Karolingische Kaiser als Sportler: Ein Beitrag zur frühmittelalterlichen Körpergeschichte 3515111476, 9783515111478

Die große Bedeutung des Sports in der neueren und neuesten Zeit ist – selbst dann, wenn gerade keine Olympiade oder Welt

128 21 927KB

German Pages 89 [93] Year 2015

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Karolingische Kaiser als Sportler Ein Beitrag zur frühmittelalterlichen Körpergeschichte
1. Den Körper beschreiben
2. Den Körper preisen
3. Sprechende körperliche Details
4. Bestens trainierte Kaiser
5. Sportliche Vergleiche
6. Typisch fränkischer Sport
7. Von Kindesbeinen an
8. Reiterkämpfe als Kriegsübung
9. Das Kriegsparadoxon
10. Jagd als Sport
11. Sport und Krieg – nicht nur im frühen Mittelalter
12. Mittelalterliche Leibfeindlichkeit?
Exkurse
1. Claudian über Kaiser Honorius
2. Der Kaiser schwimmt. Anmerkungen zu einem jüngst erschienenen Buch
Namensregister
Quellenregister
Recommend Papers

Karolingische Kaiser als Sportler: Ein Beitrag zur frühmittelalterlichen Körpergeschichte
 3515111476, 9783515111478

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

Achim Thomas Hack

Karolingische Kaiser als Sportler Ein Beitrag zur frühmittelalterlichen Körpergeschichte

Mittelalter Franz Steiner Verlag

4

jenaer mediävistische vorträge

4

Achim Thomas Hack Karolingische Kaiser als Sportler

jenaer mediävistische vorträge Herausgegeben von Achim Thomas Hack Band 4

Achim Thomas Hack

Karolingische Kaiser als Sportler Ein Beitrag zur frühmittelalterlichen Körpergeschichte

Franz Steiner Verlag

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2015 Druck: Laupp & Göbel, Nehren Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-11147-8 (Print) ISBN 978-3-515-11148-5 (E-Book)

Inhaltsverzeichnis Vorwort .................................................................................... 7 Karolingische Kaiser als Sportler ............................................ 9 1. Den Körper beschreiben .................................................. 16 2. Den Körper preisen ......................................................... 20 3. Sprechende körperliche Details ...................................... 24 4. Bestens trainierte Kaiser ................................................. 27 5. Sportliche Vergleiche ...................................................... 31 6. Typisch fränkischer Sport ............................................... 33 7. Von Kindesbeinen an ...................................................... 35 8. Reiterkämpfe als Kriegsübung ........................................ 40 9. Das Kriegsparadoxon ...................................................... 43 10. Jagd als Sport .................................................................. 45 11. Sport und Krieg – nicht nur im frühen Mittelalter .......... 49 12. Mittelalterliche Leibfeindlichkeit? .................................. 53 Exkurse .................................................................................. 59 1. Claudian über Kaiser Honorius ....................................... 59 2. Der Kaiser schwimmt. Anmerkungen zu einem jüngst erschienenen Buch ................................................ 66 Register .................................................................................. 83 Namensregister ...................................................................... 83 Quellenregister ....................................................................... 87 –5–

Vorwort Die große Bedeutung des Sports in der neueren und neuesten Zeit ist – auch außerhalb der Jahre, die sich durch vier teilen lassen – völlig unbestritten. Auch in der Antike gehörten sportliche Aktivitäten recht unterschiedlicher Art ganz selbstverständlich zum Alltag; sie sind schon längst Gegenstand der althistorischen Forschung. Wie verhielt es sich aber in den Jahrhunderten dazwischen? Gab es auch im Mittelalter Sport? Und wenn ja, welche Bedeutung hatte er? Mit dieser Frage – genauer: mit einem speziellen Aspekt davon – beschäftigen sich die hier folgenden Ausführungen. Sie gehen auf einen Vortrag zurück, den ich am 28. Mai 2014 auf Einladung von Janet L. Nelson, Alice Rio und Caroline Goodson im Londoner King’s College halten durfte. Von den fruchtbaren Diskussionen im Anschluss daran habe ich in mehr als einer Hinsicht profitiert. Die schriftliche Fassung haben Dieter Grupp, Christa Ackermann und Judith Hagen gelesen; auf sie gehen zahlreiche Verbesserungen zurück. Die lateinischen Zitate wurden schließlich von Elisabeth Wermann mit großer Sorgfalt noch einmal überprüft. Ihnen allen sage ich dafür herzlichen Dank! Dieser kleine Band ist Jinty gewidmet: in tiefer Bewunderung ihrer wegweisenden Arbeiten zu den Karolingern, und

–7–

nicht nur zu diesen, sowie als kleiner Dank für ihre großartige Gastfreundschaft. Jena, im Januar 2015 Achim Th. Hack

–8–

Karolingische Kaiser als Sportler Ein Beitrag zur frühmittelalterlichen Körpergeschichte Wer seinem Vortrag den Titel „Karolingische Kaiser als Sportler“ gibt, muss zunächst erklären, was er denn unter Sport versteht. Und damit fangen die Probleme bereits an. Sport ist ein Ausdruck, den es im frühen und hohen Mittelalter noch nicht gab. Das Substantiv ist im Englischen des 15. Jahrhunderts entstanden und zwar als Kurzform von „disport“. Seine Bedeutung lässt sich mit „amusement, entertainment; pleasure, fun“ und „an activity that brings pleasure or amusement; a pastime or game“ umschreiben; das dazugehörige Adjektiv lautet „sportful“, das Verb „to sporten“ oder „disporten“.1 Dieses Wort wurde aus dem Französischen übernommen, wo das Substantiv „desport“ und das Verb „de(s)porter“ oder 1

Vgl. HANS KURATH/ROBERT E. LEWIS/SHERMAN M. KUHN, Middle English Dictionary XII, Ann Arbor 1988, s. v. sport(e), sporten, sportful (S. 498). – Als Überblick s. PETER RÖTHIG/ROBERT PROHL, Art. Sport, in: DIES. (Hrsg.), Sportwissenschaftliches Lexikon, Schorndorf 72003, S. 493–495 (zuerst 1972); ROBERT NEDOMA, Art. Sport, in: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde XXIX, Berlin/New York 2005, S. 388– 394; MATTHIAS TEICHERT, Einleitung, in: DERS. (Hrsg.), Sport und Spiel bei den Germanen. Nordeuropa von der römischen Kaiserzeit bis zum Mittelalter, Reallexikon der Germanischen Altertumskunde Erg.-Bd. LXXXVIII, Berlin/Boston 2014, S. 1–27. –9–

„se de(s)porter“ seit dem 13. Jahrhundert in derselben Bedeutung gebräuchlich war.2 Entsprechende Formen finden sich auch in anderen romanischen Sprachen, wie zum Beispiel im Italienischen („diporto“ und „diportarsi“) und im Spanischen („deporte“ und „deportarse“).3 Sie gehen offenkundig auf das Mittellateinische „deportare“ oder „disportare“ zurück.4 Ins Deutsche hat „Sport“ zuerst 1828 Eingang gefunden, allgemein gängig wurde das Wort allerdings erst in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts.5 2

3

4

5

Vgl. FRÉDÉRIC GODEFROY, Dictionnaire de l’ancienne langue française et de tous ses dialectes du IXe au XVe siècle II, Paris 1883, s. v. deporter (S. 517f.). MAX PFISTER/WOLFGANG SCHWEICKARD/MARCELLO APRILE, Lessico etimologico italiano, fasc. D7, Wiesbaden 2013, s. v. deportare (Sp. 1254–1262); JOAN COROMINAS/JOSÉ A. PASCUAL, Diccionario crítico etimológico castellano e hispánico IV, Madrid 1981, s. v. portar (S. 615– 617). Vgl. CHARLES DU FRESNE DU CANGE, Glossarium mediae et infimae latinitatis II, Paris 1842, s. v. disportus (S. 882). In der Antike sowie im Früh- und Hochmittelalter ist das Wort in der Bedeutung „sich vergnügen“ usw. nicht bezeugt, vgl. Thesaurus Linguae Latinae V, 1, Leipzig 1934, s. v. deportare, Sp. 587–589; Mittellateinisches Wörterbuch (bis zum ausgehenden 13. Jahrhundert) III, München 2007, s. v. deportare (Sp. 361–364) und disportare (Sp. 786). Vgl. JACOB GRIMM/WILHELM GRIMM, Deutsches Wörterbuch XVI, Leipzig 1905, s. v. Sport (Sp. 2688–2689); P. RÖTHIG/R. PROHL, Sport (wie Anm. 1), S. 493. Als frühestes Beispiel gilt ein Brief, den Fürst Pückler-Muskau in der ersten Oktoberhälfte 1828 aus Irland (Macroom, Cork, Mitchelstown, Cashel) geschrieben hat. Er berichtet darin über den „renommiertesten Sportsman der Gegend“ und fügt erklärend hinzu: „Sportsman, sport ist ebenso unübersetzbar wie Gentleman; es heißt keineswegs bloß Jäger, sondern einen Mann, der alle Vergnügungen dieser Art, oder auch nur mehrere davon, mit Leidenschaft und Geschick treibt. Boxen, Pferderennen, Entenschießen, Fuchshetzen, Hahnenkämpfe etc: alles ist sport“ (Hermann von Pückler-Muskau, Reisebriefe aus England und Irland. Eine Auswahl aus den „Briefen eines Verstorbenen“ in zwei Bänden, hrsg. THERESE ERLER, mit einem Nachwort von KONRAD PAUL, Berlin/Weimar 1992, Bd. II, S. 195). – 10 –

Was man heute unter Sport versteht, geht im Wesentlichen auf eben dieses 19. Jahrhundert zurück und beruht auf mindestens drei Wurzeln: einer englischen Tradition, von Schulen und Universitäten ausgehend, in Vereinen und Verbänden organisiert, mit Interesse an einheitlichen Regeln sowie Hochleistungen und Rekorden; der deutschen Turnbewegung, aus dem Geist der Befreiungskriege entstanden und maßgeblich gefördert von dem Pädagogen Friedrich Ludwig Jahn, mit Schwerpunkt auf Geräteturnen sowie Gymnastik und als nationale Feier inszeniert; nicht zuletzt den leidenschaftlichen Bemühungen des französischen Adligen Pierre de Coubertin, der sich zeitlebens für die Wiederbelebung der antiken olympischen Spiele einsetzte – wie sich schnell zeigen sollte: mit sehr großem Erfolg.6 Wo Sport anfängt und wo Sport aufhört, ist von jeher unklar. Selbst die bei den olympischen Spielen betriebenen Sportarten – in gewissem Sinne der innere Kern des Sports – ändern sich unaufhörlich, zur Zeit sind es 56 Disziplinen mit 400 Wettbewerben.7 Ob Tanzsport, Auto- und Motorradrennen, Schach, Klettern, Angeln und vieles andere zu „Sport“ gerechnet werden soll, darüber lässt sich trefflich streiten.8 6

7

8

Materialreiche und zugleich weitgespannte Überblicke aus unterschiedlichen Forschergenerationen bieten GUSTAV A. E. BOGENG (Hrsg.), Geschichte des Sports aller Völker und Zeiten I–II, Leipzig 1926; HORST UEBERHORST (Hrsg.), Geschichte der Leibesübungen I–VI, Berlin/München/Frankfurt a. M. 1972–1989; MICHAEL KRÜGER, Einführung in die Geschichte der Leibeserziehung und des Sports I–III, Schorndorf 1993–2004 (Bd. II–III: ²2005); WOLFGANG BEHRINGER, Kulturgeschichte des Sports. Vom antiken Olympia bis zur Gegenwart, Bonn 2012. Eine erste Erweiterung bilden die seit 1900 gezeigten Olympischen Demonstrationssportarten. Sie reichen vom Segelfliegen bis zum Schlittenhunderennen. Über die Entwicklungen im modernen Sport wohltuend distanziert und in die Definitionsfrage einmündend vgl. W. BEHRINGER, Kulturgeschichte (wie Anm. 6), S. 271–419. – 11 –

Moderne Definitionen tun sich dementsprechend schwer und weichen oft stark voneinander ab. Häufig wiederkehrende Elemente sind: die körperliche Bewegung, näherhin ein zielgerichtetes Erlernen und Beherrschen motorischer Fertigkeiten; die Ausübung nach festen Regeln; der (oft: organisierte) Vergleich mit anderen im Wettkampf; die Zweckfreiheit bezogen auf die Alltags- und Arbeitswelt usw. usf. Die Schwierigkeit an solchen Bestimmungen ist, dass sie vor allem auf Erscheinungen der neuesten Zeit passen, und auch da nur auf einen Teil dessen, was gemeinhin als Sport bezeichnet wird. Historische Phänomene (und solche aus nichteuropäischen Kulturen) kommen dagegen nur unzureichend in den Blick. Das gilt auch für das frühe Mittelalter.9 Für den weiteren Sportbegriff wurde in der älteren einschlägigen Literatur vor allem der Ausdruck „Leibesübungen“ (oder „Leibeserziehung“, neuerdings auch „Bewegungskultur“) verwendet. Er ist inzwischen aber eindeutig veraltet und außerhalb des kleinen Kreises von Sporthistorikern kaum noch verständlich.10 Allerdings trifft er weit besser das, um was es im Folgenden gehen soll. 9

Grundsätzliche Bedenken äußern zum Beispiel P. RÖTHIG/R. PROHL, Sport (wie Anm. 1), S. 493: „Seit Beginn des 20. Jahrhunderts hat sich Sport zu einem umgangssprachlichen, weltweit gebrauchten Begriff entwickelt. Eine präzise oder gar eindeutige begriffliche Abgrenzung lässt sich deshalb nicht vornehmen.“ Im Folgenden werden sodann einige mögliche definitorische Elemente angeführt. Vgl. auch R. NEDOMA, Sport (wie Anm. 1), S. 388. Zum Wortfeld „Sport“ und „Spiel“ s. M. TEICHERT, Einleitung (wie Anm. 1). Für einen engen, letztlich moderneuropäischen Sportbegriff tritt zum Beispiel CLAUS TIEDEMANN, Sport (and culture of physical motion) for historians, an approach to make the central term(s) more precise, in: ANGELA TEJA/ARND KRÜGER/JAMES K. RIORDAN (Hrsg.), Sport e Culture II, Atti del IX Congresso Internazionale dell’European Committee for Sport History, Crotone 2005, S. 410– 416, ein. 10 Konzept und Begriff der Leibeserziehung stammen ebenso wie Körpererziehung und Körperkultur aus der Reformpädagigik des frühen 20. Jahr– 12 –

Die hier vorzutragenden Beobachtungen zu den sportlichen Eigenschaften der Karolinger – wie gesagt: „sportlich“ begriffen in einem weiteren Sinne – verstehen sich als bescheidener Beitrag zur Körpergeschichte des frühen Mittelalters, das heißt einer gerade im deutschsprachigen Bereich noch vergleichsweise jungen historischen (Sub-)Disziplin, die sich aus mindestens zwei verschiedenen Quellen speist; durch diese hat sie inhaltliche Prägungen erfahren, die bis heute bestimmend sind – und die im Folgenden durch die jeweils komplementären Perspektiven ergänzt werden sollen.11 Körpergeschichte lässt sich zum einen als sinnvolle, ja notwendige Erweiterung der Medizingeschichte verstehen, die auf eine bereits mehr als einhundertjärige universitäre Fachtradition zurückblicken kann. In Beiträgen dieser Provenienz geht es in aller Regel um den beschädigten, leidenden, defekten Körper und die Methoden seiner Heilung. Demgegenüber wird hunderts. Bewegungskultur wurde dagegen um die Mitte der 80er-Jahre im Zusammenhang mit der damals aufblühenden Freizeiterziehung geprägt. Vgl. ROBERT PROHL, Art. Leibeserziehung, in: DERS./PETER RÖTHIG (Hrsg.), Sportwissenschaftliches Lexikon, Schorndorf 72003, S. 331–332; STEFAN GRÖßING, Art. Bewegungskultur, in: ebd., Sp. 94–95. – Gegen diese Begriffe spricht ferner, dass weder zu „Leibesübungen“ noch zu „Bewegungskultur“ ein Nomen agentis (wie „Turner“ zu „Turnen“ und „Sportler“ zu „Sport“) gebildet werden kann. 11 Vgl. dazu den souveränen Überblick von MAREN LORENZ, Leibhaftige Vergangenheit. Einführung in die Körpergeschichte, Historische Einführungen IV, Tübingen 2000. Zur theoretischen Seite sehr anregend: CAROLIN WALKER BYNUM, Warum das ganze Theater mit dem Körper? Die Sicht einer Mediävistin, in: Historische Anthropologie. Kultur – Gesellschaft – Alltag IV 1996, S. 1–33 (später engl. unter dem Titel: Why all the Fuss about the Body? A Medievalist’s Perspective, in: VICTORIA E. BONNELL (Hrsg.), Beyond the Cultural Turn, Berkeley 1999, S. 241– 280). – Aus sportgeschichtlicher Perspektive, aber nur mit neuzeitlichen Beispielen, vgl. BERND WEDEMEYER-KOLWE, Körpergeschichte, in: MICHAEL KRÜGER/HANS LANGENFELD (Hrsg.), Handbuch Sportgeschichte, Schorndorf 2010, S. 104–113. – 13 –

hier nach dem gesunden, vitalen, ja, schönen Körper gefragt; „Sport“ bietet sich dazu als Thema geradezu an. Wesentliche Anregungen stammen daneben aus der deutlich jüngeren Geschlechtergeschichte. Diese beschäftigt sich jedoch fast immer mit dem weiblichen Körper, dem Umgang mit ihm und den mit diesem verbundenen Zuschreibungen. Auch hier scheint es sinnvoll, den Spieß einmal umzudrehen und den männlichen Körper in den Blick zu nehmen – „Body History“ also durch „Men’s Studies“ zu ergänzen. Dass Sport und männliches Körperideal in einem engen Zusammenhang stehen, ist, wie bald zu sehen sein wird, mehr als nur eine erste Vermutung. Innerhalb dieses körpergeschichtlichen Rahmens kommt es nicht so sehr auf eine scharfe Abgrenzung der (zuvor wie auch immer definierten) sportlichen gegenüber anderen Tätigkeiten an – ganz im Gegenteil: Vielmehr erscheint es sinnvoll, den Fokus gerade auf die Verbindungen zu anderen, oft separat behandelten körperlichen Aktivitäten zu legen wie zum Beispiel dem Krieg oder der Jagd. Anders ausgedrückt: der vorliegende Versuch beruht auf der Annahme, dass es hilfreich ist, einige Befunde des frühen Mittelalters in der Terminologie des Sports zu beschreiben – mit Begriffen wie Einzelsport und Mannschaftsdisziplin, Training, Wettbewerb und Sieg, sportlicher Körper und (para-) militärische Ausbildung usw. usf. Fruchtbar zu machen wäre dieser Ansatz gleich in zweifacher Hinsicht: sowohl für die Geschichte der Karolinger und ihrer Zeit als auch für eine das Mittelalter miteinbeziehende Geschichte des Sports. Dafür lohnt es sich, die längst bekannten Quellen noch einmal einer genaueren Untersuchung zu unterziehen.12 12 Über Sport und benachbarte Gebiete im Mittelalter vgl. etwa MARTIN VOGT, Der Sport im Mittelalter, in: GUSTAV A. E. BOGENG (Hrsg.), Geschichte des Sports aller Völker und Zeiten, Leipzig 1926, S. 163–237; CHARLES H. HASKINS, The Latin Literature of Sport, in: Speculum II – 14 –

Ausgangspunkt der hier folgenden Überlegungen ist der Körper des Kaisers, der von den Zeitgenossen beschrieben, aber auch in höchsten Tönen gepriesen wird; dabei geht es nicht immer um den Körper als ganzes, sondern wahrscheinlich häufiger noch um ausgewählte, sprechende körperliche Details. Vor diesem Hintergrund sind jene Aussagen einzuordnen, die die karolingischen Herrscher als bestens trainierte Könige präsentieren – Könige, die, was ihre sportlichen Leistungen betrifft, kein anderer zu übertreffen vermag. Interessanterweise ist bei dieser Gelegenheit auch von typisch fränkischen Sportarten die Rede. Obwohl viele dieser Bemerkungen in einem eindeutig panegyrischen Zusammenhang stehen und somit eher das körperliche Ideal als die Realität widerspiegeln, fällt doch auf, dass sich die künftigen Herrscher von Kindesbeinen an in den für relevant erachteten Disziplinen zu üben hatten. Wofür taten sie dies? Das lassen oft schon die Tätigkeiten selbst erkennen wie etwa jene Reiterkämpfe, die in der Art von Turnieren die Kampfhandlungen während einer Schlacht simulieren. Allerdings scheinen die Karolinger ihre dabei eingeübten Fertigkei1927, S. 235–252; MARTIN VOGT, Die Leibesübungen im mittelalterlichen Volksleben, Friedrich Mann’s Pädagogisches Magazin MCCLX, Langensalza 1929; HELMUT KOWALD, Die Leibesübungen bei den Germanen bis zum Ende der deutschen Karolinger. Eine kulturhistorische Untersuchung, Diss. phil. Wien 1934 (masch.); ERWIN NIEDERMANN, Die Leibesübungen der Ritter und Bürger im Mittelalter, in: HORST UEBERHORST (Hrsg.), Geschichte der Leibesübungen III, 1, Berlin/München/Frankfurt a. M. 1980, S. 70–96; ROLAND RENSON, Leibesübungen der Bürger und Bauern im Mittelalter, in: ebd., S. 97–114; JOHN M. CARTER, Medieval Games. Sports and Recreations in Feudal Society, New York/Westport/London 1992; MATTHIAS TEICHERT (Hrsg.), Sport und Spiel bei den Germanen. Nordeuropa von der römischen Kaiserzeit bis zum Mittelalter, Reallexikon der Germanischen Altertumskunde Erg.Bd. LXXXVIII, Berlin/Boston 2014. – Während das Reallexikon der Germanischen Altertumskunde profunde Artikel über „Sport“, „Leibesübungen“, „Spiel und Spielzeug“ bringt, wird im Lexikon des Mittelalters sub voce „Sport“ lediglich auf „Spiele“ und „Ballspiele“ verwiesen. – 15 –

ten in wirklichen Kriegen nicht sehr häufig unter Beweis gestellt zu haben – angesichts der Bedeutung erfolgreicher Kriegsführung für die Herrschaftslegitimation ein eigenartig paradoxer Befund. Damit tritt die so oft bezeugte königliche Jagd in den Blick, denn hier kommen praktisch dieselben körperlich-sportlichen Fertigkeiten zum Einsatz wie in einer Schlacht. Hinzuzufügen ist, dass es sich bei dem Junktim zwischen Krieg und Sport um keine Eigentümlichkeit des Mittelalters handelt. Am Ende dieses kurzen Durchganges dürften genügend Erkenntnisse zusammengekommen sein, um zu der Frage nach der mittelalterlichen Leibfeindlichkeit erneut und womöglich mit einem anderen Ergebnis Stellung zu beziehen.

1. Den Körper beschreiben Zunächst einmal ist festzustellen, dass sich die Menschen des 8. und 9. Jahrhunderts durchaus für den Körper ihres Herrschers interessierten. Denn in etlichen historiographischen, zumal in den „biographischen“ Quellen wird die äußere Erscheinung der Kaiser erstaunlich ausführlich beschrieben.13 Das zweifellos bekannteste Beispiel ist die Darstellung Karls des Großen bei Einhard. Im 22. Kapitel seiner ‚Vita Karoli‘ widmet er einen ganzen Abschnitt diesem Thema und führt nicht weniger als dreizehn körperliche Merkmale auf: Körperbau, Größe, Oberkopf, Augen, Nase, Haar(farb)e, Gesicht, Gestalt, Nacken, Bauch, Gang, Haltung und Stimme. 13 Zu den im Folgenden genannten Quellen vgl. jeweils die einschlägigen Abschnitte bei WILHELM WATTENBACH/WILHELM LEVISON/HEINZ LÖWE, Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter. Vorzeit und Karolinger I–VI, Weimar 1952–1990, sowie WALTER BERSCHIN, Biographie und Epochenstil im lateinischen Mittelalter I–V, Quellen und Untersuchungen zur lateinischen Philologie des Mittelalters VIII–X, XII, XV, Stuttgart 1986–2004. – 16 –

Diese Merkmale werden zum Teil mit nur einem oder zwei Adjektiven beschrieben, zum Teil aber auch viel detaillierter charakterisiert.14 Dabei fällt auf, dass der Kaiser nicht nur positiv dargestellt wird: So ist die Nase zu groß, der Nacken zu kurz, der Bauch zu dick und die Stimme zu hoch. Daraus kann man schließen: Einhard zeichnet keinen idealen Kaiser, sondern orientiert sich durchaus auch an der Realität – und an seinem eigenen Urteil, was zu groß, zu kurz, zu dick usw. ist.15 Einhards Vorbild folgt nur wenige Jahre später der Trierer Chorbischof Thegan im 19. Kapitel seiner ‚Gesta Hludowici imperatoris‘. Er führt ebenfalls dreizehn Merkmale auf, um das Äußere Ludwigs des Frommen genauer zu beschreiben: Größe, 14 Vgl. Einhardi Vita Karoli Magni, ed. OSWALD HOLDER-EGGER, MGH SS rer Germ XXV, Hannover 61911, cap. 22 (S. 26f.): „Corpore fuit amplo atque robusto, statura eminenti, quae tamen iustam non excederet – nam septem suorum pedum proceritatem eius constat habuisse mensuram –, apice capitis rotundo, oculis praegrandibus ac vegetis, naso paululum mediocritatem excedenti, canitie pulchra, facie laeta et hilari. Unde formae auctoritas ac dignitas tam stanti quam sedenti plurima adquirebatur; quamquam cervix obesa et brevior venterque proiectior videretur, tamen haec ceterorum membrorum celabat aequalitas. Incessu firmo totaque corporis habitudine virili; voce clara quidem, sed quae minus corporis formae conveniret.“ (Die Hervorhebungen hier und im Folgenden stammen stets vom Verfasser.) – Die neue lateinisch-französische Ausgabe von MICHEL SOT, CHRISTIANE VEYRARD-COSME und neun weiteren Editoren (Éginhard, Vie de Charlemagne, Les classiques de l’Histoire au moyen âge LIII, Paris 2014) bietet, wie schon der Vorgängerband von LOUIS HALPHEN (11923, 21938, 31947), leider keinen kritischen Text, der die gesamte handschriftliche Überlieferung miteinbezieht; vgl. zu dieser MATTHIAS M. TISCHLER, Einharts Vita Karoli. Studien zur Entstehung, Überlieferung und Rezeption, MGH Schriften XLVIII, Hannover 2001. 15 Es steht außer Frage, dass Karl der Große bei Einhard positiv dargestellt werden soll, allerdings – so muss gegenüber simplifizierenden Positionen betont werden – nicht in jeder Hinsicht und um jeden Preis. Zu dem berühmtesten Biographen des Mittelalters vgl. zuletzt STEFFEN PATZOLD, Ich und Karl der Große. Das Leben des Höflings Einhard, Stuttgart 2013. – 17 –

Augen, Gesicht, Nase, Lippen, Brust, Schultern, Arme, Hände, Finger, Beine, Füße und Stimme.16 Die Liste stimmt also nur zum Teil mit der bei Einhard überein, ist aber sehr viel klarer strukturiert: im Wesentlichen „a capite ad pedes“.17 Diese Art der Personenbeschreibung hat Einhard nicht selbst erdacht, sondern er folgt einem Schema, das er aus Suetons Kaiserviten kannte.18 Er hätte allerdings auch in viele andere biographische Texte der Antike schauen können und wäre auf ähnliche Darstellungen gestoßen, ebenso in der Satire und im Roman. Die heute dafür gebräuchliche Bezeichnung – angelehnt an einen Terminus der griechischen Rhetorik – ist Eikonismos, das lateinische Pendant lautet „effictio“.19 16 Vgl. Theganus, Gesta Hludowici imperatoris, ed. ERNST TREMP, MGH SS rer Germ LXIV, Hannover 1995, S. 167–277, hier cap. 19 (S. 200): „Erat enim statura mediocri, oculis magnis et claris, vultu lucido, naso longo et recto, labiis non nimis densis nec nimis tenuis, forti pectore, scapulis latis, brachiis fortissimis, ita ut nullus ei in arcu vel lancea sagittando equiperare poterat, manibus longis, digitis rectis, tibiis longis et ad mensuram gracilis, pedibus longis, voce virili.“ 17 Zur Abhängigkeit Thegans, besonders bei der Personenschilderung, vgl. ERNST TREMP, Studien zu den Gesta Hludowici imperatoris des Trierer Chorbischofs Thegan, MGH Schriften XXXII, Hannover 1988, S. 55–63. 18 Die Beiträge zu Einhards Sueton-Rezeption reichen von FRIEDRICH SCHMIDT, De Einhardo Suetonii imitatore, Programm der kgl. bayerischen Studienanstalt in Bayreuth 1879/80, Bayreuth 1880 (zu Unrecht wenig rezipiert), bis hin zu KLAUS SCHERBERICH, Zur Suetonimitation in Einhards „vita Karoli Magni“, in: LOTTE KÉRY (Hrsg.), Eloquentia copiosus. FS Max Kerner zum 65. Geburtstag, Aachen 2006, S. 17–28. 19 Nur eine kleine Auswahl aus der Literatur zur Antike und dem frühen Mittelalter: HILDE VOGT, Die literarische Personenschilderung des frühen Mittelalters, Beiträge zur Kulturgeschichte des frühen Mittelalters LIII, Leipzig/Berlin 1934; WALTER BERSCHIN, Personenbeschreibung in der Biographie des frühen Mittelalters, in: ANTON SCHARER/GEORG SCHEIBELREITER (Hrsg.), Historiographie im frühen Mittelalter, Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung XXXII, Wien/München 1994, S. 186–193; KLAUS HERBERS, Zu frühmittelalterlichen Personenbeschreibungen im Liber Pontificalis und in römischen ha– 18 –

Wie vor allem die Forschungen von Josef Fürst, Johannes Hasebroek und Geneva Misener zu Beginn des 20. Jahrhunderts deutlich gemacht haben, sind derartige Personenbeschreibungen keineswegs auf literarische Texte beschränkt. Vielmehr kommen sie besonders in Papyri der ptolemäischen und römischen Epoche vor und zwar in Dokumenten ganz unterschiedlichen Typs: In Steckbriefen werden entlaufene, in Kaufurkunden erworbene Sklaven damit charakterisiert, aber auch in Eingaben an Behörden und Verträgen jeder Art können die beteiligten Personen (ohne dass es für die Sache selbst relevant wäre) auf diese Weise beschrieben werden; sie machen beinahe schon den Eindruck einer selbstverständlichen Ergänzung zum Namen und werden entsprechend auch in den Zensuslisten vermerkt.20 Die praktische Funktion bei der Identifizierung einer Person hat der Eikonismos noch lange behalten, letztlich bis zur Erfindung der Photographie. So führen noch preußische Pässe des 19. Jahrhunderts unter der Rubrik „Signalement“ – man möchte es fast nicht glauben – dreizehn körperliche Merkmale ihres Besitzers auf: Alter, Größe, Haar, Stirn, Augenbrauen,

giographischen Texten, in: DERS., Pilger, Päpste, Heilige. Ausgewählte Aufsätze zur europäischen Geschichte des Mittelalters, Tübingen 2011, S. 149–169 (zuerst 2003); CORINNE JOUANNO, Ésope, ou le portrait d’un anti-héros, in: Kentron XIX 2003, S. 51–69; LARS HAGENEIER, Jenseits der Topik. Die karolingische Herrscherbiographie, Historische Studien CDLXXXIII, Husum 2004, S. 48–51; TOMAS HÄGG, The Art of Biography in Antiquity, Cambridge u. a. 2012 (vgl. S. 477 s. v. appearance, description of physical). 20 Vgl. JOSEF FÜRST, Untersuchungen zur Ephemeris des Diktys von Kreta, in: Philologus LX 1901, S. 229–260 und 330–359 sowie LXI 1902, S. 374–440 und 593–622; GENEVA MISENER, Iconistic Portraits, in: Classical Philology XIX 1924, S. 97–123; JOHANNES HASEBROEK, Das Signalement in den Papyrusurkunden, Schriften des Papyrusinstitut Heidelberg III, Berlin/Leipzig 1921; DERS., Zum antiken Signalement, in: Hermes LX 1925, S. 369–371. – 19 –

Augen, Nase, Mund, Bart, Kinn, Gesicht, Gesichtsfarbe und Statur.21 Mit der Photographie ist bereits ein wichtiges Stichwort gefallen. Denn man hat in der wissenschaftlichen Literatur immer wieder die von Einhard, Thegan und anderen befolgte Methode mit der Technik bildlicher Personendarstellung des frühen Mittelalters in Verbindung gebracht.22 Dabei ist allerdings vor zu einfachen Vergleichen zu warnen – allein schon deshalb, weil einige der literarischen Merkmale wie „incessus“ oder „vox“ malerisch schlicht nicht umgesetzt werden können.

2. Den Körper preisen Der Übergang von der Personenbeschreibung zum Personenlob ist fließend. Ein gutes Beispiel dafür ist die Darstellung König Ludwigs des Deutschen in Notkers ‚Gesta Karoli Magni‘. Darin heißt es, Ludwig sei von bester Statur, schöner Gestalt, habe Augen, die wie Sterne glänzen, sowie eine gut verständliche 21 So etwa der Preußische Pass für den demokratischen Politiker Heinrich August Simon (1805–1860) vom 11. September 1839, abgebildet bei BARBARA WERNER VAN BENTHEM (Hrsg.), Wertvolle Bücher, Autographen, Illustrierte Werke, Graphiken. 46. Stuttgarter Antiquariatsmesse, Elbingen 2007, Tafel 7 (dazu S. 53). – In einem weiteren Kontext, aber ohne auf die hier interessierenden Fragen und Epochen einzugehen, VALENTIN GROEBNER, Der Schein der Person. Steckbrief, Ausweis und Kontrolle im Europa des Mittelalters, München 2004. 22 Den Terminus hat vor allem GERHART B. LADNER, Die Papstbildnisse des Altertums und des Mittelalters I, Monumenti di antichità cristiana II, 4, Vatikanstadt 1941, S. 67 (allgemein) und 70–75 (am Beispiel Gregors des Großen) in die Kunstgeschichte eingeführt. Zum Verhältnis von literarischer Beschreibung und bildlicher Darstellung an einem prominenten frühmittelalterlichen Beispiel CLAUDIA NAUERTH, Agnellus von Ravenna. Untersuchungen zur archäologischen Methode des ravennatischen Chronisten, Münchener Beiträge zur Mediävistik und RenaissanceForschung XV, München 1974. – 20 –

und durchaus männliche Stimme.23 Auch hier handelt es sich – ähnlich wie bei Einhard und Thegan – um einen Eikonismos, wenn auch in sehr viel knapperer Form. Allerdings haben die Attribute in diesem Fall keinen beschreibenden Charakter, sondern verweisen eindeutig auf den Bereich der Herrscherpanegyrik. Nur bei der Stimme erscheint ein Realitätsbezug möglich. Jedoch ist auch hier Vorsicht angebracht: Eine „vox clara“ attestiert Einhard Karl dem Großen, eine „vox virilis“ Thegan Ludwig dem Frommen, Notkers „vox clara et virilis“ mit Bezug auf Ludwig den Deutschen stellt eine Verbindung von beiden dar.24 Noch deutlicher liegen die Verhältnisse in einem beinahe 250 Verse umfassenden Gedicht, das der westgotische Theologe und Bischof Theodulf von Orléans im Jahre 796 verfasst hat. Das ‚Carmen‘ ist an König Karl gerichtet und hat auch nur diesen zum Gegenstand. Dass es sich dabei um ein Lobgedicht handelt, erfährt der Leser gleich in den ersten Zeilen: „Te totus laudesque tuas, rex, personat orbis, Multaque cum dicat, dicere cuncta nequit.“25 23 Vgl. Notkeri Balbuli Gesta Karoli Magni imperatoris, ed. HANS F. HAEFELE, MGH SS rer Germ NS XII, Berlin 1962, lib. II, cap. 11 (S. 67f.): „Erat itaque Hludowicus, rex vel imperator totius Germaniae Rhetiarumque et antiquae Franciae nec non Saxoniae, Turingiae, Norici, Pannoniarum atque omnium septendrionalium nationum, statura optimus, forma decorus, oculis astrorum more radiantibus, voce clara et omnino virili, sapientia singularis, quam acutissimo fretus ingenio scripturarum assiduitate cumulatiorem reddere non cessabat.“ 24 Dazu auch WILFRIED HARTMANN, Ludwig der Deutsche, Darmstadt 2002, S. 18, der allerdings nur auf eine der beiden Wurzeln – Einhard – hinweist (Anm. 4). 25 Theodulf, Carmen 25 (ad Carolum regem), ed. ERNST DÜMMLER, MGH Poetae I, Berlin 1881, S. 483–489, hier vv. 1f. Eine deutsche Übersetzung bei HORST KUSCH, Einführung in das lateinische Mittelalter I: Dichtung, Berlin 1957, S. 60–73, eine englische Nachdichtung bei PETER GODMAN, Poetry of the Carolingian Renaissance, London 1985, Nr. 15, S. 150–163. – 21 –

Die einleitenden Worte sind zweifellos programmatisch gemeint und das, was dann folgt, entspricht dieser Ankündigung voll und ganz. Das erste Thema, mit dem sich Theodulf näher beschäftigt, ist interessanterweise der Körper Karls des Großen. Er schreibt: „O facies, facies ter cocto clarior auro, Felix qui potis est semper adesse tibi, Et diademali sat dignam pondere frontem Cernere, quae simili cuncta per arva caret, Egregiumque caput, mentum, seu colla decora, Aureolasque manus pauperiem quae abolent. Pectora, crura, pedes, est non laudabile cui nil, Omnia pulchra vigent, cuncta decora nitent.“26 Auch hier werden wieder die einzelnen Körperteile des Herrschers aufgeführt, allerdings in einer ganz anderen Funktion als zum Beispiel bei Thegan oder Einhard: in der rhetorischen Figur der „enumeratio“.27 Die eigentliche Aussage – dass das gesamte Äußere Karls sehr schön ist – wird im letzten Vers gemacht, genau genommen sogar doppelt in zwei exakt parallelen Wendungen („omnia“ – „cuncta“, „pulchra“ – „decora“, „vi26 Theodulf, Carmen 25, ed. E. DÜMMLER (wie Anm. 25), vv. 13–20 (S. 483f.). In der Übersetzung von H. KUSCH (wie Anm. 25) lauten die Verse: „O Angesicht, Angesicht, heller als dreimal geläutertes Gold, / selig, wem vergönnt, immer bei dir zu sein / und die Stirn, durchaus würdig der Last des Kronreifes, / anzuschauen, die ihresgleichen nicht hat durch alle Lande, / und das hehre Haupt, das Kinn und den schmucken Nacken, / und die goldspendenden Hände, die die Armut abschaffen. / Brust, Beine, Füße – untadelig ist alles an ihm, / alles prangt vor Schönheit, alles glänzt vor Zier“ (S. 61). 27 Vgl. dazu KLAUS SCHÖPSDAU, Art. Enumeratio, in: GERT UEDING (Hrsg.), Historisches Wörterbuch der Rhetorik II, Tübingen 1994, Sp. 1231–1234. – 22 –

gent“ – „nitent“). Um diese Aussage nun mit besonderem Nachdruck zu betonen, listet Theodulf die unterschiedlichen „membra“ einzeln auf und nennt Gesicht, Stirn, Kopf, Kinn, Hals, Hände, Brust, Beine und Füße – auch hier wieder nach dem Kriterium „a capite ad pedes“. Allerdings handelt es sich um eine offene Liste, die ganz nach Belieben ergänzt werden könnte: Es gibt nichts – so heißt es in Vers 19 explizit – was am Äußeren Karls des Großen nicht lobenswert wäre („est non laudabile cui nil“).28 Theodulfs Gedicht „ad Carolum regem“ ist also aus mindestens drei Gründen bemerkenswert: Erstens zeigt es sehr deutlich die Differenz zwischen Personenbeschreibung und Personenlob; zweitens stellt es an den Beginn des Personenlobs das Lob des Körpers und drittens macht es klar, dass jede Nennung konkreter Körperteile nur eine Auswahl ist, die durch andere ergänzt oder ersetzt werden könnte.29

28 Eine neuere Gesamtdarstellung des Lebens und der Werke Theodulfs liegt nicht vor. Zur ersten Orientierung und mit bibliographischen Hinweisen vgl. DIETER SCHALLER/PETER BROMMER, Art. Theodulf von Orléans, in: Verfasser-Lexikon IX, Berlin/New York ²1995, Sp. 764–772. Als Bischof ist Theodulf zum ersten Mal im Jahre 798 belegt. – Die von P. GODMAN, Poetry (wie Anm. 25), S. 11f., vertretene These, dass es sich hier um eine Hyperbel mit komischem Effekt handle, kann ich nicht nachvollziehen. Die hier zitierten Verse stehen in einer panegyrischen Passage, die erst uns unangemessen erscheinen mag. 29 Für weitere Beispiele für die „laus corporis“ bei den Karolingern vgl. MARIA WINTER, ‚In Schönheit prangt alles, alles strahlt vor Zier‘. Der karolingische Herrscher und sein Körper in den zeitgenössischen Schriftquellen, in: Frühmittelalterliche Studien XXXIX 2005, S. 101–128. In die einschlägigen Handbücher, wie zum Beispiel das von Gert Ueding herausgegebene Historische Wörterbuch der Rhetorik, hat diese Figur keinen Eingang gefunden. – 23 –

3. Sprechende körperliche Details Die Autoren des frühen Mittelalters beschäftigen sich nicht nur mit dem Körper ihres Herrschers als Ganzem, sondern auch – und sogar sehr viel häufiger – mit bestimmten körperlichen Details. Diese spielen in ganz unterschiedlichen Kontexten eine Rolle, wobei sie allerdings stets mit Bedeutung aufgeladen sind. Anders ausgedrückt: sie werden von den zeitgenössischen oder nachgeborenen Verfassern nur dann einer Erwähnung für wert erachtet, wenn diese damit etwas zum Ausdruck bringen können. Drei ganz unterschiedliche Beispiele mögen das illustrieren. So berichtet Thegan im bereits erwähnten 19. Kapitel seiner ‚Gesta Hludowici‘, der Kaiser habe niemals seine Stimme zum (lauten) Lachen erhoben und wenn an hohen Feiertagen Possenreißer, Mimen usw. zur Belustigung des Volkes an seiner Tafel auftraten, dann habe er stets nur sehr maßvoll gelacht – so nämlich, dass niemals das Weiße seiner Zähne zu sehen gewesen sei.30 Der Verfasser bemüht sich also offenbar, den Unterschied zwischen (lautem) Lachen und (leisem) Lächeln klar zu machen, und tut das, indem er die Mundpartie Ludwigs genau beschreibt; die Sichtbarkeit der Zähne dient ihm dabei als Differentia specifica. Der Grund für diese Unterscheidung geht auf biblische Wertungen zurück, die in den sentenzhaften Aussprüchen des Jesus Sirach kurz und prägnant zusammengefasst werden. Dort heißt es – und Thegan nimmt darauf offenbar direkt Bezug –: „Der Tor lacht mit lauter Stimme, der Kluge aber lächelt kaum 30 Thegan, Gesta Hludowici, ed. E. TREMP (wie Anm. 16), cap. 19 (S. 204): „Numquam in risum exaltavit vocem suam, nec quando in summis festivitatibus ad lęticiam populi procedebant themilici, scurri et mimi cum coraulis et citharistis ad mensam coram eo, tunc ad mensuram ridebat populus coram eo, ille numquam nec dentes candidos suos in risum ostendit.“ – 24 –

leise“.31 Diese kritische Haltung gegenüber einem ungehemmten Lachen wurde vor allem im christlichen Mönchtum gepflegt, unter anderem bei den Benediktinern. Ludwig der Fromme hat gleich am Beginn seiner Alleinregierung deren Regel zur allgemeinen Richtschnur erklärt.32 Ganz anders die Situation, die Notker der Stammler etliche Jahrzehnte später schildert: Zwei Gesandte, die Karl der Große ins Kloster Sankt Gallen geschickt hatte, kehren mit einer ihrer Meinung nach völlig unbefriedigenden Antwort wieder. Als der Kaiser diese vernimmt, kratzt er sich zunächst hinter beiden Ohren und bläst durch seine Nase. Dann deutet er das Gesagte und gibt ihm einen unerwarteten, tiefgründigen Sinn. Notker lobt dabei die Schlauheit („astus“) sowie die Weisheit („sapientia“) des Monarchen.33 31 Vgl. Ecclus 21, 23: „Fatuus in risu inaltat vocem suam, vir autem sapiens vix tacite ridebit.“ 32 Zum Lachen im (frühen) Mittelalter vgl. GERHARD SCHMITZ, „... quod rident homines, plorandum est“. Der ‚Unwert‘ des Lachens in monastisch geprägten Vorstellungen der Spätantike und des frühen Mittelalters, in: FRANZ QUARTHAL/WILFRIED SETZLER (Hrsg.), Stadtverfassung – Verfassungsstaat – Pressepolitik. FS Eberhard Naujoks zum 65. Geburtstag, Sigmaringen 1980, S. 3–15; STEFAN BIEßENECKER, Das Lachen im Mittelalter. Soziokulturelle Bedingungen und sozial-kommunikative Funktionen einer Expression in den ‚finsteren Jahrhunderten‘, Bamberg 2012; sowie die Beiträge in: ALBRECHT CLASSEN (Hrsg.), Laughter in the Middle Ages and Early Modern Times. Epistemology of a Fundamental Human Behavior, its Meaning, and Consequences, Fundamentals of Medieval and Early Modern Culture V, Berlin 2010. 33 Notker, Gesta Karoli Magni, ed. H. F. HAEFELE (wie Anm. 23), lib. II, cap. 12 (S. 74): „(...) His auditis astu non carens et sapientia pollens augustus confricatis auribus et inflatis naribus dixit ad eos ...“. Zu Notkers Darstellung Karls des Großen vgl. vor allem THEODOR SIEGRIST, Herrscherbild und Weltsicht bei Notker Balbulus. Untersuchungen zu den Gesta Karoli, Geist und Werk der Zeit VIII, Zürich 1963, S. 75–79 (zu „sapientia“, „scientia“ und „sagacitas“). Zum Verfasser und seinem Werk allgemein HANS H. HAEFELE, Art. Notker I. von St. Gallen, in: Verfasserlexikon VI, Berlin/New York 1987, Sp. 1187–1210. – Über das Genre der – 25 –

Ohren und Nase werden hier offenbar deshalb erwähnt, um die Nachdenklichkeit, ja mehr noch: die Gewitztheit des Kaisers zu illustrieren. Die alltägliche Geste ist dabei sehr viel aussagekräftiger als jede langatmige Darlegung es jemals sein könnte. (Scheinbare) Lebensnähe und Plastizität sind ohnehin Kennzeichen der Schilderungen Notkers. Weniger günstig wird Karl der Große in einer Quelle dargestellt, die aus den 20er-Jahren des 9. Jahrhunderts stammt. Die Rede ist von der Visio Wettini, in der Walahfrid Strabo über die Jenseitsschau seines kurz zuvor verstorbenen Reichenauer Lehrers berichtet. Dieser Darstellung zufolge sieht Wetti den Kaiser an einem Ort festgebunden stehen, ihm gegenüber ein nicht näher beschriebenes Tier, das ihm die Genitalien zerfleischt. Der übrige Körper ist hingegen ohne jeden Makel.34 Was hat diese postmortale Genitalverstümmelung zu bedeuten? Der Verfasser klärt uns darüber (durch den Mund des Jenseitsführers) bereitwillig auf: Karl habe zwar in den meisten Bereichen viele gute Taten vollbracht, diese jedoch durch schimpfliche Begierden beschmutzt, in der Hoffnung, durch die Masse des Guten die Lockungen aus der Welt zu schaffen – darum habe er bis zu seinem Ende im Schmutz der Sünde gelebt.35 Walahfrid Strabo formuliert also eine sehr harsche Kritik Anekdote vgl. HANS-HENNING KORTÜM, Zur Typologie der Herrscheranekdote in der mittelalterlichen Geschichtsschreibung, in: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung CV 1997, S. 1–29, zu Notker hier S. 19–21. 34 Vgl. Walahfrid Strabo, Visio Wettini / Die Vision Wettis, lat.-dt., Übersetzung, Einführung und Erläuterung von HERMANN KNITTEL, Sigmaringen 1986, vv. 446–450 (S. 66): „Contemplatur item quendam lustrata per arva, / Ausoniae quondam qui regna tenebat et altae / Romanae gentis, fixo consistere gressu / Oppositumque animal lacerare virilia stantis; / Laetaque per reliquum corpus lue membra carebant.“ 35 Ebd., vv. 460–465 (S. 66): „(...) Tum ductor: ‚In his cruciatibus‘, inquit, / ‚Restat ob hoc, quoniam bona facta libidine turpi / Fedavit, ratus inlecebras sub mole bonorum / Absumi, et vitam voluit finire suetis / Sordibus. – 26 –

an Karls Sexualmoral, die er in eine imaginierte Spiegelstrafe fasst: Das (hier: moralische) Vergehen wird an dem Körperteil gesühnt, mit dem es zuvor begangen wurde, und sei es erst im Jenseits.36

4. Bestens trainierte Kaiser Die biographischen Texte des 9. Jahrhunderts beschreiben nicht nur sehr detailliert die äußere Erscheinung der karolingischen Herrscher, sondern berichten auch über Fertigkeiten, die man heute als sportliche bezeichnen würde. Obwohl dieses an prominenter Stelle und mit größtem Nachdruck geschieht, sind die einschlägigen Aussagen von der Forschung bislang weitgehend unbeachtet geblieben. Es lohnt sich, diese Texte genauer anzuschauen. Von Karl dem Großen erzählt Einhard in dem schon weiter oben erwähnten 22. Kapitel: „Exercebatur assidue equitando ac venando; quod illi gentilicium erat, quia vix ulla in terris natio invenitur, quae in hac arte Francis possit aequari.“37 Folgt man diesen Worten, dann war der erste fränkische Kaiser sowohl ein guter Reiter als auch ein großer Jäger. Am Beginn des Satzes steht exponiert das Verb „exercere“, das man gemeinhin mit Ipse tamen vitam captabit opimam, / Dispositum a domino gaudens invadet honorem.‘“ 36 Diese Episode müsste in einer Geschichte des Sadismus im Mittelalter, die bislang noch nicht geschrieben worden ist, unbedingt Berücksichtigung finden. Die Jenseitsschilderungen könnten auch sonst einiges Material dazu beitragen. – Als Überblick über die hier interessierende Quellengruppe vgl. PETER DINZELBACHER, Vision und Visionsliteratur im Mittelalter, Monographien zur Geschichte des Mittelalters XXIII, Stuttgart 1981; speziell zur karolingischen Epoche PAUL EDWARD DUTTON, The Politics of Dreaming in the Carolingian Empire, Lincoln u. a. 1994. 37 Einhard, Vita Karoli, ed. O. HOLDER-EGGER (wie Anm. 14), cap. 22 (S. 27). – 27 –

„(sich in einer Sache) üben“ übersetzt. In der Sprache des Sports – und diese ist hier durchaus angemessen – würde man vielmehr von „trainieren“ sprechen. Dieser Terminus – darauf sei schon an dieser Stelle hingewiesen – wird sich im Verlaufe der Untersuchung als so etwas wie ein Schlüsselbegriff erweisen.38 Karls Training war nicht einer bestimmten historischen Situation oder einem momentanen Zweck geschuldet, sondern wurde beständig, unablässig („assidue“) betrieben. Oder anders formuliert: es war ein fester Bestandteil seines Lebens. Schon allein diese Aussage Einhards sollte zu denken geben. Man braucht nicht sehr weit zu suchen, um erneut auf „exercere“ zu stoßen. Denn schon im folgenden Satz heißt es mit Bezug auf Karl den Großen: „Delectabatur etiam vaporibus aquarum naturaliter calentium, frequenti natatu corpus exercens; cuius adeo peritus fuit, ut nullus ei iuste valeat anteferri.“39 Der Kaiser war diesem Bericht zufolge also auch ein durchtrainierter Schwimmer; wieder weist Einhard darauf hin, dass Karl häufig („frequens“) dieser Tätigkeit nachkam. Auf einige weitere Aspekte dieses Textes wird noch zurückzukommen sein.40 38 Da der Text Einhards ursprünglich keine Überschriften aufwies – diese wurden erst später von Walahfried Strabo ergänzt –, wird der Inhalt des jeweiligen Abschnitts durch ein Signalwort am Beginn angezeigt, in diesem Fall also „exercere“. Zu dieser Technik vgl. schon ACHIM THOMAS HACK, Alter, Krankheit, Tod und Herrschaft im frühen Mittelalter. Das Beispiel der Karolinger, Monographien zur Geschichte des Mittelalters LVI, Stuttgart 2009, S. 222 Anm. 269. 39 Einhard, Vita Karoli, ed. O. HOLDER-EGGER (wie Anm. 14), cap. 22 (S. 27). 40 Vgl. dazu unten, Exkurs 2. – Über die sehr bemerkenswerten Aachener Thermenanlagen aus verschiedenen Epochen vgl. HEINZ CÜPPERS, Beiträge zur Geschichte des römischen Kur- und Badeortes Aachen, in: Aquae Granni. Beiträge zur Archäologie von Aachen, Rheinische Ausgrabungen XXII, Köln 1982, S. 1–75 (zum „Karolingischen Bad“ vgl. S. – 28 –

Was über Karls Sohn und Nachfolger gesagt wird, verdient nicht weniger Interesse. Der Trierer Chorbischof Thegan schildert – wie bereits gesehen – das Äußere des Herrschers beinahe in der Art neuzeitlicher Signalements, indem er jedes einzelne Körperteil mit (meist) ein oder (seltener) zwei Adjektiven charakterisiert. Nur die Ausführungen zu den Armen Ludwigs nehmen deutlich mehr Raum ein: „(Erat ...) brachiis fortissimis, ita ut nullus ei in arcu vel lancea sagittando equiperare poterat“.41 Formal betrachtet fällt schon der Superlativ auf, mit dem Thegan die enorme Stärke der Arme herausstreicht; in allen anderen Fällen genügt ihm der einfache Positiv. Wie der Kaiser zu den entsprechenden Muskeln gekommen ist, lässt der geistliche Verfasser mehr als deutlich durchblicken: durch Bogenschießen und Lanzenwerfen. Denn in diesen Disziplinen – so 63-67, resümierend S. 66: „Der östlich an den Quellbering anschließende Badetrakt bestand aus einem großen Badebecken mit 14,00 m zu 9,00 m Seitenlänge, das durch drei kreuzförmige Pfeiler in der Mitte der Breite in zwei gleiche Hälften geteilt war“; LUDWIG FALKENSTEIN, Pfalz und vicus Aachen, in: CASPAR EHLERS (Hrsg.), Orte der Herrschaft. Mittelalterliche Königspfalzen, Göttingen 2002, S. 131–181 (S. 150f. zu den „Piszinen“, nach Cüppers); JENS KÖHLER, Aachen und die römischen Thermalbäder, in: RABAN VON HAEHLING/ANDREAS SCHAUB (Hrsg.), Römisches Aachen. Archäologisch-historische Aspekte zu Aachen und der Euregio, Regensburg 2013, S. 207–261 (dort zu den beachtlichen Maßen der antiken Becken; so dürfte eine Art „natatio“ der Aachener Büchelthermen immerhin 34 x 10 Metern groß gewesen sein; in karolingischer Zeit war diese aber offenbar nicht mehr nutzbar, vgl. S. 246); THOMAS R. KRAUS (Hrsg.), Aachen. Von den Anfängen bis zur Gegenwart II: Karolinger, Ottonen, Salier (765–1137), Veröffentlichungen des Stadtarchivs Aachen XIV (= Beihefte der Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins VIII), Aachen 2013 (vgl. S. 603 s. v. Bäder, Badebetrieb); HARALD MÜLLER, Aix-la-Chapelle à l’époque carolingienne. Nouvelles approches, in: Francia XLI 2014, S. 25–48, sowie die einschlägigen Beiträge in: FRANK POHLE (Hrsg.), Karl der Große. Orte der Macht (Essays), Dresden 2014. 41 Thegan, Gesta Hludowici, ed. E. TREMP (wie Anm. 16), cap. 19 (S. 200). – 29 –

führt er aus – habe Ludwig alle anderen übertroffen. Auch er ist also nicht nur ein frommer Herrscher, sondern ein geradezu vorbildlicher Athlet.42 Einhard und Thegan geben sich also alle Mühe, die beiden ersten karolingischen Kaiser als hervorragende Sportler (im oben dargelegten Sinne) zu charakterisieren. Dass es sich dabei um idealisierende Darstellungen handelt, dürfte wohl außer Frage stehen. Dies macht jedoch die Texte nicht weniger interessant, informieren die beiden streng zeitgenössischen Autoren uns doch sehr präzise über das damals vorherrschende kaiserliche Körperideal. Wie weit Ideal und Realität auseinanderklaffen, lässt sich hier wie in vielen anderen Fällen nicht mehr näher bestimmen. Gleichwohl muss man annehmen, dass sehr wahrscheinlich ein kausaler Zusammenhang zwischen beiden bestand. Denn ein Herrscher dürfte – sei es nun intrinsisch, sei es extrinsisch – stark motiviert gewesen sein, diesem Ideal so gut wie möglich zu entsprechen.43

42 Die Charakterisierung Ludwigs als fromm in der historischen Forschung geht auf ein Missverständnis des Attributs „pius“ bzw. der Anrede „vestra pietas“ zurück; vgl. dazu zuletzt und mit der älteren Literatur ACHIM THOMAS HACK, Codex Carolinus. Päpstliche Epistolographie im 8. Jahrhundert, Päpste und Papsttum XV, Stuttgart 2006/2007, S. 361–426, besonders S. 400 mit Anm. 244. Eine erfrischend unkonventionelle Sicht eröffnet KARL FERDINAND WERNER, Hludovicus Augustus. Gouverner l’empire chrétien – Idées et réalités, in: PETER GODMAN/ROGER COLLINS (Hrsg), Charlemagne’s Heir. New Perspectives on the Reign of Louis the Pious, Oxford 1990, S. 3–123. 43 Eine erste Zusammenstellung von Belegen für die einzelnen „sportlichen“ Tätigkeiten im Frühmittelalter bietet die ungedruckte Wiener Dissertation von H. KOWALD, Leibesübungen (wie Anm. 12), so zum Beispiel für Reiten (S. 20–39), Schwimmen (S. 40–57), Bogenschießen (S. 61–77), Speer- und Lanzenwerfen (S. 87–106) usw. – 30 –

5. Sportliche Vergleiche Bei der Lektüre der bereits angeführten Passagen fällt auf, dass die sportlichen Leistungen der Kaiser immer wieder mit denen anderer verglichen werden. Das Ergebnis ist dabei stets das gleiche: Die karolingischen Herrscher sind die besten in ihrer Disziplin. So ist Karl der Große (nach Einhard) allen anderen im Schwimmen überlegen und niemand kann es (Thegan zufolge) Ludwig dem Frommen im Bogenschießen und im Lanzenwerfen gleichtun.44 Selbstverständlich sind solche Feststellungen nicht das Ergebnis fränkischer Meisterschaften, bei denen sich die Herrscher durchgesetzt hätten. Mehr noch: soweit wir wissen, hat es in der hier interessierenden Zeit überhaupt keine Wettkämpfe in unserem heutigen Sinne gegeben.45 Gleichwohl fordern sportliche Fertigkeiten offenbar auch damals zu Vergleichen heraus, und dabei den Sieg „errungen“ zu haben, gereicht sogar einem Kaiser zu großer Ehre. Wie weit man in diesem Punkt gehen kann, zeigt der gelehrte Dichter und Erzähler Notker von Sankt Gallen geradezu exemplarisch. Er bezeichnet Karl den Großen im Zusammenhang mit der Jagd als den „exercitatissimus exercitatissimorum Francorum“.46 Diese Wendung ist allein schon in grammatischer Hinsicht höchst bemerkenswert, da sie nicht weniger als drei Superlative miteinander verbindet: einen im Nominativ, einen im Genitiv und einen dritten durch die paronomastische Genitiv-Verbindung, die im Westen vor allem durch biblische Junkturen wie „rex regum“, „liber librorum“, „canticum canticorum“ oder „sancta sanctorum“ allgemein bekannt geworden

44 Vgl. Anm. 16 und 37. 45 Vgl. R. NEDOMA, Sport (wie Anm. 1), S. 388. 46 Notker, Gesta Karoli Magni, ed. H. F. HAEFELE (wie Anm. 23), lib. II, cap. 17 (S. 86). – 31 –

ist.47 Übersetzt man „exercitatus“, wie oben vorgeschlagen, mit „trainiert“, und versucht zugleich, diesen dreifachen Superlativ wiederzugeben, so wäre Karl der außerordentlich, hervorragend, exzellent trainierte Kaiser – und sportlich allen anderen Franken meilenweit überlegen.48

47 Zur paronomastischen Genitiv-Verbindung mit superlativischem Sinn im biblischen Hebräisch vgl. CARL BROCKELMANN, Hebräische Syntax, Neukirchen 1956, S. 71 (§ 79b); zum Mittellateinischen s. PETER STOTZ, Handbuch der lateinischen Sprache des Mittelalters IV, Handbuch der Altertumswissenschaften II, 5, 4, München 1998, S. 270–272; monographisch und dabei bis ins Altindische ausgreifend GERD SCHÄFER, ‚König der Könige‘ – ‚Lied der Lieder‘. Studien zum Paronomastischen Intensitätsgenitiv, Abhandlungen der Heidelberger Akad. der Wissenschaften Philos.-hist. Kl. Jg. 1973, Nr. 2, Heidelberg 1970. STOTZ hebt zurecht hervor: „Diese Anwendung des Genitivs ist in bestimmten Ausprägungen auch innerlat[einisch] seit alters verwurzelt. Doch soweit es um das MA geht, läßt sie sich großenteils kennzeichnen als Reflex und Fortsetzung einer hebr[äischen] Spracheigentümlichkeit, die über das Bibelgriechische in das chr[istliche] Latein der Spätantike Eingang gefunden hatte“ (S. 270). 48 Zu diesem Bild des perfekt trainierten Herrschers passt natürlich, dass für ihn Ruhe und Untätigkeit völlig unerträglich sind, vgl. Notker, Gesta Karoli Magni, ed. H. F. HAEFELE (wie Anm. 23), lib. II, cap. 8 (S. 60): „quietis et otii impatientissimus Karolus“. – Zu Notkers Vorstellungen über den Zusammenhang von Kraft und Macht des Herrschers vgl. TH. SIEGRIST, Herrscherbild und Weltsicht (wie Anm. 33), S. 96–108. Dieser Konnex wird etwa in Buch II, Kap. 9 besonders deutlich formuliert: „Quo viso nominis sui fortissimus heres Aaron ex rebus minimis fortiorem Karolum deprehendens, his verbis in eius favorem prorupit: ‚Nunc cognosco, quam sint vera, quę audivi de fratre meo Karolo, quia scilicet assiduitate venandi et infatigabili studio corpus et animam exercendi cuncta, quę sub cęlo sunt, consuetudinem habet edomandi‘“ (S. 64). – 32 –

6. Typisch fränkischer Sport Die Autoren des 9. Jahrhunderts betonen zwar die individuellen Leistungen der Herrscher, verweisen aber zugleich auf so etwas wie sportliche „Nationaleigenschaften“, ja, wenn man so möchte: „Nationalsportarten“.49 In der inzwischen stark angewachsenen Literatur über ethnisches Selbstverständnis und ethnische Selbstvergewisserung ist dieser Aspekt bislang, wie es scheint, noch nicht zur Kenntnis genommen worden. Einhard schließt seinen Ausführungen über Karls „exercitatio“ im Reiten sowie der Jagd eine längere Erklärung an: Diese beiden Disziplinen seien ihm aufgrund seiner Volkszugehörigkeit gleichsam in die Wiege gelegt worden („gentilicium“, wörtlich „vom Volk her eigentümlich“), denn man finde auf der ganzen Erde wohl kaum ein Volk, das es den Franken in dieser Kunst gleichtun könnte.50 Die Franken als „Nation“ der Reiter und Jäger – weniger die Berechtigung, als vielmehr die Geschichte dieser Selbsteinschätzung würde eine eingehende Untersuchung verdienen, die jedoch an dieser Stelle nicht geleistet werden kann.51 Vielmehr 49 In dem Sinne also, in dem heute etwa Brasilien als Fußball-Nation, Jamaika als Sprinter-Nation oder Norwegen als Skilanglauf-Nation gilt. 50 Vgl. oben, Anm. 37. 51 Vgl. etwa das von H. KOWALD, Leibesübungen (wie Anm. 12), zusammengetragene Material. – Es sei an dieser Stelle nur auf das Zeugnis des Hrabanus Maurus hingewiesen. Seiner König Lothar II. dedizierten Schrift „De anima“ fügt er unter dem Titel „De procinctu Romanae militiae“ ein längeres Exzerpt aus Vegetius’ „De re militari“ mit eigenen Ergänzungen hinzu; am Ende des zwölften Kapitels („Quem ad modum adscendendos aequos instituebantur“) bekräftigt er mit großem Nachdruck die Reitkünste seiner Landsleute: „Quod uidelicet exercitium saliendi in Francorum populis optime uiget“, vgl. [Hrabanus Maurus,] De procinctu Romanae militiae, ed. ERNST DÜMMLER, in: Zeitschrift für deutsches Alterthum XV 1872, S. 443–451, hier S. 448; dazu RAYMUND KOTTJE, Art. Hrabanus Maurus, in: Verfasser-Lexikon IV, Berlin/New – 33 –

soll hier noch kurz auf den Umstand hingewiesen werden, dass derartige Aussagen auch als Fremdeinschätzung belegt sind. Dafür lohnt sich ein Blick auf den ‚Panegyricus‘ auf Avitus, den sein Schwiegersohn Sidonius Apollinaris – später Bischof von Clermont – im Jahre 456 verfasst hat. Darin werden unter anderen die körperlich-sportlichen Vorzüge des römischen Kaisers in höchsten Tönen gepriesen: So habe er den Heruler im Laufen, den Hunnen im (Speer-)Werfen, den Franken im Schwimmen, den Sauromaten im Gebrauch des Schildes, den Salier zu Fuß und den Gelonen in der Verwendung des Krummschwerts besiegt („vincitur“). Damit ist natürlich gemeint, dass Avitus jedem „Barbar“ sogar in seiner jeweiligen Spezialdisziplin überlegen war.52 Im Falle der Franken ist dies York ²1983, Sp. 166–196, hier Sp. 193f., und vor allem CHRISTOPHER ALLMAND, The ‚De Re Militari‘ of Vegetius. The Reception, Transmission and Legacy of a Roman Text in the Middle Ages, Cambridge u. a. 2011, S. 214-216. 52 Vgl. Sidoine Apollinaire, Poèmes, ed. ANDRÉ LOYEN, Paris 1960, hier Carmen VII, vv. 235–237 (S. 63): „(...) Vincitur illic / cursu Herulus, Chunus iaculis Francusque natatu, / Sauromata clipeo, Salius pede, falce Gelonus“. Aufgrund der starken Verkürzung ist nicht immer klar, welche Fertigkeiten genau gemeint sind. Die Disziplinen stehen jedenfalls alle in einem militärischen Kontext; direkt im Anschluss an die zitierten Verse wird Avitus dafür gelobt, dass er alle (Barbaren) im Ertragen von Wunden übertreffe: „uulnere uel si quis plangit cui flesse feriri est / ac ferro perarasse genas uultuque minaci / rubra cicatricum uestigia defodisse“ (vv. 238–240). Über den Panegyricus vgl. CLAUDIA SCHINDLER, Per carmina laudes. Untersuchungen zur spätantiken Verspanegyrik von Claudian bis Coripp, Beiträge zur Altertumskunde CCLIII, Berlin/New York 2009, S. 182–198; zur Darstellung der Barbaren bei Sidonius, ohne allerdings auf die hier interessierende Passage näher einzugehen, s. FRANK-MICHAEL KAUFMANN, Studien zu Sidonius Apollinaris, Frankfurt a. M. u. a. 1995, S. 106–170. – Zumindest in einem Fall ist die ethnische Zuschreibung auch noch an anderer Stelle bezeugt; so bezeichnet Jordanes die Heruler als „gens quantum velox“ (Iordanis De origine et actibus Getarum, ed. THEODOR MOMMSEN, MGH AA V, 1, Berlin 1882, S. 53–138, hier nr. 117, S. 88). – 34 –

das Schwimmen, in dem sich, wie oben gesehen, auch Karl der Große in besonderer Weise geübt haben soll.

7. Von Kindesbeinen an Wer es bei seinen sportlichen Fähigkeiten zu etwas bringen möchte, muss mit dem Training sehr zeitig beginnen. Das ist nicht etwa eine Erkenntnis der modernen Sportwissenschaft, sondern bereits im frühen Mittelalter eine Selbstverständlichkeit. Wenn sie dennoch nicht in das allgemeine Bewusstsein der Historiker eingedrungen ist, dann liegt dies vor allem daran, dass wir nicht sehr viel über die Erziehung von Kindern – und zwar gerade was den profanen Bereich betrifft – im frühen Mittelalter wissen.53 Umso erfreulicher ist es, dass sich Einhard ganz direkt zu dieser Frage äußert: „Tum filios, cum primum aetas patiebatur, more Francorum equitare, armis et venatibus exerceri fecit“.54 Als erstes fällt auf, dass Karl bei seinen Söhnen genau dieselben Fähigkeiten fördert, die er selbst besessen hat – und zwar nach Einhard in einem sehr hohen Maße: Reiten und Jagen. 53 Die Frage nach der Erziehung und nach den Erziehern der fränkischen Könige wurde bislang allenfalls für Einzelfälle, aber noch nie in einer übergreifenden Studie untersucht. Wie dünn die Quellenlage dabei offenbar ist, lassen Studien wie die von IRMGARD FEES, War Walahfrid Strabo der Lehrer oder Erzieher Karls des Kahlen?, in: JOHANNES BERNWIESER/BENJAMIN SCHÖNFELD (Hrsg.), Lebendige Zeichen. Ausgewählte Aufsätze zu Diplomatik, Handel und Schrift im frühen und hohen Mittelalter. FS Irmgard Fees zum 60. Geburtstag, Leipzig 2012, S. 17–40 (zuerst 2000), deutlich erkennen. 54 Einhard, Vita Karoli, ed. O. HOLDER-EGGER (wie Anm. 14), cap. 19 (S. 23). – Thegan, Gesta Hludowici, ed. E. TREMP (wie Anm. 16), cap. 2 (S. 178) berichtet nur vom Unterricht der Kinder in den freien Künsten (und den weltlichen Gesetzen), der bei Einhard direkt vor der hier zitierten Stelle erwähnt wird. Die sportliche Erziehung übergeht Thegan. – 35 –

Allerdings wird hier noch eine dritte Disziplin ergänzt: der Gebrauch von Waffen. Es könnte sich dabei durchaus um eine Explikation des Jagens handeln, bei dem ja gerade dieser Waffengebrauch eingeübt wurde. Zweitens wird selbst in diesem kurzen Text auf eine fränkische Gewohnheit, ein „mos Francorum“, Bezug genommen. Sportliche Übungen sind – so zumindest Einhards Verständnis – in hohem Maße traditionsgebunden. Wenn diese Einschätzung auch nur einigermaßen zutreffend ist, dann kann das, was hier über die Königssöhne berichtet wird, auf einen sehr viel größeren Personenkreis (wahrscheinlich den gesamten Adel) sinngemäß bezogen werden. Drittens wird der Zeitpunkt für den Beginn dieser Ausbildung genannt: so früh wie nur irgend möglich. Was heißt das im Einzelnen? Darüber gibt vor allem der sogenannte Astronomus Auskunft – und zwar im Hinblick auf einen dieser Söhne, den 778 geborenen Ludwig den Frommen.55 781 von Papst Hadrian in Sankt Peter gesalbt und gekrönt, hat ihn noch im selben Jahr Karl der Große nach Aquitanien gesandt. Dabei wurde er bis Orléans in einer Kindersänfte getragen, der eigentliche Einzug in sein Königreich erfolgte dagegen ausdrücklich zu Pferd und ausgerüstet mit Waffen, wie sie seinem Alter angemessen waren56 – wie es scheint, ein ritueller Übergang über die Grenze. Reiten und Waffentragen mit drei Jahren: das dürfte wohl die 55 Vgl. zum Folgenden CHRISTOPH DETTE, Kinder und Jugendliche in der Adelsgesellschaft des frühen Mittelalters, in: Archiv für Kulturgeschichte LXXVI 1994, S. 1–34. Zum historischen Kontext, aber ohne auf Fragen der Kindheit näher einzugehen, EGON BOSHOF, Ludwig der Fromme, Darmstadt 1996. 56 Vgl. Astronomus, Vita Hludowici imperatoris, ed. ERNST TREMP, MGH SS rer Germ LXIV, Hannover 1995, S. 279–555, cap. 4 (S. 294): „Qui usque Aurelianam urbem cunali est vectus gestamine, sed ibi congruentibus eius ęvo armis accinctus, equo inpositus et in Aquitaniam est Deo annuente transpositus“. – 36 –

maximale Interpretation von Einhards „cum primum aetas patiebatur“ sein. Nur am Rande sei hier angemerkt, dass Kinderwaffen im frühen Mittelalter archäologisch sehr gut bezeugt sind.57 785 wurde Ludwig zum ersten Mal an den Hof seines Vaters beordert, der sich damals gerade im sächsischen Paderborn befand. Zu seiner Kleidung bzw. Ausrüstung, die der Astronomus ausführlich beschreibt, gehörten unter anderem Stiefel mit Sporen sowie ein Wurfspieß. Wie der Verfasser ausdrücklich versichert, war der 7-jährige Ludwig damals bereits ein guter Reiter („accersivit filium iam bene equitantem“).58 791 schließlich wurde Ludwig nach Ingelheim bestellt und zog von da aus gemeinsam mit dem fränkischen Heer nach Regensburg. Dort wurde er, da er sich, wie es heißt, dem Jünglingsalter näherte, vom Vater mit dem Schwert umgürtet, das heißt: rituell in den Kreis der wehrhaften Männer aufgenom57 Vgl. dazu BRIGITTE LOHRKE, Art. Kindergräber, in: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde XVI, Berlin/New York 2000, S. 540–543, besonders S. 542; DIES., Kinder in der Merowingerzeit, in: KURT W. ALT/ARIANE KEMKES-GROTTENTHALER (Hrsg.), Kinderwelten. Anthropologie – Geschichte – Kultur, Köln/Weimar/Wien 2002, S. 140–153; DIES., Kinder in der Merowingerzeit. Gräber von Mädchen und Jungen in der Alemannia, Freiburger Beiträge zur Archäologie und Geschichte des ersten Jahrtausends IX, Rahden/Westf. 2004, S. 98–107 und 136–138; INGO GABRIEL, Art. Spiel und Spielzeug, in: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde XXIX, Berlin/New York 2005, S. 354–363, hier S. 357. Die Belege stammen aus dem 5. bis 10. Jahrhundert (Frankenreich, Alamannien, später Skandinavien). Allerdings spricht bereits Tacitus mit Blick auf den Sohn des Anführers der Bataver, Gaius Iulius Civilis, von Kinderpfeilen und -speeren, mit denen dieser (angeblich) auf römische Gefangene schießen durfte, vgl. P. Cornelii Taciti Historiarum libri, ed. ERICH KLOSTERMANN, Leipzig 1961, lib. IV, cap. 61 (S. 202): „et ferebatur parvulo filio quosdam captivorum sagittis iaculisque puerilibus figendos obtulisse“. 58 Astronomus, Vita Hludowici, ed. E. TREMP (wie Anm. 56), cap. 4 (S. 294). – 37 –

men. Unmittelbar im Anschluss daran zog der 13-jährige zusammen mit Karl in den Avarenkrieg.59 Die Phase des Lernens und Einübens war damit, wenigstens im Prinzip, abgeschlossen. Ludwig ist nicht der einzige Karolinger, von dem derartige Geschichten aus der Kindheit berichtet werden. So schildert Ermoldus Nigellus einen Jagdtag vom Juni 826, den der Kaiser anlässlich der Taufe Haralds von Dänemark veranstaltete. Mit dabei war auch sein jüngster Sohn, Karl der Kahle, der dem Vorbild der Erwachsenen folgend auch ein Tier erlegen wollte. Daher wurde ihm ein Hirschkalb vorgeführt, das er mit Kinderwaffen töten durfte.60 Karl war damals seit wenigen Tagen drei Jahre alt. Diese Darstellung ist nicht leicht zu interpretieren; vieles ist unrealistisch, und das nicht nur an dieser Stelle.61 Der Dichter möchte in Karl offenkundig den künftigen Kaiser zeigen, der schon in jungen Jahren die Eigenschaften seines Vaters und Großvaters in sich vereinte. Auf der anderen Seite scheint es 59 Vgl. ebd., cap. 6 (S. 300): „Interea anno hunc sequente patri regi rex Hludouuicus Engelheim occurit, inde Hrenesburg cum eo abiit. Ibique ense, iam appellens adolscentię tempora, accinctus est ac deinde patrem in Auares exercitum ducentem usque Chuneberg comitatus ...“ 60 Vgl. In honorem Hludowici christianissimi caesaris augusti Ermoldi Nigelli Elegiacum Carmen, ed. EDMOND FARAL, in: Ermold le Noir, Poème sur Louis le Pieux et épitres au roi Pépin, Les classiques de l’histoire de France au moyen-âge XIV, Paris ²1964, S. 1–201 (zuerst 1932), hier vv. 2394–2415 (= lib. IV, vv. 513–534). Kinderwaffen werden in v. 2410 (= 529) ausdrücklich erwähnt: „Arma aevo tenero tunc convenientia sumit“. 61 Die Szene erinnert stark an die bei Tacitus beschriebene Begebenheit (vgl. Anm. 57). – Zur Problematik der Jagdbeschreibung von 826 – aus ganz unterschiedlichen Perspektiven – vgl. JANET L. NELSON, Charles the Bald, London/New York 1992, S. 79f.; sowie LUTZ FENSKE, Jagd und Jäger im früheren Mittelalter. Aspekte ihres Verhältnisses, in: WERNER RÖSENER (Hrsg.), Jagd und höfische Kultur im Mittelalter, Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte CXXXV, Göttingen 1997, S. 29–93. – 38 –

nach den bisherigen Ausführungen durchaus plausibel, dass man das Kind so früh wie möglich an der Jagd beteiligte, wie auch immer das konkret ausgesehen hat. Programmatische Texte, wie die körperlich-sportliche Erziehung auszusehen habe, sind aus dem Herrschaftsbereich der Karolinger nicht überliefert. Umso mehr verdient ein kleiner Traktat Beachtung, auf den zuerst August Eduard Anspach im Jahre 1912 hingewiesen hat: Isidor von Sevillas ‚Institutionum Disciplinae‘. Diese Schrift enthält, auf antiken Quellen beruhend, ein vielseitiges Bildungsprogramm für die Söhne des westgotischen Adels, in dem körperliche Fertigkeiten eine sehr große Rolle spielen. So sollen die Knaben reiten, laufen, weitspringen, jagen, speerwerfen, fechten, ringen und vieles andere. Durch die Übungen – so der Verfasser – erlangten die Heranwachsenden eine adäquate und männliche Gestalt („apta et virilis figura“); Ziel ist dabei ein abgehärterter Leib („duritia corporis“) und ein muskulöser Oberkörper („robur lacertorum“), wobei allerdings – so betont Isidor mit Nachdruck – der Geist stets kraftvoller als der Körper zu sein habe.62

62 Vgl. AUGUST EDUARD ANSPACH, Isidori Hispalensis ‚Institutionum Disciplinae‘, in: Rheinisches Museum für Philologie NF LXVII 1912, S. 556–568 (mit der Editio princeps); PAUL PASCAL, The „Institutionum Disciplinae“ of Isidore of Seville, in: Traditio XIII 1957, S. 425–431 (mit der Editio critica); ALOIS KOCH, Ein „Erziehungsprogramm“ aus dem westgotischen Spanien, in: Die Leibeserziehung XIV 1966, S. 117–122; PIERRE RICHÉ, L’éducation à l’époque wisigothique. Les „Institutionum disciplinae“, in: Anales toledanos III 1971, S. 171–180; ANA BELÉN SÁNCHEZ PRIETO, Las „Institutionum Disciplinae“. Programa educativo para un noble godo, in: JAVIER VERGARA CIORDIA u. a. (Hrsg.), Ideales de formación en la historia de la educación, Madrid 2011, S. 87–106 (unkritischer Text mit spanischer Übersetzung). – 39 –

8. Reiterkämpfe als Kriegsübung Wiederholt war bereits vom Reiten und vom Waffengebrauch die Rede, in denen sich die Söhne aus der karolingischen Familie so früh wie möglich zu üben hatten. In den ‚Historiae‘ Nithards – selbst ein Enkel Karls des Großen von dessen Tochter Bertha – werden beide Fertigkeiten in enger Verbindung miteinander vorgestellt, und in einer virtuosen Ausführung obendrein.63 Nithard berichtet kurz nach dem Straßburger Treffen Ludwigs des Deutschen und Karls des Kahlen 842 in großer Ausführlichkeit von Reitergefechten, die in der Rheinebene zwischen Worms und Mainz stattfanden. Dabei traten zwei Gruppen ihrer Gefolgsleute gegeneinander an, die – und zwar in gleicher Zahl – aus Sachsen, Basken, Austrasiern und Bretonen zusammengesetzt waren. Zunächst stürzten diese von beiden Seiten im schnellen Lauf aufeinander zu, genau so, als ob sie sich ein Gefecht liefern wollten. Dann wandte sich die eine Gruppe, von ihren Schilden gedeckt, zur Flucht, die andere stieß ihr nach; anschließend geschah dasselbe in umgekehrter Richtung. Zuletzt stürmten die beiden Könige selbst samt ihrem jugendlichen Gefolge unter lautem Geschrei und in vollem

63 Zu Nithards Geschichtswerk vgl. zuletzt JANET L. NELSON, Public Histories and Private History in the Work of Nithard, in: Speculum LX 1985, S. 251–293; KARL LEYSER, Nithard and his Rulers, in: DERS. (Hrsg.), The Carolingian and Ottonian Centuries, Communications and Power in Medieval Europe I, London 1994, S. 19–25; STUART AIRLIE, The World, the text and the Carolingian. Royal, Aristocratic and Masculine Identities in Nithard’s ‚Histories‘, in: PATRICK WORMALD/JANET L. NELSON (Hrsg.), Lay Intellectuals in the Carolingian World, Cambridge 2007, S. 51–76, vor allem aber JANET L. NELSON, Ninth-century Knighthood. The Evidence of Nithard, in: DIES./CHRISTOPHER HARPER-BILL/CHRISTOPHER J. HOLDSWORTH (Hrsg.), Studies in Medieval History. FS R. Allen Brown zum 65. Geburtstag, Woodbridge 1989, S. 255–266. – 40 –

Galopp mit ihren Lanzen in der Hand bald diesen, bald jenen auf der Flucht nach.64 Nithard bezeichnet diese Reitergefechte ausdrücklich als Spiele („ludi“), ein Terminus, der sehr nahe an den modernen Sportbegriff herankommt („Spiel“ hier im Sinne von „Wettkampf“). Im Jahre 842 werden solche Spiele zu Trainingszwecken („causa exercitii“) durchgeführt, und zwar als Training für die Reiterschlacht, die hier offenkundig simuliert wird – der Angriff ebenso wie die Flucht. Selbst solche Simulationen waren nicht ganz ohne Gefahr, da sie, wie es scheint, mit den regulären Waffen durchgeführt wurden; der Verfasser hebt daher am Ende lobend hervor, dass kein Teilnehmer verletzt wurde, ja nicht einmal Beschimpfungen vorkamen (wie sie bei modernen Mannschaftssportarten durchaus auch bekannt sind).65 Nach Nithard wurden solche Spiele häufig („saepe“) durchgeführt – eine Aussage, die klar vor Augen führt, wie desolat die Überlieferungslage in diesem Punkt ist. Sie fanden 64 Vgl. Nithard, Histoire des fils de Louis le Pieux (Historiarum libri IIII), ed. PHILIPPE LAUER, Les classiques de l’histoire de France au moyen-âge VII, Paris ²1964 (zuerst 1926), hier lib. III, cap. 6 (S. 37f.): „Ludos etiam hoc ordine sępe causa exercitii frequentabant. Conveniebant autem quocumque congruum spectaculo videbatur et, subsistente hinc inde omni multitudine, primum pari numero Saxonum, Wasconum, Austrasiorum, Brittonum, ex utraque parte, veluti invicem adversari sibi vellent, alter in alterum veloci cursu ruebat; hinc pars terga versa protecti umbonibus ad socios insectantes evadere se velle simulabant, at versa vice iterum illos quos fugiebant persequi studebant, donec novissime utrique reges cum omni iuventute ingenti clamore equis emissis astilia crispantes exiliunt et nunc his, nunc illis terga dantibus insistunt. Eratque res digna pro tanta nobilitate nec non et moderatione spectaculo; non enim quispiam in tanta multitudine ac diversitate generis, uti saepe inter paucissimos et notos contingere solet, alicui aut lesionis aut vituperii quippiam inferre audebat.“ 65 Zur Bedeutung der Flucht und vor allem der simulierten Flucht in mittelalterlichen Schlachten, vgl. zuletzt HANS-HENNING KORTÜM, Krieg und Krieger 500–1500, Stuttgart 2010, S. 166–169. – 41 –

in Anwesenheit einer großen Anzahl von Zuschauern statt; der Austragungsort wurde sogar eigens so gewählt, dass diese möglichst auf ihre Kosten kamen. Vermutlich haben sie erst das „Spielfeld“ für den hin und her wogenden Kampf begrenzt. Schluss- und Höhepunkt des Gefechtes ist das persönliche Eingreifen der beiden Könige, des damals etwa 37-jährigen Ludwig und des 19-jährigen Karl. Sie mussten bei dieser Gelegenheit ihre sportlich-kriegerischen Fähigkeiten unter Beweis stellen, und zwar – und dies scheint sehr wichtig zu sein – in aller Öffentlichkeit. Nicht zufällig hebt der Verfasser zu Beginn der Passage ausdrücklich hervor, dass der eine wie der andere zu allen (körperlichen) Übungen in der Lage sei („omni exercitio apta“).66 Nithards Schilderung der Reiterkämpfe von 842 hat manchen Beobachter an den „Lusus Troiae“ im antiken Rom erinnert. Dieses Reiterspiel, von der sullanischen Zeit bis in den Prinzipat hinein gut bezeugt, richtete sich an die Kinder und Jugendlichen aus dem Ritterstand und diente deren (para-)militärischer Ausbildung. Allerdings sind Scheingefechte zu Pferde usw. zu Trainingszwecken so breit bezeugt, dass direkte Zusammenhänge nicht angenommen werden können.67 66 Vgl. Nithard, Historia, ed. PH. LAUER (wie Anm. 64), lib. III, cap. 6 (S. 37): „Erat quidem utrisque forma mediocris cum omni decore pulchra et omni exercitio apta; erat uterque audax, largus, prudens pariter et eloquens“. 67 Vgl. etwa für das Westgotenreich Isidori Iunioris episcopi Hispalensis Historia Gothorum Wandalorum Sueborum ad a. DCXXIV, ed. THEODOR MOMMSEN, MGH AA XI, Berlin 1894, S. 241–303, hier S. 294f. H. KOWALD hält es für „sehr wahrscheinlich, dass es bei diesem Stamm (den Westgoten sc.) schon im 6. Jahrhundert eine Art reiterischer Turnierspiele gab“ (Leibesübungen, S. 29f.). – Zum Lusus Troiae vgl. CARL DIEM, Das Trojanische Reiterspiel, Berlin 1942; KARL-WILHELM WEEBER, Troiae lusus. Alter und Entstehung eines Reiterspiels, in: Ancient Society V 1974, S. 171–196; HELGA FUCHS, Lusus Troiae, Diss. phil. Köln 1990. Über Reiterspiele allgemein CARL DIEM, Asiatische Reiterspiele. Ein – 42 –

9. Das Kriegsparadoxon Bei den Reiterkämpfen von 842 präsentierten sich zwei fränkische Könige als Krieger, indem sie die von Kindesbeinen an erlernten körperlichen Fertigkeiten – Reiten, Waffengebrauch und zwar in enger Koordination mit zahlreichen anderen Mitstreitern – „coram publico“ unter Beweis stellten. Ist das die Art und Weise, wie man sich die Karolinger während einer Schlacht vorzustellen hat? Zunächst einmal ist festzuhalten, dass Kriegsführung zu den wichtigsten Tätigkeiten gehört, denen sich ein fränkischer König zu widmen hatte: viele Wochen Jahr für Jahr und in manchen Jahren gleich mehrfach; wenn einmal der übliche Kriegszug ausblieb, wurde das in den zeitgenössischen Annalen eigens vermerkt – so stark war die Erwartung.68 Welche Bedeutung diese Kriege für das Selbstverständnis der Karolinger hatten, zeigt ein Blick auf das von Ermoldus Nigellus überlieferte Bildprogramm der Pfalz Ingelheim: Dort findet man Karl Martell als Sieger über die Friesen, Pippin den Jüngeren als Überwinder der Aquitanier und Karl den Großen als Bezwinger der Sachsen dargestellt.69 Beitrag zur Kulturgeschichte der Völker, Berlin ²1942 (zuerst 1941); JAN M. TIMMER, Art. Reiterspiele, in: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde XXIV, Berlin/New York 2003, S. 412–414. 68 Über die alljährliche Kriegführung im 8. und 9. Jahrhundert vgl. TIMOTHY REUTER, The End of Carolingian Military Expansion, in: PETER GODMAN/ROGER COLLINS (Hrsg), Charlemagne’s Heir. New Perspectives on the Reign of Louis the Pious, Oxford 1990, S. 391–405, besonders S. 391f.; THOMAS SCHARFF, Die Kämpfe der Herrscher und der Heiligen. Krieg und historische Erinnerung in der Karolingerzeit, Darmstadt 2002, S. 109–114. 69 Vgl. Ermoldus Nigellus, In honorem Hludowici, ed. E. FARAL (wie Anm. 60), hier vv. 2156–2163 (= lib. IV, vv. 275–282). Über die bei Ermold geschilderten Darstellungen nach wie vor am besten WALTER LAMMERS, – 43 –

Angesichts dieser prägenden Bedeutung des Krieges ist es ziemlich erstaunlich, dass wir bei circa 35 Hausmaiern, Königen und Kaisern aus der Familie der Karolinger niemals von einer Verletzung oder gar vom Tod während der Schlacht erfahren – und das, obwohl die Quellenlage für derartige Fragen gar nicht so schlecht ist. Eine einzige Ausnahme bestätigt diese Regel: Am 13. August 900 kam König Zwentibold bei kriegerischen Auseinandersetzungen an der Maas ums Leben, als er versuchte, sein Königtum zu verteidigen bzw. zurückzugewinnen. Im Jahr zuvor war mit seinem Vater, Arnulf von Kärnten, die wichtigste politische Stütze des Königs verstorben, der überdies einer nichtehelichen Verbindung entstammte.70 Dieser Befund – ständige Kriegsführung, aber ohne dabei körperlich zu Schaden zu kommen – legt sehr stark die These nahe, dass die karolingischen Herrscher nicht unmittelbar am Kampf beteiligt waren: weder mit Lanze noch Schwert und ganz gewiss nicht in der ersten Reihe. Anders lautende Berichte sind eindeutig dem Bereich der (fiktiven) Literatur zuzuweisen.71

Ein karolingisches Bildprogramm in der Aula regia von Ingelheim, in: FS Hermann Heimpel zum 70. Geburtstag III, Göttingen 1972, S. 226–289. Die Frage, ob es sich dabei um ein reales oder um ein fiktives Bildprogramm handelt, braucht hier nicht näher diskutiert zu werden. 70 Vgl. dazu A. HACK, Alter, Krankheit, Tod (wie Anm. 38), S. 111–122. Über die Herrschaft Zwentibolds vgl. zuletzt MARTINA HARTMANN, Lotharingien in Arnolfs Reich. Das Königtum Zwentibolds, in: FRANZ FUCHS/PETER SCHMID, Kaiser Arnolf. Das ostfränkische Reich am Ende des 9. Jahrhunderts, Beihefte zur Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte XIX, München 2002, S. 122–142. 71 Über die Kriege in karolingischer Zeit vgl. (neben der bereits in Anm. 68 aufgeführten Literatur) vor allem HANS-HENNING KORTÜM, Militärische Gewaltkultur. Eine Problemskizze, in: Kaiser und Kalifen. Karl der Große und die Mächte am Mittelmeer um 800, Mainz 2014, S. 130–143 und 368f. In einem weiteren Rahmen DERS., Krieg und Krieger (wie Anm. 65). – 44 –

10. Jagd als Sport Dies führt zu einer anderen Beschäftigung, der sich die fränkischen Könige – und nicht nur sie – mit großer Regelmäßigkeit widmeten: der Jagd. Die Belege dafür sind abundant und brauchen hier nicht im Einzelnen angeführt zu werden. Ein Beispiel mag genügen: Thegan beschreibt es in seinen ‚Gesta‘ als feste Gewohnheit Ludwigs des Frommen, im August, wenn die Hirsche am fettesten sind, der Jagd zu frönen, bis die Zeit der Eber gekommen ist.72 72 Vgl. Thegan, Gesta Hludowici, ed. E. TREMP (wie Anm. 16), cap. 19 (S. 204): „In mense autem augusto, quando cervi pinguissimi sunt, venatione vacabat, usquedum aprorum tempus advenerat.“ – Zur Jagd im frühen Mittelalter vgl. JÖRG JARNUT, Die frühmittelalterliche Jagd unter rechtsund sozialgeschichtlichen Aspekten, in: L’uomo di fronte al mondo animale nell’alto medioevo, Settimane di studio del Centro italiano di studi sull’alto medioevo XXXI, Spoleto 1985, S. 765–808; WOLFRAM MARTINI (Hrsg.), Die Jagd der Eliten in den Erinnerungskulturen von der Antike bis in die frühe Neuzeit, Göttingen 2000; WERNER RÖSENER, Die Geschichte der Jagd. Kultur, Gesellschaft und Jagdwesen im Wandel der Zeit, Düsseldorf/Zürich 2004; GERALD SCHWEDLER, Ritualisiertes Beutemachen. Das Jagdzeremoniell Karls des Großen, in: KLAUS AMBROS u. a. (Hrsg.), Die Welt der Rituale. Von der Antike bis heute, Darmstadt 2005, S. 181–187; MARTINA GIESE, Kompetitive Aspekte höfischer Jagdaktivitäten im Frühmittelalter, in: MATTHIAS BECHER/ALHEYDIS PLASSMANN (Hrsg.), Streit am Hof im frühen Mittelalter, Super alta perennis XI, Bonn 2011, S. 263–284; sowie die bereits oben, Anm. 61, zitierte Arbeit von L. FENSKE. – Noch in den 20er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurde die Jagd ganz selbstverständlich in sportgeschichtlichen Werken abgehandelt, vgl. etwa KONRAD EILERS, Geschichte des Jagdsports, in: GUSTAV A. E. BOGENG (Hrsg.), Geschichte des Sports aller Völker und Zeiten, Leipzig 1926, S. 630–668. – Ähnlich wie die Jagd konnte auch das Fischen als Sport verstanden werden, eine Tätigkeit, der auch die karolingischen Herrscher nachgegangen sind; vgl. dazu ACHIM THOMAS HACK, Der König als Fischer in der Karolingerzeit, in: Francia XLI 2014, S. 321–333 (mit den einschlägigen Literaturhinweisen). – 45 –

Die karolingischen Herrscher sind nicht nur persönlich auf die Jagd gegangen, sondern haben sogar regelmäßig in vorderster Reihe mitgewirkt – und das trotz aller Gefahren, die diese Tätigkeit in sich barg. Nicht wenige unter ihnen haben mit ihrer Gesundheit, ja mit ihrem Leben dafür bezahlt. Allein drei Könige kamen durch Jagdunfälle zu Tode: Karlmann im Jahre 884, Ludwig IV. 954 und Ludwig V. 987, alle aus dem westfränkischen Reichsteil. Hinzufügen könnte man (um nur zwei Beispiele aus Italien zu nennen) den Langobardenkönig Aistulf 756 und den damals 18-jährigen Kaiser Lambert 898. Die Liste ließe sich sehr leicht verlängern.73 Andere Karolinger kamen mit schweren Verletzungen davon wie beispielsweise Ludwig der Deutsche und Ludwig II. von Italien: beide im Jahre 864 und beide bei der Hirschjagd, allerdings an unterschiedlichen Orten. Man stelle sich nur einen Augenblick lang vor, welche politischen Folgen ein letales Ende dieser Unfälle vermutlich gehabt hätte.74 Wie bereits weiter oben erwähnt, hatten nach Einhards Aussage die Söhne Karls des Großen das Reiten, den Gebrauch der Waffen und das Jagen von früher Jugend an zu trainieren. Die Zusammenstellung ist keineswegs beliebig, sondern ergibt einen durchaus nachvollziehbaren Sinn. Denn die hier an dritter Stelle genannte Jagd beruht zum einen auf sehr guten Fertigkeiten im Reiten und dies auch in unwegsamem Gelände; zum anderen setzt sie eine nicht weniger hervorragende Beherrschung der Waffen voraus, wobei es sich je nach Jagdart um Wurf-, Stoß- oder Schusswaffen handeln kann. Die Jagd wird 73 Vgl. A. HACK, Alter, Krankheit, Tod (wie Anm. 38), S. 134–141. Nur ein weiteres Beispiel: Aufusus, der Neffe König Liudprands im Jahre 741, vgl. Pauli [Diaconi] Historia Langobardorum, edd. LUDWIG C. BETHMANN/GEORG WAITZ, MGH SS rer Langob, Hannover 1878, S. 12–187, hier lib. VI, cap. 58 (S. 186). 74 Vgl. A. HACK, Alter, Krankheit, Tod (wie Anm. 38), S. 133f.; zum etwas komplizierter gelagerten Unfall Karls des Kindes ebd., S. 141–144. – 46 –

von Einhard wahrscheinlich deshalb eigens angeführt, weil sie über die beiden zuerst genannten Tätigkeiten deutlich hinausgeht. Sie erfordert nämlich in der Regel das koordinierte Vorgehen einer Gruppe, die das Tier verfolgt, in die Enge treibt und schließlich tötet; vor diesem Hintergrund kann und muss man die Jagd als einen „Mannschaftssport“ bezeichnen. Allerdings handelt es sich dabei um einen Mannschaftssport ganz besonderer Art: Der König nimmt in der „Mannschaft“ wie selbstverständlich eine Alpha-Position ein; ihm – und nur ihm – kommt es zu, gleichsam als Höhepunkt des Geschehens das Wild zu töten.75 Warum ist diese Art der Beschäftigung für die karolingischen Herrscher – und nicht nur für diese – von so hervorragender Bedeutung? Dafür gibt es mit Sicherheit viele Gründe und einige davon wurden in der Forschung bereits eingehend diskutiert. Hier sei nur ein weiterer, bislang meist übersehener genannt: die weitgehende Übereinstimmung mit denjenigen körperlichen Fertigkeiten, die im Krieg, genauer: in einer Schlacht erforderlich waren: Reiten, Waffengebrauch und das koordinierte Agieren mit den Gefährten.76

75 Starke Ähnlichkeit mit dieser Form der mittelalterlichen Jagd zeigt der noch heute in Südwesteuropa betriebene Stierkampf. Auch hier wird das Tier von einer Gruppe von Sportlern/Jägern (sei es zu Fuß oder zu Pferd) getrieben und ermattet, bis dann ein im voraus bestimmter, hervorgehobener Teilnehmer – der Matador – den Todesstoß (sogar in ritualisierter Form) vollzieht. Auch hier wird die sportliche Tätigkeit in besonderer Weise mit Männlichkeit in Verbindung gebracht. Zur Geschichte des Stierkampfs vgl. BARTOLOMÉ BENNASSAR, Histoire de la tauromachie. Une société en spectacle, Paris 1993, vor allem den Abschnitt „La tauromachie de la noblesse: en effet du genre de vie chevaleresque“ (S. 14– 24). 76 Über den Zusammenhang von Jagd und Krieg vgl. bereits J. JARNUT, Frühmittelalterliche Jagd (wie Anm. 72), S. 797. – 47 –

Diese Sichtweise wird beispielsweise vom sogenannten Karlsepos gestützt, das einen Jagdtag Karls des Großen in großer Ausführlichkeit beschreibt. Darin heißt es unter anderem: „... Etenim nemora inter opaca Hic pater adsidue Karolus, venerabilis heros, Exercere solet gratos per gramina ludos, Atque agitare feras canibus tremulisque sagittis Sternere cornigeram nigraque sub arbore turbam.“77 Bemerkenswert sind vor allem die Termini „exercere“ und „ludi“, auf die in den vorausgegangenen Abschnitten bereits mehrfach hingewiesen wurde; hier erscheinen sie nun auf die königliche Jagd bezogen. Sie charakterisieren diese als eine spielerisch-sportliche Tätigkeit, in der man sich als Held („heros“) beweisen kann – ein Ehrentitel, der gemeinhin dem exemplarischen Krieger vorbehalten ist.78 77 De Karolo rege et Leone papa, ed. FRANZ BRUNHÖLZL, Studien und Quellen zur westfälischen Geschichte XXXVI Beiheft, Paderborn 1999 (zuerst 1966), vv. 148–152 (S. 20). – Nach Ermoldus Nigellus, Carmen, ed. E. FARAL (wie Anm. 60), vv. 660f. (= lib. II, vv. 9f.), sagt Karl der Große, rückblickend auf seine Jugend: „Dum mihi namque foret juvenali in corpore virtus / Viribusque atque armis ludere fuit“ (S. 52). – Zu Jagdschilderungen in der Dichtung des frühen Mittelalters vgl. PETER GODMAN, The Poetic Hunt. From Saint Martin to Charlemagne’s Heir, in: DERS/ROGER COLLINS (Hrsg.), Charlemagne’s Heir. New Perspectives on the Reign of Louis the Pious (814–840), Oxford 1990, S. 565–589. 78 „Heros“ ist das lateinische Pendant zu althochdeutsch „helid“, das in seiner Grundbedeutung den „Mann“ oder den „Krieger“ bezeichnet. Zur Rolle des kriegerischen Helden, dessen Taten bevorzugt in Epen besungen werden, vgl. H.-H. KORTÜM, Kriege und Krieger (wie Anm. 65), S. 13–23. – Auch schon lange vor den Karolingern werden Könige explizit als gut trainierte Jäger gezeichnet. Das wohl beste Beispiel ist die Darstellung Theoderichs II. in einem Brief des Sidonius Apollinaris an seinen Schwager Agricola von circa 455; die Präsentation des Westgoten als Jäger (Abschnitt 5) steht in engem Zusammenhang mit einer sehr ausführli– 48 –

Wenn aber die Beobachtung richtig ist, dass die fränkischen Könige des 8.–10. Jahrhunderts nicht mehr persönlich in die kriegerischen Auseinandersetzungen eingriffen, dann – so muss man folgern – nahm die Jagd zunehmend die Funktion eines Substituts für den Krieg ein.79 Hier konnten die Herrscher jene körperlichen Fähigkeiten im Zusammenwirken mit dem Adel unter Beweis stellen, die während einer Schlacht für sie im Allgemeinen nicht mehr von Bedeutung waren.

11. Sport und Krieg – nicht nur im frühen Mittelalter Die enge Verbindung von Sport und Krieg ist keine Besonderheit der karolingischen Epoche – im Gegenteil: Die Beispiele sind so zahlreich und so vielfältiger Natur, dass sie ohne weiteres eine eigene Untersuchung rechtfertigen würden.80

chen Körperschilderung (Abschnitt 2f.). Vgl. Sidoine Apollinaire, Lettres (livre I–V), ed. ANDRÉ LOYEN, Paris 1970, hier lib. I, nr. 2 (S. 4–8); für einleitende Fragen und als Stellen-Kommentar s. HELGA KÖHLER, C. Sollius Apollinaris Sidonius, Briefe Buch I. Einleitung – Text – Übersetzung – Kommentar, Bibliothek der klassischen Altertumswissenschaft NF 2. Reihe XCVI, Heidelberg 1995. 79 Dieser Zusammenhang wird noch im Barock ausdrücklich hergestellt und hat Folgen bis in die Architektur, vgl. HEIKO LAß, Die Jagd, ein „rühmlicher Krieg in Friedenszeiten“. Einflüsse der Militärarchitektur auf Jagdschlösser und Jagdbauten in der Frühen Neuzeit, in: Die wehrhafte Residenz: Zeughaus, Marstall, Militär, Jahrbuch der Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten XII 2008, S. 41–54. 80 Man könnte etwa auf zahlreiche antike Beispiele hinweisen, und zwar nicht nur aus Sparta; so zum Beispiel auf die Tatsache, dass in den viel gelesenen Etymologiae des Isidor von Sevilla Krieg, Sport und Spiele in ein und demselben Buch behandelt werden (lib. XVIII: „De bello et ludis“). – 49 –

Wenn man in eine sportgeschichtliche Darstellung über das Mittelalter schaut, stößt man dort fast immer an erster Stelle auf das Turnier. Mit seiner Regelhaftigkeit, dem direkten Vergleich (sei es einzeln oder in einer Mannschaft), den mit Zuschauern besetzten Tribünen sowie der Verleihung von (symbolischen) Preisen scheint es besonders stark an den modernen Sport zu erinnern. Dass es sich dabei in allererster Linie um die Zurschaustellung militärischer Fertigkeiten durch Mitglieder des Kriegeradels handelt, findet dabei – weil zu offenkundig? – nur sehr selten Erwähnung. Der große Erfolg des Turnierwesens, europaweit und über viele Jahrhunderte hin, liegt aber nicht zuletzt gerade darin begründet.81 Nicht weniger deutlich sind die Zusammenhänge, wenn man auf die Entstehung des „modernen Sports“ speziell in Deutschland, das heißt: auf die von Friedrich Ludwig Jahn angestoßene Turnbewegung, blickt. Denn es ist unstrittig, „daß Jahn (...) dem Turnen von Anbeginn eine vormilitärische Aus81 Über das mittelalterliche Turnier vgl. nach wie vor JOSEF FLECKENSTEIN (Hrsg.), Das ritterliche Turnier im Mittelalter. Beiträge zu einer vergleichenden Formen- und Verhaltensgeschichte des Rittertums, Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte LXXX, Göttingen 1985. Der Zusammenhang zwischen Turnier und Krieg sowie zwischen Turnier und Sport wird darin allerdings nicht systematisch erörtert. Dasselbe gilt für die Frage nach Unfällen, Verletzungen und Todesfällen bei Turnieren – Themen, die offenbar nicht in das Bild der mittelalterlichen „Ritterkultur“ passen. – In sportgeschichtlichen Arbeiten zum Mittelalter ist Rittertum und Turnier sehr präsent, vgl. etwa M. VOGT, Sport im Mittelalter (wie Anm. 12); DERS., Leibesübungen (wie Anm. 12), S. 48–59; E. NIEDERMANN, Leibesübungen (wie Anm. 12); J. M. CARTER, Medieval Games (wie Anm. 12), S. 29–37; M. KRÜGER, Leibeserziehung (wie Anm. 6) I, S. 180–194. NIEDERMANN vergleicht das Turnier sogar mit einem „Sportfest“ und schreibt: „Das zunächst hervorstechendste Merkmal des Turniers ist seine Nähe zum Kampf, zum ‚Herrendienst‘. In ihm verkörpert sich in friedlichen Zeiten der Wehrstand, der seinen Verpflichtungen ohne körperliche Kraft und Gewandtheit, verbunden mit kämpferischer Gesinnung, nicht nachkommen konnte“ (Leibesübungen, S. 76). – 50 –

bildungsfunktion zuwies.“ Sein Ziel war es, das deutsche Volk und vor allem die deutsche Jugend wehrhaft zu machen – wehrhaft für den Kampf gegen das verhasste napoleonische Frankreich.82 Auch später wurde der (para-)militärische Charakter des Sports immer wieder ganz direkt genutzt, wie zum Beispiel als Kompensation der Demilitarisierungen im Anschluss an die beiden Weltkriege des 20. Jahrhunderts.83 Und dass gerade in autoritären und totalitären Staaten die körperliche Ertüchtigung eine hervorgehobene Rolle spielt – gegebenenfalls in Verbindung mit rassistischen Theorien und oft belohnt durch einen „Medaillenregen“ –, ist allgemein bekannt.84 Es genügt aber auch schon ein Blick auf die Sportarten selbst. Viele Disziplinen – vom Bogenschießen über das Speerwerfen bis hin zum Biathlon (früher: Militärpatrouillen-

82 Vgl. HORST UEBERHORST, Zurück zu Jahn? Gab es kein besseres Vorwärts?, Bochum 1969; DIETER DÜDING, Friedrich Ludwig Jahn und die Anfänge der deutschen Nationalbewegung, in: HORST UEBERHORST (Hrsg.), Geschichte der Leibesübungen III, 1, Berlin/München/Frankfurt a. M. 1980, S. 229–256 (das Zitat S. 236); HANNES NEUMANN/HANSGEORG JOHN, Leibesübungen im Dienste nationaler Bestrebungen: Jahn und die deutsche Turnbewegung, in: ebd., S. 257–324. 83 Dieser Zweig der militärisch-sportlichen Betätigung wird unter dem Begriff „Wehrsport“ sehr kontrovers diskutiert; vgl. zum Beispiel NORBERT NAIL, „Wehrsport“. Gedanken anläßlich der Wiederbelebung einer Sprachleiche, in: Muttersprache LXXXIV 1974, S. 427–429; HERMANN BACH, Volks- und Wehrsport in der Weimarer Republik, in: Sportwissenschaft XI 1981, S. 273–294; HAJO BERNETT, Wehrsport – ein Pseudosport. Stellungnahmen zu Hermann Bach, in: ebd., S. 295–308. 84 Vgl. dazu die Pionierarbeit von HAJO BERNETT, Nationalsozialistische Leibeserziehung. Eine Dokumentation ihrer Theorie und Organisation, Texte – Quellen – Dokumente zur Sportwissenschaft I, Schorndorf ²2008 (zuerst 1966); zur neueren Literatur vgl. M. KRÜGER, Leibeserziehung (wie Anm. 6) III, S. 130–163. – 51 –

lauf) – lassen ihre Herkunft deutlich genug erkennen.85 Besonders instruktiv ist in dieser Hinsicht das Beispiel des Modernen Fünfkampfes, der zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts von Pierre de Coubertin erfunden worden ist. Mit Pistolenschießen, Degenfechten, Schwimmen, Springreiten und Querfeldeinlauf enthält er alle Elemente einer modernen militärischen Grundausbildung – „modern“ natürlich bezogen auf die Zeit seiner Entstehung.86 Auch in der Sportorganisation ist die militärische Vorgeschichte des modernen Leistungssports überdeutlich präsent. Mehr als die Hälfte der deutschen Medaillengewinner bei den olympischen Sommer- und Winterspielen sind noch heute Mitglieder bewaffneter Kräfte: der Polizei, des Zolls und vor allem der Armee (allein die Bundeswehr unterhält 15 sogenannte Sportfördergruppen). Natürlich geht es dabei in erster Linie darum, die Sportlerinnen und Sportler für das Training freizu85 Die olympischen Disziplinen bieten so etwas wie eine „tiefgefrorene“ Kriegsgeschichte. Vertreten sind etwa der Nahkampf ohne Waffen (Ringen, Boxen, Judo, Taekwondo) und mit Waffen (Florett-, Säbel-, DegenFechten), der Fernkampf in antik-mittelalterlicher (Speerwurf, Bogenschießen) und in moderner Manier (Pistolen- und Gewehrschießen), im Sommer ebenso wie im Winter (Biathlon). Viele andere Sportarten wie Laufen, Springen, Schwimmen, Reiten, Skifahren usw. gehören selbstverständlich zur militärischen Grundausbildung. – Die Vielseitigkeitsprüfung im Reitsport wurde bis vor einigen Jahren als Military-Reiten bezeichnet – im Zeitalter der Kavallerie ein sprechender Name. Die Sportart kam vor allem durch spektakuläre Unfälle, zum Teil mit Todesfolge für Pferd und/oder Reiter (so etwa bei den Deutschen Meisterschaften im Sommer 2007), in die Medien und in die Kritik. 86 Vgl. dazu ANDY ARCHIBALD, Modern Pentathlon. A Centenary History 1912–2012, Guildford 2012. Nur ein Beispiel: Der deutsche Kriegsminister und Generalfeldmarschall Werner von Blomberg erklärte bei einem Dinner am Rande der Olympischen Spiele 1936 in Berlin, „that he considered the Modern Pentathlon to be a very practical training and a great value in fostering those qualities necessary for an active officer“ (ebd., S. 94). – 52 –

stellen. Dennoch ist es sehr bezeichnend, dass sie nicht etwa dem Finanzamt, dem Auswärtigen Amt oder irgendeiner anderen Behörde zugeordnet sind.87 Warum werden die militärischen Wurzeln des Sports in der neueren Sportgeschichte weitgehend ignoriert, obwohl sich Beispiele aus allen Jahrhunderten beibringen lassen? Darüber kann man nur spekulieren. Vermutlich spielt die Unterstellung eine große Rolle, dass der Sport – speziell das sportliche Großereignis – friedensfördernd, da völkerverbindend sei. Alles, was diesem Ideal nicht entspricht (und damit imageschädigend ist), wird schlicht und einfach übergangen.88 Dass damit aber historische Zusammenhänge unverständlich bleiben, lässt sich nicht von der Hand weisen.

12. Mittelalterliche Leibfeindlichkeit? Das Mittelalter steht nicht selten unter dem Verdikt, eine von Leibfeindlichkeit geprägte Epoche zu sein. Mit dieser Leibfeindlichkeit lässt sich dann leicht erklären, weshalb es Sport in der fraglichen Zeit nicht gab und auch nicht gegeben haben 87 Einem Zeitungsbericht zufolge waren im Jahre 2008 immerhin 1009 Athleten in den Sportfördergruppen von Bundeswehr, Bundespolizei und Zoll, vgl. MICHAEL REINSCH, Auf Kosten des Vaterlandes. Staatssport in Deutschland, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 7. März 2008. 88 Vgl. etwa die kritischen Beiträge zu den antiken und modernen olympischen Spielen: KARL-WILHELM WEEBER, Die unheiligen Spiele. Das antike Olympia zwischen Legende und Wirklichkeit, Zürich/München 1991, S. 138–161 („Pax Olympica? Wunschdenken contra Realität“); ANDREAS HÖFER, Der olympische Friede. Anspruch und Wirklichkeit, Studien zur Sportgeschichte II, Sankt Augustin 1994. – Noch allgemeiner und mit noch immer zutreffenden Beobachtungen: GEORGE ORWELL, The Sporting Spirit, in: DERS., In Front of Your Nose. 1945–1950, Collected Essays, Journalism and Letters IV, hrsg. SONIA ORWELL/IAN ANGUS, New York 1968, S. 40–44 (zuerst 1945). – 53 –

kann. Denn Sport beinhaltet zweifellos die Pflege und Kultivierung des Körpers und seiner motorischen Fähigkeiten. Als Kronzeuge für diese Sichtweise wird immer wieder Tertullian angeführt,89 der in seiner um 200 abgefassten Schrift ‚Über die Spiele‘ alle Arten von Sport in Bausch und Bogen verurteilt. Schläge und Hiebe ins Gesicht (beim Boxen) sind mit der Gottebenbildlichkeit des Menschen unvereinbar; Laufen, Werfen und Springen werden als nichtsnutzige Tätigkeiten, Ringen sogar als eine Sache des Teufels bezeichnet, denn dieser ist es ja, der den Menschen zu Boden drückt.90 Ist diese Einschätzung, so bemerkenswert sie auch sein mag, tatsächlich die Haltung des Christentums gegenüber dem Sport? Mit Sicherheit nicht. Tertullian begründet seine Ablehnung bisweilen biblisch-allegorisch, wie zum Beispiel dann, wenn ihn die Windungen der Ringer an die Bewegungen der Schlange, das heißt: des Teufels erinnern. Seine Hauptkritik bezieht sich aber auf die Verquickung der Spiele (und darunter auch der athletischen) mit dem „heidnischen“ Kult, der in seinen

89 Schon 1926 wendet sich M. VOGT, Sport im Mittelalter (wie Anm. 12), S. 167, gegen „die (omnipräsente sc.) Behauptung, das Christentum habe im ‚düsteren‘ Mittelalter mit seiner asketischen Strenge und seiner mönchisch-religiösen Anschauung, mit seiner scholastisch-einseitigen Geistesbildung und Abtötung des Fleisches jede natürliche Regung des leiblichen Lebens erstickt“, um dann als angeblichen Beleg „das bekannte Wort des seligen Tertullianus: ‚Palestica diaboli negotium‘“ zu zitieren. Gleichwohl enthält noch die jüngst erschienene „Kulturgeschichte des Sports“ aus der Feder von W. BEHRINGER (wie Anm. 6) ein Kapitel über „Christliche Sportfeindschaft“ (S. 70–77), in dem gleich an erster Stelle Tertullian behandelt wird. 90 Quinti Septimi Florentis Tertulliani De spectaculis, edd. AUGUST REIFFERSCHEID/GEORG WISSOWA, CSEL XX, Prag/Wien/Leipzig 1890, S. 1– 29, hier cap. 18 (S. 19f.): „sed quae in stadio geruntur, indigna conspectu tuo non negabis, pugnos et calces et colaphos ...; non probabis usquam uanos cursus et iaculatus et saltus uaniores ...; et palaestrica diaboli negotium est: primos homines diabolus elisit.“ – 54 –

Augen nichts anderes als „idolatria“ ist – eine Voraussetzung, die so in späteren Zeiten nicht mehr gegeben war.91 Vor allem aber ist es höchst problematisch, eine einzelne Stellungnahme zu verallgemeinern – so als ob Tertullian für die Christenheit in ihrer Gesamtheit spräche. Vielmehr existierten auch in der Antike und im frühen Mittelalter eine Vielzahl von Positionen, die sich nicht ohne weiteres auf einen Nenner bringen lassen. Darunter befanden sich prominente asketisch91 Vgl. dazu ALOIS KOCH, Die antike Athletik und Agonistik im Blickpunkt der Kritik Tertullians von Karthago (um 160 – um 225) und anderer Schriftsteller des frühen Christentums, in: DERS./WILLI SCHWANK (Hrsg.), Begegnung. Schriftenreihe zur Geschichte der Beziehung von Christentum und Sport V, Aachen 2005, S. 11–32. In einem weiteren Kontext: DERS., „Leibesübungen“ im Frühchristentum und in der beginnenden Völkerwanderungszeit, in: HORST UEBERHORST (Hrsg.), Geschichte der Leibesübungen II, Berlin/München/Frankfurt a. M. 1978, S. 312–340; nicht den fachwissenschaftlichen Standards entsprechend dagegen ARMIN ADER, Kirche und Sport in Altertum und Mittelalter, Schriften zur Sportwissenschaft XLII, Hamburg 2003; und damit über große Passagen textidentisch: DERS., Sport, Gesundheit, Erziehung in Antike, Christentum, Humanismus, Schriften zur Sportwissenschaft CVIII, Hamburg 2013. – Über antike Sportkritik auch außerhalb des Christentums vgl. vor allem die ausgezeichnete Arbeit von STEFAN MÜLLER, Das Volk der Athleten. Untersuchungen zur Ideologie und Kritik des Sports in der griechisch-römischen Antike, Bochumer altertumswissenschaftliches Colloquium XXI, Trier 1995; sowie INGOMAR WEILER, Kynische Sportkritik, in: PETER SCHERRER/HANS TAEUBER/HILKE THÜR (Hrsg.), Steine und Wege. FS Dieter Knibbe zum 65. Geburtstag, Wien 1999, Sonderschriften des Österreichischen Archäologischen Instituts XXXII, S. 253– 260; DERS., Sport und Sportkritik in der Spätantike. Kaiser Iulian als kynischer Außenseiter?, in: CHRISTOPH ULF (Hrsg.), Ideologie – Sport – Außenseiter. Aktuelle Aspekte einer Beschäftigung mit der antiken Gesellschaft, Innsbrucker Beiträge zur Kulturwissenschaft. Sonderhefte CVIII, Innsbruck 2000, S. 167–184. – Eine sehr umfassende und zugleich aspektreiche Untersuchung hat unlängst ALEXANDER PUK, Das römische Spielewesen in der Spätantike, Millennium-Studien XLVIII, Berlin/Boston 2014, vorgelegt (zu den christlichen Stellungnahmen vgl. besonders S. 21–52 und 379–382). – 55 –

monastische Stimmen, die den Körper und seine Bedürfnisse als nachrangig betrachteten.92 Für die meisten Laien, darunter den schwertführenden Adel und die Könige selbst, galt diese Maxime jedoch nicht. Sie vertraten ein anderes Körperideal, das freilich in den schriftlichen Quellen deutlich weniger Niederschlag gefunden hat: das des durchtrainierten Sportlers.93 Diese Beobachtung führt zu einer letzten Frage: der nach den Vorstellungen von Männlichkeit im Zeitalter der Karolinger. Dieses weite Feld wurde erst in der 2012 erschienenen Arbeit von Rachel Stone eingehend untersucht, vor allem – aber keineswegs ausschließlich – auf der Basis der zeitgenössischen Fürsten- und Laienspiegeln.94 Die Spiegelliteratur beschäftigt sich mit einer Vielzahl von moralischen Fragen, thematisiert aber an keiner Stelle die geistige, geschweige denn die körperliche Ausbildung der Adressaten, vielmehr werden diese

92 Vgl. dazu etwa die klassischen Werke von KARL SUSO FRANK, Angelikos Bios. Begriffsanalytische und begriffsgeschichtliche Untersuchungen zum „engelsgleichen Leben“ im frühen Mönchtum, Beiträge zur Geschichte des alten Mönchtums und des Benediktinerordens XXVI, Münster 1964, sowie PETER BROWN, Die Keuschheit der Engel. Sexuelle Entsagung, Askese und Körperlichkeit am Anfang des Christentums, München/Wien 1991 (zuerst engl. 1988). 93 Eine umfassende Arbeit über das athletische Körperideal liegt m. W. bislang nicht vor. Belege dafür finden sich jedenfalls von der Antike bis zur Gegenwart zuhauf. Daher muss vorerst auch die Frage offen bleiben, welche Rolle dabei dem sportlichen Herrscher zukommt. 94 Vgl. RACHEL STONE, Morality and Masculinity in the Carolingian Empire, Cambridge 2012. Die früheren Arbeiten zur Männlichkeit werden ebd., S. 14–19, resümiert. Zu ergänzen wäre noch BIRGIT STUDT, Helden und Heilige. Männlichkeitsentwürfe im frühen und hohen Mittelalter, in: Historische Zeitschrift CCLXXVI 2003, S. 1–36. Unter den früheren Arbeiten verdient besonders der aspektreiche Band von DAWN M. HADLEY (Hrsg.), Masculinity in Medieval Europe, London/New York 1999, hervorgehoben zu werden. – 56 –

als bereits abgeschlossen vorausgesetzt.95 Die hier vorgetragenen Ergebnisse könnten daher als Ergänzung der normativen Quellen im Hinblick auf den Körper verstanden werden. Wenn hier von einem männlichen Körperideal die Rede ist, so setzt dies eine Differenz zu dem entsprechenden Pendant auf weiblicher Seite voraus. Vor diesem Hintergrund empfiehlt es sich, noch einmal einen Blick in Einhards ‚Vita Karoli‘ zu werfen. Seiner Darstellung zufolge besteht nämlich der Unterschied in der Erziehung von Knaben und Mädchen exakt im sportlichen Bereich, während bei der geistigen Ausbildung Söhne und Töchter gleich behandelt werden.96 Auch sonst scheinen Aussagen über die sportliche Betätigung von Frauen in der karolingischen Zeit weitgehend zu fehlen. Dies dürfte kaum nur ein Problem der Überlieferung sein; denn Krieg und 95 Darauf hat bereits A. KOCH, Erziehungsprogramm (wie Anm. 62), S. 121, hingewiesen. – Über die sehr heterogene Gruppe der Fürsten- und Laienspiegel vgl. HANS HUBERT ANTON, Fürstenspiegel und Herrscherethos in der Karolingerzeit, Bonner Historische Forschungen XXXII, Bonn 1968; JAN MANUEL SCHULTE, Speculum regis. Studien zur Fürstenspiegelliteratur in der griechisch-römischen Antike, Antike Kultur und Geschichte III, Münster/Hamburg/London 2001; HANS HUBERT ANTON u. a., Art. Fürstenspiegel, in: Lexikon des Mittelalters IV, München/Zürich 1989, Sp. 1040–1058, und die dort angeführte Literatur. 96 Vgl. Einhard, Vita Karoli, ed. O. HOLDER-EGGER (wie Anm. 14), cap. 19 (S. 23): „Liberos suos ita censuit instituendos, ut tam filii quam filiae primo liberalibus studiis, quibus et ipse operam dabat, erudirentur. Tum filios, cum primum aetas patiebatur, more Francorum equitare, armis ac venatibus exerceri fecit, filias vero lanificio adsuescere coloque ac fuso, ne per otium torperent, operam impendere atque ad omnem honestatem erudiri iussit.“ – Dass die Töchter Karls des Großen auch zu reiten verstanden, wird durch Einhard (ebd., S. 25) und das Karlsepos (ed. F. BRUNHÖLZL, wie Anm. 77, vv. 212–267, S. 24–28) ausdrücklich bezeugt; angesichts des fränkischen Reisekönigtums wäre auch alles andere kaum vorstellbar. Ob es sich dabei um ein „sportliches“ Reiten handelte, bleibt allerdings unklar. Frauen und Töchter der karolingischen Herrscher sind auch immer wieder bei der Jagd zugegen; dass sie Tiere mit eigener Hand erlegten, wird jedoch nirgends gesagt. – 57 –

Jagd – auf die die männliche Sportlichkeit vor allem zielte – waren offenbar keine bevorzugten Betätigungsfelder für Frauen, zumindest nicht in einer körperlich-aktiven Rolle.97

97 Über Sport von Frauen im Mittelalter vgl. M. VOGT, Leibesübungen (wie Anm. 12), S. 22–31 (nach literarischen Quellen); ALLEN GUTTMANN, Women’s Sports. A History, New York 1991, S. 41–52 (ein kritischer Überblick); CHRISTINE EDITH JA-NOTTA, Frauen und Sport im Mittelalter, in: GERHARD AMMERER/ CHRISTIAN ROHR/ALFRED STEFAN WEIß (Hrsg.), Tradition und Wandel. Beiträge zur Kirchen-, Gesellschafts- und Kulturgeschichte. FS für Heinz Dopsch, Wien/München 2001, S. 126– 135 (vor allem zum 15. Jahrhundert). – Über kriegerische Frauen vgl. aber den Katalogband: Amazonen. Geheimnisvolle Kriegerinnen, hrsg. v. Historischen Museum der Pfalz, München 2010. – 58 –

Exkurse

1. Claudian über Kaiser Honorius Die vorausgegangenen Seiten haben sich vorwiegend mit karolingischen Herrschern beschäftigt. Dadurch könnte der Eindruck entstanden sein, dass es sich bei den hier beschriebenen Phänomenen um Eigentümlichkeiten des Frankenreichs im 8. und 9. Jahrhundert handelte. Wie unrichtig ein solcher Eindruck wäre, lehrt ein Blick auf den spätantiken Kaiser Honorius, wie ihn der aus Ägypten stammende Dichter Claudius Claudian darstellt. Claudian, zu einem unbekannten Zeitpunkt geboren und verstorben, weilte seit ungefähr 394 in Rom und wechselte von dort an den kaiserlichen Hof, der zunächst in Mailand und dann in Ravenna residierte. Dort hat er eine große Zahl von Gedichten verfasst, die sich (wie im Falle von ‚De raptu Proserpinae‘) mit mythologischen Stoffen, zumeist aber mit Themen seiner eigenen Gegenwart beschäftigten: Epen über Kriege, Invektiven gegen unliebsame Persönlichkeiten im Ostteil des Reiches und vor allem Lobgedichte anlässlich der Übernahme eines Konsulats; allein Kaiser Honorius wurde mit drei ‚Panegyrici‘ dieser Art (‚de tertio‘, ‚de quarto‘ und ‚de sexto consulatu‘) bedacht. Aus Anlass der Hochzeit des Honorius mit der StilichoTochter Maria schrieb er ein Epithalamium sowie Fescenninische Verse. Dass Claudian die Perspektive des Kaisers sowie dessen mächtigen Schwiegervaters einnahm und mit großem Nachdruck vertrat, versteht sich beinahe von selbst. Die in ihn – 59 –

gesetzten Erwartungen erfüllte er so gut, dass ihm Honorius und Arcadius eine Statue auf dem römischen Trajansforum errichteten.98 Für die hier interessierenden Fragen verdient vor allem der ‚Panegyricus‘ auf das vierte Konsulat des Honorius Beachtung. Der am 9. September 384 geborene Herrscher (seit 393 Mitkaiser, ab 395 alleiniger Augustus im westlichen Reichsteil) übernahm nicht weniger als 22 Mal das ehedem höchste zivile und militärische Amt Roms, bei der ersten Übernahme war er noch keine 16 Monate alt. Sein viertes Konsulat begann am 1. Januar 398, inzwischen zählte der Kaiser 13 Jahre.99

98 Alle Gedichte sind in einem Band vereinigt: Claudii Claudiani Carmina, ed. JOHN BARRIE HALL, Leipzig 1985. Mit dieser Teubner-Ausgabe ist die Edition von THEODOR BIRT, MGH AA X, Berlin 1892, überholt. Aus der neueren Literatur vgl. vor allem ALAN CAMERON, Claudian. Poetry and Propaganda at the Court of Honorius, Oxford 1970; PETER LEBRECHT SCHMIDT, Politik und Dichtung in der Panegyrik Claudians, Konstanz 1976; SIEGMAR DÖPP, Zeitgeschichte in Dichtungen Claudians, Hermes Einzelschriften XLIII, Wiesbaden 1980; MARIE-FRANCE GUIPPONI-GINESTE, Claudien. Poète du monde à la cour d’Occident, Paris 2010. 99 Vgl. Panegyricus dictus Honorio Augusto quartum consuli, ed. JOHN BARRIE HALL, Claudii Claudiani Carmina, Leipzig 1985, S. 61–85 (kurz: De quarto consulatu). Dazu S. DÖPP, Zeitgeschichte (wie Anm. 98), S. 116–125; WILLIAM BARR, Claudian’s Panegyric on the Fourth Consulate of Honorius. Introduction, Text. Translation and Commentary, Liverpool Latin Texts (Classical and Medieval) II, Liverpool 1981; JAKOB LEHNER, Poesie und Politik in Claudians Panegyrikus auf das vierte Konsulat des Kaisers Honorius. Ein Kommentar, Beiträge zur klassischen Philologie CLXIII, Königstein/Ts. 1984; BRUNELLA MORONI, Una rilettura del panegirico di Claudiano per il quarto consolato di Onorio. I rapporti della corte Milanese col senato e l’opposizione pagana dopo la battaglia del Frigido, in: Archivio Storico Lombardo CXIX 1993, S. 11–44; M.-F. GUIPPONI-GINESTE, Claudien (wie Anm. 98), S. 89–96 und mehrfach. – Über den hier gepriesenen Kaiser liegt keine neuere Biographie vor; aus der letzten Zeit vgl. vor allem BRUNO BLECKMANN, Honorius und das – 60 –

Claudians ‚Panegyricus‘ auf das vierte Konsulat umfasst 656 Verse; er ist damit mehr als dreimal so lang als sein Lobgedicht auf das dritte Konsulat, an das er inhaltlich mehrfach anknüpft, ohne jedoch dieser Vorlage zu stark verpflichtet zu sein. Im Aufbau folgt der Dichter dem üblichen Schema der antiken Rhetorik – Einleitung, familiäre Herkunft, Umstände der Geburt, Erziehung usw. –, nimmt sich aber auch hier, wenn nötig, erhebliche Freiheiten. So schaltet er eine umfangreiche Passage ein, in der Theodosius I. – dieser war bereits drei Jahre zuvor verstorben – seinem Sohn (und zwar in wörtlicher Rede) Ratschläge für eine gute Regierung gibt. Im Epilog wird auf die schon nahe bevorstehende Heirat mit Maria hingewiesen.100 Bereits gegen Ende des ‚Panegyricus‘ – wahrscheinlich dem Abschnitt „Taten“ zuzuordnen – lobt Claudian zunächst die geistig-intellektuellen Fähigkeiten des Kaisers (der Knabe erweist sich durch sie bereits als reifer Mann),101 um dann ausführlich auf dessen körperliche Vorzüge einzugehen: Sein strahlendes Gesicht erinnere an den Vater, seine Stirn verbreite einen würdigen Ernst, und die Hoheit des kaiserlichen Anstandes mache ihm die Mitmenschen gewogen.102 Mit der Aussage, der Helm seines Vaters passe Honorius bereits – sie kann wörtlich, aber auch im übertragenen Sinne Ende der römischen Herrschaft in Westeuropa, in: Historische Zeitschrift CCLXV 1997, S. 561–596. 100 Zum Aufbau vgl. S. DÖPP, Zeitgeschichte (wie Anm. 98), S. 116–118; W. BARR, Claudian’s Panegyric (wie Anm. 99), S. 21–23; J. LEHNER, Poesie und Politik (wie Anm. 99), S. 14–17 und 116. 101 Vgl. Claudian, De quarto consulatu, ed. J. B. HALL (wie Anm. 99), vv. 513–517 (S. 80). Es handelt sich hier um das sehr beliebte Puer-senexMotiv; vgl. zu diesem schon ERNST ROBERT CURTIUS, Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, Tübingen/Basel 111993 (zuerst 1948), S. 108–112. 102 So Claudian, De quarto consulatu, ed. J. B. HALL (wie Anm. 99), vv. 518f.: „quantus in ore pater radiat! quam torua uoluptas / frontis et augusti maiestas grata pudoris!“ (S. 80). – 61 –

verstanden werden –, geht Claudian zu den sportlich-militärischen Qualitäten über.103 Dabei widmet er sich vor allem drei Disziplinen: dem Speerwerfen und Bogenschießen (vv. 520–538) sowie dem Reiten (vv. 539–564).104 Anknüpfend an den väterlichen Helm („patrias galeas“) kommt Claudian auf die großväterlichen Speere („cornus auita“) zu sprechen. Mit diesen beginne der 13-jährige Honorius bereits, sich im Werfen zu üben („temptatur uibranda“), und die ersten Versuche verhießen einen starken rechten Arm („promittitur ingens dextra rudimentis“), wie ihn die Römer schon herbeisehnten.105 Sodann wird der militärische Aufzug des Kaisers gepriesen – der Schild, eine golden glänzende Rüstung sowie der mit einem Busch gezierte Helm –, in der er selbst den Vergleich mit dem jugendlichen Mars nicht zu scheuen braucht: Dieser hatte sich in genau derselben Weise schon als Knabe mit dem Thrakischen Speer („Threicia hasta“, das heißt dem seiner Heimat) zum Schwitzen gebracht, um dann in den Flüssen des Rhodope-Gebirges ein erfrischendes Bad zu nehmen.106 Damit aber des Lobes nicht genug: Honorius schleudere die Wurfgeschosse mit großer Kraft, er schieße Pfeile mit dem 103 Ebd., v. 520: „iam patrias inples galeas“ (S. 80). 104 Mit einer ganz ähnlichen Verbindung von körperlicher Schönheit, Bogenschießen und Reiten, allerdings auf sehr viel knapperem Raum, beginnt Claudian eines seiner Hochzeitsgedichte aus dem folgenden Jahr, vgl. Fescennina dicta Honorio Augusto et Mariae, ed. JOHN BARRIE HALL, Claudii Claudiani Carmina, Leipzig 1985, S. 101–106, hier Nr. 1, vv. 1– 4: „Princeps corusco sidere pulchrior, / Parthis sagittas tendere certior, / eques Gelonis imperiosior, / quae digna mentis laus erit arduae?“ (S. 101). 105 Vgl. Claudian, De quarto consulatu, ed. J. B. HALL (wie Anm. 99), vv. 520–522 im Zusammenhang: „iam cornus auita / temptatur uibranda tibi; promittitur ingens / dextra rudimentis Romanaque uota moratur“ (S. 80). 106 Vgl. ebd., vv. 523–526: „quis decor, incedis quotiens clipeatus et auro / squameus et rutilus cristis et casside maior! / sic, cum Threicia primum sudaret in hasta, / flumina lauerunt puerum Rhodopeia Martem“ (S. 80). – Das hier erwähnte Gebirge liegt im antiken Thrakien. – 62 –

gortynischen Bogen, die stets Wunden verursachten und niemals ihr Ziel verfehlten, er kenne die cydonische Art und die armenische Weise, die Geschosse zu entsenden, ebenso die Technik, auf die die Parther beim Rückzug vertrauten.107 Wieder schließen sich Vergleiche an: mit Herkules, der wilde Tiere und Giganten so erlegte, und mit Apollo, der die PythonSchlange erschoss.108 Nach Speerwerfen und Bogenschießen wendet sich Claudian dem Reiten zu. Zunächst geht es dabei um Spiele, die den Krieg nachahmen sollen („simulacraque Martia ludis“), und zwar offenkundig den Krieg zu Pferde.109 Wer könne – so lautet die rhetorische Frage – so geschmeidig zurückweichen, so energisch mit dem Wurfspieß Gegenwehr leisten, so unerwartet erneut sich zurückwenden? Kein Massaget, kein Thessalier, ja, nicht einmal die Kentauren – das heißt: die Mischwesen aus Mensch und Pferd – könnten sich mit ihm darin messen.110 Mit diesen Fertigkeiten überragte Honorius natürlich auch seine eigene Umgebung: Kaum könnten ihm die begleitenden Reiterscharen folgen, kaum die schnellen Geschwader der Kavallerie; hinter diesen würden (durch den schnellen Ritt) die

107 Vgl. ebd., vv. 527–531: „quae uires iaculis uel, cum Gortynia tendis / spicula, quam felix arcus certique petitor / uulneris et iussum mentiri nescius ictum! / scis, quo more Cydon, qua dirigat arte sagittas / Armenius, refugo quae sit fiducia Partho“ (S. 80). – Gortyn und Cydonia (heute Chania) sind Städte auf Kreta. 108 Vgl. ebd., vv. 532–538 (S. 80). 109 W. BARR, Claudian’s Panegyric (wie Anm. 99), S. 61, übersetzt: „When you take horse and your sport (!) is the mimicry of war“. 110 Vgl. Claudian, De quarto consulatu, ed. J. B. HALL (wie Anm. 99), vv. 539–543: „Cum uectaris equo simulacraque Martia ludis, / quis molles sinuare fugas, quis tendere contum / acrior aut subitos melior flexisse recursus? / non te Massagetae, non gens exercita campo / Thessala, non ipsi poterunt aequare bimembres“ (S. 80f.). – Die Massageten werden gemeinhin den nomadisch lebenden Skythen zugerechnet. – 63 –

Drachen (an den Standarten) gebläht.111 Was folgt, ist eine sehr eingehende Schilderung des kaiserlichen Reittieres, das eher zu fliegen als zu galoppieren schien. Der Abschnitt endet schließlich mit einer ungewöhnlichen Überlegung: Wenn (in Umkehrung der Realität) die Pferde ihren Reiter wählen könnten – und der gelehrte Dichter zählt viele berühmte Beispiele bis hin zu Xanthus, Pegasus und Aethon auf –, dann fiele deren Entscheidung stets zugunsten des jugendlichen Kaisers.112 Obwohl vierhundert Jahre oder mehr zwischen Kaiser Honorius und den karolingischen Herrschern liegen, fällt eine große Zahl von Übereinstimmungen auf. Dazu gehört an erster Stelle der keineswegs selbstverständliche Umstand, dass die körperlich-sportlichen Fähigkeiten der Augusti in den zeitgenössischen Texten eigens thematisiert werden. Das geschieht, zweitens, mit einer stark verherrlichenden Tendenz, die sich unübersehbar in superlativischen Formulierungen äußert. Dass dieses Lob bei Claudian besonders massiv ausfällt, erklärt sich selbstverständlich aus den Anforderungen der von ihm gewählten Gattung. Drittens stimmen die praktizierten Disziplinen in einem sehr auffälligem Maße überein: Reiten, Bogenschießen und Speer- bzw. Lanzenwurf, an anderer Stelle auch das Schwimmen. Viertens wird diese Betätigung ausdrücklich als Sport bzw. Spiel („ludus“) bezeichnet. Zugleich ist aber ihr Charakter als Einübung kriegerischer Techniken und Abläufe unübersehbar (Claudian nennt dies explizit eine Imitation des Krieges). Fünftens wird das Training bereits im Kindesalter begonnen, wobei offenbar die Nachahmung der Erwachsenen, besonders der eigenen Vorfahren eine wichtige Rolle spielt. Claudian vergleicht Honorius sogar mit dem jungen Mars. Sechstens und 111 Vgl. ebd., vv. 544–545: „uix comites alae, uix te suspensa secuntur / agmina feruentesque tument post terga dracones“ (S. 81). 112 Vgl. ebd., vv. 546–564 (S. 81). – Zu den mythologischen Pferden vgl. J. LEHNER, Poesie und Politik (wie Anm. 99), S. 99. – 64 –

letztens sind auch bereits im späten 4. Jahrhundert bestimmte sportlich-kriegerische Fertigkeiten ethnisch konnotiert: Kreter, Armenier und Perser sind bekannt für ihre Geschicklichkeit im Schießen, Massageten und Thessalier tun sich im Reiten besonders hervor. Der jugendliche Kaiser, dem gerade der erste Bartflaum wächst,113 übertrifft sie aber seinem Panegyriker zufolge alle.114 Diese Gemeinsamkeiten über große Zeiträume hin verbieten es, die beschriebenen Phänomene als „karolingisch“, „fränkisch“ oder auch nur „frühmittelalterlich“ zu charakterisieren. Sie weisen vielmehr auf die Notwedigkeit hin, das Problem der (angeblich) sportlichen Herrscher in einem größeren historischen Rahmen zu untersuchen.115 Dieses Unterfangen muss allerdings einer künftigen Arbeit vorbehalten bleiben. 113 Vgl. Claudian, De quarto consulatu, ed. J. B. HALL (wie Anm. 99), v. 643: „per tua lanugo cum serpere coeperit ora“ (S. 84). 114 Über die Jagd des Honorius berichtet Claudian ebenfalls, jedoch nicht in dem hier besprochenen Text, sondern in dem fast gleichzeitig abgefassten Gedicht auf die Hochzeit des Honorius und der Maria, vgl. Epithalamium de nuptiis Honorii Augusti, ed. JOHN BARRIE HALL, Claudii Claudiani Carmina, Leipzig 1985, S. 87–100, vv. 5–7: „non illi uenator equus, non spicula curae, / non iaculum torquere libet; mens omnis aberrat / in uultus quos finxit Amor“ (S. 87). Zum Gedicht vgl. S. DÖPP, Zeitgeschichte (wie Anm. 98), S. 126–132. – Sehr viel stärker betont wird die Jagd bei dem westgotischen König Theoderich II., wie ihn Sidonius Apollinaris im Brief an seinen Schwager Agricola schildert, vgl. dazu schon oben, Anm. 78. Allgemeiner ALEXANDER DEMANDT, Das Privatleben der römischen Kaiser, München 1997, S. 157–172 („Sport und Jagd“). 115 Diese Untersuchung müsste bei den alten Kulturen des Ostens ansetzen, für die bereits sehr beachtliche und sehr anregende Vorarbeiten existieren. Für das Zweistromland vgl. vor allem den Aufsatz von ROBERT ROLLINGER, Aspekte des Sports im Alten Sumer. Sportliche Betätigung und Herrschaftsideologie im Wechselspiel, in: Nikephoros VII 1994, S. 7–64. In der Ägyptologie hat die Fragestellung bereits eine längere Tradition, vgl. BAUDOUIN VAN DE WALLE, Les rois sportifs de l’ancienne Égypte, in: Chronique d’Égypte XIII 1938, S. 234–257; AHMED TOUNY/ STEFFEN WENIG, Der Sport im alten Ägypten, Leipzig 1969 (besonders – 65 –

2. Der Kaiser schwimmt. Anmerkungen zu einem jüngst erschienenen Buch Erst nach Abschluss der hier vorgelegten Ausführungen ist dem Verfasser eine kleine Monographie bekannt geworden, die sich mit einem zumindest verwandten Thema beschäftigt. Sie stammt von dem in Berlin lehrenden Kunsthistoriker Horst Bredekamp und trägt den Titel: „Der schwimmende Souverän. Karl der Große und die Bildpolitik des Körpers“.116 Sie versteht sich, wie man bereits dem Titelblatt entnehmen kann, als „eine Studie zum schematischen Bildakt“.117 Die zentrale These dieses Buchs – pünktlich zum „Karlsjubiläum“ 2014 erschienen – wird auf dem Cover mit folgenden Worten zusammengefasst: „Karl der Große setzte auf einen fluiden Herrscherstil, auf Wasser- und Lichtströme, auf permanente Übertragung und Respons, kurz: den Fluxus.“118 Vorsichtig ausgedrückt: eine sehr innovative Interpretation. Was hat der fränkische Herrscher mit der avantgardistischen Aktionskunst zu tun, die in den 1960er-Jahren für großes Aufsehen gesorgt hat? Was verbindet Karl den Großen mit die Abschnitte „Der König als Sportsmann“, S. 97–101, und „Die große Stele des Königs Amenophis II. aus Giza“, S. 102–103); WOLFGANG DECKER, Die physische Leistung des Pharaos. Untersuchungen zu Heldentum, Jagd und Leibesübungen der ägyptischen Könige, Köln 1971; DERS., Sport und Spiel im Alten Ägypten, München 1987, S. 27–67 und 181–186 („Die sportlichen Könige“); DERS., Pharao und Sport, Mainz 2007 (und viele weitere Beiträge Deckers). 116 Vgl. HORST BREDEKAMP, Der schwimmende Souverän. Karl der Große und die Bildpolitik des Körpers. Eine Studie zum schematischen Bildakt, Berlin 2014. 117 Zum Konzept des „Bildaktes“ s. HORST BREDEKAMP, Theorie des Bildaktes. Frankfurter Adorno-Vorlesungen 2007, Berlin 2010. Vgl. auch die dazu erschienenen Rezensionen. 118 So auf der Rückseite des Buches. – 66 –

George Maciunas? Den Ausführungen Bredekamps zufolge ein ziemlich abstraktes Konzept: „das permanent Bewegliche“, oder, wie er sich wenig später ausdrückt: „die vom Wasser ausgehende Latenz der Bewegungen und Transformationen, die auf allen Ebenen wirksam wird.“119 Genau mithilfe dieses Konzeptes lässt sich dem Verfasser zufolge die so erfolgreiche Regierung des fränkischen Herrschers erklären: „Seine expansive, vom schwimmenden Körper über Frisur und Kleidung sich erstreckende und bis in das Tierreich reichende und von dort sich in die Sphären von Elfenbein, Metall und Stein fortsetzende bildaktive Symbolisierung seiner Herrschaft war die Voraussetzung, um die Expansionszüge seines Imperiums durchführen, vor allem aber das Erreichte halten zu können.“120 Wie kommt der vielfach ausgezeichnete Kunsthistoriker zu solch erstaunlichen Aussagen? Man könnte sagen: durch eine lange Kette, oder besser: durch ein dichtes Geflecht von Assoziationen. Diese kreisen um Begriffe wie Wasser, Fließen, Schwimmen, Wellen, Ertrinken und Ertränken, Sich-Reinigen und die Taufe; auch das Licht fließt und wird daher eingehend behandelt, wie überhaupt nahezu alles als „fluid“ bezeichnet werden kann: „fluide Staatssymbolik“, „fluides Weltbild“, „fluide Politik“, „fluider Herrschaftsstil“, ja, im Umfeld des „schwimmenden Souverän(s)“ findet sich sogar „gleichsam schwimmendes Pergament“.121 Solche im Wesentlichen durch Assoziation gewonnenen Aussagen sind in hohem Maße beliebig und haben daher für den Historiker einen denkbar geringen Wert. Dieser fühlt sich

119 H. BREDEKAMP, Souverän (wie Anm. 116), S. 106 (beide Zitate). 120 Ebd., S. 108. 121 Vgl. ebd., S. 1 („Politik ist elastisch und fluid“), 106 („... dass die Staatssymbolik vom Ursprung her fluid ist“), 108 („die Emanationen des gleichsam schwimmenden Pergaments“), 146 („das fluide Weltbild“), Rückseite („setzte auf einen fluiden Herrscherstil“). – 67 –

vielmehr an Senecas „nihil firmum infirmo“ erinnert122 oder – um im Bilde zu bleiben – an Heraklits allzu wörtlich verstandenes πάντα ῥεῖ.123 Angesichts so fragwürdiger „Hypothesen“ empfiehlt sich ein erneuter Blick auf die Geschichte des Schwimmens und zwar unter besonderer Berücksichtigung der Herrscher. Dabei verdient nicht nur das Faktum der Fortbewegung im Wasser selbst Interesse, sondern vor allem der jeweilige Zusammenhang, in dem dieses steht. Denn die in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten waren auch schon in der Vormoderne sehr vielfältig.124 Ob bereits im Alten Orient geschwommen wurde, war bis vor kurzem eine umstrittene Frage.125 So wurde zum Beispiel 122 Vgl. L. Annaei Senecae Ad Lucilium Epistulae morales, ed. LEIGHTON D. REYNOLDS, Oxford 1966, S. 408 (nr. 98, 10, von Bredekamp selbst mehrfach zitiert). 123 Das Zitat wurde Heraklit nachträglich zugeschrieben; es handelt sich offenbar um eine Verkürzung der von ihm tatsächlich vertretenen Positionen. Vgl. WILHELM CAPELLE, Die Vorsokratiker. Die Fragmente und Quellenberichte, Stuttgart 92008 (zuerst 1935), S. 132f. mit den Anmerkungen. 124 Als ersten Überblick vgl. GUSTAV PUTZKE, Geschichte des Schwimmsports, in: GUSTAV A. E. BOGENG (Hrsg.), Geschichte des Sports aller Völker und Zeiten II, Leipzig 1926, S. 420–443; essayistisch und unter Vernachlässigung des angeblich „sinnenfeindlichen“ Mittelalters CHARLES SPRAWSON, Schwimmen. Eine Kulturgeschichte, München/Zürich 2004 (zuerst engl. 1992). 125 Vgl. zum Folgenden WOLFRAM VON SODEN, Schwimmen und Nichtschwimmen in frühen Zeiten. Einige Beobachtungen und Überlegungen, in: OLIVER BREHM/SASCHA KLIE (Hrsg.), ΜΟΥΣΙΚΟΣ ΑΝΗΡ. FS Max Wegner zum 90. Geburtstag, Antiquitas 3. Reihe XXXII, S. 395–398; ROBERT ROLLINGER, Schwimmen und Nichtschwimmen im Alten Orient, in: CHRISTOPH ULF (Hrsg.), Ideologie – Sport – Außenseiter. Aktuelle Aspekte einer Beschäftigung mit der antiken Gesellschaft, Innsbruck 2000, Innsbrucker Beiträge zur Kulturwissenschaft. Sonderhefte CVIII, S. 147–165; DERS., Schwimmen im Alten Orient – eine Nachbetrachtung, in: PETER MAURITSCH/CHRISTOF ULF (Hrsg.), Kultur(en). Formen des – 68 –

darauf hingewiesen, dass in den altorientalischen Sprachen kein Wort existiere – und zwar im Akkadischen und Sumerischen genauso wenig wie im Hethitischen, Bibelhebräischen und Altsüdarabischen –, das das Schwimmen eindeutig bezeichne. Dagegen hat vor allem Robert Rollinger an die bildlichen Darstellungen erinnert, die bereits vor vielen Jahrzehnten ins Spiel gebracht worden sind: Auf einem Relief, das aus dem Thronsaal Assurnasirpals II. in Nimrud stammt, sind unter anderem drei männliche Schwimmer zu sehen, die vor den assyrischen Bogenschützen durch den Euphrat zu einer befestigten Stadt hin flüchten; zwei von ihnen bedienen sich dabei mit Luft gefüllter Schwimmschläuche, die dritte Person schwimmt mit ausgreifenden Armbewegungen frei.126 Dabei ist es durchaus bemerkenswert, dass das Schwimmen bereits hier in einem dezidiert militärischen Zusammenhang steht.127 Alltäglichen in der Antike. FS für Ingomar Weiler zum 75. Geburtstag, Nummi et Litterae VII, Graz 2013, S. 431–444. Speziell zu den Schwimmhilfen vgl. DERS., Schlauchflöße und Schwimmschläuche an Euphrat und Tigris in der römischen Kaiserzeit, in: RUPERT BREITWIESER/MONIKA FRASS/GEORG NIGHTINGALE (Hrsg.), Calamus. FS Herbert Graßl zum 65. Geburtstag, Philippika. Marburger altertumskundliche Abhandlungen LVII, Wiesbaden 2013, S. 403–418; DERS., Alexander und die großen Ströme. Die Flußüberquerungen im Lichte altorientalischer Pioniertechniken, Classica et Orientalia VII, Wiesbaden 2013. 126 Das Relief wurde in den 1840er-Jahren von Austen Henry Layard entdeckt und befindet sich heute in der assyrologischen Abteilung des Britischen Museums. Vgl. dazu JANUSZ MEUSZYŃSKI, Die Rekonstruktion der Reliefdarstellungen und ihrer Anordnung im Nordwestpalast von Kalḫu (Nimrūd), Baghdader Forschungen II, Mainz 1981, S. 17–25 mit Tafel 1–2; KLAUDIA ENGLUND, Nimrud und seine Funde. Der Weg der Reliefs in die Museen und Sammlungen, Orient-Archäologie XII, Rahden 2003, S. 50. – Assurnasirpal/Aššur-naṣir-apli II. regierte von 883 bis 859 v. Chr. 127 Zu Kenntnis und Praxis des Schwimmens in Ägypten vgl. W. DECKER, Physische Leistung (wie Anm. 115), S. 70–73; DERS., Sport und Spiel (wie Anm. 115), S. 96–103. – 69 –

Die Zeugnisse für die klassische Antike hat schon vor längerer Zeit der Wiener Sporthistoriker Erwin Mehl zusammengestellt und systematisch geordnet, eine neuere Übersicht stammt von dem Neapolitaner Archäologen Fabio Maniscalco.128 Bei Griechen und Römern war demnach das Schwimmen in unterschiedlichen Stilen bekannt (Brust-, Seiten- sowie Rückenschwimmen und vor allem das Kraulen), außerdem Wasserspringen und Tauchen. Schwimmwettbewerbe sind – von einer einzigen Ausnahme abgesehen (nämlich in Hermione beim Tempel des Dionysos Melanaigis) – hingegen nicht bezeugt.129 Auch für einen planmäßigen Unterricht lassen sich nur wenige Belege finden. In aller Regel dürfte das Schwimmen in der Familie erlernt worden sein und zwar bis hinauf in die höchsten sozialen Schichten.130 So berichtet etwa Plutarch in seiner ‚Vita‘ Catos des Älteren, der berühmte Staatsmann habe seinen Sohn nicht nur im Lesen, Schreiben und in der Rechtskunde unterrichtet, sondern auch in den körperlichen Übungen, darunter im Reiten, Boxen, Speerwurf sowie dem Schwimmen in 128 Vgl. ERWIN MEHL, Antike Schwimmkunst, München 1927; ERWIN MEHL, Art. Schwimmen, in: Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft Suppl.-Bd. V, Stuttgart 1931, Sp. 847–864; FABIO MANISCALCO, Il nuoto nel mondo greco-romano, Neapel 1995. Vgl. daneben auch JANICK AUBERGER, Quand la nage devint natation ..., in: Latomus LV 1996, S. 48–62. – Über den Wiener Sporthistoriker Mehl (1890–1984) vgl. RUDOLF MÜLLNER, Perspektiven der historischen Sport- und Bewegungskulturforschung, Wien 2011, S. 191–211. 129 Locus quasi unicus für einen Schwimmwettkampf ist Pausaniae Graeciae Descriptio, ed. MARIA HELENA ROCHA-PEREIRA, Leipzig ²1989, lib. II, cap. 35, 1: Πλησίον δὲ αὐτοῦ Διονύσου ναὸς Μελαναίγιδος· τούτωι μουσικῆς ἀγῶνα κατὰ ἔτος ἕκαστον ἄγουσι, καὶ ἁμίλλης κολύμβου καὶ πλοίων τιθέασιν ἆθλα (Bd. I, S. 190). Vgl. dazu E. MEHL,

Schwimmkunst (wie Anm. 128), S. 105f.; DERS., Schwimmen (wie Anm. 128), Sp. 860f.; F. MANISCALCO, Il nuoto (wie Anm. 128), S. 26f. 130 Einige Hinweise auf schwimmende Kaiser sind auch bei A. DEMANDT, Privatleben (wie Anm. 114), S. 159, zusammengestellt. – 70 –

reißenden Flüssen.131 Ganz Ähnliches wird von Sueton über Augustus erzählt: Dieser habe seinen Enkeln in eigener Person das Schreiben, das Schwimmen sowie andere Grundkenntnisse beigebracht.132 Die Übereinstimmungen sind zweifellos frappant: In beiden Fällen geht es um geistige und körperliche Fertigkeiten, in beiden Fällen wird das Schwimmen eigens thematisiert und in beiden Fällen stehen die Aussagen in den „Familienkapiteln“ der betreffenden Biographie.133 Bredekamp überschreibt nun einen längeren Abschnitt seiner Arbeit mit „Das Schwimmen als augusteische Kunst“ und nimmt damit direkt auf die soeben besprochene Sueton-Stelle Bezug. Hat Karl der Große also den Begründer des antiken Kaisertums imitiert? Wird er zumindest von Einhard als „neuer Augustus“ dargestellt? In aller Deutlichkeit: nein, dafür gibt es nicht den allergeringsten Hinweis. Das Tertium comparationis zwischen dem Verhalten hier wie dort besteht gerade einmal darin, dass die beiden gemeinsam mit ihren leiblichen Nachkommen ins Wasser steigen, wobei es bei dem einen die Enkel, bei dem anderen dagegen die Söhne sind. Während aber Sueton berichtet, Augustus habe den Kleinen das Schwimmen beige-

131 Vgl. Plutarchi Vitae parallelae, edd. CLAES LINDSKOG/KONRAT ZIEG3 LER, Bd. I, 1, Leipzig 1960, Cato maior, cap. 20: … ἀλλ᾽ αὐτὸς μὲν ἦν γραμματιστής, αὐτὸς δὲ νομοδιδάκτης, αὐτὸς δὲ γυμναστής, οὐ μόνον ἀκοντίζειν οὐδ᾽ ὁπλομαχεῖν οὐδ᾽ ἱππεύειν διδάσκων τὸν υἱόν, ἀλλὰ καὶ τῇ χειρὶ πὺξ παίειν καὶ καῦμα καὶ ψῦχος ἀνέχεσθαι καὶ τὰ δινώδη καὶ τραχύνοντα τοῦ ποταμοῦ διανηχόμενον ἀποβιάζεσθαι (S. 314).

132 Vgl. Gai Suetoni Tranquilli De vita caesarum libri VIII, ed. MAXIMILIAN IHM, Stuttgart 1961 (zuerst 1908), hier Divus Augustus, cap. 64, 3: „nepotes et litteras et natare aliaque rudimenta per se plerumque docuit“ (S. 83f.). 133 Darin werden beide als vorbildliche Familienväter gepriesen. Karl der Große wird im 19. Kapitel („Liberos suos ...“) als Familienvater gewürdigt, seine Fertigkeit im Schwimmen wird dagegen erst im 22. Kapitel behandelt. – 71 –

bracht, lesen wir bei Einhard nichts dergleichen. Als sich Karl der Große in Aachen einrichtete, waren seine Söhne längst gestandene Männer, die keinerlei Hilfestellung im Schwimmen mehr benötigten. Sueton geht offenbar von einem Schwimmen in sehr privatem Rahmen aus, Einhard schildert dagegen einen öffentlichen Vorgang, an dem sich bisweilen hundert oder noch mehr Menschen beteiligten. Und davon einmal ganz abgesehen: bedarf es für das gemeinsame Bad mit den eigenen Kindern tatsächlich einer literarischen Vorlage? Wie bereits gesagt, sind bei Cato dem Älteren und Augustus die positiven Qualitäten als Vater und Großvater betont, doch werden auch negativ eingeschätzte Kaiser im Wasser gezeigt – und ihr Verhalten ist nicht weniger charakteristisch. Nach Tacitus soll Nero in der Quelle der Aqua Marcia, der im Tal des Aniene beginnenden Wasserleitung Roms, geschwommen sein; er habe dadurch das heilige Wasser sowie den geweihten Ort entehrt und sich auf diese Weise sichtlich den Zorn der Götter zugezogen, die ihn umgehend mit einer Krankheit bestraften.134 Von Kaiser Domitian hingegen ging das Gerücht, dass er seine Konkubinen persönlich enthaarte und zusammen mit den öffentlichen Prostituierten schwamm.135 Dass ein Kaiser nicht schwimmen konnte, war offenbar die große Ausnahme und wurde daher eigens vermerkt. Caligula war ein solcher Fall, wie Sueton in seiner ‚Vita‘ ausdrücklich und sehr verwundert vermerkte, da er den (späteren) Kaiser

134 Vgl. P. Cornelii Taciti Ab excessu divi Augusti (Annales), ed. ERICH KOESTERMANN, Leipzig ²1965 (zuerst 1960), lib. XIV, cap. 22, 4 (S. 308): „Isdem diebus nimia luxus cupido infamiam et periculum Neroni tulit, quia fontem aquae Marciae ad urbem deductae nando incesserat; videbaturque potus sacros et caerimoniam loci corpore loto polluisse. secutaque anceps valitudo iram deum adfirmavit.“ 135 Vgl. Sueton, De Vita Caesarum, Domitianus, cap. 22, ed. M. IHM (wie Anm. 132), S. 334: „eratque fama, quasi concubinas ipse deuelleret nataretque inter uulgatissimas meretrices.“ – 72 –

ansonsten als gelehrigen Schüler einschätzte.136 Auch die weiblichen Angehörigen des Kaiserhauses beherrschten – zumindest bisweilen – diese Kunst, Agrippina der Jüngeren rettete sie sogar das Leben. Als nämlich eines Tages ihr Schiff – im Auftrag ihres Sohnes entsprechend präpariert – unterging, rettete sie sich schwimmend zu einem Boot, das sie dann ans sichere Ufer brachte.137 Bei vielen weiteren Augusti der folgenden Jahrhunderte werden ebenfalls die schwimmerischen Fähigkeiten betont, und zwar fast immer im Zusammenhang mit anderen sportlichen Leistungen. So beschäftigte sich Caracalla als junger Mann nach Cassius Dio vor allem mit Philosophie, konnte aber auch bis zu hundert Meilen reiten und sogar in strömungsreichem Wasser schwimmen.138 Wenig später heißt es in der ‚Historia Augusta‘ von Severus Alexander, er habe sich nach seiner Lektüre der Gymnastik gewidmet, Ball gespielt und Wettrennen oder leichte Ringkämpfe bestritten. Dann sei er ins Bad gegangen, jedoch so gut wie nie ins Warmbad, sondern stets ins Schwimmbecken, wo er beinahe eine Stunde lang blieb.139 Bis 136 Vgl. Sueton, De Vita Caesarum, C. Caligula, cap. 54, 2, ed. M. IHM (wie Anm. 132), S. 185: „atque hic tam docilis ad cetera natare nesciit.“ 137 Vgl. Tacitus, Annales, lib. XIV, cap. 5, 3, ed. E. KOESTERMANN (wie Anm. 134), S. 298: „Agrippina ... nando, deinde occursu lenunculorum Lucrinum in lacum vecta villae suae infertur“; Sueton, De Vita Caesarum, Nero, cap. 34, 3, ed. M. IHM (wie Anm. 132), S. 244: „sed ut diuersa omnia nandoque euasisse eam comperit ...“. Vgl. auch Cassii Dionis Cocceiani, Historiarum Romanarum quae supersunt I–V, ed. URSUL PHILIP BOISSEVAIN, Berlin 1895–1931, lib. LXI (LXII), cap. 13, 3 (S. 35). 138 Vgl. Cassius Dio, Römische Geschichte, lib. LXXVII (LXXVIII), cap. 11, 3 (ed. U. PH. BOISSEVAIN, wie Anm. 137, Bd. III, S. 385): ὥστε καὶ αὐτοκράτορα ἤδη ὄντα καὶ διδασκάλοις συνεῖναι καὶ τὸ πολὺ τῆς ἡμέρας φιλοσοφεῖν: ἐξηραλοίφει τε, καὶ ἵππευε καὶ ἐς πεντήκοντα καὶ ἑπτακοσίους σταδίους, καὶ προσέτι καὶ νήχεσθαι καὶ ἐν κλύδωνι ἤσκητο.

139 Vgl. Scriptores Historiae Augustae, Alexander, cap. 30, 4, ed. ERNST HOHL, Stuttgart/Leipzig 1997, Bd. I, S. 274: „post lectionem operam pa– 73 –

in die Jahre um 400 hat sich daran offenbar nur wenig geändert. Denn noch in den Lobreden auf den jugendlichen Kaiser Honorius hebt sein Panegyriker hervor, wie hervorragend dieser geschwommen sei – und dies sogar in den wildesten Gewässern.140 Weshalb dem Schwimmen eine so hohe Bedeutung zugemessen wurde, lässt sich am Beispiel Caesars besonders gut erkennen. Sueton schildert im 57. Kapitel seiner ‚Vita‘ des Vergöttlichten sehr ausführlich dessen militärische Qualitäten – sowohl im Kampf als auch auf dem Marsch. Dabei heißt es: „si flumina morarentur, nando traiciens uel innixus inflatis utribus, ut persaepe nuntios de se praeuenerit.“141 Ein Feldherr, der sogar schneller als seine eigenen Boten ist, kann auch in der Schlacht heroische Taten vollbringen. Bei der Belagerung Alexandrias im Jahre 47 v. Chr. sprang er in bedrägter Lage einmal ins Meer und schwamm zweihundert Meter zu dem am nächsten gelegenen Schiff; dabei soll er eine Schriftrolle mit der Linken aus dem Wasser gehalten und den Feldherrenmantel mit den Zähnen hinter sich her gezogen haben – eine Szene, die Sueton und Plutarch weitgehend übereinstimmend schildern.142 laestrae aut sfaeristerio aut cursui aut luctaminibus mollioribus dabat atque inde unctus lavabatur, ita ut caldaria vel numquam vel raro, piscina semper uteretur in eaque una hora prope maneret“. 140 Vgl. Panegyricus dictus Honorio Augusto tertium consuli, ed. JOHN BARRIE HALL, Claudii Claudiani Carmina, Leipzig 1985, S. 53–60, vv. 45f.: „tranare sonoras / torrentum furias“ (S. 55); Panegyricus dictus Honorio Augusto quartum consuli, ebd. (wie Anm. 99), vv. 347f.: „fluuios tu protere cursu / haerentes glacie, liquidos tu scinde natatu“ (S. 74). 141 Sueton, De Vita Caesarum, Divus Iulius, cap. 57, ed. M. IHM (wie Anm. 132), S. 30. – Zu den Schwimmschläuchen vgl. die oben, Anm. 125, zitierten Arbeiten von R. ROLLINGER. 142 Vgl. Sueton, De Vita Caesarum, Divus Iulius, cap. 64, ed. M. IHM (wie Anm. 132), S. 32: „Alexandriae circa oppugnationem pontis eruptione hostium subita conpulsus in scapham pluribus eodem praecipitantibus, cum desilisset in mare, nando per ducentos passus euasit ad proximam nauem, elata laeua, ne libelli quos tenebat madefierent, paludamentum – 74 –

Schwimmen ist demnach eine Fertigkeit, die im Krieg von großer Bedeutung ist; ein Herrscher, der die militärische Befehlsgewalt für sich in Anspruch nimmt, hat sich auch darin zu bewähren – zumindest zeichnen die wohlmeinenden Historiographen ein dementsprechendes Bild. Für die gewöhnlichen Soldaten gehört Schwimmen zum Alltag; der Kriegstheoretiker Vegetius fordert deshalb eine entsprechende Ausbildung aller Rekruten: bei den Fußtruppen, der Kavallerie und sogar beim Tross.143 Damit übereinstimmend finden sich in der Geschichtsschreibung ungezählte Berichte, in denen von schwimmenden Kriegern die Rede ist. Darin werden immer wieder auch die Krieger „germanischer“ Völkerschaften erwähnt, so zum Beispiel bei Tacitus, bei Gregor von Tours und vielen anderen. Auch Schwimmen in Rüstung und zusammen mit Pferden gehörte offenbar zum Alltag des Krieges.144 mordicus trahens, ne spolio poteretur hostis“; Plutarchi Vitae parallelae, edd. C. LINDSKOG/K. ZIEGLER (wie Anm. 131), Caesar, cap. 49: περὶ τῇ Φάρῳ μάχης συνεστώσης, κατεπήδησε μὲν ἀπὸ τοῦ χώματος εἰς ἀκάτιον καὶ παρεβοήθει τοῖς ἀγωνιζομένοις, ἐπιπλεόντων δὲ πολλαχόθεν αὐτῷ τῶν Αἰγυπτίων, ῥίψας ἑαυτὸν εἰς τὴν θάλασσαν ἀπενήξατο μόλις καὶ χαλεπῶς. ὅτε καὶ λέγεται βιβλίδια κρατῶν πολλὰ μὴ προέσθαι βαλλόμενος καὶ βαπτιζόμενος, ἀλλ᾽ ἀνέχων ὑπὲρ τῆς θαλάσσης τὰ βιβλίδια, τῇ ἑτέρᾳ χειρὶ νήχεσθαι· τὸ δ᾿ ἀκάτιον εὐθὺς ἐβυθίσθη (Bd. II, 2, S. 312).

143 Vgl. P. Flavii Vegeti Renati Epitoma rei militaris, ed. ALF ÖNNERFORS, Stuttgart/Leipzig 1995, lib. I, cap. 10: „Ad usum natandi exercendos tirones“ (S. 23f.). Jahrhunderte später exzerpiert Hrabanus Maurus diese Passage, vgl. [Hrabanus Maurus,] De procinctu Romanae militiae, ed. E. DÜMMLER (wie Anm. 51), cap. VI: „Qualiter ad usum natandi exercebantur“ (S. 445f.). – Zur Rezeption des Vegetius im Mittelalter vgl. CHR. ALLMAND, Vegetius (wie Anm. 51). 144 Eine kleine Auswahl einschlägiger Berichte: Tacitus, Annales, lib. I, cap. 56 (ed. E. KOESTERMANN, wie Anm. 134, S. 31); lib. II, cap. 8 (S. 48); Historiae, lib. II, cap. 35 (ed. E. KOESTERMANN, wie Anm. 57, S. 73f.); lib. IV, cap. 12 (S. 168f.); lib. IV, cap. 66 (S. 206); lib. V, cap. 18 (S. – 75 –

Wenn der Anschein nicht völlig trügt, stand der (para-)militärische Aspekt des Schwimmens in der karolingischen Epoche nach wie vor im Vordergrund.145 Darüber hinaus war es jedoch auch für all jene von Bedeutung, die sich irgendwo im fränkischen Reich fortzubewegen hatten, und dazu zählten, neben vielen anderen, nicht zuletzt die kirchlichen Würdenträger. Sie tauchen allerdings meist nur dann in den Quellen auf, wenn die Begegnung mit dem nassen Element in einem schweren Unglück endete. So ertrank Walahfrid Strabo – gelehrter Dichter, königlicher Kapellan und Abt des Klosters auf der Reichenau –, als er auf einer Gesandtschaftsreise im Dienste Ludwigs des Deutschen am 18. August 849 die Loire überquerte.146 Bischof Frotbald von Chartres durchschwamm im Jahre 857 auf der Flucht vor den Normannen die Eure und kam dabei ebenfalls ums Leben.147 Ein Sohn Karls des Großen, Bischof 232); Gregorii episcopi Turonensis Historiarum libri X, edd. BRUNO KRUSCH/WILHELM LEVISON, MGH SS rer Merov I, 1, Hannover 1951, lib. III, cap. 15 (S. 115); lib. IV, cap. 30 (S. 163); lib. VI, cap. 26 (S. 293f.); lib. VII, cap. 35 (S. 355); lib. X, cap. 9 (S. 493); Liber historiae Francorum, ed. BRUNO KRUSCH, MGH SS rer Merov II, Hannover 1888, S. 1-193, cap. 41 (S. 313); für schwimmende Sarazenen vgl. Fredegarii Chronicorum liber quartus cum Continuationibus, ed. JOHN MICHAEL WALLACE-HADRILL, Toronto/New York 1960, cont. 20 (S. 95). 145 Eine systematische Zusammenstellung der Belege fehlt bis heute. Selbst die neueste militärgeschichtliche Literatur geht – bei aller epischen Breite in anderen Fragen – nur ganz am Rande auf das Schwimmen ein, vgl. etwa BERNARD S. BACHRACH, Early Carolingian Warfare. Prelude to Empire, Philadelphia 2001, S. 257. 146 Vgl. das Epitaphium Walfredi abbati, ed. ERNST DÜMMLER, MGH Poetae II, Berlin 1884, S. 423f., hier vv. 5–8 (S. 423): „Lustra tui fuerant non plus quam temporis octo, / Quando inmatura mors animam expulerat. / Dum Ligeris bibulas transcendis missus harenas, / Hic corpus linquens spiritu ad astra volas.“ 147 Vgl. Annales Bertiniani, edd. FÉLIX GRAT/JEANNE VIELLIARD/SUZANNE CLÉMENCET (mit einer Einleitung und Anmerkungen von LÉON LEVILLAIN), Paris 1964, ad 857 (S. 75): „Frotbaldus episcopus Carnotum, insis– 76 –

Drogo von Metz, war schon am 8. Dezember 855 im Ognon, einem Nebenfluss der Saône, verunglückt, als er sich dem Fischfang widmete.148 Notker Balbulus berichtet von einem anonymen fränkischen Bischof, der als geschickter Reiter und delfingleicher Schwimmer bekannt war; als er eines Tages in einen Strudel kam, musste er von Fischern gerettet werden.149 Einen sehr ungewöhnlichen Einblick gewährt der Aquitanier Ermoldus Nigellus in seinem Lobgedicht auf Kaiser Ludwig den Frommen. Darin schildert er in elegischer Breite, wie nach dem Tode Karls des Großen die Menschen in gewaltiger Zahl zu dem neuen Herrscher strömen, um ihm die Huldigung zu leisten. Sie lassen sich dabei nicht einmal von Flüssen aufhalten; wer sich keines Schiffes bemächtigen kann, überquert schwimmend die Loire. Daher sieht man bei Orléans ganze Scharen, die von einem Felsen kopfüber in den Strom springen, um möglichst schnell zu ihrem Kaiser zu gelangen.150 Ob der tentibus sibi Danis in eadem ciuitate, pedibus fugiens fluuiumque Auduram natatu petens, aquis interceptus moritur.“ 148 Vgl. Miracula SS. Waldeberti et Eustasii auctore Adsone abbate Dervensi, ed. OSWALD HOLDER-EGGER, Hannover 1888, MGH SS XV, 2, Hannover 1888, S. 1170–1176, hier cap. 2 (S. 1174): „Hic interdum ille solito commoratus, dum amoenitate locorum fruitur, Lignonem vicinum fluvium gratia piscandi aggressus, dum piscem inmanem sequitur, aquis lapsus, subito prefocatur, Mettisque delatus, in sancti Arnulfi confessoris Christi aecclesia tumulatur.“ Vgl. dazu ACHIM THOMAS HACK, Der König als Fischer in der Karolingerzeit, in: Francia XLI 2014, S. 321–333, hier S. 325. 149 Notker, Gesta Karoli Magni, ed. H. F. HAEFELE (wie Anm. 23), lib. I, cap. 24 (S. 33): „... natatumque delphinis simillimum ...“. Der Vergleich des Schwimmers mit einem Delfin ist bis zum heutigen Tage üblich und hat sogar einem bestimmten Schwimmstil den Namen gegeben. 150 Vgl. Ermoldus Nigellus, In honorem Hludowici, ed. E. FARAL (wie Anm. 60), vv. 778–785 (= lib. II, vv. 127–134): „Flumina non retinent trepidos, nec horrida silva, / Nec glacialis hiems, nec pluviosa dies; / Qui rate non valuit, satagens hic forte natatu / Trans fluvium Ligeris certat abire prior. / O quantos populos celsa de rupe videres / Absque rate in fluvium se da– 77 –

Dichter hier eine historische Episode zuverlässig beschreibt, braucht an dieser Stelle nicht näher erörtert zu werden. Er geht jedenfalls – und das ist klar erkennbar – davon aus, dass ein erheblicher Anteil der fränkischen Bevölkerung schwimmen kann und sogar das Durchqueren stattlicher Flüsse nicht scheut. Erst vor diesem Hintergrund lässt sich voll und ganz ermessen, was es bedeutet, wenn Einhard Karl den Großen als den besten Schwimmer charakterisiert. Der Bezugspunkt sind hier nicht so sehr die antiken Kaiser, sondern die Franken der Gegenwart.151 Bredekamp erinnert in seiner Arbeit zurecht daran, dass Karl der Große nicht der letzte Kaiser war, über dessen schwimmerische Leistungen berichtet wird. So weist er etwa auf Otto II. hin, der sich nach der Schlacht von Crotone 982 durch einen (genau genommen: gleich zweifachen) Sprung ins Wasser vor der Gefangennahme gerettet haben soll. Allerdings war bereits Jacek Banaszkiewicz aufgefallen, dass die Darstellungen offenkundig literarischen Schemata folgen und für die Rekonstruktion der historischen Vorgänge denkbar ungeeignet sind.152 Die berühmte Szene von Kaiserswerth hat Bredekamp dagegen übersehen; der damals 12-jährige Heinrich IV. war nach dem Bericht des Lampert von Hersfeld ins Wasser gesprungen, um auf diese Weise seinen Attentätern zu entkommen. Allerdings müsste auch diese anekdotische Schilderung einmal auf literarische Motive hin näher untersucht werden.153 re praecipites! / Aurelianenses illos risere natantes; / Turre vocant summa: ‚Litus amate, viri! ‘“ (S. 60). 151 Vgl. dazu oben, Abschn. 5. 152 Vgl. JOHANN FRIEDRICH BÖHMER/HANNS LEO MIKOLETZKY, Regesta Imperii II, 2: Otto II. 955 (973) – 983, Graz 1950, nr. 874c (S. 382); dazu JACEK BANASZKIEWICZ, Ein Ritter flieht oder wie Kaiser Otto II. sich vom Schlachtfeld bei Crotone rettete, in: Frühmittelalterliche Studien XL 2006, S. 145–165. Die Arbeit von Banaszkiewicz ist zwar bei Bredekamp zitiert, ihre Ergebnisse werden aber nicht zur Kenntnis genommen. 153 Vgl. Lamperti Hersfeldensis Annales, ed. OSWALD HOLDER-EGGER, Lamperti monachi Hersfeldensis Opera, MGH SS rer Germ XXXVIII, – 78 –

Die skandinavischen Könige spielen bei Bredekamp ebenfalls keine Rolle; gerade bei ihnen wird aber besonders häufig auf die Schwimmkünste verwiesen.154 Wenig bekannt ist, dass Friedrich Barbarossa im August 1155 – also nicht lange nach seiner Krönung in Rom – gemeinsam mit Otto von Wittelsbach bei Ancona in der Adria schwamm. Der Pfalzgraf erinnerte ihn in einem Gesandtschaftsbericht drei Jahre später daran: „sumus iuxta mare in eo loco, ubi et vos et palatinus balneastis“.155 Es handelt sich um denselben Kaiser, der am 10. Juni 1190 im Saleph ertrank;156 Bredekamp weist im Anschluss an Knut Görich darauf hin, dass dieses Ereignis auch bildlich festgehalten wurde.157

154 155

156

157

Hannover/Leipzig 1894, S. 1–304, ad 1062 (S. 79f.); JOHANN FRIEDRICH BÖHMER/TILMAN STRUVE, Regesta Imperii III, 2, 3, 1: Heinrich IV. 1056 (1050) – 1065, Wien/Köln 1984, nr. 252 (S. 103f.). Zur Rezeption vgl. TILMAN STRUVE, Lampert von Hersfeld, der Königsraub von Kaiserswerth im Jahre 1062 und die Erinnerungskultur des 19. Jahrhunderts, in: Archiv für Kulturgeschichte LXXXVIII 2006, S. 251–278; DERS., Die Entführung Heinrichs IV. zu Kaiserswerth in bildlichen Darstellungen. Konstituierung eines Geschichtsbildes, in: DERS. (Hrsg.), Die Salier, das Reich und der Niederrhein, Köln/Weimar/Wien 2008, S. 353–368. Die von Banaszkiewicz eröffneten Perspektiven sind im Hinblick auf die Episode von Kaiserswerth noch nicht aufgenommen worden. Vgl. R. NEDOMA, Sport (wie Anm. 1), S. 391, mit den einschlägigen Hinweisen. Gesandtschaftsbericht Rainalds von Dassel und Ottos von Wittelsbach von 1158, ed. MICHAEL DOEBERL, Monumenta Germaniae Selecta ab anno 768 usque ad annum 1250 IV, München 1890, S. 116–123, hier S. 118; vgl. dazu JOHANN FRIEDRICH BÖHMER/FERDINAND OPLL, Regesta Imperii IV, 2, 1: Friedrich I. 1152 (1122) – 1158, Wien/Köln/Weimar 1980, nr. 341 (S. 102) (mit Nr. 546, S. 174). Vgl. JOHANN FRIEDRICH BÖHMER/FERDINAND OPLL, Regesta Imperii IV, 2, 4: Friedrich I. 1181–1190, Wien/Köln/Weimar 2011, nr. 3470 (S. 334–339). Über die Ereignisse und ihre Deutung zuletzt KNUT GÖRICH, Friedrich Barbarossa. Eine Biographie, München 2011, S. 587–600. Die bei H. BREDEKAMP, Souverän (wie Anm. 116), S. 21 und 22 als Ausschnitte wiedergegebenen Abbildungen (Nr. 15 und 16) finden sich – 79 –

Schwimmen wurde in den letzten Jahrhunderten zu einem fest institutionalisierten Breitensport, verlor aber dadurch für die Herrschenden nicht seinen Reiz.158 Das zweifellos berühmteste Beispiel ist der langjährige Vorsitzende der Kommunistischen Partei Chinas, Mao Zedong, der noch im fortgeschrittenen Alter den Yangtze und andere Flüsse159 mehrfach durchschwamm und sich dabei medial höchst wirkungsvoll in Szene setzte; darauf geht Bredekamp ausführlich ein.160 Vielleicht noch interessanter ist jedoch ein anderer und deutlich früherer Fall, der nur am Rande behandelt wird: der italienische Ministerpräsident Benito Mussolini. Der selbsternannte „Duce“ ließ sich als kraftvoller Schwimmer in der winterlichen Adria sowie

schon bei K. GÖRICH, Barbarossa (wie Anm. 156), S. 592 und 595 (Abb. 40 und 41). – Zumindest in die Umgebung der Kaiser, hier Friedrichs II., führt die Legende von dem „Fischmenschen“ Nicolaus (Nicola Pesce), der ungewöhnlich gut schwimmen und tauchen kann. Sie wird zum Beispiel von Salimbene von Parma erzählt, um die angebliche „superstitio“ des Staufers zu illustrieren, vgl. Cronica fratris Salimbene de Adam, ed. OSWALD HOLDER-EGGER, MGH SS XXXII, Hannover/Leipzig 1905– 1913, S. 350f.; dazu LEARDO MASCANZONI, Salimbene, Riccobaldo e la leggenda di Cola Pesce, in: Quadereni medievali LIV 2002, S. 150–163. Über das weit verbreitete, in Deutschland vor allem durch Schillers „Taucher“ bekannte Motiv vgl. KLAUS JOACHIM HEINISCH, Der Wassermensch. Entwicklungsgeschichte eines Sagenmotivs, Stuttgart 1981 (zu Salimbene S. 38–40 und mehrfach). 158 Vgl. REBEKKA VON MALLINCKRODT, Art. Schwimmen, in: Enzyklopädie der Neuzeit XI, Stuttgart 2010, S. 991–993, sowie die dort genannte Literatur. 159 Wie etwa den Perlfluss und den Xiang. 160 H. BREDEKAMP, Souverän (wie Anm. 116), S. 13–17. – Ein wichtiger Bezugspunkt ist LI ZHISUI, Ich war Maos Leibarzt (Die persönlichen Erinnerungen des Dr. Li Zhisui an den Großen Vorsitzenden), Bergisch Gladbach 1994 (zuerst engl. 1994). Memoiren von Leibärzten, die mit intimen Details ihrer berühmten Patienten aufwarten, sind eine inzwischen sehr umfangreiche Quellengattung, die aber, soweit ich sehe, bisher noch nicht kritisch untersucht worden ist. – 80 –

als Reiter mit nacktem Oberkörper fotografieren.161 Eine ähnliche sportlich-vitale Darstellung Hitlers hat es nie gegeben; der „Führer“ mit entblößter Brust ist geradezu unvorstellbar. Angesichts des Umstands, dass die Übereinstimmungen bei der bildlichen Inszenierung der beiden Potentaten oft stark betont werden,162 können diese Unterschiede nicht nachdrücklich genug hervorgehoben werden. Die Liste der schwimmenden Herrscher ließe sich leicht verlängern. So könnte man etwa auf Walter Ulbricht verweisen, der 1957 in Rostock mit einem Funktionär der FDJ um die Wette schwamm und sich außerdem bei gymnastischen Übungen und beim Volleyballspielen öffentlich zeigte.163 Aus jüngster Zeit ist vor allem Wladimir Putin zu nennen; im Rahmen einer PR-Aktion aus dem Jahre 2009 wird er beim Schwimmen, Reiten, Angeln und Jagen präsentiert, jeweils mit nacktem Oberkörper.164 Die Analogien zu Einhards Bericht über die 161 Vgl. SERGIO ROMANO, Mussolini. Una biografia per immagini, Il Cammeo CCCLV, Mailand 2000, S. 115 (Mussolini krault in der Adria bei Riccione). Außerdem ist er als Reiter, Läufer, Schütze, Skifahrer, Fechter, Motoradfahrer festgehalten (ebd., S. 113–115). Ein Foto vom August 1933 zeigt ihn mit dem österreichischen Kanzler Engelbert Dollfuß in Badekleidung am Strand von Riccione (S. 101). Zur Rezeption vgl. LUISA PASSERINI, Mussolini immaginario. Storia di una biografia 1915– 1939, Rom/Bari 1991, S. 205 und 233. 162 Vgl. WOLFGANG SCHIEDER, Duce und Führer: Fotografische Inszenierungen, in: DERS., Faschistische Diktaturen. Studien zu Italien und Deutschland, Göttingen 2008, S. 417–465 und 583–591. 163 Vgl. TH[EO] S[OMMER], Mao schwimmt, in: DIE ZEIT Nr. 35 vom 29. August 1957, S. 3; MARIO FRANK, Walter Ulbricht. Eine deutsche Biographie, Berlin 2001, S. 287–290. 164 Die erwähnten Fotos wurden im Sommer 2009 in der südsibirischen Republik Tuwa aufgenommen. Daneben gibt es Bilder, die Putin bei nahezu jeder Sportart zeigen, vom Judo und Boxen bis zum Tauchen und Skifahren. Die Thematik wird in den Online-Medien intensiv diskutiert (Fotos von Alexei Druzhinin, Dmitri Astakhov und anderen zum Beispiel auf ZEIT-Online unter dem Titel „Wladimir Putin: Der größte und stärks– 81 –

sportliche Betätigung Karls des Großen sind, obwohl sicher nicht gewollt, sehr verblüffend.

te Athlet aller Zeiten, mindestens“ vom 3. Februar 2014), eine genauere Analyse fehlt m. W. noch. – 82 –

Namensregister

Das Namensregister enthält alle im Text genannten Orts- und Personennamen. Dabei gelten folgende Abkürzungen: assyr.: assyrisch; Bf.: Bischof; d. Ä.: der Ältere; d. Fr.: der Fromme; d. Gr.: der Große; d. J.: der/die Jüngere; dt.: deutsch; Ebf.: Erzbischof; fränk.: fränkisch; Gem.: Gemahlin; gest.: gestorben; Hzg.: Herzog; Kg.: König; Kl.: Kloster; Ks.: Kaiser; P.: Papst; röm.: römisch; S.: Sohn; T.: Tochter.

Aachen 28f., 72 Adria 79, 81 Aethon 64 Agnellus von Ravenna (gest. nach 846) 20 Agrippina d. J. (gest. 59) 73 Ägypten 59, 66, 69 Aistulf, Kg. der Langobarden (749–756) 46 Alamannien 37 Alexandria 74 Ancona 79 Aniene 72 Apollo 63 Aqua Marcia 72 Aquitanien 36, 43, 77

Arcadius, röm. Ks. (395–408) 60 Armenien 63, 65 Arnulf von Kärnten, fränk. Kg. und Ks. (887–899) 44 Assurnasirpal II., assyr. Kg. (883–859 v. Chr.) 69 Assyrer 69 Astakhov, Dmitri 81 Aufusus, Neffe Kg. Liudprands (gest. 741) 46 Augustus, röm. Ks. (27 v. –14 n. Chr.) 71f. Austrasier 40 Avaren 38 Avitus, weström. Ks. (455–456) 34 – 83 –

Basken 40 Benediktiner 25 Berlin 52 Bertha, T. Karls d. Gr. (gest. nach 829) 40 Blomberg, Werner v., dt. Reichswehr- bzw. Reichskriegsminister (1878–1946) 52 Brasilien 33 Bretonen 40

Franken passim Friesen 43 Friedrich I. Barbarossa, dt. Kg. und Ks. (1152–1190) 79f. Friedrich II., dt. Kg. und Ks. (1212–1250) 80 Frotbald, Bf. von Chartres (855– 857) 76 Gelonen 34 Giganten 63 Gortyn 63 Gregor I. d. Gr., P. (590–604) 20 Griechen 70

Caesar, Gaius Iulius (gest. 44 v. Chr.) 74 Caligula, röm. Ks. (37–41) 72f. Caracalla, röm. Ks. (211–217) 73 Cashel 10 Cato, Marcus Porcius d. Ä. (gest. 149 v. Chr.) 70, 72 Chania → Cydonia China 80 Claudius Claudian (um 400) 59– 65 Clermont 34 Cork 10 Coubertin, Pierre de (1863–1937) 11, 52 Crotone 78 Cydonia (Chania) 63

Hadrian I., P. (772–795) 36 Harald, Kg. der Dänen (812– 826/41) 38 Heinrich IV., dt. Kg. und Ks. (1056–1106) 78 Heraklit (gest. um 540 v. Chr.) 68 Herkules 63 Hermione (Ermioni) 70 Heruler 34 Hitler, Adolf (1889–1945) 81 Honorius, röm. Ks. (393–423) 59–65, 74 Hunnen 34

Dionysos 70 Dollfuß, Engelbert (1892–1934) 81 Domitian, röm. Ks. (81–96) 72f. Drogo, Bf. von Metz (823–855) 77 Druzhinin, Alexei 81

Ingelheim 37, 43 Irland 10 Iulius Civilis, Gaius, Anführer der Bataver (1. Jh.) 37 Jahn, Friedrich Ludwig, Pädagoge (1778–1852) 11, 50f. Jamaika 33

Ermioni → Hermione Euphrat 69 Eure 76

Kaiserswerth 78 – 84 –

Karl Martell, fränk. Hausmaier (vor 720–741) 43 Karl I. d. Gr., fränk. Kg. und Ks. (768–814) 16f., 21–23, 25– 29, 31f., 35f., 38, 40, 43–46, 48, 66, 71f., 76f., 82 Karl II. d. Kahle, fränk. Kg. und Ks. (383–377) 38, 40, 42 Karl d. Kind, fränk. König (855– 866) 46 Karlmann, westfränk. Kg. (879– 884) 46 Karolinger passim Kentauren 63 Kreta 63, 65

Macroom 10 Mailand 59 Mainz 40 Mao Zedong (1893–1976) 80 Maria, Gem. des Honorius (gest. 404/07) 59, 61 Mars 62f. Massageten 63, 65 Mesopotamien 65 Mitchelstown 10 Mussolini, Benito (1883–1945) 80f. Neapel 70 Nero, röm. Ks. (54–68) 72 Nicolaus (Nicola Pesce) 80 Nimrud 69 Normannen 76 Norwegen 33

Lambert, Kg. und Ks. (891–898) 46 Layard, Austen Henry (1817– 1894) 69 Liudprand, Kg. der Langobarden (712–744) 46 Loire 76f. Lothar II., fränk. Kg. (855–869) 33 Ludwig I. d. Fr., fränk. Kg. und Ks. (781–840) 17f., 21, 24f., 29–31, 36–38, 45, 77 Ludwig II. d. Deutsche, fränk. Kg. (817–876) 20f., 21, 40, 42, 46, 76 Ludwig II. von Italien, fränk. Kg. und Ks. (840–875) 46 Ludwig IV., westfränk. Kg. (936– 954) 46 Ludwig V., westfränk. Kg. (979– 987) 46

Ognon 77 Orléans 36, 77 Otto II., osftränk. Kg. und Ks. (973–983) 78 Otto von Wittelsbach, Hzg. von Bayern (1180–1183) 79 Paderborn 37 Parther, Perser 63, 65 Pegasus 63 Perl 80 Pippin d. J., fränk. Hausmaier und König (741–768) 43 Ptolemäer, Dyn. 19 Pückler-Muskau, Herrmann Fürst von, Schriftsteller (1785– 1871) 10 Putin, Wladimir 81

Maas 44 Maciunas, George (1931–1978) 67

Rainald von Dassel, Ebf. von Köln (1159–1167) 79 – 85 –

Ravenna 59 Regensburg 37 Reichenau 76 Rhein 40 Rhodope 62 Riccione 81 Rom 59, 79 – St. Peter 36 – Trajansforum 60 Römer 19, 70 Rostock 81

Sulla, Lucius Cornelius, röm. Feldherr und Politiker (gest. 78 v. Chr.) 42 Tertullian von Karthago (um 160 – um 225) 54f. Theoderich II., Kg. der Westgoten (453–466) 48, 65 Theodosius I., röm. Ks. (379– 395) 61 Thessalien 63, 65 Thrakien 62 Trier 29 Troia 42 Tuwa 81

Sachsen 37, 40, 43 Saleph 79 Salier 34 Sankt Gallen 25, 31 Saône 77 Sauromaten 34 Seneca, Lucius Annaeus (gest. 65) 68 Severus Alexander, röm. Ks. (222–235) 73 Sidonius Apollinaris, Bf. von Clermont-Ferrand (5. Jh.) 34 Simon, Heinrich August (1805– 1860) 20 Skandinavien 37, 79 Skythen 63 Stilicho, röm. Heermeister (gest. 408) 59 Straßburg 40

Ulbricht, Walter (1893–1973) 81 Walahfrid Strabo, Abt der Reichenau (838/42–849) 76 Wetti, Mönch im Kl. Reichenau (gest. 824) 26 Wien 70 Worms 40 Xanthus 63 Xiang 80 Yangtze 80 Zwentibold, fränk. Kg. (895–900) 44

– 86 –

Quellenregister

Adso, Miracula SS. Waldeberti et Eustasii – cap. 2: 77

– Epithalamium: 59, 65 – Fescennini versus: 59, 62 De Karolo rege → Karlsepos

Annales Bertiniani – ad 857: 76f. Astronomus, Vita Hludowici – cap. 4: 36f. – cap. 6: 38 Biblia (Vulgata) – Ecclus 21, 23: 25 Cassius Dio – lib. LXI, cap. 11: 73 – lib. LXXVII, cap. 11: 73f. Claudian – De tertio consulatu: 59, 61, 74 – De quarto consulatu: 59–65 – De sexto consulatu: 59

Einhard, Vita Karoli – cap. 19: 35–37, 57, 71 – cap. 22: 16f., 21f., 27f., 30f., 71, 78 Epitaphium Walfredi abbati – vv. 5–8: 76 Ermoldus Nigellus, In honorem Hludowici – vv. 660f.: 48 – vv. 778–785: 77f. – vv. 2156–2163: 43 – vv. 2394–2415: 38 Fredegar, Chronicae – cont. 41: 76

– 87 –

Gregor von Tours, Historiae – lib. III, cap. 15: 76 – lib. IV, cap. 30: 76 – lib. VI, cap. 26: 76 – lib. VII, cap. 35: 76 – lib. X, cap. 9: 76

Liber Historiae Francorum – cap. 41: 76 Nithard, Historiae – lib. III, cap. 6: 40–42 Notker, Gesta Karoli – lib. I, cap. 24: 77 – lib. II, cap. 8: 32 – lib. II, cap. 9: 32 – lib. II, cap. 11: 20f. – lib. II, cap. 12: 25f. – lib. II, cap. 17: 31f.

Heraklit: 68 Hrabanus Maurus, De procinctu militiae Romanorum – cap. 6: 75 – cap. 12: 33 Iordanis, Getica – nr. 117: 34

Paulus Diaconus, Historia Langobardorum – lib. VI, cap. 58: 46

Isidor von Sevilla, Etymologiae – lib. 18: 49

Pausanias, Descriptio Graeciae – lib. II, cap. 35

Isidor von Sevilla, Historia Gothorum – ad 624: 42

Plutarch – Caesar, cap. 49: 75 – Cato maior, cap. 20: 70f.

Isidor von Sevilla, Institutionum Disciplinae: 39

Reinald von Dassel, Otto von Wittelsbach, Bericht an Barbarossa: 79

Karlsepos (De Karolo rege et Leone papa) – vv. 148–152: 48 – vv. 212–267: 57

Salimbene von Parma, Cronica: – ad 1250: 80

Lampert von Hersfeld – ad 1062: 78

Scriptores Historiae Augustae – Severus Alex., cap. 30: 73f. – 88 –

Seneca, Epistulae morales – nr. 98: 68

Tacitus, Historiae – lib. II, cap. 35: 75 – lib. IV, cap. 12: 75 – lib. IV, cap. 61: 37f. – lib. IV, cap. 66: 75 – lib. V, cap. 18: 75f.

Sidonius Apollinaris, Carmina – nr. 7: 34 Sidonius Apollinaris, Epistulae – lib. I, nr. 2: 48f.

Tertullian, De spectaculis – cap. 18: 54f.

Sueton, De vita Caesarum: 18, 71 – Augustus, cap. 64: 71 – Caligula, cap. 54: 73 – Domitian, cap. 22: 72 – Iulius, cap. 57: 74 – Iulius, cap. 64: 74f. – Nero, cap. 34: 73

Thegan, Gesta Hludowici – cap. 2: 35 – cap. 19: 17f., 21–24, 29–31, 45 Theodulf, Carmina – nr. 25: 21–23

Tacitus, Annales – lib. I, cap. 56: 75 – lib. II, cap. 8: 75 – lib. XIV, cap. 5: 73 – lib. XIV, cap. 22: 72

Vegetius, De re militari: 33 – lib. I, cap. 10: 75 Walahfrid, Visio Wettini – vv. 446–465: 26f.

– 89 –

Alexander Markus Schilling

Mögliches, Unwahrscheinliches, Fabelhaftes Die „Historia trium regum“ des Johannes von Hildesheim und ihre orientalischen Quellen Jenaer mediävistische Vorträge – Band 2

Alexander Markus Schilling Mögliches, Unwahrscheinliches, Fabelhaftes 2014. 93 Seiten mit 5 Abbildungen. Kartoniert. & 978-3-515-10662-7 @ 978-3-515-10707-5

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde durch keinen Geringeren als Johann Wolfgang von Goethe eine „Geschichte der drei Könige“ (Historia trium regum) wieder entdeckt, die seither dem Karmelitermönch Johannes von Hildesheim (†1375) zugeschrieben wird und eine – früh in zahllose Volkssprachen übersetzte – literarische Summe mittelalterlicher Legenden um die Heiligen Drei Könige darstellt. Eine Analyse der orientalischen Traditionen zu den Magiern der Geburtsgeschichte Jesu nach Matthäus, anhand altfranzösischer, lateinischer, griechischer, armenischer, syrischer, äthiopischer, arabischer, persischer und uigurischer Texte, ermöglicht die Identifikation einer der orientalischen Vorlagen zur lateinischen „Geschichte der drei Könige“ – das so genannte „Rollenbuch“. Zu Beginn des 13. Jahrhunderts den Kreuzfahrern vor Damiette bekannt geworden, war es wohl eine bislang noch nicht identifizierte Übersetzung dieses „Rollenbuches“ in eine europäische Sprache, die den Ausschlag dafür gegeben hat, dass die französischen Grafen von BauxLuxembourg sich seit dem 15. Jahrhundert als Nachfahren „Balthasars“, eines der Heiligen Drei Könige, inszenieren konnten.

www.steiner-verlag.de

Achim Thomas Hack

Von Christus zu Odin Ein Karolinger bekehrt sich Jenaer mediävistische Vorträge – Band 3

Das Jahr 864 war ein besonderes Jahr in der europäischen Religionsgeschichte. Ein König aus der Dynastie der Karolinger verließ seinen christlichen Glauben und trat der Religion Odins bei. Was veranlasste ihn zu diesem Schritt? War sein Verhalten tatsächlich derart ungewöhnlich, wie es auf den ersten Blick vielleicht scheinen mag? Ausgehend von diesem höchst interessanten Fall beleuchtet Achim Thomas Hack die Frage des Religionswechsels in gegenläufiger Richtung, das heißt: weg vom Christentum. Der kirchliche Ausdruck für den schwer verpönten Vorgang lautet „Apostasie“, wobei allerdings mehrere Arten von Apostasie zu unterscheiden sind. Der Autor nimmt sowohl die – Ekel erregenden – biblischen Bilder als auch die politischen Rahmenbedingungen für den „Glaubensabfall“ und vieles mehr in den Blick. Achim Thomas Hack Von Christus zu Odin 2014. 76 Seiten. Kartoniert. & 978-3-515-10661-0 @ 978-3-515-10705-1

............................................................

Aus dem Inhalt Vorwort p Ein besonderes Jahr in der Religionsgeschichte Europas | Das Schicksal eines karolingischen Königs | Zur Tradition der „Apostasie“ | „Ad priorem vomitum reverti“ | Abgefallene Könige in Northumbrien | Eine Konversion im 9. Jahrhundert | Der Königssohn als neuer Julian | Bekehrung und politisches Bündnis | Das Ende des Apostaten | Christianisierung als Globalisierung p Exkurse: Das Erbrochene des Hundes. Zur Tradition eines Sprichwortes | Karolingische Haftanstalten p Namensregister p Quellenregister

www.steiner-verlag.de

Die große Bedeutung des Sports in der neueren und neuesten Zeit ist – selbst dann, wenn gerade keine olympischen Spiele oder Weltmeisterschaften stattfinden – völlig unbestritten. Auch in der Antike gehörten sportliche Aktivitäten unterschiedlicher Art ganz selbstverständlich zum Alltag; sie sind schon seit langem Gegenstand der althistorischen Forschung. Wie verhielt es sich aber in den Jahrhunderten dazwischen? Gab es auch im Mittelalter Sport? Und wenn ja, welche Bedeutung hatte er? In diesem Band geht Achim Thomas Hack der Frage am Beispiel der karolingischen Könige und Kaiser nach. Wie sich herausstellt, finden sich bereits in den Quellen des 8. und 9. Jahrhunderts zahlreiche Elemente, die wir heute mit großer Selbstverständlichkeit dem Bereich des Sports zuweisen: Einzelsportarten und Mannschaftsdisziplinen, regelmäßiges Training, Wettbewerb und Sieg. Den Rahmen für diese Untersuchung bildet die in der Mediävistik noch wenig etablierte Körpergeschichte, die sich mit der Beschreibung und Bewertung des Körpers sowie seiner unterschiedlichen Funktionen und Tätigkeiten beschäftigt.

www.steiner-verlag.de Franz Steiner Verlag

ISBN 978-3-515-11147-8