie waren die gegen den Willen des Vaters und Königs gerichteten Ehen der Söhne, die sich mit Frauen der ersten Familien des väterlichen Reiches verbanden. (Vor-) Letzte Konsequenz dieser Entwicklung waren die sich häufenden Aufstände der Söhne gegen ihre Väter, die, ausgelöst durch Verlockungen der Großen und persönlichen Ehrgeiz, vor allem die Herrschaft ihrer eigenen königlichen Familie auf Dauer schädigten. Das einleitende Zitat des Sedulius Scottus ist also zu ergänzen um eine Angabe über den Ursprung der Stellung der herrscherlichen Gattin. Dann würde auch deutlich werden, dass ihre Stellung in der Familie als eigenständig und erst in zweiter Hinsicht auch als abhängig zu verstehen ist. Eigenständig ist ihre Stellung als „Schnittstelle“ zu Teilen des Adels und als „repertrix prudentium consiliorum“221 bzw. Ratgeberin aus eigener Kompetenz. Abhängig ist ihre Stellung lediglich vom – auch von ihr mitbestimmten – Gesamtwillen der herrscherlichen Familie. Nicht nur Söhne und Frauen karolingischer Herrscher übrigens vermitteln die Herrschaft der Familie, sondern auch die Töchter, wobei es mitunter geraten sein kann, die Töchter eben nicht zu verheiraten, sondern – wie Karl der Große dies tat – am Hof zu behalten222 bzw. in Klöstern unterzubringen.223 Auch für die Töchter

221 Sedulius Scottus, Liber de rectoribus christianis, cap. 5, ed. Hellmann, S. 35 (ed. Dyson, S. 78). 222 SCHIEFFER, Töchter 1993, 127 begründet das mit dem sinnvollen Bestreben, „zu den führenden Familien des fränkischen Adels gleichen Abstand zu wahren“. 223 Ludwig der Deutsche ließ seine Töchter zu Vorsteherinnen von Frauenklöstern werden (SCHIEFFER, Töchter 1993, 127 f.), Karl der Kahle vermied Ehen seiner Töchter nach Möglichkeit und ließ sie ebenfalls z. T. Äbtissinnen werden (SCHIEFFER, Töchter 1993, 130 f.), womit sie eine gewisse Rolle für die Herrschaftssicherung der Familie übernehmen konnten. – S. zu diesem Verfahren im Ostfrankenreich DEUTINGER, Königsherrschaft 2006, 286 f. – Zur Nichtverheiratung der Töchter Karls des Großen aus eben dem Grund, „Einflussnahme von potentiellen Schwiegersöhnen“ zu „vermeiden“, HARTMANN, Königin 2009, 191. – Vgl. zu den Töchtern Karls auch die kurze Darstellung von HARTMANN, Karl der Große 2010, 65–69.

2.4 Der Adel und die Königin

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des Herrschers gilt die Ambivalenz von „herrschen und beherrscht werden“. Die Verheiratung der Töchter führt im Prinzip ebenso zu Verpflichtungen wie die Ehen des Herrschers und seiner Söhne.224 Aus der Analyse der herrscherlichen Familie ergeben sich die folgenden Beobachtungen: Die Herrschaft der karolingschen Familie beruht zu einem Teil auf der Vermittlung von Herrschaft der Großen an die herrscherliche Familie durch Söhne, Ehefrauen und auch Töchter. Die Großen – unter ihnen nicht nur die weltlichen Großen – haben somit Teil an der Herrschaft der Familie, seit 751/754 am Königtum, ohne selbst besonders hervorzutreten. Die Teile der karolingischen Familie sammeln auf diese Weise Herrschaft, die sie an das Haupt der Familie weitergeben. Der Herrscher als Familienvater handelt im Namen der Familie, und diese im Namen der Großen. Die Großen, die auf die beschriebene Weise teilhaftig werden an der Herrschaft der Familie, profitieren von diesem System, zu dessen Nutzen sie Herrschaftsrechte abgegeben haben bzw. ständig abgeben, durch den so gesicherten inneren Frieden. Wichtig ist aber fürs erste festzuhalten, dass die Teile der herrscherlichen Familie nicht nur Beherrschte sind, sondern selbst auch über Herrschaft verfügen. Auf der anderen Seite nehmen sie für die Familie auch Funktionen wahr in der Herrschaftsausübung, als Unter- bzw. Teilkönige, als Leiterin des königlichen Hauses, gegebenenfalls als Vertreterin des Familienoberhauptes, als Vermittlerin oder als Äbtissin.

224 Das betont SCHIEFFER, Töchter 1993, 126 f. Ludwig der Fromme setzte die Verheiratung seiner Töchter durchaus mit Erfolg als politisches Mittel ein (SCHIEFFER, Töchter 1993, 128 f.). Wie sich diese Politik auf Dauer auswirkte, ist fraglich; dass seine Söhne dieser Gepflogenheit nicht übernahmen, könnte darauf hindeuten, dass zu ihrer Zeit bereits Nachteile erkennbar geworden waren.

3 Institutionalisierte familiäre Bindungen 3.1 Brüdergemeine Als Begriff aus dem vermeintlich germanischen Erbrecht bezeichnet Brüdergemeine die gemeinsame Geschäftsführung der Söhne im Erbfall.1 Da bei der Herrschaftsnachfolge eine solche gemeinsame Geschäftsführung nur schwer aufrechtzuerhalten ist, schon zu merowingischer Zeit nach damit verbundenen Reichsteilungen sich Gefolgschaftsverbände mit ihren Häuptern, den königlichen Brüdern, gegenüberstanden, die zudem räumlich getrennt waren, konnte eigentlich schon zu merowingischer Zeit nicht wirklich von gemeinsamer Geschäftsführung gesprochen werden. Ein wegen der Gleichrangigkeit der Herrschaftsträger naheliegender Vergleich mit dem altrömischen Konsulat, der ja auch die Aufteilung der Geschäftsführung beinhaltete, scheitert an der geringen institutionellen Sicherung der Brüdergemeine und vielleicht noch mehr an der Tatsache, dass das Frankenreich keine mit Rom vergleichbare Zentrale kannte. Verselbständigungen der Herrschaft der Teilreiche finden zwangsläufig und notwendigerweise statt.2 Da die Karolinger, anders als die Merowinger, die Trennung von Erbe und Nachfolge praktizieren, kann die Brüdergemeine der Karolinger nurmehr als Ableitung vom erbrechtlichen Prinzip der gemeinsamen Geschäftsführung der Söhne verstanden werden. Faktisch gibt es bei den Karolingern in der Herrschaftsnachfolge die Brüdergemeine nur im Hinblick auf die (übergeordnete) Einheit des Frankenreiches.3 Bereits beim Tod Pippins ist sie nur als Fiktion zum Erhalt des regnum Francorum aufzufassen.4 Wenn die Möglichkeit besteht, einen Erben von der Herrschaftsnachfolge auszuschließen, warum sollte das im Prinzip nicht auch mit einem weiteren Erben möglich

1 OGRIS, Brüdergemeinschaft 1971 sieht nur die Söhne als Erbengemeinschaft, nicht jedoch die Beteiligung der Töchter am Eigentum der Familie, was aber angenommen werden muss, da sie später als Individualerben auftreten. Daraus erklärt sich die hier vorgenommene Trennung von Eigentümer und „Geschäftsführer“. 2 Vgl. zur Einrichtung von Geschäftsbereichen schon zur Zeit der Merowinger den Vertrag von Andelot, Gregor von Tours, libri historiarum IX, 20. 3 Der gemeinsame Feldzug Karlmanns und Pippins im Jahr 742 („congregato exercito“) und eine weitere gemeinsame Aktion gegen eine Rebellion (Continuatio Fredegarii 25 und 26) zeigen schon, dass die beiden Herrscher sich zu diesem Zweck erst vereinen müssen, nicht aber aus einer brüderlichen Einheit heraus handeln. 4 Deutlich wird das in der idealisierten Darstellung der Nachfolgeregelung Pippins durch Hinkmar von Reims, Ad Ludowicum Balbum regem, MPL 125, 983–990, 985, „[Pippinus] disposuit, qualiter post eum filii sui Carlomannus et Carolus, qui cum eo erant, regnum ejus pacifice gubernarent.“ Die beiden Pippin in der Herrschaft nachfolgenden Söhne haben getrennte Reiche – nicht bloß getrennte Aufgabenbereiche – und unterschiedene Verpflichtungen unterschiedlichen Großen gegenüber. https://doi.org/10.1515/9783110641936-005

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3 Institutionalisierte familiäre Bindungen

sein? Der Ausschluss illegitimer Söhne von der Nachfolge zerstörte das auf der fraternitas der Brüder beruhende Gleichgewicht und führte zu einer Rangordnung unter den Nachfolgern. Die Idee der fraternitas fratrum hatte aber auch losgelöst von dem vermeintlich germanischen Prinzip der Brüdergemeine ihre Funktion für die herrscherliche Familie und für den Erhalt der Einheit des regnum Francorum. Mit Übernahme der kirchlich vermittelten Einheitsidee und der schrittweisen Umwandlung des regnum als Gesamtreich in ein römisch-rechtlich-kirchlich definierbares Imperium vor allem durch Karl den Großen wurde der Gedanke der Brüdergemeine nach dem Ausschluss illegitimer Söhne von der Nachfolge zu einem mit den neuen Legitimationsstrategien konkurrierenden Prinzip in der Nachfolgeregelung. Er vertrug sich eben nicht mit der Forderung nach Kongruenz von Himmel und Erde in der Herrschaftsform. Andererseits war die Erbschaft zur gesamten Hand in der Familie der Karolinger nach wie vor – inzwischen wohl als Teilung des Erbes unter alle Nachkommen (wohl auch die weiblichen) – üblich.5 Aus Sicht der durch die streng monarchische Nachfolgeregelung benachteiligten weiteren Königssöhne musste die Brüdergemeine bestehen bleiben. Da auch die Großen weiterhin die Nähe zu einzelnen Königssöhnen suchten, trugen sie zum Erhalt des Prinzips der Reichsteilungen als Nachfolgeregelung bei und somit zum Erhalt der Fiktion von der Brüdergemeine. Sehr bald wurde die Brüdergemeinschaft auch nicht mehr theoretisch als gemeinsame Geschäftsführung verstanden, sondern als Verbindung der einzelnen regna, die in ihrer Gesamtheit dem (Gesamt-) regnum angehörten,6 mithin der ecclesia, die wiederum als politischer Begriff für das Gesamtreich fungieren konnte.7 Deutlich wird das auch in der karolingischen Terminologie zur Beschreibung des Verhältnisses unter den Brüdern, die immer mehr zu Sachwaltern ihrer Teilreiche wurden und

5 So zumindest im Testament Karls des Großen, überliefert von Einhard, Vita Caroli 33. 6 Zu dieser Konstruktion s. ANTON, Konzept karolingischer Synoden [1979] 2002, [89 f.] 211 f. und [122] 242. Vgl. zu Diedenhofen und einer Konstruktion der Zusammenarbeit der regna mit dem Zweck der politischen Stabilität APSNER, Vertrag und Konsens 2006, 158. 7 Z. B. Synode von Metz, 28. Mai – 4. Juni 859, MGH, Conc. III, ed. Hartmann, Nr. 45, 442, Z. 2 f.: „[. . .] ecclesia dei, quae in suo regno [Hludowico] ac regnis nostrorum principum una est, sicut et unum sacerdotium [. . .]“, auch in MGH Cap. II, 444, Z. 31 f. Vgl. dazu ANTON, Konzept karolingischer Synoden [1979] 2002, [122] 241 f., der ebenda [123] 242 f. darlegt, dass „pax und caritas der Könige untereinander“ der ecclesia dienen. – Vgl. zum ecclesia-Konzept der Forschung etwa ANTON, Konzept karolingischer Synoden [1979] 2002, [117] 237 zu einem Abkommen Ludwigs des Deutschen und Karls des Kahlen vom 19. Februar 865 in Tusey (MGH Cap. II,1, Nr. 244): „Eine ecclesia, ein regnum, ein populus, eine christianitas stehen begrifflich nebeneinander und sind dabei den Königen anvertraut.“ Bereits zur Synode von Yütz vom Oktober 844 (MGH, Conc. III, ed. Hartmann, Nr. 6) sieht ANTON, Konzept karolingischer Synoden [1979] 2002, [94 f.] 215 f. ein Auseinanderfallen der begrifflichen Entsprechung von ecclesia und imperium bzw. regnum, wobei er feststellt, dass das Gesamtreich und der populus nach wie vor der ecclesia entsprächen. – Vgl. dazu auch ANTON, Konzept karolingischer Synoden [1979] 2002, [87 f.] 209 f. MITTEIS, Verdun 1943, 82 weist daraufhin, dass sich auch noch nach Verdun (843) und Diedenhofen die Teilherrscher als gemeinsame Herrscher des Gesamtreiches sahen.

3.1 Brüdergemeine

111

immer weniger als Angehörige ihrer Familie handelten: „Caritas“ dient dann zur Beschreibung des brüderlichen Verhältnisses,8 das selbst in einem „neuen“ Rechtsinstitut zur „fraternitas“ wird.9 Die brüderliche Beziehung wird nicht mehr eigentlich als genuin familiäre Beziehung aufgefasst, sondern als Beziehung von Brüdern in Christo.10 Der neue Gedanke von der Brüdergemeine unter christlichem Vorzeichen diente dem Erhalt der Einheit des Reiches und vor allem der Kirche.11 Karls des Großen Bestimmung in der Divisio regnorum von 806, dass die Brüder die Verteidigung der Kirche Petri gemeinsam übernehmen sollten,12 diente neben ihrer Funktion für den Zusammenhalt der Familie bereits dem Erhalt des Gesamtreiches, da ja über den Fortbestand des Kaisertums in der Divisio regnorum keine klare Aussage getroffen wurde. Wenn schon 806 über eine vermutlich erbrechtliche Bestimmung eine „nachfolgerechtliche“ Absicht verfolgt wurde, so ist die Wiederkehr dieser Bestimmung in der Nachfolgeordnung von 831 sicherlich keine Frage des Erbrechts mehr, sondern hat allein die Aufgabe, das Gesamtreich zu bewahren, das begrifflich an die eine Kirche gebunden war.13 Im Jahr 817 hatte Ludwig der Fromme, da die Frage der Nachfolge im Kaisertum entschieden worden war, in der Ordinatio imperii den Schutz der Kirche allgemein zur Aufgabe der Söhne erklärt.14 Neben der fraternitas der Brüder, die als fortbestehend angenommen wurde,15 konnten einzelne Brüder auch separate Einungen eingehen,16 die man dann als besondere amicitia-Verhältnisse auffassen muss.17 Wenn in einer solchen Einung zweier Brüder der Dritte aufgefordert wird bzw. es ihm erlaubt wird, dieser Verbindung unter

8 Vgl. dazu grundlegend SCHNEIDER, Brüdergemeine 1964 passim. 9 ANTON, Konzept karolingischer Synoden [1979] 2002, [97 ff.] 218 ff., der ausführlich die unterschiedlichen Bedeutungen von „germanitas“, „amicitia“ und „fraternitas“ diskutiert. – Vgl. allgemein zur „Fraternitas als „Konzept personaler Bindung im Mittelalter“ VAN EICKELS, Bruder 2009. 10 So z. B. ausdrücklich Lothar in den Akten der Zusammenkunft von Lüttich im Februar 854 (MGH Cap. II, Nr. 207, I, 2 (S. 77, Z. 10–12): [. . .] ad salutem sanctae Dei ecclesiae nostramque ac vestram communem utilitatem et necessitatem indissolubiliter corde et opere coniungere nos volumus, ut unum simus in Christo et vos unum sitis nobiscum.“ 11 Vgl. ANTON, Konzept karolingischer Synoden [1979] 2002, [90] 211 f. – Vgl. den Vertrag von Meersen, 851 (MGH Cap. II, Nr. 205, 6): „[. . .] ad restitutionem sanctae Dei ecclesiae et statum regni et ad honorem regium atque pacem populi commissi [. . .].“ 12 MGH Cap. I, Nr. 45, cap. 15. 13 MGH Cap. II, Nr. 194, cap. 11. S. zur Nachfolgeordnung von 831 KASCHKE, Teilungsprojekte 2018, 98 ff. 14 MGH Cap. II, Nr. 136. 15 Zur Klärung des Begriffes und seiner Unterscheidung von amicitia s. ANTON, Konzept karolingischer Synoden [1979] 2002, [98 ff.] 219 ff. 16 Z. B. Lothar und Ludwig am Rhein im Jahr 854 wegen des brüderlichen Verhaltens zu Karl (dazu die Akten von Attigny in MGH Cap. II, Nr. 261, S. 277 f.). 17 SCHNEIDER, Brüdergemeine 1964, 123 f., im Wesentlichen bestätigend ANTON, Konzept karolingischer Synoden [1979] 2002, [117] 238.

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3 Institutionalisierte familiäre Bindungen

bestimmten Bedingungen beizutreten,18 handelt es sich nicht mehr um germanitas,19 sondern um das neue Institut der fraternitas, die sich nicht mehr an der genuin familiären Bindung orientiert, sondern am Fortbestehen eines Gesamtreichsgedankens.20 Eine Nachwirkung des Prinzips der Brüdergemeine als Vertretung der Erbengemeinschaft findet sich in der Selbstverständlichkeit, mit der die Brüder ein Nachfolgerecht im Herrschaftsgebiet eines Bruders geltend machen und dafür auch Unterstützung finden, wie etwa Ludwig der Deutsche mit seinen Versuchen, sich des Reiches Karls des Kahlen zu bemächtigen.21 Nach dem Tod Lothars II. griff Karl der Kahle ganz selbstverständlich nach dem Reich des Neffen, und tatsächlich wurde es ihm 869 von Bischöfen und Adel in Metz zunächst übergeben.22 Später forderte Ludwig der Deutsche auch einen Teil des Reiches Kaiser Ludwigs, Sohn Kaiser Lothars, von Karl dem Kahlen ein.23 Auch nach dem Tod seines Bruders Ludwig versuchte Karl der Kahle dessen Reich an sich zu bringen, was aber an dem Widerstand Ludwigs, des Sohnes Ludwigs des Deutschen, scheiterte. Die Stärkung der Söhne bzw. Neffen gegenüber den Brüdern,24 wie sie schon in der Divisio regnorum von 806 anklingt, kann ebenfalls als Zeichen für das Zurücktreten des Prinzips der Brüdergemeine gewertet werden, wenngleich das letzte der genannten Beispiele zeigt, dass damit keinesfalls grundsätzlich die Berechtigung eines Anwachsungsanspruchs aus dem Bewusstsein der Zeitgenossen verschwunden wäre. Von Brüdergemeine kann eigentlich nur solange gesprochen werden, wie die Brüder noch als Sachwalter ihrer Familie und des Gesamtreiches aufgefasst werden

18 Z. B. in der Zusammenkunft Lothars und Karls von 854 in Lüttich (MGH Cap. II, Nr. 207, I (Karl), 1). 19 Wie z. B. beim Vertrag von Childebert I. und Chlotar I. von 558 (MGH Cap. I, Nr. 3, cap. 16): „germanitatis caritas“. 20 Auch die Einberufung einer Synode durch Karl den Kahlen mit Zustimmung Ludwigs des Deutschen zur Verhandlung über den Ehestreit Lothars II. (Ann. Bert. 867) ist wohl als gemeinsame Handlung der Brüder eher an den Reichsgeschäften orientiert als an der Familie. 21 Auf Bitten der Grafen aus dem Reich Karls zog Ludwig in das Reich Karls und empfing dort Große aus mehreren Teilen des Reiches (Ann. Bert. 858). Vgl. dazu BRÜHL, Deutschland und Frankreich [1990] 1995, 357. Ähnlich baten auch die Aquitanier bei Ludwig dem Frommen um einen neuen König, der den Sohn Karls des Kahlen ersetzen sollte. Diese Interventionen im Reich des Bruders wertet MITTEIS, Verdun 1943, 83 als „Fortdauer des Reichsgedankens“. 22 Ann. Bert. 869, wo auch von dem Rat berichtet wird, auf die Rückkehr Ludwigs des Deutschen zu warten. – Vgl. dazu die Akten in MGH Cap. II, Nr. 276, S. 337 ff. Vgl. BRÜHL, DeutschlandFrankreich [1990] 1995, 361. – Zur Argumentation Hinkmars und Karls des Kahlen in Bezug auf das Recht Karls auf das Königtum im Mittelreich s. PENNDORF, „Reichseinheitsidee“ 1974, 62 ff. – S. zu den Vorgängen SCHLESINGER, Erhebungs Karls [1970] 1975. 23 Ann. Bert. 876. 24 Zusammenkunft Lothars und Karls in Lüttich im Februar 854 (MGH Cap. II, NR. 207, S. 78), dort auch der Eid, den beide Brüder schworen: „Si autem ego te supervixero, filiis tuis talem partem regni, quam tu contra me et meum fratrem acceptam habes, non auferam, sed consentiam.“

3.1 Brüdergemeine

113

können, nicht mehr jedoch, da sie mehr ihren Teilreichsbeziehungen verpflichtet sind, als der Nachfolge ihres Vaters und dem Erhalt des Gesamtreiches.25 Unter den Söhnen Ludwigs des Frommen wurde einige Jahre nach der endgültigen Teilung des Reiches und dem faktischen Ende des Instituts der – ja längst auf die legitimen Söhne eingeschränkten – germanitas mit Hilfe der fraternitas eine neue Einung der Brüder begründet, nämlich als willentlicher Zusammenschluss von Königen, deren Reiche immer noch einem Gesamtreich zugehörten, das kirchlich definiert als politischer Rahmen der regna galt. Wenn im Vertrag von Meersen von 847 die Brüder beschließen, gemeinsam Gesandte an Pippin, Sohn Pippins von Aquitanien zu schicken, um diesen vom Anspruch auf das Königtum von Aquitanien abzubringen,26 so schützen die Brüder ihren (nicht nur Karls des Kahlen) Anspruch auf die freie Verfügung über die Herrschaftsrechte in ihren Reichen und auf die Vergabe an ihre jeweils eigenen Nachkommen gegen entferntere Verwandte und besonders gegen die Ansprüche der Großen in ihren Reichen. In demselben Vertrag bezeichnen sie das Gesamtreich als ihr „gemeinsames Reich“27 und rekurrieren damit auf die Nachfolge Ludwigs des Frommen, die sie ja insgesamt gemeinsam angetreten hatten. Diese Bekräftigung der Brüdergemeine indes hat rein theoretischen Charakter. Aber ebenfalls 847 in Meersen wird auch die freie Wahl eines senior28 im Gesamtreich vereinbart. Als Ausdruck einer wirklichen Brüdergemeine ist jedoch auch das nicht zu werten. Auch hierbei handelt es sich um den Versuch, das vor allem in der kirchlichen Organisation noch fortbestehende Gesamtreich zu bewahren. Bezeichnend für diese Wiedergeburt der Brüdergemeinschaft als Verbindung von Königen innerhalb eines umfassenden regnum mag eine Vereinbarung von Meersen aus dem Jahr 851 gelten, in der von einer Wiederverbindung die Rede ist, eben nicht von einer unauflöslichen „germanitas“.29 Es ist die gemeinsame Führung des populus christianus, die die Brüder als ihre Aufgabe und Verpflichtung zur Einigkeit begreifen,

25 In den Akten der Zusammenkunft von Lüttich im Jahr 854 wurde das Einzelreich schließlich als göttlich sanktioniert verstanden, ANTON, Konzept karolingischer Synoden [1979] 2002, [116] 236 f. 26 MGH Cap. II, Nr. 204, II, 1. Möglicherweise aus demselben Anlass vereinbaren die Brüder Ludwig und Karl und ihr Neffe Lothar II. im Jahr 860 gegenseitige Hilfe (MGH Cap. II, Nr. 242, cap. 3 und 4). 27 MGH Cap. II, Nr. 204, II, 6: Similiter et de episcopatibus et monasteriis, ubicumque in nostro comuni regno [. . .]“ 28 Den „senior“ bereits im Westfrankenreich eindeutig als Lehnsherrn zu sehen, wie dies APSNER, Vertrag und Konsens 2006, 262 tut, trifft den Begriffsinhalt vermutlich nicht. Der senior ist eben der Ranghöhere, in enger Auslegung eben der König als der, der Gehorsam verlangen kann. S. auch DEUTINGER, Königsherrschaft 2006, 80, der den Begriff nicht auf den „vasallitischen Bereich festgelegt“ sieht. Für ihn ist ebenfalls ebenda 81 „senior“ grundsätzlich der Ranghöhere. 29 MGH Cap. II, Nr. 205, cap. 7: „Ut sic simul coniuncti et nos fratres ad invicem et nos cum fidelibus nostris et fideles nostri nobiscum et omnes simul cum Deo nos reconiungamus [. . .].“

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3 Institutionalisierte familiäre Bindungen

nicht eigentlich ihre familiäre Zugehörigkeit.30 Dabei gehen sie sogar soweit, die gemeinschaftliche Regierung der Könige und ihrer Großen zu postulieren.31

3.2 consortium Der Begriff „consors“ diente Karl dem Großen in der Divisio regnorum von 806 zur Bezeichnung seines politischen Verhältnisses zu seinen Söhnen.32 Ursprünglich bedeutet das consortium im römischen Recht in einem allgemeineren Sinn „Genossenschaft“, in einem engeren Sinn bezeichnet der Begriff auch die Erbengemeinschaft,33 in der es, wie Kaser formuliert „ähnlich der deutschrechtlichen ‚Gesamthand‘ keine quotenmäßig berechenbaren Anteile“ an den gemeinschaftlichen Rechten gibt, aber die Verfügung über die Rechte jedem einzelnen consors obliegt.34 Die Ähnlichkeit mag durchaus auch

30 MGH Cap. II, Nr. 205, Adnuntatio Hludowici: „[. . .] magna necessitas est nobis et isti populo christiano, qui nobis est a Deo commmissus, ut nos ad invicem sic concordes et uniti simus [. . .].“ ANTON, Konzept karolingischer Synoden [1979] 2002, [131] 251 sieht das Ende der „beschworenen und christlich interpretierten Brüdergemeinschaft“ in der 50er Jahren des 9. Jahrhunderts. 31 ANTON, Konzept karolingischer Synoden [1979] 2002, [112] 232 f., der ebenda [114] 234 f. unter Verweis auf den Vertrag von Meersen von 851 „das brüdergemeinschaftliche Regiment ideell gestärkt“ sieht. 32 Divisio regnorum, MGH Cap. I, Nr. 45, S. 127, Z. 5. Einhard, Vita Caroli, cap. 30 folgt für den Akt von 806 der offiziellen Terminologie der Divisio regnorum. – Zuvor war der Begriff bereits von Gregor von Tours, Fredegar und Paulus Diaconus als Bezeichnung des Mitherrschers im Reich gebraucht worden. (Gregor von Tours, libri historiarum, 6,5 benutzt den Begriff zur Bezeichnung der Sohnschaft Christi in einer ablehnenden Argumentation eines Juden: „Haec eo dicente, Iudaeus ait: ‘Deus non egit coniugium neque prole ditatur neque ullum consortem regni habere patitur, qui per Moysen ait: Videte, videte, quia ego sum Dominus, et absque me non est Deus.“ – Fredegar IV, 47: „De inicium Anno 39. regni Chlothariae Dagobertum, filium suum, consortem regni facit eumque super Austrasius regem instituit, retinens sibi, quod Ardinna et Vosacos versus Neuster et Burgundia excludebant.“ – Vgl. zu römischen consortes DELOGU, Consors regni 1964, 56 f.). Während der Begriff auch von späteren Autoren für die Unterkönige im weiteren Sinne genutzt wurde, so war das möglicherweise von Karls des Großen Begriffswahl beeinflusst; „consortes“ waren für Regino von Prüm sowohl die römischen als auch die merowingischen „Unterkönige“ (Regino zu den Jahren 332–338: „Theodosius Archadium filium consortem imperii facit.“ – Regino zu den Jahren 421–449: „Chlodoveus Reginarium propinquum atque consorten regni interficit.“ – Regino zu den Jahren 605–611: „Qui statim reversus regnum Langobardorum optinuit atque Cunichbertum filium suum consortem regni facit.“ Paulus Diaconus, Historia Langobardorum V, 35 und VI, 55; vgl. dazu DELOGU, Consors regni 1964, 52 f.). 33 SECKEL, Heumanns Handlexikon zu den Quellen des römischen Rechts 1914, sv. „consortium“ und „consors“. – Vgl. auch BRETONE, Geschichte des römischen Rechts [1987] 1992, 76, 96. 34 KASER, Römisches Privatrecht 1992, 331. – Dieses consortium der Erben wird genau bezeichnet als „ercto non cito“, nach einem erst 1933 in Ägypten gefundenen Gaiusfragment (Gaius, Institutiones III, 154a: „Olim enim mortuo patre familias inter suos heredes quaedam erat legitima simul et naturalis societas quae appellabantur ercto non cito, id est dominio non diviso.“ – KASER, Römisches Privatrecht 1992, 331.). Diese Art des consortium wird sehr bald, etwa zu Beginn der

3.2 consortium

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darauf beruhen, dass das Prinzip der „Gesamthand“ gar nicht „germanisch“ ist, sondern entweder römischem Brauch oder einfach einer Notwendigkeit folgt, die das römische Recht auch nach dem Ende des römischen Reiches abzubilden in der Lage ist. Der antike Gebrauch des Begriffes „consortium“ für die Mitregentschaft ist der Stellung der Söhne Karls des Großen und auch derjenigen Kaiser Lothars den kaiserlichen Vätern gegenüber sehr ähnlich. Denn auch wenn das Prinzip des Mitkaisertums bzw. der Mitregentschaft in Byzanz ein staatsrechtliches Prinzip war und man an diesem Vorbild sicherlich nicht vorbeigehen konnte, so war doch das consortium der Söhne Karls des Großen von 806 an der Herrschaft des Vaters ausgegangen von den Bedingungen fränkischer politischer und familiärer Ordnung. Der lateinische Begriff „consors“ kann durchaus als unabhängig von Byzanz gefunden verstanden werden.35 Im Abschnitt zur Divisio regnorum war postuliert worden, dass „consors“ eine Teilhabe der Söhne an der herrscherlichen Gewalt zum Ausdruck bringe. Das ist nun weiter zu begründen und zu präzisieren. Was bedeutete also die Erhebung der Könige Pippin, Karl und Ludwig zu „consortes regni vel imperii“? Dem Wortsinn nach werden sie zu Schicksalsgenossen erhoben. Noch deutlicher vielleicht ist das in der Erhebung Ludwigs des Frommen zum Mitkaiser im Jahr 813, zu der die Reichsannalen den Begriff „consors“ gebrauchen.36 Ähnlich wurde Lothar bei seiner Erhebung zum Mitkaiser von Ludwig dem Frommen zum „consors et successor imperii“ erklärt.37 Wohl unter dem Eindruck dieser drei Akte, von 806, 813 und 817, bezeichnen die Reichsannalen Lothar zum

Kaiserzeit, unüblich (KASER, Römisches Privatrecht 1992, 306), bleibt aber als Rechtsinstitut der Erbengemeinschaft durchaus bestehen (CIC Dig. 17,2,52 (Ulpian) zum „voluntarium consortium“.). Das consortium als familiäre Genossenschaft, an der die consortes gleichberechtigt beteiligt sind, wird den gedanklichen Hintergrund abgegeben haben für den Begriffsgebrauch bei der Beteiligung des Tiberius an der Herrschaft des Augustus, wie er noch bei Tacitus sichtbar wird. Tiberius wird nicht consors an der Gesamtherrschaft, sondern an Teilen der Herrschaft des Augustus, nämlich: „consors tribuniciae potestatis“ (Tacitus, Annalen I, 2.). Als Genosse des Augustus in der tribunicia potestas konnte der designierte Nachfolger gleichberechtigt erscheinen, lag doch die Gesamtherrschaft weiterhin größtenteils in der Hand des Princeps. Bald aber wurde es üblich, den gewünschten Nachfolger als consors imperii zu bestellen (Sueton, Otho, cap. 8: „[. . .] consortem imperii generumque se Vitellio optulit.“ – Sueton, Titus, cap. 9: „ut a primo imperii die, consorte successoremque testari perseveravit.“), der dann dem Prinzeps aber durchaus nachgeordnet war. (Vgl. weitere Belege bei MOMMSEN, Römisches Staatsrecht, II,2 1877, 1092, Anm. 1, der ebenda 1089 zur Mitregentschaft betont, dass „der Mitregent dem Princeps selbst nicht gleich stehen“ durfte.). 35 Vgl. die umfangreiche Herleitung des Begriffsgebrauches bei DELOGU, Consors regni 1964, 51 ff., der ebenda 49 f. sich gegen die Annahme einer Übernahme aus Byzanz wendet. 36 ARF 813. – S. MOHR, Karolingische Reichsidee 1962, 74 f., der in der Krönung Ludwigs durch Karl den Versuch sieht, Karls „Davidisches Königtum“ auf seinen Nachfolger zu übertragen, zugleich aber natürlich auch die darin liegende Designation betont. 37 Ordinatio imperii, MGH Cap. I, Nr. 136, S. 271, Z. 7. Vgl. MOR, Consors regni 1948 mit weiteren urkundlichen Belegen zum Consors-Titel zu den Jahren 823 und 830 (Lothar). – Vgl. auch DELOGU,

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3 Institutionalisierte familiäre Bindungen

Jahr 817 und wieder zum Jahr 824 als „socius“ und auch die Söhne Ludwigs im Jahr 830 als „socii“,38 womit vermutlich bewusst ein eigener Begriff für die Erhebungen gefunden wurde, denn die Erhebung von 813 verzeichneten die Reichsannalen mit dem Fachterminus von 806 und 817. Dass aber nicht nur oberflächlich eine Sozietät von Vater und Sohn bzw. Söhnen gesehen wurde, sondern durchaus auch im engsten Umkreis des Hofes zumindest das consortium von 830 als Sozietät mit dem Begriff der „societas“ bezeichnet wurde, bezeugt Einhard in einem Brief an Lothar.39 Und auch die Worte des Ermoldus Nigellus zur Erhebung des Jahres 813, der den Begriff consors nicht gebraucht, weisen auf eine Sozietät hin.40 Zumindest 817 und 830 fand etwas statt, was die Reichsannalen als Bestellung von „socii“ bzw. eines „socius“ des Kaisers auffassten – als „Genossen“ des Kaisers. In einer gewissen Hinsicht wurden die Söhne also zu Gleichen erhoben. Die Wortwahl der Kapitularien zeigt an, dass diese „Genossen“ des Kaisers Schicksalsgenossen sein sollten, keine Gleichberechtigten. Die „staatsrechtliche“ Stellung der solchermaßen erhobenen Söhne war tatsächlich nicht mehr „privatrechtlich“ zu beschreiben. Über die natürliche Stellung der Söhne als Schicksalsgenossen des Vaters hinaus wurden die Söhne in die Herrschaftsausübung des Vaters eingebunden. Als Teilkönige waren sie das Ziel der Bemühungen der Großen, Einfluss auf die herrscherliche Familie zu nehmen. Schon früh wurden sie zudem mehr Teile ihres Herrschaftsraumes als der gemeinsamen Familie. Ihr – auch persönliches – Schicksal hing ja auch viel mehr an den Bindungen des Herrschaftsraumes, dem sie mit einiger Wahrscheinlichkeit ihr Leben lang verhaftet sein würden und zum Teil auch ausgeliefert sein könnten. Die Gefahr der Lösung von den familiären Bindungen bestand und war seit dem Aufstand Bernhards auch im Bewusstsein des Vaters präsent – wie anzunehmen ist. Die Erhebung zum „consors“ macht sie für die Regierung des Vaters über eine wahrscheinliche Nachfolgerschaft hinaus mitverantwortlich, bindet aber auch den Vater, der ihre – beschränkten – Regierungshandlungen respektiert. Und tatsächlich

Consors regni 1964, 61 f. Vgl. auch Annales Laurissenses mininores 817 (Codex Fuldensis, MGH, SS 1, S. 122): „[. . .] ordinatus est filius eius Hludharius in imperatorem, ut consors regni fieret cum patre.“ und die Continuatio Romana des Paulus Diaconus zu 818 (MGH, SRL, S. 203): „Lodowicus augustus Lotharium filium suum consortem regni fecit [. . .]“, vgl. dazu DELOGU, Consors regni 1964, 69 f. 38 ARF 817: „nominis atque imperii sui socium sibi constituit, caeteres reges appellatus“, zu socii wurden die anderen Brüder also nicht, was noch einmal zeigt, dass die Erhebung zum socius bzw. consors (worum es sich ja eigentlich handelte) über die einfache Königserhebung hinausging. – ARF 824; ARF 830. 39 Einhard, ep. 11 (MGH, Epp. V, S. 114 f.), wonach Ludwig der Fromme Lothar „in societatem nominis et regni consensu totius populi adsumpsit“. 40 Ermoldus Nigellus, In honorem Hludowici II, 78: „Augustos geminos, Francia terra, tenes.“ STEIGER, Ordnung der Welt 2010, 448 f. diskutiert den Begriff der societas ausschließlich im Hinblick auf Außenbeziehungen.

3.2 consortium

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lassen sich solche gegenseitigen Bindungen im consortium von Vater und Sohn bzw. Söhnen beobachten. Das (Mit-)Herrschertum der Söhne wird nach Möglichkeit nach einer Zustimmung der Großen von anderer Seite abgesichert. Karl der Große selbst bezeichnete seinem Sohn Pippin gegenüber dessen Königtum, das dieser vom Vater zugewiesen bekommen hatte, als „a Deo commissum“.41 Und die Wiederholung der Kaiserkrönung Lothars durch Papst Paschalis I. zu Ostern 823 sanktionierte das Kaisertum Lothars, das damit nicht mehr als väterlicher Gnadenakt verstanden werden konnte.42 Kaiser Lothar I. schickte seinen Sohn Ludwig im Jahr 850 selbst nach Rom, damit er dort die päpstliche Salbung empfangen sollte.43 Die Söhne gelten auf der Ebene des Reiches zur Zeit Karls des Großen und Ludwigs des Frommen auch nicht als Untertanen des Vaters, sondern nehmen eine ganz eigene Stellung ein.44 Pippin von Italien setzt in einem Kapitular Vorgaben des Vaters um, dem er die Wendung „simul et per nostram praeceptionem unusquisque iustitia sua accipiat“ hinzufügt,45 die mehr meint, als die bloße Ausführung einer väterlichen Anordnung, zumindest der Theorie nach. Ludwig der Fromme erlässt gemeinsam mit seinem consors Lothar im Dezember 828 eine Epistola generalis, in deren Intitulation sie nur die Reihenfolge unterscheidet.46 Aber nicht nur der Form halber lässt sich von einem consortium der Söhne sprechen. Im Jahr 808 unterstellte Ludwig der Fromme als König von Aquitanien das

41 MGH Cap. I, Nr. 103 (806–810). 42 Der Astronomus, Vita Hludowici 36 berichtet nichts von einer Rücksprache Lothars bei seinem Vater vor Annahme der päpstlichen Einladung. – Vgl. BOSHOF, Ludwig der Fromme 1996, 160. Anders stellen das Agobard von Lyon (ep. 15 an Ludwig den Frommen, cap. 4, MGH, Epp. III, 225) und Paschasius Radbertus, Epitaphium Arsenii, ed. Dümmler, S. 86, dar (vgl. dazu WEINRICH, Wala 1963, 48). – Vgl. zur Kaiserkrönung Lothars als Bestätigung der Ordinatio imperii nach beiden Quellen die Überlegungen von FRIED, Ludwig der Fromme 1990, 256 f. – JARNUT, Regnum Italiae 1990, 354 äußert zu dieser Angelegenheit die Vermutung, dass Lothar vom Papst auch zum rex Italiae gekrönt worden sei, was der Wortlaut der ARF 823 in der Tat nahelegt („Apud sanctum Petrum et regni coronam et imperatoris atque augusti nomen accepit.“). 43 Ann. Bert. 850. 44 Eine nicht datierte Bestimmng aus der Zeit Karls des Großen bestimmt: „Ut fiat oratio pro domno imperatore et filiis eius et cuncto populo christiano“ (MGH Cap. I, 118, cap. 2). – Die Admonitio ad omnes regni ordines (823–825) rechnet die Söhne des Kaisers Ludwig nicht unter die omnes ordines (MGH Cap. I, 150). Dort werden die Söhne gemeinsam mit dem Vater als Herrscher genannt und eingebunden in die herrscherlichen Pflichten der Kirche und des Reiches Gottes gegenüber: „ad hoc certare et nos et filios ac socios nostros diebus vitae nostrae optamus [. . .]“, wobei wohl die Söhne (nicht nur Lothar wie noch 817) als socii bezeichnet werden. 45 MGH Cap. I, 91 (782–786), S. 193. 46 MGH Cap. II, 185: „Hludowicus et Hlotarius divina ordinante providentia imperatores augusti.“ Vgl. auch die Zählung nach den beiden Kaisern Ludwig und Lothar in MGH Cap. I, Nr. 164 (Capitulare Olonnense, 825) und den vermutlichen Eid der Römer in der Constitutio Romana von 824 (MGH Cap. I, Nr. 161, S. 324): „[. . .] quod ab hac die in futurum fidelis ero dominis nostris imperatoribus Hludowico et Hlotario diebus vitae meae [. . .].“

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3 Institutionalisierte familiäre Bindungen

Kloster Nouaillé seinem Schutz und gebot den Getreuen des Vaters, diese Verfügung zu achten.47 Bei anderer Gelegenheit verfügte Ludwig über den missus des Vaters, wie der Astronomus berichtet.48 Und der große Sieg Pippins von Italien über die Awaren setzte eine entsprechende Selbständigkeit des Heerführers voraus. Nach den Annales Alamannici übergaben diese „patriam atque principatum eorum Pipino regi atque Francis“,49 nicht aber Karl dem Großen, wie zu erwarten gewesen wäre. Der „consors“ Lothar ist – sicher auch wegen der räumlichen Entfernung – schon 823 in der Lage, in seinem Herrschaftsbereich Entscheidungen zu treffen, die nach der Billigung durch den Vater von Bevollmächtigten des Vaters umgesetzt werden.50 Dabei ist er, der 822 nach Italien geschickt worden war, trotz seines kaiserlichen Namens im eigentlichen Sinne ein Unterkönig.51 Bei anderer Gelegenheit – Lothars Stellung hatte sich erheblich verbessert – schickte Ludwig seinen Sohn Lothar vice sua nach Rom, um die römischen Angelegenheiten nach dem Tod Papst Paschalis’ zu untersuchen.52 Wenn im Jahr 840 Kaiser Ludwig der Fromme seinen Sohn Lothar zu sich bestellt, um mit ihm über den erneuten Aufstand Ludwigs des Deutschen zu beraten, so tut er das, um Zustimmung zu finden.53 Lothar ist hier als socius bzw. consors in einer von dem consors-Titel losgelösten Weise gefragt. Ein consortium von Vater und Söhnen erscheint auch bei der Verurteilung der Beteiligten am Aufstand Pippins und Lothars gegen den Vater. Die Söhne des Vaters – auch Lothar und Pippin – werden als Richter an der Verurteilung der aufständischen Teile des Volkes beteiligt54 und somit erneut in das consortium mit dem Vater gezwungen. Streng genommen handelt es sich zwar nicht um

47 Davon berichtet BOSHOF, Ludwig der Fromme 1996, 42. – MGH DD Ludwig 5, ed. Kölzer, S. 14–17. 48 Astronomus, Vita Hludowici 17: „[. . .] et Hoscam cum misso patris Heriberto mittere statuit.“ 49 Ann. Alamannici 796. 50 ARF 823: „Hlotarius vero, cum secundum patris iussionem in Italia iustitias faceret [. . . , Bericht von der Krönung durch Paschalis . . .]. Qui cum imperatori de iustitiis in Italia a se partim factis partim inchoatis fecisset iudicium, missus est in Italiam Adalhardus comes palatii, iussumque est, ut . . . inchoatas iustitias perficere curaret.“ KASTEN, Königssöhne 1997, 187 sieht Lothar seit 825 als Mitkaiser, der den Imperatorentitel führt und mit seinem Vater gemeinsam Urkunden und Kapitularien ausstellt. Vgl. dazu JARNUT, Regnum Italiae 1990, 355 und ausführlicher EITEN, Unterkönigtum 1907, 81, der mitteilt, dass Lothar zumindest noch vor 840 eigene Münzen schlagen ließ. 51 Vgl. unter Bezug auf den Titel Lothars: „Hlotarius augustus invictissimi domni imperatoris Hludowici filius“ JARNUT, Regnum Italiae 1990, 352. 52 ARF 824: „Hlotharium filium imperii socium Romam mittere decrevit, ut vice sua functus ea, quae rerum necessitas flagitare videbatur, cum novo pontifice populoque Romano statueret atque firmaret.“ Vgl. dazu KASTEN, Königssöhne 1997, 186. – Zu Ludwigs Absicht der Reformierung der römischen Kirche vgl. FRIED, Ludwig der Fromme 1990, 258. – JARNUT, Regnum Italiae 1990, 354 f. betont die Wendung „vice sua“ und stellt fest, dass Lothar mit einer „durch und durch kaiserlichen Aufgabe“ betraut wurde, der dann einige selbständige Regierungshandlungen in Rom und im regnum Italiae unternahm (ebenda 355). Vgl. auch MOHR, Einheitspartei 1961, 15. 53 Astronomus, Vita Hludowici 62. 54 Astronomus, Vita Hludowici 45: „[. . .] cum omnes iuris censores filiique imperatoris iuditio legali, tamquam reos maiestatis, decernerent capitali sententia feriri [. . .].“

3.2 consortium

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das Institut des consortium55 (darin ist nur Lothar consors), das hier genutzt wird, dient aber zur Illustration der realen Bedeutung dieses Instituts, weil hier ein natürliches consortium von Herrscher und Nachfolgern vorliegt, wie es auch darin deutlich wird, dass die Söhne nicht zum Volk und auch nicht unter die Großen gezählt werden, sondern beim Vater, eigentlich aber bei der Familie, verortet werden müssen. Als Ludwig der Fromme 829/30 die Mitkaiserstellung Lothars widerrief, zeigte sich, dass Lothar nicht allein von väterlichen Gnaden Mitkaiser und also consors war, sondern dieser Titel durchaus der realen Verteilung der Macht im herrscherlichen Hause entsprach.56 Eine eigene Form des consortium stellt die Mitherrschaft der Königin bzw. Kaiserin dar, wie sie in karolingischer Zeit bei Kaiser Ludwig II. und seiner Gattin Angilberga zu finden ist.57 Im Falle Angilbergas jedenfalls entspricht der Titel ihrer tatsächlichen Rolle.58 Es handelt sich um einen vom consortium der Söhne abgeleiteten Begriff, der dann aber anders hergeleitet wird, nämlich über die mystische Qualität der Ehe, in dem Vergleich mit Christus und seiner Kirche, schon lange vor der consors imperii Angilberga.59 Was beide Formen des consortium gemeinsam haben, ist das Prinzip der Beteiligung an der Herrschaft, zunächst noch ohne große sichtbare praktische Konsequenzen, aber dennoch nicht als bloße „theoretische Spielerei“. Denn wie die Söhne grundsätzlich Ziel der Bemühungen der Großen um Einfluss auf die Familie und damit die Reichsgeschäfte sind, so sind die Frauen der Herrscher ebenfalls an der Herrschaft der Familie beteiligt, nämlich als Vertreterinnen der großen Familien.

55 DELOGU, Consors regni 1964 legt dar, dass es sich nicht um ein festes Rechtsinstitut handelte, da der Begriff nicht eindeutig sei, weil er im Falle der Königssöhne etwas anderes bezeichne als im Falle der Königin, die zudem nicht prinzipiell als consors aufzufassen sei (ebenda 97 f.). Das consortium der Söhne aber ist für die Erhebungen von 806, 813 und 817 durchaus nicht variabel, zumal der Begriff zu dieser Zeit ausgesprochen exklusiv für die Erhebung des Königssohnes zum Teilhaber gebraucht wird. 56 KASTEN, Königssöhne 1997, 190 berichtet von der darauf folgenden Revolte einiger Großer, die dazu auch Pippin von Aquitanien gewannen. 57 Als consors regni bzw. consors imperii wird Angilberga von 866 bis zum Tod Ludwigs II. in den offiziellen Dokumenten bezeichnet, vgl. dazu MOR, Consors regni 1948, 12, eine Aufstellung der Diplome ebenda 10 f, Anm. 3. 58 So überzeugend DELOGU, Consors regni 1964, 93 f. 59 Vgl. ausführlich und mit zahlreichen Beispielen DELOGU, Consors regni 1964, 86 ff.

4 Die Herrscherfamilie als körperschaftlich organisierter Zusammenhang Körperschaft ist ein problematischer Begriff, der eine auch deutsche Geschichte hat. Er kann im rein technischen Sinn eine Rechtsform bezeichnen, die modernen Vorstellungen unterliegt, er kann aber auch in einem grundsätzlichen Sinn eine Organisationsweise von sozialen Zusammenhängen bezeichnen, die bestimmte Kriterien erfüllen. Und darum soll es hier gehen. Körperschaft bedeutet in diesem Sinn eben einen sozialen Zusammenhang, dem man einen eigenen Willen zumessen muss, in dem die Mitglieder sowohl Teilhaber als auch der Möglichkeit nach Akteure sind. Wesentlich für eine Körperschaft in diesem Sinne ist die Funktionsdifferenzierung. Voraussetzung für das Bestehen einer Körperschaft ist eben, dass die Mitglieder nicht nur Genossen sind, sondern sowohl zwischen ihnen komplexe Herrschaftsbeziehungen bestehen, die typisch für das Innenverhältnis einer Körperschaft sind, als auch umfänglich das Handeln der Gemeinschaft delegiert wird. Jedes Mitglied hat eine spezifische Funktion. Bei dem Versuch, Gesellschaft zu verstehen, kann auf solche Kategorien nicht verzichtet werden, auch wenn sie in sich aus ihrer eigenen Geschichte heraus problematisch sein mögen, wie eben der Begriff der Körperschaft. Für den zentralen Theoretiker deutschen Rechts im 19. Jahrhundert, Otto von Gierke, war die Körperschaft eine zutiefst römisch-rechtliche Organisationsform, die auf Grund ihrer herrschaftlichen Grundstruktur ihm ganz „ungermanisch“ vorkam. Aber nichtsdestotrotz hat sich die Körperschaft in den deutschen Rechts- und Staatsvorstellungen des 19. Jahrhunderts als notwendige Kategorie erwiesen. Nur so konnte letztlich in den autoritären Systemen der deutschen Geschichte der Gegensatz zwischen der Herrschaft und der „Volksgenossenschaft“ aufgelöst werden, indem sich beide nämlich im Rahmen der Körperschaftlichkeit begegneten. Im Nationalsozialismus wird das besonders deutlich und Körperschaftlichkeit zu einer zentralen Kategorie, etwa im Konzept der betrieblichen „Gefolgschaft“, die die Dichotomie von Unternehmensführung und Gewerkschaften auflösen sollte. Wenn im Folgenden der Begriff der Körperschaftlichkeit dennoch gebraucht wird, dann deshalb, weil er eine wesentliche Erscheinungsform gesellschaftlicher Organisation bezeichnet. Dieser Organisationsform etwa folgt auch die Familie, mehr oder weniger. In der Familie bestehen notwendigerweise sowohl Hierarchien als auch eine ausgeprägte Funktionsdifferenzierung; und eine Familie kann als Zusammenhang mit einem eigenen Willen betrachtet werden, der aus der engen Aufeinanderbezogenheit ihrer Mitglieder resultiert. Die hier zu stellende Frage ist, inwieweit in der karolingischen Herrscherfamilie, vermutlich aber auch in den vielen anderen in kleineren Zusammenhängen herrschenden Familien der Großen, das gemeinschaftliche Handeln organisiert ist. Dabei ist auf den natürlichen Gegensatz zwischen Körperschaftshandeln und persönlichem Handeln zu achten. Wobei das persönliche Handeln möglicherweise faktisch https://doi.org/10.1515/9783110641936-006

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4 Die Herrscherfamilie als körperschaftlich organisierter Zusammenhang

wieder Körperschaftshandeln ist, etwa indem ein Sohn des Gesamtherrschers für seinen eigenen neuen Familienzusammenhang handelt.

4.1 Die Familie als Herrscher Nach den vielen verdeckten Indizien, die auf eine ausgeprägte Körperschaftlichkeit der herrscherlichen Familie hinweisen, sollen nun die mehr offensichtlichen Zeichen der Körperschaftlichkeit dieser Familie hinzugefügt werden. Dabei überwiegen die Belege aus der Zeit der frühen Karolinger, bei denen die Samtherrschaft recht stark ausgeprägt ist.1 Die Nachfolgeregelung Pippins des Mittleren, die er nach dem Tod Grimoalds, des designierten Nachfolgers (†714), im Dezember 714 traf, sah vor, dass seine Frau Plektrud mit den Söhnen Grimoalds und Drogos und dem merowingischen König gemeinsam herrschen solle, wobei sie dann den Familienschatz in ihrem Besitz hielt und ihr Enkel Theodoald nur das Amt des Hausmeiers erhielt. 2 Plektrud nahm in dieser Körperschaft zur Herrschaft im Frankenreich die Rolle des Vorstandes wahr, während die anderen Familienmitglieder jeweils eigene Funktionen erfüllten. Wünsche des Papstes Paul I. von 764 richteten sich an Pippin zusammen mit Karl und Karlmann sowie Bertrada und Gisela.3 Das Gebetsgedenken für Pippin, seinen Bruder Karlmann und seine Nachkommen schließt zwar die Frauen der Familie nicht ausdrücklich ein, zeigt aber deutlich, dass die Familie als Quelle der Königsherrschaft gesehen wurde.4 Ähnlich halten es die laudes regiae von Soissons (zwischen 783 und 792), die nach dem Papst die für die Herrschaft im Reich relevanten Mitglieder der herrscherlichen Familie auflisten: Karl den Großen, seine Söhne Pippin (den Buckligen), Karl, Pippin (König der Langobarden), Ludwig und Fastrada.5 Ein fränkisches Memoratorium an Papst Hadrian zählt vor allen

1 ERKENS, Teilungspraxis 1996, 463 bemerkt zu den Arnulfingern, dass die „Ausübung der Regierungsgewalt“ zur „Angelegenheit eines Familienkonsortiums“ wurde. 2 KASTEN, Königssöhne 1997, 69. – Zum Ausschluss Karl Martells von der Herrschaftsnachfolge s. detailliert JOCH, Legitimität 1999, 70–80, die bereits nach der Ermordung Grimoalds die Nachfolge Grimoalds durch dessen Sohn Theudoald als beschlossen beschreibt. 3 Codex Carolinus, Nr. 29 (MGH, Epp. III, 533–535, 535, Z. 30 ff.): „De reliquo vero petimus divinam Dei misericordiam, ut vos per multorum annorum curricula in solio regni vestri conservare dignetur una cum excellentissimis vestris natis nostrisque spiritalibus filiis, Carolo et Carlomanno regibus Francorum et patriciis Romanorum, nec non domna Bertrada, excellentissima regina, spiritali nostra commatre vestramque coniugem, simulque et Gisilam nobilissima puellam, nostra spiritali filia, ad exaltationem et defensionem sanctae Dei ecclesiae simulque et eius peculiaris populi.“ Das sieht KASTEN, Königssöhne 1997, 130 wohl zutreffend als Beleg, dass der Papst die „karolingische Königsherrschaft als eine familiengebundene Samtherrschaft“ ansah. 4 MGH DD Pippini 21 (Orléans, 766), 23 (Orléans, 766). Vgl. dazu KASTEN, Königssöhne 1997, 131. 5 KASTEN, Königssöhne 1997, 145.

4.1 Die Familie als Herrscher

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weiteren Teilen des Reiches die herrscherliche Familie auf, nämlich Karl, Fastrada und die Söhne und Töchter.6 Ein deutliches Zeichen für die Körperschaftlichkeit der Herrscherfamilie ist die Leistung von Treueiden auf mehrere Mitglieder der Familie, in aller Regel auf den Herrscher und seine Söhne. Das war schon in merowingischer Zeit durchaus üblich,7 wurde von der Familie der Karolinger noch vor ihrem Königtum übernommen8 und scheint mit dem Königtum Pippins in seiner Bedeutung noch einmal gesteigert worden zu sein.9 Tassilo von Bayern wurde vom Papst aufgefordert, Karl dem Großen und auch seinen Söhnen treu zu sein, was er schließlich schwören musste.10 Im Jahr 789 wurde dann erstmals ein Eid der Franken auf die königliche Familie verlangt, der auch der Treue gegen die Söhne galt.11 Hierin liegt mehr als nur die Sorge für die Zukunft der Königsherrschaft. Es geht einmal um die Absicherung der Nachfolge, also der Fortsetzung der Herrschaft Karls in seinen Nachkommen. Das allein ist schon ein wesentliches – nicht aber ausreichendes – Merkmal der Körperschaftlichkeit. Die Einbeziehung aller Söhne in die Eide ist aber zugleich Ausdruck der Exklusivität der Familie.12 Nur die Familie der Karolinger herrscht. Indem alle Nachkommen in die Eide einbezogen werden, werden alle auch potentielle Nachfolger bzw. Nachfolger in einer Art Erben- bzw. Nachkommengemeinschaft. Wichtig für die Körperschaftlichkeit der Familie ist ganz besonders die Kontinuität der Herrschaft, deren sich die Eidesnehmer versichern.

6 MGH Cap. I, Nr. 111 (785?). 7 BECHER, Eid und Herrschaft 1993, 128. 8 Nach den Ann. Mett. 735 (MGH, SS 1, 325) leistete Herzog Hunald von Aquitanien Karl Martell und seinen Söhnen den Treueid, vgl. KASTEN, Königssöhne 1997, 95. 9 Treueid der Basken auf Pippin und seine beiden Söhne nach der Continuatio Fredegars cap. 51: „[. . .] ut semper fideles partibus regis hac filiis suis Carolo et Carlomanno omni tempore esse debeant.“; vgl. KASTEN, Königssöhne 1997, 131 und BECHER, Eid und Herrschaft 1993, 121. – Tassilo gelobte nach den ARF 757 Pippin und seinen Söhnen Karl und Karlmann Treue; vgl. BECHER, Eid und Herrschaft 1993. 10 ARF 787. Vgl. ausführlich BECHER, Eid und Herrschaft 1993, 122. 11 BECHER, Eid und Herrschaft 1993, 122. – Vgl. ebenda 79 ff. Im Jahr 777 hatten auch die Sachsen Karl und seinen Söhnen den Eid zu leisten, ARF 777. – Vgl. grundsätzlich zur Möglichkeit der Ausdehnung des Eides auf die herrscherliche Familie und die Großen KOLMER, Kommendation 1980, 302. 12 Etwas anderes ist es, wenn das Wahlprivileg Karls des Großen für den Patriarchen Paulinus von Aquileia von 792 von Paulinus Treue gegen Karl und seinen Sohn Pippin verlangt, nämlich Treue gegen den zuständigen Teilkönig und den Gesamtherrscher (KASTEN, Königssöhne 1997, 301). Hier ist die Nachfolge ebensowenig berücksichtigt wie die Familie als Gesamtherrschaft. Ähnlich verhält es sich auch mit dem Eid der Aquitanier für Kaiser Ludwig den Frommen und seinen Sohn Karl (Ann. Bert. 839: „sibi eidemque filio suo sacramenti interpositione firmavit.“).

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4 Die Herrscherfamilie als körperschaftlich organisierter Zusammenhang

In diese Richtung weisen auch die Konsensunterschriften der Söhne und vermuteten Nachfolger,13 die zunächst natürlich als spätere Erben einer Schenkung zustimmen. Da es sich aber um eine Herrscherfamilie handelt und nicht immer alle Erben den Schenkungen ausdrücklich zustimmen, liegt es nahe, hier in besonderem Maße den Konsens der künftigen Herrscher zu sehen. Das Königtum Pippins, in das die Familie des Herrschers ausdrücklich einbegriffen wurde, findet dann über den bloßen Konsens bei der Schenkung hinaus zu einer ausdrücklichen Beteiligung der Söhne an derselben.14 Dass die Söhne nicht zu den „omnes regni ordines“ (825) gehörten,15 ist ein weiteres deutliches Indiz für die Familie als Inhaber der herrscherlichen Gewalt. Es wird zwar immer wieder auf die hausherrliche Gewalt des Herrschers über die Familie hingewiesen, indes dürfte im Voraufgegangenen deutlich geworden sein, dass diese keine originäre Herrschaft darstellt, sondern allenfalls zur Zeit Karls des Großen in der bekannten Weise nach einer solchen aussieht und mit biblischen bzw. römischrechtlichen Worten in eine rechtlich-relevante Form gefasst wird. Wenn aber die Söhne nicht zu den ordines, also zum Volk, gehören und auch nicht dem Vater wesenhaft nachgeordnet sind, so kann die Erklärung dafür nur in der Herrschaft der Familie gefunden werden. Die ausgeprägte hausherrliche Gewalt der Karolinger jedenfalls entspringt der herrscherlichen Gewalt, die – wie an späterer Stelle noch zu zeigen ist – ebenfalls nicht ihren Ursprung im Herrscher selbst findet. Noch 829 sahen die kirchlichen Amtsträger die Königssöhne nicht als „Zwischengewalten“.16 Die vornehme Dhuoda ermahnt ihren Sohn denn auch zur Treue gegen die Verwandten des Königs.17 Bischof Jonas von Orléans sah in den frühen dreißiger Jahren nicht nur Pippin I. von Aquitanien als seinen Herrn, sondern auch dessen Brüder.18 Wenn die Bischöfe Ludwig den Frommen bitten, dass er dafür Sorge

13 Karlmann für Karl Martell von 723, Schenkung Karl Martells an Willibrord, MGH DDArnulf. 12, ed. Heidrich, S. 28–30 (Diplomata Belgica, Nr. 173 [= Urkunden der Arnulfinger, ed. Heidrich, Nr. 11, S. 86]), wozu KASTEN, Königssöhne 1997, 108 bemerkt, dass dies nicht als Beteiligung des 12jährigen Sohnes an der Herrschaft gewertet werden könne. – Drogo, Sohn Pippins II., für die Schenkung seiner Eltern an das Koster Echternach (WAMPACH, Echternach 1,2 (1930), 38–41, Nr. 14, nach KASTEN, Königssöhne 1997, 64. – Theodo für seinen Vater Tassilo von Bayern (782), nach KASTEN, Königssöhne 1997, 92 (Die Traditionen des Klosters Schaftlärn, Nr. 10). 14 So jedenfalls in einer Schenkung Pippins an das Kloster Prüm, bei der die Söhne als Mitschenker auftreten und darüber hinaus das Gebet der Mönchsgemeinschaft für Pippins Königsherrschaft, die Königin und die Söhne eingefordert wird (DPippini 16), vgl. KASTEN, Königssöhne 1997, 129. 15 MGH Cap. I, Nr. 150; vgl. dazu KASTEN, Königssöhne 1997, 183 f.; vgl. auch ebenda 214. 16 Das betont KASTEN, Königssöhne 1997, 189 unter Bezug auf MGH, Conc. II, 2, Nr. 50D, lib. 2, cap. 3, S. 654: „Hii, qui post regem populum Dei regere debent, id est duces et comites.“ 17 Dhuoda, Liber manualis, III, 8; vgl. dazu KASTEN, Königssöhne 1997, 227 f.; vgl. zu Dhuoda auch OLSON, Early Middle Ages 2007, 105–109. – S. zu ihr auch NELSON, Dhuoda 2007. 18 Jonas von Orléans, De institutione regia, Begleitschreiben (admonitio), ed. Dubreucq, S. 162, Z. 184 ff.: „vobisque et fratribus vestri, dominis nostris“. Vgl. KASTEN, Königssöhne 1997, 304 f.

4.2 Auflösung der Körperschaftlichkeit der Familie

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tragen möge, dass seine Söhne und Großen die priesterliche Würde achteten,19 so unterscheiden sie zwar zwischen beiden, zeigen aber an, dass beide „Gewalten“ als vom Gesamtherrscher ausgehend gesehen werden, diesem also gleichermaßen als nachgeordnet aufgefasst werden. Die Grafen waren zur Zeit Karls des Großen und auch noch Ludwigs des Frommen Sachwalter des Gesamtherrschers, sie waren in aller Regel ihm und nicht dem Teilkönig verantwortlich.20 Das ergibt sich aus dem erfolgreichen Versuch Karls des Großen, die Nachkommen weitestgehend aus der Herrschaftsausübung der Familie herauszuhalten. Reste der Herrschaft der Familie finden sich schließlich in dem Ansinnen, das an Ludwig II. gerichtet wurde, den Sohn des Ostfrankenkönigs Karlmann zum Nachfolger zu designieren,21 ähnlich wie auch Karl der Kahle nach dem Tod Lothars II. die Herrschaft in dessen Reich annahm.22 Die Regeln, nach denen die Herrschaft der Familie bis in die Zeit Ludwigs des Frommen delegiert worden war, waren jedoch nicht mehr gültig. Von einer Körperschaftlichkeit der Familie zu sprechen, ist wohl seit dem zweiten Drittel des 9. Jahrhunderts nicht mehr angebracht. Die Aufforderung des Konzils von Mainz von 852, dass die Erben die Kirche nicht teilen sollten,23 war denn auch – wenn denn mehr als ein frommer Wunsch – eher eine Frage der Reichsangelegenheiten und vor allem des Erhaltes der bischöflichen Herrschaft, denn der Familie.24

4.2 Auflösung der Körperschaftlichkeit der Familie Die Körperschaftlichkeit der Familie setzt voraus, dass die Familie als Verband besteht, was mit einem starken Haupt der Familie, wie zur Zeit Karls des Großen und in der ersten Zeit Ludwigs des Frommen gewährleistet war. Mit dem Aufbegehren der Söhne und den Angriffen des Hauptes der Familie selbst auf das körperschaftliche Prinzip der Familie begann ein unumkehrbarer Prozess,25 der den Zentrifugalkräften, die immer schon auf die Familie eingewirkt hatten, zunehmend weniger entgegensetzen ließ. Zu

19 MGH Cap. II, Nr. 196, cap. 21: „Petimus humiliter vestram excellentiam ut per vos filii et proceres vestri nomen, potestatem, vigorem et dignitatem sacerdotalem cognoscant.“ 20 KASTEN, Königssöhne 1997, 311 f. In Aquitanien war das besonders deutlich, sodass man den Markgrafen von Toulouse zur Zeit Karls des Großen neben den König von Aquitanien gestellt sieht, wie bei KASTEN, Königssöhne 1997, 274–277. 21 SCHIEFFER, Karolinger 1992, 164 f. 22 SCHIEFFER, Karolinger 1992, 162. 23 Concilium Moguntinum 852, MGH, Conc. III, Nr. 26, cap. 5, S. 243. 24 Inwieweit die Bestimmung überhaupt Herrschersöhne betrifft, ist nicht klar. 25 Ein solcher Angriff auf die Regeln besteht auch in der Vergabe des regnum Italiae an seinen Enkel, den späteren Kaiser Ludwig II. (Ann. Bert. 856, wo geschildert wird, wie Ludwig diese Schenkung geltend machte; vgl. dazu JARNUT, Regnum Italiae 1990, 361 mit Quellenzeugnissen, der die Behauptung Ludwigs für glaubhaft erachtet), womit nämlich Ludwig der Fromme hausherrlich an

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sehr war das Prinzip der hausherrlichen Gewalt befördert worden, in einer Zeit, da es der Realität nicht mehr angemessen war. Bei der angestrebten Realteilung des Reiches um 833 kam es zu erheblichen Loyalitätskonflikten, da die Teilherrscher nicht bereit schienen, untereinander die Loyalität der Beherrschten zu teilen,26 wie es einer körperschaftlichen Struktur selbstverständlich gewesen wäre. Die familiären Bindungen unter Brüdern wie Vätern und Söhnen waren zunehmend zerrüttet.27 Die Familie verlor auch weitgehend den Charakter einer Nachfolgegemeinschaft, nämlich durch das Eindringen der v. a. kirchlichen Auffassung der Primogenitur und darüber hinaus durch die zunehmend sich durchsetzende Rechtsauffassung, die das vermeintliche Eintrittsrecht favorisierte.28 Nach 830 erlangten die Söhne Ludwigs des Frommen eine Stellung als Mittelgewalten im Reich des Vaters,29 womit sie aus der familiären Sphäre in die „staatliche“ überwechselten. Sie erhielten größere Befugnisse, bis hin zu weitgehender Autonomie.30 Besonders deutlich wird diese Stellung der Söhne als Zwischengewalten in der nächsten Generation. Karl der Kahle ließ z. B. seinen Sohn Karl eidlich die schuldige Unterwerfung geloben,31 was ebenfalls anzeigt, dass die Vater-SohnBeziehung inzwischen vornehmlich eine öffentliche geworden war. Eine Reihe von

den körperschaftlichen Mechanismen der Erb- und Nachfolge vorbei über etwas verfügte, was nicht seiner Verfügungsgewalt zugehörte. 26 So KASTEN, Königssöhne 1997, 308–310. 27 Ludwig und Karl, Söhne Ludwigs des Deutschen missachteten den väterlichen Befehl, zu ihm zu kommen, weil sie merkten, dass der dritte Sohn bevorzugt wurde. Zwischen Ludwig und den beiden Söhnen Ludwig und Karl wurde dann ein befristeter[!] Friedensvertrag geschlossen (Ann. Bert. 870). – Karlmann, Sohn Karls des Kahlen, ging, weil er eine Empörung vorbereitete, seiner Abteien verlustig und wurde in Gewahrsam genommen (ebenda). – Karlmann, Sohn Ludwigs des Deutschen, verband sich mit dem Wendenfürst Restiz, fiel vom Vater ab und bemächtigte sich eines großen Teils des väterlichen Reiches (Ann. Bert. 861). Ludwig der Deutsche fiel im Jahr 858 in das Reich Karls des Kahlen ein, Verhandlungen blieben erfolglos (Ann. Bert. 858). – Ein Treffen zwischen Ludwig dem Deutschen, Karl dem Kahlen und Lothar II. konnte in der Form nicht stattfunden, weil Lothar nicht kam (Ann. Bert. 859). – Ludwig der Deutsche bat seinen königlichen Neffen Lothar II. um Hilfe, dieser versprach zu kommen, erschien aber nicht (Ann. Bert. 862). 28 Deutlich wird das in den Briefen der Gesandten des Papstes, die zu Karl dem Kahlen kamen, nachdem er das Erbe Lothars II. in Metz angetreten hatte, worin der Papst erklärt, dass nach Erbrecht („hereditario iure“) das Reich Lothars dessen Sohn Kaiser Ludwig gehöre und dieses kein Sterblicher antasten dürfe, nach Ann. Bert. 869 (Die Briefe in MGH, Epp. VI, Nr. 16–19). 29 Das ist eines der Ergebnisse von KASTEN, Königssöhne 1997, 189. 30 Sie versuchten nach KASTEN, Königssöhne 1997, 189, ihre Herrschaftsgebiete dem Einfluss des Vaters gänzlich zu entziehen. Im Jahr 837 hatte der Kaiser nach KASTEN, Königssöhne 1997, 194 f. keinen Zugriff mehr auf die Reiche seiner Söhne Ludwig Pippin und Lothar, weshalb er auch Karl den Kahlen als Zwischengewalt einsetzte (ebenda). 31 Auch alle Großen Aquitaniens mussten einen neuen Eid leisten, Ann. Bert. 863. Auch Ludwig, ein Bruder Königs Karls von Aquitanien, hatte bei seiner Wiederaufnahme im Jahr 862 einen öffentlichen Eid leisten müssen (Ann. Bert. 862), wie auch Karlmann, Sohn Ludwigs des Deutschen (ebenda).

4.2 Auflösung der Körperschaftlichkeit der Familie

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Beispielen zeigt, wie sehr die Söhne zu Konkurrenten des Vaters wurden. So sehr nämlich waren sie eigenständige Herrscher – z. T. ohne Königstitel –, dass sich der Vater immer wieder mit ihnen arrangieren musste, und dies trotz der schwersten Vergehen gegen seine Herrschaft.32 Das ging soweit, dass die Aufstände der Söhne auch bei eigentlichem Scheitern durchaus als erfolgreich bewertet werden können, weil sie schließlich durch Aufstände zumindest Teile ihrer Ansprüche verwirklicht sehen konnten.33 Als Zeichen für den Verlust der Körperschaftlichkeit der Familie unter den königlichen Brüdern nach dem Tod Ludwigs des Frommen34 können die verschiedenen willentlichen Zusammenschlüsse unter einzelnen Brüdern gewertet werden, die sich zum Teil gegen den anderen bzw. als Zusammenschluss von Onkel und Neffe gegen die anderen Könige der Familie richten konnten.35 Aber auch die Verträge aller

32 Karl der Kahle entließ seinen aufständischen Sohn Karlmann auf Bitten päpstlicher Gesandter und einiger Getreuer – wie es heißt – aus der Haft mit der Aufforderung, in der Nähe zu bleiben. Der Sohn entwich dann doch in den belgischen Kirchensprengel (Ann. Bert. 870); schließlich wurde er vom Vater wiederaufgenommen, seine Getreuen mussten sich unter den Getreuen des Vaters einen senior wählen. 33 Ludwig, Sohn Karls des Kahlen, kehrte zum Vater zurück, nachdem er einen Getreuen des Vaters angegriffen und gegen dessen Willen geheiratet hatte, und bat ihn und die Bischöfe um Verzeihung und band sich mit Eiden. Schließlich führte seine demutsvolle Rückkehr dazu, dass er die Grafschaft Meaux und die Abtei des heiligen Crispin erhielt und mit seiner Frau nach Neustrien kommen sollte (Ann. Bert. 862). Karlmann, Sohn Ludwigs des Deutschen, entfloh aus der väterlichen Haft, bemächtigte sich – mit Hilfe von Markgrafen – der ihm vom Vater abgenommenen Marken und erhielt zu guter Letzt honores vom Vater (Ann. Bert. 864). Karlmann, Sohn Ludwigs des Deutschen, versöhnte sich mit dem Vater, und gegen eine eidliche Versicherung, kein weiteres Gebiet zu besetzen, konnte er das zuvor Geraubte rechtsgültig behalten (Ann. Bert. 862). 34 Das Ersuchen Ludwigs des Deutschen um eine Unterredung mit seinem Bruder Lothar ohne Wissen des Vaters ist Indiz genug für den Verlust der Körperschaftlichkeit (Ann. Bert. 838). Der darauf folgende Zorn des Vaters zeigt die Spannung der familiären Beziehungen, zugleich aber auch, dass von Seiten des Hauptes der Familie die hausherrliche Gewalt als das Maß der Ordnung der Familie angesehen wurde. 35 SCHNEIDER, Brüdergemeine 1964 versammelt an zahlreichen Orten diese Zusammenschlüsse, von denen hier nur eine Auswahl aufgeführt wird: Im Jahr 842 kam es in Straßburg bereits zu einer eidlichen Bindung Ludwigs und Karls unter Ausschluß Lothars (Straßburger Eide, MGH Cap. II, Nr. 247, nach Nithard, vgl. Ann. Bert. 842; vgl dazu SCHNEIDER, Brüdergemeine 1964, 138 f.). Wenn dann Lothar seinen Brüdern anbietet, der Brüdergemeine wieder beizutreten, wobei er um den dritten Teil des Reiches bittet, so ist auch dies als willentlicher Zusammenschluss zu verstehen, nicht mehr als Erhalt der Brüdergemeine (Ann. Bert. 842). Auch die beiden Brüder Karl und Ludwig schlossen keinen eigentlichen brüdergemeinschaftlichen Vertrag, immerhin wurden die Großen miteinbezogen, die bei der Erkenntnis, dass einer der Brüder etwas Schlechtes gegen den anderen plane, diesen nach Ann. Bert. 842 verlassen sollten, nach dem Wortlaut der Eide (nach Nithard, zit. nach MGH Cap. II, 247) ihm nicht folgen müßten. – Im Jahr 857 kam es zu Bündnissen zwischen Karl und seinem Neffen Lothar II. (MGH Cap. II, Nr. 268) und auf der anderen Seite zwischen Ludwig von Italien und Ludwig dem Deutschen, nach Ann Bert. 857. Das Bündnis zwischen Lothar II. und Karl dem Kahlen wurde 859 erneut eingegangen (Ann. Bert. 859). – Die Ann. Bert. 860 sehen

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herrschenden Familienmitglieder miteinander zur Aufrichtung der brüderlichen Caritas sind bestenfalls zu verstehen als Versuche der Errichtung eines neuen, von der alten Körperschaftlichkeit der Familie unterschiedenen Bundes zum gemeinsamen Nutzen.36 Ein solcher gemeinsamer Nutzen besteht in der gegenseitigen Zusicherung des Eintrittsrechts der Söhne,37 eine Bestimmung, die zeigt, dass auf der Ebene des Gesamtreiches nach der Körperschaftlichkeit der Familie in der Zeit nach Ludwigs des Frommen Tod nicht mehr gesucht zu werden braucht. Das von Ludwig dem Frommen überstrapazierte Prinzip hausherrlicher Gewalt, auf das er bald zum Erhalt seiner Herrschaft auch angewiesen war, liegt auch den Reichsteilungen zugrunde, die willkürlich das Reich unter ausgesuchte Söhne verteilen.38 Ähnlich verhält es sich auch mit der Teilung des Reiches 833 bei Colmar unter Pippin, Ludwig den Deutschen und Lothar unter Ausschluss Karls, der wie der Vater festgesetzt worden war.39 Die Versuche, einzelner verwandter Könige, das Reich des verstorbenen Verwandten an sich zu reißen, sind aber wohl häufiger.40 Die Aussonderung eines königlichen Mitgliedes mit fortbestehenden Herrschaftsrechten aus der Familie als Herrschaftskonsortium, wie es Kaiser Lothar im Jahr 834 widerfuhr,41 ist nur zu verstehen, wenn der Familienverband bereits zerrüttet ist und von Körperschaftlichkeit kaum mehr etwas zu erkennen ist. Denn andernfalls hätte es nicht zum Auseinanderbrechen des Familienkonsortiums kommen dürfen; jedes Mitglied des Verbandes hätte seinen erlangten Platz behalten und nicht um ihn fürchten müssen. Gerade aber die Sorge um den Bestand der eigenen Stellung ist als eine Ursache für die auch nach dem Tod Kaiser Ludwigs

ein Bündnis Lothars II. mit Ludwig dem Deutschen als Ergebnis der Furcht vor Karl dem Kahlen. – Aus Angst vor einem zu engen Verhältnis zwischen den Brüdern Karl dem Kahlen und Ludwig dem Deutschen versöhnte sich Lothar II. mit Karl dem Kahlen (Ann. Bert. 867). All diese Beispiele zeigen sehr deutlich, dass die Zusammenschlüsse der herrschenden Familienmitglieder temporär und willentlich, also nicht im Sinne der Brüdergemeine („germanitas“) „natürlich“ zu nennen sind. 36 Ähnliches gilt für die Herstellung der Kompaternität, auch unter Brüdern, nämlich der Errichtung eines familiären Sonderverhältnisses, vgl. ANGENENDT, Familie der Könige 1989, 31 ff. 37 Wie z. B. im Vertrag von Meersen von 847 (SCHNEIDER, Brüdergemeine 1964, 147 f.) und im Vertrag zwischen Ludwig, Sohn Karls des Kahlen, und Ludwig, Sohn Ludwigs des Deutschen von 878 (MGH Cap. II, Nr. 246, cap. 3); vgl. Ann. Bert. 878. 38 Wie der nach dem unerlaubten Entfernen Pippins entstandene Plan Ludwigs des Frommen, das Reich unter Lothar und Karl aufzuteilen (832/33, Astronomus, Vita Hludowici 47), was nach dem Tod Pippins im Jahr 838 noch einmal im Jahr 839 geschah (auf den Todesfall Kaiser Ludwigs), wobei Ludwig dem Deutschen Bayern belassen werden sollte (KASTEN, Königssöhne 1997, 197 f.). 39 KASTEN, Königssöhne 1997, 192. 40 Vgl. hier nur den Versuch Ludwigs von Italien, unter Ausschluss seines Bruders Lothar seinen Bruder Karl zu beerben (Ann. Bert. 863) und Karls des Kahlen bedingt erfolgreicher Versuch, sich Italiens und des Kaisertums zu bemächtigen (Ann. Bert. 875). 41 Astronomus, Vita Hludowici 53. Vgl. dazu JARNUT, Regnum Italiae 1990, 357 unter Verweis auf Ann. Bert 834 und Thegan, Gesta Hludowici 55. Jarnut sieht Lothar in der Rechtsstellung Pippins unter Karl dem Großen.

4.2 Auflösung der Körperschaftlichkeit der Familie

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fortgesetzten Auseinandersetzungen zu verstehen. Auch die Verurteilung zum Tode und die Begnadigung zur Blendung Karlmanns, eines Sohnes Karls des Kahlen,42 ist als Ausschluss aus der Familie zu werten. Wäre dies aus ähnlichem Anlass weit früher geschehen, könnte man es als konsequentes Verhalten des Familienkonsortiums bezeichnen. Ein Konsortium der Familie besteht zu diesem Zeitpunkt im Reich Karls des Kahlen nicht mehr; so ist dies denn auch als eine Bestätigung dieser letzten Feststellung zu werten, denn der Sohn wurde letztlich auch deshalb zum Aufständischen, weil er um seinen Anteil an der (vor allem zukünftigen) Herrschaft im Reiche des Vaters fürchten und darum kämpfen musste. Der im Ergebnis ähnliche Fall Bernhards von Italien war selbst schon ein Indiz für den Verlust der Körperschaftlichkeit der Familie als Ganzer, da man Bernhard als nicht der hausherrlichen Gewalt des Kaisers untergebenen Verwandten ohnehin nicht mehr zum „Familienkonsortium“ rechnete, wie aus seiner Nichterwähnung in der Ordinatio imperii zu schließen ist. Das Vorgehen Karls des Großen gegen Pippin den Buckligen war als formal korrektes Verfahren Ausdruck des Prinzips von der Herrschaft der Familie, wenngleich Ähnlichkeiten mit dem Fall Karlmanns, des Sohnes Karls des Kahlen, nicht von der Hand zu weisen sind. Der Unterschied ergibt sich aber aus der (dargestellten) Veränderung der familiären Ordnung, in der die an der Herrschaft beteiligten Mitglieder kaum noch die Geschicke des Reiches bestimmten und immer mehr zu Erfüllungsgehilfen der verschiedenen Parteien wurden. Trotz all der aufgezählten Indizien für den Verlust der Körperschaftlichkeit der Herrscherfamilie zunächst auf Reichsebene, dann auch auf der Ebene der Teilreiche, wurde das Ideal der Einheit der Familie nicht aufgegeben.43 So konnte Kaiser Ludwig II. im Jahr 871 an den Basileus schreiben, dass er auch Herrscher im gesamten Frankenreich sei, und als Begründung die Einheit der Familie und den samtherrschaftlichen Charakter ihrer Herrschaft angeben.44 Der Herrscher als uneingeschränker Regent der Familie ist ein theoretisches Konzept, das im Wesentlichen aus biblischen Worten gespeist wird, die die hausherrliche Gewalt besonders betonen. Die Analogie von Gottvater, Hausvater und Herrscher, die ebenfalls zu einem guten Teil auf die biblische Autoriät zurückgeht, tut ihr übriges, um die herrscherlich-hausherrliche Gewalt als uneingeschränkt zu betrachten. Dieses theoretische Konzept hat seine Nachwirkungen bis in die moderne Forschung, die ausgehend von der weitgehend ungebundenen Herrschaft

42 Ann. Bert. 872. 43 Bei den Treffen der Brüder war es während des 9. Jahrhunderts üblich, dass die Brüder gemeinsam in einem Haushalt wohnten (SCHNEIDER, Brüdergemeine 1964, 113). 44 Ludovici II. imperatoris epistola ad basilium I. imperatorem Constantinopolitanum missa, in: MGH, Epp. VII, S. 388 f.: „In tota nempe imperamus Francia, quia nos procul dubio retinemus, quod illi retinent, cum quibus una caro et sanguis sumus hac unus per Dominum spiritus.“ S. dazu SCHNEIDER, Brüdergemeine 1964, 112.

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4 Die Herrscherfamilie als körperschaftlich organisierter Zusammenhang

Karls des Großen mehrheitlich keinen Grund sieht, es konsequent in Frage zu stellen. Aufgabe dieses äußerlich sehr treffenden theoretischen Konzeptes ist aber nicht die exakte Beschreibung der herrscherlichen Familie, sondern eine Forderung, die auf den Erhalt der rechten Ordnung abzielt. Denn die Aussichten einer vormodernen staatlichen Ordnung ohne festes „Verfassungsgefüge“, dauerhaft Bestand zu haben, sind ungleich besser, wenn die Herrschaft in der Monarchie des Herrschers gebündelt werden kann. Das gilt um so mehr für die Familie des Herrschers, die für die Kontinuität der Herrschaft zu sorgen hat. Diese Bündelung der Herrschaft in der Monarchie, wie sie über die herrscherliche Familie stattfindet, verlangt nach einer ausgeprägten körperschaftlichen Struktur der Familie, wie sie im Falle der Karolinger vorliegt und seit Ludwig dem Frommen (in ihrer Krise) auch deutlich zu erkennen ist.

1 Grundlagen und Voraussetzungen 1.1 Die Alte Kirche – Die Kirchen als Verbände im römischen Reich 1.1.1 Kirchen und Römisches Reich Auch die Kirchen der Karolingerzeit sind als Verbände aufzufassen. Es ist leicht festzustellen, dass von „der fränkischen Kirche“ in rechtlicher Hinsicht keine Rede sein kann. Statt einer solchen treten die einzelnen Kirchen selbständig und als geschlossene rechtliche Einheiten jeweils mit eigenem Vertreter auf. Das ist nachzuzeichnen. Dass das aber keinesfalls eine Verfallserscheinung des frühen Mittelalters ist, erweist der folgende Blick auf die Alte Kirche. Die Kirchen entwickelten im Inneren und im Verhältnis untereinander Ordnungsstrukturen, die sich im Verbund mit römischem Staat und römischen Rechtsvorstellungen ausbildeten. Die bis in karolingische Zeit verfolgbare Kontinuität dieser Strukturen1 und eine gewisse Ähnlichkeit der Stellung der antiken Kirchen mit denen der Karolingerzeit lässt in der Kirchenorganisation der Antike ein Vorbild für das Staatsdenken der Karolinger vermuten.2 Um diese Vermutung gegebenenfalls als zutreffend erweisen zu können, ist es notwendig, die Organisation und Verbandsstruktur der Alten Kirche nachzuzeichnen.3 Dabei kann natürlich nicht davon ausgegangen werden, dass die Verhältnisse im

1 Das konstatiert auch NOETHLICHS, Anspruch und Wirklichkeit 1990, 61 nach seiner umfassenden Zusammenstellung von Verfehlungen des Klerus vom 4. bis zum 8. Jahrhundert. – Vgl. auch WOLFF, Kontinuität der Kirchenorganisation 1994, der die Frage nach der Kontinuität für die Provinzen Raetien und Noricum stellt und ebenda 13 f. immerhin für Raetien mit der Kathedra von Chur auch bischöfliche Kontinuität konstatieren kann. Die Kontinuität der Bischofssitze ist danach anders zu bewerten als die Kontinuität christlichen Kultes, die vermutlich auch in großen Teilen Noricums fortbestand. Wohlbemerkt ist die Kontinuität der Kirchenorganisation im italischen und gallischen Raum unbestritten. 2 EHLERS, Grundlagen 2000/2001 zeigt die erhebliche Bedeutung der antiken politischen Vorstellungen für das abendländische politische Denken, insbesondere für die Monarchie. Zur Bewertung des Christentums als Katalysator der abendländischen Welt s. etwa LE JAN, Société [2003] 2006, 11. – Die Rolle der Kirchen und ihrer Vertreter bei der Entwicklung der Formen der westfränkischen Staatlichkeit zeichnet im Hinblick auf den Vertragsgedanken APSNER, Vertrag und Konsens 2006 nach. – ANGENENDT, Kirche 2009 führt ausführlich die andere Seite aus, nämlich die völlige Veränderung von Spiritualität, das weitgehende Verschwinden des „Logos“, der wissenschaftlichrationalen Theologie nämlich, und das massive Eingreifen von weltlichen Gewalten in die innere Organisation der Kirchen. All das ist aber kein Ergebnis eines Epochenwandels, sondern vielmehr der Begegnung von römischem Staat und christlichen Kirchen geschuldet, die über Umwege die Nachfolge der römischen Kulte anzutreten hatten bzw. antreten konnten. 3 DE JONG, Ecclesia 2006, 132 mahnt dringend an, den frühmittelalterlichen „Staat“ in seiner transzendenten Dimension nicht zu unterschätzen, wenn sie die Verantwortung des Herrschers vor Gott für den Staat, den Kult und für das rechte Handeln betont und prominente Herrschervorbilder in https://doi.org/10.1515/9783110641936-007

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1 Grundlagen und Voraussetzungen

gesamten römischen Reich überall „gleich“ gewesen seien, aufgrund der reichsweiten Organisation der Kirchen, die ja der staatlichen Ordnung folgt, kann aber von „Vergleichbarkeit“ ausgegangen werden, jedenfalls in den politischen Prinzipien ihrer Organisation. So erscheint es vertretbar, auch ohne im Einzelnen die kirchlichen Verhältnisse des antiken Gallien nachvollzogen zu haben, was auch die Quellenlage gar nicht zuließe, die allgemeinen Regeln kirchlicher Organisation als Grundlage zu nehmen, auf der die weitere Entwicklung der Kirchenorganisation Galliens verfolgt werden kann. Unter den herangezogenen antiken Quellen dominieren solche, die einen reichsweiten Anspruch erheben und normativen Charakters sind. Besonderes Gewicht wird danach auf die Beschlüsse der afrikanischen Konzilien gelegt, die ebenso wie die Beschlüsse der allgemeinen Konzilien und die Rechtsregeln des Codex Theodosianus für Gallien als maßgeblich anzusehen sind. Die Auffassung, es habe einen tiefen strukturellen Bruch zwischen Spätantike und frühem Mittelalter gegeben, entsteht im Wesentlichen erst im Humanismus der Renaissance.4 Das untergegangene Römische Reich, dessen Staatlichkeit soviel ausgeprägter wirkte als die der folgenden Zeiten und Völker, schien der entstehenden modernen Gesellschaft näher zu sein, als das vergangene Mittelalter. Das wurde auch in der erneuerten Rechtswissenschaft deutlich, für die das römische Recht zu einem vorrangigen Studienobjekt und Vorbild geworden war.5 Bei der Suche nach einem möglichen Vorbild für die Gestaltung der Rechtsordnung des modernen Staates des 19. Jahrhunderts imponierte das Römische Recht mit seinem umfassenden Regelungsanspruch und vor allem der außerordentlichen Autorität, mit der es verkündet wurde und umgesetzt worden zu sein schien.6 Möglicherweise war es wirklich die scheinbar umfassende Gültigkeit des römischen Rechtes im Römischen Reich, die die Rechtshistoriker beeindruckte. Der Kaiser und seine Juristen schienen die Sprache zu sprechen, die man verstand. Basis der modernen Staatlichkeit war die im Absolutismus erreichte Anstaltsstaatlichkeit, also die Verwaltung des gesamten Staatsgebietes und seiner Bewohner durch besoldete Beamte nach dem Willen des Herrschers, die nun durch eine verbindliche und verlässliche Rechtsordnung für die bürgerliche Gesellschaft ergänzt werden sollte. Gelegentlich wurde und wird die Rechts- und Herrschaftsordnung der spätantiken Kaiser auch als Absolutismus bezeichnet,7 was eine innere Verwandschaft mit

Erinnerung ruft, wie David, Konstantin und Theodosius, deren Handeln im Verbund mit der Geistlichkeit und in der Verantwortung vor Gott selbst erfolgreich war. 4 Vgl. DEMANDT, Fall Roms 1984, 118 ff. 5 Vgl. LANGE, Römisches Recht im Mittelalter I 1997, 30 zu den Glossatoren. 6 So SOHM, Institutionen 8,91899, 109–113 mit der Überschrift: „Das monarchische Kaisertum und die kaiserliche Gesetzgebung“. 7 Z. B. DEMANDT, Spätantike 1989, 213 f. der den Gebrauch des Begriffes thematisiert; vgl. auch KASER, Römisches Privatrecht 1992, 87: „absolute Monarchie“. S. zur Unangemessenheit des Dominatsbegriffs WIEMER, Staatlichkeit 2006.

1.1 Die Alte Kirche – Die Kirchen als Verbände im römischen Reich

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der Ordnung der absolutistischen Staaten des 17. und 18. Jahrhunderts nahelegt. Wenngleich es im Anspruch der Herrscher manche Ähnlichkeit gegeben haben mag, so hat sich doch im Laufe des 20. Jahrhunderts herausgestellt, dass der römische Staat nicht nur in seiner Frühzeit alles andere als ein vollendeter Anstaltsstaat war. Wohl gab es die Bemühungen der spätantiken Kaiser, dem gesamten Reichsgebiet eine feste und überall gültige Rechtsordnung zu geben. Während aber noch der Codex Theodosianus reichlich Spielraum für regionale Rechtsgewohnheiten ließ und sich damit stark an der Vielfalt der regionalen Rechtsräume des römischen Reiches orientierte,8 hat das Corpus iuris civilis Justinians trotz und wegen seines umfassenden Regelungsanspruches im Westen kaum mehr normative Kraft erlangen können. Die stark von den Digesten beeinflusste Auffassung der modernen Rechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts, namentlich der Pandektistik, von römischer Staatlichkeit verweist zwar in ihrem sachlich juristischen Gehalt auf die Rechtswissenschaft des zweiten Jahrhunderts n. Chr., ermangelt aber grundsätzlich einer bewussten Unterscheidung von Juristenrecht und Kaiserrecht,9 was zu der Ansicht führte, der Staat Justinians vollende die römische Staatlichkeit.10 Die daraus resultierende Konzeption der Antike als in sich geschlossene Epoche ließ das Mittelalter als das Andersartige erscheinen und hat den Blick auf die strukturellen Ähnlichkeiten (spät-)antiker und (früh-)mittelalterlicher Staatlichkeit verbaut. Zu jeder Zeit war den Herrschern des Römischen Reiches klar, dass ihre Stellung als oberste Gerichtsherren im Staat nur aufrechterhalten werden konnte, wenn die Gewalten vor Ort das Ihre dazu beitragen würden. So liegt der Fall ja auch in der Finanzhoheit des Kaisers. Die Vergabe von Immunitäten an lokale Große nimmt im Laufe der Späntike so weit zu, dass an ihr bald die faktische Ausgliederung von Teilen des römischen Reiches aus der Untergebenheit unter kaiserliche Herrschaft konstatiert werden kann, und das, nicht etwa weil der Kaiser über weniger Mittel oder eine kleinere Administration als zu früheren Zeiten11 verfügt hätte, sondern weil er die integrative Kraft als Patronatsherr der vielen Gemeinschaften des Reiches verlor. Die Loyalitäten und wirtschaftlichen Bindungen im Reich bezogen sich immer mehr auf die Regionen.12 Wenn nun also die Rechtsstellung und Organisation der Kirchen in diesem späten römischen Reich verfolgt wird, so ist der zugehörige staatliche Rahmen zu bedenken, dessen Grundprinzip die Subsidiarität darstellt.13 Es entscheiden zunächst und immer mehr die lokalen Gewalten, die von der Zentrale bzw. den Zentralen

8 HARRIES, Law and Empire [1999] 2001, 2 f. 9 KOSCHAKER, Europa und das römische Recht [1947] 1966, 272. 10 So z. B. SOHM, Institutionen 8,91899, 111, der Justinian als Vollender der Rechtsentwicklung bezeichnet. 11 DEMANDT, Spätantike 1989, 255; GEARY, Merowinger [1988] 1996, 37. 12 Das wird verstärkt durch die besondere regionale Bedrohung in der Völkerwanderungszeit. 13 Schon in der hohen Kaiserzeit, JACQUES/SCHEID, Rom und das Reich [1990] 1998, 368.

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1 Grundlagen und Voraussetzungen

allenfalls geordnet werden. Zu diesen lokalen Gewalten gehören zunehmend die Kirchen, die schon vor ihrer Förderung durch Konstantin über erheblichen Besitz verfügten.14 Seit dem vierten Jahrhundert sind die Bischofskirchen in Gallien faktisch und auch anerkanntermaßen Träger herrscherlicher Gewalt.15 Die Bischöfe ordnen und verwalten vor allem das städtische Leben, sie bauen und erneuern Mauern und öffentliche Gebäude ebenso wie Wasserleitungen16 – und sie sprechen Recht.17

1.1.2 Zur rechtlichen Stellung der Kirchen Zuerst existierten die Kirchen im römischen Reich als jeweils einzelne Gemeinden, seit dem 2. Jahrhundert unter Leitung eines Bischofs.18 Auf sie war durchaus das Konzept von „der Kirche“ als corpus mysticum anzuwenden, nämlich in Analogie zur Kirche Christi, der Gesamtkirche. Aus dieser kirchlichen Organisationsweise heraus konnte der Bischof als Vertreter Christi in apostolischer Sukzession aufgefasst werden als weit mehr denn als gewählter Vertreter einer Gemeinde. Und das passte durchaus in die Herrschaftsordnung des römischen Reiches mit dem Kaiser an der Spitze, der selbst ein Nachfolger von Göttern war und entsprechende Verehrung genoss. Das erklärt auch die besondere Rechtsstellung der einzelnen Kirchen, die zwar als Verbände aufgefasst wurden, in denen aber schon früh der Bischof theologisch überhöht wurde. Zu keiner Zeit war die allgemeine Kirche in ihrer Gesamtheit eine rechtliche Größe in der römischen Rechts- und Staatsauffassung. Die Kirchen wurden im römischen Staat bevorzugt als an einen Ort gebundene Gemeinschaften behandelt. Bei der weiteren Ausbreitung der christlichen Religion kam es zu Einrichtungen weiterer Einzelkirchen, denen kein Bischof vorstand, sondern nach Möglichkeit ein eigens bestellter Priester.19 Es ergab sich in rechtlicher Hinsicht die Möglichkeit, diese Einzelkirchen ebenfalls als rechtliche Einheiten aufzufassen. Schon zur Zeit der Apostel verfügten die Kirchen über Mittel, die auch ihre Nachfolger, die Bischöfe, nur verwalteten. Aus dem Prinzip der Subsidiarität heraus wurden von staatlicher Seite aber auch von Seiten der Konzilsväter den Klöstern und bald auch

14 DEMANDT, Spätantike 1989, 450. 15 S. zu Trier ANTON, Trier 1996, 36 speziell zum 6. Jahrhundert. 16 BAUMGART, Bischofsherrschaft 1995, 97. Vgl. auch PRINZ, Bischöfliche Stadtherrschaft 1974, 5. 17 DEMANDT, Spätantike 1989 betont ihre Zuständigkeit für die städtischen Finanzen, um die sie sich nach dem Willen Justinians gemeinsam mit drei angesehenen Bürgern kümmern sollten, Institutiones I,4,26 (530). 18 PLÖCHL, Geschichte des Kirchenrechts I 1953, 51. 19 Vom Bischof gegründete oder in seine Gewalt gelangte Stadtkirchen wurden als Tituli bezeichnet, während die Bezeichnung Parochiae, wenn nicht auf eine Bischofskirche angewendet, die Landkirche bezeichnete, die dann auch in der Verwaltung einigermaßen unabhängig sein konnte, JONES, Later Roman Empire II 1973, 900 f. zum 6. Jahrhundert.

1.1 Die Alte Kirche – Die Kirchen als Verbände im römischen Reich

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den Einzelkirchen ihre Vermögen als rechtmäßig bestätigt. In der Folge treten die Kirchen und Klöster in großer Zahl als eigentumsfähige Gemeinschaften auf, denen auch die Rechtsfähigkeit also nicht abgesprochen werden kann. Es bleibt bei der Aufsicht des Bischofs über das Kirchenvermögen in seiner Diözese. Aber wie das Kathedralvermögen wird auch das ihm darüber hinaus zur Aufsicht anvertraute Kirchenvermögen weder als sein Eigentum noch als sein Besitz betrachtet. Die Frage, ob die Kirchen nun wegen ihrer Rechtsfähigkeit als juristische Personen anzusehen gewesen seien, ist vielleicht schon für die Antike in dieser klaren auf das moderne Recht verweisenden Begrifflichkeit unangemessen.20 Im Kern aber steht natürlich die Frage im Raum, ob die Kirchen, unter ihnen die Ortskirchen und die Klöster, mit Ausnahme von „Eigenkirchen“ im Frühmittelalter, rechtlich gewissermaßen wie eine Person behandelt werden konnten und wurden. Als wer etwa tritt der Bischof bzw. Abt anderen Großen und dem König gegenüber, als Privatperson oder als Vertreter eines Verbandes? Da der Besitz der Kirchen und bald auch der Klöster in den Rechtssetzungen ebenso wie bei Rechtsgeschäften als Eigentum angesehen wurde, lassen sich beide auch als rechtsfähige Personen bezeichnen.21 Die juristische Person hingegen setzt den Staat voraus, der offiziell und nach gesetzten Regeln diese rechtsfähigen Personen anerkennt. Das ist selbst im römischen Staat lange Zeit fraglich. Dass die Kirchen seit Konstantin als rechtsfähig angesehen und behandelt wurden, kann indes nicht bestritten werden. Die Körperschaftlichkeit der Kirchen wird zwar in aller Regel vorausgesetzt, hat aber den üblichen römischen collegia gegenüber eine Sonderstellung. In den Kirchen gilt ein starkes monarchisches Prinzip, das im Falle der Bischofskirchen sich aus der apostolischen Sukzession ergibt und für die Klöster ganz ähnlich eingerichtet wurde.22 Das ist ein wesentliches Problem der folgenden Untersuchungen. Es gibt kaum Quellen, die das Innenverhältnis der Klöster und Kirchen beschreiben. Dies ließe sich über die – allgemein beachteten – regulae und consuetudines der Klöster und die Wahlbestimmungen für beide hinaus nur über Umwege erschließen.23 Fraglos handelt es sich im Falle der Kirchen und Klöster um Verbände, die von einem Haupt nach außen und nach innen vertreten werden. Der Theorie (und Theologie) nach muss dieser Verband von einem starken Haupt vertreten werden, das nur wenig abhängig von den Verbandsmitgliedern ist. Sie haben nach der Wahl ihres

20 So z. B. auch KASER, Das Römische Privatrecht I 1971, 303, der aber für die nachklassische Zeit eine Annäherung an die Konzeption einer juristischen Person konzediert (KASER, Das Römische Privatrecht II 21973, 151). – Vgl. ALEXANDER, Anstalten 2003, 4 f. 21 S. dazu etwa WOOD, Proprietary Church 2006, 51 zu dem Fall (hier konkret aus Italien), dass ein Gründer das zur Kirche gehörende Gut der Kirche selbst überträgt. 22 Darauf wies schon LAMMEYER, Juristische Personen 1929, 67 hin. 23 Ansätze dazu sollen in „Kirchen und Klöster“, 2. Kirchenorganisation im Reich der Karolinger, unternommen werden.

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1 Grundlagen und Voraussetzungen

Vorstehers kaum mehr etwas zu den Entscheidungen des Verbandes beizutragen. An ihre Stelle in der Entscheidungsfindung tritt ein komplexes Reglement, das den Vorsteher der Gemeinschaft bindet. Dieses Regelwerk wird von den Kollegen der Bischöfe auf Synoden und Konzilien aufgestellt und von herrscherlicher Seite bestätigt, im Falle der Klöster ist es zumeist das Werk der Klostergründer, nämlich im Rahmen der „Satzung“, nämlich der „regulae et consuetudines“.24 Einen hinzutretenden verbindlichen Rahmen bilden Bestimmungen von Synoden und Konzilien, also der Bischofsversammlungen. Die Regeln sollen für die Klöster von den Bischöfen und für die Bischofskirchen von den Kollegen des Bischofs und dem Metropoliten überwacht werden. Ob die Kirchen als rechts- und vermögensfähige Verbände im römischen Reich existierten oder nur die Mitglieder als Privat- und Einzelpersonen Rechtsfähigkeit genossen, ist eine Frage des römischen Rechts, nicht aber der kirchlichen Organisation selbst. Für die Christen im römischen Reich war zu jeder Zeit die Gemeinde ein Verband, der im Hinblick auf seine Mitglieder als rechtsfähig anzusehen war. Kirchenstrafen bis hin zur Exkommunikation unterlagen lediglich der „Vereinssatzung“.25 Was hätte auch eine Klage gegen solche Maßnahmen vor einem öffentlichen Gericht daran ändern sollen? Die Kirche in ihrer Gesamtheit wird in theologischer Hinsicht als corpus mysticum aufgefasst, und auch die innere Organisation der Kirchen folgt diesem Prinzip, kann nämlich als körperschaftlich bezeichnet werden, wobei von Anbeginn an das Haupt einer Gemeinde mit besonderer Vollmacht ausgestattet war; der Bischof war auch in der frühen Zeit kein bloßer Vertreter der Interessen der Mitglieder, sondern zugleich Vertreter des göttlichen Willens. Nun bringt das römische Staatsrecht es mit sich, dass ein spontan gebildeter Verband als illicitus angesehen wurde, bis er per Gesetz als rechtsfähig anerkannt wurde.26 Ein solcher Verband konnte geduldet werden, er genoß aber keinen staatlichen Schutz seiner Rechte und seines Vermögens; diese wurden in diesem Fall als bei den einzelnen Mitgliedern liegend angesehen.27 Im Falle einer staatlichen Anerkenntnis als rechtsfähiger Verband konnte sein Vermögen auch gegen seine Mitglieder geschützt werden, er konnte dann gegen andere Personen und Verbände als Einheit auftreten. Er wurde also faktisch zur juristischen Person.

24 Justinian aber fordert in CIC Nov. V,3 (S. 29 f.) ausdrücklich den Gehorsam dem Abt gegenüber. 25 Die Satzung konnte vom Verein verhältnismäßig frei gestaltet werden, KASER, Das Römische Privatrecht I 1971, 309. 26 KRÜGER, Rechtsstellung der vorkonstantinischen Kirchen 1935, 55–62. Vermutlich seit Augustus gab es die staatliche Zulassungspflicht für Vereine, KASER, Das Römische Privatrecht I 1971, 308. 27 KRÜGER, Rechtsstellung der vorkonstantinischen Kirchen 1935, 58 f.

1.1 Die Alte Kirche – Die Kirchen als Verbände im römischen Reich

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Da das römische Recht niemals zu einer Theorie der nicht natürlichen Personen gelangt ist und die Verbände teils unter den Personen, teils unter den Sachen behandelt, weil das Eigentum klassifiziert wurde,28 gegebenenfalls nämlich als solches den Schutz genoß, der damit der zugehörigen Vereinigung zukam, ist einerseits eine klare Bestimmung der Rechtsstellung der christlichen Kirchen im römischen Reich außerordentlich schwierig, andererseits ist zu vermuten, dass es daher auch einen gewissen Spielraum für die Gestaltung der Stellung der kirchlichen Verbände als solche gab.29 Die Frage nach der rechtlichen Stellung römischer Verbände lässt sich von zwei Seiten aus stellen. Die klassische rechtshistorische Herangehensweise lässt dazu nach gesetzlichen Bestimmungen zu Verbänden und deren Niederschlag in der Literatur suchen. Dann wird ziemlich schnell deutlich, dass die Römer sich über ihr (ausgeprägtes) Verbandswesen nur wenig und auch erst recht spät Gedanken machten.30 Dem modernen Rechtshistoriker reicht es aber nicht, den Verband als solchen festzustellen, sondern er verlangt folgerichtig, dass dieser als juristische Person aufgefasst wird. Erst mit ihr gelangt der Verband zu einer anerkannten und garantierten Rechtspersönlichkeit, die im Umgang mit natürlichen Personen und weiteren Verbänden notwendig ist. Die rechtshistorische Frage gilt dann schnell dieser juristischen Person des Verbandes. Diese ist von staatlicher Anerkennung abhängig. Und tatsächlich verleiht der römische Staat an Verbände in der Regel einzeln per Gesetz die faktische juristische Persönlichkeit, deren Rechte und Vermögen zu schützen er dann ebenso gezwungen ist wie im Falle natürlicher Personen.31 Seine Organe haben die hoheitliche Aufgabe der Gerichtsbarkeit, der der Schutz der Rechte von Personen unterliegt. Da aber Recht nicht mit gesetztem Recht gleichzusetzen ist, sind ergänzend die Rechtsgewohnheiten und besonders ihre Variationsbreite festzustellen. Nicht die Suche nach dem positiven Recht ist vorrangig, sondern die Frage nach der Rechtsauffassung, wie sie sich z. B. im Handeln niederschlägt. Für die römischen Verbände heißt das, dass vermutlich nicht bloß die konzessionierten Verbände geschäftsfähig waren. Durch das Eingreifen des Staates, der eben nur das Vermögen der konzessionierten Verbände anerkennt und zu schützen bereit ist, wird natürlich der nichtkonzessionierte Verband stärker zurückgesetzt, als dies sonst der Fall wäre, weil nämlich

28 Vgl. die Gliederung der Institutionen des Gaius und daran anschließend Justinians in Personen und Sachen. „Einzelne Elemente“ der juristischen Person, die die Römer selbst nicht definierten, finden sich in den Korporationen, ALEXANDER, Anstalten 2003, 113. 29 Gerade im Bereich der Vereine kam es zu manchen Rechtsgewohnheiten, die den staatlichen Rechtsvorgaben nicht entsprachen, wie etwa die Respektierung des letzten Willens durch den Verein, etwa bei der Wahl des Begräbnisortes, AUSBÜTTEL, Vereine im Westen des Römischen Reiches 1982, 64. 30 KASER, Das Römische Privatrecht II 1975, 151. 31 Überzeugend KRÜGER, Rechtsstellung der vorkonstantinischen Kirchen 1935, 35 ff.

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1 Grundlagen und Voraussetzungen

an seinem Handeln der Makel haftet, dass möglicherweise seine Handlungen von den Mitgliedern doch nicht gedeckt werden, ein verlässlicher geschäftlicher Umgang mit diesem Verein für weniger sicher erachtet werden könnte. Es ist nicht notwendig, nach einer juristischen Person zu suchen, es kann aber in einem weniger auf das positive Recht ausgerichteten Sinne die Rechtspersönlichkeit gefunden werden. Auch wenn in der Rechtstheorie, wie sie in Gesetzen etwa zum Ausdruck gebracht wird, die nichtkonzessionierten Verbände nur als Versammlungen von Einzelpersonen wahrgenommen werden, ihr Vermögen als das der einzelnen Mitglieder aufgefasst wird oder etwa Schenkungen an den Verband als nichtig angesehen werden, sie entweder als beim Schenker verblieben angesehen werden oder als der Allgemeinheit verfallen,32 ändert das nichts daran, dass ein Verband, dessen innere Organisation die Einigkeit nach außen aufrechterhält, gar nicht anders denn als Verband behandelt werden kann. Dann stellt er eine Rechtspersönlichkeit dar. Dieser Rechtspersönlichkeit kann man die Klagefähigkeit ebenso wie die Vermögensfähigkeit absprechen, formal aber ist es dem Vertreter des Verbandes kaum zu untersagen als natürliche Person treuhänderisch zu agieren, wenn die Mitglieder des Verbandes nach außen einig sind.33 Das gilt besonders nach römischen Rechtsvorstellungen, die die Gestaltung der Vereinssatzung im Wesentlichen dem Verein selbst überlassen. Nun scheinen aber die Kirchen tatsächlich als rechtsfähige Verbände anerkannt worden zu sein. Der Vorstellung von den Kirchen, die Rechtsfähigkeit nur als Begräbnisvereine erlangen konnten, hat Gerda Krüger mit guten Argumenten eine Absage erteilt.34 Ob das aber durchgehend und für alle Kirchen im römischen Reich so galt, ist immerhin fraglich. Es wäre zu überlegen, ob nicht die Dominanz der Bischöfe in ihren Gemeinden letztlich von der Notwendigkeit herrührt, den Gemeindeverband nach außen notfalls als natürliche Person zu vertreten. Mit der Erlaubnis der Erbfähigkeit der Kirchen durch Konstantin35 ist dann nicht nur ein weiteres Anwachsen kirchlichen Vermögens verbunden,36 sondern die endgültige Anerkennung der Kirchen als grundsätzlich rechtsfähige Verbände.37 Eine weitere Frage, die sich auf die rechtliche Einordnung kirchlicher Verbände richtet, stellt sich im Hinblick auf die Vorbilder. Wurden die Kirchen als Nachfolger römischer Kultverbände, als Verbände zu profanen Zwecken gesehen, oder gab es ein besseres Vorbild zu ihrer rechtlichen Integration?

32 KRÜGER, Rechtsstellung der vorkonstantinischen Kirchen 1935, 59. 33 STUTZ, Geschichte des kirchlichen Benefizialwesens [1895] 1961, 5 vermutet, dass in der Zeit der „Verfolgung“ dem Bischof das Kirchengut „fiduciarisch zu Eigentum übertragen gewesen“ sei. 34 KRÜGER, Rechtsstellung der vorkonstantinischen Kirchen 1935, 69 ff. 35 CTh 16,2,4; auch in Quellensammlung zur Religionspolitik Konstantins 1989, 152 f. – Vgl dazu LIEBS, Konstantin 2006, 105. 36 JONES, Later Roman Empire II 1973, 895 f. 37 DORN, Landschenkungen 1991, 201 sieht die Kirchen seit Konstantin als „juristische Personen“.

1.1 Die Alte Kirche – Die Kirchen als Verbände im römischen Reich

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Ersteres ist auszuschließen. Römische Kultverbände stehen unter der Leitung staatlicher Organe, wie in der Zeit der Republik etwa der Censoren,38 haben staatstragenden Charakter,39 was auch Konstantin nicht abschaffte, und bestehen lange Zeit parallel zu den christlichen Kirchenverbänden, denen die Selbstorganisation wesentlich ist. Der staatstragende Charakter, den die Kirchen seit Konstantin bekommen, entsteht auf andere Weise, nämlich indem allein der Bischof in staatliche Aufgaben eingebunden wird. Die Aufgaben der kirchlichen Verbände sind umfassender als die der römischen und nichtrömischen Kultverbände und können auch daher nicht mit ihnen gleichgesetzt werden. Außerdem zeigt die Unterscheidung der Sakralrechtssphären im römischen Recht in res sanctae, res religiosae und res sacrae40 und die Bezeichnung der Kirchen als sanctae ecclesiae deutlich, dass die Kirchen nicht wie die Kultgemeinschaften römischer Religion aufgefasst wurden.41 Die Verwaltungsgewohnheiten des Römischen Reiches erlauben es, Subsysteme zu nutzen, denen eine gewisse innere Autonomie gestattet wird und deren Verwaltungskompetenzen für die Organisation des Reiches genutzt werden. Das gilt für die meisten dem Römischen Reich inkorporierten Räume, die entweder ihre politische Organisation behielten und damit für die Verwaltung unter der Hoheit Roms zuständig blieben, oder aber, wie in Gallien, wo systematisch civitas-Strukturen gefördert und eingerichtet wurden, die es erlaubten, zahlreiche Verwaltungsaufgaben subsidiär zu erledigen und so das Reich selbst damit nicht zu behelligen. Zugleich waren diese politischen Einheiten dem Reich für die Steuer verantwortlich, personalisiert durch die politischen Akteure der civitates, nämlich die Curialen, die Mitglieder des städtischen Rates.42 Mit den Städten des Reiches gab es eine lange Tradition von rechtlichen Beziehungen, bei denen die Beziehung zum Verband und nicht zu den Einzelnen bestand. Besonderes seit Augustus wird das Prinzip der Beziehungen vom Prinzeps zu den Gemeinden Italiens und der Provinzen zu einem tragenden Konzept für die Einbindung von Fremden in das Gefüge des römischen Reiches.43 Die jüdischen Gemeinden wurden in ähnlicher Weise aufgefasst, was ihnen verbrieft worden war. Immerhin lag diese Sache schon dadurch anders, da man im Falle der Juden von einem Volk sprechen konnte, das nicht über Bekenntnis eine solche Zunahme an Mitgliedern hatte, wie die christlichen Gemeinden.

38 MOMMSEN, Römisches Staatsrecht II,1 1877, 61. 39 Vgl. JACQUES/SCHEID, Rom und das Reich [1990] 1998, 127 ff. 40 Gaius, Institutiones II,2–9. 41 Vgl. dazu STROTHMANN, Kaiser und Senat 1998, 173 ff. Vgl. auch knapp RÜPKE, Religion der Römer 2001, 14 f. 42 KASER, Römisches Privatrecht 1992, 87 f. und ausführlicher KASER, Das Römische Privatrecht I 1971, 306 f., wonach den civitates noch in der Zeit der späten Republik das aktive und passive Klagerecht zuerkannt wurde. 43 STROTHMANN, Augustus 2000, 189 ff. (zum Westen des Reiches) und 257 ff. (zum Osten).

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1 Grundlagen und Voraussetzungen

Die Städte Italiens und der Provinzen des Ostens behielten ihr Recht und ihre gesellschaftlichen Gewohnheiten, nahmen aber in der Außenbeziehung an der römischen Rechtsordnung teil.44 Das könnte ein Vorbild für die christlichen Gemeinden gewesen sein, die ja ebenfalls sehr weitreichende innere Gebundenheiten kannten.

1.1.3 Zur Organisation der Kirchenverbände Das Vermögen der Kirchen, als Ordnungsmacht zu fungieren und so zum Erhalt staatlicher Strukturen im Reich beizutragen, hat ihnen manche Freiheiten eingebracht. Bis zur Zeit Konstantins erfüllen die Kirchen offiziell keine staatlichen bzw. hoheitlichen Aufgaben. Konstantin ändert das. Er versucht die christlichen Kirchen den römischen Kulten an Bedeutung gleichzustellen. Seit dem 5. Jahrhundert wurden die Kirchengüter von Staats wegen mit einem Veräußerungsverbot belegt, wie es bis dahin im Wesentlichen für das Göttergut der Kulte galt, und wie es – freilich aus anderen Gründen – auch für die Munizipien vorgeschrieben war.45 Den Bischöfen wird bereits durch Konstantin die episcopalis audientia übertragen.46 Von ihnen wird erwartet, dass sie in Streitfällen an Staates statt für Frieden sorgen.47 Sie taten das ohnehin und zunehmend auch bei Streitigkeiten mit Nichtchristen.48 Ihre Autorität muss auch vor der Erhöhung durch Konstantin als außerordentlich bezeichnet werden.49 Sie waren Sachwalter immenser Liegenschaften und waren darin sehr bald nach der Einrichtung kirchlicher Erbfähigkeit vielerorts unter den ersten Adressen der Großen zu finden. Bald kamen die Bischöfe auch aus

44 Mit sehr unterschiedlichen Rechtsstellungen bis hin zu weitgehender Verwaltungsautonomie, vgl. JACQUES/SCHEID, Rom und das Reich [1990] 1998, 238 ff. und ebenda 283 ff. zu Finanzen und Gerichtsbarkeit. 45 Vgl. JACQUES/SCHEID, Rom und das Reich [1990] 1998, 284. 46 CTh I,27,1; englische Übersetzung in Roman State & Christian Church I 1966, Nr. 28, S. 74–76; GIRARDET, Konstantinische Wende 1988, 117 sieht den Bischof hier als „quasistaatliche Gerichtsinstanz“, die auch tätig werden konnte, wenn sie nur von einer Seite angerufen wurde. – S. dazu RAPP, Bishops 2005, 242 ff., die die Qualität einer Schiedsgerichtsbarkeit betont. 47 BAUMGART, Bischofsherrschaft 1995, 24–27; MERZBACHER, Bischofsstadt 1961, 9 f. – Vgl. aber ECK, Einfluß der konstantinischen Wende 1978, 563, der darauf hinweist, dass das bischöfliche Gericht nur tätig werden konnte, wenn die Streitgegner ihr Einverständnis erklärt hatten. Der Einwand bedeutet jedoch nur eine geringe Korrektur, da die litis contestatio, also die formelle Erklärung der Streitabsicht, ohnehin zum römischen Zivilprozess gehörte. – Vgl. zur episcopalis audientia und ihrer Fortentwicklung zu einem regulären Teil der Rechtsordnung bis Justinian und im Frankenreich des 7. Jahrhunderts ESDERS, Römische Rechtstradition 1997, 176 ff. 48 HARRIES, Law and Empire [1999] 2001, 191–211, hier 193–195. 49 Nicht unwesentlich dazu beigetragen haben wird die Liturgie, derer sich die Bischöfe zur Darstellung von Amt und Person bedienten und die sie innovativ gestalteten, JUSSEN, Bischofsherrschaften 1995.

1.1 Die Alte Kirche – Die Kirchen als Verbände im römischen Reich

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dem Kreis der großen Familien, für die das Bischofsamt immer mehr auch Karriere bedeutete.50 Neben dem materiellen Reichtum der Kirchen, den die Bischöfe zu verwalten hatten, bedeutete das kirchliche Prinzip von Herrschaft und Wahl Sicherheit und damit Kontinuität. Jeder, der sich dem Schiedsspruch des Bischofs untergab, konnte damit rechnen, dass diese Entscheidung ihre Gültigkeit behalten würde. Anders als andere Große wurden Bischöfe in aller Regel nicht Opfer von Verschwörungen innerhalb ihres Herrschaftsverbandes und hatten auch nur wenig Rücksicht auf die Sonderwünsche einzelner Verbandsmitglieder zu nehmen, wie vermutlich die Häupter großer Familien. Ihre Nachfolge erfolgte geordnet, und der Nachfolger war an die Rechtsgeschäfte des Vorgängers aller Wahrscheinlichkeit nach mehr gebunden als der Nachfolger eines Hauptes einer großen Familie. Hier kommt der Kirchenorganisation ihre vergleichsweise wenig an Konsens gebundene Herrschaftsorganisation zu Gute, die den Verbandscharakter wohl erhielt, einem freien Spiel der Kräfte jedoch Grenzen setzte. Im Folgenden soll anhand einschlägiger Konzilscanones der Alten Kirche bis um etwa 500 n. Chr. der Verbandscharakter der Kirchen dargelegt werden.51 Die Beschlüsse der Konzilien seit Konstantin können den Anspruch erheben, die Organisation der Kirchen einigermaßen verbindlich festzulegen, weil sie zum Teil unter kaiserlichem Vorsitz zustande kamen, zum Teil auf kaiserliche Regelungen Bezug nehmen, v. a. aber weil sie den Willen der versammelten Bischöfe repräsentieren. Sie zeigen die Wirklichkeit natürlich weniger in ihren Absichtserklärungen als in der damit oft verbundenen Bestandsaufnahme. Es muss klar sein, dass nicht jeder Priester vor Ort die auf den Konzilien erlassenen Regeln verstanden und umgesetzt haben wird, was sich leicht an häufigen fast wörtlichen Wiederholungen erkennen lässt. Aber gerade die häufigen Wiederholungen mancher Bestimmungen zeigen die Beharrlichkeit der kirchlichen Funktionäre in der Betonung theologisch begründeter Konzepte der Kirchenorganisation, deren zumindest mittelbarer Erfolg letztlich vermutlich in der Dauerhaftigkeit kirchlicher Ordnung zu sehen ist und die Staatlichkeit der kirchlichen Organisation erst erlaubte. Wesentlich für die Kirchenorganisation ist die kanonische Bischofswahl. Das Kirchenvolk nämlich wählt seinen Bischof, bevor mindestens drei Bischöfe die Ordination vornehmen. Bei der Wahl wird deutlich, dass der Bischof als Vertreter seiner Gemeinde anzusehen ist, während nach vollzogener Ordination seine Vertreterschaft Christi im Vordergrund steht und das Kirchenvolk kaum mehr in Erscheinung tritt.52

50 Vgl dazu BAUMGART, Bischofsherrschaft 1995, bes. 55–57. Vgl. die Einschränkung der Annahme einer frühen Zugehörigkeit der Bischöfe zum Adel auf Gallien bei ECK, Einfluß der konstantinischen Wende 1978. 51 Vgl. auch die recht umfassende Zusammenstellung von Unregelmäßigkeiten in den antiken und frühmittelalterlichen Kirchen bei NOETHLICHS, Anspruch und Wirklichkeit 1990. 52 In der Auseinandersetzung mit den Donatisten kommt es um 400 zu der Bestimmung, dass bei Aufteilung einer Diözese unter einen katholischen und einen ehemals donatistischen Bischof unter

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1 Grundlagen und Voraussetzungen

In der afrikanischen Kirche legen die Konzilsväter immerhin Wert darauf, dass der Bischof nicht princeps sacerdotum genannt werde,53 was sich vermutlich gegen gelegentlich angenommene Analogie zu kaiserlicher Stellung richtete, zugleich aber zeigt, welche Stellung der Bischof in seinem Amtsbereich einnahm. Die Kirchen suchen sich gegen eine Vermischung von geistlicher und weltlicher Herrschaft abzuschließen, indem sie u. a. darauf drängen, dass in aller Regel Kleriker nicht vor weltliche Gerichte ziehen dürfen,54 sondern für Streitfälle nur ihr Bischof bzw. als höhere Instanz aliorum episcoporum audientia zuständig sei.55 Ein Kleriker soll kein Geld zum Nießbrauch vergeben und auch nicht fremdes Gut verwalten.56 Die Kirchen sollen ganz offensichtlich so wenig wie möglich mit der staatlichen Organisation verflochten werden.57 Was durch die episcopalis audientia auf der Ebene der Kirchenführung nicht zu verhindern, aber auch wohl nicht unerwünscht war, konnte im Bereich unterhalb der Bischofsebene nicht toleriert werden. Während die Bischöfe als Gerichtsherren auf höchster Ebene staatliche Funktionen ausübten, wären die Kleriker der kirchlichen Hoheit entzogen worden, wenn sie in weltliche Geschäfte und Streitsachen geraten wären, und sich damit auch weltlicher Ordnung hätten untergeben müssen. Zahlreiche Bestimmungen der Konzilien verlangen außerdem auch die strenge Trennung der Diözesen voneinander. Die Kirchen sind eben nicht rechtlich nur Teile der einen Kirche, sondern Rechtssubjekte, was auch im Inneren der „Kirche“ also beachtet wurde. Klerikern ist es untersagt, ohne Auftrag bzw. Erlaubnis des Bischofs die civitas (bzw. Diözese) zu verlassen58 oder gar zu fremden Konzilien zu gehen.59 Auch ist es einem Bischof untersagt, eine von ihm in fremder Diözese gestiftete Kirche selbst zu weihen.60 Dass diese Einschränkung der Mobilität allein aus einer

bestimmten Umständen die Wahl des Kirchenvolkes über die Grenzziehung entscheidet, wenn nämlich beide Bischofssitze nahe beieinander liegen, Registri ecclesiae Carthaginensis excerpta, can. 118, Concilia Africae, ed. C. Munier, 1974, S. 224. 53 Registri ecclesiae Carthaginensis excerpta tituli, ca. 419, can. 6, Concilia Africae, ed. C. Munier, 1974, S. 235. 54 Ausdrücklich in den Canones in causa Apiarii, 14, Concilia Africae, ed. C. Munier 1974, S. 121 f.: „Ut nullus clericus ad iudicium publicum veniat.“ Das gilt dem Text nach auch für Strafsachen. 55 Concilium Veneticum (461–491), can. 9, Concilia Galliae I, ed. C. Munier, 1963, S. 153. 56 Concilium Arelatense secundum (442–506), can. 14 (nach einzelnen Codices), Concilia Galliae I, ed. C. Munier, 1963, S. 127: „Ut clerecus pecuniam ad usuram non donit nec conductor aliene rei vel negutiator existat.“ 57 Dazu gehört auch die Exemption von Klerikern von öffentlichen Lasten, etwa CTh 16,2,2, übersetzt und kommentiert von Coleman-Norton in Roman State & Christian Church I 1966, Nr. 29 f., S. 76 f. 58 Breviarum Hipponense (393/397), can. 35, Concilia Africae, ed. C. Munier, 1974, S. 42; Concilium Turonense (461), can. 12, Concilia Galliae I, ed. C. Munier, 1963, S. 147. Auch darf der Kleriker ohne Erlaubnis des Bischofs innerhalb der Diözese seine Kirche nicht verlassen, ebenda, can. 11. 59 Registri ecclesiae Carthaginensis excerpta, can. 125, Concilia Africae, ed. C. Munier, 1974, S. 227. 60 Concilium Arausicanum (441), can. 9 (10), Concilia Galliae I, ed. C. Munier, 1963, S. 80 f.

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Analogie zur allgemein eingeschränkten Mobilität im Römischen Reich zu erklären ist, ist unwahrscheinlich. Vielmehr geht es um das monarchische Prinzip der Bischofsherrschaft als Herrschaft in apostolischer Sukzession. Die Zugehörigkeit aller Mitglieder eines Verbandes zu demselben und dessen Integrität würde aufgeweicht werden, wenn die Teilnahme an Entscheidungen zweier Verbände möglich würde. So wird es einem Abt auch untersagt, zwei Klöstern vorzustehen.61 Vorsteher und einfache Verbandsmitglieder werden allerdings wie in Zwangskörperschaften62 aneinander gebunden. Im Falle der Klöster zeigen die regulae und consuetudines durchaus den Sinn dieser gegenseitigen Bindung, denn der Abt als nahezu unumschränker Herr über die Mönche ist nur dann sinnvoll, nämlich in seiner Funktion als väterlicher Seelsorger, wenn er sich seiner Verantwortung, die er vor Gott für die Mönche und ihr Seelenheil trägt, nicht teilweise bzw. zeitweise entziehen kann.

1.1.4 Kirchengut und Veräußerungsverbot Nicht nur die Bischofskirche war in der Spätantike Eigentümer des ihr zugehörenden Gutes. Sie war es ja ohnehin schon vor ihrer Privilegierung durch Konstantin, der den Kirchen die Erbfähigkeit gestattete, was zu einem ernormen Anwachsen ihrer Güter führte. Seit wann Partikularkirchen Eigentümer ihres zugehörenden Gutes sein konnten, ist nicht ganz klar. Die von einem Priester geleitete Ortskirche wird faktisch über Eigentum bzw. Besitz verfügt haben, aus demselben Grund, der zu ihrer Einrichtung innerhalb einer Diözese führte, nämlich der räumlichen Entfernung von der Kathedra des Bischofs. Es wird wohl kaum das der Kirche zufließende Vermögen in voller Höhe zunächst an den Bischof gesandt worden sein, weshalb diese Ortskirchen eine gewisse Verfügungsgewalt über materielle Güter von Anbeginn an gehabt haben werden. Seit dem Beginn des 5. Jahrhunders können in Afrika und Gallien die Klöster jedenfalls als Eigentümer ihres Kirchengutes angesehen werden.63 Eine besondere Aufgabe der Konzilien war der Schutz des kirchlichen Eigentums, wozu die Veräußerung von Kirchengut grundsätzlich untersagt wurde und nur in Ausnahmefällen unter bestimmten Bedingungen gestattet war.64 Das

61 Concilium Agathense (506), can. 57 (Ergänzungen, Concilia Galliae I, ed. C. Munier, 1963, S. 226). 62 AUSBÜTTEL, Vereine im Westen des Römischen Reiches 1982, 106 stellt fest, dass kein Gesetz die Zwangskörperschaften begründete, sondern dass der Zwang, einer Körperschaft anzugehören, sich aus sekundären Zwängen ergab. 63 So jedenfalls GAUDEMET, L’Eglise 1959, 304. 64 Canones in causa Apiarii (um 418), can. 26, Concilia Africae, ed. C. Munier, 1974, S. 109, worin vorgesehen ist, dass gemeinsam mit dem Primas und anderen Bischöfen der Fall zu beraten sei. – Ferrandi ecclesiae Carthaginensis diaconi breviatio canonum (523–546), can. 47, Concilia Africae, ed. C. Munier, 1974, S. 291. Es ist z. B. für den Fall der Vergabe von Kirchengut in diesen Notfällen vorgesehen, dass neben den Bischofskollegen auch die Priester der Diözese ihre Zustimmung geben mussten, um ein solches Geschäft möglich zu machen, Canones in causa Apiarii (um 418),

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1 Grundlagen und Voraussetzungen

kirchliche Veräußerungsverbot wurde von den Kaisern Leo und Anthemius im Jahr 470 in eine kaiserliche Anordnung für Konstantinopel gefasst, die die Alienation grundsätzlich verbot. 65 Schutz bedurfte das Kirchengut auch vor Bischöfen und Klerikern.66 Schon das Konzil von Antiochia gebot, im Falle des Todes des Bischofs genau auf das in seinem Nachlass befindliche Kirchengut zu achten, wobei wohl davon ausgegangen wurde, dass der Bischof Kirchengut und Eigengut nicht absolut getrennt verwaltete.67 In Gallien wurde im Jahr 506 festgelegt, dass der Bischof über sein Eigengut testamentarisch verfügen konnte, dabei aber darauf zu achten sei, dass das Kirchengut nicht angetastet werden durfte.68 Andererseits wurde schon früh darauf geachtet, dass die Kleriker nach dem Tod des Bischofs sich nicht (möglicherweise zugunsten des Kirchengutes) an dessen Eigengut vergingen.69 Auch Klerikern wurde ausdrücklich untersagt, von dem ihnen anvertrauten Kirchengut irgendetwas zu vergeben, da „res sacratae Deo esse noscuntur“.70 Wenn aber ein Priester, der eine Diözese verwaltete, etwas verkaufte, so sollte er dies schriftlich niederlegen.71 Noch deutlicher wird die Trennung des Gutes der Kirchen vom Eigengut der Kleriker in den Bestimmungen, die sich mit der vorsätzlichen Entfremdung von Kirchengut durch Bischöfe und Kleriker befassen, wie z. B. im Falle der testamentarischen Vergabe von Kirchengut durch Bischöfe.72 So soll die Entfremdung von

can. 33, Concilia Africae, ed. C. Munier, 1974, S. 110, und für Gallien Concilium Agathense (506), can. 7, Concilia Galliae I, ed. C. Munier, 1963, S. 195 f. – Vgl. u. a. auch KNECHT, Justinianisches Kirchenvermögensrecht 1905, 133 f. 65 Dies selbst bei Zustimmung der Priester der Diözese (KNECHT, Justinianisches Kirchenvermögensrecht 1905, 134). – Vgl. auch JONES, Later Roman Empire 1973, II, 896 f. 66 Vgl. JONES, Later Roman Empire II 1973, 896 ff. – S. zur Entfremdung durch Bischöfe, deren Ausmaß aber kaum zu bestimmen ist, RAPP, Bishops 2005, 217. 67 Concilium Antiochenum (341), can. 24 „De rebus ad ecclesiam pertinentibus“; ferner wird dort bestimmt, dass der Bischof über sein Eigengut auch in der Weise verfügen durfte, dass er es der Kirche hinterlassen konnte. Vgl. auch JONES, Later Roman Empire II 1973, 896. 68 Conciliun Agathense (506), can. 48, Concilia Galliae I, ed. C. Munier, 1963, S. 225. 69 Concilium Chalkedonense (451), can. 22 (ed. Alberigo, S. 147; vgl. die Ausgabe bei Mansi VII, 390 bzw. 399). 70 Concilium Agathense (506), can. 49, Concilia Galliae I, ed. C. Munier, 1963, S. 225. 71 Concilium Agathense (506), can. 54, Concilia Galliae I, ed. C. Munier, 1963, S. 226: „Presbyter dum diocesim tenet, de his quae emerit ad ecclesiae nomen scripturam faciat, aut ab eius quam tenuit ecclesiae ordinatione discedat.“ 72 Concilium Agathense (506), can. 51 (Ergänzungen), Concilia Galliae I, ed. C. Munier, 1963, S. 225: „Si episcopus condito testamento aliquid de ecclesiastici proprietate legaverit, aliter non valebit nisi vel tantum de iuris proprie facultate suppleverit.“ Vgl. auch Ferrandi ecclesiae Carthaginensi diaconi breviatio canonum (523–546), can. 38, Concilia Africae, ed. C. Munier, 1974, S. 290: „Ut episcopus matricius non usurpet quidquid fuerit donatum ecclesiis quae in diocesi constitutae sunt.“

1.1 Die Alte Kirche – Die Kirchen als Verbände im römischen Reich

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Kirchengut durch Priester ein damit verbundenes Rechtsgeschäft nichtig machen.73 Gelegentlich werden auch Bestimmungen notwendig, die die Kontrolle des Bischofs durch die Kleriker verfügen, nämlich für Eingriffe in die Substanz der Kirchen, also etwa bei Vergabe von Kirchengut.74 Das Veräußerungsverbot hat letztlich den unversehrten Erhalt des Kirchengutes und damit den fortwährenden Bestand der Kirchen im Sinn. Genau dies bestimmt Canon 24 des Konzils von Chalkedon für die Klöster: Quae semel ex voluntate episcopi dedicata sunt monasteria, manere monasteria et res quae ad ea pertinent monasteriis reservari nec posse ea ultra fieri saecularia habitacula.75

Es ist anzunehmen, dass diese Bestimmung das Gut des Klosters auch als Eigentum des Klosters ansieht und nicht nur dem Kloster zum Nießbrauch gewährt. Der gebrauchte Plural könnte auch erlauben, dass das Klostergut einmal an andere Klöster fallen könnte, was aber der Bestimmung des fortwährenden Bestehens des Klosters durchaus nicht entspräche. Die Aufsicht über das Klostergut hat wie für alle kirchlichen Einrichtungen in seiner Diözese der Bischof.76 Auch die Klostergründung wird nur mit Erlaubnis des Bischofs zugelassen,77 wobei zu vermuten ist, dass in der Regel Klöster durchaus ohne Erlaubnis des Bischofs entstanden und möglicherweise auch nicht mit dem nötigen Kapital ausgestattet waren.

73 Concilium Agathense (506), can. 53 (Ergänzungen 6), Concilia Galliae I, ed. C. Munier, 1963, S. 226. 74 Statuta ecclesiae antiqua (um 475), can. 50, Concilia Galliae I, ed. C. Munier, 1963, S. 174: „Irrita erit episcopi vel donatio vel venditio vel commutatio rei ecclesiasticae absque conviventia et subscriptione clericorum.“ – Concilium Agathense (506), can. 7, Concilia Galliae I, ed. C. Munier, 1963, S. 195 f.: „[. . .] et habita discussione sacerdotali, eorum subscriptione quae facta fuerit venditio roboretur; aliter facta venditio vel transactio non valebit.“ – Canones in causa Apiarii (um 418), can. 33 und 39, Concilia Africae, ed. C. Munier, 1974, S. 110, 129, nach verschiedenen Sammlungen. – Maßgeblich beteiligt sollten die Kleriker bei der Schiedsgerichtsbarkeit des Bischofs sein, nach Statuta ecclesiae antiqua, can. 14, Concilia Galliae I, ed. C. Munier, 1963, S. 168 f.: „Ut episcopus nullius causam audiat absque praesentia clericorum suorum; alioquin irrita erit sententia episcopi nisi clericorum praesentia confirmetur.“ 75 Concilium Chalcedonense (451), ca. 24, ed. Alberigo, S. 148. – Vgl. zu dieser Bestimmung auch ROSENWEIN, Negotiating Space 1999, 33 f. Vgl. den Text bei Mansi VII, 399: „Quae Deo semel sacrata sunt monasteria secundum episcoporum consensum, oportet in perpetuum monasteria nuncupari, et eorum res monasteriis reservari et non debere ulterius coenacula saecularia fieri.“ 76 Concilium Agathense (506), can. 56 (Ergänzungen), Concilia Galliae I, ed. C. Munier, 1963, 226: „In venditionibus, quas abbates facere praesumpserint, haec forma servetur, ut quidquid sine episcopi notitia venditum fuerit, ad potestatem episcopi revocetur.“ „Potestas“ drückt hier die Form der bischöflichen Aufsicht aus. 77 Concilium Agathense (506), can. 27 (Epistola sancti Innocentii episcopi), Concilia Galliae I, ed. C. Munier, 1963, S. 205.

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1 Grundlagen und Voraussetzungen

Für die Auseinandersetzung in weltlichen Dingen, möglicherweise vor weltlichen Gerichten, wurde von kaiserlicher Seite verlangt, dass die Kirchen eigene Advokaten haben sollten, was zumindest von der afrikanischen Kirche aufgegriffen wurde.78

1.1.5 Bischofskollegium und Metropolit Zahlreich sind die Forderungen der Konzilien in der Alten Kirche nach der Bischofsordination durch mehrere Bischöfe, in der Regel mindestens drei, und der Zustimmung des Metropoliten.79 Die Bischöfe werden recht stark in ein Kollegium eingebunden – bezeugt ist die ausdrückliche Bezeichnung eines Mitbischofs als „collega noster“,80 wobei der Metropolit nicht die Funktion eines Hauptes übernimmt, sondern eher die eines Vorsitzenden der Bischofsversammlung. Die Bischofsversammlung hat nach einer oft wiederholten Forderung von Konzilien zwei Mal im Jahr zusammenzutreten.81 Für diese Versammlungen gilt Anwesenheitspflicht für Bischöfe.82 Eine Forderung des Konzils von Antiochia (can. 9) im Hinblick auf die Stellung und Funktion des Metropoliten und sein Verhältnis zu den anderen Bischöfen der Provinz lautet folgendermaßen: Unusquisque enim episcopus habeat suae parochiae potestatem, ut regat iuxta reverentiam singulis competentem et providentiam gerat omnis possessionis, quae sub eius est potestate, ita ut presbyteros et diaconos ordinet, et singula suo iudicio comprehendat. Amplius autem nihil agere tentet praeter Antistitem Metropolitanum, nec Metropolitanus sine caeterorum gerat consilio sacerdotum.83

Während also der Bischof in seiner Diözese die potestas (nicht das imperium) hat, ebenfalls die potestas über den Besitz der Kirchen seiner Diözese, dazu Priester und Diakone ordiniert, stehen weitreichendere Entscheidungen und Zuständigkeiten dem Metropoliten zu,84 der aber darin dem consilium des Bischofskollegiums verpflichtet ist. Der Metropolit agiert dieser Forderung nach also als ein Vertreter des Kollegiums,

78 Registri ecclesiae Carthaginensis excerpta, can 97, Concilia Africae, ed. C. Munier, 1974, S. 215 f. 79 Concilium Carthaginensis (390), cap. 12, Concilia Africae, ed. C. Munier, 1974, S. 18; Registri ecclesiae Carthaginensis excerpta, can. 50, Concilia Africae, es. C. Munier, 1974, S. 188. 80 Concilium Hipponense (393), cap. 4, Concilia Africae, ed. C. Munier, 1974, S. 21. 81 Concilium Chalkedonense (451), can. 19 m ed. Alberigo, S. 146; vgl. die Ausgabe bei Mansi, VII, 398. So auch in den Canones in causa Apiarii, can. 23, Concilia Africae, ed. C. Munier, 1974, S. 123 f. – Eine zurückhaltendere Forderung innerhalb der afrikanischen Kirche verlangt die jährliche Einberufung von Konzilien, Breviarium Hipponense in Concilio Carthaginensi conlata (397), cap. 5, Concilia Africae, ed. C. Munier, 1974, S. 34. 82 Registri ecclesiae Carthaginensis excerpta (um 418), can. 76, Concilia Africae, ed. C. Munier, 1974, S. 202 f. 83 Concilium Antiochenum a. 341. 84 So auch Ferrandi ecclesiae Carthaginensis diaconi breviatio canonum (523–546), can. 45, Concilia Africae, ed. C. Munier, 1974, S. 291.

1.1 Die Alte Kirche – Die Kirchen als Verbände im römischen Reich

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weshalb auch auf dem Konzil von Karthago (397) gefordert wurde, dass der „primae sedis episcopus non appelletur princeps sacerdotum aut summus sacerdos“, sondern einfach „primae sedis episcopus“.85 So wurde auch gefordert, dass eine Anklage eines Bischofs vor dem Metropoliten zu erfolgen habe.86

1.1.6 Eigentum am Kirchengut Da die Kirchen in der römischen Antike rechtlich als einfache Verbände und nicht als staatlich geschützte Kultgemeinschaften aufgefasst wurden, gab es zunächst auch für das Kirchengut keine besonderen Sanktionen, wie sie für die Kulte der römischen Religion vorgesehen waren. Die Güter und Kultgegenstände der Kirchen wurden nicht vom Kaiser bzw. Pontifex maximus geweiht, erlangten also auch nicht den Rechtsstatus der res sacrae. Diese nämlich durften nicht veräußert werden, da sie als vom Staat zu schützendes Eigentum der Götter angesehen wurden. Die res sanctae, um die es sich u. a. bei den Gütern der Kirchen handelte, bedürfen keiner Weihe durch staatliche Organe und sind von staatlicher bzw. kaiserlicher Verfügungsgewalt ausgenommen. Sie sind heilig, weil sie aus staatlicher Sicht als natürlich heilig angesehen werden, solange sie ihre Funktion erfüllen. Das römische Sakralrecht war auch noch zu Konstantins Zeiten reserviert für die staatlich überwachten römischen Kulte, wobei nicht klar ersichtlich ist, in wieweit das auch für importierte Kulte galt, wie etwa den der Kybele bzw. magna mater.87 Obgleich die christlichen Kirchen nicht dem römischen Sakralrecht unterworfen wurden, war es Konstantin doch daran gelegen, bei seinen Kirchenstiftungen einige Rechtsformen aus diesem zu übertragen. So werden die gestifteten Kirchenbauten nicht der Gemeinde als mutmaßlich zuständigem Verband übereignet, sondern Christus selbst zugeeignet, in Analogie nämlich zu dem Tempelgut, das nach römischem Sakralrecht dem zuständigen Gott übereignet wurde.88 Bei den römischen Kirchenstiftungen Konstantins ist ausdrücklich Christus pantokrator als Empfänger der Stiftungen genannt.89 Bemerkenswert ist, dass die im Liber pontificalis überlieferten Ausstattungslisten der von Konstantin gestiften Kirchen große Ähnlichkeit zu den leges templorum aufweisen, die unter Einhaltung bestimmter Formen die sakralrechtliche Bestimmung des jeweiligen Ausstattungsgegenstandes referieren sollten.90

85 Breviarium Hipponense in Concilium Carthaginense conlata (393/397), can. 25, Concilia Africae, ed. C. Munier, 1974, S. 40. 86 Breviarium Hipponense in Concilium Carthaginense conlata (393/397), can. 6, Concilia Africae, ed. C. Munier, 1974, S. 34. 87 Vgl. unter Verweis auf Gaius, Institutionen STROTHMANN, Kaiser und Senat 1998, 173 ff. 88 VÖLKL, Kirchenstiftungen des Kaisers Konstantin 1964, 31. 89 VÖLKL, Kirchenstiftungen des Kaisers Konstantin 1964, 32. 90 VÖLKL, Kirchenstiftungen des Kaisers Konstantin 1964, 35 f. und 47.

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1 Grundlagen und Voraussetzungen

Erst Justinian fasst die christliche Kirche in sakral-rechtliche römische Begrifflichkeit, was aber die Kirchen dennoch nicht zu Nachfolgern der Kulte macht. Sie bleiben dem staatlichen Zugriff in ihrer inneren Organisation weitgehend entzogen91 und werden v. a. über die Bischöfe in die staatliche Ordnung integriert. Ihr Gut erfährt nicht die weitgehende Sanktion der res sacrae der römischen Kulte, wenngleich Justinian an einer Stelle ausdrücklich von den „res Deo dicatas“ spricht,92 womit er unübersehbar an die Vorstellung vom Göttergut anschließt, über das die staatlichen Organe zu wachen haben. Das Göttergut, das den Göttern dedizierte Gut, das vor jeder Form der Vergabe geschützt war, entstand mit der öffentliche Weihe durch den Kaiser oder in seinem Auftrag und war der staatlichen Aufsicht anvertraut. Eine ältere Kontroverse in der Forschung galt denn auch der Frage, wem dieses Gut denn eigentlich gehörte, dem Staat oder dem Gott, dem es geweiht war,93 wobei übersehen wurde, wie eng der römische Staat mit den Göttern und ihren Kulten verbunden war. Erst mit Justinian gelangte das römische Recht zu einer Auffassung, die das geweihte Gut christlicher Kirchen begrifflich mit diesem Göttergut identifizierte und wohl auch anstand, es entsprechend zu schützen.94 Justinian hatte in diesem Zusammenhang mit dem Problem zu tun, dass ihm Testamente vorgelegt wurden, deren Begünstigte Gott bzw. bestimmte Heilige waren, in denen jedoch keine bestimmte Kirche angegeben wurde.95 Er regelte die Frage pragmatisch: Diese Güter sollten der nächsten mit den Bestimmungen vereinbarten Kirche übergeben werden bzw. der Ortskirche. In dem Ansinnen der Erblasser, ihr Gut Gott bzw. einem Heiligen zu dedizieren, wird nicht, wie Knecht noch meinte, irgendeine Unfähigkeit zur Abstraktion sichtbar,96 die es ihnen verbot, eine bestimmte Kirche als Begünstigte zu nennen, sondern die überaus wohlüberlegte Absicht, das Gut, das ihrem Seelenheil dienen sollte, mit einer sakralen Schutzbestimmung zu versehen, es unantastbar zu machen. Denn wenn sie das Gut einer konkreten Kirche hinterlassen hätten, wäre zu befürchten gewesen, dass das Gut nicht dem Seelenheil des Erblassers und seiner Familie gedient hätte, sondern womöglich dem irdischen Heil eines Priesters und dessen Familie. Darauf lassen die häufigen Bestimmungen der Konzilien und auch der Kaiser zum Schutz des Kirchengutes vor Bischöfen und Klerikern schließen.

91 Die Kleriker wurden schon von Konstantin von der Steuer befreit, CTh 16,2,2, auch in Quellensammlung zur Religionspolitik Konstantins des Großen 1989, 148. Vgl. zu den umfassenden Vergünstigungen für Kleriker ECK, Einfluß der konstantinischen Wende 1978, 362 f. 92 CIC Nov. VII,8. 93 Vgl. dazu WENGER, Cippus Abellanus 1915, 31 ff., bes. 55 f. 94 V. a. mit Novelle VII. 95 Besprochen bei KNECHT, Justinianisches Kirchenvermögensrecht 1905, 19 ff. 96 KNECHT, Justinianisches Kirchenvermögensrecht 1905, 26 f.

1.1 Die Alte Kirche – Die Kirchen als Verbände im römischen Reich

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1.1.7 Kirchen und römischer Staat In der Alten Kirche werden die Kirchen als einzelne Verbände aufgefasst, deren Vorsteher über ihre reine Funktion als Vertreter einer Gesamtheit hinaus zugleich Vertreter Christi waren. Es scheint, als sei dies nach den apostolischen Anfängen eine Neuerung gewesen, die in Entsprechung zum Wandel des Christusbildes vorgenommen wurde. Christus war schon vor der konstantinischen Wende als Christus pantokrator, gar als Christus imperator dargestellt worden97 und wurde selbst zu einem Imperator.98 Er wurde als himmlische Entsprechung des irdischen Herrschers dargestellt, und damit sein Bild diesem auch nachgebildet. Umgekehrt kam es bald auch zu Angleichungen des Kaiserbildes an das neue Christusbild. Beispielsweise wird die christliche Vorstellung vom Kommen Christi auf die römischen Vorstellungen vom Triumph des Imperators und vom Adventus Augusti der Spätantike bezogen.99 Davon werden die Bischöfe profitiert haben, galt es doch, der weltlichen Herrschaft, die vom Kaiser und seinen Bevollmächtigten verkörpert wurde, eine möglichst gleichartige geistliche Herrschaft entgegenzusetzen. Und tatsächlich ermöglichte dieses Prinzip des Zurücktretens des Kirchenvolkes und der Kleriker hinter die Autorität des Bischofs die große Autonomie der Kirche im Inneren, indem nämlich durch „Vereinssatzung“ die Kleriker weltlichem Zugriff weitgehend entzogen wurden und das Kirchenvolk außer Stande gesetzt wurde, staatliches Begehren in die Kirchenorganisation hineinzutragen. Es hat den Anschein, als habe Konstantin selbst versucht, die Kirche als eigene Klientel zu gewinnen, auf die die staatlichen Organe keinen Zugriff haben sollten. Er versucht gar nicht erst, die rechtliche Stellung der Kirchen den Kulten nachzubilden, sondern macht sie geradezu zu einer kaiserlichen Religion, auf deren Geschicke nur der Kaiser Einfluss nehmen darf. Statt die Kirchen staatlichen Organen in irgendeiner Form zu unterstellen, werden sie parallel zu diesen gestellt und auf den Kaiser bezogen.100 Die Kirchen und Kleriker erhalten Privilegien, die sie gegenüber allen anderen Gruppen des Reiches bevorzugen. Die Selbstverwaltung der Kirchen wird sogar über

97 Nämlich in goldener Rüstung, KANTOROWICZ: Zwei Körper 1990, 92, Abb. 13 und ausführlicher KANTOROWICZ, Gods in Uniform [1961] 1965, 19–21. 98 Etwa bei Tertullian, De fuga 10, vgl. WESSEL, Christus Rex 1953, Sp. 120. Tertullian war römischer Jurist und hat wesentlich dazu beigetragen, dass die christliche Kirche so leicht in das Imperium Romanum rechtlich eingefügt werden konnte, indem er sie mit Begriffen und Vorstellungen des römischen Rechts beschrieb, vgl. Ullmann: Medieval Political Thought [1965] 1970, 20 f. Vgl. auch KLEIN, Politisches Denken des Christentums 1988, 604–606. Zu Tertullian grundlegend BECK, Römisches Recht bei Tertullian und Cyprian 1930 und BECK, Rechtsgeschichtliche Bemerkungen zum Neudruck der Studie über Tertullian und Cyprian [1967] 1980. 99 DUFRAIGNE, Adventus Augusti 1994, 249–325. Vgl. KANTOROWICZ, Oriens Augusti 1963. 100 Das ist unausgesprochen auch ein Ergebnis der eher prosopographischen Herangehensweise von JUST, Imperator et episcopus 2003, die die Biographien von Bischöfen und Kaisern verfolgt und ihre jeweiligen Interaktionen untersucht.

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1 Grundlagen und Voraussetzungen

die Ebene der civitates ausgedehnt, indem ähnlich den Provinziallandtagen diese zu Metropolitanverbänden zusammengefasst werden.101 Möglicherweise erklärt die Vermutung, dass Konstantin mit seiner Religionspolitik einer möglichen Opposition eine eigene breite, nämlich reichsweite Organisation seiner Anhängerschaft entgegenzusetzen suchte, die Bereitschaft des Kaisers, die Kirchen als verhältnismäßig autonome Gebilde in den römischen Staat einzugliedern. Er hat eben nicht versucht, die Kirchen in ihrer rechtlichen Stellung den römischen und romanisierten Kulten anzugleichen, was ihm die Möglichkeit bot, die Kirchen in ihrer Exklusivität für sich nutzbar zu machen.

1.2 Die Kirchen Galliens zur Zeit der Merowinger 1.2.1 Die Kirchen der merowingischen Spätantike Hat man sich einmal dazu durchgerungen, die Antike nicht als etwas wesenhaft Ganzes anzusehen, das eigentlich erst durch äußere Bedrohung aus der Geschichte verschwand, sondern sie als etwas sich Wandelndes zu verstehen, das erst nachher unter dem (Hilfs-) Begriff „Antike“ gefasst wurde, kann man vermutlich auch die folgende Zeit aus „dem Mittelalter“ herauslösen und damit in dem ihr gebührenden inneren Zusammenhang mit der voraufgegangenen Zeit leichter verstehen.102 Obwohl die römischen Kaiser im Patronat über die Kirchen u. a. von den merowingischen Königen abgelöst wurden, ändert sich für die Kirchenorganisation zunächst wenig. Die Organisation der gallischen Kirchen war stabil genug, um im 6. Jahrhundert funktionsfähig zu bleiben.103 Vorher wie nachher war ihre Ordnung im Inneren wie untereinander für den Erhalt staatlicher Organisation unentbehrlich.104 Sie waren Träger wesentlicher kultureller, zivilisatorischer und politischer

101 DEMANDT, Spätantike 1989, 73 zum Konzil von Nicaea, das unter kaiserlichem Vorsitz abgehalten wurde. – Die Einrichtung der Provinziallandtage stammt aus dem Osten des Reiches, wurde aber in der Kaiserzeit auf das gesamte Reichsgebiet ausgedehnt, wobei verlangt wurde, dass die Vertreter der Civitates 1–2 Mal im Jahr in der Metropolis zusammenkommen sollten, DEMANDT, Spätantike 1989, 410 f. Die kirchliche Organisation folgt der staatlichen, indem nämlich die größeren Städte einer Provinz einen Bischof haben und der Bischof der jeweiligen Provinzhauptstadt zum Metropoliten wird, s. WOLFF, Kontinuität der Kirchenorganisation 1994, 4. 102 FOURACRE, Eternal light 1995, 53 sieht die gesamte Merowingerzeit als Bindeglied („comes between“) zwischen Antike und Mittelalter. 103 Auch die civitates als eine wesentliche Grundlage der Kirchenorganisation können bis zum Ende des 6. Jahrhunderts als funktionsfähig angesehen werden, LOSEBY, Gregory’s cities 1998, 249. – S. nun mit der aus dem Befund der Merowingischen Monetarmünzen begründeten Annahme, dass das bis zum letzten Drittel angenommen werden darf, STROTHMANN, Evidence, im Druck. 104 Vgl. PRINZ, Bischöfliche Stadtherrschaft 1974, 21. S. zur staatsbildenden Kraft der Kirchen im frühen Frankenreich DE JONG, Ecclesia 2006, 125.

1.2 Die Kirchen Galliens zur Zeit der Merowinger

153

Aufgaben, ihr funktionierendes System mithin für die jeweiligen Herrscher unantastbar. Daher verwundert es auch nicht, dass die Bestimmungen, die die Bischöfe auf den Konzilien und Synoden erließen, ohne erkennbaren Bruch an die voraufgegangenen Konzilskanones anschließen, zumal die zitierten antiken Konzilstexte in Gallien intensiv rezipiert worden sind. Grundlage der kirchlichen Organisation war nach wie vor der Bischof,105 von dessen Stellung ausgehend die Kirche im Inneren strukturiert wurde und auch die Bischofsversammlung und der Metropolitanverband gestaltet wurden. Seine Wahl ist die entscheidende Stelle für Einflussnahmen auf die kirchliche Organisation. Daher wird auch auf dem Konzil von Clermont (535) mit besonderem Nachdruck die kanonische Wahl in Erinnerung gerufen:106 „Episcopatum ergo desiderans electione clericorum vel civium, consensu etiam metropolitani eiusdem provinciae pontifex ordinetur.“ Neben der stets bekämpften Simonie war es nicht unüblich, dass Bischöfe ihre Nachfolger designierten,107 was in unterschiedlicher Weise vonstatten gehen konnte. Mit der Designation eines Nachfolgers wurde die Transparenz der Wahl beschädigt und damit die Wahl als organisiertes Ereignis ihrer Funktion und Bedeutung enthoben. Als viel schlimmer mochte es den Kollegen in der Bischofsversammlung erscheinen, dass die ihnen erlaubte Einflussnahme damit erheblich gemindert wurde. Also wurde die Designation auch in fränkischer Zeit untersagt.108 Schon in Clermont wurde deutlich, dass es Fälle gab, in denen jemand das Bischofsamt erlangte, weil er „patrocinia potentum“ zugehörte.109 Auf dem 5. Konzil von Orléans (549) wurde dann sehr deutlich, dass es Grund gab, zu fürchten, dass jemand „per oppressionem potentium personarum ad consensum faciendum cives aut clirici“ das Bischofsamt erlangen könnte. Ausdrücklich wird verlangt, dass ein Bischof der „magis per violentiam quam per decretum legitimum ordinatur, ab indepto pontificatus honore in perpetuo deponatur.“110 An dieser Stelle gerät eine neue

105 Zur Stellung des Bischofs im 5. und 6. Jahrhundert vgl. mit umfangreichen Belegen zu Konzilsbestimmungen GAUTHIER, Réseau de Pouvoir de l’Évêque 2000, 175–178. – S. zur meist senatsaristokratischen Herkunft der Bischöfe dieser Zeit die Ergebnisse der Studie von HEINZELMANN, Bischofsherrschaft 1976, 244 f. Diese Stellung der Inhaber des Amtes hat gewiss auch auf die Wahrnehmung des Amtes als sehr bedeutend abgefärbt. Vgl. aber zur Herkunft der Bischöfe relativierend PATZOLD, Bischöfe 2014. S. mit der Unterstellung einer mediävistischen Übertragung der Stellung von Bischöfen vom hohen Mittelalter auf den Übergang von der Spätantike zum frühen Mittelalter DIEFENBACH, Bischofsherrschaft 2013, 93–97. 106 Concilium Claremontanum (535), can. 2, Concilia Galliae II, ed. Caroli De Clercq, 1963, S. 106. 107 Auch Augustinus von Hippo hatte seinen Nachfolger vorgeschlagen, LOTTER, Designation 1973, 130. 108 Concilium Parisiense (614), can. 2, Concilia Galliae II, ed. Caroli De Clercq, 1963, S. 283. 109 Concilium Claremontanum (535), can. 2, Concilia Galliae II, ed. Caroli De Clercq, 1963, S. 106. 110 Concilium Aurelianense (549), can. 11, Concilia Galliae II, ed. Caroli De Clercq, 1963, S. 152.

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1 Grundlagen und Voraussetzungen

Größe in das Konzept der Bischofswahl. Die römischen Kaiser hatten bereits Einfluss auf die Erhebung von Bischöfen genommen.111 Nun aber wird die Einflussnahme der Herrscher in das Konzept der kanonischen Wahl eingeführt. Die Erhebung eines Bischofs soll „cum voluntate regis iuxta electionem cleri ac plebis“ stattfinden.112 Das wird einen greifbaren Grund gehabt haben. Neben der tatsächlichen Einflussnahme des Königs als neue Zentralgewalt liegt in dieser Bestimmung das Bemühen um den Erhalt von Staatlichkeit, nämlich der Absicherung der ordentlichen Wahl eines Bischofs vor Übergriffen örtlicher potentes durch die Einbeziehung der bestehenden zentralen Macht, was übrigens auch eine regionale Stärkung ebendieser Macht bedeutet. Andererseits soll einem Konzil von Paris (556–573) zufolge nicht durch die Macht der Könige oder aus anderen Gründen etwas gegen den Willen der Bischöfe geschehen, wie etwa bei der Wahl eines Kollegen. Solche Einflüsse sollen ordentlich – und kontrollierbar – eingebunden werden.113 Der Bischof soll den Konzilsbeschlüssen zufolge, die ja Beschlüsse der Bischofsversammlungen darstellen, nicht nur die allgemeine Aufsicht über kirchliche Einrichtungen in seiner Diözese haben,114 sondern auch explizit die potestas über die Äbte.115 Ohne seine ausdrückliche Erlaubnis darf kein Abt, Priester oder Kleriker überhaupt „pro petendis beneficiis ad domnus venire“.116 Das ist der Versuch der Bischöfe, ihre „Herrschaft über die Klöster und ihre Äbte“ zu sichern.117 Diese Ausweitung der Aufsichtsfunktion des Bischofs in der Diözese ist eine Forderung, die zweierlei Schlussfolgerung zulässt: Erstens erwuchs den Bischöfen in ihren Diözesen tatsächlich eine Konkurrenz um die wirtschaftlichen Zuwendungen an Kirchen allgemein und im besonderen um die Nähe der Zentralgewalt des Königs, der zu Beginn des Jahrhunderts begann, einzelne Kirchen und Klöster zu privilegieren.118 Und zweitens wird darin auch der Versuch zu sehen sein, die bischöfliche Macht derer von einzelnen Großen nachzugestalten und die Diözesen als Herrschaftsbezirke zu konsolidieren.

111 RIST, Proklos 2011. 112 Concilium Aurelianense (549), can. 10, Concilia Galliae II, ed. Caroli De Clercq, 1963, S. 151 f. Vgl. PRINZ, Fränkischer Episkopat 1981, 114. 113 Concilium Parisiense (556–573), can. 8, Concilia Galliae II, ed. Caroli De Clercq, 1963, S. 208. 114 Auch über Eigenkirchen, Concilium Aurelianense (541), can. 26, Concilia Galliae II, ed. Caroli De Clercq, 1963, S. 139. 115 Concilium Aurelianense (511), can. 19, Concilia Galliae II, ed. Caroli De Clercq, 1963, S. 10; so auch Collectio Vetus Gallica 45,3. 116 Concilium Arelianense (511), can. 7, Concilia Galliae II, ed. Caroli De Clercq, 1963, S. 7. 117 FELTEN, Laienäbte 1980, 63. 118 Zunächst jedoch zögerlich und bevorzugt für Kirchen der „Kernlande“, in der Mitte des 6. Jahrhunderts setzt dann auch die gelegentliche Vergabe von Immunitäten ein, deren eingeschränker Umfang im Vergleich zu späteren Zeiten aber dennoch eine Minderung der bischöflichen Hoheit bedeutete, vgl. EWIG, Merowinger 1988, 106 f.

1.2 Die Kirchen Galliens zur Zeit der Merowinger

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Diese starke Stellung des Bischofs, wie sie von den Bischöfen selbst gefordert wurde, war nicht möglich, ohne die Quelle der Kontinuität und Unabhängigkeit des Amtes zu sichern. Schutz beider Prinzipien war notwendig gegen die Großen vor Ort, gegen die Äbte und auch gegen eine zu starke Zentralmacht. Dafür waren andernorts Zugeständnisse zu machen, nämlich gegenüber der Versammlung, die maßgeblich für die Kontinuität der Geschäfte des Bistums war und für die Wahl des Bischofs eine entscheidende Rolle spielen sollte.119 So bestimmt ein Kanon der Collectio Vetus Gallica (um 600) „ut episcopus in ecclesia in consensu presbiterorum sublimior sedeat, intra domum vero collegam se presbiterorum esse cognuscat.“120 Als Begründung für das Verbot der Designation eines Nachfolgers im Bischofsamt gibt Kapitel 2 des auf dem Konzils von Paris (614) erlassenenen Edictum Clotarii II an „ut ecclesiam suam nec clerum regere possit“:121 Regiert werden sollte eben nicht nur die Kirche, sondern auch der Klerus. Wollte der Bischof dabei nicht abhängig werden von den Großen seines Herrschaftsgebietes, musste er notwendigerweise auch den Klerus, darunter Priester und auch Äbte, mit einbeziehen, eben die Gruppen, die unter anderer Hinsicht ihm untertan sein sollten. Bei der Entfernung eines kirchlichen Amtsträgers aus dessen Amt durch den Bischof war dem Konzil von Tours (567) zufolge „omnium suorum compresbiterorum et abbatum concilio“ einzuholen.122 Das spricht dafür, dass die Herrschaft über diese Personengruppen in Wirklichkeit weniger ausgeprägt war, als die Forderung der Bischofsversammlungen vermuten lassen könnte. Der Bischof behält die Aufsicht über das Kirchengut der kirchlichen Einrichtungen seiner Diözese. Ohne seine Erlaubnis ist davon in keiner Weise etwas zu vergeben.123 Außerdem ist nach einem burgundischen Konzil124 jede Vergabe von Kirchengut durch Äbte und jedes Geschäft eines „presbyter dum diocesim tenet“ mit Kirchengut zu dokumentieren.125 Um 600 war es zumindest denkbar, vermutlich aber

119 Vgl. HAUCK, Bischofswahlen 1883, 25 und 28. 120 Collectio Vetus Gallica 41,2. Vgl. Zur Collectio Vetus Gallica MEENS, Old Testament 2000, 69–71. 121 Concilium Parisiense (614), Edictum Clotarii II, cap. 2, Concilia Galliae II, ed. Caroli De Clercq, 1963, S. 283. 122 Concilium Turonense (567), can. 7, Concilia Galliae II, ed. Caroli De Clercq, 1963, S. 178; vgl. dazu FELTEN, Laienäbte 1980, 67. 123 Concilium Aurelianense (538), can. 26, Concilia Galliae II, ed. Caroli De Clercq, 1963, S. 124; Zudem sollte es keine rechtmäßige Entfremdung von Kirchengut geben, ebenda can. 13, S. 120. 124 Seit 516 gehörten die vertretenen Diözesen zu Burgund, PONTAL, Synoden 1986, 34. 125 Concilium Epaonense (517), can. 8, Concilia Galliae II, ed. Caroli De Clercq, 1963, S. 26. Zur Identifizierung von „Epao“ vgl. PONTAL, Synoden 1986, 36–38, die Agaune (Acaunum, nämlich das Kloster St. Maurice, gegründet 515 von König Sigismund, nach ZUFFEREY, St. Maurice d’Agaune 1988, 31) im Wallis als Versammlungsort favorisiert.

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1 Grundlagen und Voraussetzungen

üblich, dass Bischöfe ihren Eltern Kirchengut übereigneten.126 Auch wurde untersagt, für irgendein Almosen das Gut von Kirchen, Klöstern oder Xenodochien anzutasten, nämlich zurückzuhalten, zu entfremden oder wegzunehmen, womit sicherlich v. a. die Bischöfe angesprochen waren.127 Es wird dann daran erinnert, „ut episcopus rebus ecclesiae tamquam commendatis non tamquam propriis utatur“.128 Der Bischof sollte die kirchlichen Geschäfte „velut Deo contemplante“ verwalten.129 Er hatte die „potestas“ über das Gut seiner Kirche, um es den Klerikern zu erhalten, wie ein Kanon des Konzils von Orléans (541) verlangt, übrigens das Gut zwar als „res possessa“ bezeichnet, den Besitzer aber nicht klar ausweist.130 Ausdrücklich mussten die Verwalter von Kirchengut angewiesen werden, nachgeordneten Klerikern kein Gut wegzunehmen, sei es Eigen oder zum Nießbrauch überlassenes Kirchengut.131 Auch wurde Klerikern untersagt, ihnen zum Nießbrauch überlassenes Kirchengut in seinem Wert zu mindern.132 Die Bischofsversammlungen rechneten durchaus damit, dass ein Bischof Kirchengut verkaufte133 oder testamentarisch vergab.134 Solche Vergaben wurden als nicht bindend angesehen,135 und das Gut sollte zurückgefordert werden können. Auch Fälle von gewaltsamer Aneignung von Kirchengut waren wohl häufig genug,

126 Collectio Vetus Gallica 32,1. Vgl. zur Möglichkeit jugendlichen Alters von Bischöfen PRINZ, Bischöfliche Stadtherrschaft 1974, 13 (Remigius von Reims, geboren um 438, war gerade 22 Jahre alt, als er Bischof wurde). Vgl. auch KAMPERS, Weihealter 1979, der für das spanische Westgotenreich ein mittleres Alter bei der Bischofsweihe um 40 Jahre ermittelt hat. 127 Concilium Aurelianense (549), can. 13, Concilia Galliae II, ed. Caroli De Clercq, 1963, S. 152. 128 Collectio Vetus Gallica 32,7. 129 Collectio Vetus Gallica 32,1. 130 Concilium Aurelianense (541), can. 18, Concilia Galliae II, ed. Caroli De Clercq, 1963, S. 136: „Sed in pontificis potestate consistat, qualiter pro conservando iure ecclesiastico rem possessam inter clericos debeat communicare.“ 131 Concilium Lugdunense (567/570), can. 5, Concilia Galliae II, ed. Caroli De Clercq, 1963, S. 202; vgl. dazu FELTEN, Laienäbte 1980, 65, der die Bestimmung vermutlich zu Recht auf die Bischöfe und ihnen nachgeordnete Kleriker bezogen sieht; vgl. zum Recht des Bischofs über Schenkungen an Geistliche auch Concilium Aurelianense (538), can. 20, Concilia Galliae II, ed. Caroli De Clercq, 1963, S. 121 f., worin dem Bischof untersagt wird, Schenkungen Fremder an Geistliche (mithin deren Kirchen, wie vermutet werden darf), diesen wegzunehmen, aber er seine Schenkungen bei Fehlverhalten wieder einziehen darf; vgl. zu dieser Bestimmung die Zusammenfassung bei PONTAL, Synoden 1986, 83. 132 Concilium Arelatense (554), can. 6, Concilia Galliae II, ed. Caroli De Clercq, 1963, S. 172. 133 Concilium Aurelianense (541), can. 9, Concilia Galliae II, ed. Caroli De Clercq, 1963, S. 134. 134 Concilium Epaonense (517), can. 17, Concilia Galliae II, ed. Caroli De Clercq, 1963, S. 28, aufgenommen auch in Collectio Vetus Gallica 35,9. Die Testierfähigkeit wurde Bischöfen und Klerikern auf dem Konzil von Paris (614) ausdrücklich zugesprochen, Concilium Parisiense (614), can. 12, Concilia Galliae II, ed. Caroli De Clercq, 1963, S. 278. 135 Z. B. das Concilium Aurelianense (541), can. 18, Concilia Galliae II, ed. Caroli De Clercq, 1963, S. 136, verfügt die Ungültigkeit der Entfremdung von Kirchengut durch einen Kleriker, der es sich zuvor selbst angeeignet hat.

1.2 Die Kirchen Galliens zur Zeit der Merowinger

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dass sich Bischofsversammlungen veranlasst sahen, entsprechende Canones zu beschließen.136 Bemerkenswert ist eine Bestimmung des Konzils von Paris (614): [. . .] ut nullus episcoporum vel saecularium cuiuscumque alterius episcopi seu ecclesiae seu privatas res aut regnorum divisione aut provinciarum sequestrationem conpetere aut pervadere audeat aut quacumque acceptatione aut pervasione possedere aut retinere praesumat.137

Eine besondere Gelegenheit dieser Weise der Aneignung boten also Reichsteilungen und Teilungen von (Kirchen-)Provinzen, und beteiligt waren auch Bischöfe, die ihren Herrschaftsraum zu erweitern suchten. Gänzlich deutlich wird aber eine Veränderung kirchlicher Auffassung gegenüber der römischen Spätantike im Hinblick auf die Trennung von Kirchengut und Eigengut des Bischofs. Dass die Bischöfe selbst bei der Trennung beider Sphären es nicht immer genau nahmen, ist gewiss nichts Neues, neu ist aber, dass ein Konzilsbeschluss selbst beides vermengt und mit derselben Strafbestimmung belegt. Das weist bereits in eine neue Zeit. Aber schon im Jahr 541 wurde in Orléans beschlossen, dass von dem, was den Äbten [und Priestern] für die Klöster und Kirchengemeinden (parrociis) „contemplatione“ übertragen wurde, sie nur (nicht) das Geringste zurückhalten durften („minime revocabunt“) und nicht „cunctis fratribus debitam“ entfremden durften.138 Es werden also die Gesamtheiten als Empfänger sehr wohl anerkannt, wenn auch nicht als abstrakte Persönlichkeiten, sondern als „alle Brüder“, also Kleriker bzw. Mönche. Daraus, dass der Abt für das Kloster als Verwalter des Gutes auftritt, ist auch zu erschließen, dass das Klostergut als dem Kloster zugehörend anerkannt wurde.139 Auf dem Konzil von Paris (614) kommt das Problem ungleich klarer zum Ausdruck, wenn nämlich berichtet wird, dass nach dem Ableben eines Abtes, Priesters oder Betreuers einer neben der Bischofskirche bestehenden städtischen Gemeinde seine Kirche (praesidium) vom Bischof regelrecht ausgeplündert werden konnte, und bestimmt wird, dass „in loco ubi moriens hoc dereliquerit, perpetualiter debeat permanere [. . .]“.140 Den Einzelkirchen wurde in Anbetracht solcher Erfahrungen die Integrität ihres Vermögens zugesichert und damit ihr Vermögen als vom Vermögen der Diözese klar getrennt behandelt. Die Aufsicht des Bischofs über das Vermögen in der Diözese wird von einer Oberaufsicht tendenziell zu einer reinen Kontrollfunktion gemindert –

136 Concilium Aurelianense (538), can 25, Concilia Galliae II, ed. Caroli De Clercq, 1963, S. 123 f. 137 Concilium Parisiense (614), can. 11, Concilia Galliae II, ed. Caroli De Clercq, 1963, S. 278. DE JONG, Ecclesia 2006, 126 weist drauf hin, dass an dieser Synode, wie wohl auch an anderen, geistliche und weltliche Große gemeinsam teilnahmen, was ja durchaus sinnvoll war, um die weltlichen Großen sogleich auf den Schutz der kirchlichen Regeln zu verpflichten, wie hinzuzufügen ist. 138 Concilium Aurelianense (541), can. 11, Concilia Galliae II, ed. Caroli De Clercq, 1963, S. 134 f. 139 Vgl. dazu auch FELTEN, Laienäbte 1980, 64 f. 140 Concilium Parisiense (614), can. 10, Concilia Galliae II, ed. Caroli De Clercq, 1963, S. 277 f.

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1 Grundlagen und Voraussetzungen

in der Absichtserklärung, die solche Bestimmungen darstellten.141 Mit dem zunehmenden Recht der Einzelkirche am Kirchengut erlangen die Einzelkirchen wie die Klöster zugleich eine verstärkte Rechtsfähigkeit, da sie in Rechtsgeschäften immer mehr als Eigentümer auftreten können. Hier wird auch deutlich, dass die Kategorie der Rechtsfähigkeit zwar von erheblicher Bedeutung war, aber durchaus abgestuft verstanden werden konnte. Nach dem Ableben eines Bischofs war das Kirchengut vermutlich besonders gefährdet, wie ein Kanon des Konzils von Paris (614) nahelegt, der den Klerikern nämlich untersagt, nach dem Tod des Bischofs irgendwelches Kirchengut anzurühren.142 Bis zur Ordination eines neuen Bischofs sollten somit keine Geschäfte getätigt werden. Erst nach der Ordination des neuen Bischofs fand das Kirchengut einen neuen Verwalter und konnte wieder Gegenstand von Geschäften werden.143 Auf einem Konzil von Paris zwischen 556 und 573 wurde das Problem der gewaltsamen Entfremdung bzw. unrechtmäßigen Aneignung von Kirchengut grundsätzlich aufgegriffen und gerechtfertigt, dass der unrechtmäßige Besitzer der „res Dei“ von der Kommunion ausgeschlossen werden sollte.144 Das Problem war mutmaßlich derart gravierend geworden, dass die Konzilsväter von dem Gebot der strikten Trennung des Kirchengutes vom Eigengut des Bischofs absahen, wohl, weil sie erkannt hatten, dass nicht nur faktisch beide Eigentumsbereiche zusammenhingen, weil sie in der Gewalt derselben Person standen, sondern auch, weil ein Angriff auf das Gut des Bischofs als eines Vertreters Gottes auf Erden für die Aggressoren eine ähnliche Übertretung von sacrosanctitas darstellen musste wie die Aneignung von Kirchengut. So wird dargelegt, dass „episcoporum res propriae ecclesiarum res esse noscuntur, si in eorum facultatibus simili fuerit crudelitate crassatum [. . .]“145 Vielleicht deshalb wird um diese Zeit die Qualität des Kirchengutes häufiger zur „res Dei“ erklärt,146 womit deutlich gemacht wird, dass das Kirchengut nicht

141 Vgl. KAISER, Römisches Erbe 21997, 103, der von der „Vermögens – und Verwaltungseinheit“ der Bischofskirchen ausgeht, die „schon im Laufe des 6. Jahrhunderts auseinandergebröckelt“ sei. 142 Concilium Parisiense (614), can. 9, Concilia Galliae II, ed. Caroli De Clercq, 1963, S. 277: „[. . .] res ecclesiae vel eorum proprietas, quousque aut de testamentis aut qualemcumque obligationem fecerit cognoscatur, a nullo penitus supra scriptae res contingantur, sed ab archidiacono vel clero in omnibus defendantur et conserventur.“ Vgl. aber auch schon Kanon 15 des Konzils von Ancyra, nach NOETHLICHS, Anspruch und Wirklichkeit 1990, 19 f. 143 Ausdrücklich verbot schon das Concilium Aurelianense (549), can. 8, Concilia Galliae II, ed. Caroli De Clercq, 1963, S. 151 einem noch nicht ordinierten Bischof die Wahrnehmung bischöflicher Aufgaben, unter die ausdrücklich die Verwaltung des Kirchengutes gezählt wurde. 144 Concilium Parisiense (556–573), can. 1, Concilia Galliae II, ed. Caroli De Clercq, 1963, S. 205 f. – Vgl. Zum Konzil LIMMER, Konzilien I 2004, 268–273, ebenda 268 f. zu seinem Anlass und mit der Vermutung, dass es zwischen 561 und 562 stattgefunden habe. 145 Concilium Parisiense (556–573), can. 2, Concilia Galliae II, ed. Caroli De Clercq, 1963, S. 207. 146 Concilium Parisiense (556–573), can. 1, Concilia Galliae II, ed. Caroli De Clercq, 1963, S. 205 und 206.

1.2 Die Kirchen Galliens zur Zeit der Merowinger

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nur wegen seiner Funktion als Vermögen zur Versorgung der Kleriker und der Armen zu schützen, sondern es in höchster Weise als sakrosankt anzusehen sei. Zunehmend spielte auch für die Entfremdung von Kirchengut der Einfluss Mächtiger eine Rolle, unter deren Patronat offensichtlich Kleriker und Laien sich kaum gehindert an diesem vergreifen konnten.147 Neben der Zurückweisung solcher Gewohnheiten wurde schon 517 durch eine Bischofsversammlung klargestellt, dass Kleriker, die im Begriff waren, sich Kirchengut zu ersitzen, das sie nicht als Präkarie besaßen, auch durch herrscherliche Autorität nicht zu Eigentümern werden konnten.148 Von der Pflicht, zweimal im Jahr auf Bischofsversammlungen am Sitz des Metropoliten zusammenzukommen, sollte noch im Jahr 567 auch königliche Entschuldigung keinen Bischof entbinden.149 Schon einige Jahre zuvor wurde dagegen die Zustimmung des Königs als verbindlicher Bestandteil der Bischofserhebung definiert: „cum voluntate regis iuxta electionem cleri ac plebis [. . .] a metropolitano vel, quem in vice sua praemiserit, cum conprovincialibus pontifex consecretur.“ Der König fungiert auf diese Weise als Schutzmacht in der labilen Situation eines Interregnums.150 Keine Frage ist es, ob die Merowinger Einfluss auf Bischofswahlen nahmen. Das taten sie, was neben den Berichten Gregors von Tours auch die Hinweise der Konzilsbeschlüsse auf Missstände im Bereich des Erhaltes von Kirchengut bezeugen.151 Gegen solche Einflussnahme verschiedener Seiten standen vor allem die Bischofsversammlungen, die aber ihrerseits sich den gebührenden Einfluss zu sichern suchten, denen jedoch der Erhalt der kirchlichen Integrität und der Kontinuität in der Bischofsherrschaft ein vorrangiges Interesse sein mussten. Dazu kam es darauf an, den verschiedenen Kräften ihren Platz einzuräumen, bevorzugt werden musste aber das Königtum, weil es als Zentralmacht weit genug weg vom Ort der Entscheidung war, aber nah genug, als Schutzmacht fungieren zu können. Bei dem Versuch der Regulierung des königlichen Einflusses auf Bischofswahlen entsteht natürlich eine erhebliche Diskrepanz zwischen tatsächlicher Einflussnahme und der in den Konzilsbeschlüssen vorgesehenen königlichen Beteiligung.152 Es gibt aber auch einen wesentlichen Unterschied in der Art der Einflussnahme. Eine solche Mächtiger – also gewiss auch des Königtums – läuft gewöhnlich über die Förderung von Parteien unter den Wählern, womit die kanonische Wahl nicht zwangsläufig formal behindert wird. Das Konzil von Tours räumt dem Königtum

147 Concilium Aurelianense (541), can. 25, Concilia Galliae II, ed. Caroli De Clercq, 1963, S. 138. 148 Concilium Epaonense (517), can. 18, Concilia Galliae II, ed. Caroli De Clercq, 1963, S. 28 f. 149 Concilium Turonense (567), can. 1, Concilia Galliae II, ed. Caroli De Clercq, 1963, S. 177. 150 So LOTTER, Designation, 138 f. – Vgl. Zum Einfluss auf die Bischofserhebung im 6. und 7. Jahrhundert WOOD, Merovingian Kingdoms 1994, 77–79. 151 Vgl. grundsätzlich HAUCK, Bischofswahlen 1883. 152 Diese Diskrepanz zeigt JOHNSON, Royal Participation 1995.

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1 Grundlagen und Voraussetzungen

aber ein offizielles Votum ein, das vor der Wahl als solches ausgewiesen wird, auf das die Bischofsversammlung vermutlich Einfluss hat nehmen können. Wesentlich für den Erhalt kirchlicher Organisation war auch in merowingischer Zeit die Integrität der einzelnen Kirchen. Nach wie vor gilt das Verbot für Kleriker, in eine andere Diözese zu wechseln.153 Es wird ebenfalls Wert darauf gelegt, dass die Klöster und ihre Angelegenheiten zu dem Bereich des Bischofs gehören, in dessen Territorium sich das Kloster befindet.154 Der Erhalt der Einheit der Verbände wird nachdrücklich eingefordert, wenn Äbten weiterhin untersagt wird, Vorsteher zweier Klöster zu sein.155 Das untergrübe nämlich die Stellung des Bischofs, dem so ein Abt an Bedeutung leicht nahekommen könnte. Außerdem sollte der Abt natürlich die Seelsorge und Sorge weiterer Belange seiner Mönche ohne Einschränkung versehen können, wozu räumliche Nähe eine wesentliche Voraussetzung darstellt. Schließlich ist er ja für das Seelenheil der Mönche vor Gott verantwortlich. Übergriffe von Bischöfen auf fremde Diözesen scheinen ebenfalls in merowingischer Zeit zugenommen haben.156 Es sollte nämlich kein Bischof oder Kleriker in einer fremden Diözese Vermögen annehmen, schon gar nicht darum bitten.157 Außerdem sollten Bischöfe in einer fremden Diözese keine Kleriker ordinieren, was also vermutlich weiterhin vorkam.158 Wenn ein Bischof einem Kleriker einer anderen Diözese aus den Mitteln seiner Kirche etwas „sub titulo“ schenkte, also wohl unter Vorbehalt einer Zugehörigkeit zu seiner Kirche, sollte der Bischof nach dem Tod des Klerikers das Geschenkte zurücknehmen können.159 Die Schenkung selbst konnte wohl nicht unterbunden werden, weshalb man also versuchte, die daraus entstehenden Folgen zu vermeiden, nämlich die sukzessive Aufhebung der territorialen Integrität der Kirchen. Eine Bestimmung des Konzils von Paris (614) zeigt die Neuartigkeit der Situation zu Beginn des 7. Jahrhunderts, nach der nämlich damit gerechnet wird, dass sich Kleriker an Mächtige wandten oder gar Patrone suchten,160 was das Prinzip der innerkirchlichen Autonomie außer Kraft zu setzen im Stande gewesen sein wird. Bei Klagen gegen Bischöfe oder Sachwalter der Kirche (actores) sollte sich der Kläger zuerst an den Bischof wenden, erst dann an den Metropoliten,161 offensichtlich

153 Collectio Vetus Gallica 13. 154 Concilium Arelatense (554), can. 2, Concilia Galliae II, ed. Caroli De Clercq, 1963, S. 171. 155 Concilium Epaonense (517), can. 9, Concilia Galliae II, ed. Caroli De Clercq, 1963, S. 26; vgl. auch Collectio Vetus Gallica 12, 2–3. 156 Vgl. Concilium Claremontanum (535), can. 10, Concilia Galliae II, ed. Caroli De Clercq, 1963, S. 107. 157 Concilium Aurelianense (549), can. 14, Concilia Galliae II, ed. Caroli De Clercq, 1963, S. 152 f. 158 Concilium Aurelianense (538), can. 16, Concilia Galliae II, ed. Caroli De Clercq, 1963, S. 120 f. 159 Nach Concilium Aurelianense (541), can. 36, Concilia Galliae II, ed. Caroli De Clercq, 1963, S. 141. 160 Concilium Parisiense (614), can. 5, Concilia Galliae II, ed. Caroli De Clercq, 1963, S. 276. 161 Concilium Aurelianense (549), can. 17, Concilia Galliae II, ed. Caroli De Clercq, 1963, S. 154.

1.2 Die Kirchen Galliens zur Zeit der Merowinger

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aber nicht an weltliche Gerichte. Klerikern wird jede Inanspruchnahme weltlicher Gerichte bei Streitigkeiten mit Brüdern untersagt.162 In diesen Bestimmungen liegt keine Neuerung gegenüber der römischen Spätantike. Sie betreffen die für die kirchliche Organisation unabdingbare innere Autonomie. Diese Autonomie bzw. Integrität der kirchlichen Organisation lässt sich nicht erhalten, wenn es nicht auch interne Kontrollfunktionen gibt. Für Kleriker und Äbte soll das der Bischof sicherstellen, für die Bischöfe die Metropoliten. Aber auch diese werden kontrolliert, nämlich durch die Bischofsversammlung der Provinz. Sollte nämlich der Metropolit eine Eingabe eines Mitbischofs ein zweites Mal verschleppen, so ist diese der Bischofsversammlung vorzulegen,163 nicht etwa dem König oder einem möglichen Obermetropoliten. Der Metropolit soll – anders als die Mitbischöfe – nicht nur von Klerus und Volk, sondern mit diesen von seinen Mitbischöfen gewählt werden, denn „qui praeponendus est omnibus, ab omnibus elegatur.“164 Während auf dem Konzil von Orléans im Jahr 533 festgelegt wurde, dass „metropolitanus episcopus a conprovincialibus, clericis vel populis“ gewählt werden solle und in Anwesenheit aller Mitbischöfe zu ordinieren sei,165 so wird nur fünf Jahre später an demselben Ort präzisiert, dass der Metropolitanbischof „a conprovincialibus episcopis“ nur „cum consensu cleri vel civium elegatur“. Auch diese Bestimmung wird damit begründet, dass, wer allen vorgesetzt werden soll, von allen zu wählen sei.166 Offensichtlich wird aber der Metropolit eher als Haupt der Bischofsversammlung verstanden, denn als Bischof einer Kirche. Die Bischöfe sichern sich jedenfalls den maßgeblichen Einfluss auf die Wahl ihres Verbandsvorsitzenden. Im Jahr 533 wird einleitend bemerkt, dass ein Verfahren einer alten Einrichtung erneuert werden solle,167 nämlich wohl die ordentliche Wahl eines Metropoliten überhaupt. Später scheint diese Erneuerung zum Nutzen der Bischöfe gelungen zu sein, weshalb dann die Bestimmung zu ihren Gunsten präzisiert werden konnte. Die Einführung dieser Wahlordnung wurde mit einer Forderung begründet, die Kleriker, Laien und Äbte mindestens genauso als Begünstigte in den Blick nahm wie die Bischöfe selbst und im Falle der normalen Bischofswahl ganz gewiss nicht im Interesse der Bischofsversammlung gelegen hätte. Offensichtlich musste tatsächlich der Einfluss der Bischöfe auf die Wahl des Metropoliten erst hergestellt werden, wozu die Bischofsversammlung auch Klerus und Volk

162 Concilium Matisconense (581–583), can. 8, Concilia Galliae II, ed. Caroli De Clercq, 1963, S. 224. 163 Concilium Aurelianense (549), can. 17, Concilia Galliae II, ed. Caroli De Clercq, 1963, S. 154. 164 Nach einem Brief Papst Leos I. ad epsicopos per Viennensem prov. ‘Divinae cultum’ (JafféWattenbach, Reg., Nr. 407): „Qui praefuturus est omnibus, ab omnibus eligatur.“, Concilia Aevi Merovingici, ed. Maassen, 74, Anm. 4. 165 Concilium Aurelianense (533), can. 7, Concilia Galliae II, ed. Caroli De Clercq, 1963, S. 100. 166 Concilium Aurelianense (538), can. 3, Concilia Galliae II, ed. Caroli De Clercq, 1963, S. 115; Zitat mit gleichem Wortlaut wie im Jahr 533. 167 Concilium Aurelianense (533), can. 7, Concilia Galliae II, ed. Caroli De Clercq, 1963, S. 100.

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1 Grundlagen und Voraussetzungen

bzw. Bürgern einen zunächst großen Anteil in Aussicht stellte. Anzunehmen ist, dass vermutlich der Einfluss des Königs und überregionaler Großer eingedämmt werden sollte, die nicht zum Volk der Kirche des Metropolitanbischofs gehörten, was fünf Jahre später gelungen zu sein scheint, wie die Präzisierung vom Jahr 538 nahelegt. Eine wesentliche Aufgabe des Metropoliten als Vorsteher der Bischofsversammlung lag in der Aufsicht über die Bischöfe. Er trug als (auch von den Bischöfen) gewählter Vertreter der Gesamtheit der Bischöfe Sorge für den Erhalt der kirchlichen Organisation und ihre Integrität. Er war zuständig bei Klagen gegen Bischöfe und im Zuge der Instanzen auch bei solchen gegen Kleriker. Seine Befugnisse erstreckten sich ebenfalls auf die Aufsicht über das Kirchengut der Bischofskirchen. Ohne sein Wissen und seine Erlaubnis („conscientia“) sollten Bischöfe kein Kirchengut verkaufen dürfen.168 Zur Klärung der Vergehen des Bischofs Contumeliosus von Riez wurde von Caesarius von Arles für das Jahr 533 in Marseille ein Konzil anberaumt, auf dem die Bischofsversammlung der Provinz über ihr Mitglied zu Gericht saß. Dabei ging es besonders um die Entfremdung von Kirchengut.169 Im Falle des Prozesses gegen Saffaracus, den Bischof von Paris, der einer nicht genannten Todsünde für schuldig angeklagt war, kamen 551 oder 552 in Paris sechs Metropoliten und 21 weitere Bischöfe aus den Teilreichen der Könige Childeberts und Theudebalds unter dem Vorsitz König Childeberts zusammen, um über die Angelegenheit zu verhandeln. Der geständige Saffaracus wurde abgesetzt,170 aber nicht auf Geheiß des Königs, sondern durch die Bischofsversammlung selbst.171 In diesem Fall jedenfalls hat das Prinzip der Kontrolle der Mitglieder durch die Bischofsversammlung funktioniert, wenn vermutlich auch bei der Durchsetzung des Beschlusses zur Absetzung die königliche Autorität durchaus hilfreich gewesen sein wird. Der Metropolit hat die Pflicht, die Mitbischöfe jährlich zu einem Konzil zusammenzurufen.172 Dort soll nach einem späteren Beschluss Einigkeit hergestellt werden, nämlich „in unum se fraternitas iungit“.173 „Fraternitas“ darf als Steigerung zu „collegium“

168 Concilium Epaonense (517), can. 12, Concilia Galliae II, ed. Caroli De Clercq, 1963, S. 27. 169 Der letzte von drei Briefen Papst Innozenz’ II. in dieser Sache, gerichtet an Caesarius von Arles, von diesem mit Erläuterungen versehen, enthält eine Sammlung von Konzilsbeschlüssen der Alten Kirche, u. a. Kanon 15 des Konzils von Antiochia (332), der gestattet, dass ein Bischof bei bestimmten Vergehen nur von allen Mitbischöfen der Provinz verurteilt werden dürfe, Concilium Massilense (533), Concilia Galliae II, ed. Caroli De Clercq, 1963, S. 89; vgl. auch die Erläuterungen von PONTAL, Synoden 1986, 58–60. 170 Concilium Parisiense (552), Concilia Galliae II, ed. Caroli De Clercq, 1963, S. 166–196; vgl. zusammenfassend und erläuternd PONTAL, Synoden 1986, 101–103. 171 WALLACE-HADRILL, Frankish Church 1983, 100 f. 172 Concilium Aurelianense (533), can. 2, Concilia Galliae II, ed. Caroli De Clercq, 1963, S. 99; ebenda can. 1 wird noch einmal die Anwesenheitspflicht der Bischöfe betont. 173 Concilium Aurelianense (541), can. 37, Concilia Galliae II, ed. Caroli De Clercq, 1963, S. 141.

1.2 Die Kirchen Galliens zur Zeit der Merowinger

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aufgefasst werden.174 Dabei ist das Einigkeitsgebot theologisch und politisch zu begründen. Die Autorität der Beschlüsse einer solchen Versammlung hängt entscheidend von ihrer Einstimmigkeit ab; und wenn es um die Klärung von theologischen Fragen geht, so wird über die Inspiration durch den Heiligen Geist der Beschluss erst zu einer „richtigen“ Glaubensentscheidung.175 Eine solche Entscheidung kann natürlich kein Mehrheitsentscheid sein. In diese brüderliche Kollegialität ist auch der Metropolit eingebunden, der ein Konzil nicht zu ungünstiger Zeit einberufen soll und den festgesetzten Ort des Konzils nur dann an seinen Bischofssitz verlegen darf, wenn schwerwiegende Gründe vorliegen.176 Eine Bischofsversammlung in Paris (556–573) erklärte, dass sie keinen ungeregelten Einfluss Großer oder von Königen hinzunehmen bereit sei, und beschloss, dass ein Bischof, der unkanonisch unter solcher Einflussnahme gegen den Willen des Metropoliten und der Mitbischöfe gewählt würde, von der Bischofsversammlung auszuschließen sei.177 Die Bischofsversammlung organisiert sich selbst als Dachverband für die Belange der kirchlichen Organisation und als Standesvertretung. Sie ist damit in der Lage, auch Königen wirkungsvoll gegenüberzutreten.

1.2.2 Die fränkischen Kirchen seit Columban Es war natürlich nicht der Mönch Columban, der gewissermaßen aus eigener Kraft das Frankenreich ins Mittelalter geschoben hätte.178 Eher waren es gesellschaftliche und politische Veränderungen des 6. Jahrhunderts, die u. a. bereits dazu geführt hatten, dass sich die regionalen Gewalten immer mehr verselbständigten. Das gilt für die Bischofsherrschaften, aber zunehmend auch für Klöster, zunächst für die

174 Inwieweit es sich um eine Einrichtung der Gebetsverbrüderung auf synodaler Ebene handelt, wie es solche in der Karolingerzeit gibt (vgl. SCHMID, Synodalverbrüderungen 1986), bleibt unklar. 175 Die Inspiration und der damit verbundene allgemeine Konsens innerhalb der beschließenden Versammlung wird z. B. zum Ausdruck gebracht in Concilium Epaonense (517), can. 40, Concilia Galliae II, ed. Caroli De Clercq, 1963, S. 35: Quocirca haec, que superna inspiratione communi consensui placuerunt [. . .].“ 176 Concilium Aurelianense (538), can. 1, Concilia Galliae II, ed. Caroli De Clercq, 1963, S. 114. 177 Concilium Parisiense (556–573), can. 8, Concilia Galliae II, ed. Caroli De Clercq, 1963, S. 208 f.: „[. . .] non principes imperio neque per quamlibet conditionem contra metropolis voluntatem vel epsicoporum comprovincialium ingeratur. Quod si per ordinationem regiam honoris iustius culmen pervaderi aliquis nimia temeritate praesumpserit, a comprovincialibus loci ipsius episcopus recepi penitus nullatenus mereatur, quem indebete ordinatum agnuscunt.“ Sinnvoller scheint mir die Variante „regiam honorem istius culmen“, wie sie in Maassens Edition Concilia aevi Merowingici, S. 145, Z. 2 aufgenommen ist, in den kritischen Appararaten beider Editionen erscheint keine Angabe zu dem Wort. 178 FOURACRE, Francia in the Seventh Century 2005, 382 weist darauf hin, dass Columban bei weitem nicht der einzige irische Klostergründer im Frankenreich dieser Zeit war.

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1 Grundlagen und Voraussetzungen

Klöster, die von Lérins aus gegründet wurden;179 wobei im südlichen Frankenreich mit seiner ausgeprägten römisch-städtischen Tradition die Bischofsherrschaften überwogen, im Norden es die Klöster dagegen leichter hatten, eine gewisse Selbständigkeit zu erhalten bzw. zu bewahren. In beiden Fällen war es adeliger Einfluss, der zu diesen Verselbständigungen führte. Der Bischofsstuhl wurde zum Zielpunkt adeliger Karriereplanung,180 und adeliges Engagement war bei der Gründung, Ausstattung und personellen Besetzung von Klöstern maßgeblich. So kam es zu einer Veränderung der kirchlichen Organisation, die sich in den Konzilsbeschlüssen des 6. Jahrhunderts noch nicht in der Deutlichkeit niederschlägt, wie in der offensichtlichen Abnahme der Konzilshäufigkeit im Laufe des 7. Jahrhunderts. Seit dem Ende des 6. Jahrhunderts entstanden im Frankenreich mehrere weitgehend autonome Bischofsherrschaften, die nicht nur die kirchliche Organisation ihrer Herrschaftsräume kontrollierten.181 Vielfach waren die königlichen comites an den Bischofssitzen durch die Bischöfe mediatisiert worden,182 das Amt wurde mancherorts zu einem Schritt im cursus honorum, dessen Ziel der Bischofssitz war. Mehrere Bischöfe hatten zuvor selbst das Amt des comes innegehabt.183 Während die klösterlichen Ordnungen im Frankenreich zwar einen starken Abt vorsahen, widersprachen sie aber doch nicht der kanonischen Einrichtung einer Oberaufsicht des Bischofs, wie sie in zahlreichen Bestimmungen von Bischofsversammlungen eingefordert wurde. Die adelige und königliche Beteiligung an der Gründung und Ausstattung von Klöstern hatte somit während des 6. Jahrhunderts nicht zwingend eine wesentliche Minderung bischöflicher Macht zu Folge. Der irische Mönch Columban, der gegen Ende des 6. Jahrhunderts in das Frankenreich kam, hatte u. a. in dieser Hinsicht ganz andere Vorstellungen.184 Er erhob den

179 Zu dem Inselkloster Lérins und seiner Bedeutung vgl. PRINZ, Frühes Mönchtum 1965, 47–87. 180 Zur sozialen Herkunft von Bischöfen im 5. und 6. Jahrhundert s. HEINZELMANN, Bischofsherrschaft 1976, 220 ff. und öfter; GAUTHIER, Reseau de Poiuvoir de l’Évêque 2000, 195–199. – Vgl. PATZOLD, Sozialstruktur des Episkopats 2010. 181 FOURACRE, Francia in the Seventh Century 2005, 384 sieht die Bischofsherrschaften durchaus als mögliche Komplementäre der merowingischen Königsherrschaft, da sie eben regionalen Charakter besaßen. – Vgl. auch DE JONG, Carolingian monasticism 1995, 625. – KAISER, Royauté et pouvoir épiscopal 1989 sieht einen allgemeinen Wandel in der Mitte des 7. Jahrhunderts. Bis dahin befanden sich die Bischöfe in einer gewissen Abhängigheit vom Königtum. – S. zur merowingerzeitlichen Praxis der Bischofsherrschaft den Exkurs bei HEINZELMANN, Bischofsherrschaft 1976, 179–183, vor allem 183 zur Konkurrenz zwischen Bischof und Graf. – Vgl. zu den Bischofsherrschaften Lotharingiens und ihrer späteren Entwicklung BAUER, Lotharingien 1997, 91 ff. 182 CLAUDE, Comitat 1964, 26 ff.; HEINZELMANN, Bischof und Herrschaft 1988, 67 f. – Vgl. zu den Steuerabtretungen merowingischer Könige als wesentliche Voraussetzung für die Bischofsherrschaften KAISER, Steuer und Zoll 1979. – S. auch WEIDEMANN, Bischofsherrschaft 1989, 167 f. zu Le Mans. 183 PRINZ, Bischöfliche Stadtherrschaft 1974, 24. 184 Zu Columban s. WOOD, Merovingian Kingdoms 1994, 185 ff.; zum columbanischen Mönchtum unter dem Aspekt der Frauenklöster s. FELTEN, Frauenklöster 2005, 60 ff.

1.2 Die Kirchen Galliens zur Zeit der Merowinger

165

Abt zum Herrn über das Kloster, der keine bischöfliche Aufsicht mehr dulden sollte.185 Er sollte der alleinige irdische Herr der Mönche und unumschränkte Herrscher über die Belange des Klosters sein.186 Vermutlich war es auch das, was ihm in merowingischen Hofkreisen in kürzester Zeit gewaltigen Zulauf verschaffte187 und seine Klöster zu Stationen adeliger Karrieren machte.188 Columban war selbst Abt mehrerer Klöster – auch das verstieß gegen die Konzilsbestimmungen –, und von seiner Gründung Luxeuil ausgehend wurden zahlreiche weitere Klöster eingerichtet.189 Damit gelangten Teile des Frankenreiches wieder in engere Verbindung zu der merowingischen Herrschaft, die ihrerseits als Schutzmacht für diese neuen Klöster auftrat.190 Eine wesentliche Neuerung bedeutete die Vernetzung der Klöster untereinander, die ein „relativ dichtes Kommunikationssystem“ ermöglichte,191 das den Klöstern eine bedeutende Rolle bei der Organisation merowingischer Herrschaft erlaubte. Die Veränderungen der kirchlichen Organisation im 7. Jahrhundert lassen sich an einigen der Konzilsbeschlüsse, die immer noch Beschlüsse von Bischofsversammlungen darstellen, deutlich machen. Wenn man einen Beschluss des Konzils von Chalon-sur-Saône wörtlich nehmen darf, so soll der Bischof „non ab alio nisi comprovincialibus, clero et civibus suis“ gewählt werden, ohne dass differenziert wird, welche Gruppe in welcher Weise und in welcher Reihenfolge an der Wahl beteiligt wird.192 Es scheint, als seien die Mitbischöfe in die Reihe der Wähler eingerückt. Vermutlich mussten zum Schutz der ordentlichen Wahl und ihrer eigenen Interessen – was nahe beieinander gelegen haben wird – die Mitbischöfe schon vor der Ordination in das Verfahren einbezogen werden. Ähnliche Gründe werden dazu geführt haben, das Verbot der Designation eines Nachfolgers einzuschränken. Die Designation wird in Clichy (626 oder 627) erlaubt, wenn der designierte Nachfolger aus der

185 WALLACE-HADRILL, Frankish Church 1983, 66; vgl. PRINZ, Geistige Kultur des Mönchtums [1963] 1976, 314, der von der Beanspruchung größerer „Selbständigkeit gegenüber der Diözesangewalt“ spricht. – Vgl. zur Konkurrenz von Abt und Bischof in dieser Zeit SEMMLER, Monachus 2005, 5–9. – S. auch DIEM, Regula Columbani 2002, 75–77, der auch konkret, etwa an der Gründung des Klosters Solignac durch den späteren Bischof Eligius von Noyon, zeigen kann, daß den Bischöfen durchaus auch der Verzicht auf ihre Hoheitsrechte über die Klöster abverlangt werden konnte. 186 WALLACE-HADRILL, Frankish Church 1983, 64. 187 SCHEIBELREITER, Audoin von Rouen 1989, 207 f. 188 PRINZ, Fränkischer Episkopat 1981, 115 f. Vgl. auch GEARY, Merowinger [1988] 1996, 174. 189 Die meisten Gründungen nach dem Vorbild von Luxeuil gehen auf Adelskreise zurück und sind keine direkten Gründungen Columbans oder seiner Schüler, PRINZ, Frühes Mönchtum 1965, 122 f. 190 Zur Unterstützung der merowingischen Familie für das columbanische Klosterwesen vgl. WALLACE-HADRILL, Frankish Church 1983, 70 f. 191 PRINZ, 7. Jahrhundert 1993, 7 f. – DIEM, Regula Columbani 2002, 72 f. zur Netzwerkbildung und zur Kontrolle von Neugründungen durch Mönche aus Luxeuil. 192 Concilium Cabilonense (647–653), can. 10, Concilia Galliae II, ed. Caroli De Clercq, 1963, S. 305. Vgl. eine ähnlich allgemeine Bestimmung des Concilium Latunense (673–675), can. 5, Concilia Galliae II, ed. Caroli De Clercq, 1963, S. 315.

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1 Grundlagen und Voraussetzungen

Diözese stammt und außerdem ihn „universalis totius populi elegerit votus hac conprovincialium voluntas adsenserit,“193 also Teile eines ordentlichen Wahlverfahrens vorweggenommen werden. Damit wurde versucht, den Verlauf von Bischofswahlen unter Kontrolle zu behalten. Es muss also starke Kräfte gegeben haben, die gegebenenfalls gegen den Willen der Bischofsversammlung und möglicherweise auch gegen Klerus und Volk einen Kandidaten durchsetzten, weil sie die labile Lage nach dem Tod eines Bischofs ausnutzen konnten. In Saint-Pierre-de-Granon (673–675)194 wird von einem Konzil die Stellung des Bischofs in Beziehung zu den Klerikern behandelt. Der Bischof wird unter Rückgriff auf die Autorität des heiligen Hieronymus wie ein zeitgenössischer Abt dargestellt. Er hat die Kleriker zu lieben, wie ihn die Kleriker zu lieben haben, diese sind ihm aber zu Gehorsam verpflichtet. Er selbst rage hervor „quasi caput aecclesiae“.195 Damit wird die Differenz zwischen der Kirche und ihrem Vertreter stark verringert, sodass denkbar ist, dass dieses „quasi caput“ vom Verwalter zum Inhaber des Kirchengutes werden konnte. Noch in der Mitte des 7. Jahrhunderts erneuerte eine Bischofsversammlung in Chalon-sur-Saône das Verbot für Äbte und ihre Klöster, sich ohne Erlaubnis des Bischofs an „principes“ zu wenden,196 was aber wohl unter dem Vorzeichen zu sehen ist, dass inzwischen viele Bischöfe selbst dem Luxeuil-Kreis zuzurechnen waren197 und als Bischöfe selbst auf den Erhalt der Hierarchie achteten. So wurde auf derselben Versammlung beschlossen, dass es keine zwei Äbte in einem Kloster geben dürfe, was im Falle der Designation des Nachfolgers drohte. Der designierte Nachfolger dürfe keine „potestas“ erhalten.198 Diese Bestimmung zeigt die gewachsene Bedeutung der Klöster innerhalb der Kirchenorganisation, da es offensichtlich nicht mehr vom Bischof allein unternommen werden konnte, die Angelegenheiten der Klöster zu kontrollieren, sondern sich eine Synode damit grundsätzlich auseinandersetzen musste. Dass auf der Bischofsversammlung von Chalon-sur-Saône bestimmt wurde, dass in einer Stadt nicht zwei Bischöfe ordiniert werden dürfen,199 lässt schon Rückschlüsse auf die Veränderungen des 7. Jahrhunderts zu. Aber nicht nur eine mögliche Teilung des Amtsbereiches macht den Bischöfen Sorgen, sondern vielmehr eine

193 Concilium Clippiacense (626/627), can. 28, Concilia Galliae II, ed. Caroli De Clercq, 1963, S. 296. Vgl. die Erneuerung des Designationsverbotes für Bischöfe in Concilium Latunense (673–675), can. 16 und 22, Concilia Galliae II, ed. Caroli De Clercq, 1963, S. 317. 194 Vgl. zur Datierung die Angaben von PONTAL, Synoden 1986, 213, Anm. 3. 195 Concilium Modogarnomense (673–675), can. 4, Concilia Galliae II, ed. Caroli De Clercq, 1963, S. 313. 196 Concilium Cabilonense (647–653), can. 15, Concilia Galliae II, ed. Caroli De Clercq, 1963, S. 306. 197 Vgl. die Aufstellung bei PRINZ, Frühes Mönchtum 1965, 123. 198 Ebenda can. 12. 199 Concilium Cabilonense (647–653), can. 4, Concilia Galliae II, ed. Caroli De Clercq, 1963, S. 304.

1.2 Die Kirchen Galliens zur Zeit der Merowinger

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daraus erfolgende Teilung des Kirchengutes beunruhigt die Versammlung; eine solche nämlich wäre nicht umkehrbar; und damit wäre die Kirche dauerhaft geteilt. Nach wie vor musste Kirchengut vor dem Zugriff des Bischofs geschützt werden, etwa ihm anvertrautes Gut einer anderen Kirche.200 Zu schützen war auch das Gut von Pfarrkirchen und Klöstern nach dem Ableben des Vorstehers vor dem Zugriff des Bischofs.201 Hiermit wird – ganz konkret – die Rechtspersönlichkeit der Einzelkirche, Kloster und Pfarrkirche, vorbereitet, wenn nicht sogar ihr bereits Rechnung getragen. Denn solange das Vermögen einer Einzelkirche unter der Aufsicht des Bischofs erhalten wird, muss die Frage nach dem Eigentum am Vermögen nicht notwendigerweise gestellt werden. Wenn aber Gefahr besteht, dass das Vermögen der Einzelkirche entzogen wird, ihr Bestehen damit gefährdet ist, muss geklärt werden, ob die Einzelkirche als solche ein Recht auf Fortbestehen haben soll und ob die Mittel dazu an sie gebunden sein sollen oder nicht. Der einfachste Weg, die Kirche zu erhalten, ist, ihr Rechts- und Vermögensfähigkeit zuzusichern. Schwieriger ist es, den Bischof in seiner Vermögensverwaltung und Aufsicht zu kontrollieren, wie es die Bischofsversammlung im 6. Jahrhundert ja versucht hatte. In letzter Konsequenz hätte nämlich die Bischofsversammlung ihre Mitglieder ihrer monarchischen Stellung entkleiden müssen. Die Bischofsversammlung ist an die Stelle des Metropoliten getreten.202 Sie wacht – soweit es ihr möglich ist – über die Erhebung und das Handeln der Bischöfe. Sie versuchte fortgesetzt, den Einfluss der Großen und Könige auf die Kirchen zu beschränken und, wenn nötig, in geordnete Bahnen zu lenken.203 Die Verselbständigung aller kirchlichen Einrichtungen verlangte nach einer selbstorganisierten Aufsicht der Kirchen. Zugleich hatte diese Verselbständigung eine rechtliche Seite. Die Einzelkirchen wurden aus dem Diozesanverband herausgelöst und erlangten zunehmend eine eigene Rechtsstellung, wenn sie nicht in Abhängigkeit von Großen gerieten bzw. in einer solchen Abhängigkeit eingerichtet wurden. Die Bischofskirchen gestalten in ihrer Selbstständigkeit den Metropolitanverband als synodalen Verband zunächst neu. Parallel dazu bilden auch Klöster eigene Verbände, mit denen sie den Bischöfen zur Konkurrenz werden. Diese neue Konkurrenz richtet sich auf die Könige und ihre Hofkreise, die ihrerseits davon profitieren.

200 Concilium Clippiacense (626/627), can. 24, Concilia Galliae II, ed. Caroli De Clercq, 1963, S. 295 f. 201 Concilium Cabilonense (647/653), can. 7, Concilia Galliae II, ed. Caroli De Clercq, 1963, S. 304. 202 Den Zerfall der Metropolitanstruktur konstatiert PONTAL, Synoden 1986, 228, die den König als Erben der Metropoliten sieht, vor allem bei der Einsetzung der Bischöfe. Eine feste Korrelation von Zunahme des königlichen Einflusses auf die Bischofswahlen und Abnahme der Bedeutung der Metropoliten ist m. E. nicht zu konstatieren. 203 Zum informellen Charakter der Herrschaft der Könige im 7. Jahrhundert vgl. FOURACRE, Frankish Political Institutions 1998, 289.

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1 Grundlagen und Voraussetzungen

Der Verselbständigung und Regionalisierung der Herrschaftsräume im Frankenreich können antike institutionelle Formen nicht folgen, wie etwa die städtische Organisation der Herrschaft oder der Metropolitanverband. An die Stelle der bis weit in das 6. (und 7.) Jahrhundert funktionierenden antiken Verwaltungsorganisation treten informelle Zusammenschlüsse, die der neuen „Balance of Power“ folgen und erst neue institutionelle Formen finden müssen.204

204 Ähnlich FOURACRE, Frankish Political Institutions 1998, 298: „The greatest change here was the decline of a tax-funded bureaucracy and its replacement by an organization of power which depended upon landed resources and personal relationships.“

2 Kirchenorganisation im Reich der Karolinger 2.1 Der Aufbau der karolingischen Kirchenorganisation 2.1.1 Klöster und Kirchen als Kapitalanlagen und Herrschaftsinstrumente Unter den großen Familien, die sich im 7. Jahrhundert der Förderung der Klöster annahmen, befanden sich auch die Arnulfinger.1 Auch sie nutzten die durch das columbanische Mönchtum eröffnete Möglichkeit, ihre Herrschaft über die Förderung und möglicherweise auch Gründung von Klöstern zu verbreitern.2 Klöster dienten der Versorgung von Familienangehörigen und Getreuen, aber eben auch der Sicherung von Herrschaft. In unsicheren Zeiten konnte dort Kapital gesichert werden, das nach wie vor der Versorgung der Familie diente, und Herrschaft ausgelagert werden, deren man sich zu späterer Zeit bedienen konnte. Die Klöster waren die bevorzugten Renditeobjekte des Frühmittelalters.3 Für einen Klostergründer stellte sich in aller Regel die Frage, wie er Eigentum in Herrschaft umwandeln konnte. Sein Eigentum übergibt der Stifter einer Gemeinschaft und erhält dafür Zustimmung und Vertrauen. Er wird dieser Gemeinschaft mit aller Wahrscheinlichkeit selbst die Treue halten, solange die Gemeinschaft sich nicht von ihm abwendet. Ist der Stifter ein Herrscher, was für die arnulfingischen und karolingischen maiores domus gewiss zutrifft, ist die Nähe der Gemeinschaft zum Stifter ohnehin sehr

1 S. zu einigen Beispielen etwa DIERKENS, Abbayes et Chapitres entre Sambre et Meuse 1985, bes. S. 326 f. – Zur Klosterpolitik der Karolinger als Mechanismus auch zur Einbindung des lokalen Adels s. HUMMER, Politics and Power 2005, 24. 2 GERBERDING, Rise of the Carolingians 1987, 96 sieht die Funktion der Klosterpolitik als Mittel zur Herstellung von „local political control“ und zeigt ebenda 92 ff. die immense Bedeutung solchen Vorgehens für das Ausgreifen der arnulfingischen Herrschaft nach Neustrien. Er relativiert somit die Bedeutung der Schlacht von Tertry, die er eben nur als einen Teil einer großangelegten Politik begreift, die eher Zustimmung sammelt als zum Mittel der Gewalt greift. Auch SPRANDEL, St. Gallen 1958, 10 sieht die Klosterpolitik der Karolinger gerade im Bodenseeraum als Ausdruck politischer Interessen, die er aber wohl nicht ganz zurecht den merowingischen Gründungen nicht unterstellt, für die Gründungen der Merowinger als Beleg die Frömmigkeit Columbans heranzieht und nicht die Funktion der Klöster für die Sicherheit merowingischer Herrschaft. 3 SCHIEFFER, s.v. Eigenkirche, LMA 3 (1986), Sp. 1705 bezeichnet die Eigenkirche als „Kapitalanlage“. Auch STÖRMER, Früher Adel 1973, 365 hält „wirtschaftliche und politische Gesichtspunkte“ für die „Gründung dieser Sippenklöster“ für „beachtlich“. Vgl. auch SCHWIND, Klöster als Wirtschaftsorganismen 1984. – Zur Bedeutung der Klöster für die fränkische Wirtschaft, vor allem mit eigenen Märkten und ihrer Präsenz auch auf entfernten Märkten vgl. LEBECQ, Role of Monasteries 2000. – S. aber auch die Mahnung von FELTEN, Frauenklöster 2005, 62, der die „religiöse, mentale Komponente“ für stark unterbewertet hält. Es scheint aber wohl eher so zu sein, dass man materielle, soziale und religiöse Beweggründe nicht gegeneinander ausspielen sollte. Es ist kein starrer Begründungsraum zu füllen, wobei eine starke Betonung des Materiellen wenig Platz für das Religiöse ließe. https://doi.org/10.1515/9783110641936-008

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2 Kirchenorganisation im Reich der Karolinger

wahrscheinlich von Vorteil. Dasselbe gilt für die Verleihung von Immunitäten, solange der, der sie gewährt, für ihre Umsetzung zu sorgen imstande ist. Auch wenn der Stifter als Herrscher und Schenker zugleich die freie Abtwahl verleiht, gibt er etwas von seinen Eigentumsrechten an die Gemeinschaft und erhält dafür Zustimmung und Vertrauen.4 Die Bindung, die auf diese Weise entsteht, ist für einen Herrscher mehr wert als das bloße niedrig verzinsliche Eigentum. Sie ist gewissermaßen aktiviertes Eigentum. Aus dem gestifteten Gut erwächst eine gegenseitige Verpflichtung von Stifter und Gemeinschaft, die in der Gebetsverpflichtung der Gemeinschaft für den Stifter ihren sinnfälligen Ausdruck findet. Über die Klöster werden zugleich Familien gebunden, deren Angehörige als Mönche der beschenkten Gemeinschaft angehören.5 Das gestiftete Klostergut versetzt das Kloster in die Lage, eigenständig Herrschaft auszuüben und so die Herrschaft des Stifters zu ergänzen. Die Kontinuität einer selbständigen kirchlichen Einrichtung ist in einer Zeit der allgemeinen Rechtsunsicherheit von unschätzbarem Wert für dauerhaften herrscherlichen Einfluss. Eigenkirchen sind dagegen verzinsliches Kapital.6 Sie werfen Rendite ab, schaffen aber wenig Einfluss. Sie bleiben mit dem Eigentümer verbunden und bilden keine eigene (Rechts-) Persönlichkeit.7 Das hat dann seinen Sinn, wenn der Eigenkirchenherr nur von lokaler Bedeutung ist und seine Kirche in dem Gebiet seines ohnehin bestehenden Einflusses liegt, sie also nicht in der Lage wäre, ihm weitere Herrschaft zuzuführen. Räume, die sich im Eigentum eines Herrschers befinden, die er jedoch nicht als

4 Vgl. die Bestimmung Pippins in der Verleihung des Rechtes an das Kloster Echternach, einen künftigen Abt aus den eigenen Reihen zu wählen, dass dieser „in Treue zur pippinidischen Dynastie stünde“, SEMMLER, Episcopi potestas 1974, 315, die erklärt, was sicher auch unausgesprochen bei der Privilegierung erwartet wurde (Pippin und Plektrud für Willibrord, Christi Himmelfahrt 706, DD Arnulf. 5, ed. Heidrich, S. 13–15, 14 (Heidrich Nr. 5, S. 64–66, 66): „ut cum ipse beatus Willibrordus de hac luce migraverit, ipsi fratres quem ex semetipsis elegerunt sibi constituant abbatem ea ratione ut heredibus nostris in omnibus fidelis appareat [. . .]“). Auch bei der Verleihung der freien Abtwahl durch Karl den Großen an das Kloster Fulda von 774 wird diese u. a. an die Treue dem König gegenüber gekoppelt, DDKarol. Nr. 86, MGH Urkunden der Karolinger I, S. 124 f. und Mainzer Urkundenbuch Nr. 67, S. 115–121. – Vgl. ähnlich im Falle der Immunität, die eine Bindung zwischen König und regionalem Adel schaffe, GASPARRI, Italien 2009, 98 f. unter Bezug auf ROSENWEIN, Negotiating Space 1999 und FOURACRE, Eternal Light 1995. 5 Zur gegenseitigen Bindung von Familien über ihre Verbindung zu einer Klostergemeinschaft s. HARRISON, Structures and Resources of Power 2003, 22. – Vgl. zu dieser Funktion der Klöster auch INNES, State and Society [2000] 2001, 22 f. – S. aber auch LE JAN, Klöster und Kirchen 2006, 192, die auf die Funktion der „Eigenkirche“ als Klammer der einen Familie verweist, aus deren Eigentum sie besteht. 6 Zur Forschungsdiskussion um die Eigenkirchen, v. a. um die Frage, ob sie auf ein „germanisches Privattempelwesen“ (Stutz) zurückgehen, und zur weitgehenden Abwendung von dieser Sicht s. HECHBERGER, Adel 2005, 165 f. und ebenfalls recht ausführlich PATZOLD, Raum der Diözese 2007, 227–231, der ebenda 229 die Annahme von „den germanischen Wurzeln“ für widerlegt erklärt. 7 DORN, Landschenkungen 1991, 202.

2.1 Der Aufbau der karolingischen Kirchenorganisation

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Herrscher zu kontrollieren in der Lage ist, eignen sich nicht für die Errichtung einer Eigenkirche. Sie würde ihm entfremdet werden oder zumindest keinen herrschaftsrelevanten Nutzen bringen. In einem solchen Fall ist die Stiftung einer kirchlichen Einrichtung unter Führung einer klösterlichen Gemeinschaft sinnvoller.8 Die Nähe zum Stifter bleibt über das Prinzip von Zustimmung und Vertrauen erhalten und ermöglicht darüber hinaus die Arrondierung eines Herrschaftsraumes über die klösterliche Gemeinschaft selbst und über die Familien der ihr angehörenden Mönche. Voraussetzung ist, dass der Stifter über hinzutretende Herrschaftsmittel verfügt, die die gegründete oder begünstigte Gemeinschaft schützen. Aus dem Zusammenspiel von Klosterherrschaft und herrscherlichem Schutz erwächst eine gemeinsame Herrschaft über den zugehörenden Raum, die beiden nutzt.9 Die Gründung von Klöstern mit öffentlichem Charakter, die also offen sind für den Beitritt lokaler Familien, führt zu einem Amalgam von regionaler und zentraler Macht. Ein herrscherliches Kloster, das offen ist für den Beitritt lokaler Familien, als Eigenkloster zu bezeichnen, nur weil es auch zur Versorgung von Getreuen und Familienangehörigen dient, wäre unsinnig. Vermutlich ist die Unterscheidung von Eigenkirchen und anderen Kirchen, wie sie allgemein vorgenommen wird, viel zu schematisch. Allein, wie sollte man die anderen Ortskirchen nennen: „frei“, „öffentlich“, selbständig? Die Übergänge sind fließend. Und größere Kirchen, deren Liegenschaften nicht nur im Eigentum der Gründerfamilie verbleiben, sondern die auch ausschließlich zur Versorgung der Familie des Gründers dienen, deren Geistliche darüber hinaus allein vom Eigentümer bestellt werden, dürften eher selten gewesen sein. Viele dieser Eigenkirchen verbleiben nach dem Tod des Gründers nicht in der Familie, sondern werden zur Sicherung des ungeteilten Bestandes und damit auch des Seelenheils des Gründers einer größeren Kirche als Filiation übergeben10 oder eben

8 Oder eben die Zuwendung an eine bestehende kirchliche Einrichtung, vgl. zur „Streuung“ von Vergabungen an Kirchen durch den Adel und ihrer Abhängigkeit von der Streuung des Besitzes, der eben nicht arrondierbar war, LE JAN, Adel um 800 2002, 267. 9 Zu Italien kann WOOD, Proprietary Church 2006, 62 eine Vorstufe zur Konzeption einer eigenständigen kirchlichen Einrichtung unter dem Einfluß mehrerer Familien beschreiben, nämlich eine Art „Kommanditgesellschaft“, in der das Eigentum an der Kirche in zwei Gründerfamilien verbleibt, die fortan ihre Mitglieder „wie Brüder“ zusammenwirken lassen wollen. 10 Zahlreiche Beispiele finden sich z B. im Mainzer Urkundenbuch: Nr. 22, S. 43 f. (754); Nr. 71, S. 127 (775); Nr. 154, S. 227–231 (784); Schenkung eines Anteils an einer Kirche Nr. 182, S. 276 f. (785–794); Nr. 202, S. 299–301 (776–796); Nr. 220, S. 318 f. (780–796); Schenkung eines Anteils Nr. 249, S. 356 (797) und Nr. 250, S. 358 (796,797[?]); Nr. 264, S. 372–378 (799); Schenkung eines Anteils Nr. 267, S. 383 f. (800). Die Häufung im letzten Viertel des Jahrhunderts ist bemerkenswert. S. zur Sicherung von Besitz durch „traditio“ und beneficium“ auch JAHN, Ducatus Baiuvariorum 1991, 299 f. S. dazu auch FRIESE, Studien zur Herrschaftsgeschichte des fränkischen Adels 1979, 55, der beobachtet hat, dass „einige der vornehmsten und besitzmächtigsten Großen“ Thüringens im letzten Drittel des 8. Jahrhunderts ihre Eigenklöster, einiges Gut und zum Teil sich selbst als Mönche an größere Kirchen und Klöster übergaben, um, wie er meint, ihr Gut „vor dem unmittelbaren Zugriff des Königs zu schützen“. FRIESE verweist ebenda 82 auf die karolingische Gewohnheit, Einfluss auf die kirchliche Organisation geltend zu machen. S. dazu mit zahlreichen

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2 Kirchenorganisation im Reich der Karolinger

einer mächtigen Person zur Vergrößerung und Neugründung als „andere“ Kirche, nämlich als Stiftung.11 An dieser Stelle sei die Frage formuliert, warum seit der Mitte der 20er Jahre des 9. Jahrhunderts Schenkungen von Kirchen an das Kloster St. Gallen aufhören, nachdem bis dahin bis zu einem Viertel der Traditionen an St. Gallen Kirchen betraf.12 Liegt das vielleicht an der Herstellung von Staatlichkeit und ihrer Sicherung durch die Kirchen, sodass Eigenkirchenherrn sich des Erhalts ihrer Kirchen im Besitz der Familie relativ sicher sein konnten? Dabei ist als Stiftung jede mit privatem Kapital gegründete Kirche zu betrachten, die eigentumsfähig ist. Eigentumsfähig sind aber unter Umständen auch solche Gründungen, die im Besitz einer Person oder Familie stehen. Ihnen standen möglicherweise Zehnt und Abgaben direkt zu, und wenn sie Schenkungen empfangen haben sollten, ist der Übergang zur Stiftung ohnehin fließend.13 Wenn eine Kirche einer anderen Kirche, Kloster oder Bischofskirche, gehört, kann sie zwar als Eigentum bezeichnet werden, ist sie dann aber zwangsläufig eine „Eigenkirche“?14 Wenn sie eine gewisse innere Autonomie hat, etwa beschränkt eigentumsfähig ist und Rechtsgeschäfte tätigt, ist der Begriff der Eigenkirche m. E. irreführend. Man sollte sich seiner nur bedingt bedienen. Er entspricht in seiner Ausschließlichkeit nicht den Anforderungen an einen operativen Begriff der Geschichtswissenschaft.15

Beispielen bayerischer Klostergründungen SEMMLER, Klosterwesen im bayerischen Raum 1994, etwa ebenda 317 zum Kloster Herrieden, dessen Stifter das Kloster in die Hände der Karolinger überführte. Dass er das auf karolingischen Druck hin tun musste, ist m. E. gar nicht sicher, immerhin bedeutete dies nach Tassilos Entsetzung eine enge Verbindung zur Zentrale des Reiches. SEMMLER sieht sämtliche herzögliche Klostergründungen ebenda 321 in die „Verfügungsgewalt“ der Karolinger übergehen (s. auch STÖRMER, Besitz und Herrschaftsgefüge 1994, 397), wobei die Frage im Raum steht, inwiefern diese Verfügungsgewalt von bayerischen Großen ausgeübt wurde, die etwa in führender Position diesen Klöstern voranstanden. – Zu Vergaben von „Eigenkirchen“ auf der Basis von Prekarien an größere geistliche Institutionen, nämlich mit dem fortgesetzten Nutzungsrecht s. HAIDER, Niederkirchenwesen 1994, 305 und passim. 11 Michael BORGOLTE, Chrurrätischer Bischofsstaat 1986 hat darauf hingewiesen, dass zwischen Eigenkirchengründung und Stiftung ein wesentlicher Unterschied besteht. 12 Befund bei HARTMANN, Rechtlicher Zustand 1982, 417 f., der ihn mit der fränkischen Gesetzgebebung in Zusammenhang bringt. – Vgl. auch INNES, State and Society [2000] 2001, 16 f., der allgemein zum Mittelrheingebiet ein regelrechtes Verschwinden nach 850 konstatiert. 13 Vgl. BORGOLTE, Churrätischer Bischofsstaat 1986, 97, der beide Formen voneinander abgrenzt, nämlich Eigenkirchengründung und Stiftung zu sehr, wenn er die Stiftung nur nach noch bestehendem römischen Stiftungsrecht erkennen will. Die Stiftung ergibt sich aus der faktischen Eigentumsund Rechtsfähigkeit einer Kirche, die auch ohne das Zutun einer Eigentümerfamilie handlungsfähig ist, wobei mangelnde wirtschaftliche Ausstattung, wie es wohl oft der Fall war, kein Hinderungsgrund für die Feststellung einer Stiftung sein kann. 14 S. WOOD, Proprietary Church 2006, die aus ihrem Erkenntnisinteresse heraus durchaus sinnvoll solche Konstruktionen in den Blick nimmt. 15 Vgl. auch die Kritik von Andreas HEDWIG, Eigenkirche 1992, 5 an der Unterscheidung in „Gutskirchen“ und „freie Kirchen“ unter den Eigenkirchen durch STUTZ, Ausgewählte Kapitel aus der Geschichte der Eigenkirche und ihres Rechtes, in: ZRG Kan. Abt. 26 (1937), 1 ff. – HAIDER,

2.1 Der Aufbau der karolingischen Kirchenorganisation

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Aus gutem Grund nimmt ja auch das moderne Gesellschaftsrecht einer Aktiengesellschaft, die mit einer anderen Gesellschaft einen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag geschlossen hat, nicht die Rechtspersönlichkeit. Dass wesentliche Entscheidungen vom oft alleinigen Eigentümer bzw. mindestens Mehrheitsaktionär, getroffen werden und Gewinne nach Belieben des Eigentümers abgeführt werden, ändert nichts an der Gesellschaftsform einer Kapitalgesellschaft, wenngleich sie faktisch durchaus eine eingeschränkte Handlungsfähigkeit besitzt. Der Sache nach handelt es sich dann um eine Zwischenform von „freiem“ und „eigenem“ Unternehmen. Und ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, die zwei Teilhabern gehört, analog zur Eigenkirche, die sich im Eigentum zweier Personen befindet, eine „Eigengesellschaft“, die sich wesentlich von einer Gesellschaft mit zahlreichen Eigentümern unterscheidet? Als Kriterium zur Bestimmung einer „Eigenkirche“ als im Sinne einer – mit den Worten moderner Betriebswirtschaft gesprochen – „Betriebsabteilung“, sind die Eigentumsverhältnisse als Kriterium nicht zureichend. Zu fragen ist vielmehr, wie sie sich nach außen verhält, ob sie Rechtsgeschäfte tätigen kann und eigentumsfähig ist. Die sich im letzten Drittel des 7. Jahrhunderts sichtbar verändernde politische Ordnung, also das Zurücktreten der städtischen Zentren hinter den ländlichen Organisationsformen, verlangte von den Vertretern der politischen Zentrale, den Königen ebenso wie den Hausmeiern, dass sie sich umorientierten und sich ebenfalls lösten von den Städten als Basis der politischen Strukturen des Reiches. Eine gute Gelegenheit für aufstrebende Familien, ihre Herrschaft auszuweiten bzw. zu konsolidieren liegt in der Beteiligung an Organisationen, die unabhängig vom Schicksal der beteiligten Familie bestehen konnten, die zugleich Anteil hatten an der politischen Ordnung. Dazu gehörten die Klöster und ihre Verbände, die eben daher auch wesentliche politische Zentren darstellten. Es hat den Anschein, als hätten Merowinger und Arnulfinger in der Beteiligung an diesen neuen Strukturen zunächst gemeinsam an der Wiederherstellung staatlicher Ordnung gearbeitet, indem sie sich bei der Förderung der Klöster zusammen in Konkurrenz mit den anderen großen Familien begaben.16 Bald aber kehrten die Arnulfinger dieser Allianz den Rücken, indem sie eine eigene strategische Allianz mit einer neuen Gruppe von geistlichen Klostergründern Niederkirchenwesen 1994, 328 f. geht den entgegengesetzten Weg, indem er grundsätzlich jede Kirche als „Eigenkirche“ qualifiziert. Möglicherweise bezieht er das aber – ohne es hervorzuheben – nur auf die Niederkirchen. Das beruht auf der Erkenntnis, dass in Bayern keine (oder kaum) Kontinuität zwischen den Niederkirchen des 8. und 9. Jahrhunderts und spätmittelalterlichen Pfarreien besteht, ebenda 327. Nun ist das m. E. problematisch, da der ungeklärte frühmittelalterliche Eigentumsbegriff diese Qualifizierung ausgesprochen unscharf werden lässt und suggeriert, es habe in Bayern auch nicht ansatzweise eine transpersonale kirchliche Organisation gegeben. 16 JAHN, tradere ad sanctum 1988, 407 sieht in den Zuwendungen der bayerischen Herzöge an verschiedene Klöster eine Nutzung von „Verwaltung für die herrschaftliche Durchdringung, Erschließung und Integration des Landes“.

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und Missionaren eingingen, nämlich mit den angelsächsischen Missionaren, die im Frankenreich von Anfang an ausschließlich mit den Arnulfingern kooperierten.17 Aber erst die Verbindung zweier großer Familien erlaubte das große Engagement in der Klosterförderung, das bei den Eheleuten Pippin d. M. und Plektrud zu beobachten ist. Erst ihre Ehe erlaubte den Arnulfingern, ausreichend Kapital in dieses neue Projekt einzubringen, dessen geistlicher Träger v. a. der Missionar Willibrord war.18 Eigentum am Kirchengut aus Sicht der Stifter im 7. und 8. Jahrhundert Dass ein solches Projekt tatsächlich von strategischer Bedeutung für die Herrschaftsausweitung der Familie war, setzt die Funktion der Klöster als sichere Objekte zur Anlage von Kapital und Herrschaft voraus. Dass tatsächlich um die Wende vom 7. zum 8. Jahrhundert die Klöster diese Sicherheit boten, kann ein Blick auf die Stifterverfügungen dieser Zeit erweisen. Der Stifter muss in besonderem Maße daran interessiert sein, dass das gestiftete Gut den von ihm gewünschten Empfänger erreichte; einmal aus religiösen Gründen, entweder wenn der Empfänger zu besonderem Gebetsgedenken verpflichtet wurde oder auch nur weil sein Seelenheil von der Stiftung eine besondere Förderung erfahren sollte. Oft wurde aber auch an die Stiftung bzw. Vergabe ein Rentengeschäft gekoppelt. Die sogenannte „Prekarie“ ist zunächst eine Landleihe auf Zinsbasis.19 Prekarieverträge begründen in der Regel eine soziale Bindung der beiden Vertragspartner, die vermutlich oft Hauptzweck der Prekarie waren.20 In den allermeisten Fällen der überlieferten Urkunden bezieht sich die Prekarie auf zuvor vergabtes Gut.21 Es wechselt also der Eigentümer, das Gut bleibt aber in Besitz und Nutzung des früheren Eigentümers,22 in den meisten Fällen bis zu seinem Tod, manchmal aber auch über mehrere Generationen. Unter den Urkunden der Abtei St. Gallen machen die Prekarien einen erheblichen Teil der Rechtsgeschäfte aus.23

17 PRINZ, Frühes Mönchtum 1965 195. 18 SCHIEFFER, Karolinger 1992, 31 f. 19 Vgl. KASTEN, Agrarische Innovationen 2006, 140 skizziert die Tendenz der Forschung, Prekarien als gebräuchliche Form des Besitztransfers zu betrachten. 20 Siehe v. a. WOOD, Merovingian precaria 1995. In diese Richtung zielt der Abschnitt über die Prekarie bei KASTEN, Beneficium 1998, 247 ff., deren Untersuchung den möglichen Ursprüngen des Lehenswesens gilt. 21 Das gilt in besonderem Maße für Bayern, WOLFRAM, Karl Martell 1994, 68. 22 Zum Aspekt der Sicherung von Besitz s. mit knapper Feststellung GOETZ, Private Grundherrschaft 2006, 118. 23 Nämlich etwa zwei Drittel der Urkunden betreffen Prekarien, statistisch erfasst und ausgewertet von Hans-Werner GOETZ, Grundherrschaftsentwicklung der Abtei St. Gallen 1989, insbes. 202 und Anhänge. – S. nun neuerlich zum Zeitraum von 741 bis 919 ohne für die Frage nach der Prekarie irrelevante Urkunden 62,4 %, GOETZ, Private Grundherrschaft 2006, 115 f. – Vgl. die Daten von

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Für alle drei Vergabegründe, nämlich Sicherung des Seelenheils und der wirtschaftlichen Lebensgrundlage sowie für die Herstellung einer sozialen Bindung an eine mögliche Schutzmacht in irdischer und religiöser Hinsicht, musste dem Stifter an einer präzisen Nennung des Empfängers der Vergabe gelegen sein. Zu diesem Zweck gibt es bei den Kirchen und Klöstern, aus deren Archiven die erhaltenen Urkunden stammen, regelrechte Formulare, die eine zweifelsfreie Nennung der Kirche bzw. des Klosters gewährleisteten. Entweder sind das eigene Formulare oder die der Sammlung des Markulf oder anderer Formelsammlungen. Mitunter ist der Heilige als Patron einer räumlich exakt beschriebenen Kirche bzw. eines Klosters der Empfänger,24 eine andere Möglichkeit ist die Vergabe an das Kloster als solches. Oft wird dem Abt für sein Kloster bzw. dem Bischof für seine Kirche das Gut übergeben. Dass diese Verfahren beibehalten wurden, zeigt, dass man nach wie vor Vertrauen darin setzte und wohl auch setzen konnte. Die Vergabe als Schenkung oder Stiftung mag in vielen Fällen auch sicherer gewesen sein als der Verbleib des Gutes im Eigentum einer weniger potenten Privatperson, was die vielen Schenkungen mit Besitzvorbehalt nahelegen.25 Das Phänomen der zahlreichen Gütervergaben während des frühen Mittelalters kann nicht allein auf die Seelenheilvorsorge zurückgeführt werden.26 Dazu gibt es zuviele Besitzvorbehalte in Vergabeurkunden. Aber im fränkischen Erbrecht nun den eigentlichen Grund dafür zu sehen, ist zumindest problematisch. Wolfgang Hartung ist der Ansicht, dass das Erbe grundsätzlich unter den Nachkommen aufgeteilt worden sei und dagegen nur die Stiftung auf Rentenbasis geholfen hätte.27 Damit hat er tendenziell vielleicht Recht, dass nämlich das Ideal der fränkischen Erbengemeinschaft als Gesamthand nicht in die Wirklichkeit umzusetzen war. Möglicherweise war wirklich gerade das weitere Vordringen römisch-rechtlicher Erbschaftsregelungen in die fränkische Gesellschaft Grund für die Verbreitung der Erbteilung.28 Ob jedoch die Vergabe an eine Kirche

KASTEN, Agrarische Innovationen 2006, 149 zur Weißenburger Grundherrschaft mit immerhin 24,5 % des gesamten Urkundenbestandes, die Prekarien betreffen. 24 DORN, Landschenkungen 1991, 180 f. schließt das für die Merowinger aus – wohl auch unter Bezug auf HERTLEIN: Wandlung des Kirchenheiligen 1934, der das erst für das 10. Jahrhundert annimmt – und weist ebenda 180 diese Annahme einer „laienhaften Vorstellung der Zeitgenossen“ zu. Für das 9. Jahrhundert aber sieht DORN ebenda 185 (mit Aufstellung) eine Zunahme der Übertragungen an die Heiligen selbst. 25 S. mit der Feststellung, dass Schenkungsurkunden keinesfalls vorrangig eine Angelegenheit der „‚kleinen‘ Grundbesitzer“ waren JORDAN, Tradent 2006, 159, was im Falle der Prekarie sicherlich nicht in dieser Weise gelten wird. 26 INNES, State and Society [2000] 2001, 17 f. bezeichnet solche Vergabungen als „total occasions“, bei denen die verschiedenen möglichen Motivationen kaum gegeneinander abzugrenzen sind. 27 HARTUNG, Adel, Erbrecht, Schenkung 1988. 28 Zur Erbteilung als Voraussetzung einer Schenkung an eine Kirche in der Lex Baiwariorum I,1 s. JAHN, Ducatus Baiuvariorum 1991, 228 f.

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ein dauerhaft wirksamer Schutz der Integrität des Familiengutes war, ist zumindest zweifelhaft. Denn nur mit „geliehenem“ Gut lässt sich Adelsmacht wohl nicht aufrechterhalten, auch wenn gelegentlich ein Erbe das Gut von der begünstigten Kirche zurückverlangte oder einfach ersaß. Hauptgrund für die Prekarie eines zuvor übergebenen Gutes wird die Herstellung einer Sicherheit schaffenden sozialen Beziehung gewesen sein, wobei anzunehmen ist, dass Prekarieverträge mit vorausgehender Schenkung auch mit weltlichen Großen abgeschlossen wurden, diese jedoch kaum überliefert wurden. Klosterverbände und Gebetsgemeinschaften Noch kein Zeichen bestehender Staatlichkeit ist die Verbandsbildung unter den Klöstern, die ja bereits mit den columbanischen Gründungen in verstärktem Maße üblich wurde. Die Klostergründungen Pirmins wurden von ihrem geistlichen Gründer und den Stiftern als Klosterverband angelegt,29 indem z. B. ein potentieller Abt aus einer der pirminischen Gründungen kommen sollte.30 Aber erst die Verbindung von angelsächsischen Klöstern, Benediktsregel und arnulfingischen Stiftern in einer gewissen Ausschließlichkeit bedeutet die Entstehung einer wesentlichen Basis für die spätere Schaffung einer karolingischen Kirchenorganisation.

2.1.2 Klostergründungen der Arnulfinger und Karolinger Ein Teil der Klostergründungen Pippins und Plektruds waren Neugründungen bzw. Umgründungen. Die beiden statteten eine bestehende, meist kleine kirchliche Einrichtung mit erheblichen Gütern aus und bestimmten sie zu einem ordentlichen Kloster. Es hat den Anschein, als hätte das den Vorteil gehabt, dass eine solche Klostergründung aus einer bestehenden „Eigenkirche“ heraus der Zustimmung des zuständigen Bischofs nicht bedurfte. Das „monasteriolum“ Echternach an der Sauer (heute in Luxemburg) war ursprünglich von Willibrord31 und Irmina von Oeren, sehr wahrscheinlich der Mutter

29 Die Einwände ANGENENDTs, Kloster und Klosterverband, 29 ff. richten sich gegen eine (von ihm selbst) dem Verbandsbegriff implizierte Sonderstellung gegenüber der Benediktregel. Dass die Bestimmungen Pirmins Vorgaben der Benediktregel zur Ausführung bringen, ist indes kein Argument gegen eine angestrebte enge Verbindung der Pirminklöster untereinander, die ja eine gewisse Ausschließlichkeit und Geschlossenheit zum Ausdruck bringt; s. die Bestimmungen zu Murbach (728), Regesta Alsatiae I, Nr. 113, S. 55. 30 PRINZ, Frühes Mönchtum 1965 1965, 215 f. 31 Zu Willibrord vgl. GAUTHIER, Évangelisation 1980, 314–316.

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Plektruds, der Frau Pippins d. Mittleren,32 697/98 auf Irminas Eigengut gegründet worden.33 Willibrord nahm im eigenen Namen von Irmina das Stiftungsgut entgegen, „ad gubernandum vel dominandum“. Weitere Übertragungen werden in derselben Urkunde „ad loca sanctorum vel vobis (Willibrord)“ vorgenommen.34 Irmina überträgt am 1. Juli 699 Gegenstände und eine villa im Zülpichgau „ad monasterium vestrum (Willibrord)“, das Irmina „a novo de fundo proprio“ erbaut habe.35 Die Gründung Irminas ist zu identifizieren über das Patronat der kirchlichen Einrichtung, zu der wohl eine Kirche und ein Kloster gehörten, nämlich der Trinität und Petrus und Paulus geweiht.36 Bald nach dieser Gründung übertrugen im Jahr 706 Pippin und Plektrud „ad monasterium nostrum quod est in honore sancte Trinitatis, et apostolorum Petri et Pauli, et sancti Iohannis baptiste, in loco cognomento Epternaco [. . .]“, von dem sie behaupteten, es sei auf ihrem Gut errichtet worden, und zu dessen Abt sie „Willibrordum episcopum“ bestimmt hatten, weiteres Gut in Echternach.37 Die Bedingung für die Übertragung ist „ut ipsum monasterium in nostra vel heredum nostrorum dominatione vel defensione in antea semper permaneat.“38 Ausgenommen von dieser Übertragung ist ausdrücklich das Gut, das Irmina in Echternach besaß.39 In einer weiteren Urkunde wird die Gründung unter den Schutz Pippins genommen und dem Kloster die freie Abtwahl gewährt, solange sie unter der Hoheit und dem Schutz Pippins stehen würde.40 Nun ist die Frage, ob es sich um zwei verschiedene Klöster gehandelt haben muss.41 Jedenfalls ist seit 706 von einem monasteriolum Irminas nicht mehr die Rede, und die Patrozinien sind sehr ähnlich. Die Gründung Pippins und Plektruds jedenfalls hat neben Petrus

32 SEMMLER, Episcopi potestas 1974, 313 und PRINZ, Frühes Mönchtum 1965 1965, 200, beide unter bezug auf WAMPACH, Geschichte der Grundherrschaft Echternach im Frühmittelalter I,1 1929, 113–135. Nach den Einwänden von WERNER, Adelsfamilien 1982, 98 ff., den neuen Argumenten von HLAWITSCHKA, Aufstieg der Karolinger 1985, 19 ff. siehe ANTON, Klosterwesen [1989] 2002, 354 f. – Vgl. zu Irmina GAUTHIER, Évangelisation 1980, 292–294. 33 Vgl. zur weiteren Geschichte Echternachs in karolingischer Zeit HEIDRICH, Stiftungen 1990, 141 f. 34 WAMPACH, Nr. 3. 35 WAMPACH, Nr. 6. Das wiederholt Irmina in ihren letzten Urkunden vom 8. Mai 704: „[. . .] quod nos a novo construximus“, WAMPACH, Nr. 9 und 10. 36 Zunächst war unter den Patrozinien auch Maria (vgl. WAMPACH, Nr. 3 (697–698), vgl. ANTON, Klosterwesen [1989] 2002, 374. 37 MGH DD Arnulf. 4, ed. Heidrich, S. 11–13 12, Z. 38 (Heidrich Nr. 4, S. 61–64), vom 13. Mai 706. 38 MGH DD Arnulf. 4, ed. Heidrich, S. 11–13, 13, Z. 7–9 (Heidrich, Nr. 4, S. 64). 39 MGH DD Arnulf. 4, ed. Heidrich, S. 11–13, 12, Z. 44 f. (Heidrich Nr. 4, S. 63), vgl. auch WAMPACH, Nr. 14 und 15, S. 38 ff., 41 ff. 40 MGH DD Arnulf. 5, ed. Heidrich, S. 13–15, 14, Z. 31 (Heidrich Nr. 5, S. 66), so auch nach WAMPACH, Nr. 15, 42 f.: „[. . .] et sub nostro mundiburdio vel defensione persistant [. . .].“ 41 Nach ausführlicher Diskussion der Quellen und der Forschung kommt ANTON, Klosterwesen [1989] 2002, 381 f. zu dem Schluss, dass Pippin und Plektrud ein Kloster unmittelbar neben das Kloster der Irmina gebaut hätten und Willibrord per testamentum beide Einrichtungen Pippin übertragen hätte.

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und Paulus noch Johannes den Täufer zum Patron, was aber auf ein zugehöriges Baptisterium hindeutet.42 Die Kirche übergab Willibrord, um sie vor dem bischöflichen Zugriff zu sichern, dem merowingischen König, nämlich „in ius et mundeburdium regum et imperatorum succedentium“,43 dessen Sachwalter ja schließlich der maior domus Pippin war.44 Mit seinem Testament (726/727) übertrug Willibrord dann das weitere zur Gründung gehörende Vermögen auf das Kloster selbst, womit es endgültig den Charakter einer „Eigenkirche“ verlor.45 Auch das Kloster Susteren wurde von Pippin und Plektrud neu gegründet, wobei auch wieder Willibrord der (treuhänderische) Eigentümer wurde, dem Pippin und Plektrud Kirche und Kloster übergaben und den Grundbesitz vergrößerten.46 Für den Todesfall Willibrords wurde der Gemeinschaft die freie Abtwahl gewährt.47 Fleury-en-Vexin war ein Xenodochium eines gewissen Fraericus, das dieser an Pippin tradierte, der es mit Mönchen des Klosters Saint-Wandrille vergrößerte und das so entstandene Kloster an Saint-Wandrille angliederte, das den Vorsteher von Fleury-enVexin stellen sollte.48 Außerdem wurden beide Klöster etwa 706 in den Schutz des Hausmeiers gestellt.49 Wenig später übertrug Pippin die Leitung eines weiteren Klosters an Saint-Wandrille, nämlich zu Indre im Hochstift Nantes, das er dem Hochstift Nantes entzog und dem König auftrug.50 So konnte Pippin auch in Saint-Wandrille „Zustimmung und Vertrauen“ gewinnen.

42 ANTON, Klosterwesen [1989] 2002, 382 mit weiteren Angaben. 43 WAMPACH, Nr. 13, S. 37. 44 SEMMLER, Episcopi potestas 1974, 314 f. 45 Ebenda. Dem Gründer und Abt des Klosters Flavigny, Wideradus, gelang die Herauslösung seiner Gründung aus der Herrschaft des Bischofs von Autun mit Unterstützung weiterer Bischöfe, die einem Privileg des Wideradus zustimmten, das die Einflussnahme des zuständigen Bischofs auf die Gründung ausschloss. Zur Absicherung seiner Bestimmungen, etwa des Rechts der Abtwahl aus dem Kreis der eigenen Kommunität, versah er die Ausstattung seiner Gründung mit einer Vorbehaltsklausel. Bei schwerern Übergriffen von Großen und Bischöfen wollte er seine Verfügungen zugunsten des Klosters widerrufen. Als letzte Sicherung seiner Gründung kommendierte er das Kloster dem König, der Erbe seiner Rechte werden sollte, SEMMLER, Episcopi potestas 1974, 328 f. 46 Zu Susteren und seinem Verbleib bei Echternach vgl. HEIDRICH, Stiftungen 1990, 133. 47 MGH DD Arnulf. 6, ed. Heidrich, S. 15–17 (Heidrich Nr. 6, S. 66–69); PRINZ, Frühes Mönchtum 1965, 202 f. Auch bei der Gründung des Klosters von Kaiserswerth durch Willibrord waren Pippin und Plektrud beteiligt, ebenda. Zur Verleihung von freier Abtwahl und Königsschutz an karolingische Gründungen durch die Arnulfinger selbst s. KÖLZER, Die letzten Merowinger 2004, 57. 48 SEMMLER, Episcopi potestas 1974, 305 nach Gesta SS. patrum Fontanellensis coenobii, edd. F. Lohier und J. Laporte, 1936, S. 17, 15 (Gesta abbatum Fontanellensium); vgl. PRINZ, Frühes Mönchtum 1965, 206. 49 SEMMLER, Episcopi potestas 1974, 309. 50 Ebenda 310.

2.1 Der Aufbau der karolingischen Kirchenorganisation

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Und auch St. Maria im Kapitol in Köln war wohl eine Neugründung, nämlich Plektruds.51 Die Gründung des Klosters Prüm durch die Familie Plektruds, der Frau Pippins des Mittleren, hatte bereits die Rechte des Trierer Bischofs verletzt. Kurz nach der Erlangung seines Königtums nahm Pippin der Jüngere offensichtlich im Konsens mit dem von ihm im Amt belassenen Trierer Bischof Milo52 eine Neugründung des Klosters Prüm vor, dem er die Stellung eines Königsklosters gab.53 Dem Bischof von Chur, mit dem es einen ähnlichen Konsens gab,54 entzog Karl der Große die Klöster Pfäfers, Disentis und Müstair,55 indem er ihnen den Status königlicher Klöster verlieh.56 Außer den Neugründungen über erhebliche Erweiterung des Klostergutes konnten auch Schenkungen größeren Umfangs an bestehende Klöster ihren Zweck erfüllen und die Klöster in die Nähe des Stifters ziehen, wie im Fall der Übergabe von Fleury-en-Vexin an St. Wandrille. Neben den materiellen Möglichkeiten einer großen Familie des Frankenreiches verfügten die Arnulfinger / Karolinger auch über die Möglichkeit halbstaatlicher Eingriffe in den Status eines Klosters. Sie verliehen Immunität, griffen also auch in die Rechte der örtlichen Großen massiv ein.57 Die Verleihung der freien Abtwahl an „ihre“ Klöster gehört ebenso zu diesen halbstaatlichen Mitteln der Karolinger und beschnitt in aller Regel den Einfluss des zuständigen Bischofs. So übertrug Karl Martell dem zum Bischof geweihten ersten Vorsteher des gerade gegründeten Klosters Reichenau die potestas über das Kirchengut, was die übliche potestas des zuständigen Bischofs, in die-

51 Vgl. PRINZ, Frühes Mönchtum 1965 206 f. 52 Zur karolingischen Politik gegenüber der Bischofsherrschaft Trier, die lange Zeit nicht angetastet wurde, s. ANTON, Trier 1996, 50. – Zu Milo vgl. EWIG, Milo [1953] 1979, 190–199. – Vgl. dazu SCHNEIDER, Hinkmar 2010, 66–108, der die Historizität dieses Milo bestreitet und auf politisch motivierte Geschichtskonstruktionen Hinkmars von Reims zurückführt und die Herangehensweise von Ewig massiv kritisiert. Ob er dies zu Recht tut, soll hier offenbleiben. 53 SEMMLER, Episcopi potestas 1974, 372. Vgl. auch PRINZ, Frühes Mönchtum 1965, 208. 54 Karl der Große bestellte um 772/774 den Bischof Constantius von Chur zum zivilen Rektor Rätiens, SENNHAUSER, Kloster Müstair 1999, 127; genaugenommen bestätigte er einen bereits bestehenden Zustand, s. MEYER-MARTHALER, Rätien 1948, 60, den er nun mit seiner Autorität versah und damit auch beenden konnte. Vgl. zum Verfahren der Einsetzung einer gräflichen Gewalt, nämlich mit einer divisio der bischöflichen Herrschaft CLAVADETSCHER, Grafschaftsverfassung in Rätien 1953. 55 Müstair war gerade im letzten Viertel des 8. Jahrhunderts vermutlich vom Churer Bischof Constantius durchaus im Sinne der Langobardenpolitik Karls des Großen gegründet worden, SENNHAUSER, Kloster Müstair 1999, 127. S. auch den Band Wandel und Konstanz 2013. 56 SEMMLER, Episcopi potestas 1974, 378. 57 Das zumal, da die Immunität wohl nicht die Immunität gegenüber einem Introitus des Herrschers oder seiner missi bedeutete, so jedenfalls BRÜHL, Fodrum, Gistum Servitum Regis 1968, 110 f. – Vgl. ebenda 108 f. zur römischen Immunität und der Entwicklung bis in fränkische Zeit. So galt bis zum Jahr 411 allgemein die Immunität der Kirchen, dies jedenfalls in Bezug auf die Besteuerung, ebenda 108.

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sem Fall dessen von Konstanz, aussetzte.58 Gegen den mächtigen Bischof von Tours übergab Abt Otmar das Kloster St. Gallen dem Hausmeier Karl Martell.59 Gegen den Bischof von Le Mans erklärte nach einer Überlieferung des 9. Jahrhunderts Pippin der Jüngere noch als Hausmeier, dass das Kloster St. Calais sich in seinem Schutz60 befinde, woraufhin der Abt sich und die Gemeinschaft dem Hausmeier kommendierte. Die Kommunität erhielt daraufhin die Immunität.61 Manche dieser Klöster waren gerade aus dem Status als Eigenkloster zu einem regulären Kloster erhoben worden. Sie waren rechts- und eigentumsfähig geworden. Die Stiftungen an diese Neugründungen zeigen das. Das unterschied sie klar von Eigenkirchen bzw. Eigenklöstern, die im Eigentum des Stifters verblieben waren. Mit diesen konnte keine Herrschaftspolitik betrieben werden, weil sie nicht als Handelnde mit eigenem Willen und eigener Subsistenz auftreten konnten. Gerade dieser Unterschied wird ja auch ein Grund für die Neugründungen gewesen sein. Eine neue Möglichkeit der Kirchenpolitik bot sich seit Karl Martell mit der Bedrohung durch die Araber, wobei er bei der Zerschlagung von Bischofsherrschaften, aus deren Bestand er natürlich Beute an Getreue zu verteilen hatte, auch Klöster herauslösen konnte, die fortan dem Zugriff des Bischofs entzogen waren.62 Systematisch versuchten die frühen Karolinger, auch Bischofsherrschaften unter ihre Kontrolle zu bringen, die sie dann in ihr Herrschaftssystem eingliederten, wobei die Strukturen der Bischofsherrschaft zerschlagen wurden und das Bistum nach kano-

58 SEMMLER, Episcopi potestas 1974, 349. 59 Ebenda 349 f. 60 „[. . .] sub suo mundeburdo vel sub sua tantummodo tuitione vel dominatione [. . .]“, Aldrici episcopi cenomanici memoriale, in: MGH Conc. II,2, S. 836–847, 837. 61 SEMMLER, Episcopi potestas 1974, 359. – S. zum Verhältnis von St. Calais und der Bischofskirche von Le Mans WEIDEMANN, Bischofsherrschaft 1989, 171, 175 und 183. – Zur Einordnung der Überlieferung nach Weidemann, Le Mans 2002 nun Harder, Pseudoisidor 2014, 195. 62 SEMMLER, Episcopi potestas, 333–335. Noch Pippin der Jüngere entzog als Hausmeier dem Bischof von Auxerre den größten Teil des Kirchengutes, ebenda 350 f. Zur Divisio von Mâcon und Le Mans durch Pippin den Jüngeren siehe ebenda 354 und 358. Vgl. Annales Alamannici 751, MGH SS 1, 26: „Pippinus rex elevatus. Res ecclesiarum descriptas atque divisas.“; s. a. Annales Guelferbytani 751, ebenda 27 und Annales Nazarini 751, ebenda. Zu den Divisiones im Falle der Bischofsherrschaften s. CLAVADETSCHER, Grafschaftsverfassung in Rätien 1953, 59 ff. der für den Fall Chur ausführlich darlegt, dass es sich bei der Divisio um eine Gütertrennung handelt und nicht um eine Trennung in „weltlich“ und „geistlich“. Vgl. zu Neustrien KAISER, Royauté et Pouvoir episcopale 1989, 153, der die divisiones eben auch in die Kirchenpolitik einordnet, die die Kirchen als Organisationsrahmen selbst nicht antastet. – Vgl. aber relativierend REUTER, Kirchenreform 1994, der zeigen kann, dass die Kirchenpolitik Karl Martells entgegen landläufigen Annahmen durchaus eben nicht aus dem Rahmen karolingischer Kirchenpolitik fällt. Vgl. zur Rolle des Bonifatius in der Gestaltung des Bildes von Karl Martell DIERKENS, Carolus 1994.

2.2 Neuorganisation der Kirchen und ihrer Verbände (751–814)

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nischen Regeln reorganisiert wurde, nicht ohne zuvor einzelne Kirchen und Kirchengut herausgelöst zu haben.63 Nachdem Karl Martell sich in den Besitz des Bistums Reims gebracht hatte, übergab er die Leitung des Bistums dem ihm nahestehenden Bischof von Trier.64 Ähnlich verfuhr er wohl mit Châlons, dessen Leitung er vermutlich Felix von Metz übertrug.65 Die Bistümer Rouen, Bayeux und Paris wurden zeitweise von Hugo, einem Neffen Karl Martells, verwaltet.66 Das Bistum Langres erhielt dann Remigius von Pippin dem Jüngeren etwa 742/45.67 Die Ausdehnung der karolingischen Herrschaft auf die Verwaltung von Bistümern erleichterte die Herrschaft über die Klöster in diesen Räumen erheblich.68

2.2 Neuorganisation der Kirchen und ihrer Verbände (751–814) Die Karolinger setzten die einmal begonnene Klosterpolitik auch zur Zeit ihres Königtums fort. Klosterförderung über Gründungen und Schenkungen, Verleihung von Immunität und besonderes der freien Abtwahl blieben wesentliche Instrumente ihrer Politik.69 Lange Zeit waren die Karolinger in ihrem Einfluss auf Kirchen und Klöster im Wesentlichen auf das Land beschränkt geblieben,70 während sie verhältnismäßig wenig Kontrolle über die Kirchen und Klöster der ehemals römischen civitates hatten gewinnen können. Ein wesentlicher Schritt zur Herrschaft im gesamten Frankenreich war natürlich das Königtum der Karolinger. Ihnen fielen damit die königlichen Herrschaftsrechte der Merowinger in die Hände. Neben die Förderung von Klöstern und ihrer Ausweitung auf Klöster der ehemaligen Konkurrenten unter den großen Familien und natürlich die Königsklöster hatten 63 SEMMLER, Episcopi potestas 1974, 392 f. – Vgl. zur Entfremdung von Kirchengut durch Karl Martell FOURACRE, Frankish Gaul 1995, 91, der die Vorwürfe von Kirchenvertretern aus dem 9. Jahrhundert gegen Karl Martell relativiert, so auch NELSON, Kingship 1995, 388 f., die das Verhalten Karls als durchaus normal ansieht. 64 Wie EWIG, Milo [1953] 1979, 195 vermutet, war dies noch Liutwin, dessen Sohn Milo zum Nachfolger in der Leitung beider Bistümer bestellt wurde. 65 Ebenda. 66 EWIG, Milo [1953] 1979, 202, der annimmt, dass Hugo nicht vor 719 zum Bischof von Rouen bestellt wurde. – Zur Kritik daran aus dem Kloster Fontanelle/St. Wandrille vgl. NONN, Bild Karl Martells 1994, 15. 67 SEMMLER, Episcopi potestas 1974, 337. 68 SEMMLER, Episcopi potestas 1974, 338 zur Abtwahl in Saint-Seine ohne jeden Einfluss des Bischofs von Langres am Ende des 8. Jahrhunderts. 69 Vgl. zur integrativen Funktion der Klöster für das karolingische Reich grundsätzlich LE JAN, Introduction 1998, 14. 70 PRINZ, Frühes Mönchtum 1965, 196 zur gemeinsamen Landsässigkeit von angelsächsischem Mönchtum und Karolingern.

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die Karolinger nun Zugriff auch auf die Bischofsstühle, bei deren Besetzung sie fortan ein gewichtiges Wort mitzusprechen hatten. In den Fällen der Bischofsherrschaften Trier71 und Chur beließen die Karolinger dagegen die Amtsinhaber, mit denen eine Zusammenarbeit möglich war.72 Das Bistum Chur etwa wurde dem Reich eingegliedert, indem der Bischof Constantius in den königlichen Schutz aufgenommen und mit der Bemerkung „quem territurio Raetiarum rectorem posuimus“ von Karl dem Großen 772/ 774 in seiner Stellung bestätigt wurde.73 Wie in Chur errichtet Karl der Große auch in Trier eine Grafschaft, die er mit Hoheitsrechten ausstattete, die bis dahin im Besitz des Bischofs gewesen waren.74 Die Veränderungen in der Ordnung der kirchlichen Einrichtungen zueinander waren unumkehrbar. Zu den Großen des Reiches gehörten nun neben den großen Familien und Bistümern auch die bedeutenderen Klöster, die v. a. die Karolinger in die entstehende Staatlichkeit einbrachten. Sie blieben ein wesentlicher Schutz vor einer Reorganisation der verwaltungstechnisch überlegenen Bistümer als „Kirchenstaaten“. Dass die eingetretene Veränderung der kirchlichen Herrschaftsordnung den Karolingern auch nach ihrem Griff nach der Königswürde durchaus recht war, liegt auf der Hand. Jedenfalls mussten die Klöster bei einer Reorganisation von Staatlichkeit angemessen berücksichtigt werden. Das Aussetzen der Konzilstätigkeit über längere Zeit,75 das Bonifatius als Zeichen des Verfalls der Kirche im Frankenreich anführt,76 muss keineswegs bedeuten, dass die Bischöfe untereinander sich nicht beraten hätten. Konsultationen zwischen Bischöfen sind anzunehmen,77 ja gerade in Hinsicht auf die politische Lage im Frankenreich, das schließlich trotz gewisser zentrifugaler Kräfte als fortbestehend anzusehen ist. Nach der konzilslosen Zeit wurde nicht direkt an die letzten Konzilien des Frankenreiches angeknüpft, sondern mit den karolingischen Konzilien etwas Neues geschaffen, nämlich das Konzil als Versammlung der kirchlichen Großen, nicht mehr

71 ANTON, Verfassungsgeschichtliche Kontinuität [1986] 2002, 332 f. sieht die Trierer Bischofsherrschaft als zu von dem „erschlossenen Bischofsregiment spätantiken Stils des 6. Jahrhunderts verschieden“ an; er sieht eine Zäsur in der Einrichtung einer Grafschaft zu Beginn des 7. Jahrhunderts. 72 ANTON, Verfassungsgeschichtliche Kontinuität [1986] 2002, 334. 73 SEMMLER, Episcopi potestas 1974, 376. f., nach DDK 78, in: MGH Urkunden der Karolinger I, S. 111 f. – Vgl. ausführlich CLAVADETSCHER, Grafschaftsverfassung in Rätien 1953, 76 ff. – S. zur Herrschaft der Viktoriden in Churrätien, zunächst als „familiale Samtherrschaft“, spätestens seit dem Bischof Tello (Mitte des 8. Jahrhunderts) als persönliche Bischofsherrschaft s. KAISER, Churrätien 1998, 45 ff. (mit Stammbaum der Viktoriden). 74 ANTON, Trier 1996, 70. 75 Die Einwände von MORDEK, Fränkische Kapitularien 2000, 4 f. zielen auf die Dauer der Unterbrechung bei den Kapitularien und Konzilien, wobei er ebenfalls eine Zäsur konstatiert. – Vgl. NONN, Bonifatius 2007, 271 f. 76 S. dazu NELSON, Merovingian Church 2002, 248. 77 Timothy REUTER, Kirchenreform 1994, 49.

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nur der Bischöfe.78 Auch der herrscherliche Vorsitz und die Einbindung weltlicher Großer weist – unter Aufnahme einer alten Gewohnheit – in eine neue Zeit. Außerdem wurde die kirchliche Gesetzgebung von herrscherlicher Seite massiv gefördert, zum Teil auch erst angestoßen, was einige Bestimmungen der Kapitularien oder von Zwischenformen von Kapitularien und Konzilsbeschlüssen nahelegen.79 Trotz der offensichtlichen Zurückdrängung der bischöflichen Stellung soll die folgende Darstellung der karolingischen Kirchenorganisation im Hinblick auf Kirchengut und Verbandscharakter der einzelnen Kirchen und schließlich des Kirchenverbandes im karolingischen Herrschaftssystem mit der Person des Bischofs beginnen.

2.2.1 Die Stellung des Bischofs An der Definition der bischöflichen Amtsgewalt hatte sich im Kern nichts geändert. Nach wie vor fiel ihm die Rolle der wichtigsten kirchlichen Instanz zu. Ihm wurde in seiner Diözese die geistliche Hoheit zugebilligt,80 er hatte bei Mönchen, Klerikern und auch Weltlichen auf ein Gott gefälliges Leben zu achten.81 Ausdrücklich wurden dem Bischof auch die Äbte unterstellt, so jedenfalls in einem Kapitular von 802.82 Auch sollten sie die potestas über die Güter der Kirchen haben, also die Aufsicht.83 Neu in Konzilsbeschlüssen ist die Festschreibung der weithin bestehenden Rechtshoheit des Bischofs in seiner Diözese auf der Synode von Frankfurt des Jahres 794.84

78 Capitulare Suessionensem (744), Inc., MGH Cap. I, Nr. 12: „Dum plures non habetur incognitum, qualiter nos in Dei nomine una cum consensu episcoporum sive sacerdotum vel servorum Dei consilio seu comitibus et obtimatibus Francorum conloqui apud Suessonis civitas synodum vel concilio facere decrevimus [. . .].“ – S. dazu DE JONG, Ecclesia 2006, 124. 79 Zum fließenden Übergang von Konzilsbeschlüssen und herrscherlichen Kapitularien und der engen Zusammenarbeit von Herrscher und Synode siehe FELTEN, Konzilsakten 1993, 178. – S. auch DE JONG, Ecclesia 2006, 128. 80 Ein Kapitular zur Ergänzung des bayerischen Rechts bestimmt, dass niemand ohne Zustimmung des Bischofs einen Kleriker aufnehmen durfte, Capitula ad legem Baiwariorum addita (801–813), cap. 7, MGH Cap. I, Nr. 68. 81 Concilium Vernense (755), cap. 3, MGH Cap. I, Nr. 14; ähnlich Capitula vel missorum vel synodalia (813?), cap. 4, MGH Cap. I, Nr. 84. 82 Capitulare missorum generale 802, cap. 15, MGH Cap. I, Nr. 33. Vgl. auch Capitula de examinandis ecclesiasticis 802, cap. 17, MGH Cap. I, Nr. 38 zu den Mönchen. – Vgl. zu diesem Kapitular die Ausführungen von PATZOLD, Normen 2007, 334 ff., der dieses Kapitular (wie wohl auch andere) nicht in seiner (nach seiner überzeugenden Annahme) überlieferungsbedingten Form als authentisch betrachtet, sondern seinerseits als Sammlung. 83 Capitula ad missorum vel synodalia (813?), cap. 6, MGH Cap. I, Nr. 84. Die Einrichtung von Märkten durch Klöster hatte nach einem Kapitular „consilio et consensu“ des Bischofs zu geschehen, Capitulare missorum generale 802, cap. 17, MGH Cap. I, Nr. 33. 84 Concilium Francofurtense (794), can. 6, MGH Conc. II, S. 166 f. Bei späterer Gelegenheit werden die Grafen, Richter und der übrige „populus“ zum Gehorsam gegenüber dem Bischof ermahnt, was

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Auf derselben Synode wurde aber auch in Erinnerung gerufen, dass der Bischof an Regeln, nämlich an die gültigen Konzilsbeschlüsse gebunden sei.85 Kurz zuvor war in der Admonitio generalis verfügt worden, dass der Bischof nicht etwa eine andere als die Kathedralkirche in seiner Diözese bevorzugt besuchen dürfe.86 Indirekt werden die dem Bischof untergebenen Kleriker an seiner Herrschaft als beteiligt angesehen, wenn verfügt wird, dass neben dem ihm geschuldeten Gehorsam er im Gegenzug die Kleriker als „consortes“ aufzufassen habe, von denen er mehr geliebt als gefürchtet werden solle.87 Eine Bestimmung eines italischen Kapitulars verlangt vom Bischof, die Vorstände der Hauptkirchen der Diözesen nicht ohne triftigen Grund ihrer Ämter zu entheben.88 Während also einerseits dem Bischof seine Machtstellung in seiner Diözese belassen werden sollte, so wird andererseits diese Machtstellung eingebunden in Regeln und vor allem in das Prinzip des Konsenses. Er sollte seine herausgehobene Stellung aus der Kirche gewinnen, nicht von außen in die Kirche hineintragen.

2.2.2 Kirchengut und kirchliche Amtsträger Unter Verweis auf das Konzil von Nicaea wird in der Mitte des 8. Jahrhunderts in Erinnerung gerufen, dass der Bischof die Aufsicht über das Kirchengut haben solle. In Abwandelung der Terminologie der alten Kirche steht nun das Gut der Einzelkirchen selbst „in potestate“ des Bischofs.89 Es scheint nicht unterschieden worden zu sein zwischen direkter und indirekter Gewalt über das Gut von Kirchen, die ja zumindest faktisch eigene Rechtspersönlichkeiten darstellten. Möglicherweise zeigt bereits ein Mainzer Konzilsbeschluss des Jahres 813 eine gewisse Rückkehr zu präziser Formulierung, wenn dem Bischof die potestas zugesprochen wird, „res ecclesiasticas praevidere, regere et gubernare atque dispensare secundum canonum auctoritatem [. . .]“.90 Aber auch die präzise Formulierung gibt dem Bischof eine recht weitgehende Verfügungsgewalt über das Gut der Kirchen seiner Diözese. Dass aber keinesfalls Klöster grundsätzlich ihre finanzielle Eigenständigkeit verloren hatten, zeigt ein Kapitular, das Bischöfe

sich wohl kaum allein auf dessen geistliche Kompetenz erstreckt haben dürfte, Conc. Arelat. (813), can. 8, MGH Conc. II, S. 252. 85 Concilium Francofurtense (794), can. 20, MGH Cap. I, Nr. 28. 86 Admonitio generalis (789), cap. 41, MGH Cap. I, Nr. 22, neu ed. Die Admonitio generalis 2013, S. 200–203. 87 Capitula de examinandis ecclesiasticis, cap. 7 (802), MGH Cap. I, Nr. 38. 88 Capitulare Mantuanum primum, mere ecclesiasticum (?), MGH Cap. I, Nr. 92. 89 „[. . .] ut omnes res ecclesiasticas in potestate episcoporum sint.“, Concilium Ascheimense (755–760), can. 3, MGH Conc. II,2, Nr. 10. Etwas weniger präzise ist dagegen die Formulierung in den Capitula vel missorum vel synodalia (813?) cap. 6, MGH Cap. Nr. 84: „Ut episcopi res ecclesiarum potestatem habeant sicut canon docet.“ 90 Concilium Moguntinense (813), can. 8, MGH Conc. II,1, Nr. 36, S. 262.

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und Äbte gleichermaßen dazu auffordert, die Kirchenschätze zusammenzuhalten.91 Den Bischöfen wurde in einem Kapitular gestattet, getreu den canones aus dem Kirchenvermögen („de thesauro ecclesiae“) die Armenversorgung sicherzustellen.92 Außerhalb des fränkischen Reiches erlassen, aber dennoch von Bedeutung für die fränkische Kirchenpolitik und -theorie, ist die grundsätzliche Erklärung einer römischen Synode unter Vorsitz des Bischofs von Rom in einer Urkunde für S. Silvestro in Capite von 761 zur Gültigkeit der Eigentumsübertragung an Kirchen und Klöster, mithin zur Vermögensfähigkeit derselben.93 Erneuert wird auch das Prinzip der Trennung des persönlichen Vermögens und des Kirchengutes, Bischöfe sollten Kirchengut als kommendiertes, nicht als eigenes Vermögen behandeln.94 Dass es aber auch in karolingischer Zeit nicht ungewöhnlich war, dass Geistliche ihre Eltern mit Kirchengut unterstützten, zeigt die synodale Bestimmung von 799/800: „Ut episcopi, abbates, presbyteri res sanctae ecclesiae sibi commissas inter parentes et proximos suos non amplius quam canonica sancit licentia dividant [. . .]“, mit dem Hinweis auf drohenden „murmur“ im übrigen Volk und besonders unter denen, die ihr Gut an die Kirche übertragen hatten.95 Die Bestimmung setzt also voraus, dass solches Gebaren grundsätzlich auch nach den canones erlaubt gewesen sei. Ein keinesfalls neues Problem stellt das Erbe der Bischöfe und Priester dar. Erneut wird beschlossen, dass nur das vor dem Antritt des Bischofsamtes erworbene Vermögen an natürliche Erben wie die Familie gehen dürfe. Alles weitere Vermögen gehöre der Kirche.96 Dieser Satz resultiert aus der faktischen Unmöglichkeit, privates Vermögen und Kirchengut in der Verwaltung durch den Bischof auseinanderzuhalten. Aber dass überhaupt dem Bischof gestattet wird, offensichtlich nennenswertes Vermögen an seine Familie zu vererben oder womöglich frei auf den Todesfall zu vergeben, zeigt, dass seine Stellung nach wie vor als verhältnismäßig uneingeschränkt anzusehen ist. Die Entfremdung von Kirchengut ist natürlich auch in karolingischer Zeit der Sache nach nicht auf Bischöfe beschränkt, sondern kam wohl bei allen Verwaltern von kirchlichem Vermögen vor. Dabei gab es – möglicherweise begründet – besondere Ressentiments gegenüber solchen Geistlichen, die vor der Erlangung des

91 Capitulare missorum Nuimage datum (806), cap. 4, MGH Cap. I, Nr. 46. 92 Capitula e canonibus excerpta (813), cap. 12, MGH Cap. I, Nr. 78. 93 Concilium Romanum (761), MGH Conc. II,1, Nr. 12, S. 64–71. 94 „Ut episcopus rebus ecclesiae tamquam commendatis, non tamquam propriis, utantur.“, Capitula excerpta canonica, cap. 2, MGH Cap. I, Nr. 113; vgl. dazu mit gleichem Inhalt auch Concilium Turonense (813), can. 10, MGH Conc. II,1, Nr. 38, S. 287: „[. . .] illisque ita utantur non ut propriis, sed ut sibi ad dispensandum commissis.“ Der Bischof Theodulf von Orléans (798–817) weist seine Priester an, Zehnten und Stiftungen ebenfalls „non quasi suis, sed quasi commendaciis uti“., Capitula II, 5, MGH Capitula Episcoporum I, S. 150. 95 Concilia Rispacense, Frisingense, Salisburgense (800), can. 37, MGH Conc. II,1, Nr. 24, S. 211, vgl. auch in MGH Cap. I, Nr. 112. 96 Concilium Francofurtense (794), can. 41, MGH Conc. II,1, S. 170. Für Priester vgl. Capitula ecclesiastica (810–813), cap. 11, MGH Cap. I, Nr. 81.

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Amtes unvermögend waren.97 Nun sollte man annehmen, dass die Habsucht kein Attribut von Armut sei und Vermögende in gleicher Weise von ihr erfasst würden. In einem Kreis, in dem aber das private Vermögen und entsprechender Lebensstil selbstverständlich ist, wie sicher bei Bischöfen des frühen Mittelalters, gebietet es sogar die Sorge um die Stellung der vertretenen Kirche, nicht durch Armseligkeit aufzufallen. Die Versuchung, es den Mitbrüdern gleichzutun und ihnen gleichzukommen, wird jedenfalls nicht zu unterschätzen sein. Die Hoheit des Bischofs über die kirchlichen Finanzen fand ihre Beschränkung schließlich doch, nämlich in der räumlichen Trennung der Einzelkirchen von der Bischofskirche.98 So sammelte der Priester vor Ort den Zehnten ein, den er entsprechenden Bestimmungen zufolge auch verwaltete. Er wurde allerdings aufgefordert, die Verwaltung mit Zustimmung des Bischofs („per consulta episcoporum“) vorzunehmen.99 Formal befand sich der Zehnt „in potestate episcopi“.100 Die verschiedentlich verfügten Verteilungsschlüssel für den Zehnt gehen im Wesentlichen auf kanonische Bestimmungen zurück. Während aber der eine Schlüssel unter vier Teilen einen für den Bischof vorsieht,101 kennt der andere nur drei Teile, nämlich für den Kirchenschmuck und wohl auch den Kirchenbau, einen weiteren für die Armen und den dritten Teil für den Priester.102

97 Neben den Invektiven späterer Zeit gegen die Einsetzung von Bischöfen einfacher Herkunft vgl. zu unvermögenden Priestern Capitula de presbyteris admonendis, cap. 6, MGH Cap. I, Nr. 120, S. 238. 98 St. Martin von Tours hatte einer Formel zufolge um die Wende zum 8. Jahrhundert das Recht, Schenkungen durch den Abt direkt entgegen zu nehmen, was wegen der Nähe zur Bischofskrirche von Tours gewiss ein hohes Maß an Eigenständigkeit bedeutete, SEMMLER, Episcopi potestas 1974, 343 nach Formulae Turonenses vulgo Sirmondicae dictae,1b, in: MGH, Formulae, S. 128–165, S. 135 f. 99 Concilium Turonense (813), can. 16, MGH Conc. II,1, Nr. 38, S. 288: „Ut decimae, quae singulis dabuntur ecclesiis, per consulta episcoporum ad usum ecclesiae et pauperum summa diligentia dispensentur.“ – Vgl. vermutlich aus der Zeit Ludwigs des Frommen zur Entgegennahme und Verwaltung des Zehnten durch den Ortspriester in Italien: Capitula Italica adscripta, cap. 8, MGH Cap. I, Nr. 168: „[. . .] ipse sacerdos qui ibi ordinatus fuerit ipsa decima dispenset [. . .].“ 100 Capitula ecclesiastica (810–813), cap. 4, MGH Cap. I, Nr. 81 unter Hinweis auf die Verwaltung durch den Priester vor Ort: „Ut decimae in potestate episcopi sint, qualiter a presbyteris dispensentur.“ In Italien scheint der Zehnt möglicherweise wirklich vom Bischof eingesammelt bzw. an ihn abgegeben worden zu sein: „Et vos episcopi, qui omnium vos nonas et decimas accipitis, in vestra providentia sit, qualiter ecclesiae et cappellae quae in vestra parrochia sunt emendentur et luminaria eis praebeatis et ut presbyter in eis vivere possunt.“, Pippini capitulare Italicum (801–810), cap. 7, MGH Cap. I, Nr. 102. 101 Concilia Rispacense, Frisingense, Salisburgense (800), Notitia Concilii Rispacensis, can. 6, MGH Conc. II,1, Nr. 24, B, 2, S. 214: „Decima dividatur in quattuor partes: una sit episcopi, altera cleri, tertia pauperum, quarta fabrice ecclesie.“ 102 Capitula a sacerdotibus proposita (802), cap. 7, MGH Cap. I, Nr. 36, S. 106. Ein Zeichen für eine gewisse Unsicherheit in der Zahlung und Überweisung des Zehnten ist eine Bestimmung des Bischofs Hatto von Basel, nach der der Zehnt als „Dei census“ bezeichnet wird und „ex integro est reddenda“. Der Bischof begnügt sich in seinem Kapitular erklärtermaßen mit dem vierten Teil,

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2.2.3 Kontinuitätssicherung und Bestandserhalt kirchlicher Einrichtungen Die Kontinuität kirchlicher Einrichtungen war eine wesentliche Voraussetzung für die Rolle der Kirchen als sichere Orte der Gesellschaft, sei es in wirtschaftlicher Hinsicht, zur Kapitalanlage, in ihren sozialen Funktionen, der Armen- und Krankenfürsorge oder im Hinblick auf Seelsorge und Gebetsgedenken. Die Kontinuität der Kirchen zu sichern war eine wesentliche Aufgabe bei der Stärkung kirchlicher Organisation, die die Karolinger massiv förderten. Kontinuitätssicherung hieß zunächst einmal Bestandserhalt. Bestehende kirchliche Einrichtungen mussten vor jeder Form der Säkularisation geschützt werden. Zu diesem Zweck griff Karl der Große in zwei Kapitularien Kanon 24 des Konzils von Chalkedon auf, der damit fast wörtlich in Erinnerung gebracht wurde: Orte, die einmal Gott als Kloster geweiht worden waren, „maneant perpetuo monasteria“.103 Damit scheint von herrscherlicher Seite das Problem akzentuiert worden zu sein, denn in der Folge setzten sich auch die Synoden mit Fragen des Bestandserhalts verstärkt aueinander. Dazu gehörte die Regelung der Neugründung von kirchlichen Einrichtungen, die nicht ohne Konsens des Bischofs vorgenommen werden durften,104 deren Ausstattung ihre Lebensfähigkeit sichern musste105 und durch deren Gründung keiner bestehenden Kirche Einkünfte verloren gehen durften.106 Neben der Säkularisation wurde auch die Teilung einer Kirche untersagt, was also vorgekommen sein wird. Wohl wird der Verkauf einer Kirche, also einer „Eigenkirche“, erlaubt, wenn ihr Erhalt und täglicher Gottesdienst sichergestellt sei.107 Der Verkauf selbst konnte nicht verboten werden, solange „Eigenkirchen“ bestanden und rechtsgültig gegründet wurden. Aus dem selben Grund konnte natürlich auch die Vererbung von Kirchen nicht verboten werden. Es wurde jedoch in die Gewohnheiten des Erbrechts eingegriffen, indem die Teilung einer Kirche auch für den Erbfall verboten wurde.108

nämlich „usum Romanorum pontificum“, Hattonis episcopi Basiliensis capitula ecclesiastica (807–823), cap. 15, MGH Cap. I, Nr. 177. 103 Admonitio generalis (789), cap. 31, MGH Cap. I, Nr. 22, neu ed.: Die Admonitio generalis 2013, S. 198 f.; Capitulare missorum speciale (802?), cap. 15, MGH Cap. I, Nr. 33. 104 Capitula ecclesiastica ad Salz data (803–804), cap. 3, MGH Cap. I, Nr. 42. Vgl. dazu STUTZ, Geschichte des kirchlichen Benefizialwesens [1995] 1961, 226, der die Bestimmung auf die Eigenkirchen bezieht. 105 Concilium Turonense (813), can. 31, MGH Conc. II,1, S. 290. 106 Capitula e canonibus excerpta (813), cap. 19, MGH Cap. I, Nr. 78 und Concilium Arelatense (813), can. 20, MGH Conc. II,1, Nr. 34, S. 252 (beide canones wortgleich); Capitula e conciliorum canonibus collecta, cap. 3, MGH Cap. I, Nr. 114. 107 Concilium Francofurtense (794), can. 54, MGH Conc. II,1, Nr. 19, S. 171. Vgl dazu HARTMANN, Rechtlicher Zustand der Kirchen 1982, 405. 108 Concilium Cabillonense (813), can. 26, MGH Conc. II,1, Nr. 37, S. 278.

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2.2.4 Kirchliche Organisation Es kam vor, dass für den Beitritt zu einem Kloster vom Abt ein „Einstandsgeld“ verlangt wurde. Dem stellte sich die Frankfurter Synode des Jahres 794 entgegen.109 Es ist anzunehmen, dass eine „praemia“ für den Beitritt als Preis für die Teilhaberschaft am Kloster und seinen Angelegenheiten angesehen wurde, nämlich in der Weise, dass entsprechend der Höhe des Einstands auch das Gewicht der Stimme des Beigetretenen ausfallen sollte und vielleicht tendenziell auch ausfiel. Das war der Synode suspekt, nicht allein wegen des bloßen Durchbrechens der klar geregelten klösterlichen Hierarchie, sondern sicher auch aus Gründen der Trennung von kirchlichen und außerkirchlichen Angelegenheiten. An dieser Stelle kamen Einflussmöglichkeiten in die kirchliche Organisation hinein, die ihre Integrität bedrohten. Altbekannte Konzilsbeschlüsse werden erneuert, so auch zum Erhalt der Einheit und Ausschließlichkeit der kirchlichen Amtsbereiche, etwa wenn Klerikern verboten wird, in zwei Städten (wohl zwei verschiedenen Diözesen) Stellen zu bekleiden, und Äbten untersagt wird, mehreren Klöstern vorzustehen.110 Bischöfe und Kleriker sollten nicht zwischen zwei Diözesen (civitates) wechseln.111 Bischof Ghärbald von Lüttich indes verbietet Priestern, sich um weitere Kirchen zu bemühen und auch solche anzunehmen, wenn nicht damit ein Amtsinhaber entsetzt würde, der ohne Erlaubnis des Bischofs eingesetzt worden war.112 Allgemein galt für Geistliche jeden Standes das Gebot der „stabilitas loci“.113 Aus Gründen des Erhalts der Integrität der kirchlichen Organisation wurde bestimmt, dass weder in einer civitas zwei Bischöfe amtieren, noch eine Kirchenprovinz in zwei Provinzen geteilt werden dürfe.114 Bei diesen Bestimmungen handelt es sich zu einem großen Teil um herrscherliche Forderungen, die in Form von Kapitularien zum Ausdruck gebracht wurden. Ganz gewiss gab es Missstände dieser Art. Bedeutungsvoll ist der herrscherliche Eingriff in kirchliche Angelegenheiten umso mehr, da es hier um den Schutz der Integrität der kirchlichen Organisation geht, von der man zunächst annehmen könnte, dass dem karolingischen Herrscher diese eher lästig gewesen sein mag. Ganz das Gegenteil ist der Fall. Der Herrscher ist außerordentlich an der Stärkung ebendieser kirchlichen Integrität interessiert. Sie schützt sein Handeln vor dem unkontrollierbaren

109 Concilium Francofurtense (794), can. 16, MGH Conc. II,1, Nr. 19, S. 168. 110 Capitula excerpta de canone (806), cap. 9, MGH Cap. I, Nr. 47. 111 Admonitio generalis (789), cap. 24, MGH Cap. I, Nr. 22 (nach Chalkedon, can. 5,10). 112 Ghärbald von Lüttich, Nr. 3, cap. 7, in: MGH Cap. Ep. I. Zu Ghärbald und der Gattung der Bischofskapitularien s. PATZOLD, Bischöfe im karolingischen Staat 2006, 156–159. – S. zu den Bischofskapitularien auch HARTMANN, Kirchenrecht 2008, 78–83. 113 Vgl. auch das Empfehlungsschreiben Alkuins für einen wandernden Priester, Alcuini epistola 12, MGH, Epistolae IV. Das grundsätzliche Verbot der Mobilität findet sich schon in einem italischen Kapitular Pippins von Italien, Pippini Capitulare Papiense (787), cap. 2–3, MGH Cap. I, Nr. 94, S. 198. 114 Capitula excerpta de canone (806), cap. 4 und 3, MGH Cap. I, Nr. 47.

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Einfluss auf eigene Rechnung handelnder weltlicher Großer, zu denen auch die Bischöfe wieder gehören könnten. Auch die Erneuerung der Forderung an die Kirchen, sich Advokaten zuzulegen, die für die Interessen der Kirche in weltlichen Händeln eintreten sollten, kommt von herrscherlicher Seite und wird ergänzt durch die Bestimmung, dass der Advokat selbst sein Erbe in jener Grafschaft haben solle.115 Der Advokat der Kirche sollte also auch über möglicherweise notwendige Machtmittel verfügen, die Belange der Kirche zu schützen. Dass in der kirchlichen Organisation kein Platz für Einzelpersonen war, die nicht einem Verband zuzuordnen gewesen wären, zeigt ein Konzilsbeschluss des Jahres 755, nach dem Personen, die behaupteten, aus Frömmigkeit tonsuriert zu sein, ihr Vermögen aber behalten wollten, „sub manu episcopi“ gestellt werden sollten.116 Ein Kapitular Karls des Großen enthält die Bestimmung, dass Laien nicht innerhalb der Klöster den Mönchen vorgesetzt und Erzdiakone keine Laien sein dürften.117 Zum Erhalt der Integrität der kirchlichen Organisation wird auf die altkirchlichen Bestimmungen des Instanzenzuges zurückgegriffen. Keriker, die sich eines Vergehens schuldig gemacht hatten, sollten nur von kirchlichen Stellen zur Rechenschaft gezogen werden, keinesfalls aber „apud seculares“.118 In der herrscherlichen Admonitio generalis von 789 wird nach den canones 11 und 12 des Konzils von Antiochia verfügt, dass kein Kleriker („episcopus vel quilibet ex clero“) sich „sine consilio vel litteris episcoporum vel metropolitani“ an den König wenden dürfe.119 Bei säkularen Streitigkeiten zwischen Kirchlichen (ecclesiastici), die nicht im Einvernehmen beizulegen waren, sollte der Bischof schlichten, nämlich „cum consilio“. Erst, wenn dies zu keinem Erfolg führen sollte (weil möglicherweise der Bischof selbst beteiligt war), sollte der Streit dem Metropoliten vorgelegt werden, um „cum ipsius consilio“ beigelegt zu werden oder andernfalls durch Befehl desselben.120 Sehr viel Wert wird auf Konsens gelegt, und die kirchlichen Machtmittel sollen erst in letzter Konsequenz zur Anwendung kommen. Übrigens gilt hier, anders als in der alten Kirche der Metropolit als letzte Instanz, und nicht die Bischofsversammlung. Die kennt aber immerhin eine gemeinsame Bestimmung der Synode von Frankfurt und König Karls des Großen, die bei Verweigerung

115 Capitualare Aquisgranense (801–813), cap. 14, MGH Cap. I, Nr. 77. 116 Concilium Vernense (755), can. 11, MGH Cap. I, Nr. 14, S. 35. 117 Capitulare missorum in Theodonis villa datum primum mere ecclesiasticum, cap. 15, MGH Cap. I, Nr. 43. 118 Capitulare missorum speciale (802?), cap. 17, MGH Cap. I, Nr. 33 u. ö., übrigens handelt es sich wieder um eine herrscherliche Forderung. Deutlich wird die ausschließliche Zuständigkeit der kirchlichen Gerichtsbarkeit für Geistliche im Capitulare Mantuanum secundum generale, cap. 1, MGH Cap. I, Nr. 93. 119 Admonitio generalis (789), cap. 10, MGH Cap. I, Nr. 22; neu ed. Die Admonitio generalis 2013, S. 190 f., ähnlich auch Concilia Rispacense, Frisingense, Salisburgense (800), can. 3, MGH Conc. II,1, Nr. 24, S. 207. 120 Concilia Rispacense, Frisingense, Salisburgense (800), can. 3, MGH Conc. II,1, Nr. 24, S. 207; vgl. auch ebenda ca. 26.

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des Gehorsams dem Bischof gegenüber, von Äbten, Priestern, Mönchen oder anderen, den Metropoliten mit seinen Suffraganbischöfen über die Sache entscheiden lässt.121 Entscheidungsträger und letzte Instanz ist auch hier der Metropolit und nicht die Bischofsversammlung. Die Bischöfe werden auch in ihrer Gesamtheit offensichtlich als dem Metropoliten nachgeordnet aufgefasst. Er gilt nicht als ihr Vertreter, sondern als ihr Vorgesetzter. Im Interesse des Herrschers hat es offensichtlich gelegen, dass regelmäßige kirchliche Zusammenkünfte stattfinden sollten, da bereits in der Admonitio generalis von 789 dem Metropoliten aufgetragen wird, zweimal jährlich eine solche Synode abzuhalten.122 Und schon in einer der ersten karolingischen Synoden unter Mitwirkung der Grafen und Großen wurde von den Priestern verlangt, dass sie zu den Regionalsynoden der Bischöfe kommen sollten.123 Unter Bezugnahme auf das Konzil von Antiochia wurde in der Admonitio generalis von herrscherlicher Seite bestimmt, dass die Bischöfe ohne Zustimmung des Metropoliten keinerlei (wesentliche) Neuerungen einführen dürften, aber auch der Metropolit in dieser Hinsicht an die Zustimmung der Suffraganbischöfe gebunden sein sollte.124 Auch wurde verlangt, dass, wenn ein Bischofssitz über drei Monate vakant geblieben sein sollte, auf der nächsten Synode ein Bischof ordiniert werden musste,125 und nicht etwa durch Befehl des Metropoliten. Dass der Synode als Versammlung der geistlichen Würdenträger von herrscherlicher Seite tatsächlich eigene Entscheidungskompetenz zugebilligt wurde, zeigt die Bitte Karls des Großen an die Versammlung, nach Angilramnus von Metz nun auch Hildebold von Köln und Alkuin an seinen Hof zu entlassen.126

2.2.5 Gehorsam und Konsens Ein besonderes herrscherliches Interesse wie auch der Angehörigen der Synoden als Versammlungen der geistlichen Würdenträger galt dem Erhalt der Ordnung, der

121 Concilium Francofurtense (794), 6, MGH Conc. II,1, Nr. 19, S. 166 f. 122 Admonitio generalis (789), cap. 13, MGH Cap. I, Nr. 22, neu ed.: Die Admonitio generalis 2013, S. 190 f.; mit Verweis auf das Konzil von Chalkedon erneuert wurde die Forderung in den Concilia Rispacense, Frisingense, Salisburgense (800), can. 6, MGH Conc. II,1, Nr. 24; vgl. auch als Kapitular in MGH Cap. I, Nr. 112. 123 Concilium Vernense (755), can. 8, MGH Cap. I, Nr. 14. Später wird die Anwesenheitspflicht wiederholt, Capitula in dioecesana quadam synodo tractata, cap. 12, MGH Cap. I, 119. – EICHLER, Reichsversammlungen 2007, 34 betont die Nähe von Reichsversammlung und Synode. 124 Admonitio generalis (789), cap. 8, MGH I, Nr. 22, S. 54, neu ed.: Die Admonitio generalis 2013, S. 188 f. 125 Unter Verweis auf das Konzil von Chalkedon, can. 25 in Concilium Vernense (755), can. 17, MGH Cap. I, Nr. 14. 126 Synode von Frankfurt (794), cap. 55 und 56, MGH Cap. I, Nr. 28.

2.2 Neuorganisation der Kirchen und ihrer Verbände (751–814)

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v. a. die Betonung der Benediktsregel diente, die großen Wert auf den Gehorsam als klösterliches Prinzip legte. Zu diesem Zweck wurde schon vor dem Königtum Pippins die Einführung der Regel Benedikts angemahnt.127 Und auch Alkuin betonte mehrfach die Gehorsamspflicht der Mönche.128 Die Begründung für die Gehorsamspflicht liegt in dem Ideal der Einheit der „Klostergemeinde“, das Alkuin als Notwendigkeit darstellt:129 „Omnium itaque in servitio Dei una debet esse voluntas, et una fiat in regno Dei remuneratio.“ Die Klostergemeinschaft soll einen Willen darstellen, sodass sie auch im Reich Gottes als Einheit ihren Lohn erhalten wird. An dieser Stelle manifestiert sich eine Idealvorstellung der Zeit, nämlich die Ordnung von Individuen in einem Verband, dessen Einheit auch im Reich Gottes bestehen bleibt. Die Herstellung eines einheitlichen Verbandswillens schien aber nur möglich über die Stärkung des irdischen Hauptes des Verbandes. Bemerkenswert ist der Niederschlag der Forderung nach der Einheit der Klostergemeinschaft im Untertaneneid für König Karl den Großen. Die Mönche werden von der Eidespflicht ausgenommen, während Kleriker, „qui monachorum nomine non pleniter conversare videntur“, die aber die Benediktsregel „secundum ordinem tenent“ sehr wohl die Treue verprechen mussten, deren Versprechen dann aber von den Äbten abgeliefert werden sollte.130 Dass aber in der Realität der Klosterverband dennoch nicht immer eine Einheit darstellte und gerade die Betonung der Führung durch den Verbandsvertreter – manchmal ist man geneigt, den Vertreter als Haupt anzusprechen, was er natürlich nur in Stellvertreterschaft ist – zu Störungen der Einheit führte, zeigen verschiedene Bestimmungen der Kapitularien. So wird etwa bestimmt, dass Priester sich nicht über ihren Bischof erheben sollten.131 Dem Erhalt der inneren Ordnung der Kirchen dient auch die Bestimmung, die verlangt, dass jeder Kirchenvorsteher, genannt werden explizit Bischöfe und Äbte, einen Propst, Advokaten oder Defensor einsetzt.132 Zum Schutz der für den Verbandserhalt so wichtigen Vorsteher wird – allerdings nachträglich in Gestalt einer Fälschung – das Prinzip erneuert, dass die Anklage jeweils höherer kirchlicher Amtsträger – also möglicherweise des eigenen Vorgesetzten – erst mit der

127 Capitulare Liftinense (743), can 1, MGH Conc. II,1, Nr. 2, S. 5–7: „Abbates et monachi receperunt sancti patris Benedicti regulam ad restaurandam normam regularis vitae.“ – Vgl. auch Capitula ad lectionem canonum (802), cap. 24, MGH Cap. I, Nr. 37: „[. . .] ‘nullus in monasterium proprii sequatur cordis voluntatem’ [Zitat aus der Benediktregel, cap. 3].“ 128 Alcuinus Radoni abbati Vedastino, Epistola Alcuini 74, MGH Epistolae IV, S. 115–117: „Tuum est praecipere, illorum oboedire; tuum praeire, illorum subsequi.“ – Alcuinus fratribus in ecclesia sancti Leodegarii episcopi (monachis Murbacensibus), 794, Epistola Alkcuini 117, MGH Epistolae IV, S. 172 f.; an die Mönche von Salzburg, Alcuini Epistola 168, MGH Epistolae IV, S. 275–277. 129 Alcuini Epistola 74, MGH Epistolae IV, S. 115–117. 130 Capitulare missorum (792 oder 786), cap. 3, MGH Cap. I, Nr. 25, S. 67. 131 Admonitio generalis (789), cap. 37, MGH Cap. I, Nr. 22, neu ed.: Die Admonitio generalis 2013, S. 200 f.; vgl. Capitulare missorum speciale (802?), cap. 16, MGH Cap. I, Nr. 33. 132 Concilium Moguntinense (813), can. 50, MGH Conc. II,1, Nr. 36, S. 272.

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Stellung von zahlreichen Zeugen gestattet wird, nämlich gestaffelt bis hin zum Bischof, für dessen Anklage hier 72 Zeugen nötig sein sollten.133 Trotz der Betonung des schuldigen Gehorsams der Verbandsmitglieder ihrem Vorsteher gegenüber gibt es Hinweise, dass die Mitglieder sehr wohl auch an Entscheidungen zu beteiligen waren, jedenfalls an solchen substantieller Art. So wird dem Bischof nur unter Anwesenheit der Priester und Diakone erlaubt, Kirchengut zu vergeben („[. . .] de thesauro eclesiae familiae et pauperibus eiusdem eclesiae [. . .] erogare“).134 Eine Sammlung alter Konzilsbestimmungen erklärt „donatio vel vinditio vel commutatio rei ecclesiastice absque conventia vel scriptionem clericorum“ für unwirksam.135 Die Wahl des Abtes war in der Regel Sache der Klostergemeinschaft, was aber außer Kraft gesetzt werden konnte, wenn ein königlicher Befehl vorlag. Dieser wiederum konnte umgangen werden, wenn zur Wahl der „congregatio“ die Zustimmung (consensus) des Bischofs vorlag, so jedenfalls eine Bestimmung der Frankfurter Synode von 794.136 Nach einem italischen Kapitular konnten Äbte und Äbtissinnen, die „sine regula“ lebten oder „inordinate“, abgesetzt werden, worauf die Klostergemeinschaft berechtigt sein sollte, einen neuen Vorsteher zu wählen.137 Durchaus auch von herrscherlicher Seite wurde verlangt, dass in der kirchlichen Organisation niemand wegen seiner persönlichen Nähe zum Vorsteher bevorzugt werden solle, so grundsätzlich zur Bevorzugung von Verwandten und anderen durch Äbte und Bischöfe138 und im besonderen für den Bereich des Klosters, für den als Begründung Unzufriedenheit und Neid („murmur“) der Mitbrüder angeführt wird.139

2.2.6 Zur Verschränkung von kirchlicher Ordnungsgesetzgebung und herrscherlichem Willen Die karolingischen Herrscher zeigen nicht erst seit der Übernahme der Königsherrschaft durch Pippin den Jüngeren ein massives Interesse an der Wiederherstellung der Selbstorganisation der Kirchen und ihrer Verbände. Nicht der herrscherliche 133 Capitula excerpta de canone (um 806), cap. 23, MGH Cap. I, Nr. 47, S. 133 f. – Neu ed. MORDEK, Kirchenrecht und Reform 1975, S. 185–187, 187 (Canon Pseudosilvesters aus der Vetus Gallica). 134 Concilium Turonense (813), can. 11, MGH Conc. II,1, Nr. 38, S. 288. 135 Capitula excerpta canonica, cap. 3, MGH Cap. I, Nr. 113, S. 231. Die Vita des Iohannes Reomaensis auctore Iona, MGH SRM III, 509 f. kennt eine fratrum conventia auch für den Bereich des Klosters. 136 Concilium Francofurtense (794), can. 17, MGH Conc. II,1, Nr. 19, S. 168. 137 Capitulae Mantuanum primum mere ecclesiasticum, cap. 2, MGH Cap. I, Nr. 92. 138 Capitulare missorum generale (802), cap. 16, MGH Cap. I, Nr. 33, S. 94. 139 Concilia Rispacense, Frisingense, Salisburgense (800), can. 45, MGH Conc. II,1, Nr. 24, S. 212.

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Eingriff in die inneren Angelegenheiten der Kirchen und Kirchenverbände soll geregelt werden, sondern gerade die Selbstorganisation der kirchlichen Verbände wird gefördert. Wenn der Herrscher dennoch immer wieder in die Organisation der kirchlichen Verbände eingreift, etwa durch die Besetzung von Bistümern und Abteien mit Personen der herrscherlichen Wahl, so findet das in einer Grauzone statt, zumeist auf informellem Weg, nämlich über die Wähler selbst, die natürlich gerne über die Wahl einer Person aus der herrscherlichen Nähe selbst diese zu genießen bereit waren.140 Das karolingische Vorgehen in der Gestaltung der kirchlichen Selbstorganisation hat System. So wird die Basis der keimenden Staatlichkeit, die Kirchen und ihre Organisation nämlich, vor dem Zugriff aller anderen Mächtigen geschützt. Nur die Familie der Karolinger und ihr nahestehende Kreise konnten aufgrund ihrer Nähe zur Herrschaftszentrale und nur auf informellem Weg von dem System profitieren. Die Zentrale, also der Herrscher selbst, hatte zudem noch die Möglichkeit, über seine richterliche Funktion Einfluss zu nehmen. Zeigt schon die Nähe von Synodalbeschlüssen und herrscherlichen Anordnungen, etwa die Gewohnheit, Synodalbeschlüsse als Kapitularen mit herrscherlicher Bekräftigung zu versehen und zu verbreiten, eine gewisse Verschränkung von kirchlicher Organisation und weltlicher Herrschaftsordnung, so wird das verdeutlicht mit der gemeinsamen Abhaltung von Zusammenkünften, manifestiert in Listen der an Synoden Beteiligten, schon im Jahr 743.141 Dass das Verhältnis des Herrschers zu den Kirchen anders gestaltet wurde, als in der Alten Kirche, zeigt der Untertaneneid, den Karl der Große mit Ausnahme wohl der Mönche auch von den Kirchenvorstehern und von Klerikern verlangte. Vermutlich noch zur Zeit Karls des Großen wurden die Bischöfe und Äbte des Reiches in die Reihe der Großen gestellt, die verpflichtet wurden, zu den Versammlungen der missi zu kommen.142 Gewiß verwundert das nicht. Es kann aber zeigen, welche Rolle die Bischöfe im Reichsverband spielten und dass sie dann folgerichtig diesem auch eingegliedert werden mussten. So übernahm Karl der Große durchaus die Aufgabe des Metropoliten, wenn er Ghärbald von Lüttich seiner Pflichten gemahnte, etwa Zusammenkünfte mit seinen Priestern abzuhalten.143 Die weltlichen Sachwalter der

140 Wenn KAISER, Royauté et Pouvoir episcopale 1989, 153 ff. die Gestaltung einer Königskirche, der staatliche Aufgaben übertragen wurden, beschreibt, dann ist das in Komplementarität zu sehen. Die Stärke der kirchlichen Verbände ist eine Basis der Staatlichkeit des Reiches und seiner Stabilität. Zugleich versuchen die früheren Karolinger, im Rahmen des Möglichen Einfluss auf die kirchenpolitischen Entscheidungen zu nehmen. 141 Concilium Liftinense (743), can. 1, MGH Conc. II,1, Nr. 2: „[. . .] omnes venerabiles sacerdotes Dei et comites et praefecti prioris synodus decreta consentientes firmaverunt.“ 142 Responsa misso cuidam data (801–814?), cap. 5, MGH Cap. I, Nr. 58, S. 145: „[. . .] de episcopis, abbatibus vel ceteris nostris hominibus qui ad placitum vestrum venire contempserint. Illos vero per bannum nostrum ad placitum vestrum bannire faciatis.“ 143 MGH Cap. I, Nr. 122 (803–811), S. 241 f.

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Kirchen sollten einem Kapitular zufolge gemeinsam mit dem Grafen und dem Volk erwählt werden.144 Die Schnittstellen zwischen den Kirchen und der weltlichen Herrschaftsordnung werden gepflegt. Schon in dieser recht frühen Zeit der etablierten karolingischen Herrschaft wird vermutlich die Kirchenorganisation als Kern der entstehenden weltlichen Staatlichkeit nicht nur begriffen, sondern auch nutzbar gemacht,145 wenn nämlich die Karl dem Großen zugeschriebene – allerdings italische – Bestimmung des Liber Papiensis, cap. 121 nicht doch jüngeren Datums sein sollte:146 Si quis praepositus aut ministerialis aliquas res ecclesiae quas praevidere debet per aliquem scriptionis titulum cuiquam concesserit, quod ad damnum ipsius ecclesiae pertineat, pro sacrilegio computetur. Similiter et de rebus quae ad rem publicam pertinent, si comes aut ministerialis rei publicae cuiquam concesserit, pro infidelitate computetur.

Diese Bestimmung kann als Beleg für eine ausgeprägte Vorstellung von Staatlichkeit und vor allem von Transpersonalität gewertet werden, denn sie überträgt das Amtsverständnis der Kirchen auf die herrscherliche Verwaltung. Die Parallelisierung des Amtsverständisses von König und Bischof begegnet im Verlauf des 9. Jahrhunderts schon häufiger; diesen Gedanken aber auf die herrscherlichen Bevollmächtigten zu übertragen, die Grafen nämlich und ungenannte weitere „Amtsträger“, bedeutet den wesentlichen Schritt zur Entfaltung von Staatlichkeit. Dasselbe gilt für die „öffentlichen“ Mittel, die eben der „res publica“ zugeordnet werden. Die herrscherlichen Finanzen als Mittel der res publica zu bezeichnen, ist ein weiteres Indiz für fortgeschrittene Staatlichkeit, ein Begriff von Untreue der Sache nach, nicht einfach Treulosigkeit dem Herrscher gegenüber, wie er hier artikuliert wird, muss für die Zeit Karls des Großen als außerordentlich „modern“ bezeichnet werden. Da es italische Bestimmungen sind, denen dieser Satz zugehört, kann er lediglich zur Illustration des Denkbaren herangezogen werden, nicht als Beweis für die Staatlichkeit des Frankenreiches selbst (wenn er überhaupt noch der Zeit Karls des Großen angehören sollte, was immerhin zweifelhaft ist). An den Zwangsanleihen der Herrscher bei den Kirchen lässt sich die Verschränkung von kirchlichen und herrscherlichen Angelegenheiten auf eine doppelte Weise erläutern. Einmal stellen solche Kriegsanleihen Übergriffe dar in das System der Kirchenorganisation, andererseits zeigt schon eine Bestimmung von 743, also noch vor dem Königtum Pippins, dass man bemüht war, nicht den Kirchen das Recht auf ihr Eigentum zu bestreiten. Wenn nämlich derjenige, dem das Geld übergeben worden

144 Capitulare missorum Aquisgranense primum, cap. 22, MGH Cap. I, Nr. 62: „Ut vicedomini, prepositi, advocati boni et veraces et mansueti cum comite et populo eligentur.“ 145 Vgl. auch den Einfluss König Pippins und Karls des Großen auf die Besetzung des Bistums Le Mans WEIDEMANN, Bischofsherrschaft 1989,183 f. 146 Capitula Italica, cap. 9, MGH Cap. I, Nr. 105, S. 217; vgl. MORDEK, Bibliotheca Capitularium 1995, 997, der die Datierung, ob nämlich zur Zeit Karls des Großen oder Ludwigs des Frommen, offen lässt und auf dazu nötige inhaltliche Erwägungen verweist.

2.3 Konsolidierung der Kirchenorganisation und Krise des Königtums

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war, stürbe, so sollte ebendieses Geld zurückerstattet werden.147 Ferner wird in einem Kapitular Karls des Großen bestimmt, dass für diese Anleihen Neunter und Zehnter zu zahlen sei.148 Wenn auch in der Praxis dies nicht immer umgesetzt wurde, so handelte es sich aber eben doch nicht um Enteignungen, sondern der erklärten Absicht nach um Anleihen unter Beachtung – nicht aller – Eigentumsrechte. Und immerhin handelt es sich um den Beschluss einer Versammlung, die zugleich als Synode angesehen werden kann. In der Einleitung zu der Bestimmung von 743 wird nicht nur die Kriegsgefahr betont, sondern u. a. auch die Zustimmung der Geistlichen erwähnt („cum consilio servorum Dei et populi Christiani“), deren man sich zuvor versichert hatte.

2.3 Konsolidierung der Kirchenorganisation und Krise des Königtums Nach einer Zeit der Restrukturierung von Kirchenorganisation im Frankenreich folgte mit dem Herrschaftsantritt Ludwigs des Frommen eine Phase der Konsolidierung.149 Die Ordnung der Kirchen unter dem Vorsitz150 Karls des Großen hatte sich bewährt. Dabei war es naturgemäß eine Übergangsordnung, die nur so lange Bestand haben würde, wie die Kirchen nicht zu einer Erneuerung einer institutionalisierten eigenen Verbandsorganisation finden würden. Solange die Kirchenvorsteher im Umkreis des Herrschers selbst ihre Zukunft und Karriere fanden, solange er eben etwas zu vergeben hatte, war der kirchlichen Staatlichkeit eine imanente Grenze gesetzt. Dass aber die Kirchen das organisatorische Vermögen besaßen, eine eigene, Diözesen und sogar Provinzen übergreifende, Staatlichkeit neu zu entwickeln, wird in der Zeit der Krise deutlich. Zunächst aber folgte eine Zeit der inneren Ruhe, die ihren Niederschlag durchaus auch in den Bestimmungen der Konzilsakten und der Kapitularien findet. Die dort angesprochenen Probleme erscheinen nicht mehr so krass und gewinnen neue Substanz. Haben sich frühere Konzilien in ihren canones darauf beschränkt, knappe Forderungen mit unzulänglichen Begründungen – oder ganz ohne solche – aufzustellen, so gewinnen die Bestimmungen nun an theologischer und ekklesiologischer Tiefe und sprachlicher Qualität.151 Es hat den Anschein, als hätten die Konzilsväter dieser Zeit die seit der Spätantike veränderten Probleme theoretisch in

147 Concilium Liftinense (743), can. 2, MGH Conc. II, 1, Nr. 2, S. 7, auf eine ungeminderte Rückerstattung der Anleihe wurde bestanden. 148 Capitulare missorum item speciale (802?), cap. 56, MGH Cap. I, Nr. 35, S. 104. 149 FRIED, Ludwig der Fromme 1990 sieht in den Beziehungen zum Papsttum eine Manifestation eines neuen fränkischen Selbstbewusstseins in kirchlichen Angelegenheiten. 150 Karl der Große hatte auf Konzilien persönlich den Vorsitz eingenommen, während Ludwig der Fromme den Bischofsversammlungen als Instanz gegenübertrat, HARTMANN, Synoden, 1989, 8. 151 Besondere Latinität attestiert JOHANEK, Edition der Urkunden Ludwigs des Frommen 1990, 417 auch den Urkunden.

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den Griff bekommen. Sie finden jedenfalls wieder Worte zur Bekämpfung von Missständen und auch zur Neuorganisation ihrer Verbände.

2.3.1 Die Stellung des Bischofs Die geringe Zahl der Bestimmungen zur Stellung des Bischofs legt nahe, dass sowohl seine vom Reichsverband absolute Stellung als auch mögliche Bedrohungen seiner Stellung im Wesentlichen der Vergangenheit angehörten.152 Und die Figur des Bischofs muss als Basis der Kirchenorganisation angesehen werden, nach wie vor. In ihm kumuliert das monarchische ebenso wie in seinen Außenbeziehungen das genossenschaftliche Element. Zum Erhalt dieser Rolle für die Kirchenorganisation ist die ordentliche Berufung eines Bischofs von erheblicher Bedeutung. Zu diesem Zweck wird auf die Bestimmungen der Konzilien der Alten Kirche Bezug genommen. Der Bischof soll nach einem Kapitular von 818/819 von Klerus und Volk gewählt werden und aus seiner eigenen Diözese kommen. Jedoch soll schon die Wahl unter Zustimmung des kirchlichen ordo stattfinden („adsensum ordini ecclesiastico“), womit wohl die weiteren Bischöfe der Provinz, vermutlich aber auch die Äbte der Klöster der Diözese gemeint sind.153 Der kirchliche ordo wird bereits vor der Ordination in den Erhebungsprozess eingebunden. Ganz pragmatisch wird so schon die Wahl gesteuert, die dann aber „kanonisch“ ablaufen sollte.154 Eine Reihe von Bischöfen legt dem Kaiser Ludwig dar, dass bei der Wahl des Bischofs sowohl der Mönch gehört werden solle, als auch der Laie nicht von der Entscheidung auszuschließen sei.155 Dabei wird deutlich, dass bei der Bischofswahl der Konsens eine erhebliche Rolle spielte und spielen sollte. Der Konsens derer, deren Hirte der Gewählte werden sollte, war ebenso von Bedeutung wie der Konsens seiner Kollegen. In der Zeit Ludwigs des Frommen beginnt man auch damit, den Bischofs als Amtsträger zu bezeichnen und sein Verhalten mit dem Amtschrakter seiner Stellung zu begründen. Das geschieht sowohl von seiten der Bischofsversammlung als auch

152 In zwei italischen Bestimmungen wird der Gehorsam gegen den Bischof eingefordert: Capitula de rebus ecclesiasticis (825?), cap. 4, MGH Cap. I, Nr. 166 zu den Priestern von Taufkirchen; Capitula Florentina (820), can. 12, Cap. Episcoporum I, S. 223 zu allen kirchlichen Personen. 153 Capitulare ecclesiasticum (818/819), cap. 2, MGH Cap. I, Nr. 138, S. 276: „Sacrorum canonum non ignari, ut in Dei nomine sancta ecclesia suo liberius potiretur honore, adsensum ordini ecclesiastico praebuimus, ut scilicet episcopi per electionem cleri et populi secundum statuta canonum de propria diocesi [. . .] eligantur [. . .]“, aufgenommen in Ansegis Capitularium, ed. Schmitz, I, 78, S. 478 f. Ähnlich auch das Concilium Romanum (826), can. 5, das unter Verweis auf einen Satz von Papst Coelestin I. (422–432) in einer Lesart (B, F, G, L) erklärt, dass „plebis enim, clericorum et ordinis consensum et desiderium constat esse requirendum.“ 154 Anders dagegen Concilium Mantuanum (827). 155 „[. . .] et monachum admittit, et laicum auctoritas non excludit.“, Episcoporum ad imperatorem de rebus ecclesiasticis relatio (nach 821), cap. 1, MGH Cap. I, Nr. 179, S. 368.

2.3 Konsolidierung der Kirchenorganisation und Krise des Königtums

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von herrscherlicher Seite. In einer Schrift einiger Bischöfe an den Kaiser aus der Zeit nach 821 wird ausdrücklich von „Officium episcopi curam esse et fervorem ecclesiasticum rerum et fidei firmamentum“ gesprochen.156 Das Konzil von Rom von 826, dessen Erwähnung an dieser Stelle jedoch nur dazu taugt, den kommunikativen Rahmen des Problems abzustecken, da es gewiss keine direkte Konsequenz für die einzelnen Kirchen des Frankenreiches hatte,157 verbot das Eintreiben von Geschenken von untergeordneten Personen und Einrichtungen [pia loca!] durch den Bischof.158 Ein kaiserliches Kapitular an die missi des Frankenreiches umreißt die Aufgaben der Bischöfe, mit denen sie „suum ministerium expleant“.159 Folgerichtig lässt sich dann auch das Privatvermögen des Bischofs von dem von ihm nur zu verwaltenden Gut abgrenzen. Dazu gehört das Vermögen, das sie vor dem Antritt ihres Amtes erworben haben, sowie Erbschaften als zweifelsfreies Eigengut.160 Alles Gut, dass der Bischof aus den facultates der Kirche erworben hatte, gehörte der Kirche. In diesem Zusammenhang wird auch vom „ministerium sacerdotale“ gesprochen, das durch die Vergabe von Kirchengut an Verwandte und Freunde verletzt würde.161 Dieses ministerium ist zwar dem Begriff nach das kirchliche ministerium, das aber in diesem karolingischen Zusammenhang eine neue Qualität bekommt. Die Aufsicht des Bischofs über die kirchlichen Einrichtungen seiner Diözese wird auch von herrscherlicher Seite gefordert. So sollte ohne seine Zustimmung kein Priester bestellt und keiner abgesetzt werden.162 In einer kaiserlichen Verfügung ad omnes regni ordines wird dem Bischof ausdrücklich die Zuständigkeit für die kirchliche Bautätigkeit zugesprochen, wobei diese seinem Willen zu folgen habe. Das sollte vor allem für den Erhalt kirchlicher Bauten gelten, aber auch für deren Errichtung. Von Konsens, also Zustimmung des Bischofs ist nicht die Rede, sondern von seiner „voluntas“.163 Er verfügte auf diese Weise dem herrscherlichen Anspruch nach auch über die (eigenen) finanziellen Mittel der seiner Diözese angehörenden Kirchen.

156 Episcoporum ad imperatorem de rebus ecclesiasticis relatio (nach 821), cap. 2, MGH Cap. I, Nr. 179, S. 368. 157 Zur Rezeption des Konzils von Rom siehe HARTMANN, Synoden 1989, 174; HARTMANN, Autorität des Papsttums 1998, 129 konstatiert die Rezeption päpstlicher Verlautbarungen auf fränkischen Konzilien erst seit den 40er Jahren des 9. Jahrhunderts. 158 Concilium Romanum (826), cap. 26, MGH Conc. II,2, Nr. 46, S. 578: „Nulii liceat episcoporum a subiectis sacerdotibus, quolibet alio clerico et piis locis donationes ultra statuta patrum exigere [. . .].“ 159 Capitula de missis instruendis (829), MGH Cap. II, Nr. 187. 160 S. zu dieser Weise der Trennung von Privateigentum und Kirchengut PATZOLD, Bischöfe im karolingischen Staat 2006, 148, der zwar einräumt, dass die Bestimmung Zuwiderhandlungen belegt, zugleich aber die Fähigkeit der Zeitgenossen zeigt, „zwischen Amtsgut und persönlichem Besitz“ zu unterscheiden. 161 Concilium Parisiense (829), can. 16, MGH Conc. II,2, Nr. 50, S. 623. 162 Capitulare ecclesiasticum (818/819), MGH Cap. I, Nr. 138. 163 Admonitio ad omnes regni ordines (823–825), cap. 24, MGH Cap. I, Nr. 150.

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2 Kirchenorganisation im Reich der Karolinger

In den Aufsichtbereich des Bischofs gehörten auch die in ihrer Bedeutung für das Frankenreich nicht unbedeutenden Eigenkirchen. An dieser Stelle befindet sich ein natürlicher Übergang von kirchlicher und weltlicher Ordnung. Der Bestand von Eigenkirchen wird garantiert, nicht jedoch ohne Auflagen, die die kirchliche Ordnung in die Verwaltung der Eigenkirchen hineintragen sollten. Dabei kommt dem Eigenkirchenherrn das Vorschlagsrecht zu, ohne die Zustimmung des Bischofs kann er aber keinen Priester bestellen.164 Der bestellte Priester sollte dann der bischöflichen Aufsicht unterstehen. Erben einer Eigenkirche sollten im Falle der Erbteilung nach einer Bestimmung des Konzils von Worms von 829 entscheiden können, ob die Kirche „secundum providentiam et admonitionem episcopi“ verwaltet werden oder aber die Kirche in episcopi potestate sein solle.165 Welche Konsensleistung in diesen Bestimmungen liegt, zeigt die scharfe Kritik Agobards von Lyon an dem Bestand von Eigenkirchen und seinen Folgen für die kirchliche Organisation wie für die dort angestellten Priester, die vermutlich von weiteren Bischöfen geteilt wurde.166

2.3.2 Kirchengut – Definition und Eigentumsfrage Von herrscherlicher Seite wird daran erinnert, dass „res ecclesiae vota esse fidelium, pretia peccatorum et patrimonia pauperum, cuique non solum habita conservare, verum etiam multa Deo opitulante conferre optamus“. Aus diesem Grund wird unbedingt verlangt, dass es auch von den Nachfolgern Ludwigs des Frommen nicht zu teilen sei.167 In demselben Kapitular wird bestimmt, dass von dem, was zur Regierungszeit Ludwigs des Frommen „sponte conlatum fuerit“, zwei Teile für die Armen, der dritte zur Versorgung der Kleriker bzw. Mönche aufgewandt werden solle.168 Neben der Auffassung von der Unteilbarkeit des Kirchengutes wird also bereits einiger Wert darauf gelegt, dass bei der Verwendung der kirchlichen Mittel zwischen solchen zur öffentlichen und solchen zur privaten Verwendung getrennt wird. Aus der Trennung der Sphären der Einkünfte bzw. der Trennung von privatem Gut und Kirchengut, ergibt sich die Frage nach der Definition von Kirchengut, mithin auch die Frage nach dem Eigentum an demselben. Wer aber Eigentümer bzw. 164 Concilium Romanum (826), can. 21, MGH Conc. II,2, Nr. 46, S. 576. 165 Capitulare Wormatiense (829), cap. 2, MGH Cap. II,1, Nr. 191, S. 12. 166 Agobard von Lyon: Liber de dispensatione rerum ecclesiasticarum, c. 15, Migne PL 104, col. 236; neu ed. Van Acker, in CCCM 52, 119–142; vgl. dazu STUTZ, Geschichte des kirchlichen Benefizialwesens 1895 21961, 237 ff.; BOSHOF, Agobard 1969, 96 f. und HARTMANN, Rechtlicher Zustand der Kirchen 1982, 415. 167 Capitulare ecclesiasticum (818/819), cap. 1, MGH Cap. I, Nr. 138. 168 Bei kleineren kirchlichen Einrichtungen („loca“) sollte dieses Einkommen halbiert werden und die kirchlichen Personen also die Hälfte bekommen, Capitulare ecclesiasticum (818/819), cap. 4, MGH Cap. I, Nr. 138.

2.3 Konsolidierung der Kirchenorganisation und Krise des Königtums

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Besitzer des kirchlichen Vermögens ist, wird unterschiedlich beantwortet. Es scheint, als habe die Frage aber zunächst eine pragmatische Antwort bekommen. Auf dem Aachener Konzil von 816 wurden auch Eigentumsfragen behandelt, etwa, was mit dem Eigentum derer zu geschehen habe, die in ein Kloster eintreten. Dass sie nicht über eigenes Eigentum verfügen sollten, ist eine alte Forderung der Benediktsregel und wurde von Benedikt von Aniane erneuert. Die künftige Nonne etwa sollte die Wahl haben zwischen drei Vorgehensweisen: 1. Sie übeträgt ihr Eigentum dem Kloster; 2. Sie überträgt das Eigentum unter dem Vorbehalt späteren Nießbrauchs; 3. Sie übeträgt ihr Eigentum vor Eintritt in das Kloster an Dritte.169 In jedem Fall aber hatte sie auf persönliches Eigentum zu verzichten. Sie sollte sich zwar für den Fall, dass sie in das weltliche Leben zurückkehren würde, versichern können, nicht aber im Sinne eines Eigentumsvorbehalts, sondern nur auf der Basis der Existenzsicherung. Auf demselben Konzil wurde in zwei Canones ausführlich definiert, welches Verhältnis kirchliche Personen, besonders Mönche, zum Kirchengut haben sollten. Mit ausführlichem Zitat aus „De vita contemplativa“ des Iulianus Pomerius wird dargelegt, dass es sich beim Klostergut um „facultates tamquam communes“ handele, die „non enim propriae sunt, sed communes ecclesiae facultates [. . .]“.170 In diesem Zusammenhang behandelt Julian auch die Rolle der Kirchenvorsteher: Unde datur intellegi, quod tanti ac tales viri, qui volentes fieri Christi discipuli renuntiaverunt omnibus, quae habebant, non ut possessores, sed ut procuratores facultates ecclesiae possidebant.171

Begründet wird dieses Verhalten damit, dass diese Vorsteher wüssten, das das Kirchengut nichts weiter als „vota fidelium, praetia peccatorum et patrimonia pauperum“ sei.172 Damit begründet Julian selbst nicht wirklich seine Forderung, während die Überschrift, gewissermaßen der eigentliche Kanon des Konzils von Aachen, die „ecclesiae facultates tamquam communes“ ansieht, [weil] sie nämlich Gott auf diese Weise zurückzugeben seien.173 Während Julian in diesem Zitat die Eigentumsfrage nicht wirklich angeschnitten hat, zeigt der eigentliche Konzilsbeschluss einen Ansatz dazu. Deutlicher wird ein weiteres Zitat eines Kirchenvaters, nämlich Augustins, in einem anderen Kanon des Konzils. Augustin legt in der Passage aus „De vita et moribus clericorum“ das Eigentum des Klosters, also der Gemeinschaft, an dem Klostergut,

169 Concilium Aquisgranense (816), Add. can. 9, MGH Conc. II,1, Nr. 39, S. 444. 170 Vgl. dazu DEVISSE, L’Influence de Julien Pomére 1972, 290 f. 171 Concilium Aquisgranense (816), can. 35, MGH Conc. II,1, S. 356 f. 172 Concilium Aquisgranense (816), can. 35, MGH Conc. II,1, S. 356 f. Das zitierte Werk wird von den Konzilsvätern dem Prosper Tiro von Aquitanien zugeschrieben; vgl. POLLMANN, Julian Pomerius 2002, 407. 173 Conculium Aquisgranense (816), can. 35, MGH Conc. II,1, S. 356: „utpote Deo rationem reddituri sint.“

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ausführlich dar. Dabei berichtet er von der Schenkung eines Ortes an einen Priester, der an demselben ein Kloster gründete. Augustin erläutert zum Eigentum an diesem Ort: „Sed tamen, quia nomine ipsius donatus erat locus, mutavit instrumenta, ut nomine monasterii possideatur.“174 Das Konzil von Paris des Jahres 829 kommt aber nach ausführlicher Behandlung der Frage zu dem Resümee: „[. . .] non sunt res ecclesiasticae ut propriae, sed ut dominicae et a Deo commendate tractande.“175 Dabei kann Gott als Eigentümer des Kirchengutes nicht direkt den Darlegungen der zitierten spätantiken Quellen, u. a. den Beschlüssen der Konzile von Antiochia und Chalkedon, entnommen werden. Da der Bischof aber dort als Verwalter des Kirchengutes und nicht als Eigentümer erscheint, erschließen die Väter des Pariser Konzils, dass der Eigentümer nur Gott sein könne. Anders als in der zitierten Passage aus Augustin wird Gott nunmehr auch zum rechtsrelevanten Eigentümer, wobei der Schluss gezogen wird, dass Gott geweihtes Gut, um das es sich beim Kirchengut ja handelt, auch Gott gehören müsse. Einleitend bemerken die Konzilsväter von Paris daher auch: Quod nulli sacerdotum liceat res Deo dicatas sibique commissas utpote proprias tractare [. . .].“176 Möglicherweise geht die Einführung des Begriffes „Deo dicata“ auf Ansegis zurück, der mehrere der von ihm mitgeteilten Kapitularien in der Überschrift entsprechend abwandelte.177 Die Wendung „loca Deo dicata“ kommt übrigens seit dem 10. August 829 auch in den Urkunden Pippins I. von Aquitanien häufig vor.178 Gott wird als Eigentümer nunmehr auch theoretisch begriffen, die Vorstellung dient nicht mehr nur als Sanktionsformel dem Schutz des Kirchengutes vor Übergriffen und Entfremdung. Trotz solcher Sanktionen – denn die Theorie vom Eigentum Gottes am Kirchengut diente auch der Abschreckung – kam es nach wie vor zur Entfremdung von Kirchengut, oftmals durch die Vorsteher von Kirchen.179

174 Concilium Aquisgranense (816), can. 113, MGH Conc. II,1, Nr. 39, S. 394. 175 Concilium Parisiense (829), cap. 15, MGH Conc. II,2, Nr. 50, S. 622 f. 176 Ebenda. 177 Aus „De monasteriis Deo dedicatis“ der Admonitio generalis, cap. 31 (nach Canon 24 des Konzils von Chalkedon) machte Ansegis I, 31, ed. Schmitz, S. 453 „De monasteriis Deo dicatis“. 178 „si locis venerabilis Deoque dicatis opem ferimus [. . .]“, Urkunde Pippins I. für die Mönche von Saint-Germain-des-Prés, Recueil des Actes de Pepin Ier et de Pepin II rois d’Aquitanie (814–848), ed. M. Léon Levillain, Paris 1926, Nr. 15, S. 56, u. ö. 179 Es muss jedenfalls immer wieder die Alienation von Kirchengut untersagt werden, so Benedikt von Aniane, Codex regularum, Tertia patrum regula ad monachos, cap. 2, Migne PL 103, Sp. 444 f.: „Abbati vero nulli liceat sibi quidquam proprie vindicare, cum omnia Deo propitio in illius maneat potestate.“ – Constitutio Romana (824), cap. 6, MGH Cap. I, Nr. 161: „De rebus ecclesiarum iniuste invasis sub occasione quasi licentia accepta a pontifice [. . .].“ – Gelegentlich scheint es sich um bischöfliche Übergriffe auf das Gut der Einzelkirchen gehandelt zu haben: Concilium Romanum (826), can. 16, MGH Conc. II,2, S. 574: „Ut episcopis de subiectis plebibus aliisque piis locis non liceat res auferre.“ – Die Versorgung der bischöflichen Verwandtschaft spielte bei der Alienation eine eigene Rolle: Episcoporum ad Hludowicum imperatorem relatio (829), cap. 15, MGH Cap. II,1. Nr. 196, S. 34; vgl. dazu auch das Konzil von Paris, 829. – Vgl. zur Alienation durch Priester Capitula Florentina 15, MGH Cap. Ep. I, S. 224.

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Daher wurde von herrscherlicher Seite die Zukunftsmächtigkeit der Bischöfe beschnitten. In einem undatierten Kapitular wird bestimmt, dass, wenn einer Kirche etwas durch ihren Verwalter (procurator) unrechtmäßig entzogen wurde, seine Nachfolger es zu jeder Zeit zurückfordern dürften.180 Wobei sicherlich die in diesem Fall drohende Frage nach der Unrechtmäßigkeit Probleme mit sich bringen würde. Konkreter behandelt eine Bestimmung eines anderen Kapitulars die Begrenzung der Zukunftsmächtigkeit des Bischofs, der seine Verwandtschaft oder Freunde mit kirchlichen Einrichtungen versorgt oder solche aus geschäftlichen Gründen vergibt. Diese Alienationen sollten von seinen Nachfolgern korrigiert werden dürfen, wozu die Strafbestimmungen für die Verletzung solcher Verträge ungültig sein sollten.181 Mit Aussetzung der Zukunftsmächtigkeit von Verbandsvorstehern wird die Funktionsfähigkeit des Verbandes gestärkt. Es wird ganz ähnlich der Gestaltung der rechtlichen Bindungen in Familien die Handlungsfähigkeit des Verbandes auf lange Sicht erhalten und somit die Forderung nach Bestandserhalt des Verbandsgutes als Basis des Verbandes selbst unterstützt. Bestandserhalt ist ein wichtiges Thema im weiteren Aufbau der kirchlichen Organisation. Die Sorge der Kirchenvorsteher ebenso wie die herrscherliche Sorge gilt dabei der soliden Gründung von kirchlichen Einrichtungen und der Subsistenz bestehender Einrichtungen. Dabei sollen grundsätzlich bestehende Einrichtungen durch Neugründungen nicht in ihrem Bestand gefährdet werden,182 andererseits sollten Neugründungen den Zehnt ihrer Güter übertragen bekommen.183 Tatsächlich scheinen manche kirchliche Einrichtungen über kaum mehr als den ihnen zustehenden Zehnt verfügt zu haben.184 Solche Einrichtungen waren auf Spenden und die Unterstützung durch den Bischof angewiesen. Das stellte eine Gefahr für die Funktionsfähigkeit der Kirchenorganisation dar. Eine Abhängigkeit dieser Einzelkirchen von freiwilligen Beiträgen der ortsansässigen Großen konnte ihre Integrität ernstlich

180 Capitula Francica, cap. 5, MGH Cap. I, Nr. 167, S. 334: „Si ecclesiae aliquid sui iuris defraudatum fuerit a pravis procuratoribus aut prece aut pretio aut privata gratia praecessorum, successoribus omni tempore liceat inferre calumniam: quia nullo tempore ecclesia debet suum ius amittere praeter mobilem possessionem, ut est aurum, argentum, contractus vestes aut pecora aut domus.“ 181 Capitula Olonnense (822–823), cap. 1, MGH Cap. I, Nr. 157: „Si quis episcopus aut propinquitatis affectu aut muneris ambitione aut causa amicitiae senodochia aut monasteria vel baptismales ecclesias suae ecclesiae pertinentes cuilibet per enfitheuseos dederit se suosque successores poena multandos conscripserit, potestatem talia mutandi rectoribus ecclesiarum absque poenae conscriptae solutione concedimus.“ 182 Capitula e conciliis excerpta (826/827?), cap. 4, MGH Cap. I, Nr. 154: „Ecclesiae antiquitus constitutae nec decimis nec aliis possessionibus priventur, ita ut novis oratorii tribuatur.“, auch cap. 15: „Ut ecclesiae antiquitus constitutae nec decimis nec alia ulla possessione prioventur.“ 183 Capitulare ecclesiasticum (818, 819), cap. 12, MGH Cap. I, Nr. 138: „Sanccitum est de villis novis et ecclesiis in eisdem noviter constructis, ut decimae de ipsis villis ad easdem ecclesias conferantur.“ 184 Episcoporum ad Hludowico imperatorem relatio (ca. 820), cap. 5, MGH Cap. I, Nr. 178.

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gefährden, denn mit ihnen konnten Teile der Kirchenorganisation der Kontrolle kirchlicher Instanzen entzogen werden. Um dem entgegenzuwirken, musste also der Bischof aus dem Gut seiner Kirche diese Ortskirchen unterstützen.185 Das wiederum beeinträchtigte die Handlungsfähigkeit der Bischofskirche. Das kirchliche Prinzip der Subsidiarität als Voraussetzung für die Funktion kirchlicher Ordnung geriet damit in Gefahr. Schon recht früh wurde daher in einem Kapitular gefordert, dass eine jede Kirche über einen von weiteren Belastungen freien Hof verfügen müsse und der Priester keinen Dienst außer den kirchlichen zu leisten habe.186 Ergänzend wurde erläutert, „Ut omnis homo liber potestatem habeat, ubicumque voluerit, res suas dare pro salute animae suae.“187 So wurde entgegen den wohl immer noch üblichen Rechtsgewohnheiten die Existenz persönlichen Eigentums postuliert. Wenn auch in der Praxis die Familie längst nicht mehr (oder noch nie?) mit aller Konsequenz als gesamthänderischer Eigentümer auftrat, so bestanden doch die auch dem römischen Recht geläufigen Rechte der Familienmitglieder und Nachkommen am Vermögen. Das ist ja auch der Grund für die obligatorischen Konsensformeln, mit denen die Zustimmung v. a. unter Eheleuten erklärt wird, und für die Konsensunterschriften von künftigen Erben in Urkunden über Vermögensvergaben. Zur Erleichterung von Stiftungen wird in einem italischen Kapitular eine jedenfalls im Frankenreich übliche Vorgehensweise gerechtfertigt, nämlich die Übertragung von Vermögen „locis Deo dicatis“ unter Erhalt des Besitzes am abgetretenen Eigentum.188

185 Ebenda: „Haec vero omnia quae inde exigere solent non de suo aliquo beneficio sed solummodo de altari et parietibus ecclesiae ab episcopo Deo dicatis dari sibi agunt.“ 186 Capitulare ecclesiasticum (818/819), cap. 10, MGH Cap. I, Nr. 138: „Sanccitum est, ut unicuique ecclesiae unus mansus integer absque alio servitio adtribuatur, et presbyteri in eis constituti non de decimis neque de oblationibus fidelium, non de domibus neque de atriis (areis) vel hortis iuxta ecclesiam positis neque de praescipto manso aliquod servitium faciant praeter ecclesiasticum.“ Im Hinblick auf Eigenkirchen vgl. STUTZ, Geschichte des kirchlichen Benefizialwesens [1895] 1961, 254 f. – Hinzu tritt eine Bestimmung von 829, nach der der Zehnt keiner fremden Kirche gegeben werden durfte, Capitulare Wormatiense (829), cap. 6, MGH Cap. II,1, Nr. 191, S. 13. 187 Capitula legibus addenda (818/819), cap. 6, MGH Cap. I, Nr. 139. Ob sich das auf die Auswahl der Empfänger auch in der Weise bezieht, dass eine Vergabe an die Eigenkirche eines anderen möglich wurde und so vielleicht die Eigenkirche zu einer rechtsfähigen Kirche werden können sollte, muss offen bleiben. 188 Capitulare Olonnense ecclesiasticum primum (825), cap. 3, MGH Cap. I, Nr. 163: „Volumus ut res quae a liberis personis locis Deo dicatis conferuntur, licet sibi usum fructum et ordinationem earundem rerum, si aliter sibi placuerit, reservent, si aliter eas non ordinaverint, ita maneant sicut prius datae fuerunt.“ Eine Trennung von Besitz und Eigentum wird hier vorgenommen, wenngleich die Autoren vermutlich nicht exakt in diesen Kategorien dachten.

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2.3.3 Wahl des Abtes und herrscherlicher Einfluss In den Bestimmungen zur Wahl des Abtes eines Klosters manifestiert sich ein wesentlicher Aspekt des kirchlichen Subsidiaritätsgebotes, das von herrscherlicher Seite aufgegriffen, ein Hauptmerkmal der karolingischen Staatlichkeit zeigt, nämlich die geordnete – mithin eingeschränkte – Autonomie der einzelnen Verbände. Zahlreiche Klöster in der Nähe der karolingischen Herrscher hatten die freie Abtwahl verliehen bekommen, die für die frühere Zeit als besondere Auszeichnung zu verstehen und als Zeichen besonderer Nähe anzusehen ist. Dabei bleibt es auch in der Zeit Ludwigs des Frommen. Darüber hinaus wird in einem Kapitular eben dieses Recht grundsätzlich für Klostergemeinschaften verkündet,189 wie es ja auch in der von Ludwig dem Frommen geförderten Benediktsregel verlangt wird. In einer Stellungnahme der Väter eines Konzils dieser Zeit wird dasselbe Recht zugestanden, jedoch ausdrücklich der Konsens des Bischofs zur Bedingung erklärt.190 Warum also wird ein grundsätzlich zugestandenes Recht dennoch vom Herrscher einzeln verbrieft, und warum wird ein Instrument der besonderen Förderung einzelner Klöster von einem allgemeinen Rechtszugeständnis überlagert? Einmal ist festzuhalten, dass die Kapitularien keine Gesetzeskraft erlangen konnten und ihre Wirkung im Einzelnen unterschiedlich, im Ganzen kaum genau zu bezeichnen ist. Das allein rechtfertigt ein Fortsetzen der Einzelprivilegierung. Außerdem enthalten die Klosterprivilegien ja auch oft die Verleihung oder Bestätigung von Immunitätsrechten. Ludwig der Fromme hatte bei Antritt seiner Herrschaft befohlen, sämtliche Klosterprivilegien einzuziehen, um sie neu auszugeben. Die neue Fassung des Formulars für die Klosterprivilegierung verband Immunität mit königlichem Schutz.191 Damit institutionalisierte er eine ohnehin karolingische Gewohnheit, nämlich die Herstellung von Nähe zum Herrscher über die Verleihung von Privilegien. Nun wird es expressis verbis schriftlich niedergelegt. Damit erfährt auch die Verleihung der freien Abtwahl neben der sachlichen Qualität den Charakter einer Schutzbestimmung. Denn, wenn ein Kloster auf diese Weise, nämlich durch „persönliche“ Beachtung, zu diesem Recht gelangt, signalisiert das für alle erkennbar, dass hier der herrscherliche Einfluss besteht! Die Verleihung der freien Abtwahl bedeutet, wie bereits dargelegt, die Einflusssicherung des Herrschers in

189 Capitulare ecclesiasticum (818/819), cap. 5, MGH Cap. I, Nr. 138: „Monachorum siquidem causam qualiter Deo opitulante ex parte disposuerimus et quomodo ex se ipsis sibi eligendi abbates licentiam dederimus [. . .].“ Vgl. dazu die Annahme von Dieter GEUENICH, „Anianische Reform“ 1998, 108 f., dass es diese Universalprivilegierung nur als „Beschlussvorlage“ gegeben habe, die Regel also nie veröffentlicht worden sei. 190 Episcoporum ad imperatorem de rebus ecclesiasticis relatio (nach 821), cap. 9, MGH Cap. I, Nr. 179, zugleich Concilium in Francia habitum (816–829?), can. 10, MGH Conc. II,2, Nr. 48, S. 591: „[. . .] eligendus est inter eos vir modestus et prudens una cum consensu episcopi civitatis [. . .].“ 191 SEMMLER, Renovatio Regni Francorum 1990, 128 f.

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besonderem Maße. Ihm zu gefallen, den genehmen Abt zu erheben, musste für die Klostergemeinschaft eine vorrangige Aufgabe bei der Wahl sein. Diese Bedeutung der „persönlichen“ Verleihung freier Abtwahl durch den Herrscher bleibt bestehen. Dass aber das Wahlrecht der Klostergemeinschaft durch Ludwig den Frommen generell verkündet wird, bedeutet daneben, dass vermutlich die herrscherliche Stellung soweit ausgebaut war, dass bei Durchsetzung der Regel den kaiserlichen Kandidaten für die Abtwürde im gesamten Frankenreich der Vorrang gebühren würde, allein schon um weitere Autonomie gegenüber den jeweiligen Bischöfen zu gewinnen.192 Er setzt damit die Klosterpolitik seiner Vorgänger konsequent fort. Manches aber spricht dafür, dass der Erfolg letztlich ausblieb, vermutlich wegen der Ende der 20er Jahre immer deutlicher werdenden Krise der Königsherrschaft. Wie eine Abtwahl dieser Zeit ablaufen konnte, zeigen die Gesta abbatum Fontanellensium zur Beachtung einer letztwilligen Verfügung des Abtes Wando von St. Wandrille, der „una cum consensu ac generali fratrum voluntate“ seinen Nachfolger erwählte, bei dem es sich um den „praepositus huius coenobii“ handelte, der also sicher von Wando bereits entsprechend gefördert worden war. Nach vollzogener Wahl wurde die Bitte an den Hausmeier Pippin den Jüngeren gerichtet, der gemeinsamen Wahl zu entsprechen und „ut [. . .] suaque ex auctoritate idem Austrulfus coenobio huic praeficeretur.“193 Bei St. Wandrille handelte es sich um ein Kloster, dass bereits vor dem Königtum Pippins den Karolingern nahestand und von diesen massiv gefördert wurde. In dieser Passage steckt sicher manches an authentischer Information zu der konkreten Wahl. Es ist aber anzunehmen, dass der Vorgang durchaus den Gepflogenheiten der Zeit Ludwigs des Frommen entspricht, da der Abt, der auf diese Weise seine Nachfolge regelte, zu den guten Äbten in der Darstellung der Geschichte des Klosters gehört und sicherlich mit dieser Darstellung ein gutes Beispiel geboten werden sollte, etwa in der Betonung des Gesamtkonsenses in der Klostergemeinschaft. Es ist also – unter gewissen Vorbehalten – zu erschließen, dass die freie Wahl des Abtes nicht die Autorität von Vorgänger und Herrscher bzw. weltlichem Patron ausschloss. So erklärte sich auch die Diskrepanz zwischen dem Gebot der freien Abtwahl, wie es in der frühen Reformgesetzgebung Ludwigs des Fommen verfügt wurde, der häufigen Privilegienverleihung zu derselben und auf der anderen Seite den geradezu typischen Fällen der herrscherlichen Einsetzung von Äbten durch Ludwig den Frommen.194 Es besteht vermutlich gar kein Gegensatz zwischen diesen Erscheinungen, sondern ein geordnetes Zusammenspiel. Gegenüber der scheinbaren

192 Vgl. SEMMLER, Renovatio Regni Francorum 1990, 134, der in der „ex seipsis eligendi licentia“ die „Einfügung [. . .] dieser Kirchen in die fränkische Reichskirche“ sieht, und auf die Gewohnheit „der kaiserlichen Amtseinweisung des Bischofs oder Abtes“ verweist. 193 Gesta abbatum Fontanellensium, ed Loewenfeld, 1886, cap. 13, S. 39. 194 Auf diese Diskrepanz machte GEUENICH, Stellung und Wahl des Abtes 1988 aufmerksam.

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Gegensätzlichkeit der Befunde scheint doch die Vermutung bedenkenswert, ob nicht die „freie Abtwahl“ in der Auffassung des frühen Mittelalters die Mitwirkung der „Autoritäten“ in der Form des Konsenses bedingte. So wäre mit der freien Abtwahl kein vermeintlich „demokratisches“ Recht formuliert worden, sondern das Recht dessen über etwas, das ihn betrifft, und zwar in dem Maße, in dem es ihn betrifft.

2.3.4 Gehorsam und Konsens Über das Innenverhältnis der Klostergemeinschaft der Karolingerzeit lässt sich viel vermuten, jedoch wenig Sicheres feststellen.195 Sicher ist der monarchische Grundgedanke der Regeln, mehr oder weniger stark ausgeprägt, sicher ist auch das monarchische Ideal der karolingischen Autoren, selbst oft Äbte oder Bischöfe, die von dem propagierten monarchischen Grundprinzip selbst profitierten; gleiches gilt für die Konzilsväter dieser Zeit. Auch von herrscherlicher Seite wird ebendieses Ideal propagiert. Diese Interessenlage sorgt allein schon dafür, dass das klösterliche Innenverhältnis weitgehend im Dunkel bleibt. Sicher ist auf der anderen Seite aber auch, dass der Beitritt zu einer Klostergemeinschaft in aller Regel freiwillig war (sieht man einmal von familiärem Druck ab) und sich die Klostergemeinschaft zu Teilen aus Mönchen vornehmer Herkunft zusammensetzte, die es gewohnt waren, Einfluss geltend zu machen. Unter diesen Bedingungen ist es sehr unwahrscheinlich, dass die Klostergemeinschaft der unumschränkten Herrschaft des Abtes uneingeschränkt unterstand. Und tatsächlich gibt es Einschränkungen der in den Klosterregeln, u. a. der Benediktsregel, festgesetzten Gehorsamspflicht. Es wird zwar grundsätzlich nicht auf die Forderung nach Erfüllung der Pflicht selbst verzichtet. Das würde das theologische und ekklesiologische System des klösterlichen Mönchtums in den Grundfesten erschüttern. Es ist die Konsensforderung zahlreicher Klosterregeln, die den Weg zu einem ausgeglichenen Verhältnis zwischen Abt und Mönchen bereitet.196 Dieses Prinzip der Entscheidung im Konsens bindet den Abt vor der Entscheidung, so dass die Entscheidung selbst von der Klostergemeinschaft als Gesamtheit mitgetragen werden kann. Dabei gibt es sehr wohl Abstufungen unter den Mönchen, wie eine einzigartige Quelle zur inneren Ordnung des Klosters nahelegt: Die Gesta abbatum Fontanellensium berichten nämlich von einer in den Mönchsregeln und nach älteren Konzilsbeschlüssen geradezu verbotenen Hierarchisierung unter den Mönchen bei der Beratung des Abtes Ansegis über sein Testament: „ [. . .] moxque convocatis

195 Einen tieferen Einblick geben jedoch Konflikte; vgl. PATZOLD, Konflikte im Kloster 2000. 196 Vgl. grundsätzlich FELTEN, Herrschaft des Abtes 1988.

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domesticis ac fidelibus seu intimis suis, hanc rerum suarum distributionem gratuito animo facere curavit.“197 In seinem Testament, mit dem er einiges Vermögen verteilte, das ja offensichtlich kein Kirchengut war, bedachte er nicht nur sein Kloster St. Wandrille, sonder auch eine ganze Reihe weiterer Klöster. Neben dem bemerkenswerten persönlichen Eigentum des Abtes fällt auf, dass er Vertraute hatte, die sicher nicht nur außerhalb seines Klosters zu suchen sind, also vermutlich bevorzugte Personen unter den Mönchen waren. Das Innenverhältnis der Klostergemeinschaft bleibt trotz solcher Hinweise und aller Plausibilität so unzugänglich wie das einer adeligen Familie. Eines aber zeigen auch die Gesta abbatum Fontanellensium deutlich, nämlich dass für den Abt die Pflicht bestand, seine Entscheidungen im Konsens zu treffen. So wird ebendieser Abt Ansegis gerühmt, dass er eigens für die Beratungen mit den Mönchen ein eigenes Gebäude errichtet habe.198 Der frühere Abt Raganfried wollte nichts „ad consulta fratrum agere“. Das und weiteres tyrannisches Verhalten, das auf den ersten Blick eigentlich auch von der Benediktsregel gedeckt wird, brachte die Mönche dazu, drei aus ihrer Mitte zu wählen, die sich an den Herrscher, Pippin, wenden sollten, mit der Bitte, sie von diesem Tyrannen zu befreien. Und tatsächlich, berichten die Gesta abbatum Fontanellensium, wurde der Tyrann seiner Abtwürde entkleidet.199 Auch außerhalb des Mönchtums wurde in kirchlichen Angelegenheiten Wert auf Konsens gelegt. Auf dem Konzil von Rom von 826 wurde beschlossen, dass Bischöfe bei der Besetzung von Priestern von der Bischofskirche eigenen Kirchen auf den Konsens der dort Wohnenden Rücksicht nehmen sollten.200 Auf dem Konzil von Aachen von 816 wurde nach Isidor von Sevilla die grundsätzliche Möglichkeit eingeräumt, dass ein Kirchenleiter, der von Glauben abweiche, von seinen Untergebenen angeklagt werden dürfe, nicht jedoch gerichtet.201 Die Belege sprechen eindeutig dafür, dass es ein Innenverhältnis bei Kirchen und Klöstern gab, seine Beschaffenheit indes lässt sich nur sehr schwer nachvollziehen.

197 Gesta abbatum Fontanellensium, ed. Loewenfeld, 1886, cap. 17, S. 57. 198 Gesta abbatum Fontanellensium, ed. Loewenfeld, 1886, cap. 17, S. 55: „Iussit praeterea aliam condere domum iuxta absidam basilicae sancti Petri ad plagam septentrionalem, quam conventus sive curia, quae Grece beleuterion dicitur, appellari placuit, propter quod in ea consilium de qualibet re perquirentes convenire fratres soliti sint; ibi nanque in pulpitio lectio cotidie divina recitatur, ibi quicquid regularis auctoritas agendum suadet, deliberatur.“ 199 Gesta abbatum Fontanellensium, ed. Loewenfeld, 1886, cap. 12, S. 35 f. 200 Concilium Romanum (826), can. 7, MGH Conc. II,2, S. 570: „De sacerdotibus in subiectis baptismalibus plebibus constituendis. [. . .] convenit enim in eis ibidem habitantium sibi adhibere consensum.“; in der Kurzfassung, ebenda, (B,F,G,L), can. 8, S. 571: „Plebani presbyteri reverentius ordinetur et eum consensu plebis.“ 201 Concilium Aquisgranense (816), can. 31, MGH Conc. II,1, S. 352 f.

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2.3.5 Kirchliche Verbände und herrscherliche Organisation Die Struktur der Kirchenverbände ist in dieser ersten Zeit Ludwigs des Frommen noch wenig entwickelt. Zwar wird von herrscherlicher Seite besonderer Wert darauf gelegt, dass auf den Kirchenversammlungen der Provinz neben den Bischöfen auch die Äbte und Grafen erscheinen,202 letztlich behielten die Bischöfe dann aber doch das eindeutige Übergewicht in den Versammlungen. Es scheint aber auch hier das Konzept der konsensualen herrschaftlichen Ordnung durch. Dabei scheinen die Bischöfe [?] unter Beibehaltung des Konsensprinzips – auch sie fordern die Teilnahme aller Äbte – auch selbst an jährlichen Versammlungen interessiert gewesen zu sein.203 Der monarchische Zug innerhalb der karolingisch geprägten Gesellschaft stärkt auch die Stellung des Metropoliten.204 Es wird jedoch in einem Kapitular, also von herrscherlicher Seite, zwar die alte Bestimmung erneuert, dass die Bischöfe in ihren Amtsbereichen „nihil novi audeant facere [. . .] sine conscientia et consilio sui metropolitani“, ergänzt wird aber: „nec metropolitanus sine eorum concilio“.205 Ganz im Sinne des Herrschers wird auf der einen Seite eine „Befehlsstruktur“ eingerichtet, deren Spitze der Kaiser ist,206 andererseits werden aber Mechanismen gefördert, die den Verband auch ohne herrscherliche Befehle erhalten. Aus einem Brief Papst Leos III. geht klar hervor, auf welche Weise die Einrichtung des Metropoliten erneuert worden war, nämlich mit herrscherlicher Autorität und keinesfalls mit Beteiligung der Bischofsversammlung: [. . .] una cum consilio et consensu excellentissimi filii nostri domni Karoli regis Francorum et Langobardorum atque patricii Romanorum renovavimus statuta sanctorum patrum et secundum traditiones canonicas constituimus vobis metropolitanam sedem eisque pastorem ordinavimus dignum et canonicum archiepiscopum [. . .].207

Dieses Verfahren ist ja auch aus der Zeit des Bonifatius bekannt. Das Amt des Metropoliten wurde also mit seiner Wiedereinrichtung zu einem Herrschaftsamt, das dem Bischofsamt übergeordnet sein sollte. Dennoch bedeutete seine Wiedereinrichtung letztlich eine Stärkung der kirchlichen Organisation, da die Bischöfe sich mit 202 Concilium in Francia habitum (818/819–829?), MGH Conc. II,2, S. 594. 203 Episcoporum ad Hludowicum imperatorem relatio (820), cap. 1, MGH Cap. I, Nr. 178. 204 Wenn etwa von einer Zusammenkunft der Bischöfe mit ihrem Metropoliten die Rede ist: „cum suo metropolitano“, ebenda und Ansegis, Capitularium I,13, ed Schmitz, S. 448. 205 Ansegis, Capitularium I,8, ed. Schmitz, S. 447. – Die Erhebung des Candidianus zum Patriarchen von Aquileia gegen Johannes ohne Zustimmung der künftigen Mitbischöfe um die Wende zum 7. Jahrhundert wird auf der Synode von Mantua von 827 als ein wesentlicher Grund für die Unrechtmäßigkeit dieser Wahl angegeben, Concilium Mantuanum (827), MGH Conc. II,2, Nr. 47, S. 583–589, 586, Z. 5 ff.: „Hic enim Candidianus nec per consensum comprovintialium episcoporum nec in civitate Aquileia [. . .], contra canonum statuta et sanctorum patrum decreta ordinatus est.“ 206 PRINZ, Episcopat zwischen Merowinger- und Karolingerzeit 1981, 128 spricht von „einer karolingischen Befehlsstruktur innerhalb der Kirchenorganisation“. 207 Epistola Leonis Nr. 5, MGH Epp., S. 60–63, 61.

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der Veränderung der kirchlichen Ordnung auseinandersetzen mussten, sich dem neuen Vorgesetzten aber nicht in der gewünschten Weise unterwarfen, wie im Fall der bayerischen Bischöfe, die sich weigerten, die umfassende Herrschaftskompetenz ihres Vorgesetzten anzuerkennen.208 Außerdem wurde der Kirchenverband auch von herrscherlicher Seite instrumentalisiert, wenn etwa Bischöfe aufgefordert wurden, Äbte auszuwählen, um Klöster zu inspizieren.209 Die innere Autonomie des Kirchenverbandes wurde daher auch weitgehend geschützt, denn der Zugriff darauf sollte – außer dem Herrscher – niemandem möglich sein. So wurde in einem Kapitular bestimmt, dass weder Bischof noch Abt einen Sachwalter des Grafen zum Advokaten haben durften.210 Die kirchliche Organisation machte sich der Herrscher – auch Ludwig der Fromme – für die Ordnung des Frankenreiches systematisch zu Nutze. Nicht allein die zahlreichen herrscherlichen Bestimmungen zu kirchlichen Angelegenheiten sind ein Zeichen dafür, sondern auch manche Einzelbestimmungen, mit denen kirchliche und herrscherliche Organisation verschränkt werden sollten. Die Verknüpfung von Reich und Kirchen findet einen frühen Niederschlag in einem undatierten Beschluss einer Kirchenversammlung dieser Zeit, der den „status regni et rei publicae“ zum Thema macht.211 Eine Frau, die vorgab, Nonne zu sein, und entdeckt wurde, hatte nach einem italischen Kapitular keinen Anspruch auf ihr Vermögen, „sed eius possessio fisco redigatur“, während sie selbst dem Richterspruch des Bischofs unterliegen sollte.212 Die Erhaltung und Instandsetzung der Kirchen wird nach einem frühen Kapitular Ludwigs des Frommen nicht der Zuständigkeit der Kirchen selbst überlassen, sondern sollte anteilig von Graf und Bischof bzw. Abt bestritten werden, wobei die jeweiligen Anteile unter Hinzuziehung eines königlichen missus zwischen dem Graf und Bischof bzw. Abt auszuhandeln waren.213 Das heißt, dass die Vertreter der herrscherlichen Organisation Einfluss auf kirchliche Finanzangelegenheiten nehmen können sollten, in einem Bereich nämlich, der für die herrscherliche Organisation offensichtlich von einiger Bedeutung war. Merkwürdig ist ein herrscherlicher Beschluss zum Kirchengut, der anders als eine Forderung Karls des Großen, der das Amtsverständnis der Kirchen auf die herrscherliche Organisation übertragen wollte, die Übertragung in umgekehrter Richtung verlangt. Dabei sollte die Eigentumssicherung des 208 Epistola Leonis Nr. 5, MGH Epp., S. 60–63. 209 Capitula de inspiciendis monasteriis, MGH Cap. I, Nr. 160. 210 Capitulae missorum (819), cap. 19, MGH Cap. I, Nr. 141: „Ut nullus episcopus nec abbas nec comis [sic!] nec abbatissa centenarium comitis advocatum habeat.“ 211 Concilium in Francia habitum (816–829?, ca. 825), cap. 15, MGH Conc. II,2, S. 592. 212 Capitulare Olonnense (822–823), cap. 5, MGH Cap. I, Nr. 157. Vgl. Memoria Olonnae comitibus data (822, 823), cap. 6, MGH Cap. I, Nr. 158, S. 319: „De sanctemoniales feminas statuimus, si adulterium fecerint et inventum fuerit, res quas habet fisco socientur, persona vero eius sit in potestate episcopi in cuius parrochia est, ut in monasterio intromittatur.“ 213 Capitula per se scribenda (818/819), cap. 5, MGH Cap. I, Nr. 140.

2.3 Konsolidierung der Kirchenorganisation und Krise des Königtums

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Kirchengutes bis zu einer späteren Klärung analog zum Verfahren beim königlichen Fiscus erfolgen.214 Eine Präzisierung erfuhr die Bestimmung noch im selben Jahr. So geht es bei der „Ausführungsbestimmung“ ausschließlich um Gut, das über dreißig Jahre ohne Einspruch besessen wurde. Zu seiner Feststellung sollten keine Zeugen nötig sein, „sicut res ad fiscum dominicum pertinentes contineri solent.“215 Diese grundsätzliche Privilegierung der Kirchen, deren Eigentum damit aus einer privatrechtlichen Sphäre in eine „öffentliche“ überführt wurde, ist ein wesentlicher Schritt zur Verschränkung der Organisationen, die mit dieser Bestimmung als zwei Träger von Staatlichkeit erscheinen. Der Gebrauch der Begriffe „öffentlich“ und „privat“, sowie explizit des Begriffes „privatrechtlich“ rechtfertigt sich aus der Bestimmung selbst, da nämlich das Eigentum einer Person dem Eigentum von Institutionen der herrscherlichen und kirchlichen Organisationen in seiner Sicherheit nachgeordnet wurde, eine mögliche Klage gegen kirchliche oder herrscherliche Institutionen in einem anderen rechtlichen Zusammenhang angesiedelt gewesen wäre als eine entsprechende Klage gegen eine andere (Privat-)Person. Wie wichtig funktionsfähige Kirchenverbände für den Herrscher und die herrscherliche Organisation waren, zeigen Schreiben Ludwigs des Frommen an zwei Metropoliten, in denen es um die Verbreitung und Durchsetzung von Konzilsbeschlüssen geht.216 Ludwig nutzt die kirchliche Hierarchie als herrscherliche Infrastruktur, wenn er die Metropoliten mit der Umsetzung von Canones betraut, die unter seinem Vorsitz beschlossen worden waren. Er instrumentalisiert die kirchlichen Verbände zur Umsetzung kirchlicher Beschlüsse, die offensichtlich in seinem herrscherlichen Interesse liegen. Dabei behandelt er die Metropoliten als Befehlsempfänger in kirchlichen Angelegenheiten, die wiederum seine Anordnungen an die ihnen nachgeordneten Bischöfe und Prälaten weiterzugeben hatten. Zum Schluss der Briefe verlangt Ludwig auf der Basis ihres „ministerium tibi divino munere conlatum“ von den Metropoliten Gehorsam seinem Befehl gegenüber, die Konzilsbeschlüsse umzusetzen.217 Als Basis dieser

214 Capitulare missorum (829), cap. 1, MGH Cap. II, Nr. 188, S. 9 f.: „Volumus ut omnes res ecclesiasticae eo modo contineantur, sicut res ad fiscum nostrum contineri solent, usque dum nos ad generale placitum nostrum cum fidelibus nostris invenerimus et constituerimus, qualiter in futurum de his fieri debeat.“ 215 Capitulare Wormatiense (829), cap. 8, MGH Cap. II, Nr. 191, S. 13. 216 In einem der Schreiben wird ausdrücklich dem Metropoliten befohlen, für die Verlesung der Beschlüsse vor den Bischöfen zu sorgen: „[. . .] per quas iubemus ut, memor admonitionis nostrae, suffraganeos tuae dioceseos loco et tempore competenti ad te convocare studeas et eandem institutionem per singula capitula coram ecclesiasticis ordinibus praelegi facias [. . .].“, Ludwig an Magnus von Sens (Hludowici ad archiepiscopos epistolae. 816–817), MGH Cap. I, Nr. 169, S. 339, Z. 17 ff. 217 Ludwig an Sicharius (Hludowici ad archiepiscopos epistolae. 816–817), MGH Cap. I, Nr. 169, S. 342, Z 35 ff.: „Tuam igitur in calce huius epistulae admonemus sanctitatem, ut secundum ministerium tibi divino munere conlatum nostrae in hoc negotio saluberrimae admonitioni oboedienter atque inexcusabiliter pareas et ceteris in parendo exemplum bonum tribuas.“

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Stellung des Königs gegenüber den Metropoliten gibt Ludwig seine Mitwirkung bei ihrer Bestellung an: „[. . .] iuxta metropolitanae sedis tibi canonice conlatam dignitatem nostraeque auctoritatis sanctionem.“218 Die Bischöfe und Prälaten sieht Ludwig als Befehlsempfänger des Metropoliten: „[. . .] dioceseos tuaeque episcopos et caeteros ecclesiae praelatos tempore et loco congruenti ad te arcersire facias [. . .].“219 Damit nicht genug, versichert sich Ludwig des Erfolges seiner Anweisungen mit der Mitwirkung der herrscherlichen missi. Und zwar begründet er den Einsatz dieses herrscherlichen Instruments mit seiner eigenen Gottesunmittelbarkeit, wenn er schreibt: „[. . .] missos nostros per imperium a Deo nobis conlatum destinaverimus [. . .].“220 Bei Weigerung eines der Diözesanen, also wohl der nachgeordneten Bischöfe, sollte dieser auf Initiative des Metropoliten oder des missus zu Ludwig selbst geschickt werden.221 Hierin wird die Rolle des herrscherlichen Gesandten als Instanz zur Kontrolle auch des Metropoliten deutlich. In diesem Schreiben ist von einer Krise der herrscherlichen Stellung noch nichts zu verspüren. Bei näherem Hinsehen zeigt sich aber die herrscherliche Gratwanderung. Auf der einen Seite braucht er gerade zur Instrumentalisierung der kirchlichen Organisation für die Herstellung herrscherlicher Ordnung eine weitgehend autonome und funktionierende reichsweite kirchliche Ordnung, zu der die kirchlichen Verbände wesentlich gehörten. Auf der anderen Seite nutzte er die kirchliche Ordnung zur Ausführung herrscherlichen Willens, womit er die Autonomie der Kirchen und kirchlichen Verbände beschnitt. Seine herrscherliche Stellung gegenüber den Kirchen und kirchlichen Verbänden beruhte auf der Fähigkeit, diese zwar im Prinzip bestehen zu lassen, sie zugleich aber nicht als Verbände, sondern als herrscherliche „Anstalten“ zu behandeln. Dass diese kirchlichen „Anstalten“ aber nur als Verbände bestehen konnten und nur als solche die kirchliche Ordnung aufrechtzuerhalten im Stande waren, ergibt sich aus dem Fehlen nahezu jeder Anstaltsstaatlichkeit im Frankenreich und zeigte sich wenig später, da während der Krise die kirchliche Organisation an Autonomie gewann und nicht gemeinsam mit dem Herrscher an Autorität verlor.

2.3.6 Das Konzil von Paris und die Definition des Kirchengutes Am Ende dieses Abschnittes, der die ersten Jahre Ludwigs des Frommen umfasst, die Zeit nämlich vor Ausbruch der Herrschaftskrise, die sich im Jahre 829 deutlich

218 Ludwig an Sicharius (Hludowici ad archiepiscopos epistolae. 816–817), MGH Cap. I, Nr. 169, S. 339, Z. 20 f. 219 Ebenda Z. 22–24. 220 Ludwig an Sicharius (Hludowici ad archiepiscopos epistolae. 816–817), MGH Cap. I, Nr. 169, S. 340, Z. 23 ff. 221 Ebenda S. 342, 16 ff.

2.3 Konsolidierung der Kirchenorganisation und Krise des Königtums

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abzeichnete, soll ein Resümee stehen, das das Konzil von Paris gibt. In Paris wurden die für unsere Fragestellung wesentlichen Probleme noch einmal behandelt, ein letztes Mal scheinbar auf der Höhe der herrscherlichen Autorität – aber schon im Zeichen der Krise.222 Ein zentrales Thema der Konzils-Canones, die aller Wahrscheinlichkeit nach von Jonas von Orléans konzipiert und formuliert wurden,223 ist das Kirchengut. Selten wurde so ausführlich über diesen seit frühester Zeit wichtigen Punkt der kirchlichen Verwaltung verhandelt bzw. geschrieben. Dass das Kirchengut eines besonderen Schutzes bedurfte, weil es eine Basis kirchlicher Autonomie und Kontinuität darstellte, war bereits in der Alten Kirche keine Frage. Eine wesentliche Frage jedoch blieb weitgehend ungeklärt, zumindest aber nur vage oder pragmatisch beantwortet, nämlich die nach dem Eigentümer des Kirchengutes.224 Das Konzil von Paris kommt dabei zu der klaren Antwort, dass der Eigentümer des Kirchengutes Gott selbst sei.225 Im Rahmen früherer Konzilsbeschlüsse bewegt sich die Forderung eines Kanons, dass das kirchliche Vermögen nicht den Priestern gehöre. Aber schon in den Ausführungen zu dieser Bestimmung klingt etwas Neues an. Man behilft sich zunächst mit einer merkwürdigen Formulierung: „Convenit pastoribus ecclesiarum res ecclesiae possidere, non ab his possideri, ut Pomerius scribit, eas possidendo debent contempnere et non sibi, sed aliis possidere.“ Die Priester also „besitzen“ das Kirchengut nicht für sich, sondern für andere. Man könnte jetzt an die kanonische Definition des Kirchengutes als „vota fidelium, pretia peccatorum et patrimonia pauperum“ denken.226 Das aber scheint so konkret gar nicht gemeint zu sein. Es wird nämlich etwas später von dem „consortium sanctorum sacerdotum“ gesprochen, dass von einzelnen unredlichen Priestern beraubt werde.227 Hier wird also klargestellt, dass das consortium der Priester Nutznießer des Kirchengutes sein sollte, und zwar umfasst dieses consortium, das durchaus als „Schicksalsgemeischaft“ zu verstehen ist, wie aus dem Zusammenhang

222 Vgl. zum Konzil von Paris und seinem Krisenbewusstsein PATZOLD, Episcopus 2008, 149–168, dort auch weitere Literatur. 223 HARTMANN, Synoden 1989, 182.; so auch ANTON, Fürstenspiegel 2006, 12. – Zu Jonas vgl. DEPREUX, Prosopographie 1997, 276 f. 224 Das gilt auch für die Zusammenstellung von Konzilsbeschlüssen der Alten Kirche, die vermutlich aus dem Aachener Konzilsbrief des Jahres 836 stammen, ed. Gerhard Laehr, Konzilsbrief, hg. v. C. Erdmann 1931, 129–134. Ähnlich verhält es sich mit dem 823 entstandenen Liber de dispensatione ecclesiasticarum rerum des Agobard von Lyon, Migne PL 104 (1864), Sp. 227–250, neu ed. Van Acker, in: CCCM 52, 119–142, dessen Thema aber vor allem die Unverträglichkeit von Laien und Kirchengut ist; s. dazu und zur Radikalität der Anschauungen Agobards BOSHOF, Agobard 1969, 85–87. Agobards Argumentation gibt der Sakralität des Kirchenguts besonderen Raum, es macht aber nicht den Schritt zum Gottesgut als rechtliche Kategorie, wenngleich Begriffe wie „res Domini“ (cap. 26) und „res Deo sacrata“ (cap. 29) mehrfach vorkommen. 225 Concilium Parisiense (829), can. 15, MGH Conc. II,2, S. 622 f. 226 Vgl. „Die Herrscherfamilie“, Kapitel 3.2. 227 Concilium Parisiense (829), can. 18, MGH Conc. II,2, S. 624 f.

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2 Kirchenorganisation im Reich der Karolinger

deutlich wird, nicht nur die gegenwärtige Priesterschaft, sondern eben die Gesamtheit „sanctorum sacerdotum“ in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Hier kommt die Kontinuitätsfrage ins Spiel. Das Kirchengut wird damit klar als Grundlage der kirchlichen Kontinuität erkannt und auch dargestellt. In dem bereits zitierten Satz: „Quod nulli sacerdotum liceat res Deo dicatas sibique commissas utpote proprias tractare [. . .]“ liegt nicht nur die in diesem Kanon ausgeführte Definition des Kirchengutes als Gottesgut, sondern zugleich seine Sanktion. Diese Sanktionierung des Kirchengutes war seit der Antike in Konzilsbeschlüssen immer wieder angeklungen, ohne dass daraus offen der Schluss gezogen worden wäre, dass Gott tatsächlich als rechtsrelevanter Eigentümer anzusehen sei. Als Eigentümer bei Vergaben jedweder Form in merowingischen und karolingischen Urkunden wurde in aller Regel die geistliche Gemeinschaft angegeben,228 niemals jedoch Gott selbst. Das änderte sich natürlich nicht grundsätzlich nach dieser Definition des Konzils von Paris bzw. des Jonas von Orléans, denn bei Vergaben an geistliche Gemeinschaften stand nicht das Eigentum im Vordergrund, sondern der Besitz. Es kam schließlich darauf an, den neuen irdischen Besitzer zweifelsfrei zu bezeichnen, um das Rechtsgeschäft Bestand haben zu lassen. Vielleicht dominieren deshalb bei diesen Vergaben auch Formulierungen wie „trado atque transfundo perpetualiter ad possidendum“.229 Die Sanktion der göttlichen Sphäre erfährt mit dem Gebrauch des ehemals heidnisch-antiken Weihe-Begriffs „dicare“ eine neue Qualität. Das Konzil von Paris nutzt diesen Begriff zum Schutz von Kirchengut, wie oben dargelegt, aber auch zur Bezeichnung von Personen, die in Gottes Sphäre übertreten wollten („De se sacrari expostulaverunt“)230 und zu Orten und Kirchen der göttlichen Sphäre, etwa bei der Erläuterung des Verbots der Kumulation von Ämtern bei Priestern.231 Mit der Sanktionierung von Kirchengut als Gottesgut geht einher, dass auch von einem sacerdotale ministerium gesprochen wird,232 das tatsächlich als Amt aufgefasst wird. Die vollständige Trennung der Person des Priesters von seinem Amt ist theoretisch vorbereitet. Damit bekommt die Erneuerung des Verbots der Vergabe von Kirchengut durch den Bischof eine neue Qualität.233 Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch das Verbot des Nebenerwerbs von Priestern, die sich weder mit Landwirtschaft noch mit weltlichen Geschäften abgeben durften.234 Sie werden eben begriffen als „Deo sacrati“. Die Sanktion und ihr theoretisches

228 DORN, Landschenkungen 1991, 178 f. 229 Z. B. Gislebert an die Abtei Prüm, 777, Urkundenbuch zur Geschichte der mittelrheinischen Territorien I, ed. Heinrich Beyrer, Koblenz 1860, Nr. 31, S. 36. 230 Concilium Parisiense (829), can. 44, MGH Conc. II,2, Nr. 50, S. 638 f. 231 Concilium Parisiense (829), can. 48, MGH Conc. II,2, Nr. 50, S. 642 f. 232 Concilium Parisiense (829), can. 16, MGH Conc. II,2, Nr. 50, S. 623. 233 Ausführlich Concilium Parisiense (829), can. 17, MGH Conc. II,2, Nr. 50, S. 624. 234 Concilium Parisiense (829), can. 28, MGH Conc. II,2, Nr. 50, S. 630 f.

2.3 Konsolidierung der Kirchenorganisation und Krise des Königtums

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Konzept begründen eines neue, weil reflektiertere Auffassung vom kirchlichen Amt. Es wird eben nicht nur die Trennung von Amt und Person verlangt und begründet, sondern auch eine Ausschließlichkeit verlangt, mit der der Priester als Privatperson weitgehend verschwindet, irrelevant wird. Sein Handeln findet der Forderung nach ausschließlich als Amtsträger statt. Ähnlich wie zum Kirchengut steht der kirchliche Hirte zur Gemeinde, die er als „sibi commissum non ut proprium, sed ut dominicum“ zu behanden und betrachten habe. Während die göttliche Sphäre in der Kanonessammlung des Konzils von Paris neu definiert wird, sodass man annehmen könnte, es fände mit der Abgrenzung der göttlichen Sphäre von einer weltlichen – ein erstes Mal wird der einleitende Satz des Gelasius zur Zweigewaltenlehre zitiert –235 zugleich eine Abgrenzung von der herrscherlichen Ordnung statt. Ganz im Gegenteil wird die herrscherliche Ordnung der kirchlichen zugeordnet. Beide Ordnungen werden als Teile der kirchlichen Ordnung definiert: Quod eiusdem ecclesiae corpus in duabus principaliter dividatur eximis personis. Principaliter itaque totius sanctae Dei ecclesiae corpus in duas eximias personas, in sacerdotalem videlicet et regalem, sicut a sanctis patribus traditum accepimus, divisum esse novimus.236

Daher sollten nach einem Kanon auch solche, die „poenitentia publica sunt multati“, weder bei einer Taufe noch „in percipiendo sancti Spiritus dono patroni existant pro aliis“.237 Die Bestimmung galt also vornehmlich für Priester. An der Bestimmung wird aber trotz dieser Einschränkung – oder aber gerade deshalb – deutlich, wie eng die beiden Teile „der Kirche“ aufeinander bezogen wurden.

2.3.7 Die neue Rolle der kirchlichen Organisation Kurze Zeit nach dem Konzil von Paris, nach dessen, ja von Jonas von Orléans verfassten, Vorstellungen der König und seine Ordnung neben der bischöflichen Ordnung stünde, wurde offenbar, wie sehr diese „Vorstellung“ der Realität entsprach. In der Krise der königlichen Herrschaft über das Frankenreich, die mit der Opposition der Söhne Ludwigs des Frommen offen ausgebrochen war, war es schließlich 235 HARTMANN, Synoden 1989, 183. – DE JONG, Ecclesia 2006, 125 und 129 weist darauf hin, dass unser Blick auf diesen Satz Implikationen enthält, die dem 9. Jahrhundert fremd waren, weil sie auf Vorstellungen des späten Mittelalters verweisen, weshalb der Satz des Gelasius eben nicht die Gewaltenteilung nach unserem Verständnis bezeichne. 236 Concilium Parisiense (829), can. 3, MGH Conc. II,2, Nr. 50, S. 610. S. zur ekklesiologischen Konzeption des Konzils ANTON, Konzept karolingischer Synoden [1979] 2002, 179 ff., der im Vergleich zu der ursprünglichen Funktion des Gelasiuszitates dieses Zitat im Kontext der Konzilsbeschlüsse untersucht hat und ebenda 199 eine „umfassende kirchlich-königliche Einheit des Gemeinwesens“ konstatiert. – Vgl. PATZOLD, Episcopus 2008, 156 f. 237 Concilium Parisiense (829), can. 54, MGH Conc. II,2, Nr. 50, S. 648 f.

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2 Kirchenorganisation im Reich der Karolinger

die Mehrzahl der Bischöfe, die die gemeinsam mit der Mehrheit der Großen und den Söhnen hergestellte Situation im Oktober 833 sanktionierten. Die Mehrheit der Bischöfe war es, die die Demission des Kaisers inszenierte und entgegennahm.238 Eine – leicht veränderte – Mehrheit der Bischöfe inszenierte dann auch die Revision der Absetzung Kaiser Ludwigs.239 Mit diesen Ereignissen war vollends sichtbar geworden, dass die kirchlichen Verbände das Rückgrat des Reiches bildeten. In beiden Ereignissen manifestierte sich die sogenannte „Reichseinheitsidee“ als politisches Ideal der kirchlichen Verbände. Zum Erhalt der „Reichseinheit“ hatten sie zuerst Kaiser Lothar gegen seinen Vater gefördert, dann aber erkannt, dass die Reichseinheit mit Lothar trotz seines Kaisertums nicht würde bewahrt werden können. Nachdem die Mehrzahl der Bischöfe 829 in Paris doch wohl die von Jonas von Orléans formulierten politischen Vorstellungen geteilt hatten, muss ihr Verhalten als konsequent angesehen werden. Die Idee von einer Universalität der Kirche in den Grenzen des Frankenreiches, also von der gesamtfränkischen Bischofsversammlung als Vertretung der gesamten Kirche verlangte um 830 ein ungeteiltes Frankenreich. Später konnte diese Idee trotz der Geteiltheit des Reiches fortbestehen. Zunächst aber stand nach den Thesen von Paris die Forderung nach der Entsprechung von Reich und Kirche im Raum („Duo quippe sunt [. . .]“). Wegen dieser wesentlichen Veränderungen in der politischen Realität sind die letzten zehn Jahre der Regierung Ludwigs des Frommen gesondert darzustellen. Hauptquelle ist dazu das Konzil von Aachen des Jahres 836.240 Dort wurde versucht, die Ordnung der kirchlichen Verbände zu sichern. Nachdem die kirchlichen Führungspersonen, unter ihnen natürlich vor allem die Bischöfe, begriffen hatten, welch ungeheure Bedeutung die neue Idee von der Universalität einer einen Kirche des Frankenreiches für jede einzelne Kirche im Frankenreich haben würde, fiel es ihnen ganz offensichtlich leicht, Abstand zu nehmen von der Beschränkung der Corpus Christi-Idee auf einzelne Bischofskirchen, wie sie bisherige theoretische Konzeptionen vertreten hatten. Es ist durchaus von einiger Bedeutung, dass die fränkische Ekklesiologie sich viel stärker an der politischen Realität als an der biblischen Vorgabe orientierte. Dort ist ja fraglos die kirchliche Einheit universal gedacht eine Einheit aller Gläubigen mit Christus – nicht so im Frankenreich. Die Kirche Christi wiederholte sich in den einzelnen Bischofskirchen, womit eine sichtbare Einheit hergestellt und bewahrt werden konnte. Nun, spätestens nach Paris, wurde die Konzeption der Bischofskirche auf die gesamtfränkische Kirche übertragen; und wieder folgte man in der Konzeption der politischen Realität. Unter Rückgriff auf Augustin und Cyprian werden in einer Rede des Florus an die

238 BOSHOF, Ludwig der Fromme 1996, 199 f. 239 HARTMANN, Synoden 1989, 189. Vgl. auch KERN, Gottesgnadentum und Widerstandsrecht [1914] 1954, 195 f. 240 Vgl. HARTMANN, Synoden 1989, 190–194. – S. zu den Akten des Konzils nun grundlegend PATZOLD, Epsicopus 2008, 211–218.

2.3 Konsolidierung der Kirchenorganisation und Krise des Königtums

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Väter des Konzils von Quierzy die Bischofskirchen bzw. Einzelkirchen als „membra“ der einen universalen Kirche hergeleitet.241 Und schon das Konzil von Aachen legt daher mit der Formulierung „communi consensu insuper censuimus“ besonderen Wert auf die Betonung der Gemeinsamkeit und Einigkeit in der Beschlussfassung.242 Die Väter des Konzils von Aachen bezeichnen die Priester, die Einzelkirchen vorstehen, in ihrer geistlichen Funktion als consortes der Bischöfe und fördern so die Subsidiarität der kirchlichen Einrichtungen.243 Kontinuität als vielleicht die wichtigste Basis der kirchlichen Organisation wurde gefördert, indem die Konzilsväter verlangten, dass die „ministri“ der Bischöfe gut über die Verwaltung des Bistums unterrichtet sein sollten, sodass sie nach dem Ableben des Bischofs die Geschäfte fortführen können sollten.244 Im Hinblick auf das Kirchengut wird erneut betont, dass die Vorsteher der Kirchen dasselbe nicht wie Eigengut behandeln sollten, sondern es sich um ihnen von Gott zur Verwaltung überlassenes Vermögen handele,245 dessen Charakter als Gemeingut hervorgehoben wird.246 Die neue Auffassung des Kirchengutes als Gottesgut und die damit verbundene besondere Sanktion desselben wird in dem Begriff „res Deo dicatas“ aktualisiert, auch wenn in den theoretischen Reflexionen über das Kirchengut dieses Moment nicht allzu sehr betont wird.247 In den letzten Jahren der Regierung Ludwigs des Frommen wird dann auch deutlich, welche Rolle die regulären herrscherlichen Eingriffe in die kirchliche Organisation spielten, nämlich in dem Versuch ihrer Regulierung durch die Konzilsversammlung von Aachen. Nach wie vor setzte der Herrscher Priester ein, wie

241 Concilium Carisiacense (838), Flori diaconi oratio in concilio Carisiacensi habita, MGH Conc. II,2, S. 775 f. 242 Concilium Aquisgranense (836), can. 40, MGH Conc. II,2, S. 714. 243 Concilium Aquisgranense (836), can. 29, MGH Conc. II,2, S. 711. 244 Concilium Aquisgranense (836), decreta, can. 11 (23), MGH Conc. II,2, S. 710. 245 Concilium Aquisgranense (836), decreta, can. 7 (19), MGH Conc. II,2, S. 709: „Similiter scire convenit praesulibus res aecclesiasticas non ut proprias, sed a Domino sibi pro aliorum necessitatibus commissas [. . .]“; unter Verweis auf Iulianus Pomerius, De Vita contemplativa II, cap. 9, dessen Autor wieder irrtümlich mit Prosper von Aquitanien angegeben wird, folgt die Standardbezeichnung des Kirchengutes als „vota fidelium, praetia pecatorum et patrimonia pauperum“. – S. zu dieser Bestimmung PATZOLD, Episcopus 2008, 214 und ebenda 157 f., Anm. 344 zu Iulianus Pomerius. Vgl. auch can. 48, ebenda S. 719 zum Kirchengut als „a Deo commisssa“, ebenfalls unter Verweis auf Iulianus Pomerius. Übrigens werden in Concilium Aquisgranense (836), can. 61, MGH Conc. II,2, S. 722 Kirchengut und kirchliche familia parallelisiert und zu einer moderaten Behandlung der familia aufgerufen. 246 „non sunt propriae, sed communes, vota videlicet fidelium, pretia peccatorum et patrimonia pauperum [. . .]“, Concilium Aquisgranense (836), can. 48, MGH Conc. II,2, S. 719. 247 Concilium Aquisgranense (836), can. 46 und 93 (Brief an König Pippin III, cap. 24), MGH Conc. II,2, S. 718 und 766, wobei im Brief an Pippin der Sanktionscharakter hervorgehoben wird: „Multa siquidem sanctorum patrum . . . qui res Deo dicatas atque sacratas nullatenus inpune auferri posse testantur.“

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2 Kirchenorganisation im Reich der Karolinger

betont wird, „cum consensu episcoporum“.248 Nachdrücklich wird Ludwig aufgerufen, bei der Einsetzung von Kirchenvorstehern verantwortlich vorzugehen, vor allem bei seinen, den königlichen Klöstern.249 Es zeichnet sich aber bereits ab, dass in dieser Zeit die Initiative zu den Konzilskanones vom Herrscher auf die Bischöfe übergegangen ist.250 Die kirchlichen Verbände sind bereits in eine neue Phase ihrer Reorganisation eingetreten. Ihnen ist mit der Schwäche der königlichen Herrschaft die Aufgabe zugefallen, die mit ihrer Hilfe und herrscherlicher (Zustimmungs-) Gewalt organisierte Staatlichkeit zu erhalten.

2.4 Die erneute Ausbildung von Kirchenstaatlichkeit im Westfrankenreich 2.4.1 Voraussetzungen und Quellen für Kirchenstaatlichkeit im Westfrankenreich Nach dem Tod Ludwigs des Frommen fanden die Teilreiche zu unterschiedlichen Formen des Politischen. Denn nun kam es nicht mehr auf eine reichsweit einflussreiche Elite an, sondern zunehmend auf die subsidiären Kräfte der Teilreiche selbst. Für die Kirchenorganisation des Westreiches jedenfalls war es ein Glücksfall, dass Karls des Kahlen Stellung in seinem Reich schwächer war, als die Stellung seiner Halbbrüder in ihren Teilreichen.251 Es konnten sich im Westfrankenreich Strukturen ausbilden, die den Vorstellungen der führenden Kirchenmänner weit eher entsprachen als dies in den anderen Teilreichen möglich war.252

248 Concilium Aquisgranense (836), cap. 30, MGH Conc. II,2, Nr. 56, S. 712. 249 Concilium Aquisgranense (836), cap. 49 f., MGH Conc. II,2, Nr. 56, S. 719. 250 Das sieht SEMMLER, Renovatio Regni Francorum 1990, S. 138 schon für die Zeit nach der Admonitio ad omnes regni ordines (823/25). 251 Zur Stellung Karls in seinem Reich s. NELSON, Charles the Bald 1992, 135 ff. 252 NELSON, Charles the Bald 1992, 134 f. betont die Rolle der Kirchen für das Westfrankenreich, legt aber den Akzent auf das gute Management des kirchlichen Systems durch Karl den Kahlen, der sich der kirchlichen Infrastruktur der Kirchen bedienen konnte, ebenda 29 f. Eine Frage, die allgemein anders beantwortet wird, als das im Folgenden geschehen wird, ist die nach den Einflussmöglichkeiten Karls des Kahlen bei Bischofswahlen. NELSON, Charles the Bald 1992, 58 bemerkt ganz nebenbei, dass der König Erzbischöfe einsetzen konnte und SCHIEFFER, Bischofserhebungen 1998, 67–69 sieht ebenfalls Karl den Kahlen als jemanden, der die Bischofswahlen weitgehend unter Kontrolle hatte. Dass der König großen Einfluß auf die Wahl des Kandidaten nahm, kann nicht bestritten werden. Der für uns entscheidende Punkt ist aber, auf welcher Basis der König Einfluss nahm, also wie diese Einflussnahme zu begründen ist. Und da unterscheidet sich die jeweilige Stellung Karls des Großen und seines Enkels wesentlich: Karl der Große brachte die Ernennung von Kirchenvorstehern weitgehend in seine Gewalt, indem er bestehende Strukturen zu seinen Gunsten beibehielt, nämlich die weit verbreitete kaum eingeschränkte Bischofsherrschaft, und indem er in Analogie für die Einsetzung von Metropoliten als Oberbischöfe sorgte. Die letzten Abschnitte der vorliegenden Arbeit dürften gezeigt haben, dass diese Strukturen im Laufe der ersten Hälfte des

2.4 Die erneute Ausbildung von Kirchenstaatlichkeit im Westfrankenreich

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Eigentlicher Grund für die Fokussierung der folgenden Kapitel auf das Westfrankenreich ist indes die Quellenlage, die ohnehin für eine ungleiche Gewichtung gesorgt hätte. Es ist also zu bedenken, dass die Ergebnisse der Untersuchungen zu den faktischen Verhältnissen nicht ohne weiteres auf die anderen Teilreiche zu übertragen sein werden. Nun ist ja die Voraussetzung für die Kirchenstaatlichkeit im Westfrankenreich ungleich besser als etwa im Ostfrankenreich, da es sich um der Antike entstammende Strukturen handelt, und gerade zur Zeit Karls des Kahlen seitens der Kirchen nicht ohne Erfolg versucht wird, Liegenschaften zurückzugewinnen, die seit der Zeit Karl Martells ihnen entzogen waren bzw. auf die sie mehr oder weniger begründete Ansprüche erhoben.253 Die Kirchenorganisation im Ostfrankenreich ist größtenteils eine Geburt der Karolinger, man denke an die Erhebung des Bischofssitzes Salzburg zur Metropole durch Leo III. auf Initiative Karls des Großen am 20. April 798.254 Die Schriften Hinkmars von Reims dominieren die Quellenlage noch stärker, als sein Handeln selbst bereits die kirchlich-politische Geschichte des Westfrankenreiches dominierte.255 Dazu gehören seine Konzilsschriften, zum Teil Texte, die die Autorität von Synoden fanden, zum Teil Streitschriften. Dazu gehören aber auch seine zahlreichen Briefe, deren größerer Teil bei dem Geschichtsschreiber der Reimser Bischöfe, Flodoard, wörtlich überliefert ist.256 Von Bedeutung für unsere Fragestellung ist auch seine Abhandlung Collectio de ecclesiis et capellis, die der Organisation und Verwaltung der Diözese gilt.257 Konsens-sanktionierte Schriften wie die Konzilsbeschlüsse, bleiben in dieser Zeit in ihrem Aussagegehalt zu unseren Fragen hinter denen des vorausgehenden Zeitraumes weit zurück. Es dominieren die Auseinandersetzungen um den Ehestreit Lothars und um die Prädestinationsfrage und die „unerhörte“ Ansicht

9. Jahrhundert der Wiedereinführung und Fortentwicklung kanonischer Regeln zum Opfer fielen, so dass Karl der Kahle seinen Einfluss nur mehr innerhalb der kirchlichen „Staatlichkeit“ wahrnehmen konnte, was er dann aber mit einigem Erfolg tat. 253 Die Entfremdung von Kirchengut unter Mitwirkung der Herrscher und die Revindikation durch die Kirchen ist ein Hauptthema der Literatur zum Kirchengut überhaupt, spielt aber für unsere Fragestellung eine untergeordnete Rolle, s. dazu v. a. LESNE, Propriété ecclésiastique II,1 1922 mit dem Titel: „Les étapes de la sécularisation des biens d’église du VIIIe au Xe siècle“ und GOFFART, Le Mans Forgeries 1966. Vgl. auch MORDEK, Hinkmar von Reims und das Landgut von Neuilly-SaintFront 1997. – S. aber NELSON, Charles the Bald and the Church [1979] 1986, 89, die die Symbiose beider Systeme klar erkennt und die wirtschaftliche Bedeutung der Kirchen für die politische Organisation des Frankenreiches dem Schutz kirchlicher Organisation gegenüberstellt. 254 BOSHOF, Salzburg und Köln 1999, 63. 255 Hierzu gehört auch seine Autorschaft für die Annalenes Bertiniani für die Jahre 861 bis 882, NELSON, Annales of St. Bertin [1981] 1990, 34 ff. – Vgl. zur Entstehung von Hinkmars Annalen MEYER-GEBEL, Arbeitsweise Hinkmars von Reims 1987. 256 Hier herangezogen in der Edition der Briefe Hinkmars, ed. Perels, MGH Epp. 8,1 = Epp. Karolini VI,1, sowie nun auch Bd. 2, ed. Schieffer, MGH Epp. 8,2. 257 S. dazu PATZOLD, Raum der Diözese 2007, 232–245.

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Gottschalks.258 Der Fall Gottschalk ist dabei der Sache nach ebenso interessant wie die Akten zu den Fällen Rothad von Soissons und Hinkmar von Laon, zeigt er doch exemplarisch das Bestehen einer kirchlichen Öffentlichkeit und Organisation auf Teilreichsebene.259 Zur Bewertung der Konzilsakten ist immer auch die mögliche Intention der Konzilsväter zu bedenken. Argumente ex silentio sind problematisch; sie können nicht als Beleg für die Nichtexistenz eines Problems dienen,260 wohl aber zeigen sie an, dass die Konzilsväter in ihrer Gesamtheit ein bestimmtes Problem nicht für erwähnenswert hielten oder aber es bewusst zu verschweigen suchten.261 Wollten sie aber einen störenden Zustand ändern, so hatten sie ihn anzusprechen.262 Neben Hinkmar und den Konzilsakten dienen auch die pseudoisidorischen Dekretalen als Quellen für den folgenden Abschnitt.263 Sie wurden bereits früh – auch von Hinkmar und verschiedenen Synoden – rezipiert und scheinen also einige Zustimmung v. a. unter einfachen Bischöfen gefunden zu haben.264 Ihren Autor möchte ich immer noch als anonym bezeichnen, obwohl es gute Argumente für Paschasius Radbertus als Verfasser gibt.265 Ihren Quellenwert haben die falschen Dekretalen

258 Zu Gottschalk und der Prädestinationsfrage s. GANZ, Debate on Predestination [1981] 1990 und MARENBON, John Scottus and Carolingian Theology [1981] 1990. 259 Belegbar anhand der Angaben über Konzilsteilnehmer. 260 So vor dem Hintergrund sozialgeschichtlicher Fragestellungen FELTEN, Konzilsakten 1993, 190 f. 261 Die Einwände von FELTEN, Konzilsakten 1993 gegen einen unreflektierten Gebrauch der Konzilsakten als Quellen für das Vorhandensein von Problemen richtet sich auf den Wert dieser Quellen für die Geschichte der sozialen und wirtschaftlichen, vielleicht auch politischen Fakten. Für unsere Fragestellungen gilt das jedoch nicht in derselben Weise, da die Konzilsakten hier als Quellen für die Interessenlage und kirchenpolitische Auffassung der Konzilsteilnehmer genutzt werden, also als das, was sie sind, Dokumente für die (im weitesten Sinne) Befindlichkeit der Kirchen und ihrer Vorsteher, gegebenenfalls reduziert auf einen kleineren gemeinsamen Nenner oder erweitert um die Erwartungen bzw. Antworten auf dieselben etwa des Königs. 262 Für die Frage der Entfremdung von Kirchengut etwa heißt das, dass das Argument mit der oppressio pauperum nicht bedeuten muss, dass es ihnen wirklich um den Schutz der Armen ging. Eine so gut eingeführte Sanktion des kirchlichen Gutes als Gut der Armen bzw. für die Armen zu gebrauchen heißt aber, einen Missstand zu bekämpfen, der unzweifelhaft in der Entfremdung bzw. mutmaßlichen Entfremdung des kirchlichen Gutes gelegen haben wird; vgl. dazu die Argumentation von FELTEN, Konzilsakten 1993, 185 f. 263 S. zu Pseudoisidor und dem Stand der Forschung s. PATZOLD, Episcopus 2008, 221–226. – Vgl. HARDER, Pseudoisidor 2014 mit der Beobachtung, dass die Stärkung des Papstes bei Pseudoisidor nicht nur Folge der Stärkung des Ortsbischofes war. Vgl. auch HARDER, Papst 2015 und ebenda 176 mit dem Hinweis darauf, dass das für Benedictus Levita deutlich anders aussieht. 264 Grundlegend zu dem gesamten Komplex FUHRMANN, Einfluß und Verbreitung 1972–1974. 265 ZECHIEL-ECKES, Auf Pseudoisidors Spur 2002. – Gerhard SCHMITZ, Synode von Aachen 2018 hat die Synode von Aachen von 836 aus dem vermeintlichen Quellenbestand Pseudoisidors herausgenommen, was nach PATZOLD, Überlegungen 2015, 156 zu einer Vordatierung auf die dreißiger Jahre des 9. Jahrhunderts führt und Steffen Patzold ebenda 170 f. veranlasst, ein plausibles Szenario um Paschasius und seinen Abt Wala zu entwerfen.

2.4 Die erneute Ausbildung von Kirchenstaatlichkeit im Westfrankenreich

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wegen ihrer weitgehenden Konsensfähigkeit in Bischofskreisen, nicht wegen ihrer Rezeption in Kirchenrechtsquellen, wenngleich in der Rezeption ein Hinweis auf die Konsensfähigkeit liegen kann.266 Die Kapitularien des Benedictus Levita werden ausgegliedert und bilden einen eigenen Abschnitt, auch weil ihre Behandlung der hier zentralen Fragen als geradezu umfassend anzusehen ist.

2.4.2 Der Bischof Der Bischof ist nach wie vor die feste Größe in der kirchlichen Organisation. Das Bischofsamt ist von eigener Qualität, weil es direkter noch als das Priesteramt in enger Verbindung zu Christus steht, da jeder Bischof in apostolischer Sukzession als Vertreter der Apostel aufgefasst wird267 und als solcher wesensverwandt mit dem Bischof von Rom ist. Und Pseudoisidor betont folgerichtig die subsidiäre Autonomie des bischöflichen Amtes auch gegen die Metropoliten. Bei aller Diskussion um die Rolle des Metropoliten im Westfrankenreich Karls des Kahlen muss doch klar sein, dass die Stellung des Metropoliten in seiner Diözese wesenhaft die eines Bischofs ist. Das konnte auch Hinkmar von Reims schlecht bestreiten. Hinkmar selbst äußert sich als Bischof zu der Zuständigkeit des Bischofs für das Kirchengut seiner Diözese. Auf der Basis älterer Konzilsbeschlüsse, sowohl der allgemeinen Konzilien der alten Kirche als auch früher gallischer und spanischer (westgotischer) Synoden268 betont Hinkmar die potestas des Bischofs. Dazu gehört die territoriale Zuständigkeit für alle Kirchen seines Amtsbereiches, auch die fremder Bischöfe.269 Die Güter, die von Gläubigen den Pfarrkirchen übergeben werden,

266 Zur Rezeption vgl. z. B. JASPER, Erzwungener Eid 2002 und LANDAU, Gratians unmittelbare Quellen 2002. 267 Hinkmar ep. 32 ad Ioannem papam Caroli nomine zum Gericht über Bischöfe, cap. IV, MPL 126, 230–244, 232: „[. . .] et totius mundi reverentia consecratis, ordinem et dignitatem episcoporum, qui locum in Ecclesia tenent apostolorum“, zur Gültigkeit dieser Auffassung s. a. HARTMANN, Synoden 1989, 416 unter Hinweis auf Ausführungen der Synoden von Mainz (813) und Paris (829). 268 Eine Renaissance westgotischer Synodalbeschlüsse beobachtet HARTMANN, Synoden 1989, 305 unter Verweis auf mögliche strukturelle Ähnlichkeiten der politischen Verhältnisse zwischen Westgotenreich und Frankenreich im 9. Jahrhundert. 269 Hinkmar, Collectio [1], ed. Stratmann, 88 f., unter anderem in einem ausführlichen Zitat des Konzils von Orange (441), can. 9, ebenda Z. 7–20, deutlicher noch ebenda S. 91, Z. 3–15. Vgl. Pseudoisidor, Concilium Toletanum quartum, can 34, ed. Hinschius, S. 362–374, 369 (MPL 130, 473): „Sicut dioecesim alienam tricennalis possessio tollit, ita territorii conventum non amittit, ideoque basilicae, quae novae conditae fuerunt, ad eum procul dubio episcopum pertinebunt, cuius conventus esse constiterit.“ „Conventus“ bedeutet soviel wie „Kirchenversammlung“ (Mediae latinitatis lexicon minus I 2002, s.v. „conventus“, 1–5), was hier eine besondere Bedeutung bekommt, da auch der Begriff „conventus territorii“ gebraucht wird, womit die Bischofskirche abstrakt aufgefasst wird, im Sinne von Kirchenstaatlichkeit. Die Frage muss sich dann darauf richten, warum nicht von „parochia“ gesprochen wird. Hier soll aber mehreres deutlich werden, nämlich die territoriale

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fasst Hinkmar in seiner eigenen Art, durch Zitate zu sprechen, als „in potestate consistant“ auf,270 nämlich „ad episcopi ordinationem“.271 Deutlich sagt Hinkmar, dass diese potestas des Bischofs keine Eigentumsrechte beinhaltet, sondern allein Aufsicht, nämlich „dispositio und gubernatio“.272 Der bischöflichen potestas gehört auch die Ordination von Priestern und Diakonen zu sowie die geistliche Grichtsbarkeit.273 Allgemein – und das ist nicht neu – hat für Hinkmar der Bischof die Aufgabe, das Kirchengut zu erhalten, zu vermehren und zu verteilen („dispensare“) sowie auch die Klöster seiner Diözese zu überwachen.274 Hierzu legte das Konzil von Meaux-Paris (845/846) fest, dass ohne die Zustimmung des Bischofs kein Mönch seines Klosters verwiesen werden durfte.275 Dabei handelt es sich ebenfalls um eine Aufsichtsfunktion des Bischofs, wohingegen die Forderung Pseudoisidors, dass die Äbte „pro utilitate religionis in episcoporum potestate consistant“ die Wirklichkeit allenfalls nur gestreift haben wird.276 Unter Aufsicht fällt jedoch unzweifelhaft die Bestimmung des Konzils von Toulouse (844), dass ein Bischof Herr über die Grenzen der Pfarreien sei, wenn er nämlich aus sachlichen Gründen diese verändern darf, nicht jedoch als Strafmaßnahme gegen die Personen der Priester,277 übrigens ein Indiz für die Möglichkeit, Gesamtheiten als unabhängig von ihren Vertretern zu sehen, mithin das Priesteramt tatsächlich als ein Amt zu begreifen und nicht bloß als persönliche Würde. Die Erinnerung Pseudoisidors an eine Bestimmung des Concilium Agathense (506), nämlich die Gründung eines neuen Klosters von der Zustimmung des Bischofs abhängig zu machen, dürfte auch in der zweiten

Zuständigkeit und eine Form von Verbandszugehörigkeit der im Besitz eines fremden Bischofs befindlichen Kirche. Das wäre, wenn die Überlegung zutreffen sollte, ein Beleg für einen abstrakten Staatsbegriff im 9. Jahrhundert und zugleich für den Verbandscharakter auch einer Bischofskirche, wie er sonst nur bei der Bischofswahl deutlich wird. 270 Konzil von Orléans (511), can. 15 (nach Kommentar in Hinkmar, Collectio, ed. Stratmann, S. 90, Anm. 147). 271 Konzil von Toledo (589), can. 19 (nach Kommentar in Hinkmar, Collectio, ed. Stratmann, S. 89, Anm. 142 bzw. 148). Leicht übersteigert definiert Herard von Tours, cap. 40 (858), MGH Cap. Ep. II, S. 136: et quod omnes dotes ecclesiarum ad iura pertinent episcopi“, vgl. dazu POKORNY in Anm. 142, Ebenda, dass möglicherweise „dos“ für das gesamte Gut steht. 272 Hinkmar, Collectio [1], ed. Stratmann, S. 90, Z. 8. 273 Hinkmar, Collectio [1], ed. Stratmann, S. 69, Z. 18–21 und S. 98, Z. 11–15 nach Antiochia can. 9 in der Fassung des Dionysius exiguus. Zur geistlichen Gerichtsbarkeit s. Hinkmar Ep. 214 an Karl den Kahlen wegen Hinkmar von Laon, ed. Schieffer, S. 269–274, 271 (ep. 15, MPL 126, 94–99, 95), der ebenda die episcopalis audientia als geistliches Gericht zitiert. 274 Hinkmar ep. 52 ad clerum et plebem Laudunensem de ordinatione Henedulfi Laudunensi episcopi, MPL 126, 271–276, 275. 275 Konzil von Meaux-Paris (845/46), can. 59, MGH Conc. III, 11, S. 112. 276 Pseudoisidor, Concilium Aurelianense I, can. 15, ed. Hinschius, S. 336–338, 338 (MPL 130, 410 f.). 277 Konzil von Toulouse (844), can. 7, MGH Conc. III, Nr. 4.

2.4 Die erneute Ausbildung von Kirchenstaatlichkeit im Westfrankenreich

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Hälfte des 9. Jahrhunderts den gängigen Rechtsvorstellungen entsprochen haben.278 Zur Umsetzung bischöflicher Herrschaft über die Gemeinden war die Anwesenheitspflicht für Priester auf Diözesansynoden unabdingbar. Sie musste immer wieder eingefordert werden,279 was auf eine Schwachstelle in der bischöflichen Stellung schließen lässt. Von besonderer Bedeutung für die kirchliche Ordnung war die stabilitas loci als allgemeines Prinzip, was noch viel stärker als in den in diesem Abschnitt verarbeiteten Quellen bei Benedictus Levita deutlich werden wird. Es gibt unter den maßgeblichen Autoren einen breiten Konsens darüber, dass Bischöfe ohne sakrale Ortsbindung ein Problem darstellten. Dabei sind vor allem die Chorbischöfe von Interesse, die durchaus auch bei Sedisvakenzen zur Verwaltung des Bistums eingesetzt wurden.280 Hinkmar von Reims beklagt z. B. in einem Schreiben sub nomine Karls des Kahlen an Papst Johannes das Treiben transalpiner Bischöfe, deren Herkunft mindestens zweifelhaft war.281 Actardus, Bischof von Nantes, der seine Diözese widriger Umstände halber verlassen hatte, zeitweilig dann die Diözese von Thérouanne verwaltete, sollte, da seine Rückkehr nach Nantes in Frage stand, Erzbischof von Tours werden.282 Hinkmar von Reims wandte sich in einem längeren Schreiben (872) dagegen.283 Er lehnte

278 Peudoisidor, Concilium Agathense, can. 27, S. 331–336, 334 (MPL 130, 403); vgl. Concilium Agathense (506), can. 27, in: Concilia Galliae I, ed. C. Munier, 1963, S. 205. 279 So v. a. in den Bischofskapitularien, etwa Radulf von Bourges, cap. 12, MGH Cap. Ep. I, S. 241 und Herard von Tours, cap. 91 (858), MGH Cap. Ep. II, S. 247; vgl. auch die Synode von Rom (853), cap. 40, MGH Conc. III, 32, S. 330. 280 Das berichtet Hinkmar in einer Anfrage an Papst Leo IV., bei der ein gewisses Unbehagen herauszulesen ist, ed. Perels, Nr. 33 (SCHRÖRS Nr. 37), nach Flodoard III, 10. Chorbischöfe sind besonders für Pseudoisidor das Ziel zahlreicher Angriffe und Einlassungen, da ihnen die sakrale Ortsgebundenheit fehlt, s. R. KOTTJE, Chorbischof, in: LMA 2 [1983], 1884–1886. Vgl. zu „freien“ Bischöfen das gutbesuchte Konzil von Savonnières (859), can. 9, MGH Conc. III, 47, S. 460 „Ad episcopos siquidem Brittonum [. . .]“, die aufgefordert werden, sich wieder in den Kirchenverband einzugliedern und „unter die Botmäßigkeit ihres Metropoliten [. . .] zurückzukehren“, HARTMANN, Synoden 1989, 258, dort auch zum konkreten Zusammenhang. – Vgl. POKORNY, Briefgutachten 2013, 367, der ein Gutachten zu Gunsten der Chorbischöfe mitteilt, das mutmaßlich vor der Mitte des 9. Jahrhunderts entstanden ist. 281 Hinkmar von Reims ep. 32 ad Ioannem papam Caroli II. imperatoris nomine, MPL 126, 230–244, 231. 282 Ausführlicher bei SCHRÖRS, Hinkmar von Reims 1884, 351–353; s. auch DEVISSE, Hincmar II 1976, 788–790. 283 Hinkmar von Reims, Ep. 331: An einen ungenannten Bischof, ed. Schieffer (MGH Epp. 8,2), 440–459 (Hinkmar von Reims, ep. 31 Cuidam episcopo de translationibus episcoporum, MPL 126, 210–230, SCHRÖRS, Nr. 329). – Zur Datierung SCHRÖRS, Hinkmar 1884, 580, Anm. 121. Zur Angelegenheit des Actardus und zur Position Hinkmars s. SCHOLZ, Transmigration 1992, 130 ff. Dahinter steht sicherlich auch die grundsätzliche Frage, wer denn einen Bistumswechsel erlauben darf bzw. soll. Die durch Pseudoisidor begründete Möglichkeit des Suffragans, an der Synode vorbei Entscheidungen des Papstes zu evozieren, ist möglicherweise der eigentliche Grund für die sehr ablehnende

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es ab, dass Bischöfe Karriere machten, also eine weniger attraktive Kathedra gegen eine besser dotierte einzutauschen versuchten, oder gar zwei zu halten beabsichtigten. Zunächst legt Hinkmar die Analogie von Taufe und Ordination dar, die in der immerwährenden Gültigkeit liegt und eine Wiederholung verbietet, um dann mit der Ehe eine noch treffendere Analogie zu finden,284 da diese nicht nur als unauflöslich gilt, sondern auch den Aspekt der Treue stärker betont, schließlich sogar ihre Entsprechung in der Beziehung Christi zur Kirche findet. Den Bischof, der nach Karriere strebe und möglicherweise mehrere Kirchen betreue, mache sich der Hurerei schuldig. Sein Platz sei bei seiner Gemeinde, und das bis zu seinem Tod. Ein Problem für die Herrschaft des Bischofs waren die Eigenkirchen, also die kirchlichen Einrichtungen, die ohne eigene Autonomie einer fremden Gewalt unterstanden. So erklärt die Synode von Pavia (850), dass es keinen Grund geben könne, dass Kleriker und Priester nicht unter der Herrschaft („disciplina et providentia“) eines Bischofs stehen,285 was wohl nicht nur in Italien so aufgefasst wurde. Die Kritik richtet sich auf die Gewohnheit von Eigenkirchenherren, die wohl ihre Kirchengebäude vom Bischof weihen ließen, dann diesem aber die Aufsicht entzögen.286 Außerdem wendet sich eine frühere Synode von Pavia (vor 850) gegen die Gewohnheit der Eigenkirchenherren, den Zehnt an ihre eigene Kirche abzuliefern; ihnen wird vorgeschrieben, diesen an die zuständige Taufkirche zu geben, da der Zehnt unter der Disposition des Bischofs zu stehen habe.287 Die bischöfliche Stellung war

Haltung Hinkmars gegenüber der bischöflichen Karriere. Actardus war 850 aus Nantes vertrieben worden. Solange eine Rückkehr nach Nantes nicht möglich war, verhielt sich Hinkmar der Verwaltung eines vakanten Bischofssitzes durch Actardus gegenüber zustimmend. Als dann aber die Möglichkeit der Rückkehr gegeben war, Actardus inzwischen zum Erzbischof von Tours avanciert war, sollte er zugleich weiterhin Bischof von Nantes bleiben. Daraufhin änderte Hinkmar seine Position grundsätzlich (ebenda 137), wohl, weil er erkannte, dass die Möglichkeit des Wechsels auch die Kumulation von Bischofssitzen in einer Hand möglich machen konnte. Außerdem war die Anweisung zur Kumulation von Tours und Nantes in der Hand des Actardus vom Papst gekommen, womit dieser die Integrität der fränkischen Kirchenorganisation schwer bedrohte, denn die Rolle als Suffragan eines fremden Metropoliten und weiterhin als Metropolit selbst konnte nicht ohne Interessenskonflikte ablaufen, die dann wiederum einer Einmischung des Papstes zuträglich hätten sein können. S. die ausführliche Darstellung der Einlassungen Hinkmars bei SCHOLZ, Transmigration 1992, 137 ff., mit dem Bild der geistigen Ehe von Bischof und Gemeinde sowie zur Unauflöslichkeit dieser Ehe ebenda 143. 284 Zum Ehevergleich siehe schon Pseudosisidor mit Ps.-Calixt, SCHOLZ, Transmigration 1992, 109. – S. auch PATZOLD, Raum der Diözese 2007, 226. 285 Synode von Pavia (850), can. 18, MGH Conc. III, Nr. 23, S. 227 f. 286 So die Klage Hinkmars [1], Collectio, ed. Stratmann, S. 86, Z. 25; S. 87, Z. 3 und in einem Zitat des Konzils von Toledo (589), can. 19, ebenda S. 69, Z. 6–11. 287 Pavia (845–850), can. 11, in: MGH Conc. III, Nr. 21, S. 213 f. Zum Verständnis siehe HARTMANN, Synoden 1989, 241. – Zur Aufsicht des Bischofs über den Zehnten s. Hinkmar von Reims, Collectio [2], ed. Stratmann, S. 106, Z. 9–13, wonach der Bischof zu überwachen hatte, dass der entsprechende Teil des Zehnten bei den Almosenempfängern („matricularii“) auch ankommt. – Zur Verteilung des Zehnten und seiner Vierteilung vgl. Hinkmar von Reims, zweites Kapitular, cap. 16, MGH

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jedoch nicht auf den geistlichen Bereich beschränkt. Bischöfe waren auch maßgeblich an der allgemeinen Rechtsprechung in ihrer Diözese beteiligt.288 Wichtigster Punkt aber für die Stellung des Bischofs ist die Integrität seiner Diözese, nicht nur über seine territoriale Zuständigkeit, sondern auch über das geistliche Personal.289 Ihm wird die uneingeschränkte Hoheit über die Bestellung von Amtsträgern zugestanden, sodass auch nicht Klerus und Volk, die ja schließlich das Wahlvolk darstellen, etwa einen Ökonomen bestellen können. Interessant ist bei einer solchen Bestimmung des Konzils von Meaux-Paris (845/846), dass es offensichtlich Übergriffe von Gewalten innerhalb der Diözese auf Kirchengut und die Integrität des Personals gab bzw. solche befürchtet wurden.290 Daher sind auch die Ortspriester erneut gehalten, die Verwaltung des Kirchengutes im consilium mit dem Bischof vorzunehmen.291

Cap. Ep. II, S. 49 f. und Herard von Tours, cap. 35, MGH Cap. Ep. II, S. 135. Riculf von Soissons, cap. 13 (889), MGH Cap. Ep. II, S. 106 erweitert die Bestimmung zur Vierteilung des Zehnten um die Kontrolle der Verwendung der zur Reparatur der Gebäude vorgesehenen Mittel durch den Bischof oder einen Bevollmächtigten. – Vgl. zur Aufsicht des Bischofs über die Verwendung des Zehnten im Ostfrankenreich und seine Verteilung das Konzil von Mainz (852), can. 3, MGH Conc. III, Nr. 26, S. 242, wonach „per consulta episcoporum a presbiteris ad usus ecclesie et pauperum summa diligentia dispensetur.“, fast wortgleich aber schon Konzil von Mainz (847), can. 10, MGH Conc. III, 14, S. 167. – An dieser Stelle sei daran erinnert, welche erhebliche Bedeutung der Zehnte nicht nur für die Infrastruktur des Frankenreiches hatte, sondern auch für die Kirchenstaatlichkeit selbst sowie natürlich für die Stellung der Bischöfe. 288 Zumindest informell, wie Walter von Orléans, Cap. 18, MGH Cap. Ep. I, S. 192 deutlich macht, wenn er beklagt, dass auf den Synoden „saeculares querellas et altercaciones debitorum ita coram prioribus fratribus aut coram archidiaconibus suis sopitas et racionabiliter diffinitas habeant“. Vgl. HARTMANN, Bischof als Richter 1986. 289 S. Herard von Tours, cap. 68 (858), MGH Cap. Ep. II, S. 143: „Quod omnes ordo clericorum episcopo suo subiectis maneat et ad eius iudicia concurrat nihilque sine eo praesumat, quod qui fecerit, degradetur.“ 290 Konzil von Meaux-Paris (845/46), can. 47, MGH Conc. III, 11, S. 107: „Ut nemo vivente episcopo ecclesiam illius aut res ad eam pertinentes invadere aut dominari praesumat, neque sub voluntarie cleri ac populi electionis obtentu praeter voluntatem episcopi quisquam quacumque seculari potestate praeditus quasi equonomum constitutat.“ – Herard von Tours, cap. 39, MGH Cap. Ep. II, 136: „Ut doceantur plebes, nulla contra episcopos graviter vel leviter agere nec ipsos detrahere, sed humiliter et reverenter in cunctis oboedire et quod eorum iniuria referatur ad deum, cuius summa legatione funguntur. 291 So Hinkmar, Collectio des ecclesiis et capellis [1], ed. Stratmann, S. 66, Z. 4–10: „Ita unusquisque presbiter parrochiam suam cum dote ecclesiae in suae ordinationis ac dispensationis cura cum episcopi sui consilio ac dispositione secundum regulas divinitus et antiquitus constitutas habeat, [. . .].“ – Vgl. zur Quelle und ihrer weit über die Eigenkirchenfrage hinausrechende Thematik PATZOLD, Raum der Diözese 2007, 232 f.

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2.4.3 Bischofserhebung Solange der Bischof im Amt ist, regiert er die Kirche in aller Regel unangefochten, nämlich als oberster Dienstherr der Kleriker und auch der Mönche, als oberster Verwalter allen Kirchengutes, und als unzweifelhaft in der Nachfolge der Apostel in höchstem Maße religiös sanktioniert. Die Krise der bischöflichen Ordnung tritt ein, wenn der Bischof stirbt, im Grunde wie bei jeder Monarchie. Die Mechanismen für die Neubestellung des kirchlichen Monarchen indes sind andere als in einer herrscherlichen Dynastie. Die Regeln zur Bewältigung dieser immer wiederkehrenden Krisensituation sagen einiges über die Staatlichkeit der kirchlichen Ordnung. Denn der Erhalt der Ordnung hat in dieser Situation absolute Priorität. Im Falle des Todes eines Bischofs wird im Erzbistum Reims ein Wahlleiter bestellt, der dafür sorgen soll, dass durch eine ordentliche Wahl ein neuer Vertreter der Kirche bestellt wird.292 Denn darum geht es, wie die folgenden Ausführungen zeigen werden, dass nämlich der Bischof nicht nur Vertreter des göttlichen Willens auf Erden ist, sondern auch seiner Gemeinde. Daher ist es notwendig, alle relevanten Kräfte der Gemeinde und der kirchlich-staatlichen Organisation an der Bischofserhebung zu beteiligen. Hinkmar von Reims schreibt dazu an Hedenulf von Laon als Instruktion für den Wahlleiter zur Bestellung eines neuen Bischofs von Cambrai:293 Quae electio non tantum a civitatis clericis erit agenda, verum et de omnibus monasteriis ipsius parochiae, et de rusticanarum parochiarum presbyteris, occurrant vicarii, commorantium secum concordia vota ferentes, sed et laici nobiles ac cives adesse debebunt, quoniam ab omnibus debet eligi, cui debet ab omnibus obediri.

In einem anderen Fall schreibt Hinkmar an Karl den Kahlen:294 „[. . .] canonico visitatore directo, ab omnibus Ecclesiae ipsius alumnis valeat eligi, cui debeat ab omnibus obediri.“ Und auch Klerus und Volk der Kirche von Laon teilte Hinkmar diese Ansicht mit:295 „quia cui debet ab omnibus obediri, utique debet et ab omnibus eligi.“ Ohne Zweifel teilte Hinkmar mit dieser Ansicht seine Überzeugung mit. An drei verschiedene Adressaten, allesamt Beteiligte von Bischofserhebungen, schreibt er das. Damit befindet er sich in einer nicht näher bestimmbaren Tradition zum

292 Zum genauen Ablauf im Austausch von schriftlichen Nachrichten, Anfragen und Anweisungen vgl. STRATMANN, Hinkmar als Verwalter 1991, 14 ff., so etwa zur vermutlich regulären schriftlichen Benachrichtigung des Metropoliten über den Tod des Bischofs durch die verwaiste Kirche ebenda 15. Die Bestellung eines Wahlleiters verlangt auch Kaiser Karl der Kahle im Capitulare Carisiacense [Kiersy] (877), cap. 8 RP, MGH Cap. II,2, Nr. 281, S. 355–361, 358; der Kaiser gibt diesem aber den Grafen an die Seite: „[. . .] qui una cum comite ipsam ecclesiam, ne praedetur, custodiat [. . .]“; vgl. dazu den Hinweis bei LESNE, Hièrarchie episcopale 1905, 109. 293 Hinkmar, ep. 48 ad Hedenulphum Laudunensem episcopum, MPL 126, 268 f. 294 Hinkmar von Reims, Ep. 340: An König Karl den Kahlen, ed. Schieffer (MGH Epp. 8,2), 663 f. (ep. 47 ad Carolum regem (wegen ecclesiae Silvanectensis), MPL 126, 267 f.). 295 Hinkmar ep. 51 cleri et plebem Laudunensis, MPL 126, 270.

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Satz des römischen Rechtes: „Quod omnes tangit [. . .]“.296 Ganz offensichtlich rührt Hinkmars Auffassung aus einer dem römischen Recht ähnlichen Überlieferung, denn eine direkte Rezeption sehe ich hier nicht, und auch die bedürfte bei Hinkmar eines aktuellen inhaltlichen Grundes. Diese Auffassung findet ihren Sinn in ihrem Nutzen für den Erhalt der Ordnung durch Konsens, durch die geordnete Einbindung aller betroffenen Gewalten. Den Wahlleiter auszusuchen, stellt Hinkmar dem König frei, wobei dieser einer seiner Suffragane sein musste,297 den er dann benannte.298 Eine wesentliche Aufgabe des Wahlleiters bestand zudem darin, dafür zu sorgen, dass die Wahl im Konsens stattfand.299 Vor allem aber war der Wahlleiter, bezeichnet als „Visitator“ so etwas wie ein Interrex,300 denn auch nach vollzogener Wahl durch Klerus und Volk war der „electus“ ja noch nicht Bischof der Diözese, dass heißt, er hatte keine bischöfliche potestas. Die Einrichtung eines vom Metropoliten bestellten Interrex bedeutete den Erhalt der Kontinuität über den Bischofstod hinaus über eine Abgabe von Souveränität seitens der Bischofskirche an den Metropolitanverband, je nach Deutung an die Bischofsversammlung bzw. den Metropoliten. Neu ist jedenfalls das Eintreten des Verbandes für die einzelne Bischofskirche in Zeiten der Krise. In der Hand Hinkmars von Reims war dieses Instrument vor allem aber wohl dem Metropoliten nützlich.301 Er bekam weitere Kontrolle über den Wahlvorgang und somit auch Einfluss auf die Wahl des Kandidaten; und zudem erhielt er so Einsicht in die Verwaltung seines Suffraganbistums. Aber auch Pseudoisidor kennt das Instrument eines

296 Möglicherweise rezipierte Hinkmar eine Dekretale Papst Leos I., ep. 10, ed. MPL 54, 634A: „Qui praefuturus est omnibus, ab omnibus eligatur.“, zitiert nach SCHIEFFER, Bischofserhebungen 1998, 62. 297 ebenda. 298 „[. . .] cui secundum institutionem canonicam visitatoris officium in Ecclesia cuius amore ac vigore fovemini, delegavimus“, Hinkmar ep. 50 ad clerum et plebem Cameracensem, MPL 126, 269 f. 299 [. . .] in electione regulari concorditer uniatis.“, Hinkmar ep. 50, MLP 126, 269 f., in direkter Folge auf das Zitat der vorangehenden Anmerkung. – „[. . .] concordes omnes in quamcunque regularem personam inveneris“, Hinkmar ep. 48, MPL 126, 268 f. – So auch Hinkmar ep. 51 cleri et plebis Laudunensis, MPL 126, 270: „[. . .] hi vero qui ordinaturi sunt, in quiem viderint omnium vota propensius concordare.“ Auch der Klerus der Diözese Paris betont in seiner Benachrichtigung Wenilos von Sens die Einmütigkeit bei der Wahl des neuen Bischofs („concorditer omnes eligimus“), Lupus von Ferrières ep. 98, MGH Epp. Karol. IV, S. 86 f.; vgl. dazu die Bestätigung der Wahl durch Wenilo und seine Suffragane bei Lupus von Ferrières ep. 99, MGH Epp. Karol. IV, S. 87 f. – Hinkmar betont die Einmütigkeit der Wahl auch in ep. 32 ad clerum et plebem Bellavacensem, MPL 126, 258–261, 259: „[. . .] sine cuiusquam contradictione, ordinandi quemquam canonice electum et petitum est attributa licentia, eligere [. . .].“ 300 Vgl. zum Visitator als Verwalter des Bistums STRATMANN, Hinkmar als Verwalter 1991, 15. 301 LESNE, Hiérarchie 1905, 110. – SCHIEFFER, Bischofserhebungen 1998 betont, dass die Rolle des Metropoliten bei der Bischofserhebung für Hinkmar die eines „Herrn des Verfahrens, speziell als Garanten seiner Rechtlichkeit“ darstellte.

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Interrex, der ebenfalls Bischof einer Nachbarkirche sein sollte. Offensichtlich gab es die wohlbegründete Befürchtung, dass ohne diesen Eingriff in die kirchliche Autonomie über den Kirchenverband die kirchliche Ordnung in der Krise der Vakanz ernstlich gefährdet sei.302 Gewählt aber wurde der Bischof durch Klerus und Volk, wohl in der von Hinkmar beschriebenen Weise,303 nämlich von allen unter der Aufsicht des Bischofs stehenden Kommunitäten sowie unter Zustimmung der weltlichen Großen und „Bürger“.304 Bemerkenswert ist, dass die Betonung der kanonischen Wahl durch das Kirchenvolk sich auch bei Pseudoisidor findet. Bemerkenswert ist das nicht sosehr wegen Pseudoisidors Auffassung, sondern letztlich, dass Hinkmar diese weitgehend teilt.305 Die Subsidiarität der Bischofskirche wird auch von einem Erzbischof betont, dessen Interesse stark darauf gerichtet war, eine gewisse Disziplinargewalt auch in den Suffraganbistümern auszuüben. So scheint auch Pseudoisidor die Kontinuität der Ordnung über seine Abneigung gegen die Funktion des Metropoliten zu stellen: Nulla ratio sinit, ut inter episcopos habeantur, qui nec a clericis sunt electi, nec a plebibus expetiti, nec a provincialibus episcopis cum metropolitani iudicio consecrati.306

Pseudoisidor betont allerdings die Selbstorganisation der Bischofskirche, indem er hinzufügt, dass ein Kandidat nur dann aus einer anderen Kirche kommen dürfe, wenn sich kein würdiger Angehöriger der Bischofskirche finden ließe, und hebt mit aller Deutlichkeit hervor: „Quod nolentibus clericis vel populis nemo debeat episcopus ordinari.“307

302 Pseudoisidor, Concilium Regiense, can. 5, ed. Hinschius, S. 326 f. (MPL 130, 387–390, 390), ebenda S. 327: „Ut episcopus qui sepelierit episcopum, curam habeat ecclesiae ipsius.“, zur Begründung: „[. . .] ne quid ante ordinationem discordantium in novitatibus clericorum subversioni liceret.“ 303 Hinkmars Auffassung deckt sich weitgehend mit der des Konzils von Rom (853), can. 5, MGH Conc. III, 32, S. 320, das sich auf Äußerungen der Päpste Coelestin I. und Leo I. bezieht. 304 Anders wurde das gehandhabt vom Erzbischof von Tours bei der Bestellung des Bischofs Alderich von Le Mans. Der Suffragan wurde kurzerhand vom Metropoliten bestellt, wobei der Konsens von Klerus, Plebs und Grafen betont wird (Gesta Aldrici, MGH SS 15), LESNE, Hièrarchie 1905. 305 Pseudoisidor, Ep. Leonis papae ad Aanastasium epsicopum Thessalonicensem, ed. Hinschius, cap. 4, S. 618–620, 619: „Quum ergo de summi sacerdotis electione tractabitur, ille omnibus praeponatur, quem clerici plebisque consensus concorditer postularint.“ (vgl. MPL 130, 856–861, 858 f.) 306 Pseudoisidor, Ep. Leonis ad Rusticum Narbonensem episcopum, ed. Hinschius, cap. 1, S. 614–618, 616 (MPL 130, 889–893, 890 f.). 307 Pseudoisidor, Item eiusdem Caelestini papae, Ad episcopos Galliae, ed. Hinschius, cap. 5, S. 559–561, 560 auch zur Herkunft: „Tunc alter de altera eligatur ecclesia, si de civitatis ipsius clericis cui est episcopus ordinandus, nullus dignus quod evenire non credimus potuerit reperiri.“ (MPL 130, 754–758, 757).

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Aber nicht allein Klerus und Volk entscheiden über die Bestellung ihres neuen Bischofs, auch die Bischofsversammlung wird maßgeblich daran beteiligt.308 Darin stimmt auch Pseudoisidor zu, wenn er über die Ordination des Bischofs sagt:309 „Episcopum oportet maxime quidem ab omni concilio constitui“, wenn aber dies nicht möglich sei, so sollten „ex omnibus tres [Bischöfe] colligantur“, die ihre Zustimmung zu der erfolgten Wahl geben, „et sic postea ordinatio fiat.“ Und an anderer Stelle erklärt Pseudoisidor, dass kein Bischof ohne Erlaubnis des Metropoliten [!] und kein Metropolit einen Bischof ohne [das Beisein]310 dreier Mitbischöfe ordinieren dürfe.311 Auffällig ist die Rolle des Königs bei der Bischofserhebung, und das nicht nur in der Provinz Reims, und nicht nur im Westfrankenreich. Der König wirkt an der Bischofserhebung mit,312 nicht mehr maßgeblich wie noch Karl der Große und Ludwig der Fromme, immerhin aber fand vermutlich keine Bischofserhebung ohne seine Zustimmung statt, jedenfalls im Westfrankenreich. Interessant ist die Diskrepanz zwischen der bestehenden Kirchenstaatlichkeit, in der die Subsidiarität oberstes Prinzip zu sein scheint, wenn zuerst – soweit möglich – in eigener Verantwortung die Bischofskirche, dann der Provinzialverband, und zuletzt – nach Pseudoisidor jedenfalls – der Bischof von Rom entscheidet. Der König jedenfalls scheint eine Zwitterstellung einzunehmen, einerseits als höchster Vertreter der weltlichen Staatlichkeit und andererseits als Identifikationsfigur der Teilreichskirche, der eine eigene Qualität neben der Kirchenprovinz beigemessen wird. Der König wurde sehr früh in das Verfahren eingebunden, sodass er die kanonische Wahl eines Bischofs gewähren konnte.313 Ob dies reine Formsache war oder er

308 Konzil von Savonnières (859) E can. 8, MGH Conc. III, 47, S. 477: „Videlicet, ut episcopi iudicio metropolitanorum et eorum episcoporum, qui circumcirca sunt, provehantur ad ecclesiasticam potestatem [. . .]“ (nach Konzil von Laodicaea can. 12, überliefert in der Dionysio-Hadriana). 309 Pseudoisidor, Capitula Martini Braccarensis, ed. Hinschius, cap. 2, S. 426–433, 428 (MPL 130, 575–588, 577 f.). 310 Dass überhaupt ein Bischof allein eine Bischofsordination vornehmen durfte, kann eigentlich nicht angenommen werden. Pseudoisidor bzw. seine Quelle scheint hier die Betonung auf den Konsens zu legen und damit die Forderung nach gemeinsamer Ordination dreier Bischöfe vernachlässigt zu haben. 311 Pseudoisidor, Arelatense secundum, can. 5, ed. Hinschius, S. 321–323, 322: „Ut episcopum sine metropolitano vel epistola metropolitani vel tribus comprovincialibus non liceat ordinari, ita ut alii comprovinciales epistolis admoneantur, ut se suo responso consensisse significent: quod si inter partes aliqua fuerit nata dubitatio, maiori numero metropolitanus in electione consentiat.“ (MPL 130, 379: „Nullus episcopus sine metropolitani permissu, nec episcopus metropolitanus sine tribus episcopis comprovincialibus, praesumat episcopum ordinare.“). 312 Die radikale Ablehnung einer Mitwirkung des Königs bei Florus von Lyon in seinem Liber de electionis episcoporum hat Klaus ZECHIEL-ECKES, Florus von Lyon 1996 (mit Edition, ebenda 122–133), 119 auf die Absetzung Agobards von Lyon durch Ludwig den Frommen im Jahr 835 zurückgeführt. 313 Vgl. SCHIEFFER, Bischofserhebungen 1998, 69.

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tatsächlich damit auf ein ihm zustehendes Recht verzichtete, ist nicht klar. Jedenfalls teilte Hinkmar von Reims „clerum et plebem Bellavacensem“ die Entscheidung des Königs mit.314 Und im Falle der Bischofswahl in Châlons-sur-Marne (856–867) ist ein Schreiben Hinkmars an Karl den Kahlen selbst bezeugt, in dem er um die Gewährung einer regulären Wahl bittet.315 In einem anderen Fall berichtet er, dass er mit dem König sprechen wolle, „qualiter ipsa electio rite peragatur“.316 Ob zusätzlich oder statt des direkten Kontakts zum König ging Hinkmar mehrfach den Weg über die engere Umgebung des Königs, um eine kanonische Wahl gewährt zu bekommen. Abt und Erzkaplan Hilduin schrieb er zu den Bischofswahlen von Thérouanne (855–856) und Langres (857). Im ersten Fall ersuchte er Hilduin, beim König um eine kanonische Wahl nachzusuchen,317 im zweiten Fall waren mehrere Bischöfe (wohl seiner Provinz) vom König gebeten worden, nach einem geeigneten Kandidaten zu suchen, woraufhin Hinkmar nun Isaak als Kandidaten vorschlug.318 Heikel scheint die Lage bei der Bischofswahl von Beauvais Ende 845 gewesen zu sein, denn Hinkmar schrieb an die Königin Irmintrud, die er bat, auf den König einzuwirken, sich nicht von einer Partei gewinnen zu lassen, sich also aus der eigentlichen Wahl herauszuhalten und erst danach seine Zustimmung zur erfolgten Wahl zu geben.319 Und der König konnte und wollte sehr wohl Einfluss nehmen, wählte dazu aber auch informelle Wege.320 So schrieben im Jahr 842 der Erzbischof Wenilo von Sens 314 Hinkmar von Reims ep. 32 ad clerum et plebem Bellavacensem, MPL 126, 258–261, 258: „[. . .] electione canonica a domino nostro rege vobis solita benignitate concessa [. . .].“ 315 Hinkmar von Reims an Karl den Kahlen, ed. Perels, Nr. 95 (SCHRÖRS Nr. 99), nach Flodoard II, 21: „[. . .] quam scripsit post obitum ipsius ad regem Karolum pro impetranda electione regulari ecclesiae Catalaunensi.“ 316 Hinkmar von Reims an Pardulus von Laon (855–856), ed. Perels, Nr. 93 (SCHRÖRS Nr. 97), nach Flodoard III, 21. 317 Hinkmar von Reims an den Abt und Erzkaplan Hilduin (855–856), ed. Perels, Nr. 92, S. 42 (SCHRÖRS Nr. 96), nach Flodoard III, 24. 318 Hinkmar von Reims an des Erzkaplan Hilduin (Februar 857), ed. Perels, Nr. 100, S. 50 (SCHRÖRS Nr. 104), nach Flodoard III, 24; vgl. auch Perels Nr. 101 und 102 (S. 50) an Remigius von Lyon und Ebo von Grenoble für Isaak. Vgl. auch Hinkmars Eintreten für Isaak bei dem Grafen Gerard von Vienne gegen Wulfad, von dem Hinkmar schreibt, dass er nicht kanonisch ordiniert werden könne, ed. Perels, Nr. 103, S. 50 (SCHRÖRS Nr. 107), nach Flodoard III, 26. Zu Wulfad als Kandidat Karls des Kahlen für den Stuhl von Bourges vgl. KAISER, Bischofsherrschaft 1981, 97. 319 Hinkmar von Reims an Königin Irmintrud, ed. Perels, Nr. 5, S. 2 f. (SCHRÖRS Nr. 4), nach Flodoard III, 27: „Irmintrudi reginae [. . .] petens, ut suggerat regi, ne a quocumque in quamcumque partem animus illius indebite possit inflecti de huius ecclesiae dispositione, donec ipse in eius servitium veniens, quae ipsi necessaria fuerint notificans, ipsius auribus pandat, et sic, quae Deo sint placita et illis utilia, Domino annuente disponere procuret.“ In der gleichen Sache schrieb Hinkmar auch an Karl den Kahlen, ed. Perels, Nr. 6 (SCHRÖRS Nr. 5), nach Flodoard III, 18. 320 Vgl. aus späterer Zeit zum Ostfrankenreich die Collectio Sangallensis, Nr. 26, MGH Formulae, S. 411 f., wonach zwei Bischöfe sich über einen eigenen Kandidaten für die Kathedra von Lausanne [Losanniensis] gegen den Wunsch Karls III. verständigen.

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und der Graf Gerard von Vienne [Viennensis] an Amulo von Lyon und baten um die Ordination des Bernus, eines Verwandten König Karls, zum Bischof [Augustodunensem]. Sie rühmten dessen Eigenschaften, die eine wesentliche Voraussetzung zur Bischofswahl darstellten, und erklärten die Berechtigung des Königs zu diesem Eingriff in die kanonische Wahl damit, dass Christus „potestatem suam ad eandem gubernandam ecclesiam in sacerdotes divisit et reges“.321 Im Falle der Bischofswahl von Cambrai (862) wendet sich Hinkmar von Reims an König Lothar II. und flankierend an Erzbischof Gunthar von Köln, mit dem Zweck, vom König des Mittelreiches die Gewährung der kanonischen Bischofswahl für sein Suffraganbistum zu erlangen.322 Aber nicht nur in eigenen Angelegenheiten wendet sich Hinkmar an einen fremden König, gegen die Erhebung eines Waldo zum Erzbischof von Trier richtet Hinkmar ein Schreiben an Ludwig, König des Ostfrankenreiches, dies aber im Interesse König Karls des Kahlen, der zuvor Bertulf zum Erzbischof hatte erheben lassen.323 Seine eigene Erhebung schildert Hinkmar in idealisierter Weise in einem Schreiben an die Synode von Soissons (866), die über das Schicksal der von Hinkmars Amtsvorgänger Ebo geweihten Kleriker zu befinden hatte.324 Dabei versuchte Hinkmar, an seiner eigenen Erhebung keine Zweifel aufkommen zu lassen, einmal, weil die Zweifelhaftigkeit der Weihen dieser Kleriker an der Legitimität der Wiedererhebung Ebos haftete und zweitens, weil seine Erhebung zu Lebzeiten seines Amtsvorgängers ohnehin fragwürdig war.325 Daher ist davon auszugehen, dass seine Schilderung der eigenen Erhebung zum Erzbischof keinen Makel enthält und den Teilnehmern des Konzils als höchst kanonisch vorgekommen sein wird. Mit

321 Erzbischof Wenilo von Sens und Graf Gerard von Vienne an Amulo von Lyon, Epistolae Lupi abbati Ferrariensis Nr. 81, ed. Dümmler, MGH Ep. Karol. IV, S. 72–74, hier 73, Z. 8 f. Vgl. auch zur Datierung SCHIEFFER, Bischofserhebungen 1998, 68, der dieses Vorgehen als im Rahmen des Normalen betrachtet und davon ausgeht, dass in diesem Fall keine Bischofswahl erfolgen sollte, was aber m. E. aus der Nichterwähnung einer solchen Wahl in dem Schreiben nicht zu schließen ist. Der Verzicht auf eine Bischofswahl hätte einen erheblichen Makel des Ordinierten bedeutet, was gewiss nicht im Sinne Karls des Kahlen und seines Verwandten gelegen haben wird. 322 Hinkmar von Reims an König Lothar II. (August 862), ed. Perels, Nr. 151, S. 119 (SCHRÖRS Nr. 158), nach Flodoard III, 20 bzw. an Erzbischof Gunthar von Köln (August 862), ed. Perels, Nr. 152, S. 119 (SCHRÖRS Nr. 159), nach Flodoard II, 21. Schon zuvor hatte Hinkmar an den Grafen Maio geschrieben und für den Fall einer Bischofswahl versucht, über den Grafen bei Kaiser Lothar die kanonische Wahl zu erlangen, Hinkmar an den Grafen Maio, ed. Perels, Nr. 70, S. 37 (SCHRÖRS Nr. 69), nach Flodoard III, 26. 323 Hinkmar von Reims, Ep. 274: An Ludwig den Deutschen, ed. Schieffer (MGH Epp. 8,2), 377–380, 380 (ep. 41, MPL 126, 262–264), nach Flodoard III, 25, zum Schreiben s. DEVISSE, Hincmar 1976, 788. Vgl. zum Vorgang HARTMANN, Ludwig der Deutsche 2002, 88. 324 S. zur Synode von Soissons (866) PATZOLD, Episcopus 2008, 330 f. und zur Frage der von Ebo geweihten Geistlichen ebenda 325 ff. 325 Vgl. HARTMANN, Synoden 1989, 318 f. – S. zu Zweifeln an der Kanonizität von Hinkmars Erhebung zum Erzbischof von Reims PATZOLD, Episcopus 2008, 334.

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anderen Worten: Es handelt sich um die Schilderung einer idealtypischen Erhebung eines Erzbischofs, mit dem einen biographischen Fehler, dass er nicht einmal der Kirche der Provinz angehörte, deren Vorsteher er werden sollte. Aber auch die Lösung dieses Problems in der Schilderung Hinkmars kann dann dennoch als geradezu kanonisch bezeichnet werden. Auf einer Synode fast aller Erzbischöfe und Bischöfe wurde er bei Beauvais, innerhalb der Provinz, von Klerus und Volk („plebs“) der Metropole Reims sowie der Suffragane der Reimser Kathedra erbeten („petitus“), sodann vom Erzbischof von Sens und dem Bischof von Paris, seinen damaligen Ordinarien „et a coepiscopis ipsius provintiae [Sens]“ unter Zustimmung seines Abtes und seiner Mitbrüder der Provinz Reims und dem Klerus und Volk dieser Metropole überlassen („traditus“), und wurde dann in Gegenwart und unter Zustimmung der Suffragane von Reims von seinem bisherigen Metropoliten ordiniert.326 Hinkmar selbst präzisiert in einem Schreiben an Adventius von Metz das Verfahren zur Ordination eines Metropoliten: Am Sonnabend vor dem Sonntag der Ordination des Gewählten sollen die Suffragane in der Metropolitankathedrale zusammenkommen „et publice coram omnibus“ soll das Wahldrekret327 vorgelesen werden und sollen die Bischöfe ihre Einmütigkeit im Hinblick auf den zu Ordinierenden kund tun. Daraufhin ist der Gewählte von den Bischöfen zu examinieren.328 Am Sonntag sollen die Bischöfe der Provinz und Klerus und plebs am Ort der Ordination zusammenkommen. Dort wird der Gewählte von drei Bischöfen ordiniert, wobei zwei von ihnen die Evangelien über ihn halten und der Konsekrator seine rechte Hand über ihn hält und das Konsekrationsgebet spricht. Danach erhält der Gewählte den Bischofsring und setzt sich – nun als Metropolit – neben den Konsekrator.329

326 Hinkmar von Reims an die Synode von Soissons (866), ed. Perels (MGH Epp. 8,1), cap. 4, Nr. 184 b, S. 177–182, 180: „[. . .] in synodo plurimorum archiepiscoporum et episcoporum apud Bellovagum dioceseos Remorum habita a clero et plebe ipsius metropolis, sed et ab episcopis eiusdem provintiae petitus et ab archiepiscopo tunc meo et proprio episcopo necnon et a coepiscopis ipsius provintiae secundum Laodicense concilium [Hinweis von Perels auf can. 12 und Pseudoisidor, ed. Hinschius, S. 274] cum consensu abbatis mei et fratrum monasterii, in quo degebam, episcopis Remensis provintiae et clero ac plebi ipsius metropolis per canonicas litteras traditus et cum decreto canonico praesentia vel consensu omnium suffraganeorum ipsius metropolis et a metropolitano meo, qui me illis tradiderat, sum in eadem ecclesia omnibus acclamantibus absque ullius contradictione vel repititione canonice [. . .] ordinatus.“ Zur Erhebung Hinkmars und dessen Schilderung der Vorgänge vgl. SCHRÖRS, Hinkmar von Reims 1884, 38 f. Zur Notwendigkeit der Zustimmung der früheren Disziplinarvorgesetzten vgl. STRATMANN, Hinkmar als Verwalter 1991, 17. 327 Zum schriftlichen decretum electionis in der Provinz Reims zur Zeit Hinkmars vgl. STRATMANN, Hinkmar als Verwalter 1991, 16. 328 Zur Examination des gewählten Bischofs vgl. STRATMANN Hinkmar als Verwalter 1991, 16 f. 329 Hinkmar von Reims, ep. 254, An Bischof Adventius von Metz, ed. Schieffer (MGH Epp. 8,2), 319–322 (Hinkmar, ep. 29 ad Adventium Mettensem, MPL 126, 186–188).

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Oberstes Gebot – nach der Idoneität des Gewählten330 – ist in beiden Schilderungen größtmöglicher Konsens aller Beteiligten und Transparenz des Verfahrens der Ordination wie auch des ungetrübten Konsenses. Die zur Transparenz notwendige Öffentlichkeit wird dazu eigens betont, denn diese ist dazu angetan, alle späteren Einwendungen gegen die Ordination abzuwehren und zu entkräften. Die Ordination ist schließlich [eigentlich] nicht rückgängig zu machen, da die kanonische Erhebung eines Bischofs die Zustimmung Gottes erheischt.331 Und das ist auch einer der Hauptgründe, aus denen heraus Pseudoisidor die Anklagen von Bischöfen bekämpft: Die Anklage eines Bischofs bricht die göttliche Ordnung. Der unbekannte Verfasser der Capitula Angilramni, die aufs engste mit dem Pseudoisidor-Kreis verbunden sind, sagt das gleich zu Beginn seiner Sammlung so: Dei ordinationem accusat in qua constituuntur qui episcopos accusat vel condemnat, dum minus spiritalia quam terrena sectatur.332

Dabei argumentiert Pseudo-Angilramnus mit dem 81. Psalm der Vulgata,333 Vers 1:334 „Deus stetit in synagoga deorum: in medio autem Deus deiudicat“,335 aber offensichtlich in enger Verbindung mit Benedictus Levita, der den Satz ebenfalls in derselben Lesart zitiert und wie Pseudo-Angilramnus mit einem Konstantinwort verbindet:336 So wird zunächst dargelegt, dass unter den Großen Gottes Bevollmächtigter der Größte ist, so scheint mir der Satz von Gott als Richter über die Götter zu verstehen zu sein. Erweitert wird der Gedankengang kurz darauf, wenn Pseudo-Angilramnus Christus zitiert, der sagt: „Non est discipulus super magistrum.“337 Der Bischof als Vertreter Gottes in der Kirche ist in der Kirche nicht zu richten, im Gegenteil, er ist der Richter. Angehörige der kirchlichen Administration haben als

330 Dazu gehört übrigens auch das Gebot, keinen Laien zu ordinieren, wie Hinkmar von Reims ep. 32 ad clerum et plebem Bellavacensem, MPL 126, 258–261, 259 f. ausdrücklich betont. 331 Vgl. dazu Hinkmar von Reims, Ep. 331: An einen ungenannten Bischof, ed. Schieffer (MGH Epp. 8,2), 440–459 (ep. 31, MPL 126, 210–230) gegen die Karriere des Aktardus. 332 Capitula Angilramni Cor. Sal. Par. I, ed. Hinschius, S. 757–769, 757. 333 82. Psalm der Lutherbibel. 334 Capitula Angilramni Cor. Par. Sal. 51, ed. Hinschius, 757–769, 766. 335 Bei Angilramnus: „discernit“. 336 „Constantinus Imperator Episcopis ait: Deus, inquit, constituit vos Sacerdotes, et potestatem vobis dedit de nobis quoque iudicandi. Et ideo nos a vobis recte iudicamur. Vos autem non potestis ab hominibus iudicari. Propter quod Dei solius inter vos expectate iudicium. Vestra iurgia, quaecunque sint, ad illud divinum reserventur examen. Vos etenim nobis a Deo dati estis dii. Et conveniens non est ut homo iudicet deos, sed ille solus de quo scriptum est: Deus stetit in synagoga deorum. In medio Deus autem deos discernit.“, Benedictus Levita I, 315, ed. Baluze, Mansi 17B Sp. 889. 337 Vulgata, Lucas 6,40. Pseudoisidor benutzt das Zitat ebenfalls in diesem Zusammenhang und ergänzt: „[. . .] nec servus super dominum suum.“, Pseudoisidor, Ep. Fabiani papae ad omnes horientalis episcopos, ed. Hinschius, S. 160–166, 165.

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Schüler nicht über den Lehrer zu urteilen, mithin ihn nicht anzuklagen und schon gar nicht zu richten. Pseudo-Angilramnus erläutert das – wieder unter Zuhilfenahme des Lucas-Zitates, indem er darlegt, dass grundsätzlich die Anklage eines Angehörigen eines höheren Ordo nicht gestattet sei. Wie vielfach, wenn Pseuidoisidor seine Idealvorstellungen entwickelt, gibt er auch einen pragmatischen Ansatz zur Bewältigung des Problems der Anklagen von kirchlichen Amtsträgern, wovon er hier aber den Bischof explizit ausnimmt. Er greift dazu zurück auf die seit der Spätantike geläufige notwendige Zahl von Zeugen, die je nach Höhe des Ordo des Beklagten entsprechend sehr groß sein sollte.338 Die Bischofsanklage aber bleibt grundsätzlich untersagt, sowohl von seiten der Kleriker als auch der Laien. Die weitere Begründung, die Pseudoisidor schließlich gibt, ist deutlich und nachvollziehbar:339 „Troni enim dei vocantur [apostoli et successores eorum], ideo non debent moveri aut affligi vel perturbari.“ Hier schließt sich der Kreis der Argumentation. Es ist die Ordnung, die zu erhalten oberstes Gebot ist, weil sie – gerade im Falle des bischöflichen Ordo – göttliche Ordnung ist. Etwas anderes ist es, wenn ein Bischof säkulare Mächte in der Kirche regieren lässt, dann nämlich sollte er abgesetzt werden, wie Pseudoisidor mit den Canones Apostolorum mitteilt.340 Es gibt also Fälle, in denen auch Pseudoisidor nicht umhin kann, die Bischofsanklage zuzulassen, die er im Grundsatz so vehement bekämpft. Er hätte den Canon des Apostelkonzils nicht erwähnen müssen. Da nun aber die Anklage eines Bischofs gelegentlich vorkam und Pseudoisidor und sein Kreis dies nicht verhindern konnten, ja möglicherweise – wie das letzte Beispiel andeutet – ihre Notwendigkeit aus praktischen Erwägungen letztlich doch anerkannten,341 war die vielleicht wichtigere Aufgabe der „Fälscher“, diese Verfahren zu regeln, und zwar im Sinne der Kirchen und ihrer Integrität. Dringend zu regeln war die Frage nach der Leitung der Kirche, v. a. nach der Aufsicht über das Kirchengut. Hier steht Pseudoisidor auf dem Standpunkt, dass – [„in dubio pro reo“]342 – der Bischof bis zu einer etwaigen Verurteilung im Vollbesitz

338 Capitula Angilramni, Cor. 13, ed. Hinschius, 757–769, 768. 339 Pseudoisidor, Ep. Stephani omnibus episcopis, ed. Hinschius, S. 183–189, 186. 340 Pseudoisidor, Canones apostolorum, can. 31, ed. Hinschius, S. 29: „Ut ecclesia saeculari potentia minime pervadatur. Si quis episcopus saecularibus potestatibus usus, ecclesiam per ipsos obtineat, deponatur et segregentur omnes quicumque illi communicant.“ 341 Das Konzil von Paris (846 oder 847), MGH Conc. III, 13, S. 145 sieht für Äbte, die sich der Amtsverletzung schuldig gemacht haben, vor, dass sie ihrer Aufgaben enthoben werden dürfen, ohne jedoch ihre Wahl in Frage zu stellen („electio illis intemerata permaneat“), mit der Begründung für die faktische Absetzung: „Non enim iustum, ut unius culpa super omnes redundet [. . .].“ 342 Pseudoisidor, decreta Zepherini papae, epistola decretalis, cap. 4, ed. Hinschius, S. 131 f. theoretisiert die Frage, indem er sagt: Neque in re dubia certa iudicetur sententia [. . .].“

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seiner potestas verbleiben müsse,343 für den Erhalt von Kirchengut und kirchlicher Ordnung eine sehr sinnvolle Forderung.344 Nach einer etwaigen Verurteilung wäre dann die Kathedra regulär neu zu besetzen. Der Fall des Hinkmar von Laon, der nach mehreren Provokationen schließlich festgesetzt wurde und damit die Aufsicht über seine Kirche verlor, bevor ihm der Prozess gemacht wurde, hat tatsächlich einige Irritation ausgelöst, vor allem bei der Geistlichkeit seiner Kirche, die in erhebliche Loyalitätskonflikte gestürzt wurde.345 Bei der Konzeption der bischöflichen Stellung war die Absetzung nicht vorgesehen. Das zeigt sich auch in den Anschauungen Pseudoisidors, der einmal – durchaus wohl begründet – der Anklage eines Bischofs überhaupt widerspricht, und dann mit der Notwendigkeit derselben pragmatisch umgeht. Zwischen beiden Konzepten gibt es keine Brücke: Hier die absolute Stellung des Bischofs als Apostelvertreter und mittelbarer Vertreter Gottes auf Erden und dort der Bischof als gewählter Vertreter einer Kirche, die selbst nicht mehr völlig autonom ist. Wenn Pseudoisidor den Papst als zuständigen Patriarchen den Gremien des Kirchenverbandes als oberste Instanz entgegensetzt, so ist das eine naheliegende Hilfskonstruktion, die aber zugleich ebenfalls mit der Forderung nach Autonomie der Bischofskirche kollidiert. Es ist die Forderung nach dem Recht der Appellation von verurteilten Bischöfen an den Papst,346 die der bischöflichen Kirche ihre Integrität zurückgeben sollte, gegen wen, wird an späterer Stelle zu verfolgen sein.

343 Z. B. Pseudoisidor, ep. Zepherini papae aegipiis directa, cap. 12, ed. Hinschius, S. 133. 344 Pseudoisidor, ep. Fabiani papae ad omnes horientalis episcopos, cap. 20, ed. Hinschius, S. 160–166, 165: „Nulla enim permittit ratio, dum ad tempus eorum bona vel ecclesias atque res ab emulis aut a quibuscumque detinentur, ut aliquid illis obiicere debeat, nec quicquam potest eis quoque modo quilibet maiorum vel minorum obicere, dum ecclesiis vel rebus aut potestatibus carent suis.“ 345 Vgl. SCHRÖRS, Hinkmar von Reims 1884, 328 f. 346 Pseudoisidor, Concilium Cartaginense Africae sextum, ed. Hinschius, can. 3, S. 308–315, 309: „Placuit autem, ut si episcopus accusatus fuerit et iudicaverint congregati episcopi regionis ipsius et de gradu suo deiecerint eum, et appellasse episcopus videatur, et confugerit ad beatissimum Ecclesiae Romanae episcopum, et voluerit audiri et iustum putaverit ut renovetur examen.“ (vgl. MPL 130, 353 ff., 354). Die Konzile von Karthago der Jahre 424 und 525 verboten die Appellation an die römische Kirche, wobei nicht völlig klar ist, ob das auch für Bischöfe galt: „Ut nullus ad Romanam ecclesiam audeat appellare“, Konzil von Karthago (525), ed. C. Munier, S. 266. – S. zur Appellation von Bischöfen an den Papst in diesem Sinne: Pseudoisidor, Decreta Sixti papae, ed. Hinschius, 561–565 (MPL 130, 761 f.); Pseudoisidor, decreta Zepherini papae, epistola decretalis, cap. 2, ed. Hinschius, S. 131 f. und besonders Pseudoisidor, ep. decretalis Victoris papae Theophilo Alexandrino, cap. 5, ed. Hinschius, S. 128 f.

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2.4.4 Kirchengut Die Entfremdung von Kirchengut ist immer noch ein großes Thema.347 Es ist aber nicht bloß ein gewalttechnisches Problem, sondern auch ein logistisches. Die Güter der einzelnen Kirchen einer Diözese sind räumlich nicht geschlossen, im Gegensatz zu denen vieler weltlicher Großer. Dazu hat man sich zu vergegenwärtigen, dass die Eigentumsveränderungen mehrerer hundert Jahre in den meisten Fällen mit eindeutiger Tendenz zugunsten der Kirchen verliefen. Dazu kommt, dass bei den Vergaben an Kirchen oft einzelne Güter an der räumlichen Peripherie adeligen Besitzes gegeben wurden, somit der adelige Besitz dabei auch arrondiert wurde, während die kirchlichen Güter als ausgesprochen verstreut vorzustellen sind,348 was schon früh die Anlegung umfassender Urbare notwendig machte.349 Während die offiziellen kirchlichen Quellen, also vor allem die Konzilsbeschlüsse, das Problem der Entfremdung von Kirchengut als ein auf die Verfehlungen weltlicher Großer beschränktes sehen,350 wird bei Pseudoisidor deutlich, dass das so nicht stimmt. Nach wie vor entfremdeten auch Kleriker Kirchengut,351 was aber offensichtlich nicht mehr so problematisch für die kirchliche Organisation war, dass es offen thematisiert werden musste.352 So erweisen sich die Konzilsbeschlüsse zugleich als propagandistisches Mittel zur Disziplinierung der weltlichen Gewalten.353 Konkrete Gründe, die Frage des Raubs und der Entfremdung von Kirchengut durch Laien zu thematisieren, gab es indes genug. Auf dem Konzil von Anjou (850) z. B. klagten 22 Bischöfe gegen den Bretonenfürsten Nomenoe wegen des Raubs von Kirchengut.354 Interessant ist der

347 Vgl. die einleitenden Bemerkungen von HARTMANN zur Edition des Konzils von Meaux-Paris (845/846), MGH Conc. III, 11, S. 61–63. 348 Eindrucksvoll zeigt das GOETZ, Grundherrschaft des Klosters Werden 1990, v. a. in den Karten und S. 81. 349 Vgl. grundsätzlich zu diesem Komplex RÖSENER, Grundherrschaft 1991. 350 Vgl. z. B. Hinkmar von Reims ep. 21 Concilii Tusiacensis ad rerum ecclesiasticarum pervasores et ad pauperum praedatores, MPL 126, 122–132, 130. – FELTEN, Konzilsakten 1993, 186 konstatiert, dass Klagen über die Entfremdung durch Kleriker in dieser Zeit regelrecht vermieden werden und sieht im Hervorheben der Verfehlungen von Laien gegenüber dem Kirchengut durchaus Absicht der Konzilsväter. 351 Vgl. besonders Pseudoisidor Ep. Pii Italicis, cap. 7, ed. Hinschius, S. 118–120, 118 zur Veruntreuung von Kirchengut durch Kleriker und Priester. 352 S. dazu Hinkmars erstes Kapitular, cap. 11, MGH Cap. Ep. II, S. 39 f. „Ut nullus presbiter praesumat calicem vel patenam aut pallam altaris vel vestimentum sacerdotale aut librum tabonario vel negotiatori aut cuilibet laico vel feminae in vadimonium dare [. . .]“, dazu Anm. 48 des Herausgebers zum Vorkommen solcher Fälle, etwa, dass sogar Lupus von Ferrières in einer Notsituation Kirchengut verpfänden musste. 353 Vgl. hierzu besonders can. 12 des Konzils von Ver (844) und den Kommentar von HARTMANN, Synoden 1989, 205. 354 Konzil von Anjou (850), MGH Conc. III, 20, S. 204. Vgl. dazu HARTMANN, Synoden 1989, 219 f., der von einer gut besuchten Synode an unbekanntem Ort spricht.

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verstärkte Rückgriff auf die frühen gallischen Synoden, die ja einiges an Material zu dieser Frage liefern.355 Zu erwähnen ist bei der reinen Bestandsaufnahme an dieser Stelle auch die Wiederholung einer Bestimmung des Konzils von Agde (506) durch Pseudoisidor, in der der Fall thematisiert und verurteilt wird, dass einer der Kleriker Dokumente etwa an Feinde der Kirche übergibt, mit denen Kirchengut dokumentiert wird, sodass das Gut in den Besitz der „Feinde“ übergehen kann.356 Das erweckt den Eindruck, als handele es sich um ein strukturelles Problem im Zusammenhang von Kirchengut und Schriftlichkeit. Der Besitz einer Urkunde über Besitz als ausreichende und möglicherweise einzige Nachweismöglichkeit desselben, wird dann zum Problem, wenn einzelne Mitglieder der besitzenden Kommunität nicht loyal sind, also eine von der Gemeinschaft unterscheidbar Interessenlage haben.357 Letzteres ist ein nicht zu unterschätzendes Problem der kirchlichen Staatlichkeit, in der Spätantike ebenso wie im 9. Jahrhundert. Die Frage ist, wie eine Gesamtheit aus vielen einzelnen Personen bzw. Gruppen zu organisieren ist. Schließlich ist der Bestand der Gesamtheit gewissermaßen vorgegeben, weshalb es keine Alternative zur Organisation gibt, erst recht, da es gemeinsamen Besitz gibt, dessen Erhalt nach einer verhältnismäßig weitgehenden Organisation verlangt. Weil dieses Problem ein Strukturproblem ist, sind die Kirchen gezwungen, wie in der Antike zu Staatlichkeit zu finden, also Mechanismen zur Verwaltung und Kontrolle der Gemeinschaften zu entwickeln. Ein wesentlicher Ansatz zur Verwaltung der Kirchen ist die Sorge um das Kirchengut. Gerade der kirchliche Besitz zeigt den Grad kirchlicher Organisation, nämlich zwischen Subsidiarität und überregionaler Kontrolle. Der Schutz des Kirchengutes ist dabei oberstes Gebot. Zu diesem Zweck werden nicht nur praktische Regelungen zum Erhalt des kirchlichen Gutes getroffen, sondern

355 Konzil von Tusey (860), Synodalschreiben, MGH Conc. IV, 22–34, 30 (Hinkmar von Reims [concilii Tusiacensis ad rerum ecclesiasticarum pervasores et ad pauperum praedatores] ep. 21, MPL 126, 122–132, 128) zitiert Beschlüsse der Konzile von Toledeo I, can. 11 und Agde (Concilium Agathense 506), can. 4, Concilia Galliae I, ed. C. Munier, S. 194. An anderer Stelle zitiert Hinkmar allgemeine Konzile der Alten Kirche, Hinkmar von Reims, ep. 6 ad episcopos synodi Suessionensis de Vulfado, MPL 126, 59–64, 60. Auch Pseudoisidors Wertschätzung erfreuen sich die frühen gallischen Konzile, etwa Pseudoisidor, Concilium Agathense, ed. Hinschius, can. 26, S. 331–336, 334 (vgl. MPL 130, 403). Vgl. Pseudoisidor, Concilium Agathense, can. 53, ebenda 335 (MPL 130, 406). 356 Pseudoisidor, Concilium Agathense, ed. Hinschius, can. 26, S. 331–336, 334 (MPL 130, 403). Vgl. dazu Concilium Agathense, can. 26, in: Concilia Galliae I, ed. C. Munier, S. 204 f.: „Si quis vero de clericis documenta, quibus ecclesiae possessio firmatur, aut supprimere [„subripere“ bei Pseudoisidor, ed. Hinschius, S. 334] aut negare aut adversariis fortasse tradere damnabili et punienda obstinatione aut praesumpsit aut praesumpserit, quidquid per absentiam documentorum damni ecclesiae illatum est, de propriis facultatibus reddant et communione priventur.“ 357 Die Interessenlage kann durch dinglich-persönliche Bindungen an Große entstehen, vgl. Hinkmar von Reims, 4. Kapitular, cap. 4 (874), MGH Cap. Ep. II, S. 84: „Nullum enim alodem episcopus vel presbiter melius vel firmius potest habere, quam qui est ecclesiae attributus, si secundum suum ordinem vivere voluerit. Si autem ordinem pro sua culpa perdiderit, nec alodem, quem a die ordinationis suae de ecclesiasticis facultatibus adquisivit, habere valebit [. . .].“

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wird nach wie vor auch nach Wegen zu seiner erfolgreichen Sanktion gesucht.358 Dabei liegt in dem Hinweis auf das Kirchengut als „vota fidelium, pretia peccatorum et patrimonia pauperum“ immer noch die gebräuchlichste Sanktion.359 Es wird nun gelegentlich, etwa in einem Brief von Bischöfen an einen König, hinzugefügt, dass von den ecclesiasticae facultates auch die Kleriker leben müssen.360 Nicht zuletzt erfährt das Kirchengut auch königliche Sanktion, wenn Karl der Kahle in einem italischen Kapitular Verletzern desselben auferlegt: „[. . .] triplicem legem et triplex bannum nostrum persolvere.“361 Deutlich weist das Konzil von Valence (855) darauf hin, dass die Verletzung des Kirchengutes sich gegen Gott richtet, dessen Kirchen betroffen seien und dem es „a piis et fidelibus oblatae“, nämlich auch zur „redemptio peccatorum“.362 Konsequent gilt die Verletzung von Kirchengut als Sakrileg363 und zieht bei Weigerung, das Handeln zu korrigieren, grundsätzlich die Exkommunikation nach sich.364 Zur Frage von Besitz und Eigentum am Kirchengut äußern sich die Quellen eher vage, so wird auf dem Konzil von Beauvais (845) bemerkt, dass das Kirchengut zu den einzelnen Kirchen gehöre, dies ist aber wohl eher als Ortsbestimmung denn als Besitzanzeige zu verstehen.365 Dabei ist jedoch davon auszugehen, dass der Besitz des Kirchengutes im 9. Jh. durchaus als bei den einzelnen Kirchen liegend aufgefasst wird, der Bischof jedenfalls kommt als Besitzer nicht in Frage. An dieser Stelle muss noch einmal betont werden, dass die Unterscheidung von Eigentum und Besitz in dieser begrifflichen Fassung dem frühen Mittelalter nicht vertraut ist, 358 In den Bereich der „sanctio“ gehört z. B. das letzte Kapitel der Vita S. Remigii des Hinkmar von Reims (SCHRÖRS, Hinkmar von Reims 1884, 447). 359 Leicht abgewandelt in cap. 7 des Briefs der Bischöfe von Reims und Rouen an Ludwig den Deutschen im Zusammenhang mit dem Konzil von Quierzy (858), MGH Conc. III, 41, S. 415 f. Vgl. Konzil von Valence (855), can. 8, MGH Conc. III, 33, S. 358. Can. 17 des Konzils von MeauxParis (845/846), MGH Conc. III, 11, S. 94 zitiert das Konzil von Orléans (594), can. 13, wo der Verletzer des kirchlichen Gutes als „necator pauperum“ „ab ecclesie liminibus excludatur“. Vgl. DEVISSE, L’Influence de Julien Pomére 1972, 290 f. 360 Cap. 7 des Briefs der Bischöfe von Reims und Rouen an Ludwig den Deutschen im Zusammenhang mit dem Konzil von Quierzy (858), MGH Conc. III, 41, S. 413–417, 414: „[. . .] de quibus vivunt clerici [. . .]“. 361 Capitulare Papiense (Februar 876), cap. 10, MGH Cap. II, Nr. 221, S. 100–104, 102. Vgl. auch das Konzil von Mainz (847), cap. 6, MGH Cap. II,1, 248, S. 177: „[. . .] possessiones Dei consecratas atque ob honorem Dei sub regia immunitatis defensione constitutas [. . .].“ 362 Konzil von Valence (855), can. 21, MGH Conc. III, 33, S. 362. Vgl. auch Capitula episcoporum Papiae edita (845–850), cap. 10, MGH Cap. II,2, 210, S. 82 zu Italien: „[. . .] pro animarum suarum remedio ecclesiis contulerunt.“ 363 Isaak von Langres, Cap. VII, 2, MGH Cap. Ep. II, S. 221; Isaak, ebenda (S. 223), Cap. VII über Sakrilegien, VII, 6 zu den Vergehen gegen Kleriker und Priester als Sakrileg. 364 Herard von Tours, Kapitular (858), cap. 81 (Kirchengut allgemein) und 145 (Zehnt), MGH Cap. Ep. II, S. 145 und 156. 365 Konzil von Beauvais (845), can. 6, MGH Conc. III, 9 zu den „obpressores ecclesiarum nostrarum et rerum ad easdem pertinentium“.

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wenngleich die lateinischen Worte „proprietas“ und „possessio“ gebraucht werden und durchaus Abstufungen in der Beziehung zum „Gut“ bezeichnen können.366 Bereits angedeutet ist die Beziehung des Kirchengutes zu Gott. Häufig wird betont, dass die Oblationen Gaben an Gott seien,367 womit das Kirchengut als „res Deo sacrata“368 bzw. „res Deo dicata“369 anzusehen ist.370 Das ist ein Teil der notwendigen Sanktion und somit ist nicht die Frage beantwortet, wer denn in einem irdisch-rechtlichen Verhältnis Eigentümer sei. Diese Frage streift immerhin Hinkmar von Reims mit der folgenden Bemerkung: [. . .] ita et tales possessiones atque facultates domino in suis ecclesiis et in specialibus servorum ipsius usibus consecratae, propter fideles Christi, qui eius ecclesia sunt et exinde aluntur, dei hereditas, cum orbis terrarum et plenitudo eius ipsius sit, quasi specialiter appellatur.371

Das Erbe Gottes ist unzweifelhaft sein Eigentum. Das Kirchengut fassen Hinkmar und das Konzil als Eigentum Gottes auf und stellen es als solches dar; wie auch Herard von Tours in seinem Bischofskapitular.372 Das hat den Vorteil, dass das Gott 366 DORN, Landschenkungen 1991, 79 f. – Vgl. die Bedeutungen von „proprietas“ im Mediae latinitatis lexicon minus 2002; mir unverständlich ist die einfache Übersetzung von „possessio“ als Fronhof, ebenda. – Über diese Frage müsste an anderer Stelle ausführlich gehandelt werden. 367 Pseudoisidor, Decreta Urbani papae De communi vita et oblationibus fidelium, cap. 4, ed. Hinschius, S. 144 f.: „Ipse enim res fidelium oblationes appellantur, quia domino offeruntur.“ Diesen Satz greift Hinkmar von Reims auf (zur Autorschaft Hinkmars s. HARTMANN, Synoden 1989, 265), wenn er im Namen des Konzils von Tusey die Entfremdung von Kirchengut als Sakrileg herleitet (Konzil von Tusey, 860, Synodalschreiben, explizit S. 29 f.). Auch das Konzil von Douzy (874), Synodalschreiben, MGH Conc. IV, S. 585, Z. 33 f. zitiert diesen Satz Pseudoisidors. – S. auch das Synodalschreiben an westfränkische Große der Kirchenversammlung von Savonnières (859), MGH Conc. III, Nr. 47, S. 484: „Possessiones ecclesiae, id est villas, quae datae sunt Deo ab his, qui ante vos Christiani fuerunt, propter redemptionem animarum et propter templorum dei instaurationem et eorum victum et vestimentum, qui sine cessatione laudes deo persolvunt, et propter stipendium pauperum et, si opus esset, redemptionem captivorum, vos Deo aufertis, et quia statim non vindicat, quasi cum securitate possidetis.“ Vgl. auch Pseudoisidor, Concilium Toletanum sextum, can. 15, ed. Hinschius, S. 376–380, 379 (MPL 130, 491 f.). 368 Z. B. Pseudoisidor, ep. Stephani papae omnibus episcopis scripta, cap. 5, ed. Hinschius, S. 183–189, 184. 369 Konzil von Tusey (860), Synodalschreiben, MGH Conc. IV, 22–34, S. 31, Z. 15 „[. . .] privilegia de locis et rebus deo dicatis [. . .].“ (Hinkmar von Reims, ep. 21 concilii Tusiacensis ad rerum ecclesiasticarum pervasores . . . , MPL 126, 122–132, 129). 370 Isaak von Langres verlangt in seinem Kapitular VII, 7, MGH Cap. Ep. II, S. 224, „Quod omnia, quae domino offeruntur, procul dubio et consecrantur.“ 371 Konzil von Tusey (860), Synodalschreiben, MGH Conc. IV, Nr. 3B, S. 28, Z. 17–20. Der Verfasser (Hinkmar von Reims) erweitert den Gedanken auf die Gott geweihten Personen, diese seien Teil der „specialis Christi hereditas“, ebenda Z. 26. 372 Herard von Tours, cap. 65, MGH Cap. Ep. II, S. 142: „Omnia, quae deo offeruntur, consecrata habeantur in vineis, terris, silvis, utensilibus, vestimentis, pecoribus et reliquis possessionibus, ut, quae ecclesiae sunt, sine dubio Christi, qui sponsus eius est, sint.“ – Zur Klassifizierung der Bischofskapitularien vgl. BROMMER, Bemerkungen 1980, 208–210.

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geweihte und gehörende Gut vor Übergriffen noch besser geschützt ist, als mit der Sanktion über eine Zweckbestimmung als „vota fidelium, pretia peccatorum et patrimonia pauperum“. Zugleich aber ist damit der Ansatz einer Antwort gefunden auf die Frage, welches Recht welche Instanz in Bezug auf das kirchliche Gut eigentlich hat. Ist Gott der wirkliche Eigentümer, ist somit der Gemeinde der Zugriff entzogen. Gottes Sachwalter aber ist der von der Gemeinde gewählte Bischof. Seine potestas über das Kirchengut – so ist zu vermuten – beruht also auf seinem Amt als Sachwalter des göttlichen Willens. Bleiben die Einzelkirchen und ihre Patrone: Ihnen bleibt dann nur noch der Besitz des Kirchengutes, was ebenfalls die bischöfliche Stellung klärt. So agiert der Bischof als oberster Verwalter des Kirchengutes zwischen dem Recht Gottes und dem der Einzelkirchen gewissermaßen als Mittler. Die Patrone der Einzelkirchen, also die Heiligen, die für Kirchen nicht selten als Rechtspersonen auftreten,373 stehen bei ihren Kirchen. Ihnen kommt – so ist zu postulieren – ein gesteigertes Besitzrecht zu, das zum gegenwärtigen Zeitpunkt und an dieser Stelle nicht näher bezeichnet werden kann als mit einer Bestimmung eines Kapitulars des Bischofs Isaak von Langres.374 Kirchengut, also Einkünfte, Liegenschaften und Inventar, wird sanktioniert, nicht zuletzt um den Bestand der einzelnen kirchlichen Einrichtungen zu sichern, denen einzeln und in ihrer Gesamtheit wesentliche Aufgaben der kirchlichen Organisation zukommen. Sie sorgen für die Christianisierung der Gesellschaft, für die Verkündung des Glaubens und die Verbreitung kirchlicher Riten und Regeln vor Ort. Xenodochien und Hospitäler sind auch karitative Einrichtungen zum Erhalt gesellschaftlicher Ordnung. Kirchen und Klöster schaffen Infrastruktur, wenn z. B. Wege gebaut werden, die zu ihnen führen. Klöster binden adelige Gewalt vor Ort, indem adelige Söhne und Töchter in ein soziales System eingebracht werden, in dem Ordnung, Kontrolle und Gewaltverzicht geübt werden. Und nicht zuletzt obliegt den Kirchen die Armenfürsorge und -versorgung.375 Ja selbst die sogenannten Eigenkirchen haben für die kirchliche Organisation einen Sinn, indem bischöfliche potestas über sie weiter in die adelige Lebenswelt und in adelige Eigentumsrechte eindringt, als schon über die regulären Klöster.376

373 Zu den Kirchen des Frankenreiches, zumindest in den Teilen, in denen „das römische Recht fortlebte“ geht ESDERS, Römische Rechtstradition 1997, 212 f. von faktischer Rechtspersönlichkeit aus, er bezeichnet sie als „quasi juristische Persönlichkeiten“. 374 Isaak von Langres cap. VII, 5, MGH Cap. Ep. II, S. 223: „Quid, quicquid offertur domino, sanctum sanctorum sit et ad ius pertineat sacerdotum. 375 Hinkmar von Reims, 4. Kapitular, cap. 2, MGH Cap. Ep. II, 82 f. schärft seinen Archidiakonen ein, darüber zu wachen, dass die Mittel für die matricularii auch tatsächlich bei diesen ankommen und nicht etwa von den Priestern entfremdet würden. 376 Hinkmar von Reims, 5. Kapitular, cap. 8, MGH Cap. Ep. II, S. 88 an die beiden Archidiakone: „Nemo vestrum capellam alicui in domo sua habere concedat sine mea licentia neque in domo sua missas celebrari concedat sine mea licentia.“

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Bei dieser Bedeutung der örtlichen kirchlichen Einrichtungen muss der Erhalt ihrer Handlungsfähigkeit und ihres Bestandes ein hohes Gebot sein. Das Konzil von Meaux-Paris (845/846) sorgt sich um den Erhalt des kirchlichen Eigentums an den Gütern, die als Prekarien an weltliche Herren vergeben sind und fordert z. B. die Erneuerung der Prekarie alle fünf Jahre.377 Pseudoisidor erinnert an das Konzil von Chalkedon, das den fortwährenden Bestand von einmal gegründeten Klöstern fordert.378 Eine Anfrage der Mönche von St. Denis, wie es denn mit dem Verkauf eines Zehnten stünde, bescheidet Hinkmar von Reims mit aller Deutlichkeit abschlägig.379 Walter von Orléans fordert in einem bischöflichen Kapitular, dass grundsätzlich kein heiliges Gefäß, auch nicht an einen geheiligten Ort, zu verpfänden sei. Im Notfall sei dazu dann aber die Zustimmung des Bischofs erforderlich.380 Und Hinkmar von Reims erneuert in seiner Schrift Collectio de ecclesiis et capellis das Gebot, keine Privilegien einer bestehenden Kirche zugunsten eines neuen „Oratoriums“ anzutasten oder etwa Pfarrbezirke zu teilen.381 Hierhin gehört auch die wohl immer noch gültige Forderung nach der Unteilbarkeit von (Eigen-)kirchen im Erbfall.382 Neben dem Erhalt des Bestandes der kirchlichen Einrichtungen einer Diözese ist ihre Subsidiarität von hohem Wert, vor allem ihre relative wirtschaftliche Autonomie, die einher geht mit einer gewissen rechtlichen Hoheit, die dann in der potestas des Bischofs ihre Begrenzung findet. Wie schon an früherer Stelle darf man auch im 9. Jh. die meisten kirchlichen Einrichtungen als Rechtssubjekte beschreiben.383 So zitiert Hinkmar von Reims in seiner Collectio de ecclesiis et capellis das Konzil von Chalon (647/53), can. 7, das festlegte, dass auch nach dem Tod des Vorstehers einer kirchlichen Einrichtung ihr Gut auch vom Bischof nicht angetastet werden dürfe.384 Hinkmar erinnert mit einem Zitat des Konzils von Braga auch an

377 Konzil von Meaux-Paris (845/846), can. 22, MGH Conc. III, 11, S. 96. 378 Pseudoisidor, Konzil von Chalkedon, can. 24, ed. Hinschius, S. 287; vgl. MPL 130, 313, mit abweichendem Wortlaut. 379 Hinkmar von Reims, ep. 42 Wiligiso et caeteris monachis S. Dionysii, MPL 126, 264. 380 Walter von Orléans, Capitula, Nr. 5, MGH Cap. Ep. I, S. 189: „Ut nullus sacrum vas aliquid deo sacratum loco pignoris dare praesumat, nisi causa redimentorum captivorum aut in restauratione ecclesiae; et hoc ipsum ne fiat nsis per licentiam episcopi.“ Pseudoisidor, Concilium Toletanum tertium, ed. Hinschius, can. 3, 354–362, (MPL 130, 454) erlaubt die Versorgung („suffragium“, Übersetzung nach Niermeyer zu eben diesem Canon des Toletanum (589)) von Mönchen und Kirchen der Diözese durch den Bischof mit Mitteln seiner Gemeinde (Mediae latinitatis lexicon minus 2002). 381 Hinkmar von Reims, Collectio [1], ed. Stratmann, S. 79, Z. 4–7. – S. dazu PATZOLD, Raum der Diözese 2007, 243. 382 Überliefert in den Beschlüssen eines ostfränkischen Konzils, Konzil von Mainz (852); can. 5, MGH Conc. III, 26, S. 243. 383 S. „Kirchen und Köster“ I.1.3.. 384 Hinkmar, Collectio [1], ed. Stratmann, S. 99, Z. 5–7: „ut defuncto presbitero vel abbate nihil ab episcopo auferatur vel ab archidiacono vel a quocumque de rebus parrochiae et xenodochii vel monasterii aliquid debeat minuari.“

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das grundsätzliche Verbot für Bischöfe, irgendwelche Steuern von den Einzelkirchen zu erheben, die über die kanonischen Abgaben hinaus gehen.385 Dabei gibt es Unterschiede in der rechtlichen Stellung der kirchlichen Einrichtungen einer Diözese, die auf einer gewissen Hierarchisierung beruhen. Übrigens legt eine Synode von Rom (853) fest, dass auch persönliche Abgaben der Priester von den Bischöfen nicht erhoben werden dürfen.386 Auch hier gilt das Prinzip von Subsidiarität. Der Bischof hat keinen direkten Zugriff auf die Einnahmen der den Hauptkirchen der Diözese zugeordneten „Kapellen“. Diese führen den Anteil des Bischofs bzw. der Bischofskirche an ihren Einkünften an ihre Hauptkirche ab, die dann für sich und ihre nachgeordneten kirchlichen Einrichtungen den Gesamtbetrag an den Bischof entrichtet.387 Wichtig für die Funktion der kirchlichen Organisation ist neben dem Subsidiaritätsprinzip das Subsistenzprinzip. Die kirchlichen Einrichtungen sollen sich selbst und ihre Aufgaben finanziell tragen können. Wenn das nicht gewährleistet ist, sollte – so Hinkmar von Reims – der Geistliche auch Lebensmittelspenden („sumptus“) annehmen, soweit sie zur Subsistenz der kirchlichen Einrichtung notwendig seien.388 Auch gehört zur Subsistenz einer kirchlichen Einrichtung die reguläre, also den Regeln entsprechende und damit auch regelmäßige Einnahme und Verwaltung der kirchlichen Einkünfte; Verwandte etwa sollten nicht bevorzugt von kirchlichen Einkünften

385 Hinkmar von Reims, Collectio [2], ed. Stratmann, S. 111, Z. 1–4 (Zitat des Konzils von Braga): „ut nullus episcoporum suas dioceses perambulans praeter honorem cathedrae suae, id est duos solidos, aliquid alius per ecclesias tollat neque tertiam partem ex quacumque oblatione populi in ecclesiis parrochialibus requirat.“ Ähnliches legt Hinkmar, Collectio [1], ed. Stratmann, S. 92, Z. 28 – S. 93, Z. 1 dar: „Providendum ergo est nobis episcopis, ne quaerentes ab aliis in nostris parrochiis, quod de ecclesiarum matricum ecclesiis exigere non valemus, quoniam nec debemus nec possumus decernente Leone ad Rusticum Narbonensem episcopum, ‘ut in his etiam, quae fuerint dubia vel obscura [. . .]’“- Vgl. grundsätzlich zur Integrität kirchlichen Gutes auch die Synode von Rom (853), can. 16, MGH Conc. III, 32, S. 322: „Ut episcopis de subiectis plebibus aliisque piis locis non liceat res auferre.“ In diesen Zusammenhang gehört auch das grundsätzliche Verbot der Besteuerung der kirchlichen Einnahmen durch das Konzil von Meaux-Paris (845/846), can. 63, MGH Conc. III, 11, S. 114. Vgl. dazu HARTMANN, Synoden 1989, 213; es handelt sich um ein Zitat eines sonst nur einzeln überlieferten Kapitulars Ludwigs des Frommen. 386 Synode von Rom (853), can. 26, MGH Conc. III, 32, S. 325: „Si episcopus a subiectis sacerdotibus et clericis dationes exigat.“ 387 Hinkmar von Reims, ep. 52 ad clerum et plebem Laudunensem de ordinatione Henedulfi Laudunensis episcopi, MPL 126, 271–276, 272: „Et de capellis antiquitus subjectis ecclesiis, non aequalem, sicut de principalibus ecclesiis, collationem exigat; sed principalis ecclesia cum sibi subjectis capellis, debitam et antiquitus consuetam collationem conferat.“ 388 Hinkmar von Reims, Collectio [3], ed. Stratmann, S. 118, Z. 18–22: „Nam si qui nostrum tales sunt, qui non habent sic sufficientes ecclesias, ut in circuitione parrochiarum de stipendiis ecclesiae suae vivere possint, talem modum in acceptione sumptuum accipere debent, ut et ipsi per parrochias evangelizare sufficiant et illis sumptus non ad superfluitatem, sed ad necessitatem sufficiant.“

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profitieren.389 Darüber wachen die Priester und der Bischof gemeinsam.390 An dieser Stelle wird deutlich, wie wichtig die beiden Prinzipien der Subsidiarität und der Kontrolle durch die Zentrale bzw. einen Verband (wenn es sich um die Kontrolle der Bischöfe handelt) sind. Wichtig ist nämlich, dass die kirchlichen Mittel, die vor Ort eingenommen werden, auch vor Ort verwaltet werden, und dass zugleich eine Aufsichtsinstanz über die Verwaltung der Mittel wacht.

2.4.5 Bischofsversammlung Dieser Grundsatz von Subsidiarität und Kontrolle gilt auch für die nächst höhere Ebene. Der Bischof ist nicht mehr uneingeschränkter Herr seiner Diözese, wenn er es denn je war. Es ist ein Moment von neuer Staatlichkeit der kirchlichen Organisation, dass es den Kirchen gelingt, ihre Stimmen in Verbänden zu bündeln und sich so leichter Gehör zu verschaffen. Die Metropolitanverbände tragen seit ihrer Erneuerung, v. a. durch die Initiative Karls des Großen, zwei konkurrierende Prinzipien in sich. Karl der Große wünschte die Entstehung neuer monarchischer Institutionen zwischen den einzelnen z. T. autonomen Bischofsherrschaften und dem König, auf die er Einfluss nehmen konnte. Karl der Große und sein Nachfolger Ludwig der Fromme profitierten davon, da sie in der Lage waren, die Bischofs- und auch Erzbischofseinsetzung maßgeblich zu kontrollieren.391 Zugleich aber stieß die Einsetzung von Erzbischöfen auf einen gewissen Widerstand der Suffragane, die ihrerseits die Synoden als Orte der bischöflichen Gemeinschaft und gemeinsamen Entscheidung pflegten, was die Stellung des Metropoliten

389 Vgl. Hinkmar von Reims, 2. Kapitular, cap. 19, MGH Cap. Ep. II, S. 51 (852): „Nam aliud est sine dispendio ecclesiae amicis vel parentibus pauperibus aut quibuslibet necestuosis ex caritate cum mensura et ratione subvenire vel adiutorium ferre et aliud cum destructione ecclesiae vel dissipatione facultatum ecclesiasticarum quasi furtim, immo furtim, quae ecclesiae esse debuerant et usibus illius ac pauperum seu hospitum impendi, carnalium carnaliter usibus sine divino respectu inservire. Et de nichil habentibus promotus presbiter non praesumat, quae de facultatibus ecclesiae comparaverit, vendere vel quasi ad casam dei tradere nisi ad aecclesiam, cuius propriae esse debent, sine consultu episcopi.“ 390 Hinkmar von Reims, Collectio [2], ed. Stratmann, S. 105, Z. 14 – S. 106, Z. 8: „Qui provideant, ut ecclesiae dotes et decimas regulariter habeant, quas presbiteri regulariter per episcopi disposicionem secundum regularem constitutionem dispensent, et ut secundi ordinis pastores docendo et exempla bona monstrando populum pascant, se ipsos regant, malos corrigant, bonos in rectam viam dirigant [. . .] neque propinquos suos, qui aliter secundum suam qualitatem bene vivere possunt, de matricula pascant.“ 391 Dazu brauchten sie nicht jede einzelne Bischofserhebung zu überwachen, mancherorts mag ihr Einfluss nicht gereicht haben, andernorts konnten sie sich gewiss auf Gefolgsleute verlassen, direkte Eingriffe waren also nicht bei jeder Besetzung eines Bischofsstuhls notwendig, um die Bischofserhebungen des Frankereiches zu kontrollieren. Zur Einflussnahme auf die Bischofserhebungen durch Karl den Großen s. KAISER, Bischofsherrschaft 1981, 75 f.

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durchaus zu begrenzen in der Lage war, nicht zuletzt wegen der altkirchlichen Konzilsentscheidungen zugunsten der Bischofsverammlung, die den Metropoliten eher als Vertreter derselben sahen, denn als ihren Vorsteher. Der Bischofsversammlung kommt nach den (alt-)kirchlichen Regeln in der Synode eine besondere Qualität zu, die also auch der Metropolit Hinkmar von Reims anerkennt.392 Und zur Wiedereinsetzung des Erzbischofes Ebo von Reims hatte der erklärte Wille des Königs (Kaisers) nicht ausgereicht, erst das einmütige Votum der Bischofsversammlung hätte dazu genügt.393 Das beherrschende ekklesiologische Thema der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts, wohl nicht nur im Westfrankenreich, war die Frage nach dem Verhältnis von Bischof und Metropolit bzw. zwischen diesem und der Bischofsversammlung. Noch bevor die Metropoliten selbst zum Thema werden, sei an dieser Stelle angedeutet, dass in dieser Frage zwei kaum vereinbare Positionen einander gegenüberstehen: Ist nämlich der Metropolit eine Art Oberbischof, der aus der Qualität seines Bischofsamtes heraus seine Mitbischöfe überragt, oder ist er lediglich Vertreter der Bischofsversammlung, als deren Delegierter er in ihrem Namen auch kleinere Entscheidungen des Verbandes treffen kann? Von dieser Frage hängt es ab, wie die Bischofsversammlung beurteilt wird. Ist sie nur als Behelfsinstitution zu verstehen, die dem Metropoliten legitimierend zur Seite steht oder ist sie die eigentliche Instanz zur Kontrolle der Bischöfe und Vertretung ihres gemeinsamen Willens nach außen? Hier sei zunächst außer Acht gelassen, dass neben dem Metropoliten, der Bischof der Provinzhauptstadt ist, die neueren Erzbischöfe bestehen, die solche erst mit der Palliumsverleihung durch den Papst werden, also nicht eigentlich (nur) Metropoliten sind. Die folgenden Untersuchungen zu diesem Komplex gehen nun davon aus, dass der Metropolit grundsätzlich (präzise ausgedrückt: wesenhaft) Bischof ist, der zugleich als Verbandsvertreter fungiert (und außerdem beim Bischof von Rom als dessen Vertreter in der Provinz akkreditiert ist) und die Position, die den Metropoliten weit über die Mitbischöfe erhebt, nichts weiter ist als eine großzügige Auslegung der Freiheiten eines Verbandsvertreters. Diese Position, die die Bischofsversammlung dem Metropoliten nachordnet, ist vor allem bei Hinkmar von Reims festzustellen, nämlich pointiert in der Zusammenstellung seiner Einzelpositionen zur metropolitanen Stellung den Suffraganen gegenüber, wie sie Schrörs liefert.394 Diese Sammlung von Positionen weicht stark

392 Hinkmar von Reims, ep. 32 ad Ioannem papam Caroli regis nomine, cap. 9, MPL 126, 230–244, 235. 393 Konzil von Ingelheim (840), III, Narratio, MGH Conc. II, 2, S. 810 f. (Z. 26 ff.): „Postea vero accipiens auxilium et legationem iam saepe fati Lothari imperatoris ad limina beatorum perrexit apostolorum, non satis habens in restitutione sua, sine apostolicae sedis auctoritate, consensu tantorum episcoporum et aliorum bonorum hominum.“ 394 SCHRÖRS, Hinkmar von Reims 1884, 320–322.

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von Hinkmars eigenen grundsätzlichen Herleitungen der Qualität des bischöflichen Amtes ab; und, viel wichtiger, sie hat keine wirkliche ekklesiologische Basis. Die Argumentation auf der Basis der bestehenden kirchlichen Regeln lässt es nicht zu, dem Amt des Metropoliten eine eigene Qualität zuzumessen, die die eines einfachen Bischofs wesenhaft überstiege. Und vermutlich ist die Zusammenstellung von Schrörs, die ja auf einzelnen Einlassungen zum Konflikt mit Hinkmar von Laon beruht, zur Zeichnung eines Bildes der Auffassung Hinkmars von Reims unzulässig. Gerade Hinkmar von Reims neigt dazu, sich von seinen eigenen Argumentationsgängen hinwegtragen zu lassen, um zu einem günstigen Ergebnis zu gelangen. Die Rolle des Bischofs von Rom für die Vorstellung von der kirchlichen Ordnung im Frankenreich ist an dieser Stelle vorab zu thematisieren. Denn mit ihm und seiner Stellung als Vertreter Petri kommt ein weiteres konkurrierendes Prinzip in die fränkischen ekklesiologischen Vorstellungen. Dieses Prinzip, das bereits Bonifatius im Frankenreich beförderte, bedeutet die Forderung nach einer monarchischen kirchlichen Ordnung mit dem Papst an der Spitze. Das widerspricht sowohl der weitgehenden Autonomie der früheren fränkischen Bischofsherrschaften als auch der begrifflichen Deckung von Reich und Kirche bei den Vertretern der „Einheitspartei“, seit der Etablierung der Teilreiche als von einander unterschiedene gesellschaftliche Ordnungen auch einer noch zu untersuchenden Teilreichsstaatlichkeit. Erst die Kreise um Pseudoisidor machen den Papst als Disziplinarvorgesetzten zu einer wirklichen Größe. Erst sie sorgen durch ihre massive Thematisierung dieser Forderung dafür, dass er diese Rolle auch tatsächlich – von Fall zu Fall – übertragen bekommt. Es ist bis zur Jahrhundertmitte bloße Theorie, dass der Bischof von Rom Herr über die Bischöfe des Frankenreiches sei. Dabei wollte niemand bestreiten, dass ihm als Nachfolger Petri eine höhere Qualität zukomme als den einfachen Bischöfen als Nachfolger der Apostelschüler. Und Hinkmar zeigt den Päpsten gegenüber auch sehr deutlich, dass er die päpstlichen Ehren, um die er in Rom nachsucht, lediglich für Bestätigungen seiner überkommenen Stellung als Bischof der Metropole Reims sieht, wiewohl er diese gerne alle gehabt hätte, inklusive des Vikariats für das Westfrankenreich. Wohlgemerkt, Hinkmar etwa, hat sich niemals in irgendeiner Weise als Vertreter des Bischofs von Rom gesehen. Und auch die Bischöfe, die mit pseudoisidorianischen Ideen bewaffnet sich gegen Teile ihrer Umwelt stellten, haben den Primat Petri vor allem zu nutzen gewusst. Die Konsequenz für ihre bischöfliche Stellung haben sie nicht zu spüren bekommen, da diese Argumentationsweise ihnen zunächst mehr Freiheiten verschaffte, indem sie nämlich den Papst gegen die Metropoliten ausspielten. Es bleibt also dabei, dass der Metropolit grundsätzlich als Vertreter der Bischofsversammlung anzusehen ist, nämlich als primus inter pares. Abweichungen

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von dieser aus der Alten Kirche stammenden Voraussetzung sind folglich besonders aufmerksam zu untersuchen.395 Bestimmte massive Eingriffe eines Bischofs in die bestehende Ordnung seiner Diözese sind konsenspflichtig. Er hat in diesen Fällen sich der Zustimmung seiner Mitbischöfe, also der Bischofsversammlung, zu versichern. So wirft Hinkmar von Reims seinem Neffen Hinkmar von Laon vor, ohne seinen „et coepiscoporum ac comministrorum suorum consensu“ König Karl dem Kahlen zugestanden zu haben, einen gewissen Nortmannus mit Laoner Kirchengut zu versorgen – wohl auf der Basis einer Prekarie.396 Und das Konzil von Meaux-Paris bestimmt, dass grundsätzlich [kein Bischof] „sine consensu archiepiscopi aut coepiscoporum“ das Anathem verhängen dürfe, wegen der Tragweite der dazu notwendigen Entscheidung.397 Auch bei schweren Disziplinarangelegenheiten sind die Mitbischöfe zu Rate zu ziehen, etwa wenn der Bischof einen Priester zu exkommunizieren beabsichtigt.398 Die Bischöfe der Provinz bilden einen Verband, der auch als geistliches Bündnis besteht,399 so etwa in einer besonderen bischöflichen Kommunion, von der Rothad von Soissons im Jahr 861 auf Betreiben Hinkmars von Reims ausgeschlossen wurde.400 Interessant ist eine besondere Kompetenz der Bischofsversammlung, die in der Gewährung und Bestätigung von Klosterprivilegien liegt. Eigentlich würde man erwarten, dass dies weiterhin vorrangig in der Kompetenz des Königs läge. Dass die Bischofsversammlungen auf Synoden solche Privilegien vergeben, besagt doch, dass sie zumindest eine der Instanzen darstellt, die für die Umsetzung solcher

395 ANGENENDT, Kirche 2009, 124 stellt solche Abweichungen bereits für die Merowingerzeit fest, allerdings über die Einflussnahme von Königen. 396 Hinkmar von Reims, ep. 278: An Papst Hadrian II., ed. Schieffer (MGH Epp.VIII,2), 381–394, 393 (ep. 27 ad Hadrianum papam, MPL 126, 174–186, 185). 397 Konzil von Meaux-Paris (845/846), can. 56, MGH Conc. III, 11, S. 110 f. Dabei steht – das ist hervorzuheben – die Bischofsversammlung neben dem Metropoliten als möglicher Konsenspartner. 398 So legt es Hinkmar von Reims, ep. 32, cap. 13 Johannes im Namen König Karls dar, MPL 126, 230–256, 237. Vgl. auch ebenda cap. 10, S. 235. 399 Angedeutet mit der Bezeichnung der Mitbischöfe als „confratres“, Hinkmar von Reims, ep. 30 ad episcopos, MPL 126, 189–210, 205. – Überlagert wird ein solches Bischofsbündnis durch die Synodalverbrüderungen, die Teil eines weitverzweigten und mehrschichtigen Verbrüderungssystems waren und so als reichsumfassende Netzwerke von Personen und Kommunitäten gelten müssen; vgl. SCHMID, Synodalverbrüderungen 1986, der auf die relative Offenheit solcher Systeme hinweist, die sich einer einfachen Schematisierung weitgehend entziehen. Sicher ist aber, dass diese Verbrüderungen eines Vertrages bedurften bzw. einen solchen voraussetzten. 400 Ann. Bert. 861; vgl. dazu FUHRMANN, Einfluß und Verbreitung III 1974, 235. Vgl. dazu das Kapitular Karls des Kahlen auf der Synode von Pîtres-Soissons (862), cap. 4, MGH Conc. IV, S. 105, das bei reuelosem Vergehen gegen Gott und den kirchlichen Frieden vorsieht, dass ein Bischof „excommunicatus a collegio ceterorum episcoporum habebitur.“ – S. NELSON, Kingship [1977] 1986, 157 f.

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Versprechen sorgen kann.401 Nachdem schon früher auf Synoden gelegentlich solche Privilegien ausgstellt worden sind, kommt es in der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts zu einer Häufung.402 Vor allem Klöster wandten sich an die Versammlungen der Bischöfe, um sich ihre Rechte bestätigen zu lassen. Es genügte nicht mehr, ein Privileg des Königs in Händen zu halten. Die Anerkenntnis von Rechten durch den Verband, dessen einzelne Mitglieder durch diese Rechte in den ihren beeinträchtigt wurden, war offensichtlich von großer Bedeutung. Zudem scheinen Bischofsversammlungen neben der Vergabe von Bestätigungen auch selbst Rechte verliehen zu haben.403 Das zeigt die Rolle der Bischofsversammlung. Sie übernimmt ehemalige Aufgaben staatlicher Kontrolle, wenn auch hier noch im rein kirchlichen Bereich. Die auf der Synode hergestellte Öffentlichkeit sorgt zusätzlich für Sicherheit. Denn, so wird einmal das Privileg vervielfältigt und den Synodalakten beigegeben, und dazu ist es ja im Kreis der Bischöfe verlesen worden. Der konkrete Fall des Synodalprivilegs für Corbie in Paris (846 oder 847) zeigt die inhaltliche Seite solcher Privilegien. Die Teilnehmer der Synode befürworten die Erneuerung des königlichen Schutzes und der königlichen Nähe für dieses exemplarische Königskloster und das Recht der freien Abtwahl.404 Die Synode garantiert damit einen Zustand, der durchaus die Kompetenzen des Bischofs von Paris betrifft. Aber dieses Zugeständnis ist eben einiges wert, weil eine wesentliche Schnittstelle zur königlichen Herrschaft damit gepflegt wird. Dabei ist es nicht so, dass die Privilegierung von Klöstern durch die Bischofsversammlung einen Konflikt mit dem König bedeutet hätte. Beide ergänzen sich, wenn etwa die Synode von Sisteron (859) den König darum bittet, den Besitz von St. Benoit in Cessien zu bestätigen und die freie Abtwahl zu verleihen.405 Hier handeln zwei Gewalten im Verbund und vermutlich meistens im Konsens.

2.4.6 Bischofsanklage Eines Bischofs Richter ist allein Gott. Das sagen einige Sätze Pseudoisidors, womit dieser eines der Grundprobleme geistlicher Herrschaft anschneidet. Aber selbst Pseudoisidor gesteht in der Praxis die Notwendigkeit zu, sich gegebenenfalles eines 401 Auch HARTMANN, Synoden 1989, 218 sieht das für das Privileg Corbies von 846 oder 847 als Zeichen für die starke Stellung der Bischöfe im Reich. 402 S. besonders die Privilegien für St. Denis und St. Martin in Tours auf der Synode von PîtresSoissons (862), MGH Conc. IV, S. 106 ff. 403 Privileg über die Unabhängigkeit des Klosters St. Calais von dem Bischof von Le Mans auf der Synode von Bonneuil (855), MGH Conc. III, 34, und seine Bestätigung durch weitere Bischöfe auf der Synode von Pîtres-Soissons (862), MGH Conc. IV, S. 120 f. – Privileg zum Schutz der Güter von St. Germain in Auxerre durch die Synode von Pîtres (864), MGH Conc. IV, S. 169 ff. 404 Konzil von Paris (846 oder 847), MGH Conc. III, 13, S. 144 f. 405 Konzil von Sisteron (859), MGH Conc. III, 48, S. 493.

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ordinierten Bischofs zu entledigen. Das kann aber nicht durch einen irdischen Richter geschehen. Denn der müsste in der geistlichen Weltordnung über dem Bischof stehen. Und ein solcher ist für das Frankenreich erst in dem Zustand des Werdens begriffen, übrigens mit massiver Unterstützung der Kreise um Pseudoisidor, die mit dem Bischof von Rom einen Geist rufen, der nicht so leicht wieder in die Flasche zu bekommen sein würde. Der einzige Weg, einen Bischof seines Amtes zu entheben, ist eine Verurteilung durch die Bischofsversammlung406 bzw. durch aus ihrer Mitte vom Beklagten gewählte Richter.407 Das hat zugleich etwas Überkommenes und etwas Revolutionäres. Unter Rückgriff auf die Regeln der Alten Kirche, der frühen fränkischen Kirche und neuerdings auch spanischer Konzilsbeschlüsse wird in der Bischofsversammlung ein Instrument geschaffen, das endlich in der Lage ist, gegen massives Fehlverhalten von bischöflichen Monarchen vorzugehen. Der Verband hat von seinen einzelnen Mitgliedern einige Autorität übertragen bekommen, die es ihm gestattet, die Einhaltung der Grundregeln durch seine Mitglieder zu überwachen. Die Erhebung wie die Absetzung eines Bischofs wird maßgeblich von der Bischofsversammlung betrieben, nicht mehr vom König. Hinkmar von Reims zeigt in seiner Collectio de ecclesiis et capellis deutlich Stellung und Aufgabe der Bischofsversammlung im Prozess gegen eines ihrer Mitglieder: Si autem presbiteri exigente ratione ab ipsis iudicibus ad maioris auctoritatis iudices secundum quintum decimum capitulum Africani concilii appellare voluerint vel adversus proprium episcopum inde queri debere viderint, secundum praefatum capitulum Anthioceni concilii pro hac causa sicut et pro aliis quibusque, quibus se laesos existimant, ad metropolitanum debent concurrere vel secundum nonum capitulum Calcidonensis concilii synodum petant, quo dicitur, ut si clericus habet causam adversus episcopum proprium, vel adversus alterum, apud synodum provintiae iudicetur; et metropolitanus maioris auctoritatis iudices secundum Africanum concilium dabit, ut causa per episcopos iudices finiatur, sive quos conquerentibus primas dederit, sive quos ipsi vicinos ex consensu delegerint.408

Eine Klage über einen Bischof ist eventuell als Appellation an den Metropoliten oder die Provinzialsynode zu richten. Dann wird der Metropolit (eingefügt von Hinkmar) Richter aus den Reihen der Bischofsversammlung bestellen,409 oder es

406 Capitula Angilramni, Cor. Par. Sal. 25, ed. Hinschius, 757–769, 763. 407 Hinkmar von Reims, ep. 32 ad Ioannem papam Caroli regis nomine, MPL 126, 230–244, 234: „episcopum iudicari debere a suis iudicibus episcopis, a quibus regulariter una cum primate provinciae potuit secundum Nicaenos et Antiochenos canones et decreta sedis Romanae pontificum ordinari, congregatis una cum primate provinciae ipsius regionis episcopis [. . .].“ 408 Hinkmar von Reims, Collectio [1], ed. Stratmann, S. 71, Z. 1–13; vgl. die Angaben zu den einzelnen Zitaten ebenda, übernommen ist die Hervorhebung der Zitate hier mit Unterstreichung. 409 Im Zusammenhang mit der Frage um die von Ebo geweihten Priester kam im Jahr 853 auch Hinkmar von Reims in die Lage, sich Richter zu wählen, SCHRÖRS, Hinkmar von Reims 1884, 62.

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werden im Konsens [mit der Bischofsversammlung] benachbarte Bischöfe als Richter bestellt. Die Passage ist hier in dieser Länge mitgegeben, weil im Zusammenhang angedeutet wird, was – neben Hinkmars Geltungswunsch als Metropolit – vorrangiger Grund für die große Kompetenz des Metropoliten ist. In Raum und Zeit begründet liegen die Grenzen der Handlungsfähigkeit der Bischofsversammlung.410 Sie tritt zu selten zusammen, um in allen Fällen direkt angegangen zu werden, und die für die Organisation eines Verfahrens notwendige Korrespondenz zwischen den relativ weit auseinander liegenden bischöflichen civitates bräuchte zu viel Zeit, um praktikabel zu sein. Darin liegt ein wesentlicher Grund für die Stellung des Metropoliten, der – und das wird auch deutlich – durchaus Vertreter der Bischofsversammlung ist, auch nach Hinkmar von Reims, der ja die entsprechenden Zitate aus den Beschlüssen der altkirchlichen Konzile mitteilt. Keine Rede ist von einer besonderen richterlichen Kompetenz des Metropoliten. Seine Aufgabe liegt vor allem darin, das Verfahren für die Entscheidungsfindung durch die Bischofsversammlung abzukürzen.

2.4.7 Die Stellung des Metropoliten Nachdem der komplexe Zusammenhang von Bischofsversammlung, Metropolit und Suffraganen von der Bischofsversammlung her angeschnitten ist, soll nun die Stellung des Metropoliten genauer untersucht werden. Hier stellt sich zunächst noch einmal die Frage, wer der Metropolit denn eigentlich sei, ob ihm eine wesenhaft höhere Qualität zukomme als dem einfachen Bischof. Denn nur dann könnte eine monarchische Stellung des Metropoliten vertretbar sein. Die Frage gilt letztlich der Alternative Monarch oder Verbandsvertreter mit besonderen Vollmachten. Eine etwaige monarchische Stellung des Metropoliten gegenüber der Bischofsversammlung hatten wir bereits ausgeschlossen, auch wenn manche Einlassungen Hinkmars in einschlägigen Streitschriften darauf hindeuten mögen.411 Nach Hinkmar von Reims scheint es zwar so zu sein, dass er als Metropolit der Bischofsversammlung gegenübertritt.412 Das

410 Hinkmar von Reims, ep. 32 ad Ioannem papam Caroli regis nomine, MPL 126, 230–244, 238 weist denn auch auf die Notwendigkeit einer ortsnahen Verhandlung hin „quo non sit difficile testes producere“. 411 Aus den einzelnen Einlassungen Hinkmars stellt Schrörs die bereits zitierte Liste der Befugnisse des Metropoliten zusammen; ähnlich verfährt auch Lesne, der zudem noch Fälle aus anderen Provinzen heranzieht, in denen der Metropolit den Suffraganen gegenüber mit monarchischer Autorität gegenübertritt. Die konkreten Beispiele betreffen aber bevorzugt Bischofserhebungen, die naturgemäß in Zeiten der Krise stattfinden. 412 Auch das Konzil von Meaux-Paris (845/846), can. 47, MGH Conc. III, Nr. 11, S. 107 f. erweckt diesen Eindruck, wenn es festlegt, dass bei Dienstunfähigkeit eines Bischofs der Metropolit die Geschäfte führen solle, bei Dienstunfähigkeit des Metropoliten aber die Bischofsversammlung dafür Sorge zu tragen habe („ipse concilio coepiscoporum suorum“, ebenda 108). Es ist eine Frage der

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aber ist ein Ergebnis der faktischen Rolle Hinkmars innerhalb der Bischofsversammlung, denn deren Mitglieder bezeichnet er durchgehend als consacerdotes, also als Kollegen.413 Interessanterweise macht sich Hinkmar einen Kunstgriff Pseudoisidors zu Eigen. Der nämlich hatte eine reine Appellationsinstanz dem Metropoliten vorgesetzt,414 wobei nicht klar wird, ob das nun der Bischof von Rom sei oder etwa der Bischof der Hauptstadt einer römischen Großprovinz. In einigen pseudoisidorianischen Papstbriefen, die die bischöfliche Hierarchie prinzipiell herleiten, ist nämlich durchaus von den Vertretern von Hauptprovinzen als patriarchae bzw. primates415 die Rede. Es könnte Pseudoisidor zunächst daran gelegen haben, den Erzbischof von Trier als Haupt der Belgica prima dem Erzbischof von Reims als Haupt der Belgica secunda vorzusetzen.416 In anderen Briefen ist dann klar die Rede von den Patriarchen der Apostelstädte, für Gallien also Rom. Pseudoisidor argumentiert mit der Geschichte der Provinzhauptstädte. Und zwar hängen für ihn an solchen Orten Primatenrechte, die bereits in vorchristlicher Zeit Provinzhauptstädte waren. Er schreibt sogar von den Orten der heidnischen primi flamines.417 Erst eine solche Tradition, die ja für Trier als Hauptstadt der Belgica prima unbestreitbar ist, schaffe einen Primatensitz. Hinkmar greift das Prinzip der Argumentation auf, spricht selbst undifferenziert von „Metropolitanus qui simul et primas est“418 und heftet seine eigene Vorrangstellung ebenfalls an den Ort seines Amtes als Provinzhauptstadt, der Belgica secunda nämlich. Hinkmar unterscheidet sodann zwischen den Metropoliten, denen aus solchem alten Recht eine Vorrangstellung in ihrer Provinz zukomme, die also seiner

Praktikabilität, dass im ersten und sicher häufigeren Fall der Verbandsvertreter unmittelbar tätig wird, während im anderen Fall ja niemand ohne Rücksprache den nötigen Konsens zu einem solchen Handeln hat. 413 In seiner Denkschrift zum Prozess Rothads von Soissons, Fragment b, cap. 3 (863), ed. Perels, Nr. 160 b, S. 136 spricht er die Mitbischöfe auf dem Konzil als „fratres ac consortes ac compares“ an, hier bedient Hinkmar aber eher die Erwartungen der Konzilsteilnehmer. 414 FUHRMANN, Mittelalterliche Patriarchate II 1954, 36, Anm. 116 zu der passiven Rolle des Primas bei Pseudoisidor und seiner Funktion als Appellationsinstanz. 415 Vgl. zum Primas in der afrikanischen Kirchenorganisationn KAISER, Kaisergesetze 2007, 91–94 und ebenda 148–153 zur Justinianischen Gesetzgebung zu den primates und ihren Aufgaben. 416 FUHRMANN, Mittelalterliche Patriarchate II 1954, 27 f. zu der grundsätzlichen Auffassung Pseudoisidors, dass „primas est, qui primam civitatem tenet“ und zur sich daraus ergebenden Rangordnung zwischen Trier und Reims. – Vgl. dazu auch EWIG, Tradition [1956/58] 1979, 75 f. 417 Pseudoisidor, ep. Clementis ad Iacobum fratrem domini, cap. 28, ed. Hinschius, S. 39: „In illis vero civitatibus, in quibus olim apud ethnicos primi flamines eorum atque primi legis doctores erant, episcoporum primates poni vel patriarchas qui reliquorum episcoporum iudicia et maiora quotiens necesse foret negotia in fide agitarent, et secundum domini voluntatem, sicut sancti constituerunt apostoli, ita ut ne quis iniuste periclitaretur, definirent.“ Vgl. dazu ausführlich mit weiteren Zitaten zum heidnischen Ursprung der Primatensitze FUHRMANN, Mittelalterliche Patriarchate II 1954, 22–25. 418 FUHRMANN, Einfluß und Verbreitung I 1972, 121 f.

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Terminologie nach als „primates“ anzusehen seien,419 und solchen Metropoliten, die lediglich über die persönliche Palliumsverliehung durch den Bischof von Rom zu Erzbischöfen erhoben sind; letztere sind einem Primas nachgeordnet, und ihnen kommen weniger Rechte zu.420 Die Übernahme der römisch-staatlichen Provinzialordnung durch die römischkatholische Kirche erklärt Hinkmar mit der Unmöglichkeit der Verwaltung der Kirche von Roms aus „propter longiquitatem“.421 Auch das ist natürlich ein Kunstgriff; dieser zielt auf die latente Auseinandersetzung über die Disziplinargerichtsbarkeit, nämlich des Bischofs von Rom als Appellationsinstanz. Ist die Entfernung ein Grund für die Schaffung von Provinzialkirchenordnungen zur Verwaltung der Kirche, so kann Hinkmar möglicherweise auch die Appellation faktisch kassieren – „propter longiquitatem“ –, ohne dem Bischof von Rom seinen Primat zu bestreiten.422 Bedenkenswert ist der gemeinsame Grundgedanke Hinkmars und Pseudoisidors: Der Vorrang eines Bischofs ist nicht an seine Person gebunden, keine einfache Palliumsverleihung durch den Papst kann die Qualität eines Primas schaffen. Die päpstliche Erhebung der Provinzhauptstädte zu Metropolitansitzen in der kirchlichen Frühzeit, wie von beiden Autoren postuliert, schuf eine feste Hierarchie, in der die persönliche Bedeutung eines Bischofs als sekundär anzusehen ist. Der Ort ist entscheidend für die kirchliche Hierarchie, nicht die Person eines Amtsinhabers. Pseudoisidor und Hinkmar von Reims wissen um die Vorteile einer solchen festen und ortsgebundenen Ordnung, wie sie sich im Laufe des 9. Jahrhunderts wieder durchgesetzt hatte. Sie beziehen sich zu Recht auf die Regeln der alten

419 Hinkmar von Reims: Denkschrift zu dem Prozess Rothads von Soissons, Fragment b, cap. 3 (863), ed. Perels, Nr. 160 b, S. 136 f.: „Quoniam qui ordinari a suffraganeis et suffraganeos ordinare et provintiales synodos convocare et Romam sive ad comitatum vel ubi et ubi longius ire et coepiscopos suos longius abeuntes suis epistolis prosequi et licentiam eundi sine alterius primatis provintiae potest consultu atque relatione, et metropolitanus et provintiae primas esse dinoscitur [. . .].“ – Hinkmar von Reims, ep. 30 De iure metropolitanorum, cap. 5, MPL 126, 189–210, 191. Zum Metropoliten von Reims als Primas in der Sicht Hinkmars vgl. auch Hinkmar von Reims, ep. 30 De iure metropolitanorum, cap. 26, MPL 126, 189–210, 203. 420 SCHRÖRS, Hinkmar von Reims 1884, 370 ff. – S. zu den letzteren ein Fragment einer Denkschrift Hinkmars von Reims im Prozess Rothads von Soissons, ed. Perels, Nr. 160a (863), cap. 15, S. 128; zu den Primatensitzen s. Hinkmar von Reims, ep. 30 De iure metropolitanorum, cap. 4 und 12, MPL 126, 189–210, 190 bzw. 196. 421 Fragment einer Denkschrift Hinkmars von Reims im Prozess Rothads von Soissons, ed. Perels, Nr. 160a (863), cap. 5, S. 124, Z. 16. 422 Hinkmar von Reims, ep. 32 ad Iohannem papam Caroli regis nomine, cap. 21, MPL 126, 230–256, 241: „[. . .] pro reclamatione contra presbyterorum suorum“ sollen sich die Bischöfe an den Metropoliten oder an die Synode wenden, wo es nicht schwierig sei, „testes producere“. „Transalpinis autem, et aliis, qui in similiter longinquis regionibus commorantur, apostolica sedes, et sacrorum canonum promulgatores, loquente in eis sancto Spiritu, quae sunt unicuique provincia possibilia et auctoritati convenientia, atque paci Ecclesiae congruentia, tenenda et exsequenda discretissime praefixerunt.“

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Kirche, die ebenfalls die Ortsgebundenheit der kirchlichen Hierarchie kannten, vermutlich wegen der Provinzialordnung des römischen Reiches, die zu übernehmen wohl kaum in Frage stand. Die Erhebung eines Metropoliten, des Bischofs der Metropole einer Provinz, wie sie in den altkirchlichen Konzilsbeschlüssen festgelegt ist und auch von Hinkmar von Reims für seine Zeit, ja sogar für seine eigene Erhebung, ganz ähnlich beschrieben wurde, bedarf des festen Ortes, sodass bei der Wahl eines Bischofs klar sei, was für ein Bischof denn nun erhoben werden solle. Das ist nicht nur eine Frage der Liturgie, sondern auch für die Suffragane von eminenter Bedeutung. Sie sind schließlich maßgeblich beteiligt an der Erhebung ihres Metropoliten. Nicht umsonst fordert Pseudoisidor: Oportet autem ut ipse qui illis omnibus preesse debet, ab omnibus illis eligatur et ordinetur.423

Während Hinkmar unter Bezugnahme auf Regeln der alten Kirche die gegenseitige Konsens- und Konsiliumspflicht von Metropolit und Bischofsversammlung betont,424 sieht Pseudoisidor vor allem den Metropoliten in der Pflicht.425 Dieser sollte nicht ohne Beisein bzw. Beteiligung aller Mitbischöfe der Provinz Angelegenheiten einzelner Suffragane behandeln dürfen.426 Andernfalls, so bestimmt ein weiterer Brief aus der Sammlung Pseudoisidors, solle das Verhalten des Metropoliten „ab omnibus districte“ korrigiert werden, wenn er nämlich „sine omnium comprovincialium praesentia

423 Pseudoisidor, Ep. Annicii papae ad universos Galliae episcopos, cap. 1, ed. Hinschius, S. 120–122, 120. 424 Hinkmar von Reims, ep. Episcoporum diocesion Rhemensis atque Rothomagensis ad Ludowicum Germaniae regem, cap. 1, MGH Conc. III, 408–427, 408: „[. . .] quia sicut nec archiepiscopi sine coepiscopis, ita nec coepiscopi sine archiepiscoporum connsensu vel iussu, nisi quae ad proprias pertinent parroechias, debent praesumere [. . .]“ = MGH Conc. III, 408–427; dazu und zur Verfasserschaft Hinkmars HARTMANN, Synoden 1989, 253–255, verabschiedet wurde das Schreiben auf der Synode von Quierzy, 858. – Hinkmar von Reims, Collectio [1], ed. Statmann, S. 72, Z. 17 und S. 73, Z. 1–2: „Et Anthiocenum concilium provintiales episcopos metropolitani et metropolitanum provintialium coepiscoporum consilio agenda, sicut ibidem est designatum, iubet peragere.“ – Auch für die Freistellung eines Bischofs für Aufgaben außerhalb der Provinz sind bei Hinkmar Metropolit und die übrigen Bischöfe zuständig, Hinkmar von Reims, ep. 30 De iure metropolitanorum, cap. 9, MPL 126, 189–210, 193. 425 Pseudoisidor, ep. Lucii papae, cap. 4, ed. Hinschius, S. 176: „Similiter auctoritate fulti apostolica praecipimus, ut nullus metropolitanus episcopus absque ceterorum omnium conprovincialium episcoporum instantia aliquorum audiat causas eorum, quia irrite erunt et ipse causam pro facto dabit.“ – Vgl. ausführlich auch Pseudoisidor, Ep. Calixti papae sec., cap. 13, ed. Hinschius, S. 139 mit der Forderung nach Konsens der Bischofsversammlung bei Eingriffen in die Angelegenheiten einzelner Diözesen. 426 Pseudoisidor, Ep. Viginii papae, cap. 2, ed. Hinschius, S. 114: „Ceterum, fratres, salvo in omnibus Romanae ecclesiae privilegio nullus metropolitanus absque caeterorum omnium conprovintialium episcoporum instantia aliquorum audiat causas eorum, quia irritae erunt aliter actae quam in conspectu eorum omnium ventilatae, et ipse, si fecerit, coerceatur a fratribus.“

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vel consilio episcoporum“ in die Belange einzelner Suffraganbistümer eingreifen sollte.427 Pseudoisidor kann für seine Auffassung, dass der Metropolit im Verbund mit den Bischöfen der Provinz handeln solle, durchaus Beschlüsse der alten Kirche zitierten, wie can. 4 des 5. Konzils von Karthago: Placuit etiam, ut rem ecclesiae nemo vendat: quod si aliqua necessitas cogit, hanc insinuandam esse primati provinciae, ut cum statuto numero episcoporum, utrum faciendum sit arbitretur; quod si tanta urget necessitas ecclesiae, ut non possit ante consulere, saltem post factum curet hoc statim agere vel428 vicinis episcopis hoc antea indicare, et ad concilium referre eas ecclesiae necessitates; quod si non fecerit, reus concilii venditor teneatur429.430

Hier geht es nur indirekt um den Metropoliten; es wird aber klar, dass dieser in Vertretung des Gesamtwillens aller Bischofskollegen handeln soll, da selbst in einer solchen Notlage davon ausgegangen wird, dass entweder der Metropolit und die Bischofsversammlung an der Entscheidung beteiligt werden oder aber die nächste Synode, also die Bischofsversammlung, ihr eingeschlossen der Metropolit, hier also der „primas provinciae“. Pseudoisidor bewegt sich innerhalb der altkirchlichen Ordnungsvorstellungen, wenn er Papst Lucius schreiben lässt: Si quis metropolitanus episcopus, nisi quod ad suam solummodo propriam pertinet parrochiam, sine consilio et voluntate omnium conprovincialium episcoporum extra aliquid agere temptaverit, gradus sui periculo subiacebit et quod egerit, irritum habeatur et vacuum.431

Nun gibt es natürlich durchaus Fälle, in denen der Verband eintreten bzw. einschreiten soll. Dann hat der Metropolit „cum omnium consensu comprovintialium [. . .] pontificum“ zu handeln. Die Stellung des Metropoliten zur Bischofsversammlung erläutern Pseudoisidor und Pseudo-Angilramnus folgendermaßen: Non veni ministrari, sed ministrare,432et alibi: Qui maior est vestrum, erit minister vester, et reliqua. Similiter et ipsi cumprovinciales episcopi cum eius consilio, nisi quantum ad proprias

427 Pseudoisidor, Ep. Annici papae ad universos Galliae episcopos, cap. 4, ed. Hinschius, S. 121. 428 Curet . . . vel, Lesart der Hispana, ed. Hinschius, S. 307: „curiositatem habeat et“, aber auch eine Variante unter den Lesarten in Concilia Africae, ed. C. Munier, S. 356. 429 Zusatz der Hispana, ed. Hinschius, S. 307: „honore amisso“. 430 Concilium Carthaginense quintum, MPL 130, 349–352, 350. – Ausgabe der Hispana, ed. Hinschius, S. 306–308, 307 (vgl. dazu FUHRMANN, Pseudoisidorische Dekretalen, in: LMA 7 (1995), 307–309). – Die Edition des Konzilstextes in: Concilia Africae 345–525, ed. C. Munier, S. 355–359, 356 wiederholt den Satz: „[. . .] quod si . . . arbitretur“. 431 Pseudoisidor, Ep. Lucii papae, ed. Hinschius, cap. 3 S. 176. – Der Text ist fast wortgleich mit Capitula Angilramni, cap. 43, ed. Hinschius, S. 757–769, 765. 432 Christus-Zitat, vgl. Vulgata, Matth. 20,28.

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pertinet parrochias, agant iuxta sanctorum constituta patrum, ut uno animo, uno ore concorditer sancta glorificetur trinitas in saecula.433

Für Pseudoisidor und seinen Kreis ist der Metropolit Vertreter der Bischofsversammlung. Die eigentliche Autorität des Kirchenverbandes der Provinz liegt danach bei dieser Einrichtung. Nun ist es ja nicht so, dass Hinkmar von Reims explizit behauptete, die Bischofsversamlung sei ihm nachgeordnet. Einen solchen Eindruck indes erweckt er sehr wohl. Nicht ohne Grund schrieb Schrörs 1884:434 „Hatte das ältere fränkische Kirchenrecht die Provinzialsynode als das eigentliche Organ der Provinz anerkannt und ausdrücklich die Unterordnung des Metropoliten unter dieselbe hervorgehoben, so musste sich angesichts solcher Ansprüche das Verhältnis umkehren und die Synode ihre Bedeutung verlieren.“ Wenn Hinkmar in seinen Berichten einzelne Bischöfe in seinem Auftrag handeln lässt und nicht für die Bischofsversammlung oder wenigstens für beide, dann ist sein Anspruch auf monarchische Führung der Provinz deutlich.435 In seinem Libellus expostulationis gegen Hinkmar von Laon (871) legt Hinkmar von Reims vor allem eines dar: Seinen Anspruch auf Führung der Provinz. Im Kapitel 21 versucht der Metropolit die Argumentation seines Suffraganen an Hand der altkirchlichen Konzilsbeschlüsse abzuschwächen. Dieser, Hinkmar von Laon, hatte mit einem Satz des Konzils von Antiochia argumentiert:436 „Nec archiepiscopus [metropolitanus] sine ceterorum agat [gerat] concilio sacerdotum; quod nullam excludit coepiscopum.“ Hinkmar von Reims weist sodann die von ihm selbst ins Spiel gebrachte Behauptung zurück, „in omnibus rebus metropolitanus omnium coepiscoporum provinciae consilium semper expectet“ mit dem Argument, dass es dem Metropoliten gar nicht möglich sei, „semper omnium coepiscoporum consilium expetere vel expectare“. Im folgenden Kapitel versucht er weiter die von seinem angeklagten Neffen geforderte Bindung des Metropoliten an die Bischofsversammlung abzuschwächen. Nun darf man bei der Beurteilung der Position Hinkmars nicht vergessen, zu unterscheiden zwischen seiner theoretischen Konzeption und seinem Handeln, wie es sich in Streitschriften niederschlägt. Hinkmar wandelt gewissermaßen auf einem schmalen Grat. Er hat selbst einen ausgeprägten persönlichen Führungsanspruch. Zeitweise bzw. gelegentlich repräsentiert er die gesamte westfränkische Kirche, etwa dem König gegenüber, aber auch allgemein in der führenden Position auf

433 Pseudoisidor, Ep. Lucii papae, ed. Hinschius, cap. 3, S. 176. 434 SCHRÖRS, Hinkmar von Reims 1884, 322. 435 Hinkmar von Reims, Opusculum LV capitulorum (55-Kapitel-Werk, ed. Schieffer), S. 99–361, S. 234. Z. 16 f.: „sed cum illi fratres et coepiscopi mei qui vice mea aderant, obviarent [. . .]“, ebenda S. 233, Z. 1–2: „[. . .] contradictio fratrum coepiscoporum meorum, vicem meam agentium [. . .].“ 436 Hinkmar von Reims, Libellus expostulationis (Anklageschrift gegen Hinkmar von Laon) an das Konzil von Douzy (871), MGH Conc. IV, Nr. 37B, cap. 21, S. 420–487, S. 451 (Abweichungen im Text von Antiochia in eckigen Klammern).

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Konzilien zu verschiedenen Angelegenheiten. Seine Aufgaben bestehen zugleich in der Konsolidierung der Kirchenprovinz Reims und in der Schaffung einer Teilreichskirchenorganisation. Die Kirchenprovinz musste er nach außen einheitlich und geschlossen auftreten lassen, um sie zu stärken gegenüber Eingriffen von außen und zugleich sie auf ihre künftige Aufgabe vorbereiten, ihre Rolle in einem Teilreichskirchenverband wahrzunehmen. Dazu war es notwendig, kanonische Regeln einzuhalten, also auf der Basis der kirchenrechtlichen Grundsätze der alten Kirche die kirchliche Ordnung zu stärken. Zugleich aber verlangten sein persönlicher Führungsanspruch und das Gebot der Geschlossenheit des Kirchenverbandes nach seiner ordnenden Hand. Hinzu kommt ein vitales Interesse Hinkmars an der Effizienz der Organisation der einzelnen Kirchen der Provinz,437 was gewiss zu Übergriffen des Metropoliten auf die Kompetenzen seiner Suffragane führte. In Hinkmars „Collectio de ecclesiis et capellis“, die anders als Streitschriften und Briefe nicht allein an einen konkreten Zweck gebunden ist, sondern eher dauerhafte Gültigkeit beansprucht, stellt sich der Sachverhalt etwas anders dar. Dort schreibt er:438 „Ut metropolitanus vel primas provintiae [so sieht er sich selbst], qui alios debet corrigere, non sufferat, si ut homo excesserit, a confratribus corrigi, nisi pro eius excessibus ecclesia Romana petatur“, und setzt einen Kanon des 5. Konzils von Orléans hinzu, der bestimmt, dass, wenn ein Suffragan zwei Mal in eigener Sache an den Metropoliten herangetreten sei, ohne dass dieser ihn angehört habe, „negotium suum in concilium habeat licentiam exercendi et, quicquid pro iustitia a conprovintialibus suis statutum fuerit, studeat observare.“439 Und außerdem macht Hinkmar deutlich, dass auch der Metropolit grundsätzlich und ausnahmslos dem Beschluss aller Bischöfe der Provinz – also der Bischofsversammlung unter Einschluss des Metropoliten – unterworfen sei.440 In einer späteren Fassung legt Hinkmar noch einmal nach, wenn er seine eigene Behauptung, dass, wenn ein Bischof oder Kleriker gegen den Metropoliten eine Beschwerde habe, diese nur in Rom verhandelt werden könne,441 abwandelt und nun ein Provinzialkonzil für zuständig erklärt.442 Dazu erläutert die Herausgeberin, dass Hinkmar nach der Abfassung seiner „Collectio“ gegen Rothad von Soissons mit dem

437 Dieses Interesse zeigt er u. a. mit seiner Collectio de ecclesiis et capellis, die ja als Handbuch zur kirchlichen Organisation anzusehen ist. 438 Hinkmar von Reims, Collectio [1], ed. Stratmann, S. 72. 439 Ebenda Z. 11–13. 440 Ebenda Z. 14–17 unter Zitation des Konzils von Nicaea, can. 5 (Version des Dionysius Exiguus): „Ut communiter omnibus simul episcopis congregatis provintiae discutiantur questiones, et, quod regulariter in communi placuerit, hoc omnes tam metropolitanus quam caeteri sequantur episcopi.“ 441 Ebenda S. 71, Z. 13–15; fast wortgleich Hinkmar von Reims, Fragment einer Denkschrift zum Prozess Rothads von Soissons (863), b, cap. 2, ed. Perels, Nr. 160b, S. 136. 442 Hinkmar von Reims, Collectio [1], ed. Stratmann, S. 71 f. und Handschrift F, die eine spätere Überarbeitung beinhaltet.

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Versuch gescheitert war, sich als oberste gerichtliche Instanz für die Provinz zu behaupten. Mit dem Prozess gegen Rothad, also nach 863, war die Appellation an den Bischof von Rom Wirklichkeit geworden und taugte nun nicht mehr zur Sanktion der faktisch letztinstanzlichen Herrschaft des Metropoliten. Hinkmar besann sich also nach der Niederlage gegen Rothad auf die Zuständigkeit der Bischofsversammlung bei der Regelung von Streitigkeiten mit dem Metropoliten.443 Damit ist die in Streitschriften Hinkmars unter dem besonderen Eindruck pseudoisidorischer Argumente dargelegte Auffassung von seiner herausragenden Stellung als Oberaufseher der Provinz aus eigenem Recht, wie ja auch noch anlässlich des Konzils von Douzy gegen Hinkmar von Laon, nämlich als Bischof des hervorragenden Ortes Reims, von ihm selbst in Frage gestellt. Es muss nach seinen eigenen Angaben nun vielmehr davon ausgegangen werden, dass er sich in der Collectio auf die Integrität der Kirchenprovinz besann und zu ihrem Erhalt gegen die Ansprüche des Bischofs von Rom die Bischofsversammlung zumindest als Gremium der an einem Ort versammelten Bischöfe der Provinz als oberste Instanz auch über dem Metropoliten anerkannte. Damit bewegt er sich durchaus auf dem Boden der altkirchlichen Regeln, die für die Reorganisation kirchlicher Staatlichkeit zunehmend wichtiger wurden. Hinkmar bestätigt damit die Auffassung vom Metropoliten als Vertreter der Bischofsversammlung mit besonderen Vollmachten, die auf dem Ort seines Stuhls basieren. Wie weit die Stellung des Metropoliten noch in dieser Zeit vom Herrscherbild und seiner Wirklichkeit im Frankenreich lebt, ist an dieser Stelle noch ungeklärt. Die Vermutung liegt jedoch nahe, dass ähnlich der Königsherrschaft auch die faktische Herrschaft des Metropoliten von Reims auf dem Konsens des Verbandes beruht und nur theoretisch ein eigenes Herrscherrecht konstruiert wird. Die Herrschaft des Metropoliten von Reims beruht mit einiger Sicherheit nicht auf eigenem Recht, sondern auf Konsens, jedoch unter der Prämisse, dass der Metropolitansitz ähnlich der Herrscherfamilie einen allgemein akzeptierten Führungsanspruch in sich trägt und somit das telos des Konsenses feststeht. Wenn also Hinkmar von den Kompetenzen des Metropoliten spricht, so sind diese faktisch abgeleitet von der Autorität der Bischofsversammlung, auch wenn Hinkmar dies nicht gerne zum Ausdruck bringt. Behauptungen, wie die in einem Schreiben Hinkmars an Ludwig den Deutschen für Bertulf von Trier444 (Mai 870), dass „cum nihil canonice sine primate suffraganei episcopi agere valeant, nisi

443 STRATMANN, in: Hinkmar, Collectio, S. 49–51, die dort auch nachweist, dass die ergänzenden Veränderungen des Textes von Hinkmar selbst stammen. 444 Zu Bertulf von Trier und seiner Nähe zu Karl dem Kahlen s. BIGOTT, Ludwig der Deutsche 2002, 184.

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quod ad proprias parrochias pertinet“,445 sind der Sache nach korrekt, geben aber durch Nichterwähnung der Bischofsversammlung ein falsches Bild ab, wie deutlich wird, wenn man ein wohl von Hinkmar im November 858 verfasstes Schreiben der Bischöfe der Diözesen Reims und Rouen zum Vergleich heranzieht, dass eben den Konsens der Metropoliten und ihrer Suffragane gefunden haben wird: [. . .] quia, sicut nec archiepiscopi sine coepiscopis, ita nec coepiscopi sine archiepiscoporum consensu vel iussu, nisi quae ad proprias pertinent parroechias, debent praesumere.446

Hier wird die Faktizität der gegenseitigen Bindung von Metropolit und Bischofsversammlung sichtbar, wiewohl die Suffragene als einzelne Bischöfe genannt werden und nicht die Bischofsversammlung selbst, zu der ja auch der Metropolit zu rechnen ist. Der Konflikt Hinkmars von Reims mit seinem Suffragan Rothad von Soissons wird in der Regel als Konflikt zwischen Metropolit und pseudoisidorischen Ideen aufgefasst. Und tatsächlich hat die Auseinandersetzung eine solche Dimension. Jedoch sind zweierlei Dinge zu bedenken: Pseudoisidor forderte nicht die Rückkehr zur absoluten Bischofsherrschaft, sondern v. a. Sicherheit des Bischofs vor Übergriffen der weltlichen Gewalten und des Metropoliten sowie vor Angriffen aus den Reihen der Geistlichen der Diözese. Pseudoisidors Argumente zielen dabei besonders auf Verfahrensformen, also auf Regeln zur Gewährung dieser Sicherheit. Nach den spärlichen Angaben zu Rothads Amtsführung darf aber vermutet werden, dass dieser die volle bischöfliche Autonomie für sich in Anspruch nahm,447 wie sie auch Pseudoisidor nicht rechtfertigt. Die demonstrative Unabhängigkeit, mit der Rothad Beschlüsse der Bischofsversammlung missachtete,448 widerspricht sowohl den altkirchlichen als auch den pseudoisidorischen Regeln. Nach Ausbruch des Konfliktes aber stellte sich die Sache anders dar: Der Konflikt wird zunächst zwischen Hinkmar und Rothad ausgetragen, die Beteiligung der Bischofsversammlung sieht eher nach einer solchen passiven Charakters aus.449 Der Anlass für den Konflikt war die Absetzung eines Geistlichen durch seinen Bischof, Rothad von Soissons. Erst drei Jahre später wurde der Geistliche durch Hinkmar wieder

445 Hinkmar von Reims, Ep. 274, An König Ludwig den Deutschen, ed. Schieffer (MGH Epp. 8,2), 377–380, 378, nach Flodoard III, 25 (ep. 41 MPL 126, 262–264, 262). 446 MGH Cap. II, 2, Nr. 297, cap. 1, S. 427–441, 428. 447 Vgl. SCHRÖRS, Hinkmar von Reims 1884, 240 mit Hinweisen auf den Konflikt mit König Karl dem Kahlen um die Einziehung von Benefizien und auf Überlegungen Rothads, zu Ludwig dem Deutschen überzugehen. Die Einziehung der Benefizien bedeutet eine einseitige Auflösung von bestehenden Verträgen, also Vertragsbruch. 448 Dafür wurde er – vermutlich auf Drängen Hinkmars von Reims, der als einziger davon berichtet (Annales Bertiniani ad a. 861) – von der Gemeinschaft der Bischöfe ausgeschlossen, SCHRÖRS, Hinkmar von Reims 1884, 241. 449 Hinkmar war es wohl, der – ob mit Billigung der anderen Suffragane ist unklar – mehrere Disziplinarverfügungen Rothads kassierte, SCHRÖRS, Hinkmar von Reims 1884, 239; s. dazu die Regesten SCHRÖRS, Nr. 85, 86 und 89.

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eingesetzt. Was Rothad verschweigt, ist, dass die Wiedereinsetzung auf einen Beschluss der Bischofsversammlung zurückging. Rothad weigerte sich, den Beschluss anzuerkennen und buchte ihn offensichtlich auf das Konto des Metropoliten.450 Hinzu kommt die Einmütigkeit von Metropolit und König, die Rothad zur Rechenschaft ziehen wollen für die Insubordination, die sie beide im fortgesetzten Verhalten Rothads zu erkennen glauben. Damit entsteht die Voraussetzung für den Ausbruch des Konfliktes zwischen Pseudoisidor und Hinkmar in dieser Sache. Der unkanonisch handelnde Bischof Rothad sieht in der Appellation nach der theoretischen Vorgabe Pseudoisidors an den Papst die Möglichkeit der Rechtfertigung seiner absoluten Stellung in der Diözese; und erlangt zuletzt ebendiese Rechtfertigung, nicht jedoch in der Sache für seinen eigenwilligen Umgang mit Kirchengut451 – wie Hinkmar anklingen lässt – und Benefizien, wie wohl unstrittig ist, sowie in seiner uneingeschränkten Disziplinargerichtsbarkeit, sondern in der Form. Er hatte mit seiner Appellation an den Bischof von Rom dafür gesorgt,452 dass nur theoretisch zugestandene Rechte desselben ein erstes Mal umgesetzt werden mussten, gegen die Gewohnheit der (west-)fränkischen Kirche, die bis dahin weitgehend selbstorganisiert waren. Das ist auf der Basis pseudoisidorianischer Argumentation eine böse Niederlage nicht allein für Hinkmar, sondern mit ihm für die Bischofsversammlung, deren Beschlüsse nun vom Bischof von Rom letztinstanzlich kassiert werden konnten.453 Unter den Mitgliedern der Bischofsversammlung befanden sich gewiss auch Anhänger Pseudoisidors. Aber das, was nun mit dem Konzept Pseudoisidors von der kirchlichen Ordnung angestellt worden war, konnte auch diesen nicht recht gewesen sein. Vielleicht erklärt sich daraus auch die offensichtliche Zurückhaltung der anderen Suffragane der Provinz gegenüber dem Handeln Rothads. Das hatten sie gewiss nicht gewollt, dass nämlich ihre Stellung in der Diözese zwar gestärkt würde, zugleich aber ihre Stellung als Verband gegenüber König, Papst und den anderen Metropolitanverbänden eine empfindliche Schwächung erfuhr. Ihr Beschluss war es schließlich, der vom Papst kassiert wurde. Und genau das war ja wohl auch von Pseudoisidor – wie übrigens von Hinkmar – nur als Sanktion gedacht gewesen, um nämlich den einzelnen Bischof zu schützen.

450 SCHRÖRS, Hinkmar von Reims 1884, 241 f.; HARTMANN, Synoden 1989, 315. 451 Zur Behauptung Hinkmars, Rothad habe Kirchengut verschleudert vgl. HARTMANN, Synoden 1989, 314. 452 Noch vor Urteilsfindung durch das Konzil vierer Provinzen in Pîtres (862) appellierte Rothad an den Bischof von Rom. Auf einer neuen Synode wurde dann von der Bischofsversammlung seine Absetzung beschlossen, da er sich nicht sofort nach Rom begeben hatte und die Versammlung eine Möglichkeit sah, um die Appellation nach Rom noch herumzukommen, ausführlich bei SCHRÖRS, Hinkmar von Reims 1884, 244 f. 453 S. zurAffäre um Rothad aus der Sicht des Papsttums SCHOLZ, Politik 2006, 195–199, der aber ebenda 199 die relative Schwäche des Papstes betont, weil die Vorladung des gesamten Gerichts, also der fränkischen Bischöfe nach Rom nicht durchzusetzen war.

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Es wird Zeit, in dem Verhältnis von Pseudoisidor und Hinkmar nicht mehr nur die Konfrontation zu sehen.454 Es geht beiden um die Entwicklung und Sicherung einer funktionierenden kirchlichen Ordnung, was an späterer Stelle noch einmal zu zeigen sein wird. Das Konfliktpotential liegt in dem favorisierten Weg dahin, nicht so sehr im Ziel. Es ist das selbstherrliche Auftreten Hinkmars auf der einen Seite und die (vielleicht nur theoretische) Einbindung päpstlicher Autorität auf der anderen, die an bestimmten Punkten zum Konflikt führt. In den Arbeiten aus dem Kreis Pseudoisidors liegt wesentlich mehr als nur die Rechtfertigung weitgehender bischöflicher Autonomie und die Forderung nach der Einschränkung der Stellung des Metropoliten sowie nach Zurückdrängen weltlicher Kontrolle. Das wird sehr deutlich an späterer Stelle der Abschnitt über die Kapitularien des Benedictus Levita zeigen. Ein Ergebnis dieser Auseinandersetzung um Rothad von Soissons, den der Papst im Jahr 865 schlussendlich wiedereinsetzen ließ, war die Präsenz des Bischofs von Rom in der kirchlichen Organisation der Provinz. Fortan wurde das Ringen um seine Zustimmung und Autorität noch wichtiger,455 da diese nicht mehr nur einen Ehrenvorrang bedeutete, sondern die Stellung ihres Begünstigten faktisch erheblich besserte. Wollte also Hinkmar die kirchliche Organisation seiner Provinz stärken, so ging das auch nicht mehr ohne päpstliche Gunst. Soweit zur Organisation der Provinzen. Nun waren die Provinzgrenzen nicht alle auch Teilreichsgrenzen. Das Bistum Cambrai z. B. liegt in der Kirchenprovinz Reims aber – solange es besteht – im Teilreich Kaiser Lothars. Hier ergeben sich Berührungen, die eine Weile lang aus Sicht der kirchlichen Organisation die Fiktion des ungeteilten Frankenreiches aufrechtzuerhalten ermutigten. Hier hinein gehört der Konflikt zwischen Teutgaud von Trier und Hinkmar von Reims. Sehr wahrscheinlich auf der Basis pseudoisidorischer Ideen reklamierte zu Beginn der 50er Jahre des 9. Jahrhunderts der Erzbischof von Trier den Primat über die gesamte antike Provinz Belgica, also auch über die Kirchenprovinz Reims, da er, Teutgaud, Inhaber der

454 Pointiert bei SCHRÖRS, Hinkmar von Reims 1884, 251, der die Angelegenheit als „Spitze einer gefahrdrohenden und weitverzweigten Bewegung“ sieht, „die sich gegen die Metropolitanverfassung, wenn nicht überhaupt, so doch in ihrem damaligen Bestande richtete.“ 455 Hinkmar von Reims stellte etwa Iohannes von Cambrai 868 nur unter der Bedingung einen Geleitbrief nach Rom aus, dass er nicht über die Eheangelegenheiten König Lothars sprechen würde, SCHRÖRS, Hinkmar von Reims 1884, 303. Bereits 863 hatte Papst Nikolaus I. zwei Metropoliten abgesetzt, nämlich Teutgaud von Trier und Gunthar von Köln, HARTMANN, Autorität des Papsttums 1998, 120. Ursache waren die Eheangelegenheiten Lothars II., die Lothar gewogene Haltung der beiden Erzbischöfe, die auf der Synode von Metz sich positiv gegenüber Scheidung und Wiederverheiratung einließen und die Tatsache, dass die Synode von Metz als Teilreichsversammlung abgehalten wurde, also unter Einschluss von Laien und ohne die Zuziehung weitere Bischöfe der anderen Teilreiche, ausführlich HARTMANN, Synoden 1989, 280–284 zu den Synoden von Metz und Rom im Jahr 863.

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prima sedes war, nämlich des erzbischöflichen Stuhles der Belgica prima,456 womit er sich zum Primas im Sinne Pseudoisidors erklärte.457 Hinkmar wies das von sich, indem er es verstand, Metropolit und Primas mit einander zu identifizieren. Das allein jedoch genügte nicht. Etwas ganz anderes als der von Pseudoisidor neu eingeführte Primatsgedanke, der ja auch von Hinkmar aufgegriffen und modifiziert wurde, ist das päpstliche Vikariat. Wohl im Jahr 844 war auf den Wunsch Kaiser Lothars hin Drogo von Metz von Papst Sergius zum päpstlichen Vikar für das gesamte Frankenreich erhoben worden. Er erhielt umfassende Vertretungsbefugnisse, ja sogar das Recht, Beschlüsse der Provinzialsynoden zu prüfen.458 In der Schwäche des Kaisers liegt die Begründung für diesen Schritt. Der Kaiser ist als solcher Vertreter einer „Reichseinheitsidee“. Da aber das geteilte Reich faktisch in mehrere neue Einheiten zerfallen war, blieb Lothar zur Erhöhung seiner kaiserlichen Autorität nur die engere Anbindung an den Papst als Komplementär seines universalen Anspruchs. Die Vollmachten, die er für Drogo erbat, bringen den Bischof von Rom als Inhaber dieser umfangreichen Rechte erst ins Gespräch als höchste kirchliche Instanz. Der solchermaßen bedachte Metropolit war prädestiniert für diese persönliche Würde. Er war Sohn Karls des Großen. So konnte Lothar den Anspruch auf Führung der gesamten fränkischen Kirche in der Familie des Kaisers erhalten.459 Karl der Kahle und die Bischöfe seines Teilreiches widersprachen der Einrichtung eines gesamtfränkischen Vikariats durch den Willen des Papstes und forderten die Anerkennung eines Vikars durch die Bischofsversammlungen.460 Da aber Lothar auf die Einrichtung eines Vikariats für sein Kaiserreich nicht verzichten wollte, schlug er alsbald Hinkmar von Reims vor, von dem er annahm, dass er die geforderte Zustimmung im fränkischen Episkopat erhalten würde. Unter Hinweis auf das bestehende Vikariat Drogos lehnte der Papst das Ansinnen ab. Von der Erlaubnis des Papstes für Hinkmar, als Ausweis seiner Sonderstellung täglich das Pallium zu tragen,461 hatte Lothar indes weniger als nichts.462 Die Erhöhung Hinkmars durch den Papst brachte die westliche Teilreichskirche nur ihrer Konsolidierung näher.

456 FUHRMANN, Mittelalterliche Patriarchate II 1954, 12 f. und 36 f. – LESNE, Hièrarchie 1905, 240 f. 457 Pointiert in den Capitula Angilramni, ed. Hinschius, cap. 22, S. 757–769, 762 f.: „Nullus archiepiscoporum, nisi qui primas sedes tenent, appelletur primas [. . .].“ S. zu dieser Auseinandersetzung EWIG, Tradition [1956/58] 1979, 75 f. 458 HAUCK, Kirchengeschichte II 1900, 515 f. 459 So schon LESNE, Hièrarchie 1905, 253. – FUHRMANN, Mittelalterliche Patriarchate II 1954, 10 sieht ebenfalls die Absicht des Kaisers, „seine Macht auch auf die Nachbarreiche auszudehnen“. 460 SCHRÖRS, Hinkmar von Reims 1884, 51. 461 Leo papa Hincmaro archiepiscopo Remensi (849/850), ed. A. de Hirsch-Gereuth, MGH Epp. Karol. 3, ep. select. Leonis 13, S. 591 f. 462 SCHRÖRS, Hinkmar von Reims 1884, 56–58.

2.4 Die erneute Ausbildung von Kirchenstaatlichkeit im Westfrankenreich

259

Einige Zeit später erlangte Hinkmar von Papst Benedikt III. die Bekräftigung der angeblich alten Rechte des Reimser Stuhles. Danach sollte er als Primas gelten und nur dem Papst rechenschaftspflichtig sein.463 Hatte Hinkmar nicht das Vikariat verliehen bekommen, so fügte er sich doch entgegen seiner grundsätzlichen Forderung nach weitgehender faktischer Autonomie der fränkischen Kirchen dem allgemeinen Zug nach der Anerkennung der päpstlichen Aufsicht über die fränkischen Kirchen. Dabei geht es ihm um die päpstliche Anerkennung seiner Stellung als Primas aus altem Recht, die er jedoch nur in der Form einer Art Vikariat zu erlangen vermochte. Die Rechtsgrundlage seiner Stellung bleibt nach seiner Auffassung aber das alte Recht der Metropole Reims. Ein erneuter Versuch, einen päpstlichen Vikar für das Frankenreich zu bestellen, unternimmt Karl der Kahle, der dazu Ansegis von Sens erwählt. Er ist inzwischen selbst Kaiser und sucht wie damals Lothar nach einer Möglichkeit aus dem fast bloßen Titel zu einer gewissen Herrschaft über das Frankenreich zu gelangen. Auch dieser Versuch scheitert letztlich an den Bischöfen,464 allen voran Hinkmar von Reims, der sich – anders als sein Suffragan Odo von Beauvais – gegen das Projekt stellt.465 Zu diesem Zweck verfasste er noch während der Verhandlungen der Synode von Ponthion (876) seine programmatische Schrift „De iure Metropolitanorum“. Darin argumentiert er u. a. mit der Stellung der Metropole Reims, die aus altem Recht für die Provinz eben die Stellung hat, die der Vikar für mehrere Provinzen bekommen solle.466 Auf der Synode konnte sich Hinkmar dann doch nicht durchsetzen, eine Rolle spielte der neue Vikar dennoch nie. Übrigens argumentierte Hinkmar bei dieser Gelegenheit auch zeithistorisch, und zwar mit treffenden Argumenten, wenn er etwa das päpstliche Vikariat des Bonifatius mit der Ordnung der kirchlichen Verhältnisse überhaupt begründet sieht und darlegt, dass sich die fränkischen Kirchen seitdem solchermaßen konsolidiert hätten, dass sie einer solchen Instanz nicht mehr bedürften.467 Im Angesicht der mittlerweile erlangten päpstlichen Stellung für die fränkischen Kirchen verwischen die Grenzen zwischen Primat und Vikariat. Beide lassen sich aus päpstlicher Verleihung herleiten. Sogar Hinkmar von Reims, der manchesmal in offenem Konflikt mit dem Bischof von Rom stand, legte offensichtlich Wert 463 SCHRÖRS, Hinkmar von Reims 1884, 70. – Benedikt III. bestätigte die Rechte, fügte aber in scharfer Form hinzu, dieses gelte nur, solange er dem Papst gehorsam sei, SCHRÖRS, Hinkmar von Reims 1884, 251 f. 464 SCHRÖRS, Hinkmar von Reims 1884, 372. 465 LESNE, Hièrarchie 1905, 260; ebenda 260 ff. zur weiteren Entwicklung, etwa zur Verleihung des päpstlichen Vikariats an den Metropoliten von Arles durch denselben Papst Johannes VIII., noch zu Lebzeiten von Ansegis. Zur Angelegenheit und zum Widerstand Hinkmars vgl. HARTMANN, Synoden 1989, 333–336. Zum Widerstand und zur Position Odos von Beauvais s. BOSHOF, Odo von Beauvais 1989, 56–58. 466 Zusammenfassung bei SCHRÖRS, Hinkmar von Reims 1884, 365–371, hier 371. 467 SCHRÖRS, Hinkmar von Reims 1884, 369.

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2 Kirchenorganisation im Reich der Karolinger

auf die Anerkennung seines Primates durch den Papst, dessen Oberhoheit bei diesen Gelegenheiten noch einmal festgeschrieben wurde. Schließlich bezog sich die Primatsidee bei Pseudoisidor auf altkirchliche päpstliche Verleihungen, die nun der Bischof von Rom für sich reklamieren konnte. Die ganze Argumentation vor allem Hinkmars für die Autonomie der Provinzen war im Kern angreifbar, da der Primat des Bischofs von Rom vor allen anderen Kirchen von ihm nie bestritten werden konnte. Es war vor allem der lange Weg, der zwischen Rom und den fränkischen Metropolen liegt, der Hinkmar und seinen Amtsgenossen eine relative Autonomie erlaubte. Auf der Basis von Pseudoisidor, mit Hilfe der renitenten Suffragane Rothad von Soissons und Hinkmar von Laon und der Unterstützung durch die unkanonischen Verhaltensweisen mancher Bischöfe im unseligen Ehestreit Lothars II., vor allem dessen Metropoliten Gunthar von Köln und Teutgaud von Trier, sowie der aus Not geborenen Bitten der Kaiser Lothar und Karl um einen gesamtfränkischen päpstlichen Vikariat, konnte der Papst seinen universalen Anspruch auch im Frankenreich weitgehend durchsetzen.468 In der Amtszeit Hinkmars von Reims spielte dessen ungeachtet nicht die kirchliche Organisation des ehemaligen Gesamtreiches die eigentliche Rolle, sondern die der Provinzen und von ihnen und königlicher Einflussnahme ausgehend die der Teilreiche die entscheidende Rolle.

2.4.8 Kirchenstaatlichkeit Von einiger Bedeutung für die kirchliche Organisation ist der Schutz ihrer Integrität,469 indem nämlich Wert darauf gelegt wird, dass Immunitäten geachtet werden470 und es nicht zu unkontrollierter Vermischung der Sphären kommt.471 Interessant ist, dass

468 SCHOLZ, Politik 2006, 185–195, zum Erfolg ebenda 194 f. 469 Z. B. Hinkmar von Reims, Collectio [2], ed,. Stratmann, S. 108, Z. 10–13: „Et ne seniores presbiteros gravent [. . .].“ 470 Das Konzil von Meaux-Paris (845/846), cap. 63, MGH Conc. III, Nr. 11, S. 114 fordert den Verzicht auf Besteuerung „de decimis et oblationibus fidelium“. – Vgl auch die Synoden von Pavia (845–850), cap. 16, MGH Conc. III, Nr. 21, S. 215 zur Beachtung von Immunitäten und von Mainz (852), cap. 4, MGH Conc. III, Nr. 26, S. 242 f. zu ihrer Unverletzlichkeit. 471 Hinkmar von Reims, Collectio [2], ed. Stratmann, S. 103, Z. 11–13: „Ut curam habeant, ne ministri rei publicae [res publica als Begriff für die weltliche politische Organisation!] advenas et pauperes adfligant; quod si per se emendare non potuerint, archidiacono vel episcopo innotescant.“ – Pseudoisidor, Concilium Agathense, ed. Hinschius, can. 8, S. 331–336, 333: „Id etiam placuit, ut clericus si relicto officio suo propter districtionem ad saecularem fortasse confugerit et is ad quem recurrit solatium defensionis impenderit, cum eodem de ecclesiae communione pellatur.“ [entspricht inhaltlich der angegebenen Quelle, Concilia Galliae I, ed. C. Munier, S. 196]. – Dazu gehört auch die Forderung: „[. . .] pro nullo munere spiritali aliquod temporale praemium debeamus exquirere, quoniam simoniaca est haeresis“, Hinkmar von Reims, Collectio [2], ed. Stratmann, S. 111. – Vgl. auch Hinkmar von Reims, ep. 30 De iure metropolitanorum, cap. 10, MPL 126, 189–210, 194 mit

2.4 Die erneute Ausbildung von Kirchenstaatlichkeit im Westfrankenreich

261

besonders Pseudoisidor Wert darauf legt, dass es auch durch kirchliche Amtsträger nicht zur Beschädigung kirchlicher Integrität kommt. Es ist aber vor allem Hinkmar von Reims, der eine gewisse Rechtssicherheit einfordert472 und dabei besonders auf Schriftlichkeit setzt.473 Vor allem die Kontinuität der kirchlichen Organisation macht gerade in der zweiten Häfte des 9. Jahrhunderts ihre Stärke aus. Schrörs zitiert Hinkmar mit dem Ludwig dem Stammler gegenüber geäußerten Satz:474 „Auch ihr werdet bald dahinschwinden, aber die heilige Kirche mit ihren Häuptern wird fortdauern, wie der Mond, der bereitet ist für ewig.“ Kirchliche Organisation umfasst im 9. Jahrhundert längst die Ebene der Provinz.475 Zur Wiederherstellung dieses im Kern antiken Ordnungsgefüges dienten den Kirchen die altkirchlichen Regelungen, auch solche, die nicht unmittelbar auf die Provinzialordnung gerichtet waren. Eine gewisse Rolle spielt dabei der Gedanke von der universalen Kirche Christi, der zwar seine Beschränkung auf politisch organisierte Räume findet, wie etwa mit der Reichseinheitsfiktion auf das gesamte Frankenreich, aber zugleich in dieser Zuordnung zum politischen Raum einen Zwang zur überkathedralen Organisation erhält, also zur Verbandsbildung unter den Bischofskirchen. Die dem Bischofssitz zugehörende Kirche verliert ihre ekklesiologische Autarkie und wird zunehmend zu einem Teil der Kirchenprovinz. Die Kirchen begnügen sich nicht mehr damit, einzeln als Große im politischen Raum des Reiches zu agieren. Sie bündeln ihre Interessen, angeregt durch die Kirchenpolitik der frühen Karolinger, gefördert von Ludwig dem Frommen etwa, und finden z. B. in einer im Westfrankenreich regen Konzilstätigkeit zusammen. Zur Artikulation ihrer gemeinsamen Interessen brauchen sie den Metropoliten, der als Verbandsvertreter mit besonderen Vollmachten jeweils eine große Gruppe der Großen des Reiches repräsentiert. Bei Ausbildung der autonomen Teilreiche unter den Söhnen Ludwigs des Frommen kommt ein alter Gedanke neu ins Spiel. Es wird nun theoretisch

einem Zitat Augustins (de vera religione): „Spiritualis homo iudicat omnia, ipse autem a nemine iudicatur [. . .].“ 472 U. a. mit einem [vielleicht direkten] Zitat aus dem Codex Theodosianus, De Constitutione principum I,1,2: „Leges nescire nulli liceat aut quae sunt statuta contemnere.“ [CTh, ed. Mommsen, 1904, Bd. II, S. 27] begründet von Hinkmar von Reims, ep. 32 ad Iohannem papam unter dem Name Karls des Kahlen, cap. 24, MPL 126, 230–256, 242. – Vgl. auch Hinkmar von Reims, ep. 52 ad clerum er plebem Laudunensem De ordinatione Henedulfi Laudunensis episcopi, MPL 126, 271–276, 275: „Multo magis autem cavendum est, ne sine regulari iudicio ministri ecclesiae officio suo priventur.“ Sehr viel deutlicher noch ist die Forderung nach Rechtssicherheit bei Benedictus Levita. 473 Etwa Hinkmar von Reims, ep. 214 an Karl den Kahlen über Hinkmar von Laon, ed. Schieffer, S. 269–274, 273 (ep. 15, MPL 126, 94–99, 98): „Conditores quippe legum non nudo verbo, sed scripto leges condiderunt et condunt, et subscriptionem confirmaverunt atque confirmant.“ – Vgl. grundsätzlich dazu STRATMANN, Hinkmar als Verwalter 1991. – Vgl. auch SCHIEFFER, Bischofserhebungen 1998, 75 f. 474 SCHRÖRS, Hinkmar von Reims 1884, 439. 475 Zur Kirchenstaatlichkeit der Provinz vgl. LESNE, Hièrarchie 1905, 97–99.

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2 Kirchenorganisation im Reich der Karolinger

praktikabel für die Kirchenverbände, dem König als eine gesamte Gruppe gegenüberzutreten, mithin etwas zu erreichen, was dem Adel nie dauerhaft gelang und auch nicht gelingen konnte. Die verhältnismäßig kurzen Wege in einem Teilreich ermöglichten es, ganze Teilreichssynoden abzuhalten, wenn auch mit mäßigem Erfolg. Das war die Stunde einzelner Kirchenverbandsvertreter, im Westfrankenreich über lange Zeit Hinkmars von Reims, der dem König und dem Adel gelegentlich als Vertreter der gesamten Teilreichskirche gegenübertreten konnte, nicht zuletzt, weil eine solche Gestalt wie Hinkmar durchaus im Interesse Karls des Kahlen lag, der so den weltlichen Großen gegenüber gestärkt werden konnte, wofür er natürlich seinen Tribut an die Kirchen zu entrichten hatte. Im Ansatz gelang es sogar, über Teilreichsgrenzen hinweg die Kirchen zu organisieren und auch zu mobilisieren, etwa im Ehestreit Lothars II. Bis 851 hatte Karl der Kahle versucht, das Reich ohne die aktive Teilnahme der Kirchen zu organisieren, seit dem Reichstag von Meersen im Jahr 851 nahmen dann die Bischöfe unter den Großen eine besondere Stelle ein.476 Vielleicht liegt das nicht nur an Karl dem Kahlen, sondern auch an einer verbesserten Interessenvertretung der Kirchen, die möglicherweise seit der Erkenntnis, dass die Einheit des Frankenreiches nicht aufrechtzuerhalten war, sich auf Teilreichsebene zu organisieren begannen.477 Maßgeblich bei diesem Prozess war ohne Zweifel der neue Metropolit von Reims, Hinkmar. Auf der Reichsversammlung von Servais (853) wurde beschlossen, dass das Westfrankenreich in zwölf Bezirke zu teilen sei und jeder Bezirk von einem Bischof als Königsbote zu überwachen sei, der auch für die Aufsicht über die weltliche Gerichtsbarkeit zuständig sein sollte.478 Damit ergibt sich eine gewisse Kongruenz von Teilreich und der Kirchenorganisation des entsprechenden Herrschaftsraumes. Es waren dann 857/858 die Kirchen und ihre Vertreter, die den Erhalt des Westfrankenreiches gegen den Übergriff Ludwigs des Deutschen erreichten. Während ein Großteil der weltlichen Großen und wohl auch der Erzbischof Wenilo von Sens bereit waren, die Herrschaft Ludwigs anzuerkennen,479 sorgten Hinkmar von Reims und zahlreiche weitere Bischöfe dafür, dass der Versuch Ludwigs, sich in den Besitz des Westfrankenreiches zu bringen, scheiterte.480 Der Frieden sollte bereits im Februar 859 zwischen Ludwig und den Bischöfen des Westfrankenreiches geschlossen

476 SCHRÖRS, Hinkmar von Reims 1884, 71 f. 477 SCHRÖRS, Hinkmar von Reims 1884, 75 betont zurecht als Grund für die Zuwendung Karls zu den Kirchen die Abkehr des Adels vom Herrscher, weil diese nicht mehr aus Kirchengut belohnt wurden. 478 Hinkmar von Reims wird übrigens als erster der Bischöfe genannt, SCHRÖRS, Hinkmar von Reims 1884, 74 f. 479 HARTMANN, Synoden 1989, 258. 480 SCHRÖRS, Hinkmar von Reims 1884, 79 ff. – Vgl. PENNDORF, „Reichseinheitsidee“ 1974, 36 ff.

2.5 Von der Kirchenstaatlichkeit zum Staat der Karolinger

263

werden,481 die zu dieser Zeit offensichtlich in Besitz des Teilreiches waren. Das geschickte Vorgehen Ludwigs führte schließlich zu dem für ihn weniger ungünstigen Frieden von Koblenz im Jahr 860 bei einem Treffen der fränkischen Könige.482 Die Rolle der Kirchenverbände im Westfrankenreich kann hier nur angedeutet bleiben; sie wird ein wesentlicher Bestandteil des abschließenden Teiles werden. Es ist aber offensichtlich der Fall, dass sich im Zusammenhang mit der engen Zusammenarbeit mit Karl dem Kahlen ein Bewusstsein für die Existenz einer Teilreichskirche entwickelte.483

2.5 Von der Kirchenstaatlichkeit zum Staat der Karolinger im Konzept des Benedictus Levita 2.5.1 Die Kapitulariensammlung des Benedictus Levita als Quelle Unter den sogenannten Pseudoisidorischen Fälschungen nimmt die Kapitulariensammlung des Benedictus Levita eine ganz eigene Stellung ein.484 Zwar besteht eine große Nähe zwischen Benedictus und Pseudoisidor; Benutzung derselben Texte und gemeinsame Ideen sind in großem Umfang belegbar,485 er scheint aber hinsichtlich Absicht, Vorgehen und Konzeption andere Wege gegangen zu sein als Pseudoisidor. Wenngleich die Rezeption der Kapitularien des Benedictus Levita bei weitem nicht so bedeutend ist, wie die der Dekretalen Pseudoisidors, so kommt der Kapitulariensammlung doch ein erheblicher Quellenwert zu. Man geht von einer ersten Fertigstellung im Jahr 857, vielleicht auch schon 852, aus, muss aber mit nachträglichen Redaktionen rechnen.486 Die Kapitulariensammlung,

481 SCHRÖRS, Hinkmar von Reims 1884, 85. 482 BIGOTT, Ludwig der Deutsche 2002, 138 f. 483 Die Abhaltung von Teilreichssynoden und Behandlung von Angelegenheiten einzelner Provinzen auf Teilreichsebene, wie die Frage der von Ebo von Reims geweihten Kleriker etwa in Soissons (853), sprechen dafür. 484 Ihrer Erschließung gilt ein Tübinger Projekt unter Leitung von Wilfried Hartmann und Gerhard Schmitz, denen es zu verdanken ist, dass über die Internetseite des Projektes (www.uni-tuebingen. de/mittelalter/forsch/benedictus) eine umfassende Dokumentation zu Pseudoisidor allgemein zugänglich ist. Darunter befinden sich Studien und ältere Volltextausgaben, vor allem aber eine mustergültige Internet-basierte Edition der Kapitel des Benedictus Levita, die hier (noch) nicht angemessen berücksichtigt wurde, weil bei der Entstehung dieses Kapitels die Edition noch nicht weit genug fortgeschritten war, um sie dem Text zugrunde legen zu können. Zum Projekt, seinen Zielen und Schwierigkeiten s. HARTMANN, Schwierigkeiten 2002; SCHMITZ, Falsche Kapitularien 1998. 485 Gerhard SCHMITZ, Verfilzungen 2015 kann zeigen, dass trotz dieser großen Nähe eben keine gegenseitige Benutzung oder gar Abhängigkeit belegbar ist. 486 SCHMITZ, Allmähliche Verfertigung 2002, 29 f. Der Terminus post quem ist der Todestag Erzbischofs Otgar von Mainz am 21. April 847, SECKEL, Pseudoisidor 1905, 299. Hier sind Zweifel angebracht, ob die Erwähnung dieses Datums nicht eine spätere Redaktion betriff, da nämlich bereits

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2 Kirchenorganisation im Reich der Karolinger

die ihr Verfasser als Ergänzung und Erweiterung derjenigen des Ansegis ausgibt, ist weit mehr als das und alles andere als ein Derivat der Dekretalen. Während der Verfasser der Dekretalen neuerdings in Paschasius Radbertus gesucht wird,487 ist die Identität von Benedictus Levita weiterhin unklar, der Ort seiner Arbeit wird im Norden der Provinz Reims vermutet.488 In neuem Licht erscheint Benedictus Levita, der lange Zeit von der Forschung regelrecht kriminalisiert worden ist, nämlich als Fälscher von Rechtstexten,489 nun, da niemand mehr von den Kapitularien als „Gesetzen“ spricht.490 Wird schon von daher das Delikt der Fälschung von Kapitularien zur Ordnungswidrigkeit reduziert, kommt von anderer Seite ebenfalls Hilfe für die Rehabilitation des Benedictus Levita. Die Betonung frühmittelalterlicher Gesellschaft als „Konsensgesellschaft“491 erlaubt es, die Frage zu stellen, ob dieser „Fälscher“ nicht eher als jemand gesehen werden kann, der Recht „findet“.492 Zudem ist gerade auch in letzter Zeit wieder betont worden, dass Benedictus als Sammler von Rechtsbestimmungen einige Bedeutung zukommt.493 Er verfügte über eine umfassende Kenntnis der Rechtsquellen seiner Zeit, auch solcher, die nicht in Form von herrscherlichen Erlassen der Gegenwart bestanden, sondern gängige Rechtsvorstellungen begründeten oder begründen konnten, wie etwa Auszüge aus den Novellen Justinians, die in den Epitome Iuliani überliefert sind.494

auf dem Konzil von Meaux-Paris (845/846) can. 81 bestimmt, dass die Kapitularien Karls des Großen und Ludwigs des Frommen als von „allen zu beachtende Kirchengesetzte rezipiert“ werden, wie HARTMANN, Synoden 1989, 215 unter Hinweis auf die Kapitulariensammlung des Benedictus Levita festhält. UBL, Entwurf einer imaginären Rechtsordnung 2018, 186 nennt die Jahre von 847 bis 857. 487 ZECHIEL-ECKES, Auf Pseudoisidors Spur 2002. 488 POKORNY, Capitula de eruditione presbiterorum 2002, 461 f. Benedictus selbst behauptet, er habe die Kapitularien im Archiv der Mainzer Kirche gefunden, Praefatio, Internetedition des Tübinger Projektes [www.uni-tuebingen.de/mittelalter/forsch/benedictus/edition/edition/praeft.htm]. Zur Glaubwürdigkeit der Angabe des Benedictus vgl. schon SECKEL, Pseudoisidor 1905, 299 f. 489 So etwa SCHWER, Schenkung an die Kirche 1950, 483, der immerhin Verständnis für den Fälscher zeigt und doch von einer „grotesken Vergewaltigung des Rechtes“ schreibt. 490 Zu den Kapitularien s. oben, Einleitung, 5.4. 491 S. oben, Einleitung, 5.3. 492 Konkrete Beobachtungen dieser Art macht SCHMITZ, Allmähliche Verfertigung 2002, 39 f. – Karl UBL, Entwurf einer imaginären Rechtsordnung 2018, 186 sieht die Kapitularien denn auch als „Vision einer Rechtsordnung im Frankenreich“. 493 LUKAS, Philologische Beobachtungen 2002, 87; LUKAS, Neues aus einer Salzburger Handschrift aus Köln 2002 zeigt an Hand der Episcoporum ad Hludowicum imperatorem relatio (829) die Bedeutung des Benedictus Levita für die Überlieferung von Kapitularien, da sein Text näher an der Originalfassung ist als die Edition von Boretius. 494 CONRAT, Novellenauszug 1899, 341–348; Edition der Summa de ordine ecclesiastico aus der Handschrift Ms. Phill. 1735 der Staatsbibliothek Berlin, Stiftung Preußischer Kulturbesitz unter „http://www.benedictus.mgh.de/quellen/summa.pdf“. Zu den antiken Quellen des Benedictus

2.5 Von der Kirchenstaatlichkeit zum Staat der Karolinger

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Die normativen Texte des frühen Mittelalters erhalten ihre Autorität zu einem großen Teil aus dem ihnen zugrunde liegenden Konsens, nicht allein durch die herrscherliche Promulgatio.495 Sie dient als Sanktion des zustandegekommenen Konsenses. Da die Umsetzung der Bestimmungen etwa der Kapitularien im Einzelnen nicht kontrollierbar und aus herrscherlicher Kraft heraus allein nicht durchsetzbar war, bestand die Notwendigkeit, schon bei ihrem Zustandekommen auf den Konsens derer zu setzen, die vor Ort die Beschlüsse beachten sollten. Das heißt einmal, dass die inhaltlichen Forderungen der Kapitularien etwa weit mehr Autorität besaßen, als der Verbreitungsgrad ihrer schriftlichen Form erwarten ließe. Das heißt aber auch, dass wichtige Regelungen nicht getroffen werden konnten, da sie nicht den nötigen Konsens fanden. Als Beispiel diene, dass die Beschlüsse des Konzils von Meaux-Paris (845/846) auf der Reichsversammlung in Epernay (Juni 846) nur in sehr geringer Zahl Zustimmung fanden und in ein entsprechendes Kapitular aufgenommen wurden.496 Das ist das Dilemma der Konsensgesellschaft, weil sie leicht zu einer „Minimalkonsensgesellschaft“ geraten kann. Das gilt auch schon für die Herstellung des nötigen Konsenses unter den Bischöfen auf einer Synode. So blieb Regelungsbedarf, wie ja auch zu vermuten ist, wenn man sich die Diskrepanz besieht zwischen den überlieferten Regeln der gesellschaftlichen Ordnung und dem, was man geneigt ist, für notwendig zu halten. Ergänzende Vorschriften erlassen denn auch die Bischöfe in ihren Kapitularien, allen voran Hinkmar von Reims, dessen Stellung in Diözese und Provinz eher erlassartige Regelungen erlaubte als die Stellung anderer kirchlicher Amtsträger. Der folgende Blick auf die Kapitularien des Benedictus Levita zeigt sehr deutlich, dass diese vielfach Angelegenheiten gesellschaftlicher Ordnung regeln, die andernorts keine Beachtung finden, nichtsdestotrotz großen Regelungsbedarf verraten. In diesen Fällen füllt Benedictus eine Lücke, die gewiss nicht nur er allein als schmerzlich empfand. Und so ist am Ende der folgenden Ausführungen über seine Regeln zu fragen, ob nicht auch seine „Fälschung“ ein Konsensprodukt darstellte, eines, dass den Konsens nicht einholte, sondern voraussetzte – und voraussetzen konnte.

Levita und ihren Wegen in die Kapitulariensammlung s. GANSHOF, Droit Romain 1969, bes. die Aufstellungen S. 27–32; zu den Epitome Iuliani ebenda 15. 495 MORDEK, Fränkische Kapitularien 2000, 5. – Vgl. aber die Einschätzung von MCKITTERICK, Karl der Große 2008, 208. 496 HARTMANN, Synoden 1989, 216: 19 von 83 Beschlüssen wurden übernommen. Vgl. auch BARION, Synodalrecht 1931, 297. – S. mit Hinweis auf die Übernahme des ersten Kapitels von Coulaines aus den Akten von Meaux-Paris, APSNER, Vertrag und Konsens 2006, 188 f. Hierzu sei angemerkt, dass ein Kapitel aus dem Vertrag von Coulaines längst einmal approbiert worden war und insofern kein gutes Beispiel darstellt.

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2 Kirchenorganisation im Reich der Karolinger

Eine weitere Frage aus diesem Komplex zielt auf die Stellung des Benedictus Levita, dessen „gefundene“ und überlieferte Regelungen die Bedürfnisse einer Ordnungsmacht verraten. Da aber all diese Vermutungen sich erst an dem auszubreitenden Material werden erhärten lassen (sie beruhen schließlich auf der Sichtung ebendiesen Materials), soll die Behandlung der Konzeption des Benedictus Levita gesondert vorgenommen werden. Wegen der deutlichen Hinweise auf vorhandene Staatlichkeit in dem Bereich, aus dem die Erfahrungen des Benedictus stammen, die ihn veranlassten, Hunderte von Kapitularien zu (er-)finden, möge dieser Abschnitt zugleich als Hinführung auf den letzten Teil der Arbeit dienen, der der Ordnung der Verbände gelten wird.

2.5.2 Die Stellung des Bischofs Eines der zentralen Anliegen des Benedictus Levita liegt in der Sicherung der Stellung des Bischofs. Dieses Anliegen teilt er mit Pseudoisidor, besonders dann, wenn er unmissverständlich darlegt, dass in der Anklage eines Bischofs die Anklage der göttlichen Ordnung liege.497 „Rectores ecclesiae“ seien nur von Gott selbst zu richten.498 Von den Priestern wird an mehreren Stellen Gehorsam eingefordert,499 und auch auf Laien erstreckt sich das Gebot von Gehorsam und Treue dem Bischof gegenüber.500 Den Bestimmungen der Sammlung zufolge musste auch in der Mitte des 9. Jahrhunderts noch mit Erhebungen gegen den Bischof

497 BL III,167, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1060: „Quod Dei ordinationem accuset qui Episcopo detrahit vel accusat.“ – BL II,365, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 985. 498 BL III,167, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1060. „[. . .] sed Rectores Ecclesiae a Deo sunt iudicandi.“ – BL III,441, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1123: „Quod Episcopi a Deo, cuius servi existunt, sint iudicandi, accusandi, vel damnandi; quia, iuxta Apostolum, nemo alienum servum debet accusare.“ Hier folgt zwei Sätze später der von Ps.-Angilramnus bekannte Satz „Deus stetit in synagoga Deorum, in medio autem Deos discernit.“, mit dem die Stellung des Bischofs in Analogie zu Gott beschrieben wird. – Vgl. BL I,315, ed. Baluze, aus Mansi 17 B, 889. Auch Benedictus Levita macht hier eine Einschränkung, nämlich, wenn der Primas sich einer Klage annimmt, BL Ad. IV,3, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1192. 499 Z. B. BL I,76, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 838. – BL III,466, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1129. Es wird daran erinnert, dass die Priester ihrem Bischof untergeben sind, BL III,130, ed. Baluze, aus Mansi 17, 1050 und zur Unterworfenheit des „ordo Clericorum“ im Ganzen BL III,2, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1031; schließlich ist der Bischof Disziplinarvorgesetzter, vgl. BL I, 59: Ut omnes Clerici Episcopi subiecti sunt.“ – Es wird den Priestern jede Befehlsgewalt abgesprochen, BL II,57, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 932: „Ut Presbyteri civitatis sine iussu sui Episcopi nihil iubeant.“ 500 Vgl. ausführlicher BL III,462, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1128. – Zur allgemeinen Treueforderung, mit der sogar die Folgsamkeit bei Exkommunikationen in Erinnerung gebracht werden musste, BL III,461, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1127. – Zum Gehorsamsgebot auch für Laien s. BL III,255, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1078.

2.5 Von der Kirchenstaatlichkeit zum Staat der Karolinger

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gerechnet werden,501 die aber offensichtlich nicht immer rein kirchliche Gründe haben mussten,502 was illustriert, dass der Bischof, von dessen Aufgaben Benedictus durchaus einiges zu verstehen scheint, auch als weltlicher Herrscher anzusehen ist. Benedictus Levita legt Wert darauf, dass die potestas des Bischofs allgemein bekannt sei und lässt in einem Kapitular ebendies verkünden: „Ut potestatem Episcopi omnes intelligant [. . .].“503 Zur Aufsichtspflicht des Bischofs gehört die Kontrolle über die Amtsführung der Priester,504 die Oblationen der gesamten Diözese,505 die Verantwortung für die Bauvorhaben506 und für den Erhalt kirchlichen Gutes.507 Es wird darüber hinaus daran erinnert, dass keine Priester ohne Konsultation des Bischofs eingesetzt werden dürften,508 Priester zu Altarweihen nicht berechtigt seien509 und natürlich keine eigenmächtigen Rekonziliationen vornehmen durften.510 Der Vorzug der gewählten Textform, nämlich die der Kapitularien, zeigt sich an der Bestimmung, dass kein Richter Priester, Diakone oder irgendwelche

501 BL II,305, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 975: „De Presbytero qui se ab Episcopo suo diviserit. Si quis Presbyter contra Episcopum suum inflatus schisma fecerit, anathema sit.“ 502 Zu Übergriffen auf den Bischof oder andere Kirchendiener s. BL Ad. III,28, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1162, wonach deren Urheber ihr weiteres Leben im Exil – also außerhalb der Diözese – zu verbringen hatten. – Zur Konspiration von Klerikern oder Mönchen mit Laien „contra Pastorem suum“ s. BL III,159, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1059. – Grundsätzlich wurde fiktiv von herrscherlicher Seite auch die Möglichkeit erörtert, dass Kleriker sich an Erhebungen beteiligten und bei dieser Gelegenheit Waffen gebrauchten, BL Ad. III,17, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1160: „De Clericis qui in seditione arma volentes sumpserunt.“ 503 BL II,246, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 964. 504 BL I,86, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 839. Vgl. das allgemeine Verbot für Priester, ohne die Zustimmung des Bischofs zu handeln, BL I,23, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 830; BL I,185, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 859; BL III,4, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1032; BL III,415, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1114. 505 BL I,24, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 830. – BL III,8, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1033. 506 Diese haben seinem Willen zu folgen, nicht bloß seine Zustimmung zu erlangen, BL I,272, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 878: „[. . .] episcopalis potius sequatur voluntas [. . .].“ – BL Ad. III,72, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1170. 507 Sogar die Vergabe und Annahme von ganzen Kirchen durch Priester wird für möglich gehalten, so sehr, dass eine entsprechende Bestimmung in die Addenda aufgenommen wurde, BL Ad. III,64, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1169: „Quod quidam Presbyteris absque consensu Episcoporum Ecclesias dent vel auferant. Inventum est quod multi arbitrii sui temeritate, et, quod est gravius, ducti cupiditate, Presbyteris quibuslibet absque consensu Episcoporum Ecclesias dant vel auferunt. Unde oportet ut, canonica regula servata, nullus absque consensu Episcopi cuilibet Presbytero Ecclesiam det. Quam si iniuste adeptus fuerit, hanc non sine culpa sua coram Episcopo canonica severitate amittat.“ – Vgl. auch zur Aufsicht über Kirchengut BL III,74, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1041. 508 BL III,166, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1060. 509 BL III,225, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1072. 510 BL III,202, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1068.

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Kleriker ohne Zustimmung des Bischofs vorladen dürfe.511 Das bekommt als herrscherlicher Erlass eine andere Bedeutung, als wenn kirchliche Kreise solches forderten. Zur bischöflichen potestas gehört auch die cura monasteriorum,512 die Äbte gehören ebenfalls in die potestas des Bischofs.513 Außerdem werden die Mönche – wohl als einzelne – auch direkt als dem Bischof untergeben aufgefasst.514 Hier ist aber wegen der Offenheit der Sammlung kein Rückschluss zu ziehen, als der, dass beide Weisen die Klosterinsassen zu erfassen, als sinnvoll erscheinen konnten.

2.5.3 Bischofserhebung und -anklage Bei der Bischofserhebung zeigen sich die besonderen Vorstellungen des Benedictus Levita. Während inzwischen die kanonische Bischofswahl nach der Zustimmung und Mitwirkung der Nachbarbischöfe bzw. des Metropoliten schon im Wahlverfahren verlangte, legt Benedictus Levita Wert auf die maßgebliche Wahl durch Klerus und plebs,515 ja, gegen diese dürfe überhaupt keine Wahl stattfinden.516 Und die Mitwirkung des Königs soll in erhöhter Wachsamkeit bestehen.517 Das kann zweierlei

511 BL III,139, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1052: „Ut nullus Iudex neque Presbyterum, neque Diaconum, aut Clericum sine consensu Episcopi sui distringat.“ 512 BL III,18, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 312. 513 BL II,139, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 946: „Ut Abbates in eius Episcopi in cuius parrochia sunt, potestate persistant.“ Sie sollten gegebenenfalls von den Bischöfen korrigiert werden. 514 BL I,27, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 830: „[. . .] episcopo suo subiecti sint“; BL III,12, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1033. 515 BL Ad III,2, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1157: „Ut Episcopi per electionem cleri et populi vitae merito et sapientiae eligantur. Sacrorum canonum non ignari, ut in Dei nomine sancta Ecclesia suo liberius potiretur honore, adsensum ordini ecclesiastico praebuimus, ut scilicet Episcopi per electionem cleri et populi secundum statuta canonum de propria dioecesi, remota personarum et munerum acceptione, ob vitae meritum et sapientiae donum eligantur, ut exemplo et verbo sibi subiectis usquequaque prodesse valeant.“ – Vgl. ZECHIEL-ECKES, Florus von Lyon 1996, 113 zur Haltung des Florus in seinem Traktat über die Bischofswahl, in dem er ebenfalls die direkte Mitwirkung des Königs ausschloss. 516 BL III,95, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1044: „Ut contradicentibus non ordinetur Episcopus. Nolentibus Clericis vel populis nemo debet Episcopus ordinari.“ 517 BL Ad II,26: „Quod in eligendis et constituendis Ecclesiae Rectoribus, Regem magnam vigilantiam adhibere oporteat. Iterum monendo magnitudini vestrae suppliciter suggerimus ut deinceps in bonis Pastoribus Rectoribusque in Ecclesiis Dei constituendis magnum studium atque sollertissimam adhibeatis curam: quia si aliter factum fuerit, et ordo ecclesiasticus suam non habebit dignitatem, et religio Christiana in multis labefactando damna detrimenti sui patietur, et animae vestrae, quod non optamus, periculum generabitur.“ – Vgl. aber Paris, Bibliothèque Nationale, Lat. 4635, fol. 222r, zur Verfügung gestellt unter „www.uni-tuebingen.de/mittelalter/forsch/benedictus/hand schriften/p16_3t.htm“ ohne explizite Nennung des Königs, aber mit dem Begriff „cura“ anstelle von „vigilantia“: „Quod in eligendis et constituendis magna cura sit.“

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bedeuten: Erstens soll wohl der Einfluss des Königs begrenzt werden, reduziert von der eigenen Interessenvertretung auf die „nächtlichen Gebete“518. Zweitens – und das ist wohl die Hauptbedeutung der Bestimmung – wird der König als staatliches Regulativ gebraucht. Benedictus fordert eine ordentliche Wahl und lehnt Schnellverfahren ebenso ab519 wie die flüchtige Behandlung von Widerspruch gegen einen Kandidaten.520 Die Bischofsanklage sollte nach Möglichkeit vermieden werden, weshalb Benedikts Kapitularien das intensive Bemühen um Konsens einfordern.521 Erst, wenn die Beseitigung eines Problems in einem Konsensverfahren scheitern sollte, dürfe die Klage vor den Primas gebracht werden,522 der dann ein Verfahren einleiten könne.523 Das Verfahren sieht vor, dass in jedem Fall die Verhandlung auf einer Synode innerhalb der Provinzgrenzen stattfinden müsse524 und das Urteil von den Bichöfen der Provinz zu fällen sei.525 Dabei unterscheidet Benedikt bzw. unterscheiden seine Quellen zwischen einem kollegialen Verfahren und einer Anklage durch einen anderen als die Kollegen des Beklagten. Im ersten Fall scheint das Verfahren nicht durch den Primas eröffnet werden zu müssen und die Kollegen werden selbständig tätig.

518 So die Bedeutung von „vigilantia“ im Mediae latinitatis lexicon minus, hg. v. Niermeyer / Van de Kieft, 2002, 1433. 519 BL III,79, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1042. Die Quelle der Bestimmung ist Concilium Laodicense, can. 13, SECKEL, Studien VIII,1 1914, 343. 520 BL III,97, ed. Baluze, aus Mansi 17 B, 1044 „De contradictione ordinationis Episcopi“; vgl. SECKEL, Studien VIII,1 1914, 346 zur Herkunft der Bestimmung aus Concilia Africae, can. 17. – S. dazu den Text der Bestimmung in: Breviarium Hipponense, can. 38 c, in: Concilia Africae, ed. C. Munier, 1974, 45 und Registri ecclesiae Carthaginensis excerpta, ca. 50, in: Concilia Africae, ed. C. Munier, 1974, 188. 521 BL Ad. IV,9, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1193, wonach ein potentieller Kläger zunächst „familiariter conveniat“. – BL Ad. IV,17, ed. Baluze, aus Mansi 17 B, 1194. 522 BL III,89, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1043. 523 BL Ad. IV,17, ed Baluze, aus Mansi 17B, 1194–1196, 1194. – Vgl. BL II, 381, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 994–996, 994, wonach kein Bischof vor ein weltliches Gericht zu bringen, sondern beim Primas anzuzeigen sei. Es ist als Ergebnis eines solchen Verfahrens anzusehen, dass nur bei schwersten Klagen der weit entfernt residierende Primas mit der Angelegenheit belästigt worden wäre. Der Primas wird übrigens grundsätzlich für den vermutlichen Geltungsbereich der Kapitularien in Rom gesucht, vgl. BL II, 381, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 994, wonach Konzilien nicht ohne „sententia Romani Pontificis celebrare“ seien; ob sich diese Bestimmung auch auf Provinzialsynoden erstreckt, auf denen Bischöfe angeklagt werden sollten, bleibt unklar. 524 BL III,314, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1094: „Nullus Episcopus extra suam provinciam ad iudicium devocetur.“ 525 BL III,320, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1095: „[. . .] quod non debeat ab aliis iudicari nisi a quibus et ordinari.“ – BL III,314, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1094: „[. . .] sed ab omnibus suis comprovincialibus Episcopis infra suam provinciam audiatur.“ BL III,321, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1095 f. verlangt ausdrücklich die Behandlung der Bischofsanklage auf einer Provinzialsynode.

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Im letzteren Fall müsse der Primas ein Verfahren einleiten.526 Ein angeklagter Bischof habe, so lautet die allgemein bekannte Forderung Pseudoisidors, bis zu seiner etwaigen Verurteilung im Vollbesitz seiner Rechte zu verbleiben. Das verlangt mit großer Vehemenz auch Benedictus Levita.527 Auch die Zulässigkeit der Appellation eines angeklagten Bischofs an den Bischof von Rom als den direkten Apostelnachfolger fordert Benedikt ebenso wie Pseudoisidor.528

2.5.4 Kirchengut Der Bischof hat die Aufsicht über das Kirchengut seiner Diözese. Diese Feststellung braucht nicht weiter ausgeführt zu werden, ist sie doch communis opinio der kirchlichen Quellen seit der Alten Kirche. An manchen Stellen aber ist bei Benedictus Levita zu sehen, dass die bischöfliche Stellung auch hier übersteigert wird. Er hat nicht einfach nur die Aufsicht und muss bei besonderen Eingriffen in den Bestand kirchlichen Gutes um seine Zustimmung gefragt werden,529 wie an zahlreichen Stellen der Kapitularien von fiktiver königlicher Seite zugesichert wird, sondern ihm kommt die alleinige „dispositio“ des kirchlichen Gutes und aller Kirchen der Diözese zu.530

526 Das ist zu erschließen aus BL III,171, ed Baluze, aus Mansi 17B, 1061: „Si quis Episcopus a quoquam impetitur, vel ille aliquam quaestionem retulerit, per Episcopos Iudices causa finiatur, sive quos eis Primates dederint, sive quos ipsi vicinos ex consensu delegerint.“ 527 BL III,116, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1048; BL III,153, ebenda 1057; BL Ad. IV,5, ebenda 1191; BL Ad. IV,29, ebenda 1199. 528 Vgl. dazu BL II,401, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1000; BL III,103, ebenda 1045; BL III,315, ebenda 1094; BL III,173, ebenda 1061; BL III,412, ebenda 1114; BL Ad. IV,15, ebenda 1194 (Appellation an die höhere geistliche Instanz); BL Ad. IV,27 f. und 30, ebenda 1198. Eine Häufung dieses Themas in den Additiones ist zu beobachten, wobei in den früheren Kapiteln vom „episcopus depositus“ die Rede ist, während in den späteren Kapiteln auch vom nur angeklagten Bischof gehandelt wird, explizit in BL Ad. IV,28 „De accusato vel iudicato Episcopo“. Dass das eine Reaktion auf die Appellation des noch nicht verurteilten Bischofs Hinkmar von Laon ist, darf für möglich gehalten werden. 529 BL I,31, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 831; BL II,58, ebenda 932; II,89, ebenda 937 (ausführlicher); BL III,27, ebenda 1035; BL III,261, ebenda 1081 f.; BL III,416, ebenda 1114; – Zur Verwendung des Zehnten wird ebenfalls Wert darauf gelegt, dass dies „semper consulto Episcoporum“ geschehe, BL Ad. III,82, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1172. – Auch Oblationen durften nicht ohne Zustimmung des Bischofs angenommen werden, wohl um keine unkontrollierte Einflußssnahme von Laien zuzulassen, BL II,56, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 932. 530 BL III,292, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1090: „Ut dotes Ecclesiarum simul cum ipsis Ecclesiis semper ad proprii Episcopi pertineant dispositionem.“ Vgl. auch BL III,468, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1130: „Placuit ut omnes Ecclesiae cum dotibus et omnibus rebus suis in Episcopi proprii potestate consistant atque ad ordinationem vel dispositionem suam semper pertineant.“ – Übrigens gilt das auch für die aus privaten Mitteln errichteten Kirchen, BL Ad. IV,56, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1205: „Quod Ecclesiarum omnium dotes ad Episcopi ordinationem debeant pertinere. Multi contra

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Ganz ähnlich wie auch Pseudoisidor sieht Benedictus Levita nicht nur die Laien als Bedrohung für die Integrität des kirchlichen Gutes.531 Seine Kapitularien deuten an, dass es nach wie vor zahlreiche Unregelmäßigkeiten bei der Verwaltung des kirchlichen Gutes durch Kleriker gab.532 Dabei gab es verschiedene Vorgehensweisen von Klerikern und Laien, an den Besitz von Kirchengut zu gelangen. Dazu gehörte natürlich der Erwerb und Verkauf.533 Kaum erstaunen wird, dass es wohl Vergaben von Kirchengut an Freunde und Verwandte gab.534 Benedictus Levita rechnete auch mit der Möglichkeit, dass Kirchengut gegen „munera“ bzw. „praemia“ vergeben wurde. Jedenfalls nimmt er auf solche Fälle ausdrücklich Bezug.535 Es ist klar, dass es sich in diesen Fällen um etwas handelt, das in einem modernen Staat als Korruption aufgefasst werden würde. Es ist übrigens ein Indiz für Staatlichkeit, wenn eine Gesamtheit ihre Integrität gegen einzelne Mitglieder schützt, also diese Gesamtheit eine von den Beteiligten unterschiedene Interessenlage und folglich auch einen von diesen gelösten Willen hat. Auch die Erlangung von Prekarien auf dem Wege der Täuschung ist wohl vorgekommen,536 wie auch über Vermittlung von Königen, von denen diese erbeten wurden, um dann in der Substanz geraubt zu werden.537

canonum constituta sic Ecclesias quas aedificaverint postulant consecrari, ut dotem quam eius Ecclesiae contulerint censeant ad Episcopi ordinationem non pertinere. Quod factum et in praeterito displicet, et in futuro prohibetur; sed omnia secundum constitutionem antiquam ad Episcopi ordinationem et potestatem pertineant.“ – Der Zehnt soll nach den Kapitularien des Benedictus Levita geviertelt werden, wie das wohl auch sonst üblich war, BL Ad. IV,58, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1205. Vgl. CONSTABLE, Tithes 1964, 52 f. Benedictus Levita teilt übrigens eine Bestimmung (vielleicht eines Kapitulars aus dem 8. Jahrhundert, vgl. dazu SECKEL, Studien VI 1906, 65 f.) mit, mit der Priester aufgefordet werden, die regulären Abgaben ihrer Kirchen und Güter an die Mutterkirche auch tatsächlich abzuführen, BL I,14, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 828. 531 Zur Entfremdung von Kirchengut ohne Unterscheidung in Laien und Kleriker s. BL I,208, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 863; BL II,136, ebenda 945 f. 532 BL III,214, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1070. – Vor allem der Verkauf bzw. die Vergabe des Zehnten scheint ein Problem dargestellt zu haben, dass noch in den Additiones darauf mehrfach Bezug genommen werden musste, BL, Ad. IV,89, ed. Baluze, aus Mansi 17B; BL Ad. IV,144, ebenda 1223 f.; BL Ad. IV,153, ebenda 1224. 533 Hier noch einmal zu Oblationen BL II,84, ed. Balaze, aus Mansi 17B, 936. 534 BL I,327, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 893–896; BL Ad. IV,166, ebenda 1229 zur Entfremdung aus Freundschaft. 535 BL Ad. IV,166, ed. Baluze, aus Mansi 17B 1229. Vgl. auch BL I,376, ebenda 904: „Ut nullus Episcopus vel Abbas per praemia suis hominibus beneficia dent vel auferant. Admonemus etiam Episcopos et Abbates ut per praemia beneficia hominibus suis nec auferant nec donent, quia multae reclamationes et querelae de hac causa ad nostras aures solent pervenire.“ 536 BL Ad. III,48, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1164 f. 537 BL III,409, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1114: „De his qui facultatulam Ecclesiae petunt a Regibus, prava cupiditate inlecti, quid agendum sit. Qui reculam Ecclesiae petunt a Regibus, et horrendae cupiditatis impulsu egentium substantiam rapiunt, irrita habeantur quae obtinent, et a communione Ecclesiae, cuius facultatem auferre cupiunt, excludantur.“

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Eine andere Möglichkeit der Entfremdung von Kirchengut lag in der Überweisung des Zehnten an eine andere Kirche als die, der der Zehnte zustand.538 Übrigens nahm Benedictus Levita auch eine Bestimmung zur Entfremdung von Büchern in seine Sammlung auf.539 An den Prekarien hingen Pflichten, so etwa die Gabe auch des Neunten, wohl eines zweiten zehnten Teils, der zur Instandsetzung der Kirchen verwendet werden sollte.540 Auch wird festgehalten, dass Benefizien zu bewirtschaften seien, um ihren Wert zu erhalten.541 Auch Benedictus Levita bzw. seine Quellen kennen die Bezeichnung des Kirchengutes als „res Deo dicata“.542 An anderer Stelle wird Christus direkt mit dem kirchlichen Gut in Verbindung gebracht.543 Aber auch die Armen werden als Mitinhaber des kirchlichen Gutes genannt.544 In Bezug auf die Begriffe „res“ und „facultas“ für kirchliches Gut herrscht in den Quellen des Benedictus Levita eine gewisse Unsicherheit,545 wobei „facultas“ als der allgemeinere Begriff gebraucht wird,546 zugleich aber eine gewisse Abschwächung in der Bezeichnung des Verhältnisses zum Gut deutlich wird.

538 BL Ad. IV,100, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1214 f. – Auch an die Möglichkeit der Verweigerung des Zehnten ist gedacht: BL Ad. IV,99, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1214. Die Bestimmung stammt aus Capitulare Wormatiense, cap. 6, MGH Cap. 191, S. 13. 539 BL II,134, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 945. 540 BL Ad. III,100, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1175; BL Ad. IV,102, ebenda 1215; BL Ad. IV,168, ebenda 1230; BL Ad. IV,33, ebenda 1163. – Zur Instandhaltung aus Geschenken und der Aufsicht des Bischofs über diese Mittel vgl. BL Ad. IV,84, ebenda 1210. 541 BL Ad. IV,104, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1216. 542 BL I,339, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 897. Nach SECKEL, Studien VI 1906, 113 stammt die Bestimmung aus dem Codex Theodosianus 16,11,3 und 16,2,40. Die Überschrift „De praediis Deo dicatis“ stammt indes wohl von Benedictus Levita selbst. 543 „Ergo qui Christi pecunias Ecclesiae fraudat [. . .]“, BL II,426, ed. Baluze, aus Mansi 17B, Sp. 1006 f. Vgl. auch BL II,430, ebenda 1009: „Christi et Ecclesiae pecunias.“ 544 „Quod habet Ecclesia, cum omnibus nihil habentibus habet commune.“, BL Ad. III,113, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1178. – Vgl. auch das Kirchengut als „res pauperum“ (zum Teil jedenfalls) in BL II,430, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1009. 545 Etwa in BL III,419, ed. Baluze, aus Mansi 17B, Sp. 1115: „Ne cui liceat res vel facultates Ecclesiis aut Monasteriis vel xenodochiis, pro quacunque eleemosyna cum iustitia delegatas, retentare, alienare, atque subtrahere.“ 546 BL II,426, ed. Baluze, aus Mansi 17B Sp. 1006 f. „Ut Ecclesiarum privilegia, vel facultatem sive quicquid ad easdem pertinent, nullus invadere praesumat. Praecipimus omnibus ditioni nostrae subiectis ut nullus privilegia Ecclesiarum vel monasteriorum infrangere, resque Ecclesiarum invadere, vel vastare, aut alienare, vel facultates earum diripere praesumat, nec sine precaria possidere pertentet; quia, sicut a sanctis Patribus instructi sumus, gravissimum peccatum hoc esse dinoscitur.“, Es handelt sich um eine Reihe von Bezeichnungen eines Begriffs von „Gut“, frei übersetzt: „Rechte“, „Möglichkeiten“ und „Eigentum“ bzw. „Besitz“.

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„Facultas“ ist eben mehr die Verfügungsgewalt über etwas und weniger der Besitz oder das Eigentum an etwas,547 anders die „res“, die eben das Gut selbst bezeichnet. Das Gut, über dessen Eigentümer ebenfalls gewisse Unklarheit herrscht, das zwar als „Domino consecrantur“ bezeichnet wird, von dem dann aber recht allgemein bestimmt wird, dass es „ad ius ecclesiasticum“ gehöre,548 wird in anderen Bestimmungen aus der Sammlung des Benedictus Levita kaum präziser als zum Recht der Priester gehörig aufgefasst.549 Immerhin wird dabei doch klar festgelegt, dass alles, was Gott geweiht ist, zum Recht der Priester gehöre,550 mit anderen Worten, dem Sakralrecht zugehöre, nicht nämlich dem kirchlichen Recht in einem weiteren Sinne, sondern der Sphäre des Geweihten.551

2.5.5 Amt und Person Priester und Bischöfe verfügten über Eigengut. Dabei wurde gelegentlich das Eigengut ebenso sanktioniert wie das verwaltete Kirchengut.552 Das führte zu der Notwendigkeit, die Interessen der Privatperson gegen die Interessen der Kirche, die die Person zu

547 Niermeyer, Mediae latinitatis lexicon minus II 2002, 530 weist an erster Stelle die Bedeutung „Erbgut“ aus, in Gegensatz zu erworbenem Gut, was sich aber nur auf eine Belegstelle stützt und dort sicherlich zutrifft. Für die ganze Diskussion um die kirchlichen facultates in den frühmittelalterlichen Rechtsquellen ist das aber unbefriedigend, da z. B. bei Benedictus Levita mehrfach von „res vel facultates“ die Rede ist, BL II,136, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 945 f.; BL III,214, ebenda 1070 f.; BL III,419, ebenda 1115. 548 So in BL II,395, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 999. 549 „ad ius pertineat sacerdotum“, BL II,405, ed. Baluze, aus Mansi 17B 1001 f. 550 BL II,407, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1002 f. 551 „Et non solum sacrificia quae a Sacerdotibus super altare Domino consecrantur, oblationes fidelium dicuntur, sed quaecunque ei a fidelibus offeruntur, sive in mancipiis, sive in agris, vineis, sylvis, pratis, aquis, aquarumve decursibus, artificiis, libris, utensilibus, petris, aedificiis, vestimentis, pellibus, lanificiis, pecoribus, pascuis, membranis, mobilibus et immobilibus, vel quaecunque de his rebus quae ad laudem Dei fiunt, vel supplementum sanctae Dei Ecclesiae eiusque Sacerdotibus atque ornatum praestare possunt, Domino Ecclesiaeque sive a quibuscunque ultro offeruntur, Domino indubitanter consecrantur, et ad ius pertinent Sacerdotum.“, BL II, 407, ed. Baluze, aus Mansi 17B, Sp. 1002 f. 552 BL III,140, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1052 mit der Aufforderung an weltliche Große und Bischöfe, keine Reichsteilungen oder Veränderung in der Provinzialeinteilung dazu zu nutzen, kirchliches oder privates Gut eines anderen Bischofs zu usurpieren („Ut nullus Episcoporum vel Secularium cuiuscunque alterius Episcopi sive Ecclesiae seu privati res, aut regnorum divisione aut provinciarum sequestratione, competere aut retinere praesumat.“). Bei der Bestimmung handelt es sich nach SECKEL, Studien VIII 1914, 359 um can. 18 des 5. Konzils von Paris (614). – S. auch BL III,275, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1086: „[. . .] res ecclesiae debitas vel proprias Sacerdotis [. . .].“

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vertreten hatte, abzugrenzen. So reflektiert Benedictus Levita frühere Regelungen, die etwas voneinander abweichen. Eine Bestimmung legt klar fest, dass ein Priester alles, was er nach seiner Konsekration erworben hat, seiner Kirche hinterlassen müsse.553 Bemerkenswert ist auch hier, dass nicht von Vermögen die Rede ist, das die Kirche erworben hat, sondern von solchem des Bischofs, das aber unterschieden wird von dem, was ihm vor der Ordination gehörte. Eine späte Bestimmung des Benedictus Levita besagt, dass ein Bischof bzw. Kleriker ohne Testament sein Vermögen der Kirche hinterlasse, der er gedient hat.554 Letztlich auch Ausdruck der Trennung von Amt und Person ist ein Kapitel in der Sammlung des Benedictus Levita, nach dem ein Bischof für Handeln gegen die kanonischen Regeln mit seinem gesamten Vermögen zu haften habe, denn für den Fall, dass er aus privatem Interesse gehandelt und damit seiner Kirche Schaden zugefügt haben sollte, ist es ja nur sinnvoll, ihn privat haften zu lassen.555 Damit das „ministerium sacerdotale“ nicht leide, sollten Verwandte des Bischofs nicht von Kirchengut profitieren; auch hierbei handelt es sich um eine Bestimmung zur Trennung von Amt und Person.556

2.5.6 Bischofsversammlung, Metropolit und Primas Zahlreiche Bestimmungen der Sammlung des Benedictus Levita gelten der Rolle der Bischofsversammlung, vor allem ihrer Aufgabe zur Verhandlung von Rechtsstreitigkeiten zwischen Bischöfen557 und Anklagen von Bischöfen.558 Ihre Zuständigkeit in

553 BL I,52, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 835: „Ut unusquisque Presbyter res quas post diem consecrationis adquisierit, propriae Ecclesiae relinquat.“ Die Bestimmung stammt nach SECKEL, Studien VI 1906, 73 aus Ansegis, Capitularium I, 150. 554 BL Ad. III,31, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1162: „De incestato Episcopo. Si quicunque ex gradu ecclesiastico sine testamento et sine cognitione discesserit, hereditas eius ad Ecclesiam ubi servivit devoluatur. Similiter de Sanctimonialibus.“ 555 BL Ad. III,47, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1164: „De eo qui contra canonica statuta egerit. Si quis contra haec statuta fecerit, si Episcopus est, omnes res eius ex quacunque causa vel persona, sive ante episcopatum, sive postea ad eum pervenerint, Ecclesiae suae eas vindicare sancimus.“ Es ist jedoch naheliegend, dass die Bestimmung in ihrem ursprünglichen Zusammenhang sich auf eine weitere Bestimmung bezog, da sie nach der Überschrift mit „haec statuta“ anschließt, die verletzt worden sein könnten. Benedictus Levita setzte vermutlich eine generalisierende Überschrift über die Bestimmung. 556 BL I,327, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 893–896, die Bestimmung entspricht can. 15 der Episcoporum ad Hludowicum imperatorem relatio von 829, MGH Cap. I,2, Nr. 196, S. 34 (SECKEL, Studien VI 1906, 109). 557 BL II,64, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 933. 558 BL II,309, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 976; eine Verhandlung sollte mindestens vor 12 Kollegen stattfinden, BL II,307, ebenda 975 (die Bestimmung entspricht im Wesentlichen can. 10 des Konzils von Karthago nach der Hispana (SECKEL, Studien VII 1910, 453). – Nach BL III,104, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1046 sollte der beklagte Bischof von allen Kollegen der Provinz gehört werden.

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diesen Fragen steht für Benedictus Levita außer Frage und wird auch als ausschließlich betrachtet.559 Außerdem findet sich eine Bestimmung, nach der die Synode über die Zulassung von „ignoti Episcopi vel Presbyteri“ zum „ministerium ecclesiasticum“ befinden müsse.560 Benedictus Levita legt Wert darauf, dass die Bischöfe „inter se corrigere“,561 Kollegialität innerhalb der Bischofsversammlung ist ihm ein hohes Gebot.562 Vor jeder Klageerhebung gegen Bischöfe oder „actores ecclesiae“ solle der Versuch einer einvernehmlichen Lösung liegen.563 Benedictus Levita zeigt seine Nähe zu Pseudoisidor mit der Aufnahme von Bestimmungen in seine Sammlung, die den Metropoliten eng an die Bischofsversammlung binden.564 Eigenmächtiges Vorgehen in Angelegenheiten, die nicht seine eigene Diözese betreffen, wird grundsätzlich abgelehnt. Wenn also ein Handeln auf der Ebene der Provinz notwendig werde, so dürfe der Metropolit die Angelegenheit nicht ohne alle Mitbischöfe der Provinz anhören.565 Wenn ein Mitbischof nicht anwesend sein konnte, so war aber sein consilium zum Vorhaben demnach unabdingbar.566 Lange nicht so ausführlich wie Pseudoisidor in seinen Dekretalen legt Benedictus Levita dar, dass zwischen Metropolit und Primas ein wesentlicher Unterschied bestehe.

559 BL III,109, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1047: „[. . .] infra propriam provinciam terminandis, et non ab aliis.“ Die Entscheidung einer Synode sollte nicht von einer neuen Synode aufhebbar sein, BL III,9, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1033. 560 BL III,126, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1049. 561 BL II,403, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1000, die Bestimmung ist von Benedictus Levita selbst weitgehend bearbeitet worden (SECKEL, Studien VII 1910, 513), sodass sie sicher seine Position in dieser Sache klar beschreibt. 562 BL III,224, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1072: „Quid de Episcopo qui alium conculcare vel calumniari aut iniuriare praesumpserit Episcopum, faciendum sit.“ 563 „Ut nullus Episcopum aut Actores Ecclesiae apud alios prius accuset, quam eum familiariter conveniat, atque ab eo familiarem iustitiam petat.“, BL III,350, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1100; s. auch BL Ad. III,22, ebenda 1161. 564 Vgl. BARION, Synodalrecht 1931, 345 f. betont, dass die Regeln des Benedictus Levita zur Provinzialsynode durchaus „mit dem geltenden Kirchenrecht im Wesentlichen übereinstimmen“. 565 BL III,106, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1046; BL III,358, ebenda 1102: „Ut Metropolitani Episcoporum comprovincialium causas non praesumant audire, nisi praesentes omnes fuerint Episcopi comprovinciales. Si quis Metropolitanus Episcopus, nisi quod ad suam solummodo propriam pertinet parochiam, sine consilio et voluntate omnium comprovincialium Episcoporum extra aliquid agere tentaverit, gradus sui periculo subiacebit [. . .]“; BL Ad. IV,20, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1196. 566 BL Ad. IV,16, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1194: „Ut nullus Metropolitanus sine caeterorum omnium provincialium Episcoporum praesentia aut consilio, nisi quantum ad suam propriam pertinet parochiam, quicquam agere praesumat.“

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Interessant ist die bischöfliche Hierarchie, wie sie Benedictus Levita ausbreitet. Dem Metropoliten gebührt allenfalls ein Ehrenvorrang,567 der durch die Palliumsverleihung ausgewiesen ist.568 Solche Metropoliten aber, die „prima sedes tenent“, gelten als „primates“.569 In der Kapitulariensammlung des Benedictus Levita finden sich jedoch keine Hinweise, dass darunter nur die Inhaber der Metropolitansitze der ersten Provinz gleichen Namens bzw. der alten römischen Hauptprovinz zu verstehen seien. Konsequent (mit Bedacht oder nicht) wird der Mainzer Stuhl von Benedictus Levita denn auch nur als „metropolitana sedes“ bezeichnet, nicht etwa als „prima sedis“.570 Wie bei Hinkmar von Reims sind für Benedictus Levita die einfachen Metropoliten diejenigen, die lediglich durch Palliumsverleihung zu solchen geworden sind. So nimmt der Primas noch im zweiten Buch der Sammlung die Stellung eines Metropoliten ein, wenn Klagen über Bischöfe entweder von der Bischofsversammlung entschieden werden sollten oder dem Primas zu geben seien.571 Im dritten Buch führt Benedictus Levita eine Neuerung ein, den „primas dioeceseos“, der dem Metropoliten vorgesetzt ist,572 bei dem oder bei der sedes apostolica nun auch die Bischofsanklage eingereicht werden sollte.573 Möglicherweise war

567 Das Verhältnis von Suffraganen und Metropolit wird als ein Miteinander beschrieben, BL Ad. IV,120, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1219 f.: „De Metropolitanis, ut Episcopi suffraganei eis adiutores sint, et ea quae erga ministerium illorum emendanda cognoscunt, libenti animo emendent atque corrigant.“ 568 BL II,79, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 935: „Dignum est ut Metropolitanus, qui est pallio sublimatus, honoretur, et ceteros admoneat.“ 569 BL III,460, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1127; BL III,439, ebenda 1122 f. 570 BL, Praefatio, ed. Hartmann / Schmitz unter www.uni-tuebingen.de und I,1, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 821–823. 571 BL II,309, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 976: „De Episcopo qui ab aliquo impetitur, vel si ipse quaestionem aliquam retulerit, ut per Episcopos Iudices causa terminetur. Si quis Episcopus a quoquam impetitur, vel ille aliquam quaestionem retulerit, per Episcopos iudices causa finiatur, sive quos eis Primates dederint, sive quos ipsi vicinos ex consensu delegerint.“ Der Primas ist laut BL II,381, ebenda 994 derjenige, bei dem ein Bischof angeklagt werden dürfe anstelle irgendwelcher weltlicher Richter. Vgl. auch BL III,83, ebenda 1042: „Si quis Episcopus accusatur, ad Primates ipsius provinciae causam eius deferat accusator.“ 572 BL III,83, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1042: „Si quis a Metropolitano laeditur, apud Primatem dioeceseos iudicetur.“; 573 BL III,153, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1057 f. Mit der Befugnis, Klagen gegen einen Metropoliten entgegenzunehmen, erscheint der primas dioeceseos noch in BL III,321, ebenda 1095 f.: „Quod si adversus eiusdem provinciae Metropolitanum Episcopus vel Clericus habuerit querelam, petat Primatem dioeceseos; et apud ipsum iudicetur, aut apud Sedem apostolicam.“; und in BL Ad. IV,25, ebenda 1198. BL III,448, ebenda 1124 sieht für den Fall einer Klage über den Metropoliten die Möglichkeit vor, dass sich ein Bischof an den apostolischen Stuhl wenden kann.

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der Begriff „primas dioecesarum“ allzu unklar zur Bezeichnung eines besonderen primas, sodass noch im dritten Buch für die Instanz, die eine Bischofsanklage entgegennehmen konnte, zusätzlich der Begriff „summus primas“ eingeführt wurde.574 Die „summi primates“ und „primates dioeceseos“ entsprechen in etwa den Patriarchaten Pseudoisidors.575 Zu diesen gehört mit besonderem Vorrang unter ihnen auch die sedes apostolica in Rom, der der erste Primat zukommt.576

2.5.7 Kirchenstaatlichkeit Die Diözese ist in gewisser Weise ein Territorium, seit der Antike liegen die Grenzen der Diözesen Galliens im Wesentlichen fest.577 Und es hat den Anschein, als seien dies Grenzen in einem ursprünglich räumlichen Sinn.578 Mehrere von Benedictus Levita mitgeteilte Bestimmungen legen die ausschließliche Zuständigkeit des

574 BL III,156, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1059: „De Episcopis non accusandis nisi ad summos Primates, quia non omnes Metropolitani summi sunt Primates. Et hoc summopere ab eis praevideatur ne aliqua cupiditate vel invidia fiat.“; BL Ad. IV,10, ebenda 1193. – Aber noch in BL III,171, ebenda 1061 wird dies einem bloßen „primas“ zugebilligt. 575 Bei Benedictus Levita erscheint der Begriff „Patriarcha“ nur einmal in der Form „Orientalium et Graecorum Patriarcharum“, BL I,36, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 832 f. 576 BL Ad. IV,24, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1197 f. – Die Legaten des apostolischen Stuhls in Rom können Entscheidungen der Provinzialsynode revidieren, BL Ad. IV,12, ebenda 1193. 577 SCHMIDT, Raumkonzepte 2002, 91 f. betont die kirchliche Rezeption römisch-staatlicher Verwaltungsordnung, wohingegen Florian MAZEL, L'éveque et le territoire 2016 gerade die Brüche betont und eine mittelalterliche Neuherstellung des Territoriums konstatiert. 578 In der römischen Antike konnten in letzter Zeit zwei komplementäre Strategien zur Raumerfassung konstatiert werden, nämlich eine, die Orte und die Wege dorthin festhält, sowie auch eine genuin räumliche Erschließung, die zwar für Großräume keine exakten Karten zur Verfügung hatte, jedoch sehr wohl ein Bild von den Wegen und Orten im Imperium Romanum in ihrer Beziehung zueinander erkennen lässt. Brodersen, Terra Cognita 1995 versuchte nachzuweisen, dass es in der römischen Antike keinen räumlichen Begriff von Land gab und folglich auch keine Kartographie. Die Tabula Peutingeriana, eine Kopie einer Weltkarte aus dem 5. Jahrhundert, hat er offensichtlich auf eigene Art aufgefasst, weil er ihre Aussage auf eine schematische und unräumliche Darstellung von „Routes“ reduziert sieht. Diesen Annahmen widerspricht mit guten Argumenten HÄNGER, Welt im Kopf 2001. Die Auffassung von der Nichtexistenz von Kartographie in der Antike teilt noch Richard Talbert, s.v. „Kartographie“ und „Geographie“, in Der Neue Pauly. Schon in der römischen Republik konnten durchaus größere Räume wie der Ager publicus regelrecht vermessen werden, SCHUBERT, Land und Raum 1996. Zur Grenzziehung innerhalb des Imperium Romanum ist eine genaue Festlegung der räumlichen Zuständigkeiten unerlässlich. HÄNGER, Welt im Kopf 2001, 136 zitiert dazu die Ansicht Strabons über die eminente Bedeutung der genauen Festlegung der regionalen Grenzen, wie der der Provinzen.

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Bischofs für seine Diözese fest und verbieten Übergriffe jeder Art auf Nachbardiözesen.579 Gleiches gilt für Pfarreien.580 Es ist aber nicht der Raum als solcher, der für die Herstellung und Sicherung von kirchlicher Ordnung gebraucht wird. Die Diözese als Raum hat ja keine sichtbaren territorialen Grenzen,581 wenn sie nicht durch natürliche topographische Gegebenheiten bezeichnet werden.582 Die Herstellung von Herrschaftsordnung über ein personales System widerspräche der im kirchlichen Bereich so hoch geschätzten und zum Selbsterhalt notwendigen Kontinuitätsforderung. Dass der Raum im frühen Mittelalter durchaus allgemein über Orte erschlossen wurde, die je nach Zusammenhang ihrer Erwähnung pragmatisch gegliedert wurden, darf angenommen werden.583 Es ist eine Eigenart der Kirchen, dass sie ja ihre Organisation über einen Amtsbegriff vornehmen, der die notwendige Kontinuität sichert. Der jeweilige Inhaber eines Amtes handelt für die jeweilige kirchliche Einrichtung, der das Amt zugehört. Kirchliche Einrichtungen haben – jedenfalls im Frühmittelalter – das entscheidende Merkmal, dass sie ihre nähere rechtliche Bestimmung über ihren

579 Etwa BL II,166, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 951; BL III,410, ebenda 1114; III,81, ebenda 1042; BL Ad. IV,23, ebenda 1197 und fast wortgleich BL III,308, ebenda 1093; zum Kirchengut: BL II,135, ebenda 945 und BL III,420, ebenda 1115. 580 BL III,198 ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1067 zur seelsorgerischen und wirtschaftlichen Integrität der Parochie. 581 Eine gewisse Unsicherheit in Bezug auf den Grenzbegriff in räumlicher Hinsicht zeigen die Bestimmungen in BL III,80 („terminus“), ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1042 und BL III,151 („fines“), ebenda 1057. – Wenn Hans-Werner GOETZ, Frontiers 2001 römisch-antike mit frühmittelalterlichen Grenzvorstellungen vergleicht, so ist im Ergebnis wohl wahr, dass die Außengrenze des römischen Reiches mit denen der frühmittelalterlichen regna nicht vergleichbar ist, was gewiss an dem den regna fehlenden Universalitätsanspruch liegt. Goetz überträgt – für die regna folgerichtig – den Begriff von einer Außengrenze auf die im Inneren eines Reiches gezogenen Grenzen der Teilreiche (hier wäre natürlich ein Vergleich mit römischen Provinzgrenzen sinnvoll, die gewiss scharfe territoriale Grenzen darstellten, da sie Zuständigkeiten von Amtsträgern beschrieben) und zieht den Schluss: „[. . .] Carolingian authors perceived kingdoms (the Frankish kingdom as well as its constituent kingdoms, the ‘Teilreiche’) as geographical units with clear border-lines.“ Die sich nun anschließende Frage richtet sich auf die Herleitung dieser „geographischen Einheiten mit klaren Grenzziehungen“. Unbestreitbar sind die frühmittelalterlichen Reichs- und Teilreichsgrenzen, wie GOETZ ebenda 77 ff. zeigt, verhältnismäßig scharf, aber sind sie wirklich geographischer Natur, oder anders gefragt: Was liegt der frühmittelalterlichen Grenztopographie für ein Raumkonzept zugrunde? – Vgl. als mögliche Antwort darauf STROTHMANN, Grenzen 2005, der den Raum über die Herrschaft von Orten über Orte und das dazugehörige Eigentum konstituiert sieht. 582 Noch im 15. Jahrhundert gibt es keine Versuche des Papsttums, Diözesangrenzen auf Karten einzuzeichnen, Tewes, Raumbewusstsein 2002, 44. 583 Grundlegend CARDOT, L’Espace et le pouvoir 1987, die aber auch zeigt, dass diese Orte in aller Regel soziale Qualität besitzen, also von der Zivilisation erfasst sind. Ganz ähnlich gilt dies wohl auch noch für das späte Mittelalter in der päpstlichen Verwaltung der europäischen Kirchenorganisation, wenn nämlich die Reihenfolge von Adressaten der Wahlbenachrichtung Calixt’s III. sich zum Teil nach der Reiseroute des Boten richtet, TEWES, Raumbewusstsein 2002, 47.

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topographischen Ort erhalten, was in den merowingerzeitlichen und karolingischen Formularen ebenso deutlich wird wie an den zahlreichen Urkunden kirchlicher Archive, in denen kirchliche Einrichtungen rechtsrelevant bezeichnet werden. Kirchliche Ordnung ist eine Angelegenheit des Ortes, wobei nicht allein die bloße topographische Lage von Bedeutung ist, sondern die Qualität eines Ortes über seine Stelle in der kirchlichen Ordnung entscheidet. Es ist ja nicht jeder Ort ein Ort im Sinne der kirchlichen Ordnung. Mag der einer kirchlichen Einrichtung zugehörende Wirtschaftshof noch dazu zu rechnen sein, weil er als Rechtsobjekt genannt wird, also als nicht handelnde Seite eines Vertrages, so sind beliebige rein topographische Örtlichkeiten nicht von Belang. Sie werden in der Topograpghie der Herrschaft nicht wahrgenommen und gehören allenfalls zu der Aufzählung der Liegenschaften eines Wirtschaftsortes. Für die kirchliche Ordnung zählen Orte nur insofern, als dass von ihnen Herrschaft ausgeht, bzw. sie beherrscht werden. Das setzt voraus, dass sich dort eine kirchliche Einrichtung befindet, für die ein kirchlicher Amtsträger zuständig ist. Es sind dies allesamt heilige Orte; sie sind geweiht und werden einem Heiligen zugerechnet.584 An anderen Orten als den vom zuständigen Bischof geweihten585 darf z. B. keine Messe gefeiert werden.586 Solche geweihten Orte werden etwa als „inclitus“ bezeichnet.587 Nur die höheren Orte sind Bestandteil der Herrschaftstopographie, zu der wesentlich das Prinzip der „stabilitas loci“ gehört.588 Dieser Begriff erscheint in kirchlichen Quellen seit der Spätantike so häufig, dass man ihn leicht als Selbstverständlichkeit überliest. In einem Zusammenhang mit Herrschaftstopographie liegt in ihm ein Schlüssel zum Verständnis der Kirchenstaatlichkeit, nämlich der kirchlichen Ordnung als dauerhaft funktionierendes Gefüge der kirchlichen Einrichtungen. Es ist ja schließlich der Ort einer kirchlichen Einrichtung, der verbunden mit einem zugehörigen Heiligen als seinem Patron die kirchliche Kontinuität abbildet, so, dass Ort und Patron zu wesentlichen

584 Dick HARRISON, Invisible Boundaries 2001, betont die Bedeutung der Grenzen sakraler Orte, deren Charakter ja wirklich in einem geographischen Sinn topographisch aufzufassen ist. Aber finden sich solche Grenzen auch außerhalb der sakralen Sphäre, und wie eng ist die Linienhaftigket solcher Grenzen? Denn schon das Beispiel des römischen Pomeriums zeigt ja eine klare Parallele. Hier werden Rechtsräume klar definiert und sakral überhöht. Dass das Pomerium einer römischen Siedlung auch noch im Mittelalter als städtische Grenze dienen konnte, auch wenn diese Grenze außerhalb des besiedelten Gebietes lag, zeigt CLEMENS, Tempore Romanorum constructa 2003, 72. 585 In der Sammlung des Benedictus Levita ist regulär von dem „Episcopus loci illius“ die Rede, um seine Beziehung zu einem geweihten Ort zu bezeichnen, BL I,383; II,102; II,107; III,258; Ad. III,75; Ad. IV,33; Ad. IV,36 (eiusdem loci); Ad. IV, 154. 586 Etwa BL III,316, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1111; BL III,431, ebenda 1118–1120. 587 BL III,431, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1118–11120, 1119. 588 Etwa BL III,245, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1076; BL Ad. II,18, ebenda 1140. Das Verbot für Kleriker, ihren bischöflichen Dienstherrn zu wechseln in BL III,231, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1070.

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rechtsrelevanten Merkmalen der Einrichtung gehören, unter deren Nennung sie als rechtlich handlungsfähig auftritt.589 Der Amtsträger ist nämlich an den Ort seiner Ordination gebunden. Die Trennung von Person und Amt in der kirchlichen Ordnung ist eine antike, wenn nicht sogar eine biblische Einrichtung.590 Es mag erstaunen, dass dieses Prinzip in das Mittelalter überführt wurde, aber es muss klar sein, dass in der Bedeutung des Ortes für die Funktion eines kirchlichen Amtsträgers ein wesentlicher Beleg für eben dies liegt. Nur am Ort seiner Ordination ist der Priester als solcher „zugelassen“, nur für die kirchliche Einrichtung dieses Ortes ist er zuständig. Für jeden anderen Ort hat er nicht die Befähigung, als kirchlicher Amtsträger zu fungieren. Analog gilt die stabilitas loci ebenso für Bischöfe591 und niedere Amtsträger.592 Umgekehrt gilt die Forderung danach, dass jede Kirche einen eigenen Priester haben solle und jeder Priester nur für eine Kirche zuständig sein dürfe,593 wie es ja auch von Hinkmar von Reims am Beispiel des Actardus für Bischöfe ausgeführt wurde.594 Zum weiteren Beleg für das Bestehen einer „Ortsgesellschaft“ und ortsgebundenen Herrschaftsordnung diene die Bestimmung, dass die Verlegung eines Bischofssitzes, also die Verlegung der bischöflichen Tätigkeit aus der Kathedrale an eine andere Kirche absolut unzulässig sei.595 Das hängt damit zusammen, dass die Diözese nicht nur in ihrem Namen an den Ort der Kathedrale gekoppelt ist. Die kirchliche Ordnung besteht neben der Ordnung der Patronate aus der Hierarchie der Orte, deren Spitze die Kathedralkirche bildet. So – und nicht anders – wird das kirchliche Territorium erschlossen, nämlich als herrschaftstopographischer Raum. Auf diese Weise gelingt es, die Diözesangrenzen zu schützen. Die zahlreichen Bestimmungen zur Integrität der Diözese und damit zur Abgrenzung der Diözesen von einander basieren auf einer solchen Herrschaftstopographie, mit der die Herrschaft über Orte geregelt wird.596 Das ist auch ein, vielleicht der Grund, weshalb die

589 Die mutmaßlich meisten Urkunden, in denen eine Kirche als Vertragspartner genannt wird, enthalten in der entsprechenden Adresse, Ort und Namen des oder der Heiligen. 590 Vgl. hier EHLERS, Grundlagen 2000/2001, der die mittelalterliche politische Idee wesentlich auf antike Quellen zurückführt, zu denen neben biblischen römische und griechische Quellen gehören. 591 BL I,266, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 877. 592 Die Ortsverbundenheit der Priester wird sogar gegenüber dem Bischof geschützt, BL III,162, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1060. 593 BL Ad. II,10, ed Baluze, aus Mansi 17B, 1138. 594 Hinkmar von Reims, Ep. 331: An einen ungenannten Bischof, ed. Schieffer (MGH Epp. 8,2), 440–459 (ep. 31, Cuidam episcopo de translationibus episcoporum, MPL 126, 210–230, SCHRÖRS, Nr. 329). 595 BL III,32, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1036. 596 Die Grenzen einer Kirche werden bei Benedictus Levita (nach Ansegis I, 149) über die Zehnthoheit über Orte bestimmt, BL I,51, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 835: „Ut terminum habeat unaquaeque Ecclesia de quibus villis decimas recipiat.“ – Der Satz gilt in Analogie auch für die Diözese.

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Chorbischöfe in der Kapitulariensammlung des Benedictus Levita und von Pseudoisidor so scharf bekämpft werden. Ihre Ordination kennt keine Ortsbindung. Würden sie als Bischöfe anerkannt werden, läge darin eine massive Gefährdung der kirchlichen Herrschaftsordnung. Mit den Worten des Benedictus Levita:597 „Nam episcopi non erant, quia nec ad quandam civitatis episcopalem sedem titulati erant, nec canonice a tribus Episcopis ordinati.“ Auch die Provinz wird als Herrschaftsraum wahrgenommen, der über die Zuständigkeiten der Bischofssitze definiert ist.598

2.5.8 Trennung der Sphären – Kirchenstaatlichkeit in Abgrenzung zur weltlichen Ordnung Seit der Antike sind die Kirchen darauf bedacht, ihre Organisation vor Eingriffen nichtkirchlicher Organisationen, Gruppen und Personen zu schützen. Dieses Prinzip versuchen sie auch in karolingischer Zeit beizubehalten. Benedictus Levita legt ebenfalls großen Wert auf die Trennung der Ordnungen, etwa wenn er bemüht ist, Bestimmungen aufzubieten, die Laien von Fragen der Theologie und der kirchlichen Organisation ausschließen.599 Dabei bedient sich der Kompilator Benedikt doppelter herrscherlicher Autorität, nämlich derjenigen der fränkischen Könige, als deren Kapitularien er die von ihm mitgeteilten Bestimmungen im Ganzen ausgibt, und derjenigen christlicher römischer Kaiser, wenn er ein Gesetz der Kaiser Valentinian, Theodosius und Arcadius zitiert, das ein Votum der Bischöfe, Laien von theologischen Debatten auszuschließen, mit der kaiserlichen Autorität versieht.600 Die Zielrichtung solcher Bestimmungen in der Sammlung des Benedictus Levita ist eindeutig. Nicht nur allgemein sollen Laien aus der kirchlichen Organisation herausgehalten werden, sondern vor allem der Herrscher, wie deutlich wird, wenn der Kompilator neben die Autorität eines fränkischen Königs und des römischen Kaisers, nun Valentinian, diejenige der geschichtlichen Wahrheit stellt, wie sie von Cassiodors Historia tripartita berichtet wird. Danach hatte Valentinian selbst für seine Person eine Einmischung als „unus de populo“ für gegen das sakrale Recht stehend erklärt.601

597 BL III,260, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 108 f., 1081; vgl. zur Quelle: SECKEL, Studien VIII 1916, 41. – Bisher nicht enthalten in der Internet–Edition [http://www.benedictus.mgh.de/edition/aktuell/libIII. pdf], abgerufen am 13.10.2019. 598 BL Ad. III,111, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1177. 599 Etwa BL I,195, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1066. 600 BL Ad. IV,32, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1200 = CTh XVI,4,2, ed. Mommsen 1904, S. 853 f. Das Dekret vom 16. Juni 388 ist mit Quellenangabe und Datierung wörtlich übernommen, nur der Hinweis auf eine Mitwirkung der Bischöfe findet sich dort nicht. 601 BL Ad. IV,3, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1190: „In libro VII, tripertitae historiae capitulo XII. Igitur Valentinianus, cum ita saperet sicut Nicaeni patres, similia profitentibus proderat, aliter vero sapientibus non erat importunus. Qui dum initio regni de urbe Constantinopolitana per Thracias properaret ad Romam, tunc Episcopi recte sapientes legatum miserunt Hicpaucianum Episcopum

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Die Abgrenzung der kirchlichen Sphäre von weltlicher Einmischung findet natürlich auch in Bestimmungen über den Schutz kirchlicher Güter ihren Niederschlag,602 daneben im Schutz der Integrität der kirchlichen Ämter, wenn etwa verboten wird, dass Laien (Eigen-)Kirchen an Priester gegen „munera“ vergeben.603 Zugleich mit der Schutzbestimmung kirchlicher Güter604 erfahren auch die „viri Deo dicati“ ihre Sanktion. Mit der Sanktionsformel „Deo dicatus“ ebenso belegt wie das Kirchengut, werden die solchermaßen qualifizierten Personen als geweiht zu erkennen gegeben und als Amtsträger geschützt, wenn ihre Verwendung durch Laien untersagt wird.605 Die kirchliche Eigenstaatlichkeit wird ebenfalls deutlich in der – offensichtlich von einer verliehenen Immunität unabhängigen – Exemption geweihter Orte von weltlicher Gewalt,606 wie im Falle des Kirchenasyls deutlich wird. 607 Dabei werden alle weltlichen Händel mit vermeintlicher königlicher Autorität aus den Kirchen verbannt. 608 Den kirchlichen Amtsträgern werden weltliche Geschäfte jeder Art untersagt; 609 so werden die kirchlichen Ämter vor weltlicher

quatinus dignaretur ad emendationem dogmatis interesse. Is cum adisset Imperatorem, et Episcoporum legationem intimasset, respondens Imperator ait: Mihi quidem, cum unus de populo sim, fas non est, talia perscrutari [. . .].“ 602 Hier nur Beispiele allgemeiner Art: BL III,207, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1069; III,199, ebenda 1067; BL II,393, ebenda 998. 603 BL Ad. III,95, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1174; „munera [. . .] propter commendationem ecclesiae“, BL I,148, ebenda 853. 604 In diese Kategorie fallen auch kirchliche servi, die vor dem Zugriff weltlicher Richter geschützt werden sollen. Die Quelle der Bestimmung ist can. 21 des Concilium Toletanum III (589), SECKEL, Studien VIII 1916, 73. 605 BL III,199, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1067: „Quod Laicis de viris Deo dicatis, vel ecclesiasticis facultatibus, aliquid disponendi nulla sit adtributa facultas. De viris Deo dicatis, vel ecclesiasticis facultatibus aliquid disponendi nulla legitur Laicis, quamvis religiosis, umquam adtributa facultas.“ und BL III,207, ebenda, 1069. – Zur Sanktion der Priester und ihrer Stellung als vice Dei vgl. BL III,390, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1109. – Zur Bezeichnung der Geheiligtheit als Zugehörigkeit zur göttlichen Sphäre bei Nonnen s. BL I,226 (Deo dicata), ed. Baluze, aus Mansi 17B, 867; BL II,413 (Deo sacrata), ebenda 1004; BL II,424 (Deo sacrata), ebenda 1005 f. 606 BL Ad. III,32, ed. Baluze, aus Mansi v17B, 1162: „Iterum de pace Ecclesiarum. Praecipimus ut in Ecclesiis aut in domibus Ecclesiarum, vel atriis placita secularia minime fiant.“ 607 BL Ad. III,30, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1162. 608 BL Ad. III,91, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1174. 609 Aus BL Ad. IV,46: „Ministri autem altaris Domini vel Monachi nobis placuit ut a negotiis secularibus omnino abstineant. Multa sunt ergo negotia secularia: de his tamen pauca perstrinximus. Ad quae pertinet omnis libido, non solum in immunditia carnis, sed etiam in omni carnali concupiscentia.“ – Kleriker dürfen kein öffentliches Amt innehaben, BL III,185, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1065 „De nullo fiscali aut publico subdendis officio“, das „publicum officium“ ist ein weltlich-staatliches Amt, da der Begriff „publicus“ in der Sammlung des Benedictus Levita für die weltlich-staatliche Sphäre reserviert ist, soweit ich sehe. – Ebenso verboten ist dem Kleriker eine Tätigkeit als Gutsverwalter, BL I,325, ebenda 893. – Ausdrücklich verboten wird es Klerikern,

2.5 Von der Kirchenstaatlichkeit zum Staat der Karolinger

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Einflussnahme geschützt. Die Gefahr der Untreue eines Klerikers in weltlichen Diensten wird klar erkannt. 610 Da aber nun die Kirchen vor Ort selbst durchaus mit weltlichen Angelegenheiten zu tun haben und auch von rechtlichen Auseinandersetzungen mit weltlichen Personen und Gewalten nicht verschont bleiben, sollen sie beim Herrscher um „Advocati, seu Defensores“ nachsuchen.611 Die Trennung der Sphären schlägt sich besonders in der Scheidung der kirchlichen von der weltlichen Gerichtsbarkeit nieder. Kirchliche Amtsträger dürfen nicht vor weltlichen Gerichten angeklagt werden,612 ebenso ist es Klerikern untersagt, sich ohne die ausdrückliche Zustimmung des Bischofs an weltliche Gewalten zu wenden.613 Folgerichtig dürfen Laien auch nicht teilnehmen, wenn „canonica iura ventilantur“.614 Die kirchliche Organisation wird auch gegen solche Kleriker geschützt, die ihr nicht oder nicht mehr angehören, etwa wenn Priester, die „sine Episcopo proprio arbitrio viventes“, gegen die Bischöfe „seculares defensores“ haben sollten,615 oder wenn ein Kleriker, der sich wegen der drohenden Bestrafung durch den Bischof in weltlichen Schutz begibt, von der Kommunion auszuschließen sei.616 Mit der konsequenten Abgrenzung gegen weltliche Gewalten in den inneren kirchlichen Bereichen

Urkunden zu schreiben, BL I,54: „Ut nullus Presbyter cartas Scribat, nec conductor sui Senioris existat.“ 610 BL I,325, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 893: „[. . .] Similiter de illis Presbyteris qui contra statuta Canonum vilici fiunt, tabernas ingrediuntur, turpia lucra sectantur, et diversissimis modis usuris inserviunt, et aliorum domos inhoneste et impudice frequentant, et comessationibus et ebrietatibus deservire non erubescunt, et per diversos mercatos indiscrete discurrunt, observandum iudicavimus ut ab hinc districte severiterque coerceantur; ne per eorum inlicitam et indecentem actionem et ministerium sacerdotale vituperetur, et quibus debuerant esse in exemplum, deveniant in scandalum.“ 611 BL III,392: „De Advocatis vel Defensoribus Ecclesiarum a Principe postulandis. Pro Ecclesiarum causis ac necessitatibus earum, atque servorum Dei, Advocati, seu Defensores, quotiens necessitas ingruerit, a Principe postulentur, et ab eo fideliter atque libenter iuxta canonicas sanctiones fidelissimi dentur. Vgl. zur Veränderung der altkirchlichen Quelle durch Benedictus Levita SECKEL, Studien VIII 1919, 193. 612 BL I,378, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 904 f.; BL III,284, ebenda 1089; BL Ad. III,59, ebenda 1167 f.; Ad. IV,10, ebenda 1193 (Bischofsanklage). 613 BL II,331, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 979 zu Priestern, die sich an den Grafen wenden; BL Ad. IV,154, ebenda 1225 zur möglichen Erlaubnis des Bischofs „[. . .] Formatam ab Episcopo suo accipiat.“ – Zur notwendigen Erlaubnis für die Anrufung eines weltlichen Gerichts für Kleriker und Äbte BL III,155, ebenda 1058 f.; BL III,210 (Priester, Diakone, Kleriker), ebenda 1069; grundsätzlich BL III,145, ebenda 1056; II,157, ebenda 949; BL III,419 (Kleriker), ebenda 1130; BL Ad. IV,156, ebenda 1225. 614 BL III,444, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1123 f. 615 BL III,144, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1056. 616 BL Ad. IV,65, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1207: „De clericis qui ad Secularium defensionem confugiunt propter districtionem Episcopi.“; BL III,234, ebenda 1074 f.

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wie der Hierarchie und der Entscheidungsfindung wird die Integrität der kirchlichen Herrschaftsordnung gewahrt. Das erste Kapitel des Kapitulars von Worms (829), das Benedictus Levita mitteilt, handelt von Priestern, die ohne Zustimmung des Bischofs bestellt und von solchen, die ohne dieselbe von ihren Kirchen vertrieben werden. Die Verantwortlichen haben im Falle ihres Beharrens den herrscherlichen Bann zu gewärtigen.617 Hier sanktioniert Ludwig der Fromme – ganz im Sinne des Benedikt – die kirchliche Staatlichkeit. Seine weltliche Gewalt wird angedroht, um die Integrität der kirchlichen Organisation zu schützen. Zum Schutz kirchlicher Integrität gehört auch die Bestandssicherung, etwa in der Gewährleistung von Kontinuität und einer allgemeinen Institutionalisierung. Die Bestimmungen des Benedictus Levita unterscheiden sich, daran ist hier zu erinnern, in einer wesentlichen Hinsicht von einem Großteil ihrer Quellen, auch wenn diese nur abgeschrieben wurden, nämlich in der von Benedikt grundsätzlich für die gesamte Sammlung postulierten königlichen Sanktion. Die Teilung von Eigenkirchen sollte vermieden werden; das Problem ist aus früheren Zeiten bekannt, scheint aber nach wie vor von Bedeutung gewesen zu sein, auch, da anzunehmen ist, dass der Zugriff des Bischof auf diese Kirchen schwächer gewesen sein dürfte als auf die ordentlichen kirchlichen Einrichtungen. Der kritische Moment ist der des Erbfalls, bei dem sicherlich die reale Gefahr bestand, dass die Erben die Einkommensquelle Eigenkirche im Zuge einer allgemeinen Erbteilung ebenfalls aufteilten.618 Daher rührt die besondere Aufmerksamkeit für den Erbfall in den Bestimmungen.619 In Anlehnung an die vielzitierte Bestimmung des Konzils von Chalkedon (can. 24), dass einmal geweihte Klöster immer solche bleiben müßten, zitiert Benedictus Levita aus einem Schreiben Papst Leos I. an Anatolus von Konstantinopel (452), dass Einrichtungen, die „ad perpetuam utilitatem sunt instituta“ immer ihrer Bestimmung erhalten bleiben müssen.620 Das Kapitular von Worms zitiert Benedikt mit cap. 3 zur Entscheidung über den Wiederaufbau zerstörter Kirchen, die von Bischof und missus gemeinsam zu treffen sei.621 Auch hierin ist die Sorge um den Erhalt kirchlicher Institutionen und ihrer Ortsbindung zu erkennen. Bemerkenswert ist eine Bestimmung, die Licht auf das Verhältnis zwischen dem Bischof als Sachwalter der Kirche und der Kirche selbst als Gesamtheit wirft. Übrigens klingt die Bestimmung sehr nach

617 BL I,98, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 841; zur Quelle SECKEL, Studien VI 1906, 76. 618 Zu diesem Zusammenhang BL Ad. III,51, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1165. 619 Zum Erhalt der bischöflichen potestas in diesem Fall: BL I,99, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 841; BL Ad. IV,96, ebenda 1213. – BL Ad. III,1, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1157. 620 BL III,227, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1073; Identifikation der Quelle von SECKEL, Studien VIII 1914, 416. – Das entspricht der vielzitierten Bestimmung des can. 24 des Konzils von Chalkedon (451). 621 BL I,275, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 879; vgl. SECKEL, Studien VI 1906, 100 f.

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den Problemen mit den von Ebo von Reims nach seiner Wiedereinsetzung geweihten Priestern, deren Gültigkeit Ebos Nachfolger Hinkmar nicht anzuerkennen bereit war. Ob die aus einem Brief Papst Leos I. stammende Bestimmung, nach der eine vom Bischof vorgenommene Priesterweihe ungültig sein sollte, wenn dieser ungeeignet sei, darauf zu beziehen ist, muss offen bleiben.622 Die Bestimmung schützt neben ihrer Bedeutung für die Integrität der Kirche den Nachfolger des ordinierenden Bischofs vor der Macht seines Vorgängers. Diese findet also da ihre Begrenzung, wo sie diejenige des Nachfolgers unverhältnismäßig beschränkt. Dahinter steckt aber nicht der Schutz des Nachfolgers selbst, sondern der Schutz der Handlungsfähigkeit der Kirche, deren Sachwalter die Bischöfe sind. Andernfalls bedürfte es keines Schutzes für einen Nachfolger, da die Notwendigkeit der Kontinuität der bestehenden Ordnung für einen ungebundenen Herrscher keine Kategorie sein müßte. Während die Diözese auf der Basis eines monarchischen Führungsprinzipes verwaltet wurde, war die nächst höhere Ebene, wie bereits mehrfach behandelt, die der Provinz, deren föderalen Charakter Benedictus Levita mehrfach betont. Die Provinz kann im 9. Jahrhundert als oberste kirchenstaatliche Ebene aufgefasst werden. Ihr gegenüber steht natürlich bereits der Anspruch des Vertreters Petri, eine funktionsfähige Kirchenstaatlichkeit ist daran jedoch noch nicht geknüpft.623 Auf der Provinzebene liegt die oberste reguläre Gerichtshoheit,624 die nur in besonderen Fällen mit der Appellation an den Bischof von Rom mediatisiert werden darf.625 Die Provinz wird klar als (kirchen-)politischer Raum definiert, außerhalb deren Grenzen daher auch ein Metropolit keinerlei Kompetenzen hat.626

2.5.9 Weltliche Ordnung als Staatlichkeit im Konzept des Benedictus Levita Ausgehend von der Kirchenstaatlichkeit definieren zahlreiche von Benedictus Levita mitgeteilte Bestimmungen die weltliche Ordnung, dies mit der Autorität königlicher

622 BL III,23, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1035 „De Episcopis qui inutiles ordinaverint.“; zur Quelle vgl. SECKEL, Studien VIII 1914, 334. 623 Zur recht unabhängigen Haltung der Franken gegenüber dem Bischof von Rom zur Zeit Ludwigs des Frommen s. FRIED, Ludwig der Fromme 1990. 624 Als Konzil BL I,64, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 837; „apud episcopos“, BL I,390, ebenda 907; ähnlich BL III,438, ebenda 1122; vgl. aber auch “Kirchen und Klöster“, 2.4.5.–2.4.7. 625 Diese Einschränkung machen z. B. BL Ad. III,107, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1176 und BL Ad. IV,18, ebenda 1196. 626 BL III,94, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1044: „Ut Metropolitanus in alterius provincia nihil praesumat. Unaquaeque provincia suo Metropolitano et suis comprovincialibus Episcopis sit contenta, nec aliquis in limitibus alterius provinciae quicquam praesumat.“ Der Schlüsselbegriff ist „contentus“, der die Ausschließlichkeit des Bezuges von Amtsträgern und politischem Raum beschreibt.

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Kapitularien. Die weltliche Ordnung verlangt nämlich nach einer Beschränkung der Kirchenstaatlichkeit, etwa grundsätzlich, wenn die Verordnungen früherer Herrscher über kirchliche Angelegenheiten sanktioniert werden.627 Zu erinnern ist hier auch an die Aufgabe der missi, bei der Standortwahl von Klöstern gemeinsam mit dem zuständigen Bischof zu befinden.628 Ein eines Diebstahls verdächtiger Kirchensklave konnte von dem weltlichen iudex durchaus verfolgt werden, wenn zuvor die zuständigen kirchlichen Amtsträger gehört worden waren.629 Auch die Immunität, die einer Bestimmung zufolge auch auf weitere Einrichtungen der Kirche bezogen wurde,630 und innerhalb deren einem Flüchtigen Asyl geboten werden konnte, ist von der Beschränkung der Kirchenstaatlichkeit betroffen. Sie wurde eingeschränkt, um die Vernehmung eines Flüchtigen durch weltliche Amtsträger auch im Asyl vornehmen zu können.631 Die Bestimmung ist tatsächlich von Karl dem Großen erlassen, erhält aber eine besondere Bedeutung durch die Aufnahme in die Kapitulariensammlung des Benedictus Levita, der hiermit Verständnis für die „staatlichen“ Notwendigkeiten zeigt. Die Immunität wird auch dann eingeschränkt,

627 Gemeint sind gewiss nur solche Bestimmungen, die auch Eingang in die Sammlung des Benedictus Levita fanden, BL III,287, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1089: „De his quae a prioribus Principibus circa Ecclesiarum utilitates sunt ordinata, ut immota permaneant semper. Ea quae circa catholicam legem vel olim ordinavit antiquitas, vel parentum nostrorum auctoritas religiosa constituit, vel nostra serenitas roboravit, novella superstitione submota, integra et inviolata custodiri praecipimus.“ Nach SECKEL, Studien VIII 1916, 71 geht die Bestimmung auf CTh 16,11,3 zurück. 628 BL I,143, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 852 f., nach can. 20 des Konzils von Mainz (813), SECKEL, Studien VI 1906, 85. 629 BL I,191, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 860. 630 BL I,279, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 880 f. – Vgl. zu dieser Bestimmung unter Echtheitsverdacht PATZOLD, Benedictus Levita I, 279 2014. 631 BL I,263, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 876 f.: „De furibus infra emunitatem retentis quid agendum sit. Si autem homo furtum aut homicidium fecerit, vel quodlibet crimen foris committens infra immunitatem fugerit, mandet Comes vel Episcopo vel Abbati vel Vicedomino, vel illi qui locum Episcopi vel Abbatis tenuerit, ut reddat ei reum. Si ille contradixerit, et eum reddere noluerit, pro prima contradictione quindecim solidos componat. Si ad secundam inquisitionem eum reddere noluerit, triginta solidos componat. Si nec ad tertiam consentire voluerit, quicquid reus damni fecerit, totum, ille qui eum infra emunitatem retinet, nec reddere vult, solvere cogatur. Et ipse Comes veniens licentiam habeat ipsum hominem infra immunitatem quaerendi, ubicunque eum invenire potuerit. Si autem in prima inquisitione Comiti responsum fuerit, quod reus infra immunitatem quidem fuisset, sed fuga lapsus fuerit, statim iuret quod ipse eum ad iustitiam cuiuslibet disfaciendam fugere non fecisset; et sit ei in hoc satisfactum. Si autem intranti in ipsam immunitatem Comiti collecta manu quislibet resistere tentaverit, Comes hoc ad Regem vel ad Principem deferat, ut ibidem iudicetur. Et sicut ille qui in immunitate damnum fecit sexcentos solidos componere debet, ita qui Comiti collecta manu resistere praesumit, sexcentis solidis culpabilis iudicetur.“ Der Text entspricht dem des cap. 2 des Capitulare legibus additum (803), ed. Boretius, MGH Cap. I, Nr. 39, S. 113; Identifikation von SECKEL, Studien VI 1906, 99.

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wenn kirchlicher Besitz zur Errichtung von Wegen und Brücken zum anteiligen Nutzen der kirchlichen Einrichtungen besteuert wird.632 Ebenfalls sollen Kirchen an der Finanzierung von Feldzügen beteiligt werden.633 Seit der Antike ist die Kirche zuständig für die Armenfürsorge; auch das wird in der Sammlung des Benedictus Levita nochmals ausdrücklich festgehalten.634 Folgerichtig wird der Bischof als Dispensator kirchlichen Gutes vom Herrscher in die Pflicht genommen, für die „cura pauperum“ der kirchlichen Einrichtungen zu sorgen.635 Ganz im Sinne eines Bischofs, als der oder dessen Mitarbeiter Benedictus Levita zu vermuten ist, sind mehrere Bestimmungen zum Verhältnis von Graf und Bischof. Dabei wird deutlich, dass beide für denselben Amtsbereich zuständig sind. Ob das grundsätzlich im 9. Jahrhundert so war, nur in einem Teilreich oder etwa eher zufällig in einigen Diözesen, lässt sich natürlich an der Kapitulariensammlung des Benedictus Levita nicht festmachen.636 Es sieht aber danach aus, als wenn in seiner Diözese dies der Fall gewesen wäre.637 Aus der Zuständigkeit für dieselben Orte beider ergibt sich die Forderung bei Benedictus Levita nach concordia und consensus zwischen beiden.638 Da aber zwischen beiden Amtsträgern ein wesentlicher qualitativer Unterschied besteht, liegt es nahe, ihr Verhältnis trotz der geforderten Eintracht nicht als eines zwischen Gleichen aufzufassen. Der Bischof ist ordinierter Vertreter der Kirche, also auch seiner Gemeinde, während die Gewalt des Grafen delegiert ist. Er handelt als Sachwalter des Königs, was auch daran deutlich wird, dass bei schwierigeren Fällen er die Sache vor den König zu bringen habe. So wird

632 BL II,109, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 941: „Possessiones ad religiosa loca pertinentes nullam descriptionem agnoscant, nisi ad constitutionem viarum vel pontium, si tamen intra eadem loca habuerint possessiones.“ Die Bestimmung stammt möglicherweise aus der Summa De ordine ecclesiastico, ed. Haenel, Corpus legum, 241b, cap. 29, geht aber eigentlich auf Julian, Epitome Iuliani 119,5 zurück, nach SECKEL, Studien VII,1 1909, 360; vgl. GANSHOF, Droit Romain 1969, Aufstellung, S. 27, der die Benutzung der Summa in Frage stellt. 633 BL Ad. IV,143, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1223 mit genaueren Bestimmungen zur Beteiligung geistlicher Gewalten. 634 BL I,374, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 904; SECKEL, Studien VI 1906, 123 gibt an, keine Quelle gefunden zu haben und verweist auf Parallelen in Kanones der Konzile von Aachen (816) und Paris (829). 635 BL Ad. III,76, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1171; nach SECKEL, Studien VIII 1914, 343 ist die Quelle in can. 25 des Konzils von Antiochia (341) wortgleich zu finden. 636 Nach CLAUDE, Comitat 1964, 11 f. gehörte zum frühfränkischen Comitat jedenfalls die Bindung an die Civitas. 637 Möglicherweise lässt sich aus der Kontentionalität von Graf und Bischof bei Benedikt auf seinen Lebensraum schließen, nämlich ob er dem galloromanischen Raum zuzurechnen ist. 638 Zur concordia BL I,240, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 871; zu consensus BL II,249, ebenda 965. S. zum Zusammenwirken beider Gewalten auf dieser Ebene mit weiteren Beispielen PATZOLD, Bischöfe im karolingischen Staat 2006, 146 f. – Vgl. mit der Annahme weitgehender Kongruenz von Bistum und Grafschaft westlich des Rheins DEUTINGER, Königsherrschaft 2006, 148.

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in der Sammlung auch der Graf dem Bischof unübersehbar nachgeordnet,639 ja er wird dann sogar zum Exekutivorgan des Bischofs erklärt.640 Soweit die Theorie Benedikts, die er aber auf mehrere tatsächliche, weil förmlich promulgierte karolingische Rechtsregeln stützen kann.641 Inwieweit der Graf wirklich dem Bischof nachgeordnet werden konnte, muss hier offen bleiben. Es ist aber denkbar, dass die Theorie ein Stück weit die Realität in der Diözese des Kompilators abbildet. Ein Hinweis darauf liegt in einem von Benedictus Levita zitierten Kapitel aus der Sammlung des Ansegis, in dem die Grafen aufgefordert werden, die Bischöfe zu unterstützen.642 Eine surreale Fiktion, die also jeder realen Grundlage entbehrte, hätte die Arbeit nicht gelohnt; auch mit der fiktiven Autorität des Königs verbreitet, hätte solches der Sammlung des Benedikt nur geschadet, weil man sie nicht mehr hätte ernst nehmen können. Die starke Forderung nach Eintracht zwischen beiden deutet darauf hin, dass beide Gewalten in der Verwaltung des jeweiligen Amtsbereiches aufeinander angewiesen waren und auch jeder von beiden über einige „power“ verfügte, die es dem einen unmöglich machte, gegen den anderen dauerhaft zu bestehen. Dabei sprechen wir nicht von delegierter Gewalt, die königliche Delegation vermag die bestehende Herrschaft einer Familie allenfalls zu wandeln, nicht jedoch zu konstituieren.643 Die adelige Familie wird in der gräflichen Rolle gewissermaßen verstaatlicht, sie sichert ihre Stellung durch herrscherliche Autorität, verschafft sich aber zugleich in dieser Verbindung mit der herrscherlichen Organisation Anteil an der herrscherlichen Macht selbst. Von Bedeutung für unsere Fragestellung ist die Beobachtung der Aufeinanderbezogenheit von Graf und Bischof insofern, als sie auf die weitgehende Verschränkung beider Ordnungen verweist, wie etwa eine dem spätantiken römischen Recht entliehene Bestimmung zur religiösen Nutzung von Privathäusern, in denen grundsätzlich keine Messe gelesen werden durfte.644 Wie in dem Gesetz Justinians, das als

639 BL Ad. III,86, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1172 f. 640 „Et Comites eorumque Ministri Episcopis atque eorum Ministris in omnibus adiutores existant.“, BL Ad. IV,41, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1202. 641 Etwa BL I,240, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 871 aus dem Capitulare Baiwaricum (ca. 810?), cap. 4, nach SECKEL, Studien VI 1906, 96; BL I,269, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 878, vgl. folgende Anmerkung. – Der Graf als defensor ecclesiae und als Helfer des Bischofs, BL I,2, ebenda 823 f., die Stelle findet sich auch in Karlmanni principis Capitulare (742), cap. 5, MGH Cap. I, Nr. 10, S. 24–26, 25; zu den gleichlautenden möglichen Quellen vgl. SECKEL, Studien VI 1906, 63. 642 BL I,269, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 878 mit der Aufforderung an die comites: „[. . .] et eis [episcopis] adiutorium ad suum ministerium peragendum praebeatis [. . .]“, aus Ansegis II,6, nach SECKEL, Studien VI 1906, 100; so auch BL I,39, ebenda 833, nach SECKEL, Studien VI 1906, 72, aus der Admonitio ad omnes regni ordines (823–825), cap. 25, zitiert aus Ansegis, Capitularium II,23. 643 Anders scheint das noch im 6. Jahrhundert in der Gallia gewesen zu sein, CLAUDE, Comitat 1964, 69 f., 79. 644 BL I,383, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 905 f., ursprünglich aus einer Novelle Iustinians (CIC Nov. 52,1).

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ursprüngliche – wenn auch nicht direkte – Quelle anzusehen ist,645 sieht die Bestimmung bei Benedictus Levita als Sanktion die Einziehung des Hauses für den „fiscus“ vor, nur die Formulierung der Sanktion war inzwischen von Begriffen des antiken Sakralrechts in eine „moderne“ Sprache übersetzt worden.646 Nicht nur kommt dem Grafen im Auftrag des Bischofs der Schutz der kirchlichen Organisation zu,647 wenn er etwa für die Durchsetzung des Anwesenheitszwangs auf Synoden sorgen soll,648 sondern der Bischof fungiert in Zusammenarbeit mit dem Grafen auch als Gewalt in weltlichen Angelegenheiten, etwa in seiner Funktion als Richter, die sich aus der antiken episcopalis audientia ableitet, sowie als herrscherlicher Zeuge bei Verkäufen von Unfreien.649 Letzeres bedeutet insofern eine wesentliche Beteiligung des Bischofs an der weltlichen Ordnung, als er als Großer mit caritativem Auftrag wohl als Schutz Halbfreier vor dem Verkauf dienen kann, zugleich aber auch als „dispensator rei ecclesiae“, für den Fall, dass Kirchensklaven unberechtigt zum Verkauf stehen.

645 Nach SECKEL, Studien VI 1906, 126, direkt aus der Summa de ordine ecclesiastico aus dem 8. oder 9. Jahrhundert, die in dieser Bestimmung auf die Epitome Iuliani 52,1 zurückging. GANSHOF, Droit Romain 1969, Aufstellung S. 27 hält die direkte Benutzung der Epitome Iuliani für wahrscheinlich und verweist auf die Ursprungsquelle Nov. Iust. 58 (CIC Nov. 58). 646 Nov. Iust. 58,1 (CIC Nov 58, S. 314–316,316): „insuper et ipsam domum, in qua aliquid tale agitur, fieri publicam et sub sacratissimum venire aerarium.“ Vgl. dazu BL I,383, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 905 f.: „Quod si fecerit, domus illius fisci viribus addicatur.“ 647 „Iudices seculares“ sollten einschreiten, wenn ein Kleriker sich weigern sollte, dem Bischof zu gehorchen, BL III,422, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1115; das Kapitel besteht aus antiken Versatzstücken, darunter CTh 16,2,47 § 1, und eigener Zutat Benedikts; die hier zitierte Bestimmung ist vermutlich das eigene Werk Benedikts, nach SECKEL, Studien VIII 1914, 3 1919, 247 f. – Bei gewalttätigem Widerstand gegen Priester, Kleriker oder einen bischöflichen missus hat der Graf die Person mit Gesandten des Bischofs vor den König zu bringen, BL I,12, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 828. – Bei Verweigerung der Zehntzahlung wird auch der Graf tätig, nach BL I,101, ebenda 841, nach SECKEL, Studien VI 1906, 76 aus dem Kapitular von Worms (829), cap. 7. – Ausdrücklich wird der Graf als defensor ecclesiae angesehen und es werden einige mögliche Aufgaben aufgezählt in BL III,128, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1050; nach SECKEL, Studien VIII 1914, 356 aus Karoli Magni Capitulare primum (769), cap. 6. 648 BL I,11, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 828, aus Pippini regis Capitulare, cap. 3, MGH Cap. I, Nr. 13. Nach der Vorlage sollen säumige Kleriker von Archidiakon und Graf gemeinsam ermahnt werden. Die Durchsetzung der Ladung aber mit Mitteln der Gewalt obliegt auch nach dem Originalkapitular dem Grafen. Vgl. zur Quelle SECKEL, Studien VI 1906, 65, der hervorhebt, dass die Veränderung der Vorlage den Grafen nur nach ausdrücklicher und aktueller Weisung des Bischofs handeln lässt. 649 BL Ad. IV,137, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1222: „De mancipiis non vendendis nisi in praesentia Rectorum. De mancipiis, ut non vendantur nisi aut in praesentia Episcopi vel Comitis, aut in praesentia Archidiaconi, aut Centenarii, aut Vicedomini, aut iudicis Comitis, aut ante bene nota testimonia. Et ut foris marcam nemo mancipia vendat. Et qui hoc fecerit, tantas vices bannum solvat quanta mancipia vendidit. Et si non habet pretium, in guadium pro servo semetipsum Comiti donet usque dum ipse bannum solvat.“, aus dem Capitulare Haristallense (779), cap. 19, MGH Cap. I, Nr. 20, S. 51, wie auch in erweiterter Form BL I,203; zur Quelle vgl. SECKEL, Studien VI 1906, 91 f.

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Das hohe bischöfliche Prestige führt den Bischof in eine Rolle innerhalb der Gesellschaft seiner Diözese, die keinen Zweifel daran aufkommen lässt, dass er als Vertreter der Kirche auch in weltlichen Angelegenheiten seinen erheblichen Einfluss wahrnimmt, so etwa, wenn bestimmt wird, dass Bischöfe „consentientes sint Comitibus et Iudicibus ad iustitias faciendas“.650 Ohne bischöfliche Zustimmung zur weltlichen Gerichtsbarkeit wäre diese wohl mindestens erschwert gewesen. Daraus – aus der ursprünglichen Bestimmung des Konzils von Mainz (813), aus der Übernahme durch Ansegis und aus der erneuten Mitteilung durch Benedikt – lässt sich für die jeweilige Zeit durchaus die informelle herrscherliche Stellung eines Bischofs als solche feststellen. Ganz wie die antike episcopalis audientia erwächst auch die bischöfliche Gerichtsbarkeit der Karolingerzeit aus seinen geistlich-sozialen Funktionen. Seine geistliche Herrschaft über die Gläubigen wird in einem Kapitel der Sammlung des Benedikt – also mit fiktiver königlicher Autorität – gewissermaßen sanktioniert. Weltliche Personen niederen wie höheren Standes sollen bei Verweigerung der bischöflichen „emendatio“ bzw. Strafe für eine bestimmte Sünde ausdrücklich von der Kommunion ausgeschlossen werden.651 Nicht die Sache selbst verdient besondere Erwähnung, sondern, dass sie mit königlicher Autorität versehen wird und natürlich Vergehen betreffen kann, die zu verfolgen durchaus im Interesse der weltlich-„staatlichen“ Ordnungsmächte liegen. Grundsätzlich gleiches gilt für die bischöfliche Aufgabe, die „pauperes“ gegen Übergriffe der „potentes“ zu schützen, was ebenfalls durch die Aufnahme in die Sammlung des Benedikt mit königlicher Sanktion versehen wird. Der Schutz soll im Gebrauch der Exkommunikationsandrohung bestehen, wenn nämlich die bischöfliche Ermahnung den Mächtigen nicht abhalte, so solle er exkommuniziert werden.652 Von bischöflichen Richtern handelt eine Bestimmung, die von diesen unter Verweis auf das Jüngste Gericht gerechte Urteile fordert.653 Da dieser fiktiv königlichen Bestimmung kein besonderer Hinweis

650 BL I,182, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 858 f.; zur Quelle in can. 8 des Konzils von Mainz (813) s. SECKEL, Studien VI 1906, 88; in BL Ad. III,27, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1162 findet sich eine leicht veränderte Wiederholung der Bestimmung. – Vgl. auch BL Ad. III,97, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1175 zum Gehorsam der Grafen und Richter dem Bischof gegenüber, die wohl allesamt „et invicem consentiant ad faciendas iustitias“. 651 BL Ad. IV,38, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1201 f.; fast wortgleich mit BL III,397, ebenda 1111 f. – Die Quelle ist nach SECKEL, Studien VIII 1919, 210 unbekannt. – Vgl. auch BL II,88, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 936 mit gleichem Inhalt, nämlich der Betonung der bischöflichen Ordnungsmacht auf der Basis geistlicher Gerichtsbarkeit; nach SECKEL, Studien VII,1 1909, 344 gilt auch hierfür die Quelle als unbekannt. 652 Diese Bestimmung überliefert Benedictus Levita gleich dreifach, BL II,319, ed Baluze, aus Mansi 17B, 977; BL III,471, ebenda 1130 und BL Ad. IV,55, ebenda 1205. Sie stammt nach SECKEL, Studien VII 1910, 456 aus dem Concilium Toletanum I (400), can. 11. – Vgl. DIESENBERGER, Predigt 2018, 223 zu Übergriffen auf das „Hab und Gut anderer“ als verbreiteten Thema in Predigsammlungen 653 BL Ad. III,42, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1163 f.

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auf die kirchliche Disziplinargerichtsbarkeit beigefügt ist, obgleich zu vermuten ist, dass diese zumindest eine wesentliche Zielrichtung der Bestimmung darstellt, zeigt sie aber doch ganz allgemein den Bischof als Richter. Benedictus Levita sieht den Bischof durchaus als Richter in weltlichen Angelegenheiten, wie er mit einer fiktiven königlichen Bestimmung zeigt. Mit dieser Bestimmung nimmt er bezug auf die antike episcopalis audientia, die er zu erneuern versucht, indem er ein Gesetz Konstantins aus den Constitutiones Sirmondianae, mit der der Bischof als regulärer Richter anerkannt wird, mit einer ausdrücklichen königlichen Autorisierung versieht, die dieses Gesetz ausdrücklich für alle Völker des Frankenreichs für verbindlich erklärt.654 Inhalt der Passage des theodosianischen Gesetzes ist auch, dass die Entscheidung des Bischofs nicht anzufechten sei. Vor dem Hintergrund der Gesetzgebung des Theodosius liest sich die von Benedictus Levita leicht verfälschte Zitation eines Kapitels aus einem Kapitular Pippins in ganz eigenem Licht. Das Kapitular König Pippins erklärt ebenso wie Benedictus Levita, „ut omnes iusticiam faciant, tam publici quam ecclesiastici.“655 Sollte man eigentlich annehmen, dass Pippin wie Benedikt in dieser Bestimmung von einer Trennung der Gerichtsbarkeit von Graf und Bischof ausgehen, so ändert sich der Tenor zumindest für das Zitat bei Benedikt. Die bereits angeführten Bestimmungen zeigen, dass die Trennung nur in einer Richtung wirklich eingehalten worden sein sollte, nämlich von seiten der weltlichen Gewalten die bischöfliche Souveränität gewahrt werden sollte; anders verhält sich das mit der richterlichen Funktion des 654 „Ut litem habentes, sive petitor, seu possessor, si Antistitum iudicium elegerint, ad eos dirigantur. Volumus atque praecipimus ut omnes ditioni nostrae, Deo auxiliante, subiecti, tam Romani, quam Franci, Alamanni, Baiuvarii, Saxones, Turingii, Fresones, Galli, Burgundiones, Britones, Longobardi, Vuascones, Beneventani, Gothi, et Hispani, caeterique nobis subiecti omnes, licet quocunque videantur legis vinculo constricti, vel consuetudinario more connexi, hanc sententiam, quam ex sexto-decimo Theodosii Imperatoris libro, capitulo videlicet XI, ad interrogata Ablavii Ducis, illi et omnibus rescriptam, sumpsimus, et inter nostra Capitula pro Lege tenenda consultu omnium Fidelium nostrorum, tam Clericorum quam et laicorum, posuimus, lege cunctis perpetua tenenda; id est: ‘Quicunque litem habens, sive possessor sive petitor fuerit, vel in initio litis, vel decursis temporum curriculis, sive cum negotium peroratur, sive cum iam coeperit promi sententia, si iudicium elegerit sacrosanctae legis Antistitis, ilico sine aliqua dubitatione, etiamsi alia pars refragatur, ad Episcoporum iudicium cum sermone litigantium dirigatur; multa enim quae in iudicio captiosae praescriptionis vincula promi non patiuntur, investigat et promit sacrosanctae religionis auctoritas. Omnes itaque causae quae vel praetorio iure vel civili tractantur, Episcoporum sententiis terminatae, perpetuo stabilitatis iure firmentur; nec liceat ulterius retractari iudicium quod Episcoporum sententiis deciderit. Testimonium etiam ab uno licet Episcopo perhibitum omnes Iudices indubitanter accipiant, nec alius audiatur cum testimonium Episcopi a qualibet parte fuerit repromissum: illud est enim veritatis auctoritate firmatum, illud incorruptum, quod a sacrosancto homine conscientia mentis inlibatae protulerit [. . .]’“, BL II,366, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 985 f., unter Nennung der Quelle. Zur Quelle s. SECKEL. Studien VII 1910, 477, die Benedikt einem Breviarium auctum CTh XVI,11 „de episcopali iudicio“ entnommen hat. 655 Pippini regis Capitulare (754/755), cap. 7, MGH Cap. I, Nr. 13, S. 32; BL I,16, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 828; Identifikation der Quelle bei SECKEL, Studien VI 1906, 68.

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Bischofs, in dessen Ermessen es auch gestellt wurde, zu entscheiden, wer für den Wiederaufbau zerstörter Kirchen zu sorgen habe.656 Ein weitaus bedeutenderer Eingriff in weltliche Belange liegt in der Zuständigkeit des Bischofs für die Aufsicht über die Umsetzung von letztwilligen Verfügungen.657 Das lässt sich auf zwei Gründe zurückführen, erstens waren kirchliche Einrichtungen in wohl weitaus den meisten Fällen Begünstigte von testamentarischen Verfügungen, und zweitens hat der letzte Wille des Verstorbenen transzendenten Charakter. Es gibt keinen natürlichen Erben seiner Interessen in einer solchen Sache. Dafür hat der Bischof einzustehen, dass der letzte Wille des Verstorbenen seine Erfüllung findet. Im Ergebnis fungiert der Bischof an einer wesentlichen Stelle als „staatliches“ Organ der „Rechtspflege“. Die Verschränkungen zwischen beiden Gewalten werden zwar grundsätzlich und offiziell restriktiv gehandhabt, aber schon in den offiziellen Bestimmungen der (echten) Kapitularien und Konzilsbeschlüsse scheint ein gewisser Pragmatismus das Prinzip der Trennung der Gewalten zu beschränken. Bei Benedictus Levita ist der Pragmatismus in dieser Hinsicht eher noch stärker ausgeprägt als in den offiziellen Quellen. Das liegt gewiss an zwei Dingen: Erstens geht es um die Stellung des Bischofs in seiner Diözese, die kann Benedikt kaum bedeutend genug sein. Und zweitens sind die von ihm mitgeteilten Bestimmungen aller Wahrscheinlichkeit nach in vielen Fällen wirklichkeitsnäher, da er, wie eingangs dargelegt, in der Auswahl der Bestimmungen ohne jedes Konsensverfahren auskommen konnte und deshalb keine sinnvollen und vielleicht notwendigen Regelungen mitzuteilen unterlassen musste, die einem oder mehreren Konsenspartnern nicht genehm gewesen wären. Die defensores ecclesiae gaben sich nicht etwa die Kirchen selbst, sondern sie mussten sie vom König erbitten, hatten aber wohl Vorschlagsrecht.658 Das hatte sicherlich den Vorteil, dass sie als gewissermaßen akkreditierte Akteure mehr Gewicht hatten als einfache Vögte kirchlicher Einrichtungen. Zwei inhaltlich gleichlautende Bestimmungen, die verbieten, in Privathäusern Messen lesen zu lassen, sehen bei Zuwiderhandlung den Einzug des entsprechenden

656 BL Ad. IV,97, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1213 f. „De Ecclesiis destructis, ut Episcopi et Missi inquisitionem faciant utrum per neglegentiam aut impossibilitatem destructae sint. Et ubi neglegentia inventa fuerit, episcopali auctoritate emendare cogantur qui eas restaurare debuerant. Si vero per impossibilitatem contigit, ut aut pluriores sint quam necesse sit, aut maioris magnitudinis quam ut ex rebus ad eas pertinentibus restaurari possint, Episcopus modum inveniat qualiter congrue emendari et consistere possint.“ 657 BL Ad. III,87, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1172: „De herede, si quippiam dispositione non implet. Si heredes iussa testatoris non impleverint, ab Episcopo loci illius omnis res quae his relicta est auferatur, cum fructibus et caeteris emolumentis, ut vota defuncti impleantur.“ 658 BL III,33, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1036; die Bestimmung geht auf einen Kanon einer Synode von Karthago (September 401) = Concilia Africae, can. 42 zurück, SECKEL, Studien VIII 1914, 336; die gleiche Bestimmung zitiert BL I,33; dazu SECKEL, Studien VI, 69.

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Hauses durch den Fiscus vor,659 der an mehreren Stellen bei Benediktus Levita vorkommt und durchaus die Bedeutung von „Königsgut“ hat;660 über eine mögliche Bedeutung im Sinne von „Staatskasse“ wäre eventuell zu streiten, da dazu die Staatlichkeit der karolingischen Gesellschaftsorganisation nachzuweisen wäre. An dieser Stelle vorzuschlagen ist, dass man im Falle des Königsguts zugleich das Gut des Vertreters der Gesamtheit aufzufassen hat. Wieweit wenigstens theoretisch zwischen Königsgut und Eigengut des Königs bzw. seiner Familie getrennt wurde, hängt an der Klärung der Frage nach dem König als Amtsträger oder mächtiger Privatperson. Dass die weltliche Ordnungsmacht Vergehen gegen die Integrität der kirchlichen Organisation verfolgt und missbrauchte Güter einzieht – zu wessen Nutzen auch immer – weist immerhin auf eine Form von Staatlichkeit hin, wie auch eine Bestimmung, nach der weltliche Amtsträger, die mit ihrem Konsens Urkunden autorisieren, mit denen kirchliches Gut entfremdet wird, ihr Amt und ihre Mittel verlieren sollten.661 Benedikt erneuert auch eine Bestimmung des Kapitulars von Worms (829), nach der kirchliches Gut „sicut res ad fiscum nostrum“ nach dreißig Jahren unwidersprochenen Besitzes kein Zeugnis für das rechtmäßige Eigentum mehr benötigte.662 Wenn dann von Benedikt eine Bestimmung aus einem merowingischen Konzil des 6. Jahrhunderts als königlich-karolingisches Kapitel ausgegeben wird, in dem dem Bischof die Gewalt zugebilligt wird „iudicibus et potentibus“, die Arme bedrückten, mit der Strafe der Exkommunikation zu belegen,663 erklärt er den Bischof zu einer einer Appellationsinstanz ähnlichen Macht weltlicher Gerichtsbarkeit, die im 6. Jahrhundert ganz gewiss in weiten Teilen des Frankenreichs der bischöflichen Herrschaft selbstverständlich war. Eine Bestimmung unbekannter Quelle behandelt den Raub, dessen Täter, wenn „publice“ geschehen, „publice inde agat poenitentiam“, wenn „occulte“ geschehen, „sacerdotum consilio ex hoc agat poenitentiam“.664 Hier wird – vielleicht unter Benut-

659 BL II,102, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 940, aus der Summa de ordine ecclesiastico, cap. 41 geht zurück auf Iuliani Epitome 52,1; BL Ad. III,75, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1171 enthält noch die originale Nennung des „Praefectus Pretorii“ anstelle des Grafen. 660 S. A. VERHULST, „Fiscus“, LMA IV (1989), 502. 661 BL Ad. III,56, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1166 f.: „Magistratus vero Iudices, qui talia instrumenta consenserint, et dignitatem et facultates amittant.“ 662 BL Ad. IV,171, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1232; vgl. Capitulare Wormatiense (829), cap. 8, MGH Cap. II, Nr. 191, S. 13. 663 BL II,418, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1005; zur Quelle, can. 27 des Concilium Turonense II (567), s. SECKEL, Studien VII (1910), 522. 664 BL II,97, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 938 f.: „Nam si publice actum fuerit, publicam inde agat poenitentiam iuxta sanctorum Canonum sanctionem. Si vero occulte, Sacerdotum consilio ex hoc agat poenitentiam: quoniam raptores, ut ait Apostolus, nisi veram egerint poenitentiam, regnum Dei non possidebunt.“ Sehr ähnlich auch BL II,383, ebenda 997, aber mit der ausdrücklichen Autorität einer wohl fiktiven Synode von Ingelheim, vgl. ausführlich SECKEL, Studien VII,1 1909, 353 f. Die Bestimmung betrifft weiterhin den Kirchraub.

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zung einer antiken Quelle665 – die kirchliche Autorität zum Erhalt weltlicher Ordnung herangezogen, für die Fälle nämlich, in denen sich weltliche Ordnungsmächte mit der Entscheidung schwertun, weil Zeugen fehlen. Es ist ein eigenartiges Verhältnis zwischen kirchlicher und weltlicher Organisation. Während Bischof und Graf völlig unabhängig voneinander bestehen, aber miteinander im Konsens handeln sollen, ist der König sowohl Vorgesetzter des Grafen als auch Vertreter der Schutzmacht der Kirchen, und als sein Vertreter der Graf vor Ort. Zugleich bestellt der König missi, die im 9. Jahrhundert oft Bischöfe oder Erzbischöfe sind.666 Wie die Kirche der Spätantike sind die karolingischen Kirchen im 9. Jahrhundert der Norm nach autonom, nehmen aber mit ihren Vertretern, den Bischöfen, an der gesellschaftlichen Ordnung teil, die sonst als weltliche Ordnung auftritt. Ein Konzept von karolingischer Staatlichkeit muss eine Erklärung für dieses eigenartige System haben. Benedictus Levita stellte königliche Willensäußerungen zusammen und erfasste dabei beileibe nicht nur Regeln, die die Kirchen und ihre Organisation betreffen. Bei ihm finden sich einige Bestimmungen, die zur Regelung der gesellschaftlichen Ordnung angetan sind und vermutlich auch im Interesse eines Vertreters bischöflicher Kompetenz lagen, sonst hätte Benedikt auf ihre Mitteilung verzichten können. Auch das spricht für eine breite Zuständigkeit von Bischöfen auch für weltliche bzw. „staatliche“ Angelegenheiten. Ein wesentliches Merkmal von Staatlichkeit liegt in dem Bemühen um Recht und seine Verlässlichkeit, dazu gehören auch Maßnahmen der Rechtspflege. Nun ist es natürlich schwierig, aus positiven Rechtsbestimmungen ihre Relevanz zu rekonstruieren, zumal aus „gefälschten“ Rechtssätzen. Die von Benedictus Levita mitgeteilten Rechtssätze sind jedoch nicht als normative Neuerungen zu verstehen, sondern bewegen sich in ihrer Mehrzahl im Bereich gesellschaftlichen Konsenses, mitunter eben unter Zuhilfenahme von gefälschten oder antiken Bestimmungen, die die Gewohnheiten des 9. Jahrhunderts absichern sollen. Zu diesen Bestimmungen gehören Regelungen zu Fragen des Personenstands, also etwa zur Geschäftsfähigkeit, die Unfreien abgesprochen wird,667 zur Zeugenschaft

665 Die Unterscheidung von Vergehen, die publice und solchen, die occulte begangen wurden, erinnert an die Unterscheidung des Zwölftafelgesetzes in Vergehen, die bei Tage und solchen, die bei Nacht begangen wurden. Dort sollte das Strafmaß ebenfalls höher ausfallen für die heimlichen Vergehen, zum nächtlichen Diebstahl Tafel VIII, 12, zur nächtlichen Abweidung von Feldern Tafel VIII, 9, jeweils die Todesstrafe, vgl. den Kommentar von DÜLL: Zwölftafelgesetz 1989, 92 f. 666 WERNER, Missus 1980, 197. 667 BL II,227, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 962: „Ut nec colonus nec fiscalinus traditiones faciat.“ Nach SECKEL, Studien VII,2 1910, 180 aus dem Capitulare missorum (803), cap. 10. – Freigelassene sollten von Priestern vertreten werden („De libertis, ut a Sacerdotibus defensentur“), BL Ad. IV,86, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1211.

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und ihrer Verbindung mit Wohlstand und Leumund668 sowie zum Verbot der Zwangsvermönchung von Klerikern und Laien669 und zur Eigentumslosigkeit von Mönchen.670 Es gehören dazu aber auch Bestimmungen zu Eigentumsfragen, die ja die Basis der meisten Konflikte darstellen und unbedingt zu ordnen sind, um so etwas wie eine staatliche Ordnung zu schaffen und zu erhalten. So bestimmt ein Kapitel der Sammlung bei der Weitergabe unrechtmäßig erworbenen Gutes die Haftung dessen, der das Gut erworben hat.671 Geregelt wird auch die Frage, was mit geraubtem Gut zu geschehen habe, nämlich dass es vollständig zurückerstattet werden müsse.672 Von besonderer Bedeutung scheinen die erbrechtlichen Fragen zu sein, sicher auch aus der Perspektive der Kirchen, die in hohem Maße Begünstigte letztwilliger Verfügungen waren. Zu Fragen des Erbrechts greift Benedikt vorwiegend auf antike Quellen zurück, wenn etwa dem Vater erlaubt wird, von dem Sohn diesem geschenktes Gut zurückzufordern, wenn dieser den Vater nach der Schenkung geschädigt haben sollte.673 Nach derselben Quelle wird von Benedikt festgesetzt, dass die letztwilligen Verfügungen („voluntas defuncti“), auch Teilungen, unbedingt zu beachten seien.674 Wer von den Erben etwas gegen den letzten Willlen des Verstorbenen unternehme, sollte sein Erbe verlieren.675 Ausführungsbestimmungen zur testamentarischen Verfügung gibt Benedikt dann aber nach den Capitula legibus addenda (818/819), cap. 6.676

668 BL Ad. III,88, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1173: „Ut Comites et Iudices viles personas non admittant ad testimonium.“ – Vgl. auch zur Bedeutung des Eigentums für die Zeugenschaft BL I,296, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 885, nach SECKEL, Studien VI 1906, 103 aus Ansegis, Capitularium IV,22. 669 BL Ad. I,42, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 586. 670 BL II,110, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 941; nach SECKEL, Studien VII,1 1909, 360 stammt die Bestimmung, nach der alles, was jemandem beim Eintritt ins Kloster gehört, auf das Kloster übergeht, aus der Summa de ordine ecclesiastico, cap. 33 bzw. als deren Quelle aus Iuliani Epitome 70,1. 671 BL Ad. IV,162, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1228. 672 BL III,355, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1101; nach SECKEL, Studien VIII 1916, 111 aus dem Breviarium Pauli 5,7,6 (Pauli sententiae V,6,8, nach GANSHOF, Droit Romain 1969, 31); dort aber augenscheinlich nicht, Paulli Sententiae, in: Iurisprudentiae Anteiustinianae, ed. Huschke, Leipzig 1879, S. 434–545). Über die integra restitutio handelt BL III,288, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1089; nach SECKEL, Studien VIII 1916, 72 aus Brev. Pauli 1,7,2 (Sententiae Paulli. I,7,2, nach GANSHOF, Droit Romain 1969, 30). 673 BL III,330, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1097; nach SECKEL, Studien VIII 1916, 98 aus Brev. CTh 8,6,1 (CTh VIII,13,2, nach GANSHOF, Droit Romain 1969, 30); vgl mit gleichem Inhalt auch BL III,229. 674 BL III,328, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1079; nach SECKEL, Studien VIII 1916, 97 f. hat Benedikt das Brev. CTh II,24,2 (ed. Mommsen, Codex Theodosianus II, 113) relativ stark verändert. 675 BL III,326, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1096; nach SECKEL, Studien VIII 1916, 97 aus dem Breviarum Pauli 3,7,10in. (Paulli Sententiae III,5,13, nach GANSHOF, Droit Romain 1969, 30). 676 BL I,235, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 870; Quelle nach SECKEL, Studien VI 1906, 96.

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Ein weiteres Merkmal der Staatlichkeit liegt in der Rechtspflege, konkret im Versuch, den Ablauf der Gerichtsbarkeit zu normieren. Hier greift Benedictus Levita bevorzugt auf antike Quellen zurück, was die Vermutung nahelegt, dass er versucht, antike Regeln staatlicher Ordnung einzuführen. Zu diesen Regeln gehört vermutlich auch das Gebot, dass vor der Streiteröffnung („litis contestatio“) streitiges Gut dem aktuellen Besitzer zurückgegeben werde.677 Ebenfalls antiken Rechtsvorstellungen entstammt eine Bestimmung, die vorschreibt, dass Zeugen ihr Zeugnis nur in Anwesenheit ablegen dürften.678 Bei Kapitalverbrechen („causa capitalis“) und Verhandlungen über den Stand („status“) sollte der Betroffene nicht vertreten werden, sondern sich selbst verteidigen.679 Verurteilungen in Abwesenheit werden nach einer Bestimmung des vierten Konzils von Karthago grundsätzlich abgelehnt.680 Ganz sicher im Hinblick auf die Bischofsanklage teilt Benedikt eine Regel mit, nach der die Appellation auch dann erlaubt sei, wenn die Richter vom Primas bestimmt wurden, ein weiterer Schritt sollte in der Appellation an ein Konzil bestehen.681 Für das Funktionieren einer staatsähnlichen Ordnung unabdingbar ist die Sorge für eine gewisse Sicherheit in Rechtsangelegenheiten.682 Diesem Zweck dient eine Bestimmung, nach der die Bedrückung des Rechts eines Einzelnen gegen Lohn oder aus Gefälligkeit, also wohl der Tatbestand der Rechtsbeugung, scharf verurteilt wird.683 Benedictus Levita bekundet ein starkes Interesse an der Zuverlässigkeit der Gerichtsbarkeit auch mit einer weiteren Bestimmung, die er so

677 BL Ad. III,103, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1176. – Der Hinweis auf die litis contestatio spricht dafür. Der lex Baiuwariorum 15,6 (ed. Von Schwind 1926, MGH Leg. Nat. Germ. 5,2, 426) entliehen ist eine Bestimmung über die Unveräußerlichkeit von Streitgut während des Verfahrens, BL I,357, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 901; Quelle nach SECKEL, Studien VI 1906, 119. 678 BL II,345, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 981, der erste Teil aus der Lex Visigothorum 2,4,5, Anfang, nach SECKEL, Studien VII 1910, 470 f. Eine gleichlautende Bestimmung des römischen Rechts war jedoch nicht zu finden, wenngleich die Befragung von Zeugen wesentlicher Bestandteil des römischen Prozesses ist. 679 BL III,357, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1102; nach SECKEL, Studien VIII 1916, 116 entnahm Benedictus Levita die Bestimmung des Breviarium Pauli 5,37,1 direkt aus den Capitula Angilramni, cap. 41. – Vgl. fast wortgleich BL Ad. IV,14, ed. Baluze, aus Mansi 17B. 680 BL III,219, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1071; die Bestimmung stammt nach SECKEL, Studien VIII 1914, 415 aus dem can. 30 des 4. Konzils von Karthago, überliefert in der Hispana. 681 BL III,413, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1114; nach SECKEL, Studien VIII,3 1919, 223 aus Fulgentius Ferrandus, Breviarium, cap. 21. 682 MORDEK, Fränkische Kapitularien 2000, 6 sieht für die Kapitularien überhaupt die Schaffung von Rechtssicherheit als wesentliches Motiv. 683 BL III,475, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1131 „De his qui pro munere aut favore alicuius iustitiam opprimunt. Quam sit extraneus a Christianae fidei regula qui se defensorem veritatis insimulat, et veritatem ipsam munerum acceptione commaculat, audiat contra se Prophetam dicentem: Pro eo quod vendidistis argento iustum et pauperem pro calciamentis, ecce stridebo ego super vos sicut stridet plaustrum onustum foeno; et peribit fuga a veloce, et fortis non obtinebit virtutem suam, et robustus corde inter fortes nudus effugiet.“; textgleich unter anderer Rubrik BL Ad. IV,1, ebenda 1189.

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nur in antiken Rechtssammlungen finden konnte, die ihm aber offensichtlich anwendbar schien. Es geht um Personen, die ihr Recht bei fremden Richtern suchen und vor allem um solche, die dies tun, weil die für sie zuständigen Richter ihrer Provinz ihre Pflichten vernachlässigen. In einem solchen Fall sollte der Fiscus für eine angemessene Entschädigung einstehen.684 Diese Bestimmung aus dem Codex Theodosianus trägt der Tatsache Rechnung, dass die staatliche Ordnung im Westen des späten römischen Reiches bereits zurückgewichen war, zugleich aber bietet sie eine Handhabe, dennoch ein gewisses Maß an staatlicher Ordnung zu erhalten. Das macht die Regel für Benedikt interessant, wie zu vermuten ist. Eine weitere Bestimmung des Codex Theodosianus, die Benedikt in seine Sammlung aufnahm, gilt der Behandlung von Angriffen auf Priester und kirchliche Bedienstete, die, aufgefasst als Sakrileg, „veluti publicum crimen“ verfolgt werden sollten.685 Auch hier bietet die Vorlage eine brauchbare Regel für die Ansprüche des Kompilators, nämlich die Behandlung des geistlichen Personals durch die „staatliche“ Ordnung als Organen der weltlichen Ordnung gleichgestellt. Hier versagen die Begriffe. Die Trennung von kirchlicher und weltlicher Ordnung, wie sie vor allem Pseudoisidor propagiert, hat es nicht gegeben, allenfalls eine Sonderstaatlichkeit der kirchlichen Ordnung. Und Benedictus Levita zeigt recht deutlich, wie er das Verhältnis der kirchlichen Organisation zur Ordnung des Reiches sieht. Um das verstehen zu können, ist es geraten, das, was Benedikt als das Komplementär kirchlicher Organisation versteht, auch als „staatliche Ordnung“ zu bezeichnen, wenn schon aus Respekt vor den Implikationen moderner Begrifflichkeit nicht als „Staat“.686 Wenn

684 BL III,220, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1072: „De his qui apud extraneos Iudices causam suam proponunt. Et de his qui prius in proprio foro non iurgaverint. Et de Iudicibus qui sua neglegentia causas differunt. Si quis alium crediderit accusandum, apud provinciae illius Iudicem negotium suum proponat; et omnem iacturam litis incurrat qui non ante in proprio foro iurgaverit. Quod si per neglegentiam Iudicis causa definita non fuerit, tantum eum fisco nostro iubemus exsolvere, quantum res ipsa de qua agitur valuisse cognoscitur. Et qui consiliis suis adhaerent, exilio deputentur.“ Nach SECKEL, Studien VIII 1914, 415 fand Benedikt die Bestimmung im Brev. CTh II,1,4, die Rubrik stammt von Benedikt. 685 BL II,406, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1002; nach SECKEL, Studien VII 1910, 515 stammt das aus dem Codex Theodosianus und ist über ein Breviarium auctum in die Sammlung des Benedikt gekommen. Der Begriff „publicum crimen“ als Verbrechen von öffentlichem Interesse dürfte auch Benedikt bei seinen Kentnissen antiker Rechtsregeln bekannt gewesen sein. 686 Zu diesem Problem s. grundsätzlich GOETZ, Staatlichkeit 2000, 99 f., der den Begriff „Staatlichkeit“ zu Recht für keine Lösung des Problems hält, welches nämlich darin besteht, dass der Begriff wie auch der Begriff „Staat“ für das Mittelalter zunächst bloß „(höhere) politische Ordnung“ bezeichnet, er nämlich als bloßer Ausweg dient, um nämlich nicht in den Geruch zu geraten, man unterliege alten verfassungsgeschichtlichen Paradigmen. Dabei kann der differenzierte Gebrauch beider Begriffe durchaus auf die „Höhe“ der Ordnung verweisen. An dieser Stelle sei nur auf den möglichen Fall verwiesen, dass zwar herrscherliche Mühen um politische Ordnung zu konstatieren sein könnten, indes die zum Staat notwendige Kontinuität des politischen Gebildes fehlt, also es nicht aus eigener Kraft sich zu erhalten in der Lage ist. Dann taugt der Begriff „Staatlichkeit“ sehr wohl.

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Benedikt mit seinen Quellen von „fiscus“ spricht bzw. von „res publica“, dann meint er genau dies, nämlich fränkische Staatlichkeit des 9. Jahrhunderts, die zu definieren und zu befördern er ja regelrecht bemüht ist, wenn er in so großer Zahl antike Rechtsregeln bemüht, wie für die Fragen der Rechtsordnung. Dazu gehören auch Bestimmungen, wie zur Bindung des Herrschers an die Gesetze seines Vorgängers,687 zur fortwährenden Gültigkeit der Gesetze „circa cultum divinum“,688 zur Strafwürdigkeit falscher Anklagen689 sowie zum Prozessrecht.690 Da die Basis der von Benedikt projektierten Staatlichkeit die bestehende Ordnung der Gesellschaft selbst ist, liegt ihm natürlich an der Sicherung dieser Ordnung. So verlangt er zur Ahndung verschiedener Verbrechen, die „Ecclesiae status infirmatur, et regnum periclitatur“, worunter er etwa Sodomie zählt, unter Anwendung der „Lex Romana, quae est omnium humanarum mater legum“, schärfste Strafen.691 Die genannte Verfehlung steht hier stellvertretend für alle Vergehen, die die rechte Ordnung stören. Die Bedeutung der rechten Ordnung manifestierte sich auch in den aus Pseudoisidor und auch bei Benedikt wohlbekannten grundsätzlichen Verboten, ranghöhere kirchliche Amtsträger oder gar Bischöfe anzuklagen. Diese Regel übertrug Benedikt auf den gesamtgesellschaftlichen Bereich, wenn er mit fiktiver königlicher Autorität verfügen lässt, dass „de detractione Principum ac maiorum natu ab omnibus cavenda“.692 Aufruhr und Verschwörung begegnet er mit antiken Rechtsregeln, wie mit der Bestimmung über die Bestrafung der Urheber von Aufständen mit Kreuzigung oder, indem sie „bestiis obiciantur“.693 Vielleicht gefährlicher für die bestehende 687 BL II,324, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 978; nach SECKEL, Studien VII 1910, 458 aus Concilium Toletanum VIII, can. 12. Im Text selbst wird grundsätzlich die Befolgung der Gesetze des gegenwärtigen Herrschers auch in künftigen Zeiten eingefordert, in der Rubrik dagegen ist von der notwendigen Bekräftigung von Gesetzen durch den königlichen Nachfolger die Rede. 688 BL III,477, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1132; der Begriff „cultus divinus“ verweist auf antiken Ursprung. 689 BL II,435, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1010; die Quelle (Concilium Matisconense I (583), can. 19) ist von Benedikt bearbeitet worden, SECKEL, Studien VII 1910, 530. 690 Die obligatorische Mindestbesetzung bei einem Prozess (Ankläger, Verteidiger, Zeugen, Richter) legt BL III,339, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1098 dar, die Benedikt aus Alkuins Dialogus de Rhetorica entnahm, der seinerseits Cicero, De inventione II,5,18 zitiert; SECKEL, Studien VIII 1916, 102. BL III,323, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1096 erlaubt grundsätzlich die Appellation „si [accusatus] Iudices suspectos habuerit“; nach SECKEL, Studien III 1916, 94 im Wesentlichen aus Brev. Nov. Marciani I. 691 BL Ad. IV,160, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1226 f. Der Anfang stammt aus can. (69), II des Konzils von Paris (829), MGH Conc. II,2, 669 = Episcoporum ad Hludowicum imperatorem relatio (829), cap. (54) 20, MGH Cap. I,2, Nr. 196, S. 44. Der Hinweis auf die Lex Romana und die folgenden Zeilen fehlen in der genannten Quelle. Möglicherweise verfasste Benedikt diesen Teil der Bestimmung selbst. Jedenfalls hat er das Kapitel sehr wahrscheinlich nach eigenen Vorstellungen bearbeitet. 692 BL III,331, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1097; SECKEL, Studien VIII 1916, 98 ist die Quelle unbekannt, weshalb er die weitgehende Urheberschaft Benedikts vermutet. 693 BL III,371, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1104; nach SECKEL, Studien VIII 1916, 126 leicht verändert aus Breviarium Pauli 5,24,1.

2.5 Von der Kirchenstaatlichkeit zum Staat der Karolinger

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Ordnung war die „conspiratio“, der er eine Bestimmung (can. 24) des Konzils von Orléans entgegensetzte, die er zu diesem Zweck um die Gültigkeit für Laien erweiterte.694 Eine gesellschaftliche Ordnung, die solchermaßen sanktioniert wird, hat zumindest den Anspruch von Staatlichkeit. Benedictus Levita teilt aber noch weitere Bestimmungen mit, die auf zumindest postulierte Staatlichkeit hinweisen. Dazu gehört an erster Stelle die Forderung nach einem relativen Gewaltmonopol der Ordnungsmächte. Die Tötung eines Sklaven sei nur erlaubt mit „conscientia“ eines Richters, ansonsten sieht eine Bestimmung hohe Kirchenstrafen vor.695 Deutlicher aber noch ist eine Bestimmung, die ganz antik klingt, aber der Lex Baiuwariorum entstammt, nach der die Tötung im Auftrag des Königs oder Herzogs, „qui ipsam provinciam regit“, straffrei bleiben sollte, „quia lex et iussio dominica occidit eum“.696 Als ordnungspolitische Maßnahme kann eine Bestimmung des Pentateuchs gelten, nach der nicht Söhne für die Schuld der Väter und nicht die Väter für die Schuld der Söhne haften sollten.697 Hat das in den Worten der Bibel vor allem ethisch-religiösen Charakter, so bekommt die Bestimmung als königliches Kapitel eine neue Betonung, da sie nicht mehr vorrangig das Verhältnis der Menschen zu Gott regelt, sondern das der Menschen zu ihrem Gemeinwesen. Die Autorität des Gemeinwesens bzw. seiner Repräsentanten verlangt die Kontrolle über die Ahndung von Kapitalverbrechen. Selbstjustiz wird mit einer Bestimmung der Lex Visigothorum (8,1,2 Erv.) untersagt, die deutlich macht, dass, wenn ein Besitzer mit Gewalt vertrieben werde,

694 BL III,274, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1085; zur Quelle s. SECKEL, Studien VIII 1916, 45. – Der Verschwörung gilt auch eine Bestimmung, die Benedictus Levita dem Duplex Capitulare missorum in Theodonis villa datum (805) entnahm, nämlich BL II,276, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 968; zur Quelle vgl. SECKEL, Studien VII 1910, 443. 695 BL Ad. IV,49, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1204. 696 BL I,367, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 902 f.; Quelle nach SECKEL, Studien VI 1906, 121. Der Herausgeber der Lex Baiuwariorum, Ernst Baron von SCHWIND (MGH Leges Nat. Germ. V,2, 301), verweist auf inhaltliche Ähnlichkeit zum Edictum Rothari II, womit der Weg in die Antike gewiesen sein könnte. Da aber im Edictum Rothari wie in der Lex Baiuwariorum an dieser Stelle die Rückführung auf das Gesetz fehlt, darf angenommen werden, dass diese antikisierende Zutat, die zugleich eine hoch entwickelte Staatsidee verrät, von Benedikt selbst stammen wird. Es wird eben nicht, wie im Edictum Rothari, allein mit der Befehlsmacht und der Ohnmacht des Befehlsempfängers argumentiert, sondern der Herrscher aus einer privat-rechtlichen Sphäre herausgehoben und sein Befehl zu einer durch das Ordnungsgebot legitimierten staatlichen Handlung erklärt; der herrscherliche Befehl ist „gesetzmäßig“, folgt einer Regel oder konstituiert diese, seiner Handlung nimmt Benedikt mit dieser einen Zutat den Charakter der Willkür. 697 BL II,53, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 931: „Quod non occidantur patres pro filiis, nec filii pro patribus; sed unusquisque pro peccato suo morietur.“, aus Deuteronomium (Vulgata) 24,16, nach SECKEL, Studien VII,1 1909, 329. – Aus derselben Quelle (Deutoronomium 22,8) stammt eine Bestimmung, nach der beim Hausbau eine Mauer zu errichten sei, BL II,43, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 930; zur Identifikation der Quelle s. SECKEL, Studien VII,1 1909, 328.

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der Täter auch mit guten Gründen im Unrecht sei, wenn er nicht einen Richterspruch vorweisen könne.698 Schutz der Armen ist herrscherliche ebenso wie staatliche Aufgabe. Benedikt zitiert dazu aus dem „Capitulare missorum in Theodonis villa datum secundum, generale“ (805), cap. 16.699 Die Bestimmung artikuliert die Sorge um den Erhalt des „regale obsequium“, wenn Freie von Mächtigen bedrückt werden. Hierin einfach die Wahrung des Interesses eines Herrschers zu sehen, greift schon für die Zeit Karls des Großen zu kurz, in der Kompilation durch Benedictus Levita zeigt sich deutlich das Interesse für den Schutz der gesamtgesellschaftlichen Ordnung, die „Staatlichkeit“ zu nennen nahe liegt. Zwei gleichlautende Bestimmungen der Kompilation des Benedictus Levita verbieten das Waffentragen „infra patriam“.700 Erst die Befriedung des Herrschaftsraumes ermöglicht die Umsetzung weiterer staatlicher Maßnahmen, wie etwa die Förderung der Geldwirtschaft701 und die Einführung gleicher Maße und Gewichte702 als Maßmahmen zur Förderung wirtschaftlicher Prosperität. Die Beglaubigung von erbrechtlichen Verfügungen durch

698 BL II,161, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 949 f.: „Si possessor per violentiam expellatur. Quicunque violenter expulerit possidentem, priusquam pro ipso Iudicis sententia praecedat, si causam meliorem habuerit, ipsam causam de qua agitur, perdat; ille vero qui violentiam pertulit, universa in statu quo fuerant recipiat, et quae possedit securus teneat. Si vero illud invadit quod per iudicium obtinere potuit, et causam amittat, et aliud tantum quantum invasit reddat expulso.“; zur Quelle s. SECKEL, Studien VII,1 1909, 376. 699 BL II,282, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 970: „Ut potentiores non opprimant pauperes“; Quelle nach SECKEL, Studien VII 1910,444. 700 BL I,247, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 872 und BL II,271, ebenda 967; Identifikation der Quelle nach SECKEL, Studien VI 1906, 97 und VII 1910, 442. 701 Wenn es sich nicht etwa um eine flankierende Maßnahme zur Münzverschlechterung handeln sollte, ist die Bestimmung BL Ad. IV,110, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1217 in dieser Weise zu werten: „Ut nummos bonos nullus respuat. De bonis denariis, quos populus recipere non vult, volumus ut hoc observetur et teneatur quod in priori Capitulare nostro conscriptum est, id est, in libro quarto, capitulo XXX. ‘Quicunque liber homo vel in emptione vel in debiti solutione denarium merum et bene pensantem recipere noluerit, bannum nostrum, id est, sexaginta solidos, componat. Si vero servi ecclesiastici aut fiscalini nostri, aut Comitum aut Vassallorum nostrorum, hoc facere praesumpserint, sexaginta ictibus vapulent. Et si actores nostri aut aliorum vel Advocati eos Missis nostris vel Comitibus iussi praesentare noluerint, praedictum bannum, id est, sexaginta solidos, componant.’ Et ad hanc constitutionem nostram adimplendam Episcopi et Abbates, sive reliqui qui beneficia nostra habent, adiuvent Comites in suis hominibus distringendis. Et si Comites hanc nostram Constitutionem neglexerint, hoc per Missos nostros ad nostram notitiam perferatur.“; Die von Benedikt bekräftigte Bestimmung stammt wohl, wie angegeben, aus Ansegis, Capitularium IV,30. – Das Problem der Zurückweisung der „guten Denare“ bestand fort, sodass Karl der Kahle im Edictum Pistense, cap. 22 (MGH Cap. II,2, 319) das Problem erneut behandelte. 702 BL II,378, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 992 f.: „Generaliter omnibus. Ut aequales mensuras et rectas et pondera iusta et aequalia omnes habeant, sive in civitatibus, sive in monasteriis, sive ad dandum, sive ad accipiendum, sicut in Lege Domini praeceptum habemus.“; Nach SECKEL, Studien VII 1910, 490 ist die Hauptquelle für die Bestimmung die Admonitio generalis (789), cap. 74 (der Text ist übrigens derselbe, neu ed. cap. 72 in: Die Admonitio generalis 2013, S. 226 f.).

2.5 Von der Kirchenstaatlichkeit zum Staat der Karolinger

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staatliche respektive obrigkeitliche Gewalten703 kann nur dann sinnvollerweise gefordert werden, wenn die staatliche Anerkenntnis Vorteile für den Erblasser bringt, ihm etwa die größtmögliche Sicherheit verschafft, dass sein letzter Wille auch umgesetzt werden wird. Dem Erhalt der Infrastruktur dient die herrscherliche Aufforderung, zerstörte Brücken auf königlichen Befehl hin zu reparieren704 und das Verbot, öffentliche Straßen und Wege zu schließen.705 Jede staatliche Ordnung verlangt notwendigerweise nach der Treue ihrer Amtsträger. Das tut auch der Staat des Benedictus Levita, wenn der König gebietet, dass die „Consiliarii Regis munus non accipiant ob beneficium aliis impetrandum“. Und es wird dann auch klar gesagt, dass dies eine Frage der Loyalität dem König gegenüber sei.706 Ähnlich wird in einer weiteren Bestimmung darüber geklagt, dass „quicunque Vicarii et alii Ministri Comitum“ einen höheren Betrag „a populo“ eintreiben, als ihnen von den missi des königlichen Vaters zugestanden worden sei.707 Das letzte Beispiel erinnert daran, dass nicht nur die Frage im Raum steht, ob Staatlichkeit oder nicht, sondern letztlich welcher Grad von Staatlichkeit herrschte und wie – wenn möglich – das Verhältnis von Anspruch und Wirklichkeit einzuschätzen ist. Dabei ist davon auszugehen, dass beide in einem Verhältnis zueinander standen und die Wirklichkeit von den Manifestationen des Anspruchs in den Bestimmungen noch berührt worden sein wird bzw. dies der Kompilator und wohl auch die jeweiligen Autoren der Quellen annahmen. Mit den von ihm ausgewählten Kapiteln aus den Beschlüssen von Paris (829) zeigt Benedictus Levita sein „staats“-theoretisches Konzept der Verklammerung von geistlicher und weltlicher Sphäre in einer Gesellschaft, zu deren Benennung der Begriff „Kirche“ dient. Nun soll hier nicht bereits das Konzept von Paris ausgebreitet und untersucht werden. Stellvertretend für alle weiteren Zitate aus karolingischen Rechtsquellen, die Benedikt zur Darlegung seiner Konzeption der gesellschaftlichen

703 BL II,212, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 960: „Qui filios non habuerit, et alium quemlibet heredem sibi facere voluerit, coram Rege vel coram Comite et Scabinis, vel Missis dominicis, qui ab eo ad iustitias faciendas in provincia fuerint ordinati, traditionem faciat.“; Quelle nach SECKEL, Studien VII,2 1910, 175 im Capitulare legi Ribuariae additum (803). 704 BL Ad. IV,112, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1217 f. – Zur Sorge Karls des Großen um den Erhalt bzw. die Verbesserung der Infrastruktur im Frankenreich s. RÖSENER, Königshof und Herrschaftsraum 2003, 449–451. 705 BL I,353, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 900; zur Verarbeitung der Quelle (Lex Baiuwariorum X,19) s. SECKEL, Studien VI 1906, 118. 706 „Ut Consiliarii Regis munus non accipiant ob beneficium aliis impetrandum. Ut nullus de Consiliariis nostris propter beneficium cuilibet a nobis impetrandum munera accipiat, quia nos volumus illi beneficium dare qui nobis bene servierit.“, BL I,377, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 904; SECKEL, Studien VI 1906, 124 vermutet als Quelle ein verlorenes Kapitular Ludwigs des Frommen oder eines seiner Söhne. 707 BL Ad. IV,116, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1218.

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2 Kirchenorganisation im Reich der Karolinger

Ordnung beibringt,708 soll hier ein Zitat der Episcoporum ad Hludowicum imperatorem relatio (829), nämlich cap. 3, näher untersucht werden.709 Der ursprüngliche Zusammenhang hat keine Relevanz für die Konzeption Benedikts. Die Bestimmung steht im Zusammenhang mit den in diesem Kapitel untersuchten Bestimmungen seiner Kapitulariensammlung: Quod eiusdem Ecclesiae corpus in duabus principaliter dividatur eximiis personis. Principaliter itaque totius sanctae Dei Ecclesiae corpus in duas eximias personas, in sacerdotalem videlicet et regalem, sicut a sanctis patribus traditum accepimus, divisum esse novimus. De qua re Gelasius Romanae sedis venerabilis Episcopus ad Anastasium imperatorem ita scribit: ‘Duae sunt quippe, inquit, imperatrices augustae quibus principaliter mundus hic regitur, auctoritas sacrata Pontificum, et regalis potestas; in quibus tanto gravius pondus est sacerdotum quanto etiam pro ipsis Regibus hominum in divino reddituri sunt examine rationem.’ Fulgentius quoque in libro de veritate praedestinationis et gratiae ita scribit: ‘Quantum pertinet’ inquit, ‘huius temporis vitam, in Ecclesia nemo Pontifice potior, et in seculo Christiano Imperatore nemo celsior invenitur’.710

Der Satz des Papstes Gelasius geht von der römischen Weltherrschaft aus und spricht daher von den Zweien, die die „Welt“ regieren.711 Der Text der Episcoporum relatio, den Benedikt mitteilt, ersetzt den Begriff „mundus“ durch „corpus ecclesiae“. In beiden Fällen versuchen die Autoren die gesellschaftliche Gesamtheit abzubilden, wie sie sich ihnen darstellt. Gelasius hatte als Gesamtheit das Imperium Romanum vor Augen, durchaus auch unter dem Gesichtspunkt der Herrschaft Christi, die er nur auf dieses Imperium beziehen konnte. Das römische Reich in seiner Gesamtheit stellte sich nicht nur als Hauptteil der bewohnten Welt dar, sondern auch als Heimat des christlichen Glaubens. Was nun hatten die fränkischen Bischöfe im Jahr 829 bzw. mit ihnen Benedikt damit anzufangen? Sie gehen ekklesiologisch völlig korrekt davon aus, dass an Stelle des Begriffes Imperium Romanum eigentlich ein Begriff für die Kirche

708 Vgl. z. B. BL Ad. II,24, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 1146 f.; BL Ad. II,25, ebenda 1147–1149 und BL Ad. II,28, ebenda 1150–1154. 709 MGH Cap. I,2, Nr. 196, S. 29. 710 BL I,319, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 890; zur Quelle s. SECKEL, Studien VI 1906, 108. – BL I,318, ed. Baluze, aus Mansi 17B, 890: „Quod universalis sancta Dei Ecclesia unum corpus, eiusque caput Christus sit. Primum igitur, quod universalis sancta Dei Ecclesia unum corpus manifeste esse credatur, eiusque caput Christus, apostolicis oraculis approbatur. Unde Paulus: Vos autem estis, inquit, corpus Christi et membra de membro. Itemque: Sicut enim in uno corpore multa membra habemus, omnia autem membra non eundem actum habent, ita multi unum corpus sumus in Christo. Item: Cuius caput est Christus, ex quo totum corpus per nexum et coniunctiones administratum crescit in templum sanctum in Domino. Sunt et alia huiusce rei innumera exempla, quae hic, ob prolixitatem vitandam, praetermittuntur. Quisquis ergo per aliqua inlicita ex membro Christi se fecit membrum diaboli, noverit se in corpore Christi non esse, sed in corpore diaboli. Proinde necesse est ut corpori Christi, a quo astutia diabolica separatus est, se incunctanter, dum tempus poenitentiae in promptu habetur, restituere non neglegat.“ 711 Gelasius an Kaiser Anastasius (494), in: Thiel 1868, Nr. 12, S. 349–354; Text und Übersetzung in: RAHNER, Kirche und Staat 1961, 254–263, die zitierte Passage ebenda 256 f. Mischa MEIER, Gelasius 2014, 145 f. bezeichnet das Verhältnis denn auch als „Aufgabenteilung“.

2.5 Von der Kirchenstaatlichkeit zum Staat der Karolinger

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Christi stehen müßte, da das der Begriff für die Universalität christlicher Gesamtgesellschaft ist. Hatte die antike Quelle die politisch-ekklesiologische Gesamtheit aufgeteilt in weltliche und geistliche Gewalt, so ergibt sich für den karolingischen Text aus der Wahl des universalen Begriffes „ecclesia Christi“ die Unmöglichkeit, ebendies fortzusetzen. Daher nehmen die Bischöfe, mit ihnen Benedikt, die Aussage in zwei Punkten zurück. Sie sprechen nicht mehr von „auctoritas“ und „potestas“,712 also nicht mehr mit Herrschaftsbegriffen,713 sondern von „personae“,714 was nicht zu verwechseln ist mit unseren natürlichen Personen.715 Wie im Glaubensbekenntnis sind „personae“ zu verstehen als individualisierte fortwährend bestehende Kräfte einer Gesamtheit bzw. Einheit. Nun setzen die Bischöfe hinzu, das diese „personae“ „eximiae“ seien, also von einander verschieden, besonders. Die Bischöfe und Benedikt konstruieren also eine idealisierte, aber als real bestehend vorgestellte politische Gesamtheit, indem sie die faktischen Zuständigkeiten beider „personae“ auf die gesamte Kirche Christi beziehen. Nimmt man das „totius“ als die Idealisierung und begreift die karolingische Auffassung als Beschreibung der karolingischen Gesamtgesellschaft, so ergibt sich daraus, dass man getrost davon ausgehen darf, dass beide „personae“ die (karolingische) Kirche leiten, die auf Erden eine politische Gemeinschaft ist.716 Kirche wird somit zum politischen Begriff, der nicht im Gegensatz zu „Welt“ steht, sondern „weltlich“ und „geistlich“ umgreift. Diese Überlegungen zum karolingisch-kirchlichen Staatsbegriff können natürlich nur vorläufig sein. Sie dienen aber zur Ergänzung und Illustration der Beobachtungen zu den von Benedictus Levita mitgeteilten normativen Bestimmungen im Einzelnen und seinem Konzept von gesellschaftlicher Ordnung, das als Konzept von Staatlichkeit aufgefasst werden darf.

712 Zur Unterscheidung von potestas und auctoritas siehe die Forschungsdiskussion bei ANTON, Konzept karolingische Synoden [1979] 2002, 179 ff. Zum früh- und hochmittelalterlichen Begriff der „potestas“ und seiner Nähe zum „Forschungskonzept der ‚Herrschaft‘“ s. grundlegend nun GOETZ, Potestas 2002, 65. Zu dem Begriffspaar s. auch PATZOLD, Bischöfe im karolingischen Staat 2006, 142 f., der es mit dem Originalzitat dem karolingischen Denken integriert sieht. 713 Zum Gebrauch beider Begriffe im Konzept des Gelasius s. Richard KLEIN, Politisches Denken des Christentums 1988, 624. 714 S. zum Gebrauch des Begriffes „persona“ in diesem Zusammenhang auf dem Konzil von Aachen 836 PATZOLD, Bischöfe im karolingischen Staat 2006, 143. – PATZOLD, Episcopus 2008, 156 f. weist auf den abgewandelten Begriffsgebrauch im Konzil von Paris hin und sieht deutlich, dass damit der „König in die ecclesia“ gestellt wird. 715 S. zum Begriff auch DE JONG, Ecclesia 2006, 130. 716 Zur Komplementarität beider Gewalten in der Konzeption des Konsils von Paris s. ANTON, Konzept karolingischer Synoden [1979] 2002, 191. S. auch DE JONG, Ecclesia 2006, 130.

Dass den Großen auch zur Zeit Karls des Großen eine entscheidende Rolle zufiel, ist auch auf der Basis der Vorstellung von der Dichotomie von Herrscher und Großen, von „Herrschaft und Genossenschaft“ mittlerweile keine Frage mehr.1 Eine Frage aber ist, worin sie diese entscheidende Rolle spielten bzw. in Bezug auf was. Der Begriff „regnum“ als Behelf für die Bezeichnung der Herrschaftsordnung sagt nichts aus, was geeignet wäre, ebendiese Herrschaftsordnung näher zu beschreiben. So muss es sich doch um eine politische Gemeinschaft handeln, in der Herrscher und Große eine Rolle spielen. Aus ihrem politischen Handeln selbst ergibt sich dieser Tatbestand. Über die Beschaffenheit dieser politischen Gemeinschaft haben sich die Zeitgenossen erst recht spät Gedanken gemacht. Ihnen genügten Termini wie „regnum“ und „res publica“. Der Begriff der „res publica“ unterlag einem Wandel; ausgehend von einer undifferenzierten Bedeutung als „politische Gemeinschaft“, wobei die Quellen ihrerseits nahelegen, dass es sich weniger um eine politische Gemeinschaft als um eine beherrschte Gemeinschaft gehandelt habe, erfährt der Begriff im Laufe des theoretischen Erwachsens dieser Gesellschaft während des 9. Jahrhunderts eine erhebliche Inhaltsanreicherung.2 Während also die Quellen zunächst die Frage nach der Qualität der Gemeinschaft, die dem Herrscher von Gott anvertraut wurde, gar nicht stellen, und ihnen offensichtlich die staatstheoretischen Vorgaben des Alten Testaments in dieser Hinsicht genügen, während sie intensiv den Herrscher selbst in seiner Beziehung zu Gott definieren und seine Aufgaben feststellen, ohne ihn aber in wirkliche Beziehung zu seinem populus zu setzen, besteht faktisch ein komplexes Gefüge, das den Herrscher einbegreift. In dem folgenden großen Abschnitt wird es um die reichsweite politische Ordnung gehen, die auf der transpersonalen Ordnung von Familien und Kirchen beruht. Dazu ist in einer Art Annäherung an die tatsächlichen Reichsstrukturen zu zeigen, wie die Verbände miteinander als Reichsverband funktionieren, und welche Rolle dabei dem Königtum zukommt. Dazu ist zu unterscheiden zwischen Konsens und Mitwirkung der Großen, schließlich nämlich, um methodisch sauber zeigen zu können, dass auch im bloßen Konsens eine Form der Mitwirkung liegt, die aber in Gestalt des Passiven vorliegt, um bei anderer Gelegenheit zu einer aktiven Mitwirkung zu werden. Einzelne Redundanzen sind so nicht zu vermeiden, weil mitunter passive und aktive Mitwirkung eng ineinandergreifen.

1 AFFELDT, Mitwirkung des Adels 1972. S. ausführlich oben, Einleitung, 5.5. 2 So sieht ANTON, Fürstenspiegel 1968, 250 den Begriff „im Reich Karls des Kahlen seinen antiken Wertakzent“ zurückerhalten. – Vgl. auch schon die Beobachtungen von TREMP, Stabilitas 1998, 115 f. zum Gebrauch des Begriffes beim Astronomus. – Vgl. auch DEUTINGER, Königsherrschaft 2006, 24–28. – S. zu res publica und regnum KRAH, Anerkennung und Integration 2004, 169 f. https://doi.org/10.1515/9783110641936-partIII

1 Karolingische politische Theorie – Von der Gemeinschaft als domus des Herrschers zum Verband aus res publica und ecclesia Am Anfang des karolingischen Königtums steht die Leistung einer Familie, der es gelungen ist, auf dem Boden des Frankenreiches und mit den bestehenden Verbänden eine neue politische Gemeinschaft zu begründen, eine politische Ordnung nämlich zu errichten, deren Kulminationspunkt sie selbst war. Das „Königtum der Familie“1 ist ein wesentliches Merkmal der Erhebung von 751/754. Diesem Prinzip folgte Pippin schließlich auch in seiner Nachfolgeregelung. Nach dem Tod Karlmanns 771 aber herrschte Karl der Große allein. Es ist gewissermaßen seiner Tatkraft zu verdanken, dass die Familie der Karolinger, nun wieder als Kleinfamilie, dieser Kulminationspunkt des Reiches blieb, an dem sein Bestand gewissermaßen seinen festen Punkt erhielt. Nicht umsonst betonen denn auch das Umfeld Karls und er selbst die persönliche Leistung des Frankenkönigs weit mehr als die der herrscherlichen Familie oder gar der Gesamtheit der Franken. Bis zum Kaisertum Karls und durchaus auch noch danach ist es ja Karl selbst, der die Familienherrschaft innehat und nur in engen Grenzen an seine Söhne delegiert. Die Annales Mettenses priores, die ja bekanntlich die Karriere der Karolinger und in besonderem Maße Karls selbst ex eventu betrachten, also nach erlangter Kaiserkrönung, schildern schließlich den Weg zum Kaisertum als eine Leistungskarriere. Die Zustimmung Gottes zu seiner Herrschaft erlangt Karl durch den Nachweis seiner Idoneität. Das Königtum Karls, mehr noch sein Kaisertum, hat eine besondere persönliche Qualität und noch wenig institutionelle Kraft. Königtum wie Kaisertum ist nicht zu trennen von der Person Karls; und die Vorstellung der Nachfolge als der Herrschaftsweise Karls gleichartig bereitet offensichtlich ein gewisses Unwohlsein. Bereits die Erhebung zweier seiner Söhne zu Königen an Ostern 781, die kaum zur Klärung beitragende Königserhebung Karls des Jüngeren aus Anlass von Karls eigenem Kaisertum sowie die Divisio regnorum, deren Inhalt ja gerade die Teilung der Herrschaft zur gesamten Hand2 bedeutete, zeigen die Vorstellung der Zeitgenossen und Karls selbst von der Möglichkeit einer Fortführung seiner Herrschaftsweise. Dass am Ende der ungeliebte Ludwig übrig bleiben würde, dem man nun die Herrschaft in der tatsächlichen Nachfolge Karls als König und Kaiser zufallen lassen musste, bedeutete zwar äußerlich eine Fortführung der Herrschaftsweise des Vaters, die aber nun nicht mehr mit Leistung begründet werden konnte.

1 S. zur Herleitung STROTHMANN, Königtum Pippins 2008. 2 Der Begriff ist zu verstehen als Terminus technicus, ohne auf vermeintliche „germanische“ Wurzeln zu verweisen. https://doi.org/10.1515/9783110641936-009

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1 Karolingische politische Theorie

Karl war David, dessen persönliche Leistung ihn dazu befähigt, das Volk Gottes zu führen.3 So hatte vor allem Alkuin Karl gesehen. Karl sei gewissermaßen wie David dem Volk von Gott als König gewährt worden.4 So erlangte in der Zeit Karls des Großen auch der Vergleich des Frankenreiches mit dem Alten Bund einige Bedeutung.5 Das war die naheliegende Chiffre zur Erfassung dessen, was man sonst nur als „regnum“ bezeichnen konnte, was zwar faktische Transpersonalität besaß, bis dahin jedoch keine theoretische Fassung erhalten hatte. Ludwig der Fromme wurde zwar gelegentlich als David apostrophiert, durchgesetzt hat sich das indes nicht. 6 Bereits zur Zeit Karls des Großen begann man, das Königtum als ein ministerium Gottes zu definieren, wobei jedoch die Konsequenzen dieser Sicht zunächst nicht durchdacht wurden. Auch erscheint zur Zeit Karls des Großen bereits der Begriff „res publica“ zur Bezeichnung von Karls regnum, dies jedoch zunächst wohl auch aus stilistischen Gründen, in der Dichtung nämlich. Sowenig die Herrschaft Ludwigs des Frommen die tatsächliche Fortführung der väterlichen Herrschaft war,7 so sehr bediente sich Ludwig doch der väterlichen Herrschaftsidee. Die von Karl in harter Arbeit erworbene Gottesnähe fiel Ludwig so gewissermaßen zu. Nur konnte Ludwig kaum den Karls Herrschaft tragenden militärischen Erfolg geltend machen, was ihn dazu veranlasste, die Vorstellung vom Kaisertum als einem ministerium Dei auszubauen. Ohne aber eigene Leistung vorgewiesen zu haben – in Aquitanien war ihm dies vom Vater geradezu unmöglich gemacht worden –, bekam dieses ministerium, das von Ludwig und seinem Kreis zunehmend kirchlich ausgestaltet wurde, etwas Unwirkliches.8

3 Alkuin verbindet David und Karl eben in dieser Aufgabe, das Volk Gottes zu führen, ANTON, Fürstenspiegel 1968, 422 und ausführlich ebenda 109. – MOHR, Karolingische Reichsidee 1962, 44 ff. u. ö. sieht das „Davidische Königtum“ als das tragende Konzept Karls von seinem Königtum, auch über die Kaisererhebung hinaus. 4 Alkuin an Karl den Großen (794/95), Epistola Alcuini 41, MGH Epp. 4 (II), S. 84 f.: „Ita et David olim praecedentis populi rex a Deo electus [. . .] qui [. . .] David regem populo suo concessit rectorem et doctorem.“ – Vgl. BULLOUGH, Alcuin 2004, 368. 5 Dieser Vergleich kam wie der Davidvergleich durchaus auch von römischer Seite, EWIG, Königsgedanke 1956, 44. f. u.ö. S. aber auch Annales Petavini 788, MGH SS 1, S. 17: „[. . .] et idem anno pugnavit omnipotens Deus pro domno Karolo sicut fecit pro Moyse et filios Israel quando demersus fuit Farao rubro mari [. . .].“ 6 ANTON, Fürstenspiegel 1968, 423. Selbst der Vergleich Ludwigs mit Salomo, dem Friedensherrscher, erlangte nicht die Bedeutung, wie er sie in Bezug auf Karl den Kahlen bekam, ebenda. 7 SEMMLER, Renovatio Regni Francorum 1990 betont ausführlich die konzeptionelle Leistung Ludwigs in der Neugestaltung des Reiches. 8 STAUBACH, Quasi semper in publico 1998, 589 sieht Ludwig den Frommen durch den Amtsgedanken „sachlichen Erfolgskriterien“ unterworfen. STAUBACH ebenda 590 sieht in der Konsequenz Ludwig den Frommen als „Opfer seiner Reformideale“, weil im Falle des Konflikts zwischen den Gewalten er durch den kirchlich vermittelten ministeriums-Begriff dem Episkopat ausgeliefert war. – Vgl. zum ministerium Ludwigs des Frommen GARIPZANOV, Symbolic Language 2008, 301 f.

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Bereits der Vergleich von Divisio regnorum und Ordinatio imperii zeigt doch, dass Ludwigs Handeln mehr aus dem Himmel heraus inspiriert wird, als das seines Vaters.9 Während Karl der Große dem Zusammenhang von Söhnen und Bedürfnissen der Großen Rechnung trägt und dies schließlich mit Gottes Willen begründet, argumentiert Ludwig von oben. Er habe zwar drei Söhne, dies sei jedoch kein Zeichen Gottes zur gleichrangigen Beteiligung der drei, sondern müsse verstanden werden als „Versuchung“. So wird in der Bestellung Lothars zum Mitkaiser und Nachfolger und in der Nachordnung seiner Brüder eine Herrschaftsvorstellung sichtbar, die nicht von der aktuellen politischen Lage und ihren Bedingungen ausgeht, sondern von mutmaßlich kirchlich vermittelter Idee von Monarchie und patria potestas. Ludwig zeigt sich mehr als Abt eines benediktinischen Klosters denn als Vorsteher einer Versammlung von Großen, die sein Vater durchaus angemessen zu beteiligen gewohnt war. So erscheint es doch als gewagt, die Nachfolgeordnung von der Meinung einer sanior pars abhängig gemacht zu haben, und nicht den durchgehenden Konsens mit den Großen gesucht zu haben, was ja auch die nochmalige Verlesung und Beeidung der Ordinatio imperii auf dem Reichstag von Nijmegen (821) deutlich macht. In der Admonitio ad omnes regni ordines (823–825) wird denn auch das Kaisertum, das bei den Franken das Königtum umgreift und nicht wie zu späteren Zeiten ergänzt, klar als ein ministerium artikuliert.10 Die Verantwortlichkeit des Kaisers besteht in der Theorie nun gegenüber Gott nahezu allein.11 Während noch in der Admonitio ad omnes regni ordines eine gewisse Einschränkung vorgenommen wurde, die der Mitwirkung der Großen als „adiutores“ eine Beteiligung am kaiserlichen ministerium gewährte,12 verliert sich das in der folgenden Zeit ganz.13 Die Herrschaft als ein von Gott verliehenes ministerium charakterisiert die Herrschaftsauffassung Ludwigs des Frommen.14 Dieser Gedanke bildet wohl auch den Kern des Denkens der sogenannten „Reichseinheitspartei“. Die Vorstellung allein, dass eine

9 HANNIG, Consensus fidelium 1982, 253. 10 MAYER, Staatsauffassung 1956, 174. – Vgl. zum Begriff „ministerium“, seiner besonderen Rolle seit Ludwig dem Frommen, mit weiterer Literatur, und zur Admonitio ad omnes regni ordines (823/25) PATZOLD, Episcopus 2008, 140–144. 11 Smaragd von St. Mihiel, Epistola nuncupatoria zur Via Regia, Migne PL 102, 933–936: „Deus omnipotens, te, o clarissime rex [. . .] in filium adoptavit.“ Vgl. ANTON, Fürstenspiegel 1968, der das Herrscheramt bei Samaragd von St. Mihiel „als von Gott verliehenes Ministerium“ bezeichnet. – Jonas von Orléans, Historia translationis Sancti Hucberti, Migne PL 106, 387–394, 389: „Decebat quippe Christum talem ac tantum imperio suo praeficere principem, in quo non modo aviti specimen eluceret imperii, sed et [. . .].“ 12 PATZOLD, Bischöfe im karolingischen Staat 2006, 142. 13 MOHR, Materialien 2001, 641 f. 14 MOHR, Karolingische Reichsidee 1962, 89. – Vgl. zum Begriff im Gebrauch Ludwigs und für Ludwig sowie zu seinem darin zum Ausdruck gebrachten Selbstverständnis SASSIER, Représentation 2018, bes. 179 f.

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gemeinschaftliche Führung des Frankenreiches durch Angehörige der karolingischen Familie die Zerstörung der Einheit des Reiches bedeute, setzt voraus, dass die politische Organisation nicht den sozialen Gegebenheiten folgt, sondern die himmlische Herrschaft abbilden müsse. Und das verlangt nach der Durchsetzung der ungeteilten (möglichst) universalen Monarchie; das erst verlangt nach einer Gleichsetzung von regnum und ecclesia. Wenn die Herrschaft nach diesen Kriterien von Gott verliehen wird,15 muss sich ein Herrschaftsbegriff ausbilden, der in seinem Absolutheitsanspruch unweigerlich auf Widerstand treffen wird. Es ist am Vorabend der ersten manifesten Widerstände gegen Ludwigs Regiment das Konzil von Paris (829), das noch einmal deutlich macht, dass alle Herrschaft von Gott ist und ausdrücklich festhält, dass das regnum terrenum nicht von den Menschen stammt, sondern eben von Gott.16 Zugleich wird in den Akten dieses Konzils erstmalig ein transpersonaler Reichsbegriff deutlich.17 Es war folglich den Bischöfen kurz vor Ausbruch der ersten massiven Krise der Herrschaftsordnung Ludwigs des Frommen durchaus klar, dass das regnum etwas anderes war als die Befehlsordnung des Kaisers. So fließt ein „regnum“-Begriff in die Ausführungen der Konzilsakten ein, der nun gar nicht als Begriff königlicher Herrschaft, sondern nur als transpersonaler Reichsbegriff zu verstehen ist.18 Daneben besteht aber die Vorstellung fort, dass der Kern der königlichen Herrschaft die Familie sei.19 Das ist zunächst irritierend, da doch die patria potestas des Kaisers gerade in der Staatstheorie dadurch eingeschränkt wird, dass ein

15 S. etwa Ermoldus Nigellus, In honorem Hludowici II, S. 63 f., in: MGH Poetae latini II, S. 26: „Francia me genuit, Christus concessit honorem, Regna paterna mihi Christus habere dedit.“ 16 Concilium Parisiense (829), cap. 59, MGH Conc. II,2, Nr. 50, S. 655; s. a. ebenda cap. 62, S. 659 f. 17 Die Auffassung von FRIED, Herrschaftsverband 1982, 36, dass das Reich gar nicht theoretisiert würde, beruht wohl auf der immer noch ausgeprägten Reflexion des Königsamtes in den Akten des Konzils von Paris. 18 Concilium Parisiense (829), cap. 62, MGH Conc. II,2, Nr. 50, S. 660 nach einem erneuten Hinweis auf das Gebot, der königlichen Gewalt zu gehorchen: „Quapropter necesse est, ut unusquisque fidelis tantae potestati ad salutem propriam et ad honorem regni secundum Dei voluntatem, utpote membrum capiti, opem congruam ferat plusque in illo generalem profectum et utilitatem atque honorem regni quam lucra quaerat mundi, quatenus his saluberrimis opitulationibus sibi vicissim suffragentes aeterno regno pariter mereantur perfrui felices.“ – S. auch Concilium Parisiense (829), cap. 91 (Epistola episcoporum cap. 24), MGH Conc. II,2, Nr. 50, S. 678: „Rogamus etiam vestram pietatem propter divinam misericordiam vestramque salutem ac totius populi utilitatem necnon et regni honorem atque stabilitatem, ut vestra pietas solertissimam vigiliantiam adhibeat quatenus consiliarii et dignitatis vestrae ministri custodesque animae vestrae et corporis, qui debent esse intra regnum aliis decus et bonitatis exemplum et in exteris nationibus bonae opinionis condimentum, caritatem, pacem atque concordiam omni simulatione et calliditate postposita ad invicem habeant, ut secundum Dei voluntatem et vestram honestatem atque totius regni profectum communiter decertent et veri vobis adiutores in omnibus concorditer existant [. . .].“ 19 S. Abschnitt „Die Herrscherfamilie“. Ausführlich macht dies FRIED, Herrschaftsverband 1982 zum Thema.

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transpersonaler Reichsbegriff eingeführt werden muss. Wieso dies in der domus des Herrschers nicht analog geschieht, also die Herrschaft der Familie als Ganzer betont wird, bedarf der Erklärung. Die Kategorien der Zeit sind biblisch begründet. Das gilt für die Herrschaft des Kaisers in der Familie genauso wie im Reich. Erst äußere Zwänge verlangen nach Korrekturen. Im Reich ist es die faktische Macht der Großen und unter ihnen besonders der Kirchen, die nach einer neuen Auffassung vom Reich verlangen. In der Familie dagegen, die ja die Herrschaftsstrukturen des Reiches abbildet, hat ein analoger Gedanke keinen Platz, weil für die innere Struktur einer Familie kein alternatives theoretisches Angebot bereitsteht. Während der Staat vermittels der Kirche transpersonal denkbar wird, nämlich in Analogie zur Transpersonalität der Kirchen, bleibt die Familie theoretisch an die Hausherrschaft des Vaters gebunden. Das zeigen die vielen biblisch begründeten Aufforderungen an die Söhne, in die Herrschaft des Vaters zurückzukehren. Die Partei etwa Lothars kann dem nicht wirklich etwas entgegensetzen, weil die Rolle des Sohnes biblisch klar definiert ist. Die Rolle der Großen jedoch lässt sich aus dem neutestamentlichen Kirchenbegriff ableiten. Wenn nämlich nicht mehr das Verhältnis des Herrschers zum Volk in strikter Analogie zum Verhältnis von Christus zur Kirche gesehen wird, sondern zum Verhältnis zwischen dem Bischof und seiner Gemeinde. Darin liegt letztlich der Schlüssel zur Lösung des Konfliktes zwischen Realität und Theorie in der karolingischen Herrschaftsordnung. Ein solcher Prozess deutet sich bereits in den Akten des Konzils von Paris an, nämlich an der Stelle, an der das Verhältnis zwischen Reich und Kirchen definiert wird. Erstmals wird in der karolingischen Herrschaftsidee der Satz des Gelasius „Duo quippe sunt [. . .]“ eingeführt.20 Damit machen die Bischöfe deutlich, dass sie zwar Verantwortung für das Reich übernehmen wollen und auch des königlichen Schutzes bedürfen, die Kirchen jedoch nicht mehr wie früher als Teil des Reiches betrachten wollen. Die Kirchen beginnen, das Reich und die Kirchen als parallele Institutionen zu betrachten, wie das bei Benedictus Levita an zahlreichen Stellen deutlich wird. Zugleich aber besteht zunehmend die Notwendigkeit, die politische Gesamtheit des Frankenreiches zu bezeichnen, zu der die Kirchen natürlich dazugehören. Man löst das Problem letztlich, indem „regnum“ zum Begriff für die Gesamtheit der karolingischen politischen Ordnung wird, der die Kirchen einschließt, und „res publica“ bzw. auch „publicum“ in Abgrenzung zu „ecclesia“ gebraucht wird.21

20 HARTMANN, Synoden 1989, 182 f. – Concilium Parisiense (829), cap. 3, MGH Conc. II,2, Nr. 50, 610 f. 21 Vgl. mit Belegen zu den Bereichen res privatae, res publicae, res ecclesiasticae „Kirchen und Köster“, 2.3.2. und 2.3.5. sowie allgemein WEHLEN, Geschichtsschreibung 1970, 54 f. – So etwa bei Sedulius Scottus, ANTON, Fürstenspiegel 1968, 279. – Zur Unterscheidung von „utilitas publica“ und „res privatae“ beim Astronomus vgl. TREMP, Stabilitas 1998, 115. – Vgl. grundsätzlich dazu auch DEUTINGER, Königsherrschaft 2006, 28.

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Vorrangig in den Akten des Konzils von Paris ist die Vorstellung vom Königsamt als ministerium Dei.22 Dem Autor, wohl Jonas von Orléans, war die Konsequenz kaum wirklich klar. Ihm und mit ihm den beteiligten Bischöfen ging es vornehmlich um die Bindung des Herrschers an die theologisch begründeten ethischen Vorgaben, die das kirchliche Denken für den Herrscher bereithielt. Dazu war die Verantwortlichkeit des Herrschers vor Gott festzustellen und detailliert zu regeln. Im Ergebnis erlangten die Kirchen so die teilweise Kontrolle staatlicher Ordnung, da sie schließlich als diejenigen, die die Regeln festsetzten und formulierten, auch ihre Einhaltung überwachten. Dabei geht es nicht vorrangig um die Frage, wie gut die Kirchen damit ihr Eigentum vor herrscherlichen Übergriffen schützen konnten, sondern vielmehr um die Erhaltung der politischen Stabilität des Frankenreiches zum Schutz der Kirchen, mithin auch der Laien. Die Kirchen hatten ein vitales Interesse an Erhalt und Ausbau karolingischer Staatlichkeit, da ihre eigene Staatlichkeit als ekklesiologische Notwendigkeit angesehen wurde und nur durch den karolingischen Staat in ihrem Bestand sicher war. Die Übertragung kirchlicher Vorstellungen von Staatlichkeit auf die politische Ordnung des Frankenreiches, wie sie erstmalig in Paris möglich scheint, erhält die Fiktion der irdischen Ungebundenheit des Herrschers, zugleich lässt sie die Mitwirkung der Großen als Teilhabe am kaiserlichen ministerium zu und legitimiert sie.23 Damit scheint eine Lösung gefunden zu sein, wie das Zusammenwirken der Gewalten geordnet werden konnte. Die vermeintliche Lösung kam jedoch zu spät. Das reichte nicht. Das ministerium des Herrschers erlaubte weiterhin seine relative Entrückung, und die Teilhabe am herrscherlichen ministerium unter Maßgabe der herrscherlichen Befehlsgewalt entprach nicht mehr den Erfordernissen adeligen und kirchlichen Selbstverständnisses. Außerdem erklärte die Auffassung vom herrscherlichen ministerium Dei nicht die Rolle der Söhne und auch nicht die Rolle der Ehefrauen und ihrer Familien. Nach den Herrschafts- und Nachfolgekrisen der dreißiger und frühen vierziger Jahre des 9. Jahrhunderts musste eine neue Form gefunden werden, mit der die Herrschaftsordnung

22 S. etwa Concilium Parisiense (829), cap. 23, MGH Conc. II,2, Nr. 50, S. 627: „Ut pastores gregem sibi commissum non ut proprium, sed ut dominicum tractare meminerint.“ – Vgl. explizit ebenda cap. 56, S. 652. Vgl. ausführlich bei Jonas von Orléans, De Institutione Regia, ed. Dubreucq, cap. 4, 5 und 7. 23 Schon in der Admonitio ad omnes regni ordines (823–825), cap. 8, S. 304. – S. zur Teilhabe am kaiserlichen ministerium EWIG, Königsgedanke 1956, 71; SEMMLER, Renovatio Regni Francorum 1990, 136 f. sieht in diesem ministerium auch die Söhne einbegriffen. Agobard von Lyon dagegen schreibt an den Grafen Matfrid (MGH Epp. Kar. III, S. 201–203, S. 201), dass dieser vor aller Zeit von Gott ausersehen worden sei, zum „ministerium imperatoris et imperii“, was von einer Teilhabe am ministerium Dei des Kaisers nichts sagt, wohl aber das imperium als transpersonal versteht. Agobard trennt jedoch nicht scharf, sondern nur grundsätzlich zwischen Imperator und Imperium. – Zur Bedeutung und Notwendigkeit eines solchen ministerium-Begriffes zur Zeit Ludwigs des Frommen s. HANNIG, Consensus fidelium 1982, 258 ff. – S. zum Amt des Kaisers in der Admonitio als Ministerium ANTON, Fürstenspiegel 1968, 198.

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im Frankenreich abgebildet und gestaltet werden konnte. Sehr deutlich wird dies im Westfrankenreich. Die Folge der Krisen musste ein neues Erfassen des bestehenden, aber in seiner Erscheingsform gewandelten Staates sein. Überhaupt musste eben dieser neu erfasst und auch theoretisch begriffen werden. Es reichte eben nicht mehr, wie Jonas und das Konzil von Paris dies taten, den Staat unter dem Kapitel über die persona regis beiläufig abzuhandeln, sondern es musste verstanden werden, welche Rolle die einzelnen Kräfte des Reiches für seinen Erhalt spielten. Die Staatstheorie wurde dabei zunehmend von der Wirklichkeit diktiert und findet ihren Niederschlag in den politischen Verträgen, die nunmehr – spätestens seit Coulaines – schriftlich und damit teilweise öffentlich verfügbar wurden.

2 societas societatum – Zur Organisation des karolingischen Staates 2.1 consensus und consilium Nach der umfassenden Studie von Jürgen Hannig über Konsens und Konsensbegriffe in den fränkischen Gesellschaften von den Merowingern bis zum Vertrag von Coulaines dürfte der Konsens als ein Herrschaftsprinzip der Karolinger eigentlich nicht mehr in Frage stehen.1 Hannigs Studie hat gezeigt, dass die Karolinger in besonderem Maße unter der Nennung tätiger Zustimmung der Großen bzw. zahlreicher Großer handelten, dass aber auch diese Zustimmung in verschiedenen Quellen möglichst verschwiegen wurde. So gilt für die Annales Regni Francorum bis in die 80er Jahre des 8. Jahrhunderts, dass das Handeln und Mithandeln der Großen durchaus erwähnt wird,2 wie ja auch in den Annales Mettenses priores, im Gegensatz etwa zu zahlreichen kleineren Annalen.3 Das Kaisertum Karls des Großen bringt dann auch eine Erhöhung des Herrschers gegenüber den Großen, was sich im Nachlassen der Betonung des Konsenses niederschlägt.4 Bemerkenswert ist die Feststellung Hannigs, dass die zur Zeit Ludwigs des Frommen entstandene Überarbeitung der Annales regni Francorum mit den sogenannten Einhardsannalen auf Konsensbeschreibungen und die Nennung der Mitwirkung der Großen weitgehend

1 HANNIG, Consensus fidelium 1982. Hannig betonte die Formelhaftigkeit des Konsensbegriffes, der für die Karolingerzeit in besonderem Maße auch als Fiktion tatsächlicher Mitwirkung der Großen anzusehen sei. Seine Wurzeln hat der Konsensbezug nach Hannig eben nicht in germanischen Rechtsvorstellungen, sondern in der römischen politischen Idee; s. zu Hannigs Thesen DEUTINGER, Königsherrschaft 2006, 225. Indes zeigt Hannig – wie auch immer man es schließlich deuten will, dass es eine Notwendigkeit gab, den Konsensbezug unterschiedlich oft, aber grundsätzlich häufig und für die Abbildung zentraler Entscheidungen zu verwenden. Dass Karls des Großen Herrschaft auf Konsens basierte, betont auch FOURACRE, Frankish Gaul 1995, 103. Siehe aber auch schon BRUNNER, Oppositionelle Gruppen 1979, 21 ff. und AFFELDT, Mitwirkung des Adels 1972, 423. – Auch STÖRMER, Früher Adel 1973, 267 betont unter Verweis auf verschiedenene Rechtsquellen den Konsens als Herrschaftsprinzip bereits vor karolingischer Zeit. 2 REIMITZ, Nomen Francorum obscuratum 2010, 286 f. betont das rhetorische Moment, das in der Nutzung von Konsensformeln in der Geschichtsschreibung liegt, und scheint dies aber nicht als Annäherung an einen tatsächlichen und notwendigen Konsens zu sehen. 3 Konkret zu den kleineren Annalen HANNIG, Consensus fidelium 1982, 133. Die Annales Laurissenses betonen dagegen den Konsens mit den Großen. (MGH SS 1). 4 Eindrücklich zeigt dies die graphische Darstellung bei APSNER, Vertrag und Konsens 2006, 101. – BRUNNER, Oppositionelle Gruppen 1979, 23 sieht Konsensformeln in „Synodalakten und Kapitularien“ bereits vorübergehend seit der Mitte des 8. Jahrhunderts verschwinden und begründet dies einleuchtend mit einem Prinzip, nach dem ausbleibender Widerspruch als Zustimmung zu werten sei. https://doi.org/10.1515/9783110641936-010

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verzichtet,5 stattdessen das consilium einzelner Großer herausstellt.6 Dem entspricht der Befund, dass Ermoldus Nigellus das consilium Großer nurmehr als reinen Rat beschreibt, der ohne jede bindende Kraft dem Herrscher auf Anfrage übermittelt wird. Hannig sieht in der Darstellungsweise der sogenannten Einhardsannalen einen übersteigerten Herrschaftsanspruch Ludwigs des Frommen wirken. Dem entspricht auch der Befund von Apsner, dass in den 20er Jahren des 9. Jahrhunderts Ludwig der Fromme in den Kapitularien weitgehend auf Konsensbezüge verzichtete.7 Deutinger macht eigentlich den entscheidenden Schritt, wenn er zeigt, dass der Konsensbezug, der bei Hannig noch mehr als Form gilt, denn als Hinweis auf tatsächlichen Konsens, auch wenn es eigentlich keiner weiteren Überlegung bedarf, in der Form eine Notwendigkeit zu erkennen, die auf tatsächlicher passiver Mitwirkung beruht, einen Hinweis auf das bei Hinkmar von Reims in „De ordine palatii“ geschilderte Verfahren der politischen Willensbildung darstellt. Deutinger erschließt, dass der Konsens der Großen für das Königtum eine politische Notwendigkeit ohne Alternative darstellt, und dass vor dem großen Konsens die Beratung durch einen engeren Kreis von Großen liegt, in dem der König nur einer der Beratenden ist, und nicht etwa derjenige, der schon in diesem Kreis die Feder führt.8 Das gilt für das Ostfrankenreich, vermutlich kaum weniger für das Westfrankenreich der Generation der Enkel Karls des Großen, für Karl den Großen ist vermutlich die Rolle des Königs quantitativ eine Andere, sicherlich nicht qualitativ. Schon von Hannig nicht übersehen wird die notwendige Unterscheidung von consensus und consilium, die er aber oft als austauschbar gebraucht sieht, wie etwa im Handbuch der Dhuoda.9 Hier ist zu klären, ob das nicht etwa daran liegt, dass die Personen, von denen Konsens ausgehen soll, zugleich auch Ratgeber sind, was aber nicht grundsätzlich so sein muss.10 Nur kommt dem Rat eines Großen gewiss mehr Autorität zu als dem eines „nur“ Gelehrten, weil er eben zugleich als Aufforderung eines Teilhabers zu verstehen ist. Inwieweit der Große als Teilhaber aufzufassen ist, ist im Verlaufe

5 So auch REIMITZ, Nomen Francorum obscuratum 2010, 290. 6 HANNIG, Consensus fidelium 1982, 135–139. 7 APSNER, Vertrag und Konsens 2006, 105. 8 DEUTINGER, Königsherrschaft 2006, 249, v. a. 251 zu dem engeren Kreis. 9 HANNIG, Consensus fidelium 1982, 203. – APSNER, Vertrag und Konsens 2006, 96 ff. sieht wohl einen Bedeutungsunterschied im zeitgenössischen Sprachgebrauch, hält ebenda 98 die Begriffe in ihrer Abgrenzung voneinander aber für zu unscharf, um zu einer klaren Bestimmung zu gelangen. 10 Die Unterscheidung beider Begriffe gewissermaßen vorrangig rechtlich-prozessual zu begreifen, also wie AFFELDT, Mitwirkung des Adels 1979, 417 unter Verweis auf KRAUSE, Consilio et iudicio 1965 und DILCHER, Paarformeln 1961 „consilium“ der Beratung zuzuordnen und „consensus“ dem Beschluss, mag im Ergebnis zutreffend sein, bleibt aber zu technisch und damit zu formal, um den eigentlichen Grund für die Unterscheidung zu bezeichnen, die ihrem Wesen nach formal eher unpräzise ist, weshalb die Begriffe sehr häufig als Paar gebraucht werden, was nahe legt, dass die Begriffsinhalte nicht scharf und klar voneinander zu trennen sind. S. dazu Hinkmar von Reims, De ordine palatii, ed. Gross/Schieffer, cap. VI (29,30) zu den Reichsversammlungen.

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der Untersuchungen darzulegen.11 Unzweifelhaft aber dürfte sein, dass ohne den Konsens der Großen oder zahlreicher Großer das Handeln des Herrschers zumindest erheblich erschwert sein dürfte. Interessant ist auch die Feststellung Hannigs, dass in den Urkunden Pippins, Karls des Großen und Ludwigs des Frommen Konsensformeln sehr selten sind.12 Hier sei die Vermutung in den Raum gestellt, dass der Herrscher in anderer Funktion Urkunden ausstellt, als er Kapitularien verabschiedet, also als Urkundenaussteller mit der Vollmacht der Großen handelt, während die Kapitularien gemeinsame grundsätzliche Promulgationen darstellen.13 Auch über diese Frage sollte am Ende der Untersuchungen Klarheit bestehen. Der Umgang der Karolinger mit Konsens hängt nicht an den Gewohnheiten der späten merowingischen Herrschaft, die oftmals ohne den schriftlich manifestierten Konsens auskam,14 da es sich bei der karolingischen Herrschaft um eine Neubildung handelte, die nicht wie das merowingische Königtum sich an dem unmittelbaren Vorbild römischer Herrschaftsformen orientieren konnte, das deshalb, weil der Konsens der Großen eine Voraussetzung für die Ablösung der merowingischen Herrschaft war und deshalb als für die karolingische Herrschaft konstitutiv gelten muss.15 In den Selbstbeschreibungen der karolingischen Gesellschaft bis in die Zeit Ludwigs des Frommen dominiert das biblische Vorbild, das sich wegen mancher Ähnlichkeiten und seiner normativen Kraft anbot.16 Das gilt in besonderem Maße für die Verpflichtung zum consilium. Dabei ist das gegebene consilium für das Handeln des Herrschers nicht bindend. Es ist ganz offensichtlich, dass die theoretische Anbindung des Herrschers an seine Bestimmung durch Gott ihn eines unmittelbaren Rechtfertigungsbezuges gegenüber seinen fideles enthob. Die Rechtfertigung des Herrschers gebührt allein Gott. Forderungen Gelehrter an den Herrscher, mit dem consilium der Franken zu handeln, sind daher zugleich Forderungen der politischen Vernunft und

11 STÖRMER, Früher Adel 1973, 268 stellt in Bezug auf die bischöfliche Grundherrschaft Freising wohl für die Zeit seit der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts fest: „Im Freisinger Raume wird offensichtlich, dass der Consensus ein Mitspracherecht bedeutet“. 12 HANNIG, Consensus fidelium 1982 92. 13 S. dazu Einleitung, Kapitel 5.4. 14 Dennoch muss schon für das Funktionieren spätmerowingischer Ordnung der Konsens eine nicht unerhebliche Rolle gespielt haben, wobei die merowingische Herrschaftsordnung als solche wohl viel stärker auf dem Funktionieren von Institutionen basierte. Schon Eugen EWIG, Merowinger 1988, 64 betonte das Fortbestehen der Civitas-Struktur in Gallien. 15 Die Ablösung der merowingischen Dynastie durch die Karolinger setzt einen solchen Konsens voraus. – S. auch DEUTINGER, Königsherrschaft 2006, 222, der in seiner „pragmatischen Verfassungsgeschichte“ für das Ostfrankenreich im Konsens das wichtigste Herrschaftsmittel erkennt, nicht etwa in einem königlichen Befehl. 16 S. hierzu etwa ANTON, Fürstenspiegel 1968, 357 ff.

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der kirchlich-theologischen Idee.17 Es ist in der Darstellung der Berater Karls geradezu eine Forderung der politischen Ethik, wie etwa bei Alkuin.18 Die Verpflichtung zum consilium ist eine Verpflichtung gegen Gott. Von einer Teilhaberschaft der Großen ist nichts zu ahnen, da das consilium bei den Gelehrten in der Regel das consilium von Gelehrten oder Weisen, etwa Alten, ist, nicht jedoch ein konsensforderndes consilium.19 Auf eine neue theoretische Höhe bringt diese Gedanken Smaragd von St. Mihiel, der die Unabdingbarkeit des consiliums betont und ausführlich mit biblischen Quellen begründet und mit der Aufforderung schließt: „Et tu ergo, rex, omnia, quae agis, cum consilio age, quae scriptum est [. . .].“20 Das geschilderte Bild zeigt die theoretische Erfassung von Mitwirkung im Reich Karls des Großen. Der ausschließliche Bezug der Pflicht zur Annahme von Consilien auf die Gebundenheit des Herrschers an Gott ist kirchlich-theologische Theorie. In den folgenden Untersuchungen wird sich der Verdacht erhärten lassen, dass diese Theorie von den Großen mitgetragen wurde. Mit dem Herrschaftsantritt Ludwigs des Frommen scheint sich etwas geändert zu haben. Absolut gesehen, gibt es auch zu seiner Zeit zahlreiche Konsensformeln,21 genauer betrachtet aber erweisen sich diese als konsequente Umsetzung der Theorie von der irdischen Ungebundenheit

17 Etwa Cathwulf an Karl den Großen (775), Epistolae Variorum 7, MGH Epp. 4, 501–505, 504, Z. 25 ff: „Ergo, mi rex, si vobis placeat hoc consilium, pro his omnibus, pro te et pro exercitu christianorum: ut unum diem post ieiunium in anno in honore sanctae trinitatis et unitatis et angelorum et omnium sanctorum celebrem constitues super regnum tuum cum consilio synodi Francorum [. . .].“ Vgl. zu diesem Brief ausführlicher HANNIG, Consensus fidelium 1982, 225–227. 18 Alcuini Carmina 62, in: MGH Poetae Latini I, 275–281, 279, Z. 127: „Rex sapiens populum melius defendet ab hoste“, und Z. 141: „Nil sine consilio facias, sic facta probantur.“ In einem Brief an Arno von Salzburg beklagt derselbe Alkuin, dass in der beneventanischen Frage nicht „sapientia et consilio conventus multorum ob regni istius integritatem“ entschieden worden sei (Alcuini Epistola 218, MGH Epp. 4, S. 361 f., 362, Z. 4 f.). 19 Alcuini Epistola 119, MGH Epp. 4, S. 174: Alcuinus Pippino regi Italiae: „Esto fortis in adversarios, fidelis in amicos, humilis christianis, terribilis paganis offabilis miseris, providus in consiliis. Untere consilio senum et servitium iuvenum.“ – Vgl. Ermoldus Nigellus, In honorem Hludowici liber I, V. 143 ff., in: MGH Poetae latini II, 5 ff., der schildert, wie Wilhelm, Graf von Toulouse, erst durch Fußkuss die Annahme (nicht etwa die Befolgung) seines Consiliums erreichte: Rex, Age, consiliis, si dignor, consule nostris, Atque meis votis, rex, pietate fave.“ Vgl. dazu HANNIG, Consensus fidelium 1982 249. – Zu Wilhelm vgl. DEPREUX, Prosopographie 1997, 224 f. – DEUTINGER, Königsherrschaft 2006, 227 sieht für das Ostfrankenreich in den consiliarii zugleich die Großen wirken, was aber wohl eher an der politischen Struktur des Ostfrankenreiches liegen wird, da der Rat von Leuten niederer Herkunft von den Großen wohl nicht geduldet wurde (Hinweise dafür ebenda 234). So deutet DEUTINGER ebenda 234 f. die Reichsteilungskommissionen als Versammlung der Großen als consiliarii und nicht der Großen als solcher. 20 Smaragd von St. Mihiel, Via Regia, cap. 20 „De Consilio“, MPL 102, 934–970, 959. 21 Vorbildlich etwa die Formel zum Prooemium generale ad Capitularia tam ecclesiastica quam mundana (818/819), MGH Cap. I, Nr. 137, S. 273–275, 275: „Sed qualiter de his divina cooperante gratia consultu fidelium pro viribus et temporis brevitate, licet non quantum debuimus et voluimus sed quantum a Deo posse accepimus, egerimus et quid unicuique ordini communi

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des Herrschers. Wenn Ludwig mehrfach im Jahr Versammlungen abhält, so muss das nicht bedeuten, dass er tatsächlich um Unterstützung für seine Projekte nachsuchte.22 Deutlich wird das bereits mit der Ordinatio imperii von 817, deren Inhalt er auf plötzliche göttliche Inspiration zurückführt, nicht etwa auf den Rat der Großen, wenngleich er diese in die Entscheidung dadurch einbindet, dass er sie bei der Entscheidungsfindung zugegen sein lässt und diese mit ihren Unterschriften sichern lässt.23 Aber im Gegensatz zu dem Verfahren, dass zum Text der Divisio regnorum Karls des Großen von 806 geführt hatte,24 war es eben nicht der Konsens der Großen, der die Entscheidung trug. Agobard von Lyon monierte denn auch, dass Ludwig die Ordinatio imperii „cum paucissimis“ beraten habe, ehe er sie der Reichsversammlung vorlegte.25 Nicht umsonst musste Ludwig die Zustimmung der Großen zu seiner Entscheidung im Jahr 821 erneut einfordern: In eodem anno Kalendis mai conventum imperator alterum Noviomagi habuit, in quo partitionem regni, quam inter filios suos iamdudum fecerat, coram recitari fecit et a cunctis proceribus, qui tunc affuere, confirmari.26

Er ließ die anwesenden Großen, nachdem sie die Regelung (eventuell erneut) zur Kenntnis genommen haben mussten, ebendiese Regelung bekräftigen. Das klingt nach Zwang. Offensichtlich trugen die fideles diese Entscheidung zu großen Teilen eigentlich nicht mit. Nun hatte es in der Zwischenzeit einige Veränderungen gegeben, die die Stabilität der Herrschaft Ludwigs durchaus in Frage stellen konnten. Dazu gehörte der Aufstand Bernhards von Italien ebenso wie die Heirat Ludwigs mit Judith. Gerade in Folge des Konfliktes mit Bernhard

voto communique consensu consulere studuerimus [. . .]“ – Vgl. Zum Prooemium generale (818/819) PATZOLD, Episcopus 2008, 133. 22 BOSHOF, Ludwig der Fromme 1996, 102. – S. hierzu die Ausführungen von APSNER, Vertrag und Konsens 2006, 108 f. zu den zahlreichen Klagen der Zeitgenossen über die Vernachlässigung der Konsenspflicht durch Ludwig den Frommen. – HANNIG, Consensus fidelium 1982, 194 f. sieht die Konsensbezüge in den Kapitularien auch für die erste Regierungszeit Ludwigs des Frommen als geradezu unverzichtbar, wenngleich sie ja nicht immer den tatsächlichen Konsens aller Kräfte abbilden konnten. 23 Vgl. HANNIG, Consensus fidelium 1982 186. 24 ARF 806: „Illisque absolutis conventum habuit imperator cum primoribus et optimatibus Francorum de pace constituenda et conservanda inter filios suos et divisione regni facienda in tres partes, ut sciret unusquisque illorum, quam partem tueri et regere debuisset, si superstes illi eveniret. De hac partitione et testamentum factum et iureiurando ab optimatibus Francorum confirmatum, et constitutiones pacis conservandae causa factae, atque haec omnia litteris mandata sunt et Leoni papae, ut his sua manu subscriberet, per Einhardum missa. Quibus pontifex lectis et adsensum praebuit et propria manu subscripsit.“ 25 BOSHOF, Ludwig der Fromme 1996, 105 (Epistola Agobardi 15, an Ludwig den Frommen, MGH, Epp. V, 223 f., 224). – Vgl. KOCH, Judith 2005, 16. 26 Astronomus, Vita Hludowici 34. – S. mit Begründungsansätzen BOSHOF, Ludwig der Fromme 1996, 153.

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aber war es zu Verschiebungen gekommen, die Ludwig mit seiner Kirchenbuße noch im Jahr 822 auch sanktionierte,27 die aber nicht zur Infragestellung des Nachfolgekonzeptes führen durften, das die Ordinatio imperii festlegte. Ludwig der Fromme scheint die Fiktion von der Gottesunmittelbarkeit des Herrschers allzu wörtlich genommen zu haben. Er genügt in aller Regel den Anforderungen der Theorie an die herrscherliche Consiliumspflicht, nicht aber der politischen Notwendigkeit des Konsenses mit den Großen. Darüber war zur Zeit Karls des Großen nicht geschrieben worden, die Praxis aber hatte dem dennoch Rechnung getragen, wie ja übrigens auch die Divisio regnorum nahelegt.28 Es muss den Großen ausgesprochen schwergefallen sein, die Gültigkeit der Fiktion einer gottesunmittelbaren Herrschaft nach den Vorgaben des Alten Bundes aufzukündigen. Darin wird ein entscheidender Grund gelegen haben, warum Ludwig mit seiner Politik der herrscherlichen Ungebundenheit so lange bestehen konnte. Kapitularien sind in aller Regel Ergebnisse von Reichsversammlungen, auf denen der Herrscher und die anwesenden Großen sich über verschiedene Fragen verständigten.29 Ihre Bestimmungen haben allgemeinen Charakter, können aber nichtsdestotrotz auch marginale Fragen betreffen, was unter Umständen als Beleg dienen kann für die Konsensgebundenheit der Kapitularien, weil nämlich marginale Fragen am ehesten allgemeinen Konsens finden.30 Diese Quellengattung ist vor dem Königtum der Karolinger entstanden.31 An den frühen Kapitularien wird deutlich, welchem Zweck sie dienen. Die karolingischen Hausmeier versuchen die politische Ordnung aufrecht zu erhalten und zugleich auf ihre Familie auszurichten. Dazu bedarf es in besonderem Maße des Konsenses.32 Die besondere Machtstellung der Karolinger vor der Erlangung des Königtums reichte vermutlich gerade aus, die Versammlungen unter karolingischem Vorsitz einzuberufen und abzuhalten. Die Beratungen aber konnten nur in Zusammenarbeit mit den großen Familien geführt werden, weshalb der Konsens der Entscheidungen

27 BOSHOF, Ludwig der Fromme 1996, 148–153. 28 ARF 806. 29 S. dazu die Ausführungen Hinkmars von Reims, De ordine palatii, ed. Gross/Schieffer, cap. VII ff. (34 ff.). – NELSON, Legislation and Consensus [1983] 1986, 110 sieht die Konsensgebundenheit der Kapitularien nicht als spezifisches Prinzip des Westfrankenreiches, sondern als Prinzip karolingischer Herrschaft überhaupt. 30 NELSON, Legislation and Consensus [1983] 1986, 100 zeigt am Beispiel des Kapitulars von Pîtres (864), dass marginale Bestimmungen gute Aussichten haben, in das Kapitular aufgenommen zu werden, weil ihr Vorschlag keinen Widerspruch bei anderen Teilnehmern der Versammlung hervorruft. 31 Zur Ablehnung der Bezeichnung Kapitularien für merowingische „Erlasse“ s. die Begründung bei CAMPBELL, Kapitularien 1996, 26. 32 Zur besonderen Funktion des Konsenses bei Beschlussfassung und Umsetzung der Kapitularien s. CAMPBELL, Kapitularien 1996, 30.

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seinen besonderen Niederschlag in der schriftlichen Form fand, wie etwa in Soissons im Jahr 744: [. . .] ego Pippinus, dux et princeps Francorum. Dum plures non habetur incognitum, qualiter nos in Dei nomine una cum consensu episcoporum sive sacerdotum vel servorum Dei consilio seu comites et obtimatibus Francorum conloqui [. . .] vel concilio facere decrevimus.33

Hier werden alle politischen Kräfte einbezogen, um die Entscheidungen mit möglichst großer Autorität zu treffen. Dabei geht es in diesem Kapitular um grundlegende Fragen der politischen Organisation, und mehrere der zehn Kapitel wiederholen den kompletten Konsensbezug auf die beteiligten Kräfte. Und auch nach Erlangung des Königtums ist der Konsensbezug fester Bestandteil von Kapitularien. Ihre Funktion ist im Wesentlichen dieselbe geblieben, wobei dem Herrscher aber höheres Gewicht zukommt.34 Selbst nach Erlangung des Kaisertums durch Karl den Großen werden die Großen an den Kapitularien beteiligt, ja sie bleiben für die Entscheidungsfindung eine maßgebliche Größe, wie die „Capitula tractanda cum comitibus episcopis et abbatibus“ von 811 zeigen. Hiermit ist eine spezielle Verhandlungsordnung überliefert, mit konkreten Tagesordnungspunkten und der Anweisung, die einzelnen Punkte mit den jeweiligen ordines separat zu verhandeln. Offensichtlich wurde in solchen Fällen wirklich verhandelt, gewissermaßen um Konsens gerungen.35 Auch die Verhandlungen der Teilreichsherrscher in Koblenz im Jahr 860 zeigen deutlich das gemeinsame Ringen von Herrschern und Großen um Konsens: Summa capitulorum, quae apud Confluentes modo acceptata sunt a senioribus nostris regibus et illorum fidelibus, haec est [. . .].36

In dieser späteren Zeit sieht man deutlich die Aufeinanderbezogenheit der Könige und ihrer fideles, vor allem, da es sich um ein gemeinsames Treffen der Könige und ihrer Großen handelt. Nach der Zeit Ludwigs des Frommen erhalten die Kapitularien ihre ursprüngliche Aufgabe weitestgehend zurück, wobei ihr Erscheinungsbild erneut dazu

33 MGH Cap. I, Nr. 12, S. 28–30, 29. 34 Wie etwa in Herstal: „[. . .] congregatis in unum sinodali concilio episcopis, abbatibus virisque inlustribus comitibus, una cum piissimo domno nostro secundum Dei voluntatem pro causis oportunis consenserunt decretum.“ Capitulare Heristallense (779), MGH Cap. I, Nr. 20, S. 46–51, 47. – Capitulare Saxonium (797), MGH Cap. I, Nr. 27, S. 71 f., 71: „[. . .] convenientibus in unum Aquis palatii in eius obsequio venerabilibus episcopis et abbatibus seu inlustris viris comitibus, V. Kalendis Novembris, simulque congregatis Saxonibus de diversis pagis [. . .] omnes unianimiter consenserunt et aptificaverunt [. . .].“ – Vgl. Zum Kapitular von Herstal (779) PATZOLD, Episcopus 2008, 65–68. 35 S. hierzu Hinkmar von Reims, De ordine palatii, ed. Gross/Schieffer, cap. VII. 36 Capitula post conventum confluentium missis tradita (860), „C“, Überschrift, MGH Cap. II,2, Nr. 270, S. 297–301, 299. – S. auch cap. 2 des Kapitulars (A), S. 297: „Capitula etiam, quae apud Confluentes acceptata sunt a nobis et communibus fidelibus nostris adnuntient [missi]“ (ebenda S. 297).

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angetan ist, die tatsächlichen Herrrschaftsverhältnisse abzubilden, wie etwa die capitula von Coulaines von 843: Capitula [. . .]; quae etiam subscriptione eiusdem principis et episcoporum ac ceterorum fidelium dei confirmata fuere consensu Warini et aliorum optimatum.37

Die namentliche Nennung einzelner Großer zeigt, dass es sich nicht um eine bloße Formel handelt, sondern dass tatsächlich die an der Entscheidung beteiligten Kräfte aufgeführt sind.38 Im Reich Karls des Kahlen ist die Krise der Herrschaftsordnung permanent, was aber in gewisser Weise auch bedeutet, dass langfristig neue Wege gefunden werden mussten, in einer veränderten politischen Lage die Herrschaftsordnung als solche zu erhalten. Maßgeblich beteiligt waren daran die Kirchen, aber mit ihrer starken Beteiligung am politischen System nimmt allgemein die Beteiligung der subsidiären Kräfte zu. Das Königtum wandelt sich zu einer Klammer aller politischen Kräfte, was seinen Niederschlag gerade in den Kapitularien findet. Herrschaft verlangt nun nicht mehr nur nach Konsens, den es zu ihrem Erhalt immer geben musste, sondern auch nach seiner Öffentlichkeit. Die beteiligten Kräfte werden benannt, auch bei Gelegenheiten, zu denen davon zuvor nie die Rede gewesen wäre.39 Es ist ein Charakteristikum der Krise bzw. der gewandelten Ordnung, dass die utilitas publica eine Sache der res publica, also aller gebündelten maßgeblichen Kräfte ist, und der Erhalt von lex et iustitia nur in diesem Zusammenwirken unter königlichem Vorsitz zu gewährleisten ist.40 Es wird über die wichtigen Fragen verhandelt, zugleich wird daran festgehalten, dass die königliche Autorität zum Erhalt der politischen Ordnung zu erhalten ist.41 Die Einbeziehung aller Kräfte in die Entscheidungen und Entscheidungsfindung des Herrschers sichert allen Beteiligten den Erhalt der

37 Vertrag von Coulaines (843), Inc., MGH Conc. III, Nr. 3, S. 10–17, 14. 38 Zu Warin und seiner Stellung s. APSNER, Vertrag und Konsens 2006, 48 ff. und 73, der feststellt, dass Warin nicht als Vertrauter Karls des Kahlen, sondern als im aquitanischen Raum ausgesprochen mächtiger Großer anzusehen ist. 39 Z. B. Capitula Pistensia (862), cap. 1, MGH Cap. II,2, Nr. 272, S. 302–310, 303: „Reges et episcopi, qui ante nos fuerunt, ducti amore et timore divino cum ceterorum fidelium Dei consilio atque consensu plura statuerunt capitula providentes, qualiter sancta Dei ecclesia statum debitum et honorem regni habitatores in omni statu et ordine haberent legem atque iustitiam.“ 40 S. dazu die Bemerkungen von PATZE, Iustitia bei Nithard 1972, 165, der Karl dem Kahlen wohl zu Recht unterstellt, dieser habe in der Erkenntnis der wachsenden Rolle der Großen diese in seinen Herrschaftsbegriff bewusst mit einbezogen, indem er sich und die Großen zu gemeinsamen Dienern an der Iustitia machte. 41 Edictum Pistense (864), cap. 34, MGH Cap. II,2, Nr. 273, S. 312–328, 326: „Unde cum episcopis et ceteris Dei ac nostris fidelibus tractavimus [. . .]. Quod et nos per regnum una cum consensu et fidelium nostrorum consilio observari regia auctoritate praecipimus.“ Offensichtlich hat die Wirklichkeit auch die Trennung von Konsens der Großen und consilium der Gelehrten aufgehoben.

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Ordnung.42 Darin gleicht die Ordnung im Reich Karls des Kahlen derjenigen des principatus der karolingischen Hausmeier vor der Erlangung des Königtums. In inneren Angelegenheiten von besonderer Bedeutung für die Franken in ihrer Gesamtheit bedarf es des Konsenses aller Kräfte, der auch zu Zeiten Karls des Großen als Kaiser in der schriftlichen Fassung, also in den Kapitularien, sichtbar gemacht wurde, wie etwa bei Rechtsbestimmungen, die zu Anfang des 9. Jahrhunderts unter der Ägide Karls des Großen aus verschiedenen Rechten gewonnen und für das Frankenreich verbindlich gemacht wurden.43 In einem Brief an den Bischof Ghärbald von Lüttich verweist Karl selbst auf die Entstehung solcher Entscheidungen, nämlich in der Beratung „cum fidelibus nostris tam spiritualibus quam saecularibus“ „cum consensu et pari consilio“.44 Und auch Ludwig der Fromme verhandelte in wichtigen Angelegenheiten mit den Großen, wenn nämlich deren Zustimmung unabdingbar war.45 Er bestellte zur Reichsversammlung unter Umständen auch weitere Kreise von Großen, wie im Mai 823, zu denen er neben den fränkischen Großen auch die bayerischen, alemannischen und weitere lud.46 Die Versammlung hatte vermutlich über die Kaiserkrönung Lothars durch Papst Paschalis am 5. April 823 zu beraten, die mit dem durch den Papst gesetzten Akzent den kaiserlichen Sohn selbständiger machte und ihn sicher für die Großen wichtiger werden ließ. Hier hatte Ludwig sein Oberkaisertum zu bekräftigen. Im Reich Karls des Kahlen wurde auf der Versammlung von Epernay im Jahr 846 vielleicht als eine Art Sühneopfer die vermeintliche Unzucht mit einer Stute zur

42 Konzil von Pîtres (869), MGH Conc. IV, Nr. 31, Kapitular (praefatio), S. 354–360, 354: „Haec quae secuntur capitula constituta sunt a domno nostro Karolo rege glorioso cum consilio et consensu episcoporum ac ceterorum dei et suorum fidelium, qui adfuerunt in loco, qui dicitur Pistis, anno incarnationis dominicae DCCCLXVIIII, anno autem regni sui XXX inditione secunda, et ab eo denuntiata sunt se et ab omnibus fidelibus suis secundum uniuscuiusque ordinem et personam inviolabiliter conservanda.“ – Vgl. auch Capitulare Carisiacense (873), MGH Cap. II,2, Nr. 278, S. 342–347, 343: „Anno [. . .] haec capitula, quae sequuntur, ab eodem rege [Karolo] statuta sunt in placito generali apud Carisiacum omnium cum voluntate et consensu et a praefato rege et ab omnibus, qui praesentes fuerunt, confirmata.“ Auch APSNER, Vertrag und Konsens 2006, 155 betont die Zusammenarbeit der drei Parteien Königtum, Episkopat und Adel. 43 Capitulare Aquisgranense (802/803, Datierung nach MORDEK, Bibliotheca Capitularium 1995, 980), MGH Cap I,1, Nr. 77, S. 170: „Karolus serenissimus imperator augustus, a Deo coronatus, magnus et pacificus, cum episcopis, abbatibus, comitibus, ducibus omnibusque fidelibus christianae ecclesiae cum consensu consilioque constituit ex lege Salica, Romana atque Gombata capitula ista in palatio Aquis, ut unusquisque fidelis iustitias faceret.“ – Das praeceptum pro Hispanis (812), MGH Cap I,1, Nr. 76 verzichtet auf einen entsprechenden Konsenshinweis, wohl weil es nicht die Franken selbst betraf. 44 Karoli ad Ghaerbaldum episcopum epistola (807), MGH Cap. I, Nr. 124, S. 244–246, 245. 45 ARF 822 (S. 159): „Ibique generali conventu congregato necessaria quaeque ad utilitatem orientalium partium regni sui pertinentia more solemni cum optimatibus, quos ad hoc evocare iusserat, tractare curavit.“ 46 ARF 823 – Waren regulär nur „Franken“ im engeren Sinne geladen?

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Fastenzeit „iudicio Francorum“, nicht etwa nach Urteil des Königs, mit der Verbrennung des lebenden Übeltäters geahndet. 47 Die Mitwirkung der Großen im Reich Karls des Kahlen übersteigt oftmals den Rahmen des reinen Konsenses mit Entscheidungen des Königs und wird an späteren Stellen eingehender behandelt werden. Die Zustimmung der Großen ist ebenfalls von besonderer Bedeutung in Fällen von Aufstand und Untreue. Dabei übernehmen die Großen die Initiative, wie etwa im Falle Tassilos, wobei für die Anwesenheit aller Kräfte des Frankenreiches und der angegliederten Völker gesorgt worden war. Die anwesenden Großen „iudicaverunt eundem Tassilonem ad mortem“.48 Karl der Große erlangte von den Großen die Abmilderung des Urteils.49 Die Verurteilung Bernhards von Italien und seiner „Mitverschwörer“ zum Tode geschieht ähnlich „cum lege iuditio Francorum“, den der Kaiser gegen Widerspruch zahlreicher Großer in Blendung mildern kann.50 So ist die Rollenverteilung, auch wenn über die faktische Interessenlage der Beteiligten die zitierten Belege keine endgültige Auskunft geben können.51 Auch die Entscheidung über Krieg und Frieden verlangt selbst den historiographischen Quellen zufolge den Konsens der Großen, nicht zuletzt, weil solches deren aktive Teilnahme erforderte.52 Jedenfalls gehen Kriegszügen in der Regel

47 Ann. Bert. 846. Interessant ist hier nur die Entscheidung der Franken. Die Angelegenheit selbst verweist stark in den Bereich des Rituell-Magischen. 48 Zum Verfahren s. auch KRAH, Absetzungsverfahren 1987, 31 ff. 49 KOLMER, Kommendation 1980, 313 erklärt das „mit dessen Rolle als verwandtem Gnadenbitter“. 50 Astronomus, Vita Hludowici 30. 51 Zur Rollenverteilung s. kurz WERNER, Adelsfamilien 1965, 124. – Eine Begründung dieses Verfahrens durch das „germanische“ Prinzip, das in der „Dinggenossenschaft“ zu greifen ist, liegt zwar nahe, würde aber auch nur dann greifen, wenn die Ausgangslage in den jeweiligen sozialen Zusammenhängen vergleichbar sein sollte, denn in der Dinggenossenschaft bildet sich ja gerade ein sozialer Zusammenhang ab, in dem eben niemand über die in vollem Umfang delegierte Herrschaft verfügt. Vgl. dagegen zur Dinggenossenschaft als „universales Prinzip der Rechts- und Herrschaftsordnung nördlich der Alpen WEITZEL, Bedeutung der Dinggenossenschaft 2006, 358 ff. 52 Annales Mettenses priores 760: „Pippinus [. . .] ex consilio optimatum suorum iter in Aquitaniam direxit.“ – ARF 760: „Tunc Pippinus rex, cernens Waifarium ducem Aquitaniorum minime consentire iustitias ecclesiarum partibus, quae erant in Francia consilium fecit cum Francis ut iter ageret supradictas iustitias quaerendo in Aquitania.“, die sogenannten Einhardsannalen verzichten auf eine Angabe über das consilium der Großen. – Ein Zusammenhang zwischen Beratung und Feldzug ist ebenfalls wahrscheinlich bei dem Vorgehen gegen die Bretonen, 829/830, Annales Mettenses priores 829/830, wonach in Aachen ein placitum abgehalten wurde, „in quo consideratum est, ut instanti hiemali tempore in Brittaniam hostiliter pergeret [. . .]“. – Zu Waifar s. MCKITTERICK, Frankish Kingdoms 1983, 50 f. – STEIGER, Ordnung der Welt 2010, 265 sieht die Mitwirkung der Großen im Hinblick auf „Krieg und Frieden“ als nur „eingeschränkt“ an, weil darüber oft nicht berichtet wird und weil es militärische Auseinandersetzungen gebe, wie die Auseinandersetzungen mit den Sachsen, die der Zustimmung nicht bedurft hätten.

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Reichsversammlungen voraus.53 Über das Hilfeersuchen des Papstes gegen die Langobarden „Carolus rex consiliavit una cum Francis, quid perageret; et sumpto consilio“ berief er 773 eine Synode ein.54 Das erfolgreiche Besetzen der Alpenklausen geschieht sodann „una cum Francis auxiliante Domino et intercedente beato petro apostolo“.55 Die Schonung der Länder des Herzogs Arighis von Benevent konnte der König ebenfalls nicht selbstherrlich beschließen, denn: „[. . .] Carolus rex praespexit una cum sacerdotibus vel ceteris obtimatibus sui“, dass keine Zerstörungen vorzunehmen seien.56 Ebenfalls konsenspflichtig konnten Familienangelegenheiten sein, wie vermutlich bei der Entsendung seines Neffen Bernhard nach Italien durch Karl den Großen und bei der Erhöhung Ludwigs des Frommen zum Mitkaiser und consors Karls.57 Die Bestimmung Ludwigs des Frommen zum Nachfolger durch Karl den Großen geschah in einem „generale colloquium“ „cum omni exercitu, episcopis, abbatibus, ducibus, comitibus, locopositis“.58 Die Klostereinweisung der Brüder Hugo, Drogo und Theoderich durch Ludwig den Frommen setzte ebenfalls eine Reichsversammlung voraus.59 Und schließlich lässt ein Formular aus der Sammlung Marculfs, das gewissermaßen einen Vertrag zwischen dem König und einem Grafen enthält, den König erklären: Dum et nos una cum consensu procerum nostrorum in regno nostro illo glorioso filio nostro illo regnare precipemus, adeo iubemus, ut omnes paginsis vestros, tam Francos, Romanos vel reliqua natione degentibus, bannire et locis congruis per civitates, vicos et castella congregare faciatis, quatenus presente misso nostro, inlustris vero illo, quem ex nostro latere illuc pro hoc direximus, fidelitatem precelso filio nostro vel nobis et leudesamio per loca sanctorum vel pignora, quas illuc per eodem direximus, dibeant promittere et coniurare.60

53 Z. B. Reichsversammlung von Worms zu einem Feldzug gegen die Sachsen, Einhardsannalen 772. – Einhardsannalen 775, „apud Duriam villam“ ebenfalls gegen die Sachsen. – So auch Annales Mettenses priores 784: „consilio inito cum optimatibus suis“. – Annales Mettenses priores 791 zu Beratungen in Regenburg vor dem Feldzug gegen die Awaren; vgl. dazu HÄGERMANN, Karl der Große 2000, 309–316. – Vgl. auch ARF 811 zu Feldzügen an verschiedenen Grenzen. 54 ARF 773. Vgl. auch Ann Mett. pr. 773: „[. . .] rex per consilium optimatum suorum [. . .].“ 55 Ebenda; die sogenannten Einhardsannalen verzichten auf einen Hinweis auf das Handeln der Franken. Das gemeinschaftliche Handeln des Herrschers mit den Franken und Gott zugleich zeigt die Möglichkeit der Konkurrenz auch beider Legitimationsprinzipien, nämlich von unten durch die Großen und von oben durch Gott. 56 ARF 787. – S. zu diesen bzw. solchen Beispielen REIMITZ, Nomen Francorum obscuratum 2010, 286 f. – Bei anderer Gelegenheit (Einhardsannalen 786) beriet Karl „cum Adriano pontifice quam cum suis optimatibus“. 57 ARF 812 und 813. Zumindest stehen beide Fälle im Zusammenhang mit Reichsversammlungen, die einen öffentlichen Rahmen bieten und so für ein Mindestmaß an Konsens gesorgt haben dürften. 58 Thegan, Gesta Hludowici 6. 59 Nithard I,2: „conventum publicum“. 60 Marculfi Formularum liber I, cap. 40, MGH Formulae, S. 68.

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Hier wird zum Ausdruck gebracht, dass die Erhebung des Sohnes mit der tätigen Zustimmung der proceres geschah und der Graf für den Vollzug des Erhebungsaktes in seinem Zuständigkeitsbereich Sorge zu tragen habe. Es scheint angebracht, dem Grafen gegenüber auf den erhöhten Autoritätsgehalt der Erhebung des Sohnes zu verweisen, der in der Zustimmung der proceres liegt und gewissermaßen auch den Druck auf den Grafen erhöht, für die fälligen Treueide zu sorgen. Hier haben wir einen Beleg dafür, dass die Konsensbezüge in solch wichtigen Angelegenheiten der politischen Ordnung tatsächlichen tätigen Konsens bedeuten können und zudem eine wesentliche Voraussetzung für die Durchsetzung des herrscherlichen Willens darstellen können.

2.2 Die Großen als Handlungsträger Während schon die konsensuale Herrschaftsausübung eine Mitwirkung der Großen an der Herrschaft bedeutet, so ist diese gesteigert im gemeinsamen Handeln.61 Die Nennung der Großen als Mithandelnde ist in historiographischen Quellen für die Zeit Karls des Großen, auch wenn die Quellenberichte etwa von seinem Vater Pippin handeln, nicht selbstverständlich. Wenn aber doch diesem Mithandeln Rechnung getragen wird, ist das ein Ausweis der Konstitutionalität dieses Mithandelns für die Herrschaft des Königs. Papst Stephan war in das Frankenreich gekommen und bat Pippin um Hilfe gegen die Langobarden. Die Hilfe erwartete er der Darstellung der Annales Mettenses priores zufolge aber nicht von Pippin allein, sondern „rex Pippinus cum filiis suis et optimatius Francorum“ sollten ihre Hilfe gewähren.62 Hier ist von den wesentlichen Herrschaftsträgern des Frankenreichs die Rede, vom König, seinen Söhnen und den Großen. Es war die Zeit, zu der sich Pippin und die Franken noch in einem wenig ritualisierten Verhältnis zueinander bewegten. Noch war Pippins Herrschaft nicht durch die erneute Königssalbung durch Stephan gesichert. Aber auch nach 754 erfuhren die Franken in der Darstellung der Annales Mettenses priores eine entsprechende Würdigung, denn im Jahr 756 unterwarf sich Aistulf den Franken, nicht etwa ihrem König allein.63 Bald darauf 61 Schon SCHLESINGER, Auflösung des Karlsreiches [1965] 1987, [837/838 ff.] 100 ff. vermutete grundsätzliche Mitwirkung des Adels, die sich im Verlauf des 9. Jahrhunderts ausweitete, aber keinesfalls fränkischem Herrschaftsprinzip widersprach. S. zur Auffassung des Astronomus GOETZ, Perception 2006, 29: „Accordingly, this state is not governed by the king alone, but in collaboration with the whole populus (which is certainly not the same as our ‘people’, but restricted to those who were ‘born’ to take part in the realm).“ 62 Annales Mettenses priores 753 (zu 754); s. a. ebenda 754: „Stephanus papa, quod iam diu per consilium absens Pippino principibusque Francorum mandaverat, presens explevit.“ 63 Annales Mettenses priores 755: „Haec Heistulfus cernens, nullam spem evadendi habens, per supplicationem sacerdotum veniam a precellentissimo rege Pippino postulavit et ea quae contra

2.2 Die Großen als Handlungsträger

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wurde von den Langobarden Desiderius zum König erhoben. Wieder traten die Franken und ihr König in Handlungseinheit auf, denn die Wahl des Desiderius stammte „ex consilio Pippini regis et procerum suorum“.64 Im Umgang mit dem Papst erscheinen ohnehin die Franken oft nicht allein durch Pippin vertreten, sondern wie bei der Reise Stephans ins Frankenreich Pippin, mit seiner Familie und den Großen als Handlungsträger, wie etwa in einer Grußadresse Karls des Großen an Papst Hadrian: 1. 2.

Salutat vos dominus noster filius vester Carolus rex et filia vestra domna Fastrada regina ac filii et filiae domni nostri simul et omnis domus sua. Salutant vos cuncti sacerdotes, episcopi et abbates atque omnis congregatio illorum in Dei servitio constituta etiam et universus grex et populus Francorum.65

Karl unterscheidet zwischen „domus sua“ und „universus grex et populus Francorum“. Beide Gruppen entbieten ihre Grüße. Die Familie scheint in gewisser Weise überrepräsentiert, ist aber eben mehr als nur der unmittelbare Anhang Karls. Sie ist Teil des politisch-sozialen Systems, das hier in seiner Gesamtheit in Kontakt mit dem Papst tritt. Dass es solche engen Beziehungen zwischen dem Papst und der karolingischen Familie gibt, ist selbst aussagekräftig für die Bedeutung dieser Familie in der Herrschaftsorganisation.66 Hinzu treten bei diesem Aufmarsch der karolingischen Herrschaftsträger die Großen, hier wieder auf den Adressaten hin gegliedert, also die geistlichen Großen in starker Differenzierung und zuletzt die weltlichen Großen als homogener Block.

ius vel sacramenta perpetraverat secundum iudicium optimatum Francorum se plenissima voluntate emendare spopondit.“ – KAMP, Friedensstifter 2001, 117 f. sieht die Rolle der Großen eigentlich als Vermittler mit besonderem Gewicht und bezieht sich dabei auf die Angabe des Fredegarfortsetzers, cap. 37: „[. . .] Aistulfus [. . .] pacem per sacerdotes et obtimates Francorum petens [. . .].“ Er bittet Priester und Große, weil diese an der Entscheidung der Franken entscheidenden Anteil haben würden. 64 Annales Mettenses priores 756. Zu dieser Zeit ist wohl noch zu unterscheiden zwischen den optimates und den proceres regis. Letztere sind wohl eher die Anhänger Pippins unter den Großen. Vgl. dazu die zweite Fortsetzung Fredegars (47), MGH SRM II, S. 189: [Pippinus] ibique cum Francis et proceribus suis placitum suum campo Madio tenens.“ Und ebenda S. 190: „Sed hoc rex per consilio Francorum et procerum suorum facere contemsit.“ 65 Memoratorium missis data ad papam Adrianum legatis (784/85), MGH Cap. I, Nr. 111, S. 225; vgl. dazu MORDEK, Bibliotheca capitularium 1995, 559. 66 Vgl. ANGENENDT, Kaiserherrschaft und Königstaufe 1984, 152–163. Dass diese Grußadresse hier als Abbildung des politisch-sozialen Systems Reich verstanden wird, könnte mit einem Hinweis auf den Absender und seine persönlichen Verflechtungen und die mutmaßlich „privaten“ Beziehungen zwischen dem Papst und Angehörigen der karolingischen Familie in Zweifel gezogen werden. Dagegen steht aber der Charakter eben dieser Beziehungen zwischen dem Papst und der karolingischen Familie, der wesentlich von der Funktion der Familie und ihrer Mitglieder im Reich und für das Reich abhängt.

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Aber ohne Frage stellen sich hier die Vertreter einer res publica, der gemeinsamen öffentlichen Angelegenheiten vor: Der König, seine Familie sowie die geistlichen und weltlichen Großen. Auch das pactum Ludwigs des Frommen mit Papst Paschalis von 817 trägt unter der Unterschrift Ludwigs die seiner Söhne, der Bischöfe, Äbte, Grafen und weiterer Amtsträger.67 Auch hier treten dem Papst alle Kräfte des gesamten Frankenreichs in aller Offenheit gegenüber. So offen, also einsehbar, präsentieren sich die maßgeblichen Kräfte des Reiches an kaum einer anderen Stelle. Die zweite Continuatio Fredegars berichtet im Zusammenhang mit Aistulfs Niederlage ebenfalls, wie die Annales Mettenses priores, von einem engen Zusammenwirken von Pippin und den Franken. Es sind die Franken, die entscheiden, dass der Langobardenkönig den dritten Teil des Königsschatzes von Pavia dem fränkischen König zu geben habe, und weitere „multa munera“ „partibus rege [sic!] Pippini“ übertragen sollte. Schließlich verpflichtete sich Aistulf, niemals „contra Pippinum vel proceres Francorum“ aufzubegehren.68 Ganz ähnlich verfährt Karl der Große einige Jahre später mit Tassilo, der „domno rege Carolo et filiis eius vel Francis“ Gehorsam geloben musste. „Tum domnus rex Carolus una cum Francis videns iustitiam suam.“ Keinesfalls vertritt Karl der Große allein das Frankenreich. Aber nicht immer wird das so deutlich, wie bei besonderen Ereignissen, die Entscheidungen fordern, die über das alltägliche Geschäft hinausgehen. Das gilt wohl auch für die Wiederherstellung der Eresburg, die „Carolus una cum Francis“ vornimmt.69 Auch dabei handeln Karl und die Großen gemeinsam, in tätigem Konsens der Franken. Markulf überliefert ein Formular, das das Zustandekommen des königlichen Urteils beschreibt. Um die Angelegenheiten aller richtig zu entscheiden („ad universorum causas recto iuditio terminandas“), setzt sich der Herrscher gewissermaßen mit allen zusammen, nämlich mit den Bischöfen und zahlreichen Großen, worauf eine detaillierte Aufzählung verschiedener Gruppen und Amtsträger am Hof folgt.70 Nun mag es sich hierbei mehr um consilium denn um Konsens handeln, der eingeholt wird. Aber bei der geschilderten Breite des eingeholten consilium beruht das Ergebnis der Beratungen, sofern es wirklich gemeinsame Beratungen sind, auf einem gewissen Konsens der Großen, jedenfalls der vor Ort Anwesenden.

67 Pactum Hludowici cum Paschali Pontifice (817), MGH Cap. I, Nr. 172, S. 352–355, 355. 68 2. Cont. Fredegarii (38), MGH SRM II, S. 185: „Aistulfus rex per iudicio Francorum vel sacerdotum thesaurum, quod in Ticino erat, id est tertiam partem, praedicto rege tradidit et alia multa munera maiora, quam antea dederat, partibus rege Pippini dedit. Sacramenta iterum vel obsides donat, ut amplius numquam contra rege Pippino vel proceris Francorum rebellis et contumax esse non debeat [. . .].“ 69 ARF 776. 70 Marculfi Formularum liber I, cap. 25, MGH Formulae, S. 58 f. „Proloco de regis iuditio, cum de magna rem duo causantur simul.“

2.2 Die Großen als Handlungsträger

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Im Oktober 833 findet sich ein „conventus“ zusammen, der „ex reverentissimis episcopis et magnificentissimis viris inlustribus“ besteht, „collegio quoque abbatum et comitum promiscuȩque etatis et dignitatis populo, praesidente serenissimo et gloriosissimo Hlotario imperatore“, der über den abgesetzten Kaiser zu Gericht sitzt. Dieser conventus hat die Aufgabe, die Bedingungen festzusetzen, unter denen der Kaiser seine Würde wiedererlangen könne.71 Hier handelt der gesamte Reichsverband, so suggeriert jedenfalls Agobard von Lyon, von dem dieser Text stammt.72 Das gemeinsame Handeln von aktuellem Kaiser, nämlich Lothar, und den verschiedenen Kräften des Reiches zu dem Zweck, „soliditatem regni et regis“ wiederherzustellen, zeigt die tatsächliche Rolle der Großen im Frankenreich als Urheber der königlichen Herrschaft, zeigt aber auch die Unabdingbarkeit der Einigung der Großen auf eine „res publica“, nämlich gemeinsame öffentliche Angelegenheiten, und auf eine die Gesamtheit repräsentierende Vertretung, deren Integrität Voraussetzung für ihre Funktion ist. Lothar als ausschließlicher Ersatz für die herrschende Familie konnte diese Rolle der Vertretung nicht ausfüllen. Als Vorsitzender des conventus ist Lothar übrigens auch als sein Mitglied aufzufassen, auch wenn die Formulierung „praesedente“ auf Abstand zu den anderen Mitgliedern Wert legt, ähnlich einem Konzilsvorsitz. Ein wesentliches Merkmal des Neuen seit der Krise Ludwigs ist der exzessive Gebrauch der Öffentlichkeit. Öffentlichkeit herzustellen, wird zu einem integralen Bestandteil des politischen Handelns. Und es gelingt den Handelnden, aus dem Phänomen der krisenbedingten Öffentlichkeit ein Strukturmerkmal der karolingischen Herrschaftsorganisation zu machen.73 Das gemeinsame Handeln von Herrscher und Großen wiederholt sich, etwa wenn 839 Lothar seinen Reichsteil „cum suis elegit“.74 Auch hier sind wesentliche Interessen der Großen und des zu bildenden Reichsteils betroffen. Das entscheidet der Karolinger nicht allein. Die die Integrität der Teilreiche konstituierenden Versammlungen der königlichen Brüder und ihrer Großen kennen die Notwendigkeit, die jeweiligen Großen unmittelbar in die Verträge einzubinden, sowohl als Vertragspartner als auch als stabilisierenden Faktor über die Rivalitäten der Brüder hinweg.75 Das gilt auch für weitere Abkommen der Brüder und spätere Verträge der Teilreichsherrscher, etwa 862 apud Saponarias:

71 Agobardi cartula de poenitentia ab imperatore acta (833), MGH Cap. II,1, Nr. 198, S. 56 f., zitiert nach Agobardi cartula de Lvdovici imperatoris poenitentia, ed. L. van Acker, 1981, 323. 72 Vgl. zu Ereignis und Text BOSHOF, Ludwig der Fromme 1996. 73 Vgl. hierzu WEHLEN, Geschichtsschreibung 1970, 81 zur Betonung der Öffentlichkeit politischer Akte durch Nithard. – Zur Öffentlichkeit als Strukturmerkmal dieser Zeit s. STAUBACH, Quasi semper in publico 1998, 592 f. 74 Nithard I,7 (839). 75 Vgl. die Straßburger Eide, Nithard III,5 und noch deutlicher Nithard IV,4 zum 15.06.842.

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[. . .] sacramento de observanda inter nos pace et de praestando alterutrum adiutorio nos confirmavimus et capitula a communibus fidelibus nostris dictata et nobis relecta nos observaturos promisimus et publice communibus fidelibus nostris adnuntiavimus [. . .].76

Hier übernehmen die Großen die Initiative, was auch im zweiten Kapitel deutlich wird, wenn die Brüder Ludwig, Karl und Lothar erklären, dass „cum primoribus regnorum nostrorum conveniremus“, um gemeinsam über die Angelegenheiten der Teilreiche und der Kirche zu beraten.77 Das Bedürfnis der Großen nach Erhalt der politischen Ordnung auch über die Teilreichsgrenzen hinweg ist allenthalben spürbar. Neben ihren jeweiligen Einzelinteressen verbindet sie ein gemeinsames Interesse an Sicherheit, Ordnung und Frieden im Inneren des Reiches. Das ist dasselbe Gemeinsame, was sie einmal dazu veranlasst hatte, der Konsolidierung des Frankenreiches unter den Karolingern zuzustimmen und damit auch der Institutionalisierung einer neuen herrscherlichen Familie, ja sogar deren Sakralisierung durch ein „römisches“ Königtum, ein Königtum, das sich der Zustimmung des römischen Bischofs versichert hatte.

2.3 Fremde Verbände Wie im Frankenreich handeln die Großen in Krisenzeiten auch in anderen Verbänden unter Umständen selbständig und gegen die Interessen des Herrschers.78 Häufiger aber begründen sie ein gemeinsames Handeln, das ihnen ein Mindestmaß an Freiheiten gegenüber den Franken als ihren neuen Herren sichert, wie etwa die meisten bayerischen Großen nach der Niederlage Tassilos79 und auch die langobardischen Städte nach dem Sieg der Franken über Desiderius.80 Im Falle Tassilos scheint es sogar so gewesen zu sein, dass die bayerischen Großen sich in der politischen Lage von 788 mehrheitlich von Karl dem Großen mehr versprachen als von ihrem Herzog Tassilo.81 Tassilo war

76 Hludowici, Karoli et Hlotharii II. Conventus apud Saponarias (862), MGH Cap. II,1, Nr. 243, cap. 1, S. 159. 77 Hludowici, Karoli et Hlotharii II. Conventus apud Saponarias (862), MGH Cap. II,1, Nr. 243, cap. 2, S. 160. – Vgl. grundsätzlich SCHNEIDER, Tractare de statu regni 2001. 78 Vgl. den Bericht der ARF 804 zum Versprechen des Godofridus, König der Dänen, sich zu einem Gespräch bei Karl dem Großen einzufinden, was nach consilium der Großen abgesagt wurde. Godofredus schickte Gesandte. 79 Nach der Ausschaltung der herrscherlichen Familie der Bayern verbleiben nur einige bayerische Große „in adversitate domni regis Caroli“, ARF 788. Die sogenannten Einhardsannalen berichten von den von „Baioarii“, die „perfidiae ac fraudis eorum conscii et consentanei fuisse reperti sunt“, dass sie an verschiedene Orte ins Exil geschickt wurden. 80 Annales Mettenses priores 774: „[. . .] ipsamque civitatem cepit et Desiderium regem cum uxore et filia et cum omni thesauro regni sui suae ditioni subegit. Ibique venientes undique Langobardi de singulis civitatibus Italiae subdiderunt se domninio et regimini gloriosi regis Caroli.“ 81 Etwa den Verzicht auf herzogliche „Lehen“, JAHN, Ducatus Baiuvariorum 1991, 544 f., der ebenda 547 f. auf die Rolle der geistlichen Großen verweist, denen Karl die (lehnrechtliche?) Bindung der traditiones der bayerischen Herzöge an das Herzogshaus erließ und damit diese Güter zu

2.3 Fremde Verbände

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„cum ceteris principibus Baugariorum“ auf den Reichstag nach Ingelheim gekommen, und hatte dort in Gegenwart der fränkischen Großen ein Gespräch „cum Baioariis“, die als „fideles Baioarii“ daraufhin erklärten, dass Tassilo ihrer „fides“ verlustig gegangen sei.82 Die Großen Bayerns handeln vernünftig. Sie erkennen die Niederlage, begreifen aber zugleich, dass sie in erster Linie eine Niederlage für ihren Herrscher darstellt und gehen faktisch über zu einem neuen Herrscher.83 Sie erhalten den Herrschaftsverband84 und werden in der Folge gewiss keine unmittelbaren Einbußen ihrer Stellung zu verzeichnen gehabt haben. Interessant an beiden Fällen ist, dass die jeweiligen Verbände erhalten werden, sowohl das langobardische „regnum“ als auch der bayerische „ducatus“.85 Es ist ganz offensichtlich, dass in Krisenzeiten ein herrscherliches Versprechen allein nicht genügt, weshalb sich etwa große Teile der Awaren86 gemeinsam Karl dem Großen unterwarfen:87 „[Tudun . . . ] cum magna parte Avarorum ad regem venit, et cum populo suo et patria regi dedit.“ Es ist ein Verband, der sich den Siegern unterstellt, was der Verfasser der Reichsannalen unterstreicht, indem er auch die „patria“ freiem Kirchengut werden ließ. Die lehnrechtliche Erklärung bei MITTEIS, Lehnrecht und Staatsgewalt [1933] 1958, 68 f. für das Verhalten der Großen Tassilos beruht auf der falschen Grundannahme, dass es sich bei den Großen um Lehnsmänner gehandelt habe, die an ihren Herrscher durch ein vasallitisches Treueband gebunden gewesen seien, so folgert MITTEIS ebenda 69: „[. . .] ihre Treupflicht wendet sich in dem Augenblicke gegen ihn, da seine Handlungen ein höheres Recht zu verletzen drohen.“ Das „höhere Recht“ kommt danach der höheren Ordnung lehnrechtlicher Bindungen zu. Fraglich ist eben nur, ob die Zeitgenossen dies ebenso sahen. Der Gedanke allein setzt eine Hierarchisierung voraus, nämlich das Bestehen öffentlich-rechtlicher Bindungen gegenüber „nur“ privatrechtlichen Verpflichtungen, die nur in ihrer Ableitung aus der Gesellschaft nachwilhelminischer Zeit heraus zu verstehen ist. – S. aber ESDERS/MIERAU, Bairische Eliten 2006, 312 zur zögerlichen Akzeptanz karolingisch-fränkischer Herrschaft im Bistum Freising durch Bischof und stiftende Adelige. 82 Annales Mettenses priores 788. – NELSON, Kingship 1995, 412 bemerkt denn auch, dass erst der Abfall bedeutender Großer von Tassilo die Übernahme Bayerns durch Karl möglich machte. S. auch COLLINS, Charlemagne 1998, 79. 83 Gemeinhin wird die Angabe über die Klageerhebung durch bayerische Große eher als von der fränkischen Quelle eingeführte Untreue der Bayern verstanden, von denen ja nur wenige so gedacht haben konnten, denn als Akt der Vernunft der bayerischen Großen. S. etwa SCHLESINGER, Randbemerkungen 1963, 327, der bei dem Bericht über die bayerische Klageerhebung ein „angeblich“ hinzufügt. 84 S. die Argumentation von KOLMER, Kommendation 1980, 313 ff. zu Einzelheiten des Verfahrens im Hinblick auf die Ausschaltung der Familie Tassilos und dem gleichzeitigen Erhalt des Herzogtums. – Vgl. zur Erhaltung des Herrschaftsverbandes auch REINDEL, Bayern im Karolingerreich 1965, 226. 85 Zur Integrität des bayerischen Herrschaftsverbandes und den dem gelegentlich entgegenstehenden regionalen Kräften s. PEARSON, Conflicting Loyalities 1999, 213 u.ö. 86 Weitere Teile der Awaren hatten bereits 795 in inneren Streitigkeiten ihre Häupter verloren, so etwa den „Kagan“, ARF 795. S. zur politischen Struktur des Awarenreiches grundsätzlich DEÉR, Untergang des Awarenreiches 1965, zur Huldigung eines neuen „Kagans“ ebenda 770. 87 ARF 796. – S. dazu DEÉR, Untergang des Awarenreiches 1965, 769 ff.

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2 societas societatum – Zur Organisation des karolingischen Staates

Gegenstand der Unterwerfung sein lässt, nämlich einen Begriff einführt, der stärker als res publica das Gemeinsame von Herrscher und Großen bezeichnet, somit etwas Überpersönliches. Herrscher und Große sieht unser Autor, wie vielleicht auch die handelnden Parteien selbst, als in der patria verbunden, worin die Dauerhaftigkeit eines solchen Verbandes begründet wird. Er besteht fort, auch nach der Übergabe an Karl.88 Zur Klärung von vermeintlichen Missverständnissen schlug der König der Dänen vor, sollten sich fränkische Grafen und dänische Große treffen, um diese nach Möglichkeit auszuräumen.89 Hier handeln die Großen durchaus auch in eigener Sache. Sie verhandeln jeweils für ihren Verband; und sie treten sich unmittelbar gegenüber, haben also gewisse Verhandlungsvollmachten. Übrigens wurde im Jahr 811 der Friede zwischen den Franken und den Dänen jeweils von den Großen beschworen.90 Nach dem Tod des Königs Godofrid kam es zur Nachfolgekrise, die militärisch entschieden wurde.91 Von einer Zerstörung oder Spaltung des Verbandes indes berichtet der Verfasser der Reichsannalen nichts. Das heißt, dass, obwohl der Herrscher ausgewechselt wurde und mit ihm auch die Anhänger des Herrschers, also die Führungselite vermutlich ebenfalls wechselte, der Verband erhalten blieb. Die Franken griffen auch in bestehende Verbände ein und waren im Falle des Abodritenkönigs Sclaomir sogar in der Lage, für dessen Absetzung zu sorgen, ohne dabei den Herrschaftsverband zu zerstören. Sie stellten militärisch die Voraussetzungen, dass die „primores“ selbst ihren Herrscher absetzen konnten. Auch hier führte die Veränderung in der Führung eines fremden Verbandes offensichtlich nicht zu seiner Auflösung, obwohl sogar die Familie des Herrschers wechselte.92 Voraussetzung für einen solchen erfolgreichen Eingriff in einen Herrschaftsverband ist jeweils der Erhalt der zentralen Gewalt für die Zeit der Herrschaftsübergabe, für den in diesem Fall jedenfalls die Franken sorgten. Andernfalls müssen die Großen selbst den Erhalt des Gemeinwesens als ihr aktuell höchstes Ziel begreifen. Sonst würde sich der Verband

88 Ausführlich diskutiert DEÉR, Untergang des Awarenreiches 1965, 769–771 die Unterwerfung von Tudun und Kagan. Er sieht das Fortbestehen des Herrschaftsverbandes unter fränkischer Oberhoheit, deutet aber das in der Unterwerfung sichtbare Verhältnis der Fürsten zu Karl „vasallitisch“, womit Deér m. E. trotz der Formelhaftigkeit der Unterwerfungen ein späteres Rechtsinstitut vorwegnimmt. Die Deutung der Unterwerfung als einen persönlichen Eintritt in ein vasallitisches Verhältnis des Awarenfürsten zu Karl widerspricht der offensichtlichen Kommendation von Fürst, Volk und patria, hat also – wenn von den Zeitgenossen überhaupt in dieser institutionellen Form so gesehen – allenfalls hinzutretenden Charakter. 89 ARF 809. 90 Namentlich genannt in den ARF 811. – S. dazu KAMP, Frieden mit den Heiden 2018, 136, der daraus auch auf „Gleichrangigkeit“ beider Gruppen schließt. 91 ARF 812. 92 ARF 819. Vgl. Astronomus, Vita Hludowici 36: „requisita atque reperta voluntate populi“, dazu GOETZ, Perception 2006, 29, der hier die Vorstellung des Astronomus von der schuldigen Mitwirkung der Großen erkennt.

2.4 Der Staat als Verband

333

auflösen. Das scheint auch eine Rolle gespielt zu haben, als Ludwig der Fromme über die Nachfolge bei den Wilzen entschied. Er gab der offensichtlich größeren Partei Recht, sodass tatsächlich der jüngere Sohn den älteren in der Nachfolge ersetzte.93 Der Herrschaftsverband der Dänen wurde auch vom Verfasser der Reichsannalen als solcher begriffen, denn er beschreibt, wie Ludwig der Fromme vor einem Eingreifen in innere Angelegenheiten „statum totius regni Nordmannorum“ sorgfältig erforschen ließ.94 Den Bulgaren wird von den Reichsannalen eine „societas“ zugeschrieben, von der sich die Timociani gelöst hatten und sich daraufhin den Franken zuwandten.95 Die „societas Bulgariorum“ bezeichnet einen vielleicht lockeren Verband, der aber fest genug war, dass die Lösung eines Teiles von ihm als solche wahrgenommen wurde. Wenn ein Verband fester ist und über ein Haupt verfügt, wird von dem Autor der Reichsannalen durchaus der Begriff „regnum“ gebraucht.

2.4 Der Staat als Verband 2.4.1 Organologie Eine Möglichkeit, einen Herrschaftsverband darzustellen, liegt in der Analogie zum menschlichen Körper. Vorgegeben ist das bereits in der Ekklesiologie. Die Vorstellung von der Kirche als corpus Christi mysticum, angelegt bei Paulus, ließ sich in der Karolingerzeit leicht auf das Reich und seine Glieder übertragen. Dass das nicht unbedingt häufig geschah, liegt nicht so sehr am Mangel transpersonaler Vorstellungen,96 sondern vielmehr daran, dass die angenommene Analogie zwischen ecclesia und regnum soweit ging, dass das regnum durchaus in der ecclesia mitbegriffen sein konnte. Es war also gar nicht nötig, das Reich explizit als „corpus“ auszuweisen,97 zumal die gelehrten Zeitgenossen lange Zeit keine Veranlassung sahen, dem Herrscher in den Großen in irgendeiner Weise eine Konkurrenz zuteil werden zu lassen. Denn die Vorstellung vom corpus mysticum bedeutet in der Ekklesiologie die Betonung der Teilhaberschaft der Beherrschten an der Herrschaft, etwa bei der Bischofswahl.

93 ARF 823. 94 ARF 823. Viel näher liegt der Begriff, den die Reichsannalen für das byzantinische Reich verwenden, nämlich „res publica“: „[. . .] qui tunc rem publicam regebat.“, ARF 803. 95 ARF 818: „Erant ibi et aliarum nationum legati, Abodritorum videlicet ac Bornae, ducis Guduscanorum, et Timocinianorum, qui nuper a Bulgarorum societate desciverant et ad nostros fines se contulerant.“; und ebenda 819: „Timocianorum quoque populum, qui dimissa Bulgarorum societate ad imperatorum venire ac dicioni eius se permittere gestiebat [. . .].“ 96 Wie STRUVE, Organologische Staatsauffassung 1978, 95 annimmt. 97 Vgl. dazu Hludowici pii ad Hetti archiepiscopum Trevirensem praeceptum (819), MGH Cap. I, Nr. 173, S. 356: „Quapropter et nos ob amorem et honorem Dei ac domini nostri Ihesu Christi et ob exaltationem sanctae matris nostrae catolicae ecclesiae, quae est corpus eius in qua et nos membrum ipsius per bona opera effici cupimus [. . .].“

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2 societas societatum – Zur Organisation des karolingischen Staates

Jonas von Orléans führt den organologischen Reichsbegriff denn auch ein, um die Verantwortlichkeit der Großen zu definieren: Quapropter necesse est, ut unusquisque fidelis tantae potestati ad salutem propriam et ad honorem regni secundum Dei uoluntatem, utpote membrum capiti, opem congruam ferat [. . .].98

Ihm gelingt es aber, das Glied nicht direkt auf die Gesamtheit zu beziehen, sondern unmittelbar auf das Haupt, in dem der Herrscher zu sehen ist. So steht zwar implizit die Verantwortung des Großen einer Gesamtheit gegenüber im Raum, weil er als membrum einem corpus angehört. Dieses wird als regnum auch genannt, dessen honor er wahren sollte, das aber steht eher im Hintergrund. Durch diese Sicht des Jonas aber scheint die Realität hindurch, in der Weise, dass den Großen ihre Stellung zum Reich als Herrschaftsverband sehr wohl klar gewesen sein wird. Gerade daher bindet er ja das Glied des Reiches unmittelbar an sein Haupt. In seiner durchaus kritischen Sicht auf Ludwig den Frommen berichtet der Astronomus in seiner Biographie Ludwigs des Frommen von der Reichsauffassung Karls des Großen, der gewusst habe, dass „regnum esse veluti corpus quoddam“,99 wobei die Organologie des Vergleichs in erster Linie auf die Krankheitsanfälligkeit des Menschen und des Reiches zielt, in zweiter Hinsicht aber sehr wohl der Beteiligung der verschiedenen Kräfte Rechnung trägt, wenn nämlich Karl aus diesem Wissen Rat und Unterstützung bei den Bischöfen suchte.100 Auf den Verbandscharakter des Reiches verweist auch die Absetzung des dux Chorso von Toulouse, der sich von den Basken unnötig hatte in Schwierigkeiten bringen lassen und daher „tantum dedecus regi et Francis acciderat“.101 „Rex et Franci“ ist hier die Formel für den Reichsverband, möglicherweise wurde „regnum“ zur Zeit der Abfassung noch allzu personal aufgefasst, ging es dem Astronomus bei dem Bericht doch um die Betonung des Schadens für die Gesamtheit, der alle Verbandsmitglieder zumindest mittelbar betraf.102

98 Jonas von Orléans, De institutione regia cap. 8, ed. Dubreucq, S. 222/224. Vgl. dazu STRUVE, Organologische Staatsauffassung 1978, 96. S. die deutsche Übersetzung bei ANTON, Fürstenspiegel 2006, 97. 99 Astronomus, Vita Hludowici 3. – S. dazu GOETZ, Perception 2006, 26, der diesen Beleg als klaren Hinweis auf einen zeitgenössischen Begriff vom Staat deutet. 100 „[. . .] et nunc isto, nunc illo incommodo iactari, nisi consilio et fortitudine velut quibusdam modicis sanitatis accepta tutetur, episcopos quidem modo quo oportuit sibi devinxit.“; ebenda. 101 Astronomus, Vita Hludowici 5. Zu Chorso vgl. KRAH, Absetzungsverfahren 1987, 20–23. 102 Zum Staatsbegriff des Astronomus s. GOETZ, Perception 2006, der nachweist, dass der Astronomus sehr wohl einen Begriff von der politischen Ordnung hatte und durchaus „regnum“ sowohl personal als auch transpersonal gebraucht.

2.4 Der Staat als Verband

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2.4.2 Verbandshandeln Vor 751 wurden die Kapitularien durch die Karolinger geradezu neu erfunden. Die relativ neuen Herrscher des Frankenreiches, die ihre Herrschaft ja nicht Stück für Stück neu erobert, sondern sukzessive übernommen hatten, waren in der Ausübung dieser Herrschaft in besonderem Maße auf die tätige Mitwirkung aller Kräfte des Reiches angewiesen. Dabei kam ihnen zugute, dass sie ihr Wohl mit dem des Reiches glaubhaft verknüpften. Indem die Großen mit den Karolingern gingen, sorgten sie für den Erhalt des Reiches als Friedens- und Rechtsraum. Aber sie waren es im Wesentlichen, die dafür sorgten, und mit ihnen die karolingischen Herrscher. Dem musste auch eine jede Versammlung Sorge tragen, von der bindende Regeln ausgingen. In der Verschriftlichung der gefundenen Regeln werden die Mitwirkenden an ebendiese Regeln gebunden; denn die Mitwirkenden sind nicht nur Quell der Autorität der Kapitularien, sondern auch ihre Empfänger. Sie sind schlichtweg Urheber von Rechtsregeln und in nahezu derselben Gesamtheit ihnen unterworfen. Das verlangt nach der schriftlichen Niederlegung. Diese hat dann auch einen Hinweis auf ihre tätige Mitwirkung zu enthalten. Das ist mehr als der Konsens späterer königlicher Kapitularien. Die Beschlüsse des Consilium Germanicum von 742 enthalten mehrfach diesen Autoritätsbezug, zwar als Konsiliumsformel, aber unter Nennung aller Kräfte des Reiches: Ego Karlmannus. . .cum consilio servorum Dei et optimatum meorum episcopos. . .congregavi. I. Et per consilium sacerdotum et optimatum meorum ordinavimus [. . .].103

Ganz ähnlich hält es Karlmann im Capitulare Liftinense (743): „[. . .] omnes venerabiles sacerdotes Dei et comites et praefecti prioris synodus decreta consentientes firmaverunt, se implere velle et observare promiserunt.“ Mit der letzten Bemerkung wird sodann auf die doppelte Rolle der Großen hingewiesen, nämlich als Miturheber und als „Betroffene“.104 In ähnlicher Breite gründet auch Pippin die von ihm ausgeübte Herrschaft auf die Kräfte seines Reichsteils: Dum plures non habetur incognitum, qualiter nos in Dei nomine una cum consensu episcoporum sive sacerdotum vel servorum Dei consilio seu comitibus et obtimatibus Francorum conloqui apud Suessionis civitas synodum vel concilio facere decrevimus.105

Zuerst wurde also eine Besprechung abgehalten, die von Konsens und Consilium geprägt war; und das Ergebnis erst dieser Besprechung waren die Beschlüsse, die als Beschlüsse der Versammlung aufzufassen sind, als deren Haupt Pippin diese promulgiert. Erst an zweiter Stelle steht die Frage, wie viele von den gefassten Beschlüssen auf Pippin selbst zurückgehen. Ferner ist ja auch die Frage

103 Concilium Germanicum (742), praef. und cap. 1, MGH Conc. II,1, S. 2. 104 Concilium Liftinense (743), Cap. 1, MGH Conc. II,1, Nr. 2, S. 5–7,6. 105 Concilium Suessionense (744), praef., MGH Conc. II,1, S. 33–36.

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2 societas societatum – Zur Organisation des karolingischen Staates

nach dem Zustandekommen der Eingangsabsichten Pippins nicht zu klären, etwa wie sehr diese im Vorfeld von einzelnen Großen beeinflusst wurden. Hierbei ist zu bedenken, dass die Anhänger des Herrschers vermutlich dessen Wohl und das Wohl des Herrschaftsverbandes als Einheit sahen, denn nur mit ihm, nur durch ihn, konnten Einheit, innerer Frieden und Erhalt der Ordnung bewerkstelligt werden. Das sollte seinen Anhängern immerhin bewusst gewesen sein. Gemeinsame Beschlüsse sind unter diesen Umständen unter Vorsitz eines Herrschers leichter zu fassen. Ludwig der Fromme unternimmt mit seiner Kirchenbuße in Attigny im Jahr 822 eine Art partielle Neugründung des Herrschaftsverbandes, indem er alle Kräfte des Reiches versammelt, um seine tonsorierten Halbbrüder zu rehabilitieren. Die Kirchenbuße, die er dort vor den versammelten Bischöfen, Äbten, geistlichen Männern und darüber hinaus den proceres seines Reiches vornimmt,106 verschafft ihm die Reinigung, nach der zunächst eine Konsolidierung seiner Herrschaft möglich wird.107

2.4.3 Verbandserhalt Vor der Neuordnung eines Herrschaftsverbandes liegt die Krise. Dabei geht eine solche Krise der Herrschaftsordnung in aller Regel mit einer Nachfolgekrise innerhalb der herrscherlichen Familie einher, wie etwa nach dem Tod Pippins des Mittleren,108 zu deren Bewältigung Karl Martell seinerseits einen Verband bildete, nämlich gemeinsam mit seinen Anhängern unter den Franken.109 Nach dem Tod Karl Martells kam es ebenfalls zu Nachfolgekämpfen, wobei Grifo und seine Anhänger unter den Großen einen Verband bildeten, wie auch hier der gebrauchte Begriff „sociare“ verdeutlicht.110 Es sind eben nicht nur die Mitglieder der herrscherlichen Familie die

106 Astronomus, Vita Hludowici 35. 107 Vgl. BOSHOF, Ludwig der Fromme 1996, 148–150, der die Admonitio ad omnes regni ordines von 822 als Beleg für die Stärkung der herrscherlichen Stellung anführt. – Vgl. zum Ritual und weiteren rituellen Handlungen während der Regierung Ludwigs des Frommen ALTHOFF, Macht der Rituale 2003, 57 ff. 108 Annales Mettenses priores 714: „Defuncto autem Pippino maxima conturbatio orta est in gente Francorum.“ 109 Annales Mettenses priores (715): „Carolus vero cernens militem suum in extremis periculis vitae positum non passus est ipsum perire, sed impiger socios arma capere iubet periclitantique famulo audax liberator occurrit.“ – Karl Martell war bis Ende 715 auf Geheiß Plektruds in Haft gewesen. Nach seiner Befreiung findet man ihn an der Spitze des austrischen Widerstands gegen die Dominanz der Neustrier. Er ist es, der den Pippiniden / Karolingern die politische Existenz sichert, s. ausführlich JOCH, Legitimität 1999, 84 ff. 110 Annales Mettenses priores 748: „[. . .] tyrannico fastu multos sibi nobilium sociavit [. . .].“ Vgl. mit einer überzeugenden Analyse der widersprüchlichen Quellenberichte zur Nachfolge Karl Martells und zur Rolle Grifos BECHER, Nachfolge Karl Martells 2003, der ebenda 112 f. und 131 Grifo als den designierten Haupterben sieht.

2.4 Der Staat als Verband

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Handelnden in diesen Auseinandersetzungen, sondern sie erscheinen als Exponenten widerstreitender Interessen innerhalb des Reichsverbandes, weshalb es immer wieder zu bedrohlichen Separationen kommt, die aber allesamt überwunden werden, indem eine der Parteien das Ziel der Konsolidierung des Gesamtverbandes der Franken erreicht, bis zu der Nachfolge Ludwigs des Frommen. Die Sieger dieser Nachfolgeauseinandersetzungen verheißen ihren Anhängern Prosperität. Der Reichsverband unter Führung der karolingischen Familie ermöglicht bis 800, vielleicht bis zu den ersten Jahren Ludwigs des Frommen, einen beständigen Zuwachs an kollektiver Gewalt und wirtschaftlichem Profit. Das ist der Anreiz für den Erhalt dieses Verbandes, aber auch für Separationen, deren Ziel (zumindest im Falle der Sieger) die Übernahme der Führung des Gesamtverbandes ist. Mit anderen Worten: Der Erhalt des Reiches und der Führung durch die karolingische Familie respektive ihre Mitglieder ist keine Frage theoretischer Reflexion, sondern unmittelbare Notwendigkeit. Dass aber das Reich ein transpersonales Gebilde ist, folgt aus seinem Verbandscharakter und wird im 9. Jahrhundert mehrfach auch im Gebrauch von Staatsbegriffen deutlich.111 In aller Deutlichkeit wird der Primat des Verbandserhaltes sichtbar im Ringen Ludwigs des Frommen und seiner Söhne um die Personalie des Verbandsvorstehers. Denn es ist ja kein Ringen um neu zu konstituierende Herrschaft, wie das etwa beim Aufstieg der Karolinger zu beobachten ist. Was mag Kaiser Ludwig den Frommen veranlasst haben, gegenüber den Aufständischen um Bernhard von Italien schon im Jahr 821 derartig milde zu verfahren, dass er ihnen ihr Eigengut restituierte, und das, obwohl, wie der Astronomus bemerkt, diese nach seinem Leben getrachtet hätten,112 und also nach der Darstellung der Quellen sich des crimen laesae maiestatis113 schuldig gemacht hatten? Verfuhr Ludwig also wirklich voller Milde oder gab es nicht vielmehr einen zwingenden Grund dazu? Handelt es sich wirklich allein um ein Schuldeingeständnis oder spiegelt das Verhalten nicht vielmehr politische Zwänge, die ein Schuldeingeständnis erst erreichten? War der Grund für den Aufstand Bernhards inzwischen obsolet geworden, sodass bei seinen damaligen Anhängern keine dauerhafte Feindschaft gegenüber dem Kaiser bestand? Was veranlasste die „Aufständischen“, sich in den Verband reintegrieren zu lassen? Sie waren jedenfalls zur weiteren Zusammenarbeit mit Ludwig bereit. Der Kaiser erreichte damit, dass er wesentliche Stützen der Herrschaft im Imperium und mutmaßlich auch im Frankenreich zurückgewann. Im Grunde stellte er die Integrität des Gesamtverbandes wieder her. Durch die Enteignung einiger Großer des

111 S. hierzu etwa oben, Vorbemerkungen, 1. Sedulius Scottus. 112 Astronomus, Vita Hludowici 34; BOSHOF, Ludwig der Fromme 1996, 148. 113 Das crimen laesae maiestatis ist ein von den Zeitgenossen häufig und durchaus im klassischen Rechtssinn gebrauchter Begriff (vgl. Der Staat als Verband, Kapitel 2.6.4).

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Reiches, die ja zum Teil ihre jeweilige Herrschaftsbasis nicht in Italien, sondern im Frankenreich hatten, war unzweifelhaft der Reichsverband geschwächt worden. Personen wie Adalhard und Wala waren als Karolinger wichtige Vertreter führender Familienverbände des Reiches, deren Mitwirkung an den Reichsgeschäften schlichtweg notwendig war.114 Es ist also zu vermuten, dass nicht Milde und Frömmigkeit den Kaiser zur Gnade veranlassten, sondern die Notwendigkeit, die Integrität des Reiches wiederherzustellen. Welche Rolle die Großen in Krisen spielten, zeigt sich auch in einer Schilderung Thegans über das Verhalten Pippins gegenüber seinem Vater: Alio vero anno perrexit domnus imperator de Aquisgrani palatio, pervenit ad Compendium, ibique venit obviam ei Pippinus filius eius cum magnatis primis patris sui, Hilduino archicapellano et Jesse Ambianense episcopo, Hug et Matfrido, Elisachar abbate, Gotefredo et multis aliis perfidis, et voluerunt domnum imperatorem de regno expellere.115

Es wird deutlich, dass das Miteinanderhandeln von Großen und einem Mitglied der Herrscherfamilie auch im Aufstand dazu angetan ist, den Verband selbst nicht zu gefährden. Den Aufstand von 830, der als „loyale Palastrebellion“ bezeichnet wurde, geht ja ersichtlich maßgeblich von einigen Großen aus, die sich gegen den Einfluss des Kämmerers Bernhard und der Kaisergattin Judith zur Wehr setzen wollten.116 Darüber ist jedoch nicht zu vergessen, dass sich die Söhne am Aufstand gegen den kaiserlichen Vater – aus gutem Grund – beteiligten. Ziel war es eben nicht, die Herrschaftsordnung zu zerstören, sondern ebendiese zu erhalten. Dazu bedurfte es der Söhne, um nämlich die „Verbindungen“ im Reich zwischen den Großen und dem Herrscher zu bewahren. Das zeigt die herrscherliche Familie gewissermaßen als Kulminationspunkt der fränkischen Herrschaftsordnung, zeigt aber zugleich eine gewisse Transpersonalität, da die konkrete Person des Herrschenden hinter der Herrschaft der Familie zurücktritt. Wie sehr die Person dabei

114 BRUNNER, Oppositionelle Gruppen 1979, 115 sieht, dass ein Regieren „gegen den Willen der breiten Mittelschicht des Adels“ nicht möglich war, womit er ebenfalls auf die Notwendigkeit breiten Konsenses verweist, wobei die Frage ist, wie die „breite Mittelschicht“ zu definieren sei, ob über Loyalitäten, soziale Bedingungen oder über beides, oder ob die Vorstellung von dieser Schicht der politischen Wirklichkeit des Frankenreiches vielleicht gar nicht gerecht werden kann, ungeklärt bleibt. BRUNNER ebenda 111 konstatiert schließlich, dass eine Polarisierung zwischen „altem“ und „neuem“ Adel in der Zeit Ludwigs des Frommen kaum zur Erklärung adeligen Handelns taugt. – Vgl. zur Rolle Walas am Hof Karls des Großen und als (möglicher) Gegenspieler Ludwigs des Frommen NELSON, Cour impériale 1998, 184, 189. – S. auch mit überzeugender Argumentation zur Konkurrenz zu Ludwig dem Frommen in der Person Walas COLLINS, Charlemagne and his critics 1998, 203. 115 Thegan, Gesta Hludowici 36. 116 BOSHOF, Ludwig der Fromme 1996, 182 ff. „Die loyale Palastrebellion“. S. auch HUMMER, Politics and Power 2005, 163 f.

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zurücktritt, zeigt die sprichwörtliche Milde Ludwigs des Frommen, etwa seinem Sohn Ludwig gegenüber, nachdem dieser Anstalten gemacht hatte, gegen den Vater zu ziehen.117 Dieses Verhalten findet sich auch später aufständischen Söhnen gegenüber, etwa bei Ludwig dem Deutschen selbst und bei Karl dem Kahlen. Das ist nicht der Ausdruck väterlicher Liebe, sondern reine „Staatsräson“. Der Erhalt des inneren Friedens verbietet schlichtweg ein „natürliches“ Benehmen des verratenen Vaters. Seine Person muss zurücktreten, um sich selbst die Führung des Verbandes zu erhalten, so paradox das klingt. Der Sohn spielt das Spiel in der Regel mit, weil auch er weiß, dass der Verbandserhalt die Voraussetzung für den Erhalt der herrscherlichen Aufgabe der Familie ist und damit unbedingt in seinem Interesse liegt. Seinem Sohn Pippin gegenüber, der kurz vor Weihnachten 831 zu ihm kam, verhielt sich Ludwig etwas abweisend.118 Das gab Pippin einen Eindruck von seiner Stellung innerhalb der herrscherlichen Familie nach der Wiederherstellung des Friedens, weshalb, wie zu vermuten ist, er sich zu diesem Zeitpunkt einem Frieden mit dem Vater entzog.119 Der Bericht des Astronomus vom Aufstand des Jahres 830 legt das Verbandshandeln, das der geschilderte Konflikt enthält, offen: 1. Verschwörung der primores 2. Gewinnung von minores 3. Herstellung von Öffentlichkeit („Freti ergo multitudine et assensu plurimorum Pippinum adeunt [. . .]“) 4. Gewinnung eines Mitglieds der herrscherlichen Familie (Pippin) 5. Eingriffe in die Verwaltung des Reiches (Matfrid wird gegen Odo von Orléans ausgetauscht)120 6. Festsetzung der Kaiserin in Laon, Bedrohung Judiths, den Kaiser zur Resignation zu bewegen (mit Todesdrohung); Verbringung Judiths ins Kloster 7. Eintreffen des kaiserlichen und älteren Sohnes Lothar, dem die Aufständischen zulaufen

117 Thegan, Gesta Hludowici 39: „quem benigne suscipiens, habuerunt colloquium pacificum, et non post multos dies cum magno amore diviserunt se.“ 118 Ann. Bert. 831: „Quem domnus imperator propter inoboedientiam illius non tam benigne suscepit, quam antea solitus fuerat.“ Zu erwarten wäre wohl gewesen, wie es Lothar Anfang Mai 831 in Ingelheim erging, den Ludwig „honorifice suscepit“, Ann. Bert. 831. Im Falle Lothars war diesem ehrenvollen Empfang immerhin ein längerer Prozess der Befriedung vorausgegangen, unter anderem ein Reichstag Anfang Februar, auf dem die vorausgegangenen Händel gemeinsam „bewältigt“ worden waren. 119 Ebenda. Die Verweigerung des Friedensrituals und der väterlichen Gnade durch Pippin in den Jahren 831 und 832 jedoch zeigt eine neue Brisanz der Konflikte, vgl. auch Ann. Bert. 832. 120 Mit Matfrid verlor Hugo von Tours, Schwiegervater Lothars, sein Amt, KRAH, Absetzungsverfahren 1987, 58; s. ebenda 63 zur weiteren Geschichte Matfrids und seiner Beteiligung am politischen Geschehen.

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8. Der alte Kaiser kann den Ort der Reichsversammlung der Aufständischen bestimmen und ihn umwandeln in eine allgemeine Reichsversammlung; er kann sogar die Größe des Gefolges der Teilnehmer beeinflussen. 9. Lothar besucht Ludwig auf der Reichsversammlung, der aufgebrachte populus wird besänftigt, indem sich Lothar und Ludwig gemeinsam zeigen. Damit wird die kaiserliche Autorität wiederhergestellt. 10. Die vermeintlichen Urheber der Verschwörung (unter ihnen nicht die Söhne) werden als Majestätsverbrecher zum Tode verurteilt und begnadigt.121 Zuerst vereinen sich die unzufriedenen und enttäuschten Großen. 122 Sie sammeln zahlreiche Anhänger unter den minores, womit sie eine größere Öffentlichkeit herstellen, um sodann einen herrscherlichen Exponenten ihres „Vereins“ zu finden. Erst danach gehen sie daran, die in ihren Augen schlimmsten Unerträglichkeiten zu beseitigen; sie setzen Matfrid wieder ein und verbringen Judith in ein Kloster. Sie stellen so eine Ordnung unter den Großen des Reiches wieder her, die durch die politische Tätigkeit der Kaiserin für ihre Familie gestört worden war. Ganz im politischen Rahmen der Zeit wenden sich die Aufständischen dem aus Italien eingetroffenen Lothar zu, nämlich dem ältesten Sohn und Mitkaiser. In der Person Pippins oder Lothars selbst lag die jeweilige Hinwendung der Aufständischen offensichtlich nicht begründet. Entschieden wird der Konflikt gewissermaßen öffentlich, jedenfalls in der Öffentlichkeit aus den Großen des Reiches auf der allgemeinen Reichsversammlung in Nijmegen. Der von den Reichstagsbesuchern repräsentierte Reichsverband ist offensichtlich in Gefahr: „Ingresso autem illo intra penita regiae domus, diaboli instigatione vulgus contra se coepit furere, processitque furor usque ad mutuam caedem [. . .].“123 Die versammelten Großen geraten in offene gewalttätige Auseinandersetzungen, deren Folge gewiss Bürgerkrieg hätte sein können. Der Wille aber zur geordneten Verbindung aller Glieder des Reiches ist ungebrochen, was sich aber erst zeigt, da die beiden Kaiser, Exponenten der jeweiligen Parteien, sich gemeinsam zeigen.124 Die Differenzen scheinen gemindert durch die restitutiven Maßnahmen der Aufständischen, die ja noch bestehen, denn Judith ist im Kloster und Matfrid Graf von Orléans. Wesentlich für die Beilegung des Konfliktes war zunächst die zur Schau gestellte Einigkeit der maßgeblichen Mitglieder der herrscherlichen Familie, nämlich als Zeichen für die Einheit des Reiches. Dieses Zeichen haben die Anwesenden in ihrer Bedeutung erkannt und ihrerseits die Voraussetzung geschaffen für den Erhalt des Reichsverbandes. Wie aber geht man mit der entstandenen

121 Vgl. Astronomus, Vita Hludowici 44–45. Vgl. ergänzend Ann. Bert. 830. 122 S. hierzu BRUNNER, Oppositionelle Gruppen 1979, 110 f., der in Wala den Kopf der Bewegung sieht. 123 Astronomus, Vita Hludowici 45, ed. Ernst Tremp, S. 462 f. 124 Ebenda: „Dum enim ille inter se tumultuantes, pene in insanum irruerent furorem, imperator ad cunctorum cum filio processit aspectum. Quo facto, omnis illa conquievit feralis commotio.“

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Schuld um, ohne durch ihre Ahndung selbst den Verband zu gefährden, indem die Urheber der Verschwörung als Hochverräter zum Tode verurteilt werden und ihre Familien sich der Mitwirkung im Gesamtverband entziehen und möglicherweise den nächsten Aufstand planen? Man begnadigt sie. Gnade und Milde, gerade weil sie auch als christliche Herrschertugenden gelten, erlauben allen Seiten, ihr Gesicht zu wahren. Die Begnadigten haben in diesem Fall vermeintlich etwas erreicht, nämlich eine Veränderung der politischen Struktur, da es ja ihr Exponent Lothar war, der an der Versöhnung maßgeblich beteiligt war. Die Begnadigten werden üblicherweise auch völlig rekonziliiert, wie die Teilnehmer am Aufstand Bernhards von Italien wenige Jahre nach ihrer Tat. Der Kaiser kann sein Gesicht wahren, weil er den Forderungen der christlichen Herrscherethik folgte. Vielleicht heißt Ludwig der Fromme für die Nachwelt nicht zuletzt deshalb der Fromme, weil er wie bei der Kirchenbuße in der christlichen Herrscherethik ein Mittel fand, mit dem er aus Niederlagen Siege fertigen konnte.125 Fast gewinnt man den Eindruck, als hätte die Beteiligung von Mitgliedern der herrscherlichen Familie an den Vorgängen vor allem den Zweck, die Unruhen unter Kontrolle zu bringen, als wäre hier jedenfalls das Handeln der Söhne aus Verantwortung motiviert und nicht aus der gerne unterstellten Herrschsucht der Söhne. Dieser Konflikt jedenfalls wurde durch die Familie eher beigelegt denn angezettelt.

2.4.4 Verbandsbildung Man ist geneigt, die Verbände als etwas Raumgebundenes und Alternativloses aufzufassen, vergisst dabei aber, dass die Entstehung dieser Verbände ganz und gar nicht alternativlos war und der Raumbezug allenfalls begünstigend gewirkt hat. Auch zu merowingischer Zeit werden Verbände gebildet, wie etwa zwischen Chilperich und zahlreichen Großen aus dem Reich des minderjährigen Childebert im Jahr 581. Es wurde ein Vertrag geschlossen, dem zufolge Chilperich den Childebert zu seinem Erben bestimmte.126 Der Zusammenschluss von Großen ist ja auch eine wesentliche Voraussetzung für die Herrschaft der Karolinger. Die Annales Mettenses priores schildern eine Phase dieses Prozesses für die Zeit Pippins des Mittleren, der als primus inter pares immerhin eine ganze Reihe von weiteren Großen in sein Projekt einzubinden versteht:

125 Zum Beinamen „der Fromme“, der zunächst eben nur gelegentliches Epitheton ohne besonderen Bezug auf einen bestimmten Herrscher war und erst in nachkarolingischer Zeit zum festen Beinamen Kaiser Ludwigs wurde, s. SCHIEFFER, Ludwig ‚der Fromme‘ 1982. 126 Gregor von Tours, Libri historiarum VI,4. S. dazu HANNIG, Consensus fidelium 1982, 108.

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Interea duces ac optimates Francorum, quos gloriosus genitor eius nutriverat magnisque olim honoribus exaltaverat, audita nequissimi tiranni perditione immenso repleti gaudio ad Pippinum properant seque cum omnibus quos gubernabant suae ditioni mancipant.127

Pippin kann auf das Erbe seines Vaters zurückgreifen, der die Großen gewissermaßen versorgt und mit Ehren geschmückt hatte. Diese Großen eilen nun Pippin zu, dem sie sich untergeben. Sie untergeben sich seiner Herrschaft willentlich; sie erkennen in seiner Führung einen Vorteil. Dass ein Verband gebildet wurde und nicht bloß eine Einung von Personen, zeigt der Hinweis auf alle, die sie führten (gubernabant); auch sie gehören diesem neu gebildeten Verband an, nämlich als Mitglieder der bestehenden Herrschaftsverbände der hier tätig mitwirkenden Großen. Der Verfasser der Annales Mettenses priores stellt auch das Vorbild für die Bildung des karolingischen Herrschaftsverbandes vor, nämlich den heiligen Arnulf von Metz, der „optimates cunctorum orientalium Francorum“ versammelte und zu deren „defensor et iustissimus in corrigendis moribus dominator“ wurde.128 An anderer Stelle wird von einer Einung Pippins und seiner Großen gegen König Theuderich berichtet,129 wobei „adunare“ nicht unmittelbar technisch aufzufassen ist, wohl aber den Vorgang der Vereinigung zu gemeinsamem Handeln bezeichnet. Mehrfach betont der Autor der Annales Mettenses priores am Anfang seines Berichts vom Aufstieg der Karolinger die tätige Mitwirkung der Großen,130 ja er lässt die karolingische Herrschaft im Konsens geboren sein,131 um dann nach dem Sieg über Theuderich und der recusatio des Königstitels durch Pippin festzustellen: „Ipse vero totius regni gubernacula thesaurosque, regios et universi exercitus dominationem propriae facultatis iure disponenda retinuit.“132 Hat die recusatio des Königstitels möglicherweise mehr eingebracht als es die Übernahme des Königtums zu dieser Zeit vermocht hätte? Nach der Freilassung und erneuten Ausstattung Grifos (747) berichten die Annales Mettenses priores:

127 Annales Mettenses priores 688 (S. 2). – S. auch Annales Mettenses priores 688 (S. 3): „Tanto enim prudentiae lumine radiabat, ut grandevis et maioribus natu populis ipsi subiectis maximam admirationem ingereret.“ 128 Annales Mettenses priores 688 (S. 4). 129 „Pippinus adunatis optimatibus suis [. . .]“, Annales Mettenses priores 689 (S. 7). 130 S. dazu auch Annales Mettenses priores 690 (S. 7 f.): „Ducibus Pippini omnibus optime placuit arma capere, pro miseris ac spoliatis, qui tute tam suam fidem quam et defensionem quesiverant, dimicare patriamque non a populante hoste, sed in suis sedibus deterrente requisito defensare.“, ebenda: „Pippinus, accepto a magistratu consilio, quod apud se versabat in animo, magno repletus gaudio exercitum congregat, quo obstinati regis iactantiam preveniret.“ 131 Nach einer Rede Pippins an seine Großen: „His dictis universus populus roboratus vocibusque simul et armorum plausu sententiam ducis firmaverunt.“ Vgl. hierzu auch HASELBACH, Aufstieg 1970, 147. 132 Annales Mettenses priores 690 (S. 12).

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Grippo vero [. . .] tirannico fastu multos sibi nobilium sociavit et fuga lapsus, Rethnum transiens, in Saxoniam venit. Quem plurimi iuvenes ex nobili genere Francorum inconstantia ducti, proprium dominum133 relinquentes, Gripponem subsecuti sunt.134

Grifo verband sich mit zahlreichen Vornehmen,135 mit der Absicht die karolingische Herrschaft an sich zu nehmen. Die Großen folgen ihm freiwillig, weil sie sich Gewinn versprechen. Sie erhalten damit die Option, dass Grifo ihnen einen „Mehrwert“ bieten würde, wenn er denn Erfolg haben würde. Grifo und die Großen schließen sich also zu einem Verband zusammen, dessen Zweck der Erwerb und die Verteilung von Herrschaft ist. Manche nehmen dazu das Verlassen ihres Herrn oder aber – je nach Lesart – den Verlust ihres dominium auf sich (hier scheint die Lesart „dominium“ der der Edition vorzuziehen zu sein), in der Hoffnung, zu einem größeren zu gelangen. Aufgabe eines solchen Verbandes ist der Gewinn von Herrschaft, die dann von dem Verband bzw. seinen Mitgliedern ausgeübt werden kann. Die an diese Feststellung anschließende Frage ist, wie die Verteilung der zu gewinnenden Herrschaft zwischen den Mitgliedern des Verbandes gehandhabt werden soll. Wieviel an Herrschaftskompetenz erhält der künftige „Herrscher“ und wie viel erhalten die „socii“? Bei den Anhängern Grifos ist der entstehende Verband wahrscheinlich nur in wenigen Parametern vorgegeben. Anders ist das später bei dem Tod Karlmanns, des Bruders Karls des Großen, und der Entscheidung des bestehenden Verbandes für einen Nachfolger im Jahr 771. Der Verband besteht, gesucht wird ein neuer Verbandsvertreter. Dabei kommt es zu Fluktuationen unter den Mitgliedern; wegen der engen Bindung der Mitglieder untereinander und an den vom Verband beherrschten Raum gibt es aber keine sinnvolle Alternative zum Erhalt des gesamten Verbandes. Einigkeit in Bezug auf einen Kandidaten ist bei Lage der Dinge auch nur zu erreichen, wenn der Kandidat ein handlungsfähiger Abkomme Pippins des Jüngeren ist.136 Da Karl der Große und mit ihm Bertrada, die Mutter Karls und Karlmanns, keinesfalls durch innere Konflikte den Bestand des Reiches gefährden wollten, und Karl selbst im Falle einer Förderung des Sohnes Karlmanns seine eigene Stellung erheblich geschwächt hätte, weil sein eigener Sohn den Makel eines Buckels hatte, war die Entscheidung der Frau Karlmanns,

133 Lesart A1: „dominium“. 134 Ad annum 748; s. zu der Stelle und ihrem Kontext HAMMER, From Ducatus to Regnum 2007, 94 f. 135 Ob es sich bei den Anhängern Grifos tatsächlich vornehmlich um „iuvenes“ handelte, wie JAHN, Ducatus Baiuvariorum 1991, 178 den Annales Mettenses priores entnimmt, darf bezweifelt werden. Die jugendliche Unvernunft eignet sich hervorragend als Topos. Die Großen werden so aus der Verantwortung für Grifos Erfolg herausgehalten, und dabei wird zugleich die Hinwendung zahlreicher Großer (und ihrer Familien, wie zu vermuten ist) heruntergespielt, also das strukturelle Problem der adeligen Offenheit gegenüber den Söhnen Karl Martells negiert. 136 S. die Herleitung bei STROTHMANN, Königtum Pippins 2008.

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nach Italien zu gehen, wohl richtig.137 Da kommt zu dem Zeitpunkt lediglich Karl der Große in Betracht. Das stärkt Karl: Domnus rex Carolus venit ad Corbonacum villam, ibique venientes Wilcharius archiepiscopus et Folradus capellanus cum aliis episcopis ac sacerdotibus, Warinus et Adalhardus comites cum aliis primatibus, qui fuerunt Carlomanni.138

Die widerstehenden Kräfte verlassen das Reich und gehen nach Italien, nämlich Karlmanns Frau „cum aliquibus paucis Francis“.139 Eine ganz ähnliche Entscheidung treffen später die bayerischen Großen, nur dass ihr Herrscher anwesend ist und erkennt, „quod omnes Baioarii plus essent fideles domno rege Carolo, quam ei“.140 Hier entscheiden die Mitglieder eines Verbandes – gewiss nicht ohne äußeren Druck – über die Person ihres Vertreters. Und auch hier wird der Verband erhalten. Solch ein Verband übersteht die Fluktuation seiner Mitglieder, die im Falle der Dissidenten um die Gattin Karlmanns für gering zu erachten ist, aber im Falle des Wechsels in der Führung doch von erheblicher Bedeutung gewesen sein wird. Im Falle des Todes Karlmanns und der Herrschaftsübernahme durch Karl den Großen bleibt die Funktion in der Familie, die ja ohnehin als eigentlicher Herrscher anzusehen ist. Aber auch der Austausch Tassilos durch Karl, der weitaus gravierender war, zerstört nicht den bayerischen Herrschaftsverband. Dafür war es entscheidend, dass die von allen anerkannte Führung möglichst bruchlos erhalten blieb. Im Oktober 821 hielt Ludwig der Fromme in Diedenhofen eine Reichsversammlung ab, auf der sich Lothar mit der Tochter des Grafen Hugo vermählte. Die Reichsannalen berichten zum Abschluss der Versammlung: Completisque his, quae ob regni utilitatem inchoaverat, et sacramento, quod apud Noviomagum pars optimatum iuraverat, generaliter consummato ipse Aquasgrani revertitur [. . .].141

Der Eid der Großen, der hier ergänzend weiteren Großen abgenommen wurde, bezieht sich auf die Ordinatio imperii und damit auf die Erhebung Lothars als Nachfolger und Mitkaiser,142 was angesichts der Eheschließung Lothars und seiner Verbindung mit der Familie Hugos, also einer Verschiebung in der Herrschaftsstruktur des Reiches in seiner Bedeutung nicht zu unterschätzen ist. Hier wird der Verband erneuert, der übrigens als „regnum“ bezeichnet wird, weil die Veränderungen in der Führungsstruktur vermutlich von den Mitgliedern approbiert werden mussten.

137 JARNUT, Bruderkampf [1993] 2002, [168 f.] 238 f. 138 ARF 771. 139 Ebenda. – Vgl. HÄGERMANN, Karl der Große 2000, 88 f. 140 ARF 787. 141 ARF 821 (S. 156). 142 Vgl. BOSHOF, Ludwig der Fromme 1996, 153.

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Die Zeitgenossen hatten sehr wohl einen Begriff von Verbandsbildung, wie aus einem Bericht des Astronomus vom Abfall des Goten Aizo hervorgeht, der mit den Sarazenen gemeinsame Sache machte und die Grenzen des Frankenreiches bedrohte, wobei er mehrere Kastelle übernehmen konnte. „[. . .] plurimique etiam a nobis deficerent et eorum se sotietati conferrent, inter quos Uuillemundus Bere filius eorum perduellione cum plurimis federatus est.“143 Aizo war also in der Lage, große Teile der Grenzbevölkerung zum Überlaufen zu bewegen. Das Ergebnis dieses Überlaufens war die Bildung eines Verbandes dieser Überläufer mit Aizo, zugleich aber die Schwächung des fränkischen Herrschaftsverbandes an seinem Rand. Der Erhalt des Verbandes nach dem neuerlichen Aufstand der Söhne wurde 833 zur vordringlichen Aufgabe. Dieser Verbandserhalt kommt einer Neugründung gleich. Lothar hatte nach seinem Sieg im Jahr 833 noch mit dem Problem zu kämpfen, dass einige sich ihm nur deshalb angeschlossen hatten, weil es keine aktuelle Alternative zu ihm gab. Es wurde gemutmaßt, dass einige eigentlich noch Ludwig anhingen und dem Sohn untreu seien. Diese reinigten sich von diesem Verdacht durch klare Worte bzw. durch Eid.144 Der Sieg Lothars verlangte also nicht bloße praktische Umorientierung, sondern setzte ein Recht des neuen Verbandsvorstehers auf Loyalität. Die Großen wurden zu Lothars fideles. Nachdem Ludwig restituiert worden war, ließ er Lothar wissen, „quod omnia quae contra patrem egerat illi concessissent, et ut cum pace ad eum reverteretur.“145 Wieder galt als oberste Priorität der Erhalt des Verbandes bzw. der Wiederherstellung der Integrität des Gesamtverbandes. Erst die Wiederaufnahme Lothars in den familiären Handlungsverband stellte auch den Reichsverband im Ganzen wieder her. Voraussetzung für eine Wiederaufnahme war die Bitte Lothars um Verzeihung. Darauf erfolgte die Verzeihung. Damit war die Voraussetzung geschaffen, auch die Getreuen Lothars, deren Treue mit dem Akt der Wiederaufnahme Lothars nun wieder der Gesamtfamilie gelten musste, zu rehabilitieren. Ludwig gab ihnen ihre Eigengüter und Würden zurück, mit den Worten der Annales Bertiniani: „[. . .] suorum quoque complures non solum proprietatibus, verum etiam beneficiariis donavit honoribus [. . .]“.146 Der Begriff „donare“ zeigt die Fiktion der völligen Freiwilligkeit des kaiserlichen Handelns, dass es nämlich nicht um eine rechtmäßige Rückgabe von fortbestehendem Eigentum ging, sondern um die Gnade, das, was sie früher besessen hatten, nun wieder „geschenkt“ zu bekommen. „Geschenkt“ wird eben nicht die Sache, sondern ihr Gebrauch. Die Übersetzung von „beneficium“ und „honores“ als „Würden“ scheint hier angebracht, da „Lehen“ in der Terminologie der Rechtsgeschichte, nämlich als Bezeichnung für den solchermaßen begründeten Besitz selbst sich auf die

143 Astronomus, Vita Hludowici 41. S. dazu BRUNNER, Oppositionelle Gruppen 1979, 107. – S. auch BOSHOF, Ludwig der Fromme 1996, 169. 144 Astronomus, Vita Hludowici 49. 145 Ann. Bert. 834. Lothar indes „perduravit“. 146 Ann. Bert. 839.

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Rechtsvorstellungen späterer Zeiten zurückführt. 147 Hier dominiert jedoch der ursprüngliche Inhalt des Begriffes „beneficium“, nämlich „Wohltat“148 im Gegensatz zu einem „Eigen“, das ja auch Rechte irgendwelcher Art bezeichnen kann und nicht Grundbesitz meinen muss. Hinzu treten die „honores“, die die Ämter bzw. Würden eines Verbandsmitgliedes bezeichnen,149 also etwa seine Stellung im Verband zu beschreiben in der Lage sind. Das ist in dem Zusammenhang der konkreten Wiederherstellung des Gesamtverbandes durch die Wiedereingliederung des Teilverbandes Lothars von besonderer Bedeutung und musste daher Erwähnung finden. Schon im Jahr zuvor hatten sich Hilduin von St. Denis und der Graf Gerhard von Paris dazu verstanden, Karl dem Kahlen die Treue zu schwören, „ceterique omnnes praedictos fines inhabitantes“.150 Hier findet eine Verbandsbildung statt. Unter der Führung zweier Verbände bzw. Körperschaften, nämlich dem der Kirche von St. Denis und dem der Familie des Grafen von Paris, verbinden sich alle innerhalb der festgesetzten Grenzen mit Karl dem Kahlen zu einem Teilreichsverband. Es sind dieselben Verbandsvertreter Hilduin von St. Denis und Gerard von Paris, die im Jahr 840 „fide frustrata“ zu Lothar übergingen. Das nahm sogleich Pippin, der Sohn Bernhards von Italien zum Anlass, ebenfalls unter Treuebruch zu Lothar überzulaufen. 151 Aus der Sicht Nithards ist das nicht etwa ein Schritt, den Gesamtverband, die Reichseinheit nämlich, wiederherzustellen, sondern mit dem Bruch des Treueides dem eigenen König gegenüber ein Vergehen gegen den bestehenden Teilreichsverband. Auch hier zeigt sich die Bedeutung der Verbände und ihres Erhaltes. Der Bestand eines rechtlich gesicherten Verbandes hat – jedenfalls für Nithard – Priorität,152 dessen Existenz ja aus Verträgen hervorging,153 die die Verbandsmitglieder mit dem künftigen Herrscher und indirekt miteinander geschlossen hatten. Die Wiederherstellung des Gesamtverbands hat demnach über die bestehenden Teilreichsverbände zu geschehen und nicht über den Bruch der bestehenden Ordnung.

147 BECHER, Subiectio principum 2006, 175 spricht daher hilfsweise (für einen Fall vom Ende des 9. Jahrhunderts) auch von „Lehen [. . .] nicht in einem spezifisch vasallitischen Kontext“. S. auch auch DEUTINGER, Königsherrschaft 2006, 82 f. zu honores als in weitesten Sinne „Ehren“. Zu beneficium s. ebenda 84 f., wonach der Begriff keine lehnrechtliche Bedeutung haben muss. Vgl. die kurze Abbildung der Diskussion bei D EVROEY, Puissants er misérables 2006, 187 f. 148 So auch MITTEIS, Lehnrecht und Staatsgewalt [1933] 1958, 107. 149 GANSHOF, Lehnswesen [1944] 1961, 46 f. zur Bedeutung als öffentliche Ämter, „etwa die Grafenämter“. 150 Nithard I,6 (838). 151 Nithard II,3. 152 Zu Nithards Begriff von einem regnum als dem „Gemeinsamen“, einem Gebilde, das unabhängig von Personen zu schützen ist s. GOETZ, Wahrnehmung 2006, 50 f. 153 S. hierzu grundlegend APSNER, Vertrag und Konsens 2006. Übrigens verlangt der Abschluss eines Vertrages nicht nach seiner schriftlichen Niederlegung.

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2.4.5 Der Vertrag von Coulaines Insofern bedeutet der Vertrag von Coulaines keinen Bruch.154 Die Neuerung des Vertrages von Coulaines besteht in der Offenlegung seiner Voraussetzungen, weil diese Voraussetzungen erstmalig zum Inhalt eines solchen Abkommens werden. In Coulaines werden die Prozesse, die zur Verbandsbildung führten, erstmals präsent. Die neue Öffentlichkeit, die der Vertrag schafft, wird zwar beschränkt auf die Vertragspartner, wie zu vermuten ist, da er keinen Widerhall in den historiographischen Quellen fand,155 aber immerhin wird die Öffentlichkeit ausgeweitet, indem die Vertragsvoraussetzungen allen Vertragspartnern und ihren Nachkommen schriftlich vorliegen können. Erstmals wird deutlich, dass ein Reichsverband, hier ein Teilreichsverband, auf dem Willen seiner Mitglieder basiert. Dem Vertrag nämlich ging eine convenientia156 von geistlichen und weltlichen Großen voraus, die zuerst einen eigenen Vertrag schlossen.157 Erst in einem zweiten Schritt wurde dieser Vertrag dem designierten Teilreichsherrscher vorgelegt. Dieser ist sodann der bestehenden Einung beigetreten158 und hat in seinem Prooemium zu dem erhaltenen Vertragswerk159 auf die vorausgegangene „convenientia“ und ihre Verbandsbildung hingewiesen:

154 Zu den Forschungsdiskussionen um den Vertrag und zu seiner Vorgeschichte vgl. APSNER, Vertrag und Konsens 2006, 23 ff. – Vgl. zum Vertrag als Ordnung der Kräfte des Reiches SUCHAN, Opposition 2003, 143 f. 155 Einzelne Kapitel des Vertrages, v. a. cap. 1, werden in späteren Versammlungbeschlüssen, sowohl Canones als auch Kapitularien mehrfach widerholt, SCHNEIDER, Einheit des Frankenreiches 1995, 23. 156 Zum Begriff der „convenientia“ s. fundiert APSNER, Vertrag und Konsens 2006, 73 ff. und ebenda 207 zu einer convenientia von Karl dem Kahlen und seinen fideles im Kapitular von Quierzy (857), cap. 11. 157 So verweist auch SCHNEIDER, Einheit des Frankenreiches 1995, 22 darauf, dass eigentlich zwei Verträge geschlossen wurden, nämlich einmal unter den Großen und dann noch einmal mit dem König. 158 S. dazu SCHLESINGER, Auflösung des Karlsreiches [1965] 1987, [839/840 f.] 104 f., der eine solche „Konstruktion des Staatswesens als Genossenschaft“ (ebenda [840/841] 105) für temporär hält. – Vgl. ANTON, Konzept 1979, 82 der unter Bezug auf CLASSEN, Verträge 1963, 23 ff. davon spricht, dass der König dem Vertrag habe beitreten müssen. – So ähnlich sieht das auch APSNER, Vertrag und Konsens 2006, 87, der „das auslösende Moment im ‚genossenschaftlichen‘ Zusammenschluß des Adels“ und also die Initiative beim Adel sieht. Diese Auffassung lebt von einer grundsätzlichen Unterscheidung der rechtlichen Zugehörigkeiten von Adel und König, letztlich von der Dichotomie von Herrschaft und Genossenschaft. Dabei ist doch auch denkbar, dass Große und König aus gleichgearteten Interessen und Einsichten heraus sich gemeinsam neu zusammenfinden mussten, um die staatliche Ordnung des Teilreiches zu erhalten. – S. mit der Beobachtung, dass „die Rolle der Großen des Reiches an Bedeutung“ gewann, was sich im Vertrag von Coulaines niederschlug, HECHBERGER, Adel, Ministerialität und Rittertum 2004, 15. 159 Als Vertrag qualifiziert das Abkommen der Text selbst: „Es si quis quemcumque contra nos et contra hanc pactam sinceritatem aliquid moliri manifeste cognoverit [. . .]“, cap. 2, MGH Conc. III, 3, S. 16.

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Quapropter venientes in unum fideles nostri, tam in venerabili ordine clericali quam et inlustres viri in nobili laicali habitu constituti et zelo dei accensi, memores etiam fidei, quam ipsi et antecessores eorum nostris detulerunt praedecessoribus, ponentesque ante oculos dilectionem et fidelitatem, quam nobis post defunctionem patris laudabiliter et continentissime servaverunt, secundum quod legitur in litteris divinitus inspiratis ‚hortatus est alter alterum‘, immo omnes se invicem monuerunt, ut cuncti universum animi rancorum pro quocumque conceptum negotio a corde propellerent et in dei voluntate ac sanctae ecclesiae competenti veneratione seu nostra fidelitate servanda atque debito honore et regia potestate stabilienda et conservanda, quin etiam sese in pacis concordia et vera amicitia copularent, quatenus divinae clementiae placerent obnixius et de regis ac regni stabilitate et utilitate possent tractare sublimius et suum atque totius populi communem profectum et tranquillitatem optinerent propensius.160

Hier wird geschildert, dass die fideles „in unum“ zusammenkamen, nämlich zu einem gemeinsamen Willen gelangten, auf der Basis einer langen Verbindung der karolingischen Familie und der westfränkischen Großen, mit dem Anspruch, einander zu korrigieren („hortatus est alter alterum, immo omnes se invicem monuerunt“). Sodann wird der geschlossene Verband sanktioniert, indem die Treue zum König und miteinander zu Gott verbunden werden.161 Die königliche Gewalt (regia potestas) wird solchermaßen zu einer Voraussetzung der Einung. Die Einung selbst wird geschlossen mit der Formel: „sese in pacis concordia et vera amicitia copularent“. Damit ist ein Verband geschlossen, dessen Zweck die „stabilitas regis et regni“ darstellt, die auch erläutert wird als „communis profectus et tranquillitas totius populi“ und die jeweils auch dem Einzelnen zu Gute kommen solle. Was ist das anderes als der willentliche Zusammenschluss zur Bildung bzw. Neubildung einer politischen Gemeinschaft?162

160 MGH Conc. III, 3 (S. 14 f.); s. a. bei KRAH, potestas regia 2000, 210 f. mit deutscher Übersetzung. 161 Der von DEUTINGER, Königsherrschaft 2006, 94 ff. dargelegte Begriff der fides sowie der fidelitas beschreibt in Bezug auf den König nur die Bindung an die Person des Königs. Er übersetzt ebenda 101 „fidelitas“ mit „Loyalität“, weil der moderne Begriff von Treue den Bedeutungsgehalt des Wortes verkennen würde. Gerade aber die fideles, wie sie sich im Vertrag von Coulaines zeigen, sind eigentlich fideles regni, nicht so sehr fideles regis. Ohne das an dieser Stelle ausführen zu wollen, lässt sich doch vermuten, dass „fides“ im öffentlichen Raum mehr bedeutet als die Loyalität einer Person gegenüber, es scheint, als handele es sich – vielleicht über den Umweg der fidelitas Dei et regis um eine Treuebindung an die politische Gemeinschaft, die selbst eng mit dem Wohl des Königs verbunden ist. 162 So auch ANTON, Konzept karolingischer Synoden [1979] 2002, 207, der mit CLASSEN, Verträge 1963, 26 in dem Vertrag von Coulaines die „‚Gründungsurkunde‘ des westfränkischen Reiches“ erkennt und mit einem Zitat von Ewig aus Jedin, Handbuch der Kirchengeschichte III,1, 1966, 146 den Gedanken abschließt: „Das westfränkische regnum wurde zu einem auf die Gesamtheit der Fideles gegründeten Rechtsverband.“ – SCHNEIDER, Einheit des Frankenreiches 1995, 24 qualifiziert den Vertrag von Coulaines 843 nach eingehender Untersuchung als „Verfassungsvertrag“. Und auch NELSON, Frankish Kingdoms 1995, 133 erkennt in der Einung von Coulaines die Begründung einer „societas“. – Vgl. auch GROTH, regnum 2017, 484, der den Vertrag von Coulaines als Zeichen der Verselbständigung der Teilreiche sieht.

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Obwohl Karl der Kahle als designierter Herrscher anzusehen ist, worauf er selbst in seiner Vorrede eingeht, indem er auf die Herrschaft seiner Familie verweist, ist der geschlossene Vertrag nicht alternativlos. Es hätte auch ein schwebender Zustand fortbestehen können, der es den Großen erlaubt hätte, auch einzeln zu handeln und sich gegebenenfalls einem der Brüder anzunähern. Die Großen aber hatten anders entschieden. Und in dem in der convenientia der Großen geschlossenen Vertrag zeigt sich der Wille der Akteure zur Verbandsbildung, die – das zeigen die Vertragsbestimmungen – dauerhaften inneren Frieden und Sicherheit (stabilitas) zum Ziel haben.163 Vorab sei hier zusammengefasst, dass der so neubegründete Verband mehrere Kriterien erfüllt, nämlich ein klar abgegrenztes Territorium, das dem Verband zugehört, weil die Verbandsmitglieder innerhalb dessen Grenzen ihre „Verortung“ finden, den Anspruch auf Kontinuität, die Schaffung eines Friedensraumes, die Bündelung der Herrschaft zur Übertragung an einen Vertreter bzw. Vorsteher und die Herstellung eines Rechtsraumes, in dem jede Willkür der Mitglieder und des Herrschers ausgeschlossen wird und geahndet werden soll.164 Nach den Kriterien des modernen Völkerrechts für einen Staat liegt hier ein ebensolcher vor.165 Alle Beteiligten unter Einschluss des Herrschers sollten den Vertrag eigenhändig unterschreiben, dessen Form, nämlich die Rede eines einzelnen, dokumentieren sollte, dass die geschlossene Einung wahrhaftig ist und also alle mit einer Stimme sprechen,166 was begründet wird mit der Einheit des corpus mysticum, für das Gott spricht.167 Zum Schluss des Vertrages, in Kapitel VI, wird noch einmal die geschlossene societas gesichert, nämlich gegen solche, die „hoc foedus concordiae salubris“ brächen. Diese sollen ermahnt werden und im Falle einer erfolgreichen Ermahnung „fiat de societate fideli omnibus gaudium“. Nach der inhaltlichen Schilderung der Verbandsbildung gebrauchen die Vertragspartner hier auch den Begriff, der in den folgenden Jahren immer häufiger Verbände bezeichnen wird. Das heißt, wenn der Begriff „societas“ gebraucht wird, so darf für diese Zeit angenommen werden, dass er auch mit „Verband“ zu übersetzen ist. Außerdem darf nun davon ausgegangen werden, dass die Zeitgenossen einen Begriff von Transpersonalität besaßen,168 denn der

163 S. NELSON, Kingship [1977] 1986, 147 sieht in dem Vertrag die Bewahrung der „structure of the state as a whole“. 164 KRAH, potestas regia 2000, 221 spricht von „Rechtssicherheit“. 165 S. auch JARNUT, Langobardischer Staat 2009, 29. 166 S. auch ANTON, Konzept karolingischer Synoden [1979] 2002, 204. 167 Schluss der Vorrede mit Hinweis auf Matth. 10,20. ANTON, Konzept karolingischer Synoden [1979] 2002, 205 sieht darin die „ecclesia“ als Corpus dreier „personae“ anstelle der zwei des Konzils von Paris. 168 KRAH, potestas regia 2000, 226 sieht die „Abstraktion eines Regnumsbegriffes gelungen“, mag aber dennoch nicht von „Staat“ oder „Staatlichkeit“ sprechen, obwohl sie selbst einige Kriterien herausgearbeitet hat, die für die Feststellung von „Staatlichkeit“ erheblich sind, wie etwa der transpersonale Begriff von „regnum“.

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Vertragstext von Coulaines beschreibt ja die Unterscheidung von persönlichem Vorteil und gemeinsamem Nutzen und bringt den gemeinsamen Nutzen sodann in einen engen Zusammenhang mit „regnum“. Auch ergibt sich die Transpersonalität des neugeschaffenen politischen Gemeinwesens daraus, dass es als überpersönlich sanktioniert wird, nämlich durch die enge Verbindung des Geschaffenen mit Gott. Die Rede in der Einheit, zu deren Vergleich das corpus mysticum taugt, soll ja nicht die unterschiedlichen Positionen der Handelnden kaschieren, sondern die Handelnden auf einer höheren Ebene zu gemeinsamen Handeln zusammenführen. Dass der Austritt aus dem Verband verboten ist, zeigt ebenfalls seine rechtspersönliche Qualität. Und schließlich ist zu wissen, dass es nicht einfache Personen sind, die sich auf Lebenszeit zusammenschließen, denn das würde bei dem Tod des ersten Vertragspartners den Verband bereits in eine Krise stürzen. Es sind transpersonale Gebilde, für die der Reichsverband erneuert bzw. neu gegründet wird, nämlich Familien und Kirchen.

2.4.6 Verbandsintegrität Das Westfrankenreich ist dennoch ein einigermaßen labiles Gebilde, was sich spätestens am Abfall zahlreicher weltlicher Großer von Karl dem Kahlen im Jahr 858 zeigt. Sie hatten Ludwig den Deutschen herbeigerufen, der sich nicht lange bitten ließ. Dass es schließlich nicht zur Übernahme des Westreiches durch Ludwig kam, verdankte Karl der Kahle den Bischöfen seines Reiches, allen voran Hinkmar von Reims, der die Notwendigkeit erkannte, die stabilitas der politischen Ordnung zu erhalten,169 und gewiss auch begriffen hatte, dass nun die Stunde der Kirchen gekommen war, die nämlich nach dem Sieg über Ludwig zur wesentlichen Stütze des Reiches wurden.170 Diese Rolle verdankten sie ihrer Verlässlichkeit, die zum Teil auf ihrer Rolle bei der Königserhebung zurückgeführt wurde, gewiss aber auch sich auf die Sanktion des Teilreichsverbandes in Coulaines bezog. Obwohl sich die weltlichen wie die geistlichen Großen an Karl den Kahlen gebunden hatten, scheint die Bewertung dieser Bindung durch die geistlichen Großen doch eine andere gewesen zu sein. Will man die Großen in ihrem Verhalten von 858/859 nicht als „treuloses Gesindel“ auffassen, so ist zu fragen, was sie in diesen Krisenjahren eigentlich in Frage stellten. Den geschlossenen Reichsverband jedenfalls müssen sie nicht in Frage gestellt haben, auch wenn sie gegen den Willen ihrer Verbandsgenossen handelten. Es scheint allein die Person des Herrschers,

169 STAUBACH, Quasi semper in publico 1998, 604 f. bemerkt, dass Hinkmar in seiner Schrift an Ludwig den Frommen von 858 zwar kein klares Wort für das „Abstraktum ‚Staat‘ gebraucht, nichtsdestotrotz aber die „Verfassungswirklichkeit der fränkischen Gesellschaft“ begrifflich zu fassen in der Lage ist. 170 Vgl. zu den Vorgängen HARTMANN, Synoden 1989, 253 ff. – S. auch SCHRÖRS, Hinkmar von Reims 1884, 79 ff. – STAUBACH, Quasi semper in publico 1998, 595.

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also ihres Verbandsvorstehers gewesen zu sein, deren sie sich zu entledigen suchten. Bei genauerem Hinsehen galt die Sanktion des Herrschers in Coulaines Karl vornehmlich als Angehörigem der karolingischen Familie. Und dagegen vergingen sich die Großen nicht, als sie sich an Ludwig wandten. Und nachdem Karl seine Autorität mit Hilfe der Kirchen, außer der von Sens,171 wiederhergestellt hatte, vertrieb er Ludwig „de regni sui finibus“.172 Als Karl der Kahle im Jahr 877 sich auf einen Italienzug begab, versuchte er, das Reich zu ordnen, er tat das in Form eines Kapitulars, dessen Bestimmungen er auf einem Reichstag in Quierzy gemeinsam mit den meisten Großen verhandelt hatte. Das Reich befand sich in einer außerordentlich labilen Situation. Das Königtum als solches, nicht Karl als Person, besaß nur mehr geringe Autorität. Das Reich löste sich an den Rändern zusehends auf. So musste die wichtigste Aufgabe dieser Reichsversammlung darin bestehen, das Reich zu erhalten. Karl hatte die Möglichkeit immerhin bedacht, dass diese Übergangsordnung zur Nachfolgeordnung werden könnte.173 Die Nachfolge musste jedoch als zweitrangig erscheinen; denn was nützt die sichere Nachfolge, wenn es keinen Verband mehr gibt, in dessen Vorstand jemand nachfolgen kann. Das zeigen die Bestimmungen deutlich. Karl handelt gemeinsam mit seinen fideles, wenn er diesen erhebliche Mitwirkungsrechte an der Herrschaftsausübung seines Sohnes einräumt.174 So setzt er Adalhard geradezu als Wächter des Reiches ein175 und kommendiert seinen Sohn mehreren geistlichen und weltlichen Großen,176 mit deren Hilfe der Sohn regieren sollte. Karl gibt dem Sohn Ratschläge, etwa, dass er sich um die Kaiserkrönung bemühen177 und sich immer dort aufhalten solle, wo es besonders nötig ist.178 Die Großen, die beim Sohn verbleiben würden, fordert Karl nachdrücklich auf, im consilium nicht zu schweigen, sondern in aller Offenheit Position zu beziehen.179

171 SCHRÖRS, Hinkmar von Reims 1884, 79. 172 Ann. Bert. 859. 173 Zu dieser Einschätzung gelangen auch APSNER, Vertrag und Konsens 2006, 247 und NELSON, West Francia 2009, 110. 174 APSNER, Vertrag und Konsens 2006, 119 sieht hier den Versuch, die Großen an der Führung des Reiches zu beteiligen, um Konflikte zu vermeiden. 175 Capitulare Carisiacense (877), Cap. 17, MGH Cap. II,2, S. 355–361, 359: „Adalardus comes palatii remaneat cum eo cum sigillo. Et si ipse pro aliqua necessitate defuerit, Gerardus sive Fredricus vel unus eorum, qui cum eo scariti sunt, causas teneat, et vel una die in septimana ipse causas teneat; et ubicunque fuerint, de pace praevideant.“ 176 Capitulare Carisiacense (877), Cap. 15, MGH Cap. II,2, S. 355–359; genaugenommen nennt er Große, auf deren Hilfe der Sohn bauen solle. 177 Capitulare Carisiacense (877), Cap. 14, MGH Cap. II,2, S. 355–361, 359. 178 Capitulare Carisiacense (877), Cap. 20, MGH Cap. II,2, S. 355–361, 360. 179 Capitulare Carisiacense (877), Cap. 22, MGH Cap. II,2, S. 355–361, 360: „Monendum quoque et hortandum, ut fidelium nostrorum, qui cum filio nostro remanserint, nullus in consilio tardus appareat; sed unusquisque, ut sibi melius visum fuerit, loquatur, et post omnium locutiones, quod melius visum fuerit, eligant.“

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Dieses offene Beratungsverfahren, an dessen Ausgang eine Abstimmung stehen sollte, ist die einzige Hoffnung für den Bestand des Reiches während der Abwesenheit Karls und zahlreicher seiner fideles. Da der Bestand des Reiches und seiner Ordnung die Hauptsorge Karls darstellt, gibt er, und geben mit ihm seine Getreuen, klare Anweisungen, was im Falle des Todes eines Grafen zu geschehen habe. Wenn dessen Sohn etwa bei dem (noch lebenden Karl) sein sollte, so möge der Sohn Karls „cum ceteris fidelibus“ für eine Vertretung aus der Familie des Grafen sorgen.180 In dieser Krisensituation zeigt sich der Verbandscharakter des Reiches in aller Offenheit. Die Verwaltung des Reiches während seiner Abwesenheit ist Sache besonderer Verbandsmitglieder, nicht etwa nach einem ius paternum allein des Sohnes. Der ist zwar als Karolinger gewissermaßen Kulminationspunkt des Reiches, nicht jedoch Herrscher in einem eigentlichen Sinn. Er ist vorgesehen zur Koordination der Kräfte, auf deren Mitwirkung er und der Bestand des Reiches angewiesen sind. Die Regelung zu den Grafen sagt auch etwas über die Qualität des gräflichen „Amtes“.181 Es ist in gewisser Weise erblich.182 Vielmehr jedoch ist es an die Stellung der Familie gebunden, die es besitzt. Die Verwaltung des Reiches setzt Subsidiarität voraus.183 Gerade das Grafenamt verlangt nach einer besonderen Stellung der Familie,

180 Capitulare Carisiacense (877), Cap. 9, MGH Cap. II,2, S. 355–361, 358. – S. dazu und zur Frage der eingeschränkten Erblichkeit GANSHOF, Lehnswesen [1944] 1961, 50. Zur Rolle der geistlichen Großen hierbei vgl. PATZOLD, Bischöfe im karolingischen Staat 2006, 145 f. 181 Wenngleich DEUTINGER, Königsherrschaft 2006, 155 diese Regelung nicht als Beleg für die grundsätzliche Erblichkeit des Grafenamtes nehmen möchte, sondern sie nur als Interimslösung versteht und die eigentliche Einsetzung des neuen Grafen letztlich einem Verfahren unter Vorsitz des Königs vorbehalten sieht, so ist doch nicht von der Hand zu weisen, dass der nach der Regelung von Quierzy eingesetzte Verwandte des verstorbenen Grafen wohl kaum auf weitere Ansprüche verzichtet haben würde. – Vgl. zu den Comites und ihren Aufgaben GANSHOF, Charlemagne et les Institutions 1965, 372 ff. – S. mit der begründeten Annahme der Erblichkeit unter Verweis auf regelrechte Grafendynastien WERNER, Missus 1980, 223. – S. auch AIRLIE, Aristocracy 2006, 103 zur familiären Kontinuität im Grafenamt von Paris. 182 S. etwa AIRLIE, Aristocracy 1995, 444 zum Zusammenspiel von lokalem adeligem Anspruch und königlicher Vergabe von Ämtern, deren Ergebnis eine faktische Erblichkeit sein kann und sicherlich oft gewesen sein wird. 183 Dass das Grafenamt, von Ausnahmen abgesehen, bevorzugt an im jeweiligen Amtssprengel begüterte und einflussreiche Personen (respektive Familien) vergeben wurde, sah schon WAITZ, Verfassung III 1883, 384 ff., bes. 386 f., mit Hinweisen auf Erblichkeit ebenda 387 f. – Auch STÖRMER, Früher Adel 1973, 411 betont „Macht und Besitz“ als Voraussetzung für das Grafenamt. – SCHULZE, Grafschaftsverfassung 1973, 332 ff. hat an den Quellen des östlichen Frankenreiches beobachtet, dass sowohl eine gewisse familiäre Kontinuität in der Besetzung des gräflichen Amtes besteht, als auch das Amt und größerer Allodialbesitz in aller Regel zusammenfallen. – S. auch WERNER, Adelsfamilien 1965, 125, der die absolute Option bestimmter Familien auf den Erhalt bestimmter hoher „Ämter“ – Werner spricht präzise von „honores“ – betont, was zwar nicht unmittelbar Erblichkeit bedeute, jedoch durchaus Kontinuität bedeuten könne. Vgl. STAAB, Gesellschaft am Mittelrhein 1975, 426, der für das 9. Jahrhundert am Mittelrhein sogar die Kumulation von Grafschaften in der

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die es innehat, denn die Aufgaben der Grafen sind hoheitlich in einem ganz ursprünglichen Sinn, und das ohne jeden Ansatz von Anstaltsstaatlichkeit. Der Graf muss seine Entscheidungen und Maßnahmen selbst, aus eigener Kraft, durchsetzen können. Die Erblichkeit ergibt sich nicht aus einer vermeintlichen Allodisierung des Titels, der ehemals persönlichen Charakter gehabt hätte, sondern daraus, dass die zum Grafenamt ausgewählte Familie Herrschaft auszuüben in der Lage ist und diese eigene Herrschaft im Namen von König und Reich gebraucht.184

2.4.7 Einheit und Teilreichsverbände Neben den Verbandsbildungen der Reiche sind die Verbindungen von verwandten Königen miteinander von Interesse. Dabei handelt es sich nicht bloß um den Versuch, der Familie die Herrschaft zu sichern oder etwa das Gesamtreich wieder herzustellen, sondern auch in diesen Fällen ist ein wesentliches mögliches Ergebnis dieser Verbindungen der Erhalt des jeweiligen Teilreichsverbandes. Mehrfach kommendieren verwandte Könige ihr Reich, Frau und Kinder dem Verwandten für den Fall ihres Todes. Sie tun das öffentlich.185 Die Kommendation schafft Sicherheit für den eigenen

Hand einer ebendort begüterten Person bzw. Familie beobachtet hat. – NELSON, Kingship 1995, 412 sieht ebenfalls die Verbindung von Grafenamt und eigenem regionalem Einfluss des Grafen: „Counts were nobles, who seem generally to have operated in areas where they possessed lands.“ S. auch AIRLIE, Aristocracy 1995, 444 und im Hinblick auf das Ostfrankenreich DEUTINGER, Königsherrschaft 2006, 150. Vgl. grundsätzlich zur Subsidiarität von Herrschaft als Voraussetzung für den Bestand des Frankenreiches LE JAN, Introduction 1998, 15. – Die Diskussion um die verschiedenen Erscheinungsformen von Grafschaften, als Allodial- und Amtsgrafschaften soll hier nicht aufgegriffen werden. Vgl. dazu etwa die Ausführungen von SCHULZE, Grafschaftsorganisation 1990. 184 Auch SCHLESINGER, Auflösung des Karlsreiches [1965] 1987, [826/827], 89 sieht die Grafen ebenfalls nicht nur mit Amt und „königlichem Grundbesitz“ ausgestattet, sondern in besonderem Maße als begüterte Herren, die „über beträchtliches Grundeigentum verfügten“. ALTHOFF, Verwandte 1990, 53 sieht in der Tendenz zur Erblichkeit von Ämtern etwas, das „mittelalterlichem Denken wesensgemäß ist“. NELSON, Kingship 1995, 413 sieht die Gewohnheit, nach dem Tod eines Grafen nach Möglichkeit den Erben des Verstorbenen zum neuen Grafen zu erheben. – DEUTINGER, Königsherrschaft 2006, 157 betont, dass die faktische Erblichkeit des gräflichen Amtes keine Verfallserscheinung späterer Zeit ist, sondern einem Prinzip folgt, dass – so ist zu ergänzen – der Notwendigkeit des Konsenses folgt. 185 Die Brüder Ludwig und Karl, Ann. Bert. 849 („publice“) und Ann. Bert. 854 („coram omnibus“) sowie Ann. Bert. 858 (für den Fall, dass Karl ohne Söhne sterben sollte, ohne Hinweis auf Öffentlichkeit). Die Kommendation bedarf nicht, wie MITTEIS, Lehnrecht und Staatsgewalt [1933] 1958, 72 meinte, eines Zusatzes mit einem „Dativ des Zwecks“. Erst die Annahme, dass im Zweifel lehnrechtliche Bindungen gemeint seien, erklärt diese Vermutung. Die Angabe über einen Zweck kann hinzutreten, der Begriff der Kommendation aber besagt doch, dass etwas oder jemand in Schutz gegeben wird. Wie dieser Schutz beschaffen sei, hängt sodann an den Umständen und an der rechtlich-sozialen Stellung der übergebenen Person. Vgl. zur notwendigen Herauslösung der Kommendation aus (modernen) lehnrechtlichen Vorstellungen BECHER, Subiectio principum 2006, 168 ff.

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Reichsverband sowohl gegenüber dem nichtbeteiligten König als auch gegenüber dem König, der von der Kommendation profitieren würde. Seine Stellung gegenüber dem kommendierten Verband wäre die eines Treuhänders. Im Falle fehlender Nachfolger im kommendierten Reich müsste er dieses nicht Stück für Stück erobern, sondern könnte es unversehrt übernehmen. Ähnlich ist die „societas“ zwischen Kaiser Lothar und Ludwig dem Deutschen zu verstehen, für deren Begründung Lothar Ludwig das Elsaß übergab.186 Auch hierbei werden die beteiligten Verbände miteinander verbunden, nicht etwa um aus ihnen einen einzigen Herrschaftsverband zu machen, sondern um als Verbund gegenüber dem dritten Bruder sicherer zu sein. In der bereits angeführten Einung der Brüder Lothar und Karl von 854 in Lüttich waren auch die jeweiligen Verbände ausdrücklich begriffen, indem die Großen nämlich zum Teil die Adressaten der Erklärungen der Brüder sind, etwa nach der Erklärung Lothars: 3. Sapiatis, quia legem, qualem antecessores nostri, hoc est pater et avus noster, vestris antecessoribus concesserunt et servaverunt, nos similiter vobis perdonamus et iviolabiliter atque incorrupte et praesentibus et futuris temporibus per omnia volumus observare.187

Da Vater und Großvater der Brüder dieselben sind und die anderen andere Vorgänger hatten, kann es sich hier nur um die Großen handeln. Diese Passage zeigt aber auch, dass die Großen in den gleichen dynastischen Kategorien begriffen werden konnten wie die Könige. Lothar erklärt seine Verbindung zu Karl folgendermaßen: 2. Nunc volumus vos certos reddere de nostra coniunctione, quia Christo propitio secundum Deum ad salutem sanctae Dei ecclesiae nostramque ac vestram communem utilitatem et necessitatem indissolubiliter corde et opere coniungere nos volumus, ut unum simus in Christo et vos unum sitis nobiscum.188

Zur „communio“ wollen sich die Brüder im Herzen und mit Taten verbinden. Und Karl entgegnet: 1. Hanc siquidem coniunctionem facere idcirco usque nunc distulimus, quia voluimus, ut supradictus frater noster nobiscum pariter conveniens in eadem coniunctione se nobis associaret. Sed quia ille aliquibus impedimentis praepeditus venire omisit, nos audita perturbatione, quam filius eius facere conatur, consociare nos voluimus.189

Wortreicher kann man die begründete societas kaum bezeichnen. Es wird eine „coniunctio“ gemacht. Dieser coniunctio hatte sich Ludwig anschließen sollen („associaret“). Der Grund der coniunctio war indes die Unberechenbarkeit des Sohnes Ludwigs, weswegen „consociare nos voluimus“. Bei dieser Zusammenkunft handelt es sich um 186 187 188 189

Ann. Bert. 860. Hlotharii et Karoli conventus Leodii habitus (854), MGH Cap. II,1, Nr. 207, S. 76–78. Ebenda. Ebenda.

2.4 Der Staat als Verband

355

die Verbindung der Brüder mit der Zustimmung der Großen, also um ein enges Bündnis auf Familienebene. In Tusey trafen sich im Jahr 865 die Brüder Karl und Ludwig, um für den Fall der Nachfolge im Mittelreich Sorge zu tragen. Ihr Neffe Lothar hatte sich in einen desaströsen Ehestreit verstrickt, da er mit seiner königlichen Gattin Theutberga keine potentiellen Nachfolger bekommen hatte, mit seiner Konkubine Waldrada aber sehr wohl Kinder hatte.190 Der Versuch, die Frauen auszutauschen, scheiterte jedoch am massiven Widerstand der Theologen des Westreiches, nachdem Lothar in seinem Reich die Angelegenheit bereits geordnet hatte. Im Jahr 865 war klar, dass Lothars Projekt gescheitert war. Er aber hielt dennoch daran fest. Damit war aber für Karl und Ludwig die Nachfolgefrage gestellt. Im Falle des Ablebens ihres Neffen wollten sie offensichtlich nicht ihrerseits miteinander in Konflikt geraten. Das ist der Grund für die Brüdereinung von Tusey. Es ist in der Tat eine Einung unter Brüdern mit Zustimmung ihrer Großen. Die Annales Fuldenses bezeichnen diesen Vertrag, der in Tusey geschlossen wurde, denn auch als „foederis pactum“.191 Der Vertrag selbst liegt als Erklärung der Brüder an ihre Großen vor.192 Obwohl ganz offensichtlich die Hoheit der Reiche beider nahezu uneingeschränkt erhalten blieb, ist in der Erklärung der Brüder doch die Rede vom Erhalt des „sanctae Dei ecclesiae status“ und der „regni nobis a Deo commissi soliditas“,193 als des einen Reiches. Damit kann doch nur das gesamte karolingische Reich gemeint sein, unter Einschluss des Mittelreiches. Dieses Gesamtreich aber ist im Jahr 865 eine Fiktion, in der Weise nämlich, dass es nicht zu handeln vermag, aber in der Vorstellung der Zeitgenossen dennoch besteht. Sodann kommendieren die Brüder einander ihre Frauen und Kinder, indem sie sich jeweils gegenseitig versichern, dass ein jeder „alterius filios sicut proprios in vera dilectione habeat“.194 Damit wird versucht, auszuschließen, dass nach dem Tod eines der beiden Vertragspartner die Rechte der Nachkommen missachtet werden könnten. So wird die Stabilität beider Teilreiche gesichert. Vielleicht das wichtigste Kapitel sichert den „communes fideles“ Sicherheit zu. Man versteht sich „ad sanctae Dei ecclesiae statum et ad regni soliditatem et defensionem, qualiter populus in regno nostro legem et iustitiam et pacem ac tranquillitatem habeat [. . .]“.195 Das sind wesentliche Charakteristica staatlicher Ordnung, zu denen sich die Brüder bekennen und zu deren Erhalt bzw. Festigung sie sich zusammenschließen. „Regni soliditas“ bezeichnet die Stabilität eines transpersonalen

190 S. oben, „Die Herrscherfamilie“, 2.4. 191 Ann. Fuld. 864. 192 Hludowici et Karoli pactum Tusiacense (865), MGH Cap. II,1, Nr. 244, S. 165–167. 193 Ebenda cap. 3. 194 Ebenda, cap. 4. 195 Ebenda, cap. 5.

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2 societas societatum – Zur Organisation des karolingischen Staates

und den Teilreichen übergeordneten Gebildes, das nicht unmittelbar an der Herrschaft der beiden Vertragspartner hängt.196 „Lex et iustitia“ sind die Voraussetzung für eine solche stabilitas, mehr aber noch sind sie positive Momente einer Konsensgesellschaft, deren Ausdruck „pax et tranquillitas“ sind. Es zeichnet sich immer mehr ab, dass zumindest die theoretischen Vorgaben von dem Bestand von Staatlichkeit im Frankenreich ausgehen. Es zeichnet sich darüber hinaus auch ab, dass das Wesen der karolingischen Herrschaftsordnung eben der Konsens darstellt, der dann nach lex et iustitia, pax et tranquillitas verlangt. Ein Friedensabkommen zwischen Karl dem Kahlen und Lothar II. einige Jahre zuvor, nämlich kurz vor dem Übergriff Ludwigs auf das Reich Karls im Jahr 858, zeigt für 857 die Rolle der Großen, zumindest im Reich Karls bei solchen Bündnissen. Karl erklärt für das Westreich: Et nostri fideles, qui praesentes fuerunt et hoc consilium nobis dederunt, dixerunt nobis, quod parati sunt nos auxiliante Domino in omnibus adiuvare, ut istam firmitatem possimus ad invicem observare.197

Ohne die tätige Mitwirkung der Großen wäre ein solches Bündnis nicht umsetzbar gewesen. Sonst hätte Karl das nicht erklären müssen. Konkret sicherte Lothar zu, „malefactores“, seien es Bischöfe, Grafen oder missi, des Westreiches, nicht in Ehren aufzunehmen.198 Was diese Zusicherung wert war, sei dahingestellt. Die außenpolitische Orientierung jedenfalls war für das Westreich eine Angelegenheit des Gesamtverbandes, zumindest seiner wesentlichen Vertreter. Auch bei diesem Treffen von Brüdern wurde die „regni stabilitas“ als die Stabilität des Gesamtreiches thematisiert.199 Auch das Treffen aller drei Parteien in Koblenz im Jahr 860, nämlich Ludwigs des Deutschen, Karls des Kahlen und Lothars II. findet letztlich zum Erhalt der Einreichsfiktion statt. Souveränität gibt auch hier keine der drei Parteien in nennenswertem Maß ab. Immerhin geht diese Brüdereinung, die ja das karolingische Kernreich in seiner Gesamtheit repräsentiert, in dem Erhalt der Fiktion von einem Gesamtreich soweit, die Großen am Rande auch in der Bildung ihrer societas einzubeziehen: Ut sic simul coniuncti et nos fratres ac nepos noster ad invicem et nos cum fidelibus nostris et fideles nostri nobiscum et omnes simul cum Deo nos reconiungamus.200

196 S. oben, „Der Staat als Verband“, 2.4, zum Vertrag von Coulaines und STROTHMANN, Wer ist das Reich? 2014. 197 Conventus apud sanctum Quintinum (857), MGH Cap. II,2, Nr. 268, S. 293–295, Karls erste Erklärung, cap. 5. 198 Ebenda Lothars zweite Erklärung, cap. 1. 199 Ebenda, Lothars zweite Erklärung, cap. 2. 200 Hludowici, Karoli et Hlotarii II. Conventus apud Confluentes (860), MGH Cap. II,1, Nr. 242, Capitula ab omnibus conservanda, cap. 11, S. 152–158, 152.

2.4 Der Staat als Verband

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Das bezieht sich auf den Versuch, eben das Gesamtreich als übergeordnete Größe wiederherzustellen. Nachdem die Brüder mit Zustimmung der fideles, versteht sich, eine Friedenseinung geschlossen haben, werden gewissermaßen nachträglich die fideles aller Parteien dieser Einung einbegriffen.201 Nachdem der Gesamtreichsverband in drei bzw. vier Teilverbände zerfallen ist, versuchen die Mitglieder der noch bestehenden herrscherlichen Familie des faktisch verlorenen Gesamtverbandes sich gemeinsam mit allen und Gott erneut zu verbinden („reconiungamus“). Im Jahr 842 verbanden sich Karl und Ludwig gegen die Bedrohung durch ihren Bruder Lothar. In den Straßburger Eiden entbanden die königlichen Brüder ihre jeweiligen Getreuen von ihrem Eid ihnen gegenüber, für den Fall, dass sie, die Brüder, ihren einander gegebenen Eid brächen. Die Großen selbst verschworen sich miteinander über die Grenzen des Reiches hinweg, indem sie sich darauf verpflichteten, ihrem gegebenenfalls eidbrüchigen Herrscher gegen den Vertragspartner nicht beizustehen.202 So entstand eine Schwureinung, die beide Reiche in engste Beziehung zueinander setzte. Und auch die Annales Bertiniani sehen, wie der von Nithard mitgeteilte Wortlaut, eine Verbindung zweier Reiche, indem die Wendung „fideles quoque populi partis utriusque pari se iuramento constrinxerunt“ die Straßburger Einung zu schützen sucht.203 Dies ist noch nicht die aktive Verbindung der Großen zweier Reiche, sondern ein von den Großen sanktionierter Freundschaftsvertrag unter zwei königlichen Brüdern. Hier zeigt sich immerhin nochmals der Verbandscharakter der Teilreiche. Der Herrscher allein kann so etwas wie die Brüdereinung von Straßburg nur „privat“ vornehmen. Das Handeln von Reichen aber, wie nach den Straßburger Eiden vorgesehen, ist eine „öffentliche Angelegenheit“,204 es ist eine Sache der „res publica“. Die Autorität für eine so gewichtige Entscheidung liegt bei der Gesamtheit aus Herrscher und Großen. Das ist der Grund, warum Nithard den Begriff „res publica“ recht häufig und sinnvoll gebraucht. Die

201 S. dazu auch SCHNEIDER, Brüdergemeine 1964, 32 f. – Vgl. APSNER, Vertrag und Konsens 2006, 171 f., der die „vertikale[n] Elemente“ der Vertragsbildung von Koblenz hervorhebt. 202 Straßburger Eide, Nithard III,6. MITTEIS, Lehnrecht und Staatsgewalt [1933] 1958, 84 wertete diese Einbeziehung der fideles als Ausdruck lehnrechtlicher Bindungen, wonach die Treue zu „passiver Resistenz“ führen könne. Mitteis hielt ebenda diese Einschätzung für gerechtfertigt, weil davon auszugehen sei, dass die meisten Großen lehnrechtlich an die Herrscher gebunden gewesen seien. Sein Fehlschluss beruhte m. E. darauf, dass er ebenda 83 „fideles“ mit lehnrechtlich gebundenen Vasallen gleichsetzt. Die Regeln für das Verhältnis von Herrscher und fideles beruhten jedoch nicht auf einem „germanischen“ Rechtsprinzip, sondern schlichtweg auf einem sich selbst ordnenden Spiel der Kräfte. Das dürfte im Laufe unserer Untersuchungen sichtbar geworden sein. 203 Ann. Bert. 842; für die Annales Bertiniani ist es der aktive Schutz, den die Getreuen beeiden. 204 Ähnlich auch STÖRMER, Früher Adel 1973, 273, der die Öffentlichkeit der Eide betont und die „Rolle des hohen Adels als Garanten der Reichsordnung“ sieht.

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beiden Teilreichsverbände verbinden sich in Straßburg zu einem foedus, zu einem größeren Verband zum Zweck des gemeinsamen Friedens, während die Brüder ihrerseits ihre Familienbande erneuern.205 In Meersen kamen die drei Brüder Lothar, Ludwig und Karl zusammen und verbanden sich zu einer Brüdereinung.206 Sie erklärten ihren Friedenswillen, ihre brüderliche caritas und die gemeinsame Absicht, dass jeder seinen Teil dazu beitragen solle, das (gemeinsame) „regnum, fideles, prosperitatemque honorem regium debite valeat obtinere“. Es sind drei Könige in diesem Reich und es besteht doch. Es ist nicht die Königsherrschaft gemeint, sondern regnum bezeichnet ein transpersonales Gebilde, einen Verband dreier Teilverbände. Die Brüder erklären die Absicht zu gemeinsamer Strafverfolgung, ein wesentlicher Gesichtspunkt der Sicherheit und einer gewissen Rechtssicherheit, die zum Erhalt der Staatlichkeit in den Teilreichen unabdingbar sind. Denn gerade die Sicherheit und daher auch die Sicherheit der fideles, wozu „lex et iustitia“ gehören, sind Voraussetzung „ad restitutionem sanctae Dei ecclesiae et statum regni et ad honorem regium atque pacem populi“, die als Ziel gesetzt werden. Zur Wiederherstellung des einen Reiches unter Erhalt der Teilreiche müssen sich auch die Großen miteinander verbinden, weshalb die Brüdereinung auch hier erweitert wird: „Ut sic simul coniuncti et nos fratres ad invicem et nos cum fidelibus nostris et fideles nostri nobiscum et omnes simul cum Deo nos reconiungamus.“ Die Verbindung aller mit allen ohne Auflösung der Teilreiche erhält das Reich als einen Verband ganz eigener Qualität.207 Zum Schutz dieses Vertrages von Meersen werden die jeweiligen Großen aufgefordert, sich gegebenenfalls gegen solche aus ihren Reihen, die dem Vertrag widersprächen, ihrerseits zu einer Einung zusammenzuschließen („convenerunt in unum“), um solcher Gefahr entschlossen entgegenzuwirken.208

205 Vgl. hierzu grundlegend SCHNEIDER, Brüdergemeine 1964, etwa 28. 206 Conventus apud Marsnam (851), MGH Cap. II,1, Nr. 205. – Zu Meersen (851) vgl. APSNER, Vertrag und Konsens 2006, 166 f. 207 Das ist auch Tenor der Darstellung des Vertragsgeschehens in den Annales Bertiniani (851): „Ubi etiam fraterne paucis diebus morati, haec communi procerum suorum consilio atque consensu decernunt propriorumque nominum monogrammatibus confirmant.“ 208 Ebenda, cap. 8. ANTON, Verfassungspolitik und Liturgie [1994] 2002, 256 f. betont die convenientia aus Königen und ihren Großen und sieht den Vertrag von Coulaines als Vorbild für die „Ebene des gemeinschaftlich verwalteten Gesamtreichs“ in den Akten von Meersen.

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2.5 Verbandsstruktur 2.5.1 Herrscher und Große Über die Entstehung des Verbandswillens, dem der Herrscher schließlich folgen soll, ist nur wenig zu erkennen. In der Regel gehen schwerwiegenden herrscherlichen Entscheidungen entsprechende Beratungen mit den Großen voraus.209 Nach der Rekonziliation Pippins berief Ludwig der Fromme „suos conciliarios atque optimates“ ein, um mit ihnen zu beraten, wie man auch Lothar zu sich rufen könne.210 Das übliche Verfahren lässt zunächst das consilium erfolgen, um dann zur herrscherlichen ordinatio zu gelangen.211 In ihrer Relatio ad Hludowicum von 829 legen die Bischöfe des Frankenreiches dar, wie der Kaiser zu Entscheidungen gelangen sollte: [. . .] in hoc placitum vestrum generale consumere voluissetis, ut primum, quicquid in vobis, id est in persona et ministerio vestro, corrigendum inveniretur, Domino auxiliante corrigeretis, deinde, quicumque in omnibus ordinibus imperii vestri Deo displiceret, inquireretis et secundum eius voluntatem cum consensu fidelium vestrorum ad tramitem rectitudinis revocaretis.212

Zuerst hat der Herrscher sich selbst zu korrigieren, dann ist die Frage den ordines vorzulegen, erst danach berät der Herrscher seine Vorstellungen und die Vorschläge der ordines mit den Großen, in deren Konsens er das Ergebnis verkündet. Die Form der Beteiligung der ordines entspricht der des Concilium Moguntinense (813), auf dem vor der Entscheidung selbst verschiedene Sitzungsturmae abgehalten wurden, nämlich 1. „episcopi cum quibusdam notariis“, 2. „abbates ac probati monachi“ und 3. „comites et iudices, in mundanis legibus decertantes“213 Dass die Entscheidungsfindung tatsächlich so geordnet ablief, ist wohl zu bezweifeln. In der Sache aber zeigt sich doch, was vom Herrscher zumindest von kirchlicher Seite erwartet wurde und was notwendig war, nämlich die Entscheidungsfindung im Konsens mit den Kräften, von denen die Entscheidung mitgetragen werden musste. Das kommt auch zum Ausdruck bei der Entscheidung über den Italienzug König Pippins von 754. In den Annales Mettenses priores heißt es dazu nämlich:

209 Etwa ARF 821: „Conventus mense Febr. Aquis habitus et in eo de bello Liudewitico tractatum ac tres exercitus ordinati [. . .].“ – Die Angabe des Astronomus, Vita Hludowici 10 (799): „[. . .] rex Karolus ad eum [Ludowicum] misit, mandans ut secum in Italiam profisceretur, sed mutato consilio iussus est domi manere.“ könnte sich auch auf den geänderten Entschluss des Herrschers selbst beziehen. S. „Der Staat als Verband“, 2.1. 210 Ann. Bert. 834. 211 Wie etwa in der Schilderung der ARF 828 zum Reichstag von Ingelheim Mitte Juni. 212 Episcoporum ad Hludowicum imperatorem relatio (829), praefatio, MGH Cap. II,1, Nr. 196 (27 f.). 213 Concilium Moguntinense (813), MGH Conc. II,1, Nr. 36, S. 258–273 (259 f.).

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Accepto consilio obtimatum suorum, partibus Italiae se cum omni apparatu suo profecturum esse indixit [. . .] pervenerunt.214

Konstitutiv für die Entscheidung und das darauf folgende Handeln ist das consilium der Großen auf einem placitum, das zu diesem Zweck abgehalten wurde. Solche Offenheit findet sich in den Quellen selten; aufschlussreich ist aber auch der Blick des Papstes auf die Franken, der den Herrschaftsverband nicht eigentlich von außen erfährt; dazu sind seine Beziehungen auch zu einzelnen Verbandsmitgliedern zu intensiv. Um die Hilfe gegen die Langobarden zu befördern, beschenkte Papst Stephan die Entscheidungsträger, nämlich den König „quam et optimatibus eius“.215 Von dem erbeuteten Awarenschatz schickte Karl der Große einen großen Teil nach Rom zu den Aposteln, genaugenommen ebenfalls Mitglieder des karolingischen Staatsverbandes; „porro reliquam partem obtimatibus, clericis sive laicis, ceterisque fidelibus suis largitus est.“ Den übrigen Teil verteilte er also unter die fränkischen Entscheidungsträger, Kleriker wie Laien und die übrigen fideles.216 Auch die Aufgabenteilung unter den Franken nach dem zweiten Sieg über Aistulf im Jahr 756 ist gewiss nicht zufällig. Nach den Annales Mettenses priores ließ Pippin dem Langobardenkönig aus misericordia Reich und Leben. Nach dem Urteil der Franken übergab Aistulf Pippin den dritten Teil des Schatzes, und in dem Eid, den der Besiegte abzulegen hatte, gelobte er „partibus Francorum“ Treue und Tribut.217 Es ist ganz offensichtlich, dass der Herrscher Pippin hier als Vorsteher eines Verbandes auftritt, wobei die Gewährung der Gnade den Anforderungen der Herrscherethik entspricht.218 Um deren Anforderungen zu genügen, die ja auch ethische Anforderungen an die Gemeinschaft sind, müssen die Großen ihrem König das gestatten. Vermutlich war das ohnehin beschlossene Sache, denn es gibt keinen Fall in dieser Zeit, in dem einem fremden Herrscher das Leben genommen worden wäre, und auch die unmittelbare Herrschaft in dem von den Franken besiegten Reich wurde dem Langobardenkönig erst entzogen, als die Franken als eigentliche Oberherren längst etabliert waren.219 Über die Kontributionen entscheiden die Franken, also nicht ihr Herrscher. Dieser ist es aber, der dann den Kriegsgewinn entgegennimmt.220 Seine Aufgabe ist die richtige Verteilung der Beute. Der Eid des Besiegten beinhaltet eine Bindung an

214 Annales Mettenses priores 754. 215 Annales Mettenses priores (754) 753. 216 ARF 796. – S. zum Awarenschatz DEÉR, Untergang des Awarenreiches 1965, 786, 788 f. 217 Annales Mettenses priores 756. S. dazu SCHIEFFER, Karolinger 1992, 63 f. 218 Von diesem Gnadenerweis berichtet auch die Continuatio Fredegarii, cap. 37, S. 184, jedoch für den ersten Frieden mit Aistulf von 754. 219 JARNUT, Langobarden 1982. 220 So auch in der 2. Continuatio Fredegarii, cap. 38, S. 185. Vgl. zum Bericht der 2. Continuatio Fredegarii BECHER, Eid und Herrschaft 1993, 118.

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die Franken in ihrer Gesamtheit; und auch der zu zahlende Tribut wird nicht ihrem Herrscher, sondern der fränkischen Gesamtheit gelobt.221 Dieser nämlich steht der Tribut zu, nicht dem König der Franken, der nur Adressat sein dürfte, nicht aber Inhaber der Mittel. Nicht umsonst gilt die von Besiegten gelobte Treue in aller Regel der herrscherlichen Familie, bzw. dem Herrscher, und den Franken, wie etwa in einer von den Reichsannalen mitgeteilten Äußerung des Papstes zum Jahr 787 über die Treue Tassilos.222 Die Franken sind aber keine homogene Gruppe, sondern allein schon die fränkischen Großen gliedern sich aus der Sicht der karolingischen Herrscher in proceres und optimates.223 Das ist ein Relikt aus der Zeit des Dynastiewechsels, als es Familien gab, die den Karolingern anhingen, und solche, die zumindest nicht unter die Anhänger der karolingischen Familie gehörten.224

2.5.2 Der Papst als Verbandsmitglied Eine Frage ist, ob der Papst zum karolingischen Reichsverband zu rechnen ist, und wenn ja, in welcher Weise. Die Divisio regnorum von 806 etwa wurde von ihm eigenhändig unterschrieben, was der Autor der Reichsannalen auch für mitteilenswert hielt.225 Der Papst darf als Geburtshelfer des karolingischen Königtums gelten, nämlich als Nachfolger Petri, der zur Zeit Karls des Großen im Frankrenreich vielfach Wohnung nahm, indem die meisten neugegründeten Kirchen ihn zum Patron erhielten. Mit Petrus und dem Segen seiner Nachfolger, zunächst vermittelt durch Bonifatius und dann vom Nachfolger Pertri selbst noch einmal vorgenommen, wurde Pippin

221 Die 2. Continuatio Fredegarii, cap. 38, S. 185 berichtet von „alia multa munera maiora“, die Aistulf „partibus Pippini dedit“, was typisch für Childebrand, den Verfasser der zweiten Continuatio Fredegars ist, der die Rolle des Herrschers stark betont. In der Sache aber dominiert das „partibus“, das, ob abgeleitet von den Franken oder vom König, die Gesamtheit der Franken bezeichnet. 222 ARF 787: „[. . .] nisi in omnibus oboediens fuisset domno regi Carolo et filiis eius ac genti Francorum [. . .].“ Zu den Eiden Tassilos und der Bewertung ihrer Überlieferung vgl. ausführlich BECHER, Eid und Herrschaft 1993. 223 Z. B. Annales Mettenses priores 768 zur Nachfolge Pippins „His quoque transactis predicti reges Carolus et Carolomannus cum proceribus suis et optimatibus ad propriam sedem regni eorum venientes [. . .]“; Nicht ganz klar ist die Unterscheidung zwischen primores und optimates in den ARF 806 zur Divisio regnorum: „[. . .] conventum habuit imperator cum primoribus et optimatibus Francorum.“ 224 S. grundsätzlich AIRLIE, Carolingian Aristocracy 2004, der den Sachverhalt an der Geschichte Grifos exemplifiziert. 225 ARF 806. S. SCHLESINGER, Auflösung des Karlsreiches 1965, 831. – SCHOLZ, Politik 2006, 138 f. mit dem Hinweis, dass dies im Liber Pontificalis keine Erwähnung findet.

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und mit ihm seine Familie zum Königtum erhoben. Da ist es nur folgerichtig, wenn der Papst auch die Nachfolgeordnung Karls des Großen absichert. Für den Papst ist das Frankenreich offen. Er kennt die Interna, hat eigene Beziehungen zu den geistlichen Großen und ist Taufpate Karls des Großen.226 Und mit der Kaisererhebung Karls des Großen stehen der karolingische Herrscher und der Nachfolger Petri endgültig in einem gemeinsamen Zusammenhang. Denn das Kaisertum ist ja von Anfang an ein römisches, auch wenn es den Namen erst später erhält. Das zeigt Karl sogleich nach seiner Krönung indem er den tätlichen Angriff auf Papst Leo227 als crimen maiestatis behandelt und dieser Begriff erneut seine ursprüngliche staatsrechtliche Bedeutung erlangt und in dieser Bedeutung in die Öffentlichkeit getragen wird. Der Angriff auf den Papst wird gewertet als mittelbarer Angriff auf den Kaiser, von dem das Vergehen zu ahnden ist, wobei man sich klarmachen muss, dass „maiestas“ eigentlich eine Exklusivbezeichnung für Christus ist. Das crimen maiestatis kann in christlicher Zeit nur schwer nicht als Verletzung Christi verstanden werden. Strenggenommen – dafür gibt es in karolingischer Zeit jedoch keinen Beleg – bedeutet das crimen maiestatis einen Angriff auf die von Christus geschützte Integrität der politischen Gemeinschaft.228 Das setzt aber einen Begriff von „Staat“ voraus, nämlich als schützenswertes überpersönliches Gebilde.229 Einen solchen Begriff hatte offensichtlich der Astronomus.230 Festzuhalten ist, dass der Papst in der Zeit Karls des Großen, konsequent ausgeführt seit dem Kaisertum Karls, in gewisser Hinsicht Mitglied des karolingischen Herrschaftsverbandes ist. Ludwig der Fromme versucht wohl, den Papst aus dem Verband herauszudrängen;231 seine Bemühungen aber um eine Autonomie der fränkischen Kirchen scheitern letztlich an der kirchlichen Ordnung des Frankenreiches selbst. Es sind die Fragen um die Stellung des Metropoliten und die Rolle der Bischöfe im Reich, die den Papst zu einer entscheidenden Größe machen. Da die Bischöfe Teil der karolingischen Herrschaftsordnung sind, ist die Auflehnung einer Gruppe von Bischöfen gegen die von der Herrschaftsordnung geförderten Metropoliten als Träger und Vermittler weltlicher Teilhabe der Kirchen zugleich

226 ANGENENDT, Kaiserherrschaft und Königstaufe 1984, 155 f. präzisiert den Vorgang in der Annahme, die beiden königlichen Söhne müssten 754 längst getauft gewesen sein, dahingehend, dass die Patenschaft nachträglich über ein Initiationssakrament, etwa die Firmung, vorgenommen worden sei. 227 Das Attentat auf Papst Leo führte zu Leos Reise nach Paderborn, die ja der Kaiserkrönung vorausging. Zur Bewertung der Berichte über das Attentat s. SCHIEFFER, Attentat 2002. – Zur Reise Leos nach Paderborn und die Chronologie der Ereignisse s. BECHER, Reise Papst Leos III. 2002. 228 LE JAN, Justice royale 1997, 69 fasst das crimen maiestatis wegen seiner Ahndung durch die Franken als Gesamtheit als „un crime préjudiciable à l’ordre social“ auf. 229 Zum crimen maiestatis s. „Der Staat als Verband“, 2.6.4. 230 GOETZ, Perception 2006, 28. 231 FRIED, Ludwig der Fromme, das Papsttum und die fränkische Kirche 1990, der auch auf die wachsende Rolle des Papsttums in der Krise des Frankenreiches hinweist.

2.5 Verbandsstruktur

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eine Angelegenheit der Herrschaftsordnung selbst. Der kirchenrechtlich begründete – wiewohl überspitzte – Versuch Pseudoisidors, den Papst faktisch zur höchsten Instanz in Disziplinarfragen zu machen, sowohl im Hinblick auf den Metropolitanverband als auch im Hinblick auf die Pflichten eines Bischofs dem Herrscher gegenüber, hat unmittelbar Auswirkungen auf die Autonomie des Herrschaftsverbandes. Und es stellt sich die Frage, inwiefern der Papst damit zum Teilhaber am Verband wird. Je mehr der Papst in den Verband hineinwirkt, desto weniger scheint er selbst der Ordnung des Verbandes unterworfen zu sein,232 was dafür spricht, ihn, anders als noch zu Zeiten Karls des Großen, nicht als Mitglied des karolingischen Herrschaftsverbandes zu sehen, sondern als eine Instanz, die das innere Geschehen von außen mitgestaltet.233 Da liegt sicherlich ein Grund für das Ende der eigentlichen karolingischen Staatlichkeit, nämlich indem die Autonomie des Verbandes verletzt wird und sich aus dem alten Herrschaftsverband ein neuer herausbildet, nämlich der hierarchische abendländische Kirchenverband unter Führung des Papsttums, dessen Wirken nicht mehr im Dienst des Herrschaftsverbandes steht, sondern sich erstmalig als eine Konkurrenz in der politischen Ordnung darstellt, deren Blüte sich erst im sogenannten Investiturstreit zeigt.

2.5.3 societas Francorum und fremde Verbände Neben der eigentlichen societas Francorum bestehen foedera, wobei die Übergänge zwischen der Zugehörigkeit zur societas Francorum und dem Bestehen eines foedus234 durchaus fließend sein können. Der Autor der Einhardsannalen sieht für das Jahr 742, dass die Alemannia „a Francorum societate defecerat“, woraufhin Karlmann das Land „mit Feuer und Schwert verwüstete“.235 Bis dahin scheint die Alemannia als Herzogtum in toto der

232 Vgl. Ann. Bert. 868, die von einer breiten Allianz zwischen König, weltlichen wie geistlichen Großen gegen die Appellation Hinkmars von Laon berichten. 233 Sehr deutlich wird das nach dem Tod Karls des Kahlen, nach der Krönung Ludwigs, Ann. Bert. 878: Ludwig versuchte, vom Papst eine Urkunde Karls des Kahlen bestätigen zu lassen, worin dieser seinem Sohn Ludwig die Nachfolge übertragen hatte. Im Gegenzug legte der Papst seinerseits eine Urkunde vor, wonach Karl der römischen Kirche die Abtei St. Denis übergeben haben sollte. Das hatte zur Folge, dass auf die Bestätigung der Nachfolgeregelung Karls durch den Papst verzichtet wurde, obwohl eine solche Bestätigung gewiss als außerordentlich hilfreich angesehen wurde. Spätestens hier ist der Papst zu einer Instanz geworden, die anders als noch Papst Stephan als unabhängig vom karolingischen Herrschaftsverband einzuschätzen ist. 234 Die Ann. Bert. 866 bezeichnen die Beziehung zwischen Ludwig dem Deutschen und dem Bulgarenkönig als „foedere pacis coniunctus“. 235 Sogenannte Einhardsannalen 742.

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societas Francorum angehört zu haben, wie auch die Wortwahl der Einhardsannalen nahelegt.236 Anders verhält sich das mit den Abodriten, die die Einhardsannalen für das Jahr 798 in die „societas Francorum“ aufgenommen sehen, nachdem die Abodriten bis dahin „auxiliares Francorum“ gewesen seien. Ob diese Kooptierung der Abodriten in irgendeiner Weise einen klar definierten rechtlichen Status bezeichnet, ist höchst fraglich, schon da die Zugehörigkeit zum fränkisch-karolingischen Herrschaftsverband nicht auf der Basis von Gleichheit anzunehmen ist. Vermutlich hätte man die Stellung der Abodriten auch als die von Foederaten bezeichnen können. Eine ähnlich ungeklärte Stellung erhalten die Bayern, deren weitgehende Autonomie beendet wird, die aber im Jahr 757 vermutlich noch keine eigentlichen Mitglieder der societas Francorum gewesen sein dürften.237 Das Herzogtum Bayern wird dem Frankenreich nachgeordnet, indem nach dem Herzog Tassilo „omnes primores ac maiores natu Baioarii, qui cum eo [Tassilo] in praesentiam regis pervenerant, fidem se regi et filiis eius servaturos [. . .] promiserant.“ Hier treten die Fremden, nämlich die Bayern, als Verband auf, der einem anderen Verband die Treue erklärt. Nach dem Wortlaut der hier zitierten Einhardsannalen verbanden sich die (anwesenden) Bayern mit dem Frankenreich lediglich durch einen Treueid der karolingischen Familie gegenüber.238 An dieser Stelle darf davon abgesehen werden, dass diese Treueide vermutlich im Jahr 757 nicht geschworen wurden,239 wobei für uns die Vorstellung der Zeitgenossen

236 Zur Stellung der Alemannia im Reich der Franken vgl. ZOTZ, „Alamannen, Alemannen“, LMA 1 (1980), 263–266. 237 Zum Verhältnis Bayerns zum Frankenreich in dieser Zeit s. JAHN, Ducatus Baiuvariorum 1991, 335 ff., der ebenda 338 seit 794 „Baiern dem Frankenreich [. . .] staatsrechtlich vollständig integriert“ sieht. 238 Sogenannte Einhardsannalen 757. Vgl. dazu auch die ARF 757. Woher die Annahme von JAHN, Ducatus Baiuvariorum 1991, 179 f. sich herleitet, dass die Treuepflicht der bayerischen Herzöge den Hausmeiern gegenüber mit dem Tod eines Hausmeiers jeweils endete, ist nicht zu erkennen. Die Frage aber ist doch, weshalb es eine solche Treuepflicht (möglicherweise) gegeben hat. Die aber wird doch am Verband gehangen haben, dessen Sachwalter der Hausmeier war, zumal JAHN ebenda 222 und 337 selbst die Bestimmung aus der Lex Baiwariorum heranzieht, nach der der bayerische Herzog dem König des Frankenreiches zu Treue verpflichtet sei. 239 Vgl. die ausführliche Schilderung und Beweisführung von BECHER, Eid und Herrschaft 1993, 35–45, wobei nur die Annahme, Tassilo hätte als dux die Vollmacht besessen, „für sich und seinen gesamten populus rechtsverbindliche Verträge mit anderen Fürsten abzuschließen“ (zit. nach JAHN, Ducatus Baiuvariorum 1991, 340), so sicher nicht zu halten ist, wie bereits die genaueren Beobachtungen zum Karolingerreich nahelegen. S. auch die früheren Einwände gegen eine „vasallitische Ergebung Tassilos“ im Jahr 757 bei JAHN, Ducatus Baiuvariorum 1991, 338, der ebenda 339 vermutet, dass der „fränkische König“ und der „bairische Herzog“ einen „sakral legitimierten Vertrag“ geschlossen hätten, die eidliche Verpflichtung des bayerischen Adels für diese Zeit jedoch für unwahrscheinlich hält. Vgl. auch NELSON, Kings with Justice 1997, 804. – Schon KOLMER, Kommendation 1980, 303 hatte eine lehnrechtliche Bindung Tassilos für 757 ausgeschlossen, so auch REYNOLDS, Fiefs and Vassals 1994, 98 f., die den im Zusammenhang mit Tassilos Verhältnis zu Pippin gebrauchten Begriff „beneficium“ seiner in der Forschung gewonnenen lehnrechtlichen Bedeutung entkleidet. – S. aber DEPREUX, Tassilo 1995. – Vgl. zum Fall Tassilos auch KRAH, Absetzungsverfahren 1987, 28 ff.

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von einem solchen Ablauf von nahezu der gleichen Relevanz ist wie das tatsächliche Geschehen. Übrigens gleicht der Bericht über die Bayern in gewisser Weise dem von der Assoziation der Langobarden. Auch hier verbindet sich der fremde Herrschaftsverband den Franken durch Eid, und zwar indem Aistulf ebenso wie seines optimates die Treue beschwören. Dass sie dies Pippin und nicht dem gesamten fränkischen Verband gegenüber tun, mag der herrscherzentrierten Sicht der sogenannten Einhardsannalen zuzurechnen sein.240 Ganz anders stellt sich dagegen der Sieg über die Langobarden im Jahr 774 dar. Die Reichsannalen berichten, dass in dessen Folge „omnes Langobardi de cunctis civitatibus Italiae“ bei Karl dem Großen im Palast des Desiderius zusammengekommen seien, und „subdiderunt se in dominio domni gloriosi Caroli regis et Francorum“.241 Damit findet eine Verbandsneubildung statt, in der sich die Großen der Langobarden zugleich zu Karl als ihrem neuen Haupt bekennen und sich diesem und den Franken untergeben. Der neue langobardische Herrschaftsverband wird somit in seiner Neukonstituierung der societas Francorum nachgeordnet. Das wurde aber dadurch gemildert, dass erstens man den Langobarden ihr Königtum ließ und zweitens dieses von Karl selbst eingenommen wurde. Das führt letztlich dazu, dass der langobardische Verband tatsächlich zu einem Mitglied der societas Francorum wurde. Mit der Abordnung seines Sohnes Pippin zum König von Italien im Jahr 781 erhielten die Langobarden zu der Nähe zum fränkischen Herrscher noch eine eigene Integrationsgestalt aus der herrscherlichen Familie hinzu.242 Näher beschrieben wird die Qualität der societas Francorum im Hinblick auf die unterworfenen Völker ebenfalls in den Reichsannalen, nämlich mit der Teilhabe von Sachsen an einem Feldzug gegen die Wilzen243 und 791 gegen die Awaren.244 Nachdem Borna, der „dux Dalmaticae atque Liburniae“, gestorben war, wurde auf Bitten seines Volkes und mit Zustimmung der Kaisers Ludwig dessen Neffe zum Nachfolger erhoben.245 Hier handelt es sich ganz offensichtlich um ein der societas Francorum allenfalls assoziiertes Volk. Es steht erkennbar in der Hegemonie der Franken. Den Begriff der societas selbst erläutert der Fall des dänischen Königs Harald. Zum Herrschaftserhalt hatte er sich mit seinen Konkurrenten um das Königtum arrangiert, sodass diese „quasi una cum eo regnum habituri sociasse dicuntur“.246 „Sociare“ bezeichnet hier eben das, was wir gemeinhin unter „verbinden“ verstehen würden. Da

240 Sogenannte Einhardsannalen 756. 241 ARF 774. 242 Vgl. die Darstellung von HÄGERMANN, Karl der Große 2000. 128 f. 243 ARF 789: „una cum consilio Francorum et Saxonum perrexit [Karl] Renum ad Coloniam transiens per Saxoniam [. . .].“ 244 ARF 791: „Ibique consilio peracto Francorum, Saxonum, Frisonum, disposuerunt [. . .] iter peragendi.“ Zum Kriegszug gegen die Awaren s. DEÉR, Untergang des Awarenreiches 1965, 784 f. 245 ARF 821. 246 ARF 819. – Vgl. KAMP, Frieden mit den Heiden 2018, 137.

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mit diesen drei Personen, die sich die Herrschaft teilen, selbst wieder Verbände benannt werden, können wir durchaus von einem Verband der Verbände sprechen, auch wenn der Autor der Reichsannalen dies gewiss nicht im Sinn hatte. Dass der Begriff der societas tatsächlich recht präszise eine Form des Zusammenschlusses von Personen bzw. Personengruppen bezeichnet,247 belegt ein späterer Bericht der Reichsannalen, nach dem Harald von seinen Konkurrenten um die Herrschaft „in societate regni receptus“ wurde.248 Hier ist vermutlich eher die Verbindung der drei Personen zur Ausübung der Herrschaft gemeint, denn die Verbindung von Verbänden eines Reiches. Die Verbindung von Verbänden aber ist im Wesentlichen gemeint, wenn die Annales Bertiniani für 853 von den Bulgaren berichten, dass sie den Slaven verbunden gewesen seien.249 In der Zeit Karls des Kahlen sind die Aquitanier beständig hin- und hergerissen zwischen Rang und Autonomie. Der häufige Wechsel der Loyalität einem Verbandsvertreter gegenüber bedeutet zugleich den Wechsel zwischen Teilhabe an der societas Francorum, konkret am Westfrankenreich, und weitgehender Autonomie. Ebenfalls nicht ganz klar ist die Stellung der Bretonen. Zwischen dem Westreich Karls des Kahlen und dem Herzogtum der Bretonen, deren Herrscher Salomon sich gemeinsam mit seinen primores Karl dem Kahlen kommendierte, selbst einen Treieid schwor und seine Großen demselben schwören ließ,250 kam es geradezu zu einer Verbandsverschränkung, die die Bretonen zumindest vorübergehend in die societas Francorum integrierte, zumal in den Annales Bertiniani nicht die Rede von einer Unterwerfung der Bretonen gegenüber den Franken ist, sondern lediglich von einer Kommendation an ihren Herrscher Karl. Übrigens veranlasste Salomon 10 Jahre später seinen Sohn und vermeintlichen Nachfolger, ebenfalls in ein persönliches Treueverhältnis zu Karl dem Kahlen zu treten.251 Zwischenzeitlich war das Verhältnis der Bretonen und ihres Herzogs Salomo gegenüber den Franken präzisiert worden:

247 Die Begriffsbestimmungen im Mediae latinitatis Lexicon minus 2002, II, 1272 sind für die hier behandelten Zusammenhänge nicht geeignet, weil sämtlich zu konkret und keine der mitgeteilten Übersetzungen im Falle der societas Francorum zutreffend ist. Der Begriff „sociare“ wird gar auf „zuteilen, zuerkennen“ reduziert. Dafür werden v. a. feste Termini herangezogen, wie „fisco sociare“, ebenda. Vgl. aber BRUNNER, Oppositionelle Gruppen 1979, 26 f., der zwar unter den „socii“ lediglich „eine vom Autor als selbstverständlich empfundene und daher nicht näher beschriebene Gesinnungs- und Aktionsgemeinschaft“ versteht, und damit selbst eine Erläuterung von „Gemeinschaft“ schuldig bleibt, denn die Frage nach „societas“ ist ja schließlich eine Frage nach der Qualität der Gemeinschaft selbst. BRUNNER, ebenda 27 präzisiert dennoch auch, wenn er „genossenschaftliche und gefolgschaftliche Elemente in einander übergehen“ sieht, was übrigens den Begriff der Körperschaft bezeichnet und damit die Begrifflichkeit sehr präzise werden lässt. – Vgl. zu „societas“ im Hinblick auf „völkerrechtliche“ Beziehungen STEIGER, Ordnung der Welt 2010, 448 f. 248 ARF 821. 249 Ann. Bert. 853: „Bulgari, sociatis sibi Sclavis, [. . .].“ 250 Ann. Bert. 863. 251 Ann. Bert. 873.

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Karolus, datis obsidibus, Paswithen, Salomonis legatum, Kalendis Augusti in Compendio suscepit et ei, vicario scilicet Salomonis, comitatum Constantini cum omnibus fiscis et villis regiis et abbatiis in eodem comitatu consistentibus ac rebus ubicumque ad se pertinentibus, excepto episcopatu, donat et sacramento primorum suorum confirmat, et ex parte Salomonis a praefato ipsius vicario fidelitatis et pacis atque praestandi adiutorium contra inimicos suos sacramentum ea conditione suscipit, ut Salomon et filius eius cum his quae antea habebat hoc donum etiam habeant, et Karolo ac filio eius fideles existant.252

Der Gesandte Salomos nahm also für den Herrscher der Bretonen ein Geschenk entgegen. Dieses Geschenk bestand in einer gesamten Grafschaft (Cotentin) mit allen offensichtlich zur Grafschaft gehörenden Gütern, den Abteien, den Fiskalgütern, königlichen Höfen, mit Ausnahme des Bistums Coutances und seiner Güter. Die Grafschaft umfasste also in diesem Fall alle Güter, über die der Herrscher verfügen konnte. Das „Geschenk“ wurde von den Großen Karls eidlich bestätigt, war also nicht bloß ein Geschenk Karls, sondern des Herrschaftsverbandes, andernfalls hätten Unterschriften einzelner Großer wohl genügt. Dieses Geschenk war aber nicht ein Geschenk im modernen Sinne, sondern verlangte nach einer Gegenleistung, nämlich Treue, Frieden und Beistand gegen Feinde. Salomon und sein Sohn sollten dieses Geschenk zu dem haben, was sie vorher schon besaßen und dafür Karl und seinem Sohn zu fideles werden. Auf der Basis von „Geschenken“ wird zwischen den Personen respektive Verbänden eine Beziehung hergestellt.253 Die erste Frage gilt dem Charakter des „Geschenkes“. Vergeben wurde etwas, mit dem der Nutznießer nicht einfach weggehen konnte, im eigentlichen Sinne also eine Immobilie. Diese Immobilie gehört zum Frankenreich, sie ist also auch in einem weiteren Sinn nicht frei. Mittelbar hängen an dem „Geschenk“ weiterhin Rechte und Pflichten. Diese Rechte und Pflichten werden bezeichnet, indem der Empfänger des Geschenkes zum Teilhaber am Herrschaftsverband erklärt wird, nachdem dieser seine Treue dem Herrscher gegenüber und vermutlich auch dem Verband gegenüber eidlich erklärt hat. Salomo und sein Sohn werden durch diesen Rechtsakt nicht zu Vasallen des westfränkischen Königs, sondern zu dessen und seines Sohnes „fideles“, womit sie eine Stellung im karolingischen Herrschaftsverband erhalten, wie sie die übrigen Verbandsmitglieder ebenfalls haben. Auch sie sind fideles Dei et regis. Das „Geschenk“ mag zwar für sich genommen den Charakter eines „Benefiziums“ haben, sein Zweck liegt jedoch nicht in einem Dienst irgendeiner Art, sondern in Herstellung von Teilhabe am Verband. Das „Geschenk“ selbst geben mit dem karolingischen Herrscher ganz offensichtlich die primores, deren eidliche „confirmatio“ vonnöten war. Diese „confirmatio“ begründet neben dem Geschenk selbst und dem Treueversprechen der bretonischen Herrscher

252 Ann. Bert. 867. 253 S. dazu grundlegend MAUSS, Gift 1990 und Negotiating the Gift 2003. – S. auch BIJSTERVELD, Do ut des 2007.

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die Aufnahme in den karolingischen Herrschaftsverband mit allen Rechten und Pflichten. Damit gehören die Bretonen zur societas Francorum. Vermutlich liegen in solchen und ähnlichen Rechtsakten die Ursprünge des Lehenswesens,254 das aber bedeuten würde, dass zwischen zwei Personen durch Leihe auf Lebenszeit ein ungleiches Bündnis hergestellt wird, dass als solches den Herrschaftsverband zu einem Personenverband machen würde. Schon bei den Kirchen kollidiert eine solche Vorstellung von persönlicher Bindung mit grundlegenden Regeln kirchlicher Verwaltung. Ein persönliches Bündnis dieser Art liegt bei dem „Vertrag“ mit den Bretonenherrschern nicht vor. Die Söhne des jeweiligen Herrschers sind ausdrücklich mit einbezogen; und auch die fränkischen Großen sind Partner in diesem Vertrag. Beides spricht dafür, dass es hier um eine Verbandsverschränkung geht, die weder an die Lebenszeit der Bündnispartner gebunden ist, noch persönlichen Charakter hat.

2.5.4 Verbandsbegriff Im Falle der Kirchen ist es leicht zu erkennen. Der Kirchenvorsteher ist Vertreter einer communitas. Und obgleich diese communitates monarchisch organisiert sind, zeigt sie doch auch nach außen oftmals ihre Qualität als comunitas bzw. universitas, als Körperschaft nämlich. In Rechtsgeschäften figuriert in aller Regel nicht der Vorsteher einer kirchlichen Einrichtung, sondern diese selbst, entweder im eigentlichen Sinne monarchisch vertreten durch einen himmlischen Eigentümer wie etwa den Patron oder Christus, oder aber durch die Gemeinschaft selbst, entweder bezeichnet mit „monasterium“ bzw. „ecclesia“ oder mit der Nennnung der Gemeinschaft der Mönche bzw. Kleriker und ihren Abt bzw. Bischof.255 Auch wenn es kein Rechtstext ist, mit dem der Astronomus vom Testament Karls des Großen berichtet, so folgt die Nennung von Kirchen anstelle ihrer Vertreter als Empfänger von Zuwendungen im Todesfall doch dieser Regel.256 An anderer Stelle ist ausführlich auf die rechtliche Erfassung der Kirchen eingegangen worden, weshalb hier im Grunde nur daran erinnert werden soll. So erscheinen auch die Kirchenverbände als Handlungseinheiten, etwa in der gemeinsamen Entschließung einer Synode.257 Bereits ein Canon des Konzils von Lyon (567 oder 570) bezeichnet die kirchliche Körperschaft, im besonderen die Gemeinschaft

254 S. dazu KASTEN, Beneficium 1998. 255 S. „Kirchen und Klöster“, 2.1.1. 256 Astronomus, Vita Hludowici 22: „Sed quod ecclesiis distribuendum ausit, metropolitanorum subdivisis superscriptione nominum, quarum partes fuere 21.“ 257 So das Concilium Aquisgranense (836), cap. 28: „communi consensu statuimus“; ähnlich ebenda cap. 40 (S. 714).

2.5 Verbandsstruktur

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der Kleriker als „consortium ecclesiasticum“.258 Soweit also die Erinnerung an die kirchliche Organisationsweise. Und bei genauem Hinsehen zeigt sich, dass die Bildung von Verbänden auch unterhalb der Reichsebene und außerhalb der kirchlichen Organisation der fränkischen Gesellschaft duchaus nicht fremd ist. In der Literatur wird der Verbandsbegriff gerne und oft gebraucht, um etwas zu bezeichnen, das allgemein unspezifisch als Gruppenbildung verstanden wird.259 Der Verbandsbegriff aber ist präziser und kann, wenn er richtig angewandt wird, weit mehr aussagen als der Begriff der „Gruppe“. Der Gruppenbegriff erfasst in der Regel unmittelbar nur Personen, was mit dem Begriff des Personenverbandes korrespondiert. Die Zeitgenossen jedoch hatten einen Begriff vom Verband als Verbindung von überpersönlichen Gemeinschaften, nicht zuletzt im Kirchenverband und wie hier bereits gezeigt wurde, auch im „Staatsverband“. Der Begriff der societas kann für die willentliche Verbindung von Personen wie von überpersönlichen Gemeinschaften gebraucht werden, wobei im politischen Raum das Handeln von Personen niemals unabhängig von ihren Herrschaftsträgern gesehen werden darf. Jeder Große handelt mit der Herrschaft seiner Familie, jeder Bischof mit der Herrschaft seiner Kirche, weil beide auch zukünftige Vertreter ihrer Gemeinschaften durch ihr Handeln binden. Der „Privatakteur“ ist in der frühmittelalterlichen Welt die absolute Ausnahme. Als solche können allenfalls die Mitglieder der Hofkapelle gelten, die aber zumeist später in eine Position geraten, die sie eben auch in erster Linie zu Vertretern von Gemeinschaften macht. Zur Abwehr Aufständischer an den Grenzen zu Spanien war 827 der Abt und Kanzler Helisachar abgeordnet worden, gemeinsam mit anderen. Helisachar war seinen Aufgaben „sociorum consilio prudenter“ nachgekommen.260 Hier sprechen die Reichsannalen von einer Sozietät, die aus Helisachar und seinen Mitabgeordneten bestand. Diese Verbindung von Helisachar und seinen socii galt dem konkreten Zweck der Befriedung dieser Gebiete und hatte vermutlich keine weitere Bedeutung. Diese vom Kaiser gebildete Gruppe war nicht auf Dauer ausgelegt und vermutlich auch nicht als „Verband“ konzipiert. In diese Kategorie gehört auch der Bericht der Reichsannalen vom Grafen Wido, „qui in marcam Brittaniae praesidebat, una cum sociis comitibus Brittaniam ingressus totamque perlustrans in deditionem accepit.“261 Bemerkenswert ist aber doch, dass über die konkrete Verbindung der hier handelnden Grafen hinaus die „Grafenschaft“ als eine bestehende Verbindung verstanden wird, möglicherweise in Analogie zur Gemeinschaft der Bischöfe.

258 Concilium Lugdunense (567 aut 570), can. 2, MGH Conc. I, S. 140 zur Entfremdung von Kirchengut; der Canon wird wiederholt in der Collectio Vetus Gallica, XXXV, 6. – Das Konzil von Aachen (836), MGH Conc. II,2, Nr. 56, cap. (29), S. 711 sieht die Priester in der „confectio divini corporis et sanguinis“ als „consortes cum episcopis“, was auf die theologische Voraussetzung der Ekklesiologie im Begriff des corpus mysticum verweist. 259 Auch der Begriff des „Personenverbandsstaates“ gehört hier hinein (s. Einleitung). 260 ARF 827. 261 ARF 799, s. a. die sogenannten Einhardsannalen 799.

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Solche Verbindungen zu einem bestimmten konkreten Zweck können auch in der Form einer Schwureinung bestehen, wie sie im Bericht des Astronomus vorkommt, der den exzeptionellen Fall schildert, dass der abgesetzte Kaiser auf Betreiben zunächst weniger wieder eingesetzt werden sollte. Exzeptionell ist dieser Fall, weil die Vereinigung derer, die des Kaisers Wiedereinsetzung betrieben, nicht als unwillkürlich angesehen werden kann. Der Zweck des Zusammenschlusses ist aus der Sicht seiner Mitglieder die Wiederherstellung der rechten Ordnung. Der Astronomus schildert den Prozess dieser Vereinsbildung folgendermaßen: Infra huius hiemis aetatem gregatim populi tam Frantiae quamque Burgundie, necnon Aquitaniae sed et Germaniae coeuntes, calamitosis querelis de imperatoris infortunio querebantur: Et quidem in Frantiam Eggardus comes et Uuillelmus comes stabuli quos poterant sibi in unione voluntatis restituendi imperatorem coadunabunt; a Germania porro Hugo abbas in Aquitaniam missus a Hludouuico et ab eis, qui illuc confugerant, a Drogone scilicet episcopo et reliquis Pippinum in hoc ipso instigabat; porro Berhardus et Uuerinus in Burgundia consistentem populum suasionibus accendebant, promissionibus alliciebant, iuramentis adstringebant et in unum velle foederabant.262

Es gab also einen breiten Konsens in allen Teilen der societas Francorum darüber, dass die Ereignisse zu hinterfragen seien. Das ist ein erstes „Zusammengehen“ („coeunt“). Dann fanden sich zwei Protagonisten, die diese Kräfte einigen konnten, sie „in unione voluntatis“ führten. In der Folge beteiligten sich mehrere Große an der Verbreiterung dieser Einung, der sich weitere anschlossen, die mit Verheißungen angezogen wurden und sodann „iuramentis adstringebant et in unum velle foederabant“. Die Einung beruht somit auf eidlichen Bindungen und wird vom Astronomus klassifiziert als Verband, wenn er die Beteiligten als zu einem Willen verbunden sieht und als Begriff für das Verbinden „foederare“ gebraucht. Von der tätigen Mitwirkung der Großen war bereits die Rede. Vor allem in ungeklärten Nachfolgefragen sind die Großen existentiell betroffen und unter Umständen gezwungen, sich einem der Nachfolger anzuschließen, wie etwa die Anhänger Grifos in den Nachfolgekämpfen nach dem Tod Karl Martells.263 Ähnliches galt später auch für die jeweiligen Verbindungen der Söhne Ludwigs des Frommen mit den Großen,264 deren Anhänger unter den Großen auch als „complices“ bezeichnet werden konnten.265 In den Nachfolgestreitigkeiten, die ja z. T. von den Großen erst

262 Astronomus cap. 49 (S. 482–485). 263 Sogenannte Einhardsannalen 748: „Haec cum ad Pippinum perlata fuissent, cum maximo exercitu Baioariam profectus est fratremque suum Grifonem cum omnibus, qui cum ipso vel ad ipsum venerant [. . .].“ 264 Vgl. etwa Ann. Bert. 834 zur Wiederaufnahme von „Pippinus et Hludowicus cum ceteris fidelibus“ durch Ludwig den Frommen. 265 Ann. Bert. 834: „[. . .] contra Lantbertum et Matfridum aliosque Hlotarii complices directa [. . .].“

2.5 Verbandsstruktur

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massiv befördert, vielleicht auch ausgelöst worden waren, bemühte sich jeder der nachfolgenden Söhne um möglichst großen Anhang: Hludowicus autem et Karolus, alter ultra, alter citra Rhenum, partim vi partim minis partim honoribus partim quibusdam conditionibus omnes partium suarum sibi vel subdunt vel conciliant.266

Auch dieser Satz beschreibt die Bildung eines Verbandes, in dem die in ihm Begriffenen verschiedene Stellungen bekleiden, zum Teil als Mitglieder, zum Teil als diesem Unterworfene. Zugleich aber beschreibt dieser Satz den Prozess der „Reichsbildung“, in dem ein bestehender Raum mit Herrschaft gefüllt wird. Und hier zeigt sich denn auch, dass dies nicht über eine „Befehlsordnung“ abläuft, sondern in einem komplexen Gefüge von Herrschaftsträgern, unter denen der designierte Herrscher zwar als solcher eine hervorragende Rolle erhält, nicht aber seine Herrschaft über seine fideles ausweitet, um dann als Herrscher den Genossen vorzustehen, sondern gemeinsam mit den einen die anderen von der Notwendigkeit der Reichsbildung unter seiner Führung überzeugt, und das mit den verschiedensten Mitteln. Der Prozess der Verbandsbildung wird hier von den Annales Bertiniani als gemeinsame Aufgabe der Großen des bestehenden Reiches geschildert. Wenngleich die beiden designierten Herrscher in diesem Satz als Handelnde vorgestellt werden, so wird doch aus dem geschilderten Prozess deutlich, dass einzelne Große durch die Verleihung von besonderen Mitwirkungsrechten gewonnen wurden, nämlich „partim honoribus, partim quibusdam conditionibus“.267 In einem umgekehrten Prozess befand sich Kaiser Lothar im Jahr 842, als er feststellen musste, dass die Sachsen sich von ihm abzuwenden begannen. Er erkannte, dass die einzige Möglichkeit, die Sachsen davon zu überzeugen, an seiner Seite zu bleiben, darin lag, ihnen einzeln und in ihrer Gesamtheit Vorteile zu verschaffen. Das Ergebnis seines Handelns war denn auch, dass er ihnen zu einer erneuerten Identität verhalf, indem sich die Bevölkerungsgruppen der Frilinge und der Liten zu einer Gruppe zusammenschlossen und einen eigenen Namen erhielten, nämlich „Stellinga“.268 Der Adel hingegen, der den Franken weitgehend

266 Ann. Bert. 841. 267 An dieser Stelle „honores“ mit „Lehen“ zu übersetzen, stellte eine Verkürzung dar, die zudem lehnrechtliche Vorstellungen des hohen und späten Mittelalters implizierte. Hier geht es um die Vergabe von Würden, die vermutlich mit dem Besitz von Land verbunden sein konnten. Zum Begriff der honores s. auch DEUTINGER, Königsherrschaft 2006, 82, der darin v. a. Ehren erkennt, jedoch für das Ostfrankenreich keinen belegbaren Zusammenhang mit lehnrechtlichen Vorstellungen. 268 Nithard IV,2 (842): „Hinc rem publicam in propriis usibus tribuebat, hinc quibusdam libertatem dabat, quibusdam autem post victoriam se daturum promittebat, hinc etiam in Saxoniam misit frilingis lazzibusque, quorum infinita multitudo est, promittens, si secum sentirent, ut legem, quam antecessores sui tempore quo idolorum cultores erant habuerant, eandem illis deinceps habendam concederet. Qua supra modum cupidi, nomen novum sibi, id est Stellinga, imposuerunt et, in unum conglobati, dominis e regno poene pulsis, more antiquo qua quisque volebat lege

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assimiliert und eben christianisiert war,269 wurde bei diesem Zusammenschluss von Freien und Knechten zum Gegner. Lothar hatte also die Verbandsneubildung befördert, indem er Anreize geboten hatte, die nur einen Teil der Sachsen interessierten, nämlich die Bewahrung heidnischer Gewohnheiten.270 Wie das Beispiel bereits andeutet, können sich Verbände auch auflösen und verändern, indem etwa Mitglieder hinzukommen oder austreten.271 Der Abfall des Grafen Fuldrad und der übrigen „provinciales“ von Kaiser Lothar führte zur Verbandsneubildung, indem nämlich diese „sibique potestatem totius Provinciae usurpant“.272 Bei einem der mehrfachen Wechsel des aquitanischen Verbandes zwischen Karl und Pippin kam es nach einem Wechsel zu Karl, dem Sohn Karls des Kahlen zu einer Verbandsbildung zwischen Pippin, Rotbert und den Bretonen, die von Prudentius, dem Autor der Annales Bertiniani, mit dem Begriff „sociare“ bezeichnet wird.273 In den „Capitula de iustitiis faciendis“ von etwa 820 wird das Zusammenwirken der Ordnungsmächte vorbereitet, indem angeordnet wird, dass zu entsprechenden Versammlungen die Grafen mit zwölf scabini oder aber zwölf vornehmen Männern kommen sollten; außerdem sollen sich die Vögte der Bischöfe, Äbte und Äbtissinnen mit diesen einfinden.274 Hier sind diejenigen vertreten, die im Auftrag der Gesamtheit bzw. des Kaisers im Reich für den Erhalt der Ordnung sorgen, nämlich die Grafen mit ihrer Exekutive und die weltlichen Vertreter der geistlichen Gewalten. Andere „öffentliche“ Vertreter der Ordnungsmacht sind nur noch die missi, die

vivebat.“ – Vgl. den Exkurs bei SPRINGER, Sachsen 2004, 262–270, der einiges von den Angaben Nithards relativiert und so die Kernaussage darauf reduziert, dass es einen Aufstand einer Gruppe unterhalb der Großen gegeben habe. – S. ausführlich zu den Stellinga und den mit ihnen verbundenen Unruhen EHLERS, Integration Sachsens 2007, 258–262. 269 EHLERS, Integration Sachsens 2007, 261 verweist auf einen weit fortgeschrittenen „Integrationsprozeß“, der sich darin manifestiert, dass offensichtlich die Zugehörigkeit zum Frankenreich gar nicht in Frage stand. – S. zur Integration der Führungsschichten auch DEPREUX, Intégration 2006, 251. 270 SCHNEIDMÜLLER, „Stellinga“, in: LMA 8 (1997), 107 f. 271 Der Verband des Raginfrid löste sich auf, als dieser nach dem Sieg Karl Martells seine socii verließ, Annales Mettenses priores 717: „Tandem succurente Carolo divina misericordia Hilpericus rex cum suis in fugam conversus est, Raginfridus quoque fuga lapsus socios suos cruentae cedi exterminandos dereliquit.“ 272 Ann. Bert. 845. 273 Ann. Bert. 859: „Aquitani ad Karlum puerum omnes pene convertuntur. Pippinus Rotberto comiti et Brittonibus sociatur.“ – Zu Prudentius als Autor der Annales Bertiniani von 835 bis 861 s. NELSON, Annals of St. Bertin [1981] 1986, 177, zu Hinkmar in dieser Funktion von 861–882 ebenda 185 ff. 274 Capitula de iustitiis faciendis (ca. 820), cap. 2, MGH Cap. I, Nr. 144: „Vult domnus imperator, ut in tale placitum quale ille nunc iusserit, veniat unusquisque comes et adducat secu duodecim scabinos, si tanti fuerint; sin autem, de melioribus hominibus illius comitatus suppleat numerum duodenarium; et advocati tam episcoporum, abbatum et abbatissarum cum eis venant.“ – Vgl. zur Bestimmung PATZOLD, Episcopus 2008, 126.

2.5 Verbandsstruktur

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jedoch selbst zum System der Kontrolle der hier genannten subsidiaren Kräfte gehören.275 In einem Brief an Papst Hadrian erklärt Hinkmar von Reims die Integrität des Westreiches, indem er dessen Konstitution herleitet. Zunächst habe Karl der Kahle das Teilreich von seinem Vater zugedacht bekommen, es sei sodann „consensu tam episcoporum quam ceterorum procerum totius imperii traditam“ und zudem sei dies von Karls Bruder (Kaiser) Lothar öffentlich eidlich bestätigt worden.276 Hinkmar ging es um die Darlegung der contentio von Teilreich und Herrscher, wobei auch Licht darauf fällt, wie die königliche Herrschaft einem Papst gegenüber sinnvoll zu begründen war, nämlich in der Analogie zur Bischofsherrschaft.277 Karl war nicht nur gewissermaßen „erbrechtlich“ designiert, sondern hatte auch die Hürde genommen, von seinem „Volk“ gewählt worden zu sein; und er war zudem vom „Kollegen“ anerkannt worden. Hier interessiert die Teilnahme des „Volkes“, die ja tatsächlich anzunehmen ist und die dem Papst gegenüber eher ausgesprochen werden konnte, als in der relativen Öffentlichkeit der Kapitularien und der Geschichtsschreibung. Über die Bestellung des Herrschers entschieden die Teilhaber am Reichsverband, ihrerseits zweifellos für größere Personengruppen handelnd, deren Gefüge für die kirchlichen proceres als transpersonal nachgewiesen ist und für die weltlichen als Familienoberhäupter ähnlichen Charakters war, da sie die Familie und ihren Herrschaftsverband in Gegenwart und Zukunft zu repräsentieren hatten. Zunächst scheint die Herrschaft der Karolinger eine starke Trennung von Sphären zu kennen, nämlich, der häuslichen der politisch-weltlichen und der kirchlichen. So jedenfalls legen es die Annales Mettenses priores nahe, wenn es dort für 756 heißt:278 „Hoc anno Pippinus princeps interiora regni sui pacifice ordinans, tam in ecclesiasticis rationibus quam et in publicis negotiis et privatis [. . .]“. Ganz ähnlich

275 INNES, State and Society 2000, 193 und ders., Charlemagne´s Government 2005, 83 f., der aber die missi selbst in der Region ihres Aufgabengebietes verortet sieht. – Vgl. zum Ostfrankenreich, auch mit der Betonung einer regionalen Anbindung der missi DEUTINGER, Königsherrschaft 2006, 186 f. – Vgl. zu Funktion und Aufgaben der missi auch GANSHOF, Charlemagne et les Institutions 1965, 366 ff. – S. grundlegend zu den missi als intermediäre Kraft WERNER, missus 1980, ebenda 195 mit dem Hinweis auf die Vervielfachung der kaiserlichen Person „par de ‚alter ego‘„ in den missi. – Vgl. MCKITTERICK, Frankish Kingdoms 1983, 96, die deutlich macht, dass die subsidiäre Macht der missi für ihre Funktion von einiger Bedeutung ist. 276 Hinkmar von Reims, ep. 278: An Papst Hadrian II., ed. Schieffer (MGH Epp.VIII,2), S. 381–394, 385 (Hinkmar von Reims, ep. 27 ad Hadrianum papam „Excellentiae vestrae“, MPL 126, 174–186, 177). 277 Eine solche Analogie baut Hinkmar anlässlich der Krönung von 869 weiter aus, NELSON, Kingship [1977] 1986, 142. 278 Annales Mettenses priores 756; vgl. zur Trennung von Haus und Reich Annales Mettenses priores 759: „Hoc anno preter domesticas regni sui causas corrigendas Pippinus nullum iter exercuit.“

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heißt es dort für 801:279 „Ordinatis deinde Romanae urbis et apostolici totiusque Italiae non tantum publicis, sed etiam ecclesiasticis privatisque negotiis [. . .]“. Diese Darstellung königlicher bzw. kaiserlicher Aufgaben mag in gewisser Weise topisch sein, indem auf die herrscherliche Hoheit in allen Bereichen hingewiesen wird; damit aber werden dann auch die verschiedenen Bereiche vorgestellt und ihre Scheidung manifest. Der Herrscher ist Haupt bzw. Vertreter seiner Familie, deren Angelegenheiten er zu ordnen im Stande ist; unabhängig davon ist er Haupt bzw. Vertreter des Herrschaftsverbandes. Und außerdem hat er eine wesentliche Funktion für die kirchliche Organisation, deren Haupt er schwerlich sein konnte, für die er aber dennoch gewissermaßen in Vertretung eines nicht bestellten reichsweiten Vorstandes die nichtgeistlichen Geschäfte führte. Denn es gehörte zu seinen Aufgaben, Synoden zu versammeln, die kirchliche Disziplin zu sichern und ganz wie ein Verbandsvorsteher auch maßgeblich bei der Bestellung von Bischöfen und Äbten mitzuwirken. Diese drei Funktionen leiten sich nicht unmittelbar aus derselben Quelle her, sondern stehen in jedem Fall auch im Zusammenhang mit der jeweiligen „Gruppe“, nämlich mit der herrscherlichen Familie und den Verbänden von Reich und Kirche. Dass es jeweils Überschneidungen zwischen diesen personalen Zusammenhängen gibt, führt sodann zu der Notwendigkeit einer Personalunion und umgekehrt.

2.5.5 Eid und Verbandsbindung Der Eid ist das stärkste Mittel der künstlichen sozialen Bindung, allenfalls die Taufpatenschaft hat eine vergleichbare Kraft. So ist er auch geeignet, als sicherheitsstiftendes Mittel eingesetzt zu werden und so die durch militärische Erfolge erreichte Staatlichkeit zu schützen. Nun ist aber die einseitige eidliche Bindung Ausdruck eines Verhältnisses zwischen Herr und Untertan. Die Untertaneneide aus der Zeit Karls des Großen zeigen das. Wie und warum kam es dazu, dass im Reich Karls des Großen alle freien Männer einen Eid schwören mussten, dass sie Karl treu und gehorsam sein wollten, die Gerechtigkeit wahren und Gottes Gebote befolgen würden?280 Einmal hat das konkrete Erfahrungen zum Hintergrund, nämlich die

279 Annales Mettenses priores 801. – So auch in den ARF 801: Ordinatisque deinde Romanae urbis et apostolici totiusque Italiae non tantum publicis, sed etiam ecclesiasticis et privatis rebus . . . Spoletium venit.“ Zur vermutlich jährlichen Abfassung der Reichsannalen in den Jahren 795–807 s. LÖWE, Reichsannalen 1953, 245–253, 252 f. Das bedeutet, dass vermutlich die Angaben der Annales Mettenses priores von denen der Reichsannalen abhängen. Zur Stelle vgl. WEHLEN, Geschichtsschreibung 1970; zur Abhängigkeit der Annales Mettenses priores von den Reichsannalen s. HASELBACH, Aufstieg 1970, 17 ff. 280 Die Begründung von ESDERS, Eliten und Raum 2007, 22 f., der ebenda eine Übersetzung wesentlicher Passagen des entsprechenden Kapitulars mitteilt; dass der eigentliche Zweck die

2.5 Verbandsstruktur

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Verschwörungen von 786 und Pippins des Buckligen.281 Dann spielte gewiss die konkrete positive Erfahrung mit der Vereidigung der bayerischen Großen von 788 eine Rolle. Aber eine Vereidigung aller auf den Befehl des Herrschers, der ja nach unseren Beobachtungen eigentlich „nur“ als Verbandsvertreter aufzufassen ist, bedarf der Erklärung und zunächst des Hinweises darauf, dass es ausgesprochen ungewöhnlich ist, wenn in einer Gesellschaft, in der der Einzelne in den meisten Fällen über eine Gruppe, sei es ein Verband oder eine Körperschaft, repräsentiert und auch gebunden ist, dieser dem Herrscher selbst persönlich verpflichtet wird. Das Schweigen der historiographischen Quellen über den Untertaneneid und seinen Beschluss ist ausgesprochen beredt.282 Hier wird etwas nicht mitgeteilt, was für 789, unmittelbar nach der entwürdigenden Eideszeremonie der besiegten Bayern von 788, einer schriftlichen Demütigung der Großen gleichgekommen wäre. Nicht viel anders stellt sich das für den Eid von 802 dar.283 Andererseits ist davon auszugehen, dass der Untertaneneid als solcher ohne tätige Zustimmung nicht durchführbar gewesen wäre; auch unbedeutendere Dinge sind von den Großen approbiert worden, bevor sie die Qualität eines Kapitulars annahmen. Als bloße Forderung in einem Kapitular hätte das Projekt Untertaneneid keinen Sinn ergeben. Anders als die Aufforderungen der Kapitularien zu bestimmten zivilisatorischen Maßnahmen hätte der Untertaneneid als bloße Forderung gar nichts bewirkt. Seine Umsetzung im großen Stil ist die Voraussetzung für die Loyalität, die er bezwecken sollte, nicht die bloße Forderung nach seiner Umsetzung; die hätte allenfalls Ablehnung erzeugen können. Wenn aber bei der Abfassung der entsprechenden Kapitularien mit seiner Umsetzung gerechnet wurde, so bedeutet das, dass die Großen dem zugestimmt haben müssen. Das verweist unmittelbar auf den hier postulierten karolingischen Gründungspakt: Die Großen geben Souveränität ab, um die karolingische Staatlichkeit, von der sie alle profitierten, zu schaffen bzw. zu erhalten; so auch hier. Der Eid von 789 gilt dem Herrscher, und zwar als der konkreten herrschenden Person und seinen Söhnen als Nachfolger. Der Eid, der 802 auf den Kaiser abgelegt werden sollte, verzichtet auf die Adresse an die Söhne. Das Kaisertum reicht.

„Rekrutierung [. . .] für das militärische Aufgebot“ gewesen sei, scheint doch nur einen Teil einer Erklärung darzustellen. 281 S. die Ausführungen von BRUNNER, Oppositionelle Gruppen 1979, 56 ff., der den Aspekt der Verrechtlichung hervorhebt, mit der die Abweichung von Adelsgruppen als Vergehen gegen den Eid definiert wird. So ist denn auch INNES, Charlemagne´s Government 2005, 80 f. der Ansicht, der Untertaneneid habe vorrangig dazu gedient, den zahlreichen Schwureinungen des Reiches von herrscherlicher Seite etwas Adäquates entgegenzusetzen. 282 Grundlegend zum Untertaneneid BECHER, Eid und Herrschaft 1993, s. dazu ausführlich „Der Staat als Verband“, 2.5.5. 283 Vgl. zum Untertaneneid eben nicht als „Vasalleneid“ BECHER, Subiectio principum 2006, 172 f.

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2 societas societatum – Zur Organisation des karolingischen Staates

Offensichtlich durchbricht hier Karl, getragen von der politischen Theorie, die Realität seiner Herrschaftsgrundlage. Er tut dies aber nicht allein; die Erhöhung des Herrschers zum vicarius Dei ist theoretisch konsequent. Das ändert aber nur wenig daran, dass auch nach dem Untertaneneid von 789 und auch noch nach 800 und 802 das politische Handeln des Herrschers konsensgebunden ist. Der politische Kunstgriff, den der Untertaneneid bedeutet, liegt in der Schaffung einer sakral überhöhten Gemeinschaft, deren Bindungen im Herrscher kulminieren, indem über den Eid als bedingte Selbstverfluchung das Reich gefestigt wird. Hätte der Eid dem Reich gegolten, wäre es letztlich eine Ermessensfrage gewesen, ab wann er gebrochen wäre. Darüber hätte man sich im Reich leicht streiten können. So aber, indem der Herrscher Adressat des Eides war, entstand in ihm eine unmittelbare Instanz zur Beurteilung dieser Frage. So erst hatte der Untertaneneid als Sicherung der erreichten Staatlichkeit seinen Sinn. Über seine Einhaltung zu befinden wurde erheblich erleichtert, was zugleich seine Einhaltung gewährleisten konnte. Außerdem ist zu bedenken, dass das crimen maiestatis sich zwar faktisch auf die politische Gemeinschaft bezog, diese aber besonders in der Person des Herrschers manifest wird, weshalb grundsätzlich die Person des Herrschers zu sanktionieren ein einfaches Mittel zum Schutz der Gemeinschaft darstellt. Der Untertaneneid muss also nicht dem Verbandscharakter des Reiches entgegenstehen, in Gegenteil, er kann seinem Erhalt dienen. Die Bindung der fideles an den Herrscher durch Eid wird zum gebräuchlichen Verfahren, dient aber zunehmend dazu, die Stellung des Herrschers zu sichern, wie etwa bei dem Treueid der Großen Karl dem Kahlen gegenüber, nachdem er 837 mit einem besonderen Teil des regnum Francorum ausgestattet worden war.284 Karl der Kahle ließ im Jahr 864 sich selbst schwören, nämlich von seinem Sohn Karl und „omnes primores Aquitaniae“, wohl um die Zugehörigkeit Aquitaniens zu seinem Herrschaftsraum sicherzustellen.285 Im Jahr 806 verfügte Karl der Große, dass der Untertaneneid nachzuholen und zugleich auf die Sicherung der Divisio regnorum auszuweiten sei.286 Hiermit fügte Karl die Nachfolger wieder in das Eidesformular ein. Dem Reichsverband konnten unklare Loyalitätsverhältnisse nur schaden, nicht nur, dass sie die Stellung des Herrschers untergraben konnten. Erschwert wurde das durch die offensichtliche Gewohnheit mehrerer Herren, sich von denselben Großen Treue schwören zu lassen,

284 KASTEN, Königssöhne 1997, 193 f. nach Astronomus, Vita Hludowici 59 und Nithard I,6. 285 Ann. Bert. 864. 286 Capitulare missorum Niumagae datum (806), MGH Cap. I, Nr. 46, S. 130–132, 131: „cap. 2, De sacramento: Ut hi qui antea fidelitatem partibus nostris non promiserunt, promittere faciant, et insuper omnes denuo repromittant, ut ea quae inter filios nostros propter pacis concordiam statuimus, pleniter omnes consentire debeant.“ Vgl. ARF 806: „De hac partitione et testamentum factum et iureiurando ab optimatibus Francorum confirmatum [. . .].“

2.5 Verbandsstruktur

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was in den Bruderkriegen zu regelmäßigen Eidbrüchen führen musste. Schon Karl der Große hatte in einem Kapitular von 805 verlangt, dass nur ihm und „unicuique proprio seniori ad nostram utilitatem et sui senioris“ die Treue zu schwören sei.287 Dennoch blieb das Problem bestehen, wenn auch noch nach dem Ende der Bruderkriege das Konzil von Meaux/Paris (845/846) die „multiplex iuramentorum et periuriorum confusio“ beklagt.288

287 Capitulare missorum in Theodonis villa datum secundum, generale (805), cap. 9, MGH Cap. I, Nr. 44, S. 122–126, 124. 288 Meaux/Paris (845/846), can. 38, MGH Conc. III, 11, S. 103. – MITTEIS, Lehnrecht und Staatsgewalt [1933] 1958, 99 f., der die Eide als Ausdruck entstandener lehnrechtlicher Bindungen begriff, sah in den herrscherlichen Versuchen, die Loyalitätsbezüge zu ordnen, den Wunsch, „Drückebergerei“ vorzubeugen und weiterhin, den „Seniorenstand“ als solchen zu erhalten. MITTEIS geht ebenda 100 f. auf die Versuche Karls des Großen ein, „zu einer öffentlich-rechtlichen Sicherung der Vasallentreue“ zu gelangen, die Mitteis selbst als privatrechtlich begründet auffasst. MITTEIS ebenda 101 gerät dann in die prekäre Lage, den Wechsel der Herren durch erneute Kommendation des (vermeintlich) Getreuen erklären zu müssen. Er tut dies, indem er auf die Eigenartigkeit mittelalterlicher Rechtsvorstellungen verweist, die er ja ansonsten mit großer Sicherheit aufzublättern weiß. Es ist ja fraglos für die öffentliche Ordnung von Interesse, Loyalitätskonflikte in der Gesellschaft zu vermeiden. Nur liegt ihre Ursache nicht in einer Unordnung des „Lehnwesens“ und ihre Lösung nicht in der „öffentlich-rechtlichen“ Erweiterung desselben. Loyalitätsbeziehungen zwischen fideles und seniores beruhen schlichtweg auf der Notwendigkeit von sozialer Ordnung, die jede Gruppe, wie immer man sie qualifizieren möchte, entfaltet. Dabei hängen Hierarchie und Freiheit an den jeweiligen Machtmitteln bzw. an den ihnen vorausgehenden Eigentumsverhältnissen. Wie in jeder Gruppe entsteht unwillkürlich ein Schutz- und Dankbarkeitsverhältnis unter Mitgliedern verschiedener sozialer Stellung. Das ist auch verhältnismäßig stabil. Die Veränderung und die Notwendigkeit der Sicherung dieser Verhältnisse hängt wesentlich an der Entstehung bzw. Stärkung einer zentralen Macht, die einen allgemeinen Sicherheitszustand ermöglicht, der wiederum es den fideles der seniores erlaubt, aus diesem bestehenden Loyalitätsverhältnis in den Schutz der öffentlichen Ordnung zu entweichen. Das bedeutete in der Konsequenz für die ausgeprägte Vorstellung von der öffentlich-rechtlichen Bedeutung des Lehnswesens, dass eben diese zunächst gar nicht besteht, sondern der Untertaneneid, wie das Bemühen um allgemeine Rechtssicherheit, eigentlich keine Ergebnisse von germanischen Treuevorstellungen darstellen. Mitteis ist jedoch zu konzedieren, dass im Kern er das Richtige getroffen hat, wenn er das Entstehen öffentlichrechtlicher Momente in einer privatrechtlich begriffenen Gesellschaft konstatiert. Hierhin gehört auch die von MITTEIS ebenda 133 zitierte Bestimmung eines Kapitulars über die Ansiedlung von Spaniern im Frankenreich (Constitutio de Hispanis in Francorum regnum profugis prima, cap. 6, MGH Cap. I, Nr. 132, S. 262), wonach die Spanier sich den Grafen „in vassaticum“ kommendieren dürften und für ein etwaiges beneficium dienstpflichtig würden. Es bedurfte schlichtweg der sozialen Eingliederung der Exilanten und eventuell einer materiellen Basis in einem Land, in dem der bebaubare Boden bereits vergeben war. Hier muss es um nichts weiter gehen als um eine Form der Pacht, verbunden mit der Schaffung sozialer Existenz. Das als Ausdruck eines Lehneswesens zu begreifen, würde den sozial hinreichend erklärlichen Sachverhalt überspezifizieren und mit Bedeutung überfrachten, die dem 19. Jahrhundert mehr entspricht als dem Neunten. S. dazu BECHER, Subiectio principum 2006, 172 f.

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2.6 Verband und Herrschaft 2.6.1 Verbandshandeln und Mitgliedschaft Zur Herleitung der Herrschaft der societas Francorum ist auch nach dem herrschaftlichen Handeln der Großen zu fragen. Dieses kann sich auf die verschiedensten Weisen äußern, von der Rebellion bis hin zur eigenen Verbandsbildung gegen den Herrscher. Neben dem Aufstand Pippins des Buckligen gibt es in der Zeit Karls des Großen einen weiteren Aufstand, der aber wohl weitaus gefährlicher war als die mutmaßliche Sezessionsbewegung südlich der Alpen. Recht offen berichten die Lorscher Annalen von diesem breiten Aufstand des Jahres 786: Rebellare conati sunt quidam comites, nonnulli etiam nobilium in partibus Austriae, ac coniurantes invicem coegerunt quos poterant, ut contra domnum regem insurgerent.289

Dieser Plan war jedoch nicht zur Ausführung gekommen. Nachdem die Verschwörung aufgedeckt worden war, musste gehandelt werden. Es wurden jedoch nicht die Verschwörer, wie das ja nahe gelegen hätte, in ihrer Gesamtheit zum Tode verurteilt und hingerichtet, sondern eher nach dem Prinzip verfahren, dass nur getan wird, was unbedingt getan werden muss. Also wurden „hii, qui potissime in hac coniuratione devicti sunt, honore simul ac luminibus privarentur“, und Karl „eos autem, qui innoxii in hac coniuratione seducti sunt, clementer absolvit.“ Warum ging der bedrohte Verband – wir wissen aus anderen Fällen ja, dass die Verurteilung nicht alleinige Angelegenheit des Herrschers war, sondern maßgeblich auf die Verbandsmitglieder zurückging – so milde mit seinen Feinden um? Die Lorscher Annalen berichten immerhin von mehreren Grafen und sogar „nonnulli“ aus Austrasien, also dem fränkischen Kernraum, von denen die Verschwörung ausging. Gerade die Breite der Verschwörung scheint mir der Grund für die Milde zu sein, ganz ähnlich der Milde aufständischen Söhnen gegenüber. Dort jedenfalls ist der Sohn als potentieller Nachfolger einfach zu kostbar, um seinen Verlust ohne große Not in Kauf zu nehmen. Hier waren es vermutlich zu viele Verbandsmitglieder, die an der Verschwörung beteiligt waren, und dazu noch einige, die von ihr wussten, vielleicht auch manche, die sympathisiert hätten, wäre es zum Aufstand gekommen. Eine Entscheidung des Verbandes gegen Verbandsmitglieder folgt eigenen Regeln. Sind die Abweichler sehr gering an Zahl so trifft ihr Vergehen die uneingeschränkte Ahndung durch den Verband. Ist aber eine maßgebliche Anzahl von Verbandsmitgliedern gegen das Handeln des Verbandes, so muss der Verband neben der Ahndung sein eigenes

289 Annales Laureshamenses 786, S. 32.

2.6 Verband und Herrschaft

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Handeln in Frage stellen, weil durch das fortgesetzte Verbandshandeln gegen den Willen eines wesentlichen Teils der Mitglieder sein Bestand in Frage steht. Die aus dieser Erkenntnis resultierende vermeintliche Milde ist nicht so leicht zu bemänteln, wie die Milde gegen aufständische Söhne oder besiegte Fremde. Milde gegen die Söhne ist als Maßgabe christlicher Erziehung hinzustellen; die Feindesliebe als Gebot christlicher Herrscherethik erlaubt Milde gegen den Langobardenkönig, und selbst Tassilo – möglicherweise, weil sein Eidbruch in den Quellen fingiert war290– konnte als auswärtiger Feind aufgefasst werden. Bei der Verschwörung aber von 786 lagen solche mildernden Unstände nicht vor. Das Vorgehen Karls und der societas Francorum ist nur zu erklären als das Handeln eines Verbandes in inneren Angelegenheiten von großer Brisanz. Selbständiges Handeln von Verbandsmitgliedern muss nicht in einer Verschwörung ihren Ausdruck finden. Es kann auch ein informelles Handeln von Subverbänden sein, wie 100 Jahre später bei den Abmachungen zwischen Boso und Theoderich im Jahr 879, nachdem Ludwig, Sohn Karls des Kahlen, gestorben und dessen Sohn Ludwig noch nicht im handlungsfähigen Alter war.291 In der mit dem Tod Ludwigs, Sohn Karls des Kahlen, entstandenen Krise ist zu beobachten, dass der Verband ohne Haupt zwar in Nachfolgekonflikte versank, nichtsdestotrotz aber es Bemühungen gab, das Verbandshandeln zu erhalten. Als ein Beispiel herrscherlichen Handelns gegen die Großen und damit gegen den offensichtlichen Willen eines großen Teils des Verbandes mag die Einsetzung Bernhards zum Kämmerer dienen.292 Die Rekonziliation Bernhards nach der Wiedereinsetzung Ludwigs des Frommen im Jahr 830 war formal völlig korrekt, zumal die Vorwürfe gegen ihn offensichtlich jeder Grundlage entbehrt hatten. Aber auch hier handelte Ludwig im Grunde gegen den Verbandsfrieden. Dass gegen Bernhard niemand antreten wollte, um dessen Schuld durch Gott beweisen zu lassen, liegt nicht daran, dass seine Gegner mit Bernhards Rehabilitation glücklich gewesen wären, sondern daran, dass diese Zurückhaltung allein durch den Primat des Verbandsfriedens gefordert war; denn eben dieser Frieden war ja gerade erst wiederhergestellt worden. Nur konnte niemand davon ausgehen, dass Ludwig eines der Hauptärgernisse seiner früheren Herrschaft wieder einsetzen würde, Bernhard nämlich. Manches Handeln des Verbandes ging unmittelbar auf die Initiative der Mitglieder zurück, was

290 Vgl. hierzu BECHER, Eid und Herrschaft 1996. – S. dazu DEPREUX, Tassilon 1995 und die Bewertung der Positionen bei HAMMER, From Ducatus to Regnum 2007, 101. 291 Ann. Bert. 879: „Inter Bosonem autem et Teodericum, mediante Hugone abbate, conventum est, ut Boso comitatum Augustidunum haberet, et Theodericus abbatias quas Boso in istis partibus habuerat in commutatione acciperet.“ 292 Astronomus, Vita Hludowici 43. Zu Bernhard von Septimanien vgl. KRAH, Absetzungsverfahren 1987, 68 f. – S. zu Bernhard auch DEVROEY, Puissants et misérables 2006, 192 ff.

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von den Quellen nur in wenigen Fällen hervorgehoben wird,293 dennoch aber als ein Prinzip der Herrschaft der societas Francorum durchscheint. Im Aufstand der Söhne gegen Ludwig den Frommen von 830 waren es ja auch die Großen, nicht die Söhne, von denen die Initiative ausging.294 Auch nach dem Bericht der Reichsannalen waren es neben dem Papst die Großen, die sich ausdrücklich dafür aussprachen, dem Friedensangebot des dux Beneventanus Arichis nicht zu trauen.295 Die Großen Aquitaniens spielten innerhalb des Westreiches eine besondere Rolle. Sie erhielten sich eine weitgehende Autonomie, sodass sie einen eigenen Verband bildeten,296 der je nach Lage der Dinge als Teilverband des Westreiches figurierte oder als eigenständiger Herrschaftsverband in der Nähe der Herrschaft über das Westreich. So war schon Ludwig der Fromme in diesem subversiven Klima aufgewachsen; er hatte als Unterkönig in Aquitanien angeblich nicht einmal genügend Mittel, seinem Vater, Karl dem Großen, angemessene Geschenke zu machen.297 Später wurde Karl der Kahle in die undankbare Aufgabe eingewiesen, als Unterkönig in Aquitanien zu fungieren.298

2.6.2 Erwählung des Herrschers durch die Großen Bemerkenswert ist, dass es bis 879 nicht dazu kam, dass die Großen sich für einen Herrscher entschieden, der nicht den „Lenden“299 Pippins und Bertradas entstammte.300 Auch wenn die Sprache der meisten Quellen nicht gerade dazu anregt, die Großen als Wähler zu sehen, etwa wenn die Erhebung Karls und Karlmanns zu

293 Etwa Ann. Bert. 865: „[. . .] fidelium suorum consilio [. . .]“. 294 Astronomus, Vita Hludowici 44. 295 ARF 787: „Et Arighis dux Beneventanus misit Romaldum filium suum cum magnis muneribus, postolare de adventu iamdicti domni regis, ut in Benevento non introisset, et omnes voluntates praefati domni regis adimplere cupiebat. Sed hoc minime apostolicus credebat neque obtimates Francorum, et consilium fecerunt cum supranominato domno Carolo rege, ut partibus Beneventanis causas firmando advenisset; quod ita factum est.“ 296 S. SCHLESINGER, Auflösung des Karlsreiches [1965] 1987, [810 f.] 70 f., der auch zahlreiche Franken unter den Aquitaniern vermutet. 297 S. BOSHOF, Ludwig der Fromme 1996, 56 f., der den Bericht von der Mittellosigkeit als dramatisiert qualifiziert. 298 Nithard I,4 (832). 299 Formulierung der Clausula de unctione Pippini, ed Stoclet: „Simulque francorum principes benedictione sancti Spiritus gratia confirmavit et tali omnes interdictu et excommunicationis lege constrinxit, ut numquam de alterius lumbis regem in evo presumant eligere, sed ex ipsorum quos et divina pietas exaltare dignata esse et sanctorum apostolorum intercessionibus per manus vicarii ipsorum beatissimi pontificis confirmare et consecrare disposuit.“ 300 Vgl. STROTHMANN, Königtum Pippins 2008. – Erst mit der Erhebung Bosos 879 endet die – bewusste oder unbewusste – Beachtung dieser Regel.

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Nachfolgern ihres Vaters Pippin gewissermaßen durch das ius paternum erklärt wird und nicht als Entscheidung der Großen, die immerhin ihren Konsens bezeugten.301 Nun ist Konsens nicht zwingend immer als Anteil an der Urheberschaft einer Entscheidung aufzufassen. Wenn jedoch dieser in konstitutiver Absicht erklärt wird und von ihm in solcher Absicht in den Quellen berichtet wird, dann ist der Konsens als eine Form der Urheberschaft aufzufassen. Das gilt für die Konsensunterschriften von Frau und Söhnen in Privaturkunden, die damit ihren Teil zu einem Rechtsgeschäft beitragen, und das gilt auch für den ausdrücklich erwähnten Konsens der Großen bei der Herrschererhebung. Bei der Nachfolge Pippins des Jüngeren war der Spielraum recht klein. Niemand konnte ernsthaft auf die Idee gekommen sein, einen anderen als die Söhne Pippins zum König zu erheben. Das hätte die erreichte Einigkeit zerstört und dem karolingischen Herrschaftsverband die Existenz gekostet. Das ist nicht zu unterschätzen. Schließlich bedeutete der kunstvoll errichtete Verband ein Höchstmaß an innerer Sicherheit, zumindest für die Großen, die diese Sicherheit brauchten, um ihren Wohlstand in aller Ruhe mehren zu können. So bedeutet der erklärte Konsens die Bereitschaft, die alternativlose Entscheidung konsequent mitzutragen. Etwas mehr Licht auf die Rolle der Großen fällt nach dem Tod Karlmanns auf die Übernahme dessen Reichsteils durch Karl im Jahr 771. Diese geschieht bei weitem nicht so selbstverständlich wie der gemeinsame Herrschaftsantritt Karls und Karlmanns. Die Annales Mettenses priores schildern den Ablauf der Herrschaftsübernahme durch Karl, dem auf seinem Weg in den Reichsteil des Bruders die Großen des brüderlichen Reiches entgegenzogen, die dort in der maßgeblichen Reihenfolge genannt werden, nämlich erst die Geistlichen in hierarchischer Folge und dann die Grafen Warin und Adalhard „cum aliis principibus, qui fuerunt ex partibus Carolomanni“. Diese „unxerunt super se dominum suum Carolum“. Und dann setzen die Annales Mettenses priores hinzu, dass Karl „obtinuit feliciter monarchiam totius regni Francorum“. Die Einheit des Reiches unter Führung des Einen war wiederhergestellt. Aktiv daran beteiligt waren aber die Vertreter des eigentlich herrenlosen Reiches, das somit jedoch nicht führungslos geworden war. Die Großen übergaben das Reich an Karl zwar, wie die Quelle nahelegt, aus Einsicht in die Notwendigkeit von Monarchie und Einheit, dies taten sie jedoch fraglos als die Herrschaftsträger des herrscherlosen Reiches. Nach dem allgemeinen Aufstand gegen die Herrschaft Ludwigs des Frommen vom Jahr 833 und seiner Entmachtung war es, folgt man Nithard, die plebs, die danach strebte, Ludwig den Frommen wieder einzusetzen und die sich letztlich damit auch durchsetzte.302 Auch wenn es nicht die eigentliche plebs war, die diesen 301 Sogenannte Einhardsannalen 768: „Filii vero eius Karlus et Carlomanns consensu omnium Francorum reges creati.“ 302 Nithard I,4: „Plebs autem non modica quae praesens aderat et jam jamque Lodhario pro patre vim inferre volebat, rege recepto, basilicam sancti Dionisii una cum episcopis et omni clero

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Vorgang auslöste, so zeigt die pejorative Formulierung doch, dass die Kräfte, die Ludwigs Restitution verlangten, aus dem „populus Francorum“ kamen, die aber ihrerseits zu diesem Zeitpunkt auf die Zustimmung Pippins vertrauen konnten303 und somit durch ihr Handeln nicht von der Zukunft und ihrer Gestaltung ausgeschlossen wurden. Die Söhne nämlich stehen für die Zukunft.304 Das macht sie noch zu Lebzeiten des Vaters so wichtig, dass gegen sie der Vater nämlich nicht glücklich regieren kann, ohne sie aber auch „ihre“ jeweiligen Großen kaum handlungsfähig sind, da schlichtweg in den meisten Fällen in dieser Zeit eine Alternative zum herrscherlichen Sohn als Identifikationsfigur fehlt. Wenn Nithard von der Entscheidung Bernhards von Septimanien schreibt, sich Karl dem Kahlen zu unterstellen, so liegt in diesem Vorgang die Erwählung des künftigen Herrschers mitbegründet. Bernhard handelt nach einer handfesten Niederlage unter dem Druck der Ereignisse, wenn er sich zum fidelis Karls erklärt, zugleich aber wiegt seine Entscheidung ausgesprochen schwer, da er als ein Exponent des westfränkischen Adels gelten kann. Hier entscheidet ein Großer wesentlich mit über die Herrschaft seines Verbandes, was seinen Niederschlag darin findet, dass trotz des früheren erbitterten Widerstands Bernhards gegen Karl dieser jenen „in societatem amicitiae suscepit“.305 Auch der Abfall der westfränkischen weltlichen Großen von Karl dem Kahlen im Jahr 858 fällt durchaus in die Kategorie der Erwählung eines Herrschers.306 Die Großen hatten sich Ludwig den Deutschen „erwählt“ und haben diese Wahl mit ihren Machtmitteln umzusetzen versucht. Gescheitert ist diese Herrscherwahl an einem wesentlichen Teil der Großen und nicht eigentlich am Recht oder am Herrscher selbst. Es waren schließlich die geistlichen Großen mit Ausnahme des Erzbischofs von Sens, die an ihrer einstigen „Wahl“ festhielten und so den Umsturz unmöglich machten. Nach dem Tod Karls von der Provence kam sein Bruder Kaiser Ludwig II. und „quos potuit ipsius regni primores sibi conciliavit.“307 Auch hier waren die Großen als Herrschaftsträger letztlich Entscheidungsträger. Schon sehr bald nach dem Tod Ludwigs des Frommen hatte sich abgezeichnet, dass die Verbände der Teilreiche ihre Integrität zu wahren suchen würden, wie das aus Anlass des Einzugs Ludwigs des Deutschen in das Westfrankenreich von Hinkmar und weiteren Bischöfen ausgesprochen reflektiert dargelegt wird.308

confluunt, laudes Deo devote referunt, coronam et arma regni suo imponunt et ad cetera deliberaturi contendunt.“ 303 BOSHOF, Ludwig der Fromme 1996, 205. 304 S. oben, „Die Herrscherfamilie“, 2. 305 Nithard II,5, ed. Lauer, S. 50. 306 S. Ann. Bert. 858. 307 Ann. Bert. 863. 308 Konzil von Qierzy, Synodalschreiben, MGH Conc. III, 408–427.

2.6 Verband und Herrschaft

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Eine solche Teilreichsintegrität hat ihre Wurzel in den Verbänden der königlichen Söhne, die ja ursprünglich als Subverbände unter der Hoheit des kaiserlichen Vaters konzipiert worden waren. Im östlichen Teil des Frankenreiches, vor allem in Bayern, scheint die Neigung zu einer starken Orientierung auf den Teilreichsherrscher besonders ausgeprägt gewesen zu sein. Im Jahr 832 wird ein erstes Ausscheren des Verbandes Ludwigs des Deutschen aus dem Reichsverband deutlich: Quibus ita consideratis, et ubique ad hoc adnunciandum legatis directis, subito perventum est ad aures piissimi imperatoris, Hludowicum cum omnibus Baioariis, liberis et servis, et Sclavis, quos ad se convocare potuerat, Alamanniam, quae fratri suo Karolo a patre iam dudum data fuerat, ingredi velle eamque vastare et diripere ac suo regno adunare, cunctumque populum regni illius ei fidelitatem promittere, et his perpetratis, in Franciam cum ipso exercitu hostiliter venire et de regno patris sui, quanto plurimum potuisset, invadere sibique subicere.309

Die Bindung des Teilreichsverbände an ihren jeweiligen König scheint in den Aufständen der Söhne und ihrer Verbände gegen Kaiser Ludwig noch zugenommen zu haben, zumal doch bald deutlich geworden sein muss, dass die Bindungen der Großen an den Unterkönig und seine eigene Familie von dauerhaftem Charakter sein würden, weil eben der zum Nachfolger im Kaisertum ausersehene Lothar den Brüdern gegenüber bei weitem nicht die Autorität geltend machen konnte, wie in einem System aus väterlichem Kaiser und königlichen Söhnen. Nach dem Tod Lothars II. im Jahr 869 stand die Frage im Raum, wer Herrscher über das Mittelreich werden sollte.310 Eine erste Gesandtschaft der Großen des Mittelreiches an Karl den Kahlen mahnte diesen zur Rücksicht auf die Rechte seines Bruders Ludwig den Deutschen und ging davon aus, dass das Reich geteilt werden würde.311 Eine andere Gruppe aber, von er nicht sicher anzugeben ist, wie groß sie war, weil unsere Quelle von Hinkmar von Reims verfasst wurde, der ein Verfechter der Übernahme des gesamten Lotharreiches duch Karl den Kahlen war, lud Karl ein, nach Metz zu kommen, um sogleich zum Herrscher über das Mittelreich erhoben zu werden.312 Keine Frage war, dass ein Karolinger das Mittelreich regieren sollte. Auch hier wieder zeigt sich, dass in dem Bemühen der Verbandsmitglieder um Erhalt des Verbandes, aber zumindest um den Erhalt seiner Strukturen und der damit verbundenen inneren Sicherheit sich die Stabilität der karolingischen Dynastie erweist. Denn selbst, wenn das Mittelreich geteilt werden sollte, so blieben seine Verbandsstrukturen dennoch weitgehend stabil, wenn die Kandidaten für das „Herrscheramt“ altenativlos bleiben sollten. 309 Ann. Bert 832. 310 Zu den Ereignissen auf der Basis der Annalen von Fulda s. GROTH, regnum 2017, 324 ff. 311 Ann. Bert. 869. 312 S. SCHNEIDER, Auf der Suche 2010, 117, der aber darauf hinweist, dass in der Folge die „Herrscher über das Mittelreich“ auf eine Krönung verzichteten, was ein Hinweis für die These sein könnte, dass dieses Mittelreich eigentlich keine Einheit darstellte, sondern als ein Konglomerat mehrerer Regionen aufzufassen ist (SCHNEIDER, Auf der Suche 2010, 437).

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Nun kam es zunächst zu einem Vertrag313 der Großen des Lotharreiches mit Karl dem Kahlen, indem Verbandsmitglieder, nämlich die Großen, ein Oberhaupt bestellten. Dies taten sie aktiv und in einer korporativen Form, als Gesamtheit nämlich, niedergelegt in der Rede des Adventius von Metz.314 Sie ersetzten als Verband willentlich ihren senior.315 Schließlich kam es aber doch zur Teilung, weil deutlich wurde, dass Ludwig der Deutsche sich dies nicht würde bieten lassen. Die Frage aber ist, ob es wirklich eher die externe Macht Ludwigs war, die die Teilung erzwingen konnte, oder nicht eher der Fortbestand einer Gruppe innerhalb des Mittelreichsverbandes, die sich von Ludwig als ihrem Herrscher mehr erhoffte als von Karl. Ludwig selbst argumentierte mit der Notwendigkeit, die Leute des verstorbenen Lothar vor Übergriffen Karls schützen zu müssen,316 also mit inneren Angelegenheiten des Mittelreiches, was durchaus nahelegt, dass er unter den Großen des Mittelreiches mächtige Anhänger besaß. Die Teilreichsintegrität des Mittelreiches war also durchaus geschwächt, weil offensichtlich der Verband nicht geschlossen handelte, wenngleich sich immerhin zeitweilig eine Mehrheit für den Erhalt des Verbandes im Ganzen ausgesprochen hatte. Zur gegenseitigen Absicherung der Brüder bezüglich der Teilung wurden Sicherungseide abgegeben: Sic promitto ex parte senioris mei illius, quod senior meus ille fratri suo illi regi talem portionem de regno Hlotharii regis consentit habere, qualem aut ipsi iustiorem et plus aequaliorem aut communes fideles eorum inter se invenerint, nec eum in ipsa portione vel in regno quod antea tenuit per aliquam fraudem vel subreptionem decipiet aut forsconsiliabit, si frater suus ille eandem firmitatem et fidelitatem, quam ex parte senioris mei illi habeo promissam, frater suus ille seniori meo ex sua parte quamdiu vixerit inviolabiliter servaverit.317

313 Den Vertragscharakter der Königserhebung Karls in Metz sieht klar ANTON, Verfassungspolitik und Liturgie [1994] 2002, 288 f. 314 Zu Adventius von Metz s. GAILLARD, Advence de Metz 1995, zu seiner Rolle in der Erhebung Karls des Kahlen s. ebenda 105. 315 Ann. Bert. 869: „‘Vos scitis, et multis in plurimis regnis est cognitum, quantos et quales eventus tempore senioris nostri, quem hactenus habuimus, pro causis notissimis communiter sustinuimus, et quanto dolore quantaque angustia de illius infausta morte nuper cordibus perculsi sumus [. . .]. Quia denique voluntatem Dei, qui voluntatem timentium se facit et deprecationes eorum exaudit, in concordi unanimitate nostra videmus hunc regni huius heredem esse legitimum, cui nos sponte commisimus, dominum videlicet praesentem regem ac principem nostrum Karolum, ut nobis praesit et prosit, videtur nobis, si vobis placet, ut, sicut post illius verba vobis manifestabimus, signo certissimo demonstremus, quia illum a Deo electum et nobis datum principem credimus [. . .].“ 316 Ann. Bert. 870 (ed. Waitz 1883, S. 108): „Et insperate a fratre suo Hludowico Germaniae rege sibi nunciantes missos accepit, ut, si quantocius Aquis non egrederetur et regnum quondam Hlotharii penitus non desereret idemque regnum, sicut Hlotharii homines tempore obitus eius habebant, eis tenere pacifice non concederet, sine ulla retractione illum bello appeteret.“ 317 Ann. Bert. 870 (ed. Waitz 1883, S. 108). Vgl. auch die Beeidung des Friedens der Franken mit den Dänen zur Zeit Karls des Großen im Jahr 811 durch jeweils 12 primores, ARF 811. Auch dies sind Sicherungseide, die die beiden Herrschaftsverbände und mit ihnen ihre Herrscher binden.

2.6 Verband und Herrschaft

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Auch hier treten die Großen als Herrschaftsträger auf, nämlich als eigentliche Inhaber der Verbandsmacht, die grundsätzlich an den Herrscher zwar abgetreten ist, in einem solchen Fall aber von den Verbandsmitgliedern selbst wahrgenommen werden darf und soll. Die Sicherungseide zeigen den Verbandscharakter der karolingischen Herrschaftsorganisation sehr deutlich, weil eine Garantie für Handeln bzw. Nichthandeln nur von den Trägern der Herrschaft selbst sinvoll abgegeben werden kann. Für den Fall des herrscherlichen Zuwiderhandelns wird die Delegation der Herrschaft an den Herrscher ausgesetzt.

2.6.3 Grundlegende politische Entscheidungen Außerordentliche Entscheidungen bedürfen in der Regel der Zustimmung bzw. Mitwirkung der Großen.318 Das beginnt bei den „Gründungsversammlungen“ der neueren karolingischen Herrschaft vor der Königserhebung Pippins, nämlich mit der Erneuerung und Festigung kirchlicher Organisation und Liturgie etwa im Kapitular Pippins von Soissons aus dem Jahr 744.319 Gründungsversammlungen sind diese frühen Synoden bzw. Reichstage Pippins und Karlmanns, weil auf ihnen grundlegende Fragen karolingischer Staatlichkeit verhandelt wurden; denn die Stärkung und Indienstnahme kirchlicher Organisation durch die Herrscher ist gewissermaßen die Basis des karolingischen Staates.320 Die grundlegende Bedeutung dieser Versammlungen zeigt sich denn auch in den mannigfaltigen Bezügen der Kapitularien auf die Mitwirkung bzw. den Konsens der Großen, geistlicher und weltlicher Provenienz, was in der Sache wie in ihrer schriftlichen Niederlegung von großer Bedeutung für die Umsetzung der Beschlüsse gewesen sein wird, die ja zu einem erheblichen Teil bei den Großen selbst lag. Dass die Großen bei wichtigen Entscheidungen beteiligt, wenn nicht sogar für sie maßgeblich waren, zeigt sich selten,321 immerhin aber wird das deutlich im Bericht der sogenannten Einhardsannalen für 769, worin Karlmann seinem Bruder Karl die Hilfe gegen Hunold und die Aquitanier versagte, weil seine Großen dies

318 Diese Beobachtung macht auch APSNER, Vertrag und Konsens 2006, 146 f., wenn er die Bestimmungen des Kapitulars von Soissons (853) nach solchen gliedert, die des Konsenses bedürfen und solchen, die „verbo regis“ zustande kommen (konnten). 319 Capitulare Suessionense 744, Inc., MGH Cap. I, Nr. 12: „Dum plures non habetur incognitum, qualiter nos in Dei nomine una cum consensu episcoporum sive sacerdotum vel servorum Dei consilio seu comitibus et obtimatibus Francorum conloqui apud Suessionis civitas synodum vel concilio facere decrevimus.“ 320 S. hierzu auch DE JONG, Ecclesia 2006, 128. 321 Ein Beispiel zur maßgeblichen Mitwirkung der Großen ist der Aufstand Bernhards von Italien, der „pravorum hominum consilio“ gehandelt habe, ARF 817.

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verhinderten.322 Solche Kriegszüge außerhalb des Interessenraumes des Verbandes scheinen den Großen nicht zur Pflicht zu machen gewesen zu sein, wie ja auch schon die Hilfe für Rom gegen die Langobarden lange zwischen Pippin und den Großen und später zwischen Karl und seinen Großen verhandelt wurde.323 Bei einem Treffen der Brüder Ludwig und Karl im Jahr 841 wurden Große ausgewählt, die Lothar die Positionen seiner Brüder darlegen sollten: Aurora siquidem delucescente conveniunt, concilium ineunt, in quo multum de tanta calamitate conquirunt; cumque alteruter que quantave et qualia passi fratre fuerant referre desissent, universis visum unanimiter parique consensu, tam ex sacrosancto ordine episcoporum quam et laicorum, viros nobiles, prudentes, benivolos deligant [. . .].324

Alle waren dafür, diese Gesandten zu schicken, nicht nur die Brüder, und es hat den Anschein, als kämen nicht nur die Gesandten „ex sacrosancto ordine episcoporum quam et laicorum“, sondern als stünde diese Formel zugleich für die Miturheberschaft der Entscheidung. Nithard, dem wir die Nachricht verdanken, berichtet an mehreren Stellen von der zumindest beratender Mitwirkung der Großen in den Bruderkriegen. Eine über das Alltägliche hinausgehende Entscheidung liegt auch in der Verurteilung der Gattin Ludwigs des Frommen. Das Urteil über Judith fällten die Großen.325 Nun ist zu fragen, warum die Großen in der Regel maßgeblich waren bei der gerichtlichen Verhandlung über Mitglieder der Herrscherfamilie. Bei genauerem Hinsehen kann es sich bei öffentlichen Vergehen von Karolingern nur um Vergehen gegen die Integrität des Verbandes handeln. Selbst das angebliche Vergehen Judiths, das ja formell u. a. im Inzest lag, ist ein Vergehen gegen die Verbandsintegrität. Ähnliches gilt denn auch für herausragende Verbandsmitglieder, etwa den Markgrafen Bernhard326 und den Erzbischof Ebo von Reims.327

322 Sogenannte Einhardsannalen 769: „Sed cum [Karl] fratris auxilium habe non posset, qui procerum suorum pravo consilio, ne id faceret, inpediebatur [. . .].“ Einhard berichtet nichts von den Großen, sondern nur von Karlmanns Verweigerung von Hilfe, Einhard, Vita Caroli, cap. 5. Selbst wenn es nicht so war, wie die Einhardsannalen berichten, und Karlmann selbst die Hilfe verweigert hätte, lag es im Bereich des Vorstellbaren, dass die Großen diese Entscheidung treffen konnten. 323 Vgl. etwa JARNUT, Quierzy und Rom 1975, 289. 324 Nithard II, 9 (ed. Lauer 1964, S. 68). 325 Schon 830 entschieden die Großen über die Frage der Anklage Judiths; und für den Fall, dass sich doch ein Kläger finden würde, hätten die Franken die Aufgabe gehabt, das Urteil zu fällen, Ann. Bert. 830: „Verum ab omnibus episcopis, abbatibus, comitibus ac ceteris Francis iudicatum est, ut coniux eius, quae iniuste et sine lege ac iudicio ei ablata fuerat, ad memoratum condictum placitum reduceretur et, si quislibet aliquod crimen illi obicere vellet, aut se legibus defenderet aut iudicium Francorum subiret.“ 326 Ann. Bert. 844: „Bernardus comes marcae Hispanicae, iam dudum grandia moliens summisque inhians, maiestatis reus Francorum iudicio, iussu Karoli in Aquitania capitalem sententiam subiit.“ 327 Ann. Bert. 835: „Quibus sollempniter transactis, ad sepedictum palatium regressi sunt; ibique Ebo in plenaria sinodo capitale crimen confessus, seque tanto, id est episcopali, ministerio

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2.6.4 crimen maiestatis Oben ist bereits dargelegt worden, dass das crimen maiestatis als Rechtsterminus mit der Kaiserkrönung Karls des Großen und der Verurteilung der Attentäter Papst Leos eine regelrechte Wiedereinführung erfuhr.328 Bis dahin begegnet der Begriff selten, allenfalls bei Gregor von Tours, was aber deutlich auf antike Tradition verweist. Unter der gewandelten Sicht der Forschung auf Germanen und Römer und ihre kulturellen und zivilisatorischen Verflechtungen während der Spätantike und im frühen Mittelalter ergibt sich jedoch eine andere Fragestellung. Der Gebrauch des Begriffes und der konkreten gesetzlichen Grundlage, die für den Prozess gegen Leos Attentäter sicherlich im Gebrauch der Sententiae Pauli zu suchen ist,329 sagt recht wenig aus über das Bedürfnis der karolingischen Gesellschaft, sich seiner zu bedienen. Denn es ist unwahrscheinlich, dass Karl der Große lediglich antike Kaiserherrlichkeit zu imitieren suchte. Vielmehr verweist ja die antike Begründung des crimen maiestatis auf seinen eigentlichen Sinn, nämlich den Schutz der res publica, also des Staates.330 In der Frage nach der Sache, also nach den konkreten Bedrohungen für die gesellschaftliche Organisation, ihren Frieden, ihren Zusammenhalt, ihre Ordnung, also den Staat, gegen den sich das crimen maiestatis richtet, bedeutet die römisch-rechtliche Erfassung eine Präzisierung des Tatbestandes, der auch mit „Harisliz“ gegeben ist. Die neue politische Ordnung der Karolinger hat um 800 eine relative Dichte erreicht, die es verlangte, ihren Schutz zu intensivieren. „Harisliz“ ist ja genau genommen nur einer der möglichen Tatbestände eines vielleicht unspezifischen crimen maiestatis,331 was sich in den folgenden Jahrzehnten seiner Anwendung zeigen sollte. Die Ordnung des Frankenreiches verlangte nach einem neuen Instrument für ein bekanntes Problem. Sie verlangte ihren Schutz vor Übergriffen jeder Art, nicht nur auf den Kaiser selbst, wenngleich dieser mittelbar oder unmittelbar immer betroffen ist, wenn ein crimen maiestatis vorliegt. Der Schutz der Ordnung obliegt aber nicht dem Kaiser, was anzunehmen naheliegt, wenn man die Quellen zum Prozess gegen Leos Attentäter in den Mittelpunkt der Frage stellt

indignum proclamans propriaque scriptione confirmans, sese omnium consensu atque iudicio ab eodem ministerio reddidit alienum.“ 328 Grundlegend HAGENEDER, Crimen maiestatis 1983. Vgl. die Ausführungen von WAITZ, Verfassung III 1883, 308 ff., der eine Entwicklung konstatiert, an deren Ende das crimen maiestatis der Sache nach als Angriff auf den Staat aufgefasst worden sei. 329 HAGENEDER, Crimen maiestatis 1983, 63. 330 Zur Entwicklung s. BAUMAN, Impietas 1974. Deutlich wird das für das Frankenreich auch in den von WAITZ, Verfassung III 1883, 312 mitgeteilten Beispielen zu potentiellen Vergehen gegen die öffentliche Ordnung, also gegen die Gesetze und den Frieden. 331 KOLMER, Kommendation 1980, 320 verweist darauf, dass das römische Recht die Desertion als eigenes Delikt kennt. Aber geht es bei Tassilos Harisliz im eigentlichen Sinn um Desertion und nicht vielmehr damit um die Gefährdung des Reiches?

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und von einer regelrechten Übernahme des antiken Gesetzes ausgeht.332 Bei genauerem Hinsehen zeigt sich, dass es eben nicht der Kaiser war, dem die eigentliche Verurteilung oblag. Ganz wie im römischen Recht selbst ist die verletzte maiestas nicht eigentlich der Kaiser, sondern der Staat, ursprünglich in der römischen Republik der Populus Romanus.333 Geschützt wird also nicht unmittelbar der Kaiser, sondern der Staat, dessen Bestand im Kaiser seine empflindlichste Stelle besitzt.334 Die Abwehr von Angriffen auf die herrscherliche Familie, den König oder den Verband im Ganzen bzw. seine weiteren Teile obliegt bei den Franken traditionell den Großen. Die Reichsannalen führen für 788 den Begriff „Harisliz“ ein, um einen Teil der Verfehlungen Tassilos zu bezeichnen.335 Die Verurteilung erfolgt mitnichten durch Karl den Großen, sondern durch die versammelten Großen der verschiedenen Stämme.336 Am 25. April 799 wurde auf Papst Leo III. in Rom ein Anschlag verübt, der mittelbar im Vorfeld der Kaiserkrönung Karls des Großen eine nicht unbedeutende Rolle gespielt hat.337 Auch wenn die Verurteilung der Attentäter Leos in den römischen Quellen Karl zugeschrieben wird, so entspricht das wohl nicht den Tatsachen. Denn bereits gegen Ende des Jahres 799, also ein halbes Jahr nach dem Ereignis, wurde von fränkischen Großen eine Gerichtsversammlung abgehalten, als deren vorläufiges Ergebnis die Attentäter in das Frankenreich verbracht wurden.338 Eine endgültige Klärung der Angelegenheit blieb den Vorgängen um die Kaiserkrönung Karls vorbehalten, deren Voraussetzung formal u. a. der Reinigungseid des Papstes war, bevor dieser Karl rechtmäßig zum Kaiser krönen konnte. Sehr wahrscheinlich aber war der Überfall auf Papst Leo und seine Aufnahme im Frankenreich, ja auch die Verurteilung der Attentäter, wenn nicht von Karl geplant, so doch von ihm gefördert worden.339 Erst die Reinigung des Papstes, nicht die Kaiserkrönung, ermöglichte ein endgültiges Vorgehen gegen die Attentäter. Dass dies dann mit der neuen Autorität stattfand, war der Sache sicherlich förderlich. Nun wurden

332 So auch HAGENEDER, Crimen maiestatis 1983. 333 FRÉZOULS, Maiestas 1992, 19. 334 HAGENEDER, Crimen maiestatis 1983, 61 sieht denn auch die Anwendung des „neuen“ Gesetzes im Kaiserreich Karls zum Schutz der „öffentlichen Ordnung“. 335 ARF 788: „Et de haec omnia conprobatus, Franci et Baioarii, Langobardi et Saxones, vel ex omnibus provinciis, qui ad eundem synodum congregati fuerunt, reminiscentes priorum malorum eius, et quomodo domnum Pippinum regem in exercitu derelinquens et ibi, quod theodisca lingua harisliz dicitur, visi sunt iudicasse eundem Tassilonem ad mortem.“ S. Je Jan, Justice 1997, 70. 336 LE JAN, Justice royale 1997, 69 f. 337 Vgl. zur Bewertung der Ereignisse SCHIEFFER, Attentat 2002; s. auch BECHER, Reise Papst Leos III. 2002, 88. 338 Vgl. HAGENEDER, Crimen maiestatis 1983, 57. Von „Exil“ (ebenda 57 und 58) kann eigentlich nicht die Rede sein. Mit der Überführung ins Frankenreich wurde zunächst einfach die Lage in Rom entschärft. 339 S. dazu die Argumentation von JARNUT, 799 [2000] 2002.

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die Attentäter wiederum dem Gericht vorgeführt, wohl aber nicht Karl selbst; das Passiv der entsprechenden Stellen in den Reichsannalen und den sogenannten Einhardsannalen verweist nicht auf eine Verurteilung durch den neuen Kaiser selbst, sondern durch eine Versammlung von Großen, deren Urteil der Kaiser vielleicht promulgierte.340 Jedenfalls sind es auch in den späteren Majestätsprozessen die Großen, denen die Verurteilung obliegt. Der Graf Bera von Barcelona etwa wurde nach seiner Verurteilung 820 vom Kaiser zur Verbannung begnadigt, woraus folgt, dass auch er von der Versammlung der Großen verurteilt worden war.341 Eindeutig belegt ist das Urteil der Großen für Bernhard von Italien und seine „Mitverschwörer“.342 Auch das Versagen einiger Verbandsvertreter in der spanischen Mark und des Markgrafen Baldrich von Friaul gegenüber der Abwehr der Bulgaren war kein crimen laesae maiestatis, wurde aber von Großen auf einem conventus im Jahr 828 untersucht und verhandelt.343 Da der Kaiser sie eingesetzt hatte, oblag es auch ihm, sie aus ihren Positionen zu entfernen.344 Auch über das Schicksal des abgesetzten Kaisers Ludwig urteilten nicht allein die Söhne, sondern zumindest zusammen mit den Großen, wie der Bericht des Astronomus nahelegt, der Anklagen erwähnt, deren Inhalt nach einige Große Ludwig den Frommen gerne wiedereingesetzt gesehen hätten, dann aber im Umkreis Lothars sich eine Mehrheit gefunden hätte, die die einmal getroffene Entscheidung für Lothar endgültig werden zu lassen versuchte, indem der ehemalige Kaiser weiter gedemütigt wurde.345 340 ARF 801: „et habita de eis questione secundum legem Romanam ut maiestatis rei capitis dampnati sunt.“ – Vgl. auch den Liber Pontificalis (nach HAGENEDER, Crimen maiestatis 1983, 61), wonach die Attentäter „in praesentia piissimi domni imperatoris, circumstantes nobilissimos Francos et Romanos“ alle Schandtaten bekannten. Auch das verweist nicht unbedingt auf eine Verurteilung durch den Kaiser selbst. 341 ARF 820: „In eo conventu Bera comes Barcinonae, qui iam diu fraudis et infidelitatis a vicinis suis insimulabatur, cum accusatore suo equestri pugna confligere conatus vincitur. Cumque ut reus maiestatis capitali sententia damnaretur, parsum est ei misericordia imperatoris, et Ratumagum exilio deportatus est.“ – Vgl. zum Prozess auf der Basis weiterer Quellen KRAH, Herrschaft und Konflikt 2006, 328–330, die ebenfalls betont, dass Bera von „Magnaten und Rechtskundigen“ verurteilt wurde. 342 ARF 818: „transactoque quadragesimali ieiunio paucis post sanctum pascha diebus coniurationis auctores, qui superius nominati sunt, simul et regem iudicio Francorum capitali sententia condemnatos luminibus tantum iussit orbari, episcopos synodali decreto depositos monasteriis mancipari, caeteros, prout quisque vel nocentior vel innocentior apparebat, vel exilio deportari vel detondi atque in monasteriis conversari.“ 343 BOSHOF, Ludwig der Fromme 1996, 173; ARF 828. 344 Astronomus, Vita Hludowici 42: „Qua ventilata et enucleatissime investigata, hi reperti sunt huius culpe auctores, qui ab imperatore praefecti sunt duces; hos ergo solummodo honoribus ademptis luere iussit imperator culpam huius ignaviae. Itidemque Baldrico duci Foroiuliensi dum obiceretur et probatum sit, eius ignavia et incuria vastatam a Bulgaris regionem nostram, pulsus est ducatu et inter quatuor comites eiusdem est potestas dissecta.“ Der Vorgang fiel gewiss auch auf Ludwig zurück. 345 Astronomus, Vita Hludowici 49.

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Auch im Reich Karls des Kahlen wurde der Verband durch das Urteil der Mitglieder geschützt. Der abtrünnige Pippin war von den Aquitaniern gefangen worden und wurde auf einer Reichsversammlung im Jahr 864 „primum a regni primoribus ut patriae et christianitatis proditor et demum generaliter ab omnibus ad mortem diiudicatur et in Silvanectis artissima custodia religatur“. Faktisch handelt es sich hier um die Ahndung des Tatbestandes eines crimen maiestatis, auch wenn der Begriff nicht genannt wird. Auch in dieser Sache urteilen die Fanken und nicht der Herrscher.

2.6.5 Die Großen als Teilhaber Die Großen, insbesondere die „Reichsaristokratie“, sind auch in der älteren Forschung bereits gelegentlich als „Teilhaber am Reich“ bezeichnet worden,346 jedoch ohne die Konsequenzen dieser Erkenntnis für die gültige Konzeption von „Herrschaft“ und „Staatlichkeit“ zu reflektieren. Der Aufstand gegen den Kaiser im Jahr 830 war nach der Schilderung des Astronomus von den primores ausgegangen, die sich verschworen hatten und „minores sibi adgregant“; erst danach wandten sich die Verschwörer an einen Sohn des Kaisers, nämlich Pippin.347 Im Falle der eidlichen Reinigung des Kämmerers Bernhard tritt der Kaiser nach wiedergewonnener Herrschaft im Jahr 831 eindeutig als Verbandsvertreter auf. Der geflohene Bernhard kehrt zurück, findet keinen Ankläger und reinigt sich durch Eid. Der Kaiser kann gar nicht anders, als Bernhard zu rehabilitieren. Das wird Ludwig mit gemischten Gefühlen getan haben; auf der einen Seite ist Bernhard in dem vorausgegangenen Konflikt in des Kaisers Partei zu suchen, auf der anderen Seite war gerade die Person Bernhards ein Anlass zum Aufstand gegen Ludwig, weshalb seine Wiedereinsetzung Bernhard erheblich mehr nützte als Ludwig. Sicherlich hätte Ludwig seiner eigenen Stellung zu Liebe gerne auf die Dienste Bernhards verzichtet. Als oberster Vertreter des Verbandes aber bleibt ihm nach der eidlichen Reinigung gar nichts anderes übrig, als das Verbandsmitglied Bernhard als solches seiner Stellung gemäß anzuerkennen. Als Vertreter des Verbandes können natürlich auch Große fungieren, etwa als Gesandte mit Verhandlungsaufgaben, wie bei den Verhandlungen der Brüder nach dem Tod Ludwigs des Frommen.348 Auf diese Weise wurde auch der Teilungsvertrag von Verdun ausgehandelt.349

346 BOSL, Staat 1954, 609. – S. nun auch APSNER, Vertrag und Konsens 2006, 171, der die „Mitwirkung des Adels als der Regierung“ durchaus nicht nur im Westfrankenreich erkennt. 347 Astronomus, Vita Hludowici 44. 348 So schickte Karl der Kahle seines primores an die Brüder, Nithard IV,3. – Vgl. hierzu APSNER, Vertrag und Konsens 2006, 60. 349 Nithard IV,4 (ed. Lauer 1964, S. 34): „Erant quidem octoginta electi ex omni multitudine omni nobilitate praestantes, quorum interitus, ni praecaveretur, maximam sibi fratrique suo posse inferre

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Nach der Restitution Ludwig des Frommen im Jahr 834 fanden sich auch seine Anhänger wieder ein. Über diese Getreuen schreibt Nithard: „Hinc inde fideles qui evaserant et rem publicam regere consueverant confluunt.“350 Die Übersetzung von Rau schwächt die Aussage des lateinischen Satzes im Sinne der herrschenden Vorstellung von der Verfassung des Karolingerreiches stark ab, wenn er schreibt: „Nun eilten auch von allen Seiten die Getreuen, welche früher an der Regierung teilgehabt und sich durch die Flucht gerettet hatten, herbei.“351 Nithard hatte etwas anderes geschrieben, nämlich, dass diese Getreuen das Gemeinwesen zu leiten gewohnt waren. Das heißt aber doch eindeutig, dass die Großen durchaus als aktive Mitglieder der Regierung Verantwortung für das Gemeinwesen getragen hatten und nicht wie die Übersetzung nahelegt, passive Beteiligte waren, also wohl eher „Beamte“ des Herrschers, denn Rau verzichtet auf eine Wiedergabe von „res publica“. Nein, die Großen haben die Herrschaft in einem begrifflich fassbaren Gemeinwesen (zu ihren Teilen) getragen und ausgeübt.352 Nach dem Einlenken Lothars im Jahr 842 schildert Nithard die Reaktion seiner Brüder:

jacturam aiebat. Tum tandem pro commoditate omnium, hinc inde visum est ut Conflentem missi illorum centum viginti [abweichend „decem“, ed. Pertz 1907, 46] videlicet, absque obsidibus convenirent inibique regnum prout aequius possent dividerent.“ S. dazu SCHLESINGER, Auflösung des Karlsreiches [1965] 1987, [838/839 f.] 102 f., der ebenfalls das verantwortliche Handeln der Großen betont. S. dazu auch STÖRMER, Früher Adel 1973, 274, der die Mitwirkung der Großen hervorhebt. So akzeptierte Karl im Jahr 870 auch Gesandte seines Bruders Ludwig, die mit ihm über die Aufteilung des Mittelreiches verhandelten. (Ann. Bert. 870: „Indeque mense Maio ad Attiniacum palatium venit; ubi et duodecim missos fratris sui Hludowici pro divisione regni accepit;“). – Vgl. zu diesem Verfahren KAMP, Friedensstifter 2001, 60 f. – Dahinter erkennt APSNER, Vertrag und Konsens 2006, 62 eine „Rationalisierung des Teilungsverfahrens“ mit dem Ziel, bereits im Verfahren den notwendigen Konsens der Großen sich niederschlagen zu lassen. 350 Nithard I,4. 351 Nithard, Vier Bücher Geschichten, in: Quellen zur karolingischen Reichsgeschichte III, neu bearbeitet von Reinhold Rau, Darmstadt 1955, S. 395. – S. hierzu WEHLEN, Geschichtsschreibung 1970, 78, der ebenfalls die Übersetzung von Rau im Hinblick auf die Mitwirkung der Großen für zu schwach hält, daraus aber schließt, dass Nithard zum Ausdruck bringen wollte, dass entgegen früherer Zustände wegen der Schwäche des Kaisers nun das Regiment ganz bei den Großen läge. 352 Siehe zu dieser Fragestellung auch die Ausführungen von PATZE, Iustitia bei Nithard 1972, der ebenda 163 bemerkt: „Wir dürfen die Identität der Auffassungen Karls und Nithards [. . .] unterstellen.“ und schließlich ebenda 165 zu der Erkenntnis kommt, dass das Ziel Karls wohl gewesen sei, die Großen für das Reich und die Herrschaft mitverantwortlich zu machen. Die Mitherrschaft der Großen gehört durchaus in das Konzept Karls. Diese Deutung der Aussage Nithards wird gestützt durch die Beobachtung von Hans-Werner GOETZ, Perception 2006, 29 am Beispiel zur Auffassung des Astronomus, cap. 5: „It was the council of the great men which, together with the king, governed the ‚state‘“.

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Quod cum Lodhuvicus et Karolus audissent et illis plebique universae perplacidum esset, in unum una cum primoribus coeunt ac quid de talibus acturi essent gratanti animo conferunt.353

Es ist nicht zu übersehen, dass nicht nur die Freude eine gemeinsame von Herrschern und Volk ist, sondern auch die folgende Beratung eine gemeinsame von Herrschern und primores. Die besondere Betonung des vereinten Handelns bei Nithard, ausgedrückt durch „una cum“ und verstärkt durch einen Begriff, der die engste Verbindung zwischen Personen ohne aktuell geleisteten Eid oder Sakrament beschreibt, nämlich „in unum coeunt“, gilt den aktuell vereinigten beiden Verbänden Ludwigs und Karls, zunächst diesen jeweils selbst und erst dann ihnen gemeinsam.354 Nithard beschreibt nichts anderes als einen aktuell gestärkten Verband aus plebs, primores und Herrscher, in dem jedem seiner Stellung entsprechend Aufgabe und Gewicht zufällt. Welche Rolle die Großen als Mitglieder eines solchen – zugegebenermaßen kopflastigen – Verbandes grundsätzlich spielen können, zeigt 35 Jahre später die Ordnung des Reiches durch Karl den Kahlen für seine Abwesenheit im Jahr 877, in der klar festgelegt ist, „qualiter regnum Franciae filius suus Hludowicus cum fidelibus eius et regni primores regeret“.355 An die Stelle des herrscherlichen Vaters tritt nicht einfach der Sohn, sondern dieser als Nachfolger und die Großen als Inhaber ihrer jeweiligen „pouvoir“. Der Unterschied zur väterlichen Regierung und weitaus drastischer zur Regierung Karls des Großen ist kein qualitativer, sondern fast allein quantitativer Art. Die auf Dauer delegierte Herrschaft ist erheblich reduziert. An ihre Stelle tritt eine starke aktive Beteiligung der Herrschaftsträger, die zuvor nach einer einmaligen Delegation von pouvoir nur gelegentlich aktiv beteiligt werden mussten, die aber als eine Art „stille Teilhaber“ immer schon an den Geschäften des Reiches partizipiert hatten.

2.6.6 Die Großen als Amtsträger Ohne Frage sind karolingische Amtsträger keine besoldeten Beamten gewesen, deren Tätigkeit unabhängig von persönlicher Bedeutung gewesen wäre. Es gibt zwar beständig Versuche, die Amtsträger zu binden, sie bleiben aber Große, und als solche sind sie nicht nur Amtsträger, sondern auch (Mit-)Träger herrscherlicher Gewalt. Dem hat jede frühmittelalterliche Amtsvorstellung Rechnung zu tragen.356

353 Nithard IV,3. 354 Auch hier trägt die elegante Übersetzung Raus eher der Forschungsmeinung der 50er Jahre des 20. Jahrhunderts Rechnung als den Worten Nithards: „[. . .] traten sie mit ihren Großen zur Beratung zusammen [. . .]“ (Nithard, Vier Bücher Geschichten, S. 451). 355 Ann. Bert. 877. 356 Alkuin rät Karl, dem Sohn Karls des Großen, consiliarii zu erwählen, die nicht gierig sind und empfänglich für Geschenke, sondern gottesfürchtig, Alcuini Ep. 217, MGH Epp. 4, S. 360 f. – Über

2.6 Verband und Herrschaft

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Zu Karls des Großen Zeiten werden die Amtsträger besonders auf den Herrscher bezogen gesehen. Das korreliert mit der Sicht der Zeitgenossen auf den Herrscher selbst, die den Herrscher als in der Nachfolge der Könige des Alten Bundes stehend begreift. Dieses Konzept wird von den Herrschaftstheoretikern der Zeit Ludwigs des Frommen eher noch ausgebaut, wobei der Bezug der Amtsträger auf Gott verstärkt wird. Die Amtsträger werden neben ihrer Bezogenheit auf den Herrscher357 als dessen Mitwirkende aufgefasst,358 so jedenfalls bei Jonas von Orléans und somit in den Akten des Konzils von Paris (829), wonach „duces et comites“ „post regem populum Dei regere debent“.359 Das führt mehr oder weniger zwangsläufig zu einer Übertragung der Vorstellung vom königlichen Amt als „ministerium Dei“ auf die Stellung der Amtsträger, wie einem Brief Agobards von Lyon an Matfrid zu entnehmen ist, den nach Agobards Auffassung Gott zu seinem Amt prädestiniert hatte. Agobard aber bezeichnet die Aufgabe Matfrids als „ministerium imperatoris et imperii“.360 Der Amtsträger ist also nach Agobard nicht allein Sachwalter des Herrschers, sondern zugleich im Dienst der politischen Gesamtheit, die im 9. Jahrhundert immer häufiger als „res publica“ benannt wird. Damit setzt sich die Erkenntnis durch, dass ein jeder Amtsträger neben seiner Verantwortlichkeit gegen den Herrscher, der ihn bestellt hat, und Gott, der ihn bestimmt hat, auch gegenber dem Verband verantwortlich ist, den er „privat“ mitträgt. Sachwalter des Verbandes ist der Herrscher und mit ihm auch der Amtsträger.361 Amtsmissbrauch beklagt sich schon Papst Leo in einem Brief an Karl den Großen, MGH Epp. V, S. 89–91. S. hierzu INNES, Charlemagne’s Government 2005. 357 Nach wie vor ist es alleinige Aufgabe des Herrschers, die Amtsträger zu bestimmen, wobei v. a. Jonas von Orléans ihm Ratschläge gibt, nach welchen Kriterien zu verfahren sei: „Iustitia uero regis est [. . .] iustos super regni negotia constituere, senes et sapientes et sobrios consiliarios habere [. . .]“, Jonas von Orléans, De institutione Regia c. 3, ed Dubreucq, S. 188, Z. 64 ff. 358 Im Hinblick auf die Theorie im Umkreis Ludwigs des Frommen ist die Einschätzung von FRIED, Herrschaftsverband 1982, 36 f. gewiss zutreffend, wenn er die Amtsträger lediglich als „Helfer im königlichen Haus“ und nicht als Reichsbeamte sieht. 359 Concilium Parisiense 829, II,4, MGH Conc. II,2, S. 654, Z. 8 f.; Jonas von Orléans, De Institutione Regia c. 5, ed. Dubreucq, S. 208, Z. 75 f. 360 Agobard von Lyon an Matfrid, Ep. Agobardi 10, MGH Epp V, S. 201–203, 201: „Deus . . . elegit vos ante mundi constitutionem futurum nostris periculosis temporibus ministrum imperatoris et imperii [. . .].“ 361 Karl Ferdinand WERNER, s.v. Amt III, in: LMA I 1980 Sp. 548 f. betont unter Hinweis auf Hinkmar von Reims den öffentlichen Charakter der karolingischen Ämter, die er auch in den Funktionen der Amtsträger erkennt. Seiner Einschätzung nach verweist auch die Herkunft der Hofämter etwa auf das römische Reich und dessen Verständnis von Amt. Dass die Amtsträger im 9. Jahrhundert zunehmend als „ministri rei publicae“ oder ähnlich aufgefasst wurden, sah schon WAITZ, Verfassung III 1883, 409, mit Belegen. Zum Gebrauch des Begriffes „ministerium“ für das gräfliche Amt zwischen etwa 775 und 840 s. PATZOLD, Bischöfe im karolingischen Staat 2006, 147. – PATZOLD verweist ebenda 148 für das Jahr 859 auf die dem Adel offensichtlich mögliche Trennung von Amt und Person.

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Möglicherweise hatte schon Karl der Große partiell zwischen seinen und des Reiches Amtsträgern unterschieden, als er 802 die missi instruierte. Das Kapitular erklärt, dass er die missi „ex optimatibus suis prudentissimis et sapientissimos viros, tam archiepiscopis quam et reliqui episcopis simulque et abbates venerabiles laicosque religiosos“ ausgewählt habe.362 Er nennt keine eigentlichen weltlichen Amtsträger unter des missi, sondern solche, die nicht zu dem Kreis der zu Kontrollierenden gehörten, was dafür spricht, dass die Stellung der missi im Reich von der der Grafen und weiterer weltlicher Amtsträger grundsätzlich verschieden war. Die missi waren Karl unmittelbar verantwortlich und rechenschaftspflichtig.363 Vielleicht reflektiert diesen Zusammenhang ein Satz aus dem Capitulare Suessionense (853): „Ut missi nostri comitibus et omnibus rei publicae ministris firmiter ex verbo nostro denuntient atque praecipiant [. . .]“.364 Sind also zumindest im Jahr 853 im Westreich die missi keine ministri rei publicae wie es die Grafen waren? Ganz offensichtlich sind die missi an den Herrscher gebundene Kontrollinstanzen, und das auch schon zur Zeit Karls des Großen.365 Für die Aufrechterhaltung der Ordnung war es von eminenter Bedeutung, dass es nicht zu willkürlichen commutationes rerum kam, so im weltlichen Bereich wie im geistlichen, etwa zur Veruntreuung durch „ministri“.366 Dass die Differenz zwischen „privat“ und „öffentlich“ bereits zu einer Zeit erfahren wurde, als eigentlich noch der Herrscher als ungeteilte Person und die Amtsträger als seine Helfer galten,367 zeigt der Astronomus in seiner Beschreibung der Stellung Ludwigs des Frommen als Unterkönig in Aquitanien für das Jahr 795, der sich auf Anfrage des Vaters beklagt, dass „quia privatis studens quisque primorum, neglegens autem publicorum, perversa vice, dum publica vertuntur in privata, nomine tenus dominus, factus sit pene omnium indigus.“ Karl half übrigens diskret über die Entsendung von missi.368 Der Astronomus berichtet nicht von den kaiserlichen Gütern, die entfremdet würden, sondern von den „öffentlichen Mitteln“. Sicher steckt in der 362 Capitulare missorum generale (802), ca. 1, MGH Cap. I, 1, Nr. 33, S. 91–99, 91 f. 363 WAITZ, Verfassung III 1883, 474, erkannte in den missi „unmittelbare Vertreter seiner Person“. – Als direkte Vertreter des Königs sieht sie auch noch LE JAN, Justice royale 1997, 56 f. – S. auch GANSHOF, Charlemagne et les institutions [1965] 1967, 366 f. 364 Capitulare missorum Suessionense (853), cap. 8, MGH II,2, Nr. 259, S. 266–270, 269. 365 Ihre Augabe ist die Kontrolle der reichsweiten Ordnung, darunter auch die Überwachung der comites und iudices (Capitulare missorum generale (802), cap. 25, MGH Cap. I, Nr. 33, S. 91–99, 96). Sie kontrollieren als dem Herrscher unmittelbar Verantwortliche mit erhöhter Mobilität und besonderem persönlichen Gewicht, als Erzbischöfe, Bischöfe und herausragende Äbte. 366 Daher fordert Karl der Kahle (Capitulare Missorum Suessionensis (853), cap. in: MGH Cap. II,2, Nr. 259, S. 266–270, 270: „Ut missi nostri omnibus per illorum missaticum denuntient, ne commutationes rerum vel mancipiorum quilibet praelatus earundem rerum ecclesiasticarum sine licentia vel consensu nostro facere praesumat [. . .].“ 367 S. zur „Entdeckung“ der „Kategorie der ‚Öffentlichkeit‘“ in der Zeit der Karolinger STAUBACH, Quasi semper in publico 1998, 579. – Vgl. zum Wandel des Begriffes „publicus“ in der Karolingerzeit auch INNES, State and Society 2000, 94 ff. 368 Astronomus, Vita Hludowici 6.

2.6 Verband und Herrschaft

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Begriffswahl auch Rhetorik auf der Basis antiker Terminologie. Aber nicht jedes bewusst gebrauchte antike Wort dient ausschließlich der Rhetorik. Zudem fehlt hier der Hinweis auf ein Leiden des Volkes, das den Öffentlichkeitsbegriff rhetorisch gerechtfertigt hätte. Die wirtschaftliche Not des Unterkönigs wird verursacht durch die Minderung der öffentlichen Güter zugunsten privaten Wohlstands der Großen. In den Formulae Imperiales aus der Zeit Ludwigs des Frommen sind „Praecepti de navibus“ überliefert, die den öffentlichen Charakter der Ämter thematisieren: „Omnibus episcopis, abbatibus et cetera vel omnibus rempublicam administrantibus seu ceteris fidelibus sanctae Dei ecclesiae e nostris [. . .]“.369 Die „rem publicam administrantes“370 sind fideles ecclesiae Dei und fideles regis zugleich, sie sind – das entspricht der Auffassung der Zeit – gebunden an Gott und den Herrscher.371 Aus dieser Doppelbindung heraus ergibt sich die Verantwortlichkeit dem Verband gegenüber, nämlich der fränkischen Kirche, als die der Verband aufgefasst werden konnte. In dieser Weise sind die Amtsträger „Verwalter der gemeinsamen Angelegenheiten“.372 Der Begriff „publicus“ erfährt im Reich Karls des Kahlen eine regelrechte Wiedergeburt etwa in dem häufigen Gebrauch von „res publica“ durch Nithard.373 Das ist nicht als bloße Rhetorik abzutun, denn schließlich befand sich das Reich Karls des Kahlen in einer politischen Lage, in der die Mitwirkung der Großen geistlicher wie weltlicher Provenienz an der Regierung und den notwendigen Entscheidungen weit in den öffentlichen Raum hineinreichte.374 Das Westfrankenreich war 369 Formulae Imperiales 20 (s. a. 22), MGH Formulae, S. 300. Vgl. PATT, Formulae imperiales 2016. 370 Vgl. zur Stelle BUSCH, Amtswalten 2007, 42 f., Anm. 145. 371 Vgl. zum Begriff HELBIG, Fideles 1951, der die fides der Karolingerzeit aber für germanischen Ursprungs hält. 372 Diese Herleitung widerspricht augenscheinlich der Deutung von BUSCH, Amtswalten 2007, passim, der in der „administratio“ nur die delegierte Tätigkeit für den Herrscher sieht. Das Wort selbst hat in der Tat eine solche Bedeutung. Die von Busch vorgelegte umfassende wortgeschichtliche Untersuchung übersieht dabei aber, dass die Bedeutung der jeweiligen Aussagen im Zusammenhang mit dem Gebrauch von „publicus“ auf diesem Wege nicht zu erfassen sind. Der oben aufgeführte Satz etwa verweist zwar auf die „administratio“ im Auftrag des Königs, zugleich aber auch auf dieselbe im Auftrag Gottes; und mit der Nennung von Bischöfen als Handlungsträgern kann kaum eine Hierarchie zu verstehen sein, die alle Akteure im Sinne eines „Dienstes“ allein dem König nachordnet, auch wenn es stimmt, daß Ludwig der Fromme sich zum eigentlichen „administrator Dei“ stilisiert. 373 BUSCH, Amtswalten 2007, 120 und 135 stellt fest, daß „publicus“ außerhalb des Begriffes „res publica“ im 9. Jahrhundert selten wird, und unterstellt ebenda 140 folglich, daß der Begriff „publicus“ auch in dem Begriff „res publica“ nicht mehr verstanden worden sei. 374 Das zeigt auch die Kongruenz von Inhalt und Gebrauch des Begriffes „ministri rei publicae“ in den Bestimmungen von Soissons (853), cap. 7, MGH Conc. III, S. 287.; cap. 8 und 10, S. 288 f. Vgl. auch Ann. Bert. 851 zu Meersen, cap. 5: „[. . .] sed a nobis vel per ministros rei publicae constringatur [. . .]“, hier ist nicht die Rede von „a nobis vel per ministros nostros“, sondern ausdrücklich vom Herrscher und den Amtsträgern des Verbandes. – Vgl. zum Begriff „publicus“ vor dem Jahr 1000 auch GENICOT, Notion d’État 1984.

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schlichtweg nicht mehr zu beschreiben als das regnum einer Person. Der politische Öffentlichkeitsbegriff war inzwischen alternativlos. Auch der Untertaneneid des Jahres 858 unterscheidet bei den Großen zwischen Amt und Person: „[. . .] secundum meum ministerium et secundum meam personam fidelis vobis adiutor ero [. . .]“.375 Das Edikt von Pitres von 864, das die Einführung der neuen Denare regelte, gebraucht für die Amtsträger ganz selbstverständlich den Begriff „ministri rei publicae“, es kennt auch eine Differenzierung zwischen „iudices nostri“ und den „ministri rei publicae“.376 Der Untertaneneid aus dem Westfrankenreich aus dem Jahr 858 zeigt den Zusammenhang zwischen Amtsträgern und Herrschaftsträgern. Das ist der Grund, warum zwischen Amt und Person getrennt werden musste. In einem zweiten Teil des Eides versprechen die fideles jeweils ihre Unterstützung für den König, nämlich: „ut illam potestatem, quam in regio nomine et regno vobis Deus concessit, ad ipsius voluntatem et ad vestram ac fidelium vestrorum salvationem cum debito et honore et vigore tenere et gubernare possitis [. . .]“.377

2.6.7 Die Großen als Subjekte und Objekte der Herrschaft In einem System, das sich weitgehend selbst ordnet, wie es der Staatsverband eines ist, gibt es so etwas wie eine „Herrschaftsentropie“. Dieser Verband erhält Herrschaft von seinen Mitgliedern zur Erfüllung der Verbandsaufgaben, nämlich zum Erhalt staatlicher Ordnung. Dies kann er nur gewährleisten, wenn er ein Haupt hat, an das die gesammelte Herrschaft für eine bestimmte Zeit und Kompetenz bzw. im Karolingerreich zum dauerhaften Verbleib übertragen wird und sodann auch Amtsträger bestimmt werden, die mit Hilfe dieser Herrschaft ordnend eingreifen. Dabei kommt es zwangsläufig zur Begrenzung der Herrschaft Einzelner vor Ort. Die Kapitularien zeigen das. Ob diese Begrenzungen in der überwiegenden Zahl der Fälle tatsächlich stattfanden und wie weit sie durchsetzbar waren, bleibt der letzten Klarheit entzogen. In gewissem Umfang aber muss es funktioniert haben, denn sonst hätte die karolingische Herrschaftsordnung kaum Karl den Großen überlebt. Vor Ort schließlich kommt es zwangsläufig zu Konflikten. Da nämlich die Großen vor Ort als Miturheber der Reichsherrschaft, der Herrschaft des Herrschers und der

375 Sacramenta Cariaci praestita (858), MGH Cap. II,2, Nr. 269, S. 295–297, 296. 376 Edictum Pistense (864), Edictum, cap. 8, MGH Cap. II,2, Nr. 273, S. 312–328, 314: „[. . .] per omne regnum nostrum a iudicibus nostris et ab eis quorum villae sunt, una cum ministris rei publicae [. . .] providentiam habeant [. . .]“. Verstöße gegen die Regeln zur Einführung der neuen Denare mussten von den zur Überwachung Eingesetzten den ministri rei publicae gemeldet werden, ebenda. 377 Sacramenta Cariaci praestita (858), MGH Cap. II,2, Nr. 269, S. 295–297, 296; cap. 8 und 10, S. 288 f.

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ministri regis bzw. publici, grundsätzlich an einer Umsetzung der Regeln interessiert waren, selbst aber durchaus von ihrer Durchsetzung betroffen sein konnten, hatten sie sich unter Umständen entweder aus Einsicht zu beugen oder aber mussten überwacht werden. Letzteres taten die missi.378 Die Kapitularien sind voll von Bestimmungen, die aktuelle Herrschaft vor Ort zu begrenzen verlangen. Ganz konkret kann das „Unrecht“ betreffen, wie die Bedrückung von Kirchen oder Armen,379 es kann aber auch „öffentlichen Dienst“ betreffen, einmal abgesehen vom Militärdienst, der ja eine der ursprünglichen Aufgaben des karolingischen Staates darstellte. Ein Kapitular von 821 regelte Kosten und Nutzen bei „privater“ Ausbesserung bzw. Instandsetzung von Brücken. Einen höheren Zoll durfte der „private Investor“ nur nehmen, wenn „sicut consuetudo fuit et iustum esse dinoscitur“.380 Ein weiterer Bereich ist die Kirchenpolitik, etwa die Inspektion von Klöstern durch Äbte, die von Bischöfen dazu ausgewählt worden waren, und was nach Maßgabe eines herrscherlichen Kapitulars zu geschehen hatte.381

2.6.8 Politische Gemeinschaft und Individuum Bemerkenswert aber an der karolingischen Herrschaftsordnung ist das Bemühen des Herrschers um zunehmende politische Individualisierung der Gesellschaft, vor allem über den Untertaneneid, der wohl 789 nach dem Aufstand Hardrads382 ein erstes Mal geleistet wurde383 und als Kaisereid von 802 eine wesentliche Überarbeitung erfuhr. Während der Treueid von 789 von einem positiv definierten Kreis von Personen zu leisten war, also im Wesentlichen von denen, die als Handlungsträger oder Amtsträger gelten konnten, wie allgemein die „nobiles“, wie Regularkanoniker und Benediktiner, die aber nur ein Wahrheitsversprechen abzulegen hatten. Hinzu trat die „cuncta

378 LE JAN, Justice royale 1997, 60 sieht denn auch eine Aufgabe der missi in der Integration der regionalen Großen in die Reichsstrukturen. 379 Das erfolgt etwa aus einem Rat Cathwulfs an Karl den Großen (775), MGH Epp. 4, S. 501–505, 503 „[. . .] octava aequitas iudici[i] inter divitem et pauperem.“ – Ein Eindringen der Verbandsmacht in die patrimoniale Hausherrschaft liegt in einer italischen Kapitularienbestimmung von 850: „Potentes autem, ne circa domos, in quibus habitant, oppressiones exerceant [. . .].“, Capitula comitibus papiae ab Hludowico II. proposita (850), cap. 2, MGH Cap. II, 1, Nr. 212, S. 85. 380 Capitula de functionibus publicis (821), cap. 3, MGH Cap. I, Nr. 143, S. 294 f., Datierung des Kapitulars nach Mordeck, Bibliotheca Capitularium 1995, 1094. Vgl. schon WAITZ, Verfassung IV 1885, 65 f. 381 Capitula de inspiciendis monasteriis (842), MGH Cap. I, Nr. 160, S. 321 f., Datierung nach MORDEK, Bibliotheca Capitularium 1995, 1097. – Die möglichen Belege für Kirchenpolitik und damit einhergehende Beschränkung kirchlicher Autonomie wären zahlreich. 382 Zum Aufstand Hardrads vgl. KRAH, Absetzungsverfahren 1987, 17–19. – S. auch MCKITTERICK, Histoire et Mémoire 2006. 383 Das ist ein überzeugendes Ergebnis von BECHER, Eid und Herrschaft 1993, 200.

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generalitas populi“, mit der pauschal alle potentiellen weiteren Handlungsträger erfasst sein sollten. Kontrolliert wurde die Eidesleistung über Listen derer, die den Eid abgelegt hatten.384 Diese Erfassung des populus Francorum entspricht der Sicht des Herrschers auf sein Volk, nämlich auf die im Reich relevanten Gruppen und deren Vertreter. Die Modifikation des Untertaneneides nach der Kaiserkrönung, also nach gesteigerter herrscherlicher Autorität, nämlich durch die weitere Befestigung der karolingischen Dynastie, die ja auch ihren Niederschlag in der Königserhebung der Söhne fand, erfasst den populus Francorum durchaus neu. Es wird verzichtet auf eine erneute Aufzählung der zu erfassenden Personengruppen, es wird keine Gruppe mehr hervorgehoben.385 Es wird nicht noch einmal versucht, alle potentiellen Entscheidungs- bzw. Handlungsträger zu erfassen, sondern man definiert gewissermaßen negativ, indem jeder einzelne zu schwören hatte, neuerdings auch alle Zwölfjährigen.386 Die Bestimmung zeigt bei genauerem Hinsehen, dass der Eid tatsächlich das politische Individuum definiert: 2. De fidelitate promittenda domno imperatori. Precepitque, ut omni homo in toto regno suo, sive ecclesiasticus sive laicus, unusquisque secundum votum et propositum suum, qui antea fidelitate sibi regis nomine promisissent, nunc ipsum promissum nominis cesaris faciat; et hii qui adhuc ipsum promissum non perficerunt omnes usque ad duodecimo aetatis annum similiter facerent.387

Jeder Mann also, territorial bezogen auf des Kaisers gesamtes Reich, und zwar unabhängig von einer möglichen Zugehörigkeit zur kirchlichen Ordnung, hat seiner Aufgabe entsprechend nun auf das nomen Caesaris zu schwören. Hier wird über das nomen Caesaris der Reichsverband neu konstituiert, nämlich neben dem eigentlichen Verband der Handlungsträger als ein Staat, dem die Individuen unmittelbar unterworfen sein sollen. Dann ergibt auch die Erfassung der Zwölfjährigen einen Sinn im Zusammenhang, nämlich, nicht nur aktuelle Handlungsträger zu erfassen und über die die „cuncta generalitas populi“, sondern jeden einzelnen freien Reichsbewohner.388 Ein weiteres Moment liegt im erweiterten Gottesbezug der Vereidigung von 802 mit der Vereidigung auf die Gebote Gottes und den Schutz der Schwachen.389 Hier wird die Verantwortung des Einzelnen gegen Gott, die zumindest in sittlicher Hinsicht bestand, gebraucht, um die innere Ordnung des Reiches zu sanktionieren und

384 Zum Personenkreis und dem Prozedere für den Eid von 789 s. BECHER, Eid und Herrschaft 1993, 197. 385 BECHER, Eid und Herrschaft 1993, 198. 386 Ebenda. 387 Capitulare missorum generale (802), cap. 2, MGH Cap. I, Nr. 33, S. 92. 388 Hierzu passt auch eine italienische Bestimmung, in der es heißt: „Statuimus ut iuratores omnes singillatim iurent.“, Capitulare Olonnense mundanum (825), cap. 8, MGH Cap. I, Nr. 165, S. 329–331, 331. 389 BECHER, Eid und Herrschaft 1993 203 ff.

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vielleicht auch der Autorität des Herrschers seine Gottesnähe hinzuzufügen.390 Einen Zusammenhang zwischen der Beachtung der göttlichen Gesetze und dem Erhalt des Staates sieht auch Jonas von Orléans, wenn er schreibt: „[. . .], quoniam non est dubium quin propter inoboedientiam et contemptum praeceptorum Dei, regni periclitatio et animarum proueniat dampnatio.“391 Die Individualisierung der Franken gegenüber der res publica respektive gegenüber dem Herrscher kann als eine Antwort gesehen werden auf den Gegensatz zwischen Privatinteresse und Gemeinschaftsinteresse, der in manchen Quellen der Zeit Karls des Kahlen auch klar erkannt und benannt wird.392 Indem man nämlich das Individuum bindet und nicht die Gruppe, gewissermaßen jeweils einen Bund schließt aus Herrscher, dem „Untertan“ und Gott, löst man überkommene Loyalitäten, lockert sie zumindest, die man durch die Verpflichtung der Gruppe dem Herrscher bzw. dem Staat gegenüber nicht hätte lösen können. Nun bedeutet das nicht, dass mit dem Untertanteneid der moderne Staat entstanden wäre, nur weil eines seiner Versatzstücke gebraucht wird. Karl der Große bindet nur den Einzelnen zusätzlich an seine Person bzw. Familie, zusätzlich nämlich zur Erfassung des Einzelnen über seine Korporation, Familie oder kirchliche Einrichtung, an den Verband. Im Hinblick auf die Loyalität dem Reich und seinem Herrscher gegenüber kann es hilfreich sein, die Bindungen innerhalb der Familien bzw. der Teilverbände zu lockern, wenn sie nicht der Gesamtheit dienen, etwa bei der Enteignung von Verbrechern, deren Vermögen „fisco regis societur“. Dann nämlich kann von dem Grafen eine Teilung des Erbes vorgenommen werden,393 sodass nicht die weiteren Familienmitglieder geschädigt werden und auch nicht in die Versuchung geraten, sich auf die Seite ihres Verwandten gegen das Reich zu stellen, jedoch gewährleistet werden kann, dass dem Staat bzw. dem Herrscher das Vermögen des Delinquenten auch tatsächlich zufällt. Auch die Vergabefreiheit, vor allem zugunsten kirchlicher Einrichtungen, die in einem Kapitular Ludwigs des Frommen verfügt wird,394 dient der Sicherung des politischen Ordnungsgefüges, denn die Kirchen gewährleisten einen Großteil der Infrastruktur des Reiches. Ihre moralische und politische Autorität, wirtschaftliche Potenz und ihre Fähigkeit zur Selbstorganisation schaffen eine wesentliche Sicherheit der öffentlichen Ordnung, auf die die Karolinger ihre strukturierte Herrschaft 390 Vgl. BECHER, Eid und Herrschaft 1993, 212. 391 Jonas von Orléans, De institutione regia, ed. Dubreucq, cap. 10 (Résumé). 392 Als Beispiel die Constitutio Cariacensis de moneta (861), MGH Cap. II,2, Nr. 271, S. 301 f.: „[. . .] cum in eo, quod ad regni utilitatem iubetur et agitur, non privata contra generalem utilitatem commoditas neque aliquod turpe lucrum [. . .].“ S. hierzu auch STAUBACH, Quasi semper in publico 1998, 603, der diese Erkenntnis für Hinkmar von Reims dokumentiert hat. 393 Capitula legi addenda (816), cap. 5, MGH Cap. I,1, Nr. 134, S. 267–269, 268 f.: „Si autem homo ille nondum cum suis coheredibus proprium suum divisum habuit, convocet eos comes et cum eis legitimam divisionem faciat et tunc, sicut iam dictum est, partem eius fisco regis addicat [. . .].“ 394 Capitula legibus addenda (818/819), cap. 6, MGH Cap. I, Nr. 139, S. 280 ff., S. 282.

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gründen konnten. Die individuelle Seelenheilvorsorge konkurriert immer mit der Subsistenz der Familie. Die Testierfreiheit schwächt die Familie, stärkt den Einzelnen und führt zur Stärkung der öffentlichen Ordnung, indem eine Institution über die Güter wacht, die in hohem Maße zur Selbstorganisation und zum Selbsterhalt fähig ist. Das dient der karolingischen politischen Struktur, in die die Vertreter der Kirchen in höchster Position einbezogen sind, etwa als herrscherliche missi. Nun gibt es ja auch Wege für den Erblasser, einer kirchlichen Einrichtung einen Teil seines Gutes zu hinterlassen und zugleich dasselbe Gut für die familiäre Subsistenz zu erhalten, die Prekarie nämlich, die es ihm erlaubt, Familieneigentum zu vergeben und in einem nur formal getrennten Akt seinen Nutzen zurückzuerbitten.395 Gerade das Eigentumsrecht ist für die staatliche Ordnung von eminenter Bedeutung. Bei der Frage der Sicherheit von Eigentum ist der politische Verband gefragt, der das Eigentum schützt oder nicht. Denn Eigentum begründet zu einem großen Teil die soziale Stellung. Das gilt auch für die fränkischen Großen. Franken, die den Herrschereid im Reich Karls des Kahlen verweigerten, sollte der Schutz des Eigentums entzogen werden, konkret sollte ihnen nicht mehr erlaubt werden, Eigentum zu haben.396

2.6.9 dona et honores Will man den karolingischen politischen Verband nicht als Befehlsordnung begreifen, so hat man über die Sinnfälligkeiten des Herrschaftsgefüges neu nachzudenken. Dazu gehören „Geschenke“ an den Herrscher und „Geschenke“ des Herrschers an seine fideles. Es ist im Frühmittelalter – wie im Grunde zu jeder Zeit – üblich, soziale Bindungen durch die gegenseitige Vergabe von Geschenken zu begründen und zu befestigen.397 In diesen sozialen Kontrakten erhält der Begriff des Geschenkes eine uns vielleicht schon fremde Konnotation. Wenn wir bürgerliche Mitteleuropäer ein Geschenk machen, so neigen wir dazu, das Ideal der Bedingungslosigkeit mit dem Begriff des Schenkens zu verbinden, auch wenn es oft beim Ideal der Selbstlosigkeit des Schenkens bleibt. Andere Kulturen haben ein weitaus weniger zivilisatorischchristlich stilisiertes Verhältnis zu den Gaben. In anderen Kulturen, vor allem solchen vormodernen Zuschnitts, haben die sozialen Bindungen eine wesentlich größere Be-

395 KASTEN, Beneficium 1998, 248. 396 „Ut nullus infidelium nostrorum qui liberi homines sunt, in nostro regno immorari vel proprietatem habere permittatur, nisi fidelitatem nobis promiserit et noster aut nostri fidelis homo deveniat.“, Capitulare Tusiacense in Burgundiam directum (865), cap. 4, MGH Cap. II,2, Nr. 274, S. 329–332, 330. Fast wortgleich Capitulare Carisiacense (873), MGH Cap. II,2, Nr. 278, S. 342–347, 345. 397 S. grundsätzlich Negotiating the Gift 2003.

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deutung für das „Politische“, das nicht erst die Aufklärung dem nicht öffentlich kontrollierbaren „Persönlichen“ zu entziehen suchte. Der moderne Staat westlicher Prägung ist derart durchinstitutionalisiert, dass jedwede dingliche Präsenz persönlicher Bindungen an staatliche Funktionsträger als Korruption aufgefasst wird. Anstelle der Gaben erhält der Beamte ein ausreichendes Gehalt, das deshalb auch als „Versorgungsbezüge“ bezeichnet wird. Der vormoderne Staat hingegen muss die Loyalität dem Staat gegenüber auf eine ebenfalls vormoderne Weise herzustellen versuchen. Das geschieht etwa über den Eid und die Herstellung familiärer Bindungen zwischen Herrscher und Großen. Sehr oft aber hat die Herstellung von persönlichen Bindungen eine ausgesprochen dingliche Komponente. Das bedeutet, dass das Geschenk keine Gnadengabe ist, aber auch nicht den Geruch des Unredlichen bekommen kann, weil seine Vergabe zu bestimmten Gelegenheiten erwartet wird und aus der sozialen und politischen Situation heraus geradezu zur Pflicht werden kann.398 Anders als stipendia399 bezeichnen dona die Gegenseitigkeit einer Beziehung. Für ein Geschenk wird eine Gegenleistung erwartet. Beides zusammen ergibt Vertragscharakter. Durch Gabe und Gegengabe wird ein soziales Vertragsverhältnis begründet. Dabei muss die Gegengabe nicht unbedingt dinglich sein. Es ist also bei der Beurteilung eines solchermaßen begründeten sozialen Verhältnisses sehr genau darauf zu achten, worin die Gegengabe besteht. In jedem Fall aber setzt die Vertragspartnerschaft voraus, dass der Charakter des sozialen Geschäfts ein geschäftlicher ist, also kein Sklavendienst. Dazu bedürfte es keiner dona, eher würde man in diesem Fall stipendia vergeben. Die Verpflichtung zum Geschenk jedenfalls begründet keine einseitige Unterwerfung. dona annualia Auf den jährlichen Reichsversammlungen waren in karolingischer Zeit Abgaben an den Herrscher zu entrichten, die als dona annualia bekannt sind,400 und die mehrfach Erwähnung finden in einer Weise, die auf einen konstitutionellen Charakter der Abgabe schließen lassen.401 Es hat den Anschein, als seien die dona annualia konstitutiv für die vollendete Abhaltung einer allgemeinen Reichsversammlung gewesen.402 Über die Gegenleistung sagen die Annales Bertiniani jedenfalls nichts. Hinkmar von Reims immerhin erklärt für die kirchlichen Einrichtungen, dass mit

398 ALTHOFF, Ungeschriebene Gesetze 1997, 302. 399 S. Niermeyer, Mediae Latinitatis Lexicon minus II 2002, S. 1294 f. „stipendium“ für Almosen und Versorgungsbezüge. 400 RÖSENER, s.v. dona annualia, in: LMA 3 (1986), S. 1230. Sie gehen auf angeblich freiwillige Geschenke der Großen an den merowingischen Herrscher zurück. 401 WAITZ, Verfassung IV 1861, 91. 402 Ann. Bert. 832 „Cumque illuc pervenit, dona annualia more solito suscipiens, mox inde ad Lemodicas [sic!] festinavit.“ – Weitere Belege für die dona annualia Ann. Bert. 833, 834, 836, 837, 864 und 868. – S. auch Hinkmar von Reims, De ordine palatii, cap. VI (29), ed. Gross/Schieffer, S. 84 zu

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den dona annualia der herrscherliche Schutz verbunden sei.403 Ist die Gegenleistung ein „servitium“ des Herrschers dem Verband gegenüber? Etwas Licht in diesen Zusammenhang bringen die Annales Mettenses priores, deren Vorzug hier darin besteht, dass sie zur Zeit Karls des Großen verfasst wurden, in gewisser Hinsicht also als Quellen für das ausgehende 8. Jahrhundert gelten können. Außerdem kommt ihnen legitimatorische Funktion für das Herrscherhaus der Karolinger zu. Dort heißt es zum Jahr 692: Singulis vero annis in kalendis Martii generale cum omnibus Francis secundum priscorum consuetudinem concilium tenuit. In quo ob regii [sic!] nominis reverentiam eum, quem sibi ipse propter humilitatis et mansuetudinis magnitudinem prefecerat, presidere iubebat, donec ab omnibus optimatibus Francorum donariis acceptis verboque pro pace et defensione ecclesiarum Dei et pupillorum et viduarum facto raptuque feminarum et incendio solido decreto interdicto, exercitui quoque precepto dato, ut, quacumque de illis denuntiaretur, parati essent in partem, quam ipse disposuerat, proficisci [. . .].404

„Jedes Jahr an den Kalenden des März hielt er [Pippin] mit allen Franken nach der Gewohnheit der Vorväter eine Versammlung ab. Dieser Versammlung befahl er wegen der Verehrung des königlichen Namens dem, den er selbst wegen der Größe seiner Demut und Sanftmut bevorzugte, vorzustehen, bis von allen optimates der Franken die pflichtschuldigen Geschenke erhalten worden waren und er sein Wort für den Frieden und zum Schutz der Kirchen Gottes und der Waisen und Witwen gegeben hatte, dem Heer auch die Aufgabe zugewiesen hatte, dass, wie auch immer von ihnen erklärt würde, sie bereit seien dorthin zu marschieren, wie er es verfügt hatte [. . .].“ Pippin bestimmte nach diesem Bericht der Annales Mettenses priores einen Versammlungsleiter. Ganz wie in einem Verein und ähnlich einer Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft wird der Vorstand entlastet, bevor er neu bestätigt werden kann. Dabei wurde der karolingische Hausmeier ja nicht neu gewählt, schon gar lief seine Amtszeit nicht mit der jährlichen Reichsversammlung aus. Aber positiv bestimmt scheint es in der Tat so gewesen zu sein, dass der Hausmeier auf der Reichsversammlung neue Zustimmung einwarb, vielleicht auch einwerben musste. Nun war in der Zeit der Abfassung der Annales Mettenses priores der Herrscher wirklich ohne aktuelle Alternative. Um diese aber nicht doch zu ermöglichen, musste sich auch Karl der Große in gewisser Weise „entlasten“ lassen. Wie konstitutiv nun die Reichsversammlung für die Erneuerung der Herrschaft in der Zeit Karls des Großen noch war, lässt sich aus der zitierten Quellenstelle nicht ohne weiteres ableiten. Die Quelle zeigt aber, dass auch noch um 800 die dona annualia als

den Reichsversammlungen, auf denen die geringeren Teilnehmer „propter dona generaliter danda“ erscheinen. 403 RÖSENER, s.v. dona annualia, in: LMA 3 (1986), 1230. 404 Annales Mettenses priores 692, S. 14.

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komplementär zu den herrscherlichen Kernaufgaben angesehen wurden, nämlich in der klassischen Umschreibung die Gewährung der inneren Sicherheit, nämlich im Schutz der Schwachen. Sie zeigt mit der Bestellung des Versammlungsleiters zudem, dass – wie obligatorisch die dona annualia auch immer waren – sie als Anerkennungsgabe für die herrscherliche Tätigkeit aufzufassen sind. Denn die – vielleicht unter Karl dem Großen nicht mehr übliche – Bestellung eines Versammlungsleiters verweist auf die zumindest theoretische Möglichkeit, den Vertrag zwischen Herrscher und Großen nicht zu erneuern, etwa in der Verweigerung der dona annualia. In der Reichsversammlung liegt gewissermaßen die „Sollbruchstelle“ des Reichsverbandes. Bevor nämlich die Zustimmung zum Herrscher an anderen Stellen offen ausbleibt, soll sie auf der Reichsversammlung rechtzeitig wieder erlangt werden können. Das erleichtert die Bestellung eines Versammlungsleiters, die den Herrscher zeitweilig aus der herrscherlichen Rolle entlässt und ihm die Möglichkeit zur Rechtfertigung gibt, ohne damit Ansprüche aufgeben zu müssen. honores Wird mit den dona annualia der Herrscher in die Pflicht genommen, so sind die honores und mit ihnen die praecariae verbo regis405 umgekehrt dazu angetan, einzelne Große in die Pflicht zu nehmen.406 Während die Benefizien allgemein Dienste einfordern oder belohnen und damit auch neue Dienste evozieren, sind die honores ganz offensichtlich „Würden“, bis hin zum „Amt“.407 Die honores können mit Benefizien verbunden sein und sind es wohl auch zumeist,408 sie bezeichnen in erster

405 S. MITTEIS, Lehnrecht und Staatsgewalt [1933] 1958, 117 ff. 406 Formulae Imperiales 44, MGH Formulae., S. 320: „Imperialis celsitudinis moris est, fideliter sibi famulantes donis et honoribus honorare.“ S. zur Funktion dieser Benefizien INNES, State and Society 2000, 88 f. 407 So zumindest nach einigen Belegen aus der Zeit Karls des Kahlen: Ann: Bert. 864 (ed. Waitz 1883, S. 74): „Hugbertus clericus coniugatus et abbas monasterii Sancti Martini, qui Sancti Mauricii abbatiam et alios honores Hludowici imperatoris Italiae contra voluntatem ipsius tenebat, ab hominibus eius occiditur.“ Dieser Hugbert hatte die Abtei und weitere honores des Kaisers Ludwig gegen dessen Willen inne. Hier sind honores vermutlich Würden, etwa das Abbatiat. – Vgl. Ann. Bert. 867 (S. 90): „Karolus denique, quoniam ab Acfrido, abbatiam sancti Hilarii cum aliis plurimis honorabilibus beneficiis habente [. . .].“ – Ann. Bert. 869 (S. 107): „Qua de re eidem Bosoni abbatiam Sancti Mauricii cum aliis honoribus dedit [. . .].“ S. NELSON, Kingship 1995, 427, die honores zu allererst als Bezeichnung für „high office“, für Amt, versteht, so auch AIRLIE, Aristocracy 1995, 443: „The offices that the aristocracy competed for so fiercely can generally be described as honores [. . .].“ 408 S. dazu Ann. Bert. 869: „Et antequam ad Conadam pergeret, per omne regnum suum litteras misit, ut episcopi, abbates et abbatissae breves de honoribus suis, quanta mansa quisque haberet, futuras Kalendas Mai deferre curarent, vasalli autem dominici comitum beneficia et comites vasallorum beneficia inbreviarent [. . .].“ – So auch GANSHOF, Lehnswesen [1944] 1961, 54 ff., der im Laufe des 9. Jahrhunderts die honores in ihrer engen Verbindung mit Benefizien immer mehr Benefizialcharakter erhalten sieht. Wenn GANSHOF ebenda 56 aber aus der Parallelität von allgemeinen

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Linie aber eine Funktion im Dienst des Herrschers bzw. des Verbandes.409 Honores können als Geschenke aufgefasst werden.410 Vermutlich können Benefizien aber in einem weiteren Sinne auch unter die honores fallen.411 Dem Markgrafen Rotbert schenkte („donavit“) Karl der Kahle „cum aliis honoribus quos habebat comitatum Autisiodorensem et comitatum Nivernensem“. Hier wird nicht Grundbesitz vergeben, sondern es werden die Würden von Grafenämtern geschenkt, an denen gewiss auch materielle Grundlagen hingen, vielleicht auch beneficia. Dass die honores geschenkt werden können, zeigt, dass dabei nicht so sehr an die Inhalte solcher „Ehren“ gedacht ist, sondern vielmehr an die Ehre selbst, die mit den honores benannt ist. Die herrscherliche Zuwendung ist das Geschenk, eben „honor“ und nicht etwa „facultates“ oder „potestates“. Der Entzug der „honores“ kann denn auch mit dem Begriff „privare“ bezeichnet werden.412

2.7 Der Herrscher als Verbandsvertreter Der Herrscher ist in äußeren Angelegenheiten mit großer Vollmacht ausgestattet. In zahlreichen Fällen wird die Treue fremder Verbände ihm selbst geleistet bzw. es von den Quellen solchermaßen dargestellt.413 Es gibt aber auch Fälle, in denen das Mandat des Herrschers nicht ausreicht, selbst Bündnisse zu schließen und Unterwerfungen anzunehmen. So ist auch anzunehmen, dass die Untertänigkeit von Völkern sich nicht auf den Herrscher, sondern auf die Franken bezieht, wie etwa auf einer regionalen Versammlung in Frankfurt im Winter 822 deutlich wird, auf der festgestellt wurde, dass „qui trans Hreni consistentes fluenta ditioni obediunt Francorum.“414

Benefizien und den honores der Grafen im Hinblick auf Erblichkeit schließt, dass Benefizien und honores im 9. Jahrhundert die gleiche Qualität erlangt hätten, so geht er fehl, weil nämlich die Erblichkeit der honores durchaus im Interesse des Herrschers gelegen haben kann und meistens auch gelegen haben wird, während die dauerhafte Entfremdung von Eigentum, i. e. seine faktische Aufhebung, weil die Verfügungsgewalt über das Eigentum verloren geht, keinen erwünschten Gegenwert haben kann. Dagegen sind honores Aufgaben der Verwaltung, die unabhängig vom Amtsinhaber erledigt werden. Bei Versagen eines Inhabers von honores greifen ganz andere Zwangsmittel als irgendwelche privatrechtlichen Eigentumsfragen. – Zu den honores konnten dann auch die beneficia gehören, die an das Amt gebunden waren, NELSON, Kingship 1995, 427. 409 S. KIENAST, Fränkische Vasallität 1990, 339: „Honor ist mehr als beneficium. Honor scheint mit politischen Befugnissen verbunden, mit Rechten und Pflichten, die ein Amtsträger ausübt.“ 410 Ann. Bert. 864 und 865. 411 Formulae Imperiales 44, MGH Formulae., S. 320 (s. „Der Staat als Verband“, 2.6.9). 412 Konkret in der causa Bernardi, Astronomus, Vita Hludowici 47 (831): „honoribus est privatus“. 413 Etwa Annales Mettenses priores 731: „[. . .] Eodo dux Aquitaniorum a iure federis, quod Carolo principi promiserat, recessit“; sogenannte Einhardsannalen 789 „Quem ceteri Sclavorum primores ac reguli secuti sunt omnes se regis dicioni subdiderunt.“ 414 Astronomus, Vita Hludowici 35.

2.7 Der Herrscher als Verbandsvertreter

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Grundsätzlich regelt der Vertrag von Coulaines von 843 das Verhältnis von Reich und Herrscher im Westfrankenreich.415 Dort wurde vertraglich festgestellt, dass zum Erhalt des Reiches die „regia potestas“ zu stärken und zu festigen ist, weshalb zwischen dem „pactum“ der Franken und ihrem König, mithin der solchermaßen begründeten societas und der potestas regia klar getrennt wird, um beide schließlich aufeinander zu beziehen. Das bedeutet einerseits, dass hiermit die faktische Transpersonalität des Reiches bescheinigt wird, was ja auch mit dem Hinweis auf „non loquentes diversarum inmutatione personarum“416 verdeutlicht wird. Das Reich wird gedacht als das, was es ist, nämlich als ein Zusammenschluss der Franken zum gemeinsamen Nutzen unter Zurückstellung der Personalität der Mitglieder des Verbandes. Andererseits bedeutet die vertragliche Regelung des Verhältnisses von societas Francorum und Herrscher, dass der Herrscher vom Verband bestellt wird. Es ist eben kein Vertrag zwischen Herrschaft und Genossenschaft, sondern ein Vertrag, der Herrschaft erst konstituiert, nämlich aus dem Zusammenschluss der Großen. Da aber die Herrschaft des Einen, insbesondere eines Karolingers, aus verschiedenen Gründen als alternativlos gelten kann, blieb faktisch nur noch die Wahl unter den königlichen Brüdern, wobei die überkommene und gemeinsam erkämpfte Regelung der Zuständigkeit Karls des Kahlen für das Westfrankenreich natürlich eine starke Vorentscheidung bedeutete. Es ist Karl der Kahle bei aller im Vertrag postulierten Autorität des Königs aber ein Vertreter der societas, vielleicht gerade, weil es vertraglich festgestellt wird, dass die potestas regia zu stärken sei. Das stärkt nämlich den Herrschaftsverband. Nach den Nachfolgekriegen musste das jedem Franken klar geworden sein. Dass der Verband der eigentliche Inhaber der Herrschaft im Frankenreich ist, und das auch schon zu früheren Zeiten, zeigt sich in den Quellen vornehmlich vor der Königserhebung Pippins417 und nach dem Tod Ludwigs des Frommen, etwa in der Vorrede des Benedictus Levita zu seiner Kapitulariensammlung: Hinc Caesar Karolus, divino munere fretus, Nobiliter proceres rexit in orbe suos: Quorum sceptra piis una moderatus habenis, Cunctorum vicit inclita gesta patrum.418

Man könnte es als zunehmenden Verfall beschreiben, wenn sich Karls des Kahlen Nachfolger Ludwig im Jahr 877, also über 30 Jahre nach dem Tod Ludwigs des

415 Vgl. zum Vertrag von Coulaines als Ausdruck der „Monarchie contractuelle“ MAGNOU-NORTIER, Foi et Fidélité 1976, 98 ff. 416 Coulaines 843, Vorrede, in: MGH Conc. III, Nr. 3, S. 15, Z. 21. 417 Annales Mettenses priores 741 zu Karl Martell: „[. . .] in pace obiit, cunctis in giro gentibus positis Francorum ditioni subactis.“ 418 BL, Vorrede, Mansi 17B, S. 805 f.

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Frommen, selbst sehr eng an die Mitglieder des Verbandes und an seine Bestimmungen binden muss, indem er zunächst auf seine Wahl durch das Volk verweist und sodann seinen Dienst an den ordines des Reiches verspricht419 und sich den „statuta populi, qui mihi ad regendum misericordia Dei committitur, pro communi consilio fidelium nostrorum“ und den Gesetzen seiner Vorgänger ausdrücklich verpflichtet.420 Der Verfall königlicher Autorität liegt aber nicht im Prinzip von Konsens und Rechenschaft, sondern in der exzessiven Herstellung von Öffentlichkeit, indem nämlich auch das bisher Unausgesprochene ausgesprochen und schriftlich niedergelegt wird, was zuvor vermutlich nur informell verhandelt worden war. Gelegentlich gibt es auch für die Zeit Karls des Großen Hinweise auf königliche Rechenschaftspflicht, nicht erst in der Verletzung dieses Gebotes.421 Es ist aber ganz offensichtlich, dass das Handeln des Verbandes bzw. von Teilverbänden nicht in jedem Fall durch das Handeln des Herrschers ersetzt bzw. vorweggenommen werden kann, wie etwa bei der Verurteilung Tassilos, die eben durch die Verbände vorgenommen wurde, nämlich durch die Teilverbände des Reiches, u. a. der Franken, Bayern,422 Langobarden und Sachsen.423 Das Votum des Herrschers konnte die Strafe abmildern, was aber wohl zum Verfahren gehörte.424 Zumindest formal war es dem Herrscher geraten, die Mitwirkung in eine Bitte zu kleiden, was die Reichsannalen nicht so deutlich zum Ausdruck bringen425 wie die Annales Mettenses priores: „obtinuit ab ipsis Dei ac suis fidelibus, ut non moreretur.“426 Danach erlangte Karl von Gottes und seinen Getreuen, dass Tassilo nicht stürbe. Damit wird

419 Capitula electionis Hludowici balbi Compendii facta (877), MGH Cap. II,2, Nr. 283, S. 363–365: „promitto testo ecclesia Dei omnibus ordinibus [. . .] ex hoc et in futurum tempus me illis ex integro servaturum.“ 420 Ebenda. 421 ARF 787 (S. 76): „Synodum namque congregavit suprascriptus domnus rex ad eandem civitatem [Worms]; sacerdotibus suis et aliis obtimatibus nuntiavit, qualiter omnia in itinere suo peragebantur.“ Hier geht es um die „causa Tassilonis“. 422 Nach den sogenannten Einhardsannalen 788 war Tassilo von den Bayern des crimen maiestatis angeklagt worden, also als Verbandsvertreter von seinem Verband, während die Reichsannalen ihn als Hochverräter gegen das Frankenreich respektive den König der Franken sehen; dort ist von „harisliz“ die Rede. Nach den ARF 788 hatten die Bayern gewissermaßen Tassilo für das Verfahren freigegeben „[. . .] et coeperunt fideles Baioarii dicere, quod Tassilo fidem suam salvam non haberet, nisi postea fraudulens apparuit, postquam filium suum dedit cum aliis obsidibus et sacramenta, suadente uxore sua Liutbergane.“ – S. oben, „Der Staat als Verband“, 2.3. 423 ARF 788. 424 Auf dieses Prinzip wies schon WAITZ, Verfassung IV 1885, 498 ff. hin, der sah, dass bei bedeutenden Strafsachen die Versammlung der Großen urteilte und der König das Urteil abmildern konnte. 425 ARF 788: „contenuit ab ipsis Dei ac suis fidelibus, ut non moriretur.“ 426 Annales Mettenses priores 788.

2.7 Der Herrscher als Verbandsvertreter

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deutlich, dass Karl nicht als offizieller Herr des Verfahrens anzusehen ist, sondern allenfalls informell das Verfahren nach seinen Vorstellungen beeinflussen konnte.427 Das Vergehen Bernhards von Italien, das im Wesentlichen in einem zu engen Verhältnis von Teilverband und seinem Vorsteher bestand,428 zeigt, wie wesentlich die Verbandsintegrität von einem Haupt abhängen konnte. Augenscheinlich handelten wesentliche Verbandsvertreter für eine gewisse Verbandsautonomie, für deren Ausbau sie dann den Verbandsvertreter, hier Bernhard, gewinnen konnten, dessen herrscherliche Funktion durch die Indifferenz Ludwigs des Frommen ernstlich bedroht schien. So verbanden sich die italischen Großen mit Bernhard mit dem Ziel des Erhalts und des Ausbaus der Autonomie ihres Verbandes,429 was den Verband als solchen über den Status eines karolingischen Teilverbandes weit heraushob. Das wiederum musste zum Eingreifen des „Dach“-Verbandes führen, vor allem, da es sich nicht um eine rein gentile Verbandsbildung handelte, sondern sowohl Langobarden als auch Franken sich mit Bernhard enger verbunden hatten,430 als dies offensichtlich vorgesehen war. Die engere Verbindung von karolingischem Unterkönig und seinem Teilverband wird in der zweiten Hälfte der Regierungszeit Ludwigs des Frommen das Fortbestehen der Teilverbände als autonome Verbände vorbereiten, vor allem im Ostfrankenreich mit dem Kern Bayern. Nach dem Scheitern des Übergriffes Ludwigs des Deutschen auf das Westfrankenreich im Jahr 858 besannen sich die weltlichen Großen auf die Bedeutung eines funktionsfähigen Verbandes, zu dem ein starker Verbandsvertreter gehörte.431 In der Konsequenz fand man nach dem Überlaufen der weltlichen Großen zu Ludwig dem Deutschen und der Erfolglosigkeit dieses Unternehmens zu neuen Formen der Verbandsorganisation, u. a. zur Stärkung der Verbandsführung, indem nun auch herausragende Große, vor allem aber kirchliche Vertreter, eng in die Verbandsführung eingebunden wurden, und außerdem das Verbandshandeln nocheinmal transparenter wurde.432 Gegen Ende seiner Regierung konnte Ludwig der Fromme endlich daran gehen, seinen jüngsten Sohn Karl auszustatten. Möglich geworden war das, weil zahlreiche Gefolgsleute Lothars einer offensichtlich ansteckenden Krankheit zum Opfer gefallen waren.433 Ludwigs jüngster Sohn Karl erhielt „maximam belgarum partem“, wozu der Kaiser den Großen befahl, in seiner Gegenwart sich Karl zu kommendieren und 427 S. die Diskussion der Dinggenossenschaft in der Einleitung und in STROTHMANN, Wer ist das Reich? 2014. 428 Zu Bernhard s. oben, „Die Herrscherfamilie“, 2.2, mit Literatur. 429 Astronomus, Vita Hludowici 29. 430 Thegan, Gesta Hludowici 22: „Inventi sunt autem nonnulli in hac seditione esse lapsos ex utrisque Francorum et Langobardorum [. . .].“ 431 Zur Stärkung der königlichen Stellung gehörte es auch, die treuelosen Großen neu einzubinden, etwa indem ihnen „honoribus redonantur“, Ann. Bert. 861. 432 APSNER, Vertrag und Konsens 2006, 223. 433 BOSHOF, Ludwig der Fromme 1996, 234 f.

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2 societas societatum – Zur Organisation des karolingischen Staates

ihm den Treueid zu leisten.434 Hier wird ein neuer (Teil-)Verband gebildet, wobei wesentliche Rahmenbedingungen von einer höheren Instanz definiert wurden, etwa der Raum, der Verbandsvertreter und der Kreis der Verbandsmitglieder. Dadurch ist die höhere Instanz eigentlich im Verband permanent mitvertreten. Die Frage, die sich grundsätzlich bei dieser Art von Teilverbänden stellt, ist, ob es sich bei dieser Konstruktion wirklich um einen Verband handelt. Nach modernem Verständnis würde man eher an eine Anstalt denken. Es ist jedoch so, dass die Funktionsweise des solchermaßen begründeten Systems sich von dem eines zwanglos gebildeten Verbandes nur in zwei Punkten unterscheidet, diese aber immer graduelle Abweichungen bedeuten. Es ist der unmittelbare Einfluss des Hauptverbandes bzw. seines Vertreters auf erstens den Teilherrscher bzw. Teilverbandsvertreter und zweitens seine Beziehung zu den einzelnen Verbandsmitgliedern. Das ersetzt beides aus der Sicht der Verbandssicherheit, die nur selten spontan entstehende herrscherchliche Sakralität und die mit ihr eng verbundene Verbandsintegrität. Beides aber kann im Laufe der Zeit entstehen, wenn die Teilverbandsmitglieder die Vorteile einer Stärkung des Teilverbandes erkennen. Dann wird aus dem Teilverband ein eigentlicher Verband, wie z. B. offensichtlich im Falle Bernhards und des italischen Herrschaftsverbandes, was sich ja auch später mit König Ludwig II. in Italien zeigte. In Aquitanien dagegen lebt der Verband offensichtlich aus einer eigenen vielleicht gentilen Identität. Dort scheint der Verbandsvertreter, vielleicht gerade wegen der Einflussnahme der Westfranken und ihres Königs, austauschbar, was sich an den ständigen Wechseln der aquitanischen Herrscher zeigt.435 Zum Ende der karolingischen Herrschaft im Westfrankenreich zeigen sich die Auflösungserscheinungen in wilden Verbandsbildungen, die dann als Verschwörungen relevant werden. In solchen Verschwörungen zeigt sich die Diskrepanz zwischen überkommener karolingischer Alternativlosigkeit und der Funktion des Herrschers als Verbandsvertreter.436 Die Alternativlosigkeit der karolingischen Familie in ihrer Funktion als Herrscher hat ihre Wurzeln in der Wahl Pippins zum fränkischen König,437 die ja ganz

434 Ann. Bert. 857, dort im Folgenden: „Sicque iubente imperatore in sui praesentia episcopi, abbates, comites et vasalli dominici im memoratis locis beneficia habentes Karolo se commendaverunt et fidelitatem sacramento firmaverunt.“ – Vgl. dazu Annales Fuldenses 838. S. zum Zitat BECHER, Subiectio principum 2006, 174. 435 Z. B. Ann. Bert. 837: „Aquitanorum aliqui persuasione occulte conspirantium Francorum quorundam in Karlum a Karlo admodum puero deficientes, Pippino sociantur.“ Hier wird der doppelte fränkische Einfluss deutlich, durch den König Karl und durch die fränkische Opposition im Westfrankenreich. 436 S. dazu etwa Ann. Bert. 877 (S. 136): „[. . .] qui una cum aliis regni primoribus, exceptis paucis et episcopis adversus eum conspirantes coniuraverant.“ 437 Vgl. hier nur ARF 750: „Pippinus secundum morem Francorum electus est ad regem [. . .].“ – Zur Feststellung dieser Alternativlosigkeit bis zu Boso s. AIRLIE, Semper fideles? 1998, der

2.7 Der Herrscher als Verbandsvertreter

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offensichtlich im vollen Bewusstsein um die Konsequenzen stattgefunden hat, denn spätestens beim Akt von 754 musste klar gewesen sein, dass die Familie zum Herrschertum erhoben wurde und nicht bloß eine Person.438 Das aber gehörte zum Konzept der Sicherung der Verbandsintegrität. Das bedeutet, dass sich der fränkische Reichsverband einen neuen Vertreter bzw. ein neues Oberhaupt erwählte, von dem erwartet wurde, dass es dieselbe Kontinuität haben würde wie der Verband selbst. Das aber ist nur möglich, wenn die Herrschaft an eine Familie delegiert wird, deren Oberhäupter jeweils als Verbandsvertreter fungieren. Hier ist einzuräumen, dass die Familie als Ersatz fungierte für eine klare Vorstellung vom weltlichen Amt. Das ändert sich im Laufe des 9. Jahrhunderts, da das Königsamt als solches zunehmend begriffen wird, weil man es in Analogie zum Bischofsamt definiert.439 Das ist im Westfrankenreich aber zugleich der Beginn vom Ende der karolingischen Alternativlosigkeit. In Aquitanien scheint es ein eigenes Grundkonzept dieser Art nicht gegeben zu haben, denn die Aquitanier selbst sind es, die sich mehrfach zwischen den karolingischen Familien Pippins und Karls des Kahlen hin- und herentscheiden. Vermutlich hängt diese Unsicherheit daran, dass zwar die karolingische Familie in der Stellung der Verbandsvertreter alternativlos war, es aber im Grunde nie zu einer eigentlich aquitanischen Entscheidung in dieser Frage gekommen war. Solange sich der aquitanische Herrschaftsverband zwischen Autonomie und Hegemonie des Westfrankenreiches bewegte, konnte eine Entscheidung dieser Art eben nicht getroffen werden, weil es galt, beiden Optionen gegenüber offen zu bleiben, nämlich die Möglichkeit der Autonomie mit der Familie Pippins von Aquitanien genauso möglich bleiben zu lassen wie die „privilegierte Partnerschaft“ mit dem Westfrankenreich zu fördern. So kommt es mehrfach zu neuen Wahlen des Verbandsvertreters, in denen jeweils eine der Parteien die Oberhand gewann.440

beobachtet, dass Aufstände sich bis zum Ende des 9. Jahrhunderts in der Regel nicht gegen die karolingische Familie, sondern nur gegen einzelne Vertreter richten. 438 Zur Bewertung der Clausula de unctione Pippini s. STROTHMANN, Königtum Pippins 2008. Zum Dynastiewechsel s. allgemein Dynastiewechsel 2004. 439 S. hier nur Ann. Bert. 869 zur Entscheidung der Großen über den künftigen Herrscher des Mittelreiches, nämlich den Brief des Adventius von Metz: „[. . .] deprecantes ipsius misericordiam, ut daret nobis regem ac principem secundum cor suum, qui in iudicio et iustitia nos in omni ordine ac professione regeret, salvaret atque defenderet iuxta voluntatem eius et corda omnium nostrum unanimiter ad eum declinaret atque uniret, quem ipse ad salutem et profectum nostrum praescitum et electum atque praedestinatum habebat secundum misericordiam suam.“ – S. zur Analogie in Fragen der Verantwortlichkeit gegenüber den Konsekratoren NELSON, Kingship [1977] 1986, 142. 440 S. etwa die Schilderung des Astronomus, Vita Hludowici 61, Ann Bert. 845 zu Fleury, Ann. Bert. 848, Ann. Bert. 853 zum Überlaufen der Aquitanier zu Ludwig dem Deutschen, Ann. Bert. 855 zur Erhebung Karls, Karls des Kahlen Sohn, Ann. Bert. 856 zu einer erneuten Hinwendung zu Karl nach dem Scheitern der westfränkischen Verschwörung zugunsten Ludwigs des Deutschen. – S. dann auch die Wahl Ludwigs, ebenfalls Sohn Karls des Kahlen, Ann. Bert. 867.

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2 societas societatum – Zur Organisation des karolingischen Staates

Karolingische Herrscherautorität lebt sehr stark von der allgemeinen Überzeugung der Großen, dass die Person des Herrschers über die Zustimmung der meisten Großen verfüge. Man orientiert sich dabei am Prinzip des größten persönlichen Nutzens unter Abwägung des Risikos, seine honores zu verlieren. Schon der Herrschaftsantritt Ludwigs des Frommen zeigt das, den Ludwig nach der Kunde von seines Vaters Tod selbst sehr vorsichtig und umsichtig vorbereitet hatte, der dann aber selbst allgemein als alternativlos erkannt wurde.441 Ganz typisch für dieses Benehmen ist der Ablauf der Verlassung Ludwigs auf dem Lügenfeld.442 Ludwig erkannte die Situation später insofern an, als dass er allen, die ihn verlassen hatten, Verzeihung gewährte.443 Über das besondere Verhältnis zwischen herrscherlichen Söhnen und Großen ist oben im Hinblick auf die Struktur der herrscherlichen Familie bereits ausführlich gehandelt worden.444 In diesem Zusammenhang erscheint auch das „ius paternum“ in einem ganz eigenen Licht. Wenn es nicht einfach ein postuliertes Vermögen des Herrschers sein sollte, ist zu fragen, worin eigentlich dieses Recht besteht. Das ius paternum gilt als Recht des Herrschers, seine Herrschaft an seine Söhne zu „vererben“ und deren Verhältnis als Herrscher zueinander willentlich zu gestalten.445 Dieses Recht kollidiert unweigerlich mit dem konsensualen Prinzip von Herrschaft, wie es in letzter Zeit immer wieder betont wurde. Es ist doch ganz offensichtlich, dass in einer politischen Ordnung, die auf der Herstellung und Bewahrung von Konsens beruht, positive „Rechtstitel“ keinen Platz haben. Das gilt so auch für die Konkurrenz von „Anwachsungsrecht“ und „Eintrittsrecht“.446 Ohne Zweifel gibt es im Ergebnis beide Formen der Nachfolge in einer Herrschaftsgemeinschaft der Brüder und ihrer Familien. Das Recht auf Nachfolge – es geht ja nicht um „Erbschaft“ – gibt es nicht als positives Recht, allenfalls als mögliche Rechtsposition, also als Anspruch, der mit der Möglichkeit der Umsetzung verbunden ist.447 Es stehen sich also rechtlich-sozial akzeptierte Ansprüche gegenüber und nicht positive „Rechtstitel“. Das ergibt sich letztlich daraus, dass das Verhältnis des Familienmitglieds zur herrscherlichen Familie rechtlich nicht geklärt

441 Nicht umsonst berichtet Thegan, Gesta Hludowici 9 von Gesandtschaften aus allen Teilen des Reiches an den neuen Herrscher, die das „spontaneum obsequium“ versprachen. 442 Thegan, Gesta Hludowici 42: „Tunc consiliati sunt nonnulli, ut imperatorem derelinquerunt et ad filios eius pervenirent, inprimis illi, qui eum antea offendebant, ceterisque sequentibus.“ Vgl. auch Astronomus, Vita Hludowici 48. 443 Thegan, Gesta Hludowici 49: „Eodem ano, qui est annus regni eius XXI., omnibus indulgentiam praestitit, qui eum coacti relinquerunt.“ 444 S. oben, „Die Herrscherfamilie“ 2.3. 445 S. oben, „Die Herrscherfamilie“ 1.2. 446 S. oben, „Die Herrscherfamilie“ 1.2. 447 KASCHKE, Reichsteilungen 2006, 154 erkennt vermeintlich neben dem „ius paternum“ ein „ius hereditarium, wonach das Recht der Erben darin bestünde, dass sie in der Herrschaft nachfolgen und das Recht des Vaters in genauer Festlegung, welchem Sohn wieviel und was zusteht. Auch hier lässt er die Rolle der Großen, die er andernorts desöfteren betont, außer Acht.

2.7 Der Herrscher als Verbandsvertreter

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ist. Eine solche Klärung wird nur im Erbrecht vorgenommen, wenn eine Teilung der Erbansprüche hinzutritt. Bei der Nachfolgeregelung aber sind nicht nur die Interessen der Familie zu berücksichtigen, sondern auch die der Großen. Das ist eine Frage des Reichsverbandes, mithin von Staatlichkeit. Denn der Reichsverband wird selbst seiner willkürlichen Zergliederung entgegenstehen, also in jedem Fall, wenn er als solcher einigermaßen stabil ist und nicht bereits sich starke Teilverbände gebildet haben sollten, einem Eintritt und damit einer Teilung widersprechen. Das bedeutet, dass Eintritt und Teilung für bereits bestehende starke Teilverbände spricht, „Einheit“ und „Anwachsung“ für einen starken Gesamtverband. Dieses Phänomen eines Widerstreitens von „Anwachsung“ und „Eintritt“ in der Herrschaftsnachfolge wird bislang zu sehr aus der Familie erklärt, weil die Konsequnz aus der Erkenntnis von der Konsequenz der Großen am Reich nicht immer gegenwärtig ist. Ähnliches gilt auch für das sogenannte ius paternum. Wenn der Herrscher ein „ius paternum“ ausübt, dann tut er das als Familienoberhaupt, nämlich in der Vertretung der Persönlichkeit der Familie, aber sinnvoll nur dann, wenn ein Konsens der „Beherrschten“ besteht. Das bedeutet, dass das reine ius paternum ebenfalls nur ein rechtlich-sozial möglicher Anspruch ist. Das hatte Ludwig der Fromme möglicherweise nicht verstanden, weshalb seine Ordinatio imperii auch an dem Handeln der Großen gescheitert ist. Die Frage, die hier nicht zu beantworten ist, wäre nun, wann Eigentum und Herrschaft nicht mehr deckungsgleich sind, also etwa ab welcher Zeit oder ab welcher Größenordnung im Todesfall eines Herrschenden Erbschaft und Nachfolge getrennt behandelt werden. Hier sei eine mögliche Antwort vorgeschlagen: Sobald andere als enge Familienmitglieder an der Herrschaft beteiligt sind, ist deren Interessen in der Nachfolge Rechnung zu tragen. Das wäre aber bei jedem Verband der Fall, der aus mehreren Familien besteht, also schon bei einem Dorf, in dem die Herrschaftsgrundlage nicht mehr die patria potestas ist. Es sind, wie so oft, die Annales Mettenses priores, die auch in dieser Frage den Konsens im Handeln des Herrschers betonen und auch die Mitwirkung der Großen ausdrücklich erwähnen. Als Karl Martell seinen principatus „inter filios suos aequa lance divisit“, tat er dies in Anwesenheit – und damit unter Zustimmung – seiner optimates, die „in unum“ zusammengekommen waren.448 Deutlicher wird der Konsens 448 Annales Mettenses priores 741. Vgl. Zur Nachfolge Karl Martells und der Frage, ob Karl bereits vor der Nachfolgeregelung von 741 einmal sein Erbe unter die beiden älteren Söhne aufgeteilt hatte, wie das Breviarium regum Francorum des Erchanbert von 826 berichtet, s. NONN, Nachfolge Karl Martells 2004, 64 f. – Vgl. zur Mitwirkung der Großen bei der Nachfolge Karl Martells OFFERGELD, Reges pueri 2001, 303, der die unterschiedliche Behandlung der Söhne als Ergebnis der Stellung der „Adelsgruppierung um seine Frau Swanahild“ sieht. – S. gerade in diesem Zusammenhang BECHER, Nachfolge Karl Martells 2003, der die Angaben der Quellen, auch der oben zitierten Quelle, mit guten Gründen für nicht glaubwürdig hält und argumentativ schlüssig darlegen kann, daß Grifo eigentlich zur alleinigen oder hauptsächlichen Nachfolge vorgesehen war, vor allem weil er der Sohn der aktuellen und besonders mächtigen letzten Gattin Karl Martells war. Daß die Annales Mettenses priores vermutlich einen nicht zutreffenden Sachverhalt darlegen, ändert jedoch nichts an ihrem Wert für

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2 societas societatum – Zur Organisation des karolingischen Staates

zwischen Herrscher und Großen bei der Nachfolgeregelung bei der Teilung des Reiches unter Karl dem Großen und Karlmann, die Pippin „iure paterno“ vornahm. Dieser Ausübung des ius paternum ging jedoch der Konsens der Großen voraus, er teilte nämlich „una cum consensu procerum suorum“. Das gilt auch für die Divisio regnorum, wenn man den Reichsannalen Glauben schenken darf. Die Teilung der Herrschaft unter alle bereits zu Unterkönigen eingesetzte Söhne folgt im Grunde den Bedürfnissen der Großen, die jeweils ihre Bindungen zu einem der Söhne unterhielten und gewiss – von Ausnahmen abgesehen – diese bestehende Teilhaberschaft an der Herrschaft in ihrem Teilverband nicht aufzugeben bereit waren. Bei der enormen Bedeutung, die das „Informelle“ der Herrschaft besaß, konnten diese Bindungen zwischen einem Vertreter der herrscherlichen Familie und den Großen eines Reichsteils nicht aufgegeben und auch nicht wesentlich verändert werden. Man bedenke, dass die Söhne ja nicht allein wegen des Sammelns von „Regierungserfahrung“ in die Teile des Reiches geschickt worden waren. Ihr Auftrag bestand darin, vor Ort die Großen an die herrscherliche Familie zu binden und – von der anderen Seite gesehen – den Drang der Großen nach Verbindung mit den nachfolgefähigen Söhnen zu kanalisieren. Die Herrschaft der Familie ist nicht möglich, ohne Sicherheit und Kontinuität im Verhältnis zwischen Herrscher und Großen. Nicht ein einziges Mal ist in karolingischer Zeit ein etablierter Teilkönig durch eine Nachfolgeregelung in ein anderes Teilreich „versetzt“ worden, obwohl bei Teilungen des Reiches gelegentlich zwischen zwei Reichsteilen gewählt werden konnte.449 Das ius paternum, das also Karl der Große nur als Familienoberhaupt ausgeübt hatte, nicht aber als Herrscher, nämlich den Söhnen gegenüber, nicht aber gegenüber den Großen, fasste Ludwig der Fromme möglicherweise als ein Recht gegen die Großen auf. Seine massive Umgestaltung der Herrschaftsstrukturen, nämlich des Verhältnisses der Teilreiche zum Gesamtreich und der Teilreiche untereinander, indem er Lothar zum Kaiser machte und damit die anderen Söhne und ihre Verbände herabstufte, suchte er erst nachträglich von den Großen eidlich absichern zu lassen,450 nachdem er bei der Konzeption der Ordinatio imperii die Großen nur als ausgewählte Ratgeber, nicht jedoch als Teilhaber an der Herrschaft aufgefasst hatte.451 Ein solcher Konsensbezug ist nicht mehr notwendig, wenn später Söhne vom Vater das zugesprochen bekommen, was sie sich – wohl im Verbund mit den ent-

unsere Frage, denn sie gibt das wieder, was für die Zeitgenossen nachvollziehbar, denkbar und mit anderen Vorzeichen üblich war. 449 S. das Angebot von Ludwig und Karl an Lothar (842), Nithard IV,3. 450 ARF 821. 451 Thegan, Gesta Hludowici 21 berichtet nicht von einem Konsens bei der Bestellung Lothars zum Nachfolger im Kaisertum. BOSHOF, Ludwig der Fromme 1996, 131 bezeichnet das Problem als Abkehr von der genossenschaftlichen und Wechsel zur herrschaftlichen Nachfolgeregelung.

2.7 Der Herrscher als Verbandsvertreter

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sprechenden Großen – selbst genommen hatten. Das gilt schon für Ludwig den Deutschen, der in Bayern fußgefasst hatte, und dann auch für seinen Sohn Karlmann.452 Da die Familie gegenüber dem Reichsverband offen ist, also ihre Mitglieder im Rahmen des Verbandes auch unmittelbar Funktionen haben, die eben nicht durch ein ius paternum an das Familienoberhaupt gebunden werden können, wie bei der Aufstandsgefahr der Söhne und der Vertretung ihrer Familie durch die herrscherliche Gattin, muss der Verband gegebenenfalls auch Korrekturen innerhalb der familiären Struktur vornehmen können. Aufständische Familienmitglieder werden nie vom Vater allein verurteilt, sondern immer vom Verband. Nachdem der weitgehend rekonziliierte Sohn Pippin 832 der Obhut des Vaters entflohen war, berief der Vater, Ludwig der Fromme, consiliarii ein, um zu beraten, was nun zu geschehen habe. Die Folge ist die Einberufung eines generale placitum in Orléans.453 Auch in Bezug auf die herrscherlichen Frauen gibt es ein letztes Wort des Verbandes, etwa 830 zu Judith. Von allen geistlichen und weltlichen Großen wurde beschlossen („iudicatum“), dass sie sich den Anschuldigungen zu stellen habe und gegebenenfalls sich dem „iudicium Francorum“ unterwerfe („subiret“).454 So kann man sich auch des Eindrucks kaum erwehren, dass Nithards Hinweis auf die rechtmäßigen Eheschließungen der Söhne Ludwigs des Frommen anstelle des Konsenses der Großen die Begünstigung der späteren Teilung in der Ordinatio imperii reflektierte: „Quo peracto, filios suos justo matrimonio junxit et universum imperium inter eos ita divisit [. . .].“455 Die Bemerkung über die Verheiratung der Söhne leitet nämlich den Satz über den eigentlich konsenspflichtigen Eingriff Ludwigs in die politische Struktur des Reiches ein, und zwar gerade so wie in anderen Fällen ein Hinweis auf den Konsens der Beteiligten.

452 Zu Ludwig s. HARTMANN, Ludwig der Fromme 2002, 79 ff., der in den den 30er Jahren bereits über eine eigene Basis in Bayern verfügte. Zu seinem Sohn s. etwa Ann. Bert. 862: „[. . .] concessa sibi a patre regni portione quam pridem invaserat [. . .].“ 453 Ann. Bert. 832 „Tunc igitur convocatis undique consiliariis, habitoque cum eis consilio, quid de his agendum esset, statutum est, ut suum generale placitum in Aurelianis civitate habendum denunciaretur [. . .].“ 454 Ann. Bert. 830. Tatsächlich legte Judith „conspectu domni imperatoris ac filiorum eius“ (831), aber wohl auch vor den anderen Reichstagsbesuchern, obwohl niemand Anklage erhob, einen Reinigungseid ab. – Im Falle der Eheangelegenheiten Lothars II. ist ganz offensichtlich, dass diese von denen verhandelt wurden, die auch von den Folgen einer Scheidung und Neuverheiratung betroffen gewesen wären, mit einer gewissen Dominanz der geistlichen Kräfte, unter denen aber gerade die geistlichen Großen des Mittelreiches selbst eine recht „unkanonische“ Position einnahmen. 455 Nithard I,2.

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2 societas societatum – Zur Organisation des karolingischen Staates

2.8 Die Familie als Herrscher Der karolingische Gründungsmythos, nämlich das Konzept von der Alternativlosigkeit der karolingischen Familie als fränkischer Herrscher, besteht in der Sanktion durch den Nachfolger Petri und durch die enge Bindung der Familie an Petrus selbst. Auf dieses Konzept haben sich die Großen des Reiches mehrheitlich verständigt.456 Die Stabilität des karolingischen Königtums, das ja über mehrere Krisen hinweg und weit über 100 Jahre lang nicht in Frage gestellt worden war, bis schließlich von der Familie nicht mehr viel übrig war, erklärt sich nicht allein aus der Vernunft der Großen, die bei einer teilweisen Abkehr von dieser Familie alle Sicherheit und den inneren Frieden verloren hätten, weil Bürgerkriege unvermeidlich gewesen wären. Das Konzept von der Sanktion durch Petrus, überhöht durch ein petrinisches Kaisertum, ersetzt die herrscherliche Sakralität, wie sie etwa die späteren Ottonen und die Salier umgab. Die Familie, nicht die Person des Herrschers, ist tabu. Es ist also nicht die Bindung an das karolingische Familienoberhaupt und seinen Willen, die die Dynastie erhält, sondern an die kontrollierte Herrschaft der Familie. Schon in früheren Zeiten hatte die Familie herrscherliches Handeln gemeinsam unternommen. Das ist gewissermaßen ein Charakteristikum der Karolinger, deren Aufstieg nicht denkbar gewesen wäre ohne die Verbindung zu anderen Familien durch Eheschließung, wodurch die herrscherlichen Frauen ohnehin zu consortes an der Herrschaft wurden. Mit der systematischen Kirchenpolitik der Familie, der Gründung von Klöstern, der Einbindung von kirchlicher Organisation in die neue Staatlichkeit, die mit den Karolingern entstand, schuf diese Familie den weit über ihre eigenen Mittel hinausreichenden Einfluss, der dann noch vom Königtum sanktioniert wurde. Hinzu tritt mit der karolingischen Renaissance, der Sorge um Einheitlichkeit und Latinität in Liturgie und Verwaltung, eine Verfestigung des Erreichten. Die Karolinger herrschen mit den Kirchen. Die Kirchen sind der wesentliche Wirtschaftsfaktor in diesem neuen Reich; mit ihnen werden die großen Familien wirtschaftlich und geistlich gebunden. Auf dieser Basis verschaffte die enge Verbindung der Familie mit Petrus, nicht so sehr mit seinem Nachfolger, der Herrschaft der Familie zusätzliche Sicherheit. Der Gründungsmythos des karolingischen Königtums gründet sodann in der Alternativlosigkeit der Familie, die, wenn sie einmal akzeptiert ist, den Großen erhebliche Sicherheit verschafft, weil sie nun nicht ihren Kollegen in der Erhebung eines Konkurrenten um das Königtum zuvorkommen müssen. Die Konkurrenz auf dieser Ebene ist ausgeschaltet; das umso mehr, da – zusammengefasst in der Clausula de unctione Pippini – der Kreis der möglichen fränkischen Könige auf die ehelichen Nachkommen Pippins und Bertradas beschränkt wird.457

456 Vgl. dazu. STROTHMANN, Königtum Pippins 2008. 457 STROTHMANN, Königtum Pippins 2008; vgl. dazu GROTH, regnum 2017, 228, Anm. 159.

2.8 Die Familie als Herrscher

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Zur karolingischen Familie gibt es keine Alternative, angelegt ist das in der gemeinsamen Erhebung von Vater und Söhnen zum Königtum durch Papst Stephan, etwa wenn die Annales Mettenses priores berichten, dass die Söhne Karl und Karlmann ausdrücklich zur Nachfolge erhoben wurden.458 Und tatsächlich scheint die Nachfolge Pippins durch diese beiden Söhne relativ selbstverständlich vonstatten gegangen zu sein. Ihre Erhebung konnte in den Reichsannalen ohne Hinweis auf eine erneute Zustimmung durch die Großen geschildert werden.459 Das setzt sich fort in der Erhebung der Söhne Karls des Großen zu Königen, wiederum durch einen Papst, nur dass Pippin und Ludwig konkrete Herrschaftsaufgaben erhielten. Der geringe Handlungsspielraum königlicher Söhne scheint mit dem ius paternum und einem ausgeprägten Patriarchat ausreichend erklärt zu sein. Und auch der Schutz der Söhne vor den Übergriffen der Großen auf die Herrschaft der Familie ist gewiss ein weiterer Grund dafür. Das aber sind allesamt Erklärungen, die sich mit einem „So ist das“ abfinden. Warum aber erscheint der väterliche Herrscher, insbesondere Karl der Große, als uneingeschränkter Hausherr? Liegt das an seinem „kulturell“ bzw. theoretisch bedingten Führungsanspruch oder hat das seinen Grund in einer strukturellen Voraussetzung von Herrschaft? Im Abschnitt über die herrscherliche Familie ist die Körperschaftlichkeit der Familie nachvollzogen worden. Bei genauerem Hinsehen hat nämlich auch der kurz gehaltene Sohn erheblichen Anteil an der Herrschaft der Familie, die der Vater mit starker Hand ausübt. Die Voraussetzung, das in dieser Weise zu verstehen, liegt in der Berücksichtigung eines vormodernen Verständnisses von Zeit und Individualität. Der Sohn ist nach diesem Verständnis mit dem Vater teilweise identisch. Der Vater wird niemals etwas tun, was die spätere Herrschaft des Sohnes schädigen wird, ein Verständnis von Familie, das auch heute noch ein für den Adel typisches ist. Es ist ein tief mittelalterliches Herrschaftsprinzip, niemals nur persönliche Herrschaft zu erstreben, sondern immer den Erhalt der einmal konsolidierten Herrschaft auch nach dem eigenen Tod zu erstreben. Das gilt in besonderem Maße für die Herrschaft kirchlicher Einrichtungen und die Bestimmungen über Kirchengut. Nicht weniger wichtig ist dieses Prinzip für die Herrschaft von Familien. Das Prinzip selbst ist aber nicht auf das Mittelalter beschränkt, sondern findet sich so auch in der römischen Antike, etwa in dem spätantiken Rechtssatz des „pater et filius eadem persona“.460 Nach diesem Verständnis ist festzuhalten, dass der Sohn im Handeln des Vaters inbegriffen ist und nicht als sein Untertan aufgefasst werden kann. Ein Herrscher ohne Sohn ist nach diesem Verständnis ein Interrex. Man denke nur an das verzweifelte Bemühen König Lothars II. um die Verheiratung mit der Mutter seiner Söhne.

458 Annales Mettenses priores 754: „Ordinavitque secundum morem maiorem unctione sacra Pippinum piissimum principem Francis in regem et patricium Romanorum et filios eius duos felici successione, Carolum et Carolomannum, eodem coronavit honore.“ 459 ARF 768. 460 Cod. Iust. 6,26,11. S. dazu LOBRANO, Pater et filius 1984, 30 ff.

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2 societas societatum – Zur Organisation des karolingischen Staates

Über die Rolle der Frau im Konzept von der Familie als Herrscher ist im Abschnitt über die Familie ausführlich gehandelt worden. Sie ist als Bindeglied zu ihrer Familie unter Umständen mit erheblicher Autorität ausgestattet, die sich gerade aus dieser informellen Position zwischen bedeutender adeliger Familie und Königtum ergibt. Deutlich ist das bei mehreren herrscherlichen Frauen vor dem Königtum der Karolinger, ja eigentlich bis hin zu Bertrada, die durchaus in der frühen Politik ihres Sohnes, Karls des Großen, eine Rolle spielte, vielmehr aber im Handeln seines Bruders Karlmann,461 dann natürlich mit Judith und schließlich mit Richildis, der Frau Karls des Kahlen, die den Übergang des Westfrankenreiches auf Ludwig organisierte.462 Im theologischen Konzept der Zeit wird aus der „consors“ eine „adiutrix“.463 Dieses Bild von der Königin korrespondiert mit dem komplementären Bild vom König als pater in Familie und Reich, als der von Gott mit Herrschaft ausgestattete, nur durch Konsens- und Consiliumspflicht beschränkte Herrscher in Familie und Reich. Dieses Bild aber taugt nicht mehr zur Erklärung der Funktion der Königin etwa als interregina, wie im Falle der Richildis im Jahr 877. Auf die Königin als „consors“ verweist m. E. auch der Begriff „sibi in matrimonium sociare“ für die Ehe etwa Karls des Großen mit Fastrada464 und Ludwigs des Frommen mit Irmingard, die er „cum consilio suorum“ heiratete und die vom Astronomus ausdrücklich als „futura regina“ bezeichnet wird.465 Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass Frothar von Toul in der strittigen Wahl des Erzbischofs von Sens 828/829, die nicht die Zustimmung der herrscherlichen missi gefunden hatte, nicht nur auch an die Kaiserin Judith schreibt, schließlich schreibt er in der Sache auch an Einhard, sondern den Elekten in dem Brief an Judith als „in Dei et vestro servitio habilis“ bezeichnet.466 In einer anderen Sache schreibt Frothar an Judith nicht etwa in ihrer Funktion als „adiutrix“, sondern an die „serenissima imperatrix“, was dann deutlich wird, wenn er Judith gegenüber von „missi vestri“ schreibt und sie geradezu beschwörend bittet: „Nos autem scimus, quod vestra iussio [!] et vestra voluntas fuit, ut rectitudinem et iusticiam facerent et contra ministerium sacrum nihil praesumerent.“467 Es scheint aber, als wäre die gesamte herrscherliche Kleinfamilie ein consortium in der Herrschaftsverwaltung, wobei dies in der zeitgenössischen Theorie nur für die

461 Etwa Annales Mettenses priores 770: „[. . .] et Carolomannus cum genitrice sua Bercta regina colloquium habuit in castro quod dicitur Salussa.“ 462 Ann. Bert. 876. 463 Agobard von Lyon, Libri duo pro filiis et contra Judith uxorem Ludovici Pi II, c. 2, ed. Waitz, S. 277 sieht die Königin als „adiutrix in regimine et gubernacione palacii et regni“; vgl. FRIED, Herrschaftsverband 1982, 35, Anm. 133. 464 ARF 783. 465 Astronomus, Vita Hludowici 8, der das „sociare“ unbestimmt gebraucht, nämlich einfach in der Form „sibi sociavit“. Außerdem wird direkt vor diesem Begriff die Vornehmheit ihrer Familie hervorgehoben und ihr Vater genannt. 466 Frotharii ep. Tullensis, ep. 15, MGH Epp. Carol. III, S. 286 f. 467 Frotharii ep. Tullensis, ep. 29, MGH Epp. Carol. III, S. 295 f.

2.8 Die Familie als Herrscher

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ausdrücklich vom Vater zu consortes bestellten Söhne gilt, etwa im Falle Kaiser Lothars, der in der Ordinatio imperii zum „consors“ bestellt wird und den die Reichsannalen als „imperii socius“ verstehen,468 was auch die Zusammengehörigkeit bzw. weitgehende Synonymität der beiden Begriffe „consors“ und „sociare“ bzw. „socius“ deutlich macht. Hrabanus Maurus schreibt an Kaiser Ludwig, dass es erlaubt sei, unter den Söhnen, die ja ohnehin später die Nachfolge antreten würden, einzelne vorab zu „sortes regni“ zu erwählen.469 In seiner Argumentation aber bewegt sich Hrabanus Maurus in eben dem zeitgenössischen kirchlich-theologischen Konzept, das den Herrscher nur als Person kennt, die Gott erwählt und erhöht hat, und die Frau des Herrschers nur als adiutrix auffasst. Er besteht auf ein klares ius paternum, das heißt, dass nur der Herrscher als Person, nämlich der Vater, über die Rolle der Söhne zu seinen Lebzeiten zu bestimmen hat, da ja auch Salomo erst nach dem Tod Davids zum Herrscher wurde und – hier von enormer Bedeutung – wer herrschen wird, zuerst gedient haben muss.470 Dieses Konzept, das weniger den Faktizitäten der sozialen Bedingungen im Karolingerreich folgt als den normativen Auffassungen der Bibel von der Familie und von der herrscherlichen Rolle im Alten Bund, kennt keine Körperschaftlichkeit der Familie, sondern begreift die herrscherliche Familie als dem Herrscher selbst absolut nachgeordnet und erkennt den Vater eher in der absoluten, von Gott allein abgeleiteten Herrschaft des Vaters, der Herr über Frau und Kinder ist. Ein solches Konzept stellt ja auch die römische patria potestas dar. Nur dient dieses Konzept im Wesentlichen eher der Herstellung und Sicherung einer klaren Ordnung als der wissenschaftlichen Beschreibung von Herrschaftsverhältnissen. Den angeblichen Eid von 757 leistete Tassilo auf Pippin und seine Söhne Karl und Karlmann.471 So jedenfalls wurde das eine Generation später erwartet, wie aus der Darstellung der Reichsannalen ersichtlich ist.472 Aber auch den tatsächlichen Eid von 787 leistete Tassilo „Carolo et filiis eius et genti Francorum“.473 Wenn dann im Untertaneneid von 802 das Eidesversprechen nur an Karl den Großen selbst gegeben wird, so fehlt dennoch nicht der Rekurs auf die Familie, denn Karl wird über seine

468 ARF 824. 469 Hrabanus Maurus, ep. 15 „De honore parentibus“ an Kaiser Ludwig, cap. 4, MGH Epp. Carol. III, S. 403 ff., 409, Z. 8 ff.: „Sic et ceteri reges semper post patris obitum successisse in regno partibus suis descripti sunt, licet aliqui eorum filios suos sortes regni praeelegerint.“ Als Beispiel führt er die Regelung Kaiser Konstantins an. 470 S. dazu, unter Bezug auf ein anderes Werk des Hrabanus PATZOLD, Bischöfe im karolingischen Staat 2006, 150. – Vgl. zu den biblisch begründeten Positionen des Hrabanus auch ausführlich DE JONG, Hrabanus Maurus 2000, bes. 206 f. 471 Vgl. HAMMER, From Ducatus to Regnum 2007, 130 f. mit der Annahme, dass Tassilo aus Gründen seiner nahen Verwandtschaft mit den Karolingern für die Nachfolge Pippins in Frage gekommen sein könnte und deshalb eben diesen Eid hat leisten müssen. 472 ARF 757; so auch die sogenannten Einhardsannalen 757; s. zum vermeintlichen Eid von 757 BECHER, Eid und Herrschaft 1993. 473 Annales Mettenses priores 787.

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2 societas societatum – Zur Organisation des karolingischen Staates

Familie definiert, nicht jedoch über die Familie in die Zukunft gebunden, sondern in die Vergangenheit, nämlich an seine Eltern Pippin und Bertrada.474 In der Nennung Bertradas wird das Prinzip der karolingischen Familie seit 754 zitiert, nämlich die Ausschließlichkeit der ehelichen Nachkommen Pippins und Bertradas; und zugleich wird Bertrada so zu einem Mitglied des Herrschaftskonsortiums erklärt, indem die Herrschaft Karls gleichermaßen auf Vater und Mutter zurückgeführt wird. Im Übrigen erfolgte im Jahr 806 eine Vereidigung auf die Divisio regnorum und damit auf die Nachfolge der Söhne.475 Zu einer ersten Verschiebung kam es, als nach dem Tod seiner königlichen Brüder Ludwig der Fromme als alleiniger Nachfolger dastand und nun eine gewisse Tendenz zur verstärkten Personalisierung der Herrschaft auch in der Nachfolge ermöglicht wurde. Das Konsortium der Familie wurde zugunsten eines erklärten Konsortiums von Vater und Sohn zurückgestellt. Das bestimmte eventuell das Vorbild für die Nachfolgeordnung Ludwigs des Frommen, denn mehr noch als Ludwig selbst für Karl den Großen wurde Lothar zum persönlichen consors des Vaters. Wie wenig das auf die Zustimmung der Großen aus den Teilreichen der Brüder Lothars stieß, ist bekannt. Eine weitere Verschiebung innerhalb der Familie und ihrer konsortialen Struktur bedeutete die Nachfolge Karls des Kahlen und damit der Eintritt der Familie Judiths in die Reichsgeschäfte und in die Struktur der karolingischen Familie. Damit erhielt die Nachfolgeordnung Ludwigs des Frommen den nächsten Riss. Der Idealfall einer stabilen Familienherrschaft, wie er einmal von Pippin und Bertrada geschaffen und von der Clausula de unctione Pippini theoretisch erfasst worden war, dass nämlich die herrscherlichen Nachkommen verlässlich aus der Verbindung eines Königs und einer adeligen Familie entstammten und dann zu gleichem Recht herrschen sollten, war so nicht mehr herzustellen. Die Familie war gespalten, einmal durch die faktische Bevorzugung der Großen Lothars durch sein Kaisertum und das damit verbundene consortium mit dem Vater, das die anderen Brüder auf dieser Ebene ausschloss, und dann durch den Eintritt einer weiteren Familie in die Königsherrschaft, die die Brüder als die Söhne zweier Mütter spaltete. Hinzu tritt als eine Art der Krisenbewältigung der Eid innerhalb der Familie, wie Ludwigs des Deutschen gegenüber seinem Vater Kaiser Ludwig im Jahr 832476 und der Eid Kaiser Lothars an Karl und seinen Vater sowie Karls Mutter.477 Das korrespondiert mit dem Begriffsgebrauch zur Bezeichnung der Beziehung zwischen königlichen Brüdern nach dem Tod Ludwigs des Frommen, der nämlich auch eine Verschiebung von der fraternitas zur amicitia erfährt. Seit den frühen 40er Jahren des 9. Jahrhunderts wird

474 Capitulare missorum specialia (802), MGH Cap. I, Nr. 34, S. 99–102: „Sacramentale qualiter repromitto ego, quod ab isto die in antea fidelis su, domno Karolo piissimo imperatori, filio Pippini regis et Berthanae reginae [. . .].“ 475 S. Capitulare Missorum Niumagae datum (806), cap. 2, MGH Cap. I, Nr. 46, S. 130–132, 131. 476 Ann. Bert. 832. 477 Nithard I,6 (839). Vgl. auch den Eid Pippins an seinen Vater Karl den Kahlen und seine zusätzliche Verbringung ins Kloster, Ann. Bert. 853.

2.8 Die Familie als Herrscher

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zunehmend die amicitia hervorgehoben und damit das Verhältnis der Brüder mehr und mehr zu einem willentlich hergestellten Verhältnis erklärt und weniger aus der Familie heraus begriffen.478 Eigentlich ist die Zugehörigkeit zur herrscherlichen Familie mit dem Akt von 754 klar definiert und zudem in der Clausula de unctione Pipini erklärt. Dennoch kommt es zu Ausgrenzungen, etwa im Falle Pippins des Buckligen, dessen Aufstand vermutlich bereits die Folge einer solchen Ausgrenzung war. Diejenigen Familienmitglieder, die nach der in der Clausula de unctione Pippini niedergelegten Regel von der Nachfolgefähigkeit nicht zur Nachfolge in der Lage gewesen wären, wie Bernhard von Italien, Drogo, Hugo und Theoderich, werden von Ludwig dem Frommen weitestgehend aus dem Familienverband entfernt.479 Die überlebenden Brüder wurden dann nach geklärter Herrschaftslage im Reich Ludwigs rekonziliiert und zum Teil erhoben,480 jedoch blieben sie auch als Kleriker von der Nachfolge sichtbar ausgeschlossen. Auch Karl der Kahle sah sich gezwungen, einen seiner Söhne von der Nachfolge auszuschließen, weil dessen ständige Erhebungen gegen den Vater untragbar geworden waren.481 Umgekehrt sorgte Richildis, die Witwe Karls des Kahlen dafür, dass ihr Bruder Boso geradezu in die karolingische Familie aufgenommen wurde, indem er, der bereits von Karl dem Kahlen massiv gefördert worden war und faktisch zum Vizekönig aufgestiegen war und seine eigene herrschaftliche Basis in Aquitanien hatte, außerdem eine Tochter Ludwigs II. von Italien geheiratet hatte, Taufpate seines Neffen, des Sohns der Richildis war,482 und 879 tatsächlich zum König der Provence erhoben wurde.483 Zwischen der Familie und dem Reich wurde zumindest theoretisch getrennt, wenn von der Regelung der öffentlichen und privaten Dinge die Rede ist.484 Bei den Versammlungen der Teilreichsherrscher wird deutlich, dass es solche Versammlungen gab, die die Brüder gewissermaßen privat, als Familienmitglieder, abhielten,485

478 SCHNEIDER, Brüdergemeine 1964, 135 ff. S. zum Begriff der amicitia EPP, Amicitia 1999. – S. auch JUSSEN, Verwandtschaftsforschung 2009, 311 f. 479 Sie wurden tonsuriert, also nach bewährter Sitte ins Kloster verbracht, Thegan, Gesta Hludowici 24. 480 S. zu Drogo Astronomus, Vita Hludowici 36. 481 Ann. Bert. 853 zu Pippin. 482 Ann. Bert. 877. 483 Zur Karriere Bosos s. KAISER, Boso, in: LMA II 1983, Sp. 477 f. – S. mit der offenen Frage nach den Gründen für solch eine Karriere AIRLIE, Aristocracy 1995, 449. 484 S. etwa nach der Kaiserkrönung, ARF 801: „Ordinatis deinde Romanae urbis et apostolici totiusque Italiae non tantum publicis, sed etiam ecclesiasticis et privatis rebus [. . .].“ Zum Beistand in Italien für Kaiser Lothar durch Wala und Gerung s. ARF 822: „[. . .] quorum consilio et in re familiari et in negotiis ad regni commoda pertinentibus uteretur.“ 485 Etwa Conventus apud Saponarias (862), MGH Cap. 243, MGH Cap. II,1, Nr. 243, S. 159–165.

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2 societas societatum – Zur Organisation des karolingischen Staates

und solche, die als gemeinsame Versammlungen der Teilreichsverbände anzusehen sind.486 Wenngleich gelegentlich zwischen Familien- und Reichsangelegenheiten getrennt wird, so ist doch die Familie zentraler Bestandteil des Reiches, weil sie das Reich abbildet, indem die Großen über verschiedene Wege Einfluss nehmen können auf das Handeln der Familie, und weil ihre körperschaftliche Struktur große integrative Kraft besitzt. Denn dadurch, dass die Familienmitglieder allesamt an der Familienherrschaft beteiligt sind, sind alle Beziehungen von Großen zu einzelnen gleichgeordneten Familienmitgliedern aus der Sicht der Großen zunächst grundsätzlich gleichwertig. Veränderungen der Struktur durch die Einflussnahme der Großen sind nicht vorgesehen. So eignet sich das Prinzip von der Herrschaft der Familie und ihrer obersten Vertretung durch den Vater zur geregelten Aufnahme von delegierter Herrschaft der Großen und Ausübung der Herrschaft gegenüber den Großen, ohne dass Unklarheiten, berechtigte Eifersucht oder Neid unter den Großen das System gefährden würden. Denn keiner der Großen ist in der Lage, durch besondere Einflussnahme das System zu stören und aus dem Gleichgewicht zu bringen. Erst, als die Familie selbst begann, das System zu verändern, etwa mit der außerehelichen Zeugung von Söhnen durch Karl den Großen, die nicht der von der Clausula de unctione Pippini postulierten einen Ehe entstammten und vielleicht einmal den Ehrgeiz der Großen wecken könnten, oder mit der Zentralisierung der Familie durch Ludwig den Frommen, die die Körperschaftlichkeit der Familie stark beschädigte, oder mit der Ehe Ludwigs mit Judith, die eine zweite große Familie in die Nachfolge der Karolinger einbezog, waren die Großen regelrecht aufgefordert, ihre Einflussmöglichkeiten ständig neu zu suchen und auch zu verfolgen. Damit geriet das System außer Kontrolle. Man kann wohl mit Recht von der Individualisierung der Herrschaft sprechen. Dabei treten alle herrschafts- und nachfolgefähigen Mitglieder der karolingischen Familie als Herrscher in Konkurrenz zueinander, und auch die Großen werden als einzeln Handelnde begriffen, etwa mit den Untertaneneiden. Die Veränderungen werden zudem massiv befördert durch die aus einem ganz anderen politischen Zusammenhang stammende Vorstellung von Reichseinheit und patria potestas. Es ist die kirchliche Herrschaftstheorie, die von Anfang an den Aufstieg der Karolinger begleitet hatte und sich selbst im Laufe der Zeit wandelte. Zu Beginn der karolingischen Herrschaft diente sie noch der Fiktion vom von Gott gewollten unabhängigen Herrscher, der gewissermaßen aus eigener Kraft befiehlt und ordnet. Das war eine Fiktion, die der inneren Ordnung des Reiches in hohem Maße diente, dies aber nur, weil es eben eine Fiktion war, die von allen Beteiligten akzeptiert wurde, die letztlich der Stärke der staatlichen Ordnung zu Gute kam, solange nämlich nicht der Herrscher selbst begann, an sie zu glauben. Das jedoch scheint Ludwig der Fromme getan zu haben. Er übersteigerte nun auch in der Praxis seine Herrschaft zu einem

486 Etwa Conventus apud Confluentes (860), MGH Cap. II,1, Nr, 242, S. 152–158.

2.9 Staatlichkeit im Reich der Karolinger

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davidianischen Königtum. Das konnte nicht unwidersprochen bleiben und führte zusammen mit anderen Gründen zu einer Veränderung der staatlichen Ordnung in der Weise, dass die Großen nun in aller Öffentlichkeit zu Teilhabern an der Herrschaft werden mussten. Dem trug sodann auch die kirchliche Theorie Rechnung, indem sie den Herrschaftsbegriff der Ekklesiologie anwandte. Der König wurde dem Bischof nachgestaltet. Es wurde anerkannt, dass er gewählt werden musste, auch wenn er alternativlos war, er wurde wie ein Bischof von der kirchlichen Hierarchie wie einer der Ihren erhoben und hatte sich den Großen gegenüber zu verpflichten, wie ein Bischof der Gemeinde gegenüber. Das Reich wurde so auch sichtbar zur res publica, in der der Staat als „gemeinsame Angelegenheiten“ begriffen wurde und nicht mehr als Befehlsordnung.

2.9 Staatlichkeit im Reich der Karolinger Der Staat als solcher hat mehrere Kriterien zu erfüllen, wobei die Minimalanforderung des modernen Völkerrechts zwingend nach einem Staatsvolk, einem dem Staat zugehörigen Territorium und nach Souveränität nach außen, aber im Prinzip auch nach innen verlangt. Die karolingische Herrschaftsorganisation erfüllt diese Kriterien mühelos. Keine Frage dürfte sein, dass der karolingische Staat als sein Staatsvolk die Franken versteht, ja er besteht geradezu aus ihrer Gesamtheit; im Laufe der Zeit kommen weitere Völker hinzu, die in die Herrschaftsorganisation integriert werden. Das Territorium des Reiches hat klare Grenzen und ist ohne Frage dem Staat zugeordnet. Darüberhinaus gibt es auch Grenzräume, die von der staatlichen Gewalt nicht voll durchdrungen sind. Diese aber befinden sich außerhalb des eigentlich fränkischen Territoriums. Die Grenzen des Territoriums sind in der Regel so klar, dass genau angegeben werden kann, wo die Herrschaft endet.487 Territorium und Volk der Franken und die weiteren der Herrschaftsorganisation zugehörigen Völker sind im Wesentlichen deckungsgleich. Der karolingische Staat ist nach außen ebenfalls fraglos souverän. Er kann Verträge mit fremden Mächten abschließen und einhalten und wird von fremden Völkern als für sein Territorium zuständig anerkannt, was zahlreiche Gesandtschaften bezeugen. Ein besonderes Anliegen der Kapitularien ist die Sorge um Frieden und Sicherheit. Dabei ist nicht entscheidend für die Tatsache der Staatlichkeit des Karolingerreiches, ob die Kapitularien auch in jeder Hinsicht im gesamten Reich konsequent durchgesetzt wurden. Entscheidend ist vielmehr, dass ein Mindestmaß an Frieden und Sicherheit durch die Herrschaftsordnung des Reiches gesichert wurde. Davon ist auszugehen. Die Kapitularien Karls des Großen zeigen den

487 GOETZ, Frontiers 2001, 81. S. auch STROTHMANN, Beherrschter Raum 2005.

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2 societas societatum – Zur Organisation des karolingischen Staates

unbedingten Willen des Herrschers, diese Ziele nicht aufzugeben und über die Kapitularien den Großen abzuringen, denn die Kapitularien beruhten wesentlich auf Konsens, und dann auch seinen Bevollmächtigten, den missi regis vel imperatoris, aufzutragen, die Umsetzung der Bestimmungen zu überwachen. Karl formuliert in einem Kapitular den Zusammenhang von Staat und Frieden so:488 „De pace et iustitia infra patriam, sicut saepe per alia capitula iussi adimpletum fiat.“ Er verbindet pax489 mit patria und definiert so die patria als Herrschaftsraum. Dabei wendet sich der Herrscher und mit ihm die Großen, die für die Kapitularien mitverantwortlich sind, explizit gegen die Unterdrückung der Schwachen, konkret: 490 „De oppressione pauperum liberorum hominum, ut non fiant a potentioribus per aliquod malum ingenium contra iustitiam oppressi, ita ut coacti res eorum vendant aut tradant.“ In beiden zitierten Fällen verbindet das jeweilige Kapitular „pax“ mit „iustitia“. Sehr deutlich wird die erklärte Absicht zur Friedenssicherung, wenn ein Kapitular, das hauptsächlich der Herstellung bzw. Aufrechterhaltung der Gerechtigkeit gilt, erklärt, dass „causae vel lites inter partes factae atque exortae discutiantur et congruo sibi iusdicio terminentur.“491 Erst sehr spät gibt es Berichte von inneren kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Großen, so etwa für das Westfrankenreich den Bericht für das Jahr 863 von einem Übergriff des Markgrafen Hunfried von Gothien, der ohne Wissen Karls des Kahlen mit Hilfe von aufständischen Bewohnern von Toulouse die Stadt dem Reimundus entriss,492 später den Bericht für das Jahr 868 von dem Krieg zwischen den Grafen Gerhard und Akfrid, den Karl der Kahle damit ausgelöst hatte, dass er dem Gerhard die Grafschaft Bourges (Bituricum) genommen hatte.493 Aber gerade solche Zustände veranlassten die Großen, sich an der Regierung Karls des Kahlen zu beteiligen. Und nachdem Ludwig, der Sohn und Nachfolger Karls des Kahlen gestorben war, verlangten eben die Großen danach, über „regni pace atque utilitate“ zu verhandeln.494 Ein wesentliches weiteres Merkmal von Staatlichkeit ist Kontinuität, die durch die Organisation des Übergangs in der Regierung geschaffen wird. Damit zusammen hängt die Dauerhaftigkeit der Bindung der Träger des Staates, seien es Gruppen oder Personen, an die Herrschaftsorganisation. Beides dürfte bereits deutlich geworden sein. Es war aber auch den Zeitgenossen bewusst, dass die karolingische Herrschaftsorganisation etwas darstellte, was zum Nutzen des fränkischen Reiches und des Staatsvolkes zu erhalten war. Andernfalls wäre nicht erst Boso am Ende

488 Capitulare missorum Aquisgranense primum (810), cap. 10, MGH Cap. I, Nr. 64, S. 152–154, 153. 489 Zur Bedeutung Alkuins für Karls „Friedensidee“ s. ANTON, Fürstenspiegel 1968, 101. 490 Capitulare missorum in Theodonis villa datum secundum generale (805), cap. 16, MGH Cap. I, Nr. 44, S. 122–126, 125. 491 Capitulare de iustitias faciendas (811–813), MGH Cap. I, Nr. 80, 176 f., 176. 492 Ann. Bert. 863. 493 Ann. Bert. 868. 494 Ann. Bert. 879. Vgl. grundsätzlich SCHNEIDER, Tractare de statu regni 2001.

2.9 Staatlichkeit im Reich der Karolinger

423

des 9. Jahrhunderts der erste nichtkarolingische König im Frankenreich gewesen. Der Erhalt der bestehenden Herrschaftsordnung ist ein besonderes Ziel, etwa für das Konzil von Paris (829).495

2.9.1 Einheitlichkeit, Zentrale und Kontrolle Von erheblicher Bedeutung für die Herrschaft der Karolinger und auch für die Ausbildung des fränkischen Staates der neuen karolingischen Ausprägung war die Sorge um Einheitlichkeit. Das Bemühen, einen einheitlichen politischen, wirtschaftlichen und liturgischen Raum zu schaffen, kann als eine wesentliche Absicht der sogenannten ‚Karolingischen Renaissance‘ angesehen werden, mit der die Karolinger bereits vor der Erlangung des Königtums für den Primat der Latinität sorgten. In all der geforderten und erreichten Einheitlichkeit liegt zugleich ein starker Bezug zur Zentrale.496 Das ist das unverwechselbar „karolingische“, mit dem die Karolinger das Frankenreich in Besitz nahmen. Mit der Vereinheitlichung der Liturgie, der Erneuerung kirchlicher Organisationsweise, der Festigung kirchenstaatlicher Ordnung, geht der starke Petrusbezug einher, der den Charakter der karolingischen Renaissance als Erneuerung der latinitas zeigt. Hinzu tritt die politische Vereinheitlichung, sichtbar etwa in der Aufhebung der Bischofsstaaten, etwa im Falle von Chur, und der Einführung einer reichsweiten „Grafschaftsverfassung“,497 nicht 495 Concilium Parisiense 829, cap. 91, MGH Conc. II,2, Nr. 50, S. 678: „Rogamus etiam vestram pietatem propter divinam misericordiam vestramque salutem ac totius populi utilitatem necnon et regni honorem atque stabilitatem, ut [. . .].“ Und weiter unten: „[. . .] atque totius regni profectum communiter decertent et veri vobis adiutores in omnibus concorditer existant.“ Vgl. auch Jonas von Orléans, De institutione regia, cap. 3, ed. Dubreucq, S. 190: „Super omnia uero regis iniustitia non solum praesentis imperii faciem fuscat, sed etiam filios suos et nepotes, ne post se regni hereditatem teneant, obscurat.“ 496 S. etwa Thegan, Gesta Hludowici 13: „Eodem tempore supradictus princeps misit legatos suos super omnia regna sua inquirere et investigare, si alicui aliqua iniustitia perpetrata fuisset [. . .].“ 497 SCHULZE, Grafschaftsverfassung 1973 zeigt die Flexibilität des Systems, das er „Grafschaftsverfassung“ nennt, das aber vor allem bedeutet, eine reichsweite Verwaltungsordnung zu haben, die zwar oft auf regionaler Subsistenz beruht (etwa ebenda 331, 334 f.), aber dennoch die Unabhängigkeit der Regionen des Reiches zu beschränken vermag, etwa weil diese Grafschaftsverfassung durchaus an die Stelle der Ordnung des Reiches in „duces“ treten kann (ebenda 302), womit diese Kategorie der Großen als eigentlich selbständige Herrscher innerhalb der Grenzen des Frankenreiches verschwindet, wie etwa der Fall Tassilos von Bayern zeigt. – Zur Forschungsdiskussion und auch zur Einordnung der Position Schulzes s. HECHBERGER, Adel 2005, 194–201, der als „vorläufiges“ Ergebnis die Existenz einer weitgehend flächendeckenden Grafschaftsordnung konzediert, die Grafschaften selbst aber eng mit allodialem Besitz der Grafen verbunden sieht. Im Ganzen scheint noch nicht klar zu sein, wie weitgehend das Reich in dieser Weise geordnet war, und in welcher Beziehung genau die Grafen zur Zentrale standen. Vgl. zur Forschungsdiskussion aus sprachwissenschaftlicher Sicht PUHL, Gaue und Grafschaften 1999, 4 f. – Vgl. auch die Beobachtungen von BORGOLTE, Grafschaften Alemanniens 1984, die nahelegen, dass Grafschaften im Osten des Reiches,

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2 societas societatum – Zur Organisation des karolingischen Staates

zuletzt mit der Entsendung von missi durch den Herrscher selbst. Die immer wiederkehrende Forderung der Kapitularien nach einheitlichen Maßen und Gewichten betrifft ein handelspolitisches Erfordernis, und zugleich dienen solche Maßnahmen dem inneren Frieden.498 Das gilt auch für die Finanzpolitik, nämlich für die Vereinheitlichung der Geldwährung, konkret der Denare, die überall gleich viel wert sein sollten.499 Die Kontrolle über die Denare ist deshalb so wichtig, weil es die einzigen Nominale im Frankenreich waren. Die Münzsicherheit in diesem Bereich konnte dem Warentausch im Herrschaftsraum des Reichsverbandes ausgesprochen förderlich sein und diente damit der Förderung des Frankenreiches als einheitlichem Wirtschaftsraum.500 Die Münzreform Karls des Kahlen von 864 zielt in dieselbe Richtung.501 Der politische Raum des Karolingerreiches ist auch ein öffentlicher Raum. Entscheidungen der Zentrale sind in der Regel auch für die Vertreter der Regionen transparent, ja sie wirken mit, zu Karls des Großen Zeiten weniger aktiv als etwa im Reich Karls des Kahlen. Die Herstellung von Öffentlichkeit ist ein wesentliches Merkmal des Karolingerreiches, das aus dem öffentlichen Raum ein gutes Stück

konkret in Alemannien, aller Wahrscheinlichkeit nach keine „ordentliche“ Verwaltungseinrichtung darstellen, sondern es vermutlich auch grafschaftsfreie Räume gab. – Vgl. zur politischen Funktion der Gafen, die oft mehreren pagi vorstanden, WERNER, Missus 1980, 221 ff. und ebenda 223. 498 Admonitio generalis (789), cap. 72 „Omnibus. Ut aequales mensuras et rectas et pondera iusta et aequalia omnes habeant [. . .]“, Die Admonitio generalis 2013, S. 226 f. (als cap. 74 in: MGH Cap. I, Nr. 22, S. 52–62, 60); s. a. Capitula e canonibus excerpta (813), cap. 13, MGH Cap. I, Nr. 78, S. 173–175, 174: „Ut pondera vel mensura ubique aequalia sint et iusta.“ – Vgl. Auch Capitulare ecclesiasticum Caroli Magni (805–813), ed. MORDEK/SCHMITZ, Neue Kapitularien 2000, 132, cap. 39: „Ut aequalis mensura et pondera iusta per omnia habeantur, sicut in lege preceptum est [. . .].“; Capitulare missorum item speciale (806?), cap. 44, MGH Cap. I,1, Nr. 35, S. 102–104, 104; Episcoporum ad Hludowicorum imperatorem relatio (820), cap. 7, MGH Cap. I, Nr. 178, 366–368, 367: „Ut aequales mensurae et iuste in omnibus provinciis imperii vestri sint secundum legem Domini iubentis: ‘Sit tibi aequus modius iustusque sextarius’. Quapropter diversitatem mensurarum in multis pauperes valde gravantur.“ Hier stammt die Forderung von der Geistlichkeit, wobei die ausdrückliche Forderung nach reichsweiter Einheitlichkeit und der Hinweis auf den Zusammenhang von ungerechten (heißt auch: „ungeordneten“) Maßen und Armut bemerkenswert sind. – Vgl. auch Concilium Parisiense (829), Epistola episcoporum, cap. 3, MGH Conc. II,2, Nr. 50, S. 672: „[. . .] ut in unaquaeque provintia imperii vestri iussu atque terrore celsitudinis vestrae nullus duplices mensuras in sua dominatione aut habeant aut haberi permittat [. . .].“, s. hier den Hinweis auf die Rolle der Zentrale. – Vgl. zur staatlichen Aufgabe in der Regelung von Maßen und Gewichten mit zahlreichen Belegen schon WAITZ, Verfassung IV 1885, 74 ff. Zum relativ geringen Erfolg der versuchten reichsweiten Normierung s. HÄGERMANN, Rechtliche Grundlagen 1989, 350. 499 Synodus Francofurtensis (794), cap. 5, MGH Cap. I, Nr. 28, S. 73–78, 74 „De denariis autem certissime sciatis nostrum edictum, quod in omni loco, in omni civitate et in omni empturio similiter vadant isti novi denarii et accipiantur ab omnibus.“ 500 S. zur Münzpolitik Karls des Großen COUPLAND, Charlemagne’s Coinage 2005. 501 Edictum Pistense (864), Edicum 15, MGH Cap. II,2, Nr, 273, S. 312–328, 316, mit dem bestimmt wird, dass nach einem bestimmten Tag (Sankt Martin) keine alten Denare mehr angenommen werden durften.

2.9 Staatlichkeit im Reich der Karolinger

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seiner Staatlichkeit bezieht. Auch wenn die Quellen aus der Zeit Karls des Großen mit Ausnahme der Annales Mettenses priores die Mitwirkung der Großen nicht gerne erwähnen, legen sie doch großen Wert auf die Feststellung der Öffentlichkeit von Entscheidungen und damit mindestens implizit auf den Konsens der Beteiligten bzw. Betroffenen. Hierzu gehören bereits die zahlreichen Versammlungen, die je nach Beratungsgegenstand als „generalis conventus“ oder einfach as „placitum“ bzw. „conventus“ abgehalten wurden.502 Zum Charakter der Öffentlichkeit von Versammlungen gibt es Hinweise, etwa zur „synodus publica“ von Paderborn im Jahr 777: „Ibique convenientes omnes Franci et ex omni parte Saxoniae undique Saxones convenerunt, excepto quod Widochindus rebellis extitit cum paucis aliis.“503 Aus späterer Zeit geben die Annales Bertiniani Auskunft über den Öffentlichkeitscharakter von generales conventus:504 „Imperator vero, generali conventu habito, publice cum his quaestionem habuit, quos principes ad eandem custodiam delegaverat.“ Die Herstellung von Öffentlichkeit bei der Regelung der Herrschaftsnachfolge versteht sich sodann von selbst, wie etwa beim Übergang der Herrschaft von Pippin auf Karl und Karlmann, die der Vater am Ende seines Lebens organisierte, indem er „omnes proceres suos, ducibus vel comitibus Francorum, tam episcopis quam sacerdotibus ad se venire praecepit. Ibique una cum consensu Francorum et procerum suorum seu episcoporum regnum Francorum, quod ipse tenuerat [. . .] divisit.“505 Öffentlichen Charakter haben danach auch die Nachfolgeregelungen Karls des Großen und Ludwigs des Frommen. Diejenigen, die es betrifft, stellen somit den Kreis der Öffentlichkeit, die hergestellt wird. Es ist doch etwas gänzlich Verschiedenes, ob die Entscheidungen

502 Die Reichsannalen kennen weit über 30 wohl allesamt öffentliche bzw. teilöffentliche Versammlungen, darunter 9 placita (757,761,764,765,766,786,795,811,828), 7 conventus generales (812,813,815,817,825,826,828), 12 synodae (767,770,771,772,773,775,777,780,782,785,787,788), dazu 4 einfache conventus (819,820,821 (2x)). Die sogenannten Einhardsannalen kennen bis 801 allein 14 conventus generales (761,764,765,770,771,772,775,777,779,782,788,794,799 und 800). – S. zu Reichsversammlungen und ihren Themen GROTH, regnum 2017, 381 ff. 503 ARF 777. Vgl. auch ARF 785: „Sinodum publicum tenuit ad Paderbrunnen.“; vgl. sogenannte Einhardsannalen 785: „[. . .] publicum populi sui conventum in loco, qui Padrabrunno vocatur [. . .].“ 504 Ann. Bert. 837, in der Übersetzung von Rau, Quellen zur karolingischen Reichsgeschichte 1961, S. 33: „Nun aber forderte der Kaiser öffentlich auf einer großen Reichsversammlung von denen Rechenschaft, welche er zum Schutz dieses Landes als Anführer bestellt hatte.“ Dagegen scheint mir folgende Übersetzung angemessener zu sein: „Der Kaiser aber hielt im Rahmen einer Generalversammlung mit denen eine öffentliche Anhörung ab, denen er als Principes die Bewachung derselben übertragen hatte.“ Die Rechtfertigung der Handlungsträger findet im Rahmen der Reichsversammlung öffentlich statt. Es ist aber ein Unterschied, ob der Kaiser die Anführer öffentlich beschuldigt oder aber, ob sie im Rahmen der Reichsversammlung öffentlich befragt werden. Der Begriff „principes“ (gerade auch der Plural) ist zu stark positiv besetzt, um die mit ihm Bezeichneten rein negativ darstellen zu können. 505 Zweiter Fortsetzer Fredegars, cap. 53, MGH SRM 2, S. 192.

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einsam getroffen und dann nur an die Exekutivorgane weitergegeben werden oder aber in der Regel in einem gemeinsamen Verfahren getroffen werden und dann von den Beteiligten umzusetzen sind. Es gehört zur karolingischen Staatlichkeit, weil es sich um Verbandsstaatlichkeit handelt, dass die von Entscheidungen betroffenen Kreise und die, von denen die Entscheidungen mitgetragen werden, fast deckungsgleich gewesen sein dürften. Öffentlichkeit und Konsens gehören in diesem System zusammen, wobei die Öffentlichkeit teilweise den Konsens darstellen kann. Diesen Zusammenhang veranschaulicht die Adnuntatio Karls des Kahlen im Edikt von Pîtres von 864, das im Wesentlichen der Münzreform gilt: Et quoniam illa, quae iam tertio anno hic una cum consensu et consilio fidelium nostrorum constituimus et vobis adcognitari fecimus, libenter audisse et suscepisse comperimus, quae nunc etiam ad nostram communem salutem et pacem atque honorem hic fidelium nostrorum consensu atque consilio constituimus, vobis per scriptum nota facere volumus, ut illa plenius audire et ad illud scriptum recurrendo, quod in singulis comitatibus dari et relegi atque haberi praecipimus, firmius retinere et certius observare possitis. Quae etiam ab episcopis vel eorum ministris per singulos comitatus de eorum parochiis aperto sermone, ut ab omnibus possint intelligi, tradi volumus.506

Ganz offensichtlich sind die fideles diejenigen, deren Zustimmung dieses Kapitular benötigte,507 angesprochen ist vermutlich ein weiterer Kreis, nämlich derer, die auf der Versammlung anwesend waren, darunter aber eben auch die, mit deren Zustimmung und Rat die Bestimmungen erarbeitet worden waren. Der Grad der Schriftlichkeit im Westfrankenreich ist indessen soweit fortgeschritten,508 dass die Veröffentlichung des Textes ausdrücklich auch auf schriftlichem Weg erfolgen sollte, was außerdem die Transparenz erhöht haben wird, da nämlich einem weiten Kreis die Kontrolle über die Faktizität der einzelnen Bestimmungen möglich wurde. Damit alle Betroffenen, deren Kreis hier erheblich weiter zu fassen ist, als der Kreis der an der Verfertigung und am Beschluss der Bestimmungen Beteiligten, Kenntnis von dem Edikt erhielten, war zudem die ausdrückliche Veröffentlichung durch Verlesen und über den Bericht bzw. die Predigt („sermo“) durch kirchliche Vertreter vorgesehen, sodass es von allen verstanden werden sollte.509

506 Edictum Pistense (864), MGH Cap. II,2, Nr. 273, S. 310–328, 311. 507 Vgl. zu dieser Passage mit Verweis auf den deutlichen Konsensbezug in cap. 6 NELSON, Legislation and Consensus [1983] 1986, 108. 508 Vgl. Stratmann, Hinkmar als Verwalter 1991, 2. 509 S. zur Rolle der Sonntagsheiligung für diese Form der Veröffentlichung PATZOLD, Bischöfe im karolingischen Staat 2006, 159 f.

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Das Prinzip des „quod omnes tangit [. . .]“510 gilt in einer Konsens-basierten Gesellschaft wie der karolingischen sowohl für die Zeit Karls des Großen als auch für die erheblich „offenere“ Herrschaftsordnung zur Zeit Karls des Kahlen. Diese gesteigerte Offenheit der westfränkischen Herrschaftsordnung korrespondiert mit einer vergrößerten Öffentlichkeit, was bedeutet, dass nicht nur Ergebnisse schriftlich offengelegt werden, sondern auch Prozesse, etwa in den Kapitularien, aber auch in den Annalen; zudem bedeutet das eine Vergrößerung des öffentlichen Raumes, da der Kreis derer, die Kenntnis vom politischen Geschehen erhalten, durch die größere Transparenz in der schriftlichen Niederlegung in Kapitularien und Annalen wuchs. Erhöhte Transparenz und erweiterte Öffentlichkeit sind das Merkmal der Regierung Karls des Kahlen, was aber eben daran liegt, dass dieser sein Herrschaftsmandat mit relativ geringer Handlungsvollmacht besaß, also nicht wie noch Karl der Große nur bei wesentlichen Entscheidungen um den Konsens nachzufragen hatte. Bei dem im Raum stehenden Vergleich mit einem Großunternehmen, also dem Verhältnis von Aufsichtsrat und Vorstand, wird deutlich, dass es sich nur um einen quantitativen Unterschied handelt, denn das Handeln eines Vorstands ist immer an die Zustimmung der Anteilseigner respektive des Aufsichtsrates gebunden, mit graduellen Unterschieden, die vom jeweiligen Vertrauen in das erfolgreiche Handeln des Vorstandes abhängen und – da liegt eine weitere Parallele – stark auf die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen rekurrieren. In Zeiten allgemeiner Prosperität, wie noch zur Zeit Karls des Großen, mindestens aber bis zu seiner Kaiserkrönung, können sich die Verbandsmitglieder darauf verlassen, dass das freie Handeln des Verbandsvertreters dem Verband einen besonderen Nutzen einbringen wird. Gibt es indes nichts zu verteilen, werden sie umso vorsichtiger und eifersüchtiger über die von ihnen zur Verfügung gestellten Mittel wachen. Im Bereich der Sorge um die Infrastruktur konnte es den Karolingern im Wesentlichen nur um öffentliche Bauwerke gehen.511 Hier ist zu bedenken, dass Kommunikation und Handel dieselben Wege gebrauchten und dass städtische Infrastruktur kaum eine große Rolle spielte, weil die Städte recht klein waren und darüber hinaus der Herrscher des Frankenreiches für diese Angelegenheiten keine Zuständigkeit besaß. Infrastrukturmaßnahmen beschränken sich also im Wesentlichen auf Straßen und Brücken.512 Während die Straßen vermutlich weitgehend von den Gewalten vor Ort 510 CIC Cod. Iust. V,59,5.2–3: „[. . .] ut, quod omnes similiter tangit, ab omnibus comprobetur.“ – Vgl. zum Grundsatz selbst als grundlegende Regel beider Rechte HAUCK, Quod omnes tangit 2013. 511 Hier hinein gehören auch Kirchen, für deren Erhalt aber ein Teil des Zehnten vorgesehen ist, vgl. Statuta Rhispacensia Frisingensia Salisburgensia (799/800), cap. 13, MGH Cap. I, Nr. 112, S. 226–230, 228. 512 Das zeigen auch Bestimmungen für Italien, die der Pflege von Kirchen, Brücken und Straßen gelten, Pippini Italiae Regis Capitulare (782–786), cap. 4, MGH Cap. I, Nr. 91, S. 191–193, 192; Pippini Capitulare Papiense (787), cap. 9, MGH Cap. I, Nr. 94, S. 198–200, 199 (zur Instandhaltung von Wegen, Fähren und Brücken). – Vgl. grundsätzlich zur Pflege des Straßennetzes in karolingischer Zeit (nicht nur mit italischen Quellenbelegen) SZABÓ, Verkehrspolitik 1984.

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benutzbar gehalten wurden,513 konnte das bei Brücken anders aussehen. Der Aufwand zur Instandhaltung bzw. Instandsetzung von Brücken ist erheblich und steht vermutlich oft in keinem Verhältnis zum regionalen Nutzen. Ein Interesse an dem Bestand von großen Brücken hat daher vor allem der Reichsverband. Daher sind mehrere Bestimmungen über die Instandhaltung von Brücken überliefert.514 Daneben kann auch die Sorge um die Münze als Infrastrukturmaßnahme angesehen werden.515 Am Anfang des karolingischen Staates steht der Wille zum Staat, stehen pax et iustitia, gefordert von Gott für das gemeinsame Leben von Menschen. Denn, so ist die Lehre der zeitgenössischen Theologen, um Frieden zu schaffen, bedarf es der Gerechtigkeit. Der Erhalt des Friedens ist eine zentrale Aufgabe des Herrschers, der bei der Herstellung von Gerechtigkeit den Staat entstehen lässt.516 Denn, um ein Mindestmaß an Gerechtigkeit zu schaffen, bedarf es einer das Ganze umgreifenden Macht. Diese hat die Aufgabe, das Recht zu wahren und durchzusetzen, also jedem das seinem ordo und – zu ergänzen – seinem locus entsprechende Recht zuzuerkennen.517

513 So war das jedenfalls in der römischen Antike außerhalb Italiens üblich gewesen, KÖNIG, Römerstraßen 1997, 57 und 61 zur Zuständigkeit der civitates und der Umlage auf einzelne Bürger ebenda 61. 514 Capitula per se scribenda (818/819), cap. 8, MGH Cap. I, Nr, 140, wonach vor Ort mit Hilfe der missi des Kaisers missi gewählt werden sollten, „quorum cura sit pontes per diversa loca emendare et eos qui illos emendare debent ex nostra iussione admonere [. . .]“; Capitula missorum (821), cap. 11, MGH Cap. I, Nr. 148, S. 300 f. zu den zwölf Brücken über die Seine; vgl, auch ebenda cap. 12; zum kaiserlichen Befehl zum Wiederaufbau von Brücken Capitulare Missorum Wormatiense (829), cap. 11, MGH Cap. I,2, Nr. 192, S. 16; vgl. auch Admonitio ad omnes regni ordines (823–825), cap. 22, MGH Cap. I1, Nr. 150, S. 303–307, 306. S. auch den Brief Hinkmars von Reims an Karl den Kahlen über Brückenbau bei Pîtres, 864, Flodoard III,18; sowie MGH Epistolae Karolini Aevi VI,1., ed. Perels 1939, Nr. 172, S. 165, Schroers Nr. 177. – Vgl. zur Sorge um die Brücken WAITZ, Verfassung IV 1885, 33 ff. und ADAM, Zollwesen 1996, 143–146. 515 S. etwa Capitula cum primis constituta (808), cap. 7, MGH Cap. I, Nr. 52, S. 139 f. zum Verbot der Münzprägung außerhalb des Hofes; vgl. Edictum Pistense (864), cap. 24, MGH Cap. II,2, Nr. 273, S. 310–328, 320 zur Anbindung des Goldpreises an die neuen Denare. 516 Vgl. Edictum Pistense (864), cap. 3, MGH Cap. II,2, Nr. 273, 310–328, 312: „Ut lex et iustitia unicuique in suo ordine omnibus conservetur, et pacem, quam proxime teste Deo propriis manibus communi consensu confirmavimus, quando hic placitum nostrum habuimus, sic omnes et infra patriam et quando ad placitum unusquisque venerit [. . .]“, hier steht offensichtlich die „patria“ für „Staat“ in dem Sinne eines Friedens- und Rechtsraumes. S. dazu auch die Alliteration des Jonas von Orléans, De institutione regia, ed. Dubreucq, cap. 3 (S. 192): „Ecce quantum iustitia regis saeculo ualet, intuentibus perspicue patet. Pax populorum est tutamentum patriae, immunitas plebis, munimentum gentis, cura languorum, gaudium hominum [. . .].“ – Vgl. mit Übersetzung in: ANTON, Fürstenspiegel 2006, 70 f. 517 S. Capitula Pistensia (869), cap. 3, MGH Cap. II,2, Nr. 275, S. 332–337, 333 (nach Coulaines, 843): „Ut omnes nostri fideles veraciter sint de nobis securi, quia, quantum sciero et iuste ac rationabiliter potuero, Domino adiuvante, unumquemque secundum sui ordinis dignitatem et personam honorare et salvare et honoratum ac salvatum conservare volo et unicuique eorum in suo ordine secundum sibi competentes leges, tam mundanas quam ecclesiasticas, rectam rationem et iustitiam

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Jonas von Orléans bringt die Erfahrungen des karolingischen Staates mit pax et iustitia der vergangenen 80 Jahre, zu denen gewiss auch Erfahrungen des Versäumnisses gehören, auf den Punkt, wenn er die Wahrung der Gerechtigkeit, gemeint ist damit auch ihre Durchsetzung, zur Voraussetzung für den Erhalt des Reiches erklärt.518 Bemerkenswert ist seine Argumentation, die von der Aufzählung konkreter Erfahrungen absieht und sich darauf beschränkt, die höchste Autorität zu zitieren, die Bibel nämlich, in der Jesus Sirach sagt:519 „Regnum a gente in gentem transfertur propter iniustitias et iniurias et contumelias et diversos dolos.“ Die Herrschaft also wandert nach dieser Auffassung, wenn die führende gens520 Ungerechtigkeiten und Unregelmäßigkeiten nicht verhindert. Jonas greift den Gedanken auf und erweitert seine Aussage, indem er den Begriff „regnum“ nicht mehr nur als „regnum“ einer gens auffasst, sondern als eine unbestimmte Herrschaft, die den Staat meinen kann, wenn von „stabilimentum regni“ die Rede ist und das „regnum“ zudem als etwas Statisches qualifiziert wird, das nämlich „besteht“: „Quod aequitas iudicii stabilimentum regni et iniustitia sit eius eversio. Quod per iustitiam stet regnum [. . .].“521 Dies ist nicht die Vorstellung des Jonas allein, sondern hat auf dem Konzil von Paris (829) die Qualität eines offiziellen Konzilstextes erlangt.522 In seinem „Laienspiegel“, der wohl zu Unrecht so genannt wird, weil die Übersetzung von „laicalus“ mit „Laie“ irreführend ist, ist man geneigt, im Gegensatz zum „König“ aus De Institutione Regia an eine reine Privatperson zu denken. Der Auftraggeber des „Laienspiegels“, der Graf Matfrid von Orléans, ist nun aber alles andere als eine „Privatperson“.523 Gerade nämlich an der Rechtsprechung hat der „Laie“ bei Jonas von Orléans einen erheblichen Anteil,524 weshalb es in De institutione laicali ein eigenes Kapitel: „Juste judicandum et munerum acceptionem vitandam“ gibt, worin die

conservabo et nullum fidelium nostrorum contra legem et iustitiam vel auctoritatem ac iustam rationem aut damnabo aut dehonorabo aut opprimam [. . .]“„ – Vgl. dazu DORN, Landschenkungen 1991, 249. 518 Jonas von Orléans, De institutione regia, ed. Dubreucq, cap. 6, S. 212, Überschrift: „Quod aequitas iudicii stabilimentum regni et iniustitia sit eius euersio.“ – S. die deutsche Übersetzung bei ANTON, Fürstenspiegel 2006, 89: „Die Gerechtigkeit des Urteils bedeutet Beständigkeit für das Reich, die Ungerechtigkeit seine Zerrüttung.“ 519 Vulgata, Sir. 10,8. 520 Volk oder Herrscherfamilie, das Hebräische ist hier nicht von Bedeutung, weil es von Jonas ohnehin nicht gebraucht wurde. 521 Zu den Bedeutungen von „regnum“ als ein Begriff mit ausgesprochen transpersonaler Bedeutung bei Nithard s. GOETZ, Wahrnehmung 2006, 46 f. 522 In dieser argumentativen Verdichtung im Konzilstext, Concilium Parisiense (829), cap. 58, MGH Conc. II,2, Nr. 50, S. 654 f. Vgl. De institutione regia, ed. Dubreucq, cap. 6, S. 212: „Quod per iustitiam stet regnum, Salomon in Proverbiis adstruit [. . .].“ 523 Zum Auftraggeber und zum Verhältnis von „De institutione laicali“, wohl zwischen 818 und 828 geschrieben, und „De institutione Regia“ s. ANTON, Fürstenspiegel 1968, 212 f. 524 Zur eigenständigen Gerichtsbarkeit des Adels zunächst in der merowingischen Zeit s. HECHBERGER, Adel 2005, 153.

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„scientia recte iudicandi“ als von Gott den Sterblichen übertragen verstanden wird, und daher Jonas es als eine Aufgabe vor Gott ausweist, bei der Rechtsprechung auf Affekte, wie etwa Gier, zu verzichten. Auch den „Laien“ hält er seine Überzeugung vor, dass „per iustitiam quippe stabilitur regnum, et per iniustitiam evertitur“,525 was in diesem Zusammenhang gebraucht den „Laien“ ein vitales Interesse am Bestand des regnum, mithin karolingischer Staatlichkeit, unterstellt, vermutlich zurecht, denn Jonas wird wohl die Adressaten seiner Schrift gekannt haben. Massiv gebietet Jonas unter Hinweis auf Gottes Gnade, das Recht weder für Geld noch aus Freundschaft zu beugen und schließt mit dem deutlichen Hinweis auf die Art der Sünde, die die Rechtsbeugung darstellt: „Caveat ergo ne accepta pecunia Christum vendat [. . .]“.526 Auch in „De institutione regia“ zieht Jonas die Parallele in der Achtung der Gesetze, sowohl Gottes als auch der irdischen.527 Ein wesentliches Anliegen der Kapitularien ist die Forderung nach Rechtssicherheit, vor allem derer, denen jedwede Machtmittel zu ihrem eigenen Schutz fehlten, nämlich den pauperes.528 Das zeigt die Begründung der Reichsannalen für die Abhaltung eines conventus generalis im Jahr 814 aus dem Ergebnis heraus, nämlich dass „ad iustitias faciendas et oppressiones popularium relevandas“ Gesandte in alle Teile des Reiches geschickt wurden.529 Das Problem bestand vermutlich während der gesamten Karolingerzeit, genauso wie Versuche unternommen wurden, für Rechtssicherheit zu sorgen.530 Zur Rechtsstaatlichkeit,531 die offensichtlich angestrebt wurde, gehört natürlich – kaum trennbar von Rechtssicherheit – die Loyalität der staatlichen bzw.

525 Jonas von Orléans, De Institutione Laicali II, cap. 24, MPL 106, 121–278, 121 ff. 526 Jonas von Orléans, De Institutione Laicali II, cap. 24, MPL 106, 121–278, 218–221. 527 Jonas von Orléans, De Institutione Regia, ed. Dubreucq, cap. 11. – Schon Cathwulf hatte Karl den Großen aufgefordert, zur Gerichtsbarkeit vor allem gottesfürchtige Männer einzusetzen, die die Aufgabe der „leges renovare et iniusta distruere“ erhalten sollten (Cathuulfus an Karl den Großen (775), Epistolae Variorum, MGH Epp. 4, 501–505, 504). – Zu „De institutione regia“ und seiner zeitlichen (831) und sachlichen Einordnung s. PATZOLD, Episcopus 2008, 199–202. 528 Capitulare missorum aquisgranense primum (809), MGH Cap. I, Nr. 62, S. 149–151, 150: „Ut nullus absque iusticia pauperem et inopem expoliare presumat.“ 529 ARF 814. 530 Hinkmar von Reims etwa forderte im Februar 859 von Karl dem Kahlen mehr Rechtssicherheit und beklagte ausführlich Mißstände in der Verantwortlichkeit des Königs, wobei natürlich angenommen werden darf, dass ein Teil der Klagen Toposcharakter gehabt haben wird, besonders wenn es um die Bedrückung der Armen geht, in der Sache aber sowohl die Klage als auch die Forderung nach mehr Sicherheit, auch oder gerade gegen die Sachwalter des Königs, begründet gewesen sein dürften. (Hinkmar an Karl den Kahlen, Februar 859, ed. Perels, MGH Epp. 8,1, Nr. 126, S. 62–65). 531 MITTEIS, Lehnrecht und Staatsgewalt [1933] 1958, 82 führte den „erwachenden Gedanken des Rechtsstaates“ auf die Entstehung des Lehnrechtes zurück, was aber nur dann gedacht werden kann, wenn man als Ausgangsbasis den Vorrang eines wie immer gearteten „Herrenrechtes“ annimmt. Aber die zahlreichen Hinweise auf konsensuales Herrschertum und die Mitwirkung der

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königlichen Sachwalter, vor allem derer in richterlicher Funktion. So wurde von verschiedener Seite gefordert, dass diese weder aus „amicitia“ noch für „munera“ urteilen sollten.532 Jede Rechtsbeugung musste als Verletzung staatlicher Ordnung aufgefasst werden. Aus ähnlichen Gründen ordnet später im Westfrankenreich das Kapitular von Pîtres (869) die Beziehungen zwischen den Herren und ihren vassi, indem es bestimmt, dass der König bei Übergriffen auf Untergebene (vassi) „contra rectum et iustitiam“ seinerseits einzugreifen gewillt ist.533 Und schon fast dreißig Jahre zuvor hatte Karl selbst in Meersen versprochen, dass ein jeder seiner „fideles in [suo] ordine et statu“ sicher sein könne, weil er nicht gegen Gesetz und Gerechtigkeit handeln werde.534 Das „Gerechtigkeitsgebot“ ergibt sich aus der Erkenntnis, dass die Stabilität der politischen Ordnung ein hohes Gut ist, das eben nur bei

Großen an der Herrschaft verweisen doch vielmehr darauf, dass gerade die zentrale Herrschaft aus der Mitwirkung der Großen heraus entstanden ist. Außerdem ist doch offensichtlich, dass angesichts des ausgeprägten anwendungsorientierten Vulgarrechts früherer Zeiten das Bedürfnis nach „Rechtsstaatlichkeit“ weitaus ausgeprägter gewesen sein dürfte, als es die Vorstellung von einem geltenden „Herrenrecht“ zuließe. – Auch WEHLEN, Geschichtsschreibung 1970, 69 bezeichnet den karolingischen Staat unter dem Eindruck der Ausführungen Nithards als „Rechtsstaat“. 532 Cathwulf an Karl den Großen (775), Epistolae Variorum, MGH Epp. 4, S. 501–505, 504: „Et legem scientibus, munera non accipientibus, sed recta disponentibus [. . .].“ – Capitulare missorum Aquisgranense (809), cap. 17, MGH Cap. I, Nr. 62, S. 149–151, 150: „Ut nullus praemium recipiat propter iustitiam tollendam.“ – Capitulare missorum (819), cap. 26, MGH Cap. I Nr. 141, S. 288–291, S. 291: „Ut missi nostri qui vel episcopi vel abbates vel comites sunt, quam diu prope suum beneficium fuerunt, nihil de aliorum coniecto accipiant [. . .].“ – Alkuin an König Karl, Karls des Großen Sohn (793–800), Alcuini Epistola 188, MGH Epp. 4, 315 f.: „Neque subiectos tuae potestati iudices permittas per sportulas vel praemia iudicare [. . .].“ – Capitulare missorum Wormatiense (829), cap. 4, MGH Cap. I,2, Nr. 192, S. 15: „Volumus, ut quicumque de scabinis deprehensus fuerit propter munera aut propter amicitiam vel inimicitiam iniuste iudicasse [. . .].“ – Smaragd von St. Mihiel, Via Regia cap. 28, MPL 102, Sp. 966: „Iudicibus ergo tuis praecipe, rex, ut nullum pro iustitia praemium istius saeculi requirant.“ – Ausführlich zu den Prinzipien der Richterauswahl und zu den verschiedenen Missbräuchen Episcoporum dioeceseon Rhemensis atque Rothomagensis ad Ludovicum Germaniae regem (Konzil von Qierzy, 858), cap. 14, epistolae Hincmari 1, Episcoporum dioeceseon Rhemensis atque Rothomagensis ad Ludowicum Germaniae regem (Konzil von Quierzy 858), MPL 126, Sp. 9–25, 20 f., nun cap. 12, MGH Conc. III, 408–427, 422 f. – S. LE JAN, Justice royale 1997, 52 mit einer Aufstellung der Belege aus den Kapitularien zum Verbot der Annahme von munera durch Richter. Dabei betont LE JAN ebenda 54 f., dass Geschenke im „système social traditionnel“ keinesfalls als Korruption gewertet würden, sondern zum normalen sozialen Austausch gehörten. Die Frage ist also, was an der Schnittstelle zum königlichen Gerechtigkeitsanspruch anders ist, als im normalen sozialen Verfahren. 533 Kapitular von Pîtres (869), cap. 14, MGH Conc. IV, Nr. 31, S. 360. Vgl. auch schon die Aufforderung an Grafen und Bischöfe, solche, die gegen das Gerechtigkeitsgebot verstoßen, dem König zu melden, im Edictum Pistense (864), Edictum, MGH Cap. II,2, Nr. 273, S. 312–328, 312: „Ut lex et iustitia in suo ordine omnibus conservetur [. . .].“ 534 Ann. Bert. 851.

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Erhalt und Sicherung des inneren Friedens zu erlangen ist.535 In diesem Zusammenhang ist die „Zivilgerichtsbarkeit“ in Fällen von Kapitalverbrechen ein wesentliches staatliches Instrument zum Erhalt der inneren Ordnung, weil damit ein Ausgleich zwischen gegnerischen Parteien gefunden werden kann, der in der Kompensation von entstandenem Schaden liegt und nicht mit der Sühneforderung durch die geschädigte Partei unmöglich wird.536 Auch darin findet sich ein wesentliches Element politischer Subsidiarität, weil eben der Ausgleich zwischen den Gewalten vor Ort höher bewertet wird als ein abstraktes modernstaatliches Sühneverfahren im Strafvollzug, das letztlich eher dem Prinzip der Rache entspricht, weil der Bestrafte sich nun seinerseits als Opfer begreift. Zugleich zeigt das Verfahren die Existenz einer politischen Ordnung, die auf dem Anspruch auf Sicherung von allgemeingültigem Recht basiert. Das Karolingerreich ist keine Despotie und besteht nicht aus dem Willen des Herrschers, sondern aus der Zustimmung aller Beteiligten, gewissermaßen „in suis ordinibus“. Deshalb und vielleicht auch aus religiösen Erwägungen ist die pax unmittelbar an die iustitia gebunden. Ein Reich in der Größe des Frankenreiches kann Staatlichkeit nur auf der Basis der Mitwirkung der lokalen Gewalten entwickeln. Es ist notwendigerweise subsidiar gegründet.537 Schon der Astronomus berichtet davon, dass zur Verwaltung Aquitaniens Karl der Große 778 Grafen und Äbte einsetzte bzw. beauftragte. Und zur Erklärung fügt der Astronomus hinzu: „eisque commisit curam regni“,538 nämlich die Sorge um das Reich, hier zuerst das aquitanische, mittelbar dann auch das Reich bzw. die Herrschaft der Karolinger. Jonas von Orléans liefert dazu die theoretische Grundlage, wenn er aus dem Liber Exodi 18,21–26 ableitet, dass „rex pondus regiminis sui partiri debeat“. Es ist von Teilen die Rede, nicht von der Einsetzung irgendwelcher „Beamter“. Jonas fährt sodann mit dem biblischen Zitat fort: „Provide autem de omni populo viros potentes et timenten Deum [. . .] qui iudicent populum omni tempore“.539 Es müssen sowohl aus Sicht und Erfahrung der karolingischen Gesellschaft wie des Alten Bundes Leute bestellt werden, die ihrerseits wirtschaftlich unabhängig sind,540 ja sogar selbst mächtig sind. Die Basis ihres Urteils ist

535 Jonas von Orléans, De institutione regia, ed. Dubreucq 1995, cap. 3, S. 192 mit dem Zitat Pseudo-Cyprians zur „iustitia regis“: „Pax populorum est tutamentum patriae, immunitas plebis, munimentum gentis [. . .].“ – Vgl. die Übersetzung bei ANTON, Fürstenspiegel 2006, 71. 536 LE JAN, Justice royale 1997, 64 ff. 537 So auch INNES, State and society 2000, 254. 538 Astronomus, Vita Hludowici 3. 539 Jonas von Orléans, De institutione regia, ed. Dubreucq 1995, cap. 5, S. 206. Der Satz kehrt wieder in den Akten des Konzils von Paris (829), cap. 57, MGH Conc. II,2, Nr. 50, S. 653. 540 Das gilt auch für die Klosterreform Ludwigs des Frommen nach den Ausführungen des Astronomus, Vita Hludowici, cap. 28 (S. 378): „Volens etiam unamquamque ecclesiam habere proprios sumptus [. . .]“, wenngleich die Forderung nach ausreichender wirtschaftlicher Grundlage von Kirchgründungen nicht notwendigerweise mit politischer Ordnung zu tun haben muss. Das gilt natürlich auch von den missi, die aber auf ihren Reisen von den lokalen Gewalten zu versorgen sind,

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also nur zu einem Teil eine von der Zentrale geliehene.541 Dabei gibt es eine enge Verbindung von Herrschaft und Ort, wie etwa eine Bestimmung zur Absetzung und Neubestellung von scabini durch missi aus dem Jahr 829 nahelegt, nach der die Neubestellung „totius populi consensu“ stattzufinden habe.542 Der Gehorsam von Grafen und iudices gegenüber dem zuständigen Bischof und die gegenseitige Achtung von Rechtsentscheiden ist ein wesentliches Fundament der politischen Ordnung des Frankenreiches.543 Die örtlichen Gewalten müssen zusammenarbeiten, damit Ordnung überhaupt möglich ist. Bemerkenswerterweise vertraut offensichtlich jedenfalls Karl der Große am meisten auf die Bischöfe, denen wohl im Zweifelsfall das höhere Gewicht beigemessen wird. Eine solche Forderung inklusive der Hierarchisierung der örtlichen Gewalten hat zur Folge, dass die Zentrale nur in Ausnahmefällen eingreifen muss. Über die missi des Kaisers wird die Zusammenarbeit von Regionen und Zentrale nicht nur überwacht, sondern auch mitgestaltet. Etwa bei der Auswahl von „nostri homines“ des Kaisers zur Ausbesserung von Brücken und zur Überwachung der Arbeiten sind Bischof und Graf aufgefordert, mit dem kaiserlichen missus zusammenzuarbeiten.544 Im Reich Karls des Kahlen wird die Gestaltung des Zusammenwirkens von Zentrale und Region besonders transparent, etwa in der Münzreform des Kapitulars von Pîtres (864), in der festgelegt wird, dass zwar nur mehr wenige Münzprägestätten bestehen sollten, diesen aber das Revers der Münze zustehen sollte. Auf der Rückseite sollte der Name der Münzstätte als Umschrift erscheinen und in der Mitte das Kreuz als Zeichen für christiana religio.545 Damit knüpft Karl der Kahle an Karl den Großen an, nachdem sein Vater Ludwig der Fromme auch das Revers

übrigens ihrer sozialen Stellung entsprechend. Am meisten ist für die Bischöfe vorgesehen, darauf folgen die Äbte und Grafen, schließlich einfache „vasalli“, Capitulare missorum (818/819), MGH Cap. I, Nr. 141, S. 288–291, 291. 541 Hierhin gehört vermutlich auch die Bestimmung aus dem Edikt von Pîtres (864), Edictum, cap. 6, MGH Cap. II,2, Nr. 273, S. 312–328, 313, Z. 33–35: „[. . .] ut comes missum suum ad illam terram, in qua domos habuit, mittat et eum bannire et mannire iubeat.“ 542 „Ut missi nostri, ubicumque malos scabinos inveniunt, eicant et totius populi consensu in locum eorum bonos eligant [. . .].“ Capitulare missorum Wormatiense (829), cap. 2, MGH Cap. I,2, Nr. 192, S. 14 ff., 15. 543 S. an dieser Stelle dazu Capitula e canonibus excerpta (813), cap. 10, MGH Cap. I, Nr. 78, S. 173–175, 174; sowie die vielleicht etwas ältere Karl dem Großen zugeschriebene Bestimmung: „Scire debent missi dominici, qualiter episcopus atque comes inter se habent conversationem et quomodo sunt consentientes legem atque iustitiam vel pacem [. . .].“, Capitula Francica cap. 5, Capitula singillatim tradita Karolo Magno adscripta, MGH Cap. I, Nr. 104, S. 214. 544 „Volumus ut missi nostri per singulas civitates una cum episcopo et comite missos vel nostros homines ibidem commanentes eligant, quorum curae sit pontes per diversa loca emendare et nos qui illos emendare debent ex nostra iussione admonere [. . .].“, Capitula per se scribenda (818/819), cap. 8, MGH Cap. I, Nr. 140, S. 285–289, 288. 545 Edictum Pistense (864), Edictum, cap. 11, MGH Cap. II,2, Nr. 273, S. 312–328, 315: „Ut in denariis novae nostrae monetae ex una parte nomen nostrum habeatur in gyro et in medio nostri

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weitgehend für seine ikonographischen Vorstellungen beansprucht hatte. Zugleich aber zeigt Karl der Kahle damit, dass er bereit war, den Staat als einen Verband von König und regionalen Gewalten anzuerkennen. Die Ikonographie der Münzen wurde auch angenommen, nicht durchgesetzt werden konnte jedoch der Ausschluss vieler bis dahin selbstverständlich prägender Münzstätten. Es sind weit mehr Prägeorte für diesen Münztyp überliefert als von Karl dem Kahlen bzw. der Versammlung von Pîtres vorgesehen.546 Es ist aber bemerkenswert – wenn auch bei dem erheblich höheren Feingehalt547 der neuen Münzen nicht verwunderlich –, dass es gelang, die alten Prägungen aus dem Verkehr zu ziehen.548 „Öffentlichkeit“ in der Vormoderne ist gelegentlich als Anachronismus abgelehnt worden. Der Grund dafür ist merkwürdigerweise die in der Moderne im Deutschen mitgedachte Nähe zu Staat und Staatlichkeit.549 Man denkt offensichtlich an die Rechtskategorien „öffentlich“ und „privat“.550 Nun ist es ja keine Frage, dass die strikte Trennung des Privatrechts vom Öffentlichen Recht eine moderne Schematisierung darstellt, die darauf beruht, dass im Gegensatz zum Privaten der Staat einen institutionalisierten öffentlichen Raum umfasst.551 Wir kennen jedoch auch den Begriff der Öffentlichkeit, der ohne staatliche Vermittlung auskommt. Und diese Öffentlichkeit hat es zu allen Zeiten gegeben, selbst zu den Zeiten der absolutistisch verwalteten Arcana, wie zahlreiche in dieser Zeit umlaufende Zeitungen (Relationen) deutlich zeigen. Einer politischen Öffentlichkeit in diesem Sinn folgt oft eine indirekte politische Teilhabe der Öffentlichkeit, weil auf die solchermaßen öffentlich gemachte Meinung Rücksicht genommen wird. Autoritäre Systeme können

nominis monogramma, ex altera vero parte nomen civitatis et in medio crux habeatur.“ S. dazu LAPîtres 1981. – Die Prägeorte erschienen schon vor 864 verhältnismäßg häufig wieder auf dem Revers der Münzen, BLACKBURN, Money and Coinage 1995, 552. 546 GRIERSON/BLACKBURN, Medieval European Coinage I [1986] 1991, 232 f. 547 BLACKBURN, Money and Coinage 1995, 553. 548 NELSON, Kingship 1995, 397. 549 Zur Überlagerung beider Begriffe von Öffentlichkeit als deutsches Problem s. VON MOOS, Das Öffentliche und das Private 1998, 9. 550 Wie auch Brigitte Kasten, die sodann nachweist, dass fränkische Herrschertestamente tatsächlich „privaten“ Charakter hatten. Warum stellt sie diese Frage? Ihre Antwort jedenfalls ist bemerkenswert: Es gab eine öffentlich-rechtliche Sphäre im Karolingerreich, weil sonst die Testamente nicht diesen privat(-rechtlichen) Charakter hätten. 551 Nicht zu übersehen ist dabei, dass schon im römischen Recht zwischen ius publicum und ius privatum sinnvoll unterschieden wird und auch das kanonische Recht des Mittelalters eine solche Unterscheidung kennt, die sich im Wesentlichen auf den Charakter des kanonischen Rechts als promulgiertes Recht bezieht, LANDAU, Anfänge der Unterscheidung 1998. Der Sache nach muss Kirchenrecht im Ansatz auch Öffentliches Recht in der Bedeutung des Rechtes (pseudo-)staatlicher Institutionen kennen, um die Transpersonalität kirchlicher Einrichtungen zu erhalten. Auseinandersetzungen zwischen Privatpersonen und kirchlichen Einrichtungen können nicht konsequent dem Privatrecht folgen. FAURIE,

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Öffentlichkeit kontrollieren, manchmal auch verhindern. Oft tun sie beides in verschiedenen öffentlichen Räumen. Eine Definition von „Öffentlichkeit“, die keine Institutionalisierung vorwegnimmt bzw. impliziert, gibt Lexer im Grimmschen Wörterbuch unter dem Lemma „öffentlich“:552 Diese Definition wird der Notwendigkeit gerecht, dass die Dichotomie von öffentlich und privat niemals absoluten Charakter hat. Ein und dasselbe Thema der Kommunikation kann privat sein, weil mögliche Teilnehmer ausgeschlossen sind, und zugleich für einen engeren Kreis öffentlich. In seiner umfassenden Einführung in die Frage nach öffentlich und privat in der Vormoderne versteht es Von Moos, den Sachverhalt auf einen solchen unbefrachteten Begriff zurückzuführen, um dann von ihm ausgehend zu zeigen, dass auch in der Verbindung zur politischen Herrschaft Öffentlichkeit immer eine Rolle gespielt hat und auch ein Komplementär von Staatlichkeit darstellen kann.553 Herrschaft ohne Öffentlichkeit funktioniert nur in einer modernen gewaltbasierten totalitären Ordnung. Eine solche Ordnung war das Karolingerreich nicht, auch nicht zur Zeit Karls des Großen. Die Erweiterung von Öffentlichkeit in jeder Hinsicht charakterisiert das Reich Karls des Kahlen, der mit diesem Mittel überhaupt erst in der Lage war, das Westfrankenreich als eigenes Reich regierbar zu machen. Von Moos zeigt uns einen vormodernen Öffentlichkeitsbegriff, der unbefrachtet von der modernen Implikation vom Vorhandensein eines modernen Staates das Zusammenspiel der Kräfte vormoderner politischer Ordnungen erst möglich machte. In diesem Zusammenhang verweist Von Moos darauf, dass in der begrifflichen Korrespondenz von Öffentlichkeit und Staat auch ein vormoderner Staatsbegriff möglich ist, eben ohne die modernen anstaltlichen, mithin öffentlich-rechtlichen Implikationen.554 Eine umfassende Untersuchung des Begriffes „res publica“ und seines Bedeutungsspektrums wäre durchaus wünschenswert, ist aber für die vorliegenden Untersuchungen nicht notwendig.555 Hier soll es zunächst nur um den unbefrachteten

552 Deutsches Wörterbuch 7 (1889), bearb. v. Matthias von Lexer, Sp. 1180 zur Bedeutung von öffentlich im Gegensatz zu geheim: „nicht geheim, sondern vor aller Augen seiend und geschehend, so dasz es jedermann sehen, hören (lesen) und wissen kann“, Sp. 1181 zu öffentlich im Gegensatz zu privat: „nicht für einzelne, sondern für viele oder für das ganze publikum bestimmt, darauf bezüglich, von ihm ausgehend oder ihm eigen“, mit dem Beispiel des öffentlichen Gottesdienstes. 553 VON MOOS, Das Öffentliche und das Private 1998, 20 ff. 554 Vgl. hierzu auch STAUBACH, Quasi semper in publico 1998, 603 f.: „Die von Hinkmar [von Reims] durch Bilder und Metaphern eindringlich erläuterte ‚Öffentlichkeit des Herrschers‘ lässt sich daher nicht auf den fiktiv-abstrakten Bedeutungsgehalt politischer Transpersonalität reduzieren, der ihr nach neuzeitlicher Staatstheorie zukommt, sondern umfasst ebenso den Bereich symbolischer Kommunikation [. . .] sie ist sozial integrativ [. . .]“. 555 S. oben, Einleitung, 5.8.

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Öffentlichkeitsbegriff gehen, wie ihn das Grimmsche Wörterbuch mitteilt. Eigentlich folgt er in der karolingischen politischen Ordnung dem Grundsatz, dass das, was einen bestimmten Kreis betrifft, auch von diesem mitgetragen werden muss. Allein aus dieser Notwendigkeit des Konsenses der betroffenen Kräfte heraus wird im Karolingerreich immer wieder Öffentlichkeit hergestellt. Das beginnt mit den Reichsversammlungen und der engeren Öffentlichkeit der placita.556 In diesem Zusammenhang kann auch der Begriff „publicum“ erscheinen.557 Auch die Veröffentlichung der „Öffentlichkeit“ durch die Reichsannalen bedeutet ihrerseits Öffentlichkeit. Eine Form von Öffentlichkeit stellt auch die Einberufung der Großen zu besonderen Angelegenheiten dar, etwa beim Ableben König Pippins. Die Nachfolgeregelung folgte eben nicht einem gewissermaßen privaten „ius paternum“. Der väterliche Wille bedurfte der Zustimmung der Betroffenen. Um diese einzuholen wurde Öffentlichkeit hergestellt, und dies nicht etwa nach dem Tod des Vaters, was die Großen vor vollendete Tatsachen gestellt hätte, wenn es denn ein bindendes ius paternum in dieser Frage gegeben haben sollte.558 Über die Divisio regnorum Karls des Großen ist an anderer Stelle ausführlich gehandelt worden, auch dort wird Öffentlichkeit hergestellt, wiederum eine Öffentlichkeit unter denen, die es anging. So verfuhr auch Ludwig der Fromme,559 nur dass zu vermuten ist, dass bei ihm die Diskrepanz zwischen hergestellter Öffentlichkeit und tatsächlicher Mitwirkung der Großen an den Entscheidungen allzu spürbar war.560 Bei der Teilung zwischen Lothar und Karl im Jahr 839 erklärte Lothar nach seiner Wahl des Reichsteils östlich der Maas „coram cuncto populo“; dass es sein Wille sei, dass Karl seinen Teil,

556 Zahlreiche Belege zu „placitum“ sowie zu „conventus generalis in den ARF; vgl. dort auch „synodum“, s. „Der Staat als Verband“, 2.9.1. 557 ARF 785 („sinodus“); sogenannte Einhardsannalen 785 („conventus“). Vgl. Auch ARF 777: „Tunc domnus Carolus rex synodum publicum habuit ad Paderbrunnen prima vice. Ibique convenientes omnes Franci, et ex omni parte Saxoniae undique Saxones convenerunt [. . .].“ 558 In dem Bericht der zweiten Fortsetzung der Chronik Fredegars heißt es, dass Pippin im Wissen um den Tod „omnes proceres suos, ducibus vel comitibus Francorum, tam episcopis quam sacerdotibus ad se venire praecepit. Ibique una cum consensu Francorum et procerum suorum seu et episcoporum regnum Francorum [. . .] divisit.“ Zweite Fredegarfortsetzung ad a. 768, cap. 53, MGH SRM II, S. 192. 559 S. hier den Abschnitt über Konsens neben den folgenden Belegen: Astronomus, Vita Hludowici 32 (819) zur öffentlichen Versammlung, auf der er seine missi empfing; Ann. Bert. 832 zur Flucht Pippins; Ann. Bert. 837 zur Klärung der Geschehnisse um einen Normanneneinfall: „Imperator vero, generali conventu habito, publice cum his quaestionem habuit, quos principes ad eandem custodiam delegaverat.“ 560 S. etwa die öffentliche Vorstellung der längst vorgenommenen Reichsteilung nach Astronomus, Vita Hludowici 34 (821): „In eodem anno kalendis mai conventum imperator alterum Nouiomagi habuit, in quo partitionem regni quam inter filios suos iamdudum fecerat, coram recitari fecit et a cunctis proceribus qui tunc affuere confirmari.“

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nämlich den westlichen, erhalte.561 Neben der Öffentlichkeit im Beschlussverfahren – oder, wie im Fall der Reichsteilung Ludwigs des Frommen, danach, gilt es zur Umsetzung von Beschlüssen gelegentlich, eine größere Öffentlichkeit herzustellen, in die nun auch Bevölkerungskreise eingebunden sind, die an den Entscheidungen selbst auch nicht mittelbar beteiligt sind. Dass das versucht wurde, zeigt das Kapitular von Pîtres von 864, das mehrere probate Wege der Bekanntmachung darlegt: [. . .] vobis per scriptum nota facere volumus, ut illa plenius audire et ad illud scriptum recurrendo, quod in singulis comitatibus dari et relegi atque haberi praecipimus, firmius retinere et certius observare possitis. Quae etiam ab episcopis vel eorum ministris per singulos comitatus de eorum parochiis aperto sermone, ut ab omnibus possint intellegi, tradi volumus.562

Sowohl die öffentliche Verlesung als auch die Verkündigung von der Kanzel wird eingesetzt, um die Münzreform Karls des Kahlen bekannt zu machen. Zur Umsetzung dieser Reform ist es notwendig, dass alle diejenigen, die Silbermünzen nutzen, wissen, dass die alten Münzen ihre Gültigkeit verlieren werden. Sie verlieren aber nur dann wirklich ihre Gültigkeit, wenn eben diese Zielgruppe auch wirklich auf den Gebrauch der alten Münzen verzichtet. Unabhängig vom Erfolg der Maßgabe, auf den Gebrauch alter Münzen in Zukunft zu verzichten, zeigt die Bestimmung zur Öffentlichkeit ein Prinzip vormoderner Staatlichkeit, nämlich der politischen Organisation großer Räume und ihrer Bewohner.

2.9.2 Zwei Staaten – Erhalt der Kirchenstaatlichkeit im Reich Karls des Kahlen Die Kirchenorganisation vor allem des Westfrankenreiches ging nicht in der weltlichpolitischen Organisation des Reiches auf, auch wenn zu karolingischer Zeit von herrscherlicher Seite immer wieder versucht wurde, die politische Organisation der Kirchen für die weltliche politische Ordnung nutzbar zu machen.563 Es blieb aber langfristig

561 Astronomus, Vita Hludowici 60. – S. zur Wahl des Reichsteils BOSHOF, Ludwig der Fromme 1996, 241. 562 Edictum Pistense (864), Adnuntatio domni Karoli apud Pistas, cap. 3, MGH Cap. II,2, Nr. 273, S. 311. 563 So konnte PRINZ, Episkopat 1981, 128 von einer karolingischen „Befehlsstruktur innerhalb der Kirchenorganisation“ sprechen. Schon die Synode von Ver (755) versuchte unter königlichem Vorsitz die kirchliche Organisation zu ordnen und der weltlichen Ordnung des Reiches nutzbar zu machen. Etwa in der Bestimmung zur Beachtung der Metropolitanverfassung, die dem Metropoliten durchaus eine gewisse Befehlsgewalt zuspricht, wenn bestimmt wird, dass die Bischöfe an ihrer Stelle einen bestellen sollen, der etwa Synoden einberufen kann (Concilium Vernense 755, cap. 4, MGH Cap. I, Nr. 14; vgl. dazu HARTMANN, Synoden 1989, 69). Die von Pippin angestrebte Befehlsstruktur wird wohl deutlich, dennoch gehört zu ihr die Stärkung der Kirchenorganisation selbst. Und das ist das Substantiellere an den Kirchenreformen der Karolinger. S. zur Nutzung der kirchlichen Organisation durch Karl den Großen und zu seinem Versuch, diese in die eigene

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dabei, dass die Kirchen eine gewisse Autonomie behielten und sich gegenüber Eingriffen in dieselbe ablehnend verhielten. Trotz der Nähe Ludwigs des Frommen zur politischen Organisation der Kirchen verhalten sich diese am Vorabend seiner ersten Niederlage auf dem Konzil von Paris durchaus reserviert. So wehren sich die Konzilsväter gegen eine Verquickung von Kirche und Welt auf unteren Ebenen der beiden Hierarchien,564 was eine Erneuerung uralter kirchlicher Grundsätze bedeutet. Außerdem beklagen die Konzilsväter den schlechten Zustand des Reiches,565 was nur heißen kann, der staatlichen Ordnung. Während sich die Bischöfe hier gemeinsam mit den Principes in der Verantwortung sehen, begegnen sie an anderer Stelle den Kaisern Ludwig und Lothar mit bemerkenswerter Distanz. Sie bezeichnen sich zwar als „famuli vestri“ (Z. 14), sprechen aber in einer Weise von den Kaisern und ihren Großen, die nahe legt, dass die Bischöfe sich hier ganz bewusst gegenüber der weltlichen Ordnung abgrenzen, vermutlich zum Schutz der Kirchenstaatlichkeit vor dem Sog politischer Unruhen.566 Dahinein gehört auch die Kritik am kaiserlichen Vorgehen bei der Besetzung von Kathedren, wobei der Kaiser zu größerer Umsicht ermahnt wird,567 und allgemein die Klage über Eingriffe von königlichen Amtsträgern in Angelegenheiten der Kirchen.568 Die Kirchen legen zunehmend Wert auch auf ihre äußere Autonomie. Dazu gehört die Betonung der Parallelität von Kirchen und Reich, wozu das Gelasiuszitat herangezogen wird.569 Dabei sind die beiden „personae“ nicht Kaiser und Papst, sondern die beiden Staaten, denn, wenngleich das Reich gelegentlich als regnum oder imperium eines Königs bzw. Kaisers dargestellt wird, so gilt diese

Herrschaftsordnung hineinzuziehen, die Admonitio generalis (789, MGH Cap. I, Nr. 22) mit den Adressen der Bischöfe, Priester und Laien sowie „omnibus“. Die Kapitulariensammlung des Ansegis (capitularium I,8, MGH Cap. I, S. 398) mahnt die hierarchische Ordnung der Metropolitanverbände erneut an, mit dem Gebot an die Bischöfe, keine Neuerungen ohne das Wissen der Metropoliten zu unternehmen. 564 Concilium Parisiense (829), cap. 28, MGH Conc. II, 2, Nr. 50, S. 630 f.: „Ut presbiteri nullo modo fiant vilici et conductores agrorum vel negotiorum secularium sectatores atque per diversa vagantes; quod et de monachis similiter convenit observare.“ 565 Concilium Parisiense (829), Epistola episcoporum cap. 26, MGH Conc. II, 2, Nr. 50, S. 679 f.: „[. . .] quia novimus statum huius regni sub tali conditione et tenore crevisse atque dilatatum esse et a prudentissimis sanctisque praedecessoribus nostris, sive scilicet ab episcopis sive a principibus, hanc causam ex toto correctam non fuisse [. . .].“ S. auch HARTMANN, Synoden 1989, 186. 566 Concilium Parisiense (829), Epistola episcoporum, praefatio, MGH Conc. II, 2, Nr. 50, S. 667 f.: „cum consensu fidelium vestrorum“, (Z. 31 f.), „libuit serenitati vestrae cum quibusdam fidelibus vestris praeterita hieme placitum habere“ (Z. 34 f.). 567 ebenda S. 677. 568 Concilium Parisiense (829), Epistola episcoporum, cap. 10, MGH Conc. II,2, Nr. 50, S. 674. Dazu gehört auch die Klage über die Indienstnahme von Priestern durch die königliche Verwaltung, ebenda, cap. 4. 569 So etwa in der Vorrede zum Concilium Aquisgranense (836), MGH Conc. II,2, Nr. 56, S. 704 ff.: „[. . .] in duabus consistere personis, pontificali videlicet atque imperiali [. . .].“

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Personifizierung zunächst für die Kirchen noch nicht, solange nämlich das Papsttum für die Kirchen des Frankenreiches keine besondere institutionelle Funktion hat, sondern im Wesentlichen auf seine geistliche Stellung als Inhaber der Rechte Petri beschränkt ist. Bemerkenswert ist ein Brief von Wenilo von Sens und des Grafen Gerardus von Vienne an Amalus von Lyon und einen Grafen Gerardus (843–845), in dem auch erklärt wird, wie es zur Trennung der Gewalten gekommen sei. Nachdem nämlich Christus, der allein die Kirche regieren konnte, sich in den Himmel zurückgezogen hatte, „semper cum suis futurus divinitate potestatem suam ad eandem gubernandam ecclesiam in sacerdotes divisit et reges, ut, quod sancti docerent pontifices, et ipsi implerent et impleri facerent devotissimi reges.“570 Hier wird klar, geteilt wird nicht in kirchlich und weltlich, sondern in kirchlich-geistlich und kirchlich-herrschaftlich. Dieses umfassende Konzept von der Kirche Christi verlangt nach zwei personae, die sich die Verwaltung der christianitas aufteilen. Dabei werden, wie hier deutlich wird, nicht zwei natürliche Personen unter den zwei „personae“ verstanden, sondern zwei Funktionsidentitäten, deren Aufgaben von zwei verschiedenen Institutionen wahrgenommen werden, deren Vertreter Priester und Könige sind. Nicht umsonst schreiben das zwei Vertreter der duae personae an zwei weitere Vertreter derselben. In dieser Auffassung von Regierung der Kirche liegt der Gedanke der Transpersonalität, der beide Institutionen als überpersönlich begreift. Die Abwehr möglicher Übergriffe aus dem Bereich des regnum auf die Kirchenstaatlichkeit zeigt sich auch in dem Schreiben der westfränkischen Bischöfe an Ludwig den Deutschen von 858, mit dem die meisten westfränkischen Kirchen auf den Wunsch Ludwigs antworten, ihm die Legitimation zur Übernahme des Westfrankenreiches zu geben. Sehr eindringlich wird der zentrale biblische Satz zur Trennung der Ordnungen ausgeführt: “[. . .] reddere, quae sunt caesaris, caesari, et quae sunt dei, deo [. . .]“.571 Nur wird hier das Trennungsgebot etwas anders verstanden als in dem etwas älteren Brief von Wenilo und Gerardus. Ludwig der Fromme wird in die Rolle des heidnischen Kaisers gestellt, was aber nur in der Gegenüberstellung beider Briefe so deutlich zu verstehen wäre. So bleibt aber festzuhalten, dass im Brief an Ludwig nicht von der vertrauensvollen gemeinsamen Arbeit für Christus die Rede ist, sondern von der sicheren Trennung der Sphären. Es ist durchaus ein Charakteristikum des Westfrankenreiches, dass die Kirchen zu einer konsolidierten Staatlichkeit finden, was sich in der verstärkten Rezeption der Regeln der Alten Kirche niederschlägt,572 ja bei Pseudoisidor, der (wenn auch

570 Lupi abbatis ferrariensis epistolae 81, MGH Epp. 6 (Epp. Kar. IV), S. 72–74, 73. 571 (Vulgata, Matth. 22,21). – Episcoporum dioeceseon Rhemensis atque Rothomagensis ad Ludowicum Germaniae regem (Konzil von Quierzy 858), cap. 12, MGH Conc. III, 408–427, 420, Z. 19. 572 Hier sei nur an die Bestimmungen zur Konfliktregelung unter Bischöfen und zur Rolle des Metropoliten erinnert, wie sie Hinkmar von Reims dem Codex canonum ecclesiae Africae, cap. 120 entnahm, Hinkmar, Collectio [1], S. 70.

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nicht exklusiv) dem Kommunikationsraum des Westfrankenreiches zuzurechnen ist, sogar zur phantasievollen Extrapolation dieser Regeln führt. Der Kirchenbegriff, der die Kirche auf die Bischofskirchen reduziert, also nicht mehr grundsätzlich von „duo quippe sunt“ spricht, wird verstärkt in die Debatte eingeführt, sowohl von Pseudoisidor,573 wo es ohnehin zu erwarten wäre, als auch von Hinkmar von Reims, hier aber in dem Brief der Bischöfe an Ludwig den Deutschen, der ja eine ganz eigene Zielrichtung hat.574 Es ist dieser Brief, in dem auch daran erinnert wird, dass die Klöster und weitere kirchliche Einrichtungen dem jeweiligen Bischof zu unterstehen haben.575 Das Bedürfnis der Kirchen nach Integrität ihrer Staatlichkeit zeigt sich in besonderem Maße in der Kapitulariensammlung des Benedictus Levita.576 Im Reich Karls des Kahlen wird die Rolle des Königs in der Kirchenstaatlichkeit stark reduziert. Seine Aufgabe besteht im Wesentlichen darin, den politischen Rahmen für das Funktionieren der kirchlichen Ordnung zu geben.577 Der König wird aus der kirchlichen Organisation selbst herausgehalten,578 was sich ja auch an den Ereignissen um die Aufsässigkeiten Hinkmars von Laon gegenüber dem König zeigt, die Hinkmar von Reims wohl nicht billigt, dem König aber das Recht abspricht, den Neffen festzunehmen. Hinkmar von Reims legt in dem Brief der Bischöfe der Kirchenprovinzen Reims und Rouen an Ludwig den Deutschen ebenfalls dar, dass die Bischöfe nicht zur weltlichen Hierarchie gehören, dass die Kirchengüter mitnichten königliches Eigentum und kirchliche Benefizien seien, sondern Gottesgut, und dass die Bischöfe dem Herrn geweiht sind und somit auch nicht in irgendeiner Weise in den

573 Pseudoisidor, Epistola Clementis prima ad Iacobum fratrem domni, ed. Hinschius, S. 34 f., wonach die Kirche Christi als das Schiff aufgefasst wird, das die Gläubigen zu Christus bringt. Als Besatzung auf dem Schiff befinden sich die kirchlichen Amtsträger, kein König. 574 Synode von Quierzy (858), Brief der Bischöfe von Reims und Rouen an Ludwig den Deutschen, Schluss, cap. 15, MGH Conc. III, S. 427: „Pro certo autem sciatis, quia cum nostris parentibus, id est cum apostolis, Christus rex regum regnum suum, id est ecclesiam, conquisivit, ampliavit et rexit, et per nos et nobiscum – utinam non ad iudicium nostrum dicamus! – eandem ecclesiam, id est regnum suum, quotidie adquirit, auget atque gubernat idem dominus Iesus Christus [. . .].“ 575 MGH Conc. III, Nr. 41, S. 418. 576 Hier sei nur eine Bestimmung zur Bischofserhebung genannt (BL III,95, Mansi 17B, 1044), die verlangt, dass eine solche nicht gegen die Wähler stattzufinden habe, was ja ganz offensichtlich gegen königliche Besetzungspraktiken gerichtet ist, weshalb hier die Form eines königlichen Kapitels von besonderer Eindringlichkeit ist. 577 Meaux-Paris (845/846), can. 81, MGH Conc. III, Nr. 11, S. 61–132, 126 mahnt die Beachtung der königlichen Kapitel an. HARTMANN, Synoden 1989, 215 vermutet die tatsächlich naheliegende Absicht, der Kapitulariensammlung des Benedictus Levita Autorität zu verleihen. 578 Wobei Hinkmar von Reims durchaus seine Nähe zum König betont: Hinkmar von Reims, ep. 278: An Papst Hadrian II., ed. Schieffer (MGH Epp.VIII,2), S. 381–394, 391 (ep. 27 Ad Hadrianum papam „Excellentia vestra“, MPL 126, 174–186, 183): „cum rex et cohabitantes mecum una cum rege non solum in parrochiam, verum et in civitatem meam saepe conveniant [. . .].“

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herrscherlichen Dienst treten müssen.579 Die Aufgabe der Bischöfe besteht also neben der Beratung der Könige in der Vermittlung herrscherlicher Würde, nach dem Votum des Volkes, durch die Salbung des rechtmäßigen Königs.580 Obwohl die Bischöfe nach eigenem Bekunden also nicht in einem vasallitischen Verhältnis zum König stehen, gehören sie zumindest nach königlicher Auffassung doch zu den fideles Regis,581 nach vermutlich konsensfähiger Auffassung zu den fideles regni nostri (Karls).582 Die Zusammenarbeit von Kirchen und regnum findet nach Möglichkeit auf der obersten Ebene statt, etwa wenn der König gemeinsam mit der Synode von Soissons (853) mehrere Bestimmungen erlässt, die der Zusammenarbeit von königlichen missi und Bischöfen gilt, die gemeinsam kirchliche Missstände untersuchen und die Verwaltung von Kirchengut überwachen sollten.583 Dies geschieht jedoch auf der Ebene der Bischöfe und der persönlichen Sachwalter des Königs.584

2.9.3 Zwei Staaten – Zur Verschränkung von Reich und Kirchen Die Geschichte des Karolingerreiches ist durchaus die Geschichte von „zwei Staaten“. Dabei beginnt diese Geschichte als eine Geschichte des Reiches, das die organisatorische Kraft der latent vorhandenen Kirchenstaatlichkeit im Frankenreich für

579 Synode von Quierzy (858), Brief der Bischöfe von Reims und Rouen an Ludwig den Deutschen, Schluss, cap. 15, MGH Conc. III, S. 425, Z. 9 ff.: „Ecclesiae siquidem nobis a deo commissae non talia sunt beneficia et huiusmodi regis proprietas, ut pro libitu suo inconsulte illas possit dare vel tollere, quoniam omnia quae ecclesiae sunt, deo consecrata sunt [. . .]. Et nos episcopi Domino consecrati non sumus huusmodi homines, ut, sicut homines saeculares in vassallatico debeamus nos cuilibet commendare – sed ad defensionem et ad adiutorium gubernationis in ecclesiastico regimine nos [. . .] debeamus quoquomodo facere.“ 580 Synode von Quierzy (858), Brief der Bischöfe von Reims und Rouen an Ludwig den Deutschen, Schluss, cap. 15, MGH Conc. III, S. 424, Z. 14 ff.: „[. . .] [Bischöfe und Erzbischöfe] qui consensu et voluntate populi regni istius [Karls] domnum nostrum fratrem vestrum unxerunt in regem sacro chrismate divina traditione [. . .].“ 581 Capitula Pistensia (869), cap. 2, MGH Cap. II,2, Nr. 275, S. 332–337, 333: „Ut ab archiepiscopis et episcopis et ab aliis fidelibus nostris honor regius et potestas ac debita obedientia atque adiutorium ad regnum nostrum continendum [. . .].“ 582 Allocutio missi cuiusdam divisionis (857), praefatio, MGH Cap. II,2, Nr. 267, S. 291 f.: „[. . .] senior noster Karolus plurimos fideles regni sui, tam episcopos, quam abbates et comites atque reliquos regni sui fideles [. . .] congerans.“ 583 Soissons (853), etwa cap. 2, 3 und 6, MGH Conc. III, Nr. 27; HARTMANN, Synoden 1989, 248 f. 584 Natürlich gibt es auch unterhalb dieser Ebene Berührungen der Sphären, die einer Regelung bedürfen, wie etwa das Verhältnis zwischen den Priestern und Eigenkirchenherren, Pîtres (869), Kapitular, cap. 8, MGH Conc. IV, Nr. 31, S. 357.

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seine eigene staatliche Ordnung zu nutzen wusste.585 Während Karl der Große die Kirchen geradezu zum Bestandteil seines Reiches zu machen verstand, und Ludwig der Fromme auf höchst eigenwillige Art dies fortsetzte,586 jedoch mit einer stärkeren Ausrichtung auf seine kaiserliche Person,587 so stand am Vorabend der ersten offenen Konflikte zwischen dem Reich und seinem Vertreter, der sich längst als Haupt des Reiches begriff, bereits die Antwort der Kirchen im Raum, die auf dem Konzil von Paris recht deutlich die Souveränität der Kirchenstaatlichkeit einforderten. Vielleicht eher aus der Situation heraus, nämlich wegen der Bedrohung durch die Normannen, hatte bereits Alkuin an König Aethelred und dessen Große von den beiden Loyalitäten geschrieben, denen er sich verpflichtet sah: Duplici enim germanitate concives sumus: unius civitatis in Christo, id est matris ecclesiae filii, et unius patriae indigene.588

Im Reich Karls des Kahlen entwickelt sich sehr schnell ein Bewusstsein von der Unterschiedenheit dieser zwei Staaten. Dort standen sich beide Staaten in neuem Verhältnis gegenüber. Die Kirchenstaatlichkeit war hoch entwickelt, schon wegen der besseren Voraussetzungen gegenüber den Kirchen etwa des Ostreiches. Im Westfrankenreich hatte die antike Metropolitanordnung die Zeiten im Wesentlichen überdauert und war in der Zeit Karls des Großen und Ludwigs des Frommen eigentlich sogar gefördert worden. Die Herrscher hatten im Westen wie im Osten auf einen starken Metropoliten gesetzt, was im Osten aber bedeutete, dass nach den Vorstellungen des Bonifatius die Kirchen hierarchisch von oben gegliedert waren, also zunächst von Rom. Der Metropolit ist danach weniger Sachwalter seiner Kirche und der Bischofsversammlung als vielmehr einer höheren Gewalt, die gerne auch von den Kaisern für sich reklamiert wurde.589 Im Westen bestehen Ordnungsvorstellungen, die den Metropoliten eben als gewählten Bischof seiner Diözese und Vertreter der Bischofsversammlung verstehen. Das Wirken Hinkmars von Reims sieht zwar sehr nach einem Ausdruck der hier dem

585 S. etwa auch die Bemerkung von WERNER, Missus 1980, 197: „L’hiérarchie ecclésiastique offre à l’Etat carolingien un élément essentiel de gouvernement, une hiérarchie administrative et bureaucratique.“ 586 S. dazu etwa GEUENICH, Stellung und Wahl des Abtes 1988, 184, der zeigt, dass die Reformäbte der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts zu einem großen Teil entgegen der Forderung nach freier Abtwahl eben nicht gewählt worden waren, sondern ihre Stellung dem Kaiser verdankten. 587 S. z. B. die Vorrede der Admonitio ad omnes regni ordines (823–825), MGH Cap. I, Nr. 150, S. 303–307, 303: „Omnibus vobis aut visu aut auditu notum esse non dubitamus, quia genitor noster et progenitores, postquam a Deo ad hoc electi sunt, in hoc praecipue studuerunt, ut honor sanctae Dei ecclesiae et status regni decens manerent.“ Es sind zwei Sphären, aber kaum zwei Staaten, zu eng ist ihr Schicksal miteinander und mit Ludwig verwoben. 588 Alcuinus Aethelredem regem Northanhumbrorum eiusque optimates (793), Ep. Alcuini 16, MGH Epp. 4 (II), S. 42–44, 42. 589 S. zur kirchlichen Raumorganisation im Ostreich (auch als solcher) als Ausdruck herrscherlichen Willens EHLERS, Integration Sachsens 2007, 22 f. und 52–110.

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Ostreich zugewiesenen Organisationsform aus, beruht aber auf den eingespielten kirchlichen Regeln, die Hinkmar versteht für die Stellung des Metropoliten zu nutzen. Er stellt nicht seine Legitimation als Bischof der Provinzhauptstadt in Frage und ebenso wenig glaubt er einer höheren irdischen Instanz verantwortlich zu sein als der Bischofsversammlung. Sein Einfluss beruht auf den synodalen Strukturen, die er lediglich erheblich strapaziert. Für ihn hat die Palliumsverleihung keine wirklich konstitutive Bedeutung.590 Das ist für die Bischöfe von Köln, Mainz und Salzburg anders.591 Dieser starken kirchlichen Organisation des Westreiches steht eine labile weltliche Herrschaft gegenüber. Das Verhältnis zwischen König und Großen muss immer wieder neu austariert werden und ist bei aller erstaunlichen Funktionalität dennoch nicht in der Lage, die Kirchenstaatlichkeit zu inkorporieren. So kommt es zu einem politischen Miteinander beider Organisationsweisen, das aber die Integrität beider gegeneinander zu wahren versteht.592 Es ist in diesem Reich nicht mehr üblich, das Reich als Teil der Kirche zu begreifen, aber ebensowenig bezeichnet man die Kirche als Teil des Reiches. Vor allem Hinkmar von Reims betont mehrfach die „Zweistaatlichkeit“ des Westfrankenreiches. In seiner Schrift über das Recht der Metropoliten zitiert er am Schluss den Satz des Gelasius über die zwei Gewalten, aber nicht mit der Modifikation der Episcoporum relatio, die nicht die Welt, sondern das corpus ecclesiae von den zwei Gewalten regiert sah.593 Für Hinkmar ist der Text des Gelasius selbst maßgeblich, in dem auch der geistlichen Gewalt die „auctoritas“ zugeordnet wird und der weltlichen die „potestas“, also der geistlichen Gewalt die höhere Qualität und der weltlichen die konkrete Regierungsmacht.594 Hinkmar zitiert zur Erläuterung des Satz Christi zu dem, was dem Kaiser zusteht, und dem, was Gottes ist595 und fährt fort: „[. . .] ita quae sunt imperatoris obsequia obedienter ipsius obsequiis exhibemus, et quae sacerdotii sunt ordini sacerdotali dependimus“.596 An Papst Hadrian schreibt Hinkmar sehr deutlich von den verschiedenen Ordnungen, wenn er die Verantwortlichkeit bei der Normannenabwehr ordnet und wohl der weltlichen Seite die folgende Erläuterung in den Mund legt: „[. . .] quia rex et episcopus insimul esse non potest et sui antecessores ecclesiasticum ordinem quod suum est, et non

590 Vgl. DEVISSE, Hincmar II 1976, 653 f. 591 S. dazu oben, „Kirchen und Klöster“, 2.4.5. 592 Vgl. zu diesem politischen Miteinander PATZOLD, Episcopus 2008, 534 f. 593 S. „Kirchen und Klöster“, Kap. 2.5.9 zu Benedictus Levita. S. zu den verschiedenen Zitaten dieses Satzes bei Hinkmar PENNDORF, „Reichseinheitsidee“ 1974, 58, Anm. 408. 594 Aus dem Jahr 862 zitiert PATZOLD, Bischöfe im karolingischen Staat 2006, 144 den Libellus proclamationis Lothars II. zu seiner Eheangelegenheit, in dem er mit gutem Grund zwischen der „auctoritas der bischöflichen Würde“ und der „königlichen potestas“ unterscheidet. 595 Vulgata, Matth. 22,21. 596 Hinkmar von Reims ep. 30, Ad episcopos „De iure metropolitanorum 35 (Schluss), MPL 126, 189–210, 209 f.

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rempublicam, quod regum est, disposuerunt.“597 An Ludwig den Deutschen schreibt Hinkmar in dem Brief der Bischöfe der Provinzen Reims und Rouen aus Anlass der Einladung Ludwigs an die westfränkischen Bischöfe: „Et non militamus terreno regi, sed caelesti pro salute et nostra et terreni regis et totius populi nobis commissi“. Und auch hier zitiert Hinkmar Gelasius, jedoch mit der Variation, dass Christus „suum regnum, id est ecclesiam, inter pontificalem auctoritam et regiam potestatem gubernandum disposuit.“598 Wenn Hinkmar Papst Hadrian gegenüber die Unterscheidung zwischen „episcopalis auctoritas“ und „regalis potestas“, die auf Gelasius verweist, ausdeutet als Unterscheidung zwischen „ecclesia“ und „res publica“, zwischen denen er einen Konflikt (scandalum) befürchtet, der kaum beseitigt werden könne, so artikuliert er klar das Bestehen zweier Ordnungen im Westfrankenreich der Zeit Karls des Kahlen.599 Während noch das Konzil von Aachen (836) die Zusammengehörigkeit der beiden Gewalten zur Regierung der „Kirche“ betonte,600 so folgt auch die eher allgemeine politische Idee des Westfrankenreiches, wie sie etwa in dem Vertrag zwischen den königlichen Brüdern in Tusey deutlich wird, mehr der Vorstellung von einer Zweistaatlichkeit, jedenfalls in der trennenden Begrifflichkeit:601 „Consideramus et statuimus, ut communes fideles nostri, quorum consilio et auxilio sanctam Dei ecclesiam et regnum nobis commissum gubernare debemus, debitum honorem et salvamentum habeant.“ Hier sind es zwei Organisationen, für die die Könige verantwortlich sind. Im Schreiben der Synode von Troyes (867) an den Papst wird im Bericht über die von Karl dem Kahlen einberufene Synode klarer getrennt:602 „[. . .] ubi inter caetera ecclesiae ac regni negotia necessaria de Remensi ecclesia . . . tractare coepit.“ Die Geschäfte von Kirche und Reich sind hier klar unterschieden. Im Kapitular von Crecy (873) wird die Frage nach den zwei Staaten regelrecht thematisiert, mit dem Zitat des Satzes von Gelasius:

597 Hinkmar von Reims, ep. 278: An Papst Hadrian II., ed. Schieffer (MGH Epp.VIII,2), S. 381–394, 389 (Hinkmar von Reims, ep. 27, Ad Hadrianum papam „Excellentiae vestrae“, MPL 126, 174–186, 180 f.). 598 Synode von Quierzy (858), Brief der Bischöfe von Reims und Rouen an Ludwig den Deutschen, Schluss, cap. 15, MGH Conc. III, S. 426 f. 599 Hinkmar von Reims, ep. 278: An Papst Hadrian II., ed. Schieffer (MGH Epp.VIII,2), S. 381–394, 392 (Hinkmar von Reims, ep. 27, Ad Hadrianum papam „Excellentiae vestrae“, MPL 126, 174–186, 184 f.). 600 Concilium Aquisgranense (836), Capitula de honore episcopali (66) 25, MGH Conc. II,2, Nr. 56, S. 704.-767, 723: „Constat autem eam peregrinantem duabus, ut dictum est, praesentialiter personis gubernari, sacerdotali scilicet ac regali, quatenus, auctoritate episcopali atque imperiali censura [. . .].“ 601 Hludowici et Karoli pactum Tusiacense 856, cap. 5, MGH Cap. II,1, Nr. 244, S. 166. – S. auch das Capitulare Tusiacense in Burgundiam directum (865), praefatio, MGH Cap. II,2, Nr. 274, S. 329–332,329 über Dinge, die „ad Dei voluntatem et sanctae ecclesiae statum atque ad nostrum fidelitatem et ad nostrum honorem ac regni soliditatem necnon ad commune fidelium nostrorum salvamentum pertinent.“ 602 Synode von Troyes (867), Synodalschreiben an Nikolaus I., MGH Conc. IV, Nr. 24, S. 232–238, 235, Z 33 ff.

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Quia, sicut et per scripturas et per auctoritatem et per rationem manifestum est, duo sunt, quibus principaliter mundus hic regitur, regia potestas et pontificalis auctoritas, et in libro capitulorum avi et patris nostri coniuncte ponitur, ut res et mancipia ecclesiarum eo modo contineantur, sicut res ad fiscum dominicum pertinentes contineri solent, iuste et rationabiliter de rebus et mancipiis quae in regia et in ecclesiastica vestitura fuerunt, uniformiter et uno modo tenendum est.603

Der Satz des Gelasius wird hier weitgehend so zitiert, wie ihn Gelasius einmal gemeint hatte. Nicht nur über Schriften und durch die Autorität des Gelasius sei der Satz offenbar als richtig anzuerkennen, sondern auch aus der Einsicht in die Wirklichkeit; er ist offenkundig richtig, so die Botschaft des Kapitulars. Dass die Wirklichkeit diesem Satz entspreche, sehe man an den Kapiteln Karls des Großen und Ludwigs des Frommen, die die Gleichbehandlung von Kirchengut und Fiscus verlangt hätten. Konkret geht die Bestimmung auf das Kapitular von Worms (829) zurück. Unter Hinweis auf das „Duo quippe sunt“ bekommt diese Forderung nach Gleichbehandlung von Kirchengut und fiscus dominicum, die ja von einer Einzelbestimmung zur Ersitzung zu einer grundsätzlichen Regel erhoben wird, eine neue Bedeutung. Es geht eben nicht mehr nur um Absicherung des einzelnen Kirchengutes, sondern um eine grundsätzliche und allgemeine Exemption der Kirchenverbände als Ganzes von der politischen Organisation des Reiches. Wie in der Spätantike begegnen sich weltlicher Herrscher und Kirchenverbände nach Möglichkeit nur an der Spitze, also König und Bischof, Bischofsversammlung oder Metropolit. Das führt im Reich Karls des Kahlen dazu, dass im Reich zwei Herrschaftsverbände bestehen, die jeweils für ein eigenes System zuständig sind; Reich und Kirche werden zum Schluss zusammengeführt. Ein Begriff für das solchermaßen verstandene Ganze besteht indes wohl nicht; und auch in dem zitierten Kapitel wird quellentreu von „mundus“ gesprochen, der von den Zweien regiert wird. Das Westfrankenreich wird insofern mit „mundus“ gleichgesetzt, als dass mundus als Begriff für die umfassende Ordnung gebraucht wird, die hier wohl nicht allein räumlich zu verstehen ist. Ganz ohne Frage geht es aber um eine gemeinsame politische Ordnung, die hier einmal mit dem Hilfsbegriff „mundus“ bezeichnet wird. Das zeigen verschiedene Kapitel von Pîtres-Soissons (862)604 sowie die Ansprache Herards von Tours auf dem Konzil von Soissons (866):605 „Et isti nostro seniori deus filios, sicut vobis notum est, dedit, in quorum nobilitate ad sanctam ecclesiam et regnum, quod deus illi ad regendum commisit. [. . .].“ Im Rahmen dieser politischen Ordnung ist die Zusammenarbeit zwischen

603 Capitulare Carisiacense (873), MGH Cap. II,2, Nr. 278, S. 342–347, 345. 604 Kapitular von Pîtres-Soissons, praefatio, MGH Conc. IV, Nr. 10, S. 96–106, 96: „Karolus gratia dei rex et episcopi, abbates quoque et comites ac ceteri in Christo renati fideles, qui ex diversis provintiis . . . convenimus [. . .].“ – Ebenda cap. 1, MGH Conc. IV, Nr. 10, S. 96–106, 96: „Reges et episcopi, qui ante nos fuerunt, ducti amore et timore divino cum ceterorum fidelium dei consilio atque consensu plura statuerunt capitula providentes, qualiter sancta ecclesia statum debitum et honorem et regni habitatores in omni statu et ordine haberent legem atque iustitiam.“ 605 MGH Conc. IV, Nr. 23, S. 210–212, 211, Z. 28 f.

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den beiden Organismen unumgänglich, etwa bei der Strafverfolgung, wie eine Bestimmung des Kapitulars von Pîtres (869) zeigt,606 nach der zur Erlangung der kirchlichen Mithilfe bei der Ahndung von Vergehen aufgefordert wird, denn die wirksamste Verfolgung von Vergehen ist die Drohung mit dem Ausschluss aus der Gemeinschaft; und das kann die Kirche besser als die weltliche Ordnung, denn sie kann nach katholischer Lehre einen Delinquenten bei fehlender Reue aus der Gemeinschaft nicht nur der Gläubigen, sondern letztlich auch aus der Gemeinschaft mit Christus ausschließen und damit die wirkungsvollste Todesstrafe verhängen, übrigens auch gegen solche, derer die weltliche Organisation aus fehlenden Machtmitteln heraus gar nicht Herr werden könnte. So sieht umgekehrt das Kapitular ebenfalls vor, dass gegebenenfalls der Bischof an die weltlichen Gewalten herantritt, um im Falle der Uneinsichtigkeit des Delinquenten gewissermaßen um Amtshilfe zu ersuchen.607 Zudem ist vorgesehen, dass der Bischof für den Fall, dass eine Buße wegen einer Fehde trotz des Bereitwillens des Übeltäters nicht umgesetzt werden könne, „per se vel per ministros aut per litteras suas regiam nostram vel rei publicae nostre potestatem adeat“ und darum ersuche, die Fehde nach den geltenden Regeln zu beenden. Bemerkenswert ist, dass es eines geregelten Verfahrens bedarf, um beide Organismen zur Erfüllung staatlicher Aufgaben zusammenzubinden. Ganz offensichtlich arbeiten aber beide Organismen zusammen, um staatliche Aufgaben erfüllen zu können. Die gesamte politische Ordnung findet sich ungefähr bezeichnet in einer Einlassung desselben Kapitulars zu Bestimmungen Karls des Großen und Ludwigs des Frommen vermutlich nach der Sammlung des Ansegis die „pro statu et munimine sanctae dei ecclesiae ac ministrorum eius et pro pace ac iustitia populi et quiete regni“ erlassen worden waren.608 Das ist eine Definition des westfränkischen Gesamtstaates, also dessen, was oben angedeutet wurde mit dem Hilfsbegriff „mundus“. Er setzt sich zusammen aus der Sorge um den Zustand der Kirchen und ihre Kleriker, aus der Aufgabe, Frieden und Gerechtigkeit für das Volk zu gewährleisten und die friedvolle Ruhe des Reiches zu sichern. Dabei kommt auch den Kirchen eine gewisse Verantwortung für das „regnum nostrum“ Karls zu.609 Auch bei der Veröffentlichung von Kapitularien ist man auf die Zusammenarbeit beider Ordnungen angewiesen, wie ein Edikt von Pîtres von 864 darlegt:

606 Konzil von Pîtres (869), Kapitular, cap. 10, MGH Conc. IV, Nr. 31, S. 358. 607 „regiam vel rei publice potestatem per se vel per ministros suos aut per litteras suas episcopus adeat [. . .].“, ebenda Z. 24 f. 608 Konzil von Pîtres (869), Kapitular, cap. 3, MGH Conc. IV, Nr. 31, S. 355 f. 609 Konzil von Pîtres (869), Kapitular, cap. 2, MGH Conc. IV, Nr. 31, S. 355: „Ut ab archiepiscopis et episcopis et ab aliis fidelibus nostris honor regius et potestas ac debita obedientia atque adiutorium ad regnum nostrum continendum et defensandum [. . .].“

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[. . .] et unusquisque per suam dioecesim ceteris episcopis, abbatibus, comitibus aut aliis fidelibus nostris ea transcribi faciant, et in suis comitatibus coram omnibus relegant, ut cunctis nostra ordinatio et voluntas nota fieri possit.610

Aber auch die weltliche Ordnung bedarf der kirchlichen zum Erhalt der „stabilitas regni“, etwa mit dem Gebet.611 Da beide „Staaten“ auf ein gemeinsames Ganzes und aufeinander bezogen sind, muss das Verhältnis zwischen ihren etwa gleichrangigen Vertretern geregelt werden. Das Verhältnis zwischen Graf und Bischof ist kein neues Problem. Für den Grafen ist klar, dass er in seiner Funktion dem König untersteht. Was aber geschieht, wenn es zum Konflikt zwischen Graf und Bischof kommt? Benedictus Levita hatte hier eine klare Vorstellung von der Gehorsamspflicht des Grafen gegenüber dem Bischof.612 Es ist zwar auch eigentlich klar, dass die Geistlichkeit nicht von der weltlichen Macht zu richten ist;613 was aber geschieht, wenn ein Bischof gegen den König agiert und sich etwa weigert, vor des Königs Gericht zu kommen, wie dies Hinkmar von Laon tat?614 Hier stellt sich dann heraus, dass die Trennung beider Gewalten vielfach Fiktion bleiben muss und wohl nur auf den unteren Ebenen aufrechterhalten werden konnte. So leistete ein Bischof im Westfrankenreich dem König einen Eid, mit dem er den König als seinen „senior“ anerkannte und diesem Treue schwor, jedoch mit der Einschränkung „secundum ministerium meum“.615 Es hat den Anschein, dass in der Hierarchie der Führungspositionen sich zwar Kirchenverbände und König etwa auf gleicher Höhe gegenüberstehen, der König einzelnen Bischöfen in der politischen Funktion für das Reich aber durchaus übergeordnet ist. Dabei kommt dem Bischof eine Doppelstellung zu. Er ist in der Kirche nur durch die Bischofsversammlung und eventuell den Metropoliten beschränkt, seit Pseudoisidor auch durch den Papst, zugleich aber ist er Teil der politischen

610 Edictum Pistense (864), cap. 36, MGH Cap. II,2, Nr. 273, S. 312–328, 327. S. dazu auch PATZOLD, Bischöfe im karolingischen Staat 2006, 155. 611 So Konzil von Pîtres (869), Kapitular, cap. 4, MGH Conc. IV, Nr. 31, S. 356, Z 10 f.: „[. . .] ut quiete pro stabilitate regni ac nostra et illorum salute dominum exorare possint [. . .].“ 612 Vgl. Concilium Arelatense (813), cap. 8, MGH Conc. II,1, Nr. 34, S. 248–253, 252. 613 Das betont ausdrücklich Jonas von Orléans, De institutione regia, cap. 2, ed. Dubreucq 1995, S. 180–182. 614 Vgl. die Anklageschrift Karls des Kahlen gegen Hinkmar von Laon von Douzy (871), MGH Conc. IV, Nr. 37, S. 417–420, 420, Z. 5 ff.: „[. . .] isdem Hincmarus tam liberos quam et colonos et servos secum degentes contra meam regiam potestatem armari et missis meis resisti fecit, qud secundum legem praeceperam, missus meus legaliter implere non posset.“ 615 Ann. Bert. 870. – S. zur Überlieferung auch Hinkmar von Reims, Libellus expostulationis zum Konzil von Douzy (871), MGH Conc. IV, Nr. 37, S. 420 ff., 429: „Ego Hincmarus Lauduni episcopus de hora ista inantea sic fidelis ero seniori meo Karolo, sicut homo per rectum seniori suo debet esse et episcopus regi suo, et sic oboediens, quomodo homo per rectum seniori suo debet esse et episcopus Christi, [secundum] meum sapere et posse ad dei voluntatem et ad regis salutem, et ad statum su[um . . . ] et meam ipsius salutem, Hincmarus subscripsi.“ Zum Bischofseid von 858 in Quierzy s. PATZOLD, Bischöfe im karolingischen Staat 2006, 147. – Zum Konflikt zwischen Karl dem Kahlen und Hinkmar wegen des Eidesformulars s. auch APSNER, Vertrag und Konsens 2006, 214.

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Führung des Gesamtstaates, für den seine wirtschaftlich begründete Macht sowie seine disziplinarische Funktion den Laien gegenüber unverzichtbar ist. Er selbst braucht zur Sicherung seines Herrschaftsraumes wie alle anderen Großen die weltliche Ordnung, an deren Sicherung er folglich auch teilnimmt. Das Kapitular des Konzils von Pîtres (869) erklärt daher auch, dass selbst Bischöfe und Erzbischöfe dem König zu gehorchen hätten, wenn es etwa um den Schutz von Laien vor Ungerechtigkeiten durch Bischöfe geht.616 Deutlich wird das auch in einer anderen Bestimmung, in der verfügt wird, dass Bischöfe, Grafen, missi und vassi des Königs sowie deren Untergebene „paternam benignitatem secundum suum ministerium et debitum honorem ac legem et iusticiam unicuique secundem suum ordinem et dignitatem impendant.“617 Das deckt sich mit der Formel des Bischofseides. Der König ist nach dieser in Pîtres von Großen weltlicher und geistlicher Provenienz absolvierten Vorstellung tatsächlich nicht nur Haupt der weltlichen Ordnung, die gemeinhin mit res publica bezeichnet wird, sondern auch einer erweiterten Ordnung, die die Kirchenstaatlichkeit nach wie vor einbegreift. Das kann aber nur dann so von den Vertretern der Kirchenverbände akzeptiert werden, wenn ihre Einbindung in diesen Gesamtstaat auf ihrer tätigen Mitwirkung beruht, wenn also der König auf der Basis eines Vertrages an der Spitze der solchermaßen begründeten staatlichen Ordnung steht.

616 Konzil von Pîtres (869), Kapitular, cap. 7, MGH Conc. IV, Nr. 31, S. 356. 617 Konzil von Pîtres (869), Kapitular, cap. 5, MGH Conc. IV, Nr. 31, S. 356, Z. 13–15.

Ergebnisse Das Reich der Karolinger ist ein Verband der Verbände, nicht der Personen. Das ist, in einem Satz gesagt, das Ergebnis der vorliegenden Arbeit. Deutlich geworden ist aber auch, dass die Voraussetzungen im Frankenreich gar keine andere Möglichkeit ließen, wenn dieses Reich denn einen politischen Zusammenhang darstellen sollte. Denn das, was die Karolinger vorfanden, war eben nicht mehr die nachantike Gallia, sondern das Reich der Franken, in dem auch die Romanen längst zu Franci geworden waren. Voraussetzung für die neue Reichsbildung durch die Karolinger war die Regionalisierung des Frankenreiches, die es notwendig machte, einen reichsweiten politischen Zusammenhang aus den Regionen und regionalen Gewalten neu zusammenzufügen. Das taten die Karolinger, eigentlich ja bereits schon vor der Schlacht von Tertry, damals aber unter anderem Vorzeichen, nämlich nominell unter einem Merowingerkönig nicht zur Einung eines Reiches, sondern zur Erweiterung der eigenen Kontrolle in einem (noch) bestehenden Reichsgefüge. Die Regionalisierung des Frankenreiches verlangte nach einem politischen System, das in der Lage sein würde, die regionalen Kräfte zu beteiligen und anders als das späte römische Reich die Zentrale aus der Versammlung subsidiarer Kräfte heraus zu begründen und nicht die Zentrale selbst an den Anfang zu stellen. Das ist der Grund für die Unmöglichkeit einer regulären Hauptstadt im Frankenreich. Aachen war das nie, und Paris ist es in dieser Funktion erst im hohen Mittelalter geworden. Das Frankenreich ist ein transpersonaler politischer Zusammenhang, dessen Transpersonalität aber eine faktische ist. Sie ist aus den sozial-politischen Bedingungen herzuleiten; ihre theoretische Erfassung durch Zeitgenossen, die es sehr wohl gibt, ist hierfür aber unwesentlich. Das Reich bildet eine eigene Persönlichkeit, die von seinen Mitgliedern unterschieden ist. Und das ist sie, weil bereits die Mitglieder dieses Verbandes keine natürlichen Personen darstellen, sondern Familien und Kirchen, die ihrerseits eo ipso transpersonal sind. Die Transpersonalität der herrscherlichen Familie ist nachvollzogen worden; sie folgt den Regeln einer Adelsfamilie und darüber hinaus den Notwendigkeiten der Zentrale des Reichsverbandes, den sie ebenfalls darstellt, und zwar die Familie als Ganzes, nicht bloß der pater familias. Auch das ist nachgezeichnet worden. Im Falle der Familie folgt die Struktur dieser Einheit den bloßen Notwendigkeiten, nicht aber einem zivilisatorischen Konzept. Und allein aufgrund der Notwendigkeiten ist eine Familie transpersonal. Die Transpersonalität ist eine inhärente Qualität einer adeligen Familie, die über den Erhalt ihrer selbst und ihrer zugehörigen Ressourcen in der Zukunft definiert ist. Darin unterscheidet sie sich von einer bürgerlichen Familie, in der das Individuum grundsätzlich einen höheren Stellenwert hat, weil diese im Normalfall keine Herrschaft ausübt, sondern dies dem

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Individuum überlässt, wenn sie nicht gerade (adelsgleich) eine Dynastie ausbildet oder ausgebildet hat. Im Falle der Kirchen ist die Notwendigkeit der Transpersonalität zwar ebenfalls gegeben, diese muss jedoch mühsam bewahrt und beschützt werden. Der Bischof ist wie jeder andere Verwalter von Kirchengut von diesem zu trennen; seine Wahl muss die Gesamtheit abbilden, deren Vertreter der Bischof auch sein soll, und hat folglich die Aufgabe, gerade der Bildung von „privaten“ Strukturen entgegenzuwirken, was im Frankenreich auch weitgehend gelungen ist. Aus der antiken Kirche haben die Kirchen des Frankenreiches die Zivilisationstechniken vermittelt bekommen, mit denen sie den Bestand der Kirchen als Rechtspersönlichkeiten mit dem ihnen zugehörigen Gut auch weiterhin sichern konnten. Außerdem sind es die Kirchen, die seit der „Karolingischen Renaissance“ einen wesentlichen administrativen Rahmen dieses Reiches stellen. Sie sichern mit Schriftlichkeit und Verfahrenskenntnis die Funktionsfähigkeit des Reiches als politische Größe. Und sie sind es auch, die zumindest im Westfrankenreich dem Königtum die Theorie geben, die es ihm ermöglicht, den Großen als doppelt legitimiert entgegen zu treten, nämlich als von ihnen gewählt und zugleich von Gott sanktioniert. Es ist das kirchliche Bild vom Bischof, dass das Königtum für die folgenden Jahrhunderte theoretisch sichern wird. Das Frankenreich besteht aus zahlreichen Herrschaften und Herrschaftsverbänden, die gegen Ende des Merowingerreiches weitgehend autonom handelten. In dieser Situation gibt es für sie zunächst nur die Wahl zwischen Konflikt und Isolation. Dauerhafte Konflikte schaden diesen Herrschaften nachhaltig. Sie schaffen keinen Mehrwert und sind innerer Ruhe wenig zuträglich. Der einzige Ausweg für diese Herrschaften und Herrschaftsverbände liegt in der Anerkenntnis eines der Ihren als zentrale Instanz. Dazu boten sich die Karolinger an. Sie waren nach der Heirat Pippins des Mittleren mit Plektrud in der Lage, einen qualifizierten Führungsanspruch geltend zu machen, der den anderen Herrschaften und Herrschaftsverbänden die Möglichkeit bot, sich kollektiv dieser Familie nachzuordnen, ohne ihr Gesicht oder ihren Einfluss zu verlieren. Die Karolinger schufen mit ihrer Hegemonie im Frankenreich die Voraussetzung für eine neue Ordnung, in der die Großen ihre Bedeutung nicht in Konflikten mit ihren Nachbarn zu mehren suchten, sondern über die Nähe zur Familie der Karolinger. Das war effizienter und sicherer für den eigenen Wohlstand. In diesem neuen System konnten alle Beteiligten Mehrwert schaffen, da sie daran gehen konnten, kollektiv außerhalb der Grenzen des Reiches Beute zu machen und zugleich in der heimischen Landwirtschaft in relativer Ruhe und Ordnung ebenfalls erfolgreich zu sein. Die politische Ordnung, die aus der zunehmend unbestrittenen Vorherrschaft der Karolinger resultierte, bot allen Beteiligten Vorteile und wurde daher von diesen auch getragen. Die so entstehende Zentrale, die eben nicht in einem Ort zu suchen ist, sondern in einer Familie, hatte also die Aufgabe im Inneren Frieden und Recht zu sichern und im Äußeren erfolgversprechende Konflikte zu suchen, um Prosperität zu sichern, die ihr wiederum die Möglichkeit bot, die Ordnung im Inneren weiter auszubauen, also den Beteiligten

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immer mehr Autonomie zu nehmen und die so gewonnene Herrschaft wiederum zum Ausbau von innerer Ordnung (und der eigenen Stellung) zu nutzen. Dabei ist die Stellung der königlichen Familie der Schlüssel zur Sicherung der politischen Ordnung. Nach der Regierungszeit Karls des Großen wurde aber deutlich, dass die Stellung der Familie nicht mehr zu steigern war und sich im Gegenteil eher verminderte, weil immer weniger Beute zu verteilen war. Erst Karl der Kahle hat wirklich erkannt, dass die Funktion des Königtums die des Verbandsvertreters war und nicht die eines römischen Kaisers. Ludwig der Fromme war an diesem Irrtum gescheitert. Sein Handeln legt nahe anzunehmen, dass ihm weder in der Familie noch im Reich seine Funktion als Vertreter der Gesamtheit bewusst war. Die Rhetorik seiner Zeit legt nahe, den König, der ja mit Ludwig mehr Kaiser als König war, als von Familie und Großen losgelöste Instanz zu sehen, die allein Gott verantwortlich war. Das scheint auch Ludwigs Selbstbild bestimmt zu haben. „Confaederatio totius regni“ nennt Hinkmar von Reims den Reichsverband, was eben dies bezeichnet, nämlich einen „Verband des gesamten Reiches“. Der Verbandscharakter des Reiches macht dieses zu einem vormodernen Staat, einer politischen Ordnung nämlich, die über ein Territorium, ein Volk und (begrenzte) Staatsgewalt im Inneren und Einheit nach Außen verfügt.

Abkürzungen Ad. Ann. Ann. Bert. Ann. Fuld. ARF BL BL Ad CCCM CIC Cod. Iust. CIC Dig. CIC Nov. CTh DA FMS FS HJb HRG HZ LACL LMA Matth. MGH MGH Cap. MGH Cap. Ep. MGH Conc. MGH DD MGH Epp. MGH LL nat. Germ MGH PL MGH SRG MGH SRL MGH SRM MGH SS MIÖG MPL ND QFIAB RGA Sir. VMPIG VuF ZBLG ZRG Germ. Abt. ZRG Kan. Abt.

Addenda Annales Annales Bertiniani Annales Fuldenses Annales Regni Francorum Benedictus Levita Benedictus Levita, Additamentum Corpus Christianorum, Continuatio Medievalis Corpus Iuris Civilis, Codex Iustinianus Corpus Iuris Civilis, Digesta Corpus Iuris Civilis, Novellae Codex Theodosianus Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters Frühmittelalterliche Studien Festschrift Historisches Jahrbuch Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte Historische Zeitschrift Lexikon der antiken christlichen Literatur Lexikon des Mittelalters Matthäus Monumenta Germaniae Historica MGH, Capitularia MGH, Capitula Episcoporum MGH, Concilia MGH, Diplomata MGH, Epistolae MGH, Leges Nationum Germanicarum MGH, Poetae Latini MGH, Scriptores rerum Germanicarum MGH, Scriptores rerum Langobardicarum et Italicarum MGH, Scriptores rerum Merovingicarum MGH, Scriptores Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung Migne, Patrologia Latina Nachdruck Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken Reallexikon der Germanischen Altertumskunde Iesus Sirach Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte Vorträge und Forschungen Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germanistische. Abteilung Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Kanonistische Abteilung

https://doi.org/10.1515/9783110641936-012

Quellen und Quellensammlungen Quelleneditionen und Hilfsmittel Codex Theodosianus: Theodosiani libri XVI cum constitutionibus sirmondianis, ed. Th. Mommsen, 3 Bde., [1904–1905] Dublin/Zürich 1970–1971 Concilia Africae a. 345–525, hg. v. Charles Munier, Turnhout 1974 (Corpus Christianorum, Series Latina 149) Concilia Galliae I: Concilia Galliae A. 314 – A. 506, hg. v. C. Munier, Turnhout 1963 (Corpus Christianorum, Series Latina 148) Concilia Galliae II: Concilia Galliae A. 511 – A. 695, hg. v. C. de Clercq Turnhout 1963 (Corpus Christianorum, Series Latina 148A) Conciliorum Oecumenicorum Generaliumque Decreta. Editio critica. I. The Oecumenical Councils from Nicaea I to Nicaea II (325–787), hg. v. Giuseppe Alberigo, Turnhout 2006 Decretales Pseudo-Isidorianae – Hinschius Die Streitschriften Hinkmars von Reims und Hinkmars von Laon 869–871, hg. v. Rudolf Schieffer (MGH Conc. VI, Suppl. II), Hannover 2003 Die Urkunden der Arnulfinger, hg. von Ingrid Heidrich, Bad Münstereifel 2001 – s. Heidrich Diplomata belgica ante annum millesimum centesimum scripta, hg. v. Maurits Gysseling, Anton Carl Frederick Koch, 2 Bde., Brüssel 1950 (Bouwstoffen en studien voor de geschiedenis en de lexicografie van het Nederlands 1) Diplomata Karolinorum I. Pippini, Carlomanni, Caroli Magni Diplomata, hg.v. Engelbert Mühlbacher (MGH DD Kar. I), Berlin 1906, ND 1991 Diplomata Karolinorum IV. Ludovici II. Diplomata, hg. v. Konrad Wanner (MGH DD L II), München 1994 Fürstenspiegel des Frühen und Hohen Mittelalters, ausgewählt, übersetzt und kommentiert von Hans Hubert Anton, Darmstadt 2006 (Freiherr vom Stein Gedächtnisausgabe 45) Geschichte der Grundherrschaft Echternach im Frühmittelalter. Untersuchungen über die Person des Gründers, über die Kloster- und Wirtschaftsgeschichte auf Grund des Liber aureus Epternacensis, Bd. I,2: Quellenband, hg. v. Camille Wampach, Luxemburg 1930 [Heidrich] = Die Urkunden der Arnulfinger, hg. v. Ingrid Heidrich, Bad Münstereifel 2001 Hinschius: Decretales Pseudo-Isidorianae et Capitula Angilramni, hg. v. Paul Hinschius, Leipzig 1863, ND Aalen 1963 Mainzer Urkundenbuch. Die Urkunden bis zum Tode Erzbischof Adalberts I. (1137), Bd. 1, hg. v. Manfred Stimming‚ Darmstadt 1932 Johannes Dominicus Mansi (Hg.): Sacrorum Conciliorum nova et amplissima collectio VII, 31 Bde., Florenz 1759–1798 (erweitert 53 Bde. Paris 1901–1927, ND Graz 1960–1961) Mediae latinitatis lexicon minus, hg. v. J.F. Niermeyer und C. van de Kieft, 2 Bde., [1976] Leiden/Darmstadt 2002 Migne, Jean-Paul: Patrologia Latina. Cursus Completus MGH Cap. I, hg. v. Alfred Boretius, Hannover 1883, ND 1984 MGH Cap. II,1, hg. v. Alfred Boretius und Victor Krause, Hannover 1890, ND 1980 MGH Cap. II,2, hg. v. Alfred Boretius, Victor Krause, Hannover 1893, ND 1984 MGH Cap. II,3, hg. v. Alfred Boretius, Victor Krause, Hannover 1897, ND 1984 MGH Cap. Ep. I: MGH Capitula Episcoporum, Teil I, hg. v. Peter Brommer, Hannover 1984 MGH Cap. Ep. II: MGH Capitula Episcoporum, Teil II, hg. v. Rudolf Pokorny und Martina Stratmann, Hannover 1995 MGH Conc. I. Concilia Aevi Merovingici, hg. v. Friedrich Maassen, Hannover 1893 MGH Conc. II,1, hg. v. Albert Werminghoff, Hannover, Leipzig 1906, ND 1997 https://doi.org/10.1515/9783110641936-013

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Quellen und Quellensammlungen

MGH Conc. II,2, hg. v. Albert Werminghoff, Hannover, Leipzig 1908, ND 2003 MGH Concilia III. Die Konzilien der karolingischen Teilreiche, 843–859, hg. v. Wilfried Hartmann, Hannover 1984 MGH Conc. IV. Die Konzilien der karolingischen Teilreiche, 860–874, hg. v. Wilfried Hartmann, Hannover 1998 MGH Conc. VI, Suppl. II. Die Streitschriften Hinkmars von Reims und Hinkmars von Laon 869–871, hg. v. Rudolf Schieffer, Hannover 2003 MGH DD Arnulf.: Die Urkunden der Arnulfinger, hg. v. Ingrid Heidrich, Hannover 2011 MGH DD Ludwig: Die Urkunden Ludwigs des Frommen, hg. v. Theo Kölzer, 3 Teile, Wiesbaden 2016 (Die Urkunden der Karolinger 2) MGH Epp. 3, hg. v. Wilhelm Gundlach, Berlin 1892, ND 1994 MGH Epp. 4. Epistolae Karolini Aevi 2, hg. v. Ernst Dümmler, Berlin 1895, ND 1994 MGH Epp. 5. Epistolae Karolini Aevi 3, hg. v. Ernst Dümmler, Karl Hampe u. a., Berlin 1898, ND 1995 MGH Epp. 6. Epistolae Karolini Aevi 4, hg. v. Ernst Dümmler, Ernst Perels u. a., Berlin 1875, ND 1995 MGH Epp. 7. Epistolae Karolini Aevi 5, hg. v. Erich Caspar, Gergard Laehr u. a., Berlin 1912–1928, ND 1993 MGH Epp. 8,1, hg v. Ernst Perels, Hannover 1939, ND 1993 MGH Epp. 8,2: Hincmari archiepiscopi Remensis epistolae. Die Briefe des Erzbischofs Hinkmar von Reims, hg. v. Rudolf Schieffer, Wiesbaden 2018 MGH Formulae: MGH Formulae Merowingici et Karolini aevi, hg. v. Karl Zeumer, Hannover 1886 MGH DD Ludwig: Die Urkunden Ludwigs des Frommen, hg. v. Theo Kölzer, 3 Teile, Wiesbaden 2016 (Die Urkunden der Karolinger 2) MGH PL 1, hg. v. Ernst Dümmler, Berlin 1884, ND 1997 MGH PL 2, hg. v. Ernst Dümmler, Berlin 1884, ND 1999 MGH SRL, hg. v. Georg Waitz, Hannover 1878, ND 1988 MGH SRM 2: hg. v. Bruno Krusch, Hannover 1888, ND 1984 MGH SS 1, hg. v. Georg Heinrich Pertz, Hannover 1826, ND 1976 MGH SS 2, hg. v. Georg Heinrich Pertz Hannover 1829, ND 1976 MGH SS 15,1, hg. v. Georg Waitz, Hannover 1887 Quellensammlung zur Religionspolitik Konstantins des Großen, hg. v. Volkmar Keil, Darmstadt 1989 Pseudoisidor – s. Hinschius Recueil des actes de Pépin 1er et de Pépin II rois d’Aquitanie (818–848), hg. v. Léon Levillain, Paris 1926 (Chartes et diplômes relatifs à l’histoire de France 11) Regesta Alsatiae aevi Merovingici et Karolini 496–918. I. Quellenband, hg. v. Albert Bruckner, Strasbourg/Zürich 1949 Roman State & Christian Church. A Collection of Legal Documents to A.D. 535, Bd. 1, hg. v. Paul Robinson Coleman-Norton, London 1966 Schrörs – s. Literaturverzeichnis Thiel: Epistulae Romanorum pontificum genuinae et quae ad eos scriptae sunt a Hilario usque ad Pelagium II, Bd. 1, hg. v. Andreas Thiel, Braunsberg 1868, ND Hildesheim 1974 Tremp: Thegan: Gesta Hludowici imperatoris / Astronomus: Vita Hludowici imperatoris, hg. u. übers. v. Ernst Tremp, Hannover 1995 (MGH SRG 44) Urkundenbuch zur Geschichte der mittelrheinischen Territorien, hg. v. Heinrich Beyer, Bd. 1, Koblenz 1860 [Vulgata] Biblia sacra iuxta vulgate versionem, recensuit Robert Weber, edition minor, Stuttgart [1969] 1984

Quellenverzeichnis

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Quellenverzeichnis Urkunden sind nicht einzeln in das Quellenverzeichnis aufgenommen worden; Quellensammlungen sind nur extra unter diesen aufgeführt, wenn mehrere Quellen daraus in das Quellenverzeichnis aufgenommen sind. Admonitio ad omnes regni ordines. 823–825, MGH Cap. I, Nr. 150, S. 303–307 Admonitio generalis. 789. Mart. 23, MGH Cap. I, Nr. 22, S. 52–62., neu ed.: Die Admonitio generalis Karls des Großen, hg. v. Hubert Mordek, Klaus Zechiel-Eckes und Michael Glatthaar, Wiesbaden 2013 (MGH Fontes iuris germanici antiqui 16) Agobard von Lyon: Liber apologeticus. Teil I u. II, hg. v. Lieven van Acker (CCCM 52), Turnhout 1981, S. 307–319 Agobard von Lyon: Liber de dispensatione rerum ecclesiasticarum, in: MPL 104, Sp. 227–250, neu ed. Lieven van Acker (CCCM 52), Turnhout 1981, S. 119–142 Agobard von Lyon: Libri duo pro filiis et contra Iudith uxorem Ludovici Pi II, in: MGH SS 15,1, S. 274–279 Agobardi cartula de poenitentia ab imperatore acta. 833. Oct., MGH Cap. II,1, Nr. 198, S. 56, neu ed.: Cartula de Lvdovici imperatoris poenitentia, in: Agobardi Lvgdunensis opera Omnia, ed. L. Van Acker (CCCM 52), Turnout 1981, Nr. 22, S. 321–324 Agobardi Lugdunensis archiepiscopi epistolae, ed. Ernst Dümmler, in: MGH Epp. 5, S. 150–239 Alcuini carmina, in: MGH PL 1, S. 160–351 Alcuini sive Albini epistolae, in: MGH Epp. 4, S. 1–493 Aldrici episcopi cenomanici memoriale, in: MGH Conc. II,2, Nr. 9A (App.), S. 836–847 Allocutio missi cuiusdam Divionensis. 857. post Febr. 14., in: MGH Cap. II,2, Nr. 267, S. 291 f. [Konzil von] Anjou. Juli oder August 850, in: MGH Conc. III, Nr. 20, S. 202–206 Annales Alamannici, in: MGH SS 1, Nr. 6, S. 22–60 Annales Bertiniani, hg. v. Georg Waitz, Hannover 1883 (MGH SRG 5), Übersetzung: Jahrbücher von St. Bertin, in: Quellen zur karolingischen Reichsgeschichte, Bd. 2, hg. u. bearb. v. Reinhold Rau, Darmstadt 1961 (Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters. Freiherr vom Stein Gedächtnisausgabe 6), S. 11–287 Annales Fuldenses sive Annales regni Francorum orientalis, hg. v. Friedrich Kurze (MGH SRG 7), Hannover 1891, ND 1993 Annales Guelferbytani, in: MGH SS 1, Nr. 7, S. 22–39 Annales Laureshamenses, in: MGH SS 1, Nr. 5, S. 23–39 Annales Laurissenses a. 741–788, in: MGH SS 1, Nr. 30, S. 134–174 Annales Laurissenses minores a. 680–817, in: MGH SS 1, Nr. 29, S. 112–123 Annales Mettenses priores, hg. v. Bernhard von Simson, Hannover/Leipzig 1905 (MGH SRG 10) Annales Nazarini, in: MGH SS 1, Nr. 8, S. 23–44 Annales Petavini, in: MGH SS 1, Nr. 4, S. 7–18 Annales regni Francorum inde ab a. 741 usque ad a. 829, qui dicuntur Annales Laurissenses maiores et Einhardi, hg. v. Friedrich Kurze, Hannover 1895 (MGH SRG 6) Ansegis – s. auch Collectio Ansegisi abbatis capitularium collectio, in: MGH Cap. I, Nr. 183, S. 394–450 Aristoteles, Politica, recognovit W. D. Ross, Oxford 1957 Astronomus: Vita Hludowici imperatoris, in: Tremp, S. 279–555 [Konzil von] Beauvais. April 845, in: MGH Conc. III, Nr. 9, S. 47–55 Benedicti III. Papae epistula, ed. Adolf von Hirsch-Gereuth, in: MGH Epp. 5, Nr. 48, S. 612–614

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Quellen und Quellensammlungen

Benedictus abbas Anianensis: Codex regularum monasticarum, in: MPL 103, Sp. 393–702 Benedictus Levita: Capitularia Regum Francorum, hg. v. Étienne Baluze, in: Mansi 17 B, Padua 1780 Benedictus Levita. Edition der falschen Kapitularien, hg. v. Gerhard Schmitz , 03.09.2012 [Konzil von] Bonneuil. August 855, in: MGH Conc. III, Nr. 34, S. 366–371 Breviarum Hipponense in Concilio Carthaginensi conlata a. 393, in: Concilia Africae a. 345–525, S. 22–53 Canones in causa Apiarii a. 418, in: Concilia Africae a. 345–525, S. 98–149 Capitula a sacerdotibus proposita. 802. Octob., in: MGH Cap. I, Nr. 36, S. 105–107 Capitula ad lectionem canonum et regulae S. Benedicti pertinentia. 802. Octob.?, in: MGH Cap. I, Nr. 37, S. 108 f. Capitula ad legem Baiwariorum addita. 801–813, in: MGH Cap. I, Nr. 68, S. 157 f. Capitula comitibus papiae ab Hludowico II. proposita. 850. exeunte, in: MGH Cap. II,1, Nr. 212, S. 84 f. Capitula cum primis constituta. 808, in: MGH Cap. I, Nr. 52, S. 139 f. Capitula de examinandis ecclesiasticis. 802. Octob.?, in: MGH Cap. I, Nr. 38, S. 109–112 Capitula de functionibus publicis. 819 vel paullo post, in: MGH Cap. I, Nr. 143, S. 294 f. Capitula de inspiciendis monasteriis, in: MGH Cap. I, Nr. 160, S. 321 f. Capitula de iustitiis faciendis. circa a. 820, in: MGH Cap. I, Nr. 144, S. 295 f. Capitula de missis instruendis. 829. initio., in: MGH Cap. II,1, Nr. 187, S. 7–9 Capitula de presbyteris admonendis, in: MGH Cap. I, Nr. 120, S. 237 f. Capitula de rebus ecclesiasticis. 825?, in: MGH Cap. I, Nr. 166, S. 332 Capitula e canonibus excerpta. 813, in: MGH Cap. I, Nr. 78, S. 173–175 Capitula e conciliis excerpta. 826, 827?, in: MGH Cap. I, Nr. 154, S. 311–314 Capitula e conciliorum canonibus collecta, in: MGH Cap. I, Nr. 114, S. 232 Capitula ecclesiastica. 810–813?, in: MGH Cap. I, Nr. 81, S. 178 f. Capitula ecclesiastica ad Salz data. 803–804, in: MGH Cap. I, Nr. 42, S. 119–121 Capitula electionis Hludowici Balbi Compendii facta. 877. Nov. 30.-Dec. 8., in: MGH Cap. II,2, Nr. 283, S. 363–365 Capitula episcoporum Papiae edita. 845–850, in: MGH Cap. II,1, Nr. 210, S. 80–83 Capitula excerpta canonica, in: MGH Cap. I, Nr. 113, S. 231 Capitula excerpta de canone. 806 vel post?, in: MGH Cap. I, Nr. 47, S. 133 f. Capitula Florentina, in: MGH Cap. Ep. I, S. 220–224 Capitula francica, in: MGH Cap. I, Nr. 167, S. 333–334 Capitula in dioecesana quadam synodo tractata, in: MGH Cap. I, Nr. 119, S. 236 f. Capitula italica, in: MGH Cap. I, Nr. 105, S. 215–220 Capitula italica, in: MGH Cap. I, Nr. 168, S. 335–337 Capitula legi addita. 816. Novembri, in: MGH Cap. I, Nr. 134, S. 267–269 Capitula legibus addenda. 818. 819, in: MGH Cap. I, Nr. 139, S. 281–285 Capitula missorum. 821, in: MGH Cap. I, Nr. 148, S. 300 f. Capitula per se scribenda. 818. 819, in: MGH Cap. I, Nr. 140, S. 287–289 Capitula Pistensia. 862. Iun., in: MGH Cap. II, Nr. 272, S. 302–310 Capitula Pistensia. 869. Iul., in: MGH Cap. II,2, Nr. 275, S. 332–337 Capitula post conventum Confluentium missis tradita. 860. Post Iun. 7, in: MGH Cap. II,2, Nr. 270, S. 297–301 Capitula vel missorum vel synodalia. 813?, in: MGH Cap. I, Nr. 84, S. 182 f. Capitulare Aquisgranense. 801–813, in: MGH Cap. I, Nr. 77, S. 170–172 Capitulare Aquisgranense. 810, in: MGH Cap. I, Nr. 64, S. 153 f. Capitulare Baiwaricum. Circa a. 810?, in: MGH Cap. I, Nr. 69, S. 158 f.

Quellenverzeichnis

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Capitulare Carisiacense. 857. Febr. 14, in: MGH Cap. II,2, Nr. 266, S. 285–291 Capitulare Carisiacense. 873. Ian. 4, in: MGH Cap. II,2, Nr. 278, S. 342–347 Capitulare Carisiacense. 877. Iun. 14, in: MGH Cap. II,2, Nr. 281, S. 355–361 Capitulare ecclesiasticum. 818. 819, in: MGH Cap. I, Nr. 138, S. 275–280 Capitulare ecclesiasticum Caroli Magni (805–813), in: Neue Kapitularien und Kapitulariensammlungen, hg. v. Hubert Mordek und Gerhard Schmitz in: Studien zur fränkischen Herrschergesetzgebung, hg. v. Hubert Mordeck, Frankfurt am Main 2000, S. 396–413 Capitulare de iustitiis faciendis. 811–813, in: MGH Cap. I, Nr. 80, S. 176 f. Capitulare francia, in: MGH Cap. I, Nr. 104, S. 213–215 Capitulare Haristallense. 779 mense Martio, in: MGH Cap. I, Nr. 20, S. 46–51 Capitulare legi Ribuariae additum. 803, in: MGH Cap. I, Nr. 41, S. 117 f. Capitulare legibus additum. 803, in: MGH Cap. I, Nr. 39, S. 111–114 Capitulare Liftinense a. 743, in: MGH Conc. II,1, Nr. 2, S. 5–7 Capitulare Mantuanum primum, mere ecclesiasticum. 787 initio?, in: MGH Cap. I, Nr. 92, S. 194 f. Capitulare Mantuanum secundum, generale. 787 initio?, in: MGH Cap. I, Nr. 93, S. 196–198 Capitulare missorum. 803, in: MGH Cap. I, Nr. 40, S. 114–116 Capitulare missorum. 819, in: MGH Cap. I, Nr. 141, S. 289–291 Capitulare missorum Attiniacence. 854. Iun., in: MGH Cap. II,2, Nr. 261, S. 277 f. Capitulare missorum Aquisgranense primum. 809, in: MGH Cap. I, Nr. 62, S. 149–151 Capitulare missorum generale. 802 initio, in: MGH Cap. I, Nr. 33, S. 91–99 Capitulare missorum in Theodonis villa datum primum, mere ecclesiasticum, in: MGH Cap. I, Nr. 43, S. 121 f. Capitulare missorum in Theodonis villa datum secundum, generale, in: MGH Cap. I, Nr. 44, S. 122–126 Capitulare missorum item speciale. 802?, in: MGH Cap. I, Nr. 35, S. 102–104 Capitulare missorum Niumagae datum. 806 m. Martio., in: MGH Cap. I, Nr. 46, S. 131 f. Capitularia missorum specialia. 802 initio, in: MGH Cap. I, Nr. 34, S. 99–102 Capitulare missorum generale. 802 initio, in: MGH Cap. I, Nr. 33, S. 91–99 Capitulare missorum Suessionense. 853. April. 22–26, in: MGH Cap. II,2, Nr. 259, S. 266–270 Capitulare missorum Wormatiense. 829. Aug., in: MGH Cap. II,1, Nr. 192, S. 14–17 Capitulare Olonnense. 822–823, in: MGH Cap. I, Nr. 157, S. 316 f. Capitulare Olonnense ecclesiasticum prinum. 825. mense Maio, in: MGH Cap. I, Nr. 163, S. 326 f. Capitulare Olonnense ecclesiasticum secundum. 825. Maio, in: MGH Cap. I, Nr. 164, S. 328 f. Capitulare Olonnense mundanum. 825. Maio, in: MGH Cap. I, Nr. 165, S. 329–331 Capitulare Saxonicum. 797. Oct. 28., in: MGH Cap. I, Nr. 27, S. 71 f. Capitulare Suessionense – s. Pippini principis capitulare Suessionense Capitulare Tusiacense in Burgundiam directum. 865. Febr., in: MGH Cap. II,2, Nr. 274, S. 329–332 Capitulare Wormatiense. 829. Aug., in: MGH Cap. II,1, Nr. 191, S. 11–14 Chronicon Moissiacense a saeculo quarto usque ad a. 818 et 840, in: MGH SS 1, Nr. 33, S. 280–313 Clausula de unctione Pippini, in: Stoclet, Alain J.: La Clausula de unctione Pippini regis. Mises au point et novelles hypothèses, in: Francia 8 (1980), S. 1–42 Codex Carolinus, in: MGH Epp. 3, Nr. 8, S. 469–657 [Ansegis] Collectio capitularium Ansegisi. Die Kapitulariensammlung des Ansegis, hg. v. Gerhard Schmitz, Hannover 1996 (MGH Cap. N.S. 1) Collectio Sangallensis Salomonis III. tempore conscripta, in: MGH Formulae, S. 390–433 Collectio Vetus Gallica. Die älteste systematische Kanonessammlung des fränkischen Gallien. Studien und Edition, hg. v. Hubert Mordek, Berlin, New York 1975 (Beitrage zur Geschichte und Quellenkunde des Mittelalters 1) Concilia Rispacense, Frisingense, Salisburgense a. 800, in: MGH Conc. II,1, Nr. 24, S. 205–219

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Quellen und Quellensammlungen

Concilium Agathense a. 506, in: Concilia Galliae I, S. 189–228 Concilium Antiochenum a. 341. Canones, in: Die Kanones der wichtigsten altkirchlichen Concilien nebst den apostolischen Kanones, hg. v. Friedrich Lauchert, Freiburg 1896, S. 26–29 Concilium Aquisgranense a. 816, in: MGH Conc. II,1, Nr. 39, S. 307–464 Concilium Aquisgranense a. 836. m. Februario, in: MGH Conc. II,2, Nr. 56, S. 704–767 Concilium Arausicanum a. 441, in: Concilia Galliae I, S. 76–93 Concilium Arelatense a. 554, in: Concilia Galliae II, S. 171–173 Concilium Arelatense secundum a. 442–506, in: Concilia Galliae I, S. 111–130 Concilium Arelatense a. 813, in: MGH Conc. II,1, Nr. 34, S. 248–253 Concilium Ascheimense a. 755–760, in: MGH Conc. II,1, Nr. 10, S. 56–58 Concilium Aurelianense a. 511, in: Concilia Galliae II, S. 3–19 Concilium Aurelianense a. 533, in: Concilia Galliae II, S. 98–103 Concilium Aurelianense a. 538, in: Concilia Galliae II, S. 113–130 Concilium Aurelianense a. 538, in: MGH Conc. I, S. 61–65 Concilium Aurelianense a. 541, in: Concilia Galliae II, S. 131–146 Concilium Aurelianense a. 549, in: Concilia Galliae II, S. 147–161 Concilium Carthaginensis a. 390, in: Concilia Africae a. 345–525, S. 11–19 Concilium Cabillonense a. 813, in: MGH Conc. II,1, Nr. 37, S. 273–285 Concilium Chalcedonense a. 451, in: Conciliorum Oecumenicorum Generaliumque Decreta. Editio critica, Bd. 1, The Oecumenical Councils from Nicaea I to Nicaea II (325–787), hg. v. Giuseppe Alberigo, Turnhout 2006 (Corpus Christianorum), S. 125–151 Concilium Claremontanum a. 535, in: Concilia Galliae II, S. 104–112 Concilium Clippiacense a. 626/627, in: Concilia Galliae II, S. 290–297 Concilium Clippiacense a. 647–653, in: Concilia Galliae II, S. 302–310 Concilium Epaonense a. 517, in: Concilia Galliae II, 20–37 Concilium Francofurtense a. 794, in: MGH Conc. II,1, Nr. 19, S. 110–171 Concilium Hipponense a. 393, in: Concilia Africae a. 345–525, S. 20–27 Concilium in Austrasia habitum q. d. Germanicum a. 742, in: MGH Conc. II,1, Nr. 1, S. 1–4 Concilium in Francia habitum a. 816–829? (ca. 825), in: MGH Conc. II,2, Nr. 48, S. 589–592 Concilium Ingelheimense a. 840. m. Augusto, in: MGH Conc. II,2, Nr. 61, S. 791–814 Concilium Latunense a. 673–675, in: Concilia Galliae II, S. 314–317. Concilium Lugdunense a. 567/570, in: Concilia Galliae II, S. 200–203 Concilium Mantuanum a. 827. m. Iunio, in: MGH Conc. II,2, Nr. 47, S. 583–589 Concilium Massilense a. 533, in: Concilia Galliae II, S. 84–97 Concilium Matisconense a. 581–583, in: Concilia Galliae II, S. 222–230 Concilium Modogarnomense a. 673–675, in: Concilia Galliae II, S. 314–317 Concilium Moguntinense a. 813, in: MGH Conc. II,1, Nr. 36, S. 258–273 Concilium Moguntinum. 847. Oct. 1, in: MGH Cap. II,1, Nr. 248, S. 173–184 Concilium Parisiense a. 552, in: Concilia Galliae II, S. 166–169 Concilium Parisiense a. 556–573, in: Concilia Galliae II, S. 204–210 Concilium Parisiense a. 556–573, in: MGH Conc. I, S. 141–146 Concilium Parisiense a. 614, in: Concilia Galliae II, S. 274–285 Concilium Parisiense a. 829. m. Iunio, in: MGH Conc. II,2, Nr. 50D, S. 605–680 Concilium Romanum a. 761, in: MGH Conc. II,1, Nr. 12, S. 64–71 Concilium Romanum a. 826. m. Novembri, in: MGH Conc. II,2, Nr. 46, S. 552–583 Concilium Suessionense a. 744, in: MGH Conc. II,1, Nr. 4, S. 33–36 Concilium Turonense a. 461, in: Concilia Galliae I, S. 142–149 Concilium Turonense a. 567, in: Concilia Galliae II, S. 175–199 Concilium Turonense a. 813, in: MGH Conc. II,1, Nr. 38, S. 286–293

Quellenverzeichnis

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Concilium Veneticum a. 461–491, in: Concilia Galliae I, S. 150–158 Concilium Vernense. 755. Iul. 11, in: MGH Cap. I, Nr. 14, S. 33–37 Constitutio Carisiacensis de moneta. 861. Iul., in: MGH Cap. II,2, Nr. 271, S. 301 f. Constitutio de Hispanis in Francorum regnum profugis prima. 815. Inanuar. 1, in: MGH Cap. I, Nr. 132, S. 261–263 Constitutio Romana. 825. m. Novenbri, in: MGH Cap. I, Nr. 161, S. 323–324 Corpus Iuris Civilis, Bd. 1, Institutiones, hg. v. Paul Kürger; Digesta, hg. v. Theodor Mommsen, Berlin 1889 Corpus Iuris Civilis, Bd. 2, Codex Iustinianus, hg. v. Paul Krüger, Berlin 1888 Corpus Iuris Civilis, Bd. 3, Novellae, hg. v. Rudolf Schöll, Wilhelm Kroll, Berlin 1904 [Konzil von] Coulaines. November 843, in: MGH Conc. III, Nr. 3, S. 10–17 Dhuoda: Liber manualis. Ein Wegweiser aus karolingischer Zeit für ein christliches Leben, hg., eingel. u. übers. v. Wolfgang Fels, Stuttgart 2008 (Bibliothek der Mittellateinischen Literatur 5) Divisio regnorum. 806. Feb. 6, in: MGH Cap. I, Nr. 45, S. 126–130 [Konzil von] Douzy. 5. August-6. September 871, in: MGH Conc. IV, Nr. 37, S. 410–572 [Konzil von] Douzy. 13. Juni 874, in: MGH Conc. IV, Nr. 40, S. 579–596 Edictum Pistense. 864. Iun. 25., in: MGH Cap. II,2, Nr. 273, S. 310–328 Ein karolingischer Konzilsbrief und der Fürstenspiegel Hincmars von Reims. Aus dem Nachlaß Gerhard Laehrs, hg. v. Carl Erdmann, in: Neues Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde 50 (1931), S. 106–134 [Einhard] Einharti epistolae, ed. Karl Hampe, in: MGH Epp. 5, Nr. 3, S. 105–149 Einhardi Vita Karoli Magni, hg. v. Oswald Holder-Egger, Hannover, Leipzig 1911, ND 1965 (MGH SRG 25) [sogenannte] Einhardsannalen - s. Annales regni Francorum Electionis Karoli capitula in regno Hlotharii factae. 869. Febr., in: MGH Cap. II,2, Nr. 276, S. 337–341 Episcoporum ad Hludowicum imperatorem relatio. circa 820, in: MGH Cap. I, Nr. 178, S. 366–368 Episcoporum ad Hludowicum imperatorem relatio. 829. Aug, in: MGH Cap. II,1, Nr. 196, S. 26–51 Episcoporum ad imperatorem de rebus ecclesiasticis relatio. post a. 821, in: MGH Cap. I, Nr. 179, S. 368–370 Epistola synodi Carisiacensis ad Hludowicum regen Germaniae directa. 858. Nov., in: MGH Cap. II,2, Nr. 297, S. 427–441 Epistolae selectae pontificum Romanorum Carolo Magno et Ludowico Pio regnantibus scriptae, ed. Karl Hampe, in: MGH Epp. 5, Nr. 1, S. 1–84 Epistolae selectae Sergii II., Leonis IV., Benedicti III., pontificum Romanorum, ed. Adolf von Hirsch-Gereuth, in: MGH Epp. 5, Nr. 11, S. 581–614 Epistolae variorum Carolo Magno regnante scriptae, in: MGH Epp. 4, Nr. 2, S. 494–567 Erchanberti breviarium regum Francorum, in: MGH SS 2, Nr. 35, S. 327–330 Ermoldi Nigelli carmina. In honorem Hludowici christianissimi Caesaris Augusti, in: MGH PL 2, S. 5–79 Ferrandi ecclesiae Carthaginensis diaconi breviatio canonum a. 523–546, in: Concilia Africae a. 345–525, S. 284–311 Flodoardus Remensis: Historia Remensis ecclesiae, hg. v. Martina Stratmann, Hannover 1998 (MGH SS 36) Florus von Lyon, Amalarius von Metz und der Traktat über die Bischofswahl. Mit einer kritischen Edition des sogenannten Liber de electionibus episcoporum, in: Revue bénédictine 106 (1996), S. 109–133 Formulae Augienses, in: MGH Formulae, Nr. 14, S. 339–377 Formulae Imperiales e curia Ludovici Pii, in: MGH Formulae, Nr. 12, S. 285–328 Formulae Salicae Merkelianae, in: MGH Formulae, Nr. 10, S. 239–264

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Quellenverzeichnis

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Hinkmar von Reims, Ep. 340: An König Karl den Kahlen, in: MGH Epp. 8,2, S. 663 f. (Epistola XLVII. Ad Carolum regem, in: MPL 126, Sp. 267 f.) Hinkmar von Reims: Epistola XLVIII. Ad Hedenulphum Laudunensem episcopum, in: MPL 126, Sp. 268 f. Hinkmar von Reims: Epistola L. Ad clerum et plebem Cameracensem, in: MPL 126, 269 f. Hinkmar von Reims: Epistola LI. Cleri et plebis Laudunensis ad Hincmarum Rhemensem archiepiscopum, in: MPL 126, Sp. 270 Hinkmar von Reims: Epistola LII. Ad clerum et plebem Laudunensem, in: MPL 126, Sp. 271–276 Hinkmar von Reims: Opusculum LV capitulorum (55-Kapitel-Werk), in: MGH Conc. VI, Suppl. II, S. 99–361 Hinkmar von Reims: Hinkmar an Bischof Ebo von Grenoble. Ordination des Bischof Isaak von Langres. Frühjahr 857, in: MGH Epp. 8,1, Nr. 102, S. 50 Hinkmar von Reims: Hinkmar an Bischof Pardulus von Laon. 855–856. 855–857, in: MGH Epp. 8,1, Nr. 93, S. 43 Hinkmar von Reims: Hinkmar an den Abt und Erzkaplan Hilduin. Bischofswahl in Térouanne. 855–856, in: MGH Epp. 8,1, Nr. 92, S. 42 Hinkmar von Reims: Hinkmar an den Grafen Gerard von Vienne. Ordination des Bischof Isaak von Langres. Frühjahr 857, in: MGH Epp. 8,1, Nr. 103, S. 50 Hinkmar von Reims: Hinkmar an den Grafen Maio über den Fall einer etwaigen Bischofswahl in Cambrai und über den Frieden im Reiche. 845–855, in: MGH Epp. 8,1, Nr. 70, S. 37 Hinkmar von Reims: Hinkmar an Erzbischof Gunthar von Köln. Bischofswahl in Cambrai. August 862, in: MGH Epp. 8,1, Nr. 152, S. 119 Hinkmar von Reims: Hinkmar an Erzbischof Remigius von Lyon. Ordination des Bischofs Isaak von Langres. Frühjahr 857, in: MGH Epp. 8,1, Nr. 101, S. 50 Hinkmar von Reims: Hinkmar an König Karl den Kahlen. Bischofswahl in Beauvais. Ende 845, in: MGH Epp. 8,1, Nr. 6, S. 3 Hinkmar von Reims: Hinkmar an König Karl den Kahlen. Bischofswahl in Châlons-sur-Marne. 856–857, in: MGH Epp. 8,1, Nr. 95, S. 43 Hinkmar von Reims: Hinkmar an König Karl den Kahlen. Brückenbau bei Pîtres. Mitte 864, in: MGH Epp. 8,1, Nr. 172, S. 165 Hinkmar von Reims: Hinkmar an König Lothar II. Bischofswahl in Cambrai. August 862, in: MGH Epp. 8,1, Nr. 151, S. 119 Hinkmar von Reims: Hinkmar an Königin Irmintrud zwecks Beeinflussung des Königs. Bischofswahl in Beauvais. Ende 845, in: MGH Epp. 8,1, Nr. 5, S. 2 f. Hinkmar von Reims: Hinkmar an Papst Leo IV. Die Befugnisse der Chorbischöfe. 847–850, in: MGH Epp. 8,1, Nr. 33, S. 11 Hinkmar von Reims: Hinkmar erbittet im Namen der Synode von Quierzy Zustimmung und Fürsprache des Erzkaplans Hilduin beim König bezüglich der Bischofswahl Isaaks von Langres. Februar 857, in: MGH Epp. 8,1, Nr. 100, S. 50 Hinkmar von Reims: Hinkmar ermahnt König Karl den Kahlen für bessere Reichssicherheit der Untertanen seines Reiches Sorge zu tragen. Februar 859, in: MGH Epp. 8,1, Nr. 126, S. 62–65 Hinkmar von Reims: Hinkmar überreicht den Erzbischöfen Remigius von Lyon, Wenilo von Rouen und der ganzen Synode von Soisson 866 vier Denkschriften über die Sache Wulfads und der übrigen auf der Synode von Soisson 853 abgesetzten Reimser Geistlichen. Über die Gültigkeit der Absetzung Ebos von Reims und seine eigene Ordination. 18. August 866, in: MGH Epp. 8,1, Nr. 184 B, S. 177–182 Hinkmar von Reims: Instructio ad Ludowicum Balbum regem, in: MPL 125, Sp. 983–994 Hinkmar von Reims: Zwei Fragmente einer Denkschrift Hinkmars im Prozeß Rothads von Soissons. Februar/März 863, in: MGH Epp. 8,1, Nr. 160, S. 122–140

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Quellen und Quellensammlungen

Hlotharii et Karoli conventus Leodii habitus. 845. Febr., in: MGH Cap. II,1, Nr. 207, S. 76–78 Hlotharii, Hludowici et Karoli conventus apud Marsnam primus. 847. Febr., in: MGH Cap. II,1, Nr. 204, S. 68–71 Hlotharii, Hludowici et Karoli conventus apud Marsnam secundus. 851. aestate, in: MGH Cap. II,1, Nr. 205, S. 72–74 Hludowici ad archiepiscopos epistolae. 816–817, in: MGH Cap. I, Nr. 169, S. 338–342 Hludowici et Hlotharii epistola generalis. 828. Dec., in: MGH Cap. II,1, Nr. 185, S. 3–6 Hludowici et Karoli II. pactum Argentoratense, in: MGH Cap. II, Nr. 247, S. 171 f. Hludowici et Karoli pactum Tusiacence. 865. Febr. 19, in: MGH Cap. II,1, Nr. 244, S. 165–167 Hludowici Iunioris et Hludowici Balbi conventio Furonensis. 878. Nov. 1, in: MGH Cap. II,1, Nr. 246, S. 168–170 Hludowici, Karoli et Hlotharii II. conventus apud Confluentes. 860. Iun. 1.–7., in: MGH Cap. II,1, Nr. 242, S. 152–158 Hludowici, Karoli et Hlotharii II. conventus apud Saponarias. 862. Nov. 3, in: MGH Cap. II,1, Nr. 243, S. 159–165 Hludowici Pii ad Hetti archiepiscopum Trevirensem praeceptum. 819, in: MGH Cap. I, Nr. 173, S. 355 f. Hludowicum prooemium generale ad capitularia tam ecclesiastica quam mundana. 818. 819, in: MGH Cap. I, Nr. 137, S. 273–275 Hrabani (Mauri) abbatis Fuldensis et archiepiscopi Moguntiacensis epistolae, ed. Ernst Dümmler, in: MGH Epp. 5, Nr. 9, S. 379–516 Isaak von Langres, in: MGH Cap. Ep. II, S. 161–241 Isidori Mercatoris: Breviarium canonum apostolorum cet., in: Hinschius, S. 25–30 Isidori Mercatoris: Capitula Angilramni, in: Hinschius, S. 757–769 Isidori Mercatoris: Capitula Martini Braccarensis, ed. Hinschius, S. 426–433 (MPL 130, Sp. 577–588) Isidori Mercatoris: Concilium Agathense, in: Hinschius, S. 331–336 (MPL 130, Sp. 399–409) Isidori Mercatoris: Concilium Arelatense scundum, in: Hinschius, S. 321–323 (MPL 130, Sp. 377–382) Isidori Mercatoris: Concilium Aurelianense, in: Hinschius, S. 336–338 (MPL 130, Sp. 409–412) Isidori Mercatoris: Concilium Carthaginense quintum, in: Hinschius, S. 306–308 (MPL 130, Sp. 349–352) Isidori Mercatoris: Concilium Carthaginense Africae sextum, in: Hinschius, S. 308–315 (MPL 130, Sp. 353–366) Isidori Mercatoris: Concilium Chalcedonense, in: Hinschius, S. 282–291 (MPL 130, Sp. 303–320) Isidori Mercatoris: Concilium Regiense, in: Hinschius, S. 326f. (MPL 130, Sp. 387–392) Isidori Mercatoris: Concilium Toletanum tertium, in: Hinschius, S. 354–362 (MPL 130, Sp. 441–462) Isidori Mercatoris: Concilium Toletanum quartum, in: Hinschius, S. 362–374 (MPL 130, Sp. 461–484) Isidori Mercatoris: Concilium Toletanum sextum, in: Hinschius, S. 376–380 (MPL 130, Sp. 485–494) Isidori Mercatoris: Item eiusdem Caelestini papae, Ad episcopos Galliae, in: Hinschius, S. 559–561 (MPL 130, Sp. 754–758) Isidori Mercatoris: Decreta Sixti papae, in: Hinschius, S. 561–565 (MPL 130, Sp. 757–764) Isidori Mercatoris: Epistola Annicii, in: Hinschius, S. 120–122 Isidori Mercatoris: Epistola Calixti, in: Hinschius, S. 135–143 Isidori Mercatoris: Epistola Clementis ad lacobum fratrem domini, in: Hinschius, S. 30–66 Isidori Mercatoris: Epistola Fabiani, in: Hinschius, S. 156–170

Quellenverzeichnis

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Register Nur ausgewählte Begriffe, Sachen, Orte, Personen, deren Relevanz über die bloße Nennung hinausgeht und sich nicht über die gesamte Arbeit erstreckt bzw. über das Inhaltsverzeichnis ausreichend erschlossen ist, wie etwa karolingische Könige, Hinkmar von Reims, „regnum“ und „Reich“ oder „ecclesia“ und „Kirche“ Absetzung / absetzen / Absetzungsverfahren 14, 81, 162, 214, 227 Anm. 312, 232 Anm. 341, 233, 246, 255, 256 Anm. 452, 332, 334, 433 Actardus, Bischof von Nantes 233f., 292 adventus Augusti 151 Agobard, Erzbischof von Lyon 117, 198, 211 Anm. 224, 227 Anm. 312, 312 Anm. 23, 319, 329, 393, 416 Anm. 463 amicitia 111, 201 Anm. 181, 348, 382, 418f., 431 Anwachsung / Anwachsungsrecht – s. auch Eintritt 23, 61 Anm. 26, 65, 70, 112, 410f. Appellation 233, 246, 248f., 254, 256, 270, 285, 293, 296, 298 Anm. 690, 363 Anm. 232 Asyl (auch Kirchenasyl) 282, 286 Bernhard von Italien 78–81, 96, 116, 129, 319, 324f., 337, 341, 346, 385 Anm. 321, 389, 407f., 419 Bernhard von Septimanien (Markgraf Bernhard von Barcelona) 74, 84, 98 Anm. 157, 338, 379, 382, 390 Beute 180, 360, 450f. Bischofsanklage 149, 191f., 231–233, 245–247, 266, 268–270, 274, 276f., 283, 296, 298, 447 Bischofsversammlung s. auch Konzil bzw. Synode 138, 148f., 153–157, 159–163, 165–167, 189f., 196, 207, 214, 225, 227, 241–248, 250–256, 258, 274–277, 442f., 445, 447 Boso, späterer König der Provence 100 (Bosoniden), 379, 380 Anm. 300, 408 Anm. 437, 419, 422 caritas – s. auch germanitas, fraternitas 64, 65, 110 Anm. 6, 111, 112 Anm. 19, 128, 241 Anm. 389, 310 Anm. 18, 358 Chorso, dux von Toulouse 334

https://doi.org/10.1515/9783110641936-015

Codex Theodosianus 134f., 261 Anm. 472, 272 Anm. 542, 291, 295 Anm. 674, 297 comes, Graf s. auch Markgraf 27 Anm. 107, 37, 73 Anm. 3, 76, 102, 124 Anm. 16, 125, 164, 179 Anm. 54, 183 Anm. 78, 183 Anm. 84, 190, 193 Anm. 141, 194, 207f., 224 Anm. 292, 226 Anm. 304, 249 Anm. 419, 283 Anm. 613, 286 Anm. 631, 287–291, 293 Anm. 659, 294, 295 Anm. 668, 300 Anm. 701, 301, 321, 323 Anm. 43, 325f., 328f., 332, 335, 346 Anm. 149, 352f., 356, 359, 367, 369, 372, 377 Anm. 288, 378, 385 Anm. 319, 393f., 399, 403 Anm. 404, 408, 423 Anm. 497, 425f., 431 Anm. 532, 431 Anm. 533, 432, 433 Anm. 544, 436 Anm. 558, 437, 441 Anm. 582, 445 Anm. 604, 447f. comitatus, Grafschaft 100 Anm. 180, 249 Anm. 419, 287 Anm. 636, 367, 372 Anm. 274, 404, 426, 437, 447 concordia 88 Anm. 102, 224, 287, 310 Anm. 18, 348f., 376 Anm. 286 confoederatio (confaederatio) 1, 40, 47f., 50f., 451 coniuratio 378, 389 Anm. 342 consensus 60f., 87, 95 Anm. 138, 116 Anm. 39, 147 Anm. 75, 153, 155, 161, 163 Anm. 175, 183 Anm. 78, 183 Anm. 83, 192, 196 Anm. 153, 203 Anm. 190, 204, 206 Anm. 200, 207, 215f., 226 Anm. 305, 230 Anm. 326, 242 Anm. 393, 244, 246, 251, 255, 267 Anm. 507, 268 Anm. 511, 270 Anm. 526, 276 Anm. 571, 287, 315–326, 335, 358 Anm. 207, 359, 368 Anm. 257, 373, 381 Anm. 301, 385 Anm. 319, 386, 394 Anm. 366, 412, 425f., 428 Anm. 516, 433, 436 Anm. 558, 438 Anm. 566, 441 Anm. 580, 445 Anm. 604 consiliare 83 Anm. 70, 325, 410 Anm. 442 consiliarius 50f., 101, 301, 310 Anm. 18, 318 Anm. 19, 392 Anm. 356, 393 Anm. 357, 413

502

Register

consiliator 83 Anm. 70 consilium 26 Anm. 104, 49, 69 Anm. 65, 83 Anm. 70, 88, 89 Anm. 106, 95 Anm. 183, 106, 148, 183 Anm. 78, 183 Anm. 83, 189, 195, 206 Anm. 198, 207, 223, 250 Anm. 424, 251f., 275, 293, 297 Anm. 684, 315–326, 327f., 330 Anm. 78, 334 Anm. 100, 335, 342 Anm. 130, 351, 356, 358 Anm. 207, 359f., 365 Anm. 243f., 369, 380 Anm. 293, 380 Anm. 295, 385 Anm. 319, 385 Anm. 321, 386 Anm. 322, 406, 416, 419 Anm. 484, 426, 444, 445 Anm. 604 consors 63, 67, 69, 71 Anm. 76, 73, 101, 114–119, 184, 215, 248 Anm. 413, 325, 369 Anm. 258, 414, 416–418 consortium 55, 63 Anm. 36f., 83, 114–119, 211, 369, 416, 418 conspiratio 299 convenientia 249 Anm. 422, 347, 349, 358 Anm. 208 conventus 69 Anm. 65, 206 Anm. 198, 219 Anm. 269, 318 Anm. 18, 319, 321 Anm. 36, 323 Anm. 45, 325 Anm. 59, 329, 359 Anm. 209, 361 Anm. 223, 379 Anm. 291, 389, 425, 430, 436 Anm. 556f., 436 Anm. 559f. corpus (ecclesiae, regni) 60, 63, 213, 302, 310 Anm. 18, 333f., 369 Anm. 258, 443 corpus (Christi) (mysticum) 136, 138, 214, 333, 349f., 369 Anm. 258 crimen 286 Anm. 631, 297, 386 Anm. 325, 386 Anm. 327 crimen (laesae) maiestatis 337, 362, 376, 387–390, 406 Anm. 422 cura pauperum 287, 422 (oppressione pauperum) David (König des Alten Bundes) 6, 66, 73, 74, 115 Anm. 36, 134 Anm. 3, 308, 417, 421 defensor (ecclesiae) 191, 283, 288 Anm. 641, 289 Anm. 647, 292, 296 Anm. 683, 342 (Deo) dicata/dedicate 147, 150, 200, 212, 215, 237, 272, 282 Anm. 605 dispositio (von Kirchengut) 220, 222, 223 Anm. 291, 228 Anm. 319, 270, 292 Anm. 657 dona 400–403 – annualia 401–404 – generalia 49 Drogo (Sohn Karls des Großen] 78f., 258, 325, 370, 419

res (facultates, rationes) ecclesiasticae 147 Anm. 74, 184, 192, 197, 200, 209 Anm. 214, 215 Anm. 245, 235 Anm. 357, 236, 241 Anm. 389, 282 Anm. 605, 373, 374 Anm. 279, 394 Anm. 366, 419 Anm. 484, 445 Ebo von Reims 229, 242, 246 Anm. 409, 263 Anm. 483, 285, 386 Echternach an der Sauer (Kloster) 124 Anm. 13, 170 Anm. 4, 176–178 Eigenkirche 137, 154 Anm. 114, 169 Anm. 3, 170–173, 176, 178, 180, 187, 198, 202 Anm. 186f., 222, 223 Anm. 291, 238, 284, 441 Anm. 584 Eintritt (auch „Eintrittsrecht“) – s. auch Anwachsung 23, 61, 65, 126, 128, 410f. eligere / elegere 65, 161 Anm. 164, 194 Anm. 144, 196 Anm. 153, 203 Anm. 189f., 204 Anm. 192, 224, 225 Anm. 296, 225 Anm. 299, 226 Anm. 307, 250, 268 Anm. 515, 268 Anm. 517, 329, 351 Anm. 179, 380 Anm. 299, 393 Anm. 360, 433 Anm. 542, 433 Anm. 544 episcopalis audientia 142, 144, 220 Anm. 273, 289–291 Erbe, Erbengemeinschaft 58f., 61 Anm. 26, 62f., 76, 78, 89 Anm. 106, 90 Anm. 113, 97, 109f., 112, 114, 123–125, 175f., 185, 189, 198, 202, 237, 284, 292, 295, 353 Anm. 184, 399, 410 Anm. 447, 411 Anm. 448 fidelis (Dei, regis), fidelitas 35, 50 Anm. 28, 65 Anm. 45, 66 Anm. 47, 83 Anm. 71, 86f., 113 Anm. 29, 117 Anm. 46, 123 Anm. 9, 170 Anm. 4, 194, 198f., 202 Anm. 186, 206, 209 Anm. 214, 211, 215 Anm. 245f., 236–238, 260 Anm. 470, 273 Anm. 551, 283 Anm. 611, 310 Anm. 18, 317, 318 Anm. 19, 318 Anm. 21, 319, 321f., 323, 325, 330f., 334, 344f., 347 Anm. 156, 348f., 351f., 355–360, 367, 370 Anm. 264, 371, 376, 377 Anm. 288, 380 Anm.293, 382–384, 389 Anm. 341, 391f., 395f., 398, 400, 403, 406, 408 Anm. 434, 418 Anm. 474, 426, 428 Anm. 517, 431, 438 Anm. 566, 441, 444, 445 Anm. 604, 446 Anm. 609, 447

Register

fiscus 4, 208f., 282 Anm. 609, 289, 293, 294 Anm.667, 297 Anm. 684, 298, 300 Anm. 701 (fiscalini), 366 Anm. 247, 367, 399, 445 foedus, foederare, Foederaten 87f., 349, 355, 358, 363f., 370 fraternitas 110–113, 162, 418 Gelasius I. (Papst) 213, 302f., 311, 438, 443–445 germanitas 111 Anm. 9, 112f., 128 Anm. 35, 442 Gesamthand 58, 61 Anm. 27, 62f., 114f., 175, 202 Gewaltmonopol 16, 17 Anm. 71, 299 Gottschalk (Mönch) 217f. Grafschaft s. auch comitatus 74 Anm. 10, 76 Anm. 19, 82, 182, 189, 287 Anm. 638, 352 Anm. 183, 367, 423 Anm. 497 Grafschaftsverfassung 14, 423 gubernatio 220, 441 Anm. 579 Hardrad 397 Hinkmar, Bischof von Laon 218, 233, 243f., 252, 254, 260, 270 Anm. 528, 363 Anm. 232, 440, 447 Hinkmar von Reims – passim honores 84, 87, 127 Anm. 33, 345f., 352 Anm. 183, 371 Anm. 267, 403f., 410 Hugo (Sohn Karls des Großen) 78f., 325, 370, 419 Iulianus Pomerius 199, 211, 215 Anm. 245 ius paternum 59, 352, 381, 410–413, 415, 417, 436 iustitia 117, 118 Anm. 50, 253, 272 Anm. 545, 275 Anm. 563, 286 Anm. 631, 290, 296 Anm. 683, 301 Anm. 703, 322, 323 Anm. 43, 324 Anm. 52, 328, 355f., 358, 393 Anm. 357, 409 Anm. 439, 422, 423 Anm. 495f., 428–432, 433 Anm. 543, 445 Anm. 604, 446 Judith, Frau Ludwigs des Frommen 39, 54 Anm. 1, 83–85, 89 Anm. 105–107, 95–98, 104–106, 319, 338–340, 386, 413, 416, 418, 420 juristische Person 16, 25 Anm. 96, 137, 139, 140 Anm. 37, 238 Anm. 373

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Kaiserkrönung 63f., 66f., 78, 117, 307, 323, 351, 362 Anm. 227, 387f., 398, 419 Anm. 484, 427 Kapital 50f., 62 Anm. 33, 147, 169f., 172–174, 187 Karolingische Renaissance 66, 414, 423, 450 Körperschaft, Körperschaftlichkeit 8, 24f., 55, 76, 121–130, 137f., 145 Anm. 62, 346, 366 Anm. 247, 368, 375, 415, 417, 420 Konsens s. consensus lex Baiuwariorum 296 Anm. 677, 299, 301 Anm. 705 lex Visigothorum 296 Anm. 678, 299 litis contestatio 142 Anm. 47, 296 locus 157, 163 Anm. 177, 177, 188, 197, 198 Anm. 168, 200, 202, 209 Anm. 216, 210, 219 Anm. 267, 221, 237 Anm. 369, 239 Anm. 380, 240 Anm. 385, 279f., 286 Anm. 631, 287 Anm. 632, 292 Anm. 657, 323 Anm. 42, 325, 408 Anm. 434, 424 Anm. 499, 425 Anm. 503, 428, 433 Anm. 542, 433 Anm. 544 Markgraf 75, 87, 127 Anm. 33 Matfrid (Graf von Orléans) 85 Anm. 79f., 97, 312, 338–340, 370 Anm. 265, 393, 429 Metropolit – passim Ministerium 197, 209, 212, 274, 275, 276 Anm. 567, 283 Anm. 610, 288 Anm. 642, 308f., 312, 393, 396, 416, 447f. misericordia 122 Anm. 3, 310 Anm. 18, 360, 372 Anm. 271, 389 Anm. 341, 406, 409 Anm. 439, 423 Anm. 495 missus / missi 73 Anm. 3, 75, 118, 179 Anm. 57, 193, 197, 208, 210, 284, 286, 289 Anm. 647, 292 Anm. 656, 294, 300 Anm. 701, 301, 325, 356, 370, 372, 373 Anm. 275, 384 Anm. 316, 391 Anm. 349, 394, 397, 400, 416, 422, 424, 428 Anm. 514, 431 Anm. 532, 432 Anm. 540, 433, 436 Anm. 559, 441, 447 Anm. 614, 448 nomen imperiale / imperatoris 67f. occultum 293, 294 Anm. 665, 408 Anm. 435 ordines 29, 124, 197, 321, 359, 406 Ordinatio imperii 1 Anm.2, 55, 62 Anm. 31, 70–72, 74, 80f., 84, 90 Anm. 109, 97, 111,

504

Register

115 Anm. 37, 117 Anm. 42, 129, 309, 319f., 344, 411–413, 417 ordo / Ordnung 196, 223 Anm. 289, 232, 266 Anm. 499, 268 Anm. 517, 428 Ort – s. locus pallium 242, 249, 258, 276, 443 pars / partes 61 Anm. 27, 86 Anm. 85, 99, 112 Anm. 24, 123 Anm. 9, 186 Anm. 101, 203 Anm. 189, 227 Anm. 311, 228 Anm. 319, 240 Anm. 385, 291 Anm. 654, 319 Anm. 24, 323 Anm. 45, 324 Anm. 52, 328, 331, 357, 360, 361 Anm. 221, 367, 368 Anm. 256, 376 Anm. 286, 378, 379 Anm. 291, 380 Anm. 295, 381, 384, 399 Anm. 393, 402, 407, 417 Anm. 469, 422, 425, 433 Anm. 545, 436 Anm. 557, 436 Anm. 560 partitio (regni) 319, 376 Anm. 286, 436 Anm. 560 pater patriae 74 Anm. 6 patria 118, 300, 331f., 342 Anm. 130, 390, 422, 428 Anm. 516, 432 Anm. 535, 442 patria potestas 81, 309f., 411, 417, 420 patriarcha / Patriarch / Patriarchat 233, 248, 277, 415 pauperes 186 Anm. 99, 186 Anm.101, 192, 198, 199, 211, 215 Anm. 245f., 218 Anm. 262, 223 Anm. 287, 234 Anm. 350, 235 Anm. 355, 236, 237 Anm. 367, 238, 241 Anm. 389, 260 Anm. 471, 272 Anm. 544, 287, 290, 296 Anm. 683, 300 Anm. 699, 397 Anm. 379, 422, 424 Anm. 498, 430 pax 46, 110 Anm. 6, 111 Anm. 11, 282 Anm. 606, 310 Anm. 18, 319 Anm. 24, 327 Anm. 63, 330, 345, 348, 351 Anm. 175, 355f., 358, 363 Anm. 234, 367, 376 Anm. 286, 402, 405 Anm. 417, 422, 426, 428f., 432, 433 Anm. 543, 446 persona 202 Anm. 188, 208 Anm. 212, 213, 225 Anm. 299, 274 Anm. 555, 302, 303 Anm. 714, 313, 323 Anm. 42, 349 Anm. 167, 359, 396, 415, 428 Anm. 517, 438f., 444 Anm. 600 Personenverbandsstaat 4 Anm.12, 14, 31–34, 369 Anm. 259 placitum 28 Anm. 114, 193 Anm. 142, 209 Anm. 214, 228 Anm. 319, 282 Anm. 606, 323 Anm. 42, 324 Anm. 52, 327 Anm. 64, 359f.,

372 Anm. 274, 386 Anm. 325, 413, 425, 428 Anm. 516, 436, 438 Anm. 566 plebs 99, 154, 159, 196 Anm. 153, 200 Anm. 179, 206 Anm. 200, 223 Anm. 290, 226, 230, 240 Anm. 385, 268, 381, 392, 428 Anm. 516, 432 Anm. 535 Plektrud (Frau Pippins des Mittleren) 90–92, 104f., 122, 170 Anm. 4, 174, 176–179, 336 Anm. 109, 450 potentes 153f., 290, 293, 300 Anm. 699, 397 Anm. 379, 422, 432 primas (provintiae) 145 Anm. 64, 246, 248f., 251, 253f., 258 Anm. 457, 259f., 266 Anm. 498, 269f., 274–277, 296, 344 primores 69 Anm. 65, 84, 86 Anm. 85, 319 Anm. 24, 330, 332, 339, 361 Anm. 223, 364, 366f., 376, 382, 384 Anm. 317, 390, 392, 394, 404 Anm. 413, 408 Anm. 436 proceres 125 Anm. 19, 319, 325–328, 336, 358 Anm. 207, 361, 373, 386 Anm. 322, 405, 412, 425, 436 Anm. 558, 436 Anm. 560 procurator 199, 201 publicum / publice 4, 144 Anm. 54, 213, 230, 282 Anm. 609, 289 Anm. 646, 291, 293, 294 Anm. 665, 297, 311, 325 Anm. 59, 330, 353 Anm. 185, 373f., 394f., 419 Anm. 484, 425, 434 Anm. 551, 436 rectrix 88 Reichseinheit (auch „Reichseinheitspartei“) 65, 67 Anm. 52, 71, 85, 214, 258, 261, 309, 346, 420 Reichsteilung 17 Anm. 73, 58, 59 Anm. 16, 63, 76 Anm. 19, 109f., 128, 157, 273 Anm. 552, 318 Anm. 19, 436 Anm. 560, 437 Reichsversammlung 27 Anm. 112, 28, 47–50, 82, 190 Anm. 123, 257 Anm. 455, 262, 265, 316 Anm. 10, 319f., 323, 325, 340, 344, 351, 390, 401–403, 425 Anm. 502, 425, 436 repertrix 88, 106 res Dei 158 res pauperum 272 Anm. 544 res publica 9f., 38, 45, 194, 208, 260 Anm. 471, 298, 306–308, 311, 322, 328f., 332, 333 Anm. 94, 357, 371 Anm. 268, 387, 391, 393–396, 399, 421, 435, 444, 446, 448 res sacrata 146, 211, 215 Anm. 247, 237

Register

Rothad, Bischof von Soissons 218, 244, 248 Anm. 413, 249 Anm. 419–421, 253–257, 260 Salomo, Herzog der Bretonen 366f., 417, 429 Anm. 522 senior / seniores 49f., 70 Anm. 72, 86, 97, 113, 127 Anm. 32, 260 Anm. 469, 283 Anm. 609, 321, 377, 384, 441 Anm. 582, 445, 447 sociare 89, 336, 343, 354 (associare/ consociare), 365f., 372, 408 Anm. 435, 416f. societas (Francorum) 1, 40, 89 Anm. 107, 114 Anm. 34, 116, 315, 333, 348 Anm. 162, 349, 354, 356, 363–366, 368–370, 378–380, 382, 399, 405 socius 116, 118, 417 soliditas (regni) 329, 355, 444 Anm. 601 stabilitas (loci) 46f., 188, 221, 279f., 291 Anm. 654, 310 Anm. 18, 348–350, 356, 423 Anm. 495, 447 status regni 1 Anm. 2, 47, 49 Anm. 22, 111 Anm. 11, 208, 296, 298, 300 Anm. 698, 322 Anm. 39, 333, 355, 358, 431, 438 Anm. 565, 442 Anm. 587, 444 Anm. 601, 445 Anm. 604, 446, 447 Anm. 615 Stellinga 371f. Stiftung / Stifter 149, 169–172, 174–177, 179f., 185 Anm. 94, 202

505

Straßburger Eide 86, 127 Anm. 35, 329 Anm. 75, 357 Suffragan 190, 209 Anm. 216, 221 Anm. 283, 225f., 229f., 241f., 247, 249 Anm. 419, 250–256, 276 Anm. 567 Tassilo, Herzog der Bayern 18, 94 Anm. 130, 104 Anm. 218, 123, 124 Anm. 13, 172 Anm. 10, 324, 328, 330f., 344, 361, 364, 379, 387 Anm. 331, 388, 406, 417, 423 Anm. 497 Teutgaud, Erzbischof von Trier 257, 260 Theoderich, Sohn Karls des Großen 78, 325, 419 Theutberga, Tochter Hukberts, Frau Lothars II. 79, 99f., 105, 355 totum (regni) corpus 1, 60, 63, 302 Anm. 710 tranquillitas 70 Anm. 73, 348, 355f. Tribut 360f. universitas 25, 50 Anm. 27, 368 vota fidelium, pretia peccatorum et patrimonia pauperum 199, 211, 215 Anm. 245, 236, 238 Willibrord 124 Anm. 13, 170 Anm. 4, 174, 176–178