Frauen im frühen Mittelalter: Frauenbild und Frauenleben im Frankenreich 9783412318383, 341207795X, 9783412077952


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Frauen im frühen Mittelalter: Frauenbild und Frauenleben im Frankenreich
 9783412318383, 341207795X, 9783412077952

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Frauen im frühen Mittelalter

Hans-Werner Goetz

Frauen im frühen Mittelalter Frauenbild und Frauenleben im Frankenreich

1995 BÜHLAU VERLAG WEIMAR KÖLN WIEN

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Goetz, Hans-Werner: Frauen im frühen Mittelalter : Frauenbild und Frauenleben im Frankenreich / Hans-Werner Goetz. W e i m a r ; Köln ; Wien : Böhlau, 1995 ISBN 3-412-07795-X Umschlagabbildung: Miniatur aus dem Perikopenbuch Heinrichs II., Anfang des 11. Jahrhunderts (Bayerische Staatsbibliothek, Clm 4456). Die Abbildung, die aus der Zeit zwischen 1002 und 1014 stammt, ist von byzantinischen Vorbildern geprägt und weist auf Inhalte des frühen Mittelalters zurück. Die Abbildung zeigt Frauen mit langer Tunika und Mantel. © 1995 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Alle Rechte vorbehalten Druck und Bindung: Druckerei Krannich, Bad Honnef

Dieses Buch wurde auf säurefreiem, chlorfrei gebleichten Papier gedruckt. Printed in Germany ISBN 3-412-07795-X

Inhalt Vorwort

11

Einleitung: INVESTIGATE HISTORIAE FEMINARUM. Die Geschichte der frühmittelalterlichen Frauen als Forschungsaufgabe 1. Frauen- und Geschlechtergeschichte im Spektrum heutigen Geschichtsbewußtseins und moderner Geschichtswissenschaft 2. Frauen- und Geschlechtergeschichte als Ansatz der Geschichtswissenschaft: Methodische Vorbemerkungen

Kapitel 1:

Kapitel 2:

13

13 18

3. Zu Inhalt und Struktur der nachfolgenden Kapitel

25

HISTORIOGRAPHY FEMINARUM. Forschungsstand und Forschungsperspektiven zur Geschichte der Frauen im frühen Mittelalter

31

1. 2. 3. 4. 5. 6.

31 38 43 58 61 63

Überblicke und Sammelbände Rechtsstellung Lebensformen und Stände Frauenbild Bildung und Kultur Alltag, Sexualität, Demographie

EVA. Das Bild der Frau in der Genesisauslegung

71

1. Das Problem: Genesisbericht und Geschlechterverhältnis a. Eva — die Frau schlechthin? b. Der Bibelbericht c. Quellenkritik: Zur historischen Auswertung von Bibelkommentaren d. Forschungsstand und Quellenlage 2. Erschaffung der Frau und Gleichwertigkeit der Geschlechter 3. Sündenfall und Schuld: Zum Wesen der Frau 4. Die Folgen des Sündenfalls und ihre Bedeutung für das Geschlechterverhältnis

71 71 74

5. Anhang: Eva als frühmittelalterlicher Personenname

76 79 82 90 95 102

6

Kapitel 3:

Inhalt

SANCTIMONIALIS. Heiligenviten

Das Frauenbild der fränkischen 105

1. Frauenklöster und Heiligkeit

107 111

c. Der Anteil weiblicher Heiliger

112

2. Frauenviten und Heiligenideal

125

a. Viten als Quellen

125

b. Heiligenschicksale: Ehe, Kloster und Heiligkeit c. Herkunft und Kindheit

128 138

d. Aussehen und Charakter

141

e. Tugenden und fromme Werke

143

f. Versuchungen, Wunder und Visionen

150

g. Tod und ewiges Leben

154

3. Das Bild der Heiligen als Frauenbild?

Kapitel 4:

107

a. Klosterleben und Weltlichkeit b. Frauenklöster im frühen Mittelalter

MATRIMONIUM.

156

Die Eheauffassung bei Jonas von Orleans

und anderen Autoren des frühen Mittelalters

165

1. Theologische und rechtliche Anschauungen und Normen hinsichtlich Ehe, Eheschließung und Ehescheidung

166

a. Die Quelle: Jonas von Orleans

166

b. Nutzen und Funktion der Ehe in der Theologie des 9. Jahrhunderts

168

c. Zur Eheschließung und ihren Hintergründen in Recht und Praxis d. Voreheliche und eheliche Treue

177

e. Das Idealbild einer Ehefrau

180

f. Ehehindernisse

182

g. Ehescheidung: Theorie und Praxis 2. Anschauungen vom sozialen Wert der Ehe

Kapitel 5:

172

UXOR. Stellung, Lebensgemeinschaft und "Alltag" der Ehefrauen im frühen Mittelalter 1. Rechtsschutz und Rechtsstellung der Ehefrau — Norm und Realität

185 191

199 201

Inhalt a. Das Eherecht: Herrschaft und Schutz b. Besitzrecht und Besitzverfügung c. Ehefraulicher Einfluß 2. Eheliche Lebensgemeinschaft a. Eheliche Hierarchie: die Haltung der Theologen

201 206 212 213 213

b. Liebe und Zuneigung

214

c. Ehegemeinschaft und eheliches Verhalten

217

d. Getrennte Lebensbereiche und geschlechtsspezifische Funktionsteilungen in der Ehe 3. Familie und Hausgemeinschaft

Kapitel 6:

7

220 221

a. Haushalt und "Hausfrau"

221

b. Versorgung der Familie c. Familienbewußtsein

222 223

d. Eltern und Kinder

226

4. Eheleben und Sexualität

231

5. Ehebruch und eheliche Spannungen

238

RUSTICA. Bäuerinnen im Frankenreich

245

1. Rustica in frühmittelalterlichen Quellen

247

2. Situation und Leben der Hufenbäuerinnen in der frühmittelalterlichen Grundherrschaft und im Rahmen der bäuerlichen Familie

251

a. Die Einbindung in die Grundherrschaft

251

b. Die Einbindung in die Familie 3. Opus muliebre: Die Arbeit der Bäuerinnen

Kapitel 7:

262 270

IMAGINES FEMINARUM. Die Frau im Büd des frühen Mittelalters

281

1. Bilder als historische Quellen 2. Geschlechtsdifferenzierende Darstellungsweise

281 287

3. Funktions- und Sinnbildbereiche der Frauendarstellungen

298

a. Weltliche Funktionsbereiche b. Allegorische Frauengestalten 4. Das Frauenbild der Miniaturen

298 307 314

Inhalt

8 Kapitel 8:

Kapitel 9:

SPECULUM FEMINARUM. Verhaltensnormen und Verhaltensformen frühmittelalterlicher Frauen 325 1. Ausgangsfrage und Quellenlage 2. Abgrenzung der Geschlechter

325 328

3. Erwartungshaltungen der (Männer-Gesellschaft 4. Norm und Realität

333 337

"FRAGILIS SEXUS VILIS MUUERIS." Weibliches Selbstverständnis im frühen Mittelalter? 1. Weibliche Verhaltensweisen und Mentalität? 2. Feminines Selbstverständnis

343 345 352

3. Das Geschlecht als Kriterium weiblichen Selbstverständnisses?

356

Kapitel 10: AUCTRIX. Horizont, Interessen und Selbstdarstellung frühmittelalterlicher Frauen im Spiegel ihrer Briefe

361

1. Frühmittelalterliche Briefe als Quellen

363

2. Politische Schreiben von Amtsträgerinnen: das Beispiel Brunichilds

365

3. Kontakte im klösterlichen Bereich: das Schreiben der Caesaria von Arles an Richild und Radegund von Poitiers

368

4. Teilhabe an der Mission: Briefe angelsächsischer Nonnen aus dem Umkreis des Bonifatius

371

5. Teilhabe an theologischer Bildung: Der Brief Gislas und Rodtruds an Alcuin 6. Weltliche Alltagsbelange: die Briefe Immas, der Gemahlin Einhards 7. Geschäfte einer karolingischen Herrscherin: die beiden Schreiben Irmindruds

Resümd:

FEMINAE ALTOMEDIAEVALES.

381 386 388

Frauenforschung, Frauen-

bild, Frauenleben, Geschlechterverhältnis

395

1. Methodische Folgerungen: Frauenforschung zum frühen Mittelalter

395

Inhalt

2. Inhaltliche Folgerungen: Frauenbild, Frauenleben und Geschlechterverhältnis im frühen Mittelalter

9

402

a. Das "schwache Geschlecht"? Zum Frauenbild des frühen Mittelalters

402

b. Frauenleben zwischen Norm und Realität c. Mulier — aut consors aut adiutorium viri? Das Geschlechterverhältnis im frühen Mittelalter

407

3. Feminae altomediaevales und historiographia moderna

416

413

Abbildungsverzeichnis

419

Quellen- und Literaturverzeichnis

421

Vorwort Vor vielen Jahren wurde ich bei einem Vorstellungsgespräch im Rahmen einer Bewerbung von einem Assistentenvertreter gefragt, wie ich (der ich meine Arbeiten gern theoretisch einleite und begründe) die auffällige Hinwendung zu aktuell-modernen bis modernistischen Themen (wie Alltags- und Mentalitätsgeschichte) geschichtstheoretisch begründe (was Kritiker, in Verkennung ihrer Berufung als Historiker, als "Aufspringen auf fahrende Züge" abqualifizieren). Die aktuellen Themen, so habe ich damals nach meiner bis heute in dieser Hinsicht unveränderten Überzeugung geantwortet, würden nicht seitens der Geschichtswissenschaft selbst "gemacht", sondern von außen an sie herangetragen. Wenn Historikerinnen und Historiker sich ihnen entzögen, so überließen sie die aktuelle Diskussion anderen und verfehlten damit ihre gesellschaftliche Aufgabe, diese kritisch und unter methodischen Gesichtspunkten zu prüfen und zu "kontrollieren". Einer solchen Auffassung entspringt letztlich auch meine Beschäftigung mit der Geschichte der Frauen im Mittelalter, die vor ungefähr fünf Jahren — das entspricht der Bearbeitungszeit dieses Buches — einsetzte (wobei andere erkenntnisleitende Interessen und, wie bei jedem Gegenstand, eine spätestens im Laufe der Bearbeitung heranwachsende innere Beziehung zum Forschungsthema gar nicht geleugnet werden sollen). Ein erstes Ergebnis lieferten die Vorträge einer Sektion auf dem Bochumer Historikertag von 1990 mit dem Titel "Weibliche Lebensgestaltung im frühen Mittelalter", die ich gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen Dagmar Baltrusch-Schneider, Ingrid Heidrich, Ludolf Kuchenbuch und Rosamond McKitterick abhalten und organisieren durfte. Daran knüpfen die vorliegenden Studien an. Wie stets verdanken sie Anregungen, Inhalte und Verfeinerungen nicht nur der Lektüre einschlägiger Werke, sondern auch einer Fülle von Gesprächen und Diskussionen mit Kollegen, Freunden und Mitarbeitern (utriusque sexus) sowie den Beiträgen der studentischen Teilnehmer/innen entsprechend thematisch ausgerichteter Seminare. Ihr Fortgang und Abschluß ist nicht minder aber umfangreicher Hilfe seitens meiner Mitarbeiter/ innen zu verdanken. Das erhält in diesem Fall ein besonderes Gewicht in einer Zeit extremer universitärer Belastungen, nicht zuletzt dank einer bildungsfeindlichen Hamburger Hochschulpolitik der letzten Jahre, die im Zuge des fiskalisch bedingten Zwangs zu Einbußen im Haushalt und strukturell kaum zu verkraftenden, erheblichen Stellenstreichungen den Bereich der mittelalterlichen Geschichte an der Universität Hamburg über Jahre hinweg unterbesetzt hielt und damit übervolle Seminare mit daraus entsprechend erwachsender Arbeits- und Prüfungsbelastung produzierte. Wenn darüber gleichwohl Raum für eigene Forschungen blieb, so ist

12

Vorwort

das neben persönlichen Gründen vielem und vielen zu verdanken: den Kolleginnen und Kollegen für ein hervorragendes "Betriebsklima" im Fachbereich, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für beständige, einsatzfreudige Hilfe, den Studierenden für ein — entgegen verbreiteten Klagen — die Arbeit erleichterndes Interesse und Engagement, der Universität für die Gewährung eines nicht-turnusgemäßen Forschungssemesters, das den Abschluß ermöglichte. Meinen studentischen und wissenschaftlichen Hilfskräften der vergangenen Jahre, Petra Bäurle, Julia Leonhard, Dirk Schlochtermeyer, Volker Scior und Kathrin Tiemann, habe ich für umfangreiche technische und inhaltliche Hilfe zu danken, die sich vom Bibliographieren über die Quellen- und Literaturbeschaffung und -sichtung sowie einzelne Vorarbeiten bis zur gewissenhaften Kontrolle sämtlicher Belege und zu inhaltlichen Anregungen erstreckte. Dr. Hedwig Röckelein hat mit ihrer kritischen Lektüre des gesamten Manuskripts zu manchem Nachdenken und zu wesentlichen Verbesserungen angeregt. Eine unverzichtbare und kaum zu überschätzende Hilfe gewährten die unermüdlichen und mit Hingabe ausgeführten Schreib- und Computerarbeiten an den immer neuen und vielfach überarbeiteten Fassungen der einzelnen Kapitel durch Karin Bauche und Erica Özkan. Ihnen allen und anderen sei herzlich gedankt. Dem Böhlau-Verlag und seinem Lektor Dr. Markus Twellenkamp danke ich für das entgegengebrachte Interesse, eine gute Zusammenarbeit und eine weitestgehende Berücksichtigung der aus verlagspolitischer Sicht teilweise nicht leicht akzeptablen Wünsche des Autors. Scientia feminarum altomediaevalium prosit universis hominibus modernis utriusque sexus.

Einleitung INVESTIGA TIO HIST0R1AE FEMINARUM. DIE GESCHICHTE DER FRÜHMITTELALTERLICHEN FRAUEN ALS FORSCHUNGSAUFGABE

1. Frauen- und Geschlechtergeschichte im Spektrum heutigen Geschichtsbewußtseins und moderner Geschichtswissenschaft Frauen in der Geschichte und in ihrer historischen Bedeutung zu betrachten, ist, entgegen dem Eindruck, den manche aktuelle Publikation vermittelt, keine völlige Neuerung. Die Geschichtswissenschaft hat sich immer schon auch mit Frauen befaßt, soweit man ihnen nämlich nach dem jeweils herrschenden Geschichtsverständnis und nach damaliger Geschichtstheorie eine entsprechende Relevanz beimaß. Das galt im wesentlichen allerdings nur für einzelne Frauen, die eine herausragende Stellung bekleideten, und traf vor allem auf drei Bereiche zu: — In der politischen Geschichte wurden bedeutende Königinnen und besonders Regentinnen unmündiger Könige berücksichtigt, wie Brunichild und Fredegund in der Merowingerzeit, Adelheid und Theophanu in der Ottonen- oder Agnes in der Salierzeit, um nur einige Beispiele zu nennen; einzelne Frauen konnten zu einem wichtigen politischen Faktor werden, wie Mathilde von Tuszien mit ihren engen Kontakten zu Papst Gregor VII., oder sogar welthistorische Bedeutung erlangen, wie Jeanne d'Arc im spätmittelalterlichen Frankreich. — In der Kultur- und Geistesgeschichte widmete man sich den Autorinnen, wie der Dichterin Hrotsvith von Gandersheim im 10. oder der Visionärin Hildegard von Bingen im 12. Jahrhundert. — In der Kirchen- und Frömmigkeitsgeschichte schließlich waren Äbtissinnen und Heilige Gegenstand der Geschichtsschreibung. Im Vergleich mit der — nach damaliger Geschichtsauffassung — im wesentlichen von Männern bestimmten Geschichte des Mittelalters blieben das, so herausragend einzelne Frauengestalten auch sein mochten, freilich zahlenmäßig unbedeutende Ausnahmen. Ihren Platz in der Geschichtsschreibung erhielten sie um ihrer historischen Leistung, nicht um ihrer selbst oder gar um ihres Geschlechtes willen. In breiterem Umfang widmete sich nur die Kulturgeschichte des späteren 19. Jahrhunderts den Frauen, beschränkte deren Rolle allerdings vornehmlich auf ihre Funktion als Hausfrau und Mutter im Rahmen der Familie.

14

Investigatio historiae feminarum

Frauen früherer Zeiten um ihres Geschlechtes willen — und damit als einen den Männern demographisch und anthropologisch gleichwertigen Faktor — zu betrachten, ist hingegen eine neue Errungenschaft und Ausdruck einer modernen Geschichtswissenschaft. Frauengeschichte ist demnach ein modernes Thema (oder ein Modethema, wie manche — zu Unrecht abschätzig — meinen). Sie geht zurück auf ihre "Entdeckung" und auf entsprechende Forderungen seitens einer feministischen Wissenschaft im allgemeinen und einer feministischen Geschichtswissenschaft im besonderen, die, zuerst im angloamerikanischen Sprachraum und in dem Bewußtsein, daß Frauen die Hälfte der Menschheit, aber nur einen winzigen Bruchteil unseres historischen Wissens ausmachen, bewußt-kämpferisch das Geschlechtsspezifische, die Rolle, die Eigenart und die historische Bedeutung der Frauen hervorhoben. Das geschah in kritischer Distanz zu der bisherigen androzentrischen, von Männern betriebenen und — als weitestgehender Vorwurf — zu einer von Methoden und Arbeitstechniken bestimmten Forschung, die männlicher Denkweise entsprungen war.1 Frauen haben, wie Gerda Lerner ebenso energisch wie unabweisbar feststellt, eine Geschichte, und sie haben einen Standort in der Ge-

1

Von den methodischen und theoretischen Äußerungen zu einer feministischen Geschichtswissenschaft und zur Frauengeschichte (beides ist nicht identisch) seien stellvertretend genannt; Gerda LERNER, The Majority finds its Past. Placing Women in History, New York-Oxford 1979; DEES., Die 'Herausforderungen' der Frauengeschichte, in: Feministische Wissenschaft und Frauenstudium, hg. v. Renate Duelli-Klein, Maresi Nerad und Sigrid Metz-Göckel, Hamburg 1982, S. 65-80; Frauen suchen ihre Geschichte, hg. v. Karin HAUSEN, München 1983 (darin vor allem Gisela BOCK, Historische Frauenforschung: Fragestellungen und Perspektiven, S. 22-60); Methoden in der Frauenforschung. Symposium an der Freien Universität Berlin (1983), hg. v. der Zentraleinrichtung zur Förderung von Frauenstudien und Frauenforschung an der Freien Universität Berlin, Frankfurt/Main 1984 (v.a. Gisela BOCK, Der Platz der Frauen in der Geschichte, S. 51-75, und Claudia OPITZ, Der "andere" Blick der Frauen in der Geschichte — Überlegungen zu Analyse- und Darstellungsmethoden feministischer Geschichtsforschung, S. 76-93); Gisela BOCK, Geschichte, Frauengeschichte, Geschlechtergeschichte, Geschichte und Gesellschaft 14, 1988, S. 364-391; Geschlecht und Geschichte. Ist eine weibliche Geschichtsschreibung möglich? hg. v. Michelle PERROT, Frankfurt/Main 1989 (frz. Une histoire des femmes est-elle possible? Paris 1984); Ute FREVERT, Geschichte als Geschlechtergeschichte? Zur Bedeutung des 'weiblichen Blicks' für die Wahrnehmung von Geschichte, Saeculum 43, 1992, S. 108-123; Gerda LERNER, The Creation of Feminist Consciousness. From the Middle Ages to Eighteen-seventy, New York-Oxford 1993 (deutsch: Die Entstehung des feministischen Bewußtseins. Vom Mittelalter bis zur ersten Frauenbewegung, Frankfurt 1993); zuletzt Uta C. SCHMIDT, Vom Rand zur Mitte. Aspekte einer feministischen Perspektive in der Geschichtswissenschaft, Zürich-Dortmund 1994. Fallstudien mit methodischer Reflexion: Weiblichkeit in geschichtlicher Perspektive. Fallstudien und Reflexionen zu Grundproblemen der historischen Frauenforschung, hg. v. Ursula A.J. BECHER und Jöm RÜSEN (suhrkamp tw 725) Frankfurt 1988; Frauengeschichte — Geschlechtergeschichte, hg. v. Karin HAUSEN und Heide WUNDER (Geschichte und Geschlechter 1) Frankfurt-New York 1992.

Frauengeschichte als Forschungsaufgabe

15

schichte. Folglich ist das Geschlecht eine neue Fragekategorie der Geschichtswissenschaft. 2 Die heutzutage hochberechtigte Forderung nach stärkerer Berücksichtigung der "Frauengeschichte" kann indes keine prinzipielle Kritik an der älteren Geschichtswissenschaft bedeuten, die vielmehr ein anderes, stärker politisches Verständnis von "Geschichte" und von historischen Inhalten hatte, das es zunächst einmal zu respektieren gilt, das uns heute allerdings nicht mehr befriedigen kann und darf. Moderne Frauengeschichte entspringt nicht nur heutigen Bedürfnissen, sie ist tatsächlich erst vor dem Hintergrund eines tiefgreifenden Wandels der Auffassungen von "Geschichte" und Geschichtswissenschaft im Laufe unseres zur Neige gehenden Jahrhunderts und besonders seit der Jahrhundertmitte sinnvoll geworden (denn selbstverständlich ist auch die Geschichtswissenschaft Teil der menschlichen Gesellschaft und damit veränderlich in ihren Bedürfnissen und Normen). Kennzeichen der modernen Geschichtswissenschaft ist bekanntlich die Abkehr vom Primat einer politischen Geschichte, von der Beschränkung auf die "hohe" Politik, auf Könige und Adel oder Oberschichten einerseits, und auf die "hohe" Kultur der Eliten andererseits. Heutige Geschichtswissenschaft fragt auch nach solchen gesellschaftlichen Gruppen, die früher als "geschichtslos" galten: nach Unterschichten, Bauern, Randgruppen sowie eben nach Frauen. (Mit dieser Aufzählung soll natürlich nicht der Eindruck erweckt werden, als handele es sich bei den Frauen um soziale Randgruppen-, die genannten Personenkreise haben aber gemeinsam, daß sie früher am Rande des geschichtswissenschaftlichen Interesses lagen.) Kennzeichen moderner Sozialgeschichte ist überhaupt die intensive Erforschung zunächst sozialer Gruppen und Schichten sowie seit einiger Zeit sozialer Lebensformen und die Einbeziehung der — auch quantitativ bestimmbaren — "Masse" der Menschen gegenüber den individuellen, "historischen" Persönlichkeiten. Die heutige Geschichtswissenschaft interessiert sich darüber hinaus für Themen, die früher als wenig geschichtsrelevant galten: anthropologische Konstanten und Wandlungen, Vorstellungen und Mentalitäten der Menschen, Lebensformen und Lebensgestaltung, menschliches Verhalten im Alltag, demographische, natürliche, strukturelle und kulturelle Bedingungen menschlichen Lebens. Ihr ist — und damit ist sie wiederum ein Spiegelbild unserer heutigen Gesellschaft, die eine Vielzahl von historisch relevanten Faktoren anerkennt — in der Geschichte all das wichtig, das frühere Zeiten zu charakterisieren vermag und uns interessiert; ihr sind daher grundsätzlich alle Menschen von Belang, weil sie in solch umfassender Sicht auf ihre Weise zur

2

LERNER, Majority (wie Anm. 1), deren Kapitelüberschriften ich hier zitiert habe.

16

Investigatio historiae feminarum

historischen Kenntnis beitragen (und zudem für die Masse der Menschen mehr für eine historische Identifikation zu leisten vermögen als Könige und Fürsten). In einer solchen Geschichtsanschauung aber haben die Frauen nicht nur einen unbestreitbar festen, sondern einen notwendig bedeutsamen Platz. Hingegen ist es bestreitbar, daß, wie man gemeint hat, Frauenge schichte an sich die traditionelle Quellenbasis sprengt und einen Paradigmenwechsel fordert,3 sie ordnet sich vielmehr in einen bereits erfolgten Perspektivenwandel ein. "Frauengeschichte" definiert sich aber nicht nur — noch relativ unproblematisch — von ihrem Gegenstand, sondern auch von dem damit verbundenen gesellschaftspolitischen Anspruch und von der inneren Einstellung der Forscher/innen zum Thema her. Geschichtswissenschaft ist schließlich kein Selbstzweck, sondern dient zeitgemäßen Belangen (auch die mittelalterliche Geschichte!). Nachdem geschichtstheoretische und geschichtsdidaktische Reflexionen der letzten Jahrzehnte uns das Verhältnis historischer Fragen zu den Bedürfnissen unserer eigenen Zeit und damit den engen Bezug zwischen Vergangenheitsbetrachtung und Gegenwart, zwischen (vergangener) "Geschichte" und (gegenwärtigem) "Geschichtsbild", bewußter gemacht und die Gegenwarts- und Standortgebundenheit unseres Geschichtsbildes aufgedeckt haben, liegt es auf der Hand, in der — zunächst von (engagierten) Frauen — vorangetriebenen Forderung nach einer "Frauengeschichte" die Bedürfnisse heutiger Frauen wiederzuerkennen, sich mit ihrer Geschichte zu befassen: Frauengeschichte liegt im Interesse der Frauen als einer durch das Geschlecht geprägten Gruppe an ihrer Vergangenheit. Das hat ideologische Hintergründe. Wie eine "Alltagsgeschichte" kaum zufällig Kennzeichen einer Zeit ist, in der einerseits Zweifel nicht nur am Obrigkeitsstaat, sondern am Verhältnis des einzelnen zum Staat und zum Politischen überhaupt artikuliert werden und in der sich die politische Betätigung andererseits nicht auf die Regierenden beschränkt, sondern jeden Bürger — und das nicht nur als Wähler — einschließt, so ist auch die "Frauengeschichte" einer Zeit entwachsen, die eine Gleichstellung und Gleichberechtigung der Frauen auf allen Ebenen anstrebt: Geschichtswissenschaftlich steht "Frauengeschichte" im Kontext der Frage nach der jeweils eigenen Geschichte, gesellschaftspolitisch aber ordnet sie sich in den Zusammenhang einer voranzutreibenden Emanzipation und einer — historischen — Identitätsfindung oder Identitätsbestätigung ein. Das ist ein legitimes Bündnis, das — wissenschaftlich betrieben — freilich nicht die methodisch akribische Prüfung der Quellen und der möglichen Quellenaussagen behindern und differenzierte, der untersuchten Ver-

3

So LERNER, Majority (wie Aran. 1) Kap. 4 und 7.

Frauengeschichte als Forschungsaufgabe

17

gangenheit angemessene Interpretationen beeinträchtigen darf. Den feministischkämpferischen Zug der frühen Frauengeschichte, die, zweifellos und heute allseits anerkannt, manche vorschnellen und überzogenen Thesen in die Diskussion einbrachte, mag man aus solcher Sicht als eine notwendige Phase deuten, um eine Kritik herauszufordern und die Bedeutung des Anliegens durch die sich anschließende Diskussion überhaupt erst allgemein bewußt zu machen. Zumindest das scheint, trotz mancher, teilweise verständlicher Reaktionen der Abwehr, die sich nicht nur — unberechtigt — gegen die Sache, sondern auch — zu Recht — gegen aggressive und bei näherer Betrachtung unhaltbare Thesen und Argumente richteten, inzwischen doch weithin gelungen zu sein, ohne daß es bereits zu einem alle Seiten zufriedenstellenden Ergebnis oder gar einer einhelligen Einschätzung gekommen wäre. Vorbehalte gegen eine "Frauengeschichte" sind unter Historikern immer noch verbreitet. Diese hat sich der Sache und dem Inhalt nach jedoch soweit etabliert, daß unverbesserliche Zweifler — allmählich — Gefahr laufen, zu einer vernachlässigungsfähigen Minderheit zu werden. Der heutigen Fmuengeschichte geht es im übrigen längst nicht mehr allein um das Auffinden historischer Identifikationsfiguren, sondern um die wissenschaftliche Analyse von Art und Umfang der Teilhabe der Frauen an der Geschichte.4 Nun gibt es jedoch immer wieder Forderungen, die wiederum den Gepflogenheiten der modernen Geschichtswissenschaft ebenso entsprechen wie einer gewissen Entdeckerfreude, nämlich die Frauen nicht nur als einen wichtigen Inhalt der Geschichte, Frauengeschichte als ein neues "Teilgebiet" der Geschichtswissenschaft, sondern das Geschlecht als die entscheidende Kategorie zu werten und die gesamte Geschichte unter dieser Perspektive zu betrachten. "Frauengeschichte" wird damit zu einer "Geschlechtergeschichte" ausgeweitet, die das Verhältnis von Männern und Frauen bzw., weiter gefaßt, von Männlichem und Weiblichem im historischen Verlauf thematisiert.5 Das ist als Ergänzung zu begrüßen, weil es unser Geschichtsbild noch einmal entscheidend erweitert, als ausschließliche Alternative zur bisherigen Forschung aber weder sinnvoll noch wünschenswert. Es bleibt vielmehr zu hoffen, daß die Geschichtswissenschaft die in den letzten Jahrzehnten (sicherlich aus einer

4

So Claudia OPITZ, Emanzipiert oder marginalisiert? Witwen in der Gesellschaft des späten Mittelalters, in: Auf der Suche nach der Frau im Mittelalter. Fragen, Quellen, Antworten, hg. v. Bea Lundt, München 1991, S. 25-48, hier S. 30 und 45.

5

Zur kriüschen Diskussion um Leistung und Wert einer Geschlechtergeschichte, auch in Abgrenzung zur Frauengeschichte, vgl. Sonya O. ROSE, Gender History/Women's History: Is Feminist Scholarship Losing its Critical Edge? Journal of Women's History 5,1993, S. 89-101; mit Kommentaren von Kathleen CANNING, Anna CLARK, Mariana VALVERDE und Marcia R. SAWYER, ebd. S. 102-128.

18

Investigatio historiae feminarum

geschichtsphilosophischen Unsicherheit heraus) errungene Offenheit gegenüber einer Vielfalt unterschiedlicher Perspektiven und Betrachtungsweisen bewahrt. Geschlecht und Geschlechtlichkeit bilden in diesem Spektrum wichtige historische Kategorien, die, gerade weil sie so lange vernachlässigt wurden, eine gewaltige Bereicherung unseres Wissens bereithalten.

2. Frauen- und Geschlechtergeschichte als Ansatz der Geschichtswissenschaft: Methodische Vorbemerkungen Eine neue Disziplin experimentiert zwangsläufig noch mit ihrem methodischen Gerüst. Im Rahmen der Geschichtswissenschaft

aber sind an die Frauengeschichte

entsprechende methodische Forderungen zu stellen, um sie allseits akzeptabel zu machen. Es ist daher ratsam, sich vorab etwas gründlicher mit den methodologischen Prämissen zu befassen, die auch den inhaltlichen Kapiteln dieses Buches zugrundeliegen und in acht "Leitsätzen" die geschichtstheoretischen Überzeugungen des Autors offenlegen mögen, denn bekanntlich verlangt gerade ein noch umstrittener Gegenstand nach theoretischer Reflexion.6 (1) Frauengeschichte

ist Teil der Geschichtswissenschaft

und damit deren

Methoden verpflichtet. Diese an sich selbstverständliche Forderung erhält hier eine besondere Brisanz, weil das Thema einerseits komplex und quellenmäßig oft nur schwer zu erfassen ist — darauf ist gleich noch näher einzugehen — und andererseits eine bewußt feministische Geschichtswissenschaft mit eigenen ("weiblichen") Herangehensweisen postuliert worden ist. Es ist zweifellos richtig, daß die Frauengeschichte die Mittelalterforschung bereichert, und es mag sein, daß sie damit das Publikum erweitert,7 doch sie würde geschichtswissenschaftliche Bahnen verlassen, wenn sie "ein vollständig neues System von Forschungsfragen, -methoden und -diskussionen" schaffte. 8 Wenn die Forderung nach einer feministischen Geschichtswissenschaft mit dem "anderen Blick" der Frauen begründet wird,9 so ist das in bezug auf die eigenen Bedürfnissen entwachsenen, neuen Fragestellungen,

6

7 8 9

Es geht mir nicht darum, Frauenforschung insgesamt zu charakterisieren (vgl. dazu SCHMIDT, wie Anm. 1), sondern geschichtswissenschaftliche Grundsätze in Erinnerung zu rufen, die nicht immer genügend beachtet werden. So Judith M. BENNETT, Medievalism and Feminism, Speculum 68, 1993, S. 309-331, hier S. 330. So ebd. S. 327. Vgl. OPITZ, Der andere Blick; FREVERT (beide wie Anm. 1).

Frauengeschichte als Forschungsaufgabe

19

Inhalte und Perspektiven nicht nur legitim, sondern ausdrücklich zu begrüßen, in bezug auf eine andere, geschlechtsspezifische wissenschaftliche Methode aber abzulehnen. (Zumindest müßte eine solche erst bewiesen werden.) Frauengeschichte eröffnet zweifellos eine neue Sichtweise, die aber nicht aus dem "weiblichen Blick", sondern aus einem gewandelten Interesse und Bewußtsein resultiert (sonst hätte es sie schon längst geben müssen). Die Inanspruchnahme des "anderen Blicks" der Frauen (dessen Existenz und fruchtbringende Erweiterung des Frage- und Interpretationsspektrums gar nicht bestritten werden soll), birgt zwei Gefahren in sich: über der Klassifizierung als "weiblich" und "männlich" nicht minder wichtige individuelle Unterschiede und anderweitige, geschlechtsübergreifende Vorprägungen zu vernachlässigen und, trotz des Wissens darum, daß "gender" eine historische Kategorie ist,10 zu verkennen, daß solche geschlechtsspezifischen Unterschiede in erster Linie wohl nicht biologisch bedingt, sondern, zumindest in erheblichem Maß, durch Sozialisation anerzogen und damit zeitverhaftet sind. Ist das richtig, so würde die Berufung darauf letztlich also — nun mit umgekehrten Bewertungen und selbstbewußter Identifikation — nur die traditionelle Lehre von der Geschlechterdifferenz und dieselben Nonnen als geschlechtsspezifisch fortschreiben, gegen die man sich zu Recht als die Bewegungsfreiheit der Frauen einengend wenden will. Es gilt also, sich bewußt zu machen, daß mit dem "weiblichen Blick" tatsächlich nur die Sichtweise heutiger Frauen gemeint ist und daß diese ihrerseits soziale und historische Entstehungsursachen besitzt. (2) Frauengeschichte ist wie jede Geschichte zeitspezifisch. Ihr Ziel kann es daher nicht sein, einen gleichbleibenden, gemeinsamen Zug in der historischen Situation der Frauen aufzuzeigen, sei es, daß man deren Abhängigkeit und Minderstellung in allen früheren Phasen der Vergangenheit betonen oder umgekehrt allseits vorhandene Ansätze zu einer Emanzipation schon in früheren Zeiten nachweisen möchte. Wenn Gerda Lerner weibliches Bewußtsein "as the awareness of women that they belong to a subordinate sex" definiert," so ist der Zugang zu einer zeitgemäß offenen Deutung verbaut, auch wenn sie diese Beschreibung nur auf patriarchale Gesellschaften bezieht. "Weibliches Bewußtsein" besagt zunächst nicht mehr, als daß sich Frauen ihrer eigenen, geschlechtsbedingten Qualitäten bewußt werden. Alles Nähere variiert in einzelnen Gruppen und Zeiten. Der Sinn der "Frauengeschichte" sollte deshalb darin liegen, die Historizität, die Zeitgebunden-

10 Vgl. etwa Genevifeve FRAISSE, Über die Geschichtlichkeit der Geschlechterdifferenz, Die Philosophin 7, 1993, S. 19-22. 11 LERNER, Creaüon (wie Anm. 1) S. 14.

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Investigatio historiae feminarum

heit, früherer Frauen und ihrer Situation zu erkennen und im gesamtgesellschaftlichen Kontext zu beschreiben. Das wird heute weithin anerkannt. Eine zeitgemäße Interpretation erfordert freilich gründliche Kenntnisse der historischen Verhältnisse und erklärt manche frühen Fehlurteile, deren Urhebern — oft Anfängerinnen auf dem Gebiet der Forschung — entweder ein solches Wissen abging oder die den zugrundeliegenden zeißpezifischen Bedingungen zu wenig Aufmerksamkeit schenkten. Das mag hier exemplarisch an wenigen Beispielen verdeutlicht werden. Wenn Vito Fumagalli aus einer Stelle Odos von Cluny schließt, dieser wende sich gegen die Schönheit der Frauen, deren dünne Hülle (die Haut) nur Schleim und abstoßende Körpersäfte verdecke,12 so vernachlässigt eine solche Verallgemeinerung das dahinter stehende asketische Ideal des cluniazensischen Mönchs, der sich grundsätzlich gegen jede übertriebene Verehrung des Äußerlichen wendet. Wenn Gerda Lerner zu Recht feststellt, daß es im früheren Mittelalter wenige gebildete Frauen gab, so relativiert sich eine solche Aussage vor dem Wissen, daß auch die Masse der Männer ungebildet war.13 Ihre These von der Benachteiligung der Frauen in der Bildung in patriarchalen Gesellschaften ist für das frühe Mittelalter kaum haltbar. Wenn sie die Frauenmystik als "alternate mode of thought to patriarchal thinking" wertet,14 dann bedarf es noch der näheren Überprüfung, wieweit die Mystik sich tatsächlich vom patristisch-theologischen Gedankengut entfernt und wieweit Frauen darin eine besondere Position beziehen. Wenn Suzanne Fonay Wemple das Klosterleben vieler Frauen als Flucht aus der Ehe und vor dem Mann deutet,15 so dürfte es ihr schwerfallen, die große Zahl der Mönche zu erklären. Die Übertragung einer angeblich "weiblichen" (tatsächlich zeitgebundenen) Perspektive bzw. — denn das liegt hier eigentlich vor — gegenwärtiger (Vor-)Urteile und Verständnisse auf frühere Zeiten und andere Kulturen führt ohne gründliche Prüfung der Anwendbarkeit ebenso in die Irre wie beispielsweise die unkritische Anwendung soziologischer Theorien auf vorindustrielle Epochen. (3) Der Vorwurf, die frühere Geschichtswissenschaft habe die Frauen weitgehend aus ihrer Betrachtung ausgeklammert, ist berechtigt. Dieser Mangel macht eine "Frauengeschichte" nicht nur sinnvoll, sondern geradezu notwendig. Der Vorwurf, die bisherige Geschichtsschreibung gehe von strikt männlich orientierten und damit

12 Vito FUMAGALLI, Wenn der Himmel sich verdunkelt. Lebensgefühl im Mittelalter, Berlin 1988, S. 53f. 13 LERNER, Creation (wie Anm. 1) Kapitel 1. 14 Ebd. S. 77. 15 WEMPLE, Women (wie Anm. 1/79) S. 190f. Näheres dazu unten S. 105f.

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einseitig falschen Kriterien aus, weist zu Recht auf einen wesentlichen Aspekt der Standortgebundenheit der Historiker hin und sollte daher gebührend reflektiert werden, er überbetont hingegen ein Element aus einer Vielzahl von Faktoren, welche die Geschichtswissenschaft bestimmen, die keineswegs nur männlich geprägt war. Umgekehrt ist die männlich-arrogante Zurückweisung eines solchen Vorwurfs mit dem Hinweis, die bisherige Geschichtswissenschaft habe Geschichte geschlechtsneutral betrachtet, nicht weniger vorschnell, da es bekanntlich keine wirklich "neutrale" Geschichtswissenschaft gibt. Der Gegenvorwurf, feministische Geschichtswissenschaft sei subjektiv, ist zwar richtig, jedoch gar nicht strittig und entlastet keinesfalls von der Pflicht, die eigene Subjektivität (einer männerorientierten Geschichtsschreibung) zu hinterfragen. Die gegenseitigen Vorwürfe gehören einer politischen oder allenfalls wissenschaftspolitischen Ebene an. Geschichtswissenschaftlich, also methodisch, ist die Geschichtsschreibung hingegen auf ihr Geschlechtsgeprägtsein hin zu analysieren (das wäre eine sinnvolle Aufgabe der Geschichtsdidaktik). Es wäre also jeweils zu prüfen, wieweit die frühere, sich selbst als objektiv verstehende Geschichtsschreibung tatsächlich (auch) "maskulistisch" bestimmt war. Auch das darf aber nicht allein nach den Normen des heutigen Denkens bewertet werden, denn gerade solche Normen sind ideologiekritisch an der Geschichte zu überprüfen. (4) Frauengeschichte ist Geschichte über Frauen (als Forschungsobjekte), nicht aber Geschichte ausschließlich von und für Frauen (als forschende Subjekte und Rezipienten), sondern eine für alle Menschen wichtige historische Disziplin und Perspektive. Es ist also grundsätzlich zwischen Forschungsgegenstand und Forschung Betreibenden, zwischen "Frauengeschichte" und "feministischer Geschichtswissenschaft" zu unterscheiden (was leider viel zu selten beachtet wird). Bisher wird Frauengeschichte — verständlicherweise — noch fast ausschließlich von (engagierten) Frauen betrieben, und nur diesem Engagement ist es überhaupt zu verdanken, wenn der Gegenstand ins Bewußtsein gerückt ist. Das gerät aber zum Nachteil und zur Einseitigkeit, wenn die Frauengeschichte sich zu einem Exklusivthema der Historikeriwze« ausgestalten sollte. Wie es zweifellos zu Erkenntnisfortschritten in der Mönchs- und Ordensgeschichtsschreibung geführt hat, daß sich seit einiger Zeit auch Laien-Historiker mit diesem Gegenstand befassen (denen vielleicht das innerliche Verständnis, auf der anderen Seite aber auch ein verklärender Enthusiasmus fehlt), so ist auch der Frauengeschichte ein Fortschritt durch intersexualen Dialog zu wünschen, der allein jeweils einseitig standortgebundener Befangenheit entgegenzuwirken vermag. Die hier — nicht zum ersten Mal — erhobene Forderung, daß

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Frauengeschichte von Frauen und Männern zu betreiben wäre,16 richtet sich allerdings nicht nur gegen anfängliche, allmählich nachlassende Bestrebungen von Historikerinnen, zunächst unter sich zu bleiben, sondern — weit mehr noch — gegen die Zurückhaltung der meisten Historiker, in diese Diskussion einzugreifen. Das zu ändern, wäre nicht nur im Blick auf eine pluralistische Sicht, sondern auch deshalb notwendig, um die Ergebnisse der historischen Frauenforschung — je nach individuellen Forschungsschwerpunkten — in ihren jeweiligen historischen Kontext einzuordnen. Denn: (5) Auch inhaltlich läßt sich "Frauengeschichte" nicht von der "übrigen" Geschichte isolieren. Einmal heben sich geschlechtsspezifische Besonderheiten in der Geschichte der Frauen erst im Vergleich mit der gleichzeitigen Situation der Männer ab. Zum andern sind wechselseitige Beziehungen zwischen den Geschlechtern zu untersuchen. Das ist jedoch nur vor dem Hintergrund der strukturellen Rahmenbedingungen sinnvoll. Die Frage nach den Frauen in der Geschichte ist daher stets auch eine Frage nach der Gesellschaft an sich. Frauengeschichte erweitert sich in solchem Rahmen zwangsläufig zur Geschlechtergeschichte, die die Geschichte von Frauen und Männern nicht nur konfrontierend vergleicht, sondern darüber hinaus und vor allem in den gesamthistorischen Kontext stellt. (6) Die Zeitgebundenheit des geschlechtergeschichtlichen Ansatzes muß aber noch in anderer Hinsicht vor einer unkritischen Übertragung auf frühere Zeiten warnen: Das heute zumindest in Teilen zu beobachtende Phänomen, daß Frauen sich in gewissen Zusammenhängen und Situationen um ihres Geschlechtes willen über Partei- und "Standes"grenzen hinweg als eine solidarische Gruppe fühlen können, darf nicht ungeprüft als auch in der Vergangenheit gültig vorausgesetzt werden. Vielmehr ist mit mannigfaltigen Differenzierungen zu rechnen: Es gibt keine Geschichte "der" Frau, sondern nur eine Geschichte der Frauen verschiedener Stände, Schichten und Gruppen. (Während das für "den" Mann längst anerkannt ist, werden Frauen oft immer noch als eine einheitliche soziale Gruppe betrachtet.) Die Feststellung spielt aber nicht nur auf das Problem der historischen Verallgemeinerung — im Sinne der "Idealtypen" Max Webers — an, sondern stellt weit grundsätzlicher in Frage, wieweit das Geschlecht in früheren Zeiten überhaupt schon als vorrangiges oder auch nur mögliches Unterscheidungskriterium erkannt worden ist bzw. welche anderen Kriterien als bedeutsamer empfunden worden sind. Das ist an

16 Vgl. Werner AFFELDT, Lebensformen für Frauen im Frühmittelalter. Probleme und Perspektiven ihrer Erforschung, in: Weiblichkeit in geschichtlicher Perspektive (wie Anm. 1) S. 51-78, hier S. 51f.

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jeder Gesellschaft neu zu überprüfen. Schließlich waren die Frauen in vielfältige Strukturen eingebunden, die die geschlechtlichen überlagerten und eventuell an Bedeutung weit übertrafen. Die mittelalterliche Frau war beispielsweise Adlige oder Nichtadlige, Freie oder Hörige, Hofdame oder Bäuerin, Ehefrau oder Nonne, Mutter oder kinderlos, jung oder alt, gebildet oder ungebildet... Solche Differenzierungen, die sich ihrerseits ständig überschneiden, ließen sich noch lange fortführen. Dabei ist es durchaus denkbar, daß Männer und Frauen einer Gruppe sich durch gemeinsame Vorstellungen und Normen von anderen abheben. Eine moderne Frauengeschichte muß solchen Unterschieden Rechnung tragen und die Frauen differenziert in ihrer jeweiligen Lebenswelt betrachten, die von vielen Faktoren bestimmt ist:17 vom Raum, vom Stand, von den politisch-rechtlichen wie sozioökonomischen Strukturen, nicht minder aber von gesellschaftlichen und religiösen Normen sowie von zeit- und gruppenspezifischen wie auch individuellen Vorstellungen, Mentalitäten und Weltbildern, die ebenfalls jeweils zeitgemäß variieren. Die Geschichte der Frauen ist daher nicht nur in die historischen Situationen und strukturgeschichtlichen Bedingungen der jeweiligen Epoche einzuordnen, sondern auch auf die damaligen Maßstäbe und Bewertungen hin zu befragen. (7) Aus alldem ergibt sich, daß "Frauengeschichte" als ein vielschichtiges und komplexes historisches Thema zu verstehen ist. "Frauengeschichte" ist kein klar abgrenzbares "Teilgebiet" der Geschichtswissenschaft im traditionellen Sinn, das neben die übrigen träte, sie besitzt vielmehr ihrerseits eine politische, eine rechtliche, eine verfassungsgeschichtliche, eine sozialgeschichtliche, eine wirtschaftsgeschichtliche, eine geistesgeschichtliche, eine kulturgeschichtliche, eine kirchengeschichtliche sowie — im Zuge neuerer Fragestellungen — eine alltags- und mentalitätsgeschichtliche Dimension, sie umfaßt strukturelle wie ereignishafte Phänomene und beinhaltet Fragen nach der Stellung der Frauen ebenso wie der Einstellung der Frauen und der Einstellung gegenüber Frauen. Solche Aspekte sollten in mancherlei Hinsicht übereinstimmen, wenn sie als zeittypisch gelten wollen; sie können aber auch auseinanderfallen und enthüllen dann die Spannungen in einer

17 Werner AFFELDT, Frühmittelalter und Historische Frauenforschung, in: Frauen in der Geschichte VII: Interdisziplinäre Studien zur Geschichte der Frauen im Frühmittelalter. Methoden — Probleme — Ergebnisse, hg. v. Werner Affeldt und Annette Kuhn (Geschichtsdidaktik. Studien. Materialien 39) Düsseldorf 1986, S. 10-30, hier S. 24f„ und DERS., Lebensformen (wie Anm. 16) S. 63f., fordert zu Recht eine Differenzierung nach — sozialer Schicht und — Rechtsstellung, — Tätigkeitsbereich (Lebensformen), — Lebenszyklus, — Zeit und — Region.

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Gesellschaft. (8) Schließlich erfordert eine Frauengeschichte die gründliche Kritik und Analyse der Quellen. Diese selbstverständliche Forderung gewinnt im frühen Mittelalter ein besonderes Gewicht, weil die Quellen18 in aller Regel von Männern, und zwar von Geistlichen und Mönchen, erstellt — wir besitzen insgesamt nur wenige Selbstäußerungen von Frauen — und weil sie sämtlich nicht mit der Absicht verfaßt worden sind, "Frauengeschichte" zu schreiben, so daß die gebotenen Nachrichten vor dem Hintergrund der eigentlichen Absicht der erhaltenen Zeugnisse zu interpretieren sind. Dieses Problem hat die Frauengeschichte mit allen modernen Themen gemeinsam, die nicht im besonderen Interesse mittelalterlicher Quellen lagen: mit der Geschichte der Bauern ebenso wie mit der Geschichte des Alltags und der Mentalitäten. Es betrifft die individuelle Tendenz der Einzelquelle ebenso wie die übereinstimmenden Intentionen bestimmter Quellensorten oder -gattungen. Deren spezifischer Aussagewert bezüglich der Situation der Frauen ist daher stets abzuklären. In diesem Zusammenhang kann es methodisch durchaus sinnvoll sein, zunächst die Aussagen einzelner Quellengattungen für sich zu betrachten und die Ergebnisse erst anschließend miteinander zu vergleichen. Vor dem skizzierten methodischen Hintergrund läßt sich der Standort einer Frauenund Geschlechtergeschichte in der heutigen Geschichtswissenschaft zusammenfassend klarer beurteilen: — Den Bedürfnissen heutiger Geschichtswissenschaft zufolge ist das Geschlecht als eine wichtige historische Kategorie anzuerkennen. Begehen wir also nicht den Fehler, es aus unserem Geschichtsbild auszuklammern, wie das lange Zeit geschehen ist — Das Geschlecht bildet aber nur eine historische Kategorie. Begehen wir daher nicht den Fehler, es grundsätzlich für das wichtigste oder gar das einzig wichtige Kriterium zu halten. Eine solche Entscheidung ist zeitgemäß denkbar und möglicherweise sogar einmal durchsetzbar, wäre dann aber eine vorwissenschaftlichideologische Überzeugung und nicht ein wissenschaftsmethodisch bewiesener Grundsatz. Die unreflektierte Übertragung einer solchen Prämisse, das Geschlecht als die wichtigste historische Kategorie anzusehen, auf die Vergangenheit, aber wäre schlichtweg falsch, weil dieser Zustand auf frühere Zeiten in der Regel eben nicht zutraf. Zumindest wäre die Haltbarkeit dieser Annahme jeweils zu prüfen. Die

18 Zur Quellenlage vgl. AFFELDT, Lebensformen (wie Anm. 16) S. 55ff.

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"Frauengeschichte" darf über allem Bedürfnis nach Abgrenzung im übrigen nicht die zweifellos vorhandenen Gemeinsamkeiten beider Geschlechter verdecken. (Auch Männer sind Menschen.) — Geschlecht und Geschlechtsbindung sind keine biologischen Konstanten, sondern historische Kategorien und daher Bestandteil zeitspezifischer, sich wandelnder Strukturen und Werte. Begehen wir also nicht den Fehler, sie aus ihrem komplexen, historischen Kontext lösen zu wollen, ohne den sie weder verständlich noch geschichtswissenschaftlich geläutert wären.

3. Zu Inhalt und Struktur der nachfolgenden Kapitel Eine den Wandel gebührend berücksichtigende Frauengeschichte wird Veränderungen in der Situation der Frauen über die Jahrhunderte hinweg feststellen und von ihren historischen Bedingungen her analysieren und deuten. Um der Geschlossenheit und Vergleichbarkeit willen empfehlen sich als Voraussetzung zu zeitlich und kulturell übergreifenden Studien zunächst aber zeitspezifische Untersuchungen bestimmter Epochen unter Berücksichtigung räumlicher Unterschiede; sie rücken weniger die Entwicklung als vielmehr die Zeitverhaftetheit in den Mittelpunkt des Interesses. Diesem Ziel ist das vorliegende Buch gewidmet. Es beschränkt sich zeitlich und räumlich im wesentlichen, mit vergleichenden Blicken nach außen, auf das frühmittelalterliche Frankenreich zur Zeit der Merowinger und (mehr noch) der Karolinger. Selbstverständlich ist auch in diesem Zeitraum von immerhin rund vier Jahrhunderten (500-900 n.Chr.) mit Entwicklungen und räumlichen Differenzierungen zu rechnen, die nicht negiert werden dürfen, hier jedoch nicht im Mittelpunkt stehen. Es wird auch nicht der Versuch einer Synthese der Geschichte der Frauen im frühen Mittelalter angestrebt, obwohl bereits verschiedene Ansätze dieser Art vorliegen, sondern lediglich eine forschungsorientierte Analyse einzelner, aufeinander bezogener Problemfelder geboten, die in neun thematisch orientierten Kapiteln (Kapitel 2 bis 10) ausgewählte, noch nicht oder nicht hinreichend behandelte Aspekte beleuchten und die Situation der Frauen von jeweils verschiedenen Perspektiven, Ansätzen und Inhalten her sowie unter Berücksichtigung der Sichtund Darstellungsweise bestimmter Quellenarten erforschen (und zwangsläufig anderes vernachlässigen). Der Zeitgebundenheit werden am ehesten Forschungen gerecht, die sich mit den damaligen Normen und Anschauungen befassen, ohne deren Kenntnis wir ständigen Fehlurteilen erliegen würden. Deshalb werden im Mittelpunkt der folgenden Unter-

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suchungen einerseits und vor allem die vorstellungsgeschichtlichen Grundlagen stehen, also die Vorstellung, die die Verfasser der Quellen sich von den Frauen machte(n) bzw., soweit in Ansätzen erfaßbar, die Frage, wie diese sich selbst gesehen haben (das "Frauenbild"). Diese Thematik zieht sich wie ein roter Faden durch die einzelnen Kapitel, die das Frauenbild von verschiedenen inhaltlichen Aspekten her, an unterschiedlichem Quellenmaterial oder in wechselnden gesellschaftlichen Ständen oder Gruppen betrachten. Erst die Erarbeitung der damaligen Sichtweise und der damaligen Normen kann uns heute zu einem einsichtsvollen Verständnis der mittelalterlichen Zustände, vor allem aber der Menschen, ihrer Wertungen, Denk- und Verhaltensweisen geleiten. Dabei kommen Erwartungen, Wünsche, Ideale in den Blick, die hinter den Quellenaussagen stehen, die aber — und auch das soll deutlich werden — nicht oder nicht unbedingt der "historischen Realität" entsprochen haben, mit der sie vielmehr zu konfrontieren sind. Das Frauenbild ist zwar selbst insoweit ein Stück historischer Wirklichkeit, als es die damaligen menschlichen Vorstellungen und Anschauungen über die Frauen widerspiegelt, es ist aber noch nicht die historische Realität, sondern bildet die geistigen Normen und Reflexionen ab, in deren Rahmen sich feminine Existenz "vollzog". Deshalb ist hier andererseits als struktureller Hintergrund die konkrete Lebensgestaltung in bestimmten sozialen Bereichen und auf verschiedenen Ebenen zu untersuchen (das "Frauenleben"). Die folgenden Beiträge wollen auch dieses Wechselspiel geistiger und materieller Faktoren deutlich machen; sie berühren mentalitätsund alltagsgeschichtliche Ansätze. Auf diese Weise lassen sich (damalige) Theorie und Praxis, (geistige) Norm und (faktische) Wirklichkeit miteinander konfrontieren. Um die nötige quellenkritische Umsicht zu bewahren, sind die thematisch ausgerichteten Kapitel vornehmlich an bestimmte Quellen und Quellengruppen gebunden, ein jeweils vorgenommener Vergleich mit anderen Quellen mag einer dadurch bedingten Einseitigkeit entgegenwirken. Zur Orientierung ist in einem ersten Kapitel ("Historiographia feminarum") ein Überblick über die bisherigen Forschungen und Forschungsperspektiven zur Geschichte der Frauen im frühen Mittelalter vorangestellt, an der sich die folgenden Studien messen lassen. Ein zweites Kapitel ("Eva") untersucht die zeitgenössische Sicht und Auffassung von der "Ur-Frau" in der Darstellung der bislang noch nicht systematisch ausgewerteten, aber aussagekräftigen theologischen Bibelexegese und stellt die Frage, wieweit sich hinter dem Evabild das Bild "der" Frau schlechthin verbirgt. Ein drittes Kapitel ("Sanctimonialis") betrachtet einen — erstaunlicherweise ebenfalls noch nicht systematisch abgehandelten — Gegenpol zur sündigen Eva: die Heilige bzw. die institutionell fromm lebende Frau, die Nonne, anhand des

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Heiligen- und Frauenbildes fränkischer Heiligenviten. Mit der Nonne gerät die wichtigste religiöse Lebensform, mit der Heiligen zugleich der asketische "Sonderfall" des religiösen Frauenlebens in den Blick. Das Frauenbild wird hier folglich sowohl in seiner geistlichen Erscheinungsform wie in seiner religiösen Idealität erfaßt. Dem weltlichen Gegenstück dazu, dem Eheleben, sind Kapitel 4 ("Matrimonium") und 5 ("Uxor") gewidmet, die nach den Vorstellungen von der Ehe in theologischen Traktaten und, vor diesem theoretischen Hintergrund, nach den konkreten Möglichkeiten der Lebensgestaltung von Ehefrauen fragen und damit das Geschlechterverhältnis in der engsten Gemeinschaft überhaupt, im familiären Rahmen, untersuchen. Kapitel 6 ("Rustica") widmet sich dann einer schichtenspezifischen, weltlichen Lebensform, nämlich der bäuerlichen im Rahmen der Grundherrschaft, und betrachtet Stellung, Funktion und körperliche Arbeit der Hufenbäuerinnen, und zwar vornehmlich im Spiegel grundherrschaftlicher Urbare und Urkunden. (Auf eine Darstellung des Gegenpols, der Königinnen und adligen Frauen, wurde verzichtet, weil darüber bereits hinreichende Untersuchungen vorliegen oder im Entstehen begriffen sind.) Kapitel 7 ("Imagines feminarum") betritt, wenn nicht methodisches, so doch inhaltliches Neuland und behandelt die Frau "im Bild" des frühen Mittelalters: Es konfrontiert die zuvor vornehmlich betrachtete Wahrnehmung der Frauen in der schriftlichen Überlieferung mit der Aussage bildlicher Quellen. Die restlichen Kapitel zielen ganz auf Wahrnehmung und Selbstwahrnehmung der Frauen ab. Kapitel 8 ("Speculum feminarum") wendet sich kurz der zeitgenössischen Erwartungshaltung zu und stellt die Aussagen darüber zusammen, was die damalige — kirchlich und männlich geprägte — Gesellschaft von "den" Frauen (als Frauen) erhoffte und wie sie deren Verhalten und Denken normierte. Kapitel 9 ("Fragiiis sexus vilis mulieris") prüft, im Anschluß daran, wie sich die Frauen selbst gegenüber solchen Erwartungen und Normen verhielten, und unternimmt den Versuch, die wenigen Quellenbelege nach der Selbstwahrnehmung der Frauen zu befragen. Ein zehntes Kapitel ("Auctrix") wendet sich in solcher Perspektive den geistigen Aktivitäten, nämlich den schreibenden Frauen zu, um, am Beispiel ihrer Briefe, deren Schriften nach typischen Inhalten, Interessen und Wahrnehmungen zu befragen." Die betrachteten Aspekte sind nicht sämtlich neu, hier aber stärker in einem kohärenten Zusammenhang betrachtet (Kapitel 3, 4, 5, 6) oder erstmals systematisch aufgearbeitet (Kapitel 2, 10) oder

19 Ein Kapitel zur exemplarischen Erfassung der Frauennamen unter geschlechtergeschichtlicher Perspektive wurde aus Gründen des Umfangs fortgelassen. Es wird gesondert in der Zeitschrift "Francia" erscheinen.

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versuchsweise angetastet (Kapitel 7, 8, 9). Die disparaten Gegenstände werden durch die skizzierten, übergreifenden Fragestellungen zusammengehalten. Ein resümierendes Schlußkapitel ("Feminae altomediaevales") wagt deshalb den Versuch einer ersten Synthese der Einzelbetrachtungen und einer Zusammenschau von Frauenbild und Frauenleben, um einer differenzierteren Charakterisierung frühmittelalterlicher Frauen näherzukommen und ein zumindest ansatzweise geschlosseneres Bild der Lage der Frauen in der frühmittelalterlichen Gesellschaft in geistiger wie in materieller Hinsicht zu vermitteln. Sämtliche Kapitel verstehen sich als Ergebnisse quellennaher Analysen, in die die bisherigen Forschungsergebnisse einbezogen sind. Mit den angekündigten, jeweils an bestimmten Quellenarten untersuchten Themen sind trotz eines gar nicht mehr so desolaten Forschungsstandes zweifellos erst einzelne (weitere) "Bausteine" des frühmittelalterlichen Frauenbildes und Frauenlebens erfaßt, die, wie bislang schon in einigen neueren Dissertationen und Aufsätzen, von anderer Seite und aus anderen Quellen, aber auch durch eine gründlichere Behandlung der Einzelbelege zu kontrollieren und zu ergänzen wären. Kein Kapitel erhebt den Anspruch, abschließende Ergebnisse zu präsentieren, jedes ist ausbaufähig (wozu hier ausdrücklich ermuntert sei). Die Analysen sind vielmehr dazu gedacht, exemplarisch ein Spektrum möglicher Fragestellungen und Herangehensweisen vorzuführen, Frauen des frühen Mittelalters, ebenso quellennah wie quellenkritisch, aus unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten. Über die Ergebnisse läßt sich dann — hoffentlich — streiten. Da es um die Sichtweise der Zeitgenossen geht, sollen die Quellenaussagen möglichst ausgiebig im Wortlaut (in Übersetzung, mit dem Originaltext in den Anmerkungen) zitiert werden. Die Quellen aber sprechen selbstverständlich nicht für sich, sondern bedürfen der geschichtswissenschaftlichen Interpretation und Einordnung. Die jeweiligen Ergebnisse gelangen, wie ich meine, durchweg über den Forschungsstand hinaus und erweitern somit unsere Kenntnis des Sachverhalts. Inhaltlich sind die Untersuchungen insofern "frauengeschichtlich" angelegt, als sie, in Ergänzung, Korrektur und Erweiterung bisheriger Forschungen, zur Geschichte der frühmittelalterlichen Frauen beitragen. Ein "geschlechtergeschichtlicher" Zugriff ergibt sich, zumindest in Ansätzen an geeigneten exemplarischen Stellen, durch eine Konfrontation mit der Männerwelt, vor allem aber durch das ständige Bemühen um Einordnung in den (sozial)historischen Gesamtkontext. Geschlechtergeschichte im Sinne einer historischen Betrachtung des gesamten Frühmittelalters unter der Kategorie des Geschlechts soll hier noch nicht geboten werden. Wohl aber liefern diese Forschungen dafür wesentliche Grundlagen.

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Mit diesen Studien werden (nicht zum ersten Mal, aber immer noch ungewöhnlich) Forschungen zur Frauen- und, in Ansätzen, zur Geschlechtergeschichte vorgelegt, die von einem männlichen Fachvertreter verfaßt sind (freilich von jemandem, der sich selbst als emanzipationsfreundlich einschätzt, sofern Emanzipation nicht Trennung und Absonderung, sondern Gleichberechtigung und Gleichbehandlung der Geschlechter auf allen gesellschaftlichen Ebenen bedeutet) und die eine Epoche betreffen, in der der Autor sich — bei zunehmender Spezialisierung der Wissenschaft — noch am besten auszukennen glaubt, um die Quellenbelege in ihren gesellschafts- und mentalitätsgeschichtlichen Bedingungsrahmen einordnen zu können. Der vorliegende Versuch soll helfen, die Frauengeschichte des frühen Mittelalters vor einer geschlechtsspezifischen Isolation zu bewahren und ihr zugleich den angemessenen Stellenwert im Spektrum der Geschichtswissenschaft zu sichern. Einem ambivalenten Anspruch stellt sich dieser Band auch in bezug auf die darstellerische Vermittlung. Er versteht sich einerseits nämlich als wissenschaftlicher Beitrag zur Frauengeschichte des frühen Mittelalters und als Diskussionsgrundlage für das wissenschaftliche, nicht zuletzt das intersexuale Gespräch. Diesem Zweck dienen sachliche Argumentationen, methodische Reflexionen und ausgiebige Quellenbelege wie vielleicht auch die — der Sache angemessenen — lateinischen Kapitelüberschriften. Damit verbindet sich ein Anspruch auf einen Forschungsfortschritt, aber selbstverständlich nicht auf unstrittige Richtigkeit. Andererseits sollten die Untersuchungen und Ergebnisse so allgemeinverständlich formuliert werden, daß sie nicht nur die wenigen Fachkolleginnen und -kollegen erreichen, sondern einen breiteren, interessierten Leserkreis in die Diskussion einbeziehen. (In dieser Zielsetzung sehe ich ohnehin die wichtigste und unverzichtbare Aufgabe jeder Geschichtswissenschaft.) Solange die Sprache der Historiker/innen nicht der Gefahr erliegt, zu einem Fachjargon auszuarten, ist das möglich. Dieses Buch richtet sich demnach an Wissenschaftler/innen des eigenen Fachs wie der Nachbardisziplinen, an Studierende sowie an alle an der Sache Interessierten. Laien müssen den wissenschaftlichen Apparat in Kauf nehmen (der im übrigen auch für sie nützlich sein kann), Fachleute müssen sich damit abfinden, wenn Bekanntes noch einmal erläutert wird (und damit zumindest der Selbstvergewisserung und dem Verständnis dient). Wieweit diese doppelte Zielrichtung gelungen ist, muß die Resonanz zeigen. Ein letztes, zweifaches Ziel entspricht gleichfalls den Erfordernissen einer modernen Geschichtswissenschaft: Das Buch versteht sich in erster Linie natürlich als eine historische Studie, die ausgewählte Aspekte zur Frauengeschichte einer fernen Zeit erarbeitet und somit primär zur Kenntnis des frühen Mittelalters beiträgt.

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Es dient mit diesem historischen Charakter aber—wie jede Wissenschaft — zugleich der aktuellen Diskussion (ohne ihr zu Willen zu sein). Historisch betrachtet, ist die Geschichte früherer Frauen an den damaligen Bedingungen, Zuständen und Maßstäben zu messen (und damit in mancher Hinsicht zu relativieren). Das sind (ganz) andere Verhältnisse und Voraussetzungen als die unsrigen, so daß sich die Ergebnisse nicht einfach auf die heutige Zeit übertragen lassen. Die Frauen im frühen Mittelalter können daher weder Identifikationsmodell für die heutige Frau sein, noch bieten sie eine heute realisierbare, alternative Lebensform an. Gleichwohl vermittelt die Beschäftigung mit dem Damals ein alternatives Denkmodell, das hilft, die eigenen Normen und (Welt-)Anschauungen (beider Geschlechter) besser einzuordnen, davon abzugrenzen, zu relativieren und bewußter zu machen. Solche Reflexionen aber sind — im Vergleich mit einer fernen Vergangenheit, der wir nicht mehr oder nur noch entfernt verhaftet sind, aus der geistig herauszutreten uns vielmehr naturgemäß leichter fällt — geeignet, den geschichtlichen (und somit auch zeitgebunden-vergänglichen) Charakter unseres heutigen Welt- und Frauenbildes und unserer eigenen Ziele und Werte zu begreifen, und sie lehren uns auf diese Weise, uns selbst (ein wenig) "von außen" zu betrachten. In diesem Sinne mag dieses historische Buch sich auch als gegenwartsnah erweisen und zum Nachdenken anregen.

Kapitel 1 HISTORIOGRAPHY FEMINARUM. FORSCHUNGSSTAND UND FORSCHUNGSPERSPEKTIVEN ZUR GESCHICHTE DER FRAUEN IM FRÜHEN MITTELALTER

1. Überblicke und Sammelbände Am Beginn einer historischen Frauenforschung standen überblickartige geschichtliche Längsschnitte, die die älteren Zeiten flüchtig und wenig kompetent behandelten, den spezifisch mittelalterlichen Bedingungen daher kaum gerecht wurden und somit nicht in der Lage waren, die Frau in ihr jeweiliges, zeitgenössisch-historisches Umfeld einzuordnen.1 Die frühen, ganz dem Mittelalter gewidmeten Studien stammten aus dem angelsächsischen Sprachraum und waren — in deutschen Übersetzungen bereits an Titeln wie "Die Frau im Mittelalter" ablesbar — ebenfalls noch recht allgemein gehalten, gestatteten aber doch schon weit bessere Einblicke.2 Shulamith Shahar behandelte nahezu ausschließlich das westeuropäische Hoch- und Spätmittelalter, differenzierte hier aber immerhin nach sozialen Ständen und Schichten.3 (Die unter dem Titel "The Fourth Estate" erschienene englische Fassung umgeht die unglückliche Verallgemeinerung des deutschen Buchtitels und kehrt statt dessen mit der Anspielung auf den in der Ideologie der Französischen Revolution bedeutsamen "Dritten Stand" des Ancien Regime stärker den feministisch-kämpferischen Zug der Veröffentlichung hervor.) Andere Bände folgten: Angela Lucas läßt schon im Untertitel ihre Schwerpunkte, Religion, Ehe und Bildung, erkennen;4

1

Vgl. etwa Kaan UTRIO, Evas Töchter. Die weibliche Seite der Geschichte, Hamburg 1987; die letzte Veröffentlichung dieser Art: Die Chronik der Frauen, hg. v. Annette KUHN, Dortmund 1992. Den Gang der Frauengeschichte in Deutschland skizziert kurz Bea LUNDT, Einleitung, in: Auf der Suche nach der Frau im Mittelalter (wie Anm. E/4) S. 7ff.; parallel aus amerikanischer Sicht, aber mit gezielter Akzentsetzung: Susan Mosher STUARD, The Chase After Theory: Considering Medieval Woman, Gender and History 4, 1992, S. 135-146; zum allmählichen Bewußtwerden einer frauengeschichtlichen Perspektive in der Zeitschrift "Speculum" jetzt BENNETT, Medievalism and Feminism (wie Anm. E/7).

2

Einen frühen Vorläufer bilden die gesammelten Studien von Eileen POWER, Medieval Women, hg. v. M.M. Postan, Cambridge 1975 (dt. Als Adam grub und Eva spann, wo war da der Edelmann? Das Leben der Frau im Mittelalter, Berlin 1984).

3

Shulamith SHAHAR, Die Frau im Mittelalter, Königstein/Ts. 1981 (ND. als Taschenbuch Frankfurt 1988; engl. The Fourth Estate, London-New York 1983). Angela Μ. LUCAS, Women in the Middle Ages. Religion, Marriage and Letters, Brighton 1983.

4

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Historiographia feminarum

Margaret Labarge befaßt sich mit der Stellung der Frauen verschiedener Stände des späteren Mittelalters.5 Im deutschen Sprachraum ist vor allem der Überblick von Edith Ennen zu nennen,6 der sich im wesentlichen zwar noch in einer Betrachtung individueller Einzelfälle erschöpft, doch zumindest zeitlich nach Früh-, Hoch- und Spätmittelalter differenziert und, am deutlichsten im Frühmittelalter, auch die sozialen Unterschiede berücksichtigt. (Der Titel "Frauen im Mittelalter" will auf solche inneren Differenzierungen schon vorab aufmerksam machen). In jüngster Zeit erschien in Frankreich in der Serie "Histoire des femmes" der zweite Band über das Mittelalter mit einer Fülle von sehr detailliert, aber noch wenig repräsentativ vorgetragenen Einzelaspekten in verschiedenen Beiträgen, von denen jedoch nur vier (im Mittelteil des Bandes) zeitlich differenzieren. 7 Mittlerweile ist eine ganze Reihe weiterer Bände auf dem Markt, die sich mit einzelnen Epochen, geographischen Räumen oder bestimmten thematischen Aspekten befassen: Georges Duby8 und Regine Pernoud9 behandeln die Frau in der höfischen Gesellschaft (letztere mit einem ausführlichen Rückblick auf die frühmittelalterliche Epoche "vor der Zeit der Kathedralen"). Dabei ist die unterschiedliche Einschätzung interessant: Während Duby die höfische Frau in eine völlig maskulin bestimmte Welt eingebettet sieht, betont Pernoud die Bedeutung der Frauen in Politik und Religion. Erika Uitz hat einen an ein breiteres Publikum gerichteten Band über die Frau in der Stadtgesellschaft vorgelegt, der zwangsläufig die spätmittelalterlichen Verhältnisse beschreibt.10 Judith Jesch widmet ihre Monographie

5 6 7

8

9 10

Margaret Wade LABARGE, Women in Medieval Life. A Small Sound of the Trumpet, London 1986. Edith ENNEN, Frauen im Mittelalter, München 1984 (5. Aufl. 1994). Histoire des femmes en Occident, hg. v. Georges DUBY und Michelle PERROT. Bd. 2: Le Moyen Äge, hg. v. Christiane KLAPISCH-ZUBER, Plön 1991 (dt. Geschichte der Frauen, Bd. 2: Mittelalter, Frankfurt/New York-Paris 1993). Kritisch zum Ansatz, der Ideologie und soziale Stellung nicht zusammenführt und die Quellen zu wenig an entsprechenden Aussagen über Männer mißt: Gianna POMATA, Histoire des femmes et "gender history", Annales 48, 1993, S. 1019-1026. Georges DUBY, Ritter, Frau und Priester. Die Ehe im feudalen Frankreich, Frankfurt/Main 1985 (frz. Le chevalier, la femme et le pretre. Le mariage dans la France fiodale, Paris 1981); DERS., Die Frau ohne Stimme. Liebe und Ehe im Mittelalter, Berlin 1989 (= Auszüge aus der französischen Originalausgabe: Male Moyen Äge. De l'amour et autres essais, Paris 1988). Rdgine PERNOUD, Leben der Frauen im Hochmittelalter (Frauen in Geschichte und Gesellschaft 8) Pfaffenweiler 1991 (frz. La femme au temps des cathödrales, Paris 1980). Erika UITZ, Die Frau in der mittelalterlichen Stadt, Leipzig-Stuttgart 1988 (als Taschenbuch Herder Spektrum 4081, Freiburg 1992).

Forschungsstand und Forschungsperspektiven

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den Frauen in der skandinavischen Gesellschaft.11 Hilfreich ist auch die Zusammenstellung umfänglicher Quellenaussagen in deutscher Übersetzung zur Frauenarbeit einerseits und zu Frauenbild und Frauenrechten in Kirche und Gesellschaft des Mittelalters andererseits, die Peter Ketsch in zwei Bänden herausgegeben und eingeleitet hat.12 Ein von Emelie Amt vorgelegter Reader bietet Quellenexzerpte in englischer Übersetzung zum spätantiken geistigen Erbe, zu Recht, Ehe und Gesundheit (als Lebensbedingungen), zu adligem, Arbeits- und religiösem Leben sowie zu Außenseitergruppen.13 Die wichtigsten Frauenviten des frühen Mittelalters liegen ebenfalls in englischer Übersetzung vor.14 Nahezu unübersehbar ist mittlerweile auch die Zahl der Sammelbände vor allem aus dem angelsächsischen Bereich, deren Beiträge ganz oder teilweise den mittelalterlichen Frauen gewidmet sind und die den Überblicken thematisch begrenzte Studien an die Seite stellen.15 Mehrere Bände befassen sich speziell mit der

11 Judith JESCH, Women in the Viking Age, Woodbridge 1991 (dt. Frauen der Vikingzeit, Reihe Frauenforschung 22, Wien 1993). 12 Peter KETSCH, Frauen im Mittelalter, hg. v. Annette KUHN. Bd. 1: Frauenarbeit im Mittelalter; Bd. 2: Frauenbild und Frauenrechte in Kirche und Gesellschaft (Geschichtsdidaktik. Studien. Materialien 14/19) Düsseldorf 1983/84. 13 Women's Lives in Medieval Europe. A Sourcebook, hg. v. Emilie AMT, New York-London 1993. 14 Sainted Women of the Dark Ages, hg. v. Jo-Ann McNAMARA u. John E. HALBORG, Durham-London 1992. 15 Hier seien nur die wichtigsten in der Reihenfolge ihres Erscheinens genannt: Clio's Consciousness Raised. New Perspectives on the History of Women, hg. v. Mary S. HARTMAN u. Lois W. BANNER, New York u.a. 1974; The Role of Women in the Middle Ages, hg. v. Rosemary Thee MOREWEDGE, Albany 1975; Women in Medieval Society, hg. v. Susan Mosher STUARD, Philadelphia 1976 (41982); Medieval Women, hg. v. Derek BAKER, Oxford 1978; Beyond Their Sex. Learned Women of the European Past, hg. v. Patricia H. LABALME, New York-London 1980; Women of England. From Anglo-Saxon Times to the Present. Interpretative Bibliographical Essays, hg. v. Barbara KANNER, London 1980; Women of the Medieval World. Essays in Honour of John H. Mundy, hg. v. Julius KIRSHNER u. Suzanne F. WEMPLE, Oxford 1985; The World of Medieval Women. Creativity, Influence, and Imagination, hg. v. Constance H. BERMAN, Charles W. CONNELL u. Judith Rice ROTHSCHILD, Morgantown 1985; Becoming Visible. Women in European History, hg. v. Renate BRIDENTHAL, Claudia KOONZ u. Susan STUARD, Boston u.a. 1987; Women and Power in the Middle Ages, hg. v. Mary ERLER u. Maryanne KOWALESKI, Athens-London 1988; Medieval Women in Southern England (Reading Medieval Studies 15) University of Reading 1989; Equally in God's Image. Women in the Middle Ages, hg. v. Julia Bolton HOLLOWAY, Constance S. WRIGHT u. Joan BECHTOLD, New York-Bern-Frankfurt/M.-Paris 1990. Aus Frankreich stammt der wichtige Band: La femme au moyen äge, hg. v. Michel ROUCHE und Jean HEUCLIN, Paris 1990. Verschiedene Aufsätze sind unter dem Titel: Studying Medieval Women: Sex, Gender, Feminism, hg. v. Nancy F. PARTNER, in: Speculum 68,2, 1993, S. 305-471, vereint.

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Historiographia feminarum

Rolle der Frauen in der Religion. 1 6 Titel w i e "Clio's C o n s c i o u s n e s s

Raised",

" B e c o m i n g Visible", "Beyond their Sex", "Distant Echoes" oder "Equally in G o d ' s Image" m a c h e n lautmalerisch auf die neue, feministische Thematik aufmerksam. Im deutschen Sprachraum ist die v o n Annette Kuhn herausgegebene Reihe "Frauen in der Geschichte" auf acht B ä n d e a n g e w a c h s e n ; deren Beiträge betreffen allerdings nur z u m geringen Teil die mittelalterliche Epoche. A u s einer T a g u n g des Kremser Instituts für Realienkunde des Mittelalters und der frühen N e u z e i t ist ein S a m m e l band über den Alltag spätmittelalterlicher Frauen hervorgegangen. 1 7 Beliebt sind in jüngster Zeit auch biographische S a m m e l b ä n d e , die Einzelschicksale v o n Herrscherinnen und Nonnen, 1 8 Fürstinnen und Städterinnen 19 oder Autorinnen behandeln. 20 A n s o n s t e n sind S a m m e l b ä n d e zu den mittelalterlichen Frauen w i e der v o n B e a Lundt h e r a u s g e g e b e n e B a n d "Auf der Suche nach der Frau im Mittelalter" hierzulande n o c h selten, und sie beschränken sich meist auf die späteren Jahrhunderte.21 Z w e i interessante, v o m üblichen S c h e m a a b w e i c h e n d e Bände aus Amerika und

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Women of Spirit. Female Leadership in the Jewish and Christian Traditions, hg. v. Rosemary RUETHER u. Eleonor MCLAUGHLIN, New York 1979; Medieval Religious Women, Bd. 1: Distant Echoes, hg. v. John A. NICHOLS u. Lillian Thomas SHANK (Cistercian Studies Series 71) Kalamazoo 1984; Bd. 2: Peaceweavers (Cistercian Studies Series 72) Kalamazoo 1987; Women in the Church. Papers read at the 1989 Summer Meeting and the 1990 Winter Meeting of the Ecclesiastical History Society, hg. v. W.J. SHEILS u. Diana WOOD (Studies in Church History 27) Oxford 1990; Stephanie HOLLIS, Anglo-Saxon Women and the Church. Sharing a Common Fate, Woodbridge 1992.

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Frau und spätmittelalterlicher Alltag (SB Wien 473 = Veröffentlichungen des Instituts für mittelalterliche Realienkunde Österreichs 9) Wien 1986. 18 Herrscherinnen und Nonnen. Frauengestalten von der Ottonenzeit bis zu den Staufern, hg. v. Erika UITZ, Barbara PÄTZOLD u. Gerald BEYREUTHER, Berlin 1990. 19 Fürstinnen und Städterinnen, hg. v. Erika UITZ, Barbara PÄTZOLD u. Gerald BEYREUTHER, Freiburg 1993. 20 Medieval Women Writers, hg. ν. Katharina Μ. WILSON, Manchester 1984; Peter DRONKE, Women Writers of the Middle Ages. A Critical Study of Texts from Perpetua (t 203) to Marguerite Porete (t 1310), Cambridge/Mass. 1984; The Writings of Medieval Women, hg. v. Marcelle THIEBAUX, New York-London 1987; Heloise und ihre Schwestern. Acht Frauenporträts aus dem Mittelalter, hg. v. Ferruccio BERTINI, München 1991 (ital. Medioevo al femminile, Rom-Bari 1989). Zu den spätmittelalterlichen Mystikerinnen: Frauenmystik im Mittelalter, hg. v. Peter DINZELBACHER und Dieter R. BAUER, Stuttgart 1985; Religiöse Frauenbewegung und mystische Frömmigkeit im Mittelalter, hg. v. Peter DINZELBACHER und Dieter R. BAUER, Köln-Wien 1988. 21

Auf der Suche nach der Frau im Mittelalter (wie Anm. E/4). Der an sich verdienstvolle Band spart das Frühmittelalter völlig aus. Regional, mit nur gelegentlichen Blicken ins Frühmittelalter: Vergessene Frauen an der Ruhr. Von Herrscherinnen und Hörigen, Hausfrauen und Hexen 800-1800, hg. v. Bea LUNDT, Köln-Weimar-Wien 1992. Dem späten Mittelalter und der frühen Neuzeit ist auch der Band: Frauen in der Ständegesellschaft, hg. v. Barbara VOGEL und Ulrike WECKEL (Beiträge zur deutschen und europäischen Geschichte 4) Hamburg 1991,

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den Niederlanden diskutieren und erproben exemplarisch den Aussagewert einzelner Quellengattungen für die Frauengeschichte. 2 2 V i e l e weitere Monographien, Sammelbände und Aufsätze sind beschränkteren T h e m e n g e w i d m e t und daher später im inhaltlichen Z u s a m m e n h a n g zu nennen. Insgesamt wird man kaum mehr behaupten können, daß Frauengeschichte ein brachliegendes Desiderat wäre. Innerhalb w e n i g e r Jahre hat sich das Bild hier radikal verändert. In den letzten z w e i Jahrzehnten sind neun frauengeschichtliche Zeitschriften begründet worden, 2 3 und verschiedene Reihen w i d m e n sich ganz dieser Forschungsrichtung. 2 4 Literaturberichte 25 und Bibliographien zur Frauen-

gewidmet. Hoch- und spätmittelalterliche Aspekte behandelt die Aufsatzsammlung von Claudia OPITZ, Evatöchter und Bräute Christi. Weiblicher Lebenszusammenhang und Frauenkultur im Mittelalter, Weinheim 1990. Den interkulturellen Vergleich des Geschlechterverhältnisses hat zur Zielsetzung: Aufgaben, Rolle und Räume von Frau und Mann, 2 Bde., hg. v. Jochen MARTIN und Renate ZOEPFFEL (Veröffentlichungen des Instituts für historische Anthropologie 5) Freiburg-München 1989; das Mittelalter als Ganzes behandelt darin August NITSCHKE, Frauen und Männer im Mittelalter — die Geschichte eines vielfältigen Wandels (S. 677-707), der zu Recht mehrfache Wandlungen im Geschlechterverhältnis (bei den Germanen, in der Karolingerzeit, im hohen Mittelalter und in der Renaissance) konstatiert, deren Abgrenzungskriterien jedoch willkürlich erscheinen und wenig abgestützt sind. 22

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Medieval Women and the Sources of Medieval History, hg. v. Joel T. ROSENTHAL, AthensLondon 1990; Vrouw, familie en macht. Bronnen over vrouwen in de Middeleeuwen, hg. v. Marco MOSTERT, A. DEMYTTENAERE, E.O. VAN HARTTNGSVELDT u. R.E. KÜNZEL, Hilversum 1990. Women's Studies. An Interdisciplinary Journal (seit 1972); Signs (seit 1975/76); beitrage zur feministischen theorie und praxis (seit 1976); Jahrbook voor vrouwengeschiedenis (seit 1980); Feministische Studien (seit 1982); Gender and History (seit 1989); Journal of Women's History (seit 1989); L'Homme. Zeitschrift für Feministische Geschichtswissenschaft (seit 1990); Metis. Zeitschrift für historische Frauenforschung und feministische Praxis (seit 1992). Vgl. neben der schon genannten Reihe "Frauen in der Geschichte" die Reihen "Ergebnisse der Frauenforschung" (Stuttgart-Weimar), "Frauen in Geschichte und Gesellschaft" (Pfaffenweiler), "Frauenforschung" (Wien). Edith ENNEN, Zur Geschichtsschreibung über die Frauen im Mittelalter, in: Historia socialis et oeconomica. Festschrift für Wolfgang Zorn (VSWG Beih. 84) Stuttgart 1987, S. 44-60; Katherine WALSH, Ein neues Bild der Frau im Mittelalter. Weibliche Biologie und Sexualität, Geistigkeit und Religiosität in West- und Mitteleuropa. Forschungsbericht, in: Innsbrucker Historische Studien 12/13, 1990, S. 395-580 (auch monographisch erschienen als: Einzelveröffentlichung aus den Innsbrucker Historischen Studien 2), berührt trotz der Ausführlichkeit in den acht Abschnitten über Frauenalltag, Frau und Macht, Weibliche Kreativität und Frömmigkeit, religiös-engagiertes Frauenleben, Frau und Körper, Sexualbereich der Frau, Prostitution sowie Ketzerin und Hexe nur gelegentlich das frühe Mittelalter, Hedwig RÖCKELEIN, Historische Frauenforschung. Ein Literaturbericht zur Geschichte des Mittelalters, Historische Zeitschrift 255, 1992, S. 377-409; zu Deutungen und Fehldeutungen in der Frauengeschichte: DIES., Das Mittelalter — "finstere" Epoche der Frauengeschichte? Die Philosophin 7, 1993, S. 23-32; zur Germanistik: Ingrid BENNEWITZ, Mediävistische Neuerscheinungen aus dem Bereich der Frauen- und Geschlechtergeschichte, Zeitschrift für deutsche Philologie 113, 1994, S. 416-426.

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geschichte erleichtern den Überblick;26 die jüngste, sich auf das Frühmittelalter konzentrierende, kommentierte Bibliographie27 enthält allein über 1600 Titel, deren Zahl sich allerdings dadurch erklärt, daß hier auch einschlägige Lexikonartikel und vor allem viele rechts-, kultur- und kirchengeschichtliche Arbeiten traditioneller Art aufgenommen sind, die sich zwar mit Frauen befassen, aber noch keinen geschlechtergeschichtlichen Ansatz verfolgen. Bei manchen Arbeiten handelt es sich um grobe Überblicke, andere sind dagegen sehr speziellen Aspekten gewidmet. Ebenso fehlen Versuche einer Synthese, die die Einzelergebnisse in das historische Umfeld einordnen.28 So bleibt trotz der Fülle der Arbeiten noch viel zu tun. Das gilt nicht zuletzt für das frühe Mittelalter. Hier liegen inzwischen zwar ebenfalls zahlreiche Arbeiten vor, ohne daß das Reservoir der Quellenaussagen und -Interpretationen jedoch nur annähernd ausgeschöpft wäre. Eine ganz auf das kontinentale Frühmittelalter konzentrierte, breitere Monographie fehlt bislang. Neben der Vielzahl von Beiträgen in Sammelbänden, auf die gleich noch einzugehen ist, ragen vor allem zwei Unternehmen heraus: das Maßstäbe setzende Werk von Suzanne Fonay Wemple und die differenzierenden Ergebnisse des Berliner Arbeitskreises für Frauengeschichte der Spätantike und des Frühmittelalters um Werner Affeldt. Wemple betrachtet auf der Grundlage einer intensiven Aufarbeitung der Quellen die beiden wesentlichen Lebensformen frühmittelalterlicher Frauen: die laikale in der Ehe und die geistliche im Kloster.29 Ihr Ziel ist es, die Diskrepanz zwischen Ideal und Realität zu erklären. In der Deutung des Befundes erweist sich die Autorin freilich als recht (hypo-)thesenfreudig, und manche ihrer Folgerungen bedürfen der Überprüfung. Vorsichtiger äußert sie sich in dem ähnlich gegliederten

26

Bibliographische Essays über die Frauengeschichte in England, Italien, Frankreich, Amerika und Deutschland bietet: Women in Medieval History and Historiography, hg. v. Susan Mosher STUARD, Philadelphia 1987. Bibliographien: Women in the Middle Ages. A Working Bibliography, bearb. v. Carolly ERICKSON u. Kathleen CASEY, Medieval Studies 37, 1975, S. 340-359; Family and Marriage in Medieval Europe. A Working Bibliography, hg. v. Michael SHEEHAN und Kathy D. SCARDELLATO, Vancouver 1976; Marco MOSTERT, Literatuurwijzer vrouwen in de Middeleeuwen, in: Vrouw, familie en macht (wie Anm. 22) S. 319-340; An Annotated Index of Medieval Women, bearb. v. Anna ECHOLS u. Marty WILLIAMS, Oxford-New York 1992.

27

Frauen im Frühmittelalter. Eine ausgewählte, kommentierte Bibliographie, hg. von Werner AFFELDT, Cordula NOLTE, Sabine REITER und Ursula VORWERK, Frankfurt 1990. Vgl. Albert DEMYTTENAERE, Wat weet men over vrouwen? De vrouw in de duistere Middeleeuwen, in: Vrouw, familie en macht (wie Anm. 22) S. 11-45. Suzanne Fonay WEMPLE, Women in Frankish Society. Marriage and the Cloister, 500 to 900, Philadelphia 1981.

28 29

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Abschnitt über das Frühmittelalter in der "Histoire des femmes".30 Aus dem Berliner Arbeitskreis für Frauengeschichte der Spätantike und des Frühmittelalters sind zwei grundlegende Veröffentlichungen hervorgegangen: zunächst 1986 erste Ergebnisse des Forschungsprojekts "Interdisziplinäre Studien zur Geschichte der Frauen im Frühmittelalter" mit archäologisch-anthropologischen, medizingeschichtlichen und an einzelnen Quellengattungen orientierten Beiträgen zu Geschlechterbeziehungen, Herrscherinnen, Bäuerinnen und Nonnen,31 vier Jahre später der Tagungsband "Frauen in Spätantike und Frühmittelalter", der sich mit demographischen und anthropologischen Lebensbedingungen, rechtlichen und religiösen Lebensnormen sowie geistlichen und weltlichen Lebensformen befaßt.32 In der Einleitung zu dem ersten Band betont Werner Affeldt die zugrundegelegten Forschungskriterien: Internationalität, Interdisziplinarität sowie von Frauen und Männern betriebene Forschung. Ausgangspunkt des Projekts war die bisherige Zurückhaltung einer detaillierteren Frauenforschung gegenüber dem Frühmittelalter,33 eine Einschätzung, die auf die deutsche und bis dahin auch die französische, nur bedingt aber auf die englische und amerikanische Forschung zutrifft In einem vorangestellten Forschungsüberblick34 erkannte Affeldt Schwerpunkte bisheriger Arbeiten hinsichtlich der Rechtsstellung der Frauen — allerdings ohne gebührende Berücksichtigung der Rechtspraxis, des Verhältnisses von Recht und Gesellschaft —, der Sexualität und des theologischen Frauenbildes, Defizite hingegen in den Bereichen Klosterwesen, Arbeit und Wirtschaft sowie Naturwissenschaft und Medizin. Mittlerweile liegen aber auch zu diesen Themen weitere Veröffentlichungen vor. Fortschritte wurden in den genannten Bänden auch durch die methodische Reflexion der Quellenlage und der Forschungsgrundsätze der Frauengeschichte, bei der Nutzbarmachung bislang vernachlässigter Quellenarten und der Differenzierung nach Schichten, Lebenszyklus, Zeit und Raum sowie Tätigkeitsbereich oder Lebensform erzielt.35

30 31 32 33 34 35

DIES., Les traditions romaine, germanique et chr6tienne, in: Histoire des femmes 2 (wie Anm. 7) S. 185-216. Frauen in der Geschichte VII (wie Anm. E/17). Frauen in Spätantike und Frühmittelalter. Lebensbedingungen — Lebensnonnen — Lebensformen, hg. v. Wemer AFFELDT, Sigmaringen 1990. AFFELDT, Frühmittelalter und historische Frauenforschung, in: Frauen in der Geschichte VII (wie Anm. E/17) S. 12. DERS., Bemerkungen zum Forschungsstand, ebd. S. 32-42. Zu diesen Kriterien vgl. AFFELDT, ebd. S. 2Iff. Aus dem Arbeitskreis sind inzwischen die Dissertationen von Susanne Wittern, Heiligkeit (wie Anm. 101) und Cordula Nolte, Conversio (wie Anm. 119) erschienen bzw. im Erscheinen begriffen.

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Nennenswert ist ferner ein kompakter Überblick von Peter Ketsch über Rechtsstellung, Herrscherinnen, Nonnen und Frauenarbeit im frühen Mittelalter, in dem der Autor gegenüber gängigen Thesen einer Unterordnung der Frauen auf deren Bedeutung in Politik, Kultur und Produktion verweist.36 Solche Tendenzen sucht in bezug auf weibliche Lebensformen und Lebensgestaltung auch ein Sammelband mit Sektionsbeiträgen des Bochumer Historikertages von 1990 herauszuarbeiten.37 Weitere Arbeiten sind spezielleren Aspekten gewidmet. Sie werden in der folgenden, thematisch gegliederten Übersicht über die bislang behandelten Forschungsschwerpunkte, -ergebnisse und -thesen vorgestellt.

2. Rechtsstellung Eine ganze Reihe von Beiträgen widmet sich der Rechtsstellung der Frauen, allen pionierartig voran ein bereits 1962 verfaßter Artikel von Fram^ois-Louis Ganshof, der allerdings höchst restriktiv die absolute Rechtsunfähigkeit der Frauen vor Gericht, im Ehe- und im Besitzrecht betont.38 Das hat zu der (überspitzten) These einer globalen Benachteiligung der Frauen in einer Männerwelt39 und, im Zusammenhang mit theologischen Stellungnahmen, zum Vorwurf der Frauenfeindlichkeit der christlichen Gesellschaft überhaupt verleitet.40 Man hat mit einem gewissen Recht aber auch Unterschiede zwischen dem germanisch-weltlichen und dem kirchlichen Recht betont und letzterem eine allmähliche Besserstellung der Frauen zugeschrieben.41 Sinkender Einfluß und Verschlechterung der Lage der Frauen setzten nach einem längsschnittartigen Überblick von Suzanne Wemple eigentlich

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40 41

Peter KETSCH, Aspekte der rechtlichen und politisch-gesellschaftlichen Situation von Frauen im frühen Mittelalter (500-1150), in: Frauen in der Geschichte II, hg. v. Annette Kuhn und Jöm Rüsen, Düsseldorf 1982, S. 11-71. Weibliche Lebensgestaltung im frühen Mittelalter, hg. v. Hans-Werner GOETZ, Köln-WeimarWien 1991. Fran^ois-Louis GANSHOF, Le Statut de la femme dans la monarchic franque, in: La femme, Bd. 2 (Recueil de la Soci6t6 Jean Bodin 12) Brüssel 1962, S. 5-58. So letztlich WEMPLE, Women (wie Anm. 29), zum Beispiel S. 27ff„ 38ff., 97ff., die in der Karolingerzeit sogar verstärkte Restriktionen findet, zugleich aber immer wieder auf Möglichkeiten weiblicher Entfaltung hinweist. So Vern L. und Bonnie BULLOUGH, The Subordinate Sex. A History of Attitudes towards Women, Chicago-London 1973, z.B. S. 119. So ENNEN, Frauen (wie Anm. 6) S. 44ff.

Forschungsstand und Forschungsperspektiven

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erst seit dem hohen Mittelalter ein (eine allerdings umstrittene These).42 Andererseits ist die gängige Meinung, daß die Stellung der angelsächsischen Frauen sich erst mit der normannischen Eroberung verschlechterte,43 inzwischen relativiert und der Beginn solcher Tendenzen in die Spätphase der angelsächsischen Periode zurückverlegt worden.44 Daß Frauen — anders als in der Urkirche — spätestens seit dem frühen Mittelalter von kirchlichen wie auch von öffentlichen Ämtern ausgeschlossen waren, ist eine Tatsache45 (und bildet bekanntlich ein gerade heute wieder vieldiskutiertes Problem). Ebenso ist zuzugestehen, daß die Herrschaftsgewalt des Mannes, die Munt (als Hausherrengewalt) als ein Schlüsselbegriff des weltlichen Rechts im frühen Mittelalter anzusehen ist.46 Doch einmal umschließt die Munt zwei (im Mittelalter ungetrennte) Aspekte, nämlich die Herrschaftsgewalt des Mannes über die Frau auf der einen und die Aufgabe des zu gewährleistenden Schutzes der Frau auf der anderen Seite;47 zum andern ist zwischen den Rechtsbestimmungen der einzelnen Völker zu unterscheiden, die hier nicht unerheblich

voneinander

abwichen. Solche Unterschiede hat auf breiter Ebene die amerikanische Dissertation von Elizabeth Hallgren klar herausgearbeitet.48 Im westgotischen Recht etwa waren Frauen durchaus besitzfähig.49 Schließlich aber und vor allem sind die frühen Studien ausschließlich an der Rechtsnorm orientiert gewesen. Neuere Forschungen

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46

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49

Suzanne F. WEMPLE, Sanctity and Power: The Dual Pursuit of Medieval Women, in: Becoming Visible (wie Anm. 15) S. 131-151. Vgl. etwa Elizabeth JUDD, Women before the Conquest: A Study of Women in Anglo-Saxon England, in: Papers in Women's Studies 1, 1974, S. 127-149; Christine FELL (with Cecily CLARK and Elizabeth WILLIAMS), Women in Anglo-Saxon England and the Impact of 1066, London 1984. Anne L. KLINCK, Anglo-Saxon Women and the Law, Journal of Medieval History 8, 1982, S. 107-121. Jo-Ann McNAMARA, Chaste Marriage and Clerical Celibacy, in: Vern L. BULLOUGH/James A. BRUNDAGE, Sexual Practices in the Medieval Church, Buffalo 1982, S. 22-33, schließt aus dem priesterlichen Zölibat auf einen Verlust (indirekten) weiblichen Einflusses in kirchlichen Fragen. So Ruth SCHMIDT-WIEGAND, Der Lebenskreis der Frau im Spiegel der volkssprachigen Bezeichnungen der Leges barbarorum, in: Frauen in Spätantike und Frühmittelalter (wie Anm. 32) S. 195-209. Vgl. dazu unten Kapitel 5, S. 201ff. Elizabeth Lynn HALLGREN, The Legal Status of Women in the Leges barbarorum, Diss. Univ. of Colorado 1977; zum Erbrecht vgl. auch Karl KROESCHELL, Söhne und Töchter im germanischen Erbrecht, in: Studien zu den germanischen Volksrechten. Gedächtnisschrift für Wilhelm Ebel (Rechtshistorische Reihe 1) Frankfurt-Bern 1982, S. 87-116. Vgl. Fernando de ARVIZU, La femme dans le Code d'Euric, Revue historique de droit f r a ^ a i s et dtranger 4,62, 1984, S. 391-405.

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haben jedoch ergeben, daß die Rechtspraxis völlig anders aussehen konnte. Pionierarbeit leistete hier David Herlihy bereits 1962, im gleichen Jahr, in dem auch Ganshofs Aufsatz über die restriktive Rechtsstellung frühmittelalterlicher Frauen erschien. Aus einem Überblick über die Schenkungsurkunden, an denen Frauen unmittelbar beteiligt oder als benachbarte Besitzerinnen bezeugt waren oder in denen Söhne sich ausdrücklich auf ihre Mütter beriefen, konnte er auf die ökonomische Funktion der Frauen als Landbesitzerinnen und -Verwalterinnen schließen.50 In zwei neueren Aufsätzen hat Ingrid Heidrich gleichfalls den Zusammenhang zwischen Besitzrecht und politischer Rolle betont51 und aus Urkunden und Urkundenformeln die nicht unbeträchtliche Besitzverfügung merowingischer Frauen erweisen können.52 Ganz entsprechend stellte Brigitte Pohl-Resl für das langobardische Italien fest, daß das strikte Erbrecht in der Praxis durch eine großzügigere Ausstattung der Frauen umgangen wurde, deren Rechtsfähigkeit nach den Urkunden weit weniger beschränkt war als nach dem Gesetz.53 Solche Studien haben deutlich gemacht, wie sehr die Rechtspraxis sich von der Rechtsnorm, die besonders nach fränkischem Recht Frauen weitgehend vom Landbesitz ausschloß, entfernen konnte. Ruth Schmidt-Wiegand hat jüngst aber zu Recht betont, daß diese eine Entwicklung provozierende Dynamik doch bereits in den Rechtskodifikationen angelegt war.54

50

David HERLIHY, Land, Family, and Women in Continental Europe, 701-1200, Traditio 18, 1962, S.89-120 (abgedr. in: Women in Medieval Society, wie Anm. 15, S. 13-45). Vgl. auch WEMPLE, Women (wie Anm. 29) S. 106ff.; Marc A. MEYER, Land Charters and the Legal Position of Anglo-Saxon Women, in: Women of England (wie Anm. 15) S. 57-82. Zu weiblichem Landbesitz im "Domesday England" des späten 11. Jahrhunderts: Pauline STAFFORD, Women in Domesday, in: Medieval Women in Southern England (wie Anm. 15) S. 7594.

51

Ingrid HEIDRICH, Von Plectrud zu Hildegard. Beobachtungen zum Besitzrecht adliger Frauen im Frankenreich des 7. und 8. Jh. und zur politischen Rolle der Frauen der frühen Karolinger, Rheinische Vierteljahresblätter 52, 1988, S. 1-15. DIES., Besitz und Besitzverfügung verheirateter und verwitweter freier Frauen im merowingischen Frankenreich, in: Weibliche Lebensgestaltung (wie Anm. 37) S. 119-138. Brigitte POHL-RESL, "Quod me legibus contanget auere". Rechtsfähigkeit und Landbesitz langobardischer Frauen, Mitteilungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung 101, 1993, S. 201-227. Eher einschränkend: Patricia SKINNER, Women, wills and wealth in medieval southern Italy, Early Medieval Europe 2, 1993, S. 133-152, deren Belege aber zumeist dem 10. und 11. Jahrhundert angehören. Brigitte KASTEN, Beneficium zwischen Landleihe und Lehen — eine alte Frage, neu gestellt (erscheint in: Festschrift Josef Semmler, 1995), verweist auf die Lehnsfähigkeit von Frauen schon in fränkischer Zeit. Ich danke der Autorin für die gewährte Vorwegeinsicht in diesen Aufsatz.

52 53

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SCHMIDT-WTEGAND, Lebenskreis (wie Anm. 46) S. 209.

Forschungsstand und Forschungsperspektiven

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Eine g a n z e Reihe v o n Studien befaßt sich mit d e m Eherecht 5 5 und den verschiedenen Eheformen, 5 6 die unter kirchlichem Einfluß nach gängiger M e i n u n g im Verlauf d e s 8. und 9. Jahrhunderts der Munt- und Einehe wichen 5 7 und der Ehe dadurch zu einer stärkeren s o z i a l e n Anerkennung verhalfen. 5 8 D a s hatte s o w o h l von der Ausstattung her w i e durch die Ausschaltung v o n Nebenfrauen eine Besserstellung der Ehefrau zur Folge, 5 9 engte sie, w i e man g e m e i n t hat, zugleich aber noch stärker auf den U m k r e i s der Familie ein. 60 Jack G o o d y hat daraus die unhaltbare T h e s e ableiten w o l l e n , daß die Kirche den Erbgang nur deshalb über die E h e f o r m e n kontrollierte und einschränkte, um den Kirchenbesitz zu sichern und —

55

Dazu ausführlich: WEMPLE, Women (wie Anm. 29); vgl. auch LUCAS (wie Anm. 4) S. 61ff., zum angelsächsischen Eherecht; HALLGREN (wie Anm. 48) S. 54ff.; Katherine Fischer DREW, The Family in Frankish Law, in: DIES., Law and Society in Early Medieval Europe. Studies in Legal History, London 1988, Nr. VI, S. 1-11; DIES., The Germanic Family of the Leges Burgundionum, ebd. Nr. V, S. 5-14; DEES., The Family in Visigothic Law, ebd. Nr. VII, S. 1-22; II matrimonio nella societä altomedievale (Settimane di studio del centro italiano di studi sull'alto medioevo 24) 2 Bde., Spoleto 1977. Zur hochmittelalterlichen Kanonistik vgl. die Aufsatzsammlung von Rudolf WEIGAND, Liebe und Ehe im Mittelalter (Bibliotheca eruditorum 7) Goldbach 1993.

56

Vgl. über die in der vorigen Anm. genannten Arbeiten hinaus: Silvia KONECNY, Die Frauen des karolingischen Königshauses. Die politische Bedeutung der Ehe und die Stellung der Frau in der fränkischen Herrscherfamilie vom 7. bis zum 10. Jh. (Dissertationen der Universität Wien 132) Wien 1976; DIES., Eherecht und Ehepolitik unter Ludwig dem Frommen, Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 85, 1977, S. 1-21. Vgl. auch Theodor SCHIEFFER, Eheschließung und Ehescheidung im Hause der karolingischen Kaiser und Könige, Theologisch-praktische Quartalschrift 116, 1968, S. 37-43.

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Vgl. Paul M K A T , Dotierte Ehe — rechte Ehe. Zur Entwicklung des Eheschließungsrechts in fränkischer Zeit (Rheinisch-Westfälische Akademie der Wissenschaften. Vorträge G 227) Opladen 1978; WEMPLE, Women (wie Anm. 29) S. 88ff. (neue Heiratsstrategie des Adels); Jo-Ann McNAMARA/Suzanne F. WEMPLE, Marriage and Divorce in the Frankish Kingdom, in: Women in Medieval Society (wie Anm. 15) S. 95-124; L.A. DE BRUIN, Een levende schakel. De Frankische bruidsgift in de formulieren van Marculf, in: Vrouw, familie en macht (wie Anm. 22) S. 79-98. Unterschiedliche Ehemodelle der Laien und der Kirche konstatiert Georges DUBY, Le mariage dans la soci6tö du Haut Moyen Äge, in: II matrimonio Bd. 1 (wie Anm. 55) S. 15-39. Zum anfangs verbreiteten Konkubinat bei den Angelsachsen, das erst allmählich in die Illegalität abgedrängt wurde: Margaret Clunies ROSS, Concubinage in AngloSaxon England, Past and Present 108, 1985, S. 3-34.

58 59

Vgl. Georges DUBY, Ritter, Frau und Priester (wie Anm. 8). Vgl. Ren6 METZ, Le Statut de la femme en droit canonique mididval, in: La femme (wie Anm. 38) Bd. 2, S. 59-113. Jo-Ann McNAMARA/Suzanne F. WEMPLE, The Power of Women through the Family in Medieval Europe: 500 to 1100, in: Clio's Consciousness Raised (wie Anm. 15) S. 103-118; WEMPLE, Women (wie Anm. 29) S. 97ff„ bes. S. 106.

60

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durch Einschränkung der privaten Erbfähigkeit — zu vermehren.61 Zweifellos aber wachte die Kirche nun über eheliche Moral und Sexualität, Funktionen, die ursprünglich allein von der Familie selbst (der "Sippe") ausgeübt wurden.62 Die unterschiedliche Bewertung des Ehebruchs in kirchlichem und weltlichem Recht hat Wolfgang Graf herausgearbeitet: Im weltlichen Recht galt der Ehebruch als eine Privatangelegenheit, die Scheidung lag praktisch einseitig in der Hand des Mannes (diese These scheint mir allerdings überspitzt); das kirchliche Recht weitete den Begriff des Ehebruchs auf die Verlobten sowie auf einen rein gedanklichen Vollzug aus und verhängte strenge Strafen, die für Frauen aber grundsätzlich gleiches Recht forderten.63 Es ist bezeichnend für den Forschungsstand, daß in den bislang jüngsten Aufsätzen zum Eherecht Raymund Kottje die Minderstellung der Frauen vollauf bestätigt findet,64 während Gabriele von Olberg die Betonung der Hausgemeinschaft in den Eherechten hervorhebt. Das ursprünglich bedeutendste Wertkriterium, so lautet ihre These, nämlich die Gebärfähigkeit der Frau, die der Waffenfähigkeit des Mannes entsprach, wurde in der Folgezeit zugunsten einer ständerechtlichen Differenzierung zurückgedrängt.65 (Tatsächlich mußten sich solche Kriterien aber nicht gegenseitig ausschließen.) Man sieht, wie die Interpretationen selbst bei einigermaßen klar erkennbaren Rechtsnormen auseinandergehen können. Ein abschließendes Urteil ist nicht in Sicht. Das aus dem rechtlichen Rahmen erwachsende alltägliche und lebenspraktische Verhältnis der Geschlechter in der Ehe ist bislang überhaupt erst in Ansätzen und im Kontext der Forschungen über Ehe und Familie66 angegangen worden. Die kirchliche Ehetheorie ist zwar vielfach, zuletzt umfassend von Philip Reynolds in seinem Buch über die Verchristlichung der Ehe,

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Jack GOODY, The Development of the Family and Marriage in Europe (Past and Present Publications) Cambridge 1983 (dt. Die Entwicklung von Ehe und Familie in Europa, Berlin 1986). Vgl. Vern L. BULLOUGH, Formation of medieval ideals: Christian theory and practice, in: BULLOUGH/BRUNDAGE, Sexual Practices (wie Anm. 45) S. 14-21; zu Bußbüchern vgl. unten Anm. 178. Wolfgang GRAF, Der Ehebruch im fränkischen und deutschen Mittelalter unter besonderer Berücksichtigung des weltlichen Rechts, Diss, (iur.) Würzburg 1982. Zur Scheidung vgl. unten Kapitel 4, S. 185ff. Raymund KOTTJE, Eherechtliche Bestimmungen der germanischen Volksrechte (5 .-8. Jh.), in: Frauen in Spätantike und Frühmittelalter (wie Anm. 32) S. 211-220. Gabriele VON OLBERG, Aspekte der rechtlich-sozialen Stellung der Frauen in den frühmittelalterlichen Leges, ebd. S. 221-235. Vgl. vor allem David HERLIHY, Medieval Households, Cambridge/Mass.-London 1985, zum Frühmittelalter S. 56ff.; Jean VERDON, La femme et la vie familiale en France aux DC-XF sifecles, in: Trames. Travaux et Mimoires de l'Universiti de Limoges. U.E.R. des Lettres et Sciences Humaines, coli. Histoire 2, Limoges 1977, S. 63-83.

Forschungsstand und Forschungsperspektiven

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behandelt worden,67 beschränkt sich meist jedoch auf die patristischen (und dann wieder die scholastischen Vorstellungen). Reynolds geht ansatzweise aber auch auf die frühmittelalterlichen Autoren, vor allem auf Hinkmar von Reims, ein.68 Kirchlichen Autoren wird zumeist ein negatives oder zumindest ein gespaltenes Verhältnis zur Ehe nachgesagt. Die Wertschätzung der Ehe und der Ehefrauen in der karolingischen Gesellschaft aus kirchlicher Sicht hat kürzlich aber Kattien Heene herausgestellt und die These einer Frauenfeindlichkeit kirchlicher Autoren bestritten.69 Daß auch Liebe keineswegs erst eine Entdeckung des 12. Jahrhunderts ist und daß kirchliche Normen zu einer Gleichbehandlung der Geschlechter tendierten, hat soeben Wilfried Hartmann betont.70 So ist die Forschung auch in diesen Bereichen in jüngster Zeit in Bewegung geraten.

3. Lebensformen und Stände Hatten die Forschungen zur Rechtsstellung der Frauen schichten- und standesspezifische Unterschiede meist nur bedingt berücksichtigt, so tritt dieser Aspekt in Arbeiten über verschiedene weibliche Lebensformen deutlicher hervor. Dabei gab es im frühen Mittelalter keine ausschließlich weibliche, den Frauen vorbehaltene Lebensform, sondern allenfalls eine frauenspezifische Lebensgestaltung innerhalb der grundsätzlich beiden Geschlechtern zugänglichen Lebensweise.71 Auch das stieß in den gesellschaftlichen Normen an Grenzen, gewährte jedoch zumindest den

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Philip Lyndon REYNOLDS, Marriage in the Western Church. The Christianization of Marriage during the Patristic and early medieval periods (Supplements to Vigiliae Christianae 24) Leiden-New York-Köln 1994, der die römischen, germanischen und kirchlichen Traditionen überblickt Ebd. S. 388ff. Eine überarbeitete Fassung der Genter Dissertation von Katrien HEENE über die Einstellungen geistlicher Autoren zu Ehe, Mutterschaft und Frau (Vrouw, huwelijk, moedershap. Norm en beeld in de latijnse belerende geschriften van het karolingische Frankenrijk, Gent 1993) wird in Kürze, vermutlich unter dem Titel "Women and Women's Matters: Speaking of Women, Marriage and Maternity in Carolingian Edifying Sources", in englischer Übersetzung erscheinen. Dort ist auch das Geschlechterveihältnis behandelt. Ich danke der Autorin für die Vorwegauskunft. Einige Aspekte dieser Arbeit berühren sich, soweit ich sehe, enger mit den nachfolgenden Untersuchungen. Näheres vgl. unten Kapitel 5, S. 226ff.

70

Wilfried HARTMANN, Über Liebe und Ehe im früheren Mittelalter. Einige Bemerkungen zu einer Geschichte des Gefühls, erscheint in: Festschrift Rudolf Weigand (Studia gratiana) 1995, S. 1-28. Ich danke dem Autor für die Möglichkeit der Einsicht in den Beitrag vor der Drucklegung.

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Vgl. GOETZ, in: Weibliche Lebensgestaltung (wie Anm. 37) S. 180f.

Historiography femiiiarum

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Grafik 1: Schematische Darstellung weiblicher Lebensformen im Mittelalter

Weib ich

EHEFRAU WITWE

Geistlich

UNVERHEIRATETE FRAU

NONNE

DIAKONISSE

- Äbtissin Wiederheirat

lostereintritt - Nonne

Eheformen - Muntehe - Friedelehe - Konkubinat Stand: - Adlige - Freie - Halbfreie - Unfreie

Funktionsbereich: - Königin - Herrin - Bäuerin - Magd

Alter: - noch nicht gebärfähig - gebärfähig - nicht mehr gebärfähig

Forschungsstand und Forschungsperspektiven

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Oberschichten Möglichkeiten einer alternativen Lebensgestaltung (ohne daß diese zwangsläufig frei gewählt sein mußte). Als die beiden wichtigsten, wenngleich nicht die einzigen Lebensformen sind zweifellos das Kloster (die geistliche Form) und die Ehe (als weltliche Form) anzusehen. Sie bilden auch die beiden Schwerpunkte in der umfänglichen Arbeit Suzanne Wemples.72 Zuletzt ist jedoch mehrfach zu Recht betont worden, daß man darin nicht zwei unvereinbare und undurchlässige Gegensätze erblicken sollte.73 Zudem gab es Differenzierungen innerhalb der Lebensformen Kloster und Ehe (Grafik 1). Ehelosigkeit war darüber hinaus kein ausschließlich geistliches Phänomen, doch ist die zweifellos vorhandene weltliche Ehelosigkeit bislang überhaupt noch nicht einer eigenen Untersuchung gewürdigt worden.14 Während die Stellung der Ehefrauen sich entweder der bereits besprochenen rechtsgeschichtlichen Betrachtung oder der Untersuchung einzelner "Stände" einordnet, gibt es über Frauenklöster und -stifte eine Reihe einschlägiger Arbeiten, die teils übergreifend,75 teils bestimmten Gegenden gewidmet sind76 oder sich mit

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Wie Anm. 29. Vgl. resümierend Hans-Werner GOETZ, Frauenbild und weibliche Lebensgestaltung im fränkischen Reich, in: Weibliche Lebensgestaltung (wie Anm. 37) S. 7-44, bes. S. 13ff. Ansätze dazu demnächst bei Hans-Werner GOETZ, Ehe und Ehelosigkeit in der frühmittelalterlichen Gesellschaft. Soziale Norm und alltägliche Realität, in: Ehe und Familie in Mittelalter und Renaissance, hg. v. Wilhelm Busse (Studia humaniora; im Druck). Vgl. ENNEN, Frauen (wie Anm. 6) S. 75ff.; KETSCH (wie Anm. 12) Bd. 2, S. 266ff.; kurz PERNOUD (wie Anm. 9) S. 26ff.; Suzanne Fonay WEMPLE, Monastic Life of Women from the Merovingians to the Ottomans, in: Hrotsvit of Gandersheim — rara avis in Saxonia?, hg. v. Katharina Μ. Wilson (Medieval and Renaissance Monograph Series 7) Michigan 1987, S. 35-54. Ohne stärkere Berücksichtigung der frühmittelalterlichen Verhältnisse bleibt der weitgespannte Überblick von Michel PARISSE, Les nonnes au moyen äge, Le Puy 1983. Zum hochmittelalterlichen England: Sally THOMPSON, Women Religious. The Founding of English Nunneries after the Norman Conquest, Oxford 1991; zum hochmittelalterlichen Frankreich: Penelope D. JOHNSON, Equal in Monastic Profession. Religious Women in Medieval France (Women in Culture and Society) Chicago-London 1991. Vgl. Suzanne Fonay WEMPLE, Female Monasticism in Italy and its Comparison with France and Germany from the Ninth through the Eleventh Century, in: Frauen in Spätantike und Frühmittelalter (wie Anm. 32) S. 291-310, die einen zeitweisen Niedergang, und Michel PARISSE, Les femmes au monastöre dans le Nord de l'Allemagne du IXe au Xle sifecle. Conditions sociales et religieuses, ebd. S. 311-324, der einen Aufschwung seit dem 9. Jh. feststellt Ferner Lisa M. BITEL, Women's Monastic enclosures in early Ireland: a study of female spirituality and male monastic mentalities, Journal of Medieval History 12, 1986, S. 1536. Einen Überblick über die in den einzelnen Kirchenprovinzen höchst unterschiedliche räumliche Verteilung der Frauenklöster Südfrankreichs im 9. - 11. Jh. gibt Jean VERDON, Recherches sur les monastferes föminins dans la France du Sud aux IX' - ΧΓ sifecles, Annales du Midi 88, 1976, S. 117-138. Im 10. Jh. gerieten viele dieser Klöster in wirtschaftliche Schwierigkeiten; vgl. DERS., Notices sur le röle dconomique des monastferes fdminins en

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Historiographia feminarum

einzelnen Klöstern befassen.77 Verschiedene Arbeiten untersuchen die wenigen erhaltenen Klosterregeln für Nonnen, die "Regula ad virgines" des Caesarius von Arles im frühen 6. Jahrhundert und die Aachener Konzilsbeschlüsse (Institutio sanctimonialium) von 8 1 6 , " ohne sie bisher aber unmittelbar mit Mönchsregeln zu konfrontieren. Dabei handelt es sich erneut um (kirchliche) Rechtsquellen, die die Norm festlegen, nicht aber die Realität des Klosterlebens widerspiegeln. Cordula Nolte79 und Jane Tibbetts Schulenburg80 machten aber auch auf die zumindest der Norm nach für Frauen besonders strikte Einschließung in das Kloster (Klausur) aufmerksam; Schulenburg sah darin geradezu einen Grund für den Verfall und ein nachlassendes Interesse der Frauen am Klosterleben. Hier wie auch in anderen Arbeiten steht die Entwicklung im Laufe des Frühmittelalters im Vordergrund. In dem berühmten Aufstand der Nonnen im Radegundkloster Poitiers im Jahre 589 kurz nach dem Tod der Gründerin, über den Gregor von Tours berichtet, zeigt sich nach Georg Scheibelreiter noch die Diskrepanz zwischen adligem Leben und klösterlicher Norm, der sich die Königstöchter Chrodhild und Basina nicht beugen wollten.81 Suzanne Wemple betont entsprechend, daß das Klosterleben im 6. Jahrhundert noch eine Art Rebellion

France dans la seconde moitte du IX e et au döbut du X" sifecle, Revue Mabillon 58, 1970/75, S. 329-343. Ähnlich Mary SKINNER, Benedictine Life for Women in Central France, 8501100: a Feminist Revival, in: Medieval Religious Women 1 (wie Anm. 16) S. 87-113. Janemarie LUECKE, The Unique Experience of Anglo-Saxon Nuns, in: ebd. 2 (wie Anm. 16) S. 55-65, spricht vom großen Zeitalter der Nonnen. Demgegenüber einschränkend zur Selbstbestimmung weiblichen Klosterlebens: Barbara YORKE, 'Sisters Under the Skin'? AngloSaxon Nuns and Nunneries in Southern England, in: Medieval Women in Southern England (wie Anm. 15) S. 95-117. 77

Solche Titel können hier nicht im einzelnen erfaßt werden.

78

Cordula NOLTE, Klosterleben von Frauen in der frühen Merowingerzeit. Überlegungen zur Regula ad virgines des Caesarius von Arles, in: Frauen in der Geschichte VII (wie Anm. E/17) S. 257-271; Petra HEIDEBRECHT/Cordula NOLTE, Leben im Kloster: Nonnen und Kanonissen. Geistliche Lebensformen im frühen Mittelalter, in: Weiblichkeit in geschichtlicher Perspektive (wie Anm. E/l) S. 79-115. Ausführlich Maria Caritas MCCARTHY, The Rule for Nuns of St. Caesarius of Aries. A translation with a critical introduction (The Catholic University of America. Studies in Medieval History n.s. 16) Washington 1960, die aber noch nicht nach "weiblichen" Elementen der Regel, sondern nach der quellenkritischen Abhängigkeit von den Kirchenvätern fragt.

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NOLTE, Klosterleben (wie Anm. 78).

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Jane Tibbetts SCHULENBURG, Strict Active Enclosure and Its Effects on the Female Monastic Experience ( c a 500-1100), in: Medieval Religious Women 1 (wie Anm. 16) S. 5186.

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Georg SCHEIBELREITER, Königstöchter im Kloster. Radegund (t 587) und der Nonnenaufstand von Poitiers (589), Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 87, 1979, S. 1-37.

Forschungsstand und Forschungsperspektiven

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gegen die Pläne der Familie bedeutete, während sich das klösterliche Ideal danach allgemein durchzusetzen vermochte.82 Susanne Wittern zeigt das am Beispiel zweier heiliger Königinnen auf; bei Balthild war der frühere Gegensatz weltlich—christlich einem Gegensatz weltlich—klösterlich gewichen.83 Im 9. Jahrhundert verloren die Klöster nach Wemple für Frauen ihre Attraktivität, eben weil die Stellung der Ehefrau sich verfestigen konnte.84 Solche Thesen bedürfen noch der Überprüfung. Die geistliche Lebensform war in sich keineswegs einheitlich gestaltet. Auf die institutionelle Differenzierung in Nonnen und Kanonissen macht Donald Hochstetler in seiner gründlichen Dissertation aufmerksam; dabei habe sich am Ende die nichtmonastische Lebensform durchgesetzt, weil sie adelsgemäßer gewesen sei und die Bindungen an die Adelsfamilien aufrechterhielt, sie sei auf kirchliches Drängen hin im Zuge der Reform zur Zeit Ludwigs des Frommen gleichzeitig aber der monastischen Lebensform angeglichen worden.85 Das ist als typologische Entwicklung sicher richtig gesehen. Es bleibt allerdings zu bedenken, daß monastische und nichtmonastische Gemeinschaften vor dem 9. Jahrhundert zwar als unterschiedliche Institutionen bekannt, in der konkreten Praxis aber kaum unterscheidbar waren, während man sie danach zwar institutionell (in Klöstern und Stiften) absonderte, die Lebensweise infolge der Angleichung jedoch ähnlicher wurde. Nicht weniger kompliziert gestaltet sich das Verhältnis von Kloster und "Welt". Gegenüber der veralteten, in der Frauenforschung aber immer wieder anzutreffenden Ansicht, daß die Klöster einen strikten Gegenpol zur laikalen Gesellschaft bildeten, stellt Dagmar Baltrusch-Schneider in ihrer immer noch ungedruckten Dissertation anhand des angelsächsischen Materials stärker den Einfluß zumindest der Äbtissinnen und den ständigen Kontakt der Nonnenklöster mit der "Welt" heraus. Frauenkonvente waren noch keineswegs streng von den Männerklöstern getrennt.86 Diese Ergebnisse be-

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WEMPLE, Women (wie Anm. 29) S. 150ff. Susanne WITTERN, Frauen zwischen asketischem Ideal und weltlichem Leben. Zur Darstellung des christlichen Handelns der merowingischen Königinnen Radegunde und Balthilde in hagiographischen Lebensbeschreibungen des 6. und 7. Jahrhunderts, in: Frauen in der Geschichte VII (wie Anm. E/17) S. 272-294. WEMPLE, Women (wie Anm. 29) S. 171. Donald Dee HOCHSTETLER, A Conflict of Traditions: Consecration for Women in the Early Middle Ages, Diss. Michigan State Univ. 1981. Dagmar Beate SCHNEIDER, Anglo-Saxon Women in the Religious Life: A Study of the Status and Position of Women in an Early Mediaeval Society, Diss, (masch.) Cambridge 1986. Vgl. bereits Joan NICHOLSON, Feminae gloriosae: Women in the Age of Bede, in: Medieval Women (wie Anm. 15) S. 15-29.

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Historiographia feminarum

dürfen noch der Überprüfung anhand der kontinentalen Zustände, in denen Doppelklöster (von Mönchen und Nonnen) anscheinend weit weniger verbreitet waren als in England.87 Die Klöster waren aber zweifellos ein integrierter Bestandteil der Adelsgesellschaft. 88 Unter diesem Gesichtspunkt sind auch Kloster und Ehe zwar als letztlich unvereinbare Lebensformen, jedoch nicht unbedingt als Gegensätze zu begreifen. Mehrfach — vor allem von Wemple und McNamara, die mehrere Beiträge in Gemeinschaftsarbeit erstellt haben — wurde das Kloster zumindest für die adligen Frauen nicht nur als alternative Lebensform gegenüber der Ehe, sondern geradezu als Flucht vor dem Ehemann,89 aus dem Überlebenskampf der Frauen in einer Männerwelt heraus,90 gedeutet. Eine solche Inteipretation muß zwangsläufig die — zweifellos vorrangigen — religiösen Motivationen ebenso unterbewerten91 wie die Quellentendenz entsprechender Belege, die bezeichnenderweise durchweg aus Heiligenviten stammen, deren Verfasser die vollkommene Askese ihrer Protagonisten herausstellen wollten.92 Die zahlenmäßig noch weit bedeutenderen Mönchsklöster ließen sich bei solcher Motivation kaum erklären. Die These scheint demnach in der Verallgemeinerung wenig stichhaltig.93 Wohl aber bot der Konvent unverheirateten Frauen einen Schutz,94 der den behüteten Lebenskreis der Familie ersetzte. Zu Recht bezeichnet Dagmar Baltrusch-Schneider das Klosterleben daher als Alternative nicht zur Ehe, sondern zur (weltlichen) Ehelosigkeit.95

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Vgl. auch HOLLIS, Anglo-Saxon Women (wie Anm. 16) S. 271ff„ die die Leobavita Rudolfs von Fulda als eine Elegie für das Doppelkloster interpretiert. Es ist müßig, hier auf die reiche Forschungsliteratur zu verweisen; vgl. stellvertretend Friedrich PRINZ, Frühes Mönchtum im Frankenreich. Kultur und Gesellschaft in Gallien, den Rheinlanden und Bayern am Beispiel der monastischen Entwicklung (4.-8. Jh.), München-Wien 1965. So WEMPLE, Women (wie Anm. 29) S. 190f. So Jo-Ann McNAMARA, A Legacy of Miracles: Hagiography and Nunneries in Merovingian Gaul, in: Women of the Medieval World (wie Anm. 15) S. 36-52. Von einer Alternative zur Ehe gehen auch Ursula GAUWERKY, Frauenleben in der Karolingerzeit. Ein Beitrag zur Kulturgeschichte, Diss, (masch.) Göttingen 1951, S. 183ff.; AFFELDT/REITER (wie Anm. 133) S. 198f. und HEIDEBRECHT/NOLTE (wie Anm. 78) S. 83, aus. Darauf verweisen zu Recht HEIDEBRECHT/NOLTE, ebd. S. 82f. Auf die Schwierigkeit des Frühmittelalters, Ehefrauen als Heilige zu feiem, verweist Marc GLASSER, Marriage in Medieval Hagiography, Studies in Medieval and Renaissance History, n.s. 4, 1981, S. 1-34. Vgl. unten Kapitel 3, S. 105ff. Darauf verweist McNAMARA, A Legacy of Miracles (wie Anm. 90) S. 52. Dagmar Beate BALTRUSCH-SCHNEIDER, Klosterleben als alternative Lebensform zur Ehe?, in: Weibliche Lebensgestaltung (wie Anm. 37) S. 45-64.

Forschungsstand und Forschungsperspektiven

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Schon früh hat sich die Forschung im Rahmen der asketischen Lebensform auch der (echten oder klösterlichen) Jungfräulichkeit und ihrer Vollendung im Heiligenideal zugewandt.96 Maria Stoeckle untersuchte bereits 1957 die Tugendideale der Frauenviten des 7.-10. Jahrhunderts und stellte fest, daß das männliche Ideal der Stärke und des Heldentums besonders in der Karolingerzeit gem auf heilige Frauen übertragen wurde.97 Stärker feministische Fragestellungen wurden von amerikanischer Seite angeregt. Suzanne Wemple suchte anhand dreier weiblicher Heiliger, Radegund, Balthild und Aldegund, eine spezifisch feminine Form der Spiritualität zu erweisen, deren Kennzeichen nicht Selbstverleugnung gewesen sei.98 Jane Tibbetts Schulenburg wies auf den mit unter 15% sehr niedrigen, aber zeitlich erheblich schwankenden Anteil weiblicher Heiliger hin, der im Zeitraum von 650 bis 750 und wieder zwischen 900 und 950 immerhin 20% überstieg.99 Bleibt die gegenüber männlichen Heiligen auffallend niedrige Zahl insgesamt bezeichnend, so sind Schulenburgs zeitliche Differenzierungen allerdings kaum brauchbar, da sie ihren Berechnungen die mentalitätsgeschichtlich wenig aussagekräftige Lebenszeit der Heiligen, nicht aber die davon oft erheblich abweichende Abfassungszeit der Viten zugrundelegt; sie erst ließe die religiöse Einstellung und das spezifische Interesse der Zeitgenossen an den Frauenviten erkennen.100 Daß sich auch das Heiligenideal im Verlauf des frühen Mittelalters wandelte, zeigt Susanne Wittern in einer entwicklungsgeschichtlichen Studie an Frauenviten des 4.-7. Jahrhunderts auf:101 Die frühmittelalterlichen Viten setzten

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Vgl. Eleanor McLAUGHLIN, Women, Power and the Pursuit of Holiness in Medieval Christianity, in: Women of Spirit (wie Anm. 16) S. 99-130; John BUGGE, Virginitas. An Essay in the History of a Medieval Ideal, The Hague 1975; beide Arbeiten differenzieren allerdings kaum nach Epochen; Jane Tibbetts SCHULENBURG, The Heroics of Virginity. Brides of Christ and Sacrificial Mutilation, in: Women in the Middle Ages and Renaissance. Literary and Historical Perspectives, hg. v. Mary Beth ROSE, Syracuse 1986, S. 39-72. Vgl. auch LUCAS (wie Anm. 4) S. 19ff. und die dem Thema der Jungfräulichkeit (Verginitä) gewidmeten Beiträge in Quaderni storici 75/3, 1990.

Maria STOECKLE, Studien über Ideale in Frauenviten des VII. - X. Jahrhunderts, Diss, (masch.) München 1957. 98 Suzanne Fonay WEMPLE, Female Spirituality and Mysticism in Frankish Monasteries: Radegund, Balthild and Aldegund, in: Medieval Religious Women 2 (wie Anm. 16) S. 39-53. 99 Jane Tibbetts SCHULENBURG, Female Sanctity: Public and Private Roles, ca. 500-1100, in: Women and Power in the Middle Ages (wie Anm. 15) S. 102-125; DIES., Sexism and the celestial gynaeceum - from 500 to 1200, Journal of Medieval History 4, 1978, S. 117-133. 100 Vgl. dazu unten Kapitel 3, S. 112ff. 101 Susanne WITTERN, Frauen, Heiligkeit und Macht Lateinische Frauenviten aus dem 4. bis 7. Jahrhundert (Ergebnisse der Frauenforschung 33) Stuttgart-Weimar 1994; vgl. DIES., Frauen zwischen asketischem Ideal (wie Anm. 83).

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Historiographia feminaram

die weltliche Stellung nicht mehr wie ihre spätantiken Vorläufer den asketischen Tugendidealen entgegen, sondern suchten sie zu integrieren und betonten deutlicher das aktive Wirken der Heiligen. Auch das verringerte den Gegensatz zwischen geistlicher und weltlicher Lebensform. Damit verband sich aber ein neues, "monastisches" Heiligenideal und eine neue Zielgruppe der Hagiographie in den Nonnenkonventen. Zu vergleichbaren Ergebnissen kommt, ohne Kenntnis dieser Arbeit, Cristina Papa, die in Radegund und Balthild zwei Entwicklungsmodelle der — nicht gesellschaftsspezifischen — Heiligkeit erblickt, die bei Balthild zur stärkeren Betonung der königlichen Würde führen.102 Die Verknüpfung des weiblichen Heiligenideals mit den gesellschaftlichen Zuständen betont auch Marta Cristiani.103 An solche Studien ist anzuknüpfen. Unter den weltlichen Lebensformen der Frauen, die, von der Rechtsstellung abgesehen, meist von der Funktion oder vom Stand her untersucht wurden, bilden die Königinnen dank der Quellenlage den beliebtesten Forschungsgegenstand.104 In Byzanz konnten Frauen gelegentlich sogar als Herrscherinnen kraft eigenen Rechts, nämlich in Erbfolge, auftreten und wurden grundsätzlich als solche akzeptiert.105 Im abendländischen Reich trat die Königin zumindest an der Seite des Königs in das Zentrum politischer Aktivitäten. Ihre Rolle als consors regni, als Teilhaberin an der Herrschaft, ist vor allem für die ottonisch-salische Zeit schon lange gewürdigt106 und jüngst von Franz-Reiner Erkens und Kurt-Ulrich Jäschke wieder ins Gedächtnis gerufen worden: Die Königinnen waren "notwendige Gefährtinnen".107 (Jäschke betrachtet sie typologisch und in der Tendenz durchaus zu-

102 Cristina PAPA, Radegunda e Batilde: Modelli di santitä regia femminile nel regno Merovingio, Benedictina 36, 1989, S. 13-33. 103 Marta CRISTIANI, La sainteti fiminine du haut Moyen Äge. Biographie et valeurs, in: Les fonctions des saints (wie Anm. ΠΙ/51) S. 385-434. 104 Vgl. allgemein ENNEN, Frauen (wie Anm. 6) S. 48ff.; KETSCH, Frauen (wie Anm. 12) Bd. 2, S. 36Iff. 105 Vgl. dazu Rudolf HIESTAND, Eirene basileus. Die Frau als Herrscherin im Mittelalter, in: Der Herrscher. Leitbild und Abbild in Mittelalter und Renaissance, hg. v. Hans Hecker (Studia humaniora 13) Düsseldorf 1990, S. 253-283. 106 Vgl. Thilo VOGELSANG, Die Frau als Herrscherin im hohen Mittelalter. Studien zur "consors regni"-Formel, Frankfurt-Berlin 1954. 107 Franz-Reiner ERKENS, Die Frau als Herrscherin in ottonisch-frühsalischer Zeit, in: Kaiserin Theophanu. Begegnung des Ostens und Westens um die Wende des ersten Jahrtausends, hg. v. Anton von Euw und Peter Schreiner, Köln 1991, S. 245-259 (mit Rückblicken auf die Karolingerzeit); Kurt-Ulrich JÄSCHKE, Notwendige Gefährtinnen. Königinnen der Salierzeit als Herrscherinnen und Ehefrauen im römisch-deutschen Reich des 11. und beginnenden 12. Jahrhunderts (Historie und Politik 1) Saarbrücken 1991» DERS.» Tarnen virilis ρ rob itÜS in femina vicit. Ein hochmittelalterlicher Hofkapellan und die Herrscherinnen — Wipos Äuße-

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treffend mehr als "Gemahlinnen" des Königs denn als "Herrscherinnen", doch darf man bezweifeln, daß die Zeitgenossen selbst solche Unterschiede gemacht haben.) Die Frage wurde aber auch für die frühere Zeit untersucht. Scheinbar am Beginn der modernen Forschung, aber noch ganz in kulturgeschichtlicher Tradition, steht der bereits 1951 unternommene Versuch von Ursula Gauwerky, biographisches Material über "Frauenleben" von Herrscherinnen und Nonnen des frühen Mittelalters zusammenzutragen, wobei sie im Quellenbild zwei Extreme entdeckte: die rücksichtslosen Fürstinnen und die asketischen Heiligen.108 Eine solche Polarisierung ist allerdings der Quellentendenz anzulasten. Lebensbilder einzelner Herrscherinnen folgten.109 Bereits 1978 verwies Pauline Stafford auf die Aktivitäten der angelsächsischen Königinnen in der Familienpolitik zur Durchsetzung des Herrschaftsanspruchs ihrer Söhne.110 Janet Nelson arbeitete in einem grundlegenden Beitrag am Beispiel Brunichilds und Balthilds die Bedeutung der Herrscherin in der Politik, vor allem, jedoch keineswegs ausschließlich, als Regentin minderjähriger Söhne heraus, während übergroßer Einfluß zu Konflikten führte, die sie Geschichtsschreibern und Hagiographen in historischer Allegorie als zweite Jezabel (Isebel) erscheinen ließ: als symbolhafte Nachfolgerin der Frau des alttestamentlichen Königs Ahab, die heidnische Kulte förderte und den Propheten Elia verfolgen ließ.111 Stafford hat den frühmittelalterlichen Königinnen später eine umfassende

Karl J. LEYSER, Herrschaft und Konflikt. König und Adel im ottonischen Sachsen (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 76) Göttingen 1984, bes. S. 82ff. Zu den heiligen Königinnen: Patrick CORBET, Les saints ottoniens. Saintetö dynastique, sainted royale et saintet6 fömininc autour de Γ an mil (Beihefte der Francia 15) Sigmaringen 1986. 108 GAUWERKY (wie Anm. 90), das Zitat S. 252. 109 Vgl. Klaus SCHREINER, "Hildegardis regina". Wirklichkeit und Legende einer karolingischen Herrscherin, Archiv für Kulturgeschichte 57, 1975, S. 1-70; PERNOUD (wie Anm. 9) S. 1 Iff. zu Chrodechilde; Jane HYAM, Ermentrude and Richildis, in: Charles the Bald: Court and Kingdom, hg. v. Margaret Gibson, Janet Nelson und David Ganz (BAR International Series 101) Aldershot 2 1990, S. 154-168; Jean-Pierre LAPORTE, La reine Bathilde ou l'ascension sociale d'une esclave, in: La femme (wie Anm. 15) S. 147-169; Elizabeth WARD, Caesar's Wife. The Career of the Empress Judith, 819-829, in: Charlemagne's Heir. New Perspectives on the Reign of Louis the Pious (814-840), hg. v. Peter Godman und Roger Collins, Oxford 1990, S. 205-227. 110 Pauline STAFFORD, Sons and mothers: Family Politics in the Early Middle Ages, in: Medieval Women (wie Anm. 15) S. 79-100. 111 Janet L. NELSON, Queens as Jezebels: The Careers of Brunhild and Balthild in Merovingian History, ebd. S. 31-77. Methodisch anfechtbar ist der Versuch von August NITSCHKE, Brunhilde und Hiltgund. Beobachtungen zum Verhaltenswandel der Frauen im frühen Mittelalter, in: Sprache und Recht. Beiträge zur Kulturgeschichte des Mittelalters. Festschrift Ruth Schmidt-Wiegand, Bd. 2, Berlin-New York 1986, S. 532-553, die Aktivität frühmittelalterlicher Frauen aus der germanischen Tradition abzuleiten.

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und ausgewogene Monographie gewidmet und zu Recht Nelsons These bestätigt, daß die Stellung der Herrscherinnen nicht institutionell geregelt war, sondern von ihrer Persönlichkeit abhing (gerade dadurch aber einen großen Handlungsspielraum ließ).112 Dagegen betonte Brigitte Merta für die merowingische Zeit noch die ungesicherte Stellung der Königin, die stets in Gefahr war, verstoßen oder ermordet zu werden (wobei sie die Aktivitäten einzelner Frauen aber sichtlich unterbewertet).113 Die sozialen und institutionellen Strukturen und die mentale Erwartungshaltung gestatteten beides: Abhängigkeit der Königin und Einfluß, je nach den konkreten Verhältnissen. Die Historien Gregors von Tours belegen das vielfach. Die Frau, so hatte schon Gauwerky geschlossen, sei Opfer der Ereignisse gewesen — falls sie das Geschehen nicht selbst lenkte:114 Tatsächlich waren es nicht wenige, denen das gelang.115 Den Einfluß der westfränkischen Königin betont jetzt auch Franz-Reiner Erkens, auch wenn sie im 9. Jahrhundert noch relativ selten als Intervenientin in Königsurkunden auftrat und der auf die sakrale Sphäre der Weihe bezogene Begriff der consors regni nur gelegentlich begegnet. Gerade die Salbung der Königin (die bei Irmindrud, der Gemahlin Karls des Kahlen, im Zusammenhang mit dem Wunsch nach weiteren Thronfolgern zu sehen sei) bedeute aber eine Aufwertung."6 Tatsächlich verweisen zahlreiche Belege auf Handlungsspielräume hoher Damen in Politik und Kirche. Sie leiteten sich aber aus individueller Aktivität ab, begründeten sich häufig, wenngleich keineswegs ausschließlich, aus dem Faktum der Königsnähe und entsprangen nicht immer unmittelbarem politischen Eingreifen, sondern oft einem indirekten Einfluß auf den königlichen Gemahl, ordneten sich in

112 Pauline STAFFORD, Queens, Concubines and Dowagers. The King's Wife in the Early Middle Ages, London 1983. In dieser Hinsicht eher einschränkend zu Judith, der Gemahlin Ludwigs des Frommen, der von jeher eine (verhängnisvolle) Bedeutung in der Reichsentwicklung zugesprochen worden war WARD (wie Anm. 109). Ein zeitweilig angekündigter Sammelband über "Medieval queenship" ist nicht erschienen. 113 Brigitte MERTA, Helenae conparanda regina — secunda Isebel. Darstellung von Frauen des merowingischen Hauses in frühmittelalterlichen Quellen, Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 96, 1988, S. 1-32. 114 GAUWERKY (wie Anm. 90) S. 252. 115 Auf die Macht einzelner merowingischer Königinnen hat jüngst noch einmal Ian WOOD, The Merovingian Kingdoms 450-751, London-New York 1993, S. 120ff., hingewiesen. 116 Franz-Reiner ERKENS, "Sicut Esther regina". Die westfränkische Königin als consors regni, Francia 20/1,1993, S. 15-38. Zur Brautkrönung im früheren Mittelalter: Nikolaus GUSSONE, Trauung und Krönung. Zur Hochzeit der byzantinischen Prinzessin Theophanu mit Kaiser Otto II., in: Kaiserin Theophanu (wie Anm. 107) S. 161-173.

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jedem Fall aber in die Strukturen der frühmittelalterlichen Gesellschaft ein.117 Weiblicher Einfluß zeigte sich nach verbreiteter Ansicht besonders in der Phase der äußeren und dann der inneren Christianisierung, an der gerade die adligen Frauen dank ihrer Missionsbestrebungen beteiligt waren118 — berühmtestes Beispiel ist der welthistorische Einfluß der Katholikin Chrodechilde auf ihren Gemahl Chlodwig, den rigorosen Einiger des Frankenreichs —, doch hat Cordula Nolte in ihrer Dissertation, die der Frage nach der Rolle der Frauen in der Christianisierung im Rahmen von Ehe und Familie nachgeht, aufgedeckt, wie sehr jeder Beleg aus seinen spezifischen Besonderheiten und historischen Gegebenheiten heraus zu verstehen ist; zudem ist der Wortlaut von den Autoren oft stilisiert.119 Der geschlechtsspezifische Anteil der Frauen läßt sich daher nur schwer aufrechnen, ihr Einfluß an sich ist aber unbestreitbar: Frauen waren nicht selten Wegbereiterinnen der Bekehrung ihrer Männer. Sie wirkten, gerade in der früheren Phase, darüber hinaus als Klostergründerinnen und Nonnen, wie überhaupt ein (indirekter) Einfluß der Frauen innerhalb der ihnen von Amts wegen verschlossenen Kirche anscheinend oft unterschätzt worden ist.120 Entsprechend hat man den familiären, auf gegenseitiger Liebe gründenden Einfluß der mittelalterlichen Ehefrauen auf den Glauben und die Sitten der Männer betont.121 Selbst eine militärische Aktivität von Frauen (die im ganzen sicher als Ausnahme zu werten ist) galt nach einer These von Megan McLaughlin anfangs noch keineswegs als völlig ungewöhnlich und stieß erst im Spätmittelalter auf Verwunderung und Ablehnung.122 Insgesamt, so hat man nicht ganz zu Unrecht gemeint, sei die Macht der Frauen nie größer gewesen als im

117 Vgl. GOETZ, Frauenbild (wie Anm. 73) S. 22ff. 118

Vgl. dazu Felice LIFSHITZ, Des femmes missionaires. L'exemple de la Gaule franque, Revue d'histoire ecclisiastique 83,1988, S. 5-33; Jo-Ann M c N A M A R A , Living Sermons: Consecrated Women and the Conversion of Gaul, in: Medieval Religious Women 2 (wie Anm. 16) S. 19-37; Edith ENNEN, Politische, kulturelle und karitative Wirksamkeit mittelalterlicher Frauen in Mission — Kloster — Stift — Konvent, in: Religiöse Frauenbewegung und mystische Frömmigkeit im Mittelalter (wie Anm. 20) S. 59-82.

119 Cordula NOLTE, Conversio und Christianitas. Frauen in der Christianisierung vom 5. bis 8. Jahrhundert, Diss, (masch.) Berlin (FU) 1993, Kap. Π. Die Drucklegung erfolgt in Kürze im Rahmen der Monographien zur Geschichte des Mittelalters. 120 Vgl. dazu jetzt korrigierend HOLLIS, Anglo-Saxon Women (wie Anm. 16). Zur Bekehrungstätigkeit im Spiegel von Bedas Angelsächsischer Kirchengeschichte ebd. S. 208ff. 121

So Jean LECLERCQ, Role et pouvoir des dpouses au moyen äge, in: La femme (wie Anm. 15) S. 87-98; ähnlich Henri PLATELLE, L'6pouse "gardienne aimante de la vie et de l'äme de son mari". Quelques exemples du haut Moyen Äge, ebd. S. 171-185.

122 Megan M c L A U G H L I N , The woman warrior: gender, warfare and society in medieval Europe, Women's Studies 17, 1989, S. 193-209.

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früheren Mittelalter und erst seither ständig gesunken.123 Stellung und Einfluß nichtköniglicher, adliger Damen sind bisher weniger untersucht oder in die Betrachtung der Herrscherinnen (und führenden Schichten) integriert worden. Hinsichtlich der Unterschichten ist einzig dem Aspekt der Frauenarbeit (und damit auch der wirtschaftlichen Bedeutung der Frauen) besondere Aufmerksamkeit geschenkt worden." 4 Eine immer noch brauchbare Übersicht über die Quellenaussagen legte Jutta Barchewitz bereits 1937 vor, indem sie — allerdings noch wenig entwicklungsgeschichtlich oder epochenspezifisch differenzierend — die Frauenarbeit in der Grundherrschaft wie auch in der Eigenwirtschaft betrachtete: "Hofmägden" im unmittelbaren Dienst des Grundherrn oblagen alle niederen häuslichen Arbeiten wie auch Webarbeiten in den "Genitien", den "Frauenarbeitshäusern" an grundherrschaftlichen Fronhöfen. Die "Fronmägde" (d.h. die Bäuerinnen auf den Hufen) waren in die Feldarbeit eingespannt und leisteten Heimarbeit in Form von Back- und Braudiensten sowie wiederum Webarbeit, die zum Symbol für Frauenarbeit schlechthin wurde.125 Einen modernen und nun nach Epochen gegliederten Überblick über die Opera muliebra bietet nun David Herlihy, der über die bäuerliche und hauswerkliche Arbeit hinaus auf Tätigkeitsbereiche in Magie, Medizin und Bildung (in Klöstern) verweist.126 Beiträge zur "Frauenarbeit" der Hörigen wie auch der Herrinnen im frühmittelalterlichen Italien enthält ein italienischer Sammelband. 127 In verschiedenen Aufsätzen ging Ludolf Kuchenbuch stärker der Frage einer geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung nach, indem er sich zunächst mit Ivan Illichs 'Genus'-Konzept auseinandersetzte (wonach das 'Geschlecht'

alle Lebensbereiche

in Form einer Komplementarität der beiden

Geschlechter ordnet) und eine solche, aufeinander abgestimmte Ergänzung auch im

123 So Suzanne F. WEMPLE, Sanctity and Power (wie Anm. 42) S. 131-151. In feinerer zeitlicher Differenzierung konstatiert ERKENS, Frau (wie Anm. 107) vom 9. zum 11. Jahrhundert dagegen einen wachsenden Einfluß. 124 Vgl. KETSCH, Frauen (wie Anm. 12) Bd. 1, S. 86ff. 125 Jutta BARCHEWITZ, Von der Wirtschaftstätigkeit der Frau in der vorgeschichtlichen Zeit bis zur Entfaltung der Stadtwirtschaft, Breslau 1937 (ND. Aalen 1982). Demgegenüber für das frühe Mittelalter weniger brauchbar: Luise HESS, Die deutschen Frauenberufe des Mittelalters, München 1940. 126 David HERLIHY, Opera muliebra. Women and Work in Medieval Europe, Philadelphia 1990, zum Frühmittelalter S. 25ff. 127 Donne e lavoro nell'Italia medievale, hg. v. Maria Giuseppina MUZZARELLI, Paola GALETTI und Bruno ANDREOLLI, Torino 1991. Zum Frühmittelalter: Bruno ANDREOLLI, Tra podere e gineceo. II lavoro delle donne nelle grandi aziende agrarie dell'alto medioevo, ebd. S. 29-40; Paolo GALETTI, La donna contadina. Figure femminili nei contratti agrari italiani dell'alto medioevo, ebd. S. 41-54.

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frühen Mittelalter feststellte, sich aber gegen die übliche, allzu schematische Polarisierung wandte, die den Frauen den inneren, "privaten" Bereich des Hauses und den Männern den äußeren, "öffentlichen" Bereich außerhalb des Hauses zuweist:128 Einerseits läßt sich eine "Trennung der Geschlechter" durch geschlechtsspezifische Tätigkeiten erkennen, wie sie etwa — wegen der andersgearteten Intention nur beiläufig erwähnt und doch als selbstverständlich vorausgesetzt — in Arbeitsverboten an Sonntagen überliefert sind. Andererseits verkürzen solche Polarisierungen die weit komplexere Wirklichkeit. Vor allem aber waren geschlechtsspezifische Arbeiten, die sich — im Leistungskatalog der hufenbäuerlichen Familie — zu einer Einheit verbanden, aufeinander bezogen. In einem jüngeren Aufsatz baute Kuchenbuch diesen methodischen Zugriff aus und untersuchte die (einander ergänzende) Aussage und Aussagekraft verschiedener Quellenarten zum "Frauenwerken".129 Dabei ist es gar keine Frage, daß die Textilarbeit als die Frauenarbeit schlechthin aufgefaßt wurde (wie die Spindel später zum Kennzeichen der Frau auf bildlichen Darstellungen diente), doch stellt dieses Konzept zugleich eine Vereinfachung des von der Bibel inspirierten Fmuenbildes dar, während in der Praxis daneben eine ganze Reihe weiterer Tätigkeitsbereiche in das Blickfeld trat: von der Mutterrolle, der Sorge für die Kinder, bis zur Verfügung über den Besitz. Insgesamt, so meint auch Hedwig Röckelein, kam den Frauen jedenfalls ein beträchtlicher Anteil am Arbeits- und Erwerbsleben zu, und sie waren an der bäuerlichen Hofwirtschaft in höherem Maße beteiligt, als es die Abgaben- und Dienstkataloge der grundherrschaftlichen Urbare erkennen lassen.130 Hingegen erschließt Yuri Bessmertny aus demographischen Daten des Polyptychons von Saint-Germain-desPres bei Paris eine Minderstellung der Landfrauen vom Kindesalter an.131 Sind beide Ansichten richtig, so würden wirtschaftliche Bedeutung und sozialer Status auseinanderfallen. Zum sonstigen "Alltag" weltlicher Frauen in verschiedenen Lebenssituationen hat sich knapp Jean Verdon geäußert, der kursorisch Quellenaussagen zu Geschlech-

128 Ludolf KUCHENBUCH, Trennung und Verbindung im bäuerlichen Werken des 9. Jahrhunderts. Eine Auseinandersetzung mit Ivan Illichs Genus-Konzept, in: Frauen in der Geschichte VII (wie Anm. E/17) S. 227-242. 129 DERS., Opus feminile. Das Geschlechterverhältnis im Spiegel von Frauenarbeiten im früheren Mittelalter, in: Weibliche Lebensgestaltung (wie Anm. 37) S. 139-175. 130 Hedwig RÖCKELEIN, Frauen auf dem Land im frühen und hohen Mittelalter im Spiegel der Grundherrschaften Werden a.d. Ruhr und Essen. Eine Fallstudie, in: Vergessene Frauen (wie Anm. 21) S. 17-50. 131

Yuri L. BESSMERTNY, Κ voprosu ο polozenii zensCiny vo franskoj derevne IX v. (Zur Frage der Stellung der Frauen im fränkischen Dorf im 9. Jh.), in: Srednie veka 44, 1981, S. 97-116.

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terverhältnis, Ehe, Eheleben, Witwenschaft, Körpergröße, Krankheiten und Lebensdauer merowingerzeitlicher Frauen zusammenstellt und die zentrale Bedeutung der Frau im Rahmen ihrer Familie erblickt.132 Die Fülle unterschiedlicher Lebenssituationen wird allein schon in den Historien Gregors von Tours deutlich,133 die ebenfalls die zentrale Rolle der Familie erkennen lassen.134 Aus solcher Beobachtung heraus ist es geradezu erstaunlich, daß erst vor wenigen Jahren die erste umfassende Studie zur Mutterrolle der mittelalterlichen Frauen erschien. Unter dem Titel "The Oldest Vocation" bietet Clarissa Atkinson einen chronologisch gegliederten Überblick, der das frühe Mittelalter allerdings ganz unter den Aspekt einer "geistlichen Mutterschaft" der "außerordentlichen" Frauen im monastischen Milieu stellt. Atkinson ist folglich mehr an den christlichen Idealen als an der Alltagsrealität der Mutterschaft interessiert (die christliche Mutter war geistliche Mutter); das Hochmittelalter sieht sie durch die Marienverehrung, das Spätmittelalter durch heilige Frauen geprägt. Der Eherealität schenkt sie hingegen wenig Beachtung, da es kaum Äußerungen über die Mutterschaft als solche gebe;135 Dhuodas Schrift wertet sie als eine der seltenen Ausdrucksformen mütterlichen Bewußtseins.136 In Wirklichkeit bieten die Quellen aber mehr Möglichkeiten, so daß auch diese gründliche Studie noch manche Lücke hinterließ,137 die nun durch die Dissertationen von Cordula Nolte und Katrien Heene geschlossen ist. Nolte stellt die religiösen Maßnahmen der Frauen zur Heilssicherung ihrer Nachkommen (bei Taufe, Partnerschaft und Wallfahrten) und ihren Anteil an einer christlichen Erziehung und Unterweisung der Kinder heraus.138 Beides verstanden die Zeitgenossen zwar als Aufgabe der Eltern und nicht speziell oder gar ausschließlich der Mütter; die Beispiele

132 Jean VERDON, Les femmes lai'ques en Gaule au temps des Mörovingiens: les rdalitös de la vie quotidienne, in: Frauen in Spätantike und Frühmittelalter (wie Anm. 32) S. 239-261. 133 Dazu Werner AFFELDT/Sabine REITER, Die Historiae Gregors von Tours als Quelle für die Lebenssituation von Frauen im Frankenreich des 6. Jh., in: Frauen in der Geschichte VII (wie Anm. E/17) S. 192-208. 134 Das hat die (maschinenschriftliche) Bochumer Magisterarbeit von Andrea HÖBER, Weibliche Lebensformen im frühen Mittelalter im Spiegel der Historien Gregors von Tours (1991) herausgearbeitet. 135 Clarissa W. ATKINSON, The Oldest Vocation. Christian Motherhood in the Middle Ages, Ithaca-London 1991. Der vorangestellte Überblick über das medizinische Denken über die Weiblichkeit (S. 23ff.) berücksichtigt das frühe Mittelalter nicht. 136 Ebd. S. 96ff. 137 Daß der Ehe erst seit dem 12. Jahrhundert mehr Respekt entgegengebracht wird (so ATKINSON in der Zusammenfassung S. 240f.), wird man bestreiten dürfen; vgl. dazu unten Kapitel 4, S. 190ff. 138 NOLTE, Conversio (wie Anm. 119) Kap. ΠΙ und IV.

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Armentarias, der Mutter Gregors von Tours, oder Herchenefrids, der Mutter des Bischofs Desiderius von Cahors, führen deren Bedeutung jedoch plastisch vor Augen. Kattien Heene, die in ihrer Dissertation stärker mentalitätsgeschichtlichen Aspekten nachgeht, stellt eine allgemeine Akzeptanz und Wertschätzung der Mutterschaft, auch seitens kirchlicher Autoren, fest. In den mütterlichen Empfindungen werde sogar eine übergeschlechtliche Dimension faßbar.139 Als ein eigener "Stand" — im mittelalterlichen Sinn — oder auch als eigene Lebensform werden gern die Witwen betrachtet, die zwar Ehefrauen gewesen waren, sich in der theologischen Heilstheorie durch ihre Ehelosigkeit aber wieder den Jungfrauen annäherten und schon deshalb eine Art Verbindungsglied zwischen weltlicher und geistlicher Lebensform bildeten, weil viele Frauen sich erst als Witwen zu einem religiösen Leben im Kloster entschlossen. Nicht wenige Schriften, Konzilsbeschlüsse und Gesetze haben sich mit ihnen befaßt. Von theologischer Seite als ein gottnaher Stand gewürdigt, hat man durchgängig auch ihre aus größeren Handlungsfreiheiten resultierende rechtliche und soziale Besserstellung behauptet.140 Daran ist erst seit kurzem Kritik geübt worden141 (und tatsächlich zeugen der Witwenschutz und die stehende Wendung vom Königsschutz über Witwen und Waisen ja auch von einer Schutzbedürftigkeit). Genauer hat sich mit dem Schicksal der Witwen im frühen Mittelalter erst ein jüngst von Michel Parisse herausgegebener Sammelband befaßt.142 Danach haben die Zeitgenossen zwar um das Problem der Wiederheirat gestritten,143 den sozialen Problemen der Witwen aber wenig Aufmerksamkeit geschenkt,144 so daß der christliche Einfluß nicht überbewertet werden sollte: Die theologische Wertschätzung der Witwenschaft beseitigte offenbar nicht die mindere soziale Stellung der Witwe, deren Freiheit und Rechtsfähigkeit beschränkt blieb.145 Selbst die Verfügungsgewalt über die Heiratsgabe wurde im Laufe des frühen Mittelalters zu einem bloßen Nutzungsrecht herab-

139 Katrien HEENE (wie Anm. 69) behandelt sowohl die natürliche wie die geistliche Mutterschaft. 140 Vgl. beispielsweise WEMPLE, Women (wie Anm. 29) S. 48f., 104f. 141 Vgl. für spätere Jahrhunderte Claudia OPITZ, Emanzipiert oder marginalisiert? (wie Anm. E/4). 142 Veuves et veuvages dans le haut Moyen Age, hg. v. Michel PARISSE, Paris 1993. 143 Vgl. Fidel RÄDLE, Einige Bemerkungen zur Bewertung der Witwenschaft in der patrisüschen und frühmittelalterlichen Theologie, ebd. S. 17-30. 144 Vgl. Benott-Michel TOCK, L'image des veuves dans la litt6rature mödiolatine beige du VIII' au XII" sifecle, ebd. S. 37-48. 145 Vgl. Frantz PELLATON, La veuve et ses droits de la Basse-Antiquiti au haut Moyen Äge, ebd. S. 51-97.

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gemindert.146 Gleichwohl sollte der Witwenstand kirchlicherseits zu einem besonders moralischen Leben verpflichtet werden, suchte man, wie Bernhard Jussen meint, eine Wiederheirat zu verhindern, indem man sie auf den Synoden gleichsam ausklammerte;147 in ottonischer Zeit entstand das Ideal der treuen Witwe, das einer Wiederheirat ebenfalls entgegenwirkte.148 Es entsprach allerdings nicht der Realität. Wenngleich sich viele Witwen nachweislich zu einem Klosterleben entschlossen,149 darf eine in den Quellen häufig bezeugte "Verschleierung" nach Jussen nicht grundsätzlich in diesem Sinn gedeutet werden, da sie tatsächlich das altem Brauch folgende Anlegen der Trauerkleidung beschreibe.150 Es wäre daher wenig berechtigt, die Mehrzahl der Witwen in Klöstern suchen zu wollen.

4. Frauenbild Ein dritter großer Forschungsbereich (nach Rechtsstellung und Lebensformen) ist dem Frauenbild gewidmet: der Wahrnehmung und Bewertung der Frauen seitens der Gesellschaft und ihrer kirchlichen Autoren sowie den (rechtlichen und moralischen) Lebensnormen für Frauen. Ersteres schlägt sich vor allem in dogmatischen und kanonistischen Schriften der Kirchenväter, aber auch des in dieser Hinsicht sträflich vernachlässigten frühen Mittelalters nieder: Die meisten Darstellungen gehen von der Patristik gleich zur Scholastik über.151 Die Darstellung der Frau in

146 So R6gine LE JAN-HENNEBICQUE, Aux origines du douaire m6di6val (VP - X' sifecles), ebd. S. 107-121. 147 Bernhard JUSSEN, Der "Name" der Witwe. Zur 'Konstruktion' eines Standes in Spätantike und Frühmittelalter, ebd. S. 137-175. Das "Ausklammern" betrifft allerdings nur die normativen Vorschriften, nicht die Behandlung konkreter Fälle auf Synoden vor allem des 9. Jahrhunderts, aber auch in Heiligenviten (vgl. dazu unten S. 135f. und 185ff.). 148 So Patrick CORBET, Pro anima senioris sui. La pastorale ottonienne du veuvage, ebd. S. 233253. 149 Vgl. (zum hohen Mittelalter) Michel PARISSE, Des veuves au monastöre, ebd. S. 255-274. 150 JUSSEN (wie Anm. 147) S. 151ff. 151 KETSCH, Frauen (wie Anm. 12) Bd. 2, der theologische und literarische Quellen zu diesem Aspekt zusammenstellt, übergeht das frühe Mittelalter; ebenso Magdalena BUSSMANN, Die Frau — Gehilfin des Mannes oder eine Zufallserscheinung der Natur? in: Auf der Suche nach der Frau im Mittelalter (wie Anm. E/4) S. 117-133. Einen weitgespannten Überblick versucht Prudence ALLEN R.S.M., The Concept of Woman. The Aristotelian Revolution 750 B.C. A.D. 1250, Montrdal-Quebec 1985. Mit einem Vorspann über Paulus und die Patristik: Katharina FIETZE, Spiegel der Vernunft. Theorien zum Menschsein der Frau in der Anthropologie des 15. Jh., Paderborn u.a. 1991. Zur Ansicht der Kirchenväter Graham GOULD, Women in the Writings of the Fathers: language, belief, and reality, in: Women in the Church (wie Anm. 16) S. 1-13.

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der frühmittelalterlichen Geschichtsschreibung hatte bereits 1958 und noch überblickartig Marie-Luise Portmann anhand ausgewählter Quellen untersucht und dabei feststellen wollen, daß auch deren Idealvorstellungen den Kirchenvätern folgten und das jungfräuliche, gottgeweihte Leben höher bewerteten, dem ein normiertes Ehefrauenideal angeglichen wurde.152 Die bereits erwähnten Arbeiten von Maria Stoeckle über Heiligenviten und von Ursula Gauwerky über Frauenleben tendieren in eine ähnliche Richtung, wenngleich sie vielseitiger differenzieren. Wie zwiespältig man allein merowingische Königinnen sah, die teils mit Helena verglichen, teils als Isebel (Jezabel) verteufelt wurden, betont Brigitte Merta in ihrem Aufsatz mit programmatischem Titel.153 In der Forschung wird mittelalterlichen Theologen häufig eine "frauenfeindliche" Haltung unterstellt154 Das ist, gemessen an unseren heutigen Bewertungsmaßstäben, sicher berechtigt, präsentiert sich aber differenzierter unter der Frage, ob solche Äußerungen bereits damals als frauenfeindlich empfunden wurden. Mag die Frau auch als dem Mann (als "eigentlichem" Menschen) anthropologisch nachgeordnet gegolten haben,155 so wurden im einzelnen jedenfalls nicht sämtliche Frauen negativ bewertet, sondern Lob und Tadel verteilten sich gleichmäßig und

152 Marie-Luise PORTMANN, Die Darstellung der Frau in der Geschichtsschreibung des früheren Mittelalters (Basier Beiträge zur Geschichtswissenschaft 69) Basel-Stuttgart 1958. Zum 10. Jahrhundert (mit teilweise angreifbaren Thesen): Käthe SONNLEITNER, Die Annalistik der Ottonenzeit als Quelle für die Frauengeschichte, in: Schriftenreihe des Instituts für Geschichte. Darstellungen 2, Graz 1988, S. 233-249 (zu den Quedlinburger Annalen); DEES., Selbstbewußtsein und Selbstverständnis der ottonischen Frauen im Spiegel der Historiographie des 10. Jh., in: Geschichte und ihre Quellen. Festschr. Friedrich Hausmann, Graz 1987, S. 111-119 (zu Hrotsvith von Gandersheim). Die Dissertation von Sonnleitner war mir nicht zugänglich. Wenn Sonnleitner die Rolle der Frauen im Denken Hrotsviths betont und Frauen einen größeren Familiensinn und mehr Frömmigkeit zuweist, so resultiert das zumindest zum Teil aus Hrotsviths Thematik, der Geschichte des Ottonischen Frauenklosters Gandersheim. 153 MERTA, Helenae conparanda regina — secunda Isebel (wie Anm. 113). 154 Einen entsprechenden Einfluß der Patristik auf die mittelalterliche Literatur betont von literaturwissenschaftlicher Seite her unter verschiedenen Aspekten (Schöpfung, Teufelin, Jungfräulichkeit, Macht) R. Howard BLOCH, Medieval Misogyny and the Invention of Western Romantic Love, Chicago-London 1991, der auch die höfische romantische Liebe als Mittel der erneuten Aneignung (reappropriation) der selbständiger werdenden Frauen seitens der Männer interpretiert. Das Frühmittelalter bleibt auch in dieser Arbeit gänzlich ausgeklammert. 155 Vgl. FIETZE (wie Anm. 151), die (S. 70) in der Inferiorität der Frau ein Kennzeichen der antiken und mittelalterlichen Anthropologie erblickt, gegen die es zu allen Zeiten aber auch Reaktionen gegeben habe (S. 22).

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richteten sich zuerst nach der Person und nicht nach dem Geschlecht.156 Nicht nur in der Hagiographie,157 auch in der Dichtung konnten Frauen durchaus als "Heldinnen" auftreten.158 Im religiösen Sinn, aber auch in der Dichtung, verkörperten die sündige Eva und die reine Maria die beiden Extreme, ohne daß man das Frauenbild in nur einer dieser beiden Figuren suchen und aus der Verurteilung der mit der Sexualität verbundenen Evagestalt eine Verteufelung der Frau schlechthin ableiten darf.159 Das Bild der "normalen" Frau lag "zwischen Eva und Maria", wie Klaus Thraede, mit Blick auf die spätantiken Vorbilder, betont.160 Dennoch überwiegt in der Forschung bisher weithin die Vorstellung eines negativen, bis hin zur Frauenfeindlichkeit tendierenden mittelalterlichen Frauenbildes, und erst kürzlich suchte Albert Demyttenaere die These zu stützen, daß Frauen wegen der Menstruation grundsätzlich als unrein galten.161 Tatsächlich besaß das christliche Frühmittelalter jedoch ein "doppeltes" (Thraede) oder "ambivalentes Frauenbild" (Goetz), dem allerdings geschlechtsspezifische, als naturgegeben interpretierte Unterschiede, wie die geradezu sprichwörtliche Vorstellung weiblicher Schwäche, sehr wohl bewußt waren. Sie beinhalteten zweifellos auch eine Wertung,162 der jedoch andere (theologische und soziale) Wertkriterien als die heutigen zugrundelagen. Zu wenig scheinen oft auch die Kontexte beachtet, in denen die Äußerungen über Frauen stehen; so wird der evahafte Versuchungscharakter besonders in Heiligenviten betont, weil er eine Gefahr für ein asketisches Heiligsein bildete; das darf nicht vorschnell zu einem auf alle Frauen übertragenen Frauenbild verallgemeinert werden. Gerade in diesem Bereich, dem die nachfolgenden Kapitel in besonderem Maß gewidmet sind, wären noch differenziertere Forschungen nötig.

156 Vgl. GOETZ, Frauenbild (wie Anm. 73) S. 30ff. Ein positives Frauenbild späterer Zeiten konstatiert Sharon FARMER, Persuasive Voices: Clerical Images of Medieval Wives, Speculum 61, 1986, S. 517-543. 157 Vgl. oben S. 49f. 158 Vgl. Jane CHANCE, Women as Hero in Old English Literature, Syracuse Univ. 1986. 159 Das tut Monica BLÖCKER, Frauenzauber — Zauberfrauen, Zs. f. Schweizerische Kirchengeschichte 76, 1982, S. 1-39. 160 Klaus THRAEDE, Zwischen Eva und Maria: das Bild der Frau bei Ambrosius und Augustin auf dem Hintergrund der Zeit, in: Frauen in Spätantike und Friihmittelalter (wie Anm. 32) S. 129-139. Vgl. auch Jacques DALARUN, Eve, Marie ou Madelaine? La dignitd du corps f6minin dans l'hagiographie mMännin< heißen, denn vom Manne ist

Quamobrem relinquet homo patrem et

sie genommen'. Darum verläßt der Mann

matrem et adhaerebit uxori suae; et

Vater und Mutter und hängt seinem Weibe an,

erunt duo in carne una. ...

und sie werden sein ein Leib. ...

(3,6) Vidit igitur mulier quod bonum

Und die Frau sah, daß von dem Baume gut zu

esset lignum, tulitque de fructu illius et

essen wäre, und sie nahm von seiner Frucht

comedit. Et dedit viro suo, et comedit.

und aß und gab ihrem Manne, und auch er aß.

(3,12) Dixitque Adam: 'Mulier quam

Und Adam sprach: 'Die Frau, die du mir zu-

dedisti mihi sociam, dedit mihi de

gesellt hast, hat mir von dem Baume gegeben,

ligno et comedi.'... (13) Quae respon-

so daß ich davon gegessen habe'.... Jene aber

dit: 'Serpens decepit me, et comedi.'...

antwortete: 'Die Schlange hat mich verführt,

Das Bild der Frau in der Genesisauslegung

75

so daß ich davon gegessen habe.' ... 'Multi-

Und zur Frau sprach er 'Ich will dir deine

plicabo aerumnas tuas et conceptus

Beschwerden vervielfachen in deiner Schwan-

tuos. In dolore partes fllios tuos. Et

gerschaft; mit Schmerzen sollst du Kinder

sub viri potestate eris, et ipse domin-

gebären. Und du wirst unter der Gewalt dei-

abitur tu.' (\7)Adae vero dixit: 'Quia audisti vocem uxoris tuae, et comedisti de ligno ... male icta terra in opere tuo.'...

nes Mannes stehen. Er aber soll dein Herr

(3,16) Mulieri quoque dixit:

sein.' Und zu Adam sprach er: 'Weil du auf deines Weibes Stimme gehört und von dem Baume gegessen hast, ... sollst du dich mit Mühsal vom Erdboden nähren dein Leben

(3,20) Et vocavit Adam nomen uxoris

lang.' ...

suae Eva, eo quod mater esset cunc-

Und Adam nannte sein Weib Eva, denn sie

torum viventium.

wurde die Mutter aller Lebenden.

Die biblischen Vorgaben waren dem christlichen Mittelalter heilig. Sie galten als unveränderbare, von Gott selbst geoffenbarte Wahrheiten, an denen nicht zu zweifeln war, und boten den Rahmen für jede theologische wie lebensweltliche Deutung, die mit dem Wortlaut der Bibel übereinstimmen mußte. Der Genesisbericht über die Schöpfung der ersten Menschen darf daher als das Fundament der Vorstellungen über "die" Frau, deren Symbol Eva war, und als Grundlage der Interpretation des Geschlechterverhältnisses angesehen werden;17 er eignet sich folglich als Ausgangspunkt einer Geschichtswissenschaft, die nach den entsprechenden mittelalterlichen Vorstellungen und Normen fragt. Der Bericht bietet dazu eine Reihe von Anhaltspunkten (unterschiedlicher Wertigkeit): die Schöpfung des Menschen als Mann und Frau (1,27), die Schaffung der Frau als dem Mann gleiches Wesen, jedoch als adiutorium des bereits zuvor erschaffenen Mannes (2,18); die Erschaffung aus der Rippe des Mannes (2,21); das natürliche Verlassen des Elternhauses zur Vereinigung von Mann und Frau (2,24); den Sündenfall zunächst Evas, dann Adams (3,6) und die geschlechtsspezifischen Strafen, zu denen die Unterordnung unter den Mann zählt (3,16), schließlich der Name Evas, den Adam ihr gibt, weil sie "Ur-Mutter" ist (3,20).

17 Vgl. Klaus SCHREINER, Si homo non pecasset ... Der Sündenfall Adams und Evas in seiner Bedeutung für die soziale, seelische und körperliche Verfaßtheit des Menschen, in: Gepeinigt, begehrt, vergessen. Symbolik und Sozialbezug des Körpers im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit, hg. v. Klaus SCHREINER und Norbert SCHNITZLER, München 1992, S. 4184, hier S. 52, 68.

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c. Quellenkritik: Zur historischen Auswertung von Bibelkommentaren Der Bibelbericht ist freilich, wie so oft, wenig eindeutig: Er läßt Spielräume der Interpretation. Die christliche Theorie der Exegese hat diese Spielräume selbst umrissen, indem sie einen drei- oder gar vierfachen Schriftsinn unterschied: die "wörtliche" (litterale) oder "historische" Auslegung, die "allegorische" oder "mystische" Auslegung, die dem Wortlaut eine andere, übertragene Bedeutung abgewann, die tropologische oder moralische Auslegung, die dem Wortlaut auf ethisches Handeln abzielende Folgerungen entnahm, und — gelegentlich als eigene Betrachtungsweise — die anagogische, auf das Jenseitige, Himmlisch-Ewige, Göttliche ausgerichtete Auslegung.18 Solche Interpretationsspielräume machen die Exegese zu einer wertvollen historischen Quelle für Weltbild und Vorstellungswelt mittelalterlicher Theologen, weil deren Deutungen nicht zeitlos, sondern stets auch zeitgemäß den jeweiligen, sich wandelnden Denkvorstellungen verpflichtet sind. Folglich ist es interessant zu untersuchen, welche Auslegung man im frühen Mittelalter den Bibelworten hinsichtlich des Geschlechterverhältnisses und des Frauenbildes beimaß. Um Fehlschlüsse hinsichtlich der Interpretation dieser von der Geschichtswissenschaft nur selten herangezogenen Quellengattung zu vermeiden, sind zuvor allerdings die besonderen Bedingungen, Aussagemöglichkeiten und Aussagegrenzen exegetischer Texte für geschichtswissenschaftliche Fragen quellenkritisch abzuklären. Zunächst einmal ist es erwähnenswert, daß es sich bei dem Schöpfungsbericht zu Beginn der Genesis um den wohl meistbeachteten Bibeltext überhaupt handelt. Seit der Epoche der Kirchenväter wurde kaum einer Schrift soviel Aufmerksamkeit geschenkt wie der Genesis und innerhalb des Genesiskommentars nichts so gründlich diskutiert wie die ersten Kapitel über Schöpfung und Sündenfall. Augustin beschränkte sich in seiner aus zwölf Büchern bestehenden exegetischen Schrift "De Genesi ad litteram" tatsächlich auf diese Passagen, und manche Kommentare behandelten überhaupt nur das "Hexaemeron", das Sechstagewerk. Man fand in der Schöpfung nämlich die Grundlage für die gesamte menschliche und irdische Existenz, im Sündenfall aber den Beginn der irdischen Leiden und damit auch den Beginn der Geschichte als einer der Zeit unterworfenen Entwicklung, zugleich jedoch als der Zeit der Bewährung, um es dem Menschen — dank Christi Opfertod — am Ende doch noch zu ermöglichen, das im Sündenfall verwirkte Heil, die ewige Seligkeit, zu erlangen. Mit der Schöpfung oder mit dem

18 Zur Geschichte der Exegese vgl. Henri DE LUBAC, Ex6gfese medi6vale. Les quatres sens de TEcriture, Paris 1959-64.

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Sündenfall setzten folgerichtig — seit den "Historiae adversus paganos" des Orosius im frühen fünften Jahrhundert — auch die christlichen Weltchroniken ein. Die Schöpfungsgeschichte diente aber ebenso als Grundlage für die irdische Ordnung; aus ihr leiteten sich die menschliche Gesellschaft und die Herrschaftsverhältnisse ab." Und schließlich begründete sich in der göttlichen Erschaffung des Kosmos an den ersten sechs Tagen die gesamte christliche Naturlehre. Der Genesisbericht bildet folglich die Schlüsselstelle schlechthin für die naturwissenschaftlichen, die historisch-heilsgeschichtlichen und die theologischen Lehren des Christentums. Diese — und nicht das Geschlechterverhältnis — standen im Mittelpunkt der Auslegung. Eine Durchsicht der Genesiskommentare belehrt sehr schnell, daß das Frauenbild demgegenüber eine Randposition einnimmt, manchmal gar nicht, oft beiläufig, nur selten ausführlicher aus der Auslegung herausscheint. Damit wird die Exegese als Quelle für unsere Fragestellung nicht wertlos — gerade beiläufige Äußerungen geben ja meist verbreitete Meinungen wieder —; die Bemerkungen warnen aber davor, der Frage bereits im frühen Mittelalter einen ähnlich hohen Stellenwert beizumessen, wie sie ihn heute besitzt, und sie mahnen, das Frauenbild in den größeren (und den Zeitgenossen wichtigeren) theologischen Rahmen der Paradiesgeschichte einzuordnen. Das zweite Hindernis einer historischen Auswertung der frühmittelalterlichen Exegese bildet deren Tradition, die Autorität, die die spätantiken Kirchenväter genossen haben, deren Auslegungen man im frühen Mittelalter weithin ausschrieb. Folglich ist zu fragen, inwieweit solche ungebrochen weiter tradierten Anschauungen als frühmittelalterlich gelten können. Nun belegt ein solches Vorgehen schon in sich, daß die in der Spätantike entwickelten Denkmuster nicht bloße Topoi waren, sondern weiterhin Gültigkeit besaßen, während originäre Gedanken dahinter zurücktraten. Darf man daher insgesamt annehmen, daß die Exegeten mit der Übernahme spätantiker Autorenzitate durchaus noch die mittelalterlichen Anschauungen gespiegelt sahen, so sind die einzelnen Textstellen doch stets auf ihre Abhängigkeit hin zu prüfen. Die spezifisch frühmittelalterlichen Deutungen zeigen sich eher in Nuancen und Akzentverschiebungen sowie in den wenigen eigenständigen Zusätzen zu den spätantiken Vorlagen. Hier bleiben allerdings noch viele Unsicherheiten, solange die Kommentare nicht kritisch ediert sind.

19 Vgl. dazu Wolfgang STÜRNER, Peccatum und Potestas. Der Sündenfall und die Entstehung der herrscherlichen Gewalt im mittelalterlichen Staatsdenken (Beiträge zur Geschichte und Quellenkunde des Mittelalters 11) Sigmaringen 1987; SCHREINER, Si homo non pecasset (wie Anm. 17) S. 44ff.

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Auch der Bibelbericht selbst bereitet Schwierigkeiten. Seine mangelnde Eindeutigkeit ergibt sich hinsichtlich unserer Fragestellung nach dem Bild Evas als der ersten und gerade im Hinblick auf den allgemeinen Aussagegehalt der Bibel typischen Frau, der Frau gleichsam, schon daraus, daß die Bibel bekanntlich zwei Schöpfungsberichte aneinanderreiht, die sich nicht unwesentlich unterscheiden: Der erste Bericht betont die gemeinsame Schöpfung von Mann und Frau (masculum et feminam) als des Menschen (Gen. 1,27); der zweite, weit ausführlichere — heute für älter gehaltene — Bericht schafft dagegen eine zeitliche und zugleich hierarchische Ordnung: Der Schöpfung des Mannes (als des Menschen) folgte erst später die Schaffung der nach dem Mann benannten Frau aus dessen Rippe (Gen. 2,21). Die Exegeten mußten beide Berichte in Einklang halten, da die Bibel als Gottes Wort sich nicht selbst widersprechen konnte. Das schuf Raum für eigene Überlegungen. Aber auch der zweite Bericht beließ Interpretationsspielräume: Die Frau war dem Mann sowohl gleich- wie nachgeordnet. Die Schöpfung aus der Rippe des Mannes implizierte einerseits eine innige Verbundenheit und Zusammengehörigkeit der Geschlechter: Beide waren vom selben Fleisch, und die Frau war im Gegensatz zu den zuvor erschaffenen Tieren ein adiutorium simile sui, eine gleichwertige Hilfe. Andererseits war die Frau eben nicht aus dem Nichts (oder aus der Erde), sondern aus dem Mann erschaffen und von vornherein zu seiner Gehilfin (adiutorium) bestimmt (Gen. 2,18). Einerseits war sie ihm unterstellt, andererseits aber machte erst die Erschaffung Evas die Schöpfung vollkommen; sie war es nicht, solange der Mann ohne "Gefährtin" blieb. Zwischen diesen beiden Polen einer Unter- oder Gleichordnung schwankten die Interpretationen, bot der Text also (bis heute) Spielräume für unterschiedliche, ja gegensätzliche Deutungen des Geschlechterverhältnisses, die sich jeweils nach den zeitspezifischen Vorstellungen und Verhältnissen ausrichteten oder auch auf diese zurückwirken und sie bewußt beeinflussen wollten. Auf solche Gesichtspunkte hin ist die frühmittelalterliche Exegese zu betrachten, ist nicht nur auf die zeitspezifischen Kommentare, sondern auch darauf zu achten, welchem Schöpfungsbericht man mehr Gewicht beimaß. Es ist an dieser Stelle weder möglich noch nötig, die vielfältige, sich bis in die Gegenwart erstreckende Auslegungsgeschichte des Schöpfungsberichts zu verfolgen,20 wenn

20 Vgl. dazu etwa: Eva — Verführerin oder Gottes Meisterwerk? Philosophie- und theologiegeschichtliche Frauenforschung, hg. v. Dieter R. BAUER und Elisabeth GÖSSMANN (Hohenheimer Protokolle 21) Stuttgart 1987; zum Mittelalter (aber einseitig) Helen SCHÜNGELSTRAUMANN, Die Frau: (nur) Abglanz des Mannes? Zur Wirkungsgeschichte biblischer Texte im Hinblick auf das christliche Frauenbild, ebd. S. 37-71; DIES., Mann und Frau in den Schöpfungstexten von Gen. 1-3 unter Berücksichtigung der innerbiblischen Wirkungsgeschichte,

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wir nach den frühmittelalterlichen Deutungen vor dem Hintergrund ihrer Tradition fragen. Doch sind Seitenblicke nützlich, um das frühmittelalterliche Denken besser einordnen zu können. Schließlich sind Intentionen und Funktionen der Bibelkommentare zu berücksichtigen. In aller Regel handelt es sich um — im damaligen Sinn — wissenschaftlich-theologische Werke mit dem Ziel, den Sinn des Bibeltextes zu erfassen. Das geschah entweder systematisch zu bestimmten Themen (in diesem Fall wäre das Verhältnis zwischen damaliger und heutiger Fragestellung zu klären), weit häufiger aber "chronologisch" in der Reihenfolge der Bibelverse. Die Suche nach der "wahren" Aussage und nach dem Sinn der biblischen Worte scheint dabei zunächst nicht von ganz konkreten Tendenzen und bewußten Parteilichkeiten gezeichnet, die den Wert der Quellenaussagen beeinträchtigen würden, wohl aber erfolgte die Deutung selbstverständlich aus dem Fundus der damaligen Vor- und Einstellungen heraus, teilweise diskussiv, um die eigene Deutung als die richtige zu erweisen, weit öfter aber beschreibend und damit offenbar in dem Bewußtsein, daß die Leser und Hörer ähnlich dachten. Gerade hier bietet sich die Möglichkeit, die Vorstellungswelt weiterer — gebildeter — Kreise zu erfassen. Der "wissenschaftliche" Charakter der Exegese schließt die Möglichkeit, daß auch der Bibelkommentar tendenziöse Ziele verfolgte, nicht vollkommen aus. Dieses Problem ist bislang jedoch überhaupt noch nicht untersucht. d. Forschungsstand und Quellenlage Vor dem Hintergrund dieser quellenkritischen Prämissen lassen sich nun die frühmittelalterlichen Bibelauslegungen näher auf ihr Frauenbild hin untersuchen. Einschlägige Voruntersuchungen zu diesem Thema fehlen. Elaine Pageis, die das Thema am ausführlichsten behandelt hat,21 thematisiert aus religionswissenschaftlicher Sicht die Nachwirkung des Schöpfungsberichts auf die Entwicklung der abendländischen Wertvorstellungen in bezug auf Sexualität und Ehemoral, das Verhältnis zur Staatsgewalt, zu Gott, Askese und Jungfräulichkeit, Erbsünde und Natur. Pageis beschränkt sich in diesen Untersuchungen aber auf die Anfänge dieser

in: Mann und Frau — Grundprobleme theologischer Anthropologie, hg. v. Theodor Schneider (Quaestiones disputatae 121) Freiburg-Basel-Wien 1989, S. 142-166; DIES., Die Frau am Anfang. Eva und die Folgen, Freiburg 1989. Schüngel-Straumann sucht in ihren Schriften nachzuweisen, daß der Jahwist die Frau noch als gleichwertige Partnerin des Mannes hinstellte, während die frauenfeindliche Interpretation erst eine nachträgliche Deutung bildet. 21 Elaine PAGELS, Adam, Eva und die Schlange. Die Theologie der Sünde, Reinbek 1991 (engl. 1988). Bei dieser Veröffentlichung handelt es sich um eine überarbeitete Aufsatzsammlung und daher nicht um eine stringente Behandlung des Sündenfalls.

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Traditionen im Frühchristentum und in der Patristik und klammert die Geschlechterproblematik nahezu vollständig aus. Mehrfach ist die Frage hingegen — zuletzt von Klaus Schreiner22 — in größerem zeitlichen Rahmen angesprochen worden, ohne daß sich dabei eine einhellige Meinung herausschält. Während die Kirchenväter nach Peter Ketsch aus der Abstammung vom Mann die Minderwertigkeit der Frau folgerten, die sie auch für den Fall verantwortlich machten,23 betont Angela Lucas die Spannung zwischen geistlicher Gleichheit und sozialer Unterordnung der Frau, hebt zugleich aber hervor, daß die von ihr untersuchten — vorwiegend hochmittelalterlichen — Autoren die Schaffung der Frau aus der Seite des Mannes gern als Zeichen ehelicher Liebe deuteten und den Sündenfall als Schuld beider betrachteten, und weist damit jedenfalls zu Recht jede einseitige Auswertung zurück.24 Zu einem ähnlichen Urteil gelangte Marie-Therese d'Alverny: Unter den spätantiken Kommentatoren zum Sündenfall erschloß Ambrosius sogar ein Privileg der Frau, weil erst sie im Paradies erschaffen wurde, und selbst Augustin, der die Vorrangstellung des Mannes hervorhob, gedachte in seinem großen Genesiskommentar der Union zwischen Mann und Frau, die beide durch Gott erschaffen seien und beide die Schuld am Sündenfall trügen.25 Auf der anderen Seite will Suzanne Wemple wiederum mit Verweis auf die Rolle Evas aus den Äußerungen sogar herauslesen, daß die Frau von Natur aus eine Gefahr für die Reinheit der Kirche darstelle,26 zumal, wie auch Monica Blöcker und Ute Weinmann betonen, der Sündenfall bei den Kirchenvätern mit Sexualität und Häresie verknüpft wurde.27 Das christliche Frauenbild scheint demnach für viele Forscher/innen durch eine Misogynie, eine Frauenfeindlichkeit, geprägt. Als Teil des männlichen Körpers besitze die Frau nur ein teilweises Sein, wohl aber eine belebte Seele.28 Damit sei ihr ein eigener Charakter zugewiesen, der dem sensus zuneige, während der Mann durch ratio geprägt sei.29

22 SCHREINER, Si homo non pecasset (wie Anm. 17) S. 48ff., der aufzeigt, in welch vielfältiger Weise man sich auf den Genesisbericht stützte, um Wesen und beschränkte Wirkungsfähigkeit der Frau, etwa in der Amtskirche, zu begründen. 23 KETSCH, Frauen (wie Anm. 1/12) Bd. 2, S. 43. 24 LUCAS (wie Anm. 1/4) S. 3ff. 25 Marie-Th6röse d'ALVERNY, Comment les thöologiens et les philosophes voient la femme, Cahiers de civilisation mödievale 20, 1977, S. 105-129, zur Spätantike S. 105ff. 26 WEMPLE, Women (wie Anm. 1/29) S. 147. 27 BLÖCKER (wie Anm. 1/159) S. 6ff.; WEINMANN (wie Anm. 7) S. 18ff. 28 So R. Howard BLOCH, Medieval Misogyny. Woman as Riot, Representations 20, 1987, S. 124, zur Genesis S. 9ff.; DERS., Invention (wie Anm. 1/154) S. 22ff. 29 Vgl. ebd. S. 29ff.; GÖSSMANN, Lexikon des Mittelalters (wie Anm. 1) Sp. 124.

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Diesen Sachverhalt stellte zuletzt auch Monika Leisch-Kiesl heraus,30 die gegenüber der theologisch-männlichen Sicht der Patristik und der Frühscholastik31 — auch hier wird das Frühmittelalter übersprungen — in entsprechenden Entwürfen von Frauen einer "anderen Eva" nachspürt und sie aus einer weiblichen Betroffenheit heraus vor allem bei Hildegard von Bingen entdeckt.32 Jane Chance schließlich hat anhand der altenglischen Dichtung aufgezeigt, daß der von den Kirchenvätern postulierte Gegensatz zwischen Eva und Maria als typologischer Gestalten auch in literarische Werke Eingang fand. Eva fungierte hier (etwa in der altenglischen Dichtung Genesis Β) als Antityp der Jungfrau; sie besaß einen schwächeren Geist als Adam und verführte diesen, indem sie an seine Loyalität appellierte. Eva gewinne eine doppelte Gestalt als Typus der Jungfrau Maria und als "Friedenswirkerin" (peace weaver).33 Das Bild Evas als Bild der Frau bleibt demnach zwiespältig, zumal Pauline Stafford zu Recht noch einmal an das positive Gegenbild der Maria erinnert34 und Jane Schulenburg das Tugendideal der Klosterfrauen hervorhebt.35 Die höchst unterschiedliche Deutung zeigt an, wie schwierig es offenbar ist, die keineswegs eindeutige Meinung der patristischen und mittelalterlichen Theologen zu charakterisieren (aber auch, sie von eigenen Vorurteilen zu trennen). In allen beschriebenen Fällen sind einzelne Textstellen entsprechend interpretiert worden, eine systematische Untersuchung der Bibelkommentare des frühen Mittelalters hat bisher noch niemand vorgenommen. Das soll hier versuchsweise geschehen. Als Quellen stehen uns — neben einer Reihe von Einzeläußerungen — ein gezielter, auf bestimmte Fragen ausgerichteter Genesiskommentar Alcuins (730-804)36 sowie fortlaufend dem Bibeltext folgende Genesisauslegungen des Hrabanus Maurus (780-856), nach 820 im Anschluß an Beda entstanden,37 des Angelomus von Luxeuil (von 845/55)38 und des Remigius von Auxerre (841-908)39 zur Verfügung.

30 Monika LEISCH-KIESL, Eva als Andere. Eine exemplarische Untersuchung zu Frühchristentum und Mittelalter, Köln-Weimar-Wien 1992. 31 Ebd. S. 40ff. 32 Ebd. S. 148ff. Frühmittelalterliche Autorinnen werden hier nur knapp abgehandelt; einen Beweis für ein anderes Evabild liefern sie nicht, wohl aber die — kaum von Frauen geschaffenen — bildlichen Darstellungen der Karolingerzeit (ebd. S. 236ff.). Damit wird eine solche Argumentation in bezug auf das frühe Mittelalter brüchig. 33 CHANCE (wie Anm. 1/158). 34 STAFFORD, Queens (wie Anm. 1/112) S. 27f. 35 SCHULENBURG, Female Sanctity (wie Anm. 1/99). 36 Alcuin, Interrogationes et responsiones in Genesin, Migne PL 100, Sp. 515-566. 37 Hrabanus Maurus, Commentariorum in Genesim libri IV, Migne PL 107, Sp. 439-670. 38 Angelomus von Luxeuil, Commentarius in Genesin, Migne PL 115, Sp. 107-244. 39 Remigius von Auxerre, Commentarius in Genesim, Migne PL 131, Sp. 51-134.

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Grundlage der frühmittelalterlichen Genesisauslegung im Frankenreich bildeten die Arbeiten der Kirchenväter, vor allem des Ambrosius40 und Augustinus41 und, weit stärker noch, die — darauf beruhenden — Werke zweier im Mittelalter hochgeschätzter Gelehrter in den germanischen Nachfolgereichen des Imperium Romanum: des westgotischen Romanen Isidor von Sevilla42 und des Angelsachsen Beda Venerabilis,43 deren Kommentare daher hier mitberücksichtigt sind. Interessant sind schließlich die aus dem alt- und angelsächsischen Bereich vorliegenden volkssprachigen Umdichtungen des Genesisberichts in der "Altsächsischen Genesis" und der angelsächsischen Dichtung "Genesis B", zumal sie keineswegs wortgetreu übersetzen.44 Um Wiederholungen zu vermeiden, sind die folgenden Betrachtungen bereits nach sachlichen Gesichtspunkten gegliedert; die Aussagen der zitierten Autoren werden dadurch zwar aus ihrem Zusammenhang gerissen, doch mag man diesen Nachteil leicht verschmerzen, da die Vers für Vers zum biblischen Wortlaut Stellung nehmenden Kommentare ohnehin nicht eigentlich einen fortlaufenden Text bilden.

2. Erschaffung der Frau und Gleichwertigkeit der Geschlechter In den frühmittelalterlichen Genesiskommentaren wurden beide bereits angedeuteten Möglichkeiten, die sich aus den beiden Schöpfungsberichten der Frau (Gen. 1,27f. und 2,18-24) ergeben, nämlich die Gleich- wie die Unterordnung der Frau unter den Mann, aufgegriffen. Dabei ist auffallig, wie betont (und bewußt) manche Autoren die Gleichheit, das simile sui, herausstellten. Masculum etfeminam, schrieb Hraban

40 Ambrosius, De paradiso, ed. Karl Schenkl, CSEL 32,1, 1897, S. 263-336. 41 Besonders Augustinus, De Genesi ad litteram, ferner De Genesi ad litteram inperfectus liber, beide ed. Joseph Zycha, CSEL 28,1, 1894; De Genesi contra Manichaeos, Migne PL 34, Sp. 173-220. 42 Isidor von Sevilla, In Genesin, Migne PL 83, Sp. 207-288. 43 Beda Venerabiiis, Hexaemeron (= Libri quatuor in principium Genesis) I, ed. Ch.W. Jones, CCL 118A, Turnhout 1967; Quaestiones super Genesim, Migne PL 93, Sp. 233-364; De sex dierum creatione liber, ebd. Sp. 207-234. 44 Beide ed. Ute Schwab, Die Bruchstücke der altsächsischen Genesis und ihrer altenglischen Übertragung: Einführung, Textwiedergaben und Übersetzungen, Abbildung der gesamten Überlieferung (Göppinger Beiträge zur Textgeschichte 29) Göppingen 1991, S. 52-125; vgl. dazu Hans SCHOTTMANN, Die Darstellung des Sündenfalls in der altsächsischen Genesis, Literaturwissenschaftliches Jahrbuch n.F. 13, 1972, S. 1-11; zur Genesis Β vgl. CHANCE (wie Anm. 1/158) S. 65ff.

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im Anschluß an Beda,45 seien eben nicht wie die Tiere in unterschiedliche "Gattungen" (in singulis generibus) unterteilt, das Menschengeschlecht (humanum genus) sei daher "geschlossener" oder enger verbunden (arctior). Die Frau sei nämlich nach dem Bilde Gottes (ad imaginem Dei) erschaffen worden, hatte Beda gelehrt,46 und Hraban war ihm wörtlich darin gefolgt. Beide befanden sich damit im Einklang mit Augustin, der die Gottesebenbildlichkeit ausdrücklich als Zeichen der menschlichen Natur bezeichnet und davor gewarnt hatte, die Frau davon auszunehmen.41 In einem Karl dem Kahlen gewidmeten Gedicht, das mit einer dichterischen Umarbeitung der Schöpfungsgeschichte und des Sündenfalls beginnt, konnte ein karolingischer Dichter die aus Adams Rippe erschaffene Eva daher sogar heilig (sacra Eva) nennen.48 Erst sie, schrieb Remigius von Auxerre (zum zweiten Schöpfungsbericht), die aus Adams Fleisch genommen sei, habe dieser als gleichwertig anerkannt, weil Eva ihm von allen Kreaturen am ähnlichsten war.49 Im zweiten Bildabschnitt der Genesisszenen der Bibel von Moutier-Grandval (Abb. 2)50 zeigt Adam durch seine Handbewegung an, daß er die ihm von Gott präsentierte und bildlich kaum unterscheidbare Eva als die Seine akzeptiert, und ganz ähnlich stellt sich die Szene in der Bibel Karls des Kahlen (Vivianbibel) aus Tours (um 846) dar (Abb. 3).51 Der Bibelbericht hatte diese fleischliche Verbindung mit dem Begriff virago (als weibliche Entsprechung zu vir) charakterisiert, der im Lateinischen — anders als im Urtext — allerdings weniger die Bedeutung "Männin" trug (wie Luther später übersetzte), sondern oft die amazonenhafte "Mannfrau" bezeichnete und daher Anlaß zu Mißdeutungen bieten mochte. "Mulier verweist auf die Schwäche, uirago aber auf die Stärke," schrieb Ambrosius Autpertus, ein Mönch des 8. Jahrhunderts

45 Hrabanus Maurus, Comment, in Gen. 1,7 (wie Anm. 37) Sp. 461, zu Gen. 1,27. Vgl. Augustin, De Genesi ad litteram 6,5 (wie Anm. 41) Sp. 174ff. 46 Beda, Hexaemeron I (wie Anm. 43) S. 27, zu Gen. 1,27. 47 Augusünus, De trinitate 12,7,10, ed. W. J. Mountain u. Fr. Glorie, CCL 50, 1968, S. 364: Ad imaginem quippe dei naturam ipsam humanam factam dicit quae sexu utroque completer, nec ab intellegenda imagine dei separat feminam. 48 Ad Carolum Calvum v. 3,Iff., ed. Ludwig Traube, MGH Poetae 3,1, 1964, S. 248: Adam primus uti fingitur istic, / Cuius costa sacrae carpitur Evae. 49 Remigius von Auxerre, Comment, zu Gen 2,23 (wie Anm. 39) Sp. 63: Adam videns mulierem sibi simillimam ex omnibus creaturis recognovit earn ex suae carnis substantia formatam. 50 London, Brit. Museum Add. ms. 10546, fol. 5". Vielfach abgebildet, z.B. bei Otto PACHT, Buchmalerei des Mittelalters. Eine Einführung, München 1984, Tafel XI, S. 107. Vgl. dazu auch LEISCH-KIESL (wie Anm. 30) S. 236ff. 51 Paris, Bibl. Nat., Ms. lat. 1, fol. 10". Abbildung bei Franz UNTERKIRCHER, Die Buchmalerei. Entwicklung, Technik, Eigenart, Wien-München 1974, Taf. IV, bei S. 36/37.

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Abb. 2: Paradiesgeschichte (Bibel von Moutier-Grandval. Tours, 834/841, fol. 5V)

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Abb. 3: Paradiesgeschichte (Vivianbibel Karls des Kahlen. 843/851, fol. 10v)

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im Kloster St. Vinzenz bei Capua.52 Virago besagte für Rather von Verona im frühen 10. Jahrhundert gleichsam allegorisch, daß Frauen ihre natürliche Schwäche im Glauben überwinden können: "Virago ist nämlich eine starke Frau; so wurdest du am Anfang genannt, damit du dich stets daran erinnerst, daß auch du stark sein mußt gegen die Laster und geschmeidig in der Unterwerfung unter die Gebote Gottes.""

Bereits Hieronymus (der den Begriff in seiner "Vulgata" genannten Übersetzung schließlich selbst aufgegriffen hatte) verwies daher auf den weit unverfänglicheren Wortlaut des hebräischen Urtextes, in dem is und issa einander unmittelbar entsprachen,54 und Augustinus benutzte wahlweise die Begriffe virago und virgo (letzteres nun zweifellos ein positiver Begriff, der gleichwohl die Ableitung von vir deutlich macht).55 Die frühmittelalterlichen Autoren lasen denn auch nirgends eine abwertende Bedeutung aus dem Begriff virago heraus, sondern griffen auf den hebräischen Sprachgebrauch zurück und deuteten ihn (biblisch) in bezug auf die Verbundenheit von Mann und Frau, die in der Ehe ihren sichtbaren Ausdruck erhielt: Adam (der Stärkere) habe das weibliche (schwächere) Geschöpf seine Ehefrau (uxor) genannt56 (und auch der Bibelbericht wechselt begrifflich ständig zwischen mulier und uxor, während femina nur an einer Stelle verwendet wird): "Frau" und "Ehefrau" werden in bezug auf Eva gleichbedeutend, so daß die Erschaffung der Frau sich für die Exegeten engstens mit der institutionellen Funktion der Ehe verband. Ein anonym überliefertes Gedicht sah Eva aus der Rippe des Mannes zu dessen Ehefrau (coniux) erschaffen. 57 Entscheidend war den Autoren daher — mit Augustin58 — die coniunctio, die Verbindung und Vereinigung der Geschlechter: "Weil die Frau aus

52 Ambrosius Autpertus, In Apocalypsin 111,5, ed. Robert Weber, CCL cont. med. 27, Turnhout 1975, S. 237: Mulier enim infirmitatem, uirago autem fortitudinem ostendit. 53 Rather von Verona, Praeloquia 2,3, ed. Peter L.D. Reid, CCL cont med. 46A, Turnhout 1984, S. 47: Virago enim, id est fortis mulier, uocata es in principio, ut et fortem te contra uitia et flexibilem in subiectione domini preceptorum esse debere memineris omnino. 54 Hieronymus, Hebraicae quaestiones in libro Geneseos 2,23, ed. Paul von Lagarde, CCL 72, Turnhout 1969, S. 5. 55 Augustinus, De Genesi contra Manichaeos 2,13,18 (wie Anm. 41) Sp. 206. 56 So Angelomus von Luxeuil, Comment, zu Gen. 2,23 (wie Anm. 38) Sp. 135: Vocavit ergo uxorem suam vir tanquam potior infirmiorem. his wif sagt auch die altenglische Genesis Β von Eva (v. 456, wie Anm. 44, S. 98). 57 Ed. Karl Strecker, MGH Poetae 4,2, 1964, Nr. XCVI.6, S. 656: Sicut Eva costa viri formatur in coniugem, / Sic ecclesia de Christi conformatur latere. Gleichwohl war es umstritten, ob die Ehe bereits als eine pardiesische Einrichtung gelten durfte; vgl. unten Kapitel 4, S. 168f. 58 Augustinus, De Genesi contra Manichaeos 2,12,16 (wie Anm. 41) Sp. 205.

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der Seite des Mannes erschaffen wurde, muß man annehmen (oder glauben), das sei notwendig so geschehen, damit die Kraft dieser Vereinigung (auf sie) übertragen werde," schrieben Beda und Hraban.59 Isidor von Sevilla leitete daraus die alleinige Berechtigung der Einehe ab: "Daß aber nicht ein Mann und viele Frauen, sondern ein Mann und eine Frau sich vereinigen, das zeigt beispielhaft diese erste, von Gott bewirkte Vereinigung. Denn als Gott den Menschen geschaffen hatte und die Notwendigkeit eines gleichartigen Pendants erkannte, entlehnte er ihm eine Rippe und machte ihm daraus eine Frau, und so heiligten Adam und seine Frau Eva, indem sie gemeinsam eine Hochzeit vollzogen, den Menschen diese Form aus der Autorität des Ursprungs und aus dem ersten Willen Gottes heraus.'" 0

Gott habe die Frau deshalb aus der Seite des Mannes erschaffen, um uns zu lehren, daß die Erde sich durch ihre gegenseitige Vereinigung füllen solle, ergänzte Angelomus. 61 Aus solchem Verständnis ergab sich auch für Beda der Auftrag zur Vermehrung: "Denn diese Vervielfältigung der Menschen und die Auffüllung der Erde ist gar nicht anders machbar als durch die Vereinigung von Mann und Frau."62 Die Schöpfung der Frau erhielt damit eine bestimmte Funktion: Eben zu diesem Zweck sei die Frau — als adiutorium — erschaffen worden, schrieb Hraban mit Berufung auf Augustin,63 und Angelomus fügte — sich ebenfalls auf Augustin berufend — hinzu, das habe schon für das Paradies gegolten, nur sei der Koitus dort noch ohne

59 Beda, Hexaemeron I (wie Anm. 43), S. 56, zu Gen. 2,21: Quod mulier viri de latere facta est, propter ipsius coniunctionis vim commendandam ita fieri oportuisse credendum est; wörtlich Hrabanus Maurus, Comment, in Gen. 1,14 (wie Anm. 37) S. 484. 60 Isidor von Sevilla, De ecclesiasticis offtciis 2,20, ed. Christopher M. Lawson, CCL 113, Tumhout 1989, S. 90: Quod autem non unus et multae sed unus et una copulantur, ipsa prima diuinitus facta coniunctio in exemplo est. Nam cum deus hominem figurasset eique parem necessariam prospexisset, unam de costis eius mutuatus unam illi feminam finx.it, sicque Adam et mulier Eua, unis inter se nuptiis functi, formam hominibus de originis auctoritate et prima dei uoluntate sanxerunt. 61 Angelomus von Luxeuil, Comment, zu Gen. 1,27 (wie Anm. 38) Sp. 123: Unde mulierem ex viri latere formavit, ut mutua illorum coniunctione terram esse implendam doceret. 62 So Beda, Hexaemeron I (wie Anm. 43) S. 28, zu Gen. 1,28, und, wörtlich, Hrabanus Maurus, Comment, in Gen. 1,7 (wie Anm. 37) Sp. 461: Haec etenim multiplicatio hominum et repletio terrae non nisi per coniunctionem erat maris et feminae perficienda. 63 Hrabanus Maurus, Comment, in Gen. 1,14 (wie Anm. 37) Sp. 482, zu Gen. 2,18: Si autem quaerit aliquis ad quam rem fieri oportuerit hoc adiutorium, audiat responsum Augustini ...: Nihil, inquit, aliud probabiliter occurrit, quam propter filios procreandos, sicut adjutorium semini in terra est, ut virgultum ex utrarum parte nascatur. So auch Beda, Quaesüones super Genesim (wie Anm. 43) Sp. 291. Das Zitat entstammt Augustin, De Genesi ad litteram 9,3 (wie Anm. 41) S. 271; vgl. ebd. 9,7, S. 275. Vergleichbar äußert sich Ambrosius, De paradiso 10,48 (wie Anm. 40) S. 306.

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libido erfolgt.64 Erst die Fähigkeit der Fortpflanzung machte Eva schließlich zur "Mutter aller Lebenden", zur Stammutter, ein Motiv, das Ado von Vienne sogar in seine dem 9. Jahrhundert angehörende Weltchronik aufnahm.65 Eine andere, interessante Deutung (die fast modernem Emanzipationsstreben entgegenkommt, aber natürlich nicht so gemeint war) fand Remigius von Auxerre, allerdings ausschließlich in bezug auf das Paradies: dort sei die Frau eben nicht (wie jetzt auf der Erde) zur procreatio filiorum, sondern zur "Fortpflanzung" der Pflanzen und Bäume erschaffen worden. Anders als auf der Erde wären im Paradies ja nicht die Nachkommen den verstorbenen Vorfahren nachgefolgt (um ein Aussterben der Menschen zu verhindern), sondern die Generationen hätten gemeinsam und in Freuden zusammengelebt, um dem seligen, engelgleichen Leben am Ende der Zeiten nicht durch den Tod, sondern aus göttlicher Tugendnachahmung entgegenzusehen.66 Die Frau half somit auch bei der paradiesischen Arbeit. (Augustin dagegen hatte sich keinen anderen Sinn als den der Fortpflanzung denken können, da Gott zur Landarbeit wohl besser einen zweiten Mann erschaffen hätte.67) Vor solchem Hintergrund gewann die Ehe für Beda und Hraban eine herausragende Funktion.68 Noch mehr allerdings — doch erst seit die Erde sich aufgefüllt hatte — sei die Jungfräulichkeit zu achten, durch die Christus geboren wurde: Gott, der am Beginn der Welt die Frau aus der Seite des Mannes formte, nahm am Ende der Welt den Mann vom Fleisch der Jungfrau (das heißt in einer paradiesgemäßen, jungfräulichen Geburt).69 Diese auf der Umkehrung des Schöpfungsaktes beruhende allegorische Deutung, die den Mann (Christus) nun aus dem Fleisch der Frau (Maria) erschaffen sein läßt, impliziert vollends eine grundsätzliche Gleichwertung

64 Angelomus von Luxeuil, Comment, zu Gen. 1,28 (wie Anm. 38) Sp. 123. Vgl. Augustin, De civitate Dei 14,23, ed. B. Dombart/A. Kalb, Leipzig 51928/29, S. 47ff.; Ders., De Genesi contra Manichaeos 1,19,30 (wie Anm. 41) Sp. 187. Nach Augustin, De Genesi ad litteram 9,4 (wie Anm. 41) S. 272f., war es bis zur Vertreibung aus dem Paradies noch gar nicht zum Geschlechtsverkehr gekommen. 65 Ado von Vienne, Chronicon, Migne PL 123, Sp. 24: eique de latere costam tollens, mulierem aediflcaverat, cuius adiutorio genus humanum propagaret. Zur Eva als mater omnium, viventium: ebd. (unten Anm. 80). 66 Remigius von Auxerre, Comment, in Gen. 2,18 (wie Anm. 39) Sp. 62: 'adiutorium': id est, feminam ad procreandas herbas et arbusta, non autem ut illa filiorum procreatio esset qualis nunc est, scilicet ut ubifilii mortuis parentibus succederent, sed potius ut parentes videntesfilios ex se natos laetarentur, et cum Ulis diu feliciter vivendo exspectarent illum beatum statum et vitam angelicam, ad quam transferendi erat finito saeculo non per mortem, sed per quamdam divinae imitationem virtutis. 67 Augustinus, De Genesi ad litteram 9,5 (wie Anm. 41) S. 273. 68 Vgl. dazu unten Kapitel 4, S. 171. 69 Beda, Hexaemeron I (unten Anm. IV/24).

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der Geschlechter: Als Geschöpf wurde die Frau von den Exegeten demnach durchweg positiv und dem Manne ebenbürtig bewertet, ganz im Sinne des Ambrosius, der gelehrt hatte, daß Mann und Frau dieselbe "Natur des Körpers" besäßen.70 Die grundsätzlich positive Deutung bestätigt sich in der allegorischen Auslegung des Schöpfungsberichts, wie sie in den soeben zitierten Kommentaren des Beda und des Hrabanus Maurus schon deutlich geworden ist. Eva entsprach hier fast durchweg der Kirche, die aus der Seite des am Kreuz sterbenden Christus ihren Ausgang nahm, wie Eva aus der Rippe des schlafenden Adam erschaffen wurde.71 Mann und Frau bildeten gemeinsam den einen Leib Christi, die eine Kirche.72 Ganz ähnlich äußerten sich Beda,73 Alcuin,74 Hraban,75 Angelomus76 und andere.77 Alcuin beantwortete die Frage, weshalb Eva aus der Seite des Mannes und nicht aus Erde geformt wurde, ausdrücklich mit der allegorischen Folgerung, damit sie eben diesen Zusammenhang zur Kirche Christi symbolisiere, da auch Christus um der Kirche und des Heils der Menschen willen am Kreuz schlief.78 Gregor von Tours hatte eine solche Deutung schon im 6. Jahrhundert sogar in seinen Chronikbericht

70 Ambrosius, De paradiso 10,48 (wie Anm. 40) S. 306. 71 Vgl. Isidor von Sevilla, Allegoriae quaedam scripturae sacrae 3, Migne PL 83, Sp. 99: Eva designat Ecclesiam factam per mysterium lavacri, quae de latere in cruce morientis Christi fluxit, sicut Eva de costa hominis dormientis. 72 Isidor, In Genesin 3,9 (wie Anm. 42) Sp. 217, zu Gen. 2,23. 73 Beda, Hexaemeron I (wie Anm. 43) S. 58, zu Gen. 2,24. 74 Alcuin, ep. 307, ed. Ernst Dümmler, MGH Epp. 4, 1895, S. 468: Igitur ut de dormientis Adam latere Eva, quae interpretatur vita, formata est, sie de Christi latere, dormientis in cruce, prolatum est ecclesiae precium. 75 Hrabanus Maurus, Comment, in Gen. 1,14 (wie Anm. 37) Sp. 486, zu Gen. 2,24; Ders., De universo 2,1, Migne PL 111, Sp. 31: Designat autem Ecclesiam sponsam Christi factam per lavacri misterium, quod de latere morientis Christi profluxit. 76 Angelomus von Luxeuil, Comment, in Gen. 2,21 (wie Anm. 38) Sp. 134: Ideo mulier non de terra psalmata est sicut vir, sed de latere viri dormientis, quia futurum erat ut Christus propter Ecclesiam in cruce dormiret, ex cuius latere fans salutis nostrae emanaret et formaretur Ecclesia. 77 Vgl. das anonyme Gedicht, oben Anm. 57; Ambrosius Autpertus, In Apocalypsin 3,5 (wie Anm. 52) S. 236: Necnon et illud, quod ex primi hominis latere costa detracta, atque in mulierem aedifleata, actione simul ipsius operis, et prophetia eiusdem hominis, typicum Christi Ecclesiaeque figurauit sacramentum. 78 Alcuin, Interrogate 57 (wie Anm. 36) Sp. 522, zu Gen. 2,22: Cur mulier de latere viri dormientis aedifleata legitur, et non de terra plasmata, sicut vir? Responsio: Certe mysterii causa signifleans, quod Christus propter Ecclesiam in cruce dormivit, ex cuius latere fans salutis nostrae manavit. Danach Angelomus (oben Anm. 76).

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von der Schöpfung aufgenommen. 7 ' Noch weiter ging Ado von Vienne in seiner Chronik, wenn er solche Auslegungen aufgriff und aus dem Festtag (dem "Heiligentag" !) der Eva am 23. März (wie er meinte) folgerichtig schloß, daß auch Christus am 23. März gekreuzigt worden sei!80 Wie Adam also figura Christi, ein historisches Symbol für den Erlöser, war, so symbolisierte Eva dessen Kirche: Seit der Auslegung seitens der Kirchenväter war sie figura ecclesiae,81 aber auch figura Mariae.82 Der so gern betonte Gegensatz zwischen Eva und Maria löste sich in der allegorischen Auslegung also in einem unmittelbaren, figuralen Zusammenhang auf. Dagegen symbolisierte Eva, soweit ich sehe, hier nirgends negative Aspekte (wie den Teufel oder das Heidentum). Die altenglische Dichtung Genesis Β betonte darüber hinaus Evas Schönheit und nannte sie "die hübscheste Frau" (freo faegroste; wlitesciene wif)," weil sie nämlich "Gottes Handarbeit" bzw. "Kunstwerk" (handgeweorc) war.84 Diese Einschätzung schloß, wie wir gleich noch sehen werden, eine soziale Unterordnung der Frau allerdings nicht aus. Auch die Eva der Genesis Β bezeichnete Adam als ihren "Herrn" (frea min; herra).85

3. Sündenfall und Schuld: Zum Wesen der Frau Die negative Seite der Auslegung ergab sich erst aus dem Sündenfall, der ebenfalls in Gedichten aufgegriffen und hier zunächst, wenngleich keineswegs ausschließlich,

79 Gregor von Tours, Historiae 1,1 (wie Anm. 11) S. 5f.: Cuius dormienti ablata costa, mulier Ewa creata est. Nec dubium enim est, quod hie primus homo Adam, antequam peccaret, tipum Redemptoris domini praetulisset. Ipsi enim in passionis sopore obdormiens, de latere suo dum aquam cruoremque producit, virginem inmaculatamque eclesiam sibi exhibuit. 80 Ado von Vienne, Chronicon (wie Anm. 65) Sp. 23f.: de cuius latere dormientis matris omnium viventium Eva produxit: qui nunc quantum credibile videtur, decimus Kalertdarum Aprilium dies appellatur. Unde merito creditur, si non verior sententia vicerit, eodem decimo Kalertdarum Aprilium die, Dominum fuisse crucifixum. 81 Vgl. Augustin, Migne PL 34, Sp. 215; 36, Sp. 461; 37, Sp. 1673; Fulgentius, ebd. 65, Sp. 327. 82 Tertullian, Migne PL 2, Sp. 782; Ambrosius, ebd. 17, Sp. 715. 83 Genesis Β ν. 457 (wie Anm. 44) S. 98 (freo faegroste), 526f., S. 104 (wlitesciene wif, "glänzend schöne Frau"); 549, S. 104 (sceone gesceapene, "wunderbar gestaltet"); 626, S. 110 (idesa scenost, "die schönste aller Frauen"), ebenso 704, S. 116; 627, S. 110 (wifa wlitegost the on woruld come, "das prächtigste Weib, das je auf die Welt gekommen war"); 700f., S. 116 (to tham ünraede idese sciene, wife wlitegost, "die herrliche Frau, das schönste aller Weiber"), ähnlich 821f„ S. 122. 84 Ebd. v. 628f., S. 112 (handgeweorc heofoncyninges, ähnlich v. 822, S. 122 (hie waes geweorc Godes). 85 Ebd. v. 655, S. 112; 678, S. 114.

"ein Kunstwerk des Himmelsgottes");

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E v a angelastet wurde: "Indem der erste Ahnherr lebte, trieb er, ach, uns in den Tod. Ο weh, seine Frau reichte (ihm), durch die Schlange (verführt), den Apfel und bewirkte dadurch, daß wir mit Recht viele Gefilde durchreisen. ... Eva war bereit und gehorchte, ach, zu sehr den hochmütigen Befehlen. Sie besiegt dich, Frau, mit einer wunderschönen Art eines Apfels von großer Kraft, du verlierst deine Jungfräulichkeit und gehst daran zugrunde. ... Den verbotenen Speisen bot Eva ihren dreisten Mund. Doch durch die rasche Berührung brachte sie den Tod des Erdkreises," dichtete Josephus Scottus, 8 6 und Audradus sang: "Das Ü b e l des verbotenen B a u m e s reichte die ( S c h l a n g e ) der Eva, Eva d e m Manne, und damit (gaben) beide den T o d allen, die folgten." 87 "Aus seinen K n o c h e n nahm er, ohne ihn zu berühren, auch Eva, die dem M e n s c h e n g e s c h l e c h t den bitteren T o d hinwarf," schrieb ein unbekannter Dichter, 8 8 und M i l o klagte: "Aus der Gebärmutter E v a s ließ die Z e u g u n g uns Blinde entströmen." 89 "Durch sie verführt, wurde A d a m v o m B a u m d e s L e b e n s ausgesperrt." 90 In A u s l e g u n g v o n 1. T i m o t h e u s 2 , 1 4 / 1 6 ("Nicht A d a m aber wurde verführt, sondern die Frau wurde verführt") schrieb Hrabanus Maurus: "Freilich wurde auch er verführt. ... Weil man aber allgemein darüber streitet, welche Sünden von den Frauen, welche von den Männern hereingebracht wurden, so ist es gut, daß nicht er, sondern sie verführt wurde, weil man daran nämlich sieht, daß die Frau der Grund für seine Verführung ist und daß man diesen Grund keineswegs umkehren kann, daß es aber nicht so scheint, als könne man vom Frauengeschlecht verkünden, es sei gleichsam zur Frömmigkeit untauglich, denn jener Ritus und jenes Recht scheint dem ganzen Frauengeschlecht eigen. Jene wurde verführt. Daher fordern Gerechtigkeit und Vernunft, das in allen Frauen zu sehen.""

86 Josephus Scottus, Carmina, ed. Ernst Dümmler, MGH Poetae 1, 1881, S. 152: Primus avus vivens, en, nos in morte redegic, / Heu sie et mulier praebendo poma per ydrum / Fecit nos piagas iuste percurrere multas. / ... Eva parata paret iusis heu valde superbis. / Vincit te, mulier, pomi pulcherrima grandi / Vi species, peris ammota tunc virginitate. /... / Inlicitis ast Eva eibis os contulit audax. / Sed mortem rapido contactu detulit Orbis. / Inde Maria viri ex te iura recidis habenda, / Hic genetrix verae tu sumis semina vitae. 87 Audradus, Liber de fonte vitae, ed. Ludwig Traube, MGH Poetae 3, 1896, S. 78: Qui vetiti malum ligni porexerat Evae, / Eva viro, mortem cunctisque sequaeibus ambo. 88 Carmina Centulensia 28,5, ebd. S. 308: Ossibus ex cuius sine tactu sumpsit et Evam, / Quae mortem generi humano libavit amaram. 89 Milo, De sobrietate 1,99 (wie Anm. 14) S. 618: Nos Evae ex utero caecos generatio fudit. 90 Ebd. 2,5,212, S. 651: Hac deeeptus Adam seclusus ab arbore vitae est. 91 Hrabanus Maurus, Enarrationes in epistolis Pauli. In epistolam I ad Timotheum 2, Migne PL 112, Sp. 595: Et quidem seduetus est et ille... Sed quoniam in commune disputabat, discernens, quae quidem a mulieribus fuissent peccata admissa, quae vero a viris, bene ilium quidem non fuisse seduetum, hanc vero seduetam, eo quod illius seduetionis mulier causa exstitisse videbatur, quia in illam causam vertere nequaquam poterant, et ut ne videretur de genere mulie-

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D e n E x e g e t e n g i n g e s nicht u m eine einseitige S c h u l d z u w e i s u n g , sie suchten v i e l m e h r eine Erklärung für die R e i h e n f o l g e des Verführungsaktes. "Weshalb aber", fragte Isidor von Sevilla, "verführte (die Schlange) die Frau und nicht den Mann? Weil unsere Vernunft nur dann zum Sündigen verleitet werden konnte, wenn dem ein Verführungsreiz im Zustand der fleischlichen Schwäche voranging, der der Vernunft gehorchen muß, wie dem beherrschenden Mann. Denn das steckt in jedem Menschen in einer verborgenen und geheimen Verbindung."" D i e s e Argumentation ist bezeichnend. D e r Sündenfall konnte nur eintreten, w e n n zuvor die Vernunft ausgeschaltet b z w . überwältigt wurde, und das schien Isidor offenbar nur über die Frau m ö g l i c h . Indem er eine solche Vorstellung nicht explizit erläutert, sondern k o m m e n t a r l o s zur Begründung verwendet, wird man sie als seine unverbrüchliche Ü b e r z e u g u n g ansehen müssen. B e s a ß die Frau demnach nach damaliger A u f f a s s u n g k e i n e n Verstand? B e d a äußerte sich da g a n z anders: "Deshalb aber wurde die Frau nach dem Bild Gottes erschaffen, weil auch sie einen vernünftigen Geist besaß; doch die Bibel glaubte nicht, das über sie ausdrücklich hinzufügen zu müssen. Daß man wegen der Einheit der Verbindung auch in ihr (Verstand) annehmen muß, zeigt sich schon daran, daß das gesamte Menschengeschlecht, das aus ihnen hervorging, verständig ist."'3 A b e r auch Isidor hatte nicht eigentlich behauptet, daß der Frau j e d e ratio

fehle,

sondern nur, daß sie der f l e i s c h l i c h e n Verführung zugänglicher sei, oder vielmehr: daß der M a n n sich nur auf eine e i n z i g e W e i s e verführen lasse, nämlich durch die Frau. D i e Frau war daher n o t w e n d i g e Voraussetzung des Sündenfalls, denn, s o meinte auch Paulus Diaconus, der Teufel vermochte A d a m überhaupt nur durch Eva zu verführen:

rum pronuntiare quasi inutile ad pietatem quia ritus ille et ius in omni genere mulierum pertinere videtur. Seducta est ilia, id ipsum iustitia et ratio depostulat in omnibus videri mulieribus. 92 Isidor von Sevilla, In Genesin 4,3 (wie Anm. 42) S. 218f.: Sed quid est quod ipse per mulierem decepit et non per virum? Quia non potest ratio nostra seduci ad peccandum, nisi praecedente delectatione in carnalis infirmitatis affectu, qui obtemperare debet rationi, tanquam viro dominanti. Hoc enim in unoquoque homine geritur in occulto quodam secretoque coniugio. Isidors Worte lehnen sich eng an Augustin, De Genesi contra Manichaeos 14,20 (wie Anm. 41) Sp. 207 an: Sed tarnen per mulierem decipit: non enim etiam ratio nostra deduct ad consensionem peccati potest, nisi cum delectatio mota fiierit in illa parte animi, quae debet obtemperare rationi tanquam rectori viro. Vom "schwachen Sinn der Frau" (wifes wac gethoht) spricht auch Genesis B, v. 649f. (wie Anm. 44) S. 112/114. 93 Beda, Hexaemeron I (wie Anm. 43) S. 28, zu Gen. 1,27: Et femina enim ad imaginem Dei creata est, secundum id quod et ipsa habebat mentem rationalem; sed addendum hoc de illa non putavit Scriptura, quod propter unitatem conjunctionis etiam in illa intellegendum reliquit, immo in omni quod de eis ortum est genere humano intellegendum esse signavit. Wörtlich danach Hrabanus Maurus, Comment, in Gen. 1,7 (wie Anm. 37) Sp. 461.

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Das Bild der Frau in der Genesisauslegung "Adam stand zwischen seinem Weib und dem Teufel, zwischen Eva und dem Feind, zwischen Frau und Schlange. Der Teufel überredet sie zu schaden; Eva stimmt zu, um unterzugehen. Der Teufel umschleicht die Frau in hinterlistiger Absicht, um sie zu täuschen; die unvorsichtige Frau nahm das Gift der Schlange entgegen. Was der Teufel selbst nicht vermochte, durch Eva hinterging er Adam, das erste Geschöpf. Adam aber fand den Untergang durch seine Frau, die er von Gott zur Hilfe empfangen hatte.""

Deshalb, so urteilte Remigius von Auxerre, finde die Frau keine Entschuldigung.95 Hinter den — nicht völlig klaren — exegetischen Deutungen und Erklärungen stand die Vorstellung, daß Mann und Frau ihrem Wesen nach ähnlich und doch verschieden waren. Obgleich die Frau aus dem Mann erschaffen wurde, so hatte Augustin gelehrt, besaß sie ihr eigenes Wesen, die natura mulieris.96 Gott habe die jedem Menschen innewohnenden Eigenschaften appetitus und mens nämlich unterschiedlich auf die beiden Geschlechter verteilt." Die Frau (so setzte Isidor voraus) sei durch das Fleischliche/Körperliche, durch ihre Schwäche und durch ihr Gefühl oder auch ihren Instinkt, den animalis corporis sensus, gekennzeichnet, der Mann mehr durch das Geistige, Verstandesmäßige.98 "Zuerst aber aß die Frau und nicht der Mann; denn leichter läßt sich das Fleisch zur Sünde verführen, nicht so schnell läßt sich der Geist täuschen."99 Eva unterwarf sich, wie das Fleisch, der Verführung, Adam aber stimmte dem, wie durch die Einflüsterung des Geistes, von der Verlockung überwältigt, zu.100 Nach dem Genuß fleischlicher Begierde (im Sündenfall) aber war auch unser Geist dem Verlangen preisgegeben, zu sündigen.10' Aus solchen Überlegungen heraus war die Frau für Isidor das weniger vollkommene und

94 Paulus Diaconus, Homiliae de tempore 62, Migne PL 95, Sp. 1208: Stabat Adam inter uxorem et diabolum, inter Evam et hostem, inter mulierem et serpentem. Diabolus persuadet ut noceat, Eva consentit ut pereat. Diabolus mulierem astutia fallendi circumvenit, mulier incauta serpentinum virus accepit. Diabolus quod per se non potuit, per uxorem Adam protoplastum circumvenit. Adam vero per uxorem invenit interitum, quam a Deo acceperat in auxilium. 95 Remigius von Auxerre, Comment, in Gen. 3,6 (wie Anm. 39) Sp. 64: Hic aperte mulier inexcusabilis esse.

ostenditur

96 Augustin, De Genesi ad litteram 9,15 (wie Anm. 41) S. 286. 97 Augustin, De Genesi contra Manichaeos 2,11,15 (wie Anm. 41) Sp. 204f. Das Wesen der Frau entspreche dem pars animalis (ebd. 2,18,28, Sp. 210). 98 Isidor von Sevilla, In Genesin 4,4 (wie Anm. 42) Sp. 219. Das betont auch BLOCH, Invention (wie Anm. 1/154) S. 29ff. 99 Isidor, In Genesin 5,1 (wie Anm. 42) Sp. 220, zu Gen. 3,6: Mulier comedit antea, non vir; ideo, quia facilius carnales persuadentur ad peccatum, nec tarn velociter spirituales decipiuntur. Nahezu wörtlich Hraban, Comment, in Gen. 1,15 (wie Anm. 37) Sp. 490. 100 So Hrabanus Maurus, Comment, in Gen. 1,15, ebd. Sp. 491: Heva autem quasi caro se delectatione subdidit, Adam vero velut spiritus suggestione, delectatione superatus, assensit. 101 So Isidor, In Genesin 5,1 (wie Anm. 42) Sp. 220: quia post delectationem carnalis concupiscentiae nostrae, etiam nostra ratio subjicitur ad peccandum.

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dem Mann unterworfene Geschöpf.102 Schwäche wies auch Beda der Frau zu, der ihr die Vernunft keineswegs abstreiten wollte.103 Das mußte nicht abwertend gemeint sein, es sollte nur den — natürlich verurteilten — Sündenfall aus den gängigen Vorstellungen heraus erklären. Doch folgte eine solche Erklärung zweifellos einem Denkmuster, das der Frau zwar nicht die Alleinschuld, wohl aber eine geringere Widerstandskraft zuwies und damit letztlich doch wertete. Hier liegen die Ansatzpunkte für eine Beurteilung des Geschlechterverhältnisses. Etwas anders argumentierte die altenglische Dichtung Genesis B.104 Danach wollte der Teufel zunächst Adam verführen;105 erst als das mißlang — Adam zweifelte, da jener nicht den anderen Engeln glich und sich nicht als Gottes Gesandter ausweisen konnte —, wandte er sich an Eva.106 Interessant ist die unterschiedliche Argumentation des Versuchers: Adam gegenüber hatte er sich als Gottes Bote vorgestellt, Eva aber redete er ein, sie könne Adams Widerspenstigkeit wiedergutmachen und damit Gottes Strafe abwenden, wenn sie ihm gehorche. Damit wird Evas Fall, der schlimmsten Tat überhaupt,107 gleichsam ein edles Motiv unterstellt, "Lügen" und "List" (mid ligenum and mid listum) bleiben ein Charakterzug des Teufels. Was diesem jedoch nicht gelang, die Verführung Adams, erreichte Eva, wenngleich erst nach einigen Mühen (noch einen ganzen Tag lang mußte Eva auf Adam einreden, bis er nachgab, und sie tat das "in lauterer Absicht").108 Am Ende bereuten beide ihre schwere Sünde und baten Gott ausdrücklich um die verdiente Strafe.109 Fortan beteten beide täglich zu Gott, er möge ihnen zeigen, wie sie auf

102 Ebd. 1,15, Sp. 212, zu Gen. 1,27: spirituales in Ecclesia, et oboedientes ostendit, quia sicut viro subdita est mulier, sie spirituali et perfecto viro obediens est is qui minus perfectus est. 103 Beda, De sex dierum creatione über, Migne PL 93, Sp. 231: Die Schlange verführte die Frau, in qua mollities continebatur. 104 Vgl. CHANCE (wie Anm. 1/158) S. 65ff. 105 Genesis Β v. 491ff. (wie Anm. 44) S. 102/104. 106 Ebd. v. 547ff„ S. 104/106. 107 Ebd. v. 594f., S. 108: ne weard wyrse daed monnum gemearcod Tat).

(es gab nie eine schlimmere

108 Ebd. v. 626ff„ S. 110/112; v. 708f., S. 116: heo dyde hit theah thurh holdne hyge, nyste that thaer hearma swa fela fyrenearfeda, fylgean sceolde ("doch sie tat es aus Treu und Glauben; sie wußte nicht, daß soviel Leid und schreckliches Übel für das Menschengeschlecht folgen sollte"). 109 Ebd. v. 765ff., S. 120/122. Als Adam bereute, daß Gott Eva geschaffen und er sie je gesehen habe (v. 790ff., S. 120/122), gab Eva sich selbst die Schuld, fügte aber hinzu, er könne nicht mehr Trauer empfinden als sie selbst (v. 821ff., S. 122). Die Szenen sind auch bildlich in Federzeichnungen wiedergegeben (Abbildungen in der Edition). Von der altsächsischen Genesis ist lediglich Adams Reuerede und seine inhaltlich parallelen Anklagen gegen Eva erhalten, der er die Schuld am Verlust des Himmelreichs gab (v. 1-25, ebd. S. 53).

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dieser Welt leben sollten, so daß die Dichtung mit einem optimistischen Hoffnungsstrahl endet. Der ganze Vorgang ist mehrfach auch bildlich — und in Einzelheiten durchaus abweichend vom Bibeltext — dargestellt worden.110 In der Szenenfolge der Bibel von Moutier-Grandval (Abb. 2, oben S. 84) ißt Adam, den Blick fest auf Eva gerichtet, den Apfel, den diese ihm reicht; die Bibel Karls des Kahlen (Abb. 3, oben S. 85) enthält das gleiche Motiv, hat aber den Abstand zwischen Adam und Eva vergrößert Noch deutlicher präsentiert sich dieser Sachverhalt, in zwei Szenen aufgelöst, in der künstlerischen Ausgestaltung der Genesis Β (Abb. 4): Von dem gefallenen Engel nimmt nur Eva den Apfel, erst aus ihrer Hand empfängt ihn Adam. Adam war damit allerdings nicht schuldlos. Auf der Skulptur eines Bronzegefäßes stehen Adam und Eva, gleich weit von der Schlange entfernt, beiderseits des verbotenen Baumes (Abb. 1, oben S. 70)!"' Eine besonders negative Bewertung Evas ist hier nicht mehr erkennbar.

4. Die Folgen des Sündenfalls und ihre Bedeutung für das Geschlechterverhältnis Die spätantiken und frühmittelalterlichen Autoren leiteten das Geschlechterverhältnis nicht um seiner selbst willen aus der Bibel bzw. der Bibelexegese ab, sie setzten es vielmehr als gültig voraus und zogen es zur Erklärung der Heiligen Schrift heran. Man kann deshalb davon ausgehen, daß die hier geäußerten Gedanken vom Unterschied der Geschlechter ihren selbstverständlichen, nicht mehr eigens reflektierten Überzeugungen entsprachen. Eindeutigere Aussagen zum Geschlechterverhältnis bietet der Bibelbericht selbst lediglich in bezug auf die Folgen des Sündenfalls: die von Gott verhängten Strafen, die bezeichnenderweise geschlechtsspezifisch verteilt wurden (Gen. 3,16f.). Mit Mühsal sollte der Mann sich vom Erdboden nähren, mit Schmerzen sollte die Frau gebären und dem Mann Untertan sein. Auch hier bleibt zu beachten, daß die biblische Strafe als solche nicht in den unterschiedlichen Tätigkeiten, die vielmehr erneut vorausgesetzt wurden (was sich im Falle der Gebärfähigkeit von selbst versteht), sondern in Mühsal und Schmerzen

110 Vgl. LEISCH-KIESL (wie Anm. 30) S. 236ff. 111 Abbildung in: La Picardie, berceau de la France. Clovis et les derniers Romains (Ausstellungskatalog), Centre Culturel, Soissons 1986, Abb. 144, S. 179. Dort fehlen leider nähere Angaben zu Entstehung und Aufbewahrungsort dieses 1910 in Roussent entdeckten Fundes.

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bestand. 112 Ohne den Sündenfall, wiederholte R e m i g i u s ausdrücklich, würden die Geburten s c h m e r z l o s verlaufen. 113 W e n i g e r eindeutig ist die Frage der Unterordnung der Frau unter den Mann zu beurteilen, denn sie wurde bereits der Bibel z u f o l g e ausdrücklich als Strafe verhängt. D e n n o c h haben die E x e g e t e n dieses hierarchische Verhältnis in überraschender Einhelligkeit eher als ein "natürliches" denn als ein "historisches" (durch den

Sündenfall

bewirktes)

gedeutet,

also erneut ihre Überzeugungen

in

die

Bibelinterpretation hineingetragen, und so fuhr R e m i g i u s entsprechend fort: "Auch wenn sie nicht gesündigt hätte, wäre sie fortan unter der Herrschaft (potestas) des Mannes gestanden. Jene Unterordnung aber wäre dann weniger eine Strafe gewesen, sondern es wäre aus der Liebe heraus erwachsen, was ihr nun als Strafe auferlegt ist, so daß sie dem Mann jetzt auch dann unterworfen ist, wenn sie es gar nicht will. Die Frau ist moralisch unter die Herrschaft des Mannes gestellt, weil das Fleisch dem Geist unterzuordnen ist, damit es nicht aufbegehrt, sondern um so mehr gehorcht,""'' Im Paradies, so hatte auch Alcuin gelehrt, wäre die Frau aus Liebe und ohne Furcht "Sklavin" des M a n n e s g e w e s e n , nun aber sei sie e s aus Furcht in strenger Zucht. 115 D i e Unterwerfung unter den M a n n wäre nach A u f f a s s u n g der Autoren demnach schon i m Paradies unumgänglich g e w e s e n , w i e B e d a mit Augustin schrieb: "Auch solle man nicht glauben, daß die Frau vor der Sünde anders beschaffen war, als daß der Mann sie beherrschte und sie unter seiner Herrschaftsgewalt lebte; mit Recht darf man daher annehmen, daß diese Knechtschaft (nun) das besagt, was eher dem Stand als der Liebe entspringt, so wie man sieht, daß auch jene Knechtschaft, durch die Menschen später den Menschen Sklaven zu sein begannen, aus der Strafe für die Sünde begann."1"

112 Wenn Chiara FRUGONI, La femme imagin6e, in: Histoire des femmes (wie Anm. 1/7) S. 358, feststellt: "Dans la Genfese, la malfediction de la procrtation trappe έ ν ε et seulement eile," so ist eine solche Behauptung nicht sonderlich erstaunlich, aber irreführend: Verflucht wurden tatsächlich beide Geschlechter. 113 Remigius von Auxerre, Comment, in Gen. 3,16 (wie Anm. 39) Sp. 66: Quia ilia, si non peccasset, sine dolore paritura erat: idcirco post peccatum ei haec poena irrogatur, ut in dolore pariat iam fllios. 114 Ebd.: Etiamsi non peccasset, sub potestate viri futura erat. Sed ilia subjectio minus poenalis esset, qui ex dilectione procederet quae nunc ei pro poena imponitur ut etiam nolens viro subdatur. Moraliter sub potestate viri mulier constituitur: quia spiritui caro subdenda est, ne repugnet, sed magis obtemperet. 115 Alcuin, Interrogatio 78 (wie Anm. 36) Sp. 524, zu Gen. 3,16: Quaeritur dum dicitur: 'Et sub viri potestate eris', si ante peccatum mulier sub potestate viri esset ? Responsio: Fuit utique, sed ea Servitute, quae per dilectionem operatur, et foras mittit timorem; post vero, conditionali servitutis timore, quae per disciplinam operatur. Danach wörtlich Angelomus von Luxeuil (wie Anm. 38) zu Gen. 3,16, Sp. 142. 116 Beda, Hexaemeron I (wie Anm. 43) S. 67, zu Gen. 3,16. Cum et ante peccatum aliter factam fiiisse non deceat credere mulierem, nisi ut vir ei dominaretur, et sub eius ipsa potestate degeret, recte accipi potest hanc servitutem significatam, quae cuiusdam conditionis est potius

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Das spiegelt die frühmittelalterlichen Vorstellungen von einem hierarchischen Geschlechterverhältnis deutlich wider. Eine Umkehrung des Herrschaftsverhältnisses schien undenkbar. Schließlich habe der Apostel (Paulus) jegliche Herrschaft der Frau über den Mann verboten (Gal. 5,13): Zwar sollten Eheleute sich gegenseitig beherrschen, und sie könnten sich aus Liebe wechselseitig dienen, hingegen lasse der Apostel nicht zu, daß die Frau den Mann beherrscht.1" Nach Augustin stellte der ordo rerum, die Weltordnung, die Frau unter den Mann.118 "Den Vorschriften der heiligen Schrift ist Folge zu leisten," lehrte danach Isidor von Sevilla, "und (die Frau) muß dem Mann in freier Knechtschaft und aus ganzer Liebe dienen. Denn nicht ist der Mann um der Frau willen, sondern die Frau um des Mannes willen erschaffen. ... Das Gesetz der Natur und Gottes werden folglich bewahrt, wenn die Frau sich ihrem Mann unterordnet; begehrt sie jedoch, den Mann zu beherrschen, wird die natürliche Ordnung korrumpiert, und man wird jenes Haus elend und verkehrt heißen."1"

Isidor argumentierte mit dem Schöpfungsakt. Wenn Beda dieses Herrschaftsverhältnis hingegen aus der Schuld und nicht aus der Natur ableitete,120 so war es ihm wie den anderen Autoren doch selbstverständlich. Im Menschen, schrieb Hraban, "existiert ein Teil, der zu herrschen (regere) vermag, wie der Mann, und ein anderer, der beherrscht wird, wie die Frau."121 Theologisch leitete sich dieses Verhältnis aus der biblischen Tatsache ab, daß die Frau als Gehilfin (adiutorium) des Mannes erschaffen wurde: "Hier zeigt sich nämlich," schrieb Angelomus, "daß die Frau dem Mann zum Trost und zur Hilfe erschaffen wurde, und deshalb soll sie ihm Trost spenden und untenan sein." m

quam dilectionis, ut etiam ipsa talis servitus, qua homines hominibus postea servi esse coeperunt, de poena peccati reperiatur exorta. Danach wörtlich Hrabanus Maurus, Comment, in Gen. 1,19 (wie Anm. 37) Sp. 496. Die Vorlage bildet Augustin, De Genesi ad litteram 11,37 (wie Anm. 41) Sp. 37 lf. 117 Ebd. (Hexaemeron): Invicem dominamini. Possunt itaque conjuges per charitatem servire invicem; sed mulierem non permittit Apostolus dominari in virum. 118 Augustinus, De Genesi contra Manichaeos 2,11,15 (wie Anm. 41) Sp. 204: Ad huius rei exemplum femina facta est, quam rerum ordo subiugat viro. 119 Isidor von Sevilla, De ecclesiasticis officiis 2,20,14f. (wie Anm. 60) S. 95: Oboediendum est itaque sanctae scripturae praeceptis, et seruiendum uiro quadam seruitute libera et dilectione plena. Etenim non est creatus uir propter mulierem sed mulier propter uirum ... Seruatur ergo lex naturae et dei, si mulier marito subiecta est; at contra si illa uiro imperare desiderat, et ordo naturae corrumpitur et domus illa misera et peruersa uocabitur. 120 Beda, Hexaemeron I, S. 67 (wie Anm. 43) zu Gen. 3,16: Hoc enim viro potius sententia detulit, et maritum habere dominium meruit mulieris, non natura, sed culpa. 121 Hrabanus Maurus, Comment, in Gen. 1,14 (wie Anm. 37) Sp. 485, zu Gen. 2,21: ut aliud in ipso sit quod regere valeat tamquam vir, aliud tamquam femina quod regatur. 122 Angelomus von Luxeuil, Comment, in Gen. (wie Anm. 328) Sp. 134, zu Gen. 2,18: Hic enim ostenditur quia uxor propter solatium et adiutorium creata est viro, et ideo solatium eipraebere debet atque subdita esse.

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Die Unterordnung der Frau ergab sich demnach aus der "Natur" und wurde mit dem biblischen Schöpfungsbericht begründet Sie resultierte damit letztlich aus der bereits beschriebenen Vorstellung von dem anderen, "körperhaften" Wesen der Frau. Dieser Wesensunterschied der Geschlechter war auch für eine Divergenz der Funktionsbereiche verantwortlich: "Wie der Mann mehr den öffentlichen Aufgaben gewachsen ist, so die Frau den häuslichen Pflichten," hatte schon der Kirchenvater Ambrosius gelehrt und das von der Schöpfung aus der Rippe hergeleitet: "Sie ist nämlich nicht Seele aus meiner Seele, sondern Gebein von meinem Gebein und Fleisch vom meinem Fleisch." 1 " Die frühmittelalterlichen Exegeten haben diese Deutung nicht unmittelbar aufgegriffen; sie spiegelt sich aber in den schon erwähnten Miniaturen zum Genesisbericht über Schöpfung und Sündenfall, vor allem in der Bibel von Moutier-Grandval (Abb. 2, oben S. 84) wider (und auch diese Bildszenen zur Bibel sind letztlich exegetische Deutungen): Nach der Vertreibung aus dem Paradies bearbeitet Adam im unteren Bild mit der Hacke den Boden, während Eva unter einem primitiven Dach sitzt, das die häusliche Sphäre symbolisiert, und ein Kind säugt.124 In der ähnlich stilisierten Abbildung der Bibel Karls des Kahlen (Abb. 3, oben S. 85) bestellt Adam tiefgebeugt den Acker, während Eva auf einem Baumgeflecht sitzt. Eine vergleichbare Darstellung bietet eine Bibel aus der Schule von Tours, derzufolge Adam mit der Spitzhacke das Land bearbeitet und sich darauf (offenbar zum Koitus) zu Eva niederbeugt, während diese am rechten Rand auf einem Stuhl (wieder als Zeichen des Häuslichen) sitzt und ein Kind in den Armen hält (Abb. 5, oben S. 96).'" Insgesamt zeichneten die Exegeten ein ambivalentes Evabild, das sich schon in der Deutung des Namens spiegelte, der sowohl vita, das Leben, wie auch calamitas oder vae, Unglück oder Wehe, bedeuten konnte, ersteres, weil Eva origo nascenti, Ursprung allen Gebärens, und Mutter aller Lebenden war und sämtlichen Menschengenerationen das Leben schenkte, letzteres, weil sie dank der Überschreitung

123 Ambrosius, De paradiso 11,50 (wie Anm. 40) S. 307: sicut enim uir publicis officiis ita mulier domesticis ministeriis habilior aestimatur considera quia ex corpore costam sumpsit, non ex anima portionem, hoc est: non anima ex anima, sed os de ossibus meis et caro de carne mea haec uocabitur mulier. 124 Vgl. dazu Klaus ARNOLD, Mentalität und Erziehung — Geschlechtsspezifische Arbeitsteilung und Geschlechtersphären als Gegenstand der Sozialisation im Mittelalter, in: Mentalitäten im Mittelalter. Methodische und inhaltliche Probleme, hg. v. Frantisek Graus (Vorträge und Forschungen 35) Sigmaringen 1987, S. 257-288, bes. S. 269. 125 Staatliche Bibliothek Bamberg. Abbildung in: Magnus BACKES/Regine DÖLLING, Die Geburt Europas (Kunst im Bild) München oJ., S. 108.

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Eva

ihrer Befugnisse zur gleichen Zeit Ursache des Sterbens war.126 "Allen werde ich das Leben geben, und doch werde ich vielen das Leben genommen haben," hieß es in einem Rätselgedicht über Eva.1" So war die Frau, wie manche meinen, nach Hraban auch für den Mann ebenso oft die Ursache seines Heils wie seines Unheils.128 *

Überblickt man die zitierten Passagen insgesamt, so spiegeln sich in ihnen, gerade weil die Autoren bereits vorhandene Vorstellungen in die Auslegung hineintrugen, wichtige Charakteristika des frühmittelalterlichen Frauenbildes. Die Exegeten selbst sprachen weit häufiger von "der" Frau als von Eva und bekundeten damit eine gewisse Allgemeingültigkeit ihrer Aussagen. Es sei aber noch einmal betont, daß die von unserer Fragestellung her hier dicht zusammengetragenen Äußerungen nicht darüber hinwegtäuschen dürfen, daß ein Frauenbild in der Auslegung selbst der einschlägigsten Bibelstellen nur gelegentlich hervorscheint und daher nicht zu den zentralen Problemen der mittelalterlichen Theologie zählte, der es in den langen Kommentaren zu den ersten Kapiteln der Genesis weit mehr um Schöpfung, Menschsein, Sündenfall und Heil als um das Geschlechterverhältnis ging. Das zeigt sich deutlich in Hrabans Auslegung der Schöpfung Evas: "Weshalb war es wohl notwendig, daß damals, als der aus der Seite des Mannes entnommene Knochen zur Frau geformt wurde, an die Stelle des Knochens nicht wieder ein Knochen, sondern Fleisch trat, wenn damit nicht symbolisiert werden sollte, daß Christus um der Kirche willen schwach, die Kirche aber durch ihn künftig starte sein werde?"

fragte Hraban129 und dachte damit in ganz anderen, theologischen Kategorien als

126 Vgl. Hrabanus Maurus, De universo 2,1 (wie Anm. 75) Sp. 31: Eva interpretatur 'vita', sive 'calamitas' sive 'vae'. Vita, quia origo fuit rtascendi; calamitas et vae, quia per praevaricationem causa exstitit moriendi... Nahezu wörtlich Angelomus von Luxeuil, Comment, in Gen. (wie Anm. 38) Sp. 144, zu Gen. 3,20. 127 Aenigmata Hexasticha Nr. 9 (De mola), ed. Karl Strecker, MGH Poetae 4,2, 1964, S. 740: Senior ab aevo, Eva sum senior ego, / Et senecta gravem nemo currendo revincit. / Vitam dabo cunctis, vitam si tulero multis. 128 Hrabanus Maurus, De universo 2,1 (wie Anm. 75) Sp. 31: Alii autem dicunt quod ob hoc Eva 'vita' et 'calamitas' sit appellata, quia saepe mulier viro causa salutis est, saepe calamitatis et mortis, quod est 'vae'. 129 Ders., Comment, in Gen. 1,14 (wie Anm. 37) S. 484f.: Quid necessariumfuit, ut cum os quod de viri latere sumptum est in feminam condebatur, in locum ossis non os, sed caro suppleretur, nisi quia flgurabatur, quod Christus propter Ecclesiam infirmus, at vero Ecclesia per ipsum esset firma fiitura?

Das Bild der Frau in der Genesisauslegung

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in der Frage nach den Geschlechtern. Dennoch gab es auch dazu, wie sich gezeigt hat, dezidierte Meinungen, deren Beiläufigkeit geradezu die Selbstverständlichkeit solcher Anschauungen beweist. In unseren Augen — offenbar aber nicht in den Augen der mittelalterlichen Autoren — handelte es sich um ein ambivalentes Frauenbild, in dem sich Achtung und Herabstufung die Waage hielten. Eine bewußte Abwertung und Herabminderung in einem deutlich misogynen Bewertungskontext oder gar eine "Diskriminierung" der Frau,130 deren Menschlichkeit vielmehr betont und aus der Parallelität der Schöpfung wie auch aus der Sündigkeit belegt wurde, ist nirgends erkennbar, doch lagen den Argumentationen Gedankengänge zugrunde, die, vielleicht unbewußt, in diese Richtung tendierten und der Frau eine geringere Rationalität zuwiesen. Zugleich wurde nämlich die (biblische) Tatsache, daß Eva sich als erste verführen ließ, rational begründet und als geradezu zwangsläufig aus ihrem Wesen heraus erklärt, das fleischlichen Genüssen näher stünde als vernünftigen Überlegungen. Frühmittelalterlichen Autoren lag es fern, solche Klassifizierungen — mit unseren heutigen Kriterien — als frauenfeindlich zu begreifen (deshalb treffen solche Charakterisierungen nicht recht), sie fanden darin lediglich die Erklärung, warum der vernunftbegabte, nach dem Ebenbild Gottes erschaffene Mensch der Versuchung nicht zu widerstehen vermochte. Es lag ihnen ebenso fern, den Mann von der Sünde zu entlasten und diese allein Eva zuzuschreiben. Adam war nicht minder schuldig — und ihn trafen ja auch ebenso harte, göttliche Strafen. Seine Schwäche allerdings war eine andere, nämlich nicht die Verlockung an sich, sondern die Verlockung gerade durch die Frau, die von hier aus immer und immer wieder zur Verführerin werden konnte. Hinter solchen Erklärungen stand die feste Überzeugung von einem unterschiedlichen Wesen von Mann und Frau, das hier freilich nur in pauschale Zuordnungen wie Geist — Fleisch oder Verstand — Gefühl gekleidet wurde. In idealtypischer Zuordnung wurde beiden Geschlechtern ein jeweils eigenständiger Funktionsbereich zugeschrieben. Daß solche, den Autoren selbstverständliche Einschätzungen ihrerseits den Ausgangspunkt für eine unterschiedliche qualitative Bewertung der Geschlechter boten, läßt sich kaum bestreiten. Eine zweite (ebenso scheinbare, weil allein von unseren Kriterien her gesehene) Ambivalenz zeigt sich im Geschlechterverhältnis selbst. Einerseits ergab sich aus dem Schöpfungsbericht die unzertrennliche Zusammengehörigkeit von Mann und Frau, die die Autoren zu einer Rechtfertigung der (bereits paradiesischen) Ehe und der Auflösung des alten Familienverbandes um der jeweils neuen Familiengründung

130 So WEINMANN (wie Anm. 7) S. 18ff.

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willen veranlaßte. Andererseits bestand in der Familie eine klare Hierarchie der Geschlechter: Daß die Frau sich dem Mann unterzuordnen hatte, war den Autoren völlig selbstverständlich und wurde scheinbar aus dem Schöpfungsbericht legitimiert, tatsächlich aber deutend in den Bibeltext hineingetragen, indem man dieses Verhältnis bereits in die paradiesischen Zustände zurückverlegte. In solchen Vorstellungen wird man daher eine Grundüberzeugung der Autoren erblicken dürfen. Der Wert der Frau in der Familie und für den Mann wurde dadurch nicht gemindert, sondern erst eigentlich begründet. Als erste Frau symbolisierte Eva die Frau schlechthin, mehr aber noch die UrMutter, die eben nicht nur Urbild aller Frauen, sondern Stammutter aller Menschen war. Darin spiegelt sich die Bedeutung der Gebärfunktion als wichtigster und zugleich vornehmster Aufgabe der Frau. Die Doppeldeutigkeit schon des Namens der ersten Frau aber belegt, daß selbst Eva keineswegs nur negativ beurteilt wurde. Als (weibliches) Geschöpf wurde sie vielmehr durchaus positiv gesehen, als Sünderin hingegen war sie schuldig.

5. Anhang: Eva als frühmittelalterlicher Personenname Ein solches Ergebnis macht (in einem abschließenden Exkurs) die Frage interessant, wieweit der Name "Eva" in der frühmittelalterlichen Gesellschaft als "hoffähig" galt, ob er im frühen Mittelalter — mit Blick auf die Stammutter — verbreitet blieb oder ob er — mit Blick auf die erste Sünderin — tabuisiert war. Durchsucht man die einschlägigen Quellen, vor allem Urkundenbücher und Verbrüderungsbücher, so zeigt sich, daß der Name zwar nicht sonderlich häufig,131 aber auch nicht völlig ungewöhnlich war.132 Im Verbrüderungsbuch von Remiremont finden wir ihn sogar 22mal (allerdings stets nur einmal in ein- und demselben Familienzusammenhang), und zwar sowohl in Laienfamilien (8mal) wie unter den Nonnen verschiedener Klöster (4mal), auch in Remiremont selbst, unter den besitzenden Schenkerinnen (6mal), die teils Nonnen, teils verheiratet waren, darunter eine Gräfin, ebenso wie

131 In den Verbrüderungsbüchern der Reichenau und St. Gallens und in den Necrologen von Merseburg und Regensburg begegnet der Name ebensowenig wie im Fuldaer, Weißenburger, St. Galler und Züricher Urkundenbuch oder in den Lorscher, Freisinger und Regensburger Traditionsbüchem. 132 Für einen Ausdruck der Eva-Belege der Duisburger Datenbank danke ich herzlich Dieter Geuenich und Richard Schreml.

Das Bild der Frau in der Genesisauslegung

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unter den Hörigen (8mal als ancilla):133 Der Name begegnet demnach in allen Schichten. Das bestätigt ein Blick in das berühmte Polyptychon von Saint-Germaindes-Prds des Abtes Irmino aus der Zeit Ludwigs des Frommen: Hier trugen drei Hufenbäuerinnen (colonae) und zwei Kinder den Namen Eva, der folglich in beiden aufeinanderfolgenden Generationen begegnet, allerdings nirgends in einer Familie von der Mutter auf die Tochter vererbt wurde.134 (Daß sich in Secqueval ausgerechnet ein Bauernpaar namens Adam und Aeva gefunden hat, darf wohl als ein lustiger Zufall gelten.) In den Urkunden der Abtei Cluny begegnet der Name Eva im 10. Jahrhundert in 26 Diplomen (wobei die Träger des Namens teilweise identisch sein können), und zwar 16mal als Ausstellerin, einmal als Empfängerin und 8mal als Zeugin. Weitere Belege finden sich im Verbrüderungsbuch von Paris (4mal) und im Necrolog von Saint-Germain (2mal). Eva hieß auch die Mutter der heiligen Amalberga, die sogar königlichem Geschlecht entsprang.135 Daß eine Tochter Eva genannt wurde, kam demnach, wenngleich nicht übermäßig häufig, vor und kann daher nicht als sonderlich ehrenrührig empfunden worden sein. Das darf man wohl als Bestätigung dafür werten, daß die Forschung das Evabild in teilweise düstereren Farben verzeichnet hat, als es der Sichtweise der frühmittelalterlichen Menschen entsprach. Die Analyse der Genesiskommentare war ein erster Schritt zu einer differenzierteren Sicht.

133 Liber memorialis von Remiremont, ed. Eduard Hlawitschka, Karl Schmid und Gerd Teilenbach, MGH Libri memoriales 1, 1970, fol. 8r (6,2), 16r (6,4), 17r (5,1), 24v (2,13), 25r (8,7), 26v (9,1), 27v (32,1), 28r (54,1), 28v (60,1), 35r (1,156), 36r (15,2), 36r (16,8), 36v (ll,4),45v (10,1), 46r (3,4), 57v (20,5), 58v (2,1), 62r (3,1), 63r (4,2), 63v (4,1), 64v (3,1). 134 Das Polyptychon von Saint-Germain-des-Prts. Studienausgabe, unter Mitwirkung von Konrad Elmshäuser und Andreas Hedwig hg. v. Dieter Hägermann, Köln-Weimar-Wien 1993, Nr. XIII 87; XVI 18; XVI 57; XXI 35; XXII 93. Drei weitere Belege stammen aus dem 10. Jahrhundert (IV 37; XII, 48), darunter zwei Schenkerinnen, unter ihnen eine Gräfin namens Eva. Eine Bauernfamilie in Combs (XVI 57) ließ alle Kindemamen wie die Mutter (Eva) mit Ε beginnen (Ermenarius, Ebreverta, Abbo [= Ebbo], Emma). 135 Vita Amalbergae, AA SS 10. Juli 3, S. 88.

Abb. 6: Drei fromme Frauen vor dem Grab Christi (Utrechtpsalter. Reims, um 830, fol. Illustration zu Psalm 15,10

Kapitel 3 SANCTIMONIALIS. DAS FRAUENBILD DER FRÄNKISCHEN HEILIGENVITEN Das Leben als Nonne im Kloster' oder — bis zu den Aachener Reformsynoden von 816/17 und auch später noch in der Praxis oft kaum davon zu unterscheiden — als Diakonisse im Stift2 bildete im frühen Mittelalter die wichtigste und im Prinzip die einzige institutionalisierte religiöse Lebensform für Frauen, denen alternativ nur ein religiöses Leben im eigenen Hause blieb. Das Klosterleben wird deshalb gern als Alternative zur Ehe, der wichtigsten weltlichen Lebensform, bezeichnet.3 Das ist insofern richtig, als Kloster und Ehe zweifellos als die typischen weiblichen Lebensformen frühmittelalterlicher Frauen zu gelten haben. "Nonnen", sanctimoniales (feminae), wurden im allgemeinen mit "Jungfrauen", virgines, gleichgesetzt, die eine göttliche Brautschaft erwählt hatten; virginitas aber galt schon den Kirchenvätern als das höchste Lebensideal.4 Eine frei wählbare "Alternative" boten die Klöster freilich nur Mitgliedern höherer Schichten, soweit ihnen nämlich der Zugang in ein Kloster oder Stift offenstand. Wer zudem wie Jo-Ann McNamara und Suzanne Wemple das Klosterleben als Flucht vor oder aus der Ehe und vor der männlichen Herrschaft deutet,5 mißversteht und unterschätzt die zweifellos vor-

1

An allgemeiner Literatur sei genannt: LUCAS (wie Anm. 1/4) S. 30ff.; PARISSE, Nonnes (wie Anm. 1/75); ENNEN, Frauen (wie Anm. 1/6) S. 75ff.; KETSCH, Aspekte (wie Anm. 1/36) S. 45ff.; KETSCH, Frauen (wie Anm. 1/12) Bd. 2, S. 266ff.; vor allem WEMPLE, Women (wie Anm. 1/29); DIES., Monastic Life (wie Anm. 1/75). Zum Klosterleben nach der Regel: HEIDEBRECHT/NOLTE (wie Anm. 1/78). Gegenüber der nahezu unüberschaubaren Literatur zur monastischen Entwicklung sind die Frauenklöster eher stiefmütterlich behandelt worden. Grundlegend zur allgemeinen Einordnung: Friedrich PRINZ, Frühes Mönchtum im Frankenreich. Kultur und Gesellschaft in Gallien, den Rheinlanden und Bayern am Beispiel der monastischen Entwicklung (4.-8. Jh.), München-Wien 1965; zur Karolingerzeit sind die zahlreichen Aufsätze von Josef Semmler einschlägig. Unter dem Titel "Le monachisme ä Byzance et en Occident du VIII" au X" sifecle" sind neuerdings einige interessante Beiträge in der Revue b6n6dictine 103 (1993) erschienen.

2

Die Unterschiede sind herausgearbeitet bei HOCHSTETLER (wie Anm. 1/85), der den Erfolg der Kanonissenstifter in deren engerer Bindung zur Adelswelt begründet sieht. Die Reformen von 816 wertet er als einen Ausgleich: Nachdem der Versuch, nichtmonastische Institutionen zu verdrängen, fehlschlug, wurden ihre Regeln hier den monastischen weitgehend angeglichen. Zu den Zugeständnissen der Institutio sanctimonialium vgl. HEIDEBRECHT/NOLTE (wie Anm. 1/78). Vgl. oben Kapitel 1, S. 48. Vgl. dazu BUGGE (wie Anm. 1/96) und SCHULENBURG, Heroics (wie Anm. 1/96), die geradezu eine Besessenheit bezüglich des Erhalts sexueller Reinheit feststellen will. Oben Anm. 1/89 und 90.

3 4 5

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Sanctimonialis

rangigen religiösen Beweggründe des Klostereintritts (bzw. die religiösen und sozialen Gründe der Eltern, die ihre Kinder zum Klosterleben bestimmten)6 ebenso wie die Herrschaftsstrukturen des Klosterlebens (und dürfte zudem größte Schwierigkeiten haben, die gegenüber den Frauenkonventen noch weit höhere Zahl von Mönchen und Mönchsklöstern zu erklären), ohne daß ein solches Motiv im Einzelfall bestritten werden soll: Flucht vor der Ehe war kein feminines, sondern ein religiöses Verlangen, das beide Geschlechter gleichermaßen betraf. Es ist vor allem bei extrem frommen Frauen zu erwarten und daher tatsächlich überwiegend in Heiligenviten bezeugt,7 deren Aussagen selbstverständlich vor dem spezifischen Anliegen dieser Quellengattung zu betrachten sind. Es erscheint daher sinnvoll, das Frauenbild der Viten in diesem Kapitel gesondert zu behandeln.8 Eine geschlechter-

6 7 8

Vgl. Mayke de JONG, Kind en kloosters in de vroege middeleeuwen. Aspecten van de Schenking van kinderen aan kloosters in het Frankische Rijk (500-900), Amsterdam 1986. Näheres dazu unten S. 133ff. Die Ausführungen dieses Kapitels beruhen auf der Auswertung folgender Frauenviten: Vita Aldegundis, ed. Wilhelm Levison, MGH SSrM 6, 1913, S. 79-90; vgl. dazu Anne-Marie HELVETIUS, Sainte Aldegonde et les origines du monastüre de Maubeuge, Revue du nord 74 (295), 1992, S. 221-237; Vita Anstrudis, ed. Wilhelm Levison, ebd. S. 64-78; Vita Austrebertae, AA SS 10. Februar 2, S. 417-429; Vita Balthildis, ed. Bruno Krusch, MGH SSrM 2, 1888, S. 475-508; Vita Bertilae, ed. Wilhelm Levison, ebd. 6, S. 95-109; Vita Brigidae, Migne PL 72, Sp. 775-790; Vita Genovefae, ed. Bruno Krusch, MGH SSrM 3, 1896, S. 204238; vgl. Martin HEINZELMANN, Zum Stand der Genovefaforschung, Deutsches Archiv 41, 1985, S. 532-548; DERS./Joseph-Claude POULIN, Les Vies anciennes de Sainte Genevifcve de Paris. Etudes critiques (Bibliothfeque de l'Ecole des Hautes ßtudes. 4° section. Sciences historiques et philosophiques 329) Paris 1986; WITTERN, Frauen, Heiligkeit und Macht (wie Anm. 1/101) S. 62ff.; Vita Geretrudis, ed. Bruno Krusch, MGH SSrM 2, 1888, S. 447-471; vgl. dazu E. COLLET, Sainte Gertrude de Nivelle: culte, histoire, tradition, Nivelles 1985; Vita Glodesindis, AA SS 25. Juli 6, S. 203-210; Vitae Herlindis et Reinulae, AA SS 22. März 3, S. 383-390; Agius, Vita Hathumodae, ed. Georg Heinrich Pertz, MGH SS 4, 1841, S. 165-189; Rudolf von Fulda, Vita Leobae, ed. Georg Waitz, MGH SS 15,1, 1887, S. 118-131; Vita Liutbirgae, ed. Ottokar Menzel, MGH Dt. MA 3, 1937; Vita Odiliae, ed. Wilhelm Levison, MGH SSrM 6, 1913, S. 24-50 (Übersetzung und Kommentar von Maria STOECKLE, Das Leben der hl. Odilia, St. Ottilien 1991); Vita Opportunae, AA SS 22. April 3, S. 62-68; Venantius Fortunatus, Vita Radegundis I, ed. Bruno Krusch, MGH SSrM 2, 1888, S. 358-377; Baudonivia, Vita Radegundis Π, ebd. 377-395; vgl. dazu GÄBE (wie Anm. 1/167); Jean LECLERCQ, La sainte Radegonde de Venance Fortunat et celle de Baudovinie, in: Fructus Centesimus. M61anges offerts ä Gerard J.M. Bartelink ä l'occasion de son soixante-cinquifeme anniversaire, Steenbrugge 1989, S. 207-216. Zu Radegund: La riche personnalitö de Sainte Radegonde. Conf6rences et Homilies du XIV e centenaire, Poitiers 1988; außerdem oben Anm. 1/121. Hucbald von St. Amand, Vita Rictrudis, ed. WUhelm Levison, MGH SSrM 6, 1913, S. 91-94; Vita Rusticulae, ed. Bruno Krusch, ebd. 4, S. 337-351; vgl. dazu A. SIMONETTI, La vita di Rusticula nell'agiografia merovingia, Studi medievali 27, 1986, S. 211-220; Vita Sadalbergae, ed. Bruno Krusch, MGH SSrM 5, 1910, S. 40-66; Vita Sigolenae, AA SS 24. Juli 5, S. 628-637; Vita Waldedrudis, Analectes pour servir ä l'histoire eccldsiastique de la Belgique 4, 1867, S. 218-231. Andere Viten haben demgegenüber nur geringen Aussagewert.

Das Frauenbild der fränkischen Heiligenviten

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geschichtliche Betrachtung des religiösen Frauenbildes müßte demnach drei Abgrenzungen berücksichtigen: den Vergleich zu weltlichen Lebensformen, die Unterschiedlichkeit innerhalb der geistlichen Lebensform und den Vergleich zwischen männlichen und weiblichen Religiösen. Daher sei zunächst überprüft, wie sich das angesprochene Problem im Spiegel der strukturellen Rahmenbedingungen darstellt.

1. Frauenklöster und Heiligkeit a. Klosterleben und Weltlichkeit Als erstes Motiv eines Klosterlebens ist bei Nonnen wie bei Mönchen, sieht man von gelegentlich bezeugten, erzwungenen Klosteraufenthalten ab,9 zunächst also ein religiöses Verlangen anzunehmen.10 Das widerspricht aber nicht einer weitgehenden Integration in die weltlich-sozialen Belange. Kirchengesetze förderten eine strenge Abgrenzung der Religiösen, doch gibt es Hinweise, daß die Trennung vom weltlichen Leben (und damit auch die Entscheidung gegen die Ehe) zumindest anfangs in der Praxis nicht zu strikt vollzogen und auch weiterhin gefährdet war. Heiratsverbote für Nonnen in den Synodalbeschlüssen und Kapitularien wollten die Dauer der einmal gewählten religiösen Lebensform sichern; die Häufigkeit der Verbote läßt allerdings vielfache Abweichungen von dieser Regel vermuten.11 Aus dem gleichen Grund warnte man Jungfrauen und junge Witwen vor einer übereilten Verschleierung.12 Eine noch größere Gefahr drohte wohl durch die Entführung von Nonnen zwecks Heirat; sie wurde daher strengstens untersagt.13 Eine solche Entführung

Zur Einordnung vgl. Tabelle 8, unten S. 129. Da die Editionen sämtlich in dieser Anmerkung und in Tabelle 8 angegeben sind, unterbleiben in den Anmerkungen fortan entsprechende Verweise. 9

Vgl. KETSCH, Aspekte (wie Anm. 1/36) S. 46.

10

So richtig HEIDEBRECHT/NOLTE (wie Anm. 1/78); für das hohe Mittelalter: JOHNSON (wie Anm. 1/75).

11

Vgl. etwa MGH Capit. 1, Nr. 96, c. 1, S. 202.

12

Vgl. Synode von Tours 813, MGH Conc. 2, Nr. 38, c. 27, S. 290; Paris 829, ebd. Nr. 50, c. 44, S. 638; MGH Capit. 1, Nr. 138, c. 21, S. 278; Nr. 22, c. 46, S. 57 (legte ein Mindestalter von 25 Jahren fest); 2, Nr. 215 (Synode von Pavia 856), c. 2, S. 90 (erlaubte umgekehrt vorzeitige Heirat einer Witwe, um Unzucht zu vermeiden).

13

Vgl. die Synode von Meaux und Paris 847, MGH Conc. 3, Nr. 11, c. 67, S. 116; MGH Capit. 1, Nr. 9, c. 18, S. 23; Nr. 12, c. 9, S. 30; Synode von Dingolfmg 770, MGH Conc. 2, Nr. 15, c. 4, S. 94. Im langobardischen Recht Liudprand 11,30 (Buße von 1000 solidi): Leges Langobardorum 643-806, ed. Franz Beyerle (Germanenrechte n.F. 9) Witzenhausen 1962, S. 116f. Die Fülle solcher Verbote ist auffällig. WEMPLE, Women (wie Anm. 1/29) S. 158 weist aber wohl zu Recht darauf hin, daß die Entführung aus einem Kloster immerhin schwieriger

108

Sanctimonialis

werfen die Fuldaer Annalen beispielsweise dem Neffen des Erzbischofs Liutward von Vercelli vor; die Geraubte blieb nur durch ein Gottesurteil unversehrt, weil der Räuber auf das Gebet der Nonnen hin noch in der gleichen Nacht verstarb." Die Rückkehr zum Ehemann blieb hingegen — zumindest anfangs — ebenso erlaubt15 wie umgekehrt, bei beiderseitigem Einverständnis, der Klostereintritt von Eheleuten.16 Bezeichnend ist aber auch der langwierige Aufstand im Nonnenkloster der heiligen Radegund in Poitiers, den die Königstöchter Chrodechilde, die Tochter Chariberts, und Basina, die Tochter Chilperichs, anzettelten und über den Gregor von Tours ausführlich berichtet; er reichte von Anschuldigungen gegenüber der Äbtissin Leubowera bis zu einem Mordanschlag und zeigt, wie wenig Prinzessinnen und adlige Töchter, die sich hier betont auf ihre Herkunft beriefen, tatsächlich geneigt waren, sich den strengen Regeln der Askese und des Gehorsams zu unterwerfen.17 Im Zuge dieses Aufruhrs verließen viele Nonnen das Kloster wieder, um zu heiraten! Auch wenn man das als einen — frühen — Ausnahmefall werten will, so deutet sich in solchen Beispielen doch an, daß eine (ideale) strikte Trennung geistlicher und weltlicher Lebensformen (und damit auch eine Trennung der Nonne von ihrer Familie und der Ehefrau von der Nonne) die Wirklichkeit allenfalls bis zu einem gewissen Grade prägte. Religiöse Ambitionen schlossen weltliche Motive keineswegs aus, doch ordneten sich letztlich alle weiteren Funktionen, zum Beispiel Nonnenklöster als Versorgungsanstalten für Frauen des Adels anzusehen,18 dem religiösen Ziel unter. Unterschiede zwischen Nonnen und Mönchen sind folglich eher innerhalb dieser beiden Geschlechtern gemeinsamen Rahmenbedingungen zu suchen. Geschlechtsspezifische Besonderheiten lassen sich weder in der Nonnenregel des Caesarius von Arles erkennen19 — tatsächlich gab es kaum eigene Nonnenregeln — noch aus den Klosterbauten,20 waren also nicht von vornherein gewollt.21 Im Blick

14 15 16 17 18 19 20

war als aus einem Privathaus. Annales Fuldenses a. 887, ed. Friedrich Kurze, MGH SSiG 1891, S. 105. Vgl. MGH Capit. 1, Nr. 15, c. 5, S. 38. Vgl. ebd. c. 16, S. 38; 1, Nr. 16, c. 4; 2, Nr. 196, c. 49; Synode von Rom 826, MGH Conc. 2, Nr. 46, c. 36, S. 582. Gregor von Tours, Historiae (wie Anm. II/l 1) 9,38ff„ S. 458ff.; 10,15ff„ S. 501ff. Vgl. dazu SCHEIBELREITER (wie Anm. 1/81). So z.B. KETSCH, Frauen (wie Anm. 1/12) Bd. 2, S. 268. Vgl. NOLTE, Klosterleben (wie Anm. 1/78) S. 257ff. Vgl. Uwe LOBBEDEY, Zur archäologischen Erforschung westfälischer Frauenklöster des 9. Jahrhunderts, Frühmittelalterliche Studien 4, 1970, S. 320-340.

Das Frauenbild der fränkischen Heiligenviten

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auf die Institution der insularen Doppelklöster hat man sogar eine allzu strikte Trennung von den Mönchsklöstern bezweifeln wollen. 22 Auch die Bußen für Verfehlungen sollten gleich sein, weil Mönche und Nonnen, wie es im Synodalbeschluß von Rom (853) hieß, mochten sie auch unterschiedlichen Geschlechts sein, in der Demut ohne Rangunterschied übereinstimmten; 23 und selbst in ihrer wichtigsten Funktion, dem Gebet und der Fürbitte für andere, waren Mönche und Nonnen gleichgestellt; Bonifatius, der mehrfach Nonnen um Gebetsbeistand bat,24 sprach von "Streitern Christi beiderlei Geschlechts" (milites Christi utriusque sexus).25 Es ist somit nur folgerichtig, wenn die Translationsberichte der heiligen Fortunata und des heiligen Ianuaris bis auf die Namen nahezu gleichlautend waren.26 Ob es daher eine spezifisch weibliche Form der Spiritualität gab, wie Wemple behauptet,27 wäre noch zu erweisen. Bezeichnend für die Besonderheiten der Nonnenklöster ist allenfalls der sich aus frühmittelalterlichen Nonnenregeln ergebende Eindruck, daß — aus einem Schutzbestreben heraus — die Klausur der Nonnen stärker beschränkt wurde als in gleichzeitigen Mönchsklöstern: 28 Mönche gingen der Studien halber zu Bonifatius, während Nonnen ihn zu sich ins Kloster kommen ließen;29 Tetta hielt ihre Nonnen von sämtlichen Männern (auch Bischöfen) fern, damit sie "immun" gegenüber männlicher Gesellschaft sein sollten;30 lediglich Leoba war es als einziger Frau

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22

23 24 25 26 27 28 29 30

Gegen eine Überbetonung der Unterschiede plädiert, vom religiösen Ziel her, für das hochmittelalterliche Frankreich auch JOHNSON (wie Anm. 1/75) in ihrer Studie mit dem bezeichnenden Titel: "Equal in Monastic Profession". Im 12. Jahrhundert beschwerte sich Helo'ise darüber, daß den weiblichen Bedürfnissen in Nonnenklöstern kaum Rechnung getragen wurde, bezog das aber lediglich auf Kleidung und Menstruation. Vgl. den Briefwechsel zwischen Abaelard und Helo'ise: ep. 5, ed. J.T. Mückle, The Letter of Helo'ise on Religious Life and Abelard's First Reply, Mediaeval Studies 17, 1955, S. 241ff. Vgl. NICHOLSON (wie Anm. 1/86); Dagmar Beate BALTRUSCH-SCHNEIDER, Die angelsächsischen Doppelklöster, in: Doppelklöster und andere Formen der Symbiose männlicher und weiblicher Religiösen im Mittelalter, hg. v. Kaspar Elm und Michel Parisse (Berliner Historische Studien 18. Ordensstudien 8) Berlin 1992, S. 57-79; SCHNEIDER (wie Anm. 1/86) S. 14ff. Vgl. Synode von Rom 853, c. 29, MGH Conc. 3, Nr. 32, S. 326: quia, quamvis in sexu dispares sint, in humilitate sine status differentia concordant. Vgl. Bonifatius, epp. 65-67, ed. Michael Tangl, Die Briefe des heiligen Bonifatius und Lullus, MGH Epp. sei. 1, M955, S. 137ff. Vgl. unten Kapitel 10, S. 380. Ebd. ep. 94, S. 215. Translationes Ianuarii et Fortunatae, ed. Oswald Holder-Egger, MGH SS 15,1, S. 473. WEMPLE, Female Spirituality (wie Anm. 1/98). Das betont SCHULENBURG, Strict Active Enclosure (wie Anm. 1/80). Willibald, Vita Bonifatii, 2, ed. Wilhelm Levison, MGH SSiG, 1905, S. lOf. Rudolf von Fulda, Vita Leobae 3, S. 123.

110

Sanctimonialis

erlaubt, das Mönchskloster Fulda aufzusuchen.31 Auch in solchen Maßnahmen ist selbstverständlich nicht eine prinzipielle, geschlechtsbedingte Trennung von der Männerwelt zu sehen, sie entsprangen vielmehr der Angst vor — sexueller — Verfehlung und damit Abkehr vom religiösen Lebensziel der Askese. Die strikte Klausur scheint andererseits aber auch der — zeitweilig beliebten — feministischen These weiblicher Emanzipation im Kloster zu widersprechen.32 Eine eigenständige Machtfülle besaß letztlich nur die Äbtissin.33 Im übrigen mußte eine solche Norm erneut keineswegs der Realität entsprechen; der Verfasser der Hathumodvita hob vielmehr lobend hervor, daß Hathumod nicht wie die meisten Nonnen den Wunsch hatte, das Kloster zeitweilig zu verlassen, um zu den Eltern oder auf ihren Besitz zu gehen.34 Selbst die — asketische — Abkehr von der eigenen Familie (im Sinne der insularen peregrinatio) war ein in der Praxis anscheinend kaum mehr geübtes Ideal, und auch Hathumod hielt zeitlebens engen Kontakt zu ihrer Familie und zu ihren beiden Schwestern.35 Als sie krank darniederlag, waren die Mutter und die Schwestern beständig bei ihr.36 Auf der anderen Seite waren nämlich auch die Klöster keineswegs frei von der (überwiegend männlich geprägten) Herrschaftspraxis dieser Zeit, sondern vollständig in die gesellschaftlichen Strukturen integriert.37 Zweifellos dienten Frauenklöster auch dem Schutz und dem Unterhalt unverheirateter Frauen, ersetzte die Klostergemeinschaft gewissermaßen den Schutz der Familie,38 doch brachen solche ursprünglichen Bindungen mit dem Klostereintritt nicht gänzlich ab. Klöster waren im Gegenteil oft "Familienklöster", in die die eigenen Verwandten eintraten. Graf Hessi erbaute sogar für jede seiner Töchter ein eigenes Kloster.35 Ingotrude geriet in Besitzstreitigkeiten mit ihrer auf das Erbe hoffenden Tochter, weil sie ein Kloster

31 32

33 34 35 36 37

38 39

Ebd. 19, S. 129. So richtig NOLTE, Klosterleben (wie Anm. 1/78) S. 268. Daß sich die mindere weltliche Stellung der Frauen auch auf die Klöster übertrug, betont YORKE (wie Anm. 1/76), zusammenfassend S. 110. Dazu SCHNEIDER (wie Anm. 1/86) S. 197ff.; KETSCH, Aspekte (wie Anm. 1/36) S. 46f. Agius, Vita Hathumodae 5, S. 168. Ebd. 20, S. 173, unterscheidet zwischen sorores (den Nonnen) und germanae sorores (den leiblichen Schwestern). Ebd. 17, S. 172. Vgl. GOETZ, Frauenbild (wie Anm. 1/73) S. 15ff.; SCHNEIDER (wie Anm. 1/86) S. 244ff. Gegen eine Abgrenzung der Klöster von der "Welt" und vom weltlichen Einfluß vgl., in bezug auf das Hochmittelalter, auch JOHNSON (wie Anm. 1/75). Vgl. McNAMARA, Legacy (wie Anm. 1/90). Vita Liutbirgae 2, S. lOf.

Das Frauenbild der fränkischen Heiligenviten

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gründete und dort ihre Nichte als Äbtissin einsetzte.40 Die herrschenden Gesellschaftsstrukturen wirkten somit auf das Klosterleben zurück. b. Frauenklöster im frühen Mittelalter Betrachten wir daher vorab noch einige strukturelle Gegebenheiten der Frauenklöster, soweit bisherige Forschungen darüber vorliegen. Studien über die Verbreitung von Nonnenklöstern haben erhebliche räumliche und zeitliche Unterschiede festgestellt In Südfrankreich verteilten sich die Frauenklöster nach den Ergebnissen Jean Verdons beispielsweise sehr unterschiedlich auf die einzelnen Kirchenprovinzen; am dichtesten waren sie in der Provinz Bourges und — mit Abstand — in Bordeaux.41 Das macht regionale Studien notwendig.42 Bei der Auszählung der frühmittelalterlichen Klostergründungen, die Jane Tibbetts Schulenburg für den französischbelgischen Raum vorgenommen hat (vgl. Tabelle l),43 zeigt sich dreierlei: Erstens schwankte die Zahl der Klosterneugründungen in den einzelnen Untersuchungsperioden gewaltig; ihr Tiefpunkt lag im 8., ihr Höhepunkt im 11. Jahrhundert. Zweitens war der Anteil der Frauenklöster mit unter 8% relativ gering. Drittens schwankte er ebenfalls in den einzelnen Perioden; er erreichte mit rund 29,5% im 7. Jahrhundert den absoluten Höhepunkt; von der großen Zahl der Neugründungen im späten 10. und 11. Jahrhundert profitierten die Nonnen prozentual kaum, wenngleich die absolute Zahl der Gründungen erneut anstieg. Vom 8. Jahrhundert an begann demnach — so Schulenburg — ein Niedergang, für den sie die strikte Klausur verantwortlich macht. (Daß die Klöster im 9. Jahrhundert an Attraktivität verloren, hatte auch Suzanne Wemple festgestellt, das aber mit der steigenden Anziehungskraft der Ehe begründet.44) Allerdings wird mit den Neugründungen nur der Ausbau, nicht die tatsächlich existente Zahl der Klöster erfaßt; außerdem mochte die Situation in anderen Gebieten ganz anders aussehen; Sachsen beispielsweise erlebte im 9. und 10. Jahrhundert im Gefolge der Christianisierung geradezu einen Boom von Frauenkloster- und -stiftsgründungen.45

40 41 42 43 44 45

Gregor von Tours, Historiae 10,12 (wie Anm. 11/11) S. 495. VERDON, Recherches (wie Anm. 1/76). Vgl. etwa WEMPLE, Female Monasticism in Italy; PARISSE, Les femmes au monastics (beide wie Anm. 1/76). Jane Tibbetts SCHULENBURG, Women's Monastic Communities 500-1100: Patterns of Expansion and Decline, Signs 14, 1989, S. 261-292. WEMPLE, Women (wie Anm. 1/79) S. 125ff. Eine gute Übersicht des Klosterbestandes um das Jahr 1000 vermittelt nun der Atlas de la France de Γ an Mil. ßtat de nos connaissances, hg. v. Michel PARISSE, Paris 1994. Vergleich und Auszählung der Karten ergeben nicht nur einen geringeren Bestand der Frauenklöster (91

Sanctimonialis

112

Tabelle 1: Neue Klostergründungen in Frankreich und Belgien (nach Schulenburg) Jahre

500-549 550-599 600-649 650-699 700-749 750-799 800-849 850-899 900-949 950-999 1000-1049 1050-1099 Summe

Zahl der Neugründungen

Mönchsklöster

Nonnenklöster

100

deren prozentualer Anteil

108 156 102 159 63 91 146 107 136 232 543 979

137 77 107 55 80 134 99 130 219 515 946

13 28 33

8,2 7.5 4,4 5.6 5,2 3,4

2822

2599

233

7,9

19 25 52

8 11 12 8

6

7.4 12,2 24,5 32,7 12,7 12,1

c. Der Anteil weiblicher Heiliger Einen nur bedingt vergleichbaren Eindruck gewinnen wir aus der Betrachtung der Heiligenzahlen, die wiederum Schulenburg quantitativ aufgelistet hat.46 Bei 2274 in der Bibliotheca Sanctorum verzeichneten Heiligen, die im Zeitraum von 500 bis 1100 lebten, lag der Frauenanteil bei durchschnittlich 15%; besonders hoch, nämlich über 20%, war er zwischen 650 und 750 und dann wieder zwischen 900 und 950. Diese Zahlen täuschen allerdings in zweifacher Hinsicht Einmal sind die Heiligen hier ihren Lebzeiten zugeordnet (während die Vita oft sehr viel später entstanden ist).47 Zum andern vernachlässigt der anscheinend relativ geringe Frauenanteil die

46 47

gegenüber 429 Mönchsklöstern), sondern auch große regionale Unterschiede: In einigen Gegenden war der Anteil der Frauenklöster extrem niedrig, wie in der Normandie (1:21), in Aquitanien (1:31) oder Katalonien (2:50), in anderen war er hingegen beachtlich, wie in der Ile-de-France (16:62), in Burgund (15:48), der Provence (8:19) und in Elsaß-Lothringen (22:35). SCHULENBURG, Female Sanctity; DIES., Sexism (beide wie Anm. 1/99). Vgl. WITTERN, Frauen, Heiligkeit und Macht (wie Anm. 1/101) S. 9.

Das Frauenbild der fränkischen Heiligenviten

113

Tatsache, daß die Mehrzahl der männlichen Heiligen Bischöfe waren, deren Lebensform Frauen nicht offenstand. Ein etwas anderes Bild als die relativ belanglose Auszählung der Heiligen nach ihrer Lebenszeit vermittelt daher eine Betrachtung der Heiligenviten nach deren Entstehungszeit (Tabellen 2 und 3). Hier rückt mit dem Kriterium der religiösen Rezeption der Zeitpunkt der Heiligenverehrung in den Vordergrund.48 Die Tabellen zeigen deutlich die unterschiedliche Verteilung der Viten auf die einzelnen Jahrhunderte. Die Ergebnisse weichen von denen Schulenburgs nicht unerheblich ab. Sie stimmen aber auch nur bedingt mit der Zahl der Neugründungen von Frauenklöstem überein, die seit dem 8. Jahrhundert rapide sank (oben S. 11 lf.). Klostergründung und hagiographische Heiligenverehrung verliefen in ihrem Ausmaß zeitlich also durchaus nicht parallel. Die Zahl der Viten nahm insgesamt und bei den männlichen Heiligen beständig zu (vgl. Grafik 3), wobei, abweichend von der Entwicklung der Klostergründungen, im 9. Jahrhundert mit rund 55% aller Viten des 6.-9. Jahrhunderts (Männerviten: 54,6%, Frauenviten: 56,0%) ein absoluter Höhepunkt lag. Während nun die Zahl der Männerviten kontinuierlich zunahm, verteilten sich die Frauenviten allerdings höchst unterschiedlich auf die Jahrhunderte: Höhepunkte lagen, von den absoluten Zahlen her gesehen, hier im 7. und vor allem im 9., Tiefpunkte im 6. und vor allem im 8. Jahrhundert. Betrachtet man hingegen den Anteil der Frauenviten an der Gesamtproduktion (Tabelle 4, Grafik 4),4' so lag dieser im Durchschnitt bei gut 12%, im 6. und vor allem im 7. Jahrhundert aber deutlich höher — hier war auch der Anteil der neuen Frauenklöster am größten —, im 8. Jahrhundert hingegen niedriger. Die weiblichen Heiligen partizipierten im 9. Jahrhundert demnach trotz hoher Vitenzahlen bei weitem nicht an dem Aufschwung, den die Entwicklung der Männerviten nahm.

48 49

Grundlage der folgenden Tabelle sind alle im Wattenbach-Levison verzeichneten Heiligenviten mit den entsprechenden Daten. Hier wie im folgenden sind die um die Jahrhundertwende entstandenen Viten jeweils dem vorigen Jahrhundert zugerechnet (die Rubrik 9710. Jahrhundert also dem 9. Jahrhundert). Die Prozentzahlen beziehen sich auf die jeweilige Summe der Spalten und damit auf die Anteile an der Summe männlicher oder weiblicher Heiliger.

Sanctimonialis

114

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