Logik-Texte Kommentierte Auswahl zur Geschichte der modernen Logik [2., durchgeseh. Auflage, Reprint 2022]
 9783112611302, 9783112611296

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BERKA / KREISER

Logik-Texte

KAREL BERKA/LOTHAR

KREISER

Logik-Texte Kommentierte Auswahl zur Geschichte der modernen Logik Zweite durchgesehene Auflage

AKADEMIE-VERLAG • BERLIN 1973

Erschienen im Akademie-Verlag, 108 Berlin, Leipziger Straße 3 — 4 Copyright 1971 by Akademie-Verlag, Berlin Lizenznummer: 202 • 100/330/73 Gesamt-Heretellung: VBB Druckhaus „Maxim Gorki", DDK - 74 Altenburg Umschlaggestaltung: Hans Kurzhahn Bestell-Nr.: 751664 5 (5815) • ES 3 B 4 Printed in GDR

Inhaltsverzeichnis

Einleitung IX-XVII I Die Vorläufer der modernen Logik Einführung 1—3 1. G. W . L e i b n i z , Projet et Essais pour arriver ä quelque certitude pour finir une bonne partie des disputes et pour avancer l'art d'inventer (Gekürzter Nachdruck) . 3—5 2. B. B o l z a n o , Wissenschaftslehre (Auszug) 5—9 II

Die Algebra der Logik Einführung 1. G. B o o l e , The Mathematical Analysis of Logic, Being and Essay Towards a Calculus of Deductive Reasoning (Auszug) 2. Ch. S. P e i r c e , On t h e algebra of logic. A contribution to t h e philosophy of notation (Gekürzter Nachdruck) . 3. E. S c h r ö d e r , Vorlesungen über Algebra der Logik (Exakte Logik) - (Auszug)

10—12

13—15 16—17 17 — 21

III

Klassische Logik Einführung 22—27 1. G. F r e g e , Function und Begriff (Nachdruck) . . . . 27—48 2. G. F r e g e , Begriffsschrift. Eine der arithmetischen nachgebildete Formelsprache des reinen Denkens (Gekürzter Nachdruck) 48—106 3. G. F r e g e , Anwendungen der Begriffsschrift (Nachdruck) 107—111 4. D. H i l b e r t — P. B e r n a y s , Grundlagen der Mathem a t i k (Auszug) 111—117

IV

Mehrwertige Logik Einführung 1. E. L. P o s t , Introduction to a general theory of element a r y propositions (Gekürzter Nachdruck) 2. J . L u k a s i e w i c z , Philosophische Bemerkungen zu mehrwertigen Systemen des Aussagenkalküls (Gekürzter Nachdruck) 3. M. W a j s b e r g , Ein Axiomensystem des dreiwertigen Aussagenkalküls (Gekürzter Nachdruck)* 4. J . S l u p e c k i , Der volle dreiwertige Aussagenkalkül (Gekürzter Nachdruck)*

V

Modale Logik Einführung

118—122 123—124 125-141 141—143 143—144 145—152

V

1. O. B e c k e r , Zur Logik der Modalitäten (Gekürzter Nachdruck) 152—160 2. G. H. v. W r i g h t , An Essay of Modal Logic (Auszug) . 160—165 VI

VII

Intuitionistische Logik Einführung 1. A. H e y t i n g , Die formalen Regeln derintuitionistischen Logik (Gekürzter Nachdruck) 2. A. K o l m o g o r o f f , Zur D e u t u n g der intuitionistischen Logik (Nachdruck) 3. K . G ö d e l , Z u m intuitionistischen Aussagenkalkül (Nachdruck) 4. K . G ö d e l , Eine Interpretation des intuitionistischen Aussagenkalküls (Nachdruck) 5. K . G ö d e l , Zur intuitionistischen Arithmetik u n d Zahlentheorie (Gekürzter Nachdruck) Regellogik Einführung 1. G. G e n t z e n , Untersuchungen über das logische Schließen (Nachdruck) 2. E. W . B e t h , Semantic entailment a n d formal derivability (Gekürzter Nachdruck)

166—173 173—178 178—185 186 187—188 188 189—192 192—253 253—258

V I I I Kombinatorische Logik Einführung 259—261 1. M. S c h ö n f i n k e l , Über die Bausteine der m a t h e m a t i schen Logik (Nachdruck) 262—273 IX

X

VI

Widerspruchsfreiheit — Vollständigkeit — Unabhängigkeit Einführung 1. D. H i l b e r t , Mathematische Probleme (Gekürzter Nachdruck) 2. J . L u k a s i e w i c z , Ein Vollständigkeitsbeweis des zweiwertigen Aussagenkalküls (Gekürzter Nachdruck) . . . 3. K . G ö d e l , Die Vollständigkeit der Axiome des logischen Funktionenkalküls (Nachdruck) 4. J . C. C. M c K i n s e y , On t h e independence of Hilbert and Ackermann's postulates for t h e calculus of propositional functions (Gekürzter Nachdruck) Das Entscheidungsproblem Einführung 1. P. B e r n a y s — M. S c h ö n f i n k e l , Z u m Entscheidungsproblem der mathematischen Logik (Gekürzter Nachdruck) 2. D. H i l b e r t — W . A c k e r m a n n , Grundzüge der theoretischen Logik (Auszug) 3. P. F i n s l e r , Formale Beweise und die Entscheidbarkeit (Nachdruck) 4. K . G ö d e l , Einige metamathematische Resultate über Entscheidungsdefinitheit und Widerspruchsfreiheit (Nachdruck)

274—279 279—281 281—283 283—294 294—300 301—304 304-309 309—313 314—319 320-321

5. K . G ö d e l , Über formal unentscheidbare Sätze der Principia Mathematica und verwandter Systeme I (Gekürzter Nachdruck) 321—325 XI

Antinomien Einführung 326—330 1. A. N. W h i t e h e a d — B . R u s s e l l , Principia Mathematica (Auszug) 330—339 2. K . G r e i l i n g — L. N e l s o n , Bemerkungen zu den P a radoxien von Russell u n d Burali-Forti (Gekürzter Nachdruck) 339

X I I S y n t a x — Semantik Einführung 1. D. H i l b e r t , Die logischen Grundlagen der M a t h e m a t i k (Gekürzter Nachdruck) 2. A. T a r s k i , Grundlegung der wissenschaftlichen Semant i k (Gekürzter Nachdruck)* 3. A. T a r s k i , Der Wahrheitsbegriff in den Sprachen der deduktiven Disziplinen (Nachdruck) 4. A. T a r s k i , Über den Begriff der logischen Folgerung (Gekürzter Nachdruck)* 5. K . S c h r ö t e r , W a s ist eine mathematische Theorie? (Nachdruck)

340—349 349—350 350—356 356—359 359—368 368—379

Literaturverzeichnis

380—417

Personenregister

418—422

Stichwortverzeichnis

423—442

Verzeichnis logischer Symbole

443—444

A n h a n g : A. T a r s k i , Der Wahrheitsbegriff in den formalisierten Sprachen (Nachdruck) 445—559 * Vorgenommene Kürzungen beziehen sich n u r auf F u ß n o t e n .

VII

Einleitung 1. Aufgabe und technischer Aufbau des Buches Die Wissenschaft der Logik gehört mit zu den ältesten Wissenschaften. Ihr Begründer ist A r i s t o t e l e s (384—322 v. u. Z.). An der Grammatik (der griechischen Sprache) orientiert, entwickelte er die Logik im engen Zusammenhang mit seinen Untersuchungen des sich konstituierenden mathematischen und naturwissenschaftlichen Denkens. Von gewissen Modifikationen abgesehen, behielt sie bis in das 19. Jahrhundert ihre durch A r i s t o t e l e s geprägte Form. Zu dieser Zeit erwies sie sich als nicht mehr ausreichend zur Bewältigung der durch die neuzeitliche Entwicklung der Wissenschaften aufgeworfenen logischen Probleme. Bereits in der klassischen deutschen Philosophie wird die Unzulänglichkeit der A r i s t o t e l i s c h e n oder, wie man auch sagt, der traditionellen formalen Logik reflektiert. Bei K a n t erfährt sie eine erkenntnistheoretische „Aufstockung" in Gestalt der transzendentalen Logik, während H e g e l sie in seinem philosophischen System einer ontologischen Umdeutung unterzieht, die wenig von ihrer ursprünglichen Form bestehen läßt. Die hier und in der Folgezeit im Rahmen philosophischer Strömungen unternommenen Begründungs- und Erweiterungsversuche der traditionellen formalen Logik beinhalten vielfach Fragestellungen, die heute als erkenntnistheoretische, methodologische oder gar als psychologische Probleme angesehen werden. Die Logik wurde mehr als jemals zuvor in ihrer Geschichte zum Feld scharfer philosophischer Auseinandersetzungen. Der Fortschritt vollzog sich fast unbemerkt. Er begann mit dem Versuch, logische Tatbestände mit Hilfe mathematischer Methoden und mathematischer Begriffsbildung zu erfassen. Erste Untersuchungen in dieser Hinsicht stammen von G. W . L e i b n i z (1646—1716). Sie blieben ohne historische Wirkung und wurden erst Anfang unseres Jahrhunderts wiederentdeckt. Mit den Arbeiten von G. B o o l e (1815-1864), A. D e M o r g a n (1806-1871), W. S. J e v o n s (1835—1882) und Ch. S. P e i r c e (1839—1914) setzen diese Bestrebungen erneut ein, nun aber mit nachhaltigem Erfolg. Durch die sich in der Folgezeit herausbildende moderne oder mathematische Logik wird nicht einfach der Bestand des logischen Wissens neu erschlossen. Das logische Wissen wird innerhalb weniger Jahrzehnte durch Erkenntnisse an Tiefe und Umfang derart erweitert, daß die Herausbildung der modernen Logik als ein revolutionierender Sprung in der Geschichte der Logik angesehen werden kann. Mit dieser Entwicklung ist auch eine Vergrößerung des Anwendungsbereiches der Logik verbunden. Die Logik wurde seit A r i s t o t e l e s als eine rein IX

theoretische Wissenschaft aufgefaßt. Ihr Anwendungsbereich war das wissenschaftliche Denken und ihre Funktion bestand darin, die für dieses Denken geltenden logischen Gesetze bewußt zu machen. Die Logik stellte eine propädeutische Wissenschaft für alle anderen Wissenschaften dar. Diese propädeutische Funktion hat sie auch in Gestalt der modernen Logik beibehalten. Sie hat sogar an Bedeutung gewonnen. Das Eindringen der Wissenschaften in alle Lebensbereiche bringt mit sich, daß die Anforderungen an das theoretische Denken steigen. Das spontan-logische Denken ist zur Meisterung der wissenschaftlich-technischen Revolution nicht ausreichend. Sowohl der Aneignung der logisch aufbereiteten wissenschaftlichen Erkenntnisse als auch ihrer schöpferischen Anwendung muß die Fähigkeit zum bewußten logischen Denken entgegengebracht werden. Die moderne Logik hat nicht nur eine propädeutische, sondern auch eine instrumentale Bedeutung für die Wissenschaften. Sie stellt die Erkenntnisse und Verfahren zur Verfügung, um die logischen Grundlagen des theoretischen Aufbaus wissenschaftlicher Hypothesen und Theorien zu erforschen. In diesem Sinne ist sie nicht nur seit G. F r e g e s grundlegenden Untersuchungen in der Mathematik wirksam, sondern z. B. auch in der Journalistik (Argumentationslogik) oder in den Rechtswissenschaften (normative Logik). Die moderne Logik wird zunehmend methodologisches Instrument jeder Wissenschaft zum Zwecke rationeller und exakter Theorienbildung. Seit den dreißiger Jahren ist ein drittes, erstmals nicht rein theoretisches Anwendungsfeld der modernen Logik hinzugekommen. Man fand, daß sich die Relaisschaltungen mit den Mitteln der modernen Logik theoretisch beschreiben lassen. „Die Parallelen zwischen der mathematischen Logik und den Eigenschaften von Relaiskontakt-Schaltungen führten zu einer neuen selbständigen Disziplin — der Theorie der Schaltungsalgebra und Relaiskontakt-Schaltungen . . . Bald darauf wurden andere Anwendungsmöglichkeiten entdeckt. Nicht nur Relaiskontakt-Schaltungen, sondern auch andere diskret arbeitende Geräte können zweckmäßig durch den Formalismus der mathematischen Logik beschrieben werden. Neben der Bedeutung für rein theoretische Gebiete wird die mathematische Logik heute für die Untersuchung und Projektierung der verschiedenartigsten technischen Geräte verwendet. Diese Anwendungsmöglichkeiten sind in letzter Zeit durch die Erforschung allgemeiner Steuerungsgesetze in Technik und Natur gewachsen" (Logik, Automaten, Algorithmen, Autorenkollektiv, Akademie-Verlag Berlin, 1967, S. 3). Die moderne Logik hat entscheidenden Anteil an der Schaffung wissenschaftlicher Voraussetzungen für die Lösung strukturbestimmender Aufgaben der Volkswirtschaft. Entsprechend ihrer Bedeutung für die Wissenschaft und die Technik wurde bzw. wird die moderne Logik Bestandteil der Ausbildungspläne an den wissenschaftlichen und technischen Lehrstätten. Das hat seinerseits das Bedürfnis nach einer dem Studium angemessenen Logikliteratur

X

immer mehr anwachsen lassen. Im Hinblick auf derart allgemeinzugängliche und im Hochschulgebrauch befindliche Literatur gibt es gegenwärtig in der DDR zwei Bücher, die unterschiedliche Intentionen und Anforderungen repräsentieren: G. A s s e r , Einführung in die mathematische Logik, Teil 1, Aussagenlogik, und G. K l a u s , Moderne Logik. In bezug auf diese beiden Bücher läßt sich die Aufgabe der hiermit vorgelegten Textauswahl kurz wie folgt charakterisieren: Der (deutschsprachige) Nachdruck von Arbeiten (oder Teile aus ihnen), in denen relevante Probleme der modernen deduktiven Logik in grundlegender Weise behandelt werden, soll eine echte Möglichkeit der historischen Ergänzung und sachlichen Vertiefung des ein- oder mehrjährigen Logikstudiums geben. Aus dieser Aufgabenstellung erhellt schon zweierlei: E r s t e n s handelt es sich bei diesem Buch um kein Lehrbuch; seine Lektüre setzt gewisse elementare Kenntnisse der modernen Logik voraus. Es ist eine Textauswahl, die wenigstens auszugsweise zum Literaturstudium für jeden Logikunterricht an Universitäten, Hoch- und Fachschulen benutzt werden kann. Auszugsweise deshalb, weil das Buch auch Texte zu solchen Problemen bzw. Logiken enthält, die im allgemeinen in einem Einführungskursus in die moderne Logik nicht berücksichtigt werden können. In dieser Hinsicht besitzt das Buch einen relativ selbständigen Charakter. Zur Erleichterung des Verständnisses wird jedem Kapitel eine Einführung vorangestellt. Diese Einführung enthält sowohl eine kurze historische Übersicht zum Kapitelinhalt, als auch Literaturhinweise, die den Problemen entsprechend angeordnet sind. Auf diese Anordnung kommen wir nachfolgend noch detaillierter zu sprechen. Z w e i t e n s ist die Auswahl der Texte wesentlich durch pädagogische Gesichtspunkte bestimmt. Die Studientexte wurden mit der Absicht ausgewählt, einen möglichst großen Kreis von Studenten (und anderer Logikinteressenten) anzusprechen. Deshalb mußten bei der Textauswahl verschiedenartige und in ihren Anforderungen an die Logik unterschiedliche Ausbildungsrichtungen berücksichtigt werden. Wir haben versucht, dem dadurch gerecht zu werden, daß wir grundlegende, aber möglichst allgemeinverständliche Texte auswählten, d. h. solche Texte, in denen die jeweilige Problematik mehr inhaltlich, als ihrer technischen Behandlung nach dargelegt wird. So enthält z. B. der gekürzte Nachdruck einer im X. Kapitel unter Ziffer 5 abgedruckten Arbeit von K. Gödel nur den erläuternden 1. Teil. In jedem Fall ließ sich das freilich nicht realisieren. Die Erfahrung wird zeigen, ob die Art der Auswahl den gewünschten Nutzen für den Leser hat. Es versteht sich daher, daß wir für jede Anregung zur Verbesserung der inhaltlichen und formalen Gestaltung der Textauswahl dankbar sind. Das Auswahlprinzip brachte mit sich, daß erstens von einigen Logikern mehrere, von anderen hingegen keine Arbeiten vertreten sind und zweitens, daß nicht in jedem Fall die Arbeiten von Logikern aufgenommen werden konnten, in denen ein bestimmtes logisches Problem zuerst aufgeworfen XI

oder beantwortet wurde. Beide Diskrepanzen werden durch entsprechende Hinweise in den Einführungen beseitigt. W i r wollen aber ausdrücklich betonen, daß die Auswahl in keiner Weise eine Wertung der Leistungen dieses oder jenes Logikers als Logiker darstellt. Zu einzelnen Passagen oder Ausdrücken in den T e x t e n wurden von uns Anmerkungen hinzugefügt. U m sowohl ihre Zahl als auch den Umfang der einzelnen Einführungen klein zu halten, wurden zusammenhängende T e x t e , wenn möglich ganze Arbeiten ausgewählt. Ob die Kommentierung (wie auch die Einführung zu jedem Kapitel) in jedem Fall ausreichend ist, muß auch hier wiederum die Erfahrung zeigen. Das geeignete Maß zu finden, dürfte aber sehr schwierig sein. Leicht kann unter der Hand das Ausmaß der K o m m e n t a r e den Umfang der T e x t e überschreiten, ganz abgesehen davon, daß durch die Kommentierung selber wieder neue Probleme aufgeworfen werden, die einer Erläuterung bedürfen. Als kommentierte Textauswahl allein zur modernen Logik unterscheidet sich das hier vorgelegte B u c h sowohl von einer Problemgeschichte der formalen Logik ( J . M. B o c h e n s k i [1956]), als auch von einem reinen Nachdruck logischer T e x t e zu einem speziellen Problem (wie z. B . bei M. D a v i s [1965] oder J . v. H e i j e n o o r t [1967]). Die T e x t e sind in 12 Kapitel mit jeweiliger Einführung eingeteilt. Alle T e x t e sind, soweit nicht Übersetzungen in die deutsche Sprache erforderlich waren und bis auf die Berichtigung offensichtlicher Druckfehler, originalgetreu nachgedruckt. Auf berichtigte Druckfehler wird in einer Anmerkung hingewiesen. Auslassungen im T e x t werden durch [ . . . ] angezeigt und sind dann erfolgt, wenn bereits in anderen T e x t e n vorliegendes oder — in bezug auf das T h e m a des Kapitels — Nebenfragen betreffendes formuliert ist. Der originalgetreue Nachdruck brachte eine Vielfalt benutzter symbolischer Ausdrucksmittel mit sich. Eine erläuternde Zusammenstellung aller vorkommenden Symbole logischer Funktoren und Operatoren findet der Leser im Anhang; natürlich erfolgen entsprechende Erläuterungen, wenn notwendig, in den Einführungen oder in den Anmerkungen zum ausgewählten T e x t . In den Einleitungen selbst wird eine einheitliche logische Symbolik benutzt und zwar — vor allem aus drucktechnischen Gründen — die klammerfreie Symbolik von J . L u k a s i e w i c z . I m Interesse eines wissenschaftlichen Belegs von Zitaten aus der T e x t auswahl wird für den Benutzer die ursprüngliche Paginierung in einer runden K l a m m e r am Rande des Nachdrucks jeweils in der Höhe der betreffenden Zeile angegeben und das erste W o r t durch eine Längslinie gekennzeichnet. E s kommen unterschiedliche Arten von Anmerkungen (Fußnoten) vor. Anmerkungen, die von den Autoren der einzelnen T e x t e stammen, werden jeweils durchgehend numeriert, aber mit einer rechten runden K l a m m e r versehen. Anmerkungen unsererseits in den einzelnen T e x t e n bzw. in den Einführungen werden ebenfalls wieder auf den jeweiligen T e x t bzw. die jeweilige Einführung bezogen durchgehend numeriert, sind aber mit einer rechten

XII

eckigen Klammer versehen. Anmerkungen zu Fußnoten werden durch ein eckiges Klammerpaar angezeigt. Fußnoten und Anmerkungen findet der Leser am Ende der jeweiligen Einführung bzw. des jeweiligen Textes. Es kommen Verweisungen auf die Textauswahl selbst vor. Dazu wird in einem runden Klammerpaar das jeweilige Kapitel und eventuell noch ein Abschnitt in ihm angegeben. Bezieht sich ein Autor auf eine Arbeit, die auch in der Textauswahl abgedruckt wird, fügen wir der entsprechenden Fußnote des Autors den Hinweis auf das Kapitel und den Abschnitt hinzu, in dem sie in der Textauswahl zu finden ist. Die bibliographischen Angaben in den Einführungen oder Anmerkungen werden im Hinblick auf das Literaturverzeichnis wie folgt gegeben: Name des Autors und Erscheinungsjahr der betreffenden Arbeit. Erschienen in dem Jahr mehrere Arbeiten des Autors, wird an die Jahreszahl als Unterscheidungsindex ein kleiner lateinischer Buchstabe, mit a beginnend, angefügt, z. B. K. G ö d e l [1932a]. Aus dem Literaturverzeichnis sind dann unter dem Namen des Autors und der genannten Jahreszahl mit bzw. ohne Unterscheidungsindex die weiteren bibliographischen Angaben ersichtlich. Das Literaturverzeichnis selbst erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Die in den Einführungen angegebene Literatur ist eingeteilt in (1) solche, in der ein logisches Problem zum ersten Mal aufgeworfen oder gelöst wird, (2) in der dieses Problem in einer heute gängigen Form ausführlich behandelt wird, eventuell auch unter Einschluß weiterer logischer Problemstellungen und (3) in solche, in der es mehr um einen Überblick und eine Einführung in die Untersuchungen zu diesem Problem geht. Die erste Art von Literatur folgt im Text unmittelbar nach dem Namen des betreffenden Logikers, die zweite Art wird „Weitere Literatur" und die dritte Art „Ergänzende Literatur" genannt. Unvollständig ist vor allem die dritte Art von Literaturangaben. Mitunter wird in den Einführungen wie auch den Anmerkungen nur durch runde Klammerung abgesetzte Literatur angegeben, in der sich der Leser über auftretende logische Begriffsbildungen oder logische Verfahren informieren kann, die in unserem Zusammenhang nur Erwähnung erfahren konnten. Das Stichwortverzeichnis und das Namensregister sind ihrer üblichen Funktion entsprechend angefertigt. 2. Zu inhaltlichen Fragen der

Textauswahl

Es sollen Texte aus dem Gebiet der Geschichte der modernen Logik ausgewählt werden. Der Leser wird erwarten dürfen, zu erfahren, was wir dabei unter „moderner Logik" verstehen. Und zwar auch dann, wenn, wie in unserem Fall, die Auswahl dadurch erleichtert wird, daß bestimmte Arbeiten zu gewissen Themen bereits allgemein als klassisch oder grundlegend angesehen werden. Die Bestimmung dessen, was Gegenstand der modernen Logik sei, ist sehr umstritten. Es ist kaum möglich, eine Definition zu geben, die von allen Logikern akzeptiert würde. Zu viele Probleme überkreuzen sich in dieser Frage, die, dazu noch in grundlegenden Aspekten, XIII

sowohl in die Philosophie als auch in die Grundlagenforschung der Mathematik führen. Dazu kommt, daß sich die moderne Logik in einer Entwicklungsphase befindet, die den Umkreis dessen, was ihr zugänglich ist und was nicht, noch keineswegs sicher abstecken läßt. Viele Formen sprachgebundener Ausdrucksweisen, zu deren logischer Struktur es in vorausgegangenen Entwicklungsformen der Logik höchstens ansatzweise Untersuchungen gab, werden heute intensiv erforscht. So liegen z. B. erste Untersuchungen zu einer Fragelogik (M. P r i o r — A. N. P r i o r [1955]; N. D. B e l n a p j r . [1963]; L. Ä q u i s t [1965]) und zu einer Zeitlogik (A. N. P r i o r [1957], [1967]; N. R e s c h e r [1965]) vor. Wir schließen uns zunächst einer Definition von G. K l a u s ([1966], S. 7) an, wonach die Logik die Wissenschaft von den allgemeinsten Strukturen des richtigen Denkens ist. Diese Strukturen haben sich historisch herausgebildet und zwar auf der Grundlage der gesellschaftlichen Praxis im Prozeß der ideellen Aneignung der objektiven Realität (die physiologischen Bedingungen des Denkens vorausgesetzt). Daß die Resultate logischer Untersuchungen, die logischen Systeme, auch außerhalb des Denkens Anwendung finden, ergibt keinen Widerspruch zu dieser Definition. Aber die Definition besagt nichts über die bestehenden Unterschiede etwa zwischen der traditionellen formalen Logik und der modernen Logik. Ein Weg wäre, die durch das Adjektiv „modern" zu bezeichnenden Eigenschaften durch eine Gegenüberstellung der traditionellen formalen Logik und der modernen Logik herauszuheben. Dieses methodische Verfahren setzt jedoch wenigstens eine Vorstellung von dem voraus, was unter „moderner Logik" zu verstehen sei. Wir wollen unsere Auffassung von den Beziehungen her begründen, die die hier zur Sprache kommenden logischen Systeme zueinander haben, wobei die klassische Logik als ein unbestrittener Bestandteil der modernen Logik zugrunde gelegt wird. Schränken wir uns auf die klassische Logik (einschließlich der T a r s k i s c h e n Semantik) ein, so könnte man die moderne Logik definieren als die Wissenschaft von der Folgerungsrelation. Bei geeigneter Deutung dessen, was unter den „allgemeinsten Strukturen des richtigen Denkens" zu verstehen ist, läßt sich sicher ein Zusammenhang mit der oben wiedergegebenen allgemeinen Definition von „ L o g i k " herstellen. Wesentlich für unsere Verfahrensweise ist nun, daß die T a r s k i sche Semantik von denselben Voraussetzungen Gebrauch macht, wie die klassische Mathematik. Diese Voraussetzungen lassen sich durch folgende drei Punkte charakterisieren: 1. die Anerkennung des Unendlichen als Aktual-Unendliches; 2. die Existenz mathematischer (und logischer) Objekte an sich; 3. die Geltung des Satzes vom ausgeschlossenen Dritten. Der klassische Standpunkt ist innerhalb der Mathematik nicht unwidersprochen geblieben. Seine heute wohl schärfste Entgegensetzung, die sich besonders im Anschluß an die Bemühungen um die Ausschaltung von Antinomien (Kap. XI) herausbildete, ist der mathematische Intuitionismus. XIV

Sein finitärer Standpunkt (Priorität des Endlichen vor dem Unendlichen als eines nur potentiell möglichen), seine Einschränkung der Geltung des Satzes vom ausgeschlossenen Dritten und seine „Ersetzung des an sich Wahren durch das effektiv Verifizierbare, des an sich Falschen durch das effektiv Falsifizierbare und des an sich Existierenden durch das effektiv Konstruierbare" (H. S c h o l z — G. H a s e n j a e g e r [1959], S. 8), läßt eine volle Entwicklung der Tarskischen Semantik nicht mehr zu. Die logische Explikation dieses nichtklassischen Standpunktes ergibt einen von der klassischen Logik verschiedenen Bestandteil der modernen Logik. In der Textauswahl wird er im VI. Kapitel dargelegt — die klassiche Logik ist Gegenstand des III. Kapitels. Charakteristisch für die klassische Logik sind des weiteren die semantischen Voraussetzungen der Zweiwertigkeit von Aussagen und der Extensionalität betrachteter Aussagenverbindungen. Die klassische Logik ist eine extensionale Logik. Daß gerade sie historisch eine bevorzugte Ausarbeitung erfuhr, hat in erster Linie außerlogische Gründe, die in der allgemeinen Wissenschaftsentwicklung zu suchen sind. Bezüglich der nicht-extensionalen oder intensionalen Systeme kann man grundsätzlich folgende Fälle unterscheiden: Erstens ein System, in dem der Wahrheitswert von zusammengesetzten Aussagen nicht nur von dem Wahrheitswert der einfachen Aussagen abhängt, z. B. ein System mit Aussagenformen vom Typus „Er glaubt, daß . . ." (im Unterschied zu einem extensionalen System mit Aussagenformen vom Typus „Es ist nicht der Fall, daß ...", „entweder . . . oder" usw.). Eine solche Logik wurde noch nicht entwickelt. Ein solches System überschreitet offensichtlich die übliche semantische Grundlage einer Logik, indem pragmatische Aspekte, die formal (jedenfalls bis jetzt) nicht erfaßbar sind, berücksichtigt werden müssen. Zweitens ein System, in dem als Denotate von Aussagen andere Werte als Wahrheitswerte in Betracht kommen, in dem aber die hier vorkommenden aussagenlogischen Konstanten durch Wertmatrizen mit einer endlichen Anzahl von Werten nicht definierbar sind. Solche nichtextensionalen Systeme liegen in Gestalt der Modallogik mit den klassischen Modalwerten „möglich", „notwendig" und „unmöglich" vor (Kap. V). Drittens ein System, in dem man neben Aussagen auch Befehlssätze, Sollsätze usw. zuläßt, wie das in der Sollsatzlogik bzw. deontischen Logik der Fall ist. Die Deutung des Begriffes einer nicht-extensionalen Logik als einer Modallogik bedarf folgender Ergänzungen: Man muß erstens beachten, daß der Begriff der Aussage im klassischen Sinne, d. h. als semantische Kategorie mit den Denotaten „wahr" und „falsch", breiter gefaßt ist. Die Annahme, daß die Denotate von Aussagen in diesem weiten Sinne keine Wahrheitswerte sind, ist zweitens kein hinreichender Grund für eine Modallogik. Wir müssen auch das zweite Merkmal solcher logischer Systeme beachten, nämlich die Nichtdefinierbarkeit durch endliche Wertetafeln. Gerade dadurch unterscheidet sich eine Modallogik von einer mehrwertigen Logik (Kap. IV), die eine extensionale Logik ist. XV

Die logischen Systeme der klassischen Logik werden in Gestalt formalisierter Sprachen entwickelt. Es wird über diese Sprachen gesprochen, wenn ausgehend von den Begriffen „wahr" und „falsch" definiert wird, was ein „allgemeingültiger Ausdruck", ein „erfüllbarer Ausdruck" oder ein „unerfüllbarer Ausdruck" jeweils in diesen Sprachen ist. Da dazu auf die Bedeutung von „wahr" und „falsch" Bezug genommen wird, ist diese Metasprache eine semantische Sprache. Die logische Semantik als einer Theorie dieser und gleichartiger semantischer Begriffe ist in dieser Hinsicht eine metalogische Theorie. Auf sie kommen wir im X I I . Kapitel zu sprechen und zwar in ihrer durch A. T a r s k i gegebenen Begründung (vgl. dazu auch Anhang). Wir bemerken, daß dabei semantische Probleme, wie sie etwa durch den finitären Standpunkt aufgeworfen werden (untersucht z. B. von S. C. K l e e n e [1959]), nicht zur Sprache kommen. Der naturgemäß begrenzte Umfang einer Textauswahl veranlaßte uns zu dieser Beschränkung. Für weitergehendes Interesse muß auf die einschlägige Literatur verwiesen werden. Wesentliche Probleme der Metalogik (in einem in der Einführung zum X I I . Kapitel erläuterten Sinne des Wortes) werden im VIII., IX., X . und X I . Kapitel behandelt. Das Thema des VII. Kapitels ist die Regellogik, während das II. Kapitel Texte aus jener Entwicklungsphase der modernen Logik enthält, die man heute als die Periode der „Algebra der Logik" bezeichnet. Das I. Kapitel ist in mehr informativer Form den beiden bedeutendsten Vorläufern der modernen Logik gewidmet: G . W . L e i b n i z und B. B o l z a n o . Mit der Spiegelung an der klassischen Logik haben wir zwar eine Begründung gegeben, warum wir die einzelnen Themen zur modernen Logik rechnen, aber keinesfalls eine Definition dieses Terminus. Das ist das eine. Zum anderen ist diese Spiegelung zwar für unsere Zwecke recht nützlich, aber bietet sicherlich keine ausreichende Möglichkeit, um durch sie einen allgemeinen Leitfaden zur Klassifikation alles dessen zu finden, was den Bestand der modernen Logik ausmacht oder gar ausmachen kann. Die Spiegelung gibt nur eine erste, noch grobe Einteilung eines sozusagen an den Rändern noch offen bleibenden Feldes gegenwärtiger logischer Untersuchungen, die keinen wertenden Einfluß auf die Kapitelfolge hat. Der Umfang der gegenwärtigen logischen Forschungen ist wesentlich größer, als es in der Textauswahl zum Ausdruck kommt. So haben wir in Hinblick auf die mit dieser Textauswahl verfolgten Aufgabenstellung Abstand genommen von der Aufnahme von Arbeiten, die in spezielle mathematische Theorien führen. Weitgehend durchgearbeitete Bereiche wie die Definitions- und Klassifikationslehre konnten ebenfalls nicht berücksichtigt werden. Dasselbe gilt von den ständig wachsenden Anwendungen der Logik in Wissenschaft und Technik. Eine weitere wesentliche Einschränkung der Textauswahl besteht darin, daß sie sich ausschließlich auf die deduktive Logik beschränkt. Der begrenzte Umfang unserer Textauswahl würde nur eine bruchstückhafte Berücksichtigung weiterer Gebiete der modernen Logik XVI

zulassen, deren Wert im Hinblick auf ihre Zielstellung nur sehr gering wäre. Sowohl die Geschichte, als auch der gegenwärtige Entwicklungsstand z. B. der induktiven Logik müssen daher einer besonderen Textsammlung dieser Art vorbehalten bleiben. Die vorliegende Textauswahl widmet den semantischen Fragen der modernen Logik besonderes Augenmerk. Von grundsätzlicher Bedeutung ist dabei die Tarskische Arbeit: „Der Wahrheitsbegriff in den formalisierten Sprachen". So, wie sie vorliegt, ist sie zu lang und hätte bei einer Aufnahme in das Kapitel X I I die Proportionen der einzelnen Kapitel zueinander verschoben. Zu einer nur auszugsweisen Wiedergabe konnten wir uns nicht entschließen. Um sie aber auch nicht wegfallen lassen zu müssen, haben wir sie als Anhang der Textsammlung angefügt und, darauf möchten wir den Leser aufmerksam machen, ohne Angleichung an die moderne Orthographie und ebenso fast ohne Berichtigung ihrer Druckfehler nachgedruckt. Wo ausnahmsweise eine solche Korrektur erfolgte, wird die ursprüngliche Textstelle in eckigen Klammern folgend angegeben. Sofern es nur um einen allgemeinen Einblick in die semantische Grundlegung der klassischen modernen Logik geht, sei der Leser auf die im Kapitel X I I nachgedruckten Arbeiten von A. T a r s k i verwiesen. Die Herausgeber danken dem Akademie-Verlag nicht nur für sein förderndes Interesse, sondern auch für sein Entgegenkommen und für die bei der Drucklegung der komplizierte Anforderungen stellenden Texte gezeigte Sorgfalt. Es sei daher auch den Setzern für ihre Geduld und ihr Geschick, mit denen sie die drucktechnischen Aufgaben meisterten, gedankt. In diesem Zusammenhang schulden wir auch Frau E. Schütz für die saubere maschinenschriftliche Anfertigung des Manuskripts und Herrn Peter Philipp Dank für die Mitarbeit bei der Herstellung des Personenregisters und des Stichwortverzeichnisses. Leipzig, Sommer 1968 Karel Berka

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Berka-Kreiser, Logik-Texte

Lothar Kreiser

XVII

I

Die Vorläufer der modernen Logik

Die moderne Logik als Entwicklungsstufe der Wissenschaft Logik h a t ihre Vorgeschichte. Ihre hervorragendsten Vorläufer sind G. W. L e i b n i z (1646—1716) und B. B o l z a n o (1781—1848). Die Bedeutung ihrer Gedanken wurde allerdings viel später und vor allem erst vom Standpunkt der sich bereits entwickelnden modernen Logik erkannt. So wurde die Mehrzahl der logischen Werke von G. W. L e i b n i z erst zu Beginn unseres Jahrhunderts der Öffentlichkeit zugänglich (vgl. L. C o u t u r a t [1901]). Drei Forderungen sind es im wesentlichen, die G. W. L e i b n i z an die von ihm angestrebte neue Logik, die mathesis universalis (logistica oder logica mathematica) stellt (1.1.): Erstens den Aufbau einer characteristica universalis, d. h. eines Zeichensystems, dessen Grundzeichen Charaktere von Grundbegriffen sind und deren Kombination die Charaktere aller anderen Begriffe ergeben soll; zweitens die Bildung eines calculus ratiocinator, d. h. eines Kalküls, der eine rein rechnerische Behandlung aller in den Zeichen der characteristica universalis ausgedrückten Aussagen gestattet und drittens die Formulierung einer ars iudicandi, d. h. eines Verfahrens, durch das in bezug auf beliebige, in den Zeichen der characteristica universalis ausgedrückten Aussagen entschieden werden kann, ob sie wahr oder falsch sind (vgl. H. S c h o l z [1931], [1942], [1961]; G. S c h i s c h k o f f [1947], R. K a u p p i [i960]). G. W. L e i b n i z hat seine Forderungen in Arbeiten aus den Jahren 1679, 1686 und 1690 zu realisieren versucht (vgl. K. D ü r r [1930], [1947]). Historisch tritt das „ L e i b n i z - P r o g r a m m " (H. S c h o l z ) verschiedentlich wieder auf, so bei Chr. W o 1 f f (1679—1754), J. A. von S e gn er (1704—1777), G. P l o u c q u e t (1716-1790), J . H . L a m b e r t (1728-1777), G. J . von H o l l a n d (1742-1784), G. F. C a s t i l l o n (1747-1814) und S. M a i m o n (1753—1800). Die erste Gestalt der modernen Logik, die Algebra der Logik, entstand jedoch unabhängig von diesem „ L e i b n i z - P r o g r a m m " . Wird das „ L e i b n i z - Programm" auf die Logik eingeschränkt, so entspricht innerhalb der modernen Logik der ersten Forderung die Aufstellung eines Systems von Definitionsregeln, der zweiten Forderung die Bildung eines Logikkalküls und der dritten Forderung die Formulierung eines Entscheidungsverfahrens in bezug auf Ausdrücke dieses Kalküls. Aber auch bei Einschränkung auf die Logik läßt sich dieses Programm nicht realisieren. Die mathesis universalis würde dann nämlich ein Entscheidungsverfahren enthalten, mit dessen Hilfe man alle zur Diskussion stehenden semantischen Fragen sozusagen rein rechnerisch beantworten 1 2'

könnte. Auf Grund der Dialektik von relativer und absoluter Wahrheit ist es vom Standpunkt der marxistischen Philosophie von vornherein als unmöglich anzusehen, ein solches, die Logik insgesamt umfassendes Programm positiv zu lösen. Die auf K. G ö d e l zurückgehenden Erkenntnisse haben das bestätigt und gezeigt, daß schon in bezug auf die deduktive Logik das „ L e i b n i z - P r o g r a m m " nicht realisierbar ist (vgl. X.) Das bedeutet aber nicht, daß bei weiterer Einschränkung das „ L e i b n i z - P r o g r a m m " nicht realisierbar wäre, es also nicht Teilgebiete der Logik gäbe, in denen von jedem einschlägigen Ausdruck durch ein Entscheidungsverfahren (X) feststellbar ist, ob und unter welchen Voraussetzungen er wahr oder falsch ist. Das ist z. B. in der klassischen Aussagenlogik der Fall. Ebenso wie G . W . L e i b n i z hatte auch B. B o l z a n o keinen unmittelbaren Einfluß auf die weitere Entwicklung der modernen Logik ausgeübt. Die Bedeutung seiner Wissenschaftslehre [1837] wurde zuerst von E. H u s s e r l [1900—1901] erkannt, sie erfuhr aber erst durch W. D u b i s l a v [1931a] und H. S c h o l z [1937] eine richtige Bewertung. (Vgl. noch Y. B a r H i l l e l [1952], G. B u h l [1961] und J . B e r g [1962]). Den wichtigsten Beitrag B. B o l z a n o s finden wir in seinen Untersuchungen über die Ableitbarkeit und die Abfolge (I. 2.), die von denselben Begriffsbildungen ausgehen, wie die später völlig unabhängigen Untersuchungen von G. G e n t z e n (VII. 1.) und A. T a r s k i (XII. 4.). Zwischen dem Folgerungsbegriff von B. B o l z a n o und dem von G. G e n t z e n sowie A. T a r s k i bestehen jedoch gewisse Unterschiede. Für B. B o l z a n o folgt M, N, O , . . . aus A, B, C, . . . gerade nur dann, wenn (1) jedes (semantische) Modell von A, B, C, . . . auch ein Modell von M und N und O und . . . ist; mit anderen Worten, wenn jeder der Schlußsätze M, N, 0 , . . . aus den Prämissen A, B, C, . . . einzeln ableitbar ist. Und (2), wenn die Prämissen der Grund für die Schlußsätze sind. B. B o l z a n o , der damit einen sehr starken Folgerungsbegriff einführte, würde offensichtlich das Ableiten aus einer widerspruchsvollen Prämissenmenge — entsprechend der Formel CKpNpq — ablehnen. Für A. T a r s k i hingegen ist bereits die erste Bedingung zur Definition des Folgerungsbegriffes hinreichend. Um von einer Folgerungsbeziehung im Sinne von G. G e n t z e n sprechen zu können, genügt es, wenn es zu jedem (semantischen) Modell von A, B, C, . . . ein (semantisches) Modell von M, N, 0 , . . . gibt: mit anderen Worten, wenn wenigstens einer der Schlußsätze aus der Prämissenmenge ableitbar ist. Der Folgerungsbegriff von G. G e n t z e n ist allgemeiner. Enthält jedoch die Folgerungsmenge gerade nur einen Schlußsatz, sind das B o l z a n o s c h e und das G e n t z e n sche Folgern identisch (vgl. K. S c h r ö t e r [1955—1958], I, 60f.). B. B o l z a n o erkannte auch, daß der Folgerungsbegriff nur dann exakt festgelegt werden kann, wenn man entscheiden kann, welche Begriffe logische Begriffe sind. Dieses fundamentale Problem der logischen Semantik, das sowohl zur scharfen Unterscheidung von Logik und Mathematik wie auch für eine philosophische Grundlegung der Logik von größter Bedeutung ist, konnte in der modernen Grundlagenforschung (J. G. K e r n e n y 2

[1948], [1956]; A. D. G e t m a n o v a [1959]) bisher nur teilweise positiv gelöst werden. In seiner Klassifikation von Aussagen findet man ferner schon zwei wichtige Bestandteile der modernen Semantik. Erstens eine Einteilung von Aussagen in allgemeingültige („allgemeingültige", „vollgültige"), z. B . „Der Mensch Cajus ist sterblich"; unerfüllbare („allgemein- oder durchaus ungültige"), z. B . „Der Mensch Cajus ist allwissend"; und erfüllbare, z. B . „ D a s Wesen Cajus ist sterblich" ([1837], Bd. II, § 147, S. 78f, 82). Zweitens eine Unterscheidung von,,analytischen Sätzen in der engeren Bedeutung" („logisch analytische", „identische", „tautologische Sätze"), z. B . „ A ist A " ; und analytischen Sätzen „in der weiteren B e d e u t u n g " („bloß analytische"), z. B. „ E i n Mensch, der sittlich böse ist, verdient keine Achtung" ([1837], Bd. II, § 148, S. 84). Für diese Einteilung gibt B o l z a n o eine Begründung, die mit der von W. V. Q u i n e [1953] in gleicher Weise vorgenommenen Einteilung weitgehend übereinstimmt. Ergänzende Literatur: J . J e r g e n s e n [1931]; T. K o t a r b i n s k i [1957]; P. S. P o p o v [i960]; W. K n e a l e - M. K n e a l e [1962]; N. I. S t j a i k i n [1967]. 1.1 G. W. L e i b n i z Projet et Essais pour arriver ä quelque certitude pour finir une bonne partie des disputes et pour avancer l'art d' inv enter*1] | Die Menschen haben etwas von dem Weg, zur Sicherheit zu gelangen, (15) gewußt: davon ist die Logik des Aristoteles und der Stoiker und besonders das Beispiel der Mathematiker ein Beweis; und ich kann noch das der römischen Rechtsgelehrten hinzufügen, bei denen mehrere Schlußfolgerungen in den Digesten sich in nichts von einem Beweise unterscheiden. Indessen ist man diesem Wege nicht gefolgt, weil er ein wenig unbequem ist und man auf ihm langsam und bedächtigen Schrittes gehen muß. Ich glaube aber, es ist dies nur deshalb so, weil man die Ergebnisse nicht gesehenhat. Man hat nicht bedacht, von welcher Bedeutung es sein würde, die Prinzipien der Metaphysik, der Physik und der Ethik mit derselben Gewißheit aufstellen zu können wie die Elemente der Mathematik. Nun habe ich gefunden, daß man mit diesem Mittel nicht nur eine gesicherte Erkenntnis mehrerer wichtiger Wahrheiten erreichen, sondern auch zu einer bewundernswürdigen Erfindungskunst und zu einer Analyse gelangen würde, die in anderen Stoffgebieten etwas Ähnliches erzeugen würde wie die Algebra bei den Zahlen. Ich habe sogar eine erstaunliche Tatsache gefunden, nämlich daß man durch die Zahlen alle Arten von wahren Sätzen und Folgerungen darstellen kann. 2 ] 3

Es sind mehr als 20 Jahre her, daß ich den Beweis dieser wichtigen Erkenntnis fand und auf den Gedanken einer Methode kam, die uns unfehlbar zur allgemeinen Analyse der menschlichen Erkenntnisse führt — wie man nach einer kleinen Abhandlung 3 ] urteilen kann, die ich damals drucken ließ, worin manches ist, was den Jüngling und den Lernenden verrät ; aber die Grundlage ist gut, und ich habe seither so viel darauf erbaut, als andere Geschäfte und Ablenkungen mir erlaubten. Ich fand also, daß es gewisse, nicht absolut, aber doch für uns ursprüng(16) liehe Ausdrücke gibt, nach deren | Aufstellung alle Schlußfolgerungen in der Art der Zahlen bestimmt werden könnten; und selbst in Rücksicht auf diejenigen, bei denen die gegebenen Umstände oder die data zur Bestimmung der Frage nicht genügen, könnte man nichtsdestoweniger mathematisch den Grad der Wahrscheinlichkeit bestimmen. Ich habe bemerkt, daß der Grund, warum wir uns außerhalb der Mathematik so leicht täuschen und die Geometer in ihren Schlußfolgerungen so glücklich sind, nur der ist, daß man in der Geometrie und den anderen Teilen der abstrakten Mathematik Proben oder fortlaufende Beweise ausführen kann, und zwar nicht nur über den Schlußsatz, sondern noch in jedem Augenblick und bei jedem Schritt, den man von den Prämissen aus tut, indem man das Ganze auf Zahlen zurückführt. In der Physik jedoch widerstreitet nach vielen Schlußfolgerungen die Erfahrung oft dem Schlußsatz; indessen berichtigt sie diese Schlußfolgerungen nicht und bezeichnet nicht die Stelle, wo man sich getäuscht hat. In der Metaphysik und der Ethik ist dies viel schlimmer : Oft könnte man hier Erfahrungen über die Schlußsätze nur auf eine sehr unbestimmte Art machen, und bei den Gegenständen der Metaphysik ist die Erfahrung manchmal in diesem Leben ganz unmöglich. Das einzige Mittel, unsere Schlußfolgerungen zu verbessern, ist, sie ebenso anschaulich zu machen, wie es die der Mathematiker sind, derart, daß man seinen Irrtum mit den Augen findet und, wenn es Streitigkeiten unter Leuten gibt, man nur zu sagen braucht: „Rechnen wir!" ohne eine weitere Förmlichkeit, um zu sehen, wer recht hat. Wären die Worte gemäß einem Kunstgebilde gemacht — was ich für möglich halte, worauf jedoch diejenigen nicht gekommen sind, die Universalsprachen 4 ] erdacht haben —, so könnte man zu diesem Erfolg durch die Worte selbst gelangen, was von einem unglaublichen Wert für das menschliche Leben sein würde. Inzwischen gibt es einen anderen weniger schönen Weg, der schon gangbar gemacht ist, während der andere ganz neu ange(17) legt | werden müßte. Er besteht darin, daß man sich nach dem Beispiel der Mathematiker der Charaktere bedient, die geeignet sind, unseren Geist zu fixieren, und darin, daß man einen Beweis in Zahlen beifügt. * i n : L . C o u t u r a t , Opuscules et Fragments Inédits de Leibniz, F . Alcan, P a r i s [1903], S . 175—176. Ü b e r s e t z u n g ü b e r n o m m e n a u s : G . W . L e i b n i z , Frag-

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mente zur Logik, Akademie-Verlag, Berlin (1960), S. 15—17 (Gekürzter Nachdruck) . *] C o u t u r a t datiert diese Arbeit um das Jahr 1686. Besonders in den Arbeiten (April 1679) „Elemente der allgemeinen Charakteristik", „Elemente des Kalküls", „Elemente des allgemeinen Kalküls", „Forschungen zum allgemeinen Kalkül", „Vorschrift zur Prüfung der Folgerungen durch Zahlen", „Regeln, nach denen über die Gültigkeit der Folgerungen und über die Formen und Modi der kategorischen Syllogismen mit Hilfe von Zahlen geurteilt werden kann", „Kalkül der Folgerungen". Vgl. G. W . L e i b n i z [1960], S. 170—238. 3 ] Hinweis auf die Schrift Dissertatio de Arte Combinatoria ... Leipzig 1666. Abgedr. in G. W . L e i b n i z [1875—1890], Bd. 4, S. 27—102. 4 ] Zu diesem Thema sind folgende Arbeiten erschienen: C. Beck, The Universal Character (1657); G. D a l g a r n o , Ars Signorum vulgo Character Universalis et Lingua Philosophica (1661), J . J . B e c k e r , Character sive Clavis (1661); A. K i r c h e r , Polygraphia Nova et Universalis (1663) und J. W i l k i n s , Essay towards a Real Character and a Philosophical Language (1668). 2]

1.2 B. B o l z a n o

Wissenschaftslehre. Versuch einer ausführlichen und größtenteils neuen Darstellung der Logik mit steter Rücksicht auf deren bisherige Bearbeiter*

| § 155. B e s o n d e r e A r t e n der V e r t r ä g l i c h k e i t , und z w a r a) das V e r h ä l t n i ß der A b l e i t b a r k e i t . 2) Wenn wir behaupten, daß gewisse Sätze A, B, C, D , ... M, N, O , . . . in dem Verhältnisse der Verträglichkeit stehen, und zwar hinsichtlich der Vorstellungen i, j, ,.. 2 ]: so behaupten wir der gegebenen Erklärung zu Folge nichts Mehres, als daß es gewisse Vorstellungen gebe, die an der Stelle der i, j, ... jene Sätze sämmtlich in wahre verwandeln. Ob es nicht außer diesen Vorstellungen, welche die Sätze A, B, C, D , ... M, N, O, ... sämmtlich wahr machen, noch einige andere gebe, die nur den einen oder den andern Theil derselben allein, nicht aber alle wahr machen, und wenn dieses ist, welche von den gegebenen Sätzen sich öfter als die übrigen wahr machen lassen: das ist bisher ganz unentschieden geblieben; wohl läßt sich aber begreifen, daß diese Fragen von Wichtigkeit sind. Denken wir uns also zuerst den Fall, daß unter den miteinander verträglichen Sätzen A, B , C, D , ... M, N, O, ... das Verhältniß bestehe, daß alle Vorstellungen, die an der Stelle der veränderlichen i, j, ... einen gewissen Theil dieser Sätze, namentlich alle A, B , C, D , ... wahr machen, auch die Beschaffenheit haben, einen gewissen anderen Theil dieser Sätze, namentlich die M, N, O, ... wahr zu

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machen. Das besondere Verhältniß, das wir auf diese Art zwischen den Sätzen A, B, C, D, ... einerseits, und den M, N, O, ... andrerseits denken, wird schon aus dem Grunde von einer großen Merkwürdigkeit seyn, weil es uns in den Stand setzt, sofern wir einmal wissen, daß es vorhanden sey, aus der erkannten Wahrheit der A, B, C, D, ... so fort auch die Wahrheit der (114) M, N, O, ... zu | entnehmen. Ich gebe also dem Verhältnisse, das zwischen den Sätzen A, B, C, D, ... von der einen, und M, N, O, ... von der andern Seite bestehet, den Namen eines Verhältnisses der A b l e i t b a r k e i t ; und sage, daß die Sätze M, N, O, ... a b l e i t b a r wären aus den Sätzen A, B, C, D, ... hinsichtlich auf die veränderlichen Theile i, j, ..., wenn jeder Inbegriff 3 ] von Vorstellungen, der an der Stelle der i, j, ... die sämmtlichen A, B, C, D, ... wahr macht, auch die gesammten M, N, O, ... wahr macht. Zur Abwechslung, und, weil es bereits so gebräuchlich ist, werde ich zuweilen auch sagen, daß die Sätze M, N, O , . . . aus dem Inbegriffe der Sätze A, B, C, D, ... f o l g e n , g e f o l g e r t oder e r s c h l o s s e n werden können4]; die Sätze A , B , C , D , ... werde ich die V o r d e r s ä t z e oder P r ä m i s s e n , die M, N, O, ... aber die sichaus ihnen ergebenden Nach- oder S c h l u ß s ä t z e nennen. In wiefern endlich das hier beschriebene Verhältniß zwischen den Sätzen A, B, C, D, ... und M, N, O , . . . die größte Aehnlichkeit hat zwischen dem Verhältnisse umfaßter und umfassender Vorstellungen, will ich mir selbst erlauben, die Sätze A, B, C, D, . . . u m f a ß t e, die M, N, O, ... aber die sie u m f a s s e n d e n zu nennen. 3) Die Annahme, daß alle Vorstellungen, die an der Stelle der i, j, ... die Sätze A, B, C, D , . . . wahr machen, auch die Sätze M, N, O, ... wahr machen, setzet noch gar nicht voraus, daß dieses auch umgekehrt seyn müsse, d. h. daß alle Vorstellungen, welche die Sätze M, N, 0, ... wahr machen, auch die Sätze A, B, C, D, ... wahr machen. Das Verhältniß der A b l e i t b a r k e i t muß also nicht nothwendig ein wechselseitiges seyn.5] So macht wohl jedes Paar Vorstellungen, das an der Stelle der A und B den Satz: Alle A sind B, wahr macht, auch den Satz: Einige A sind B, wahr; und dieser ist also von jenem ableitbar; allein nicht umgekehrt macht jedes Paar Vorstellungen, das an der Stelle der A und B den Satz: Einige A sind B, wahr macht, auch wahr den Satz: Alle A sind B. Also ist nicht auch umgekehrt dieser von jenem ableitbar. 4) Wenn irgend einer der Sätze A, B, C, D, ..., aus welchen die Sätze M, N, 0, ... ableitbar seyn sollen, hinsichtlich auf die Vorstellungen i, j, ..., (115) z. B. der Satz A, | nicht eine einzige der letztern in sich schließt: so können wir ihn auch weglassen, und von den noch übrigen Sätzen B, C, D, ... behaupten, daß die Sätze M, N, O, ... auch schon aus ihnen allein ableitbar seyen, hinsichtlich auf die Vorstellungen i, j, Denn unter diesen Umständen muß der Satz A wahr seyn, und bleibt es jederzeit, was man auch immer für Vorstellungen an die Stelle der i, j, ... setze: so oft also nur die Sätze B, C, D, ... alle wahr werden, werden auch A, B, C, D, ... und mithin auch M, N, O, ... wahr. 5) Wenn gewisse Sätze M, N, 0, ... ableitbar seyn sollen aus gewissen 6

anderen A, B, C, D,..., und unter jenen ist irgend ein falscher befindlich: so muß auch unter diesen irgend ein falscher stecken. Denn wären alle A, B, C, D, ... wahr: so müßten es auch alle M, N, 0, ... seyn; weil sonst nicht wahr wäre, daß jeder Inbegriff von Vorstellungen, der an der Stelle deri, j , . . . die A, B, C, D, ... wahr macht (nämlich die Vorstellungen i , j , ... selbst), auch die M, N, O, ... wahr macht. 6) Wenn alle Sätze, die aus den Sätzen A, B, C, D, ... in Hinsicht auf gewisse Vorstellungen i, j, ... ableitbar sind, wahr sind: so müssen die Sätze A, B, C, D, ... selbst wahr seyn. Denn zu den verschiedenen Sätzen, die sich aus A, B, C, D, ... ableiten lassen, was immer für Vorstellungen die i, j, ... seyn mögen, gehören gewiß auch die Sätze: A ist wahr, B ist wahr, C ist wahr u.s.w. Sind also alle Sätze, die sich aus A, B, C, D, ... ableiten lassen, wahr: so müssen auch diese es seyn. Sind aber diese wahr, so sind auch die Sätze A, B, C, D, ... selbst wahr. | §. 162. V e r h ä l t n i ß der A b f o l g e .

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1) Unter Wahrheiten4] herrscht, wie ich im nächsten Hauptstücke umständlicher zu zeigen hoffe, ein sehr merkwürdiges Verhältniß, vermöge dessen sich einige derselben zu andern als Gründe zu ihren F o l g e n verhalten. So sind die beiden Wahrheiten, daß die drei Winkel eines Dreieckes zusammen zwei rechte betragen, und daß ein jedes Viereck in zwei Dreiecke zerlegt werden kann, deren sämmtliche Winkel die Winkel des Viereckes bilden, der Grund von der Wahrheit, daß die | vier Winkel eines jeden Vier- (192) eckes zusammen vier rechten gleichkommen. Ebenso liegt in der Wahrheit, daß es im Sommer wärmer ist als im Winter, der Grund von jener anderen Wahrheit, daß das Thermometer im Sommer höher steht als im Winter, und diese letztere dagegen läßt sich als eine Folge der ersteren betrachten. Da sich nun die Benennung A b f o l g e für das Verhältniß einer Folge zu ihrem Grunde gleichsam von selbst darbietet: so erlaube ich mir zu sagen, daß Wahrheiten, die sich zu andern, wie die Folge zu ihrem Grunde verhalten, in dem Verhältnisse einer A b f o l g e zu denselben stehen. Die eben angeführten Beispiele aber zeigen, daß eine Wahrheit, die zu gewissen andern in dem Verhältnisse einer Folge zu ihren Gründen stehet, stets 7] auch noch aus diesen letzteren a b l e i t b a r ist, vorausgesetzt, daß wir nur eben gewisse Vorstellungen als die veränderlichen ansehen. [ ] Da aber Sätze, die man durch einen willkürlichen Austausch der Vorstellungen aus gegebenen wahren erhält, nicht immer wahr seyn müssen: so wird begreiflich, wie auch unter Sätzen, die falsch sind, ein Verhältniß der Ableitbarkeit bestehen könne, welches von einer solchen Beschaffenheit ist, daß die Wahrheiten, die man erzeugt, wenn man statt der veränderlichen Vorstellungen gewisse andere setzt, jedesmal in dem Verhältnisse der Abfolge zu einander stehen. So ist es mit den zwei Sätzen: „In dem Orte X ist es wärmer als in dem Orte Y ; " und: „in dem Orte X stehet das Thermometer höher als in dem Orte Y ; " wenn die Vorstellungen X und Y als die einzigen veränderlichen 7

gelten. Denn daß diese Sätze beide falsch werden können, wenn wir statt X und Y was immer für beliebige Vorstellungen setzen, ist außer Zweifel. So oft wir aber zwei solche Vorstellungen wählen, dabei der erste Satz wahr (193) wird; wird auch der zweite eine Wahrheit, und dieß zwar eine | solche, die zu der ersten sich wie eine Folge zu ihrem Grunde verhält. Wohl zu bemerken ist jedoch, daß das so eben Gesagte nicht etwa überall, wo ein Verhältniß der Ableitbarkeit bestehet, Statt finde. So ist das Verhältniß zwischen den beiden nur eben betrachteten Sätze ein wechselseitiges; denn wie sich aus dem Satze: In X ist es wärmer als in Y, ableiten läßt der Satz: In X stehet das Thermometer höher als in Y; so läßt sich auch umgekehrt aus dem Satze: In X stehet das Thermometer höher als in Y, recht füglich ableiten der Satz: In X ist es also wärmer als in Y. Gleichwohl wird Niemand sich einfallen lassen, den letzteren dieser Sätze, auch wenn sie beide wahr sind, als eine aus dem ersten fließende F o l g e , und diesen sonach als Grund von jenem zu betrachten. [ ] Nicht jedes Verhältniß der A b l e i t b a r keit ist also so beschaffen, daß es auch, wenn die Sätze desselben insgesammt wahr sind, ein zwischen ihnen bestehendes Verhältnis der Abf o l g e ausdrückt. Ohne Zweifel aber wird ein Verhältniß der Ableitbarkeit, dem diese Beschaffenheit zukömmt, merkwürdig genug seyn, um eine eigene Bezeichnung zu verdienen. Ich will es sonach ein Verhältniß der f o r m a l e n A b f o l g e nennen, während dasjenige, das zwischen wahren Sätzen bestehet, zum deutlicheren Unterschiede das Verhältniß einer m a t e r i a l e n A b f o l g e heißen mag. Ich sage also, daß die SätzeM, N, O , . . . zu den Sätzen A, B, C, ... hinsichtlich auf die Vorstellungen i, j, ... in dem Verhältnisse einer f o r m a l e n A b f o l g e stehen oder aus ihnen f o r m a l a b f o l g e n oder f o l g e n , wenn jeder Inbegriff von Vorstellungen, der an der Stelle der i, j, die sämmtlichen A, B, C, ... wahr macht, auch die sämmtlichen M, N, O, ... in Wahrheiten und zwar solche verwandelt, die zu den Wahrheiten A, B, C, ... sich wie eine echte Folge zu ihrem Grunde verhalten. 8 ]

* Bde. I —IV, Sulzbach 1837 (Gekürzter Nachdruck aus Bd. II, S. 113—115, S. 191-193). 2 ] Wenn es Vorstellungen gibt, „die an die Stelle der i, j , . . . gesetzt, die Sätze A, B, C, D, ... insgesammt wahr machen", so besteht nach B o l z a n o zwischen diesen Sätzen das Verhältniß der V e r t r ä g l i c h k e i t oder E i n s t i m m u n g und die Sätze A, B, C, D, . . . selbst werden v e r t r ä g l i c h , e i n s t i m m i g oder e i n h e l l i g genannt. (Bd. II, § 154, S. 100). Vgl. noch § 164, 197ff. 2 ] Die Vorstellung i, j, ... haben die Bedeutung von Variablen. Vgl. z. B. Bd. I, § 69, S. 311: „ . . . wiefern wir gewisse andere Theile i, j . . . in ihr als v e r ä n d e r l i c h ansehen..."; Bd. I, § 108, S. 514 „ . . . i n d e m wir uns vorstellen, daß gewisse, in der gegebenen Vorstellung vorkommende Bestandtheile i, j, ... v e r ä n d e r l i c h wären." „Sätze mit veränderlichen Theilen" (Bd. II. § 147, S. 80, 82) bzw. „Sätze mit veränderlichen Vorstellungen" (Bd. II, § 154, S. 107f.) haben dann die Bedeutung von Aussagenformen. 3 ] Unter einem „Inbegriff (gewisser Dinge)" versteht B o l z a n o dasselbe wie „eine

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Verbindung oder Vereinigung dieser Dinge, ein Zusammenseyn derselben, ein Ganzes, in welchem sie als Theile v o r k o m m e n " (Bd. I, § 82, S. 393), bzw. „ein Etwas, das Zusammengesetztheit h a t " (Ebenda, S. 394). 4 ] Zur Ableitbarkeitsbeziehung vgl. noch Bd. I I , § 164, S. 1 9 8 f : „ „ J e d e r Inbegriff von Vorstellungen, der an der Stelle der i, j, . . . in den Sätzen A, B, C, . . . M , N, 0 , . . . die Sätze A, B, C, . . . insgesammt wahr m a c h t , — h a t — die Beschaffenheit, auch die Sätze M, N, 0 , . . . insgesammt w a h r zu m a c h e n . " Der gewöhnlichste Ausdruck, in den wir Sätze von dieser A r t kleiden, ist bekanntlich: „ W e n n A, B, C, . . . w a h r sind: so sind auch M, N, O, . . . w a h r " . Nicht selten sagen wir aber a u c h : „ A u s A, B, C, . . . f o l g e n oder sind a b l e i t b a r oder lassen sich s c h l i e ß e n die M, N, O, . . . u . s . w . " " H . S c h o l z ([1937] S. 460, Anmerk. 48) betont m i t Recht, daß dieser Sprachgebrauch die im T e x t getroffene Unterscheidung von Ableitbarkeits- und Folgebeziehung nicht t r i f f t . 5 ] Die Ableitbarkeitsbeziehung ist zwar reflexiv und transitiv, aber nicht symmetrisch. Vgl. H . S c h o l z [1937] S. 450. 6 ] Unter einer „ W a h r h e i t " im Sinne von B o l z a n o müssen wir eine „objektive W a h r h e i t " bzw. eine „ W a h r h e i t an sich" verstehen, d. h. „jeden beliebigen Satz, der etwas so, wie es ist, aussagt", wobei es u n b e s t i m m t bleibt, „ob dieser Satz von irgend J e m a n d wirklich gedacht u n d ausgesprochen worden sey oder n i c h t " (Bd. I, § 25, S. 112). — Zur Kritik dieses philosophischen S t a n d p u n k t s vgl. E i n f ü h r u n g z u m XIL Kapitel. 7 ] Mit H . S c h o l z [1937] S. 453, Anmerk. 42 lesen wir a n s t a t t „ ö f t e r s " „ s t e t s " . 8 ] Zur formalen Abfolge vgl. noch Bd. I I , § 168, S. 207: „Sagen wir aber, daß die Sätze M, N, O, . . . z u den A, B, C, . . . e i n Verhältniß der f o r m a l e n Abfolge b e h a u p t e n : so sagen wir eigentlich Folgendes a u s : „ D a s Verhältniß der Sätze M, N, O, . . . zu den Sätzen A, B, C, . . . h a t die Beschaffenheit, daß jeder Inbegriff v o n Vorstellungen, der a n der Stelle der i, j, . . . die A, B, C, . . . w a h r m a c h t , auch die M, N, O, . . . zu solchen W a h r h e i t e n m a c h t , die eine Folge der ersteren sind". Der gemeine Ausdruck ist n u r : M ist, w e i l A ist; oder M folgt aus A."

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n Die Algebra der Logik

Die erste Logik im Sinne der modernen Logik wurde von G. Boole (1815 — 1864) geschaffen. Im gleichen Jahre, in dem Booles Werk The

Mathematical

Analysis

of Logic, Being an Essay Towards a Calculus of

Deductive Reasoning [1847] veröffentlicht wurde, das den Grundstein für die kontinuierliche Entwicklung der modernen Logik überhaupt legte, erschien auch A. De M o r g a n s Formal Logic or the Calculus of

Inference,

Necessary and Probable. Während aber A. De Morgan den Versuch unternahm, die Aristotelische Logik exakter darzulegen und um die Relationsaussagen sowie Relationsschlüsse zu erweitern, stellte sich G. Boole die Aufgabe, eine neue Logik auf algebraischer Grundlage aufzubauen. Er entwickelte einen rein extensionalen abstrakten Kalkül, der algebraisch dieselbe Struktur hat wie ein sogenannter Boolescher Verband (vgl. z. B. P. R. Haimos [1963]; R. S i k o r s k i [i960]). Die Grundbegriffe der Booleschen Algebra der Logik (II. 1.) sind die Multiplikation (d. h. die Auswahloperation), die Addition, die als Kontravalenz mit der Wahrheitsmatrize „0110" zu deuten ist, und die Subtraktion (1 — x), die der Negation entspricht. Die Inklusion wird durch die Gleichheit dargestellt. Die Boolesche Algebra der Logik ist grundsätzlich eine binäre Algebra mit dem Gesetz xn — x, die man entweder als eine Aussagenlogik deuten kann, wenn man die Symbole ,,1" und ,,0" als „wahr" und „falsch" interpretiert, oder als eine Klassenlogik, wenn man „1" als Zeichen der „Universalklasse" und „0"als Zeichen für die „leere Klasse" auffaßt. Die Hauptbestandteile dieser Algebra sind (1) die Theorie der Auswahlfunktionen, d. h. die Theorie der Wahrheitsfunktionen, und (2) die auf dem Absorptions- und Expansionsgesetz beruhende Entwicklung (development), d. h. die Herstellung der kanonischen (ausgezeichneten) Normalform. Die B oolesche Algebra enthält aber noch nicht die beiden Ableitungsregeln, die Abtrennungs- und Substitutionsregel. DievonG.Boole gegebene Gestalt einer Algebra der Logik wurde dann von anderen Logikern dieser Epoche systematisch durchgearbeitet, vertieft und ergänzt. W. St. J e v o n s [1864] hat die Boole sehe Kontravalenz durch die Alternative, die Substraktion durch die Negation (bzw. das Komplement) und die noch stark algebraisch gefaßte Entwicklung durch eine tatsächliche kanonische alternative Normalform ersetzt. Die Inklusion, die bereits J. D. Gergonne (1771—1859) bekannt war, wurde vor allem von Ch. S. Peirce [1870] und E. Schröder [1890—1905] systematisch untersucht. 10

In dieser Zeit kommt es auch zu einer Differenzierung zwischen den beiden möglichen Interpretationen der Algebra der Logik und zur Herausbildung weiterer Konzeptionen, die unmittelbar den Aufbau der klassischen Logik beeinflußten. Der erste Logiker, der die Aussagenlogik als eine selbständige Theorie anerkannt hat, war H. Mc Coli [1877/78]. Er schuf eine algebraisch aufgebaute Aussagenlogik, jedoch nicht als Interpretation der Algebra der Logik, sondern als eigenständige Logik. Ch. S. P e i r c e [1931—1958] führte in seinen Arbeiten aus den Jahren 1880,1885 und 1896 die Wahrheitsmatrizen ein, behandelte in einer allgemeinen Weise die Problematik der Wahrheitswerte und definierte in ausdrücklicher Anlehnung an P h i l o n aus Megara (um 300 v. u. Z.) den Implikationsbegriff. SpäterhatB. R u s s e l l d i e Philonische Implikation als materiale Implikation bezeichnet. Er führte noch die formale Implikation YlxCtpxtyx ein, d. h. eine Allaussage, deren quantorenfreier Kern die Form einer Implikation hat (vgl. z. B. B. R u s s e l l [1919], S. 21, 38,158,163; A. N. W h i t e h e a d - B. R u s s e l l [1910-1913], Bd. I, S. 20, 139). Vgl. dazu auch die Einführung zu Kapitel V. In der Klassenlogik wurde die graphische Darstellung der kategorischen Aussagen, wie sie bereits L. E u l e r (1707—1783) eingeführt hatte, von J. V e n n [1881] und L. C a r r o l l [1896] weiter entwickelt. G. P e a n o [1889] führte die Elementrelation in die Klassenlogik ein und schuf eine sich auch auf andere Bestandteile der klassischen Logik (DI. Kapitel) beziehende einheitliche Symbolik. Seinem ganzen Wirken nach ist G. P e a n o allerdings mehr zur nächsten Entwicklungsetappe der modernen Logik zu rechnen, die durch die Intentionen und Leistungen von G. F r e g e gekennzeichnet ist. Die Relationslogik wurde besonders von Ch. S. P e i r c e [1880] und E . S c h r ö d e r [1890—1905] untersucht. O . H . M i t c h e l l [1883] und später auch Ch. S. P e i r c e (II. 2.) haben — ohne Kenntnis der Ergebnisse von G. F r e g e [1879] — Untersuchungen zu den prädikatenlogischen Quantifikatoren durchgeführt. Trotz dieser verschiedenen Tendenzen, die natürlich für die Herausbildung der klassischen Logik von großer Bedeutung waren, wurde die Algebra der Logik auch in ihrer ursprünglichen Fassung weiter bearbeitet. Zahlreiche Arbeiten zur Theorie der logischen Gleichheiten und Ungleichheiten lieferte P. S. P o r e c k i j [1884], [1898/1899], [1900-1901], [1904], [1908], Eine zusammenfassende Monographie zur Algebra der Logik wurde von A. N. W h i t e h e a d [1898] verfaßt. (Vgl. auch L. C o u t u r a t [1905]). Den Höhepunkt der selbständigen Ausarbeitung der Gedanken von G. B o o 1 e und zugleich den Abschluß dieser Etappe repräsentieren E. S c h r ö d e r s Vorlesungen über die Algebra der Logik, die in komprimierender Weise von E. M ü l l e r bearbeitet wurden. Vgl. E. S c h r ö d e r [1909—1910]. Die Axiomatisierung der Algebra der Logik durch E. S c h r ö d e r und A. N. W h i t e h e a d wurde besonders von E. V. H u n t i n g t o n [1904] untersucht. H u n t i n g t o n hat drei verschiedene axiomatische Systeme gegeben. Das erste ist eine vereinfachte Fassung des W h i t e h e a d s c h e n 11

Axiomensystems mit drei Grundbegriffen und zehn Axiomen, das zweite eine komprimierte Form des S e h r öd er sehen Systems mit zwei Grundbegriffen und zehn Axiomen und das dritte eine Modifikation des zweiten Systems mit zwei Grundbegriffen und neun Axiomen. H. M. S h e f f e r ([1913], S. 482) hat ein noch vereinfachteres axiomatisches System aufgestellt. Es enthält zwei Grundbegriffe — die Klasse K und eine binäre Kombinationsregel | — und fünf Axiome: (1) Es gibt wenigstens zwei verschiedene ii-Elemente. (2) Wenn a und b .K-Elemente sind, so ist auch a\b ein .K-Element. Df a' = a | a (3) Wenn a und die angegebenen Kombinationen von a .K-Elemente sind, so auch (a')' = a. (4) Wenn a, b und die angegebenen Kombinationen von a und b .K-Elemente sind, so auch a \ {b\b') = a'. (5) Wenn a, b, c und die angegebenen Kombinationen von o, b und c KElemente sind, so auch (a|(fc|c))' = (¿>'|a) | (c'|«)Diese Axiome stellen ein widerspruchsfreies und unabhängiges Axiomensystem dar. Weitere Literatur:

C. I. L e w i s [1918]; E . W . B e t h [1947a]; W . K n e a l e [1948],

Mit den Bemühungen um eine Axiomatisierung der Algebra der Logik sind zugleich auch theoretische Untersuchungen verbunden, die für die moderne Logik insgesamt von Bedeutung sind. So hat E. S c h r ö d e r (II. 3.) — wie zuerst von A. Church [1939] bemerkt — zur Beseitigung logischer Widersprüche in der Klassenlogik Festlegungen getroffen, die der R u s s e l l schen Typentheorie (vgl. XI. 1.) sehr nahe kommen. Eine Neubelebung des Interesses an der Booleschen Algebra der Logik findet man in den Arbeiten von A. T a r s k i [1935a], [1938] undM. H. S t o n e [1936]. In den Vordergrund treten Zusammenhänge, die sich aus der B o o 1 e sehen Algebra als einer mathematischen Theorie ergeben, wie z. B. die Beziehungen der Algebra und der Topologie zur modernen Logik. Untersucht werden auch die Anwendungsmöglichkeiten algebraischer Methoden zur Behandlung logischer (vgl. z. B. L. R i e g e r [1967]) oder metalogischer Fragen (vgl. z . B . H. R a s i o w a — R. S i k o r s k i [1963]; A. R o b i n s o n [1951]). Diese Entwicklung der Algebra der Logik kulminiert in der von P. R. H a i m o s [1956], [1962] ausgearbeiteten algebraischen Logik, die aber „mehr Algebra als Logik" ist (P. R. H a i m o s [1962], S. 9).

12

n.i G. Boole The Mathematical Analysis of Logic, Being and Essay Towards a Calculus of Deductive

Reasoning*)

| Die Grundprinzipien

(15)

Das Symbol 1 (oder die Einheit) wird zur Darstellung des Universums benutzt. Es soll jede denkbare Klasse von Objekten umfassend verstanden werden, gleichgültig, ob sie wirklich existieren oder nicht. 1 ] Es wird vorausgesetzt, daß man dasselbe Individuum in mehr als einer Klasse vorfinden kann, da es mehr als eine Qualität mit anderen Individuen gemeinsam haben kann. Die Buchstaben X, Y, Z sollen zur Darstellung der individuellen Elemente von Klassen benützt werden; X ist auf jedes Element einer Klasse angewandt, als Elemente dieser bestimmten Klasse, und Y auf jedes Element einer anderen Klasse, als Elemente einer solchen Klasse, usw., entsprechend der angenommenen Sprache von Abhandlungen über Logik. Weiter soll eine Klasse von Symbolen x, y, z gedacht werden, die folgenden Charakter haben: Es wird vorausgesetzt, daß das Symbol x, welches auf irgendeinen Individuen oder Klassen enthaltenden Gegenstand bezogen ist, aus diesem Gegenstand alle die X herausgreift, die er enthält. In einer ähnlichen Weise wird vorausgesetzt, daß das auf irgendeinen Gegenstand bezogene Symbol y aus ihm alle Individuen der Klasse Y herausgreift, die in ihm inbegriffen sind, usw. Wenn kein Gegenstand ausgedrückt wird, werden wir annehmen, daß 1 (das Universum) der gemeinte Gegenstand ist, so daß wir x —x

(1)

haben werden. Die Bedeutung beider Termini ist die Auswahl aller X aus dem Universum, die es enthält, und das Ergebnis der Operation, | aus- (16) gedrückt in der Umgangssprache, ist die Klasse X, d. h. die Klasse, deren jedes Element ein X ist. Aus diesen Voraussetzungen folgt, daß das Produkt xy sukzessive die Auswahl der Klasse Y und die Auswahl solcher Individuen der Klasse X aus der Klasse Y darstellen wird, die in ihm enthalten sind. Das Ergebnis ist die Klasse, deren Elemente sowohl X wie Y sind. Und in einer ähnlichen Weise wird das Produkt xyz eine zusammengesetzte Operation darstellen. Seine sukzessiven Elemente sind die Auswahl der Klasse Z, die Auswahl solcher Elemente der Klasse Y aus ihr, die in ihr enthalten sind, und die Auswahl aller Individuen der Klasse X aus dem so erhaltenen Ergebnis, die es enthält. Das Endergebnis ist die gemeinsame Klasse von X , Y und Z. Hinsichtlich der Natur der Operationen, die die Symbole x, y, z darstel13

len, werden wir sie als Auswahlsymbole bezeichnen. Ein Ausdruck, in dem sie vorkommen, wird eine Auswahlfunktion genannt werden, und eine Gleichung, deren Elemente Auswahlfunktionen sind, wird als eine Auswahlgleichung bezeichnet.2] Es wird nicht notwendig sein, daß wir hier diejenige gedankliche Operation, die wir durch das Auswahlsymbol dargestellt haben, einer Analyse unterwerfen müssen. Sie ist kein Akt der Abstraktion — entsprechend der üblichen Auffassung dieses Terminus —, da wir das Konkrete niemals außer Sicht verlieren. Sie kann jedoch wahrscheinlich als eine Ausübung der Fähigkeiten des Vergleichens und der Aufmerksamkeit bezeichnet werden. Unser gegenwärtiges Interesse ist eher auf die Gesetze der Kombination und der Sukzession gerichtet, durch die ihr Ergebnis geleitet wird und für sie wird es genügen, folgendes zu bemerken. 1. Das Ergebnis eines Auswahlaktes ist von der Gruppierung oder Klassifikation des Gegenstandes unabhängig. Deswegen ist es gleichgültig, ob wir aus einer Gruppe von Objekten, die als ein Ganzes betrachtet werden, die Klasse X herausgreifen, oder ob wir die Gruppe in zwei Teile aufteilen, die X aus ihnen gesondert herausgreifen und dann die Ergebnisse in einem zusammengesetzten Begriffe verbinden. Wir können dieses Gesetz mathematisch durch die Gleichung x(u + v) = xu -f- xv ausdrücken, | wobei u -f- v den ungeteilten Gegenstand, und u und v seine Teilkomponenten darstellen. 2. Es ist gleichgültig, in welcher Reihenfolge zwei sukzessive Auswahlakte durchgeführt werden. Das Ergebnis ändert sich nicht, ob wir aus der Klasse der Tiere die Schafe herausgreifen und aus den Schafen diejenigen, die gehörnt sind, oder ob wir aus der Klasse der Tiere die gehörnten herausgreifen und aus ihnen solche, die Schafe sind. In beiden Fällen gelangen wir zur Klasse gehörnte Schafe. Der symbolische Ausdruck dieses Gesetzes ist xy =

yx.

3. Das Ergebnis eines gegebenen Auswahlaktes, der zweimal oder beliebig vielmal nacheinander durchgeführt wird, ist dem Ergebnis desselben Aktes, der einmal durchgeführt wird, gleich. Wir haben also oder

xz = x;

und vorausgesetzt, dieselbe Operation werden n-mal durchgeführt, haben wir xn = x, was der mathematische Ausdruck des oben angegebenen Gesetzes ist. 14

Die Gesetze, die wir in symbolischen Formen x(u -f- v) =

xu + xv

(1).

xy — yx n = x-n

(2),

x

(3),

festgelegt haben, | sind für die Grundlegung eines Kalküls ausreichend. (18) Aus dem ersten von ihnen ist ersichtlich, daß die Auswahlsymbole distributiv, aus dem zweiten, daß sie kommutativ sind; Eigenschaften, die sie mit den Symbolen der Quantität gemeinsam haben, und kraft deren alle Verfahren der üblichen Algebra im gegenwärtigen System anwendbar sind. Das einzige und genügende Axiom, das in dieser Anwendung inbegriffen ist, besagt, daß an äquivalenten Gegenständen durchgeführte äquivalente Operationen äquivalente Ergebnisse liefern. Das dritte Gesetz (3) werden wir Indexgesetz nennen. Es ist den Auswahlsymbolen eigentümlich und ist von großer Wichtigkeit, da es uns ermöglicht, unsere Ergebnisse auf Formen, die für eine Interpretation geeignet sind, zurückzuführen. Aus der Tatsache, daß die Verfahren der Algebra auf das gegenwärtige System angewendet werden können, darf man jedoch nicht schließen, daß sich die Interpretation einer Auswahlgleichung durch solche Verfahren nicht ändert. Der Ausdruck einer Wahrheit kann durch | eine legitime (19) Operation nicht negiert werden, aber er kann eingeschränkt werden. Die Gleichung y = z impliziert, daß die Klassen Y und Z äquivalent sind, Element für Element. Multiplizieren wir sie durch einen Faktor x, erhalten wir: xy =

xz,

was besagt, die Individuen, die der Klasse X und Y gemeinsam sind, sind auch den Klassen X und Z gemeinsam und umgekehrt. Das ist ein vollkommen legitimer Schluß, aber die Tatsache, die er ausdrückt, ist weniger allgemein, als jene, die in der ursprünglichen Aussage behauptet wurde. * Cambridge - London [1847], Nachdruck; Basil Blackwell, Oxford 1951 (Übersetzung von S. 15—19; mit Auslassung von zwei Fußnoten ungekürzt). Zur logischen Problematik dieser Begriffsbildung vgl. E. S c h r ö d e r (II. 3.). 2 ] Terminologische Bemerkung zur Übersetzung: Auswahlsymbol — elective Symbol, Auswahlfunktion - elective function, Auswahlgleichung - elective equation, Indexgesetz - index law.

15 3

Berka-Kreiser, Logik-Texte

n. 2 Ch. S. Peirce On the algebra of logic. A contribution (227)

to the philosophy

of notation*

| 393. Wir kommen n u n zu der Unterscheidung von einige u n d alle, einer Unterscheidung, die genau jener zwischen Wahrheit und Falschheit entspricht; d. h. sie ist deskriptiv, nicht metrisch. Alle Versuche, diese Unterscheidung in die Boolesche Algebra einzuführen, waren mehr oder weniger vollkommene Mißerfolge, bis Herr Mitchell 1 ] gezeigt hat, wie m a n dies machen sollte. Seine Methode besteht in der T a t darin, daß m a n den ganzen Ausdruck der Aussage aus zwei Teilen bestehen läßt, einem rein Booleschen Ausdruck, der sich auf ein Individ u u m bezieht, und einem quantifizierten Teil, der besagt, welches Indiv i d u u m dies sei. Wenn also k bedeutet „er ist ein König" und h „er ist glücklich", so bedeutet der Boolesche Ausdruck (k +

h),

daß das Individuum, von dem man spricht, entweder kein König oder glücklich ist. Indem wir die Quantifikation anwenden, können wir nun schreiben Irgendein (k + h ) , u m auszudrücken, daß dies von irgendeinem Individuum in dem (beschränkten) Universum wahr ist, oder Einige (k +

h),

u m auszudrücken, daß es ein Individuum gibt, das entweder kein König oder glücklich ist. So bedeutet Einige

(kh),

daß einige Könige glücklich sind und Irgendein

(kh),

daß jedes Individuum zugleich ein König und glücklich ist. Die Regeln f ü r die Anwendung dieser Symbolik sind einleuchtend. Die beiden Aussagen Irgendein (x) Irgendein (y) sind der Aussage Irgendein (xy) äquivalent. 16

| Von den beiden Aussagen

(228)

Irgendein (x) können wir schließen

Einige

Einige (y) (xy)1).

Herr Mitchell hat auch eine sehr interessante und instruktive Erweiterung seiner Symbolik für einige und alle auf ein zweidimensionales Universum gemacht, d. h. auf die Logik der Relationen. Um die Symbolik so anschaulich wie möglich zu machen, können wir hier E für einige, was an eine Summe erinnert, benutzen, und I I für alle, was an ein Produkt erinnert. So bedeutet S ^ j , das x von einigen der Individuen, die durch i bezeichnet werden, wahr ist, oder 2 ; 2; = Xj +

xj

+

+ USW.

In derselben Weise bedeutet 1 1 ; ^ , daß x von allen diesen Individuen wahr ist, oder II;®;

=

X{XjXk

USW.

Wenn x eine einfache Relation ist, bedeutet I I ; 11,-2;;;, daß jedes i in dieser daß einige iin dieser Relation zu jedem j Relation zu jedem j steht, I I , S ; stehen, E i E j X y , daß einige i zu einigen j in dieser Relation stehen. E s ist zu bemerken, daß 17; und 7 7 ; e i n e r Summe und einem Produkt nur ähnlich sind; sie sind nicht genau von jener Natur, da die Individuen des Universums unzählbar sein können.

* in: The American Journal of Mathematics [7], 1885, S. 180—202; Neudruck in Ch. Hartshorne — P. Weiss, Collected Papers of Charles Sanders Peirce, Cambridge, Harvard University Press [1933], Bd. III, S. 210—249 (Übersetzung von S. 227—228). Vgl. O. H. Mitchell, On a new algebra of logic, in: Studies in logic by members of the Johns Hopkins University, Boston [1883,] S. 79. *) [ ]. [Peirce macht hier eine Bemerkung zu einer numerischen Interpretation der Quantifikation im Sinne Booles und A. De Morgans.]

II. 3 E. S c h r ö d e r Vorlesungen

über die Algebra

der Logik

(Exakte

Logik)*

| Am letzten Beispiel, der Subsumtion 0 l, 1 ] läßt sich übrigens schon (245) darthun, daß es in der T h a t unzulässig ist, unter 1 eine so umfassende, sozusagen ganz offene Klasse, wie das oben geschilderte „Universum des Diskussionsfähigen" (von B o o l e ) zu verstehen. 2 ] 3*

17

Wie ausgemacht ist, sollte nämlich 0 in jeder Klasse, welche aus der Mannigfaltigkeit 1 herausgehoben werden kann, mitenthalten sein, sodaß 0 a gilt, 0 sollte Subjekt zu jedem Prädikate sein. Verstünden wir nun unter a die Klasse derjenigen Klassen der Mannigfaltigkeit, welche gleich 1 sind, [und dies wäre ja, wenn wir alles Denkmögliche in die Mannigfaltigkeit 1 hereinziehen dürfen, gewiß erlaubt], so umfaßte diese Klasse wesentlich nur ei'/iObjekt, nämlich das Symbol 1 selbst, beziehungsweise das Ganze der Mannigfaltigkeit, die seine Bedeutung ausmacht — ausserdem aber auch „nichts" mithin 0. Da nun also 1 und 0 die Klasse derjenigen Objekte ausmachten, welche gleich 1 zu gelten haben, so müßte nicht nur: 1 = 1, sondern auch: 0 = 1 anerkannt werden. Denn ein Prädikat, welches einer Klasse zukommt (hier das Prädikat, identisch gleich 1 zu sein), muß auch jedem Individuum dieser Klasse zukommen, gemäß Prinzip II. 3 ] In einer solchen Mannigfaltigkeit, wo 0 = 1 gälte, würde jede Möglichkeit der Unterscheidung zweier Klassen oder auch Individuen von vornherein ausgeschlossen sein; hier wäre dann alles „wurst". [ ] Wir werden die Gleichung: 0 = 1 (246) | nur anzuerkennen vermögen für eine völlig leere Mannigfaltigkeit 1, eine Mannigfaltigkeit, welche selbst gar kein Element oder Individuum enthält — und eine solche schließen wir von unsern Betrachtungen grundsätzlich aus. Die vorstehende Überlegung würde — mutatis mutandis — auch statthaft gewesen sein, wenn man in ihr das Symbol 1 von Anfang an durch den Namen irgend einer speziellen Klasse b der erstbetrachteten Mannigfaltigkeit ersetzt hätte; sie würde ebenso auf die absurde Gleichung 0 = 6 geführt haben. Und zwar wie folgt: Es gelte 0 für jede Klasse a. Versteht man unter a die Klasse derjenigen Gebiete, welche gleich b sind, so muß diese neben b (welches ja von allen Gebieten ganz allein gleich b ist) auch die identische 0 enthalten, was eben die Subsumation 0 a behauptet. Dann muß also auch 0 ein solches Gebiet sein, welches gleich b ist; es folgt (im Widerspruch mit obigem) so: 0 = b — für jedes 6!

Diese Überlegungen zeigen, dass Boole's universelle Interpretation der 1 in der That eine zu weitgehende gewesen.1) Im eigentlichen Gebietekalkul, für die Gebiete a einer Mannigfaltigkeit 1 von Punkten z. B., läßt sich die Subsumtion 0 a, wie wir schon sahen, ganz unumschränkt aufrecht erhalten. Doch ist nun die Frage zu beantworten, inwiefern sich die Gesetze des Kalküls auch auf die Mannigfaltigkeit, gebildet aus allen möglichen Klassen, aus irgendwelchen Objekten des Denkens werden übertragen lassen. Es ist gezeigt, daß es unzulässig ist, diese Mannigfaltigkeit 1 vollkommen bestimmungslos, sie gänzlich uneingeschränkt oder offen zu lassen, indem sich gewisse denkmögliche Formulierungen der Prädikatklasse a schon in (2 X ) 4 ] als unzulässig erwiesen. Wie muß sie nun aber beschaffen sein, damit 18

auf sie angewendet, die Regeln des Kalküls, insbesondere die Def. (2 X ), zu Widersprüchen in sich nicht mehr führen können? Ich will die Antwort auf diese schwierige Frage zu geben versuchen. Wir haben es zunächst zu t h u n mit einer Mannigfaltigkeit von irgend welchen „Dingen" — Objekten des Denkens überhaupt — als „Elementen" oder „Individuen1. Diese mögen (sämtlich oder auch zum Theil) von vornherein gegeben, oder aber (zum anderen Theil oder sämtlich) nur begrifflich irgendwie bestimmt sein. Denn völlig bestimmungslos dürfen sie, wie schon gezeigt, nicht bleiben. Damit die Symbole 0 und 1 etc. nach den Regeln des Kalküls in dieser Mannigfaltigkeit verwendbar seien, wird dieselbe hinsichtlich | der Art, (247) wie ihre Elemente gegeben oder auch begrifflich bestimmt sein dürfen, gewisse Anforderungen zu erfüllen haben. Als eine erste Anforderung haben wir schon in §7 unter Postulat ((1+)) die namhaft gemacht: daß die Elemente der Mannigfaltigkeit sämtlich vereinbar, miteinander „verträglich" sein müssen. 5 ] Nur in diesem Falle bezeichnen wir die Mannigfaltigkeit mit 1. Im andern dagegen ziehen wir für dieselbe den Namen oo vor als des einzigen (ZahlP)-Zeichens aus dem Bereich der Arithmetik, welches daselbst eine definitive unerfüllbare Forderung (die: mit 0 multipliziert 1 zu geben) ausdrückt (wogegen die anfängliche Unmöglichkeit andrer Symbole, wie—1, i = y—1, etc., sich bekanntlich durch Erweiterung des Zahlengebiets beheben ließ), als des spezifischen Symboles, also der Unmöglichkeit. [ ] Eine Mannigfaltigkeit, welche demnach oo zu nennen wäre, lassen wir im ,,identischen" Kalkül außer Betracht. Sind die Elemente der Mannigfaltigkeit vereinbar, so lassen sich in derselben kollektiv nach Belieben Systeme, „Gebiete" aus ihren Elementen zusammensetzen, in ihr abgrenzen, es lassen sich m. a. W . auch zwecks distributiver Verwendung irgendwie Klassen von Individuen aus ihr hervorheben. Und insbesondere gehören auch ihre Individuen selbst mit zu den Klassen, welche wir dann, wenn sie eben zu nur einem Individuum zusammenschrumpfen, als „monadische" oder „singulare" Klassen bezeichnen mögen. Durch jenen Prozeß der beliebigen Hervorhebung von Klassen von Individuen der ursprünglich gedachten Mannigfaltigkeit wird nun (im Allgemeinen) eine neue, noch viel umfassendere Mannigfaltigkeit entstehen, geschaffen, nämlich die der Gebiete oder Klassen der vorigen. So ist die Mannigfaltigkeit der Punktgebiete der Tafelfläche eine viel umfassendere als die Mannigfaltigkeit ihrer Punkte-, denn während die letztere als Gebiete, Punktklassen, nur irgend welche Flächen enthält, umfaßt die erstere außer diesen selben Flächen (als ihren „singulären" Klassen) auch noch alle denkbaren Gattungen von Flächen, z . B . die Gattung der kreisförmigen Flächen, als Klassen in sich. Jedes Individuum der letztern Mannigfaltigkeit ist ein Punktgebiet, eine Fläche, die auch in Linie, Punktgruppe oder P u n k t zusammenschrumpfen kann. Jedes Individuum der erstem ist eine Gattung von Punktgebieten, die ebenso auch in ein einzel19

nes Punktgebiet schrumpfen kann und notwendig auch alles vorige mit in sich schließt. (248) | Die neue Mannigfaltigkeit könnte man als die „zweite P o t e n z " der vorigen — besser wohl als deren „erste abgeleitete oder derivirte Mannigfaltigkeit" bezeichnen. Von ihr ließen sich abermals eine (eventuell) neue, noch umfassendere Mannigfaltigkeit „ableiten", welche als die derivirte der ersten derivirten oder als die zweite abgeleitete Mannigfaltigkeit der ursprünglichen zu bezeichnen wäre. Und so fort. Wie aus den vorausgeschickten Überlegungen zu ersehen ist, darf nun die Bedeutung der identischen 1 sich von der ersten jedenfalls nicht über die zweite, deren „abgeleitete" Mannigfaltigkeit, mit erstrecken, noch weniger also über noch höhere von den abgeleiteten Mannigfaltigkeiten. Und damit auch in der ursprünglichen Mannigfaltigkeit die Subsumtion ( 2 + ) 6 ] aufrecht erhalten werden könne, ist von vornherein erforderlich (und hinreichend), dass unter ihren als „Individuen" gegebenen Elementen sich keine Klassen befinden, welche ihrerseits Elemente derselben Mannigfaltigkeit als Individuen unter sich begreifen. Bildet man auch nur eine singulare „ K l a s s e " in ebendieser und ließe solche als ein neues Individuum derselben zu, so drängte augenblicklich wieder die identische Null sich zu ihr hinzu, schlüpfte sozusagen durch die Thür der Def. ( 2 X ) in sie ein. Ich werde eine Mannigfaltigkeit der genannten Art eine „reine" nennen — im Gegensatz zu einer „gemischten", bei welcher obige Anforderung nicht durchaus erfüllt ist, also wenigstens einzelne ihrer Elemente Klassen sind, die schon andere Elemente derselben als Individuen enthalten. Damit der identische Kalkül auf eine Mannigfaltigkeit anwendbar sei, muß sie eine reine Mannigfaltigkeit sein von vereinbaren Elementen.

* 1. Bd., Leipzig 1890 (Gekürzter Nachdruck der 4. Vorlesung, §9, Konsequenzen der Adjungirung einer Nullklasse, S. 245—248). Mit bezeichnet E . S c h r ö d e r die Beziehung des Enthalten- oder Identischseins eines Gebietes a („Subjektgebiet") mit dem Gebiet b („Prädikatgebiet"). Vgl. ebenda S. 126ff, bzw. S. 159f. 2] Das „Universum des Diskussionsfähigen" (universe of discourse) ist die von Boole in die algebraische Logik eingeführte Klasse alles Denkbaren, d. h. dessen, wovon überhaupt gesprochen werden könne. Die Kritik dieser Begriffsbildung durch E. S c h r ö d e r wird ihrerseits wieder durch G. F r e g e (Kritische Beleuchtung einiger Punkte in E. Schröders Vorlesungen über die Algebra der Logik; Archiv für systematische Philosophie, I. Band, 4. Heft, S. 435—456) einer das Problem aber offenbar gar nicht in seiner Bedeutung auch für sein logizistisches Programm erkennenden kritischen Analyse unterzogen. 3 ] Das Prinzip II ist die Transitivität der Subsumtion. Vgl. ebenda S. 170. x) Bei der Abfassung meines „Operationskreis" etc." hatte ich diesen Umstand noch nicht beachtet. 20

4]

„ . . . und zwar erfolge die Definition (2 X ) der „identischen Null" dadurch, daß wir die Subsumtion 0 als eine allgemeingültige, nämlich für jedes Gebiet a unsrer Mannigfaltigkeit anzuerkennende hinstellen. Dies will sagen: 0 nennen wir ein Gebiet, welches zu jedem Gebiet a in der Beziehung der Einordnung steht, welches in jedem Gebiet der Mannigfaltigkeit enthalten ist" (E. S c h r ö d e r , ebenda S. 188). 5 ] Nur dadurch, so besagt das Postulat ((1+)) außer dem im Text folgenden noch, könne die Mannigfaltigkeit „als ein Ganzes" gedacht werden (vgl. ebenda S. 212). 6 ] Die Definition (2+) der „identischen Eins" lautet: „1 nennen wir ein Gebiet, zu welchem jedes Gebiet a in der Beziehung der Einordnung steht, in welchem jedes Gebiet der Mannigfaltigkeit enthalten ist" (ebenda S. 188).

21

ni Klassische Logik

Das Kernstück der modernen Logik ist die zweiwertige extensionale Logik, die sogenannte klassische Logik. Zu einem großen Teil ist sie das Werk von G. F r e g e . Bereits in G. F r e g e s Begriffsschrift [1879] (III. 2.), die mit Recht nur mit den Ersten Analytiken des A r i s t o t e l e s verglichen werden kann, findet man neben theoretischen Einsichten, die Gemeingut der modernen Logik wurden, wie z. B. eine klare Unterscheidung zwischen Variablen und Konstanten, Gesetzen und Regeln, die Begriffe der logischen Funktionen (Aussagefunktionen) und Quantoren, die Semantik von Sinn und Bedeutung, auch das erste axiomatische System der klassischen Logik. Alle diese Erkenntnisse, die in einer Reihe anderer Arbeiten F r e g e s [1884], [1891] (HI. 1.), [1892], [1893—1903] weiter untersucht und vertieft wurden, fanden lange keine entsprechende Beachtung. Zum Teil ist das auch durch F r e g e s eigentümliche, von der üblichen „algebraischen" Symbolik stark abweichende, zweidimensionale Schreibweise bedingt. Die Bedeutung der Fregeschen Arbeiten als Beginn einer neuartigen Entwicklungsform der modernen Logik wurde zuerst von B. R u s s e l l erkannt. R u s s e l l leistete nicht nur bedeutsame Beiträge zu ihrer weiteren Ausarbeitung, sondern folgte auch den mit der Entwicklung dieser Logik verbundenen Intentionen G. F r e g e s : Begründung der Mathematik durch die Logik (vgl. Anmerkung 4 ] zu HI. 1.). In der Symbolik schloß sich B. R u s sell weitgehend der von G. P e a n o und seiner Schule [1889], [1894], [1895—1908] geschaffenen Symbolik an. Nach einer Reihe von bereits für sich zum Teil nachhaltig wirksamer Vorarbeiten, besonders [1903], [1908], schuf B . R u s s e l l zusammen mit A. N. W h i t e h e a d das monumentale Grundwerk der klassischen Logik, die Principia Mathematica [1910 bis 1913]. Dieses Werk bildet einerseits den Abschluß der vorhergehenden, andrerseits den unmittelbaren Ausgangspunkt der weiteren Entwicklung der modernen Logik. In der klassischen Logik wird nach dem Vorbild G. F r e g e s und im Unterschied zu der Algebra der Logik eine klare Trennung von Aussagen- und Klassenlogik vorgenommen. Die Aussagenlogik wird als die elementare und zugleich fundamentale deduktive Theorie an die Spitze des systematischen Aufbaus der Logik gesetzt. Von besonderer Bedeutung für die klassische Logik ist die Theorie der Wahrheitsfunktionen, die ein semantisches Modell des Aussagenkalküls ist. In bezug auf diese Interpretation wurde auch die Matrizenmethode entwickelt, von der bereits G. B o o l e 22

([1847], S. 49ff.) Kenntnis hatte. Ch. S. P e i r c e [1885] und E. S c h r ö d e r ([1890—1905], Bd. II) war sie ebenfalls bekannt. Systematisch wurde diese Methode jedoch jeweils unabhängig von E. L. P o s t ([1921], S. 169ff.), J . t u k a s i e w i c z [1921] und L . W i t t g e n s t e i n [1921] ausgearbeitet und als aussagenlogisches Entscheidungsverfahren (X.) eingeführt. Eine Übertragung dieser Methode auch auf die Prädikatenlogik wurde zum ersten Male von A. L. F o s t e r [1931] vorgenommen, später und unabhängig von ihm durch G. H. v. W r i g h t [1957]/[1948], [1957]/[1949], (Vgl. auch L. B o r k o w s k i — J . S i u p e c k i [1958]; S. S a i t o [1963]). Weitere Literatur: 1.1. 2 e g a l k i n [1927]; J. L u k a s i e w i c z - A . T a r s k i [1930], S. 32 ff.; J. H. W o o d g e r - W . F. F l o y d [1935/36]; J. K a l i c k i [1950]; H. H e r m e s [1951]; N. R e s c h e r [1962],

Ein anderes aussagenlogisches Entscheidungsverfahren liefert die auf G. B o o l e ([1854], S. 72ff.) zurückgehende und besonders von D. H i l b e r t und seiner Schule entwickelte verneinungstechnische und kanonische (ausgezeichnete) Normalform (vgl. z. B. D. H i l b e r t — W. A c k e r m a n n [1928], S. 13ff.). Der syntaktische Aufbau konzentrierte sich auf die Axiomatisierung der Aussagenlogik. Das erste Axiomensystem hat G. F r e g e ([1879], S. 25 bis 50) geschaffen. Die Axiome dieses Systems sind: (1) CpCqp

(2) CCpCqrCCpqCpr

(3)

(4) CCpqCNqNp

(5) CNNpp

(6)

CCpCqrCqCpr CpNNp.

Eine Vereinfachung des Axiomensystems gaben J . Z i u k a s i e w i c z und A. T a r s k i ([1930], S. 35). Das Axiom (3) wurde eliminiert, da es sich aus den Axiomen (1) und (2) ableiten läßt, und die Axiome (4)—(6) durch ein neues Axiom CCNpNqCqp ersetzt. Andere Axiomensysteme stammen z. B. von: a) A. N. W h i t e h e a d CAppp

CqApq

B. R u s s e l l ([1910], S. 100):

CApqAqp

CApAqrAqApr

CCqrCApqApr-,

b) D. H i l b e r t ([1923], S. 153): CpCqp

CCpCpqCpq

c) D. H i l b e r t -

CCpCqrCqCpr CCqrCCpqCpr CCpqCCNpqq;

NpCNpq

W. A c k e r m a n n ([1928], S. 22):

CAppp

CpApq

CApqAqp

CCpqCArpArq-,

d) J . L u k a s i e w i c z ([1929], S. 45, 121ff.): CCpqCCqrCpr

CCNppp

CpCNpq.

Aus diesen Belegen ist ersichtlich, daß man bemüht war, die Anzahl der Axiome soweit als möglich zu verringern. Diese Tendenz erreichte ihren 23

Höhepunkt im Axiomensystem von J. G. P. N i e od [1917], das nur ein Axiom enthält: DDpDqrDDtDltDDsqDDpsDps. M . W a j s b e r g [1932] verringerte die in diesem Axiom enthaltenen Aussagenvariablen und führte folgendes Axiom ein: DDpDqrDDDsrDDpsDpsDpDpq. Ein ähnliches eingliedriges Axiomensystem stammt von J . J L u k a s i e w i c z (J. L u k a s i e w i e z — A. T a r s k i [1930], S. 37), der auf Grund von Vorarbeiten A. T a r s k i s (vgl. St. L e ä n i e w s k i [1929], S. 58) folgendes Axiom aufgestellt h a t : CCCpCqpCCCNrCsNtCCrCsuCCttsCtuvCuw. Die Möglichkeit, verschiedene Axiomensysteme aufzustellen, ist durch die Auswahl von primitiven, nichtdefinierten Grundbegriffen bedingt. So sind z. B. im System von A. N. W h i t e h e a d — B. R u s s e l l [1910—1913] die Alternative und die Negation Grundbegriffe, wobei die anderen aussagenlogischen Funktoren folgendermaßen definitorisch eingeführt werden: Cpq =Dj ANpq Dpq =Df ANpNq

Kpq =Bf

NANpNq

Epq =D/

KCpqCqp.

Ähnlich sind im System von J . Lukasiewicz [1929] die Implikation und die Negation nichtdefinierte Grundbegriffe, während die anderen Funktoren wie folgt definiert werden: Apq =DJ CNpq Dpq —j,f CpNq

Kpq =Df Epq

NCpNq

=D]KCpqCqp.

Zu den Axiomensystemen sei noch folgendes bemerkt. Der im N i c o d schen Axiomensystem auftretende Funktor D ist der von H. M. S h e f f e r ([1913], S. 487) eingeführte Funktor der Unverträglichkeit mit der Wahrheitsmatrix „ O l l i " . Daß man übrigens nicht nur mit Hilfe des S h e f f e r schen Funktors alle anderen klassischen Aussagefunktoren definieren kann, sondern dasselbe auch der Nicodsche Funktor mit der Wahrheitsmatrix „0001" leistet, h a t E. Z y l i n s k i [1925] bewiesen. A. T a r s k i [1923] hat gezeigt, daß auch die Äquivalenz als Undefinierter Grundbegriff benutzt werden kann. Ähnlich hatte schon C. E. V a n H o r n [1917] vorgeschlagen, die Aussagenlogik mit Hilfe eines einzigen nichtdefinierten Grundbegriffs, dem Funktor „Deltation" zu axiomatisieren. Trotzdem gibt man aus methodologischen Gründen einem axiomatischen Aufbau der Aussagenlogik mit mindestens zwei Grundbegriffen den Vorzug. So z. B. mit dem Funk24

torenpaar N—C, A—N oder K—N. Im allgemeinen benutzt man heute das von D. H i l b e r t und P. B e r n a y s ([1934], S. 66) stammende Axiomensystem, das fünf Grundbegriffe enthält, demnach ohne Definitionen auskommt. In symmetrischer Weise werden dabei für jeden Grundbegriff drei Axiome angenommen: I. Formeln der Implikation: CpCqp

CCpCCpqCpq

CCpqCCqrCpr

II. Formeln der Konjunktion: CKpqp

CKpqq

CCpqCCprCpKqr

III. Formeln der Alternative (im Original Disjunktion): CpApq

CqApq

CCprCCqrCApqr

IV. Formeln der Äquivalenz: CEpqCpq

CEpqCqp

CCpqCCqpEpq

V. Formeln der Negation: CCpqCNqNp

CpNNp

CNNpp.

Ein ähnliches Axiomensystem stellte G. A s s e r ([1959], S. 78) auf. Weitere Literatur: [1950].

K. S c h r ö t e r [1943]; A. R o s e [1949]; W . A c k e r m a n n

Auf der Grundlage des Aussagenkalküls wird dann der Prädikatenkalkül der ersten Stufe (der engere Funktionenkalkül im Sinne H i l b e r t s ) aufgebaut. Dazu wird z. B. in der bekannten Fassung von D. H i l b e r t und W. A c k e r m a n n ([1928], S. 53ff.) das axiomatische System des Aussagenkalküls um die Axiome CüxFxFy

und

C FyExFx

erweitert, und die beiden Ableitungsregeln des Aussagenkalküls um weitere spezifische prädikatenlogische Regeln ergänzt (IX. 4.). Dieser ursprüngliche Aufbau der Prädikatenlogik (DI. 4.) brachte jedoch gewisse Schwierigkeiten mit sich und deswegen zieht man es heute vor, den Aussagenkalkül nicht um weitere Axiome, sondern nur um spezifische prädikatenlogische Regeln zu erweitern. Im allgemeinen wird dazu folgendes Regelsystem angenommen: Die Abtrennungsregel, die Regel der vorderen Generalisierung, die Regel der hinteren Generalisierung, die Regel der vorderen Partikularisierung, die Regel der hinteren Partikularisierung, die Regel der ge25

bundenen Umbenennung und die Regel der speziellen vollfreien Umbenennung (vgl. z. B. K. S c h r ö t e r [1955—1958], I, S. 68). Beim Übergang zum Prädikatenkalkül der ersten Stufe mit Identität werden in den üblichen Darstellungen noch zwei Axiome, nämlich ilxlxx

und

TlxIIyCIxyCFxFy,

hinzugefügt. Der Prädikatenkalkül der ersten Stufe (mit oder ohne Identität) kann desweiteren durch die Aufnahme der Kennzeichnungsterme erweitert werden, d . h . durch Ausdrücke der A r t : „dasjenige x, für das Fx gilt". Die logische Analyse der Kennzeichnungsterme, die auf G. F r e g e [1893] zurückgeht, wurde besonders von B. R u s s e l l [1905] aufgegriffen und unter dem Namen „Deskriptionstheorie" weitergeführt (vgl. auch [1919], Kap. 16). Eine weitergehende logische Präzisierung, verbunden mit ihrer Vervollkommnung zu einer logischen Theorie, stammt von K. S c h r ö t e r [1956], Die Kompliziertheit des Ableitens in einem axiomatischen System der Prädikatenlogik wird seit den Untersuchungen von G. G e n t z e n [1934] in den modernen Darstellungen (vgl. z. B. H. H e r m e s [1963], Fr. v. K u t s c h e r a [1967]) meist durch Anwendung regellogischer Methoden (Vll.) vermieden. Der Prädikatenkalkül der ersten Stufe mit Identität und Kennzeichnungsterme wird oft auch (in bezug auf die moderne Logik) als „elementare Logik" bezeichnet. Grundsätzlich gibt es nun zwei gleichberechtigte Erweiterungen: Es wird nach dem Vorbild der Principia Mathematica die Klassen- und Relationslogik aufgebaut oder im Anschluß an D. H i l b e r t der Stufenkalkül. Abschließend noch einige Bemerkungen zur Klassen- und Relationslogik. Der Klassenkalkül im engeren Sinne des Wortes ist ein Kalkül, in dem nur Klassen zugelassen sind, deren Elemente Individuen sind. Dieser Kalkül ist mit dem einstelligen Prädikatenkalkül der ersten Stufe isomorph. Das ergibt sich aus der Tatsache, daß man — unter gewissen Einschränkungen (XI.) — zu jeder Eigenschaft eine Klasse von Objekten, die diese Eigenschaft haben, konstruieren kann, bzw. daß man anstatt des prädikatenlogischen Ausdrucks Fx den klassenlogischen Ausdruck xz F setzen kann. Sobald man aber beliebige Klassen voraussetzt, z. B. auch solche, deren Elemente Klassen sind, liegt eine echte Erweiterung der elementaren Logik vor. Dasselbe gilt für die Beziehung des Relationskalküls zum zwei- und mehrstelligen Prädikatenkalkül beliebiger Stufe. Der Relationskalkül, der ursprünglich in den Principia Mathematica (vgl. auch R. C a r n a p [1929]) als eine selbständige logische Theorie auftritt, wird heute als ein Bestandteil des Klassenkalküls aufgefaßt. Diese Auffassung geht auf die von N. W i e n e r [1914] vorgeschlagene Reduktion von Relationen auf Klassen zurück. Diesem Vorschlag gemäß, der eine Vertiefung durch C. K u r a t o w s k i [1921] erfuhr (vgl. noch W. V. 26

Q u i n e [1945a]), sind die Relationen Klassen von geordneten n-Tupeln (n > 2). Es sei noch bemerkt, daß die Diskussion u m die Vorzüge einer Erweiterung der elementaren Logik durch den Stufenkalkül a n s t a t t durch den Klassen- und Relationskalkül historisch eng v e r b u n d e n ist m i t dem Versuch, die Beziehung zwischen Logik u n d Mengenlehre zu klären. m. i G. Frege Function

und Begriff *

I Vor längerer Zeit 1 ) h a t t e ich die Ehre, in dieser Gesellschaft über das (1) Ganze von Bezeichnungen vorzutragen, das ich Begriffsschrift 1 ] genannt habe. Heute möchte ich n u n diese Sache von einer anderen Seite her beleuchten und einige Ergänzungen und neue Fassungen mittheilen, deren Nothwendigkeit sich mir seitdem ergeben h a t . Es k a n n sich dabei nicht u m eine vollständige Darlegung meiner Begriffsschrift, sondern n u r d a r u m handeln, einige Grundgedanken ins Licht zu setzen. Ich gehe von dem aus, was in der Mathematik Function genannt wird. Dieses W o r t h a t nicht gleich anfangs eine so weite Bedeutung gehabt, als es später erlangt h a t . Es wird gut sein, unsere B e t r a c h t u n g bei der ursprünglichen Gebrauchsweise zu beginnen und erst dann die späteren Erweiterungen ins Auge zu fassen. Ich will zunächst nur von Functionen eines einzigen Arguments sprechen. Ein wissenschaftlicher Ausdruck erscheint da zuerst in seiner ausgeprägten Bedeutung, wo m a n seiner zum Aussprechen einer Gesetzmäßigkeit bedarf. Dieser Fall t r a t f ü r die | Function ein bei der E n t - (2) deckung der höheren Analysis. Da zuerst handelte es sich d a r u m , Gesetze aufzustellen, die von Functionen im Allgemeinen gelten. In die Zeit der E n t d e c k u n g der höheren Analysis ist also zurückzugehen, wenn m a n wissen will, was zuerst in der Mathematik unter dem W o r t e „ F u n c t i o n " verstanden wurde. Auf diese Frage erhält m a n wohl als A n t w o r t : „ u n t e r einer Function von x wurde verstanden ein Rechnungsausdruck, der x enthält, eine Formel, die den Buchstaben x einschliesst." D a n a c h würde z. B. der Ausdruck 2-aP + x eine Function von x 2 • 2» + 2 eine Function von 2 sein. Diese Antwort k a n n nicht befriedigen, weil dabei F o r m und Inhalt, Zeichen u n d Bezeichnetes nicht unterschieden werden, ein Fehler, dem m a n freilich j e t z t in mathematischen Schriften, selbst von n a m h a f t e n Verfassern, sehr oft begegnet. Ich h a b e schon früher 2 ) auf die Mängel der gangbaren formalen Theorien in der Arithmetik hingewiesen. Man spricht da von Zeichen, die keinen Inhalt haben, noch haben sollen,

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legt ihnen dann aber doch Eigenschaften bei, die nur einem Inhalte des Zeichens vernünftigerweise zukommen können. So auch hier: ein blosser (3) Ausdruck, die Form für einen Inhalt kann | das Wesen der Sache nicht sein, sondern nur der Inhalt selbst. Was ist nun der Inhalt, die Bedeutung von „2 • 2 3 + 2 " ? Dieselbe wie von „ 1 8 " oder von „ 3 - 6 " . In der Gleichung 2 • 2 3 + 2 = 18 wird ausgedrückt, daß die Bedeutung der rechtsstehenden Zeichenverbindung dieselbe sei wie die der linksstehenden. Ichmuss hier der Ansicht entgegentreten, dass z. B. 2 + 5 und 3 + 4 zwar gleich, aber nicht dasselbe seien. Es liegt dieser Meinung wieder jene Verwechselung von Form und Inhalt, von Zeichen und Bezeichnetem zu Grunde. Es ist ebenso, als ob man das wohlriechende Veilchen als verschieden von Viola odorata ansehen wollte, weil die Namen verschieden klingen. Die Verschiedenheit der Bezeichnung kann allein nicht hinreichen, eine Verschiedenheit des Bezeichneten zu begründen. Hier ist die Sache nur dadurch weniger durchsichtig, dass die Bedeutung des Zahlzeichens 7 nichts sinnlich Wahrnehmbares ist. Die jetzt sehr verbreitete Neigung, nichts als Gegenstand anzuerkennen, was nicht mit den Sinnen wahrgenommen werden kann, verleitet dann dazu, die Zahlzeichen selbst für die Zahlen, für die eigentlichen Gegenstände der Betrachtung zu halten 3 ); und dann wären ja freilich 7 und 2 + 5 verschieden. Aber eine solche Auffassung ist nicht zu halten, weil man (4) gar nicht | von irgendwelchen arithmetischen Eigenschaften der Zahlen sprechen kann, ohne auf die Bedeutung der Zahlzeichen zurückzugehen. Die Eigenschaft der 1 z. B., mit sich selbst multiplicirt sich selbst.wieder zu ergeben, wäre eine reine Erdichtung; keine noch so weit getriebene mikroskopische oder chemische Untersuchung könnte jemals diese Eigenschaft an dem unschuldigen Gebilde entdecken, das wir Zahlenzeichen Eins nennen. Man spricht vielleicht von einer Definition; aber keine Definition ist in der Weise schöpferisch, dass sie einem Dinge Eigenschaften verleihen könnte 2 ], die es nun einmal nicht hat, ausser der einen, das auszudrücken und zu bezeichnen, wofür die Definition es als Zeichen einführt 4 ). Dagegen haben die Gebilde, die wir Zahlzeichen nennen, physikalische und chemische Eigenschaften, die von dem Schreibmittel abhängen. Man könnte sich denken, daß einmal ganz neue Zahlzeichen eingeführt würden, wie die arabischen z. B. die römischen verdrängt haben. Niemand wird im Ernste annehmen, dass man dadurch ganz neue Zahlen bekäme, ganz neue Gegenstände der Arithmetik mit bisher noch unerforschten Eigenschaften. Wenn man also von den Zahlzeichen ihre Bedeutung unterscheiden muss, so wird (5) man auch den Ausdrücken „ 2 " , „ 1 + 1", ,,3 — 1", „ 6 : 3 " dieselbe | Bedeutung zuerkennen müssen; denn es ist gar nicht abzusehen, worin der Unterschied bestehen sollte. Man sagt vielleicht: 1 + 1 ist eine Summe, aber 6 : 3 ein Quotient. Was ist aber 6:3? die Zahl, welche mit 3 multiplicirt 6 ergiebt. „ D i e Z a h l " , nicht „eine Zahl" heißt es; mit dem bestimmten Artikel deutet man an, dass es nur eine einzige giebt. Nun ist (1 + 1) + (1 + 1) + (1 + 1) = 6, 28

und also ist (1 + 1) eben die Zahl, welche als (6:3) bezeichnet wurde. Die verschiedenen Ausdrücke entsprechen verschiedenen Auffassungen und Seiten, aber doch immer derselben Sache. Die Gleichung a:2 = 4 würde sonst nicht nur die beiden Wurzeln 2 und —2, sondern auch (1 + 1) und unzählige andere erhalten, die von einander verschieden, wenn auch in gewisser Hinsicht einander ähnlich wären. Indem man nur zwei reelle Wurzeln anerkennt, verwirft man die Ansicht, das Gleichheitszeichen bedeute kein völliges Zusammenfallen, sondern nur eine teilweise Uebereinstimmung. Halten wir daran fest, so sehen wir, dass die Ausdrücke „2 • 1» + 1 " , „2 • 2" + 2 " , „2 • 4" + 4 " Zahlen bedeuten, nämlich 3, 18, 132. Wenn nun die Function wirklich nur Bedeutung eines Rechnungsausdrucks wäre, so wäre sie eben eine Zahl; und etwas Neues hätten wir damit für die Arithmetik nicht gewonnen. Nun pflegt man freilich bei dem Worte „Function" an Ausdrücke zu denken, | in denen eine Zahl durch den Buchstaben x nur unbestimmt angedeutet (6) ist, wie etwa „2 • x3

x ;

aber damit ist nichts geändert; denn dieser Ausdruck deutet dann eine Zahl auch nur unbestimmt an; und ob ich ihn hinschreibe, oder nur ,,x", macht keinen wesentlichen Unterschied. Dennoch werden wir eben durch die Schreibung mit dem unbestimmt andeutenden „ x " auf die richtige Fassung hingeleitet. Man nennt x das Argument der Function und erkennt in „2 • 1» + 1 " , „2 • 4® + 4 " , „2 • 5 3 + 5 " dieselbe Function wieder, nur mit verschiedenen Argumenten, nämlich 1, 4 und 5. Daraus ist zu ersehen, dass in dem Gemeinsamen jener Ausdrücke das eigentliche Wesen der Function liegt; d. h. also in dein, was in „2 • z 3 +

x"

noch ausser dem „a;" vorhanden ist, was wir etwa so schreiben könnten „2 • 0 8 + ()". Es kommt mir darauf an, zu zeigen, dass das Argument nicht mit zur Function gehört, sondern mit der Function zusammen ein vollständiges Ganzes bildet; denn die Function für sich allein ist unvollständig, ergän29

zungsbedürftig oder ungesättigt zu nennen. Und dadurch unterscheiden sich die Functionen von den Zahlen von Grund aus. Und aus diesem Wesen der Function erklärt es sich, | dass wir einerseits in „2 • l 3 + 1 " und „2 • 2 3 + 2 " dieselbe Function erkennen, obwohl diese Ausdrücke verschiedene Zahlen bedeuten, während wir andererseits in ,,2 • l 8 + 1 " und „4 — 1 " trotz des gleichen Zahlenwerthes nicht dieselbe Function wiederfinden. Wir sehen nun auch, wie man leicht dazu verführt wird, gerade in der Form des Ausdrucks das Wesentliche der Function zu sehen. In dem Ausdrucke erkennen wir die Function dadurch, dass wir ihn zerlegt denken; und eine solche mögliche Zerlegung wird durch seine Bildung nahe gelegt. Die beiden Theile, in welche der Rechnungsausdruck so zerlegt wird, das Zeichen des Arguments und der Ausdruck der Function sind ungleichartig, da j a das Argument eine Zahl, ein in sich abgeschlossenes Ganzes ist, was die Function nicht ist. Man kann dies vergleichen mit der Theilung einer Strecke durch einen Punkt. Man ist dann geneigt, den Theilungspunkt zu beiden Theilstrecken zu rechnen. Wenn man aber die Theilung rein vornehmen will, nämlich so, dass nichts doppelt gerechnet wird und nichts ausfällt, so darf man den Theilpunkt nur zu der einen Theilstrecke rechnen. Diese wird dadurch völlig in sich abgeschlossen und ist dem Argumente zu vergleichen, während der anderen etwas fehlt. Der Theilpunkt nämlich, den man ihren Endpunkt nennen könnte, gehört nicht zu ihr. Erst dadurch, dass man sie durch diesen Endpunkt oder eine Strecke mit zwei Endpunkten ergänzt, erhält man aus ihr etwas Vollständiges. Wenn ich nun z. B . sage „die Function 2 • ¿c3 + so ist x nicht als | zur Function gehörig zu betrachten, sondern dieser Buchstabe dient nur dazu, die Art der Ergänzungsbedürftigkeit anzudeuten, indem er die Stellen kenntlich macht, wo das Zeichen des Arguments einzutreten hat. Wir nennen nun das, wozu die Function durch ihr Argument ergänzt wird, den Werth der Function für dies Argument. So ist z. B. 3 der Werth der Function 2 • x2 + x für das Argument 1, weil wir haben 2 • l 2 -f- 1 = 3. Es giebt Functionen wie z. B. 2 + x — x oder 2 + 0 • x, deren Werth immer derselbe ist, was auch ihr Argument sei; wir haben 2 = 2 -f- x — x und 2 = 2 -f- 0 • x. Wenn man nun das Argument mit zur Function rechnete, so würde man die Zahl 2 für diese Function halten. Aber dies ist unrichtig. Obwohl hier der Werth der Function immer 2 ist, so ist die Function selbst doch von 2 zu unterscheiden; denn der Ausdruck einer Function muß immer eine oder mehrere Stellen aufweisen, welche zur Ausfüllung durch das Zeichen des Arguments bestimmt sind. Die Methode der analytischen Geometrie bietet nun ein Mittel, uns die Werthe einer Function für verschiedene Argumente anschaulich zu machen. Indem wir nämlich das Argument als Zahlenwerth einer Abscisse und den zugehörigen Werth der Function als Zahlenwerth der Ordinate eines Punktes betrachten, erhalten wir eine Gesamtheit von Punkten, die sich der Anschauung in den gewöhnlichen Fällen als Curve darstellt. Jeder Curvenpunkt entspricht einem Argumente mit dem zugehörigen Functionswerthe.

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| So giebt z. B.

(9) y = x2 — ix

eine Parabel, wobei „y" den Werth der Function und den Zahlenwerth der Ordinate ebenso andeutet wie „ x " das Argument und den Zahlenwerth der Abscisse. Vergleichen wir hiermit die Function x[x — 4), so finden wir, dass sie allgemein für dasselbe Argument denselben Werth hat wie jene. Wir haben allgemein x2 — ix = x (x — 4), welche Zahl auch für x genommen werde. Daher ist die Curve, die wir aus y = x2 — ix erhalten, dieselbe wie die aus y = x(x — 4) hervorgehende. Ich spreche das so aus: die Functionx(x — 4) hat denselben Werthverlauf wie die Function x2 — ix. Wenn wir schreiben x2 — ix = x(x — 4), so haben wir nicht eine Function der anderen, sondern nur die Functionswerthe einander gleich gesetzt. Und wenn wir diese Gleichung so verstehen, dass sie gelten soll, was für ein Argument auch für x eingesetzt werden möge, so haben wir damit die Allgemeinheit einer Gleichung ausgedrückt. Wir können dafür aber auch sagen „der Werthverlauf der Function x (x — 4) ist gleich dem | der Function x2 — ix" und haben darin eine Gleichung (10) zwischen Werthverläufen. Dass es nun möglich ist, die Allgemeinheit einer Gleichung zwischen Functionswerthen als eine Gleichung aufzufassen, nämlich als eine Gleichung zwischen Werthverläufen, ist, wie mir scheint, nicht zu beweisen, sondern muss als logisches Grundgesetz 3 ] angesehen werden 5 ). Es mag nun auch eine kurze Bezeichnungsweise für den Werthverlauf einer Function eingeführt werden. Zu dem Zwecke ersetze ich das Zeichen des Arguments in dem Ausdrucke der Function durch ein griechisches Vokalzeichen, schliesse das Ganze in Klammern ein und schicke ihm denselben griechischen Buchstaben mit einem Spiritus lenis vorher. Danach ist z. B. e(e2 - i e ) der Werthverlauf der Function x2 — ix

und

de (x • (« — 4)) 4 Berka-Kreiser, I.ogili-Texte

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der Werthverlauf der Function x(x — 4), so dass wir in „ e ( e 2 - 4B) = « ( * • ( « - 4))" den Ausdruck dafür haben, dass der erste Werthverlauf derselbe wie der zweite ist. Die griechischen Buchstaben sind absichtlich verschieden gewählt, um anzudeuten, dass nichts dazu nöthigt, denselben zu nehmen. (11)

| „x*— kx = x{x-

4)"

drückt zwar denselben Sinn aus, wenn wir es wie oben verstehen, aber in anderer Weise. Es stellt den Sinn dar als Allgemeinheit einer Gleichung, während der neu eingeführte Ausdruck einfach eine Gleichung ist, deren rechte Seite sowohl wie die linke eine in sich abgeschlossene Bedeutung hat. In „x2 — ix = x(x — 4)" deutet die linke Seite, allein betrachtet, nur unbestimmt eine Zahl an und ebenso die rechte Seite. Wenn wir blos „a;2 — 4 a;" hätten, so könnten wir dafür auch „y2— 4 y " schreiben, ohne den Sinn zu ändern; denn „ y " deutet ebenso wie „x" nur unbestimmt eine Zahl an. Wenn wir aber beide Seiten zu einer Gleichung vereinigen, so müssen wir beiderseits denselben Buchstaben wählen und drücken dadurch etwas aus, was weder die linke Seite für sich, noch die rechte Seite, noch das Gleichheitszeichen enthält, nämlich eben die Allgemeinheit, freilich die Allgemeinheit einer Gleichung, aber doch in erster Linie eine Allgemeinheit. Wie man eine Zahl unbestimmt durch einen Buchstaben andeutet, um Allgemeinheit auszudrücken, hat man auch das Bedürfnis, eine Function unbestimmt durch Buchstaben anzudeuten. Man bedient sich dazu meistens der Buchstaben /und F in der Weise, dass in ,,f{x)" und ,,F(x)" x das Argument vertritt. Hier kommt die Ergänzungsbedürftigkeit der Function (12) dadurch zum Ausdruck, dass der Buchstabe f oder F eine Klammer j mit sich führt, deren Innenraum zur Aufnahme des Argumentzeichens bestimmt ist. Danach deutet den Werthverlauf einer Function an, die unbestimmt gelassen ist. Wie ist nun die Bedeutung des Wortes Function beim Fortschreiten der Wissenschaft erweitert worden? Man kann dabei zwei Richtungen unterscheiden. Erstens nämlich ist der Kreis der Rechnungsarten erweitert worden, die zur Bildung einer Function beitragen. Zu der Addition, Multiplication, Potenzierung und deren Umkehrungen sind die verschiedenen Arten des Grenzüberganges hinzugekommen, ohne dass man allerdings immer ein klares Bewusstsein von dem wesentlich Neuen hatte, das damit aufgenommen werde. Man ist weiter gegangen und sogar genöthigt worden, zu der 32

Wortsprache seine Zuflucht zu nehmen, da die Zeichensprache der Analysis versagte, wenn z. B . von einer Function die Rede war, deren Werth für rationale Argumente 1, für irrationale 0 ist. Zweitens ist der Kreis dessen erweitert worden, was als Argument und Functionswerth auftreten kann, durch Aufnahme der complexen Zahlen. Hiermit mußte zugleich der Sinn der Ausdrücke „ S u m m e " , „ P r o d u c t " u. s. w. weiter bestimmt werden. In beiden Richtungen gehe ich nun weiter. Zunächst nehme ich zu den Zeichen + , —, u. s. w. die zur Bildung eines Functionsausdruckes dienen, | noch hinzu Zeichen wie = , > , < , sodass ich z . B . von der Function x 2 = 1 (13) sprechen kann, wo x wie früher das Argument vertritt. Die erste Frage, die hier auftaucht, ist die nach den Werthen dieser Function für verschiedene Argumente. Setzen wir einmal der Reihe nach für x — 1 , 0 , 1, 2, so erhalten wir ( - l ) 2 = 1, 0 2 = 1, l 2 = 1, 2 2 = 1. Von diesen Gleichungen sind die erste und dritte wahr, die anderen falsch. Ich sage nun: „der Werth unserer Function ist ein Wahrheitsw e r t h " und unterscheide den Wahrheitswerth des Wahren von dem des Falschen. Den einen nenne ich kurz das Wahre, den andern das Falsche. Hiernach bedeutet z. B . „ 2 2 = 4 " das Wahre ebenso, wie etwa „ 2 2 " 4 bedeutet. Und es bedeutet „ 2 2 = 1 " das Falsche. Demnach bedeuten „ 2 2 = 4 " , „ 2 > 1 " , „2« = 4 2 " dasselbe, nämlich das Wahre, sodass wir in (2 2 = 4) = (2 > 1) eine richtige Gleichung haben. E s liegt hier der Einwand nahe, dass „ 2 2 = 4 " und „ 2 > 1 " doch ganz Verschiedenes besagen, ganz verschiedene Gedanken ausdrücken; aber auch „ 2 4 = 4 2 " und „ 4 • 4 = 4 2 " drücken verschiedene Gedanken a u s ; und doch kann man „ 2 4 " durch „ 4 • 4 " ersetzen, weil beide Zeichen dieselbe Bedeutung haben. Folglich haben auch „ 2 4 = 4 2 " und „ 4 • 4 = 4 2 " dieselbe Bedeutung. Man sieht | hieraus, dass die Gleichheit der Bedeutung nicht die (14) Gleichheit des Gedankens zur Folge hat. Wenn wir sagen „der Abendstern ist ein Planet, dessen Umlaufszeit kleiner ist als die der E r d e " , so haben wir einen anderen Gedanken ausgedrückt als in dem Satze „der Morgenstern ist ein Planet, dessen Umlaufszeit kleiner ist als die der E r d e " ; denn, wer nicht weiss, dass der Morgenstern der Abendstern ist, könnte den einen für wahr, den anderen für falsch halten; und doch muss die Bedeutung beider 33 4*

Sätze dieselbe sein, weil nur die Wörter „Abendstern" und „Morgenstern" mit einander vertauscht sind, welche dieselbe Bedeutung haben, d. h. Eigennamen desselben Himmelskörper sind. Man muss Sinn und Bedeutung unterscheiden. 4 ] „ 2 4 " und „4 • 4 " haben zwar dieselbe Bedeutung; d. h. sie sind Eigennamen derselben Zahl; aber sie haben nicht denselben Sinn; und daher haben „2 4 = 4 2 " und „4 • 4 = 4 2 " zwar dieselbe Bedeutung, aber nicht denselben Sinn; d. h. in diesem Falle: sie enthalten nicht denselben Gedanken 6 ). Mit demselben Rechte also, wie wir schreiben „2 4 =

4-4"

können wir auch schreiben und

„(2 4 = 4 2 ) = (4 • 4 = 4«)" „(2* = 4) = (2 >

1)".

| Ferner könnte gefragt werden, zu welchem Zwecke denn die Zeichen = , > , < in den Kreis derer aufgenommen werden, die einen Functionsausdruck bilden helfen. Es scheint jetzt die Meinung immer mehr Anhänger zu gewinnen, dass die Arithmetik weiter entwickelte Logik ist, dass eine strengere Begründung der arithmetischen Gesetze auf rein logische und nur auf solche zurückführt. 5 ] Auch ich bin dieser Meinung und gründe darauf die Forderung, dass die arithmetische Zeichensprache zu einer logischen erweitert werden muss. Wie dies in unserem Falle geschieht, wird nun anzudeuten sein. Wir sahen, dass der Werth unserer Function x 2 = 1 immer einer der beiden Wahrheitswerthe ist. Wenn nun für ein bestimmtes Argument, z. B . — 1, der Functionswerth das Wahre ist, so können wir das so ausdrücken: „die Zahl —1 hat die Eigenschaft, dass ihr Quadrat 1 ist", oder kürzer: „—1 ist eine Quadratwurzel aus 1 " , oder ,,—1 fällt unter den Begriff der Quadratwurzel aus 1". Wenn der Werth der Function x z = 1 für ein Argument, z. B. 2, das Falsche ist, so werden wir das so ausdrücken können: „2 ist nicht Quadratwurzel aus 1 " oder „2 fällt nicht unter den Begriff Quadratwurzel aus 1". Wir sehen daraus, wie eng das, was in der Logik Begriff genannt wird, zusammenhängt mit dem, was wir Function nennen. J a , man wird geradezu sagen können: ein Begriff ist eine Function, deren Werth immer ein Wahrheitswerth ist. Auch der Werth der Function (s+l)2 =

2(s+i)

| ist immer ein Wahrheitswerth. Wir erhalten das Wahre z. B . für das Argument —1 und werden dies auch so aussprechen können: —1 ist eine Zahl, die um 1 kleiner ist als eine Zahl, deren Quadrat ihrem Zweifachen gleich ist. Hiermit ist das Fallen der Zahl —1 unter einen Begriff ausgedrückt.

34

Nun haben die Functionen x 2 = 1 und ( x + l) 2 = 2 { x + 1) für dasselbe Argument immer denselben Werth, nämlich für —1 und + 1 das Wahre, für alle anderen Argumente das Falsche. Nach dem früher Festgestellten werden wir also sagen, dass diese Functionen denselben Werthverlauf haben, und dies so in Zeichen ausdrücken: ¿(e» = 1) = ¿ ( ( « + l) 2 = 2(« + 1)). In der Logik nennt man dies Gleichheit des Umfanges der Begriffe. Wir können demnach als Begriffsumfang den Werthverlauf einer Function bezeichnen, deren Werth für jedes Argument ein Wahrheitswerth ist. Wir werden bei den Gleichungen und Ungleichungen nicht stehen bleiben. Die sprachliche Form der Gleichungen ist ein Behauptungssatz. Ein solcher enthält als Sinn einen Gedanken — oder macht wenigstens Anspruch darauf, einen zu enthalten —; und dieser Gedanke ist im Allgemeinen wahr oder falsch; d. h. er hat im Allgemeinen einen Wahrheitswerth, der ebenso als Bedeutung des Satzes aufzufassen ist, wie etwa die Zahl 4 die Bedeutung des Ausdruckes „2 + 2 " ist, oder wie London die Bedeutung des Ausdruckes „Englands Hauptstadt" ist. I Behauptungssätze im Allgemeinen kann man ebenso wie Gleichungen (17) oder Ungleichungen oder analytische Ausdrücke zerlegt denken in zwei Theile, von denen der eine in sich abgeschlossen, der andere ergänzungsbedürftig, ungesättigt ist. So kann man z. B. den Satz „Caesar eroberte Gallien" zerlegen in „Caesar" und „eroberte Gallien". Der zweite Theil ist ungesättigt, führt eine leere Stelle mit sich, und erst dadurch, dass diese Stelle von einem Eigennamen ausgefüllt wird oder von einem Ausdrucke, der einen Eigennamen vertritt, kommt ein abgeschlossener Sinn zum Vorschein. Ich nenne auch hier die Bedeutung dieses ungesättigten Theiles Function. In diesem Falle ist das Argument Caesar. Wir sehen, dass hier zugleich eine Erweiterung in der anderen Richtung vorgenommen ist, nämlich hinsichtlich dessen, was als Argument auftreten kann. Es sind nicht mehr blos Zahlen zuzulassen, sondern Gegenstände überhaupt, wobei ich allerdings auch Personen zu den Gegenständen rechnen muss. Als mögliche Functionswerthe sind schon vorhin die beiden Wahrheitswerthe eingeführt. Wir müssen weiter gehen und Gegenstände ohne Beschränkung als Functionswerthe zulassen. Um hierfür ein Beispiel zu haben, gehen wir etwa aus von dem Ausdrucke „die Hauptstadt des deutschen Reichs". Dieser vertritt offenbar einen Eigennamen und bedeutet einen Gegenstand. 35

Zerlegen wir ihn nun in die Theile (18)

| „die Hauptstadt des" und „deutsches Reich", wobei ich die Form des Genitivs zum ersten Theile rechne, so ist dieser ungesättigt, während der andere in sich abgeschlossen ist. Ich nenne also dem Früheren gemäss „die Hauptstadt des x" Ausdruck einer Function. Nehmen wir als ihr Argument das deutsche Reich, so erhalten wir als Functionswerth Berlin. Wenn wir so Gegenstände ohne Einschränkung als Argumente und als Functionswerthe zugelassen haben, so fragt es sich nun, was hier Gegenstand genannt wird. Eine schulgemässe Definition halte ich für unmöglich, weil wir hier etwas haben, was wegen seiner Einfachheit eine logische Zerlegung nicht zulässt. Es ist nur möglich, auf das hinzudeuten, was gemeint ist. Hier kann nur kurz gesagt werden: Gegenstand ist alles, was nicht Function ist, dessen Ausdruck also keine leere Stelle mit sich führt. Ein Behauptungssatz enthält keine leere Stelle und darum ist seine Bedeutung als Gegenstand anzusehen. Diese Bedeutung aber ist ein Wahrheitswerth. Also sind die beiden Wahrheitswerthe Gegenstände. 6 ] Wir haben vorhin Gleichungen zwischen Werthverläufen aufgestellt, z. B . ,,e(e 2 -

4«) = « ( « ( * -

4))".

Wir können dies zerlegen in , , e ( e 2 — 4 e ) " und „() = < * ( « ( « — 4))". Dieser letzte Theil ist ergänzungsbedürftig, indem er links vom Gleich(19) heitszeichen eine leere | Stelle mit sich führt. Der erste Theil ,,e(« 2 — 4 e ) " ist völlig in sich abgeschlossen, bedeutet also einen Gegenstand. Werthverläufe von Functionen sind Gegenstände, während Functionen selbst es nicht sind. Wir hatten ¿(e2 = 1) Werthverlauf genannt, konnten es aber auch bezeichnen als Umfang des Begriffes Quadratwurzel aus 1. Auch Begriffsumfänge sind also Gegenstände, obwohl die Begriffe selbst es nicht sind. Nachdem wir so den Umkreis dessen, was als Argument genommen werden darf, erweitert haben, müssen genauere Festsetzungen über die Bedeutungen der schon gebräuchlichen Zeichen getroffen werden. Solange man von den Gegenständen nur die ganzen Zahlen in der Arithmetik betrachtet, deuten die Buchstaben a und b in ,,a + b" nur ganze Zahlen an, braucht das Pluszeichen nur zwischen ganzen Zahlen erklärt werden. Jede Erweiterung des Umkreises der Gegenstände, die durch „ a " und ,,b" angedeutet werden, nöthigt zu einer neuen Erklärung des Pluszeichens. Vorkehrungen zu treffen, dass nie ein Ausdruck bedeutungslos werden könne, dass man nie, ohne es zu merken, mit leeren Zeichen rechne in der Meinung, mit Gegenständen zu thun zu haben, erscheint als Gebot der wissenschaftlichen Strenge. Man hat früher mit divergenten unendlichen Reihen üble Erfahrungen gemacht. 36

Es ist also nöthig, Festsetzungen zu machen, aus denen hervorgeht, was z. B. „0 +

1"

bedeutet, wenn , , © " die Sonne bedeuten soll. Wie diese Festsetzungen geschehen, ist verhältnissmässig | gleichgültig; wesentlich ist aber, dass sie gemacht werden, dass „a + b" immer eine Bedeutung erhalte, welche Zeichen bestimmter Gegenstände auch für ,,a" und ,,b" eingesetzt werden mögen. Für die Begriffe haben wir hierin die Forderung, dass sie für jedes Argument einen Wahrheitswerth als Werthhaben,dass für jeden Gegenstand bestimmt sei, ob er unter den Begriff falle oder nicht; mit anderen Worten: wir haben für Begriffe die Forderung ihrer scharfen Begrenzung, ohne deren Erfüllung es unmöglich wäre, logische Gesetze von ihnen aufzustellen. Für jedes Argument x, für das „x + 1 " bedeutungslos wäre, hätte auch die Function x 1 = 10 keinen Werth, also auch keinen Wahrheitswerth, sodass der Begriff, was um 1 vermehrt 10 ergiebt, keine scharfen Grenzen hätte. Die Forderung der scharfen Begrenzung der Begriffe zieht also die für die Functionen im Allgemeinen nach sich, dass sie für jedes Argument einen Werth haben müssen. Wir haben die Wahrheitswerthe bisher nur als Functionswerthe, nicht als Argumente betrachtet. Nach dem eben Gesagten muss eine Function auch dann einen Werth erhalten, wenn als Argument ein Wahrheitswerth genommen wird; aber eine Festsetzung zu dem Zwecke mag bei den schon üblichen Zeichen meist nur geschehen, damit dies geschehe, ohne dass dabei sehr in Betracht kommt, was bestimmt wird. Es mögen nun aber einige Functionen betrachtet werden, an denen uns grade dann gelegen ist, wenn ihr Argument ein Wahrheitswerth ist. | Ich führe als solche ein x,

indem ich festsetze, dass der Werth dieser Function das Wahre sein soll, wenn als Argument das Wahre genommen wird, dass hingegen in allen anderen Fällen der Werth dieser Function das Falsche ist; also sowohl dann, wenn das Argument das Falsche ist, als auch dann, wenn es kein Wahrheitswerth ist. Danach ist z. B. 1 +

3=4

das Wahre, während sowohl 1 + 3 = 5 als auch 4 37

das Falsche ist. Diese Function hat also als Werth das Argument selbst, wenn dieses ein Wahrheitswert ist. Ich habe diesen wagerechten Strich früher Inhaltsstrich genannt, ein Name, der nun nicht mehr passend scheint.'] Ich will ihn jetzt einfach den Wagerechten nennen. Wenn man eine Gleichung oder Ungleichung hinschreibt, z. B. 5 > 4 , so will man gewöhnlich damit zugleich ein Urtheil ausdrücken; man will in unserem Falle behaupten, 5 sei grösser als 4. Nach der von mir hier dargelegten Auffassung h a t man in ,,5 > 4" oder „ 1 + 3 = 5 " nur Ausdrücke von Wahrheitswerthen, ohne dass damit etwas behauptet werden soll. Diese Trennung des Urtheilens von dem, worüber geurtheilt wird, erscheint unumgänglich, weil sonst eine blosse Annahme, das Setzen eines (22) Falles, ohne gleich über | sein Eintreten zu urtheilen, nicht ausdrückbar wäre. Wir bedürfen also eines besonderen Zeichens, um etwas behaupten zu können. Ich bediene mich hierzu eines senkrechten Striches am linken Ende des Wagerechten, sodass wir z. B. mit „|

2 + 3 = 5"

behaupten: 2 + 3 ist gleich 5. Es wird also nicht blos wie in „2 + 3 = 5" ein Wahrheitswerth hingeschrieben, sondern zugleich auch gesagt, dass er das Wahre sei 7 ). Die nächst einfache Function mag die sein, deren Werth gerade für die Argumente das Falsche ist, für welche der Werth von x das Wahre ist, und deren Werth umgekehrt für die Argumente das Wahre ist, für welche der Werth von —— x das Falsche ist. Ich bezeichne sie so - r -

X,

wobei ich den kleinen senkrechten Strich Verneinungsstrich nenne. Ich fasse diese Function auf als eine Function mit dem Argumente x: (-,-*)=(-,-(

x)),

indem ich die beiden wagerechten Striche verschmolzen denke. Es ist aber auch (

(-r-*)) = (-r-*),

(23) weil der Werth von —i— x immer ein Wahrheitswert ist. Ich fasse also in ,,—r- x" die beiden Strichtheile rechts und links vom Verneinungsstriche als Wagerechte auf in dem vorhin erklärten besonderen Sinne des Wortes. Es bedeutet demnach z. B.

38

das Wahre, und wir können den Urtheilsstrich anbringen: I - 1 - 2 2 = 5; | und damit behaupten wir, dass 2 2 = 5 nicht das Wahre ist, oder dass 2 2 nicht 5 ist. Es ist aber auch —i— 2 das Wahre, weil

2 das Falsche ist:

d. h. 2 ist nicht das Wahre. Wie ich die Allgemeinheit darstelle, wird an einem Beispiel am besten zu erkennen sein. Es solle ausgedrückt werden, dass jeder Gegenstand sich selbst gleich ist. Wir haben in x = x eine Function, deren Argument durch „ x " angedeutet ist. Es soll nun gesagt werden, dass der Werth dieser Function immer das Wahre ist, was man auch als Argument nehmen möge. Ich verstehe nun unter

das Wahre, wenn die Function f (x) als Werth immer das Wahre hat, was auch ihr Argument sein möge; in allen anderen Fällen soll | „ — • f W

(24)

das Falsche bedeuten. Für unsere Function x = x haben wir nun den ersten Fall. Es ist also a ——— a = a das Wahre; und wir schreiben dies so: |——— a = a. •

a

Die wagerechten Striche rechts und links von der Höhlung sind als Wagerechte in unserem Sinne aufzufassen. Statt ,,a" könnte irgend ein anderer deutscher Buchstabe gewählt werden mit Ausnahme derjenigen, die wie f, fjf als Functionsbuchstaben dienen sollen. Diese Bezeichnungsart gewährt die Möglichkeit, die Allgemeinheit zu verneinen wie in

39

Es ist nämlich — i — a 2 = 1 das Falsche, weil nicht für jedes Argument der Wert der Function x2 = 1 das Wahre ist. Wir erhalten nämlich z . B . für das Argument 2 • 2 a = 1; das ist das Falsche. Ist nun — —

d2 = 1 das

Falsche, so ist — , — — a 2 = 1 das Wahre nach dem, was über den Verneinungsstrich oben festgestellt ist. Wir haben also

d. h. „nicht jeder Gegenstand ist Quadratwurzel aus 1 " , oder „es giebt Gegenstände, die nicht Quadratwurzeln aus 1 sind". (25) Kann man auch ausdrücken, dass es Quadratwurzeln | aus 1 gebe? Gewiss! man braucht nur statt der Function x2 = 1 die Function —1— x2 = 1 zu nehmen. Aus ,

a2 =

l"

entsteht durch Verschmelzung der Wagerechten a

• a2 = 1".

Dies bedeutet das Falsche, weil nicht jedes Argument der Werth der Function —r— x2 = 1 das Wahre ist. Es ist z. B . -n-i2 = l

das Falsche, weil l 2 = 1 das Wahre ist. Da nun also

das Falsche ist, so ist das Wahre:

d. h. „nicht für jedes Argument wird der Werth der Function -r-

x2 = l

das Wahre", oder „nicht für jedes Argument wird der Werth der Function x2 = 1 das Falsche", oder „es giebt mindestens eine Quadratwurzel aus 1 " .

40

Es mögen hier noch einige Beispiele in Zeichen und Worten folgen: h



o

> 0

es giebt mindestens eine positive Zahl; 1

t - r - o< 0

(26)

es giebt mindestens eine negative Zahl; a 3 - 3a 2 + 2a = 0 es giebt mindestens eine Wurzel der Gleichung x3 — 3x9 + 2x = 0 . Hieraus ist zu sehen, wie die wichtigen Existentialsätze auszudrücken sind. Deuten wir einen Begriff unbestimmt mit dem Functionsbuchstaben f an, so haben wir in ^

r- f{o)

die Form, in der die letzten Beispiele, abgesehen vom Urtheilsstriche, enthalten sind. Die Ausdrücke . t — T -

(X2 =

1 " ,

, , - r - t - ^ -

a

> 0 " ,

,

,

-

r

-

t



r

2 " weiter in derselben Weise zerlegen in „ 2 " und ,r» > y"> wo nun „y" die leere Stelle kenntlich macht, welche vorher durch ,,2" ausgefüllt war. Wir haben in x>y eine Function mit zwei Argumenten, deren eines durch ,,x", deren anderes durch „y" angedeutet ist, und in 3> 2 (28) haben wir den Werth dieser Function für die Argumente | 3 und 2. Wir haben hier eine Function, deren Werth stets ein Wahrheitswerth ist. Solche Functionen mit einem Argumente haben wir Begriffe genannt; solche mit zwei Argumenten nennen wir Beziehungen. Beziehungen haben wir z. B. auch in x* + y* = 9 und in x* +

y*>9,

während die Function als Werthe Zahlen hat. Wir werden sie also nicht Beziehung nennen. Es mag hier eine nicht der Arithmetik eigenthümliche Function angeführt werden. Der Werth der Function

sei dann das Falsche, wenn als y-Argument das Wahre und zugleich als xArgument ein Gegenstand genommen wird, der nicht das Wahre ist; in allen anderen Fällen sei der Werth dieser Function das Wahre. Der untere wagerechte Strich und die beiden Theile, in die der obere durch den senkrechten zerlegt wird, sind als Wagerechte aufzufassen. Demzufolge kann 42

man als Argumente unserer Function immer x und y ansehen, d. h. Wahrheitswerthe. Wir unterschieden unter den Functionen mit einem Argumente solche erster und zweiter Stufe. Hier ist eine grössere Mannigfaltigkeit möglich. Eine Function mit zwei Argumenten kann in Beziehung | auf diese von derselben oder von verschiedenen Stufen sein: gleichstufige, ungleichstufige Functionen. Die bisher betrachteten waren gleichstufige. Eine ungleichstufige Function ist z. B . der Differentialquotient, wenn als Argument genommen werden die zu differenzirende Function und das Argument, für welches differenzirt wird, oder das bestimmte Integral, sofern als Argumente die zu integrirende Function und die obere Grenze genommen werden. Die gleichstufigen Functionen können wieder in solche erster und zweiter Stufe eingetheilt werden. Eine solche zweiter Stufe ist z. B . H /"(I)), wo „ F " und „f" die Argumente andeuten. Man muss bei den Functionen zweiter Stufe mit einem Argumente unterscheiden, je nachdem als dies Argument eine Function mit einem oder eine solche mit zwei Argumenten erscheinen kann; denn eine Function mit einem Argumente ist so wesentlich verschieden von einer solchen mit zwei Argumenten, dass die eine nicht an eben der Stelle als Argument auftreten kann, wo die andere es kann. Einige Functionen zweiter Stufe mit einem Argumente verlangen als solches eine Function mit einem Argumente, andere verlangen eine Function mit zwei Argumenten, und diese beiden Klassen sind scharf geschieden. e

b

a

n

. •b = a f (e, a) fit, b)

| ist ein Beispiel einer Function zweiter Stufe mit einem Argumente, die als solches eine Function mit zwei Argumenten verlangt. Der Buchstabe f deutet hierbei das Argument an, und die beiden durch das Komma getrennten Stellen in der auf ,,/"" folgenden Klammer machen bemerklich, dass f eine Function mit zwei Argumenten vertritt. Bei den Functionen mit zwei Argumenten wird die Mannigfaltigkeit noch größer. Wenn wir von hier auf die Entwicklung der Arithmetik zurückblicken, erkennen wir ein stufenweises Aufsteigen. Zuerst rechnete man mit einzelnen Zahlen, mit der 1, der 3 usw. 2 + 3=5,

2-3 = 6

sind Lehrsätze dieser Art. Man schritt dann zu allgemeineren Gesetzen

43

fort, die von allen Zahlen gelten. In der Bezeichnung entspricht dem der Uebergang zur Buchstabenrechnung. In (a-\-b)-c

= a-

b-\-b-c

haben wir einen Lehrsatz dieser Art. Damit war man bei der Betrachtung einzelner Functionen angelangt, ohne noch das Wort im mathematischen Sinne zu gebrauchen und seine Bedeutung erfasst zu haben. Die nächst höhere Stufe war die Erkenntniss allgemeiner Gesetze von Functionen und damit die Prägung des Kunstausdruckes „Function". In der Bezeichnung entspricht dem die Einführung von Buchstaben wie f , F zur unbestimmten Andeutung von Functionen. In

m-n*) =F{x).im + m dx

dx

dx

(31) haben wir einen Lehrsatz dieser Art. Damit hatte | man nun einzelne Functionen zweiter Stufe, ohne jedoch das zu erfassen, was wir Function zweiter Stufe genannt haben. Indem man dies thut, macht man den nächsten Fortschritt. Man könnte denken, dass dies so weiter ginge. Wahrscheinlich ist aber schon dieser letzte Schritt nicht so folgenreich wie die früheren, weil man statt der Functionen zweiter Stufe im weiteren Fortgang Functionen erster Stufe betrachten kann, wie an einem anderen Orte gezeigt werden soll. Damit ist aber der Unterschied zwischen Functionen erster und zweiter Stufe nicht aus der Welt geschafft, weil er nicht willkürlich gemacht, sondern in der Natur der Sache tief begründet ist. Man kann auch statt der Functionen mit zwei Argumenten Functionen eines einzigen, aber komplexen Arguments betrachten, wobei jedoch der Unterschied zwischen den Functionen mit einem und denen mit zwei Argumenten in ganzer Schärfe bestehen bleibt.

* Unveränderter Nachdruck eines Vortrages, gehalten in der Sitzung vom 9. 1. 1891 der Jenaischen Gesellschaft für Medizin und Naturwissenschaft. J e n a 1891. Das Vorwort wurde weggelassen. *) Am 10. Januar 1879 und am 27. Januar 1882. !] Vgl. Begriffsschrift (III. 2.). 2) Die Grundlagen der Arithmetik, Breslau 1884, § 92 u. ff., und Sitzungsberichte der Jenaischen Gesellschaft für Medizin und Naturwissenschaft, Jahrg. 1885, Sitzung vom 17. Juli. 3) Vergleiche die Aufsätze: „Zählen und Messen erkenntnistheoretisch betrachtet" vonH. v. H e l m h o l t z , u n d „ Ü b e r d e n Z a h l e n b e g r i f f " v o n L e o p o l d K r o n e c k e r . (Philosophische Aufsätze. Eduard Zeller zu seinem fünfzigjährigen Doctorjubiläum gewidmet, Leipzig 1887.) 2 ] Die Nichtkreativität einer Definition ist ein Grundpostulat in G. F r e g e s Definitionslehre, wie sie sich aus den über seine Werke verstreuten Ausführungen zur Definition ergibt. Wir zitieren eine charakteristische Bemerkung G. F r e -

44

ges dazu aus dem 1. Band seiner Grundgesetze der Arithmetik (Jena, 1893, S. X I I I ) : „Es kommt darauf an, sich klar zu machen, was Definieren ist und was dadurch erreicht werden kann. Man scheint ihm vielfach eine schöpferische Kraft zuzutrauen, während dabei weiter nichts geschieht, als dass etwas hervorgehoben und mit einem Namen bezeichnet wird. Wie der Geograph kein Meer schafft, wenn er Grenzlinien zieht und sagt: den von diesen Linien begrenzten Theil der Wasserfläche will ich Gelbes Meer nennen, so kann auch der Mathematiker durch sein Definieren nichts eigentlich schaffen. Man kann auch nicht einem Dinge durch blosse Definition eine Eigenschaft anzaubern, die es einmal nicht hat, es sei denn eine, um so zu heissen, wie man es etwa benannt hat. Dass aber ein eirundes Gebilde, das man mit Tinte auf Papier hervorbringt, durch eine Definition die Eigenschaft erhalten sollte, zu Eins addirt, Eins zu ergeben, kann ich nur für einen wissenschaftlichen Aberglauben halten. Ebenso könnte man durch blosse Definition einen faulen Schüler fleissig machen. Unklarheit entsteht hier leicht durch die mangelnde Unterscheidung von Begriff und Gegenstand. Wenn man sagt: „Quadrat ist ein Rechteck, in dem zusammenstossende Seiten gleich sind", so definirt man den Begriff Quadrat, indem man angiebt, welche Eigenschaften etwas haben muss, um unter diesen Begriff zu fallen. Diese Eigenschaften nenne ich Merkmale des Begriffes. Aber, wohl gemerkt, diese Merkmale des Begriffes sind nicht seine Eigenschaften. Der Begriff Quadrat ist nicht ein Rechteck, nur die Gegenstände, die etwa unter diesen Begriff fallen, sind Rechtecke, wie auch der Begriff schwarzes Tuch weder schwarz noch ein Tuch ist. Ob es solche Gegenstände giebt, ist durch die Definition unmittelbar noch nicht bekannt. Nun will man z. B. die Zahl Null definiren, indem man sagt: sie ist etwas, was, zu Eins addirt, Eins ergiebt. Damit hat man einen Begriff definirt, indem man angegeben hat, welche Eigenschaft ein Gegenstand haben muss, um unter den Begriff zu fallen. Aber diese Eigenschaft ist nicht Eigenschaft des definirten Begriffes. Wie es scheint, bildet man sich nun vielfach ein, man habe durch die Definition etwas geschaffen, was zu Eins addirt, Eins ergiebt. Grosse Täuschung! Weder hat der definirte Begriff diese Eigenschaft noch leistet die Definition Gewähr dafür, dass der Begriff erfüllt sei. Das bedarf erst einer Untersuchung. Erst wenn man bewiesen hat, dass es einen Gegenstand und nur einen einzigen von der verlangten Eigenschaft giebt, ist man in der Lage, diesen Gegenstand mit dem Eigennamen „ N U L L " zu belegen. Die Null zu schaffen, ist also unmöglich." 4 ) Es handelt sich dabei immer darum, mit einem Zeichen einen Sinn oder eine Bedeutung zu verbinden. Wo Sinn und Bedeutung ganz fehlen, kann eigentlich weder von einem Zeichen, noch von einer Definition die Rede sein. 3 ] Dieses Grundgesetz wurde von G. F r e g e als 5. Axiom in sein klassenlogisches Axiomensystem aufgenommen, auf das er in Verwirklichung des logizistischen Programmes (vgl. 5]) Arithmetik und Analysis zu begründen versuchte (Grundgesetze der Arithmetik, Bd. I, S. 20). Wie fest G . ; F r e g e von der Möglichkeit einer logischen Fundierung der Mathematik überzeugt war, kann man aus folgenden Bemerkungen im 1. Band seiner Grundgesetze der Arithmetik entnehmen: „Und nur das würde ich als Widerlegung anerkennen können, wenn jemand durch die Tat zeigte, daß auf anderen Grundüberzeugungen ein besseres, haltbareres Gebäude errichtet werden könnte, oder wenn jemand mir nachwiese, daß meine Grundsätze zu offenbar falschen Folgesätzen führten. Aber das wird keinem gelingen" (S. X X V I ) . Der Druck des 2. Bandes seiner Grundgesetze der Arithmetik war noch nicht abgeschlossen, da erhielt G. F r e g e

45

5)

4]

6)

s]

einen vom 16. 6. 1902 datierten Brief von B. R u s s e l l , der ihn zu einem Nachwort zum 2. Band veranlaßte, in dem wir lesen: „Einem wissenschaftlichen Schriftsteller kann kaum etwas Unerwünschteres begegnen, als daß ihm nach Vollendung einer Arbeit eine der Grundlagen seines Baues erschüttert wird. In diese Lage wurde ich durch einen Brief des Herrn Bertrand Russell versetzt, als der Druck dieses Bandes sich seinem Ende näherte" (S. 253). Es handelt sich in diesem Brief darum, daß B. R u s s e l l nachwies, daß sich aus dem Axiomensystem F r e g e s eine Antinomie konstruieren läßt (vgl. Einführung XI). Damit war für G. F r e g e die einzig mögliche rein theoretische Grundlage der Mathematik zerstört, d. h. das logizistische Programm gescheitert. In manchen Wendungen der üblichen mathematischen Ausdrucksweise entspricht wohl das Wort „Function" dem, was ich hier Werth verlauf einer Function genannt habe. Aber Function in dem hier gebrauchten Sinne des Wortes ist das logisch Frühere. Diese Unterscheidung spielt eine zunehmende Rolle im Zusammenhang mit den semantischen Begründungsversuchen der Logik. Vgl. dazu die kritischen Bemerkungen in der Einführung zum X I I . Kapitel. Ich verkenne nicht, dass diese Wendung zunächst willkürlich und künstlich erscheinen mag, und dass eine eingehendere Begründung gefordert werden könnte. Man vgl. meinen nächstens erscheinenden Aufsatz über Sinn und Bedeutung in der Zeitschrift für Philosophie und phil. Kritik 100, [1892], S. 25 bis 50. [G. F r e g e f a ß t hier seine Ausführungen dazu wie folgt zusammen: „Ein Eigenname (Wort, Zeichen, Zeichenverbindung, Ausdruck) drückt aus seinen Sinn, bedeutet oder bezeichnet seine Bedeutung. Wir drücken mit einem Zeichen dessen Sinn aus und bezeichnen mit ihm dessen Bedeutung" (G. F r e g e [1966], S. 46).]. Diese Auffassung bezeichnet man als logizistisch und spricht so von einem logizistischen Programm bzw. vom Logizismus als einer der großen Strömungen in der mathematischen Grundlagenforschung. Die bedeutendsten Vertreter dieses Programms sind G. F r e g e , B. R u s s e l l , A. N. W h i t e h e a d (,,Principia Mathematica"), R. C a r n a p und A. C h u r c h . Das logizistische Programm schließt ein, daß erstens alle Begriffe der Mathematik mit Hilfe logischer Begriffe definierbar sein müssen und zweitens, daß alle Aussagen wenigstens der reinen Mathematik aus logischen Axiomen ableitbar sein müssen. Um diese Konzeption über den definitorischen und deduktiven Aufbau der Mathematik zu rechtfertigen, war in erster Linie eine logische Fassung des Zahlbegriffes erforderlich. G. F r e g e [1884] hat dazu tiefgehende und heute noch fundamentale Untersuchungen durchgeführt. Das Resultat ist kurz gesagt, daß die Zahlen Eigenschaften von Begriffen sind. Diese Auffassung hat später durch B. R u s s e l l [1919] eine extensionale Umdeutung erfahren und fand in folgender Definition der Kardinalzahl ihren Ausdruck: Die Zahl einer Klasse ist die Klasse aller jener Klassen, die mit ihr gleichmächig sind. Für den deduktiven Aufbau der Mathematik hat sich das logizistische Programm als nicht tragfähig erwiesen. Allein schon um die von B. R u s s e l l in F r e g e s Hauptwerk [1893—1903] entdeckte Antinomie zu vermeiden, mußten neben den offensichtlich logischen Axiomen auch das Reduzibilitätsaxiom (XU, Einführung) angenommen werden. Von diesem Axiom kann man jedoch nicht behaupten, daß es ein logisches Axiom ist. Das gleiche gilt vom Unendlichkeits- und Auswahlaxiom, die Existenzannahmen sind. „ R u s s e l l hatte aus diesem Grunde mit Recht Bedenken dagegen, sie als

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Grundsätze der Logik aufzustellen. Denn die Logik hat es ja nur mit den möglichen Formen zu tun und darf nicht darüber Aussagen machen, ob etwas existiert oder nicht. R u s s e l l fand einen Ausweg aus dieser Schwierigkeit. Er überlegte, daß die Mathematik ebenfalls eine rein formale Wissenschaft sei; daher darf auch sie von Existenz nicht im absoluten Sinn, sondern nur bedingungsweise sprechen: wenn Gebilde von der und der Art existieren, dann auch Gebilde von der und der Art, die sich aus jenen logisch ergeben. E r verwandelte deshalb einen mathematischen Satz, etwa S, der das Unendlichkeitsaxiom U oder das Auswahlsaxiom A erfordert, in einen Bedingungssatz; Nicht S, sondern U ID S bzw. A ZD S wird als Behauptung aufgestellt. Dieser Bedingungssatz ist dann aus den Grundsätzen der Logik ableitbar" (R. C a r n a p [1931], S. 95f.). Mit dieser Auffassung der Mathematik als einer formalen deduktiv-hypothetischen Wissenschaft entfernte sich B. R u s s e l l vom logizistischen Programm zumindest in der F r e g e s c h e n Fassung. Denn die Wahrung des Bezugs der Mathematik zur objektiven Realität ist ein besonderes Anliegen des logizistischen Programms, das kritisch der formalistischen Auffassung D. H i l b e r t s gegenübergestellt wird (vgl. R. C a r n a p [1930], S. 309). Das Reduzibilitätsaxiom konnte aufgegeben werden, das Unendlichkeitsaxiom und das Auswahlaxiom aber sind nicht in logische Axiome umwandelbar. Damit scheiterte das logizistische Programm an eigenen, inneren Schwierigkeiten. Bei einem seiner heutigen Vertreter, A. C h u r c h , hat es daher auch eine Abschwächung insofern erfahren, als er zwar die erste These über die Definierbarkeit aller mathematischen Begriffe mit Hilfe logischer Begriffe annimmt, nicht aber die zweite These über die Ableitbarkeit aller mathematischen Aussagen aus logischen Axiomen. ] Die Auffassung der Wahrheitswerte als Gegenstände ist bei G. F r e g e mit der Annahme einer platonistischen Ontologie verbunden. Die Gedanken bilden für ihn ein „drittes Reich" neben dem Reich der Dinge und dem Reich der Vorstellungen (vgl. G. F r e g e [1966], S. 43). Kritisch kommen wir auf diesen philosophischen Standpunkt in der Einführung zum XII. Kapitel zu sprechen. Entsprechend der Bemerkung, das, was „Gegenstand" ist, sei nicht definierbar, spricht G. F r e g e auch von einer Undefinierbarkeit dessen, was „Wahrheit" ist (vgl. [1966], S. 32). Man kann daraus zwar nicht schließen, G. F r e g e sei Vertreter der Kohärenzauffassung der Wahrheit, aber er vertritt damit auf keinen Fall die auf A r i s t o t e l e s zurückgehende und in ihrem materialistischen Gehalt auch von der marxistisch-leninistischen Erkenntnistheorie angenommene These, daß unter „Wahrheit" die Übereinstimmung einer Aussage mit dem von ihr behaupteten Sachverhalt zu verstehen ist. ] Mit „früher" bezieht sich G. F r e g e auf seine Begriffsschrift (DL 2.), in der es dazu heißt: „Der wagerechte Strich, aus dem das Zeichen |—gebildet ist, verbindet die darauf folgenden Zeichen zu einem. Ganzen, und auf dieses Ganze bezieht sich die Bejahung; welche durch den senkrechten Strich am linken Ende des wagerechten ausgedrückt wird. Es möge der wagerechte Strich Inhaltsstrich, der senkrechte Urteilsstrich heißen" (S. 53). Ohne Urteilsstrich stellt der auf den Inhaltsstrich folgende beurteilbare Inhalt eine „blosse Vorstellungsverbindung" dar (ebenda S. 52). ) Der Urteilsstrich kann nicht zur Bildung eines Functionsausdruckes gebraucht werden, weil er nicht mit anderen Zeichen zusammen zur Bezeichnung eines Gegenstandes dient. „|— 2 + 3 = 5" bezeichnet nichts, sondern behauptet etwas. Berka-Kreiser, Logik-Texte

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8

) Vgl. meine Grundlagen der Arithmetik (Breslau 1884) § 53 am Ende, wo ich statt „zweiter Stufe" „zweiter Ordnung" gesagt habe. Der ontologische Beweis für das Dasein Gottes leidet an dem Fehler, daß er die Existenz wie einen Begriff erster Stufe behandelt.

m. 2 G. F r e g e Begriffsschrift, eine der arithmetischen nachgebildete Formelsprache des reinen

Denkens*1]

Vorwort | Das Erkennen einer wissenschaftlichen Wahrheit durchläuft in der Regel mehre Stufen der Sicherheit. Zuerst vielleicht aus einer ungenügenden Zahl von Einzelfällen errathen, wird der allgemeine Satz nach und nach sicherer befestigt, indem er durch Schlussketten mit andern Wahrheiten Verbindung erhält, sei es dass aus ihm Folgerungen abgeleitet werden, die auf andere Weise Bestätigung finden, sei es dass er umgekehrt als Folge schon feststehender Sätze erkannt wird. E s kann daher einerseits nach dem Wege gefragt werden, auf dem ein Satz allmählich errungen wurde, andrerseits nach der Weise, wie er nun schliesslich am festesten zu begründen ist. Erstere Frage muss möglicherweise in Bezug auf verschiedene Menschen verschieden beantwortet werden, letztere ist bestimmter, und ihre Beantwortung hängt mit dem innern Wesen des betrachteten Satzes zusammen. Die festeste Beweisführung ist offenbar die rein logische, welche, von der besondern Beschaffenheit der Dinge absehend, sich allein auf die Gesetze gründet, auf denen alle Erkenntnis beruht. Wir theilen danach alle Wahrheiten, die einer Begründung bedürfen, in zwei Arten, indem der Beweis bei den einen rein logisch vorgehen kann, bei den andern sich auf Erfahrungsthatsachen stützen muss. 2 ] E s ist aber wohl vereinbar, dass ein Satz zu der ersteren Art gehört und doch ohne Sinnesthätigkeit nie in einem menschlichen Geiste zum Bewusstsein kommen könnte. 1 ) Also nicht die psychologische Entstehungsweise, sondern die (IV) vollkommenste Art der Beweisführung liegt | der Eintheilung zu Grunde. Indem ich mir nun die Frage vorlegte, zu welcher dieser beiden Arten die arithmetischen Urtheile gehörten, musste ich zunächst versuchen, wie weit man in der Arithmetik durch Schlüsse allein gelangen könnte, nur gestützt auf die Gesetze des Denkens, die über allen Besonderheiten erhaben sind. Der Gang war hierbei dieser, dass ich zuerst den Begriff der Anordnung in einer Reihe auf die logische Folge zurückzuführen suchte, um von hier aus zum Zahlbegriff fortzuschreiten. Damit sich hierbei nicht unbemerkt etwas

(III)

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Anschauliches eindrängen könnte, musste Alles auf die Lückenlosigkeit der Schlusskette ankommen. Indem ich diese Forderung auf das strengste zu erfüllen trachtete, fand ich ein Hindernis in der Unzulänglichkeit der Sprache, die bei aller entstehenden Schwerfälligkeit des Ausdruckes doch, je verwickelter die Beziehungen wurden, desto weniger die Genauigkeit erreichen liess, welche mein Zweck verlangte. Aus diesem Bedürfnisse ging der Gedanke der vorliegenden Begriffsschrift hervor. Sie soll also zunächst dazu dienen, die Bündigkeit einer Schlusskette auf die sicherste Weise zu prüfen und jede Voraussetzung, die sich unbemerkt einschleichen will, anzuzeigen, damit letztere auf ihren Ursprung untersucht werden könne. Deshalb ist auf den Ausdruck alles dessen verzichtet worden, was für die Schlussfolge ohne Bedeutung ist. Ich habe das, worauf allein es mir ankam, in § 3 als begrifflichen Inhalt bezeichnet. Diese Erklärung muss daher immer im Sinne behalten werden, wenn man das Wesen meiner Formelsprache richtig auffassen will. Hieraus ergab sich auch der Name „Begriffsschrift", Da ich mich fürs erste auf den Ausdruck solcher Beziehungen beschränkt habe, die von der besonderen Beschaffenheit der Dinge unabhängig sind, so konnte ich auch den Ausdruck „Formelsprache des reinen Denkens" gebrauchen.3] Die Nachbildung der arithmetischen Formelsprache, die ich auf dem Titel angedeutet habe, bezieht sich mehr auf die Grundgedanken als die Einzelgestaltung. Jene Bestrebungen, durch Auffassung des Begriffs als Summe seiner Merkmale eine künstliche Aehnlichkeit herzustellen, haben mir dabei durchaus fern gelegen. Am unmittelbarsten berührt sich meine Formelsprache mit der arithmetischen in der Verwendungsweise der Buchstaben. | Das Verhältnis meiner Begriffsschrift zu der Sprache des Lebens (V) glaube ich am deutlichsten machen zu können, wenn ich es mit dem des Mikroskops zum Auge vergleiche. Das Letztere hat durch den Umfang seiner Anwendbarkeit, durch die Beweglichkeit, mit der es sich den verschiedensten Umständen anzuschmiegen weiss, eine grosse Ueberlegenheit vor dem Mikroskop. Als optischer Apparat betrachtet, zeigt es freilich viele Unvollkommenheiten, die nur in Folge seiner innigen Verbindung mit dem geistigen Leben gewöhnlich unbeachtet bleiben. Sobald aber wissenschaftliche Zwecke grosse Anforderungen an die Schärfe der Unterscheidung stellen, zeigt sich das Auge als ungenügend. Das Mikroskop hingegen ist gerade solchen Zwecken auf das vollkommenste angepasst, aber eben dadurch für alle andern unbrauchbar. So ist diese Begriffsschrift ein für bestimmte wissenschaftliche Zwecke ersonnenes Hilfsmittel, das man nicht deshalb verurtheilen darf, weil es für andere nichts taugt. Wenn sie diesen Zwecken einigermassen entspricht, so möge man immerhin neue Wahrheiten in meiner Schrift vermissen. Ich würde mich darüber mit dem Bewusstsein trösten, dass auch eine Weiterbildung der Methode die Wissenschaft fördert. Hält es doch B aco für vorzüglicher ein Mittel zu erfinden, durch welches Alles leicht gefunden werden kann, als Einzelnes zu entdecken, und haben doch alle grossen wissen5*

49

schaftlichen Fortschritte der neueren Zeit ihren Ursprung in einer Verbesserung der Methode gehabt. Auch L e i b n i z hat die Vortheile einer angemessenen Bezeichnungsweise erkannt, vielleicht überschätzt. Sein Gedanke einer allgemeinen Charakteristik, eines calculus philosophicus oder ratiocinator2) war zu riesenhaft, als dass der Versuch ihn zu verwirklichen über die blossen Vorbereitungen hätte hinausgelangen können. Die Begeisterung, welche seinen Urheber bei der Erwägung ergriff, welch' unermessliche Vermehrung der geistigen Kraft der Menschheit aus einer die Sachen selbst treffenden Bezeichnungsweise entspringen würde, liess ihn die Schwierigkeiten zu gering schätzen, die (VI) einem j solchen Unternehmen entgegenstehen. Wenn aber auch dies hohe Ziel mit Einem Anlaufe nicht erreicht werden kann, so braucht man doch an einer langsamen, schrittweisen Annäherung nicht zu verzweifeln. Wenn eine Aufgabe in ihrer vollen Allgemeinheit unlösbar scheint, so beschränke man sie vorläufig; dann wird vielleicht durch allmähliche Erweiterung ihre Bewältigung gelingen. Man kann in den arithmetischen, geometrischen, chemischen Zeichen Verwirklichungen des Leibnizischen Gedankens für einzelne Gebiete sehen. Die hier vorgeschlagene Begriffsschrift fügt diesen ein neues hinzu und zwar das in der Mitte gelegene, welches allen andern benachbart ist. Von hier aus lässt sich daher mit der grössten Aussicht auf Erfolg eine Ausfüllung der Lücken der bestehenden Formelsprachen, eine Verbindung ihrer bisher getrennten Gebiete zu dem Bereiche einer einzigen und eine Ausdehnung auf Gebiete ins Werk setzen, die bisher einer solchen ermangelten. Ich verspreche mir überall da eine erfolgreiche Anwendung meiner Begriffsschrift, wo ein besonderer Werth auf die Bündigkeit der Beweisführung gelegt werden muss, wie bei der Grundlegung der Differential- und Integralrechnung. Noch leichter scheint es mir zu sein, das Gebiet dieser Formelsprache auf Geometrie auszudehnen. Es müssten nur für die hier vorkommenden anschaulichen Verhältnisse noch einige Zeichen hinzugefügt werden. Auf diese Weise würde man eine Art von analysis situs erhalten. Der Uebergang zu der reinen Bewegungslehre und weiter zur Mechanik und Physik möchte sich hier anschliessen. In den letzteren Gebieten, wo neben der Denknothwendigkeit die Naturnotwendigkeit sich geltend macht, ist am ehesten eine Weiterentwickelung der Bezeichnungsweise mit dem Fortschreiten der Erkenntnis vorauszusehen. Deshalb braucht man aber nicht zu warten, bis die Möglichkeit solcher Umformungen ausgeschlossen erscheint. Wenn es eine Aufgabe der Philosophie ist, die Herrschaft des Wortes über den menschlichen Geist zu brechen, indem sie die Täuschungen aufdeckt, die durch den Sprachgebrauch über die Beziehungen der Begriffe oft fast unvermeidlich entstehen, indem sie den Gedanken von demjenigen (VII) befreit, womit ihn | allein die Beschaffenheit des sprachlichen Ausdrucksmittels behaftet, so wird meine Begriffsschrift, für diese Zwecke weiter

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ausgebildet, den Philosophen ein brauchbares Werkzeug werden können. Freilich giebt auch sie, wie es bei einem äussern Darstellungsmittel wohl nicht anders möglich ist, den Gedanken nicht rein wieder; aber einerseits kann man diese Abweichungen auf das Unvermeidliche und Unschädliche beschränken, andrerseits ist schon dadurch, dass sie ganz andrer Art sind als die der Sprache eigenthümlichen, ein Schutz gegen eine einseitige Beeinflussung durch eines dieser Ausdrucksmittel gegeben. Schon das Erfinden dieser Begriffsschrift hat die Logik, wie mir scheint, gefördert. Ich hoffe, dass die Logiker, wenn sie sich durch den ersten Eindruck des Fremdartigen nicht zurückschrecken lassen, den Neuerungen, zu denen ich durch eine der Sache selbst innewohnende Nothwendigkeit getrieben wurde, ihre Zustimmung nicht verweigern werden. Diese Abweichungen vom Hergebrachten finden ihre Rechtfertigung darin, dass die Logik sich bisher immer noch zu eng an Sprache und Grammatik angeschlossen hat. Insbesondere glaube ich, dass die Ersetzung der Begriffe Subject und Praedicat durch Argument und Function sich auf die Dauer bewähren wird. Man erkennt leicht, wie die Auffassung eines Inhalts als Function eines Argumentes begriffbildend wirkt. Es möchte ferner der Nachweis des Zusammenhanges zwischen den Bedeutungen der Wörter: wenn, und, nicht, oder, es giebt, einige, alle u. s. w. Beachtung verdienen. Im Besondern sei nur noch Folgendes erwähnt. Die in § 6 ausgesprochene Beschränkung auf eine einzige Schlussweise wird dadurch gerechtfertigt, dass bei der Grundlegung einer solchen Begriffsschrift die Urbestandtheile so einfach wie möglich genommen werden müssen, wenn Uebersichtlichkeit und Ordnung geschaffen werden sollen. Dies schliesst nicht aus, dass später Uebergänge von mehren Urtheilen zu einem neuen, die bei dieser einzigen Schlussweise nur in mittelbarer Weise möglich sind, der Abkürzung wegen in unmittelbare verwandelt werden. In der That möchte sich dies bei einer spätem Anwendung empfehlen. Dadurch würden dann weitere Schlussweisen entstehen. | Nachträglich habe ich bemerkt, dass die Formeln (31) und (41) in die einzige (VIII) | (-n- a == a) zusammengezogen werden können, wodurch noch einige Vereinfachungen möglich werden. Die Arithmetik, wie ich im Anfange bemerkt habe, ist der Ausgangspunkt des Gedankenganges gewesen, der mich zu meiner Begriffsschrift geleitet hat. Auf diese Wissenschaft denke ich sie daher auch zuerst anzuwenden, indem ich ihre Begriffe weiter zu zergliedern und ihre Sätze tiefer zu begründen suche. Vorläufig habe ich im dritten Abschnitte einiges von dem mitgetheilt, was sich in dieser Richtung bewegt. Die weitere Verfolgung des angedeuteten Weges, die Beleuchtung der Begriffe der Zahl, der Grösse u. s. w. sollen den Gegenstand fernerer Untersuchungen bilden, mit denen ich unmittelbar nach dieser Schrift hervortreten werde. J e n a , den 18. December 1878. 51

L E r k l ä m n g der Bezeichnungen.

(1)

| § 1. Die in der allgemeinen Grössenlehre gebräuchlichen Zeichen zerfallen in zwei Arten. Die erstere umfasst die Buchstaben, von denen jeder entweder eine unbestimmt gelassene Zahl oder eine unbestimmt gelassene Function vertritt. Diese Unbestimmtheit macht es möglich die Buchstaben zum Ausdrucke der Allgemeingiltigkeit von Sätzen zu verwenden wie in (a + b)c = ac + 6c. Die andere Art umfasst solche Zeichen wie —, j/ - , 0, 1, 2, von denen jedes seine e i g e n t ü m l i c h e Bedeutung hat. Diesen Grundgedanken der Unterscheidung zweier Arten von Zeichen, der in der Grössenlehre leider nicht rein durchgeführt ist 3 ), nehme ich auf, um ihn für das umfassendere Gebiet des reinen Denkens überhaupt nutzbar zu machen. Alle Zeichen, die ich anwende, theile ich daher ein in solche, unter denen man sich Verschiedenes vorstellen kann, und in solche die einen ganz bestimmten Sinn haben. Die erstem sind die Buchstaben, und diese sollen hauptsächlich zum Ausdrucke der Allgemeinheit dienen. Bei aller Unbestimmtheit muss aber daran festgehalten werden, dass ein Buchstabe die Bedeutung, welche man ihm einmal gegeben hat, in demselben Zusammenhange beibehält. Das Urtheil. § 2. Ein Urtheil werde immer mit Hilfe des Zeichens I

ausgedrückt, welches links von dem Zeichen oder der Zeichenverbindung steht, die den Inhalt des Urtheils angiebt. Wenn man den kleinen senk(2) rechten Strich am linken Ende des wagerechten | fortlässt, so soll dies das Urtheil in eine blosse Vorstellungsverbindung verwandeln, von welcher der Schreibende nicht ausdrückt, ob er ihr Wahrheit zuerkenne oder nicht. Bedeute z. B. I das Urtheil: „die ungleichnamigen Magnetpole ziehen sich a n " ; dann wird

nicht dies Urtheil ausdrücken, sondern lediglich die Vorstellung von der gegenseitigen Anziehung der ungleichnamigen Magnetpole in dem Leser hervorrufen sollen, etwa um Folgerungen daraus zu ziehen und an diesen die Richtigkeit des Gedankens zu prüfen. Wir umschreiben in diesem Falle durch die Worte „der Umstand, dass" oder „der Satz, dass". 52

Nicht jeder Inhalt kann durch das vor sein Zeichen gesetzte | ein Urtheil werden, z. B. nicht die Vorstellung „Haus". Wir unterscheiden daher beurtheilbare und unbeurtheilbare Inhalte. 5 ) Der wagerechte Strich, aus dem das Zeichen | gebildet ist, verbindet die ciarauf folgenden Zeichen zu einem Ganzen, und auf dies Ganzebezieht sich die Bejahung, welche durch den senkrechten Strich am linken Ende des wagerechten ausgedrückt wird. Es möge der wagerechte Strich Inhaltsstrich, der senkrechte Urtheilsstrich heissen. Der Inhaltsstrich diene auch sonst dazu, irgendwelche Zeichen zu dem Ganzen der darauf folgenden Zeichen in Beziehung zu setzen. Was auf den Inhaltsstrich folgt, muss immer einen beuriheilbaren Inhalt haben. § 3. Eine Unterscheidung von Subject und Prädicat findet bei meiner Darstellung eines Urtheils nicht statt. Um dies zu rechtfertigen, bemerke ich, dass die Inhalte von zwei Urtheilen in doppelter Weise verschieden sein können: erstens so, dass die Folgerungen, die aus dem einen in Verbindung mit bestimmten andern | gezogen werden können, immer auch aus dem zwei- (3) ten in Verbindung mit denselben andern Urtheilen folgen; zweitens so, dass dies nicht der Fall ist. Die beiden Sätze: „bei Plataeae siegten die Griechen über die Perser" und „bei Plataeae wurden die Perser von den Griechen besiegt" unterscheiden sich in der erstem Weise. Wenn man nun auch eine geringe Verschiedenheit des Sinnes erkennen kann, so ist doch die Uebereinstimmung überwiegend. Ich nenne nun denjenigen Theil des Inhaltes, der in beiden derselbe ist, den begrifflichen Inhalt. Da nur dieser für die Begriffsschrift von Bedeutung ist, so braucht sie keinen Unterschied zwischen Sätzen zu machen, die denselben begrifflichen Inhalt haben. Wenn man sagt: „Subject ist der Begriff, von dem das Urtheil handelt", so passt dies auch auf das Object. Man kann daher nur sagen: „Subject ist der Begriff, von dem hauptsächlich das Urtheil handelt." Die Stelle des Subjects in der Wortreihe hat für die Sprache die Bedeutung einer ausgezeichneten Stelle, an die man dasjenige bringt, worauf man die Aufmerksamkeit des Hörers besonders hinlenken will. (Siehe auch § 9). Dies kann beispielsweise den Zweck haben, eine Beziehung dieses Urtheils zu andern anzudeuten, und dadurch dem Hörer die Auffassung des ganzen Zusammenhanges zu erleichtern. Alle Erscheinungen nun in der Sprache, die nur aus der Wechselwirkung des Sprechenden und des Hörenden hervorgehen, indem der Sprechende z. B. auf die Erwartungen des Hörenden Rücksicht nimmt und diese schon vor dem Aussprechen eines Satzes auf die richtige Fährte zu bringen sucht, haben in meiner Formelsprache nichts Entsprechendes, weil im Urtheile hier nur das in Betracht kommt, was auf die möglichen Folgerungen Einfluss hat. Alles, was für eine richtige Schlussfolge nöthig ist, wird voll ausgedrückt; was aber nicht nöthig ist, wird meistens auch nicht angedeutet; nichts wird dem Errathen überlassen. Hierin folge ich ganz dem Beispiel der mathematischen Formelsprache, bei der m a n Subject und Prädicat auch nur gewaltsamerweise unterscheiden kann. Es lässt sich eine Sprache denken, in welcher der Satz: „Archimedes k a m bei 53

der Eroberung von Syrakus u m " in folgender Weise ausgedrückt würde: „der gewaltsame Tod des Archimedes bei der Eroberung von Syrakus ist eine Thatsache". Hier kann man zwar auch, wenn man will, Subject und Prädicat unterscheiden, aber das Subject enthält den ganzen Inhalt, und (4) das Prädicat hat nur den Zweck, diesen als | Urtheil hinzustellen. Eine solche Sprache würde nur ein einziges Prädicat für alle Urtheile haben, nämlich „ist eine Thatsache". Man sieht, dass im gewöhnlichen Sinne von Subject und Prädicat hier keine Rede sein kann. Eine solche Sprache ist unsere Begriffsschrift und das Zeichen | ist ihr gemeinsames Prädicat für alle Urtheile. Bei dem ersten Entwürfe einer Formelsprache liess ich mich durch das Beispiel der Sprache verleiten, die Urtheile aus Subject und Prädicat zusammenzusetzen. Ich überzeugte mich aber bald, dass dies meinem besondern Zwecke hinderlich war und nur zu unnützen Weitläufigkeiten führte. § 4. Die folgenden Bemerkungen sollen die Bedeutung der Unterscheidungen, welche man in Bezug auf Urtheile macht, für unsere Zwecke erläutern. Man unterscheidet allgemeine und besondere Urtheile: dies ist eigentlich kein Unterschied der Urtheile, sondern der Inhalte. Man sollte sagen: „ein Urtheil von allgemeinem Inhalte", „ein Urtheil von besonderm Inhalte11. Diese Eigenschaften kommen nämlich dem Inhalte auch zu, wenn er nicht als Urtheil hingestellt wird, sondern als Satz. (Siehe § 2). Dasselbe gilt von der Verneinung. In einem indirecten Beweise sagt man z. B.: „gesetzt, die Strecken AB und CD wären nicht gleich." Hier enthält der Inhalt, dass die Strecken AB und CD nicht gleich seien, eine Verneinung, aber dieser Inhalt, obgleich der Beurtheilung fähig, wird doch nicht als Urtheil aufgestellt. Es haftet also die Verneinung am Inhalte, einerlei ob dieser als Urtheil auftrete oder nicht. Ich halte es daher für angemessener, die Verneinung als ein Merkmal eines beurtheilbaren Inhalts anzusehen. Die Unterscheidung der Urtheile in kategorische, hypothetische und disjunctive scheint mir nur grammatische Bedeutung zu haben. 6 ) Das apodiktische Urtheil unterscheidet sich vom assertorischen dadurch, dass das Bestehen allgemeiner Urtheile angedeutet wird, aus denen der Satz geschlossen werden kann, während bei den assertorischen eine solche Andeutung fehlt. Wenn ich einen Satz als nothwendig bezeichne, so gebe ich dadurch einen Wink über meine Urtheilsgründe. Da aber hierdurch der (5) begriffliche Inhalt | des Urtheils nicht berührt wird, so hat die Form des apodiktischen Urtheils für uns keine Bedeutung. Wenn ein Satz als möglich hingestellt wird, so enthält sich der Sprechende entweder des Urtheils, indem er andeutet, dass ihm keine Gesetze bekannt seien, aus denen die Verneinung folgen würde; oder er sagt, dass die Verneinung des Satzes in ihrer Allgemeinheit falsch sei. Im letzteren Falle haben wir ein particulär bejahendes Urtheil'') nach der gewöhnlichen Bezeichnung. „Es ist möglich, dass die Erde einmal mit einem andern Welt-

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körper zusammenstösst" ist ein Beispiel für den ersten, und „eine Erkältung kann den Tod zur Folge haben" ist eins für den zweiten Fall. Die B e d i n g t h e i t . § 5. Wenn A und B beurtheilbare8) Inhalte bedeuten, so giebt es folgende vier Möglichkeiten: 1) 2) 3) 4)

A A A A

wird wird wird wird

bejaht und B wird bejaht; bejaht und B wird verneint; verneint und B wird bejaht; verneint und B wird verneint.

hz' ' — B

bedeutet nun das Urtheil, dass die dritte dieser Möglichkeiten nicht stattfinde, sondern eine der drei andern. Wenn

m

A

verneint wird, so besagt dies demnach, dass die dritte Möglichkeit stattfinde, dass also A verneint und B bejaht werde. Aus den Fällen, in denen A

TZ

B

bejaht wird, heben wir folgende hervor: 1) A muss bejaht werden. Dann ist der Inhalt von B ganz gleichgiltig. Z. B. | A bedeute: 3 x 7 = 21, B bedeute den Umstand, dass die Sonne scheint. Es sind hier nur die beiden ersten der genannten vier Fälle möglich. Ein ursächlicher Zusammenhang | zwischen beiden Inhalten braucht nicht (6) vorhanden zu sein. 2) B ist zu verneinen. Dann ist der Inhalt von A gleichgiltig. Z. B. B bedeute den Umstand, dass ein Perpetuum mobile möglich sei, A den Umstand, dass die Welt unendlich sei. Hier ist nur der zweite und vierte der vier Fälle möglich. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen A und B braucht nicht zu bestehen. 3) Man kann das Urtheil

hz*

' B fällen, ohne zu wissen, ob A und B zu bejahen oder zu verneinen sind. Es bedeute z. B. B den Umstand, dass der Mond in Quadratur steht, A den 55

Umstand, dass er als Halbkreis erscheint. In diesem Falle kann man

h Iz * B mit Hilfe des Fügeworts „wenn" übersetzen: „wenn der Mond in Quadratur steht, so erscheint er als Halbkreis". Die ursächliche Verknüpfung, die in dem Worte „wenn" liegt, wird jedoch durch unsere Zeichen nicht ausgedrückt, obgleich ein Urtheil dieser Art nur auf Grund einer solchen gefällt werden kann. Denn diese Verknüpfung ist etwas Allgemeines, dieses aber kommt hier noch nicht zum Ausdrucke (Siehe § 12). Der senkrechte Strich, welcher die beiden wagerechten verbindet, heisse Bedingungsstrich. Der links vom Bedingungsstriche befindliche Theil des oberen wagrechten Striches ist der Inhaltsstrich für die eben erklärte Bedeutung der Zeichenverbindung

I— b' an diesem wird jedes Zeichen angebracht, das sich auf den Gesammtinhalt des Ausdruckes beziehen soll. Der zwischen A und dem Bedingungsstriche liegende Theil des wagerechten Striches ist der Inhaltsstrich von A. Der wagerechte Strich links von B ist der Inhaltsstrich von B. Hiernach ist leicht zu erkennen, dass

TZ

A

(7) den Fall leugnet, wo A verneint, B und J"bejaht würden. Man muss dies aus A

und r

TZ B

ebenso zusammengesetzt denken, wie •A B aus A und B. Zunächst haben wir daher die Verneinung des Falles, wo •A TZ B 1 verneint, und 7 bejaht wird. Die Verneinung von

n

I Z

•A B

bedeutet aber, dass A verneint und B bejaht wird. Hieraus ergiebt sich, 56

was oben angegeben ist. Wenn eine ursächliche Verknüpfung vorliegt, so kann man auch sagen: „A ist die nothwendige Folge von B und / " ' ; oder: „wenn die Umstände B und J" eintreten, so tritt auch A ein". Nicht minder erkennt man, dass

H—r n A

den Fall leugnet, wo B bejaht wird, A und J 1 aber verneint werden. Wenn man einen ursächlichen Zusammenhang zwischen .AundZ? voraussetzt, kann man übersetzen: „wenn A die nothwendige Folge von B ist, so kann geschlossen werden, dass P stattfindet." 4 ] § 6. Aus der in § 5 gegebenen Erklärung geht hervor, dass aus den beiden Urtheilen |—, A und | B ' das neue Urtheil

B

I

A

folgt. Von den vier oben aufgezählten Fällen ist der dritte durch t-r-Ä