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German Pages 408 Year 1999
MARTIN STERR
Lobbyisten Gottes - Die Christian Right in den USA von 1980 bis 1996
Ordo Politicus Veröffentlichungen des Arnold-Bergstraesser-Instituts, Freiburg i. Br.
Herausgegeben von Prof. Dr. Dr. h. c. Dieter Obemdörfer Band 33
Lobbyisten Gottes Die Christian Right in den USA von 1980 bis 1996 Zwischen Aktion, Reaktion und Wandel
Von
Martin Sterr
Duncker & Humblot . Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Sterr, Martin:
Lobbyisten Gottes - die Christian Right in den USA von 1980 bis 1996 : zwischen Aktion, Reaktion und Wandel/von Martin Sterr. Berlin : Duncker und Humblot, 1999 (Ordo Politicus ; Bd. 33) Zug!.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1996 ISBN 3-428-09165-5
D25 Alle Rechte vorbehalten
© 1999 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: WerneT Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 0474-3385 ISBN 3-428-09165-5 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 9
Vorwort Die vorliegende Studie ist die überarbeitete Version meiner Dissertation, die im Dezember 1996 von der philosophischen Fakultät der Albert-LudwigsUniversität angenommen worden ist. An erster Stelle möchte ich meinem Doktorvater Dieter Oberndörfer danken. Sein reges Interesse am Fortgang der Arbeit und seine wissenschaftliche und persönliche Betreuung haben entscheidend dazu beigetragen, daß die Dissertation als Monographie vorgelegt werden konnte. Gedankt sei auch dem Zweitkorrektor Jakob Rösel, der kurzfristig, ohne zu zögern die Zweitkorrektur übernahm und dessen Bemerkungen mir sehr hilfreich waren. Die Arbeit hätte ohne ein großzügiges Promotionsstipendium der KonradAdenauer-Stiftung sicherlich weder begonnen noch fertigsteIlt werden können. Mein besonderer Dank gilt dabei besonders den wissenschaftlichen Betreuern der Stiftung und den unbürokratischen und zuvorkommenden helfenden Mitarbeitern in der Verwaltung. Ein ebenso warmherziger Dank gilt der Brookings Institution in Washington, D.C. Ohne die Bereitstellung eines Büros und des unverzichtbaren Telefons in Washington wäre der Forschungsaufenthalt, der die Grundlage für die Arbeit legte, schwerlich möglich gewesen. Eine Arbeit von derartigem zeitlichen Ausmaß und Umfang an Papier kann schwerlich ohne die Unterstützung von anderen in Angriff genommen und zu Ende gebracht werden. Mein herzlicher Dank gilt Wolfgang Welz, der mir immer mit Rat zur Seite stand, Brigitta Nedelmann für einen lehrreichen Nachmittag, Ken Mashugi für wichtige Telefonnummern, Ann Phillips und Dan Lang für die freundliche Unterstützung in den USA, Ulrich Eith für kritisches Lesen, Matthias Schairer, Christoph Haas, Markus Zunker für graphische Hilfe und Axel Glemser, der Schlußkorrektur und Redaktion besorgte. Nichtsdestoweniger bin ich selbst für alle verbliebenen Fehler, Ungenauigkeiten und Behauptungen selbst verantwortlich. Zum Schluß möchte ich meiner Familie danken. Meine Frau und meine Schwiegereltern haben mich stets ermutigt und mir in guten wie in schlechten Tagen den Rücken gestärkt. Die vorliegende Arbeit widme ich meiner Mutter, als kleines Dankeschön für ihre Zuneigung und Unermüdlichkeit. Freiburg, im März 1998
Martin Sterr
Inhaltsverzeichnis A.
Einleitung. ...... ... ................ ..... ..................... .......................... ...... ..... ........ ..............
13
I. Fragestellung und Gliederung der Arbeit.......................................................
15
11. Begriffe und Definitionen .......... '" ....... ........................... ........................ ........
19
m.
B.
Quellen.. ... ............................................ .......................... ............................ .....
24
IV. Religion als wissenschaftliches Phänomen - methodische Überlegungen zum Forschungsstand .....................................................................................
25
V. Zur Relevanz methodischer Ansätze bei der Beschäftigung mit religiöspolitischen Phänomenen.................................................................................
52
VI. Synopse...........................................................................................................
86
VII. Die Christian Right - zur Präzisierung der Fragestellung ..............................
90
Von der "Old Religious Right" zur "Christian Right" (1920-1979)................
98
I. Die erste Phase: Zwischen Protest und Resignation ...................................... 100 I . Die Verteidiger des wahren Glaubens: Zur Entstehung des amerikanischen Fundamentalismus ......................................................................... 100 2. ,,Fundamentalists", ,,Evangelicals" und ,,Bom-Again-Christians": Religiöse und theologische Aspekte der amerikanischen Religionen ......... 104 3. Zwischen Scopes und Whisky: Fundamentalismus und Modernismus in den 20er Jahren ........... ..... ......................... ..... .................... .................. 109 11. Die zweite Phase: Isolation und neuer Aktivismus........................................
118
1. Die Rückkehr: ,,Evangelicals" und ,,Fundamentalists" in den 50er Jahren............................................................................................................. 120 2. "Spiritual Arnerica": Religion und Religiösität in den 60er Jahren ........ 124 3. Das Zeitalter des Aquarius: Die Zeit der Krise ....................................... 128
m.
Im ,,Bible Belt": Die ,,Evangelicals" in den 60er Jahren ............................... 130
IV. "The Party in Crisis": Religion und Parteien im Wandel..............................
132
8
Inhaltsverzeichnis V. Die dritte Phase: Unter dem Banner des Herrn - die ,,Evangelicals" auf dem Vormarsch in den 70er Jahren................................................................ 134
1. Die Zentren der Macht: "Super Church" und ,,Electronic Church" ....... 136 2. Die politische Mobilisierung der ,,Evangelicals" .. .................................. 140 3. ,,Fatal Attraction": Die ,,Evangelicals" und Jimmy Carter...................... 142 VI. Synopse........................................................................................................... 145
C.
Das Heilige und das Profane: Aktion und Transformation der Christian Right in den 80er Jahren..................................................................................... 149
1. Träger und Ressourcen............ ............................... ....................... ................. 152 1. Die vergessene ,,Moral Majority" .......... .............................. .................... 152 2. Die Geburt der Christian Right................................................................ 158
n.
Ideologie und Themen.................................................................................... 175
1. Endzeit und Heilserwartung .................................................................... 175 2. Eine christliche Agenda: "Turn America Christian" ............................... 178 3. Die Stunde der Sieger: Der Aufstieg der Christian Right ....................... 183
rn.
Mobilisierung und Aktionen .......................... ................................................ 185
1. Mit Ronald Reagan ins Weiße Haus.......... ............ .................................. 186 2. Die Christian Right als politischer Akteur in Washington...................... 192 3. ,,Lobbying for God": Die Christian Right in der politischen Arena....... 196 4. Auf dem Kapitol 1980-1986 ............................... ;.................................... 198 5. Im Weißen Haus 1980-1988 .................................................................... 212 IV. Der Traurn ist aus: Die Agonie der Christian Right....................................... 243
1. Der Abschied aus Washington: Farewell Falwell................................... 247 2. ,,Biblegate", Pat Robertson, George Bush und Schluß? ......................... 249 V. Synopse........................................................................................................... 267
D.
Kontinuität und Wandel: Die Transformation der Christian Right in den 9OerJahren ........................................................................................................... 271
1. Träger und Ressourcen ................................................................................... 272 1. Wie Phönix aus der Asche....................................................................... 272
Inhaltsverzeichnis
9
2. ,,All Politics is Local" oder die Christian Right im neuen Gewand........ 277 3. Die Moral Majority der 90er Jahre: Christian Coalition ......................... 284 II. Ideologie und Themen.................................................................................... 288 1. Die Rettung der amerikanischen Familie .................. ........ ...................... 288 2. Rhetorik und Public Relations-Strategien ............................................... 293
m.
Mobilisierung und Aktionen .......................................................................... 297 1. Getting Outthe Vote: Wahltag in den Kirchen ....................................... 297 2. Zurück auf die Schulbank........................................................................ 300 3. Den Elefanten reiten: Die Christian Coalition und die Republikanische Partei ........................................................................................................ 304 4. Die Christian Coalition als politischer Faktor.... ..................................... 314
IV. Auf dem Weg ins 21. Jahrhundert - zur Zukunft der Christian Right ........... 323 V. Synopse........................................................................................................... 354
E. Zusammenfassung und Bewertung ..................................................................... 357
Verzeichnis der Interviewpartner.................................................................................... 367 Literaturverzeichnis ........................................................................................................ 369 Personen- und Sachregister............................................................................................. 403
Tabellen- und Abbildungsverzeichnis Tabelle 1
Mitgliedergröße von ausgewählten Bekenntnissen 1960 und 1990.... 126
Tabelle 2
Die wichtigsten Organisationen der Christi an Right ........................... 160
Tabelle 3
Mehrfach-Mitgliedschaft von ausgewählten Fiilirern der CR in Christian Right- und konservativen Organisationen............................ 171
Tabelle 4
Wahlergebnisse fiir den U.S. Senate 1994 und 1996........................... 341
Tabelle 5
Wahlergebnisse fiir das U.S. House of Representatives 1994 und 1996 ...................................................................................................... 341
Abbildung 1
Entwicklung der Organisationstypen der Christian Right (19701994).....................................................................................................
Abbildung 2
Der ,,Bible Belt" ........ ........ .......................... ............ .................. ........... 252
Abbildung 3
Erfolge Pat Robertsons bei den republikanischen Nominierungswahlkämpfen 1988 ............................................................................... 257
Abbildung 4
Struktur eines Citizen Action Comrnittee ............................................ 299
Abbildung 5
Struktur eines ,,Precinct" (Wahlbezirk)................................................ 306
Abbildung 6
Hochburgen der Christian Right innerhalb der republikanischen Partei ..................................................................................................... 308
Abbildung 7
Von der Christian Right unterstützte Kandidaten 1994....................... 317
Abbildung 8
Präsidentschaftswahlen 1996............................................................... 339
Abbildung 9
Wahlergebnisse von Dole 1996............................................................ 340
94
Abkürzungsverzeichnis ABC
American Business COlmci!
ACCC
American COWlCi! of Christian Churches
ACLJ
American Center for Law and Justice
ACLU
American Civil Liberties Union
ACTV
American Coalition for Traditional Values
ACU
American Conservative Union
ABI
American Enterprise Institute
AFC
American Freedorn Coalition
ANNALS
The Annals. Hg.: The American Acaderny ofPoliticai and Social Science
APUZ
Aus Politik Wld Zeitgeschichte
CBN
Christian Broadcasting Network
CC
Christian Coalition
CEE
Citizens for Excellence in Education
CNP
COWlCi! ofNationai Policy
CR
Christian Right
CRS
Congressional Research Service
CV
Christian Voice
CWA
Concerned Wornen for America
ERA
Equal Rights Amendment
FCC
Federal CommWlication Commission
FCCA
Federal COWlcil of the Churches of Christ in America
FRC
Farnily Research COWlCi!
GOP
Grand Old Party
HZ
Historische Zeitschrift
ICE
International Christi an Ernbassy
12
Abkünungsverzeichnis
IFE
International Farnily Entertainment
MM
Moral Majority Inc.
NAE
National Association ofEvangelicals
NCAC
National Christian Action Coalition
NCC
National COlUlCi! of Churches
NES
National Election Studies
NOW
National Organization ofWomen
PFAW
People for the American Way
PLO
Public Liason Office (White Rouse)
PVS
Politische Vierteljahresschrift
RFRA
Religious Freedom Restoration Act
RR
Religious Roundtable
SBC
Southern Baptist Convention
SC
Supreme Court
sm
Strategic Defense Initiative
1VC
Traditional Values Coalition
ZFP
Zeitschrift für Politik
A. Einleitung Spinoza hätte sich zwn Amerikaner nur bedingt geeignet. Wäre er etwa fähig gewesen, an einer Ecke des Central Parks in New York zu stehen Wld mit erhobenen Annen zu singen: "What a friend we have in Jesus"? Nein. Zum einen war sein Englisch nicht gut genug; zwn anderen hütete sich der rigorose Ethiker davor, Gott als einen ewig liebenden FreWld anzusehen. Er warnte seine Mitmenschen, als BelohnWlg für ihre Liebe zu Gott prompt mit Gottesliebe zu rechnen. Thr Intellekt sollte Gott zweckfrei erkennen Wld lieben lernen. Einen solchen Höflichkeitsabstand hält die überwältigende Mehrheit der Amerikaner für übertrieben. Unter zehn leben neWl mit der Gewißheit, von Gott geliebt zu werden. 12% von ihnen kommt die göttliche Liebe immerhin noch wahrscheinlich vor. Lediglich 3% fühlen sich Wlgeliebt. Von hWldert Amerikanern glauben viefWldneunzig an Gott Wld neunzig beten regelmäßig zu ihm. Den Teufel beziehen immerhin 37% in ihre Überlegoogen mit ein. Neunzig Prozent bangen dem jüngsten Gericht entgegen, Wld siebzig Prozent freuen sich auf ein Leben nach dem Tode. Einem von dreien gilt die Bibel als Wlfehlbar. Zwei von drei ,,Evangelicals" geben an, mit Gott regelmäßig zu sprechen, Wld diese ,,Evangelicals" machen ein Drittel der BevölkefWlg aus (70 Millionen). 40 Millionen Amerikaner geben an, eine BegegnWlg mit Gott gehabt zu haben, Wld nicht Wlgewöhnlich ist in den USA selbst auf Cocktailparties die Frage: Are you born-again? Bist Du wiedergeboren, hast Du Jesus als Deinen persönlichen Retter anerkannt, "are you saved"? Diese Zahlen sind für eine westliche Industriegesellschaft Wlgewöhnlich hoch. Verglichen mit anderen entwickelten europäischen Ländern sind die Amerikaner in weit größerem Maße als wir bereit, mindestens einmal in der Woche einen Gottesdienst zu besuchen, an Gott zu glauben Wld Geld für religiöse Organisationen Wld Zwecke zu spenden. Hinzu kommt, daß ein Wechsel zwischen den Bekenntnissen durchaus alltäglich ist: 1/3 aller Amerikaner gehören nicht mehr jenem Bekenntnis an, in das sie hineingeboren wurden, Wld nahezu 40% aller Protestanten haben ihre Bekenntniszugehörigkeit mindestens zweimal in ihrem Leben geändert. Mit einem Gemisch aus VefWWldefWlg Wld FassWlgslosigkeit blickt die restliche Christenheit auf die EntwicklWlgen in der neuen Welt: Fernsehprediger,
14
A. Einleitung
biblische Disneylands, in Zungen sprechende Charismatiker und Kirchen, die Klapperschlangen in ihren Gottesdiensten zur Ehre Gottes einsetzen. Doch nicht nur die Kirchen und Tempel erfreuen sich eines regen Zulaufs, sondern auch die Wissenschaft beschäftigt sich in stärkerem Maße mit der Religion und ihren zahlreichen Erscheinungsformen, insbesondere mit der Verbindung von Religion und Politik. Nach einer Zeit der Dürre schießen eine Vielzahl von Zeitschriftenartikeln, Monographien, sowie Konferenzen und Forschungseinrichtungen, Workshops und Seminarveranstaltungen aus dem Boden. Sie belegen, daß die Religion wieder als erklärender Faktor für sozialpolitische Phänomene herangezogen wird. Diese verstärkte Anteilnahme wurde durch die politischen Ereignisse Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre ausgelöst. Die vorbildliche ,,Ehe" von Religion und Politik ist durch die Aktionen religiös-konservativer Protestanten ins Gerede gekommen. Diese versuchen seit Ende der 70er Jahre, aktiv die amerikanische Politik und Gesellschaft zu beeinflussen. Der ,,Ehevertrag" zwischen Religion und Politik muß ihrer Ansicht nach neu geschrieben werden. Erste Erfolge, wie die Unterstützung von Ronald Reagan und die Abwahl einiger mißgeliebter liberaler Senatoren, schienen jenen recht zu geben, die in dem Aufkommen dieser militanten konservativen Bewegung eine Gefahr für die liberale pluralistische amerikanische Gesellschaft sahen. Doch gegen Ende der 80er Jahre ließ der Elan der Organisationen nach, und das Ganze schien nur ein Strohfeuer gewesen zu sein. Nur wenige Jahre vergingen, bis sich Anfang der 90er Jahre neues Leben regte, und die nächste Generation auf der politischen Bülme erschien. Bereits in den Novemberwahlen des Jahres 1994 wurden religiös-konservative Organisationen wieder als bedeutende politische Kraft angesehen. "The same procedure as every year?" Durch diese Ereignisse aufgeschreckt richtete eine Schar politischer Kommentatoren, Journalisten und Wissenschaftler ihre Augen auf die religiösen Aspekte der amerikanischen Gesellschaft, und nicht von ungefähr gab der Aufstieg der Christian Right (CR) vielen Politikwissenschaftlern Grund genug, sich mit dem Phänomen Religion zu beschäftigen. Die Aktionen und Organisationen der an sich heterogenen Christian Right wurden zum Synonym für das religiöskonservative Engagement.
I. Fragestellung und Gliederung der Arbeit
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I. Fragestellung und Gliederung der Arbeit Die vorliegende Untersuchung analysiert die Aktionen, Refonnen und Wandlungsprozesse von religiös-konservativen Organisationen (der sogenannten Christian Right) vor dem historisch-politischen Hintergrund der 80er und 90er Jahre. Den Christian Right-Organisationen ist es innerhalb eines Jahrzehnts gelungen, Millionen von bisher politisch unbeteiligten Amerikanern zu mobilisieren und dadurch gewaltige gesellschaftliche und politische Veränderungen auszulösen. Das Phänomen Christian Right ist in seiner Ausbreitung und Entwicklung einzigartig in den westlichen Industriegesellschaften, und heute muß man feststellen, daß wir es hier mit einem dauerhaften politischen Engagement religiöskonservativer Amerikaner zu tun haben. Die Arbeit geht von der Hypothese aus, daß es sich bei den CROrganisationen um Artikulationsfonnen eines sozial-moralischen Milieus handelt; Artikulationsfonnen, die sich zwischen bestimmten sozialen Gruppen und dem politisch-gesellschaftlichen Komplex installiert haben. Die Organisationen sind demnach im Sinne M.R. Lepsius Ausdruck einer Deutungskultur eines bestimmten sozial-moralischen Milieus. 1 Sie sind eine Fonn der Auseinandersetzung mit anderen, dominant gewordenen säkularen Lebensweisen. Als "politische Aktionsausschüsse" generieren sie bestimmte Deutungsmuster, interpretieren Werte, Nonnen und Traditionen. Sie sind Orientierung und Artikulation fiir eine religiös-konservative Gesinnungsgemeinschaft. Auf dieser Annahme fußt die These, daß die Organisationen der CR nicht mit dem herkömmlichen methodischen, eindimensionalen Inventarium untersucht werden können. Der Blick auf dieses Phänomen erfordert vielmehr eine multidimensionale Brille. Die gewählte Perspektive erlaubt die Annahme, daß wir es im Falle der CR mit einer Mischung aus mehreren Organisationsfonnen zu tun haben. In den verschiedenen Phasen ihrer politischen Tätigkeit kann man mit
Vgl. M Rainer Lepsius: ,,Parteiensystem und Sozialstruktur: zum Problem der Demokratisierung der deutschen Gesellschaft.", in: Wirtschaft, Geschichte und Wirtschaftsgeschichte. (Hg.) W AbellK. BorchardtlH KellenbenzlW Zorn. Stuttgart 1966 (=Festschrift zum 65. Geburtstag von F. Lütge), S. 371-393, vgl. eine moderne Version von Birgitta Nedelmann: ,,Das kulturelle Milieu politischer Konflikte.", in: Kultur und Gesellschaft. (Hg.) F. Neidhardtl MR. Lepsius. Opladen 1986 (=Festschrift fiir Rene König zum 80. Geburtstag = Sonderheft 27/1986 Kölner Zeitschrift fiir Soziologie und Sozialpsychologie), S. 397-415.
16
A. Einleitung
Hilfe von Klassifikationskriterien Wlterschiedliche Organisationstypen ausmachen. Die eR muß sich sowohl gegen die AuflösWlgstendenzen außerhalb als auch innerhalb des Milieus zur Wehr zu setzen. Sie agiert nicht mehr gegen die Modeme, sondern in ihr. Daraus folgt sowohl eine grlllldsätzliche NeubestimmWlg des religiös-politischen Engagements als auch eine strukturelle VerändeTWlg des Organisationstyps. Legt man dieses strukturelle Raster über die historischen Wld aktuellen EntwicklWlgen des Phänomens eR, so ergeben sich hinsichtlich der Aktionen Wld Transformationen neue Einsichten. Die Organisationen stehen generell zwischen den AnfordeTWlgen eines sozialmoralischen Milieus Wld den Anforder\lllgen der politischen Arena. Thre Transformationen sind der Versuch, diesen Wlterschiedlichen Erwartungen zu entsprechen. Da sich diese WandlWlgsprozesse innerhalb weniger Jahre vollzogen haben, erscheint es sinnvoll, ZWlächst das Vorfeld des religiös-politischen Engagements zu beleuchten. In der historischen GegenüberstellWlg mit der "Old Religious Right" sollen die Linien aber auch die Brüche innerhalb dieses I1ngagements deutlich werden. Die gegenwärtige eR ist nur im Hinblick au'f die Vorläufer eines religiös-konservativen politischen Engagements zu verstehen. Dabei wird deutlich werden, daß die heutige eR nicht mehr mit jenen frühen, religiös motivierten Eruptionen gleichzusetzen ist, wenngleich einzelne Versatzstücke bis in unsere Tage aufzufinden sind. Dies gilt sowohl fiir die frühen Träger der BewegWlg, den geistlichen Stand, als auch fiir die Themen aus dem sozialmoralischen Bereich. Dennoch wird deutlich werden, daß die eR keineswegs die "Old Right" in einem neuem Gewand ist. Die Analyse der Transformationen der eR wird schließlich zeigen, daß wir es im Falle der eR mit einer überaus modemen BewegWlg zu tWl haben, der es nach schmerzlichen Rückschlägen Anfang der 90er Jahre gelWlgen ist, die Interessen ihrer religiösen Basis in einem modemen, pluralistischen Umfeld zu etablieren. Die heutigen Qualitäten der eR liegen in ihrer Fähigkeit Wld ihrem Willen, den von außen Wld innen an sie herangetragenen HerausfordeTWlgen durch Transformationen zu begegnen. Der Gegenstand der Arbeit, die Aktionen, Reaktionen Wld WandlWlgsprozesse der eR, bedingt eine Reihe weiterer Fragen: Welche personellen Wld strukturellen VerändeTWlgen hat die eR im Laufe ihrer Existenz durchlaufen? Wer sind die Anhänger Wld die Eliten der eR? Wie konnte die eR Anfang der 80er Wld Anfang der 90er Jahre Aktivisten mobilisieren? Welche Themen sind wann von BedeutWlg? Wie gelang es ihr, die Wlterschiedlichsten Positionen Wld Themen zu verarbeiten Wld zu präsentieren? Wie sehen die Reaktionen der eR auf politische
1. Fragestellung und Gliederung der Arbeit
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Erfolge beziehungsweise Mißerfolge aus? Mit welchen Strategien versucht die eR, politischen Einfhill auszuüben? In einem weiter gesteckten Rahmen eröffnen diese Fragen, zusammen mit der Analyse der eR-Organisationen, die Perspektive für die Betrachtung und Bewertung der kulturellen Dimension des religiös-politischen Engagements. Es wird sich zeigen, daß die fortdauernde Existenz und die politische Artikulation eines religiös-konservativen Milieus mit Hilfe der eR-Organisationen die vorpolitische und politische Arena in den USA entscheidend verändert hat. Es bleibt zu prüfen, ob diese von der eR ausgelösten Tiefenwirkungen nicht ihren eigentlichen Erfolg darstellen, und inwieweit die politische Kultur der USA auf diese neue Herausforderung reagiert. Die Arbeit untersucht die Aktionen, Reaktionen und Transformationen der eR-Organisationen in fünf Kapiteln. Das erste Kapitel beschäftigt sich mit dem umfangreichen Forschungsstand zum Thema Religion und Politik. Drei große Forschungsansätze stehen dabei im Mittelpunkt der wissenschaftlichen Beschäftigung. Zunächst versucht man, eine Verbindung von Religion und Individuum herzustellen. Interessant ist dabei die Frage, welches einheitliche und verbindliche Glaubens- oder Wertesystem dem einzelnen durch Religion vermittelt wird. Ein weiterer Schwerpunkt sind die sozialen Gruppen und ihre Beziehung zur Religion. Schließlich interessiert man sich für die institutionellen Aspekte von Religion, insbesondere für die nahezu unüberschaubare Palette von Organisationen und Vereinigungen. Innerhalb dieser drei Bereiche tummeln sich nun zahlreiche Interpretationsansätze, die jedoch überwiegend eindimensional ausgerichtet sind und demnach bei der Analyse und Bewertung des religiös-konservativen Engagements zu kurz greifen. Die vieWiltigen Erscheinungsformen der eR., ihre zahlreichen Themen und ihre organisatorische Ausprägung, ihre Träger und Mitglieder lassen sich nur schwer in ein Methodenkorsett zwängen. 2 Zwar herrscht kein Mangel an Einzelstudien über das Phänomen der eR., es fehlt jedoch der Versuch, diese Ergebnisse zu bündeln und in einem übergreifenden Ansatz gedanklich neu zu ordnen. Aus diesem Grund wird zunächst ein etwas weiterer Blick über den Erkenntnisgegenstand Religion geworfen, um dann in einem zweiten Blick die einzelnen mikrotheoretischen Ansätze näher in Augen-
So stecken beispielsweise die Untersuchungen über die Rolle ihrer religiösen Eliten (Fernsehprediger), die Reichweite ihres Einflusses unter den Mitgliedern der Organisationen, über den Einfluß von Mitgliedern auf den Thernenkatalog, die Bandbreite der Themen, die innere Entscheidungsstruktur der Organisationen sowie über uen Einfluß auf den politischen Prozeß erst in den Kinderschuhen. 2 Slerr
18
A. Einleitung
schein zu nelunen. Aus dieser Analyse und Betrachtung erfolgt schließlich die abschließende Präzisierung der eigenen Fragestellung. Das zweite Kapitel beschäftigt sich mit den historischen Erscheinungen eines religiös-konservativen Aufbegehrens. In einer zeitlichen Klammer, die ausgehend von 1896 etwa hundert Jahre zusammenhält, werden verschiedene Phasen einer religiös motivierten politischen Aktivität aufgezeigt. Vor allem die 20er und 50er Jahre stellen Sattelzeiten des religiös-konservativen Engagements dar. Wie ist die religiöse Landschaft durch die fortschreitende Modernisierung der amerikanischen Gesellschaft verändert worden? Wie haben religiös-konservative Amerikaner auf die gesellschaftlichen Veränderungen in jenen Phasen reagiert? Und schließlich, welche Unterschiede und Gemeinsamkeiten lassen sich zwischen "Old Religious Right" und "Christian Right" aufzeigen. Das dritte Kapitel zeigt anband zahlreicher Einzelbeispiele Aktionen und Transformationen der CR in den 80er Jahren. Dabei wird sich zeigen, daß die CR durchaus die Interessen eines religiös-konservativen Milieus in der politischen Arena vertrat, jedoch auch mit welchen Schwierigkeiten und welchen widersprüchlichen Erwartungen die Träger und die Eliten der CR zu kämpfen hatten. Probleme, die das Lavieren zwischen der profanen und der heiligen Welt mit sich brachte. Die anfänglichen Erfolge der CR in den Bereichen Mobilisierung und Lobbying werden auf ihre tatsächlichen Ergebnisse hin untersucht. Der Mythos CR, der sich Anfang der 80er Jahre gebildet hatte, wird nach und nach von einem nüchternen Bild abgelöst werden. Die verantwortlichen Eliten und die von ihnen gefiihrten Organisationen waren nur unter ganz bestimmten Konstellationen in der Lage, effektive Interessenpolitik zu betreiben und zählbare Erfolge einzufahren. Die CR war niemals eine wirkliche ,,moral majority", da es ihr nicht gelang, ihren religiösen Ballast abzuwerfen und somit ihre Basis entscheidend zu verbreitern. Das Verhalten der CR in diesen Jahren war nicht nur von dem Wunsch bestimmt, professioneller und erfolgreicher zu werden, sondern die Aktionen und Wandlungen stellen auch den Versuch dar, die in der heiligen Welt ausgesprochen Erwartungen in der profanen Welt einzulösen. Die Widersprüche zwischen diesen beiden Sphären erzeugen ein Dilemma, dem die CR durch Transformationen zu entgehen suchte. Zur Strukturierung der Entwicklung der CR dienen, sowohl in den 80er Jahren als auch in den 90er Jahren, sechs Klassiftkationskriterien (TrägerfRessourcen, Ideologierrhemen, Mobilisierung/Aktionen). Anband dieser Kriterien will die Arbeit zeigen, wie sich die CR von einer, von religiösen Predigern geleiteten, Honoratiorenorganisation über eine religiös-politische Bewegung zu einer
n. Begriffe Wld Definitionen
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politischen Interessengruppe Wld darm wieder zurück in eine gemeindeorientierte, lokale Bewegoog transformierte.
Im vierten Kapitel wird die EntwicklWlg der CR mit Hilfe der entwickelten Klassifikationsmerkmale fortgeschrieben. Es wird deutlich werden, daß die CR gegen Ende der 80er Jahre in einer besseren Ausgangssituation war Wld besser geführt wurde als Anfang des Jahrzehnts. Es erfolgte eine umfassende Reform der CR. so daß sie sich nach deren Abschluß als fWlderneuerte politische Bewegoog präsentiert. Den Abschluß des Kapitels bilden Fragen nach den Grenzen Wld Chancen der CR. Wird es der CR in der Zukunft gelingen, durch ihre AnpassWlgsfähigkeit Wld WandlWlgsfähigkeit zu einem dauerhaften Wld einflußreichen Faktor innerhalb des politischen Systems der USA zu werden? Im fünften zusammenfassenden Kapitel stehen zwei Ebenen der BewertWlg des religiös-konservativen Engagements im Zentrum. ZWlächst wird versucht, die EntwicklWlg der CR aus der Sicht ihres religiös-konservativen Milieus zu betrachten. War die CR erfolgreich in ihrer Interessenartikulation? Warum ist die CR heute professioneller Wld einflußreicher als zu Beginn ihrer Existenz? Zum anderen wird der Blick auf die generellen politischen Wld gesellschaftlichen AuswirkWlgen dieses Engagements gelenkt. Karm man die Aktivitäten der CR hinsichtlich einer möglichst breiten Beteiligoog aller Bürger an der GestaltWlg des politischen Gemeinwesens generell gutheißen, oder sind darin erhebliche Gefahren fi.ir eine pluralistische Demokartie verborgen? In einer Demokratie können gruppenübergreifende Werte nur durch Konsens ihren verbindlichen Charakter erhalten. Die Aktivitäten von religiös-konservativen Amerikanern scheinen darauf hinzudeuten, daß dieser Wertekonsens brüchig geworden ist. Letztlich könnte die CR fi.ir viele religiös-konservative Amerikaner ein Antwort auf die Frage sein, welche Werte fi.ir die amerikanische Gesellschaft im nächsten Jahrtausend verbindlich sein sollen - "ifthe lord permits".
11. Begriffe und Definitionen "Christian Right" - wohl kaum ein soziales Phänomen in der jüngeren Geschichte der USA hat so viele BezeichnWlgen über sich ergehen lassen müssen. Bei der NamensgebWlg stößt man auf eine geradezu babylonische BegriffsverwirfWlg. Sowohl die Bewegoog an sich als auch die Mitglieder werden mit zahlreichen Etiketten ausgezeichnet, die sich gegenseitig beeinflussen, wobei die VerwirfWlg stetig zunimmt. Die Bewegoog karm folgende Namen tragen: ,,New
20
A. Einleitung
Christian Right, Christian Right, neo-Christian Right, Religious Right, New Right, New Religious Right, New Religious Political Right, New Right Evangelicals, Evangelical New Right, Conservative Christian Political Movement und Evangelical Movement." Thre Mitglieder müssen sich folgende Namensgebungen gefallen lassen: ,,Evangelical Protestants, Evangelical Conservatives, NeoEvangelicals, Evangelical Christi ans, Conservative Evangelicals, Radical Evangelicals, Evangelical Orthodox, Fundamentalists, Conservative Fundamentalists, Modem Fundamentalists, Conservative Christians und Born-Again Christians. ,,3 Die Klärung von Begriffen gehört zu den elementarsten Voraussetzungen einer wissenschaftlichen Analyse. Die Namensgebungen sind jedoch immer noch stark von der Alltagssprache geprägt. Nur zu oft lassen sich Sympathie oder Antipathie fiir das religiös-konservative Engagement an der Begriffswahl ablesen. In den letzten Jahren hat sich die Bezeichnung "Christian Right" als möglichst objektive Einordnung zumindest in den Sozialwissenschaften durchgesetzt. In der Folge sollen vier fiir die Analyse zentrale Begriffe, die im Text häufiger auftauchen, wie "Christian Right", ,,Religious Conservative", ,,Evangelical" und Fundamentalist", näher beleuchtet werden. Die Unterscheidung Zwischen rechts und links ist nicht nur in der politischen Alltagsprache eine der am häufigsten gebrauchten Typologisierungen, sondern sie dient auch in der Wissenschaft als unersetzliches Hilfsmittel. Gerade der geringe Aussagegehalt des Begriffes bietet zwei Vorteile. Zunächst läßt sich eine weitgefaßte Verortung eines bestimmten politischen Lagers vornehmen. Zweitens bietet sich die Möglichkeit, innerhalb des so definierten Lagers weiter zu differenzieren. 4 In Anbetracht der Schwierigkeit, eine über verschiedene historische und kulturelle Phasen praktikable Defintion aufzustellen, lehnt sich der hier verwendete Begriff ,,rechts" an die von Erwin Scheuch fiir westliche Industriengesellschaften vorgeschlagene Definition an. Danach sind politische Bewegungen als ,,rechts" zu bezeichnen,: ,,( ... ) wenn sie die Gegenwart durch eine (verbesserte) WiederherstellWlg vergangener Organisationsformen Wld Werte bekämpfen Wld Erklärungsschemata Wld Idealbilder aus der Vergangenheit ( ... ) anbieten. Diese Erklärungsschemata Wld Idealbilder aus der
den.
Die Begriffe sind in der vorliegenden Schreibweise der Literatur entnommen wor-
Vgl. zum Beispiel die UnterscheidWlg zwischen Social Conservatives Wld LaissezFaire Conservatives, oder Old Right Wld New Right, Far Right Wld Moderate Right etc.
II. Begriffe und Definitionen
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Vergangenheit seien dabei jeweils auf die konkrete Vergangenheit einer bestimmten Gesellschaft bezogen."s
Die "Christian Right" läßt sich nach dieser Definition als Bewegung verstehen, die die modeme gesellschaftliche Entwickhmg der USA negiert ood eine Rückkehr ztrr Ur-Demokratie, zu individueller Unabhängigkeit von staatlichen Ordnoogsvorstelloogen, zu traditionellen Gemeinschaftsformen, sowie zu religiös geprägten amerikanischen Werten postuliert. 6 Die Mitglieder oder Träger der Christian Right werden meist als ,,Evangelicals", ,,Foodamentalists" oder als Religiös-Konservative bezeichnet. Bei anderen Bezeichnoogen wird auf die Unterschiede im Kontext hingewiesen. Die Beschreiboog der frühen Erscheinoogsformen des religiös-konservativen Aufbegehrens Anfang unseres Jahrhooderts steht im Zentrum des zweiten Kapitels. Für dieses erste religiös-konservative Engagement hat sich der Begriff "Old Religious Right" in der Forschoog eingebürgert. Als die Anzeichen für ein wiedererwachtes, religiös motiviertes politisches Engagement in den 70er Jahren nicht mehr zu übersehen waren, änderte man den Begriff durch ein Präfix in "New Religious Right" oder "New Christian Right". Somit hatte man der zeitlichen Komponente Rechnoog getragen, die strukturellen ood organisatorischen Unterschiede des Phänomens gleichwohl zugeschüttet. Für die vorliegende Studie kann auf eine Neudefinition dieser Begriffe verzichtet werden. Die Bezeichoog "Old Religious Right" wird aus Gründen der wissenschaftlichen Einheitlichkeit beibehalten. In den späteren Kapiteln ist dann von "Christi an Right", als Bezeichnoog des gesamten Phänomens die Rede. Einzelne Organisationen der CR tragen entweder ihren Namen, oder sie werden in ihrer Gesamtheit als Christian Right-Organisationen bezeichnet.
Vgl. Erwin K Scheueh: "Theorie des Rechtsradikalismus in westlichen Industriegesellschaften.", in: Hamburger Jahrbuch fiir Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik 12 (1967), S. 12-29, S. 23. 6 Die fiir den Rechtsextremismus so typisch erachteten Merkmale, wie Antiindividualismus, Ablehnung des demokratischen Verfassungsstaates, fundamentale Ungleichheit der Menschen und Verschwörungstheorien lassen sich in abgeschwächter Form auch bei der Christian Right wiederfinden. Insgesamt orientieren sich diese Merkmale jedoch sehr am deutschen Vorbild (oder genauer an dem historischen Vorbild Nationalsozialismus). Die Umsetzung in die amerikanische Situation hängt von den spezifischen Situationen und Problemen dieses politischen Gemeinwesens ab. Dabei muß geklärt werden, welche Konfliktregelungsmechanismen existieren, welche politischen Institutionen das Zusammenleben regeln, sowie welche alternativen Ausdrucksmöglichkeiten fiir eine rechtsdefinierte Bewegung vorhanden sind. vgl. zur generellen Definitionsproblematik: Uwe Backes/Eckhard Jesse: Politischer Extremismus in der Bundesrepublik Deutschland. Bonn 31993, S. 29-46.
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A. Einleitung
Was bedeutet nun religiös-konservativ im amerikanischen Kontext? Der amerikanische Konservativismus wird in dieser Arbeit im Sinne von Samuel Huntington als situationsgebundenes Ideensystem verstanden, das politische und soziale Werte verbreitet und von einer bedeutenden sozialen Gruppe (in diesem Fall von religiös motivierten Personen) anerkannt und verteidigt wird.' Der amerikanische Konservativismus ist allerdings kein festgeschlossenes Ideengebäude. Es lassen sich mehrere Einflüsse aufzeigen. So ist er zunächst durch eine neue Sensibilität fiir soziokulturelle Werte und Normen (Nationalismus, Recht und Ordnung, Familie und Ehe, Religion) bestimmt. Zu diesen gesellt sich die uneingeschränkte Bejahung des industriellen Kapitalismus, besonderes seiner Fortschritts- und Prosperitätsvorstellungen. Eine ,,konservative" Version des Wohlfahrtsstaates wird akzeptiert. Dies bedeutet freilich, daß die Gestaltungsrechte des Staates auf ein "vernünftiges Minimum" beschränkt werden sollen. Die außenpolitischen Vorstellungen schwanken zwischen protektionistischem Freihandel und Isolationismus, zusätzlich verbunden mit einem zuweilen manischen Antikommunismus. 8 Diese Ideologie wird häufig in Situationen wirksam, in denen sich bestehende Institutionen und Positionen im Umbruch befinden. Zu ihrem Schutz greifen die Träger dieser Institutionen auf eine konservative Ideologie zurück. In diesem Sinne ist Konservativismus in den USA nur möglich, wenn eine allgemeine Bedrohung der amerikanischen Institutionen vorliegt, die die Verteidiger zwingt, konservative Werte zu artikulieren. 9 Der Begriff ,,religious conservative" setzt sich zum einen aus den oben geschilderten allgemeinen Vorstellungen über Konservativismus in den USA zusammen, zum anderen werden damit die religiös-moralischen Bestandteile der
Vgl. Samuel Huntington: ,,Konservativismus als Ideologie.", in: Konservativismus. (Hg.) Hans-Gerd Schumann. Königsteinffs. 1984, S. 89-112. 8 Daneben bestimmen noch zusätzliche Komponenten das konservative "Glaubensbekenntnis". vgl. Huntington 1984, S. 90ff; vgl. zum Terminus 'Konservativismus' in den Geschichts- und Gesellschaftswissenschaften. Hans-Gerd Schumann: ,,'Konservativismus' als analytischer Strukturbegriff.", in: Schumann 1984, S. 370-382. 9 Vgl. zu den Sattelzeiten der religiös-konservativen Bewegung Kap. B; Verteidiger des politischen Engagements der Christian Right betonen die fiir religiöse Amerikaner immer bedrohlicher werdenden Übergriffe eines säkularen Staates Ende der 70er Jahre. Daraus leiten sie den defensiven Charakter der Bewegung ab. vgl. als Beispiel Richard J Neuhaus: ..What the fundamentalists want.", in: Piety and Politics. (Hg.) RJ Neuhaus/M Cromartie. Washington, D.C. 1987, S. 3-18.
II. Begriffe Wld Definitionen
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amerikanischen Wertetrias von "life, liberty and the pursuit of happiness" betont. 1O Ein religiös-konservatives Engagement wird meist in einem Atemzug mit den Begriffen ,,Evangelical" oder ,,Fundamentalist" genannt. Bereits die Aktivisten der "Old Religious Right" in den 20er Jahren bezeichneten sich als Fundamentalisten. Als religiös-konservativ orientierte Amerikaner Anfang der 80er Jahre überraschend ins Licht der politischen und gesellschaftlichen Öffentlichkeit zurückkehrten und lautstark an die Tür des politischen Washingtons pochten, kehrte die religiöse Begriffsproblematik mit ihnen zurück. Der amerikanische konservative Protestantismus untergliedert sich in zahlreiche religiöse Identifikationen. 11 Die wichtigste ist die des ,,Evangelical". Im vorliegenden Text sollen damit zunächst alle religiös-konservativen Protestanten, alle ,,Pentecostals" und alle "Charismatics", die sich zu einer ,,religious fellowship or coalition of which people feel a part" zusammenschließen, bezeichnet werden. Zusätzlich wird der Begriff ,,Fundamentalist" verwendet. Dieser Begriff verweist auf eine Gruppe innerhalb der ,,Evangelicals", die jedoch in ihren religiösen Dogmen und Praktiken vom protestantistischen Hauptstrom abweicht. In einzelnen Fällen wird auf den unterschiedlichen Gebrauch hingewiesen. 12 Die Anwendung aller erwähnten Begriffe ist schon im amerikanischen Kontext
10 Der Amerikanismus oder der ,,American Creed" vereinnahmt Traditionsstränge Wld Werte der politischen Kultur Wld bildet daraus den Glauben an überzeitliche Begriffe wie Freiheit, Gleichheit Wld Chancengleichheit. Diese Traditionen Wld GTWldwerte gelten als ideologiefrei. Ein solcher Wertekatalog findet eine generelle Akzeptanz bei allen Amerikanern, wobei eine kritische Reflexion dieser Werte im Prinzip nicht stattfindet, wohl aber ein Wlsysternatischer Wld beliebiger Umgang mit diesen Ideen Wld Werten. Dem Amerikanismus zu widersprechen oder ihn in Abrede zu stellen, setzt Amerikaner leicht dem Verdacht aus, Wlamerikanisch zu sein. vgl. Jakob Schissler: ,,Politische Kultur Wld öffentliche MeinWlg.", in: Adams u.a. 1990, S. 259-273. 11 Einen historischen lUld aktuellen Überblick über die wichtigsten Bekenntnisse in den USA bietet J Gordon Melton: Encyclopedia of American Religions. DetroitJWashington, D.C./London 41993. Er präsentiert über 450 religiöse Glaubensbekenntnisse Wld Konfessionen in VerbindWlg mit Glaubensaussagen Wld theologischen Dogmen sowie zahlreichen anschaulich geschilderten religiösen Praktiken; vgl zur Ergänzung J G. Me/ton: A Directory of Religious Bodies in the United States. New YorkILondon 1977. Me/ton klassifiziert in dieser AufstellWlg über 1.200 Bekenntnisse nach Glaubensinhalten und Praktiken. 12 Vgl. die ausführliche ErörteTWlg der Begriffe ,,Fundamentalist", ,,Evangelical" und ,,Born-Again" in Kap. B I 2.
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A. Einleitung
äußerst problematisch. 13 Aus diesem Gnmd wurde weitgehend auf eine ÜbersetZWlg ins Deutsche verzichtet und die amerikanische Schreibweise beibehalten.
IH. Quellen Die Informationen, Fakten und einige der Schlußfolgerungen, die den Gegenstand dieser Arbeit ausmachen, wurden aus Primarquellen und Sekundärquellen gewonnen. Die Sekundärquellen sind im Literaturverzeichnis aufgeführt. Dort werden sowohl selbständig erschienene Monographien als auch unselbständig erschienene Quellen aufgeführt. Dies sind: wissenschaftliche Aufsätze, Kommentare, Fachlexikaartikel, Dokumente des amerikanischen Kongresses, Zeitungsartikel, statistisches Material, Internet-Dokumente und Quellen aus zweiter Hand. Die Primärquellen sind Materialien und sonstige Veröffentlichungen der untersuchten Christian Right Organisationen wie Briefe, Faxe, Strategiepapiere, Steuererklärungen, Informationsbroschiiren, "Scorecards", Unterlagen liberaler Interessengruppen wie ,,People for the American Way" sowie selbständig erschiene Publikationen einzelner Mitglieder der Christian Right. Diese "graue Literatur" ist nicht gesondert im Literaturverzeichnis aufgeführt. Als Nachweis gilt der Beleg in der jeweiligen Fußnote. Ein Großteil der Informationen wird aus einer Reihe persönlicher Interviews bezogen. Diese Interviews wurden im Frühjahr 1993 mit Repräsentanten der Christian Right, Lobbyisten konservativer Organisationen, Vertretern von liberalen Interessengruppen, Mitarbeitern des White House Office of Public Liason unter Reagan und Bush, politischen Kommentatoren, Abgeordneten und Wissenschaftlern geführt. Insgesamt füllen die schriftlichen Aufzeichnungen aller Interviews rund 360, einzeilig beschriebene, Seiten. Eine Liste mit den geführten Interviews befindet sich im Anhang der Arbeit. Zusammengenommen bilden die verwendeten Primär- und Sekundärquellen eine verläßliche und breite Basis, um die Aktionen und Transformationen der Christian Right in den 80er und fiiihen 90er Jahren nachzeichnen zu können.
13 Vgl. Clyde Wilcoxfl'ed J Jelen/David C. Leege: ,,Religious Group Identifications: Towards a Cognitive Theory ofReligious Mobilization.", in: Rediscovering the Religious Factor in American Politics. (Hg.) David C. LeegeiLyman A. Kellstedt. Arrnonk, New York 1993, S. 72-100, S. 74.
IV. Religion als wissenschaftliches Phänomen
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IV. Religion als wissenschaftliches Phänomen - methodische Überlegungen zum Forschungsstand Es gibt kawn einen Gegenstand in der Disziplin der Geisteswissenschaften, über den so kontrovers diskutiert wird wie über die Religionssoziologie. Die große Masse ihrer VeröffentlichlUlgen kreist wn die Frage, was Religion überhaupt sei. Dabei variieren die Antworten, je nach Standpunkt, zwischen der Eigenperspektive, die den Religionen möglichst viel RechnlUlg tragen möchte lUld einer soziologischen Perspektive, die nach fimktionalen Kriterien entscheiden will was Religion sei. Im folgenden sollen besonders zwei Dimensionen dieser wissenschaftlichen Beschäftigilllg mit Religion betrachtet werden. ZlUlächst wagen wir einen weiten Blick über die Oberfläche des Erkenntnisgegenstandes. Die erste Dimension rückt die makro-theoretische Ebene in das Blickfeld. Der Säkularisationsansatz stellt dabei den ersten Ausgangspunkt einer UntersuchlUlg von Religion in der modemen Gesellschaft dar. Erst durch die WiederbeleblUlg von Religiosität lUld Religion in allen menschlichen Bereichen gewann die VorstelllUlg der ModernisierlUlgstheoretiker an Einfluß. Der zweite Blick geht mehr in die Tiefe. Es werden dabei die lUlterschiedlichsten mikro-theoretischen Ansätze zum Phänomen Religion beleuchtet. Die Bandbreite der hier vorgestellten methodischen Ansätze reicht von individuellen Ansätzen, wie sie Peter Berger lUld Robert Bellah vertreten, über spezifisch amerikanische ErfahrlUlgen einer besonderen politischen Kultur, zusarnmengefaßt in der Idee einer "civil religion", über die Status- und Klassenansätze lUld die Wertecleavageslvon!Ronald Inglehardtbis hin zu EinschätZlUlgen, die ein fimdamentalistisches Aufbegehren, eine Gegenmodeme, ausmachen. Relativ große Aufmerksamkeit sollen schließlich die in der amerikanischen ForschlUlg bedeutenden Interessengruppenansätze sowie Theorien der sozialen Bewegilllgen lUld der Parteienlehre genießen. Schließlich sollen die vorgestellten Ansätze auf ihre Tauglichkeit geprüft werden, das Phänomen der Christian Right zu erklären und einzuordnen. Mehrere Gedankenketten verknüpfen die Diskussion der einzelnen ForschlUlgsansätze, wobei im besonderen nach den Funktionen von Religion in einer Gesellschaft gefragt wird. Welche Art von SinnstiftlUlg, LegitimierlUlg lUld OrientierlUlg vermittelt Religion in einer modemen UmgeblUlg? Welche speziellen Bedingilllgen sind für den Einfluß von Religion von Bedeutung? Daneben stehen Überlegilllgen, die sich mit dem Problembereich religiös motivierter Aktivität beschäftigen. Welche BeziehlUlgen bestehen zwischen indivi-
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A. Einleitung
duell er Religiosität lUld der VerbindlUlg von Religion mit kollektiven Verhaltensweisen lUld Aktionen? Wie läßt sich die politische MobilisieflUlg religiöskonservativ orientierter Amerikaner erklären? Totgesagte leben länger, lUld nichts scheint dieses Sprichwort mehr zu bestätigen als die gesellschaftliche lUld politische Wiedergeburt des Faktors Religion; Religion ist wieder ,,in". Noch in den 50er lUld 60er Jahren hat eine Reihe von Sozialwissenschaftlern argumentiert, daß die fortschreitende ModernisieflUlg der Gesellschaft die politische BedeutlUlg der Religion lUld die BindlUlgen des einzelnen an religiöse Dogmen reduziere. Nach einer weitverbreiteten Hypothese würden neue ErziehlUlgsmethoden, UrbanisieflUlg, Technologie lUld wissenschaftlicher Fortschritt sowie die allgemein modemen Arbeitsmethoden lUlausweichlich in allen Teilen der Welt zum Siegeszug von Säkularisation, Pluralismus lUld politischer DifferenzieflUlg fUhren. Synchron würden neu entstehende soziale Komplexe lUld BindlUlgen die Adaption veränderter Wert- lUld NormenvorstelllUlgen mit sich bringen. Modeme Lebensstile würden die religiösen Traditionen nach lUld nach erodieren - die Modeme würde die FlUldamente der religiösen Institutionen lUltergraben lUld zum Einsturz bringen. Die religiöse Klammer, die zahllose Kulturen lUld Gesellschaften JahrhlUlderte lUld Jahrtausende zusammengehalten hatte, sah man durch diese EntwickllUlgen zerbrechen. Religion konnte nicht mehr eine der Triebfedern fiir kollektive Aktionen, politische MobilisieflUlg lUld soziale Kontrolle sein. Thr wurde ein Schattendasein prophezeit lUld lediglich im privaten, individuellen Bereich würde sie noch anzutreffen sein. 14 Diese EinschätZlUlgen gründeten sich auf die BeobachtlUlg der EntwickllUlg der Modeme in den westlichen Industriegesellschaften. Der Prozeß der SäkularisieflUlg sollte dort nicht nur von Dauer, sondern lUlumkehrbar sein. Diese westliche BeobachtlUlg lUld ErfahflUlg galt als universelles Phänomen. In allen Teilen der Welt erwartete man ähnlich verlaufende EntwickllUlgen. Die traditionellen Gesellschaften zerbrachen lUlter dem Ansturm der Modeme lUld sollten durch ihre FolgeerscheinlUlgen nachhaltig verändert werden. Die Religion würde im Zuge dieser Transformationen lUlausweichlich an die Peripherie gedrängt werden. Daß die Säkularisationstheorie in Wirklichkeit keine geschlossene 14 Vgl. für einen Überblick über die Modemisierungsliteratur Wld ihre Theorie. E. Sahliyeh: ,,Religious Resurgence and Political Mobilization.", in: Religious Resurgence and Politics in the Contemporary World. (Hg.) E. Sahliyeh. New York 1990, S. 3-16; das Stichwort Religion taucht neuerdings wieder in dem Bestseller von lohn Nasbitt auf. vgl. John Nasbitt. Megatrends: Ten New Directions for the 1990s. New York 1990, S. 270297. Die erste Ausgabe: The Years Ahead. New York 1986 hatte völlig auf dieses Stichwort verzichtet.
IV. Religion als wissenschaftliches Phänomen
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Theorie darstellt, sondern vielmehr auf drei verschiedenen lUld lUlgleichartigen BehauptlUlgen fußt, rückte dabei zunächst in den HintergTlUld. Unter Säkularisation versteht man einmal die AblöslUlg lUld die Emanzipation der weltlichen Bereiche von den religiösen Institutionen lUld Normen. Zweitens beschreibt sie den Niedergang religiöser Überzeugoogen lUld Verhaltensformen lUld drittens die Abdrängoog der Religion in den privaten Bereich. Da diese Prozesse in Europa zufallig gemeinsam auftraten, gingen die tonangebenden sozialwissenschaftlichen LehrmeinlUlgen davon aus, daß sie nicht nur historisch, sondern auch strukturell lUld ftmktional zusammengehören müßten. Daß die heutige USA ein Paradebeispiel fiir die Irrigkeit dieser These darstellt, läßt sich leicht veranschaulichen. Die USA ist zugleich die säkularisierteste lUld die am wenigsten säkularisierte Nation der Neuzeit. Von der BetrachtlUlgsweise hängt es ab, ob man die strukturelle BedeutlUlg, die TrennlUlg von Staat lUld Kirche heranzieht, oder die VerbreitlUlg von religiösen Verhaltensweisen lUld Überzeugoogen. Noch injÜllgster Zeit neigen Säkularisationstheorien dazu, solche Beispiele als "amerikanische Ausnahme" wegzudeuten. 15 Viel lieber sah man in dem aufkommenden Nationalismus den Ersatz fiir die Religion. Der Nationalismus galt als die Ideologie der ZuklUlft, denn er bot den modemen Bürgern einen sicheren Hafen fiir ihre sozialen Bedürfnisse lUld ihre politische Identifikation an. 16 Keine wirkliche Gefahr fiir das säkulare Modell der Modeme sah man in der aktiven Rolle, die Religion lUld religiöse Bewegoogen bei der EntkolonisieTlUlg in der 3. Welt spielten sowie in der Manipulation von religiösen Symbolen durch säkulare Führer lUld Eliten im Post-Kolonialismus.1 7 Durch ZlUlehmende VerbreitlUlg von wissenschaftlicher Information lUld durch AusbreitlUlg moderner Kommunikationsmethoden schmolz der Einfluß von Religion dahin. Als Endziel, so die abschließende optimistische Annahme, könnten die verschiedenen Weltkulturen lUld Religionen eines Tages durch eine einheitliche, weltweite Wertegemeinschaft ersetzt werden. Die Ereignisse der 70er lUld 80er Jahre versetzen dieser optimistischen EinschätZilllg einen kräftigen Dämpfer. 15 Vgl. Jose Casanova: ,,Religion und Öffentlichkeit im Ost-/Westvergleich.", in: Transit (1994) 8, S. 21-42, S. 22. 16 Die Arbeiten von Ernst Gellner, einem der prominentesten Vertreter des Modemisierungsansatzes in Verbindung mit Nationalismus, können hierbei als Beispiel dienen. vgl. Ernest Gel/ner. Nationalismus und Modeme. Hamburg 1995, S. 65ff; Zusammenfassung seines Arguments S. 202f; vgl. dazu auch die Argumente von Benedict Anderson: Die Erfindung der Nation. Frankfurt 21993; OUo Dann (Hg.): Nationalismus und sozialer Wandel. Hamburg 1978; Wolfgang Zapf (Hg.): Theorien des sozialen Wandels. Kö1nJBerlin 21970. 17 Gegen dieses Argument wendet sich Dietmar Rothermund: ,,Nationalismus und sozialer Wandel in der Dritten Welt: 12 Thesen.", in: Dann 1978, S. 187-208.
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A. Einleitung
Die politische Wiederbelebung religiöser Gruppen in den USA, Mittel- und Lateinamerikas, der arabischen Welt und in zahlreichen Ländern der 3. Welt, ließ doch erhebliche Zweifel an der universellen Gültigkeit des Konzepts der Moderne aufkommen. Verstädterung, steigende Lebensstandards, bessere Ausbildung und die Differenzierung der menschlichen Tätigkeiten fiihrte nicht automatisch zu einem Niedergang traditioneller Werte und religiöser Orientierungen. Das Gegenteil trat ein. Die sozialen Umwälzungen, die durch die Modernisierung verursacht wurden, hatten eine Wiederbelebung des religiösen Interesses zur Folge. Der auf Modernisierung reduzierte Fortschrittsglaube ließ sich durch die Widerstände, die seinen Kolonisierungsversuchen entgegengebracht wurden, nicht beirren. In den Agrarrevolten, den populistischen Protestbewegungen, den Handwerker- und Arbeiteraufständen sah man ein letztes Aufflackern, einen letzten antimodemen Protest vor dem endgültigen Verlöschen. 18 Doch in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts mußte die Modeme selbst auf die Anklagebank. Sie wurde an ihren selbstaufgestellten Maßstäben gemessen - und teilweise fiir zu leicht befunden. 19 Die politische Auferstehung von Religion in allen Teilen der Welt war einem seismischen Beben vergleichbar, welches eine Flutwelle in der wissenschaftlichen und belletristischen Literaturwelt nach sich zog. Doch trotz der Masse von Publikationen zum Thema Religion und Politik fehlt bislang eine einheitliche Theorie, ein schlüssiges Konzept oder ein einleuchtender Ansatz, der die politische Wiederbelebung der Religion zur Gänze erklären könnte.
18 Oftmals als Gegensatzpaar Fundamentalismus vs. Modeme bezeichnet, oder, wesentlich allegorischer, als Gespenst, welches in den modemen Industriestaaten umgeht. vgl. Christian J Jaeggi/David J Krieger: Fundamentalismus ein Phämonen der Gegenwart. ZürichlWiesbaden 1990. Die Autoren vertreten die These, daß die Fundamentalisten weniger gegen die Modeme an sich vorgehen, sondern primär auf den durch sie bedingten Religionsverlust zielen. Vgl. Thomas Meyer (Hg.): Fundamentalismus in der modemen Welt. FrankfurtlReinbek 1989; vgl. die präsizeren Überlegungen zum Verhältnis Modeme und Fundamentalismus bei Helmut Dubiel: ,,Der Fundamentalismus der Modeme.", in: Merkur 46 (1992) 9/10, S. 747-762, S. 757f. 19 Vgl. als Beispiel: Ulrich Beck: Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Modeme. Frankfurt II 1995a, Kapitel I und ll. Beck zeichnet ein einprägsames Bild der heutigen Industriegesellschaft. Seiner Ansicht nach ist die gesellschaftsgeschichtliche Situation der entwickelten Gesellschaften durchaus mit der Situation im ausgehenden Feudalzeitalter an der Schwelle zur Industriegesellschaft zu vergleichen. Ebenso wie die Eliten des Feudalzeitalters zunächst zum eigenen Nutzen das Wirtschaftsbürgertum forderten, nährt die Industriegesellschaft ihren Nachfolger, die Risikogesellschaft. Sie produziert Risiken und schafft auf diese Weise politische und soziale Gefährdungslagen, die die Grundlagen der heutigen Modemisierung in Frage stellen. vgl. die Perspektiven von Beck nach Ende des Ost-West-Konflikts in Ulrich Beck: ,,Der Konflikt der zwei Modemen.", in: Ulrich Beck. Die feindlose Demokratie. Stuttgart 1995b, S. 11-31.
IV. Religion als wissenschaftliches Phänomen
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Inzwischen vennelden amerikanische Studien eine Stabilisienmg der Kirchlichkeit auf vergleichsweisem hohen Niveau, wohingegen die europäischen Beobachter einen erheblichen Rückgang der Kirchenbindung und der religiösen Praxis feststellen müssen. Die religiöse Vitalität der amerikanischen Gesellschaft wird von amerikanischen Soziologen!inlden)etzten Jahren vor allem ökonomisch erklärt. So hat sich das Motiv'desKirchenbesuc~\in den USA deutlich geändert. Nicht mehr Gehorsam gegenüber Gottes Gebot treibt die Gläubigen in die Kirchen, sondern Spaß und persönliche Erwartungen. 2o An diesen Wünschen hat sich in den USA ein "open market for religion" mit zahlreichen religiösen Anbietern entwickelt. Teil des Problems, wenn nicht das Problem selbst, ist, daß uns Religion in vielerlei Gestalt entgegentritt. Uns ergeht es wie Herakles, den der Periklymenos, der Vielgestaltige, durch seine Wandlungsfahigkeit fortgesetzt narrte. Er trat dem Zeussohn in Gestalt einer Ameise, einer Biene und einer Schlange entgegen und als er ihn schon bezwungen glaubte, entkam er in Adlergestalt. Die Erklänmgsansätze spiegeln die vielfaltigen Versuche, das Phänomen festzuhalten, wider. Religion ist nicht nur ein persönliches Glaubenssystem oder bietet eine Handlungsanweisung gegen die Modeme, sondern sie ist auch mit zahllosen Ideologien, Motiven und Interessen der unterschiedlichsten gesellschaftlichen Gruppen verknüpft. Sie entzieht sich immer wieder unserem Zugriff, und sie ist heute weit davon entfernt, durch säkulare Nonnen abgelöst zu werden. Bislang konnten traditionelle Religionen und religiöse Institutionen noch immer den Anfordenmgen, die eine Gesellschaft im Übergang oder transfonnierende Teilgruppen innerhalb einer Gemeinschaft stellen, entsprechen. Sie stellen ein offenbar unerschöpfliches und ungeahntes Reservoir an Inhalten, Ideen, Symbolen, Mobilisienmgsmöglichkeiten sowie Werten und Nonnen zur Verfiigung, und sie können sich offenbar mühelos an die Spitze nahezu jeder gesellschaftlichen Bewegung stellen. In Lateinamerika spielte die katholische Kirche eine aktive Rolle bei der Durchsetzung ökonomischer, sozialer und politischer Ziele. In Süd- und Südostasien ebenso wie im Nahen Osten, behauptete die Religion ihre Position im Zentrum des öffentlichen und politischen Lebens der neuentstandenen Staaten. 21 20 Vgl. S. Bruce (Hg.): Religion and Modernization. Sociologists and Historians Debate the Secularization Thesis. Oxford 1992, S. 21. 21 Vgl. Emest Gellner: Bedingungen der Freiheit: die Zivilgesellschaft und ihre Rivalen. Stuttgart 1995. Die Rolle der Religion wollte Gellner ganz auf die vorindustriellen Kulturen beschränkt sehen. Anstelle der ,Religion sei als identitätsstiftende Ideologie in der Moderne der Nationalismus getreten. Angesichts der Kämpfe in den ehemaligen sowjetischen Teilrepubliken und angesichts des militanten Fundamentalimus in der arabischen
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A. Einleitung
Sie wurde zu einem Träger der Modernisienmg und der sozialen Veränderung. In einigen Fällen, etwa im Iran und auf den Philippinnen, spielte die Religion die entscheidene Rolle beim Sturz der dort etablierten Regime. Religion versorgte die politische und gesellschaftliche Opposition mit mächtigen Waffen. Religiöse Symbole finden Verwendung bei der Massenmobilisierung gegen etablierte Regierungen. Ob es die islamische Revolution des Ayatollah Komeini im Iran war oder die Unterstützung der katholischen Kirche für die streikenden polnischen Arbeiter oder die Rolle der katholischen Bischöfe beim Sturz von Ferdinand Marcos oder die Opposition einiger liberaler ,,Evangelicals" gegen die Apartheidspolitik der südafrikanischen Regierung oder die Befreiungstheologie lateinamerikanischer Theologen, stets liehen Religionen diesen sozialen Bewegungen ihr Banner. Doch nicht nur traditionelle Milieus und Gruppen lassen sich von religiösen Normen und Werten beeinflussen. Die Modernisierung hatte nicht nur traditionelle religiöse Bewegungen gestärkt, sondern alte wiederbelebt und neue entstehen lassen. Sie versorgte diese Gruppen mit den notwendigen Ressourcen und Motiven, um überhaupt in einer Gesellschaft aktiv werden zu können. So konnte sich beispielsweise die religiös-konservative Bewegung in den USA erst zu ihrer heutigen Größe entfalten, als eine große Zahl ihrer Anhänger aus den ärmlichen, ländlichen Gebieten in die urbanen Zentren des Südens vorgestoßen waren. Die besseren Ausbildungs- und Erwerbsmöglichkeiten, verbesserte fmanzielle Ressourcen und der Zugang zu den Mitteln moderner Kommunikation versorgten die evangelischen Gemeinschaften mit dem entscheidenden Startkapital, um ihre Interessen zu propagieren. Vergleichbares ereignete sich in der arabischen Welt, wo zunächst die aufstrebende, gebildete Mittelklasse vom Islam angezogen wurde. Anhänger der islamischen Bewegung sind überzeugt, daß ihre Religion, ihre Werte und deren Unterweisungen nicht aus der Mode sind, sondern weiterhin eine wichtige, wenn nicht die alleinige Richtschnur im öffentlichen und privaten Leben eines jeden Muslims darstellt. 22
Welt überkamen Gellner Zweifel an seiner optimistischen Modemisienmgstheorie. Er wollte die repressive Kraft der Religion nicht weiterhin leugnen. Die Zivilgesellschaft ist denmach nicht die einzige mögliche Gesellschaftsform in der Modeme, sie hat durchaus Rivalen. Heute argumentiert Gellner, daß insbesondere im Islam, die ökonomischgesellschaftliche Modemisienmg durchaus mit einer religiösen Autokratie zu vereinbaren ist. 12 Vgl. E. Gellner: Postmodernism, Reason and Religion. LondonlNew York 1992, S. 5. ,,Islam is as strong now as it was a century ago. In some ways it is probably much stronger."; vgl. Gilles Kepel, der in seiner Studie ,,Die Rache Gottes. Radikale Moslems, Christen und Juden auf dem Vormarsch". München 1991, radikale Strömungen in den drei großen monotheistischen Weltreligionen untersucht. Der brüchig gewordene gesellschaftliche Fortschritt in den 70er Jahren ließ Stimmen laut werden, die das Unbehagen an
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Doch nicht nur in den sogenannten lll1terentwickelten Ländern oder den Gesellschaften im Übergang spielte Religion eine bedeutende Rolle, sondern auch in den sogenannten entwickelten, säkularen, westlichen Industriegesellschaften wurde die Öffentlichkeit auf religiöse Phänomene aufmerksam. Die vorherrschenden Ideologien, auf östlicher Seite der Marxismus-Leninismus lll1d auf westlicher Seite der liberale Pluralismus, hatten die Rolle der Religion in einer dynamischen, modemen Industriegesellschaft geradezu maßlos lll1terschätzt, lll1d wie ein Wolkenbruch an einem heiteren Sommertag wurden sie davon überrascht. 23 Das politische Erwachen der Christian Right lll1d anderer religiöser Gruppen in den USA wurde zu einem Paradebeispiel, welches die Gültigkeit einer einheitlichen säkularen politischen Entwickloog in den westlichen Industriegesellschaften in Frage stellte. Noo ist die USA ein besonderer Fall. Bereits Gilbert K. Chesterson wähnte sich in einer Nation mit der Seele einer Kirche lll1d der erste BeWlll1derer der jlll1gen Nation, Alexis de Tocqueville, verwies auf die religiösen Aspekte der neuen Gemeinschaft. 24 Im Zentrum der Beschäftigtmg mit Religion in der amerikanischer Gesellschaft steht auch heute die profunde Einsicht, daß Amerika eine Ausnahme darstellt. Es ist dabei völlig gleichgültig, ob man die Kirchgangshäufigkeit, die Aussagen über religiöse Praktiken lll1d Überzeugtmgen oder die Spendenfreudigkeit fiir religiöse Organisationen als Beispiele heranzieht, die USA ist eine Ausnahmeerscheinoog lll1ter den entwickelten westlichen Industrienationen. Sozialwissenschaftier taten sich schwer, die Zeichen der Zeit zu erkennen. Die Ereignisse waren lll1übersehbar, wie die Wahl eines "born-again christian" zum Präsidenten der USA im Jahr 1979, das Auftauchen der CR Anfang der 80er Jahre, der Versuch von Reverend Jesse Jackson 1984 lll1d 1988 Präsident zu werden, die wachsende Anzahl von religiösen Lobbyinggruppen in Washington, die Bischofsbriefe gegen nukleare Abschrecktmg lll1d fiir eine gerechte ökonomi-
der Modeme artikulierten und die Frage nach einer neuen gesellschaftlichen Identität und Legitimität wieder aufwarfen. Der Boden für die Forderung der Modeme, sich mehr an die Religion anzupassen als umgekehrt, war bereitet. Kepel sieht in dieser Wendung eine emstzunehmende Gefahr für die Bücgergesellschaft. 23 Geradezu weitsichtig erwies sich Karl Man: mit seiner Bemerkung, daß Amerika sowohl das Paradebeispiel für eine vollendete politische Emanzipation darstelle als auch vorzugsweise das Land der Religiosität sei. vgl. Karl Marx: ,,zur Judenfrage", in: Werke. Artikel. Entwürfe. März 1843 bis August 1844. MEGA Bd.2. Berlin (Ost) 1982, S. 141163, S. 146. 24 Vgl. Alexis de Tocqueville: Über die Demokratie in Amerika. München 1976, S. 338.
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A. Einleitung
sche Verteilung sowie die Teilerfolge des Femsehpredigers Pat Robertson im Nominierungswahlkampf 1988. Kenneth Wald erklärt diese Scheu und Distanz damit, daß vor allem zwei wissenschaftliche Paradigmen das Bild vom Abstieg der Religion geprägt haben. 21 Erstens die Modernisierungstheorie in Verbindung mit den Werken von Durkheim, Weber 6 und Parson und zweitens das Klassenkonfliktmodell, wie es von Marx und Engels entwickelt wurde. 27 Ob man nun anführt, daß die Urbanisierung und die ,,Entzauberung" der Welt die Ursachen für den Niedergang der Religion sind oder sich eher der Auffassung zuwendet, daß die materialistische Dialektik dafür verantwortlich sei, das Ergebnis bleibt im Kern gleich: Religion wird im Verlaufe der Geschichte marginalisiert und bedeutungslos. Diese Theorien haben über Jahrzehnte die Sozialwissenschaften dominiert und über die bedeutende Rolle der Religion in den menschlichen Beziehungen hinwegsehen lassen. 28
25 Vgl. Kenneth Wald: Religion and Politics in the United States. New York 1987, S. 3. Wald verweist ebenfalls auf die mannigfaltigen Erscheinungsformen von Religion. Religion ist ein Glaubenssystem, eine Institution, eine soziale Gruppe, die durch ihre zahllosen Manifestationen Einfluß auf die politische Kultur, das Institutionengefiige der USA und auf das individuelle politische Verhalten ausübt. Wald verbindet geschickt, ausgehend von der Kolonialzeit, historische Erfahrungen mit Religion und mit den gegenwärtigen Entwicklungen. Erstaunlich sind dabei die Parallelitäten zwischen den damaligen und den aktuellen Ereignissen. Problematisch ist Waids Annahme, daß man Religion und Politik säuberlich voneinander getrennt halten kann. 26 Vgl. die wegweisenden Fragestellungen von Durkheim, der nach der strukturellen und funktionalen Bedeutung von Religion in einer Gesellschaft fragt und Weber, der sich unter anderem fiir die sozialen Ausdrucksformen von Religion interessiert. Die Forschungsarbeiten zu Durkheim und Weber sind, um mit Theodor Fontane zu sprechen, ein weites Feld. Deshalb an dieser Stelle nur die eingängigsten Texte der beiden, bei denen das universelle Phänomen von Religion sowie die Wechselwirkungen von Religion und Gesellschaft im Vordergrund stehen. Bei Emile Durkheim: ,,zur Definition religiöser Probleme.", in: Religion und Gesellschaft. Joachim Matthes. Reinbek 1967, S. 120-149; und bei Max Weber: ,,Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus.", in: Max Weber: Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie. Bd.1. Tübingen 1988, S. 1-206; Max Weber: ,,Religionssoziologie (Typen religiöser Vergemeinschaftung).", in: Max Weber: Wirtschaft und Gesellschaft. Tübingen: 11976, S. 245-381. Ein anschauliches Beispiel fiir die Bedeutung des liberalen Protestantismus in der modemen Welt gibt in Vertretung eines Vortrages, den Max Weber hätte halten sollen, Ernst Troeltsch: ,,Die Bedeutung des Protestantismus fiir die Entstehung der modemen Welt.", in: HZ 97 (1906) 3, S. 1-66. 27 Kar! Marx: ,,zur Kritik der Hegel'schen Rechts-Philosophie.", in: Marx 1982, S. 170-183. 28 Vgl. Peter L.BensoniDorothy L. Wil/iam: Religion on Capitol HilI. Myths and Realities. Oxford, New York 1982, S. 5. Nach ihren Angaben haben sich in den Jahren 1946 bis 1971 nur 2% aller amerikanischen Dissertationen mit der Rolle der Religion in
IV. Religion als wissenschaftliches Phänomen
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Als in den 50er Jahren dennoch eine ungebrochene Akzeptanz religiöser Institutionen zu verzeichen war, mußten die wissenschaftlichen Hypothesen für die Bestätigung von Nietzsches Diktum, Gott ist tot, der letzten Konsequenz der Säkularisationstheorie immer einfallsreicher werden. Einige sahen in der vermeintlichen Dauerhaftigkeit der Religion ein letztes Aufflackern. Andere vermuteten mehr Rauch als Feuer hinter dem Gerede über Religion und Religiosität. Thomas Luckmann vermutete, daß die Kirchen in den USA einen internen Säkularisierungsprozeß durchmachten, der am Ende eine modeme Sozialform von Religion sichtbar werden ließe. 29 Insgesamt ließen die Anhänger der Säkularisationstheorie religiöse Phänomene nur in Verbindung mit einer Art profanen Theologie gelten. So galt die zunehmende Religiosität als weltliche Suche nach Identität. Die Gläubigen meinte man an der gesellschaftlichen Peripherie auszumachen. Die Unterschichten oder ethnischen Subkulturen galten als Reservoir einer religiös bestimmten Identität. Die Kemkultur und mit ihr der Hauptstrom der Gesellschaft, so die einhellige Ansicht, bewege sich in eine industrielle, technisierte und damit säkular bestimmte Zukunft. 30 Doch in den 70er Jahren konnte diese Ansicht kaum noch offen in wissenschaftlichen Zirkeln vertreten werden. Gelehrte hatten nunmehr Schwierigkeiten, Religiosität als Erscheinung der Unterklassen oder als Entwicklung in den Randbereichen der Gesellschaft abzutun. Zu viele ihrer Partner, Kinder und Freunde waren Anhänger von Sekten, neuen Kirchen und okkulten Vereinigungen. Selbst die Reichen und Schönen interessierte alles von Astrologie bis Zen. Katholiken und Presbyterianer aus der Mittelklasse sprachen in Zungen und fiUlten die Kirchen der Pfingstler, die wie Pilze aus dem Boden schossen. 3 I
der Gesellschaft beschäftigt. ,,1t reflects, in part a general tendency in the social sciences to ignore religion ( ... )." 29 Vgl. Thomas Luckmann, in: Marty E. Marty: ,,Religion in America since Midcentury.", in: Religion and America. Spirituality in a Secular Age. (Hg.) Mary Douglas/Steven M Tipton. Boston 1983, S. 273-287, S. 276; vgl. Thomas Luckmann: The Invisible Religion. The Problem ofReligion in Modern Society. LondonlNew York 1967; vgl. Thomas Luckmann: Die Wlsichtbare Religion. Frankfurt 1991. 30 Exemplarische Beispiele fiir diese These sind die .,Klassiker" der amerikanischen Säkularisationstheorie. vgl. S. C. Acquaviva: The Decline of the Scared in Industrial Society. Oxford 1979; Harvey Cox: The Secular City. New York 31990, S. 3. Cox versuchte in diesem Buch, Säkularisiertmg Wld Religion miteinander zu versöhnen: "we must leam to speak of God in a secular fashion and find a nonreligious interpretation of biblical concepts." Der dritten Auflage ist ein Essay Wld eine neue Einfiihrung von Harvey Cox vorangestellt, in denen er den Einfluß des Buches Wld die Wirktmg seiner Thesen in den letzten zwanzig Jahren reflektiert Wld bewertet. 3 I Die Literatur über diese neue Religiosität ist umfangreich vgl. zur Auswahl: Irving I. Zaretsk)/Mark P. Leone (Hg.): Religious Movements in Contemporary America. Princeton, NJ. 1974; Robert Wuthnow: Experimentation in American Religion. Berkely, 3 SterT
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A. Einleitwlg
Gegen Ende des Jahrzehnts war es geradezu lächerlich, die evangelische Kultur als marginal zu bezeichen. Mehrere Präsidenten, wie Ford lUld Carter lUld etruge Präsidentschaftskandidaten, wie Anderson lUld Reagan, hatten sich öffentlich zu dieser Kultur bekannt. Paradoxerweise wurde in jenen Jahren ein stetig ZlUlehmender Trend deutlich. Die traditionellen ,,mainline"-Institutionen verloren mehr lUld mehr ihre Gläubigen, während konservativ lUld orthodox ausgerichte Glaubensgruppen immer attraktiver wurden. 32 Zuvor hatten schon einzelne Beobachter auf Anzeichen hingewiesen, die auf eine wiedererwachte Religiosität hinwiesen. Der Soziologe lUld Theologe Peter Berger veröffentlichte in dieser Zeit sein Buch ,,Rumors of Angels: Signals ofTranscendence in the Modem World", in dem er das Bedürfnis nach Transzendenz lUld Heiligkeit in VerbindlUlg mit der säkularen Gesellschaft brachte. Harvey Cox entdeckte jetzt das Mystische, die Magie lUld die Mysterien der Religion lUld schrieb nlUl von ,,Religion in the Secular City".33
Ca. 1976; Rohert Wuthnow: The Reconstructuring of Arnerican Religion. Society and Faith since World War II. Princeton 21989; J Gordon Melton: EncycIopedia of Arnerican Religions. DetroitlWashington, D.C./London 41993. Ein literarisch bearbeitetes Beispiel dieser neuen Religiosität im amerikanischen Süden der 70er und 80er Jahre liefert John Updike in seinen Romanen: Bessere Verhältnisse. Reinbek 1983 und Rabbit in Ruhe. Reinbek 1992; vgl. dazu Hanspeter Dörfel: "God in John Updike's Rabbit Trilogy.", in: Religion and Philosophy in the United States. (Hg.) Peter Freese. Essen 1987, S. 177-198. 32 Vgl. Dean M Kelley: Why are Conservatives Churches Growing. Macon, Ga. 31986. J3 Kaum eine Monographie ist in der Religionssoziologie jedoch so oft zitiert worden wie Bergers bereits 1967 veröffentlichtes Buch: Peter L. Berger: The Sacred Canopy: Elements of a Sociological Theory of Religion. Garden City, New York 1967. Bergers Argument lautet stark verkürzt, daß die Religion das ordnende Element bei der sozialen Konstruktion der Wirklichkeit ist. Die Wirklichkeit ist fur das Individuum nicht direkt erfahrbar, zu komplex und willkürlich erscheint sie uns. Deshalb konstruieren wir eine Wirklichkeit, die sich aus symbolischen Kategorien zusanunensetzt. Nach Berger entwerfen wir eine überaus pragmatische "everyday reality", die jedoch ständig durch unvorhersehbare Ereignisse gestört wird (die berühmte Warum-Frage setzt hier an). Unser Alltag ist dabei keinesweges stabil und statisch. lnuner wieder kommt es zu Brüchen und Verwerfungen der ,,Normalität", die Religion und Religiosität zu konkreten Erfahrungen in der Realität werden lassen. Wir benötigen also eine Art allesüberdachendes Symbol system, das den einzelnen und die Gesellschaft mit den Chaos versöhnt. Ein solches Symbolsystem, ein "overarching canopies of meaning" ist die Religion. Berger ist heute ein moderner Apologet der These von Wert und Nutzen der Religion fur die Gesellschaft. Menschen können seiner Ansicht nach nicht vom Brot der "everday reality" allein leben. Seine Diagnose der Modeme lautet denn auch: ,,Die Ahnung von einer transzendentalen Wirklichkeit jenseits der empirischen Welt ist nicht das Resultat eines Glaubensaktes. Sie ist, ganz im Gegenteil, eine Erfahrung von Realität." vgl. Peter L. Berger: A Far Glory. The Quest for Faith in an Age of Credulity. New York 1992, S. 29; vgl. Kap.1: Secularization and Pluralism (dt. Peter L. Berger. Sehnsucht nach Sinn. Frankfurt 1994).
N. Religion als wissenschaftliches Phänomen
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Erklänmgen fiir diese sich immer weiter ausbreitende Religiosität bemühten neo-marxistische Ansichten, wie Opiwn fiir das Volk, Freud'sche Beobachtungen über die Notwendigkeit von Illusionen und Weber'sche Bemerkungen über die Stabilität und Mobilität von religiösen Bindungen. Insgesamt fiihrte dies jedoch zu einer Neudefinition von Religion in der Kultur und in der Gesellschaft. Robert Wuthnow brachte es mit einem biblischen Vergleich auf den Punkt: "The sacred is always there, like the divine spirit that moved before the Israelites on their joumey to the promised land. Sometimes we see it clearly, sometimes it is hidden from our view.( ... ) It may weil be all aroWld us, and yet we have not trained ourselves to recognize it. ,,34
Alte Fragen mußten neu gestellt werden. Welche Rolle spielt Religion fiir den einzelnen Menschen und welche Funktionen erfüllt Religion in einer Gesellschaft? Der Prozeß der Modeme wurde nun im wahrsten Sinne des Wortes differenzierter gesehen. Für Robert N. Bellah35 löste die Modeme einen Differenzierungsprozeß aus, in dem sich der einzelne zwar autonomer entwickeln konnte, sich anderseits jedoch in einer immer unübersichtlicheren Umwelt wiederfand. Religion wurde zu einer privaten Angelegenheit, die sich mehr und mehr von Organisationen und Institutionen entfernte. In Sachen Religion ist der einzelne fiir sich und sein Weltbild selbst und höchstpersönlich zuständig. Diese religiöse Individualisierung hat beträchtliche Konsequenzen hinsichtlich religiöser Zugehörigkeit, religiösem Engagement und des persönlichen Bekenntnisses. Beträchtliche Beliebigkeiten halten Einzug und es kommt insgesamt zu einer ,,Laisierung" der Religion. Diese Diffusion, so Bellah und Sidney F. Mead36 , dehnte sich jedoch über die Kirchen und Synagogen aus, verwandelte sich in einen bürgerlichen oder republikanischen Glauben und wurde nahezu unsichtbar im privaten wie im öffentlichen Leben. Für jede Gesellschaft und gerade fiir die amerikanische ist es existentiell, 34 Vgl. Rohert Wuthnow: Rediscovering the Sacred: Perspectives on Religion in Contemporary Society. Grand Rapids, Mi. 1992. 35 Rohert N. Bellah: Beyond Belief. Essays on Religion in a Post-Traditional World. New YorkIBerkeley, Ca. 1991; vgl. die neueren ÜberlegWlgen Bellahs zum radikalen Individualismus in der amerikanischen Gesellschaft. Rohert N. BellahlR. Marsden u.a. (Hg.): Gewohnheiten des Herzens. Köln 1987; S. 255f. 36 Vgl. Sidney F Mead: The Nation with a Soul ofa Church. New York 1975, S. 7f, S. 118; Sidney F. Mead: "The Nation with a Soul of a Church.", in: Church History 36 (1967), S. 262-283, S. 262. ,,America is the only nation in the world fOWlded on a creed.". Eine zentrale Aussage in Meads Artikel ist in AnlehnWlg an Chesterton die These, daß in den USA die Nation an die Stelle der Kirche gerückt sei. Sie entwickelt damit, ohne den Begriff Zivilreligion direkt zu nennen, die Theorie einer ,,American Religion". vgl. S. 279f.
36
A. Einleitung
gesetzte Wahrheiten zu akzeptieren. Erst ein gemeinsamer Fundus von Ideen, Normen, gemeinsamen Erfahrungen, Gefiihlen und Einstellungen vermag sinnstiftende Zusammenhänge herzustellen. Individuelle Handlungsmuster werden koordiniert, und es entsteht eine unerschöpfliche Quelle, aus der der einzelne und die Gemeinschaft schöpfen kann. 37 Solche sinnstiftenden Gebilde ermöglichen erst das gemeinsame friedliche Zusammenleben in einer soziopolitischen Ordnung. Im Hinblick auf die amerikanische Gesellschaft fragt daher Peter Lösche zu recht: "Was hält diese vielfarbige Gesellschaft, zergliedert in zehntausend Nachbarschaftsinseln, was hält den Staat, was die Nation überhaupt zusarnmen?,,38
Es ist, so Lösche, die amerikanische Ideologie, der Amerikanismus. Bereits
1944 hatte Gunnar MyrdaJ3 9 den eigentümlichen politisch-religiösen Charakter
dieses stabilitätstragenden Ideenkomplexes als "american creed" bezeichnet. Samuel P. Huntington4o stellte ein amerikanisches Credo zusammen, daß er als die Basis der amerikanischen Identität ansah. Ein wichtiger Bestandteil dieses Bekenntnisses ist die Religion. Schon die Gründungsväter der jungen Nation verstanden sich als Christen, wenn auch mit den unterschiedlichsten Bekenntnissen (denominations). Ihre Umwelt wurde somit von einer Vielzahl sich selbst verwaltender, religiöser Lebensgemeinschaften geprägt, und im Selbstverständnis der neuen Bürger waren politische und ökonomische Freiheit nicht von religiöser Freiheit zu trennen. Folglich kam eine Staatskirche fiir die junge Republik gar nicht in Betracht. Religionen sollten keine Institutionen nach europäischen Vorbild bilden, sondern antihierarchisch, antiinstitutionell und antidogmatisch bleiben. Selbstverständlich galt der Glaube an eine transzendente Gottheit als stabilisierendes Element, das zur Sicherung der freiheitlichen und republikanischen Ordnung des Gemeinwesens entscheidend beitragen sollte. Weiterhin wurden politische und historische Ereignisse der amerikanischen Erfahrung sakralisiert, wie etwa die Verfassung und die Gettysburg Address Lincolns. Thomas Nipperdey hat dies in einem anderen Zusammenhang treffend mit der Aussage charakterisiert:
37 Vgl. Bellah 1987, S. Vll: ,,Der Schlüssel zum Überleben eines politischen Systems ist die Beziehung zwischen privaten und öffentlichen Leben." 38 Peler Lösche. Amerika in Perspektive. Darmstadt 1989, S. 271f. 39 Gunnar Myrdal: An American Dilemma. New York 1944, S. 3. 40 Samuel P. Huntington: American Politics: The Promise of Disharmony. Cambridge, Mass. 1981, S. 159.
IV. Religion als wissenschaftliches Phänomen
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"Wir haben hier einen Ansatz zur ErhebWlg des Profanen ins Sakrale, zur Sakralisienmg der Nation Wld damit eine korrespondierende ErscheinWlg zu der Säkularisienmg christlicher Gehalte. ,,41
Es entstand eine politische Religion der Nation, die von George Washington bis Bill Clinton zum Bestand der politischen und öffentlichen Rhetorik gehörte. 42 Diesen Sachverhalt bezeichnet Bellah mit dem Terminus Zivilreligion, den er damit in die neuere Diskussion einfiilirte. Obwohl seiner Ansicht nach Angelegenheiten des Glaubens als strikt private Affäre betrachtet werden, gibt es gleichzeitig, unter der Oberfläche, gemeinsame quasi-religiöse Elemente, welche die Mehrzahl der Amerikaner akzeptieren. Diese Elemente sind die Quelle für die Ausbildung der amerikanischen Institutionen. Sie sind der Kitt, welcher das Gefüge des amerikanischen Lebens zusammenhält. Diesem Sachverhalt verdankt die ungebrochene Spiritualität der Amerikaner, trotz zahlreicher Säkularisierungsschübe, ihre ungebrochene Lebendigkeit. ,,zivilreligion ( ... ) ist die genuine Erkenntnis einer universalen transzendenten Realität, wie sie in der Erfahnmg des amerikanischen Volkes geoffenbahrt wird.,,43
Dabei haben die Kirchen zwar entscheidenden Anteil an der Ausbildung der bürgerlichen Religion, sie sind jedoch nicht in erster Linie deren Bewahrer. Gleichzeitig bilden symbolische Rituale oder Ereignisse des politischen Amerikas eine weitere Basis für die "ci vii religion". Unübersehbar sind solche Motive am 4. Juli, dem Nationalfeiertag, unüberhörbar sind sie bei Ansprachen des Präsidenten an die Nation. Die Ideologie ist dabei universell und zugleich transzendent. Sie fördert das Verständnis von der besonderen Rolle der USA in der Geschichte und von der Rolle jedes einzelnen in seinem Verständnis als amerikanischer Bürger.
41 Vgl. Thomas Nipperdey: ,,Nationalidee und Nationaldenkmal in Deutschland im 19. JahrhWldert.", in: HZ 206 (1968), S. 529-585, S. 537. 42 Vgl. die UntersuchWlg von Antrittsreden der amerikanischen Präsidenten von Ulrike Fischer und Hans Vorländer. Für sie sind diese Reden Zeugnisse der politischen Selbstvergewisserwtg, in denen die 'shared meanings' aufleuchten. Eine wesentliche FWlktion von Zivilreligion ist, daß sie ein Legat gemeinsamer, allgemein akzeptierter und deshalb geltender Werte Wld ÜberzeugWlgen enthält, die den Zusammenhalt der amerikanischen Gesellschaft gewährleisten. vgl. Ulrike Fischer/Hans Vorländer: ,,zivilreligion Wld politisches Selbstverständnis. Religiöse Metaphorik in den Antrittsreden der Präsidenten Ford, Carter, Reagan Wld Bush.", in: Die Rhetorik amerikanischer Präsidenten seit F.D. Roosevelt. (Hg.) Paul Goetsch/Gerd Hurm. Tübingen 1993, S. 217-233, S. 220. 43 Robert N. Bellah: "CiviI Religion in America.", in: Daedalus 96 (1967), S. 1-21, S. 12; vgl. als deutsche Übersetzung: Robert N. Bellah: ,,Religion Wld Legitimation der amerikanischen Republik.", in: Zivilreligion in Amerika und in Europa. (Hg.) Heinz Kleger/Alois Müller. München 1986, S. 42-64; vgl. Robert N. Bellah: ,,zivilreligion in den USA.", in: Kleger/Müller 1986, S. 19-42.
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A. Einleitung
Das Entscheidende an der Zivilreligion ist, daß sie weder in Inhalt noch Funktion identisch ist mit christlichen GlaubensvorstellWlgen oder mit christlichen Konfessionen Wld Denominationen. Sie bedient sich vielmehr transzendenter Motive Wld Bilder, wn die nationale Existenz in den Begriffen einer religiösen Symbolwelt zu interpretieren. Das venneintliche Paradoxon von strikter TrennWlg zwischen Staat Wld Religion bzw. Kirche durch das erste Amendment der VerfassWlg der USA Wld die hohe öffentliche Präsenz Wld Akzeptanz religiöser Symbole Wld religiöser Verhaltensweisen im öffentlichen Leben der amerikanischen Gesellschaft, regten in der Nachfolge Bellahs zahlreiche Sozialwissenschaftier zu weitergehenden ÜberlegWlgen hinsichtlich der politischen Kultur der USA an. Im Verlauf der Diskussion wn Bellahs Thesen gewann die religiöse Dimension der politischen Welt ZWlehmend an wissenschaftlichem Interesse. 44 Richard 1. Neuhaus sieht zwei Gefahren im Verhältnis von Religion Wld Staat. Gibt es bestinunte Umstände, Wlter denen die Religion, dadurch daß sie der staatlichen Gewalt Teile ihrer transzendenten Legitimität überträgt, selbst Schaden nimmt? Und in welchem Ausmaß kann der Staat Wlgefahrdet nach Werten Wld moralischen Gesetzen handeln, die sich auf eine religiöse GrWldlage beziehen? Nach Neuhaus kann die Religion nicht auf Dauer die Lücken schließen, die die Modeme hinterlassen hat. Sie kann ebensowenig die Legitimitätskrise des Staates meistem, noch der BÜfgergesellschaft ihre Aufgabe abnehmen, eine eigene öffentliche Wld demokratische Ethik zu entwickeln. 45
44 Insbesondere ein Vorbehalt wurde gegen Bellahs Thesen gelten gemacht. Bellah hat sowohl in seinem Aufsatz als auch in seinem späteren Buch, The Broken Covenant, der amerikanischen Zivilreligion eine normative Funktion zugesprochen. Demnach sei sie fiir den Zusammenhalt der heterogenen amerikanischen Gesellschaft unbedingt notwendig. Bellah trennt deshalb in seinen Ausfiihrungen nicht immer zwischen wissenschaftlicher Analyse und appellativen Aufforderungen. vgl. Rober! N. Bellah: The Broken Covenant. American Civil Religion in Times of Trial. New York 1975 (erweitere Neuauflage Chicago 1992). 45 Vgl. Richard J Neuhaus: The Naked Public Square: Religion and Democracy in America. Grand Rapids 1984, S. 259ff.; vgl. Richard J Neuhaus: ,,Democratic Morality: A Possiblity and an Imperative.", in: Evangelicals and Foreign Policy. Four Perspectives. (Hg.) M Cromartie. Washington, D.C. 1989, S.I-21. Neuhaus verwendet das Bild des Naked Public Square. Dieser demokratische öffentliche Raum bildet einen Platz, der nicht lange unbesetzt bleiben kann. Er wird angerullt mit Ambitionen des Staates, mit "CiviI Religion", und mit anderen konkurrierenden Ideologien. Die Religionen und säkularen Ideologien müssen sich seiner Ansicht nach auf diesem öffentlichen Platz immer wieder neu behaupten. Sie müssen immer wieder neu rur ihre Überzeugungen und Ansichten einstehen und sich ihren Platz in der amerikanischen Kultur neu sichern.
IV. Religion als wissenschaftliches Phänomen
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Inzwischen hat sich die Diskussion erweitert und es ist fraglich, ob die ,,neuentdeckte" bürgerliche Religion überhaupt noch jenes moralische und kulturelle Einvernehmen sicherstellt, welches man ihr zuschreibt. Problematisch erscheint auch der Versuch, das Phänomen civil religion aus seinen Folgen zu erklären, also durch eine geschickte Auswahl der Fälle und Beispiele einfach zu folgern, daß es so etwas wie eine amerikanische "civil religion" geben müsse eine Art frommen Wunschdenkens. Kann man überhaupt von einer bürgerlichen Gesellschaft sprechen oder gibt es inzwischen nicht die amerikanischen Gesellschaften, die alle verschiedene Versionen einer bürgerlichen Religion für sich nutzbar machen? Von Vorteil ist dabei, daß die "civil religion" keine ausgefeilte intellektuelle Ideologie darstellt. Sie ist mehr eine emotionale, normative Vision, die sowohl den Konsens, als auch die Unvereinbarkeit von Grundwerten der Nation verkörpert. 46 Die wissenschaftliche Analyse in den USA hat sich denn auch mehr auf die Kontexte und auf den Gebrauch von "civil religion"-Sprache und ihrer Symbole verlagert. Wie instrumentalisieren spezifische Subkulturen und Gruppen diese Ideologie? Wie legitimieren sie dadurch ihre eigenen politischen und moralischen Vorstellungen? ,,If civil religious ideologies are thought of as ballons lamasking who is able to hold the stringS?"47 Eine stetig anwachsende Literatur zwn Problemkreis "civil religion" und Religion in der Modeme belegt den gewachsenen Stellenwert des Themas Religion und Politik in den USA.
Im deutschen Sprachraum kam ebenfalls eine Diskussion in Gang. Sie entzündete sich an der Säkularisierungsthese, die in Verbindung mit dem besonderen Charakter der Vereinigten Staaten gebracht wurde. 48 Relativ eindeutig ist für Rolf Schieder das Versagen der bisherigen Säkularisierungsthese:
46 Die von Bellah fiir die 60er Jahre beschriebene "CiviI Religion" erscheint ihm heute selbst als ein implizites Kondensat der politischen Kultur, denn als ein expliziter Kanon öffentlicher Dogmen. Die zivilreligiöse Dimension folgt zeitweilig den Zyklen der politischen und öffentlichen Meinung, wobei einzelne Teile der Civil Religion je nach gesellschaftlicher Großwetterlage unterschiedlich akzentuiert werden. Dies zeigt sich in Bellahs Versuch, durch sein kommunitaristisches Manifest "The Good Society" einige Elemente ihrer liberalen, linken Interpretationen wieder in den politischen Diskurs zu bringen. vgl. Robert N. Bellah: The Good Society. New York 1991. 47 Vgl. Phi/lip E. Hammond, in: N.J Demerath JJUR.H Wi/liams: "Civii Religion in an Uncivil Society.", in: ANNALS 480 (1985), S. 155-16, S. 160. Der Aufsatz gibt gut den Stand und die Fragen der amerikanischen Forschung bis Mitte der 80er Jahre bezüglich "CiviI Religion" wieder. 48 Vgl. fiir die Rezeption der amerikanischen Political-Culture-Forschung, insbesondere die Bedeutung der sogenannten "Civii Religion Proposal" fiir die deutsche Forschung. Jürgen Gebhardt: ,'politische Kultur und Zivilreligion.", in: Politische Kultur in Deutschland. Bilder und Perspektiven der Forschung. (Hg.) D. Berg-Schlosser/J Schiss-
40
A. Einleitung "Wenn es stinunt, daß religiöse Sprache, religiöse Riten und Symbole in die Politik zurückkehren, dann lassen sich Säkularisierungstheorien und auch die Privatisierungsthese nicht mehr halten. Religion wird wieder öffentlich. Das birgt Chancen und Gefahren. Es konunt darauf an, diesem Phänomen theoretisch nachzugehen. Die civil religion - Theorie bietet sich dafiir an. ,,49
Auch fiir Michael Zöller stellt die Religion ohne Zweifel einen entscheidenden Faktor in der politischen Kultur der USA dar, wobei es seiner Ansicht nach mit der Säkularisierung der amerikanischen Gesellschaft nicht weit her ist. Auf den zweiten Blick sieht sich jedoch die Religion in Amerika seit dem 17. und 18. Jahrhundert einer zunehmenden Individualisierung und Pluralisierung ausgesetzt. 50 Religion und politische Kultur sind beide durch einen stark populistisch eingefärbten Individualismus geprägt worden. Die Religion ging allerdings nicht unbeschadet aus diesem Verhältnis hervor, denn ihr Preis fiir diese Verbindung war eine verstärkte Ökumenisierung und eine erhöhte Mobilität innerhalb der Religionen selbst. 51 Als Beispiel führt Zöller den Zusammenbruch der ethnischen Kulturmilieus an, der seiner Meinung nach durch den starken Integrationsdruck der amerikanischen Kultur ausgelöst wird. Dabei versuchten die neuen Einwanderer zunächst, eine Subkultur von Verbänden, Organisation, Clubs und nationalsprachlichen Medien um ihre jeweilige Kirche aufzubauen. Religion war dabei, ganz amerikanisch pragmatisch, ein Vehikel, um ihre kulturelle Identität zu konservieren. Ihre Kinder und Kindeskinder versuchten, trotz der Heirat über ethnische Grenzen hinweg, ihre Konfession beizubehalten. Man suchte seinen ler. Opladen 1987 (=PVS Sonderheft 18,28/1987), S. 49-60; J Gebhardt: Die Krise des Amerikanismus. Revolutionäre Ordnung und gesellschaftliches Selbstverständnis in der amerikanischen Republik. Stuttgart: KIett 1976; J Gebhardt: ,,Amerikanismus - Politische Kultur und Zivilreligion in den USA.", in: APUZ B49/90 (1990), S. 3-18; Duo Kallscheuer: ,,Individuum, Gemeinschaft und die Seele Amerikas.", in: Transit (1992/93) 5, S. 31-51. 49 Vgl. RolfSchieder: Civil Religion. Die religiöse Dimension der politischen Kultur. Gütersloh 1987, S. 299f; Jakob Schissler versucht dieser Aufforderung nachzukonunen. Er arbeitet fiinf amerikanische Traditionsstränge heraus, die die zentralen Stufen und Entwicklungen der politischen Kultur und der politischen Werte der Amerikaner interpretieren. vgl. Jakob Schissler: ,,Political Culture and the Reagan Administration.", in: The Reagan Administration: a Reconstruction of American Strength? (Hg.) H. Haftendorn/} Schissler. BerlinlNew York 1988, S. 31-52; 1. Schissler: ,,Politische Kultur und öffentliche Meinung.", in: Länderbericht USA Bd. 1. (Hg.) WP. Adams/E.-O Czempiel/B. Dstendorfu.a. Bonn 1990, S. 259-274. 50 Vgl. Michael Zöller: ,,Politische Kultur und politische Soziologie.", in: Adams u.a. 1990, S. 239-258. 51 ,,Diese Form der Religion ist nicht ein allmählich absterbender Rest vormoderner Kultur, sondern erweist sich als nahezu unbegrenzt regenerationsfahig ( ... )." vgl. Michael Zöller: ,,Individualismus und Populismus - Religion und Politik in Amerika.", in: Religion und Politik in einer säkularen Welt. (Hg.) Erhard Forndran. Baden-Baden 1991, S. 71-91, S.91.
N. Religion als wissenschaftliches Phänomen
41
Ehepartner beispielsweise innerhalb des katholisch italienisch-irischen Milieus. In der dritten lUld vierten Generation fiel aber auch diese Abgrenzung der Integration zum Opfer. Nach Zöller hat diese EntwickllUlg auch Auswirkungen auf das Verhältnis von Konfession und Wahlverhalten. Es läßt sich seiner MeinlUlg nach immer schwerer ein Zusammenhang zwischen diesen beiden nachweisen. 52 Dabei bleiben genug Fragen lUlbeantwortet. Gerade die Erfolge der eR könnten darauf hindeuten, daß man mit Hilfe der Religionszugehörigkeit tatsächlich Aussagen über das politische Verhalten der Amerikaner machen kann. In eine ähnliche RichtlUlg zielen Überlegmgen, die sich mit der Auswirkung der vermehrten ZuwandeflUlg lateinamerikanischer Katholiken auf die politisch-religiöse Kultur der USA befassen. 53 Kontrovers bleibt ebenfalls die Frage, welche Rolle der Religion bzw. den Kirchen in einem demokratischen VerfasslUlgstaat zukommen soll. Sind sie lediglich für karitative DienstleistlUlgen zuständig oder 52 Vgl. Zöller 1990, S. 255. Zöller fiihrt die hohe katholische Unterstützung fiir Kennedy im Jahr 1960, im Gegensatz zu der geringen katholischen Stimmenzahl fiir die demokratische Vizepräsidentschaftskandidatin G. Ferraro im Jahr 1984 als Beispiel an. Ferraro konnte bei dieser Wahl noch nicht einmal die Mehrheit unter den New Yorker Wählern italienischer Abstanunung auf sich vereinigen. Zöllers Argument ist hier jedoch zu ungenau. Unstrittig ist, daß Katholiken ihre Wahlentscheidung zuungunsten der Demokraten geändert haben. Die Gründe hierfiir sind komplex und stärken schließlich den Zusanunenhang von Konfession und Wahlverhalten. Der Hauptgrund rur die katholische Unterstützung der Demokraten lag im ökonomischen und im sozialen Bereich. Die Demokraten waren traditionell die Partei der Armen, und sie verstanden sich als Advokat der sozial Benachteiligten. Die Katholiken standen über Jahrzehnte auf den untersten Sprossen der Sozialstatusleiter. Sie ftihlten sich, als Mitglieder einer ungeliebten Immigrantenkirche, gesellschaftlich benachteiligt. Doch in den 50er Jahren setzte ihr ökonomischer und sozialer Aufstieg ein. Hinzu kam, daß die Katholiken in ihren Einstellungen konservativer wurden und bald Interessen der Mittelklasse vertraten, während die Demokraten seit den 60er Jahren zunehmend liberalere Positionen bezogen. Tatsächlich gaben die Katholiken bereits 1972 Nixon mehr Stimmen als McGovern. Im Wahlkampf von 1984 spielte das Thema Abtreibung eine größere Rolle. G. Ferraro war ,,Pro-Abortion" und der Erzbischof von New York Kardinal O'Connor ließ keinen Zweifel daran, daß ihre Position von keinem gläubigen Katholiken geteilt werden könne. Insgesamt zeigen die Ergebnisse von 1984 durchaus einen Zusanunenhang von Konfession und Wahlverhalten, denn der Trend Parteienpräferenz unter Katholiken (und unter Hispanics) bevorzugt eindeutig die Republikanische Partei. vgl. J A. Reichley: ,,Religion and the Future of Arnerican Politics.", in: Political Science Quarterly 101 (1986), S. 23-47, S. 31ft"; vgl. auch P. H McNamara: ,,American Catholicism in the Mid-Eighties: Pluralism and Conflict in aChanging Church.", in: ANNALS 480 (1985), S. 83-74. 53 Vgl. Winand Gellner: ,,Religion und Politik in einer säkularisierten Welt - Diskussionsbericht.", in: Religion und Politik in einer säkularisierten Welt. Bericht über die achte Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft fiir Wissenschaftliche Politik. (Hg.) E. Forndran. Baden-Baden 1991, S. 169-178, S. 172f; David C. Leege: "Catholics and the Civic Order: Parish Participation, Politics, and Civic Participation.", in: The Review of Politics 50 (1988), S. 704-738.
42
A. Einleitung
sollen sie darüber hinaus ein Norrnen- lUld Wertegerüst fiir die Gesellschaft aufbauen - eine moralisch-ethische GTlUldlage bieten, die den einzelnen lUld die Gemeinschaft in die Pflicht nimmt, sich ständig zu qualifizieren lUld an sich lUld der Welt zu arbeiten. Dieser Ansatz, der sich mit den Funktionen von Religion in der Gesellschaft beschäftigt, hatte nachfolgend erheblichen Einfluß auf die amerikanische ForschlUlg im Bereich Religion lUld Politik. Er breitete sich insbesondere in der "civil religion"- ForschlUlg aus. Denn die amerikanische ErfahTlUlg brachte Religion häufig in VerbindlUlg mit der UnterstiitZlUlg fiir ein politisches System. Gleichzeitig konnte sie als Mittel zur sozialen Kontrolle dienen, oder schlicht als Bewahrerin des status quo. Diese unkomplizierten EinschätZlUlgen fiihrten zu Thesen, nach denen persönliche religiöse EinstelllUlgen zu einer verstärken UnterstütZlUlg des politischen Systems fiihren müßten. Die Akzeptanz von überkommenen religiösen Werten müßte auch eine konservativere EinstelllUlg in anderen Bereichen zur Folge haben. Die ForschlUlg präsentierte schließlich ambivalente Ergebnisse. Tatsächlich hat der religiöse Faktor dazu beigetragen, daß zum Beispiel die Wahlbeteiligllllg von bestimmten Bekenntnissen spürbar anstieg, etwa im Fall der Katholiken oder der ,,Evangelicals". Ein Punkt, der fiir den ersten Teil der These spricht. Auf der anderen Seite ist die VerbindlUlg von traditionellen Werten lUld konservativer EinstelllUlg auf gewisse Bereiche begrenzt. Es kommt offensichtlich nur dort zu einer VerbindlUlg von Religion lUld säkularen Themen, wo religiöse oder moralische Werte tangiert werden. Moralische oder sogenannte "social issues", wie Pornographie, Sexualität, AbtreiblUlg, Gewalt, Alkohol lUld Drogenkonsum oder BildlUlg können diese VerbindlUlg herstellen. Ein völlig anderes Bild ergibt sich bei Themen aus den Bereichen, Umwelt, Ökonomie, RassenbeziehlUlgen, Außenpolitik oder Bürgerrechte. In diesen Bereichen sind die BeziehlUlgen weniger eng. S4 Die Ergebnisse weckten das Interesse fiir noch spezifischere Fragen. Unter welchen Bedingllllgen konnte Religion Einfluß auf den politischen Bereich ausüben, lUld welche Mechanismen sind dafiir verantwortlich, daß religiöse Überzeugllllgen die politischen EntscheidlUlgen von Bürgern lUld Aktivisten beeinflußen? Der ModernisieTlUlgsansatz blieb als ForschlUlgsansatz weiterhin populär, doch die einfache Annahme, daß traditionelle lUld religiöse Werte zum Untergang
54 Vgl. JL. Guth/JC Green/L.A. Kellstedt/CE. Smidt: ,,Faith and the Environment: Religious Beliefs and Attitudes on Environmental Policy.", in: Arnerican Journal of Political Science 39 (1995) 2, S. 364-382.
N. Religion als wissenschaftliches Phänomen
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verurteilt seien, wurde aufgegeben. Stattdessen erkannten die Anhänger dieses Ansatzes, daß die Religion Mittel lUld Wege ge1l.mden hatte, mit den AnforderlUlgen einer modemen, kapitalistischen Industriegesellschaft Schritt zu halten. 55 Dabei sollte es nicht bleiben. Inzwischen ist es augenscheinlich, daß die SegnlUlgen der Modeme auch fiir die Religionen von Nutzen sind. Statt lUlter den veränderten Bedingoogen zu leiden, blühen religiöse Gruppen regelrecht auf. Sie ergreifen die ihnen dargebotenen Möglichkeiten, indem sie ihre vorhandenen Ressourcen mobilisieren lUld diese zugoosten ihrer politischen Effektivität einsetzen. 56 Die Studien von Ronald Inglehart verweisen auf diese einschneidenden UmwälZlUlgen, denen die politische lUld gesellschaftliche Kultur des Westens ausgesetzt war. 57 Große Teile der jüngeren Gesellschaftsgruppen, so Inglehart, haben sich von ihren materialistischen OrientierlUlgen, wie ökonomischem Wachstum lUld innerstaatlicher OrdnlUlg, losgesagt lUld adaptieren vermehrt postmaterialistische Werte. Begriffe wie Lebensqualität, Gemeinschaft lUld SelbstverwirklichlUlg
55 Vgl. zur Verbindung von 'Evangelicals' und Modemisierung James D. Hunter: "The Evangelical Worldview Since 1890.", in: Piety and Politics. Evangelicals and Fundamentalists Confront the World. (Hg.) Richard John NeuhauslMichael Cromartie. Washington, D.C. 1987, S. 19-53; vgl. George M Marsden: ,,Preachers ofParadox: The Religious New Right in Historical Perspective.", in: Religion in America. (Hg.) M DouglaslS M Tipton. Boston, Mass. 1983, S. 150-168 und Kenneth Wald: "The New Christian Right in American Politics: Mobilization Amid Modemization.", in: Sahliyeh 1990, S. 49-65. Wald argumentiert, daß der Modemisierungsprozeß die traditionellen Religiösen vom gesellschaftlichen Rand in die Mitte des politischen Geschehens katapultiert hat. Sein Erklärungsmodell ist jedoch zu eindimensional, da er diese Transformation zu sehr auf die Rolle der Televangelicals zuschneidet. 56 Vgl. zum Wertewandel der 70er und 80er Jahre im konservativen Milieu Jerome L. Himmelstein: To the Right. The Transformation of American Conservativism. Berkely, Ca. 1990, S. 98ff; vgl. zu den großen Transformationsprozeßen innerhalb der amerikanischen Gesellschaft in den Bereichen: Demographie, politische Werte, allgemeine Werte, Mobilität, Arbeit, Familie, Geschlechter, Kinder, Eigentum, Wirtschaft, Außenpolitik, Soziales, Technik, Medien und Recht. Alan Wolfe: "Change From the Bottom Up.", in: America at Century's End. (Hg.) Alan Wolfe. Berkely, Ca. 1991, S. 1-17; vgl. Kenneth D. Wald: "Social Change and Political Response: the Silent Religions Cleavage in North America.", in: Politics and Religion in the Modem World. (Hg.) G. Moyser. New York 1991, S. 239284. Nach Wald mißinterpretiert die Modemierungstheorie das Phänomen der CR. Die fortschreitende Modemisierung der Gesellschaft fordert geradezu die Chancen der CR, ihre Ziele durchzusetzen. 57 Vgl. die Entwicklung des Ansatzes bei Ronald Inglehart: "The Silent Revolution in Europe: Intergenerational Change in Post-Industrial Societies.", in: American Political Science Review 65 (1971), S. 991-1017; Ronald Inglehart: ,,Postmaterialism in an Environment of Insecurity.", in: American Political Science Review 75 (1981), S. 880900; Paul R. Abramsonl Ronald Inglehart: "Generational Replacement and the Future of Post-Materialist Values.", in: Journal ofPolitics 49 (1987), S. 231-241.
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A. Einleitung
stehen in Zentrwn ihres Strebens. Seiner Auffassung nach wurde die materialistische Welt noch durch religiöse und kulturelle Normen zusammengehalten, Werte, die auf der Prioritätenskala der Postmaterialisten weiter unten rangieren. Die Einschätzungen über den Charakter der Religion innerhalb der postmaterialistischen Gesellschaft mögen zu weit gefaßt sein, doch in der Folge hat Ingleharts Ansatz im Hinblick auf religiöse Mobilisierung Aufmerksamkeit erregt. 58 Die Brüche und Neuorientierungen innerhalb der Gesellschaft wurden insbesondere als Erklärung für die Mobilisierung von traditionell-religiösen Wählern herangezogen. Die privaten und gesellschaftlichen Revolutionen versetzten den traditionellen Werten innerhalb der amerikanischen Gesellschaft zahlreiche Nackenschläge. Die Sozial- und Wirtschaftpolitik des Staates sowie die Rechtsprechung bedrohten die traditionellen öffentlichen und privaten Verhaltensweisen. Doch die ökonomische Prosperität schuf nicht nur neue postmaterialistisch orientierte Eliten, sondern sie versorgte auch ihre materialistisch orientierten Gegenspieler. Gerade die ökonomische Entwicklung bislang vernachlässigter Regionen und Bevölkerungsschichten, etwa im Süden der USA, fiihrte zu verbesserten fmanziellen, kognitiven und organisatorischen Chancen der fundamentalistischen oder evangelischen Christen (und Katholiken) aus der Arbeiterschicht. Diese zogen aus den ländlichen Gebieten in die aufstrebenden Städte, siedelten in den Vororten und nahmen nach und nach Positionen in der Mittelklasse ein. Diese Entwicklung ließ eine, an traditionellen Werten orientierte, Gegenelite entstehen, deren Ziel es war, die mutmaßliche Vorherrschaft der säkularen Elite zu brechen. 59 Schließlich kann man sagen, daß die über einen langen Zeitraum andauernden ökonomischen und sozialen Transformationen innerhalb der westlichen Industriegesellschaften zur Bildung einer ganzen Reihe neuer gesellschaft-
58 Vgl. Neuhaus 1984; vgl. zur Auseinandersetzung und zur Kritik an Inglehart insbesondere J C. GreenlJ L. Guthl K. Hili: ,,Faith and Election: The Christi an Right in Congressional Campaigns 1978-1988.", in: Journal ofPolitics 55 (1993) 1, S. 80-91; J L. GuthlJ C. Green: "God and the GOP: Religion Among Republican Activists.", in: Religion and Political Behaviour. (Hg.) Ted Jelen. New York 1989, S. 223-243; J L. GuthlJ C. Green: ,,Politics in a New Key: Religiosity and Participation Among Political Activists.", in: Western Political Quarterly 43 (1990), S. 153-179; Kenneth D. WaldlDennis E. OwenlSamuel S Hili: ,,Evangelical Politics and Status Issues.", in: Journal for the Scientific Study ofReligion 28 (1989), S. 1-16. 59 Vgl. zur historischen Entwicklung: Hunter 1987; Marsden 1983; Himmelstein 1990; Nancy T Ammerman: North American Protestant Fundamentalism.", in: Fundamentalism Observed. (Hg.) M MartylS Appleby. Chicago 1992, S. 1-65; Seymour M LipsetlEarl Raab: The Politics of Unreason. New York 1978; Kant PatellDenny PilantlGary L. Rose: "Christian Conservativism: A Study in Alienation and Life Style Concerns.", in: Journal ofPolitical Science 12 (1985), S. 17-30.
IV. Religion als wissenschaftliches Phänomen
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licher Konfliktlinien geführt haben. Der Faktor Religion spielt, aufgnmd der nonnativen Verankerung dieser Cleavages, in diesen Auseinandersetzungen eine bedeutende Rolle. 60 Einen gänzlich anderen Weg hatte die marxistische Tradition eingeschlagen und damit dennoch die Forschungen über den Faktor Religion beeinflußt. Verkürzt gesagt war die Religion für die Marxisten stets ein Komplize der traditionellen Herrschaftsfonnen. Sie war ein Element, welches zur Hegemonie und Stabilität der herrschenden Klassen beitrug. Religion galt als Instrument der sozialen Kontrolle. 61 In der neueren Forschung hat diese Einschätzung den Blick auf das individuelle Verhalten von Menschen in Zusammenhang mit sozialer Interaktion und bestehenden sozialen Netzwerken geschärft. Zweitens hat die marxistische Tradition, dadurch daß sie das Sozialisierungspotential von Religion überbetonte, die wissenschaftliche Neugier auf die Fähigkeit der Religion gelenkt, politische Kulturen mitzufonnen und Antworten in politischen Kontroversen mitzubestimmen. 62 Neuere Perspektiven haben denn auch nicht mehr das Das, sondern das Wie im Auge. Wie können sich religiöse Überzeugungen und religiöse Gemeinschaften in der modemen Gesellschaft verfestigen?
60 Vgl. James D. Hunter: Culture War. The Struggle to Defme America. New York 1991; vgl. eine etwas andere Interpretation dieser Beobachtung bei Peter L. Berger: Sehnsucht nach Sinn. FrankfurtlNew York 1994. Berger vergleicht unsere Gesellschaft mit einem Wohnhaus, daß von den unterschiedlichsten Parteien bewohnt wird. Im Souterrain wohnen Mieter, die an einen bestimmten Ort, an ein bestimmtes Milieu und an eine Plausibilitätstruktur gebunden sind, zu der auch die Religion gehört. Das enge Zusammenleben mit den multikulturell orientierten Bewohnern in der Beletage bedingt nicht nur Konflikte, sondern auch eine 'kognitive Kontamination', die keine Gruppe und kein Glaubenssystem unberührt lassen. Die protestantischen oder schiitischen Fundamentalisten praktizieren nun eine 'kognitive Verschanzung', während andere die 'kognitive Kapitulation' bevorzugen. Berger plädiert rur einen dritten Weg, den der 'kognitiven Verhandlung', der die Extreme erkennen und vermeiden helfen soll. Vgl. neuerdings Peter L. Berger (Hg.) Die Grenzen der Gemeinschaft. Konflikt und Vermittlung in pluralistischen Gesellschaften. Gütersloh 1997. 61 Vgl. Stichwort Religion, in: Kleines Politisches Wörterbuch. Berlin (Ost) 71988. 62 Peter L. Berger hinterfragt nach unserem heutigen Verständnis kritisch den marxistischen Ansatz. Er scheint ihm fiuchtbar fiir seine These zu sein, daß die Kirchen zwischen widerstreitenden sozialen und politischen Kräften innerhalb einer Gesellschaft vermitteln.: ,,Nor is it surprising that religious symbols are employed to legitimate class interests and class cultures.( ... ) Class conflict in an advanced industrial society with a democratic polity should not be understood in the lurid images of revolutionary warfare. (... ) The church mediates between contesting groups in the society.", in: Peter L. Berger: "The Concept of Mediating Action.", in: Confession, Conflict and Community. (Hg.) Richard J Neuhaus. Grand Rapids, Mi. 1986, S. 1-12, S. 4f, S. 10.
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A. Einleitung
Zum eigentlichen Pardigmenwechsel kam es jedoch erst durch die medienwirksamen Wld öffentlich beachteten Wahlkampf- Wld Lobbying-Aktivitäten zahlreicher religiöser Gruppen. Nicht nur die amerikanische Öffentlichkeit war durch die plötzlich auftretende Vehemenz Wld durch das Potential einiger religiöser Organisationen überrascht worden, sondern auch das wissenschafliche Establishment rieb sich vefWWldert die Augen. Wie, so fragten sie sich, kann man diese verstärkte, religiös motivierte, politische Aktivität, insbesondere auf Seiten des religiös-konservativen Spektrums erklären Wld wie kann man dieses neue Phänomen in die bestehenden Theorien einordnen? Der Bereich Religion Wld Politik war seit Murray Stedmanns ,,Religion and Politics in America" von 1964 etwas stiefinütterlich von der Wissenschaft behandelt worden. 63 Fragen, die dieses Verhältnis problematisieren wollten, standen außerhalb des Paradigmas. Erst seit Anfang Wld Mitte der 80er Jahre kann man wieder von einer intensiven wissenschaftlichen Beschäftigwtg - ja geradezu von einer religiösen Hausse - sprechen. Die Arbeiten von Fowler, Reichley, Wald Wld Wuthnow sind Versuche, die Religion vom wissenschaftlichen Tellerrand auf den politikwissenschaftlichen Löffel zu bringen. 64 Das gestiegene Interesse des ForschWlgsbereichs zeigt sich auch in der ZWlehmenden InstitutionalisiefWlg der ForschWlg, die ein Indikator für die langanhaltende Beschäftigwtg mit Religion Wld Politik darstellt. Die Anzahl der Publikationen hat in den 80er Jahren spfWlghaft zugenommen. Linear dazu stieg die Zahl der auf dieses Feld spezialisierten Zeitschriften, sowie die ständigen VeröffentIichWlgen von Artikeln in den großen sozial wissenschaftlichen Publikationen. 65 Vorträge Wld Diskussionen zum Thema gehören zum Standardrepertoire der regionalen (zum Beispiel der Western Political Science Association, Midwest Political Science Association) Wld den nationalen Wissenschaftstreffen der amerikanischen Politikwissenschaft. Es gibt inzwischen kaum eine politikwissenschaftliche Konferenz, die den ForschWlgsbereich Religion Wld Politik nicht in
MS. Stedmann Jr.: Religion and Politics in America. New York 1964. Kenneth D. Wald: Religion and Politics in the United States. Washington, D.C. 1992a; A. James Reichley: Religion in American Public Life. Washington, D.C. 1985; Robert Booth Fowler: Religion and Politics in America. Metuchen, NJ. 1985; Robert Wuthnow: The Reconstructuring of American Religion. Society and Faith since World War II. Princeton, New York 1988. Eine sehr gute Zusanunenfassung und Inhaltsangabe einiger dieser Werke in Allen D. Hertzke: ,,American Religion and Politics. A Review Essay.", in: Western Political Quarterly 41 (1988a), S. 824-838. 65 Vgl. als Auswahl: ANNALS, Daedalus, Scientific Journal for the Study ofReligion, American Political Science Review, The Review of Politics, Journal of Church and State. 63
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N. Religion als wissenschaftliches Phänomen
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ihrer Themenliste auffiilirt. Hinzu kommt, daß einige Universitäten und andere akademische Institutionen Sonderforschungsbereiche66 eingerichtet haben und zusätzlich themenbezogene Konferenzen durchführen. Schließlich wurde eine Untereinheit Religion und Politik bei der American Political Science Association eingerichtet. Dies dokumentiert den gewachsenen Stellenwert des Forschungsbereichs und stellt eine intensive Beschäftigung in der Zukunft sicher. Dabei hat nicht nur die institutionelle Ausprägung zugenommen, sondern auch die empirische Forschung wurde intensiviert. Seit 50 Jahren fragt George Gallup kontinuierlich nach religiösen Einstellungen und der Verbindung von Religion zu den unterschiedlichsten gesellschaftlichen und politischen Themen. 67 Seit 1980 hat die National Election Studies (NES) ihren Probanden erweiterte Fragen mit religiösen Inhalt vorgelegt. Die Fragesteller wollten nun nicht mehr nur Auskünfte über die Häufigkeit des Kirchenbesuchs oder der Bekenntniszugehörigkeit, sondern fragten genauer nach dem Verhältnis zur Bibel, nach dem Status ,,Born-Again", nach der Priorität der Religion im täglichen Leben, nach Gott und nach der Wiederauferstehung. Parallel fragt die National Opinion Research mit ihrem General Social Survey (GSS) neben den obengenannten Bereichen, nach den Einstellungen zur Abtreibungspolitik, nach Homosexualität und vorehelichem Sex, nach illegalem Drogenkonsum oder nach der Bedeutung der Kindererziehung. Diesen großangelegten Studien folgten eine Reihe kleiner konzipierter und stärker auf bestinunte Gruppen zugeschnittene Untersuchungen. Insbesondere die Untersuchungen des Roper Center 1982, von Benson und Williams 1986, von Rothenberg und Newport 1984, von Guth und Green 1990 und Beatty und Walter
66 Hier ist an erster Stelle das fiinfBände umfassende FWldamentalismus-Projekt der amerikanischen Akademie der Künste an der Universität von Chicago Wlter der LeitWlg von Martin Marty Wld Scott Appleby zu nennen. Der letzte Band ist Wllängst erschienen: vgl. Martin MartylScott Appleby (Hg.): The FWldamentalism Project. American Academy of Arts and Sciences, Bd. 5: FWldamentalims Comprehended. Chicago. 1995. Ebenfalls federfiihrend bei zahlreichen ForschWlgsprojekten zu diesem Thema ist die Midwestem Political Science Association Wld die Society for the Scientific Study ofReligion. 67 Vgl. Gallup Monthly Report, sowie die großen Studien: Religion in America. The Gallup Report. Report Nr. 222 (1984); Religion in America. 50 Years 1935-1985. The Gallup Report. Nr. 236 (1985), Religion in America. The Gallup Report. Report Nr. 259 (1987); ZusanunenfassWlg von Teilen der Umfrageergebisse der 80er Jahre Wld einem Ausblick fiir die 90er Jahre, in: G. Gallup Jr./Jim Castelli: The People's Religion. American Faith in the 90s. New YorkILondon: Macmillan 1989.
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A. Einleitung
1988, sowie mehrere Studien von Clyde Wilcox und Ted Jelen beackerten das von den großen Studien vernachlässigte Brachland. 68
Die Ergebnisse der Untersuchungen können hier nur kurz angedeutet werden. Sie kamen zu einer nicht unerwarteten Schlußfolgerung: Religion spielt im öffentlichen wie im politischen Leben der Amerikaner eine bedeutende Rolle. Religion oder Religionen definieren als soziale Gruppe oder als Institution, als Glaubenssystem oder als religiöse Weltsicht amerikanisches Bewußtsein und Identität. Trotz großer Säkularisierungschübe, vornehmlich in den Großstädten, identifizieren sich Amerikaner überaus häufig mit einer religiösen Gruppe, und sie üben Religion in einem ebenso großen Maße aus. Sie engagieren sich kontinuierlicher religiös und nur sporadisch politisch. Doch die Ergebnisse sind zugleich zweideutig. 69 Nicht in jedem Fall deutet ein verstärktes religiöses Engagement auf 68 Vgl. The Institute for Educational AffairslRoper Center: "Theology Faculty Survey.", in: This World (1982) 2. Die Autoren vergleichen die politischen und sozialen Ansichten des Lehrpersonals von 2000 christlich theologischen Fakultäten miteinander; vgl. BensonlWilliam 1982. TImen gelang es, durch die Befragung von 80 Mitgliedern des amerikanischen Kongresses, sechs Mythen über Religion und Politik im Kongreß zu hinterfragen; vgl. Stuart RothenberglFrank Newport: The Evangelical Voter. Religion and Politics in America. Washington, D.C. 1984. Diese Studie basiert auf einer Telephonurnfrage unter 1000 typisierten ,,Evangelicals"; vgl. James L. GuthlJohn C. Green: ,,Politics in a New Key. Religiosity and Participation Among Political Activists.", in: Western Political Quarterly 43 (1990), S. 153-179. Sie befragten mit Hilfe eines zehnseitigen Themenkatalogs 5650 Personen, die Parteien und/oder Interessengruppen in den Jahren 1982 bis 1983 Geld gespendet hatten; vgl. Kathleen BeattylOliver Walter: ,,Fundamentalists, Evangelicals and Politics.", in: American Politics Quarterly 16 (1988), S. 43-59. Diese Studie erfaßte in einer nationalen Umfrage die politischen Einstellungen von 200 PriestemIPfarrem, die 10 unterschiedlichen Bekenntnissen angehörten; vgl. Überblick über die Studien von Clyde Wilcox in: God's Warriors. BaltimorelLondon 1992 und Clyde Wilcox: ,,Political Action Committees of the NCR: A Longitudinal Analysis.", in: Journal for the Scientific Study ofReligion 27 (1988a)l, S. 60-71; vgl. in Auswahl: T Jelen: The Political Mobilization of Religious Belief. N. Y. 1991. Jelen untersucht 15 Kirchengemeinden in Putham County im Bundesstaat Indiana. In seiner Analyse zeigt er, wie wichtig der Faktor Abgrenzung gegen Feministen oder Minoritäten fiir die politische Mobilisierung von konservativen Protestanten ist. Gleichzeitig versucht er, einen Zyklus fiir politischen Aktivismus aufzustellen und Ted Jelen: ,,Protestant Clergy as Political Leaders. Theological Limitations.", in: Review ofReligious Research 36 (1994)1, S. 2343; vgl. fiir einen generellen Überblick zum Thema Umfragen und Religion: Kenneth D. Wald/Corwin E. Smith: ,,Measurement Strategies in the Study of Religion and Politics.", in: Rediscovering the Religious Factor in American Politics. (Hg.) David C. LeegelLyman A. Kellstedt. Armink, New York 1993, S. 26-49. 69 Ein gelungener Versuch, diese Ergebnisse in ,,Middle-America" zu überprüfen, stellt die Studie von N.J Demerath II/I R.H Williams: A Bridgeing ofFaith: Religion and Politics in a New England City. Princeton, NI. 1992 dar. Die bei den Autoren untersuchen den katholischen Einfluß auf das öffentliche Leben in Springfield, Mass., einer typischen Kleinstadt Neuenglands. Thre Ergebnisse können unterschiedlich gedeutet werden. Es
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eine Ztmalune von politischer Partizipation hin. Dermoch übernehmen religiöse Institutionen oder Organisationen offensichtlich Transmitterfunktionen. Sie stehen zwischen dem einzelnen Bürger tmd den Institutionen des Staates. 70 Die Präsidentschaftskampagnen von Jesse Jackson tmd Pat Robertson von 1988 scheinen diese Annalune zu belegen. Der Niedergang der lokalen Parteiorganisationen bietet den Kirchen neue Möglichkeiten, diese Vermittlerposition einzunehmen. Neben der Ftmktion des Vermittlers fällt den religiösen Gruppen eine weitere Ftmktion in den Schoß. Allein dadurch, daß sie eine große Anzahl von Menschen aus den tmterschiedlichsten sozialen Gruppen zusammenbringen körmen, bietet sich den Bekermtnissen die Möglichkeit, Einfluß auf die zentralen politischen tmd gesellschaftlichen Probleme zu nehmen. In den USA sind dies insbesondere die Probleme von Rasse tmd Ethnie, der sozialen Klassen, der Regionen sowie das schwierige Verhältnis von Religion tmd Kultur. 7 ! Neben diesen Vorteilen von Religion bzw. von religiösen Institutionen, zeigt die empirische Auswerttmg auch Grenzen des Einflußes auf. Die politischen Schlußfolgertmgen, die manchen Bekermtnissen opporttm scheinen, werden nicht von allen ihren Gläubigen geteilt. Nicht gerade überraschend ist die Feststelltmg, daß die größte Übereinstimmtmg zwischen religiösen Überzeugtmgen tmd politischen Verhaltensweisen irmerhalb der religiösen Eliten aufzufinden ist. 72
herrscht eine prinzipielle Trennung von Staat und Kirche, das heißt, der meßbare Einfluß der Katholiken oder einer anderen religiösen Organisation ist zunächst überaus gering. Es gibt allerdings drei Ausnahmen. Bei den Auseinandersetzungen über die Schaffung von Obdachlosenasylen, den Neuerschließungen in den Gemeindevierteln und in Fragen der Sexualität forderten die religiösen Aktivisten die säkularen Eliten heraus und sie bestimmten mit diesen Themen die öffentliche Diskussion. Auf der Grundlage dieser Fälle kommen die bei den Autoren zu dem Schluß, daß die religiöse Einflußnahme eher kulturell als strukturell zu begreifen ist. Dabei geht es vorwiegend um die Fähigkeit, Themen in die öffentliche Debatte zu bringen und erst in zweiter Linie darum, diese im politischen Prozeß durchzusetzen. 70 Diese These vertreten Peter L. Berger/Richard J Neuhaus: To Empower People. The Role of Mediating Structures in Public Policy. Washington, D.C. 1977, S. 6. ,,Mediating structures are essential for a vital democratic society ( ... ) Public policy should protect and foster mediating structures and wherever possible, public policy should utilize mediating structures for the realization of social purposes." Diese vermittelnden Strukturen sind nach BergerlNeuhaus die Familie, die Nachbarschaften, die Kirchen und freiwillige Zusammenschlüsse. 71 Vgl. Lyman A. Kellstedt: ,,Religion, the Neglected Variable: An Agenda fOT Future Research on Religion and Political Behavior.", in: Leege/Kellstedt 1993, S. 273-303. 12 Vgl. zum Beispiel: Nancy T Ammermann: "Organizational Conflict in the Southem Baptist Convention.", in: Secularization and Fundamentalism Reconsidered. (Hg.) JK. HaddeniShupe Anson. New York 1989, S. 133-152; ausfiihrlicher in: Nancy T Ammermann: Baptist Battles: Social Change and Religious Conflict in the Southem Baptist Convention. New Brunswick, NJ. 1991. Ammermann schildert den sich zuspit4 Sterr
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A. Einleinmg
Außerdem können einzelne Bekenntnisse, insbesondere die protestantischen, zwischen einer Vielzahl von politischen Perspektiven vermitteln. Offensichtlich deutet die große Anzahl politischer Verhaltensmuster auf eine unterschiedliche Sozialisation von Laien und Geistliche hin. Die Laien sind nicht in dem Maße wie der geistliche Stand einer Sozialisation durch religiöse Institutionen und theologische Seminare unterworfen. 73 Diese Heterogenität der religiösen Überzeugungen wird zusätzlich durch die protestantische Überzeugung des allgemeinen Priestertums aller Gläubigen verkompliziert. Das heißt, die individuelle Auslegung der heiligen Texte und der Doktrinen wird betont und dadurch die individualistische und private religiöse Orientierung der Amerikaner gefördert. Somit lassen sich nur unvollständige Vergleiche von Religion und politischem Verhalten anstellen. Benson und Williarns unternahmen 1982 einen weiteren Versuch, dem Verhältnis von religiöser Überzeugung und politischem Verhalten auf die Spur zu kommen. Sie interessierte die Problematik, ob religiöse Orientierungen tatsächlich die politischen Entscheidungen von Kongreßabgeodneten beeinflußen. Dabei ging es ihnen in erster Linie nicht um den Grad der Religiosität einer Person, sondern sie wollten aufzeigen, welche Auswirkungen diese Religiosität hat. Erst 1985 konnte die Studie der Öffentlichkeit präsentiert werden, zu unbequem waren offensichtlich ihre Ergebnisse. Gleich mehrere alte Zöpfe mußten abgeschnitten werden. So mußte etwa von dem Mythos Abschied genommen werden, daß: ,,Political Conservatives are more religious than politicalliberals".74
zenden Konflikt zwischen fundamentalitischen und moderaten Führern und ihren jeweiligen Anhängern innerhalb der Southern Baptist Convention (SBC) am Beispiel der Abtreibungsdebatte. Weitere Auseinandersetzungen innerhalb dieses, mit 15.6 Millionen Mitgliedern, größten Einzelbekenntnisses der USA, entzündeten sich an Rassenfragen. Bis heute fuhren Sonntag fiir Sonntag ethnische Unterschiede die Bekenntnisgemeinde in unterschiedliche Kirchenhäuser. Der Versuch, diese Barriere zu überwinden, hat nicht nur bereits 1845 zur Trennung von den Northern Baptists gefiihrt, sondern es scheint auch die heutige Gemeinschaft der SBC zu spalten. vgl. Andrea Stone: "Southern Baptists Repent Past.", in: USA TodaylInternational Edition, Mittwoch den 21. Juni 1995, S. 3A; vgl. das Argument von Bill J Leonard, der als Ursache dieser Spannungen die größere und komplexere Identitätskrise innerhalb der ,,Denomination" und der "Southern Culture" ausgemacht haben will und dies aus einer historisch-theologischen Perspektive untersucht. vgl. Bill J Leonard: "Southern Baptists and Southern Culture: A Contemporary Dilemma.", in: Freese 1987, S. 477-496. 73 Vgl. M R. Welch/D.C. Leege/KD. Wald/L.A. Kellstedt: ,,Are the Sheep Hearing the Shepards? Cue Perceptions, Congregational Responses, and Political Communication Processes.", in: Leege/Kel/stedt 1993, S. 235-255. 74 Vgl. Benson/Williams 1985, S. 163. BensonlWilliams schienen die Reaktion der Öffentlichkeit geahnt zu haben: vgl. S. 185: "Our discovery that religion and voting are tied in strong, predictable, and explainable ways in the V.S. Congress will come to some
IV. Religion als wissenschaftliches Phänomen
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Nach BensonIWilliams kann man diese Behauptung nach ihren Ergebnissen nicht weiter aufrecht erhalten. Liberale und Konservative bevorzugen zwar unterschiedliche Glaubensinhalte, was die Quantität der religiösen Praxis anbelangt, sind keinerlei Unterschiede auszumachen. Beide Gruppen besuchen gleich häufig Gottesdienste, lesen die Bibel oder unterstützen ihre jeweiligen kirchlichen Institutionen. "The most accurate conclusion is this: liberals and conservatives differ not in amount of religion, but in kind. ,,75 Die kolportierte Meinung der amerikanischen Öffentlichkeit, aber auch von Chefredaktionen und von Kommentatoren jeglicher politischen Couleur ist, daß bei politischen Entscheidungen religiöse Vorstellungen bei gewissen moralischen Fragen, etwa bei der Abtreibung, den Ausschlag fiir das jeweilige Abstimmungsverhalten der Abgeordneten geben. Ein offensichtlicher Gemeinplatz, der dennoch von der CR geradezu gebetsmühlenartig wiederholt wurde. Nach BensonIWilliams kann diese Aussage nicht generell verneint werden, allerdings ist bei der Bewertung Vorsicht geboten. Das Abstimmungsverhalten im amerikanischen Kongreß unterliegt einem komplexen Meinungsbildungsprozeß, der den unterschiedlichsten Einflüssen ausgesetzt ist. Religiöse Motive wurden in der Vergangenheit von diesem Prozeß weitgehend ausgeklammert. Die Studie reklamiert nicht, daß religiöse Überzeugungen und Werte entscheidende Faktoren seien, gibt aber durchaus zu der Vermutung Anlaß, daß Religion, in gleichem Maße wie Parteizugehörigkeit und Wählerdruck, als wichtiger und erklärender Umstand herangezogen werden sollte. In einigen Fällen können die Aussagen einzelner Mitglieder zu religiösen Fragestellungen mehr über deren zukünftiges Abstimmungsverhalten aussagen, als ihre Paneizugehörigkeit. Eine weitere Mär ist die von der Christian Right vertretene Ansicht, daß ,,Evangelicals" im Kongreß eine vereinte, konservative politische Kraft darstellen. Die Zusammenhänge zwischen religiöser Überzeugung und politischer Orientierung sind auch hier weit komplexer, als es uns die Führer der CR glauben machen möchten. 76
as unwelcome news.". Die 'Schuld' liegt allerdings nicht nur bei der ignoranten Öffentlichkeit. Benson/Williams veröffentlichten ihre Untersuchung bereits 1982. Aufgrund der mangelhaften Vermarktung mußte das Buch schon nach 15 Monaten aus dem Handel genommen werden. Unglücklicherweise war dies der Zeitpunkt, an dem die Hochschullehrer darauf aufmerksam geworden waren. vgl. die Rezension von D.CLeege, in: American Political Science Review 80 (1986), S. 662-663. 75 Vgl. BensonlWilIiams 1985, S. 164. 76 Vgl. BensonlWilliams 1985, S. 168-184. Ein weiteres Klischee ist die Aussage, daß der Kongreß eine Bastion des säkularen Humanismus sei. Weiter wird behauptet, daß Mitglieder, die fundamentale christliche Werte vertreten, die legislativen Ziele der eR unterstützen, während ihre liberalen Gegenüber den säkularen Humanismus unterstützen.
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A. Einleitung
Insgesamt halten BensonIWilliams fest, daß die Mitglieder des U.S. Congress nicht weniger religiös sind, als das übrige Amerika. In einigen Fällen sind sie sogar weit religiöser orientiert als die amerikanische Öffentlichkeit. Die meisten sind Mitglied einer Kirche oder einer Synagoge, tmd die meisten engagieren sich öffentlich tmd privat fiir ihren Glauben. Religiös zu sein, bedeutet nicht automatisch politisch konservativ zu sein - eher ist eine Verbindtmg zwischen gewissen religiösen GrundeinsteIlungen tmd politischen Überzeugtmgen auszumachen. 77 Die Ergebnisse berücksichtigten insbesondere den indiviuellen Charakter von Religion. Schließlich kann man folgern, daß es womöglich eine Übereinstimmtmg zwischen der religiösen Haltung einer Person tmd ihren politischen Werten gibt. Zweitens, daß der Grad der Religiosität, das heißt wie religiös eine Person ist, von Bekenntnis zu Bekenntnis variiert tmddaß drittens dieser Grad von Religiosität innerhalb der einzelnen Bekenntnisse tmterschiedlich ausgeprägt ist. 78
v. Zur Relevanz methodischer Ansätze bei der Beschäftigung mit religiös-politischen Phänomenen Obwohl Religion zu großen Teilen der individuellen, persönlichen Sphäre zuzurechen ist, einer Tatsache der Benson tmd Williams Rechntmg trugen, so ist sie auch ein soziales Phänomen. Gerade weil Personen des gleichen Glaubens ein gemeinsames Band verbindet, sie eine gemeinsame Erfahrtmg tmd Geschichte teilen und sie intensiv miteinander kommunizieren, lag es nah, zu vermuten, daß sie ähnlich auf soziale tmd politische Herausfordertmgen reagieren. Thre Reaktion ist demnach eher kollektiv als individuell bestimmt. 79
Sämtliche dieser Vorurteile erwiesen sich bei näherer Betrachtung als zu oberflächlich in ihrer Bewertung. 77 Vgl. das Lob und die Kritik am methodischen Ansatz der Studie bei A. D. Hertzke: ,,American Religion and Politics. A Review Essay.", in: Western Political Quarterly 41 (1988a), S. 824-838, S. 831-834. 78 Vgl. zum zweiten Punkt und dritten Punkt: Kenneth D. WaldlLyman A. KellstedtlDavid C.Leege: "Church Involvement and Political Behaviour.", in: Kellstedt/Leege 1993, S. 121-139, S. 134f. "On a number of issues, particulary in the social regulatory sphere, the religiously involved were strikingly different from the uninvolved." 79 Vgl. Lyman A. KellstedtlJohn C. Green: ,,Knowing God's Many People: Denominational Preference and Political Behaviour.", in: Kellstedt/Leege 1993, S. 53-72; S. 65. Die Autoren analysieren die Bedeutung von Bekenntniszugehörigkeit in den USA in Verbindung mit sozialen Gruppen. Threr Ansicht nach lassen sich anhand der Präferenzen für unterschiedliche Bekenntnisse Aussagen zu zahlreichen Feldern des politischen und
V. Zur Relevanz methodischer Ansätze
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Diese Perspektive, die die Religion eher als soziales, denn als kognitives Phänomen begreift, rückt zwangsläufig die Analyse von Religion in VerbindWlg mit einem System von sozialen Gruppen, Organisationen Wld Institutionen ins Zentrwn. Für die amerikanische ForschWlg lag es demnach auf der Hand, dem Phänomen Religion mit einem erprobten theoretischen Ansatz zu Leibe zu rücken. KITchen, Bekenntnisse sowie religiöse Institutionen schienen mit den gleichen Kriterien meßbar, mit denen man auch andere Interessengruppen bewerten konnte. Tatsächlich tragen religiöse Organisationen verfiihrerische Interessengruppenmerkmale. Sie haben ein hohes repräsentatives Potential; nahezu jeder Amerikaner ist Mitglied einer religiösen Gruppe. Wie kaum eine andere soziale Großorganisation repräsentieren religiöse Organisationen die gesamte soziale SchichtWlg der Gesellschaft. Darüber hinaus verfugen sie meist über enorme finanzielle Mittel Wld es gelingt ihnen in ZWlehmendem Maße, ihre Mitglieder zu mobilisieren. 80 Doch nicht nur diese transparenten Aspekte sprachen fiir den Interessengruppenansatz. Die VorstellWlg, daß sich die amerikanische Gesellschaft in eine Interessengruppengesellschaft aufteilt, ist so alt wie die Republik selbst. James Madison hat in seinem berühmten Federalist Art. 10 von 1787 die GrWldlage zu einer Theorie der Interessengruppen gelegt.81 Es war seiner Ansicht nach Wlvermeidbar, daß sich innerhalb der amerikanischen Gesellschaft Fraktionen (factions) bilden würden. Die Bürger würden ihrer Natur gemäß handeln Wld aus Egoismus Wlterschiedliche Interessen verfolgen. Madison sah darin solange keine Gefahr, wie nicht einzelne ,,factions", als Minderheit oder als Mehrheit die Herrschaft erlangen würden Wld somit die Freiheit der anderen einschränken würden. Seine SchlußfolgerWlg war nicht, daß man Interessengruppen verbieten sollte, sondern er empfahl die Kontrolle der AuswirkWlgen widerstreitender kulturellen Lebens treffen. ,,As a result, members of denominations develop particular politicial outlooks, and denominational preferences are systematically associated with partisanship, issue position, and voting patterns." 80 Vgl. A. D. Hertzke: "The Role of Religious Lobbies.", in: Religion in American Politics. (Hg.) C. W. Dunn. Washington, D.C. 1989a, S. 123-127; S. 126: "Churches and synagoges indeed present a powerful contrast to the image of America as a 'mass society' (... ). Organized religion is thus the premier voluntary association in the country, an association particularly important to those historically excluded from participation elsewhere." 81 Vgl. James Madison: ,,Federalist Nr. 10"., in: Alexander Hamilton/James Madison/John Jay. Die Federalist-Artikel. (Hg.) Angela AdamslWilli Paul Adams. Paderborn u.a. 1994, S. 50-58; vgl. die Interpretation von Ernst Fraenkel, der die Bedeutung dieser Stelle fiir den europäischen Kontext herausarbeitet. Ernst Fraenkel: Deutschland und die westlichen Demokratien. Frankfurt 21991, S. 141 u. S. 169ff.
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A. Einleinmg
Interessen. Diese Kontrolle sah er in der Struktur des amerikanischen Regienmgssystems bestens verwirklicht. Durch die Wahl verschiedener Repräsentanten wären in der republikanischen Union alle Regionen und Interessen angemessen vertreten. Die Vielzahl der konkurrierenden Meinungen würden sich gegenseitig im Zaume halten, denn von einer Nation mit der Größe der USA würde man niemals annehmen können, daß sie sich nach einem einzigen Interesse richten würde. 82 Das Repäsentationsprinzip und der Föderalismus würden einander bestärken und somit ein effektives und allgemein akzeptiertes Regieren möglich machen. Das amerikanische Regienmgssystem hat sich denn auch folgerichtig wenig darum gekümmert, ob einige Interessengruppen, aufgnmd ihrer Größe oder ihrer finanziellen Ressourcen, besser repräsentiert sind als andere. Von geringerer Bedeutung war die Frage, ob neben der Menge der "special interests" die "common interests" Bestand haben würden. Bis in die 50er und 60er Jahre unseres Jahrhunderts hat Madisons Ansicht, daß die unterschiedliche Repräsentanz von Interessen es speziellen Interessengruppen unmöglich machen würde, einen dominanten Einfluß auszuüben, das Verständnis der amerikanischen Sozialwissenschaften geprägt. Die ,,Pluralists" wiesen mehr und mehr auf die positiven Effekte des Interessengruppenpluralismus hin. Die Fähigkeit von Interessengruppen Kompromisse zwischen der Exekutive und zahlreichen gesellschaftlichen Gruppen zu schließen, galt als großes Verdienst in einer Demokratie, die auf ein solches, permanentes Verhandeln angewiesen war. Für die Anhänger der pluralistischen Tradition bestand die Aufgabe der Politik darin, Gruppenkonflikte zu lösen - Politik resultierte erst aus diesem Konflikt. Die Bürger delegieren ihr politisches Mandat, sowie den gesamten Prozeß, von der ThemensteIlung über die Verabschiedung bis zur Durchfiihrung an Vertreter. Sie nehmen, außer bei Wahlen, lediglich indirekt am politischen Entscheidungsprozeß teil. Dennoch partizipieren sie, indem sie Mitglied in Interessengruppen sind oder indem sie Gruppen und Organisationen unterstützten, die ihre Ziele vertreten. Die politische Macht war nach Ansicht der Pluralisten zwischen den politischen Institutionen und den Interessengruppen geteilt worden. Interessengruppen galten fiirderhin als Stützen des amerikanischen Verfassungssystems. Diese
82 Nach Madison verhindert gerade die Größe der Union die Diktatur einer faction, beispielsweise durch eine religiöse Sekte. Er bemerkt dazu durchaus aktuell: ,,Eine religiöse Sekte kann in einem Teil des Staatenbundes gelegentlich zur politischen Fraktion degenerieren, aber die Vielzahl der über die ganze Konföderation verstreuten Sekten sichert die überregionalen Gremien vor möglichen Gefahren aus dieser Richnmg." vgl. Madison 1994, S. 58.
V. Zur Relevanz methodischer Ansätze
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abschließende Ansicht stand allerdings im Gegensatz zu Madisons kritischer Distanz und seiner Forderung nach Kontrolle von Fraktionen. In den 60er Jahren setzte man sich weit kritischer mit der Praxis der amerikanischen Demokratie auseinander. Sowohl in der Gesellschaft als auch in der Wissenschaft fühlte man sich der kritischen Tradition Madison's verpflichtet. Man wandte sich gegen die zu positive Interpretation der pluralistischen Demokratie mit dem Vorwurf, daß große Teile der Bevölkerung, wie die schwarzen Amerikaner, gar nicht oder kaum repräsentiert würden. Die bestehenden Spielregeln würden den status quo zementieren. Mehr Partizipation wurde eingefordert: ,,Increased participation was needed to balance a system of interest groups that skewed policy making towards organizations unrepresentative ofthe American people."83
In der Folge kam es innerhalb der amerikanischen Gesellschaft zu einer umfassenden Transformation der Interessengruppenlandschaft. Thr phänomenaler Aufstieg in einer relativ kurzen Zeitspanne ist in der Evolutionsgeschichte der Gruppen ohne Beispiel. 84 Kurz nach dem Bürgerkrieg verbrachten noch etwa 50 Lobbyisten den Winter in Washington. Schon ein halbes Jahrhundert später waren ca. 500 Organisationen in der Hauptstadt präsent. Der New Deal bescherte der Hauptstadt dann 6000 ständige Lobbyisten, zusätzlich zu den etwa 5000 Rechtsanwälten der Stadt. Nach dem Zweiten Weltkrieg sank die Zahl kurzfristig von 12.000 Lobbyisten auf ca. 800-1000 in den 50er Jahren, um dann 1987 rasant bis auf23.011 anzusteigen. Der Washington Representatives konnte von 1977 bis 1991 eine kontinuierliche Zunahme der Interessenvertreter von 4000 auf 14.500 verzeichnen. Diese Zahl erhöht sich noch, rechnet man die vielen der 37.000 Washingtoner Anwälte hinzu, die ebenfalls versuchen, die politischen Entscheidungen im Sinne ihrer Klienten zu beeinflussen. Washington ist zum Eldorado fiir sogenannte ,,non-profit organizations" geworden. In den letzten 30 Jahren konnte man eine enorme Zunahme der "public interests groups" oder "citizen groups" verzeichnen. Diese versuchen, ohne ein ökonomisches oder finanzielles Eigeninteresse, Einfluß auf die politischen Institutionen oder die Bürokratie auszuüben. Die Fülle dieser Gruppen auf diesem Sektor ist nahezu unüberschaubar. Sie reicht von Konsumentenvereinigungen,
83 Jerry M Berry: The Interest Group Society. Bostonfforonto 1984, S. 15; vgl. die Kritik von J T Tierney, der dem Vorwurf nachgeht, daß Kongreß und Interessengruppen den politischen Prozeß dominieren. J T Tierney: "Organized Interests and the Nation's Capitol.", in: The Politics of Interests. Interest Groups Transformed. (Hg.) Mark P. Petracca. Boulder, Co. 1992, S. 201-220. 84 Vgl. fiir sämtliche Zahlenangaben: Mark P. Petracca: "The Rediscovery ofInterest Group Politics.", in: The Politics ofInterests. Interest Groups Transformed. (Hg.) Mark P. Petracca. Boulder, Co. 1992, S. 3-31, S. 13-14
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A. Einleitung
über Altengruppen und Gesundheitsfiirsorgegruppen bis zu Umweltverbänden, Frauen- und Bürgerrechtsgruppen und sämtlichen Minderheitenverbänden. Heute haben ca. 7000 Organisationen ihre Zentrale in Washington. Sie beschäftigen etwa 80.000 Angestellte mit der Wahrnehmung ihrer Interessen. Die Gesamtzahl der in dem "private service sector" Beschäftigten ist größer als die Anzahl der Bundesangestellten in Washington. 85 Mehrere Ursachen sind fiir diesen Quantensprung der Interessengruppen verantwortlich. Die 60er und 70er Jahre waren nicht nur Jahre der gesellschaftlichen Veränderungen, die schließlich eine geänderte Wahrnehmung in den Sozialwissenschaften zur Folge hatten. Hinzu kommen grundlegende Neuorientierungen und Umbauten im politischen System der USA. Die Zunahme der verabschiedeten Gesetze und die massive Regulierungspolitik der Bundesgewalt, sowie vermehrte Staatsausgaben zogen die Interessengruppen an die Schaltzentralen der Macht. Dort war 1973 eine tiefgreifende Kongreßreform durchgefiihrt worden, die in der Folge den Zugang von Interessengruppen spürbar erleichterte. 86 Unter dem Ansturm der institutionellen Veränderungen gerieten die traditionellen Koalitionen ins Wanken. Die politischen Parteien, die bisher in dem fragmentierten konstitutionellen Rahmen die Verbindungen hergestellt hatten und somit die eigentlichen Zentren der Macht bildeten, verloren dieses alleinige Vorrecht. Während sich die Waage fiir die Parteien nach unten neigte, profitierten die Interessengruppen von der veränderten Umgebung. Sie konnten sich schneller und effektiver auf die neuen Anforderungen einstellen. Zugleich wurden die
85 Einen stets aktualisierten Zugang zu den neuesten Zahlen, Daten, Fakten und Lobbyorganisationen bietet der Congressional Record. Washington, D.C. der viermal im Jahr eine Liste mit den registrierten Lobbyisten veröffentlicht. Hinzu kommt die wöchentlich erscheinende Zeitschrift Congressional Quarterly. Weekly Report (CQ), die jede Woche unter dem Stichwort: Lobbies-Lobbying, Registrations, die aktuellsten Veränderungen aufführt. Die Encyclopedia of Associations des Gale Instituts aus Detroit, Mi., erscheint jährlich. Dort werden unter Themen, Ort, Größe, Zielrichtungen und anderen Aspekten 30.000 Handelsorganisationen, Gewerkschaften und Lobbyorganisationen aller Art aufgefiihrt. Für Informationen über den Großraum Washington, D.C. empfiehlt es sich, den jährlich erscheinenden Washington Representatives, Washington, D.C. heranzuziehen. Über 14.000 Individuen sind neben Firmen, Organisationen, Bundesbehörden und ausländischen Vertretungen erfaßt und ihren legislativen Interessenfeldern zugeordnet worden. vgl. zusätzlich die Public Interest Profiles, Washington D.C. (2-jährig); Washington '95, Washington, D.C. (jährlich); Washington Information Directory, Washington, D.C. (jährlich). 86 Der Kongreß hat die historischen Entwicklungen und die Veränderungen der Lobbyinggesetzgebung in den letzten 20 Jahren selbst am besten aufgearbeitet. vgl. Congress and Pressure Groups: Lobbying in a Modem Presidency. AReport Prepared for the Subcornmittee on Intergovemmental Relations of the Cornmittee on Govemrnental Affairs United States Senate by Congress Research Service. Liberary ofCongress. Juni 1986.
V. Zur Relevanz methodischer Ansätze
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politischen Führer lUld das politische Establishment auf diese neuen Interessengruppen aufmerksam. Die veränderte politische Welt stellte sie vor neue HerausfordeflUlgen, lUld die Interessengruppen schienen dabei die geeigneten Verbiindete zu sein. Mit ihrer Hilfe war es möglich, neue Koalitionen zu schmieden, Gelder einzusammeln, Mitglieder und Wähler zu mobilisieren und last but not least den politischen EntscheidlUlgsprozeß durch Lobbying zu beeinflussen. 87 ZlUlächst wurden religiöse Gruppen lUld Institutionen nicht als politische Interessengruppen betrachtet. Zu gering war ihre Anzahl und zu eindeutig schienen ihre politischen Ziele. 88 Die VerändeflUlgen in den 60er und 70er Jahren führten zu veränderten sozio-ökonomischen Bedingoogen, die allerlei Neues mit sich brachten. Die Steuerbehörden warfen plötzlich ein begehrliches Auge auf die Finanzen der Kirchen. Die sozialen RegulieflUlgen, sowie einzelne BlUldesgesetze zwangen die Kirchen zu einer Verteidigoog ihrer überkommenen Positionen. In erster Linie wurde deshalb beim politischen Engagement der Kirchen eine defensive Strategie vermutet. 89 Indirekt gestärkt wurde diese Ansicht durch das von Mancur Olson entwikkelte theoretische Gerüst. 90 Olson zeigt, daß Gruppen einen Großteil ihrer Ener-
87 Mark P. Peterson gibt fiir diese Verändenmgen des institutionellen Überbaus und die Reaktion der politischen Institutionen auf die Interessengruppenvielfalt ein schönes Beispiel. Er schildert die verschiedenen Strategien der Präsidenten, insbesondere von Ronald Reagan, sich der Interessengruppen (IG) zu bedienen. Seiner Ansicht nach sind die Erfolge dabei eher mäßig. Auch die These, daß die IG die Parteien schwächen, versieht Peterson mit einem Fragezeichen. Neuere Entwicklungen deuten auf eine Auferstehung der Parteien im IG-Gewand hin. vgl. Mark P. Peterson: ,,Interest Mobilization and the Presidency.", in: Petracca 1992, S. 221-241; Heinz U Brinkmann sieht einen wachsenden Einfluß der IG und verweist auf den anhaltenden Niedergang der amerikanischen Parteien. Heinz Ulrich Brinkmann: ,,Interessengruppeneinflüsse auf den amerikanischen Kongreß.", in: PVS 25 (1984) 3, S. 255-275, ausführlicher in: Heinz Ulrich Brinkmann: Public Interest Groups im politischen System der USA - Organisierbarkeit und Einflußtechniken. Opladen 1984; vgl. ähnliche Einschätzung bei Marjorie R. Hershey: "Citizen's Groups and Political Parties in the U.S.", in: ANNALS 528 (1993), S. 142-156. 88 Eine der ersten Untersuchungen, die religiöse Einflußnahme als Interessengruppenlobbying ansieht, wurde 1928 von Peter H Odegard vorgelegt. vgl. Peter H Odegard: Pressure Politics: The Story ofthe Anti-Saloon League. New York 1928, sowie die frühen Studien von Luke EbersoIe: Church Lobbying in the Nations Capital. New York 1951 und die Dissertation von James A. Nash: Church Lobbying in the Federal Govemment: A Comparative Study ofFour Agencies in Washington, D.C .. (Diss.) Universtity ofBoston 1967 und James C. Adams: The Growing Church Lobby in Washington. Grand Rapids 1970. In seiner Studie kotlllte Adams den steigenden Einfluß der ,,Main-Line-Churches" auf den Kongreß in den 60er Jahren aufzeigen. 89 Vgl. V 0. Key: Politics, Parties and Pressure Groups. New York 51964, S. 120. 90 Vgl. Mancur Olson: The Logic ofCollective Action. Public Goods and the Theory of Groups. Cambridge, Mass. 1965; vgl. auch die von Olson vertretene ,,Free Rider"-
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A. Einleitung
gie darauf verwenden müssen, ihre Mitglieder davon zu überzeugen, sich fiir ein kollektives Gut zu engagieren. Diese Zeit fehlt ihnen schließlich, wenn sie die Regierungsarbeit beeinflussen möchten. Diese Beobachtung ließ Olson vermuten, daß ökonomische Interessengruppen nicht in erster Linie fiir "public-policy-reason" konstruiert werden. Statt dessen kam es zu einer Vereinbarung, die dazu fUhren sollte, ihre Mitglieder mit speziellen Anreizen und materiellen Gewinnen zu versorgen. Der Einfluß auf die öffentliche Politik, falls er überhaupt stattfand, war eher ein "by-product" der in der Gruppe ablaufenden Aktivitäten. Bei Organisationen, die kein primäres ökonomisches Interesse verfolgen, sah Olson seine Theorie als weniger hilfreich an. ,,In philantropic and religious lobbies, the relationship between the purposes and interests of the individual member and the purposes and interests of the organization may be so rich and obscure that a theory of the sort developed here cannot provide much insight. ,,91
Erst mit den Arbeiten von Salisbury setzte sich ein weniger ambitionierter Ansatz durch. Zu lange, so Salisbury, seien die Sozialwissenschaften mit der Frage nach dem Stellenwert von Interessengruppen in der Demokratie blockiert gewesen. 92 Dadurch wurden ganze Bereiche vernachlässigt. Kaum jemand hatte sich Gedanken über die existierende Vielfalt von Interessengruppen gemacht. Erst jetzt fragte man sich, wer in eine Interessengruppe gehört und warum man ihn dort einordnen kann. Die eingeschlagene Richtung weckte mehr Neugierde. Nachdem man bestimmt hatte, wer in eine Interessengruppe gehört und warum, wollte man nun wissen, was Interessengruppen eigentlich tun, mit wem sie was
These. Olson behauptet in dieser These, daß Individuen nur in dem Maß bereit sind, sich kollektiven Aktionen anzuschließen, indem der davon erhoffte Nutzen die von ihnen investierten Kosten übersteigt. Zur Kritik an diesem Ansatz, der beispielsweise übersieht, daß soziale Bewegungen selbst neue Handlungsanreize schaffen können. vgl. Alan Scott: Ideology and the New Social Movements. London 1990. 91 Vgl. Olson 1965, S. 159f. 92 Vgl. aus der Vielzahl der Arbeiten von Robert H Salisbury: ,,Interest Groups", in: Handbook of Political Science, Vol. 4: Nongovemmental Politics. (Hg.) Fred I GreensteinINelson W. Polsby. Reading, Mass. 1975, S. 171-229. Salisbury versucht in diesem Artikel eine begriffliche Verortung und eine Typologisierung von IG vorzunehmen, um dann die Methoden der Interessengruppeninteraktion zu analysieren. Vgl. von den neueren Arbeiten mit jeweils anderer Fragestellung: ,,Interest Groups.: Towards a New Understanding.", in: Interest Group Politics. (Hg.) Al/an J CiglerlBurdett L. Loomis. Washington, D.C. 1983, S. 354-371; ,,Interest Representation: The Dominance oflnstitutions.", in: Arnerican Political Science Review 78 (1984)1, S. 64-76; "The Paradox of Interest Groups in Washington, D.C.: More Groups and Less Clout.", in: The New Arnerican Political System. (Hg.) Anthony King. Washington, D.C. 21990, S. 203-229.
V. Zur Relevanz methodischer Ansätze
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tun lUld welche Auswirkungen diese Tätigkeit fiir sie selbst lUld fiir die weitere
Gesellschaft hat. 93
Die allgemeinen Probleme der InteressengruppenforschlUlg schienen die speziellen Probleme des Engagements von religiösen Gruppen lUld Organisationen widerzuspiegeln. Religion, verstanden als eine Palette sozial strukturierter Organisationen, verwies auf die von Salisbury identifizierten Institutionen. Die Gestalt dieser ,,Institutionen" reicht von Bekenntnissen, Kirchenräten, Vereinigungen auf freiwilliger Basis, Mitgliedergruppen bis zu sozialen oder politischen Bewegungen. Dieser Ansatz versprach zudem den gesuchten Schlüssel zum Verständnis des religiös-konservativ geprägten ,,revivals" Anfang der 80er Jahre. Der Einzug der CR in die Hauptstadt lUld die Ankündigung "to turn America christian" verwies erneut auf die religiös motivierte Aktivität zahlreicher Gruppen in Amerika. Für Paul 1. Weber war denn auch die Zeit, in der man religiöse Lobbies lUlterschätzen durfte, vorbei. ,,( ... ) the presence of religious-group political activity must be taken seriously, for under certain conditions it can be very effective. Religious groups have latent, within them many elements necessary for developing successful interest groups and many incentives to become politically active.,,94
Diese "certain conditions" galt es zu lUltersuchen, lUld die Elemente erfolgreichen religiösen Interessengruppenverhaltens galt es herauszuarbeiten. Während Anthony Champagne endlich den Mythos von der "wall of separation" zwischen Religion lUld Politik in Rauch aufgehen sah, versuchten Weber lUld Stanley, die Attraktivität von religiösen Interessengruppen idealtypisch herauszuarbeiten. 91 Nach ihren UntersuchlUlgen haben religiöse Interessengruppen Zugang zu einer großen Anzahl von Bürgern, die über das ganze Land verstreut in relativ stabilen grass-root-Gemeinschaften leben. In jedem Kongreßdistrikt können sie auf eine 93 Einen Überblick über die neuesten Arbeiten im Bereich der Interessengruppen gibt fiir den amerikanischen Raum: Mark P. Petracca: "The Changing State of Interest Group Research: A Review and Commentary.", in: Petracca 1992, S. 363-371. Im deutschen Sprachraum verweisen die Arbeiten von Peter Läsche und Hartmut Wasser auf den amerikanischen Forschungsstand. vgl. Hartmut Wasser: ,,Die Interessengruppen.", in: Regierungssystem der USA. Lehr- und Studienbuch. (Hg.) Wolfgang JägerlWolfgang Welz. MünchenlWien 1995, S. 297-314; Peter Läsche: ,,Interessenorganisationen.", in: Adams u.a. 1992, S. 484-507. 94 Vgl. Paul J Weber: ,,Examing the Religious Lobbies.", in: This World (1982) 1, S. 97-107, S. 98f. 95 Vgl. Anthony Champagne: ,,Religion as a Political Interest Group.", in: Religion and Politics. (Hg.) Dale Bumpers/Harold J Berman/Christopher F. Mooney u.a. Austin, Te. 1989, S. 111-169; Paul J Weberfl'. L. Stanley: "The Power and the Performance of Religious Interest Groups.", in: Quarterly Review 4 (1984) 2, S. 28-43.
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gut ausgebildete Führerschaft zurückgreifen, die über Zugang zu Masserunedien und Kommunikationskanälen verfügt und die beträchtliche finanzielle Ressourcen zur Verfügung stellen kann. Ihre Mobilisierungsmöglichkeiten sind ausgezeichnet, da sie meist über eine hohe Motivationsmöglichkeit verfügen. Durch Symbole, Rituale und eine religiöse Rhetorik ist es ihnen über die aktuelle Problemlage hinaus möglich, eine metaphysische Ebene anzusprechen. Für Weber und Stanley können sie, obwohl sie gemessen an ökonomischen Interessengruppen relativ klein sind, in ausgewählten Politikbereichen gemeinsam mit anderen Gruppen überaus erfolgreich sein. Ihre Macht beruht vor allem auf ihrer organisatorischen Dichte und auf der Qualität ihres Managements. Ein Prototyp einer solchen religiösen Interessengruppe war die, Anfang der 80er Jahre ins Leben gerufene, Moral Majority Inc., die spätere Liberty Federation. Die Entstehung von ,,interest-group conservativism"96 rückte zunächst die Methoden und Strategien von ,,religious lobbies" in den Mittelpunkt der wissenschaftlichen Neugier. Den Löwenanteil machen dabei die Studien über den Einfhill von ,,religious interest groups" auf den Kongreß aus. Neben der bereits erwähnten Studie von BensonlWilliams sind hier insbesondere die flühen Arbeiten von Allen D. Hertzke zu nennen. 97 Hertzke fand in seinen Recherchen Hinweise darauf, daß religiöse Interessengruppen nicht auf allen Feldern gleich erfolgreich sind. Ihr Einfluß und ihre legislativen Erfolge beruhen auf der Fähigkeit, ihre Mitglieder zu bestimmten Themen zu mobilisieren und auf einer hohen Übereinstimmung zwischen Mitgliedern und religiösen Führern bei bestimmten Themen. Die eR war nach Hertzke in den flühen 80er Jahren bei "social issues" wie Abtreibung, Schulgebet, Equal Rights Amendment (ERA) und bei der Forderung nach staatlicher Hilfe für Konfessionsschulen überaus erfolgreich. Bei diesen Themen ließ sich ein allgemeiner Konsens fmden. Bei ökonomischen oder außenpolitischen Fragen waren einheitliche Standpunkte schwieriger herzustellen und ergo waren die Organisationen minder erfolgreich. Sie konnten wesentlich weniger Sympathisanten mobilisieren, als bei den "socia! issues", und es gelang
96 Vgl. Micheal Lienseh: ,,Right-wing Religion: Christian Conservativism as a Political Movement.", in: PoliticaI Science Quarterly 97 (1982), S. 403-423. 97 Vgl. Allen D. Hertzke: Representing God in Washington: The Role of Religious Lobbies in American Politics. KnoxviIIe, Te. 1988c; seine dort vorgebrachten Argumente sind zusammengefaßt in: Allen D. Hertzke: ,,Representing God in Washington: Religious Lobbies and CongressionaI Policy-making.", in: This World 20 (1988b), S. 67-91; Hertzke 1989a, S. 123-127.
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ilmen selten, eine einheitliche Meinlll1g zu fonnulieren sowie eine geschlossene Vorgehensweise zu verabreden. 98 Matthew Moen bestätigt diese Ansicht in seiner umfangreichen Untersuchlll1g über das Lobbyingverhalten der eR in den Legislaturperioden des 97.-100. USKongresses von 1981 bis 1988. 99 Seiner Ansicht nach war die eR in den ersten Jahren bis 1984 relativ erfolgreich. Es gelang ilmen, die politische Agenda mit ihren Themen zu besetzen, den Präsidenten für ihre Ziele einzuspannen sowie insbesondere den Senat für ihre Anliegen zu aktivieren. Darüber hinaus konnten sie wertvolle Lobbyingerfahrungen sammeln lll1d ihre Mitglieder bei der Stange halten. 100 Mit dem Erfolg der Demokraten in den Kongreßwahlen von 1984 wendete sich jedoch das Blatt zulll1gill1Sten der eR. In zahlreichen Politikbereichen, zum Beispiel Abtreiblll1g lll1d Schulgebet sowie Steuererleichterllllgen für Eltern von Konfessionsschülern, mußten sie Niederlagen hinnehmen. Ab 1986 konnte die eR kaum mehr aktiv in den politischen Prozeß eingreifen. NotgedrlUlgen praktizierten zahlreiche ihrer Organisationen eine passive Strategie. Gegen Ende der Reagan-Ära war die eR schwer angeschlagen. Thre öffentliche Reputation war durch zahlreiche Affären belastet lll1d auf dem Kapitol waren keine Mehrheiten für ihre Themen in Sicht. Die ,,High-water-mark" der eR schien bereits voITÜber. lOl Moen fiihrt zwei Ursachen fiir die ZlUlehmenden Schwierigkeiten der eR auf der legislativen Bühne an. Zlll1ächst konnten sie ihre eigenen organisatorischen Versäumnisse nicht bewältigen lll1d zweitens wurden sie von den Veränderllllgen der politischen Landschaft überrollt. 102
98 Allerdings wählte Hertzke zur Bestätigung seiner These, daß religiöse Aktivisten tatsächlich die Gesetzgebung beeinflussen und durch ihre Tätigkeit vice versa von der politischen Arena beeinflußt werden, ein fiir religiöse Gruppen eher unrepräsentatives Themenfeld, den ,,Equal Access Act". Dieses Gesetz erlaubte es Schülern und Studenten, öffentlich finanzierte Räume, insbesondere Schulräume, fiir ihre Aktivitäten in Anspruch zu nehmen. In der Nachbetrachtung stellt dieses Beispiel fiir die Aktivitäten der CR eher die Ausnahme als die Regel dar. vgl. zur Kritik an Hertzkes Studie Richard A. McLaughlin: ,,How Churches Do Politics.", in: Christianity and Crisis 49 (1989), S. 45-46. 99 Vgl. Matthew C. Moen: The Christain Right and Congress. Tuscaloosa u.a. 1989. 100 Vgl. Moen 1989, S. 109. 101 Vgl. Moen 1989, S. 167. 102 Vgl. Moen 1989, S. 155. ,,1t was a relative lack ofpolitical sophistication on the part of the CR." und S. 158 zum Scheitern der Reagan Revolution; vgl. die gleiche Einschätzung von TC. Atwood: "Through a Glass Darkly.", in: Policy Review 54 (1990), S.44-54.
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Obwohl die Aktivitäten der eR im legislativen Bereich 103 weitgehend aufgezeigt worden sind, herrscht ein Mangel an Studien, die sich mit den Einflußversuchen auf Bürokratie, Judikative und Exekutive befassen. Erst in letzter Zeit beginnt man, sich mit entlegeneren Themenbereichen zu beschäftigen. Auf die interne Struktur von religiösen Organisationen und ihrer Entscheidungsfmdung richtet sich nun die allgemeine Aufmerksamkeit. Dabei geraten auch verstärkt die religiösen Eliten ins Blickfeld. So verweist Allen D. Hertzke auf die Bedeutung der Washingtoner Eliten, vor allem im Weißen Haus, in Verbindung mit dem Erfolg von religiösen Interessengruppen. Im Falle von Ronald Reagan kommt er zu dem Schluß,: "clearly there is a genuine access to the White House for evangelicals and fimdamentalists."104 Hertzke führt allerdings nicht aus, ob dieser Zugang sich in barer Münze, sprich, in legislativen Erfolgen auszahlte. Hinzuzufiigen bleibt, daß die Widerstände der Eliten innerhalb des Weißen Hauses den Zugang der ,,Evangelicals" überaus beschwerlich gestalteten. Gegen Ende der Präsidentschaft von Ronald Reagan und während der Präsidentschaft von George Bush machte sich auf Seiten der eR eine gewisse Ernüchterung breit. Die Neuorientierung der eR in Richtung der lokalen Ebenen nach 1986 und ihre damit einhergehende nachlassende Präsenz in Washington führte die Forschung auf die gleiche Fährte. Matthew Moen spricht deshalb mit Recht von einer umfassenden Transformation der eR. 105 Nach den Mißerfolgen gegen Ende der 103 Vgl. Rohert Zwier: "Coalition Strategies of Religious Interest Groups.", in: Jelen 1989, S. 171-186. Seiner Ansicht nach ist eine Ursache fiir die Erfolglosigkeit der CR in ihrer mangelnden Kooperationsfahigkeit zu suchen. vgl. ähnliche Ansicht bei Bill Keller: "Coalitions and Associations Transform Strategy. Methods of Lobbying in Washington.", in: Congressional Quarterly Weekly Report 40 (1982), S. 129-133; Ein erfolgreiches Gegenbeispiel fiir die Lobbyingarbeit der CR, allerdings auf Einzelstaatsebene schildert Norman Bates. Er sieht die Ursache fiir den legislativen Erfolg der CR in dieser lokalen Aktion unter anderem in dem geglückten Versuch, genügend andere Interessengruppen einzubinden. Vgl. Norman Bates: ,,Lobbying for the Lord: The New Christian Right and Grassroots Lobbying.", in: Review ofReligious Research 33 (1991)1, S. 3-17. 104 Vgl. Allen D. Hertzke (1989b): ,,Faith and Access: Religious Constituencies and the Washington Elites.", in: Jelen 1989, S. 259-273, S. 266. Seiner These nach sind die Weitsicht und die Werte der Washingtoner Eliten bestimmende Faktoren bei der Frage, ob religiöse Interessengruppen Zugang bekommen können; vgl. eine ähnliche Ansicht bei: Beth Spring: ,,Rating Reagan. How has his Presidency Deterred the Political Landscape?", in: Christianity Today 27 (1983), S. 44-50; und Richard G. Hutcheson: God in the White House: How Religion has Changed the Modem Presidency. New YorkILondon 1988, S. 210: ,,( ... ) that the influence ofthe religious right on the Reagan presidency has been more a matter of convergence of interests than of organized group pressure. " 105 Vgl. Matthew C. Moen: The Transformation of the Christian Right. TuscaloosaILondon 1992a; vgl. seine These in verkürzter Form: Matthew C. Moen (1992b): "The
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80er Jalrre setzte nun eine Neuorientierung der Bewegung und ihrer Organisationen ein. Es erfolgte eine Reform an Haupt und Gliedern der eR, die schließlich eine neue Organisation mit neuen Eliten entstehen ließ. Insgesamt wurde die eR dadurch säkularer. Ende der 80er und Anfang der 90er Jalrre rückte die politische Mobilisierung ins Zentnun der wissenschaftlichen Forschung. Interessant erschienen jetzt die Umstände, Personen oder Situationen, in denen Religion ein wichtiger Faktor fiir politische! Verhaltensweisen und bei Wahlentscheidungen wird. Dabei galt es genau zu unterscheiden, unter welchen Umständen Religion eine politische Angelegenheit wird und wann sie eine rein private Angelegenheit bleibt. Eine fortdauernde Misere bleibt die Tatsache, daß man immer noch viel zu wenig über die Faktoren weiß, die jemanden veranlassen, sich als "evangelical", "fundamentalist", "charismatic" oder als politisch engagierten Katholiken zu bezeichnen. Vermutlich kommt der internen Gruppensolidarität dabei eine wichtige Rolle zu. Der individuelle Glaube wird durch den Kontakt mit anderen gläubigen Gruppenmitgliedern gestärkt und gefestigt. Ein weiterer Faktor, der fiir die politische Mobilisierung von Gläubigen in Betracht kommen könnte und den man kontinuierlich verdächtigt, ist das Fernsehen, speziell die religiösen Fernsehlmperien und die Fernsehprediger. Der Aufstieg der eR wird schon friili in engem Zusammenhang mit dem Anwachsen der "Televangelists" gesehen. 106 Die große Zahl von Fernsehpredigern, die aktiv in der eR tätig sind, gelten geradezu als Initiatoren der Bewegung. 107
Christian Right in the United States.", in: The Religious Challenge to the State. (Hg.) MC MoenlL.S. Gustafson. Philadelphia 1992, S. 75-102; eine organisatorische Transformation erkennt auch Clyde Wilcox: "The Christian Right in the Twentieth Century America: Continuity and Change.", in: The Review ofPolitics 50 (1988b) 4, S. 659-68l. 106 Vgl. Peggy L. Shriver: ,,Religion's Very Public Presence.", in: ANNALS 480 (1985), S. 142-153; S. 148. ,,Among heavy viewers ofreligious televison, 75 percent had voted in the 1980 election." 107 Vgl. als Hauptvertreter dieser Ansicht: Jeffrey K. HaddenlCharles E. Swann: Prime Time Preachers. Reading, Mass. 1981; Jeffrey Hadden: ,,Religious Broadcasting and the Mobilization of the NCR.", in: Secularization and Fundamentalism Reconsidered. (Hg.) JK. HaddenlA. Shupe. New York 1989, S. 230-251; Reichley 1985, S. 314ff; Jeffrey Hadden: "The Rise and Fall of American Televangelicals.", in: ANNALS 527 (1993), S. 113-130. Dieser neuere Aufsatz sieht die Rolle und Möglichkeiten der "Televangelicals" jedoch weit differenzierter. vgl. die Arbeit von G.D. Gaddy: "Some Potential Causes and Consequences of the Use of Religious Broadcasts.", in: BromleylShupe 1984, S. 117-128. Für Gaddy sind die religiösen Medien hochgradig differenzierte Gebilde. Legt man beispielweise ethnische Gesichtpunkte an, so müßte das schwarze 'Gospel Radio' eine rosige Zukunft haben, da seine Zuhörerschaft mit steigenden Geburtenraten aufwarten kann. Gleichzeitig müßte der religiöse Femsehmarkt Einbußen
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A. Einleitung
Hadden sieht als Ursache fiir den Erfolg des religiösen Fernsehens einen kompensatorischen Effekt. Die Sendungen mildem den säkularen und relativistischen Einfluß der amerikanischen Großkultur, der einer großen religiös-konservativen Population schlaflose Nächte bereitet. Religiöses Fernsehen vermag unter diesen Umständen durchaus, Menschen zu mobilisieren. Radio und Fernsehen sind keineswegs Schöpfungen der Willkür, sondern sie sind dem Verlangen nach Erfüllung gewisser langfristiger GruppenbedÜTfnisse entsprungen. Sie sind im Laufe ihrer Entwicklung zu sozio-kulturellen Institutionen (A. Silbermann) geworden. Sie erfüllen in jeder Gesellschaft und in jeder Periode mehrere Funktionen, wie Bildung, Information, Unterhaltung und eben Mobilisierung. Inzwischen hat sich aber gezeigt, daß die Reichweite der politischen Mobilisierung, zumindest im Fall der Moral Majority begrenzt gewesen ist. Gleich mehrere CR-Organisationen wurden im Verlauf der 80er Jahre unpopulärer. 108 Gerade unter gläubigen Amerikanern verlor die CR an Glaubwürdigkeit. Glauben und religiöse Praxis sind zwar zentrale Elemente in ihrem Leben, dennoch wünscht die Mehrzahl in den Kirchen keine Vermischung von Religion und
erleiden, da ihm die meist älteren Kunden wegsterben. vgl. Razelle Frank!: "Television and Popular Religion: Changes in Church Offerings.", in: Bromley/Shupe 1984, S. 129149. Er erläutert die veränderten Bedingungen auf dem religiösen Femsehmarkt, der immer mehr auf charismatische Persönlichkeiten zugeschnitten wird und der dadurch mehr Effektivität und Einfluß gewinnt. vgl. WE. MiIler: "The New Christian Right and the News Media.", in: Bromley/Shupe 1984, S. 139-151. Miller untersucht die Wechselwirkungen zwischen Medien und CR. Der Wunsch der CR nach mehr Medienpräsenz, ein Ziel aller sozialen Bewegungen, hatte unterschiedliche Reaktionen zur Folge. Die CR erhielt zwar eine größere Medienaufmerksamkeit, sie konnte jedoch die Berichterstattung über ihre Aktivitäten nicht kontrollieren. vgl. JK Hadden: "Televangelism and the Future of American Politics.", in: Bromley/Shupe 1984, S. 151-165. Hadden kann in der Medienberichterstattung mehrere Entwicklungstufen ausmachen: 1. Entdeckung und Alarm 2. Untersuchung der Ressourcen 3. Ablehnung und Vernachlässigung. In allen Stadien, so Hadden, haben sich die Medien in ihrer Berichterstattung und Analyse der CR-Bewegung getäuscht. Für ihn ist die CR eine der wichtigsten sozialen Bewegungen des 20. Jahrhunderts. 108 Vgl. C/yde Wilcox: ,,Popular Support for the Moral Majority: A Second Look.", in: Social Science Quarterly 68 (1987), S. 157-167. Später differenzierter ausgeführt in C/yde Wilcox: God's Warriors. The Christian Right in the Twentieth-Century. BaitirnorelLondon 1992. "The Moral Majority never had the support of a majority of Americans; indeed, it was never a sizable minority.", S. 97. Die größten Mobilisierungserfolge hatte die Moral Majority (MM) nach Wilcoxs Ansicht unter weißen evangelischen Christen. Die Umbennung der MM in Liberty Federation 1989 hatte unter anderem auch den Grund, die Organisation fiir andere Gruppen und Koalitionen zu öffnen vgl. C/yde Wilcox: ,,Evangelicals and the M.M .. ", in: Journal for the Scientific Study ofReligion 28 (1989b), S.400-414.
V. Zur Relevanz methodischer Ansätze
65
Politik. "Thus it must be clearly understood that the political mobilization of religious belief takes place only among a rather small minority of the citizenry.,,109
Die Mobilisierungserfolge, die die CR für sich reklamierte, mögen überzogen sein, doch zumindest für die Jahre 1980 bis 1984 kann eine Zunahme der Wahlbeteiligung unter Anhängern der Moral Majority festgestellt werden. Wilcox vermutet, daß die Moral Majority ,,may have mobilized new voters and perhaps changed the direction oftheir votes.,,11O Diese Mobilisierung kann jedoch genauso gut durch den Gegensatz zwischen einem unpopulären Präsident Carter und einem populären Herausforderer Reagan ausgelöst worden sein. Insgesamt tendieren die Untersuchungen in ihren Ergebnissen zu der These, daß nur wenig für einen konkreten Zusanunenhang von religiös motivierten Fernsehgewohnheiten und politischer Aktivität oder Wahlentscheidung spricht. Es ist unmöglich, der Wirkung einer Sendung auf den einzelnen nachzugehen, und deshalb bleibt das massenmediale Wirkungspotential des religiösen Fernsehens nach wie vor eine unfaßbare Größe und beläßt die Wirkungsforschung zunächst im Zustand einer hoffnungsvollen Mutmaßungsforschung. Die Auswirkungen des religiösen Fernsehens sind begrenzter und subtiler Natur. Diese Effekte stehen nicht isoliert, sondern in Verbindung mit weiteren Faktoren, wie Kirchgangshäufigkeit sowie persönlichen sozialen und moralischen Einstellungen der Gläubigen. Jelen und Wilcox kommen deshalb zu der Auffassung,: "while it would be mistake to exaggerate the mobilizing effect of religious television, it would also be inappropriate to ignore its role in connecting religion and politics. ,,111 ' Als weitere Quellen der politischen Mobilisierung könnten einzelne politische Ereignisse in Betracht kommen. Während sich etliche Studien mit der Mobilisierungsfähigkeit von Präsidentschaftskandidaten" 2 beschäftigten, bleiben Arbeiten Vgl. Jelen 1991, S. 4f. Vgl. WilcoxI992,S.118. 111 Vgl. Ted G. JelenlClyde Wilcox (1993b): ,,Preaching the Converted: The Causes and Consequences of Viewing Religious Television.", in: LeegelKellstedt 1993, S. 255269, S. 266; vgl. für das Medium Zeitschrift den Aufsatz von Mark G. Toulause: ,,'Christianity Today' and American Public Life: A Case Study.", in: Journal of Church and State 35 (1993) 2, S. 241-285. Toulouse gibt eine vorsichtige Antwort auf die Frage nach dem Einfluß der Zeitschrift auf die Einstellungen seiner christlichen Leser. Seiner Ansicht nach verstärken die dort veröffentlichten Artikel und Kommentare einen status quo und erschweren den Wandel von Einstellungen bei zahlreichen gesellschaftlichen Themen (Frauenfrage, Rassenfragen, Vietnam, Kommunismus). 112 Vgl. für die Bedeutung von Ronald Reagan hinsichtlich der Mobilisierung Reichley 1985, S. 324-330; vgl. tUr die Bedeutung von Senator Jesse Helms James L. 10Q
110
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66
A. Einleitung
über die AuswirkWlgen von Supreme Court EntscheidWlgen, Ansprachen von Präsidenten, Kongreßabstimmungen 113 und internationalen Krisen in diesem Zusammenhang leider die Ausnahme. I 14 Insgesamt verweist der bis heute die angelsächsische Forschung im Bereich Religion Wld religiöse Organisationen bestimmende Interessengruppenansatz auf zahlreiche Leerstellen. Ohne Zweifel sind wichtige Einzelerkenntnisse zusammengetragen worden. Insgesamt kann dieser Ansatz, gerade bei der EinbindWlg dieser Einzelstudien in ein größeres Tableau, dem Gesamtverständnis der CR nicht gerecht werden.
Guth: "The Politics of the Christian Right.", in: CiglerlLoomis 1983a, S. 60-84; vgl. fiir die Rolle von Jesse Jacl
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Abb. 1: Entwicklung der Organisationstypen der Christian Right (1970-1994)
Die Transfonnationen der eR könnten eine ihrer Antworten auf diese Dilemmata sein. Diese Wandlungen sind somit kein Zeichen der Erfolglosigkeit einer sich auflösenden religiösen Interessengruppe, sondern vielmehr Ausdruck ihres Erfolges. Die Transfonnationen fiihrten die eR von einer von religiösen Predigern geleiteten Honoratiorenorganisation über eine religiös-politische Bewegung zu einer politische Interessengruppe und dann wieder zurück in eine gemeindeorientierte, lokale Bewegung. Aus dieser Graswurzelbewegung gelang es den Trägem der eR erneut, schlagkräftige, politisch einflußreiche, landesweit tätige Organisationen zu fonnen. Die eR ist allerdings mehr als die Summe ihrer Teile, sie ist mehr als ein Dachverband von religiös-konservativen Einzelorganisationen. Meines Erachtens haben wir es bei der eR mit einer Mischung aus mehreren Organisationsfonnen zu tun. Ihre politische Tätigkeit läßt sich anhand von Klassifikationskriterien (TrägerlRessourcen, Ideologieffhemen, Mobilisierung/Aktionen) in Phasen einteilen und in diesen Abschnitten lassen sich unterschiedliche Organisationstypen ausmachen. trennen. vgl. Ken Morrison: Marx, Durkheim, Weber. London 1995, S. 191-192; S. 332334.
Vll. Die Christian Right - zur Präzisienmg der FragestellWlg
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Die Graphik visualisiert die wichtigsten Organisationstypen der eR in den letzten 20 Jahren. 194 Mit Hilfe der Klassifikationskriterien: I. Träger (Eliten und Mitglieder), 2. Ressourcen (struktuelle und fimktionale), 3. Ideologie (Nonnen und Werte), 4. Themen (issues und Programm), 5. Mobilisierung (projektorientiert) und 6. Aktionen (Anlaß, Verlauf, Ergebnis) läßt sich das vorhandene Material und die Forschungsergebnisse über die eR zu verschiedenen Phasen neu deuten. Läßt sich die "Old Religious Right" noch als patriarchalisch-fundamentalistische Protestbewegung eines an Werten und Nonnen der protestantischen Mittelschichten angelsächsischer Herkunft orientierten Milieus beschreiben, welches sich gegen die Angriffe und Veränderungen einer immer rascher ablaufenden Moderne richtet, so ist diese Mutmaßung im Fall der eR nicht mehr möglich. Die eR muß sich sowohl gegen äußeren Druck, als auch gegen Auflösungstendenzen 194 Der Organisationstyp "Soziale Bewegung" definiert sich im Sinne einer religiösen Werte- Wld Normengemeinschaft. Sie ist als Netzwerk von bereits existierenden, mehr oder minder stark integrierten Gruppienmgen zu verstehen, die bestimmte Werte Wld Normen vereinheitlicht, um damit die aktuelle politische Situation zu interpretieren Wld diese zu Zielen ihrer kollektiven Aktionen erheben. Der Organisationstyp Honoratiorenorganisation bezieht sich auf personale Bezugsgemeinschaften, bei denen sich mehrere Akteure gemeinsam ein oder mehrere Individuen als Vorbild fiir ihre Orientienmgs- Wld ihre aktuellen HandlWlgsmuster nehmen. Diese Interpretations- Wld DeutWlgsexperten können sowohl durch ihre charismatischen AusstrahlWlg als Vorbild dienen als auch aufgnmd ihrer Position (zum Beispiel als Pfarrer) zum Orientienmgspunkt werden. Zweitens können Bezugsgruppen auf der Gnmdlage von Bezugsgruppenorientienmg entstehen, wenn etwa peer-Gruppen ihre gemeinsamen Schul- Wld Studienzeiten zur Gnmdlage späterer GemeinschaftsbildWlg machen. Oder bestimmte FamilienbeziehWlgen wirken gemeinschaftsbildend (Adelssippen, Krupp- oder Kennedyclan). Allen Typen gemeinsam ist, daß ihre Gemeinschaftserfahnmgen stark personal ausgerichtet sind. Die Teilhabe an derselben personalen Orientienmg ist die Gnmdlage des Gemeinschaftsgefiihls. Weitere Gnmdlage ist die Idee die VorstellWlgen Wld Ziele ihrer lebenden oder toten Bezugsperson verwirklichen zu wollen. Ein weiterer Organisationstyp ist die Interessenorganisation. Sie definiert sich dadurch, daß gemeinsame Ziele Wld Interessen der Mitglieder durch MitwirkWIg Wld EinwirkWIg auf die politischen Institutionen zur GeltWlg gebracht werden. Ihre zentralen FW1ktionen sind: Interessenaggregation, Interessenartikulation, Rekrutienmg Wld Sozialisation sowie SystemerhaltWlg. Sie lehnen zumindest programmatisch die Übernahme oder Beteiligoog an RegienmgsverantwortWlg ab. Der Typus der Partei-Organisation strebt im Unterschied zu Interessengruppen nicht nur die Artikulation der Interessen Gleichgesinnter an, sondern versucht indirekt oder direkt sich an politischen EntscheidWlgen zu beteiligen. Parteien stellen das Fühnmgspersonal Wld versuchen, ihre Parteivertreter in politische Ämter wählen zu lassen. Zu ihren herausragendsten Merkmalen gehören eine dauerhafte Organisation Wld eine übergreifende Programmatik. Schlagwortartig lassen sich ihre wichtigsten FW1ktionen in drei Begriffe fassen: Transmission, Selektion Wld Legitimation.
96
A. Einleitung
innerhalb des Milieus zur Wehr zu setzen. Daraus folgt sowohl eine gnmdsätzliche Neubestimmung des religiös-politischen Engagements als auch eine strukturelle Veränderung des Organisationstyps. Legt man dieses strukturelle Raster über die historischen und aktuellen Entwicklungen des Phänomens eR, so ergeben sich hinsichtlich der politischen Aktionen und der Transformationen neuen Einsichten. Die Organisationen stehen generell zwischen den Anforderungen eines sozialmoralischen Milieus und den Anforderungen der politischen Arena. Thre Transformationen sind der Versuch, diesen unterschiedlichen Erwartungen zu entsprechen. Da sich diese Wandlungsprozesse innerhalb weniger Jahre vollzogen haben erscheint es sinnvoll, zunächst das Vorfeld des religiös-politischen Engagements zu beleuchten. In der historischen Gegenüberstellung mit der "Old Religious Right" sollen die Linien, aber auch die Brüche innerhalb dieses Engagements deutlich werden. Die eR ist keineswegs die "Old Right" in einem neuem Gewand. Die heutigen Qualitäten der eR liegen insbesondere in ihrer Fähigkeit und ihrem Willen, den von außen und innen an sie herangetragenen Herausforderungen durch Transformationen zu begegnen. Dominierten Anfang der 70er Jahre noch die Organisationstypen der Honoratiorenorganisation und der sozialen Bewegung, so kann man im Verlauf der 80er Jahre eine zunehmende Institutionalisierung der Organisationen feststellen. Dieser Prozeß kommt Mitte der 80er Jahre zu einem jähen Ende. Die Organisationen scheinen den Kontakt zum Milieu verloren zu haben, ihr politischer Einfluß und ihre Aktivitäten schwinden. Die einsetzende Reform an Haupt und Gliedern gelingt zunächst nur unzureichend. Deutliche Beispiele hierfiir sind die gescheiterte Neugründung der Moral Majority und die Präsidentschaftskandidatur von Pat Robertson. Dennoch beginnen unter der Oberfläche, neue Organisationstypen innerhalb der eR an Einfluß zu gewinnen. Eine weitere Transformation versucht das Spagat, aus einer "grassroot"-Bewegung mit starken Bindungen an lokale Gruppen und Gemeinden eine professionelle, straff gefiihrte, finanziell und technisch glänzend ausgestattete, mit einem modifizierten Programm versehene Organisationen zu machen. In dieser Phase dominieren nun die Organisationsmerkmale von Parteien und Interessengruppen, jedoch ohne daß die eR den sicheren Hafen, den eine soziale Bewegung bietet, je ganz verläßt. Die Arbeit betrachtet das Phänomen der eR zunächst unter einem historischen Blickwinkel. Bei der gedanklichen Ordnung des Stoffes soll dann ein synoptisches Verfahren, ein strukturelles soziologisches Raster helfen, das politische Verhalten und die Transformationen der eR neu zu analysieren und zu bewerten.
Vll. Die Christian Right - zur Präzisienmg der Fragestellung
97
Die Vorteile dieser Vorgehensweise bestehen meines Erachtens in zwei Aspekten. ZWlächst trägt diese Annahme der Heterogenität Wld Wechselhaftigkeit der eR besser RechnWlg. Die eR wird nicht auf ein Phänomen reduziert, es erfolgt keine rein statische Festlegmg auf den Interessengruppenansatz oder den Ansatz der sozialen Bewegung, oder den einer fundamentalistischen Statusbewegung. Es bietet sich geradezu an, die Ergebnisse der Wlterschiedlichen Ansätze in die Analyse miteinzubeziehen. Zweitens lassen sich mit diesem Ansatz die Aktionen, Reformen Wld WandIWlgen der eR besser nachzeichnen. Sowohl die Analyse als auch die BewertWlg des religiös-konservativen politischen Engagements wird mit Hilfe von Organisationen durch diese mehrdimensionale Verfahrensweise erleichtert. 195 Die Transformationen der eR sind keine willkürlic~en Ereignisse, sondern die WandlWlgsprozesse sind Ausdruck eines Typenwandels, der die Kontinuität des politischen Engagements auch über längere Zeiträume berücksichtigt. I Schließlich scham diese Vorgehensweise di~ Basis fiir eine weiterreichende Diskussion über die AuswirkWlgen, die ein religiös-konservatives politisches Engagement fiir die amerikanische Gesellschaft haben kann. Ist dieses Engagement eine grundsätzliche Gefahr fiir eine liberal Wld pluralistisch orientierte Demokratie? Kann sich eine fragmentierte Wld individualisierte Gemeinschaft überhaupt noch auf gemeinschaftsstiftende Werte verständigen? Ist das Engagement der eR ein Symptom, welches darauf hinweist, daß die amerikanische Gesellschaft vor einem historisch einmaligen tiefgreifenden Wertewandel steht?
195
Vgl. zur Bewertung von Erfolg oder Mißerfolg Kapitel A. V.
7 Slerr
B. Von der "Old Religious Right" zur "Christian Right" (1920-1979) Die 20er Jahre standen in den USA ganz im Zeichen des Aufbruchs in das Königreich des Herrn. Religiöse Eiferer waren ein alltägliches Bild in den Straßen, Wld ein auffälliger moralischer Idealismus dominierte die zahlreichen Auseinandersetzungen der Zeit. Massenbewegoogen wurde großes Vertrauen geschenkt, Wld die populistischen Appelle ihrer Fillrrer fielen auf fruchtbaren Boden. Die Gemeinde war bereit fiir den Ruf "deus vult". In seinem Namen engagierten sie sich· fiir den Weltfrieden, fiir die Prohibition, fiir die progressive Parteibewegoog, fiir die "New Freedom", oder sie versuchten, die Welt fiir das Kommen Christi in ihrer Generation bereit zu machen. Doch die Zeiten änderten sich. Bereits nach einem Jahrzehnt zeichnete sich der Niedergang der protestantischen Hegemonie ab. Der konservative Protestantismus Wld mit ihm das religiös motivierte, politische Engagement traten von der gesellschaftlichen Wld politischen Bühne ab. Wie konnte es zu dieser tiefergehenden Transformation kommen? Welche Bedingoogen waren dafiir entscheidend? Wer waren die Träger jener Bewegoog, die aus dem historischen Dunkel fiir einige Jahre in das helle Licht der amerikanischen Öffentlichkeit traten? Die Transformationen innerhalb dieses religiös-konservativen Milieus lassen sich in verschiedene Phasen einteilen, in denen sich ideologische Momente, Träger Wld Organisationsformen, Programme Wld Aktivitäten veranschaulichen Wld beschreiben lassen. Die erste Phase befaßt sich mit den fiiihen ErscheinWlgsformen des religiöskonservativen Aufbegehrens am Anfang unseres JahrhWlderts. Die zeitliche Klammer setzt etwa 1896 an Wld endet 1932. Sie kennzeichnet die erste offensive Phase fimdamentalistischer, religiös-konservativer Aktion. In dieser Phase spielten sich die Auseinandersetzungen zunächst innerhalb der theologischen Seminare ab, bis sie dann etwa ab 1918 in eine soziale Bewegoog mündete. Dieser Bewegoog ging es nWl verstärkt um Einflußnahme auf die staatlichen Institutionen. Die erste Offensive der FWldamentalisten endete in den fiiihen 30er Jahren, Wld nachfolgend verschwand die "Old Religious Right" von der politischen
B. Von der "Old ReJigious Right" zur "Christian Right" (1920-1979)
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Bühne. Der zweite Absclmitt beschäftigt sich mit dieser, vom Niedergang geprägten, Zwischenphase. In dieser Periode mußten sich die Fillldamentalisten den liberalen Kräften geschlagen geben. In der Folge nabelten sich die ReligiösKonservativen von den Hauptströmilllgen der amerikanischen Gesellschaft ab. Was geschah illlter der Decke dieser selbstgewählten Isolation? Wie war es möglich, daß sich die Religiös-Konservativen in den 70er Jahren wie Phönix aus der Asche erheben konnten, um erneut politisch aktiv zu werden? Dies sind Fragen, die im zweiten Absclmitt im Zentrum des Interesses stehen sollen. Neben den 20er Jahren stellen auch die 50er Jahre Sattelzeiten des religiöskonservativen Engagements dar. Eine zweite Phase beschäftigt sich mit den gesellschaftlichen Verändefilllgen, mit der Reorganisation der fimdamentalistischen Lager sowie den politischen Entwicklilllgen illld regionalen Besonderheiten in den USA seit den 50er Jahren. Das Schwergewicht liegt dabei auf der Frage, wie diese Verändefilllgen illld UmwälZilllgen die evangelische Gemeinschaft tangierten. Wie reagierten die religiös-konservativen Amerikaner auf diese Manifestationen der Modeme? Wie veränderte sich die religiöse Landschaft in den USA? Welche Transformationen machte das konservativ geprägte protestantische Milieu bis in die 70er Jahre durch? Alle diese Sachverhalte sollen in einem zeitlichen Rahmen, der bis Mitte der 70er Jahre reicht, angesprochen werden. Zwei Aspekte werden dabei besonders hervorgehoben. Zilllächst wird die institutionelle Differenziefilllg des protestantischen Lagers in "superchurches" aufgezeigt. Die erneute Mobilisiefilllg des religiös-konservativen Lagers, spätestens seit den 70er Jahren, wird ebenfalls genauer betrachtet. Diese Entwicklilllg ist insbesondere durch den Aufbau der elektronischen Kirche sowie durch die organisatorische Verknüpfimg des fimdamentalistischen Netzwerkes gekennzeichnet. Als die ,,Evangelicals" Anfang der 80er Jahre überraschend ins Licht der politischen illld gesellschaftlichen Öffentlichkeit zurückkehrten, war jedermann klar, daß die fiinf vergangenen, defensiv geprägten Jahrzehnte endgültig der Vergangenheit angehörten. Die ,,Evangelicals" waren aus ihrem Dornröschenschlaf erwacht illld pochten lautstark an die Tür des politischen Washingtons. Die Schildefilllg der illlterschiedlichen Phasen läßt sich von folgenden Überlegungen leiten. Ein vollständiges, auf ErkläflUlg angelegtes Bild der CR gegen Ende illlseres Jahrhilllderts kommt ohne die Einbettilllg in den historischen Kontext nicht aus. Die Darlegung der Vorgänge in den 20er illld 50er Jahren berücksichtigt zum einen die Historie der politischen Aktivität der ,,Evangelicals", ,,Fillldamentalists" illld "Charismatics", zum anderen macht sie auf deren heutige Erscheinilllgsfor-
100
B. Von der "Old Religious Right" zur "Christian Right"
men aufinerksam. Anband von Struktunnerkmalen, Themen, Trägerschaften Wld MobilisieTWlgsursachen lassen sich durchaus Gemeinsamkeiten deutlich machen. Die "Christian Right" weist trotz aller EntwicklWlgstendenzen Wld historischen Linien, die sich oft genug aufdrängen, eine neue Qualität eines religiöskonservativen motivierten Engagements auf. Sowohl in religionshistorischtheologischer Perspektive als auch in politisch-soziologischer Perspektive gilt es, Widersprüche Wld Brüche fiir eine gleichförmig historisch konstante religiöse Bewegoog aufzuzeigen.
I. Die erste Phase: Zwischen Protest und Resignation 1. Die Verteidiger des wahren Glaubens: Zur Entstehung des amerikanischen Fundamentalismus Religion spielte bereits bei der EntstehWlg der USA eine maßgebliche Rolle. Die Anfänge dieser BeziehWlg liegen im elisabethlschen England des 17. JahrhWlderts, in den revolutionären BestrebWlgen der Puritaner. Diese hofften, nachdem sie von der englischen Krone wegen ihrer kirchenreformatorischen Absichten verfolgt Wld diskriminiert worden waren, in der Neuen Welt das neue Israel, die neue Stadt auf dem Hügel errichten zu können. Diese HoffuWlg basierte auf der Überzeugoog, daß Gott sie auserwählt habe, mit ihm einen neuen BWld, einen "covenant" einzugehen. Sie seien beauftragt, die wahre Kirche der Gläubigen ("true church ofvisible church") zu errichten. Problematisch wurde schon bald die Frage: Wer ist auserwählt Wld wer wird errettet? Dieses existentielle Problem mußte deshalb vor der Gemeinde als BekehrWlgserlebnis glaubhaft gemacht werden. I
Vgl. die häufig gestellte Frage, die sich zur Losung der Fundamentalisten entwikkelt hat: ,,Are you Bom-Again?"; vgl. Malise Ruthven: Der göttliche Supermarkt. Auf der Suche nach der Seele Amerikas. Frankfurt 1991, S. 211. Ruthven gerät in Page/Arizona an einen Hotelmanager, der sich als fundamentalistischer Christ entpuppt und ihm alsbald die verschwörerische Frage stellt: ,,Haben Sie eine persönliche Beziehung zu Jesus, Deinem Erlöser, der fur Deine Sünden gestorben ist?". Bereits Max Weber bemerkte die amerikanische Direktheit in religiösen Dingen. Es erinnerte ihn an ein Erlebnis mit einer Gesellschaft schottischer Damen. Sie fragten ihn an der sonntäglichen Kaffeetafel: "What service did you attend to-day?". Weber rettete sich mit der Ausrede, er sei" Mitglied der badischen Landeskirche und hätte keine Chapel dieser Kirche in Potree auffinden können." Die Damen nahmen dies "ernst und gut" auf: "Oh he doesn 't attend any service except of
I. Die erste Phase: Zwischen Protest und Resignation
101
Durch eine Reihe von überregionalen Bekehrungserlebnissen, den "awakenings", kam es zu ganz neuen Formen religiöser Praxis und Erfahrungen. Große Teile des Protestantismus wurden durch diese Emotionalisierung in ihrem Glauben, daß das Reich Gottes unmittelbar bevorstehe und daß es sich in den USA zuerst manifestieren würde, bestätigt. Diese theologische Vorstellung erfuhr im 19. Jahrhundert eine noch stärkere Betonung. Die Ansichten von einer ,,Manifest Destiny", eines Auserwähltseins als "chosen people", eines göttlichen Auftrags, einer Mission in der Welt, schlug sich wiederholt in der alltäglichen Politik nieder. Es kam zu einer Verquickung von christlichen Anschauungen und einem säkularen Patriotismus. Diese Mischung verformte sich im weiteren zu einer nationalen Ideologie. Diese frühe Form einer "civil religion" fungierte über eine lange Zeit als Klammer, die die amerikanische Gesellschaft ideologisch zusammenhielt. Ein Abfallprodukt dieser Symbiose war die Festigung der Vormachtstellung des Protestantismus. 2 Als gegen Ende des 19. Jahrhunderts deutlich wurde, daß das überkommene Glaubenssystem in seiner Bindewirkung nachgelassen hatte und die tiefergehenden gesellschaftlichen, philosophischen und wissenschaftlichen Veränderungen Defizite des Protestantismus aufzeigten, sahen die ,,Evangelicals" plötzlich ihr gesamtes Werte system in Frage gestellt. Was waren dies fiir Erschütterungen, die ein solches Erdbeben auslösen konnten? Es waren zum Beispiel Bücher, durch die zahlreiche Gläubige in eine tiefe Glaubenskrise gerieten. Bücher, wie das 1859 von Charles Darwin veröffentlichte Werk: "The Origin ofSpecies by Means ofNatural Selection". 12 Jahre später publizierte er die Abhandlung "The Descent Man", die die Evolutionstheorie auf den Menschen anwandte. Eine Antwort auf diese Glaubenskrise war
his own denomination.", in: Max Weber: Die protestantische Ethik. (Hg.) Johannes Winckelmann. Gütersloh 71984, S. 280 und 299. 2 Der Begriff "Civil Religion" ist dennoch viel differenzierter zu sehen. In der amerikanischen Kultur sind Tendenzen zu beobachten, die die Grenzen zwischen verschiedenen Anschauungen aufheben, die zwischen öffentlichem und privatem Raum kaum unterscheiden. Religion und ,,Public Morality" durchdringen einander und werden sich so ähnlich, daß die einzelnen Bekenntnisse wie Sekten einer einzigen "Civil Religion" erscheinen. Es ist strittig, ob dieses 'amerikanisch-sein' nicht lediglich Ausdruck der Suche nach politischem und gesellschaftlichem Konsens innerhalb der amerikanischen Mittelschicht ist. vgl. R.N. BellahlK. Madison u.a.: Gewolmheiten des Herzens. Köln 1985; Heinz KlegeriAlois Müller (Hg.): Zivilreligion in Amerika und Europa. München 1986; vgl. einen anderen Aspekt der amerikanischen Ideologie: Samuel P. Huntington: American Politics: The Promise of Disharmony. Cambridge, Mass. 1981.
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B. Von der "Old Religious Right" zur "Christian Right"
der Versuch eines Teils der protestantischen Fühnmgselite, die traditionellen Glaubenssysteme an die Entwicklungen der Modeme anzupassen. 3 Gegen diese Bemühungen opponierte ein anderer Teil der Protestanten. Ein solches Unterfangen wurde als Häresie abgetan, und es wurde eine Gegenoffensive gestartet, um sich einer solchen Adaption zu widersetzen. Da sich diese über eine lange Zeitspanne von den gesellschaftlichen und politischen Strömungen abgekoppelt hatten durch die Gründung eigener Ausbildungstätten oder durch das Überbetonen des religiösen Erlebens (sog. ,,revivals"), suchten sie nach Möglichkeiten, die anstehenden Umbrüche der alten Strukturen, ihrer Glaubens- und Wertevorstellungen aufzuhalten. Zu ihrem ersten Artikulationsforum wählten sie die Bibel- oder Prophetieversammlungen. Seit Anfang des 19. Jahrhunderts trafen sich dort Gläubige unterschiedlicher Bekenntnisse, die eine spirituelle Gemeinschaft der wahren Gläubigen bilden wollten. Dort beschäftigten sich Pastoren, Laien und Sympathisanten, unter ständiger Rückversicherung auf die Heilige Schrift, mit einer zentralen Frage. Zu welchem Zeitpunkt würde das Königreich Gottes, das Tausendjährige Reich, in dem Christus das Davidische Königtum wieder aufrichten und regieren würde, auftreten? Die verschiedenen Ansichten zu diesem Punkt, also etwa das Problem, in welchem Zeitalter der biblischen Geschichte man sich im Moment befmde, hatten in der Vergangenheit zu Auseinandersetzungen und Zerwürfuissen unter den verschiedenen Bekenntnissen gefiihrt. Die einberufenen Konferenzen fanden auch mit dem Ziel statt, sich über diese wichtige Frage, gerade in einer Zeit, in der man durch Säkularisierung und Liberalismus herausgefordert worden war, zu verständigen. Die berühmteste aller Bibel-Konferenzen, die als Geburtsstunde fundamentalistischer Kooperation bezeichnet werden kann, war die im Jahr 1878 abgehaltene "Niagara-Bible-Conference". Die auf ihr verabschiedeten 14 Punkte stellen ein fundamentalistisches Glaubensbekenntnis dar. Dadurch wurde es den unterschiedlichsten Bekenntnissen in Zukunft ermöglicht, auf einer gemeinsamen Basis zusammenzuarbeiten. Die wichtigsten Dogmen der "Niagara creed" lauten: Die Unfehlbarkeit der Bibel, sie ist Buchstabe für Buchstabe getreu Gottes Wort4 ; die Vorstellung, daß nur derjenige Erlösung erwarten kann, wel-
Zugleich bemächtigte sich die Wissenschaft der Theologie. Die historisch-kritische Bibelexegese unterwarf die Schriften der Bibel einer genauen Analyse hinsichtlich der Verfasser einzelner Teile, der Stimmigkeit der Texte zueinander sowie der Entstehungszeit verschiedener Bücher. "We believe that all 'scripture is given by inspiration of God' (... ) His divine inspiration is not in different degrees, but extends equally and fully to all parts of these writings, historical, poetical, doctrinal and prophetical and to the smallest word, and inflection of a word.", in: C. W Dunn: American Political Theology. New York 1984, S. 54-56 und Ernest R. Sandeen: The Roots ofFundamentaiism. Chicago, Il. 1970, Appendix S. 273ff.
I. Die erste Phase: Zwischen Protest und Resignation
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cher Jesus in einem persönlichen Bekehnmgserlebnis erlebt hat S; die Interpretation aller Bibelstellen auf Jesus Christus hin6 ; die strikte räwnliche Trennung von Israel (verstanden als jüdisches Volk) als Vorbedingung für das Eintreten des letzten heilsgeschichtlichen Abschnittes des 1OOO-jährigen Reiches7• Die Konferenzen und die dort gefaßten Beschlüsse schufen, zusammen mit den ersten schon 1870 entstandenen Bibelinstituten, Trainingsinstitutionen des Fundamentalismus. Als immer mehr theologische Seminare die historischkritische Methode der Bibelexegese übernahmen, wurde es im orthodoxen Verständnis zunehmend wichtiger, daß konservative Christen Einrichtungen bereitstellten, in denen ihre Pastoren ausgebildet werden konnten. Bibelinstitute und Bibelcolleges erfüllten diese Notwendigkeit. Hinzu kam, daß diese Bibelgläubigen, eifrige und enthusiastische, literarische Produzenten waren. In zahllosen Büchern, Pamphleten und Zeitungen verbreiteten sie ihre Überzeugungen, so daß eine größere Masse an ihren Inspirationen teilhaben konnte. Diese Art der Kommunikation trug dazu bei, daß sich ein Gemeinschaftserlebnis, das GefiiliI einer Bewegung anzugehören, einstellte. 8 Die von 1910-1915 herausgegebene Pamphletsamrnlung in Form einer Zeitschrift mit Namen "The Fundamentals" bedeutete einen weiteren, wegweisenden Einschnitt. Von zwei Ölmillionären fmanziert, sollten diese Publikationen, mit einer Gesamtauflage von 3 Millionen Stück, jeden Pastor, jeden Missionar, jeden Theologieprofessor/-studenten, jeden Collegelehrer und jeden Herausgeber religiöser Literatur in der englischsprachigen Welt erreichen. Die Veröffentlichungen sollten die Verteidigung der Glaubensfundamente, allen voran die der Bibel,
"We believe that ( ... ) no one can enter the kingdom of God unless bom again.", in: Dunn 1984, S. 55. 6 "We believe all scripture from the first to last center about our Lord Jesus Christ, in his person and work, in his first and second coming; and hence that no chapter of the old testament is properly read or understood until it lead to hirn.", in: Sandeen 1970, S. 275. 7 "We believe that the world will not be converted during the present dispensation ( .. ) and hence that the Lord Jesus will come in person to introduce the Millennial Age, when Israel shall be restored to their own Land, and the earth shall be full of the knowledge ofGod.", in: Dunn 1984, S. 57. 8 In diese Zeit fallen auch die wichtigsten fundamentalistischen Publikationen, wie die von C.l Scotfield herausgegebene Bibelübersetzung, die bis heute das Standardwerk der Fundamentalisten ist. vgl. Nancy T Ammermann: ,,North American Protestant Fundamentalism.", in: Fundamentalism Observed. (Hg.) Martin E. MartylScott R. Appleby: Chicago, 11. 1992 (= Fundamentalism Project of the American Academy of Art and Science Bd.1), S. 1-65, S. 22.
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B. Von der "Old Religious Right" zur "Christian Right"
unterstützen. Zugleich waren sie auch Zeugnis der eigenen Glaubenserfahrung ("testimony of truth"). 9 Militante Fundamentalisten benutzten die Texte bereits in den 20er Jahren als literarische Quelle fiir ihre missionarischen Kreuzzüge, und bald wurde dieser Name ein Sammelbegriff fiir ein in Gefahr geratenes Glaubenssystem. 10 Schließlich war es dann beides, eine Beschreibung und ein Aktionsplan, der zur Tat aufrief, und der Name Fundamentalisten paßte. Seit diesen Jahren versuchten die Fundamentalisten, aktiv gegen den Modernismus in ihren Kirchen und gegen die Evolutionstheorie in den Schulen vorzugehen. Sie schufen neue Institutionenll, die sich wie ein Netz über die gesamte USA legten, und die schließlich zu Operationsbasen fiir den konservativen Flügel innerhalb des amerikanischen Protestantismus werden sollten.
2. "Fundamentalists", "Evangelicals", "Born-Again Christians": Religiöse und theologische Aspekte der amerikanischen Religionen Fundamentalismus ist nicht gleichbedeutend mit konservativ oder evangelisch oder protestantisch. Fundamentalisten sind eingebettet in eine amerikanische religiöse Kultur, die, zumindest aus mitteleuropäischer Sicht, in einem ungewohnt hohen Maße von religiösen Traditionen geprägt ist. So ist einer der eindrucksvollsten Aspekte des amerikanischen Glaubens seine Unveränderbarkeit. Trotz eines dramatischen sozialen Wandels im letzten Jahr-
9 "The ninety articles published in these volwnes divide quite evenly into a group of twenty-nine articles devoted to safeguarding the Bible, another Group of thirty-nine articles providing an apologetic for doctrines other than the bible, and a third group of thirty artic\es devoted to personal testomonies.", in: Sandeen 1979, S.203f. Für Sandeen sind die ,,Fundamentals" ein typisches Produkt der progressiven Ära. Sie sind der Versuch, die zentralen Doktrinen des "american way of Iife" des 19. Jahrhunderts gegen die politischen und kulturellen Veränderungen der Vorkriegsgesellschaft zu verteidigen. vgl. Sandeen 1970, S. 198fund 206f. 10 ,,In this atmosphere, a 'fwtdamentalist' coalition developed, the name being first used in 1920 by a group of conservative Baptists fighting modernism in the Northern Baptist Convention.", in: George M Marsden: ,,Preachers ofParadox: the Religious New Right in Historical Perspective.", in: Religion in America. (Hg.) M Douglas/S.M Tipton: Boston, Mass. 1983, S. 150-168, S. 152. 11 Vgl. Die große Anzahl von ,,Bible Institutes", in denen bis heute Laien ftir die praktische Arbeit und die Mission ausgebildet werden. Intensives Bibelstudium steht dabei im Zentrum des Unterrichts. Zur Bedeutung der Bibelschulen im 20. Jahrhundert vgl. Joel A. Carpenter: ,.Fundamentalist Institutions and the Rise of Evangelical Protestantism 1949-1972.", in: Church History 49 (1980), S. 62-75.
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hlUldert - Depression, Krieg, BfugerrechtsbewegWlg, soziale Konfliktstoffe, technologische Revolutionen - sind die religiösen ÜberzeugWlgen lUld die religiösen Praktiken der Amerikaner heute durchaus mit jenen der 30er lUld 40er Jahre vergleichbar: ,,In some ways, Americans are even more 'religious' today than they have been in the past"12 Traditionelle EinstelllUlgen sind in der amerikanischen religiösen Landschaft ebenso alltäglich anzutreffen: 72% der Amerikaner halten die Bibel fiir das Wort Gottes, wobei nahezu mehr als die Hälfte dieser Zahl (39% der Gesamtbefragten) diese wörtlich verstehen. 2/3 aller Befragten glauben, daß Jesus Christus von den Toten auferstanden sei, lUld 3/4 glauben an ein Leben nach dem Tod. Nahezu 44% bezeichnen sich als Kreationisten. Ihrer Ansicht nach hat Gott die Erde in ihrem gegenwärtigen ErscheinlUlgsbild irgendwann in den letzten 10.000 Jahren erschaffen. ll Wie lassen sich denn nlUl in diesem Konglomerat ,,FlUldamentalists" oder ,,Evangelicals" ausmachen? Wie sieht ein ,,fundamentalistlevangeiical" Lackmustest aus? ZlUlächst gilt es zu relativieren; denn nicht alle der oben Befragten sind FlUldamentalisten. Selbst innerhalb des konservativen Flügels gibt es tiefe Gräben, lUld die Doktrinen werden lUlterschiedlich gewichtet. Strittig ist beispielsweise die Antwort auf die Frage, wie der einzelne errettet werden wird lUld wann er getauft werden soll. Dennoch lassen sich FlUldamentalisten als eine näher zu bestimmende Gruppe innerhalb des konservativen Protestantismus ausmachen. Es sind häufig diejenigen, die sich selbst als ,,Evangelicals" identifizieren. Der Begriff ,,Evangelical" wurde lUld wird zu allen Zeiten geradezu inflationär zur BezeichnlUlg aller Protestanten oder gar aller Christen eingesetzt. 14 In den USA wurde diese Be12 George Gal/up, Jr./Jim Gastelli: The People's Religion. America's Faith in the 90s. New YorkILondon 1989, S. 251. 13 Vgl. G.Gal/up, Jr.: Religion in America: 50 years, 1935-1985. Princeton: The Gallup Report 1985. (Hg.) G. Gallup, Jr. Public Opinion. Wilmington, DeI. 1982. 14 ,,Evangelism" ist ein ambivalenter Begriff. Zunächst stellt er kein religiöses Bekenntnis (hinsichtlich einer organisierten religiösen Struktur) im eigentlichen Sinn dar. Auf der anderen Seite gibt es gute Gründe, ihn als Bekenntnis anzusehen, da sich religiöse Gruppen mit seiner Hilfe definieren. ,,Evangelism ( ... ) is more Iike a mosaic or, suggesting even less of an overall pattern, a kaleidoscope.", vgl.: TL. Smith, in: George Marsden: "The Evangelical Denomination.", in: NeuhauslCromartie 1987, S. 55-68, S.57. Nach Marsden kann' man, trotz der unterschiedlichen Ausprägung der einzelnen Gruppen, von einer evangelischen Bewegung sprechen. Es ist eine Bewegung mit gemeinsamer Herkunft, Einflüssen, Problemen und kongruenten Entwicklungen. Es ist eine Gemeinschaft, eine Koalition, eine Familie oder ein System von Freunden und Gegnern, die ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl entwickelt haben. vgl. G. Marsden: "The Evangelical Denomination.", in: NeuhauslCromartie 1987a, S. 55-68, S. 66f.
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zeichnung normalerweise für jene Bekenntnisse, Sekten und unabhängigen Kirchen benutzt, die sich aus dem pietistischen Flügel der Reformation entwickelt hatten. Allgemein werden ,,Evangelicals" als Protestanten eingestuft, die eine ganz besondere Betonung auf die direkte und persönliche Verbindung zwischen dem Individuum und Gott legen. Einzig die Entscheidung des einzelnen, Gott als seinen persönlichen Retter anzuerkennen und ihm zu folgen, kann zur Erlösung fuhren. Diesen Akt der plötzlichen Erkenntnis, wenn Jesus/Gott in das Leben des einzelnen eintritt, bezeichnet man als ,,Born-Again". Der einzelne wird in ein Stadium der Unschuld versetzt, gleichsam erst jetzt geboren und zugleich gerettet. Ein zweiter wichtiger Aspekt ist die Sorge um das Schicksal anderer. ,,BornAgain" Christen versuchen, durch ihre Werke und Worte anderen Gottes Botschaft nahezubringen. Es ist der Auftrag Jesu, "to win souls for Christ". 15 Ihre Prediger verweisen auf die Nutzlosigkeit eines Lebens, das nicht Jesus geweiht ist, auf die Verdammnis und die Schrecken der Hölle für diejenigen, die nicht "saved" sind. ,,Evangelism and the salvation of individual souls remains at the heart of the message Fundamentalists prodaim to American society in the late Twentieth Century.,,16
Seit den Auseinandersetzungen der 20er Jahre, als sich konservative ,,Evangelicals" das Etikett ,,Fundamentalist" selbst anhefteten, hat sich einiges verändert. In den 30er und 40er Jahren machte der Begriff einen Bedeutungswandel durch. In Comics, Lustspielen und populären Filmen erfreute sich der Begriff als nationaler Witz einer wachsenden Beliebtheit. 1950 erlebte der evangelische Protestantismus im Gefolge von Billy Graham eine nationale Wiedergeburt. Die neue Generation der ,,Evangelicals" scheute dieses Etikett jedoch wie der Teufel das Weihwasser. Heute herrscht eine Begriffsinflation vor. Der Begriff taugt lediglich als Hülse. Während sich konservative ,,Evangelicals", wie Jerry Falwell .als Fundamentalisten bezeichnen, bevorzugen nicht weniger dogmatische die alte Bezeichnung "evangelical". Die heutige Bezeichnung ist weitgehend negativ bestimmt. 17 Sie bezeichnet Anhänger und Formen von religiösem Fanatismus, und sie wird insbesondere von Außenseitern benutzt, um
15 Zu verschiedenen Aspekten von ,,Evangelicals" und ,,Fundamentalists". vgl. GM Marsden: ,,Evangelical and Fundamental Christianity.", in: The Encyclopedia ofReligion. (Hg.) Mircea Eliade. New York 1987b. 16 Vgl. Ammermann 1992, S.5. 17 Vgl. Thomas Meyer: Fundamentalismus. Aufstand gegen die Modeme. Hamburg 1989; Gilles Kepe/: Die Rache Gottes. Radikale Moslems, Christen und Juden auf dem Vormarsch. München/Zürich 1991.
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eine Gruppe zu charakterisieren, in der viele dieses Etikett nicht benutzen oder gar ablehnen. I 8 Die Schwierigkeiten, die bei der Klassifikation von ,,FundamentalistslEvangelicals" bestehen, werden von dem Beispiel der 14 Millionen Mitglieder zählenden "Southem Baptist Convention" (SBC) verdeutlicht. Dieses größte protestantische Einzelbekenntnis gilt allgemein als evangelisch, fimdamentalistisch und konservativ geprägt. Somit könnte man folglich nahezu jedes Mitglied der SBC als ,,Evangelical" oder ,,Fundamentalist" bezeichnen. 19 In Wirklichkeit hat jedoch ein Bekenntnis von der Größe der SBC eine enorme Bandbreite von Anschauungen in sich vereint. Hinzu kommt eine baptistische Tradition, welche jede lokale Kirchengemeinde dazu legitimiert, ihren eigenen Pfarrer zu wählen. Diese Tradition ist ein nur schwer zu überwindendes Hindernis bei dem Versuch, verbindliche Doktrinen durchzusetzen. Konservative "Southem Baptist" (SB) Führer agitieren deshalb seit Jahren gegen die liberalen Elemente innerhalb der SBC und versuchen, die Kirche stärker auf ihre konservativen Wurzeln zurückzufiihren. 20 Bei der Klassifikation nach Bekenntnissen gelangt man relativ schnell an die Grenzen der Aussagefahigkeit. Zwar ist es einfach und üblich, Mitglieder eines Verbandes durch ihre Mitgliedschaft in diesem Verband einzuordnen, doch dabei lassen sich im Einzelfall Gruppeninteressen eben nicht von Individualinteressen trennen. In der "Southem Baptist Convention" können Einzelmitglieder durchaus liberale Ansichten vertreten. Dennoch kann man überspitzt vielleicht zu Recht behaupteten: ,,All Fundamentalists are Evangelicals, but not all Evangelicals are Fundamentalists"2 I
18 James A. Reichley: ,,Pietist Politics.", in: The Brookings Institution General Series in Reprint 441 (1991), S. 76-80. 19 Eine sehr gute Differenzierung bietet Charles R. Wilson: "The Southern Religious Culture: Distinctiveness and Social Change", in: Amerika-Studien 38 (1993) 3, S. 357369. 20 So bedauerte es Jarnes A. Smith, Director of Governrnental Relations der Christian Life Cornmission of the Southern Baptist Convention in Washington, daß zwar Bill Clinton und Al Gore beide Mitglieder des SBC-Bekenntnisses sind, aber: "Weil we have an interesting dynarnic involved with this administration, because Clinton and Gore, their horne churches are both cooperating-rnernbers of the SBC, that makes thern Southern Baptists. Unfortunately they could not be less representive of the SBC at least at those issues as abortion and homosexual rights in particular". vgl. Interview mit Jarnes A. Smith; zu den Unterschieden und Differenzen innerhalb des ,,Evangelisrn". vgl. Marsden 1987, S. 195. 21 Vgl. J.D. Hunters Aussage: ,,EvangelicalismlFundarnentalisrn is a Protestant Phenornenon.", in: The Evangelical Voter. Religion and Politics in America. (Hg.) Stuart RothenberglFrankNewport: Washington,D.C. 1984, S. 19.
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Die meisten Ansätze versuchen deshalb, Personen auf der Basis ihres religiösen Glaubens und ihrer religiösen und sozialen Aktivitäten einzuordnen. Dieses sozial-behavoristische Kriterium erlaubt nun Aussagen darüber zu treffen, ob beispielsweise eine Person aus religiöser Überzeugung Alkohol ablehnt oder sich von religiösen Motiven bei einer Abstimmung beeinflussen läßt. Das Klassifikationsmerkmal für Johnson und Tamney ist die Bibel. Anband von Antworten auf Fragen nach der Bibel, der zweiten Wiederkunft Christi, der Verbindung zwischen den USA und Gott und dem Schulgebet in öffentlichen Schulen läßt sich feststellen, ob jemand Fundamentalist oder Mitglied der "Christian Right" ist. 22 Christianity Today unterteilte ,,Evangelicals" in einer 1979 erstellten Studie in zwei Untergruppen. Die Mitglieder der als "orthodox Evangelicals" bezeichneten Gruppe, bejahten das: ,,(1) Jesus Christ is the divine son ofGod, or both fully God and fully man (2) The only hope for heaven is through personal faith in Jesus Christ and (3) The Bible is the word of God and is not mistaken in its statements and teachings.'.23
Christianity Today legte dabei ihr Augenmerk auf das Lesen der Bibel und die Häufigkeit der Gottesdienstbesuche. George Gallup bevorzugte andere Fragen und eine andere Einteilung. Er definierte ,,Evangelicals" als Menschen, die: ,,(1) Say they have had a born again experience or call themselves Born Again Christians (2) Have encouraged other people to believe in Jesus Christ, and (3) Believe in the literal interpretation ofthe bible.,,24
Dabei ging Gallup über die herkömmliche Einordnung hinaus. Nicht mehr die Akzeptanz eines Glaubenssystems, eines religiösen Dogmas, ordnet einen Gläubigen einer Gruppe zu, sondern auch der Versuch, andere von der eigenen Anschauung zu überzeugen. Über diesen Punkt läßt sich nun trefflich streiten. Es gibt Fundamentalisten, die es aus psychologischen oder privaten Gründen ablehnen, andere zu überzeugen. Sie würden demzufolge den Gallup-Test nicht bestehen, obwohl sie in anderen Punkten durchaus in die fundamentalistische Schublade gehörten. Es gibt mehrere verschiedene Wege, ,,Evangelicals" zu definieren und damit zu klassifizieren. Das Hauptproblem ist dabei nicht ,,Evangelicals" von anderen Christen zu trennen, sondern ,,Fundamentalists" von ,,Evangelicals" zu unterscheiden. Eine griffige Definition von ,,Fundamentalism" würde jedoch gerade 22 Stephen D. Johnson/Joseph B. Tamney: "The Christian Right and the 1980 Presidential Election.", in: Journal for the Scientific Study ofReligion 21 (1982), S. 123-131. 23 Vgl. RothenberglNewport 1984, S. 15. 24 Vgl. RothenberglNewport 1984, S. 15.
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die Heterogenität lll1d die tatsächlichen Unterschiede innerhalb dieser Gruppe verniedlichen lll1d simplifizieren. 25 Es gibt keinen Konsens darüber, wie man ,,EvangelicalslFlll1damentalists" defmieren könnte. Faßt man allerdings verschiedene Texte lll1d Aussagen zusammen, so lassen sich folgende Charakteristika zusammentragen. Im Zentnun steht das ,,Bom-Again"-Erlebnis des einzelnen lll1d seine persönliche Beziehlll1g zu GottlJesus. Hinzu kommt der Glaube an die Unfehlbarkeit der Bibel. Sie ist Buchstabe für Buchstabe Gottes Wort lll1d kann deshalb als tägliche Lebensregel wörtlich interpretiert werden. Ebenfalls größte Bedeutllllg haben der Missionsauftrag, die Jlll1gfrauengeburt lll1d die Göttlichkeit von Jesus Christus, sein stellvertretendes Sillmeopfer lll1d die Einsicht, daß es notwendig ist, Jesus als seinen persönlichen Retter zu akzeptieren. Hinzu kommen noch die sozialbehavoristischen Beobachtllllgen: Zum Beispiel die Fragen nach der Regelmäßigkeit des Kirchgangs (How often do you attend religious services?) lll1d nach dem täglichen Bibelstudium. 26
3. Zwischen Scopes und Whisky: Fundamentalismus und Modernismus in den 20er Jahren Für solche diffizilen Unterscheidlll1gen schien innerhalb der amerikanischen Gesellschaft Zilllächst kein Bedarf vorhanden zu sein. Das gesamte 19. Jahrhlll1dert hindurch war die amerikanische Gesellschaft zwar den Prinzipien von religiöser Freiheit lll1d Freiwilligkeit lll1d der Trennlll1g von Staat lll1d Kirche verpflichtet, faktisch hatte sich jedoch der christliche Glaube fest institutionalisiert. ,,Local, State, and Federal governrnent, dominated in the main by people who shared this conviction, were structured to encourage its ascendancy within Arnerican culture. Industry and commerce were also dominated by those of this mold. The result was the establishment of a lll1iquely Protestant style of life and word ( ... ) in Arnerican society, even among non-believers.'.27
25 Vgl. Ammermann 1992, S. 5; Der bekennende Flll1damentalist lll1d Fernsehprediger Bob Jones bezeichnete 1983 auf dem Weltkongress des Flll1damentalismus Jerry Falwell als: "the Most Dangerous Man in Arnerica.", vgl. Dinesh D 'Souza: "Jerry Falwell's Renaissance.", in: Policy Review 38 (1984), S. 34-43, S. 41. 26 Zur allgemeinen Definitionsproblematik, speziell beim Problem der Selbstdefinition (When you describe your religious views to someone, do you generally call yourself a fundamentalist, or not?) vgl. RothenberglNewport 1984, S. 20ft'. 27 James D. Hunter: "The Evangelical Worldview Since 1890.", in: Neuhaus/Cromartie 1987, S. 19-53. S. 23.
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Gegen Ende des 19. JahrhlUlderts kam diese Vorherrschaft ins Wanken. Die Modeme löste lUlgeahnte soziale lUld ökonomische VerändeflUlgen aus. Im Windschatten von IndustrialisieflUlg lUld UrbanisieflUlg folgten überfiillte Wohnquartiere, Fabrikproduktion, veränderte Familienstrukturen lUld ansteigende Kriminalitäts- lUld Selbstmordraten. Bald konnten die häßlichen Probleme einer sich transformierenden Gesellschaft nicht mehr ignoriert werden. Hinzu kam ein kultureller lUld religiöser Pluralismus, der durch die seit 1840 einsetzende EinwandeflUlg von katholischen Iren lUld Italienern ausgelöst wurde. Die protestantische Gemeinschaft begriff diese sozialen und gesellschaftlichen VerändeflUlgen zunehmend als GefährdlUlg ihrer Lebenswelt. Während die sogenannten ,,modernists" eine neue Theologie entwickelten, die versuchte, eine Synthese von Wissenschaft lUld christlichem Glauben herbeizufiihren, versuchten andere, seit den 20er Jahren als ,,FlUldamentalists" bezeichnet, den orthodoxen Protestantismus zu verteidigen. Dabei war die Zusammensetzung der fundamentalistischen Koalition heterogen. Ihre Trägerschaft ließ sich weder nach Klasse noch schichtenspezifisch eingrenzen. Sie vereinte Ober- Mittel- lUld Unterschicht, Arbeitslose, Handwerker, Bauern, KleinlUlternehmer, Schüler, Studenten und Freiberufler. Ihr Zusammenhalt lUld ihre SelbstwahrnehmlUlg beruhte auf einem an WertvorstelllUlgen und Idealen protestantischer Mittelschichten angelsächsischer Herkunft orientierten sozialmoralischen Milieu. Gerade der daraus resultierende gesamtgesellschaftliche Anspruch dieses Milieus, hinsichtlich Lebensfiilmmg lUld sozialmoralischen OrdnlUlgsvorstelllUlgen, ging nach lUld nach verloren. Der Aufstieg neuer sozialer Schichten, der Verlust regionaler ökonomischer MonopolstelllUlgen, neue Konsumgewohnheiten, ein gravierender Wandel der Farniliemollen (insbesondere die Emanzipation der Frau) und eine allgemeine SäkularisieflUlg waren die Auslöser dieses Verfalls. Die sozialen Verhältnisse in den Großstädten sind von diesem Wandel in erster Linie betroffen. Demnach war es nicht verwunderlich, daß der Fundamentalismus zuerst in den Städten des Nordens virulent wurde. Der frühe FlUldamentalismus läßt sich somit eher als urbane denn als ländliche, eher im Norden als im Süden beheimatete Bewegung charakterisieren, die zunächst gegenüber kulturellen lUld intellektuellen StrömlUlgen aufgeschlossen ist. 28 Zwei GflUlderfahrungen prägen dieses sozialmoralische Milieu - erstens eine 28 Vgl. George M Marsden: Fundamentalism and American Culture: The Shaping of Twentieth-Century Evangelicalism, 1870-1925. New YorkiOxford 1980, S. 12; Dennoch ist das entsprechende Milieu dort am stärksten wo es am homogensten vertreten, aber noch nicht oder nur partiell mobilisiert ist: im Süden, im Mittleren Westen und im ländlichen Norden. vgl. Riesebrodt 1990a, S. 228ft'.
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ökonomische Verunsichenmg und zweitens ein enonner kultureller Ansehensverlust. Die daraus resultierenden unterschiedlichen Wahmehmungen und Reflexionen der Realität fiihrten zu einer Spaltung innerhalb des amerikanischen Protestantismus. Die Fundamentalisten sahen sich in dieser ,,Fundamentalist-ModernistControversy" als die Gralshüter orthodoxer Glaubensinhalte. Die Unfehlbarkeit der Heiligen Schrift, die Göttlichkeit und historische Authentizität von Jesus und seiner Mission, die Errettung jedes einzelnen, der an ihn glaubt, den Missionsauftrag und schließlich die Wiederkehr Jesu galt es vor den häretischen Modernisten zu schützen. Die Modernisten hätten den wahrhaft christlichen Glauben zugunsten einer wissenschaftlicheren Version, insbesondere der des Darwinismus, aufgegeben. Neue Methoden der Bibelexegese, die Psychoanalyse und die Soziologie seien ihre Helfershelfer bei diesem Unterfangen. Modernisten warfen den Fundamentalisten das Festhalten an überkommenen Dogmen vor, deren Zentrum eine antiquierte Bibelexegese und ein emotionales, religiöses Erlebnis bilden würde. Vor allem in theologischer Hinsicht kam es zu konträren Entwicklungen. 29 Die theologischen Positionen entzündeten sich an den unterschiedlichen Positionen des Prärnillennarismus und des Postrnillennarismus, wobei diese Positionen nicht bloße Lehrgebäude bilden, sondern Ausdruck eines gegensätzlichen Zeit- und Geschichtsbewußtseins sind. Die im Fundamentalismus vorherrschende Position des Prärnillennarismus verkündet, daß die Rückkehr Christi nach einer unmittelbar bevorstehenden Geschichtskatastrophe zu Beginn seiner tausendjährigen Herrschaft stattfmdet. Die Postrnillennaristen setzten die Rückkehr Christi an das Ende dieses Tausendjährigen Reiches. Für sie besteht somit die Möglichkeit, aktiv in der Gesellschaft zu wirken, um diese in Hinblick auf das Kommen Christi weiter zu perfektionieren. Für die Prärnillennaristen dagegen hängt die Wiederkunft Christi eindeutig mit dem verstärkten Auftreten des Antichristen zusammen. Sein wachsender Erfolg macht die Wiederkunft des Herrn immer wahrscheinlicher. Die Krisen und das Chaos werden als Vorboten fur das Nahen der letzten alles entscheidenden
29 Dabei war jedoch auch das fundamentalistische Lager uneins bezüglich kultureller und politischer Fragen. vgl. Millard J Eriksen: Contemporruy Options in Eschatology. A Study ofMillenium. Grand Rapids, Mi. 1977; vgl. Marsden 1980; vgl. zu den heutigen politischen Auswirkungen dieser theologischen Ansichten: Helen Lee Turner/lames L. Guth: "The Politics of Armageddon. Dispensationalism Among Southem Baptist Ministers.", in: leien 1989, S. 187-209.
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Schlacht gedeutet. 3o Vor diesem Hintergrund sind politische LösWlgen nicht möglich. Allein individuelle Umkehr Wld Reue können helfen. Der Beitrag der Religion kann Wld soll nur in der VerkündigWlg des Evangeliums als AnleitWlg zum moralischen Handeln bestehen. Aufgrund seiner dogmatischen AusrichtWlg ist dieser FWldamentalismus ZWlächst Wlpolitisch. Gesellschaftskrise Wld historische Ereignisse werden als Zeichen des göttlichen Heilsplans interpretiert. Ein Anlaß zu politischem Handeln ergibt sich somit ZWlächst nicht. Ganz anderes die Position der Modernisten, die sich insbesondere in der "Social Gospel" einer liberalsozialen BewegWlg engagierten. Erfiillt mit ihrem postrnillenaristischen Geschichtspositivismus propagieren sie sozialpolitische Maßnahmen nach den Prinzipien der Soziallehre Christi, um die gesellschaftlichen Krisen zu meistern. Aufgabe der Religion ist nicht nur die VerkündigWlg der Evangelien, sondern der Aufbau karitativer SozialeinrichtWlgen, Wld eine allmähliche VerwirklichWlg der christlichen Gesellschaft. Damit standen sich zwei völlig gegensätzliche VorstellWlgen von den Ursachen Wld den LösWlgsmöglichkeiten gesellschaftlicher Krisen zu Beginn des 20. JahrhWlderts gegenüber. 3 I Die Kontroverse blieb nicht lange auf die theologischen Seminare begrenzt. Ihr Funke sollte schon bald auf die weitere Gesellschaft überspringen. Der Anstoß kam von außerhalb. Trotz einiger beachtenswerter pazifistischer Tendenzen innerhalb der fimdamentalistischen BewegWlg wurde der Eintritt der USA in den 1. Weltkrieg enthusiastisch gefeiert. Die KriegserklärlUlg sollte sich nicht nur gegen die Achsenmächte richten, sondern sie war auch eine ideologische AbrechnWlg mit der deutschen AufklärlUlg. Durch sie, so die VorstellWlg, wurde die
30 Die pessimistische und zugleich populärste Fonn des Pre-Millinarismus ist der Dispensationalismus. Das göttliche Heilshandeln wird in sieben Dispensationen (=Zeitalter) eingeteilt. Das letzte Zeitalter ist eine siebenjährige Periode der "großen Drangsal" (vgl. Matthäus 24,21), die durch weltpolitische und religiöse Ereignisse vorbereitet wird. So gilt etwa die Gründung des Staates Israel 1948 als "Countdown" fiir das Kommen Christi. In dispensationalistischen Kreisen herrscht seit Anfang des Jahrhunderts die allgemeine Übereinstimmung darüber, daß diese Vorbereitungen so gut wie abgeschlossen sind. Die prophezeite Auseinandersetzung der Endzeitkönige gegen Gott auf dem Berg Hannagedon steht unmittelbar bevor. ,,Evangelical Christians believe that we are living in the 'end times' when the world will enter into aseries of catacJysmic wars (... ) By the time the wars end, perhaps as much as three-fourths of the earth' s population will be destroyed ( ... ) These chilling events will precede the triumphant return of Christ to Earth." vgl. Ed DobsoniEd Hindson: The Seduction ofPower. Old Tappan, N.J. 1988, S. 77f. Die beiden Mitarbeiter von Jerry Farwell, die beide selbst dem fundamentalitischen Lager zuzurechnen sind, haben die unterschiedlichen historischen und aktuellen Interpretationen und Schulen der Harmagedon-Theologie übersichtlich zusammengestellt. 31 Vgl. Ernst Sandeen: The Roots ofFundamentalisrn. Chicago 1970, S. 208-232.
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Gnmdlage fiir die Militarisierung Deutschlands und zugleich fiir den Niedergang der deutschen Kultur gelegt.32 Das Eintreten gegen deutsche Aufklärung und Modeme wurde zwn Testfall fiir das Überleben der christlichen Zivilisation in den USA. JJ Denn nicht nur gegen äußere Feinde galt es sich zur Wehr zu setzen. Die fundamentalistische Bewegung mußte an zwei Fronten kämpfen. Somit geriet der Streit um die Kontrolle der religiösen Institutionen zunehmend zu einer Auseinandersetzung um die Beeinflussung staatlicher Institutionen. Ins Kreuzfeuer geriet vorwiegend der Bereich der Schulbildung, wobei die Aktionen um die Evolutionslehre im Mittelpunkt standen. Das Thema Evolutionsunterricht in den Schulen wurde zur fundamentalistischen Gretchenfrage. Thr ,,Anti-Evolution-Crusade" wurde überaus populär, und die Fehde erreichte 1925 im Gerichtsverfahren der: People of the State Tennessee vs. John Thomas Scopes (dem sog. Affenprozeß) ihren Höhepunkt. Dieser Prozeß war der 0.-1. Simpson Prozeß der 20er Jahre. Als die Verhandlung begann, lauschte ganz Amerika den Radioübertragungen. In den frühen 20er Jahren hatten einige Südstaaten, unter fundamentalistischem Einfluß, Gesetze gegen die Evolutionslehre erlassen. J4 Auch im Staate Tennessee war es unter Strafe verboten, an Universitäten und Schulen diese Lehre zu verbreiten. John Scopes, ein Biologielehrer an einer High-School in Daytonffennessee, verstieß gegen dieses Gesetz und wurde angeklagt. Ironischerweise wurde im Verlauf des Prozesses festgestellt, daß er die Evolutionslehre falsch gelehrt hatte. Die Anklage führte William Jennings Brian, ein wahrer Meister des Populismus, dreimalig gescheiterter Präsidentschaftskandidat, ehemaliger "secretary of state" und ein Verfechter fundamentalistischer Ansichten. Die Verteidigung hatte der erfolgreiche Strafverteidiger Clarence Darrow übernommen. Er wurde von der American Civil Liberty Union, der dieser Schauprozeß ebenfalls gelegen kam, fiir seine Dienste bezahlt. Obwohl das Gericht den Argumenten der Fundamentalisten folgte, war dieser Sieg doch nur ein PyrrhusSieg. Im Verlauf der Verhandlung war es zu zahlreichen Wortgefechten zwischen Darrow und Brian gekommen, bei denen es Darrow Vergnügen bereitete, Brian J2 ,,Die neue Theologie (die deutsche Bibelkritik, Anmerk. d. Verf.) hat Deutschland in die Barbarei gefiihrt, Wld sie wird jede andere Nation in dieselbe DemoralisieTWlg fiihren.", in: Marsden 1980, S. 148. J3 Vgl. James A. Speer: "The New Christian Right and its Parent Company. A Study in Political Contrasts.", in: New Christi an Politics. (Hg.) David G. Bromley/Anson Shupe: ~acon,(}a. 1940, S. 29f 34 Zwischen 1921 Wld 1929 wurden in 20 Einzelstaatsparlamenten 37 AntiEvolution-Bills eingebracht. vgl. Sandeen 1970, S. 267.
8 Slerr
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immer wieder mangelnde Bibelkenntnis nachweisen zu können. Brian und damit die Fundamentalisten wurden sozusagen ,Jive" der Lächerlichkeit preisgegeben. Scopes wurde schließlich zu 100 US $ Strafe verurteilt, doch der Oberste Gerichtshof des Staates Tennessee (später auch der Supreme Court der USA) hoben das Urteil aufgrund eines Verfahrensfehlers wieder aue l Die Fundamentalisten errangen zwar noch einige juristische Erfolge, in der Folge ließen ihre Bemühungenjedoch nach. 36 Eine weitere Niederlage mußten die Fundamentalisten beim Thema Prohibition hinnehmen. Die konservativen ,,Evangelicals" kämpften dabei mit religiöser Inbrunst fiir das Verbot von Whisky und anderen alkoholischen Getränken. Sie argumentierten zunächst nicht mit den destruktiven und schädlichen Auswirkungen, die das Trinken auf die persönliche Gesundheit und das Sozialverhalten hat. In erster Linie richtete sich ihr Zorn auf die Bars und Bierhallen. Diese erschienen ihnen als Zentren und Symbole der sozialen und kulturellen Verfallstendenzen innerhalb der Gesellschaft. Sie erschienen ihnen als Manifestation all ihrer Ängste. In ihnen fokussierten sich die ansteigende Emotionalisierung der Gesellschaft, die wachsende Autorität der Wissenschaft, der Verfall der protestantischen Arbeitsethik und die Massenwanderung in die Städte. In den Saloons traf sich, insbesondere in den Städten des Ostens und des mittleren Westens, die
31 Als Brian kurz nach dem Prozeß starb, sahen darin einige Liberale die göttliche Gerechtigkeit walten. Scopes quittierte den Schuldienst und machte als Geologe im Erdölgeschäft sein Glück. Er schrieb später seine Memoiren mit dem Titel: "Center ofthe Storm". vgl. Charles R. WilsonlWilliam Ferris: Encyclopedia of Southem Culture. Chaple HilllLondon 1989. S. 1376-1377. 36 Die Versuche der Fundamentalisten, in den frühen 80er Jahren die Schöpfungslehre an den Schulen der USA wieder einzuführen, waren dagegen relativ gemäßigt. Sie forderten lediglich, daß der Schöpfungslehre der gleiche zeitliche Rahmen eingeräumt werden sollte wie der Evolutionstheorie, oder daß sie wenigstens im Zusammenhang mit der Evolutionstheorie genannt werden sollte. Die Bundesgerichte erklärten 1982 den Versuch zweier Südstaaten, Gesetze zur Wiedereinfiihrung der Schöpfungslehre einzubringen, als nicht verfassungsgemäß. Zuletzt urteilte der Supreme Court 1987, daß das Unterrichten der Schöpfungslehre an öffentlichen Schulen unzulässig sei, weil dadurch die Religion durch die Hintertüre wieder in die Klassenzimmer kommen würde. Im Bundesstaat Tennessee, wo der Senat 1996 eine Resolution verabschiedete, die verordnete, die Zehn Gebote in allen öffentlichen Gebäuden anzubringen, ist jedoch ein weiteres Gesetz über die Relativierung der Evolutionstheorie anhängig. Sollte es verabschiedet werden, dann könnte wieder jeder Lehrer entlassen oder bestraft werden, der die Evolutionstheorie als Tatsache ausgibt.
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immer stärker auftretende Schicht der nicht-englisch-sprechenden Einwanderer, vor allem Katholiken lll1d Juden aus Süd-Ost-Europa. 37 Bereits 1893 hatte sich die ,,Anti-Saloon-League" als eine Interessenvereinigllllg etabliert, die sich ausschließlich dem Verbot von Alkohol verschrieben hatte. Dieser fiiihen "single-issue-group" gelang es, verschiedene evangelische Bekenntnisse lll1ter ihrem Dach zu vereinigen. Die ,,Anti-Saloon-League" konfrontierte Kongreß-Abgeordnete lll1d Abgeordnete in den Einzelstaatenparlamenten mit der Frage: "wet or dry?". Dieser Druck zeigte offensichtlich Wirkllllg, denn in den Jahren von 1906 bis 1917 verboten 26 Staaten den Ausschank lll1d den Konsum von Alkohol. 1919 wurde die Prohibition als 18. Zusatz in die Verfasslll1g aufgenommen. Ab jetzt war "the manufacture, sale, or transportation of intoxicating liquors" ein einschneidender Teil des Gesetzeskataloges der USA. Dieser Erfolg war zugleich "the last great corporate work in America of legalistic evangelism".38 Unterstützt wurde diese Entwickllll1g von der seit Ende des 19. Jahrhlll1derts in den USA virulenten populistischen Bewegllllg. Die Ideologie des Populismus war ein Auffangbecken protestierender Farmer im Westen lll1d Süden der USA. Sie sahen sich als Opfer der Depression lll1d den sich wandelnden sozioökonomischen Strukturen, lll1d sie fiihlten sich von den beiden großen Parteien nicht genügend repräsentiert. Nachdem sich der Protest Zllllächst außerhalb der Parteien entwickelt hatte, schwappte der Populismus 1896 auf die demokratische Partei über. William Jennings Bryan wurde als Präsidentschaftskandidat nominiert lll1d versuchte, die zahlreichen evangelischen Gruppen auf sein Programm zu verpflichten. Doch die Zerreißprobe innerhalb des amerikanischen Protestan37 Der Anti-Katholizismus war seit den Tagen der Reformation und der Religionskriege ein wichtiges Charakteristikum des amerikanischen Protestantismus gewesen. In Nordamerika waren die Katholiken zunächst eine kleine mißtrauisch beäugte Minderheit von Einwanderern. Sie galten seit Kolonialzeiten als fremdes und feindliches Element in einer protestantisch geprägten Nation. Als die Zahl der Katholiken im 19. Jahrhundert dramatisch anwuchs (von 1870 bis 1900 auf 3 Millionen und in den nächsten zehn Jahren nochmals um 2 Millionen), verschärften sich die politischen und gesellschaftlichen Konflikte. Die Auseinandersetzungen im Bildungsbereich fiihrten schließlich zur Gründung von Konfessionsschulen und zur Blockade der von den Protestanten erwünschten staatlichen Finanzierung für private Schulen. Bis in die 60er Jahre wurden Katholiken generell als un-amerikanisch diffamiert, die insbesondere die amerikanische Tradition der Freizügigkeit in religiösen Angelegenheiten nicht akzeptieren würden. vgl. James Hennesey, SJ: ,,Roman Catholics and American Politics, 1900-1960: Altered Circumstances, Continuing Patterns.", in: Religion and American Politics. from the Colonial Period to the 1980s. (Hg.) MarkA. Noll. OxfordlNew York 1990, S. 302-322; vgl. für die Zeit nach Vietnam: A. James Reichley: Religion in American Public Life. Washington, D.C. 1985, S. 285-302. 38 Vgl. Reichley 1985, S. 217.
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B. Von der "Old Religious Right" zur "Christian Right"
tismus ging zugunsten der republikanischen Partei aus. Bryan's Wahlkampfmanager konnte in den ganzen USA nur vier prominente Pastoren finden, die sich bereit fanden, den demokratischen Kandidaten zu lll1terstützen - Bryan verlor die Wahl. Die protestantische Unterstützung für eine soziale Reform brach jedoch nicht in sich zusammen. Als der siegreiche Kandidat McKinley 1901 erschossen wurde, folgte ihm Theodore Roosevelt nach. Mit ihm hatten die protestantischen Reformer einen aus ihren Reihen im Weißen Haus. Unter dem Eindruck der Soziallehre initiierte Roosevelt ein staatlich finanziertes Sozialprogramm mit der Absicht, die durch den industriellen Kapitalismus ausgelösten Verwerfungen innerhalb der amerikanischen Gesellschaft zu glätten. Im Präsidentschaftswahlkampf von 1912 opponierte Roosevelt gegen den amtierenden Präsidenten Taft. Taft verkörperte die traditionelle, konservative Strömung innerhalb der republikanischen Partei. Roosevelt tendierte in Richtung der konservativen ,,Evangelicals". Sein Konzept des ,,New Nationalism" sollte durch Gesetze und bessere staatliche Kontrollmaßnalunen sowie durch engere Kooperation zwischen den Organen der Bundesregiefllllg und der Wirtschaft einen sozialen Ausgleich schaffen. Der Nominiefllllgsparteitag der Republikaner in Chicago, für den Roosevelt das Motto ausgegeben hatte: "We stand at Armageddon and we battle for the Lord", konnte auf den unbeteiligten Beobachter den Eindruck eines ,,revivals" machen. Aufgeregte ,,Evangelicals" fiillten die Versammlungshalle, sangen Kirchenlieder abwechselnd mit der Nationalhymne und: "an irreverent flyer ciruclated in the press gallery announcing that Theodore Roosevelt would walk on the waters of Lake Michigan at three o'cIock the following afternoon.,,39
Die verabschiedete Wahlkampfplattform beinhaltete schließlich wichtige Fordefllllgen der Soziallehre, wie die Ablehnung der Kinderarbeit, die Prohibition und die Schaffimg eines Sozialversichefllllgssystems. Roosevelts Vorstellungen reflektierten am stärksten die Heterogenität der progressiven Bewegung. Es war der Versuch, das modeme Amerika der Großstädte und der Industrie mit den traditionellen Werten der amerikanischen Gesellschaft in Einklang zu bringen. Doch die Spaltung innerhalb der republikanischen Partei ermöglichte den Sieg
39
Vgl. Reichley 1985, S. 214.
I. Die erste Phase: Zwischen Protest lUld Resignation
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eines Demokraten. 1912, nach 16 Jahren republikanischer Herrschaft im Weißen Haus, wurde Woodrow Wilson als 27. Präsident der USA vereidigt.40 Die erste Blüte des evangelikalen Einflusses schien verwelkt, bevor sie richtig geblüht hatte. Auch die Erfolge in Sachen Whisky und Darwin schienen sich nicht auszuzahlen. Die Prohibition nahm einen katastrophalen Verlauf. Obwohl der Alkoholverbrauch abnahm und die Zahl der Alkoholabhängigen spürbar zurückging, stiegen in allen Landesteilen proportional die Gesetzesbrüche im Zusammenhang mit Alkohol. Ende der 20er Jahre hatten die Gegner des Verfassungszusatzes leichtes Spiel, wenn sie auf die gegenteiligen Effekte des Alkoholverbotes hinwiesen. Gesetzestreue Bürger wurden kriminalisiert, der Alkoholschmuggel nahm ungeheure Ausmaße an, Verbrechersyndikate finanzierten sich durch den Handel mit Alkohol, und die Korruption hatte auf allen Regierungsund Verwaltungsebenen Einzug gehalten. Als 1932 Franklin D. Roosevelt zum Präsidenten gewählt wurde, war die Forderung, die Prohibition abzuschaffen, Teil seines Wahlkampfprogramms. Ein Jahr nach seiner Amtseinführung wurde der 18. Zusatz aus der Verfassung gestrichen. Die Entwicklung in den 20er Jahren fiihrte jedem Amerikaner vor Augen, daß der protestantische Wertekatalog an Anziehungskraft verloren hatte. Diese Erkenntnis breitete sich wellenf6rmig von den intellektuellen Zirkeln über Kirchenführer und Geistlichkeit aus, bis sie schließlich Einfluß auf das tägliche Leben eines jeden hatte. Eine steigende Anzahl von Amerikanern entfernte sich immer weiter von den konservativ-evangelischen Glaubensinhalten und akzeptierte mehr und mehr den neuen Liberalismus. Einige ließen das Christentum sogar ganz hinter sich: ,,In the course ofroughly thirty-five years, Protestantism had been moved from cultural domination to cognitve marginality and political impotence. The worldview of modernity had gained ascendency in American cuIture.,,41
Am Ende hatten die Protestanten an nahezu allen Fronten an Prestige und Durchschlagskraft eingebüßt. Der Konflikt zwischen dem fundamentalistischen Protestantismus und der Modeme, die durch die säkularen, wissenschaftlichen Projekte (mit der Evolution als ihrem Symbol an der Spitze) repräsentiert wurde, war grundSätzlich entschieden. Die Bühne für die nächsten Dekaden war aufgebaut.
40 Zu der Amtszeit Wilsons lUld zur Epoche des Progessivismus vgl. Klaus Schwabe: ,,Erster Weltkieg lUld Rückzug in die Normalität 1914-1929.", in: Länderbericht USA Bd.1. (Hg.) WP. Adams/E.-o. Czempiel/B. Ostendorfu.a. Bonn 1990, S. 115-133. 41 Vgl. Hunter 1987, S. 38.
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B. Von der "Old Religious Right" zur "Christian Right"
Der FWldamentalismus hatte große Teile seiner Legitimation Wld DaseinsberechtigWlg aus diesem Konflikt bezogen. Als der Krieg verloren war, hatte der FWldamentalismus nicht nur seine Dominanz innerhalb des Protestantismus eingebüßt, sondern auch seinen Einfluß auf die weitere amerikanische Kultur verloren. Gerade die Glaubwürdigkeit der protestantischen Interpretation de~ Lebens war schwer beschädigt worden, Wld dies ließ den fiiiheren Glanz einer kollektiven Identität immer matter werden. In den folgenden Jahren waren die FWldamentalisten dazu verurteilt mit den Vorurteilen zu leben, die ihnen im Gefolge des Scopes-Prozesses durch die Medien aufgebürdet worden waren. Geschlagen in den Bereichen Whisky Wld Darwin, politisch ins Abseits geraten, der nationalen Lächerlichkeit preisgegeben Wld ohne eine plausible, politische Strategie, um auf die sozio-ökonomischen HerausfordeTWlgen ihrer Zeit zu antworten, zogen sich die FWldamentalisten in die Isolation zurück. Mitglieder fundamentalistischer Kirchen wählten künftig nach ökonomischen oder regionalen Interessen oder blieben politisch inaktiv. FWldamentalistische Pfarrer predigten zwar weiter gegen die rationalen Wissenschaften, gegen den Kommunismus Wld die Wlgehemmte Zügellosigkeit der Gesellschaft, doch wirkten sie sprachlos angesichts der Frage, wie diese Manifestationen der Modeme aufgehalten werden könnten. Seit diesen Jahren verdichtete sich die Ansicht, daß: ,,FWldamentalism remained, in the mind ofthe man on the street and as a facet ofthe cultural imagination, a sectarian fringe of American Protestantism. ,,42
11. Die zweite Phase: Isolation und neuer Aktivismus Die offensive Phase fundamentalistischer Aktivität schien mit diesen Niederlagen abzuflauen. Der später sogenannten "Old Religious Right" war es nicht gelWlgen, das Rad der Modeme zurückzudrehen. Doch hatte die BewegWlg einiges aus ihren Mißerfolgen gelernt. Nur kollektive Aktionen, so ihre Einsicht, würden auf die Dauer wenigstens die Chance auf VerändeTW1g offenhalten. Doch wie bei allen Koalitionen, die sich gegen einen gemeinsamen Gegner notgedrWlgen zusammenschließen, waren auch die FWldamentalisten Wleins in der Frage, welche RichtWlg die BewegWlg in ZukWlft einschlagen sollte. Zum Kemproblem wurde dabei, ob man sich von den "Nichtgläubigen" trennen sollte.
42
Vgl. Hunter 1987, S. 39.
II. Die zweite Phase: Isolation und neuer Aktivismus
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Zwn offenen Streit kam es durch die Gründung zweier konkurrierender nationaler fimdamentalistischer Organisationen - des 1941 gegründeten, strikt separatistischen' American Council of Christian Churches (ACCC) und der 1942 gegründeten National Association ofEvangelicals (NAE). Die ACCC war das Gegenstück zum schon 1908 ins Leben gerufenen Federal Council ofthe Churches ofChrist in America (FCCA). Die FCCA vertrat nun die Hauptströmung des Protestantismus. Sie wurde von den Fundamentalisten als Steigbügelhalter der Modeme gebrandmarkt und mit Mißachtung gestraft. 43 Während die Hardliner-Fundamentalisten danach trachteten, ein exklusiver Zirkel zu bleiben, eine geschlossene Gesellschaft mit dem Credo: keine Kooperation und keine Kompromisse, bewegte sich ein anderer Flügel der alten fimdamentalistischen Koalition in Richtung eines mehr moderaten Evangelikalismus. Diese Gruppe versuchte, FCC Mitglieder in ihre Organisation einzubinden und eine Strategie "cooperation without compromise" durchzusetzen. Anfang der 50er Jahre konsolidierte sich die NAE um die Arbeit und das Wirken von Billy Graham. 44 Graham war durchaus bereit, die Unterstützung liberaler Kirchen bei seinen evangelischen Missionszügen anzunehmen, was seiner Popularität unter den fimdamentalistischen Separatisten - milde ausgedrückt - erheblichen Schaden zufügte. Seit Ende der 50er Jahre behielten die Separatisten den Namen Fundamentalisten, während der weitaus größere Teil den von Billy Graham favorisier43 Der Grunder von ACCC, Carl McIntre, war paradoxerweise unter den fundamentalistischen Führern derjenige, der über die politische Entwicklung am meisten besorgt war. Über die nächsten 30 Jahre war er das einflußreichste Sprachrohr der fundamentalistischen Rechten. Obwohl er sich weitgehend auf Konflikte innerhalb der Bekenntnisse konzentrierte, hatten diese Auseinandersetzungen auch politische Folgen. Durch ihn wurden Anti-Katholizismus und Antikommunismus fester Bestandteil des fundamentalistischen Weltbildes. Diese Vorstellung stand in Verbindung mit der Sorge, daß sich diese bei den Ideologien gegen Amerika verschworen hätten. Insgesamt wurden diese Ängste jedoch nicht in politische Aktionen umgemünzt, sondern eher im Kontext der religiösen Texte und Zeichen über das Ende der Welt und die Wiederkunft Christi gedeutet. vgl. Marsden 1983, S. 154ff. 44 In der 19. Brockhausausgabe heißt es irrtümlich: Graham, Billy amerik. baptist. Erweckungsprediger, verstorben Vallejo, Ca. 25.10.1991. Tatsächlich erfreut sich der 77jährige Prediger bester Gesundheit. Er ist der einzige große Evangelist unserer Zeit (Berliner Bischof Otto Dibelius), der mit seiner Botschaft: ,,Bekehrt euch. Bittet Gott um Vergebung eurer Sünden. Glaubt an ihn und lebt entsprechend", alle Kontinente und ca. 100 Länder bereist hat. Er hat vor Hunderttausenden von Gläubigen in aller Welt gebetet, war persönlicher Beichtvater von Nixon und hat seitdem die Amtseinfiihrung der amerikanischen Präsidenten segnend begleitet. 1982 kam er in Konflikt mit der Regierung, als er für eine Verständigung mit der Sowjetunion plädierte. Einige sehen in seinem Wirken seit 1950 den Ausgangspunkt für die Entstehung der CR, ohne jedoch seine persönliche Integrität in Zweifel zu ziehen. vgl. Billy Graham, in: WilsoniFerris 1989.
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B. Von der "Old Religious Right" zur "Christian Right"
ten Begriff "evangelical" zu akzeptieren begann. Schon 1960 konnte man anband der Akzeptanz Billy Grahams eine gute Unterscheidlll1g treffen. Derjenige, der sich mit Graham identifizierte, wurde als ,,Evangelical" klassifiziert lll1d derjenige, der ihn als zu liberal einstufte, als ,,Flll1damentalist".45 Nichtsdestotrotz hätten sich alle konservativen evangelischen Protestanten in Amerika in einem der beiden Lager einigermaßen wohlgefiihlt. Pfingstler lll1d ,,Holy Churches" hatten sowieso eigene Traditionen, ebenso die ethnischen Kirchen lll1d die Kirchen mit reformatorischem Urspfllllg, wie die ChristlichReformierten oder die Mennoniten. Schwarze ,,Evangelicals" hatten, trotz ähnlicher Sorgen, keinen Kontakt mit ihren weißen Glaubensbrüdern. Ähnlich verhielt es sich mit den "Southem Baptists", dem Bekenntnis von Billy Graham. Sie waren noch in den 50er Jahren in vielen Bereichen regional ausgerichtet lll1d hatten wenig Kontakt mit der breiten nationalen evangelischen oder fimdamentalistischen Koalition. Am Ende des Jahrzehnts schätzen konservative ,,Evangelicals" die Zahl ihrer Kirchenmitglieder auf 24 Millionen, nahezu die Hälfte aller Protestanten in den USA. 46 Eine neue Phase wurde eingeleitet, in der die Offensive gegen die Modeme lll1verrichteter Dinge abgebrochen werden mußte. Eine mehr oder weniger defensive Strategie begann sich durchzusetzen. Gleichzeitig versuchte sich ein Teil der alten konservativen Koalition mit der neuen Situation zu engagieren. Man richtete sich ein. Entweder durch neue Zusammenschlüsse auf organisatorischer Ebene oder durch Rückzug in die selbstgewählte Isolation. Die ReligiösKonservativen verschwanden aus dem Licht der Öffentlichkeit, welche sich nach dem Zweiten Weltkrieg den Goldenen 50er Jahren hingab.
1. Die Rückkehr: "Evangelicals" und "Fundamentalists" in den 50er Jahren Die 50er lll1d 60er Jahre waren ohne Frage die Jahre, in denen die USA eine beispiellose wirtschaftliche Prosperität erlebte. 47 Das Bruttosozialprodukt stieg um ca. 4% pro Jahr, lll1d in der Folge konnte sich in den USA ein extrem hoher Lebensstandard ausbilden. Die Arbeitslosigkeit der Vorkriegsjahre ging zurück, lll1d die Inflation wurde eingedämmt. Dies hatte zur Konsequenz, daß die durchschnittlichen Realeinkommen der Amerikaner zwischen 1947 lll1d 1970 um 80% anstiegen. Die Folge war eine Konsumorientiefllllg von bis dahin lll1gekanntem 45 Vgl. Marsden, 1983, S. 157. 46 Vgl. Marsden, 1983, S. 157. 47 Vgl. im folgenden: Manfred Berg: ,,Die innere Entwicklung der USA seit dem zweiten Weltkrieg.", in: Adams u.a. 1990, S. 155-183.
II. Die zweite Phase: Isolation lUld neuer Aktivismus
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Ausmaß. Fernsehen, Autos, Waschmaschinen und Eigenheime wurden fiir den Amerikaner, lange vor seinen westeuropäischen Zeitgenossen, zur Selbstverständlichkeit. Die USA schien das Versprechen von der modemen, kapitalistischen Industriegesellschaft, ohne deren häßliche Begleiterscheinungen, eingelöst zu haben. Die Grundlage fiir diesen Erfolg bildete eine fortschreitende Technisierung und Rationalisierung sowie erhöhte Staatsausgaben in nahezu allen wirtschaftlichen Sektoren. Hinzu kam die Herausbildung völlig neuer Industriezweige wie der Elektronik-, Automobil- und Maschinenproduktion, welche, zusammen mit der chemischen Industrie, einen wahren Boom in den Nachkriegsjahren erlebten. In den neuen Wirtschaftszweigen setzte sich eine völlig neue Organisationsstruktur durch. Es entstanden Wirtschaftsgiganten wie General Motors, Ford und Chrysler in der Automobilindustrie, die sich in weitverzweigte, transnational operierende Multis verwandelten und ökonomische Macht konzentrierten. 48 Arm in Arm mit dem rasanten ökonomischen Wandel gingen bedeutende soziale und demographische Veränderungen einher. Steigende Geburtenzahlen und bessere medizinische Versorgung erhöhten die Lebenserwartung und fiihrten zu einem stetigen Ansteigen der Bevölkerungszahl. Bereits 1970 lag die Einwohnerzahl der USA mit 205 Millionen um 65 Millionen höher als bei Kriegsende.
Die traditionell hohe Mobilität der Amerikaner verstärkte sich noch. Ein Fünftel der Amerikaner wechselte statistisch gesehen einmal pro Jahr ihren Wohnort. Sie zog es überwiegend in die neuen Industriegürtel der Westküste und des Südens. Mitte der 60er Jahre überholte der Staat Kalifornien den Staat New York als den bis dahin bevölkerungsreichsten Einzelstaat. Die Verstädterung nahm ebenfalls zügig zu. 1960 lebten bereits 1/3 aller Amerikaner in den wie Pilze aus dem Boden schießenden "suburbs". Der Traum vom Eigenheim, von familiärer Idylle, von guter Nachbarschaft und von sozialer und ethnischer Homogenität beschleunigte den Aufbruch der neuen Mittelklasse49 in diese Reservate.
48 In den 50er Jahren besorgten 574 (ca. 1 % aller) große Gesellschaften nahezu zwei Drittel der gesamten Industrieproduktion lUld tätigten über die Hälfte aller Umsätze. vgl. Erich Angermann. Die Vereinigten Staaten von Amerika seit 1917. München 91995, S. 334. 49 Der oft überstrapazierte Begriff ,,Neue Mittelklasse" gilt als eines der KlassifizieTlUlgsmerkmaie der amerikanischen Gesellschaft nach dem Zweiten Weltkrieg. Der technische lUld wirtschaftliche Wandel verlangte nach neuen, besser ausgebildeten Arbeitern. Schon 1960 übertraf die Zahl dieser sogenannten "white-collar-workers" (Techniker, Angestellte aller Art etc.) die der "blue-collar-workers" (klassische industriearbeiter). Man sollte die sozio-kulturelle Konfonnität dieser Gruppe nicht überbewerten,
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B. Von der "Old Religious Right" zur "Christian Right"
Das heute in den USA immer wieder beschworene Bild der goldenen 50er Jahre hält einer kritischen Betrachtung allerdings kaum stand. Wie so oft sah die Kehrseite der Medaille anders aus. Der hohe Lebensstandard war in der Regel nur durch ein zweites Gehalt zu erreichen. Entgegen der propagierten Rolle als Hausfrau und Mutter gingen in den 50er Jahren etwa 1/4 bis 1/3 aller Ehefrauen einer regelmäßigen Erwerbstätigkeit nach. Ohne deren Einkünfte wären die prestigeträchtigen Konsumgüter fiir viele Familien unerschwinglich gewesen. Einer von vier Amerikanern blieb von den Segnungen der Konsumgesellschaft fast ganz verschont. Es waren diejenigen, deren Einkommen schon 1960 unter der amtlich definierten Annutsgrenze von 3000 US $ lag. Insbesondere die verarmte Landbevölkerung, Schwarze, Hispanics, Alte, Kranke und Schwache lebten am Sockel der Gesellschaft. Im Jahr 1960 machten sie schätzungsweise 31 % der Gesamtbevölkerung aus. Sie lebten, eine Kehrseite der Suburbanisierung, in den verwahrlosten Innenstädten, in denen die Slums zu Brutstätten von gewalttätigen Rassenkonflikten und Kriminalität wurden. 50 Gleichwohl bleibt unbestreitbar, daß sich die Lebensverhältnisse der meisten Amerikaner in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg spürbar besserten. Dieses, fiir die damalige Zeit sehr hohe Niveau, gab der Vision vom sozialen Aufstieg aus eigener Kraft eine reale Grundlage. Die politische Symbolfigur der 50er Jahre war Präsident Dwight D. Eisenhower. Er garantierte fiir die meisten Amerikaner, gleich welcher politischen Couleur, Führungsstärke und Sicherheit in einer außenpolitisch immer feindlicher werdenden Welt. Er verstand es überaus geschickt, integrierend zu wirken. Seine Fähigkeit, einen gemäßigten pragmatischen Kurs zu steuern, hatte dem Land einen politischen Konsens beschert. Ein Wahlslogan drückte die Stimmung treffend aus: ,,Peace, Progress and Prosperity". Die Eisenhower-Jahre blieben vielen Amerikanern, ungeachtet seiner Zurückhaltung in Fragen der Rassentrennung und der kommunistischen Hexenjagden Senator McCarthys, als goldenes
doch lassen sich ihr einige interessante Aspekte abgewinnen. Barbara Ehrenreich sieht in der ,,middle-c1ass" (ca. 20% der Bevölkerung) so etwas wie die Ideologie- und Wertefabrik Amerikas. Die gesellschaftliche Krise der letzten 30 Jahre in den USA sei durch die Blindheit, die Selbstgenügsamkeit und die Versäumnisse dieser Gruppe ausgelöst worden. vgl. Barbara Ehrenreich: Angst vor dem Absturz. Das Dilemma der Mittelklasse. München 1992. 50 Durch die anhaltende Inflation verteuerte sich die Lebenshaltung des Durchschnittsamerikaners. Deutlich wird dies am Verbraucherindex (1967=100) der von 1945=53,9 auf 1960=88,7 und 1974=144 anstieg. Die Verteuerung betrafin erster Linie Dinge des täglichen Bedarfs, vor allem Wohnungen. Verkehrsmittel und Gesundheitswesen, erst in den späteren Jahren auch Lebensmittel und Bekleidung. vgl. Angermann 91995, S. 330f.
II. Die zweite Phase: Isolation Wld neuer Aktivismus
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Zeitalter in Erirmerung. Diese Epoche war geprägt durch die Dualität von innerer Stabilität lllld Konformität lllld äußerer Stärke der Nation. Der Gleichklang ließ sich nicht nur im politischen Bereich feststellen, sondern auch im sozialen Bereich lllld in der Alltagskultur ausmachen. Durch die sich scheinbar abschwächenden Klassenllllterschiede lllld kraft der Nivellierung der Lebens- lllld Konsumgewohnheiten der Amerikaner bildete sich im Grunde erst jetzt eine einheitliche Kulturgemeinschaft heraus. Diese überwölbte die zahlreichen ethnischen lllld regionalen Subkulturen lllld schuf einen einheitlichen Lebensstil, den ,,American Way oflife". An dieser Entwicklllllg hatte das neue Medium Fernsehen entscheidenden Anteil. Es wurde in diesen Jahren ein fester Bestandteil des täglichen Lebens. 1960 besaßen bereits 90% aller Haushalte ein Fernsehgerät, welches durchschnittlich fiinf Stllllden am Tag lief. Unterhaltllllgssendllllgen lllld Werbllllg51 vermittelten das Bild eines einheitlichen, amerikanischen Lebensstils. Sie propagierten die intakte Familienwelt mit ihrer traditionellen Rollenverteilllllg, lllld in ihnen spiegelten sich, wie in den Zeichnllllgen Normann Rockwells, die sozialen Werte einer homogenen, weißen Mittelklasse. 52 Man sehnte sich nach Ruhe, ökonomischer lllld sozialer Sicherheit, Vermeidllllg aller Extreme lllld Risiken, wollte seinen privaten Wohlstand genießen lllld war nicht ohne Grund stolz auf das Erreichte. 53 Die Modeme machte auch vor der amerikanischen Kultur nicht halt. Es breitete sich ein neues Muster urbaner Befindlichkeit aus, während der kleinstädtische Protestantismus nahezu bedeutllllgslos wurde. Gleichzeitig wurden Dutzende von Universitäten gegründet, lllld die New Yorker Intellektuellen wurden zur maß-
51 Vgl. Vance Paclcards Bücher über die geheime Verfiihnmgskraft der WerbWlg, die nicht nur in den USA zu Bestsellern wurden. PacRal'd schildert in seinen Büchern den Wlbedarften Käufer, der durch die geheimen Strategien der WerbWlg veraniaßt wird, immer mehr Güter in immer schnellerer Folge zu konsumieren. vgl. Vance Packard: Die geheimen Verführer. Der Griff nach dem Unbewußten in Jedermann. Düsseldorf7Wien 1958; Vance Packard: Die große VersuchWlg. Düsseldorf7Wien 1961. 52 Anschauliche Beispiele sind insbesondere die Filme von lohn Ford: How Green Was My Valley, John Wayne's Fort Apache, She Wore a Yellow Ribbon, Rio Grande, The Quiet Man, die ein idealisiertes Bild von Gemeinschaft, Glauben Wld Tradition vennitteln. Dagegen glorifizierten die Filme von Frank Capra: Mr. Smith goes to Washington, It's a wonderful life, die Werte von privater Wohltätigkeit, individuellen Tugenden, persönlichem Unternehmergeist Wld setzten der "small-town-culture" ein bleibendes Denkmal. vgl. Spencer Warren: "The 100 Best Conservative Movies.", in: National Review 24. October 1994, S. 53-61. 53 Etiketten wie homogenized society, consumer society, moderation, tranquillity, acquiesence, confonnism, smug, belonging Wld togethemess tauchten in allen DarstellWlgen dieser Zeit auf. vgl. Angermann 91995, S. 350.
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B. Von der "Old Religious Right" zur "Christian Right"
geblichen kulturellen Instanz. Es entstand ein neues Mittelschicht-Publikwn, welches süchtig war nach neuen, gesellschaftlichen und sexuellen Ausdrucksformen, die von einer liberalen Kultur protegiert wurden. 54
2. "Spiritual America": Religion und Religiosität in den 60er Jahren
Das Harmoniebedürfnis der Amerikaner führte jedoch auch zu einer Blüte privater und öffentlicher Religiosität. Kirchenmitgliedschaften55 und Kirchenbesuch erreichten Rekordhöhen; religiöse Themen fanden den Weg in die Medien56 ; der Kongreß beschloß fiir alle Zahlungsmittel den Zusatz: "In god we trust"; und Präsident Eisenhower eröffuete jede Kabinettssitzung mit einem Gebet. Die Rückbesinnung auf die Religion versprach, ähnlich wie die einsetzende Populärpsychologie, Halt und Stütze in einer immer komplexer werdenden Welt zu sein. 57 Der Religionssoziologe Martin Marty notiert dazu:
54 Im künstlerischen Bereich kam es ebenfalls zu einem Paradigmenwechsel. Scharen von Europäern fielen in die USA ein. Diese Linguisten, Kunsthistoriker, Soziologen und zahlreiche andere Wissenschaftler veränderten die dafiir empfängliche amerikanische Wissenschaft nachhaltig. Die russischen Emigranten, wie Strawinsky und Balanchine, begannen sich in Musik und Ballett durchzusetzen. Der stärkste Wandel vollzog sich in der Malerei. Französische Surrealisten setzten sich mit anderen europäischen Kubisten auseinander, und der abstrakte Expressionismus hatte einen geradezu kometenhaften Aufstieg. Seine 'Stars' wie Pollock, DeKooning, Rothko, Newrnann erhoben das rein Fonnale zum maßgeblichen Thema ihres Schaffens. Die Aktionsmalerei, befreit von der Darstellung der Farbe, übertrug nur noch die physische Bewegung des Malers auf die Leinwand. Sie hinterließen eine eklektrische und synkretistische Kultur, in der jegliche Organisation, Ordnung der Genres und der Natur von Zeit und Raum zertrümmert wurden. 55 Die Kirchenmitgliedschaft in den USA stieg von 43% im Jahr 1920 auf 47% 1930. 1940 erreichte sie die 49%-Marke, und von da an ging es unaufhaltsam bergauf: 1950 wurden 57% erreicht, 1956 62% und Anfang der 60er Jahre stolze 63% der Gesamtbevölkerung. vgl. Hunter 1987, S. 44. 56 Vgl. Filme wie Three Godfathers (1948), Quo vadis (1950) und die Zehn Gebote (1956); Reverend Nonnan Vincent Peale verhieß Millionen am Radio und im Fernsehen Seelenfrieden und Erfolg und brachte es damit 1954 zu einem der 12 erfolgreichsten Geschäftsleute der USA. Als er einmal ein Ladenmädchen nach dem Erfolg seiner Bücher im Vergleich mit dem Kinsey-Report fragte, erfuhr er: ,,Religion is much more popular than sex this year." Überhaupt hatte das Ganze nicht wenig mit Werbung und Popular Culture zu tun. Eine Puppe wurde verkauft, die sich zum Gebet niederknien konnte und Schlager wie ,,1 Believe", "Vaya con Dios" oder ,,Big Fellow in the Sky" stürmten Mitte der 50er Jahre die Hitparaden. vgl. Angermann 91995, S. 356f. 57 Vgl. Dieter Oberndärfer. Von der Einsamkeit des Menschen in der modemen amerikanischen Gesellschaft. Freiburg 21961.
II. Die zweite Phase: Isolation und neuer Aktivismus
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,,After the American religious depression of the 1930s and the preoccupations of the World War II, it became dear that by around Americans needed a meanS of justifying their complacencies, soothing their anxieties, pronouncing benedictions on their way of life, and organizing the reality around them. Millions tumed to religion, and Protestantism profited from the retum to religion.,,58
Doch nicht alle protestantischen Gemeinschaften profitierten von diesem Boom. Im Gegenteil, der "triple-melting-pot" der Nachkriegsjahre, bestehend aus Protestanten, Katholiken lUld Juden, verschwand. An seiner Stelle bildeten sich eine Vielzahl neuer religiöser VerbindlUlgen sowie ein verändertes Kräfteverhältnis der Bekenntnisse lUltereinander. Seit 1952 sinkt die Zahl der Protestanten in der Gesamtbevölkerung kontinuierlich von 67% auf den heutigen Wert von 56%. Demgegenüber nimmt die Zahl der Katholiken während der letzten 30 Jahre kontinuierlich zu. Heute sind, bedingt durch eine vermehrte katholische Einwanderung lUld eine hohe Geburtenrate, 26% der amerikanischen Bevölkerung katholischen Glaubens. Im gleichen Maße, in dem die Protestanten Mitglieder verloren, konnten die Katholiken Mitglieder hinzugewinnen. 59 Dieser sich in den 50er Jahren abzeichnende Niedergang betraf durch die Bank die liberalen protestantischen Kirchen. Es kam dabei weniger zu Kirchenaustritten, sondern die Jüngeren blieben den Gotteshäusern mehr lUld mehr fern. Die These von der fiir die Kirchen verlorenen Generation machte die RlUlde. Trends, die die religiöse Partizipation lUld die Mitarbeit in der Kirche lUltersuchten, zeigten, daß in den 50er Jahren die UnterstütZlUlg fiir die Institution durch die Gläubigen noch relativ hoch war, seitdem jedoch ständig nachläßt. Die moderaten liberalen Kirchen, die sogenannten ,,Main-Line-Churches" (Methodisten, Preshatten besonders darlUlter zu byterianer, Kongregationale lUld Episkopale leiden. Doch auch die Katholiken mußten bei der Heiligen Messe auf manchen Gläubigen verzichten. 61
tO
58
S.256.
Vgl. Hunter 1987, S. 44; und Martin Marty. A Nation ofBehaviors. Chicago 1976,
59 Vgl. Wade Clark RooflWilliam McKinney: ,,Denominational America and the New Religious Pluralism.", in: ANNALS 480 (1985), S. 24-38, S. 27. Die jüdische Gemeinde verlor im Vergleich zu den beiden anderen ebenfalls Mitglieder. 60 Tatsächlich ist dieser Begriff niemals eindeutig gewesen. Er wird für Kirchen verwendet, deren Führungsschicht sich mehr in Richtung eines politischen Liberalismus orientiert, und dessen Basis in ihrer religiösen Praxis weniger evangelisch ausgerichtet ist. Gleichzeitig urnfaßt er auch einige Kirchen, die eine lange evangelische Tradition haben, wie die Methodisten oder Teile der Täufer (Baptisten). 61 1952 nalunen noch 74% aller Katholiken einmal in der Woche an einer Messe teil. 1985 waren es noch 51%. vgl. RoojlMcKinney 1985, S. 29.
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B. Von der "Old Religious Right" zur "Christian Right"
Gleichzeitig kormten andere Kirchen einen enormen Mitgliederzulauf registrieren. Der zweite Blick verriet dem Interessierten, daß nahezu alle diese Kirchen konservativ ausgerichtet waren. Unter ihnen waren Körperschaften wie die "Seventh-Day-Adventists", die "Church of Nazarene", die ,,Assernblies of God", die Heilsarmee lUld einige pfmgstlerische lUld ,,Holy Churches"; alle waren fast ausnahmslos protestantisch-evangelikaler oder fundamentalistischer Prägoog. Seit Ende der 50er Jahre wiesen diese Kirchen phänomenale Wachstumsraten von 60-70% auf. Die "Southern Baptists" wurden 1967 zum größten protestantischen :::inzelbekermtnis. In diesen konservativen Kirchen sind hauptsächlich die jlUlgen Erwachsenen häufiger anzutreffen: Mehr als 50% der Zeugen Jehovas gehören zum Beispiel zu dieser Kategorie. 62 Tabelle 1 Mitgliedergröße von ausgewählten Bekenntnissen 1960 und 1990 (Mitgliederzahlen in Tausend und Veränderung in Tausend, Prozentanteile an der Gesamtmitgliederzahl und Prozentdifferenzpunkte) Bekenntnisse
Baptists Southem Baptist Episcopalians United Methodists Presbyterians Refonned Church United Church of Christ Adventists Pentecostals Roman Catholics Jehovas 's Witnesses Gesamtmitgliederzahl Gesamtbevölkerung
Mitgliederzahlen in tsd. in% 1960-90 1960
in tsd. 1960
in tsd. 1990
21149 15038 3444 10641 4333 2726 2241 355 1892 42105 250
32788 9732 2446 8905 4281 2176 1599 751 9891 58568 858
11639 5307 -998 -1736 -53 -551 -642 396 7999 16463 608
114450 178464
156435 248710
41985 702246
in% 1990
o/o-Pkte 1960-90
18.5 8.5 3.0 9.3 3.8 2,4 2,0 0.3 1.7 36.8 0.2
21.0 9.6 1.6 5.7 2.7 1.4 1.0 0.5 6.3 37.4 0.5
55.0 54.5 -29.0 -16.3 -1.2 -20.2 -28.6 111.4 422.7 39.1 243.3
100.0 155.9
100.0 159.0
36.7 39.4
Quellen: Yearbook of American and Canadian Churches 1960 und 1992.
Warum war der ,,Evangelicalism" so plötzlich, nachdem er nahezu eine Dekade in der Vergessenheit geschlummert hatte, attraktiv geworden? Einige Wissenschaftler haben dafür externe Faktoren verantwortlich gemacht. Jeffrey Hadden63
62
63
Vgl. RoofIMcKinney 1985, S.32 leffrey HaddenlCharles Swann: Prime Time Preachers. Reading, Mass. 1981.
II. Die zweite Phase: Isolation und neuer Aktivismus
127
hat ausgefiihrt, daß die Fähigkeit, die mikroelektronischen Möglichkeiten dieser Zeit zu nutzen, bei den ,,Evangelicals" ausgeprägter waren als bei anderen Gruppen. So war es ihnen möglich, in kurzer Zeit die Computertechnologie zu adaptieren, ein ausgedehntes Satelliten- und Kabelfernsehnetz zu bedienen und dadurch eine größere Anzahl von Menschen zu erreichen. Älmlich argumentiert George Marsden64 • Seiner Ansicht nach konnten die bestehenden Institutionen der ,,Evangelicals" den neuen Enthusiasmus absorbieren. Frances FitzGerald61 schlägt in die gleiche Kerbe. Für ihn sind die Veränderungen auf dem Fernsehund Radiosektor ein Hinweis für den Erfolg. Dadurch wurde es den religiösen Gruppen gestattet, Sendezeit zu kaufen. Dies kam insbesondere den ,,Evangelicals" zugute, da sie es gewohnt sind, mit Hilfe öffentlicher Appelle um Geld zu bitten. Dean Hoge66 vermutete, daß das Anwachsen der evangelikalen Gruppen ein Abfallprodukt der demographischen Veränderungen ist. Er fiihrt Untersuchungen an, aus denen hervorgeht, daß die ,,Evangelicals" eine höhere Geburtenhäufigkeit haben als ,,non-Evangelicals". Das ,,Heartiand" der ,,Evangelicals", der Süden der USA, verzeichnet seit den 50er Jahren einen kontinuierlichen Bevölkerungszuwachs. Da ,,Evangelicals" dort schon fest verwurzelte, lebendige, lokal verankerte Kirchen hatten, wuchsen diese, so Hoge, quasi von selbst. Einfach deshalb, weil Migranten dazu tendieren, in bereits bestehende Vereinigungen einzutreten. Einen weiteren Erklärungsansatz bietet die klassische Studie von Dean Kel-
lel 7 mit der ebenso klassischen Fragestellung als Titel "Why are Conservative
Churches Growing?". Für Kelley liegt die Antwort in den großen kulturellen Veränderungen, die die Amerikaner vollzogen haben. Verkürzt gesagt behauptet er, daß Kirchen, die ihren Mitgliedern strenge Verhaltensmaßregeln auferlegen und eine einheitliche Theologie offerieren, sich ausbreiten. Dies gelingt ihnen, weil sie dadurch den immer gegenwärtigen Erwartungen nach ethischen Anweisungen und der Suche nach einer letztendlich gültigen Wahrheit innerhalb einer Gesellschaft entsprechen. Liberale Kirchen fragen und fordern wenig, und deshalb laufen ihnen ihre Mitglieder davon. Lawrence Burkholder verkürzt diese
Vgl. Marsden 1983, S. 156. Frances FitzGerald: ,,A Reporter at Large: A Disciplined, Charging Army.", in: The New Yorker 18. Mai 1981. 66 Dean R. Hoge/David A. Roozen (Hg.): Understanding Church Growth and Decline 1950-1978. New York 1979. 67 Dean M Kelley: Why are Conservative Churches Growing. A Study in Sociology of Religion with a New Preface for the Rose Edition. Macon, Ga. 31986. vgl. These S.xXII: ,,( ... ) the 'business'of religion is to explain the ultimate meaning of life ( ... ) that the quality which makes one system of ultimate meaning more convincing than another is not its content but its seriousness, strictness, costliness, bindingness." 64
61
128
B. Von der "Old Religious Right" zur "Christian Right"
These noch weiter. Für ihn ist der Erfolg der ,,Evangelicals" damit zu erklären, daß sie auf schwierige Fragen einfache Antworten parat hätten. Dagegen variiert David Yankelovich Kelleys Argumentation dahingehend, daß er das evangelische Phänomen als eine direkte Reaktion auf die hedonistische Lebenswelt der 60er und 70er Jahre ansieht. 68 Als Essenz bleibt festzuhalten: Die konservativ-evangelischen Kirchen haben seit Ende der 50er Jahre einen enormen Mitgliederaufschwung zu verzeichnen, während gleichzeitig die Dominanz der ,,Main-Line-Kirchen" kontinuierlich abnimmt (vgl. Tabelle I). Dieser Wandel vollzog sich weitgehend unbeachtet von der amerikanischen Öffentlichkeit, da die über lange Zeit dominierenden evangelisch-protestantischen Werte ihren verbindlichen Charakter innerhalb der Gesellschaft verloren hatten.
3. Das Zeitalter des Aquarius: Die Zeit der Krise Während John F. Kennedy Anfang der 60er Jahre von den neuen Grenzen sprach, lösten sich die alten sozialen Grenzen gerade auf. Die Bürgerrechtsbewegung riß vehement die gesellschaftlichen Schranken nieder. Fernsehübertragungen von verprügelten Marschierern und ausgebombten Kirchen rüttelten am kollektiven Gewissen der Nation. Als der Supreme Court im Verfahren Brown vs. Board of Education of Topeka 1954 bzw. 1955 entschied, daß die Rassentrennung an Schulen verfassungswidrig sei, bedeutete dies den eigentlichen Durchbruch. In den nachfolgenden Jahren verabschiedete der Kongreß Gesetz auf Gesetz, welche die Beziehungen von Weißen und Schwarzen auf eine völlig neue Grundlage stellten. 69 Die schleppenden Gerichtsverfahren und die Blockade der Behörden vor Ort löste die schwersten Rassenunruhen in der jüngeren amerikanischen Geschichte aus. Insbesondere im Süden kam es zu gewalttätigen, progromartigen Ausschreitungen und rassistisch motivierten Aufhetzungen, bis schließlich der ganze Süden in Flammen stand. Erst 1963 verfolgte die Bundesregierung mit Nachdruck die "equal right" und "equal opportunity" Gesetzesvorgaben. Nicht nur die Beziehungen von Schwarzen und Weißen wandelten sich, sondern auch das Verhältnis zwischen Geschlechtern und Generationen. Büstenhalter
68 Zu Yankelovich und Burkholder vgl. Grant Wacker: "Searehing for Norman Rockwell.", in: Neuhaus/Cromartie 1987, S. 327-354, S. 331f. 69 Vgl. Richard Kluger: Simple Justice. The History ofBrown vs. Board ofEducation and Black America's Struggle for Equality. New York 1976.
II. Die zweite Phase: Isolation und neuer Aktivismus
129
wurden als Symbole der Unterdrückung verbrannt, lUld es wurde eine GCSprache ("Gender correct") kreiert, in der die Anrede Ms. als Zeichen der BefreilUlg der Frau vom Manne galt. Die Frauenbewegoog forderte ein Ende der DiskriminieflUlg auf allen gesellschaftlichen Ebenen. Dabei dachten ihre Vorkämpferinnen nicht nur an die ökonomische Gleichstellung von Mann lUld Frau, sondern sie forderten Einfluß auf die Politik, Abschatnmg des Eherechts, volle Geschäftsfähigkeit sowie das Ende der sexuellen AusbeutlUlg. 7o Der Konformismus der 50er Jahre war seit Mitte der 60er Jahre einer politischen lUld kulturellen FragmentieflUlg gewichen. Teile der Jugend fanden sich zu einer Gegenkultur zusammen, die immer radikaler den Materialismus ihrer Eltern ablehnte. Sie protestierten in ihren äußeren ErscheinlUlgsformen lUld in ihrem Sexualverhalten. Sie nahmen Drogen und tanzten Beat. Das Zeitalter des Aquarius, des Wassermanns, schien angebrochen.
Im gleichen Maße wie bei den Durchschnittsamerikanern der Wunsch nach staatlicher Repression wuchs, wurden die alten Regeln von den Marschierern auf den Straßen oder den Studenten auf den Campussen der Hochschulen wie unnötiger Ballast über Bord geworfen. 71
Thr Protest fand einen Bezugspunkt, in dem alles fokujssiert schien: Vietnam. Sie forderten vehement das Ende des Engagements in Südostasien. Um der Einberufimg zu entgehen, verbrannten sie ihre StelllUlgsbefehle. Sie entzogen sich durch die Flucht nach Schweden oder nach Kanada, lUld sie demonstrierten in den Straßen nahezu jeder amerikanischen Stadt. Amerikaner, die den Krieg unterstützten, äußerten völliges Unverständnis über die Haltung der Verweigerer, lUld diese konnten den Befehlsgehorsam der Älteren nicht akzeptieren. Wo immer sie Autorität ausmachen konnten, stellten sie diese in Frage. Durch das gesellschaftliche Chaos aufgeschreckt, wählte die "schweigende Mehrheit" Richard M. Nixon zum Präsidenten. Er versprach, die traditionellen Werte wiederherzustellen lUld eine sozio-politische Stabilität herbeizufiilrren. Doch statt dessen!stürzte er die Nation in eine ihrer größten politischen Vertrauenskrisen. Für viele Amerikaner schienen nlUl selbst die Gesetze von Moral lUld Führerschaft außer Kraft gesetzt worden zu sein.
70 Umgekehrt gab es auch eine enorme Annäherung der Geschlechter im Äußeren: Blue jeans, indianischer Kleidung nachempfundene Bekleidungsstücke, Parkas und Pelzjacken bildeten eine Art Uniform der Bewegung. Eine immer femininere Herrenmode mit fröhlichen Farben und weichen Formen breitete sich aus (peacock Revolution). 71 Vgl. Nicholas von Hoffman: We Are the People Our Partents Wamed Us Against. Chicago 1968; Harrison Pope. Jr.: Voices From the Drug Culture. Cambridge, Mass. 1971, mit ausfiihrlicherBibliographie.
9 Slt:rr
130
B. Von der "Old Religious Right" zur "Christian Right"
Der liberale Konsens des New Deals war endgültig zerbrochen. Der VietnamKrieg, demonstrierende Schwarze und die Jugendkultur zerstörten die Illusion eines gemeinsamen, über alle Bekenntnisse hinweg akzeptierten guten Nachbarschaftsgedankens.
IH. Im "Dible Delt": 72 Die "Evangelicals" in den 60er Jahren Anfang des Jahrhunderts lautete ein Sprichwort: Wirf irgendwo in den USA ein Ei aus einem fahrenden Zug und du wirst damit einen "evangelical" treffen. Seit Mitte der fünfziger Jahre mußte dieser Zug schon durch den Süden der USA fahren, um dem Sprichwort Geltung zu verschaffen. Als die vorherrschenden, nördlichen Bekenntnisse sich immer mehr der Modeme verschrieben und der Wissenschaft öffueten, wanderte das Zentrum des "evangelicalism" in Richtung des ländlichen Südens. "The fate of evangelicalism was tied to 'a receding and beleaguered small-town-culture,.'m Das ländliche und kleinstädtische Amerika war die Zuflucht des traditionellen Protestantismus geworden. Legt man sozio-ökonomische Parameter an, so lebte der typische Fundamentalist mit unterdurchschnittlicher Bildung und unterdurchschnittlichem Einkommen in einer Kleinstadt im Süden der USA. Heute ist dieses Porträt jedoch immer weniger zutreffend. Im Süden setzte die Industrialisierung, die Modernisierung und die massive, ökonomische Immigration, die im 19. Jahrhundert bereits in den nördlichen Staaten und in Kanada begonnen hatte, mit einer Verzögerung von einem Jahrhundert ein. Der Süden war ursprünglich agrarisch geprägt. Doch die zunehmend glücklosen Farmer waren seit der großen Depression gezwungen, in die Städte des Nordosten zu wandern, um dort Arbeit zu finden. Dieser Trend hielt auch nach dem Zweiten Weltkrieg an. Bereits in den 60er Jahren blieben die meisten in den aufstrebenden Regionen des "Sun-Belts" hängen. Im Jahr 1940 war der Süden noch zu 2/3 ländlich geprägt, doch schon 1960 lebte weniger als die Hälfte seiner Bewohner noch auf dem Land. 74 Die einsetzende Industrialisierung, die besseren Arbeitsmöglichkeiten, lockten immer mehr Einwanderer aus anderen Staaten in Vgl. Abb. 2. David Bumer, in: Kenneth D. Wald: Religion and Politics in the United States. Washington, D.C. 21992, S. 224. 74 Vgl.Ammermann, 1992, S. 39. 72
73
rn. Im ,,Bible Belt": Die ,,Evangelicals" in den 60er Jahren
131
den Süden. Schon bald übertraf der Zuzug aus anderen Staaten die innerstaatliche Migration. Die Neuankömmlinge verwandelten die bis dahin homogen gebliebenen Kleinstädte in ein pluralistisches urbanes Milieu. Es entstand eine Welt mit veränderten Rassen- und Geschlechterbeziehungen, in der sich die "southerners" kaum wiederfinden konnten. Sie wurden vom Sog der sozialen Veränderungen mitgerissen. Von der, in jeder Beziehung ländlichen, Peripherie wurden sie in ein modemes Umfeld transferiert. Dort waren sie zunächst auf der Seite der Modernisierungsgewinner. Sie stellten vorerst die Mehrheit der Bevölkerung. Ihr Einkommen und Bildungsgrad nahmen, im Vergleich zu anderen Bekenntnissen, sprunghaft zu. Es gelang ihnen, nahezu alle lokalen Institutionen unter ihre Kontrolle zu bringen, und ihr rigides Wertesystem half ihnen, die säkularen Entwicklungen der Gesellschaft weitgehend zu ignorieren. Diese komfortable Situation änderte sich, als sich eine Reihe von unkontrollierbaren Entwicklungen im Süden bemerkbar machte. Die erhöhte Zuwanderung, die Omnipräsenz des Fernsehens und die verstärkt sozialpolitisch agierenden Bundesbehörden gehörten zu den Kräften, die von den Religiös-Konservativen als die Träger feindlicher Wertvorstellungen angesehen wurden. ,,In the large towns and cities where the Evangelicals rnigrated, they found themselves no longer in the overwhelrning majority, but as a merely a new set ofplayers competing for influence. The city was horne to many of the forces that struck at the heart of the social values that had sustained the traditional universe.,,75
Doch die ,,Evangelicals" profitierten fiirs erste wieder von den Veränderungen der 60er und 70er Jahre. Der Niedergang des liberalen, wissenschaftlichen und säkularen Establishments schien den ,,Evangelicals" in ihrer Ansicht, daß das Werte- und Normensystem völlig verrottet und zum Untergang verdammt sei, Recht zu geben. Die Suche vieler Menschen nach Halt und Orientierung fiihrte einige in die bestehenden Institutionen der ,,Evangelicals". Persönliche Kontakte in kleinen Gruppen und gemeinsames Bibelstudium und Gebet verhalfen den ,,Evangelicals" zu einem beträchtlichen Wachstum Anfang der 70er Jahre. Die Jugendkultur war fiir sie ein Zeichen des Autoritätsverlustes der liberalen Kultur. Ausdruck dieser Liberalisierung waren Gesetze, die die ungehemmte Freizügigkeit förderten, die Homosexuelle oder Abtreibung tolerierten und die die Säkularisierung der Schulen und öffentlichen Einrichtungen forcierten. 76
75 Kenneth D. Wald: "The New Christian Right in American Politics: Mobilization Amid Modemization.", in: Religious Resurgence and Politics in the Contemporary World. (Hg.) E. Sahliyeh. New York 1990, S. 49-65, S. 64. 76 Die meisten ,,Evangelicals" standen allerdings in der Kontroverse um den Vietnamkrieg auf Seiten der Nation. Mit machtvollem Patriotismus verteidigten sie diese,
132
B. Von der "Old Religious Right" zur "Christian Right"
Konfrontiert mit einer wnfassenden Autoritätskrise und einer pluralistischfragmentierten Gesellschaft verwiesen die ,,Evangelicals" auf die alleinige Autorität Gottes, sichtbar geworden in der Bibel und ihren Geboten. Die Unfehlbarkeit der Bibel wurde fiir die entstehende religiös-konservative Bewegung zum wichtigsten symbolischen Glaubenstest. 77
IV. "The Party in Crisis": Religion und Parteien im Wandel Eine weitere Entwicklung, die das ganze politische System der USA grundlegend verändern sollte, war die Neustrukturierung des amerikanischen Parteiensystems. Der New Deal war dabei die bedeutendste Wegmarke auf der Marschroute dieser Umstrukturierung. Er produzierte Koalitionen auf der Basis von Regionen, Religion, Ethnien und aufgrund von sozio-ökonomischen Kategorien. Südstaatler, Katholiken, Juden und Schwarze sowie Gewerkschaftsmitglieder galten seit diesem Wendepunkt meist als Demokraten, und die nördlichen weißen Protestanten galten mehrheitlich als Republikaner. Doch seit den 50er Jahren wurden Südstaatler, Katholiken und Gewerkschaftsmitglieder in ihrer politischen Ausrichtung in zunehmendem Maße weniger demokratisch und mehr republikanisch. Im Gegensatz dazu lösten sich die nördlichen weißen Protestanten etwas von den Republikanem. 78 In den 70er Jahren ließen sich erstmals, anhand der Häufigkeit des Kirchenbesuchs, parteisignifikante Auswirkungen feststellen. Regelmäßige Kirchgänger wurden mehr und mehr zu Republikanern, während
obwohl sie sie innerlich als korrupt und leer ansahen. "The strongest support for the war (Vietnam, Anmerk. d. Verf.), the region that gave the most soldiers and often the best, were the south and the Bible Belt.", vgl. Interview mit M. Novak. 77 Vgl. Marsden 1983, S. 156f. 18 Morton C. Blackwell gibt ein anschauliches Beispiel fiir die Stimmung dieser Jahre im Süden: ,,I became the first republican in my farniliy in 1961. I decided to run for the Republican State Committee and I went to my mother and my father, and I said, ifyou are not going to change YOUT party-registration from the Democrats to the Republicans you cannot vote for me. So my parents gulped and changed their registration. I went to my grandparents, who lived in the same town of Baton Rouge, and asked them to change their registration. They wouldn't do it. They say, we were born Democrats and we will die Democrats." Blackwell war "Special Assistant to the President" unter R. Reagan und verantwortlich fiir den Kontakt zu den religiös-konservativen Organisationen. Heute leitet er das Leadership Institut und ist Mitglied des Council for National Policy. vgl. Interview mit Morton C. Blackwell.
IV. "The Party in Crisis": Religion und Parteien im Wandel
133
diejenigen, die den Gottesdiensten fern blieben, sich eher demokratisch orientierten. 79 Senator Barry Goldwater aus Arizona wurde ein Bannerträger dieses konservativen Umschwungs in den 60er Jahren. 80 Er hatte sich bereits als lautstarker Verteidiger von Senator McCarthy einen Namen gemacht und vertrat eine extreme Form des individualistischen Wettbewerbsdenkens mit minimalen Aufgaben für den Staat. Goldwater war überzeugt, daß Sozial fürsorge , staatliche Subventionen und gewerkschaftliche Organisation nicht nur den liberalen amerikanischen Traditionen entgegenliefen, sondern den einzelnen sogar schwächten und schädigten. In seinen Reden verbalisierte er die Sorge um den moralischen Niedergang Amerikas, der von den liberalen säkularen Kräften ausgelöst worden war. Hinzu kam, als zusätzlicher Bundesgenosse, ein zunehmend liberaler Supreme COurt. 81 Bereits 1958 hatte Goldwater die Aufmerksamkeit konservativer Kreise auf sich gezogen, als es ihm gelang, einen eindrucksvollen Sieg in den Senatswahlen zu erringen. In den 60er Jahren gelang es ihm dagegen nicht, obwohl von Ultrakonservativen in der republikanischen Partei dazu gedrängt, sich gegen Nixon als Präsidentschaftskandidat aufstellen zu lassen. Er brauchte mehr Geld, eine bessere Organisation und mehr Zeit, um eine schlagkräftige Kampagne auf die Beine stellen zu können. Den Kern seiner Anhängerschaft rekrutierte er aus Konservativen aus dem südlichen Kalifornien, dem "tiefen Süden" und dem Südwesten der USA. Seine Kampagne nahm extrem populistische Züge an, insbesondere in seinen rhetorischen Spitzen gegen das Ostküsten-Establishment seiner eigenen Partei. Die große Mehrheit der Wähler sowie die Republikanische Partei waren schließlich nicht bereit, seinem extremen Konservativismus zu folgen (u.a. hielt er einen atomaren Krieg für gewinnbar).
79 Vgl. Ji/l K. KiecoltlHart N. Nelson: ,,Evangelical and Party Realignement 19761988.", in: Social Science Quarterly 72 (1991), S. 552-569, S. 553. Die Auswirkungen auf ,,Evangelicals" im Süden sind allerdings nicht so dramatisch, wie auf ,,Evangelicals" außerhalb des Südens. Diese tendieren noch stärker in Richtung der Republikaner, als die ,,Evangelicals" im Süden. Die Anzahl republikanischer "White Evangelicals" und ,,nonWhite Evangelicals" ist nahezu gleich. Zur Erklärung verweisen KiecoltlNelson auf die konservative regionale Kultur des Südens, die, verstärkt durch den religiösen Faktor, ein günstiges republikanisches Klima erzeugt und somit Druck auf die alten demokratischen Loyalitäten ausüben könnte. 80 Vgl. Kurt L. Shell: Der amerikanische Konservativismus. Stuttgart u.a. 1986, S. 104-106. 81 Vgl. Francis Canavan: "The Impact ofRecent Supreme Court Decisions on Religion in the United States.". in: Journal of Church and State 16 (1974) 2, S. 217-236.
134
B. Von der "Old Religious Right" zur "Christian Right"
Seine Niederlage 1960 war vernichtend. Die Einbrüche ins demokratische Wählerreservoir, wie sie Eisenhower und ZUl11 Teil Nixon (1952, 1956, 1960) gelungen waren, schienen lediglich Ausrutscher gewesen zu sein. Die Demokraten stellten nicht nur den Präsidenten, sondern auch die 2/3-Mehrheit in beiden Kammern des Kongresses. Diese strategische Mehrheit ermöglichte es, die großen Reformprojekte des New Deal und der Great Society zu beenden. Die Goldwater-Kampagne hatte jedoch nachhaltigere und längerfristigere Auswirkungen als zunächst vermutet. Die "grass-root" Aktivisten in den lokalen Partei organisationen, die Goldwater unterstützt hatten, blieben weiterhin aktiv; und sie waren konservativer als die eher pragmatisch orientierten Kongreßabgeordneten der Partei. Aus dieser "dass of 1964" gingen viele hervor, die sich später in der "Christian Right" Bewegung wiedersehen sollten. "There were many of us who where active in the Goldwater-movement (... ) many of us who did not give up politics (... ) came to the Washington area, and were active in other aspects ofthe public policy process. (... ) Paul Weyrich (Mitgriinder der CR, Anmerk. des Verf.) came to town. (... ) Richard Viguerie (Mitgriinder der CR, Anmerk. des Verf.) came out of the same Goldwater-movement. He came to Washington and became the nation's leading expert in direct mail.,,82
V. Die dritte Phase: Unter dem Banner des Herrndie "Evangelicals" auf dem Vormarsch in den 70er Jahren Die Mehrheit der amerikanischen ,,Evangelicals" hatte sich für mehr als fiinf Jahrzehnte aus der Politik zurückgezogen. Punktuelle Mobilisierungen, wie der Anti-Kommunismus-Feldzug von Hagis und McIntyre, blieben die Ausnahme. Die pietistischen Pflichten des einzelnen sowie der Auftrag zur Missionierung überwogen die politische Partizipation. Die ,,Evangelicals" verwandten ihre Energie für den Aufbau von Kirchen und versuchten, Seelen für Jesus zu gewinnen. Auf nationaler Ebene errichteten sie religiöse Fernseh- und Radiostationen und investierten in Verlagsanstalten. Daneben gründeten sie eine Reihe von Organisationen mit den unterschiedlichsten Aufgaben in den Bereichen theologische Ausbildung, Missionstätigkeit und Unterrichtung der christlichen Laien. Sie waren stolz auf die ständig anwachsende Zahl ihrer Mitglieder und schienen zufrieden, daß sie die politischen Fragen ihren Brüdern in den ,,Main-LineChurches" überlassen konnten.
82 Vgl. Interview mit Morton C. Blackwell.
V. Die dritte Phase: Unter dem Banner des Herrn
135
Doch die 70er Jahre brachten einen entscheidenden Bruch, einen, wie Martin Marty schreibt, "seismic shift" in diesem Verhalten. Die ,,Evangelicals" wenden sich, ausgelöst durch eine Reihe von Ereignissen, der öffentlichen Sphäre zu. Unter dem Eindruck von Pro-AbtreiblUlgsgesetzgeblUlg, der HomosexuellenlUld Frauenrechtsbewegoog, dem nationalen Trauma von Vietnam, schien die Zwei-Reiche-Lehre immer mehr zu verblassen. Die Gerichte, die Gesetzgeber lUld die säkulare Gesellschaft, so schien es den FlUldamentalisten, bedrohten ihre Institutionen lUld ihre Lebensweise, so daß ihnen nichts anderes übrigblieb, als sich zu verteidigen. Die Zwischenzeit war abgelaufen. Die defensive Strategie, der Rückzug in die Isolation, hatte sich nicht bewährt. Die Zeit war reif, zurückzuschlagen. Schon 1963 war eine gewisse Angst im fimdamentalistischen Lager spürbar geworden. Der Supreme Court hatte die morgendlichen Gebete in öffentlichen Schulen verboten. Dies sei nicht, so die richterliche Argumentation, mit der verfasslUlgsmäßigen TrennlUlg von Staat lUld Kirche zu vereinbaren. Dem Staat sei es durch den ersten Zusatz zur VerfasslUlg nicht erlaubt, eine bestimmte Religion mit öffentlichen Mitteln zu f6rdem. 83 Für Christen war es lUlvorstellbar, daß ihre Kinder nicht mehr im Gebet lUlterwiesen werden sollten. Für die FlUldamentalisten schien sich in den nächsten Jahren der Verdacht zu bestätigen, daß sich die säkular geführte Nation verschworen hatte, daß sie einen systematischen Plan entwickelt hatte, um sämtliche religiösen Traditionen in den USA auszuradieren. Zu methodisch schienen die Anschläge gegen ihre Familien, ihre Schulen lUld ihre Kirchen. Als ideologische Quelle identifizierten sie den sogenannten "säkularen Humanismus"84, dem sie mehrere Vorstöße zur Last legten. 85 Im Kongreß sollte ein konstitutioneller Zusatz, um die GleichstelllUlg der Frau zu garantieren, eingebracht werden. Dieser Zusatz, so die FlUldamentalisten, würde die Frau aus ihrer biblisch sanktionierten Rolle als Hausfrau lUld Mutter
83 Vgl. Amendment I.: "Congress shall make no law respecting an establishment of religion, or prohibiting the free exercise thereof; or abridging the freedom of speech, or of the press; or the right ofthe people peaceably to assemble, and to petition the Govemment for aredress of grievances." Amendments to the Constitution of the United States of America. 84 Vgl. Tim LaHaye: Battle ofthe Mind. Old Tappan, NJ. 1979, S. 187: "The battle against humanism, however, is not theological; it is moral. Humanists have totally rejected God, creation, morality, the fallen state of man, and the free enterprise system. As such, they are the mortal enemy of all pro-moral Americans, and the most serious threat to our nation in its entire history." 85 Vgl. Ammermann 1992, S. 40-41 und Robert C. Liebmann: "The Making of the New Christi an Right.", in: The New Christian Right. Mobilization and Legitimation. (Hg.) R.C. Liebmann/R. Wuthnow. New York 1983, S. 227-250, S. 228f.
136
B. Von der "Old Religious Right" zur "Christian Right"
herauslösen. Die staatlichen Einrichtungen nahmen immer weiterreichendere Eingriffe in das Familienleben vor. Sie versuchten, die physische Bestrafimg der Kinder durch die Eltern einzuschränken. Die Steuerbehörden begannen, die Finanzen der religiösen Einrichtungen zu untersuchen, lUll festzustellen, ob diese weiterhin von der Steuerabgabe zu befreien seien. Die immer selbstbewußter auftretenden "gays" benutzten im Kampf lUll ihre Bürgerrechte mehr und mehr die Argillllente der Bürgerrechtsbewegung. In den Augen der Fundamentalisten propagierten sie damit eine zutiefst unriloralische und unbiblische Lebensweise. ZlUll AlptralUll fiir christliche Eltern entwickelte sich die Frage der Kindererziehung. Thren Kindern war es zum einen verboten, in öffentlichen Schulen ein Gebet zu sprechen, zum anderen wurden sie auch noch mit aufklärerischen Ideen (wie dem Sexualkundeunterricht) und hlUllanistischen Idealen infiziert. All dies hatte nichts mit den Überzeugungen ihrer Eltern gemein. Selbst christlichen Schulen wurden von staatlicher Seite Auflagen erteilt, wie der Lehrbetrieb zu gestalten sei, und die dort beschäftigten Lehrkräfte benötigten fiir ihre Zulassung eine behördliche Bestätigung. Schließlich noch Roe vs. Wade. Alle Maßnahmen, die darauf hinausliefen, die traditionelle Familienstruktur und die moralische Gesellschaft zu zerstören, kullUllinierten in der Entscheidung, Abtreibung zu einem Gegenstand persönlicher Entscheidung zu machen. Während die konservativen evangelischen Kirchen sich eines ,,revivals" an Mitgliedern erfreuten, so wurden sie in ihrem Verständnis nach und nach aus ihren subkulturellen Institutionen hinausgedrängt. Es setzte sich die Einsicht durch, daß die christliche Nation fiir immer untergehen würde, falls "die Kinder Gottes" nicht lUll ihre Prinzipien kämpfen würden. Die gegenwärtige Generation sei aufgerufen, sich gegen dieses gottlose und korrupte Regime zur Wehr zu setzen, sonst würde es vielleicht keine weitere Generation von Gläubigen mehr geben.
1. Die Zentren der Macht: "Super Church" und "Electronic Church"
Doch diesmal schienen sie fiir ihre Aufgabe besser gerüstet zu sein. Als Anfang des Jahrhunderts die Fundamentalisten fast genau dieselben Ängste und Nöte verspürten, waren sie gezwungen, über Nacht Organisationen und Institutionen ins Leben zu rufen, lUll aktiv werden zu können. Wie gezeigt waren diese Gebilde alles andere als stabil und finanziell potent. Um es vorweg zu nehmen: Ende des 20. Jahrhunderts kam alles ganz anders. Die aus ärmlichen Verhältnissen stammenden "working-class" Fundamentalisten der 30er und 40er Jahre, die Landarbeiter mit geringer Bildung und die Kleinbürger, hatten eine Generation
v. Die dritte Phase: Unter dem Banner des Herrn
137
von ,,middle-class" Kindern aufgezogen (vgl. ökonomische Entwickltmg im Süden). Die Südstaatler, die in die Städte gezogen waren, hatten mm größere ökonomische Ressourcen zur Verfiigung. "The people inside Fundamentalism simply had more money to give to their churches, money that helped to fuel the institutional boom. ,,86 Diese zweite Generation konnte es sich leisten, Schulgeld an christliche Schulen zu bezahlen und Spendenschecks an christliche Fernsehprediger auszustellen. Sie konnte es sich leisten, größere und besser ausgestattete Kirchen zu bauen, die eine noch größere Anzahl von Gläubigen aufuehmen konnten. Und sie konnte es sich leisten, sich politisch zu engagieren. Thre organisatorische Macht manifestierte sich zunächst nirgends so eindrucksvoll wie in den "television ministries". Das Fernsehen ist ein ausgezeichnetes Medium, um Geld zu sammeln. Diese Möglichkeit und die ungenutzten Ressourcen faszinierten die ,,Evangelicals".87 Es wurde nicht nur Geld gesammelt, um die Fernsehsender weiterhin aufrecht erhalten und damit die christliche Botschaft weiter verbreiten zu können, sondern es floß in die vielfaltigsten Unternehmungen und Projekte. Die Prediger schufen bekenntnisähnliche Komplexe, um ihre Missionstätigkeit weiter auszupauen. Es entstanden "colleges" (CBN University, Liberty University), Krankenhäuser (wie das Oral Robert's City of Faith Hospital), Verlagshäuser, Missionsstationen und sogar Vergnügungsparks (Heritage USA).88
86
Ammermann 1992, S. 41.
87 Dabei werden allerdings die Zahlen über die Zuschauergemeinde des ,,religious
Broadcasting" weit übertrieben. Die Zahlen schwanken zwischen 130 Millionen Wld 35 Millionen Zuschauer in der Woche. Gany Gaddy schloß, nach einer wnfangreichen Studie, auf 60 Millionen wöchentliche Zuschauer. Diese Zuschauer setzen sich zusammen aus: Baptisten, Pentecostals Wld aus Wlabhängigen, protestantischen Kirchenmitgliedem aus dem Süden. Die Teilnehmer mit der AuffasSWlg, daß religiöse Organisationen sich öffentlich zu spirituellen, religiösen, ethischen, moralischen, politischen Wld ökonomischen Fragen äußern sollten, sowie daß religiöse Organisationen versuchen sollten, die legislative GesetzgebWlg zu beeinflussen, waren in der wöchentlichen Femsehgemeinde überdurchschnittlich präsent. vgl. Gary D. Gaddy: ,.some Potential Causes and Consequences ofthe Use ofReligious Broadcasts.", in: New Christian Politics. (Hg.) David G. Bromley/Anson Shupe. Macon 1984, S. 117-128. 88 Malise Ruthven schildert, teils amüsiert, einen Besuch im Disneyland des Christentum, das jährlich 6 Millionen Besucher anzieht. vgl. Ruthven 1991, S. 260ff; vgl. Carol Flakes BeschreibWlg der EinrichtWlg der First Baptist Church of Dalles: "The church itself was well equipped for fitness-building, with its own Nautilus machines, saWla, twin gymnasium, skating rink, bowling alleys and raquetball courts ( ... ).", in: Jerome Himmelstein: The Right. The Transformation of American Conservativism. Berkely, Ca. 1990, S. 115.
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B. Von der "Old Religious Right" zur "Christian Right"
Während sich die ältere Generation evangelischer Führer weitgehend auf religiöse Magazine, einige Colleges, Seminare und wenige Radioprogranune gestützt hatte, setzte die neue Elite ganz auf das Fernsehen. Fernsehprediger Rex Humbard versorgte schon 1969 68 Fernsehstationen mit religiösen Sendungen. 1972 wurde sein Progranun schon von 300 Fernsehstationen übertragen. Jimrny Swaggarts Predigtübertragungen aus der Kirche, der Assembly of God in Baton RougelLouisiana, erreichte mehr als 1000 Fernsehanstalten, und er konnte aus den Spenden in Höhe von 30 Millionen US $ sein Bibelzentrurn unterstützen. Pat Robertson, Jim Bakker und Jerry Falwell waren weitere Prediger, die bald mit den Erfolgen der "electronic Church"89 in einem Atemzug genannt wurden. In den 20er Jahren hatten die Fundamentalisten eine große Niederlage hinnehmen müsse. Es wurden eine Reihe von Übereinkünften zwischen den großen Rundfunkgesellschaften und dem Federal Council of Churches geschlossen. Inhaltlich ging es dabei um die Vergabe von Sendezeiten. In Zukunft sollten diese freiwerdenden Sendezeiten, um ein ökumenisch ausgewogenes Progranun zu gewährleisten, nur an Mitglieder der ,,Main-Line-Churches" vergeben werden. Vom Rundfunk ausgeschlossen gründeten die ,,Evangelicals" 1944 ihre eigene Organisation, die National Religious Broadcasters. Diese Gründung änderte jedoch wenig daran, daß sie über zwanzig Jahre nur eine marginale Größe auf dem Rundfunksektor darstellten. Doch schließlich tauchten erste Silberstreifen am Horizont auf.
Seit Beginn der 60er Jahre wurde das rapide Anwachsen der religiösen Fernsehsendungen durch die Liberalisierungspolitik der FCC (Federal Communications Comrnission) unabsichtlich gefördert. Diese erlaubte es nun, Fernsehstationen Sendezeit an ,,religious Broadcaster" zu verkaufen statt diese, wie bisher, kostenlos zu Verfiigung zu stellen. Diejenigen, die in der Lage waren, fiir Fernsehzeiten zu bezahlen, verdrängten die vorwiegend lokalen Kirchen (speziell die der ,,Main-Lines"), die von den kostenlosen Angeboten profitiert hatten. Die fortschreitende Verbesserung der Kabeltechnologie brachte eine Ausweitung der Sendezeiten mit sich. Der Rundfunk und speziell das Fernsehen wurden insgesamt billiger. Hinzu kam, daß religiöse Produktionen, bedingt durch Steuervorteile, nicht den gleichen Produktionskosten unterlagen wie kommerzielle Produktionen. Dazu kam das Verbot von Tabakwerbung im Fernsehen. Dadurch wurden lokale Fernsehsender den geldbringenden, religiösen Sendungen gegenüber aufgeschlossener. Die Qualität der evangelischen Progranune lag zum Teil auch über den
89 Vgl. fiir das folgende: Hadden/Shupe 1981; Reichley 1985, S. 314ft"; Himmelstein 1990, S. 116f.
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Angeboten des durchschnittlichen ,,main-line-Programms". Die logische Konsequenz war, daß lokale Stationen Fernsehgottesdienste auszustrahlen begannen. 9o Thre Zuschauer ließen sich in allen Segmenten der Bevölkerung wiederfinden. Dennoch konnte man den durchschnittlichen täglichen Zuschauer auf eine religiös orientierte, ältere Person, deren Bildungsgrad unter dem durchschnittlichen Bildungsgrad lag, eingrenzen. Der Zuschauer war vorwiegend im Süden beheimatet, wo die Programme gut zu empfangen waren. 91 Diese tägliche religiöse Fernsehgemeinde tendierte in ihren sozialen und religiösen Ansichten in eine konservative Richtung. Sechs von zehn Zuschauern hielten die Bibel fiir unfehlbar und 2/3 aller Zuschauer erklärten, daß sie bereits versucht hätten, jemanden zum Glauben an Christus zu bekehren. Mehr als die Hälfte behauptete, ein ,,Born-Again"-Erlebnis gehabt zu haben, und vier von zehn Zuschauern bezeichneten sich selbst als "far right". Es ist demnach nicht überraschend, daß die Inhalte der religiösen Programme diesen Vorlieben Rechnung trugen. Neun von zehn Programmen referierten über die Bibel. Die Themenvielfalt reichte über die tatsächliche Existenz des Teufels in der Welt, die Hölle, die zweite Wiederkunft Christi bis zum Gnadenakt der persönlichen Errettung eines jeden einzelnen durch Jesus Christus. Die "television ministries" der ,,Evangelicals" monopolisierten ab den 70er Jahren den religiösen Rundfimksektor. Dadurch wurde die religiöse Landschaft in den USA nachhaltig verändert. Eine völlig neue Art der Kommunikation im gottgläubigen Bereich machte es möglich, soziale und religiöse Themen über die einzelne Kirchengemeinde hinaus in jeden interessierten Haushalt zu tragen. Die ,,religious broadcaster" waren mit Hilfe computergestützter Briefsendungen in die Lage versetzt worden, in bisher ungekanntem Ausmaß Spendengelder einzutreiben ("on-the-air Fund-raising").
In den folgenden Jahren nahm die "electronic church" an Bedeutung und Ausdehnung zu, bis sie 1980 ihren vorläufigen Höhepunkt erreichte:
90 Vgl. Razelle Frank!: "Television and Popular Religion: Changes in Church Offerings.", in: D.G. Bromley/A. Shupe 1984, S. 129-138 und Rohert Wuthnow. The Reconstructuring of American Religion. Society and Faith Since World War II. PrincetonINew York 1988, S. 195-197. Er fuhrt aus, daß: "Televison ministries then became one ofthe important new forces shaping American religion in the 1970s. They advanced conservative social and religious ideas, and they appealed to people with similar attitudes.", S. 197. 91 Vgl. Wuthnow 1988, S.196ff. 48% aller Zuschauer religiöser Programme waren 50 Jahre oder älter, 37% der Zuschauer lebten im Süden und 38% hatten keinen HighSchool-Abschluß.
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B. Von der "Old Religious Right" zur "Christian Right"
,,An estimated 130 Million Americans tuned into a religious television program each week, approximately forty-seven per cent of the population, while only forty-one per cent attended church services. Ofthe 8000 radio stations in the United States, 1400 are religious; 30 ofthe nation's 800 television stations are religious. Including smalilocal ministries, radio and television Evangelicals probably take in over one billion dollar each year, the largest being Oral Roberts at $60 million, Pat Robertson at $58 million, Jim Bakker at $51 million, Jerry Falwell at about $50 million, Rex Humbard at $25 million and Jimmy Swaggart at $20 million.'.92
Dabei darf jedoch nicht übersehen werden, daß fiinf von sieben Dollar sofort reinvestiert wurden, tun beispielsweise noch mehr Sendezeit zu kaufen. Neben diesen Fernsehgemeinden entstanden riesige Megakirchen lll1d Hlll1derte von christlichen Schulen, die wiederwn die Basis für den religiösen Konservativismus in den 70ern bildeten. Die GrlU1dlage für den Erfolg von Jerry Falwells Programm bildete seine 18.000 Mitglieder zählende Heimatgemeinde in LynchburglVirginia. Diese befand sich, gemeinsam mit den größten Bekenntnissen des Landes, in einem losen Zusammenschluß mit über 3500 lll1abhängigen Kongregationen in der Baptist Bible Fellowship. Die Fernsehprediger lösten nach lll1d nach die traditionellen FührlU1gseliten der großen evangelischen Bekenntnisse in deren dominanten Rollen ab. Diese hatten sich meist aus den einflußreichen theologischen Seminaren rekrutiert. Die neue Kirchenpolitik konzentrierte sich nlll1 tun die Führer der Mega-Kirchen. 93
2. Die politische Mobilisierung der "Evangelicals" Doch weder der wachsende Einfluß eines mehr konservativen Elements innerhalb des amerikanischen Evangelikalismus, noch die allgemeinen, oben beschriebenen gesellschaftlichen Trends, noch die institutionellen VeränderlU1gen durch die evangelischen "Unternehmer", zeigten Zlll1ächst politische AuswirklU1gen. Der steigende Einfluß eines religiös-konservativen Kerns innerhalb des Protestantismus blieb seltsam folgenlos. Eine Mehrheit der Religiös-Konservativen blieb der politischen Partizipation gegenüber weitgehend reserviert. Sie drängten auch ihre Pfarrer nicht in die politische Aktivität. Studie tun Studie kam Ende der 60er lll1d Anfang der 70er Jahre zu der Feststelllll1g, daß: "the more conservative
92 David E. Harell, in: Donald Turner: ,,Introduction and Historical Overview.", in: Religion and Society in Contemporary America. Heidelberg American Studies: Background Paper 1 (1985), S. 1-17, S. 14; vgl. leicht abweichende Zahlen, in: Wuthnow 1988, S.197. 93 Nach Sandeen haben die religiösen Fernsehimperien, in ihrer Funktion als Sammelbecken und Kaderschmiede, die Positionen, die die "bible institutes" Anfang des Jahrhunderts innehatten, eingenommen. vgl. Sandeen 1970, S. 242.
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one was religiously, the less likely it was that one would be involved in political activities. ,,94 Selbst Jerry Falwelliehnte noch jede politische Betätigung mit dem Hinweis auf die eigentlichen Aufgaben eines Predigers ab. 95 Langsam aber stetig begannen sich die Verhältnisse zu verändern. Eine 1976 durchgeführte Studie zeigte, daß ,,Born-Again" Kirchgänger, im gleichen Maße wie durchschnittliche normale Kirchgänger, bereit waren, sich als Wähler registrieren zu lassen Wld auch beabsichtigten, zu wählen. 1980 zeigten die Auswertungen der Wahlergebnisse, daß sich ,,Evangelicals" überproportional an diesen Wahlen beteiligt hatten. Ein Ergebnis, daß selbst alte Umfragehasen überraschte. Bisher galt, daß die ,,Evangelicals" sowohl aus traditionellen Motiven als auch aufgrWld ihrer sozialen Charakteristika, Wahllokale eher mieden. Ein Wohnsitz im ländlichen Bereich Wld ein Wlterdurchschnittlicher BildWlgsgrad sind im allgemeinen Negativkennzeichen fiir die politische Beteiligung.96 Doch nicht nur die Laien wurden engagierter, sondern auch die Geistlichen politisierten sich. Eine Studie, die 1978 in North Carolina durchgeführt wurde, kam zu dem Ergebnis, daß sich auch die Geistlichkeit fiir politische Themen zu interessieren begann. Konservative Theologen Wld ftmdamentalistische Prediger wetterten aktiv gegen das ,,Equal Right Amendment", gegen die AbtreibWlg Wld fiir das Gebet in öffentlichen Schulen97 . Sie begannen ebenfalls, fiir politische Kandidaten zu werben. 98
94
Wuthnow 1988, S. 198.
95 Vgl. Jerry F alwell 1965: "We have few ties to this earth ( ... ) We pay our taxes, cast
our votes as a responsibility of citizenship, obey the laws of the land, and other things demanded of us by the society in which we live. But at the same time, we are cognizant that our only purpose on this earth is to know Christ to make hirn known.", in: Reichley 1985, S. 316. Warum soll man sich politisch engagieren, wenn die zweite Wiederkunft Christi bevorsteht? 1984, gegen Ende seines politischen Engagements, kehrte Jerry Falwell zu seiner früheren Überzeugung zurück: ,,Believing the Bible as I do; I would find it impossible to stop preaching the pure saving gospel of Jesus Christ and begin doing anything else, including fighting communism, or participating in civil rights reforms. Preachers are not called on to be politicians but to be soul winners. Nowhere we are commissioned to reform the extemals.", in: New York Times, 2. September 1984, S. 11. 96 Um diese Überraschung zu erklären, wurden die demographischen Entwicklungen innerhalb des fundamentalistisch evangelischen Milieus angefiihrt. Besser ausgebildet und besser entlohnt als die Generation ihrer Eltern waren sie in die amerikanische Mittelklasse aufgestiegen. In diesem Milieu begannen sie auch einige ,,main-stream-middle-class" Verhaltensweisen anzunehmen, die eine erhöhte politische Partizipation zur Folge hatten. 97 Der Text, den der Supreme Court fiir verfassungswidrig erklärt hatte, lautete: ,,Allmächtiger Gott, wir erkennen unsere Abhängigkeit von Dir und bitten Dich inständig, uns, unsere Eltern, unsere Lehrer und unser Land zu segnen." vgl. Kepe/ 1991, S. 177. 98 Vgl. Wuthnow 1988, S. 199.
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Doch paradoxerweise wurden die Medien und die größere Öffentlichkeit durch ein Mißverständnis auf das politische Potential der Religiös-Konservativen aufinerksam. Die Kandidatur von Jimmy Carter wurde zwn Anlaß genommen, die Wiedergeburt des Konservativismus in der amerikanischen Religion zur Kenntnis zu nehmen. Time und Newsweek berichteten der staunenden Nation über eine Bewegung der ,,Back to the Oldtime Religion"99. Journalisten versuchten herauszufinden, was ,,Bom-Again" bedeutete, und sie waren überrascht, als sie hörten, daß 40 Millionen Amerikaner von sich behaupteten, ein solches Erlebnis gehabt zu haben. In Anerkennung des plötzlichen rapiden Anwachsens des ,,Evangelicalism" und dessen prominenter Rolle im Präsidentschaftswahlkampf 1976, riefNewsweek das Jahr 1976 zwn "Year ofthe Evangelicals" aus. 100
3. "Fatal Attraction": Die "Evangelicals" und Jimmy Carter Der Wahlkampf von Jimmy Carter setzte das Thema Religion wieder auf die politische Tagesordnung. 101 Die ,,Evangelicals" wurden plötzlich für Politiker als Wählerblock ebenso interessant, wie es vor ihnen der katholische, der jüdische oder der Arbeitnehmerblock geworden war. Als auch noch Carters Widersacher, der Episkopale Ford, erklärte, er sei ,,Evangelical", sahen sich diese am Ziel ihrer Wünsche. Einer der ihren würde Präsident werden.
99 Vgl. ,,Back to That Oldtime Religion.", in: Time 26. Dezember 1977, S.52-58; vgl. Interview mit Michael Novak: "This was the first time when many journalists awoke and saw that there are Evangelical Christians in the United States and that they are important and that they are political powerful. My phone rang, people, journalists called me up and asked me: What does that mean Born-Again? You can go to Harvard and Yale and not leam anything about Evangelicals and they were 30 to 50 millions strong." 100 Vgl. K.L. Woodward: ,,Born-Again.", in: Newsweek 25. Oktober 1976, S. 68-78. 101 Carter wurde fiir die ,,Evangelicals" zu einem ähnlichen Hoffnungsträger, wie es Kennedy 1960 fiir die Katholiken geworden war. Nach der Wahl Kennedys war das katholische Bekenntnis nie mehr ein Makel fiir einen Präsidentschaftskandidaten. Zuvor galten die Katholiken lange Zeit als die fiinfte Kolonne des Papstes in den USA. Kennedy mußte während seines Wahlkampfes immer wieder zum Verhältnis von Religion und Politik Stellung nehmen. Spätere Auswertungen der Präsidentschaftswahl zeigten, daß Religion ein wichtiger Faktor gewesen war. Er half den Demokraten große Teile katholischer Demokraten ZUTÜckzugewinnen, die früher fiir Eisenhower gestimmt hatten. vgl. Paul F. Boller. ,,Religion and the U.S. Presidency.", in: Journal of Church and State 21 (1979) 1, S.5-21, S.18; Nach Michael Novak wirkte Carter als symbolische Führergestalt fiir eine vergessene evangelischen Mehrheit, die sich durch ihn repräsentiert sah. vgl. Michael Novak: Choosing Presidents. Symbols of Political Leadership. New Brunswick,
NJ. 21992, S. 313ff.
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In den Novemberwahlen gaben 56% aller Baptisten Carter ihre Stimme Wld 43% Ford. Die ,,Evangelicals" stimmten nicht nur im Süden, wobei auch der regionale Aspekt eine Rolle spielte, überwiegend für Carter, sondern in solchen Schlüsselstaaten wie Ohio Wld Pennsylvania, gab ihm die ländlich geprägte republikanische Wählerschaft ihr Votum. Da Carter, tungerechnet auf die nationale Ebene, mit 2% vor Ford lag, kann man durchaus behaupten, daß Carter seinen Sieg auch den ,,Evangelicals" verdankte (neben den Schwarzen Wld den Juden). Einmal im Amt, hatten die ,,Evangelicals" den Eindruck, daß sie den Bock Gärtner gemacht hatten. Die RegierWlg machte weder Anstalten, in ihren ,,moral issues" aktiv zu werden, noch berief Carter evangelische Christen in Schlüsselpositionen seiner Administration. Ztun
Den ,,Evangelicals" wäre manche EnttäuschWlg erspart geblieben, hätten sie im Präsidentschaftswahlkampf Carter besser zugehört. Das Verhältnis von Religion Wld Amt war, ähnlich wie bei Kennedy, ein ständiges Wahlkampfthema gewesen. Carter mußte fortwährend Zeugnis über sein Verhältnis zur Religion ablegen. Er pries die Rolle, die Jesus in seinem Leben spielen würde, Wld daß er vor wichtigen EntscheidWlgen stets Gott tun Beistand anrufen würde. Zugleich lehnte er jede VerquickWlg von Amt Wld persönlicher ÜberzeugWlg ab: ,,I've never used political office to force my religious conventions on someone else ( ... ) So there would be no problem in my Presidency in keeping separate religion and govemrnent.,d02
Der "Southern Baptist" Jimmy Carter war schließlich nicht der Mann der FWldamentalisten. Sie erhofften sich von ihm einen aktiven Kreuzzug gegen die Immoralität in der amerikanischen Gegenwart. Er sollte die Restauration der alten Position der Religion Wld der Religiosität im täglichen Wld öffentlichen Leben der Nation vorantreiben. Doch Carter interpretierte den 1. VerfassWlgszusatz in der Weise, daß RegierWlg Wld organisierte Religion, sprich die Kirchen, sich weder aufeinander stützen noch gegenseitige Hilfe voneinander beanspruchen sollten. Historisch waren die "Southern Baptists" schon immer Separatisten gewesen, Wld Carter war keine Ausnahme. Bei wichtigen Staat-KircheEntscheidWlgen votierte er stets zu WlgWlsten der Kirchen. Er lehnte es vehement ab, den Eltern von Kindern, die eine Konfessionsschule besuchten, irgendeine steuerliche ErleichterWlg zu gewähren. Eltern hatten argwnentiert, sie würden doppelt besteuert, indem sie für die staatlichen Schulen indirekt bezahlen müßten, ohne daß diese von ihren Kindern in Anspruch genommen würden. Zusätzlich müßten sie das Schulgeld für die Konfessionsschulen aufbringen. Carter erlaubte 102 Vgl. Jimmy Carter 1976, in: Ronald B. Flowers: ,,President Jimmy Carter. Evangelicalism, Church-State Relations and Civil Religion.", in: Journal of Church and State 25 (1983) 1, S. 113-132, S. 116.
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lediglich eine indirekte Hilfe, zum Beispiel bei der Schulverpflegwlg oder bei Krediten für den Kauf von Schulbüchern. Er versicherte stets, daß er gegen jede Gesetzesinitiative, die Steuererleichterungen für Konfessions- und Privatschulen zum Inhalt hätte, sein Veto aussprechen würde. Weitere Konfliktfelder waren das Gebet und das Lesen der Bibel in öffentlichen Schulen sowie die Besteuerung von Kirchenbesitz. Im ersten Fall bewegte sich Carter auf dem Boden der Supreme-Court-Entscheidung von 1963, in der Gebet und Bibellesen als ,,individual-exercisres" bezeichnet wurden, deren allgemeine Verbindlichkeit in einer öffentlichen Schule nicht verfassungsgemäß wäre. 103 Den Bau von Kirchen sollte man nicht besteuern, so Carter, gleichwohl aber den Kirchenbesitz. Gleich zu Anfang seiner Amtszeit ernannte Carter David M. Walters zum Abgesandten der USA beim Vatikan. Dies hatten schon andere Präsidenten vor ihm getan, wie Roosevelt, Truman, Nixon und Ford (Kennedy hatte aus innenpolitischen Motiven darauf verzichtet). Aus rationalen außenpolitischen Erwägwlgen sprach einiges dafür, diesen Posten wieder zu besetzen. Für die Kritiker Carters war dies jedoch eine Verletzung der "separation of church and state". Carter, so die Kritiker, bevorzuge durch die Entscheidung ein Bekenntnis. Einige Kritiker forderten die amerikanische Regierung auf, sich bei jeder Religionsgemeinschaft zu akkreditieren. Die nächste herbe Enttäuschung für die religiös-konservativen Amerikaner war die Frage von Reportern noch während des Wahlkampfes nach Gottesdiensten im Weißen Haus. Richard Nixon war der erste Präsident, der dort, bevorzugt von Billy Graham, regelmäßig Gottesdienste abhalten ließ. Die Fragesteller vermuteten, dies würde unter einem ,,Born-Again" selbstverständlich auch so sein. Carter verwirrte nicht nur seine Interviewer mit der Feststellung, daß, falls er gewählt würde, er es als eine Verletzung der Trennung von Staat und Kirche ansehen würde, Gottesdienste im Weißen Haus abzuhalten. Er beabsichtige deshalb, dies nicht zu tun. 104 Beim wichtigsten der sogenannten ,,moral-issues", dem Thema Abtreibung, stellte der Präsident für die Abtreibungsgegner ebenfalls keine Hilfe dar. Er teilte zwar aufgrund seiner ethisch-religiösen Überzeugwlg ihre Ansicht, glaubte jedoch nicht, daß ein Verfassungszusatz, der die Abtreibung verbieten würde, zur
103 Vgl. Jimmy Carter, in: Flowers 1983, S. 119: ,J don't favor the State, through the public schools, requiring a certain kind of prayer or worship. I believe that ought to be a decision made by the individual student." 104 Vgl. Jimmy Carter, in: Flowers 1983, S. 121: ,,My own inclination toward worship is to have it as much as possible a private thing. (... ) Ifthere's one thing about the Baptists that sets us aside from other denomination, it's our total and complete commitment to the separation of church and state."
VI. Synopse
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LÖSilllg des Problems beitragen würde. Er setzte dagegen mehr auf Familienplanilllgsprogramme, auf Sexualerziehilllg illld erleichterte Adoptionsverfahren illld ließ die Abtreibilllgspraxis an sich illlangetastet. Im Bereich der Außenpolitik widersetzte sich Carter ebenfalls einer theologisch-religiösen Vereinnahrmmg Wld setzte sein Konzept der Beachtilllg der MenschenrechtelOS konsequent um. Als Mittler im Friedensprozeß im Nahen Osten garantierte er zwar das Existenzrecht Israels, wobei er hinzufiigte, daß er die Existenz des modemen Israels als die Erfiillilllg göttlicher Prophetie ansehe. Gleichzeitig wies er jedoch auf die Berechtigoog der arabischen Position hin. Nicht nur den amerikanischen Juden verursachte diese Einstellilllg illld die daraus resultierende Politik Kopfzerbrechen. Viele ,,Evangelicals" teilten ihre Sorgen. Für sie war die UnterstütZilllg Israels eine christliche Pflicht. Die biblischen Prophezeiilllgen waren eingetreten, denn Israel war in seinen biblischen Grenzen wieder auferstanden. Grenzen, die auch bei einem Friedensvertrag illlantastbar bleiben müßten. Schließlich setzte sich illlteT den religiös-konservativen ,,Evangelicals" die Überzeugoog durch, daß Carter ein Marm sei "who didn't keep the faith."106 Die Religiös-Konservativen, die voller Hoffnilllg in die politische Arena eingetreten waren, sahen sich getäuscht. Trotzdem hatten sie Geschmack am politischen Geschäft bekommen illld sahen sich nach Neuem um.
VI. Synopse Der Fillldamentalismus lebt - illld ohne Mühe lassen sich Kontinuitäten eines fundamentalistischen Engagements von den Anfangen des Jahrhilllderts bis heute nachzeichnen. Die "Christian Right" läßt sich hinsichtlich Ideologie, Themen, Trägerschaft illld MobilisieTWlg durchaus mit der "Old Religious Right" vergleichen. Das theologische Vermächtnis der frühen Fillldamentalisten hat bis in unsere Tage überdauert. Die Wiederkilllft Christi, die Auserwähltheit der USA, die Unfehlbarkeit der biblischen ÜberliefeTWlg illld die prämillenaristische
lOS Vgl. Jimmy Carters Äußenmg beim Besuch von Johannes Paul II in den USA 1979, in der er Menschenrechte und religiöse Freiheit miteinander verbindet: ,,( ... ) that where religious faith is free, human liberty, equality, andjustice may grow (... ) As a nation of faith and vigor, we are committed to deliver the message of human freedom throughout the world.", in: Flowers 1983, S. 126. 106 In seiner Biographie teilt Jimmy Carter diese Ansicht nicht - wie schon ihr Titel ausweist. vgl. Jimmy Carter. Keeping Faith. New York 1982. 10 Slerr
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Orientierung lassen sich ohne Schwierigkeiten in den heutigen Fonnen des Fundamentalismus wiederfmden. Ebenso scheint die Trägerschaft über Jahrzehnte hinweg erstaunlich stabil geblieben zu sein. Der weiße Süden der USA bildet immer noch das ,,Heartiand" der Fundamentalisten. Thre eifrigsten Befiirworter sind jene bibelgläubigen, religiös-konservativ orientierten Amerikaner, die regelmäßig Gottesdienste aufsuchen und sich als ,,Born-Again" bezeichnen. Seit den 20er Jahren kommen uns auch die Themen, fiir die sich die Bewegung engagiert, wie alte Bekannte vor. Die sozial-moralischen Themen kehren in geradezu schöner Regelmäßigkeit wieder. Zu einem richtigen "evergreen" hat sich der gesamte Bereich der Bildung entwickelt, und seit den 50er Jahren ist die Ablehnung des Kommunismus zu einem festen Bestandteil dieses Milieus geworden. Gegen Ende der 70er Jahre ließen sich erhebliche Übereinstimmungen in Rhetorik, Organisationsfonn und Mobilisierung mit der "Old Religious Right" aufzeigen. Erneut war eine Protestbewegung am konservativ religiösen Rand der Gesellschaft aufgetaucht, die von ftmdamentalistischen Fernsehpriestern gefiihrt wurde. Mit messianischer Rednergewalt prangerten sie die bestehenden Verhältnisse an, beschworen das bevorstehende Gottesgericht und predigten Reue und Umkehr. Thre Stärke und Macht bezogen sie aus ihren in den 60er Jahren beträchtlich angewachsenen Kirchengemeinden. Von ihren Kanzeln herab riefen sie ihre Gläubigen auf, einen Kreuzzug um die Seele Amerikas zu führen. Das Grundrnuster schien gleichgeblieben zu sein. Doch ein zweiter Blick verriet, daß sich wichtige Aspekte verändert hatten. Anfang des Jahrhunderts waren die Fundamentalisten noch eine selbstbezogene, stark religiös geprägte Bewegung, die schließlich als eruptive Protestbewegung in Erscheinung trat. Diese Bewegung versuchte die Krisenerfahrungen und die Ängste vor Statusverlusten durch die Forderung nach einem status quo ante der Modeme zu bewältigen. Die "Old Religious Right" reagierte auf diesen ersten Modernisierungsschub mit einem heute klassisch anmutetnden Instrumentarium. Es galt, auf eine Bedrohung der Farnilien- und Geschlechterordnung mit Rigidisierung nach innen und außen zu reagieren. Nicht von ungefähr kamen einem sowohl ihre Rhetorik als auch ihre Strategien als auch ihre ideologischen Dogmen wie Requisiten eines mittelalterlichen Kreuzzuges vor. Der Schwung der Bewegung war Ende der 20er Jahre verbraucht. Sie war dem Struktur- und Wertewandel der größeren amerikanischen Gesellschaft, in der sich Pluralismus, Interessengruppen und eine staatliche Bürokratie immer weiter durchsetzten, hoffnungslos unterlegen. Die Fundamentalisten entpolitisierten sich. Thre mühevoll zusammengehaltene Protestkoalition zerbrach und versandete in religiösen Gemeinschaften. Die entstandenen Grup-
VI. Synopse
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pen spalteten sich zum einen vom Hauptstrom der religiösen Gruppen ab, zum anderen zogen sie sich auch von der sich weiter säkular entwickelnden Gesellschaft in Enklaven zurück. Doch ihr Potential war damit nicht verloren. In der Folge konnte sich eine Subkultur ausbilden, in der die kulturelle Reproduktion der fundamentalistischen Werte und Normen auf das Erste gesichert war. Die vorhandene Basis konnte erhalten werden, im Schutz der Subkultur war es sogar möglich, sie weiter auszubauen. Mitte der 60er Jahre setzte die fortschreitende Modernisierung und die verstärkte Tätigkeit der Zentralgewalten diesem fast paradiesischen Zustand ein Ende. Das fundamentalistische Refugium geriet in Gefahr. Sollten die Werte und Normen dieses Milieus überleben, mußte sich die Gemeinschaft ändern oder auf die von außen kommenden Herausforderungen angemessen reagieren. Die Fundamentalisten entschieden sich, wie die letzte Jahre zeigten, fiir die zweite Möglichkeit. Nicht in der Isolation lag die Lösung, sondern die Enklave mußte verlassen werden. Das Ziel mußte darin bestehen, in die größere säkular dominierte Kultur der USA einzugreifen und sie zu verändern. Die neuen Rahmenbedingungen und die modifizierte Zielsetzung bedingten eine umfassende Transformation der Subkultur unter ideologischen, organisatorischen, strategischen, rhetorischen und personellen Gesichtspunkten. Zunächst wurde auf die alten Rezepte zurückgegriffen. So mutete die neue politische Bewegung zunächst wie eine "OId Religious Right" der 70er Jahre an. Sie war dies aber keineswegs. Es galt eine soziale Bewegung zu formen, die ihre Kraft aus den überkommenen religiösen Wurzeln sog, gleichzeitig jedoch modem, im Sinne von erfolgreich, in ihrer Ausrichtung sein sollte. Es galt mit neuen Themen umzugehen, gesteigerter Medienaufmerksamkeit und unverhohlenem Parteiinteresse zu begegnen, modernste Technik zu beherrschen und vor allem mehr Geld einzusammeln. Des weiteren mußte die neue religiöse Bewegung den veränderten internen Bedingungen Rechnung tragen. "Superchurches" waren entstanden, deren Prediger mit Hilfe der neuen Medien in hunderttausende von Wohnzimmern ihre Botschaften verbreiten konnten. In der Folge wurden sie zur maßgeblichen Instanz in religiösen und moralischen Dingen. Sie liefen den alten theologischen Eliten den Rang ab. Eine Vielzahl von neuen Trägem mußten integriert werden. Die ,'pentecostals" oder "Charismatics" die in den 20er bis 50er Jahren keine Rolle gespielt hatten, waren im folgenden Jahrzehnt zu einer mächtigen Gruppe innerhalb des konservativen Protestantismus herangewachsen. Insgesamt hatte man es in diesen Jahren mit einer breiteren Plattform zu tun. Schwarze, konser-
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vative säkulare Amerikaner und Frauen wurden als potentielle Verbündete zumindestens wahrgenommen. Die Parteienlandschaft hatte sich ebenfalls gewandelt. Die ,,Evangelicals" wurden politisch aktiver und ihre Parteiidentifikation begann sich langsam aber merklich zuungunsten der Demokraten zu verändern. Carter war der erste gewesen, dem es gelungen war, diese vergessene Mehrheit fiir seine politischen Zwecke zu mobilisieren. Die ,,Evangelicals" waren über Nacht zu einem begehrten "voting bloc" in der amerikanischen Parteienlandschaft geworden. Der Themenkatalog wurde verbreitert. Mit Evolutionstheorie und Prohibition allein ließ sich keine erfolgreiche Politik mehr machen. Ein möglichst breites, eigenständiges Programm mit sozial-moralischer Ausrichtung mußte geschaffen werden. Nicht zuletzt wollten die Fundamentalisten dadurch die politische Agenda umfassend und aktiv mitgestalten. Dabei wurden die ideologischen Momente!des Prämilleriniarismus'undldes Dispentionalismus zwar nicht aufgegeben, sie erfuhren jedoch eine Modifizierung hinsichtlich des wieder opportunen politischen Engagements. 107 Trotz aller Dissonanzen und Brüche konnten die Traditionen eines sozialmoralischen Milieus bewahrt werden. Themen, Persönlichkeiten, Ideologie klingen auch im heutigen Kontext überaus vertraut und ohne Zweifel bilden sie das Rückgrat der "Christian Right".
Im Gegensatz zur "Old Religious Right" agiert die "Christian Right" jedoch in der Modeme gegen die Modeme. Sie adaptiert technische Errungenschaften, und ihre Träger haben modeme Bildungssysteme durchlaufen. In diesem Sinn sind sie keine Traditionalisten. Innerhalb dieser Ralunenbedingungen versuchen sie, Veränderungen außerhalb ihres Milieus durchzusetzen und zugleich die Rückwirkungen dieser Aktivitäten zu verkraften. Dies stellt höchste Transformationsanforderungen an das Milieu, wie an die Träger dieses Engagements. Deshalb agiert dieses Milieu mit Hilfe von Organisationen, die sowohl Bewegungsmerkmale aufweisen, aber eben auch eine Interessengruppe, eine Partei oder ein Honoratiorenverband sein können. Gegen Ende des Jahrhunderts betonen religiös-konservative Amerikaner erneut ihre politische Ausrichtung. Diesmal tritt uns ihr Engagement in vieWiltigen Artikulationsformen unter die Augen.
107 Danach kann Gottes Gericht nicht aufgehalten werden, aber Gott wird die, die an ihn glauben, zum Sieg fiihren. Durch das gottgefällige Leben und Handeln dieser Gläubigen kann die Bibel zur dominanten Kraft innerhalb der Gesellschaft werden. "Their strategy seeks to remove the political and institutional barriers to God's law in order to impose the rule ofGod's law (... ) In most instance that must be a 'bottom-up' program." vgl. Ammerman 1992, S. 53f.
c. Das Heilige und das Profane: Aktion und Transformation der Christian Right in den 80er Jahren Als sich der Fundamentalismus und zahlreiche konservative religiöse Vorstellungen nach einer langen Periode des Schweigens gegen Ende des 20. Jahrhunderts wieder Gehör verschafften, da waren es insbesondere zwei Worte, die in der amerikanischen Öffentlichkeit fiir Aufsehen sorgten: ,,Moral Majority". Zwar hatte schon Präsident Richard Nixon von einer "Silent Majority"l gesprochen, doch erst der unabhängige Baptistenprediger Jerry Falwell aus Lynchburg, Virginia erklärte, daß eine Mehrheit der amerikanischen Bürger über den moralischen Niedergang der Gesellschaft bestürzt wäre. Diese besorgte Mehrheit würde nur darauf warten, mobilisiert zu werden. Es gelte, sich fiir einen Kreuzzug bereit zu machen. Reverend Falwell und eine ganze Reihe weiterer, selbstemannter Streiter widmeten sich dieser Aufgabe mit wahrhaft biblischer Inbrunst. Sie akzeptierten die Herausforderungen des säkularen Staates und waren bereit, ihre heilige Welt zu verlassen, um in der profanen Welt fiir ihre Überzeugungen einzustehen. In ihrer Sphäre waren sie Meister ihres Faches. Seit geraumer Zeit hatten sie in ihren Fernsehpredigten gegen die Gottlosigkeit der USA gewettert. Virtuos und wortgewaltig hatten sie die vom Glauben Abgefallen zur Umkehr aufgefordert. Dennoch, trotz Wählerregistrierungen und Informationsveranstaltungen im Präsidentschaftswahlkampf von Jimmy Carter waren ihre politischen Fähigkeiten unterentwickelt - sie waren in der politischen Arena Laien geblieben. Vgl. Andrew A King/Floyd D. Anderson: ,,Nixon, Agnew and the 'Silent Majority': A Case Study in the Rhetoric of Polarization.", in: Essays in Presidential Rhetoric. (Hg.) Theodore Windt/B. Ingold. Dubrique, Iowa 21987, S. 213-225. Die Autoren schildern anschaulich den Versuch Nixons, sich eine breite und vitale Wählerplattfonn zu verschaffen. Die Phrase der 'great silent majority' ("the forgotten Americans, the Nonshouters, the Non-dernonstraters, Black and White, native born and foreign born, young and old, workers and businessmen, public officials and soldiers", S. 213) war der Versuch, eine gemeinsame Identität unter einer heterogenen Anhängerschaft zu bilden. Insbesondere die Auseinandersetzungen innerhalb der amerikanischen Gesellschaft über das Engagement in Vietnam wurden zum willkommenen Testfall einer Mobilisierung der 'silent majority' gegen eine 'vocal minority'. Der Erfolg dieses Konzepts schien sich zumindestens bei der Wiederwahl Nixons in Grenzen zu halten.
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c. Das Heilige Wld das PrQfane
Bis Ende der 70er Jahre hatte sich aus der Gemeinde der "Televangelists" keine permanente politische Bewegung gebildet. Dieses Ziel rückte ZWlächst in immer weitere Feme. Die Euphorie der frühen Carter-Jahre verflog rasch, als dieser das Prinzip der Trennung von Staat und Kirche strenger als frühere Präsidenten verfocht. Voller Empörung wandten sie sich gegen ihren Glaubensbruder, als dieser in den brisanten Fragen wie Abtreibung, Schulgebet, öffentliche Hilfe fiir konfessionelle Schulen und Sexualerziehung an den Schulen eine liberaldemokratische Position einnahm. Die Diskussion um die Besteuerung von Kirchenbesitz, und seine unglückliche Rolle im Geiseldrama mit dem Iran rundeten das negative Bild ab. Zusammengenommen ist es deshalb nicht verwunderlich, daß keiner der bekannten konservativen Fernsehprediger die Wiederwahlabsichten von Jimmy Carter unterstützte. Doch die Suche nach einem Ersatz war nur ein Teil eines weit größeren Problems. Es galt, eine nationale politische Bewegung zu formen. In ihr sollten die zahlreichen lokalen Protestgruppen, die religiös orientierten Amerikaner, die Kirchgänger, die Zuschauer der religiösen Fernsehimperien, die Baptisten, die Pentecostals und alle wahrhaft Gläubigen zusammengefaßt werden. Thr gemeinsames Auftreten und das Programm, daß sie unterstützen würden, müßte von allen Politikern ernstgenommen werden. Vor der Verwirklichung dieses Traumes standen zwei Schwierigkeiten. Wie könnte man eine solche politische Bewegung, mit einem religiös-konservativen Kern an Anhängern, ins Leben rufen? Und wie ließe sich die Aufmerksamkeit der politischen Entscheidungsträger auf diese Bewegung lenken? Die Lösung dieser Probleme durch die Christi an Right fiihrte unbestreitbar zu einer neuen Qualität religiös-konservativen Einflusses in den USA. Doch sie fiihrte auch zu einer Transformation der Bewegung selbst. In den 80er Jahren erlebte die Christian Right Himmel und Hölle, sie stürzte vom Olymp und erklomm ihn wieder. Im Rückblick waren ersten Schwierigkeiten noch am leichtesten zu lösen. Wie vom Goldgräberfieber angesteckt sorgten tausende von Aktivisten fiir eine euphorische Stimmung, und ein einmütiger Konsens über das vorgegebene Ziel verscheuchte Gedanken an Mißerfolg und Niederlage. Erst in den nachfolgenden Jahren wurde den Trägem und Eliten der Bewegung bewußt, welche Schwierigkeiten und welche widersprüchlichen Erwartungen das Lavieren zwischen der profanen und der heiligen Welt mit sich bringt.
Das Verhalten der CR war nicht nur von dem Wunsch bestimmt, professioneller und erfolgreicher zu werden, sondern die Aktionen und die Wandlungen stellen auch den Versuch dar, die in der heiligen Welt ausgesprochen Erwartun-
C. Das Heilige und das Profane
151
gen (zum Beispiel turn America christian) in der profanen Welt einzulösen. Die Widersprüche zwischen diesen beiden Sphären erzeugen ein Dilemma, dem die eR durch Transformationen zu entgehen suchte. 2 Im folgenden werden die Aktionen und die Transformationen der eR in den 80er Jahren aufgezeigt. Dabei wird sich zeigen, daß die eR durchaus die Interessen eines religiös-konservativen Milieus in der politischen Arena vertrat. Allerdings gelang es ihr zum Beispiel im Bereich Ideologietrhemen nicht, ihr religiöses Erbe abzulegen und somit ihrer Basis entscheidend zu verbreitern. Die Bewegung vertrat somit weniger einzelne Themen, sondern propagierte vielmehr ein Weltbild. Dies spiegelte sich auch in der Zusammensetzung und iin Verhalten ihrer Eliten wider. Sie stammten fast ausnahmslos aus einem religiöskonservativen Milieu, hatten einen theologischen Hintergrund und waren nahezu alle im politischen Tagesgeschäft unerfahren. Im Kapitel Mobilisierung und Aktionen wird das Dilemma der eR, die Vermittlung von ,,moral issues" in die politische Arena durch eigens geschaffene Organisationen, deutlich. Die verantwortlichen Eliten und die von ihnen gefiihrten Organisationen waren nur unter ganz bestimmten Konstellationen in der Lage, effektive Interessenpolitik zu betreiben und zählbare Erfolge einzufahren. Zur Strukturierung der Entwicklung der eR dienen sowohl in den 80er Jahren als auch in den 90er Jahren sechs Klassifikationskriterien (TrägerlRessourcen, Ideologietrhemen, Mobilisierung/Aktionen). Anhand dieser Kriterien soll gezeigt werden, wie sich die eR von einer, von religiösen Predigern geleiteten, Honoratiorenorganisation über eine religiös-politische Bewegung zu einer politischen
Die hier oft gebrauchten Verallgemeinerungen, wie Christian Right oder Fundamentalisten, sind stets unter Vorbehalt niedergeschrieben. Beileibe nicht alle so Bezeichneten sahen in politischen Aktivitäten oder in gesellschaftlichen Engagements ihre Mission auf Erden. Zur gleichen Stunde, als Fundamentalisten und Religiös-Konservative in ihren Büros in Washington versuchten, die Exekutive und die Legislative zu beeinfluBen, warteten andere wie durch Ewigkeiten getrennt, auf die Zeit der Verzückung. Jede Stunde müsse man gegenwärtig sein, den Anbruch der tausendjährigen Herrschaft des Antichristen vor der Endzeit, dem ewigen Reich Jesu, zu erleben. Jene Zeit, wenn die wahrhaft Gläubigen, um ihnen die Schrecken dieser Spanne zu ersparen, in den Himmel entrückt werden. Als 1988, das Jahr der ,,Rapture" verstrich, wurde den Gläubigen auch weiterhin bedeutet, in ihrer Hoffung nicht nachzulassen. Sie sollten sich auch künftig fiir die Entrückung bereithalten. Sie sollten in ihren Bemühungen nicht nachlassen, Seelen fiir den Herrn zu retten. Fundamentalisten und Religiös-Konservative konnte man stets in beiden Lagern finden - auf der einen Seite die Lobbyisten fiir Gott und auf der anderen Seite diejenigen, die sich fiir die Zeit der ,,Rapture" bereit hielten. Nie waren sie ein eindeutig zu definierender Block. Nie teilten alle ihre Mitglieder die gleichen Überzeugungen, die gleichen Werte. Nie verfolgten sie die gleichen Ziele.
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C. Das Heilige Wld das Profane
Interessengruppe Wld dann wieder zurück in eine gemeindeorientierte, lokale Bewegoog transformierte.
I. Träger und Ressourcen 1. Die vergessene "Moral Majority" Bereits 1976 hatten einige politisch Konservative versucht, religiöskonservative Unterstützung für den Gouverneur von Kalifornien, Ronald Reagan, zu bekommen. Da seine sozialen Wld moralischen Ansichten mit denen der Religiös-Konservativen übereinstimmten, gelang es ihm bei den Vorwahlen in North Carolina, mit ihrer Hilfe einen Sieg einzufahren. Reagan verlor schließlich nur knapp die republikanische PräsidentschaftsnominieTWlg gegen Ford. Die meisten seiner Anhänger wechselten nWl zu Carter oder blieben den Wahlen fern. 3 Seit Mitte der 70er Jahre formierte sich innerhalb des konservativen Spektrums der USA eine eigenständige Gruppe, die sich, als Gegensatz zu den Altkonservativen, als ,,New Right" bezeichnete. Der, von Kevin Phillips geprägte, Begriff wurde von den so Bezeichneten ohne Zögern übernommen. Prominente Führer der "New Right" waren, neben Kevin PhilIips, Richard Viguerie, Paul Weyrich Wld Howard Phillips.4 Ihre ersten Sporen verdienten sich die meisten ihrer Mitglieder bei der schon erwähnten Präsidentschaftskampagne von Barry Goldwater in den Jahren 1960 Wld 1964. Dabei wurden die ersten organisatorischen Infrastrukturen des späteren New-Right-Netzwerks, wie Postversandlisten, Telephondateien, konservative Publikationen, Massenmedien Wld deren Kommunikationsmöglichkeiten erprobt. Dabei war der strategische Hintergedanke, die von den Liberalen kontrollierten Kommunikationskanäle durch den Aufbau eigener Informationsträger zu umgehen. Trotz der Niederlage Goldwaters blieben diese "JWlgtürken" in der Politik. Im Süden stieg im Laufe der 60er Wld 70er Jahre die Zahl derjenigen, die mit der politischen Wld gesellschaftlichen EntwicklWlg in den USA unzufrieden waren. Ressentiments gegen das OstküstenVgl. Reichley 1985, S. 319. Eine umfassende DarstellWlg der New Right (oberflächlich für die Christian Right), über GIiinder, Organisation, ideologische Konzepte Wld personelle VerflechtWlgen, hat 1980 ihr ehemaliger Mitstreiter Alan Crawford vorgelegt. vgl. Alan Crawford: ThWlder on the Right. New York 1980; vgl. zu den VeröffentlichWlgen der New Right die ZusarnmenstellWlg von Pierard 1982, S. 863-879.
1. Träger und Ressourcen
153
Establishment wurden wach und fielen, als das ganze Ausmaß der Verstrickung und der Korrwnpiertheit der politischen Elite im Watergate-Skandal ruchbar wurde, auf einen fruchtbaren, populistischen Boden. Die Distanz der politischen Elite zum ,,Middle-American" und zum "common man" erzeugte eine Vertrauenskrise, die zunächst den Aufstieg von Jimmy Carter und später den Erfolg von Ronald Reagan begünstigte. Die Anti-Ostküsten-Stimmung erhielt zusätzlichen Aufhieb durch die wachsende demographische, ökonomische und soziale Aufwertung des Südens. Die Staaten des "Sun-Belt" traten aus dem Schatten der nördlichen Staaten und gerieten dadurch in das Licht politischer Strategen wie Kevin Phillips. Er hatte bereits 1972 versucht, eine "Southern strategy" fiir Richard Nixon auszuarbeiten, um eine republikanische Mehrheit jenseits des Ostküsten-Establishments zusammenzubekommen. 5 Für die New-Right Konservativen bedurfte es, nach dem vergeblichen Versuch die Nominierung von Fords Vizepräsidenten Nelson Rockefeller zu verhindern und der späteren Niederlage Fords, keiner weiteren Beweise, daß eine Erneuerung innerhalb der republikanischen Partei nicht möglich war. 6 So suchten sie außerhalb der Partei nach politischem Potential. Sie suchten nach geeigneten Themen, die sich mit einzelnen Kandidaten verbinden ließen. Einmal zusammengefügt sollte dieses Bündnis von einer "grass-root" Basis getragen werden, die stark genug wäre, sich gegen die etablierte Politik durchzusetzen. An diesem populistischen Ansatz wollten sie ihr Netzwerk ausrichten. Den Kern der Unternehmung bildete eine Gruppe von politischen Aktivisten, die mit ihren Organisationen politische Aktionen koordinieren und durchführen konnten. Richard Viguerie hatte Mitte der 60er Jahre ein ,,Fundraising"-Unternehmen auf der Basis von "direct-mail" Listen der Goldwater-Kampagne von 1964 gegründet. Durch die Perfektionierung des "direct-mail" Systems gelang es Viguerie, Spendenappelle in beträchtlicher Anzahl zu verschicken und damit Spenden in beachtlicher Höhe einzusammeln. Die Zahl seiner Mitarbeiter wuchs zwischen 1965 und 1980 auf 300 und die Zahl der Einträge in seinen Datenbanken auf 20 Millionen. 7
Vgl. Michael Minkenberg: Neokonservativismus und Neue Rechte in den USA: Neuere konservative Gruppierungen und Strömungen im Kontext sozialen und kulturellen Wandels. Baden-Baden 1990, S. 110-118. 6 Nach Vigueries Ansicht waren die alten Konservativen unfähig, zu fUhren und ungeeignet, eine organisierte politische Koalition zu schmieden. Aus diesem Grund hätten die Konservativen: ,,( ... ) no organized, continuing effort to exert a political influence on elections, on Capitol Hili, on the news media, and on the nation at large.", vgl. Viguerie, in: Himmelstein 1983, S. 24. 7 Vgl. Crawford 1980, S. 43-47.
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C. Das Heilige Wld das Profane
Paul Weyrich war ebenfalls frustriert von dem Zustand der republikanischen Parteielite. Er versuchte, eine parteiübergreifende Koalition zusammenzubringen, in der sowohl ökonomische und außenpolitische Aspekte als auch soziale und moralische Forderungen ihren Platz haben sollten. Um die praktische Umsetzung dieser Forderungen möglich zu machen, gründete er 1973 die Heritage Foundation. Diese Stiftung sollte sich um den organisatorisch-wissenschaftlichen Part der Unternehmung kümmern (als Gegengewicht zur liberalen Brookings Institution). Im Jahr 1974 gründete Weyrich das "Committee for the Survival of a Free Congress", das geeignete Kandidaten ausfmdig machen sollte, um die etablierten Kongreßmitglieder herausfordern zu können. Einen ersten Erfolg verzeichnete diese PAC-Organisation im Jahr 1976 durch die Unterstützung von Orrin Hatch bei dessen Wahl zum Senator von Utah. 8 Eine weitere Schlüsselfigur ist Howard Phillips. Der enttäuschte NixonAnhänger gründete 1974 die Lobby-Organisation "Conservative Caucus". Die Aufgaben der Organsiation umfassten Rekrutierung und politische Ausbildung geeigneter Kandidaten, die Mobilisierung der Öffentlichkeit und der "grass-roots" bei kontroversen Themen sowie die Veröffentlichung des Abstimmungsverhaltens der einzelnen Abgeordneten. Darüber hinaus versuchte der "Conservative Caucus" durch seine Arbeit die öffentliche Debatte, die ,,national agenda", mit den New-Right Themen zu besetzen. Diese Organisationen hatten sich schon Mitte der 70er Jahre weit entfaltet, und nun war die New-Right auf der Suche, wie es Paul Weyrich fonnulierte: "The New Right is looking for issues people care about (... ) Social issues, at least for the present, fill the bill. ,,9 Diese Ansicht wurden von den anderen des Quartetts geteilt. Alle vier hatten festgestellt, daß sich die alte Rechte zu lange auf die Themen Ökonomie und Außenpolitik versteift hatte. Die New Right wollte diese Themen zwar beibehalten, doch zusätzlich noch soziale Themen, wie ,,Bussing", Abtreibung, Pornographie, Bildung und die traditionellen biblisch-moralischen Werte hinzunehmen. Hinter jedem dieser Schlagwörter verbargen sich ganze Komplexe von Problemen. Probleme, die fiir den durchschnittlichen weißen Arbeiter, sei er BornAgain Christ oder Anti-Abtreibungs Katholik oder konservativer Jude, den Anlaß zu größter Sorge gaben. 10
Vgl. CrawJord 1980, S. 15. Vgl. Paul Weyrich, iIi: Reichley 1985, S. 319. 10 Vgl. Rebecca Klatch: "Cornplexities of Conservativisrn. How Conservatives Understand the World.", in: America at Centwy's End. (Hg.) A. Wolfe. Berkeley, Ca. 1991, S. 361-376. Sie zeigt in ihrem Artikel, in welcher Weise sich die Sorgen der sogenannten .Laissez-Faire-Conservatives", die einen eingeschränkten, staatlichen Einfluß fordern Wld
I. Träger Wld Ressourcen
155
Eine solche konservative Koalition mußte in der Lage sein, nicht nur einen neuen Konservativismus zu kreieren, sondern sie sollte auch Druck auf die bestehenden politischen Parteien ausüben. Konservative Prinzipien sollten wieder die Grundlage des politischen Diskurses bilden. 11 Dabei sollten drei Attribute miteinander verbunden werden. Erstens sollte die Koalition autonom, das heißt unabhängig von beiden Parteien, existieren können. Sie sollte in der Lage sein, sich selbst am Leben zu erhalten und ihre eigene Agenda aufzubauen. Zweitens sollte sie ein Dach bilden, um die verschiedenen konservativen Richtungen, mit einer Vielzahl von Themen unterbringen zu können. Drittens mußte sie ein Netzwerk von politischen Organisationen schaffen. Sie dachten an Denkfabriken (zum Beispiel die ,,Heritage Foundation"), an Organisationen zur Medienüberwachung (zum Beispiel ,,Accuracy in Media"), an Organisationen die zukünftige politische Kandidaten auswählen und ausbilden können (zum Beispiel "Committee for the Survival of a Free Congress") und weitere Organisationen, die fiir die Werbung, fiir das Sammeln von Spenden oder fiir die Mobilisierung der öffentlichen Meinung zuständig sein sollten. Die Hauptschwierigkeit bestand aber im folgenden darin, Bürger fiir ihre Ideen zu mobilisieren. Das Quartett wurde unausweichlich, wie die Motten vom Licht, von der Möglichkeit angezogen, ,,Evangelicals" und Religiös-Konservative aller Bekenntnisse zu aktivieren. Zum einen hatten die Kampagnen von Goldwater und Wallace die Möglichkeit deutlich gemacht, ,,Evangelicals" politisch zu mobilisieren. Zum andern war die Existenz der "electronic church" und der "superchurches" auf evangelischer Seite verführerisch genug. Es war deshalb nur natürlich, daß die New Right sich dieses Kommunikationsnetzes bedienen wollte. Da jedoch keiner der Vier über direkte Kontake ins evangelische Lager verfügte (Kevin Phillips, Weyrich und Viguerie sind Katholiken, Howard Phillips ist Jude), brauchten sie Kontaktpersonen. Dabei erinnerte sich Weyrich der Bekanntschaft des Pädagogen Robert Billings. Sie hatten sich 1976, bei dem gescheiterten Versuch von ~illings, den Staat Indiana im Kongress zu vertreten, kennengelernt. Der bekennende Fundamentalist Billings hatte 1978 die "National Christian Action Coalition" (NCAC) gegründet. Diese Organisation wollte verhindern, daß die Finanzämter rassistisch oder religiös diskriminierenden
die Befiirchtungen der "Social-Conservatives", die gerade den vennehrten staatlichen Einfluß auf alle sozialen Bereiche anprangern, miteinander verbinden lassen Wld schließlich in eine gemeinsame ForderWlg münden: "get the governrnent off our backs". 11 Vgl. im folgenden JL. Himmelstein: "The New Right.", in: The New Christian Right. (Hg.) R.C. LiebmannIR. Wuthnow. New York 1983, S. 13-30, S. 27.
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C. Das Heilige \Uld das Profane
Schulen ihre Steuerbefreitmg entziehen wollten. NCAC sollte Augen tmd Ohren der christlichen Schulen sein tmd diese über sie betreffende bürokratische Aktionen informieren. 12 Gleichzeitig rekrutierte Howard Phillips den ehemaligen ColgatelPalmolive Handelsvertreter Ed McAteer, der ebenfalls über zahlreiche Kontakte in der religiös-konservativen, evangelischen Gemeinde (vor allem bei den Southern Baptists) verfugte. Zu dieser Zeit war diese Gemeinde in einige aufsehenerregende, lokale "grassroot" Operationen verwickelt, die die Emotionswellen bei allen evangelischen Bekenntnissen hochschlagen ließen. 13 Drei völlig tmterschiedliche Themenfelder hatten die Religiösen im Lande erregt. Erstens ein Schulbuchstreit im Staat West Virgina, zweitens die bevorstehende Abstimmtmg über ein Referendum über Rechte fur Homosexuelle in Florida, tmd drittens sollte das ,,Equal Right Amendment" im Kongreß verabschiedet werden. In allen drei Fällen versuchten die ,,Evangelicals" offensiv, ihre Traditionen tmd Werte zu verteidigen. Die Einfiihrung neuer Englisch-Bücher in den öffentlichen Schulen West Virginias löste eine heftige Kontroverse aus. Diese neuen Schulbücher wurden von fimdamentalistischen Eltern als tmpatriotisch, pornographisch, obszön, Religion tmd Autorität entwertend tmd destruktiv fur die Entwickltmg des Kindes tmd der Familie gebrandmarkt. Im Laufe der AuseinandersetZlU1gen kam es zu Schul- tmd Lehrerstreiks, zur zeitweiligen Schließtmg von Schulen sowie zu Sachbeschädigtmgen tmd KörperverletZlU1gen. Obwohl die Schulbücher schließlich angenommen wurden, zeigte der Konflikt zukünftige Schwierigkeiten bei der Akzeptanz neuer Textbücher. Den betroffenen Eltern wurden schließlich wesentlich mehr Mitspracherechte eingeräumt, die es ihnen in der Folge leichter machten, sogenannte "offensive" Bücher aus dem Lehrplan zu streichen. Der ,,Battle of the books" inspirierte zahlreiche ähnliche Kampagnen im ganzen Land. Im zweiten Fall des Jahres 1977 formierte sich eine Graswurzelbewegtmg mit dem Namen: "Save our Children", gegen eine Verordntmg der Dade COtmty 12 In den frühen 80er Jahren, nachdem Billings in die Reagan-Regier\Ulg berufen worden war, wurde die Organisation \Ulter seinem Sohn Bill zu einer AllzweckOrganisation ausgebaut. Lobbying, Kandidatentraining, politische Bild\Ulg fiir ,,Evangelicals" \Uld die Verbreit\Ulg von Publikationen über das Abstimm\Ulgsverhalten der Abgeordenten kamen als neue Aufgabenbereiche hinzu. Die Organisation stand jedoch ab 1980 stets im Schatten der Moral Majority. vgl. Wald 21992, S. 231; vgl. Matthew Moen: "The Christian Right in the United States.", in: The Religious Challenge of the State. (Hg.)MC MoenlL.SGustafson. Philadelphia 1992b, S. 75-102, S. 77. 11 Vgl. fiir das folgende Wald 21992, S. 228-229.
1. Träger und Ressourcen
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Commission, welche die Diskriminienmg von Homosexuellen auf der Basis ihrer sexuellen Präferenz bei Wohnungsvergabe, Arbeitsverträgen und sonstigen öffentlichen Diensten verbot. Diese Organsisation, die von der Sängerin Anita Bryant und zahlreichen religiösen Führern unterstützt wurde, argumentierte, daß durch dieses Gesetz private und religiöse Schulen gezwungen werden könnten, homosexuelle Lehrer zu beschäftigen. Es gelang ihnen durch eine Petition ein Referendum zu erreichen, welches die Verordnung mit großer Mehrheit verwarf. Dies hatte Signalwirkung auf andere Staaten. In der Folge mußten dort ähnliche Gesetze ebenfalls zurückgezogen werden. 14 Seit 1972 engagierten sich Religiös-Konservative gegen die Annahme des Equal Rights Amendment (ERA), welches eine Diskriminierung aufgrund sexueller Präferenzen durch Einzelstaaten und Regierungsbehörden fiir verfassungswidrig erklären sollte. 22 Staaten hatten die Vorlage schon unterzeichnet und lediglich 16 Staaten fehlten zur notwendigen 2/3 Mehrheit. Der unaufhaltsam fortschreitende Ratifizierungsprozeß wurde jedoch jäh gestoppt. Phyllis Schlafly, eine konservative Aktivistin der ersten Stunde, gründete die Organisation "Stop ERA". Es gelang ihr und zahlreichen befreundeten Gruppen, den Ablauf aufzuhalten. Drei Staaten fehlten schließlich zu der notwendigen Anzahl von 38, als der Verfassungsentwurf schließlich aufgegeben werden mußte. In den meisten Staaten, die sich geweigert hatten das Amendment zu unterstützen, lebten große religiöse Gemeinschaften, wie die Mormonen (Utah, Nevada, Arizona) oder die ,,Evangelicals" (alle Staaten des Südens mit Ausnahme von Texas und Tennessee). Aus den konservativen Kirchen in diesen Staaten kamen sowohl die Führer als auch die Aktivisten der Antiratifizierungskampagne. Die Erfolge in diesen Kampagnen waren fiir die Religiös-Konservativen eine
Art "coming out". Endlich war es ihnen gelungen, wie den Feministen und den
Homosexuellen vor ihnen, sich zu organisieren und den säkularen Humanismus in zahlreichen kleinen Schlachten zu schlagen.
Der Stimmungsumschwung war mit Händen förmlich zu greifen. Sie wollten ihre Energien nicht mehr allein darauf verwenden ,,How to Get Saved". Die sozialen und gesellschaftlichen Schocks der 60er und 70er hatten die Grundmauern ihrer Welt erschüttert und künftig sahen sie ihre Aufgabe darin, Gottes Königreich wieder in ihr aufzurichten: "To Turn America Christian".
14 Robert D. Billings sieht gerade in den Konflikten um die Bildung den eigentlichen "evangelical outburst". Seiner Ansicht nach führte die Gesetzgebung des S.C. zu einer wahren Flut von konfessionsgebundenen Schulen. ,,My dad started over 600 such schools in the 70s. He wrote 3 or 4 books on it. And at that time he got connected with Jerry Falwell and he and Farwell started what was the Moral Majority in the late 70s." vgl. Interview mit Robert D. Billings.
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C. Das Heilige und das Profane
2. Die Geburt der Christian Right Die Erfolge der "Grass-root-Evangelicals" waren den säkularen konservativen Parteiaktivisten nicht llllbemerkt geblieben. In ihren Augen galt es jedoch, diese lokalen Zusammenschlüsse in irgendeiner Art lllld Weise zu bündeln, um auch auf nationaler Ebene erfolgreich sein zu können. ,,1t was towards the middle ofthe 1970's, that 1 would say 1972, we began to meet and talk about seriously building a conservative movement in the U.S. It was about the middle of the 1970's which was decided for a varity of reasons that the time was right to involve more traditional values people in the Republican Party, into political activity C••. ). 1 believe it was me, who first formulated this particulary opportunity and 1 said at some point, around 1975, that we, the ideological Conservative Americans were the largest track ofvirgin timber on the politicallandscape C.•. ). We set out systematically to figure out how we could activate many of these people, who were committed to traditional values, activate them politically. And so what? 1 didn't take part in the trip, but Weyrich and Ed McAteer and Howard Phillips.'d5 Die ultra-konservativen Partei strategen der neuen Rechten glaubten, daß ihre moralischen Ansichten von einer großen, jedoch stillen Mehrheit geteilt würden. Der Wille dieser großen Mehrheit würde systematisch von einer liberalen Elite, den sogenannten säkularen Humanisten, übergangen. Möglich wurde dies dadurch, daß diese Elite die Regiefllllg kontrollierte, die nationalen Medien dominierte lllld auch in den meisten Universitäten lllld der Wall Street einflußreiche Positionen besetzt hielt. Im Frühjahr 1979 trafen sie sich bei einer Reise in den Süden mit fundamentalistischen Predigern. Diese träumten, seit den für die Demokraten vernichtenden Kongreßwahlen von 1978, von einer großen konservativen Allianz. "Thöse three (Weyrich, McAteer, Phillips Anmerk. d. Verf.) talked to one of the principles religious broadcasters in the U.S. Jerry Falwell, and in the middle ofthe conversation Weyrich said, 'I know that there exists out there a moral majority in the U.S. that is capable ofbeing organized' .'.16 Zllllächst sträubte sich der Pfarrer, der schon mit Anita Bryant in Florida erste politische Lorbeeren gesammelt hatte, da er fürchtete, nicht genug Geld aufbringen zu können. Es bedurfte einer weiteren Sitzung in einem Motel außerhalb Lynchburgs, um seine Zweifel zu zerstreuen. 17 Schließlich war Jerry Falwell l8
15 Vgl. Interview mit Morton C. Blackwell. 16 Vgl. Interview mit Morton C. Blackwell. 17 Vgl. Sidney Blumenthai: "The Religious Right and Republicans.", in: Neuhaus/Cromartie 1987, S. 269-286, S. 279. 18 Vgl. Angaben zur Biographie von Jerry Falwell in: Shelley Baranowski: "Jerry Falwell.", in: Twentieth-Century Shapers of American Religion. (Hg.) Charles H Lippy.
I. Träger Wld Ressourcen
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von der Idee einer ,,moral majority" überzeugt. Dies war die lang gesuchte Bezeichnung, die fiir eine neue politische Organisation zugleich Name und Progranun sein sollte. Nach diesem Schema organisierte Ed McAteer weitere Treffen mit anderen Fernsehpredigern, wie Pat Robertson l9 und James Robinson. Im Juli 1979 wurde die Moral Majority Inc.(MM), mit Falwell als Präsidenten und Billings als Geschäftsfiihrer, gegründet. Diese war zwar nicht die Mutter aller späteren "Christian Right" Organisationen, sie entwickelte sich jedoch in den kommenden Jahren zum Synonym fiir den politischen Einfluß der CR. Die wichtigsten Organisationen der CR sind in einem Überblick in Tabelle 2 aufgefiihrt. 20
Billings selbst brachte schon einige Erfahrung als Organisationsgründer mit in die MM mit ein. Er hatte bereits 1978 die National Christi an Action Coalition (NCAC) gegründet. 2 1 In den späten 70er Jahren hatten die amerikanischen Bundessteuerbehörden ihre Absicht kundgetan, daß rassendiskriminierende Schulen ihren steuerfreien Status verlieren würden. Die NCAC sollte als "singleissue"-Organisation im Auftrag des Netzwerkes der konservativ-christlichen Schulen Augen und Ohren offenhalten, um diese über bürokratische oder politische Veränderungen zu informieren. Nachdem Robert Billings 1980 durch die Reagan-Adrninistration in das Bildungsminsterium berufen wurde, baute sein Sohn William die NCAC zu einer multifunktionalen christlich-konservativen Organisation aus. Die NCAC verteilte Informationsmaterial, betrieb Lobbying und versuchte konservative Christen zur politischen Partizipation zu bewegen. Sie galt als Erfinder der ,,Family Issues Voting Index", welcher Mitglieder des Kongresses nach Themen aus dem Bereich der Familie bewertete. Dieser Index war so erfolgreich, daß ihn nach und nach sowohl die MM und der Roundtable übernahmen. Neben einem Political Action Committee (PAC) wurde eine Stiftung gegründet, die Christian Education and Research Foundation und ein Verlag, New Century Foundation, angegliedert. Die von ihr herausgegebene Zeitschrift
New York u.a. 1989, S. 132-141; Dinesh D'Souza: Falwell: Before the Millenniwn. A Critical Biography. Chicago, Il. 1987b. 19 Vgl. für biographische Angaben: Edward Tabor Linenthal: ,,Pat Robertson.", in: Lippy 1987, S. 349-356. 20 In den 80er Jahren läßt sich die Anzahl der religiös-konservativ orientierten Organisationen leicht auf mehrere Dutzend erhöhen. vgl. Allen Mike: ,Major Players on the Religious Right.", in: Conservative Digest. 12 (1986), S. 97-110; vgl. Organisationen nach Themengebieten aufgelistet bei: Vern McLel1an: Christians in the Political Arena. Positive Strategies for Concemed Twentieth Century Patriots! Charlotte, N.C. 1986, S. 169ff. 21 Billings erhielt große Teile seiner Ausbildung an der fundamentalistisch orientierten Bob Jones University. Als 25-jähriger erhielt er 1954 den B.A Wld nach einer StudienWlterbrechnWlg 1963 den M.A.
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C. Das Heilige und das Profane
,,Alert" wurde an 1200 fundamentalistische Schwen verschickt. Der Abonnentenbeitrag sowie einzelne Spenden stellten den Löwenanteil des Etats der NCAC dar. Tabelle 2 Die wichtigsten Organisationen der Christian Right Organisation
GründerIFührer
Gründung!Auflösung
National Christian Action Coalition
R. Billings W. Billings
1978-85
Religious Roundtable
EdMcAteer James Robinson
1979
Christian Voice
Richard Zone Robert Grant
1979
American Freedorn Coalition
Robert Grant Gruy Jarmin
1987
American Coalition for Traditional Values
TirnLaHaye
1984-86
Concerned Wornen for America
Beverly LaHaye
1979
Moral Majority
Jerry Falwell Robert Billings
1979-89
Liberty Federation
Jerry Falwell JerryNirns
1986-1989
Freedorn Council
Pat Robertson
Farnily Research Council
James Dobson GruyBauer
1981-87 1981
Council for National Policy
Morton C. Blackwell
American Center for Law and Justicea
Pat Robertson
Traditional Values Coalition
Louis Sheldon
Christian Coalition
Pat Robertson RalphReed
1981 1985 1982 1989
a Das American Center for Law and Justice (ACLJ) ist eine Unterorganisation der Christian Coalition, mit der Aufgabe "proliberty, pro-life, and pro-familiy" Rechtsfalle in beratender Funktion zu begleiten. 1994 waren 25 festangestellte Rechtsanwälte und über 200 Korrespondezanwälte damit beschäftigt in Rechtsstreitigkeiten Positionen der CR bei Gericht vorzubringen. Seit ihrer Gründung 1985 engagiert sie sich besonderes bei ..school-prayer" und "anti-Gay"-Gesetzesinitativen. vgl. The Religious Right in Washington, American Civil Liberties Union, ACLU Homepage, 15.08.1997, S 115, S .3.
Nach und nach wurde die Organisation aber von der MM und Jerry Falwell in den Hintergrund gedrängt. Gegen Ende der ersten Reagan-Amtszeit hatte die
I. Träger und Ressourcen
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NCAC ihren Stellenwert innerhalb der CR weitgehend eingebüßt. Billings sah sich genötigt, die zum Familienbetrieb gewordene Organisation 1985 aufzulösen. Die NCAC war somit nur eine Episode, denn die eigentliche Stunde Null der Christian Right hatte im Januar 1979 in Kalifomien stattgefimden. Dort gründeten die beiden Prediger Robert Grant lUld Richard Zone die Organisation Christian Voice (CV).22 Diese erste christliche Stimme war aus dem gescheiterten Versuch konservativer ,,Evangelicals" entstanden, ein Gesetzesbegehren einzubringen. Sie waren schon seit einiger Zeit an der Westküste aktiv lUld hatten den Staat Kalifomien aufgefordert, Gesetze zu verabschieden, die es Homosexuellen unmöglich gemacht hätten, in Schulen als Lehrer tätig zu werden. In den Aufsichtrat der CV wurden in fimdarnentalistischen Kreisen wohlgelittene Persönlichkeiten gewählt. Unter ihnen der Endzeitautor HaI Lindsey lUld der Sänger, Schauspieler lUld Theologe Bat Boone. Die Mitglieder des CV-Boards verfolgten insbesondere ein Ziel: ,,Even a small percentage of us, following (... ) simple guidelines ( ... ) can be of use to God to set this nation on a new course of rightousness for His glory. ( ... ) Your five duties as a Christian Citzien: 1. Pray 2. Register 3. Become informed 4. Help elect Godly people 5. Vote.,,23
Bereits Mitte der 80er Jahre hatte die Organisation eine Postversandliste auf der 150.000 Laien lUld 37.000 Pfarrer (inklusive 3000 katholischer Geistlicher) gefiihrt wurden. 37 verschiedene Bekenntnisse, so CV, seien Mitglied in ihrer Organisation. Die schätZlUlgsweise 3 Millionen US $ Jahresetat brachten vor allem Katholiken, Mormonen lUld Mitglieder fimdarnentalistischer Glaubensgemeinschaften auf. Eine im Gegensatz zur Moral Majority sehr heterogene Mitgliederschar .24 In ihrer Frühphase hing sie jedoch organisatorisch lUld finanziell arn Tropf der religiösen "broadcaster". Insbesondere Pat Robertson, Kopf der Christian Broadcasting Network, warb in seinen Programmen (700 Club) massiv für CV. Er verschaffte ihnen darüber hinaus Zugang zu hlUlderten weiterer Fernseh- lUld Radiostationen. Jerry Hunsinger, ein ehemaliger United Methodist Prediger, organisierte die Werbe- lUld Spendenkampagnen der CV in den Fernseh- lUld
22 Die Verantwortlichen waren in der Folge sehr stolz darauf, die erste "Christian Right"-Organisation gegründete zu haben: "CV was the first of the new "Christian Right" organizations. CV predates Moral Majority, the Freedom Council, the American Coaliton for Traditional Values and many other." vgl. Christian Voice. The History and Purpose of the Christian Voice. Brief des National Headquarters 0.1. 23 Vgl. Bill Bright: Your five duties as a Christian Citzien 1978, Faltwurfsendung des National Headquarter der CV in Washington, D.C. 24 Vgl. Moen 1989, S. 76.
11 Slerr
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Radioprogranunen. Hunsinger stand auch Robert Billings mit Rat und Tat zur Seite. Billings hatte, bevor er zur neuen Moral Majority gewechselt war, ebenfalls im Policy Committee der Christi an Voice gesessen. In der Anfangszeit tauschten die beiden Organisationen ihre Postversandlisten noch untereinander aus. Große Aufmerksamkeit erlangte die CV mit ihren ,,Moral Report Cards". Seit 1978 wurde das Abstimmungsverhalten von Kongressmitgliedern anband vier großer Themenbereiche bewertet. Je nach Abstimmungsverhalten wurden den Abgeordneten Punkte vergeben, die schließlich addiert wurden. Die Liste beinhaltete zwölf moralische Schlüsselthemen, darunter die Klassiker Abtreibung und Schulgebet sowie Abstimmungsergebnisse über Fragen der nationalen Sicherheit, des Antikommunismus, Bildung, eines ausgeglichenen Haushalts und Steuererleichterungen für Eltern von Privatschülem. Diese Zusanunenstellungen sind im politischen Lobbyinggeschäft durchaus üblich. 25 Interessant wurde die ,,Moral Report Cards" durch die Bewertungsmaßstäbe. Wer 100 Punkte sanuneln konnte galt als ,,morally correct". In den Anfangsjahren führte dies zu erstaunlichen Ergebnissen. Ein katholischer Priester bekam null Punkte, während Abgeordnete, die in ihrem Privatleben weniger vorbildhaft waren, 100 Punkte einstrichen. 26 Die CV will nach eigenen Angaben in den Jahren von 1978 bis 1988 über 30 Millionen solcher Karten verteilt haben. Allein 1980 sollen es an die vier Millionen Stück gewesen sein. 1984 hatte sich die Zahl verdoppelt und 1986 war sie auf 17 Millionen angewachsen. 27 Die CV war, gemessen an den weiteren Christian Right Organisationen, die am politisch orientierteste. Für diesen Zweck hatte sie sich in drei Sektionen unterteilt: (1) Die Christian Voice, Inc. war für das Lobbying zuständig, (2) der Christian Voice Fund beschäftigte sich mit dem Bereich Bildung, und (3) der Christian Voice Moral Govemment Fund fungierte als Political Action Fund,
25 Vgl. Linda L. Fowler: ,,How Interest Groups Select Issues for Rating Voting Records ofMembers ofthe U.S. Congress.", in: Legislative Studies Quarterly 7 (1982), S. 401-413; vgl. die BeschreiblUlg der aktuellen Einflußtechniken bei: John T Tierney: "Organized Interests in the Nation's Capital.", in: The Politics of Interests (Hg.) MP. Petracca. Boulder, Co. 1992, S. 201-220. 26 Die Diskrepanz zwischen persönlicher Moral lUld moralisch korrektem AbstimmlUlgsverhalten veranlaßte die CV in den späteren Ausgaben der ,,Moral Report Cards" folgende Einschränkung beizufiigen: " This rating is not intended, nor implied, to be a statistical judgement of a Congressman's personal moral behavior or relationship with God. ( ... ) While the personal moral conduct of a congressman can be a legitimate issue to consider, when voters make their choices, this rating should not be confused as a judgement in that regard." vgl. Congressional Report Card. 98th Congress 1983 Session (Hg.) Christian Voice. 27 Vgl. Christian Voice. Preserving a Free Society. 0.1.
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dessen Aufgabe vordringlich darin bestand, Spenden fiir Ronald Reagan einzusammeln. 28 Besondere Bedeutung erhielt die Organisation in den Anfangsjahren durch die Arbeit ihres Legislative Director Gary Jarmin, der ein erfahrener und mit allen Wassern gewaschener konservativer Profilobbyist war. Die Moral Majority, Inc. sollte wie die CV ein ökomenisches Bündnis politischer Aktivisten der unterschiedlichsten Bekenntnisse sein. Katholiken, Mormonen, Juden und Protestanten sollten sich in einer Organisation zusammenfinden. Sie sollten über die Bekenntnisschranken hinweg durch ein gemeinsames Ziel geeint werden. Der USA sollte jene jungfräuliche Unschuld zurückgegeben werden, die diese verloren hatte. 29 Tatsächlich wurden drei MM-Organisationen gegründet. Eine Moral Majority Foundation, die sich besonders um Bildungsfragen kümmerte, ein Moral Majority PAC, welches Spenden einsammelte und die eigentliche Moral Majority, Inc. (MM), die als politische Aktionsgruppe tätig wurde. Mit Hilfe der Spendenliste fiir das religiöses Programm "Old Time Gospel Hour" von Jerry Falwell, in welcher 250.000 Großspender verzeichnet waren, konnte die MM schon im ersten Monat 1/3 ihres geschätzten Jahresetats von 3 Millionen US $ einnehmen. 30 Bereits Mitte der 80er Jahre behauptete MM, 300.000 Mitglieder aufgenommen zu haben, darunter 72.000 Pfarrer. Ein Jahr später, so Falwell, wurde die Vier-Millionengrenze überschritten und 1986 sollte die MM 6.5 Millionen Anhänger gehabt haben. 3 1 Daneben behauptete die MM,
28 In den Wahlen von 1980 war der CV-Political Action Conunittee (auch "Christians for Reagan FWld" genannt) der siebtgrößte registrierte PAC. Er soll zwischen 1979 Wld 1980 ca. 400.000 US $ an Spenden eingesammelt haben. vgl. People for the Arnerican Way. Grading the Morality ofElected Officals. A Shady Buisness. Papier für den internen Gebrauch. 0.1. 29 Wer die MM ins Leben gerufen hatte wurde allerdings niemals eindeutig geklärt. Neben Jerry Falwell, Paul Weyrich Wld Robert Billings beanspruchten auch der Senator von North Carolina, Jesse Helms Wld Ed McAteer, diese Ehre für sich. 30 Falwelliiebt einen Witz, der den Erfolg seiner Sammeltätigkeit illustriert: "Quite by accident he and Billy Graham fOWld themselves residing in hell. After two weeks the devil telephoned St.Peter and asked for assistance. The devil said that Billy Graham had missed the point about the end of the world; he was making his way about hell trying to convert people, to save them from wrath to come. Clearly Graham was confused. But much more serious for the devil was Jerry Falwell. He had been in hell for two weeks and had already raised $2 million for air-conditioning.", vgl. Waller H Capps. The New Right: Piety, Partriotism and Politics. Colurnbia, S.C. 1990, S. 27. 31 Vgl. Jerry Falwell. Statement at the National Press Club, Washington, D.C. January 3, 1986 - 10 a.m.
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daß ihre monatlich erscheinende Publikation, Moral Majority Report, 1 Million Abonnenten habe. 32 Die MM versuchte im ersten Jahr ihrer Existenz, zunächst ihren Bekanntheitsgrad zu steigern und zugleich die Registrierung von Wählern aktiv voranzutreiben. Falwell reiste mit einer "I love America" Kampagne durch die gesamten USA (zumeist mit einer Interviewveranstaltung auf den Stufen des jeweiligen Einzelstaatsparlaments, zu der lokale Politiker oder Ehrengäste eingeladen wurden) und eröffuete in jedem Staat eine Filiale der MM. Schon 1980 behauptete Falwell, daß die MM in 47 Staaten vertreten sei. Ein Jahr später hatte jeder Bundesstaat eine Zweigstelle der MM. In Washington, D.C. unterhielt die Organisation eine Lobbying-Büro mit 8 Mitarbeitern und in ihrem Nationalen Hauptquartier beschäftigte sie deren 60. 33 Die Frage der Genauigkeit der Angaben ist eine Sache der Auslegung. Während Liebmann und Reichley die Zahlen weitgehend bestätigten, erfuhren Hadden und Swann während eines Interviews mit dem Direktor der Washingtoner Filiale, daß diese mit 12.000 Mitgliedern die größte Außenstelle der Organisation sei. Eine simple Berechnung fiihrte sie zu dem Ergebnis, daß die Zahlen offensichtlich weit übertrieben waren. 34 Bei der Rekrutierung von Mitgliedern verließ sich die MM vorwiegend auf die kirchlichen Netzwerke. In erster Linie stützte sie sich auf die unabhängigen Baptistenkirchen, die kleinen fundamentalistischen Sekten und einige konservative, militante Gläubige in den Hauptkirchen des Südens. 35
Vgl. Moen 1989, S. 77f. Richard Cizik, ein Lobbyist der konselVativen National Association of Evangelicals (NAE) schildert die Arbeit des Washingtoner Büros der MM folgendennaßen: "These people were busy writing fund-rasing letters to influence politics. Ifyou went to a hearing you never saw them. They have one person. I went to the opening of the MM office, I knew their first lobbyist Cal Borg, arecent college graduate from a school down in Alabarna. And here is Cal and me going to a Committee hearing - the two of uso And one ofus is promoting this big effort to change Congress on school prayer and abortion. And I said to myself, they are raising millions of dollars to have a guy standing next to me doing the same thing - this is all ajoke." vgl. IntelView mit Richard Cizik. Allerdings betrachtete die NAE, die schon seit den 40er Jahren in Washington vertreten war, die MM, trotz gemeinsamer Ziele, als unliebsamen Emporkömmling. 34 Vgl. Robert C. Liebmann: ,,Mobilizing the Moral Majority.", in: The New Christian Right. (Hg.) Robert C. LiebmannlRobert Wuthnow. New York 1983, S. 49-73; Reichley 1985, S. 321; Jeffrey HaddenlAnson Shupe u.a.: "Why Jerry Falwell Killed the Moral Majority.", in: The God Pumpers. (Hg.) Marshall Fishwick/Ray B. Browne: Bowling Green, Ohio 1987, S. 101-115. 35 Ein eindrucksvolles Beispiel bietet die Kirche von Jerry Falwell. Die am 19. Juni 1956 mit 35 Mitgliedern gegriindete Thomas Road Baptist Church konnte bereits 1988 12 JJ
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Allgemein verstand sich die Organisation als ein Sammelbecken all jener Amerikaner, "who were pro-life, pro-traditional family, pro-moral and proAmerican".36 Die dritte Organisation, die Anfang der 80er Jahre gegründet wurde, war der Religious Rooodtable (RR). Der RR sollte sich tun konservative Kircheneliten kümmern, die sich weder von der l\1M noch von der CV angesprochen fühlten. Die Gründer Ed McAteer ood Fernsehprediger James Robinson dachten dabei insbesondere daran, große Kreise innerhalb der Southern Baptist Convention aktivieren zu können. McAteer erachtete die Organisationsformen der CV ood der l\1M für seine Zwecke als ootauglich. Sie war ausgewählt worden, tun die evangelische Masse anzusprechen. Der Rooodtable, wie er später heißen sollte, folgte dem Vorbild des Business Rooodtabie. Diese Interessenvereinigoog der amerikanischen Wirtschaft (vergleichbar dem BDI) stellte ein Art Fortun für wirtschaftspolitische Diskussionen dar. Der Rooodtable veranstaltete eine Reihe von Seminaren ood "workshops" mit konservativen Theologen, bei denen den Teilnehmern die GrlUldkenntnisse der politischen Mobilisierilllg ihrer Kirchengemeinden für konservative Themen ood Kandidaten vermittelt wurden. Periodisch abgehaltene sogenannte ,,Public affairs briefings" gaben konservativen Kandidaten die Möglichkeit, für sich selbst ood für die Arbeit des Rooodtable zu werben. 37 Der Rooodtable verstand sich als Sammelbecken einer "coalition of dedicated national leaders who have one concern - the moral rebirth of America" ood verfolgte nach eigenen Angaben einen einzigen Zweck, "focus public policy 21.000 Mitglieder verzeichnen. Die meisten Filialen der MM waren zunächst lediglich Posten auf Falwells ,,mailing-list". Bei den Wahlen 1980 waren nicht mehr als 18 Staaten des Südens und des Südwestens tatsächlich organisatorisch eingebunden. vgl. James L. Guth (l983b): "The New Christian Right.", in: LiebmannIWuthnow 1983, S. 31-45, S. 33; Reichley 1985, S. 321f. 36 Vgl. Falwell 1986 und: ,,Here is how Moral Majority Inc. stands on today's vital issues: We believe in the separation of church and state ( ... ). We are pro-life ( ... ). We are pro-traditional farnily ( ... ). We oppose the illegal drug traffic ( ... ). We oppose pomography ( ... ). We support the state of Israel ( ... ). We believe that a strong national defense is the best deterrent to war etc.", vgl. The N ew York Times, 23. März 1981, B-ll; Eine gute und knappe Zusammenstellwtg der Ziele der MM gib Jerry Falwell selbst. vgl. Jerry Falwell (1987a): ,,An Agenda for the 1980s.", in: Piety and Politics. (Hg.) Richard John Neuhausl Michael Cromartie. Washington, D.C. 1987, S. 109-123. 37 Im August 1980 erregte das Treffen in Dallas die größte publizistische Aufmerksamkeit. Tausende von Kirchenleuten und Laien lauschten den Worten nahezu aller "Televangelists", dem Präsidenten der Southem Baptist Convention B. Smith und dem Präsidentschaftskandidaten R. Reagan. vgl. Guth 1983b, S. 33.
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conceming moral issues." Insbesondere in den Bereichen Familie, Bildung, Medien, Religionsfreiheit und Anti-Pornographie, Anti-Homosexualität, AntiAbtreibung sah die Organisation ihre Aufgabenfelder. 38 Mit Hilfe der Briefings und Seminare sowie durch Publikationen und "single-issue-rallies" sollte über Konfessionsgrenzen hinweg die Standpunkte einer moralischen Gemeinde in die politische Arena eingebracht werden. Diese Ziele wurden allerdings niemals ganz verwirklicht. Nach 1980 wurde der Roundtable mehr und mehr zu einer Plattform fiir McAteers politische Verlautbarungen. Lediglich das von McAteer gegriindete "National Christian Prayer Briefing to pray for the peace of Jerusalem" erfreute sich regen Zulaufs. 39 Das Hauptquartier des Roundtable wurde bald in den Wohnort von McAteer nach Memphis, Tennessee verlegt. Dort fristet er als Briefkopffmna bis heute sein Dasein. Eine weitere Organisation mit Verbindungen zum Roundtable, MM und zur CV war die 1984 gegriindete American Coalition for Traditional Values (ACTV). Sie wurde von dem Fernsehprediger Tim LaHaye, einst ein geschäftsfiihrendes Mitglied der MM und Beisitzer im Aufsitzsrat der CV, gegriindet. ACTV sollte ursprünglich die Aufgabe des Roundtables bei der Wiederwahl von R. Reagan 1984 übernehmen. LaHaye galt seit seinem 1979 erschienen Buch: Battle for the mind40 als einer der Chefideologen der Christian Right. Darin weist er durch umfangreiche Berechnungen nach, daß 250.000 säkulare Humanisten, durch die Besetzung von Schlüsselpositionen in den Bereichen Medien, Bildung und Regierung Kontrolle über 100 Millionen gläubige Amerikaner ausüben würden. Gerade der Rückzug der Gläubigen in ihre Kirchen, Schulen und Kongregationen hätten den Humanisten freie Hand gelassen, den moralischen Verfall und die Entchristianisierung der USA voranzutreiben. Trotzdem bestünde noch Hoffnung, wenn: Vgl. The ROlll1dtable. 1s there not a cause? (1 Samuel 17:29), oJ. Das 10. Treffen 1991 besuchte eine illustre politische Gesellschaft bestehend aus jüdischen lll1d konservativ-christlich orientierten Repräsentanten. Neben Hauptredner Dan Quayle lll1d dem israelischen Botschafter, waren die Senatoren Don NickIes, Jesse Helms lll1d Al Gore vertreten. Der spätere Vize-Präsident Al Gore war 1991 wie auch bereits 1990 lll1d 1989 stellvertretende Honorary Co-chairperson des Treffens. Durch die Veranstaltllllg sollte die besondere Bedeutllllg Israels fiir die Christen in aller Welt demonstriert werden: ,,Ed McAteer and the Religious ROlll1dtable along with millions of their BibleBelieving Christians ( ... ) believe that we have a moral responsibility to stand firm with our friend and ally, Israel." Allerdings endeten einige Break:feast z.B. 1988 mit einem Defizit von mehreren Tausend US $. Einige Teilnehmer wurden daraufhin um Spenden angegangen. vgl. Einladlll1g zur The Ninth Annual National Christian Prayer Break:feast. SheratonHotel 31.01.1990- 7.00 a.m. 40 Vgl. Tim LaHaye: Battle for the Mind. Old Tappen, NJ. 1979. Für seine Verdienste hatte Tim LaHaye bereits 1962 die Ehrendoktorwürde der fundamentalistischen Bob Jones University erhalten. 38 39
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,,If, however, pro-moral leaders of all religious persuasions are willing to stand together as fellow Americans concemed with perservations ofthe family and moral decency, we can still win, win the relentless battle for our minds and those of our children. ,,41
Trotz der Wiederwahl Reagans erfiillten sich die beruflichen Perspektiven LaHayes nicht, Wld im Dezember 1986 schloß die ACTV ihre Türen. Wesentlich erfolgreicher als Tim wurde seine Frau Beverly LaHaye. Sie gründete 1979 Concerned Women for America (CWA). Nach Laurie Trytiates, der Direktorin of Legislation and Public Policy, waren es vor allem die Aktivitäten der liberalen National Organisation of Women Wld deren FördefWlg durch die Carter-RegiefWlg, die zur GründWlg von CWA führten. 42 Diese Frauen, so Berverly LaHaye, würden nicht fiir alle amerikanischen Frauen sprechen. Sie organisierte aus ihrer Küche in San Diego, Ca. mit 9 weiteren FreWldinnen eine christlich-konservative Frauenbewegung, mit dem Motto: ,,Protecting the rights of the family through prayer and action." Neben der Bewahrung Wld dem Schutz von judeo-christlichen Werten, engagiert sich CWA besonderes gegen die SexualerziehWlg, gegen Geburtenkontrolle, gegen Homosexualität, gegen vorehelichen Sex Wld gegen Okkultismus. CWA läßt Themen wie ,'pro-Life", ,'pro-Term-Limit" Wld ,,Pro-Parental choice for Education" durch ein großes Lobbyingbüro in Washington auf BWldesebene Wld auf einzelstaatlicher Ebene durch VertretWlgen in allen 50 Staaten propagieren. Eine tägliche Radioshow: ,,Beverly LaHaye Live" Wld eine monatliche Broschüre ,,Family Voice" schaffen die VerbindWlg zu den Mitgliedern43 Bereits 1980 hatte CWA 105.000 Mitglieder, 25.000 mehr als die National Organization of Women (NOW). 1992 sind zu den ersten 9 Mitgliedern weitere 600.000 Frauen Wld 70.000 Männer hinzugekommen. Die NOW kann lediglich 250.000 Mitglieder verzeichnen. 44 Für ihre Verdienste beim Aufbau der bedeutendsten Frauenorganisation der USA wurden Beverly LaHaye zahlreiche EhrWlgen zuteil. 1984 wurde sie zur "Christian Women of the Year" gewählt, 1988 bekam sie den "Churchwomen ofthe Year Award", 1991 den ,,Religious Freedom Award" der SBC Wld 1992 wurde ihr die Ehrendoktorwürde der Liberty Universität Jerry Falwells verliehen.
Vgl. LaHaye 1979, S. 188. "With the Carter-Administration came a number of federal approval for certain policy objections ofthe feminist movement, the ERA." vgl. Interview mit Laurie Tryfiates 43 Vgl. CWA: Fact Sheet, 0.1. 44 Vgl. USA Today, 4. Februar 1992. Der Mitgliedsbeitrag bei CWA beträgt 15 US $. Die NOW verlangt 30 US $. 41
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Die Traditional Values Coalition (TVC) hat ihre Geburtsstätte ebenfalls in Kalifornien. 1981 gIiindete Louis Sheldon die pro-family-Organisation, die Kirchen und Gläubige über die zentralen Fragen des öffentlichen und politischen Lebens informieren sollte. 45 Der 62-jährige Sheldon hatte in den letzten 30 Jahren schon viele Rollen gespielt. In Washington, D.C. aufgewachsen hatte er mit 16 Jahren sein Born-Again Erlebnis erfahren und beschlossen, Geistlicher zu werden. Sein Aktivismus wurde bereits 1961 offenbar, als er als junger Pastor in einer kleinen presbyterianischen Gemeinde des Mittleren Westens mit dieser wegen einer Kampagne für die Schließung eines Bordells über Kreuz geriet. Anschließend versuchte er sich zunächst als Mitarbeiter eines Abgeordneten in North Dakota, dann des Gouverneurs von Delaware. Schließlich landete er 1987, nach erfolglosen Versuchen als Geschäftsmann und Investor, als christlicher Erzieher bei "Televangelist" Pat Robertson. 1992 schätzt ihn die Human Rights Campaign Fund als: "the most dangerous man in America for gays and lesbian" ein. 46 Die steile Karriere verdankt der "California Farwell" seiner Organisation TVC, die er stolz als ,,farnily affair" bezeichnet. Seine Frau Beverly ist ebenso aktiv, wie seine 99-jährige Schwiegermutter. Der Sohn Steve leitet das Büro in Kalifornien, und Sheldons Tochter Andrea ist Chefm des 1991 eingerichteten Lobbyingbüros in Washington, D.C. Insgesamt hat die Organisation allerdings nur zehn bezahlte Angestellte. TVC behauptet, daß sie Verbindung zu über 25.000 Kirchen hätte. Allein in Kalifornien sollen es 7000 sein, darunter eine überaus große Anzahl schwarzer Glaubensgemeinschaften. 47 Die Organisation hat sich aus steuerlichen Gründen in zwei Teilformen organisiert. Die TVC ist die klassische Lobbying-Organisation, die Kampagnen und Kandidaten unterstützen kann, während ihre Schwestern-Organisation die Traditional Value Foundation (TVF) die Informationsmaterialen verschickt und die Seminare und Konferenzen organisiert.
45 "TVC knows that with just a little guidance, churches can educate themselves about important issues quickly and easily.", vgl. TVC: ,,But the people who know their God shall stand firm and take action.2 (Daniell1:32)", 0.J. 46 Vgl. Kevin Fragan: ,,Leader ofthe Right.", in: Oakland TriblUle, 9. August 1992. 47 "We have over 25,000 churches arolUld the COlUltry." vgl. Interview mit Andrea Sheldon. Andrea Sheldon hat viel Erfahnmg im Lobbyingbereich. Sie war im Stab fiir die Organisation des Gipfeltreffens der Industrienationen 1990 fiir die Kontakte zu RegierlUlgsvertretem lUld Kongreßmitglieder zuständig. Anschließend arbeitete sich fiir U.S. Small Buisness Administration verantwortlich fiir Congressional lUld Legislative Affairs, sowie als Assistentin fiir den Geschäftsfiihrer des U.S. Office ofPersonnal Management.
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Der politische Durchbruch gelang Sheldon und der TVC 1991, als sie 350 schwarze Pastoren medienwirksam am Kapitol aufinarschieren ließ, um ihre Unterstützung für die Ernennung von Clarence Thomas an den Supreme Court zu bekunden. Fragen der religiösen Freiheit beschäftigen TCV ebenso, wie der Kampf gegen Sexualerziehung an den Schulen, gegen die Unterstützung "pornographischer" Kunst durch das National Endowrnent for the Arts und gegen Abtreibung. Einen Bereich hat Sheldon zu seiner Herzensangelegenheit gemacht - die Auseinandersetzung mit Homosexuellen. Dieses Thema werde, so Sheldon: ,,( ... ) soon surpass abortion as the most pressing moral battle for the religious community.'