Ländlicher Kredit: Kreditgenossenschaften in der Rheinprovinz (1889–1914) 3515104399, 9783515104395

Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden im Übergang vom Agrar- zum Industriestaat ländliche Kreditgenossenschafte

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German Pages 471 [474] Year 2013

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INHALTSVERZEICHNIS
VORWORT
I. EINLEITUNG
1. AUFBAU DER UNTERSUCHUNG UND EINIGE ANMERKUNGEN VORAB
2. ERKENNTNIS LEITENDE FRAGEN
3. FORSCHUNGSSTAND
4. QUELLEN
5. ANALYSEKONZEPT
6. UNTERSUCHUNGS(ZEIT)RAUM
II. WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT: DIE KREISE GUMMERSBACH, WALDBRÖL UND WIPPERFÜRTH
1. NATURRAUM
2. BETRIEBSGRÖSSENSTRUKTUR
3. BETRIEBSFORMEN
4. (AGRAR-) POLITIK
5. KONJUNKTURLAGE
6. VERKEHRSNETZ
7. BEVÖLKERUNGSENTWICKLUNG
8. ERWERBSSTRUKTUR
9. KONFESSIONELLE STRUKTUR
10. DAS DORF
11. BERUFSSTÄNDISCHE INTERESSENVERTRETUNGEN
III. VOR DER GRÜNDUNG DER LÄNDLICHEN KREDITGENOSSENSCHAFTEN: GELDMARKT OHNE INTERMEDIÄRE?
1. BESITZ, SCHULDEN, EINKOMMEN UND KAPITALBEDARF
2. ENTSTEHUNG UND ENTWICKLUNG DER KOMMUNALEN SPARKASSEN
3. DIE ERSTEN VOLKSBANKEN
IV. VON DER GRÜNDUNGSPHASE BIS ZUR FLÄCHENDECKENDEN PRÄSENZ
1. BESTANDSAUFNAHME: DIE LÄNDLICHEN KREDITGENOSSENSCHAFTEN IM DEUTSCHEN REICH, IN PREUSSEN UND DER RHEINPROVINZ
2. VERTIKALE INTEGRATION: DIE (RHEINISCHEN) GENOSSENSCHAFTSVERBÄNDE UND IHRE GENOSSENSCHAFTSKONZEPTE
3. DIE GRÜNDUNGEN LÄNDLICHER KREDITGENOSSENSCHAFTEN IN DEN KREISEN GUMMERSBACH, WALDBRÖL UND WIPPERFÜRTH
V. STATUTEN, GESCHÄFTSORDNUNGEN UND VERWALTUNGSORGANE
1. DIE STATUTEN
2. ZWISCHEN EHRENAMT UND EINFLUSS
VI. EFFIZIENZ DURCH STANDARDISIERUNG UND KONTROLLE: FORMULARWESEN UND REVISION
1. STANDARDISIERUNG DURCH EINHEITLICHE STRUKTUREN DER GESCHÄFTSFÜHRUNG, EINHEITLICHE FORMULARE UND ANDERE HILFESTELLUNGEN
2. EXTERNE KONTROLLE DURCH DIE REVISION: DAS GENOSSENSCHAFTLICHE PRÜFUNGSWESEN
VII. ZWISCHEN KIRCHSPIEL UND KONKURRENZ: GESCHÄFTSBEZIRKE UND MITGLIEDERENTWICKLUNG
1. DER GESCHÄFTSBEZIRK
2. DIE MITGLIEDERENTWICKLUNG
VIII. DIE GESCHÄFTSTÄTIGKEIT
1. EINKOMMEN, KAPITALBEDARF UND VERSCHULDUNG UM 1900
2. DAS AKTIVGESCHÄFT
3. DAS PASSIVGESCHÄFT
4. DIE ZUSAMMENARBEIT MIT DEN ZENTRALKASSEN
5. DIE VERWALTUNGSKOSTEN
IX. KONKURRENZ MIT SPARKASSEN UND ANDEREN BANKENTYPEN
1. DAS SPARGESCHÄFT
2. DAS KREDITGESCHÄFT
X. FAZIT
1. DIE LÄNDLICHE KREDITGENOSSENSCHAFT GAB ES NICHT
2. GENOSSENSCHAFTSVERBÄNDE ALS TOCHTERORGANISATIONEN DER AGRARVERBÄNDE
3. KREDITGENOSSENSCHAFTEN IN DEN KREISEN GUMMERSBACH, WALDBRÖL UND WIPPERFÜRTH: GRÜNDUNGSVERLÄUFE
4. DIE INNERE ORGANISATION DER KREDITGENOSSENSCHAFTEN
5. EXTERNE KONTROLLE: DIE REVISION DURCH DIE VERBÄNDE
6. AKTIV- UND PASSIVGESCHÄFT
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS
VERZEICHNIS DER ABBILDUNGEN, KARTEN UND TABELLEN
ANHANG
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Ländlicher Kredit: Kreditgenossenschaften in der Rheinprovinz (1889–1914)
 3515104399, 9783515104395

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Frauke Schlütz Ländlicher Kredit

schriftenreihe des instituts für bankhistorische forschung e.v. Herausgeber: Der Wissenschaftliche Beirat des Instituts für bankhistorische Forschung e.V. Band 25

Frauke Schlütz

Ländlicher Kredit Kreditgenossenschaften in der Rheinprovinz (1889–1914)

Franz Steiner Verlag

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der DZ BANK-Stiftung, der Eugen-Gutmann-Gesellschaft e.V., der Volksbank Dinslaken eG sowie der Volksbank Oberberg eG.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Von der Fakultät für Geschichtswissenschaft der Ruhr-Universität Bochum als Dissertation angenommen im Jahr 2011. © 2013 Franz Steiner Verlag, Stuttgart Druck: Offsetdruck Bokor, Bad Tölz Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-10439-5

INHALTSVERZEICHNIS Vorwort .................................................................................................................. 9 I.

Einleitung ...................................................................................................... 11 1. 2. 3. 4.

Aufbau der Untersuchung und einige Anmerkungen vorab .................... 12 Erkenntnis leitende Fragen ...................................................................... 24 Forschungsstand ...................................................................................... 26 Quellen..................................................................................................... 33 a) Quellen der Kreditgenossenschaften ................................................... 33 b) Quellen anderer Provenienzen ............................................................ 38 5. Analysekonzept ....................................................................................... 39 a) Kreditgenossenschaften als Banken mit besonderem Auftrag ............ 40 b) ‚Ländlich‘ – mehr als nur ein Adjektiv ............................................... 43 c) Theoretischer Ansatz ........................................................................... 46 6. Untersuchungs(zeit)raum......................................................................... 56 II. Wirtschaft und Gesellschaft: Die Kreise Gummersbach, Waldbröl und Wipperfürth ......................................................................... 62 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

8.

9.

10. 11.

Naturraum ................................................................................................ 68 Betriebsgrößenstruktur ............................................................................ 70 Betriebsformen ........................................................................................ 74 (Agrar-) Politik ........................................................................................ 78 Konjunkturlage ........................................................................................ 81 Verkehrsnetz ............................................................................................ 85 Bevölkerungsentwicklung ....................................................................... 88 a) Kreis Wipperfürth ................................................................................ 89 b) Kreis Waldbröl .................................................................................... 92 c) Kreis Gummersbach ............................................................................ 94 Erwerbsstruktur ....................................................................................... 95 a) Kreis Wipperfürth ................................................................................ 97 b) Kreis Waldbröl .................................................................................... 99 c) Kreis Gummersbach ............................................................................ 99 Konfessionelle Struktur ......................................................................... 101 a) Kreis Wipperfürth .............................................................................. 101 b) Kreis Waldbröl .................................................................................. 102 c) Kreis Gummersbach .......................................................................... 102 Das Dorf ................................................................................................ 104 Berufsständische Interessenvertretungen .............................................. 109

6

Inhaltsverzeichnis

III. Vor der Gründung der ländlichen Kreditgenossenschaften: Geldmarkt ohne Intermediäre .................................................................. 117 1. Besitz, Schulden, Einkommen und Kapitalbedarf ................................. 117 2. Entstehung und Entwicklung der kommunalen Sparkassen .................. 124 3. Die ersten Volksbanken ......................................................................... 136 IV. Von der Gründungsphase bis zur flächendeckenden Präsenz ............... 145 1. Bestandsaufnahme: Die ländlichen Kreditgenossenschaften im Deutschen Reich, in Preußen und der Rheinprovinz........................ 148 2. Vertikale Integration: Die (rheinischen) Genossenschaftsverbände und ihre Genossenschaftskonzepte ........................................................ 155 a) Verband der rheinpreußischen landwirtschaftlichen Genossenschaften e.V., Bonn .......................................................... 156 b) Spitzenverband: Reichsverband der deutschen landwirtschaftlichen Genossenschaften e.V., Berlin ....................... 164 c) Verband rheinischer Genossenschaften e.V., Köln ......................... 169 d) Trierischer Revisionsverband landwirtschaftlicher Genossenschaften in der Rheinprovinz, im Fürstentum Birkenfeld und in Elsass-Lothringen, Trier .................................... 173 e) Verband ländlicher Genossenschaften der Rheinlande e.V., Koblenz (hervorgegangen aus dem Generalverband ländlicher Genossenschaften Raiffeisen, Neuwied)......................................... 176 f) Zentralisation versus Dezentralisation ............................................ 177 Exkurs: Rheinische Genossenschaftsfunktionäre .................................. 181 3. Die Gründungen ländlicher Kreditgenossenschaften in den Kreisen Gummersbach, Waldbröl und Wipperfürth ................... 187 a) Gründungen im Kreis Waldbröl ...................................................... 188 b) Gründungen im Kreis Gummersbach ............................................. 191 c) Gründungen im Kreis Wipperfürth ................................................. 194 V. Statuten, Geschäftsordnungen und Verwaltungsorgane ........................ 202



1. Die Statuten ........................................................................................... 202 a) Raiffeisens ‚Normalstatuten‘ für ländliche Kreditgenossenschaften: Beispiel Denklinger Darlehnskassen-Verein eGmuH ...................................................... 204 b) Typische ‚rheinische‘ Statuten? Mustersatzungen der Verbände Bonn und Köln .......................................................... 212 2. Zwischen Ehrenamt und Einfluss: Vorstand, Aufsichtsrat und Rendant ........................................................................................... 217 a) Vorstand, Aufsichtsrat und Rendant ................................................ 217 b) Der Rendant: Aufgaben und Ausbildung ........................................ 223

Inhaltsverzeichnis

7

VI. Effizienz durch Standardisierung und Kontrolle: Formularwesen und Revision.................................................................... 232 1. Standardisierung durch einheitliche Strukturen der Geschäftsführung, einheitliche Formulare und andere Hilfestellungen .................................................................... 232 2. Externe Kontrolle durch die Revision: Das genossenschaftliche Prüfungswesen ....................................................................................... 235 a) Die Entstehung der gesetzlich vorgeschriebenen Revision und die ersten Bestimmungen im Genossenschaftsgesetz von 1889.......................................................................................... 235 b) Zweck, Ziele und Organisation der Revision.................................. 240 VII. Zwischen Kirchspiel und Konkurrenz: Geschäftsbezirke und Mitgliederentwicklung ...................................................................... 266 1. Der Geschäftsbezirk .............................................................................. 266 a) Der ,klassische‘, eng umgrenzte Geschäftsbezirk: Kreis Wipperfürth ..................................................................................... 267 b) Der ‚ausgedehnte‘ Geschäftsbezirk: Kreis Gummersbach ............. 269 2. Die Mitgliederentwicklung .................................................................... 282 a) Mitgliederzahlen ............................................................................. 283 b) Berufsstruktur ................................................................................. 289 VIII.

Die Geschäftstätigkeit.......................................................................... 294

1. Einkommen, Kapitalbedarf und Verschuldung um 1900....................... 294 2. Das Aktivgeschäft .................................................................................. 300 a) Beispiel 1: Hönnigethaler Spar- und Darlehnskassen-Verein eGmuH ............................................................................................ 305 b) Beispiel 2: Hohkeppeler Spar- und Darlrehnskassen-Verein eGmuH ............................................................................................ 317 c) Beispiel 3: Wipperfelder Spar- und Darlehnskassen-Verein eGmuH ............................................................................................ 320 d) Beispiel 4: Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Dieringhausen .... 323 e) Beispiel 5: Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Derschlag ........... 340 3. Das Passivgeschäft ................................................................................ 352 4. Die Zusammenarbeit mit den Zentralkassen ......................................... 361 a) Genossenschaftsbank für Rheinpreußen eGmbH, Bonn................. 367 b) Rheinische Bauern-Genossenschaftskasse eGmbH, Köln .............. 371 c) Die Zinspolitik ................................................................................ 374 5. Die Verwaltungskosten .......................................................................... 384

8

Inhaltsverzeichnis

IX. Konkurrenz mit Sparkassen und anderen Bankentypen ....................... 397 1. Das Spargeschäft ................................................................................... 399 2. Das Kreditgeschäft ................................................................................ 407 X. Fazit

......................................................................................................... 411

1. Die ländliche Kreditgenossenschaft gab es nicht .................................. 411 2. Genossenschaftsverbände als Tochterorganisationen der Agrarverbände ................................................................................. 413 3. Kreditgenossenschaften in den Kreisen Gummersbach, Waldbröl und Wipperfürth: Gründungsverläufe .................................... 416 4. Die innere Organisation der Kreditgenossenschaften............................ 421 5. Externe Kontrolle: die Revision durch die Verbände ............................ 425 6. Aktiv- und Passivgeschäft ..................................................................... 427 Abkürzungsverzeichnis ....................................................................................... 434 Literatur- und Quellenverzeichnis ...................................................................... 436 1. Literatur ................................................................................................. 436 a) Monografien und Aufsätze .............................................................. 436 b) Artikel in (Hand-) Wörterbüchern und Lexika ............................... 453 c) Festschriften .................................................................................... 455 2. Quellen................................................................................................... 456 a) Gedruckte Quellen .......................................................................... 456 b) Ungedruckte Quellen ...................................................................... 458 Verzeichnis der Abbildungen, Karten und Tabellen........................................... 460 Anhang ......................................................................................................... 463

VORWORT Die vorliegende Publikation basiert auf einer Doktorarbeit, die 2011 an der Fakultät für Geschichtswissenschaften an der Ruhr-Universität Bochum angenommen wurde. Der Umfang wurde für die Drucklegung reduziert, insbesondere um eine Vielzahl Tabellen und weitere Anhänge. Bedanken möchte ich mich herzlich bei den beiden ‚Doktorvätern‘, Professor Dieter Ziegler (Ruhr-Universität Bochum) und Professor Timothy W. Guinnane PhD (Yale University, USA), die stets mit Rat und Tat zur Seite standen. Bedanken möchte ich mich zudem bei meinen ehemaligen Chefs, Professor Dr. Carsten Burhop (Universität Wien), Professor Dr. Günther Schulz (Universität Bonn) und Dr. Ulrich S. Soénius (Stiftung Rheinisch-Westfälisches Wirtschaftsarchiv zu Köln), die ebenfalls hilfreiche Hinweise gaben und Freiräume schufen, um an der Dissertationsschrift arbeiten zu können. Bedanken möchte ich mich in diesem Zusammenhang auch beim Rheinisch-Westfälischen Genossenschaftsverband e.V. für ein zweijähriges Stipendium, durch welches das rasche Vorankommen möglich war. Bedanken möchte ich mich darüber hinaus und ganz besonders bei den Vorstandsmitgliedern und MitarbeiterInnen der rheinischen Volks- und Raiffeisenbanken, die mir wohlwollend die Türen zu ihren Archiven und Kellern geöffnet haben: Volksbank Oberberg eG, Volksbank Wipperfürth-Lindlar eG, Raiffeisenbank Much-Ruppichteroth eG, Volksbank Trier eG, der Volksbank Rheinböllen eG sowie der Volksbank Hunsrück eG. Ein großer Dank gilt zudem den MitarbeiterInnen der vielen Archive, allen voran meinen ehemaligen KollegeInnen der Stiftung Rheinisch-Westfälisches Wirtschaftsarchiv zu Köln. Bedanken möchte ich mich beim Institut für bankhistorische Forschung für die Aufnahme der Dissertationsschrift in die Schriftenreihe und für die Auszeichnung der Arbeit mit dem Förderpreis. Besonderer Dank gilt Frank Dreisch M.A. für die Unterstützung während der Phase der Drucklegung. Bedanken möchte ich mich für die Finanzierung der vorliegenden Publikation bei der Volksbank Oberberg eG, der Volksbank Dinslaken eG, der DZ BANK Stiftung und der Eugen-Gutmann-Gesellschaft e.V. sowie bei meiner Familie. Meiner Familie schulde ich weit, weit mehr als nur Dank für die Finanzierung der Drucklegung. Namentlich nennen möchte ich meine Schwiegereltern, Margret und Ansgar Schlütz, die mich schon während des Studiums immer über das für Schwiegereltern vermutlich übliche Maß hinaus unterstützt haben. Eine enorm große Unterstützung waren meine ‚Mädels‘, die stets für willkommene Ablenkung und ausgewogene Freizeitgestaltung sorgten, Anna Katharina Krieger und Katja Simone Strauß jeweils mit ‚Anhang‘. Herzlich bedanken möchte ich mich bei Julia Kaun M.A. und ‚Anhang‘, die schon seit vielen Jahren nicht mehr bloß eine tolle

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Vorwort

Kollegin ist. Gleiches gilt für Dr. Stephanie Tilly und MA Eva-Maria Roelevink. Herzlich danken möchte ich auch meinen Bochumer KommilitonInnen für das tolle ‚Zusammenspiel‘, Dipl.-Volksw. Katja Fuder für den ‚volkswirtschaftlichen Input‘ und meiner langjährigen Freundin Wirtschaftsprüferin Anne Kammann für ‚aussagekräftige Revisionen‘. Eva Roelevink danke ich ganz, ganz herzlich für das unermüdliche Korrekturlesen – manche Kapitel habe ich ihr mehrfach ‚aufs Auge drücken‘ dürfen, von einigen hat sie vermutlich am Ende geträumt. Traumhaft war mein Mann, Tobias Schlütz. Ihm ist diese Arbeit gewidmet. Leverkusen im April 2013

I. EINLEITUNG Die „Landwirtschaft braucht Geld. […]. Es ist eine ungeheure Notlage, worin man sich stetig befindet“.1 Mit diesen Worten umschrieb ein Beobachter im Jahr 1915 den Zustand des ländlichen Kreditwesens und benannte damit einen Umstand, der zeitgenössisch auch als „Kreditnot“2 bezeichnet wurde. Die wirtschaftshistorische Forschung hat jedoch einen grundsätzlichen Kapitalmangel in der Landwirtschaft in Frage gestellt;3 seit Knut Borchardts Aufsatz ‚Zur Frage des Kapitalmangels in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Deutschland‘ ist die Kapitalmangelthese ohne Weiteres nicht mehr haltbar.4 Bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts waren Kreditbeziehungen auf dem Land also nichts Ungewöhnliches, allerdings auch nicht alltäglich, aber sicherlich auch kein randständiges Phänomen. Gleichwohl stellte sich die Struktur der ländlichen Kreditwirtschaft vielerorts noch problematisch dar, da das Kreditwesen noch nicht auf die neuen Bedürfnisse der Wirtschaft und Gesellschaft im ländlichen Raum ausgerichtet war. Dort fehlte es vor allem an formellen Intermediären, die Investoren und Sparer zusammenbrachten.5 Erst allmählich bildeten sich entsprechende institutionelle Strukturen heraus. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden – neben den teils etwas älteren Sparkassen – die ländlichen Kreditgenossenschaften. Die ländliche Genossenschaftsbewegung findet ihren Ursprung in der Rheinprovinz; das Rheinland gilt als „Ausgangspunkt des neuzeitlichen ländlichen Genossenschaftswesens in Deutschland“.6 Die Zahl der ländlichen (Kredit-) Genossenschaften nahm spätestens seit den 1890erJahren zügig zu. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts übertraf die Anzahl der ländlichen Genossenschaften in der Rheinprovinz die aller anderen preußischen Provinzen: In der Rheinprovinz existierten etwa so viele Genossenschaften wie in Ostpreußen, Westpreußen, Pommern und Schleswig-Holstein zusammen.7 Noch heute stellen die deutschen Genossenschaftsbanken, die sowohl ländliche als auch städtische Wurzeln haben, eine bedeutsame Säule im deutschen Bankwesen dar.8 Die Geschichte der ländlichen Kreditwirtschaft ist insgesamt noch vergleichsweise wenig erforscht. Es gibt nur wenige Untersuchungen über die ländlichen Kre1 2 3 4 5

6 7 8

Schwann: Grundlagen, S. 217; zitiert auch bei Thomes: Sparkassen, S. 4. Fertig: Kreditmärkte, S. 161. Thomes: Sparkassen, S. 4. Borchardt: Frage. Thomes: Sparkassen, S. 4; zur Entwicklung des Bankensektors siehe unter anderem Holtfrerich: Entwicklung; Hardach: Entstehung; Institut für bankhistorische Forschung: Bankengeschichte, 3 Bde.; im Weiteren nicht genannt werden Staats- und Notenbanken, da sie für die vorliegende Untersuchung nicht direkt relevant sind. Feldmann: Genossenschaftswesen, S. 157; siehe auch Kraus: Statistik, S. 7; Kluge: Geschichte, S. 73. LWK: Jahresbericht für 1905 und den fünfjährigen Zeitraum 1901–1905, S. 147. Hardach: Entstehung.

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I. Einleitung

ditgenossenschaften in Deutschland, obwohl die Erforschung des Genossenschaftswesens in historischer Perspektive schon vielfach von Wissenschaftlern eingefordert wurde.9 Die wenigen vorliegenden Studien blenden zumeist die formalen Organisationsstrukturen der Kreditgenossenschaften aus. Dabei ist gerade in den formalen Organisationsstrukturen die entscheidende Frage verortet: Wie gelang es den ländlichen Kreditgenossenschaften, dauerhaft ökonomisch erfolgreich zu sein? Wie war es ihnen möglich, im Verlauf weniger Jahrzehnte im Vierteljahrhundert vor dem Ersten Weltkrieg zu unersetzlichen Finanzintermediären zu avancieren? Die rheinischen ländlichen Kreditgenossenschaften, die in der vorliegenden Studie näher untersucht werden, blieben von der wirtschaftshistorischen Forschung bisher gänzlich unbeachtet. Die vorliegende Fallstudie soll ein erster Schritt sein, diese Forschungslücke zu schließen: Die Untersuchung will die Besonderheiten und Divergenzen in der Entwicklung der ländlichen Kreditgenossenschaften am Beispiel der drei im Nordosten der Rheinprovinz gelegenen Bergischen Kreise Gummersbach, Waldbröl und Wipperfürth demonstrieren. 1. AUFBAU DER UNTERSUCHUNG UND EINIGE ANMERKUNGEN VORAB In Kapitel II werden zunächst die wesentlichen Rahmenbedingungen entwickelt, die Auswirkungen auf den Gründungszeitpunkt und die institutionelle Ausgestaltung der einzelnen Kreditgenossenschaften sowie auf deren mittelfristige Strategien in der Ausrichtung von Aktiv- und Passivgeschäft hatten: die Bevölkerungsentwicklung, die Erwerbs- und die Konfessionsstruktur, die Lage im Natur- und Verkehrsraum sowie die Größe der landwirtschaftlichen Betriebe. Von Relevanz sind hier außerdem der Grad der Marktintegration sowie die Außenkontakte der lokalen Gesellschaft. Wichtige Aspekte auf der Makroebene stellen die (agrar-) politische Entwicklung sowie die politische Durchsetzung landwirtschaftlicher Interessen dar. Kapitel III, der Kernanalyse vorangestellt, zugleich auch als ein Teil der Rahmenbedingungen zu sehen, wird die Situation auf dem ländlichen Kreditmarkt vor der Gründung der ersten ländlichen Kreditgenossenschaften in den Kreisen Gummersbach, Waldbröl und Wipperfürth darstellen. In Kapitel IV wird zunächst die rein zahlenmäßige Verbreitung der ländlichen Kreditgenossenschaften auf rheinischer, preußischer und Reichsebene skizziert, um einen Überblick über die quantitative Ausbreitung der ländlichen Kreditgenossenschaften zu gewinnen. Sodann werden die einzelnen (regionalen) Genossenschaftsverbände, denen die Kreditgenossenschaften aufgrund des Genossenschaftsgesetzes von 1889 angeschlossen zu sein hatten und die durch die gesetzlich vorgeschriebene Revision großen Einfluss auf die Ausgestaltung der Genossenschaften nahmen, vorgestellt. Zugleich werden die von ihnen vertretenen Prinzipien hinsichtlich des inneren Aufbaus und der Ge9

Guinnane: Information Machines, S. 16. Dem Aufsatz liegen unter anderem die Quellen der Kreditgenossenschaft in Oberdress (Eifel) zugrunde; dort heißt es an anderer Stelle: “The more complete story awaits additional research” (ebd., S. 24); vgl. ferner Kluge: Geschichte, S. 32 f.; Tilly: Geld, S. 107 f.

1. Aufbau der Untersuchung und einige Anmerkungen vorab

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Karte 1: Der Untersuchungsraum

hellgraue Markierung = Rheinprovinz; schwarze Markierung = die näher untersuchten bergischen Kreise Gummersbach, Waldbröl und Wipperfürth. Quelle: Eigene Darstellung auf Grundlage einer Musterkarte des Geschichtlichen Atlas der Rheinlande.

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I. Einleitung

schäftspolitik der ländlichen Kreditgenossenschaften analysiert. Hiervon ausgehend werden zunächst die Gründungen der ländlichen Kreditgenossenschaften in den Kreisen Gummersbach, Waldbröl und Wipperfürth detailliert herausgearbeitet. Dabei wird den Fragen nachgegangen, zu welchem Zeitpunkt (etwa nach einer lokalen ‚Depression‘) und in welchen Orten eine Kreditgenossenschaft gegründet wurde und welche Personenkreise beziehungsweise welche Organisationen (wie Bauernvereine) die Gründungen initiierten. Darüber hinaus ist danach zu fragen, welchem Genossenschaftsverband die Genossenschaften beitraten. Auf der Grundlage von Kapitel IV werden in Kapitel IV die Regeln und Verfahren der einzelnen Statuten, der sogenannten ‚Normalstatuten‘ oder ‚Musterstatuten‘, die von den Verbänden entwickelt wurden und in Form von Dokumentenvorlagen den Genossenschaften zur Verfügung gestellt wurden und dann als ‚Gesellschaftsvertrag‘ den Genossenschaften zu Grunde lagen, analysiert und komparativ gegenüber gestellt. Auf dieser Basis werden die einzelnen Organe der Kreditgenossenschaften betrachtet: Welche Aufgaben und Pflichten des Vorstandes und der Geschäftsführer (als Rendant oder Rechner bezeichnet), des Aufsichtsrates als Kontrollorgan sowie der Generalversammlung lassen sich ausmachen und wie war ihre Beziehung zueinander. Kapitel VI steht unter der Frage nach der Effizienz des Geschäftsbetriebes der einzelnen Kreditgenossenschaften und der Kontrolle der Geschäftsführung, zum einen durch die interne Überwachung durch den Aufsichtsrat (anknüpfend an Kapitel V) sowie zweitens und insbesondere durch die externe Kontrolle in Form der regelmäßigen Revision durch die Genossenschaftsverbände. Daran anschließend soll der Frage nachgegangen werden, von wem wiederum und in welcher Form die Revisoren beziehungsweise Revisionsapparat der Verbände überwacht wurde, das heißt ob etwa Witness Auditings installiert wurden und ob, und wenn ja, welche Konsequenzen im Falle eines Versagens der Revision folgten. Die Genossenschaftsverbände konnten nach dem Genossenschaftsgesetz von 1889 nicht nur die Revision der ihnen angeschlossenen Genossenschaften durchführen, sondern beeinflussten aktiv durch die Herausgabe der bereits genannten Musterstatuten grundlegend die innere Struktur der Genossenschaften. Ein wesentliches Merkmal vieler ländlicher Kreditgenossenschaften, das eben in diesen Musterstatuten verankert war, war das Prinzip des eng begrenzten, meist an den Grenzen eines Kirchspiels ausgerichteten Geschäftsbezirkes. Dieses Merkmal wird in Kapitel VII näher untersucht: Da Lage und Größe des Geschäftsgebietes sowohl das Wachstum als auch die Mitgliederstruktur der einzelnen Genossenschaft determinierten, werden in Kapitel VII unter anderem die zahlenmäßige Entwicklung sowie die berufliche Struktur der Mitgliederbestände der Kreditgenossenschaften analysiert. Dies ist insofern wichtig, als dass die Mitgliederstruktur zugleich entscheidenden Einfluss auf die Ausrichtung der Geschäftspolitik der einzelnen Genossenschaften hatte. Welche Bedarfe die Mitglieder hatten beziehungsweise welche Leistungen die ländlichen Kreditgenossenschaften anboten, wird in Kapitel VIII konkret anhand von fünf Beispielen für das Aktivgeschäft herausgearbeitet. Zudem wird der Blick auf das Passivgeschäft der Kreditgenossenschaften gerichtet. Ausgehend von den normativen Bestimmungen sowie den Regeln und Verfahren, die das jeweilige Statut benennt, sollen die Informationsgewinnung, die Informationsverarbeitung sowie die Infor-

1. Aufbau der Untersuchung und einige Anmerkungen vorab

15

mationskontrolle untersucht und Veränderungen im Zeitverlauf herausgearbeitet werden. Der Umgang mit etwaigen Liquiditätsproblemen sowie die Entstehung der Zentralkassen als „Geldausgleichsstellen“10 sind ebenfalls Gegenstand des Kapitels. Da den ländlichen Kreditgenossenschaften landläufig immer wieder eine hohe Effizienz zugeschrieben wurde, ist zudem zu überprüfen, inwieweit sich dies etwa in den Verwaltungskosten der Kreditgenossenschaften zeigt. Um die Konstruktion von ‚Sonderinstituten‘ zu vermeiden, werden in allen Kapiteln stets mehrere Institute gegenübergestellt. Kapitel IX dient der Untersuchung, ob Konkurrenz mit Sparkassen und andere Banktypen bestand. Dieses Kapitel dient zugleich als eine Art Korrektiv, um nicht in Verlegenheit zu geraten, eine Art Sonderentwicklung – die es vermutlich nicht gegeben hat – aufzuzeigen, wie vielfach sowohl von der Sparkassenforschung als auch in der Genossenschaftsforschung dargestellt wird. Vorab noch einige Überlegungen und Anmerkungen, die in den folgenden Kapitel wieder aufgegriffen und verdichtet werden: Die Rheinprovinz, die sich aufgrund der hohen Dichte ländlicher Kreditgenossenschaften als Untersuchungsraum anbietet, war Mitte des 19. Jahrhunderts in wirtschaftlicher und sozioökonomischer Hinsicht in sehr unterschiedliche Teilräume zergliedert. So war etwa der KölnBonner Raum durch eine gemischte Wirtschaftsstruktur gekennzeichnet; der Aachener Raum und das Ruhrgebiet waren montanwirtschaftlich geprägt; das Gebiet links des Niederrheins (zwischen Aachen und Krefeld) zunehmend durch die Textilindustrie. Anders die Eifel, die unter ihrer Randlage litt, während das im Osten gelegene Bergische Land zunehmend am Ausbau der Textil- und der metallverarbeitenden Industrien partizipieren konnte.11 Bereits mit dieser Skizze der disparaten Wirtschaftsstruktur der Rheinprovinz wird deutlich, dass die Entwicklung des Agrarsektors im 19. Jahrhundert ausschließlich im Kontext der gesamten strukturellen Veränderungen von Wirtschaft und Gesellschaft verständlich wird. Das 19. Jahrhundert war vor allem geprägt durch die Industrialisierung, welche „die Fesseln der traditionellen gewerblichen, aber auch landwirtschaftlichen Wirtschaftsweisen sprengt“12 und zugleich einen enormen Wachstumsprozess evozierte. Der Modernisierungs- und Wachstumsprozess vollzog sich allerdings „gleichmäßig in allen Branchen und allen Wirtschaftsregionen“, sondern „vielmehr sowohl sektoral als auch regional ungleichzeitig und ungleichgewichtig“.13 Es gibt eine Vielzahl älterer und neuerer Erklärungsansätze, was genau diese Prozesse in Gang setzte.14 Als eine der wichtigsten Voraussetzungen wird heute der institutionelle Wandel angesetzt, der spätestens mit der Auflösung der feudalen Wirtschafts- und Sozialordnung in Folge der preußischen Stein-Hardenberg’schen Reformen (1807), die sowohl die Landwirtschaft als auch das Gewerbe umfassten, einsetzte. In den 10 11 12 13 14

Hildebrand: Zentralkassen, genossenschaftliche, S. 950. Kellenbenz: Wirtschafts- und Sozialentwicklung, S. 71; siehe auch Wygodzinski: Landwirtschaft, S. 250 f.; Müller: Landwirtschaft, S. 5. Ziegler: Zeitalter, S. 229. Ebd.; siehe auch Kiesewetter: Industrialisierung, S. 93. Ziegler: Revolution, S. 1–12, macht in seinem Überblick unter anderem auf den institutionenökonomischen Erklärungsansatz von Wischermann und Nieberding aufmerksam (siehe Wischermann/Nieberding: Revolution).

16

I. Einleitung

Reformen wurden die „wesentlichen Organisationsprinzipien des napoleonischen Frankreichs“15 übernommen, womit die ‚Bauernbefreiung‘16 den Bauern (formal) zum „Vollbürger“, „Volleigentümer“ sowie zum „Vollunternehmer“17 machte. Durch die Auflösung der feudalen Bindungen erhielt der Bauer die Eigentumsrechte an Grund und Boden. Die Entflechtung der genossenschaftlichen Beziehungen sowie die Regelung der Gemeinverpflichtungen und der Dienstbarkeiten gaben ihm zudem die Dispositionsfreiheit über die eigene Arbeitskraft. Mit der Verlagerung der Eigentumsrechte traten für die Bauern jedoch neue Hürden auf: etwa hohe Ablösesummen, Verschuldung und Landarmut. Trotzdem konnten Bauern nunmehr als freie Akteure auf den Markt treten, sofern hierin ein (Einkommens-) Vorteil attribuiert wurde.18 In Napoleons 1806 begründetem Rheinbund, in den auch das Herzogtum Berg nunmehr als Großherzogtum Berg (daher die Bezeichnung Bergisches Land) integriert wurde, wurde mit der Einführung des Code Civil die Bauernbefreiung als „defensive Modernisierung“19 eingeleitet, die jedoch im Oberbergischen an der Umsetzung scheitern sollte.20 Der Historiker Franz Steinbach schilderte in seinen Beiträgen zur bergischen Agrargeschichte (1922), dass die Bauern bereits vor den Reformen Möglichkeiten entdeckt hatten, aus der Abgabenpflicht „nur noch […] ein Zubehör jener Stellung als Herr des Hofgerichtes […] erklären“21 zu können. Mit anderen Worten: Die rechtlichen und wirtschaftlichen Bindungen an den Grundherrn waren im Bergischen bereits vor der Bauernbefreiung weitestgehend gelockert und in Pachtverhältnisse (im Sinne rationaler Vertragsverhältnisse) überführt worden.22 Als Leitmotiv galt hierbei die „Erhaltung der Ackernahrung in ihrer für die ständische Stellung der Familie entscheidenden Größe“.23 Als die Bauern die Ablösesummen zahlen sollten, waren sie weit mehr an der Aufrechterhaltung der „adelig-bäuerlichen Symbiose“24 interessiert als am 15 16 17

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Wischermann/Nieberding: Revolution, S. 58. Zum Begriff der Bauernbefreiung siehe Ziegler: Zeitalter, S. 254. Seidl: Agrargeschichte, S. 133; vgl. ferner Wischermann/Nieberding: Revolution, S. 58. Der Code Civil (später Code Napoléon) verwirklichte den bürgerlichen Eigentumsbegriff. Mit dem Code Civil vollzog sich die „zivilrechtliche Verwirklichung der drei Grundprinzipien der Freiheit: Freiheit der Person, Freiheit des Eigentums, Freiheit des Rechtsverkehrs“ (Wischermann/Nieberding zitieren Conrad: Preußen, S. 81). Grundherrschaftliche Verhältnisse wurden damit in schuldrechtliche Verhältnisse umgewandelt. Kopsidis: Agrarentwicklung, S. 11. Ziegler: Revolution, S. 17. Dipper: Bauernbefreiung, S. 54. Steinbach: Beitrage, S. 61. Siehe hierzu auch Kopsidis: Agrarentwicklung, S. 199 f. Steinbach: Bürger, S. 9. Ebd., S. 19; ferner ausführlich zur Bauernbefreiung im Großherzogtum Berg Dipper: Bauernbefreiung, S. 54; siehe auch Steinbach: Beiträge, S. 45–53; LA NRW Düsseldorf, LA Wipperfürth Nr. 245, Königliche Kreis-Behörde Wipperfürth, Allgemeine Verwaltung, Acta betreffend die Höheren Orts beabsichtigte Beschränkung der Zerstückelung bäuerlicher Grundstücke, 1837–1926, S. 169 verso u. recto, Schreiben des Bürgermeisters von Lindlar an die Kreisverwaltung vom 1. August 1894, wonach in Lindlar das Intestaterbrecht zur Anwendung kommt; siehe ebd., diverse Schreiben aus den Bürgermeistereien Cürten, Engelskirchen, Wipperfeld, Wipperfürth und Klüppelberg; Steinbach: Bürger, S. 18 f.; Kraus: Landwirtschaft, S. 39; Zorn:

1. Aufbau der Untersuchung und einige Anmerkungen vorab

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Erkaufen der Freiheit. Dennoch prägte das Lehnsverhältnis bis weit in das 19. Jahrhundert das bäuerliche Verständnis ihrer persönlichen Stellung innerhalb der Gesellschaft. Wie ‚ökonomisch‘ war demnach die ländliche Gesellschaft in der Rheinprovinz, insbesondere in den Kreisen Gummersbach, Waldbröl und Wipperfürth, zum Zeitpunkt der Gründung der ersten Kreditgenossenschaften?25 Eine Annäherung liefern folgende Überlegungen: Das regional höchst unterschiedliche Produktionsniveau lässt sich mit den unterschiedlichen Strukturen vorindustrieller Märkte, deren Qualität im Konnex der landwirtschaftlichen Produktivitätssteigerung und der unterschiedlich ausgeprägten Nähe zu urbanen Zentren erklären.26 Michael Kopsidis betont, dass hochkomplexe, oft lokal geschlossene Marktkreisläufe bereits seit Ende des Mittelalters bestanden und damit keine durch die Agrarreformen plötzlich hervorgerufenen Institutionen entstanden waren.27 Die wichtigsten Akteure dieser Märkte waren Bauern und landarme Unterschichten. Kopsidis negiert damit auch das Bild der „autarken, selbstgenügsamen bäuerlichen Subsistenzwirtschaft“.28 Versuche der Einkommenssteigerung nahmen nach Kopsidis bereits zu, als etwa durch steigende Nachfrage mit „einkommenssteigernden Innovationen verbundene Risiken“29 reduziert wurden. Die Industrialisierung und die damit wachsenden Märkte, das heißt die steigende Nachfrage und die Gewissheit, produzierte Erzeugnisse auch absetzen zu können, waren laut Kopsidis ausschlaggebend; das Risiko, auf den über den Eigenbedarf hinaus produzierten Erzeugnissen ‚sitzen zu bleiben‘, wurde durch die zunehmenden Nachfrager in den urbanen und industriellen Zentren minimiert. Fasst man Kopsidis’ Ausführungen zusammen, so sorgten nicht die Agrarreformen, sondern „[m]odernisierungsbedingte Marktprozesse“ dafür, dass „die ‚traditionelle‘ bäuerliche Ökonomie ihre höchste Vollendung während der Industrialisierung erreichte und Bauern in Verfolgung ihrer traditionellen Ziele und Familienstrategien aus eigener Kraft den Übergang in eine kapitalistische Erwerbsklasse von Eigentümern vollzogen“.30 Dies deutet, mit Blick auf die frühzeitige Lockerung der Lehnsverhältnisse sowie auf Steinbachs Hinweise, auf eine bereits während der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ökonomisch emanzipierte ländliche Bevölkerung im Bergischen hin.

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Struktur, S. 56 f.; Kellenbenz: Wirtschaftsgeschichte, S. 37 f., hebt zur Beschreibung der ländlichen Gesellschaft das Strukturmerkmal der Erbsitte hervor. In Gebieten mit Anerbensitte (zum Beispiel Westfalen) waren am häufigsten selbstständig für den Markt wirtschaftende Bauern zu finden. Die „überschüssige Bevölkerung mit nicht verheirateten Töchtern und nachgeborenen Söhnen staute sich am stärksten in Familien des Realteilungsgebiets“ (S. 38). Vgl. Kopsidis: Agrarentwicklung, insb. Einleitung. Siehe hierzu ausführlich Landsteiner: Landwirtschaft. Kopsidis: Agrarentwicklung, S. 11. Nach ebd., S. 12, 199 f., setzte die Agrarentwicklung gestützt auf und nicht gehemmt durch den Bauern bereits vor den Agrarreformen ein. Damit käme den Agrarreformen lediglich noch eine „unterstützende Wirkung“ (S. 199) für das agrarische Wachstum unter den Bedingungen einer vorindustriellen Agrarwirtschaft zu. Kopsidis will die Bedeutung der Agrarreformen sowie deren Bedeutung als „Motor wirtschaftlicher Entwicklung“ (S. 200) relativiert wissen. Ebd., S. 12. Ebd.

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I. Einleitung

Zu ähnlichen Ergebnissen kam auch Rita Aldenhoff-Hübinger 2002.31 Die agrarische Mittelschicht des Kaiserreichs sei „durchaus bereit gewesen, die Herausforderungen der Marktgesellschaft anzunehmen. Diese Innovationsbereitschaft habe sich in der Ausweitung des landwirtschaftlichen Genossenschaftswesens […] niedergeschlagen.“32 Wolfram Pyta führte hierzu Mitte der 1990er-Jahre an, dass zwischen der ökonomischen Modernisierung und der Lebenswelt, das heißt der Adaption bürgerlicher Lebenseinstellungen und der Ökonomisierung der Landwirtschaft differenziert werden müsse.33 Ersteres sei nicht mit zweitem gleichzusetzen: „Der Bauer öffnete sich zwar dem Marktgeschehen, sein wirtschaftlicher Horizont erfuhr dadurch eine beträchtliche Erweiterung, er empfand auch immer stärker die weltwirtschaftliche Verflochtenheit der von ihm betriebenen Landwirtschaft. Jedoch wandelte er sich darob nicht in einen nüchtern kalkulierenden Unternehmer, der soziale Kontakte an der Elle des wirtschaftlichen Nutzens ermessen hätte“.34 Spätestens seit den Agrarreformen waren die Bauern also endgültig für die Bewirtschaftung ihrer Höfe selbst verantwortlich und damit auch für den Ankauf von Saatgut, die Beschaffung von Werkzeugen und Maschinen oder für bauliche Investitionen. Das hierzu notwendige Eigenkapital reichte in der Regel jedoch nicht aus. Vor allem saisonal bedingt kam es zu Engpässen. Aber auch je nach Phase des Lebenszyklus variierte der Kapitalbedarf.35 Dem Kapital- beziehungsweise Kreditbedürfnis der Bauern stand allerdings bis Mitte des 19. Jahrhunderts, vielerorts bis Ende des 19. Jahrhunderts kein angemessenes Kreditsystem gegenüber.36 Dies wirft die Frage auf, wie eigentlich die Kreditwirtschaft im Rheinland um 1850 aussah. Welche Akteure lassen sich benennen und welche Geschäftsfelder hatten sich herausgebildet? Da in der Rheinprovinz vor allem klein- und mittelbäuerlicher Besitz vorherrschte und damit rund 80 Prozent der Bauern Höfe von unter 20 Hektar landwirtschaftlich genutzter Fläche bewirtschafteten – im Oberbergischen betrug die landwirtschaftlich genutzte Fläche pro Betrieb durchschnittlich unter 4,0 Hektar –,37 war es im Rheinland nicht zur Gründung von Realkreditinstituten für die Landwirtschaft gekommen; dass Realkreditinstitute sowie adelige Kreditgenossenschaften nach der Art der Provinziallandschaften nicht vorhanden waren, resultierte laut Wolfgang Zorn vor allem aus dem Fehlen nennenswerten Gutsbesitzes.38 Als Akteure lassen sich daher zunächst die Privatbankiers nennen. 31 32 33 34 35 36 37 38

Aldenhoff-Hübinger: Agrarpolitik, S. 17, widerlegt unter Heranziehung von Ian Farr und Robert G. Moeller das Bild des konservativen Bauern. Ebd. Pyta: Dorfgemeinschaft, S. 47. Ebd. Siehe unter anderem Bracht/Fertig: Vermögensstrategien, S. 177–191. Pohl: Bankwesen, S. 123. Zur rheinischen Betriebsgrößen- und Eigentumsstruktur siehe Lichter: Landwirtschaft, Kap. 1.1. Zorn: Struktur, S. 46 f.; siehe auch Born: Geld, S. 189 f.; Thul: Grundzüge, S. 100–108. – Im Jahr 1853 wurde nach westfälischem Vorbild im Rheinland eine gemeinnützige ProvinzialHülfskasse gegründet. Die Auflagen für einen Kredit waren sehr streng. Zudem waren die Kredite zweckgebunden (Meliorationskredite) und verfehlten daher den eigentlichen Bedarf.

1. Aufbau der Untersuchung und einige Anmerkungen vorab

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Sie nahmen die „beherrschende Stellung im Bankwesen“39 ein und galten bis zur Gründung der größeren Aktienbanken Mitte des 19. Jahrhunderts als Träger des deutschen Kreditwesens.40 Neben anderen deutschen Städten stiegen Köln und Elberfeld (die hier mit Blick auf den Untersuchungsraum genannt werden), zu überregional bedeutenden Bankplätzen auf.41 Die Kölner Bankhäuser unterhielten vor allem enge Geschäftsbeziehungen zu Industrie und Gewerbe in Rheinland und Westfalen, was auf ihre Entstehungsgeschichte zurückzuführen ist.42 Hans Pohl stellt als Kennzeichen der Bankhäuser ihre lange Tradition heraus, „aus der sich Bodenständigkeit, Erfahrung, Familienbeziehungen und Beziehungen gesellschaftlicher Natur, Kenntnisse lokaler Art und Menschenkenntnis entwickelt hatten“.43 Die von den Privatbankiers vergebenen Kredite basierten in der Regel auf dem „rein persönlichen Charakter“,44 das heißt auf der Grundlage des persönlichen „Vertrauens des Bankiers in die unternehmerischen Fähigkeiten seines Kreditnehmers. Ruf, kaufmännische und technische Tüchtigkeit und der Charakter des Kreditsuchenden waren ausschlaggebend für die Kreditgewährung“45 – der Landmann war damit ausgeschlossen.46 In der Methode der auf persönlichen Beziehungen beruhenden Kreditvergabe – was auch, wie zu zeigen sein wird, ein Hauptmerkmal der ländlichen Kreditgenossenschaften war – lag zugleich ein Grund dafür, dass Privatbankhäuser vielfach keine Filialen unterhielten, sondern Geschäfte anderenorts durch befreundete Bankiers besorgen ließen. Anders hätten die Unsicherheiten die Informations-, Überwachungs- und Koordinationskosten extrem nach oben getrieben. Auch die Aktien39 40 41 42 43 44 45

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Pohl: Bankwesen, S. 13. Das Kerngeschäft der Privatbankiers umfasste vor allem die Vermittlung und Unterbringung von Staatsanleihen. Die erste Aktienbank war der Schaaffhausen‘sche Bankverein (gegr. 1848). Zum Bankplatz Köln siehe unter anderem Tilly: Financial Institutions; Treue: Banken, S. 567– 577; Teichmann: Oppenheim; Stürmer/Teichmann/Treue: Wägen; Leppin: Bank; Rudersdorf: Wiederbeginn. Pohl: Bankwesen, S. 18 f. – Die bedeutendsten Kölner Bankhäuser entstanden aus Handels-, Kommissions- und Speditionsgeschäften und sind mit Namen wie Abraham Schaaffhausen, Sal. Oppenheim, I. D. Herstatt und J. H. Stein verbunden. Ebd. Ebd. Ebd., S. 21; siehe auch unter Hinweis auf Pohl Schumpeter: Business Cycles, 1939, S. 116: „[T]he banker must not only know what the transaction is which he is asked to finance and how it is likely to turn out but, he must also know the customer, his business and even his private habits, and get, by frequently ‘talking things over with him’, a clear picture of his situation”. Faßbender: Spar- und Darlehnskassenvereine, S. 15, beschreibt die Alternativen der ländlichen Bevölkerung, Geld zu leihen. Die „städtischen Kapitalisten“ kommen hierbei nicht in Frage. „Mit reellen städtischen Kapitalisten in Verbindung zu treten, ist dem Landmanne in den seltensten Fällen möglich, weil es ihm an der dazu erforderlichen Bekanntschaft fehlt, deshalb seine Creditfähigkeit in der Stadt nicht bekannt, und für jedes kleinere Darlehn eine Hypothek zu bestellen zu kostspielig ist“. Ähnliches konstatierte auch Hansjoachim Henning. In seiner im nördlichen Rheinland angesiedelten Untersuchung stellt er heraus, dass eine Beteiligung von Privatbanken am Hypothekarkredit nicht stattgefunden habe, da die breit gestreuten und relativ kleinen Objekte zu wenig profitabel waren. Henning nennt sachliche und persönliche Motive der Privatbankiers als Erklärungsgrund, vor allem seien die Möglichkeiten der Einflussnahme wie bei Industriefinanzierungen hier zu marginal. Siehe Henning: Aufbringung, S. 50.

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I. Einleitung

banken waren zunächst nicht an Geschäften mit der ländlichen Bevölkerung interessiert, wie Richard H. Tilly Ende der 1980er-Jahre konstatierte: “by concentrating on the financing of small numbers of relatively large-scale projects and established enterprises, the ‘great banks’ neglected large segments of the country’s financial business: agricultural credit, housing, small business (especially new business enterprises), small savings, denote fields left to the municipal savings banks, the credit cooperatives, local small private bankers”.47 Als Partner der ländlichen Bevölkerung in Finanzdienstleistungsfragen kamen seit den 1850er-Jahren die in vielen ländlichen Gemeinden eingerichteten Sparkassen in Betracht. Von diesem neuen Angebot machte die ländliche Bevölkerung vor allem zunehmend beim Sparen Gebrauch. Kleinere Beträge, die bis dahin im ‚Sparstrumpf‘ gehortet worden waren und damit dem Geldkreislauf entzogen waren, wurden verzinslich bei den neuen Gemeinde- oder Kreissparkassen angelegt. Die Sparkassen sollten den ärmeren Bevölkerungsschichten, die durch die operativen Modi der Privatbankiers von Geschäften mit diesen de facto ausgeschlossenen waren, die Möglichkeit geben, kleinere Beträge verzinslich anzulegen und damit sich selbst vorsorgeorientiert abzusichern, so der statuarische Gründungszweck.48 Diese Idee wurzelte in philantrophisch-aufklärerischen Absichten sowie in sozialpolitischen Konzepten zur Armenfürsorge.49 Neben den Sparkassen bestanden in größeren Ortschaften Leihhäuser, die gegründet worden waren, um die Kreditbedürfnisse mittelständischer oder kleinerer Handwerker, Gewerbetreibender und Bauern zu befriedigen. Während die Sparkassen auf eine vorsorgende Funktion ausgerichtet waren, bedienten die Leihhäuser denjenigen, der sich bereits in einer finanziellen Notlage befand.50 Welche Möglichkeiten der Kapitalbeschaffung bestanden demnach für die ländliche Bevölkerung? Das Borgen innerhalb der Familie oder der Nachbarschaft, vielfach auf der Grundlage von Schuldverschreibung, wurde bereits seit dem späten Mittelalter praktiziert, so auch in den zu untersuchenden Kreisen.51 Wie eingangs 47 48

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Tilly: Banking Institutions, S. 190 f. RWWA, 401-2-5, Statuten diverser Sparkassen; siehe auch Ashauer: Betrachtung, S. 11 f., konstatiert, dass ländliche Regionen „lange und weitgehend unversorgt“ blieben; mehr noch, er betont den „schlechten Erfolg“ der Sparkassen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts (unattraktive Zinsen, kaum Werbung, begrenzte Schalteröffnungszeiten, schwerfällige Abwicklung), zumal erst mit dem „Take-off“ Realeinkommen erwirtschaftet wurden, die breite Bevölkerungsschichten sparfähig machten. Siehe unter anderem Gladen: Funktionen, S. 209–226. – Die Trägerschaft der Sparkassen lag bei den Städten und Kommunen, worin auch das heute noch gepflegte ,Regionalprinzip‘ begründet ist. Siehe zu diesem Abschnitt beziehungsweise zur Geschichte der Sparkassen im Allgemeinen unter anderem Pohl: Sparkassen; Pohl/Rudolph/Schulz: Wirtschafts- und Sozialgeschichte; ältere, jedoch immer noch zu den Standardwerken zählende Publikationen stammen von Josef Wysocki (unter anderem Wysocki: Untersuchungen; ders.: Entwicklung, S. 168–175). Steinbach: Beiträge, S. 45–53; LA NRW Düsseldorf, LA Wipperfürth Nr. 245, Königliche Kreis-Behörde Wipperfürth, Allgemeine Verwaltung, Acta betreffend die Höheren Orts beabsichtigte Beschränkung der Zerstückelung bäuerlicher Grundstücke, 1837–1926, S. 169 verso u. recto, Schreiben des Bürgermeisters von Lindlar an die Kreisverwaltung vom 1. August 1894; Faßbender: Spar- und Darlehnskassenvereine, S. 15, ist zu entnehmen, dass die Geld-

1. Aufbau der Untersuchung und einige Anmerkungen vorab

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bereits erwähnt, waren Mitte des 19. Jahrhunderts sowohl Geldwirtschaft als auch Geldleihe für die ländliche Bevölkerung längst nichts Unbekanntes mehr, wenn auch nicht für jedermann alltäglich.52 Zugehörige fast aller Berufsgruppen traten in ihrem Leben mindestens einmal in eine Kreditbeziehung ein, entweder als Gläubiger oder als Schuldner.53 Besonders im Handel waren Kredite aus lokalen, regionalen und überregionalen Transaktionen nicht mehr wegzudenken.54 Die Netzwerke der informellen Geldleihe wurden allerdings nicht rein willkürlich gestrickt, sondern folgten sozialen Vergabemustern und fanden in sozioökonomisch umrissenen Subclustern statt; für die Kreditmärkte lässt sich feststellen, dass die Kredite vorwiegend nach Homogenitätskriterien vergeben wurden: Handwerker liehen Handwerkern, Händler liehen Händlern.55 Dies ist vor allem auf die Häufigkeit ihrer Kontakte beziehungsweise die Frequenz der sowieso bereits bestehenden Beziehungen zurückzuführen. Zudem dürften hier althergebrachte Standesverständnisse gegriffen haben.56 Die These der „Omnipräsenz von Kreditbeziehungen“57 konnte sowohl für städtische als auch für ländliche Gebiete, sowohl für die Frühe Neuzeit als auch für das 19. Jahrhundert wiederholt verifiziert werden. Finanzielle Engpässe konnten saisonbedingt entstehen, lokale Krisen, wie Ernteausfälle, aufgrund fehlender spezifisch entwickelter Kreditinstitutionen zu vorübergehender lokaler Kreditnot führen. Besondere Probleme in den genannten informellen Kreditbeziehungen ergaben sich vielfach in Hinblick auf Fristigkeiten, Sicherheiten und die Höhe der Zinsen, den Zeitpunkt des Bedarfs, die Höhe des benötigten Betrages sowie bezüglich der Kontrolle des Kreditnehmers durch den Kapitalgeber. Die Sparkassen, als formelle Finanzintermediäre, wurden – besonders aus den Reihen der Genossenschaftsbewegung – vielfach als „in ihrer Geschäftsführung für schnelle Creditbewilligungen und kleinere Darlehn zu schwerfällig, und daher für die laufenden Bedürfnisse der Landwirthe unzureichend“58 bewertet.

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leihe unter Bauern häufiger zu Schwierigkeiten in den sozialen Beziehungen führte und daher oftmals vermieden wurde; hinzu trat das Problem, dass die Einnahmen und Ausgaben des landwirtschaftlichen Betriebes sich auf bestimmte Zeiten verteilten und daher Geldmangel beziehungsweise -überschuss häufig zur gleichen Zeit bei vielen Bauern eines Ortes auftraten. Zum ländlichen Kreditmarkt siehe unter anderem Fertig: Kreditmärkte, S. 161 f.; Fertig: Xenophobie, S. 53–76; Bauer: Gesellschaft, S. 321–355; Fertig: Äcker; Boelcke: Agrarkredit. Zorn: Struktur, S. 56 f.; Hille: Gesellschaft, S. 209. – Bereits im 17. Jahrhundert war der Agrarsektor entgegen der geläufigen Vorstellung der bargeldlosen Naturalwirtschaft, längst in ein „System weitverzweigter Kreditbeziehungen“ integriert. Fontaine: Relations, S. 208; siehe auch Lipp: Aspekte, S. 24 ff. Wee, van der: Forschungen, S. 215. Hoffmann/Postel-Vinay/Rosenthal: Marchés, S. 212 f. Siehe hierzu unter anderem Holzer: Netzwerke, S. 17. Lipp: Aspekte, S. 25. Faßbender: Spar- und Darlehnskassenvereine, S. 15. Über das Kreditgeschäft der Sparkassen im 19. Jahrhundert ist in der Forschung vielfach kontrovers diskutiert worden; siehe unter anderem Pix: Personalkredit, S. 17–46; Thomes: Sparkassen, S. 11, konstatiert, dass bezüglich des Aktivgeschäftes der Sparkassen „noch immer gerne kolportiert“ wird, dass das Aktivgeschäft (das umfasse gleichermaßen das Personalkreditgeschäft) von Beginn an zu den Geschäftstätigkeiten der Sparkassen gezählt habe; Henning: Aufbringung, S. 47, kommt zu dem

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I. Einleitung

Ein großes Problem im ländlichen Raum des 19. Jahrhunderts stellten die so genannten Wuchergeschäfte dar. Kritische und breit geführte sozialpolitische Debatten entzündeten sich an dieser Form der informellen Geldleihe, bei der ‚Wucherer‘ – in der zeitgenössischen (sozialreformerischen) Literatur mit antisemitischer Stoßrichtung auch als „Korn- und Viehjuden“59 apostrophiert – mit undurchsichtigen Kreditverträgen etwaige Notsituationen des Darlehnsnehmers unter Exploitation der asymmetrischen Informationen ausnutzten. Unter Wucher verstand man den „durch unsittliche auf Gewinn abzielende Handlungen gesteigerten Vorteil im Verkehr“, der insbesondere auf der „Benützung der Verlegenheiten eines Anleihesuchenden zur Erlangung übermäßiger Zinsen“60 basierte. Die lokalen, informellen Geldverleiher waren meist Händler aus näher gelegenen größeren Ortschaften.61 Die monopolartig aufgestellten Händler machten sich ihre Stellung und mithin „die mangelnde Geschäftserfahrung des noch nicht auf die neuen Verhältnisse eingestellten Bauernstandes“62 zunutze, indem sie zum Beispiel Geld an Personen liehen, deren Kreditfähigkeit in der Regel bereits ex ante als unzureichend einzuschätzen war, oder sie konzipierten die Rückzahlungsmodalitäten derart, dass der Kredit erheblich teurer wurde, als bei Abschluss des Geschäftes für den Schuldner ersichtlich. Zunächst hatten die Schuldner hohe Provisionen zu zahlen, hinzu kamen Zinsen und schließlich Verlängerungszinsen. Konnten die Schuldner nicht zahlen, wurde zunächst das Vieh – unter Wert – gepfändet. Vielfach entstand so ein Circulus vitiosus, der erst durch die Zwangsversteigerung („Güterschlächterei“63) ein, wenn auch unerfreuliches, Ende fand. Wuchergeschäfte traten als Geld- oder Kreditwucher, als Viehwucher, Grundstückswucher oder Warenwucher, im ext-

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Ergebnis, dass das Aufkommen des Sparkassen-Kleinkreditgeschäfts wohl verdeckt wurde von den Hypothekarkrediten bis zu 1.500 Mark, die 1872 rund 15 Prozent des Umsatzes der nordrheinischen Sparkassen ausgemacht haben; fraglich bleibt jedoch, wer der Kundenkreis war. Für die 1890er-Jahre nennt Henning unter anderem Handwerker im ländlichen Raum, die das Geld zur Finanzierung von betrieblichen Investitionen benötigten. Dieses Geschäft war jedoch rückläufig, bedingt durch den günstigeren Personalkredit der sich ausbreitenden Kreditgenossenschaften. LHA Koblenz, 403/13274, Schreiben der Landwirtschaftskammer für die Rheinprovinz an den Minister für Landwirtschaft, Domänen und Forsten vom 31. Dezember 1916 betreffend die Förderung des landwirtschaftlichen Betriebskredits. In dieser Bezeichnung kommt vor allem eine antisemitische Haltung zum Ausdruck, wie sie unter anderem Veröffentlichungen des Generalverbandes ländlicher Genossenschaften in Deutschland e.V. zu finden ist, so zum Beispiel in Wildhagen: Raiffeisen-Vereine, S. 7; [o. Verf.]: Raiffeisen, S. 3; Schick: DarlehnskassenVereine, S. 5, spricht vom „Wucherjuden“ sowie zugleich vom „Wucherchrist“. Wucher, in: Huber: Universal-Lexikon, Bd. 2, S. 756; siehe auch Wuchergesetz, in: Engelmann. Rechts-Lexikon, S. 435. Siehe unter anderem Verein für Socialpolitik: Wucher; Verein für Socialpolitik: Zustände; LA Koblenz 403/9342, Liste von Wuchergeschäften betreibenden Personen im Raum Kreis Bonn/ Siegkreis, die zwischen 1853 und 1857 verurteilt wurden. Genannt werden auch zwei Personen aus Holpe (Christian und Wilhelm Caspary, beide Ackerer und Handelsmann) und eine Person aus Morsbach (Johann Strausberg sen., ohne Beruf) (Kreis Waldbröl). Die Liste gibt einen Überblick über die Gefängnis- und Geldstrafen, die Berufe der Wuchergeschäfte betreibenden Personen und deren Wohnort. Unter den 34 genannten Personen befand sich eine Frau. Roßberg: Anteil, S. 14. Wuttig: Raiffeisen, S. 11.

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remsten Fall als Zusammenspiel aller Formen (derart, dass der Wucherer die gesamte Buchführung für den Bauern übernahm) auf.64 Aus der fehlenden Transparenz der Kreditpraxis folgten die genannten hohen Risiken. Gesichertes statistisches Material über die Häufigkeit dieser Kreditbeziehungen gibt es nicht.65 Diese Händlerkredite wurden vonseiten der kommunalen Verwaltungen und der Landwirtschaftskammern vielfach als „unerfreuliche Erscheinung“66 angeprangert, zumal weder die Ausleihfristen noch die zu stellenden Sicherheiten als angemessen galten und die Kredite in der Regel nicht den Bedürfnissen der Landwirtschaft entsprachen. Darstellungen des 19. Jahrhunderts ist zu entnehmen, dass Wucherer sich vornehmlich in den Tälern niederließen, da im Hinterland die Ortschaften „im Großen und Ganzen […] zu arm [waren], als daß sich die wuchernden Geschäftsleute dort niederließen“.67 Zudem war die Beschaffung der notwendigen Informationen über die potenziellen Kreditkunden (zum Beispiel über Zuverlässigkeit, Arbeitsleistung, Trinkgewohnheiten) sehr aufwendig und damit in weit abgelegenen Gebieten unrentabel. Dennoch: Für die städtischen Banken war es noch schwieriger, die notwendigen Informationen über ländliche Kreditsuchende zu sammeln. Sie hätten zur Abwicklung dieser Bankgeschäfte große Mengen von nicht standardisierten Informationen beschaffen und aufbereiten müssen, was vor allem im Verhältnis zu den kleinen Beträgen, um die es sich im Normalfall bei solchen Agrarkrediten handelte, viel zu aufwendig war. Demnach standen die Informationskosten in keinem angemessenen Verhältnis zu den Kreditvolumina beziehungsweise den zu erwartenden Gewinnen.68 Der Kreditsuchende auf dem Land war also aufgrund fehlender Alternativen bzw. fehlender Kenntnis des Marktes oftmals von informellen Kreditgeschäften abhängig.69 Um diese Probleme zu lösen, wurden als neue Finanzintermediäre seit Mitte des 19. Jahrhunderts die Kreditgenossenschaften gegründet. Die „bäuerliche genossenschaftliche Kredit-Selbsthilfe der Raiffeisenvereine“,70 benannt nach Friedrich Wilhelm Raiffeisen, der das Konzept der ländlichen Darlehnskassen-Vereine im Westerwald entwickelt hatte und noch heute von vielen als „Vater des ländlichen Genossenschaftswesens“71 gewürdigt wird, ging vom Rheinland aus. Dass im 64 65

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Born: Geld, S. 192 f., umreißt kurz die Praxis von Wuchergeschäften in ländlichen Regionen. Barre: Wucher, S. 16, versucht anhand der beim Amtsgericht registrierten Viehleihverträge zu berechnen, wie viele „Wuchergeschäfte“ in den Amtsgerichtsbezirken Trier, Wittlich, Bitburg, Prüm und Saarlouis zwischen 1878 und 1889 abgeschlossen wurden; Guinnane bezieht sich in seiner Untersuchung auf die gleiche Datengrundlage. Roßberg: Anteil, S. 14. Barre: Wucher, S. 214; LWK: Jahresbericht 1906, S. 47. Bonus: Genossenschaft (1987), S. 8. Siehe hierzu Bonus: Genossenschaft (1985), S. 7 f., 15–19; ders.: Genossenschaft (1987), S. 7 f. – Die Publikation von 1987 basiert auf dem Paper von 1985, sodass viele Aspekte in beiden Veröffentlichungen zu finden sind. Zorn: Struktur, S. 46 f.; Baldus: Entwickelung, S. 21 f. – Landwirtschaftliche Großbetriebe gab es im Kreis Gummersbach nicht, und es waren auch nur wenige größere Besitzungen vorhanden (Rittergüter); siehe auch Barre: Wucher, S. 214; Kluge: Geschichte, S. 73, kommt ebenfalls zu dem Ergebnis, dass die Kreditgenossenschaften nach dem Konzept Raiffeisens in den ersten Jahren zunächst ausschließlich in der Rheinprovinz gegründet wurden. Siehe unter anderem Feldmann: Genossenschaftswesen, S. 157. – Friedrich Wilhelm Raif-

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I. Einleitung

Rheinland die ersten ländlichen Kreditgenossenschaften entstanden, resultiere, so Wolfgang Zorn, vor allem aus der Besitzstruktur beziehungsweise der Durchschnittsgröße der landwirtschaftlichen Betriebe (vice versa waren daher eben keine Realkreditinstitute entstanden);72 jedoch darf die Betriebsgröße nicht als allein entscheidender Parameter gesehen werden, vielmehr hing die Wirtschaftskraft eines Betriebes nicht allein von dessen Größe ab, sondern in entscheidendem Maße auch von der Marktzugangslage und den naturgebundenen Ertragschancen. Im Jahr 1900 existierten in der Rheinprovinz über 850 ländliche Kreditgenossenschaften, 1905 bereits rund 1.200 und zu Beginn des Ersten Weltkrieges etwa 1.500.73 Neben diesem quantitativen Wachstum verbreiterten die ländlichen Kreditgenossenschaften zunehmend ihr Leistungsangebot, sodass einige der hier untersuchten Kreditgenossenschaften sich bis 1914 von Darlehnskassenvereinen zu Dorfbanken entwickelten. 2. ERKENNTNIS LEITENDE FRAGEN In den wenigen bisher vorgelegten wirtschaftshistorischen Untersuchungen über die Herausbildung und die Entwicklung der ländlichen Kreditgenossenschaften in Deutschland wurden die Strukturen der formalen Organisation der Kreditgenossenschaften, so zum Beispiel die unternehmensspezifischen Regeln der Beschaffung und Verarbeitung von Information als auch die Kontrolle der diachronen Veränderung der Informationen im Verlauf der Beziehung zwischen den Vertragspartnern, weitestgehend ausgeblendet.74 Gerade hier ist aber die entscheidende Frage zu ver-

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feisen: *30. März 1818 (Hamm/Sieg), †11. März 1888 (Heddesdorf). Volksschulausbildung. Ab 1835 Unteroffiziersausbildung in der 7. Artilleriebrigade in Köln, 1840 Prüfung zum Oberfeuerwerker an der Inspektionsschule in Koblenz, dann Inspekteur bei der Sayner Hütte. 1843 Ausscheiden aus Militärdienst wegen eines Augenleidens. Es folgte eine Anstellung bei der Regierung Koblenz (zunächst als Kreissekretär in Mayen). Ab 1845 Bürgermeister in Weyerbusch (Kreis Altenkirchen), ab 1848 Bürgermeister in Flammersfeld und ab 1852 Bürgermeister in Heddesdorf bei Neuwied. Raiffeisen ging 1865 in Ruhestand. Es folgte zunächst die Gründung einer Zigarrenfabrik, später einer Weinhandlung. Als Bürgermeister initiierte Raiffeisen den Bau von Schulen, richtete Lehrerstellen ein und ließ Straßen anlegen, 1846/47 gründete er den Weyerbuscher Brodverein, 1849 rief er in Flammersfeld einen Darlehnskassenverein ins Leben, 1852 folgte die Gründung des Heddesdorfer Wohlthätigkeits-Vereins – alle Vereine basierten auf dem Wohltätigkeitsprinzip. 1862 Gründung des Darlehnskassen-Vereins in Anhausen bei Neuwied, dessen Satzung zum Normalstatut avancierte und bereits die wesentlichen Elemente der späteren Raiffeisen-Genossenschaften enthielt (Selbsthilfe, solidarische Haftung, kleiner Geschäftsbezirk, keine Geschäftsanteile, keine Eintrittsgelder und keine Dividenden, Ehrenamt, Stiftungsfonds). Siehe Soénius: Raiffeisen. Zorn: Struktur, S. 46. Nach eigenen Berechnungen. Dahlem: Professionalisierung, S. 6, Dahlem konstatiert ein ähnliches Desiderat für die deutschen Banken im Kaiserreich, sodass sich seine Überlegungen für die von ihm untersuchten Banken, teils Aktiengesellschaften beziehungsweise Kommanditgesellschaften auf Aktie (Deutsche Bank AG, Disconto-Gesellschaft KGaA, Berliner Handels-Gesellschaft KGaA und Bankhaus gebr. Bethmann), fast auf die rheinischen Genossenschaftsbanken übertragen lassen (vgl. insbesondere S. 3–7). Theoretisch geleitete und methodisch fundierte wirtschaftshis-

2. Erkenntnis leitende Fragen

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orten, warum es den ländlichen Kreditgenossenschaften gelungen ist, dauerhaft ökonomisch erfolgreich zu sein. Herauszufinden gilt also, welche formalen und informellen Regelsysteme die ländlichen Kreditgenossenschaften entwickelten. Wie jede andere Unternehmensform bildeten auch die ländlichen Kreditgenossenschaften spezielle Organisationsstrukturen und Strategien aus, welche grundsätzlich nicht statisch waren und im Laufe der Zeit wiederholt modifiziert, das heißt an sich ändernde (ökonomische) Rahmenbedingungen angepasst, werden mussten. Die Ausformung beziehungsweise die Veränderung der Unternehmensstrukturen sowie der Strategien der ländlichen Kreditgenossenschaften wurden bisher nicht hinreichend untersucht, insbesondere nicht diachron über einen ausreichend langen Zeitraum. Die ökonomischen (als auch nicht-ökonomischen) Rahmenbedingungen variierten je nach Sitz der Kreditgenossenschaft, sodass ein regionaler beziehungsweise lokaler Zugriff unumgänglich ist. Ein lokaler oder regionaler Zugriff erscheint aus noch einem weiteren, bereits angesprochenen Aspekt heraus, angeraten, was zugleich zum zweiten, durchaus verwandten Fragenkomplex führt: Die Produktionszyklen der Landwirtschaft waren länger als die der Industrie oder im Handwerk, womit zum Beispiel auch Kreditfristen länger ausfallen mussten, was wiederum zu einer Verteuerung des Kredites führte. Die Länge des Produktionszyklus in der Landwirtschaft – ob Vieh- oder Getreidewirtschaft – konnte bedingt durch Abhängigkeit von der Natur trotz Intensivierung und fortschreitender Technisierung kaum verkürzt werden. Kreditgenossenschaften in stärker landwirtschaftlich geprägten Gegenden mussten sich daher auf andere ökonomische und soziale Rahmenbedingungen einstellen als eine Kreditgenossenschaft, in deren Geschäftsgebiet ein hoher Anteil Gewerbetreibender ansässig war; die Nachfrage nach Bankleistungen dürfte bei landwirtschaftlichen Mitgliedern eine andere gewesen sein als bei Gewerbetreibenden.75 In Anlehnung an die sehr heterogene landwirtschaftliche Struktur der Rheinprovinz und in Anknüpfung an die Tatsache, dass die ersten ländlichen Kreditgenossenschaften in der Rheinprovinz gegründet wurden, ist davon auszugehen, dass sich die einzelnen Kreditgenossenschaften – jenseits der Differenzierung zwischen landwirtschaftlicher und gewerblich-handwerklicher Prägung – in Abhängigkeit von der Struktur der Landwirtschaft unterschiedlich entwickelten, da zum Beispiel Getreide anbauende Landwirte andere Ansprüche an landwirtschaftliche Kredite und weitere Bankleistungen stellten als Viehwirtschaft betreibende Bauern. Demnach kann es die ländliche Kreditgenossenschaft nicht gegeben haben. Bildete sich dementsprechend also eine Typenvarianz an ländlichen Kreditgenossenschaften heraus? Um diese Frage beantworten zu können, muss zunächst der Frage nachgegangen werden, inwieweit die einzelnen ländlichen Kreditgenossenschaften eher planvoll und bewusst oder spontan und zufallsbedingt in Reaktion zum Beispiel auf akute Krisen entstanden. Zu fragen ist hierbei, welche Rolle bereits bestehende Organisationen, wie zum Beispiel der Landwirtschaftliche Verein für Rheinpreußen

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torische Untersuchungen finden sich auch über ländliche Kreditgenossenschaften in der Regel nicht. Eine Ausnahme sind hier die Studien des US-amerikanischen Wissenschaftlers Timothy W. Guinnane. Siehe hierzu Beckmann: Kreditpolitik, S. 6; Roßberg: Anteil, S. 12 f.

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I. Einleitung

und der Rheinische Bauernverein spielten. Zudem ist danach zu fragen, welche Rolle den regionalen Genossenschaftsverbänden und deren Spitzenorganisationen zukam. Von besonderem Interesse für die Entwicklung sind, wie bereits angedeutet, die Mitgliederstruktur sowie die Geschäftssegmente und die Produkte der einzelnen Kreditgenossenschaften in den drei Kreisen. Weiter ist zu fragen, welche Strategien und Taktiken76 gegen Konkurrenten, wie die Sparkassen, herausgebildet wurden; außerdem, welche Strategien dazu beitrugen, dass sich die Kreditgenossenschaften langfristig als Organisationsform durchsetzen konnten. 3. FORSCHUNGSSTAND Die ländlichen Kreditgenossenschaften in Deutschland waren bislang kaum Gegenstand wirtschafts-, unternehmens- oder sozialhistorischer Forschung – Ausnahmen bilden die Studien von Timothy W. Guinnane. Zwar gibt es eine Vielzahl populärwissenschaftlicher und von Laien verfasster Publikationen, besonders Festschriften und Veröffentlichungen der genossenschaftlichen Spitzeninstitutionen, geschichtswissenschaftlich fundierte Untersuchungen, die theoretisch-methodischen geleitet und in den historischen Forschungsdiskurs eingebettet argumentieren, stellen hingegen eine Ausnahme dar. Anders die Geschichte deutscher Privat- und Aktienbanken, die inzwischen gut erforscht ist.77 In Ableitung aus dieser Forschungssituation soll die vorliegende Arbeit ihren Teil dazu beitragen, die genannte Lücke systematisch zu schließen. Die vorliegende Untersuchung basiert auf einer umfassenden Inventarisierung der heute noch bei den rheinischen Kreditgenossenschaften überlieferten Primärquellen.78 Eine derart breite, quellenfundierte Untersuchung ist erstmalig möglich, da die Verfasserin als erste Wissenschaftlerin überhaupt nicht nur Zutritt zu den wenigen Unternehmensarchiven der rheinischen Volks- und Raiffeisenbanken erhielt, sondern darüber hinaus auch zu deren Kellern und Speichern, wo Protokollbücher, Kontenbücher, Mitgliederlisten, Jahresberichte und Revisionsberichte (meist sehr unsystematisch) gelagert werden. Um der Fragestellung gerecht zu werden, stößt die Untersuchung in diverse Themenbereiche und Arbeitsfelder vor, vornehmlich diejenigen der Banken- und Agrargeschichte. Daraus ergibt sich, dass auch der Überblick über den Forschungsstand etwas breiter ausfallen muss. In der dreibändigen ,Deutschen Bankenge76 77

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Unter Strategie werden klassisch in der Regel langfristig geplante Verhaltensweisen von Unternehmen zur Erreichung ihrer Ziele verstanden, während unter Taktik kurzfristige Umgangsaktionen verstanden werden. Zum Begriff der Bankengeschichte siehe Ziegler: Bankengeschichtsschreibung, S. 112–116. Inzwischen ist eine Vielzahl spezieller bankenhistorischer Einzeluntersuchungen erschienen. Vor allem zur Entstehung des Universalbankensystems und zur Bedeutung der deutschen Banken aus makroökonomischer Perspektive, aber auch mit Blick auf personelle und sozialstrukturelle Fragen, liegt inzwischen eine Reihe spezieller Untersuchungen vor, etwa Burhop: Kreditbanken; Krause: Commerz- und Disconto-Bank. Ellerbrock/Soénius: Suche; Bessler-Worbs/Schmidt: RWGV-Forschungsprojekt; Schmidt: Kreditgenossenschaften.

3. Forschungsstand

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schichte‘, 1982/83 herausgegeben vom Institut für bankhistorische Forschung e.V. (Frankfurt am Main), sind lediglich die groben Entwicklungslinien der deutschen Kreditgenossenschaften von den 1840er-Jahren bis zu den 1980er-Jahren chronologisch dargestellt.79 In zeitlich unregelmäßigen Abständen sind auch eigenständige Überblicksdarstellungen zu (Kredit-) Genossenschaften erschienen. Hierbei handelt es sich fast immer um eine Form „apologetischer Geschichtsschreibung“,80 es ist meist vor allem die „Geschichte des Organisationswachstums und der ‚großen‘ Männer der Bewegung“.81 Die Verfasser entstammen selbst der Genossenschaftsbewegung oder nicht selten ihr nahe stehenden Organisationen. Dies gilt gleichermaßen für die Geschichte der Genossenschaftsbewegung, die Helmut Faust erstmals 1958 vorlegte und die sich schnell zum Standardwerk entwickelte. Hier fehlt es allerdings an wissenschaftlich-kritischer Distanz gegenüber dem Untersuchungsgegenstand.82 Die erste Genossenschaftsgeschichte verfasste Otto von Gierke bereits Mitte des 19. Jahrhunderts.83 Rund 100 Jahre später, 1937, konstatierte Otto Ruhmer jedoch, dass eine umfassende Geschichte der deutschen Genossenschaftsbewegung noch nicht geschrieben sei. Diese könne erst verfasst werden, wenn weitere Einzeluntersuchungen vorliegen würden.84 Dieser Aussage schloss sich auch Arnd Holger Kluge im Jahr 1991 in seiner Arbeit zur ‚Geschichte der deutschen Bankgenossenschaften‘ an.85 Und auch weitere 20 Jahre später hat sich hieran wenig geändert. Ein Grund für die bisher eher stiefmütterliche Behandlung ländlicher Kreditgenossenschaften liegt mit großer Wahrscheinlichkeit in der Kleinräumigkeit der Geschäftsgebiete der einzelnen Primärgenossenschaften, wodurch ihre volkswirtschaftliche Bedeutung vielfach unterschätzt wird.86 Ein Blick auf die Finanzaktiva deutscher Kreditinstitute zeigt jedoch, dass die deutschen Kreditgenossenschaften in nur 13 Jahren zwischen 1900 und 1913 einen Zuwachs auf der Aktivseite von 1,68 Mrd. Mark auf 6,17 Mrd. Mark verzeichnen konnten. Gemessen an den Finanzaktiva aller deutschen Kreditinstitute insgesamt konnten sie damit in dieser kurzen Zeitspanne ihren Anteil von rund 4,2 Prozent auf 6,8 Prozent ausbauen. Die Sparkassen konnten ihren Anteil im gleichen Zeitraum zwar von 9,45 Mrd. Mark (rund 23,3 Prozent Anteil an den gesamten Finanzaktiva deutscher Kreditinstitutionen) auf 23,56 Mrd. Mark (25,9 Prozent) erweitern, doch flossen diese 79 80 81 82

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Institut für bankhistorische Forschung: Bankengeschichte, 3 Bde.; vom Institut für bankhistorische Forschung e.V. wurden darüber hinaus weitere Überblicksdarstellungen herausgegeben beziehungsweise betreut, unter anderem Pohl: Bankengeschichte; ders.: Geschichte. Erdmann: Diesseits, S. 16. Ebd., S. 16 f. Faust: Ursprung; ders.: Geschichte. – Die Haltung Fausts verwundert jedoch kaum. Faust selbst leitete bereits unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkrieges unter Aufsicht eines Treuhänders in einer Marburger Studentenkneipe die so genannte Ausweichstelle der Deutschen Zentralgenossenschaftskasse. Später war er Mitglied in den Spitzengremien der Deutschen Genossenschaftskasse; siehe hierzu Gleber: Macher, S. 76. Gierke, von: Genossenschaftsrecht. – Zur Arbeit von Gierkes siehe Heydenreuter: Otto von Gierke, S. 153–169. Kluge: Geschichte, S. 32 f., zitiert Ruhmer: Entstehungsgeschichte. Kluge: Geschichte, S. 32. Zu diesem Ergebnis kommt auch Guinnane wiederholt.

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I. Einleitung

Gelder nicht wie bei den Kreditgenossenschaften vordergründig in kleinste, kleine und mittlere Geschäfte mit Landwirten, Gewerbetreibenden und Handwerkern, sondern dienten unter anderem der Finanzierung kommunaler Infrastruktur.87 Es ist daher eigentlich unverständlich, dass die ländlichen Kreditgenossenschaften bis dato so selten in den Mittelpunkt wirtschaftshistorischer Untersuchungen gerückt wurden. Ein weiterer Grund – wenn nicht sogar der entscheidende – für diese Vernachlässigung der Kreditgenossenschaften durch die Geschichtswissenschaft wird jedoch in der desolaten Quellenlage zu suchen sein. Regionale (wirtschafts-) historische Untersuchungen über deutsche Kreditgenossenschaften sind in den vergangenen Jahren kaum erschienen – für die ehemalige Rheinprovinz keine einzige.88 Rolf Lüer, der 1997 eine Dissertation über die Geschichte des genossenschaftlichen Bankwesens im ehemaligen Kreis Winsen (Niedersachsen) unter dem Titel ,Sozialer Anspruch und ökonomische Rationalität‘ vorlegte, konnte – ausnahmsweise – auf eine breite Quellenbasis zurückgreifen.89 In seiner Untersuchung geht Lüer der Frage des sozialen Anspruchs von Genossenschaften nach und will – anders als die Arbeiten von Gierke oder Faust, die ihr Augenmerk auf das Allgemeine, das gesamte (Kredit-) Genossenschaftswesen, richteten –, die „konkrete Arbeit“ der Primärgenossenschaften nachzeichnen und die „Auswirkungen genossenschaftlicher Organisation am Ort und für das einzelne Mitglied“90 erfassen. Es erscheint jedoch generell als vergebliches Unterfangen, der Frage nachgehen zu wollen, was von der genossenschaftlichen Arbeit beim einzelnen Mitglied ‚ankam‘. Hierzu fehlen aussagefähige Quellen, wie Selbstzeugnisse oder Rechnungsbücher der Mitglieder; es kann letztlich nicht – zumindest nicht auf der Basis eines breiten Samples – nachgezeichnet werden, in welcher Form die Leistungen der Genossenschaften die wirtschaftliche Situation des Einzelnen verbesserten.91 Es kann lediglich davon ausgegangen werden, dass die Ge87 88

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Tilly: Geld, S. 107, Tab. ,Finanzaktiva deutscher Kreditinstitutionen, 1860–1913‘. Studien zu Primärgenossenschaften sind unter anderem Geerlings: Genese; Lüer: Anspruch; als ein Beispiel zur Geschichte eines genossenschaftlichen Sonderinstitutes siehe Flender: Deutsche Apotheker und Ärztebank; eine ältere Arbeit zur Geschichte der Kreditgenossenschaften ist Schramm: Entstehung; eine Arbeit, die sich ausschließlich mit der Entwicklung während des ,Dritten Reiches‘ befasst, jedoch nicht lokal zugeschnitten ist, ist ten Haaf: Kreditgenossenschaften; zudem lassen sich mehrere neuere Arbeiten in internationaler, historischer Perspektive finden, so beschäftigen sich etwa einige Aufsätze in dem Sammelband Lorenz: Cooperatives, mit Genossenschaftsbanken. Zudem die kürzlich erschienen Untersuchungen von Christopher L. Colvin, der sich mit der Geschichte der niederländischen Genossenschaftsbanken beschäftigt, unter anderem vergleichend mit der deutschen Entwicklung. Siehe etwa Colvin/McLaughlin: Raiffeisenism, sowie Colvin: Religion. Es lohnt schließlich auch ein Blick in Tagungsprogramme etwa der European Business History Association (Konferenz in Paris 2012) oder der International Economic History Association (Konferenz in Stellenbosch 2012), wo Genossenschaftsbanken Diskussionsraum eingeräumt wurde. Als ehemaliger Vorstandsvorsitzender der Volksbank Nordheide eG (Winsen) verfügte Lüer über ausreichend Insiderwissen über den Verbleib der Originalunterlagen der in seiner Arbeit dargestellten Genossenschaften. Lüer: Anspruch, S. 25 f. Ein Blick in die Forschungsliteratur zur Sozialgeschichte des Dorfes zeigt, dass die Analyse sozialer dörflicher Ordnungen in der Regel aus der Perspektive der lokalen Eliten, Pfarrer,

3. Forschungsstand

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nossenschaften ihren (wirtschaftlichen und metawirtschaftlichen) Förderauftrag in befriedigender Weise erfüll(t)en, da sich ansonsten das Konzept Genossenschaft mit großer Wahrscheinlichkeit nicht langfristig durchgesetzt hätte, zumal sich aus verschiedenen Regelsystemen beziehungsweise deren Varianten letztlich nur diejenigen dauerhaft durchsetzen, die der Regelgemeinschaft zu einem Vorteil gegenüber anderen verhelfen.92 Die Messbarkeit der ‚sozialen Indikation‘ von Genossenschaften gestaltet sich überhaupt äußerst schwierig. In diese Richtung stößt auch ein Befund von Inga Brandes und Katrin Marx-Jaskulski. Die Trierer Historikerinnen stellten 2008 heraus, dass, obwohl die „Wechselwirkungen zwischen öffentlicher Fürsorge, kirchlicher Armenpflege, privater Wohltätigkeit und dem Selbsthilfepotenzial und -willen“ bereits seit dem 19. Jahrhundert „als zusammenhängende Problemkomplexe wahrgenommen und diskutiert worden sind“,93 diese in der Wissenschaft jedoch nie als ebensolches Beziehungsgefüge untersucht wurden. Auch Brandes und Mark-Jaskulski kommen letztlich zu dem Ergebnis, dass gerade solchen Fragestellungen nur schwer nachzugehen ist, da aussagefähige Quellen weitestgehend fehlen.94 Die Erforschung der Wechselwirkung des modernen Wohlfahrtsstaates mit der gemeindlichen und familialen Solidarität beziehungsweise mit den Formen genossenschaftlicher Selbsthilfe und damit auch der sozialen und wirtschaftlichen Bedeutung der Genossenschaften für den Einzelnen bleibt wohl ein Desiderat. Äußerst umfassendes Material über die Entwicklung deutscher Bankgenossenschaften stellte Arnd Holger Kluge in seiner 1991 erschienen Dissertation zusammen.95 Was die ländlichen Kreditgenossenschaften betrifft, so hat sich der US-amerikanische Wissenschaftler Timothy W. Guinnane Anfang der 1990er-Jahre als Erster aus wirtschaftshistorischer Perspektive – auf der Basis eines wirtschaftswissenschaftlichen Ansatzes und gestützt auf Primärquellen – mit einigen Kreditgenossenschaften beschäftigt.96 Inzwischen hat Guinnane eine Reihe von Untersuchungen über die ländlichen Kreditgenossenschaften und das dreistufige Verbundsystem im Genossenschaftssektor für den Zeitraum bis 1914 publiziert, deren Ergebnisse der vorliegenden Arbeit äußerst dienlich waren. Insgesamt jedoch wurde den Genossenschaftsverbänden sowie ‚ihren‘ Zentralbanken bisher wenig Beachtung geschenkt.97

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Gutsbesitzer etc. und weniger aus der Sicht des einzelnen Bauern erfolgte, was erwiesenermaßen unmittelbar mit der Quellenlage zusammenhängt. Vgl. Hempe: Gesellschaft, S. 16; siehe auch die Beiträge in Dörner/Franz/Mayr: Gesellschaften. Göbel: Neue Institutionenökonomik, S. 9. Brandes/Marx-Jaskulski: Armut, S. 19; siehe auch Böhmert: Wohlfahrtspflege, S. 2 f. – In Schriften über die Wohlfahrtspflege im ländlichen Raum werden zur Verbesserung der sozialen und wirtschaftlichen Lage Genossenschaften empfohlen. Brandes/Marx-Jaskulski: Armut, S. 21; zum Wissenschaftsprogramm und der Einbeziehung der Genossenschaften als Faktor der Wohlfahrt siehe auch Boelcke: Landwirtschaftliche Genossenschaften, S. 15 f. Kluge: Geschichte. Guinnane: Information Machines; ders.: Organizations; ders.: Cooperatives; ders.: Friend; ders.: Law; ders.: Institutional Transplant. Mit Ausnahme der 2008 erschienenen Arbeit Christoph Schlossers. Schlosser dient die Neue

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I. Einleitung

Es soll allerdings nicht der Eindruck erweckt werden, dass in Deutschland keine institutionalisierte Genossenschaftsforschung betrieben würde: Es gibt eine breitgefächerte Genossenschaftsforschung, allerdings dominieren vor allem juristische und ökonomische Fragestellungen, die sich auf die Konstruktion von Modellen konzentrieren.98 Kluge sieht die Ursache hierfür in der personellen Struktur der deutschen Genossenschaftsforschung, welche „überwiegend an den genossenschaftswissenschaftlichen Hochschulinstituten statt[findet …] Ihre Mitarbeiter rekrutieren sich in der Regel aus den Wirtschafts- und Rechtswissenschaften, selten aus der Soziologie, Sozialpsychologie oder Geschichtswissenschaft“.99 Seit jeher beschäftigen sich auch (geschichtswissenschaftliche) Autoren mit den geistigen Wegbereitern der modernen Genossenschaftsbewegung, unter anderem Hermann Schulze-Delitzsch, Friedrich Wilhelm Raiffeisen und Wilhelm Haas. Besonders die Publikationen der Genossenschaftsbewegung selbst sind stark auf diese Pioniere des 19. Jahrhunderts ausgerichtet. Als grundlegende Arbeiten zu Raiffeisen sind Walter Kochs ‚Der Genossenschaftsgedanke F.W. Raiffeisens‘, Michael Kleins ‚Leben, Werk und Nachwirkungen des Genossenschaftsgründers Friedrich Wilhelm Raiffeisen‘ sowie die ältere Arbeit von Erich Lothar Seelmann-Eggebert aus dem Jahr 1928 zu nennen.100 Viele Kreditgenossenschaften – allerdings weitaus mehr gewerbliche als ländliche – sowie einige Verbände und Zentralkassen geben anlässlich ihrer Gründungsjubiläen Festschriften heraus.101 Diese sind allerdings keine ausschließlich von wisInstitutionenökonomik als Erklärungsansatz für die Entstehung und Entwicklung der genossenschaftlichen Zentralinstitute im dreistufigen Aufbau des Genossenschaftsbankensektors. Siehe Schlosser: Entwicklung; darüber hinaus gibt es einige rechtswissenschaftliche Dissertationen, die die Geschichte der Spitzenverbände und der (regionalen) Zentralbanken aufgreifen. Siehe etwa Fechtrup: Genossenschaftsbank; Tiemann: Zentralbanken; siehe auch Zinke: Entwicklung; während der Drucklegung der vorliegenden Dissertation erschien zudem Guinnane: Selbsthilfe. 98 Kluge: Geschichte, S. 32. 99 Ebd.; siehe auch Jäger: Institut, S. 1–10. – Das erste Genossenschaftswissenschaftliche Institut wurde 1910 an der Landwirtschaftlichen Hochschule in Berlin gegründet. Es folgten Gründungen in Halle an der Saale (1911), Köln (1926), Hamburg (1927), Frankfurt am Main (1930), Marburg (1947), Erlangen (1949), Gießen (1961), Marburg II (1963), Berlin (1964; Freie Universität), Hohenheim (1971) und Berlin (1990; Humboldt-Universität). Die 1969 gegründete Arbeitsgemeinschaft Genossenschaftswissenschaftlicher Institute e.V. (AGI) bindet alle im deutschsprachigen Raum ansässigen genossenschaftlichen Institute im Sinne einer „Kommunikationsplattform der an der Genossenschaftsforschung interessierten Wissenschaftseinrichtungen“. Siehe www.agi-genoforschung.de (zuletzt abgerufen am 1. Mai 2009). 100 Koch: Genossenschaftsgedanke; Klein: Leben; Seelmann-Eggebert: Raiffeisen; Soénius: Raiffeisen, S. 115 f.; Treue: Unternehmens- und Unternehmergeschichte, S. 304–318. Zum Leben Schulze-Delitzschs siehe unter anderem Albrecht: Leben; Aldenhoff: Beitrag; Thorwart: Schulze-Delitzsch. 101 Die Durchsicht von rund 300 Festschriften ergab, dass diese sich in Aufbau, Wortwahl und Intention sehr stark ähneln. Erst in den letzten zehn bis 15 Jahren (mit fortschreitender Drucktechnik und neuen Grafikprogrammen) wurden die Festschriften in der Gestaltung individueller. In den 1970er-/80er-Jahren scheint es – dies wäre vielleicht durch Akten aus dem operativen Geschäft der Verbände zu verifizieren – bei den Genossenschaftsverbänden Mitarbeiter gegeben zu haben, die nach einer bestimmten ‚Schablone‘ Festschriften für ihre Mitglieds-

3. Forschungsstand

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senschaftlichem Interesse geleiteten Firmengeschichten, sondern ,Jubelschriften‘ – vom gestalterisch eher simplen Zeitstrahl im Geschäftsbericht bis zur aufwendigen Public-Relations-Schrift.102 Im Falle der ländlichen Kreditgenossenschaften – anders als etwa bei den Geschäftsbanken oder Sparkassen – werden diese Festschriften nie von Historikern verfasst. So konnte für den Untersuchungsraum keine Festschrift gefunden werden, die nur im Geringsten geschichtswissenschaftlichem Standard genügen würde.103 Markus Dahlem kritisiert in seiner Studie über die ‚Professionalisierung des Bankbetriebs‘ ausgewählter deutscher Banken im Kaiserreich (2009) an der Festschriftenliteratur der 1950er- und 1960er-Jahre, dass es diesen insgesamt nicht gelinge, die „Komplexität des Unternehmens Bank zu erfassen“;104 diese Beurteilung kann durchaus auf die Festschriften der Kreditgenossenschaften – auch aus den letzten Jahren – übertragen werden. Insbesondere bemängelt Dahlem, dass Unternehmensgeschichte vor allem als „Geschichte der Unternehmer“105 erscheine. Erfolge und das Überleben der Unternehmen würden vor allem als rationale und vorausschauende Entscheidungen der jeweiligen Unternehmensführung dargestellt. Besonders kritisch sieht Dahlem den Umstand, dass die Autoren zumeist geradlinige, bruchlose Entwicklungslinien nachzeichneten. Diese Betrachtung basiere auf der nachträglichen Konstruktion, rationale Entscheidungsprozesse und Entscheidungen würden unter sicheren Bedingungen ablaufen; über die jeweiligen Entscheidungsalternativen und deren Wirkungen in der Zukunft hätte also vorab vollkommene Klarheit bestanden, was nicht den Tatsachen entspreche.106 Zur Geschichte der deutschen Sparkassen, deren Entwicklung in der vorliegenden Untersuchung nicht nur der Vollständigkeit halber, sondern zur einträglichen Erklärbarkeit immer wieder einbezogen werden muss, ist inzwischen eine Vielzahl an Publikationen erschienen – oft umfangreiche Gesamtdarstellungen, wie Wysockis ‚Untersuchungen zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte der deutschen Sparkassen im 19. Jahrhundert‘ aus dem Jahr 1980, die von Hans Pohl, Günther Schulz und Bernd Rudolph 2005 veröffentlichte ‚Wirtschafts- und Sozialgeschichte der deutschen Sparkassen im 20. Jahrhundert‘ sowie die ebenfalls von Pohl 2001 publizierte Geschichte über ‚Die rheinischen Sparkassen. Entwicklung und Bedeutung für Wirtschaft und Gesellschaft von den Anfängen bis 1990‘.107

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banken abfassten. Sämtliche durchgesehenen Festschriften befinden sich in der Festschriftensammlung des RWWA. Wendt: Jubiläumsschriften, S. 36–49; siehe auch [o. Verf.]: Jubiläumsschriften, S. 78 f.; als Gegenargument siehe auch Redlich: Anfänge, S. 7. Zu Recht stehen Historiker diesen Firmengeschichten vielfach kritisch gegenüber, so auch Toni Pierenkemper, der folgende Vorbehalte nennt: den Entstehungsgrund, den werbenden Zweck sowie die Kriterien für die Auswahl der Autoren. Zudem bemängelt Pierenkemper die unreflektierte und unrevidierte Nutzung von Sekundärquellen, anstatt Primärquellen heranzuziehen. Siehe Pierenkemper: Unternehmensgeschichte, S. 31. Dahlem: Professionalisierung, S. 4 f. Die Kritik, die Dahlem äußert, zielt darauf, dass das „Unternehmen Bank als komplexes System“ in der Regel nicht erfasst werde. Ebd., S. 5. Ebd. Wysocki: Untersuchungen; Pohl/Rudolph/Schulz: Wirtschafts- und Sozialgeschichte; Pohl:

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I. Einleitung

Kreditgeschäften galt bereits vielfach das Erkenntnisinteresse der historischen Forschung. Jürgen Schlumbohm konstatierte 2007: Wenn Wirtschaftshistoriker sich für Fragen des Kredits interessierten, so hätten in der Regel Leihhäuser, Banken und andere Institutionen vor allem aus der Perspektive des Fortschritts im Zentrum ihrer Untersuchungen gestanden. Als besonders zähe und komplexe Materie beschrieb Herman van der Wee Anfang der 1990er-Jahre vor allem die Erforschung der Geschichte des privaten Kredits im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit: „sie setzt nicht nur eine gründliche Kenntnis der Wirtschaft, insbesondere der Betriebswirtschaft, voraus, sondern sie verlangt auch eine Vertrautheit mit dem Handelsrecht und insbesondere Kompetenz auf dem Gebiet der allgemeinen Geschichte; und ohne paläographische Fertigkeiten geht sowieso nichts“108 – nichts anderes gilt für die Erforschung des ländlichen Kreditmarkts im 19. Jahrhundert. Durch einen Perspektivenwechsel Anfang/Mitte der 1990er-Jahre hin zu stärker kulturanthropologischen Forschungskonzepten würden, so Schlumbohm, wirtschaftliche Aktivitäten freilich nicht mehr „isoliert, sondern zunehmend in ihren sozialen und kulturellen Dimensionen und Bedingungen“109 analysiert. Damit galt nun weniger den Institutionen als vielmehr den handelnden Menschen, ihren sozialen Beziehungen sowie ihren Strategien und Praktiken beim Leihen und Verleihen das Erkenntnisinteresse. Seit Mitte der 1990er-Jahre sind daher vielfach vor allem als lokale oder regionale Studien angelegte Untersuchungen über die Funktionen und Methoden „des Kredits unterhalb und jenseits spezialisierter Bankinstitute“110 entstanden. Damit ist auch der ländliche Kreditmarkt im 19. Jahrhundert zunehmend besser erforscht. Überdies richtete die Agrarwirtschaftsgeschichte in den letzten Jahren immer wieder ihren Blick auf das Borgen und Leihen und besonders auf den Transfer von Grundbesitz. In diesen Arbeiten wird die Institutionengeschichte weit weniger ausgeklammert als in den anthropologischen Forschungen; formelle Kreditgeber dürfen bei Fragen zum ländlichen Kreditmarkt besonders seit dem 19. Jahrhundert nicht ignoriert werden – hierfür ist unter anderem die Rolle der Kreditgenossenschaften zu gewichtig. Speziell auf das Rheinland bezogene geschichtswissenschaftliche Untersuchungen zu diesem Themenkomplex gibt es nicht.111 Letztlich

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Sparkassen. Daneben sind eine Reihe weiterer regionaler sowie lokaler Untersuchungen erschienen. Zudem erscheinen regelmäßig Tagungsbände, in denen einzelne Schwerpunkte zur Sparkassengeschichte beleuchtet werden. Wee, van der: Forschungen, S. 215. Schlumbohm: Einführung, S. 8. Ebd. Eine im rheinischen Raum angesiedelte Untersuchung, die sich unter anderem den privaten Kreditbeziehungen im 19. Jahrhundert und deren Veränderungen durch die Verbreitung der Sparkassen und Kreditgenossenschaften beschäftigt, ist die 2009 erschienene, sehr detailreiche und quellenstarke Dissertation von Alfred Bauer; siehe Bauer: Gesellschaft. Über die rheinischen Grenzen hinaus gehen die Beiträge im Tagungsband zum Trierer Workshop ,Kreditbeziehungen und Netzwerkbildungen. Die soziale Praxis des Kredits‘ (1./2. Dezember 2006); siehe Clemens: Schuldenlast. Theoretisch sind diese Arbeiten vor allem an der Kategorie des Vertrauens sowie an der Netzwerktheorie ausgerichtet. Im Mittelpunkt dieser Untersuchungen stehen damit vor allem soziale und kulturelle Aspekte der Kreditvergabe sowohl im städtischen als auch im ländlichen Raum. Siehe zu Vertrauen als Kategorie oder Faktor und deren Anwendbarkeit unter anderem bei der Analyse genossenschaftlicher Bindungen, Beziehungen im Bank-

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bleibt festzuhalten, dass auch die Agrargeschichte112 nur hinreichend untersuchbar ist, wenn den ländlichen Kreditmärkten (Kredittechniken, soziale Aspekte etc.) die nötige Aufmerksamkeit geschenkt wird.113 4. QUELLEN a) Quellen der Kreditgenossenschaften Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Genossenschaften scheitert nicht selten bereits an den Quellen.114 Viele Volks- und Raiffeisenbanken verweisen auf das gesetzlich nicht weiter geregelte Bankgeheimnis oder aber verweigern einen Blick in ihre historischen Unterlagen, um die dörfliche oder kleinstädtische ‚Ruhe‘ nicht zu gefährden (viele Familien sind bereits in der vierten, fünften oder sechsten Generation Mitglied beziehungsweise Kunde der Genossenschaftsbank oder in den Verwaltungsorganen aktiv eingebunden). Aus diesem Grund wurden sämtliche Darlehnsnehmer oder auch Bürgen anonymisiert. Zudem ist darauf hinzuweisen, dass die Aussagekraft der Akten, die bei den Kreditgenossenschaften gebildet wurden, sehr unterschiedlich ausfällt. Zudem werden von der Geschäftsleitung historische Unterlagen häufig „nach ihrem eigenen Gutdünken“115 aussortiert. Größere

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wesen beziehungsweise von Schuldverhältnissen unter anderem Guinnane: Trust, S. 77–92. Guinnane sieht in der Kategorie Vertrauen jedoch eher kein Erklärungsmoment beziehungsweise sieht in Vertrauen keine „Schmierseife“ für das Funktionieren wirtschaftlichen Handelns. Weidmann: Genossenschaften, S. 54 ff., betont besonders die Rolle des Leistungsvertrauens, des Systemvertrauens und des Personalvertrauens zur Senkung von Transaktionskosten; siehe dazu auch den von Richard H. Tilly herausgegebenen Band zu Vertrauen (JWG 1 (2005); ferner Hillen: Gott, 2007; Fiedler: Vertrauen. Umfangreiche Untersuchungen zum ländlichen privat organisierten Kreditmarkt werden in Münster von den DFG-Forschungsgruppen ,Ländliche Faktormärkte‘, ,Soziale Netzwerke‘ und ,Transfers in der ländlichen Gesellschaft‘ für den Raum Westfalen durchgeführt. Einige (Zwischen-) Ergebnisse finden sich in genanntem Tagungsband Clemens: Schuldenlast; siehe auch Bracht: Reform; einen eher kursorischen, überregionalen und empirisch nicht weiter gestützten Überblick über das Zusammenwirken von Agrarwirtschaft und Finanzintermediären gibt Pohl: Agrarwirtschaft. Die Agrargeschichte selbst hat eine lange Tradition innerhalb der deutschen Geschichtswissenschaft und ist eng mit dem Auftakt der wirtschaftshistorischen Forschung verbunden, wurde allerdings zweitweise mit eher geringer Intensität betrieben. Zur Entwicklung der Agrargeschichte siehe unter anderem Rösener: Einführung, bes. Kap. I.2 und I.3; ders.: Stellung; Bruckmüller/Langthaler/Redl: Agrargeschichte; Blickle: agrarian history. Neben einer Vielzahl von Überblicksdarstellungen liegen zahlreiche Untersuchungen zu speziellen Teilaspekten der Agrarwirtschaftsgeschichte (zum Beispiel Preisentwicklung, Technisierung) vor. Siehe etwa Abel: Agrarkrisen. Als ältere (1960er-/1970er-Jahre), zugleich als Standardwerke sind die Untersuchungen von Wilhelm Abel, Günther Franz und Friedrich Lütge sowie von Friedrich-Wilhelm Henning zu nennen. Siehe unter anderem Abel: Geschichte; Franz: Geschichte; Lütge: Geschichte; Rösener: Agrarwirtschaft; Rosenberg: Agrargeschichte; Henning: Landwirtschaft. Siehe hierzu Guinnane: Information Machines, S. 11; Schmidt: Kreditgenossenschaften, S. 188–193. Pohl: Konzentration, S. 18.

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I. Einleitung

Überlieferungslücken können so einen Hergang „in ein falsches Licht rücken“.116 Hiermit einher gehen Schwierigkeiten, die sich aus den Aufbewahrungspflichten für Unterlagen aus dem operativen Geschäft, die Akten der Gremien sowie Akten des Bilanz- und Prüfungswesens ergeben. Eine Aufbewahrungspflicht, wie sie für die öffentlich-rechtlichen Sparkassen zum Beispiel im NRW-Archivgesetz (ArchivG NW) verankert ist, existiert für Kreditgenossenschaften nicht.117 Gesetzliche Regelungen zur Aufbewahrung von Akten, die bei Kreditgenossenschaften gebildet werden, finden sich zum einen im Handelsgesetzbuch (HGB) und zum anderen im Genossenschaftsgesetz (GenG).118 In § 90 GenG (1889) heißt es: „Nach Beendigung der Liquidation sind die Bücher und Schriften der aufgelösten Genossenschaft für die Dauer von zehn Jahren einem der gewesenen Genossen oder einem Dritten in Verwahrung zu geben“119 – über eine zwischenzeitliche Vernichtung, also ohne dass der Fall der Liquidation eintritt, enthält der Gesetzestext keine Bestimmungen. Das Allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch sah vor, dass ein Kaufmann seine Bücher länger als zehn Jahre aufbewahren musste120 – auch heute gilt laut HGB, dass Handelsbriefe und Kopien gesendeter Handelsbriefe sechs Jahre aufzubewahren sind; Handelsbücher, Inventare, Bilanzen, Lageberichte, Buchungsbelege sowie die zum „Verständnis erforderlichen Arbeitsanweisungen und sonstigen Organisationsunterlagen“121 zehn Jahre.122 Das Genossenschaftsgesetz schrieb jedoch bereits in der ersten Fassung sehr detailliert vor, welche Unterlagen beim Amtsgericht (wo das Genossenschaftsregister geführt wurde,123 in das alle Genossenschaften eingetragen sein mussten) vorgelegt und auch dort verwahrt werden mussten. Nach § 11 GenG waren zur Anmel116 Ebd. 117 Gesetz über die Sicherung und Nutzung öffentlichen Archivguts im Lande Nordrhein-Westfalen. Archivgesetz Nordrhein-Westfalen (ArchivG NW) vom 16. Mai 1989; in § 1 Art. 2 ArchivG NW heißt es zwar staatliche Archive können „auch Archivgut anderer Herkunft übernehmen, an dessen Verwahrung, Erschließung und Nutzung ein öffentliches Interesse besteht“, doch handelt es sich hierbei zum einen um eine Kann-Regel, zum anderen ist hierin keine Aufbewahrungspflicht für das Archivgut anderer Herkunft festgelegt. 118 Im Folgenden wird das Gesetz, betreffend die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften als GenG abgekürzt. Wenn nicht ausdrücklich darauf hingewiesen wird, dass eine andere Fassung des Gesetzes gemeint ist, nimmt die Untersuchung Bezug auf das Gesetz von 1889; das Handelsgesetzbuch von 1897 trat am 1. Januar 1900 in Kraft. Sein Vorgänger, das Allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch in Preußen, stammt aus dem Jahr 1861; im RGBl. 1889, Nr. 11, GenG, S. 60, § 17. Hier heißt es „Genossenschaften gelten als Kaufleute im Sinne des Handelsgesetzbuchs, soweit dieses Gesetz keine abweichenden Vorschriften enthält“. 119 Siehe ebd., S. 77. 120 Makower: Handelsgesetzbuch; zu den Aufbewahrungsfristen siehe besonders § 28 und § 34. 121 Schaffland/Cario/Schulte: Genossenschaftsgesetz, S. 366. 122 Ebd. 123 [o. Verf.]: Genossenschaftsregister, in: Bott: Handwörterbuch, S. 581. „Das Genossenschaftsregister ist ein öffentliches Buch“ und wird beim Amtsgericht geführt. Der Zweck des Genossenschaftsregisters liegt darin, der „Öffentlichkeit Kenntnis zu geben von den wichtigsten, die Genossenschaft angehenden Tatsachen“ (zum Beispiel Statut, Vorstandsmitglieder). In das Genossenschaftsregister kann jeder Einsicht nehmen, auch „genießt es in beschränktem Maße öffentlichen Glauben, d.h. jeder kann sich auf die Eintragung berufen“.

4. Quellen

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dung der Genossenschaft das von allen Genossen unterzeichnete Statut sowie eine Abschrift dessen, die Liste der Genossen sowie eine „Abschrift der Urkunde über die Bestellung des Vorstandes und des Aufsichtsraths“124 beizubringen. Alle Unterlagen, abgesehen von der Abschrift des Statuts, das an die Genossenschaft zurückgegeben wurde, waren durch das Gericht aufzubewahren. Laut § 28 GenG waren zudem alle Änderungen in der Zusammensetzung des Vorstandes beim Genossenschaftsregister einzutragen. Die hierzu durch die Genossenschaft vorzulegenden Dokumente waren ebenfalls durch das Gericht aufzubewahren.125 Des Weiteren hatte das Gericht die Bescheinigungen über die stattgefundene Revision ihren Akten beizufügen (§ 61 GenG).126 Darüber hinaus waren die Unterlagen, die dem Gericht zur An- und Abmeldung von Genossen vorzulegen waren, dort aufzuheben (§ 70 GenG).127 Im Falle der Liquidation musste das Gericht zudem die Urkunden über die Bestellung der Liquidatoren aufbewahren (§ 82 GenG).128 Laut § 23 der Bekanntmachung, betreffend die Führung des Genossenschaftsregisters und die Anmeldung zu demselben vom 11. Juli 1889, war das Genossenschaftsregister „dauernd aufzubewahren“.129 Die Registerakten, die laut § 13 GenG beim Registergericht zu bilden waren, „können nach Ablauf von dreißig Jahren seit der Eintragung einer der im § 22 bezeichneten Thatsachen vernichtet werden“130 – eine Kann-Regelung also. Der § 22 der Bekanntmachung regelte (1.) das Ende der Liquidation, das eintritt, sobald das Vermögen der Genossenschaft verteilt ist, und (2.) die Einstellung des Konkursverfahrens. Dieses galt als abgeschlossen, sobald die durch das Konkursgericht eingegangene Mitteilung in das Genossenschaftsregister eingetragen wurde.131 Eine Abgabepflicht bezüglich der Amtsgerichtsakten ergab sich erst mit dem ArchivG NW. Neben der fehlenden Abgabepflicht für die bei den Genossenschaften gebildeten Akten sind es vor allem praktische Umstände, die in der Regel dazu führen, dass die Originalakten von Kreditgenossenschaften oftmals nicht (vollständig) überliefert sind. Bei Schließungen von Geschäftsstellen oder im Rahmen von Fusionen werden Akten oftmals entlang der Aufbewahrungsfrist entsorgt. Hinzu kommt ein offenbar geringer Stellenwert von Geschichte im Geschäftsalltag. Tradition, Identi124 125 126 127

128 129 130 131

RGBl. 1889, Nr. 11, GenG, S. 58, § 11. Ebd., S. 62 f., § 28. Ebd., S. 70, § 61. Heute beträgt die Aufbewahrungsfrist für die zur Eintragung der Genossen in die Mitgliederliste beizubringenden Unterlagen drei Jahre. Die Liste der Genossen wird seit dem Registerverfahrensbeschleunigungsgesetz vom 20. Dezember 1993 nur noch durch den Vorstand geführt und nicht mehr zusätzlich durch das Registergericht, das heißt die Kreditgenossenschaften melden Änderungen im Mitgliederbestand nicht mehr dem zuständigen Amtsgericht. Die Aufbewahrungsfrist beginnt mit dem Ende des Kalenderjahres, in dem das Mitglied aus der Genossenschaft ausgetreten ist. Siehe hierzu Schaffland/Cario/Schulte: Genossenschaftsgesetz, S. 355–358. RGBl. 1889, Nr. 11, GenG, S. 75, § 82. RGBl. 1889, Nr. 15, Bekanntmachung, betreffend die Führung des Genossenschaftsregisters und die Anmeldung zu demselben vom 11. Juli 1889, S. 157, § 23. Ebd. Ebd., § 22.

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I. Einleitung

fikation, aber auch kritisch-emanzipatorische Aspekte spielen zunehmend eine untergeordnete Rolle. Kommunale Archive verfügen in der Regel ebenfalls über keine Akten der Kreditgenossenschaften und auch selten über Akten, denen etwas über die einzelnen Primärgenossenschaften zu entnehmen ist. Mit dem zwischen 2005 und 2007 durch die beiden regionalen Wirtschaftsarchive in Nordrhein-Westfalen, die Stiftung Rheinisch-Westfälisches Wirtschaftsarchiv zu Köln (RWWA) und die Stiftung Westfälisches Wirtschaftsarchiv in Dortmund (WWA), im Auftrag des Rheinisch-Westfälischen Genossenschaftsverbandes e.V. (RWGV) durchgeführten Inventarisierungsprojekt wurden erstmalig fast alle heute noch bei den rheinischen und westfälischen Kreditgenossenschaften vorhandenen historischen Unterlagen katalogisiert.132 Auf Wunsch einiger Kreditgenossenschaften hat das RWWA Akten übernommen oder aber im Rahmen der dezentralen Archivpflege Unternehmensarchive eingerichtet.133 Die Akten der meisten dieser Bestände und Unternehmensarchive dienten auch der vorliegenden Arbeit als Quellengrundlage. Für die vorliegende Untersuchung wurden folgende RWWABestände von Kreditgenossenschaften herangezogen: Paffrather Raiffeisenbank eG, Bergisch Gladbach (heute: VR-Bank Bergisch Gladbach-Overath-Rösrath eG) (Abt. 89), VR Bank eG, Dormagen (Abt. 366), Raiffeisenbank Sankt Augustin eG, Sankt Augustin (Abt. 367), Volksbank Dinslaken eG, Dinslaken (Abt. 372), Raiffeisenbank Rheinbach-Voreifel eG, Rheinbach (Abt. 378) sowie Volksbank Bonn Rhein-Sieg eG, Bonn (Abt. 404). Vor allem aber die Akten aus den Unternehmensarchiven der Volksbank Oberberg eG und der Volksbank Wipperfürth-Lindlar eG wurden ausgewertet. Darüber hinaus wurden die Akten folgender rheinischer Kreditgenossenschaften herangezogen: Raiffeisenbank Much-Ruppichteroth eG (Much), Volksbank Rheinböllen eG (Rheinböllen) und Volksbank Trier eG (Trier).134 Die Raiffeisenbank Much-Ruppichteroth eG und die Volksbank Trier eG verfügen über Unternehmensarchive. In der Regel sind neben den Protokollbüchern der Gremien (Vorstand, Aufsichtsrat und Generalversammlung), die nur Ergebnisprotokolle enthalten,135 Mitgliederlisten mit Name, Berufsstand, Wohnort, Beitrittsdatum und Datum des Ausscheidens von Gründung an bis in die Gegenwart überliefert. Die Protokollbücher sind die grundlegenden Quellen zur Unternehmensentwicklung jeder Primärgenossenschaft. Darüber hinaus sind eine Vielzahl von Statuten sowie einige Geschäftsanweisungen für Vorstand, Aufsichtsrat und Rendant (Geschäftsführer) überliefert, 132 Siehe hierzu Ellerbrock/Soénius: Suche, S. 16 ff.; Bessler-Worbs/Schmidt: RWGV-Forschungsprojekt, S. 4–8. 133 Schmidt: Kreditgenossenschaften. 134 Zwischen Einreichung der Dissertationsschrift und der Drucklegung konnte die Verfasserin zudem Protokolle der ehemaligen Kreditgenossenschaft in Müllenbach bei der Volksbank im Märkischen Kreis eG einsehen, wofür die Verfasserin sich nochmals bei Herrn H. Moos bedanken möchte. 135 Die Novellierung des Genossenschaftsgesetzes von 1923 sieht erstmals für Genossenschaften mit einer Mitgliederzahl über 3.000 die Einführung einer Vertreterversammlung vor. Die meisten ländlichen Kreditgenossenschaften erreichten eine solche Mitgliederzahl jedoch bis zum Ende des Untersuchungszeitraumes nicht, sodass entsprechende Protokollbücher keine Rolle spielen.

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von einigen Genossenschaften zudem Konten- und Sparbücher. Darüber hinaus sind teilweise Bilanzunterlagen und Prüfungsberichte in den einzelnen Beständen zu finden. Eher einem glücklichen Umstand geschuldet zu sein scheint, dass für die ehemals selbstständige Kreditgenossenschaft Derschlag sowohl Bilanzunterlagen als auch Prüfungsberichte für den Untersuchungszeitraum (relativ) lückenlos überliefert sind. Dies bleibt jedoch eine Ausnahme.136 Die Genossenschaftsverbände auf Regionalebene haben teilweise Jahresberichte herausgegeben, die einen guten allgemeinen Überblick über die Entwicklung der rheinischen Genossenschaften geben und deren Daten der Untersuchung maßgeblich als Referenzrahmen dienen. Daneben haben die Genossenschaftsverbände eigene (meist monatlich erscheinende) Zeitschriften herausgegeben, welche nicht nur in agitatorischer Hinsicht aufschlussreich sind, sondern eine Vielzahl an Handreichungen und Hinweisen für den Geschäftsbetrieb enthielten. Zudem haben die Verbände propagandistische und Informationsbroschüren publiziert. Besonders der Reichsverband der deutschen landwirtschaftlichen Genossenschaften, dem die rheinischen Regionalverbände angeschlossenen waren, veröffentlichte jährlich umfangreiches statistisches Material. Dieses wurde zusammen mit dem Jahresbericht und dem Bericht über die jährlich stattfindende Mitgliederversammlung als Jahrbuch herausgegeben.137 Es muss nachdrücklich darauf hingewiesen werden, dass im Hinblick auf die regionalen Genossenschaftsverbände eine große Überlieferungslücke zu konstatieren ist: Weder Korrespondenz der Gremien noch Akten aus dem operativen Geschäft sind überliefert. Für den Untersuchungszeitraum ist beim Rheinisch-Westfälischen Genossenschaftsverband e.V. Münster selbst lediglich die Stammrolle des Verbandes rheinischer Genossenschaften zu Köln e.V. überliefert und sind die Jahresberichte des Verbandes rheinpreußischer landwirtschaftlicher Genossenschaften e.V. – beides Vorgängerinstitutionen des RWGV – für die Jahre 1889 bis 1900 sowie 1907 bis 1909 noch vorhanden. 136 Diese Überlieferungsproblematik konstatierten Tanja Bessler-Worbs (für Westfalen) und Timothy W. Guinnane auch außerhalb der ehemaligen Rheinprovinz, sodass dies kein ausschließlich rheinisches Phänomen zu sein scheint. Siehe hierzu Bessler-Worbs/Schlütz: Handbuch; Guinnane: Cooperatives, S. 374 f. Eine wichtige Rolle spielt in diesem Kontext auch die Frage der Schriftlichkeit auf dem Land im 19. Jahrhundert, als auch das Ziel, die Geschäftsführung sowie das operative Geschäft der Genossenschaften so simpel wie möglich zu gestalten. Siehe hierzu Raiffeisen: Darlehnskassen-Vereine, S. 55. Die Geschäftsführung sollte ohne weitere Vorkenntnis als die der „gewöhnlichen Elementarschulkenntnisse“ möglich sein. Zur Lese- und Schreibnotwendigkeit auf dem Land im 19. Jahrhundert siehe Lorenzen-Schmidt: Verschriftlichungsprozesse, S. 129. 137 Zu nennen sind die Jahresberichte des Verbandes rheinpreußischer landwirtschaftlicher Genossenschaften zu Bonn (gegr. 1889). Jahresberichte der regionalen Genossenschaftsverbände wurden darüber hinaus zwischen 1900 und 1910 in den Jahresberichten der Landwirtschaftskammer für die Rheinprovinz (LWK) abgedruckt. Einige Hinweise, besonders für die frühe Phase der rheinischen Genossenschaftsbewegung (1860er-Jahre) finden sich in der Kammerzeitschrift beziehungsweise im gemeinsamen Organ des Landwirtschaftlichen Vereins für Rheinpreußen und der Landwirtschaftskammer für die Rheinprovinz (bis 1945 Landwirtschaftskammer für die Rheinprovinz, seit 2004 ist die Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen Rechtsnachfolgerin der Landwirtschaftskammer Rheinland).

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I. Einleitung

b) Quellen anderer Provenienzen In den Verwaltungsberichten der Gemeinden und Kreise sind hin und wieder Hinweise auf den allgemeinen Entwicklungsstand der ‚Genossenschaftslandschaft‘ zu finden, eine detaillierte Datenüberlieferung jedoch nicht. Anders hingegen sieht dies in Hinblick auf die öffentlich-rechtlichen Sparkassen aus, die vor allem im Kleinsparwesen starke Konkurrenten der Kreditgenossenschaften waren, wie in Kapitel IX dargelegt wird. Darüber hinaus geben die Verwaltungs- beziehungsweise Immediatsberichte in regelmäßigen Abständen Auskunft über die Entwicklung der Landwirtschaft, sowohl über Absatzpreise als auch über Klimaverhältnisse sowie über die soziale und wirtschaftliche Situation der ländlichen Bevölkerung. Das Stadtarchiv Bonn konnte mit Daten zu Dr. Gustav Havenstein, einer besonders für die Anfänge der rheinischen Genossenschaftsverbände zentralen Persönlichkeit, weiterhelfen. Weitere biografische Daten fanden sich im Archiv der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn, so auch zu Havensteins Nachfolger Nikolaus Feldmann. Ergiebig waren zudem Recherchen im Landeshauptarchiv in Koblenz, hier vor allem der Bestand 403 Oberpräsidium der Rheinprovinz. Zudem konnten einige Hinweise in den Beständen 393 Regierung Birkenfeld und 441 Bezirksregierung Koblenz gefunden werden. Im Landesarchiv sind auch einige Registerbände (Genossenschaftsregister) der Amtsgerichte sowie die dazu entsprechend angelegten Akten überliefert. Die Registerbände beziehungsweise die Registerauszüge enthalten vor allem hilfreiche sowie zuverlässige Informationen zu institutionellen Umgestaltungen (besonders Satzungsänderungen und Umfirmierungen) sowie zu personellen Veränderungen im Vorstand. Auch im Landesarchiv NRW in Düsseldorf war eine Vielzahl Unterlagen der jeweiligen Amtsgerichte vorhanden.138 Daneben wurden im Landesarchiv in Düsseldorf Teile des Bestandes Regierungsbezirk Köln (Reg. K) sowie Akten der Landratsämter Gummersbach (LA Gummersbach), Waldbröl (LA Waldbröl) und Wipperfürth (LA Wipperfürth) ausgewertet. Die Druckschriftensammlung des Landesarchivs NRW wurde in Hinblick auf Verwaltungsberichte der Kreise Gummersbach, Waldbröl und Wipperfürth ausgewertet. Im Landesarchiv NRW befinden sich zudem die Altakten der Landwirtschaftskammer für die Rheinprovinz (Bestände RW 152 und RW 197).139 Neben den Archivalien wurden zahlreiche Statistiken, erstellt durch die Landwirtschaftskammer, das Königlich Preußische Statistische Bureau140 und die Genossenschaftsverbände, gesichtet sowie Gesetzesblätter herangezogen. Die Quellenlage, insbesondere die Primärquellen der ländlichen Kreditgenossenschaften, macht es jedoch notwendig, die Analyse auf einen bestimmten Untersuchungsraum zu beschränken. Die teils stark fragmentarische und splitterhafte Überlieferung entstand aus der Struktur des ländlichen Kreditgenossenschaftswesens. In der Struktur der Gesamtheit aller rheinischen Kreditgenossenschaften, das 138 LA NRW Düsseldorf, Rep. 161, Amtsgericht Gummersbach; Rep. 217, Amtsgericht Hennef; Rep. 214, Amtsgericht Lindlar; Rep. 115, Amtsgericht Mülheim am Rhein; Rep. 226, Amtsgericht Siegburg; Rep. 78, Amtsgericht Waldbröl; Rep. 157, Amtsgericht Wipperfürth. 139 Die IHK-Wirtschaftsbibliothek in Köln verfügt zudem über die Jahresberichte der LWK. 140 Ab 1905 Königlich Preußisches Statistisches Landesamt.

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heißt ihrer netzartigen Verbreitung (zeitgenössisch wurde immer wieder vom „Netz von Kreditgenossenschaften“,141 welches die ganze Rheinprovinz überzog, gesprochen), liegt die Kleinteiligkeit beziehungsweise Kleinräumigkeit der Untersuchung begründet. Im Untersuchungsgebiet, der Rheinprovinz, existierten nach 1900 rund 1.000 Kreditgenossenschaften. Da davon auszugehen ist, dass das Erkenntnispotenzial durch die Beschreibung aller 1.000 Kreditgenossenschaften kaum steigen wird, wird der Untersuchungsraum (Rheinprovinz) auf einen engeren Untersuchungsraum, die Kreise Gummersbach, Waldbröl und Wipperfürth, eingegrenzt. Es kann nicht zielführend sein, alle im weiteren Untersuchungsraum (Rheinprovinz) gegründeten Kreditgenossenschaften in Hinblick auf entwicklungsgeschichtliche Details zu untersuchen, auch wenn dies für die Anreicherung der regionalen und lokalen Wirtschafts- und Sozialgeschichte äußerst hilfreich sein dürfte. 5. ANALYSEKONZEPT Die Forschungsergebnisse werden aufgrund der Quellenlage und der Heterogenität der rheinischen Landwirtschaft in Form einer regionalen Fallstudie eingefasst, wobei allein diese Darstellungsform als Methode betrachtet wird.142 Nach Robert K. Yin sind Fallstudien in den Kontext wissenschaftlicher Methoden als „an empirical inquiry that investigates a contemporary phenomenon within its real-life context, especially when the boundaries between the phenomenon and context are not clearly evident”143 einzuordnen. Durch diese Darstellungsform bleibt es möglich, die ermittelten Sachverhalte zunächst in ihrer uneingeschränkten Besonderheit zu beschreiben, um so induktiv ihre allgemeine Bedeutung kenntlich zu machen. Der Vorteil einer Fallstudie liegt darin, dass hierbei um einen „komplexe[n] und hinsichtlich der Wahl der Datenerhebungsmethoden offene[n] Forschungsansatz“144 handelt. Fallstudien bilden nicht ausschließlich ‚Momentaufnahmen‘ ab, sondern helfen, Abläufe und Ursache-Wirkung-Zusammenhänge aufzuzeigen sowie praktische und datenbasierte Aussagen zu treffen.145 Um die Ergebnisse in Abweichungen und Analogien kritisch beleuchten zu können, dient die ‚durchschnittliche‘ Entwicklung der rund 1.000 ländlichen Kreditgenossenschaften in der Rheinprovinz, deren Daten mit Hilfe der verfügbaren Jahresberichte und Zeitschriften der Genossenschaftsverbände ermittelt werden, als Referenzrahmen. Die Ergebnisse der drei untersuchten Kreise Gummersbach, Waldbröl und Wipperfürth, die aneinander grenzen und alle drei zum oberbergischen Raum zu zählen sind, nehmen immer wieder in einzelnen Arbeitsschritten den Charakter einer vergleichenden 141 Das Bild des Netzes wurde bereits in zeitgenössischen Publikationen des Verbandes rheinischer landwirtschaftlicher Genossenschaften immer wieder sinnfällig für die systematische Ausbreitung der Genossenschaften verwendet. 142 Mustafa: Case Study Method, S. 4. 143 Yin: Case Study Research, S. 13. 144 Borchardt/Göthlich: Erkenntnisgewinn, S. 37. 145 Siehe Mustafa: Case Study Method, S. 7; siehe auch Simons: Case Study Research, S. 3, 23 f., 33 f.; Foreman: Theory of Case Studies, S. 143–164.

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I. Einleitung

Fallstudie an.146 Hierdurch soll zugleich vermieden werden, sich in der vermeintlichen Einzigartigkeit der einzelnen Orte beziehungsweise der Region zu verlieren, wie Katrin Marx-Jaskulski es in ihrer Dissertation über Armut und Fürsorge auf dem Land in Hinblick auf mikrogeschichtliche Forschungsansätze simpel, aber prägnant formuliert.147 Die vorliegende Untersuchung soll keine lokal- oder regionalgeschichtliche Untersuchung an sich (im Sinne einer ‚historie totale‘) sein, sondern es bedarf vielmehr der Lokalität beziehungsweise Regionalität (als einer Art ‚Grabungsstätte‘) zur Beantwortung der Frage, wie die Kreditgenossenschaften in einer ländlichen Region entstanden, sich weiterentwickelten und sich letztlich als nicht mehr wegzudenkende Organisationen verankerten.148 Die untersuchten Räume beziehungsweise Organisationen bildeten hierbei keinen abgeschlossenen Mikrokosmos. Sie standen in vielfältiger Weise in Beziehung zu anderen (überregionalen) Institutionen. Für sie galten nationale behördliche Beschlüsse sowie die Gesetzgebung des Deutschen Reiches. Sie waren Teil eines überörtlichen Netzes an Informations-, Wissens- und finanztechnischen Transfers.149 Im Folgenden geht es vor allem darum, vorab den Begriff der ‚ländlichen Kreditgenossenschaft‘ zu definieren – sowohl aus bankwirtschaftlicher Perspektive als auch aus genossenschaftswissenschaftlicher. Zudem ist zu klären, warum die explizite Kennzeichnung der Kreditgenossenschaften durch das Adjektiv ‚ländlich‘ notwendig ist. a) Kreditgenossenschaften als Banken mit besonderem Auftrag Wozu gibt es eigentlich Banken? Bereits seit mehr als 150 Jahren werden immer wieder Ansätze entwickelt, um diese Frage zu beantworten.150 In einer Ausgabe von Meyers Konversations-Lexikon von 1894 findet sich ein Eintrag ,Banken‘, in dem es heißt, Banken seien „Anstalten zur Vermittlung des Geld- und Kreditverkehrs, welche einen zweifachen Zweck erfüllen können. Sie können einmal zur Regelung und Verbesserung des Zahlungsverkehrs dienen […]. Dann können sie als Kreditbanken […] die Kreditvermittlung zwischen dem Kapitalisten und dem Kapitalbedürftigen übernehmen.“ Sie fördern damit die „Regelmäßigkeit und Raschheit 146 Zum historischen Vergleich siehe insbesondere Kaelble: Vergleich. 147 Vgl. Marx-Jaskulski: Armut, S. 35. Die Dissertation war im Exzellenzcluster der Universität Trier ,Gesellschaftliche Abhängigkeiten und soziale Netzwerke‘ angesiedelt. Siehe www.netzwerk-exellenzcluster.uni-trier.de (zuletzt abgerufen am 3. Mai 2010). 148 Siehe hierzu Hardach: Entstehung, S. 13–39; zur Zukunft der Kreditgenossenschaften im ländlichen Raum siehe unter anderem Bonus: Genossenschaft (1987), S. 5 ff., 44. 149 Zu Konzepten der Regionalgeschichte siehe unter anderem Buchholz: Landesgeschichte, S. 11–60; Hauptmeyer: Landesgeschichte; Köllmann: Bedeutung, S. 44 f., 47, 49, unterstreicht, dass in lokalen Ansätzen von Prozessen und der dadurch ausgelösten Umformung von Gesellschaft, Wirtschaft und Staat die „Bedeutung lokaler und regionaler Forschung für die Erkenntnis strukturellen Wandels“ (S. 44) zum Ausdruck kommt. Nur am Ort selbst ließen sich „Voraussetzungen, Ansätze und Verlaufsformen strukturwandelnder Prozesse aufspüren und einwirkende Faktoren in ihrer Gewichtung und Tragweite erkennen“ (S. 45). 150 Süchting/Paul: Bankmanagement, S. 4 f.; siehe auch Obst: Bankgeschäft, S. 1 f.

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in der Anlage breiter Kapitalien“ sowie die „Ausgleichung von Angebot und Nachfrage“ und ermöglichen „fruchtbringende Verwendung kleiner Summen auch für kurze Zeit“. Darüber hinaus beseitigen sie die „Gefahren der Kündbarkeit für den gewissenhaften und pünktlichen Schuldner […], ohne das Interesse des Gläubigers zu verkürzen“. Zudem bewirken sie eine „Minderung in den Schwankungen des Zinssatzes“ und beschränken das „Gebiet wucherischer Ausbeutung bei ungeregelter Einzelverleihung“.151 In diesem Lexikonartikel werden also sowohl die volkswirtschaftlichen als auch die einzelwirtschaftlichen Funktionen von Banken angesprochen, so unter anderem die Kreditvermittlung. Banken können demnach als Finanzintermediäre (Vermittler) beschrieben werden: Sie tragen (wie auch andere Finanzintermediäre) dazu bei, dass Kapitalangebot und Kapitalnachfrage zusammenkommen; damit verschaffen sie Akteuren mit finanziellen Überschüssen Anlagemöglichkeiten, Akteuren mit Finanzdefiziten die entsprechenden liquiden Mittel.152 Zentral für das Funktionieren dieser Mittlerrolle ist die Transformationsfunktion der Banken.153 Institutionenökonomisch wird heute basierend auf einem Modell von Douglas W. Diamond die wichtigste Funktion von Banken im ‚Delegated Monitoring‘, das heißt in der durch die Banken stellvertretenden Überwachung der Kreditnehmer, gesehen.154 Diamonds Modell, „in which a financial intermediary has a net cost advantage relative to direct lending and borrowing“,155 wirft also die Frage auf: Was zum Beispiel können Banken besser leisten als andere, zum Beispiel private Geldgeber? Bereits in dem skizzierten Szenario des Wuchergeschäftes wurde angedeutet, welche Probleme entstehen können, wenn geeignete institutionelle Arrangements zwischen den Akteuren (dem Darlehnsgeber und dem Darlehnsnehmer) fehlen.156 Eben diese Mängel zu überbrücken war Aufgabe der ländlichen Kreditgenossenschaften: Kreditgenossenschaften sind Banken, die in der Rechtsform der eingetragenen Genossenschaften geführt werden (juristisch wird der Begriff Genossenschaftsbank verwendet). Sie sind Gesellschaften mit nicht geschlossener Mitgliederzahl, die durch gemeinschaftlichen Geschäftsbetrieb mit der Abwicklung aller üblichen bankmäßigen Geschäfte den Erwerb und die Wirtschaft ihrer Mitglieder fördern wollen.157 Das ursprüngliche und zentrale Ziel der ländlichen Kreditgenossenschaften – damit auch statuarisch festgelegter Gründungs151 152 153 154 155 156

[o. Verf.]: Banken, in: Meyers Konversations-Lexikon, S. 420. Siehe Paul: Ansätze, S. 158; Dahlem: Professionalisierung, S. 19 f. Büschgen/Börner: Bankbetriebslehre, S. 21 f. Diamond: Financial Intermediation. Ebd., S. 393. Bonus: Genossenschaft (1985), S. 14 f., 18, geht – in Anlehnung an ein Beispiel von Akerlof, in dem ein Markt nicht zustande kommt, obwohl sowohl Angebot als auch Nachfrage ausreichend vorhanden sind – davon aus, dass es ohne die lokalen Geldverleiher für die ländliche Bevölkerung keinen Kreditmarkt gegeben hätte: Die „schlechten Konditionen [der Geldverleiher; Anm. d. Verf.] waren nicht so das Ergebnis skrupelloser Ausbeutung durch Wucherer als vielmehr der Ausdruck horrender Informationskosten. Ohne die ‚Wucherzinsen‘ der lokalen Geldverleiher hätte es überhaupt keinen Kreditmarkt für kleine Bauern und Gewerbetreibende gegeben“; siehe auch Akerlof: Market, S. 488–500; Guinnane: Information Machines, S. 21 f. 157 [o. Verf.]: Kreditgenossenschaften, in: Gabler Banklexikon, S. 978; zum Genossenschaftsbeg-

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zweck einer jeden neu gegründeten Kreditgenossenschaft und normativ im § 1 GenG verankert – ist der Förderauftrag, der im auf das Mitglied ausgerichteten Aktivgeschäft seine Umsetzung findet.158 Anders gesagt: Der Förderauftrag ist zugleich „Maßstab und Richtschnur genossenschaftlichen Handelns“159 und wurde originär durch die Vermittlung beziehungsweise Vergabe von Krediten (zugleich Funktion der Kreditgenossenschaften) praktisch realisiert, was kurz- und mittelfristigen Krediten, wenn notwendig, angepasst an den landwirtschaftlichen Produktionszyklus, wenn möglich zu verhältnismäßig geringen Zinsen, entsprach. Darüber hinaus sollten die Genossenschaftsbanken – wie die meisten auch in ihren Statuten an exponierter Stelle aufführten – die Möglichkeit zur verzinslichen Einlage von Spargeldern, auch von kleinsten Beträgen, bieten (Passivgeschäft). Zentrale innere Strukturmerkmale der Genossenschaft sind noch heute das (1.) Ehrenamt im Sinne des Prinzips der Selbstverwaltung, das (2.) Demokratieprinzip sowie die (3.) Solidarhaft.160 Diese sind im Gesetz betreffend die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften von 1889 vorgegeben und im Statut der einzelnen Genossenschaft festgehalten. (1.) Ein Ehrenamt wird mit der Übernahme einer Funktion (Förder-, Partizipations-, Mittler-, Kontroll- und/oder Werbefunktion) durch ein Mitglied in den Beratungs-, Entscheidungs- und Kontrollorganen der Genossenschaft ausgeübt.161 Die bloße Mitgliedschaft begründet jedoch kein Ehrenamt; das Mitglied ist in diese Funktion durch die Generalversammlung (oder den Aufsichtsrat) zu wählen. Das 1889 verabschiedete Genossenschaftsgesetz (§ 9) schrieb vor, dass die Vorstandsund Aufsichtsratsmitglieder – anders als bei Aktiengesellschaften – Mitglieder der Genossenschaft sein mussten beziehungsweise heute auch noch sein müssen (Prinzip der Selbstorganschaft).162 (2.) Genossenschaften sind nach dem Demokratieprinzip konstruiert, das heißt sie sind demokratisch aufgebaute Organisationen. Sichtbar wird das genossenschaftsspezifische Demokratieverständnis in dem Prinzip „Ein Mann = Eine Stimme“.163 Die Willensbildung geschieht durch Mehrheitsentscheid. Alle Mitglieder sind in der Genossenschaft gleichgestellt. Höchste Autorität ist die Mitgliederversammlung. Normativ obliegt allen Mitgliedern indirekt und direkt die Mitwirkung an der Kontrolle der Genossenschaft beziehungsweise

158 159

160 161 162 163

riff und den Merkmalen von (Kredit-) Genossenschaften siehe ausführlich Kluge: Geschichte, S. 1–24. RGBl. 1889, Nr. 11, GenG, S. 55, § 1. Grosskopf: Strukturfragen, S. 20; zum ,historischen Förderauftrag‘ siehe ebd., S. 21 f.; Raiffeisen: Darlehnskassen-Vereine, S. 29. Friedrich Wilhelm Raiffeisen verfolgte ein ganzheitliches Konzept. Ziel war es, die Verhältnisse der Mitglieder in „sittlicher und materieller Beziehung zu verbessern, die dazu nötigen Einrichtungen zu treffen, namentlich die zu Darlehn an die Mitglieder erforderlichen Geldmittel unter gemeinschaftlicher Garantie zu beschaffen, sowie Gelegenheit zu geben, müßig liegende Gelder verzinslich anzulegen“. Zu den genossenschaftlichen Prinzipien siehe Münker: Prinzipien, genossenschaftliche, in: Mändle/Swoboda: Genossenschaftslexikon, S. 509 ff.; Kluge: Geschichte, S. 12–22. Mändle: Ehrenamt, genossenschaftliches, in: ders./Swoboda: Genossenschaftslexikon, S. 151 ff. RGBl. 1889, Nr. 11, GenG, S. 58; siehe auch Hilkenbach: Corporate Governance, S. 15. Patera: Demokratieprinzip, genossenschaftliches, in: Mändle/Swoboda: Genossenschaftslexikon, S. 119 f.

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des genossenschaftlichen Betriebes, für den sie solidarisch haften.164 (3.) Die Mitglieder haften unmittelbar gegenüber den Gläubigern der Genossenschaft. Im Falle der eingetragenen Genossenschaft mit unbeschränkter Haftpflicht sind die Mitglieder im Konkursfall unbeschränkt zu Nachschüssen verpflichtet und haften unmittelbar gegenüber den Gläubigern.165 Die Solidarhaftung geht konzeptionell auf die Idee zurück, die Kreditwürdigkeit der Genossenschaften zu stärken, das heißt durch die Haftung mit dem Privatvermögen der Mitglieder sollten diese zu Zuverlässigkeit und Verantwortung angehalten werden und sollte zugleich gegebenenfalls externen Geldgebern (zum Beispiel Einlegern, die nicht Mitglied der Genossenschaft waren) eine hohe Kreditwürdigkeit signalisiert werden.166 Untersucht werden in der vorliegenden Studie ausschließlich Förderungsgenossenschaften; Produktivgenossenschaften spielen in den meisten Marktwirtschaften keine Rolle und werden hier auch nicht weiter berücksichtigt.167 Um in der vorliegenden Untersuchung als Kreditgenossenschaft bezeichnet zu werden, muss eine Organisation die folgenden Merkmale erfüllen: Ihr Ziel ist die Mitgliederförderung, es gelten besondere Regeln der Trägerschaft (zum Beispiel demokratische Mitgestaltung der Mitglieder) und es besteht die Identität von Mitgliedern und ‚Kunden‘.168 In der vorliegenden Untersuchung sind alle Genossenschaften eingetragene Genossenschaften – in der Regel in der Rechtsform der eGmuH (eingetragene Genossenschaft mit unbeschränkter Haftpflicht).169 Die Rechtsform ist jedoch nicht zugleich notwendiges Kennzeichen für die Organisationsform Genossenschaft.170 b) ,Ländlich‘ – mehr als nur ein Adjektiv Bereits zeitgenössisch wurde stets zwischen ‚ländlichen‘ (Raiffeisen) und ‚städtischen‘ (Schulze-Delitzsch) Kreditgenossenschaften differenziert (erste Differenzierungsebene),171 was sich entsprechend auf die jeweilige Ausrichtung auf die 164 Hilkenbach: Corporate Governance, S. 20–27. 165 Hoppert: Solidarhaftung, in: Mändle/Swoboda: Genossenschaftslexikon, S. 583 f. – Das Genossenschaftsgesetz von 1889 kennt drei Haftungsarten, wobei für die Untersuchung weitestgehend nur die Rechtsform der eGmuH eine Rolle spielt. 166 Guinnane: Law, S. 28 ff. 167 Zu Produktivgenossenschaften siehe unter anderem Rönnebeck: Produktivgenossenschaften, in: Mändle/Swoboda: Genossenschaftslexikon, S. 512 ff. 168 Zum Identitätsprinzip siehe Weber/Brazda: Identitätsprinzip, genossenschaftliches, in: Mändle/ Swoboda: Genossenschaftslexikon, S. 348. 169 Zum Gründungszeitpunkt, wenn dieser vor 1889 liegt, in der Form der eingetragenen Genossenschaft (eG); RGBl. 1889, Nr. 11, GenG, S. 56, § 2: Die Genossenschaften können errichtet werden als 1. eingetragene Genossenschaft mit unbeschränkter Haftpflicht, 2. eingetragene Genossenschaft mit unbeschränkter Nachschusspflicht, 3. eingetragene Genossenschaft mit beschränkter Haftpflicht. 170 Vgl. unter anderem Krebs: Genossenschaftswesen, in: Bott: Handwörterbuch, S. 581; siehe auch Kluge: Geschichte, S. 2 f. 171 Die unterschiedliche Konzeption spiegelt sich auch in der Zugehörigkeit zu den jeweiligen Genossenschaftsverbänden und deren politischer und vor allem sozialpolitischer Ausrichtung wider.

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I. Einleitung

unterschiedlichen Bedürfnisse der ländlichen beziehungsweise landwirtschaftlichen Bevölkerung und derjenigen in städtischen Gebieten, wie etwa von Gewerbetreibenden und Handwerkern, auswirkte. ‚Ländlich‘ dient auf der Mesoebene der Kennzeichnung der besonderen Strukturen und Prozesse der genossenschaftlichen Organisation, die zweckorientiert und planvoll auf bestimmte Gruppen und Organisationen ausgerichtet wurden. Ziel ist es, auf dieser Ebene wiederkehrende Muster und Regelmäßigkeiten der Genossenschaften als formelle Organisationen mit ihren ‚Beimischungen‘ informeller Regeln zu verstehen. Im Alltagsverständnis wird mit ‚ländlich‘ vor allem ein geografischer Raum und häufig eine spezielle Mentalität, Idylle, Abgeschiedenheit etc. assoziiert. In der Raumordnung beziehungsweise in der Regionalforschung wird der Begriff des ‚ländlichen Raumes‘ für nicht verdichtete Gebiete verwendet beziehungsweise ist ursprünglich eine Bezeichnung für überwiegend durch Landwirtschaft geprägte Regionen.172 Die Bezeichnung ‚ländlicher Raum‘ hat sich bis dato als durchaus dauerhaft erwiesen, obschon sich inhaltlich einige Verschiebungen benennen lassen, sodass (diachron) eine allgemeingültige Konnotation nicht möglich erscheint.173 Begriffe wie ‚Agrarraum‘ und ‚Agrarlandschaft‘ sowie ‚Land‘ sind zunehmend – vor allem im Kontext des Stadt-LandKontinuums – durch den Begriff des ‚ländlichen Raums‘ verdrängt worden. Dies spiegelt zugleich den zu Beginn des 19. Jahrhunderts einsetzenden Wandlungsprozess vom eindeutig agrarisch geprägten hin zum heute sehr heterogenen ländlichen Raum wider; im 19. Jahrhundert waren die Vorstellungsinhalte für ‚agrar‘ beziehungsweise ‚landwirtschaftlich‘ noch weitestgehend deckungsgleich mit ‚ländlich‘.174 Landläufig wird unter ‚landwirtschaftlicher Tätigkeit‘ die Erzeugung von Pflanzen und Tieren unter Nutzung des Bodens verstanden (Urproduktion), die als Grundlage für die Herstellung von Nahrungsmitteln und Viehfutter dienen oder als Rohstoffe für die Herstellung von Textilien verwendet werden.175 Ulrich Kluge formuliert in diesem Zusammenhang: Die Landwirtschaft sei „sowohl ein Teil des Gesellschaftlichen als auch des Ökonomischen“.176 ‚Ländliche Kreditgenossenschaft‘ war bereits zeitgenössisch ein feststehender Begriff, wie unter anderem Titel diverser zeitgenössischer Publikationen und Firmierungen einiger Genossenschaftsverbände zeigen.177 ‚Ländlich‘ schließt hierbei die gesamte im ländlichen Raum lebende Bevölkerung ein, neben in der Landwirtschaft Tätigen also auch Lehrer, Pfarrer, Ärzte, Gewerbetreibende, Handwerker etc., während die Bezeichnung ‚landwirtschaftlich‘, die häufig in der wirtschaftswissenschaftlichen, aber 172 173 174 175

Ländlicher Raum, in: Brockhaus Enzyklopädie, S. 42. Henkel: Raum, S. 30 f. Kappe/Knappstein/Schulte-Altedorneburg: Grundformen, S. 61 ff.; Henkel: Raum, S. 32 f. Kluge: Agrarwirtschaft, S. 1; siehe auch Artikel in verschiedenen (zeitgenössischen) Nachschlagewerken und Enzyklopädien, zum Beispiel [o. Verf.]: Landwirtschaft, in: Knauers Konversationslexikon, S. 854. 176 Kluge: Agrarwirtschaft, S. 1; Henkel: Raum, S. 17. 177 Zur Verwendung „ländliche (Kredit-) Genossenschaften“ siehe zum Beispiel Bähren: Aufbau; Köhler: Genossenschaftskredit; von Oppenkowski: Aufgaben; Wygodzinski: Genossenschaftswesen; zur Verwendung des Terminus ‚landwirtschaftlich‘ siehe zum Beispiel Wygodzinski: Entwicklung.

5. Analysekonzept

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auch in der Literatur der Genossenschaftsbewegung selbst zu finden ist, letztlich, so zumindest der Tenor, nur Personen berücksichtigt, die in der Landwirtschaft beschäftigt sind, oder Familienangehörige in der Landwirtschaft Beschäftigter sind und sich damit in gewisser Weise von den obigen Überlegungen zu ‚Landwirtschaft‘ etwas unterscheidet. Speziell in den Kreditgenossenschaften jedoch kam in der Regel das ‚ganze Dorf‘ zusammen, was gerade hinsichtlich der Transformation von Fristen und Risiken nicht unbedeutend war.178 Zu differenzieren ist aber auch zwischen ländlichen Kreditgenossenschaften und landwirtschaftlichen Genossenschaften. Der Begriff der ‚landwirtschaftlichen Genossenschaft‘ umfasst alle Genossenschaftstypen, die den landwirtschaftlichen Unternehmen beziehungsweise der speziellen Kombination aus Haushalt und Unternehmen in ihrer Funktion als Hilfs- und Ergänzungswirtschaften ‚dienen‘, neben Kreditgenossenschaften also auch Warenbezugs- und Absatz-, Molkerei-, Viehverwertungs-, Zucht-, Meliorationsgenossenschaften.179 Im Kontext der Kreditgewährung wird ‚landwirtschaftlich‘ eindeutig Krediten für Landwirte zugeordnet.180 In der zeitgenössischen Genossenschaftsbewegung selbst waren die Adjektive ‚ländlich‘ und ‚landwirtschaftlich‘ durchaus politisch aufgeladen. So war Raiffeisen stets darum bemüht, die gesamte ländliche Bevölkerung in sein System einzubinden, während gerade die nach 1889 gegründeten Genossenschaftsverbände mit ihrer interessenspolitischen Herkunft und ihrer nachhaltigen Anbindung an die landwirtschaftlichen berufsständischen Interessenvertretungen die Kreditgenossenschaften als Hilfswirtschaften der Landwirtschaft verstanden; diese Verbände nahmen sowohl Kreditgenossenschaften als auch Bezugs- und Absatz-, Molkerei-, Winzergenossenschaft auf. Entlang dieser verbandlichen Ansichten und Konzeptionen bildete sich eine zweite Differenzierungsebene aus. In der vorliegenden Untersuchung wird ausschließlich der Begriff der ‚ländlichen Kreditgenossenschaft‘ verwendet, da dies am ehesten die Mitgliederstruktur aller hier untersuchten Genossenschaften entspricht. Mängel ergeben sich damit vor allem in verbandspolitischen Aspekten, nicht jedoch auf der ökonomischen Analyseebene. Zusammenfassend ergibt sich aus den vorn angestellten Überlegungen: ‚Ländliche Kreditgenossenschaften‘ sind Organisationen, 178 Siehe auch LA NRW Düsseldorf, Rep. 226 Nr. 409. Zum Dorfbegriff beziehungsweise zum Wandel der Konnotation siehe unter anderem Henkel: Raum, S. 30–38; Wunder: Gemeinde, S. 7 f.; [o. Verf.]: Dorf, in: Hillmann: Wörterbuch, S. 159 f.; Hempe: Gesellschaft, S. 9 f. – Zeitgenössische Statistiken nennen für die 1920er-Jahre eine Obergrenze für die Zahl der Bewohner von 2.000 Personen. Darunter fallen nicht nur Landwirte, sondern auch Handwerker und Gewerbetreibende, „die gerade in den ländlichen Ortschaften ökonomisch eng mit der Agrarwirtschaft verflochten waren und überdies oft noch eine eigene kleine Landwirtschaft als Nebenerwerb betrieben“ (S. 10). 179 [o. Verf.]: Landwirtschaftliche Genossenschaften, in: Brockhaus Enzyklopädie, S. 55; Aschhoff/Henningsen: Genossenschaftswesen, subsumieren Kreditgenossenschaften mit Warengeschäft, Bezugs- und Absatzgenossenschaften, Molkereigenossenschaften, Vieh- und Fleischgenossenschaften, Obst- und Gemüsegenossenschaften etc. unter dem Oberbegriff ‚ländliche Genossenschaften‘ in Abgrenzung zu gewerblichen Genossenschaften (nach dem Prinzip Schulze-Delitzsch). 180 Siehe hierzu unter anderem [o. Verf.]: Kredit, landwirtschaftlicher, in: Meyers KonversationsLexikon, S. 671–674.

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I. Einleitung

die als Kreditintermediäre für einen begrenzten Personenkreis (Mitglieder), die aus unterschiedlichen Berufsfeldern stammen können, über ein begrenztes Gebiet (Geschäftsbezirk) fungieren und in einer vornehmlich agrarisch geprägten Region ansässig sind. Der Untersuchung liegt diese Definition zugrunde. c) Theoretischer Ansatz Die Analyse bedient sich – auf der Grundlage der vorangestellten Definitionen – der theoretischen Ansätze der Neuen Institutionenökonomik (NIÖ), vor allem des Transaktionskostenansatzes (TAK-Ansatz) und des Prinzipal-Agent-Ansatzes (PA-Ansatz). Der Volkswirt Holger Bonus wandte Mitte der 1980er-Jahre als erster die NIÖ auf den Unternehmenstyp Genossenschaft an.181 Einige Jahre später erklärte Timothy W. Guinnane die Effizienz moderner, ländlicher Kreditgenossenschaften erstmals aus wirtschaftshistorischer Perspektive unter Zuhilfenahme des Transaktionskostenansatzes.182 In der genossenschaftswissenschaftlichen Forschung an den Genossenschaftsinstituten wird das Forschungsprogramm heute ebenfalls regelmäßig herangezogen,183 zumal auch hier die Frage nach der Existenz von unternehmerischen Organisationen relevant ist, besonders da ihre Erkenntnisobjekte, die Genossenschaften, „spezielle Organisationen“ sind, welche durch „die Wirksamkeit bestimmter Institutionen geprägt“184 werden. Die Theorie der Finanzintermediation (Theory of Financial Intermediation) versuchte bereits in den 1970er-Jahren, die Existenz von Mittlern zwischen Geldnachfragern und Geldanlegern zu begründen.185 Transaktionskosten, mit deren Existenz beziehungsweise mit deren Auswirkungen sich die Neue Institutionenökonomik und hier besonders der Transaktionskostenansatz beschäftigt, haben 1976 George J. Benston und Clifford W. Smith Jr. als Erklärung für die Existenz von Finanzintermediären angeführt.186 Benston und Smith zeigen insbesondere zwei Erklärungsansätze auf: Zum einen fragen sie nach möglichen Wegen zur Erzielung von Größen- und Verbundvorteilen (Economies of Scale und Economies of Scope) durch Standardisierung sowie durch die Kombination von verschiedenen Leistungen, zum anderen fragen sie nach der Fähigkeit von Finanzintermediären, die asymmetrische Informationsverteilung zwischen Vertragspartnern und die hieraus folgenden Risiken zu vermindern. In der Theorie der Finanzintermediation wurden demnach zwei Erklärungsmöglichkeiten für die Existenz von Banken diskutiert, 181 Bonus: Genossenschaft (1987); ,Prof. Bonus wird 65‘, Mitteilung vom 10. Februar 2000 unter www. uni-protokolle.de/nachrichten/text/56194 (zuletzt abgerufen am 3. Mai 2009); Zerche/ Schmale/Blome-Drees: Einführung, S. 62; zur Anwendung der NIÖ zur Analyse von Genossenschaften siehe auch ebd., S. 57–70. 182 Guinnane: Information Machines; ders.: Organizations; ders.: Cooperatives; ders.: Friend. 183 Siehe unter anderem Weidmann: Genossenschaften; siehe zudem eine Vielzahl von Bänden in der Reihe ,Münstersche Schriften zur Kooperation‘, unter anderem Kretschmer: Wandel. 184 Zerche/Schmale/Blome-Drees: Einführung, S. 60. 185 Die folgenden Überlegungen finden sich ausführlich bei Süchting/Paul: Bankmanagement, S. 12; Paul: Ansätze, S. 157–164. 186 Benston/Smith: Transactions Cost Approach, S. 215, 217.

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wobei vor allem der zweite Ansatz umfassender ist und die Probleme der asymmetrischen Informationsverteilung berücksichtigt. Der erste Erklärungsansatz berücksichtigt nicht die Informationsasymmetrie der Vertragspartner – im neoklassischen Sinne wird von der gleichen Verteilung der Informationen unter den Vertragspartnern ausgegangen: Banken sind auf finanzielle Transaktionen spezialisiert und können daher im Idealfall günstig Geldnachfrager und Geldanleger zusammenbringen.187 Im Mittelpunkt steht die Überlegung, dass mit sinkenden Stückkosten bei wachsender Ausbringungsmenge positive Skaleneffekte erzielt werden, für welche sich insbesondere zwei Ursachen vorbringen lassen: (1.) Kostendegression, da die fixen Kosten auf eine größere Anzahl von Leistungen verteilt werden können, zweitens Lernkurveneffekte. So können zum Beispiel mit wiederholter Durchführung Arbeitsschritte immer zügiger erledigt werden. In diesen Kontext gehört auch die Überlegung, dass durch ein effektives Bündeln von Leistungsangeboten (CrossSelling) positive Economies of Scope erzielt werden. So können Informationen, die im Kontokorrentgeschäft gewonnen werden, an anderer Stelle weiterverwertet werden (zum Beispiel im Darlehnsgeschäft). (2.) Der zweite Ansatz geht hingegen einen Schritt weiter, da hier die Überlegung der ungleichen Verteilung von Informationen aufgenommen wird: Informationen sind in der Regel (wie das Beispiel des Wuchergeschäfts zwischen Händler und Bauer zeigt) nicht gleichmäßig zwischen den ökonomischen Akteuren verteilt. Durch das Einschalten eines Intermediärs (zum Beispiel einer Bank) soll diese Ungleichmäßigkeit verringert werden.188 So wird davon ausgegangen, dass Finanzintermediäre zur Einsparung von Kosten, die bei der Zusammenführung von Kapitalnehmern und Kapitalgebern (Ex-ante-Kosten) entstehen, beitragen, und Informationsprobleme lösen können, die zum einen den Abschluss von Verträgen hemmen und zum anderen die Kontrolle der Einhaltung von Verträgen erschweren (Ex-post-Kosten). Damit wird im zweiten Ansatz explizit das Vorhandensein von Transaktionskosten integriert.189 Wie unter anderem die Ausführungen von Holger Bonus und die Untersuchungen von Timothy W. Guinnane gezeigt haben, lassen sich die Ansätze der NIÖ zielführend einsetzen – der Transaktionskostenansatz zur Erklärung sowohl der Entstehung von Kreditgenossenschaften als auch für die im Zeitverlauf notwendig werdenden Modifikationen von Strukturen und Strategien; der Prinzipal-Agent-Ansatz insbesondere zur Erklärung der Folgen der asymmetrischen Informationsverteilung und zur Analyse der Beziehung zwischen Prinzipal und Agenten.190 Zudem ist es möglich, mit Hilfe der beiden Ansätze das Verhältnis der Primärgenossenschaften zu ihren Genossenschaftsverbänden sowie deren Entstehung zu analysieren. 187 188 189 190

Siehe unter anderem Paul: Ansätze, S. 157. Süchting/Paul: Bankmanagement, S. 12–16. Ebd. Zerche/Schmale/Blome-Drees: Einführung, S. 57–70. Hier finden sich unter anderem negative Anmerkungen und Überlegungen zur Anwendung der NIÖ auf das Erkenntnisobjekt Genossenschaft. Hier wird unter anderem davor gewarnt, den Transaktionskostenansatz „nicht unkritisch auf historische Entwicklungen“ (S. 67) anzuwenden, da die „Gefahr der verkürzenden Interpretation und der Herstellung so nicht vorhandener Kausalzusammenhänge durch die Betrachtung historischer Entwicklungen als effizientes Ergebnis rational handelnder Wirtschaftssubjekte besteht“ (S. 67).

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I. Einleitung

Die Anerkennung von Koordinations- und Motivationsproblemen bei der Interaktion von Akteuren in der arbeitsteiligen Welt unterscheidet die NIÖ grundsätzlich von der Neoklassik, in der Institutionen keine Rolle spielen und der Austausch zwischen Akteuren problemlos auf vollkommenen Märkten funktioniert.191 Die NIÖ geht darüber hinaus grundsätzlich von unvollständigen Informationen (Informationsasymmetrie) aus, die aus der grundlegenden Annahme der begrenzten Rationalität resultiert: Dem neoklassischen Menschenbild des Homo oeconomicus sind als Handlungsmodell verschiedene Grundannahmen implementiert, unter anderem das Individual- und das Rationalprinzip.192 Die NIÖ basiert zwar auf den neoklassischen Grundannahmen, schätzt die Rationalitätsfähigkeit der Akteure aber weit pessimistischer ein. Der Informationsbeschaffung und -verarbeitung sind anthropologisch fundierte Grenzen gesetzt (etwa kognitiver Art).193 Williamsons Opportunismus-Begriff beinhaltet die Handlungsoptionen Betrug und List. Die Voraussetzung für opportunistisches Verhalten resultiert etwa aus einem Informationsvorsprung der einen gegenüber der anderen Partei oder aus einem Informationspatt, der auf einem unvollständigen Informationsfundament begründet ist. Bei einer hohen Transaktionskostenspezifität des Gutes oder der Leistung, infolge derer eine fundamentale Transformation bereits stattgefunden hat, kann der in der Regel vertraglich gebundene Partner nicht mehr beliebig gewechselt werden. Je nach Informationskostenbalance kann diese Bindung zu opportunistischem Verhalten – zu List – führen, das auf eine Beherrschung abzielt.194 Verträge bleiben in der Lesart der NIÖ grundsätzlich unvollständig, da Aussagen über zukünftiges Verhalten nicht gemacht und damit auch nicht umfassend vertraglich geregelt werden können: Ein Mitglied tritt zum Beispiel der Genossenschaft bei, bekundet, die Regeln des Statutes anzuerkennen und versichert dies durch seine Unterschrift. Das Statut ist jedoch nur unvollständig; es lässt Lücken, nicht nur die Interpretation, sondern auch das Handeln betreffend. Mit dem Statut werden zwar weitreichende Handlungsbeschränkungen vorgenommen, doch können nicht alle zukünftigen Situationen ex ante spezifiziert und damit geregelt werden; die Statuten sind eher allgemeiner, übergreifender Natur. Inwieweit das Mitglied sich im Verlauf der Mitgliedschaft in der Organisation angepasst verhalten wird, kann ex ante aufgrund der Rationalitätsannahme nicht mit völliger Sicherheit bestimmt werden. Damit das Mitglied nicht ‚aus der Reihe tanzt‘, werden von Organisationen Kontroll- und Durchsetzungssysteme geschaffen, die, auf Sanktionen oder auch Anreizen begründet, Interessensgleichheit schaffen sollen. Es bedarf also immer wieder Kontrollen und Anreizen, um das Verhalten der Mitglieder zu beeinflussen und auf Kurs des genossenschaftlichen Ziels zu halten.195 191 192 193 194

Göbel: Neue Institutionenökonomik, S. 28–31. Ebd., S. 23 f. Ebd., S. 109. „Unter Opportunismus verstehe ich die Verfolgung des Eigeninteresses unter Zuhilfenahme von List“. Siehe Williamson: Institutionen, S. 54. Zur Anwendung der NIÖ auf den Untersuchungsgegenstand und die Überlegungen zur monopolartigen Organisation der ‚Wucherer‘ siehe insbesondere die Publikationen von Holger Bonus. 195 Ebd., S. 133 f.

5. Analysekonzept

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Als Organisation wird hier „eine Institution samt der sie (mit einem gemeinsamen Ziel) benutzenden Individuen“196 verstanden. Unter einer Institution kann ein „System von Normen einschließlich ihrer Garantieinstrumente (die ‚Spielregeln‘), deren Zweck es ist, das individuelle Verhalten in eine bestimmte Richtung zu steuern“197 verstanden werden; Beispiele sind Kundschaftsverhältnisse, Marktwesen und Eigentum. Nach dieser Auffassung können Genossenschaften als formale Organisationen begriffen werden. Der Genossenschaft liegt ein Kooperationsvertrag (Statut) zu Grunde. Idealtypisch verfolgt die Genossenschaft beziehungsweise die in ihr zusammengeschlossenen Mitglieder das statuarische Ziel der Mitgliederförderung. Ihre Organisationsstruktur soll dazu dienen, sicherzustellen, dass die Mitglieder tatsächlich das vereinbarte Ziel (und nicht andere – opportune – Absichten) verfolgen. Nur wenn diese Struktur verhältnismäßig niedrige (Transaktions-) Kosten verursacht, können die Mitglieder, die als kollektive Akteure beschrieben werden können, mit Hilfe der Genossenschaft ihre Interessen im Idealfall günstiger verfolgen als mit Hilfe anderer Organisationsformen. Gibt die Genossenschaft ihre besondere Struktur oder ihr Ziel auf, so gehen Transaktionskostenvorteile verloren und ihre Identität wird geschwächt; (theoretisch) stellen genossenschaftliche Prinzipien demzufolge Transaktionskosten senkende Institutionen dar.198 Der Transaktionskostenansatz lässt sich besonders gut für die Erklärung der Entstehung von Kreditgenossenschaften anwenden. Transaktionskosten sind allgegenwärtig, weil sowohl Märkte als auch Organisationen nicht kostenlos funktionieren. Transaktionskosten entstehen damit in zweierlei Hinsicht:199 einerseits durch die Nutzung des Marktes, andererseits durch die Nutzung der Organisation. Mit Hilfe des Transaktionskostenansatzes lässt sich nicht nur die Entstehung von Organisationen oder die Gestaltung von Organisationsstrukturen herausarbeiten, sondern zum Beispiel auch die Frage nach ihrer Größe aufwerfen. Der Transaktionskostenansatz dient weiter dazu, herauszufinden, welche Form der Organisation bei welcher Art von Transaktion passgenau ist. Dies ist abhängig von der Spezifität, der Unsicherheit und der Häufigkeit der Transaktion. In Anbetracht der Existenz von Transaktionskosten hängt der Erfolg eines Unternehmens beziehungsweise seine langfristige Überlebensfähigkeit davon ab, ob die Transaktionskosten durch geeignete „institutionelle Arrangements“200 (zum Beispiel durch Überwachungs- und Durchsetzungssysteme) gesenkt werden können.201 Nach Oliver Williamsons Definition findet eine Transaktion statt, „wenn ein Gut oder eine Leistung über eine technisch trennbare Schnittstelle hinweg übertragen wird. Eine Tätigkeitsphase wird beendet; eine andere beginnt“.202 In diesem Sinne wird die Transaktion als 196 Diese kann formgebunden beziehungsweise formal, also hierarchisch strukturiert, oder formungebunden beziehungsweise informell sein. In der Wirklichkeit gibt es jedoch weder rein formale noch rein informelle Organisationen. Vgl. Richter/Furubotn: Neue Institutionenökonomik, S. 587. 197 Ebd., S. 582. 198 Weidmann: Genossenschaften, S. 2. 199 Göbel: Neue Institutionenökonomik, S. 129–133. 200 Ebd., S. 63. 201 Ebd., S. 135. 202 Williamson: Institutionen, zit. n. Richter/Furubotn: Neue Institutionenökonomik, S. 55.

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I. Einleitung

Moment der „Übergabe“ verstanden, welche sowohl auf dem Markt als auch innerhalb von Organisationen stattfinden kann.203 Transaktionskosten entstehen also bei der Marktbenutzung (zum Beispiel bei der Suche einer Privatperson nach einem geeigneten Kredit), können aber auch als Hierarchie- oder Bürokratiekosten vorliegen, also außerhalb beziehungsweise nach der Phase der Marktbenutzung und damit als Kosten der unternehmensinternen Organisation.204 Rudolf Richter und Eirik G. Furubotn gruppieren Transaktionskosten nach „Markttransaktionskosten“ und „Unternehmenstransaktionskosten“, also ihrer Provenienz nach.205 Zu Markttransaktionskosten zählen: 1.) Such- und Informationskosten, das heißt Kosten, die bei der Anbahnung von Verträgen entstehen. 2.) Verhandlungs- und Entscheidungskosten, also Kosten, die rund um den Vertragsabschluss entstehen. 3.) Überwachungs- und Durchsetzungskosten, sprich Kosten, die bei der Überwachung und Durchsetzung der Vertragsvereinbarungen anfallen. 4.) Investitionen in Sozialkapital, das heißt Kosten, die bei der Pflege sozialer Beziehungen entstehen.206 Als Unternehmenstransaktionskosten benennen Richter und Furubotn zwei Hauptgruppen von Kosten: 1.) Kosten zur Errichtung, Erhaltung und gegebenenfalls Veränderung der Organisationsstruktur. Darunter sind Ausgaben für Werbung, Investitionen in neue technische Geräte, Kosten für Lobbyarbeit etc. zu subsumieren. 2.) Kosten des Betriebes: zum einen Informationskosten (zum Beispiel Überwachung der Geschäftsführung, Ausgestaltung von Geschäftsordnungen), zum anderen Kosten für die „physische Übertragung von Gütern und Dienstleistungen“.207 Was bedeuten diese theoretischen Überlegungen für den Untersuchungsgegenstand, die ländlichen Kreditgenossenschaften? Theoretisch wird Banken – und damit auch Kreditgenossenschaften – die „Fähigkeit, Informationsasymmetrien auf den Märkten auszugleichen und die unterschiedlichen Präferenzen bezüglich der Fristigkeit, des Risikos oder des Kapitalbetrages zu überwinden“208 zugeschrieben, das heißt von funktionaler Bedeutung sind: 203 Richter/Furubotn: Neue Institutionenökonomik, S. 55 ff., bes. S. 55, bieten die TransaktionsDefinition von Williamson an. Danach kann von internen und externen Transaktionen gesprochen werden. Diesen Überlegungen schließt sich die vorliegende Untersuchung an; siehe auch ebd., S. 592. 204 Ronald H. Coase nennt diese „Adminstrativkosten“, Williamson „Bürokratiekosten“. 205 Richter/Furubotn: Neue Institutionenökonomik, S. 58–63. 206 Ebd., S. 58–61. 207 Ebd., S. 61 ff. 208 Bonus/Greve/Kring/Polster: Finanzverbund, S. 21; vgl. hierzu Büschgen/Börner: Bankbetriebslehre, S. 21 f.

5. Analysekonzept

1.) 2.) 3.) 4.)

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die Fristentransformationen, die Risikotransformationen, die Losgrößentransformationen und die Informationsbedarfstransformationen.209

Mehr noch zeichnen sich Banken dadurch aus, dass sie diese Transformationen leistungsfähiger ausführen können als andere Institutionen (unter anderem durch Möglichkeiten zur Diversifikation). Douglas W. Diamond kam bei seinem Modell zur Erklärung der Existenz von Banken zum Beispiel zu dem Ergebnis, dass eine Bank um so erfolgreicher sei, je mehr Projekte sie finanziere, was wiederum bedeute, dass die Existenz einer einzigen, großen Bank optimal wäre, da diese über ausreichend Möglichkeiten zur Diversifikation verfüge.210 Für Bonus und seine CoAutoren lassen sich aus den genannten Funktionen und den theoretisch den Banken zugeschriebenen Aufgaben, etwa die Lösung des Problems der asymmetrischen Information zwischen Kapitalanbietern und Kapitalnachfragern, die Kompetenzen von Banken ableiten. In diesen Fähigkeiten wiederum liegt der Schlüssel zur Senkung der Transaktionskosten.211 Neben der Informationskompetenz und der Beziehungskompetenz, welche durch das Identitätsprinzip besonders stark sind, kann die Kreditkompetenz als zentrale Fähigkeit von Kreditgenossenschaften gesehen werden:212 Kreditgenossenschaften helfen als „beauftragte Informationsproduzenten“,213 auf Kapitalmärkten bestehende Informationsasymmetrien zu überwinden. Sie bündeln den Informationsbedarf verschiedener Anleger und übernehmen in deren Auftrag die Überwachung der Kreditnehmer. Auch die Anleger müssen aufgrund der Kapitaldiversifikation nicht ständig die Genossenschaftsbank überwachen. Durch die Einschaltung des Intermediärs wird für sie damit die Überwachung der Kreditnehmer kostengünstiger. Durch eine langlebige Kunde-Bank-Beziehung beziehungsweise Mitglied-Genossenschaft-Beziehung entsteht im Laufe der Zeit Beziehungskapital (Relationship Banking):214 Auf der einen Seite profitiert die Kreditgenossenschaft von einer intensiven Beziehung zum Mitglied, da sie das Wissen über dieses nicht nur zur Senkung der Informationskosten, sondern auch für ein leistungsfähiges Cross-Selling verwerten kann. Die Informationen werden für die Kreditgenossenschaft zu einer wichtigen Ressource: „Banks’ greatest asset in consumer banking is 209 Siehe Bonus/Greve/Kring/Polster: Finanzverbund, S. 22 f. – Kreditgenossenschaften können nicht nur den Charakter von Finanzmitteln wesentlich verändern (Transformation von kurzfristige Einlagen in langfristige Darlehn; Transformationsfunktionen), sie übernehmen zudem eine wichtige „Versicherungsfunktion“ (S. 22), da sie unter anderem risikoreiche Investitionen in risikoärmere Anlagen verwandeln. Kreditgenossenschaften versichern somit Anleger gegen die Risiken von Ausfall und Illiquidität der Geldleiher. Damit sind Banken nicht nur Prinzipale gegenüber ihren Schuldnern, sondern zugleich auch Agenten der Einleger. Vgl. Göbel: Neue Institutionenökonomik, S. 275. 210 Diamond: Financial Intermediation, S. 393–414. 211 Bonus/Greve/Kring/Polster: Finanzverbund, S. 23. 212 Ebd. 213 Ebd., S. 22. 214 Bonus/Greve/Kring/Polster: Finanzverbund, S. 28.

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I. Einleitung

their relationship with customers“.215 Bei deren Verwertung muss sie sich als zuverlässig zeigen, um eine Vertrauensbasis zwischen ihr und dem Mitglied zu schaffen. Zugleich wird es Ziel der Kreditgenossenschaft sein (besonders beziehungsweise ausschließlich in Konkurrenzsituationen), ihre Reputation zu erhalten beziehungsweise sogar auszubauen, um ein mögliches Abwandern des Mitgliedes zu verhindern. Dies kann wiederum Vorteile für das Mitglied ergeben. Schlussendlich ist davon auszugehen, dass eine dauerhafte Beziehung beidseitige Rücksichtnahme und Wohlverhalten nach sich ziehen wird.216 Durch ein „aktives Beziehungsmanagement“217 soll erreicht werden, dass auch in problematischen Situationen oder bei Nachverhandlungen eine stabile, langlebige Beziehung zum Mitglied aufgebaut und gepflegt werden kann. Darüber hinaus sind Kreditgenossenschaften besondere Fähigkeiten bei der Kreditvergabe, -überwachung und -risikominimierung zu attestieren.218 Die Banktheorie untersucht unter anderem die Maßnahmen, mit denen Banken die Wahrscheinlichkeit und die Häufigkeit von Kreditausfällen minimieren. Dieses Kreditrisikomanagement hängt eng mit der Fähigkeit zur Informationskompetenz zusammen. Bei der Vergabe von Krediten sind die vielen Informationen über die Mitglieder, spezifische Kenntnisse über die Kreditnehmer und das Wissen um regionale Besonderheiten erfolgsbestimmende Ressourcen. Dementsprechend können Kreditgenossenschaften durchaus auch Kapital für ex ante als eher diffizil zu bewertende Projekte hergeben oder auch solchen Kreditsuchenden die Kreditaufnahme ermöglichen, die auf dem Kapitalmarkt keinen (günstigen) Kredit erhalten hätten.219 Dies kann in besonderem Maße seit Mitte des 19. Jahrhunderts für die ländlichen Kreditgenossenschaften Geltung beanspruchen. Der Prinzipal-Agent-Ansatz soll helfen, die Folgen der asymmetrischen Informationsverteilung und die Gestaltungsmöglichkeiten der Beziehung zwischen dem Auftraggeber, dem Prinzipal, und dessen Vertreter, dem Agenten, zu analysieren.220 Auf deskriptivem Weg, unter anderem durch die Analyse von statuarisch festgelegten Rechten und Pflichten, oder solchen, die aus Darlehnsverträgen entstehen, können die verschiedenen Prinzipal-Agent-Beziehungen untersucht werden. Die folgenden Prinzipal-Agent-Beziehungen sind im Rahmen der Untersuchung denkbar:

215 Zit. n. ebd., S. 23. 216 Ebd., S. 22; Richter/Furubotn: Neue Institutionenökonomik, S. 590; zum Reputationskapital vgl. ebd., S. 202, 279; siehe zudem Bonus: Genossenschaft (1987), S. 17 (Beispiel der Winzergenossenschaften). 217 Bonus/Greve/Kring/Polster: Finanzverbund, S. 23. 218 Ebd. 219 Ebd., S. 22 f. 220 Richter/Furubotn: Neue Institutionenökonomik, S. 588.

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5. Analysekonzept

Tabelle 1: Mögliche Prinzipal-Agent-Beziehungen in Kreditgenossenschaften Prinzipal

Agent

Problem

Mitglied

Genossenschaft

Erfüllung des Förderauftrages im Sinne der Genossen

Sparer (Mitglied)

Genossenschaft

Sicherheit und Verzinsung im Sinne der Genossen

Sparer (Nichtmitglied)

Genossenschaft

Sicherheit und Verzinsung im Sinne des Sparers

Genossenschaft (Gläubiger)

Darlehnsnehmer (Mitglied) (Schuldner)

Vollständige und pünktliche Rückzahlung

Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an eine Übersicht zu Prinzipal-Agent-Verhältnissen bei Göbel: Neue Institutionenökonomik, S. 99.

Eine Vielzahl von Prinzipal-Agent-Beziehungen ergibt sich aus der Organisationseinheit Genossenschaft sowie aus dem Institutionengeflecht, in das diese eingebunden ist. Die Genossenschaft kann grundsätzlich als Zusammenschluss individueller Akteure verstanden werden. Die Individuen erwarten von dem Zusammenschluss, hoffend darauf, dass die Genossenschaft die richtige Organisationsform ist, die Erfüllung des Förderauftrages, das heißt die Gewährung von Darlehn, zum notwendigen Zeitpunkt, im benötigten Umfang und zu möglichst günstigen Konditionen – eine Garantie hat das Mitglied nicht; Das Mitglied (Prinzipal) kann nicht sicher sein, dass die Genossenschaft (Agent) das anvisierte Ziel auch tatsächlich zukünftig hinreichend erfüllt. Eine ähnliche Situation ergibt sich aus dem in den Statuten der Genossenschaft verankerten Zweck des Unternehmens, die Gelder der Mitglieder – oder auch von Nichtmitgliedern – verzinslich anzulegen. Der Sparer (Prinzipal) erhofft sich nicht nur die Gewährleistung, sein Geld jederzeit zurückzuerhalten, sondern auch, dass die Genossenschaft (Agent) es in zugesagtem Maße verzinst und den Ertrag des Sparers steigert. Eine analoge Erwartungshaltung hat die Genossenschaft, vertreten durch die Mitglieder von Vorstand und Aufsichtsrat: Gewährt die Genossenschaft (Prinzipal) dem Mitglied ein Darlehn, besteht die Unsicherheit, ob der Darlehnsnehmer (Agent) in Zukunft auch tatsächlich die geliehene Summe zuzüglich Zinsen in vollem Umfang und zum vereinbarten Zeitpunkt zurückzahlen wird. Unsicherheiten bestehen etwa auch zwischen der Genossenschaft und dem von den Mitgliedern beauftragten Geschäftsführer (Rendant: Agent). Theoretisch entstehen bei diesen Beziehungen Probleme durch Informationsasymmetrien zwischen Prinzipal und Agenten. Zudem verfolgen Prinzipal und Agent theoretisch divergierende Nutzenvorstellungen, wenn auch aufgrund der Existenz des Intermediärs Genossenschaft in reduziertem Maße, da diese Problemlage durch die genossenschaftlichen Prinzipien weitestgehend ausgeschaltet sein sollte.221 221 In diesem Zusammenhang greift, was Georg Draheim als „Doppelnatur“ der Genossenschaft

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I. Einleitung

Jürgen Zerche, Ingrid Schmale und Johannes Blome-Drees gehen sogar davon aus, dass der Prinzipal-Agent-Ansatz bei „traditionellen Genossenschaften nahezu bedeutungslos sein dürfte, da sich das meist ehrenamtliche Leitungsorgan (Agent) in hohem Maße mit der Zwecksetzung der Genossenschaft“,222 das heißt mit dem Förderauftrag, identifiziert. Diese modellnahe Annahme dürfte sich jedoch in der Empirie kaum abzeichnen, zumal das Autorentrio offensichtlich die begrenzte Rationalität der Ehrenämtler ausblendet. Allein die weit über den Untersuchungszeitraum hinausgehende Beibehaltung der Rechtsform der eGmuH, auf welche die Genossenschaftsverbände vehement hinwirkten, macht deutlich, dass nur durch die Implementierung des hohen ökonomischen, das heißt existenziellen Risikos für den Einzelnen die Annahme der fast schon bedingungslosen Identifikation bei Zerche, Schmale und Blome-Drees zu falsifizieren ist. So ist davon auszugehen, dass sich auch Genossenschaftsmitglieder als begrenzt rationale Nutzenmaximierer (im Sinne der Bounded Rationality) verhalten – so eingängig die solidarischen genossenschaftlichen Prinzipien auch sein mögen. Der Agent kann (bewusst) durch sein Verhalten und seine Entscheidungen positiv oder negativ auf das Wohlergehen des Prinzipals einwirken. Im Falle der Kreditgenossenschaften sollen diese Probleme durch die solidarische Haftung, das heißt durch die Rechtsform, besonders die der eGmuH, reduziert werden. Die entstehenden Problemlagen können in vier Typen einteilt werden: Hidden Characteristics, Hidden Action, Hidden Information und Hidden Intention.223 1.) Der erste Typ, die ,verborgenen Eigenschaften‘ (Hidden Characteristics) treten vor Vertragsabschluss (ex ante) auf. Vor Vertragsabschluss gilt es, die Eigenschaften des Agenten beziehungsweise die der von ihm angebotenen Leistung zunächst kennenzulernen. Viele Eigenschaften bleiben jedoch verborgen, sogezeichnet hat und was zugleich die genossenschaftlichen Prinzipien umklammert. Zur Verknüpfung von Draheims Thesen und der Neuen Institutionenökonomik, insbesondere dem Transaktionskostenansatz. Siehe Bonus: Genossenschaft (1985), S. 5 ff., 46. Georg Draheim hat in die genossenschaftswissenschaftliche Literatur den Begriff der „Doppelnatur“ von Genossenschaften eingeführt. Damit werden Genossenschaften als Wirtschaftsunternehmen auf der einen und als Personenvereinigung auf der anderen Seite charakterisiert, das heißt es werden ihr sowohl marktbezogene, wirtschaftliche Funktionen als auch gruppenbezogene, soziale Funktionen zugeschrieben (genuine Zweiteilung). Genossenschaften folgen daher einem ökonomisch-zweckrationalen und einem sozio-kulturell-psychisch bestimmten Paradigma; Draheim: Genossenschaft, Vorwort. Den „roten Faden“ in Draheims Ausführungen zur Unternehmungstypologie stellt hier die „Doppelnatur der Genossenschaft als Personenvereinigung und als Gemeinschaftsbetrieb“ dar. 222 Zerche/Schmale/Blome-Drees: Einführung, S. 68 f.; Bonus: Genossenschaft (1985), S. 8 f., spricht von Vorteilen, die Mitglieder im Beitritt oder Fernbleiben sehen, und kommt damit dem tatsächlichen Bild weit näher als Zerche/Schmale/Blome-Drees. Dass die genossenschaftlichen Prinzipien in der praktischen Umsetzung nicht immer nur positive Folgen haben oder aber gar nicht in ihrer Gänze zur Realisierung gelangen, zeigt sich auch bei Erdmann: Diesseits, bes. S. 191–203. Auch kann man nicht davon ausgehen, dass Traditionen und Normen immer nur zum „Wohlergehen“ dienen beziehungsweise zur Senkung von Transaktionskosten beitragen. 223 Der folgende Überblick über die vier Problemtypen folgt Göbel: Neue Institutionenökonomik, S. 100–103.

5. Analysekonzept

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dass das Risiko der falschen Auswahl (Adverse Selection) besteht. Hierbei spielen neben Informationsasymmetrien auch Zieldivergenzen eine Rolle. 2.) Die Hidden Action tritt nach Vertragsabschluss auf. Der Prinzipal kann nicht unentwegt den Agenten und seine Tätigkeiten beobachten. Die Folge kann sein, dass der Agent diese Situation zu seinem Vorteil opportunistisch ausnutzt und sich nicht mehr an die Abmachungen des Vertrages hält. 3.) Die Hidden Information tritt ebenfalls nach Vertragsabschluss auf. Kern dieser Problemlage ist, dass der Prinzipal zwar den Agenten beobachten, sein Verhalten oder seine Leistung aber nicht beurteilen kann. Die Probleme der Hidden Action und der Hidden Information werden auch als ‚moralisches Risiko‘ (Moral Hazard) agglomeriert, da sich in beiden Fällen der Agent bewusst falsch darstellt oder verhält, gerade weil er nicht beobachtet wird beziehungsweise sein Verhalten nicht hinreichend beurteilt werden kann. Dieses Problem kann der Prinzipal lösen, indem er den Agenten zu moralischem Verhalten motiviert oder sanktioniert. 4.) Der vierte Problemtyp, die Hidden Intention, kann sowohl ein Ex-ante- als auch ein Ex-post-Problem darstellen. Ex ante könnte dem Prinzipal verborgen bleiben, wie zuverlässig, ehrlich, kulant etc. sich der Agent nach Vertragsabschluss, vor allem in Konfliktsituationen, verhalten wird. Die Ex-ante-Hidden Intention kann jedoch auch – im Sinne der verborgenen Eigenschaften – zu den Problemen der Hidden Characteristics gezählt werden und wird daher nicht weiter als Hidden Intention berücksichtigt. Ex post kann hingegen eine Hold-up-Situation entstehen: Der Agent nutzt die Abhängigkeit des Prinzipals aus, was ein Leichtes für ihn ist, sobald eine (hohe) Spezifität des Gutes oder der Leistung, die übertragen wurde, gegeben ist und der Prinzipal – auch bei gleicher Informationsverteilung – nicht auf andere Vertragspartner ausweichen kann. Es gibt demnach Probleme, die vor und die nach Vertragsabschluss auftreten: Ex post besteht das Risiko des Moral Hazard, das heißt des opportunistischen Verhaltens des Agenten als Folge mangelnder Kontrolle. Ex ante besteht das Problem der Adverse Selection – der Prinzipal kann vorab nicht alle Eigenschaften ermitteln und auch nicht vorab bestimmen, wie sich der Agent in Zukunft verhalten wird. Zur Lösung bieten sich vonseiten des Agenten, aber auch vonseiten des Prinzipals sowohl ex ante als auch ex post die Senkung der Informationsasymmetrie, die Zielharmonisierung und die Vertrauensbildung an: Der Prinzipal kann zur Senkung der Informationsasymmetrie den Agenten vor Vertragsabschluss so gut es geht ‚durchleuchten‘ (Screening), das heißt versuchen, möglichst viele Informationen über den Agenten zusammentragen, um so ein möglichst vollständiges Bild von ihm und seinen Eigenschaften zu gewinnen. Nach Vertragsabschluss darf er seine Aktivitäten nicht einstellen, sondern muss den Agenten weiterhin beobachten (Monitoring). Entsprechende Kontrollsysteme sind hierzu in der Organisation zu installieren (hierzu zählen zum Beispiel der Aufsichtsrat oder Revisoren). Der Agent hingegen kann – da auch er prinzipiell ein Interesse daran hat, die Informationsasymmetrie zu senken, da er zum Beispiel den Zuschlag für einen Auftrag erhalten möchte – dem Prinzipal seine Eigenschaften signalisieren (Signaling), etwa durch Referenzen,

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I. Einleitung

Garantien etc. So sind Geschäftsberichte ein bewährtes, freiwilliges Mittel zur Senkung der Informationsasymmetrie durch den Agenten (Reporting). Probleme, die aus divergierenden Zielen entstehen, können unter anderem dadurch verhindert oder reduziert werden, dass der Prinzipal den Agenten in seine Abhängigkeit bringt. So kann der Leistungs- und Arbeitsvertrag derart gestaltet sein, dass der Prinzipal ex post auftretende Probleme bereits ex ante reduziert oder aufhebt, in dem er zum Beispiel die Bezahlung des Agenten von dessen Leistung abhängig macht.224 Weiter kann der Prinzipal durch die Installation weiterer materieller Anreize das Interesse des Agenten am Gelingen eines Projektes steigern, indem er dessen Eigeninteresse anspornt, etwa durch die Zusicherung erfolgsabhängiger Bonuszahlungen. Eine Alternative zur Belohnung stellt die Vereinbarung von Strafen dar, sodass der Agent bei Drückebergerei (Shirking) mit entsprechenden Lohneinbußen oder anderen Geldstrafen zu rechnen hat. Der Prinzipal kann aber auch schon ex ante durch das Anbieten verschiedener Verträge (Selbstauswahl; Self Selection) verhindern, dass er eine schlechte Agenten-Auswahl trifft. Der Prinzipal kann unterschiedliche Verträge anbieten, an der Auswahl, die der Agent trifft, ablesen, ob dieser für das Erreichen seines Zieles die richtigen Eigenschaften und Absichten mitbringt und so gegebenenfalls noch vor Vertragsabschluss von der Vereinbarung zurücktreten. Da der Agent aber in der Regel am Zustandekommen des Vertrages interessiert ist, wird er sich ex ante einen guten Ruf aufbauen (Reputation). Auch ex post kann der Agent zu einem einträchtigen Verhältnis beitragen, zum Beispiel durch Selbstverpflichtungen (Commitment), Hinterlegung von Kautionen, Zahlung eines Pfands etc. (Bonding) und den Erhalt guter Reputation.225 Alle diese Lösungen sind mit Kosten verbunden. So können Lösungen als vorteilhaft beschrieben werden, die die geringsten Kosten (Agency Cost) verursachen. 6. UNTERSUCHUNGS(ZEIT)RAUM Die Kreise Gummersbach, Waldbröl und Wipperfürth grenzen im Bergischen Land, im Osten der Rheinprovinz, aneinander. Die Verwaltungseinheit Rheinprovinz wurde 1822 infolge der Kabinettsordre betreffend die Vereinigung der beiden Provinzen Jülich-Kleve-Berg und Großherzogtum Niederrhein zur preußischen Rheinprovinz gebildet.226 Räumlich deckte sie sich weitestgehend mit dem Rheinland und erstreckte sich über das Gebiet „beiderseits des Stromes [Rhein; Anm. d. Verf.] zwischen Mosel und der niederländischen Grenze“.227 Im Rahmen der Verhandlungen des Wiener Kongresses 1815 wurde das Rheinland dem preußischen Staat zugesprochen und in Folge der genannten Kabinettsorder schließlich die Rheinprovinz gebildet. Diese behielt ihre eigene Rechtsordnung, das auf dem napoleoni224 Probleme ergeben sich hier vor allem bei der Messung von Leistung. Für viele Leistungen ist eine valide Messung nicht möglich. 225 Zu Selbstverpflichtung und Eigeninteresse siehe Richter/Furubotn: Neue Institutionenökonomik, S. 34–39, bes. S. 35 f. 226 Hausser: Eingliederung, S. 21; siehe auch Janssen: Geschichte, S. 288–300. 227 Ebd., S. 11.

6. Untersuchungs(zeit)raum

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schen Cinq Codes basierende so genannte Rheinische Recht. Damit stellte die Rheinprovinz eine Ausnahme innerhalb des preußischen Staates dar, in dem ansonsten das Allgemeine Landrecht (ALR) galt. Zudem unterschied sich die Konfessionsstruktur der Rheinprovinz von der des restlichen Preußens. Während in der Rheinprovinz die Mehrheit der Bevölkerung katholisch war, war die preußische Bevölkerung in den anderen Teilen des Staates vor allem protestantischer Konfession.228 ‚Rheinland‘ und ‚Rheinprovinz‘, der Landschaftsname und der Name der Verwaltungseinheit, wurden und werden häufig synonym verwandt. Das Bedeutungszentrum, die Kernregion, den der Regionalbegriff ‚Rheinland‘ umklammert, verschob sich mit der Zeit zunehmend in den nördlichen Teil der Rheinprovinz. Bis zur Reichsgründung 1871 hatten sich mit der Industrialisierung Veränderungen abgezeichnet, die zugleich die künftige Strukturierung des Rheinlandes in wirtschaftlich und sozioökonomisch sehr unterschiedliche Teilräume vorankündigten.229 Das Bergische Land wird als Region im Sinne von Landschaft verstanden. Geografisch bedingt ist das Bergische Land in das oberbergische, das mittelbergische und das unterbergische Land gegliedert.230 Vor allem die Kreise Gummersbach und Waldbröl wurden bereits im 19. Jahrhundert als das Oberbergische bezeichnet. Erst mit der kommunalen Neugliederung im Jahr 1932 entstand eine ebenso bezeichnete Verwaltungseinheit, der Oberbergischer Kreis. Dieser umfasst – noch heute – die ehemaligen Kreise Gummersbach und Waldbröl sowie die Stadt Gummersbach, während der Kreis Wipperfürth im Rheinisch-Bergischen Kreis aufging.231 Anfang des 19. Jahrhunderts waren die Kreise Gummersbach und Waldbröl, vor allem aber der Kreis Wipperfürth weitgehend agrarisch geprägt. Daneben existierten um 1800 vorindustrielle Gewerbeformen. Im Kreis Gummersbach veränderte sich die landwirtschaftliche Erwerbsstruktur in den 1870er-Jahren mit dem Beginn der Industrialisierung entlang des Flusses Agger. Im Jahr 1882 lebten dort bereits mehr Menschen von der Arbeit in der Industrie als von einer rein landwirtschaftlichen Tätigkeit: Etwa 43 Prozent der Bevölkerung waren in der Industrie (einschließlich Bergbau und Bauwesen) beschäftigt, 1907 waren es rund 56 Prozent. Mit diesem Strukturwandel ging folglich der Anteil der im ersten Sektor Beschäftigten nahezu um die Hälfte zurück.232 Im Kreis Waldbröl vollzog sich dieser Wandel erst einige Jahrzehnte später. Kreis Wipperfürth war hingegen noch bis weit in die 1920er-Jahre hinein agrarisch geprägt; der Kreis Wipperfürth lag „inmitten mehrerer Kreise, die sehr viel stärker entwickelt waren und z.B. einen deutlich ausgeprägteren gewerblichen Charakter hatten als er selbst“.233 Ernst Moritz Spilker

228 229 230 231 232 233

Kellenbenz: Wirtschafts- und Sozialentwicklung, S. 20. Ebd., S. 71. Ringel: Wirtschaft, S. 3. Pohl: Wirtschaftsgeschichte, S. 5. Woelke: Gesellschaft, S. 131. Spilker: Wirtschaftsraum, S. 39. – Dies waren vor allem die Kreise Lennep, Mülheim am Rhein, Sieg, Gummersbach sowie der sauerländische Kreis Altena.

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I. Einleitung

bezeichnete den Kreis Wipperfürth daher als einen „Wirtschaftsraum zwischen den Wirtschaftsräumen“.234 Den orografischen Verhältnissen entsprechend waren im Oberbergischen vor allem teils weit verstreute Weiler- und Gehöftsiedlungen entstanden. Hier herrschten Kleinst-, Klein- und mittlerer Besitz vor,235 was insbesondere auf die Erbgewohnheiten zurückzuführen ist. Die Realteilung sowie das ‚Abwilligen‘ der Geschwister entsprachen bereits im 16. Jahrhundert der bergischen Rechtspraxis. Diese Art des Erbganges hatte einen hohen Zersplitterungsgrad des Grundbesitzes bereits zu Beginn der Frühen Neuzeit zur Folge, und damit zugleich eine hohe Mobilität des Grundbesitzes und eine frühzeitige Entwicklung ländlicher Nebengewerbe.236 Für die Wirtschaftlichkeit eines landwirtschaftlichen Betriebes ist jedoch nicht allein die tatsächliche Größe ausschlaggebend, sondern auch andere Faktoren, wie die natürliche Bodenbeschaffenheit und das Klima. Die Erträge in der Landwirtschaft waren im Oberbergischen „[m]ehr als anderswo […] unsicher“:237 Neben den verhältnismäßig geringen landwirtschaftlich genutzten Flächen je Betriebseinheit waren die Niederschlagswerte im Bergischen relativ hoch und die Sonnenstunden weniger als andernorts.238 Trockene Jahre gelten im Bergischen als die fruchtbarsten Erntejahre.239 Plakativ wurde das Bergische auch als „Haferspanien“240 bezeichnet. Die Voraussetzungen zur Ackerwirtschaft waren aufgrund der Klimaverhältnisse, der Bodenbeschaffenheit, der bergigen Landschaft sowie der starken Parzellierung eher ungünstig. Getreide konnte in der Regel nicht in ausreichendem Umfang produziert werden, sodass das Bergische als „Bedarfsgebiet“ auf die Einfuhr aus anderen Gebieten angewiesen war.241 Kartoffeln hingegen konnten Anfang des 19. Jahrhunderts zeitweise in einem solchen Umfang produziert werden, dass sie in urbaneren Zentren am Rhein und in die Grafschaft Mark

234 Ebd.; siehe ferner KrRBK, 004/1955, Verwaltungs-Bericht des Kreises Wipperfürth für die Jahre 1926–1928, S. 9. 235 Baldus: Entwickelung, S. 21 f. Landwirtschaftliche Großbetriebe haben im Kreis Gummersbach nie bestanden. Nur wenige größere Besitzungen waren vorhanden (Rittergüter); siehe Barre: Wucher, S. 214. 236 Steinbach: Beiträge, S. 45–53; LA NRW Düsseldorf, LA Wipperfürth Nr. 245, Königliche Kreis-Behörde Wipperfürth, Allgemeine Verwaltung, Acta betreffend die Höheren Orts beabsichtigte Beschränkung der Zerstückelung bäuerlicher Grundstücke, 1837–1926, S. 169 verso u. recto, Schreiben des Bürgermeisters von Lindlar an die Kreisverwaltung vom 1. August 1894, wonach in Lindlar das Intestaterbrecht zur Anwendung kommt; siehe ebd., diverse Schreiben aus den Bürgermeistereien Cürten, Engelskirchen, Wipperfeld, Wipperfürth und Klüppelberg; Steinbach: Bürger, S. 18 f.; Kraus: Landwirtschaft, S. 39; Zorn: Struktur, S. 56 f. 237 Baldus: Entwickelung, S. 20. 238 Ebd., S. 20 f.; siehe zu Witterung und Klima auch Brinkmann/Müller-Miny: Oberbergische Kreis, S. 16–22 sowie Karte 5 ,Der mittlere Jahresniederschlag im Oberbergischen Land in mm (1891–1930) und sein mittlerer Jahresgang an ausgewählten Meßstellen nach Monatssummen in mm‘. 239 Baldus: Entwickelung, S. 27; Steinbach: Beiträge, S. 39; LWK: Jahresbericht 1900, S. 88. 240 Müller-Miny: Wesen, S. 402. 241 Baldus: Entwickelung, S. 23; siehe auch Hesse: Wirtschaftsgebiete, S. 37. Im Kreis Gummersbach gab es keinen Getreidemarkt; siehe hierzu Baldus: Entwickelung, S. 28.

6. Untersuchungs(zeit)raum

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abgesetzt wurden.242 Die Bewirtschaftung der Äcker erfolgte seit jeher mit Kühen und Ochsen, seltener mit Pferden.243 Wegen des regenreichen Klimas war eine intensive Weidewirtschaft (insbesondere Rindviehzucht) möglich.244 Mit der Weiterentwicklung und Verbreitung von agrarwissenschaftlichen Kenntnissen, zum Beispiel durch die LWK, wurde die bergische Landwirtschaft seit Ende des 19. Jahrhunderts mehr und mehr auf Weidewirtschaft umgestellt. Das Bild der Kulturlandschaft des Sülzberglandes, das den größten Teil des Kreises Wipperfürth einnahm, wandelte sich – soweit es von der Landschaft her bestimmt war – bis in die 1950erJahre erheblich: Während hier um 1900 vielfach Ackerbau betrieben wurde, setzte langsam der strukturelle Wandel hin zu Milch- und Grünlandwirtschaft ein.245 Die Abgrenzung des Untersuchungszeitraums ergibt sich vor allem aus der Entwicklung des Genossenschaftswesens, in der landeskundliche Aspekte eine nur untergeordnete Rolle spielen, sowie aus der Quellenlage. Der Untersuchungszeitraum umfasst dementsprechend den Zeitraum zwischen dem Inkrafttreten des Genossenschaftsgesetzes im Jahr 1889 und dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges, der die eigentliche Funktion der ländlichen Kreditgenossenschaften, das Aktivgeschäft, quasi zum Erliegen brachte und daher eine Zäsur markiert. Mit der Einführung des Gesetzes betreffend die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften im Jahr 1889 nahmen Wirkung und Dynamik der Genossenschaftsbewegung deutlich zu. Zu den bedeutendsten Neuregelungen gehörten neben der Einführung der beschränkten Haftpflicht und der beschränkten Nachschusspflicht die Bildung von Genossenschaftsverbänden und die Einführung der gesetzlich vorgeschriebenen Revision.246 Der Landwirtschaftliche Verein für Rheinpreußen, der bis dahin das ländliche Kreditwesen vor allem agitatorisch gefördert hatte, gründete unmittelbar nach dem Inkrafttreten des Genossenschaftsgesetzes 1889 den Verband rheinpreußischer landwirtschaftlicher Genossenschaften e.V. in Bonn (im Folgenden Verband Bonn), der Rheinische Bauern-Verein e.V. in Kempen 1891 den Rheinischen Revisionsverband e.V., der 1903 seinen Sitz nach Köln verlegte (Verband Köln). Der Trierische Bauernverein e.V. gründete 1895 den Trierischen Genossenschaftsverband (Verband Trier), der in den Kreisen Gummersbach, Waldbröl und Wipperfürth jedoch keine direkte Rolle spielte. Diese ‚eigenen‘ Genossenschaftsverbände wurden als „Tochterinstitute“247 verstanden. Alle Verbände übten das ihnen verliehene Revisionsrecht aus. 242 Ebd., S. 27. 243 Ebd., S. 25. 244 KrRBK, 004/1955, Verwaltungs-Bericht des Kreises Wipperfürth für die Jahre 1926–1928, S. 34 ff., Bericht über die Rindviehzucht, Berichterstatter Landwirtschaftsrat Hoffmann, Geschäftsführer des Kreisherdbuchverbandes, S. 34. „Wenige landwirtschaftliche Gebiete haben so günstige Vorbedingungen für eine erfolgreiche Viehzucht wie das Bergische Land. Das niederschlagsreiche Klima begünstigt den Getreidewuchs; die Streusiedlung ermöglicht eine bequeme Weidedurchführung und die mittelbäuerlichen Verhältnisse, die in hohem Maße als Träger der Rindviehzucht in Frage kommen, sind vorwiegend vorhanden. Aus diesem Grund wird die Rindviehzucht die Grundlage der bergischen Landwirtschaft sein müssen“. 245 Müller-Miny: Wesen, S. 402. 246 Dehkordi: Entwicklung, S. 21. 247 Rheinischer Bauern-Verein: Rheinische Bauern-Verein, S. 12.

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Das Jahr 1914 gilt als klassische Zäsur sowohl in der politischen als auch in der Wirtschafts- und Unternehmensgeschichte. Für die ländlichen Kreditgenossenschaften bedeutet das Jahr 1914 einen unternehmenshistorisch zäsurhaften Einschnitt, da sie ihrem eigentlichen Zweck, dem Aktivgeschäft, weitgehend nicht mehr nachzukommen brauchten. Mit Ausbruch des Ersten Weltkrieges 1914 verbesserte sich augenscheinlich die Ertragslage der Landwirte: „Die Landwirtschaft hat trotz vieler und grosser Schwierigkeiten, aus den hohen Verkaufspreisen für alle landwirtschaftlichen Erzeugnisse einen guten Gewinn gezogen“.248 Aufgrund der erhöhten Preise, die für landwirtschaftliche Erzeugnisse erzielt wurden, hatten auch „die kleinen Landwirte flüssige Geldmittel in Händen“,249 wobei es sich hierbei vielfach um rückgestautes Betriebskapital handelte.250 Die Einlagen bei den Kreditgenossenschaften und den öffentlichen Sparkassen stiegen erheblich. Die Kreditgenossenschaften der beiden großen rheinischen Verbände konnten ihren Einlagenbestand zwischen 1914 und 1918 mehr als verdoppeln (1914: 143,9 Mio.; 1918: 291 Mio. Mark), während die Summe der insgesamt vergebenen Darlehn von rund 117 Mio. auf 101 Mio. Mark zurückging; in laufender Rechnung hatten die Kreditgenossenschaften 1914 Kredite von rund 29 Mio. Mark gewährt, 1918 noch 25 Mio. Mark.251 Schulden, vielfach auch langfristige Hypotheken, konnten demnach zunehmend abgetragen werden, während neue Darlehn vielfach nicht in Anspruch genommen werden mussten.252 Der Lindlarer Bürgermeister schrieb 1917: „Das früher so sehr beliebte Borgwesen hat ganz aufgehört. Es wird nur gegen Bar gekauft“.253 Der Mangel an Düngemitteln, Schwierigkeiten in der Beschaffung von 248 LA Koblenz, 403/9044, S. 403, Verwaltungsbericht für den Regierungsbezirk Köln vom 30. Januar 1917; siehe auch Kluge: Agrarwirtschaft, S. 12 ff. 249 LA NRW Düsseldorf, LA Wipperfürth Nr. 111, S. 461, Bericht des Wipperfürther Landrats vom 4. April 1918. 250 LA Koblenz, 403/9044, S. 403, Verwaltungsbericht für den Regierungsbezirk Köln vom 30. Januar 1917. Die Gewinne wurden vielfach zur Abstoßung von Hypothekenschulden verwendet. Zudem konnte in landwirtschaftlichen Kreisen umfangreich Kapital angesammelt werden, das jedoch vielfach vorübergehend eingespartes Betriebskapital aufgrund von Angebotsengpässen war. 251

Jahr 1895

Darlehn auf feste Zeit

Kredite in laufender Rechnung

1900

22.366.390

1910

98.949.528

1905 1914 1918

10.061.223 5.622.944

58.802.976

15.967.701

117.015.588

29.460.125

101.430.495

25.998.807 25.468.129

Vgl. Verband rheinischer landwirtschaftlicher Genossenschaften: Verband, 1929, S. 47 f. 252 LA Koblenz, 403/9044, Verwaltungsbericht für den Regierungsbezirk Köln vom 30. Januar 1917. 253 LA NRW Düsseldorf, LA Wipperfürth Nr. 111, S. 458, Bericht des Lindlarer Bürgermeisters vom 4. Oktober 1917.

6. Untersuchungs(zeit)raum

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Saatgut, das Fehlen von Zugtieren und qualifizierten Arbeitskräften machten den landwirtschaftlichen Kredit vorübergehend überflüssig.254 Signifikant waren für die als das ‚lange 19. Jahrhundert‘ gekennzeichnete Epoche, die 1914 mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges zu Ende ging, ein enormes Fortschrittsdenken und die Säkularisierung und Modernisierung verschiedenster Lebens- und Wirtschaftsbereiche. Die Industrialisierung ging einher mit dem demografischen Wandel und einer zunehmenden Verbürgerlichung der Gesellschaft.255 Weitestgehend abgeschlossen war damit auch die genossenschaftliche Durchdringung der ländlichen Bevölkerung.

254 LA Koblenz, 403/9044, Verwaltungsbericht für den Regierungsbezirk Köln vom 30. Januar 1917. 255 Siehe Ziegler: Zeitalter, S. 197 f.

II. WIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFT: DIE KREISE GUMMERSBACH, WALDBRÖL UND WIPPERFÜRTH „So haben die Verschiedenheit des Bodens und Klimas, die Verteilung des Grundbesitzes, die Verkehrsmöglichkeiten und Charakter und Eigenart der Menschen in den verschiedenen Teilen der Rheinprovinz die Landwirtschaft so mannigfaltig und abwechslungsreich gestaltet, wie wir es in keiner anderen Provinz Preußens finden“,1 heißt es in einer 1930 von der Landwirtschaftskammer für die Rheinprovinz veröffentlichten Werbeschrift. Eigentlich sei die Rheinprovinz, so der Verfasser weiter, als „großstadtreichste Provinz Preußens, als Brennpunkt der deutschen Industrie“2 bekannt, weniger für ihre Landwirtschaft. Die Intention der Landwirtschaftskammer für die Rheinprovinz war es daher, das „rheinische Bauerntum mit seinen Mühen und seinen Sorgen, […] mit seiner uralten Kultur und seinem moder1

2

Müller: Landwirtschaft, S. 5; zur Heterogenität der Landwirtschaft innerhalb Preußens siehe Achilles: Landwirtschaft, S. 35. Achilles beginnt seinen Aufsatz mit der Formulierung: „Die umständliche Formulierung ‚Landwirtschaft in Preußen‘ wurde bwußt [sic!] gewählt; denn eine preußische Lendwirtschaft [sic!] hat es nie gegeben. […] Wenn also hier bei der Landwirtschaft in Preußen nur zwischen Ost und West unterschieden wird, so ist das eine beträchtliche Vereinfachung“. Aufgrund der Heterogenität der rheinischen Landwirtschaft, scheint es notwendig, die rheinische Landwirtschaft zunächst mit Hilfe einer Systematik zu ordnen. Es zeigt sich bereits bei verschiedenen älteren Untersuchungen, wie notwendig ein solches Vorgehen ist und wie schwierig sich die Typenbildung zugleich gestaltet. Die vorliegende Untersuchung orientiert sich an der Typisierung durch Werner Henkelmann. Henkelmann untersuchte 1928 die Betriebsgrößen landwirtschaftlicher Betriebe in der Rheinprovinz. Hierzu teilte er die Rheinprovinz in verschiedene Teilgebiete beziehungsweise Landschaften auf, um auf diese Weise vergleichbare Größenordnungen zu generieren. Entscheidendes Merkmal für seine definitorische Zergliederung der Rheinprovinz war die natürliche Beschaffenheit von Klima und Boden. Andere Produktions- und Erwerbsbedingungen wurden zweitrangig behandelt Anders als Henkelmann orientierte sich Hugo Hagmann an einer Gruppierung des Königlich Preußischen Statistischen Landesamtes, wonach die Rheinprovinz in neun (bei Henkelmann sind es lediglich acht) Landschaften unterteilt ist. Henkelmann gliedert wie folgt: (1.) Gemüseanbaugebiet: Vorgebirge, zwischen und um Köln und Bonn, bei Neuss und um Geldern; (2.) Getreide-Rübengebiet: hauptsächlich Kreise Köln, Düren, Euskirchen, Bergheim, Grevenbroich, Neuss, Jülich, Erkelenz; (3.) Getreide-Kartoffelgebiet: umfasst den „übrigen Teil der Kölner Bucht bis zum Weidegebiet“; (4.) Weidegebiet: am Niederrhein; (5.) Eifel und Hunsrück; (6.) Maifeld, zwischen Koblenz, Andernach und Mayen; (7.) Bergisches Land und Westerwald; (8.) Weinbaugebiet: Rhein-, Mosel-, Saar-, Ruwer-, Nahe- und Ahrtal. – Vgl. Henkelmann: Frage, S. 41 f.; ferner Hagmann: Statistik, S. 27. Friedlich Lütge bediente sich der Einteilung nach Real- und Anerbengebiet auf der Grundlage der Ergebnisse einer Untersuchung von Max Sering. Vgl. Lütge: Geschichte. Anders Michael Mitterauer, er bildet Ökotypen, die weniger auf rechtlichen Regelungen als vielmehr auf den ländlichen Erzeugerstrukturen basieren. von Lüninck: Geleitwort.

II. Wirtschaft und Gesellschaft

63

nen Gegenwartsstreben, mit all den vielfältigen Zweigen seiner Betriebe“3 einer möglichst breiten Leserschaft vorzustellen; die Publikation sollte im Kontext des fortschreitenden Entagrarisierungsprozesses für mehr Verständnis gegenüber dem rheinischen Bauerntum werben.4 Aufgrund der großen Heterogenität der rheinischen Landwirtschaft waren die Bedürfnisse der Landwirte etwa nach Investitionskapital in den rheinischen Landesteil unterschiedlich gelagert. In groben Zügen soll die als äußerst heterogen zu bezeichnende rheinische Landwirtschaft skizziert sowie die wichtigsten Rahmenbedingungen für die Entstehung und Entwicklung der rheinischen ländlichen Kreditgenossenschaften abgesteckt werden. Der Fokus liegt hierbei auf den Kreisen Gummersbach, Waldbröl und Wipperfürth im Bergischen Land. In diesen Kreisen hatten, abgesehen von wenigen Ausnahmen, alle untersuchten ländlichen Kreditgenossenschaften ihren Sitz.5 Daten auf der Ebene der Rheinprovinz beziehungsweise des Regierungsbezirkes Köln werden den einzelnen Unterkapiteln beigegeben und dienen der Einordnung der Daten auf Kreisebene sowie dem Versuch, die Analyse von Prozessen auf lokaler Ebene beziehungsweise Mikroebene mit denen der Makroebene zu verknüpfen.6 Der landwirtschaftliche Betrieb wird durch eine Vielzahl von exogenen Faktoren bestimmt, was erheblichen Einfluss auf die wirtschaftliche und soziale Lage der landwirtschaftlichen und damit auch der ländlichen Bevölkerung überhaupt hat.7 3 4

5 6

7

Ebd. Mooser: Verschwinden, S. 24. Der Begriff der ,Entagrarisierung‘ bezieht sich auf die Unterordnung der Landwirtschaft unter die Interessen der Industriegesellschaft, verweist zugleich auf die Modernisierung der Landwirtschaft sowie den Wandel ihres Stellenwertes in der Wirtschaft und Gesellschaft insgesamt als auch innerhalb der ländlichen Gesellschaft und beschreibt damit die Reduktion des agrarischen Charakters der ländlichen Gesellschaft. Der Begriff zielt auf den säkularen agrarischen Strukturwandel. Der entscheidende Umbruch kann jedoch erst um die 1960er-Jahre angesetzt werden. In einigen Fragen mussten Akten anderer Genossenschaften herangezogen werden. In einigen Fällen wurden diese ausgewertet, um die Entwicklung in den drei Kreisen besser einordnen zu können. Siehe Achilles: Landwirtschaft, S. 39. Achilles warnt davor, „deduktiv die Wirklichkeit erschließen zu wollen“. Wie „waghalsig“ dies sei, zeige sich in der Betrachtung von Kenndaten ausschließlichen auf Reichsebene, ohne die Werte der Provinzen heranzuziehen. Aufgrund der großen Heterogenität der rheinischen Daten ist dies für die vorliegende Untersuchung gleichermaßen zu vermeiden. Folgende termini technici werden im Rahmen der Analyse immer wieder Verwendung finden: (1.) Wie bereits eingangs formuliert, ist unter Landwirtschaft zunächst ein Gewebe der Urproduktion, das heißt unter Nutzung des Bodens, die Erzeugung von Pflanzen und Tieren zu verstehen. Die Nutzung des Bodens ist hierbei zentrales Merkmal. Die Erzeugnisse wiederum dienen als Grundlage für die Herstellung von Nahrungsmitteln und Viehfutter oder werden als Rohstoffe für die Herstellung von Textilien verwendet. Im weiteren Sinne gehören zur Landwirtschaft auch Fischfang, Jagd, Forstwirtschaft und Gärtnerei sowie ländliche Nebengewerbe; Brinkmann: Art. Landwirtschaft, S. 620. Brinkmann zählt hier zu den in Verbindung mit der Landwirtschaft stehenden Berufsgruppen den „Fabrikant[en], der landwirtschaftliche Maschinen, Baustoff, Futtermittel, Düngemittel, Kunstdünger oder auch Gegenstände des persönlichen Bedarfs für die Landwirtschaft herstellt“ sowie den Kaufmann, „der sie ihr zuführt“. Damit verweist Brinkmann auf die der Landwirtschaft vor- und nachgelagerten wirtschaftlichen Aktivitäten, deren Gesamtheit heute auch als ,Agribusiness‘ bezeichnet wird.

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II. Wirtschaft und Gesellschaft

Die Betriebsgröße hängt unter anderem von der Lage im Naturraum ab – ein Betrieb mit extensiv betriebener Weidewirtschaft benötigt mehr Fläche als ein Betrieb mit intensivem Obstanbau.8 Zu den äußeren Einflussfaktoren sind zu zählen: Naturraum, Relief, Boden, Klima, Wasser, Siedlungsweisen und Ortsformen, Nutzungsrechte, Erbsitten, zudem das Vorhandensein nicht-landwirtschaftlicher Erwerbsmöglichkeiten sowie von Ausbildungsmöglichkeiten. Darüber hinaus zählen Innovationsgrad, Zugang zu Märkten, Verkehrslage, Einflüsse benachbarter Wirtschaftsgebiete und spezifisch agrarpolitische Aspekte (Subventionen, Preisbindungen, Agrarzölle) zu den wichtigen Einflusskategorien. Zudem gilt das Entwicklungsniveau des Genossenschaftswesens als wirkmächtiger Faktor.9 Die erstgenannten Faktoren waren während des Untersuchungszeitraumes relativ statisch, da sie einem eher sukzessiven Wandel unterliegen. Einige Standortfaktoren hingegen, wie die Veränderungen im Verkehrsnetz, haben sich im Verlauf des Untersuchungszeitraumes zum Teil erheblich verändert.10 Ein Vergleich der wichtigsten Strukturdaten zeigt, dass der Grad der ‚Ländlichkeit‘ innerhalb der Rheinprovinz recht unterschiedlich war. Misst man den Grad der Ländlichkeit etwa anhand der Einwohnerzahl der Gemeinden, finden sich zum Beispiel innerhalb des Kölner Regierungsbezirkes die meisten Gemeinden mit unter 2.000 Einwohnern in den Eifel-Kreisen.11 Innerhalb des engeren Untersuchungsraumes bildeten sich bezüglich der Größe der Kreiseinwohnerschaft bis 1914 zunehmend Unterschiede aus. Alle drei Kreise des engeren Untersuchungsraumes wiesen jedoch während des gesamten Untersuchungszeitraumes eine (wenn auch unterschiedlich) starke agrarische Erwerbsstruktur auf. Die Strukturen des Zusammenlebens in ländlichen Räumen werden in historischen Arbeiten vielfach mit Hilfe des Konzepts der ‚ländlichen Gesellschaft‘ untersucht. Lutz Raphael bietet alternativ zu diesem Konzept den Begriff der ‚lokalen Gesellschaft‘ an, der sich

8 9 10 11

Siehe hierzu Langthaler: Landwirtschaft S. 259, 262 f., 267 f.; siehe auch Klohn/Voth: Agrargeographie, S. 17 f.; (2.) Der landwirtschaftliche Betrieb ist – verkürzt dargestellt – eine organisatorische Einheit aus Boden, Arbeit und Kapital. Siehe Borcherdt: Agrargeographie, S. 11, 19–35; siehe auch Klohn/Voth: Agrargeographie, S. 15; (3.) Die Intensität des Betriebes ergibt sich aus dem Aufwand (sowohl Arbeit, die zu leisten ist, als auch Betriebsmittel, die eingesetzt werden), der erbracht werden muss, um einen bestimmten Ertrag auf einer gegebenen Fläche Land zu erzielen (siehe Brinkmann: Art. Landwirtschaft, S. 620); (4.) das Bodennutzungssystem kennzeichnet die Verwendung der landwirtschaftlichen Nutzfläche in Bezug auf die verschiedenen Pflanzengruppen, die angepflanzt werden, wobei die Aufeinanderfolge der Anpflanzung der einzelnen Nutzpflanzen als (5.) Fruchtfolge bezeichnet wird; als (6.) Viehhaltungssystem wird die Art und Produktionsrichtung der Nutzviehhaltung bezeichnet (siehe Brinkmann: Art. Landwirtschaft, S. 621–624); Bodennutzungssystem und Viehhaltungssystem ergeben zusammen (7.) die Betriebsform; ähnliche Einzelformen der landwirtschaftlichen Betriebe werden als (8.) Betriebstypen kategorisiert. Solche Kategorisierungen sind in der Regel auf Gemeinden, Kreise, Regionen oder anders abgrenzbare Gebiete bezogen. Diachron und regional können Bezeichnungen variieren. Vgl. Borcherdt: Agrargeographie, S. 11 f.; Brinkmann: Art. Landwirtschaft, S. 619–628. Borcherdt: Agrargeographie, S. 21, Abb. 1; siehe auch Kiesewetter: Industrialisierung, S. 93; Lichter: Landwirtschaft, S. 22 f. Borcherdt: Agrargeographie, S. 65 f. Siehe zur Größe von Bauerndörfern Pyta: Dorfgemeinschaft, S. 46.

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methodisch auch dann noch ansetzen lässt, wenn Akteure über die Dorfgrenzen hinaus miteinander in Kontakt treten, während das Konzept der ‚ländlichen Gesellschaft‘ diese Interdependenzen nur bedingt abzubilden vermag.12 Der Begriff der ‚lokalen Gesellschaft‘ umfasst zugleich alle Personen, die in einem Raum leben, der vornehmlich durch Landwirtschaft geprägt ist, das heißt der Anteil der im Sinne Frank Ellis’ in die Wirtschaft eingebunden Personen ist vergleichsweise hoch, umschließt zugleich aber auch Bevölkerungsteile, die ihr Einkommen selbst nicht in der Landwirtschaft erzielen, jedoch durch andere Tätigkeiten oder Verhältnisse als lokale Akteure in die ländliche Gemeinde eingebunden sind, etwa als Lehrer oder Händler. Raphael sieht in dem Begriff der ‚lokalen Gesellschaft‘ einen „offenen Sammelbegriff für ortsbezogene Sozialgefüge zwischen Familien, Marktklassen oder Ständen, der sowohl dörfliche Zusammenhänge als auch räumlich weitläufigere Netzwerke […] in den Blick nimmt“.13 Zugleich lassen sich ‚lokale Gesellschaften‘ als „verdichtete Kommunikationsräume sowie als organisatorisch und institutionell verfestigte Handlungsebenen“14 für verschiedene Fragen operationalisieren. Die Landwirtschaft – und damit auch der ländliche Raum – veränderte sich im 19. Jahrhundert vor allem mit der neuen Rolle als ‚Ernährerin‘ der wachsenden und damit zunehmend nicht agrarischen Bevölkerung bei simultan fortschreitender Entagrarisierung erheblich. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts lag der Anteil der in der 12

13 14

Das Konzept der ‚ländlichen Gesellschaft‘ hatte, nachdem das Interesse an Agrargeschichte während der 1980er-Jahre abflaute, in den 1990er-Jahren Konjunktur, wie zumindest die Zahl der erschienenen Publikationen quantitativ belegt. Auch in den letzten Jahren sind unter der Überschrift ,ländliche Gesellschaft‘ wieder zahlreiche regionale Fallstudien, mehrheitlich als ‚Totalgeschichten‘, erschienen. Von Erich Landsteiner wird das Konzept (insbesondere für die Zeit von 1500 bis 1800) als unbestimmt und überfrachtet bewertet, wie eine Vielzahl empirischer Untersuchungen zeige. In vielen Untersuchungen steckten, so Landsteiner, weit mehr die Interpretationsmuster der Autoren als die „tatsächlichen empirisch nachweisbaren Verhaltensmustern ländlicher Produzenten“. Siehe Landsteiner: Landwirtschaft, S. 197 f.; siehe zum Konzept der ‚ländlichen Gesellschaft‘ und insbesondere zu dessen Anwendung in empirischen Untersuchungen die Aufsätze in Prass/Schlumbohm/Béaur/Duhamelle: Gesellschaften; zudem Hille: Gesellschaft; Hempe: Gesellschaft; Bauer: Gesellschaft; Brandes/MarxJaskulski: Armenfürsorge; dies.: Armut. Das Konzept zeigt sich in der Tat als sehr uneinheitlich, werden doch die verschiedensten Aspekte des Lebens und Wirtschaftens darunter subsumiert. Landsteiner schlägt für die Zeit vor den Agrarreformen als ,kleinsten gemeinsamen Nenner‘ aller Definitionsversuche der deskriptiven Kategorie ‚Bauer‘ die Definition von Frank Ellis (1996) vor: „Peasants are households which derive their livelihoods mainly from agriculture, utilise mainly family labour in farm production, and are characterised by partial engagement in input and output markets which are often imperfect and incomplete.“ (Ellis: Peasant Economics, S. 13). Vgl. Raphael: Gesellschaften, S. 10 f. Gegen eine ‚Totalgeschichte‘ (wie das Konzept der ‚ländlichen Gesellschaft‘) spricht auch die forschungspraktische Machbarkeit. Siehe etwa Ziegler: Eisenbahnen, S. 20 f. Eine „breit angelegte Untersuchung mußte bestimmten Restriktionen unterworfen werden, um noch bearbeitbar zu bleiben“ (S. 20). Ziegler konzentriert seine Untersuchung daher auf die ökonomische Dimension und erfüllt damit bewusst nicht den Totalitätsanspruch im Sinne der Konzeption von Hans-Ulrich Wehler. Auch hier soll der Fokus auf wirtschaftlichen Aspekten liegen. Raphael: Gesellschaften, S. 11. Ebd.

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Landwirtschaft Beschäftigten bei rund zwei Dritteln der Erwerbstätigen, Anfang der 1880er-Jahre bei etwa 44 Prozent, 1907 bei 35 Prozent.15 Der Übergang vom Agrar- zum Industriestaat war zum Ende der 1920er-Jahre abgeschlossen.16 Die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts war zunächst durch die Ausweitung der landwirtschaftlichen Nutzfläche (Extensivierung) in Folge von Meliorationen von Ödland, Trockenlegungen von Sümpfen etc. gekennzeichnet. Erste Ertragssteigerungen per Hektar wurden zudem durch den Anbau neuer Feldfrüchte (Kartoffel, Zuckerrübe, Klee) und insbesondere gesteigerter tierischer Produktion erreicht.17 Als wichtige strukturelle Veränderung sieht Friedrich-Wilhelm Henning vor allem, dass nun die tierische Produktion erstmals stärker zunahm als die pflanzliche Produktion.18 Das Tempo dieser Umstellungen war jedoch regional sehr unterschiedlich und auch im Umfang, in dem einzelne Innovationen übernommen und umgesetzt wurden, sehr different. So war etwa die Einführung der beziehungsweise die Umstellung auf die Zuckerrübe im rheinisch-westfälischen Raum die Basis für die Verbesserung der Viehhaltung, speziell der Rindviehhaltung.19 Zu der Produktionssteigerung trug zudem der Faktor Arbeit bei. Eckart Schremmer konstatierte neben den generell rückgängigen Beschäftigtenzahlen im Agrarsektor auch latente Zunahmen der Beschäftigten in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Dennoch blieben Beschäftigtenzahlen sowohl hinter dem Bevölkerungsals auch hinter dem Produktionswachstum zurück.20 Hinzu traten erste Erhöhungen des Kapitaleinsatzes. Hinter dem vermehrten Kapitaleinsatz stand vor allem die zunehmende Intensivierung der Landwirtschaft, das heißt Bodenverbesserungen sowie die Verbesserung von Geräten, etwa des Pfluges, später Mechanisierung und Technisierung, Einsatz von Kunstdünger etc. Auch diese Neuerungen verbreiteten sich seit Mitte des 19. Jahrhunderts regional beziehungsweise lokal unterschiedlich schnell und umfassend.21 Dies macht einmal mehr deutlich, dass Ergebnisse der 15 16 17

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Siehe auch Hoffmann: Wachstum, S. 35, Tab. 7 ,Die Struktur der Gesamtbeschäftigung nach Wirtschaftsbereichen 1849–1959‘. Siehe hierzu Ziegler: Zeitalter, S. 285; Grant: Agriculture; Hoffmann: Wachstum. Henning: Landwirtschaft, S. 72. Zunahme der bebauten Ackerfläche durch Aufteilung der Gemeinheiten, Kultivierung von Ödland, Aufgabe der Brache. Henning schätzt die Zunahme der jährlich als Ackerland benutzten Fläche von 13–14 Mill. Hektar (1800) auf 25 Mill. Hektar im Jahr 1850. Der Anbau von Kartoffeln diente der Verbesserung der menschlichen Ernährung, der Kleeanbau vor allem der tierischen Ernährung. Der Klee hatte zudem den Vorteil den Stickstoffgehalt des Bodens zu verbessern, sodass das in der Fruchtfolge folgende Getreide höheren Ertrag bracht. Mit dem Klee als Futter wurde die Stallhaltung möglich, die wiederum natürlichen Dünger für den Ackerbau mit sich brachte. Zur Entwicklung der Landwirtschaft zwischen 1815 und 1914 siehe auch Ziegler: Zeitalter, S. 221–226. Henning: Landwirtschaft, S. 72. Ebd., S. 79. Siehe Schremmer: Faktoren, S. 39, Abb. 3 ,Faktoreinsatz in der Landwirtschaft: Arbeit, Kapital, Boden‘. Ebd., S. 65 f. Schremmer greift die Hofgrößenstruktur, die Entlohnung sowie den Maschineneinsatz als Faktoren, die für die Entwickelung der landwirtschaftlichen Produktion besonders wichtig sind, heraus, bringt diese in einen gedanklichen Zusammenhang und konstruiert eine „optimale“ Betriebsgröße.

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Makroebene aufgrund der regionalen Disparitäten nicht zu verallgemeinern sind, sodass regionale Untersuchungen, wie die vorliegende, zielführender sind. Der Prozess, der als eigentliche ‚Intensivierung‘ der Landwirtschaft verstanden wird, vollzog sich auf zwei Ebenen: auf einer organisatorischen und einer produktionstechnischen. Mit der fortschreitenden Intensivierung der Landwirtschaft verschob sich zugleich schrittweise das Verhältnis von Arbeit und Kapital je Flächeneinheit.22 Zur Erhöhung der Organisationsintensität ist unter anderem die Besömmerung der Brache, die in einigen Regionen bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts Fuß gefasst hatte, zu zählen. Die Brache wurde verstärkt mit Hackfrüchten (Kartoffeln, Zuckerrüben, Ackerfutter wie Klee etc.) bebaut. Dies wiederum ermöglichte eine Veränderung der Betriebsorganisation. Diese wurde vielseitiger, erforderte jedoch erhöhten Arbeits- und/oder Kapitaleinsatz. Die Erhöhung der Produktionsintensität erfolgte vor allem durch drei Ansätze: (1.) durch die zunehmend planmäßige Züchtung, das heißt Optimierung von Sorten und Rassen, sowohl von Pflanzen als auch von Tieren, (2.) durch die Verbesserung der Ernährung der Pflanzen (produktionsorientierte Düngung unter anderem durch neue Dünger) und Tiere (durch bessere Kenntnisse der Tierkörper, neue Futtersorten etc.), (3.) durch eine zunehmende Technisierung und Mechanisierung sowohl auf dem Feld (unter anderem dampfbetriebene Dreschmaschinen und Pflüge) als auch in der Innenwirtschaft (Milchzentrifuge etc.).23 Der damit einhergehenden Intensitätssteigerung folgten wiederum Veränderungen in der Betriebsorganisation. Hierzu gehörten die Umgestaltung der Bodennutzung, das heißt vor allem die bereits genannte Verminderung der Brache sowie die Weiterentwicklung der Bodennutzungssysteme (zum Beispiel Übergang zur verbesserten Dreifelderwirtschaft) und der Viehhaltung (unter anderem durch die ganzjährige Stallhaltung).24 Die Ursache der (europäischen) Produktivitätssteigerung der Jahre 1870 bis 1914 (zweite Phase der „grüne(n) Revolution“25) lag vor allem im Einsatz von chemischem Dünger (‚land-saving technologies‘). Demgegenüber sei der Maschineneinsatz (‚labour-saving technologies‘) weniger ausschlaggebend gewesen.26 Die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgen der Intensivierung der Landwirtschaft knüpfen an die eingangs formulierten institutionellen Veränderungen an: Der Bauer entwickelte sich zunehmend vom „Erzeuger zum Unternehmer“27 und vom „Hintersassen zum Vollbürger“28. Damit nahm, wie bereits angerissen, 22 23 24

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Es verschob sich also die Arbeits- und die Kapitalintensität, wobei fortgeschrittene Landwirtschaft kapitalintensiver ist, während die unterentwickelte Landwirtschaft als arbeitsintensiv gilt. Siehe Seidl: Agrargeschichte, S. 166 f.; siehe auch Gudermann: Take-off. Seidl: Agrargeschichte, S. 166–192. Einen Überblick über die Entwicklung der Landwirtschaft im 19. Jahrhundert geben Henning: Landwirtschaft; Seidl: Agrargeschichte; ein kursorischer Überblick findet sich bei Ziegler: Zeitalter, S. 221–226; kurz zur praktischen Umsetzung von neuen Ideen (am Beispiel Österreichs) siehe Bruckmüller: Revolution, S. 212 ff. Ebd., S. 206. Ebd. Seidl: Agrargeschichte, S. 193. Ebd., S. 202.

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nicht nur die Markt- und Gewinnorientierung, sondern auch der Bedarf an Kapital zu. Dieser wurde, wie zu zeigen sein wird, insbesondere durch die Verbreitung der ländlichen Kreditgenossenschaften gedeckt, was zugleich den ländlichen Kreditmarkt veränderte – nicht schuf. Unter die organisatorischen Neuerungen fallen auch moderne Versicherungsprodukte zur Absicherung von Risiken wie Feuer, Hagel und Krankheit. Auch die Reformierung des Steuerwesens ist zu den organisatorischen Neuerungen zu zählen.29 Die Entstehung des Genossenschaftswesens wurde wiederum stark durch die neuen ständischen Interessenvertretungen forciert, welche das rheinische Genossenschaftswesen erheblich prägten. Eine umfassende Organisation der landwirtschaftlichen Interessen wurde – im Vergleich zu Handel und Industrie – verhältnismäßig spät, mit der Gründung des Kaiserreiches, durchgesetzt.30 1. NATURRAUM Die Region wird im Westen vom Rhein, im Norden von der Ruhr, im Süden von der Sieg und im Osten von der Wasserscheide zwischen Wupper und Ruhr begrenzt. Das Bergische Land gehört geologisch zum Rheinischen Schiefergebirge, ist demnach eine sehr hügelige Landschaft und zählt zu den Mittelgebirgen. Durchzogen wird diese Landschaft von einer Vielzahl von Bächen, von denen die meisten in die Wupper münden, welche wiederum ihren Weg zunächst nach Norden, später nach Südwesten nimmt und im Rhein einmündet.31 Das Oberbergische ist Übergangsgebiet zwischen den Höhen des Sauerlandes und dem Abfall zur Rheinebene. Vom Rhein her steigen die Höhen bis auf 400 m an, der höchste Punkt liegt 500 m über dem Meeresspiegel. Oberflächenform und Klima im Oberbergischen sind den anderen Teilen des Bergischen Landes sehr ähnlich, sodass es kaum möglich ist, klimatisch begründete Grenzen abzustecken. Die weit gewellten Hochflächen werden von tief eingekerbten Tälern, die sich aus den vielen Bächen und Siefen ergeben, 29 30 31

Ebd., S. 201 f. Siehe Ullmann: Interessenverbände. Ringel: Wirtschaft, S. 3; zur Landeskunde der Rheinprovinz siehe auch Tuckermann: Landeskunde, S. 57–68; zur (politischen) Geschichte des Bergischen Landes siehe unter anderem Schönneshöfer: Geschichte; Laute: Herren; Gruss: Geschichte; zur Verwaltung unter französischer Herrschaft beziehungsweise in der Übergangszeit 1813/14 siehe Knemeyer: Rheinbundstaaten, S. 334 ff., 342; siehe zudem Hausser: Eingliederung, S. 17 f., 22 f. – Der Name Bergische Land leitet sich von den Grafen zu Berg ab, die hier seit dem 11. Jahrhundert herrschten. Zunächst Grafschaft, ab 1380 Herzogtum, unter der französischen Besetzung ab 1806 Großherzogtum Berg. Ab 1810 galt der Code Civil. 1815 wurde das Rheinland mit dem Wiener Kongress preußisch. Auf Grundlage der ,Verordnung wegen der verbesserten Einrichtung der Provinzialbehörden‘ (1815) wurde das Rheinland in zwei Provinzen organisiert: (1.) Provinz Jülich-Kleve-Berg (zuvor Großherzogtum Berg; Sitz des Oberpräsidenten in Köln); (2.) Provinz Niederrhein (Sitz des Oberpräsidenten in Koblenz). 1822 Vereinigung der beiden Provinzen zur Rheinprovinz mit Regierungssitz in Koblenz und fünf Regierungsbezirken (Aachen, Düsseldorf, Koblenz, Köln, Trier). Das Bergische Land lag nunmehr größtenteils im Regierungsbezirk Köln (der engere Untersuchungsraum ausschließlich). Hier galt bis zum Inkrafttreten des BGB das ,Rheinische Recht‘.

1. Naturraum

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zergliedert. Besonders die Höhen des Oberbergischen sind karg und für die Landwirtschaft klimatisch weniger geeignet, sodass die ursprünglich Ackerbau betreibende Landwirtschaft zunehmend auf Weide- und Wiesenwirtschaft umgestellt wurde.32 Die höchsten Jahresniederschlagsmengen gingen im Untersuchungsraum mit 1.300 mm im Nordosten des Oberbergischen Landes nieder, die geringsten Niederschlagsmengen im äußersten Süden; in den Tälern von Agger, Wiehl und Bröhl wurden als mittlerer Jahresniederschlag rund 1.100 mm gemessen.33 Das Oberbergische war damit der zweit-regenreichste Raum der Rheinprovinz.34 Richtung Westen nahm die Niederschlagsmenge weiter ab. Insgesamt war die Verteilung der Niederschlagsmenge innerhalb der Rheinprovinz sehr unterschiedlich. Während im Nordosten des Bergischen Landes der für das Bergland typische ,Winterregen‘ auftrat, war im Südwesten des Bergischen Landes ,Sommerregen‘ charakteristisch; ein Übergangsgebiet bildete hier das Gebiet um die Messstationen Kürten, Immekeppel, Lindlar und Engelskirchen; hier traten sowohl im Winter als auch im Sommer höhere Niederschlagsmengen auf.35 Der westliche Abhang des Bergischen Landes wies relativ milde Winter auf, während das Frühjahr im Bergischen Land verhältnismäßig kühl war.36 Die Böden im Bergischen Land sind nur wenig ergiebige Gebirgsböden.37 Die flachgründigen, trockenen Verwitterungsböden ergeben wegen des geringen Nährstoffgehaltes nur geringe bis mittlere Ackerböden (zum Beispiel zum Anbau von Roggen, Kartoffeln und Hafer) beziehungsweise mittlere bis geringe Forstböden. Daneben findet sich Verwitterungs- und Gehängelehm, der wechselnd tiefgründig ist und in ebenen Lagen dazu neigt, die hohen Niederschlagsmengen zu speichern.38 Die starken geografischen und klimatischen Unterschieden innerhalb des 32

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Zur Landesnatur siehe Hermes/Müller-Miny: Rheinisch-Bergische Kreis, S. 3–12; Brinkmann/ Müller-Miny: Oberbergische Kreis, S. 3–15; mehr oder weniger ausführliche Berichte über Landeskunde und Witterung und deren Auswirkungen auf die Landwirtschaft sind unter anderem den Zeitungsberichten der Regierungen der Regierungsbezirke zu entnehmen: LA Koblenz, 403/9044, Zeitungsberichte der Reg. Köln, 1883–1894; LA Koblenz, 403/9045, Zeitungsberichte der Reg. Köln, 1895–1905; LA Koblenz, 403/9046, Zeitungsberichte der Reg. Köln, 1906–1914, 1917–1918. Brinkmann/Müller-Miny: Oberbergische Kreis, Karte 5: ,Der mittlere Jahresniederschlag im Oberbergischen Land in mm (1891–1930) und sein mittlerer Jahresgang an ausgewählten Meßstellen nach Monatssummen in mm‘. Tuckermann: Landeskunde, S. 69. Hermes/Müller-Miny: Rheinisch-Bergische Kreis, Karte 6 ,Der mittlere Jahresniederschlag im Rheinisch-Bergischen Kreis in mm (1891–1930) und sein mittlerer Jahresgang an ausgewählten Meßstellen nach Monatssummen in mm‘; ebd., S. 34 f.; LWK: Jahresbericht für 1905 und den fünfjährigen Zeitraum 1901–1905, S. 91, Tab. ,Die Niederschlagsmenge in der Rheinprovinz für das gesamte Jahr und für die einzelnen Monate, angegeben in Prozent der mittleren Jahresmenge‘ für die Jahre 1893–1902. Ebd., S. 88 f. Brinkmann/Müller-Miny: Oberbergische Kreis, S. 35: „‚[V]orwiegend kalkhaltige Böden mit hohem natürlichen Basenvorrat und relativ hohem natürlichen Nährstoffvorrat‘“ oder „‚Böden mit hohem bis mittlerem natürlichem Basen- und Nährstoffvorrat‘“ kommen hier nicht vor. Ebd., S. 37.

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II. Wirtschaft und Gesellschaft

Bergischen Landes entsprechend wiesen auch die landwirtschaftlichen Betriebe teils große Unterschiede in ihrer Organisation und Produktionsausrichtung auf.39 In Bezug auf die klimatischen und geografischen Gegebenheiten war das Bergische Land für den Ackerbau wenig geeignet. Besonders die starke Zergliederung der Landschaft war determinierender Faktor für die landwirtschaftliche Erschließung des bergischen Raumes. 2. BETRIEBSGRÖSSENSTRUKTUR „Der Stolz des deutschen Bauern gründet darauf, ein kleiner Grundbesitzer zu sein. Unglaubliche Opfer werden gebracht, um dieses ersehnte Ziel zu erreichen, […] mit welcher Zähigkeit ein Bauer in allen Schicksalslagen an seinem Grund und Boden hängt“,40 so die Beobachtungen Thomas C. Banfields, als er Mitte der 1840er-Jahre das Bergische Land zu Studienzwecken besuchte. Im Vergleich zu den englischen Verhältnissen, wo die Landwirtschaft in Großbetrieben organisiert war, mag der Eindruck der klein- und mittelbäuerlichen (im Wuppertal waren es sogar eher Zwergparzellen) Betriebe ein noch stärkerer gewesen sein. Die Beobachtungen Banfields enthalten einen gewichtigen Hinweis auf die Besitzverhältnisse und die Betriebsgrößenstruktur im Bergischen Land: Im Bergischen bewirtschaftete der Bauer seinen kleinen bis mittelgroßen, meist im Eigentum befindlichen Betrieb selbst. In der eigenen Wahrnehmung und für die Stellung innerhalb der dörflichen Gesellschaft war der Erhalt von Grundbesitz von besonderer Bedeutung. Wilhelm Abel konstatiert: „Die A r t der Grundbesitzverteilung in einem Lande zählt mithin zu den entscheidenden Voraussetzungen, von denen her sich Wirtschaft und Gesellschaft entfalten“.41 Die Betriebsgröße determinierte zugleich die Produktionsstrukturen sowie den Grad der Marktverflechtung und spielte eine zentrale Rolle in der interessenpolitischen Agitation der rheinischen Agrarverbände im 19. Jahrhundert. Ausführliches Zahlenmaterial hierzu findet sich bei Jörg Lichter, dessen Untersuchung über die rheinische Landwirtschaftskammer viele Daten zur Betriebsgrößenstruktur entnommen wurden.42 In der Gemeinde Lindlar, wo Landwirtschaft ebenfalls auf kleinen bis mittelgroßen Höfen betrieben wurde, war etwa wegen mangelnder Rentabilität die Zahl der Höfe zwischen 1826 und 1884 von 732 auf 402 zurückgegangen.43 Die Gründe 39 40 41

42 43

Siehe auch Hahn/Zorn: Wirtschaftskarte, S. 8 ff. Huck/Reulecke: Leben, S. 229 (Auszug aus Thomas C. Banfield: The Industry of the Rhine, Series I). Abel: Agrarpolitik, S. 201 (Hervorhebung im Original). Abel unterteilt dabei in ökonomische, soziale und politische Auswirkungen. Demnach hingen von der Grundbesitzverteilung die Vermögensverteilung, die Einkommensstufung, die soziale Schichtung beziehungsweise die Klassenbildung sowie der Bildungsstand ab. Zur Einkommenslage in der Landwirtschaft beziehungsweise der ländlichen Bevölkerung im Allgemeinen siehe Henning: Landwirtschaft, S. 94– 107. Lichter: Landwirtschaft. Padtberg: Wirtschaftsgeschichte, S. 222.

2. Betriebsgrößenstruktur

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hierfür lagen vor allem in der Größen- und Besitzstruktur.44 Mit dem säkularen Strukturwandel der Landwirtschaft hat nicht nur die Anzahl der landwirtschaftlichen Betriebe in der Rheinprovinz seit dem 19. Jahrhundert abgenommen, sondern auch der Anteil aller Größenklassen an der landwirtschaftlichen Nutzfläche.45 Nicht verschoben hat sich hingegen das Verhältnis der Größenklassen untereinander. Bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde die landwirtschaftliche Nutzfläche weiter ausgedehnt: Im Jahr 1882 belief sich die landwirtschaftliche Nutzfläche in der Rheinprovinz auf etwa 1,65 Mio. Hektar; bis 1907 fand eine Ausdehnung auf 1,84 Mio. Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche statt. Langfristig fand jedoch eine Reduktion der landwirtschaftlichen Nutzfläche zugunsten von Gebäuden und Straßen, also vor allem infrastrukturellen Maßnahmen statt, wie noch genauer zu zeigen sein wird.46 Im Rahmen des kreditgenossenschaftlichen Geschäftes spielten die Größe der landwirtschaftlichen Betriebe und die Besitzstrukturen vor allem bei Fragen der Verschuldung und der Stellung von Sicherheiten, den Ertragsaussichten und der Höhe des Kapitalbedarfs eine entscheidende Rolle. Nimmt man die Struktur der landwirtschaftlichen Betriebe der Rheinprovinz in den Blick, so fällt zunächst auf, dass die Anzahl der Betriebe zwischen 1882 und 1895 zunahm (um 6.251 Betriebe von 155.083 auf 161.334 Betriebe), um zwischen 1895 und 1907 abzunehmen (um 4.580 auf 156.754). Die gleiche Entwicklung zeigt sich bei der landwirtschaftlichen Nutzfläche: diese nahm zwischen 1882 und 1895 zu (von 1.175.585 auf 1.208.441) und von 1895 bis 1907 ab (auf 1.183.939). Von den 155.083 Betrieben im Jahr 1882 waren 54,1 Prozent kleiner als fünf Hektar und sogar 95 Prozent der Betriebe waren nicht größer als 20 Hektar. Wenig änderte sich an dieser Verteilung mit der nominalen Zunahme der landwirtschaftlichen Betriebe bis 1895. Und auch bei der nominalen Abnahme der Anzahl der landwirtschaftlichen Betriebe bis 1907 änderte sich an dieser Größenverteilung nichts (bis fünf Hektar: 52,8 Prozent; unter 20 Hektar: 95,1 Prozent). Im Jahr 1907 war in der Rheinprovinz die Hälfte der landwirtschaftlichen Betriebe kleiner als 0,5 Hektar, 1925 belief sich ihr Anteil auf 60,3 Prozent. Gering 44

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Bei der diachronen Analyse von Betriebsgrößen bestehen verschiedene Schwierigkeiten bei ihrer Bemessung, da sich die Bemessungskriterien veränderten, zum Beispiel wurde vor den Agrarreformen nach der Spannfähigkeit der Höfe, später nach der Ertragsfähigkeit gefragt. Der Betriebszählung von 1882 liegt die Maßeinheit ‚Landwirtschaftliche Nutzfläche‘ zugrunde. Siehe Konersmann: Betriebsgrößen, S. 126; sehr ausführlich und dezidiert zur Betriebsgrößenund Eigentumsstruktur in der Rheinprovinz und hier immer wieder herangezogen Lichter: Landwirtschaft, S. 7–22. Die Statistiken des Kaiserlichen Statistischen Amtes klassifizierten folgendermaßen: Unter 2 Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche = Parzellenbetriebe; 2 bis 5 Hektar = kleinbäuerliche Betriebe; 5 bis 20 Hektar = mittelbäuerliche Betriebe; 20 bis 100 Hektar = großbäuerliche Betriebe; 100 Hektar und mehr = Großbetriebe. In einigen Untersuchungen weichen diese Klassifikationen je nach Fragestellung ab. Die Klassifikation Betriebsgrößen reduziert die Komplexität und erleichtert oder ermöglicht damit erst den Vergleich. Besonders für die Rheinprovinz, wo großbäuerliche Betriebe und Großbetriebe nicht vorkommen, bietet es sich an, die Klassen unter 20 Hektar weiter zu unterteilen, so etwa geschehen bei Hagmann: Statistik; Henkelmann: Frage. Siehe hierzu Lichter: Landwirtschaft, S. 7–22.

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II. Wirtschaft und Gesellschaft

war der Anteil an Betrieben mit mehr als 20 Hektar.47 1907 waren etwa 86 Prozent der Betriebe kleiner als fünf Hektar. Auch im Bergischen Land waren, wie bereits Banfields Beobachtungen wiedergeben, die meisten Betriebe Parzellen, klein- und mittelbäuerliche Betriebe.48 Die landwirtschaftlichen Betriebe im Kreis Wipperfürth waren im Vergleich mit umliegenden Kreisen der landwirtschaftlichen Nutzfläche nach durchschnittlich relativ groß, was es hier vergleichsweise noch am besten möglich machte, vom landwirtschaftlichen Einkommen zu leben. Im Regierungsbezirk Koblenz herrschte vor allem kleinbäuerlicher Besitz vor. Hier wurden rund 90 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche von Kleinbauern bewirtschaftet, im Regierungsbezirk Trier rund 80 Prozent. Rund 57 Prozent der kleinbäuerlichen Betriebe sowie 49 Prozent der mittelbäuerlichen Betriebe in der Rheinprovinz waren in diesen beiden Regierungsbezirken angesiedelt. Mit einem durchschnittlichen Umfang von 8,1 Hektar je Betrieb im Regierungsbezirk Koblenz und 8,9 Hektar im Regierungsbezirk Trier waren die Betriebe hier von der Nutzfläche 20 Prozent beziehungsweise 13 Prozent kleiner als im Regierungsbezirk Düsseldorf. Im Regierungsbezirk Düsseldorf hingegen waren mittel- und großbäuerliche Betriebe vorherrschend. Im Regierungsbezirk Köln waren die Betriebe mit 8,7 Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche zwar nicht wesentlich größer als diejenigen im Regierungsbezirk Trier oder Koblenz, doch war hier die Bodenqualität besser und die Nähe zu den Absatzgebieten kleiner, was zu einem größeren Marktverflechtungsgrad beitrug.49 Nach der Berufszählung von 1882 waren im Kreis Wipperfürth 58,6 Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe nicht größer als zwei Hektar, im Kreis Gummersbach 58,1 Prozent und im Kreis Waldbröl 54,2 Prozent. Zum Vergleich: Im nahe Köln gelegenen und stärker am Industrialisierungsprozess beteiligten Kreis Mülheim am Rhein waren 77 Prozent der bäuerlichen Betriebe nicht größer als zwei Hektar, im Siegkreis 67 Prozent der Betriebe. 34,4 Prozent der Betriebe im Kreis Wipperfürth gehörten in die Größenklasse zwei bis zehn Hektar, im Kreis Waldbröl 42,3 und im Kreis Gummersbach 40 Prozent.50 47

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Hagmann: Statistik, S. 5, Tab. ,Landwirtschaftlichen Betrieben und landwirtschaftlich genutzter Fläche nach Größenklassen für die Jahre 1907 und 1925 nach Regierungsbezirken und nach Verwaltungskreisen‘. 20 bis 50 Hektar (großbäuerliche Betriebe): 1907 =1,3 Prozent, 1925 = 1,1 Prozent; Großbetriebe mit mehr als 100 Hektar: 1907 = 0,1 Prozent, 1925 = 0,1 Prozent; siehe ebd., S. 7–23. Ebd., S. 24 ff., Tab. ,Durchschnittsgrößen und Größenklassen der landwirtschaftlichen Betriebe 1925‘, S. 28. Im Kreis Gummersbach betrug die durchschnittliche Größe eines landwirtschaftlichen Betriebes im Jahr 1925 1,8 Hektar, im Siegkreis und im Kreis Waldbröl 2,4 Hektar. Innerhalb des Regierungsbezirkes Köln hatte der Kreis Euskirchen (Eifel) mit 4,5 Hektar die größten Besitzungen, gefolgt vom Kreis Wipperfürth mit 4,0 Hektar. Der Durchschnitt für den Regierungsbezirk Köln lag bei 2,7 Hektar, für die Rheinprovinz bei 2,8 Hektar. Lichter: Landwirtschaft, S. 17 f. Sering: Vererbung, S. 111 ff., Tab. ,Anzahl der Wirtschaften mit Landwirtschaftsbetrieb in der Rheinprovinz nach der Berufszählung vom 5. Juni 1882‘; Spilker: Wirtschaftsraum, S. 113– 116, Tab. ,Betriebsgrößenklassen der Landwirtschaft und Struktur der in den einzelnen Betriebsgrößenklassen Beschäftigten im Jahre 1882‘; ebd., S. 118 f., Tab. ,Größenklassen landwirtschaftlicher Betriebe in den Jahren 1895 und 1907‘.

2. Betriebsgrößenstruktur

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Betriebe über 50 Hektar waren kaum vorhanden. Noch lange Zeit charakteristisch war die Verteilung der Betriebsgrößenklassen innerhalb der Kreise. So waren im Kreis Waldbröl kleinbäuerliche Betriebe vor allem im Osten/Südosten des Kreises und mittelbäuerliche Betriebe in Denklingen, Eckenhagen, Morsbach und Waldbröl zu finden.51 Im von den zu untersuchenden Kreisen am stärksten industrialisierten Kreis Gummersbach nahm die Zahl der Betriebe insgesamt zwischen 1895 und 1907 um 17,44 Prozent (1895: 6.405 Betriebe, 1907: 7.522 Betriebe) zu, obwohl die landwirtschaftliche Nutzfläche im Kreis zugunsten von Straßenbau, Errichtung von Wohnhäusern und Betriebsgebäuden abnahm. Die Zunahme der Anzahl der Betriebe entfiel vor allem auf die Betriebe bis zu einem Hektar Größe. Von allen Betrieben im Kreis Gummersbach im Jahr 1895 (6.405 Betriebe) entfielen auf die Größenklasse null bis zwei Hektar 60,95 Prozent (3.902 Betriebe) und auf die Größenklasse zwei bis fünf Hektar 27,09 Prozent (1.735 Betriebe). Damit waren nicht ganz 90 Prozent der Betriebe nicht größer als fünf Hektar. 11,76 Prozent (753 Betriebe) der Betriebe umfassten fünf bis 20 Hektar; auf die Klasse 20 bis 100 Hektar entfielen lediglich 0,23 Prozent (15 Betriebe). Bis 1907 stieg die Zahl der Betriebe in der Größenklasse null bis zwei Hektar (gemessen an der Gesamtzahl der landwirtschaftlichen Betriebe) auf 70,98 Prozent (5.339 Betriebe) und in der Größenklasse zwei bis fünf Hektar auf 20,31 Prozent (1.528 Betriebe). Damit waren immer noch 90 Prozent aller Betriebe nicht größer als fünf Hektar.52 Während sich bis 1895 sowohl die Parzellen- als auch die mittelbäuerlichen Betriebe vermehrten, nahm seit 1895 die Zahl der mittelbäuerlichen Betriebe ab und die Zahl der Parzellenbetriebe weiterhin zu, was mit der weiteren Industrialisierung des Kreises zusammenhing. Bei der Zählung im Jahr 1882 entfielen im Kreis Wipperfürth 8,8 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche auf landwirtschaftliche Betriebe mit zwei oder weniger Hektar Betriebsfläche, im Kreis Waldbröl 16,6 Prozent und im Kreis Gummersbach 19,6 Prozent.53 Der weit größte Teil der landwirtschaftlichen Nutzfläche in den drei Kreisen entfiel auf die Betriebe der Größenklasse zwei bis zehn Hektar: Kreis Wipperfürth 55,4 Prozent, Kreis Waldbröl 65,2 Prozent, Kreis Gummersbach 66,9 Prozent. In der Rheinprovinz umfasste im Jahr 1925 ein landwirtschaftlicher Betrieb durchschnittlich 2,8 Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche, im Regierungsbezirk lag dieser durchschnitt geringfügig niedriger (2,7 Hektar). Alles in allem zeigt sich an diesen Zahlen, dass in den untersuchten Kreisen Landwirtschaft auf kleinem bis mittlerem Besitz betrieben wurde – mit abnehmender Tendenz: Im Kreis Gummersbach betrug die landwirtschaftlich genutzte Fläche je Betrieb 1925 lediglich noch 1,8 Hektar. Im Kreis Waldbröl hingegen lag der Wert mit 2,4 Hektar etwas unter dem Durchschnitt des Regierungsbezirkes, während im Kreis Wipperfürth, wo man u.a. im Bereich der Gemeinde Wipperfürth vielfach von der Teilung der Höfe im Erbfall absah, die Durchschnittsgröße der landwirtschaftlichen Betriebe bei 4,0 Hektar lag. Diese Besitzgrößenstruktur wird sich nicht nur 51 52 53

Padtberg: Wirtschaftsgeschichte, S. 225. Baldus: Entwickelung, S. 34. Sering: Vererbung, S. 110 f., Tab. ,Verteilung der Wirtschaftsfläche der Landwirtschaftsbetriebe in der Rheinprovinz nach der Berufszählung vom 5. Juni 1882‘.

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II. Wirtschaft und Gesellschaft

auf den Kapitalbedarf der Mitglieder der Kreditgenossenschaften ausgewirkt haben, sondern auch Einfluss auf die Sicherstellung – vor allem bedingt durch die Rechtsform der eGmuH – etwa gegenüber Kapitalgebern, wie zum Beispiel den Zentralbanken, ausgewirkt haben. 3. BETRIEBSFORMEN Es bietet sich an, zu Thomas C. Banfields Beobachtungen aus den Jahren 1846/47 zurückzukehren, in denen er zugleich eine Art ,Zukunftsprogramm‘ für das Bergische Land formulierte: „Unter diesen Umständen [gemeint ist die Verbindung von gewerblicher und landwirtschaftlicher Tätigkeit besonders im Norden des Bergischen Landes; Anm. d. Verf.] und in Erwartung einer baldigen Eisenbahnverbindung zu den Getreideanbaugebieten Mitteldeutschlands müssen die Zukunftsplanungen in dieser Region davon bestimmt sein, daß eine Verringerung der Getreideernten und eine Steigerung der Gartenkultur und Milchwirtschaft zum großen Vorteil der Grundbesitzer wie der Verbraucher angestrebt wird“.54 Seine Beobachtungen geben Aufschluss über die Kernprobleme der bergischen Landwirtschaft: Die Erträge im Oberbergischen waren „[m]ehr als anderswo […] unsicher“,55 wobei die trockenen Jahre im Bergischen als die fruchtbarsten galten. Zeitgenössisch häufig – eher spöttisch – als „Haferspanien“56 bezeichnet, waren die Voraussetzungen zur Ackerwirtschaft aufgrund der Klimaverhältnisse, der Bodenbeschaffenheit, der bergigen Landschaft sowie der starken Parzellierung ungünstig.57 Heribert Becker konstatierte 1980 für das südliche Bergische Land, dass sich „ein recht kleinräumiges Mosaik von Anbausystemen im Bergland“58 ausgebildet hatte und in den Hochflächen Anfang des 19. Jahrhunderts weitgehend Ackerweidewirtschaft betrieben wurde. Getreide konnte in der Regel nicht in dem Umfang produziert werden, dass es den Eigenbedarf deckte, sodass das Bergische als ,Bedarfsgebiet‘ auf die Einfuhr aus anderen Gebieten angewiesen war.59 Kartoffeln wurden zu Anfang des 19. Jahrhunderts zeitweise im Überschuss produziert und vor allem in den städtischen Zentren am Rhein und in der Grafschaft Mark abgesetzt.60 Obst und Gemüse wurden ausschließlich für den Eigenbedarf angebaut – lediglich während des Ersten Weltkriegs wurde der Obstanbau forciert, um den überregionalen Mangel an günstigen ausländischen Produkten zu substituieren. 54 55 56 57 58 59 60

Huck/Reulecke: Leben, S. 230 (Auszug aus Thomas C. Banfield: The Industry of the Rhine, Series I). Baldus: Entwickelung, S. 20. Ebd., S. 27; Steinbach: Beiträge, S. 39; LWK: Jahresberichte für 1900, 1901, S. 88. Der Anbau von Hafer spielt ferner im Bergischen Land, vor allem im Kreise Wipperfürth, eine wichtige Rolle. Baldus: Entwickelung, S. 21. Becker: Untersuchungen, S. 309. Baldus: Entwickelung, S. 23; siehe auch Hesse: Wirtschaftsgebiete, S. 37; Baldus: Entwickelung, S. 28. Im Kreis Gummersbach gab es keinen Getreidemarkt. Ebd., S. 27.

3. Betriebsformen

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Mit der Weiterentwicklung und Verbreitung von agrarwissenschaftlichen Kenntnissen arbeitete die Landwirtschaftskammer zunehmend darauf hin, die Bergische Landwirtschaft auf Weidewirtschaft umzustellen. Beispielhaft dafür sind die Gründungen von Wiesengenossenschaften zur Melioration auf Initiative der Landwirtschaftskammer. Die Tendenz zur Umstrukturierung spiegelt eine Äußerung des Landwirtschaftsrates Hoffmann, Geschäftsführer des Kreisherdbuchverbandes, aus den 1920er-Jahren wider: Die Rindviehhaltung habe inzwischen eine verhältnismäßig hohe Bedeutung erlangt, da aufgrund des regenreichen Klimas eine intensive Weidewirtschaft möglich sei.61 Im Sülzbergland, das den größten Teil des Kreises Wipperfürth einnahm, wandelte sich das Gesicht der Landschaft mit der zunehmenden Umstellung der landwirtschaftlichen Produktion auf Milchund Grünlandwirtschaft.62 Bereits seit dem 18. Jahrhundert wurde die landwirtschaftliche Nutzfläche ausgeweitet, und mit Auflösung des Flurzwangs setzte sich vielerorts die verbesserte Dreifelderwirtschaft durch, die auch noch Anfang des 20. Jahrhunderts im Oberbergischen weitverbreitet war.63 Hierfür grundlegend war die Einführung neuer Kulturpflanzen, im Rheinland vor allem Klee- und Kartoffelpflanzen, seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, die im Oberbergischen allerdings erst spät Verbreitung fanden.64 Der Übergang zum Feldfutterbau war zugleich Grundvoraussetzung für die Integration des Betriebszweigs der Rindviehhaltung in den landwirtschaftlichen Betrieb.65 Mit der Einführung des Klees und der Melioration der Täler nach ,Sie61

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KrRBK, 004/1955, Verwaltungs-Bericht des Kreises Wipperfürth für die Jahre 1926–1928, S. 34 ff. Bericht über die Rindviehzucht, Berichterstatter Landwirtschaftsrat Hoffmann, Geschäftsführer des Kreisherdbuchverbandes, hier S. 34: „Wenige landwirtschaftliche Gebiete haben so günstige Vorbedingungen für eine erfolgreiche Viehzucht wie das Bergische Land. Das niederschlagsreiche Klima begünstigt den Getreidewuchs; die Streusiedlung ermöglicht eine bequeme Weidedurchführung und die mittelbäuerlichen Verhältnisse, die in hohem Maße als Träger der Rindviehzucht in Frage kommen, sind vorwiegend vorhanden. Aus diesem Grund wird die Rindviehzucht die Grundlage der bergischen Landwirtschaft sein müssen.“ Siehe hierzu auch LA NRW Düsseldorf, D XIV A 223 a (1925), Verwaltungsbericht Kreis Waldbröl 1925, S. 6. Müller-Miny: Wesen, S. 402. Dreifelderwirtschaft: 1. Jahr: Wintergetreide, 2. Jahr: Sommergetreide, 3. Jahr Brache; verbesserte Dreifelderwirtschaft: 1. Jahr: Wintergetreide, 2. Jahr: Sommergetreide, 3. Jahr: Blattfrüchte (zum Beispiel Klee). Zum Bergischen Land siehe zudem Dösseler: Wirtschaft, S. 74. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts waren im Oberbergischen Kartoffeln und Klee „noch dürftig entwickelt“. Später löste die Kartoffel den Getreidebrei als Hauptnahrungsmittel im Oberbergischen ab. Zur Kartoffel als Nahrungsmittel siehe auch Padtberg: Wirtschaftsgeschichte, S. 226 f.; zur Einführung der Kartoffel siehe auch Seidl, Agrargeschichte, S. 167 ff. Zur Einführung anderer Hackfrüchte sowie von Raps, Mais, Klee und anderen Leguminosen siehe ebd., S. 169–172. Jörg Lichter verneint jedoch den vielfach angenommenen Übergang von der Dreifelderwirtschaft zur Fruchtwechselwirtschaft vor 1914. Dieser Übergang habe sich mit wenigen Ausnahmen weder im Rheinland noch im Deutschen Reich vollzogen. Lichter: Landwirtschaft, S. 32 f.; Padtberg: Wirtschaftsgeschichte, S. 219. Eine typische Fruchtfolge im Kreis Wipperfürth, die sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts durchsetzte, war: 1. Jahr: Roggen, 2. Jahr: Kartoffeln, 3. Jahr: Hafer, 4. Jahr: Klee, 5. Jahr: Brache oder Grünfutter oder Kartoffeln (Fünffelderwirtschaft).

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II. Wirtschaft und Gesellschaft

gerländer Tradition‘ konnte die Viehhaltung intensiviert werden. Durch Einführung neuer Geräte (zum Beispiel Wannmühlen) wurde die Feldbearbeitung verbessert, wobei im Oberbergischen vielfach noch altbekannte Geräte in Gebrauch blieben (Hundspflug, Wiesenpflug etc.), zumal aufgrund der relativ kleinen landwirtschaftlichen Anbauflächen größeres Gerät kaum nötig war.66 Die Korrelation der Betriebsgrößen nach der Betriebszählung von 1907 mit der Nutzung der elf „wichtigsten“67 landwirtschaftlichen Maschinen, wie sie Eckhard Schremmer vornahm, ergibt, dass mit steigender Hofgröße auch die Maschinennutzung deutlich zunahm. Im Umkehrschluss: Kleine Betriebe nutzten kaum Maschinen.68 Die Landwirtschaftskammer für die Rheinprovinz sieht in ihrem Bericht über die Rentabilität des landwirtschaftlichen Gewerbes für die Jahre 1900 bis 1905 die Verwendung von dampf-, elektrisch- oder spiritusbetriebenen Maschinen weniger positiv. Die Maschinen seien ein „mangelhafter Ersatz für das Fehlen der in der Landwirtschaft unentbehrlichen Handarbeit“, zumal seien die meisten Arbeiten „weder gleichmäßig noch mechanisch genug, um die ausgedehnte Anwendung von Maschinen zu gestatten“.69 Hier schwingt ein gewisses Maß an Agrarromantik mit, gleichermaßen aber auch die Angst vor weiterer Abwanderung der ländlichen Bevölkerung und einem weiteren Ansteigen der Löhne für landwirtschaftlich Beschäftigte. Mit dem schrittweisen Übergang zur Düngung mit Stallmist, Kalk, Mergel und Pottasche konnte die Bodenqualität verbessert werden. Der zur Düngung notwendige Mist konnte mit dem Kleeanbau sowie mit zunehmender Statthaltung gewonnen werden. Im Wipperfürther und Lindlarer Raum wurde vielfach auf Knochenmehl zur Düngung zurückgegriffen, während sich chemische Düngung erst vergleichsweise spät durchsetzte. Da man auf ertragsorientierte Viehzucht zunächst verzichtet hatte, waren die Erträge der Viehhaltung anfänglich nur wenig ergiebig. Zudem waren Futter- und Viehhandel bis zum letzten Drittel des 19. Jahrhunderts nur unzureichend organisiert. Der Aufklärungsarbeit des Landwirtschaftlichen Vereins kam bei der Durchsetzung von neuen Anbaumethoden besondere Bedeutung 66

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Vgl. hierzu Erker: Abschied, S. 341; Daten zur Mechanisierung der Landwirtschaft bei Grant: Agriculture, S. 189, Tab. 7.2 ,Estimates of machinery intensity in German agriculture‘; Hoffmann: Wachstum, S. 225 f., Tab. 28 ,Der Kapitalbestand der Landwirtschaft zu Anschaffungspreisen 1850–1939 (Mrd. Mark)‘; siehe auch ebd., S. 229 f., Tab. 29 ,Kapitalbestand der Landwirtschaft in Preisen von 1913, 1850–1959 (Mrd. Mark)‘. Schremmer: Faktoren, S. 45, Tab. 4 ,Die elf wichtigsten landwirtschaftlichen Maschinenarten. Bestand und Benutzer. 1907‘. Schremmer listet hier die nach Ansichten des Statistischen Reichsamtes elf wichtigsten landwirtschaftlichen Maschinenarten im Jahr 1906/07, gemessen am Maschinenbestand und an der Maschinennutzung. Nach Ansichten des Statistischen Amtes war die Dampfdreschmaschine die wichtigste Maschine, gefolgt von anderen Dreschmaschinen (zum Beispiel mit Göpelantrieb), Milchzentrifugen, Mähmaschinen, breitwürfigen Sämaschinen, Drill- und Dribbelmaschinen, Schrotmühlen, Hackmaschinen, Kartoffelerntemaschinen, Dampfpflügen sowie Kartoffelpflanzmaschinen. Kleine Betriebe nutzten kaum Maschinen. Von den Betrieben mit weniger als zwei Hektar landwirtschaftlich genutzter Fläche nutzten nur 5,2 Prozent Maschinen, in der Größenklasse zwei bis unter fünf Hektar 33 Prozent und in der Größe bis unter 20 Hektar mehr als 70 Prozent. Siehe ebd., S. 67 f.; ferner Padtberg: Wirtschaftsgeschichte, S. 226. LWK: Jahresbericht für 1905 und den fünfjährigen Zeitraum 1900–1905, S. 211; vgl. ferner Erker: Abschied, S. 341–346.

3. Betriebsformen

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zu. Bis ins 20. Jahrhundert änderte sich an der traditionellen Wirtschaftsweise der Landwirte im Oberbergischen vielerorts jedoch wenig. Erhebungen über die Verteilung der landwirtschaftlichen Bodennutzung geben Auskunft über das Bodennutzungs- und das Viehhaltungssystem (Art und Produktionsrichtung der Nutzviehhaltung) und damit über die jeweilige Betriebsform. Die erste tatsächliche Erhebung zur Bodennutzung wurde 1907 durchgeführt. Die Grundlage der Statistiken des 19. Jahrhunderts (1878, 1883, 1893, 1900) bilden Schätzungen von Sachverständigen.70 Der Anbau von Hafer war bis in die 1920er-Jahre in der ganzen Rheinprovinz verbreitet, da mit ihm auch auf marginalen Böden im Mittelgebirge gute Erträge zu erzielen waren. Auch der Kartoffelanbau war in der Rheinprovinz stark verbreitet (rund zehn Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche). Vor allem in den Kreisen Koblenz und Mayen war die Kartoffelernte auf den Bimssandböden sehr ergiebig. Nach dem Ersten Weltkrieg nahm der Anbau von Frühkartoffeln besonders bei kleinen Betrieben zu, da die Kartoffeln nicht nur der Subsistenzwirtschaft dienlich, sondern auch auf dem Markt absetzbar waren und zudem nach der Ernte auf den Böden nochmals ein ertragreicher Anbau von Gemüse und Futterpflanzen möglich war. Der Obstbau hat seit Anfang des 20. Jahrhunderts „in der rheinischen Landwirtschaft und darüber hinaus immer mehr Freunde und Verbreitung gefunden“.71 Zuckerrüben wurden vor allem in den Kreisen mit Weizenanbau angebaut. Dies waren zugleich auch die Gebiete mit starker Abmelkwirtschaft, wo in den Wintermonaten die Zuckerrüben als Futter dienten, um für die Milchversorgung der städtischen und industriellen Zentren zu produzieren. In den Höhengebieten war der Anteil der Wiesen an der gesamten landwirtschaftlichen Nutzfläche verhältnismäßig hoch. Gutes Weideland war besonders am Niederrhein zu finden sowie im Bergischen Land, vor allem in den Kreisen Lennep und Gummersbach. In diesen Kreisen wurde verstärkt Viehzucht und daher zunehmend Futteranbau auf den Ackerflächen betrieben. Obst und Gemüse wurden aufgrund der günstigen Klimaverhältnisse vor allem im Vorgebirge zwischen Bonn und Köln angebaut sowie wegen der günstigen Absatzmöglichkeiten in der Nähe der Städte.72 Der tierischen Produktion kam seit dem 19. Jahrhundert ein zunehmend höherer Stellenwert zu: Erzeugnisse wie Milch und Milchprodukte sowie Fleisch wurden mit der Bevölkerungszunahme und der steigenden Kaufkraft zunehmend nachgefragt. Der Kalorienverbrauch pro Person stieg bis 1913 im Reichsdurchschnitt um mehr als ein Prozent pro Person pro Jahr und verschob sich zunehmend von pflanzlichen, also kohlenhydratreichen, zu tierischen, das heißt eiweiß- und fetthaltigen Produkten. Dabei blieben Kartoffeln und Brot die wichtigsten Grundnahrungsmittel.73 Wichtige Größen zur Bewertung der tierischen Produktion sind die Qualität sowie die Leistung (Milchleistung) und das Gewicht (Schlachtgewicht). Neben dem für die Lebensmittelproduktion bestimmten Nutzvieh wurden Zugtiere gehalten. Bereits zu Beginn 70 71 72 73

Lichter: Landwirtschaft, S. 32; siehe auch das frühe 19. Jahrhundert Hahn/Zorn: Wirtschaftskarte. Müller: Landwirtschaft, S. 7. Ebd., S. 6 f. Einen Überblick über Ernährung bis 1918 gibt Nipperdey: Geschichte, S. 125–132.

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II. Wirtschaft und Gesellschaft

des 19. Jahrhunderts hatte die Rindviehhaltung im Oberbergischen eine große Bedeutung. Im Kreis Wipperfürth sowie in den Kreisen Gimborn und Solingen konnten über 80 Prozent Rindviehanteil festgestellt werden.74 1913 bestand immer noch ein überproportional hoher Rindviehanteil im Oberbergischen, insbesondere im Kreis Wipperfürth (1913: 60 Prozent).75 Im Oberbergischen spielte das Schwein mit rund 20 Prozent im Verhältnis zum Rind beziehungsweise im Vergleich mit dem Provinzdurchschnitt von 40 Prozent eine eher untergeordnete Rolle. Vor allem im Kreis Gummersbach, dem industrialisiertesten unter den Oberbergischen Kreisen, war der Ziegenbestand mit 28 Prozent (1913) beziehungsweise 26 Prozent (1925) gegenüber den anderen Hauptviehgattungen höher als in den Nachbarkreisen und lag weit höher als der Ziegenanteil in der Rheinprovinz und dem Bestand im Regierungsbezirk. In Gebieten mit klein- und mittelbäuerlichen Betrieben und in den industriellen und städtischen Zentren hatte zudem der Bestand an Federvieh zugenommen.76 Zusammengefasst lässt sich feststellen, dass die Landwirtschaft bereits um 1820 dort die größte Bedeutung hatte, wo zum einen der Anteil der gewerblichen Wirtschaft am höchsten war und zum anderen die höchste Bevölkerungsdichte herrschte, das heißt am linken Niederrhein sowie in den zum Regierungsbezirk Düsseldorf gehörenden Teilen des Bergischen Landes.77 Die Zuchtziele hingen stark von den naturräumlichen Verhältnissen sowie von der Lage im Verkehrsnetz ab.78 Ziegen wurden vor allem auf Zwergparzellen, das heißt im Nebengewerbe gehalten: Die Ziege war die „‚Kuh des kleinen Mannes‘“,79 das heißt vor allem des Handwerkers und des Arbeiters. Dies galt insbesondere im stärker industrialisierten Kreis Gummersbach. Insgesamt fand zunehmend eine Anpassung an die naturräumlichen Gegebenheiten statt, womit insbesondere der Rinderhaltung mehr Bedeutung zukam, was grundsätzlich auch die Höhe und Tilgungsdauer der Betriebskredite beeinflusst haben wird. 4. (AGRAR-) POLITIK Neben den bereits genannten sozialen, ökonomischen, technischen und agrarwissenschaftlichen Aspekten sind einige (agrar-) politische Gesichtspunkte zu skizzieren: Die ‚Agrarfrage‘ rückte seit den 1870er-Jahren verstärkt in den Fokus der politischen Diskussion, zum einen ausgelöst durch die wachsende Globalisierung 74 75

76 77 78 79

Vgl. hierzu Hahn/Zorn: Wirtschaftskarte, S. 30. Auch wenn die Rindviehhaltung während des Ersten Weltkrieges enorm zurückgegangen war und bis 1925 nicht wieder aufgefüllt werden konnte, so blieb doch das Rind anteilig an allen Hauptviehgattungen das wichtigste tierische Produkt. Im Jahr 1927 überstieg die Zahl der Rinder im Kreis Wipperfürth schließlich sogar den Vorkriegsstand; zur Viehhaltung in den Kreisen Wipperfürth, Waldbröl und Gummersbach 1907/13 mit Vergleichsdaten aus dem Regierungsbezirk Köln siehe Hagmann: Statistik, S. 64–85, 89 f. Ebd., S. 88. Hahn/Zorn: Wirtschaftskarte, S. 34; siehe hierzu auch Lichter: Landwirtschaft, S. 34. Müller: Landwirtschaft, S. 7 f. Pohl: Wirtschaftsgeschichte, S. 163.

4. (Agrar-) Politik

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auch der Agrarmärkte, wodurch unter anderem preiswertes Getreide auf den deutschen Markt gelangte, zum anderen durch die Formierung der bürgerlichen Gesellschaft und das Aufkeimen des Wettbewerbs der Massenparteien. Diese buhlten nicht nur um die Gunst der wachsenden Arbeiterklasse, sondern auch um die der landwirtschaftlichen Bevölkerung. Mit der Reichsgründung und dem fortschreitenden Übergang vom Agrar- zum Industriestaat traten immer offenkundiger Spannungen zwischen den einzelnen Interessen zu Tage, da nun die Vertreter aller Wirtschaftssektoren erhöhte Aufmerksamkeit vom Staat einforderten.80 Aufgrund des noch großen Bevölkerungsteils, der in der Landwirtschaft beschäftigt war, aber auch aufgrund der Bedeutung der Landwirtschaft als ,Ernährerin‘ der gesamten wachsenden Bevölkerung waren agrarpolitische Themen vielfach zugleich auch von innenpolitischem Belang. Zudem war die Agrarpolitik eng mit außenhandelspolitischen Entscheidungen verzahnt, was in den 1870er-Jahren sehr deutlich zu Tage trat:81 Bereits Mitte des 19. Jahrhunderts hatte die Einfuhr US-amerikanischen Getreides nach Europa eingesetzt, und auch russisches Getreide wurde zunehmend in Reichsgebiete exportiert.82 Mit dem Ausbau des Transportwesens, vor allem des Eisenbahnnetzes, und mit dem weiteren Bevölkerungswachstum wurde in den 1870er-Jahren die Veränderung des deutschen Agrarmarktes beschleunigt und dieser zunehmend Teil eines den „ganzen Globus umspannenden Agrarmarktes“.83 Die Globalisierung des Agrarmarktes und das damit einhergehende Überangebot an landwirtschaftlichen Erzeugnissen, allen voran an Getreide, führte zum Preisverfall, was sich aufgrund des erhöhten Preisdrucks wiederum negativ auf die deutschen Produzenten auswirkte. Der Preisverfall (besonders für Getreide, weniger für Fleisch und Gemüse) wurde zudem durch den Beginn der ‚Gründerkrise‘ (ab 1873) verstärkt.84 Das Ergebnis war der Übergang von einer eher liberalen Freihandelspolitik zur Schutzzollpolitik. Ziel dieser Abschottung war unter anderem die Eindämmung der Einkommensverluste der Landwirte. Hinzu traten fiskalische Argumente und autarkiepolitische Erwägungen.85 Am 1. Januar 1880 wurden Schutzzölle eingeführt, womit die Verbindung von agrarischen und industriellen 80 81 82 83 84

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Kellenbenz: Wirtschaftsgeschichte, S. 238. Zur Frage der Beeinflussung nationalstaatlicher Politik durch die zunehmende ökonomische Globalisierung siehe Torp: Herausforderung; siehe auch etwa Langthaler: Landwirtschaft; Aldenhoff-Hübinger: Agrarpolitik, S. 29–32. Ziegler: Zeitalter, S. 203 ff. Aldenhoff-Hübinger: Agrarpolitik, S. 29. Die Deflation führte zu einem weiteren Sinken der Agrarpreise und verstärkte die Schuldenlast der Landwirtschaft (insbesondere Ostelbiens). Die Produktionskosten für agrarische Erzeugnisse (Dünger, Geräte und Maschinen, Gebäude) blieben jedoch hinter denen der Industrie zurück, was mit den Nominallöhnen in der Landwirtschaft zusammenhing, die aufgrund der sich verändernden Erwerbsstruktur unverändert hoch blieben. Henning: Landwirtschaft, S. 120 f.; zur Haltung der rheinischen Landwirte zur Zollpolitik siehe Pyta: Interessenpolitik, S. 58–71. Ein ganzheitliches Bild ist nur zu zeichnen, wenn man Fiskalpolitik und das Verhältnis zur rheinischen Industrie mit in die Analyse einbezieht. Zudem herrschten innerhalb der rheinischen Landwirtschaft unterschiedliche, teils diametrale Ansichten über die Handelspolitik; weiterhin haben sich im Laufe der Zeit auch die Perspektiven verschoben.

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II. Wirtschaft und Gesellschaft

Interessen (‚Bündnis von Roggen und Eisen‘) zunächst gelungen schien. Die Effektivität der Zölle wurde jedoch schon bald von einigen Seiten angezweifelt – insbesondere von den Agrarproduzenten in geografischer Nähe zu den urbanen und industriellen Zentren, die wegen ihrer auf Viehhaltung ausgerichteten Produktion unter anderem auf preiswertes Getreide als Futtermittel angewiesen waren.86 Ein Kurswechsel fand nach dem Tod Bismarcks unter der Regierung des Reichskanzlers Leo von Caprivi (1890 bis1894) statt: Mit der zunehmenden weltweiten Verflechtung der Märkte und in einer fortschreitend arbeitsteiligen Welt sollte Deutschland auf eine derartige Abschottung verzichten und autarkiepolitische Erwägungen fallen lassen.87 Die Schutzzollpolitik wurde folglich unter anderem durch Handelsverträge mit Österreich-Ungarn, Russland sowie mit Rumänien wieder gelockert, was erneut ein Fallen der deutschen Agrarpreise zur Folge hatte. Diese Entwicklung musste, wie Hermann Kellenbenz formuliert, die deutschen Landwirte „alarmieren“:88 Neu war in diesem Zusammenhang die Vorgehensweise des Bundes deutscher Landwirte (BDL), der im Februar 1893 als Reaktion auf die weiter fallenden Getreidepreise und die Caprivische Entschärfung der Schutzzollpolitik gegründet wurde und als protektionistische Gegenbewegung interpretiert werden kann.89 Der zentralistisch organisierte BDL erlangte jedoch im Untersuchungsraum keine größere Bedeutung, obwohl die Mitgliederstruktur stark kleinbäuerlich geprägt war.90 Der Schwerpunkt des BDL lag eher im protestantischen Nord- und Mitteldeutschland. Trotz der kleinbäuerlichen Mitgliederstruktur waren die Führungsgremien vor allem mit Großgrundbesitzern besetzt – die „tatsächlich bestehenden Interessengegensätze zu den Kleinbauern wurden durch eine monarchischnationalistische, christliche und antisozialistische Ideologie verbrämt“.91 Aus dieser Ideologie sowie aus der nur partiellen Festsetzung des BDL in Nord- und Mitteldeutschland erklärt sich auch das ambivalente Verhältnis zu den regionalen Bauernvereinen, die bereits seit den 1860er-Jahren entstanden: Zum einen hatte man die gleichen potenziellen Mitgliederkreis, zum anderen waren die Bauernvereine auch gern gesehene Bündnispartner des BDL,92 dessen Agitationsmethoden Hans-Jürgen Puhle als besonders modern herausstellt.93 Bis zum Ersten Weltkrieg 86 87 88 89 90 91 92 93

Siehe Gessner: Agrarverbände, S. 29. Kellenbenz: Wirtschaftsgeschichte, S. 239. Auch die englische Entwicklung ließ diesen Kurswechsel als richtig erscheinen. Ebd., S. 239. Zur Entwicklung der landwirtschaftlichen Interessenvertretung siehe Puhle: Agrarbewegungen; Flemming: Interessen; Ullmann: Interessenverbände; Pyta: Interessenpolitik; Puhle: Interessenpolitik; Aldenhoff-Hübinger: Agrarpolitik. Puhle: Agrarbewegung, S. 63–68; Flemming: Interessen, S. 31 f. Aldenhoff-Hübinger: Agrarpolitik, S. 104. Ziegler: Zeitalter, S. 252; siehe auch Flemming: Interessen, S. 28–48. Ebd., S. 49. Puhle: Interessenpolitik, S. 86. Die Spitzenorganisationen der deutschen Landwirtschaft sind grundsätzlich in die Gruppe der öffentlich-rechtlichen und in die der freien, wirtschaftlichen Organisationen zu unterteilen. Die vom Staat errichteten Organisationen waren beziehungsweise sind Zwangsorganisationen. Siehe hierzu unter anderem Behnke: Entwickelung, S. 3–7. Zu den öffentlich-rechtlichen Körperschaften zählten beziehungsweise zählen vor allem die Landwirtschaftskammern. Die Kammern bündeln nicht nur die Interessen des Berufsstandes für einen festumrissenen Sprengel, sie übernehmen auch Verwaltungsaufgaben und sind die

5. Konjunkturlage

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waren die Träger der Agrarpolitik vor allem die konservativen Parteien sowie der konservativ-agrarische Flügel der Zentrumspartei. Die Basis der agrarischen Konservativen außerhalb der Parteien und Parlamente war der BDL.94 Unter Reichskanzler Bernhard von Bülow (1900 bis 1909) wurde 1902 aus den Bismarck’schen Schutzzöllen der ‚Bülow-Tarif‘. Inzwischen war Deutschland jedoch wirtschaftlich so stark international verflochten, dass die Maßnahmen nicht den gewünschten Erfolg brachten, zumindest mit dem erneuten Fallen der Getreidepreise nicht für die großen Getreide produzierenden Betriebe. Klein- und mittelbäuerliche, vielfach viehwirtschaftlich ausgerichtete Familienbetriebe wurden hingegen von dem neuen Zolltarif protegiert, da mit dem Senken der Zölle für Futtermittel ihre Betriebsmittelkosten zurückgingen. Ulrich Kluge interpretiert diese letzte Phase der Zollpolitik des Kaiserreichs als „Beitrag zur Stärkung des bäuerlichen Familienbetriebs mit seiner diversifizierten Produktion zu Lasten der Gutswirtschaft mit ihrem spezialisierten, fast monokulturartig betriebenen Getreidebau“.95 5. KONJUNKTURLAGE Das Jahr 1889 galt in Deutschland als wirtschaftliches ‚Boomjahr‘; zugleich markierte es aber auch das letzte Jahr einer rund vierjährigen Konjunkturphase, auf die eine fünfjährige Depression (1890 bis1895) folgte. Durch den Zusammenbruch des Londoner Bankhauses Baring wurde eine Banken- und Kreditkrise ausgelöst, die zugleich auf Strukturschwächen der deutschen Wirtschaft stieß (expandierende Massenproduktion, inflationäre Preisentwicklung etc.) und damit gravierender ausfiel als gehofft, ohne dabei jedoch die Ausmaße der Jahre 1873 bis 1879 (‚Gründerkrise‘) anzunehmen.96 Im Frühjahr 1895 „setzte ein furioser wirtschaftlicher Aufschwung ein“,97 der eine Phase der Hochkonjunktur bis 1913 einläutete. Diese

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„ausführenden Organe der staatlichen Agrarpolitik und haben das Aufsichtsrecht über alle staatlichen Einrichtungen zur Förderung des Berufsstandes“ (ebd., S. 3 f.). Hierunter fielen vor allem die landwirtschaftlichen Bildungseinrichtungen, die Regelung der Ausbildung und der Abschlussprüfungen, die Versuchs- und Untersuchungsstationen, die Tierzuchtinspektionen etc. Die freien, wirtschaftlichen Organisationen waren beziehungsweise sind grundsätzlich für jedermann zugänglich. Ihre Ziele sind sozial- und wirtschaftspolitischer Natur. Bis zum Ende des Untersuchungszeitraumes sind folgende öffentlich-rechtliche Organisationen zu nennen: (1.) Das preußische Landes-Ökonomien-Kollegium, gegründet auf der Grundlage der Kabinettsorder vom 16. Januar 1842. Seine Aufgabe war zum einen die Unterstützung der landwirtschaftlichen Vereine vor Ort, zum anderen die konkrete Umsetzung staatlicher Aufträge. Seit 1869 schloss der Deutsche Landwirtschaftsrat die (bundes-) staatlichen Landes-Ökonomien-Kollege mit ein; (2.) Die Landwirtschaftskammern und die preußische Hauptlandwirtschaftskammer sowie auf Reichsebene die Reichslandwirtschaftskammer. Zur Landwirtschaftskammer speziell im Untersuchungsraum siehe auch Lichter: Landwirtschaft; Soénius/Weise: Selbstverwaltungsorganisationen, S. 30–35; Puhle: Agrarbewegungen, S. 56 ff. Siehe auch Torp: Herausforderung, S. 202. Kluge: Agrarwirtschaft, S. 9. Wehler: Gesellschaftsgeschichte, S. 577. Ebd., S. 595.

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II. Wirtschaft und Gesellschaft

Phase wurde allerdings von Frühjahr 1900 bis März 1902 sowie von Juli 1907 bis Dezember 1908 unterbrochen. Diese beiden Depressionen erreichten ebenfalls nicht die Ausmaße der Gründerkrise und auch nicht die Tiefe der Jahre 1890 bis 1895. Die 1900 einsetzende Krise wurde vor allem von spekulativen Investitionen verursacht und brachte erhebliche Engpässe auf dem Geldmarkt mit sich. Erstmals seit 1879 schrumpfte auch das reale Sozialprodukt. Die Krise von 1907 war die Folge eines Kollapses an der amerikanischen Wall Street, der im Deutschen Reich durch Abzug englischen und französischen Kapitals zu einer passiven Devisenbilanz, erheblichen Engpässen am Geldmarkt und einem Reichsbankdiskont von 7,5 Prozent führte.98 Die Marokkokrise im Jahr 1911 und die Balkankrise im Jahr 1912, die eine gesamteuropäische Angst vor einem Weltkrieg aufkommen ließen, blieben nicht ohne Wirkung auf den deutschen Geldmarkt: beunruhigte Sparer und ausländische Investoren zogen insbesondere bei den Kreditbanken größere Summen zurück.99 Neben allgemeinen politischen und weltmarktwirtschaftlichen Entwicklungen beeinflusste insbesondere immer wieder das Wetter die lokale wirtschaftliche Entwicklung im Untersuchungsraum.100 Hier sind insbesondere Hagelschäden, Fäulnis an den Feldfrüchten in Folge regnerischer und feuchter Perioden sowie Überschwemmungen, wie etwa im letzten Drittel des Jahres 1890, als die Agger über die Ufer trat und erhebliche Schäden hinterließ, zu nennen.101 Tierseuchen hemmten ebenfalls immer wieder die lokale wirtschaftliche Entwicklung. Die Witterung, die sich aus den naturräumlichen Verhältnissen ableitet, führte nicht selten dazu, dass der Kölner Regierungspräsident dem Oberpräsidenten der Rheinprovinz, insbesondere auch für die Kreise Gummersbach, Waldbröl und Wipperfürth, rapportierte, dass die „Witterungsverhältnisse […] für den Landmann […] recht ungünstige“102 waren. So herrschte etwa im Kreis Waldbröl aufgrund der Witterungsverhältnisse im Jahr 1889 erheblicher Futtermangel, der zur Verringerung der Viehbestände führte. Im Allgemeinen waren im Regierungsbezirk die Viehpreise recht niedrig, was aber dennoch nicht unmittelbar zur Wiederaufstockung der Viehbestände beitrug.103 Im März 1890 brach in den Kreisen Waldbröl und Gummersbach die Maulund Klauenseuche aus, was erneut auf den ohnehin dezimierten Viehbestand drück-

98 Ebd., S. 608 f. 99 Oehme: Zentralkassen, S. 37, 39, 43; Barth: Banken, S. 42–54. 100 An dieser Stelle können nur einige Entwicklungen exemplarisch angebracht werden. Insbesondere im Kapitel VIII werden zur Analyse des Aktivgeschäftes der Kreditgenossenschaften diese Entwicklungen noch einmal den Ereignissen entsprechend aufgegriffen. Wie stark die Ergebnisse lokal schwanken, zeigen etwa die Berichte der Gemeinden des Kreises Wipperfürth. Siehe LA NRW Düsseldorf, LA Wipperfürth, Nr. 111, Immediatsberichte der Gemeinden sowie die Immediatsberichte des Wipperfürther Landrats an den Kölner Regierungspräsidenten. 101 LA Koblenz, 403/9044, Verwaltungsbericht für den Regierungsbezirk Köln vom 1. Januar 1891 (IV. Quartal 1890), S. 724. 102 LA Koblenz, 403/9044, Verwaltungsbericht für den Regierungsbezirk Köln vom 22. April 1891 (I. Quartal), S. 747. 103 LA Koblenz, 403/9044, Verwaltungsbericht für den Regierungsbezirk Köln vom 15. April 1889 (I. Quartal), S. 576 f.

5. Konjunkturlage

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te.104 Im Sommer 1890 war auch der Kreis Wipperfürth von der Seuche betroffen.105 Das Jahr 1893 war so trocken, dass zwar die Bedingungen für die Aussaat der Sommerfrüchte gut gewesen waren, jedoch aufgrund der anhaltenden Trockenheit die Ernte schlecht ausfiel und die Gemeinden beziehungsweise die Provinzialverwaltung die Landwirte durch den Zukauf von Futter unterstützten mussten.106 Eine Viehzählung am 1. Dezember 1893 zeigte, dass die ohnehin dezimierten Viehbestände durch den trockenen Sommer und das fehlende Futter weiter abgenommen hatten, was sich negativ auf die Einkommen der rheinischen Landwirte auswirkte. Zudem wurde durch die allgemeine Situation des Weltagrarmarktes, insbesondere im Handel mit den USA und Russland, der Getreidehandel völlig gelähmt, was die Situation der Landwirte zusätzlich erschwerte.107 Die Lage der Landwirtschaft blieb auch 1894 eine „recht drückende“,108 da die Ernte wegen nasser Witterung vielfach faul wurde. Wegen der Dürre des Sommers 1893 blieb der Viehbestand noch weit bis in das Jahr 1894 dezimiert, da „manches Stück Vieh namentlich von dem kleinen Landwirth hat abgeschafft werden müssen, ohne daß ein Ersatz durch Aufzucht stattgefunden hat, so daß die höheren Preise nur den größeren Züchtern zu Gute“109 kamen. Da auch 1895 keine Besserung eintrat, war die „Stimmung zumal der kleinen Wirthe andauernd eine gedrückte“.110 Hinzu kamen Ende 1895 erneut Tierseuchen in den Kreisen Gummersbach, Waldbröl und Wipperfürth.111 Willy Wygodzinski fasste die „Krise“112 der Landwirtschaft gegen Ende des 19. Jahrhunderts wie folgt zusammen: Die ganze Rheinprovinz war durch die „Ungunst der natürlichen wie der wirtschaftlichen Verhältnisse“113 erfasst worden. Insbesondere die Futternot sowie die Maul- und Klauenseuche hatten für das ganze Rheinland verheerende Folgen. Die Provinzialverwaltung versuchte durch die Ver104 LA Koblenz, 403/9044, Verwaltungsbericht für den Regierungsbezirk Köln vom 28. April 1890 (I. Quartal), S. 660. 105 LA Koblenz, 403/9044, Verwaltungsbericht für den Regierungsbezirk Köln vom 12. Oktober 1890 (III. Quartal), S. 700. 106 LA Koblenz, 403/9044, Verwaltungsbericht für den Regierungsbezirk Köln vom 3. Mai 1893 (I. Quartal), S. 922 ff. 107 LA Koblenz, 403/9044, Verwaltungsbericht für den Regierungsbezirk Köln vom 26. Oktober 1893 (III. Quartal), S. 946 ff. 108 LA Koblenz, 403/9044, Verwaltungsbericht für den Regierungsbezirk Köln vom 26. Oktober 1894 (III. Quartal), S. 995. 109 LA Koblenz, 403/9045, Verwaltungsbericht für den Regierungsbezirk Köln vom 6. Februar 1895 (VI. Quartal 1894), S. 10. 110 LA Koblenz, 403/9045, Verwaltungsbericht für den Regierungsbezirk Köln vom 29. Oktober 1895 (III. Quartal), S. 86. 111 LA Koblenz, 403/9045, Verwaltungsbericht für den Regierungsbezirk Köln vom 28. Januar 1895 (VI. Quartal 1895), S. 403; siehe unter anderem auch LA Koblenz, 403/9045, Verwaltungsbericht für den Regierungsbezirk Köln vom 17. Oktober 1896 (III. Quartal), S. 157. Die Maul- und Klauenseuche und auch die Lungenseuche führten sowohl im ganzen Regierungsbezirk wie auch im Speziellen in den Kreisen Gummersbach, Waldbröl und Wipperfürth immer wieder zur Dezimierung der Viehbestände. Siehe auch die Berichte für die Jahre 1897. 112 Siehe unter anderem Wygodzinski: Landwirtschaft, S. 283. 113 Ebd.

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II. Wirtschaft und Gesellschaft

gabe günstiger Kredite, refinanziert durch die Landesbank, zu verhindern, dass die „Bauern nicht ganz in die Hände der Wucherer“114 fielen. Hinzu kam ein enormer Rückgang der Getreidepreise, der seinen Tiefstand mit 143 Mark für eine Tonne Weizen im Jahr 1894 erreichte (1881/85: durchschnittlich 205,6 Mark/Tonne; 1886/90: 188,8 Mark/Tonne), was Forderungen nach Schutzzöllen lauter werden ließ.115 Neben stetiger Qualitätsverschlechterung stiegen die Arbeitslöhne.116 Unwetter vernichteten etwa auch im Mai/Juni 1902 insbesondere im Kreis Wipperfürth große Teile der Ernte. Schwerwiegende Probleme ergaben sich, da die Landwirte im Kreis Wipperfürth – anders als etwa im Kreis Bergheim, der ebenfalls stark von dem Unwetter betroffen war – lediglich gegen Hagel, nicht jedoch gegen andere Unwetter versichert waren und daher die Schäden nicht gedeckt waren. Zur Minderung des Einkommensverlustes richtete die Provinzialverwaltung einen besonderen Fonds zur Unterstützung der Geschädigten ein.117 Starke Wolkenbrüche sorgten auch im Sommer 1905 für schwere Hagelschäden. Dieses Mal war außer den Kreisen Euskirchen und Rheinbach der Kreis Waldbröl schwer getroffen. Neben Feldfrüchten waren auch Betriebsmittel, insbesondere Wagen und Gebäude, zerstört worden. In der Gemeinde Morsbach (Kreis Waldbröl) wurden die Schäden auf insgesamt 45.000 Mark geschätzt.118 Im Herbst 1910 entstand wegen Hagels ein Schaden von 15.000 Mark im Kreis Gummersbach.119 Trockenheit brachte der rheinischen Landwirtschaft in den Jahren 1903 und 1911 große Futternot, Ernteeinbußen und damit Einkommensrückgänge.120 Die Entwicklung der Landwirtschaft war auch in den näher untersuchten Kreisen in den Jahren 1908 bis 1913, insbesondere in den Jahren 1910 und 1911, wenig günstig: In der Gemeinde Waldbröl etwa hinterließ die Schneeschmelze im Februar 1909 größere Schäden. Eine „vorzügliche Roggenernte“121 wurde begleitet von einem geringen Heuertrag. Der daraus resultierende Futtermangel hatte erneut, so auch im Kreis Wipperfürth, eine Dezimierung der Viehbestände zur Folge, jedoch auch einen Rückgang der Viehpreise.122 Regen in der Erntezeit verhinderte ein vollständiges Einbringen der Feldfrüchte. 1910 konnten hingegen durch die hohen Viehpreise und dank hoher Erträge der Weidewirtschaft die Kartoffelfäulnis und Verluste bei

114 Ebd., S. 284. 115 Siehe unter anderem ebd. 116 Ebd.; siehe zu diesem Abschnitt auch Kellenbenz: Wirtschafts- und Sozialentwicklung, S. 85– 88. 117 LA Koblenz, 403/9045, Verwaltungsbericht für den Regierungsbezirk Köln vom 25. Juli 1902 (II. Quartal), S. 609. 118 LA Koblenz, 403/9045, Verwaltungsbericht für den Regierungsbezirk Köln vom 26. Juli 1905 (II. Quartal), S. 907 f. 119 LA Koblenz, 403/9046, Verwaltungsbericht für den Regierungsbezirk Köln vom 20. Januar 1911 (IV. Quartal 1910), S. 277. 120 Kellenbenz: Wirtschafts- und Sozialentwicklung, S. 87. 121 LA NRW Düsseldorf, D XIV A 223 ab (1908–13), Verwaltungsbericht Gemeinde Waldbröl 1908–1913, S. 39. 122 Ebd.; LA NRW Düsseldorf, LA Wipperfürth, S. 130, Verwaltungsbericht Gemeinde Olpe vom 4. September 1909.

6. Verkehrsnetz

85

der Heuernte ausgeglichen werden. Auch der Winter 1911 war erneut gekennzeichnet von Futternot.123 Die schlechte Lage der Landwirtschaft spiegelte sich in den Geschäftsergebnissen der Bezugs- und Absatzgenossenschaften wider. Die Kreissparkasse verzeichnete rund 50 Prozent weniger Einzahlungen von Spareinlagen, zudem waren über 150.000 Mark mehr als im Vorjahr abgehoben worden. Um so „erfreulicher“ bewertete der Landrat, dass „die Landwirte verständnisvoll in der Erhaltung ihrer Viehbestände […] blieben, daß die deutsche Landwirtschaft geschlossen bleiben muß in Erfüllung ihrer Pflicht, den heimischen Vieh- und Fleischbedarf im Wesentlichen selbst zu decken“.124 Im Jahr 1912 hingegen war für den „Landwirt […] bei der reichlichen Kartoffelernte besonders verdienstvoll die Schweinezucht, zumal die Schweine in sehr hohen Preisen standen“.125 Im Jahr 1914 kam der Waldbröler Landrat zu dem Ergebnis, dass die Ernte mit Ausnahme des Jahres 1913 in den vergangenen Jahren „im Allgemeinen […] wenig günstig“126 war. Zu einem Rückgang der landwirtschaftlichen Betriebe hätten diese Entwicklungen jedoch nicht geführt. 6. VERKEHRSNETZ Anfang des 19. Jahrhunderts war die Rheinprovinz mit einem vergleichbar weitreichenden Verkehrsnetz überzogen: Bis 1816 hatte man 1.109 km Straßen angelegt, auf den Regierungsbezirk Köln entfielen davon 115 km. Als Mitte des 19. Jahrhunderts eine erste Phase preußischen Straßenbaus zu Ende ging – rund die Hälfte aller preußischen Kunststraßen lagen in Rheinland und Westfalen –, gab es im Kölner Regierungsbezirk bereits 249 km Kunststraße.127 Seit den 1820er-Jahren wurde das Straßennetz sukzessive mit ,Prämienstraßen‘ (später Bezirksstraßen), die zunächst mit staatlichen Subventionen von den Gemeinden sowie privaten Investoren erstellt wurden, ausgebaut.128 Der Oberbergische Raum war seit jeher auch Gebiet des „alten Durchgangshandels“129 vom Niederrhein und Köln an die obere Sieg und Dill (Gebiet des Metallbergbaus). Die erste Kunststraße im Oberbergischen, von Hückeswagen nach Gummersbach, wurde 1820 fertiggestellt. Der Wegebau rechts und links der größeren Durchgangsstraßen war „arg vernachlässigt“,130 was den Transport von Rohstoffen und Waren zum Teil erheblich erschwert hatte.131 Bis Mitte des 123 LA NRW Düsseldorf, D XIV A 223 a (1909–13), Verwaltungsbericht Kreis Waldbröl 1909– 1913, S. 31. 124 Ebd. 125 LA NRW Düsseldorf, D XIV A 223 ab (1908–13), Verwaltungsbericht Gemeinde Waldbröl 1908–1913, S. 39. 126 LA NRW Düsseldorf, D XIV A 223 a (1909–13), Verwaltungsbericht Kreis Waldbröl 1909– 1913, S. 31. 127 Kellenbenz: Wirtschafts- und Sozialentwicklung, S. 52. 128 Ziegler: Eisenbahnen, S. 388 ff. 129 Dösseler: Wirtschaft, S. 72. 130 Rothstein: Beiträge, S. 62. 131 Berger: Eisenstraße, S. 24, 26; Baldus: Entwickelung, S. 221, skizziert den Zustand der Straßen

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II. Wirtschaft und Gesellschaft

19. Jahrhunderts wurde der Kreis Wipperfürth „mit 1,87 Meilen Straßenlänge auf 5000 Einwohner“132 erschlossen, was über dem Durchschnitt des Regierungsbezirkes lag.133 Seit jeher wichtigste Wasserstraße des Rheinlandes war der Rhein. Anschluss für das Bergische Land bestand hier vor allem in Mülheim am Rhein. Mit der Industrialisierung gewann bekanntermaßen die Ruhr enorm an Bedeutung. Thomas C. Banfield berichtete von seiner Reise durch das Bergische Land im Jahre 1846, dass der „Ochse […] auf Grund der guten Verkehrswege in vielen Fällen durch das Pferd ersetzt“134 worden sei. Zugleich berichtet er, dass es für die Bevölkerung des Bergischen Landes eine gute Einkommensquelle gewesen sei, Güter zwischen dem Bergischen Land und dem Rhein zu transportieren, aber auch das Pferd sei „drauf und dran, von der Eisenbahn verdrängt zu werden“.135 Die Mittelgebirgstopografie (schmale Täler) des Untersuchungsraumes behinderte eine frühzeitige Anbindung des Oberbergischen an das entstehende Eisenbahnnetz im Deutschen Reich und damit zugleich den Anschluss an Rohstoff- und Absatzmärkte.136 Im Rheinland verlief der erste Streckenabschnitt seit 1838 zwischen Düsseldorf und Erkrath. Im Jahr 1848 wurde das Bergische Land von Elberfeld über Schwelm–Hagen–Witten mit dem Ruhrgebiet verbunden, womit der Bezug von Kohle für die sich weiter entfaltende Industrie im Wuppertal erleichtert wurde. Im Jahr 1872 erreichte die Bröltalbahn (Schmalspurbahn) zunächst Waldbröl.137 Die erste Bahnstrecke (Normalspur) im Kreis Wipperfürth von Lennep über Hückeswagen nach Wipperfürth wurde im Jahr 1876 eröffnet, was unter anderem den im Kreis liegenden Grauwackesteinbrüchen zu neuem Auftrieb verhalf.138 Das preußische Kleinbahnennetz war im Verhältnis zu anderen deutschen Staaten vergleichbar dicht.139 Das Kleinbahnennetz („lokale ‚Erschließungsbahn‘“140) wurde auch im Bergischen Land stetig ausgebaut und diente vorwiegend dem Gütertransport, erschloss zugleich aber auch das Hinterland für den Personenverkehr.141 Im Jahr 1881 wurde mit der Anbindung des Agger- und Wiehltals begonnen. In den 1890er-Jahren trat eine erhebliche Verbesserung der verkehrstechnischen Anbindung des Oberbergischen ein: Im Jahr 1882 wurde zunächst mit dem Bau der Strecke Siegburg–Lohmar–Wahlscheid–Overath–Engelskirchen–Ründeroth begonnen. im Jahr 1781; Dösseler: Wirtschaft 1968/69, S. 72. 132 Spilker: Wirtschaftsraum, S. 56. 133 Huck/Reulecke: Leben, S. 15, Karte 4 ,Das Straßennetz im Jahre 1820‘. Zum Verkehrswesen im Kreis Gummersbach siehe unter anderem Baldus: Entwickelung, S. 220–233; zum Verkehrswesen im Oberbergischen Raum siehe auch Rothstein: Beiträge, S. 62–65. 134 Huck/Reulecke: Leben, S. 228 f. (Auszug aus Thomas C. Banfield: The Industry of the Rhine, Series I). 135 Ebd., S. 229 (Auszug aus Thomas C. Banfield: The Industry of the Rhine, Series I). 136 Zur Bedeutung der Eisenbahn für den Industrialisierungsprozess in Deutschland beziehungsweise zur Wirkung der Eisenbahn auf die regionalen Wirtschaftsstrukturen siehe Ziegler: Eisenbahnen, S. 12 f.; einen Überblick über die Entwicklung im Oberbergischen gibt auch Rothstein: Beiträge, S. 62–65. 137 Gries/Nicke: Wiehltalbahn, S. 7; siehe auch Ziegler: Eisenbahnen, S. 392. 138 Rothstein: Beiträge, S. 55 ff. 139 Zu Kleinbahnen im ländlichen Raum siehe Ziegler: Eisenbahnen, S. 381–387. 140 Ebd., S. 384; die Bezeichnung Kleinbahn setzte sich erst im 20. Jahrhundert durch. 141 Siehe etwa Gries/Nicke: Wiehltalbahn, S. 7 ff., 14–22.

6. Verkehrsnetz

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Zwei Jahre später konnte die Strecke eingeweiht werden, womit der westliche Abschnitt des Aggertals verkehrstechnisch erschlossen war. Die Station Ründeroth war für die Kreisstadt Gummersbach zunächst die naheste Verbindung zum Rhein. Der Gummersbacher Stadtkern wurde erst 1893 an das Bahnnetz angeschlossen. 1887 wurde die Strecke bis Derschlag ausgebaut, wodurch der gewerbereichere Abschnitt des Flusses Agger an das Eisenbahnnetz angeschlossen wurde.142 Im Jahr 1896 wurde die Strecke bis Bergneustadt und 1903 bis Olpe ausgebaut, womit nun auch für den Kreis Gummersbach Anschluss an das Siegerland und das Ruhrgebiet bestand. Mit der Fertigstellung des Teilstücks Meinerzhagen–Marienheide im November 1891 wurde der nördliche Teil des Kreises Gummersbach erschlossen. Im September 1893 folgte die Eröffnung der Verbindung von der Aggerstrecke nach Dieringhausen. Eine Direktverbindung an das Wuppertal, die besonders für die Textilindustrie an der Agger wichtig war, folgte erst 1902. Zwischen 1895 und 1897 wurde die auch für den Kreis Wipperfürth wirtschaftlich nicht ganz unbedeutende Kleinbahnstrecke Engelskirchen–Marienheide gebaut.143 Dieser Ausbau des Verkehrsnetzes bedeutete unter anderem den Absatz bergischer landwirtschaftlicher Erzeugnisse auf die Märkte an Rhein, Ruhr und Wupper (unter anderem Kartoffeln und Milcherzeugnisse besonders ins Niederbergische). Mit der verkehrstechnischen Erschließung wurde auch der Bezug von Dünger und Saatgut vereinfacht.144 Wichtiger Verkehrsknotenpunkt im Aggertal wurde Dieringhausen.145 Die Strecke Köln–Dieringhausen–Hagen entwickelte sich für das Oberbergische zur wichtigsten Verbindung. Für den Kreis Wipperfürth als wirtschaftlich nachteilig zu betrachten war der verzögerte Anschluss des Kreises nach Westen: Erst 1910 wurde mit dem Bau der Strecke Bergisch Gladbach–Immekeppel–Lindlar begonnen. Die Verlängerung der Strecke bis nach Wipperfürth wurde bedingt durch den Ersten Weltkrieg und schließlich aus Kostengründen nicht realisiert.146 Eine für den Güterverkehr durchgehende Linie, die das Bergische Land über Köln mit dem mittleren Teil Deutschlands (zum Beispiel bis Kassel) verband, wurde nicht errichtet.147 Unrealisiert blieb auch die für den Absatz landwirtschaftlicher Produkte wichtige Verbindung zwischen Wipperfürth und Lindlar, das heißt eine Verbindung der größeren 142 Haltestellen in Dieringhausen, Vollmershausen, Niederseßmar, Rebbelroth und Derschlag. 143 Ruland: Elektrische, S. 164 f. 144 Zum Personenverkehr: In der Kreisstadt Gummersbach wurde am 1. September 1915 zunächst der innerstädtische Straßenbahnverkehr für den Personenverkehr freigegeben, kurz darauf die erweiterte Strecke nach Niederseßmar, Derschlag und Dümmlinghausen, bis zur Genkelmündung. Für den Kreis Wipperfürth wurde der Autobusverkehr, der hier ab 1924 durch die Kraftverkehr Wupper-Sieg AG betrieben wurde, zum wichtigsten Verkehrsmittel im Personennahverkehr. Zum Personen- und Postverkehr im Kreis Wipperfürth siehe Engel: Wipperfürth, S. 115–120; siehe zur Situation im Kreis Waldbröl unter anderem LA NRW Düsseldorf, D XIV A 223 a, Verwaltungsbericht Kreis Waldbröl 1925, S. 21; siehe auch Raiffeisenbank Waldbröl: Waldbröl, S. 27 f. 145 Rothstein: Beiträge, S. 64. Dieringhausen ist zugleich geografischer Mittelpunkt des Oberbergischen Raumes. Die Entfernung von Dieringhausen zu wirtschaftlich wichtigen Zentren in km: Köln 55, Wuppertal 64, Hagen 63, Dortmund 85. 146 Engel: Wipperfürth, S. 112–115. 147 Rothstein: Beiträge, S. 64.

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II. Wirtschaft und Gesellschaft

Ortschaft Lindlar mit ihrem stark landwirtschaftlich geprägten Umland an die Kreisstadt Wipperfürth, was zu einer verstärkten Abgeschiedenheit weiter Teile des Kreises führte. 7. BEVÖLKERUNGSENTWICKLUNG Die Bevölkerungszahl in der Rheinprovinz nahm im 19. Jahrhundert erheblich zu.148 Auf einer Fläche von rund 27.000 qkm lebten laut der Berufszählung von 1895 rund 5,76 Mio. Menschen – zu Beginn des 19. Jahrhunderts waren es noch rund 1,91 Mio. (Stand 1816).149 Bei der Volkszählung am 1. Dezember 1910 wurden bereits 7,12 Mio. Ortsansässige gezählt. Damit war die rheinische Bevölkerung in rund 100 Jahren um rund 5,2 Mio. Menschen gewachsen, was einer Wachstumsrate von mehr als 70 Prozent entspricht.150 Die Bevölkerung nahm vor allem in den städtischen und industriellen Zentren (Regierungsbezirke Düsseldorf und Köln) zu. Mit der Urbanisierung nahm auch die Bevölkerungsdichte zu. In rein ländlichen Gegenden nahm die Bevölkerung hingegen vielfach ab.151 So setzte seit Mitte des 19. Jahrhunderts besonders in strukturschwachen Gegenden verstärkt die Aus- und Abwanderung der ländlichen Bevölkerung ein, was zugleich auf die dörflichen Sozialgefüge Auswirkungen hatte.152 Nahmigration wurde vielfach als „Landflucht“153 beschrieben. Besonders einige in den Regierungsbezirken Trier und Koblenz liegende ländliche Kreise wiesen bei teilweise niedrigen Geburtenraten hohe Abwanderungszahlen auf.154 Starke Wanderungsverluste erlitten in der Rheinprovinz die Kreise Altenkirchen, Mayen, Zell, Bernkastel, Wittlich, Rees und Wipperfürth.155

148 Das Kapitel basiert weitgehend auf den durch Hugo Hagmann 1912 und 1929 für das Gebiet der Rheinprovinz aufbereiteten Statistiken des Statistischen Reichsamtes. Siehe Hagmann: Statistik; Zu den statistischen Erhebungen und den Verschiebungen der Datengrundlage etwa durch Gebietsabtretungen oder Änderungen in der Bezeichnung siehe Fritz: Historie, S. 15–19 sowie Statistisches Bundesamt Wiesbaden: Bevölkerung, S. 17–22. 149 Havenstein: Entwicklung, S. 238; Kellenbenz: Wirtschafts- und Sozialentwicklung, S. 17 f.; Hagmann: Statistik, S. 103–107. 150 Im Jahr 1925 lebten in der Rheinprovinz 7,26 Mio. Menschen, womit die Bevölkerungsentwicklung relativ stagnierte. Für das Gebiet des Deutschen Reiches siehe Statistisches Bundesamt Wiesbaden: Bevölkerung, S. 90, Tab. 1 ,Fläche und Bevölkerung‘. 151 Müller: Landwirtschaft, S. 5; siehe auch Hagmann: Statistik, S. 103–107. Die meisten der nach 1929 erschienen Publikationen der Landwirtschaftskammer beziehen sich offensichtlich auf Hagmanns Statistik, so auch Müller: Landwirtschaft. Siehe auch LWK: Jahresbericht für 1905 und den fünfjährigen Zeitraum 1901–1905, S. 93–99, besonders S. 96. 152 Zur Migration im 19. und frühen 20. Jahrhundert siehe unter anderem Kleinschmidt: Menschen, S. 137–154. 153 Kleinschmidt: Menschen, S. 143. 154 Zwischen 1910 und 1925 wanderten vor allem aus den Eifel-Kreisen Adenau (rund 16 Prozent), Cochem, Daun, Prüm und Schleiden große Teile der Bevölkerung ab. 155 Hagmann: Statistik, S. 108 f., Tab. ,Die Wanderungen in der Rheinprovinz, ihren Regierungsbezirken und Kreisen während des Zeitraumes 1910 bis 1925‘.

7. Bevölkerungsentwicklung

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Die Kreise Waldbröl und Gummersbach hingegen hatten keine größeren Abwanderungen zu verzeichnen.156 Die Bevölkerung in den Kreisen Gummersbach, Wipperfürth und Waldbröl entwickelte sich unterschiedlich – alle drei Kreise blieben jedoch hinter dem Bevölkerungswachstum der Rheinprovinz sowie deutlich hinter der Bevölkerungsentwicklung im Regierungsbezirk Köln zurück. Bereits die Ausgangsbedingungen waren ‚überschaubar‘: Die in der Anweisung für die Kreisbildung vom 3. Juli 1815 festgelegten Einwohnerzahlen von 20.000 bis 36.000 Personen pro Kreis wurden sowohl im Kreis Waldbröl als auch im Kreis Wipperfürth unterschritten – im Kreis Wipperfürth lebten 19.863 Menschen, im Kreis Waldbröl lediglich 15.022 Menschen. Damit gehörten die beiden Kreise zu den vier einwohnerschwächsten Kreisen des Regierungsbezirkes.157 Der Kreis Wipperfürth wurde 1932 daher mit dem Kreis Mülheim am Rhein zum heutigen Rheinisch-Bergischen Kreis administrativ neu gefasst. Ein wichtiger Faktor für die Entwicklung dieses Raumes war die kurze räumliche Distanz zu Köln als Bankenplatz, Handelszentrum und Verkehrsknotenpunkt. In unmittelbarer Nähe zu Köln (besonders im ehemaligen Kreis Mülheim am Rhein) war sogleich auch die Anzahl der Gewerbe- und Dienstleistungsbetriebe höher als weiter westlich. Zudem ließen sich hier bereits seit Mitte des 19. Jahrhunderts erste Industriebetriebe nieder,158 während der Kreis Wipperfürth in weiten Teilen noch bis in die 1950er-Jahre landwirtschaftlich geprägt blieb – hiervon ausgenommen war lediglich das Aggertal. Hier hatten sich ebenfalls verschiedene Industriebetriebe (insbesondere Unternehmen der Textilindustrie) angesiedelt, unter anderem die Baumwollspinnerei Ermen & Engels in Engelskirchen.159 a) Kreis Wipperfürth Im Köln-nahen Kreis Mülheim am Rhein, der für die Untersuchung keine Rolle spielt, hier aber zum Vergleich angeführt werden soll, wuchs die Bevölkerung zwischen 1816 und 1871 von 31.113 auf 57.821 Personen und hatte sich damit fast verdoppelt. Im Kreis Wipperfürth hingegen wuchs die Bevölkerung im gleichen Zeitraum lediglich von 19.874 auf 27.592 Personen.

156 Bei der Betrachtung der Bevölkerungsentwicklung über einen längeren Zeitraum, das heißt bis in die Zeit vor 1815, ergeben sich hier zweifelsohne einige Schwierigkeiten, besonders dann, wenn die Bevölkerungszahl eines Kreises oder einer Gemeinde ermittelt werden soll. So ist zum Beispiel die Gemeinde Klüppelberg 1808 aus diversen Streusiedlungen gebildet worden. Die Grenze der Gemeinde wurde erst 1888 endgültig festgelegt; Padtberg: Wirtschaftsgeschichte, S. 208; so variieren auch die Angaben in den Verwaltungsberichten eines Kreises über die Jahre. 157 Siepmann: Landräte, S. 150. 158 Lindgens & Söhne (Bleiweißfabrik), Böcking & Cie. (Walzwerk), Felten & Guilleaume (Drahtseilerei) etc. 159 Schleper: Ermen & Engels; 1837 gegründet durch den Vater Friedrich Engels’, Friedrich Engels sen.

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II. Wirtschaft und Gesellschaft

Abbildung 1: Bevölkerungsentwicklung im Kreis Wipperfürth (1885–1925)

Quelle: KrRBK, 004/1955, Verwaltungs-Bericht des Kreises Wipperfürth für die Jahre 1926–1928, S. 7; Hermes/Müller-Miny: Rheinisch-Bergische Kreis, S. 105 (Tab.); zur Bevölkerungsentwicklung zwischen 1834 und 1910 siehe auch Spilker: Wirtschaftsraum, S. 91–100, Tab. ,Bevölkerungswachstun in Stadt und Land und die Bevölkerungsdichte von 1834 bis 1910‘.

Die Verteilung der Bevölkerung über die einzelnen Bürgermeistereien beziehungsweise Gemeinden ergibt sich aus der folgenden Übersicht:

91

7. Bevölkerungsentwicklung

Tabelle 2: Bevölkerung und flächenmäßige Ausdehnung der Bürgermeistereien und Gemeinden des Kreises Wipperfürth (1905/10) Bürger­ meisterei

Gemeinde

Cürten

Bechen

Fläche Fläche Bevöl­ Bevöl­ Bevöl­ (ha) (ha) Ge­ kerung kerung kerung Bürger­ meinde 1.12.1905 1.12.1905 1.12.1910 meis­ Bürger­ Gemeinde Bürger­ terei meisterei meisterei 4.184

Cürten Engelskirchen

Engelskirchen

1.615

3.624

2.569 5.626

Hohkeppel

3.605

1.279

Bevöl­ kerung 1.12.1910 Gemeinde

3.666

2.345 5.630

2.021

4.302

1.319 2.337

5.576

1.328

4.220 1.356

Klüppelberg Klüppelberg

6.411

6.411

4.360

4.360

4.576

4.576

Lindlar

Lindlar

6.675

6.675

6.449

6.449

6.667

6.667

Olpe

Olpe

3.796

2.202

2.429

1.420

2.371

1.427

Wipperfeld Wipperfürth Wipperfürth Summe Kreis

1.594 4.461

4.461 31.153

1.009 5.738

5.738

944 6.744

28.230

6.744 29.600

Quelle: KrRBK, 04/1810, Verwaltungs-Bericht des Kreisausschusses des Kreises Wipperfürth für das Jahr 1913, S. 11.

Die Wanderungsbilanz im Kreis Wipperfürth betrug zwischen 1895 und 1900 -1.971 Personen, zwischen 1900 und 1905 -1.879 Personen. Die Wanderungsbilanz blieb auch für den Zeitraum 1910 bis 1925 negativ: Der Kreis Wipperfürth verlor durch Abwanderung rund 1.180 Frauen und etwa 1.520 Männer.160 In allen Gemeinden des Kreises (Ausnahmen waren Kürten und Olpe) waren mehr Frauen als Männer ansässig, was auf einen Mangel an Erwerbsmöglichkeiten hinweist (Arbeitsmigration).161 Vergleichbare Zahlen lassen sich auch für die Kreise Gummersbach und Waldbröl konstatieren. Die Gemeinden Bechen, Hohkeppel, Kürten, Olpe und Wipperfeld (Kreis Wipperfürth) zählten auch noch Ende der 1920er-Jahre 160 Siehe auch Spilker: Wirtschaftsraum, S. 104 f., Tab. ,Auswanderung aus dem engeren Untersuchungsgebiet in den Jahren 1867–1871 nach Berufsgruppen‘ (besonders S. 104). 161 Hermes/Müller-Miny: Rheinisch-Bergische Kreis, S. 106, Tab. ,Wanderungsbilanz in den Landkreisen Mülheim a. Rhein und Wipperfürth‘. Zum Vergleich: In den ebenfalls stark landwirtschaftlich ausgerichteten Kreisen Waldbröl und dem Siegkreis belief sich die Wanderungsbilanz für 1895 bis 1900 auf +62 Personen im Kreis Waldbröl und auf -1.297 Personen im Siegkreis; für den Zeitraum 1900 bis 1905 auf -1.467 Personen (Waldbröl) beziehungsweise auf -696 Personen (Siegkreis).

92

II. Wirtschaft und Gesellschaft

zu den dünn besiedelten, ausschließlich agrarisch geprägten, verkehrsfernen Gebieten der bergischen Hochflächen. Hier wuchs die Bevölkerung zwischen 1816 und 1925 kaum. Abbildung 2: Bevölkerungsentwicklung in den Gemeinden der Bergischen Hochflächen (1816–1925)

Quelle: Hermes/Müller-Miny: Rheinisch-Bergische Kreis, S. 112, Tab. ,Bevölkerungsentwicklung in den Gemeinden der Bergischen Hochflächen 1816 bis 1970‘.

Zwischen 1871 und 1925 hatten alle fünf Gemeinden sowohl ein negatives Wanderungssaldo als auch geringe Geburtenraten. Die Gemeinden Hohkeppel und Olpe hatten Mitte der 1920er-Jahre schließlich sogar weniger Einwohner als zu Beginn der preußischen Ära, was auf desolate wirtschaftliche und soziale Bedingungen in diesen Gegenden schließen lässt. b) Kreis Waldbröl Bis Ende des zweiten Drittels des 19. Jahrhunderts verlief die Bevölkerungsentwicklung innerhalb der Gemeinden des Kreises Waldbröl relativ stabil, seit 1880 schwankten die Bevölkerungszahlen innerhalb der Gemeinden jedoch zum Teil erheblich.162 Im Jahr 1871 lebten im Kreis etwa 21.500 Menschen, im Jahr 1900 rund 24.900 und am Vorabend des Ersten Weltkrieges rund 29.000 Menschen. 162 LA NRW Düsseldorf, D XIV A 223 a (1909–13), Verwaltungsbericht Kreis Waldbröl 1909– 1913, S. 5. Der Kreis Waldbröl (Flächengröße des Kreises: 29.875 ha) war in fünf Bürgermeistereien und sechs Gemeinden mit insgesamt 354 Ortschaften gegliedert: Gemeinden Dat-

93

7. Bevölkerungsentwicklung

Tabelle 3: Bevölkerungsentwicklung in den Gemeinden des Kreises Waldbröl (1871–1913) sowie Anzahl der Wohnstätten (1910) Gemeinden

Ros­ bach

Dat­ tenfeld

Mors­ bach

Ecken­ hagen

Denk­ lingen

Wald­ bröl

Kreis

1871

3.136

2.009

3.841

4.011

3.317

5.229

21.543

1880

3.511

2.186

4.127

4.362

3.424

5.285

22.895

1885

3.723

2.239

4.082

4.101

3.470

5.216

22.831

1890

3.701

2.345

4.404

4.393

3.957

5.246

24.046

1895

3.631

2.444

4.280

4.358

4.133

5.409

24.255

1900

3.671

2.560

4.491

4.431

4.052

5.656

24.861

1905

4.027

2.639

4.932

4.877

4.399

6.366

27.240

1910

4.244

2.774

4.948

5.070

4.495

6.839

28.370

1913

4.343

2.869

4.960

5.049

4.589

7.289

29.099

752

499

833

953

783

1.107

4.927

Wohnstätten (bewohnt) 1910

Quelle: LA NRW Düsseldorf, D XIV A 223 a (1909–13), Verwaltungsbericht Kreis Waldbröl 1909–1913, S. 5.

Damit war die Bevölkerung im Zeitraum von rund 40 Jahren um rund 28 Prozent gewachsen. Etwa 25 Prozent der Kreisansässigen wohnten in der Gemeinde Waldbröl, das heißt die Gemeinde Waldbröl hatte den größten Bevölkerungsanteil im Kreis. Lediglich neun Prozent der Kreisansässigen lebten in der Gemeinde Dattenfeld, womit diese nicht nur flächenmäßig sondern auch der Bevölkerungszahl nach die kleinste Gemeinde des Kreises war. Zweitgrößte Gemeinde des Kreises war Eckenhagen (1913: 5.049 Einwohner), drittgrößte Gemeinde war Morsbach (1913: 4.960 Einwohner). Die Gemeinde Denklingen belegte Platz vier mit 4.589 Einwohnern im Jahr 1913.163

tenfeld (2.730 Hektar), Denklingen (4.940 Hektar), Eckenhagen (6.775 Hektar), Morsbach (5.521 Hektar), Rosbach (3.275 Hektar) und Waldbröl (6.634 Hektar). Als 1932 der Oberbergische Kreis gebildet wurde, wurden die Gemeinden Dattenfeld und Roßbach dem Siegkreis zugeschlagen. 163 LA NRW Düsseldorf, D XIV A 223 a (1909–13), Verwaltungsbericht Kreis Waldbröl 1909– 1913, S. 5; Brinkmann/Müller-Miny: Oberbergische Kreis, S. 104.

94

II. Wirtschaft und Gesellschaft

c) Kreis Gummersbach Der Kreis Gummersbach umfasste zwei Stadt- und neun Landgemeinden mit insgesamt 424 Ortschaften.164 Die Kreisbevölkerung nahm hier aufgrund der entstehenden Industriebetriebe, welche die Ansiedlung von Arbeitern aus anderen Regionen nach sich zog, mit einem Wachstum von 82 Prozent zwischen 1875 und 1925 am stärksten zu. Tabelle 4: Bevölkerungsentwicklung im Kreis Gummersbach und in dessen Gemeinden (1875–1925) Gemeinde

1875

1880

1885

1890

1895

1900

1905

1910

1919

1925

Bergneustadt (Stadt)

1.582

1.774

2.204

2.719

3.006

3.515

3.909

4.143

3.851

3.793

Lieberhausen

1.283

1.189

1.168

1.217

1.293

1.311

1.252

1.198

1.166

2.693

Wiedenest

1.149

1.076

1.208

1.311

1.316

1.237

1.339

1.293

1.415

Drabenderhöhe

2.663

2.848

2.996

3.407

3.746

4.574

4.619

5.012

5.148

5.347

Gimborn

3.138

3.215

3.199

3.303

3.404

3.542

3.661

3.642

3.677

3.640

Gummersbach (Stadt)

5.728

6.597

7.748 10.010 11.086 12.525 14.224 16.050 16.173 18.015

Marienberghausen

3.119

3.116

2.907

2.767

2.722

2.570

2.588

2.537

2.918

2.840

Marienheide

2.725

2.792

2.665

2.749

2.892

3.210

3.388

3.920

4.110

4.113

Nümbrecht

2.838

2.896

2.840

2.730

2.693

2.843

3.088

3.247

3.460

3.448

Ründeroth

2.622

2.690

2.977

3.179

3.294

3.465

3.576

3.780

3.848

4.043

Kreis

26.847 28.193 29.912 33.392 35.452 38.792 41.644 44.822 45.766 41.446

Anmerkung: Zählungen 1875 bis 1910 jeweils am 1. Dezember, 8. Oktober 1919, 16. Juni 1925; die Gemeinden Wiedenest und Lieberhausen wurden aufgrund der Zusammenlegung der Gemeinden zum Amt Lieberhausen im Jahr 1928 in den Zahlen von 1925 vonseiten der Kreisverwaltung zusammengefasst angegeben. Quelle: LA NRW Düsseldorf, D XIV A 360 (1914–20), Verwaltungsbericht Kreis Gummersbach 1914–1920, S. 3; LA NRW Düsseldorf, D XIV A 360 (1925–30), Verwaltungsbericht Kreis Gummersbach 1925–1930, S. 4.

164 LA NRW Düsseldorf XIV A 360 (1914–20), Verwaltungsbericht Kreis Gummersbach 1914– 1920, S. 3.

8. Erwerbsstruktur

95

Dieser starke Bevölkerungszuwachs (besonders im Vergleich mit dem Kreis Wipperfürth) ist vor allem auf das Bevölkerungswachstum in den beiden Stadtgemeinden Bergneustadt und Gummersbach zurückzuführen. Während die Stadtgemeinde Bergneustadt zwischen 1875 und 1925 einen Bevölkerungszuwachs von 139,8 Prozent aufwies, war die Bevölkerung im Stadtkreis Gummersbach sogar um 214,5 Prozent gewachsen. Die Stadtgemeinde Gummersbach war damit die bevölkerungsreichste Gemeinde des Kreises. Bis 1925 stieg die Bevölkerungszahl auf über 18.000 Personen an. Die Stadt Gummersbach war zum einen Kreisstadt, zum anderen wies sie im engeren Untersuchungsraum den höchsten Industrialisierungsgrad auf. Die beiden kleinsten Gemeinden – sowohl der Fläche als auch der Bevölkerungszahl nach –, Wiedenest und Lieberhausen, wurden auf Beschluss des Preußischen Staatsministeriums vom 22. November 1928 zu einer Gemeinde zusammengefasst. Ebenfalls geringen Bevölkerungszuwachs verzeichnete die Gemeinde Marienberghausen. Im Jahr 1875 lebten hier 3.119 Menschen. Bis 1925 stieg die Einwohnerzahl auf 2.840 Personen und blieb damit unter dem Stand des Jahres 1875. Gerade die stark agrarisch geprägten Gemeinden des eingegrenzten Untersuchungsgebietes konnten der Bevölkerung offensichtlich kein hinreichendes Einkommen bieten, sodass hier der Wanderungssaldo zeitweise negativ ausfiel. Die Industrialisierung des Kreises Gummersbach, insbesondere des oberen Aggertals, zog hingegen ein erhebliches Bevölkerungswachstum nach sich. 8. ERWERBSSTRUKTUR Mit der skizzierten Bevölkerungsentwicklung ging notwendigerweise eine Veränderung der Erwerbsstruktur einher: Zu Beginn des 19. Jahrhunderts lebten rund 23 Prozent der rheinischen Bevölkerung in Städten, 77 Prozent auf dem Land.165 Rund 60 Prozent der Bevölkerung erzielten ihr Einkommen in der Landwirtschaft. Im Jahr 1871 waren im Rheinland noch 37 Prozent aller Erwerbstätigen beziehungsweise 902.300 Personen in der Landwirtschaft tätig, davon 18,5 Prozent selbstständig.166 Neben Sachsen und Westfalen war die Rheinprovinz bis 1914 eines der am stärksten industrialisierten Gebiete Deutschlands, womit mesoökonomisch unter anderem der fortschreitende Rückgang der landwirtschaftlich Beschäftigten zu erklären ist: Ende des 19. Jahrhunderts gehörten nur noch 23,6 Prozent der rheinischen Bevölkerung zur Berufsgruppe Land- und Forstwirtschaft;167 im Jahr 1925 nur noch 13,3 Prozent (965.405 Personen). Im Handwerk und in der Industrie wa165 Kellenbenz: Wirtschafts- und Sozialentwicklung, S. 18. 166 Errechnet anhand Königlich Statistisches Bureau: Volkszählung 1871, S. 238–243. 167 Wert für 1895; Havenstein: Entwicklung, 1904, S. 238; vgl. Landwirtschaftskammer: Jahresbericht für das Jahr 1905 und den fünfjährigen Zeitraum 1901–1905, S. 97, Tab. ,Die 4 Bevölkerungsgruppen in der Rheinprovinz nach der Berufs- und Gewerbezählung vom 14. Juni 1895‘. Hiernach waren in der Rheinprovinz 28,21 Prozent der Erwerbstätigen im Bereich Landwirtschaft/Gärtnerei/Tierzucht/Forstwirtschaft/Fischerei tätig. Hagmann: Statistik, 1929, S. 103–107. Der Anteil der in der Landwirtschaft Tätigen ging auch in den folgenden Jahren weiter zurück. Im Jahr 1907 gehörten der Berufsgruppe Land- und Forstwirtschaft bereits nur noch 17,7 Prozent (1.174.970 Personen) an.

96

II. Wirtschaft und Gesellschaft

ren im Jahr 1907 54,5 Prozent der Bevölkerung tätig, 1925 waren es 50,9 Prozent. In Handel und Verkehr waren im Jahr 1907 14,1 Prozent der rheinischen Bevölkerung beschäftigt, 1925 bereits 18,6 Prozent.168 Dieser Trend ist gleichermaßen im rheinischen Regierungsbezirk Köln zu beobachten. Der dargelegte Rückstand der oberbergischen Bevölkerungsentwicklung hing unmittelbar mit der Wirtschaftsstruktur dieses Raumes Mitte des 19. Jahrhunderts zusammen. Während im Kölner Raum und an der Wupper (Barmen, Elberfeld) in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Industrialisierung einsetzte, wurden traditionelle Gewerbezeige des Oberbergischen (Bergbau, Eisenhüttenbetriebe) zunehmend zurückgedrängt.169 Aufgrund der zunächst noch geringen verkehrstechnischen Erschließung des Oberbergischen wurden hier anfänglich kaum industrielle Betriebe gegründet. Die Baumwollspinnerei Ermen & Engels in Engelskirchen nahm hier sicherlich eine Vorreiterrolle ein. Der zunehmende Bevölkerungsdruck konnte weder durch eine Intensivierung der Landwirtschaft noch durch neue Arbeitsplätze dauerhaft aufgefangen werden.170 Bereits seit dem Mittelalter konnte die oberbergische Landwirtschaft, sowohl im Ackerbau als auch in der Viehwirtschaft, die Bevölkerung nicht ausreichend ernähren, sodass sich verschiedene (neben-) gewerbliche Tätigkeiten ausbildeten.171 An der Schwelle zur Industrialisierung gingen nach Friedrich-Wilhelm Hennings Berechnungen etwa zwei Drittel der ländlichen Bevölkerung neben dem landwirtschaftlichen Betrieb anderen Tätigkeiten nach, was unter anderem der Ausbildung des Verlagswesens Vorschub leistete.172 So formulierte der Arzt Dr. Osberghaus aus Ründeroth (Kreis Gummersbach) im Jahr 1825: „der eigentliche Ackerbau gibt bei weitem nicht der großen Einwohnerzahl das nöthige Auskommen, daher sind viele Ackerleute zugleich auch Handwerker und besonders Bergleute“.173 Nicht mehr rekonstruieren lässt sich, wie viele Personen Mitte des 19. Jahrhunderts hauptberuflich beziehungsweise im Nebenerwerb in der Landwirtschaft tätig waren:174 Für den Kreis Waldbröl schätzt 168 169 170 171 172 173

Ebd., S. 110 f. Dösseler: Wirtschaft, S. 55–67. Pohl: Wirtschaftsgeschichte, S. 8. Henning: Betriebsgrößenstruktur, S. 171 f.; ders.: Industrialisierung, S. 157–160. Ebd., S. 157 f. Zit. n. Goebel: Geschichte, S. 153; vgl. Jux: Handwerker, S. 110–117. Jux gibt hier das Hauptbuch des Gastwirtes ,Lorenz‘ Büscher (*1807 (Hohkeppel), †1888 (Hohkeppel)) wieder. Büscher notierte zwischen 1842 und 1888 sämtliche Personen, die für ihn gearbeitet haben (Art der Dienstleistung, Tag/Zeit, Lohn). Bei vielen der genannten Personen scheint es sich um Bauern aus der Umgebung zu handeln, die sich bei Büscher nebenbei etwas verdient haben. Die ausgeführten Arbeiten waren sehr unterschiedlich, zum Beispiel Kartoffeln ausheben, Bäume fällen. 174 Zu den Begriffen Nebengewerbe, Nebenerwerb und Zuerwerb: Nebengewerbe bezieht sich auf Tätigkeiten, die zum zweiten Sektor zu subsumieren sind. Nebenerwerb und Zuerwerb beziehen sich auf den Anteil am Einkommen der bäuerlichen Familien, die durch andere Einkommensquellen als die Bewirtschaftung des eigenen landwirtschaftlichen Betriebes erzielt werden. Siehe hierzu auch Wysocki: Nebenerwerb, sowie die Diskussionsbeiträge. Josef Wysocki formulierte, dass mit dem Begriff Nebenerwerb eine Gewichtung vorgenommen werde, die nicht ohne Weiteres mit der Realität vereinbar sei, und schlug daher die Verwendung eines neutraleren Wortes, wie etwa des englischen „part-time-farmings“ (S. 125) vor.

8. Erwerbsstruktur

97

man 80 bis 90 Prozent der Bevölkerung, für den Kreis Gummersbach 80 Prozent (1860).175 Die Berufs- und Betriebszählung vom 14. Juni 1895 ergab, dass von 8.666 in der Landwirtschaft Tätigen 2.607 Personen lediglich nebenberuflich in der Landwirtschaft arbeiteten.176 a) Kreis Wipperfürth Im Kreis Wipperfürth waren 1850 von den rund 27.100 Kreisansässigen noch etwa 18.400 Personen (68 Prozent) hauptberuflich in der Landwirtschaft tätig177; wie viele nebenher einer anderen Erwerbstätigkeit nachgingen, ist nicht mehr nachzuvollziehen. Die Erzielung von Einkommen durch andere Tätigkeiten als durch die Bewirtschaftung des eigenen Betriebes, wie etwa Pflügen für andere Landwirte, oder durch Nebengewerbe sollte nicht zu einseitig betrachtet werden, wie es die (lokalhistorische) Literatur von einer ‚agrarromantischen Warte‘ aus vielfach andeutet. Nichtagrarische Tätigkeiten dienten der Risikodiversifikation und damit der zusätzlichen Sicherung der Familie unter Ausschöpfung der familialen Arbeitskraft in Krisenzeiten oder bei saisonal bedingt geringerem Arbeitsaufkommen und waren damit insbesondere vor Einführung der staatlichen sozialen Sicherung existenziell wichtig. Besonders für Landwirte mit wenig landwirtschaftlicher Nutzfläche und in größerer Entfernung zu den Absatzmärkten war es rentabler, statt der Erzeugung für den Markt zunächst die eigene Ernährung zu sichern und parallel anderen Tätigkeiten nachzugehen, wodurch auch der Übergang zum Landhandwerk gekennzeichnet war.178 Der Nebenerwerb war unter anderem eng mit konjunkturellen Entwicklungen verknüpft. Im Jahr 1922 schrieb Franz Steinbach, Professor für Wirtschaftsgeschichte und Landeskunde an der Universität Bonn: In den bergischen Dörfern war „Landwirtschaft als Hautberuf […] denn auch sehr selten. Handwerker, Krämer, Händler, Gastwirte, ferner Arbeiter der verschiedensten Art: Tagelöhner, Holzarbeiter, Industriearbeiter, die vielfach ein eigenes Häuschen, mit etwas Land im Außenteil des Dorfes besitzen, bilden im wesentlichen die Einwohnerschaft. Weiter haben die Gemeindebeamten, Lehrpersonen und Geistlichen hier ihren Wohnsitz, wo Kirche, Schule und Verwaltungsgebäude sich befinden“.179 So zeichnete Steinbach das Bild eines typischen bergischen Kirchdorfes zu Beginn der 1920er-Jahre. Steinbach galt aufgrund seiner eigenen Herkunft aus dem Bergischen (geboren 1895 in Rommersberg bei Engelskirchen als „10. von 12 Kindern einer kleinbäuerlichen Familie“180) und aufgrund seines Wesens als jemand, der „seiner bäuerlichen Herkunft bis ins Alter verhaftet geblieben war“,181 als ausgewiesener Kenner des Bergischen Lan175 176 177 178 179 180 181

Goebel: Geschichte, S. 154. Statistik des Deutschen Reiches: Berufs- und Betriebszählung 1895. Zepp/Schreiber: Wirtschaft, S. 268. Zimmermann: Traditionalismus, S. 237. Steinbach: Beiträge, S. 6. Petri: Franz Steinbach, S. 2. Ebd., S. 2 f. Seine Veröffentlichungen werden hier besonders wegen einer Vielzahl an Beschrei-

98

II. Wirtschaft und Gesellschaft

des, wenn auch seine Objektivität anzuzweifeln ist. Steinbach konstatierte, dass, mag man „irgendein anderes Kirchdorf […] herausgreifen“,182 in sämtlichen bergischen Gebieten die Verhältnisse gleich gewesen seien. Steinbachs Beschreibung dürfte in etwa auch auf den Ort Lindlar zugetroffen haben: Hier lebten Anfang der 1920er-Jahre rund 1.000 Einwohner. Es wurden etwa 15 Gastwirtschaften und fünf Metzgereien betrieben, zudem „zahlreiche Handwerksstuben“ und „kleine Geschäftshäuser“.183 Darüber hinaus gab es ein ausdifferenziertes medizinisches Versorgungsystem: einen Arzt, einen Tierarzt sowie einen Apotheker. Außerdem befanden sich im Ort Lindlar eine landwirtschaftliche Winterschule, das Amtsgericht sowie das Bürgermeistereiamt.184 Neben solchen Kirchdörfern sind eine Vielzahl von Weilern kennzeichnend, zunächst kleine Hofverbände, aus denen sich seit dem 19. Jahrhundert zunehmend kleine Bauerndörfer von teils 20 und mehr, meist zwei- und dreitürigen Häusern, in denen mehrere Familien zusammen wohnten, entwickelten.185 Die Bildung dieser Weiler resultierte aus der Besiedelung des Bergischen Landes, welche vorwiegend hofweise und weniger dorfweise erfolgt war.186 Diese Weiler entwickelten sich besonders in den sehr industriearmen Gebieten des Oberbergischen.187 Der Verwandtschaftsgrad beziehungsweise der Grad der Verschwägerung in den Weilern war hoch.188 Laut Berufs- und Betriebszählung von 1925 waren im Kreis Wipperfürth rund 40 Prozent der Bevölkerung in der Landwirtschaft erwerbstätig beziehungsweise berufszugehörig. In der Industrie (einschließlich Bergbau und Baugewerbe) waren 38 Prozent tätig, in Handel und Verkehr (einschließlich Gast- und Schankwirtschaft) acht Prozent.189 Von den in der Landwirtschaft Tätigen bewirtschafteten rund 2.780 Personen selbstständig einen Betrieb (Eigentum oder Pacht).190

182 183 184 185

186 187 188 189

190

bungen herangezogen. In Teilen ist jedoch die Objektivität fragwürdig. Steinbach: Beiträge, S. 6. Ebd. Ebd.; siehe auch Müller: Lindlar, S. 326 ff., 368, Tab. ,Bevölkerungsstatistik‘. Dittmar/Wagner: Abwandern, S. 148 ff. Als typisches Beispiel für die Entwicklung eines bergischen Weilers wird hier der Weiler Steinscheid in Lindlar genannt, wo heute das LVR-Freilichtmuseum Lindlar angesiedelt ist. Der Weiler wurde 1487 erstmals urkundlich erwähnt. Im 18. Jahrhundert sollen hier durchschnittlich mehr als zehn Ehepaare gelebt haben. Im Laufe der Zeit kamen weitere Wohngebäude hinzu, andere wurden abgerissen. 1844 lebten im Weiler Steinscheid 48 Personen. Siehe auch Müller: Lindlar, S. 14, 327 f. Siehe Siebenmorgen: Siedlungsgeschichte, S. 54 f., 59, Karte 3; Steinen: Spezialgeschichte, S. 1 ff. Steinbach: Beiträge, S. 7. Siehe unter anderem Dittmar/Wagner: Abwandern, S. 148 ff. KrRBK, 004/1955, Verwaltungs-Bericht des Kreises Wipperfürth für die Jahre 1926–1928, S. 8. Zur Entwicklung der Beschäftigten in den einzelnen Wirtschaftssektoren siehe Spilker: Wirtschaftsraum, S. 43, Grafik: ,Die Entwicklung der Erwerbsstruktur der Bevölkerung des Kreises Wipperfürth vor 1849 bis 1907‘; ebd., S. 107 f., Tab. ,Berufsstruktur der Bevölkerung 1882–1907‘. Der Anteil der das ganze Jahr über mithelfenden Familienangehörigen belief sich auf rund 4.800 Personen, lediglich rund 900 Personen waren nicht-familienangehörige Helfer, die das ganze Jahr über im landwirtschaftlichen Betrieb arbeiteten. Hinzu kamen Familienmitglieder sowie nicht-familienangehörige Arbeitskräfte, die nur saisonal bedingt im landwirtschaftlichen

8. Erwerbsstruktur

99

b) Kreis Waldbröl Im Kreis Waldbröl war es weit verbreitet, auswärtig zu arbeiten und unter der Woche am Arbeitsort zu wohnen (insbesondere für Bergarbeiter). Viele Maurer und Pflasterer fanden an der Wupper, der Ruhr oder dem Rhein „gut bezahlte Arbeit“.191 Besonders aus den agrarischen Gebieten südlich Wipperfürths bis Waldbröl wanderte die Überschussbevölkerung in das Wuppertal ab.192 Die Denklinger Bevölkerung war um 1900 vor allem in der Landwirtschaft (Ackerbau), im Handwerk und Kleingewerbe tätig. Viele gerade der im Norden der Gemeinde lebenden Denklinger arbeiteten allerdings auch in den „benachbarten Fabriken des Kreises Gummersbach“.193 Die Gemeinde Denklingen profitierte also von ihrer günstigen Lage zum Kreis Gummersbach. Hier siedelten sich entlang der Agger zunehmend mehr Industriebetriebe an. Die Gemeinde Denklingen profitierte zudem vom Aufschwung der lokalen Steinindustrie (bis 1914).194 c) Kreis Gummersbach Als der Stadt Gummersbach 1857 die Stadtrechte verliehen wurden, war auch sie noch vorwiegend agrarisch geprägt.195 Bereits seit den 1840er-Jahren hatte man den Bau eines Eisenbahnanschlusses gefordert – jedoch, wie geschildert, mit zeitverzögertem Erfolg. Dennoch erreichte die Gummersbacher Textilindustrie bereits seit den 1860er-Jahren überregionale Bedeutung.196 Mitte des 19. Jahrhunderts war

191 192 193 194

195 196

Betrieb aushalfen. Siehe Hagmann: Statistik, S. 116 f., Tab. ,Das Personal der landwirtschaftlichen Betriebe 1925 nach Regierungsbezirken und Kreisen‘. Heimatkunde des Kreises Waldbröl, hg. zum Bestehen des Oberbergischen Lehrer-Witwenund Waisen-Pensions-Vereins, Düsseldorf (um 1900) zit. n. Siepmann: Geschichte, S. 45. Reulecke: Nachzügler, S. 56. Heimatkunde des Kreises Waldbröl, hg. zum Bestehen des Oberbergischen Lehrer-Witwenund Waisen-Pensions-Vereins, Düsseldorf (um 1900), zit. n. Siepmann: Geschichte, S. 45. LA NRW Düsseldorf, D XIV A 223 a (1909–13), Verwaltungsbericht Kreis Waldbröl 1909– 1913, S. 59–62. Im Jahr 1913 bestanden im Kreis Waldbröl 141 gewerbliche Betriebe mit insgesamt rund 1.300 Mitarbeitern. Rund 40 Prozent von ihnen waren in metallverarbeitenden Betrieben und in der Maschinenindustrie tätig, immerhin noch 30 Prozent in der Steinindustrie und rund elf Prozent in der Textilbranche. In den Steinbrüchen wurden Anfang des 20. Jahrhunderts neue Arbeitsplätze geschaffen: So hatten die Steinbrüche Bieber 1 und Bieber 2 Anfang des 20. Jahrhunderts ihre Mitarbeiterzahl verdoppelt (von 20 auf 40 Mitarbeiter und von 40 auf 80 Mitarbeiter). Für den Absatz der hier gehauenen Steine waren die Bahnanschlüsse, über die die beiden Brüche verfügten, von erheblichem Vorteil. Alle anderen Steinbrüche des Kreises Waldbröl wurden hingegen stillgelegt, so zum Beispiel der Steinbruch in Heienbach im Jahr 1909, oder nur noch mit sehr wenig (unter fünf) Arbeitern betrieben, da die Brüche unter anderem wegen fehlender Gleisanschlüsse und wegen Mangels an Betriebskapital unrentabel blieben. So waren auch im Kreis Waldbröl bis 1914 vor allem in der Nähe der Bahnverbindung Köln-Gießen industrielle Betriebe angesiedelt worden. Im Jahr 1858 wurden hier elf öffentliche Gebäude, 114 Privathäuser, 61 Ställe, Scheunen und Schuppen sowie fünf „Fabriken“ gezählt. Siehe Padtberg: Wirtschaftsgeschichte, S. 215. Für den Standort Gummersbach war unter anderem die Firma Steinmüller (Dampfkesselbau) von besonderer Bedeutung.

100

II. Wirtschaft und Gesellschaft

der Anteil derjenigen, die neben der Landwirtschaft ein Gewerbe betrieben, hoch. Zudem gab es auch hier eine große Anzahl Wanderarbeiter, sodass Frauen und Kinder während der Abwesenheit der Männer die landwirtschaftlichen Tätigkeiten ausführten. Im südlichen Teil des Kreises waren 1882 rund 44 Prozent der Gesamtbevölkerung in der Landwirtschaft tätig, 1907 noch 24 Prozent. Damit war der relative Rückgang der in der Landwirtschaft Beschäftigen hier sogar höher als im Regierungsbezirksdurchschnitt.197 Zugleich stieg die Zahl derjenigen, die Landwirtschaft im Nebenberuf betrieben, was auch auf die Folgen der Realteilung zurückzuführen ist. Seit rund 1880 entwickelte sich der Kreis, der – wie die Kreise Wipperfürth und Waldbröl – zunächst überwiegend landwirtschaftlich geprägt gewesen war, zu einem Kreis, in dem die meisten Einwohner in Handel und Gewerbe beschäftigt waren beziehungsweise vielfach ihr Einkommen aus der Erwerbsarbeit in der Industrie bezogen.198 Dieser Wandel der Erwerbsstruktur vollzog sich nicht nur in der Stadtgemeinde Gummersbach, sondern vor allem auch im Aggertal im südlichen Teil des Kreises, wo der Urbanisierungsprozess die typischen Veränderungen im Landschaftsbild bewirkte. Um einzelne Industriegebäude herum entstanden Wohngebäude, und das Tal entlang des Flusses Agger glich zum Ende des Untersuchungszeitraumes einer „Kette von Werksanlagen und Wohnblocks“.199 In diesem Prozess entwickelten sich unter anderem Derschlag, Dieringhausen und Niederseßmar zu für das Bergische bedeutenden Industriestandorten.

197 Baldus: Entwickelung, S. 33. 198 Nach der Berufs- und Betriebszählung von 1925 waren von rund 47.000 Personen etwa 2.500 selbstständig im Bereich Landwirtschaft und Gärtnerei, Forstwirtschaft und Fischerei tätig. Hinzu kamen rund 80 Angestellte und Beamte in diesem Bereich sowie rund 450 Arbeiter und fast 4.600 mithelfende Familienangehörige. Einschließlich der Angehörigen gehörten dieser Berufsgruppe noch rund 10.100 Personen (davon 3.500 in der Textilindustrie) an. Addiert man die Erwerbstätigen aller im Kreis vertretenen Industriebranchen, so waren hier rund 10.800 Personen beschäftigt (insgesamt rund 20.800 Berufszugehörige). Siehe LA NRW Düsseldorf, D XIV A 360 (1925–30), Verwaltungsbericht Kreis Gummersbach 1925–1930, S. 86. 199 Padtberg: Wirtschaftsgeschichte, S. 215. Als Beispiele sind hier die Werkswohnungsbauten der Textilfirma Krawinkel in Vollmershausen ab 1885 zu nennen. Die Textilfirma Baldus baute für ihre weiblichen Angestellten Wohnheime.

101

9. Konfessionelle Struktur

9. KONFESSIONELLE STRUKTUR In der Forschungsliteratur wird der Faktor Konfession für die wirtschaftliche Entwicklung des Untersuchungsraumes als bedeutend eingeschätzt. Das stark protestantische Motivationsmoment Friedrich Wilhelm Raiffeisens wurde bereits in der zeitgenössischen Diskussion aufgegriffen und herausgestellt. a) Kreis Wipperfürth Die Bevölkerung des Bergischen Landes war vorwiegend protestantisch.200 Der Kreis Wipperfürth bildete hierbei mit 90 Prozent Katholiken eine Ausnahme – an dieser konfessionellen Struktur änderte sich bis zum Ende des Untersuchungszeitraumes nichts.201 Tabelle 5: Konfessionelle Struktur des Kreises Wipperfürth (1900–15) Konfession katholisch

1900

1905

1910

1925

25.719

25.574

26.772

26.453

2.530

2.618

2.784

2.648

andere

2

22

33

20

jüdisch



2

6

1

Bekenntnis unbekannt



14

5

219

evangelisch

Quelle: KrRBK, 004/1955, Verwaltungs-Bericht des Kreises Wipperfürth für die Jahre 1926–1928, S. 7.

Der Anteil der evangelischen Bevölkerung belief sich auf rund neun Prozent, der Anteil der jüdischen Bevölkerung war verschwindend gering: Für 1905 ließen sich zwei jüdische Einwohner feststellen, für 1910 sechs und im Jahr 1925 ein jüdischer Einwohner.202

200 Klaus: Konfessionsverteilung, S. 1, 24. 201 Siehe zu den Pfarren LA NRW Düsseldorf, Findbuch LA Wipperfürth, S. 34 ff. Katholische Pfarren: Agathaberg, Bechen, Biesfeld, Egen, Engelskirchen, Frielingsdorf, Hohkeppel, Kreuzberg, Kürten, Linde, Loope, Offermannsheide, Olpe, Süng, Thier, Wipperfeld, Wipperfürth; evangelische Pfarren: Delling, Engelskirchen, Klaswipper, Wipperfürth; siehe auch LA NRW Düsseldorf, LA Wipperfürth Nr. 632, Verzeichnis der evangelischen Einwohner. 202 KrRBKr, 004/1955, Verwaltungs-Bericht des Kreises Wipperfürth für die Jahre 1926–1928, S. 7.

102

II. Wirtschaft und Gesellschaft

b) Kreis Waldbröl Im Kreis Waldbröl war zu Beginn des 19. Jahrhunderts der Großteil der Bevölkerung (63 Prozent) hingegen evangelisch; 36 Prozent waren katholisch.203 Tabelle 6: Bevölkerung in den Gemeinden des Kreises Waldbröl nach Konfession (1910) Gemeinde Rosbach

evangelisch

katholisch

jüdisch

andere Bekenntnisse

3.539

651

44

10

Dattenfeld

322

2.449

3

0

Morsbach

776

4.150

0

22

Eckenhagen

3.932

1.113

0

25

Denklingen

3.770

567

0

158

Waldbröl

5.453

1.308

20

58

17.792

10.238

67

273

Kreis

Quelle: LA NRW Düsseldorf, D XIV A 223 a (1909–13), Verwaltungsbericht Kreis Waldbröl 1909–1913, S. 1.

In der Gemeinde Denklingen, die aus 60 Ortschaften bestand und eine langgestreckte Fläche bildete, war keine einheitliche evangelische Kirchengemeinde entstanden: Im Süden gehörten die Bewohner der Kirche in Denklingen an, im Westen der Marienhagener Kirchengemeinde (Kreis Gummersbach), im Norden der Derschlager Kirchengemeinde; die meisten evangelischen Einwohner gehörten allerdings der Kirchengemeinde Eckenhagen an. In den äußeren Bezirken der Gemeinde gab es zudem kleine katholische Kirchengemeinden, so unter anderem im Ort Denklingen sowie in Derschlag.204 Die jüdische Bevölkerung war auch hier sehr gering, so wurden bei der der Volkszählung am 1. Dezember 1910 im Kreis Waldbröl lediglich 67 jüdische Einwohner gezählt.205 c) Kreis Gummersbach Die Bevölkerung des Kreises Gummersbach war zu 80 Prozent evangelisch, wie auch folgende Tabelle veranschaulicht. 203 LA NRW Düsseldorf, D XIV A 223 a (1909–13), Verwaltungsbericht Kreis Waldbröl 1909– 1913, S. 1; siehe auch ebd., S. 5. Nach der Volkszählung vom 1. Dezember 1910 waren 17.792 Personen evangelisch, 10.258 Personen katholisch. 204 Siepmann: Geschichte, S. 44 f. 205 LA NRW Düsseldorf, D XIV A 223 a (1909–13), Verwaltungsbericht Kreis Waldbröl 1909– 1903, S. 5.

103

9. Konfessionelle Struktur

Tabelle 7: Bevölkerung in den Gemeinden des Kreises Gummersbach nach Konfession (1910) Gemeinde

evangelisch

römisch­ katholisch

jüdisch

andere Bekenntnisse

Bergneustadt (Stadt)

3.419

539

2

183

Drabenderhöhe

4.283

580

0

149

Gimborn

2.424

1.128

0

90

12.483

2.669

6

889

Lieberhausen

1.094

36

0

68

Marienberghausen

2.466

32

3

39

Marienheide

2.494

1.403

0

23

Nümbrecht

3.144

75

28

0

Ründeroth

2.852

912

1

15

Wiedenest

840

435

0

18

Wiehl

4.069

523

1

304

Kreis

39.568

8.332

41

1.778

Gummersbach (Stadt)

Anmerkung: Zählungen 1875 bis 1910 jeweils am 1. Dezember, 8. Oktober 1919, 16. Juni 1925; die Gemeinden Wiedenest und Lieberhausen wurden aufgrund der Zusammenlegung der Gemeinden zum Amt Lieberhausen im Jahr 1928 in den Zahlen von 1925 vonseiten der Kreisverwaltung zusammengefasst angegeben. Da die Eingemeindung von Oberderschlag nach der Zählung 1925 erfolgte, wurden die Zahlen für Oberderschlag nicht berücksichtigt. Quelle: LA NRW Düsseldorf, D XIV A 360 (1914–20), Verwaltungsbericht Kreis Gummersbach 1914–1920, S. 3; LA NRW Düsseldorf, D XIV A 360 (1925–30), Verwaltungsbericht Kreis Gummersbach 1925–1930, S. 4.

Rund 17 Prozent (1910) der Bevölkerung gehörten der katholischen Konfession an. Trotz Zuwanderung aus anderen Kreisen im Zuge der Industrialisierung waren auch Mitte der 1920er-Jahre noch rund 76 Prozent der Bevölkerung evangelisch. Die Zahl der Personen jüdischer Abstammung belief sich mit 34 Personen im Jahr 1925 auf gerade einmal 0,06 Prozent. Die meisten Juden lebten in der Gemeinde Nümbrecht.206 Die Nümbrechter Synagogengemeinschaft umfasste im Jahr 1847 die Bürgermeisterei Ruppichteroth, die Kreise Gummersbach, Waldbröl und Wipperfürth.207 Der größte Teil der Kreisbevölkerung dürfte im 19. Jahrhundert in „recht 206 Diese war lange Zeit die einzige Synagoge im Oberbergischen. Im Jahr 1921 erfolgte die Einweihung einer Synagoge in Ruppichteroth. 207 Corbach: Juden, S. 152 f. Bei der Volkszählung im Herzogtum Berg 1776 wurde kein jüdischer Einwohner gezählt. Im 19. Jahrhundert ergaben die Zählungen für Nümbrecht: 1809: 18 Juden, 1829: 44, 1830: 47, 1831: 41, 1843: 59, 1890: 54, 1900: 33; in Marienberghausen: 1809: 12 Juden, 1829: 20, 1830: 21, 1831: 28, 1848: 21, 1850: 24, 1900: 0. Für das Jahr 1901 kamen im Einzugsgebiet der Synagoge Juden aus: Bergneustadt: 0, Drabenderhöhe: 0, Gimborn: 1, Marienheide: 0, Nümbrecht: 33, Ründeroth: 0, Wiehl: 0, Waldbröl: 13, Ruppichteroth: 25; Statis-

104

II. Wirtschaft und Gesellschaft

dürftigen Verhältnissen“208 gelebt haben. Der Dieringhausener Burghard Baldus, der 1926 an der Universität Köln zum Thema „Die wirtschaftliche Entwickelung des rheinischen Kreises Gummersbach im 19. und 20. Jahrhundert“ promoviert wurde, zog den Kausalschluss, dass trotz der „mißlichen [wirtschaftlichen; Anm. d. Verf.] Verhältnisse, vielleicht gerade wegen dieser Verhältnisse“ in dem „oberbergischen Bauernstand ein tiefreligiöses, starkes Geschlecht“ herangewachsen sei, das „einfach und sparsam lebte, hart arbeitete und kaum Vergnügen kannte“.209 Insgesamt bildete der Kreis Wipperfürth mit seiner Konfessionsstruktur eine Ausnahme im protestantischen Bergischen Land, wobei die Rheinprovinz insgesamt traditionell katholisch geprägt war. Diese Besonderheit gewinnt, wie zu zeigen sein wird, eine besondere Bedeutung für die interessenspolitische Ausrichtung des Kreises. 10. DAS DORF Neben all den hier genannten Zahlen ist das Dorf vor allem in der „lokalistische[n] Verdichtung als Arbeits- und Lebensraum sowie als Schicksals- und Lebensgemeinschaft seiner Bewohner“210 zu sehen. Bei der Interpretation sämtlicher empirischer Ergebnisse sollte dennoch nicht übersehen werden: „Die eine Dorfgesellschaft gab es nicht“.211 Der Sozialraum Dorf wird begründet durch die räumliche sowie soziale „Überschaubarkeit“.212 Wichtige Konstellationen sind hier die Face-to-faceBeziehungen – „Jeder kannte jeden, keiner konnte aus, die soziale Kontrolle funktionierte“213 – sowie die Formgebung durch die Landwirtschaft. Adressbücher etwa bilden nicht nur ab, wer im Eigenheim wohnte, sondern auch, wer nebeneinander, im gleichen Haus oder in der gleichen Straße beziehungsweise dem gleichen Weiler wohnte, was unter anderem dabei hilft, Verhältnisse bei Kreditbürgschaften zu klären.214 So erhielt etwa das Mitglied Sxxxxxx aus Luttersiefen trotz wiederholter Anfrage bei der Kreditgenossenschaft Hohkeppel keinen Kredit. Auch wenn die Protokolle der Genossenschaft keinen eindeutigen Grund ausweisen, so zeigt ein Eintrag in das Adressbuch, dass Sxxxxxx lediglich Pächter, nicht Eigentümer des Hofes war und sein Bürge, sein direkter Nachbar, ebenfalls kein Eigentum besaß.215

208 209 210 211 212 213 214 215

tisches Bureau: Volkszählung vom 1. December 1871, S. 83. Im Regierungsbezirk Köln lebten 1861 7.327 Juden, 1871 8.538, von denen 901 Personen in Gemeinden mit 5.000 bis 20.000 Einwohnern lebten. Baldus: Entwickelung, S. 23. Ebd. Exner: Beständigkeit, S. 279; siehe auch Pyta: Dorfgemeinschaft, S. 46–58. Pyta skizziert hier die Dorfgemeinschaft im Bauerndorf der 1920er-/1930er-Jahre. Bauer: Gesellschaft, S. 412. Die soziale Ausprägung war durchaus jeweils unterschiedlich gelagert, wenn auch nur in Nuancen. Exner: Beständigkeit, 1996, S. 286; vgl. ferner Müller: Ökonomie, S. 186. Nipperdey: Geschichte, S. 220. Siehe Adressbuch der Kreise Gummersbach, Waldbröl und Wipperfürth (1911). AdVBWL, 1-4, Hohkeppeler Spar- und Darlehnskassen-Verein eGmuH, VS-Protokolle;

10. Das Dorf

105

Das Sozialgefüge innerhalb der Dörfer wurde erheblich bestimmt durch die Besitzstruktur sowie durch Verwandtschaftsstrukturen. Thomas Nipperdey beschrieb die Dorfgesellschaft als „dichtes Netz von Verwandtschaften“, wobei die familiale Herkunft mehr determinierend wirkte als „individuelle Fähigkeit“ und damit unter anderem die öffentliche Reputation und das Heiratsverhalten bestimmte.216 Der Status der Verwandtschaft sowie der soziale und ökonomische Hintergrund konnten zum Beispiel bei der Vergabe von Ämtern „materielle Kriterien überspielen“217 sowie persönliche Fähigkeiten und Qualifikationen überlagern. Ämter waren vielfach über mehrere Generationen in der Hand einer Familie („familiäre Ämtertradition“218), auch wenn diese nicht mehr die „wirtschaftlichen Spitzenpositionen“219 im Dorf einnahm. Als wichtige Parameter für die Erlangung von Reputation innerhalb der Dorfgesellschaft – neben der Verwandtschaft und dem Besitz – gelten Konfession, Ortsgebürtigkeit und Verheiratetenstatus.220 Innerhalb der Dorfgesellschaft herrschte demnach eine soziale Hierarchisierung, die wiederum einer Binnengliederung unterlag und durch Kleidung und Sitzordnungen in der Kirche nach außen ‚zur Schau gestellt‘, symbolisiert wurde.221 Zu den Dorfautoritäten gehörte insbesondere auch der Pfarrer.222 Die größten sozioökonomischen Einflussgrößen, die zum strukturellen Wandel des Dorfes beitrugen, waren jedoch die Rationalisierung und damit Kapitalisierung der Landwirtschaft sowie die damit verbundene Mechanisierung der (landwirtschaftlichen) Arbeit und die prozentuale Verkleinerung des in der Landwirtschaft tätigen Personenkreises. Im Kreis Wipperfürth lag jedoch bis Ende des Untersuchungszeitraumes der wirtschaftliche Schwerpunkt noch auf der Landwirtschaft, und auch in politischen und kirchlichen Ämtern waren die Landwirte maßgeblich vertreten, wenn auch das Vordringen anderer Berufsgruppen erkennbar ist.223 Die fortschreitende ökonomische Modernisierung zog zudem eine Profitorientierung nach sich, die allerdings – zumindest bis zur Inflationszeit – „keinen verstärkten Konkurrenzkampf um Marktanteile im eigenen Dorf“224 herbeiführte. Die Kommunikation beziehungsweise Interaktion innerhalb der dörflichen Gesellschaft wurde bestimmt von einem „Geflecht von Mentalitäten, Wert- und Handlungsmustern“225 und kann als eher direkt und persönlich bezeichnet werden Adressbuch der Kreise Gummersbach, Waldbröl und Wipperfürth (1911), S. 306. 216 Nipperdey: Geschichte, S. 220. Zur Bedeutung von Verwandtschaft vgl. Grewe: Eliten, S. 103 f.; siehe auch Gestrich: Kommentar zu Grewe, S. 122 ff.; Exner: Beständigkeit, S. 295– 306; Lipp: Formen, S. 572–587. 217 Gestrich: Kommentar zu Grewe, S. 123. 218 Lipp: Formen, S. 573. 219 Gestrich: Kommentar zu Grewe, S. 123. 220 Ebd., S. 124. Gestrich führt hier Forschungsergebnisse von Albert Ilien und Utz Jeggle aus den 1980er-Jahren an. 221 Siehe unter anderem Kaschuba: Bauern, S. 87–122, 205–231. 222 Dietrich: Konfession. Siehe für insbesondere protestantisch geprägte Dörfer Pyta: Dorfgemeinschaft, S. 107–126, 144–162. 223 Steinbach: Beiträge, S. 7. 224 Pyta: Dorfgemeinschaft, S. 47. 225 Exner: Gesellschaft, S. 11.

106

II. Wirtschaft und Gesellschaft

und basierte auf gemeinsamen Erfahrungen und Traditionen. Ein Dorf ist jedoch nicht ausschließlich als harmonisches Gebilde zu betrachten. Verschiedene Studien konnten belegen, dass Konfliktlinien sowohl innerhalb des Dorfes zwischen einzelnen Gruppen oder Schichten als auch im Außenkontakt bestanden, zum Beispiel zwischen Dorf und Staat. Eine bedeutende Rolle spielte in diesem Kontext die „Kommunikationsrevolution“.226 Mit der Ausbildung eines Bücher- und Zeitschriftenmarktes nahm der Austausch von Ideen, Meinungen und Wissen zu, auch wenn der Rezipientenkreis aufgrund eines geringeren Alphabetisierungsgrades zunächst noch begrenzt war – die Zahl der deutschen Lesekundigen für 1840 wird auf 40 Prozent, für 1875 auf etwa 75 Prozent und für 1900 auf etwa 90 Prozent geschätzt.227 Wichtige Faktoren waren zudem die Ausbildung des Vereinswesens, die Eisenbahn beziehungsweise die Ausweitung des Personenverkehrs.228 Kommunikation und Mobilität wurden zudem durch die Verbreitung des Telegrafen sowie des Telefons maßgeblich verändert. Das Dorf war keine „isolierte Einheit“229 – das gilt sowohl für wirtschaftliche Verflechtungen als auch für private Transaktionen. Markt und Gemeindeökonomie stellten keine „unüberwindliche(n) Gegensätze“230 dar. Bestehende, tradierte Gemeinschaftsstrukturen sowie die hiermit verknüpfte soziale Kontrolle auf lokaler Ebene, das heißt bestehende soziale Netze, bildeten die Grundlage erster (lokaler) privatwirtschaftlicher Transaktionen.231 Das Dorf war demnach ein „Gravitationszentrum, das in unterschiedlicher Weise auch außerdörfliche Ressourcen einbezog“.232 Es liegt folglich sowohl in einem Verflechtungsraum als es auch eben einen solchen bildet, in welchem verschiedene soziale und ökonomische Interaktionen zwischen den einzelnen Akteuren stattfinden – Pyta spricht von der „Wirtschaftsgemeinschaft im kleinen“.233 226 Ziegler: Zeitalter, S. 208. 227 Die zeitgenössische Statistik legte bei Lesen- und Schreibenkönnen einen anderen Maßstab an als das, was heute „vom Standpunkt einer Lesekultur“ unter Lesen- und Schreibenkönnen verstanden wird. Siehe Engelsing: Analphabetentum, S. 101. Siehe zudem Wittmann: Geschichte; Meyer: Erkennen; Kraus: Kultur, S. 1. 228 Nipperdey: Geschichte, S. 168 ff. 229 Troßbach/Zimmermann: Geschichte, S. 130. 230 Kopsidis: Agrarentwicklung, S. 12; Siehe auch Pyta: Dorfgemeinschaft, S. 47 f. Pyta konstatiert, dass sich die „ökonomische Eigenbrötelei der Bauern durchaus mit einer gemeinschaftlichen Veranlagung im Sozialverkehr vertrug“, da das „Bauerndorf im Regelfall eine Wirtschaftsgemeinschaft im kleinen bildete“ (S. 47), so zum Beispiel bei der kooperativen Bearbeitung des Bodens. 231 Kopsidis: Agrarentwicklung, S. 12. Kopsidis konstatierte den Mangel an empirischen Belegen für die „ökonomische Vitalität der neuzeitlichen bäuerlichen Wirtschaft“. Auch wenn Märkte und Marktprozesse als „wichtige Faktoren für eine dynamische Agrarentwicklung“ benannt sind, so mangelt es doch an fundierten Belegen für den hochkomplexen Konnex von Marktentwicklung und Agrarmodernisierung. 232 Troßbach/Zimmermann: Geschichte, S. 130. 233 Pyta: Dorfgemeinschaft, S. 47. Diese Beziehungen können als materiell-physische Transferbeziehungen (Lieferverflechtungen, Transportströme etc.) bestehen, als finanzielle Transferbeziehungen (zum Beispiel Kapitalströme, ‚Wuchergeschäfte‘) sowie als wirtschaftliche Kontrollbeziehungen (zum Beispiel Fragen der Verfügungsrechte). Der Kern dieser Beziehungen

10. Das Dorf

107

Was den Bezug und Absatz oberbergischer Agrarerzeugnisse betrifft, so ist zunächst nach kleinräumiger Verflechtung mit Nachbargebieten mit zum Beispiel unterschiedlichen Produktionsschwerpunkten und zweitens nach Verflechtungen über größere Distanzen zur Versorgung von Konsumtionsräumen und -zentren (wie Elberfeld, Köln) mit Lebensmitteln oder Rohstoffen zu fragen.234 Zur Beurteilung der wirtschaftlichen Verflechtung hilft die Kenntnis der Überschuss- oder Bedarfsgebiete: Das Bergische Land wurde schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts über Mülheim am Rhein mit Getreide aus der linksrheinischen Börde („Kornkammer“ der Rheinprovinz235) versorgt. Für den kleinräumigen Warenaustausch, der schwer zu rekonstruieren ist, da es hierüber kaum statistische oder andere Aufzeichnungen gibt, waren vor allem die Jahr- und Viehmärkte im Oberbergischen von Bedeutung. Mit der Ausdehnung der Viehwirtschaft im Bergischen wurde 1851 der Viehmarkt in Waldbröl gegründet. Zuvor hatte man vor allem die Viehmärkte in Wenden (bei Olpe) und in Steimel (Kreis Altenkirchen) besucht.236 Der Waldbröler Markt entwickelte sich schnell zu einem der wichtigsten Märkte im Rechtsrheinischen und dürfte daher auch bei der Verbreitung des Raiffeisenschen Kreditgenossenschaftskonzepts eine wichtige Rolle gespielt haben. Innerhalb der Dorfgemeinschaft fanden Transaktionen für Leistungen und Güter seit jeher statt:237 zwischen dem Einzelnen und den dörflichen Organisationen (zum Beispiel kirchliche Armenpflege), zwischen dem Einzelnen und dem Metzger, Bäcker, Schuster etc., innerhalb der Verwandtschaft sowie zwischen Nachbarn. Ein besonderes Augenmerk hat die Forschung in den letzten Jahren auf den Transfer der Verfügungsrechte am Grundbesitz, sei es durch Pacht, Kauf oder Vererbung, gelegt. Die Bedeutung von Nachbarschaftsverhältnissen ist beim Austausch von Leistungen und Gütern generell nicht zu unterschätzen, wurzelten sie doch in althergebrachten Notwendigkeiten und die Kenntnis von Verlässlichkeit und Ehrlichkeit sowie von körperlichen Fähigkeiten senkten erheblich die Transaktionskosten. Im Leben des Einzelnen hing der (innerdörfliche) Transfer auch stark mit der Position im Lebenszyklus zusammen.238 Innerdörfliche Transaktionen fanden vielfach in Form des reziproken Austauschs statt, der auf „eingespielten Beziehungen“239

234 235 236

237 238 239

ist gesellschaftlicher Natur („gesellschaftszentriertes Raumkonzept“). Neben dem Austausch von Gütern können hier demnach auch Heiraten und andere verwandtschaftliche Beziehungen subsumiert werden. Siehe Haas/Neumair: Wirtschaftsgeographie, S. 2. Hahn/Zorn: Wirtschaftskarte, S. 34. Ebd., S. 35. Die Steimeler Viehmärkte wurden überregional besucht, sodass zum Beispiel auch Ochsen aus dem Moseltal dort verkauft wurden. Siehe ebd. Nach Nepomuk von Schwerz fanden die Märkte in Steimel von Frühjahr bis Herbst alle zwei bis drei Wochen statt. Besonders die Viehmärkte waren überregional bekannt, sodass hier 2.000 bis 3.000 Vieh/Markttag verkauft wurden und Händler bis zu 20 oder 30 Stunden Anreise in Kauf nahmen. Troßbach/Zimmermann: Geschichte, S. 129–144. Troßbach und Zimmermann unterscheiden hier für die Zeit vor 1880 zwischen Ressourcentransfer mit (1.) der Herrschaft, (2.) der Kommune, (3.) im Privaten. Siehe etwa Bracht/Fertig: Vermögensstrategien. Troßbach/Zimmermann: Geschichte, S. 130.

108

II. Wirtschaft und Gesellschaft

basierte, jedoch von wirtschaftlichen Transaktionen, wie Krediten, Barzahlungen etc. interferiert wurde. Zusammenfassend ist festzustellen: Während im Raum Gummersbach die Bevölkerung zwischen 1871 und 1925 um rund 80 Prozent wuchs, kann für den Kreis Wipperfürth nahezu eine Stagnation konstatiert werden. Die wachstumsstärksten Gemeinden lagen ausschließlich im Kreis Gummersbach. Das Aggertal (zwischen Wiedenest und Ründeroth) entwickelte sich seit etwa 1875 zur größten Agglomeration im Oberbergischen. Im Oberbergischen, besonders im Kreis Gummersbach, bildete sich eine starke „Zwischenschicht von Arbeiterbauern“240 aus, das heißt immer mehr Bauern betrieben Landwirtschaft im Nebenerwerb, was von verschiedenen Faktoren (Realteilung, Klima etc.) beeinflusst worden war. Lokal different war der Grad der (Ent-) Agrarisierung:241 So wurde zum Beispiel innerhalb der Bürgermeisterei Engelskirchen nur noch in der Gemeinde Hohkeppel „eigentliche Landwirtschaft“242 betrieben; in der Gemeinde Lindlar hatten sich vor allem in Frielingsdorf und im Ort Lindlar Industriebetriebe (Steinbrüche, Feilenhauereien) angesiedelt, während Süng und Linde noch immer „rein landwirtschaftlicher Natur“243 waren; in der gesamten Bürgermeisterei Olpe war die Landwirtschaft hingegen noch der „vorwiegende Erwerbszweig“.244 Aufgrund der differenten Boden- und Klimaverhältnisse der Kreise Gummersbach und Waldbröl waren hier die Voraussetzungen für die Landwirtschaft andere als im Kreis Wipperfürth. Im Vergleich mit den Kreisen Gummersbach und Waldbröl war also vor allem der Kreis Wipperfürth, besonders der Raum Lindlar – als „Wirtschaftsraum zwischen den Wirtschaftsräumen“245 –, noch lange stark landwirtschaftlich ausgerichtet. In den umliegenden Kreisen ging bereits 1907 der überwiegende Teil der Bevölkerung gewerblichen Tätigkeiten nach. Während im Kreis Gummersbach rund 80 Prozent der Bevölkerung evangelischer Konfession waren, waren im Kreis Wipperfürth 90 Prozent der Bevölkerung katholisch. Im Kreis Waldbröl waren rund 63 Prozent der Bevölkerung evangelisch. Das Dorf als „idealtypischer Siedlungstyp der ländlichen Gesellschaft“246 ist im Oberbergischen vor allem gekennzeichnet durch die Kleinheit der über das Land verstreuten Weiler – das zusammenhängende Straßendorf wie etwa in der Eifel war hier ursprünglich nicht verbreitet und kam erst mit der Industrialisierung der Täler auf. Diese Streuung der Weiler war vor allem durch die bergige Landschaft bedingt. Daneben gab es größere Dörfer, wie etwa Lindlar.247 240 Schmidt-Rossleben: Industrie, S. 139; siehe auch Huck/Reulecke: Leben, S. 228 (Auszug aus Thomas C. Banfield: The Industry of the Rhine, Series I); Wysocki: Nebenerwerb, S. 131 f. 241 Mooser: Verschwinden, S. 24. 242 LA NRW Düsseldorf, LA Wipperfürth Nr. 111, Schreiben des Bürgermeisters von Engelskirchen vom 1. Dezember 1914, S. 393. 243 LA NRW Düsseldorf, LA Wipperfürth Nr. 111, Schreiben des Bürgermeisters von Lindlar vom 30. November 1914, S. 399. 244 LA NRW Düsseldorf, LA Wipperfürth Nr. 111, Schreiben des Bürgermeisters von Olpe vom 5. Januar 1917, S. 414. 245 Spilker: Wirtschaftsraum, S. 12. 246 Exner: Beständigkeit, S. 279. 247 Siehe hierzu Becker: Untersuchungen.

11. Berufsständische Interessenvertretungen

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11. BERUFSSTÄNDISCHE INTERESSENVERTRETUNGEN Insgesamt blieb die Entwicklung der agrarischen Zusammenschlüsse bis zur Reichsgründung hinter denen der Industrie deutlich zurück. Zum einen schien eine Organisation der agrarischen Interessen nur wenig notwendig, da Landwirtschaft und Staat traditionell in einem engen Verhältnis standen und die staatlichen und landwirtschaftlichen Interessen weitgehend kongruent waren.248 Zum anderen war aufgrund der Heterogenität der Landwirtschaft und der Anzahl der meist für sich arbeitenden Bauern ein Zusammenschluss logistisch nur schwer zu organisieren: Verschiedene Agrarverfassungen, unterschiedliche Marktchancen und die großen sozialen Differenzen hemmten das Aufkommen eines ‚Gemeinschaftsgefühls‘.249 Hans-Peter Ullmann spricht der Landbevölkerung zudem Risikobereitschaft sowie Aufgeschlossenheit gegenüber Neuerungen ab und bleibt damit der Tradition Hans Rosenbergs und Hans-Jürgen Puhles verhaftetet, die ebenfalls in den 1960er-/70erJahren das „Selbstmobilisierungspotential des bäuerlichen Mittelstands“250 als gering einschätzten. Das Verharren in starren, tradierten Verhältnissen zur Kirche und die Einbindung in die dörfliche Gemeinschaft hätten den Willen zur Organisation gehemmt.251 Grundsätzlich werden drei Phasen der Organisation landwirtschaftlicher Interessen unterschieden:252 Bereits im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts wurden so genannte Ökonomische Gesellschaften gegründet, die anfänglich allerdings mehr dem Austausch von physikalisch-ökonomischen Ideen unter ‚Hobbylandwirten‘ dienten. Die zweite Phase folgte als Reaktion auf die Agrarreformen: 1810 wurde in Bayern der erste Landwirtschaftliche Verein gegründet; diverse Gründungen folgten.253 Aufgrund der Mitgliederstruktur (Lehrer, Pfarrer, Adel und kaum Landwirte) gelten diese Vereine – ganz dem Trend ihrer Entstehungszeit verhaftet – eher als ‚Honoratiorenvereinigungen‘ als denn tatsächlich als berufsständische Interessenvertretungen. Während sich ‚Honoratioren‘ (im Sinne Max Webers) durch ein 248 Siehe unter anderem Aldenhoff-Hübinger: Agrarpolitik, S. 102; Behnke: Entwickelung, S. 19. 249 Der BDL wird in diesem Kapitel nicht noch einmal angesprochen, da er im Rheinland kaum eine Rolle spielte und oben hinreichend vorgestellt wurde. Zudem konnte sich auch nach der Reorganisation des BDL 1920 im Rahmen eines Zusammenschlusses mit dem Deutschen Landbund, der den neuen Reichs-Landbund beziehungsweise die Landbünde zur Folge hatte, die Organisation nicht im katholischen Rheinland sowie in den katholischen Regionen Westfalen und Bayern gegen die Bauernvereine durchsetzen. Siehe Gessner: Agrarverbände, S. 38 f.; vgl. Heider: Entwickelung, S. 220 f. Heider hingegen berichtet von rund 11.000 Mitgliedern im Rheinland (reichsweit etwa 425.000). Am 11. November 1909 wurde in Köln eine Geschäftsstelle eröffnet. Vgl. Schwecht: Zusammenschluß, S. 7. Im Jahr 1929 verschmolzen der Rheinische Bauernverein und der Rheinische Landbund im Rahmen einer allgemeinen Rationalisierungswelle. 250 Aldenhoff-Hübinger: Agrarpolitik, S. 17. 251 Ullmann: Interessenverbände, S. 32; Behnke: Entwickelung, S. 21. Auch Behnke spricht Ende der 1920er-Jahre in seiner Dissertation vom „Mißtrauen gegen alles neue, verbunden mit bäuerlich konservativem Geist, für den Bauernstand charakteristisch ist“. 252 Die Aufzählung folgt Ullmann: Interessenverbände, S. 32–40; siehe auch Puhle: Agrarbewegungen. 253 Zum ‚Prototypen‘ des Landwirtschaftlichen Vereins siehe Harrecker: Verein.

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hohes Maß an sozialem, aber auch finanziellem Kapital auszeichneten, das heißt nicht nur über entsprechende Reputation verfügten, sondern zugleich auch finanziell abgesichert waren und sich nebenberuflich und unentgeltlich eine solche Aufgabe ‚leisten‘ konnten, war solcherlei Engagement für den kleinen- beziehungsweise mittelbäuerlichen Landwirt kaum vorstellbar.254 Die ‚Honoratioren‘ verfügten gegenüber der einfachen ländlichen Bevölkerung über einen entsprechenden Bildungshintergrund; sie waren eher abkömmlich als ein Landwirt, der seinen Hof allein beziehungsweise mit familialer Unterstützung führte. Netzwerkaspekte spielten hier eine sicherlich ebenso wichtige Rolle. In Preußen wurden bis 1820 15 Landwirtschaftliche Vereine gegründet.255 Die Gründungen fanden auf freiwilliger Basis statt, jedoch mit (finanzieller) Unterstützung des Staates. Auch hier standen Themen wie Viehzucht, Buchführung etc. im Vordergrund, aber auch Geselligkeit und Erfahrungsaustausch.256 Im Revolutionsjahr 1848 wurde die dritte Phase eingeläutet: Es entstanden verschiedene freie Agrarorganisationen, von denen an dieser Stelle lediglich die Bauernvereine interessieren sollen. Mit der politischen Mobilisierung der deutschen Gesellschaft 1848 wurde der Grundstein für die freien Bauernvereine gelegt, die lokal ausgerichtet waren und nun nicht mehr ‚von oben‘ gesteuert, sondern selbstorganisiert entstanden, und in denen nun auch die Landwirte selbst als Mitglieder vertreten waren. Diese ersten landwirtschaftlichen Interessenvertretungen verloren nach dem Scheitern der Revolution allerdings an Schwung, und erst mit der Gründung des lokalen Bauernvereins für den Kreis Steinfurt durch den katholischen Gutsbesitzer Burghard Freiherr von Schorlemer-Alst (*1825, †1895) im Jahr 1862 entstand der Grundstein für eine Bauernvereinsbewegung in Deutschland. Die Folgen der Agrarreform (hohe Ablösesummen, Bodenzerstückelung, hohe Verschuldung, sinkende ‚Spannfähigkeit‘) und der mangelnde Erfolg

254 Weber: Wirtschaft, S. 170. Siehe hierzu insbesondere die Argumentation bei Erdmann: Diesseits, S. 55–60. 255 Die Landwirtschaftlichen Vereine werden hier der besseren Gliederung halber genannt, sind aber eigentlich keine aus dem Berufsstand selbst erwachsene berufsständische Interessenvertretung. 256 Siehe Behnke: Entwickelung, S. 19. Zentrale Themen der Landwirtschaftlichen Vereine betrafen die Verbesserung der Landbautechnik (Düngung, Saatgut und Sortenwechsel, Schädlingsbekämpfung, verbesserte Erntemethoden, Tierzucht, Fütterung, Tierpflege etc.). Selten oder nur randständig behandelt wurden „wirtschaftsökonomische Fragen“ (wie durch Einrichtung des landwirtschaftlichen Betriebs unter den jeweiligen gegebenen natürlichen und wirtschaftlichen Bedingungen die höchsten Reinerträge erzielt werden konnten). Gar nicht thematisiert wurden wirtschaftspolitische Fragen, wie etwa die Verbesserung der Infrastruktur, was auch nicht notwendig erschien, da es der Landwirtschaft bis in die 1860er-Jahre „gut ging“ (S. 19); Pyta: Interessenpolitik, S. 21–28. Pyta konstatiert ab den 1870er-Jahren eine zunehmende Politisierung der Landwirtschaftlichen Vereine, insbesondere am Beispiel Westfalens. Dieser Prozess wurde von den staatlichen Behörden forciert, um unter anderem die Vereine in den Informationsfluss der staatlichen Verwaltung einzubinden. Damit ging auch die Reduktion weltanschaulicher Aspekte einher: „Der bei den landwirtschaftlichen Vereinen zu registrierende Trend weg von einer reinen Bildungsanstalt und hin zu einem für wirtschaftspolitische Fragen aufgeschlossenen Verband verschaffte sich auf Reichsebene einen institutionellen Ausdruck: den ‚Deutschen Landschaftsrat‘“ (S. 27). Der Deutsche Landschaftsrat wurde 1872 gegründet.

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gesetzlicher Gegensteuerung seit Mitte der 1830er-Jahre waren Anstoß.257 Weitere lokale Vereine wurden gegründet, deren Mitglieder neben Großgrundbesitzern auch kleinere und mittlere Landwirte waren. Die Vereine entstanden zwar vor dem Hintergrund des zunehmenden Bedeutungsverlusts der Landwirtschaft, jedoch nicht infolge einer akuten Notsituation. Die Ziele der Vereine waren gesellschaftspolitischer Natur (‚Hebung des Bauernstandes‘). Die Organisation erfolgte mit Hilfe der Kirche, die zu dieser Zeit vor der Auflösung des Bauernstandes warnte und zu „Standesbildung im christlichen Sinn“258 aufrief. Die konkrete Umsetzung dieser Zielsetzung sollte durch die sittlich-religiöse Erziehung, die materielle Förderung sowie durch die Förderung der genossenschaftlichen Selbsthilfe erfolgen. Mit diesen Bestrebungen „fügten sich die westfälischen Bauernvereine in die berufsständischen Ideen des politischen Katholizismus nahtlos ein“.259 Die Ausbreitung der lokalen bäuerlichen Vereine wurde von staatlicher Seite kritisch gesehen, zumal die Bauernvereine als Konkurrenz zu den Landwirtschaftlichen Vereinen interpretiert wurden. Die Kommunikation unter den einzelnen lokalen Vereinen unterband man folglich mit Hilfe des geltenden Vereinsrechts, worunter man auch die Bauernvereine subsumierte und welches Vereinigungen verbot. Die Folge war, dass sich die einzelnen lokalen Vereine auflösten und sich anschließend zu einem Gesamtverband, dem Westfälischen Bauernverein, zusammenschlossen, was die Schlagkraft der Vereinigung erheblich erhöhte. Die Verbreitung weiterer Bauernvereine erfolgte zunächst in katholisch geprägten Regionen. Die Vereine wurden ohne staatliche Unterstützung – manchmal sogar im Zusammenhang staatlicher Gegenwehr – gegründet und organisierten vor allem katholische Mittel- und Großbauern. Kleinbauern, Pächter und evangelische Bauern waren hingegen kaum vertreten. Die Führungsspitze bestand aus Geistlichen und Adligen, weitere Führungspositionen wurden durch Gutsbesitzer und Großbauern besetzt.260 Die weitere Entwicklung der regionalen Bauernvereine ist im Kontext der Ausbildung des Nationalstaats in Form einer bundesstaatlichen konfessionellen Monarchie, dem wirtschaftlichen Wachstum, verbunden mit den oben bereits skizzierten Schwierigkeiten des Agrarsektors, sowie dem weiteren Übergang zum Industriestaat mit seinen neuen sozialen Facetten zu betrachten. Im Kaiserreich breitete sich das Landwirtschaftliche Vereinswesen immer mehr aus und „zeigte erste ‚Verkammerungstendenzen‘“,261 und auch die Bauernvereine gewannen an Breitenwirkung. Einen lockeren Zusammenschluss der regionalen Bauernvereine stellte ab 1900 die Vereinigung der christlichen deutschen Bauernvereine als „gemeinsame Standesund Wirtschaftsinteressen des deutschen Bauernstandes“262 dar. Die Gründungsin257 Siehe hierzu Rouette: Bauer, S. 132 f. 258 Ullmann: Interessenverbände, S. 39; Zum Zweck und Selbstverständnis des Westfälischen Bauernvereins siehe Pyta: Interessenpolitik, S. 28 f. 259 Ullmann: Interessenverbände, S. 39. 260 Ebd., S. 40. 261 Ebd., S. 85; siehe auch Harwood: Dilemma. 262 Rheinischer Bauernverein: Bericht (1917), S. 37; gegründet am 24. November 1900. Ab 1917 hatte die Vereinigung eine eigene Zentralstelle in Berlin; siehe auch Behnke: Entwickelung, S. 18–23.

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itiative ging vom Rheinischen Bauernverein aus. An dem „Kartell“263 beteiligten sich der Badische Bauern-Verein, der Bayerische, der Elsass-Lothringische, der Ermländische, der Hessische, der Nassauische, der Rheinische, der Schlesische, der Trierische sowie der Westfälische Bauernverein. Das erste Problemfeld, das gemeinsam angegangen wurde, betraf die Aufstellung eines neuen Zolltarifs.264 Verbände gehören zu „jenem weiten intermediären Bereich, der sich zwischen Lebenswelt des einzelnen auf der einen und politischen Institutionen auf der anderen Seite auftut“.265 Interessenverbände dienen dazu, zwischen diesen beiden Bereichen zu vermitteln und stellen Wechselbeziehungen zwischen ihnen her. Sie sind also „Repräsentanten besonderer Interessen“ und zugleich „Akteure der politischen Steuerung“.266 Ullmann ist also zu folgen, wenn er in Verbänden einen „intermediären Bereich“267 konstatiert. Die landwirtschaftlichen Verbände gründeten sich auf überregionaler und dann Reichsebene als Vertreter zwar gemeinsamer Interessen, aber aus der Notwendigkeit heraus, dem schwerindustriellen Verbandsleben nachzueifern und ebenfalls als kollektiver Akteur in politischer Hinsicht Einflussmöglichkeiten zu schaffen. Sie verklammerten damit regional disparate individuelle/dörfliche Bedürfnisse und begannen, an der Gestaltung des ‚institutionellen Rahmens‘ der Agrarwirtschaft teilzunehmen. Auch der Staat nutzte Verbände zur Informationsbeschaffung oder vergleichbaren Aktivitäten. Welche Eckdaten, Interessensbündelungen und konkreten Aktivitäten lassen sich bezüglich der landwirtschaftlichen Interessenvertretungen für die Rheinprovinz ausmachen?268 Im Jahr 1833 wurde in Bonn der Landwirtschaftliche Verein für Rheinpreußen (als Verein zur Beförderung der Landwirtschaft am Niederrhein) als privat-rechtliche Interessenvertretung der Landwirte gegründet.269 Der Verein untergliederte sich in 66 Lokalabteilungen. Der Einfluss von Nicht-Landwirten in der Vereinsführung war – wie auch anderswo – groß, sodass es sich auch hier zu Beginn eher um einen Honoratiorenverein handelte.270 Im Jahr 1895 gehörten dem Verein 19.600 Mitglieder an, 1907 21.800.271 Der Staat bediente sich des Vereins wie auch andernorts vor allem zur Informationsbeschaffung und zur Beratung, wofür der Verein wiederum finanzielle Zuschüsse erhielt.272 Am 8. November 1882 wurde in Kempen der Rheinische Bauernverein gegründet, der „seinem Selbstverständnis nach einen neuen Typus der landwirtschaftlichen Interessenvertretung“273 verkörperte und dessen Vorbild der Westfälische 263 264 265 266 267 268 269 270 271 272 273

Rheinischer Bauernverein: Bericht (1917), S. 37. Ebd.; siehe auch von Lünick: Bewegung, S. 4, 6. Ullmann: Interessenverbände, S. 9. Wiesenthal: Interessenorganisation, S. 335. Ullmann: Interessenverbände, S. 9. Zur Entwicklung des landwirtschaftlichen Vereinswesens im Rheinland siehe Heider: Entwickelung, S. 224–229; Pyta: Interessenpolitik. Lichter: Landwirtschaft, S. 127–130; Heyder: Entstehung, S. 23. Lichter: Entstehung, S. 198. Ebd. Ebd., S. 199. Lichter: Entstehung, S. 200; zur (Gründungs-) Geschichte des Vereins siehe Rheinischer Bauernverein: Dreißig Jahre, S. 3–30; Zitzen: Jahren, S. 2 f.

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Bauernverein war.274 Dieser wollte zwar wie auch die anderen Bauernvereine Einfluss auf die politischen Entscheidungen des Staates nehmen, sich jedoch nicht direkt in staatliches Handeln einbinden lassen, das heißt als verlängerter Arm des Staates fungieren. Sitz des Vereins war Neuss.275 Der Rheinische Bauernverein entwickelte sich innerhalb der Rheinprovinz zur größten Interessenvertretung der Landwirte. Und auch im Vergleich mit den ost- und westpreußischen Bauernvereinen zählte der Verein mit über 12.000 Mitgliedern (1883)276 zu den größeren Vereinen im Reich, während der Westfälische Bauernverein wohl als interessenpolitisch mächtigster Bauernverein bezeichnet werden kann.277 Der Vereinsbezirk des Rheinischen Bauernvereins umfasste die nördliche Rheinprovinz. Im Süden wurde 1884 auf Initiative des Kaplans Dasbach der Trierische Bauernverein gegründet, im Südwesten 1892 der Hunsrücker Bauernverein.278 Dieser 274 Siehe Statut des Rheinischen Bauernvereins, vor 1905, § 2: „Der Verein bezweckt, seine Mitglieder in sittlicher, geistiger und wirthschaftlicher Hinsicht zu heben, insbesondere die Interessen der bäuerlichen Besitzer des Vereinsbezirks zu wahren und auf die Erhaltung eines kräftigen Bauernstandes hinzuwirken“; siehe auch ebd., § 3. „Diese Zwecke versucht der Verein zu erreichen: 1. durch geeignete Anregung zu gesetzlichen Reformen zu Gunsten des Grundbesitzes, durch Abwehr einer übermächtigen Belastung desselben und durch Beseitigung schädlicher Gewohnheiten und Mißbräuche; 2. Durch Versöhnung sich widerstreitender Interessen und durch gütliche Beilegung von Streitigkeiten; 3. Durch Förderung der Sparsamkeit, Bekämpfung des Wuchers, Beseitigung unnatürlicher Verschuldung des Grundbesitzes und Herstellung gesunder Creditverhältnisse; 4. Durch Wahrnehmung der Interessen der Mitglieder auf dem Gebiete des Versicherungswesens; 5. Durch Verbreitung der dem Bauernstand dienlichen Kenntnisse; 6. Durch die auf Erhaltung des Grundbesitzes gerichtete Pflege des Familiensinns im Bauernstande.“ Dieser Wortlaut entspricht dem Wortlaut des Gründungsstatuts vom 8. November 1882; siehe auch Rheinischer Bauernverein: Dreißig Jahre, S. 17 ff. Der erste Vorsitzende war bis 1896 Freiherr Felix von Loë, gefolgt von Graf Friedrich von Loë (*1896, †1899). Graf Anton von Spee war 1899 bis 1903 Vorsitzender, dann folgte ihm Freiherr Clemens von Loë, der dieses Amt bis 1930 ausführte. Siehe Rheinischer Bauernverein: Jahre, S. 5; zu Felix Freiherr Loë (päpstlicher Graf ab 1877) siehe Schumacher: Loë. 275 Statut des Rheinischen Bauernvereins, vor 1905, § 1. 276 Jahresbericht des Vorstandes des Rheinischen Bauern-Vereins pro 1905 und Uebersicht über den derzeitigen Stand der Gesamtorganisation, S. 9 f. 277 Aldenhoff-Hübinger: Agrarpolitik, S. 103; Statut des Rheinischen Bauernvereins, vor 1905, § 4. Die Mitgliedschaft konnte erwerben, wer folgende Voraussetzungen erfüllte: „Der als wirkliches Mitglied Aufzunehmende muß 1. einer der beiden christlichen Confessionen angehören, deren Vorschriften erfüllen und demnach einen ordentlichen Lebenswandel führen; 2. Großjährig und im Genusse der bürgerlichen Ehrenrechte sein; 3. Besitz, Pacht, Nießbrauch oder Verwaltung ländlicher Grundstücke haben. Für Angestellte des Vereins kann von dieser Forderung abgesehen werden.“ 278 Zum Hunsrücker Bauernverein siehe unter anderem Bauer: Gesellschaft, 2009, S. 254–269, 414 ff.; Georg Friedrich Dasbach: *1846 (Hornhausen/Westerwald), †1907 (Bonn), Studium der Theologie in Rom und Trier, Kaplan in Trier, Zentrumspolitiker. Dasbach arbeitete in Trier als Redakteur und Publizist. Es ist davon auszugehen, dass Dasbach Raiffeisen persönlich kannte. Belegt ist jedoch nur ein Schriftwechsel. Dasbach hatte während des Kulturkampfes Berufsverbot. 1884 Gründer und Präsident des Trierischen Bauernvereins, Gründer des Trierischen Genossenschaftsverbandes, führende Persönlichkeit im Trierischen Winzerverein, im Trierischen Versicherungsverband und in der Rechtsschutzstelle zur Bekämpfung des Wuchers. Ab 1890 Zentrumsabgeordneter im Preußischen Landtag und ab 1898 Reichstagsabgeordneter. Siehe Groven: Genossenschaftspionier.

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Bauernvereinsbewegung gelang es – anders als dem Landwirtschaftlichen Verein für Rheinpreußen – nicht, eine die gesamte Rheinprovinz umfassende Organisation zu errichten, auch wenn dies der Rheinische Bauernverein als größter rheinischer Bauernverein anstrebte.279 Die Ursache hierfür lag insbesondere in den tiefgreifenden agrarstrukturellen Unterschieden innerhalb der Rheinprovinz, was der Integration durch einen einheitlichen Verband entgegenwirkte.280 Vor allem der Trierische Bauernverein suchte keinen organisatorischen Zusammenschluss, da nach Auffassung seines Vorstandes nur die genaue Kenntnis der Verhältnisse vor Ort eine Unterstützung der Landwirte ermöglichte.281 In einer Publikation über die rheinische Landwirtschaft aus dem Jahr 1911 heißt es: „Einer der merkwürdigsten Bauernvereine ist derjenige, den Kaplan Dasbach […] gegründet hat. Er erstreckt sich auf den Regierungsbezirk Trier, einen Teil des Regierungsbezirkes Coblenz und auf das Fürstentum Birkenfeld. Namentlich der Trierer Gegend, die früher durch jüdischen Wucher ausgesogen war, leistete der Verein vortreffliche Dienste, indem er die Prozesse, in die zahlreiche kleine Bauern verwickelt waren, in die Hand nahm, den Wucher unermüdlich aufdeckte, die Viehleihverträge aus der Welt räumte und endlich eine landwirtschaftliche Bank schuf, die mit einer Anstalt für Viehversicherung verbunden ist. Im übrigen verfolgt der Verein ähnliche Zwecke wie der Rheinische Bauernverein, hat aber nicht dessen Ausdehnung und Bedeutung“.282 Für die Entstehung der ländlichen Kreditgenossenschaften ist die Kenntnis von Zielen und Strukturen der agrarischen Interessenvertretungen in mehrerlei Hinsicht bedeutsam: Der Landwirtschaftliche Verein für Rheinpreußen, der seinen Sitz in Bonn hatte, beschäftigte sich bereits seit den 1830er-Jahren mit Fragen des landwirtschaftlichen Kreditwesens. Er war ausschließlich daran interessiert, das Problem des ländlichen Personalkredits zu lösen – die Organisationsform war für ihn hierbei lediglich Nebensache.283 Bereits seit Anfang des 19. Jahrhunderts wurde 279 Lichter: Entstehung, S. 200 f.; vgl. ferner Der Rheinische Bauern-Verein und seine GesamtOrganisation. Der Rheinische Bauernverein gliederte sich in 50 Kreisbauernschaften, die in fünf Bezirksverbänden (Düsseldorf-rechtsrheinisch, Düsseldorf-linksrheinisch, Köln, Aachen, Koblenz) zusammengefasst werden. Sitz der Zentralstelle war Köln (ab 1901). Das Verwaltungsgebäude beherbergte das Generalsekretariat, die Fachabteilungen sowie die Verwaltungen der Tochterinstitute, das heißt des Verbandes rheinischer landwirtschaftlicher Genossenschaften e.V. (gegründet 16. Juni 1891), die Warenzentrale des Rheinischen Bauernvereins GmbH (1. April 1900), die Rheinische Landesgenossenschaftskasse (17. Dezember 1892), die Rheinische Bauernbank AG (27. Juni 1906), den Haftpflichtversicherungsverein, den Vieh-Versicherungs-Verband (24. Oktober 1904), den Provinzial-Viehverwertungsverband für die Rheinprovinz GmbH (1908), den Rheinischen Winzerverband (16. Juni 1921) sowie die Winzerzentrale (3. Januar 1923). 280 Lichter: Entstehung, S. 200 f. 281 1910 hatte der Trierische Bauernverein 28.032 Mitglieder und war in 911 Ortsgruppen gegliedert. 282 Heider: Entwickelung, S. 226. 283 Siehe unter anderem Feldmann: Verein, S. 427, 433, 435. Bereits Ende der 1860er-Jahre kam die Sektion Volkswirtschaft zu dem Ergebnis: „1. Zur Förderung des landwirtschaftlichen Kredits sollen Darlehnskassenvereine auf jede mögliche Weise ins Leben gerufen werden; 2. Die Grundlage dieser Vereine (Schulze oder Raiffeisen) bleibt dem Ermessen derjenigen überlassen, welche sie ins Leben zu rufen streben oder welche sie bilden“. Vgl. ebd., S. 457; ferner

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erkannt, dass viele Probleme der rheinischen Landwirtschaft dem Fehlen eines formellen, gut funktionierenden ländlichen Kapitalmarktes zuzuschreiben waren. Im Kontext agrarökonomischer und sozialpolitischer Diskussionen wurde besonders seit Mitte des 19. Jahrhunderts vermehrt die für die ländliche Bevölkerung schlechte Zugänglichkeit zu Kapitalmärkten thematisiert. So veröffentlichte zum Beispiel der Generalsekretär des Landwirtschaftlichen Vereins für Rheinpreußen, Thilmany, 1854 die Publikation ,Kreditvereine zur Befruchtung der Arbeitskraft‘. Das Ziel des Vereins war es, ein Instrument zu finden, das die Probleme der Kapitalbeschaffung lösen und damit helfen konnte, die soziale Lage der ländlichen Bevölkerung langfristig zu verbessern.284 Der Verein unterstützte zunächst die Gründung öffentlich-rechtlicher Sparkassen. Später wurde der Verein auf das eingangs erwähnte Genossenschaftskonzept von Hermann Schulze-Delitzsch aus Sachsen aufmerksam und bewarb schließlich die Gründung von Genossenschaften nach dessen Konzept, so etwa die Gründung der Eckenhagener Volksbank (gegründet 2. Januar 1870; Kreis Waldbröl). Die Genossenschaft wurde auf Initiative des Wanderlehrers Dr. Pitsch und des Landwirtschaftlichen Vereins für Rheinpreußen von insgesamt 26 Personen in Eckenhagen gegründet.285 Zudem gründete der Landwirtschaftliche Verein selbst eine Kreditgenossenschaft in Bonn (gegründet 1861; Bonner Kreditverein), deren Geschäftsführung durch den Landwirtschaftlichen Verein abgewickelt wurde. Allerdings war das Geschäftsgebiet nicht auf einen überschaubaren Raum begrenzt, sondern war in Folge seines Filialsystems relativ groß. Wegen des Filialsystems waren jedoch die Informations- und Überwachungskosten für einen Kredit viel zu teuer. So zahlte der Kreditnehmer acht Prozent Zinsen, von denen zwei Prozent zur Deckung der Verwaltungskosten wurden. Zudem waren – ganz im Sinne des Konzepts von SchulzeDelitzsch – die Ausleihfristen von drei Monaten für die landwirtschaftlichen Produktionszyklen viel zu kurz.286 Schließlich wurde der Landwirtschaftliche Verein auf das Genossenschaftskonzept von Friedrich Wilhelm Raiffeisen aufmerksam. Der Landwirtschaftliche Verein propagierte nicht nur Raiffeisens Genossenschaftskonzept, sondern richtete eiVerband rheinischer landwirtschaftlicher Genossenschaften: Festschrift, S. 15; Feldmann: Genossenschaftswesen, S. 157; Landwirtschaftlicher Verein für Rheinpreußen: Festschrift, 1907, S. 230. „Es ist Geschichte, es ist aktenmäßig, daß der Verein seit den vierziger Jahren des vorigen Jahrhunderts [1840er-Jahre; Anm. d. Verf.] die Förderung des modernen Genossenschaftswesens stets als einen sehr wesentlichen Bestandteil seiner Tätigkeit erblickt hat“. 284 Siehe auch Heyder: Entwicklung, S. 25. 285 Volksbank Eckenhagen: [Festschrift], S. 12. Die Mitgliederstruktur war wenig landwirtschaftlich geprägt: An der Gründung beteiligten sich zwei Lehrer (Lehrer Theodor Branscheid war bis 1909 geschäftsführendes Vorstandsmitglied, 1909 bis 1911 Aufsichtsratsmitglied), ein „Polizeidiener“, ein „Ökonom“, ein Arzt, ein „Rechnungsführer“, ein Pfarrer, ein Bäcker sowie zwei Bäcker, die zugleich einen Ausschank oder eine Gaststätte betrieben, ein Sattler, drei Kaufleute, ein Gerber, ein „Agent“, zwei Schmiede, ein Schneider, ein Geschichtsschreiber und ein Gerichtsvollzieher sowie fünf Landwirte. 286 Feldmann: Verein, S. 427–431; Heyder: Entstehung, S. 23 f. 1863 initiierte der Landwirtschaftliche Verein zudem die Gründung eines Kreditvereins in Bitburg (heute Volksbank Bitburg eG). Sowohl Initiatoren als auch Gründungsmotive waren hier gleich denen des Bonner Kreditvereins.

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gens hierfür sogar eine Abteilung ein, deren Vorsitzender Raiffeisen zunächst war.287 Erst diese Verbindung mit dem Landwirtschaftlichen Verein half Raiffeisens genossenschaftlichem Konzept „in den Sattel“,288 zumal Raiffeisen selbst, als Bürgermeister einer Westerwälder Gemeinde, nicht über ausreichend Kontakte und personelle und finanzielle Kapazitäten verfügte, um sein Genossenschaftskonzept über einen geografisch begrenzten Raum hinaus zu bewerben.289 Erst die Kooperation mit dem Landwirtschaftlichen Verein (und das Engagement dessen Generalsekretärs Thilmany, so Gustav Havenstein 1908) brachte die „notwendige Autorität nach außen“ und verhalf „zur raschen Ausbreitung sowie zur allgemeinen agrarpolitischen Bedeutung und Beachtung“.290 Die Genossenschaften nach dem Konzept Raiffeisens verbreiteten sich schließlich auch zunehmend außerhalb des Vereinsbezirks des Landwirtschaftlichen Vereins für Rheinpreußen.291

287 Landwirtschaftlicher Verein für Rheinpreußen: Festschrift, S. 232; Bericht über die Verhandlungen der 77. Generalversammlung des Landwirtschaftlichen Vereins für Rheinpreußen am 19. September 1910 in Neuwied, Vortrag Gustav Havenstein zum Thema ,Der heutige Stand des ländlichen Genossenschaftswesens und seine Begleiterscheinungen‘, S. 5. Im Jahr 1866 erschien Raiffeisens ,Die Darlehnskassenvereine zur Abhilfe der Not der ländlichen Bevölkerung‘; zugleich lernten Raiffeisen und Thilmany sich kennen. 1867 beschloss die Generalversammlung des Landwirtschaftlichen Vereins, die „Gründung und Pflege der Darlehnskassenvereine nach dem System […] Raiffeisen […] als eine Vereinsangelegenheit zu betrachten und solche Vereine über den ganzen Vereinsbezirk zu organisieren“. 1868 wurde Raiffeisen als Beauftragter des Landwirtschaftlichen Vereins mit der Gründung weiterer Genossenschaften beauftragt und hierfür die Hilfsabteilung für das Darlehnskassenwesen eingerichtet. 1872 stellte der Landwirtschaftliche Verein einen Wanderlehrer ein, der ausschließlich für das Genossenschaftswesen zuständig war. 288 Landwirtschaftlicher Verein für Rheinpreußen: Festschrift, S. 230. Hier heißt es, Raiffeisen habe im Auftrag des Vereins die ersten Spar- und Darlehnskassen gegründet. Durch die Unterstützung des Landwirtschaftlichen Vereins, namentlich des Generalsekretärs Thilmany, sei es gelungen, über den näheren geografischen Umkreis Raiffeisens hinaus eine breite Öffentlichkeit zu erreichen. 289 Bericht über die Verhandlungen der 77. Generalversammlung des Landwirtschaftlichen Vereins für Rheinpreußen am 19. September 1910 in Neuwied. Vortrag Gustav Havenstein über ,Der heutige Stand des ländlichen Genossenschaftswesens und seine Begleiterscheinungen‘, S. 6. Als wertvoll ist sicherlich Raiffeisens Beziehung zum Fürsten Wilhelm von Wied zu betrachten, der Raiffeisen beziehungsweise die Verbreitung des Genossenschaftswesens protegierte. 290 Landwirtschaftlicher Verein für Rheinpreußen: Festschrift, S. 232. 291 Siehe hierzu auch LA Koblenz, 403/9182, Acta betreffend die Förderung der Landwirtschaft in der Rheinprovinz durch die landwirtschaftlichen Central-Vereine, S. 71, 3. Bericht der LocalAbteilung Bitburg, Genossenschaftswesen.

III. VOR DER GRÜNDUNG DER LÄNDLICHEN KREDITGENOSSENSCHAFTEN: GELDMARKT OHNE INTERMEDIÄRE? „Wer, der sonst einen oder zehn Thlr. übrig hatte, mochte Jemanden mit diesem Kapital belästigen, wenn er auch einen Mann wußte, der ihm den Gefallen gern that, die kleine Summe auf Zinsen zu nehmen. Der Thaler wurde einem Bekannten, der ihn gerade nöthig hatte, geliehen, natürlich ohne Zinsen – denn wer will von einem oder einigen Thalern Zinsen nehmen? – und kam entweder gar nicht oder nach vielen Umständen wieder in die Tasche des richtigen Eigenthümers zurück“.1 Wie diese Beschreibung des Wipperfürther Landrats aus dem Jahr 1856 veranschaulicht, blieben ländliche Regionen – das gilt gleichermaßen für den engeren Untersuchungsraum – in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit formellen Finanzintermediären unversorgt, wodurch sowohl das Leihen von Geld als auch die Anlage von Geld erheblich erschwert wurde. 1. BESITZ, SCHULDEN, EINKOMMEN UND KAPITALBEDARF Die Kapitalmangelthese ist, wie bereits angerissen, seit Knut Borchardts ,Zur Frage des Kapitalmangels in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts‘ ohne Weiteres nicht mehr haltbar.2 Wie Eckard Schremmers Untersuchung bäuerlicher Haushalte in einem württembergischen Realteilungsgebiet zwischen 1820 und 1870 zeigte, bildeten die Haushalte bei traditionell bedingt konstantem Konsum, steigendem Bruttoeinkommen und gleichzeitiger Degression der Belastungen Kapital, welches allerdings in der Regel in den ‚Sparstrumpf‘ wanderte und damit nicht exakt quantifizierbar ist.3 Auch Friedrich-Wilhelm Henning kam 1971 zu ähnlichen Ergebnissen.4 Generalisierungen dieser Ergebnisse sind jedoch aufgrund der Heterogenität der deutschen Landwirtschaft nicht zulässig: Eine überregionale Aussage über Einkommen, Konsum- und Sparverhalten sowie Kapitalbedarf ist nicht möglich.5 Die landwirtschaftlichen Einkommen waren langfristig nicht nur von den naturräumlichen Gegebenheiten und den agrarpolitischen Rahmenbedingungen abhängig, sondern auch jahreszeitenabhängig und von kurzfristigen Wettereinbrüchen bestimmt. Sowohl die Einnahmen als auch die Ausgaben, etwa für Saatgut, Löhne 1 2 3 4 5

LA NRW Düsseldorf, LA Wipperfürth Nr. 129, S. 96, Wipperfürther Kreis-Intelligenz-Blatt vom 26. Juli 1856. Borchardt: Frage, S. 401–421; die Argumentation folgt ab hier zunächst dem Aufsatz Winkel: Kapitalbildung, S. 45–56. Schremmer: Agrareinkommen, S. 196–240. Henning: Kapitalbildungsmöglichkeiten, S. 57–81. Winkel: Kapitalbildung, S. 49, 53.

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III. Vor der Gründung der ländlichen Kreditgenossenschaften

und Dienstleistungen, wurden dadurch zumindest zu Teilen determiniert. Der bäuerliche Arbeitskalender spiegelte sich später auch in den Einzahlungen und Abhebungen bei den Sparkassen und ländlichen Kreditgenossenschaften wider.6 Einnahmen und Ausgaben veränderten sich darüber hinaus lebenszyklusbedingt. Die meisten landwirtschaftlichen Betriebe in den Kreisen Gummersbach, Waldbröl und Wipperfürth dürften während des Untersuchungszeitraumes Mischbetriebe geblieben sein, mit jeweils lokalbedingt unterschiedlicher Schwerpunktsetzung. Dies diente nicht nur der Risikodiversifikation, sondern war aufgrund der vielfach geringen Betriebsgrößen und mangelnder Intensivierung des landwirtschaftlichen Betriebs notwendig, um die Existenz der Familien zu sichern. ‚Schulden machen‘ kann nicht mit Verschuldung gleichgesetzt werden: Es ist zu unterscheiden, ob ein Landwirt Kapital lieh, um seine zukünftige Situation auf diesem Wege zu verbessern, oder ob durch mangelnde Umsichtigkeit, im Rahmen von ex ante auf Fallieren ausgerichteten Kreditgeschäften (‚Wuchergeschäfte‘), kaum abwendbare Verschuldungen entstanden. In ersterem Fall nahm der Landwirt Darlehn auf, um Investitionen zu finanzieren und so den Wertzuwachs zu steigern. Der Kredit sollte im angemessenen Verhältnis zum Eigentum und zum Vermögen sowie zur Leistungskraft und Einkommenslage des Schuldners stehen. Die Verschuldung war demnach so lange nicht virulent, wie zugleich das Vermögensvolumen stieg. Die Verschuldung von Landwirten konnte aufgrund der starken Abhängigkeit der Landwirtschaft von der Natur ein „ausgesprochen plötzliches Phänomen“7 darstellen. Martin Hille warnt daher vor falschen Rückschlüssen aus stichprobenartigen Momentaufnahmen.8 Bereits für das 16. Jahrhundert können weitverzweigte reziproke Kreditbeziehungen im ländlichen Raum konstatiert werden. Andauernde Verschuldung entstand vielfach durch Ernteausfälle und Teuerungen, Arrondierung von Land zum Preis über dem Ertragswert etc., insbesondere jedoch in den Realteilungsgebieten aufgrund der Erbgewohnheiten beziehungsweise des Erbrechts. Wie bereits durch verschiedene Daten für den Untersuchungszeitraum belegt, wurde im Untersuchungsraum die Landwirtschaft in der Regel auf kleinem oder mittelgroßem Besitz betrieben. Mit dem Code Civil wurde die Teilbarkeit des Grundbesitzes nicht beschränkt, was auch in den Gemeinden Lindlar und Engelskirchen dazu geführt hatte, dass die Anzahl der Bauern, die im Verhältnis zu ihrem Ackerboden entsprechend Nutzvieh, das heißt die Gespannkraft von zwei Pferden, halten konnten, sehr gering war.9 In der Gemeinde Lindlar bestanden seither nur 6 7 8 9

Siehe etwa LA NRW Düsseldorf, LA Wipperfürth Nr. 158, S. 196–288, diverse Revisionsberichte der Sparkassen in Lindlar und Wipperfürth für die Jahre 1883 bis 1890, Aufstellungen über Einzahlungen und Rückforderungen. Hille: Gesellschaft, S. 219. Ebd. Vgl. Huck/Reulecke: Leben, S. 228 f. (Auszug aus Thomas C. Banfield: The Industry of the Rhine, Series I). Bereits seit 1807 wurden die Teilbarkeit des Bodens und die Erhaltung eines kräftigen Bauernstandes, das heißt auch die Teilbarkeitsbeschränkungen für Bauernhöfe, in den Debatten um die preußische Agrargesetzgebung diskutiert. Das rheinische Recht beschränkte in keiner Wiese die Teilbarkeit des Grundbesitzes. In Folge des westfälischen Gesetzes über die bäuerliche Erbfolge in der Provinz Westfalen wurde in der Rheinprovinz durch den Regierungspräsidenten eine entsprechende Anfrage an die Lokalverwaltungen herausgegeben; vgl.

1. Besitz, Schulden, Einkommen und Kapitalbedarf

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drei und in der Gemeinde Engelskirchen gar keine solchen Vollbauernstellen mehr.10 Nach Aussagen von „verständigen Ackerwirtschaften“11 waren jedoch mindestens eine Ackerfläche von 80 Morgen Voraussetzung, um zwei Pferde halten zu können. Neben diesen Vollbauern gab es noch so genannte Halbspanner, „Ackerleute welche eine Anspannung von einer Pferdekraft oder weniger halten“12 konnten. Von diesen Halbspanner-Höfen bestanden in der Gemeinde Lindlar 198, in der Gemeinde Engelskirchen 73. Daneben existierte noch eine nicht unwesentlich große Gruppe Bauern, die zwar Grund besaßen, jedoch „gar keine Anspannung halten“13 konnten. Auch wenn man immer wieder auf die Bezeichnung ,Handbebauer‘ stößt, kultivierte diese Gruppe Bauern ihren Boden zwar nicht ausschließlich mit den Händen, konnte aber in der Regel die für die Aussaat und Ernte „unumgänglich nöthige Gespannkraft nur im Tagelohne halten“.14 Diese Bauern produzierten hauptsächlich Kartoffeln, etwas Roggen und Hafer; einige wenige hielten Kühe und verkauften zum Beispiel selbst hergestellte Butter.15 Der Anbau von KarRouette: Bauer, S. 109–138; siehe auch Sering: Vererbung, S. 99 ff.; siehe insbesondere LA NRW Düsseldorf, LA Wipperfürth Nr. 245, Königliche Kreis-Behörde Wipperfürth, Allgemeine Verwaltung, Acta betreffend die Höheren Orts beabsichtigte Beschränkung der Zerstückelung bäuerlicher Grundstücke, 1837–1926, Schreiben des Bürgermeisters von Lindlar und Engelskirchen, 7. September 1837, betreffend die beabsichtigte Beschränkung der Boden-Zerstückelung, S. 38; vgl. Kraus: Landwirtschaft. 10 LA NRW Düsseldorf, LA Wipperfürth Nr. 245, Schreiben des Bürgermeisteramts von Lindlar und Engelskirchen, 7. September 1837, betreffend die beabsichtigte Beschränkung der BodenZerstückelung, S. 38; ebd., S. 37; LA NRW Düsseldorf, LA Wipperfürth Nr. 245, Schreiben der Bürgermeister von Wipperfürth und Klüppelberg (Lindlar) an den Landrat betreffend Zerstückelung der bäuerlichen Grundstücke, 23 Februar 1854, S. 79. 1854: Klüppelberg (Lindlar): 19.400 Parzellen. Durchschnittlich war jede Parzelle 20 Ruten groß. Die Form der Parzellen war verschiedenartig; regelmäßige Quadrate waren jedoch selten. In der Regel hatten die Parzellen die Form von Dreiecken, Streifen oder Trapezen. Die Größe der Parzelle gibt freilich keine Auskunft über die Boden- beziehungsweise Ertragsqualität; Henning: Industrialisierung, S. 155. Vollbauernstellen sind dörfliche „Stätten mit einer Landnutzungsmöglichkeit, die ausreichte, um eine Familie zu versorgen“, deren Verbreitungsgrad regional und diachron unterschiedlich war. Vgl. Becker: Untersuchungen, Textteil, S. 337. Ein rheinischer Morgen entsprach einer quadratischen Fläche mit einer Seitenlänge von 56,32 Metern und wurde eingeteilt in vier Viertel beziehungsweise in 150 Quadratruten zu 16 Quadratfuß. Ein rheinischer Morgen entsprach 1,242 preußischen Morgen. 11 LA NRW Düsseldorf, LA Wipperfürth Nr. 245, Königliche Kreis-Behörde Wipperfürth, Allgemeine Verwaltung, Acta betreffend die Höheren Orts beabsichtigte Beschränkung der Zerstückelung bäuerlicher Grundstücke, 1837–1926, Schreiben des Bürgermeisteramts von Lindlar und Engelskirchen, 7. September 1837, betreffend die beabsichtigte Beschränkung der BodenZerstückelung, S. 38. 12 Ebd. In diese Kategorie fielen die Landwirte, die wenigstens zwölf Morgen Ackerland kultivierten oder mindestens 40 Morgen Gemischtwirtschaft besaßen. Zur nutzbaren Haltung eines Pferdes waren dem Bericht nach mindestens 40 Morgen notwendig, zur Haltung eines anderen Zugtieres, etwa eines Ochsen oder einer Kuh, zusätzlich mindestens zwölf Morgen. 13 Ebd., S. 39 verso. Die Anzahl dieser ,Handbebauer‘-Höfe belief sich in der Bürgermeisterei Lindlar auf 426, in Engelskirchen auf 445. 14 Ebd., S. 38; vgl. ferner Kocka: Stand, S. 88. 15 Huck/Reulecke: Leben, S. 228 f. (Auszug aus Thomas C. Banfield: The Industry of the Rhine, Series I).

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toffeln sowie die Bewirtschaftung von Gärten und das Suchen ökonomischer Nischen war vor allem Strategie der kleineren landwirtschaftlichen Haushalte. Dies kann zugleich als eine Teilmodernisierung betrachtet werden, die sowohl aus der „Dynamik der sozialen Differenzierung in der ländlichen Gesellschaft“16 hervorging als auch diese wiederum akzelerierte. Um Geldeinkommen aus der Vermarktung von Butter, Eiern, Obst etc. zu ziehen, war die Subsistenzdeckung unvermeidbare Voraussetzung. Der Erlös wurde in vielen Regionen als Überschuss zum Kauf von Luxusgütern verwendet.17 Im engeren Untersuchungsraum hingegen wurden unter Aufgabe der unverminderten Subsistenzproduktion Gelderlöse zum Bezahlen von Steuern und Schulden verwendet. Mehr als jeder fünfte Hof der HandbebauerKategorie war (hypothekarisch) verschuldet. Nichtagrarische Nebentätigkeiten dienten demnach der Existenzsicherung, nicht zur Finanzierung zusätzlichen Bedarfs. Die Teilung des Grundbesitzes war um 1840 bereits so weit fortgeschritten, dass eine rein landwirtschaftliche Existenz für viele Bauern kaum mehr möglich war.18 Diese Zerstückelung von Grund und Boden resultierte vor allem aus den tradierten Erbgewohnheiten beziehungsweise aus dem Erbrecht:19 Das Bergische Land war teils Realteilungsgebiet (das heißt alle Kinder, sowohl männliche als auch weibliche, erbten zu gleichen Teilen), teils „Übergangsgebiet“20 zwischen Realteilung und der geschlossenen Hofübergabe (Anerbenrecht). Zum Übergangsgebiet zählten unter anderem die (Stadt-) Kreise Elberfeld, Barmen, Lennep, Solingen, Mettmann und Wipperfürth, zu den Realteilungsgebieten gehörten die Kreise Mülheim (Rhein), Gummersbach, Waldbröl und Siegburg.21 Bereits für das 16. Jahrhundert finden sich Quellen, welche die Realteilung bezeugen und ausführlich die Praxis beschreiben.22 Praktisch erfolgte die Realteilung oftmals durch gegenseiti16 17 18

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Zimmermann: Traditionalismus, S. 238. Zum Wandel der Binnendifferenzierung der ländlichen Bevölkerung siehe auch Henning: Landwirtschaft, S. 63–72, 158–160. Zimmermann: Traditionalismus, S. 226. LA NRW Düsseldorf, LA Wipperfürth Nr. 245, Königliche Kreis-Behörde Wipperfürth, Allgemeine Verwaltung, Acta betreffend die Höheren Orts beabsichtigte Beschränkung der Zerstückelung bäuerlicher Grundstücke, 1837–1926, Bürgermeisteramt von Lindlar und Engelskirchen, 7. September 1837, Schreiben betreffend die beabsichtigte Beschränkung der BodenZerstückelung, S. 39; vgl. ebd., Schreiben der Bürgermeister von Wipperfürth und Klüppelberg (Lindlar) an den Landrat betreffend Zerstückelung der bäuerlichen Grundstücke, 23. Februar 1854, S. 78 [81a]; siehe auch Behnke: Entwickelung, S. 20 f. Ebd., Bürgermeisteramt von Lindlar und Engelskirchen, 7. September 1837, Schreiben betreffend die beabsichtigte Beschränkung der Boden-Zerstückelung, S. 41; zum Erbrecht des Code Civil siehe Sering: Vererbung, Bd. 1, 1899, S. 6–9. Sering: Vererbung, S. 26. Zweckdienlich und umfangreich untersuchte erstmals Max Sering im Auftrag des Königlichen Ministeriums für Landwirtschaft, Domänen und Forsten die Vererbung des ländlichen Grundbesitzes im Königreich Preußen; Sering: Vererbung, S. 38 f., 44 ff. Siehe hierzu ausführlich Steinbach: Beiträge, S. 38–53; vgl. auch Bauer: Gesellschaft, S. 62– 94. Bauer beschreibt hier sehr anschaulich und auf der Basis eines breiten Quellenstudiums die Praktiken und Folgen der Realteilung im Hunsrück. Die relative Verfügungsfreiheit über Grund und Boden war nur möglich, da sich – und diese Handlungsfreiheit bildete ein regionales Spezifikum im Westen und Südwesten Deutschlands – die grundherrlichen Verbindungen bereits

1. Besitz, Schulden, Einkommen und Kapitalbedarf

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gen Verkauf der jeweiligen Erbteile unter den Erben, was dazu führte, dass Bauern unter anderem in den Gemeinden Olpe, Wipperfürth, Lindlar, Hohkeppel, Kürten und Bechen (alle Kreis Wipperfürth) bereits im 16. Jahrhundert stark verschuldet waren.23 Die folgenden Beispiele zeigen nicht nur die Erbpraktiken und die Folgen der Realteilung auf, sondern veranschaulichen zugleich die Problematik infolge fehlender formeller Kreditgeber. Unter anderem in Engelskirchen, Kürten, Klüppelberg und Lindlar, wo rein ländlicher Grundbesitz vorherrschte,24 kam das RealteilungsIntestaterbrecht zur Anwendung.25 Kleinere Güter waren durchschnittlich rund 5.000 bis 10.000 Mark wert, vereinzelt gab es auch Güter im Wert von bis zu 30.000 Mark.26 Der Nachlass wurde ‚real‘ geteilt, und entweder übernahm eines der Geschwister das elterliche Ackergut oder dieses wurde an mehrere Geschwister übertragen, die das Gut dann gemeinschaftlich bewirtschafteten.27 In allen anderen Fällen, wo nur ein Erbe den Hof übernahm, wurden die Geschwister mit Bargeld, vielfach auch nur per Schuldschein, ausbezahlt. Da jedoch der Nachlass in der Regel nur den Hof und das Inventar umfasste und selten Bargeld oder andere Vermögen, musste der Erbe, der den Hof übernahm, meist größere Darlehn unter Stellung eines Unterpfandes aufnehmen, um die Ansprüche der Miterben befriedigen zu können. Die Vererbung per Testament oder Erbvertrag zu Lebzeiten wurde nicht praktiziert. In den Gemeinden Gimborn, Marienheide und Lieberhausen (Kreis Gummersbach) wurde der Besitz meist bereits zu Lebzeiten der Eltern aufgeteilt und dann nach dem Tod der Eltern zu jeweils gleichen Teilen an die Kinder vererbt. Traditionell bewerteten sachkundige Nachbarn das Anwesen und nahmen eine entsprechende Aufteilung vor. Die einzelnen Anteile wurden dann unter den Kindern ausgelost.28 Diese Form der Vererbung und Verteilung blieb vor allem in den weniger industrialisierten Gebieten die Regel. In stärker industrialisierten Gebieten des Oberbergischen (zum Beispiel im Aggertal) war der Bauer, da fremde Arbeitskraft in der Regel zu teuer war, stärker auf die Mithilfe eines seiner Kinder angewiesen, auf welches oftmals noch zu Lebzeiten des Eigentümers der Hof übertragen wurde

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seit dem 16. Jahrhundert zunehmend auflösten. Ein vielfach zitiertes Beispiel zu Bodentransaktionen im 18. und 19. Jahrhundert stellt hier die sowohl quantifizierende als auch qualitative Aussagen liefernde Studie von David Sabean über Neckarhausen in Württemberg dar. Siehe Sabean: Property; Brakensiek: Grund, S. 273. Steinbach: Beiträge, S. 41. Sering: Vererbung, S. 38. LA NRW Düsseldorf, LA Wipperfürth Nr. 245, Königliche Kreis-Behörde Wipperfürth, Allgemeine Verwaltung, Acta betreffend die Höheren Orts beabsichtigte Beschränkung der Zerstückelung bäuerlicher Grundstücke, 1837–1926, S. 167; LA NRW Düsseldorf, LA Wipperfürth Nr. 245, Schreiben des Bürgermeisters von Cürten, 31. Juli 1894; LA NRW Düsseldorf, LA Wipperfürth Nr. 245, Schreiben des Bürgermeisters von Klüppelberg, 26. Juli 1894; LA NRW Düsseldorf, LA Wipperfürth Nr. 245, Schreiben des Bürgermeisters von Lindlar, 1. August 1894. Sering: Vererbung, S. 39. Siehe Steinbach: Beiträge, S. 16 f.; siehe hierzu auch Bauer: Gesellschaft, S. 72–89, 409–412. Brinkmann/Müller-Miny: Oberbergische Kreis, S. 195 f.; siehe auch Becker: Untersuchungen, Karte 17 ,Die Teilung des Besitzes der Eheleute Peter Müller und Catharina geb. Linden, Oberselbach (nach dem Teilungsplan vom 10. Mai 1861 und der Katasterkarte 1895)‘.

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oder das den Hof der Eltern kaufte, die dann wiederum vom Kaufzins ihren Unterhalt finanzierten beziehungsweise allen Kindern den Kaufpreis zu gleichen Teilen als Erbe hinterließen („vollversilberte Vererbung“).29 Auch in Wipperfürth kam in den 1890er-Jahren das Intestaterbrecht lediglich vereinzelt zur Anwendung, da in den meisten Fällen bereits zu Lebzeiten des Erblassers bestimmt wurde, welches Kind den Grundbesitz erhielt.30 Ähnliches galt für Wipperfeld, wo nach dem Tod des Gutseigentümers der gesamte Nachlass lebenden und toten Inventars zu gleichen Teilen an alle Kinder ging, die dann den Hof entweder auf gemeinsame Rechnung weiter bewirtschafteten oder ihn untereinander oder an einen Dritten versteigerten.31 Die Gegend um Wipperfürth gehörte aufgrund dessen zu denjenigen Gebieten des Oberbergischen, in welchen der Grundbesitz bei Vererbung selten geteilt, sondern vorwiegend geschlossen an einen Erben übertragen wurde und die übrigen Erbberechtigten ausgezahlt wurden. Bei der Berechnung der Abwilligungssumme blieb die Erhaltung der Leistungsfähigkeit vielfach unberücksichtigt, sodass derjenige, der den Hof übernahm, nicht selten mit rund 7/12 des Wertes des Grundbesitzes verschuldet war.32 Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die Realteilung beziehungsweise die unbeschränkte Naturalteilung des Code Civil (Art. 826)33 drei Probleme nach sich zog: (1.) Durch die Teilung des gesamten Grundbesitzes des Erblassers wurden oftmals auch einzelne Parzellen zerkleinert, sodass Zwergparzellen entstanden, die eine Subsistenzwirtschaft nicht mehr ermöglichten und damit auch eine Produktion für den Markt nicht zuließen, (2.) Die Parzellen wurden öffentlich, das heißt an Nachbarn oder (auswärtige) Händler verkauft, was die landwirtschaftliche Nutzfläche des Einzelnen weiter zergliederte, wodurch Streubesitz entstand (dieser schränkt die Fruchtfolge ein, erschwert die Pflege der Feldwege, behindert die Durchsetzung technischer Modernisierung etc.34), (3.) das Arrondieren von 29 30

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Padtberg: Wirtschaftsgeschichte, S. 221; vgl. Sabean: Property, S. 300–320; siehe auch Fastenmayer: Hofübergabe; Bauer: Gesellschaft, S. 68–72. LA NRW Düsseldorf, LA Wipperfürth Nr. 245, Königliche Kreis-Behörde Wipperfürth, Allgemeine Verwaltung, Acta betreffend die Höheren Orts beabsichtigte Beschränkung der Zerstückelung bäuerlicher Grundstücke, 1837–1926, Schreiben des Bürgermeisters von Wipperfürth, 14. Juli 1894, S. 162. Ebd., S. 166. Solche Entscheidungen hingen nicht nur vom Ertrag des Hofes, sondern vielfach auch vom Stadium des Lebenszyklus der Erben ab. Siehe hierzu zum Beispiel Bracht/Fertig: Vermögensstrategien. Angabe für Wipperfeld, 1894; LA NRW Düsseldorf, LA Wipperfürth Nr. 245, Königliche Kreis-Behörde Wipperfürth, Allgemeine Verwaltung, Acta betreffend die Höheren Orts beabsichtigte Beschränkung der Zerstückelung bäuerlicher Grundstücke, 1837–1926, Schreiben des Landrates in Wipperfürth an den Regierungspräsidenten, 23. April 1898, S. 245. „Jeder Miterbe kann seinen Anteil an Fahrnis und Liegenschaft […] in Natur verlangen.“ Das Gesetz betreffend das Teilungsverfahren und den gerichtlichen Verkauf von Immobilien im Geltungsbereich des Rheinischen Rechts (22. Mai 1887) zit. n. Sering: Vererbung, S. 6 f. LA NRW Düsseldorf, LA Wipperfürth Nr. 245, Königliche Kreis-Behörde Wipperfürth, Allgemeine Verwaltung, Acta betreffend die Höheren Orts beabsichtigte Beschränkung der Zerstückelung bäuerlicher Grundstücke, 1837–1926, Bürgermeisteramt von Lindlar und Engelskirchen, 7. September 1837, Schreiben betreffend die beabsichtigte Beschränkung der BodenZerstückelung, S. 41.

1. Besitz, Schulden, Einkommen und Kapitalbedarf

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Land führte nicht nur zu entsprechend ausgerichtetem Heiratsverhalten, sondern auch zu hohen Bodenpreisen, die in keinem Verhältnis zum wirklichen Ertragswert des Bodens standen, was wiederum die Verschuldung verstärkte.35 In industrialisierten oder städtischen Gebieten wirkte sich die Realteilung weit weniger drastisch aus, da Zwergparzellen in der Regel im Nebenerwerb betrieben wurden, während das Haupteinkommen in Handel, Handwerk oder Industrie erwirtschaftet wurde.36 Die meisten Landwirte waren dennoch Eigentümer sowohl der Wirtschaftsgebäude als auch der Äcker und Weiden. Viele pachteten jedoch auch Land hinzu. Die Verpächter waren in der Regel selbst Landwirte. In der Rheinprovinz war der Anteil des Pachtlandes an der landwirtschaftlich genutzten Fläche weit höher als im preußischen Durchschnitt. Dies resultierte aus der Besitzstruktur, wonach zahlreiche Besitzungen dem Adel, der Kirche und später auch unter anderem den Kommunen gehört hatten.37 Anders als etwa im Trierer Raum war im Oberbergischen das ‚Wucherproblem‘ offensichtlich verhältnismäßig gering; Geldleihe gegen Schuldschein innerhalb der Verwandtschaft jedoch weit verbreitet. Jüdische Wucherer spielten im Oberbergischen „niemals eine Rolle“38 respektive eine untergeordnete. Mehrere Studien weisen darauf hin, dass Juden im Bergischen Anfang des 19. Jahrhunderts keinen Wuchergeschäften nachgingen: Auf eine Anfrage des Innenministeriums der Französischen Verwaltung hinsichtlich der jüdischen Einwohner und ihrer Erwerbstätigkeit 1809 antwortete etwa der Nümbrechter Maire, dass es in Nümbrecht an Gelegenheiten zu starkem Wucher mangele. Und auch die Marienberghausener Verwaltung rapportierte, dass die dort ansässigen Juden keinen Wucher betrieben; „Umherziehende Juden“ habe man „seither nicht gesehen“.39 Die grundsätzliche „Deklassierung“40 und Stigmatisierung der Juden und die mit Wuchergeschäften verbundenen juristischen und reputationsschädigenden Folgen schlossen diese Geschäfte offensichtlich bereits aus. In der Gemeinde Olpe (Kreis Wipperfürth) etwa war Kapital von auswärtigen Gläubigern ebenfalls wenig bedeutsam. Darlehnsgeber mit Wohnsitz in Blankenberg, Köln oder Wipperfürth waren hier in der Regel abgewanderte Verwandte des Gläubigers.41 Für den Kreis Wipperfürth tragen für 35

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Sering: Vererbung, S. 118 f.; Steinbach: Beiträge, S. 49 ff. Im Oberbergischen kam es durchaus vor, dass der Bauer die Magd heiratete, da sie selbst Land besaß, oder aber, dass Knecht und Magd vermögender waren als der Hofinhaber selbst. Vgl. Kocka: Stand, S. 91; siehe auch Brakensiek: Grund, S. 273, 275; Bauer: Gesellschaft, S. 72–76. Sering: Vererbung, S. 119. Im Jahr 1837 betrug in Lindlar und Engelskirchen der Pachtzins vier Prozent des Kaufwertes, wobei auch hier gilt, dass der Pachtpreis von Angebot und Nachfrage bestimmt war. Siehe LA NRW Düsseldorf, LA Wipperfürth Nr. 245, Königliche Kreis-Behörde Wipperfürth, Allgemeine Verwaltung, Acta betreffend die Höheren Orts beabsichtigte Beschränkung der Zerstückelung bäuerlicher Grundstücke, 1837–1926, Bürgermeisteramt von Lindlar und Engelskirchen, 7. September 1837, Schreiben betreffend die beabsichtigte Beschränkung der BodenZerstückelung, S. 41; vgl. Müller: Landwirtschaft, 1930. Steinbach: Beiträge, S. 40. Zit. n. Corbach: Juden, S. 154. Ebd., S. 153. Steinbach: Beiträge, S. 40.

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III. Vor der Gründung der ländlichen Kreditgenossenschaften

die geringe Verbreitung auswärtigen Kapitals zwei Aspekte zur Erklärung bei: Einerseits wurde der Kreis nur unzureichend, etwa durch Kleinbahnen für den Personenverkehr, erschlossen, andererseits deuten die hohe Nebenerwerbstätigkeit sowie die hohen Abwanderungsquoten insbesondere aus den Höhengebieten auf eine partielle Armut hin, die Geschäfte für ‚Wucherer‘ als wenig effizient erscheinen ließen. Wenn der ‚Ackerer‘ nur auf dem Wege, direkt Geld bei einem „Kapitalisten“42 zu leihen, ein Darlehn erhalten konnte, so ergaben sich, auch für sichere Schuldner, bei denen der „Gläubiger kein Risiko für Kapital und Zinsen“43 tragen musste, insbesondere drei Gruppen von Missständen: Erstens fand der Darlehnssucher eventuell nicht genau dann, wenn er Bedarf hatte, einen Darlehnsgeber beziehungsweise waren die Suchkosten enorm hoch. Zweitens waren die Zinsen unverhältnismäßig hoch, zum einen aufgrund der fehlenden Konkurrenz, zum anderen aufgrund der hohen Unsicherheiten. Drittens waren die Darlehn, die sie bei Einzelpersonen erhielten, Darlehn mit einer festen Laufzeit, die häufig gar nicht dem Bedarf und der Rückzahlungsfähigkeit des Schuldners entsprachen. Zudem waren die Darlehn jederzeit kündbar. Welche Möglichkeiten gab es bereits zu Beginn des Untersuchungszeitraumes in den Kreisen Gummersbach, Waldbröl und Wipperfürth, Geld zu leihen beziehungsweise Geld verzinslich anzulegen? Abgesehen von der Geldleihe innerhalb der Familie, Verwandtschaft oder Nachbarschaft oder bei ‚Wucherern‘ gab es bis Anfang der 1850er-Jahre keine institutionellen Finanzintermediäre im Untersuchungsraum, die diese Funktion hätten übernehmen können. 2. ENTSTEHUNG UND ENTWICKLUNG DER KOMMUNALEN SPARKASSEN Statuarisch lag der Schwerpunkt der Geschäftstätigkeit der Sparkassen auf dem Passivgeschäft – dies war zugleich ihr Gründungszweck. Um jedoch die Sparbeträge entsprechend verzinsen und die Verwaltungskosten decken zu können, verliehen die Sparkassen überschüssige Gelder – auf der Grundlage der Bestimmungen des Reglements von 1838 und eines Erlasses vom 13. September 1844 – gegen entsprechende Sicherheit.44 Besondere Bedeutung kam hierbei dem Kommunalkredit zu, aber auch Privatpersonen erhielten Darlehn: Wie die Wipperfürther Sparkasse, so vergab auch die Sparkasse Lindlar bereits seit ihrer Gründung Darlehn an Einwohner aus dem Geschäftsbezirk. Die Spareinlagen wurden auf Gemeindeobligationen der Bürgermeisterei Lindlar, gegen Handschein (Schuldschein), entweder unter Verpfändung von Obligationen oder preußischen Staatspapieren oder unter Stellung eines selbstschuldnerischen Bürgen, auf zwei Jahre und über maximal 200 42 43 44

Landwirtschaftlicher Kredit, in: Meyers Konversationslexikon, S. 487 (online; zuletzt abgerufen am16. Januar 2011). Ebd. Zum Aktivgeschäft der rheinischen Sparkassen siehe Pohl: Sparkassen, S. 53–57; siehe auch Pix: Personalkredit, S. 17–46.

2. Entstehung und Entwicklung der kommunalen Sparkassen

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Thaler ausgeliehen (§ 19 des Statuts).45 Die Sparkasse Wipperfürth hatte im Jahr 1856 Darlehn gegen Handscheine (offensichtlich als reine Personalkredite ohne zusätzliche Bürgen) im Gesamtwert von 2.800 Thalern verliehen: Insgesamt 445 Thaler (1869: 43.113 Thaler) auf Schuldscheine mit Bürgschaft zwischen 20 und 50 Thalern, 805 Thaler gegen Schuldscheine von 51 bis 100 Thalern und 1.550 Thaler gegen Schuldscheine über 101 bis 200 Thaler. Lediglich 300 Thaler wurden gegen Hypothek verliehen.46 Die hier genannten Handschein-Darlehn waren bei einer sechswöchigen Kündigungsfrist gegen fünf Prozent Zinsen auf ein Jahr ausgegeben worden. Weitere Kosten, wie Provisionen, fielen nicht an. Jeder Reflektant hatte zwei Bürgen vorzubringen. Die Höchstgrenze für diese Darlehn belief sich auf 200 Thaler. Auf Wunsch des Darlehnsnehmers wurden die Beträge auch in mehreren Abschlagszahlungen ausgegeben.47 Die preußischen Sparkassen verfügten bereits im Jahr 1856 über eine Palette von ‚Kreditmodellen‘. Besondere Bedeutung kam hierbei – nicht nur im Untersuchungsraum – den Personalkrediten auf Bürgschaft zu. Dies weist zugleich auf eine zunehmende allgemeine Bankfunktion der Sparkassen bereits während der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hin.48 Auch die Kreis-Spar- und Darlehnskasse Waldbröl lieh Geld gegen Bürgschaft oder Hypothek (1889 zu viereinhalb Prozent) aus.49 Bei der Sparkasse Gummers45

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LA NRW Düsseldorf, LA Wipperfürth Nr. 90, S. 15–19, Statut der Gemeinde-Sparkasse für die Bürgermeisterei Lindlar, 20. August 1855, § 19; siehe ebd., S. 55–59, Statut der Sparkasse der Bürgermeisterei Lindlar, 9. Juli 1872, § 20: „Die eingelegten Gelder werden von der Verwaltung zinsbar ausgeliehen und zwar: (a) auf Gemeinde-Obligationen der Bürgermeisterei Lindlar […]; (b) auf Hypotheken von pupillarischer Sicherheit, welche ohne Abschätzung angenommen wird: Bei Gebäuden innerhalb der ersten Hälfte der Summe, wozu sie bei der Provinzial-Feuer-Societät versichert sind, und bei Grundstücken innerhalb des fünfzehnfachen Katastral-Reinertrages; (c) gegen Handscheine unter Verpfändung von Obligationen, welche in der unter b. angegebenen Weise hypothekarisch sichergestellt sind, oder unter Verpfändung von preußischen Staatspapieren, von Werthpapieren, denen der preußische Staat eine Erträgniß gewährleistet hat, von Schuldverschreibungen preußischer Staats- und Landschafts-Institute, von Schuldobligationen rheinischer Städte, welche auf den Inhaber lauten, und von PrioritätsObligationen solcher Eisenbahnen, rücksichtlich deren Actien der preußische Staat eine Zinsgarantie übernommen hat, jedoch nur innerhalb zwei Drittel ihres Courses, und (d) gegen Handscheine und Wechsel unter Stellung entsprechender Solidar-Bürgschaften bis zum Betrage von 500 Thalern, jedoch mit der Bedingung, daß die Anleiher in der jährlichs vom Gemeinderathe neu festzustellenden Bürgschaftsliste enthalten sein müssen. Verlängerungen dieser Darlehen über ein Jahr hinaus sind unter den nämlichen Bedingungen statthaft.“; siehe auch ebd., S. 65–71, Revidiertes Statut der Sparkasse der Bürgermeisterei Lindlar, 25. Juni 1890. Hier wurden die Regularien für Darlehn nochmals modifiziert; Pohl: Sparkassen, S. 80. Statut der Sparkasse Mülheim als typisches Beispiel für Passiv- und Aktivgeschäft. LA NRW Düsseldorf, LA Wipperfürth Nr. 129, S. 96, Wipperfürther Kreis-Intelligenz-Blatt vom 26. Juli 1856; LA NRW Düsseldorf, LA Wipperfürth Nr. 129, Wipperfürther Kreis-Intelligenz-Blatt vom 6. Januar 1858. Am 1. Januar 1958 waren 6.640 Thaler gegen Bürgschaft ausgeliehen (insgesamt 55 Darlehn: 13 unter 51 Thaler, 17 zwischen 51 und 100 Thaler, 25 zwischen 101 und 200 Thaler) und 300 Thaler gegen Hypothek. LA NRW Düsseldorf, LA Wipperfürth Nr. 129, Wipperfürther Kreis-Intelligenz-Blatt vom 26. Juli 1856. Pohl: Sparkassen, S. 56 f. Kreissparkasse Waldbröl: 125 Jahre, S. 30.

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III. Vor der Gründung der ländlichen Kreditgenossenschaften

bach wurden in den Anfangsjahren in der Regel Darlehn gegen Hypothek gewährt, wobei 100 Thaler meist nicht überschritten wurden – 1890 hatte die Sparkasse hingegen einen Hypothekarkredit von 45.000 Mark an einen Gummersbacher Textilfabrikanten ausgegeben, daneben höhere Kommunalkredite an die Stadt Gummersbach (70.000 Mark) und die Gemeinde Gimborn (10.000 Mark).50 Hieraus wird deutlich, dass es grundsätzlich möglich war, Darlehn auch über kleinere Beträge und gegen Schuldschein und Bürgschaft zu erhalten; weiter fraglich bleibt, inwieweit der tatsächliche Bedarf nach Krediten damit gedeckt wurde. Die erste Sparkasse im engeren Untersuchungsraum wurde 1848 in Denklingen gegründet, jedoch mit der Gründung der Kreissparkasse für den Kreis Waldbröl 1856 wieder aufgelöst.51 Die erste „Gründungswelle“52 im engeren Untersuchungsgebiet ist für Anfang der 1850er-Jahre zu konstatieren. Ihre Gründungen fallen in eine von der preußischen Regierung initiierte Gründungswelle, welche motiviert wurde durch die „Unterversorgung des ländlichen Raumes mit Angeboten des Kreditgewerbes“.53 Im Untersuchungsraum wurden also seit den 1850erJahren – wie vielerorts in Preußen auf Druck der preußischen Regierung – von den Kommunen getragene Sparkassen errichtet, die neben ihrem Gründungszweck, der Förderung des Sparsinns und verzinslichen Annahme von (kleinen) Kapitalien, grundsätzlich also auch Darlehn vergaben.54 Hans Pohl kommt zu dem Ergebnis, dass sich das Aktivgeschäft in kleinen Landkreisen besser realisieren ließ als in größeren, da sich hier die Überwachung der Gläubiger beziehungsweise die Überprüfung der Darlehnssuchenden durch den Rendanten aufgrund der räumlichen Entfernungen schwieriger gestaltete.55 Inwieweit die Einwohner der Kreise Gummersbach, Waldbröl und Wipperfürth die schon früher gegründeten Sparkassen in Elberfeld (gegründet 1822), Köln (1826), Solingen (1840), Barmen (1841) und Lennep (1841) oder Kölner Privatbanken für Spareinlagen nutzten, muss offen bleiben.56 Die Landbevölkerung des Bonner Umlandes etwa tätigte Spareinlagen bei den Sparkassen in Köln und Bonn, insbesondere bei der Bonner Sparkasse, da viele aus dem Umland kommende Einwohner in Bonn Produkte absetzten, Einkäufe und Rechtsgeschäfte abwickelten und damit den Gang zur Sparkasse verbanden. Zugleich ist aber auch bekannt, dass verschiedene Kreditgenossenschaften nicht existenzfähig waren, weil die Skepsis der potenziellen Einleger gegenüber diesen und anderen Bankinstituten groß war, sodass Kapitalien zur Kreditvergabe nicht herangezogen werden konnten.57 Die Pläne der Kölner Bezirksregierung, über den Regierungsbezirk Sparkassen durch die Kommunen errichten zu lassen, stieß Anfang der 1850er-Jahre auch im Ober50 51 52 53 54 55 56 57

Pomykaj/Woelke: Sparkasse, S. 15. Padtberg: Wirtschaftsgeschichte, S. 195. Pohl: Sparkassen, S. 79. Ebd. Ebd., S. 79 f. Ebd., S. 80. Das Aktivgeschäft erlangte vor allem in den Regierungsbezirken Aachen, Koblenz und Trier größere Bedeutung. Ebd., S. 39, Tab. 3 ,Sparkassen in der Rheinprovinz‘. Pohl nennt jeweils das Jahr der Eröffnung der Sparkassen. Poppelreuter: Sparwesen, S. 5.

2. Entstehung und Entwicklung der kommunalen Sparkassen

127

bergischen Raum vielfach auf Bedenken, wie sich insbesondere bei Gründungsversuchen zu einer Sparkasse für die Bürgermeisterei Engelskirchen zeigt.58 Das philantropisch-aufklärerische Ziel, die Erziehung der unteren Gesellschaftsschichten zu eigenverantwortlichem Sparen als „Chance zur Selbsthilfe“,59 wurde zwar erkannt, doch hatte man Bedenken hinsichtlich der Umsetzung, des Risikos sowie bezüglich der Sparfähigkeit und -willigkeit der potenziellen Sparkassenkunden: „Wer soll denn sparen und einlegen? Die Reichen? Die können ihr Geld in ihren Geschäften brauchen. Also die Tagelöhner, Handwerker, Fabrikarbeiter, Dienstboten und dergl. Leute? – Aber dafür sind es doch keine Zeiten“.60 Innerhalb von vier Jahren wurden in den Kreisen Gummersbach, Waldbröl und Wipperfürth insgesamt vier kommunale Sparkassen gegründet. Zunächst wurde die Sparkasse Gummersbach durch Beschluss des Stadtrates am 11. November 1852 errichtet.61 Als offizieller Gründungstag gilt der 1. Januar 1853.62 In den ersten Jahren befanden sich unter den Einlegern auch Personen aus den Nachbargemeinden Gimborn, Ründeroth und Wiehl. Obwohl das Statut lediglich die Gemeinde Gummersbach als Geschäftsbezirk vorsah, hatte die Sparkasse bald die Funktion einer Kreissparkasse. Damit erübrigte sich zunächst die Gründung weiterer Sparkassen.63 Im Kreis Wipperfürth erfolgte am 20. September 1853 die Gründung der Sparkasse in Wipperfürth. 1856 wurde mit der Sparkasse Lindlar eine weitere Sparkasse im Kreis Wipperfürth eingerichtet.64 Noch im Februar 1855 befürchtete auch der Lindlarer Gemeinderat, dass die Zahl der Einlagen so „geringfügig“65 sein würde, dass die Einrichtung einer Sparkasse „kaum der Mühe lohne“.66 Ein Erfolg könne sich nur einstellen, wenn man den direkten Kontakt zu den Arbeitgebern, etwa zur Steinhauergewerkschaft, suche und durch die Meister und Vorarbeiter für die Institute werben würde.67 Grundlage der Gründungen war das Reglement zur Errichtung von Sparkassen vom 12. Dezember 1838.68 Das Statut der Wipperfürther Sparkasse vom 2. März 1852 einschließlich aller zwischenzeitlich vorgenommenen Änderungen diente als Vorlage für das Statut der am 1. Februar 1856 eingerichteten Gemeindesparkasse für die Bürgermeisterei 58

59 60 61 62 63 64 65 66 67 68

Siehe hierzu insbesondere LA NRW Düsseldorf, LA Wipperfürth Nr. 101, S. 3, Schreiben des Bürgermeisters Heckmann an den Landrat Meersmann 29. März 1855; LA NRW Düsseldorf, LA Wipperfürth Nr. 101, S. 9, Schreiben des Landrates Nesselrode an die königl. Regierung in Köln betreffend die Errichtung einer Sparkasse in Engelskirchen, 12. Januar 1856. Pohl: Sparkassen, S. 31. LA NRW Düsseldorf, LA Wipperfürth Nr. 129, S. 96, Wipperfürther Kreis-Intelligenz-Blatt vom 26. Juli 1856. LA NRW Düsseldorf, LA Wipperfürth Nr. 129, S. 125 f., Übersicht, 7. Mai 1860. Pomykaj/Woelke: Sparkasse, S. 10 f., Genehmigung des Statuts durch den Oberpräsidenten der Rheinprovinz am 20. April 1852. Pomykaj/Woelke: Sparkasse, 2003, S. 12. Siehe unter anderem Rutt: Heimatchronik, S. 297–300; Kreissparkasse Köln: 125 Jahre. LA NRW Düsseldorf, LA Wipperfürth Nr. 90, S. 7, Auszug aus dem Protokoll der Gemeinderatssitzung vom 7. Februar 1855. Ebd. Ebd. Pohl: Sparkassen, S. 44–47, 75.

128

III. Vor der Gründung der ländlichen Kreditgenossenschaften

Lindlar.69 Da man in den Statuten die Geschäftsgebiete über die Gemeindegrenzen hinaus festlegte, also auch die nähere Umgebung der Gemeindebezirke eingeschlossen war, sollte der Kreis künftig flächendeckend mit Sparkassen versorgt sein: Die Einwohner der Gemeinde Klüppelberg konnten die Sparkasse zu Wipperfürth benutzen, die Einwohner von Olpe die Lindlarer Sparkasse. Am 23. März 1855 hatte der Gemeinderat die Errichtung einer Sparkasse mit Sitz in Lindlar (§ 6 des Status) genehmigt, für welche die Bürgermeisterei die Garantie (§ 2) übernahm und welche „der handarbeitenden Volksklasse dieser Gemeinde, und der näheren Umgegend“70 die Möglichkeit geben sollte, Ersparnisse gegen „Zinsen unterzubringen und zu Kapitalien anwachsen zu lassen, um diese zu beliebiger Zeit zurück empfangen zu können“71 (§ 1). Der Mindestbetrag für Spareinlagen betrug zehn Silbergroschen, der Maximalbetrag 100 Thaler. Die Zinsen wurden auf dreieinhalb Prozent per anno festgelegt (§ 9).72 Die Sparer erhielten ein kostenloses Quittungsbuch, das neben dem jeweils aktuellen Statut eine Zinstabelle enthielt. Nur vier Jahre nach der Gründung der Sparkasse zu Wipperfürth zog der Wipperfürther Bürgermeister Leonhardt bereits eine erste positive Bilanz: „So ist denn die Sparkasse aus einem schwachen Reise in der kurzen Zeit ihres Bestehens schon zu einem lebenskräftigen Baume erwachsen. Sie hat offenbar alle Erwartungen übertroffen“.73 Unter den Sparern waren insbesondere Tagelöhner und Fabrikarbeiter sowie Knechte und Mägde. Bis Juli 1856 stiegen die Spareinlagen plus Zinsen (31/2 Prozent, zuzüglich Prämien von 12/3 Prozent) auf 3.115 Thaler. Insgesamt 65 Quittungsbücher waren im Umlauf, damit entfielen auf einen Sparer durchschnittlich 47,93 Thaler.74 69

70 71 72 73 74

LA NRW Düsseldorf, LA Wipperfürth Nr. 90, S. 15–19, Statut der Gemeinde-Sparkasse für die Bürgermeisterei Lindlar, 20. August 1855; revidierte Statuten siehe ebd., S. 55–59, Statut der Sparkasse der Bürgermeisterei Lindlar, 9. Juli 1872; LA NRW Düsseldorf, LA Wipperfürth Nr. 90, S. 65–71, revidiertes Statut der Sparkasse der Bürgermeisterei Lindlar, 25. Juni 1890; siehe auch LA NRW Düsseldorf, LA Wipperfürth Nr. 158, S. 50–55; siehe auch LA NRW Düsseldorf, LA Wipperfürth Nr. 90, S. 8, Auszug aus dem Protokoll der Gemeinderatssitzung vom 23. März 1855; LA NRW Düsseldorf, LA Wipperfürth Nr. 129, S. 327–339, Statut der Sparkasse für die Bürgermeisterei Wipperfürth vom 2. März 1852 mit Nachträgen, 1887; Pohl: Sparkassen, S. 75. Bis 1906 existierten Mustersatzungen. LA NRW Düsseldorf, LA Wipperfürth Nr. 90, S. 15–19, Statut der Gemeinde-Sparkasse für die Bürgermeisterei Lindlar, 20. August 1855. Ebd. Ebd.; revidierte Statuten siehe LA NRW Düsseldorf, LA Wipperfürth Nr. 90, S. 55–59, Statut der Sparkasse der Bürgermeisterei Lindlar, 9. Juli 1872, § 12. Die Zinsen wurden auf vier Prozent erhöht. LA NRW Düsseldorf, LA Wipperfürth Nr. 129, S. 96, Wipperfürther Kreis-Intelligenz-Blatt vom 26. Juli 1856. Ebd.; LA NRW Düsseldorf, LA Wipperfürth Nr. 129, S. 96, Wipperfürther Kreis-IntelligenzBlatt vom 6. Januar 1858; LA NRW Düsseldorf, LA Wipperfürth Nr. 129, S. 181; LA NRW Düsseldorf, LA Wipperfürth Nr. 158, S. 156, Geschäftsbericht der Sparkasse Wipperfürth für 1885; zur Entwicklung des Passivgeschäftes der rheinischen Sparkassen siehe Pohl: Sparkassen, S. 48–53; zur Entwicklung der Sparkasse Gummersbach siehe Pomykaj/Woelke: Sparkasse; zur Entwicklung des Passivgeschäftes der Kreissparkasse Waldbröl siehe Kreissparkasse Waldbröl: 125 Jahre, S. 25 ff.

2. Entstehung und Entwicklung der kommunalen Sparkassen

129

Ohne das gewünschte Ergebnis blieben Bemühungen, eine Sparkasse in Engelskirchen zu eröffnen: Pläne, eine Sparkasse für die Bürgermeisterei Engelskirchen – in Anlehnung an das Statut der Sparkasse in Wipperfürth – einzurichten, und schließlich auch die Gründung einer Sparkasse mit auf die Gemeinde Engelskirchen begrenztem Geschäftsgebiet wurden im Jahr 1855 vonseiten der Verwaltung abgelehnt, obwohl sie zunächst „mit wahrer Freude begrüßt“75 und einstimmig beschlossen worden waren. Anders als in allen anderen Orten des engeren Untersuchungsraumes setzte man hier ausschließlich auf eine Betriebssparkasse der Firma Ermen & Engels. Bereits bei den Planungen zur Gründung einer kommunalen Sparkasse hatte man in Erwägung gezogen, die Einlagen wiederum bei achttägiger Kündigungsfrist bei der Firma Ermen & Engels verzinslich (fünf Prozent) anzulegen.76 Mit der Eröffnung der Sparkasse Lindlar für die Bürgermeisterei Lindlar und Umgebung war offensichtlich für die Einwohner der Bürgermeisterei Engelskirchen „hinlänglich Gelegenheit geboten“,77 Sparbeträge anzulegen.78 Seit Mitte der 1850er-Jahre bestand in Engelskirchen auch eine Sammelstelle der Sparkasse Lindlar, deren Leitung der Gemeinderendant übernahm. Die Sammelstelle entwickelte sich jedoch nur mäßig erfolgreich, da Einwohner der Bürgermeisterei Engelskirchen diese lediglich als Spar-, nicht jedoch als Darlehnskasse nutzen konnten. Dies war statuarisch nicht zugelassen und führte dazu, dass auch Einlagen kaum getätigt wurden.79 Erneute Bemühungen im Jahr 1883, eine Sparkasse, doch zumindest eine Sparkassenfiliale sowohl mit Passiv- als auch Aktivgeschäft in Engelskirchen zu gründen, blieben erneut mit dem Hinweis auf die Betriebssparkasse der Firma Ermen & Engels als auch auf den regelmäßigen und unkomplizierten Verkehr mit der Lindlarer Sparkasse ergebnislos.80 Bereits 1861 erweiterte der Gemeinderat das Geschäftsgebiet der Gemeindesparkasse Wipperfürth auch organisatorisch über die Grenzen der Bürgermeisterei hinaus auf die Bürgermeistereien Klüppelberg und Olpe. Es wurden Einzahlstellen in Klaswipper, Olpe, Delling und Wipperfürth eingerichtet (Rendanten: Pfarrer Hengstenberg zu Klaswipper, Pfarrer Lothmann zu Olpe, Pfarrer Fürmann zu Del75 76

77 78 79 80

LA NRW Düsseldorf, LA Wipperfürth Nr. 101, S. 3, Schreiben des Bürgermeisters Heckmann an den Landrat Meersmann, 29. März 1855. LA NRW Düsseldorf, LA Wipperfürth Nr. 90, Schreiben an die Königl. Regierung, Abt. Inneres, 31. März 1855; Ermen & Engels: 100 Jahre, S. 14. Im Jahr 1850 richtete die Firma eine Betriebskrankenkasse ein, an die angelehnt auch Sparbeträge verzinslich eingelegt werden konnten. Zu dieser Betriebssparkasse, die auf Einlagen fünf Prozent Zinsen zahlte, bestand (de jure) für Arbeiter kein Beitrittszwang. Siehe Schleper: Ermen & Engels, S. 46. LA NRW Düsseldorf, LA Wipperfürth Nr. 101, S. 9, Schreiben des Landrats Maximilian Graf von Nesselrode an die königl. Regierung in Köln betreffend die Errichtung einer Sparkasse in Engelskirchen, 12. Januar1856. Ebd.; LA NRW Düsseldorf, LA Wipperfürth Nr. 101, Schreiben der Königl. Regierung, Abt. Inneren, Cöln, an den Landrats-Amts-Verwalter von Nesselrode, 13. Februar 1856. Auf den Bericht Nesselrodes vom 12. Januar 1856. LA NRW Düsseldorf, LA Wipperfürth Nr. 90, S. 26, Schreiben des Landrats an den Lindlarer Bürgermeister Hofstadt, 7. September 1865. LA NRW Düsseldorf, LA Wipperfürth Nr. 158, Auszug aus dem Protokollbuch der Bürgermeisterei-Vertretung Engelskirchen vom 16. März 1883 bezüglich der Verfügung Nr. 116 vom 13. Januar 1883, die Errichtung einer Sparkasse betreffend.

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III. Vor der Gründung der ländlichen Kreditgenossenschaften

ling und Vikar Schmitz zu Wipperfürth), wo bis zu 20 Thaler eingezahlt werden konnten – ein Angebot, dass von den Kunden jedoch nicht angenommen wurde. Wer aus dem hiesigen Bezirk Geschäfte mit der Sparkasse zu machen hatte, begab sich „zu derselben eben so gerne wie zu einer Nebenstelle“,81 so der Wipperfürther Bürgermeister 1886, zumal die Entfernungen zur Hauptstelle gering seien. Zeitgleich mit der Ausweitung des Geschäftsbezirkes wurde der Zweck der Sparkasse ausgeweitet: „den Eingesessenen […], namentlich den Ackerwirthen, durch Darlehen diejenigen Betriebsmittel zugänglich zu machen, welche sie sich sonst oft nur schwer und unter lästigen Bedingungen verschaffen können, oder zu ihrem noch grösserem Schaden, zu verschaffen unterlassen“.82 Während die Beaufsichtigung der Kasse weiterhin bei der Stadtverordnetenversammlung Wipperfürth verblieb, wurden die Vertreter der Bürgermeistereien Klüppelberg und Olpe in die Verwaltung aufgenommen und zusätzlich „Lokal-Commissionen“83 gebildet (Nachtrag zu § 2), welche die Schuldscheine prüfen und über die Vergabe der Darlehn entscheiden sollten. Die Kommissionen bestanden jeweils aus den Bürgermeistern und drei Gemeindevertretern, die auf zwei Jahre gewählt wurden. Die Garantie der bewilligten Darlehn hatten jeweils die Bürgermeistereien zu tragen, die zur Absicherung separate Reservefonds bildeten. Bezüglich der Beschaffung von längerfristigen Krediten und der Umschuldung der zum Teil hochverschuldeten Grundbesitzer beschloss die Stadtverordnetenversammlung Wipperfürth 1867 die Einrichtung einer Schulden-Tilgungskasse als Abteilung der Gemeindesparkasse.84 Wie die Geschäftsergebnisse der Sparkasse Wipperfürth zeigen, vergab die Sparkasse weiterhin größere Summen als Darlehn gegen Bürgschaft, wie auch die folgende Tabelle zeigt.

81 82 83

84

LA NRW Düsseldorf, LA Wipperfürth Nr. 158, S. 175, Schreiben des Bürgermeister-Amtes Wipperfürth vom 21 Juli 1886 an das Landratsamt betreffend Kreditgewährung an kleinere Besitzer. LA NRW Düsseldorf, LA Wipperfürth Nr. 129, S. 327–339, Statut der Sparkasse für die Bürgermeisterei Wipperfürth vom 2. März 1852 mit Nachträgen, 1887, hier Nachtrag II vom 14. Januar 1861 (S. 332). Ebd.; Mitte der 1880er-Jahre wurde eine Vielzahl weiterer Änderungen des Statuts vorgenommen. Aufgrund der vielen Nachträge, die dem Statut angehängt waren, monierte die Bezirksregierung die Übersichtlichkeit und empfahl die Abfassung eines entsprechend revidierten Statutes. Siehe LA NRW Düsseldorf, LA Wipperfürth, S. 359 f., Schreiben der Bezirksregierung, 8. Juni 1889. LA NRW Düsseldorf, LA Wipperfürth Nr. 129, S. 183, Auszug aus dem Protokollbuch der Stadtverordnetenversammlung der Stadt Wipperfürth, verhandelt 19. Oktober 1874.

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2. Entstehung und Entwicklung der kommunalen Sparkassen

Tabelle 8: Aktivgeschäft der Sparkassen mit Sitz in Lindlar, Gummersbach, Waldbröl und Wipperfürth (1860–74) Angaben in ThalernI

Hypotheken auf städtische Grundstücke

Hypotheken auf ländliche Grundstücke

Schuld­ scheine gegen Bürgschaft

Faust­ pfand

Aus­ leihungen gesamtII

1860 Gummersbach

1.000

400

9.445

11.144

700

1.380

16.563

24.043

Lindlar

2.025

4.787

9.762

Waldbröl

1.562

5.242

Wipperfürth

400

8.204

1863 Gummersbach

1.000

400

9.999

12.548

Wipperfürth

1.405

1.270

32.198

900

35.773

Lindlar

1.600

13.572

625

15.797

Waldbröl

1.023

4.980

14.670

61.703

11.049

108.016

4.075

21.588

500

29.263

1.909

55.412

27.800

185.541

6.930

21.598

1.200

63.924

6.003

1872 Wipperfürth

4.760

Lindlar 1874 Wipperfürth Lindlar

7.605

I Ohne Silbergroschen und Pfennige. II Inklusive Ausleihungen gegen Hinterlegung von Wertpapieren etc. Quelle: LA NRW Düsseldorf, LA Wipperfürth Nr. 129, Statistik der Königlichen Regierung, Abteilung des Inneren über Sparkassen, 7. Mai 1860; LA Wipperfürth Nr. 129, Statistik der Königlichen Regierung, Abteilung des Inneren über Sparkassen, 13. Mai 1863; LA Wipperfürth Nr. 129, Aufstellung durch den Wipperfürther Landrat, Februar 1875.

Etwa 84 Prozent der ausgeliehenen Gelder bei der Sparkasse Gummersbach waren 1860 gegen Schuldschein mit Bürgschaft ausgeliehen, bei der Sparkasse Wipperfürth rund 69 Prozent und bei der Sparkasse Waldbröl etwa 63 Prozent. Bei der Sparkasse Lindlar war ungefähr die Hälfte der Ausleihungen durch Schuldscheine mit Bürgschaft gesichert. Die Verwaltung der Waldbröler Sparkasse gab an, dass im Kreis Waldbröl die „Verhältnisse des Kreises […] die überwiegende Ausleihung gegen Bürgschaft erforderlich“85 machten. Im Jahr 1872 waren es bei der Spar85

LA NRW Düsseldorf, LA Wipperfürth Nr. 129, Statistik der Königlichen Regierung, Abteilung des Inneren über Sparkassen, 7. Mai 1860; LA NRW Düsseldorf, LA Wipperfürth Nr. 129,

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III. Vor der Gründung der ländlichen Kreditgenossenschaften

kasse Lindlar 73,8 Prozent und bei der Sparkasse Wipperfürth 62,7 Prozent. Mit dem Erlass vom 23. Februar 1857 wurde es den Gemeindesparkassen grundsätzlich ermöglicht, Darlehn gegen Schuldschein oder gegen Bürgschaft zu vergeben.86 Bezüglich des Personalkredits lässt sich für das Rheinland kein einheitliches Bild zeichnen:87 Insgesamt waren im Jahr 1882 129.892 Mark gegen Schuldschein ohne Bürgschaft ausgeliehen, 1900 nur noch 14.500 Mark, davon lediglich 600 Mark im Regierungsbezirk Köln, was sich etwa auch mit den Ergebnissen für den Kreis Wipperfürth deckt.88 1873 forderte die Bezirksregierung die Sparkasse Wipperfürth auf, die Darlehn auf Handschein auf das vereinbarte Höchstmaß von zwei Dritteln des Gesamtbestandes der Spareinlagen zu reduzieren. Von dem bewilligten Kredit der Provinzialhilfskasse sollte lediglich „in besonderen Bedürfnisfällen“89 Gebrauch gemacht werden, das heißt wenn Spareinlagen außergewöhnlich stark zurückgezogen wurden, wenn die Deckungsmittel fielen, oder wenn bereits zwei Drittel der Einlagen auf Handschein ausgeliehen waren und „besonders dringliche Umstände“90 eintraten. Die vom Oberpräsidenten angeordnete Einschränkung von Darlehn gegen Handschein war unbedingt einzuhalten.91 Im Jahr 1874 waren schließlich nur noch 29,9 Prozent der ausgeliehenen Gelder gegen Schuldschein mit Bürgschaft ausgeliehen (Lindlar: 73,8 Prozent). Dem Jahresbericht der Sparkasse zu Wipperfürth von 1879 ist zu entnehmen, dass sich die Einlagen am 1. Januar 1879 auf 661.385,59 Mark und am 1. Januar 1880 auf 725.940,82 Mark beliefen. Die Zahl der Einleger war 1879 von 888 auf 918 Personen gestiegen. Am 1. Januar 1880 hatte die Sparkassen demgegenüber Außenstände von insgesamt 747.823,85 Mark, davon 214.717,50 Mark gegen Schuldschein mit Bürgschaft (28,7 Prozent), 9.761 Mark gegen Faustpfand und auf Hypothek 46.925 Mark sowie auf Hypothek mit Bürgschaft 127.880 Mark.92 Handscheine ohne Bürgschaft finden sich im Jahresbericht nicht – dies gilt gleichermaßen für die 1860er und 1870er-Jahre. 1885 waren rund 205.000 Mark gegen Schuldscheine mit Bürgschaft ausgeliehen, was nur noch 18,5 Prozent der Ausleihungen insgesamt ausmachte.93

86 87 88 89 90 91 92 93

Statistik der Königlichen Regierung, Abteilung des Inneren über Sparkassen, 13. Mai 1863; LA NRW Düsseldorf, LA Wipperfürth Nr. 129, Aufstellung durch den Wipperfürther Landrat, Februar 1875; LA NRW Düsseldorf, LA Wipperfürth Nr. 129, Statistik der Königlichen Regierung, Abteilung des Inneren über Sparkassen, 13. Mai 1863. Pix: Personalkredit, S. 32. Ebd., S. 29. Dieser Befund gilt nicht nur für die Rheinprovinz, sondern ist deutschlandweit zu konstatieren. Pohl: Sparkassen, S. 100 f. LA NRW Düsseldorf, LA Wipperfürth Nr. 129, S. 180 f., Schreiben der königl. Regierung, Abt. des Inneren, Cöln, an Landrat Freiherr von Fürstenberg, 14. Februar 1873. Ebd. Ebd. LA NRW Düsseldorf, LA Wipperfürth Nr. 129, Jahresbericht pro 1879 der Sparkasse zu Wipperfürth. LA NRW Düsseldorf, LA Wipperfürth Nr. 129, Nachweisung über den Geschäftsbetrieb und die Resultate der Gemeinde-Sparkasse zu Wipperfürth, Regierungsbezirk Cöln, für das Rechnungsjahr 1885. Einlagen am Schluss des Rechnungsjahres: 968.195,09 Mark; Hypotheken auf städtische Grundstücke: 111.205 Mark; Hypotheken auf ländliche Grundstücke: 95.140 Mark.

2. Entstehung und Entwicklung der kommunalen Sparkassen

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Damit bleibt zu fragen, inwieweit vielleicht gerade eine solche Entwicklung das Emporkommen der Kreditgenossenschaften begünstigte?94 Bis zu Beginn des Ersten Weltkrieges hatten die Sparkassen im ländlichen Raum im Hypothekargeschäft eine Monopolstellung.95 Im Jahr 1860 hatten die rheinischen Sparkassen 4.376.000 Mark ihres zinsbar angelegten Vermögens in Hypotheken und Grundschulden auf ländliche Grundstücke angelegt (1885: 43.723.000 Mark, 1915: 185.667 Mark).96 1886 vergab die Sparkasse Lindlar Darlehn auf Hypothek zu viereinhalb Prozent Zinsen bei jährlich einprozentiger Amortisation. Statt der notariellen Gebühr von fünf Viertel Prozent musste der Darlehnsnehmer lediglich ein Sechstel Prozent des Darlehnsbetrages in den Reservefonds einzahlen. Darlehn gegen Faustfonds-Hinterlegung oder Stellung eines „sicheren Bürgen“97 wurden zu fünf Prozent vergeben, weitere Kosten außer der Stempelgebühr fielen nicht an. Dennoch kamen, wie auch anderswo, die Sparkassen für viele Reflektanten nur bedingt als Institut für hypothekarische Darlehn auf ländlichen Grundbesitz in Frage, da die Beleihungsfähigkeit der Gebäude durch die Statuten normiert war. Um „für kleine verschuldete Bauern“98 jedoch tatsächlich nützlich zu sein, sollte nach Ansicht des Bürgermeisters eine Beleihung bis zu mindestens zwei Dritteln des Grundstückwertes möglich sein. In der Bürgermeisterei Lindlar waren die Gebäude jedoch nur knapp zur Hälfte des Versicherungswertes beliehen. Gleiche Schwierigkeiten, die Kreditbedürfnisse zu bedienen, schilderte der Wipperfürther Bürgermeister.99 Hier waren 1886 für viereinhalb und fünf Prozent Darlehn an „Ackerleute der Umgegend“100 in Summen zwischen zehn und 1.500 Mark gegeben worden. Zu gleichen Konditionen gab die Sparkasse 1887 rund 935.000 Mark als Darlehn größtenteils an „Ackerleute“.101 Die Sparkasse Lindlar vergab 1886 Darlehn in einer Gesamtsumme von 809.443,79 Mark (1888: 927.126,27 Mark), wovon 89.267,99 Mark (80.436,38 Mark) bei der Bergisch-Märkischen Eisenbahn angelegt waren.102 In Lindlar wünschte man sich einen „freien Geschäftsverkehr […], wie ein vorsichtiger vernünftiger Geldverleiher Gelder verwaltet […] dann kann es kaum bessere Darlehns-Institute geben, um dem kleinen Mann zu helfen“.103 Spekulationsgeschäfte sollten ausgeschlossen werden. Die Gemeindesparkassen, 94 95 96 97 98 99 100 101 102 103

Vgl. Pohl: Sparkassen, S. 100. Ebd., S. 97. Ebd., Tab. 28. LA NRW Düsseldorf, LA Wipperfürth Nr. 158, S. 177, Schreiben des Bürgermeisteramtes Lindlar vom 6. August 1886. Ebd. LA NRW Düsseldorf, LA Wipperfürth Nr. 158, S. 175 f., Schreiben des Bürgermeister-Amtes Wipperfürth vom 21. Juli 1886 an das Landratsamt betreffend Kreditgewährung an kleinere Besitzer. LA NRW Düsseldorf, LA Wipperfürth Nr. 158, S. 198 f., Bericht Sparkasse Wipperfürth über das Geschäftsjahr 1886. LA NRW Düsseldorf, LA Wipperfürth Nr. 158, S. 202 f., Bericht Sparkasse Wipperfürth über das Geschäftsjahr 1887. LA NRW Düsseldorf, LA Wipperfürth Nr. 158, S. 204 f., 221 f., Berichte Sparkasse Wipperfürth über die Geschäftsjahre 1886 und 1888. LA NRW Düsseldorf, LA Wipperfürth Nr. 158, S. 177, Schreiben des Bürgermeisteramtes Lindlar vom 6. August 1886.

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III. Vor der Gründung der ländlichen Kreditgenossenschaften

„deren Verwaltungsorgane mit dem Charakter der Erwerbsfähigkeit und den Vermögensverhältnissen der Gemeindegenossen aufs genaueste bekannt“104 waren, eigneten sich nach Ansicht des Bürgermeisters am besten als Darlehnskassen für den ,kleinen Mann‘, da jedes Risiko dadurch vermieden werden konnte, dass die Verwaltung aufgrund der räumlichen Nähe und der Einbindung in die lokale Gesellschaft zeitnah über ein mögliches Fallieren in Kenntnis gesetzt würde. Um das Screening und das Monitoring so effizient wie möglich zu gestalten, sollte auf Nebenstellen und Filialen verzichtet werden, zumal dadurch auch die Revision der Kassen und die Verwaltung kostengünstig gehalten werden konnten.105 Ab Ende der 1870er-Jahre wurden weitere Sparkassen in den Kreisen Gummersbach und Waldbröl gegründet. Im Kreis Gummersbach traten im Oktober 1879 unter dem Vorsitz des (Berg)Neustädter Bürgermeisters Baecker die Neustädter Stadtverordneten und die Gemeindeverordneten der Landbürgermeisterei NeustadtLieberhausen zum Beschluss über die Errichtung einer gemeinsamen Sparkasse für beide Verwaltungseinheiten zu einer gemeinsamen Sitzung zusammen. Die erste Einzahlung wurde am 13. Mai 1880 getätigt. Mit der Gründung dieser Sparkasse verlor die Sparkasse Gummersbach einige Sparer; der Verlust konnte aber durch das Bevölkerungswachstum wieder ausglichen werden.106 Im Kreis Waldbröl nahm am 1. April 1882 die Sparkasse der Gemeinde Ründeroth ihren Geschäftsbetrieb im Haus des Rendanten auf. Bis 1916 erreichte die Sparkasse der Gemeinde Ründeroth nahezu den gleichen Einlagenbestand wie die 1856 gegründete Sparkasse für den Kreis Waldbröl (gegründet als Kreis-, Spar- und Darlehnskasse für den Landkreis Waldbröl)107, die unter anderem Annahmestellen in Dattenfeld, Rosbach, Derschlag, Eckenhagen, Morsbach, Wildbergerhütte, Drespe, Hespert, Holpe und Denklingen unterhielt.108 Im Jahr 1895 wurde zudem eine Sparkasse für die Gemeinde Gimborn errichtet, im März 1905 im Kreis Gummersbach eine Sparkasse für die Gemeinde Marienheide gegründet. Beide Sparkassen wurden 1971/72 mit der Kreissparkasse Waldbröl fusioniert, die heute – ebenso wie die Sparkassen Lindlar und Wipperfürth – Teil der Kreissparkasse Köln sind.109 Mit Wirkung vom 1. Oktober 1929 übernahm zunächst die Sparkasse Wipperfürth die Sparkasse Lindlar. Sitz wurde Lindlar; in Wipperfürth blieb eine Geschäftsstelle bestehen. Zum 1. Dezember 1932 übernahm schließlich die Kreissparkasse Köln die Sparkasse Wipperfürth.110 Die Sparkassen Gummersbach und Bergneustadt-Lieberhausen bilden heute die Sparkasse Gummersbach-Bergneustadt. 104 105 106 107

Ebd. Ebd. Pomykaj/Woelke: Sparkasse, S. 17. Kreissparkasse Waldbröl: 125 Jahre, S. 10. Initiiert wurde die Gründung von Landrat Maurer. Die Beschlüsse des Kreisrates erfolgten am 30. Mai 1854 und am 7. Oktober 1854. Genehmigung des Statuts durch Kabinettsorder am 3. Dezember 1855. Das Statut wurde geändert 1876, 1884 und 1898. 108 Kreissparkasse Waldbröl: 125 Jahre, S. 32; LA NRW Düsseldorf, Reg. Köln Nr. 7361 Teil 2, S. 237, Übersicht. 1910 neu eröffnete Annahmestellen. 109 Kreissparkasse Waldbröl: 125 Jahre, S. 32; Rutt: Heimatchronik, S. 297–300. 110 Kreissparkasse Köln: 125 Jahre; siehe auch Padtberg: Wirtschaftsgeschichte, S. 197.

2. Entstehung und Entwicklung der kommunalen Sparkassen

135

Anfang der 1890er-Jahre bestand also grundsätzlich für alle Einwohner des Untersuchungsraumes die Möglichkeit, bei einer Sparkasse zu sparen. Ob sie die gebotene Möglichkeit in Anspruch nahmen, hing sowohl von der Sparfähigkeit als auch von der Sparwilligkeit ab. Vielfach bestanden auch Bedenken, Sparbeträge bei der Sparkasse anzulegen, da die Sparer wegen der kommunalen Anbindung der Sparkassen fürchteten, dass ihre Sparbeträge an das Finanzamt gemeldet oder bei Pfändungen eingezogen wurden. Konkurrenz erwuchs den Sparkassen zum einen mit den neugegründeten Genossenschaftsbanken; so konstatierte der Kommunalempfänger Krell (Gemeinde Eckenhagen) im Jahr 1889, dass der Rückgang der Einzahlungen bei der Kreissparkasse darauf zurückzuführen sei, dass die Volksbank Eckenhagen gleichfalls Kleinstbeträge annahm.111 Ebenso entstanden mit den Depositenkassen der Aktienbanken seit den 1890er-Jahren reichsweit weitere Konkurrenzinstitute.112 Dennoch blieben, so Hans Pohl, die Sparkassen „Monopolisten bei der Sammlung kleinerer Sparkapitalien“.113 Im Laufe des 19. Jahrhunderts änderten die Sparkassen vor diesem Hintergrund ihre eher passive Haltung hin zu einer aktiven Geschäftspolitik. Die Korrelation der Filialnetzdichte und der Höhe der Spareinlagen war hierbei weniger entscheidend als der Konnex der volkswirtschaftlich bestimmten Sparfähigkeit der (potenziellen) Kunden und der Tätigung von Spareinlagen.114 Für die Untersuchung ist grundsätzlich vor allem das Ergebnis von Bedeutung, dass die Sparkassen in den Kreisen Gummersbach, Waldbröl und Wipperfürth bereits seit Anfang der 1850er-Jahre – wenn auch mit rückläufiger Tendenz – Darlehn gegen Schuldschein und Bürgschaft vergaben. Tabelle 9: Kommunale Sparkassen in den Kreisen Gummersbach, Waldbröl und Wipperfürth (1853–1901) Jahr der Einrichtung

Institut

Geschäftsgebiet

Kreis

1853

Städtische Sparkasse Gummersbach

Stadtgemeinde (+ Umland)

Gummersbach

1853

Sparkasse Wipperfürth

Gemeinde + Umland (Gemeinde Klüppelberg)

Wipperfürth

1856

Kreis-Spar- und Darlehnskasse Waldbröl

Kreis Waldbröl

Waldbröl

1856

Gemeindesparkasse für die Bürgermeisterei Lindlar

Gemeinden Lindlar + Engelskirchen (+ Umland)

Wipperfürth

111 Kreissparkasse Waldbröl: 125 Jahre, S. 31; siehe auch Hörstmann: Konkurrenz; Poppelreuter: Sparwesen, S. 6; vgl. ferner AdVBO, Bestand RB Wiehl, 110-8, Übersicht über Spareinlagen, ab 1918. 112 Pohl: Sparkassen, S. 77. 113 Ebd., S. 77 f. 114 Ebd., S. 78.

136

III. Vor der Gründung der ländlichen Kreditgenossenschaften

Jahr der Einrichtung

Institut

Geschäftsgebiet

Kreis

1880

Sparkasse Bergneustadt

Bergneustadt + Lieberhausen

Gummersbach

1882

Gemeindesparkasse Ründeroth

Gemeinde

Gummersbach

1895

Gemeindesparkasse Gimborn

Gemeinde

Gummersbach

1901

Vereinigte Sparkasse der homburgischen Gemeinden in Wiehl

Gemeinden Marienberghausen, Nümbrecht und Wiehl (‚Homburgisches Land‘)

Gummersbach

1905

Gemeindesparkasse Marienheide

Gemeinde

Gummersbach

1925

Kreissparkasse Wipperfürth

Kreis Wipperfürth

Wipperfürth

Quelle: LA NRW Düsseldorf, D XIV A 360 (1914/20), Verwaltungsbericht Kreis Gummersbach 1914–1920; LA NRW Düsseldorf, LA Wipperfürth Nr. 90; LA NRW Düsseldorf, LA Wipperfürth Nr. 129; Kreissparkasse Waldbröl: 125 Jahre; Padtberg: Wirtschaftsgeschichte, S. 194–197; kartografischer Nachweis (ohne genaue Gründungsdaten und Angabe über Geschäftsbezirke) bei Thomes: Sparkassen, Kartenbeiblatt.

3. DIE ERSTEN VOLKSBANKEN Am 26. Februar 1870 erschien im Wipperfürther Kreis-Intelligenz-Blatt ein Artikel über die Entwicklung des Genossenschaftswesens und die sozialpolitische Bedeutung von Genossenschaften auch beziehungsweise insbesondere für die Bevölkerung abgeschiedener Landstriche mit dem Titel ,Die Creditgenossenschaften als Banken für Landwirthe und Gewerbetreibende‘. Der Autor stellte in pathetischer Beredsamkeit die Vorteile der Kreditgenossenschaften für die ländliche Bevölkerung heraus: „Wo nun der Fuhr- und Briefpostverkehr nicht ausreicht, sondern durch die Eisenbahnen und Telegraphen überpflügelt wird, so konnte auch der Privat-Creditverkehr den gesteigerten Anforderungen nicht lange genügen“.115 In ländlichen Gegenden habe man jedoch noch nicht erkannt, dass mit der fortschreitenden Modernisierung auch in den Dörfern der Bedarf nach Bankinstituten ansteigen würde, und welche Wirkungsmacht der Bankkredit habe: „Die Creditgenossenschaften wecken, gleich den Eisenbahnen, latente wirthschaftliche Kraft aus dem Schlafe und bringen sie zu Blüthe und Fruchtansatz“.116 Praktische Hinweise zur Gründung einer Kreditgenossenschaft ließ der Artikel vermissen; er enthielt jedoch 115 Wipperfürther Kreis-Intelligenz-Blatt vom 26. Februar 1870, S. 1. Verfasser des Artikels war Dr. Au, Autor der Hermann Schulze-Delitzsch gewidmeten und als „Anregung zur praktischen Förderung einer der wichtigsten Zeitfragen“ angelegten Schrift ,Creditgenossenschaften‘ (1869). 116 Au: Creditgenossenschaften, S. 43; Hervorgehoben im Original.

3. Die ersten Volksbanken

137

eine Vielzahl von Erfolgsdaten und Beispielen. Anlass dieses Artikels, dem Terminhinweise auf Vorträge des Wanderlehrers Dr. Pitsch zum Kreditgenossenschaftswesen vorangestellt waren, war eine Initiative des Landwirtschaftlichen Vereins für Rheinpreußen. Mit Hilfe von Aufrufen in Lokalzeitungen und Vortragsveranstaltungen bereitete der Direktor der Lokal-Abteilung Wipperfürth des Landwirtschaftlichen Vereins, der Landrat Freiherr von Fürstenberg, die Gründung der ersten Kreditgenossenschaften im Oberbergischen vor: Ziel war die Gründung von Volksbanken zunächst in den größeren Ortschaften. In seiner Funktion als Landrat hatte von Fürstenberg zwar für das kommunale Sparkassenwesen einzutreten, in seiner Funktion als Direktor der Lokal-Abteilung hingegen setzte er sich für die Gründung von Kreditgenossenschaften ein. Im Vergleich mit den Landwirtschaftlichen Vereinen anderer Länder und Provinzen galt der Landwirtschaftliche Verein für Rheinpreußen als das „glänzendste Beispiel dessen, was ein gut geleiteter Verein bei redlichem Willen, allseitiger Rührigkeit, Opfermuth und Arbeitslust“117 innerhalb nur weniger Jahre an genossenschaftlichem Engagement bewirken konnte. Zu Beginn des Untersuchungszeitraumes bestanden längst mehrere Lokalabteilungen des Landwirtschaftlichen Vereins für Rheinpreußen im abgesteckten Untersuchungsraum beziehungsweise in angrenzenden Kreisen: Die Lokalabteilung für das Gebiet Elberfeld-Barmen-Lennep-Remscheid (zunächst Elberfeld-Barmen-Lennep), zudem die Lokalabteilungen für die Kreise Solingen, Mülheim-Bensberg, Wipperfürth, Gummersbach, Waldbröl sowie für den Siegkreis.118 Die Vorgehensweise zur Gründung von Volksbanken war in der Rheinprovinz überall ähnlich. Eine hilfreiche Basis bildeten hier die bereits seit 1819 vom Landwirtschaftlichen Verein initiierten Lesevereine, landwirtschaftlichen Casinos und bereits etablierten Vortragsreihen zu landwirtschaftlichen Themen.119 Karl Birnbaum kam 1870 in seiner Denkschrift im Auftrag des Congresses norddeutscher Landwirte zu dem Ergebnis, dass in der Rheinprovinz die „grosse Verbreitung“120 der Genossenschaften wegen der bereits bestehenden Casinos erfolgen könne. Am Beispiel des Kreises Wipperfürth lässt sich das Vorgehen des Landwirtschaftlichen Vereins anschaulich nachzeichnen. Der Wanderlehrer Dr. Pitsch referierte an mehreren Tagen in mehreren Ortschaften über die Statuten der Volksbank. Am Mittwoch, den 2. März 1870121 – dem Gründungstag der Volksbank – referierte Pitsch zunächst über die Statuten in der Gastwirtschaft Baumbicker in Wipperfürth. Weitere Vorträge folgten am 3., 4., 9., 10. und 11. März in Gastwirtschaften in Klaswipper, Thier (beide Gemeinde Klüppelberg), Biesfeld, Kürten und Junkermühle (alle Gemeinde Kürten).122 Diese 117 Birnbaum: Genossenschaftsprincip, S. 72. 118 Landwirtschaftlicher Verein für Rheinpreußen: Festschrift, S. 7 f. Liste der Lokalabteilungen. Im Jahr 1908 hatte der Verein insgesamt 66 Lokalabteilungen. 119 Birnbaum: Genossenschaftsprincip, S. 72. 120 Ebd., S. 63. 121 AdVBWL, Registerauszüge, Amtsgericht Wipperfürth, Genossenschaftsregister, Auszug vom 4. April 1903. 122 Wipperfürther Kreis-Intelligenz-Blatt vom 2. März 1870, S. 1. Fast wöchentlich wurde auf der ersten Seite vom Lokal-Abteilungsdirektor auf die regelmäßig veranstalteten Vortragsabende hingewiesen.

138

III. Vor der Gründung der ländlichen Kreditgenossenschaften

Termine erschienen mehrfach in den Lokalzeitungen, und die Bürgermeister wurden durch die Lokalabteilung aufgefordert, die Termine ebenfalls bekanntzugeben. Gemäß der mittelstandspolitischen Ausrichtung der Volksbanken nach Hermann Schulze-Delitzsch wandten sich die Initiatoren der Wipperfürther Volksbank, die Lokal-Abteilung des Landwirtschaftlichen Vereins für Rheinpreußen, nicht nur an Landwirte, deren Interessen der Verein vorwiegend vertrat, sondern ausdrücklich auch an Handwerker und Kaufleute. Angesprochen wurde also explizit der Mittelstand.123 Ziel war es, Banken für den „kleinen Unternehmer“ zu schaffen, „die ihm alle die Dienste in allen den geschäftlichen Formen leisten […], die der große Unternehmer von seinen Banken“124 bereits genoss. Die Ausrichtung der potenziellen Mitgliederstruktur auf alle Berufsgruppen hatte den Vorteil der Risikodiversifikation, der Akkumulation von Kapital sowie der (saisonalen) Streuung der Nachfrage – da „die Geschäftsbetriebe äußerst verschieden sind, so wird auch zu sehr verschiedenen Zeiten bei den einzelnen Unternehmern das Bedürfniß nach Geld sich herausstellen, oder aber das umgeschlagene Capital für den Augenblick unbeschäftigt liegen“.125 Zur Ansammlung von Kapital sollte die neu zu gründende Wipperfürther Volksbank zugleich den Betrieb einer Sparkasse aufnehmen – statutarisch festgelegter Zweck des Unternehmens war hingegen das Aktivgeschäft.126 Das Passivgeschäft diente daher nur als Mittel zum Zweck, das heißt der Realisierung des Aktivgeschäftes. Nach der Gründung wurden zwei separate Geschäftsordnungen, eine für die Darlehnskasse und eine für die Sparkasse, ausgearbeitet. Bereits unmittelbar nach der Gründung gewährte die Volksbank ihren Mitgliedern erste Kredite. Damit konnten die Einwohner erstmals – abgesehen von Privatkrediten und einigen Darlehn der Sparkasse – „ohne große Weitläufigkeiten über eine gewisse Summe“127 verfügen. Der Spar-Verein verzinste die Einlagen zu einem „höchstmöglichen Zinsfuß“.128 Der erste Vorstand der Volksbank Wipperfürth setzte sich aus dem Direktor Friedrich Haack, Steuerempfänger, sowie zwei Controlleuren (Peter Gierlich, Lehrer, und Rudolph Hamm, Fabrikant) zusammen.129 Die Mitgliederliste zeigt hinsichtlich der Erwerbsstruktur der Mitglieder – volksbanktypisch – eine weniger landwirtschaftliche Zusammensetzung: Neben sechs Gutsbesitzern (einer gab zudem Viehhändler an) gaben von insgesamt 50 Mitgliedern nur drei den Beruf Landwirt an, ein Mitglied „Ackerer u. Wirth“. Unter den Gründungsmitgliedern waren drei Wirte, ein Bäcker, ein Schuster, ein Uhrmacher, ein Bierbrauer, ein Maurermeister, ein Drechsler, zwei (Loh-) Gerber, ein „Mechanikus“ sowie zwei Buchbinder und ein Buchdruckereibesitzer. Daneben ein Müh123 Auch wenn der Landwirtschaftliche Verein für die Interessen der Landwirte eintrat, wandte man sich mit dem Aufruf zur Gründung einer Volksbank sowohl an die landwirtschaftliche als auch an die gewerbliche Bevölkerung. Siehe hierzu Birnbaum: Genossenschaftsprincip, S. 71. 124 Wipperfürther Kreis-Intelligenz-Blatt vom 26. Februar 1870, S. 1. 125 Ebd. 126 Gegenstand des Unternehmens war das Bankgeschäft zum Zweck der Beschaffung der für die „im Gewerbe und Wirtschaft“ der Mitglieder nötigen Geldmittel. Siehe Amtsgericht Wipperfürth, Auszug aus dem Genossenschaftsregister vom 4. April 1903. 127 Wipperfürther Kreis-Intelligenz-Blatt vom 23. März 1870, S. 1. 128 Ebd. Zinssätze werden nicht genannt. 129 Wipperfürther Kreis-Intelligenz-Blatt vom 6. April 1870, S. 2. Liste der Mitglieder.

3. Die ersten Volksbanken

139

lenbesitzer, ein Hammerwerksbesitzer, ein Bauunternehmer; neben einem Postbeamten und einem Postexpediteur waren ein Geschichtsschreiber und ein Gerichtsvollzieher sowie ein Communal-Empfänger und ein Steuer-Empfänger unter den Gründungsmitgliedern, des Weiteren zwei (Tier-) Ärzte, sieben Kaufleute/Ladenbesitzer und fünf Fabrikanten sowie zwei Lehrer.130 Vier Fünftel der Mitglieder wohnten unmittelbar in Wipperfürth, weitere neun Mitglieder kamen aus der näheren Umgebung. Nur ein Mitglied kam von weiter her: Das Mitglied Joh. Irlenbusch – das einzige Mitglied, das zum einen zwei Tätigkeiten und zum zweiten „Ackerer“ und nicht Landwirt angegeben hatte – wohnte in Eichhof bei Kürten, was rund 16 Kilometer beziehungsweise einen rund dreieinhalbstündigen Fußmarsch vom Wipperfürther Ortskern entfernt lag.131 Mit der Gründung der Volksbank war ein erster Schritt getan. Zur weiteren Komplettierung der genossenschaftlichen Selbsthilfe, insbesondere für die umliegenden landwirtschaftlichen Betriebe, forcierte der Landwirtschaftliche Verein zudem die Gründung einer Landwirtschaftlichen Bezugs- und Absatzgenossenschaft. Diese sollte die zum „Betriebe der Landwirthschaft erforderlichen Bedürfnisse“,132 das heißt den Ankauf von Dünger, Saatgut, von Vieh und Geräten koordinieren und durch Verwendung des Kredits bei der Volksbank durch Barbezahlung und den Kauf größerer Mengen zu günstigeren Konditionen erwerben, als es der einzelne Landwirt konnte.133 Im Kreis Wipperfürth wurden zur selben Zeit weitere Volksbanken in Lindlar (Lindlarer Volks-Bank eG), Ohl (Klüppelberger Volksbank eG) und Thier (Thierer Volksbank eG) gegründet: Die Lindlarer Volks-Bank eG (ab 1889 eGmbH) wurde am 27. Februar 1870 gegründet, die Geschäftsordnung am 10. April 1870 erlassen.134 Die Klüppelberger Volksbank eG wurde am 20. März 1870 gegründet und eröffnete den Geschäftsbetrieb am 15. April 1870.135 Der Vorstand bestand auch hier aus einem Direktor (Eugen Buchholz aus Crommenohl) und zwei Controlleuren (Leopold Heuser aus Rönsahl und Leopold Neuhaus aus Ohl). Das Eintrittsgeld betrug einen Thaler. Bereits bei Veröffentlichung der Geschäftsordnung am 6. April 1870 hatte die Genossenschaft 200 Mitglieder.136 Die Thierer Volksbank wurde am 5. April 1870 gegründet, gelangte offensichtlich jedoch nicht zur Eintragung beim Amtsgericht.137 Im engeren Untersuchungsraum boten sich demnach seit 1870 wesentlich neue Möglichkeiten, sowohl überschüssige Gelder anzulegen als auch Darlehn aufzunehmen.138 Alle genannten Volksbanken wurden nach dem Konzept Hermann Schulze-Delitzschs gegründet. Die Geschäftsordnungen der Genossenschaften wurden im Wipperfürther Kreis-Intelligenz-Blatt veröf130 131 132 133 134 135 136 137 138

Ebd. Ebd. Wipperfürther Kreis-Intelligenz-Blatt vom 23. März 1870, S. 1. Ebd. AdVBWL, 14-1, Abgeändertes Statut der Lindlarer Volksbank eingetragene Genossenschaft mit beschränkter Haftpflicht; Wipperfürther Kreis-Intelligenz-Blatt vom 16. April 1870. Wipperfürther Kreis-Intelligenz-Blatt vom 6. April 1870, S. 2; Wipperfürther Kreis-Intelligenz-Blatt vom 20. April 1870, S. 2. Wipperfürther Kreis-Intelligenz-Blatt vom 6. April 1870, S. 2. Ebd. Ashauer: Betrachtung, S. 13.

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III. Vor der Gründung der ländlichen Kreditgenossenschaften

fentlicht. Die Statuten und Geschäftsordnungen der Volksbanken sind ähnlich, jedoch nicht identisch. Alle Anfang 1870 im engeren Untersuchungsraum instituierten Kreditgenossenschaften wurden in den größeren Orten (Gummersbach, Lindlar, Wipperfürth und Eckenhagen) gegründet.139 Hier fanden sich in der Regel am ehesten Personen – Honoratioren, wie Landräte, Bürgermeister, Pfarrer –, die mit den notwendigen Fähigkeiten zur Geschäftsführung, wie Lesen und Schreibenkönnen, den „guten Willen, die Ausdauer und die Uneigennützigkeit“140 verbanden, zudem die notwendige Zeit erübrigen konnten und Gelegenheit hatten, Literatur, die nötigen Geschäftsbücher etc. zu beschaffen, Kontakte herzustellen und das Vertrauen der lokalen Gesellschaft besaßen. Der großherzogliche Geheime Kirchenrat und Superintendent Adolf Wuttig, der Begründer der Raiffeisenbewegung in Thüringen, sah aus den gleichen Gründen eine erfolgreiche Gründung nur unter Einbeziehung der ländlichen Honoratioren als möglich an.141 Poppelreuter kam in seiner Untersuchung zu dem Ergebnis, dass die ersten Genossenschaften in verkehrstechnisch besonders abgeschiedenen Gegenden sowie in „größeren wohlhabenden Orten“142 gegründet worden waren. Der Landwirtschaftliche Verein für Rheinpreußen erwirkte zugleich den Anschluss der Genossenschaftsbanken an den Allgemeinen Verband der Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften (Schulze-Delitzsch). Sonderbar erscheint der Zeitpunkt der Gründungsinitiative.143 Bereits im Jahr 1868 hatte Friedrich Wilhelm Raiffeisen als Beauftragter für genossenschaftliche Fragen mit seiner Tätigkeit für den Verein begonnen. Zerwürfnisse zwischen dem Verein und Raiffeisen bestanden erst seit Mitte der 1870er-Jahre.144 Die Gründungsphase im Kreis Wipperfürth fällt mit dem Beginn des Systemstreits zwischen 139 Stadt Gummersbach: 1000 Jahre, S. 34 ff. Die Gummersbacher Volksbank wurde später übernommen durch den Commerzbank-Bankverein AG; 1889 Eröffnung der Reichsbanknebenstelle in Gummersbach; 1910 Gründung der Oberbergischen Landesbank, später übernommen von der Deutschen Landesbank; AdVBO, Bestand RB Wiehl, 134-2, Schreiben der Eckenhagener Volksbank an das Amtsgericht Bonn, 1871. Das AdVBO enthält verschiedene Akten der Eckenhagener Volksbank. Das älteste überlieferte Protokollbuch von Vorstand und Aufsichtsrat der Eckenhagener Volksbank datiert auf das Jahr 1891; die Liste der Genossen ist für die Zeit 1896 bis 1963 überliefert. Die Generalversammlungsprotokolle sind ab 1817 überliefert. Zu den Volksbanken in Lindlar und Wipperfürth hingegen enthält das AdVBWL weitestgehend kein Material. Siehe hierzu auch Schmidt: Volksbank Oberberg, 2008, S. XII-XX sowie XXI. 140 Birnbaum: Genossenschaftsprincip, S. 57. 141 Erdmann: Diesseits, S. 51–55. 142 Poppelreuter: Sparwesen, S. 9. 143 Zur Gründungsgeschichte der ersten Volksbanken im Rheinland siehe unter anderem Heyder: Entstehung. 144 LHA Koblenz 403/9181, Verhandlungen der 37. General-Versammlung zu Düsseldorf des landwirthschaftlichen Vereins für Rheinpreußen, Protokoll der Vorstands-Sitzung vom 9. September 1868; LHA Koblenz 403/9181, Protokoll der Verhandlungen der Section Volkswirthschaft vom 10. September 1868. Vortrag Raiffeisens und Annahme des Antrags, die Generalversammlung wolle die Gründung der Hülfs-Abteilung für das Darlehnskassenwesen hinsichtlich „des vorjährigen Beschlusses, wonach die Darlehnskassen-Vereine nach dem Raiffeisenschen System im Bereiche des Vereins organisiert werden sollen“, beschließen. Die Vorgabe, dass nach dem Schulze-Delitzsch-Konzept keine Genossenschaften durch den Verein mehr gegründet werden sollten, ist hier nicht zu finden. An der Sitzung nahm auch Dr. Pitsch teil.

3. Die ersten Volksbanken

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den Anhängern des Schulze-Delitzsch’schen Genossenschaftskonzepts und den Anhängern der Raiffeisenschen Genossenschaften zusammen. Ausgelöst wurde dieser Streit durch den Rechenschaftsbericht des Landwirtschaftlichen Vereins für Rheinpreußen für das Jahr 1868. In dem Bericht führte der Präsident des Vereins aus, dass zwischen den beiden Konzepten generell kein Unterschied bestehe, da beide auf dem Prinzip der Solidarhaft beruhten und lediglich die Ausleihfristen unterschiedlich seien. Insbesondere die Reaktion des Politikers und Publizisten Ludolf Parisius, zugleich Stellvertreter Herrmann Schulze-Delitzschs, war heftig. Zum einen sprach er dem Präsidenten jedweden Sachverstand ab, zum anderen erklärte er die Raiffeisen-Vereine als nicht konkurrenzfähig. Dass die ländliche Bevölkerung von diesem teils wissenschaftlichen, teils persönlichen und systemimmanenten Diskurs etwas mitbekam, ist eher unwahrscheinlich. Die Leser der ,Blätter für Genossenschaftswesen (Innung der Zukunft)‘ – wozu neben den Vorstandsund Verwaltungsratsmitgliedern der Genossenschaften unter anderem auch Gemeinde- und Stadträte gehört haben dürften –, werden aufgrund einer Reihe von Artikeln gegen Raiffeisen von den ‚Schwachstellen‘ des Raiffeisenschen Konzepts Kenntnis gehabt haben. Die Zeit bis zum XI. Allgemeinen Genossenschaftstag des Verbandes der Schulze-Delitzsch’schen Genossenschaften im August 1869 war von wiederholten schriftlichen und mündlichen Auseinandersetzungen geprägt. Erst im Jahr 1873 blühte der Systemstreit wieder auf, als der Regierungsrat Nöll (Department für landwirtschaftliche Angelegenheiten in Koblenz) erneut die langen Ausleihfristen, den eng begrenzten Geschäftsbezirke und das Fehlen von Geschäftsanteilen heftig kritisierte.145 In das Jahr 1869 fielen zudem Raiffeisens Bemühungen, eine Zentralbank mit Hilfe des Landwirtschaftlichen Vereins zu gründen, die jedoch unter anderem aufgrund der ablehnenden Haltung der Sparkassenvertreter ergebnislos blieben: Zum einen sei für die ländliche Bevölkerung ausreichend gesorgt, zum anderen sei es den Sparkassen gesetzlich untersagt, Geld an DarlehnskassenVereine auszuleihen.146 Vermutlich lag in diesen Ereignissen sowie in der Haltung des Landwirtschaftlichen Vereins, dass prinzipiell beide Konzepte dienlich waren, der Grund für die Initiierung von Volksbanken im Kreis Wipperfürth Anfang des Jahres 1870. Wie bereits mehrfach angedeutet wurde, wurden die Volksbanken nach dem System Schulze-Delitzschs vor allem bedingt durch die kurzen Ausleihfristen von maximal drei Monaten vielfach als unzureichend für die Lösung der Probleme des ländlichen Kreditmarktes angesehen, da das umlaufende Betriebskapital sich in der Regel nur ein Mal im Jahr umsetzte und das stehende Betriebskapital auch einer längeren Zeit zur Amortisation bedurfte. Die Stellung von Sicherheiten (Grundpfandrechten) zur Beschaffung von Betriebskapital war verhältnismäßig teuer und aufwendig (Bewertung, Stempelgebühr). Da die Kreditwürdigkeit der Kreditnehmer und die Bonität und Vertrauenswürdigkeit von Bürgen nur schwer festgestellt werden konnten, waren auch die Zinsen für Darlehn auf Bürgschaft relativ hoch: fünf bis sechs Prozent, teils acht Prozent. Zudem war die Kapitalbeschaffung insbe145 Koch: Genossenschaftsgedanke, S. 157–162; ders.: Verhältnis. 146 Ebd., S. 163.

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III. Vor der Gründung der ländlichen Kreditgenossenschaften

sondere in den ersten Jahren nach der Gründung mangels Einlagen teuer. Auch das weitere Monitoring nach Gewährung des Kredits gestaltete sich aufgrund der größeren räumlichen Distanz zwischen dem Wohnort des Landwirtes und dem Sitz der Volksbank aufwendig.147 Sowohl die Volksbanken als auch die Sparkassen müssen als erheblicher Fortschritt in der Ökonomisierung ländlicher Regionen betrachtet werden. Ambivalent war die Haltung der Gemeindeverwaltungen bezüglich der parallelen Etablierung der Sparkassen und der Volksbanken im engeren Untersuchungsraum, wie sich erneut am Beispiel des Kreises Wipperfürth verdeutlichen lässt. Die Äußerungen der Kommunalverwaltungen vermitteln zugleich einen Eindruck davon, was zeitgenössisch unter dem finanzintermediären Bedürfnis der ländlichen Bevölkerung verstanden wurde. Ein Blick in die Quellen der Verwaltungen auf lokaler Ebene sowie die Auswertung zeitgenössischer sozialpolitischer und ökonomischer Literatur148 zeigt, welche strukturellen Mängel man dem Volksbankenkonzept für den ländlichen Raum zuschrieb.149 Der Kürtener Gemeinderat erklärte etwa, dass die Errichtung einer Sparkasse beziehungsweise einer Sparkassenfiliale in der Gemeinde unnötig sei, da mit der Wipperfürther Volksbank eG der Bedarf an Spar- und Darlehnskassen hinlänglich gedeckt sei: Die Volksbank habe bereits viele Mitglieder und würde sowohl bezüglich der Einlagen von Sparbeträgen – die Zinsen auf Sparbeträge bei sechsmonatiger Kündigungsfrist waren mit viereinhalb Prozent sogar höher als die der Sparkasse mit vier Prozent – als auch für Darlehn regelmäßig durch Einwohner der Gemeinde Kürten genutzt. Vorteilhaft sah der Gemeinderat die Tatsache, dass die Gemeinde bei der Volksbank keine Garantie für ihre Einwohner zu übernehmen hatte.150 Ähnlich fiel auch eine Bedarfsprüfung in der Gemeinde Klaswipper aus: Seit 1870 bestand in der Gemeinde die Klüppelberger Volksbank eG (Sitz Ohl), die unter anderem auch eine Sparkasse betrieb.151 Hinsichtlich der 147 Siehe hierzu unter anderem Schramm: Entstehung, S. 10 ff. 148 Siehe unter anderem Gerbe: Real- und Personal-Credit-Wesen, S. 12; Birnbaum: Genossenschaftsprincip; Löll: Darlehnskassen-Vereine, S. 11; vgl. ferner Böhmert: Wohlfahrtspflege, S. 5. Böhmert hingegen ist der Auffassung, man „sollte jedoch die Raiffeisen-Vereine nicht in Gegensatz zu Schulze-Delitzschen Genossenschaften bringen. Beide Arten von Genossenschaften können recht wohl auch nebeneinander erfolgreich wirken und sich in mancher Hinsicht gegenseitig ergänzen“. Siehe auch Grünfeld: Genossenschaftswesen, S. 9 f. 149 Für die Sparkassen vgl. Pohl: Sparkassen, S. 77; siehe auch LA NRW Düsseldorf, LA Wipperfürth Nr. 158, S. 171, Abschrift des Schreibens des Ministeriums des Inneren, Berlin, vom 6. Juni 1886; siehe auch LA NRW Düsseldorf, LA Wipperfürth Nr. 158, Abschrift des Schreibens der Bezirksregierung, Köln, vom 9. Juli 1886. 150 LA NRW Düsseldorf, LA Wipperfürth Nr. 158, S. 13, Bürgermeister-Amt Cürten, Auszug aus dem Protokoll des Gemeinderates der Sammtgemeinde Cürten, verhandelt Grundermühle, 3. Februar 1883, Punkt 3: Beitritt zu einer Sparkasse in Folge der landrätlichen Verfügung Nr. 116. 151 LA NRW Düsseldorf, LA Wipperfürth Nr. 158, S. 19, Schreiben des Bürgermeisteramtes Claswipper vom 16. Januar 1883; Zur Umwandlung der Genossenschaft in eine Aktiengesellschaft siehe LA NRW Düsseldorf, LA Wipperfürth Nr. 158, S. 236, Gesellschafts-Vertrag (Statut) der Actien-Gesellschaft unter der Firma Rönsahler Creditbank mit dem Sitze zu Ohl bei Rönsahl, 1889, § 2. Gegenstand des Unternehmens war der „Betrieb von Bank-, Commissions- und Hypothekengeschäften in allen Zweigen und zwar im Anschluss an das, seit dem Jahre 1870 zu

3. Die ersten Volksbanken

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Gewährung von Krediten explizit an kleine Grundbesitzer fielen die Äußerungen der Kommunalverwaltungen weit weniger günstig für die Volksbanken aus: Der Bürgermeister von Kürten verglich etwa die Sparkassen in Lindlar und Wipperfürth mit den dortigen Volksbanken: „Soweit ich die Statuten der letzteren kenne, so ist das kein Darlehns-Institut, welches der Bauersmann benutzen darf, wenn er nicht zu Grunde gehen will.“152 Die Zinsen seien mit 5½ Prozent zuzüglich ein Drittel Prozent Provision zu hoch. Auch im Falle der Prolongation waren die Konditionen unverhältnismäßig hoch: Wenn der Anleiher nicht nach drei Monaten zurückzahlen konnte, sondern erst nach einem Jahr, bezahlte er sogar sechseinhalb Prozent Zinsen. Aufgrund des Zinsfußes von sechs Prozent (1886) sah der Kürtener Bürgermeister in den Volksbanken keine „wohlthätige Einrichtung für den Bauernstand“.153 Die Antwort aus dem Rathaus Wipperfürth klang ähnlich: Außer der Sparkasse bestand dort die bereits genannte Wipperfürther Volksbank eG, die Kredite auch an kleinere Besitzer gewährte – „keineswegs aber unter günstigeren Bedingungen wie die hiesige Sparkasse“154, so der rapportierende Bürgermeister. Die Sparkasse hingegen könne das Kreditbedürfnis der kleineren Besitzer „vollständig […] befriedigen“.155 Die Einlagen der Sparkasse Wipperfürth überstiegen Mitte der 1880er-Jahre die Nachfrage nach Darlehn, sodass „bedeutende Beträge“156 (zum Zeitpunkt des Berichtes 90.000 Mark) gegen den „geringen“157 Zins von 2½ Prozent bei der Provinzial-Hilfskasse deponiert wurden. Die geringe Nachfrage resultierte wahrscheinlich jedoch nicht aus mangelndem Bedarf, wie in dem Bericht vermutet, sondern muss vielmehr eine Folge unrentabler Konditionen oder kaum zu erfüllender Bedingungen gewesen sein. Nebenstellen beziehungsweise Filialen hatte die Sparkasse aufgrund zu geringer Nachfrage bis 1886 bereits wieder aufge-

152 153 154

155 156 157

Ohl unter der Firma Klüppelberger Volksbank, eingetragene Genossenschaft, bestandene Bankgeschäft“; siehe zudem LA NRW Düsseldorf, LA Wipperfürth, Nr. 111, S. 42–43, Bericht vom 18. Dezember 1907. Die Oberbergische Bank AG in Ohl übernahm unter Erhöhung des Aktienkapitals auf zwei Mio. Mark die Gummersbacher Volksbank eG in Gummersbach. Gleichzeitig Umfirmierung in Bergische Kredit-Anstalt AG und Verlegung des Sitzes der Aktiengesellschaft von Ohl nach Gummersbach. In Ohl blieb eine Zahlstelle bestehen. LA NRW Düsseldorf, LA Wipperfürth Nr. 158, S. 173, Schreiben des Bürgermeister-Amtes Cürten, Grundermühle vom 23. Juli 1886. Ebd. LA NRW Düsseldorf, LA Wipperfürth Nr. 158, S. 175, Schreiben des Bürgermeister-Amtes Wipperfürth vom 21. Juli 1886 an das Landratsamt betreffend Kreditgewährung an kleinere Besitzer; vgl. LA NRW Düsseldorf, LA Wipperfürth Nr. 158, S. 184, Bilanz der Wipperfürther Volksbank eG für das Jahr 1886. Die Genossenschaft hatte 327 Mitglieder. Dem Vorstand gehörten an: Gierlich, Leonhardt und Braunstein. Nach Vorschrift der neuen Geschäftsordnung wurden der Kontokurrent- und der Wechsel-Verkehr „in eng begrenzten Verhältnissen“ geführt. Hieraus erklärt sich unter anderem der „geringe Wechsel-Bestand von nur M 18.427,49“. Die aus anderen Geschäftszweigen zurückfließenden Gelder und anderweitig disponible Fonds wurden nach § 11 der Geschäftsordnung entweder in sicheren Effekten angelegt oder auf erste Hypotheken von pupillarischer Sicherheit ausgeliehen. LA NRW Düsseldorf, LA Wipperfürth Nr. 158, S. 175, Schreiben des Bürgermeister-Amtes Wipperfürth vom 21. Juli 1886 an das Landratsamt betreffend Kreditgewährung an kleinere Besitzer. Ebd. Ebd.

144

III. Vor der Gründung der ländlichen Kreditgenossenschaften

löst. Ein Bedürfnis nach Filialen bestand nach Ansicht des Bürgermeisters auch jetzt nicht.158 Und auch der Bürgermeister von Lindlar sah das Kreditbedürfnis in Lindlar durch die Sparkasse „in ausgiebigstem Maaße“159 befriedigt. Filialen bestanden auch hier nicht. Die Volksbank Lindlar habe früher auch Darlehn an „Bauersleute“160 gegeben. Die Konditionen der Sparkasse seien jedoch besser als die der Volksbank gewesen, sodass die Nachfrage nach Darlehn bei der Volksbank erheblich zurückgegangen sei und die Volksbank sich nunmehr auf den Wechselverkehr beschränkte.161 Zu Beginn des Untersuchungszeitraumes bestanden also verschiedene Möglichkeiten zur Nutzung von Finanzintermediären im engeren Untersuchungsraum. Allerdings waren die Bedarfe der Bevölkerung und das Angebot noch nicht hinreichend abgestimmt.

158 Ebd. 159 LA NRW Düsseldorf, LA Wipperfürth Nr. 158, S. 177, Schreiben des Bürgermeisteramtes Lindlar vom 6. August 1886. 160 Ebd. 161 Ebd.; auf Beschluss der Generalversammlung vom 21. November 1915 wurde die Volksbank liquidiert. Siehe AdVBWL, Amtsgericht Lindlar, Registerband, Reg. Nr. 1, Lindlarer Volksbank, Eintrag vom 26. März 1916.

IV. VON DER GRÜNDUNGSPHASE BIS ZUR FLÄCHENDECKENDEN PRÄSENZ Mit den ländlichen Kreditgenossenschaften wird häufig der Name Friedrich Wilhelm Raiffeisen verbunden.1 Die ersten nach dem Konzept Raiffeisens gegründeten Kreditgenossenschaften in den Kreisen Gummersbach, Waldbröl und Wipperfürth waren die 1874 gegründeten Darlehnskassenvereine in Denklingen und Morsbach (beide Kreis Waldbröl) sowie in Nümbrecht (Kreis Gummersbach).2 Die Morsbacher Kreditgenossenschaft, so Walter Koch, sei infolge der ersten und einzigen „Werbe- und Gründungsreise“,3 die Raiffeisen im Sommer 1868 im Auftrag des Landwirtschaftlichen Vereins für Rheinpreußen unternommen hatte, gegründet worden. Es erscheint jedoch zweifelhaft, ob die Gründung der Morsbacher Kreditgenossenschaft tatsächlich mit der sechs Jahre zuvor stattgefundenen Werbereise Raiffeisens in Verbindung gebracht werden kann. Zunächst soll ein allgemeiner Überblick darüber geben werden, wie viele Kreditgenossenschaften in den rund 40 Jahren nach Raiffeisens Werbereise in den drei untersuchten Verwaltungskreisen gegründet wurden. Der Fokus wird hierbei auf den Kreditgenossenschaften liegen, deren Akten überliefert sind. Alle weiteren Kreditgenossenschaften werden – sofern die wichtigsten Rahmendaten erhoben werden konnten – nur genannt. Was unterschied also die Kreditgenossenschaften nach dem Raiffeisen-Konzept von denen nach dem Konzept Schulze-Delitzschs, für welches der Landwirtschaftliche Verein noch zuvor geworben hatte und nach dem er fast zeitgleich mit Raiffeisens Werbereise die Volksbanken in Wipperfürth, Lindlar, Gummersbach, Eckenhagen und Ohl gegründet hatte? Im Kern waren es die auf den ländlichen Raum respektive die Landwirtschaft zugeschnittenen Regeln: Überwachung von Kreditnehmer und des Managements vereinfacht durch kleine Geschäftsbezirke und durch Face-toface-Beziehungen; an den landwirtschaftlichen Kalender angepasste Ausleihfristen; niedrigere Kosten für die Aufnahme in die Genossenschaft. Die folgende Tabelle stellt sämtliche Kernelemente der beiden Systeme einander gegenüber.4

1 2 3 4

Siehe hierzu etwa Walter: Kreditgenossenschaften, S. 197; Pohl: Bankwesen, S. 123; Pohl: Entwicklung, S. 204, 208 ff.; Henning: Landwirtschaft, S. 91, 93; Lüer: Anspruch, S. 56; Bauer: Gesellschaft, S. 344 f. Schild: 100 Jahre Raiffeisenbank Nümbrecht. Koch: Genossenschaftsgedanke, S. 156. Die Unterschiede der Systeme sollen hier nicht weiter im Detail erläutert werden. Dies ist von diversen Autoren hinreichend vorgenommen worden, siehe unter anderem Koch: Verhältnis; Lüer: Anspruch, S. 67.

146

IV. Von der Gründungsphase bis zur flächendeckenden Präsenz

Tabelle 10: Synopse – Unterschiede in den Prinzipien Raiffeisens und SchulzeDelitzschs Raiffeisen

Schulze­Delitzsch

„möglichst kleinen Geschäftsbezirk, in der Regel eine Pfarrei oder Gemeinde“ und „dürfen nur Personen, welche innerhalb dieses Bezirkes wohnen, als Mitglieder aufnehmen, so daß eine Person nicht Mitglied zweier Vereine werden kann“

---

wenn Geschäftsanteil, dann max. einer pro Mitglied; Dividende nicht höher als Zinsen für Darlehn (grundsätzlich jedoch gegen Geschäftsanteile)

mehrere Geschäftsanteile pro Mitglied möglich; „unbeschränkte Höhe der Dividende“

„so weit als thunlich den ganzen Geldbedarf unter möglichst günstigen Bedingungen und gegen ausreichende Rückzahlungsfristen“, ggf. auch 10 Jahre

drei Monate; „sorgen nur für das umlaufende Betriebskapital“

„zahlen an keine Funktionäre mit Ausnahme der Rechner Vergütungen“, höchstens Erstattung der Barauslagen

zahlen „Beamten hohe Gehälter und Tantiemen“

Bildung von Untergenossenschaften und anderen Einrichtungen, zu Verbesserung der sittlichen und materiellen Verhältnisse der Mitglieder

reine Banken – Geldgeschäfte

Unteilbarer und gemeinschaftlicher Stiftungsfonds für gemeinnützige Zwecke

Verteilung des Geschäftsgewinns, auch im Falle der Auflösung der Reservefonds

Quelle: Erstellt nach Löll: Darlehnskassen-Vereine, S. 6 f.

Nach den Gründungen in Denklingen, Morsbach und Nümbrecht erfolgten 20 Jahre lang keine weiteren Gründungen in den Kreisen Gummersbach, Waldbröl und Wipperfürth. Starke Gründungsaktivitäten lassen sich vielmehr für den westlich des engeren Untersuchungsraumes gelegenen, an Köln angrenzenden Kreis Mülheim/ Rhein konstatieren: Hier wurde zunächst in Immekeppel im Herbst 1877 der Immekeppeler Spar- und Darlehnskassen-Verein gegründet.5 Im Sommer 1878 folgte die Gründung eines Spar- und Darlehnskassen-Vereins in Marialinden.6 Im Jahr 5 6

Gegründet am 2. September 1877; Spar- und Darlehnskasse Immekeppel: [Festschrift]. Am 2. Juni 1878 als Marialindener Darlehnskassenverein eingetragene Genossenschaft zu Ma-

IV. Von der Gründungsphase bis zur flächendeckenden Präsenz

147

1879 wurden weitere Spar- und Darlehnskassen-Vereine in Bensberg, Herkenrath, Overath, Paffrath und Sand gegründet.7 Ein Jahr später folgte die Gründung eines Spar- und Darlehnskassen-Vereins in Rath-Heumar.8 Starke Gründungsaktivitäten lassen sich für die 1880er-Jahre auch im angrenzenden Siegkreis feststellen. Der Mucher Darlehnskassenverein, gegründet am 2. Februar 1880, gehörte Anfang des 20. Jahrhunderts mit 548 Mitgliedern (1905) bei rund 5.000 Einwohnern im Geschäftsgebiet zu den mitgliederstärksten ländlichen Kreditgenossenschaften der Rheinprovinz.9 Mit dem Inkrafttreten des Gesetzes betreffend die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften am 1. Oktober 1889 waren bestehende Genossenschaften nicht aufzulösen, sondern hatten lediglich ihre Statuten zu erneuern. Genossenschaften, die bis dahin noch nicht in das Genossenschaftsregister eingetragen waren, hatten sämtliche Paragrafen ihres Statuts zu ändern und auf der Grundlage des neuen Gesetzes zu reformulieren. Hierzu waren von der Generalanwaltschaft in Neuwied Normalstatuten herausgegeben worden. Auch der Allgemeine Verband der landwirtschaftlichen Genossenschaften (Offenbach) gab entsprechende Mustersatzungen heraus. Neben der Anpassung der Satzungen waren Vorstand und Aufsichtsrat auf der Grundlage der revidierten Statuten neu zu wählen. Hierzu sollten – wie eine vom Oberrevisor des Allgemeinen Verbandes der landwirtschaftlichen Genossenschaften, Dr. Karl Ihrig,10 verfasste Anleitung ,Was ist zu thun um den Bestimmungen des Genossenschafts-Gesetzes vom 1. Mai 1889 zu genügen?‘11 erklärte – außerordentliche Generalversammlungen einberufen werden, an denen mindestens so viele Mitglieder anwesend zu sein hatten, wie das bisherige Statut dies bei Änderungen der Statuten verlangte. Beim Denklinger Darlehnskassen-Verein eG erschienen am 10. November 1889 trotz frühzeitiger, wiederholter Einladung im Waldbröler Kreisblatt nicht genügend Mitglieder, um die Umwandlung vornehmen zu können, woraufhin eine erneute Generalversammlung für den 1. Dezember 1889 einberufen werden musste, um die Statuten „nach den vorliegenden Formularen“12 anzunehmen. Die neuen 7

8 9

10 11 12

rialinden gegründet. Zum Bensberger Darlehnskassen-Verein eG (gegründet 16. März 1879; heute Bensberger Bank eG) siehe Rutt: Heimatchronik, S. 306 f.; Bensberger Volksbank: 100 Jahre; Bensberger Bank: 125 Jahre. Zum Overather Spar- und Darlehnskassen-Verein (gegründet 2. März 1879) siehe Rutt: Heimatchronik, S. 307 f.; Raiffeisenbank Overath eG: [Festschrift]. Zum Paffrather Darlehnskassenverein (gegründet 12. Oktober 1879; Aufnahme des Geschäftsbetriebs am 1. Dezember 1879) siehe Eyll, van: Paffrather; Prüfer: 125 Jahre; Rutt: Heimatchronik, S. 300 ff., nennt den 28. August 1879 als Gründungsdatum; RWWA 401-2-5, Statuten des Herkenrather Darlehnskassen-Vereins eG vom 26. Oktober 1879. RWWA Abt. 1, Firmenakten, Spar- und Darlehnskasse Köln-Rath-Heumar eG. XII. Uebersicht (Statistik) der Geschäfts-Ergebnisse der dem Verbandes rheinischer Genossenschaften eV zu Köln angeschlossenen Genossenschaften 1905, S. IV, 26; Benz/Schröder: Rückblick; Raiffeisenbank Ruppichteroth: Portrait; AdRBMR, 14-8, Unterlagen zum 75-jähriges Jubiläum; AdRBMR, 14-10, Unterlagen zum 75-jährigen Jubiläum. Ihrig, Karl, in: Internationales Handwörterbuch des Genossenschaftswesens, S. 465. – Ihrig wurde 1892 geboren und war später Privatdozent für Genossenschaftswesen. Ihrig: Bestimmungen (1894). AdVBO, Bestand RB Wiehl, 30-8, Denklinger Darlehnskassen-Verein, GV-Protokoll vom 1.

148

IV. Von der Gründungsphase bis zur flächendeckenden Präsenz

Statuten wurden hierzu paragrafenweise verlesen; anschließend wurde einzeln über jeden Paragrafen abgestimmt. Im Anschluss daran wurde über die Annahme des revidierten Statutes insgesamt abgestimmt und das Statut von allen Mitgliedern unterzeichnet. Mit dieser Vorgehensweise sollte ausgeschlossen werden, dass einzelne Mitglieder im Nachhinein behaupten konnten, die neuen Regeln nicht zu kennen. Für das Prozedere konnten die Genossenschaften nicht nur auf die Mustersatzungen zurückgreifen, sondern auch Protokollformulare über die Anwaltschaft des Allgemeinen Verbandes der deutschen Landwirtschaftlichen Genossenschaften oder über die Raiffeisen-Organisation beziehen. Das neue Statut war beim Amtsgericht, das mit dem Inkrafttreten des Genossenschaftsgesetzes ein selbstständiges Genossenschaftsregister zu führen hatte,13 samt Mitgliederliste und Abschrift der Urkunde über die Bestellung des Vorstandes und Aufsichtsrates einzureichen und zudem zu veröffentlichen, sodass die interessierte Öffentlichkeit, Geschäftspartner und Einleger über die neuen Bestimmungen informiert waren.14 Zudem sollte jedes Mitglied ein Exemplar der neuen Satzung erhalten – auch diese Vordrucke, wie auch neue Mitgliederbücher, konnten über die bereits bestehenden Verbände bezogen werden. 1. BESTANDSAUFNAHME: DIE LÄNDLICHEN KREDITGENOSSENSCHAFTEN IM DEUTSCHEN REICH, IN PREUSSEN UND DER RHEINPROVINZ Im Jahr 1859 existierten in dem Gebiet des späteren Deutschen Reiches 80 Kreditvereine mit 18.676 Mitgliedern (durchschnittlich 233 Mitglieder pro Verein). Insgesamt hatten diese Kassen Darlehn von rund vier Mio. Thalern vergeben und verwalteten circa eine Mio. Thaler Spareinlagen. Rund zehn Jahre später, 1868, gab es 666 Kreditvereine, die insgesamt rund 140 Mio. Thaler als Darlehn an ihre Mitglieder vergeben hatten. Die Spareinlagen waren auf 34 Mio. Thaler angewachsen. Allein in der Rheinprovinz bestanden Anfang des Jahres 1870 97 Kreditgenossenschaften.15 Vier Jahre nach Inkrafttreten des Genossenschaftsgesetzes gab es im Deutschen Reich 8.400 eingetragene Genossenschaften. Davon waren rund 60 Prozent ländliche beziehungsweise landwirtschaftliche Genossenschaften (siehe Abb. 3).16

13 14 15 16

Dezember 1889. RGBl., 1889, Nr. 11, GenG, S. 150, § 1. Ihrig: Bestimmungen (1894), S. 3 f. Wipperfürther Kreis Intelligenz-Blatt vom 26. Februar 1870, S. 1. Für einen allgemeinen Überblick über die wichtigsten Daten zur Entwicklung der Geschäftstätigkeit der ländlichen Kreditgenossenschaften im Deutschen Reich siehe für den Zeitraum 1901 bis 1910 beziehungsweise 1901 bis 1911 Petersilie: Mitteilungen (1912), S. 5; ders.: Mitteilungen (1913), S. 5.

1. Bestandsaufnahme

149

Abbildung 3: Eingetragene Genossenschaften im Deutschen Reich (alle Typen) (1893–1925)

Quelle: Reichsverband: Taschenbuch (1926), S. 262; Reichsverband: Taschenbuch (1930), S. 403 ff.

Abbildung 4: Landwirtschaftliche Genossenschaften im Deutschen Reich (ohne Zentralgenossenschaften) (1900–30)

Quelle: Reichsverband: Taschenbuch (1926), S. 262; Reichsverband: Taschenbuch (1930), S. 403 ff.

Im Jahr 1890 bestanden in der Rheinprovinz 213 Darlehnskassen-Vereine, fünf Jahre später ungefähr doppelt so viele. Folgende Bestandsaufnahme zeigt das starke Wachstum der Genossenschaftsbewegung bis zu Beginn des Ersten Weltkrieges. Erst danach setzt eine Stagnation ein, wie auch Abbildung 4 wiedergibt. In Preußen existierten 1895 rund 3.380 ländliche/landwirtschaftliche Genossenschaften, davon rund 591 in der Rheinprovinz.17 Bis 1903 – in nur zehn Jahren – stieg die Zahl der 17

Vgl. Verband rheinischer landwirtschaftlicher Genossenschaften: Verband, S. 43. Hier heißt es,

150

IV. Von der Gründungsphase bis zur flächendeckenden Präsenz

eingetragenen Genossenschaften im Deutschen Reich um mehr als das zweieinhalbfache auf 22.800 Genossenschaften, von denen rund 75 Prozent (17.162) im ländlichen Raum angesiedelt waren. Von den rund 17.100 deutschen ländlichen/ landwirtschaftlichen Genossenschaften hatten circa 10.600 (1905) ihren Sitz im Königreich Preußen. Bis 1913 stieg die Zahl der eingetragen Genossenschaften im Deutschen Reich nochmals um 11.500 auf 34.300 Genossenschaften – davon waren fast 80 Prozent ländliche beziehungsweise landwirtschaftliche Genossenschaften. Am 1. Juni 1915 existierten in Preußen 10.615 ländliche/landwirtschaftliche Genossenschaften, von denen 2.225 auf die Rheinprovinz entfielen (1905: 1.887).18 76 Prozent der 591 im Jahr 1895 in der Rheinprovinz existierenden ländlichen/landwirtschaftlichen Genossenschaften waren Kreditgenossenschaften.19 Mit der zunehmenden Umwandlung von landwirtschaftlichen Casinos in Bezugs- und Absatzgenossenschaften und der Gründung weiterer Molkereigenossenschaften nahm der Anteil der Kreditgenossenschaften am Gesamtbestand der rheinischen ländlichen/landwirtschaftlichen Genossenschaften bis 1915 auf 67 Prozent ab. Von den 1.887 ländlichen/landwirtschaftlichen Genossenschaften im Jahr 1905 waren 1.273 Kreditgenossenschaften. Bis 1915 stieg die Zahl der Kreditgenossenschaften nochmals leicht um 338 Kreditgenossenschaften an. Abbildung 5: Anzahl der landwirtschaftlichen/ländlichen (Kredit-) Genossenschaften in Preußen beziehungsweise in der Rheinprovinz (1895–1930)

Quelle: Reichsverband: Taschenbuch (1926), S. 303, 305; Reichsverband: Taschenbuch (1930), S. 403 ff.

18 19

dass in den Jahren 1890 bis 1895 die Zahl der rheinischen Kreditgenossenschaften um 446 auf 659 Kreditgenossenschaften stieg. Reichsverband: Taschenbuch (1926), S. 262; Reichsverband: Taschenbuch (1930), S. 403 ff. Siehe hierzu auch Wygodzinski: Entwicklung, S. 7 ff.

151

1. Bestandsaufnahme

Die große Gründungswelle war in der Rheinprovinz spätestens 1910 abgeschlossen.20 So „eindrucksvoll“21 die Entwicklung des ländlichen Genossenschaftswesens sich überhaupt darstellte, addierte Willy Wygodzinski zu den landwirtschaftlichen Genossenschaften auch noch mindestens 1.000 rheinische landwirtschaftliche Casinos hinzu, zumal diese de facto die gleichen Aufgaben wie Bezugsund Absatzgenossenschaften abwickelten, ohne jedoch die Rechtsform der eingetragenen Genossenschaft angenommen zu haben. Nach Wygodzinskis Meinung seien zudem die verschiedenen Versicherungsvereine, Wald- und Wassergenossenschaften sowie Vereinigungen auf dem Gebiet der Viehzucht hinzuzurechnen, um ein vollständiges „Bild der genossenschaftlichen Organisation“22 zu erhalten. Für die untersuchten Kreise Gummersbach, Waldbröl und Wipperfürth lassen sich nach ersten Gründungsaktivitäten zwischen 1870 und 1874 erst ab 1890 wieder neue Gründungen feststellen. Die Gründungswelle im engeren Untersuchungsgebiet war weitestgehend kongruent mit der Hauptgründungsphase generell in der Rheinprovinz. Die folgende Tabelle 11 umfasst ausschließlich Kreditgenossenschaften, die in die Analyse in den Kapiteln IV bis IX eingeflossen sind. Tabelle 11: Ländliche Kreditgenossenschaften in den Kreisen Wipperfürth, Gummersbach und Waldbröl nach Verbandszugehörigkeit Wipperfürth Verband rheinischer Genossenschaften, Köln (Verband Köln)

Verband der rheinpreu­ ßischen landwirtschaft­ lichen Genossenschaf­ ten, Bonn (Verband Bonn)

20 21 22

Gummersbach

Waldbröl

Derschlag (1905) Dieringhausen (1895) Drabenderhöhe (1906) Rodt-Müllenbach (1905) Ründeroth (1903)

Denklingen (1909)

Agathaberg (1894) Egen (1894) Frielingsdorf (1909) Hohkeppel (1894) Hönninge (1894) Kreuzberg (1894) Linde (1900) Olpe (1901) Süng (1908) Thier (1907) Wipperfeld (1903)

Reichsverband: Taschenbuch (1926), S. 303, 305; Reichsverband: Taschenbuch (1930), S. 403 ff. Wygodzinski: Entwicklung, S. 7. Ebd.

152

IV. Von der Gründungsphase bis zur flächendeckenden Präsenz

Verband ländlicher Genossenschaften Raiffeisenscher Organisation der Rheinlande, Koblenz (Raiffeisen Verband)

Wipperfürth

Gummersbach

Waldbröl

Engelskirchen (1899)

Marienberghausen (1900) Mühlen (1901) Nümbrecht (1874) Oberbantenberg (1903)

Brüchermühle (1909) Dattenfeld (1882) Morsbach (1874) Rosbach (1907)

Trierischer Revisions­ verband landwirt­ schaftlicher Genossen­ schaften in der Rheinprovinz, im Fürstentum Birkenfeld und in Elsass­Lothrin­ gen, Trier (Verband Trier) Revisionsverband des Bundes deutscher Landwirte (BDL), Berlin

Klaswipper (1900)

Quelle: RWGV-Leihgabe, Stammrolle des Verbandes rheinischer Genossenschaften, Köln; Preußische Central-Genossenschafts-Kasse: Jahr- und Adreßbuch der Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften (1908); Reichsverband: Jahrbuch (1907).

In der linken Spalte sind alle im Untersuchungsraum vertretenen Genossenschaftsverbände aufgeführt. Die oberste Zeile gibt die untersuchten Kreise wieder. Bei der Betrachtung der Tabelle fällt die schachbrettartige Verteilung der Kreditgenossenschaften auf, was darauf schließen lässt, dass die Genossenschaftsverbände Art ‚Agitationsreviere‘ in den Grenzen der Verwaltungskreise absteckten, systematisch Kreditgenossenschaften initiierten und ihrem Verband anschlossen. Die Tabelle gibt den Stand um 1906/1910 wieder. Zu diesem Zeitpunkt war die Phase der Neugründungen weitgehend abgeschlossen, sodass sich die Anzahl der im Untersuchungsraum bestehenden Kreditgenossenschaften bis zum Ende des Untersuchungszeitraumes kaum noch veränderte.23 Das genossenschaftliche „Netz“24 – wie es in der zeitgenössischen Berichterstattung der Genossenschaftsverbände, der Landwirtschaftskammer und des Rhei23 24

LWK: Jahresbericht für 1910 und den fünfjährigen Zeitraum 1906–1910, S. 264. – Zwischen 1905 und 1910 ist die Zahl der Genossenschaften kaum größer geworden. Ebd., S. 255; siehe auch Rheinischer Bauernverein: Bericht 1911. – Die Die LWK druckte in ihrem Geschäftsbericht auch die Berichte der Genossenschaftsverbände ab. Vgl. LWK: Jahresbericht für 1905 und den fünfjährigen Zeitraum 1901–1905, S. 148; Verband rheinischer landwirtschaftlicher Genossenschaften: Verband, S. 43 ff. – Auch außerhalb der genossenschaftlichen Literatur der Rheinprovinz fand dieser Begriff Verwendung, so etwa in de Landwirt-

1. Bestandsaufnahme

153

nischen Bauernvereins immer wieder hieß – überzog um 1905 bereits die ganze Rheinprovinz. Im Jahresbericht der Landwirtschaftskammer für die Rheinprovinz für das Jahr 1910 rapportierte der Verband rheinischer Genossenschaften (Köln), dass der Zuwachs an Kreditgenossenschaften, das heißt die Anzahl der Neugründungen, gegenüber den Vorjahren viel geringer geworden war, da „die Rheinprovinz zurzeit mit einem engmaschigen Netz von Genossenschaften überspannt“25 war, sodass es nur noch wenige Orte gab, „in welchen nicht schon eine Genossenschaft der einen oder anderen Art“26 bestand. Vor allem in den größeren Ortschaften des Verbandsbezirkes seien inzwischen Kreditgenossenschaften gegründet worden.27 Bereits im Jahr 1900 berichteten die Genossenschaftsverbände, dass das landwirtschaftliche Genossenschaftswesen in der Rheinprovinz „fortgesetzt eine gesunde Entwicklung“28 nahm und „in fast sämmtliche landwirthschaftliche Betriebszweige Eingang gefunden“29 hatte: „Auf Schritt und Tritt im rheinischen Lande treffen wir Spuren genossenschaftlicher Einrichtungen oder genossenschaftlicher Thätigkeit. In den Straßen der Stadt wie im kleinsten Dorfe lesen wir auf Aushängeschildern ‚Spar- und Darlehnskasse eGmuH‘“.30 Die Statistik des Reichsverbandes der deutschen landwirtschaftlichen Genossenschaften belegt diese Äußerungen. Hiernach bestanden zu Beginn des Ersten Weltkrieges in der Rheinprovinz 1.505 Kreditgenossenschaften, insgesamt gab es dort 2.225 landwirtschaftliche Genossenschaften.31 Noch 20 Jahre zuvor hatte es in der Rheinprovinz insgesamt nur 591 landwirtschaftliche Genossenschaften gegeben, wovon drei Viertel (451) Kreditgenossenschaften waren.32 Die meisten Neugründungen können für die Zeit zwischen 1895 und 1905 konstatiert werden.33 Während dieses Zeitraumes wurden in der Rheinprovinz 822

25 26 27 28 29 30 31 32 33

schaftlichen Genossenschaftszeitung, Nr. 10, 1904. Hier heißt es, dass das Deutsche Reich von einem „dichten Netz“ ländlicher Spar- und Darlehnsgenossenschaften „überzogen“ sei, dass deren Wirkungskreis „sich fast durchweg auf eine einzelne Gemeinde beschränkt“ und für die ländliche Bevölkerung „eine leicht erreichbare und durchaus sichere Sparstelle“ darstelle. LWK: Jahresbericht für 1910 und den fünfjährigen Zeitraum 1906–1910, S. 274. Ebd. Ebd., S. 285. LWK: Jahresbericht 1900, S. 20. Ebd. Ebd. Reichsverband: Taschenbuch (1926), S. 303, 305. Zahlen für 1. Juni 1915. Ebd.; Zahlen für 1. Juli 1895. Auch Erhebungen des Königlich Preußischen Statistischen Landesamtes bestätigen deutlich eine Gründungswelle im Zeitraum 1895 bis 1900: Während in Preußen in der ersten Hälfte der 1890er-Jahre 1.172 Kreditgenossenschaften, davon 214 im Rheinland (einschließlich Hohenzollern) gegründet wurden, wurden in der zweiten Hälfte der 1890er-Jahre in Preußen 3.083 Kreditgenossenschaften, davon 494 im Rheinland (einschließlich Hohenzollern) ins Leben gerufen. Darauf folgte ein Abflachen der Gründungsaktivitäten: 1900 bis 1905 wurden 1.961 weitere Kreditgenossenschaften im Königreich Preußen gegründet, davon 332 in Rheinland (einschließlich Hohenzollern), was nur noch 63,6 beziehungsweise 67,2 Prozent der Gründungsaktivitäten der Jahre 1895 bis 1900 entsprach. Siehe Petersilie: Entwicklung, S. 20 ff. Zur Gründungsentwicklung siehe ebd., S. 2–12, insbesondere Tab. ,Genossenschaften in den preussischen Regierungsbezirken und Kreisen, 1898 und 1905‘ (S. 7–12); siehe auch Kluge: Geschichte, S. 477 f., Tab. 5 ,Regionale Ausbreitung der deutschen Bankgenossenschaften‘.

154

IV. Von der Gründungsphase bis zur flächendeckenden Präsenz

neue Kreditgenossenschaften gegründet – zwischen 1905 und 1915 waren es nicht einmal mehr ein Drittel so viele. Die Statistiker des Reichsverbandes haben zur Ermittlung dieses Netzes die Zahl der landwirtschaftlichen Genossenschaften den Einwohnerzahlen nach der Volkszählung vom 1. Dezember 1905 gegenübergestellt. Hiernach kamen im Jahr 1902 in der Rheinprovinz 3.675 Ortsansässige und 1905 3.052 Ortsansässige auf eine landwirtschaftliche Genossenschaft. Im preußischen Durchschnitt waren es im Jahr 1905 3.247, im Jahr 1902 noch durchschnittlich 3.912 Ortsansässige.34 Am dichtesten mit landwirtschaftlichen Genossenschaften bedeckt war die ehemalige Grafschaft Waldeck (Stand 1905), gefolgt von der Pfalz, Hessen und Württemberg. Die Rheinprovinz lag hiernach lediglich auf Platz 22, Westfalen noch weiter abgeschlagen auf Platz 28.35 Im Vergleich der Anzahl der Genossenschaften in der Rheinprovinz mit der Bevölkerungszahl mit Stand 1. Dezember 1905 zeigt sich, dass am 1. Juli 1906 2.981 Einwohner auf eine Genossenschaft entfielen, 1909 waren es 3.065 Einwohner.36 Gemessen an der Einwohnerzahl nach der Volkszählung vom 1. Dezember 1910 kam im Jahr 1913 in der Rheinprovinz auf durchschnittlich 3.241 Einwohner eine landwirtschaftliche Genossenschaft.37 Demnach wurden bis 1905/06 offensichtlich mehr Genossenschaften gegründet als die Bevölkerung zunahm, während bis zum Ersten Weltkrieg das zunehmende Bevölkerungswachstum auf eine Stagnation der Gründungsaktivitäten traf. Rund 2,5 Mio. Landwirte – von Doppelmitgliedschaften abgesehen – waren im Jahr 1913 reichsweit Mitglied in landwirtschaftlichen Genossenschaften, das heißt rund die Hälfte aller Inhaber eines landwirtschaftlichen Betriebes war genossenschaftlich organisiert.38 Dieser Erfolgsgeschichte zum Trotz ist darauf hinzuweisen, dass auch im engeren Untersuchungsraum in dieser Zeit einige Kreditgenossenschaften liquidiert wurden. Im Berichtsjahr 1904/05 wurden im Deutschen Reich 54 Kreditgenossenschaften aufgelöst, gegenüber 758 Neugründungen. Im Berichtszeitraum 1893/1894 bis 1904/05 fanden die meisten Auflösungen im Jahr 1898/99 mit insgesamt 71 Auflösungen statt.39 Zwischen 1904/05 und 1910/11 wurden mit 77 Auflösungen die meisten Kreditgenossenschaften 1906/07 liquidiert. 1910/11 kamen insgesamt 60 Kreditgenossenschaften im Deutschen Reich zur Liquidation.40 Insgesamt kam es damit dennoch weit weniger bei ländlichen als bei städtischen Kreditgenossenschaften zur Auflösung.41 Liquidationen ländlicher Kreditgenossenschaften kamen laut Reichsverband immer wieder bei solchen Genossenschaften vor, die ohne An34

Reichsverband: Jahrbuch 1905, S. 15. – Auf einen Hektar landwirtschaftlich genutzte Fläche gerechnet kamen in der Rheinprovinz am 1. Juli 1905 862 landwirtschaftliche Genossenschaften (1902: 1.038) und in Preußen durchschnittlich 2.169 landwirtschaftliche Genossenschaften (1902: 2.613). 35 Ebd. 36 Durchschnittlich entfiel auf 584 Hektar landwirtschaftlich genutzte Fläche eine landwirtschaftliche Genossenschaft. 37 Reichsverband: Jahrbuch 1915, S. 19. – 1912: 3.280; 1914: 3.195; 1915: 3.201. 38 Wygodzinski: Entwicklung, S. 7 f. 39 Reichsverband: Jahrbuch 1905, S. 12. 40 Reichsverband: Jahrbuch 1911, S. 14. 41 Ebd.

2. Vertikale Integration

155

schluss an Genossenschaftsverbände und „meist von unkundigen Leuten“42 gegründet worden waren und überwiegend erst gar keine „Lebensfähigkeit“43 erlangt hatten. Oftmals wurden Kreditgenossenschaften aufgelöst, wenn sie räumlich zu nah beisammen lagen, zum Beispiel wenn in einem Dorf zwei Kreditgenossenschaften oder zwei Bezugs- und Absatzgenossenschaften bestanden; oder in zwei nicht weit voneinander entfernt liegenden Dörfern jeweils eine Kreditgenossenschaft gegründet worden war, insbesondere wenn diese beiden von konkurrierenden Verbänden initiiert worden waren. Dieser Fall konnte für den engeren Untersuchungsraum jedoch nicht konstatiert werden. Als weitere Ursache für das Scheitern einer Genossenschaft ist das Fehlen qualifizierter und engagierter Mitglieder für die Aufsichtsrats-, Vorstands- und Rechnerämter zu nennen. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die zahlenmäßige Entwicklung der rheinischen ländlichen Kreditgenossenschaften rasch fortschritt. Eine Gründungswelle lässt sich für die Jahre 1895 bis 1900 ausmachen. Mit rund 15.000 Genossenschaften (1906: 15.108) waren die Kreditgenossenschaften die größte Gruppe der Genossenschaften im Deutschen Reich (insgesamt 24.646 Genossenschaften, davon 2.656 Konsumgenossenschaften, 2.281 landwirtschaftliche Bezugsgenossenschaften und 3.567 landwirtschaftliche Verwertungsgenossenschaften).44 2. VERTIKALE INTEGRATION: DIE (RHEINISCHEN) GENOSSENSCHAFTSVERBÄNDE UND IHRE GENOSSENSCHAFTSKONZEPTE Für das Rheinland kam bei der Verbreitung und langfristigen Installation der Kreditgenossenschaft eine besondere Bedeutung dem schon mehrfach genannten Landwirtschaftlichen Verein für Rheinpreußen zu, der nicht nur in den Kreisen Gummersbach, Wipperfürth und Waldbröl um 1870 mehrere Kreditgenossenschaften nach dem Konzept Schulze-Delitzschs initiiert hatte. Von den 153 im Jahr 1882 in der Rheinprovinz insgesamt bestehenden Darlehnskassen-Vereinen gehörten 102 Raiffeisens Anwaltschaftsverband in Neuwied an. Einen großen Anteil an dem Größenwachstum des ländlichen Genossenschaftswesens beanspruchte der Landwirtschaftliche Verein für sich: „es ist eine unumstößliche Thatsache, daß die überwiegend größte Zahl dieser Kassen durch den landwirthschaftlichen Verein für Rheinpreußen und seine Organe ins Leben gerufen worden ist“.45 Und auch noch Anfang der 1890er-Jahre seien eine Vielzahl der inzwischen 238 dem Anwaltschaftsver42 43 44

45

Reichsverband: Jahrbuch 1905, S. 12. Ebd. Mit den gleichen Worten werden auch in Reichsverband: Jahrbuch 1911, S. 14, die Ursachen für die Auflösungen beschrieben. Petersilie: Mitteilungen (1908), S. 29; ebd., S. 30, Tab. ,Die Genossenschaften nach dem Gegenstande des Unternehmens am 1. Januar 1903, 1904, 1905 und 1906 in den grösseren Bundesstaaten‘; ebd., S. 1* f., Tab. Ia ,Stand der eingetragenen Genossenschaften nach der Haftpflicht am 1. Januar 1906‘; ebd., S. 3*–13*, Tab. Ib ,Stand der eingetragenen Genossenschaften nach der Haftpflicht und nach dem Gegenstand des Unternehmens am 1. Januar 1906‘, insbes. S. 7* f. Havenstein: Ausbau, S. 1.

156

IV. Von der Gründungsphase bis zur flächendeckenden Präsenz

band angeschlossenen Kreditgenossenschaften auf die Initiative des Landwirtschaftlichen Vereins zurückzuführen.46 Vonseiten der Verbände und der Politik wurde immer wieder die starke Zersplitterung des Genossenschaftswesens in der Rheinprovinz beklagt; Schlagworte wie „Kräftebündelung“ wurden seit 1900 immer wieder – nicht nur von den Genossenschaftsverbänden selbst – skandiert. Bis 1889 hatte es für die ländlichen Genossenschaften in der Rheinprovinz nur die Möglichkeit gegeben, den Anschluss an Raiffeisens Generalanwaltschaft zu suchen. Nach Inkrafttreten des Genossenschaftsgesetzes am 1. Mai 1889 gründeten jedoch drei der rheinischen landwirtschaftlichen Interessenvertretungen nach und nach eigene regionale Revisionsverbände: Im Jahr 1889 hatte zunächst der Landwirtschaftliche Verein für Rheinpreußen den Verband der rheinpreußischen landwirtschaftlichen Genossenschaften e.V. (Bonn) (im Folgenden kurz Verband Bonn) gegründet; 1891 gründete der Rheinische Bauernverein den Rheinischen Revisionsverband (Kempen), der 1901 seinen Sitz nach Köln verlegte (daher im Folgenden kurz als Verband Köln bezeichnet); 1895 folgte der Trierische Bauernverein mit der Gründung des Trierischen Genossenschafts-Verband ländlicher Darlehnskassen eGmbH (kurz Verband Trier). Alle drei Verbände erhielten das Revisionsrecht. Laut ihrer Satzungen erstreckte sich der Tätigkeitsbereich aller drei Verbände auf die Rheinprovinz, wobei der Trierer Verband im engeren Untersuchungsraum für die Genossenschaften direkt keine Rolle spielte. Dennoch wird der Verband kurz vorgestellt, da seine Tätigkeit für die gesamtrheinische Entwicklung bedeutsam war. a) Verband der rheinpreußischen landwirtschaftlichen Genossenschaften e.V., Bonn Wilhelm Haas,47 Anwalt des ‚Konkurrenzverbandes‘, der Vereinigung deutscher landwirtschaftlicher Genossenschaften (später Reichsverband), und neben Raiffeisen die bekannteste Persönlichkeit der ländlichen Genossenschaftsbewegung im 19. Jahrhundert, beschrieb bei der Gründung des Bonner Verbandes, dass bereits so viele Genossenschaften in der Rheinprovinz bestünden, dass durchaus ‚Platz‘ für eine weitere Organisation sei, zum anderen war es nach Haas‘ Ansicht nach Inkrafttreten des Genossenschaftsgesetzes nur noch eine Frage der Zeit, bis sich die Landwirtschaftlichen Casinos in die Rechtsform der Genossenschaft umwandeln würden und damit neuer Bedarf nach einem Revisionsverband für diese entstehen 46 47

Ebd. Karl Friedrich Wilhelm Haas: *26. Oktober 1839 (Darmstadt), †8. Februar 1913 (Darmstadt). Jurist; 1881 bis 1912 nationalliberaler Abgeordneter des Hessischen Landtages. Haas zählte neben Hermann Schulze-Delitzsch und Friedrich Wilhelm Raiffeisen zu den Pionieren des deutschen Genossenschaftswesens. 1873 initiierte er die Gründung des Verbandes der hessischen landwirtschaftlichen Konsumvereine, dessen Präsident er war. Auf seine Anregung entstand 1879 der erste hessische Verband für Kreditgenossenschaften, der Verband der hessischen landwirtschaftlichen Kreditgenossenschaften, der nach dem Beitritt badischer, nassauischer und westfälischer Kreditgenossenschaften in Verband der südwestdeutschen landwirtschaftlichen Kreditgenossenschaften umfirmiert wurde. Siehe Maxeiner: Haas, S. 922–928.

2. Vertikale Integration

157

würde. Daher sah er die Notwendigkeit, einen Verband zu schaffen, der mit „Rat u. That“48 den Genossenschaften – auch den landwirtschaftlichen Bezugs- und Absatzgenossenschaften – zur Seite stand. In den Festschriften des Verbandes der rheinpreußischen landwirtschaftlichen Genossenschaften e.V. wird immer wieder das „starre Festhalten“49 Raiffeisens an dem Grundsatz, ausschließlich Spar- und Darlehnskassen seines Systems als Mitglieder in seine Organisation aufzunehmen, als Motiv für die Gründung des neuen Verbandes in Bonn benannt. Des Weiteren stießen die starke Zentralisation der Raiffeisen-Organisation und die „Festlegung der einzelnen Vereine auf das Normalstatut“50 und damit die rigorosen Bestimmungen über den Stiftungsfonds auf Ablehnung beim Landwirtschaftlichen Verein. Josef Schellenberger, späterer Geschäftsführer des Bonner Verbandes, führte in einem Schreiben an den Gummersbacher Landrat Kirschstein im Jahr 1901 mehrfach dezidiert aus, dass insbesondere der Stiftungsfonds, den die Raiffeisen-Statuten vorsahen, bereits vor 1889 vonseiten des Landwirtschaftlichen Vereins erheblich kritisiert worden war. Der unteilbare Fonds konnte auch nach Auflösung einer Genossenschaft nicht unter den Mitgliedern aufgeteilt werden, sondern ging an die Neuwieder Raiffeisen-Organisation und wurde dort so lange verwaltet, bis sich in dem gleichen Ort eine neue Spar- und Darlehnskasse nach den Raiffeisen-Prinzipien gründete. Die Änderung dieser Bestimmung wurde durch andere Paragrafen in der Raiffeisen-Satzung erheblich erschwert, sodass es in der „Praxis nahezu unmöglich wurde“,51 die Bestimmungen abzuändern: „Hierdurch wurden die Vereine ihrer Bewegungsfreiheit ziemlich beraubt und waren sie vollständig in die Hand der Neuwieder Zenthale [sic!] gegeben“.52 Ähnliche Schwierigkeiten ergaben sich auch hinsichtlich des Anschlusses an die Neuwieder Zentralkasse, an welche sich die Genossenschaften laut Normalstatut anzuschließen hatten. Einmal erworbene Aktien an der Zentralkasse konnten nur mit Genehmigung des Vorstandes der Zentralkasse (etwa an eine andere Genossenschaft) übertragen werden, was nach Ansicht Schellenbergers „in den meisten seither vorgekommenen Fällen versagt“53 worden war. Wichtigste Intention des Landwirtschaftlichen Vereins bei der Gründung eines neuen Genossenschaftsverbandes war es, einen stärker auf die lokalen Verhältnisse ausgerichteten Verband zu schaffen. Oberstes Gebot sei es, vor der Gründung neuer Genossenschaften durch die Verbände in Kooperation mit dem Landwirtschaftlichen Verein, die Verhältnisse im Bezirk der neu zu gründenden Genossenschaften „in genossenschaftlicher Hinsicht eingehend zu prüfen, um festzustellen, wo die

48 49 50 51 52 53

RWGV-Leihgabe, GV-Protokolle des Verbandes der rheinpreussischen landw. Genossenschaften zu Bonn in den Jahren 1889 bis incl. 1898, Originalprotokoll der Errichtung des Verbandes der Rheinpreussischen landwirthschaftlichen Genossenschaften vom 5. Oktober 1889. Verband rheinischer landwirtschaftlicher Genossenschaften: Verband, S. 15. LA NRW Düsseldorf, LA Gummersbach Nr. 87, Schreiben des Verbandes der rheinpreußischen landwirtschaftlichen Genossenschaften an den Vorsitzenden des Kreisausschusses, Landrat Kirschstein, Gummersbach, vom 14. Juni 1901. Ebd. Ebd. Ebd.

158

IV. Von der Gründungsphase bis zur flächendeckenden Präsenz

landwirtschaftlichen Verhältnisse die Vorbedingungen zur Gründung segensreich wirkender Genossenschaften in sich tragen“.54 Am 5. Oktober 1889 wurde der Verband der rheinpreußischen landwirtschaftlichen Genossenschaften in Bonn gegründet.55 Letztlich angestoßen wurde die Gründung durch das Inkrafttreten des neuen Genossenschaftsgesetzes am 1. Mai 1889, insbesondere durch die Einführung der gesetzlichen Revision, die neben der Einführung der beschränkten Haftpflicht und der beschränkten Nachschlusspflicht zu den bedeutendsten Neuregelungen gehörte.56 Auf der konstituierenden Sitzung formulierte auch Wilhelm Haas erneut die Motive, die zur Gründung dieses neuen regionalen Verbandes geführt hatten: Diese sei begründet im „Wesen des landwirtschaftlichen Vereins, der sich die Förderung der landwirtschaftlichen Interessen zur Aufgabe gemacht habe, und in Verfolg dieser Aufgabe stets die Förderung des Genossenschaftswesens im Auge gehabt habe. Die nähere Veranlassung sei die Veröffentlichung des Genossenschaft-Gesetzes vom 1. Mai d. J. [1889; Anm. d. Verf.] gewesen, welches den Genossenschaften eine alle 2 Jahre wiederkehrende Revision zur Bedingung mache. Da diese Revision nun nicht allein von den gerichtlich beauftragten Revisoren ausgeführt werden könne, sondern auch von solchen, die von einem Verbande damit bewilligt wären, so liege die Gründung eines solchen Revisionsverbandes nahe, besonders in Anbetracht der verschiedenen damit von verbundenen Vorteile“.57 Die Agitation des Anwaltschaftsverbandes gegen den Landwirtschaftlichen Verein beziehungsweise dessen Casinos war sicherlich auch ein Grund, einen eigenen Verband zu gründen. Raiffeisen & Cons.58 versuchte bereits Anfang der 1880er-Jahre, den Landwirtschaftlichen Verein aus seinem traditionellen Geschäfts54 55

56

57

58

Ebd. RWGV-Leihgabe, GV-Protokolle des Verbandes der rheinpreussischen landw. Genossenschaften zu Bonn in den Jahren 1889 bis incl. 1898, Originalprotokoll der Errichtung des Verbandes der Rheinpreussischen landwirthschaftlichen Genossenschaften vom 5. Oktober 1889. Im Protokoll selbst wird landwirtschaftlich ohne ,h‘ geschrieben. Dehkordi: Entwicklung, S. 21. Das Gesetz schrieb nun mit dem § 51 als eine entscheidende normative Neuerung die regelmäßige Revision (alle zwei Jahre) der Primärgenossenschaften vor. Siehe RGBl. 1889, Nr. 11, GenG, S. 68; ebd., S. 68–71. Die Revision wurde geregelt in §§ 5-62. RWGV-Leihgabe, GV-Protokolle des Verbandes der rheinpreussischen landw. Genossenschaften zu Bonn in den Jahren 1889 bis incl. 1898, Protokoll der konstituierenden Versammlung des Verbandes der Rheinpreussischen landwirthschaftlichen Genossenschaften vom 5. Oktober 1889; vgl. Verband rheinischer landwirtschaftlicher Genossenschaften: Verband, S. 16. Hier findet sich die Anmerkung, dass man sich erst 1889 zur Gründung des Verbandes entschieden habe, aus „Rücksichtnahme auf die Person Raiffeisens“. Diese „Rücksichtnahme mußte fallen, als Raiffeisen 1888 starb.“ Raiffeisendruckerei: Zeitraffer, S. 11–14. – Die Firma Raiffeisen, Faßbender & Cons. wurde am 14. Juni 1881 als offene Handelsgesellschaft in das Handelsregister eingetragen. Raiffeisen brachte neben der Druckerei eine Versicherungsagentur sowie seine Weinhandlung und 13.000 Mark Grundkapital in die Firma ein. Mitinhaber waren Martin Faßbender sowie Raiffeisens Tochter Amalie. Die Firma fungierte zugleich als Pensionskasse für Verbandsmitarbeiter. Raiffeisen selbst leitete die Firma bis 1888. Im Juli 1899 wurde die Firma umstrukturiert und als Unterabteilung ,Druckerei und Verlag‘ der neu gebildeten Warenabteilung der Landwirtschaftlichen Central-Darlehnskasse für Deutschland geführt. 1902 wurde zudem eine Buchbinderei

159

2. Vertikale Integration

feld, dem Bezug- und Absatzgeschäft landwirtschaftlicher Betriebsmittel und Erzeugnisse, zu verdrängen. Unterstützt wurde Raiffeisen & Cons. von jungen Handlungsgehilfen, die (insbesondere im Siegkreis) in Vorträgen gegen den Landwirtschaftlichen Verein wetterten und die Mitglieder der bereits bestehenden Darlehnskassen-Vereine von der Entbehrlichkeit des Landwirtschaftlichen Vereins beziehungsweise deren landwirtschaftlicher Casinos zu überzeugen versuchten. Daraufhin installierte der Landwirtschaftliche Verein 1887 eine erste Organisation zur Bündelung der Interessen der landwirtschaftlichen Bevölkerung sowie zur Befriedigung derer Bedarfe. Mit der Gründung einer Bezugskommission sollten die Bestellungen der Casinos zusammengefasst werden, um günstigere Preise zu erzielen, als wenn der einzelne Landwirt für sich beziehungsweise die Casinos kleine Magen für einige wenige Landwirte Futter- und Düngemittel orderten. Die Bezugskommission war jedoch nur Vermittlerin, nicht selbst Verkäuferin. Die Gründung des neuen Genossenschaftsverbandes im Jahr 1889 kann also als ein Schritt in einer Serie von Organisationen zur Verbesserung der Bedingungen der landwirtschaftlichen Bevölkerung sowie zum weiteren Ausbau des Einflusses des Landwirtschaftlichen Vereins betrachtet werden.59 Die enorme Bedeutung des Bezugsgeschäftes zeigt auch die Zusammensetzung der Gründungsmitglieder des Verbandes der rheinpreußischen landwirtschaftlichen Genossenschaften. Kreditgenossenschaften spielten, wie auch die Tabelle 12 zeigt, im Verhältnis zu den landwirtschaftlichen Bezugs- und Absatz- sowie Molkereigenossenschaften eine eher untergeordnete Rolle.

59

5

1

1891

10

11

1892

13

1893 1894

Winzergenossen­ schaften

Einzelmitglieder

4

gesamt

1890

sonstige Genossenschaften

1

Bau­, Wasserlei­ tungs­, Elektrizitäts­ genossenschaften

3

sonstige Produktivgenossenschaften

1

Molkerei­ genossenschaften

Bezugs­ und Absatz­ genossenschaften

1889I

Konsumgenossen­ schaften

Kreditgenossen­ schaften

Tabelle 12: Mitgliederentwicklung des Verbandes rheinpreußischer landwirtschaftlicher Genossenschaften e.V. (Bonn) von der Gründung am 5. Oktober 1889 bis 1907

5

900

2

12

2.000

1

2

24

4.000

16

3

3

1

36

5.600

16

27

6

3

2

54

6.700

20

43

9

3

2

78

7.150

1

integriert. Zwischen 1930 und 1949 wurde die Druckerei als Genossenschaftsdruckerei Raiffeisen mbH, Neuwied am Rhein geführt. Siehe hierzu unter anderem Havenstein: Ausbau, S. 2 f.

160

4

1

2

91

9.300

1896

35

50

40

1

5

1

2

134

11.700

1897

45

57

80

3

8

4

3

200

15.200

1898

50

66

102

7

9

5

3

242

21.000

1899

51

71

120

14

7

5

9

277

25.700

1900

58

77

135

15

9

6

9

309

29.700

1901

77

87

137

16

10

6

9

342

32.800

1902

84

93

141

19

10

8

10

365

35.600

1903

87

102

4

144

20

10

10

11

388

37.300

1904

93

109

5

140

21

11

10

11

400

39.400

1905

96

117

12

142

20

16

13

7

423

42.000

1906

107

124

41

136

20

15

17

8

468

50.600

1907

109

135

45

136

22

16

20

13

496

53.000

1908

110

131

56

123

18

53

491

67.181

1909

113

141

5

122

16

52

449

45.297

1910

114

141

0

121

15

52

443

gesamt

Einzelmitglieder

1

sonstige Genossenschaften

16

sonstige Produktivgenossenschaften

47

Winzergenossen­ schaften

20

Molkerei­ genossenschaften

Bezugs­ und Absatz­ genossenschaften

1895

Konsumgenossen­ schaften

Kreditgenossen­ schaften

Bau­, Wasserlei­ tungs­, Elektrizitäts­ genossenschaften

IV. Von der Gründungsphase bis zur flächendeckenden Präsenz

IAm

Tag der Gründung (5. Oktober 1889). Quelle: Landwirtschaftlicher Verein für Rheinpreußen: Verein, S. 231

An der Gründung des Verbandes beteiligten sich vor allem Vertreter von Konsumgenossenschaften: Milchgenossenschaft Trier eG, Consum Verein der Localabteilung XXIII (Bitburg) eGmuH, Landwirtschaftlicher Consum Verein Meisenburg eG, Repelener Mühlengenossenschaften eGmuH, Landwirtschaftlicher ConsumVerein zu Flammersfeld eG sowie Vertreter des Credit-Vereins Warndts eG Ludweiler, zudem der Kreisrat Wilhelm Haas, Anwalt der Vereinigung deutscher landwirtschaftlicher Genossenschaften (Reichsverband) sowie der Vorsteher der landwirtschaftlichen Versuchsstation, Dr. A. Stutzer.60 Ökonomienrat Dr. Gustav Ha60

RWGV-Leihgabe, GV-Protokolle des Verbandes der rheinpreussischen landwirthschaftlichen Genossenschaften zu Bonn in den Jahren 1889 bis incl. 1898, Originalprotokoll der Errichtung des Verbandes der Rheinpreussischen landwirthschaftlichen Genossenschaften vom 5. Oktober 1889. Leider sind die Namen der Teilnehmer nur bedingt transkribierbar, unter anderem da das

2. Vertikale Integration

161

venstein leitete als Vorsitzender die Versammlung und ernannte seinen Assistenten beim Landwirtschaftlichen Verein, Fr[iedrich] Dettweiler, zum Schriftführer, wodurch erstmals die enge Verbindung zwischen Landwirtschaftlichem Verein und Genossenschaftsverband personell und funktional angedeutet wurde. Havenstein wurde per Akklamation zum Verbandsdirektor gewählt. Als ,Ausschußmitglieder‘ (Vorstand) wurden Dr. Nücker (Bitburg), der zugleich zum stellvertretenden Verbandsdirektor gewählt wurde, sowie Franz Limbourg (Bitburg), Eichholz-Sengelmann (Mersenburg), Richard Bruckhaus (Homburg bei Ratingen), Bürgermeister Petermann (Ludweiler) und Vieg (Repelen) gewählt. Der Verbandsbeitrag wurde auf zehn Mark pro Mitglied festgesetzt. Im Anschluss an die Gründungsversammlung fand die konstituierende Sitzung statt, an der unter anderem auch der Direktor der Winterschule in Oberpleis teilnahm. Havenstein hatte es stets verstanden, die Winterschulen beziehungsweise die Wanderlehrer in die Verbreitung des Genossenschaftsgedankens einzubeziehen. Die Teilnahme des Winterschul-Direktors bereits in dieser Frühphase des Verbandes ist bezeichnend. Was waren die Aufgaben des Verbandes? Das Genossenschaftsgesetz kennt sowohl Muss- als auch Kann-Regeln. In § 53 wurde die Revision als Muss-Aufgabe bestimmt. Daneben konnte der Verband „auch sonst die gemeinsame Wahrnehmung ihrer im § 1 bezeichneten Interessen, insbesondere die Unterhaltung gegenseitiger Geschäftsbeziehungen zum Zweck haben. Andere Zwecke darf er nicht verfolgen“.61 In Anlehnung an die Bestimmungen des Genossenschaftsgesetzes wurden in § 2 der Satzung die folgenden Kernaufgaben als Zweck des Verbandes festgelegt: „(1) Besprechung, Ausbildung und Vertretung gemeinschaftlicher Interessen; (2) Vervollkommnung der Einrichtungen und Geschäftsführung in den einzelnen Genossenschaften durch sachverständige Beratung; (3) Anregung und Anleitung zur Errichtung und zum Anschlusse neuer landwirtschaftlicher Genossenschaften; (4) Veranstaltung gemeinsamer Einkäufe und Verkäufe und Besorgung der Geldgeschäfte der angeschlossenen Verbandsgenossenschaften der einzelnen

61

Papier beim Binden abgeschnitten wurde; Feldmann: Verband, S. 10. – Havenstein hatte zuvor bereits die rheinischen Molkereigenossenschaften zu Trier und Moers bei der Gründung der Vereinigung deutscher landwirtschaftlicher Genossenschaften vertreten, da zunächst für Betriebsgenossenschaften kein Verband in der Rheinprovinz bestanden hatte. Hierdurch bestand bereits Kontakt zwischen Havenstein und Haas. Zu den Gründungsmitgliedern siehe RWGVLeihgabe, GV-Protokolle des Verbandes der rheinpreussischen landw. Genossenschaften zu Bonn in den Jahren 1889 bis incl. 1898, Originalprotokoll der Errichtung des Verbandes der Rheinpreussischen landwirthschaftlichen Genossenschaften vom 5. Oktober 1889. Der oder die Vertreter (leider lässt sich die Zahl der Vertreter aufgrund der Beschädigung des Papiers nicht mehr nachhalten, zumindest ist dem Protokoll der Name Ottonak zu entnehmen) des Landwirtschaftlichen Consum-Vereins zu Flammersfeld eG sowie der Vertreter der Repelener Mühlengenossenschaft eG vermerkten neben ihrer Unterschrift „vorbehaltlich der Genehmigung der Generalversammlung“ ihrer Genossenschaft. Nikolaus Feldmann nennt in der Festschrift 1914 (sowie auch in späteren Festschriften) beide Genossenschaften nicht wieder unter den Gründungsmitgliedern – der Flammersfelder Consum-Verein findet sich aber später mit der Ordnungsnummer 7 in den Mitgliederlisten und war auch bei der Sitzung am 25. Oktober 1890 vertreten. Auch die Repelener Genossenschaft findet sich unter den Teilnehmern der Sitzung vom 25. Oktober 1890. RGBl., 1889, Nr. 11, GenG, S. 68.

162

IV. Von der Gründungsphase bis zur flächendeckenden Präsenz

Geschäftszweige sowie durch Bildung von Zentralgenossenschaften nach § 9 des angeführten Gesetzes zu diesem Zwecke; (5) Vornahme der in § 51 und folgenden des Reichgesetzes vom 1. Mai 1889 vorgeschriebenen Revision bei seinen Verbandsgenossenschaften“.62 Das Revisionsrecht wurde dem Verband am 25. Juni 1890 verliehen.63 Der Verband, der anders als der Raiffeisen-Verband alle Genossenschaften, also nicht nur Spar- und Darlehnskassen, sondern auch Wasser-, Bau-, Elektrizitäts-, Bezugs- und Absatzgenossenschaften etc. aufnahm, erstreckte sich ausschließlich auf das Gebiet der Rheinprovinz. Im Jahr 1892 – vermutlich als Reaktion auf die Gründung des Kölner Verbandes– wurde der Vereinsbezirk auf das oldenburgische Fürstentum Birkenfeld ausgeweitet und entsprach damit nun dem Sprengel des Landwirtschaftlichen Vereins.64 Anfang 1892 gehörten dem Verband 36 Genossenschaften an: 13 Kreditgenossenschaften, 14 Bezugsgenossenschaften, drei Molkereigenossenschaften und sechs sonstige Genossenschaften (zur weiteren Entwicklung siehe Tabelle 13): Wie schon bei der Gründung lag auch später der Schwerpunkt nicht auf den Kreditgenossenschaften. Dies änderte sich auch nach dem Ersten Weltkrieg nicht, wie Tabelle 12 zeigt.

Einzelmitglieder

Gesamt

Sonstige Genossenschaften

Zentralgenossen­ schaften

Winzergenossen­ schaften

Molkerei­ genossenschaften

Bezugs­ und Absatz genossenschaften

Kreditgenossen­ schaften

Tabelle 13: Verband rheinpreußischer landwirtschaftlicher Genossenschaften (Bonn): angeschlossene Genossenschaften nach Genossenschaftstyp (1910–24)

Ende 1910

114

141

121

15

2

52

445

45.208

Ende 1915

128

136

97

14

2

67

444

45.520

Ende 1920

135

202

65

12

2

95

511

68.218

Fusion 1924

137

201

54

12

2

105

511

69.000

Quelle: Verband rheinischer landwirtschaftlicher Genossenschaften: Verband, S. 17. 62

63 64

Feldmann: Verband, S. 12; LA Koblenz 403/13275, Satzung für den Verband der rheinpreußischen landwirtschaftl. Genossenschaften e.V. zu Bonn, nach 1900/vor 1924. Hier ist unter (2) die „Auskunfterteilung in allen genossenschaftlichen Fragen“ hinzugefügt worden. Die Revision wurde in diesem Statut weiter nach oben gezogen und steht nun an dritter Stelle. Preußische Central-Genossenschafts-Kasse: Jahr- und Adreßbuch (1908), S. XXIV. RWGV-Leihgabe, Bericht über die vierte Generalversammlung des Verbandes der rheinpreußischen landwirtschaftlichen Genossenschaften am 5. November 1892 in Bonn, Beschluss über Änderung des §1 des Verbandsstatuts. Ausdehnung des Verbandsbezirkes auf das Fürstentum Birkenfeld. Begründet wurde die Ausweitung damit, dass Birkenfeld zum Vereinssprengel des Landwirtschaftlichen Vereins für Rheinpreußen gehörte und dort mehrere Bezugsgenossenschaften gegründet wurden, die dem Verband anzuschließen seien.

2. Vertikale Integration

163

Welche Vorteile ergaben sich aus der Gründung des neuen Verbandes? Und wer profitierte von dieser neuen Organisation? Der Aufbau dieses neuen rheinischen Verbandes beziehungsweise dessen Tätigkeit sollte in „Anlehnung“,65 wie es im Protokoll heißt, an die von Wilhelm Haas geführte Vereinigung der deutschen landwirthschaftlichen Genossenschaften e.V. vorgenommen werden. Damit hatte also zum einen Haas seine Organisation weiter ausgebaut und erstmals nun auch im Rheinland einen ‚Fuß in der Tür‘ (bis dahin war allein die Anwaltschaft Raiffeisen in der Rheinprovinz vertreten). Zum anderen wurde mit der Personalunion zwischen Genossenschaftsverband und Landwirtschaftlichem Verein zugleich „nach außen hin der enge Zusammenhang zwischen dem neuen Verbande und dem Landwirtschaftlichen Verein und damit dem landwirtschaftlichen Berufsstande selber wieder kund getan“.66 Für den Bonner Verband entstanden durch die Anbindung an den Landwirtschaftlichen Verein aber auch enorme Kostenvorteile, da „Personen u. Bureaus“67 des Landwirtschaftlichen Vereins unentgeltlich zur Verfügung standen. Für den Landwirtschaftlichen Verein wiederum entstanden damit zwar Personal- und Sachkosten, doch konnte er mit der Verbandsgründung seinen Einfluss weiter ausbauen und sich darüber hinaus für eine breitere Klientel innerhalb des Agrarsektors beziehungsweise der ländlichen Bevölkerung öffnen. Der Landwirtschaftliche Verein hatte zum Zeitpunkt der Gründung des Verbandes rund 19.000 Mitglieder. Etwa 40.000 Landwirte waren in den landwirtschaftlichen Casinos organisiert.68 Die Führungspositionen dieser Organisationen waren weitestgehend noch immer in den Händen von Landräten, Pfarrern, Lehrern und großen Landwirten. Aufgrund der Funktion des Vereins als Vermittler von Informationen an die Landwirte auf der einen Seite und als Berater für den Staat auf der anderen Seite,69 ergab sich mit der Gründung des Genossenschaftsverbandes eine zusätzliche Informationsquelle für den Landwirtschaftlichen Verein (also auch indirekt für den Staat): Die Revisoren schauten doch auch gleichermaßen in das ‚Portemonnaie‘ der Mitglieder der Primärgenossenschaften. Die regelmäßige Revision eröffnete also zugleich neue Informationskanäle und bot darüber hinaus für den Landwirtschaftlichen Verein Möglichkeiten, Einfluss zu nehmen, z.B. darauf, wie die Genossen65

RWGV-Leihgabe, Protokolle über die Generalversammlungen des Verbandes der rheinpreussischen landw. Genossenschaften zu Bonn in den Jahren 1889 bis incl. 1898, Protokoll der konstituierenden Versammlung des Verbandes der Rheinpreussischen landwirthschaftlichen Genossenschaften vom 5. Oktober 1889; LA Koblenz 403/13275, Satzung für den Verband der rheinpreußischen landwirtschaftl. Genossenschaften eV zu Bonn, nach 1900/vor 1924, § 1. Hier heißt es, der Verband werde gebildet im „Anschluß an den ‚Allgemeinen Verband der deutschen landwirtschaftlichen Genossenschaften‘“. 66 Verband rheinischer landwirtschaftlicher Genossenschaften: Verband, S. 16. 67 RWGV-Leihgabe, Protokolle über die Generalversammlungen des Verbandes der rheinpreussischen landw. Genossenschaften zu Bonn in den Jahren 1889 bis incl. 1898, Protokoll der konstituierenden Versammlung des Verbandes der Rheinpreussischen landwirthschaftlichen Genossenschaften vom 5. Oktober 1889. 68 Lichter: Landwirtschaft, S. 128. 69 Ebd. Für diese Tätigkeit erhielt der Verein finanzielle Zuschüsse vom Staat (verfestigt wurde diese Verbindung dadurch, dass 1907 50 von 66 Lokalabteilungen Landräte vorstanden und die Direktoren der Lokalabteilungen wiederum dem Zentralvorstand des Vereins angehörten).

164

IV. Von der Gründungsphase bis zur flächendeckenden Präsenz

schaften überschüssige Mittel anlegten. Dennoch lautete der Grundsatz des Verbandes (wie auch anderer Provinzial- und Landesverbände, die der Vereinigung deutscher landwirtschaftlicher Genossenschaften angeschlossen waren), den „Einzelvereinen, sofern sie ordnungsgemäß arbeiten, in ihrer inneren Verwaltung volle Freiheit zu lassen“.70 Die Statuten für die Primärgenossenschaften sollten daher lediglich die Bestimmungen, die das Genossenschaftsgesetz vorschrieb, enthalten. Darüber hinaus sollten bei der Ausarbeitung der Satzungen „in jedem einzelnen Falle die örtlichen Verhältnisse“71 berücksichtigt werden.72 b) Spitzenverband: Reichsverband der deutschen landwirtschaftlichen Genossenschaften e.V., Berlin Der Reichsverband der deutschen landwirtschaftlichen Genossenschaften (im Folgenden Reichsverband) wurde am 6. Juli 1883 unter der Führung von Wilhelm Haas als Vereinigung der deutschen landwirtschaftlichen Genossenschaften e.V. in Hamburg gegründet.73 Im Jahr 1890 wurde der Verband in Allgemeiner Verband der deutschen landwirtschaftlichen Genossenschaften umfirmiert und 1903 nochmals in Reichsverband der deutschen landwirtschaftlichen Genossenschaften. Der Sitz des Verbandes war zunächst Darmstadt, dann Offenbach (daher auch als Offenbacher System bezeichnet), ab 1900 erneut Darmstadt und ab 1913 – nach Haas’ Tod – Berlin. Ende der 1920er-Jahre war der Verband mit rund 26.000 angeschlossenen landwirtschaftlichen Primärgenossenschaften der mitgliederstärkste Genossenschaftsverband der Welt.74 Der Verband war zu diesem Zeitpunkt Spitzenverband von 27 Revisionsverbänden der regionalen beziehungsweise provinzialen Ebene. Dahinter standen 79 Zentralgenossenschaften (darunter 25 Zentralkassen und 24 landwirtschaftliche Hauptgenossenschaften), 13.015 Spar- und Darlehnskassen, 4.073 Bezugs- und Absatzgenossenschaften, 2.996 Molkereigenossenschaften 70 71 72

73

74

LA NRW Düsseldorf, LA Gummersbach Nr. 87, Schreiben des Verbandes der rheinpreußischen landwirtschaftlichen Genossenschaften an den Vorsitzenden des Kreisausschusses, Landrat Kirschstein, Gummersbach, vom 14. Juni 1901. Ebd. Siehe hierzu unter anderem Havenstein: Ausbau, S. 3. Havenstein beteuerte hier nochmals, dass es den Genossenschaften nicht nur frei stand, den Verband zu verlassen, sondern die Musterstatuten sollten „nach Maßgabe der örtlichen und wirthschaftlichen Verhältnisse entsprechend abgeändert werden“. „Spitzfindige Bestimmungen“, wie Havenstein es nannte, würden durch den Verband nicht erlassen werden, welche die Genossenschaften in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt würden. Siehe unter anderem Anwaltschaft des Allgemeinen Verbandes der deutschen landwirtschaftlichen Genossenschaften: Jahresbericht für 1892, S. 58. Der Deutsche landwirtschaftliche Genossenschaftstag, zuvor Vereinstag, war die Mitgliederversammlung des Verbandes und hatte oberste Entscheidungsgewalt. Der Gesamtausschuss bestand aus Vertretern der Provinzial- und Landesverbände, dem Generalanwalt (Vorstand), Vertretern der Sonderausschüsse sowie Vertretern der Zentralgeschäftsanstalten. Der Verwaltungsrat bestand aus den Vorsitzenden des Gesamtausschusses, deren Stellvertretern, fünf Mitgliedern des Gesamtausschusses und dem Generalanwalt. Gennes: Reichsverband, S. 720.

2. Vertikale Integration

165

sowie 5.782 sonstige Genossenschaften (Mühlen-, Viehzucht-, Winzer-, Weide-, Wasserversorgungs-, Buchungsgenossenschaften etc.). Als Aufgaben der Vereinigung der deutschen landwirtschaftlichen Genossenschaften wurden in der Satzung festgelegt: „(1) Förderung und Ausbreitung des landwirtschaftlichen Genossenschaftswesens; (2) die Wahrung und Vertretung gemeinsamer Angelegenheiten, namentlich in Gesetzgebung und Verwaltung; (3) die Ausbildung und Verfestigung und Vervollkommnung der genossenschaftlichen Verfassung und Einrichtung in allen ihren Zweigen; (4) die Beratung und Förderung der dazugehörigen Verbände und Genossenschaften in allen genossenschaftlichen, rechtlichen und wirtschaftlichen Fragen; (5) die Veranstaltung und Bearbeitung der genossenschaftlichen Geschäftsstatistik“.75 Damit klangen die Aufgaben des Verbandes insbesondere in den Punkten (1), (2) und (3) denen des Bonner Provinzialverbandes recht ähnlich, es fehlt aber insbesondere die Revisionspflicht, die lediglich den Landes- und Provinzialverbänden oblag. Die Mitgliedschaft im Reichsverband konnten eben solche Verbände erwerben, deren Sprengel eine Provinz beziehungsweise ein Land umfasste. Die Primärgenossenschaften wurden mit dem Beitritt ihrer Verbände sogleich Mitglied des Reichsverbandes. Zudem konnten rechtsfähige Zentralkassen und andere Zentralen, wie Haupteinkaufsgenossenschaften, die eine/mehrere Provinz(en) oder ein Land/mehrere Länder umfassten, Mitglied werden. Die einzelnen Verbände waren in ,Verbandsgruppen‘ gegliedert, was dem Austausch unter einzelnen in geografischer Nähe zueinander ansässigen Verbänden dienen sollte. Hier bildete etwa der Verband der rheinpreußischen landwirthschaftlichen Genossenschaften e.V. Bonn die ,südwestliche Gruppe‘ mit den Verbänden für Hessen-Nassau, das Großherzogtum Hessen, die Pfalz und Baden. Vertreter der Verbände trafen sich zwei- bis drei Mal pro Jahr, unter anderem um Preisabstimmungen bezüglich der Düngemittel zu treffen.76 Wolfgang Oehme formulierte die Struktur der dem Reichsverband (indirekt) angeschlossenen Genossenschaften wie folgt: Die „Mitgliedsgenossenschaften standen zum Teil auf der Grenze zwischen den Typen Raiffeisenscher und Schulzescher Prägung, waren zum Teil sogar vollständig nach den Grundsätzen von Schulze-Delitzsch aufgebaut“,77 was, wie zu zeigen sein wird, vielfach auch der Vorgehensweise des Bonner Verbandes entsprach. Von besonderer Bedeutung waren die Grundsätze des Spitzenverbandes über die Gestaltung der Genossenschaften, welche auf dem Genossenschaftstag 1890 in Darmstadt festgelegt wurden. Das 18 Punkte umfassende ‚Darmstädter Programm‘ behielt bis zum Ende des Untersuchungszeitraumes seine Gültigkeit. Darüber hinaus hat der Verband weitere Regeln für die Gründung und den Betrieb von Genossenschaften im Allgemeinen sowie für Kreditgenossenschaften im Speziellen aufgestellt. Für alle Genossenschaftstypen galt: Geschäfte mit Nichtgenossen waren – bereits laut Genossenschaftsgesetz ausdrücklich für das Darlehnsgeschäft – unbedingt auszuschließen; der Aufbau von Vermögen war sicherzustellen (Geschäftsanteil und Pflichteinzahlung auf diesen sollten so bemessen sein, dass ein wesentlicher Teil des Anlage- und Betriebskapi75 76 77

Ebd. Havenstein: Ausbau, S. 4. Oehme: Zentralkassen, S. 10.

166

IV. Von der Gründungsphase bis zur flächendeckenden Präsenz

tals durch diese aufgebracht werden konnte); die genossenschaftlichen Prinzipien der Selbstverwaltung und Selbstverantwortung sollten stets gewahrt werden. Für Kreditgenossenschaften galten folgende Grundsätze:78 1.) Zum Bezirk: Der Geschäftsbezirk sollte einen größeren Ort, ein Kirchspiel oder „einige räumlich oder wirtschaftlich zusammenhängende kleinere Gemeinden“79 umfassen. Der Grund hierfür lag in der Auffassung, dass die Ausdehnung auf einen großen Bezirk die Geschäftsführung erschwerte und möglicherweise die Anstellung eines hauptamtlichen Geschäftsführers erforderte, was die Geschäftsführung verteuerte und zugleich erhöhte Risiken („höhere Verlustgefahr“) zur Folge hatte.80 Hier wich der Bonner Verband, wie zu zeigen sein wird, maßgeblich von den Grundsätzen seines Spitzenverbandes ab, obwohl die Satzung des Reichverbandes die Grundsätze für alle angeschlossenen Verbände verbindlich machte. 2.) Zur Haftpflicht: Kreditgenossenschaften sollten die Rechtsform der eGmuH wählen, da diese durch die Solidarhaftung die Kreditfähigkeit erhöhte. Trotz der Einführung der eGmbH sah der Verband daher keinen Grund, die Genossenschaften zur Änderung der Rechtsform in die der eGmbH zu bewegen.81 3.) Hinsichtlich der Verwaltung wurden folgende Regeln aufgestellt: Vorstand und Aufsichtsrat sollten neben- und ehrenamtlich tätig sein. Sie hatten lediglich Anspruch auf Rückerstattung ihrer Barauslagen. Der Rechner hingegen sollte, festgelegt durch Vorstand und Aufsichtsrat, eine ausreichende Vergütung erhalten.82 4.) Die Geschäftstätigkeit der Kreditgenossenschaften sollte zum Ziel haben, den gesamten Geldverkehr aller Einwohner des Bezirkes, zumindest aber aller Mitglieder, ausnahmslos durch die Spar- und Darlehnskasse abzuwickeln. Die Genossenschaft sollte die „Dorfbank“83 sein. Dies hatte den Vorteil der Senkung der Informationskosten und erhöhte zudem den Zufluss von Betriebskapital. Die Verwendung des Begriffs der Dorfbank deutet auf die Funktion als Intermediär auf lokalem Raum hin. Die Geschäftsanteile sollten in „genügender Höhe“84 festgelegt werden, wobei bestimmte Beträge nicht vorgegeben werden sollten, sondern entsprechend den wirtschaftlichen Verhältnissen der Bevölkerung in der Region, in der die Genossenschaft ihren Sitz hatte, angepasst werden sollten – was damit auch den originären Ideen des Verbandes Bonn entsprach. Die Genossenschaften sollten hierzu bei Bedarf den Rat des Verbandes einholen. Die Beschaffung der erforderlichen Geldmittel sollte unbedingt durch die Annahme von Spareinlagen erfolgen. Einleger konnten sowohl Mitglieder als auch Nichtmitglieder sein. Der Förderung des Sparsinns sollte 78 79 80 81 82 83 84

Stand: 1926; Die folgenden Grundsätze folgen Reichsverband: Taschenbuch (1926), S. 485 ff. Ebd., S. 485. Ebd. Reichsverband: Taschenbuch (1926), S. 485; Reichsverband: Taschenbuch (1923), S. 481. Ebd. Reichsverband: Taschenbuch (1926), S. 485. Ebd.

2. Vertikale Integration

167

größte Aufmerksamkeit geschenkt werden. Um Werbung für die Genossenschaft zu machen, empfahl der Verband den Aushang von Plakaten zum Beispiel in Gastwirtschaften und Geschäften – Inserate in Tageszeitungen usw. hingehen wurden als zu teuer und unwirksam erachtet.85 Es wurde stattdessen angeboten, gelegentlich im redaktionellen Teil der lokalen Zeitung „sachlich gehaltene, nicht reklamehafte Notizen über die Entwicklung und die Vorteile der Kassen zu bringen“.86 Die Rückzahlungs- und Kündigungsfristen sollten nicht zu kurz angesetzt werden. Für größere Beträge sollten gegen höhere Zinsen möglichst auch längere Kündigungsfristen gelten (Depositen). Geld, das nur kurzfristig eingelegt wurde, sollte möglichst auf einem Konto in laufender Rechnung angenommen werden. Der Zinssatz sollte hierbei niedrig gehalten werden. Einlagen in laufender Rechnung konnten auch durch Nichtmitglieder vorgenommen werden, doch durften diese nicht ins Soll gehen. Die Gewährung von Krediten war nach § 8 GenG nur an Mitglieder gestattet. Die Kreditgewährung sollte nur „zur Ergänzung des dem Einzelnen fehlenden Anlagekapitals (z.B. zur Beschaffung von lebendem und totem Inventar) und des Betriebskapitals (umlaufendes Kapital) dienen“87 und durfte nur gegen Sicherheit erfolgen (Bürgschaften, Hinterlegung von Wertpapieren, Sparbüchern und Versicherungspolicen, aber auch gegen Vieh und Maschinen). Die Rückzahlungsfristen sollten kurz sein und sich am Zweck des Kredits orientieren. Bei größeren Summen auf längere Zeit wurde die Abzahlung in Raten unter Vorbehalt einer vierteljährlichen Kündigungsfrist empfohlen. Zu vermeiden waren nicht gedeckte Kredite und Kreditgewährung gegen Wechsel (Akzepte). Weitere Geschäftszweige kamen in Frage, der Verband warnte jedoch, diese mit äußerster Vorsicht zu betreiben, so etwa die Diskontierung fremder Primawechsel, die Einlösung von Akzepten und Schecks von Mitgliedern und Nichtmitgliedern aus dem Bezirk, die Ausstellung von Schecks, die Vermittlung des An- und Verkaufs von Wertpapieren für Mitglieder und Nichtmitglieder sowie der Überweisungsverkehr. 5.) Der Anschluss an die Geldausgleichsstelle des Verbandes (Zentralkasse) sei unerlässlich. Alle nicht benötigten Gelder sollten bei dieser angelegt und erforderlicher Kredit ausschließlich bei dieser genommen werden (‚Ausschließlichkeit‘). Geschäftsverkehr mit Privatbanken war zu unterlassen: „Der gesamte Geldverkehr der Genossenschaft muß durch die Zentralkasse gehen, die auch in zweifelhaften Fällen […] fachmännischen, unparteiischen Rat“88 zu erteilen hatte. 6.) Die Zinssätze sollten beim Verband erfragt werden: „Die Zinssätze des allgemeinen großen Geldmarktes haben für die einzelnen Spar- und Darlehnskassen nur bedingte Gültigkeit, vielmehr muß sich die Zinspolitik in erster Linie nach den bestehenden örtlichen Verhältnissen richten“.89 85 86 87 88 89

Ebd. Ebd. Ebd., S. 486. Ebd. Ebd., S. 487.

168

IV. Von der Gründungsphase bis zur flächendeckenden Präsenz

7.) Der gemeinschaftliche Bezug von landwirtschaftlichen Bedarfsartikeln wurde empfohlen. Grundsätzlich verlor das Programm bis Ende des Untersuchungszeitraumes nicht an Gültigkeit, wurde jedoch vom Genossenschaftstag (Mitgliederversammlung) durch Beschlüsse zu aktuellen Problemen ergänzt, zum Beispiel hinsichtlich der Zwangswirtschaft während des Ersten Weltkrieges.90 Es stellt sich jedoch die Frage, inwieweit die Regionalverbände diese Regeln an die ihnen angeschlossenen Kreditgenossenschaften weitergaben und inwieweit diese an die lokalen Verhältnisse angepasst wurden. Für den Allgemeinen Verband war – besonders in der Außenwirkung – der Anschluss des Verbandes schlesischer ländlicher Genossenschaften mit 174 Genossenschaften und des Verbandes ländlicher Genossenschaften der Provinz Westphalen mit 585 Genossenschaften im Jahr 1902 von großer Bedeutung. Der Anschluss des westfälischen Verbandes hatte wiederum zur Folge, dass sich im Jahr 1903 auch der Verband rheinischer Genossenschaften e.V. (Köln) mit 551 Genossenschaften dem Spitzenverband anschloss.91 Tabelle 14 gibt einen Überblick über den Mitgliederbestand des Verbandes Anfang des 20. Jahrhunderts. Der Reichsverband war – vergleichen mit dem Generalverband (Raiffeisen) und dem Allgemeinen Verband (Schulze-Delitzsch) der städtischen Genossenschaften – nicht nur auf Reichsebene, sondern auch in Preußen der mitgliederstärkste Verband. Tabelle 14: Anzahl der an die drei großen Spitzenverbände angeschlossenen Kreditgenossenschaften im Deutschen Reich beziehungsweise in Preußen (1903 und 1909) Deutsches Reich Allgemeiner Verband (Schulze­ Delitzsch)

Preußen

General­ verband (Raiffei­ sen)

Reichs­ verband

Allgemeiner Verband (Schulze­ Delitzsch)

General­ verband (Raiffei­ sen)

Reichs­ verband

1903

1.299

3.916

9.049

841

2.459

5.246

1909

1.428

4.960

12.559

930

3.091

7.601

Anmerkungen: Allgemeiner Verband (Schulze-Delitzsch) = Unterverbände des Allgemeinen Verbandes der auf Selbsthilfe beruhenden deutschen Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften e.V. nach Schulze-Delitzsch (Charlottenburg); Generalverband (Raiffeisen) = Generalverband ländlicher Genossenschaften für Deutschland e.V. nach Raiffeisen (Neuwied); Reichsverband = Reichsverband der den deutschen landwirtschaftlichen Genossenschaften angeschlossenen Landes-, Provinzial- und Bezirksverbänden (Darmstadt). Quelle: Petersilie: Mitteilungen (1908), S. 50 f.; ders.: Mitteilungen (1911), S. 95 f. 90 91

Reichsverband: Taschenbuch (1930), S. 442–454. Reichsverband: Taschenbuch (1926), S. 263. – Der Trierische Revisionsverband schloss sich dem Reichsverband (mit 405 Genossenschaften) erst 1915 an, nachdem Haas immer wieder die Aufnahme des Verbandes abgelehnt hatte, da in der Rheinprovinz bereits zwei größere Verbände bestanden. Vgl. WGZ Bank: 100 Jahre, S. 37. Hier heißt es jedoch, der Trierische Verband sei 1905 aufgenommen worden; vgl. ferner Jahr- und Adreßbuch der Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften im Deutschen Reiche (1904), S. XVII.

2. Vertikale Integration

169

c) Verband rheinischer Genossenschaften e.V., Köln Am 16. Juni 1891 wurde in Anwesenheit von Vertretern von insgesamt 14 Genossenschaften in Neuss der Rheinische Revisionsverband gegründet.92 Erster Verbandsvorsteher wurde Felix Freiherr von Loë, der Präsident des Rheinischen Bauernvereins. Die Gründung weiterer Darlehnskassen-Vereine schritt auch in den Monaten nach der Verbandsgründung „rüstig voran“.93 Am 18. September 1891 erteilte die Bundesrat dem Verband das Recht zur Bestellung von Revisoren.94 Der Verband erhielt regelmäßig Zuschüsse „seines Gründers“,95 des Rheinischen Bauernvereins. Was waren die Motive zur Gründung dieses Verbandes? Auch der im Jahr 1882 gegründete Rheinische Bauernverein hatte – wie auch der Landwirtschaftliche Verein – zur Gründung von Spar- und Darlehnskassen aufgerufen und die Mitglieder der neu gegründeten Kreditgenossenschaften dazu bewegt, sich dem Verband Raiffeisens in Neuwied anzuschließen. Vor dem Hintergrund des Inkrafttretens des Genossenschaftsgesetzes 1889 regte der Rheinische Bauernverein bei der Neuwieder Organisation die Aufnahme von Konsumvereinen in der Raiffeisen-Organisation an und verlangte zugleich eine dauerhafte, stimmberechtigte Vertretung des Bauernvereins innerhalb der Raiffeisen-Organisation. Zudem versuchte der Rheinische Bauernverein die Raiffeisen-Organisation zu einer provinziellen, also dezentralen, Ausrichtung anstelle der Neuwieder Zentralisation (das heißt anstelle der zentralen Vertretung und Betreuung sämtlicher dem Verband angeschlossenen Kreditgenossenschaften innerhalb des Deutschen Reiches) zu bewegen.96 Der Bauernverein verfolgte das Ziel, einen Kooperationsvertrag zu erreichen, wonach Raiffeisens Generalanwaltschaft und der Rheinische Bauernverein bei der Gründung und Betreuung der Genossenschaften – als Gegenpol zum 1889 durch den Landwirtschaftlichen Verein gegründeten Bonner Verband –, zusammenarbeiten sollten. Die Bemühungen des Bauernvereins blieb jedoch ergebnislos.97 Am 15. November 1890 erschien schließlich folgende Meldung im Vereinsblatt des Rheinischen Bauernver92

93 94 95 96 97

Von den 14 Genossenschaften traten zwölf bei der Gründung des Revisionsverbandes dem Verband sofort bei (zwei Genossenschaften mussten erst ihre Statuten ändern): Spar- und Darlehnskassen-Verein Metternich (Kreis Mayen; Vertreter P. Münch), Spar- und DarlehnskassenVerein (Kreis Kempen; Vertreter H. Nieuhaus), Spar- und Darlehnskassen-Verein Hüls (Kreis Kempen; Vertreter O. v. Danewitz), Spar- und Darlehnskassen-Verein St. Hubert (Kreis Kempen; Vertreter J. Fonken), Spar- und Darlehnskassen-Verein Capellen (Kreis Geldern; Vertreter M. Murmann), Spar- und Darlehnskassen-Verein Merzenich (Kreis Düren; Vertreter P. Kohnen), Spar- und Darlehnskassen-Verein Gohr (Kreis Neuss; Vertreter Ph. Peters), Spar- und Darlehnskassen-Verein Wegberg (Kreis Erkelenz; Vertreter W. Jansen), Spar- und Darlehnskassen-Verein Elmpt (Kreis Erkelenz; Vertreter M. Brendges), Spar- und Darlehnskassen-Verein Brauweiler (Kreis Köln; Vertreter Schellmann), Spar- und Darlehnskassen-Verein Königshoven (Kreis Bergheim, Vertreter W. Müller), Spar- und Darlehnskassen-Verein Scheven (Kreis Schleiden; Vertreter H. Blens). Landwirtschaftlicher Verein für Rheinpreußen: Verein. S. 16. Siehe Rheinischer Bauern-Verein: Dreißig Jahre, S. 124, 126. Rheinisches Genossenschaftsblatt 3 (1902), S. 35. Rheinischer Bauern-Verein: [Festschrift], 1908, S. 14 f. Rheinischer Bauern-Verein: Dreißig Jahre, S. 121 f.

170

IV. Von der Gründungsphase bis zur flächendeckenden Präsenz

eins, ,Rheinischer Bauer‘: „Der Rheinische Bauern-Verein hat von dem Anfange seines Bestehens an seinen Mitgliedern die Gründung von Spar- und Darlehnskassen warm ans Herz gelegt und empfohlen, weil diese Kassen ein dringendes Bedürfnis und eine Wohltat für die ländliche Bevölkerung sind, der Rheinische BauernVerein nimmt jetzt […] die Gründung solcher Kassen selbst in die Hand und wiederhole ich hiermit die […] mahnende Bitte an alle Vereinsmitglieder, Spar- und Darlehnskassen-Vereine, wo dieselben noch nicht bestehen, zu gründen und zwar im Anschlusse an den Rheinischen Bauern-Verein“.98 Ein Mitarbeiter des Rheinischen Bauernvereins reiste hierzu – wie die Wanderlehrer des Landwirtschaftlichen Vereins – durch die Rheinprovinz, hielt Vorträge und betreute die Gründung von Genossenschaften, die von Mitgliedern der Ortsverbände des Rheinischen Bauernvereins vorbereitet wurden. Bis Mitte Juni waren auf diese Weise 14 neue Kreditgenossenschaften gegründet worden. Der im Statut formulierte Zweck des neuen Genossenschaftsverbandes mit Sitz zunächst in Kempen (Niederrhein) unterschied sich nicht wesentlich von den Zielen des Bonner Verbandes. Die Prinzipien, auf denen die Spar- und DarlehnskassenVereine zu gründen waren, ähnelten jedoch stärker als beim Bonner Verband denen Raiffeisens: Der Rheinische Revisionsverband beabsichtigte die Verbreitung des genossenschaftlichen Gedankens bei der ländlichen Bevölkerung sowie die Förderung der genossenschaftlichen Arbeit durch Anstoß beziehungsweise Instruktion zur Gründung neuer Genossenschaften sowie deren Anschluss an den neuen Verband. Das Genossenschaftskonzept des Rheinischen Bauernvereins sah ebenfalls, in Anlehnung an Raiffeisens Prinzip des kleinen Geschäftsbezirkes, die Begrenzung des Geschäftsgebietes vor (zum Beispiel auf das Gebiet des Kirchspiels). Somit umfasste die Tätigkeit des Verbandes – in „Verbindung mit der Anregung zur Gründung der Genossenschaften“99 – die „Schaffung besonderer N o r m a l s t a t u t e n nebst zugehöriger G e s c h ä f t s o r d n u n g u n d D i e n s t a n w e i s u n g “,100 welche infolge der „in der Praxis gemachten organisatorischen und geschäftlichen Erfahrungen“,101 der Entwicklung des Genossenschaftswesens und der Änderungen des Genossenschaftsgesetztes im Zeitverlauf geändert wurden. Anders jedoch als der Raiffeisen-Verband war auch der Rheinische Revisionsverband ein Provinzialverband und konzentrierte sich damit ausschließlich auf die Betreuung der Genossenschaften in der Rheinprovinz. Die Verbindung von Genossenschaftswesen und landwirtschaftlichem Berufsstand wurde beim Bauernverein als wichtiges Kernelement herausgestellt. Wie auch der Reichsverband forderte der neu gegründete Verband die Beibehaltung der Rechtsform der eingetragenen Genossenschaft mit unbeschränkter Haftpflicht (eGmuH) durch die Genossenschaften, um auf diesem Wege die Mitglieder zu verantwortungsbewusstem Verhalten anzuhalten und zugleich die Kreditwürdigkeit und -fähigkeit der Genossenschaften nach außen zu signalisieren, was insbesondere 98

Zit. n. Rheinischer Bauern-Verein: [Festschrift], 1908, S. 127; siehe auch Rheinischer BauernVerein: Dreißig Jahre, S. 121. 99 Rheinischer Bauern-Verein: Dreißig Jahre, S. 130. 100 Ebd. [Hervorhebung im Original]. 101 Ebd.

2. Vertikale Integration

171

auch für das Funktionieren des genossenschaftlichen Verbundsystems von Bedeutung werden sollte.102 Das heißt, als grundlegende Prinzipien galten hier (und wurden auch statuarisch festgelegt) die Rechtsform der eGmuH sowie das auf einen „bestimmten möglichst eng begrenzten Bezirk“103 festgelegte Geschäftsgebiet. Für Geschäftsanteile sollte keine Dividende gezahlt werden, ein unteilbares gemeinschaftliches Vereinseigentum sollte – ähnlich dem Raiffeisenschen Stiftungsfonds – aufgebaut werden. Wie schon Raiffeisen forderte, sollte keinem Mitglied für seine Tätigkeit in Vorstand oder Aufsichtsrat eine Vergütung gezahlt werden, ausgenommen Rendanten.104 In § 1 des Statuts wurde die Durchführung der Revision mit dem Ziel, ein Mal pro Jahr jede Genossenschaft zu revidieren, festgeschrieben. Richtungsweisend für die Arbeit des Verbandes waren – wie auch beim Bonner Verband und beim Reichsverband – zudem „Ausbau und Vervollkommnung der Einrichtungen und Geschäftsführung“105 durch Erteilung von Auskünften und Beratung sowie durch Unterweisung der Geschäftsführung der Genossenschaften in allen organisatorischen, rechtlichen und technischen Belangen, das heißt im organisatorischen Aufbau der Geschäftsführung, im Aufbau und der Durchführung der Buchführung sowie Hilfeleistung bei der Aufstellung der Bilanz und der Gewinn- und Verlustrechnung. Das Statut des Verbandes enthielt zudem, dass Verbandsmitarbeiter bei Sitzungen von Vorstand, Aufsichtsrat und Generalversammlung der Primärgenossenschaften teilnehmen jederzeit durften. Zudem wurde in der Satzung die Vertretung gemeinsamer Interessen durch den Verband sowie deren Diskussion und Beratung festgelegt. Darüber hinaus wurde die Gründung von Zentralgenossenschaften ins Statut aufgenommen. Alle rheinischen Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften, das heißt auch Bezugs- und Absatz-, Winzer- und Molkereigenossenschaften etc., die in das Genossenschaftsregister eingetragen waren, konnten die Mitgliedschaft erwerben. Zur Auflage wurde lediglich gemacht, dass die Genossenschaften nach ihrem Beitritt, mit dem sie die Satzung und die Grundsätze des Verbandes akzeptierten, ihre Geschäfts- und Buchführung nach den vom Verband vorgeschriebenen „Grundsätzen und Formen“106 einzurichten hatten. In den ersten sechs Jahren nach der Gründung wurde der Kontakt zwischen den Genossenschaften und dem Verband ausschließlich per Post (alle Anfragen von Genossenschaften, alle Beratungen, aber auch alle bankpolitischen, steuerrechtlichen etc. Nachrichten wurden den Banken in Briefform übermittelt) beziehungsweise persönlich im Rahmen der Revisionen oder auf den alljährlichen Mitgliederversammlungen gepflegt. Mit dem Wachsen der Organisation (1897 hatte der Verband 54 Mitglieder) wurde die Kommunikation durch Briefwechsel schließlich zu aufwendig und zu teuer. Ab 1897 wurde daher die genossenschaftseigene Fachzeit102 Verband rheinischer landwirtschaftlicher Genossenschaften: Verband, S. 21 f. 103 Landwirtschaftlicher Verein für Rheinpreußen: Verein, S. 18. 104 Zu den Grundsätzen des Verbandes siehe ausführlich Rheinischer Bauern-Verein: Dreißig Jahre, S. 133–138, besonders S. 133–136. 105 Diese Formulierung ist eine gängige. Siehe etwa Rid/Hohenegg: Genossenschaften, S. 38; Wygodzinski: Deutschland, S. 106. 106 Ebd.

172

IV. Von der Gründungsphase bis zur flächendeckenden Präsenz

schrift, das ‚Rheinische Genossenschaftsblatt‘, monatlich als Vereinsorgan herausgegeben.107 Ab 1893 wurden ein zweiter Revisor sowie ein Büroangestellter beschäftigt. Die Anstellung weiterer Revisoren folgte, sodass 1901 zehn Revisoren für den Verband tätig waren, zudem beschäftigte der Verband fünf Büroangestellte.108 Das Anwachsen der Organisation wurde offensiv vorangetrieben. Am 5. Oktober 1893 formulierte Felix Freiherr von Loë, Präsident des Rheinischen Bauernvereins, auf einer Versammlung des Rheinischen Bauernvereins in Neuss: „Suchen Sie auch die Spar- und Darlehnskassen in Ihren Nachbargemeinden zu verbreiten. Bedürfen Sie dazu der Hülfe, so sind Herr Kirchem und Herr Schreiner jederzeit bereit, Sie in Ihren Bemühungen zu unterstützen. Möchten wir recht bald dahin kommen, daß in unserem lieben rheinischen Vaterlande kein Dorf mehr zu finden [ist], das nicht einem Ortsverbande des Rheinischen Bauern-Vereins angehöret und daß kein Ortsverband zu finden ist, der nicht einen Spar- und Darlehnskassen-Verein besitzt“.109 Die Mitgliederzahlen in der Tabelle 15 belegen, dass die Agitationen des Verbandes nicht ohne positive Wirkung blieben. Anders als der Verband Bonn waren in diesem Verband vor allem Kreditgenossenschaften vertreten; Ein Vergleich mit der Mitgliederentwicklung des Bonner Verbandes zeigt, dass die Verbände sich erheblich in der Mitgliederstruktur unterschieden.

1891I

12

1895

142

1900

256

1905

Einzel­ mitglieder

Zusammen

Sonstige

Zentralge­ nossenschaften

Winzerge­ nossenschaften

Molkereige­ nossenschaften

Bezugs­ und Absatzgenos­ senschaften

Kreditge­ nossenschaften

Tabelle 15: Rheinischer Revisionsverband (ab 1901 Verband rheinischer Genossenschaften e.V., Köln), angeschlossene Genossenschaften nach Genossenschaftstyp (1891–1924)

12

500

1

1

1

1

146

7.530

4

46

20

2

7

335

26.300

491

63

57

31

3

21

666

61.000

1910

543

59

59

33

3

29

726

73.000

1915

556

68

65

29

3

51

772

76.000

1920

567

106

60

26

3

76

838

83.000

1924

581

140

53

24

3

117

918

95.000

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Tag der Gründung (16. Juni 1891) Quelle: Verband rheinischer landwirtschaftlicher Genossenschaften: Verband, S. 24. 107 RhGBl. 3/1902, S. 36. 108 Ebd. 109 Landwirtschaftlicher Verein für Rheinpreußen: Verein, S. 20.

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Nicht nur mit dem Umzug des Verbandsbüros von Kempen nach Köln war das Jahr 1901 das Jahr der Neuorganisation des Rheinischen Revisionsverbandes. Am 16. Oktober 1901 stimmte der außerordentliche Verbandstag zudem für die Aufnahme des Verbandes ländlicher Genossenschaften der Rheinprovinz.110 Dieser Verband war von rund 100 Genossenschaften, die sich 1899 unter dem ehemaligen Verbandsdirektor Professor Dr. Martin Faßbender vom Neuwieder Generalverband abgespalten hatten, gegründet worden.111 Die Firma des jetzt in Köln ansässigen Verbandes wurde mit dem Beitritt der unter Faßbender abgespaltenen Genossenschaften in Verband rheinischer Genossenschaften e.V. Köln geändert.112 Der Umzug nach Köln wirkte sich nachhaltig positiv auf die Gründungsaktivitäten in den Kreisen Düren, Euskirchen, Schleiden, Bergheim und Bonn, also weiter südlich/ westlich von Köln, aus.113 d) Trierischer Revisionsverband landwirtschaftlicher Genossenschaften in der Rheinprovinz, im Fürstentum Birkenfeld und in Elsass-Lothringen, Trier Der Trierische Revisionsverband, der das Revisionsrecht am 21. Januar 1897 verliehen bekam, und der Trierische Genossenschaftsverband ländlicher Darlehnskassen eGmbH (gegründet am 4. Dezember 1895) gehen auf die Initiative des Trierer Bauernvereins, insbesondere dessen Präsidenten, Kaplan Georg Friedrich Dasbach,114 der bereits 1884 den Bauernverein ins Leben gerufen hatte, zurück.115 Das110 Gebäude Altenberger Straße 10. Hier war zudem die Rheinische Bauernbank AG (Devisenbank, Depotstelle für Finanzämter) ansässig, die zudem Filialen in Kleve und Mönchengladbach unterhielt. Im Haus Nr. 8–10 war auch die Rheinische Landesgenossenschaftskasse eGmbH untergebracht (zudem Filialen in Bonn, Koblenz, Kleve, Gummersbach-Dieringhausen, Mönchengladbach, Krefeld und Wesel), im Haus Nr. 12 der Provinzial-Viehverwertungsverband für die Rheinprovinz GmbH und im Haus Nr. 1 a die vereinigte Warenzentrale des Rheinischen Bauernvereins und Bezugskommission für Rheinpreußen GmbH (Stand: 1926). 111 LWK: Jahresbericht für 1905 und den fünfjährigen Zeitraum 1901–1905, S. 152; Rheinisches Genossenschaftsblatt 3/1902, S. 34. Die Genossenschaften traten de jure dem Verband rheinischer Genossenschaften e.V. bei. – Professor Dr. Martin Faßbender: *24. März 1856 (Steinenbrück b. Overath), †29. Dezember 1943. Katholischer Publizist und Zentrumspolitiker. 1877 bis 1882 Studium der Philosophie, Nationalökonomie und Landwirtschaft in Bonn. Später Generalsekretär des Westfälischen Bauernvereins. Ab 1899 Honorardozenten an der Landwirtschaftlichen Akademie Bonn-Poppelsdorf und 1900 bis 1905 dort Professor für Genossenschaftswesen sowie 1905 bis 1915 Professor für Handelskunde und Genossenschaftswesen an der Landwirtschaftlichen Hochschule Berlin. 1903 bis 1927 Mitglied des preußischen Abgeordnetenhauses (bis 1918 für den Wahlkreis Bonn), 1907 bis 1918 Reichstagsmitglied. Im Jahr 1901 unter ihm Abspaltung von rund 100 Genossenschaften vom Raiffeisen-Verband. Siehe Faßbender, in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (online, zuletzt abgerufen am 11. November 2010). 112 RhGBl. 3/1902, S. 34. 113 Rheinische Landesgenossenschaftskasse: 75 Jahre, S. 10. 114 Groven: Genossenschaftspionier. 115 Zum Geschäftsgebiet des Trierischen Bauernvereins zählten der Regierungsbezirk Trier sowie die angrenzenden Kreise Lothringens und des Regierungsbezirkes Koblenz sowie das Fürsten-

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IV. Von der Gründungsphase bis zur flächendeckenden Präsenz

bach hatte bereits 1885 gemeinsam mit Trierer Kaufleuten eine Landwirtschaftliche Bank in der Rechtsform der Aktiengesellschaft gegründet, die allerdings 1895 ihre Handlungsfähigkeit im Sinne ihres Statutes einbüßte, als Aktionäre forderten, das ländliche Geldgeschäft aufzugeben. Eigentlicher statuarischer Zweck der Bank war es gewesen, den Landwirten des Landes Trier durch die Verleihung von Vieh, die Übernahme von Versteigerungsprotokollen, durch Darlehn und durch den An- und Verkauf landwirtschaftlicher Produkte zu helfen, ihre wirtschaftliche Lage zu verbessern. Da nicht nur die Geschäftszweige der Bank vielseitig waren, sondern auch der Geschäftsbezirk relativ groß, installierte man ein „Vertrauensmännersystem“116 von Ernannten, deren Aufgabe in der Beschaffung von Kundeninformationen bestand. Die Informationen waren jedoch oftmals fehlerhaft und unvollständig, so dass das Geschäft mit der städtischen Bevölkerung florierte, während die Bank bei Verträgen mit der ländlichen Bevölkerung vielfach Verluste erlitt.117 Im Scheitern dieses Projektes – welches, ebenso wie Raiffeisens erste Wohltätigkeitsvereine, noch nicht auf dem Prinzip der Selbsthilfe beruht hatte – lag wohl der Auslöser dafür, dass Dasbach und die 13 Gründungsmitglieder (bereits bestehende lokale Spar- und Darlehnskassen-Vereine) sich bei der Gründung des Trierischen Genossenschaftsverbandes für die Rechtsform der eGmbH entschieden. Der ‚Verband‘ hatte – anders als der Name impliziert – vor allem die Funktion einer Zentralkasse. Darüber hinaus sollte der Verband weitere Genossenschaften gründen und deren Betreuung übernehmen.118 Bereits 1896 kam der Verband in finanzielle Schwierigkeiten. Zu deren Beseitigung notwendige staatliche Beihilfen wurden mit einem Hinweis auf eine zu große Zersplitterung des rheinischen Genossenschaftswesens durch die Gründung des Trierischen Verbandes abgelehnt. Dasbach richtete daher zur weiteren Kapitalakkumulation eine gesonderte Depositenkasse für Privatpersonen und nicht-genossenschaftliche Korporationen ein. Ab 1906 wickelte der ‚Verband‘ auch Realkredite ab.119 1899 hatte die Zentralkasse 136 Mitglieder (136 gezeichnete Geschäftsanteile; Haftsumme 1.360.000 Mark); der Umsatz belief sich auf 7.120.246 Mark, der Gewinn auf 7.017 Mark. Der Reservefonds umfasste 1.301 Mark.120 Hinter diesen Mitgliedern standen insgesamt 7.155 Einzelmitglieder. Um 1910 zählte der

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tum Birkenfeld. Anfang des 20. Jahrhunderts bestand der Vorstand aus 19 Personen. Zudem wurden verschiedene Kommissionen gebildet, um die einzelnen Aufgaben des Vereins zu übernehmen. Zwischen 1906 und 1910 haben Vorstand und Kommissionen 221 Mal getagt. 1906 hatte der Verband 764 Ortsgruppen mit 21.090 Mitgliedern, 1910 911 Ortsgruppen mit 28.032 Mitgliedern. Der Mitgliederbeitrag betrug eine Mark/Jahr. Hierfür erhielten die Mitglieder jährlich zwölf Ausgaben des ,Trierischen Bauern‘, kostenlose Beratung bei Rechtsfragen und kostenlose Abfassung von Briefen, kostenlose Führung von Wucher- und Viehprozessen, kostenlose Veröffentlichung von Anzeigen im Vereinsblatt sowie Rabatte auf Versicherungen. Zwischen 1906 und 1910 wurden 1.400 Vereinsversammlungen abgehalten. Von 1884 bis 1907 war Dasbach der Präsident, ab 1907 Gutsbesitzer Commes (Kommeshof). WGZ Bank: 100 Jahre, S. 36. Ebd., S. 36 f. Ebd., S. 37. Ebd., S. 37 f. LWK: Jahresbericht 1900, S. 28.

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Trierer Raum zu den am stärksten genossenschaftlich organisierten Landesteilen Preußens.121 1915 hatte der Verband 405 Mitglieder, 1924 522 Mitglieder (drei Zentralgenossenschaften, 460 Kredit-, 13 Ein- und Verkaufs-, zwei Molkerei-, 15 Winzer- und 29 sonstige Genossenschaften). Vor dem Ersten Weltkrieg bestand in fast jeder Pfarrei im Regierungsbezirk Trier eine Kreditgenossenschaft. Die vom Trierischen Genossenschaftsverbandes, wie der Verband zunächst firmierte, herausgegebenen Musterstatuten für die Primärgenossenschaften waren – anders als die Normalstatuten Raiffeisens – durchaus änderbar: „Eine Änderung des Statutes hinsichtlich […] der Besoldung der geschäfts- und aufsichtsführenden Organe […], des Reservefonds […], der Auflösung der Genossenschaft […] kann nur erfolgen, wenn in vorschriftsmäßig berufener Generalversammlung […] mindestens drei Viertel s ä m m t l i c h e r Mitglieder anwesend sind und s ä m m t l i c h e Erschienenen dafür stimmen“.122 Das Geschäftsgebiet des Verbandes erstreckte sich über die Rheinprovinz, das Fürstentum Birkenfeld und Elsass-Lothringen. In der Praxis war es jedoch auf die Regierungsbezirke Koblenz und Tier sowie auf das Fürstentum Birkenfeld begrenzt.123 Der Trierische Revisionsverband gliederte sich seit 1907 wiederum in Unterverbände, deren Aufgabe die Veranstaltung von Unterverbandstagen für Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder sowie für die Rendanten, der Besuch der Generalversammlungen durch die Unterverbandsdirektoren sowie der gemeinschaftliche Bezug von landwirtschaftlichen Bedarfsartikeln war.124 Besonderes Augenmerk galt der Förderung der Winzergenossenschaften, sodass auch ein Winzerverband für Mosel, Saar und Ruwer gegründet wurde. Daneben unterhielt der Verband ein Mahnbüro und eine Rechnungsprüfungsstelle. Die Geschäftsstelle wurde im Büro des Trierischen Bauernvereins eingerichtet, sodass Kosten für Miete, Inventar etc. gering waren, zumal auch kein Verbandsmitarbeiter eingestellt wurde.125 Unmittelbar nach der Gründung des Verbandes wurden die Landesgenossenschaftsbank eGmbH zu Trier und 1900 die Bezugs- und Absatzgenossenschaft des Trierischen Bauernvereins eGmbH gegründet.126

121 LWK: Jahresbericht für 1910 und den fünfjährigen Zeitraum 1906–1910, S. 285. 122 AdVBT, 1-6, Waldracher Spar- und Darlehnskassen-Verein, Kopie des Statutes vom 6. November 1898, S. 29, § 53a. [Hervorhebung im Original]. 123 LWK: Jahresbericht für 1910 und den fünfjährigen Zeitraum 1906–1910, S. 285. 124 Unterverbände Bernkastel, Bitburg-Ost, Bitburg-West, Cochem, Gerolstein, Hermeskeil, Kirn, Kreuznach, Morbach, Neuerburg, Neumagen, Obermosel, Prüm, Saarburg, Kastellaun, Simmern, Trier, Wittlich, Lebach, Merzig, Neunkirchen, Saarbrücken, Saarlouis und St. Wendel (Stand: 1926). 125 WGZ Bank: 100 Jahre, S. 37. 126 Reichsverband: Taschenbuch (1926), S. 281, 452 f. – Der Trierische Revisionsverband hatte seine Geschäftsstelle in der Glockengasse 7 in Trier. Hier waren auch der Sitz des Landesgenossenschaftsbank Trier eGmbH (mit Depositenstellen in Kreuznach, Prüm und Wittlich) sowie der Landwirtschaftlichen Bezugs- und Absatzgenossenschaft des Trierischen Bauernvereins eGmbH (mit Geschäftsstellen in Bitburg, Kastellaun, Kues, Euren, Gerolstein, Irrel, Kirn, Kyllburg, Kreuznach, Morbach, Neuerburg, Prüm, Ruwer, Saarburg-Malstatt, Saarburg, Türkismühle, Wadern und Wittlich).

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e) Verband ländlicher Genossenschaften der Rheinlande e.V., Koblenz (hervorgegangen aus dem Generalverband ländlicher Genossenschaften Raiffeisen, Neuwied) Im Jahr 1899 wurde die Raiffeisen-Organisation, die aus der 1877 von Raiffeisen gegründeten Anwaltschaft erwachsen war, erheblich umstrukturiert: Die Rheinprovinz-Filiale der Landwirtschaftlichen Central-Darlehnskasse für Deutschland (Zentrale in Neuwied) wurde laut Beschluss der Zentralkasse am 1. Januar 1899 gegründet;127 Sitz der Filiale wurde Köln. Am 1. Juli 1899 wurde innerhalb des Generalverbandes ländlicher Genossenschaften der Verband ländlicher Genossenschaften Raiffeisenscher Organisation der Rheinlande (Sitz Köln) gebildet. Dieser blieb eine Art Unterabteilung der Gesamtorganisation, aus deren Satzung die Rechte und Pflichten der Kölner Filiale abgeleitet wurden.128 Im Jahr 1900 hatte der Verband 499 Mitglieder: 457 Kredit-, zwei Bezugs- und Absatz-, 16 Molkerei-, 19 Winzer-, zwei Obst- und Gemüseverwertungsgenossenschaften sowie drei sonstige Genossenschaften mit insgesamt rund 65.000 Mitgliedern, das heißt, wie ursprünglich mal kritisiert, hatte der Verband sämtliche Genossenschaften und nicht nur Kreditgenossenschaften aufgenommen.129 Auch dieser Unterverband versuchte, seine Organisation weiter auszubauen und initiierte daher weitere Gründungen. Neue Genossenschaften wurden „zum großen Theil in solchen Gegenden errichtet, in denen das ländliche Genossenschaftswesen bisher noch gar nicht bezw. noch wenig Fuß gefaßt hatte“.130 Im Jahr 1902, nachdem zuvor rund 100 Genossenschaften unter Faßbender ausgetreten waren, hatte der Unterverband 424 Mitglieder, Ende des Jahres 1903 399.131 Fünf Jahre später, 1908, hatte der Verband – inzwischen mit Revisionsrecht ausgestattet (siehe Abschnitt f) – 431 Mitglieder (davon 391 Kreditgenossenschaften).132 Das Verbandsorgan, das im Jahr 1900 mit einer Auflage von 17.000 Exemplaren zwei Mal monatlich erschien, informierte alle Genossenschaften und Interessierten. Die Verbandsmitarbeiter veranstalteten zudem Versammlungen und Vorträge, 1900 fanden insgesamt 580 Versammlungen in 127 LWK: Jahresbericht 1900, S. 25. – Im Jahr 1900 wurde die Provinzialgenossenschaftskasse eGmbH gegründet, für die dem Verband angeschlossenen Betriebsorganisationen, welche mit der Central-Darlehnskasse für Deutschland aus statuarischen Gründen keine Geschäfte unterhalten konnten. Sie bot Kredit in laufender Rechnung, verbunden mit einer Sparkasse für die Kölner Einwohner. 128 Siehe unter anderem Neuwieder Raiffeisen-Organisation, Jahresbericht 1903, S. 18. – Bezirke des Generalverbandes beziehungsweise Filialen (Verwaltungsstellen): Berlin, Breslau, Danzig, Erfurt, Kassel, Köln, Königsberg, Ludwigshafen, Nürnberg, Posen, Straßburg, Wiesbaden sowie die Zentrale Neuwied. 129 LWK: Jahresbericht 1900, S. 21, 25. – Zu Mitgliederzahlen siehe insbesondere auch die Jahresberichte der Neuwieder Raiffeisen-Organisation (darin: Jahresberichte des Verbandes ländlicher Genossenschaften der Rheinlande e.V.). 130 LWK: Jahresbericht 1900, S. 25. 131 Neuwieder Raiffeisen-Organisation/Verband ländlicher Genossenschaften Raiffeisenscher Organisation der Rheinlande: Jahresbericht 1903, S. 3. 132 Neuwieder Raiffeisen-Organisation/Verband ländlicher Genossenschaften der Rheinlande e.V.: Jahresbericht 1908, S. 4.

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verschiedenen rheinischen Orten, auf denen insgesamt 645 Vorträge über Genossenschaftswesen und/oder über Agrarthemen gehalten wurden, statt.133 f) Zentralisation versus Dezentralisation Im Jahr 1904 kam es zwischen dem Verband Köln beziehungsweise dessen Mutterorganisation, dem Rheinischen Bauernverband, und dem Raiffeisen- (Unter-) Verband zur offenen Auseinandersetzung. Hierbei ging es weniger um die Raiffeisenschen Prinzipien an sich als vielmehr und immer noch um die zentral organisierte Betreuung aller deutscher Genossenschaften von Neuwied aus. Der Gegensatz zwischen der Neuwieder Raiffeisen-Organisation und den provinziell selbstständigen Verbänden, die im Reichsverband zusammengeschlossen waren, das heißt zwischen Zentralisation und Dezentralisation, bestand seit der Gründungsphase der Verbände und wurde vielfach als Grund für die anhaltende Zersplitterung des deutschen Genossenschaftswesens und das Nebeneinander von Verbänden und damit unterschiedlicher Organisationsprinzipien gesehen. Die starke Zentrierung aller Entscheidungen – unabhängig regionaler Disparitäten – in Neuwied auch ausschlaggebend für den Austritt der rund 100 Genossenschaften unter Faßbender aus der Neuwieder Raiffeisen-Organisation gewesen.134 1904 beendete der Rheinische Bauernverein beziehungsweise der Kölner Verband seine passive Haltung und agierte nun offen gegen den Neuwieder Verband, zumal sowohl auf im Reichsverband als auch in anderen Provinzen und Landesteilen die gleichen Punkte immer offener kritisiert wurden:135 Die Geschäftsleitung des Rheinischen Bauernvereins veröffentlichte unter anderem im Vereinsorgan, welche Nachteile sie in der Zentralisation des Neuwieder Verbandes sah, und forderte Vereinsmitglieder auf, soweit sie Genossenschaften angehörten, die dem Neuwieder Verband angeschlossen waren, abzuwägen, „ob es für sie ratsamer erscheint, ferner einer Organisation anzugehören, deren grundlegende Prinzipien falsch sind, deren Verwaltung sich den gestellten Aufgaben nicht als voll gewachsen erwiesen hat und über die demnach die Geschichte des deutschen Genossenschaftswesens bereits heute entschieden hat zugunsten des Reichsverbandes“.136 Einzelheiten der Auseinandersetzung lassen sich, wenn überhaupt, nur noch mit Hilfe der Geschäftsberichte und Artikel in den Verbandsorganen rekonstruieren. Im Jahresbericht des rheinischen Unterverbandes der Raiffeisen-Organisation schrieb Jakob Caspers, Direktor der Gesamtorganisation sowie des Unterverbandes, dass es in der Absicht des Rheinischen Bauernvereins gelegen habe, das „freundnachbarliche Verhältnis, wie es erfreulicherweise zwischen den Verbänden bestanden hat, zu stö133 LWK: Jahresbericht 1900, S. 27. 134 LWK: Jahresbericht 1901, S. 41 f. – Die Landwirtschaftskammer befürwortete eine Gebietsbereinigung und den Zusammenschluss der rheinischen Genossenschaftsverbände auch unter der Maßgabe, dass damit der von Havenstein, dem Generalsekretär der Landwirtschaftskammer, gegründete Bonner Verband damit aufgelöst werden würde. 135 Rheinischer Bauer 4/1904; siehe auch Rheinischer Bauern-Verein: [Festschrift], S. 53. 136 Rheinischer Bauer 4/1904, S. 3.

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ren“, während das Verhältnis zu den „beiden anderen rheinischen Verbänden zu meiner [Caspars; Anm. d. Verf.] Freude sich in keiner Weise geändert hat, sondern das denkbar freundschaftlichste geblieben“137 sei. Die Auseinandersetzung verlief sowohl auf Reichs- als auch auf Rheinprovinzebene und kann als Verquickung verschiedener interessenspolitischer Reibereien beschrieben werden. Anders als etwa der Bonner Verband, der sich bereits im Rahmen seiner Gründung dem Reichsverband angeschlossen hatte, bestand der Kölner Verband zwölf Jahre lang ohne Anschluss an einen Spitzenverband. Der Kölner Verband hatte sich also bis zu seinem Anschluss an den Reichsverband 1903 unabhängig sowohl vom Reichsverband als auch von der Raiffeisen-Organisation entwickelt (die Musterstatuten herausgegeben vom Kölner Verband entsprachen jedoch in weiten Teilen den Normalstatuten Raiffeisens), nachdem ein Zusammengehen von Rheinischem Bauernverein und Raiffeisen-Organisation anvisiert, jedoch nicht realisiert wurde. Am 4. September 1904 kam schließlich es zu einem Einigungsprogramm zwischen dem Reichsverband der deutschen ländlichen Genossenschaften (Darmstadt) und dem Generalverband ländlicher Genossenschaften für Deutschland (Neuwied), wonach de facto – wenn auch nicht de jure – der Neuwieder Generalverband aufgelöst und entsprechend der Filialbezirke des Generalverbandes in neue Provinzialund Landesverbände mit eigenen Statuten und Revisionsrechten umgebildet wurde, die sich dann mit allen Rechten und Pflichten dem Reichsverband anschlossen.138 Eine zu bildende Kommission hatte zugleich die Aufgabe, eine Verschmelzung der beiden Verbände vorzubereiten. Oehme führt das Einigungsprogramm nicht politische Reibereien zurück, sondern ausschließlich auf die Risikogeschäfte der Raiffeisen-Zentralkasse, die Reserven von 0,75 Mio. Mark abschreiben musste.139 In der Rheinprovinz schloss man auf der Basis des Einigungsprogrammes ein separates Abkommen, wonach der aus dem Generalverband ausgegliederte Provinzialverband und der Verband Köln in „harmonischer und friedlicher Arbeit“140 nebeneinander existieren sollten. Jede „gegenseitige Bekämpfung und Anfeindung, sowohl in der Presse, wie in Flugschriften, Versammlungen und dergl“.141 war zu vermeiden. Untersagt wurden Beratungen durch die Verbände mit dem Ziel des Übertritts von Genossenschaften zu anderen Verbänden. Der Wechsel von einem zum anderen Verband sollte nur nach ausgiebiger „objektiver“142 Prüfung erfolgen. Auch eine gegenseitige „Störung in der Gründungs- und Ausbreitungstätigkeit“143 war zu vermeiden. Dort, wo eine Genossenschaft bestand und einem Verband angeschlossen war oder dort, wo die Gründung einer Genossenschaft mit Hilfe eines Verban137 Neuwieder Raiffeisen-Organisation/Verband ländlicher Genossenschaften Raiffeisenscher Organisation der Rheinlande: Jahresbericht 1903, S. 3. 138 Programm für die Einigung des Reichsverbandes der deutschen landwirtschaftlichen Genossenschaften und des Generalverbandes ländlicher Genossenschaften für Deutschland siehe Rheinischer Bauern-Verein: [Festschrift], S. 55 f. 139 Oehme: Zentralkassen, S. 10. 140 Rheinischer Bauern-Verein: [Festschrift], S. 57. 141 Ebd. 142 Ebd. 143 Ebd.

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des in Vorbereitung war (das heißt wenn mindestens zehn Personen bereits das Statut unterzeichnet hatten), durfte der andere Verband keine Gründung einer zweiten gleichartigen Genossenschaft initiieren.144 Der Neuwieder Generalverband ländlicher Genossenschaften für Deutschland e.V. wurde also zeitweise (1905 bis 1913) in den Reichsverband inkorporiert.145 Mit der Eingliederung des Generalverbandes in den Reichsverband wurde der Unterverband 1905 in eine Körperschaft eigenen Rechts umgewandelt. Am 28. Mai 1905 wurde auf einer außerordentlichen Tagung die Annahme der ersten Verbandssatzung beschlossen. Der Verband wurde in das Vereinsregister des Amtsgerichtes Koblenz (VR 39) eingetragen. Am 29. Mai 1905 nahm der Verband seinen Geschäftsbetrieb unter der Firmierung Verband ländlicher Genossenschaften der Rheinlande e.V. zu Koblenz auf. Etwa ein Jahr später, am 1. März 1906, verlieh der Bundesrat dem Verband das Revisionsrecht.146 1913 traten die ehemaligen Raiffeisen-Unterverbände wieder aus dem Reichsverband aus und schlossen sich unter dem Dach einer neuen Raiffeisen-Spitzenorganisation neu zusammen.147 Der Zusammenschluss der beiden Dachverbände von 1905 wurde damit nach dem Tod von Wilhelm Haas wieder aufgelöst. Für die Neuwieder Organisation hatte das Zusammengehen mit dem Reichsverband und die Übertragung der Revision an die Landes- und Provinzialverbände einen Einschnitt in ihre Tätigkeit, insbesondere im Bereich der Revision, bedeutet: Das Aufgabengebiet war 1905 auf die „Feststellung einheitlicher Bestimmungen für die Ausführung der Revision“,148 die „Überwachung der Revisionstätigkeit der Verbände“149 und die Vorbereitungen der Sit144 Erst wenn nach sechs Monaten der Geschäftsbetrieb nicht aufgenommen wurde, sollte der andere Verband seine Aktivitäten einsetzen dürfen; Geschäftsbezirke der Bezugs- und Absatzgenossenschaft sollten künftig die Orte umfassen, die der gleichen Bahnstation angeschlossen waren. Zudem sollte der Raiffeisen-Verband bis 1906 keine Bezugs- und Absatzgenossenschaften in den Orten gründen, in denen die Ortsvereine des Rheinischen Bauernvereins das Bezugsund Absatzgeschäft betrieben, auch wenn diese noch in der Rechtsform des eingetragenen Vereins abgewickelt wurden. Differenzen sollten künftig zunächst durch eine gemeinsam beschickte Kommission im Falle dessen, dass keine Einigung durch die Kommission herbeigeführt werden konnte, durch ein Schiedsgericht geklärt werden. 145 In der Literatur findet sich vielfach der Hinweis, die Verbände hätten kooperiert. In der Bestandsliste der dem Reichsverband zughörigen Verbände und Genossenschaften am 15. Mai 1908 findet sich der Generalverband jedoch als Mitglied und nicht als gleichberechtigter Kooperationspartner. Vgl. Reichsverband: Jahrbuch 1907, S. 509. 146 Raiffeisenverband Mittelrhein e.V. Koblenz: 50 Jahre, S. 9 f. 147 RWWA 89-3-11, Satzung für den Rheinischen Raiffeisen-Verband e.V. zu Koblenz, (nach 1914), S. 1, § 1: „bilden die in der Rheinprovinz bestehenden, dem Generalverband der deutschen Raiffeisen-Genossenschaften e.V., Berlin angeschlossenen Genossenschaften […] dessen Bezirk das oben angegebene Gebiet umfaßt.“; S. 1, § 5: „Der Verband schließt sich mit allen daraus folgenden Rechten und Pflichten dem Generalverband der deutschen Raiffeisen-Genossenschaften als Mitglied an.“; ebd., S. 3, § 8: „Jede beitretende Genossenschaft muß gleichzeitig die Mitgliedschaft in dem Generalverband der deutschen Raiffeisen-Genossenschaften erwerben“. 148 Siehe etwa Generalverband ländlicher Genossenschaften für Deutschland: Jahresbericht 1914 und Statistik der Raiffeisenschen Genossenschaften für 1913, S. 80. 149 Siehe etwa ebd.

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zungen der Oberrevisoren sowie der Beratung der „Kommission für Buchführungsund Revisionswesen“150 beschränkt worden. 1924 kam es im Rheinland zunächst zur Fusion des Bonner Verbandes mit dem Kölner Verband. 1930 fusionierten schließlich der in Koblenz ansässige Verband ländlicher Genossenschaften der Rheinlande, der 1905 aus dem ehemaligen Unterverband des Generalverbandes hervorgegangen war, und der Trierische Genossenschaftsverband. Die Gründe für diese Fusionen lagen in Rationalisierungsbedürfnissen, also Kostenfragen, weniger in ideologischer Einigkeit. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass insgesamt drei Genossenschaftsverbände für den Raum der Rheinprovinz gegründet wurden, zu einem Zeitpunkt, als der Gesetzgeber mit dem Genossenschaftsgesetz respektive mit der Einführung der Revision neue Rahmenbedingungen schuf. Neben diesen Verbänden für die ländlichen beziehungsweise landwirtschaftlichen Genossenschaften bestanden Verbände der Schulze-Delitzsch’en Volksbanken, die im Rahmen der vorliegenden Untersuchung keine weitere Rolle spielen. Die Neuwieder Raiffeisen-Organisation hatte ihren Sitz traditionell im Rheinland, konzentrierte sich jedoch nicht nur auf die rheinischen ländlichen (Kredit-) Genossenschaften, sondern betreute reichsweit Genossenschaften. Erst mit der Umstrukturierung 1905 wurde hier de jure ein dezentraler, nur für die Rheinprovinz zuständiger Raiffeisen-Verband geschaffen. Während die rheinischen Genossenschaftsverbände – dies gilt gleichermaßen für Verbände in anderen Provinzen und Landesteilen – bis circa 1900 vor allem den Ausbau „ihres Bestandes“151 vorantrieben, das heißt im gegenseitigen „Wettlauf“152 um die Erweiterung ihres Mitgliederkreises die Gründung neuer Genossenschaften unterstützten beziehungsweise vielmehr selbst vornahmen, setzte Anfang des 20. Jahrhunderts ein Umdenken ein. Zunehmend wichtiger wurde der „innere Ausbau“153 des Genossenschaftswesens. Die Verbände konzentrierten sich nunmehr verstärkt auf die Verfeinerung einer fachgemäßen wirtschaftlichen und rechtlichen Ausgestaltung der inneren Strukturen der genossenschaftlichen Unternehmen und auf die Installierung ordnungsgemäßer Verwaltungen, wie insbesondere in den Kapiteln V bis VIII genauer beleuchtet werden soll. Für die Kreditgenossenschaften des engeren Untersuchungsraumes spielte der Trierer Verband keine Rolle, auch wenn dieser statuarisch für die ganze Rheinprovinz seine Zuständigkeit erklärte. Sowohl der Bonner, der Kölner als auch der Trierer Verband gingen aus landwirtschaftlichen Interessenvereinigungen hervor, wie auch die folgende Grafik noch mal zusammenfasst.

150 151 152 153

Siehe etwa ebd. Reichsverband: Jahrbuch 1914, S. 11. Ebd. Ebd.

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Abbildung 6: Herkunft der rheinischen Genossenschaftsverbände

Quelle: Eigene Darstellung.

Exkurs: Rheinische Genossenschaftsfunktionäre Als die wichtigsten Persönlichkeiten des (Kredit-) Genossenschaftswesens werden überregional, national sowie international in der Regel Friedrich Wilhelm Raiffeisen, Wilhelm Haas und Hermann Schulze-Delitzsch genannt. In der Rheinprovinz waren – auch wenn Raiffeisen selbst bis 1888 im Rheinland wirkte – eine Reihe anderer Persönlichkeiten für die Gestaltung des rheinischen Kreditgenossenschaftswesens maßgeblich. Hierzu gehörten zum einen die führenden Köpfe des Rheinischen Bauernvereins, zum anderen war insbesondere im Süden der Provinz die Tätigkeit des Kaplans Friedrich Dasbach prägend. Für die Entwicklung des Genossenschaftswesens der Rheinprovinz war zudem Dr. Gustav Havenstein von zentraler Bedeutung, ‚dessen‘ Bonner Genossenschaftsverband eine wichtige Rolle im engeren Untersuchungsraum spielte.154 Die folgende Tabelle gibt zunächst einen Überblick über die Vorstandsmitglieder des Bonner und des Kölner Verbandes beziehungsweise des mit der Fusion von 1924 vereinigten Verbandes. Nicht genannt sind hier Funktionäre des Raiffeisen-Verbandes, zu denen zeitweise Professor Dr. Martin Faßbender zählte, dem eine zentrale Rolle in der Frage Zentralität oder Dezentralität zukam. 154 Wygodzinski: Landwirtschaft, S. 278.

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IV. Von der Gründungsphase bis zur flächendeckenden Präsenz

Tabelle 16: Vorstandsmitglieder des Kölner und des Bonner Verbandes sowie nach der Fusion 1924 Rheinische Genossenschaftsfunktionäre (Auswahl) Verband rheinpreußischer landwirtschaftlicher Genossenschaften e.V., Bonn (1) 1889–1923 Dr. Gustav Havenstein (Verbandspräsident), Bonn 1905–23 Ökonomierat Limb(o)urg, Gutsbesitzer, Bitburg 1923–24 Dr. de Weerth von Vettelhoven (Verbandspräsident), Burg VettelhovenI 1923–24 Nikolaus Feldmann (Verbandsdirektor), Bankdirektor, Bonn Rheinischer Revisionsverband Kempen, später Verband rheinischer Genossenschaften e.V., Köln (2) 1891–1896 Freiherr Felix von Loë-Terporten (Verbandspräsident)II 1896–1899 Graf von Loë-Wissen (Verbandspräsident)III 1899–1924 Freiherr Clemens von Loë (Verbandspräsident), BergerhausenIV 1901–02 Ludwig Bönninger, Gutsbesitzer, Schmalbroich 1901–10 Carl Felix Kirchem, Bankdirektor, KölnV 1910–24 Wilhelm Brücker, Ökonomierat, Hönnepel 1902–11 Peter Röllgen, Ökonomierat, Gutsbesitzer, BerzdorfVI 1911–24 Paul Düsterwald, Pfarrer und Definitor, Lohmar Verband rheinischer landwirtschaftlicher Genossenschaften e.V., Köln (1924 Fusion aus (1) und (2), (2) übernehmender Verband) 1924–30 Freiherr Clemens von Loë (Verbandspräsident), Bergerhausen 1924–34 Nikolaus Feldmann, Bankdirektor, BonnVII 1924–30 Peter Kerp, (Verbandsdirektor), MdR, KölnVIII 1931–34 Freiherr von Lüninck (Verbandspräsident), BonnIX 1931–34 Josef Thoma (Verbandsdirektor), KölnX 1930–31 Aufsichtsratsmitglied der Rheinischen Landesgenossenschaftskasse eGmbH. 1892–96 Vorsitzender des ehrenamtlichen Vorstandes des Rheinischen Bauern-Kredit-Vereins. III 1896–99 Vorsitzender des ehrenamtlichen Vorstandes des Rheinischen Bauern-Kredit-Vereins. IV 1899–1906 und 1914–18 Vorsitzender des ehrenamtlichen Vorstandes des Rheinischen Bauern-Kredit-Vereins, 1906–14 und 1919–29 Aufsichtsratsmitglied des Rheinischen BauernKredit-Vereins (ab 1924 Rheinische Landesgenossenschaftskasse eGmbH). V Verbandsgeschäftsführer des Rheinischen Revisionsverbandes Kempen. 1893–1918 geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Rheinischen Bauern-Kredit-Vereins, zuvor Revisor des Verbandes ländlicher Genossenschaften der Provinz Westfalen. VI 1906–08 Vorsitzender des ehrenamtlichen Vorstandes des Rheinischen Bauern-Kredit-Vereins. VII 1924–31 Vorstandsmitglied der Rheinischen Landesgenossenschaftskasse eGmbH. VIII 1918–31 Vorstandsmitglied des Rheinischen Bauern-Kredit-Vereins (ab 1924 Rheinische Landesgenossenschaftskasse eGmbH); vgl. ausführlicher zu Kerp Reichshandbuch der deutschen Gesellschaft, S. 910. IX 1931–46 Aufsichtsratsmitglied der Rheinischen Landesgenossenschaftskasse eGmbH. X Thoma war 1932–51 Vorstandsmitglied der Rheinischen Landesgenossenschaftskasse eGmbH, 1951–66 Mitglied des Aufsichtsrates; 1945–47 (gerichtlich bestellt als einziges Vorstandsmitglied) sowie 1947–60. Quelle: Thoma, 75 Jahre, S. 24; Nachruf Hermann-Josef Thoma, in: Rheinische Landesgenossenschaftskasse: 75 Jahre. I

II

Dr. Gustav Havenstein wurde am 7. April 1843 in Altfalkenberg in Pommern als Sohn eines Freischulzengutsbesitzers, das heißt eines freien Schultheißen mit Guts-

2. Vertikale Integration

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besitz, geboren.155 Havenstein war bereits aufgrund seiner Herkunft eng mit der Landwirtschaft verbunden. Die meisten Vorfahren Havensteins waren in der Landwirtschaft tätig, allerdings finden sich unter ihnen auch evangelische Pfarrer. Havenstein besuchte das Gymnasium in Stettin. Er studierte in Halle und Proskau Landwirtschaft, Naturwissenschaften und Nationalökonomie. Im Jahr 1872 legte er sein Examen mit „vorzüglich gut“156 ab. 1874 wurde er in Göttingen zum Dr. phil. promoviert.157 Nach dem Studium arbeitete er zunächst als Verwalter größerer Landwirtschaftsgüter, wo er viel über die Probleme und Bedarfe landwirtschaftlicher Betriebe lernte. Im Jahr 1872 nahm Havenstein eine Dozentenstelle (als Honorardozent) an der sehr praktisch ausgerichteten Landwirtschaftlichen Hochschule in Bonn-Poppelsdorf für das Fach ,Allgemeiner Pflanzenbau‘ an,158 war dort jedoch vordergründig als Leiter des Versuchsfeldes tätig. Im Jahr 1880 wechselte er zum Landwirtschaftlichen Verein für Rheinpreußen, wo er als Generalsekretär die Nachfolge von Johann Nikolaus Caesar Thilmany antrat.159 Bei der Gründung der Landwirtschaftskammer (1899) wurde Havenstein, inzwischen Ökonomienrat, zudem Generalsekretär der Landwirtschaftskammer. Vom 1. Oktober 1889 bis zu seinem Tod am 7. Februar 1923 war Havenstein Direktor des Verbandes rheinpreußischer landwirtschaftlicher Genossenschaften e.V. in Bonn, dessen Grünung er forciert hatte. Havenstein führte also bis 1909 in Personalunion die Geschäfte des Landwirtschaftlichen Vereins, der Landwirtschaftskammer sowie des Genossenschaftsverbandes. Der Assistent Havensteins beim Landwirtschaftlichen Verein, [Friedrich] Dettweiler, wurde zugleich mit der Geschäftsführung des Genossenschaftsverbandes betraut sowie zum Verbandsrevisor bestellt. Die Geschäfte des Verbandes wurden von den ,Vereinsbeamten‘ des Landwirtschaftlichen Vereins zugleich in 155 Feldmann: Havenstein, S. 113. – Die von Feldmann angegebenen Daten sind auch die Daten, die der Familie heute bekannt sind. Nach Auskunft seines Enkels Gustav Adolf Havenstein (telefonisch am 14. Dezember 2010) sind keine persönlichen Unterlagen von Gustav Havenstein überliefert. Familieneigene Recherchen blieben stets ohne Ergebnis. Havenstein hatte vier Geschwister. Sein Bruder Ernst fiel im Ersten Weltkrieg, seine Schwester Trude war in Schweden verheiratet, seine Schwester Elli mit einem Arzt; sie blieb in der Bonner Gegend. Wenig: Verzeichnis, S. 109, nennt Hannover als Geburtsort, dies scheint jedoch nicht zu stimmen. Eine Fotografie Havensteins findet sich in Verband rheinischer landwirtschaftlicher Genossenschaften: Verband, sowie in Landwirtschaftlicher Verein für Rheinpreußen: Jahrhundert, 1934, Anhang, zudem in Thoma, 75 Jahre. – Ein weiteres Familienmitglied lässt sich ausmachen: Martin Wilhelm Eduard Havenstein [*28. November 1871 (Gramenz (Kreis Neu-Stettin)), †26. Oktober 1945 (Blankenburg (Harz)), evangelisch, Germanist, Vater: Pastor in Selchow (Kreis Stettin), Mutter: Maria, geb. Krüger (gestorben 1947)] studierte unter anderem von April bis August 1890 in Bonn und verfasste ,Nietzsche als Erzieher‘ (Berlin 1922), mit der Widmung: „Meinem lieben Onkel Geh. Regierungsrat Dr. Gustav Havenstein in Bonn am Rhein zugeeignet“. 156 Feldmann: Havenstein (1934), S. 113. 157 Ebd., genauer am 14. Juni 1874. 158 Ebd.; Wenig: Verzeichnis, S. 109. Der Lehrauftrag lief vom 1. Oktober 1872 bis zum 31. März 1880. 159 Feldmann: Havenstein (1934), S. 113. Seine Stelle an der Akademie gab er zum 1. April 1880 auf, da er am 1. Januar 1880 die Geschäfte des Landwirtschaftlichen Vereins übernommen hatte. Vgl. Wenig: Verzeichnis, 1968, S. 109. Havenstein war Generalsekretär des Landwirtschaftlichen Vereins vom 1. Januar 1880 bis zum 30. Juni 1909.

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IV. Von der Gründungsphase bis zur flächendeckenden Präsenz

den Räumen des Landwirtschaftlichen Vereins abgewickelt, was die Personalunion Havensteins maßgeblich stärkte.160 Zudem war Havenstein Mitglied des Verwaltungsausschusses des Reichsverbandes der deutschen landwirtschaftlichen Genossenschaften161 sowie Vorsitzender des Bezugsverbandes des rheinpreußischen landwirtschaftlichen Vereins.162 „Havenstein besaß ein umfassendes Wissen und hervorragende Führereigenschaften“,163 so sein Nachfolger Nikolaus Feldmann 1928 in einem Handbuchartikel über Havenstein.164 Hinzu kam eine „Begabung und Neigung zum Lehren“, die Havenstein und seiner Arbeit „Nachhall und Wirkung“ verschafften.165 Sein besonderes Interesse galt neben dem Genossenschaftswesen dem landwirtschaftlichen Unterrichtswesen. Unter ihm wurden unter anderem die Zahl der Schulen erhöht, die Trägerschaft der Winterschulen reformiert und die Lehrpläne verbessert. Mit seinem Ausscheiden aus dem Dienst des Landwirtschaftlichen Vereins wurde Havenstein am 1. Juli 1909 zum Geheimen Regierungsrat ernannt.166 Feldmann charakterisierte Havenstein 1934 wie folgt: „Er war klar und nüchtern in seinem Wollen, zäh und zielstrebig in seiner Arbeit, rückgratfest nach oben und nach unten. Die Kehrseite seiner bäuerlichen Abstammung zeigte sich in seinem ausgeprägten Eigenwillen, der sich mitunter bis zur Hartköpfigkeit steigerte. Verbunden mit seinem cholerischen Temperament, ließ er Havenstein oft unvermittelt und jäh aufbrausen und gestaltete den Umgang mit ihm nicht immer leicht. Das wurde aber ausgeglichen durch eine in tiefinnerlicher Religiosität wurzelnde Güte und Gerechtigkeitsliebe. Sie brachte, wenn irgendjemand sich mit Recht oder Unrecht verletzt fühlte, ein liebes Wort oder eine entsprechende Handlung hervor, die den Grollenden bald versöhnten. Die religiösen Gefühle Havensteins äußerten sich nur zurückhaltend, bestimmten aber sein Handeln wesentlich und sind als Richtschnur seiner Arbeit nicht zu verkennen“.167 Noch in den 1960er-Jahren wurde Havenstein innerhalb der Genossenschaftsbewegung als wichtige Persönlichkeit für die Gründung des Verbandes der rheinpreußischen landwirtschaftlichen Genossenschaften gewürdigt (so findet sich in Veröffentlichungen auch des Öfteren das Personalpronomen ,sein‘ vor Verband). An andere Stelle heißt es: „Als er auf den von Raiffeisen eingeschlagenen Wegen 160 Feldmann: Verband, S. 11. 161 Feldmann: Havenstein (1928), S. 448; siehe hierzu auch Oppenheimer: Funktionäre, S. 16 ff.; Verband rheinischer landwirtschaftlicher Genossenschaften: Verband, S. 16. 162 Anwaltschaft des Allgemeinen Verbandes der deutschen landwirtschaftlichen Genossenschaften, Jahresbericht 1892, Liste der Verwaltungsausschussmitglieder. 163 Feldmann: Havenstein (1928), S. 448. 164 Feldmann wurde am 23. April 1923 in der Mitgliederversammlung zu Havensteins Nachfolger als Direktor des Verbandes gewählt. Siehe Verband rheinischer landwirtschaftlicher Genossenschaften: Verband, S. 17. 165 Feldmann: Havenstein (1934), S. 115. 166 LWK: Jahresbericht für 1910 und den fünfjährigen Zeitraum 1906–1910, S. 225. – Landesökonomierat Dr. Gustav Havenstein schied am 1. Juli 1909 nach 30-jähiger Dienstzeit als Generalsekretär des Landwirtschaftlichen Vereins für Rheinpreußen aus. Sein Nachfolger war Dr. Reinhardt, Dessau. 167 Feldmann: Havenstein (1934), S. 114.

2. Vertikale Integration

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grundsätzlich nicht mehr mitgehen konnte, rief er den Verband der rheinpreußischen landwirtschaftlichen Genossenschaften ins Leben“.168 Heute wird ihm innerhalb des Genossenschaftswesens scheinbar keine Bedeutung mehr beigemessen. Es erinnert zum Beispiel kein Straßenname an ihn (wie vergleichsweise für Raiffeisen); in keiner Publikation, die nach Mitte der 1960er-Jahre erschien, findet sich sein Name. Havenstein wurde, „obgleich sein Name weithin bekannt war“,169 zu keiner Zeit eine zentrale Figur der Bewegung wie etwa Raiffeisen; nie wurde er „volkstümlich im Sinne dieses Worts“.170 Die Ursache hierfür sah Feldmann in Havensteins Desinteresse an beziehungsweise in seinem Vorbehalt gegenüber der Durchschlagskraft der direkten Agitation: Havensteins „Skepsis ließ ihn die Werbewirkung der Versammlungsarbeit im Landvolk unterschätzen“.171 Daher fehlte ihm eine „unmittelbare Wirkung auf die Massen“.172 Darüber hinaus hebt Feldmann hervor, dass Havenstein keine pathetische Rhetorik zu Eigen gewesen sei, was Feldmann insbesondere als Zeitgenosse eher untypisch vorgekommen sein muss. Seine Vorträge hielt Havenstein vielmehr vor Studenten, Kollegen und Experten. Mehr noch beschreibt ihn Feldmann als wenig kompromissbereit – Anregungen habe er nicht gern angenommen. Sein Urteil über Havenstein lässt erkennen, dass er der Ansicht war, dass der Landwirtschaftliche Verein eine größere Basis hätte gewinnen können, wenn Havenstein stärker unter den Landwirten geworben hätte und auch in späteren Jahren weniger als Hochschullehrer aufgetreten wäre, sondern vielmehr als basisnaher Interessenvertreter: „Das hat vielleicht die Erfolge des Landwirtschaftlichen Vereins, sicher aber die Ausdehnung seiner genossenschaftlichen Organisation beeinträchtigt“.173 So heißt es etwa in der Festschrift anlässlich des 40-jährigen Bestehens, die Entwicklung des Verbandes sei „eine ruhig fortschreitende“ gewesen.174 Auch wenn Feldmann Havenstein als wenig ‚massentauglich‘ beschreibt, lenkt er ein und bilanziert: „Aber die Geschicke des Landwirtschaftlichen Vereins und die Gestaltung der landwirtschaftlichen Verhältnisse in der Rheinprovinz in den Jahren 1880 bis 1899 hat er doch wesentlich mitbestimmt“.175 Die Quellendichte ist sowohl für Havenstein als auch für Feldmann zu dünn, um ein abschließendes Urteil fällen zu können. Aus der heutigen Perspektive und in Verbindung mit der Kenntnis von der Geschichte der landwirtschaftlichen Interessenvertretung erscheint dieses Urteil äußerst bedauerlich, zumal die Gründung des Rheinischen Bauernvereins als auch die Gründungen des Trierer und des Hunsrücker Bauernvereins und deren starker Mitgliederzulauf (insbesondere des Rheini168 Feldmann: Havenstein (1928), S. 448; Verband rheinischer landwirtschaftlicher Genossenschaften: 60 Jahre, S. 3. Hier werden Schulze-Delitzsch und Raiffeisen genannt, daneben Felix und Clemens von Loë und Havenstein als „hochverdiente[n] Pioniere[n] des rheinischen landwirtschaftlichen Genossenschaftswesens“. 169 Feldmann: Havenstein (1934), S. 115. 170 Ebd. 171 Ebd. 172 Ebd. 173 Ebd. 174 Verband rheinischer landwirtschaftlicher Genossenschaften: Verband, S. 17. 175 Feldmann: Havenstein (1934), S. 115.

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IV. Von der Gründungsphase bis zur flächendeckenden Präsenz

schen Bauernvereins) auch im Agrarsektor zunehmend den Drang nach Interessenvertretung widerspiegelten und sich hier Potenzial zur Ausdehnung der Bewegung abzeichnete. Vielleicht verpasste der Landwirtschaftliche Verein tatsächlich mit Havenstein ein Aufbrechen des alten Honoratiorenvereins. Als Feldmann im Jahr 1923 Havenstein nach dessen Tod ins Direktorenamt des Genossenschaftsverbandes nachfolgte, trat er einerseits ein ‚schweres Erbe‘ an (Havenstein war nicht nur (Mit-) Gründer des Verbandes, sondern auch 44 Jahre im Amt), andererseits verkörperte er eine neue, emanzipierte Generation von landwirtschaftlichen Interessenvertretern. Alfred Oppenheimer schrieb hierzu 1924, dass die Aufgabe eines Verbandsfunktionärs darin läge, „Interessenvertretung“ und damit „‚hohe Politik‘“ zu machen.176 Zentrale Aufsätze und Reden Havensteins wurden 1904 in ,Beiträge zum landwirtschaftlichen Schul- und Genossenschaftswesen‘ publiziert.177 Feldmann selbst war eine wichtige Persönlichkeit in der Anfangszeit der rheinischen Kreditgenossenschaftsbewegung. Nik(c)olaus Feldmann wurde am 10. Oktober 1877 in Bonn geboren.178 Von 1913 bis 1935 war er Honorardozent an der Landwirtschaftlichen Hochschule in Poppelsdorf.179 Er unterrichtete ,Genossenschaftliche Praxis‘.180 Die Nachfolge Havensteins trat er allerdings nur für rund ein Jahr an. Als der Verband der rheinpreußischen landwirtschaftlichen Genossenschaften 1924 mit dem Rheinischen Genossenschaftsverband verschmolz, blieb Feldmann Mitglied des Vorstandes, dem er bis 1934 angehörte.181 Feldmann gehörte zudem dem Ausschuss des Reichsverbandes an.182 Er war der erste Direktor der Genossenschaftsbank für Rheinpreußen eGmbH (gegründet 1906) in Bonn, später Direktor und Vorstandsmitglied der Rheinischen Landesgenossenschaftskasse eG (Köln).183 Feldmann war zudem Mitglied des inneren Ausschusses der Preußenkasse (Berlin).184 Er starb am 10. Juni 1952 in Bonn.185

176 177 178 179 180 181 182 183 184 185

Oppenheimer: Funktionäre, S. 12. Havenstein: Beiträge. Reichshandbuch der deutschen Gesellschaft, S. 428. Wenig: Verzeichnis, S. 72. Feldmann war Honorardozent vom 10. Juli 1913 bis 1935 und hatte einen Lehrauftrag an der Universität Bonn vom 8. Mai 1948 bis zum 8. August 1949. Die Mitschrift eines Studenten ist im Universitätsarchiv der Universität Bonn überliefert. Siehe UAB, Slg. Bib. Nr. 281; UAB, PA 1913, Personalakte Feldmann. Verband rheinischer landwirtschaftlicher Genossenschaften: Verband, S. 115; Verband rheinischer Genossenschaften Raiffeisen: [Festschrift], 1964, S. 24. Reichshandbuch der deutschen Gesellschaft, S. 428. Ebd. Ebd. UAB, Slg. Bib. Nr. 281; UAB, PA 1913, Personalakte Feldmann.

3. Die Gründungen ländlicher Kreditgenossenschaften

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3. DIE GRÜNDUNGEN LÄNDLICHER KREDITGENOSSENSCHAFTEN IN DEN KREISEN GUMMERSBACH, WALDBRÖL UND WIPPERFÜRTH186 „Fort mit dem alten Schlendrian und der Bequemlichkeit, Selbsthilfe sei das, was in erster Linie helfen müsse“,187 so der Waldbröler Landrat Dr. Eichhorn im Jahr 1926. Diese Aufforderung galt der Landwirtschaft, die sich bedingt durch die Zwangswirtschaft während des Ersten Weltkrieges – Mangel an Saatgut, Dünger, Nutzvieh, aber auch an qualifizierten Arbeitskräften – in einer desolaten Lage befand, welche sich nach den schlechten Ernteergebnissen im Jahr 1924 noch weiter zugespitzt hatte. Die Neubelebung der diversen landwirtschaftlichen Genossenschaften und des ländlichen Kreditgenossenschaftswesens sollte, so Eichhorn, helfen, die schwierige Lage der Landwirtschaft und damit der gesamten ländlichen Bevölkerung zu überwinden. Es bleibt daher zu fragen, welches Entwicklungsstadium das ländliche Genossenschaftswesen, insbesondere die Kreditgenossenschaften, bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges erreicht hatten und welchen Zustand Eichhorn in den 1920er-Jahren wiederbelebt wissen wollte. Die drei folgenden Abschnitte geben die Gründungsverläufe nach Kreisen wieder und liefern einen Überblick über die Zahl der im engeren Untersuchungsraum gegründeten ländlichen Kreditgenossenschaften, deren Verbandszugehörigkeiten sowie deren jeweilige geografische Lage. Wie bereits kurz dargestellt, wurden die ältesten ländlichen Kreditgenossenschaften, die im Rahmen der vorliegenden Fallstudie untersucht werden, 1874 in Denklingen und Morsbach (Kreis Waldbröl) und in Nümbrecht (Kreis Gummersbach) gegründet. Letztgenannte Genossenschaft wurde am 23. März 1874 ins Leben gerufen, nahm jedoch erst am 20. Januar 1875 den Geschäftsbetrieb auf.188 Über die Entwicklung der Nümbrechter Kreditgenossenschaft ist bisher am meisten bekannt: Anlässlich des 100-jährigen Jubiläums der Raiffeisenbank Nümbrecht eG wurde ihre Unternehmensgeschichte relativ detailliert und verhältnismäßig fundiert erarbeitet.189 Eine vergleichbare Darstellung gibt es für die anderen Kreditgenossenschaften im engeren Untersuchungsraum nicht.190 Das 50-jährige Jubiläum feierte die Nümbrechter Genossenschaft 1925 mit rund 350 Gästen, womit die Genos186 Alle Daten, wie Umsätze, Bilanzsummen, Mitgliederzahlen etc., wurden in den Kapiteln IV bis IX – sofern nicht anders angegeben – den Jahrbüchern des Reichsverbandes der deutschen landwirthschaftlichen Genossenschaften e.V. (zuvor Allgemeiner Verband der deutschen landwirtschaftlichen Genossenschaften e.V.) entnommen. Auf den Abdruck der vollständigen Datensätze wurde aus Platzgründen verzichtet. 187 LA NRW Düsseldorf, D XIV A 223 a (1925), Verwaltungsbericht des Kreises Waldbröl 1925, S. 6. 188 Schild: 100 Jahre, S. 11. 189 Einige der von Schild genannten Akten befinden sich jedoch nicht im Archiv der Volksbank Oberberg eG. 190 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 51-9, Manuskript zur Festschrift 100 Jahre Raiffeisenbank Nümbrecht; Schild: 100 Jahre, S. 11, verweist darauf, dass die Registerakten des Amtsgerichtes Wiehl nur fragmentarisch überliefert sind.

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senschaft zu den größeren ländlichen Kreditgenossenschaften des Untersuchungsraumes zählte. a) Gründungen im Kreis Waldbröl Anfang der 1880er-Jahre bestanden im Kreis Waldbröl die 1870 gegründete Volksbank zu Eckenhagen nach dem System Schulze-Delitzsch sowie die 1874 gegründeten Darlehnskassen-Vereine nach dem System Raiffeisens in Denklingen und in Morsbach.191 Letztere wurde im Alltag auch als ,Volksbank‘ bezeichnet.192 Die erste ländliche Kreditgenossenschaft des Kreises war der Denklinger Darlehnskassen-Verein eG. Dieser wurde am 20. Januar 1874 in Denklingen für die Katastergemeinden Hermesdorf, Denklingen und Heischeid gegründet.193 Die Genossenschaft basierte auf dem Normalstatut herausgegeben von der Raiffeisen-Organisation. 1903 wurde jedoch das Liquidationsverfahren eingeleitet. Neben diesen Kreditgenossenschaften bestand die kommunale Kreis-Spar- und Darlehnskasse zu Waldbröl. Insgesamt hatte das landwirtschaftliche Genossenschaftswesen im Kreis bis Ende des 19. Jahrhunderts einen beachtlichen Umfang angenommen. Vor allem eine Vielzahl von Wiesen(meliorations)genossenschaften wurde bis 1883 gegründet: In der Bürgermeisterei Dattenfeld bestanden vier Wiesengenossenschaften, zehn weitere in der Bürgermeisterei Denklingen, insgesamt 15 in der Bürgermeisterei Eckenhagen, sieben weitere in der Bürgermeisterei Morsbach sowie fünf Wiesengenossenschaften in der Bürgermeisterei Waldbröl.194 Daneben gab es eine ganze Reihe Versicherungsvereine („Kuhladen“).195 Zudem bestand ein landwirt191 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 29-7, Morsbacher Spar- und Darlehnskassenverein, VS-Protokolle, 1874–1925; AdVBO, Bestand RB Wiehl, 29-8, Morsbacher Spar- und Darlehnskassenverein, AR-Protokolle 1875–1928; AdVBO, Bestand RB Wiehl, 26-5, Denklinger Darlehnskassen-Verein eG, VS/VR-Protokolle 1874–1903; AdVBO, Bestand RB Wiehl, 30-8, Denklinger Darlehnskassen-Verein eG, GV-Protokolle, 1874–1914; siehe auch AdVBO, Bestand RB Wiehl, 31-12, Denklinger Darlehnskassen-Verein eG, Unterlagen zur Auflösung der Genossenschaft, 1903, 1914. 192 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 31-15, Akten des Bürgermeistereiamtes Morsbach, Kopien aus den Akten des Gemeindearchivs Morsbach, um 1876; siehe auch AdVBO, 14-2, Morsbacher Spar- und Darlehnskassenverein, Schriftverkehr mit Amtsgericht. 193 LA NRW Düsseldorf, Rep. 78 Nr. 35, Statut des Denklinger Darlehnskassen-Vereins eG vom 20. Januar 1874. 194 LA NRW Düsseldorf, LA Waldbröl Nr. 321, Aufstellung der 1883 im Kreis Waldbröl bestehenden Genossenschaften und Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit; siehe auch LA NRW Düsseldorf, DXIV A 223 a (1909–13), Verwaltungsbericht des Kreises Waldbröl 1909–1913, S. 27–30. Der Verwaltungsbericht nennt eine Wiesengenossenschaft in der Gemeinde Rosbach, zehn in der Gemeinde Denklingen, weitere zehn in der Gemeinde Eckenhagen sowie sieben in der Gemeinde Morsbach. 195 LA NRW Düsseldorf, LA Waldbröl Nr. 321, Aufstellung der 1883 im Kreis Waldbröl bestehenden Genossenschaften und Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit. Insgesamt gab es 1883 16 landwirtschaftliche Versicherungsvereine; siehe auch LA NRW Düsseldorf, DXIV A 223 a (1909–13), Verwaltungsbericht des Kreises Waldbröl 1909–1913, S. 28 f. – Übersicht über die

3. Die Gründungen ländlicher Kreditgenossenschaften

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schaftliches Casino. Eine besondere Bedeutung kam dem landwirtschaftlichen Bildungswesen zu. Die Lehrer wurden in der Regel vom Landwirtschaftlichen Verein entsprechend fortgebildet, um für die Gründung von Genossenschaften zu werben, um erste Kontakte herzustellen und Literatur zu besorgen. Im Kreis Waldbröl bestanden insgesamt neun landwirtschaftliche Fortbildungsschulen.196 Ebenfalls wichtig für die Verbreitung der Kreditgenossenschaften im Kreis dürfte die Tatsache gewesen sein, dass in Waldbröl ein überregional gut besuchter Viehmarkt bestand. Die auch noch zum Ende des Untersuchungszeitraumes stattfindenden Vieh- und Krammärkte hatten eine „besondere Bedeutung für das wirtschaftliche Leben des Ortes Waldbröl und seiner Umgebung“,197 insbesondere auch für die Verbreitung von Informationen und das Knüpfen von Kontakten. Zudem lag der Kreis in unmittelbarer Nachbarschaft zum Kreis Altenkirchen, dem Heimatkreis Raiffeisens, sodass die Kommunikationswege kürzer waren als nach andernorts.198 Der Rheinische Bauernverein war ebenfalls im Kreis vertreten, wie auch der Landwirtschaftliche Verein für Rheinpreußen. Im Jahr 1882 wurde in Dattenfeld, rund elf Kilometer südlich von der Kreisstadt Waldbröl und etwa 13 Kilometer nördlich von Weyerbusch, wo Raiffeisen seinen ersten Brotverein gegründet hatte, eine weitere Kreditgenossenschaft gegründet, die ebenfalls dem Raiffeisen-Verband angeschlossen wurde. Anders als in den anderen Gemeinden des Kreises, die vor allem katholisch geprägt waren, wohnten in der Gemeinde Dattenfeld vorwiegend Protestanten. Obwohl für die Gemeinde Dattenfeld, die zusammen mit der Gemeinde Rosbach die Bürgermeisterei Dattenfeld bildete, keine weitere Kreditgenossenschaft bestand, und obwohl die Bevölkerung zwischen 1871 und 1900 um rund ein Fünftel auf 2.500 Einwohner wuchs, entwickelte sich die Genossenschaft nur schleppend und wurde 1913 schließlich liquidiert. Am 26. Oktober 1907 wurde der Rosbacher Spar- und Darlehnskassen-Verein gegründet. Bereits am 7. Oktober 1907 waren in der Gaststätte des Bäckers Friedrich Schneider 13 Landwirte und Handwerker aus der Gemeinde Rosbach zusammengekommen, um zunächst grundsätzlich über die Gründung einer Kreditgenossenschaft nach dem Raiffeisen-System zu diskutieren. An der Gründung beteiligten sich neben dem Bäcker Friedrich Schneider, der zum Vorstandsvorsitzenden gelandwirtschaftlichen Vereine und Versicherungsvereine im Kreis Waldbröl um 1913: 25 Rindviehversicherungsvereine, 13 Schweineversicherungsvereine, je ein Ziegenversicherungsverein, Schlachtviehversicherungsverein, Kreispferdeversicherungsverein. 196 LA NRW Düsseldorf, LA Waldbröl Nr. 321, Aufstellung der 1883 im Kreis Waldbröl bestehenden Genossenschaften und Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit; siehe auch LA NRW Düsseldorf, DXIV A 223 a (1909–13), Verwaltungsbericht des Kreises Waldbröl 1909–1913, S. 30. 1913 bestanden eine landwirtschaftliche Winterschule in Waldbröl, eine gewerbliche Fortbildungsschule in Waldbröl sowie neun ländliche Fortbildungsschulen (Gemeinde Denklingen: 3, Gemeinde Morsbach: 3, Gemeinde Rosbach: 2, Gemeinde Dattenfeld: 1). 197 LA NRW Düsseldorf, DXIV A 223 a (1909–13), Verwaltungsbericht des Kreises Waldbröl 1909–1913, S. 62. 198 Zum Waldbröler Viehmarkt siehe unter anderem LA NRW Düsseldorf, DXIV A 223 a (1909– 13), Verwaltungsbericht Kreis Waldbröl 1909–1913, S. 62; Padtberg: Wirtschaftsgeschichte, S. 232 ff.; siehe auch Kapitel II.

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wählt wurde, schließlich zwei Kaufleute, fünf Ackerer, ein Viehhändler, ein Zementwarenfabrikant, ein Schreinermeister, ein Schlossermeister und ein Metzgermeister. Zum Rechner wurde der Postagent Philipp Rüdig gewählt, der das Amt rund 40 Jahre ehrenamtlich ausübte. 1909 hatte die Genossenschaft 47 Mitglieder, 1913 insgesamt 79 Mitglieder.199 In der Gemeinde Waldbröl wurde am 11. November 1903 eine ländliche Kreditgenossenschaft ins Leben gerufen – die einzige Kreditgenossenschaft in der Gemeinde beziehungsweise in der gleichnamigen Bürgermeisterei.200 Zehn Bürger waren an der Gründung beteiligt, darunter vor allem Waldbröler.201 Die Genossenschaft trat dem Neuwieder Raiffeisen-Verband bei, wie bis dahin – abgesehen von der Eckenhagener Volksbank – alle ländlichen Kreditgenossenschaften des Kreises. Nachdem der Denklinger Darlehnskassen-Verein eGmuH 1903 das Liquidationsverfahren beantragt hatte – eigentlich wurde hier schon seit Mitte der 1890erJahre kein Geschäftsverkehr mehr abgewickelt – und damit keine Kreditgenossenschaft mehr in Denklingen operierte, in der Bürgermeisterei offensichtlich aber Bedarf nach einem solchen Kreditinstitut bestand, wurden 1909 gleich zwei neue Kreditgenossenschaften gegründet: eine in Brüchermühle, die dem Raiffeisen-Verband angeschlossen wurde, und die Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Denklingen, die Mitglied des Bonner Verbandes wurde. Im Jahr 1913 hieß es im Verwaltungsbericht des Kreises: „Das Vereins- und Genossenschaftswesen hat auch in der Berichtsperiode [1909 bis 1913; Anm. d. Verf.] weiteren erfreulichen Aufschwung genommen. Eine Anzahl neuer landwirtschaftlicher Vereine und Genossenschaften ist gegründet worden, und in vielen alten ist frisches Leben geweckt“.202 Der ländliche Geldverkehr wurde im Kreis Waldbröl zum Ende des Untersuchungszeitraumes von insgesamt sechs ländlichen Kreditgenossenschaften abgewickelt.203 Darüber hinaus bestanden als Kreditinstitute auch für den ländlichen beziehungsweise landwirtschaftlichen Geldverkehr die Eckenhagener Volksbank sowie die Kreissparkasse Waldbröl. Damit gab es in jeder Bürgermeisterei am Ende des Untersuchungszeitraumes mindestens eine Kreditgenossenschaft – in Eckenhagen jedoch ausschließlich die vom Landwirtschaftlichen Verein initiierte Volksbank. Die Kreisverwaltung rapportierte 1913 zudem: „Neben 199 Zum typischen Gründungsverlauf ländlicher Kreditgenossenschaften siehe Kluge: Geschichte, S. 54 f.; Rosbacher Raiffeisenbank: 50 Jahre; Rosbacher Raiffeisenbank: 1907–1982; siehe auch LA Koblenz 393/3493, Anleitungen des Raiffeisen Verbandes zur Gründung von Kreditgenossenschaften [ohne Paginierung]. 200 Bessler-Worbs/Schlütz: Handbuch; AdVBO, Bestand RB Wiehl, 31-3, Waldbröler Spar- und Darlehnskassenverein eGmuH, Protokoll über die Gründung, Satzung, 1903. 201 RWWA, FG-Ordner ,Raiffeisenbanken‘, Raiffeisenbank Waldbröl eG: Raiffeisen-Rundschau (1978). 202 LA NRW Düsseldorf, DXIV A 223 a (1909–13), Verwaltungsbericht des Kreises Waldbröl 1909–1913, S. 27; vgl. auch LA NRW Düsseldorf, D XIV A 223 a (1926), Verwaltungsbericht des Kreises Waldbröl 1926, S. 6; LA NRW Düsseldorf, D XIV A 223 a (1927), Verwaltungsbericht des Kreises Waldbröl 1927, S. 7; LA NRW Düsseldorf, D XIV A 223 a (1928), Verwaltungsbericht des Kreises Waldbröl 1928, S. 8. 203 Siehe etwa LA NRW Düsseldorf, DXIV A 223 a (1909–13), Verwaltungsbericht des Kreises Waldbröl 1909–1913, S. 30.

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der Kreissparkasse entfalteten in ihren Bezirken eine segensreiche Tätigkeit vorwiegend für die Bedürfnisse des Personalkredits“204 die Eckenhagener Volksbank, die ländlichen Kreditgenossenschaften in Waldbröl, Rosbach, Morsbach, Dattenfeld, Brüchermühle, Denklingen und Derschlag, wobei die Dattenfelder Kreditgenossenschaft im Grunde genommen zu diesem Zeitpunkt nicht mehr bestand und die Derschlager Kasse ihren Sitz im Kreis Gummersbach hatte. b) Gründungen im Kreis Gummersbach Die Dichte der ländlichen Kreditgenossenschaften im Kreis Gummersbach war bis zur Jahrhundertwende verhältnismäßig gering. Bis 1914 wurden allerdings mehr Kreditgenossenschaften gegründet als im Kreis Waldbröl: Pro Bürgermeisterei mindestens eine, in der Regel sogar pro Gemeinde eine Kreditgenossenschaft. Der Kreis Gummersbach war von den drei untersuchten Kreisen am stärksten von der fortschreitenden Industrialisierung gekennzeichnet. Im Vergleich mit den beiden anderen Kreisen verzeichnete der Kreis Gummersbach das größte Bevölkerungswachstum. Die Konfessionsstruktur ähnelte hingegen der des Kreises Waldbröl. 1910 lebten im Kreis rund 39.500 Protestanten und etwa 8.300 Katholiken. Die katholische Bevölkerung wohnte vor allem in den Gemeinden Gummersbach (Stadt) und Marienheide. Die Beschäftigung im Agrarsektor ging im Kreis Gummersbach im Verhältnis zu den beiden anderen Kreisen am stärksten zurück. Auf einer Fläche von über 325 Quadratkilometern und bei einer Einwohnerzahl von rund 50.000 Einwohnern (1910) wurden im Kreis Gummersbach zwischen 1870 und 1914 mindestens elf Kreditgenossenschaften gegründet – trotz des hohen Anteils gewerblicher und industrieller Bevölkerung war die Zahl der ländlichen Kreditgenossenschaften auffällig hoch. Des Weiteren ist die hohe Dichte kommunaler Sparkassen zu nennen: Bis 1905 wurden hier sechs Sparkassen eingerichtet.205 Die Nümbrechter Genossenschaft – die erste ländliche Kreditgenossenschaft im Kreis –, deren Geschäftsgebiet sich über die Zivilgemeinde Nümbrecht erstreckte, wurde von 43 Bürgern gegründet.206 Unter den Gründungsmitgliedern waren der Kirchmeister Johann Friedrich Dickel aus Nümbrecht, der zum ersten Vorstandvorsitzenden gewählt wurde, sowie der Hauptlehrer Hornbruch aus Nümbrecht, der das Amt des Rechners übernahm. Der Vorstand bestand insgesamt aus acht Personen, dem der Rechner allerdings in seiner Funktion als Geschäftsführer nicht angehörte.207 Die Vorstandsmitglieder stammten aus Nümbrecht, Harscheid, 204 Ebd., S. 25. 205 LA NRW, Düsseldorf, D XIV A 360 (1914–20), Verwaltungsbericht Kreis Gummersbach 1914–1920, S. 3; LA NRW, Düsseldorf, D XIV A 360 (1925–30), Verwaltungsbericht Kreis Gummersbach 1925–1930, S. 4. Zum Vergleich: Im Kreis Waldbröl lebten 1910 rund 17.800 Protestanten und etwa 10.200 Katholiken. Siehe LA NRW, Düsseldorf, D XIV A 223 a (1909– 13), Verwaltungsbericht Kreis Waldbröl 1909–1913, S. 1. 206 Schild: 100 Jahre, S. 18, 33 ff. 207 Neben Dickel gehörten dem Vorstand Heinrich Heckmann, Karl Heckmann, Theodor Mattheis, Heinrich Jacobs, ein Mitglied namens Gosse, Heinrich Kaufmann sowie Friedrich Windhausen an.

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Oberelben und Niederbröl. Der Chronist Heinrich Schild mutmaßte 1974, dass Hornbusch die Geschäfte entweder in seinem Privathaus oder aber im Schulgebäude abgewickelt hatte.208 Die Mitgliedschaft konnten „dispositionsfähige“209 Personen, die ihren Wohnsitz in der Gemeinde Nümbrecht hatten, im Vollgenuss der bürgerlichen Ehrenrechte und nicht Mitglied in einer anderen Kreditgenossenschaft waren, erwerben. Die ersten Spareinlagen zahlten eine Schneiderin und ein Schuhmacher aus Nümbrecht ein.210 Das erste Darlehn bewilligte die Genossenschaft einem Schreiner: Heinrich Schild, dem Großvater des Verfassers der Festschrift von 1974. Dies ein typisches Beispiel für ein Relationship Banking ländlicher Kreditgenossenschaften, das aufgrund der traditionellen dörflichen Strukturen nicht nur auf eine Person, das Mitglied selbst, ausgerichtet war, sondern traditionalen-familialen Charakter über mehrere Generationen hatte. Bis circa 1900 konzentrierte sich die Genossenschaft auf die Annahme von Spargeldern in Form von Sparbüchern sowie auf die Vergabe kurz- und mittelfristiger Darlehn. Schild schreibt, dass die Genossenschaft sich dem Raiffeisen-Verband und der Zentralkasse in Neuwied anschloss, auf Beschluss der Generalversammlung vom 5. Juli 1876 mangels Vertrauen aufgrund der großen räumlichen Distanz aus der Neuwieder Zentralkasse wieder ausschied.211 Erst 1899, so Schildt, schloss sich die Genossenschaft, trotz interner Widerstände, wieder der Zentralkasse an.212 Nach der Gründung des Nümbrechter Darlehnskassen-Vereins eG im Jahr 1874 wurden im Kreis zunächst keine weiteren Kreditgenossenschaften gegründet. Erst 1895, rund 20 Jahre später, wurde in Dieringhausen in der Stadt-Gemeinde Gummersbach die Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Dieringhausen gegründet, die dem Bonner Verband angeschlossen wurde. Im Gründungsjahr gehörten der Genossenschaft 48 Mitglieder an, 1899 bereits rund 170. Im Jahr 1900 wurde in der Gemeinde Marienberghausen der Marienberghausener Spar- und Darlehnskassen-Verein eGmuH gegründet und dem Raiffeisen-Verband angeschlossen. Das Geschäftsgebiet erstreckte sich über die Pfarrgemeinde Marienberghausen.213 1901 folgte die Gründung des Faulmerter Spar- und Darlehnskassen-Vereins in Faulmert, nahe 208 Schild: 100 Jahre, S. 20. 209 Hierbei handelt es sich um eine gängige Bestimmung, wonach nur Personen, die selbständig, ungehindert Verträge abschließen und über ihr Vermögen bestimmen durften, die Mitgliedschaft erwerben konnten. Siehe etwa LA NRW Düsseldorf, Rep. 78 Nr. 35, Statut des Denklinger Darlehnskassen-Vereins vom 20. Januar 1874, Abschnitt II, Mitgliedschaft, Rechte und Pflichten der Mitglieder. 210 Die Mitgliederverzeichnisse sind erst ab 1897 überliefert. Die Mitgliederstruktur war jedoch offensichtlich stark gewerblich geprägt. Vgl. AdVBO, Bestand RB Wiehl, 29-1, Nümbrechter Spar- und Darlehnskassen-Verein, Liste der Genossen, ab 1897. 211 Schild: 100 Jahre, S. 22 f.; siehe auch AdVBO, Bestand RB Wiehl, 27-13, Nümbrechter Sparund Darlehnskassen-Verein, VS-Protokolle 1875–1899. – Das Protokollbuch der Generalversammlung, das Schild wiederholt zitiert, ist in dem Bestand RB Wiehl nicht überliefert. 212 Schild: 100 Jahre, S. 23. 213 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 23-7, Marienberghausener Spar- und Darlehnskassen-Verein eGmuH, Mitgliederverzeichnis, ab 1900; siehe auch AdVBO, Bestand RB Wiehl, 23-7, Marienberghausener Spar- und Darlehnskassen-Verein eGmuH, Mitgliederverzeichnis.

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Mühlen, in der Gemeinde Wiehl, deren Geschäftsgebiet neben der Kirchengemeinde Wiehl auch Teile der Gemeinde Drabenderhöhe umfasste.214 Die Genossenschaft beantragte die Mitgliedschaft beim Raiffeisen-Verband. Im Jahr 1903 wurde die Genossenschaft in Mühlener Spar- und Darlehnskassenverein eGmuH umfirmiert. 1902 wurde der Spar- und Darlehnskassen-Verein eGmuH (Ober-) Bantenberg gegründet. Oberbantenberg war eine Ortschaft in der Gemeinde Drabenderhöhe.215 1903 folgte die Gründung der Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Ründeroth. Diese wurde dem Bonner Verband angeschlossen, so auch die beiden 1905 gegründeten Kreditgenossenschaften in den Gemeinden Gummersbach und Marienheide: In der Stadt-Gemeinde Gummersbach wurde am 30. März 1905 die Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Derschlag gegründet,216 womit hier nun zwei dem Bonner Verband angeschlossene Kreditgenossenschaften existierten. In der Gemeinde Marienheide wurde mit der Spar- und Darlehnskasse eGmuH in (Rodt)-Müllenbach am 15. Januar 1905 hingegen die erste Kreditgenossenschaft der Gemeinde gegründet.217 An der Gründung in Derschlag waren Landwirte, Gewerbetreibende, Kaufleute, Angestellte und Fabrikarbeiter sowohl aus Derschlag als auch aus dem nördlich von Derschlag gelegenen, rund 2,5 Kilometer entfernten Dümmlinghausen beteiligt. Im Jahr 1906 folgte in der Gemeinde Drabenderhöhe die Gründung einer weiteren Kreditgenossenschaft: der Spar- und Darlehnskasse eGmuH Drabenderhöhe. Das erste Statut dieser Kasse datiert auf den 1. April 1906.218 Am 1. Juni 1906 nahm sie den Geschäftsbetrieb auf. Die Eintragung der Kreditgenossenschaft in das Genossenschaftsregister erfolgte jedoch erst am 16. August 1906. Neben dem Kreditgeschäft betrieb die Genossenschaft einen Warenzweig, das heißt kaufte zu besseren Konditionen, als Einzelpersonen erhielten, landwirtschaftliche Bedarfsartikel für ihre Mitglieder und verkaufte deren landwirtschaftliche Erzeugnisse. Im Gründungsjahr bestand der Vorstand aus dem Kaufmann Heinrich Klein aus Drabenderhöhe (Vorsitzender), Ewald Kraemer und Julius Hüschemenger sen., beide ebenfalls aus Drabenderhöhe. Hüschemenger war nicht nur Mitglied des Vorstandes, sondern übernahm zugleich die Funktion des Geschäftsführers (bis 1923).219 Die 214 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 31-18, Faulmerter Spar- und Darlehnskassen-Verein eGmuH, Mitgliederbewegung, ab 1901; AdVBO, Bestand RB Wiehl, 31-19, Faulmerter Spar- und Darlehnskassen-Verein eGmuH, Mitgliederverzeichnis, ab 1901; AdVBO, RB Wiehl, 32-12/3, Spar- und Darlehnskasse eGmuH Mühlen, Aufzeichnungen über Mitgliederentwicklung ab 1901, um 1958. 215 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 30-11, Marienberghausener Spar- und Darlehnskassen-Verein eGmuH, GV-Protokolle, 1900–1920; siehe AdVBO, Bestand RB Wiehl, 186-4, Bantenberger Spar- und Darlehnskassen-Verein, Mitgliederverzeichnis, ab 1903. 216 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 77-6, Gründungsprotokoll vom 30. März 1905. 217 Volksbank Meinerzhagen: Chronik, S. 10. 218 Siehe ,Die dorfeigene Bank feierte 100. Geburtstag‘, in: KStA vom 28. August 2006; siehe auch AdVBO, Bestand RB Wiehl, 30-9, Spar- und Darlehnskasse eGmuH Drabenderhöhe, ARProtokolle 1906. 219 Der Aufsichtsrat bestand aus dem Besitzer einer Brennerei, Gustav Hühn sen. aus Drabenderhöhe (Vorsitzender), Friedrich Witscher (stellvertretender Vorsitzender), Johannes Klein, Au-

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Genossenschaft wurde ebenfalls dem Bonner Verband angeschlossen – die andere Kreditgenossenschaft in der Gemeinde, die Oberbantenberger Kreditgenossenschaft, gehörte hingegen dem Raiffeisen-Verband an. Für die Bürgermeisterei Bergneustadt-Land folgte erst 1913 die Gründung der Spar- und Darlehnskasse eGmuH Wiedenest. Im Kreis Gummersbach bestanden, wie auch im Kreis Waldbröl, wenn auch nicht in diesem Umfang, eine Reihe landwirtschaftlicher Genossenschaften und Casinos: In Marienberghausen, Harscheid, Mildsiefen, Niederbreidenbach und Nümbrecht gab es 1905 fünf landwirtschaftliche Casinos, die den Einkauf und Verkauf für ihre Mitglieder abwickelten. Daneben existierte eine Molkereigenossenschaft, etwa seit 1903 in Harscheid, sowie diverse Wiesenmeliorations-, Wasserund Elektrizitätsgenossenschaften. c) Gründungen im Kreis Wipperfürth Während in den Kreisen Gummersbach und Waldbröl – abgesehen von den Gründungen der Volksbanken – Gründungsaktivitäten auch für die Zeit vor 1890 konstatiert werden können, kam es im Kreis Wipperfürth erst im Jahr 1891 zur Gründung einer ländlichen Kreditgenossenschaft.220 Die Gründe für diese Nachzüglerrolle des Kreises Wipperfürth liegen vermutlich zunächst einmal in der stark zergliederten Siedlungsstruktur aufgrund der gegebenen landschaftlichen Struktur sowie daraus folgend im verkehrstechnisch verzögerten Anschluss des Gebietes, das heißt sowohl in der Abgeschiedenheit des Kreises an sich als auch in der abgelegenen Lage der Weiler und kleinen Ortschaften innerhalb des Kreises. Der Organisationsgrad der kleinen und mittleren Landwirte Anfang der 1880er-Jahre – der Rheinische Bauernverein, der insbesondere die Interessen katholischer Klein- und Mittelbauern vertrat, wurde erst 1882 gegründet – war eher gering. Dies spiegelt sich unter anderem in den Mitgliederzahlen des Landwirtschaftlichen Vereins. Die Lokalabteilung des Landwirtschaftlichen Vereins in Wipperfürth hatte im Jahr 1883 64 Mitglieder, sechs Jahre später 115 Mitglieder. Dies entsprach lediglich zwei Fünfteln der Mitgliederzahl der Lokalabteilung Gummersbach beziehungsweise 0,4 Prozent der Bevölkerung, während in Gummersbach rund 0,8 Prozent Mitglied des Landwirtschaftlichen Vereins waren, was bei weitem nicht der Organisation einer breiten Masse entsprach.221 Unbeantwortet muss bleiben, welche Rolle etwa die Konfession spielte. 90 Prozent der Bevölkerung des Kreises waren katholisch, womit der Kreis innerhalb des Bergischen Landes eine katholische ‚Enklave‘ bildete.222 Mit den Gründungen von vier Volksbanken im Kreis Wipperfürth im Jahr 1870 sowie gust Karthaus und Wilhelm Scheffels; siehe AdVBO, Bestand RB Wiehl, 30-9, Spar- und Darlehnskasse eGmuH Drabenderhöhe, AR-Protokolle 1906. 220 Wenn keine anderen Angaben gemacht wurden, stammen die Daten aus den Registerauszügen der Amtsgerichte, die sich im Archiv der Volksbank Wipperfürth-Lindlar eG befinden. 221 Siehe Kapitel II. 222 Hinsichtlich der Rolle der Konfession im ländlichen Kreditgenossenschaftswesen weist Colvin: God, nach, dass das Funktionieren des Screenings und Monitorings bei niederländischen

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zwei Sparkassen in den größeren Ortschaften war der Bedarf an Finanzintermediären zunächst offensichtlich gedeckt. Besonders starke Gründungsaktivitäten lassen sich hingegen für den Nachbarkreis Mülheim am Rhein erkennen. Am 1. Mai 1891 wurde in der Gemeinde Bechen im westlichen Teil des Kreises Wipperfürth, in unmittelbarer Nähe zum Kreis Mülheim, der Bechener Darlehnskassenverein eGmuH gegründet.223 Die Gemeinde Bechen war eine von insgesamt neun Gemeinden des Kreises Wipperfürth, die sich in sechs Bürgermeistereien zusammenschlossen. Der Kreis Wipperfürth dehnte sich über rund 31.100 Hektar aus. Nach Ergebnissen der Volkszählung vom 2. Dezember 1895 lebten im Kreis Wipperfürth durchschnittlich 0,95 Personen auf einem Hektar; im Kreis Waldbröl 0,88 Personen/Hektar und im Kreis Gummersbach 1,19 Personen pro Hektar.224 Die Tabellen im Anhang geben sowohl einen Überblick über die flächenmäßigen Größen der Bürgermeistereien und Gemeinden als auch über die Bevölkerungszahlen der einzelnen Gemeinden zum Zeitpunkt des Zensus am 1. Dezember 1905. Die größten Flächen umfassten die Gemeinden Wipperfürth und Lindlar sowie die aus Streubesitzungen im Jahr 1808 zusammengeschlossene Gemeinde Klüppelberg, die 136 Ortschaften umfasste.225 Mit 6.449 Einwohnern war Lindlar der Einwohnerzahl nach die größte Gemeinde, gefolgt von der Gemeinde Wipperfürth mit der alten Gewerbestadt Wipperfürth und der Gemeinde Klüppelberg.226 In allen drei Gemeinden bestanden seit 1870 Volksbanken. Die flächenmäßig kleinste Gemeinde war Hohkeppel mit rund 2.020 Hektar, der Einwohnerzahl nach war die Gemeinde Hohkeppel die drittkleinste Gemeinde.227 Als das Gründungsjahr ländlicher Kreditgenossenschaften im Kreis Wipperfürth entwickelte sich das Jahr 1894. Damit nahm der Kreis Wipperfürth zwar unter den näher untersuchten Kreisen Gummersbach, Waldbröl und Wipperfürth die Nachzüglerrolle ein; im preußischen sowie im rheinischen Vergleich lässt sich diese Position jedoch nicht halten. Hier setzte, wie in Kapitel IV.1 dargestellt, im Jahr 1895 mit 3.083 Gründungen in Preußen, davon 494 im Rheinland, eine fünfjährige Gründungwelle ein, die, wie zu zeigen sein wird, wiederum kaum Spuren im Kreis Wipperfürth hinterließ. Im Januar 1894 wurden im Kreis Wipperfürth innerhalb von drei Tagen drei ländliche Kreditgenossenschaften in der Gemeinde Wipperfürth gegründet, gefolgt von der Gründung eines Spar- und Darlehnskassen-Vereins eGmuH in der Gemeinde Hohkeppel im Juli 1894 und eines Vereins in der Gemeinde Klüppelberg im November 1894.

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ländlichen Kreditgenossenschaften etwa von der Größe des Geschäftsgebiets und vom Bürgen abhing, Religionszugehörigkeit hingegen keine Rolle spielte. Siehe unter anderem ,Raiffeisenbank Bechen-Dürscheid eG: 100 Jahre‘, in: BLZ vom 8. Juni 1994 (Beilage); Heinemann: 100 Jahre. Siehe hierzu Kapitel II.2. Klüppelberg wurde von der französischen Verwaltung aus Streusiedlungen gebildet. Erst 1888 wurde die Gemeindegrenze festgeschrieben. Zwischen 1815 und 1834 wurde die Gemeinde von der Stadt Wipperfürth mitverwaltet. Vgl. Padberg: Wirtschaftsgeschichte, S. 208. Hermes/Müller-Miny: Rheinisch-Bergische Kreis, S. 110; siehe auch Rutt: Heimatchronik, S. 148. Siehe auch Hermes/Müller-Miny: Rheinisch-Bergische Kreis, S. 111, Tab. ,Bevölkerungsentwicklung im Raum um Wipperfürth von 1816 bis 1970‘.

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Am 16. Januar 1894 wurde zunächst der Hönnigethaler Spar- und Darlehnskassen-Verein eGmuH mit Sitz in Hönnige bei Wipperfürth gegründet.228 Die Genossenschaft basierte auf den Musterstatuten des Kölner Verbandes (zu diesem Zeitpunkt noch als Rheinischer Revisionsverein e.V. in Kempen ansässig). Laut Statut war der Zweck der Genossenschaft der Betrieb einer Sparkasse zur Förderung des Sparsinns sowie einer Darlehnskasse zur Beschaffung von Kapital, um – gemäß dem im Genossenschaftsgesetz festgeschriebenen Förderauftrag – die „Wirtschaftsbetriebe“229 der Mitglieder zu fördern. Der Geschäftsbezirk erstreckte sich über das Kirchspiel Wipperfürth. Der erste Vorstand setzte sich aus fünf Ackerern zusammen, und auch der erste Aufsichtsrat bestand ausschließlich aus Bauern, von denen einer in Hönnige, einer in Leuchtenbirken, einer in Biesenbach, ein weiterer in Voßkuhle und zwei in Neuenhaus wohnten.230 Mit dieser Besetzung der Aufsichtsratsämter war das ganze Geschäftsgebiet mit Mitgliedern des Kontrollorgans ‚bedeckt‘. Es findet sich aber auch eine Vielzahl von Beispielen, wo es offensichtlich nicht gelang, Mitglieder über das ganze Geschäftsgebiet verstreut für ein Aufsichtsratsamt zu gewinnen. Nur einen Tag später wurde in Egen, rund 7,5 Kilometer nördlich vom Wipperfürther Stadtkern gelegen, der Egener Spar- und Darlehnskassen-Verein eGmuH gegründet. Gegenstand des Unternehmens war auch hier der Betrieb einer Sparund Darlehnskasse auf der Grundlage des Statuts des Rheinischen Revisionsverbandes e.V. (Kempen). Diese Genossenschaft wurde jedoch auf Beschluss der Generalversammlung vom 16. August 1910 liquidiert.231 Am 18. Januar 1894 wurde rund 3,5 Kilometer südlich vom Wipperfürther Stadtkern der Agathaberger Sparund Darlehnskassen-Verein eGmuH gegründet, ebenfalls mit dem Ziel, sowohl eine Sparkasse als auch eine Darlehnskasse auf Grundlage des Musterstatutes des Rheinischen Revisionsverbandes e.V. in Kempen zu betreiben. Der fünfköpfige Vorstand bestand ausschließlich aus Landwirten. Am 8. Juli 1894, rund ein halbes Jahr nach den Gründungen in der Gemeinde Wipperfürth, wurde der Hohkeppeler Sparund Darlehnskassen-Verein eGmuH gegründet. Auch diese Genossenschaft basierte auf dem Musterstatut des Rheinischen Revisionsverbandes e.V., und auch hier bestand der fünfköpfige Vorstand ausschließlich aus „Ackerern“.232 Vier Monate später wurde am 14. November 1894 der Kreuzberger Spar- und Darlehnskassen-Verein eGmuH gegründet. In allen Fällen wurden die Genossenschaften an den Kölner Verband angeschlossen. Alle Genossenschaften wurden in katholischen Pfarren gegründet.233 228 Volksbank Wipperfürth: 100 Jahre, S. 10. 229 Hierbei handelt es sich ebenfalls um eine gängige Formulierung, vom Normalstatut vorgegeben. Siehe etwa RWWA 404-88-6, Statut des Stieldorfer Spar- und Darlehnskassen-Vereins eGmuH vom 18. Juni 1905. 230 Hubert Unterstenhöfer zu Hönnige war bis zu seinem Tod am 5. Juni 1922 Vorsitzender des Aufsichtsrates. 231 AdVBWL, Amtsgericht Wipperfürth, Auszug aus dem Genossenschaftsregister, Eintrag vom 18. August 1910. 232 AdVBWL, Amtsgericht Lindlar, Registereintrag vom 23. März 1903. 233 LA NRW Düsseldorf, Findbuch zum Bestand LA Wipperfürth, S. 34 ff. – Liste der katholischen Pfarren im Kreis Wipperfürth: Agathaberg, Bechen, Biesfeld, Egen, Engelskirchen, Frielings-

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Im Jahr 1894 wurde zudem in Dürscheid im Kreis Mülheim am Rhein unmittelbar an der Grenze zum Kreis Wipperfürth, rund 4,5 Kilometer nördlich von Bechen, eine weitere Kreditgenossenschaft gegründet: Am 5. Juni 1894 gründeten in der Gastwirtschaft Buchholz 22 Personen den Dürscheider Darlehnskassen-Verein eGmuH. Am 7. Juni 1894 schloss sich die Genossenschaft – anders als die 1894 gegründeten Genossenschaften im Kreis Wipperfürth – dem Generalanwaltschaftsverband ländlicher Genossenschaften in Neuwied an. Ein Jahr nach der Gründung hatte die Genossenschaft 38 Mitglieder (1896: 66). Im Jahr 1896 nahm die Genossenschaft neben dem Betrieb einer Spar- und Darlehnskasse das Warengeschäft auf. Diese unmittelbar an das Untersuchungsgebiet angrenzende Genossenschaft wird in die weitere Untersuchung nicht einbezogen, auch wenn davon auszugehen ist, dass hier Beziehungen zum Kreis Wipperfürth bestanden.234 Bis Ende des Jahres 1894 bestanden also vier ländliche Kreditgenossenschaften in unmittelbarer Nähe zur Kreisstadt Wipperfürth (Agathaberg, Egen, Hönnige, Kreuzberg) sowie eine in der stark landwirtschaftlich geprägten Gemeinde Hohkeppel, im rund 21 Kilometer von der Kreisstadt entfernten gleichnamigen katholischen Kirchdorf Hohkeppel. Alle diese neu gegründeten Genossenschaften wurden dem Rheinischen Revisionsverband e.V. (Kölner Verband) angeschlossen – der 1891 gegründete Bechener Darlehnskassen-Verein eGmuH war hingegen an die Neuwieder Organisation angeschlossen. Zeitlich so eng aufeinanderfolgende Gründungen von Kreditgenossenschaften in einem Kreis innerhalb eines Jahres konnte für den Rheinischen Revisionsverband e.V. kein weiteres Mal im Regierungsbezirk Köln nachgewiesen werden.235 Die auffällige zeitliche Konzentration im Kreis Wipperfürth ist vermutlich darauf zurückzuführen, dass hier – anders als etwa auch in den Kreisen Waldbröl und Gummersbach –, abgesehen von der Bechener Gründung ganz am Rande des Kreises, bis 1894 keine einzige ländliche Kreditgenossenschaft bestanden hatte, daher offensichtlich ausreichend Bedarf bestand und die interessenpolitische Vertretung beziehungsweise der Kölner Verband größeren Einfluss nehmen konnte als anderswo. Fünf Jahre lang kam es zu keiner weiteren Gründung im Kreis. Erst im Jahr 1899 wurde – mit Anschluss an die Raiffeisen-Organisation – eine Kreditgenossenschaft in Engelskirchen gegründet: Der Spar- und Darlehnskassenverein eGmuH in Engelskirchen wurde am 5. November 1899 gegründet und am 7. November 1899 in das Genossenschaftsregister beim Amtsgericht Engelskirchen eingetragen.236 Der Vereinsbezirk umfasste das Kirchspiel Engelskirchen mit rund 1.300 Einwohdorf, Hohkeppel, Kreuzberg, Kürten, Linde, Lindlar, Loope, Offermannsheide, Olpe, Süng, Thier, Wipperfeld und Wipperfürth. Evangelische Pfarren bestanden für Delling, Engelskirchen, Klaswipper und Wipperfürth. 234 Die zum Kreis Wipperfürth gehörenden Kreditgenossenschaften mit Sitz in der Bürgermeisterei konnten nicht näher untersucht werden, da der Rechtsnachfolger dieser Kreditgenossenschaften eine Nutzung seines Archivs leider ablehnte. Siehe auch Bessler-Worbs/Schlütz: Handbuch, Eintrag Raiffeisenbank Kürten-Odenthal eG. 235 Siehe zum Beispiel XII. Uebersicht (Statistik) der Geschäftsergebnisse der dem Verbande rheinischer Genossenschaften angeschlossenen Genossenschaften für das Jahr 1905. 236 LA NRW Düsseldorf, Rep. 214 Nr. 10. – Gegründet am 5. November 1899, Eintragung Genossenschaftsregister 7. November 1899.

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IV. Von der Gründungsphase bis zur flächendeckenden Präsenz

nern. Im Jahr 1926 hatte die Genossenschaft 531 Mitglieder, Ende des Jahres 1927 nur noch 420, bei rund 5.800 Einwohnern in der Gemeinde Engelskirchen. Die Entwicklung der Genossenschaftsbank lässt sich nur schwer nachzeichnen, da die Genossenschaft 1928 liquidiert wurde und keine Geschäftsakten überliefert sind. Die 1890er-Jahre waren zudem gekennzeichnet durch die Gründung einer Vielzahl landwirtschaftlicher Genossenschaften, insbesondere Molkereigenossenschaften, was unter anderem die fortschreitende Umstellung der landwirtschaftlichen Betriebe auf Viehwirtschaft impliziert. Zudem wurden mehrere Bezugs- und Absatzgenossenschaften ins Leben gerufen, die jedoch nicht, wie zu vermuten wäre, entlang der Bahntrassen im Sülz- und Aggertal, sondern vor allem in den Orten der Höhengebiete gegründet wurden. Am 14. Januar 1900 wurde in Ohl die Spar- und Darlehnskasse Claswipper eGmbH (später Klaswipper) gegründet. Klaswipper war eine der nur vier evangelischen Kirchspiele des Kreises.237 Diese Genossenschaft bildet eine absolute Ausnahme im Untersuchungsraum: Sie schloss sich dem Revisionsverband des Bundes deutscher Landwirte an. Damit war sie im Untersuchungsraum die einzige Kreditgenossenschaft, die diesem Verband angehörte. Anders als bei den bis dahin im Kreis bestehenden Genossenschaften bestand hier nur ein dreiköpfiger Vorstand (wie bei Volksbanken). Der erste Vorstand setzte sich aus einem Gutsbesitzer, einem Landwirt und einem Gastwirt zusammen. Neben dem Sparkassen- und dem Darlehnskassengeschäft wickelte die Genossenschaft Bezüge landwirtschaftlicher Bedarfsartikel für ihre Mitglieder ab. Im Jahr 1922 wechselte die Genossenschaft zum Verband Köln, woraufhin sie 1923 ihre Rechtsform in die der eingetragenen Genossenschaft mit unbeschränkter Haftpflicht änderte, was den Grundprinzipien des Kölner Verbandes entsprach. Zwischen 1901 und 1909 wurden im Wipperfürther Gebiet noch sieben weitere Kreditgenossenschaften gegründet: 1901 der Olpener Spar- und DarlehnskassenVerein eGmuH mit Anschluss an den Kölner Verband, 1902 eine Kreditgenossenschaft in Kürten mit Anschluss an die Raiffeisen-Organisation, am 8. Februar 1903 folgte die Gründung des Wipperfelder Spar- und Darlehnskassen-Vereins eGmuH, ebenfalls mit Anschluss an den Kölner Verband. Mit diesen beiden Gründungen war nun auch die Bürgermeisterei Olpe erschlossen. Nachdem in der Gemeinde Lindlar bis 1900 – abgesehen von der dortigen Volksbank mit Sitz in Lindlar – keine ländliche Kreditgenossenschaft gegründet worden war, erfolgte am 30. August 1908 die Gründung einer Kreditgenossenschaft für das Kirchspiel Süng (heute Hartegasse) und am 3. Januar 1909 die Gründung des Frielingsdorfer Spar- und Darlehnskassen-Vereins eGmuH, erneut mit Anschluss an den Verband Köln. In der Gemeinde Klüppelberg beziehungsweise rund fünf Kilometer südlich der Kreisstadt Wipperfürth wurde am 13. März 1907 der Thierer Spar- und DarlehnskassenVerein eGmuH gegründet. Auch diese Genossenschaft gehörte dem Verband rheinischer Genossenschaften an. Die Gründung der Frielingsdorfer Kreditgenossenschaft war bis nach dem Ersten Weltkrieg die letzte Gründung im Kreis Wipperfürth. Seit 1910 war der Kreis Wipperfürth flächendeckend mit Kreditgenossen237 LA NRW Düsseldorf, Findbuch zum Bestand LA Wipperfürth, S. 34 ff.

3. Die Gründungen ländlicher Kreditgenossenschaften

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schaften ‚bedeckt‘. Gründungsaktivitäten setzen erst nach dem Ersten Weltkrieg wieder ein. Im Jahr 1919 wurde in Lindlar eine Kreditgenossenschaft gegründet und am 6. März 1920 der Biesfelder Spar- und Darlehnskassen-Verein eGmuH (Gemeinde Kürten). Die erste Geschäftsstelle war im Haus des Rendanten Clemens Dahl in Biesfeld untergebracht. Von 1927 bis 1963 führte der Lehrer Julius Koch die Geschäfte der Kasse. Die Biesfelder Spar- und Darlehnskasse nahm noch ein Jahr vor ihrer Fusion mit der Spar- und Darlehnskasse Dürscheid eGmbH im Jahr 1964 das Warengeschäft auf. Nach der Fusion mit der Spar- und Darlehnskasse Dürscheid eGmbH blieben die Biesfelder Geschäftsräume weiterhin als Zweigstelle geöffnet.238 Im Jahr 1925 wurde mit der Spar- und Darlehnskasse eGmuH Hommerich die letzte Kreditgenossenschaft des Kreises gegründet (Anschluss an den Verband rheinischer Genossenschaften e.V., Köln). Die Hohkeppeler Kreditgenossenschaft löste um 1913 die Mitgliedschaft beim Kölner Verband rheinischer Genossenschaften e.V. und trat dem in Koblenz ansässigen Raiffeisen-Verband bei. Die dem Kölner Verband angeschlossenen Kreditgenossenschaften entwickelten sich recht unterschiedlich. Von den fünf im Jahr 1894 gegründeten Genossenschaften hatte die Hohkeppeler Kreditgenossenschaft mit 98 Mitgliedern bei rund 1.400 Einwohnern im Geschäftsgebiet die meisten Mitglieder, gefolgt vom Agathaberger Spar- und Darlehnskassen-Verein eGmuH mit 78 Mitgliedern bei rund 1.200 Einwohnern im Geschäftsgebiet. In Hohkeppel bestand seit dem 20. November 1898 zudem eine dem Bonner Verband angeschlossene Bezugs- und Absatzgenossenschaft, die mit der „so eng verbundenen Spar- und Darlehnskasse Hohkeppel“239 in Personalunion geführt wurde. Hierin kann zugleich ein Grund für den Wechsel der Hohkeppeler Kreditgenossenschaft zum Raiffeisen-Verband gelegen haben. Ziel der Gründung der Bezugs- und Absatzgenossenschaft war – recht typisch – die Komplettierung genossenschaftlicher Leistungen für die ländliche Bevölkerung der Gemeinde Hohkeppel. Die Haftsumme für einen Geschäftsanteil betrug 100 Mark. Neben dem Einkauf „von Verbrauchsstoffen und Gegenständen des landwirthschaftlichen Betriebs“240 war der gemeinschaftliche „Verkauf landwirthschaftlicher Erzeugnisse“241 Gegenstand der Genossenschaft. Bekanntmachungen erfolgten über den ‚Bensberg-Gladbacher Anzeiger‘ sowie die ‚Deutsche landwirtschaftliche Genossenschaftspresse‘, das heißt in einer Zeitung für den Kreis Mülheim am Rhein sowie einer überregionalen Verbandszeitschrift, was auf eine geschäftspolitische Orientierung auf die Ortschaften westlich von Hohkeppel vermuten lässt. Diese Kombination von Kreditgenossenschaft und Landwirtschaftlicher Bezugs238 Bessler-Worbs/Schlütz: Handbuch, Eintrag Raiffeisenbank Kürten-Odenthal eG. 239 AdVBWL 1-1, Festschrift der Rheinisch-Bergischen Warengenossenschaft eGmbH: 75 Jahre Rheinisch-Bergische Warengenossenschaft eGmbH, vormals Landw. Bezugs- und Absatz-Genossenschaft eGmbH Hohkeppel-Lindlar (1973) [ohne Paginierung]. – Gegründet als Landwirtschaftliche Bezugs- und Absatzgenossenschaft eGmbH mit Sitz in Hohkeppel. Der fünfköpfige Vorstand bestand aus Ortsvorsteher Müller zu Hohkeppel (Direktor), Josef Schmitz zu Kreuzweg (Rendant), August Löhe zu Hohkeppel, Theodor Giersiefer zu Hufenstuhl und Gustav Pinner zu Unterheide. Der Aufsichtsrat bestand aus Pfarrer Koch zu Hohkeppel sowie fünf weiteren Mitgliedern aus Meegen, Hufenstuhl, Bergscheid, Rehbach und Hohkeppel. 240 Ebd. 241 Ebd.

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IV. Von der Gründungsphase bis zur flächendeckenden Präsenz

und Absatzgenossenschaft in einem Ort bestand unter anderem auch in Lindlar, wo 1909 eine Landwirtschaftliche Bezugs- und Absatzgenossenschaft gegründet wurde, zudem in Linde (gegründet 1910) und in Frielingsdorf (gegründet 1912). Insbesondere in vielen größeren Orten der Kreise Waldbröl und Gummersbach war diese Verknüpfung mit landwirtschaftlichen Genossenschaften zu finden: Dieringhausen (gegründet 1891), Waldbröl (gegründet 1893), Eckenhagen (gegründet 1896), Morsbach (gegründet 1896), Denklingen (gegründet 1901) und Ründeroth (gegründet 1905). Auch hier lässt sich feststellen, dass die Gründungsaktivitäten – wie auch bei den Kreditgenossenschaften – etwas früher einsetzten als im Kreis Wipperfürth. Daneben bestanden mehrere Molkereigenossenschaften. Insbesondere in Linde ist eine Kumulation von Genossenschaften zu konstatieren. Hier bestanden neben der 1900 gegründeten Spar- und Darlehnskasse und der Landwirtschaftlichen Bezugs- und Absatzgenossenschaft eine Molkereigenossenschaft, eine Rindviehzuchtgenossenschaft (gegründet 1897) und eine Elektrizitätsgenossenschaft. Zusammenfassend ist festzustellen, dass die meisten Kreditgenossenschaften in den Monaten Dezember bis März/April gegründet wurden. Auch der Reichsverband kam 1905 für alle im Deutschen Reich angeschlossenen Kreditgenossenschaften zu dem Ergebnis: „Wie früher“242 fielen Anfang des 20. Jahrhunderts die meisten Neugründungen in die Monate Dezember bis April, also in die Zeit „gegen Ende des Winters, wo die winterliche Agitationsarbeit die stärkste Wirkung entfaltet, mehr(t)en sich auch die Neugründungen ganz besonders“.243 Diese saisonale Häufung hing insbesondere mit dem landwirtschaftlichen Arbeitskalender zusammen, der in den Wintermonaten entsprechenden Leerlauf ließ. Es konnte gezeigt werden, dass die konfessionelle Struktur eine nicht unwesentliche Rolle gespielt haben dürfte, zumindest was den Anschluss an einen der Verbände betraf. Die konfessionelle Struktur des engeren Untersuchungsraumes wies eine protestantische Prägung der Kreise Gummersbach und Waldbröl auf, während 90 Prozent der Einwohner des Kreises Wipperfürth katholisch waren. Daraus ergab sich, dass der Kölner Verband – ‚Tochterinstitution‘ des aus dem katholischen Milieu hervorgegangenen Rheinischen Bauernvereins – weder im Kreis Gummersbach noch im Kreis Waldbröl vertreten war. Im Kreis Wipperfürth hingegen gehörten alle ländlichen Kreditgenossenschaften – mit Ausnahme der in der Bürgermeisterei Kürten ansässigen ländlichen Kreditgenossenschaften und der Engelskirchener Kreditgenossenschaft – dem Kölner Verband an. Eine weitere Ausnahme bildete die Spar- und Darlehnskasse Klaswipper. Diese hatte ihren Sitz im einzigen evangelischen Kirchdorf im Umkreis von Wipperfürth und gehörte bis 1922 dem Revisionsverband des Bundes deutscher Landwirte mit eindeutig protestantischer Mitgliederstruktur an. Die Betriebsgröße kann hier nur sekundäres Erklärungsmoment sein, da im Kreis Waldbröl 96,5 Prozent der Betriebe nicht mehr als zehn Hektar landwirtschaftlich genutzte Fläche umfassten, im Kreis Gummersbach 98,1 Prozent und im Kreis 242 Reichsverband: Jahrbuch 1905, S. 11. 243 Ebd.; ferner LA NRW Düsseldorf, LA Waldbröl Nr. 321, Korrespondenz der Lokal-Abteilung Waldbröl/Oberberg VII des Landwirtschaftlichen Vereins für Rheinpreußen. Verschiedene Hinweise auf Vorträge in der Winterzeit.

3. Die Gründungen ländlicher Kreditgenossenschaften

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Wipperfürth 93 Prozent, die Betriebsgrößenstruktur also weitgehend gleich war.244 Insgesamt zeigt sich, dass bis 1889 sehr vereinzelt ländliche Kreditgenossenschaften gegründet wurden. Zwischen 1890 und 1900 erfolgten vor allem die in Kapitel IV.3 genannten Gründungen im Kreis Wipperfürth durch den Kölner Verband. Verstärkte Gründungsaktivitäten setzten in allen Kreisen nach der Jahrhundertwende ein (siehe Abbildung 7). Abbildung 7: Gründungsphasen in den Kreisen Gummersbach, Waldbröl und Wipperfürth (Anzahl der gegründeten Kreditgenossenschaften pro Jahr je Kreis; vor 1889–1914)

Quelle: Eigene Darstellung.

244 Siehe Kapitel II.2.

V. STATUTEN, GESCHÄFTSORDNUNGEN UND VERWALTUNGSORGANE 1. DIE STATUTEN Grundsätzlich wurden und werden die Rechtsverhältnisse der Kreditgenossenschaften zu ihren Mitgliedern (neben dem Genossenschaftsgesetz) in den Satzungen der einzelnen Genossenschaften geregelt. Die „Verfassung der Genossenschaft ergibt sich aus Gesetz und Satzung“.1 Jede Genossenschaft musste nach dem Genossenschaftsgesetz über eine Satzung verfügen. Die Satzung hat dabei allerdings subsidiäre Bedeutung.2 Sie kann das Gesetz ergänzen und weitere, auf die Primärgenossenschaft „zugeschnittene Bestimmungen“3 enthalten. Die Satzung soll die „praktischen Bedürfnisse und Besonderheiten“4 der einzelnen Kreditgenossenschaften bestmöglich regeln. Die Satzungen wie auch das Genossenschaftsgesetz sind jedoch unvollkommen. Diesbezügliche „Lücken in den formalen Rahmen­ bedingungen“5 werden häufig durch informelle Regeln geschlossen oder verringert. Außer den Regeln der Satzung und des Gesetzes lassen sich daher immer auch formale oder informelle soziale Instrumente finden, die zur Regelung des Verhaltens des einzelnen Mitgliedes beitragen. Von besonderem Interesse ist es, wie diese Regeln ‚gefunden‘ wurden. Die Satzung darf jedoch nur insofern vom Genossenschaftsgesetz abweichend gestaltet werden, wie es das Gesetz zulässt. Den Mindestinhalt der Satzung legte bereits das preußische Genossenschaftsgesetz von 1867 beziehungsweise das Reichsgesetz von 1871 fest.6 Das Genossenschaftsgesetz von 1867 sprach statt vom Statut vom Gesellschaftsvertrag. Dies zeigt, wie wenig sich bis dahin ein spezifisches Genossenschaftsvokabular etabliert hatte.7 1 2 3 4 5 6

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Grossfeld/Aldejohann: Genossenschaftsgesetz, S. 9; siehe auch Schaffland: Satzung, S. 562. Grossfeld/Aldejohann: Genossenschaftsgesetz, S. 9. Ebd. Viehoff: Volksbanken, Sp. 1630. Richter/Furubotn: Neue Institutionenökonomik, S. 21. 1868 folgte die Ausdehnung des Gesetzes auf die Staaten des Norddeutschen Bundes. Vgl. Bundes-Gesetzblatt des Norddeutschen Bundes, 1868, Nr. 24, Gesetz, betreffend die privatrechtliche Stellung der Erwerbs- und Wirthschaftsgenossenschaften vom 4. Juli 1868, S. 415– 433. – Zur Entstehung und zu den wichtigsten Inhalten des Gesetzes von 1867 siehe Guinnane: Law, S. 11 ff.; Schubert: Entstehung, S. 21 ff. RGBl. 1889, Nr. 11, GenG, S. 56, § 6. – Noch heute wird das Genossenschaftsrecht vielfach mit dem Vereinsrecht in eine Kontinuitätslinie gestellt und die Genossenschaft als ein Mix aus Verein und Kapitalgesellschaft betrachtet. Zur rechtlichen Stellung der Genossenschaft vor 1867 siehe Guinanne: Law, 2009, S. 3–7; zur Einordnung des Genossenschaftsgesetzes in das Handelsrecht beziehungsweise in das bürgerliche Recht siehe ebd., S. 7–11; Großfeld/Aldejohann: Genossenschaftsgesetz, S. 7; Schubert: Entstehung, S. 22. Das Genossenschaftsgesetz vom 27. März 1867 fügte die Genossenschaften in das private Gesellschaftsrecht ein. Eine

1. Die Statuten

203

Laut des Gesetzes betreffend die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften von 1889 hatte die Satzung – im Gesetz hieß es Statut – die Firma, den Sitz sowie den Gegenstand des Unternehmens zu beinhalten (§ 6 GenG).8 Zudem wurden die Art der Haftung (unbeschränkte Haftpflicht, unbeschränkte Nachschlusspflicht oder beschränkte Haftpflicht), die Höhe des Geschäftsanteils und die Pflichtzahlung geregelt sowie Grundsätze über die Aufstellung und Prüfung der Bilanz und die Bildung des Reservefonds (§ 7 GenG) festgelegt. Diese Angaben hatte die Satzung zu enthalten. Auch war in die Satzung unter anderem nach § 8 GenG der Bezirk, in dem eine Person zu wohnen hatte, um die Mitgliedschaft erwerben zu können, aufzunehmen. Darüber hinaus musste das Statut enthalten, welche Geschäftszweige auch auf Personen ausgedehnt werden konnten, die nicht Mitglied der Genossenschaft waren – explizit ausgenommen vom Nicht-Mitgliedergeschäft war das Darlehnsgeschäft.9 Das Genossenschaftsgesetz enthielt aber auch noch verschiedene „Kann­ Vorschriften“,10 also Regeln, die in der Satzung aufgeführt werden konnten, jedoch nicht mussten und für die das Genossenschaftsgesetz keine weitere Regelung vornahm. Hierzu zählten etwa Eintrittsgelder oder Vertragsstrafen.11 Geändert werden konnte die Satzung nur durch Beschluss der Generalversammlung (§ 16 GenG). Hierzu war eine Dreiviertelmehrheit vorgeschrieben.12 Die Satzung konnte darüber hinaus „noch andere Erfordernisse aufstellen“.13 Wirksam wurden die Änderungen erst mit Eintragung in das Genossenschaftsgesetz, und auch bei Gründung war die Genossenschaft erst dann de jure ein solches Unternehmen, wenn die Eintragung beim Amtsgereicht erfolgt war (§ 16 GenG).14

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eingetragene Genossenschaft ist, wie zum Beispiel auch die AG oder die eGmbH, eine juristische Person des Privatrechts. Das Genossenschaftsgesetz des Norddeutschen Bundes von 1868 enthielt gegenüber dem preußischen Gesetz lediglich eine wesentliche Neuerung: die Möglichkeit der exekutiven Zwangsumlage unter den Mitgliedern zur Abschließung von Konkursverfahren. Damit sollte die Gefahr, dass die Mitglieder direkt durch den Gläubiger in Anspruch genommen wurden, verringert werden. RGBl. 1889, Nr. 11, GenG, S. 56, § 6. Ebd., S. 57, § 8. Viehoff: Volksbanken, Sp. 1630. Ein Beispiel für die Einführung von Vertragsstrafen ist das Musterstatut der Raiffeisen-Anwaltschaft für ländliche Kreditgenossenschaften, wie etwa RWWA 404-11-12, Statut des Breniger Darlehnskassen-Vereins eGmuH vom 17. August 1890, § 23. Die Festsetzung der Vertragsstrafe für Mitglieder, die ohne Entschuldigung von der Generalversammlung fernblieben, oblag der Generalversammlung. Laut Musterstatuten des Verbandes rheinischer Genossenschaften (Köln) waren von den Kreditgenossenschaften, die dieses Statut verwendeten, Eintrittsgelder von neuen Mitgliedern zu erheben. Siehe unter anderem RWWA 404-88-6, Statut des Stieldorfer Spar- und Darlehnskassen-Vereins eGmuH vom 18. Juni 1905, § 14; siehe auch LA NRW Düsseldorf, Rep. 78, Nr. 49, Statut der Spar- und Darlehnskasse eGmuH Denklingen vom 2. Mai 1909, § 14. Vorgeschrieben wurde durch das Genossenschaftsgesetz lediglich, dass, wenn weitere Vorschriften vereinbart wurden, diese in die Satzung aufzunehmen waren. In der Gründungsversammlung hatte die Satzung schriftlich (§ 5 GenG) vorzuliegen beziehungsweise entsprechend schriftlich geändert und dann beschlossen zu werden. Siehe RGBl. 1889, Nr. 11, GenG, S. 56, § 5. Ebd., S. 59 f., § 16. Ebd., S. 60, § 16. Ebd.; siehe auch Viehoff: Volksbanken, Sp. 1630 f.; Ihrig: Bestimmungen, S. 7.

204

V. Statuten, Geschäftsordnungen und Verwaltungsorgane

Prinzipiell war die Änderung der Satzung also nicht verboten, allerdings begrenzt durch zwingende Vorschriften des Genossenschaftsgesetzes. Ein Beispiel dafür ist der Förderauftrag (§ 1 GenG).15 Dieser konnte letztendlich nur durch Aufgabe der Rechtsform als Genossenschaft geändert werden, wie dies bereits – allerdings noch nach dem Gesetz von 1867 – in den Jahren der Gründerkrise mehrere Kreditgenossenschaften, insbesondere städtische, taten.16 Im engeren Untersuchungsraum nahm eine solche Änderung die 1870 gegründete Klüppelberger Volksbank eG in Ohl im Jahr 1889 vor.17 a) Raiffeisens ‚Normalstatuten‘ für ländliche Kreditgenossenschaften: Beispiel Denklinger Darlehnskassen-Verein eGmuH Die älteste verfügbare Satzung einer im engeren Untersuchungsraum ansässigen Kreditgenossenschaft ist das Statut des Denklinger Darlehnskassen-Vereins eG vom 20. Januar 1874, beschlossen also 15 Jahre vor Inkrafttreten des Genossenschaftsgesetzes von 1889.18 Als Vorlage dienten die Normalstatuten der Raiffeisen-Organisation Neuwied (Alternativen zu diesem Vordruck bestanden zu diesem Zeitpunkt mangels Existenz anderer rheinischer Verbände für ländliche Kreditge15

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RGBl. 1889, Nr. 11, GenG, S. 55, § 1. Siehe zu Änderungen der Statuten sowie insbesondere zu den zu beachtenden Vorschriften bei Herabsetzung des Geschäftsanteils beziehungsweise der satzungsmäßig vorgeschriebenen Einzahlungen auf diesen sowie zur Herabsetzung der Haftsumme Ihrig: Bestimmungen, S. 26–29. Im Jahr 1877 änderte zum Beispiel die Barmer Volksbank eG ihre Rechtsform unter Beibehaltung ihres Namens in eine Aktiengesellschaft. Unter der Nr. 859 wurde die Barmer Volksbank AG in das Handelsregister beim Amtsgericht eingetragen. Die Organe der Aktiengesellschaft blieben denen der Genossenschaft – den Vorschriften des damaligen Aktiengesetzes entsprechend – gleich. 1899 wurde der Name auf Beschluss der Generalversammlung vom 18. Dezember in Barmer Creditbank AG geändert. Siehe hierzu etwa Barmer Creditbank: Geschichte. Ein weiteres Beispiel ist die 1859/60 nach den Schulze-Delitzsch-Prinzipien gegründete Handwerker-Darlehnskasse. Aufgrund der hohen Beteiligung von Kaufleuten wurde der Name der Bank in Gewerbebank, eingetragene Genossenschaft in Crefeld, geändert. Diese wurde am 20. Dezember 1867 in das Genossenschaftsregister des Amtsgerichtes Krefeld unter der Registernummer 1 aufgenommen. Am 1. Januar 1877 wurde die Genossenschaft in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. Am 5. Mai 1905 wurde die Gewerbebank schließlich vom Barmer Bankverein übernommen. Siehe hierzu unter anderem Volksbank Krefeld: 100 Jahre, S. 19. LA NRW Düsseldorf, LA Wipperfürth Nr. 158, S. 236, Gesellschafts-Vertrag (Statut) der Actien-Gesellschaft unter der Firma Rönsahler Creditbank mit dem Sitze zu Ohl bei Rönsahl, 1889, § 2. Gegenstand des Unternehmens war der „Betrieb von Bank­, Commissions­ und Hy­ pothekengeschäften in allen Zweigen und zwar im Anschluss an das, seit dem Jahre 1870 zu Ohl unter der Firma Klüppelberger Volksbank, eingetragene Genossenschaft, bestehende Bankgeschäft“; Heyder: Entstehung, S. 35–39. LA NRW Düsseldorf, Rep. 78 Nr. 35, Statut des Denklinger Darlehnskassen-Verein eG vom 20. Januar 1874. Siehe unter anderem auch AdVBO, Findbuch zum Bestand RB Wiehl; die Satzung wurde gedruckt bei der Strüder‘schen Buchdruckerei Neuwied. Zu allen Paragrafen des Statuts finden sich weitere Erklärungen und Hintergründe zu den Bestimmungen in Raiffeisen: Darlehnskassen-Vereine, S. 37–108. Siehe etwa auch RWWA 401-2-5, Statuten des Herkenrather Darlehnskassen-Vereins eG vom 26. Oktober 1879.

1. Die Statuten

205

nossenschaften nicht).19 Noch heute werden von den Verbänden Mustersatzungen angefertigt, auf deren unveränderte Annahme großer Wert gelegt wird, um so „Rechtssicherheit und eine einheitliche Beratung zu gewährleisten“.20 Die Satzung des Denklinger Darlehnskassen-Vereins eG von 1874 war in fünf Abschnitte gegliedert:21 – Abschnitt (I) enthielt die grundlegenden Angaben über Gründung und Zweck (§§ 1–2), das heißt die Konstituierung der Genossenschaft sowie die Regelung des Sitzes und des Zwecks der Genossenschaft, hier das Darlehnsgeschäft.22 – Abschnitt (II) führte die Rechte und Pflichten der Mitglieder betreffende Regeln auf (§§ 3–6). Zunächst wurden die Bedingungen der Aufnahme beziehungsweise des Beendens der Mitgliedschaft (Verlust der Mitgliedschaft) sowohl vonseiten des Mitgliedes als auch vonseiten der Genossenschaft genannt. Zudem wurde der Geschäftsbezirk festgelegt. Jedes Mitglied hatte entsprechend dem demokratischen Prinzip das Recht auf Teilnahme an der Generalversammlung sowie ein Stimmrecht in der Versammlung – Frauen waren ausgeschlossen.23 Die Mitglieder hatten das Recht, jederzeit Einsicht in das Protokollbuch der Generalversammlung zu nehmen. Jedes Mitglied konnte sich demnach über den Hergang der Versammlung informieren, sich von der Richtigkeit des Protokolls selbst überzeugen, sich aber auch in Streitsituationen über Beschlüsse informieren. Mit der Unterzeichnung der Statuten verpflichteten sich die Mitglieder, die solidarische Haftpflicht anzuerkennen und die Regeln des Statuts zu beachten. Geschäftsanteile wurden – entsprechend den Raiffeisen-Prinzipien – nicht gebildet.24 Dies wurde erst mit dem Genossenschaftsgesetz von 1889 verpflichtend.25 – Abschnitt (III) definierte die Regeln über die Verwaltung des „Vereins“ (§§ 8–27): Alle Angelegenheiten wurden durch den Vorstand,26 den „Verwaltungs­ rath“27 – der gesetzlich noch nicht vorgeschrieben war –, die Generalversammlung und den Rechner wahrgenommen. Der Verwaltungsrat, dessen Aufgabe es war, zu prüfen, ob die Verwaltung statutengemäß geführt wurde, sollte laut 19 20 21

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Siehe hierzu auch Faßbender: Spar- und Darlehnskassen-Vereine, S. 44–70. Schaffland: Satzung, S. 562; zu Mustersatzungen siehe auch Münkner: Strukturfragen, S. 204– 211. LA NRW Düsseldorf, Rep. 78 Nr. 35, Statut des Denklinger Darlehnskassen-Vereins eG vom 20. Januar 1874; siehe auch LA Koblenz 441/25623, S. 5–12, Statut des Orter DarlehnskassenVereins eingetragene Genossenschaft, Muster, vor 1889; ebd., S. 29–36, Anmerkungen zu den Statuten und Hinweise für Protokolle; ebd., S. 55 f., Revidiertes Statut der Darlehnskasse für die Bürgermeisterei Antweiler eingetragene Genossenschaft, 1869. LA NRW Düsseldorf, Rep. 78 Nr. 35, Statut des Denklinger Darlehnskassen-Vereins eG vom 20. Januar 1874, §§ 1–2. Ebd., § 5. Ebd., § 6. RGBl. 1889, Nr. 11, GenG, S. 57, § 7; Citron: Reichsgesetz, S. 72; siehe auch frühere Auflagen; ferner Ihrig: Bestimmungen, S. 9 f. LA NRW Düsseldorf, Rep. 78 Nr. 35, Statut des Denklinger Darlehnskassen-Vereins eG vom 20. Januar 1874. Die §§ 8–15 regelten die Zusammensetzung, die Legitimation, die Rechte und Pflichten des Vorstandes sowie des dem Vorstand angehörigen Vereinsvorstehers. Die Rechte und Pflichten des Verwaltungsrates regelten die §§ 16–19.

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V. Statuten, Geschäftsordnungen und Verwaltungsorgane

Musterstatut der Anwaltschaft aus neun Mitgliedern bestehen. Im Fall des Denklinger Darlehnskassen-Vereins eG wurde der Verwaltungsrat durch Änderung des Musters durch Beschluss der Generalversammlung auf sechs Mitglieder beschränkt, die „auf den Vereinsbezirk so zu vertheilen sind, daß sie in ihrer Gesammtheit eine möglichst genaue Kenntniß der Verhältnisse der Einwohner des Bezirks“28 besaßen. Der Verwaltungsrat hatte die pünktliche Umsetzung von Beschlüssen zu überwachen und das Recht – nicht die Pflicht –, jederzeit die Bücher einzusehen und die Kasse zu kontrollieren. Bei Bedarf hatte er das Recht, den Vorstand oder einzelne Vorstandsmitglieder sowie den Rechner „außer Function zu setzen“,29 das heißt im äußersten Fall des Amtes zu entheben. Zudem hatte er die Pflicht, die „Instruction“30 (Dienstanweisungen) für den Vorstand und den Rechner zu erlassen, die Bilanz zu prüfen, die Bürgschaften für Darlehn, den Wechselverkehr und die Konten in laufender Rechnung vierteljährlich zu revidieren.31 Verwaltungsratssitzungen waren mindestens vier Mal pro Jahr abzuhalten, um so eine Regelmäßigkeit der Kontrolle zu gewährleisten. Wichtig waren regelmäßige Sitzungen aber auch, damit auf die Anträge der Mitglieder zeitnah reagiert werden konnte. Die §§ 20 bis 23 betrafen die Generalversammlung: „Die sämmtlichen Rechte des Vereins werden von der aus den männlichen Vereinsmitgliedern bestehenden Generalversamm­ lung ausgeübt“,32 was zugleich impliziert, dass Frauen zwar die Mitgliedschaft erwerben konnten, jedoch keine Mitsprache- beziehungsweise Entscheidungsbefugnis hatten und damit auch nicht nur aus der Generalversammlung ausgeschlossen waren, sondern auch aus allen anderen Organen (siehe Abschnitt II). Die Generalversammlung beaufsichtigte den Verwaltungsrat und konnte dessen Entscheidungen und Instruktionen jederzeit ändern. Darüber hinaus bestimmte die Generalversammlung über die Entlastung der Geschäftsführung. Generalversammlungen waren zwei Mal jährlich, einmal im Frühjahr und einmal im Herbst, abzuhalten, sodass ein regelmäßiger Informationsfluss gewährleistet war, da somit halbjährlich durch die Verwaltung der Generalversammlung zu rapportieren war.33 Die Geschäftspolitik betreffende Beschlüsse konnten so zeitnah getroffen werden. Das Genossenschaftsgesetz von 1867 beziehungsweise 1871 schrieb hierzu lediglich vor, dass die Generalversammlung, wie im Gesellschaftsvertrag festgelegt, einzuberufen war. Diese Halbjahresregelung war demnach zur Senkung der Informationsasymmetrie durch die Raiffeisen-Anwaltschaft konzeptionell institutionalisiert worden und keine Vorgabe durch den Gesetzgeber. Der Gesetzgeber ließ in dieser Hinsicht den Genossenschaften freie Hand. Die Beschlüsse der Generalversammlung bedurften der absoluten Mehrheit. Zu den Rechten der Generalversammlung gehörte es unter anderem, den Vorsteher, dessen Stellvertreter und den Rechner zu wählen, des28 29 30 31 32 33

Ebd., § 16. Ebd., § 17. Ebd., §§ 18, 20. Ebd., §§ 16–19. Ebd., § 20. Ebd., § 21.

1. Die Statuten



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sen Aufgaben, Rechte und Pflichten in den §§ 24 und 25 definiert wurden.34 Zudem wählte die Generalversammlung die weiteren Mitglieder des Vorstandes und des Verwaltungsrates. Nach § 23 wurde durch Aufstehen und Sitzenbleiben beziehungsweise durch Handzeichen abgestimmt, wenn nicht ausdrücklich auf Wunsch der Versammlung verdeckte Stimmzettelwahl, Kugelung oder Namensaufruf beantragt wurde.35 In dieser zunächst offenen Wahl sieht Gero Erdmann Einschränkungen des demokratischen Prinzips, was unmittelbar die Abwahl von Organmitgliedern gehemmt habe und Ämtertraditionen förderte.36 Während § 26 die Aufstellung der Bilanz regelte, die nach kaufmännischen Grundsätzen zu erfolgen hatte, wurde mit § 27 festgelegt, dass Vorstand und Verwaltungsrat grundsätzlich ehrenamtlich tätig waren.37 Der Rechner hingegen erhielt eine im Verhältnis zu seinem Aufwand stehende Vergütung, deren Höhe durch die Generalversammlung festzulegen war. Sowohl Vorstand und Verwaltungsrat als auch Generalversammlung hatten ein paraphiertes und paginiertes Protokollbuch zu führen, das alle Beschlüsse enthielt.38 Abschnitt (IV) bestimmte die Beschaffung und Verwendung der Vereinsmittel sowie die „Wirksamkeit“39 des Vereins (§§ 28–34): Die Geldmittel des Vereins sollten durch „Anlehn“40 (Anleihen), deren Art nicht weiter definiert wurde, Provisionen und Zinsüberschlüsse aufgebracht werden und für verzinsliche Darlehn an Mitglieder verwendet werden, zudem zur Deckung der Vereinskosten, zum Aufbau von „Vereinskapital“41 und für gemeinnützige Zwecke Verwendung finden (§ 28). § 29 regelte die Verbindung des Kreditvereins mit einer Sparkasse sowie die Zinspolitik, die an der Ansammlung eines entsprechenden Vereinskapitals ausgerichtet sein sollte – Herabsetzungen der Zinsen und Provisionen waren erst nach Aufbau eines ausreichenden Betriebs- und EigenkapiEbd. – Der Rechner wurde auf vier Jahre bei dreimonatiger Kündigungsfrist gewählt. Er hatte auf Anweisung des Vorstehers pünktlich die Einnahmen und Ausgaben des Vereins abzuwickeln, die Bücher zu führen, die Kassenbestände und Wertpapiere aufzubewahren und die Bilanz zu erstellen. Der Rechner durfte weder Mitglied des Vorstandes noch des Verwaltungsrates sein. Nach § 25 hatte er einen Bürgen oder eine andere von der Generalversammlung zu bestimmende Sicherung beizubringen. LA NRW Düsseldorf, Rep. 78 Nr. 35, Statut des Denklinger Darlehnskassen-Vereins eG vom 20. Januar 1874. Erdmann: Diesseits, S. 55 ff., 193 f. Lediglich der „Ersatz ihrer Barauslagen“ war zu erstatten. Unter diese Auslagen fielen auch Reisekosten für Reisen zur Zentralbank. Hieraus resultiert auch, dass heute lediglich Beschlussprotokolle und keine Verlaufsprotokolle überliefert sind (siehe Einleitung). Mit der Abfassung von Beschlussprotokollen wurde sichergestellt, dass alle wichtigen Belange schriftlich fixiert waren und damit nachgehalten werden konnten. Dies ersparte zugleich aber auch Aufwand, der etwa durch das Abfassen von Verlaufsprotokollen entstanden wäre. Jedes Protokoll wurde vom Vorsitzenden, vom Schriftführer und stellvertretend von einem Mitglied der Versammlung gegengezeichnet. Das Protokollbuch wurde üblicherweise von dem Vorstandsvorsitzenden in seiner Wohnung aufbewahrt. LA NRW Düsseldorf, Rep. 78 Nr. 35, Statut des Denklinger Darlehnskassen-Vereins eG vom 20. Januar 1874. Ebd., § 28. Ebd., § 34.

208

V. Statuten, Geschäftsordnungen und Verwaltungsorgane

tals zu überdenken. Laut § 30 konnten Darlehn an Vereinsmitglieder durch den Vorstand (1.) auf kürzere Frist (bis zu einem Jahr) bewilligt werden, welche höchstens auf zwei Jahre verlängert werden konnten, (2.) „auf längere Dauer bis zu 10 Jahre“42 und (3.) in laufender Rechnung gewährt werden. Bestimmungen über die Konditionen für Darlehn auf längere Ausleihfristen als zehn Jahre waren durch die Generalversammlung festzusetzen. Damit waren also grundsätzlich auch Ausleihfristen von mehr als zehn Jahren möglich. Hierin lag der wesentliche Unterschied zu den Volksbanken (Schulze-Delitzsch).43 Die genauen Rückzahlungsfristen waren durch die Generalversammlung festzusetzen – was eine individuelle Entscheidung bei der Vergabe des einzelnen Darlehns ausschloss, es sei denn, die Generalversammlung übertrug dem Vorstand explizit die Befugnis, persönlich zu entscheiden. Zur Erhaltung der Liquidität wurde eine Kündigungsfrist eingefügt. Die vierwöchige Kündigungsfrist sollte nur Anwendung finden, wenn „massenweise“44 Kapitalien gekündigt wurden, das heißt wenn Spareinlagen in großem Umfang zurückgezogen wurden oder die Zentralkasse Anlehn zurückforderte. Ein weiterer Grund, die vierwöchige Kündigungsfrist zur Anwendung zu bringen, war eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Verhältnisse der Schuldner oder Bürgen, welche die Sicherheit der Darlehn gefährden konnte.45 Die Generalversammlung hatte zur Minimierung von zu hohen Ausfallrisiken zudem eine Kreditlinie festzulegen, also einen Höchstbetrag zu bestimmen, die jedes Mitglied maximal (in einer Summe oder in mehreren Beträgen) leihen durfte. Des Weiteren legte § 30 fest: „Die gute Verwendung der Darlehn ist soviel als möglich vorher festzustellen und später zu controllieren“.46 Es wurde zwar festgelegt, dass der Vorstand die Darlehn bewilligte, jedoch nicht, ob er allein die Prüfung der Kreditfähigkeit und -würdigkeit vorzunehmen hatte. Lehnte der Vorstand einen Antrag ab, hatte der Verwaltungsrat zu entscheiden; im äußersten Fall, wenn keine Einigung erzielt werden konnte, die Generalversammlung (§ 30). Die Kredite waren durch die Schuldner in „ausreichender Weise“47 zu sichern, sodass ein Fallieren den Verein – vielmehr die Mitglieder, die solidarisch für die Geschäfte der Genossenschaft hafteten – nicht gefährdete.48 Als Sicherstellung kamen in

42 43 44 45

46 47 48

Ebd., § 30. Siehe etwa AdVBWL, 14-1, abgeändertes Statut der Lindlarer Volksbank, eingetragene Genossenschaft mit beschränkter Haftpflicht, §§ 46 f.; Löll: Darlehnskassen-Vereine, S. 7. LA NRW Düsseldorf, Rep. 78 Nr. 35, Statut des Denklinger Darlehnskassenvereins eG vom 20. Januar 1874, § 30. Die vierwöchige Kündigungsfrist wurde immer wieder kritisiert, unter anderem bei Löll: Darlehnskassen-Vereine, S. 16 f.; siehe auch Kluge: Geschichte, S. 191. Zunächst zog Raiffeisen als Antwort auf die wiederholte Kritik am Fehlen der ‚Goldenen Bankregel‘ die Kündigungsfrist als Schutzmechanismus ein, relativierte deren Stellung aber zunehmend und sah zuletzt die Kündigungsfrist nur noch als Repressalie gegenüber säumigen Darlehnsnehmern. LA NRW Düsseldorf, Rep. 78 Nr. 35, Statut des Denklinger Darlehnskassen-Vereins eG vom 20. Januar 1874, § 30. Ebd., § 31. Ebd. Hier heißt es im exakten Wortlaut: „Die Sicherstellung der Darlehn, bzw. Credite (§ 30)

1. Die Statuten



209

Frage: Bürgen, welche „hinreichendes Immobiliarvermögen“49 besaßen, Hypotheken oder die Hinterlegung von inländischen Staatspapieren, die den Wert des Kredites mindestens um ein Drittel überstiegen. Neben der Vergabe von Darlehn war der Vorstand befugt, Verkaufsprotokolle (Kaufschillinge, Güterzieler, Steigungsgelder) anzukaufen, um so den „nachtheiligen Handel“50 mit Mobilien (zum Beispiel Vieh) und Immobilien, das heißt Wuchergeschäfte und Güterschlächterei, zu verhindern. Bedingung war, dass sowohl Käufer als auch Bürge „hinreichende Sicherheit“51 boten und auch der Verkäufer – gegebenenfalls unter Stellung eines Bürgen – bereit war, mögliche Ausfälle selbst zu tragen (§ 32). Der § 33 bestimmte die „sonstige Wirksamkeit“52 der Genossenschaft neben dem in § 2 eigentlich formulierten Hauptzweck der Darlehnsbeschaffung: Hierzu zählten zum Beispiel die Bildung von Konsumgenossenschaften, Sparkassen, um hierdurch die Verhältnisse der Mitglieder in „sittli­ cher und materieller Beziehung“,53 das heißt sowohl sozial als auch wirtschaftlich, zu verbessern. Für die Umsetzung solcher sozialpolitischen Ziele fand sich in den Quellen der Denklinger Genossenschaft jedoch kein Hinweis. Nach § 34 sollte der Gewinn als Vereinskapital angesammelt werden. Dieser Fonds war Eigentum des Vereins. Bei Auflösung des Vereins sollte das Geld für einen gemeinnützigen Zweck verwendet werden (Stiftungsfonds).54 Abschnitt (V) enthielt einige allgemeine Bestimmungen (§§ 35–38). Die Statuten durften grundsätzlich geändert werden (§ 36), jedoch wurde vielfach bemängelt, dass dies durch das Statut erschwert beziehungsweise durch den Raiffeisen-Verband blockiert wurde, wie etwa auch Schellenbergers Äußerungen verdeutlichten (siehe Kapitel IV.2a). Zur Änderung hatten mindesten 50 Prozent der Mitglieder anwesend zu sein, zu Änderungen der §§ 34, 36 und 37 alle Mitglieder. Die Auflösung des Vereins war nur möglich, wenn sich nicht mehr als zwei Mitglieder gegen die Auflösung aussprachen.55 Die Mitglieder unterwarfen sich mit der Unterzeichnung der Statuten – auch im Falle von Streitigkeiten – der Entscheidung der Generalversammlung, also der Allgemeinheit (§ 37).56 In Abschnitt V findet sich zudem der Anschluss an die Zentralkasse: Die Genossenschaft trat nach § 35 der Rheinischen Landwirtschaftlichen Bank eG bei.57

Dieses Statut änderte die Generalversammlung des Denklinger DarlehnskassenVereins eG bis 1895 sieben Mal, unter anderem 1889 zur Umwandlung der Genos-

49 50 51 52 53 54 55 56 57

dem Vereine gegenüber muß in allen Fällen in so ausreichender Weise stattfinden, daß für den Verein keinerlei Gefahr vorhanden ist“. Ebd. Ebd., § 32. Ebd. Ebd., § 33. Ebd. Ebd., § 34. Ebd., § 36. Ebd., § 37. Ebd., § 35.

210

V. Statuten, Geschäftsordnungen und Verwaltungsorgane

senschaft in die Rechtsform der eGmuH.58 Während diese Änderung vom Gesetzgeber vorgeschrieben war, waren die anderen Modifikationen offensichtlich Anpassungen der formalen Regeln an praktische Erfahrungen: Im Jahr 1875 ergänzte die Generalversammlung die Satzung um den § 39. Hiernach hatten alle Vorstands- und Verwaltungsratsmitglieder Stillschweigen über die „Vorgänge des Geschäfts“,59 die bewilligten und abgelehnten Kredite sowie die „anvertrauten Einlagen“60 zu bewahren, womit die Genossenschaft zur Regelung des (Vertrauens-) Verhältnisses zwischen Kreditverein und Mitgliedern beziehungsweise den Mitgliedern der Verwaltungsorgane und den ‚einfachen‘ Mitgliedern ein Bankgeheimnis einführte. An Eides statt war ein Handschlag von den Vorstands- und Verwaltungsratsmitgliedern zu leisten, bei Verstoß eine Geldstrafe zu zahlen, die auf 100 Mark festgesetzt wurde und vom Guthaben des „Schädiger[s]“61 dem Reservefonds zugeschrieben wurde. Zudem sollte das betreffende Verwaltungsmitglied umgehend aus der Verwaltung ausgeschlossen werden und der Vereinsvorsteher und der Verwaltungsrat „in solchen Fällen sofort Ersatzwahl“62 vornehmen. Bei Verweigerung des Gelöbnisses wurde das entsprechende Verwaltungsmitglied bei der nächsten Generalversammlung gemeldet, der es freistand, demjenigen das Amt zu entziehen.63 Durch den sozialen Druck, also auf informeller Ebene, sollte so auf die Mitglieder von Vorstand und Verwaltungsrat eingewirkt werden. Im Statut des Denklinger Darlehnskassenvereins eG kommt also nicht nur die Funktion des Intermediärs der Genossenschaft zum Ausdruck, sondern zeigen sich auch Nachteile aus den typischen (informations-) kostensenkenden genossenschaftlichen Prinzipien. Zur Erhöhung des Eigenkapitals wurde in der Generalversammlung 1876 eine weitere Änderung des Statuts vorgenommen: § 6 wurde dahingehend geändert, dass die Mitglieder fortan Geschäftsanteile von 30 Mark bei jährlicher Teilzahlung von drei Mark zu erwerben hatten. Der Geschäftsanteil war von dem Mitgliedern in monatlichen Raten von 25 Pfennigen zu zahlen. Die Erhebung von Geschäftsanteilen schloss das Musterstatut der Raiffeisen-Anwaltschaft eigentlich aus.64 (Diese Zahlen zeigen auch, wie verhältnismäßig hoch die Strafe von 100 Mark bei Verstoß gegen das Bankgeheimnis war.) Im Jahr 1881 beschloss die Generalversammlung, dass Mitglieder, die den Geschäftsanteil nicht zahlten, auf Beschluss von Vorstand und Verwaltungsrat auszuschließen seien.65 Mit der Einführung des Geschäftsan58 59 60 61 62 63 64 65

AdVBO, Bestand RB Wiehl, 30-8, Denklinger Darlehnskassen-Verein eG, GV-Protokoll vom 1. Dezember 1889. AdVBO, Bestand RB Wiehl, 30-8, Denklinger Darlehnskassen-Verein eG, GV-Protokoll vom 21. Mai 1876. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd.; siehe LA NRW Düsseldorf, Rep. 78 Nr. 35, Statut des Denklinger Darlehnskassen-Vereins eG vom 20. Januar 1874, § 6. AdVBO, Bestand RB Wiehl 30-8, Denklinger Darlehnskassen-Verein eG, GV-Protokoll vom 29. Mai 1881; siehe hierzu auch VdVBT 1-4, Osberger Spar- und Darlehnskassen-Vereine GmuH, GV-Protokoll von 1927.

1. Die Statuten

211

teiles griff die Genossenschaft der gesetzlichen Einführung im Jahr 1889 (§ 7 GenG) vor.66 Der Vergleich mit einem Statut auf der Grundlage eines Musterstatuts der Raiffeisen-Organisation aus dem Jahr 1890 – also nach Inkrafttreten des Genossenschaftsgesetzes von 1889 – zeigt konzeptionell kaum Änderungen; der Aufbau des Musterstatuts blieb prinzipiell gleich.67 Die neue Rechtsform (eGmuH) wurde in § 1 in die Firma aufgenommen und ihre juristische Bedeutung beziehungsweise die rechtlichen Folgen für die Mitglieder daraus in § 7 präzisiert: Die Mitglieder hatten „für die Verbindlichkeiten des Vereins diesem sowie unmittelbar den Gläubigern desselben mit ihrem ganzen Vermögen zu haften“68 (sofern es sich um eine Genossenschaft mit unbeschränkter Haftpflicht handelte). Der Stiftungsfonds erhielt eine exponiertere Stellung durch die Aufnahme in § 2 (Gegenstand des Unternehmens).69 Mit der gesetzlichen Einführung des Aufsichtsrates im Jahr 1889 wurde das konzeptionell vorhandene, bis dahin jedoch gesetzlich nicht verpflichtend vorgeschriebene Kontrollorgan eingeführt.70 Bis zum Inkrafttreten des Genossenschaftsgesetzes von 1889 konnte der Gesellschaftsvertrag dem Vorstand nach dem Genossenschaftsgesetz von 1867 beziehungsweise 1871 einen Aufsichtsrat (Verwaltungsrat, Ausschuss) „an die Seite setzen“ (Kann-Regelung).71 Dessen Obliegenheiten, die Kontrolle von Vorstand und Rechner, wurden nun zur gesetzlichen Pflicht.72 Neu war die Eintragung ins Genossenschaftsregister. Der Geschäftsanteil, der nun gesetzlich verpflichtend war, wurde mit §§ 7 und 31 des Musterstatuts integriert.73 66 67

68 69 70 71 72 73

RGBl. 1889, Nr. 11, GenG, S. 57, § 7. RWWA 404-11-12, Statut des Breniger Darlehnskassen-Vereins eGmuH vom 17. August 1890. – Brenig ist ein Stadtteil von Bornheim östlich des Eifler Vorgebirges und damit außerhalb des engeren Untersuchungsraumes gelegen. Diese Genossenschaft musste hier stellvertretend herangezogen werden. Da es sich bei den Statuten in der Regel um von den Verbänden herausgegebene Vorlagen (Mustersatzungen) handelte – so auch hier –, ist diese Substitution ohne weiteres möglich. Siehe etwa auch RWWA 404-20-4, Statut des Uckerather Darlehnskassen-Vereins eGmuH vom 10. November 1889; ebd., Statuten des Uckerather Darlehnskassen-Vereins eG vom 11. Januar 1880 (Gründungsstatut). Diese beiden Statuten basieren ebenfalls auf Vordrucken der Raiffeisen-Anwaltschaft und zeigen die Umschreibung der eingetragenen Genossenschaft in die Rechtsform der eGmuH anlässlich des Genossenschaftsgesetzes von 1889, hier vorgenommen auf der Generalversammlung des Uckerather Darlehnskassen-Vereins eG am 10. November 1889. Das neue Statut war dem GV-Protokoll anzuhängen, eine Abschrift beim Amtsgericht einzureichen; siehe auch RWWA 89-3-11, Blanko-Statut, herausgegeben vom Generalverband der deutschen Raiffeisen-Genossenschaften e.V., Berlin, Formular Statut 2 (G), 6.1.31, 1931. Das Statut zeigt die geringfügige Modifikation der Statuten bis zum Ende des Untersuchungszeitraumes. RWWA 404-11-12, Statut des Breniger Darlehnskassen-Vereins eGmuH vom 17. August 1890, § 7. Ebd., § 2, insbesondere jedoch § 35. Ebd., §§ 8, 17–20. Bundes-Gesetzblatt des Norddeutschen Bundes, 1868, Nr. 24, GenG, S. 422, § 28. RWWA 404-11-12, Statut des Breniger Darlehnskassen-Vereins eGmuH vom 17. August 1890, §§ 18 f. Ebd., §§ 7, 31.

212

V. Statuten, Geschäftsordnungen und Verwaltungsorgane

Im Kern bestehen blieb auch § 30 zum Screening und Monitoring der Schuldner, fand jedoch folgende sprachliche Konkretisierung: „Vor der Bewilligung der Darlehn ist die Creditfähigkeit (finanzielle Sicherheit), die Creditwürdigkeit (Mora­ lität) der Darlehnsucher in Betracht zu ziehen und die beabsichtigte Verwendung der Gelder soviel als möglich festzustellen. Letztere ist später zu überwachen“.74 Zu diesem Zweck war unter anderem auch der Aufsichtsrat weiterhin so zu besetzen, dass der gesamte Geschäftsbezirk durch „ihre [der Aufsichtsratsmitglieder; Anm. d. Verf.] Augen abgedeckt“ war.75 Die mit dem Genossenschaftsgesetz von 1889 eingeführte Rechtsform der eingetragenen Genossenschaft mit beschränkter Haftpflicht oder mit unbeschränkter Nachschlusspflicht und die Umwandlung der Genossenschaft in eine solche wurde in § 41 geregelt und war nur mit Zustimmung aller Mitglieder möglich.76 b) Typische ‚rheinische‘ Statuten? Die Mustersatzungen der Verbände Bonn und Köln Vom Anschluss der ländlichen Kreditgenossenschaft an einen Verband hing ab, auf welcher Satzung sie basierten. Innerhalb des deutschen Genossenschaftswesens bildeten sich entlang trennender Elemente der Grundsätze des Reichsverbandes (Haas) und der Raiffeisenschen Prinzipien, die die Neuwieder Organisation vertrat, eine entsprechende Zweiteilung des ländlichen Kreditgenossenschaftswesens und damit „verbandstypische Spezifika“77 aus. Inwieweit entstanden hierbei regionale Spezifika, die sich in den jeweiligen Statuten ausdrückten? Inwieweit unterschieden sich damit die von der Raiffeisen-Organisation herausgegebenen Statuten von denen der regionalen, im Rheinland ansässigen Verbände? Während der Verband Bonn eine Vorlage des Reichsverbandes der deutschen landwirtschaftlichen Genossenschaften e.V. an seine Genossenschaften ausgab, entwickelte der Kölner Verband, der erst 1903 dem Dachverband beitrat, unabhängig von einem Spitzenverband eigene Statuten für die ihm angeschlossenen Genossenschaften.78 Entstanden hierbei unterschiedliche Regeln und Modi und wenn ja, welche? Während die Vordrucke des Bonner Verbandes, das heißt des Reichsverbandes, bereits seit 1909 die Firma ,Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu [Ort des Sitzes der Genossenschaft]‘ vorgaben, hielt die Raiffeisen-Organisation noch länger (zumin74 75 76 77 78

Ebd., § 32. Ebd., § 17. Ebd., § 41. Kluge: Geschichte, S. 399; siehe auch Guinnane: German Credit Cooperatives, S. 85, Tab. 3.1 ‚Differences between groups of credit cooperatives in Germany‘. Nicht berücksichtigt sind hier die vom Trierischen Genossenschaftsverband, der für den engeren Untersuchungsraum nicht relevant ist, herausgegebenen Statuten. Siehe etwa AdVBT, 1-6, Kopie des Statuts des Waldracher Spar- und Darlehnskassen-Vereins eGmuH vom 6. November 1898. Der Trierer Verband orientierte sich stark an den Statuten Raiffeisens, kannte etwa den Stiftungsfonds, verwendete aber durchaus auch anderes Vokabular, wie etwa statt Rechner Rendant. Siehe hierzu auch AdVBT, 1-4, Osberger Spar- und Darlehnskassen-Verein eGmuH, GV-Protokolle.

1. Die Statuten

213

dest bis Ende des Untersuchungszeitraumes) an dem Zusatz ,Verein‘ fest. Ergänzt wurde ,Darlehnskassen-Verein eGmuH‘ lediglich um den Zusatz ,Spar- und‘. Dies wies explizit auf die Sparkassenfunktion hin, die jedoch lediglich Mittel zum Zweck gewesen war.79 Damit war in den Vordruck also nur noch der Name des Ortes, in dem die Genossenschaft ihren Sitz hatte, einzufügen. Die 1909 in Denklingen gegründete Kreditgenossenschaft (die 1874 in Denklingen gegründete Kreditgenossenschaft war 1903 liquidiert worden), die Mitglied des Bonner Verbandes war, der wiederum dem Reichsverband als Dachverband angehörte, wurde daher bereits als Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Denklingen gegründet.80 Die Firmenbezeichnung ,Spar- und Darlehnskassen-Verein‘ mit vorangestellter Ortsnennung, zum Beispiel ,Hohkeppeler Spar- und Darlehnskassen-Verein eGmuH‘, war ein Merkmal der dem Kölner Verband angeschlossenen Kreditgenossenschaften.81 Ein anderes Beispiel aus dem engeren Untersuchungsraum ist der Hönnigethaler Spar- und Darlehnskassen-Verein eGmuH. Die zentralen Unterschiede in den Mustersatzungen der Raiffeisen-Anwaltschaft, des Kölner Verbandes und der vom Verband Bonn vertriebenen Mustersatzungen sind in der folgenden Tabelle gegenübergestellt.

79

80 81

Die Raiffeisen-Organisation gab den Zusatz ,Verein‘ in vielen Fällen erst mit der Fusion des Verbandes mit dem Reichsverband der deutschen landwirtschaftlichen Genossenschaften im Jahr 1930 auf, wobei das oben genannte Blanko-Statut, herausgegeben vom Generalverband der deutschen Raiffeisen-Genossenschaften e.V., Berlin, Formular Statut 2 (G), immer noch den Zusatz ,Verein‘ aufweist. LA NRW Düsseldorf, Rep. 78 Nr. 49. Zur Firma und dem Wandel der Firma sieh unter anderem auch Kluge: Vorschußverein, S. 3–16. Vgl. RWWA 404-88-6, Statut des Stieldorfer Spar- und Darlehnskassen-Vereins eGmuH vom 18. Juni 1905; siehe auch RWWA 367-3-22, Statut des Siegburg-Mülldorfer Spar- und Darlehnskassen-Vereins eGmuH vom 28. Oktober 1908; vgl. für die Zeit nach 1924 (Fusion der Verbände Köln und Bonn) etwa RWWA 378-9-9, Statut der Spar- und Darlehnskasse Miel eGmuH zu Miel vom 3. Februar 1929.

214

V. Statuten, Geschäftsordnungen und Verwaltungsorgane

Tabelle 17: Vergleich der Mustersatzungen des Raiffeisen-Verbandes, des Kölner Verbandes sowie des Bonner Verbandes Verband:

Raiffeisen-Verband (Neuwied)

Rheinischer RevisionsVerband (Kempen), später: Verband rheinischer Genossenschaften (Köln)

Verband rheinpreußischer landwirtschaftlicher Genossenschaften (Bonn)

Gründungsjahr:

1877

1891

1889

seit 1903 Mitglied des Reichsverbandes

seit 1889 Mitglied des Reichsverbandes

Dachverband: exemplarisch herangezogenes Statut:

Statut des Breniger Darlehnskassen-Vereins eGmuH vom 17. August 1890 (RWWA 404-11-12)

Statut des Stieldorfer Spar- und DarlehnskassenVereins eGmuH vom 18. Juni 1905 (RWWA 404-88-6)

Statut der Spar- und Darlehnskasse eGmuH Denklingen vom 2. Mai 1909 (LA NRW Düsseldorf Rep 78 Nr. 49)

Aufbau:

Fünf Abschnitte unter Verwendung des Terminus ,Verein‘ (etwa „Verwal­ tung des Vereins“)

Elf Abschnitte unter Verwendung des Terminus ,Genossenschaft‘

Zwölf Abschnitte unter Verwendung des Terminus ,Genossenschaft‘

Gegenstand:

1. „Verhältnisse der Vereinsmitglieder in jeder Beziehung zu verbessern, die dazu nöthigen Einrichtungen zu treffen, namentlich die zu Darlehn an die Mitglieder erforderlichen Geldmittel unter gemeinschaftlicher Garantie zu beschaffen, besonders auch müßig liegende Gelder anzunehmen und zu verzinsen“ 2. „Kapital unter dem Namen ‚Stiftungsfonds‘ zur Förderung der Wirthschaftsverhältnisse der Vereinsmitglieder anzusammeln“ (§ 2)

1. „Erleichterung der Geldanlage und Förderung des Sparsinns“ 2. „Gewährung von Darlehn an die Genossen für ihren Wirthschaftsbe­ trieb“ (§ 2)

1. „Gewährung von Darlehn an die Genossen für ihren Geschäfts­ und Wirthschaftsbetrieb“ 2. „Erleichterung der Geldanlage und Förderung des Sparsinns“ (§ 2)

215

1. Die Statuten Mitgliedschaft:

§§ 3–7 / „dispositionsfä­ hige Personen“ mit dem „Wohnsitz in […], im Vollgenuß der bürgerlichen Ehrenrechte“

§§ 3–14 / „christliche im Genusse der bürgerlichen Ehrenrechte befindliche Personen, welche ihren Wohnsitz im […]“ haben

§§ 3–14 / „alle Personen, welche sich durch Verträge verpflichten können und ihren Wohnsitz“ im festgelegten Bezirk haben

Organe:

§§ 8–26 / Vorstand (Vereinsvorsteher, Stellvertreter, drei Beisitzer) / Aufsichtsrath (Vorsitzender, Stellvertreter, sieben weitere Mitglieder) / Generalversammlung / Rechner

§§ 15–42 / Vorstand (Vereinsvorsteher, Stellvertreter, drei Beisitzer) / Rendant / Aufsichtsrath (keine Angabe) / Generalversammlung

§§ 15–49 / Vorstand (Direktor, Rendant und drei weitere Mitglieder) / Aufsichtsrat (lässt das Muster offen; hier mind. drei, höchstens sechs Mitglieder) / Generalversammlung

Generalversammlung / Turnus Einberufung:

„mindestens zwei Mal im Jahr in jedem Jahre und zwar nach näherer Bestimmung derselben im Frühjahre und im Herbste“ (§ 21)

Innerhalb der ersten sechs Monate eines jeden Jahres (§ 37)

„hat innerhalb der ersten fünf Monate nach Ablauf des Geschäftsjahres stattzufinden“ (§ 31)

Generalversammlung / Wahlen:

„Die Abstimmungen und Wahlen erfolgen im Allgemeinen offen durch Aufstehen und Sitzenbleiben, durch Händeaufheben oder durch Namensaufruf. Dieselben müssen jedoch geheim, nämlich durch verdeckte Stimmzet­ tel oder durch Kugelung stattfinden, wenn dies von mindestens einem Viertheil der Versammlung verlangt wird.“ (§ 24)

Die Abstimmung erfolgt durch „Aufstehen und Sitzenbleiben oder durch verdeckte Stimmzettel“ (§ 16)

Die Abstimmung „erfolgt bei Wahlen durch Stimmzettel“ (§ 33)

Revision:

nicht genannt

„Die Genossenschaft tritt dem Verbande rheinischer Genossenschaften e.V. mit dem Sitz in Köln als Mitglied bei. Der Verbandsrevisor hat das Recht, die Bücher und Schriften der Genossen­ schaft […] usw. […] so oft einer Revision zu unterziehen, als es der Verbandsvorstand anordnet.“ (§ 52)

„Die Genossenschaft tritt dem ‚Verband der […]‘ bei. Der Verbands­Direk­ tor, beziehungsweise der von demselben hierzu bevollmächtigte Vertreter und der Verbandsrevisor sind berechtigt, den Generalversammlungen der Genossenschaft mit beratender Stimme beizuwohnen.“ (§ 48)

Stiftungsfonds:

ja

nicht genannt

nicht genannt

Quelle: Eigene Darstellung (Hervorhebungen durch die Verfasserin).

216

V. Statuten, Geschäftsordnungen und Verwaltungsorgane

Während der Begriff des Vereins nicht nur in der Firma im Musterstatut der Raiffeisen-Anwaltschaft weiterhin Verwendung fand, wurde der Begriff auch ansonsten in der Satzung verwendet (zum Beispiel „Verwaltung des Vereins“), wohingegen in den Mustersatzungen des Kölner und des Bonner Verbandes der Terminus Genossenschaft zu finden ist („Vertretung und Geschäftsführung. Organe der Genossen­ schaft“).82 Dies sollte den Vereinscharakter bereits in der Satzung abstreifen und stärker die Funktion als Unternehmen in der Rechtsform der Genossenschaft herausstellen, worin eine stärkere Ökonomisierung beziehungsweise größere Zweckrationalität als bei den Raiffeisen-Musterstatuten zum Ausdruck kommt. Entscheidender Unterschied in diesem Kontext war auch der Stiftungsfonds, der im Statut der Raiffeisen-Anwaltschaft nun bereits im § 2 hervorgehoben wurde, während diese Einrichtung in den Statuten des Bonner und des Kölner Verbandes nicht explizit genannt wurde, jedoch in ähnlicher Form beim Kölner Verband grundsätzlich vorgesehen war.83 Während also die Raiffeisensche Mustersatzung – insbesondere auch durch den Stiftungsfonds – die Verbesserung der sozialen Verhältnisse der Mitglieder benennt, sind in den Musterstatuten des Kölner und insbesondere des Bonner Verbandes die Unternehmensziele weitaus konkreter auf eine wirtschaftlichere, zweckrationale Zielsetzung hin formuliert: Die Gewährung von Darlehn und die Annahme von Spareinlagen. Allein das Musterstatut des Kölner Verbandes – hervorgegangen aus der katholischen Bauernvereinsbewegung – machte die christliche Konfession zur Auflage für eine Mitgliedschaft. Ein anderer bedeutsamer Unterschied bestand in der Stellung des Rechners, wie er im Raiffeisen-Statut bezeichnet wurde, beziehungsweise des Rendanten. Der Vorstand bestand laut Statut der Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Denklingen aus dem Direktor, dem Rendanten und drei weiteren Mitgliedern.84 Der Rendant war also Mitglied des Vorstandes, während der Rechner nach der Musterstatuten der Raiffeisen-Anwaltschaft nicht dem Vorstand angehörte, sondern als ,Geschäftsführer‘ dem Vorstand unterstand, was sich an die Statuten der Volksbanken anlehnt.85 So nahm der Rendant etwa bei der Wipperfelder Kreditgenossenschaft regelmäßig an den Vorstandssitzungen teil – auch wenn er nach dem Musterstatut nicht Mitglied des Vorstandes war.86 Lediglich das Musterstatut der Raiffeisen-Anwaltschaft sah die halbjährliche Einberufung der Generalversammlung vor. Einzig das Musterstatut des Bonner Verbandes kannte grundsätzlich die geheime Wahl, wodurch man von dem offenen 82 83 84 85

86

LA NRW Düsseldorf, Rep. 78 Nr. 49, Statut der Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Denklingen vom 2. Mai 1909. Siehe etwa ebd. LA NRW Düsseldorf, Rep. 78 Nr. 49, Statut der Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Denklingen vom 2. Mai 1909, §§ 15 f. RWWA 404-20-4, Statut des Uckerather Darlehnskassen-Vereins eGmuH vom 10. November 1889, §§ 8 f., 25 f. – Bei der Lindlarer Volksbank eGmbH etwa bestand der Vorstand aus drei Mitgliedern: „Der Vorstand führt die Vereinsgeschäfte selbständig unter stricter Beobachtung der Vorschriften des Gesetzes, der statuarischen Bestimmungen und der Beschlüsse der Gene­ ral­Versammlung“ (§ 6). Siehe AdVBWL, 14-1, Abgeändertes Statut der Lindlarer Volksbank, eingetragene Genossenschaft mit beschränkter Haftpflicht. AdVBWL, 3-15, Wipperfelder Spar- und Darlehnskassen-Verein eGmuH, VS-Protokolle.

2. Zwischen Ehrenamt und Einfluss

217

Prinzip der gegenseitigen Kontrolle abrückte. Der Kölner Verband und der Raiffeisen-Verband gaben die geheime Wahl im Statut vor und sahen in der offenen Wahl, etwa durch Aufstehen und Hinsetzen, lediglich eine Alternative. Insbesondere diesen offenen Abstimmungsprozess sah Gero Erdmann als ein entscheidendes Moment für nicht tatsächlich praktizierte Demokratie in Genossenschaften: „Die of­ fene Wahl garantierte institutionell die Kontrolle der dörflichen Oligarchie auch über die von oben gesteuerte Gründungsphase hinaus“.87 Die Vordrucke des Verbandes Köln enthielten – was sowohl in den Vordrucken des Reichsverbandes als auch der Raiffeisen-Organisation nicht zu finden ist – explizit den Anschluss an den Verband: „Die Genossenschaft tritt dem Verbande rheinischer Genossenschaften e.V. mit dem Sitz in Köln als Mitglied bei. Der Verbandsrevisor hat das Recht, die Bücher und Schriften der Genossenschaft […] usw. […] so oft einer Revision zu unterziehen, als es der Verbandsvorstand anordnet“.88 Neben den Satzungsvordrucken gaben die Verbände auch Dienstanweisungen und Geschäftsordnungen heraus, die entsprechend auf das Statut abgestimmt und damit auch in Einklang mit dem Genossenschaftsgesetz waren.89 Bereits die Satzung forderte zur genaueren Bestimmung der Aufgaben von Vorstand und Aufsichtsrat, dass die Generalversammlung Dienstanweisungen für diese beschloss.90 Interessant wäre die Ausweitung des Vergleichs auf die Mustersatzungen des Trierer Verbandes, da dieser erst zum Ende des Untersuchungszeitraumes dem Reichsverband beitrat und sich daher noch länger als der Kölner Verband unabhängig entwickelt hatte. Eine Untersuchung ist aufgrund der bisher bekannten Quellenlage hier jedoch nicht möglich und wäre ggf. im Rahmen einer weiteren Studie vorzunehmen. 2. ZWISCHEN EHRENAMT UND EINFLUSS a) Vorstand, Aufsichtsrat und Rendant Organisationen werden verklammert durch formale Regeln; dennoch sind es gerade die personengebundenen informellen Regelsysteme, die das Besondere einer Orga87 88

89

90

Erdmann: Diesseits, S. 61. RWWA 404-88-6, Statut des Stieldorfer Spar- und Darlehnskassen-Vereins eGmuH vom 18. Juni 1905, § 52. Eine ähnliche Formulierung findet sich in den Statuten vom Trierischen Genossenschafts-Verband. Allerdings war es hier der Genossenschaft – zumindest auf dem Papier – freigestellt, welchem Verband sie beitrat. Siehe AdVBT, 1-6, Kopie des Statutes des Waldracher Spar- und Darlehnskassen-Vereins eGmuH vom 6. November 1898, § 52. AdVBO, Bestand RB Wiehl, 96-15, Dienstanweisung und Geschäftsordnung für die Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Dieringhausen (hg. vom Verband der rheinpreußischen landwirthschaftlichen Genossenschaften), nach 1912/vor 1924. Alle in der Dienstanweisung erwähnten Formulare und Bücher konnten über den Verband bezogen werden. Die Dienstanweisung verwies für ausführlichere Hinweise auf die Schrift von Karl Ihrig: ,Was ist zu thun…‘; siehe etwa Ihrig: Bestimmungen; RWWA 404-88-6, Dienstanweisung und Dienstordnung für die Sparund Darlehnskasse Stieldorf eGmuH. LA NRW Düsseldorf, Rep. 78 Nr. 49, Statut, §§ 18, 24.

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V. Statuten, Geschäftsordnungen und Verwaltungsorgane

nisation ausmachen und auch für die ländlichen Kreditgenossenschaften überragende Bedeutung hatten. Aufgrund ihres Aufbaus war das Engagement der Mitglieder zum einen durch Beteiligung an der Willensbildung und zum anderen durch die Kontrolle der Organe besonders wichtig.91 Die Teilnahme an den Generalversammlungen war bei einigen der untersuchten Kreditgenossenschaften jedoch außerordentlich gering. Gero Erdmann hebt in diesem Zusammenhang einen Vortrag auf dem 13. Verbandstag der thüringischen und sächsischen Raiffeisen-Genossenschaften im Jahre 1901 hervor, in dem ein Referent konstatierte, dass es vor allem Lehrern und Pfarrern zu verdanken sei, dass die Vereine überhaupt am Laufen gehalten würden, da der Bauer „kein geborener Genossenschaftsmann“92 sei und es ihm an Genossenschaftsgeist fehle. Dieses Bild wird unterstrichen von der immer wieder beklagten geringe Teilnahme an den Generalversammlungen.93 Für die aktive Beteiligung der Mitglieder ist jedoch ein „Mindestmaß an Information“94 notwendig, das heißt sie müssen über ein Mindestmaß an Bildung und Interesse, aber auch an Vertrauen und Integrität verfügen.95 Wichtig für die genossenschaftliche Demokratie ist die Bereitschaft zur Übernahme eines Ehrenamtes in der Generalversammlung (etwa als Protokollant), als Vorstands- oder als Aufsichtsratsmitglied. Eine 1990 von Hans-H. Münkner veröffentliche Umfrage ergab, dass es bei 51,6 Prozent der Genossenschaftsbanken Anfang der 1990er-Jahre keine Schwierigkeiten gab, ausreichend bereitwillige Mitglieder für die Besetzung von Ehrenämtern in Vorstand und Aufsichtsrat zu finden – bei nur 2,3 Prozent hingegen gab es immer Schwierigkeiten.96 Eine entsprechende Aussage lässt sich für den Untersuchungs(zeit)raum nur noch indirekt untermauern; ein Indikator dafür, dass es schwierig war, ein Amt zu besetzen, könnte aber das gelegentlich auftretende freiwillige Ausscheiden eines Mitglieds bereits nach kurzer Amtsdauer sein. Umgekehrt könnten eine lange Amtsdauer und die Überalterung in einigen Genossenschaftsgremien auf eine partiell hohe Bereitschaft hindeuten, sich aktiv in der Genossenschaft einzubringen. Welche Motive lagen für die aktive Mitarbeit und das soziale Engagement bei den Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern der untersuchten Kreditgenossenschaften vor? Hier spielten die dörflichen Sozialgefüge sowie die tradierte soziale Hierarchisierung innerhalb der Dorfgemeinschaft und das Standesbewusstsein eine beachtliche Rolle.97 Max Weber unterscheidet bekannterweise zwischen zweck91 92 93 94 95 96 97

Siehe Münkner: Strukturfragen, S. 43–46. Zit. n. Erdmann: Diesseits, S. 63. Ebd. Münkner: Strukturfragen, S. 46. Ebd. – Die Korrelation von Informationsniveau und aktiver Beteiligung in der Selbstverwaltung ist generell empirisch nachweisbar, nur für historische Studien schwer durchzuführen, da der Informationsstand nicht mehr überprüft werden kann. Ebd., S. 47. Kluge: Geschichte, S. 132–141, nennt hier die außerökonomischen Ziele von Genossenschaften als soziale Organisationen, und in Orientierung an Georg Draheims Ökonomisierung der Genossenschaften legt er Gründe für das Schwinden außerökonomischer Ziele dar. Vgl. ebd., S. 119: „Kooperatives Verhalten sei in erster Linie ein defensives Verhalten zur Existenz­ und Gewinnsicherung. Diese These wird durch die Entwicklung der deutschen Bankgenossenschaf­

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rationalem, wertrationalem, traditionelles und affektuellem Handeln.98 Von dieser Handlungstypologie ausgehend lassen sich entsprechend vier Motivationsstrukturen unterscheiden. Die zweckrational bestimmte Motivation betont das Eigennutzenaxiom und kommt damit dem Homo oeconomicus nah. Insbesondere in der Anfangsphase der Genossenschaftsbewegung spielte aber die wertrationale Motivation eine entscheidende Rolle: der freiwillige Zusammenschluss zur Verbesserung der sozialen und wirtschaftlichen Lage. Dieser „setzte die geistige Einstellung vor­ aus, sich mit anderen gemeinsam helfen zu wollen und dafür individuell frei zu entscheiden“.99 Bei der traditionell bestimmten Motivation resultiert das Handeln aus langjähriger Gewohnheit: Man wurde Mitglied, weil der Vater es war; man blieb Mitglied, ‚weil das schon immer so war‘, auch ohne direkten Nutzen. Emotionale, gefühlsbetonte Aspekte, etwa die Suche nach Prestige und Anerkennung, das heißt Statusüberlegungen, liegen der affektuell bestimmten Handlungsmotivation zugrunde.100 Die einzelnen Motivationslagen stellen Vermischungen der idealtypischen Handlungsmotivationen von Weber dar, oftmals überwiegt dabei aber ein Motivationsstrang. Doch bleibt die Motivation vor dem Beitritt oder der Übernahme eines Amtes durchaus verborgen (Hidden Characteristics und Hidden Intention), was bei Adverse Selection zu Problemen wie Consumption on the Job, Shirking oder aber unter Ausnutzung des Mangels an Alternativen zu Hold-up-Situationen führen kann. Die auf Weber basierende Typologie lässt sich sowohl für den Beitritt in eine Genossenschaft anwenden als auch für das spätere Engagement innerhalb der Genossenschaft. Günther Ringle etwa systematisiert die Anreize zum Beitritt beziehungsweise zur aktiven Mitarbeit in der Genossenschaft: die auf den wirtschaftlichen Vorteilen basierenden, sozialen, außerwirtschaftlichen, sich aus der Personenvereinigung ergebenden Zugkräfte.101 Der Aspekt der räumlichen Nähe ist vor allem in Hinblick auf die Konkurrenz zu Sparkassen, Volksbanken oder anderen Kreditgenossenschaften differenziert zu betrachten: Räumliche Nähe ist zugleich innewohnendes Prinzip zur Senkung der Informationskosten, also der sich aus Agency-Beziehungen ergebenden Probleme, zugleich aber auch Wachstumshemmnis, etwa bei der Akquise neuer leistungsfähiger Mitglieder. Dieses Kapitel zielt nicht auf eine ‚Entmystifizierung‘ der in Festschriften vielfach gezeichneten Bilder vom großen Einsatz und der enormen Hingabe insbesondere der Initiatoren und Gründer der Kreditgenossenschaften. Doch soll die vielfach dargestellte Selbstlosigkeit bei der Übernahme von Ämtern relativiert werden.102 Trotz des von Raiffeisen eingebrachten Prinzips des Ehrenamtes erhielt der Rendant eine Vergütung, wie auch die Anleitungen zur Geschäftsführung, herausten bestätigt: Weniger war wirtschaftliche Not ein Antrieb zur Mitgliedschaft in einer Bankge­ nossenschaft, als vielmehr die Befürchtung, in wirtschaftliche Not geraten zu können. […] Genossenschaften bieten auch wirtschaftsstarken Mitgliedern Vorteile“. 98 Siehe zum Folgenden Zerche/Schmale/Blome-Drees: Einführung, S. 162. 99 Ebd., S. 164. 100 Siehe hierzu ebd., S. 162–165. 101 Leistungen des Anreizgebers Genossenschaft nach Ringle: Beitrittsentscheidung, S. 230. 102 Für die Ausbildung einer Unternehmenskultur beziehungsweise der Genossenschaftskultur ist diese Präsentation der Mitglieder von Vorstand und Aufsichtsrat und des Geschäftsführers notwendig, was zugleich auch dem Sinn von Festschriften entspricht. Doch ist es nicht zielfüh-

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gegeben vom Raiffeisen-Verband, vorschlugen. Die Vergütung als besonderer Anreiz wurde von allen Verbänden immer wieder betont.103 Bei allen untersuchten Kreditgenossenschaften erhielt der Rendant für seine Tätigkeit ein Entgelt – meist ein Fixum, teils aber auch in Form von Provisionen sowie Gratifikationen nach Jahresabschluss. Letztere wurden insbesondere beim Bonner Verband als Ansporn zur „Förderung der Arbeitsfreudigkeit“104 verstanden. Zugleich erhoffte man, durch die Entlohnung der Tätigkeit, geeignete Personen für dieses Amt zu finden, etwa Lehrer.105 Bereits bei der Einrichtung der Sparkassen rekrutierte man vielfach Lehrer, die über entsprechende Fertigkeiten, wie Lesen und Schreiben, verfügten und damit zur Kassenführung gut geeignet waren. Die Kassenstunden sollten nach dem Schulunterricht abgehalten werden. Lehrer ließen sich auffällig häufig für solche Ämter gewinnen, was sich wie folgt erklären lassen könnte: Lehrer mussten in der Rheinprovinz vielfach einer Nebentätigkeit nachgehen (zum Beispiel landwirtschaftliche Tätigkeiten, Küster), da der Lohn aus der Lehrertätigkeit nicht zur Deckung des Lebensunterhaltes ausreichte, was sich mit der ihrer Qualifikation entsprechenden Tätigkeit für die Genossenschaft oftmals erübrigte. Die äußerst niedrigen Gehälter und die Notwendigkeit, eine Nebentätigkeit zu übernehmen, führten vielerorts zu einem negativen Ansehen innerhalb der Dorfgemeinschaft. Die desolate wirtschaftliche Situation der Elementarschullehrer insbesondere in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatte also auch Rückwirkungen auf ihre Position innerhalb der dörflichen Gesellschaft. Dies änderte sich schrittweise im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts.106 Lehrer, die das Amt des Rendanten übernahmen, konnten nicht nur ihr Einkommen aufbessern, sondern vielerorts auch ihr ‚Image‘. Der Waldbröler Direktor der Lokalabteilung des Landwirtschaftlichen Vereins der Rheinprovinz beabsichtigte 1880 zur Gründung eines neuen Casinos in Denklingen, Lehrer für die Betreuung anzuwerben. Der Bürgermeister hingegen sah in ihnen keine „geeigne­ ten Kräfte“, da die Lehrer in seinem Amtsbezirk „schlechte“ Landwirte seien und daher kein Vertrauen der „Ackerwirthe“ besäßen.107 Zugleich waren Lehrer durch ihren Beruf einer besonderen sozialen Kontrolle ausgesetzt. Visa versa kannte der Lehrer die Verhältnisse in den Familien, was bereits im Frühstadium der Kreditgenossenschaften Agency-Probleme, die sich aus der Beziehung Mitglied/Genossenschaft beziehungsweise Darlehnsnehmer/Darlehnsgeber ergaben, reduzierte. Der

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rend, das Unternehmen und seine Strukturen zugunsten von Personen und ihren Entscheidungen in jeder Beziehung auszuleuchten. Generalverband ländlicher Genossenschaften für Deutschland: Anleitung (1913), S. 128 f.; Landwirtschaftliche Genossenschafts-Zeitung vom 1. Dezember 1917, S. 118. Ebd. Siehe hierzu Lüer: Anspruch, S. 241–246; Guinnane: Friend, S. 12 ff. Mayr: Stühlen, S. 387 ff. LA NRW Düsseldorf, LA Waldbröl Nr. 321, Schreiben des Direktors der Lokalabteilung des Landwirtschaftlichen Vereins an den Bürgermeister von Denklingen vom 3. März 1880; ebd., Schreiben des Bürgermeisters von Denklingen an den Direktor der Lokalabteilung des Landwirtschaftlichen Vereins, Landrat Köppen, vom 15. März 1880. Solange noch die Ackerbauschule bestanden habe, habe es auch noch ein zahlreich genutztes Casino gegeben. Mit dem Fehlen fachmännischer Kräfte sei das Casino aufgelöst worden.

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Lehrer Peter Gierlich etwa gehörte von 1870 bis 1909 (auch nach der Pensionierung) dem Vorstand der Wipperfürther Volksbank an.108 Und auch die Eckenhagener Volksbank wurde unter anderem initiiert und in den ersten Jahren geleitet von einem Lehrer (Theodor Branscheid).109 Beim Denklinger Darlehnskassen-Verein eG übernahm 1874 ebenfalls eine Lehrkraft, Eduard Brüning (von 1850 bis Oktober 1893 Lehrer an der evangelischen Schule in Denklingen), das Rendantenamt.110 Im Jahr 1894 wählte die Generalversammlung erneut einen Lehrer, Friedrich Großstück (Nachfolger Brünings an der evangelischen Schule Denklingen), zum Rendanten.111 Großstück unterrichtete in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg durchschnittlich 90 Schüler pro Schuljahr und kannte daher einen Großteil der Familien im Dorf. Darüber hinaus gehörte Großstück zu den Gründungsmitgliedern der Landwirtschaftlichen Bezugs- und Absatzgenossenschaft Denklingen, deren Vorstandsmitglied er jahrelang war.112 Eine andere Berufsgruppe, die vielfach als Geschäftsführer oder im Vorstand der Kreditgenossenschaften anzutreffen war, waren Gastwirte. Tobias Dietrich untersuchte 2001 die Rolle der Gastwirte in thurgauischen und rheinischen Dörfern zwischen 1830 und 1900, mit dem Ziel, an die für Städte bereits belegte „hervorra­ gende soziale und kommunikative Rolle der Gaststätten für die Freizeitgestaltung“113 von Arbeitern, Handwerkern und Tagelöhnern anzuknüpfen und zugleich eine Abgrenzung gegenüber der „wenig hilfreichen, verklärten Stilisierung der Gaststätten als Nabel der ländlichen Welt“114 zu versuchen. Hauptbesuchszeiten für Gaststätten waren die Sonn- und Feiertage. Da für das Betreiben einer Gastwirtschaft Vorbildung kaum notwendig war, suchten im agrarisch-handwerklich geprägten Kastellaun im Hunsrück vielfach verarmte Tagelöhner und Handwerker „Zuflucht in der Gastronomie“.115 Tobias Dietrich bildet anhand seines Samples von 44 Gaststätten schlussendlich drei Typen, die für die vorliegende Studie untermauern, dass die Übernahme von Ämtern, etwa in einer Kreditgenossenschaft, wichtige persön108 AdVBWL, Amtsgericht Wipperfürth, Auszug aus dem Genossenschaftsregister, Eintrag vom 23. Juli 1909. 109 Gerhard: Eckenhagen, S. 145; Volksbank Oberberg: 100 Jahre, S. 13. – Theodor Branscheid: Lehrer in Eckenhagen 1856–1897, bis 1909 geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Eckenhagener Volksbank, bis 1911 (Tod) Aufsichtsratsmitglied. 110 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 30-8, GV-Protokoll vom 29. März 1875; Gerhard: Eckenhagen, S. 307. Bereits Brünings Vater, Franz Ludwig Brüning, war Lehrer in Denklingen (1815–1850). 111 Ebd.; pensioniert am 1. April 1924, gestorben am 4. April 1933. Großstück war zuvor Lehrer in Mittelagger gewesen und stammte aus Alpe. 112 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 30-8, GV-Protokoll vom 4. November 1894; LA NRW Düsseldorf Rep. 78 Nr. 48. Die Landwirtschaftliche Bezugs- und Absatzgenossenschaft eGmuH zu Denklingen (Genossenschaftsregister Nr. 17) wurde am 30. Januar 1901 gegründet. Der erste Vorstand bestand aus Wilhelm Jäger, Ackerer, Denklingen; Lehrer Friedrich Großstück, Denklingen; Eduard Simon, Ackerer, Denklingen; Carl Schuster, Ackerer, Bieshausen; Wilhelm Jaeger, Ackerer, Schalenbach. Zweck: gemeinschaftlicher Einkauf von Verbrauchsstoffen und Gegenständen des landwirtschaftlichen Betriebs und gemeinschaftlicher Verkauf landwirtschaftlicher Erzeugnisse. 113 Dietrich: Lenkung, S. 315. 114 Ebd., S. 316. 115 Dietrich: Konfession, S. 313.

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liche und jenseits des Aktivgeschäftes der Kreditgenossenschaft gelagerte, ökonomische Vorteile brachte: Dietrichs „Subsistenzwirt“ führte die Wirtschaft zur Existenzsicherung.116 Zusätzliches Einkommen aus dem Rendantenamt und weitere mit dem Amt des Geschäftsführers verbundene Vorteile, etwa Miete für unter der Woche sowieso nicht ausgelasteter Räumlichkeiten, könnten also stärkerer Anreize für die Ämterübernahme gewesen sein als rein ‚genossenschaftliche‘ Aspekte. Und auch Dietrichs zweiter Typ, der Wirt, der die Gastwirtschaft nebenberuflich zur Sicherung seines Standes oder zur Förderung seines Absatzes, etwa seiner Metzgerei oder Bäckerei, führte, wird sicherlich die Vorteile, wie die Einnahme von Miete, Anbahnung neuer Geschäftsbeziehungen etc. mit seinem eigentlichen Geschäft zu verbinden gewusst haben.117 Dietrichs „Patronagewirt“, der die Schenke zur Förderung des eigenen Einflusses, etwa als Ortsvorsteher, betrieb,118 bescherte die Übernahme eines Amtes in der Genossenschaft nicht nur Arbeit, sondern vor allem weiteren Einfluss. Gastwirte profitierten demnach von der seit den 1870er-Jahren zunehmenden Vereinsbildung als auch von der Ausbreitung des Genossenschaftswesens,119 zumal Versammlungen häufig in den Gastwirtschaften stattfanden, die von Mitgliedern, in den meisten Fällen aktiven Mitgliedern (Vorstand oder Aufsichtsrat), betrieben wurden, wie unter anderem das Beispiel Denklingen zeigt: Kxxxx in Denklingen betrieb ein Hotel/Restaurant. Während seiner Amtszeit als Vereinsvorsteher fanden hier die Generalversammlungen statt.120 Später traf man sich im Gasthaus des Kaufmannes und Wirts Carl Dicks in Denklingen, der zu den Gründungsmitgliedern der 1909 in Denklingen neu gegründeten Kreditgenossenschaft gehörte.121 In den 1920er-Jahren wechselte man mehrfach zwischen den Gastwirtschaften Lokal Dick, das inzwischen von dem Vorstandsmitglied Fritz Dick geführt wurde, dem Gasthaus König und dem Gasthof Günther. 1923 fand die Generalversammlung in Räumlichkeiten der Firma Büren & Eisfeller statt.122

116 Dietrich: Lenkung, S. 325. 117 Und auch Dietrichs „Vollwirt“, der stets ein agrarisches Nebeneinkommen realisierte, das prinzipiell zur Einkommenssicherung ausgereicht hätte, hat vermutlich Ämter zu diesem Zweck angenommen. 118 Dietrich: Konfession, S. 325 f. 119 Vgl. ebd., S. 329. Die Strukturmerkmale des sich ausbildenden ländlichen Vereinswesens und des Genossenschaftswesens sind ähnlich. Gegründet wurden etwa Dorfverschönerungs-, Krieger-, Musik- und andere Vereine durch die ländlich-bürgerlichen Honoratioren. Siehe Erdmann: Diesseits, 1997, S. 64. 120 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 30-8, Denklinger Darlehnskassen-Verein eG, GV-Protokolle; LA NRW Düsseldorf Rep. 78 Nr. 35, S. 1 f.; Adreßbuch des Kreises Sieg und Waldbröl (1900), S. 499 f. Neben dem Hotel/Restaurant Kxxxx bestand noch ein weiterer Gasthof in Denklingen. 121 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 78-6, Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Denklingen, GV-Protokolle, unter anderem Eintrag vom 25. Juli 1914, 15. Juni 1915, 30. Mai 1916, 28. Juni 1917, 22. Juli 1918, 20. März 1919, letztmalig am 16. Februar 1923. 122 Ebd., Einträge ab 29. Dezember 1923.

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b) Der Rendant: Aufgaben und Ausbildung „[T]he treasurer was the most important manager and […] most problems in indi­ vidual cooperatives reflect this person’s failings“.123 Dies zeigt ebenfalls das Beispiel Denklingen sehr anschaulich. Der Rendant (im Jargon der Raiffeisen-Organisation „Rechner“124) besorgte – in der Regel ohne kaufmännische Vorkenntnisse – die Geschäfte der Kreditgenossenschaft.125 Nach § 33 GenG war der Vorstand zwar für die ordentliche Führung der Bücher verantwortlich, die im Sinne eines ordentlichen Geschäftsmannes zu führen waren. Das Genossenschaftsgesetz besagt jedoch nicht, dass die Bücher durch den Vorstand selbst zu führen waren. Diese Aufgabe übernahm daher der von der Generalversammlung gewählte Rendant.126 Der Rendant stand damit sowohl in einem Mitgliedsverhältnis zur Genossenschaft als auch mit seiner Wahl als Rendant in einem kündbaren Dienstverhältnis zur Genossenschaft. Seine Rechte und Pflichten wurden grundsätzlich in einem Dienstvertrag – auf Grundlage eines Musters des jeweiligen Verbandes – festgelegt. Rechte und Pflichten definierten zudem die Satzung sowie die Dienstanweisung. Der Rendant erhielt für seine „Mühewaltung“127 eine Vergütung, die bei den Kreditgenossenschaften mit Anschluss an den Raiffeisen-Verband auf Vorschlag des Vorstandes durch den Aufsichtsrat festgelegt wurde.128 Bei den dem Verband Bonn angeschlossenen Genossenschaften wurde das Prinzip des Ehrenamtes bereits frühzeitig gelockert, sodass außer dem Rendanten auch Vorstandsmitglieder Vergütungen erhielten. Oftmals setzte der Aufsichtsrat bei Vorstandsmitgliedern die Vergütung fest und der Vorstand wiederum die Vergütung für den Rendanten und andere Angestellte.129 Eine besondere Situation ergab sich bei den dem Verband Bonn angeschlossenen Kreditgenossenschaften. Hier war der Rendant selbst Mitglied des Vorstandes, wie dies bei Volksbanken üblich war. Besonders in der Anfangszeit sah man vielfach von einer Bezahlung des Rendanten ab, da zum einen die Einnahmen noch zu gering waren, zum anderen aus präventiven Gründen, da man nicht wissen konnte, wie sich die Geschäfte entwickeln würden, wie es der Vorstand des Hohkeppeler Spar- und Darlehnskassen-Vereins 1894 erklärte. Auf Antrag des dortigen Aufsichtsrates schlug der Vorstand schließlich vor, die Besoldung des Rendanten für das Gründungsjahr auf 25 Mark festzusetzen und für die Folgejahre auf 100 Mark.130 Später wurde der Betrag auf 150 Mark aufgestockt, da die Einnahmen sich gut entwickelten. Im Frühjahr 1900 wurde das Gehalt auf 175 Mark erhöht; ab 123 Guinnane: Friend, S. 11. 124 Siehe Barth: Rendant, S. 814. Rendant von Tabularius (lat.) benennt den Rechnungsführer, Rechnungsableger, Einnehmer, Kassenrechnungsführer, Rentmeister und findet sich auch in anderen Kontexten (Armenrendant, Kirchenrendant, Stadtkassenrendant). 125 Generalverband ländlicher Genossenschaften für Deutschland: Anleitung (1913), S. 128. 126 Ebd. 127 Ebd., S. 129. 128 Ebd. 129 Landwirtschaftliche Genossenschafts-Zeitung vom 1. Dezember 1917, S. 118. 130 AdVBWL, 1-4, Hohkeppeler Spar- und Darlehnskassen-Verein eGmuH, VS-Protokoll vom 9. September 1894.

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circa 1905 erhielt der Rendant je nach Geschäftsgang entsprechende Zuschüsse.131 Bei der 1903 gegründeten Wipperfelder Kreditgenossenschaft erhielt der Rendant 1903 gerade einmal 20 Mark, 1904 30 Mark, was jedoch den gleichen Hintergrund hatte wie 1894/1895 in Hohkeppel, wo man ebenfalls im ersten Geschäftsjahr auf eine hohe Entlohnung verzichtet hatte.132 Zur Absicherung gegen Veruntreuung hatte der Rendant gegenüber der Genossenschaft eine Sicherheit zu stellen.133 Eine besondere Situation ergab sich 1894 bei der Hohkeppeler Kreditgenossenschaft. Hier sollte der Bürge bei „mangelhaf­ ter Geschäftsführung“134 durch den Geschäftsführer für etwaige Schäden haften. Im Fall der Hohkeppeler Kreditgenossenschaft hegte der Bürge, der Bruder des Rendanten, jedoch „großes Mißtrauen“135 gegenüber den Fähigkeiten seines Bruders und war nicht bereit, die bereits gestellte Bürgschaft zu erweitern, worum der Vorstandsvorsitzende auf Antrag der Generalversammlung gebeten hatte. Daraufhin erklärte der Rendant, dass die Generalversammlung ihn auf diesen „Vertrau­ ensposten“ gewählt habe und er, wenn sie ihm kein „größeres Vertrauen schenkte“, sein Amt niederlegen wollte.136 Er selbst hielt die bestehende Bürgschaft als auch die Regeln im Statut hinsichtlich einer möglichen Sanktion für ausreichend – „sollte der Fall eintreten, daß der Rendant unzuverlässig wird, so hat der Verein Mittel genug in der Hand, um sofort Abhilfe schaffen zu können“,137 das heißt eine Abwahl durch die Generalversammlung war jederzeit möglich, zudem unterlag er der Kontrolle durch den Vorstand, der ihn jederzeit seines Amtes entheben konnte. Der Rendant war der „Buch­ und Kassenführer“138 der Genossenschaft, womit ihm im Kern die pünktliche Ausführung der folgenden Aufgaben oblag:139 1.) Führung der Listen und Bücher (nach der Dienstanweisung) 2.) Abwicklung der Ein- und Auszahlungen (nach der Dienstanweisung)140 131 AdVBWL, 1-4, VS-Protokolle vom 15. März 1898, 4. April 1900, 16. April 1905. 132 AdVBWL, 3-15, Wipperfelder Spar- und Darlehnskassen-Verein eGmuH, VS-Protokoll vom 3. Juli 1904; Guinnane: Friend, S. 12 f., konstatiert für die Kreditgenossenschaft Diestedde (Münsterland) für das Jahr 1914 eine Vergütung für den Rendanten von 1.200 Mark und für die kleinere Kreditgenossenschaft in Leer von 800 Mark. Ein Lehrer verdiente 1905 in hiesiger Gegend 1.750 Mark/Jahr. 133 Generalverband ländlicher Genossenschaften für Deutschland: Anleitung (1913), S. 134–140. Muster (Muster der Nummern 273–275) für Rechnerverträge: (a) bei Stellung eines Bürgen, (b) bei Verpfändung von Grundstücken usw., (c) bei Verpfändung von Wertpapieren usw., (d) bei Verpfändung eines Sparguthabens. 134 AdVBWL, 1-4, Hohkeppeler Spar- und Darlehnskassen-Verein eGmuH, VS-Protokoll vom 13. November 1894. 135 Ebd. 136 Ebd. 137 Ebd. 138 Generalverband ländlicher Genossenschaften für Deutschland: Anleitung (1913), S. 129. 139 Ebd. 140 Konkret bedeutete dies, dass der Rendant die Einzahlungen der Mitglieder in Empfang nahm beziehungsweise Auszahlungen vornahm, eine vorläufige Quittung ausstellte, das Quittungsbuch ausfüllte, dem Vorstand zur Unterschrift vorlegte und die vorläufige Quittung wieder gegen das Quittungsbuch zurücktauschte. Dies galt sowohl für Spareinlagen als auch für Einzah-

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3.) Aufbewahrung der Kassenbestände, Wertpapiere und anderer Wertgegenstände, wie Hypotheken- und Grundschuldbriefe, Schuldurkunden, Sparbücher, Belege sowie sämtliche Bücher und Schriftstücke141 4.) Vorbereitung der Jahresrechnung und der Bilanz. Um die Arbeitsabläufe so effizient wie möglich zu gestalten, beschloss der Vorstand des Hohkeppeler Spar- und Darlehnskassen-Vereins wenige Wochen nach der Gründung, dass der Rendant Einzelbeträge bis 200 Mark jederzeit gegen Interimsquittung annehmen durfte. Rückzahlungen auf Einlagen durfte er jedoch nur nach den Bedingungen, die im Quittungsbuch abgedruckt waren – ein Muster-Sparbuch des Kölner Verbandes (zu diesem Zeitpunkt noch Sitz in Kempen) – vornehmen. Zudem durfte er ohne Rücksprache mit dem Vorstand bewilligte Kredite in laufender Rechnung innerhalb des eröffneten Kredits sowie erwirtschaftete Zinsen auf Einlagen auszahlen. Einzahlungen waren „als bald“142 – eine Zeitangabe wurde nicht weiter spezifiziert – dem Vereinsvorsteher zu melden, und zu den Auszahlungen waren nachträglich entsprechende „Anweisungen“143 einzuholen. Auszahlungen und Einnahmen über 200 Mark bedurften der vorherigen Zustimmung des Vereinsvorstehers.144 Dennoch wurden auch anderweitig zusätzliche Sicherungen eingebaut: In Wipperfeld bestellte man etwa das Vorstandsmitglied August Lieth zum „Gegenzeichner“145 bei Einzahlungen von Spareinlagen. Sobald die Barbestände eine bestimmte Summe erreicht hatten, hatte der Rendant den Vorstand davon in Kenntnis zu setzen, sodass dieser sich um eine entsprechende Anlagemöglichkeit kümmern konnte. Wickelte die Kreditgenossenschaft auch Bezüge von landwirtschaftlichen Artikeln ab, so war vom Rendanten auch diese Kasse zu führen. Kontokorrentkonten galten als besonders arbeitsintensiv, insbesondere wegen des ständigen Nachhaltens von Abhebungen und Einzahlungen. Alle untersuchten Kreditgenossenschaften wickelten unmittelbar beziehungsweise kurze Zeit nach ihrer Gründung Kontokorrentkonten ab. Das Beispiel des Hönniger Spar- und Darlehnskassen-Vereins zeigt, dass diese Konten insbesondere für Gewerbetreibende eingerichtet wurden. Das erste Darlehn (900 Mark) in laufender Rechnung wurde

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lungen auf den Geschäftsanteil. Die Einnahmen und Ausgaben wurden dann im Journal (Tagebuch) sowie in den Kontobüchern (Kontobuch der Geschäftsanteile, Kontobuch der Anlehn, Kontobuch der Darlehn, Kontobuch der laufenden Rechnung), eingetragen, um so einen Überblick über die Einnahmen und Ausgaben, den Kassenbestand, die Forderungen, die Schulden und den Gewinn beziehungsweise Verlust zu haben. Generalverband ländlicher Genossenschaften für Deutschland: Anleitung (1913), S. 133. Der Rechner hatte alle weiteren, über die genannten Aufgaben des „Kassenverwalters“ hinausgehenden, Tätigkeiten der Geschäfts- und Rechnungsführung nach Anordnung des Vorstandes auszuführen. Der Rechner war zudem Schriftführer und „Aktenaufbewahrer“. Die Buchführung war so zu führen, dass Fehler ausgeschlossen wurden und Revisionen jederzeit ohne größeren Aufwand möglich waren. AdVBWL, 1-4, Hohkeppeler Spar- und Darlehnskassen-Verein eGmuH, VS-Protokoll vom 13. November 1894. Ebd. Ebd. AdVBWL, 3-12, Wipperfelder Spar- und Darlehnskassen-Verein eGmuH, GV-Protokoll vom 20. Mai 1907.

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am 18. November 1894 J. Kxxxxx aus Dreine zum Ankauf von Baumaterial gewährt, gegen Bürgschaft des Vorstandsmitgliedes Blumberg.146 Zunehmend aufwendiger und umfangreicher wurden die Aufgaben mit Aufnahme des Scheck- und Wechselverkehrs. Wie stark der Aufgabenumfang nach 1913 zunahm, spiegeln nicht nur die Jahresabschlüsse der untersuchten Kreditgenossenschaften wider, sondern auch der angewachsene Seitenumfang des Kapitels über die Geschäftsführung durch den Rendanten in einer Neuauflage der ‚Anleitung zur Geschäftsführung für Raiffeisensche Spar- und Darlehnskassen-Vereine‘ von 1919.147 Zu den Aufgaben des Rendanten gehörten vor allem auch die Aufstellung beziehungsweise die Vorarbeiten zur Aufstellung der Monats- und Jahresabschlüsse. Im Jahr 1897 beschloss die Generalversammlung der Dieringhausener Kreditgenossenschaft, dass in der Zeit vom 15. Dezember bis zum 1. Januar eines jeden Jahres die Kasse geschlossenen bleiben sollte, damit der Geschäftsführer sich ausschließlich auf die Erstellung der Bilanz konzentrieren konnte. Darüber hinaus beschloss die Generalversammlung, der Rendant solle mittwochs von 13 bis 15 Uhr, freitags von 19 bis 20 Uhr sowie samstags von 13 bis 15 Uhr Kassenstunden abhalten. Sonntags sollte die Kasse vom 1. April bis zum 1. Oktober bereits von acht bis halb zehn geöffnet sein, im Winter und Herbst von neun bis zehn Uhr.148 In den Schulferien und an Viehmarkttagen sollten gesonderte Öffnungszeiten gelten. Abgesehen von der notwendigen Vertrauensstellung, welche der Rendant innerhalb der lokalen Gesellschaft genießen musste, kamen bei seiner Wahl auch praktische Erwägungen hinzu. Er musste die Geschäftsführung mit seiner Haupttätigkeit verbinden können, der Erreichbarkeit wegen einigermaßen zentral wohnen, da die Rendantur in der Regel in seinen Privat- oder Geschäftsräumen untergebracht war, und den nötigen Platz zur Aufbewahrung der Geschäftsunterlagen haben. Wie umfangreich bereits in den frühen Jahren die aufzubewahrenden Unterlagen und Utensilien sein konnten, zeigt ein Inventar aus dem Jahr 1878 des Denklinger Darlehnskassen-Vereins.149 Zudem musste er die nötigen Fertigkeiten mitbrin146 AdVBWL, 2-8, Hönniger Spar- und Darlehnskassen-Verein eGmuH, VS-Protokoll vom 18. November 1894; siehe auch RWWA 404-13-15, Bedingungen für den Verkehr in laufender Rechnung. Blankoformular, das durch das Mitglied zu unterzeichnen war. Das Konto in laufender Rechnung konnte auch ohne Gewährung eines Darlehns, also nur als Guthabenkonto, eingerichtet werden. 147 Generalverband der deutschen Raiffeisen-Genossenschaften: Geschäftsführung, S. 115–138. 148 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 134-4, Spar- und Darlehnskasse Dieringhausen eGmuH, Protokoll der Generalversammlung vom 13. Juni 1897. 149 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 26-5, Denklinger Darlehnskassen-Verein eG, VR-Protokoll vom 26. Juli 1878. Das Inventar wurde anlässlich der Übergabe des Vereinsvorsteheramtes erstellt, das F. W. Kxxxx wegen Unterschlagungen hatte niederlegen müssen. In diesem Zusammenhang musste er der Genossenschaft alle noch in seinem Besitz befindlichen Unterlagen wiedergeben. Das Inventar umfasst: fünf Urteile gegen Mitglieder eine Hypothekeneintragung eine Vorladung das Gründungsprotokoll vom 30. Januar 1874 Korrespondenz mit der Central-Darlehnskasse Neuwied An- und Abmeldungen von Mitgliedern und Vorstandsmitgliedern

2. Zwischen Ehrenamt und Einfluss

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gen: „Selbstverständlich muß der Rechner auch in der Lage sein, den an ihn ge­ stellten Anforderungen zu genügen. […] Trotzdem braucht der Rechner keine be­ sondere kaufmännische Ausbildung genossen zu haben, da die Buchführung keine übermäßigen Schwierigkeiten bietet. Dazu ist die Einarbeitung durch den Revisor, die Ausbildung durch Instruktions­ und Rechnerkurse so gemeinverständlich und eingehend, daß jeder, der nur die Volksschule besucht und Luft und Liebe zur Sache hat, ein Musterrechner werden kann“.150 Nicht nur die Satzungen, sondern auch die Bilanzen und Revisionsberichte geben einen Eindruck von den Geschäftsfeldern der Kreditgenossenschaften, woraus sich zugleich die Aufgaben der Geschäftsführung ableiten lassen. Rückschlüsse auf die Aufgabenfelder der Geschäftsführung lassen aber auch die in Abschnitt VI.1 aufgeführten Materialien wie Kontenbücher, Protokollbücher und Formulare zu. Insbesondere aber die Lehrpläne der Lehrkurse für Kreditgenossenschaften, welche die Verbände in regelmäßigen Abständen veranstalteten, geben Hinweise auf die Aufgabenfelder und Anforderungen, die mit dem Betrieb einer Spar- und Darlehnskasse an die Geschäftsführung gestellt wurden. Die Kurse dienten nicht nur der Wissensvermittlung, sondern auch der Bindung an den Verband. Anfänglich hing die Ausbildung der Organe noch „von Zufälligkeiten ab und wies naturgemäß Lücken auf“ – „Lehrmeister war […] im wesentlichen die Praxis“.151 Im Laufe der Zeit wurde das genossenschaftliche Unterrichtswesen „unter Berücksichtigung der jeweiligen Verhältnisse“152 systematisch ausgebaut. Als Lehrmittel dienten vor allem die Verbandszeitschriften, die genossenschaftliche Literatur (z.B. die ‚Raiffeisen-Bibliothek‘, die ‚Taschenbücher für landwirtschaftliche Genossenschaften‘ und die ‚Anleitungen‘), aber auch „Lichtbilder“ (Dias) und Filme sowie die genannten Kurse.153 Der Verband ländlicher Genossenschaften Raiffeisenscher Organisation der Rheinlande hielt so genannte Bezirksrechnerkurse in Koblenz,

150 151 152 153

Buchungen und Quittungen der Central-Darlehnskasse Neuwied circa 60 Schuldscheinformulare zu Darlehn circa 50 Schuldscheinformulare zu Anlehn circa 60 Formulare zur monatlichen Überweisung circa 24 Formulare zu Ausgabenanweisungen circa 20 Formulare zu Anweisungen von bewilligten Darlehn der Darlehnskasse circa 40 Formulare zu Einnahmenanweisungen zwölf Formulare zu Kontenabschlüssen sechs Prolongationsgesuchformulare circa 200 Formulare zur Einladung für Sitzungen circa 200 Formulare zu Zahlungsaufforderungen circa 250 Bogen Postpapier mit Vereinsstempel 50 halbe Bogen Schreibpapier mit Vereinsstempel 20 ganze Bogen Schreibpapier mit Vereinsstempel circa 250 Briefkuverts mit Vereinsstempel. Die Protokollbücher hatte Kxxxx bereits gesondert abgegeben. Daneben werden sich das Journal sowie die Kontenbücher beim Rendanten zu Verwahrung befunden haben. Generalverband ländlicher Genossenschaften für Deutschland: Anleitung (1913), S. 130 f. Gennes: Nachwuchs, S. 1. Ebd. Ebd., S. 1 f.

228

V. Statuten, Geschäftsordnungen und Verwaltungsorgane

Kreuznach, Trier, Köln und Düsseldorf ab, das heißt in größeren Orten oder Städten über den ganzen Verbandssprengel verteilt, an denen allein im Jahr 1903 rund 200 Personen teilnahmen.154 Neben den Kursen fanden außerhalb der jährlichen Verbandstage in einzelnen Teilen der Provinz seit Anfang des 19. Jahrhunderts besondere Bezirksbesprechungen der Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder der einzelnen Genossenschaften statt, die sich „lebhafter“155 Teilnahme erfreuten und die Gelegenheit zum Austausch von Erfahrungen boten, aber auch vom Verband zur Fortbildung der Verwaltungsorgane genutzt wurden. Diese Bezirksbesprechungen wurden allmählich zu institutionalisierten „Unterweisungskursen“ für die Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder ausgebaut.156 Zur „Vertiefung und Vervoll­ kommnung der genossenschaftlichen Arbeit“157 veranstaltete auch der Kölner Verband zwei- bis dreitägige „Unterweisungskurse“ insbesondere für Rendanten.158 1913 bot der Verband erstmals einen zweiwöchigen „Rendanten­Ausbildungskurs“ in Köln an, an dem 28 Rendanten teilnahmen,159 das heißt rund 20 Prozent der dem Verband angeschlossenen Kreditgenossenschaften entsandten einen Geschäftsführer zu dem Kurs.160 Der Bonner Verband hatte seinen Primärgenossenschaften „zur Auflage gemacht“,161 die amerikanische Buchführung einzuführen, da diese nach Verbandsansicht leichter zu verstehen und übersichtlicher war und (Übertragungs-) Fehler eher vermieden werden konnten. Die einheitliche Einführung sollte nach kurzer Zeit Lernkurveneffekte ergeben, vor allem auch dem Revisor die Prüfung erleichtern.162 Damit löste sich der Verband von der von Raiffeisen entwickelten Buchführung. Zur Durchführung verschiedener, das Genossenschaftswesen fördernder Maßnahmen, so auch zur Ausbildung der Verwaltungsorgane, erhielten die Verbände staatliche Zuschüsse. „Dank der gütigen Zuwendung des Oberpräsidenten“163 konnte der Raiffeisen-Verband zwischen 1906 und 1909 elf Ausbildungskurse mit 476 Personen abhalten.164 Und auch der Trierische Revisionsverband erhielt seit 1900 Zuwendungen zur Durchführung von Kursen für die Verwaltungsorgane, welche vornehmlich im Winter abgehalten wurden. Der Zuschuss belief sich 1911/12 154 155 156 157 158 159 160 161 162

163 164

LWK: Jahresbericht für 1905 und den fünfjährigen Zeitraum 1900–1905, S. 152. LWK: Jahresbericht für 1910 und den fünfjährigen Zeitraum 1905–1910, S. 262. Ebd. LHA Koblenz, 403/13275, S. 335–339, Bericht über die Verwendung der dem Verbande rheinischer Genossenschaften e.V. zu Cöln zur Deckung seiner Verwaltungskosten für das Jahr 1913 gewährten Staatsbeihilfen, 21. März 1914. Ebd. Ebd. Im Jahr 1915: 556 Kreditgenossenschaften. Vgl. Verband rheinischer landwirtschaftlicher Genossenschaften: Verband, S. 24. Feldmann: Verband, S. 18 f. Feldmann: Verband, S. 18 f.; RWGV-Leihgabe, Bericht über die elfte ordentliche Generalversammlung des Verbandes der rheinpreußischen landwirtschaftlichen Genossenschaften in Bonn am 25. November 1899, S. 15. Nur noch sechs ältere Kreditgenossenschaften hatten bis zu diesem Zeitpunkt die „alte Raiffeisen‘sche Buchführung in Gebrauch“. LWK: Jahresbericht 1910 und für den fünfjährigen Zeitraum 1906–1910, S. 270. Ebd., S. 270; siehe auch Guinnane: Friend, S. 27.

2. Zwischen Ehrenamt und Einfluss

229

auf 1.000 Mark.165 Der Verband Bonn erhielt zum gleichen Zweck 2.000 Mark.166 Der Verband Köln erhielt zur Förderung des landwirtschaftlichen Genossenschaftswesens, insbesondere „zur anteiligen Deckung der Revisions­, Organisations­ und Agitationskosten“167 2.000 Mark für 1913 – bei Ausgaben von 96.399,90 Mark und Einnahmen von 96.399,03 Mark (hauptsächlich aus Beiträgen der Genossenschaften und inklusive des staatlichen Zuschusses). Der Verband ländlicher Genossenschaften der Rheinlande (Koblenz) erhielt 1.500 Mark.168 Diese Zuschüsse gehen zurück auf ein Einwirken des Landwirtschaftlichen Vereins, der erstmals 1880 der Neuwieder Raiffeisen-Organisation einen staatlichen Zuschuss von 3.000 Mark vermittelt hatte, nachdem der Anwaltschaftsverband dem Landwirtschaftlichen Verein als korporatives Mitglied beigetreten war.169 Manfred Busche konstatiert, dass der Landesverband Bayern und dessen Zentralgenossenschaften 29.000 Mark, ab 1898 34.000 Mark, staatliche Zuschüsse zu den Verwaltungskosten erhalten hatten, und auch die Provinzverwaltung Hannover hatte 1890 4.000 Mark sowie einen Kredit von 150.000 Mark zur Errichtung einer Zentralkasse an den dortigen Genossenschaftsverband gegeben.170 Des Weiteren führt Busche ein Gutachten des preußischen Landwirtschaftsministeriums vom 5. Mai 1890 an, in dem hervorgehoben wird, dass Raiffeisen-Vereine bereits in den Provinzen Hessen-Nassau, Schlesien, Hannover, Westfalen und Rheinprovinz unterstützt wurden.171 Insbesondere der Trierische Verband finanzierte von dem Zuschuss die Ausbildung der Verwaltungsorgane, deren „sorgfältige Ausbildung“172 dem Verband 1914 dringlicher erschien als je zuvor, da unter anderem „sowohl der starke Geldfluss bei ablaufender Kon­ junktur wie auch die hohen Kreditansprüche bei jeder Hochkonjunktur grosse Ge­ fahren mit sich bringen“.173 Die Ausbildung war aufgrund der geringen Vorbildung der Verwaltungsorgane wichtig, sodass die Zuschüsse vor allem in die Informations- und Ausbildungskurse investiert wurden. Gerade im Sprengel des Trierer Verbandes seien die Kosten besonders hoch: Der Verbandsdirektor ging davon aus, dass die „anderen rheinischen Genossenschaftsverbände […] mit Ausbildungskur­ sen nicht entfernt die Last und Unkosten zu tragen“174 hatten, wie der Trierer Ver165 LHA Koblenz, 403/13275, S. 65 f., Schreiben des Verbandsdirektors Johanny an den preußischen Staatsminister Freiherr von Schorlemer, Berlin, zu Händen des Oberpräsidenten der Rheinprovinz vom 27. Februar 1913; siehe ebd., S. 81, Schreiben des Verbandsdirektors Johanny des Trierischen Revisionsverbandes an den Oberpräsidenten der Rheinprovinz vom 25. April 1913. 166 Ebd., S. 71 ff., Schreiben des Verbandsdirektors Havenstein an den Oberpräsidenten der Rheinprovinz vom 28. Februar 1913. 167 Ebd., S. 103 f., Schreiben des Ministeriums für Landwirtschaft, Domänen und Forsten, Berlin, an den Oberpräsidenten der Rheinprovinz vom 15. Juli 1913. 168 Ebd. 169 Havenstein: Ausbau, S. 1. 170 Busche: Förderung, S. 29. 171 Ebd. 172 LHA Koblenz, 403/13275, S. 331 f., Schreiben des Verbandsdirektors Johanny des Trierischen Revisionsverbandes an den Oberpräsidenten der Rheinprovinz vom 14. März 1914. 173 Ebd. 174 Ebd.

230

V. Statuten, Geschäftsordnungen und Verwaltungsorgane

band, der es „ausschliesslich mit kleinbäuerlicher und Arbeiter­Bevölkerung zu tun“175 hatte.176 Als von den Verbänden unabhängiges Institut bot die Gewerbliche Lehranstalt in Köln seit spätesten 1905 Genossenschaftskurse sowohl für Rohstoff- und Werkgenossenschaften als auch für Kreditgenossenschaften an.177 Finanziell unterstützt wurden die Lehrgänge mit Zuschüssen des Königlichen Ministeriums für Handel und Gewerbe, der Handwerkskammer und anderen Kommunalbehörden der Rheinprovinz. Diese Förderung versinnbildlicht nicht nur die Bedeutung der Kurse, welche unabhängig von den Verbänden veranstaltet wurden und auf alle Kreditgenossenschaften ausgerichtet waren (gleich welchem Verband sie angeschlossen waren), sondern auch die volkswirtschaftliche Bedeutung, die dem Genossenschaftswesen inzwischen beigemessen wurde. In diesem Kontext sind auch die Bemühungen der Gummersbacher Kreisverwaltung zu sehen: Der Vorsitzende des Kreisausschusses Gummersbach informierte im Mai 1905 die Spar- und Darlehnskassen in Müllenbach, Ründeroth, Marienberghausen, Nümbrecht und Faulmert, die teils der Neuwieder Organisation und teils dem Bonner Verband angehörten, über das Kursprogramm „Lehrkursus für Kreditgenossenschaften“178 mit der „dringenden Bitte“,179 nach Möglichkeit ein Vorstandsmitglied oder den Geschäftsführer an dem Kurs teilnehmen zu lassen.180 Die Teilnahme war nach Ansicht des Kreisausschussvorsitzenden wegen der „großen Bedeutung“,181 welche die Spar- und Darlehnskassen im Kreditwesen einnahmen – „und die sich ohne Zweifel noch ordent­ lich erhöhen“182 würde – besonders wichtig. Ziel der zweiwöchigen Kurse war die Vermittlung derjenigen „Kenntnisse und Fähigkeiten, die zur Errichtung und Lei­ tung kleingewerblicher Kreditgenossenschaften“183 erforderlich waren. Die Kurse waren unentgeltlich; sämtliche Lernmittel sowie Schreibutensilien wurden den Teilnehmern kostenlos zur Verfügung gestellt. Für die Unterbringung in Köln konnten Stipendien eingeworben werden. Die Teilnehmer sollten zwischen 24 und 45 Jahre alt sein, der „Militärpflicht genügt haben“, ein „behördliches Unbescholten­ 175 Ebd. 176 Weitere Überlegungen zur staatlichen Förderung von Genossenschaften siehe Guinnane: State Support. 177 LA NRW Düsseldorf, LA Gummersbach Nr. 88, Programm der Genossenschaftskurse in Cöln a. Rh. (Kreditgenossenschaften), Programm der Genossenschaftskurse in Cöln a. Rh. (Rohstoff- und Werkgenossenschaften). 178 Ebd. 179 LA NRW Düsseldorf, LA Gummersbach Nr. 87, Schreiben des Kreisausschussvorsitzenden an die Kreditgenossenschaften mit Sitz in Müllenbach, Ründeroth, Uberghausen, Nümbrecht, Faulmert vom 19. Mai 1905. Zur Bedeutung der Genossenschaftspolitik auf kommunaler Ebene siehe auch Busche: Förderung, S. 32. 180 LA NRW Düsseldorf, LA Gummersbach Nr. 87, Schreiben des Kreisausschussvorsitzenden an die Kreditgenossenschaften mit Sitz in Müllenbach, Ründeroth, Uberghausen, Nümbrecht, Faulmert vom 19. Mai 1905. 181 Ebd. 182 Ebd. 183 LA NRW Düsseldorf, LA Gummersbach Nr. 88, Programm der Genossenschaftskurse in Cöln a. Th. (Kreditgenossenschaften); ebd., Programm der Genossenschaftskurse in Cöln a. Rh. (Rohstoff- und Werkgenossenschaften).

2. Zwischen Ehrenamt und Einfluss

231

heitszeugnis“ vorlegen und die „einfache Buchführung beherrschen“.184 Die Kurse – sowohl die Kurse der gewerblichen Fachschule als auch der Verbände – vermittelten (1.) grundlegende Kenntnisse des Genossenschaftswesens, insbesondere aber (2.) Kenntnisse in Buch-, Geschäfts- und Rechnungsführung, zudem (3.) in Rechtskunde.185 Im Laufe der Jahre kamen die Verbandsleitungen zunehmend zu der Erkenntnis, dass es mit der Ausbildung der Geschäftsführer und der Fortbildung der Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder nicht getan war, sondern dass auch die Mitglieder der Genossenschaften besserer kaufmännischer Kenntnisse bedurften, zumal von ihrer Betriebsführung abhing, in welchem Umfang Kredite beantragt und letzten Endes auch zurückgezahlt wurden. Der Koblenzer Verband erweiterte daher in Kooperation mit der Landwirtschaftskammer sein Ausbildungsprogramm und bot seit 1910 auch landwirtschaftliche Buchführungskurse für Winzer und Landwirte an.186

184 Ebd., Programm der Genossenschaftskurse in Cöln a. Rh. (Kreditgenossenschaften); ebd., Programm der Genossenschaftskurse in Cöln a. Rh. (Rohstoff- und Werkgenossenschaften). 185 Ebd., Programm der Genossenschaftskurse in Cöln a. Rh. (Kreditgenossenschaften). 186 LWK: Jahresbericht für 1910 und für den fünfjährigen Zeitraum 1906–1910, S. 270.

VI. EFFIZIENZ DURCH STANDARDISIERUNG UND KONTROLLE: FORMULARWESEN UND REVISION 1. STANDARDISIERUNG DURCH EINHEITLICHE STRUKTUREN DER GESCHÄFTSFÜHRUNG, EINHEITLICHE FORMULARE UND ANDERE HILFESTELLUNGEN Mit dem Anschluss an einen Verband war zugleich bestimmt, welche Art der Geschäftsführung die einzelne Genossenschaft künftig praktizierte. Zunächst übernahm sie – vielfach mit einigen Abänderungen – die Musterstatuten des Verbandes (beim Raiffeisen-Verband als Normalstatuten bezeichnet) sowie die Geschäftsordnung und die Anweisungen zur Geschäftsführung. Die Verbände entwickelten zudem Vordrucke für den Schriftverkehr mit dem Registergericht (Meldung von Statutenänderungen, Ein- und Austritte von Mitgliedern, personelle Änderungen im Vorstand etc.), Anträge auf Darlehn, Schuldscheine, Annahme von Spareinlagen usw.; für sämtliche Geschäftsfelder wurden die entsprechenden „Bücher und Druckmuster“1 entwickelt, gedruckt und über die Verbände vertrieben. Mit Hilfe der Vordrucke in Kombination mit den von den Verbänden herausgegebenen Anleitungen zur Geschäftsführung sollten die vielfach kaum kaufmännisch und/oder juristisch vorgebildeten Vorstandsmitglieder und Rendanten die Geschäfte der Genossenschaften führen können. Verwaltungsrendanten, Bankangestellte etc. waren extrem selten in Geschäftsführungen der Kreditgenossenschaften anzutreffen. Eine Ausnahme stellte die Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Derschlag dar. Hier war der Vorstandsvorsitzende – wie bei den Volksbanken „Direktor“2 genannt – Buchhalter, ebenso der stellvertretende Direktor, während die Aufgaben des Rendanten ein Gastwirt übernahm.3 Dem Aufsichtsrat, der sonst vielfach, unter Vorsitz des Dorfpfarrers, aus Landwirten bestand, gehörten hier neben einem Kaufmann vier „Fabrikanten“ an. Diese Zusammensetzung der Verwaltungsorgane, bei der ein Großteil sowohl der Geschäftsführung als auch des Kontrollorgans kaufmännisches Know-how besaß, bleibt im engeren Untersuchungsraum jedoch eine Ausnahme.4 Die Formulare und Vordrucke, Leitfäden zur Gründung von Genossenschaften, Anleitungen zur Geschäftsführung, Kommentare zum Genossenschaftsgesetz und andere für die Leitung einer Genossenschaft relevante Dokumente wurden beim 1 2 3 4

Generalverband der deutschen Raiffeisen-Genossenschaften: Anleitung (1913), Inhaltsverzeichnis. AdVBO, Bestand RB Wiehl, 77-6, Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Derschlag, Protokoll über die Errichtung vom 30. März 1905; ferner AdVBWL, 14-1, Abgeändertes Statut der Lindlarer Volksbank eGmbH vom 27. Dezember 1896. AdVBO, Bestand RB Wiehl, 77-6, Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Derschlag, Protokoll über die Errichtung vom 30. März 1905. Ebd.

1. Standardisierung durch einheitliche Strukturen der Geschäftsführung

233

Kölner Verband ab 1905 in der Hausdruckerei des Rheinischen Bauernvereins produziert. Hier wurde auch das Verbandsorgan, das ‚Rheinische Genossenschaftsblatt‘, gedruckt. Der Verband in Bonn erhielt hingegen eine Vielzahl Vordrucke vom Reichsverband und ließ nur besondere, auf den rheinischen Raum zugeschnittene Informationsmaterialien von Bonner Privatdruckereien herstellen.5 Bis 1905 ließ der Rheinische Bauernverein, und damit auch der Kölner Verband, sämtliche Drucksachen über die Druckerei des Vereins Rheinische Volksstimme L. Bönniger (Kempen) herstellen.6 Im Jahr 1905 kaufte der Rheinische Bauernverein die Druckerei und verlegte sie nach Köln. Zudem erwarb der Verein zum 1. Oktober 1905 die Druckerei des ‚Rhein- und Moselboten‘ in Koblenz, wo der Verein seit 1903 eine Zweigstelle unterhielt.7 Die Formulare, Vordrucke und verschiedene Protokoll- und Kontobücher wurden den Genossenschaften in der Regel per Post zugestellt.8 Zudem konnten die Genossenschaften bei Bedarf individuelle Druckaufträge über die Druckereien abwickeln lassen. Je nach Größe der Genossenschaft konnte zwischen Kontobüchern mit unterschiedlicher Blattzahl gewählt werden: Es gab das Hauptbuch I (Schuldner-Konto) zu 200 Seiten in Ganzleinen für sechs Mark, in Moleskin mit 400 Seiten für zehn Mark oder mit 600 Seiten für 12,50 Mark – die Kontenbücher konnten also teilweise sogar in unterschiedlicher Einbandqualität gewählt werden; je nach Geschäftsumfang und Geschäftslage konnten die Genossenschaften hochwertigere oder preisgünstigere beziehungsweise in der Menge variable Vorgabedokumente bestellen. Die Formulare, die zu 50 oder 100 Stück abgegeben wurden, konnten auch in kleineren Mengen bestellt werden In ganz ähnlicher Weise wie der Kölner Verband unterstützten auch die anderen Genossenschaftsverbände die ihnen angeschlossenen Genossenschaften. Bei der Volksbank Erkelenz-Hückelhoven-Wegberg eG ist eine Rechnung für den ehemaligen Keyenberger Darlehnskassen-Verein eGmuH überliefert. Diese Kreditgenossenschaft war Raiffeisens Anwaltschaft angeschlossen und bezog die für die Geschäftsführung benötigten Vorgabedokumente (Vordrucke, Formulare und Protokoll- und Kontenbücher) über Raiffeisen & Cons. Die Firma Raiffeisen, Faßbender & Cons. wurde 1881 gegründet, um „Mittel für die Gründung und Verbreitung von Darlehnskassenvereinen zu beschaffen“.9 Bereits im Frühjahr 1881 hatte Raiffeisen in Heddesdorf eine eigene Druckerei gegründet, die am 1. Juli 1881 als Unternehmenszweig in die Firma Raiffeisen, Faßbender & Cons. integriert wurde;10 Raiffeisen wollte den „Vereinen die Bücher und Druckmuster in der ihren Bedürf­ nissen entsprechenden Form zu billigem Preise zu liefern“.11 Die Nachfrage nach 5 6 7 8 9 10 11

Dies zeigt eine Durchsicht diverser Publikationen sowie der Akten der Genossenschaften. Jahresbericht des Vorstandes des Rheinischen Bauern-Vereins pro 1905 und Uebersicht über den derzeitigen Stand der Gesamtorganisation, S. 29; siehe auch Rheinischer Bauernverein: [Festschrift], 1913, S. 76 ff.; Rheinischer Bauern-Verein: Gesamtorganisation, o. J., S. 9. Jahresbericht des Vorstandes des Rheinischen Bauern-Vereins pro 1905 und Uebersicht über den derzeitigen Stand der Gesamtorganisation, S. 29. Siehe unter anderem RWWA 366-30-10, Rechnung für den Allrather Spar- und Darlehnskassen-Verein eGmuH, 11. Februar 1896. Krebs: Raiffeisen, S. 715. Raiffeisendruckerei: Zeitraffer, S. 11–14. Generalverband der deutschen Raiffeisen-Genossenschaften: Anleitung (1913), S. 285.

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VI. Effizienz durch Standardisierung und Kontrolle: Formularwesen und Revision

Formularen, Protokollbüchern usw. stimulierte Raiffeisen in späteren Auflagen seines Buches ‚Die Darlehnskassen-Vereine‘ (erstmals 1866 erschienen), das ab der dritten Auflage in der Raiffeisendruckerei hergestellt wurde, und in dem er für den Kauf der Vordrucke bei Raiffeisen & Cons. warb. In der ersten Auflage hatte Raiffeisen noch empfohlen, die Statuten einfach abzuschreiben.12 Die Gewinne von Raiffeisen & Cons. wurden nicht an die Gesellschafter ausgeschüttet, sondern verblieben zur Förderung des Genossenschaftswesens im Unternehmen. Die Reinerträge sollten als Zuschüsse zur Raiffeisen-Pensionskasse „der Organisation einen Stab von tüchtigen Beamten [zu] sichern“,13 also Anreize bilden, qualifizierte Mitarbeiter zu gewinnen beziehungsweise zu halten. Die ,Kleine Anleitung zur Geschäftsführung der Raiffeisen-Vereine‘ forderte daher die Verwaltungsorgane der Kreditgenossenschaften ausdrücklich dazu auf – es sei eine „Ehrenpflicht“14 –, die Druckerei durch „Überweisung von Aufträgen zu unterstützen“.15 Ein typisches ‚Starterset‘ (Statuten, Sparbücher, Protokollbücher, Vordrucke) für Kreditgenossenschaften nach der Neugründungkostete 72,45 Mark. Es war aber auch hier möglich, einzelne Posten zu streichen, das heißt, die Pakete waren flexibel auf die individuellen Bedürfnisse anpassbar. Als der Rheinische Revisionsverband e.V. (Verband Köln) im Jahr 1901 von Kempen nach Köln umsiedelte, wurde am Niederrhein ein Lager beibehalten, um die Genossenschaften, die bis dahin von der alten Geschäftsstelle in Kempen ihre Materialien erhielten, auch weiterhin direkt und möglichst kostengünstig versorgen zu können. Der Verband gewährte auch einzelnen Genossenschaften, die weiter entfernt von der Geschäftsstelle des Verbandes ihren Sitz hatten, Portozuschüsse, um sicherzustellen, dass der Kontakt zum Verband aufrecht erhalten wurde und die Genossenschaften statt über lokale Händler ihre Materialien über den Verband bezogen. Auch durch die Gewährung von allgemeinen Zuschüssen sollte der Einkauf über den Verband für die Genossenschaften möglichst kostengünstig sein. Auf diese Weise sollte verhindert werden, dass Genossenschaften dazu übergingen, bei lokalen Händlern oder in einer unabhängigen Druckerei – eventuell selbst entwickelte Formulare – zu bestellen. Die Vorteile dieser Vorgehensweise waren also vielfältig: Die Genossenschaften mussten keine eigenen Formulare entwerfen, wofür das kaufmännische und juristische Know-how der Geschäftsführung auch nicht ausgereicht haben dürfte. Zudem ergaben sich Kostenvorteile aufgrund der hohen Auflagen, in denen die Verbände die Vordrucke drucken ließen beziehungsweise teils in hauseigenen oder den Organisationen angeschlossenen Druckereien selbst druckten. Mit Hilfe der Kombination aus vorgefertigten Formularen, genauen Hinweisen in den Protokollbüchern, wie die Protokolle anzufertigen waren, Anweisungen in den Mitgliederverzeichnissen, wie diese anzulegen waren, einerseits und der von den Verbänden herausgegebenen Arbeitsanleitungen andererseits konnten die Vorstand, Aufsichtsrat und Rendant viele Arbeiten selbst ausführen, ohne kostenaufwendige externe Unterstützung (bei der Einarbeitung in Anspruch nehmen zu müs12 13 14 15

Raiffeisendruckerei: Zeitraffer, S. 12. Generalverband der deutschen Raiffeisen-Genossenschaften: Anleitung (1913), S. 286. Ebd. Ebd.

2. Externe Kontrolle durch die Revision

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sen.16 Auch für die Einzelmitglieder wurde der Schreibaufwand möglichst gering gehalten. Bei Kreditanträgen musste der Antragsteller lediglich den Betrag, den Namen des Bürgen beziehungsweise bei hypothekarischer Sicherung das Objekt sowie das Datum eintragen und unterschreiben. Da die Firma der Kreditgenossenschaften durch den Verband vorgegeben wurde, war bereits ,Spar- und Darlehnskassen-Verein eGmuH‘ auf die Formulare gedruckt, sodass lediglich noch der Sitz der Genossenschaft ergänzt werden musste.17 Eine Arbeitsersparnis ergab sich auch für die Revisoren, die auf diese Weise bei jeder Genossenschaft auf gleichförmig angelegte Unterlagen der Geschäftsführung stießen und dadurch ohne umfangreiche Einarbeitung mit den Unterlagen, die sie vorfanden, vertraut waren. Dadurch wurde die Prüfung der Genossenschaften in beträchtlicher Weise erleichtert. 2. EXTERNE KONTROLLE DURCH DIE REVISION: DAS GENOSSENSCHAFTLICHE PRÜFUNGSWESEN „Das Revisionswesen bildet die unerläßliche Grundlage nicht nur für die innere Ausgestaltung der Einzelgenossenschaften, sondern auch für die Entwicklung und den Fortschritt des ländlichen Genossenschaftswesens überhaupt“,18 so der Beschluss des XXI. Genossenschaftstages des Reichsverbandes 1905 in Straßburg. Das folgende Kapitel soll, diese Formulierung kritisch aufgreifend, Spezifika des genossenschaftlichen Revisionswesens als Grundlage für die Entwicklung der näher untersuchten Kreditgenossenschaften herausarbeiten und die Bedeutung der Prüfung für die Genossenschaften untersuchen. Hierzu sollen zunächst kurz die Entstehungsgeschichte des genossenschaftlichen Revisionswesens skizziert und die wichtigsten gesetzlichen Bestimmungen erläutert werden.19 a) Die Entstehung der gesetzlich vorgeschriebenen Revision und die ersten Bestimmungen im Genossenschaftsgesetz von 1889 Mit der Gründung der gewerblichen und landwirtschaftlichen Genossenschaftsverbände (1861 Schulze-Delitzschs Anwaltschaft der deutschen Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften, 1877 Raiffeisens Anwaltschaftsverband) waren erste ‚Plattformen‘ geschaffen worden, auf denen man sich über gesetzliche und kauf16

17 18 19

Der Generalverband der deutschen Raiffeisen-Genossenschaften empfahl den Organen, sich wöchentlich zu treffen und sich durch Vorlesen und Diskussionen mit den Inhalten der Anleitung zur Geschäftsführung vertraut zu machen. Es sei ratsam, auch Mitglieder einzubeziehen, die zur Übernahme eines Postens „in Zukunft befähigt sind“. Zur Firmierung von Kreditgenossenschaften siehe unter anderem Kluge: Vorschußverein, S. 3–16. Reichsverband der deutschen landwirtschaftlichen Genossenschaften: Taschenbuch (1926), S. 369. Zur Entwicklung des Revisionswesens siehe ausführlich Dehkordi: Entwicklung; Kluge: Geschichte, S. 255 ff. Zur Rolle des Revisionswesens im Sinne der NIÖ siehe Guinnane: Friend; ders: Law, S. 19 ff.

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VI. Effizienz durch Standardisierung und Kontrolle: Formularwesen und Revision

männische Belange der Genossenschaften austauschen konnte. Allerdings fehlte es noch an regelmäßiger, fachkundiger kaufmännischer und juristischer Kontrolle der Genossenschaften vor Ort. Der Landwirtschaftliche Verein für Rheinpreußen engagierte bereits 1860 einen Wanderlehrer, zu dessen Aufgaben es gehörte, Informationen über den Stand der Landwirtschaft zusammenzutragen und landbauliche und agrarökonomische Kenntnisse zu verbreiten (etwa Meliorationsprojekte anzuregen). Darüber hinaus sollte er zur Übernahme von Ämtern in den landwirtschaftlichen Casinos motivieren und Lehrer in Vereins- und Genossenschaftsfragen weiterbilden, zudem sollte er für das Prinzip der Selbsthilfe werben und Kenntnisse über das Genossenschaftswesen verbreiten, zum Beispiel durch kleine Ausstellungen über das Genossenschaftskonzept nach Schulze-Delitzsch, das der Landwirtschaftliche Verein zu diesem Zeitpunkt noch unterstützte (siehe Kapitel III.3).20 Die Wanderlehrer des Landwirtschaftlichen Vereins für Rheinpreußen sowie in anderen Provinzen und Landesteilen und die Sekretäre der Verbände, die von den bereits bestehenden Verbänden zur Betreuung der Genossenschaften vor Ort angestellt worden waren, übernahmen zunächst die Kontaktpflege zu den Primärgenossenschaften, konnten aber oftmals nicht in angemessener Tiefe weiterhelfen. Daher entwickelten die bereits bestehenden Genossenschaftsverbände schon vor 1889 verschiedene Institutionen zur Unterstützung, Beratung und Kontrolle der Primärgenossenschaften, wie Dehkordi ausführlich dargestellt.21 Mit der Einführung der zunächst freiwilligen Revision durch die Verbände blieben die verbandsfreien Genossenschaften weiterhin nicht zur Revision verpflichtet – und das war die Mehrheit: Rund zwei Drittel der 6.000 existierenden Genossenschaften waren Anfang der 1880er-Jahre keinem Verband angeschlossen.22 Ab 1887 wurde zunehmend intensiver die Einführung einer gesetzlich vorgeschriebenen Revision vorangetrieben. Es waren vor allem Vertreter der gewerblichen Genossenschaften und deren ausdauernde Agitation sowie ihre Vorlagen und Anträge, die zur Realisierung der gesetzlich vorgeschriebenen Revision führten. Der Antrag des Reichstagsabgeordneten und Schulze-Delitzsch-Nachfolgers als Anwalt des Allgemeinen Verbandes (1883 bis 1896), Friedrich Schenck, auf dem Vereinstag in Plauen 1887 zeigt, das planvolle Vorgehen, die gute Durchsetzung der freiwilligen Revision sowie wie elaboriert einzelne Regeln bereits waren:23 20 21 22 23

Der erste ständige landwirtschaftliche Wanderlehrer war Peter Gsell (*1838), der 1860 vom Landwirtschaftlichen Verein für Rheinpreußen eingestellt wurde. Siehe hierzu Franz: Wanderlehrer, S. 76; siehe auch Havenstein: Aufgaben, S. 79–103, bes. S. 100 f. Siehe auch Hildebrand: Revisionsverbände, S. 746; Citron: Reichsgesetz, S. 283 f.; zur Revision siehe zudem Bergmann: Prüfungswesen; Fischer: Prüfungswesen. Dehkordi: Entwicklung, S. 19, 24; Guinnane: Friend, S. 29: “Most ‘wild’ cooperatives were institutions that thought they did not need an auditing association. They were larger and were more likely to have limited liability than those that belonged to an auditing association”. Zum folgenden Abschnitt Dehkordi: Entwicklung, S. 19 ff. – Die Aufstellung folgt dem Antrag Schenks, jedoch sind einzelne Punkte hier etwas anders gruppiert als im Antrag, um so eindeutiger die Aufgaben und Rechte der einzelnen Akteure herauszustellen. Citron: Reichsgesetz, S. 283 f.; zu den Reformarbeiten 1876 bis 1887 siehe auch Schubert: Entstehung, S. 23–35.

2. Externe Kontrolle durch die Revision











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Mit der Revision beauftragt werden sollten ausschließlich „tüchtige, leistungs­ fähige und taugliche Männer“,24 die durch den Verband permanent und umfassend überwacht wurden. Die Revisoren sollten zur Ausbildung bei anderen Unterverbänden hospitieren. Zudem sollten die Revisoren in allen Unterverbänden möglichst die gleichen Rechte und Pflichten haben und den gleichen Regeln unterliegen. Vor allem aber sollten die Revisoren keinen anderen Tätigkeiten nachgehen, um sich voll und ganz auf die Betreuung der Genossenschaften konzentrieren zu können. Die Revisoren sollten den Verbandsdirektoren unterstehen, das heißt sie sollten Beamte des Revisionsverbandes sein. Die Anweisung, eine Revision vorzunehmen, sollte vom Verbandsdirektor erteilt werden. Der Revisor sollte auf Vorschlag des Verbandsdirektors vom Verbandstag gewählt und vom Verbandsdirektor bei Bedarf auch vor dem nächsten Verbandstag seines Amtes enthoben werden können. Die Bezahlung des Revisors sollte aus der Verbandskasse erfolgen, die Annahme von Gratifikationen oder Geschenken untersagt werden. Darüber hinaus sollte der Revisor dem ordentlichen Verbandstag in schriftlicher Form über seine Tätigkeit Bericht erstatten. Die Revision sollte keine rein kalkulatorische Überprüfung sein, sondern vor allem der Feststellung dienen, ob die Vorschriften (des GenG, des Statuts, der Geschäftsanweisungen, Beschlüsse der Vereinstage etc.) eingehalten wurden. Die Vorschriften, wie eine Revision vorzunehmen sei, sollten vom Verband erlassen werden. Bei fehlerhaft aufgestelltem Jahresabschluss sollten die Revisoren diesen exemplarisch mit den Mitgliedern des Vorstandes und Aufsichtsrates nachholen. Es sollten Instrumente festgelegt werden, mit denen die Genossenschaften dazu bewegt werden konnten – ohne Eingriffe in ihre Selbstständigkeit vorzunehmen –, die Ratschläge und Anregungen der Revisionen möglichst umfassend und zügig umzusetzen. Hierzu sollten die Revisoren neben kaufmännischen und juristischen Kenntnissen mit der Genossenschaftsbewegung vertraut sein, um auf die Genossenschaftsorgane einwirken zu können. Zentrale Bedeutung kam dem Prüfungsbericht zu: Der Revisor sollte die „u n ­ a b w e i s b a r e Ve r p f l i c h t u n g“25 haben, nach Beendigung der Revision den Vorstand und den Aufsichtsrat über die Ergebnisse der Revision in einer gemeinsamen Sitzung zu unterrichten und bei Mängeln Ratschläge zu erteilen. Die Ergebnisse und Ratschläge sollten in schriftlicher Form sowohl an die Vorstand und Aufsichtsrat als auch in Abschrift an den Verbandsdirektor ausgehänCitron: Reichsgesetz, S. 283. Ebd. [Hervorhebung im Original]. Vgl. ferner ebd., S. 283 f.: „daß der Revisor die unabweis­ bare Verpflichtung hat, nach vollendeter Revisionsarbeit dem Vorstand und Aufsichtsrate der revidierten G. in gemeinschaftlicher Sitzung über seinen Revisionsbefund genaue Mitteilung zu machen und über die Beseitigung vorhandener Mängel und die Herbeiführung besserer Ein­ richtungen seine Ratschläge zu erteilen und nach dieser Verhandlung mit Vorstand und Aufsi­ chtsrat über das Ergebnis seiner Revision schriftlich Bericht an die revidierte G. zu erstatten und eine Abschrift dieses Berichts an den Verbandsdirektor einzusenden“; siehe auch Haurand: Revisionsbericht, S. 742–745.

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VI. Effizienz durch Standardisierung und Kontrolle: Formularwesen und Revision

digt werden. Der Revisor habe die Pflicht, anschließend die Umsetzung der Ratschläge und die Behebung der Mängel zu überwachen und innerhalb eines bestimmten Zeitraumes dem Verbandsdirektor über diese zu rapportieren. Der Verbandsdirektor sollte wiederum dafür sorgen, „etwa vorhandene Irrtümer und Mißverständnisse über die Ausstellungen und Ratschläge des (Verbands) Revisors aufzuklären“26 und die Mängel zu beheben. Andernfalls sollte der Verbandsdirektor auf dem Verbandstag diese Nichtbeachtung „in geeigneter Weise“27 darstellen. Die hier vorgebrachten Grundsätze entsprachen in etwa den Regeln und Vorgehensweisen der Verbände der ländlichen Genossenschaften.28 Ab 1887 wurde auch vonseiten des Reichsjustizministeriums die gesetzliche Einführung der Revision forciert. Das Ansinnen des Ministeriums war es, eine Institution zu schaffen, welche die Genossenschaften beziehungsweise deren Organe und die Geschäftsergebnisse regelmäßig und umfassend überprüfte, sodass Unregelmäßigkeiten möglichst frühzeitig entdeckt werden konnten. Durch die Zusammensetzung der Organe und die Veröffentlichung der Geschäftsergebnisse sollte Missständen, wie unredlichem Verhalten der Vorstände, Entwicklung der Genossenschaft hin zu einem Großbetrieb, Geldanlagen in unsicheren Effekten und Gewährung von zu hohen Darlehn an die Mitglieder, vorgebeugt werden. Zudem sollten Immobilien nicht über ihren Wert beleihbar sein und das Eigenkapital der Genossenschaften auf einem möglichst hohen Niveau gehalten werden. Darüber hinaus sollte der Aufsichtsrat zu konsequenter und intensiver Kontrolle angehalten werden.29 Die Schaffung einer weiteren Kontrollinstanz neben dem Aufsichtsrat sollte in Anlehnung an die bereits bestehenden Institutionen der Verbände installiert werden, da der Gesetzgeber prinzipiell die Übertragung der Revision an den Staat oder die Gemeinden ablehnte. Ein unmittelbarer Einfluss war nicht gewünscht, handelte es sich bei den Genossenschaften doch um privatrechtliche, freiwillige Zusammenschlüsse (so argumentierte unter anderem auch Friedrich Schenck).30 Andererseits wurde sozialpolitisch argumentiert, dass der Staat einzugreifen habe, um Verluste und Konkurse bei den Genossenschaften zu vermeiden, da die Mitglieder der Genossenschaften ehedem wenig Finanzkraft besaßen und Konkurse weitreichende soziale Folgen hätten.31 Mit dem Genossenschaftsgesetz von 1889 wurden weitgehend die Inhalte des Entwurfs des Allgemeinen Verbandes beziehungsweise Schencks Vorlage übernommen.32 Die normativen Bestimmungen über die Revision fanden sich in den §§ 51 bis 62 des Genossenschaftsgesetzes in der Fassung vom 1. Mai 1889.33 Das 26 27 28 29 30 31 32 33

Citron: Reichsgesetz, S. 284. Ebd. Ebd., S. 24 f. Dekohdi: Entwicklung, S. 19. Ebd., S. 20; Citron: Reichsgesetz, S. 25. Siehe Hildebrand: Revisionsverbände, S. 745. Citron: Reichsgesetz, S. 25. RGBl. 1889, Nr. 11, GenG, S. 68 ff., §§ 51–62.

2. Externe Kontrolle durch die Revision

239

Gesetz besagte, dass der Verband die Revision der ihm angeschlossenen Genossenschaften vornehmen musste. Die Prüfung einer Genossenschaft müsse mindestens alle zwei Jahre stattfinden. Während dem Aufsichtsrat damit nach § 38 GenG die interne dauerhafte Überwachung des Vorstands oblag, handelte es sich bei der Revision durch den Revisor um eine zeitlich punktuelle, obgleich regelmäßige, externe Prüfung. Der Verband war über die Ergebnisse der Revision durch den schriftlichen Revisionsbericht zu unterrichten (§ 61 GenG).34 Das Gesetz gab nicht konkret vor, wie die Revision durchzuführen war – dies sollte in den Verbandsstatuten jedoch genau bestimmt werden. Die Verbandsstatuten hatten die „Bestimmungen über Auswahl und Bestellung der Revisoren, Art und Umfang der Revisionen“35 zu enthalten. Dem Revisor war gemäß § 61 GenG durch den Vorstand der Genossenschaft Einsicht in die Geschäftsbücher, die Korrespondenz, die Kasse, Effektenbestände, Bestände an Handelspapieren und Waren zu gewähren. Mit § 61 verpflichtete der Gesetzgeber die Genossenschaft zur Kooperation. Der Aufsichtsrat war zu der Revision hinzuzuziehen. Die Aufsichtsratsmitglieder sollten Rede und Antwort stehen, aber auch im Namen der Genossenschaft die Arbeit des Revisors überwachen.36 Der Revisor durfte nicht Mitglied der zu prüfenden Genossenschaft sein, was der Unbefangenheit dienen sollte.37 Der Revisor hatte neben dem Revisionsbericht (dieser ging, wie von Schenck gefordert, zu Händen von Vorstand und Aufsichtsrat, eine Abschrift an den Verbandsdirektor) eine Revisionsbescheinigung auszustellen, welche vom Vorstand der Genossenschaft beim Registergericht einzureichen war.38 Darüber hinaus hatte der Vorstand bei der Einberufung der Generalversammlung den Beschluss über den Revisionsbericht anzukündigen, das heißt alle Mitglieder waren in der Generalversammlung über die Prüfungsergebnisse zu unterrichten, um Informationsasymmetrien zwischen Geschäftsführung und Mitgliedern zu reduzieren. Der Aufsichtsrat hatte hierzu die Ergebnisse der Revision der Generalversammlung hinreichend zu erläutern (§ 61 GenG).39 Da die Zugehörigkeit zu einem Verband allerdings erst 1934 gesetzlich vorgeschrieben wurde, konnten die Verbände trotz des Revisionsrechtes rechtlich bis 1934 keinen verbindlichen Einfluss auf die Geschäftstätigkeit der ihnen angeschlos34 35 36 37

38 39

Ebd., S. 70, § 61. Ebd., S. 68, § 54. Ebd., S. 70, § 61; vgl. ferner Citron: Reichsgesetz, S. 308 f. Die Revisoren der Provinzial- und Landesverbände sollten auf Beschluss des Genossenschaftstages 1898 in Karlsruhe aufgrund der zu engen Beziehungen zu den Geschäftsleitungen der Zentralgenossenschaften nicht deren Revision durchführen. Es war erwünscht, dass die Revisionen durch „a n d e r e Revisoren“ [Hervorhebung im Original] ausgeführt wurden. Auch die „gegenseitige Aushilfe nachbarlicher Landesverbände“ bei der Revision der Zentralgenossenschaften war oftmals nicht hinreichend, sodass man die Einstellung eines Generalrevisors seitens des Allgemeinen Verbands der deutschen landwirtschaftlichen Genossenschaften beschloss, um hierdurch unter anderem auch der Prüfung durch einen vom Gericht bestellten Prüfer zu entgehen. Siehe Reichsverband der deutschen landwirtschaftlichen Genossenschaften: Taschenbuch (1926), S. 369. RGBl. 1889, Nr. 11, GenG, S. 70, § 61. Ebd.

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VI. Effizienz durch Standardisierung und Kontrolle: Formularwesen und Revision

senen Primärgenossenschaften nehmen.40 Indirekt wurden die Genossenschaften in geringem Umfang durch die Revision unter staatliche Kontrolle gestellt.41 Hierbei handelte es sich nicht um eine „Staatsaufsicht in Form einer laufenden Überwachung“,42 der Staat konnte lediglich das Recht zur Bestellung verleihen und entziehen. Das Registergericht besaß dennoch nunmehr die Funktion einer Rechtsaufsicht.43 b) Zweck, Ziele und Organisation der Revision Während der Aufsichtsrat also intern die Geschäftsführung kontrollierte, war das Ziel der externen Revision durch den Verband, die „Einrichtungen der Genossen­ schaft und die Geschäftsführung derselben in allen Zweigen der Verwaltung […] mindestens in jedem zweiten Jahre der Prüfung durch einen der Genossenschaft nicht angehörigen, sachverständigen Revisor“44 zu unterziehen. Der Gesetzgeber erließ damit 1889 lediglich Rahmenvorschriften, so etwa § 51 GenG, wonach die Revision der Genossenschaften mindestens alle zwei Jahre stattzufinden hatte. Inhalt und Umfang der Revision, das heißt Grundsätze, Richtlinien und Anweisungen, mussten durch die Prüfungsinstitutionen und -organe selbst entwickelt werden (§ 54 GenG).45 Mit den Grundsätzen, Richtlinien und Anweisungen sollten dem Revisor ein möglichst umfassender Katalog an die Hand geben werden, der gegebenenfalls auszuführende Prüfungshandlungen für die ordnungsmäßige und wirksame Durchführung der Revisionen enthielt, ihn zugleich aber auch von der ständigen Selbstkontrolle entlasten und ihm somit mehr Zeit zum Überdenken kritischer Sachverhalte oder Probleme geben sollte.46 Der Zweck der Revision war die Feststellung der wirtschaftlichen Verhältnisse sowie der Ordnungsmäßigkeit der Geschäftsführung, das heißt Gegenstand der Prüfung waren die Einrichtungen der Genossenschaften, ihre wirtschaftliche Lage so40 41

42 43

44 45 46

Siehe Havenstein: Erfahrungen. – Genossenschaften, die keinem Verband angehörten, unterlagen der Gerichtsprüfung. Sie hatten das Recht, einen Revisor vorzuschlagen, der dann von höheren Verwaltungsbehörden zu genehmigen war (§ 59 GenG). Siehe Guinnane: Law, S. 19 ff.; Dehkordi: Entwicklung, S. 23 f. – Die Rolle des Staates beziehungsweise inwieweit es sich hier tatsächlich um eine Staatsaufsicht handelte, wird in der Literatur vielfach diskutiert. Beuthien: Genossenschaftsgesetz, S. 113, spricht von der Freiheit, sich in einer anderen Rechtsform als der eG zu organisieren und sich damit auch der genossenschaftlichen Pflichtprüfung zu entziehen. Siehe zur Rolle des Staates auch Busche: Förderung; Kluthe: Genossenschaften, S. 48 f., 86 f. – Zu den Diskussionen um die Rolle des Staates bei der Kontrolle der Genossenschaften im Vorfeld des GenG 1889 siehe Guinnane: Law, S. 20; Dehkordi: Entwicklung, S. 23 f. Ebd., S. 23. Einerseits war durch die Genossenschaftsverbände das Statut und die beglaubigte Abschrift der Verleihungsurkunde sowie das Mitgliederverzeichnis einzureichen (§§ 10, 56 GenG), anderenfalls konnte dem Verband auch das Revisionsrecht entzogen werden (§ 58 GenG). Siehe RGBl. 1889, Nr. 11, GenG, S. 69, § 58. RGBl. 1889, Nr. 11, GenG, S. 68, § 51. Ebd., § 54. Mose: Prüfungsrichtlinien, S. 524 f.

2. Externe Kontrolle durch die Revision

241

wie die Kompetenz der Geschäftsführung. Der Verband konnte hierbei dem Revisor auch Schwerpunkte oder Einzelanweisungen für die durchzuführende Prüfung vorgeben. Die Prüfungen wurden in der Regel auf Basis von Stichproben durchgeführt, da anderenfalls ihr Umfang und Ablauf zu zeitaufwendig und damit mit zu hohen Kosten verbunden gewesen wären. Die Effizienz der Revisionen steht in engem Zusammenhang mit der Ausgestaltung der Prüfungen, wobei verschiedene Aspekte zu berücksichtigen sind: Wer sollte durch die Revision geschützt werden, welche Qualifikation hatten die Revisoren, wie wurde geprüft, wie sahen die Prüfungsmethoden aus?47 Insbesondere waren die Mitglieder der Genossenschaften zu schützen, was die Geschäftsführung mit einschloss, aber auch Gläubiger, wie Einleger, die nicht Mitglied der Genossenschaft waren, und die Zentralkassen mit allen ihren angeschlossenen Genossenschaften. Im weiteren Sinne ist die (lokale) Gesellschaft als zu schützende Gruppe anzusehen, da die Mitglieder in ein teils weitverzweigtes Marktnetz eingebunden waren und eine wirtschaftliche Schieflage – trotz der unbeschränkten Haftpflicht – teils stärkere, teils weniger starke wirtschaftliche und soziale Folgen für die ganze lokale Gesellschaft hatte. Eine wichtige Bedeutung kam damit der Qualifikation der Prüfungsorgane zu, das heißt der Frage, wer als Revisor bestellt wurde und welche Fähigkeiten und Kenntnisse dieser mitbrachte; ferner, wie es sich mit der Kompetenz der Prüfungsorgane beziehungsweise der anzuwendenden Prüfungsmethoden verhielt. Ins Gewicht fällt zudem auch die Frage nach Art und Umfang der Prüfung und insbesondere nach den „Sanktionsmöglichkeiten gegenüber normwidrig agierenden Organen“.48 Ziel der Revision war einerseits die Feststellung von Mängeln ex post. Das nachträgliche Feststellen von Mängeln schützte jedoch nur insoweit, als diese noch behebbar beziehungsweise ihre negativen Folgen noch zu beseitigen waren. Andererseits sollte die Revision Abweichungen ex ante aufdecken, die Organe sollten aufgrund hoher Wahrscheinlichkeit der Fehleraufdeckung und etwaiger Sanktionen ihr künftiges Verhalten „normgerechter“49 gestalten. Robert Blaich schlägt zur Messung der Effizienz der Revision zwei mögliche Methoden vor: Für jeden Punkt der Prüfung sollten plausible Kausalzusammenhänge zwischen der Prüfung und der Fehleraufdeckungswahrscheinlichkeit entwickelt werden, wie etwa der Zusammenhang zwischen Qualifikation des Prüfers und der Zahl der aufgedeckten Mängel. Zudem könnte eine Messung an Negativbeispielen vorgenommen werden: Inwieweit hat die Prüfung bei wirtschaftlichen Problemen oder gar bei Insolvenz versagt? Empirische Ergebnisse führten wiederum zur „Adaptierung der Prüfungsnormen“,50 wodurch die Wirksamkeit der Revision schrittweise angehoben werden sollte, ohne dass eine exakte quantitative Messung derselben erforderlich war.51 Revisionen verursachen aber auch Kosten – eine wie auch immer zu

47 48 49 50 51

Blaich: Prüfungseffizienz, S. 522 f. Ebd., S. 522. Ebd. Ebd. Ebd.

242

VI. Effizienz durch Standardisierung und Kontrolle: Formularwesen und Revision

definierende Prüfungseffizienz ist somit unter Beachtung der Kosten-Nutzen-Relation zu entwickeln.52 Bei der Gründung des Bonner Verbandes hatte Haas, um eine dauerhafte Verbindung zwischen Verband und Genossenschaft herzustellen, dafür geworben, die Revision durch den Verband preiswerter anzubieten als durch die gerichtlich bestellten Revisoren, da die Verbandsrevision ansonsten kaum Chancen hätte, sich durchzusetzen.53 Haas hatte offensichtlich Bedenken, dass der Pragmatismus größer war als der Genossenschaftsgeist der Mitglieder, das heißt Haas Sorge war, dass wenn die Revision durch den gerichtlich bestellten Revisor preiswerter war, dessen Leistung in Anspruch genommen wurden, zumal das Genossenschaftsgesetz nicht vorschrieb, dass Genossenschaften einem Verband angeschlossen sein mussten und damit auch nicht, welchem Verband sie sich anzuschließen hatten. Von den untersuchten Kreditgenossenschaften waren alle einem Verband angeschlossen, sodass die Prüfung durch die vom Amtsgericht bestellten Revisoren keine Rolle spielte. Aufgrund der Überschneidung der Geschäftsgebiete der rheinischen Verbände konnten die Genossenschaften einen ihnen ‚bequemen‘ Verband auswählen.54 Die Hohkeppeler Kreditgenossenschaft und die Kreuzberger Kreditgenossenschaft machten jedoch von der Möglichkeit, den Verband zu wechseln, als einzige Kreditgenossenschaften im engeren Untersuchungsraum Gebrauch, wobei die Revision nicht das Motiv gewesen sein dürfte. Da der Stiftungsaspekt bei den untersuchten Kreditgenossenschaften eine große Rolle spielte, die Verbände also zumeist maßgeblich an der Gründung der Primärgenossenschaften beteiligt waren und daraus der Anschluss an den Verband folgte, dürfte die ‚Verbandstreue‘55 recht stark gewesen sein und Verbandswechsel gehemmt haben. Die Revisoren Das Genossenschaftsgesetz forderte lediglich die Sachverständigkeit des Revisors sowie, dass dieser aus Gründen der Objektivität nicht Mitglied der zu prüfenden Genossenschaft sein durfte (§ 51 GenG). Zur Auswahl bei der Anstellung eines Revisors empfahl Haas bei der Gründung des Bonner Verbandes, der Revisor müsse „unbedingt Kenntnis haben von dem zu revidierenden Institut nebst seinen techni­ schen Fragen“,56 mit anderen Worten, er müsse den Zweck der Kreditgenossenschaft kennen sowie mit deren Organisationsstrukturen vertraut sein. Daher sollte 52 53

54 55 56

Ebd. RWGV-Leihgabe, Protokolle über die Generalversammlungen des Verbandes der rheinpreussischen landw. Genossenschaften zu Bonn in den Jahren 1889 bis incl. 1898, Protokoll der konstituierenden Sitzung Verbandes der Rheinpreussischen landwirthschaftlichen Genossenschaften vom 5. Oktober 1889. Siehe Dehkordi: Entwicklung, S. 25. Entlehnt bei Bonus: Selbstverständnis, S. 64. Bonus spricht von „Verbundtreue“ der Genossenschaft zum genossenschaftlichen Banken- und Finanzverbund. RWGV-Leihgabe, Protokolle über die Generalversammlungen des Verbandes der rheinpreussischen landw. Genossenschaften zu Bonn in den Jahren 1889 bis incl. 1898, Protokoll der konstituierenden Sitzung Verbandes der Rheinpreussischen landwirthschaftlichen Genossenschaften vom 5. Oktober 1889.

2. Externe Kontrolle durch die Revision

243

der Verband unbedingt einen „aus dem praktischen Genossenschaftswesen hervor­ gegangenen Mann“57 als Revisor beauftragen. Hier spielte jedoch nicht nur die Kenntnis der genossenschaftlichen Organisationsstrukturen eine Rolle. Es ging auch darum, jemanden zu finden, der die Genossenschaften zugleich auf die Genossenschaftsbewegung ‚einschwören‘, also den Genossenschaftsgeist fördern konnte, um die Verbindung zum Verband zu festigen.58 Ein weiteres Motiv war die Abgrenzung zum gerichtlich bestellten Revisor, der in der Regel nicht mit den genossenschaftlichen Organisationsstrukturen vertraut war. Der enorme Informationsvorteil, der sich für den Revisor beziehungsweise für den Verband aus der Revision ergab, rief bei der Gründung des Bonner Verbandes entsprechend Bedenken bei den Vertretern der Gründungsgenossenschaften hervor. Auf der konstituierenden Versammlung war es vor allem der Trierer Vertreter Rautenstrauch, der zu bedenken gab, dass der Revisor sehr detaillierte Einsicht in die Geschäfte der Genossenschaften erhalte. Wie solle die Verschwiegenheit des Revisors sichergestellt werden, das heißt verhindert werden, dass der Revisor seine Kenntnisse unbefugt an Dritte weitergab? Havenstein versicherte, dass der Revisor als Vertrauensperson zu den Genossenschaften kommen würde, also nicht nur die Buchführung prüfe, sondern insbesondere als „Ratgeber“59 fungieren sollte: als „Prüfer und willkommener Berater“,60 wie es Nikolaus Feldmann später beschrieb. Daher sei es eine „Selbst­ verständlichkeit“, dass der Revisor die Daten weder weitergeben noch veröffentlichen dürfe.61 Heute schreibt § 62 Abs. 1. S. 1 GenG in der Fassung vom 18. August 2006 die Verschwiegenheit der Revisoren vor – im 19. Jahrhundert wurde diese lediglich in den Verbandsstatuten fixiert.62 Alle vorliegenden Satzungen der rheinischen Verbände enthielten die vom Genossenschaftsgesetz vorgeschriebenen Bestimmungen über die Auswahl und die Bestellung der Revisoren, über Art und Umfang der Revisionen sowie die Verschwiegenheit des Revisors.63 Zur Person des Revisors wurden dort sehr unterschiedliche Vorgaben gemacht. Den kleinsten Anforderungskatalog enthielten die Statuten des Rheinischen Revisionsverbandes e.V. (Köln). Nach diesen sollten ausschließlich Personen als Revisoren eingestellt werden, die „nach Charakter und 57 58 59

60 61

62 63

Ebd. Siehe auch Bonus: Selbstverständnis; Münkner: Identität; Beuthien: Genossenschaftsgesetz, S. 121 f., bezeichnet Prüfungsverbände als „Hüter“ des Genossenschaftsgedankens. RWGV-Leihgabe, Protokolle über die Generalversammlungen des Verbandes der rheinpreussischen landw. Genossenschaften zu Bonn in den Jahren 1889 bis incl. 1898, Protokoll der konstituierenden Versammlung des Verbandes der Rheinpreussischen landwirthschaftlichen Genossenschaften vom 5. Oktober 1889. LA Koblenz, 403/13275, Feldmann: [Festschrift], S. 15; vgl. ferner Guinnane: Friend, S. 23. RWGV-Leihgabe, Protokolle über die Generalversammlungen des Verbandes der rheinpreussischen landw. Genossenschaften zu Bonn in den Jahren 1889 bis incl. 1898, Protokoll der konstituierenden Versammlung des Verbandes der Rheinpreussischen landwirthschaftlichen Genossenschaften vom 5. Oktober 1889. BGBl. 2006, I, S. 2230, Genossenschaftsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 16. Oktober 2006, zuletzt durch Artikel 10 des Gesetzes vom 25. Mai 2009 (BGBl. 2009/I, S. 1102) geändert. RGBl. 1889, Nr. 11, GenG, S. 68, § 54.

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VI. Effizienz durch Standardisierung und Kontrolle: Formularwesen und Revision

Sachkenntnis die erforderliche Garantie bieten, daß sie die Revisionen in ersprieß­ licher Weise“64 vornehmen könnten. Der Bonner Verband legte etwas umfangreichere Anforderungen vor. Nach dessen Statut sollte ausschließlich eine „vertrau­ enswürdige, sachverständige, mit dem Genossenschaftswesen und seinen einzelnen Zweigen vollkommen vertraute, im Besitze ausreichender Kenntnisse in den ein­ schlägigen gesetzlichen Bestimmungen befindliche Person“65 als Revisor angestellt werden. Weit umfangreicher war hingegen der Kriterienkatalog des 1905 aus der Raiffeisen-Organisation als eigenständiger Verband ausgekoppelten Verbandes ländlicher Genossenschaften Raiffeisenscher Organisation der Rheinlande (Koblenz). Neben Unbescholtenheit, Sachkenntnis und der Wahrung der RaiffeisenGrundsätze sollten die Bewerber „nach ihrer Körperbeschaffenheit den Strapazen der ländlichen Revisionsarbeit gewachsen“66 sein. Die Revisoren wurden von den Revisionsverbänden im Rahmen eines Dienstvertrages angestellt. Der Dienstvertrag und die Dienstanweisung definierten die Aufgaben (Zuständigkeiten) des Revisors sowie sein Verhältnis zum Verband. In der Satzung des Bonner Verbandes wurde festgelegt, dass diese Dienstanweisung vom Verbandsauschuss zu genehmigen war, im Falle des Kölner Verbandes war der Dienstvertrag durch den Verbandsausschuss zu genehmigen. Die Satzung des Bonner Verbandes legte fest, dass der Revisor dem Verbandsvorstand unterstellt war und lehnte damit an § 61 GenG an, wonach der Revisor dem Verbandsvorstand die Revisionsberichte in Abschrift zu übergeben hatte.67 Aufgrund der „Funktion spezieller Unterweisung“68 war eine „gründliche Berufsausbildung“69 der Revisoren besonders wichtig. Einzig das Statut – zumindest unter den analysierten Statuten – des Verbandes ländlicher Genossenschaften Raiffeisenscher Organisation der Rheinlande (Koblenz) enthielt Bestimmungen über die interne Ausbildung der angehenden Revisoren. Die Ausbildung sollte nach einer durch den Vorstand des Generalverbandes der deutschen landwirtschaftlichen Genossenschaften festgesetzten „Vorbildungsverordnung“70 vorgenommen werden. Nach Abschluss der Ausbildung sollten die Revisoren zunächst unter Aufsicht eines „bewährten Revisors bzw. des Oberrevisors (Verbandssekretärs)“71 einige Revisionen vor64 65 66

67 68 69 70 71

LA Koblenz 403/13275, revidierte Satzung des Verbandes rheinischer Genossenschaften eV Cöln, S. 9, § 25. LA Koblenz 403/13275, Satzung für den Verband der rheinpreußischen landwirtschaftl. Genossenschaften eV zu Bonn, S. 13, § 28. Ebd., S. 12, § 27 Abs. b; siehe auch jüngere Statuten wie etwa RWWA 89-3-11, Satzung für den Rheinischen Raiffeisen-Verband e.V. zu Koblenz, S. 10, § 29 Abs. b; RWWA 89-3-11, Satzung für den Rheinisch-Trierischen Genossenschaftsverband – Raiffeisen – e.V. zu Koblenz, S. 13, § 32 Abs. 3; siehe auch Citron: Reichsgesetz, S. 288, Anm. 8. LA Koblenz, 403/13275, Satzung für den Verband der rheinpreußischen landwirtschaftlicher Genossenschaften eV zu Bonn, S. 12 f., §§ 26, 29, 30; siehe auch ebd., revidierte Satzung des Verbandes rheinischer Genossenschaften eV Cöln, S. 9 f., §§ 25, 27. Wartner: Bildungswesen, S. 114. Ebd. LA Koblenz 403/13275, Satzung für den Verband der ländlichen Genossenschaften der Rheinprovinz zu Coblenz, S. 12, § 27 Abs. b. Ebd.

2. Externe Kontrolle durch die Revision

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nehmen und unter Beweis stellen, dass sie „genügend vorgebildet und zuver­ lässig“72 waren, bevor ihnen die selbstständige Revision übertragen wurde. Diese Form der Ausbildung durch Mentoring diente vor allem der verbandsinternen Qualitätssicherung. Vielfach hatten sich die angehenden Revisoren theoretische Kenntnisse im „Selbststudium“73 anzueignen. Bei der Raiffeisen-Organisation übernahmen etwa die Provinzial- und Landesverbände die Ausbildung der Mitglieder der Genossenschaftsorgane und der Generalverband die Ausbildung der Revisoren. Der Raiffeisensche Generalverband richtete hierzu 1913 eine Ausbildungsstätte in Berlin ein, die sich insbesondere um die Ausbildung der Jungrevisoren kümmerte, aber auch Fortbildungen der Altrevisoren übernahm.74 Beim Reichsverband wurde die Revisorenausbildung hingegen erst 1930 in das Ausbildungsprogramm der Deutschen Landwirtschaftlichen Genossenschaftsschule aufgenommen.75 Dem Revisor waren nach dem Genossenschaftsgesetz die Auslagen sowie „seine Leistung nach Maßgabe der erforderlichen Zeitversäumniß“76 (§ 60 GenG) durch die Genossenschaften zu erstatten, wobei in der Praxis nicht die Genossenschaft direkt den Revisor bezahlte, sondern dieser im Rahmen seines Dienstvertrages (mit dem Verband) eine Vergütung erhielt und die Genossenschaften indirekt durch ihren Verbandsbeitrag beziehungsweise durch die Revisionsgebühren für die Kosten.77 Der Verband war also weitestgehend frei in seiner Entscheidung, welche und wie viele Revisoren er bestellte – eine etwaige Kontrolle durch eine vorgeschriebene Veröffentlichung der Bestellung gab es nicht.78 In den Anfängen waren die Revisoren bei Weitem keine ‚Profis‘. In den ersten Monaten nach der Gründung des Bonner Verbandes nahm zunächst der Mitarbeiter des Landwirtschaftlichen Vereins, [Friedrich] Dettweiler, der zudem mit der Geschäftsführung des Bonner Verbandes betraut wurde, die Revisionen vor. Zwischen Oktober 1890 und Juli 1891 wurden von ihm 20 dem Verband angeschlossene Genossenschaften geprüft. Die Kosten für diese Revisionen beliefen sich auf 454,80 Mark, eine Revision kostete somit durchschnittlich etwa 23 Mark. Dieser „niedrige“ Betrag, wie der Verband selbst die Kosten interpretierte, war allerdings nur möglich gewesen, weil der Geschäftsführer Dettweiler die Revisionen im „Nebendienst“ vornahm und außer der Erstattung der Auslagen nur einen geringen Lohn erhielt.79 Die hohe Doppelbelastung Dettweilers führte 1891 zur Beauftragung des Simmerer 72 73 74 75

76 77 78 79

Ebd. Wartner: Bildungswesen, S. 114. Jahresbericht des Generalverbandes ländlicher Genossenschaften für Deutschland für 1914 und Statistik der Raiffeisenschen Genossenschaften für 1913, S. 80. Berndt: Bildungswesen, Sp. 186 f.; Wartner: Bildungswesen, S. 113 f; Gennes: Nachwuchs, S. 4. Im Zuge der Vereinheitlichung des ländlichen Genossenschaftswesens wurden die „Reviso­ renanstalt“ mit der Deutschen landwirtschaftlichen Genossenschaftsschule zusammengeschlossen. RGBl. 1889, Nr. 11, GenG, S. 70, § 60. Reichsverband der deutschen landwirtschaftlichen Genossenschaften: Taschenbuch (1926), S. 74. Citron: Reichsgesetz, S. 289 f., Anm. 2 f. Bericht über den dritten Verbandstag des Verbandes rheinpreußischer landwirthschaftlicher Genossenschaften in Bonn am 4. Juli 1891, in: ZLVfRh 30 (1891), S. 239.

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VI. Effizienz durch Standardisierung und Kontrolle: Formularwesen und Revision

Winterschullehrers Fecht sowie des Wanderlehrers Tille aus Bonn, die in Folge nun neben Dettweiler die Revisionen sowohl von Kreditgenossenschaften als auch von Bezugs- und anderen landwirtschaftlichen Genossenschaften durchführten.80 Von der Planung bis zum Revisionsbericht: Methoden, Umfang, Dauer und Häufigkeit der Revisionen Nicht zu allen im engeren Untersuchungsraum ansässigen Kreditgenossenschaften sind die Revisionsberichte überliefert. Anhand der Revisionsberichte der Spar- und Darlehnskasse Dieringhausen und der Spar- und Darlehnskasse Derschlag – beide gehörten dem Bonner Verband an – soll hier der Versuch unternommen werden, den Ablauf der Revisionen zu skizzieren und die personelle Konstanz der Revisoren sowie die zeitlichen Abstände der Revisionen zu erfassen. Zu fragen ist dabei: Wie kooperativ waren Vorstand und Aufsichtsrat, und inwieweit wurde den Ratschlägen der Revisoren Folge geleistet? Welche Prüfungsabläufe lassen sich erkennen, und inwieweit wurden Regeln modifiziert? Wie lässt sich eine Wirksamkeit der Revision anhand der vorliegenden Quellen messen?81 Es wurden von den Verbänden je Genossenschaftstyp einheitliche Richtlinien für die Durchführung der Revisionen abgefasst und so ein jeweils einheitliches Vorgehen ausgebildet, das heißt Bezugs- und Absatzgenossenschaften unterlagen einer anderen Prüfung als Kreditgenossenschaften.82 Die Revisionen – insbesondere sehr konsequent die Prüfungen durch den Verband in Koblenz – wurden unangemeldet am Sitz der Genossenschaften durchgeführt.83 Es ist jedoch davon auszugehen, dass es Usus war, die Prüfung vorab anzukündigen, zumal die Geschäftsführung in den meisten Fällen nebenamtlich tätig war und nicht davon ausgegangen werden konnte, dass die Rendanten und der Aufsichtsrat, der nach § 61 GenG zur Revision hinzuzuziehen war (in der Praxis musste er vor allem für Nachfragen zur Verfügung stehen, nicht jedoch der ganzen Prüfung beiwohnen), spontan ihre Arbeiten als Landwirt, Gastwirt oder Lehrer niederlegen konnten.84 Bei der Neuwieder Raiffeisen-Organisation stellte der Direktor die „Reiseroute für jeden Revisor“85 zusammen und erteilte die „nötigen Anweisungen für die einzelnen Vereine, soweit ihm die Kenntnis der örtlichen Verhältnisse im einzelnen 80 81

82 83 84 85

Ebd.; siehe auch Kluge: Geschichte, S. 256. Grundsätzlich gliedert sich heute eine Prüfung in drei Phasen: (1.) die Planung in zeitlicher, sachlicher und personeller Hinsicht, (2.) die Prüfungsdurchführung und (3.) in die Prüfungsdokumentation. Zu (3.) ist hier lediglich der Revisionsbericht zu nennen. Andere Quellen, die eine Dokumentation der Arbeitspapiere widergibt, sind nicht überliefert. Zur Dokumentation ist auch die beim Amtsgericht einzureichende Bescheinigung über die stattgefundene Revision zu zählen. Siehe etwa Jahresbericht des Generalverbandes ländlicher Genossenschaften für Deutschland für 1914 und Statistik der Raiffeisenschen Genossenschaften für 1913, S. 80. Generalverband der deutschen Raiffeisen-Genossenschaften: Anleitung (1913), S. 25; ders.: Anleitung (1919), S. 25. Der Wortlaut der Ausgaben von 1913 und 1919 ist identisch. Siehe hierzu Mose: Prüfungsablauf, S. 519 f. Neuwieder Raiffeisen-Organisation/Generalverband ländlicher Genossenschaften Raiffeisenscher Organisation für Deutschland: Jahresbericht 1901, S. 6.

2. Externe Kontrolle durch die Revision

247

Vereine das ermöglicht“.86 Der durchschnittliche Revisoren-Bestand der Verbände im Verhältnis zu den angeschlossenen Genossenschaften lässt straff organisierte Reiserouten der Revisoren vermuten. 1901 wurden von sechs Revisoren und zwei Revisionsbeamten des rheinischen Raiffeisen-Unterverbandes 275 Genossenschaften geprüft, zudem halfen die Revisoren und Beamte „noch in einer großen Anzahl von Vereinen bei Aufstellung der Bilanz“.87 Im Jahr 1902 entfielen auf einen Revisor des rheinischen Unterverbandes circa 40 Revisionen pro Jahr, 1904 circa 36. Beim Kölner Verband hingegen, der in der Zeit bis 1910 durchschnittlich sechs Revisoren beschäftigte, führte ein Revisor im Schnitt 72 Revisionen pro Jahr aus, also etwa anderthalb Revisionen pro Woche, wobei je nach Größe der Genossenschaft eine Revision in der Regel zwei Tage dauerte und im Anschluss der Revisionsbericht anzufertigen war.88 Zum Vergleich: Die Neuwieder Raiffeisen-Organisation meldete 1906, dass reichsweit die Durchschnittszahl der Revisionen, die auf einen Revisor entfielen, zwischen 40 und 99 Revisionen schwankte und auch die Zahl der Revisionstage sehr unterschiedlich war – in einigen Regionen wurden 17/10, in anderen 54/10 Tage pro Genossenschaft aufgewendet.89 Diese enormen Unterschiede ergaben sich unter anderem aus dem unterschiedlichen Geschäftsumfang, ob etwa Warenverkehr mit abgewickelt wurde, aus der unterschiedlichen Regelmäßigkeit der Revisionen und aus den „verschiedenartigen Zeitaufwendungen der Revisoren für die Reisen vom Wohnsitz zum Verein, von Verein zu Verein und zum Wohnsitz zurück“.90 Methodisch hatte der Revisor zum einen stichprobenartig zu prüfen, zum anderen sollte er, so bereits von den Initiatoren des Genossenschaftsgesetzes beabsichtigt, keine kalkulatorische Prüfung vornehmen. Vielmehr sollte er prüfen, ob die Geschäftsführung die Bestimmungen von Genossenschaftsgesetz, Verbandsstatuten, Genossenschaftssatzung sowie des Handelsgesetzbuches – je nach Geschäftszweigen zum Beispiel auch das Hypothekengesetz – befolgte, ob die Genossenschaftsorgane entsprechend der normativen Bestimmungen funktionierten und ob der Förderauftrag (§ 1 GenG) erfüllt wurde. Zudem sollte der Revisor die (veröffentlichte) „Bilanz“91 mit der Buchhaltung abgleichen, die Kassen- und Wechselbestände etc. prüfen und erst wenn er hierbei Unregelmäßigkeiten entdeckte, wei86 87 88

89 90 91

Ebd. Ebd., S. 7. Nach eigenen Berechnungen anhand LWK: Jahresberichte für 1910 und den fünfjährigen Zeitraum 1906–1910; Reichsverband: Jahrbuch 1903; der Unterverband beschäftigte 1902 sechs Revisoren, die 241 Revisionen vornahmen (von 424 Mitgliedsgenossenschaften). 1903 hatte der Unterverband neben den sechs Revisoren einen Oberrevisor. Neuwieder Raiffeisen-Organisation/Generalverband ländlicher Genossenschaften Raiffeisenscher Organisation für Deutschland: Jahresbericht 1906, S. 7. Ebd. Sowohl das Genossenschaftsgesetz als auch die Satzungen und Jahresberichte der Verbände sprechen stets nur von der Bilanz, obwohl die Genossenschaften grundsätzlich einen Jahresabschluss erstellten, wie etwa die Jahresabschlüsse der Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Derschlag zeigen. Siehe etwa AdVBO, Bestand RB Wiehl, 75-7; AdVBO, Bestand RB Wiehl, 765; AdVBO, Bestand RB Wiehl, 76-6; AdVBO, Bestand RB Wiehl, 76-7. Auch die umfassende Dokumentation bei der Volksbank Rheinböllen eG enthält eine Vielzahl Jahresabschlüsse.

248

VI. Effizienz durch Standardisierung und Kontrolle: Formularwesen und Revision

tere Prüfungshandlungen vornehmen.92 In der Praxis hing dieser Schritt jedoch vielfach davon ab, wie gravierend die Mängel tatsächlich waren. Gab es beispielsweise einen höheren Kassenbestand als in der Buchführung aufgeführt, wie etwa einmal bei der Revision der Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Dieringhausen (Verband Bonn) festgestellt wurde, so wurde dieser dem Geschäftsführer „zugesprochen“93 und von einer weiteren Prüfung abgesehen. Dann wieder wurden randomisiert zum Beispiel die Auslagenbelege „postenweise“94 und die Buchungsbelege stichprobenartig geprüft. Ein solches Vorgehen ersparte dem Revisor Zeit und die Mitglieder der Geschäftsführung konnten auf diese Weise nie im Vorhinein wissen, welche Prüfungshandlungen vorgenommen wurden, was sie zu ständiger Sorgfalt anhalten sollte. Der Revisor hatte sich bei der Revision der „einge­ hend und sorgfältig ausgearbeiteten gedruckten Formulare“95 zu bedienen, wie sie aufgrund der „langjährigen Erfahrung“96 etwa des Raiffeisen-Verbandes entwickelt worden waren. Zur Ergänzung der Kontrolle und zur Erleichterung der Revisionstätigkeit beschloss der Genossenschaftstag des Reichsverbandes 1899 die Einführung von „Bücherprüfungsstellen“97 am Sitz der Verbände, um auf diese Weise – außerhalb der gesetzlich vorgeschrieben Revision – auf freiwilliger Basis auch postenweise die Bücher der Genossenschaften prüfen zu können, vor allem aber, um dem Vorstand, der für die einwandfreie Buchführung verantwortlich war, und dem Aufsichtsrat, der die Pflicht der regelmäßigen Kontrolle hatte, bei ihren Aufgaben zu unterstützen.98 Der Beschluss wurde 1911 auf dem Genossenschaftstag nochmals bekräftigt, wo es hieß, dass „der Vorstand und Aufsichtsrat der Genossenschaften häufig noch nicht in der Lage sind, die ihnen durch Gesetz, Statut, Dienstanwei­ sung, Geschäftsordnung und Generalversammlungsbeschlüsse auferlegten Aufga­ ben und Pflichten erschöpfend zu erfüllen, so ist es für die Revisionsverbände als Berater und Helfer […] notwendig, Einrichtungen zu treffen“.99 Der Bonner Verband richtete 1907 eine Bücherprüfungsstelle ein.100 Insbesondere der Koblenzer Verband kritisierte immer wieder die mangelhafte Kontrolle der Geschäftsführung durch die Aufsichtsratsmitglieder. Laut Verband war „in verhältnismäßig zahlreichen Genossenschaften mehr oder weniger unzu­ reichende Pflichterfüllung“101 bei den Aufsichtsräten festzustellen. Der Koblenzer 92

Citron: Reichsgesetz, S. 287, Anm. 2; siehe Feldmann: Verband, S. 15; ZlVfF 30/1891, S. 240, Bericht über den dritten Verbandstag des Verbandes rheinpreußischer landwirthschaftlicher Genossenschaften in Bonn am 4. Juli 1891; siehe auch Guinnane: Friend, 2001, S. 20 f. 93 AdVBO, 74-2, Revisionsberichte, 1910 bis 1932. 94 AdVBO, unverzeichnete Revisionsberichte der Spar- und Darlehnskasse Denklingen. 95 Neuwieder Raiffeisen-Organisation/Generalverband ländlicher Genossenschaften Raiffeisenscher Organisation für Deutschland: Jahresbericht 1901, S. 6. 96 Ebd. 97 Reichsverband der deutschen landwirtschaftlichen Genossenschaften: Taschenbuch (1926), S. 355 f. 98 Ebd. 99 Ebd., S. 355. 100 LWK: Jahresbericht für 1910 und den fünfjährigen Zeitraum 1906–1910, S. 261. 101 LWK: Jahresbericht für 1910 und den fünfjährigen Zeitraum 1906–1910, S. 268 f.

2. Externe Kontrolle durch die Revision

249

Verband führte 1907 daher eine neue Regelung ein, die dem Aufsichtsrat die Möglichkeit geben sollte, „seiner ihm durch das Statut auferlegten Verpflichtungen schon teilweise zu genügen und die erforderlichen Kenntnisse sich anzueignen, welche ihn zur selbstständigen Prüfung der Außenstände befähigen“.102 Im Beisein des Aufsichtsrates wurde im Rahmen der gesetzlichen Revision eine materielle Prüfung der Außenstände vorgenommen, was einen erheblich erhöhten Arbeitsaufwand für die Revisoren zur Folge hatte, aber den Aufsichtsrat zusätzlich schulte.103 Im Verhältnis Verband/Revisor sowie im Verhältnis Revisor/Genossenschaft zeigen sich typische Prinzipal-Agent-Probleme. Bereits bei der Auswahl des Revisors (Agenten) durch den Verband (Prinzipal) zeigen sich erste Schwierigkeiten. Die satzungsmäßig festgelegten Anforderungen an die Bewerber für die Revisorentätigkeit konnten grundsätzlich vorab die Auswahl dahin lenken, dass der Verband keinen Bewerber einstellte, der sich im Nachhinein als unfähig erwies, dennoch musste der Verband Maßnahmen ergreifen, um auch die Revisoren hinreichend zu kontrollieren. Hier versuchte auch schon der Gesetzgeber durch die Haftpflicht des Revisors dessen Verhaltensmotivation zu beeinflussen. Die Verbände, die also sowohl zum Screening, das heißt zur sorgfältigen Durchleuchtung der Bewerber, als auch zum Monitoring, das heißt zur Überwachung der ausgewählten Revisoren vom Gesetzgeber angehalten wurden (‚culpa in eligendo‘ und ‚culpa in custodiendo‘), hatten die Möglichkeit, durch eine gewissenhafte Auswertung der ihnen vorzulegenden Revisionsberichte das Verhalten ihres Revisors zu beobachten. Zusätzlich installierten die Verbände gesonderte Besprechungen („Superrevision“,104 Witness Audit) und damit weitere Kontrolloptionen.105 1906 wurden vom Generalverband ländlicher Genossenschaften Raiffeisenscher Organisation für Deutschland zur „Kontrolle der Tätigkeit der Revisoren“106 durch die Verbandssekretäre und Oberrevisoren reichsweit 149 Superrevisionen durchgeführt. Zudem legten die Verbände dem Generalverband insgesamt 491 Revisionsberichte zur Gegenprüfung vor, und 126 Superrevisionsberichte wurden nochmals durch den Generalverband überprüft. Stichprobenartig forderte auch der Generalverband Revisionsberichte zur Kontrolle an. Zudem nahm der Generalverband jährlich Filialrevisionen vor, bei denen die gesamte Geschäfts- und Buchführung der Unterverbände geprüft wurde.107 Da keine Akten der rheinischen Genossenschaftsverbände überliefert sind,108 kann nicht genauer untersucht werden, welche vertraglichen Vereinbarungen zwischen Revisor und Verband im Detail bestanden. Der Revisor musste nicht nur das Vertrauen des Verbands, in dessen Namen er die Genossenschaften prüfte, genießen, sondern auch das der Primärgenossenschaften, die er prüfte. Er selbst 102 103 104 105

Ebd. Ebd. Ebd. Zu den Superrevisionen siehe unter anderem Neuwieder Raiffeisen-Organisation/Generalverband ländlicher Genossenschaften Raiffeisenscher Organisation für Deutschland: Jahresbericht 1906, S. 8. 106 Ebd. 107 Ebd. 108 Im Archiv der WGZ-Bank finden sich einige Unterlagen, vor allem aber der Zentralkassen.

250

VI. Effizienz durch Standardisierung und Kontrolle: Formularwesen und Revision

musste wiederum sichergehen können, dass ihm vonseiten der Genossenschaft zum Beispiel keine falschen Daten vorgelegt wurden. Ziel der Verbände war es, möglichst immer den gleichen Revisor zu einer Genossenschaft zu entsenden. Dies hatte den Vorteil, dass der Revisor mit den Verhältnissen vor Ort vertraut war, daher weniger Einarbeitungszeit bedurfte, etwaige Schwierigkeiten kannte und besser beurteilen konnte, ob vormals gegebene Ratschläge umgesetzt wurden. Im Idealfall hatte er bereits ein Vertrauensverhältnis zu den Mitgliedern der Geschäftsleitung aufgebaut. Nachteile waren jedoch das erhöhte Risiko der ‚Betriebsblindheit‘ oder falsch verstandenes Vertrauen, das heißt die Verwaltungsorgane kannten die Gewohnheiten des Revisors und konnten ihn so auch beeinflussen. Bei der Gründung der Spar- und Darlehnskasse eGmuH Denklingen (Kreis Waldbröl) 1909 nahm der Verbandsrevisor Koch des Bonner Verbandes, dem sich die Genossenschaft anschloss, an der Gründungsversammlung teil und wurde unter dem Vorsitz von Karl Dick (Vorsitzender des Aufsichtsrates) als Schriftführer in die Versammlung eingebunden.109 Die erste Revision der Genossenschaft erfolgte am 26. April 1910 durch Koch. Die Revision am 15. September 1911 – also ein Jahr nach der ersten Revision – wurde durch den Verbandsrevisor Rieder durchgeführt, der auch die folgende Revision am 16. April 1913 übernahm. Koch revidierte die Spar- und Darlehnskasse Denklingen erneut am 16./17. April 1915 sowie am 14. Mai 1919. Die dazwischen liegende Revision am 11./12. Mai 1917 wurde vom Revisor Sippel ausgeführt.110 Auch bei der Spar- und Darlehnskasse Derschlag (Kreis Gummersbach) übernahmen Rieder und Koch die Revisionen. Tabelle 18: Revisionstage und Revisoren bei der Spar- und Darlehnskasse Derschlag 5.-6. Juni 1906

Trebschuh

4.-6. März 1913

Rieder

4. Februar 1907

Kurtz

19.-21. März 1914

Koch

27. Februar 1908

Kurtz

24.-25. Jan. 1917

Koch

24. März 1909

Rieder

16.-17. Mai 1919

Koch

21.-23. April 1910

Koch

18.-19. Aug. 1921

Müller

20.-22. März 1911

Rieder

Quelle: AdVBO, Bestand RB Wiehl, 76-8, Revisionsberichte.

109 HStA Düsseldorf, Rep. 78 Nr. 49, Königliches Amtsgericht zu Waldbröl: Spar- und Darlehnskasse Denklingen eGmbH zu Denklingen. Band 1, 1909–1951, Protokoll über die Errichtung der Genossenschaft, Abschrift, 2. Mai 1909; siehe zum Beispiel auch AdVBO, Bestand RB Wiehl 77-6, Protokoll über die Gründung der Spar- und Darlehnskasse Derschlag eGmuH am 30. März 1905. – An der Gründung nahm der Generalsekretär des Bonner Verbandes Kerp teil und übernahm die Schriftführung während der Gründungsversammlung. Für diese Vorgehensweise lassen sich eine Vielzahl Belege finden. 110 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 78-6; 10.-11. April 1923: Revisor Müller.

2. Externe Kontrolle durch die Revision

251

Damit war die Genossenschaft in Derschlag in zehn Jahren sechs Mal revidiert worden, das heißt in etwas kürzeren Abständen (circa alle 20 Monate), als das Genossenschaftsgesetz es vorschrieb. Bereits um 1900 wurden alle rheinischen Revisionsverbände dazu angehalten, die Zeitspanne zwischen den Prüfungen zu verkürzen.111 Im Jahr 1905 formulierte der Bonner Verband abermals das Ziel, die Genossenschaften in zeitlichen kürzeren Abständen als vom Gesetzgeber vorgeschrieben zu revidieren – möglichst mindestens alle anderthalb Jahre. Die Revisoren Rieder und Koch teilten sich zeitweise das Gebiet Gummersbach/Waldbröl. Nicht überprüft werden konnte, ob sie neben den Genossenschaften in diesem Gebiet noch für weitere Genossenschaften zuständig waren. Mit der festen Zuständigkeit für ein bestimmtes Gebiet waren die Revisoren nicht nur über die Entwicklung einer einzelnen Kreditgenossenschaft im Bilde, sondern über die Entwicklung sämtlicher (dem Verband Bonn angeschlossener) Kreditgenossenschaften ihres zugteilten Gebietes, besaßen also regionale Kenntnisse. Dies hatte für sie den Vorteil, die Revisionsergebnisse einer Genossenschaft im Vergleich mit den Ergebnissen einer anderen und in Kenntnis über die sozioökonomischen Spezifika des Gebietes fundierter und damit verlässlicher einschätzen zu können. Dass hier mehrere Revisoren für die in den beiden Kreisen ansässigen Kreditgenossenschaften zuzüglich der landwirtschaftlichen Genossenschaften zuständig waren, beugte aber auch zu starken Beziehungen persönlicher Art zwischen den Verwaltungsorganen und dem Revisor vor. Darüber hinaus half diese Vorgehensweise (im Sinne eines Vier-Augen-Prinzips) das Risiko, Fehler zu übersehen, zu reduzieren. Auffällig häufig wechselte die Zuständigkeit beim Kölner Verband, wie die Analyse von Protokollbüchern (diese zeichneten die Revisoren bei ihren Prüfungen ab) und Revisionsberichten zeigt. Exemplarisch angeführt werden hier die Ergebnisse der im Kreis Wipperfürth gelegenen Kreditgenossenschaften in Hönnige (später Wipperfürth), Wipperfeld und Kreuzberg.

111 Siehe auch LWK: Jahresbericht für 1910 und den fünfjährigen Zeitraum 1906–1910, S. 150. – Ziel des Bonner Verbandes war es, mindestens alle anderthalb Jahre eine Genossenschaft zu revidieren, da gerade nach Einschätzung der Verbandsleitung kleinere Genossenschaften häufig der Unterstützung durch den Verband bedurften.

252

VI. Effizienz durch Standardisierung und Kontrolle: Formularwesen und Revision

Tabelle 19: Revisionstage und Revisoren bei den Kreditgenossenschaften Wipperfürth, Wipperfeld, Kreuzberg (alle Kreis Wipperfürth) sowie Wormersdorf, Iversheim und Uedesheim (außerhalb der näher untersuchten Kreise) (1880–1930) Wipperfürth Jahr 1880

Datum der Revision

Wipperfeld Name des Revisors

Datum der Revision

Kreuzberg Name des Revisors

Datum der Revision

Name des Revisors

1892 1893 1894 1895

Gründung

21.12.1895

Kirchem

1897

9.6.1897

Kirchem

1899

8.6.1899

1901

29.04.1901

1896 1898 1900 1902 1903

24.11.1902

21.12.1895

Kirchem

Heising

9.6.1899

Heising

Wilms

27.04.1901

Wilms

31.4.1904

Kalter

01.08.1906

Kalter

Brendink

1904

01.04.1904

Kalter

1906

02.08.1902

Kalter

1908

31.07.1908

Winig

1910

14.06.1910

Kußen

1912

07.06.1912

1916

1905

Gründung 4.8.1896

25.11.1902

Gründung

Kirchem

Brendink

11.11.1905

Fleisch

05.12.1907

Kalter

19.02.1909

Wolf

Kußem

12.06.1910

Kußem

Schwamborn

13.07.1912

Schwamborn

07.03.1912

Schwamborn

18.02.1916

Schwamborn

15.03.1916

Schwamborn

16.02.1916

Schwamborn

1918

28.05.1918

Wolf

03.06.1918

Wolf

31.05.1918

Wolf

1920

07.05.1910

[?]

10.11.1920

Kusem [?]

05.02.1920

Kußem

27.05.1923

Stöcker

11.01.1923

Stöcker

1926

30.11.1926

Schmieder

17.?.1925

Stöcker

1928

12.10.1928

Schmieder

1930

21.06.1930

Jacob

1907 1909 1911

1913 1914 1915 1917 1919 1921 1922 1923 1924 1925 1927 1929

07.10.1913

Steingaß

22.09.1910

10.10.1913

Steingaß

20.07.1907

06.10.1913

Winig [?]

Steingaß

Anmerkung: Alle Genossenschaften gehörten dem Kölner Verband an. Quelle: RWWA 366-33-6, RWWA 378-1-11, RWWA 378-2-2, AdVBWL 2-6, AdVBWL 2-9, AdVBWL 3-12.

253

2. Externe Kontrolle durch die Revision

Wormersdorf (heute zu Raiffeisenbank Rheinbach Voreifel eG)

Iversheim (heute zu Raiffeisenbank Rheinbach Voreifel eG)

Uedesheim (heute zu VR Bank eG, Dormagen)

Datum der Revision

Datum der Revision Name des Revisors

Datum der Revision Name des Revisors

Name des Revisors

Gründung

Gründung 28.2.1893

Klinkhammer

22.2.1895

Stevens

12.8.1898

Brendink Brendink

28.7.1899

Heising

21.09.1901

Jörg

20.05.1901

Wilms

22.12.1903

Brendink

10.05.1903

Heising

19.12.1906

Schwamborn

12.12.1908

Thoma

Hoven [?]

??

Thoma

Kußem

05.06.1912

Kußem

27.11.1918

Dermanns [?]

22.02.1923

Wolf

15.10.1925

Wolf

17.12.1927

Kußem [?]

21.11.1929

Kußem [?]

17.11.1899

30.09.1902

08.02.1909 25.09.1910

Wolf

Schmieder

Brendink

??

Brendink

08.06.1907

Wolf

30.04.1909

Schmieder

13.05.1911

Schwamborn

22.03.1910

31.08.1912

Schwamborn

04.07.1914

Schwamborn

21.07.1914

Schwamborn

08.09.1916

Schwamborn

12.10.1916

Schwamborn

13.02.1919

Steingaß

11.05.1921

Kusem

18.10.1923

Kusen

18.[?].1924

17.[?].1927

Stübber [?]

Stübber [?]

17.06.1912

12.06.1921

Gründung

30.12.1904

28.03.1913

Kalter

Kußem

Büttner

254

VI. Effizienz durch Standardisierung und Kontrolle: Formularwesen und Revision

Einige Revisoren waren offensichtlich nur wenige Jahre als Revisor für den Verband tätig, andere hingegen auch über Zeiträume von mindestens 15 Jahren, zum Beispiel Revisor Wolf.112 In der Regel hielten sich die Revisoren eine Woche ununterbrochen in einem Gebiet (etwa einer Gemeinde) auf und prüften dann innerhalb von fünf oder sechs Tagen zwei oder drei Genossenschaften. Bezieht man in die Analyse einige Eifeler Kreditgenossenschaften (hier die Kreditgenossenschaften mit Sitz in Wormersdorf (heute Stadtteil von Rheinbach) und Iversheim (Kreis Euskirchen)113 sowie die Uedesheimer Kreditgenossenschaft (heute Rhein-Kreis Neuss)) mit ein, wird deutlich, dass die gleichen Revisoren, die im Kreis Wipperfürth prüften, auch andernorts tätig waren, das heißt in vorliegenden Fall auch in der Eifel und nördlich von Köln.114 Die Analyse zeigt aber auch, dass es durchaus zeitliche Unregelmäßigkeiten bei der Revision gab: Die in und um Wipperfürth ansässigen Kreditgenossenschaften wurden nicht mindestens nach 729 Tagen erneut revidiert. Da keine Verbandsakten überliefert sind, ist nicht nachzuvollziehen, ob es sich um Lücken in der Überlieferung bei den Genossenschaften handelt oder um Nachlässigkeit seitens der Genossenschaften oder des Verbandes.115 Hilfreich für die Arbeit der Revisoren waren die bei der vorausgegangen Revision angefertigten Revisionsberichte. Anhand der Berichte konnte abgeglichen werden, ob bereits aufgedeckte und angemerkte Mängel tatsächlich behoben worden waren. Die Berichte ließen zudem die allgemeine Entwicklung der Genossenschaft nachvollziehen. So schrieb der Revisor Rieder im September 1908, dass die Revision der Spar- und Darlehnskasse Dieringhausen „im Wesentlichen“ das „glei­ ches Ergebnis“116 gezeigt habe wie die im September 1906 von ihm vorgenommene Revision. Auch der Revisor Koch nutzte Rieders Prüfungsbericht als Grundlage für die von ihm im April 1910 durchgeführte Revision: Das „Ergebnis der von mir vorgenommenen Revision weicht wenig von den früheren Revisionen ab“.117 Zur Verdichtung des Informationsflusses und damit die Prüfergebnisse durch die 112 Der Revisor Carl Felix Kirchem revidierte zuvor für den Verband ländlicher Genossenschaften der Provinz Westfalen, wo er unter anderem Martin Faßbender, der dort Redakteur des Vereinsorgans des Westfälischen Bauernvereins war, kennen lernte. Siehe hierzu Faßbender: Sparund Darlehnskassen-Vereine, 1890. Kirchem war später Generalsekretär des Rheinischen Revisionsverbandes (siehe Exkurs in Kapitel IV). 113 Siehe auch Bessler-Worbs/Schlütz: Handbuch. – Anmerkung: Datum der Revision = Tag, an dem der Revisor das Protokollbuch der Generalversammlung abgezeichnet hat. Die Revisionen können durchaus mehrtätig gewesen sein. 114 RWWA, 366-33-6; RWWA, 378-1-11; RWWA, 378-2-2; AdVBWL 2-6; AdVBWL 2-9; AdVBWL 3-12. 115 Mit Hilfe der Auswertung von Amtsgerichtsakten könnte die Frage abschließend geklärt werden. Hier beziehungsweise in den zuständigen staatlichen Archiven finden sich vielfach noch die Registerakten der Genossenschaften und darin die beim Amtsgericht vorzulegenden Bescheinigungen über die Revision. 116 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 74-2, Revisionsbericht des Revisors Rieder über Revision der Spar- und Darlehnskasse Dieringhausen am 30. August-1. September 1908; siehe auch ebd., Revisionsbericht des Revisors Rieder über Revision der Spar- und Darlehnskasse Dieringhausen am 4.-5. September 1906. 117 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 74-2, Revisionsbericht des Revisors Koch über Revision der Spar- und Darlehnskasse Dieringhausen am 19.-20. April 1910.

2. Externe Kontrolle durch die Revision

255

Genossenschaften besser nachgehalten werden konnten, ging der Koblenzer Verband um 1905 dazu über, den Genossenschaften immer zwei Exemplare des Revisionsberichtes zuzusenden: Ein Exemplar erhielt der Vereinsvorsteher, das andere der Aufsichtsratsvorsitzende. Nach der gemeinsamen Besprechung des Vorstandes und Aufsichtsrates hatten die Verwaltungsmitglieder das Ergebnis der Besprechung auf einem Exemplar festzuhalten und an den Verband zurückzusenden, während das Duplikat zu den Vereinsakten zu nehmen war, um es dem nächsten Revisor vorlegen zu können.118 Beim Bonner Verband hatte man unterdessen einen besonderen Rückantwortbogen entworfen, auf dem in der linken Spalte sämtliche Mängel, die der Revisor dem Vorstand und Aufsichtsrat zu beheben empfahl, aufgeführt wurden. In der rechten Spalte hatten die Verwaltungsmitglieder aufzuführen, ob die Mängel bereits behoben worden waren, oder welche Maßnahmen man aktiviert oder sich überlegt hatte, um die Mängel alsbald zu beseitigen. Dieser Bogen war innerhalb von vier Wochen an den Verband zurückzusenden.119 Dem Revisionsbericht kam demnach in mehrfacher Hinsicht – wie bereits bei der Vorbereitung des Genossenschaftsgesetzes gefordert – zentrale Bedeutung zu. Zum einen war er Arbeitsgrundlage der Revisoren, zum anderen diente er der nachträglichen Nachvollbarkeit der Revisionen und insbesondere der Unterrichtung der Genossenschaftsorgane. Für den Verband war der Genossenschaftsbericht zugleich aber auch Rechenschaftsbericht, ein Beweis dafür, dass er seinem gesetzlich vorgeschriebenen Zweck nachgekommen war. § 61 GenG forderte, „den Bericht über die Revision bei der Berufung der nächsten Generalversammlung als Gegenstand der Beschlußfassung anzukündigen“120 und die Erläuterung der Ergebnisse des Berichtes durch den Aufsichtsrat. In den Generalversammlungsprotokollen finden sich lediglich Hinweise darauf, dass die Berichte verlesen wurden; die Revisionsberichte selbst sind nicht Gegenstand des Protokolls. So heißt es etwa: Der Aufsichtsratsvorsitzende verlas den Revisionsbericht vom Verband in Bonn über die Revision durch den Verbandsrevisor Koch und erklärte, dass „die gerügten Punkte zum Teil schon durch Vorstand und Aufsichtsrat beseitigt [wurden], und [es] wurde dem Aufsichtsrat übertragen, die übrigen Mängel Abhülfe zu schaffen“,121 oder es hieß schlicht, dass die Mängel nach Beschluss des Aufsichtsrates und der Vorstandes behoben werden sollten. Es kam aber auch vor, dass es versäumt wurde, die Beschlussfassung über den Revisionsbericht auf die Tagesordnung der Generalversammlung zu setzen, so etwa in Denklingen. Das Mitglied R. König forderte daraufhin das Wort zur Geschäftsordnung und „protestierte“ dagegen, dass der Vorstand die Verlesung des letzten Revisionsberichtes „nicht auf die Tagesordnung gebracht“ hatte.122 Die Generalversammlung beschloss daraufhin „mit großer Mehrheit gemäß dem Antrag König“123 die Verlesung des Berichtes.124 118 119 120 121 122 123 124

LWK: Jahresbericht für 1910 und den fünfjährigen Zeitraum 1906–1910, S. 269. Siehe unter anderem AdVBO, Bestand RB Wiehl, 74-2. RGBl. 1889, Nr. 11, GenG, S. 70, § 61. AdVBO, Bestand RB Wiehl, 78-6, GV-Protokoll vom 15. Juni 1915. Ebd. AdVBO, Bestand RB Wiehl, 78-6, GV-Protokoll vom 12. August 1917. Da § 63 GenG nicht vorschrieb, in welcher Weise der Revisionsbericht der Generalver-

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VI. Effizienz durch Standardisierung und Kontrolle: Formularwesen und Revision

Die Revisionen wurden aufgrund des wachsenden Geschäftsumfanges der Kreditgenossenschaften immer aufwendiger und komplexer. Die Revisionsfragebögen (in Form von Checklisten), die den Revisoren von den Verbänden an die Hand gegeben wurden, dienten ihnen als „wertvolle Wegweiser“.125 Die Auswertung der Revisionsberichte über die Revisionen, die bei der Spar- und Darlehnskasse Dieringhausen stattfanden, zeigt anschaulich die Weiterentwicklung des Revisionsberichtes. Die erste Revision fand am 3. September 1896 statt. Revisor Schellenberger, späterer Generalsekretär des Bonner Verbandes, hielt das Ergebnis auf einer Art Fragebogen fest, auf dem er nur noch ,ja‘ oder ,nein‘, einige Werte und bei einigen Fragen kurze Kommentare eintragen musste. Auch bei der zweiten Revision am 8. und 9. September 1898 (Revisor Heinrich Strübind) gab es noch diese Art von Fragebogen. 1900 hingegen hatte der Revisionsbericht zwar noch den gleichen inneren Aufbau, doch hatte der Revisor (erneut Strübind) nun auf einem mit der Überschrift „Revisionsbericht“ versehenen Papierbogen in Fließtext die Revisionsergebnisse zu beschreiben.126 Der Revisionsbericht wurde von den Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern dennoch nicht immer ohne Gegenargumente oder Reklamation hingenommen, auch wenn der Revisor keine Werturteile über die Organe abzugeben hatte. So fühlten sich Organmitglieder durchaus auch persönlich angegriffen, zum Beispiel weil der Revisionsbericht kein Lob enthielt. Mit dieser Beschwerde hatten sich jedenfalls Vorstand und Aufsichtsrat der Spar- und Darlehnskasse Derschlag 1919 an den Verband gewandt, da die Geschäftsführung ihre Arbeit im Revisionsbericht nicht ausreichend gewürdigt sah, woraufhin der Verbandsdirektor des Bonner Verbandes, Gustav Havenstein, schrieb: „Der Revisor kommt als Freund und Berater zu den Genossenschaften. Er macht dabei die ihm durch das Gesetz und die Dienstanwei­ sung vorgeschriebenen Feststellungen und gibt darüber hinaus, gestützt auf seine Erfahrungen, Ratschläge für den Geschäftsbetrieb und die Verwaltung. Der über die Revision ausgefertigte Bericht soll eine sachliche Darstellung des Revisionser­ gebnisses, aber weder Lob noch Tadel enthalten. Der Ihnen zugestellte Revisions­ bericht ist in dieser Beziehung einwandfrei. Wir haben aber dennoch Herrn Koch aufgefordert, sich zu den einzelnen Punkten Ihres Schreibens zu erklären. Seine Entgegnung fügen wir abschriftlich hier bei. Aus der Entgegnung des Herrn Koch ist ersichtlich, dass es ihm fern lag, Vorwürfe zu machen. Wir dürfen wohl erwarten, sammlung präsentiert werden musste, war es einerseits möglich, diesen nur passagenweise vorzustellen und vielleicht Punkte, die ein schlechtes Licht auf die Verwaltung warfen, auszusparen, andererseits waren die Revisoren vielfach bei den Generalversammlungen anwesend, sodass es hier der Verwaltung kaum möglich war, den Bericht nur fragmentarisch darzustellen. 125 Haurand: Revisionsbericht, S. 743. – Nach § 62 GenG war der Reichskanzler ermächtigt, „allgemeine Anweisungen“ zur Abfassung des Revisionsberichtes zu erlassen, wovon er jedoch keinen Gebrauch machte. 126 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 74-2, Revisionsberichte; Abweichungen bei der Vorgehensweise und dem Aufbau des Revisionsberichtes ergeben sich je nach Verband, aber auch diachron kam es zu Modifikationen; der Aufbau eines Revisionsberichtes wird unter anderem auch in Haurand: Revisionsbericht, S. 744, ausführlich beschrieben. Siehe auch Mose: Prüfungsbericht, S. 520 f.

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dass Sie damit die Angelegenheit als erledigt betrachten“.127 In Folge des Derschlager Schreibens musste sich der Verbandsrevisor – wenn ihn auch Havenstein gegenüber der Genossenschaft in Schutz genommen hatte – gegenüber dem Verbandsdirektor erklären: „Es ist richtig, dass im Revisionsbericht anerkennende Worte über die Entwicklung der Genossenschaft nicht enthalten sind. Nicht richtig dagegen ist, dass an einzelnen Stellen des Berichtes Vorwürfe gemacht wurden. Weder für Anerkennung noch für Vorwürfe ist der Revisionsbericht der geeignete Platz. Der Revisionsbericht soll nach der erteilten Anweisung nur Tatsachen fest­ stellen und Empfehlungen enthalten, wie der Geschäftsbetrieb vervollkommnet werden kann, und die Verwaltungsorgane bei Erfüllung ihrer Obliegenheiten ver­ fahren sollen. Etwas anderes wird ein objektiver Leser wohl auch nicht aus dem Bericht herauslesen“.128 Koch hatte im Revisionsbericht von 1919 vor allem darauf hingewiesen, dass zum einen die Mitgliederzahl verhältnismäßig stark zurückgegangen sei (von 280 im Jahr 1912 auf 257, wovon weitere sechs Mitglieder Ende 1919 ausschieden), zum anderen der Aufsichtsrat nicht beschlussfähig sei, da von sechs Aufsichtsratsposten drei vakant seien. Zudem forderte Koch den Aufsichtsrat auf, zu „veranlassen“,129 dass am Jahresschluss in seinem Beisein eine Bestandsaufnahme stattfinde und dass der Aufsichtsrat „selbst in kürzeren Zeitabschnitten die ihm obliegenden Prüfungen – auch unvermutet“130 – vornehmen solle. Ein Protokoll über die Besprechung der Prüfungsergebnisse, an der, so Kochs Bericht, der gesamte Vorstand sowie ein Aufsichtsratsmitglied teilgenommen hatte, ist nicht überliefert. Dies war zugleich die letzte Revision, die Koch bei der Spar- und Darlehnskasse Derschlag vornahm. Ob zwischen den Vorwürfen und der Tatsache, dass Koch die Genossenschaft nicht noch einmal revidierte, ein kausaler Zusammenhang bestand, kann nicht bestätigt werden. Deutlich wird jedoch, dass die gesetzlich vorgeschriebene Darlegung des Berichtes durch den Aufsichtsrat eine gewisse Sensibilität verlangte, um etwa eine Beunruhigung der Mitglieder zu vermeiden, jedoch erforderlich war, da die Generalversammlung als oberstes Gremium sachlich und unparteiisch zu unterrichten war.131 Der Revisor hatte also auch mit Be127 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 76-8, Schreiben vom 16. September 1919. Siehe auch ebd., Revisionsbericht über die Revision vom 16.-17. Mai 1919; Guinnane: Friend, S. 23, Guinanne führt Quabeck: Handbuch, an und verweist auf weitere Fundstellen: „this phrase comes up repea­ tedly in cooperative publications“. Hier wurde die Formel „Freund und Berater“ von Havenstein wörtlich angeführt, was darauf schließen lässt, dass es sich um keine regionale, verbandsspezifische Formel, sondern um einen überregionalen Ausspruch des Reichsverbandes handelte, da der Verband ländlicher Genossenschaften der Provinz Westfalen Mitglied des Reichsverbandes war. Siehe Preußische Central-Genossenschafts-Kasse: Jahr- und Adreßbuch (1908), S. XXIV. 128 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 76-8, Abschrift des Schreibens von Revisor Koch an den Verband, 16. September 1919. Weiter schrieb Koch: „Meine Empfehlung im Revisionsbericht ist deshalb wohl am Platze. Zudem kann es der Sache nur dienlich sein, wenn, wie im Revisionsbericht in durchaus ruhiger und sachlicher Weise geschehen, dem Aufsichtsrat das Gewissen geschärft wird. Derartige Anregungen sind keine Vorwürfe“. 129 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 76-8, Revisionsbericht über die Revision vom 16.-17. Mai 1919. 130 Ebd. 131 Siehe Haurand: Revisionsbericht, S. 743.

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dacht den Bericht abzufassen, ohne dabei jedoch Mängel ‚unter den Tisch zu kehren‘.132 Hat die Revision versagt? Beispiel 1: Denklinger Darlehnskassen­Verein eGmuH Trotz der regelmäßigen externen Revision und der gesetzlichen Pflicht zur regelmäßigen inneren Revision durch den Aufsichtsrat finden sich auch für den näheren Untersuchungsraum mehrere Beispiele für Unterschlagung. Anhand der überlieferten Akten ließ sich ansatzweise nachvollziehen, dass Misswirtschaft und Unterschlagungen zur Liquidation der betroffenen Kreditgenossenschaften führten. Von den sieben in und um Wipperfürth zu Beginn des 20. Jahrhunderts bestehenden Kreditgenossenschaften waren zwei nicht existenzfähig und wurden bereits 1910 (Kreditgenossenschaft in Egen) beziehungsweise 1932 (Kreditgenossenschaft Hintermühle) liquidiert. Erstere war dem Verband Köln angeschlossen gewesen. Auch einige dem Verband Bonn angeschlossene Genossenschaften wurden liquidiert – vor allem in „Eigenbrötlerei und Mangel an Gemeinschaftsgefühl“,133 aber auch in „persönlichen Zwistigkeiten, durch unberechtigte, oft genug mit unlauteren Mitteln verfochtene Sonderwünsche einzelner Mitglieder oder Mitgliedergruppen“134 lagen die Ursachen zur Liquidation oder zunächst für den Konkurs. Der Verband Köln konstatierte, dass vor allem Spar- und Darlehnskassen, aber auch Bezugs- und Absatzgenossenschaften aufgelöst wurden, wenn sie aufgrund eines zu klein umrissenen Geschäftsbezirkes nicht existenzfähig waren.135 Darüber hinaus waren Unterschlagungen kein seltenes Phänomen.136 Bereits in frühen von den Verbänden herausgegebenen Leitfäden zur Gründung oder zur Leitung von Genossenschaften wurde auf die Bedeutung des Charakters und der Fähigkeiten der Organmitglieder, insbesondere des Rechners, hingewiesen. Letzterem musste besonderes Vertrauen entgegengebracht werden können, da „durch seine Hände alljährlich viele tau­ sende Mark rollen und von seiner Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit Wohl und Wehe des Vereins abhängen. Selbstverständlich muß der Rechner auch in der Lage sein, den an ihn gestellten Anforderungen zu genügen“.137 Im folgenden Fall spielten nicht nur mangelnde Zuverlässigkeit und eigennütziges Verhalten, sondern auch Unfähigkeit, Unkenntnis und fehlende Geschäftserfahrung eine wesentliche Rolle für die Liquidation. In Denklingen (Kreis Waldbröl) wurde im Jahr 1901 beschlossen, den 1874 gegründeten, dem Raiffeisen-Verband Neuwied angeschlossenen Darlehnskassen-Verein zu liquidieren.138 Begründet 132 Siehe etwa AdVBO, Bestand RB Wiehl, 78-6, Spar- und Darlehnskasse eGmuH Derschlag, GV-Protokoll vom 28. Juni 1917. 133 LWK: Jahresbericht für 1910 und den fünfjährigen Zeitraum 1906–1910, S. 258. 134 Ebd. 135 Ebd., S. 274 ff. 136 Ebd., S. 285 (Maßnahmen gegen Unterschlagung). 137 Generalverband der deutschen Raiffeisen-Genossenschaften: Anleitung (1919), S. 118; siehe auch Kraus: Gründung, S. 3; Dahlem: Professionalisierung, S. 5 f.; Kluge: Geschichte, S. 53ff. 138 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 30-8, Denklinger Darlehnskassenverein eGmuH, GV-Protokoll vom 9. Juni 1901.

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wurde dieser Beschluss mit drei Argumenten: Ein Grund lag in hohen Zinsen. Bereits 1896 hatte man beschlossen, wegen der schlechten Geschäftslage und hoher Zinsen bei der Neuwieder Zentralkasse keine weiteren Anleihen mehr aufzunehmen.139 Vor allem aber lag das Motiv für diesen Beschluss im „schlechten Geschäftsgange“140 der vorausgegangenen Geschäftsjahre, in denen es wiederholt zu Unterbilanzen gekommen war. Und auch die Prognose, dass „bei einem weiteren Fortbestehen die Kasse wieder gezwungen sein würde, zur Deckung des Defizits von einzelnen Mitgliedern einen bestimmten Betrag einzuziehen“,141 wie es bereits 1894 notwendig gewesen war, führte letztlich zum Entschluss, die Kreditgenossenschaft aufzulösen. Bereits rund anderthalb Jahre vorher hatte man damit begonnen, die Liquidation vorzubereiten:142 Am 5. November 1899 beschloss die Generalversammlung, künftig nur noch Darlehn auf maximal zwei Jahre und nicht höher als 100 Mark – was eine Herabsetzung der ursprünglichen Kreditgrenze von 500 Mark um 80 Prozent bedeutete143 – zu bewilligen. Der schlechten Geschäftslage vorausgegangen waren mehrere Zwistigkeiten unter den Verwaltungsmitgliedern. Schon die ersten Geschäftsjahre standen unter keinem guten Stern. Gründungsmitglied und zugleich Vereinsvorsteher F. W. Kxxxx, Gastwirt und seit 1862 Postexpediteur der 1858 eröffneten Denklinger Postexpedition,144 war 1878 aus seinem Amt enthoben und aus der Genossenschaft ausgeschlossen worden,145 nachdem er „den Verein nach jeder Bezeichnung zu schädigen versucht“146 hatte. Vorstandsmitglied W. Simon stellte zugleich den Antrag, von Kxxxx die Herausgabe der „in seinen Händen noch be­ findlichen Vereinsakten […] sofort klagbar zu werden“.147 Trotz des Beschlusses, gegen Kxxxx zu klagen, versuchte der Vorstand zunächst eine gütliche Einigung mit Kxxxx zu erreichen, was jedoch nicht gelang, sodass der Vorstand im Herbst 1878 Klage wegen „Unterschlagung von Vereinsgeldern“148 einreichte. Die Liste 139 140 141 142 143 144 145 146 147 148

AdVBO, Bestand RB Wiehl, 30-8, GV-Protokoll vom 8. März 1896. AdVBO, Bestand RB Wiehl, 30-8, GV-Protokoll vom 9. Juni 1901. Ebd. AdVBO, Bestand RB Wiehl, 30-8, GV-Protokoll vom 5. November 1899. Bereits in der Versammlung am 22. Januar 1899 wurde beschlossen, Darlehn von maximal 100 Mark zu bewilligen. AdVBO, Bestand RB Wiehl, 30-8, GV-Protokoll vom 3. März 1895. Gerhard: Eckenhagen; Simon: Geschichte, S. 101. HStA Düsseldorf, Rep. 78 Nr. 35, Statut vom 20. Januar 1874. Ausschluss nach § 4 Abs. c des Statuts. AdVBO, Bestand RB Wiehl, 26-5, Denklinger Darlehnskassen-Verein eGmuH, VS/VR-Protokoll vom 15. Mai 1878. AdVBO, Bestand RB Wiehl, 26-5, VS/VR-Protokolle vom 15. Mai 1878 und vom 5. Mai 1878. AdVBO, Bestand RB Wiehl, 26-5, VS/VR-Protokoll vom 22. September 1878; siehe Generalverband der deutschen Raiffeisen-Genossenschaften: Anleitung (1919), S. 106 f. Hiernach war bereits beim Verdacht einer Unterschlagung der Rechner sofort „zu beurlauben“, die Kasse sowie die Bücher und Akten durch den Vorstand an sich zu nehmen und ein Interims-Geschäftsführer zu suchen, bis die Unterschlagung eindeutig festgestellt wurde. Sofort bei Verdacht war der Verband zu informieren, der einen Revisor zur Prüfung schickte. „Um unnötige Beunruhigung im Vereinsbezirk zu vermeiden“, war über die „Angelegenheit bis zur Beeidi­ gung der Revision strengstes Stillschweigen zu beobachten“.

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der Außenstände war nach Kxxxxs Ausscheiden lang, und auch ein konsequenteres Vorgehen (mehrfach auf gerichtlichem Wege) gegen die Schuldner verbesserte die Lage der Genossenschaft nicht, zumal auch das Interesse der Mitglieder an der Zukunftssicherung der Genossenschaft eher gering war; die Mitgliederversammlungen waren häufig schlecht besucht – 1884 waren gar keine Mitglieder zur Generalversammlung erschienen.149 Am 21. Mai 1876 hatte die Generalversammlung beschlossen, den § 6 des Statuts zu ändern und verzinsliche Geschäftsanteile zu erheben. Von den infolge des Beschlusses in dem Zeitraum 1876/1877 eingezahlten Anteilen wurden 31 Mitgliedern (von 101 Mitgliedern) zwischen 1881 und 1884 ihre Geschäftsanteile wegen Austritts wieder zurückgezahlt. Weitere 13 Personen waren bereits 1878/79 ausgeschieden.150 Seit Mitte der 1880er-Jahre lag der Geschäftsverkehr brach. Am 19. April 1885 beschlossen Vorstand und Aufsichtsrat, „von neuen Geschäften Abstand zu nehmen“.151 Bis Februar 1893 wurden daraufhin keine weiteren Vorstands- und Aufsichtsratssitzungen mehr abgehalten – die Generalversammlung tagte bis 1889 weiterhin, unter anderem stimmte sie am 1. Dezember 1889 der Umwandlung der Genossenschaft in die Rechtsform der eGmuH zu.152 Geprüft wurde die Genossenschaft bereits vor der gesetzlichen Einführung der Revision 1889 zwei Mal auf Grundlage des Statuts des Neuwieder Anwaltschaftsverbandes: am 25. Juli 1886 und am 6. September 1888. Die erste Revision nach Inkrafttreten des Genossenschaftsgesetzes erfolgte am 20. August 1889. Erneut geprüft wurde die Genossenschaft vom 19. bis 20. November 1892,153 sodann am 1. Juni 1894 und nochmals am 13. November 1895. Alle Revisionen wurden von unterschiedlichen Revisoren durchgeführt.154 Insbesondere der Revisionsbericht von November 1892 lässt auf große personelle Schwierigkeiten der Genossenschaft schließen. Unter „etwaigen Bemerkungen“ schrieb der Revisor: „Sollte der Verein seine Thätigkeit wieder beginnen, so wird der Vorstand sowie auch der Verwal­ tungrath an seine Pflichten erinnert. Nur die unordentliche Thätigkeit der ehemali­ gen Verwaltungsorgane hat den Verein in seine jetzige Lage gebracht. Wenn aber Vorstand und Aufsichtsrath in der Folge ihre Pflicht thun werden, ist kaum daran zu zweifeln, daß sich der Verein von dem erlittenen Schaden wieder erholen wird“.155 149 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 30-8, Denklinger Darlehnskassen-Verein eGmuH, GV-Protokoll vom 20. April 1884. 150 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 26-3, Denklinger Darlehnskassen-Verein eGmuH, Conto der Mitglieder über eingezahlte Geschäftsantheile. 151 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 26-5, Denklinger Darlehnskassen-Verein eGmuH, VS/VR-Protokoll vom 19. April 1885. 152 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 30-8, Denklinger Darlehnskassen-Verein eGmuH, GV-Protokoll vom 1. Dezember 1889. 153 Der Revisionsbericht gibt den 18.-19. November 1892 an. Siehe AdVBO, Bestand RB Wiehl, Denklinger Darlehnskassen-Verein eGmuH, unverzeichneter Revisionsbericht vom 19. November 1892. 154 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 30-8, Denklinger Darlehnskassen-Verein eGmuH, GV-Protokollbuch, Unterschriften unter den Protokollen. 155 AdVBO, Bestand RB Wiehl, Denklinger Darlehnskassen-Verein eGmuH, unverzeichneter Revisionsbericht vom 19. November 1892.

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Offensichtlich aber war der erlittene Schaden – trotz regelmäßiger Revisionen auch schon vor 1889 – so groß, dass die Genossenschaft sich nicht wieder erholte. Symptomatisch für die angespannte Lage der Genossenschaft kann auch das Vorgehen beziehungsweise der barsche Ton gegen den ehemaligen Vereinsvorsteher gesehen werden: Als Pfarrer Wilhelm Hubert Ernst156 1894 nach Nideggen versetzt wurde und von seinem Amt als Vereinsvorsteher157 sowie von seinem Rendantenamt, das er notgedrungen nach dem Rücktritt des Rechners Hamburger im April 1894 übernommen hatte, da sich für diesen kein Nachfolger fand,158 zurücktreten musste,159 sollte er – wenn nötig auch gerichtlich – dazu bewegt werden, eine Differenz von 50 Mark, welche die Revision ergeben hatte, zu begleichen.160 Welcher Fehler Ernst unterlaufen war – oder welchen er eventuell wissentlich begangen hatte –, lässt sich leider nicht mehr feststellen, auffällig ist jedoch erneut der sofortige Beschluss, den Klageweg zu gehen. Insgesamt zeigt sich im Fall des Denklinger Darlehnskassenvereins eGmuH eine vielfältige Kombination aus Desinteresse161 (geringe Teilnahme an der Generalversammlung und eine Austrittsquote von rund 45 Prozent in den ersten zehn Geschäftsjahren, unregelmäßige Kontrollen durch den Aufsichtsrat), aus absichtlichem eigennützigem Fehlverhalten (insbesondere das Verhalten Kxxxx), aus mangelnder Geschäftserfahrung (vermutlich im Fall Ernst) sowie aus nicht ordnungsgemäßer Geschäftsführung (1892 wohnten 64 Mitglieder außerhalb des Geschäftsbezirkes162); hinzu kommt die Unwirksamkeit beziehungsweise ein verspätetes Einsetzen der externen Revision. Die erste Revision konnte für 1886 konstatiert werden. Ob die Genossenschaft sich aufgrund des Statuts des Anwaltschaftsverbandes, in dem 1883 die regelmäßige ‚freiwillige‘ Revision zur Bedingung für die Mitgliedschaft im Verband gemacht wurde, zuvor freiwillig Revisionen unterzogen hatte, konnte nicht festgestellt werden.

156 Gerhard: Eckenhagen, S. 280. – Ernst stammte aus Dürwiß, war vom 28. November 1868 an Pfarrverwalter der katholischen Kirche in Denklingen und ab 1872 Pfarrer. 157 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 30-8, Denklinger Darlehnskassen-Verein eGmuH, GV-Protokoll vom 1. Dezember 1889. Ernst wurde am 1. Dezember 1889 zum neuen Vereinsvorsteher gewählt. Sein Nachfolger wurde 1894 der Denklinger Bürgermeister Hugo Hoemann. Siehe zu Hoemann auch Gerhard: Eckenhagen, S. 47, 342. 158 AdVBO, Denklinger Darlehnskassen-Verein eGmuH, unverzeichneter Revisionsbericht vom 2. Juni 1894. – Nachfolger von Ernst war der evangelische Lehrer Friedrich Großstück. Großstück stammte aus Alpe und war bis zu seiner Pensionierung am 1. April 1924 Lehrer an der evangelischen Schule Denklingen. Er war unter anderem Mitbegründer der Landwirtschaftlichen Bezugs- und Absatzgenossenschaft Denklingen und deren langjähriges Vorstandsmitglied. Siehe zu Großstück Gerhard: Eckenhagen, S. 307, 327, 337; HStA Düsseldorf, Rep. 78 Nr. 48, S. 13–16 (Liste der Genossen). 159 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 30-8, Denklinger Darlehnskassen-Verein eGmuH, GV-Protokolle vom 4. November 1894 und vom 25. November 1894. 160 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 30-8, GV-Protokoll vom 1. Dezember 1895. 161 Mangelndes Interesse wird von den Verbänden als Hauptgrund für die Liquidation von Genossenschaften beschrieben, da aus dem Desinteresse Fehler folgen, die die Genossenschaften unrentabel machen oder in den Konkurs führen. Siehe LWK: Jahresbericht für 1910 und den fünfjährigen Zeitraum 1906–1910, S. 274. 162 AdVBO, Bestand RB Wiehl, unverzeichneter Revisionsbericht vom 19. November 1892.

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Für den Ökonomen Holger Bonus ist das „menschliche Klima in dieser Gruppe [Genossenschaften; Anm. d. Verf.] […] von unmittelbarer betriebswirtschaftlicher Bedeutung, weil nur der innere Zusammenhalt der Gruppe eine robuste Unterneh­ menspolitik ermöglichte“.163 Georg Draheim stellte bereits in den 1950er-Jahren die Doppelnatur der Genossenschaft als charakteristischstes Merkmal heraus: Die Genossenschaft ist sowohl Wirtschaftsunternehmen als auch Personenvereinigung.164 Das entspricht der genuinen Zweiteilung in marktbezogene, wirtschaftliche Funktionen einerseits und gruppenbezogene, soziale Funktionen andererseits. Mit dem Denklinger Beispiel kann zugleich aber auch die Absage des Autorentrios Zerche/Schmale/Blome-Drees an die Anwendbarkeit des Prinzipal-Agenten-Ansatzes auf die „traditionelle Genossenschaft“165 (Vorstand, Aufsichtsrat und Rendant würden sich aufgrund des Identifikationsprinzips in zu hohem Maße mit der Genossenschaft verbunden fühlen, als dass der Prinzipal-Agenten-Ansatz hier fruchtbare Verwendung finden könne) ausgeräumt werden.166 F. W. Kxxxx hat sich deutlich als begrenzt rationaler Nutzenmaximierer gezeigt. Er nahm mehrere Ämter, die sich neben dem Betrieb seiner Gastwirtschaft abwickeln ließen, an, um seine ökonomische Situation zu verbessern (Kapitel V.2). Informationen, die er am Tresen sammelte, brachte er in diese Ämter ein und verwertete sie – mehr oder weniger ‚verborgen‘, da hier offensichtlich das Monitoring durch den Aufsichtsrat zunächst versagte und die externe Revision noch nicht existierte – zugleich zu seinem Vorteil. Er, bediente sich also der List als Option des Opportunismus. Er nutzte damit seine Position, um die Schuldverschreibungen des einen Mitgliedes zu akzeptieren und die eines anderen – obwohl von den anderen Organmitgliedern bewilligt – nicht. Zudem bereicherte König sich durch Unterschlagungen. Die Herausgabe der Unterlagen, die sein fehlerhaftes Verhalten hätten aufdecken können, verweigerte er nach seinem Ausschluss aus der Genossenschaft.167 Da hier nur die Überlieferungsseite der Genossenschaft ausgewertet wurde, wo eine Rehabilitation Kxxxx nicht zu finden war, und weitere Akten – denkbar wäre ein Blick in die Gerichtsakten –, nicht herangezogen werden konnten, kann nicht überprüft werden, ob die Anschuldigungen gegen F. W. Kxxxx auch im Gerichtsverfahren anerkannt wurden. Dennoch gibt der Fall hilfreiche Hinweise auf das Versagen der sozialen Kontrolle innerhalb der Dorfgesellschaft – Kxxxx war durch seine Tätigkeit als Wirt und Postexpediteur den rund 3.300 Einwohnern der Gemeinde Denklingen mit Sicherheit persönlich bekannt, zumal die Gründungsmitglieder des Darlehnskassenvereins ihm entsprechendes Vertrauen entgegenbrachten und ihn zum Vereinsvorsteher wählten. Außerdem veranschaulicht der Fall Kxxxx, wie notwendig die gesetzliche Einführung der internen (Aufsichtsrat) und der jährlichen externen Kontrolle (Re163 Bonus: Genossenschaften (1987), S. 16. 164 Draheim: Ökonomisierung, S. 9 f.; ders.: Betrachtung, S. 40: „[S]ie ist gleichzeitig Wirtschafts­ gebilde […] und Personenvereinigung“. 165 Zerche/Schmale/Blome-Drees: Einführung, S. 68 f. 166 Ebd. 167 Siehe insbesondere AdVBO, Bestand RB Wiehl, 26-5, Denklinger Darlehnskassenverein eGmuH, VS/VR-Protokolle vom 15. Mai 1878, 22. September 1878; siehe auch ebd., VS/VRProtokoll vom 31. März 1878.

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vision) war. In Denklingen wurde 1909 eine neue, oben bereits erwähnte Kreditgenossenschaft unter Beteiligung einiger Mitglieder des liquidierten DarlehnskassenVereins gegründet, da in Denklingen trotz der schlechten Erfahrungen sowohl Bedarf als auch Interesse bestand (die Gemeinde Denklingen profitierte stark von der zunehmenden Industrialisierung des Nachbarkreises Gummersbach und hatte zu diesem Zeitpunkt rund 4.500 Einwohner;168 das Gründungsprotokoll unterzeichneten 20 Personen, 1915 hatte die Genossenschaft 91 Mitglieder169). Hat die Revision versagt? Beispiel 2: Spar­ und Darlehnskasse eGmuH Engelskirchen Ein weiteres Negativbeispiel ist die Entwicklung der Spar- und Darlehnskasse Engelskirchen (Kreis Wipperfürth; gegründet 1899). Ende der 1920er-Jahre wurde diese Genossenschaft liquidiert. Die Liquidation wegen Überschuldung hatte nicht abgewendet werden können. Laut Geschäftsführung hatte der Revisor versäumt, die Unregelmäßigkeiten festzustellen beziehungsweise zu melden, woraufhin die Anwälte der Genossenschaft ihm „Vertrauensmißbrauch“ sowie „grobe Pflicht­ verletzung“ vorwarfen.170 Daraus ergeben sich zugleich unter anderem Fragen nach der Kontrolle der Prüfer. Wer prüfte die Prüfer? Wie konnte der Verband sichergehen, dass der Revisor im Sinne der normativen Regularien prüfte? Der Revisionsbericht, den der Verbandsdirektor oder ein Vertreter abzeichnete, diente nicht nur der Unterrichtung der Genossenschaftsorgane, sondern war zugleich auch ein Instrument zur Kontrolle und Beurteilung des Revisors. Was beim Koblenzer Verband explizit als Superrevision bezeichnet wurde, waren sowohl Revisionsbesprechungen unter den Revisoren als auch zwischen Revisor und Verband. Zweck der Superrevision war es, die gesamte Tätigkeit der Revisoren zu kontrollieren und festzustellen, ob alle Maßnahmen vorschriftsgemäß durchgeführt wurden. Zugleich waren diese Superrevisionen auch eine Fortsetzung beziehungsweise wiederholte Kontrolle der Genossenschaften, bei denen gravierende Mängel vorlagen. Diese Besprechungen sah man daher als „willkommene Gelegenheit“171 für eine „ein­ wandfreie Beurteilung“172 der Entwicklung im Verbandsbezirk sowie für die Erlangung genauer Kenntnis der schlecht geleiteten Genossenschaften.173 Die Superrevision ergab sich aus der Verantwortung der Verbände, insbesondere nach §§ 51, 53, 54 und 61 GenG, diente aber auch dazu, mit Hilfe von Erfahrungsberichten die Revisionsmethoden zu optimieren.

168 HStA Düsseldorf, D XIV A 223 a (1909–13), Verwaltungsbericht Kreis Waldbröl 1909–1913, S. 5. – Gemeinde Denklingen 1910: 4.495 Einwohner. 169 HStA Düsseldorf, Rep. 78 Nr. 49, Statut der Spar- und Darlehnskasse eGmuH Denklingen vom 2. Mai 1909; ebd., Bilanzveröffentlichung für den 31. Dezember 1916. 170 HStA Düsseldorf, Rep. 214 Nr. 10, Registerakte, Spar- und Darlehnskasse Eckenhagen, S. 60 ff., Schriftverkehr wegen Liquidation. 171 LWK: Jahresbericht für 1910 und den fünfjährigen Zeitraum 1906–1910, S. 270. 172 Ebd. 173 Ebd.

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Anfang des 20. Jahrhunderts war es bedingt durch einige Regressklagen gegen die Genossenschaftsverbände zur Diskussion über die Verantwortung, insbesondere über die Haftung der Verbände und Revisoren bei mangelhafter Kontrolle oder bei fehlerhafter Beurteilung der Geschäftslage gekommen. Der Direktor des Bonner Verbandes, Havenstein, sprach sich gegen die Haftbarmachung der Verbände aus, da der Gesetzgeber lediglich vorsah, dass die Verbände die Revisoren bestellen und die Überwachung der regelmäßigen Revision vorzunehmen hatten. Die Verbände seien jedoch „insbesondere gesetzlich nicht verpflichtet, die Genossenschaftsor­ gane zur Erfüllung ihrer Obliegenheiten und zu einer den Vermögensinteressen der Genossenschaften förderlichen Geschäftsführung anzuhalten“,174 da den Verbänden hierzu die „erforderlichen Zwangsmittel“175 fehlten. Zudem prüfte der Verband nicht selbst, sondern müsse sich hierzu „immer gewisser Personen bedienen“,176 nach Havensteins Auslegung handelte der Revisor also stets „ganz selbständig“.177 Er revidierte, erstellte den Bericht und gab die Bescheinigung über die stattgefundene Revision aus und sei daher derjenige, bei dem auch die Verantwortung gelegen habe. Von Juristenseite hingegen wurde in der Pflicht der verantwortungsvollen Auswahl des Revisors sowie in dessen Beaufsichtigung, die Aufgabe des Verbandes als noch nicht „erschöpft“178 verstanden, vielmehr hatte der Verband für eine ordnungsgemäße Revision zu sorgen. Der Revisor selbst stände in einem gesetzlichen Schuldverhältnis zur Genossenschaft, er war gegebenenfalls auch zu Schadenersatz verpflichtet. Der Revisor habe vor allem „nach seinem eigenen sachverständigen Ermessen zu entscheiden; etwaige Weisungen und Instruktionen sollen nur allgemeine Fingerzeige“179 sein, was ihn jedoch nicht davon entband, die einzelne Genossenschaft „selbständig und auf eigene Verantwortung“180 zu prüfen. Zusammenfassend ist zu konstatieren, dass es grundsätzlich Ziel der Verbände war, den Geschäftsbetrieb der Genossenschaften zu fördern und die Verwaltungsorgane bei ihren Aufgaben zu unterstützen – Richtschnur waren hierbei die Prinzipien der Selbsthilfe, Selbstverwaltung und Selbstverantwortung. In diesem Kontext sind auch die Unterstützung bei der Einrichtung einer effizienten Buch- und Geschäftsführung, die Beschaffung der technischen Einrichtung sowie die Einrichtung der Buchprüfungsstellen zu sehen. Skandierte Idee der Verbände war es, den Revisor als „Freund und Berater“181 zu den Genossenschaften zu entsenden. Die Revisionen trugen den „typischen Charakter einer Betreuungsprüfung“.182 Was den Ab174 Ebd., S. 260; siehe hierzu ausführlich Havenstein: Erfahrungen; Citron: Reichsgesetz, S. 292 f., Anm. 4. 175 LWK: Jahresbericht für 1910 und den fünfjährigen Zeitraum 1906–1910, S. 260. 176 Citron: Reichsgesetz, S. 292, Anm. 2. 177 Havenstein: Erfahrungen, S. 9 (Havensteins Argumente auf dem Verbandstag 1908). 178 Citron: Reichsgesetz, S. 293, Anm. 4, S. 294, Anm. 8. 179 Ebd., S. 296, Anm. 9. 180 Ebd. 181 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 76-8, Schreiben des Verbandes rheinpreußischer landwirtschaftlicher Genossenschaften e.V. Bonn vom 16. September 1919; ferner Guinnane: Friend, S. 23. 182 Fischer: Prüfungswesen, Sp. 1374; LWK: Jahresbericht für 1910 und den fünfjährigen Zeitraum 1906–1910, S. 261 f., 268 f.

2. Externe Kontrolle durch die Revision

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lauf einer Revision betraf, so schrieb das Genossenschaftsgesetz weder vor, wie genau diese vorzunehmen sei, noch waren die Belehrungen des Revisors bindend. Die Genossenschaften hatten infolgedessen keine juristischen Konsequenzen bei Nichtbehebung der Mängel zu befürchten. Damit kam der Revisionsbericht lediglich einer Empfehlung gleich. Einzig die Rüge durch den Verband, äußerstenfalls der Verbandsauschluss waren die Konsequenz.183 Dies stellte für die Genossenschaften des näheren Untersuchungsraumes jedoch keine größere Abschreckung dar. Ein Ausschluss aus dem Verband konnte immer noch durch den Beitritt zu einem der anderen drei im Rheinland agierenden Verbände korrigiert werden.

183 Erst die Erfahrungen mit der Revision, beschleunigt durch die Wirtschaftskrise 1929 bis 1931, führten zur Novellierung des Genossenschaftsgesetzes: Es wurde die Anschlusspflicht für Genossenschaften an einen Verband eingeführt, die Trägerschaft der Revision vom Revisor auf den Verband übertragen, und der Prüfungsauftrag erfuhr eine Erweiterung und Präzisierung (§ 53 GenG 1934). Eine bedeutende Weiterentwicklung des Revisionswesens bedeutete die Novelle von 1973, mit der die Bestimmungen über die Qualifikation des Prüfers konkretisiert wurden. Siehe Dehkordi: Entwicklung, S. 26 ff.

VII. ZWISCHEN KIRCHSPIEL UND KONKURRENZ: GESCHÄFTSBEZIRKE UND MITGLIEDERENTWICKLUNG In der Forschung wurde in der Regel bislang beharrlich der eng begrenzte Geschäftsbezirk als Spezifikum der ländlichen Kreditgenossenschaften herausgestellt: Bezirk an Bezirk, in der Regel ein Kirchspiel oder die politischen Grenzen einer Gemeinde umfassend, glichen demnach ganze Regionen einem kleinteiligen Flickenteppich.1 Dies kann für den hiesigen Untersuchungsraum jedoch nur in bedingtem Maße bestätigt werden. Während Arnd Holger Kluge bei den Primärgenossenschaften mit Herkunft aus den Bauernvereinen, Landwirtschaftlichen Vereinen und dem Reichslandbund von der „Tendenz umfangreicher Einzugsgebiete“2 spricht, zeichnet sich im engeren Untersuchungsraum ein orthodoxes Festhalten des Kölner Verbandes – Tochterinstitution des Rheinischen Bauernvereins – an den meisten Raiffeisen-Prinzipien ab, insbesondere am eng begrenzten Geschäftsgebiet. Der Bonner Verband hingegen forcierte, entsprechend Kluges generalisierter Aussage, eine erhebliche Ausdehnung der Geschäftsgebiete der Primärgenossenschaften, wie sich am Beispiel des Kreises Gummersbach zeigen lässt. Die Mitgliederentwicklung, welche in Kapitel VII.2 näher beleuchtet wird, und damit auch die Entwicklung des Aktivgeschäftes (siehe Kapitel VIII.2) der ländlichen Kreditgenossenschaften hingen stark von der Lage und der Größe des Geschäftsbezirkes ab. 1. DER GESCHÄFTSBEZIRK Da Schulze-Delitzsch in keiner seiner Publikationen eine Begrenzung des Geschäftsbezirkes thematisierte und sich auch nur in einigen wenigen älteren Statuten die Regel findet, dass Mitglieder den Wohnsitz innerhalb eines bestimmten Raumes haben mussten, schlussfolgert Kluge, bei den städtischen Kreditgenossenschaften habe es eine „lockere Handhabung des Regionalprinzips“3 gegeben. Anders bei Raiffeisen. In Anleitungen zur Gründung von Genossenschaften forderte der Raiffeisen-Verband noch 1914, dass bei der Gründung einer Kreditgenossenschaft „ein f e s t e r B e z i r k abzugrenzen [sei], in der Regel eine Kirchen­ oder Zivilgemeinde mit einer durchschnittlichen Einwohnerzahl von 1000 bis 2000 Seelen“.4 Auch 1 2 3 4

Schlütz: VR Bank eG, S. 150. Kluge: Geschichte, S. 84. Ebd., S. 82. Generalverband ländlicher Genossenschaften für Deutschland: Raiffeisen-Organisation, S. 6; Faßbender: Spar- und Darlehnskassen-Vereine, S. 28, verweist darauf, dass es von der lokalen Situation abhängig sei, ob für die Begrenzung des Geschäftsgebietes die Grenzen der Pfarrgemeinde oder der Civilgemeinde gewählt werden. Kraus: Gründung, S. 7, spricht von einem „unbeschadet der Lebensfähigkeit möglichst kleinen Vereinsbezirk“. Vgl. ferner Raiffeisen:

1. Der Geschäftsbezirk

267

der Kölner Verband nannte bei seinen Grundsätzen noch 1913 an erster Stelle die „F e s t s e t z u n g e i n e s b e s t i m m t e n B e z i r k e s “.5 Der Verband habe „von jeher den von Raiffeisen aufgestellten Grundsatz der ‚Beschränkung des Bezirks der Genossenschaft auf einen Umkreis, in dem noch eine persönliche Bekanntschaft aller Mitglieder möglich ist, der Regel nach auf den Bereich einer Gemeinde oder Pfarrgemeinde‘ beobachtet“.6 Für den Untersuchungsraum zeichnen sich zwei unterschiedliche Gestaltungsarten der Geschäftsgebiete ab: der klassische eng umgrenzte Geschäftsbezirk, wie ihn Raiffeisen und der Kölner Verband gefordert hatten und das ausgedehnte Geschäftsgebiet, wie es der Bonner Verband umsetzte.7 a) Der ,klassische‘, eng umgrenzte Geschäftsbezirk: Kreis Wipperfürth Der eng umgrenzte Geschäftsbezirk wurde im Kreis Wipperfürth grundsätzlich in ‚Reinform‘ praktiziert – mit einer Ausnahme. Von den näher untersuchten, dem

5 6 7

Darlehnskassen-Vereine, S. 37, Raiffeisen schilderte hier die mit den Vereinen Flammersfeld, Heddesdorf und obere Grafschaft Wied gemachten Erfahrungen. Zum Erwerb der Mitgliedschaft siehe ebd., S. 39; Koch: Genossenschaftsgedanke, S. 240–244, leitet her, wie Raiffeisen zum Prinzip des „überschaubaren Bezirkes“ gekommen war. Rheinischer Bauern-Verein: Dreißig Jahre, S. 134. [Hervorhebung im Original]. Ebd. Die exakten Grenzen der Kirchspiele sind kartografisch nicht überliefert. Anfragen in den Archiven der katholischen Kirche (Historisches Archiv des Erzbistums Köln) und der evangelischen Kirche (Archiv des Kirchenverbandes Köln und Region sowie Archiv der Evangelischen Kirche im Rheinland) fielen negativ aus. Daraus folgt, dass nur anhand von Gebietsbeschreibungen, wie etwa im Handbuch des Erzbistums Köln (diverse Auflagen), die Grenzen der Kirchspiele grob auf der Grundlage der dortigen Nennung von einzelnen Dörfern rekonstruiert werden können; Kirchspiel ist die Bezeichnung für das geografische Einzugsgebiet einer Kirchengemeinde (Kirchgemeinde, Pfarrei, Pfarre oder auch Pfarrgemeinde) und damit die kleinste organisatorische Einheit einer Kirche oder christlichen Religionsgemeinschaft. Besonders die Einteilung ländlicher Gegenden war durchaus von großer Bedeutung; siehe Evangelischer Kirchenkreis An der Agger: Oberberg, Karte. Das Gebiet des Kirchenkreises An der Agger ist fast identisch mit den Grenzen des heutigen Oberbergischen Kreises. Im Süden gehört die Kirchengemeinde Rosbach (Rhein-Sieg-Kreis) zum Kirchenkreis, während im Nordwesten Lindlar, Hückeswagen und Radevormwald zum Kirchenkreis Köln-Rechtsrheinisch beziehungsweise zum Kirchenkreis Lennep gehören. Das Kirchspiel Kotthausen gehörte bis 1959 zum Kirchspiel Gummersbach. Das Kirchspiel Heidberg gehörte bis 1894 zu den Kirchspielen Eckenhagen und Odenspiel, das Kirchspiel Denklingen bis 1894 ebenfalls zum Kirchspiel Odenspiel. Das Kirchspiel Derschlag ging bis 1891 in den Kirchspielen Gummersbach und Eckenhagen (Oberderschlag) auf. Das Kirchspiel Vollmershausen entstand 1891. Das Gebiet gehörte bis dahin zu den Kirchspielen Gummersbach und Wiehl (Brück und Halsterbach). Das Kirchspiel Drespe wurde 1913 begründet. Zuvor wurde das Gebiet mit zum Kirchspiel Eckenhagen gezählt. Bis 1899 gehörten die Grube Castor und der Westen von Delling zum Kirchspiel Engelskirchen. Das Kirchspiel Marienhagen wurde 1894 vom Kirchspiel Wiehl abgetrennt; siehe auch AEKR, Liste der Ortsteile von Kirchengemeinden der Evangelischen Kirche im Rheinland; Verzeichnis der evangelischen Gemeinden und Pfarrer in der Rheinprovinz und in Hohenzollern, S. 20–24. Für den Kreis Wipperfürth siehe Becker: Untersuchungen, Kartenteil, 1980, Karte 35 ,Kirchspielbezirke Anfang des 19. Jahrhunderts im Gebiet zwischen Dhünn und Agger (Katastergemeindegrenzen im ungefähren Verlauf der Kirchspielgrenzen)‘.

268

VII. Zwischen Kirchspiel und Konkurrenz

Kölner Verband angeschlossenen Kreditgenossenschaften im Kreis Wipperfürth dehnte nur eine einzige Kreditgenossenschaft ihr Geschäftsgebiet über die Grenzen des Kirchspiels beziehungsweise der Gemeinde hinaus aus: der Kreuzberger Sparund Darlehnskassen-Verein.8 Am 3. Mai 1896 beschlossen die Mitglieder der Kreuzberger Kreditgenossenschaft, künftig auch Personen aufzunehmen, die außerhalb des eigentlichen Geschäftsbezirkes wohnten, sofern sie den Mitgliedern des Vorstandes bekannt waren.9 Bei keiner anderen, dem Kölner Verband angeschlossenen Kreditgenossenschaft wurde bis zur Fusion der Verbände Bonn und Köln (1924) eine Ausdehnung des Geschäftsbezirkes vorgenommen. Auch für spätere Jahre konnte kein Verlassen des Grundsatzes des eng begrenzten Geschäftsgebietes festgestellt werden. Karte 2: Der eng umgrenzte Geschäftsbezirk (Ausschnitt aus den Kreisen Mülheim am Rhein und Wipperfürth)

Dunkel schraffiert = Verband Köln, hell schraffiert = Raiffeisen-Verband. Quelle: Eigene Darstellung auf Grundlage von Becker: Untersuchungen, Karte 35. 8 9

Siehe etwa die Protokolle der Generalversammlungen AdVBWL, 2-6; AdVBWL, 2-9; AdVBWL 3-2; AdVBWL, 3-12. AdVBWL, 2-6, Kreuzberger Spar- und Darlehnskassen-Verein eGmuH, GV-Protokoll vom 3. Mai 1896.

1. Der Geschäftsbezirk

269

Die Karte gibt diese Situation für die Kreise Mülheim am Rhein und Wipperfürth wieder. Offen bleibt, ob nicht etwa die Kreditgenossenschaft in Klaswipper während des Zeitraumes, in dem sie dem Revisionsverband des BDL angehörte, etwa ihr Geschäftsgebiet ausdehnte, da viele diesem Verband angeschlossene Kreditgenossenschaften sich nicht an der „Kirchturmpolitik“10 Raiffeisens orientierten.11 b) Der ‚ausgedehnte‘ Geschäftsbezirk: Kreis Gummersbach Bei der Betrachtung der Karte 3, deren Zentrum der Kreis Gummersbach bildet, fällt unmittelbar die Überschneidung einer Reihe von Geschäftsgebieten ins Auge. Während einige Geschäftsgebiete geradezu ‚musterhaft‘ aneinander angrenzen, umfassen andere Grenzen kreisförmig angelegte Gebiete mit einem Radius von bis zu acht Kilometern – ohne sich dabei an den Grenzen von Kirchspielen zu orientieren oder politische Grenzen von Gemeinden im Kreis Gummersbach beziehungsweise die Grenzen des Kreises Gummersbach zu berücksichtigen. Dies gilt für die Geschäftsgebiete der Kreditgenossenschaften mit Sitz in Müllenbach, Ründeroth, Derschlag und Dieringhausen sowie für die im Kreis Waldbröl ansässige Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Denklingen.

10 11

Lüer: Anspruch, S. 180. Kluge: Geschichte, S. 84.

270

VII. Zwischen Kirchspiel und Konkurrenz

Karte 3: Geschäftsgebiete der im Kreis Gummersbach ansässigen Kreditgenossenschaften (Stand: 1919)

Quelle: Eigene Darstellung auf Grundlage von Brinkmann/Müller-Miny: Oberbergische Kreis, Karte 16 ,Die absolute Bevölkerungsverteilung im Oberbergischen Kreis 1885 nach Wohnplätzen‘.

Tabelle 20: Geschäftsgebiete der im Kreis Gummersbach ansässigen Kreditgenossenschaften (Stand: 1919) Kreditgenossenschaft

Verbandszugehörigkeit

Geschäftsgebiet

Spar- und Darlehnskassenverein eGmuH Nümbrecht (gegr. 1874)

Verband Koblenz (Raiffeisen)

Kirchengemeinde Nümbrecht

Spar- und Darlehnskasse eGmbH Ründeroth (gegr. 1903)

Verband Bonn

Ründeroth und 5 km

271

1. Der Geschäftsbezirk Spar- und DarlehnskassenVerein eGmuH zu Dieringhausen (gegr. 1895)

Verband Bonn

Dieringhausen und 8 km

Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Derschlag (gegr. 1905)

Verband Bonn

Derschlag und 8 km

Marienberghausener Spar- und Darlehnskassenverein (gegr. 1900)

Verband Koblenz (Raiffeisen)

Pfarrgemeinde Marienberghausen

Spar- und Darlehnskasse eGmuH (Rodt)-Müllenbach (gegr. 1905)

Verband Koblenz (Raiffeisen)

Müllenbach und 5 km

Oberbantenberg Spar- und Darlehnskassenverein eGmuH Oberbantenberg (gegr. 1902)

Verband Koblenz (Raiffeisen)

Oberbantenberg und Umgebung

Spar- und DarlehnskassenVerein eGmuH Wiedenest (gegr. 1913)

Verband Bonn

Bürgermeisterei Bergneustadt-LandI

Mühlener Spar- und Darlehnskassenverein eGmuH (gegr. 1901)II

Verband Koblenz (Raiffeisen)

Teile Gemeinde Drabenderhöhe und Kirchengemeinde Wiehl

Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Denklingen (gegr. 1909) [Kreis Waldbröl]

Verband Bonn

Denklingen und 6 km im Umkreis

Volksbanken = x Im Jahr 1892 aus den Gemeinden Wiedenest und Lieberhausen gebildet. Gegründet als Faulmerter Spar- und Darlehnskassen-Verein eGmuH. Quelle: Eigene Zusammenstellung. I

II

Aus der Überschneidung der Geschäftsgebiete ergaben sich neue, anders als beim klassischen, eng begrenzten Geschäftsbezirk gelagerte Situationen, wie besonders an der strategischen Ausrichtung der Kreditgenossenschaften Dieringhausen und Derschlag deutlich wird. Spar­ und Darlehnskasse eGmuH Dieringhausen Im Kreis Gummersbach gehörte die Spar- und Darlehnskasse eGmuH Dieringhausen mit zu den frühsten Gründungen im Kreis. Als 1887 die Bahnstrecke bis Derschlag ausgebaut wurde, erhielt Dieringhausen Anschluss an die Bahnlinie entlang der Agger und damit in Richtung Engelskirchen und Overath und weiter Richtung Siegburg und Köln. Der nordöstliche Anschluss Dieringhausens erfolgte im Jahr 1893. Eine Direktverbindung an das Wuppertal, die besonders für die Textilindust-

272

VII. Zwischen Kirchspiel und Konkurrenz

rie an der Agger wichtig war, erfolgte erst 1902. Mit dieser Entwicklung gelangten einerseits zunehmend bergische landwirtschaftliche Erzeugnisse auf die Märkte an Rhein, Ruhr und Wupper. Andererseits vereinfachte die Erschließung den Bezug unter anderem von Dünger und Saatgut. Dieringhausen wurde damit zu einem wichtigen Verkehrsknotenpunkt des Aggertals beziehungsweise des Oberbergischen und die Strecke Köln–Dieringhausen–Hagen entwickelte sich für das Oberbergische zur wichtigsten Verbindung.12 Bereits seit 1891 bestand in Dieringhausen eine dem Verband rheinpreußischer landwirtschaftlicher Genossenschaften e.V. (Bonn) angeschlossene Landwirtschaftliche Bezugs- und Absatzgenossenschaft. Die Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Dieringhausen wurde am 6. März 1895 gegründet.13 An der Gründung waren maßgeblich der evangelische Pfarrer Hermann Mellinghoff und der Lehrer Fritz Jansen beteiligt, zudem fünf Ackerer/Landwirte, zwei Gastwirte, ein Kaufmann, ein Schuster sowie zwei Fabrikarbeiter, was auf die zunehmend industrielle Erwerbsstruktur des Aggertals hindeutet.14 Die Genossenschaft beantragte die Mitgliedschaft beim Verband rheinpreußischer landwirtschaftlicher Genossenschaften e.V. in Bonn und übernahm – wie es Usus war – die vom Bonner Verband herausgegebenen Dienstanweisungen für Vorstand und Aufsichtsrat, die entsprechende Geschäftsordnung sowie die Statuten mit einigen vom Verbandsrevisor Josef Schellenberger vorgeschlagenen Änderungen.15 Zum Vorstandsvorsitzenden wurde Hermann Mellinghoff gewählt (bis 1898). Eine besondere, wenn auch im Genossenschaftswesen nicht seltene, personelle Kontinuität stellte die Tätigkeit des Lehrers Fritz Jansen dar: Jansen war bis 1924 Rendant der Genossenschaft, von 1924 bis 1933 Vorstandsvorsitzender und bis zu seinem Tod 1937 Vorsitzender des Aufsichtsrates.16 Bereits innerhalb des ersten Geschäftsjahres stieg die Mitgliederzahl auf 48 Personen. In den ersten fünf Geschäftsjahren entwickelte sich die Kreditgenossenschaft – im Verhältnis zu den relativ zeitgleich gegründeten Kreditgenossenschaften um Wipperfürth – zügig. Zur Verbesserung des Betriebskapitals beschloss die Generalversammlung am 17. Mai 1896, Nichtmitgliedern für ihre Spareinlagen 3¼ Prozent Zinsen zu gewähren. Am 13. Juni 1897 legte die Generalversammlung die Zinsen für Darlehn auf 4¼ Prozent – zuvor 4½ Prozent – fest. Um die Senkung der Zinsen effizient ausgleichen zu können, wurde zugleich die Provision von 1/8 Prozent auf ein 1/3 Prozent angehoben.17 Zudem beschloss man für Spareinlagen pro Person eine Obergrenze von 50.000 Mark und als Kreditgrenze von 5.000 Mark. 12 13 14 15 16 17

Rothstein: Beiträge, S. 64. Dieringhausen ist zugleich geografischer Mittelpunkt des Oberbergischen Raumes. Die Entfernung von Dieringhausen zu wirtschaftlich wichtigen Zentren in km: Köln 55, Wuppertal 64, Hagen 63, Dortmund 85. AdVBO, Bestand RB Wiehl, 74-2, Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Dieringhausen, Revisionsbericht über die Revision am 3. September 1896. Die Eintragung beim Amtsgericht Gummersbach erfolgte am 14. März 1896. Spar- und Darlehnskasse eGmuH Dieringhausen: 60 Jahre, S. 8. AdVBO, Bestand RB Wiehl, 134-4, Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Dieringhausen, GVProtokoll vom 27. April 1895. Spar- und Darlehnskasse eGmuH Dieringhausen: 60 Jahre, S. 12 f. AdVBO, Bestand RB Wiehl, 134-4, Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Dieringhausen, GVProtokolle vom 17. Mai 1896 und vom 13. Juni 1897.

1. Der Geschäftsbezirk

273

Auf der Generalversammlung am 16. April 1899 – an der 51 von 171 Mitgliedern teilnahmen – wurde die Obergrenze für Spareinlagen bereits auf 250.000 Mark pro Einleger angehoben.18 Zudem beschloss man, dass eine Überschreitung der Kreditgrenze von 5.000 Mark prinzipiell möglich sein sollte, dass jedoch Vorstand und Aufsichtsrat eine zwölfmonatige Kündigungsfrist zur Bedingung machen könnten.19 Ende 1899 verfügte die Genossenschaft über 5.036,80 Mark eigenes sowie über 160.380,12 Mark fremdes Betriebskapital.20 Am 30. September 1900 – rund drei Wochen nach der Revision – fand die jährliche Generalversammlung mit insgesamt 54 Mitgliedern und in Anwesenheit Josef Schellenbergers (Verband Bonn), des Winterschuldirektors sowie des Amtsrichters Dr. Clausius statt. Dieser Generalversammlung kommt innerhalb der unternehmenshistorischen Entwicklung der Genossenschaft besondere Bedeutung zu: mit dem Beschluss, den § 3 des Statuts (Geschäftsbezirk) zu ändern, wurde der Grundstein für das Größenwachstum der Genossenschaft gelegt – künftig sollten alle Personen die Mitgliedschaft erwerben können, „welche sich durch Verträge verpflichten“ konnten und deren „Wohnsitz in einem Umkreis von 8 (acht) km von Dieringhausen“21 gelegen war. Allein die Stadt Gummersbach, die damit in das Geschäftsgebiet der Genossenschaft fiel, hatte im Jahr 1900 rund 12.500 Einwohner, die Stadt Bergneustadt, die ebenfalls im Geschäftsgebiet lag, etwa 3.500. Hinzu kamen rund 13.000 Einwohner der umliegenden Gemeinden. Rechnet man eine durchschnittliche Haushaltsgröße von 3,8 Personen, so bedeutete dies für die Genossenschaft rund 7.650 Haushaltsvorstände als potenzielle Mitglieder. Dieses Geschäftsgebiet war mehr als zehnmal weitläufiger, als es Raiffeisen in seinen Publikationen empfohlen hatte, beziehungsweise als es Anleitungen der Anwaltschaft Raiffeisens empfahlen. Um an Attraktivität zu gewinnen und um den Bedürfnissen der Mitglieder gerecht zu werden, beschloss die Generalversammlung am 30. September 1900 zudem, die Kreditgrenze pro Mitglied von maximal 5.000 Mark auf 10.000 Mark anzuheben. Die Höchstsumme sollte jedoch nur in „Ausnahmefällen“22 und gegen besonders gute Sicherheiten bewilligt werden. Spareinlagen konnten künftig bis maximal 500.000 Mark getätigt werden. Diese Summe war zugleich das Limit für die Geldaufnahme bei der Zentralkasse. Arnd Holger Kluge konstatiert, dass die Kreditgenossenschaften in der Regel die Kreditlinie pro Darlehnsnehmer so festsetzten, dass alle Kreditanträge erfüllt werden konnten, sofern die Liquidität der Genossenschaft und die Sicherstellung des Darlehns dies zuließen.23 In der Versammlung vom 30. September 1900 wurde darüber hinaus beschlossen (laut Protokoll wegen der Geldmarktsitua18 19 20 21 22 23

AdVBO, Bestand RB Wiehl, 134-4, GV-Protokoll vom 16. April 1899; Siehe auch AdVBO, Bestand RB Wiehl, 74-2, Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Dieringhausen, Revisionsbericht über die Revision am 7.-8. September 1900. AdVBO, Bestand RB Wiehl, 134-4, Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Dieringhausen, GVProtokoll vom 16. April 1899. AdVBO, Bestand RB Wiehl, 74-2, Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Dieringhausen, Revisionsbericht über die Revision am 7.-8. September 1900. AdVBO, Bestand RB Wiehl, 134-4, Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Dieringhausen, GVProtokoll vom 30. September 1900. Ebd. Kluge: Geschichte, S. 198.

274

VII. Zwischen Kirchspiel und Konkurrenz

tion), die Zinsen anzuheben.24 Der Zinsgestaltung fällt eine wichtige Funktion im Bankgeschäft zu. Insbesondere in einer solchen Wettbewerbssituation, wie die, in der sich die Dieringhausener Kasse befand: Neben der Kasse bestanden die 1870 in Gummersbach gegründete Volksbank sowie die seit 1853 bestehende städtische. Die Anhebung der Zinsen war daher „von einschneidender Bedeutung“25 nicht nur in Hinblick auf die Erhöhung des Betriebskapitals. Man beschloss, die Zinsen für „sämtliche“26 Spareinlagen ab dem 1. Januar 1901 auf 3½ Prozent anzuheben. Zugleich sollte der Zinsfuß für Darlehn von 4¼ auf 4½ Prozent angehoben werden.27 Diese Erhöhung ist jedoch nicht ausschließlich auf die Wettbewerbssituation zurückzuführen, sondern auch und insbesondere mit der allgemeinen Entwicklung des Geldmarktes zu erklären. Im Kreis Gummersbach wurden weitere Kreditgenossenschaften gegründet, die an das Geschäftsgebiet der Dieringhausener Kasse angrenzten oder sich mit dem Geschäftsbezirk überschnitten: Der Geschäftsbezirk der 1900 in Marienberghausen gegründeten Kreditgenossenschaft lag zur Hälfte im Geschäftsgebiet der Spar- und Darlehnskasse eGmuH Dieringhausen. Der Geschäftsbezirk des 1901 gegründeten Faulmerter Spar- und Darlehnskassen-Vereins eGmuH lag zu nahezu 100 Prozent im Geschäftsgebiet der Dieringhausener Kreditgenossenschaft; das Geschäftsgebiet der Oberbantenberger Kreditgenossenschaft (gegründet 1903) lag ausschließlich im Geschäftsgebiet der Dieringhausener Kasse. Enorme Überschneidungen gab es auch mit den Geschäftsbezirken der 1903 gegründeten Ründerother Kreditgenossenschaft und der 1905 gegründeten Spar- und Darlehnskasse eGmuH Derschlag. Am Beispiel der Dieringhausener Kasse zeigt sich, wie die Ausdehnung des Geschäftsgebietes auch bei Genossenschaften mit wettbewerbsstrategischen Überlegungen (Höhe der Zinsen, des Eigen- und des Betriebskapitals, Anleihe- und Kreditgrenzen etc.) einherging. Spar­ und Darlehnskasse eGmuH Derschlag Auch das folgende Beispiel zeigt, welche geschäftspolitischen Überlegungen mit einem ausgedehnten Geschäftsbezirk einhergehen konnten. Im Falle der Derschlager Kasse zeigt sich ein intensives Werben um Spareinlagen, eine Dezentralisierung der Sammelstellen für Sparbeträge durch die Einschaltung von Agenten (wie es in einigen Gegenden auch die Sparkassen handhabten) sowie – wie in Kapitel VIII zu zeigen sein wird – eine intensive Ausrichtung auf das eigentlich bei Genossenschaften, zumindest bei den auf den Grundsätzen Raiffeisens beruhenden, verpönte Wechselgeschäft. Die Generalversammlung der Spar- und Darlehnskasse eGmuH Derschlag legte bei der Gründung der Genossenschaft am 31. März 1905 – in Anwesenheit des Generalsekretärs des Bonner Verbandes Peter Kerp28 – in § 3 ihres 24 25 26 27 28

AdVBO, Bestand RB Wiehl, Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Dieringhausen, 134-4, GVProtokoll vom 30. September 1900. Ebd. Ebd. Ebd. Peter Kerp (*1872 (Lechenich (bei Euskirchen)) war zunächst Wanderlehrer in Saarburg, spä-

1. Der Geschäftsbezirk

275

Statuts als Geschäftsgebiet Derschlag und einen Umkreis von fünf Kilometern fest.29 Am 18. Mai 1905, also nur wenige Wochen nach der Gründung, beschloss die Generalversammlung, das Geschäftsgebiet auf acht Kilometer Umkreis auszuweiten, womit das Geschäftsgebiet flächenmäßig genau so groß war wie das der Dieringhausener Kasse.30 Damit deckte das Geschäftsgebiet der Derschlager Kasse – wie auch das der Dieringhausener Kasse – die Städte Gummersbach und Bergneustadt ab, zudem umfasste es weite Teile der Gemeinden Eckenhagen, Lieberhausen, Wiehl und Marienheide. Nach nur viermonatiger Tätigkeit hatte die Genossenschaft im Juli 1905 bereits 110 Mitglieder und wies damit einen Mitgliederbestand von etwa 40 Prozent der bereits seit zehn Jahren bestehenden Dieringhausener Genossenschaftskasse auf. Bis Juli 1905 setzte die Genossenschaft insgesamt 60.189,50 Mark um und konnte auf Spareinlagen von 11.085,73 Mark sowie auf Einlagen in laufender Rechnung von 9.048,05 Mark verweisen. Bis Juli 1905 gab die Genossenschaft Darlehn von rund 10.000 Mark in laufender Rechnung und Hypothekarkredite von insgesamt 2.000 Mark aus. Zudem hatte sie Wechsel, Zessionen und dergleichen im Wert von 12.744,83 Mark angekauft. „Unser Bestreben muß nun darauf gerichtet sein, möglichst billig Geld zu beschaffen“,31 so die Geschäftsführung der Derschlager Kasse im Juli 1905. Die Genossenschaft hatte, um die Nachfrage der Mitglieder nach Darlehn befriedigen zu können, 9.360 Mark bei der Zentralkasse in Bonn geliehen und war darüber hinaus „verschiedene Engagements eingegangen“,32 die sie „für die nächste Zeit in Anspruch“33 nahmen. Wegen des geringen Zinsfußes sah man es durchaus als realisierbar, „anderweitige Bankverbindungen“34 einzugehen, um so Kredite aufzunehmen und weitere Mitglieder mit Darlehn bedienen zu können. Anstatt jedoch weitere Anleihen bei der Zentralbank (oder anderen Kreditinstituten, wie es in dem zitierten Schreiben an den Landrat heißt)35 aufzunehmen, entwickelte die Geschäftsführung ein Werbekonzept, um das Betriebskapital aufzustocken: Die Idee war es, die „kleinen Leute […] zu Spareinlagen zu bringen“.36 Hierbei ging die Geschäftsführung ziemlich offensiv vor und ließ unter anderem Flugblätter drucken, die in der Umgebung verteilt wurden. Mit dem Einverständnis der Geschäfts-

29 30 31 32 33 34 35 36

ter beim Landwirtschaftlichen Verein in Bonn. Ab 1905 war er Generalsekretär beim Bonner Verband, ab 1920 zugleich des Rheinischen Bauernvereins. Siehe ausführlich Reichshandbuch der deutschen Gesellschaft, S. 910, zudem Kapitel IV. AdVBO, Bestand RB Wiehl, 77-6, Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Derschlag, Protokoll über die Errichtung der Genossenschaft. AdVBO, Bestand RB Wiehl, 77-6, GV-Protokoll vom 18. Mai 1905. LA NRW Düsseldorf, LA Gummersbach Nr. 87, Schreiben der Spar- und Darlehnskasse eGmuH Derschlag an den Landrat vom 14. Juli 1905. Ebd. Ebd. Ebd. Nach der so genannten Ausschließlichkeitsklausel war es den Primärgenossenschaften grundsätzlich eigentlich nicht gestattet, anderweitige Geschäftsverbindungen zu unterhalten als mit den Zentralkassen. Siehe Kapitel VIII. LA NRW Düsseldorf, LA Gummersbach Nr. 87, Schreiben der Spar- und Darlehnskasse eGmuH Derschlag an den Landrat vom 14. Juli 1905.

276

VII. Zwischen Kirchspiel und Konkurrenz

leitungen der „hiesigen und benachbarten“37 Fabriken wollte die Geschäftsführung der Derschlager Kasse die Flugblätter auch unter den Arbeitern verteilen. Man hoffte, durch die Zusammenarbeit mit den Unternehmensleitungen und den Werksmeistern die Arbeiter als Sparer zu gewinnen – dies war keinesfalls eine neue Idee. Bereits 1897 war die Dieringhausener Kreditgenossenschaft an diverse Unternehmer mit der Bitte herangetreten, unter den Arbeitern und Angestellten für die Sparkasse der Genossenschaft zu werben.38 Zeitgleich schaltete der Dieringhausener Rendant Annoncen in der ‚Gummersbacher Zeitung‘ und im ‚Oberbergischen Anzeiger‘, um in breiten Kreisen auf die guten Konditionen der Genossenschaft aufmerksam zu machen.39 Diese Vorgehensweise diente einerseits der Erhöhung des Betriebskapitals, andererseits hoffte die Geschäftsführung, auf diesem Weg weitere Mitglieder zu gewinnen, was wiederum das Eigenkapital stärken und damit die Kreditfähigkeit der Genossenschaft verbessern sollte. Dieses Vorgehen ist nicht nur auf die Erwerbsstruktur im Aggertal zurückzuführen, sondern auch auf die Zusammensetzung des Aufsichtsrates: von sechs Mitgliedern waren drei Fabrikanten. Diesen war ökonomisches Denken weit mehr zu eigen, als etwa Lehrern, Geistlichen oder kleinen Landwirten, was die offensive Vorgehensweise evoziert haben dürfte.40 Gleichzeitig appellierte die Geschäftsführung der Derschlager Genossenschaft auch an ihre Mitglieder, Sparbeträge ausschließlich bei der Spar- und Darlehnskasse Derschlag anzulegen und überdies in ihren „Freundeskreisen“41 für das Sparen bei der Derschlager Kasse zu werben. Um nicht nur möglichst zahlreich neue Sparer unter den Arbeitern zu gewinnen, sondern auch um den logistischen Aufwand des Einsammelns der Sparbeträge möglichst gering zu halten, wollte man unter den Arbeitern einzelne Personen als Agenten gewinnen, welche an den Lohntagen die Sparbeträge von den Arbeitern entgegennehmen und dann bei der Kreditgenossenschaft einzahlen sollten. Den Flugblättern waren daher entsprechende Verpflichtungserklärungen beigefügt: „Zur Förderung des Sparsinns und zur Erleichterung des Verkehrs bin ich/sind wir gern bereit, […] Spareinlagen entgegenzunehmen und an die Spar­ und Dar­ lehnskasse […] Derschlag abzuführen“.42 Dieses System hatte Vorteile, barg aber 37 38 39 40

41 42

Ebd. AdVBO, Bestand RB Wiehl, 73-1, Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Dieringhausen, VSProtokoll vom 17. Oktober 1897. Ebd. AdVBO, Bestand RB Wiehl, 77-6, Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Derschlag, Protokoll über die Errichtung der Genossenschaft. Vorstand: Otto Konzelmann, Buchhalter, Derschlag (Direktor), ab 10. Mai 1908 Rendant; Ernst Mermagen, Gastwirt, Derschlag (Rendant); Karl Baltes, Buchhalter, Dümmlinghausen (stellvertretender Direktor); Ernst Eulenhöfer, Landwirt, Kalteneich, am 10. Mai 1907 Austritt; Robert Dickel, Bäcker und Wirt, Derschlag, am 10. Mai 1907 in AR; Aufsichtsrat: Emil Müller, Fabrikant, Derschlag; Daniel Mauleshagen, Kaufmann, Derschlag, am 10. Mai 1908 Austritt; Carl Giessler, Kaufmann, Derschlag; Gustav Kriegeskotte, Schlossermeister, Derschlag; Paul Hagen, Fabrikant, Derschlag; Willi Reusch, Fabrikant, Derschlag. AdVBO, Bestand RB Wiehl, 77-6, GV-Protokoll vom 18. März 1906. LA NRW Düsseldorf, LA Gummersbach Nr. 87, Schreiben der Spar- und Darlehnskasse eGmuH Derschlag an den Landrat vom 14. Juli 1905.

1. Der Geschäftsbezirk

277

auch Risiken. Der Vorteil dieser zwischengeschalteten Agenten war, dass sie größeres Vertrauen unter den Kollegen genossen als etwa ein ihnen unbekanntes Mitglied der Geschäftsführung aus dem einige Kilometer entfernten Derschlag. Der eine oder andere dürfte so eher zum Sparen zu motivieren gewesen sein. Dabei mögen auch gruppendynamische Prozesse eine Rolle gespielt haben. Zudem reduzierte sich für den einzelnen Sparer der Aufwand, da er nicht selbst aus den umliegenden Weilern und Ortschaften nach Derschlag gehen musste, um seinen Sparbetrag während der Kassenstunden einzuzahlen. Andererseits konnten weder die Sparer noch die Genossenschaft Unterschlagungen durch die Agenten vollständig ausschließen. Mit Hilfe der Geschäftsführer der umliegenden Industriebetriebe wollte die Genossenschaft nicht nur das Sparen bewerben, sondern auch geeignete Agenten finden beziehungsweise durch sozialen Druck trotz des großen Geschäftsgebietes ex ante Probleme der Hidden Characteristics und der Hidden Intention senken und eine Adverse Selection vermeiden. Bezüglich des Screening und Monitoring der Darlehnsnehmer bleibt im Fall der Spar- und Darlehnskasse eGmuH Derschlag unbeantwortet, warum dem sechsköpfigen Aufsichtsrat trotz der enormen Größe des Geschäftsgebietes fünf Aufsichtsratsmitglieder aus Derschlag kamen und nicht etwa eine größere räumliche Streuung stattgefunden hat, um besser Informationen über die Mitglieder zusammentragen zu können. Spar­ und Darlehnskasse eGmuH Denklingen Neben den Spar- und Darlehnskassen Dieringhausen und Derschlag hatten – wie die Karte 3 zeigt – weitere Kreditgenossenschaften ein kreisförmiges, sich nicht an den Grenzen der Kirchspiele oder Gemeinden orientierendes Geschäftsgebiet: Die Kassen mit Sitz in Müllenbach und in Ründeroth hatten Geschäftsgebiete von jeweils fünf Kilometer Umkreis, der Geschäftsbezirk der im Kreis Waldbröl ansässigen Spar- und Darlehnskasse eGmuH Denklingen umfasste „Denklingen und sechs km im Umkreis“43 und reichte damit bis weit in den Kreis Gummersbach. Die Denklinger Genossenschaft änderte, um Risiken des großen Geschäftsbezirkes zu minimieren, und um potenziellen Mitgliedern die Angst vor einem zu großem Haftungsumfang zu nehmen, die Rechtsform in die der beschränkten Haftpflicht (eGmbH), was ebenfalls auch als wettbewerbsstrategische Entscheidung gesehen werden kann. Am 15. November 1911 beschloss die Generalversammlung der Denklinger Genossenschaft, den Geschäftsbezirk auf die Kreise Waldbröl und Gummersbach auszudehnen.44 Zu diesem Zeitpunkt wohnten im Kreis Gummersbach etwa 49.700 Personen, im Kreis Waldbröl fast 28.500 Personen.45 Zudem beschloss die 43 44 45

LA NRW Düsseldorf, Rep. 78 Nr. 49, Statut der Spar- und Darlehnskasse eGmuH Denklingen vom 2. Mai 1909, § 1. AdVBO, Bestand RB Wiehl, 78-6, Spar- und Darlehnskasse eGmuH Denklingen, GV-Protokoll vom 15. November 1911. LA NRW Düsseldorf, D XIV A 223 a (1909–13), Verwaltungsbericht Kreis Waldbröl 1909– 1913, keine Seitengabe; LA NRW Düsseldorf, D XIV A 360 (1914–20), Verwaltungsbericht Kreis Gummersbach 1914–1920, S. 3.

278

VII. Zwischen Kirchspiel und Konkurrenz

Generalversammlung, die Kreditgrenze für die vom Vorstand ohne Zustimmung des Aufsichtsrates zu gewährenden Kredite von 500 auf 1.000 Mark zu erhöhen, um so interne Abläufe zügiger zu gestalten und Kreditanträge schneller bearbeiten zu können. Zugleich erweiterte man mit diesem Beschluss die Verantwortlichkeit des Vorstandes. Unter Punkt fünf der Tagesordnung wurde zudem die Erhöhung des Kredits bei der Zentralkasse in Bonn von 20.000 auf 30.000 Mark diskutiert und schließlich beschlossen, für 1912 die Erhöhung auf 30.000 Mark bei der Zentralkasse zu beantragen.46 Wegen des inzwischen ausgedehnten Geschäftsbezirkes und der damit erschwerten Bedingungen für eine umfassende und zuverlässige Überwachung der Mitglieder wurde im März 1919 beschlossen, die Kreditgenossenschaft in die Rechtsform der eGmbH umzuwandeln und damit das Risiko für das einzelne Mitglied zu reduzieren.47 Bei der Größe des Geschäftsgebiets kann davon ausgegangen werden, dass viele Mitglieder sich nicht mehr persönlich kannten und damit die Bereitschaft sank, für andere Mitglieder in vollem Umfang solidarisch zu haften. Die Minderung des Haftungsrisikos sollte zugleich neue Mitglieder anziehen, die bis dahin das mit der Rechtsform der eGmuH verbundene Risiko gescheut hatten und daher Mitglied in einer in ihrem Wohnort oder ganz in der Nähe ansässigen Kreditgenossenschaft waren, blieben oder wurden. Die Haftsumme wurde auf 2.000 Mark je Geschäftsanteil festgesetzt. Im März 1919 wurde der § 37 des Statuts geändert, womit künftig die Pflichteinzahlung auf den Geschäftsanteil statt ein Zehntel ein Fünftel betrug, das heißt jährlich statt fünf Mark mindestens zehn Mark einzuzahlen waren. Damit sollte das Eigenkapital der Genossenschaft erhöht werden. Zudem wurden so finanziell schwache Bewerber von vornherein aussortiert.48 Die Karte 3 zeigt allerdings auch Geschäftsbezirke, deren Grenzen entlang politischer Gemeindegrenzen oder Kirchspielgrenzen verliefen, so etwa der Bezirk der Nümbrechter Kreditgenossenschaft, welcher den Grenzen der Kirchengemeinde Nümbrecht entsprach.49 Der Geschäftsbezirk des Marienberghausener Spar- und Darlehnskassen-Vereins umfasste die Pfarrgemeinde Marienberghausen; das Geschäftsgebiet der Wiedenester Kreditgenossenschaft die Bürgermeisterei Bergneustadt-Land und der Mühlener Spar- und Darlehnskassen-Verein eGmuH erstreckte sich über Teile der Gemeinde Drabenderhöhe sowie Teile der Kirchengemeinde Wiehl,50 wobei bei dieser als Faulmerter Spar- und Darlehnskassen-Verein zu Faulmert gegründeten Genossenschaft der Revisor im Jahr 1908 – die Genossen46 47 48 49 50

AdVBO, Bestand RB Wiehl, 78-6, Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Denklingen, GV-Protokoll vom 15. November 1911. Guinnane: Law, S. 27; Kluge: Geschichte, S. 171. AdVBO, Bestand RB Wiehl, 78-6, Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Denklingen, GV-Protokoll vom 20. März 1919. Schild: Chronik, S. 35. ADVBO, RM Wiehl, 32-14, Faulmerter Spar- und Darlehnskassen-Verein eGmuH zu Faulmert, Statut und Protokoll über die Errichtung vom 9. März 1901. Die Mühlener Genossenschaft (Mühlen lag in der Gemeinde Drabenderhöhe) umfasste bei der Gründung am 9. März 1901 zunächst die Schulbezirke Faulmert, Jennecken, Hillerscheid, Bielstein, Damte, Thalhausen, Unterbantenberg, Schwarzenpuhl, Rehlinghausen und Hohnerhausen. Die Generalversammlung vom 1. Mai 1901 änderte den Geschäftsbezirk in das Kirchspiel Wiehl sowie die Schulbezirke Drabenderhöhe, Unterbantenberg und Helmershausen.

1. Der Geschäftsbezirk

279

schaft hatte zu der Zeit 154 Mitglieder – bemängelte, dass ein „fest abgegrenzter Bezirk“51 de facto nicht bestünde. So wurde beispielsweise ein Darlehn an ein Mitglied, das „im benachbarten Vereinsbezirk Marienberghausen“52 wohnte, vergeben. Sehr vage umrissen muss das Geschäftsgebiet der Oberbantenberger Kreditgenossenschaft mit der Angabe „Oberbantenberg und Umgebung“53 bleiben, da hierzu keine weiteren Akten überliefert sind. Wie ist nun tatsächlich die Ausdehnung der Geschäftsgebiete nur einiger Kreditgenossenschaften im Raum Gummersbach zu erklären? Ein wichtiger Faktor war zunächst die Lage im Wirtschaftsraum. Das Aggertal gehörte zu den am stärksten im Industrialisierungsprozess befindlichen Gebieten des Bergischen Landes, während das Hinterland noch stark agrarisch geprägt war. 1907 waren im Kreis Gummersbach lediglich noch 24 Prozent der Bevölkerung in der Landwirtschaft tätig. Damit war der relative Rückgang der in der Landwirtschaft Beschäftigten im Kreis Gummersbach höher als im Regierungsbezirksdurchschnitt.54 Mit der veränderten Erwerbsstruktur veränderte sich auch die Mitgliederstruktur der Genossenschaften beziehungsweise die Struktur der potenziellen Mitglieder. Damit veränderte sich wiederum die Nachfrage nach Darlehn und nach Anlagemöglichkeiten. Der Bedarf an Bankleistungen beziehungsweise die Nachfrage nach Bankprodukten der im Aggertal ansässigen Geschäftsleute, Handwerker und Industriearbeiter entsprach sicherlich weit mehr denen der städtischen Handwerker und Gewerbetreibenden als denen der Landwirtschaft betreibenden Bevölkerung in rein ländlichen Ortschaften. Die Spar- und Darlehnskasse eGmuH Dieringhausen war die erste ländliche Kreditgenossenschaft im Raum Gummersbach, deren Geschäftsgebiet bewusst weit über ein Kirchspiel oder die Gemeindegrenzen hinaus ausgedehnt wurde. Welche geschäftspolitischen Überlegungen der Erweiterung des Geschäftsbezirkes konkret zugrunde lagen, lässt sich anhand der Quellen nicht mehr rekonstruieren. Vermuten lässt sich jedoch, dass hier erneut den Genossenschaftsverbänden eine besondere Rolle zukam. Zentrales Erklärungsmoment für die Ausdehnung des Geschäftsgebietes war die Verbandszugehörigkeit der Genossenschaften beziehungsweise deren Grundsätze und Satzungen. Der Raiffeisen-Verband nahm getreu der Raiffeisen-Prinzipien traditionell nur Genossenschaften auf, die ein kleines, auf ein Kirchspiel zugeschnittenes Geschäftsgebiet wählten, beziehungsweise erwartete der Raiffeisen-Verband von den ihr angeschlossenen Genossenschaften, dass sie ihren Geschäftsbezirk auf ein Kirchspiel oder einen Pfarrbezirk begrenzt hielten und die Statuten nicht zwecks Geschäftsbezirksausdehnung abänderten. Die Kreditgenossenschaften sollten sich, wie oben bereits dargestellt, „der Uebersicht hal­

51 52 53 54

AdVBO, Bestand RB Wiehl, 32-8, Mühlener Spar- und Darlehnskassen-Verein eGmuH, Revisionsbericht vom 8. April 1908. AdVBO, Bestand RB Wiehl, 32-8, Faulmerter Spar- und Darlehnskassen-Verein eGmuH, Revisionsbericht vom 17. Februar 1906. LA NRW Düsseldorf, D XIV A 360 (1914–1920), Verwaltungsbericht Kreis Gummersbach 1914–1920, S. 90 f. Baldus: Entwickelung, S. 33.

280

VII. Zwischen Kirchspiel und Konkurrenz

ber nur auf ein Kirchspiel beschränken“.55 Größere Darlehnskassenvereine sollten geteilt werden. Die Begründung hierfür lag in der lokalen Gesellschaft selbst: „Auf dem Lande kennt jeder den anderen. Nicht nur die Tasche des lieben Nächs­ ten, nein, auch das innerste Täschchen des Geldbeutels in der Tasche. Unsichere Darlehn zu bewilligen, wird also der Vorstand sich hüten. Es gilt die eigene Haut. Creditunwürdigen Leuten, berufsmäßigen Trinkern und Spielern darf überhaupt kein Darlehn bewilligt werden“.56 Auch der 1905 aus der Anwaltschaft als juristisch eigenständige Körperschaft hervorgegangene Verband ländlicher Genossenschaften Raiffeisenscher Organisation der Rheinlande e.V. mit Sitz in Koblenz führte in seinem Statut in § 7 Abs. 1 Satz b die Bedingung an, dass in den Verband nur Genossenschaften für Geld- und Warenverkehr aufgenommen wurden, die wiederum ausschließlich Personen aufnahmen, welche innerhalb eines „bestimmten, unbeschadet der Lebensfähigkeit der Genossenschaft möglichst engbegrenzten Vereinsbezirk“57 ihren Wohnsitz hatten. Eine sehr ähnliche Formulierung findet sich auch im Statut des Kölner Verbandes. Hier heißt es, dass jede Genossenschaft die Mitgliedschaft erwerben könne, die auf der Rechtsform der eGmuH basiere und „auf einem bestimmten (unbeschadet der Lebensfähigkeit möglichst engbegrenz­ ten) Bezirk beschränkt“58 sei. In der Satzung des Bonner Verbandes findet sich eine solche Formulierung hingegen nicht. In dieser steht lediglich, dass die Mitgliedschaft alle im Verbandsbezirk bestehenden landwirtschaftlichen Genossenschaften erwerben konnten, welche „den Interessen der ländlichen bezw. der Land­ bau treibenden Bevölkerung dienen“59 und die mit den „Grundsätzen und Be­ schlüssen dieses Verbandes und des ‚Allgemeinen Verbandes der deutschen land­ wirtschaftlichen Genossenschaften‘ in Einklang befindliche Satzungen besitzen“.60 Zur Gestaltung des Geschäftsgebietes findet sich in der Satzung kein Hinweis. Auch die Satzung des Allgemeinen Verbandes der deutschen landwirtschaftlichen Genossenschaften (später Reichsverband), auf dessen Regularien verwiesen wurde, enthielt hierzu keine Bestimmungen. Der Genossenschaftstag des Allgemeinen Verbandes (damals noch Vereinigung der deutschen landwirtschaftlichen Genossenschaften) zu Hildesheim formulierte 1889 jedoch (wie auch im Statut des Bonner Verbandes ausgeführt wurde), dass für die ländlichen Kreditvereine lediglich die Rechtsform der eGmuH anwendbar sei.61 55 56 57 58 59 60 61

LA Koblenz 393/3493, Raiffeisen. Ein ländlicher Sorgenbrecher und christlich-sozialer Segensstifter (Raiffeisen-Bibliothek), Neuwied 81896, S. 12. Hier ist von Gebieten mit von 1.000 bis 3.000 Personen die Rede; vgl. ferner zur Abgrenzung des Vereins Kraus: Gründung, S. 4. LA Koblenz 393/3493, Raiffeisen. Ein ländlicher Sorgenbrecher und christlich-sozialer Segensstifter (Raiffeisen-Bibliothek), Neuwied 81896, S. 12. LA Koblenz 403/13275, Satzung für den Verband ländlicher Genossenschaften der Rheinprovinz e.V. zu Coblenz (zuvor firmiert als Verband ländlicher Genossenschaften Raiffeisenscher Organisation der Rheinlande (Koblenz), nach 1905. LA Koblenz 403/13275, Revidierte Satzung des Verbandes rheinischer Genossenschaften e.V. zu Cöln, nach 1901. LA Koblenz 403/13275, Satzung für den Verband der rheinpreußischen landwirtschaftlichen Genossenschaften e.V. zu Bonn, circa 1900/1902, § 4. Ebd. Reichsverband der deutschen landwirtschaftlichen Genossenschaften: Taschenbuch (1923), S.

1. Der Geschäftsbezirk

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Funktionierte die solidarische Haftung auch in einem großen Geschäftsbezirk? Orientiert man sich am Derschlager Beispiel, so muss die Antwort ,nein‘ lauten, da anderenfalls die Generalversammlung 1919 nicht die Umwandlung der Rechtsform in eine eGmbH beschlossen hätte. In der Größe des Geschäftsgebietes und der Haftung lag eine wichtige – wenn nicht sogar die entscheidende – geschäftspolitische Frage. Der Bonner Verband ließ den ihm angeschlossenen Genossenschaften offen, wie groß sie ihr Geschäftsgebiet wählten beziehungsweise riet zur Ausdehnung des Geschäftsgebietes (Economies of Scale) und damit zur Dezentralisation (etwa durch zusätzliche Sammelstellen für Sparbeträge). In seinen Geschäftsberichten führte der Verband mehrfach aus, zu kleine Geschäftsgebiete hätten dazu beigetragen, dass einzelne Genossenschaften, insbesondere Kredit-, Bezugs- und Absatzgenossenschaften, nicht existenzfähig gewesen seien.62 Dass der Verband den Schritt zur massiven Ausweitung des Geschäftsgebietes empfahl oder zumindest mittrug, impliziert die Anwesenheit Schellenbergers auf der Generalversammlung in Dieringhausen am 30. September 1900 beziehungsweise die Tatsache, dass Schellenberger laut Protokoll keine Einwände gegen die Ausweitung vorbrachte. Zudem hatte noch drei Wochen vor dem Beschluss zur Erweiterung des Geschäftsgebietes eine Revision stattgefunden – Genossenschaft und Verband standen also aktuell in engem Kontakt, sodass der Verband bei Einwänden hätte intervenieren können. Anders als der Bonner Verband hielten unterdessen der Raiffeisen-Verband und der Kölner Verband an dem traditionellen Prinzip des eng begrenzten Geschäftsgebietes fest, wie Kapitel VII.1.a) zeigte. Aus der fehlenden Gewinnorientierung im ländlichen (Kredit-) Genossenschaftswesen, der Tradition der Kooperation und der starken Anbindung an die Verbände lässt sich erklären, dass sich im Kreis Gummersbach und in angrenzenden Gemeinden zwar die Geschäftsbezirke überschnitten – die vielfach konstatierte „monopol­ ähnliche Beziehung“63 zwischen Genossenschaft und „lokalen Mitgliedern“64 also nicht in ‚Reinform‘ bestand –, starkes Wettbewerbsverhalten unter den Genossenschaften jedoch nicht geherrscht zu haben scheint. Neben dem „kulturellen Kern“,65 wie Holger Bonus die genossenschaftlichen Prinzipien (Solidarität, Gleichheit und Demokratie, Ehrenamt etc.) bezeichnet, worunter er auch das Verhältnis zu Gewinn sowie die „Verbundtreue“66 subsumiert, spielten auch hier die Verbände offensichtlich eine wichtige Rolle. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass im Kreis Gummersbach, wo alle Kreditgenossenschaften dem Bonner Verband oder dem Raiffeisen-Verband angehörten, mindestens vier dem Bonner Verband angehörige Kreditgenossenschaften ab 1900 ihr Geschäftsgebiet auf einen Radius von maximal acht Kilometer ausdehnten. Dieser Prozess war auf jeden Fall bis Ende des Ersten Weltkrieges abgeschlossen. Mit der Ausdehnung des Geschäftsbezirkes wurden gleich zwei neue Situatio62 63 64 65 66

367. Bonus: Selbstverständnis, S. 63. Ebd. Ebd. Ebd., S. 62. Ebd., S. 64.

282

VII. Zwischen Kirchspiel und Konkurrenz

nen geschaffen. Zum einen eine Konkurrenzsituation, die vor allem der Bonner Verband forcierte oder auch nur duldete, zum anderen erreichten die Geschäftsgebiete eine solche räumliche Größe, dass Screening und Monitoring der Mitglieder erheblich erschwert wurden. Bis auf die Derschlager Kreditgenossenschaft blieben jedoch eigentlich alle Kreditgenossenschaften ihrer traditionellen Haltung, welche ein Wettbewerbsdenken ausschloss, verhaftet. Die Geschäftsführung der Derschlager Kasse hingegen war zweckrationaler und ökonomischer in der Ausrichtung ihrer Geschäftspolitik, was nicht nur auf die Zusammensetzung von Vorstand und Aufsichtsrat zurückzuführen ist, sondern auch auf die Lage des Sitzes der Kreditgenossenschaft. Dieses Ergebnis lässt sich mit einer Aussage Wolfram Pytas unterstreichen, der 1996 konstatierte, dass der Bauer sich zwar dem Marktgeschehen geöffnet habe und sein „wirtschaftlicher Horizont“ dadurch maßgeblich erweitert wurde, er sich jedoch nicht zu einem „nüchtern kalkulierenden Unternehmer“ entwickelt habe.67 Bei der Derschlager Kreditgenossenschaft orientierte man sich hingegen stärker an den ökonomischen Bedürfnissen, freilich auf Kosten traditioneller genossenschaftlicher Prinzipien, was wiederum kaum Reaktionen der Geschäftsführungen der anderen Kreditgenossenschaften hervorrief und augenscheinlich kein Wettbewerbsdenken entzündete. Der Bonner Verband versuchte offensichtlich zunehmend, das traditionelle ‚Kirchturm-Prinzip‘ aufzubrechen. Dieses Zwischenergebnis wirft weitere Fragen auf. Zu fragen ist etwa, welche Geschäftszweige die Kreditgenossenschaften unterhielten, oder wie sie ihre Geschäftspolitik ausrichteten, um sich von den anderen Genossenschaften abzugrenzen und um neue Mitglieder zu gewinnen. Welche Risiken beziehungsweise welche Kosten waren mit der Ausdehnung des Geschäftsbezirkes verbunden? Lassen sich die Risikopunkte benennen beziehungsweise die Kosten bemessen? Stockten die Genossenschaften für die Ausdehnung den Aufsichtsrat und den Vorstand personell auf, wie zum Beispiel die Spar- und Darlehnskasse Denklingen,68 die einige Monate nach der Gründung den Aufsichtsrat von drei auf fünf Mitglieder erweiterte? Wie war die Verteilung der Wohnorte der Aufsichtsratsmitglieder über den Geschäftsbezirk? 2. DIE MITGLIEDERENTWICKLUNG Für den Ausbau der Kreditgenossenschaften maßgeblich war, wie eingangs formuliert, die Entwicklung des Mitgliederbestandes, die insbesondere bei gleichbleibenden Grenzen des Geschäftsgebietes durch die Einwohnerzahl determiniert war. Von der Mitgliederzahl hing nicht nur die Nachfrage nach Krediten und anderen Angeboten ab, sondern auch die Bildung des Eigenkapitals und des Betriebskapitals. Von der Struktur des Mitgliederbestandes bestimmt wurden zudem Diversifikationsmöglichkeiten. Über die Aufnahme der Mitglieder entschied der Vorstand. Lehnte dieser ab, hatten Bewerber die Möglichkeit, in der Generalversammlung vorzuspre67 68

Pyta: Dorfgemeinschaft, S. 47. AdVBO, unverzeichneter Revisionsbericht über die Revision der Spar- und Darlehnskasse Denklingen, 3. Mai 1909.

2. Die Mitgliederentwicklung

283

chen.69 Die Mitgliederbewegung war durch den Vorstand in der Mitgliederliste festzuhalten. Der Vorstand hatte zudem die Erklärungen über Eintritte und Austritte beim Amtsgericht einzureichen. Erst mit der Eintragung in die Liste beim Amtsgericht entstand die Mitgliedschaft.70 a) Mitgliederzahlen Die Entwicklung der Mitgliederzahlen der untersuchten Kreditgenossenschaften war zum Teil sehr different – die meisten Kreditgenossenschaften verharrten bis Ende der 1910er-Jahre jedoch auf einem Niveau von unter 100 Mitgliedern. Die der Mitgliederzahl nach größten Kreditgenossenschaften waren um 1910 die Volksbank in Eckenhagen (gegründet 1870) mit 583 Mitgliedern, deren Mitgliederzahlen seit 1909 jedoch rückläufig waren, gefolgt vom Nümbrechter Spar- und Darlehnskassen-Verein (gegründet 1874) mit 533 Mitgliedern und der 1899 gegründeten Engelskirchener Kreditgenossenschaft mit 409 Mitgliedern. Die beiden letztgenannten gehörten dem Raiffeisen-Verband an. Auf Platz vier folgt die Spar- und Darlehnskasse Dieringhausen mit 310 Mitgliedern und auf Platz fünf die erst 1905 gegründete Spar- und Darlehnskasse Derschlag mit insgesamt 257 Mitgliedern. Diese beiden Kreditgenossenschaften gehörten dem Bonner Verband an, hatten, wie Kapitel VII.1.b) zeigt, Geschäftsgebiete mit einem Radius von acht Kilometern und erstreckten sich damit auch über die Geschäftsgebiete einiger Nachbargenossenschaften. Für die Kreditgenossenschaften Dieringhausen und Derschlag wirkte sich also die Entscheidung zur flächenmäßigen Ausweitung des Geschäftsgebietes positiv auf die Mitgliederentwicklung aus. Einen Aufwärtstrend zeigten neben den Kassen in Dieringhausen und Derschlag auch die Kreditgenossenschaften Faulmert (Mühlen) und Morsbach, während die Mitgliederentwicklung der hier untersuchten Kreditgenossenschaften insgesamt eher langsame, teils stagnierende Entwicklungen zeigt. Einen kleinen Mitgliederbestand hatten zunächst vor allem die dem Kölner Verband angehörenden Kreditgenossenschaften. Allerdings gab es auch in dieser Gruppe eine Genossenschaft, den Kreuzberger Spar- und Darlehnskassenverein eGmuH, der zumindest zeitweise von dem Beschluss, auch Mitglieder außerhalb des Geschäftsbezirkes aufzunehmen, profitierte, wenn auch nicht in starkem Maße. 69

70

Siehe unter anderem LA NRW Düsseldorf, Rep. 78 Nr. 49, Statut der Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Denklingen vom 2. Mai 1909, Abschnitt II (Muster-Statut nach Verband Bonn resp. Reichsverband der deutschen landwirtschaftlichen Genossenschaften); RWWA 404-88-6, Statut des Stieldorfer Spar- und Darlehnskassen-Vereins eGmuH, 1905, Abschnitt II (Muster-Statut nach Verband Köln); RWWA 366-5-17, Statut des Neurather Darlehnskassen-Vereins eGmuH vom 13. November 1893, Abschnitt II (Muster-Statut nach Raiffeisen-Verband); Diese Regelung findet sich auch in RWWA 366-3-8, Statuten des Rommerskirchener Darlehnskassen-Vereins eingetragene Genossenschaft vom 15. Februar 1885 (Muster-Statut nach Raiffeisen-Verband). RGBl. 1889, Nr. 11, GenG, S. 59, § 15; siehe etwa Generalverband ländlicher Genossenschaften für Deutschland: Anleitung (1913), S. 22 f.; AdVBWL, 6-5, Hohkeppeler Spar- und Darlehnskassen-Verein eGmuH, Liste der Genossen, ab 1894, S. 1 f.; siehe allgemein Kluge: Geschichte, 1991, S. 75–92.

284

VII. Zwischen Kirchspiel und Konkurrenz

Dies deutet darauf hin, dass, sobald das Geschäftsgebiet durch die Genossenschaften ausgedehnt wurde, von ihrem Angebot auch Gebrauch gemacht wurde, vor allem dann, wenn in den umliegenden Gemeinden noch keine Kreditgenossenschaften bestanden. Da um 1910 jedoch für alle Ortschaften der untersuchten Kreise lokale Kreditgenossenschaften bestanden, bleibt zu fragen, ob die Differenz zwischen durchschnittlicher und höherer Mitgliederzahl bei den Kassen mit ausgedehntem Geschäftsbezirk ‚faule‘ Mitglieder waren, das heißt Mitglieder, die etwa bei ihrer lokalen Kreditgenossenschaft nicht aufgenommen worden waren. Oder handelte es sich hierbei um Personen, die nach besseren Konditionen suchten? Oder waren es Personen, die der Genossenschaft beigetreten waren, da an ihrem Wohnort beziehungsweise für ihre (Pfarr-) Gemeinde noch keine Kreditgenossenschaft existierte? Mit Hilfe der Statistiken der Verbände lässt sich prüfen, inwieweit die Mitgliederentwicklung der in den Kreisen Gummersbach, Waldbröl und Wipperfürth ansässigen Kreditgenossenschaften typisch war. Alles in allem gehörten dem Verband rheinischer Genossenschaften (Köln) im Jahr 1905 492 Kreditgenossenschaften (1904: 459) mit insgesamt 44.136 Mitgliedern (1904: 40.189) an; eine Genossenschaft hatte demnach durchschnittlich 89,7 Mitglieder, was sich jedoch nicht ganz mit den Ergebnissen für die untersuchten Kreditgenossenschaften deckt: Im Jahr 1905 hatte zum Beispiel die Kreditgenossenschaft in Egen 28 Mitglieder, die Kreditgenossenschaft in Olpe 43 und die Wipperfelder Kreditgenossenschaft 51. Der noch näher zu betrachtende Linder Spar- und Darlehnskassen-Verein hatte 1905 55 Mitglieder. An den Durchschnittswert dichter heran kamen mit 72 Mitgliedern die Kreditgenossenschaft Hönnige und mit 75 Mitgliedern die Kreuzberger Kasse, womit diese (letztere trotz positiven Mitgliederwachstums infolge der Lockerung des Prinzips des kleinen Geschäftsbezirkes) ebenfalls unter Verbandsdurchschnitt lagen und nur im oberen Drittel unter den Kreditgenossenschaften im Kreis Wipperfürth rangierten, wie auch die Abbildung 8 verdeutlicht. Abbildung 8: Mitgliederentwicklung der dem Verband Köln angeschlossenen Kreditgenossenschaften des Kreises Wipperfürth (1900–14)

Quelle: Reichsverband: Jahrbücher; AdVBWL, Protokollbücher der Generalversammlungen; AdVBO, Protokollbücher der Generalversammlungen.

2. Die Mitgliederentwicklung

285

Während in den Regierungsbezirken Aachen und Trier lediglich rund 70 Mitglieder auf eine Genossenschaft entfielen, hatte in den Regierungsbezirken Koblenz und Düsseldorf eine Kreditgenossenschaft durchschnittlich knapp über 80 Mitglieder. Im Regierungsbezirk Köln hingegen entfielen auf eine Kreditgenossenschaft durchschnittlich 109 Mitglieder.71 Im Vergleich also mit Genossenschaften des Kölner Verbandes mit Sitz in anderen Kreisen des Regierungsbezirkes Köln waren die Mitgliederzahlen der im Kreis Wipperfürth ansässigen Genossenschaften (bei vergleichsweise ähnlicher Einwohnerzahl im Geschäftsgebiet und bei ähnlich langem Bestehen) eher unterdurchschnittlich.72 Zu beachten ist hierbei, dass diese Ergebnisse für den Regierungsbezirk Köln insbesondere durch die in Stadtnähe ansässigen Kreditgenossenschaften verzerrt wurden. Es bietet sich daher an, eher den Vergleich mit stärker agrarisch-ländlichen Gebieten der Regierungsbezirke Koblenz oder Trier zu suchen, oder ausschließlich die ländlichen Kreise des Regierungsbezirkes Köln zum Vergleich heranzuziehen, da hier größere Parallelen zum Kreis Wipperfürth bestehen.73 Insgesamt hatten im Jahr 1905 rund 42 Prozent der Kreditgenossenschaften (209 von 492) im Verbandssprengel einen Mitgliederbestand von 51 bis 100 Mitgliedern. Dies lässt sich ähnlich auch für die Folgejahre feststellen.74 Lediglich zwei Kreditgenossenschaften im Verbandsbezirk hatten mehr als 500 Mitglieder – eine davon war die Mucher Kreditgenossenschaft (Siegkreis) in unmittelbarer Nachbarschaft zum Kreis Waldbröl.75 Insgesamt waren die mitgliederstärksten Genossenschaften des Verbandes auch noch in späteren Jahren im angrenzenden Siegkreis zu finden.76 Wie sah die Entwicklung der dem Raiffeisen-Verband angeschlossenen Kreditgenossenschaften (Bechen, Kürten, Engelskirchen, Oberbantenberg, Marienberghausen, Nümbrecht, Faulmert/Mühlen, Dattenfeld, Morsbach, Brüchermühle und Waldbröl) im Vergleich zu anderen dem Raiffeisen-Verband angeschlossenen Kreditgenossenschaften beziehungsweise im Reichsvergleich aus? Der Raiffeisen-Verband riet zunächst, im Kreis von sechs bis acht Personen die entsprechenden Vorbereitungen für die Gründung einer Kreditgenossenschaft vorzunehmen, sich mit den 71 72 73

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XII. Uebersicht (Statistik) der Geschäfts-Ergebnisse der dem Verbande rheinischer Genossenschaften, e.V. zu Köln angeschlossenen Genossenschaften für das Jahr 1905, S. IV. Ebd. Ebd. – Regierungsbezirk Aachen 121 Kreditgenossenschaften mit insgesamt 8.703 Mitgliedern; Regierungsbezirk Koblenz: 67 Kreditgenossenschaften/5.666 Mitglieder; Regierungsbezirk Düsseldorf: 143 Kreditgenossenschaften/12.178 Mitglieder; Regierungsbezirk Köln: 157 Kreditgenossenschaften/17.278 Mitglieder; Regierungsbezirk Trier: vier Kreditgenossenschaften/311 Mitglieder. Ebd.; siehe auch XV. Uebersicht (Statistik) der Geschäfts-Ergebnisse der dem Verbande rheinischer Genossenschaften, e.V. zu Cöln angeschlossenen Genossenschaften für das Geschäftsjahr 1908 bzw. 1908/09, S. VI. 1908/09 hatten von 526 Kreditgenossenschaften insgesamt 224 einen Mitgliederbestand von 51 bis 100 (= 42 Prozent). XII. Uebersicht (Statistik) der Geschäfts-Ergebnisse der dem Verbande rheinischer Genossenschaften, e.V. zu Köln angeschlossenen Genossenschaften für das Jahr 1905, S. IV; siehe auch XV. Uebersicht (Statistik) der Geschäfts-Ergebnisse der dem Verbande rheinischer Genossenschaften, e.V. zu Cöln angeschlossenen Genossenschaften für das Geschäftsjahr 1908 bzw. 1908/09, S. VI. Mucher Darlehnskassenverein = 597 Mitglieder. Ebd.

286

VII. Zwischen Kirchspiel und Konkurrenz

Statuten vertraut zu machen und die Ämterbesetzung abzusprechen. Sodann sollte im Kreis von circa 20 bis 30 Personen (rund 1,5 Prozent der Bevölkerung des vom Verband anvisierten Geschäftsbezirkes) die Gründung der Kreditgenossenschaft vorgenommen werden.77 Im Jahresbericht des Generalverbandes ländlicher Genossenschaften für Deutschland e.V. für das Jahr 1914 heißt es: „Wenn sich die Mitglie­ derzahl in den Einzelvereinen in bescheidenen Grenzen hält, so ist dies eine natür­ liche Folge der engen Begrenzung des Vereinsbezirks“.78 Hier wird die durchschnittliche Mitgliederzahl im Jahr 1905 mit 97 Personen, 1910 mit 107 Personen (1913: 109) angegeben, womit die dem Raiffeisen-Verband angeschlossene Nümbrechter Kreditgenossenschaft sowie die Engelskirchener Kasse im Reichsvergleich als mitgliederstark einzustufen ist.79 Von den 407 im Jahr 1914 dem Raiffeisen-Unterverband in Koblenz angeschlossenen Kreditgenossenschaften besaßen insgesamt 155 Kreditgenossenschaften ein Geschäftsgebiet, in dem zwischen 1.001 und 2.000 Personen lebten, 95 Kreditgenossenschaften umfassten ein Geschäftsgebiet mit einer Bevölkerung von unter 1.000 Personen, 66 Kreditgenossenschaften hatten ein Gebiet mit 2.001 und 3.000 Einwohnern.80 Zum Vergleich: Die politische Gemeinde Nümbrecht zählte 1875 (ein Jahr nach der Gründung der Nümbrechter Genossenschaft) 2.838 Personen, 1900 2.843 und 1910 3.247.81 Auch wenn Doppelmitgliedschaften de jure verboten waren,82 kamen sie de facto – wenn auch selten – vor: So waren zum Beispiel zwei Personen, die bereits bei der Dieringhausener Kasse (gegründet 1895) Mitglieder waren, nach der Gründung des Faulmerter Spar- und Darlehnskassen-Vereins eGmuH im Jahr 1901 auch diesem beigetreten, da dessen Sitz näher am Wohnort gelegen war, und man zunächst mangels einer Kreditgenossenschaft ‚vor der Tür‘ die Mitgliedschaft in der Dieringhausener Kasse beantragt hatte.83 Im August 1902 wurden die beiden Mitglieder schließlich vom Vorstand der Dieringhausener Kasse zur Kündigung der Mitgliedschaft bei der Faulmerter Kasse aufgefordert – ansonsten würden die Darlehn gekündigt. Mit dieser Androhung übte die Genossenschaft begründeten Druck auf die Mitglieder aus, diente doch das Verbot der Doppelmitgliedschaft der Absicherung der Genossenschaft, einzige Gläubigerin zu sein. Zudem entglitten die Mitglieder durch Doppelmitgliedschaft der Kontrolle, was die Informationskosten erhöhte und damit die Funktionsfähigkeit der Genossenschaft behindern konnte. Nachdem im Jahr 1903 auch in Ründeroth, das ebenfalls im Geschäftsgebiet der Dieringhausener Kasse lag, eine Kreditgenossenschaft gegründet wurde, traten wiederum zwei Mitglieder dieser Genossenschaftsbank bei, obwohl sie bereits Mitglied der Dieringhausener Genossenschaft waren. Im Dezember 1904 beschloss die 77 78 79 80 81 82 83

Kraus: Gründung, S. 5; siehe hierzu insbesondere Kluge: Geschichte, S. 53 ff. Jahresbericht des Generalverbandes ländlicher Genossenschaften für Deutschland e.V. für 1914 und Statistik der Raiffeisen Genossenschaften für 1913, S. 14. Ebd., S. 14 f. Ebd., S. 16. Siehe Kapitel II. Kluge: Geschichte, S. 76. AdVBO, Bestand RB Wiehl, 73-1, Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Dieringhausen, VSProtokoll vom 8. August 1902.

2. Die Mitgliederentwicklung

287

Generalversammlung daher, das Statut dahingehend zu ändern, dass beide Genossen die Doppelmitgliedschaft beibehalten, jedoch nur Kredite der Dieringhausener Kasse in Anspruch nehmen durften; sobald die Verpflichtungen gegenüber der Kasse erfüllt waren, hatten sie aus der Genossenschaft auszuscheiden.84 Dies hatte zwar zur Folge, dass diese beiden Mitglieder ihre Einlagen in Ründeroth tätigten (Kapital, das damit im Betriebskapital der Dieringhausener Kasse fehlte), anderseits hatte diese Interimslösung den Vorteil, dass verschiedene Risiken begrenzt wurden, zum Beispiel ein Fallieren des Kredites, Verlust der Kontrolle beziehungsweise mangelnde Übersicht über die Verpflichtungen der Mitglieder gegenüber anderen Gläubigern. Da das Problem von Doppelmitgliedschaften offensichtlich an Aktualität gewann, formulierte der Genossenschaftstag zu Straßburg 1905, dass die Doppel- oder Mehrfachmitgliedschaft „grundsätzlich und statuarisch auszuschlie­ ßen“ sei – Ausnahmen bedürften der „ausdrücklichen Genehmigung der beteiligten Kreditgenossenschaften“.85 Anhand der überlieferten Mitgliederlisten und der Protokolle der Vorstandssitzungen (Beschlüsse über die Zuteilung eines Kredites enthalten vielfach den Wohnort des Antragstellers) lässt sich nachvollziehen, aus welchen Orten die Mitglieder stammten. Mit Hilfe dieser Daten lässt sich auch ermitteln, welche Rolle räumliche Nähe für die Beantragung einer Mitgliedschaft spielte, sobald die Mitglieder zwischen mehreren Kreditgenossenschaften wählen konnten. Nicht nachvollziehen lässt sich vielfach der Grund des Ausscheidens, da in den Mitgliederlisten nur vier Kategorien von Anlässen für das Ausscheiden von Genossen festgehalten wurden: (1.) Tod, (2.) Umzug, (3.) Ausschluss oder (4.) Sonstiges. Die Kategorie vier stellt eine Art Sammelbecken für alle weiteren Anlässe, die das Mitglied selbst aktiv zur Kündigung veranlassten, dar und wurde lediglich durch den Vermerk „Aufkündi­ gung“ in den Listen abgebildet.86 Eine andere Art der Ausdehnung des Geschäftsgebietes oder Aufweichung der Grenzen des Geschäftsgebietes beziehungsweise eine Art der Sicherung des Mitgliederbestandes war die Regelung, welche die Generalversammlung der Dieringhausener Kasse im Mai 1908 beschloss: In den dem Vorstand und dem Aufsichtsrat „geeignet erscheinenden Fällen“87 sollte es den 84 85 86

87

AdVBO, Bestand RB Wiehl, 134-4, Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Dieringhausen, GVProtokoll vom 11. Dezember 1904. Reichsverband der deutschen landwirtschaftlichen Genossenschaften – Raiffeisen – e.V.: Taschenbuch (1931), S. 449. Siehe unter anderem AdVBO, Bestand RB Wiehl, 75-1, Spar- und Darlehnskasse eGmuH Derschlag, Liste der Genossen. Diese Kategorien finden sich in allen ausgewerteten Mitgliederlisten, was darauf zurückzuführen ist, dass bereits durch das Genossenschaftsgesetz und in den Statuten diese Kategorien unterschieden wurden. Nach dem GenG erfolgte das Ausscheiden aus der Genossenschaft (1.) durch Aufkündigung, (2.) durch Tod, (3.) durch Ausschließung, (4.) durch Wegzug aus dem Vereinsbezirk. Zum Ausscheiden einzelner Mitglieder siehe RGBl. 1889, Nr. 11, GenG, S. 70–73, §§ 63–75. Jedes durch die Verbände bezogene Musterbuch, in welches die Mitgliederbewegung einzutragen war, enthielt eine genaue Anleitung, wie die Liste zu führen war. Siehe zum Beispiel AdVBWL, 6-5, Hohkeppeler Spar- und Darlehnskassen-Verein eGmuH, Liste der Genossen, ab 1894. AdVBO, Bestand RB Wiehl, 134-4, Spar- und Darlehnskasse eGmuH Dieringhausen, GVProtokoll vom 3. Mai 1908.

288

VII. Zwischen Kirchspiel und Konkurrenz

beiden Organen überlassen werden, Mitgliedern, die in Orte außerhalb des Geschäftsgebietes umzogen, „die Mitgliedschaft zu belassen“.88 Dies kam einer Satzungsänderung gleich (war vom Gesetzgeber grundsätzlich freigestellt).89 Nur schwer oder selten nachvollziehen lässt sich, wer gar nicht erst als Mitglied aufgenommen wurde. In einigen Fällen finden sich in den Vorstandsprotokollen Hinweise, dass Mitglieder nicht aufgenommen wurden. Hier lassen sich zwei Kategorien von Gründen ausmachen: (1.) Der Bewerber wohnte außerhalb des im Statut festgelegten Geschäftsbezirkes und war damit nicht etwa aus Bonitäts- oder persönlichen Gründen nicht aufzunehmen, sondern aus rechtlichen Gründen.90 Dieses Kriterium war jedoch dann nicht mehr frei von der persönlichen Haltung der Mitglieder der Verwaltungsorgane, sobald der Geschäftsbezirk etwa „Oberbantenberg und Umgebung“, das heißt einen nicht exakt spezifizierten Raum, umfasste; (2.) Die Kreditfähigkeit und die Kreditwürdigkeit wurden von vornherein als nicht gegeben erachtet. Ein solcher Fall lässt sich in Dieringhausen nachweisen. Im Februar 1896 beantragte der Lokomotivenputzer Oehler die Mitgliedschaft bei der Genossenschaft und wurde abgelehnt, da „demselben kein Personalcredit eingeräumt“91 werden konnte. War also der Bewerber nicht einmal kreditfähig/-würdig, einen Personalkredit über einen verhältnismäßig kleinen Betrag zu erhalten, wurde er gar nicht erst aufgenommen.92 Er wurde damit von vornherein exkludiert und konnte damit auch keine weiteren Kosten verursachen. Solange Alternativen bestanden, wie im Gummersbacher Raum, war diese Ablehnung zunächst nicht weiter gravierend. Im Kreis Wipperfürth hingegen, wo die Geschäftsbezirke bis weit in die Mitte des 20. Jahrhunderts – abgesehen vom Geschäftsgebiet der Kreuzberger Kasse93 – klar voneinander abgegrenzt nebeneinander lagen, gab es keine Alternativen. Aber nicht nur der Bewerber konnte abgelehnt werden – Mitglieder konnten in einer Wettbewerbssituation, wie im Gummersbacher Raum, auch abwandern, wie die oben genannten Beispiele zur Doppelmitgliedschaft gezeigt haben.

88 89

90 91 92

93

Ebd. Siehe hierzu auch RGBl., 1889, Nr. 11, GenG, S. 71, § 65. „Ist durch das Statut die Mitglied­ schaft an den Wohnsitz innerhalb eines bestimmten Bezirkes geknüpft (§ 8 Nr. 2), kann ein Genosse, welcher den Wohnsitz in dem Bezirke aufgiebt, zum Schlusse des Geschäftsjahres seinen Austritt schriftlich erklären. Imgleichen kann die Genossenschaft dem Genossen schrift­ lich erklären, daß er zum Schlusse des Geschäftsjahres auszuscheiden habe“ [Hervorhebungen d. Verf.]. Siehe unter anderem AdVBWL, 1-4, Hohkeppeler Spar- und Darlehnskassen-Verein eGmuH, VS-Protokolle; AdVBO, Bestand RB Wiehl, 73-1, Spar- und Darlehnskasse eGmuH Dieringhausen, VS-Protokolle; Lüer: Anspruch, S. 180. AdVBO, Bestand RB Wiehl, 73-1, VS-Protokoll vom 17. Februar 1896. Siehe hierzu AdVBO, Bestand RB Wiehl, 73-1, Spar- und Darlehnskasse eGmuH Dieringhausen, VS-Protokoll vom 29. April 1895. Hier wurde jedem neuen Mitglied grundsätzlich ein Personalkredit von 200 oder 300 Mark eingeräumt, über den die Mitglieder offensichtlich in laufender Rechnung jederzeit verfügen konnten. AdVBWL, 2-6, Kreuzberger Spar- und Darlehnskassen-Verein eGmuH, GV-Protokoll vom 3. Mai 1896.

2. Die Mitgliederentwicklung

289

b) Berufsstruktur Der Revisor des Bonner Verbandes, Koch, schrieb im Jahr 1919 an die Verwaltungsorgane der Spar- und Darlehnskasse Derschlag: „die Zahl der Mitglieder al­ lein tut es nicht. Eine Kreditgenossenschaft wird erst dann tief wurzeln, wenn in ihr alle Berufsstände und in möglichst grosser Anzahl vertreten sind“.94 Koch ermahnte zur Risikodiversifikation durch eine erwerbsstrukturell breitere Heterogenität der (anzuwerbenden) Mitglieder, wobei diese Ermahnung vor dem Hintergrund gerade der Mitgliederstruktur der Derschlager Kasse nahezu gegenstandslos erscheint. Dennoch weist Kochs Äußerung auf einen wichtigen Aspekt hin: Neben der Anzahl der Mitglieder ist insbesondere deren Erwerbsstruktur für die Entwicklung der genossenschaftlichen Unternehmen von Bedeutung. Es gilt daher zu überprüfen, inwieweit sich die Mitgliederstruktur veränderte. Zum einen soll die Entwicklung derjenigen Kreditgenossenschaften überprüft werden, die ihr Geschäftsgebiet nicht ausdehnten, zum anderen die Entwicklung derer, die dies taten. Mit der Ausdehnung des Geschäftsgebietes einher ging vermutlich auch die Ausweitung der Geschäftstätigkeit auf andere Berufsgruppen und damit die Erweiterung der Geschäftsfelder, wie etwa die Aufnahme des Wechselgeschäftes mit Ausrichtung auf (potenzielle) Mitglieder aus Handel und Handwerk. Welche Berufsgruppen waren also in der Genossenschaft vertreten? Exemplarisch dargestellt werden im Folgenden für die stärker agrarisch geprägten Höhengebiete des Kreises Wipperfürth die Entwicklungen der Kreditgenossenschaften in Linde und Hohkeppel.95 Für die stärker gewerblich-industriellen Gegenden wurde die Entwicklung der Kassen in Denklingen und Derschlag herausgegriffen. Für Denklingen lässt sich über einen Zeitraum von über 50 Jahren die Mitgliederentwicklung nachzeichnen. Hier war zunächst der Denklinger Darlehnskassen-Verein gegründet worden, der jedoch wegen Unwirtschaftlichkeit infolge von personellen Missständen und Unterschlagungen 1903 liquidiert wurde. 1909 folgte die Gründung einer neuen Kreditgenossenschaft. Dargestellt werden in der folgenden Tabelle 21 die Zahlen für die Jahre 1874 (Gründungsjahr des Denklinger Darlehnskassen-Vereins eG), das Jahr 1891 sowie der Mitgliederbestand am 2. Mai 1909, dem Tag der Gründung der Spar- und Darlehnskasse Denklingen eGmuH.

94 95

AdVBO, Bestand RB Wiehl, 76-8, Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Derschlag, Schreiben des Revisors Koch vom 16. September 1919. AdVBWL, 6-5, Hohkeppeler Spar- und Darlehnskassen-Verein, Liste der Genossen, Einträge 1900–1929; AdVBWL, 8-1, Linder Spar- und Darlehnskassen-Verein, Liste der Genossen, Einträge 1900–1929. Ausgewertet wurde, welche Berufsgruppen der Genossenschaft neu beigetreten sind.

290

VII. Zwischen Kirchspiel und Konkurrenz

Tabelle 21: Mitgliederbestand des Denklinger Darlehnskassen-Vereins eGmuH (1874, 1891) sowie der Spar- und Darlehnskasse Denklingen eGmuH am 2. Mai 1909 (Tag der Gründung) 1

2

2. April 1874

12

1

18. Dez. 1891

32

1

02. Mai 1909

2

3

4

5

6

7

8

9

2 1

3

3

1

10

11

12

13

14

2 4

4

4

4

5

2

1

1: Ackerer(in)/Landwirte, 2: Lehrer, 3: Pfarrer, 4: Bürgermeister, 5: Kaufleute/Händler, 6: Gastwirte, 7: Arbeiter (inkl. Bergleute), 8: Schuster/Schneider/Sattler/Bäcker/Metzger, 9: Mauerer/ Zimmermann/Dachdecker/Schreiner/Anstreicher/Installateur/Stellmacher, 10: Tagelöhner, 11: Angestellte (inkl. Techniker, Maschinisten), 12: Sonstige (nicht lesbar, keine Angabe, Rentner, Kriegsgeschädigte), 13: Ackerer + Mühlenbesitzer, Wirt etc., 14: Fabrikanten. Quelle: LA NRW Düsseldorf Rep. 78 Nr. 35, Mitgliederverzeichnisse, Meldungen an Amtsgericht wegen Ein- und Austritten; LA NRW Düsseldorf, Rep. 78 Nr. 49, Statut der Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Denklingen vom 2. Mai 1909.

Die Tabelle 21 veranschaulicht, wie sich mit der veränderten Erwerbsstruktur des Raumes Denklingen auch die Zusammensetzung der beiden Denklinger Kreditgenossenschaften veränderte. Der 1874 gegründete Darlehnskassen-Verein hatte bis in die 1890er-Jahre eine Mitgliederstruktur, die von in der Landwirtschaft tätigen Mitgliedern dominiert wurde. Diese wurden in den Mitgliederlisten noch als „Acke­ rer“ und nicht wie später als „Landwirte“ verzeichnet.96 Bei der Gründung der neuen Kreditgenossenschaft in Denklingen lag der Anteil der „Landwirte“ – eine Bezeichnung, die zugleich eine stärkere Ökonomisierung impliziert – nur noch bei 11,8 Prozent. 1874 waren noch 70,6 Prozent der Gründungsmitglieder in der Landwirtschaft tätig. 1891 lag der Anteil der landwirtschaftlichen Mitglieder bei 64 Prozent.97 Die gewerblich-industrielle Erwerbsstruktur spiegelt sich auch in der Zusammensetzung der im Gründungsjahr der Derschlager Kreditgenossenschaft (gegründet 1905) beigetreten Mitglieder deutlich wider, wie Tabelle 22 zeigt.

96 97

LA NRW Düsseldorf Rep. 78 Nr. 35, Mitgliederverzeichnisse, Meldungen an Amtsgericht wegen Ein- und Austritten. LA NRW Düsseldorf Rep. 78 Nr. 35; LA NRW Düsseldorf, Rep. 78 Nr. 49. Errechnet anhand der Auswertung der Beitritts- und Austrittsmeldungen.

291

2. Die Mitgliederentwicklung

Tabelle 22: Erwerbsstruktur der 1905 der Spar- und Darlehnskasse eGmuH Derschlag beigetretenden Mitglieder Beruf Ackerer/Landwirt

Mitglieder 13

Lehrer

7

Pfarrer

0

Kaufmann/Händler Gastwirt

18 6

Arbeiter und Werksmeister

19

Schuster/Schneider/Sattler/Bäcker

20

Maurer/Zimmermann/Dachdecker/Schreiner/Anstreicher/Installateur/ Stellmacher

23

Fuhrmann/-unternehmer Angestellter (darunter: Techniker, Maschinist)

6 13

Sonstige (nicht lesbar, keine Angabe, Rentner, ohne Beruf)

3

Fabrikant, Unternehmer (darunter: Mühlenbesitzer, Bauunternehmer)

2

Bürgermeister

2

Summe

132

Quelle: AdVBO, Bestand RB Wiehl, 75-1, Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Derschlag, Liste der Genossen, Einträge 1905.

Zwar ebenfalls mit abnehmender Tendenz, dennoch weit stärker landwirtschaftlich geprägt war die Erwerbsstruktur der Mitglieder der Kreditgenossenschaften im Kreis Wipperfürth noch bis in die 1920er-Jahre. Dies zeigt sich sich sowohl am Beispiel des Hohkeppeler Spar- und Darlehnskassen-Vereins eGmuH (gegründet 1894) als auch am Beispiel der Spar- und Darlehnskasse Linde (gegründet 1900). In Hohkeppel lag bei der Gründung der Anteil der Ackerer bei 79,4 Prozent, in Linde bei 90 Prozent.98 In Hohkeppel traten im Gründungsjahr zudem drei Lehrer, ein Händler, ein Gastwirt und ein Bergarbeiter bei.99 Insgesamt wird deutlich, dass die Zahl der Beitritte nach den ersten drei bis vier Jahren abnimmt. Die Zahl der Beitritte bei der Hohkeppeler Kreditgenossenschaft war bis 1914 zwar leicht schwankend, dennoch konnte die Genossenschaft durchweg – mit Ausreißern 1900 und 1913 – um die fünf Beitritte pro Jahr verzeichnen. In den ersten beiden Jahren nach 98 99

LA NRW Düsseldorf Rep. 78 Nr. 35, Mitgliederverzeichnisse, Meldungen an das Amtsgericht wegen Ein- und Austritten; LA NRW Düsseldorf, Rep. 78 Nr. 49, Statut der Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Denklingen vom 2. Mai 1909. AdVBWL, 6-5, Hohkeppeler Spar- und Darlehnskassen-Verein, Liste der Genossen, Einträge 1894.

292

VII. Zwischen Kirchspiel und Konkurrenz

der Gründung waren 81 Prozent beziehungsweise 64,3 Prozent der neu eingetretenen Mitglieder Ackerer.100 1897 waren lediglich 12,5 Prozent (von insgesamt acht Eintritten), 1898 nur 25 Prozent (von insgesamt vier Eintritten) der neu eingetretenen Mitglieder in der Landwirtschaft tätig.101 In den Jahren 1899, 1900, 1901, 1903 und 1904 kamen zwischen 73 und 83 Prozent der neu beigetretenen Mitglieder aus der Landwirtschaft, womit die landwirtschaftliche Prägung der Genossenschaft bedeutend höher war als bei den Kassen in Denklingen und Derschlag.102 In der Gemeinde Hohkeppel, wie auch in anderen Orten der Höhengebiete des Kreises Wipperfürth, war die Bevölkerungsentwicklung seit Reichsgründung zeitweise negativ, sodass hierdurch zugleich generell die Mitgliederentwicklung der Genossenschaft determiniert war, zumal diese am Prinzip des eng begrenzten Geschäftsgebietes festhielt. Sehr ähnlich war die Mitgliederentwicklung des Linder Spar- und Darlehnskassen-Vereins eGmuH, wobei der Ort Linde vom fortwährenden Bevölkerungswachstum der Gemeinde Lindlar profitiert haben dürfte. Auch hier waren in den Jahren unmittelbar nach der Gründung nur etwa 40 bis 50 Prozent der neu eingetretenen Mitglieder in der Landwirtschaft tätig.103 In den Folgejahren lag jedoch der Anteil der Landwirte in der Regel nicht unter 66 Prozent; in einigen Jahren (1904, 1906, 1908, 1910, 1911) traten sogar ausschließlich Landwirte der Kreditgenossenschaft bei.104 Seit Mitte der 1920er-Jahre trat dann auch im Kreis Wipperfürth langsam eine Trendwende ein.105 Dies war keine singuläre Erscheinung, wie auch eine Übersicht über die Berufsstruktur der Mitglieder der dem Reichsverband angeschlossenen Primärgenossenschaften aus dem Jahr 1927 wiedergibt.106 Den Einzelgenossenschaften des Köln/Bonner Verbandes (Fusion 1924) – der Ende der 1920er-Jahre der größte rheinische Verband ländlicher Genossenschaften war – gehörten 1927 rund zwei Drittel Landwirte und circa 15 Prozent Gewerbetreibende und Kaufleute an. Lehrer und Pfarrer waren mit 1,8 Prozent vertreten (im Reichsdurchschnitt lag ihre Zahl etwas höher, bei rund sieben Prozent). Die nicht-landwirtschaftlichen Mitglieder gehörten vornehmlich den Spar- und Darlehnskassen sowie den Elektrizitätsgenossenschaften an. Einen wichtigen Aspekt stellt das Alter der Mitglieder dar. Mit zunehmendem Alter einher gehen in der Regel Vermögen, Einkommen und Kapitalbedarf. Für die Kreditgenossenschaften spielte dies vor allem auch in Hinblick auf ihre Rechtsform (eGmuH) und der damit verbundenen Haftung eine wichtige Rolle. So stellte der Vorstand der Dieringhausener Kreditgenossenschaft im Dezember 1895 fest, dass die meisten Mitglieder noch nicht geerbt hatten, sodass das hinter den Mitgliedern stehende immobile Vermögen, mit dem sie solidarisch hafteten, noch recht gering 100 101 102 103

Ebd., Einträge 1895, 1896. Ebd., Einträge 1897, 1898. Ebd., Einträge 1899, 1900, 1901, 1903, 1904. AdVBWL, 8-1, Linder Spar- und Darlehnskassenverein eGmuH, Liste der Genossen, Einträge 1901–1903. 104 Ebd., Einträge 1904–1914. 105 Siehe hierzu Voß: Reichsverband der deutschen landwirtschaftlichen Genossenschaften, S. 725; Kluge: Geschichte, S. 888, Tab. 7: ,Berufsstruktur der Mitglieder deutscher Bankgenossenschaften 1870–1987‘. 106 Voß: Reichsverband der deutschen landwirtschaftlichen Genossenschaften, S. 725.

2. Die Mitgliederentwicklung

293

war und sich im Falle der Dieringhausener Kreditgenossenschaft gerade einmal auf 150 Hektar (bei circa 70 Mitgliedern) belief.107 Zusammenfassend ist festzustellen, dass die potenzielle Mitgliederzahl der Kreditgenossenschaften grundsätzlich von der Größe des Geschäftsgebietes und der dort ansässigen Bevölkerung beziehungsweise vom Bevölkerungswachstum abhing.108 Genossenschaften, die bereits seit mehreren Jahren bestanden, hatten einen größeren Mitgliederbestand als jüngere Genossenschaften, unter anderem, weil sie bereits das Vertrauen der lokalen Gesellschaft gewonnen hatten. Allerdings gab es auch Fälle, in denen das Vertrauen in die Genossenschaft durch deren Entwicklung, mangelhafte Geschäftsergebnisse, das Verhalten der Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder etc. verspielt wurde und die Genossenschaften folglich einen Mitgliederrückgang erlitten oder sogar zur Auflösung kamen (ein Beispiel ist 1874 gegründete Denklinger Darlehnskassen-Verein). Die Mitgliederstruktur spiegelt die Erwerbsstruktur des jeweiligen Geschäftsgebietes wider, woraus sich die Frage ergibt, in welcher Weise sich damit auch das Aktiv- und das Passivgeschäft der Kreditgenossenschaften veränderten.

107 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 73-1, Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Dieringhausen, VSProtokoll vom 22. Dezember 1895. 108 Die Untersuchung stützt sich (siehe Kapitel II) auf die Daten der politischen Gemeinden (oder Bürgermeistereien). Pfarrbezirke, die in der Regel die Grundlage des Geschäftsgebietes bildeten, waren grundsätzlich in den Grenzen nicht identisch mit den Grenzen der politischen Gemeinden, was dazu führt, dass die in der Untersuchung genannten Bevölkerungszahlen nicht exakt der Bevölkerung in den jeweiligen Geschäftsgebieten entsprechen.

VIII. DIE GESCHÄFTSTÄTIGKEIT Bereits im preußischen Genossenschaftsgesetz von 1867 wurde in § 1 der Förderauftrag für Genossenschaften festgeschrieben. Hiernach waren Genossenschaften „Gesellschaften […], welche die Förderung des Kredits, des Erwerbs oder der Wirthschaft ihrer Mitglieder mittels gemeinschaftlichen Geschäftsbetriebs bezwecken“.1 Das Unternehmensziel aller Kreditgenossenschaften, im Genossenschaftsgesetz als Vorschuss- und Kreditvereine implementiert, war also die Förderung der Mitglieder.2 Auch heute unterscheiden sich die Genossenschaften von rein erwerbswirtschaftlich ausgerichteten Unternehmen aufgrund des Förderauftrages. Das Spargeschäft wurde hierbei nicht nur als Mittel zum Zweck (Gewährung von Darlehn) verstanden, sondern gehörte gleichsam zum Selbsthilfekonzept des Kreditgenossenschaftswesens dazu.3 1. EINKOMMEN, KAPITALBEDARF UND VERSCHULDUNG UM 1900 Um sich ein Bild von der Kreditfähigkeit der Mitglieder der ländlichen Kreditgenossenschaften machen zu können, ist es unerlässlich, deren Einkommenssituation und die bereits bestehenden Verpflichtungen anderen Gläubigern gegenüber zu kennen. Da die genauen wirtschaftlichen Verhältnisse der einzelnen Mitglieder hier nicht rekonstruiert werden können, dienen die folgenden Ausführungen einer Annäherung. Eine von der preußischen Regierung im Jahr 1902 durchgeführte Erhebung über die Verschuldung des landwirtschaftlich genutzten Grund und Bodens ergab zunächst, dass die Verschuldung im Osten des Königreiches Preußen höher sei als im Westen des preußischen Königreiches.4 In der Rheinprovinz sei die Verschuldungsquote der selbstständigen Landwirte im Hauptberuf mit 9,9 Prozent unterdurchschnittlich. Dies gelte auch für den innerpreußischen Vergleich.5 Nach die1 2 3

4 5

RGBl. des Norddeutschen Bundes 1868, Nr. 24, GenG vom 4. Juli 1868, S. 415, § 1; RGBl. 1889, Nr. 11, GenG, S. 55, § 1 heißt es: „Förderung des Erwerbs­ und der Wirthschaft ihrer Mitglieder mittelst gemeinschaftlichen Geschäftsbetriebe“. RGBl. 1889, Nr. 11, GenG, S. 55, § 1. Unter Passivgeschäft werden alle Maßnahmen zur Beschaffung von Finanzierungsmitteln, die sich als Fremdkapital auf der Passivseite einer Bankbilanz niederschlagen, verstanden. Zum bilanziell erfassten Fremdkapital und somit zum Passivgeschäft werden gezählt: Einlagen, eigene Schuldverschreibungen sowie aufgenommene Gelder. Siehe Passivgeschäft, in: Gabler Banklexikon, Bd. 2, S. 1208. Siehe hierzu LWK: Verschuldung. Zur Erhebung: Auf der Grundlage von Steuerlisten wurde versucht, die Gesamtverschuldung (Real- und Personalschulden) der preußischen Landwirtschaft respektive von Eigentümern mit mindesten 60 Mark Grundsteuerrealeinkommen zu ermitteln. Diese sollte dem Bruttovermögen gegenübergestellt werden, um so die tatsächlich Verschuldung zu ermitteln. Da die Explo-

1. Einkommen, Kapitalbedarf und Verschuldung um 1900

295

ser Statistik waren im Kreis Wipperfürth 33,1 Prozent aller Eigentümer (gezählt wurden 1.328 Grundeigentümer) nicht verschuldet; im Umkehrschluss waren damit rund 67 Prozent der selbstständigen Landwirte verschuldet – mit durchschnittlich 29,4 Prozent ihres Bruttovermögens. Im Kreis Waldbröl waren hingegen 73,8 Prozent der hier gezählten 629 Grundeigentümer nicht verschuldet. Die etwa 26 Prozent verschuldeten Landwirte waren lediglich zu durchschnittlich 6,7 Prozent ihres Bruttovermögens verschuldet. Ähnlich waren die Ergebnisse für den Kreis Gummersbach, wo 79 Prozent der 1.044 gezählten Grundeigentümer laut Erhebung nicht verschuldet waren. Die Verschuldung lag hier bei 6,3 Prozent des Bruttovermögens.6 Dieses Ergebnis deutet darauf hin, dass im Kreis Wipperfürth (Übergangsgebiet zwischen Realteilung und Anerbenrecht, siehe Kapitel III.1), wo vielfach die landwirtschaftlichen Betriebe geschlossen an einen Erben übergeben wurden, insgesamt zwar weniger Landwirte verschuldet waren als in den reinen Realteilungsgebieten, ihre Verschuldung aber vielfach höher war als die in den Realteilungsgebieten. Dies resultierte daraus, dass bei geschlossener Hofübergabe der Nachfolger die Miterben in vollem Umfang auszuzahlen hatte und hierfür in der Regel hohe Hypothekarkredite aufzunehmen waren, während im Gebiet der Naturalteilung vielfach die Miterben ihren Anteil in natura erhielten. Eine wichtige Rolle bei der Interpretation der Ergebnisse der Verschuldungsstatistik spielen die lokalen Bodenpreise. Dies spiegelt sich auch in der Auswertung der Statistik für die gesamte Rheinprovinz wider.7 Jörg Lichter bestimmte mit Hilfe dieser Statistik und mit Blick auf ein späteres Gutachten der Landwirtschaftskammer – die Kammer ließ eine Art Gegengutachten erstellen – die Korrelation zwischen regionaler Betriebsgrößenstruktur, dem Grad der Marktverflechtung und dem Verschuldungsgrad. Hiernach war die Verschuldungsrate im Norden der Rheinprovinz höher, da hier die Betriebe durchschnittlich größer waren, dadurch die Investitionsbedingungen andere waren als in den südlichen Teilen der Provinz und auf dieser Basis hier das Kapitalangebot unter anderem durch die Landesbank besser gewesen sei.8 Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass die Realteilungsgebiete weit schlechtere Investitionsbedingungen und damit einen niedrigeren Technisierungsgrad aufwiesen, was vonseiten der Kammer offensichtlich zunächst so nicht wahrgenommen wurde. Die Landwirtschaftskammer sah in der Zuweisung von diversen Subventionspaketen, wie etwa dem Eifelfonds (später Westfonds), einen impliziten Hinweis darauf, dass gerade dort, wo höhere Subventionssummen hingingen, die Not am größten gewesen sei. Zu diesen Gebieten zählte die Landwirtschaftskammer unter anderem

6 7

8

ration erst Eigentümer mit einem Grundsteuerreinertrag von mindestens 60 Mark erfasste, wurden kleinbäuerliche Betriebe, vor allem im Nebengewerbe betriebene Zwergparzellen, vielfach nicht mit erfasst, das heißt es wurde versucht, die Verschuldung der im Hauptberuf tätigen Landwirte zu ermitteln. LWK: Verschuldung, S. 4. Schulden am Bruttovermögen (in Prozent): Regierungsbezirk Düsseldorf 19,7 Prozent, Köln 8,5 Prozent, Aachen 6,3 Prozent, Trier 2,6 Prozent, Koblenz 2,4 Prozent. – Diese Ergebnisse korrelieren mit den Erbgewohnheiten beziehungsweise dem Erbrecht innerhalb der Rheinprovinz. Siehe hierzu Sering: Vererbung. Lichter: Landwirtschaft, S. 206 f; Thul: Grundzüge, S. 80–83, zieht zudem die Zwangsversteigerungsstatistik und die Hypothekenbewegungsstatistik heran.

296

VIII. Die Geschäftstätigkeit

die Höhengebiete der Rheinprovinz, insbesondere dort, wo kleinbäuerlicher Besitz vorherrschte.9 Die Statistik des preußischen Ministeriums war nach Ansicht der Landwirtschaftskammer darüber hinaus insofern unvollständig, als sie Schulden bei privaten Gläubigern nicht mit einbezog. Dies sei jedoch insbesondere für ein vollständiges Bild der Verschuldung im südlichen Teil der Rheinprovinz relevant.10 Zudem war nach Ansicht der Landwirtschaftskammer für eine umfassende und einwandfreie Verschuldungsstatistik eine „lokale Sachkunde“11 notwendig, die bei der Erhebung durch das Ministerium jedoch gefehlt habe. Die Landwirtschaftskammer ließ aufgrund ihrer Zweifel an den Ergebnissen des preußischen Ministeriums das oben bereits genannte Gegengutachten erstellen,12 welches schlussendlich aber ein ähnliches Ergebnis brachte. Je schlechter die wirtschaftliche Lage der Bevölkerung eines Gebietes war, umso geringer war die Kreditsumme, die dieses Gebiet erhielt: „Sollte es richtig sein, daß die tatsächlichen Schulden in den armen Gebirgskreisen stellenweise niedriger sind als in der wohlhabenderen Niederung, so wird es sich fragen, ob nicht der Grund dieser Tatsache nicht sowohl die gute, als vielmehr die schlechte Lage der Leute ist, die so arm sind, daß ihnen überhaupt niemand etwas borgt, während in die besseren Niederungsgegenden das Geld gern hinströmt“.13 Um die Reputation der ländlichen Schuldner nicht zusätzlich zu schädigen, eine Adverse Selection zu vermeiden, gab die Landwirtschaftskammer in ihrer Verschuldungsstatistik (dem Gegengutachten) weder Auskunft über die Art der Schulden noch über die Kreditfähigkeit der Landwirte der untersuchten Gebiete.14 Auf eine detaillierte Veröffentlichung der Ergebnisse sowie auf die Nennung der untersuchten Ortschaften verzichtete die Landwirtschaftskammer, um zu vermeiden, dass ein ganzer Ort oder eine ganze Gegend in Misskredit fiel und Gegenden mit hoher Verschuldung nicht aufgrund zu hohen Risikos künftig völlig vom Kapitalzufluss abgeschnitten wurden. In den Erläuterungen zu dieser Verschuldungsstatistik wies die Landwirtschaftskammer nachdrücklich darauf hin, dass Verschuldung verschiedene Ursachen haben konnte: Wenn drei Landwirte zu je 100.000 Mark verschuldet waren, so konnte dies etwa aus der Aufnahme eines Kredits zwecks Meliorationsarbeiten oder zur Ausbezahlung der Miterben resultieren. Diese Verschuldung sagte jedoch nichts über die Leistungsfähigkeit des Landwirtes aus – sie sei „nur der juristische Ausdruck für die Tatsache, daß ihm das Gut nur zur Hälfte gehört“.15 Eine verwertbare Statistik müsse also unterscheiden, zu welchem 9 10 11 12

13 14 15

Zur Kritik an der Erhebungsgrundlage und den Ergebnissen siehe Landwirtschaftskammer: Verschuldung; LWK: Jahresbericht 1906, S. 36–48; Thul: Grundzüge, S. 106. LWK: Jahresbericht 1906, S. 44. Ebd., S. 47. Das Gutachten beruhte auf einer anderen Berechnungsgrundlage, bei der insbesondere die größeren Eigentümer mit einem Einkommen von mehr als 3.000 Mark ausgeklammert wurden. Hiernach war sowohl die Zahl der Grundbesitzer, die nicht verschuldet waren, weitaus geringer als in der Erhebung des preußischen Ministeriums. Auch der Verschuldungsbetrag gemessen am Bruttovermögen war höher. Siehe ebd., S. 45 f. Ebd., S. 47; Thul: Grundzüge, S. 74. LWK: Jahresbericht 1906, S. 46 f. Ebd., S. 47.

1. Einkommen, Kapitalbedarf und Verschuldung um 1900

297

Zweck die Schulden gemacht worden oder wodurch sie entstanden waren (aus Erbschulden, Kaufschulden, Meliorationsschulden, Notschulden oder aufgrund von konsumtiven Zwecken) – ohne eine solche Angabe habe die „Statistik eben keinen Wert für die Beurteilung der wirtschaftlichen Lage der Schuldner“.16 Zeitgleich mit der Erhebung durch das preußische Ministerium 1902 berichtete auch der Wipperfürther Kreisausschuss, dass die Landwirtschaft im Kreis „nach wie vor mit äußerst schwierigen Verhältnissen zu kämpfen“17 habe. Die hypothekarischen Belastungen überstiegen nach Aussage des Kreisausschusses mehr als 50 Prozent des Wertes von Grund und Boden, sodass die Landwirte „nur bei den bescheidens­ ten Lebens­Ansprüchen und unter Anspannung aller Kräfte“18 die landwirtschaftlichen Betriebe erhalten könnten. Die Entschuldung der Landwirtschaft, also die Umwandlung der kündbaren und hochverzinsten Privathypotheken in weniger hoch verzinsliche, unkündbare und amortisationspflichtige Darlehn gemeinnütziger oder öffentlich-rechtlicher Institutionen war bereits seit den Agrarreformen ein fortwährendes Politikum. Die ländlichen Kreditgenossenschaften wurden in den Umschuldungsprozess sowohl vonseiten der Landwirtschaftskammer als auch vonseiten der Bezirksregierung sowie bedingt durch die Landesbank einbezogen.19 Zur Abwicklung von Krediten hatte die Landesbank der Rheinprovinz über die Rheinprovinz verteilt „Agen­ turen“20 eingerichtet beziehungsweise Agenten beauftragt, unter anderem in Bonn, Siegburg, Rheinbach, Köln, Wipperfürth und Gummersbach. Diese berieten die Antragsteller, halfen beim Ausfüllen der Anträge und der Übermittlung an die Landesbank.21 Im Kreis Wipperfürth bestand eine Agentur in Lindlar sowie eine Agentur in der Kreisstadt Wipperfürth – bei beiden Agenturen war der „Geschäfts­ betrieb nicht unbedeutend“:22 Der Wipperfürther Agent vermittelte 1902 Realkredite von insgesamt 110.500 Mark, 1903 von 213.500 Mark; der Lindlarer Agent 1902 von 139.900 Mark und 1903 von 187.500 Mark. Dieses Ergebnis passt auch in das Bild des Gutachtens, zumal das Umland um die Kreisstadt Wipperfürth zum Übergangsgebiet zwischen Realteilung und Anerbenrecht gehörte. Im Kreis Gum16 17

18 19 20

21

22

Ebd. KrRBK, 04/1801, Verwaltungsbericht des Kreisausschusses des Kreises Wipperfürth für das Kalenderjahr 1903, S. 4. Die Kritik bezog sich vor allem darauf, dass „die französische Gesetz­ gebung eingeführte gleiche Erbteilung, bei der die teile nach dem Verkaufswerte und nicht nach dem Ertragswerte der Besitzung bemessen werden, bedingen eine unaufhaltsame Zu­ nahme der Belastung“. Ebd.; siehe hierzu auch LWK: Verschuldung, S. 4; LWK: Jahresbericht 1927, S. 28. LWK: Jahresbericht 1907, S. 16 f.; Thul: Grundzüge, S. 107, 124. LA Koblenz, 403/9347, Schreiben des Regierungspräsidenten in Köln an den Oberpräsidenten der Rheinprovinz betreffend Tätigkeit, Erfolg und weitere Verbreitung besonderer Agenturen der Landesbank vom 4. April 1904; ebd., Schreiben des Direktors der Landesbank der Rheinprovinz an den Landrat Dr. Kirschstein in Gummersbach vom 26. April 1901. Zur Landesbank siehe etwa Fischer: Landesbank; Landesbank der Rheinprovinz: Ueberblick. – Zu der Tätigkeit der Agenturen im Regierungsbezirk Köln siehe LA Koblenz, 403/9347, Schreiben des Regierungspräsidenten in Köln an den Oberpräsidenten der Rheinprovinz betreffend Tätigkeit, Erfolg und weitere Verbreitung besonderer Agenturen der Landesbank vom 4. April 1904. Ebd.

298

VIII. Die Geschäftstätigkeit

mersbach bestanden ebenfalls zwei Agenturen, die um 1902/03 insgesamt Darlehn an 44 Personen vermittelt hatten. Über die Höhe ist nichts bekannt. In einem Bericht über die ‚Rentabilität des landwirtschaftlichen Gewerbes‘ für die Jahre 1900 bis 1905 kam die Landwirtschaftskammer zu dem Ergebnis, dass die meisten landwirtschaftlichen Betriebe zunehmend rationeller geleitet wurden als noch einige Jahre zuvor.23 Vielfach zu beobachten sei die Anwendung „zweckent­ sprechender und vervollkommneter Bodenbearbeitungsgeräte“,24 zudem eine verstärkte und rationellere Düngung sowie die Verwendung von ertragreicheren Sorten. Neben dem Kapital, das der Landwirt hierzu aufzubringen hatte, ist die Frage nach dem Einkommen, dass die oberbergischen Landwirte aus den kleinen beziehungsweise mittleren Betrieben ziehen konnten, zu stellen.25 Gesamtwirtschaftlich betrachtet nahm der Anteil der Landwirtschaft am gesamten Arbeitseinkommen seit Mitte des 19. Jahrhunderts, der Entwicklung der Erwerbsstruktur entsprechend, ab (1850: 44 Prozent, 1925/29: 17 Prozent).26 Die Arbeitseinkommen in der Landwirtschaft wurden nicht nur von agrarpolitischen Rahmenbedingungen beeinflusst, sondern, wie bereits dargestellt, auch von kurzfristigen Faktoren (zum Beispiel witterungsbedingten Ernteausfällen). Lichter konstatierte, dass mit zunehmender Betriebsgröße der Anteil der Einnahmen aus der Viehhaltung zurückging, während der Anteil der aus pflanzlichen Erzeugnissen gewonnenen Einnahmen stieg. Bei zunehmender Betriebsgröße gestaltete es sich weit schwieriger, die nominal stockenden beziehungsweise real regressiven Erlöse aus Getreide- und Hackfruchtverkäufen durch erhöhte Erlöse aus dem Absatz von tierischen Produkten zu kompensieren.27 Während des Untersuchungszeitraumes blieben die meisten klein- und mittelbäuerlichen Betriebe in der Regel Mischbetriebe.28 Die Betriebsgröße ist für die Einschätzung der Einkommen relevant. Einen Einblick in die Einnahmen und Ausgaben rheinischer Kleinbauern vor dem Ersten Weltkrieg gibt eine Erhebung der Landwirtschaftskammer aus dem Jahr 1910.29 Hiernach wurden durchschnittlich rund 77 Prozent des Einkommens aus dem eigenen Betrieb gewonnen, zehn Prozent durch anderen Verdienst, etwa durch Tätigkeiten der Kinder, und zwölf Prozent aus Kapitalvermögen (zum Beispiel Zinsen). Hinzu kamen die Umschichtungen von Kapitalvermögen, etwa durch Abhebungen von Sparbüchern. Die Einnahmen aus dem landwirtschaftlichen Betrieb entstammten 1910 vordergründig auch aus Erzeugnissen des Erhebungsjahres 1910. Dürftig fiel der Betrag aus, der durch eine Verminderung des Inventars, zum Beispiel durch den Verkauf von Nutzvieh, eingenommen wurde, zumal Verkäufe in der Regel der Finanzierung von Neukäufen dienten. Die Einnahmen aus dem landwirtschaftlichen Betrieb beliefen sich durchschnittlich auf 3.214,90 Mark, wovon 69 Prozent 23 24 25 26 27 28 29

LWK: Jahresbericht für 1905 und den fünfjährigen Zeitraum 1901–1905, S. 211. Ebd. Zilahi-Szabó: Unternehmensrechnung, S. 1–5; Havenstein: Beiträge; Franz: Wanderlehrer, S. 76 ff. Hoffmann: Wachstum, S. 94 f. Lichter: Landwirtschaft, S. 84. Boehler: Routine, S. 111–119, bes. S. 111. Hagmann: Wirtschaftsrechnungen, S. 7.

1. Einkommen, Kapitalbedarf und Verschuldung um 1900

299

aus dem Verkauf von Vieh und Viehprodukten entstammten.30 19 Prozent wurden durch den Verkauf von Getreide erwirtschaftet, 11,6 Prozent mit anderen Bodenerzeugnissen.31 Ausgaben wurden zu 41,8 Prozent für den landwirtschaftlichen Betrieb getätigt, zu 58,2 Prozent für die Familie: für Nahrung wurden 16,5 Prozent ausgegeben, für private Anschaffungen und Bedürfnisse sowie Spargelder 41,7 Prozent. Die Ausgaben für den Haushalt waren also gering. Von den durchschnittlich 1.602,33 Mark für sonstige Ausgaben wurden 32,8 Prozent zur Tilgung von Schulden verwendet, 5,6 Prozent für Zinsen, 6,2 Prozent für Steuern, 12,5 Prozent für Pacht und Miete, 2,8 Prozent für Heizung und Beleuchtung. Unter die sonstigen Ausgaben fielen Seife, Soda und Waschmittel, Küchengeschirr, Zeitungen, Bücher, Porto, Fahrgeld, Kleidung und Wäsche sowie private Ausgaben, wie etwa Geschenke, Taschengeld, Schulgeld und Lernmittel.32 Von den 32,8 Prozent für die Tilgung von Schulden war zudem ein Anteil zur Ersparnisbildung verwendet worden. Die durchschnittlich 1.691,10 Mark für Betriebsausgaben verteilten sich auf die einzelnen Betriebsmittel wie in der nachstehenden Tabelle 23 dargestellt. Der weit größte Anteil entfiel hier – preisbedingt – auf den Ankauf von Vieh. Tabelle 23: Ausgaben für den landwirtschaftlichen Betrieb rheinischer Kleinbauern (1910) Posten Saatgut

Mark

Anteil (%) 57,50

3,4

Düngemittel

235,06

13,9

Futtermittel

301,02

17,8

71,03

4,2

Unterhalt der Gebäude, Maschinen, Geräte

167,42

9,9

Verbesserungen

157,27

9,3

Brennstoffe

32,13

1,9

Sachversicherungen, Allgemeines

50,73

3,0

620,63

36,7

Löhne

Ankauf von Vieh etc. Quelle: Hagmann: Wirtschaftsrechnungen, S. 11.

Zur Einschätzung der wirtschaftlichen Verhältnisse der Mitglieder ist neben der Einkommenssituation auch der Besitz beziehungsweise der Wert an Grund und Boden, Gebäuden und Inventar von Interesse. Der Wert der Gebäude belief sich durchschnittlich auf 6.743 Mark, der Wert des lebenden Inventars auf 2.890 Mark sowie

30 31 32

Ebd., S. 16–19. Ebd., S. 10. Errechnet nach ebd., S. 11 f.; siehe auch Hoffmann: Wachstum, S. 116 f., Tab. 44 ,Die Struktur des privaten Verbrauchs nach Güterarten in Preise von 1913, 1850–1959‘.

300

VIII. Die Geschäftstätigkeit

des toten Inventars auf 918 Mark.33 Die von Hagmann errechneten Werte lassen erkennen, dass mit steigender Fläche der Gebäudewert stieg und auch der Wertanteil des Viehs zunahm. Zudem waren Maschinen und Geräte in größerem Umfang vorhanden. Die Vermehrung oder Verbesserung des lebenden Inventars wurde nach Hagmanns Ergebnissen nicht durch Zukauf, sondern durch eigene Zucht erreicht.34 Hagmann beschäftigte sich im Rahmen der Erhebung auch mit der Ersparnisbildung der Familien und der Ersparnisverwendung. Als Verwendungszweck der Ersparnisse gab er an: Schuldentilgung, Kapitalansammlung, Landkauf, Inventarvermehrung. Nicht eindeutig ließ sich jedoch die jährliche Sparsumme errechnen, da „ein Teil davon nicht durch die Kasse läuft“35 und einige Beträge, die bei der Sparkasse oder der Kreditgenossenschaft eingezahlt wurden, nicht unbedingt Ersparnisse darstellten, sondern aus Landverkäufen oder Kapitalrückzahlungen, Erbschaften oder Lotteriegewinnen herrührten. Bedingt durch die Zins- und Tilgungszahlungen waren die tatsächlichen Ersparnisse erheblich bestimmt von den Schulden der einzelnen Familien. Grundsätzlich kommt Hagmann zu dem Ergebnis: Es gab „wohl kaum eine Bevölkerungsgruppe, die von ihrem Einkommen soviel er­ spart, wie die bäuerliche“.36 2. DAS AKTIVGESCHÄFT Im Aktivgeschäft37 von Kreditgenossenschaften bildet noch heute das kurz-, mittel- und langfristige Kreditgeschäft den Schwerpunkt.38 ‚Kredit‘ bedeutet zunächst nichts weiter als ,glauben‘, ,anvertrauen‘ (lat. credere) und bezeichnet die „Hingabe eines Gutes zur Nutzung in der Gegenwart gegen den Anspruch auf Ge­ genleistung in der Zukunft“.39 Kredit setzt demnach das Vertrauen des Gläubigers in die Zahlungsfähigkeit und -willigkeit des Schuldners voraus.40 Aus der Verschiedenheit der Form, in welcher Kredite gewährt werden, ergibt sich die Verschiedenartigkeit von Kreditgeschäften. „Teils mehr nach ökonomischen, teils 33

34 35 36 37 38 39 40

Bei Betrieben unter fünf Hektar belief sich der Wert der Gebäude gerechnet auf einen Hektar ihres Besitzes auf 1.239 Mark, der des lebenden Inventars auf 522 Mark und der des toten Inventars auf 115 Mark. Für Betriebe der Größenklasse fünf bis zehn Hektar: Gebäude 883 Mark, lebendes Inventar 376 Mark, totes Inventar 120 Mark. Bei Betrieben über zehn Hektar betrug der Wert der Gebäude 728 Mark, der des lebenden Inventars 369 Mark und der des toten Inventars 122 Mark. Hagmann: Wirtschaftsrechnungen, S. 41. Ebd. Ebd., S. 42; vgl. hierzu auch Verband rheinischer landwirtschaftlicher Genossenschaften: Verband, S. 47. Landwirte waren unter den Sparern am wenigsten vertreten. Das Aktivgeschäft ist der Teil des Bankgeschäftes, in dem Kreditgenossenschaften beziehungsweise Kreditinstitute im Allgemeinen Kredite gewähren. In der Bankbilanz stehen die Kredite auf der Aktivseite als Forderungen an die Mitglieder. Siehe etwa Rheinisch-Westfälischer Genossenschaftsverband: Jahresberichte. North: Kredit, S. 195. Kreditfähigkeit, in: Schierenbeck: Bank- und Versicherungslexikon, S. 408 f.; Kreditwürdigkeit, in: ebd., S. 414.

2. Das Aktivgeschäft

301

mehr nach rechtlichen Merkmalen“41 lassen sich daher grundsätzlich folgende Kategorisierungen des Kredits beziehungsweise von Kreditgeschäften ausmachen:42 (1.) nach der Person des Schuldners (Privatkredit, öffentlicher Kredit), (2.) nach der Dauer des Kreditgeschäfts (kurzfristiger, mittelfristiger, langfristiger Kredit), (3.) nach der Sicherheit (Personalkredit oder Realkredit), (4.) nach der Verwendung (Konsumtiv- und Produktivkredit), (5.) nach der Art des Gläubigers (Privatkredit, Bankkredit) sowie (6.) nach der Art beziehungsweise Technik (Kontokorrent-, Wechsel-, Akzept- oder Lombardkredit).43 Ein Darlehn für Landwirte wurde zeitgenössisch in der Regel als „landwirtschaftlicher Kredit“44 bezeichnet.45 Kredite konnte die landwirtschaftliche Bevölkerung, wie oben bereits ausführlich dargelegt, bis Mitte des 19. Jahrhunderts nur in Form von Krediten durch Privatpersonen erhalten. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts wurden der ländlichen Bevölkerung der näher untersuchten Kreise Gummersbach, Waldbröl und Wipperfürth grundsätzlich auch Darlehn – sowohl als Real- als auch als Personalkredit – durch die kommunalen Sparkassen und seit 1870 durch Volksbanken in Lindlar, Wipperfürth, Eckenhagen und Ohl zur Verfügung gestellt. Offensichtlich wurde der Bedarf durch diese Institute jedoch nicht hinreichend gedeckt. Die statuarisch festgelegten Sicherheiten sowie die Ausleihfristen der Sparkassen und Volksbanken erwiesen sich häufig als nicht den Bedürfnissen der landwirtschaftlichen Betriebsinhaber adäquat. Wie viele Darlehnssuchende un(ter)versorgt blieben, lässt sich nur schwer bestimmen, jedoch lässt die Mitgliederentwicklung beziehungsweise das Aktivgeschäft der ländlichen Kreditgenossenschaften entsprechende Rückschlüsse zu. Die untersuchten ländlichen Kreditgenossenschaften vergaben nicht nur Personal-, sondern auch Realkredite. Unter Realkredit ist für gewöhnlich nur der Grundkredit zu verstehen. Der landwirtschaftliche Personalkredit „im üblichen Sinne“46 ist ein Personalkredit gegen Schuldschein mit Bürgschaft oder ein Personalkredit gegen Schuldschein ohne Bürgschaft, sowie der Mobiliarkredit, das heißt die Verpfändung etwa von Waren.47 Von dieser Unterscheidung ausgehend differenziert man dem Charakter des landwirtschaftlichen Kreditbedürfnisses entsprechend drei Kreditarten:48 (1.) 41 42 43 44 45

46 47 48

Obst: Bankgeschäft, S. 224. Nach North: Kredit, S. 195 f. – Die Akzentuierung beziehungsweise die Reihenfolge der Nennung können sich je nach Forschungsfeld und Fragestellung unterscheiden. Siehe auch Obst: Bankgeschäft, S. 224–228. Vgl. auch North: Agrarkredit, S. 16. Landwirtschaftlicher Kredit, in: Meyers Konversationslexikon, S. 487 (online; zuletzt abgerufen am 16. Januar 2011). Siehe unter anderem Kredit, in: Gabler Banklexikon, S. 971 f. Zur Abgrenzung von Kredit und Darlehn siehe ebd., S. 971 f. Kredit ist gegenüber Darlehn der umfassendere Begriff, da Kredit sich nicht nur auf das Leihen von Geld bezieht, sondern auch andere Kreditarten (Akzeptkredit, Avalkredit, Diskontkredit) umfasst, die nicht als Darlehnsverhältnis, sondern als Geschäftsbesorgungsverträge, als Bürgschaft beziehungsweise Garantie und als Kauf zu qualifizieren sind. Landwirtschaftlicher Kredit, in: Meyers Konversationslexikon, S. 487 (online; zuletzt abgerufen am 16. Januar 2011). Ebd. Die Kategorisierung geht zurück auf Hans Roßbergs Untersuchung über die Bedeutung der Genossenschaften für den Agrarkredit aus dem Jahr 1928 und berücksichtigt damit den Forschungsstand zum Ende des Untersuchungszeitraumes. Siehe Roßberg: Anteil, S. 8 f. Heute

302

VIII. Die Geschäftstätigkeit

Grund- oder Besitzkredite, zum Beispiel bei Besitzwechsel eines landwirtschaftlichen Betriebes durch Kauf oder Erbschaft, wenn der Käufer nicht in der Lage war, den vollen Kaufpreis zu bezahlen oder die Miterben auszubezahlen. Der Besitzoder Grundkredit sollte ein möglichst langfristiger und unkündbarer Kredit sein. Die Besicherung erfolgte durch die Belastung von Grund und Boden (Hypothek). Grund- und Besitzkredite dienten demnach dem Erwerb oder der „Bewahrung des Eigentums an dem betreffenden Grundstück“49 und wurden daher auch als „Leihkapital“50 bezeichnet, das eben nicht dem landwirtschaftlichen Betrieb direkt diente, sondern lediglich einen gewissen Anteil an Grund- und Bodenwert „verkör­ perte“, der sich allerdings negativ auf den Wirtschaftsertrag auswirkte.51 (2.) Kredite zur Ergänzung des stehenden Kapitals und Meliorationskredite als Hypothekar-, Personal- oder Mobiliarkredite wurden als Investitionskredite zur Durchführung von Verbesserungen, das heißt zur Steigerung der Ertragsfähigkeit des Bodens, zur Schaffung neuer Kulturen, zur Entwässerung, Urbarmachung und Flurbereinigung vergeben. Ziel der Aufnahme eines solchen Kredits war die Ertragssteigerung. Als optimal wurde eine angepasste Tilgung aus dem bei normaler Entwicklung erzielten Reinertrag betrachtet, das heißt der Kredit sollte möglichst langfristig angelegt und damit konsequentermaßen der Anzahl von Produktionsperioden bis zur Reproduktion angepasst sein. (3.) Die dritte Kategorie bildeten Betriebskredite (im engeren Sinne) zur Ergänzung des umlaufenden Kapitals. Diese wurden in der Regel als Personalkredit vergeben und im optimalen Fall der Länge der Produktionsperiode angepasst. Als charakteristisches Merkmal stellte Hans Roßberg in seiner Untersuchung über Genossenschaften und Agrarkredit heraus, dass der Kreditnehmer bei „nicht mißgegriffener Verwendung am Schluß der laufenden Betriebs­ periode das entliehene Kapital in seinem vollen Umfang samt dem erforderlichen Zins, also die ganze ihm obliegende Gegenleistung in den Händen haben“52 konnte. Der Kredit sollte daher unbedingt an die Produktionsperiode angepasst und zugleich als mehr oder weniger kurzer Personalkredit durch den Landwirt aufgenommen werden, um ihn bei Leistungsfähigkeit jederzeit tilgen zu können und so unnötige Kosten für Zinsen zu sparen.53 Die Kredite zur Stärkung des umlaufenden Kapitals – zur Beschaffung von Futter, Saatgut, Dünger, Vieh oder zur Bezahlung von Löhnen – stiegen mit der fortschreitenden Modernisierung, der damit aufwendig werdenden Betriebsführung und der damit einhergehenden Kapitalintensivierung sowohl dem Bedarf, als auch der Summe nach. Anfang der 1890er-Jahre galt gemessen an der Rentabilität dieser Kapitalverwendung die ‚Formel‘, dass ein Landwirt nur in Notfällen und dann auch nur für kleine Beträge maximal fünf bis sechs Prozent Zinsen zahlen sollte.54

49 50 51 52 53 54

gängige Kategorisierungen unterscheiden sich kaum, lediglich die Bewertung hat sich verschoben. Ebd., S. 9. Ebd. Ebd. Knies: Kredit, zit. n. Roßberg: Anteil, S. 10. Ebd., S. 13 f. Landwirtschaftlicher Kredit, in: Meyers Konversationslexikon, S. 487 (online; zuletzt abgeru-

2. Das Aktivgeschäft

303

Theodor Kraus kam 1876 für seine Untersuchung von 66 Kreditgenossenschaften zu dem Ergebnis, dass es „ein Ding der Unmöglichkeit sei“,55 eine Statistik über die Verwendung der Kapitalien auszuarbeiten, da man „dann bei jedem einzel­ nen Schuldner hätte nachfragen müssen“.56 Auch bei genauerer Betrachtung der überlieferten Protokollbücher der Vorstands- und Aufsichtsratssitzungen der Kreditgenossenschaften, die im Untersuchungsraum bestanden, ist augenfällig, dass die Mehrheit der Protokollbücher keine Hinweise auf die Verwendung der Kredite enthält – eine Ausnahme bilden hier die Protokolle des Hönnigethaler Spar- und Darlehnskassen-Vereins eGmuH.57 Hier finden sich Angaben zum Zweck der Darlehn, wie etwa der Ankauf einer Kuh oder eines Pferdes, Abfindung der Geschwister, Erwerb eines Grundstückes, Bau eines Hauses oder Elektrifizierung des Hofes.58 Kluge schreibt allgemein: „Der Einsatzbereich der Kredite ländlicher Bankgenossenschaften deckte das gesamte Spektrum ab, das zur Unterstützung der Landwirtschaft denkbar war“,59 und nennt die Anschaffung von Betriebsmitteln, die Überbrückung von Missernten, die Finanzierung von Bodenmeliorationen, von Wohn- und Wirtschaftsgebäuden sowie von Boden, darüber hinaus die Abfindung von Erben, die Ablösung von alten Schulden und die Finanzierung von Investitionen von Betriebsgenossenschaften und Gemeinden.60 Die wirtschaftlichen Verhältnisse des einzelnen Kreditnehmers können vielfach nicht rekonstruiert werden (siehe Abschnitt VIII.1), vor allem, da es sich meist um kleine oder mittlere landwirtschaftliche oder gewerbliche Betriebe handelte, die kein Schriftgut hinterlassen haben. Die Mischung aus lückenhafter Überlieferung und nur bedingter Verschriftlichung der Geschäfte der Kreditgenossenschaften führt dazu, dass auch nur ein unvollständiges Bild von der Beziehung zwischen Mitglied und Kreditgenossenschaft gegeben werden kann. Notizen etwa über die wirtschaftliche Situation einzelner Kreditnehmer, die im Rahmen von Bonitätsprüfungen gemacht wurden, lassen sich bei keiner der besuchten Volks- und Raiffeisenbanken finden und konnten auch in keinem Archivbestand nachgewiesen werden, sodass hier nur die Angaben aus Abschnitt VIII.1 generalisierend angeführt werden können.

55 56 57 58

59 60

fen am 16. Januar 2011). Nicht genannt sind hier Konsumtivkredite, welche in keiner Beziehung zum landwirtschaftlichen Betrieb standen, sondern lediglich der Verwendung im Haushalt dienten. Ebenfalls nicht weiter dargestellt sind hier „Notstandskredite“, die in der Regel nur zur Überbrückung beziehungsweise als Zwischenkredit dienten. Für die Untersuchung am bedeutendsten waren Besitzkredite sowie Betriebskredite. Diese dienten insbesondere zum Ankauf von Betriebsmitteln beziehungsweise zur Deckung von Betriebsausgaben. Siehe unter anderem Roßberg: Anteil, S. 10. Kraus: Statistik, S. 37. Ebd. AdVBWL, 2-8, Hönnigethaler Spar- und Darlehnskassen-Verein eGmuH, VS-Protokolle. Ebd. – Bei der Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Dieringhausen etwa lassen sich Kredite zum Zweck der Anlage einer Wasserleitung sowie zur Elektrifizierung von Gebäuden nachweisen. Siehe AdVBO, Bestand RB Wiehl, 73-1, Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Dieringhausen, VS-Protokolle. Kluge: Geschichte, S. 190. Ebd.

304

VIII. Die Geschäftstätigkeit

Welche Regeln und Strategien lagen dem Kreditgeschäft der ländlichen Kreditgenossenschaften zu Grunde? Fritz Beckmann charakterisierte die Genossenschaften 1926 als „Ausgleichsstellen des kurzen Kredits“61 beziehungsweise als „Ver­ mittler des kurzen Kredits“.62 Die Kreditpolitik63 der ländlichen Kreditgenossenschaften hatte sich grundsätzlich an den allgemeinen gesetzlichen Bestimmungen des Genossenschaftsgesetzes, des Handelsgesetzbuches sowie des Bürgerlichen Gesetzbuches (ab 1. Januar 1900) zu orientieren.64 Das Genossenschaftsgesetz von 1889 gab die Rahmenvorschriften vor: Danach war zunächst die Gewährung von Darlehn an Nichtmitglieder verboten (§ 8) und die Gewährung von Darlehn an Vorstandsmitglieder durch den Aufsichtsrat zu entscheiden (§ 37). Die Höchstgrenze für die Kreditgewährung an die einzelnen Mitglieder legte die Generalversammlung fest (§ 47).65 Darüber hinaus hatte die Kreditpolitik der einzelnen ländlichen Kreditgenossenschaft an der statuarischen Zielsetzung sowie an den weiteren, nicht in der Satzung wiedergegebenen Grundsätzen der (Dach-) Verbände (etwa den Beschlüssen auf Verbandstagen) ausgerichtet zu sein. Hinzu kamen die lokalen Rahmenbedingungen (Bevölkerungsstruktur, Erwerbsstruktur, Marktintegration etc.), wie sich insbesondere in den Strategien der Spar- und Darlehnskassen Derschlag und Dieringhausen zeigt. Während bei den Geschäftsbanken die Erreichung von Marktanteilen und Rentabilitätszielen beziehungsweise die Gewinnmaximierung im Vordergrund stand, war für die ländlichen Kreditgenossenschaften die Erfüllung des Förderauftrages gesetzlich erklärtes Unternehmensziel. Risiken sollten durch entsprechende Sicherungsmaßnahmen – vom Gesetzgeber bis zum effizienten Monitoring auf der persönlichen Ebene – reduziert werden. Um eine möglichst hohe Sicherheit zu erwirken, werden durch Banken grundsätzlich risikopolitische Maßnahmen ergriffen, wie etwa die Risikoverteilung und -abwälzung, organisatorische und personelle Maßnahmen, die Überprüfung der Antragsteller ex ante und die Überwachung der Kredite ex post. Hier ist zwischen allgemeiner und spezieller Risikopolitik zu unterscheiden: Während die allgemeine Risikopolitik darauf ausgerichtet ist, sämtliche im Kreditgeschäft entstehenden Risiken über mehrere Kreditnehmer, unterschiedliche Zeiträume oder Projekte zu streuen, durch Garantien das Risiko abzuwälzen und durch verschiedene Instrumente, wie das Vier-Augen-Prinzip, menschliches Versagen zu reduzieren, geht es bei der speziellen Risikopolitik um die Risikokalkulation beim Einzelkreditnehmer. Die Bonität der Antragsteller, ihre Eigenschaften und Fähigkeiten, sind grundsätz61 62 63

64 65

Beckmann: Kreditpolitik, S. 104. Ebd., S. 105. Als Kreditpolitik gelten die von einer Bank in ihrem Kreditgeschäft zu Grunde gelegten Regeln, Bestimmungen, Verfahren etc. Die Kreditpolitik dient der Realisierung der geschäftspolitischen Ziele und wird durch bestimmte Rahmenbedingungen begrenzt. Siehe hierzu Kreditpolitik der Geschäftsbanken, in: Gabler Banklexikon, S. 989–992. Siehe hierzu RGBl. 1889, Nr. 11, GenG, S. 60, § 17: „Die Genossenschaften gelten als Kauf­ leute im Sinne des Handelsgesetzbuches, soweit dieses Gesetz keine abweichenden Vorschrif­ ten enthält“. Ebd., S. 57, § 8, S. 65, § 37, S. 67, § 47 sowie S. 9, § 160. – Zum Nichtmitgliedergeschäft siehe auch Citron: Reichsgesetz, S. 93–97; Kluge: Geschichte, S. 197 f.

2. Das Aktivgeschäft

305

lich ex ante zu prüfen.66 Die Vergabe des Kredites sollte nach sachlichen sowie nach persönlichen Gesichtspunkten vertretbar sein. Durch eine Analyse der Kreditwürdigkeit/-fähigkeit des einzelnen Antragstellers ex ante sollen die zu erwartende Liquidität und das mögliche Ausfallrisiko bestimmt werden. Der einzelne Kredit ist zudem während der Laufzeit zu kontrollieren. Durch Kreditlinien (Fazilität), welche bei den ländlichen Kreditgenossenschaften grundsätzlich durch die Generalversammlung festgelegt wurden, sollten Risiken entsprechende eingegrenzt werden. Besondere Kreditsicherheiten dienten ebenfalls der Reduzierung von Unsicherheiten.67 Bei der Analyse der Kreditpolitik der ländlichen Kreditgenossenschaften ist die systematische Verbindung dieser Politik mit den Unternehmenszielen und den Rahmenbedingungen der Genossenschaften wichtig, um die Regeln, Verfahren und Bestimmungen richtig bewerten zu können. In feinen Nuancen unterschieden sich bereits die Ausrichtungen der Kreditgenossenschaften in Bezug auf ihre Unternehmensziele. Dies wird beim Vergleich der Statuten deutlich, aber auch bei der Auswertung verschiedener, durch die Verbände herausgegebener Publikationen. Wie bereits in Abschnitt V.1 näher erläutert, waren die dem Raiffeisen-Verband angeschlossenen Kreditgenossenschaften – der Satzung nach – darauf ausgerichtet, die soziale und wirtschaftliche Situation der Mitglieder zu verbessern. Unter die Mittel hierzu fiel das Darlehnsgeschäft, wohingegen die dem Bonner Verband angeschlossenen Kreditgenossenschaften ausdrücklich und erstrangig die Vergabe von Darlehn an ihre Mitglieder als Unternehmenszweck und damit als Unternehmensziel verfolgten.68 a) Beispiel 1: Hönnigethaler Spar- und Darlehnskassen-Verein eGmuH Der Hönningethaler Spar- und Darlehnskassen-Verein eGmuH wurde am 16. Januar 1894 von 32 Personen gegründet und kurz darauf in Hönniger Spar- und Darlehnskassen-Verein eGmuH umfirmiert.69 Der erste Vorstand bestand aus fünf Ackerern; auch die allgemeine Erwerbsstruktur des Kreises Wipperfürth lässt auf eine zunächst starke landwirtschaftliche Mitgliederstruktur schließen. Der Ackerer Josef Häger führte als Rendant bis 1910 die Geschäfte in seinem Haus in Dreine, rund 3,2 km vom Stadtkern der Kreisstadt Wipperfürth entfernt. Im Jahr 1908 wurde die Genossenschaft von Hönniger Spar- und Darlehnskassen-Verein eGmbH mit Sitz in Hönnige in Wipperfürther Spar- und Darlehnskassen-Verein eGmuH in Wipperfürth umfirmiert, womit der dörfliche Charakter der Genossenschaft abge66 67 68 69

Kreditwürdigkeitsprüfung, in: Schierenbeck: Bank- und Versicherungslexikon, S. 414 f., Schaubild ,Bonität des Kreditnehmers‘. Kreditpolitik der Geschäftsbanken, in: Gabler Banklexikon, S. 989–992. RWWA 404-11-12, Statut des Breniger Darlehnskassen-Vereins vom 17. August 1890; LA NRW Düsseldorf, Rep 78 Nr. 49, Statut der Spar- und Darlehnskasse eGmuH Denklingen vom 2. Mai 1909. Siehe hierzu auch ADVBWL, 4-2, Rückblick auf das 70-jährige Wirken der Spar- und Darlehnskasse Wipperfürth, 1964; 2-9, GV-Protokoll vom 21. Februar 1894, Änderung des Statuts: Anstatt des Sitzes Hönnigethal wurde Hönnige eingesetzt und neben dem Datum der Gründung Harhausen statt Hönnigethal.

306

VIII. Die Geschäftstätigkeit

streift werden konnte.70 Im Jahr 1910 wurde die Geschäftsstelle in die Kreisstadt in ein Privathaus an der Lüdenscheider Straße verlegt.71 Zu diesem Zeitpunkt hatte die Genossenschaft rund 80 Mitglieder.72 Der Genossenschaft lag das Musterstatut des Kölner Verbandes zu Grunde. Moritz Ertl und Stefan Licht stellten in ihrem Handbuch für die genossenschaftliche Praxis 1899 den Kölner Verband als eine Art ‚Sondertyp‘ vor; der Verband habe eine „Sonderstellung in der ländlichen Creditorga­ nisation der Rheinprovinz“73 eingenommen. Das Musterstatut schloss sich im Wesentlichen an das Muster des westfälischen Genossenschaftsverbandes mit Rückbindung an den Westfälischen Bauernverein, die westfälische ‚Schwesterorganisation‘ des Rheinischen Bauernvereins, an. Bei beiden Verbänden wurden die „Neu­ wieder Normen […] getreu festgehalten und in vollkommener Reinheit bewahrt“,74 so Ertl und Licht. Das Statut des Hönniger Spar- und Darlehnskassen-Vereins eGmuH enthielt wie auch die Musterstatuten der Raiffeisen-Anwaltschaft verschiedene, für das Darlehnsgeschäft relevante Regeln und Verfahren. Laut Satzung konnten die Mitglieder Darlehn auf feste Zeit und Kredite in laufender Rechnung durch die Genossenschaft erhalten. Die Mitgliedschaft konnte jedoch auch satzungsgemäß entzogen werden, zum Beispiel bei Verlust der Zahlungsfähigkeit oder Verlust der selbstständigen Vermögensverwaltung sowie nach Entzug der bürgerlichen Ehrenrechte als auch nach einem Zwangsverfahren wegen Verweigerung der Rückzahlung von Darlehn oder Zinsen. Die Mitglieder legten in der Generalversammlung die grundsätzliche Kreditlinie je Mitglied, wie es auch das Genossenschaftsgesetz vorschrieb (§ 47), sowie die Zinsen für Darlehn und Kredite in laufender Rechnung fest.75 Ein Rechtsanspruch auf Darlehn bestand nicht – „aber auf der anderen Seite verfehlt der Verein seinen Zweck, wenn er nicht dem einzelnen Mitglied, das strebsam und kreditfähig ist, einen entsprechenden Anteil an den Vor­ teilen des Vereins gewährt“.76 Hieran hatte sich auch die von der Generalversammlung – je nach den lokalen Verhältnissen – generell satzungsgemäß festzusetzende Höchstgrenze für Anleihen und Darlehn zu orientieren.77 Zudem sah die Satzung verschiedene Regeln über die Beschaffung sowie über die Verwendung der Vereinsmittel vor: Wie bereits durch das Genossenschaftsgesetz vorgeschrieben, durfte die Genossenschaft Geld grundsätzlich nur an Mitglieder verleihen, insbesondere sollte dieses Geld „zur Bestreitung der kleineren, vorrübergehenden Geldbedürfnisse der 70 71 72 73 74 75 76 77

Ebd., GV-Protokoll vom 24. Mai 1908; ferner Kluge: Vorschußverein, S. 3–16. ADVBWL, 4-2, Rückblick auf das 70-jährige Wirken der Spar- und Darlehnskasse Wipperfürth, 1964; 2-9, GV-Protokoll vom 12. Juni 1910, Beschluss der Sitzverlegung von Hönnige nach Wipperfürth; Amtsgericht Wipperfürth, Registereintrag vom 18. Februar 1911. Ebd.: 83 Mitglieder. Ertl/Licht: Genossenschaftsbewegung, S. 187. Ebd. RGBl. 1889, Nr. 11, GenG, S. 67, § 47. RhGbl. vom 28. Februar 1914, S. 28, Art. Festsetzung der Höchstgrenze für die Kreditgewährung. Auch hier wird wieder stellvertretend das Statut des Stieldorfer Spar- und DarlehnskassenVereins eGmuH herangezogen. Siehe RWWA 404-88-6, Statut des Stieldorfer Spar- und Darlehnskassen-Vereins eGmuH, 1905, §§ 42 (Abs. 7, 8, 9) 44; Festsetzung der Höchstgrenze für die Kreditgewährung, in: RhGbl. vom 28. Februar 1914, S. 28.

2. Das Aktivgeschäft

307

Mitglieder zum Wirthschaftsbetriebe dienen“78 (§ 45). Damit waren (1.) Konsumtivkredite durch die Satzung ausgeschlossen, und es war bestimmt, dass die Kredite ausschließlich als Betriebskredite zu verwenden waren. (2.) Es handelte sich nur um eine Unterstützung für einen bestimmten, kürzeren Zeitraum und diente etwa der Überbrückung von Notsituationen. Dies schloss eigentlich den Einstieg in das langfristige Darlehnsgeschäft, etwa in Form von Realkrediten, aus. Größere Darlehnssummen wurden durch die Satzung dennoch nicht, wie hier zunächst zu verstehen, gänzlich ausgeklammert, sondern durften laut § 45 nur „nach Maßgabe der verfügbaren eigenen Mittel“79 vorgenommen werden. Neben dem Darlehn mit festen Rückzahlungsterminen war grundsätzlich auch die Führung von Kontokorrentkonten vorgesehen. Das Konto konnte sowohl mit als auch ohne Kreditanspruch eingerichtet werden. Die näheren Regeln für den Verkehr in laufender Rechnung wurden in einer Geschäftsordnung festgelegt. Aus der Aufgabe der Gewährung von Betriebskrediten folgte, dass bei einer homogenen, das heißt stark landwirtschaftlichen Mitgliederstruktur der Bedarf nach solchen Darlehn zeitgleich bei mehreren Mitgliedern oder bis dahin exkludierten Dorfbewohnern auftrat. Da Kredite grundsätzlich nur an Mitglieder vergeben wurden, kam es zu einigen Zeiten vermehrt zu Bewerbungen um eine Mitgliedschaft verbunden mit dem zeitglichen Gesuch um ein Darlehn.80 Die Satzung sah vor, dass jedes Darlehn und jeder Kredit in laufender Rechnung entweder durch eine Bürgschaft, eine Hypothek oder durch Hinterlegung von sicheren Wertpapieren abgesichert werden musste – reine Personalkredite ohne Bürgschaft kannte die Satzung nicht. Bei Stellung eines Bürgen musste die Darlehns- beziehungsweise Kreditsumme durch „zuverlässige, in ihren Vermö­ gensverhältnissen bekannte Bürgen“,81 bei Hypotheken durch den Wert der zu verpfändenden Immobilie (nach Abzug etwaiger Schulden) mindestens zweifach sichergestellt werden; Wertpapiere durften bis höchstens zwei Drittel des Kurswertes beliehen werden. Auch wenn es laut Statut das Recht der Generalversammlung war, den Prozentsatz für Zinsen und Provisionen für Darlehn sowie für den Verkehr in laufender Rechnung festzulegen, beschloss die Generalversammlung des Hönniger Spar- und Darlehnskassen-Vereins eGmuH etwa 1901 und 1911, die Festlegung der Zinsen und Provisionen dem Vorstand zu überlassen, um so flexibler auf die Geschäftslage reagieren zu können.82 Die Rückzahlung der Darlehn musste in einer im Voraus zu bestimmenden Frist erfolgen – die Frist war der „Leistungsfähigkeit des Schuldners anzupassen“83 (§ 78 79 80

81 82 83

RWWA 404-88-6, Statut des Stieldorfer Spar- und Darlehnskassen-Vereins eGmuH, 1905, S. 45, § 10. Ebd. Siehe AdVBWL, 2-9, VS-Protokolle 1894–1930;Generalverband der deutschen RaiffeisenGenossenschaften: Anleitung (1906), S. 14. Einige Genossenschaften hatten daher die Regel vereinbart, nur Personen ein Darlehn zu gewähren, die bereits seit einiger Zeit Mitglied waren und nicht erst „den Beitritt zum Verein so lange ausschieben, bis sie ein Darlehn brauchen“. RWWA 404-88-6, Statut des Stieldorfer Spar- und Darlehnskassen-Vereins eGmuH, 1905, S. 10, § 47. AdVBWL, 2-9, Hönniger Spar- und Darlehnskassen-Verein eGmuH, GV-Protokolle vom 19. Mai 1901 und vom 16. Juli 1911. RWWA 404-88-6, Statut des Stieldorfer Spar- und Darlehnskassen-Vereins eGmuH, 1905, S.

308

VIII. Die Geschäftstätigkeit

48). Darlehn, die länger als auf ein Jahr gewährt wurden, mussten in „wenigstens jährlichen Teilzahlungen“,84 das heißt festen Raten, zurückgezahlt werden, oder amortisierend, in Form einer an die „Leistungsfähigkeit des Schuldners“85 angepassten Tilgungsquote, die in Prozenten anzugeben war und zu den Zinsen addiert wurde (§ 48). Bis zu einem Jahr gewährte Darlehn konnten auf Antrag des Schuldners und des Bürgen verlängert werden. Über ein Jahr hinausgehende Verlängerungen durften nur gewährt werden, wenn der Schuldner sich verpflichtete, mindestens jährlich ratenweise das Darlehn abzuzahlen – die Raten konnten auch in kleineren Teilbeträgen festgesetzt werden. Beliebige Zahlungen über die festgesetzten Raten hinausgehend bis hin zur vollständigen Abtragung des Darlehns in einem Betrag waren möglich.86 Die Genossenschaft war berechtigt, „im Notfalle“87 (zum Beispiel bei plötzlicher massenweiser Kündigung von Spareinlagen oder Rückzug von Anleihen der Zentralkasse, Gefahr des Verlustes) im Rahmen einer vierwöchigen Kündigungsfrist das Darlehn zu kündigen. Vorschüsse in laufender Rechnung konnten durch die Genossenschaft zwecks Umschreibung in Darlehn oder zur Rückzahlung gekündigt werden, wenn auf dem Kontokorrentkonto nicht die entsprechenden Umsätze stattfanden.88 Die Tabelle 24 gibt auszugsweise Daten der Rohbilanzen, die jeweils zur Generalversammlung angefertigt wurden, wieder und damit die geschäftliche Lage jeweils zum Tag der Generalversammlung, also zu dem Zeitpunkt, an dem die Mitglieder die Berichte von Vorstand und Aufsichtsrat entgegennahmen und Beschlüsse fassten.

84 85 86 87 88

11, § 48. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd.; Ausgestaltung und Nutzen der laufenden Rechnung, in: RhGbl. vom 30. August 1902, S. 66 f.

309

2. Das Aktivgeschäft

Tabelle 24: Auszug aus der Rohbilanz nach Tagebuchposten (in Mark) am Tag der Generalversammlung des Hönniger Spar- und Darlehnskassen-Vereins eGmuH (1895–1914) Darlehn (auf feste Zeit)

Schulden (in laufender Rechnung)

Schulden der Mitglieder insgesamt

Spareinlagen

Guthaben (in laufender Rechnung)

Guthaben von Mitgliedern und Nichtmitgliedern insgesamt

Mai 1895

13.202

13.202

3.238

3.238

Mai 1896

17.207

17.207

3.611

3.611

Mai 1897

21.281

21.281

6.055

6.055

Mai 1898

27.015

27.015

13.661

13.661

Mai 1899

36.892

36.892

43.353

43.353

Mai 1900

48.099

48.099

56.693

56.693

Mai 1901

68.282

68.282

63.398

63.398

Mai 1902

72.852

80.700

72.411

7.613

80.024

Mai 1903

79.404

79.404

72.008

306

72.314

Juni 1904

80.175

13.422

93.597

86.873

7.682

94.555

Mai 1905

88.118

9.140

97.258

124.653

329

124.982

Juni 1906

106.555

9.798

116.353

122.122

122.122

Juni 1907

110.327

9.704

120.031

135.336

135.336

Mai 1908

107.973

15.104

123.077

126.186

126.186

Juni 1909

123.657

17.499

141.156

160.726

160.726

Juni 1910

127.983

16.558

144.541

167.237

167.237

Juli 1911

153.440

16.012

169.452

153.710

153.710

Dez. 1912

179.195

8.971

188.166

203.673

350

204.023

Dez. 1913

186.768

9.836

196.604

194.105

100

194.205

Juni 1914

186.937

11.781

198.718

192.978

7.848

192.978

Quelle: AdVBWL, 2-9, Hönniger Spar- und Darlehnskassen-Verein eGmuH, GV-Protokolle 1894–1914.

Tabelle 24 zeigt, dass bis einschließlich 1897 die Spareinlagen den Bedarf im Aktivgeschäft nicht decken konnten. Erst mit dem Ende des Jahres 1898 drehte sich das Verhältnis der insgesamt ausgegebenen Darlehnssummen zum Stand der Einlagen. Die Schulden und Guthaben bei der Genossenschaft befanden sich im gleichen

310

VIII. Die Geschäftstätigkeit

Trend; das Aktivgeschäft wurde offenbar am Sparkassengeschäft ausgelotet. Lediglich in wenigen Jahren war die Summe der Einlagen zum Zeitpunkt der Generalversammlung im Mai/Juni beziehungsweise in den Jahren 1912 und 1913 im Dezember unter dem Niveau der insgesamt ausgegeben Darlehnssummen. Grundsätzlich galt auch für die Kreditgenossenschaften: „Eine Bank darf keinen wesentlich ande­ ren Kredit geben, als sie selbst genommen hat“.89 Zugleich zeigt sich, dass die Genossenschaft wenig auf Kredite der Zentralkasse angewiesen war. Tabelle 25 gibt wieder, wie viele Darlehn und Kredite in laufender Rechnung von der Gründung bis 1914 beantragt und bewilligt wurden; außerdem, welche Sicherheiten von den Schuldnern beigebracht wurden. Tabelle 25: Entwicklung des Aktivgeschäftes des Hönnigethaler Sparund Darlehnskassen-Vereins eGmuH (1894–1914) Jahr 1894 1895 1896 1897 1898 1899 1900 1901 1902 1903 1904 1905 1906 1907 1908 1909 1910 1911

1912 1913 1914

1

32 33 35 35

2

20 10 15

7

3

19 10 15 7

4

8.924 6.260 7.775 3.330

5

7.425 6.260 7.775 3.330

6

19 10 15 7

39

13

11

17.850

15.450

11

49

4

4

5.300

5.300

3

14

9.665

40

11

9

52

19

17

63

22

57 71

14 3

15

22

15.625

15.625

20

24.180

24.180

3

10

72

4

4

77 80

8 9

7

5.400

10.310 7.660

7.660

32.200

8

o.A.

32.200

?

13

13

33.400

73

1

1

13

10.250 14.720

12

69

5.400

14.720

12

7

9.665

8

83 65

8

16.090

10

8

6.600

o.A.

69 57

o.A.

7

12

31.250 15.400 1.200

15.500 31.250 33.400 12.400 1.200

12 3 9 5 2 6 8 3 3 5 8 1

7

0 0 0 0 2 0 0 1 1 2 0 0 2 1 2 0 8 4 8 4 0

8

0 0 0 0 0 1 1 1 1 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0

9

0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 0 1 0 0 1 0 0 0 0

1: Mitgliederzahl; 2: Anzahl beantragte Kredite; 3: ausgegebene Kredite; 4: Summe (beantragte Kredite) in Mark; 5: Summe (ausgegebene Kredite) in Mark; 6: Sicherheit (Bürgschaft); 7: Sicherheit (Hypotheken); 8: Sicherheit (Hypothek und Bürgschaft); 9: Sicherheit (Pfand (Sparbuch etc.)) Quelle: AdVBWL, 2-8, Hönniger Spar- und Darlehnskassen-Verein eGmuH VS-Protokolle 1894–1914. 89

Wagner: Beiträge, zit. n. Obst: Bankbuchhaltung, S. 5.

2. Das Aktivgeschäft

311

Die ausgegebene Summe schwankte entsprechend der Anzahl der jährlich bewilligten Kredite. Ab 1909 nahm – gemäß der höheren Summen der bewilligten Hypothekarkredite – die insgesamt ausgegebene Summe pro Jahr zu. In den ersten vier Geschäftsjahren wurden ausschließlich Personalkredite mit Bürgschaft gewährt. Ab 1898 wurden, außer in den Jahren 1904 und 1905, immer auch einige wenige Darlehn gegen hypothekarische Sicherheit oder gegen Hypothek kombiniert mit einer Bürgschaft vergeben. Zudem hinterlegten Mitglieder Sparbücher als Sicherheit (Faustpfand), so etwa A. Fxxxxxxx, der mit einem Sparbuch der Gemeindesparkasse Wipperfürth bürgte.90 Konten in laufender Rechnung wurden – trotz der Nähe zur Kreisstadt Wipperfürth – relativ selten eröffnet, obwohl mehrere Mitglieder aus Wipperfürth stammten und damit eher zu Gewerbetreibenden zu zählen waren, für die in der Regel Konten in laufender Rechnung von Vorteil waren. 1894 bis 1903 wurden sechs Konten in laufender Rechnung eingerichtet.91 Hierbei fällt zugleich auf, dass Wipperfürther die Mitgliedschaft bei der Genossenschaft im Vorort Dreine beantragten, das heißt ‚aufs Land‘ gingen, um einen Kredit zu erhalten (in Wipperfürth bestand neben der öffentlichen Sparkasse seit 1870 eine Volksbank). Ohne die abgelehnten Darlehn hinzuzurechnen wurden Wipperfürthern zwischen 1894 und 1903 18 Darlehn genehmigt.92 Im ersten Jahr des Bestehens vergab die Genossenschaft 19 von 20 beantragten Darlehn – alle gegen Bürgschaft.93 Das an K. Gxxxxx nicht bewilligte Darlehn von 1.500 Mark war die höchste beantragte Summe; Gxxxxx weils zwei Bürgen vorzubringen; alle anderen hatten offensichtlich je einen Bürgen mit gebührender Bonität vorgebracht, sodass die Sicherung des Darlehns damit ausreichend vorhanden war. Nahe Verwandte, wie Eltern, wurden als Bürgen akzeptiert, auch dann noch, wenn ein Haus gemeinsam bewohnt wurde. Aussagen über den Eigentümer lassen sich hier nicht machen.94 Insbesondere das Vorstandsmitglied Blumberg sowie der Rendant Häger bürgten mehrfach für Mitglieder – zum Teil auch ohne einen zusätzlichen Bürgen zu verpflichten. Die Genossenschaft hatte im Jahr 1894 32 Mitglieder, das heißt rund 60 Prozent der Mitglieder meldeten im ersten Jahr des Bestehens der Genossenschaft Bedarf nach einem Darlehn an. Im März sowie im April 1894 beantragte jeweils ein Mitglied ein Darlehn über je 500 Mark zur Abtragung einer älteren Schuld.95 Von den insgesamt 19 bewilligten Krediten im Jahr 1894 wurden insgesamt elf zur Abtragung einer älteren Schuld beantragt, vier Darlehn zum Ankauf einer Kuh, zwei zum Kauf von Dünger. Die restlichen Kredite wurden zum Ankauf von Baumaterial beziehungsweise von Grundstücken beantragt, ein Kredit davon wurde in laufender 90 91 92 93 94 95

Flosbach war bereits Kunde der Gemeindesparkasse, erhielt hier entweder dennoch kein Darlehn oder die Konditionen der Genossenschaften waren die besseren. Siehe Ausgestaltung und Nutzen der laufenden Rechnung, in: RhGbl. vom 30. August 1902, S. 66 f. Hierbei handelte es zum Teil um Mitglieder aus Wipperfürth, denen mehrfach ein Kredit gewährt wurde. Vgl. AdVBWL, 2-8, Hönniger Spar- und Darlehnskassen-Verein eGmuH, VSProtokolle 1894–1903. Darunter war eine Verlängerung. Siehe beilspielhaft den Kredit für das Mitglied Peppinghaus, dessen Mutter bürgte. AdVBWL, 2-8, VS-Protokolle 1894.

312

VIII. Die Geschäftstätigkeit

Rechnung eingerichtet. Zwischen 1894 und 1903 wurde bei insgesamt 53 Darlehn, das heißt bei rund der Hälfte der bewilligten Darlehn, ein Zweck angegeben: 13 Darlehn wurden zum Ankauf von Kühen beantragt, zwei zum Ankauf eines Pferdes, ein Darlehn zum Kauf eines Ochsen. Lediglich zwei Mal fand sich als Zweck die Finanzierung von Dünger. Zum Kauf von Land wurden ebenfalls zwei Kredite aufgenommen. Vier Darlehn wurden zum Umbau oder für Reparaturmaßnahmen an Wohngebäuden beantragt. 1901 beantragte ein Mitglied ein Darlehn zur Instandsetzung beziehungsweise zur Einrichtung seiner „Wirthschaft“.96 In mehr als der Hälfte der bewilligten Darlehn, bei denen ein Zweck angegeben wurde, diente das Geld jedoch zur Abtragung älterer Schulden. Die Rückzahlungsmodalitäten wurden immer bei Bewilligung des Darlehns festgelegt – der Darlehnsnehmer erhielt einen konkreten Plan für die Tilgung der Schuld und für die Abtragung der Zinsen. Es finden sich bei dieser Genossenschaft grundsätzlich drei Modelle: (1.) kurzfristige (kürzer als ein Jahr) Darlehn mit Rückzahlung der vollen Summe zu einem vereinbarten Zeitpunkt, etwa nach fünf Monaten. (2.) Die Zahlung einer festen jährlichen Rate „an Kapital und Zinsen“.97 (3.) Die Rückzahlung einer Rate nebst Zinsen als Amortisationsdarlehen. Im Falle der Hönniger Genossenschaft kamen alle drei Varianten regelmäßig vor, letztere jedoch seltener.98 So lautete etwa der erste Eintrag vom 11. März 1894 – ein typisches Beispiel für Modell (1) – „dem Mitgliede G[xxxxx] F[xxxxxxx] zu Biesenbach Mk 100 am 1. August 1894 nebst Zinsen zu 4¼ Prozent rückzahlbar, gegen Bürgschaft des F[xxxxx] F[xxxxxxx] zu Sonnenschein zum Ankauf von Knochenmehl“.99 Ein repräsentatives Beispiel für Modell (3) ist ebenfalls ein Eintrag vom 11. März 1894: „dem Mitgliede H[xxxxx] B[xxxxxxxx] zu Berghof Mk 600 mit der Verpflichtung jährlich 10 Prozent Amortisation nebst Zinsen 4¼ Prozent abzutragen, gegen Bürg­ schaft des H[xxxxx] M[xxxxxxxxxxxx] zu Hungerberg und J[xxxxx] B[xxxxxxx] zu Wipperfürth zur Abtragung einer älteren Schuld“.100 In der Formulierung variierend, dennoch die häufigste Form der Vereinbarung (Modell (2)) lautete etwa „dem Mitglied E[xxxx] P[xxxxxxxxxxx] zu Hungenberg fünfhundert Mark mit der Ver­ pflichtung jährlich an Kapital und Zinsen den Betrag von 50 Mark abzutragen. Gegen Bürgschaft der Witwe Wilhelm Peppinghaus zu Hungenberg und des J[xxxx] B[xxxxxxx] zu Biesenbach zur Abtragung einer älteren Schuld“.101 Ein weiteres Beispiel: H. Vxxxxxxxx aus Wipperfürth erhielt im April 1894 ein Darlehn von 300 Mark zum Ankauf einer Kuh, das ab dem 31. Dezember 1894 in jährlichen Raten von 30 Mark zuzüglich der Zinsen abzuzahlen war.102 Zu diesen ‚runden‘ Raten kam häufig eine abschließende, kleinere Restrate. Das größte Darlehn, das 1894 bewilligt wurde, das über 600 Mark, war in sechs 100-Mark-Raten, das heißt über sechs Jahre, zu tilgen. Vier der Schuldner, die einmal 200 Mark, ansonsten jeweils 96 97 98 99 100 101 102

AdVBWL, 2-8, VS-Protokoll vom 5. Mai 1929. Siehe zum Beispiel AdVBWL, 2-8, VS-Protokolle 1894. AdVBWL, 2-8, VS-Protokolle ab 1894. AdVBWL, 2-8, VS-Protokoll vom 11. März 1894. Ebd. AdVBWL, 2-8, VS-Protokoll vom 23. März 1894. AdVBWL, 2-8, VS-Protokoll vom 22. April 1894.

2. Das Aktivgeschäft

313

300 Mark geliehen hatten, beantragten am Ende des Jahres 1894 eine einjährige Verlängerung der Tilgungsfrist. Bei fast gleichbleibender Mitgliederzahl wurden 1895 lediglich zehn weitere Darlehn vergeben – davon hatten sechs Mitglieder bereits im Jahr 1894 ein Darlehn erhalten.103 Und auch im Jahr 1896 wurden von 15 Anträgen sechs von Mitgliedern gestellt, die bereits in den beiden vorangegangenen Jahren Darlehn erhalten hatten. Wenn auch die Hönniger Genossenschaft dem Kölner Verband angeschlossen war, so gibt doch die Anleitung über die Geschäfts- und Buchführung, herausgegeben vom Raiffeisen-Verband, einige Hinweise auf die Grundlagen des Aktivgeschäftes der ländlichen Kreditgenossenschaften, welche sich auch insbesondere bei den dem Kölner Verband angeschlossenen Kreditgenossenschaften wiederfinden, da dieser sich stark an den originären Raiffeisen-Grundsätzen orientierte. In der Anleitung zur Geschäfts- und Buchführung werden genau die genannten drei Modelle auch vorgestellt: (1.) kurzfristige Darlehn, (2.) Darlehn auf länger als ein Jahr, entweder (a.) sollte die „Summe in gleichmäßigen Beträgen auf die vereinbarte Reihe von Jahren verteilt“104 werden und „jährlich außer den Tilgungsraten die Zinsen von dem rückständigen Kapital“105 gezahlt werden, sodass „sich die Leis­ tungen der Schuldner an Kapital und Zinsen zusammen von Termin zu Termin verringern“,106 oder (b.) es war „jährlich ein bestimmter Satz für Zinsen und Kapi­ talrückzahlung zusammen zu leisten“, sodass die „Verpflichtung der Schuldner von vornherein auf die Reihe der Jahre gleichmäßig verteilt“107 wurde. Grundsätzlich waren diese Raten so zu bestimmen, dass das Darlehn spätestens nach zehn Jahren vollständig abgetragen war. Die Fristen waren laut Anleitung unbedingt bei Bewilligung des Darlehns festzusetzen und dem Darlehnsnehmer mitzuteilen – sie waren „so zu bestimmen, daß den Schuldnern die Einhaltung voraussichtlich möglich“108 war. Hier stellte man sich also nicht durch Anpassung des Zinsfußes auf die Leistungsfähigkeit des Schuldners ein, sondern durch die Vereinbarung einer entsprechenden Laufzeit; für alle galten die gleichen Zinssätze.109 Damit hatte der weniger leistungsfähige Schuldner höhere Zinsen zu zahlen als der leistungsstärkere, da durch die Länge der Tilgung freilich auch die insgesamt an Zinsen zu zahlende Summe stieg. Die Fristen konnten also auf einige Monate, ein Jahr oder mehrere Jahre festgesetzt werden. Die Rückzahlungstermine sollten stets, so die Anleitung des Raiffeisen-Verbandes, auf den 31. Dezember festgesetzt werden, um die Berechnung von anteiligen Zinsen zu vermeiden. Bei Darlehn, die vor dem 1. Juli gewährt wurden, sollte der Rückzahlungstermin auf den 31. Dezember des Bewilligungsjahres gesetzt werden; bei nach dem 1. Juli bewilligten Darlehn auf den 31.

103 104 105 106 107 108

AdVBWL, 2-8, VS-Protokolle 1894, 1895. Generalverband der deutschen Raiffeisen-Genossenschaften: Anleitung (1906), S. 15. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd.; siehe auch Generalverband der deutschen Raiffeisen-Genossenschaften: Anleitung (1919), S. 46–51. 109 Guinnane: Regional Banks, S. 2.

314

VIII. Die Geschäftstätigkeit

Dezember des Folgejahres.110 Zu den Zinsen kamen in der Regel Provisionen als „Beitrag zu den Verwaltungskosten“.111 Bei einem Darlehn über 600 Mark zu 4½ Prozent Zinsen und einer ½-prozentigen Provision per anno zahlte der Darlehnsnehmer drei Mark Provision sofort bei Empfang der Darlehnssumme, oder die Provision wurde der Darlehnssumme sofort in Abzug gebracht, das heißt der Schuldner bekam lediglich 597 Mark ausgezahlt, wobei bei der Darlehnskasse 600 Mark als Ausgabe zu buchen waren und drei Mark als Einnahme. Wurde das Darlehn nicht erst nach einem Jahr, sondern zum Beispiel bereits nach zwei Monaten zurückgezahlt, waren zwar nur 4,50 Mark statt 27 Mark für Zinsen zu zahlen, die Provision wurde hingegen nicht anteilig erstattet. Wurde ein Darlehn über einen längeren Zeitraum gewährt, so war die Provision jährlich zu entrichten und durfte bei Ausgabe des Darlehns nicht für die gesamte Tilgungsfrist in einer Summe erhoben werden.112 Bei Verlängerung der Tilgungsfrist wurde die Provision ebenfalls erneut fällig und war in der Regel umgehend zu entrichten.113 Zudem waren bei Stundung immer die Zinsen zu zahlen.114 Bei Bewilligung eines Darlehns waren zudem gegebenenfalls rückständige Pflichteinzahlungen auf den Geschäftsanteil sowie die Gebühr für das auszufertigende Quittungsbuch zu zahlen beziehungsweise wurden in Abzug gebracht.115 Daneben hatte der Darlehnsnehmer die Stempelgebühren zu tragen. Mit dem Stempelsteuergesetz vom 31. Juli 1895 waren im Königreich Preußen Urkunden bis 150 Mark von der Stempelsteuer befreit.116 Für Darlehn über 150 Mark bis zu 2.400 Mark war eine Stempelgebühr von „1/12 Prozent vom Hundert oder von jeden angefangenen 600 Mark der dargeliehenen Summe 50 Pfennig“117 zu entrichten, das heißt es wurde gestaffelt: für 150 bis 600 Mark waren 0,50 Mark, für 600 bis 1.200 Mark eine Mark usw. zu entrichten. Für kurzfristige Darlehn galt ebenfalls bis 150 Mark Stempelfreiheit, ab 150 Mark waren „1/50 vom Hundert, oder von jeden angefangenen 1000 Mark der dargeliehenen Summe 20 Pfennig“118 zu entrichten. Für Verlängerungen galten andere Berechnungsgrundlagen.119 Um der Stempelgebühr zu entgehen, empfahl der Raiffeisen-Verband, bei einer Summe über 150 Mark mehrere Schuldscheine über Beträge unter 150 Mark auszustellen.120 110 Generalverband der deutschen Raiffeisen-Genossenschaften: Anleitung (1906), S. 14. – Zahltag war auch häufig am 11. November (Martinitag). Siehe Kluge: Geschichte, S. 191. 111 Reichsverband der deutschen landwirtschaftlichen Genossenschaften: Taschenbuch (1923), S. 498. 112 Siehe ebd., S. 498 f. 113 Generalverband der deutschen Raiffeisen-Genossenschaften: Anleitung (1906), S. 16. 114 Generalverband der deutschen Raiffeisen-Genossenschaften: Anleitung (1919), S. 131. 115 Ebd., S. 130. 116 Siehe Generalverband der deutschen Raiffeisen-Genossenschaften: Anleitung (1906), S. 301– 308. – Die Stempelgebühr war innerhalb von 14 Tagen vom Datum der Urkunde zu entrichten. Vgl. Stempelfreie Schuldscheine, in: RhGBl. vom 31. Juli 1910, S. 120 f. Nach dem Stempelsteuergesetz in der Fassung vom 30. Juni 1909 waren Schuldscheine bis 150 Mark weiterhin von der Stempelsteuer befreit. 117 Generalverband der deutschen Raiffeisen-Genossenschaften: Anleitung (1906), S. 302. 118 Ebd. 119 Ebd. 120 Ebd., S. 305.

2. Das Aktivgeschäft

315

Abbildung 9: Gesamt-Darlehnssumme der pro Jahr bewilligten Darlehn beim Hönnigethaler Spar- und Darlehnskassen-Verein eGmuH (1894–1914)

Quelle: AdVBWL, 2-8, Hönniger Spar- und Darlehnskassen-Verein eGmuH, VS-Protokolle 1894–1914.

Da die Einlagen des Hönniger Spar- und Darlehnskassen-Vereins eGmuH bis einschließlich 1897 lediglich 21 bis 28 Prozent gegenüber den ausgegebenen Darlehn ausmachten und auch der Reservefonds im Mai 1897 nur 148,99 Mark betrug (gegenüber 21.281 Mark Darlehn), insbesondere aber verschiedene Änderungen mit Novellierung des Genossenschaftsgesetzes 1896 eintraten, beschloss die Generalversammlung 1897, den Prozentsatz der Zinsen und Provisionen so zu normieren, dass zuzüglich der Eintrittsgelder und abzüglich der Verwaltungskosten ein Überschuss (Gewinn) erzielt werden konnte. Dieser sollte „ungeschmälert“121 dem Reservefonds zugeschrieben werden. Ziel war es, den Reservefonds möglichst zeitnah auf die Höhe zu bringen, sodass aus den Zinsen desselben die Verwaltungskosten bestritten werden konnten. Zudem beschloss man, den Reservefonds als unteilbares Eigentum der Genossenschaft auszuweisen und ihn auch im Falle der Liquidation der Genossenschaft fortbestehen zu lassen. Er sollte dann der Gemeindekasse der Gemeinde, in welcher die Genossenschaft ihren Sitz hatte, überwiesen werden und später Reservefonds dem Spar- und Darlehnskassen-Verein, welcher sich auf den Grundsätzen des gleichen Statuts und für denselben Bezirk bildete, übergeben werden.122 Bis zur Gründung dieser neuen Kreditgenossenschaft sollten aus den Zinsen des Reservefonds gemeinnützige Projekte finanziert werden. Damit kam man den Bedingungen für die Kreditvergabe der Kempener Zentralkasse entgegen, bei der die Genossenschaft zu diesem Zeitpunkt rund 10.000 Mark Schulden hatte.123 Exakt die gleichen Satzungsänderungen finden sich auch bei anderen dem Kölner Verband angeschlossenen Genossenschaften des Kreises Wipperfürth, so zum Beispiel beim Kreuzberger Spar- und Darlehnskassen-Verein, wo diese Änderung am 24. Juli 1898 vorgenommen wurde.124 Zudem änderte man die §§ 11, 13, 121 AdVBWL, 2-9, Hönniger Spar- und Darlehnskassen-Verein eGmuH, GV-Protokoll vom 16. Mai 1897. 122 AdVBWL, 2-9, GV-Protokoll vom 16. Mai 1897. 123 Siehe Abschnitt IV.2. 124 AdVBWL, 2-6, Hönniger Spar- und Darlehnskassen-Verein eGmuH, GV-Protokoll vom 24.

316

VIII. Die Geschäftstätigkeit

27, 28 und 42 der Satzung. In der Generalversammlung 1897 wurde zudem der Vorstand ermächtigt – falls das nötige Geld vorhanden sei oder beschafft werden könne –, Darlehn auf Hypothek provisionsfrei zu vier Prozent Zinsen bei ½-prozentiger Amortisation demjenigen zu bewilligen, welcher der Reihenfolge nach zuerst diesbezüglich einen Antrag gestellt hatte.125 1899 wurde die Grenze für das anzuleihende Betriebskapital von 50.000 auf 100.000 Mark angehoben, was sich in die Entwicklung von Aktiv- und Passivgeschäft einfügt; 1905 erfolgte die Erhöhung auf 200.000 Mark.126 1900 erhöhte die Generalversammlung die Zinsen für Einlagen von 3½ Prozent auf 33/5 Prozent – dem Vorstand wurde überlassen, ab wann diese Verzinsung gelten sollte.127 Eine wichtige Änderung trat 1901 hinzu: Die Generalversammlung übertrug der Verwaltung die Festsetzung der Zinssätze für Darlehn und Einlagen, zudem die Festsetzung des Höchstbetrages, das heißt der Kreditlinie, welcher Betrag einem Mitglied als Darlehn gegen Bürgschaft überlassen werden durfte. Darüber hinaus beschloss die Generalversammlung, den Zinsfuß für Darlehn gegen Bürgschaft nicht eher zu erhöhen, bis der Zinsfuß für Hypothekarkredite gleichgestellt war.128 Im Statut hieß es, Darlehn sollten der „Bestreitung der kleineren, vorrüberge­ henden Geldbedürfnisse der Mitglieder zum Wirthschaftsbetriebe“129 dienen – mit „vorrübergehend“ kann jedoch nicht gemeint gewesen sein, dass der Rückzahlungszeitraum möglichst – trotz Berücksichtigung der Leistungsfähigkeit des Schuldners – kurz zu halten war: Circa 40 Prozent der zwischen 1894 und 1900 vergebenen Darlehn waren über einen Zeitraum von mehr als zehn Jahren, vielfach zwischen 16 und 20 Jahren, zu tilgen; rund 30 Prozent der Darlehn waren in einem Zeitraum von sechs bis zehn Jahren zurückzuzahlen und etwa 18 Prozent in weniger als zwölf Monaten.130 Die Generalversammlung beschloss 1905 – vermutlich nicht grundlos – folgende neue Regel: Zukünftig sollten nicht erst bei einer zweimonatigen, sondern bereits bei einer einmonatigen Verzögerung fünf Prozent Zinsen auf den geschuldeten Betrag erhoben werden.131 Anhand der Quellen konnte nicht nachvollzogen werden, ob 1905 verstärkt Rückzahlungen ausblieben und dies eine Reaktion darauf war. Zudem übertrug man einem Mitglied die Einziehung von Strafgeldern, die diejenigen Mitglieder, die unentschuldigt von der Generalversammlung fernblieben, zu zahlen hatten. Die Schwierigkeiten am Geldmarkt 1900 und 1907 zeigen sich hier in der Abnahme sowohl der insgesamt bewilligten Darlehnssummen als auch im Rückgang der Anzahl der bewilligten Darlehn. Die Verringerung der bewilligten Beträge als auch der Anzahl der bewilligten Darlehn im Juli 1898. AdVBWL, 2-6, GV-Protokoll vom 16. Mai 1897. AdVBWL, 2-6, GV-Protokoll vom 21. Mai 1905. AdVBWL, 2-6, GV-Protokoll vom 20. Mai 1900. AdVBWL, 2-6, GV-Protokoll vom 19. Mai 1901. RWWA 404-88-6, Statut des Stieldorfer Spar- und Darlehnskassen-Vereins eGmuH, 1905, S. 10, § 45. 130 AdVBWL, 2-8, Hönniger Spar- und Darlehnskassen-Verein eGmuH, VS-Protokolle 1894– 1900. 131 AdVBWL, 2-9, Hönniger Spar- und Darlehnskassen-Verein eGmuH, GV-Protokoll vom 21. Mai 1905. 125 126 127 128 129

2. Das Aktivgeschäft

317

Jahr 1904 ist vermutlich auf eine schlechte Rückzahlungsmoral der Darlehnsnehmer zurückzuführen. Umfangreiche Bankkredite wollte man zum Ausgleich offensichtlich nicht aufnehmen beziehungsweise das Bankguthaben bei der Zentralkasse, das sich im Sommer 1904 auf rund 28.000 Mark belief, nicht zurückfordern. Die Zunahme der hypothekarischen Sicherung von Darlehn ab 1910 war auf die Höhe der beantragten Darlehnssummen zurückzuführen und nicht etwa auf die allgemeinen Geldmarktverhältnisse. b) Beispiel 2: Hohkeppeler Spar- und Darlehnskassen-Verein eGmuH Der Hohkeppeler Spar- und Darlehnskassen-Verein wurde ebenfalls 1894 gegründet und dem Kölner, damals noch in Kempen ansässigen, Verband angeschlossen. 1916 wurde die Firma in Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Hohkeppel geändert.132 Hohkeppel war, wie auch die Mitgliederentwicklung zeigt, stark landwirtschaftlich geprägt. Um Hohkeppel lagen mehrere Erzberggruben; einige Bergarbeiter waren auch Mitglied der Genossenschaft. In der Gemeinde Hohkeppel lebten 1885 1.526 und 1905 1.326 Einwohner. Hohkeppel zählte zu den infrastrukturell eher benachteiligten, ärmeren Höhengebieten des Wipperfürther Kreises, was bereits die Einwohnerentwicklung signalisiert. Es bildete mit der Gemeinde Engelskirchen die Bürgermeisterei Engelskirchen. Der Ort Engelskirchen profitierte erheblich vom Eisenbahnbau und von der fortschreitenden Ansiedelung industrieller Betriebe im Aggertal. In Engelskirchen wurde 1899 eine dem Raiffeisen-Verband angeschlossene Kreditgenossenschaft gegründet, die im Vergleich mit der Hohkeppeler Genossenschaft aufgrund ihres größeren Geschäftsgebietes, aber vor allem wegen ihrer Lage im Wirtschaftsraum einen enormen Mitgliederzulauf hatte. Die Hohkeppeler Genossenschaft wurde (wie auch die Hönnigethaler Kreditgenossenschaft) auf der Grundlage der Mustersatzung des Kölner Verbandes gegründet. Damit galten hier formal die gleichen Regeln wie beim Hönniger Spar- und Darlehnskassen-Verein eGmuH. Viel deutlicher als bei der Kreditgenossenschaft in Hönnige bildet sich im Darlehnsgeschäft der bäuerliche Arbeitskalender ab: Die meisten Darlehn wurden stets im ersten Quartal, spätestens bis April des jeweiligen Jahres, offensichtlich für Saatgut und den Ankauf von Jungvieh, bewilligt. Über den Sommer flachte die Anzahl der Bewilligungen ab. Guinnane führt hierzu an: „When it gets cold, the entire country gets cold“.133 Entsprechende saisonale Schwankungen waren hinlänglich bekannt und kamen für die Geschäftsführung nicht überraschend. Die Darlehnssummen beliefen sich in der Regel auf unter 1.000 Mark – einem Mitglied des Vorstandes wurde etwa im Mai 1896 ein Darlehn von 1.200 Mark zugestanden.134 Im Durchschnitt lagen die Darlehnssummen bei 300 oder 600 Mark und waren in 132 AdVBWL, Amtsgericht Lindlar, Hohkeppeler Spar- und Darlehnskassen-Verein eGmuH, Registereintrag vom 7. Juli 1916. 133 Guinnane: Regional Banks, S. 20. 134 AdVBWL, 1-4, Hohkeppeler Spar- und Darlehnskassen-Verein eGmuH, VS-Protokoll vom 10. Februar 1896.

318

VIII. Die Geschäftstätigkeit

festen Raten zurückzuzahlen. Die kleinste Darlehnssumme wurde am 10. März 1895 bewilligt: 60 Mark auf ein Jahr. Das Mitglied beantragte am 8. Dezember 1895 eine Verlängerung der Rückzahlung um ein Jahr.135 Bei Darlehn ab einer Darlehnssumme von über 100 Mark beliefen sich die jährlichen Raten in den meisten Fällen auf 50 oder 100 Mark. Bereits 1895 ging man dazu über, statt einer jährlichen Rate vielfach auch kleinere, monatliche Raten zu vereinbaren.136 22 Prozent der zwischen 1894 und 1900 bewilligten Darlehn waren in monatlichen Raten zurückzuzahlen. Ein typischer Tilgungsplan war etwa bei einer Darlehnssumme von 200 Mark eine monatliche Rate von drei Mark. Solche Vereinbarungen fanden sich bei der Kasse in Hönnige nicht – hier waren Kapital und Zinsen stets jährlich in festen Raten zurückzuzahlen.137 Laut Statut war es jedoch jedem Darlehnsnehmer freigestellt, bei Leistungsfähigkeit vorzeitig Tilgungen vorzunehmen. In Hohkeppel vereinbarte man zudem auch vierteljährliche Raten – zwischen 1894 und 1900 wurde bei fünf Prozent der Kredite eine solche Vereinbarung getroffen. Im April 1897 wurde etwa bei einer Darlehnssumme von 400 Mark eine vierteljährliche Rate von 20 Mark vereinbart. Die Laufzeit wurde dabei nicht verkürzt. Diese Form der Raten hatte im Gegensatz zu den Raten per anno den Vorteil, dass Kapital regelmäßiger, wenn auch in kleinen Summen, an die Genossenschaft zurückfloss und damit auch zeitnah wieder ausleihbar war. Zudem erleichterte diese Praxis das Monitoring, da die Schuldner jeden Monat oder alle drei Monate beim Rendanten erscheinen mussten. Andererseits verursachte dieses Vorgehen auch einen höheren Buchungs- und damit Personalaufwand. Personalkredite, die zu einem festen Termin in voller Summe zurückgezahlt werden mussten, kamen sehr selten vor: Am 10. November 1895 wurde einem Mitglied ein Darlehn über 600 Mark zugesprochen – die volle Summe war bis zum 1. Mai 1896 zurückzuzahlen.138 Dies blieb jedoch eine Ausnahme. Vereinzelt wurden Darlehn auch aufgestockt. In solchen Fällen wurde nicht die bewilligte Summe in voller Höhe ausgezahlt, sondern der Teil, den der Darlehnsnehmer der Genossenschaft noch schuldete, einbehalten und nur die Differenz kam zur Auszahlung.139 Alle Darlehn waren – in der Regel durch zwei – Bürgen besichert.140 Abgelehnt wurden Darlehn vor allem dann, wenn der gebrachte Bürge bereits für einen anderen Darlehnsnehmer bürgte oder wenn Darlehnsnehmer und Bürge zu nah verwandt waren und vor allem im selben Haus lebten.141 Der Witwe Wxxxxxxxxxxxxx 135 AdVBWL, 1-4, VS-Protokolle vom 10. März 1895 und 8. Dezember 1895. 136 AdVBWL, 1-4, VS-Protokoll vom 8. Dezember 1895. Erstmals wurde eine solche Vereinbarung bei einer Darlehnssumme von 120 Mark zu einer Rate von monatlich drei Mark am 8. Dezember 1895 vereinbart. Es folgten solche Tilgungspläne für Summen bis zu 1.200 Mark. Siehe AdVBWL, 1-4, VS-Protokoll vom 10. Januar 1897. 137 AdVBWL, 2-8, Hönniger Spar- und Darlehnskassen-Verein eGmuH, VS-Protokolle. 138 AdVBWL, 1-4, Hohkeppeler Spar- und Darlehnskassen-Verein eGmuH, VS-Protokoll vom 10. November 1895. 139 AdVBWL, 1-4, VS-Protokoll vom 12. Februar 1899. 140 Guinnane: Information Machines, S. 15 f. 141 Siehe etwa AdVBWL, 1-4, Hohkeppeler Spar- und Darlehnskassen-Verein eGmuH, VS-Protokoll vom 14. Juni 1896; ferner Guinnane: Information Machines, S. 16; vgl. zudem Abschnitt VIII.1.d).

2. Das Aktivgeschäft

319

aus Brombacherberg wurden am 14. Juli 1895 900 Mark bewilligt unter der Bedingung, dass sie anstatt ihres Sohnes einen anderen „annehmbaren Bürgen“142 stellte. Der Sohn wurde mit der Begründung als Bürge abgelehnt: „weil wir einen Sohn der mit an der Grundhaltung beteiligt ist, nicht annehmen dürfen“.143 Vielfach ist jedoch der Grund für die Ablehnung eines Darlehns nicht im Protokollbuch vermerkt. Wegen eines Hagelschadens wurde der Darlehnsnehmerin Wxxxxxxxxxxxxx im Januar 1901 die Rate auf ein Jahr gestundet.144 Das erste hypothekarisch gesicherte Darlehn wurde im Mai 1896 über eine Summe von 2.100 Mark an eine Witwe aus Leienhöhe vergeben. Die jährliche Rate wurde auf 50 Mark festgesetzt.145 Erst im Oktober 1899 wurde wieder ein Realkredit gewährt – vorher war laut Protokollbuch auch kein solcher Kredit beantragt worden.146 Im Januar 1902 folgte die Vergabe eines weiteren hypothekarisch gesicherten Kredits über 1.600 Mark.147 Im April und im Mai 1902 wurden darüber hinaus zwei Kredite vergeben, die sowohl durch Hypothek als auch durch Bürgschaft gesichert wurden.148 Ab 1903 bis Frühjahr 1904 beantragten auffällig viele Darlehnsnehmer eine Herabsetzung der (monatlichen) Rate oder sogar eine Stundung.149 Schwierigkeiten gab es offensichtlich auch mit den Konten in laufender Rechnung. Das erste Konto in laufender Rechnung wurde am 12. Juli 1896 mit einer Fazilität von 3.000 Mark bewilligt.150 Es folgten zu gleichen Konditionen weitere Konten am 13. Dezember 1896, am 11. Juli 1897, am 12. September 1897 und am 13. Dezember 1897. Bei einem dieser Konten wurde im Juni 1898 der Rahmen auf die Summe von 10.000 Mark erhöht.151 In den Folgejahren wurden weitere Konten in laufender Rechnung bewilligt: Der kleinste Kreditrahmen belief sich auf 800 Mark, der größte auf 10.000 Mark.152 Im Juli 1904 beschlossen Vorstand und Aufsichtsrat in einer gemeinsamen Sitzung, dass Mitgliedern mit Konten in laufender Rechnung, die „nicht nach den Verhält­ nissen und der Höhe ihres Kredites mit dem Gelde nachstehen, dieser Mahnung nicht nachkommen, Ihre laufende Rechnung in Darlehn umzuwandeln“.153 Gegebe-

142 AdVBWL, 1-4, Hohkeppeler Spar- und Darlehnskassen-Verein eGmuH, VS-Protokoll vom 14. Juli 1895. 143 Ebd. 144 AdVBWL, 1-4, VS-Protokoll vom 13. Januar 1901. 145 AdVBWL, 1-4, VS-Protokoll vom 10. Mai 1896. 146 AdVBWL, 1-4, VS-Protokoll vom 22. Oktober 1899. 147 AdVBWL, 1-4, VS-Protokoll vom 12. Januar 1902. 148 AdVBWL, 1-4, VS-Protokolle vom 13. April 1902 und 29. Mai 1902. Das eine Darlehn wurde durch zweite Eintragung auf den Besitz des Darlehnsnehmers sowie durch einen Bürgen gesichert. Die Darlehnssumme belief sich auf 1.500 Mark, die jährliche Rate wurde auf 100 Mark festgesetzt. Der zweite Kredit belief sich auf eine Summe von 2.400 Mark und war neben der jährlichen Rate von 100 Mark in monatlichen Raten von 8,50 Mark zurückzuzahlen. 149 AdVBWL, 1-4, VS-Protokolle 1903 und 1904. 150 AdVBWL, 1-4, VS-Protokoll vom 10. Juli 1896. 151 AdVBWL, 1-4, VS-Protokolle vom 13. Dezember 1896, 11. Juli 1897, 12. September 1897, 13. Dezember 1897, 12. Juni 1898. 152 AdVBWL, 1-4, VS-Protokoll vom 10. Februar 1901. 153 AdVBWL, 1-4, VS- und AR-Protokoll vom 3. Juli 1904.

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VIII. Die Geschäftstätigkeit

nenfalls sollten Konten den entsprechenden Mitgliedern als Hypothek eingetragen werden und sollte außer dem Bürgen eine andere Sicherstellung verlangt werden.154 Insgesamt zeigt sich bei der Hohkeppeler Kreditgenossenschaft weitaus stärker als bei der Hönniger Kreditgenossenschaft der saisonale Bedarf der Mitglieder an Kapital, was unmittelbar mit der Erwerbsstruktur des Geschäftsgebietes in Zusammenhang gebracht werden kann. Die Darlehnssummen waren durchschnittlich jedoch ähnlich. Etwas anders gelagert war das engere Monitoring durch die monatliche Rückzahlung und die damit verbundenen zügiger, in kleinen Summen zurücklaufenden Gelder. c) Beispiel 3: Wipperfelder Spar- und Darlehnskassen-Verein eGmuH Der Wipperfelder Spar- und Darlehnskassen-Verein eGmuH wurde 1903 gegründet, war ebenfalls dem Kölner Verband angeschlossen und basierte damit auf den von diesem Verband herausgegebenen Musterstatuten. Neben dem Betrieb einer Spar- und Darlehnskasse wurde über die Genossenschaft auch der Bezug landwirtschaftlicher Bedarfsartikel und der Absatz landwirtschaftlicher Erzeugnisse abgewickelt, was die Genossenschaft sowohl von der Hönniger und von der Hohkeppeler – in Hohkeppel hatte man zusätzlich eine landwirtschaftliche Bezugs- und Absatzgenossenschaft gegründet, die der Kreditgenossenschaft beigetreten war –, aber auch von den Kreditgenossenschaften in Kreuzberg und Agathaberg unterschied.155 Der Ort Wipperfeld lag südwestlich der Kreisstadt Wipperfürth und bildete den Hauptort der Gemeinde Wipperfeld, die wiederum mit der Gemeinde Olpe zu einer Bürgermeisterei zusammengeschlossen war. In Olpe hatte man 1901 eine Kreditgenossenschaft nach dem Musterstatut des Kölner Verbandes gegründet. 1905 lebten in der Gemeinde Wipperfeld rund 1.000 Einwohner.156 Das Adressbuch von 1911 zeigt eine stark zergliederte Siedlungsstruktur: viele kleine Ortschaften und Weiler mit geringer Einwohnerzahl, wobei die Ortschaften Frößeln, Julsiefen, Lieth, Mittel-Schwarzen, Ober-Mausbach, Pannhöh und Unter-Mausbach lediglich zehn oder weniger Einwohner hatten. Unter den im Adressbuch aufgeführten Personen finden sich gerade in diesen sehr kleinen Ortschaften und Weilern vielfach ausschließlich Ackerer. Im Ort Wipperfeld waren von 87 Einwohnern 18 im Adressbuch verzeichnet, unter ihnen ein Pfarrer, drei Lehrer(innen), ein Schneider, ein Schuster, ein Wirt und ein Händler. Ansonsten waren auch hier nur „Ackerer“ verzeichnet. Unmittelbar nach der Gründung nahm die Genossenschaft drei Kredite bei der Zentralkasse auf, um auf die Nachfragen der Mitglieder nach Darlehn entsprechend umgehend

154 Ebd. 155 AdVBWL, Amtsgericht Wipperfürth, Registereintrag vom 9. März 1903. – Der Bezug von landwirtschaftlichen Bedarfsartikeln wurde etwa auch bei den Kreditgenossenschaften in Linde und in Klaswipper abgewickelt, die Linder Genossenschaft setzte zugleich auch landwirtschaftliche Erzeugnisse für die Mitglieder ab. 156 Adressbuch der Kreise Gummersbach, Waldbröl und Wipperfürth, 1911, S. 346–349. Hier werden rund 1.900 Einwohner genannt.

321

2. Das Aktivgeschäft

reagieren zu können.157 Insgesamt beliefen sich die Einnahmen 1903 auf 17.245,27 Mark, die Ausgaben auf 15.994,72 Mark. Die Aktiva betrugen 9.254,44 Mark, Passiva 9.236,77 Mark. Bei einem Gewinn von 17,67 Mark wurde das Resultat des ersten Geschäftsjahres von der Verwaltung als ein „sehr günstiges“158 beschrieben. Tabelle 26: Entwicklung der Mitgliederzahl, des Aktiv- und Passivgeschäftes sowie des Eigenkapitals (in Mark) beim Wipperfelder Spar- und DarlehnskassenVerein eGmuH (1903–14) Mitglieder

Summe der Aktiva

Summe der Passiva

Summe der im laufenden Jahr getätigten Spareinlagen

Eigenkapital

1903

44

9.254

9.236

7.458

223

1904

53

15.679

15.603

14.519

341

1905

51

24.669

24.488

13.615

486

1906

69

29.142

28.875

26.005

612

1907

76

44.199

43.797

33.952

1.122

1908

85

68.482

68.220

57.479

1.252

1909

90

83.258

83.036

37.738

1.563

1910

95

95.317

95.245

40.377

1.825

1911

99

92.251

92.011

28.804

1.937

1912

97

98.982

98.718

43.792

2.168

1913

100

93.810

93.637

26.590

2.462

1914

106

93.867

93.678

37.693

2.705

Quelle: AdVBWl, Wipperfelder Spar- und Darlehnskassen-Verein eGmuH, 3-12, GV-Protokolle 1903–1914.

In den folgenden Jahren konnte die Genossenschaft sämtliche Geschäftsjahre mit einem Gewinn abschließen; mit Ausnahme des Jahres 1914. Der Mitgliederbestand verdoppelte sich in den ersten zehn Jahren des Bestehens. Das Eigenkapital konnte bis 1914 mehr als verzehnfacht werden. 1907 hatte man hierzu den Geschäftsanteil auf 50 Mark erhöht.159 157 AdVBWL, 3-15, Wipperfelder Spar- und Darlehnskassen-Verein eGmuH, VS-Protokoll vom 29. Mai 1903. – Am 9. März 1903 wurden 3.000 Mark, am 1. Mai 1903 2.000 Mark und am 23. Mai 1903 500 Mark bei der Zentralkasse geliehen. 158 AdVBWL, 3-12, Wipperfelder Spar- und Darlehnskassen-Verein eGmuH, GV-Protokoll vom 6. März 1904. 159 AdVBWL, Amtsgericht Wipperfürth, Wipperfelder Spar- und Darlehnskassen-Verein eGmuH, Registereintrag vom 31. August 1907.

322

VIII. Die Geschäftstätigkeit

Der Großteil der Darlehn wurde durch Bürgschaften abgesichert, einige wenige gegen Hinterlegung eines Faustpfandes oder gegen hypothekarische Sicherung. Im Juli 1903 hinterlegte etwa der Landwirt P. C. Bosbach aus Hamböken, Vorsitzender des Vorstandes, ein Wertpapier über 200 Mark, um ein Darlehn zum Ankauf von Geräten zu erhalten.160 Die ersten Protokolle enthalten Hinweise auf den Zweck des jeweiligen Darlehns – jedoch wurden bereits ab August 1903 hierzu keine Vermerke mehr niedergeschrieben. Von den ersten sechs Darlehn, die überhaupt vergeben worden waren, wurden drei zum Ankauf von Vieh beantragt – die Darlehnssummen waren 375 Mark, 500 Mark und 600 Mark – und ein Darlehn über 160 Mark zum Ankauf von Maschinen. Alle Darlehn wurden auf ein Jahr gewährt. Bei zwei dieser Darlehn bürgte das Vorstandsmitglied P. C. Bosbach, so auch bei später beantragten Darlehn, etwa am 12. November 1903 für ein Darlehn über 1.500 Mark. Die Zahl der bewilligten Kredite pro Monat folgte hier ebenfalls dem bäuerlichen Arbeitskalender: Während im Sommer kaum Darlehn beantragt wurden, war in der Regel das erste Quartal des Jahres von einer erhöhten Nachfrage gekennzeichnet. Einen entsprechenden Verlauf nahm auch die Kurve der insgesamt bewilligten Darlehnssummen. Lediglich im Februar 1910 schlug die Kurve erheblich aus, da hier ein Hypothekarkredit über 11.000 Mark zu vier Prozent Zinsen bewilligt wurde. Sollte der Geldmarkt es notwendig machen, behielt sich die Genossenschaft vor, gegebenenfalls den Zinsfuß auf 4¼ Prozent anzuheben.161 Dies war mit Abstand die höchste Darlehnssumme, die bis 1914 bewilligt wurde. Auffällig ist die hohe Zahl der Konten in laufender Rechnung unter Einräumung eines Kreditrahmens zwischen 200 und 3.000 Mark.162 Bis 1914 wurden insgesamt 17 Konten in laufender Rechnung mit Kreditrahmen eingerichtet, die meisten davon in der Zeit vor 1909. Alle diese Kredite wurden durch Bürgen abgesichert, außer einem Kredit über 1.500 Mark, der durch Hinterlegung eines Schuldscheines über 2.800 Mark abgesichert wurde.163 Rund 15 Prozent der Darlehn wurden für einen Zeitraum von maximal zwölf Monaten gewährt, weitere 15 Prozent auf ein bis zwei Jahre sowie ebenfalls rund 15 Prozent für die Zeit von drei bis fünf Jahren. Ein Drittel der Darlehn, die zwischen 1903 und 1914 gewährt wurden, waren über einen Zeitraum zwischen sechs und zehn Jahren zurückzuzahlen.164 Die Zahlung von monatlichen oder vierteljährlichen Raten, wie bei der Hohkeppeler Kreditgenossenschaft, wurde hier nicht praktiziert. Insgesamt zeigt sich hier sowohl in den Darlehnssummen als auch in den Rückzahlungsmodalitäten, dass die Genossenschaft kleinere Beträge vermittelte, ange-

160 AdVBWL, 3-15, Wipperfelder Spar- und Darlehnskassen-Verein eGmuH, VS-Protokoll vom 12. Juli 1903; AdVBWL, Amtsgericht Wipperfürth, Registereintrag vom 9. März 1903. 161 AdVBWL, 3-15, VS-Protokoll vom 10. Februar 1910. 162 Guinnane: Information Machines, S. 21, nennt Kreditrahmen von 8.000 bis 10.000 Mark. 163 AdVBWL, 3-15, Wipperfelder Spar- und Darlehnskassen-Verein eGmuH, VS-Protokoll vom 16. Januar 1909. 164 AdVBWL, 3-15, VS-Protokolle 1903–1914. – Etwa 30 Prozent der bewilligten Darlehn wurden als Konto in laufender Rechnung zur Verfügung gestellt und waren damit nicht befristet oder enthielten keine genaue Angabe zur Tilgung.

2. Das Aktivgeschäft

323

passt an die Leistungsfähigkeit der Darlehnsnehmer. Die Geschäftspolitik entsprach damit der originären Idee des ländlichen Kreditgenossenschaftswesens. d) Beispiel 4: Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Dieringhausen Die Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Dieringhausen wurde 1895 in Dieringhausen (Kreis Gummersbach) gegründet, wo bis in die 1950er-Jahre einer der dicht besiedelsten Räume im Oberbergischen entstand.165 Dieringhausen profitierte besonders vom Aufschluss des Bergischen Landes durch die Eisenbahn und entwickelte sich zum wichtigen Verkehrsknotenpunkt für den oberbergischen Raum. Die Dieringhausener Kreditgenossenschaft profitierte zudem, anders als etwa die Kreditgenossenschaften in Wipperfeld oder Hohkeppel, erheblich von der fortschreitenden Industrialisierung des Aggertals, wo insbesondere eine Reihe von Textilbetrieben angesiedelt wurden. Dieringhausen gehörte zur Bürgermeisterei Gummersbach beziehungsweise zur Stadtgemeinde Gummersbach, wo 1895 rund 11.100 Einwohner lebten. Bis 1910 steig die Zahl der Einwohner auf 16.000.166 Im Ort Dieringhausen selbst wohnten – wie auch das Adressbuch von 1911 zeigt – vor allem Gewerbetreibende, Bahnangestellte und kaufmännische Angestellte.167 Im Jahr 1891 wurde die evangelische Kirchengemeinde Dieringhausen-Vollmershausen gegründet. Die Kirchengemeinde umfasste die Ortschaften und Weiler Dieringhausen, Vollmershausen, Hohl, Oehlchen, Oetterstal, Irlen, Brunohl, Hammerhaus, Haus Ohl, Mühlenthal, Neubrück, Neuenhoff, Grünenthal, Grunewald, Lobscheid, Oesinghausen, Brück und Halstenbach mit insgesamt rund 1.200 Einwohnern. 1894 kamen zudem Aggersiefen, Breidenbach, Hammerthal, Hohleich und Niederdieringhausen hinzu. Ein katholisches Rektorat wurde 1898 (ab 1920 Pfarrei) eingerichtet.168 Am 6. März 1895 wurde der Dieringhausener Spar- und Darlehnskassen-Verein eGmuH unter Vorsitz des evangelischen Pfarrers Hermann Mellinghoff von 13 Personen – darunter unter anderem fünf Landwirte, zwei Arbeiter, zwei Gastwirte, ein Lehrer – gegründet.169 Die Genossenschaft wurde dem Bonner Verband angeschlossen. Zum Direktor wählten die Mitglieder Mellinghoff, zu dessen Stellvertreter Georg Sonnefeld, Schuster aus Dieringhausen, und zum Rendanten den Lehrer Fritz Jansen, welcher zugleich Mitglied des Vorstandes war, wie es die Musterstatuten des Bonner Verbandes vorsahen. Dem Gründungsprotokoll diente das Muster des Allgemeinen Verbandes der landwirtschaftlichen Genossenschaften des Deutschen Reiches (Reichsverband) als Vorlage.170 Der Geschäftsanteil wurde auf 300 Mark festgelegt, wovon ein Zehntel sofort oder in monatlichen Raten von 50 Pfen165 Siehe zur Geschichte der Spar- und Darlehnskasse Dieringhausen Spar- und Darlehnskasse eGmuH Dieringhausen: 60 Jahre; Spar- und Darlehnskasse Dieringhausen: 75 Jahre. 166 Siehe Kapitel II. 167 Adressbuch der Kreise Gummersbach, Waldbröl und Wipperfürth, 1911, S. 31–35. 168 Spar- und Darlehnskasse eGmuH Dieringhausen: 60 Jahre, S. 6. 169 Ebd., S. 7 f. 170 Das Gründungsprotokoll ist nicht überliefert. Es befindet sich ein Abdruck ebd., S. 8.

324

VIII. Die Geschäftstätigkeit

nig zu zahlen war. Die Kreditgenossenschaft gehörte zu den mitgliederstärksten ‚ländlichen‘ Kreditgenossenschaften im Untersuchungsraum. Zum Vergleich: Im Jahr 1910 hatte der Nümbrechter Spar- und Darlehnskassen-Verein (gegründet 1874) 533 Mitglieder, die 1899 gegründete Kreditgenossenschaft in Engelskirchen 409, gefolgt von der Dieringhausener Kreditgenossenschaft mit 310 Mitgliedern. Die Eckenhagener Volksbank hatte zu diesem Zeitpunkt 583 Mitglieder. Im direkten Vergleich mit der Hönniger Kreditgenossenschaft sowie mit allen anderen dem Kölner Verband angeschlossenen Kreditgenossenschaften im Kreis Wipperfürth hatte die Dieringhausener Kreditgenossenschaft bessere Voraussetzungen für ein entsprechendes Größenwachstum vorgefunden: eine günstige Lage im Verkehrsund Wirtschaftsraum, das heißt es vollzog sich eine weitere Ansiedlung von gewerblichen und industriellen Unternehmen, was wiederum den Zuzug von Beschäftigten und deren Familien zur Folge hatte. Diese günstigen Bedingungen sublimierte die Kreditgenossenschaft, indem sie etwa seit unmittelbar nach ihrer Gründung regelmäßig Annoncen in der lokalen Presse (Gummersbacher Zeitung) schaltete, insbesondere um auf ihre Zinssätze für Spareinlagen aufmerksam zu machen. Grundsätzlich wurde diese Art der Werbung vom Reichsverband als ineffizient verworfen.171 Abbildung 10: Mitgliederentwicklung der Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Dieringhausen im Vergleich zur Mitgliederentwicklung des Hönnigethaler Spar- und Darlehnskassen-Vereins eGmuH (1894/95–1918)

Quelle: LA NRW Düsseldorf, Rep. 161 Nr. 182, Bilanzveröffentlichungen; LA NRW Düsseldorf, Rep. 161 Nr. 183; AdVBWL, 2-9, Hönnigethaler Spar- und Darlehnskassen-Verein eGmuH, GVProtokolle 1894–1918.

In direkter Folge auf die Ausweitung des Geschäftsbezirkes im Jahr 1900 lässt sich jedoch kein Mitgliederzuwachs diagnostizieren, da die Genossenschaft bereits in den ersten fünf Jahren ihres Bestehens einen nahezu exponentiellen Mitgliederzuwachs hatte (siehe Abbildung 10). Die Genossenschaft erhob Eintrittsgeld (zwei Mark, ab 1900 fünf Mark); der Gewinn wurde an die Mitglieder ausgeschüttet (Di171 Siehe Abschnitt IV.2.b).

2. Das Aktivgeschäft

325

vidende im Jahr 1900 vier Prozent), wobei der Gewinnanteil je Mitglied (einschließlich der Zinsen für den Geschäftsanteil) nicht höher sein durfte als der Zinsfuß für Darlehn.172 Die Ausschüttung von Dividenden unterstreicht die verstärkte Ausrichtung der Mustersatzungen des Bonner Verbandes am Volksbanken-Konzept. Neben diesen Rahmenbedingungen waren vor allem die Statuten beziehungsweise die Dienstanweisung und Geschäftsordnung für Vorstand und Aufsichtsrat für die Ausgestaltung von Passiv- und Aktivgeschäft bedeutsam. Die Kreditgenossenschaft wurde auf Grundlage des Musterstatutes des Bonner Verbandes errichtet, wonach laut § 2 die Gewährung von Darlehn der Erleichterung der Geldanlage und der Förderung des Sparsinns als Unternehmenszweck vorangestellt war.173 Der Vorstand bestand aus dem Direktor, drei weiteren Mitgliedern und dem Rendanten. Ihre Aufgaben, Rechte und Pflichten wurden, wie auch die des Aufsichtsrates, satzungsgemäß in der Geschäftsordnung/-anweisung, welche durch die Generalversammlung beschlossen wurde, festgelegt. Die Satzung selbst enthielt zum Aktivgeschäft lediglich wenige Regeln. Die Festlegung der Zinssätze und Provisionen lag laut Statut beim Vorstand, welcher die Zustimmung des Aufsichtsrates einzuholen hatte.174 Die weiteren Vorschriften für das Aktivgeschäft finden sich in der Geschäftsordnung. Auch in der Geschäftsordnung lautete der Grundsatz, dass alle Kredite beziehungsweise Darlehn hinreichend gesichert sein mussten, das heißt durch Bürgschaft, Pfand- oder Kautionsstellung oder Hypothek, sodass für die Genossenschaft „keinerlei Gefahr vorhanden“175 war. Bei Bürgschaft und Hypotheken hatte das Grundvermögen nach Abzug aller Schulden mindestens zweifach so hoch zu sein wie die Darlehnssumme. Der Antrag war „unter Angabe der gebote­ nen Sicherheit“176 beim Direktor zu stellen, wenn nicht der Rendant auf Antrag des Vorstandes durch den Aufsichtsrat bestimmt wurde, Kreditanträge anzunehmen, das heißt diese Aufgabe im Namen des Direktors ausführte. Die Krediturkunde war stets durch den Direktor oder Rendanten und den Darlehnsnehmer sowie dessen Bürgen zu unterschreiben. Dann erst waren die Anträge unter Vorlage der Schuldurkunde in der nächsten Vorstandssitzung zu beschließen. Bei der Beratung war neben der Kreditfähigkeit immer auch die Kreditwürdigkeit festzustellen. Lehnte der Vorstand den Kredit ab, konnte nicht dem Aufsichtsrat oder der Generalversammlung vorgesprochen werden – dies wurde durch die Geschäftsordnung ausgeschlossen. Auszahlungen waren durch den Rendanten nur nach ordnungsgemäß protokolliertem Beschluss erlaubt. Jeden Monat hatte der Rendant dem Direktor eine Liste mit allen säumigen Schuldnern vorzulegen („Restantenliste“177). Personen, die wiederholt gemahnt werden mussten und nach der dritten Erinnerung bis zur nächs172 LA NRW Düsseldorf, Rep. 78 Nr. 49, Statut der Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Denklingen vom 2. Mai 1909, § 45. 173 Ausführlich siehe hierzu Abschnitt V.1. 174 LA NRW Düsseldorf, Rep. 78 Nr. 49, Statut der Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Denklingen vom 2. Mai 1909. 175 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 96-15, Spar und Darlehnskasse eGmuH zu Dieringhausen, Dienstanweisung und Geschäftsordnung, um 1912 (Vordruck des Verbandes rheinpreußischer landwirtschaftlicher Genossenschaften Bonn), S. 8. 176 Ebd., S. 9. 177 Ebd., S. 10.

326

VIII. Die Geschäftstätigkeit

ten wöchentlichen Vorstandssitzung „ihren Verpflichtungen“178 nicht nachgekommen waren und auch keine Stundung beantragt hatten, war das Darlehn zu kündigen.179 Darüber hinaus enthielt die Geschäftsordnung Bestimmungen über (1.) Darlehn auf Schuldschein (Abschnitt IX) und (2). die Eröffnung und Führung von Konten in laufender Rechnung (Abschnitt X). (3.) Eine sehr knappe Anweisung über Hypothekarkredite besagte, dass diese nur „bei großen flüssigen im eigentli­ chen Geschäftsbetriebe nicht unterzubringenden Geldern in kleinerem Maßstabe geschehen“180 durfte (Abschnitt XI). (4.) Das Wechselgeschäft war nach ‚Rat‘ des Verbandes nur bei „entwickelteren Spar­ und Darlehnskassen zulässig“181 (Abschnitt XII). (5.) Lombard- (beleihungs)- und Effektengeschäfte waren grundsätzlich gestattet, jedoch durften nur „solide Anlagewerthe“182 beliehen und angekauft werden, Spekulationen waren unter allen Umständen verboten.183 Im Jahr 1897 belief sich die Höchstgrenze für Spareinlagen pro Mitglied auf 5.000 Mark, die Höchstgrenze für Anleihen insgesamt betrug 50.000 Mark, die Kreditlinie je Mitglied 5.000 Mark.184 1899 erhöhte man die Grenze für Anlehn insgesamt auf 250.000 Mark.185 In der ersten Sitzung des Vorstandes nach der Gründung erhielten sämtliche Mitglieder einen reinen Personalkredit über jeweils 200 bis 500 Mark. Bürgen wurden nicht gefordert. Unter den Darlehnsnehmern waren alle Mitglieder des Aufsichtsrates, denen jeweils ein Personalkredit in Höhe von 300 Mark zugesprochen wurde, sowie sämtliche Vorstandsmitglieder – ausgenommen der Rendant Lehrer Fritz Jansen –, die ebenfalls jeder einen Personalkredit über 300 Mark erhielten.186 Darüber hinaus erhielten der Tagelöhner D. W. Lxxx sowie weitere fünf Mitglieder je einen Personalkredit ohne Bürgschaft über 300 Mark. Am 19. Juni erhielt das erste – in dieser Sitzung neu aufgenommene – Mitglied, ein Dieringhausener Gemüsehändler, einen Personalkredit mit Bürgschaft über 150 Mark. Bürge war sein Schwager.187 Bürgschaften durch Verwandte wurden hier regelmäßig angeboten. In den meisten Fällen jedoch – insbesondere wenn der Verwandte mit im gleichen Haushalt lebte – wurde der Kreditantrag zurückgestellt, bis ein neuer, „neutraler“ Bürge gefunden war.188 Die Anzahl der reinen 178 179 180 181 182 183 184 185 186 187 188

Ebd. Ebd., S. 8 ff., Abschnitt VIII, Kredit- beziehungsweise Darlehnsgewährung im Allgemeinen. Ebd., S. 12. Ebd. – Wenn Wechselgeschäfte abgewickelt wurden, so hatte der Diskontant Mitglied der Genossenschaft zu sein, und auch hier galt, dass dieser Geschäftszweig nur bedient werden sollte, wenn die Betriebsmittel in ausreichendem Umfang vorhanden waren. Ebd. Ebd., S. 12 f. AdVBO, Bestand RB Wiehl, 134-4, Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Dieringhausen, GVProtokoll vom 13. Juni 1897. AdVBO, Bestand RB Wiehl, 134-4, GV-Protokoll vom 16. April 1899; ebd., GV-Protokoll vom 27. April 1913. Höchstgrenze für Anlehn beziehungsweise Spareinlagen von Einzelpersonen auf 1,5 Mio. Mark festgesetzt. AdVBO, Bestand RB Wiehl, 73-1, Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Dieringhausen, VSProtokoll vom 29. April 1895. AdVBO, Bestand RB Wiehl, 134-4, VS-Protokoll vom 19. Juni 1895; siehe auch Adressbuch der Kreise Gummersbach, Waldbröl und Wipperfürth, 1911, Einträge für Dieringhausen. Nicht bei jeder abgelehnten Bewilligung wurde der Grund vermerkt, sondern in der Regel nur,

2. Das Aktivgeschäft

327

Personalkredite nahm – bei steigender Mitgliederzahl – bis Mitte 1898 erheblich ab, wie auch Abbildung 11 zeigt. Am 8. Juni 1898 beschloss der Vorstand, der Rendant solle Darlehnssuchenden mitteilen, Darlehn würden in der Regel nur gegen Bürgschaft vergeben.189 Bereits am 20. Januar 1896 hatte der Vorstand beschlossen, keine Personen mehr aufzunehmen, denen nicht auch ein Personalkredit gewährt werden könne.190 Mit solchen Beschlüssen schob man zusätzliche Sicherheitsriegel ein: Wer also nicht einmal so kreditwürdig oder kreditfähig war, einen von der Summe her kleinen Personalkredit zu erhalten, wurde gar nicht erst aufgenommen, um ex post entstehende Kosten zu vermeiden. Darlehnssuchenden von vorneherein mitzuteilen, dass Kredite nur gegen Bürgschaft vergeben wurden, sollte unnötigen Bearbeitungsaufwand reduzieren. Abbildung 11: Gesamtsumme der Personalkredite ohne Bürgschaft, vergeben je Vorstandssitzung vergebenen (in Mark) (1895–1903)

Quelle: AdVBO, Bestand RB Wiehl, 73-1, Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Dieringhausen VS-Protokolle 1895–1913.

wenn der Vorstand jemanden grundsätzlich als kreditwürdig einstufte, jedoch aus Sicherheitsgründen andere Bürgen verlangen musste, so etwa AdVBO, Bestand RB Wiehl, 134-4, VSProtokoll vom 4. März 1901. Dies galt auch für Hypothekarkredite. War ein Grundstück oder ein Gebäude bereits hypothekarisch belastet, dann war eine weitere Belastung statuarisch ausgeschlossen, doch bot der Vorstand, je nach Kreditreflektant, Summe und Lage der Betriebsmittel an, etwa stattdessen Bürgen zu stellen. Siehe zum Beispiel ebd., VS-Protokoll vom 1. Juli 1899. Solche Regelungen waren jedoch selten. 189 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 134-4, VS-Protokoll vom 8. Juni 1898. 190 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 134-4, VS-Protokoll vom 20. Januar 1896.

328

VIII. Die Geschäftstätigkeit

Nachdem der anfängliche Bedarf gedeckt war, pendelte sich die Gesamtsumme der bewilligten Personalkredite ohne Bürgschaft in den Jahren bis 1899 bei rund 1.200 Mark pro Vorstandssitzung ein. Die Anzahl der Personalkredite mit Bürgschaft nahm also noch im Gründungsjahr erheblich zu. Bis Ende 1902 wurden nur noch ganz vereinzelt Personalkredite ohne Bürgschaft vergeben.191 Auffällig viele Darlehnsgesuche wurden in der zweiten Hälfte des Jahres 1898 abgelehnt, unter anderem weil die gebrachten Sicherheiten nicht sicher genug waren, wie es „im Ge­ schäftsinteresse erforderlich“192 war. Der Anteil der Personalkredite mit Bürgschaft an der Gesamtsumme je Vorstandssitzung vergebener Darlehn belief sich bis Winter 1899 in der Regel auf rund 85 Prozent, sodass der Anteil der Beträge, die nur gegen reinen Schuldschein ohne Bürgschaft gesichert waren, also nur noch bei rund 15 Prozent lag. Darlehn gegen Schuldschein waren laut „Dienstanweisung und Geschäftsordnung“193 und im Sinne des Genossenschaftsgesetzes nur nach der Aufnahme des Antragstellers als Mitglied zu vergeben. Die Rückzahlungsfristen konnten laut Dienstordnung auf kürzere und längere Zeit, jedoch maximal auf zehn Jahre, festgesetzt werden. Der Tilgungsplan war auch hier bei der Bewilligung des Kredites festzulegen. Die Genossenschaft hatte ein vierteljährliches Kündigungsrecht. Darlehn, die auf ein Jahr gewährt wurden, konnten auf Antrag um maximal drei Monate verlängert werden, Darlehn mit einer längeren Rückzahlungsfrist um maximal zwei Jahre. Hierzu mussten bei Darlehn mit Bürgschaft die Bürgen schriftlich ihr Einverständnis erklären. War das Darlehn nur unter Hinzuziehung des Aufsichtsrates gewährt worden, musste neben dem Vorstand auch dieser der Verlängerung zustimmen. Bei Verlängerung der Rückzahlungsfristen hatte der Vorstand darauf zu achten, dass die fälligen Zinsen im Voraus bezahlt wurden und mindestens zehn Prozent der Kapitalschuld vor der Verlängerung geleistet wurden. Die länger als ein Jahr gewährten Darlehn waren „in regelmäßigen jährlichen Terminen“194 zurückzuzahlen – frühere Rückzahlungen sowohl in ganzer Summe oder als Teilbeträge oder „öftere kleinere Abschlagszahlungen“195 waren jederzeit möglich. Die Rückzahlungsfristen waren auch hier „der Leistungsfähigkeit der Schuldner anzu­ passen“.196 Die vom Vorstand festgesetzten und vom Aufsichtsrat zu genehmigenden Zinsen wurden jeweils mit Beginn des Tages der Auszahlung des Darlehns gerechnet, waren jeweils auf den 31. Dezember eines jeden Jahres zu berechnen und „als an diesem Tage fällig von den Darlehnsnehmern zu zahlen“.197 Auch bei vor dem 31. Dezember vorzeitig zurückgezahlten Darlehn waren die bis dahin angefallenen lau191 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 73-1, VS-Protokolle 1895–1903. 192 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 73-1, VS-Protokoll vom 2. Dezember 1898. 193 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 96-15, Spar und Darlehnskasse eGmuH zu Dieringhausen, Dienstanweisung und Geschäftsordnung, um 1912 (Vordruck des Verbandes rheinpreußischer landwirtschaftlicher Genossenschaften Bonn), S. 10 f., Abschnitt IX, Darlehn auf Schuldschein. 194 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 96-15, S. 11, Abschnitt IX, Satz 6. 195 Ebd. 196 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 96-15, S. 11, Abschnitt IX, Satz 4. 197 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 96-15, S. 11, Abschnitt IX, Satz 7.

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2. Das Aktivgeschäft

fenden Zinsen zu entrichten.198 Dies erleichterte nicht nur die Berechnung, sondern erwartete Zinsen wurden so auch tatsächlich eingenommen. Der Personalkredit ohne Bürgschaft spielte also bereits frühzeitig eine verhältnismäßig untergeordnete Rolle, wobei die soziale Wirkung dieses Segments trotzdem nicht unterschätzt werden darf, da es sich in der Regel um Kleinkredite von 50 bis 300 Mark handelte, die auf anderem Wege nicht oder nur zu teureren und unsichereren Konditionen zu erhalten gewesen wären. Von den vergebenen Personalkrediten beliefen sich die meisten Beträge auf (unter) 300 Mark. Tabelle 27: Personalkredite ohne Bürgschaft nach der Darlehnssumme (1895–98) 1895

1896

bis 100 Mark

1897 8

1898 4

3

150 Mark

2

2

6

200 Mark

10

2

1

1

300 Mark

19

15

15

10

500 Mark

1

Quelle: AdVBO, Bestand RB Wiehl, 73-1, Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Dieringhausen, VS-Protokolle 1895–1898.

Gerade einmal sechs der Schuldner kamen aus Dieringhausen selbst – der Großteil der Darlehnsnehmer stammte aus den umliegenden Weilern und Ortschaften.199 Den landwirtschaftlichen Kredit verlor die Geschäftsführung offensichtlich zusehends aus den Augen, sodass man sich 1901 den landwirtschaftlichen Kredit noch mal wieder in Erinnerung rief: Die Generalversammlung formulierte explizit, dass es Aufgabe der Kreditgenossenschaft sei, den Landwirten „in geeigneten Fällen“ mit Personalkrediten zu dienen – auch dann, wenn ein Landwirt wirtschaftlich „schwach“ aber „würdig sei“, sollte er einen entsprechenden Kredit erhalten.200 Pro Vorstandssitzung wurden zwischen 1895 und 1913 vier Kredite bewilligt, wobei in einigen Monaten auch in mehreren Sitzungen über Darlehn beschlossen wurde. Mehr als 15 Kredite pro Monat wurden etwa im April und November 1895 bewilligt, im Februar 1896, im Oktober 1897, im Januar 1898 und im Juli 1899. Im April 1913 wurden insgesamt 27 Darlehn bewilligt. Zwischen zehn und 15 positive Kreditbeschlüsse ergingen in den Monaten Juli 1895, April 1896, Juli 1897, jeweils im März und April 1898, im November 1899, im November 1900, im Februar 1901, im Dezember 1901 und im Januar 1902. Darüber hinaus im April 1902, des Weiteren im Februar 1903 und im Oktober 1910. Hier lässt sich kein besonderer saisona198 Ebd. 199 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 73-1, VS-Protokolle; siehe auch Adressbuch der Kreise Gummersbach, Waldbröl und Wipperfürth, 1911. 200 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 134-4, Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Dieringhausen, GVProtokoll vom 21. April 1901; Kluge: Geschichte, S. 190, konstatiert, dass Kredite an Gewerbetreibende und Arbeitnehmer weit hinter dem landwirtschaftlichen Kredit zurückstanden.

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VIII. Die Geschäftstätigkeit

ler, am landwirtschaftlichen Kalender ausgerichteter Bedarf erkennen. Insgesamt wurden 1895 61 Darlehn bewilligt, ein Jahr später 75 Darlehn, 1897 insgesamt 67 Darlehn, 1898 68 Darlehn und im Jahr 1899 lediglich 60 Darlehn. Im ersten Geschäftsjahr (1895) belief sich die Summe der bewilligten Darlehn auf rund 19.700 Mark. Im zweiten Geschäftsjahr wurden insgesamt rund 36.600 Mark bewilligt und im dritten Geschäftsjahr 42.600 Mark. Zwar war 1899 die Zahl der bewilligten Kredite zurückgegangen, doch wurden insgesamt über 52.200 Mark bewilligt. Dieser Trend setzte sich fort: Im Jahr 1900 wurden nur 47 Kredite bewilligt, die Gesamtsumme der bewilligten Darlehn belief sich jedoch auf rund 60.200 Mark, 1901 wurden insgesamt 59 Darlehn bewilligt, die Gesamtsumme belief sich trotz Krise auf dem Geldmarkt – oder gerade wegen der Krise, weil die Kreditgenossenschaften im Gegensatz zu Banken ihrer Funktion weiter nachkommen konnten – auf das fast Dreifache des Vorjahres (rund 170.000 Mark). Im Jahr 1902 und 1903 wurden 60 beziehungsweise 61 Darlehn ausgegeben. Die Gesamtsumme der ausgegebenen Darlehn war jedoch rückläufig: 1902 belief sie sich auf rund 74.000 Mark und 1903 auf nicht ganz 66.000 Mark. Im Jahr 1904 wurden lediglich 35 neue Darlehn bewilligt (53.500 Mark), im Folgejahr stieg die Zahl der bewilligten Darlehn wieder auf 53 (161.750 Mark), fiel wieder auf 23 Bewilligungen (78.000 Mark) und stieg im Jahr 1907 – der Diskontsatz der Reichsbank stieg in diesem Jahr zeitweilig bis auf 7½ Prozent – auf 44 Bewilligungen von insgesamt fast 178.000 Mark. 1908 flachte sowohl die Zahl der bewilligten Darlehn (19) als auch die Gesamtsumme der bewilligten Darlehn (etwas über 57.000 Mark) wieder ab, stieg dann 1909 wieder auf 35 Bewilligungen von insgesamt 68.600 Mark. In den Jahren 1910 bis 1913 erreichte die Gesamtsumme wieder den sechsstelligen Bereich: Im Jahr 1910 wurden 49 Darlehn vergeben (164.800 Mark), 1911 50 Darlehn (144.400 Mark) und 1913 56 Darlehn (159.900 Mark).201 Einige Mitglieder erhielten auch Blankokredite, obwohl deren Überwachung äußerst aufwendig war. Die Genossenschaft wurde daher wiederholt vom Revisor Rieder ermahnt, dies zu vermeiden;202 1910 konstatierte Rieder, dass Blankokredite nun nicht mehr vorgekommen seien.203

201 Errechnet nach AdVBO, Bestand RB Wiehl, 73-1, Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Dieringhausen, VS-Protokolle 1895 bis 1913. 202 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 74-2, Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Dieringhausen, Revisionsbericht 1908. 203 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 74-2, Revisionsbericht 1910.

2. Das Aktivgeschäft

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Abbildung 12: Summe der Aktiva sämtlicher ländlicher Kreditgenossenschaften in den Kreisen Gummersbach, Waldbröl und Wipperfürth (1910)

Quelle: Reichsverband: Jahrbuch 1910.

Als man im Jahr 1900 den Geschäftsbezirk in seinen Grenzen erweiterte, wurde auch die Kreditlinie je Mitglied von 5.000 auf 10.000 Mark erhöht. Zugleich hob die Generalversammlung auch die Höchstgrenze für Spareinlagen je Einleger beziehungsweise für Kredite bei der Zentralkasse auf 500.000 Mark an.204 Nach der Ausweitung des Geschäftsbezirkes, vor allem aber wegen der großen Anzahl an Mitgliedern, die aus der Bürgermeisterei Drabenderhöhe stammten, wurde es im Jahr 1901 notwendig, zwei „Vertrauensmänner“205 zu wählen, die den Aufsichtsrat unterstützen sollten und „zur Erleichterung der Geschäftsführung zum Einholen von Auskünften“206 installiert wurden. Hierin kommt sehr deutlich zum Ausdruck, warum Raiffeisen und Vertreter seines Konzeptes dazu anhielten, den Geschäftsbezirk möglichst klein zu wählen. Ein zu großer Geschäftsbezirk war bedeutend schwerer zu überwachen, die Informationsasymmetrie nahm damit erheblich zu, sodass negative Folgen, etwa Risiken aufgrund nicht hinreichend festellbarer Bonität oder aber durch ein erschwertes Monitoring, auftraten. Dies konnte sich wiederum sowohl in erhöhten Kreditausfällen als auch in den Verwaltungskosten niederschlagen. Betrachtet man jedoch die Verwaltungskosten der Dieringhausener Kreditgenossenschaften im Verhältnis zum Umsatz, so entsprachen diese den anderen dem Bonner Verband angehörigen Kreditgenossenschaften. Im Jahr 1904 führte die Genossenschaft auf Anraten des Revisors den Scheckverkehr – „probeweise“207 – ein. Der Revisor Trebschuh hatte in seinem Bericht über die Revision am 21. und 22. September 1904 festgestellt, dass viele Konten einen „recht flotten Verkehr“ zeigten, die „Einrichtung der Kasse mehr und mehr erkannt“ wurde, und dass gegen die Aufnahme des Scheckverkehrs keinerlei Be204 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 134-4, Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Dieringhausen, GVProtokoll vom 30. September 1900. 205 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 134-4, GV-Protokoll vom 21. April 1901. 206 Ebd. 207 Ebd.; AdVBO, Bestand RB Wiehl, 73-1, Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Dieringhausen, VS-Protokoll vom 21. September 1904. Vorstandssitzung gemeinsam mit dem Revisor Trebschuh.

332

VIII. Die Geschäftstätigkeit

denken bestanden.208 Der Revisor erklärte der Geschäftsführung, was beim Scheckverkehr zu beachten war und empfahl, die Abstimmung über die Einführung auf die Tagesordnung der nächsten Generalversammlung zu setzen.209 Da „diese Einrich­ tung sich gut bewiesen“210 hatte, beschloss die Generalversammlung 1906, noch vor einer erneuten Prüfung durch den Verband, den Scheckverkehr beizubehalten.211 Auffällig, vor allem mit Blick auf die stark gewerbliche Polung der Mitgliederstruktur, ist die eher geringe Bedeutung des Kontokorrentgeschäftes. Der Revisor Rieder merkte im Revisionsbericht über die Prüfung am 4. und 5. September 1906 an, dass die Beweglichkeit der Konten in laufender Rechnung schleppend sei, der Umsatz auf vielen Konten „zu wünschen übrig“212 lasse. 1910 und 1913 kam der Revisor erneut zu diesem Ergebnis.213 Aus der Abbildung 13 geht der Stand der Guthaben und der Schulden in laufender Rechnung jeweils zum Ende des Geschäftsjahres hervor. Quellenbedingt ist eine Aussage über die Bewegungen auf den Konten während des Geschäftsjahres nicht möglich. Guthaben wurden weit weniger gebildet als feste Spareinlagen, was jedoch auch dem Geschäftsgang bei den anderen untersuchten Kreditgenossenschaften entsprach. Konten in laufender Rechnung, die einen zu geringen Umsatz zeigten, sollten daher in SchuldscheinDarlehn umgewandelt werden, da dies die Überwachung erleichterte und insgesamt weniger Arbeit verursachte; Konten in laufender Rechnung bedeuteten viel Arbeit im Verhältnis zu kleinen Erträgnissen.214 Dies war sicherlich auch der Grund in Hohkeppel, wo das gleiche Problem bestanden hatte.

208 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 74-2, Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Dieringhausen, Revisionsbericht 1904. 209 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 74-2, Revisionsbericht 1904. 210 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 134-4, Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Dieringhausen, GVProtokoll vom 22. April 1906. 211 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 74-2, Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Dieringhausen, Revisionsbericht 1906. Die Revision fand erst am 4. und 5. September statt, die Generalversammlung tagte hingegen bereits am 22. April 1906. Siehe AdVBO, Bestand RB Wiehl, 134-4, Sparund Darlehnskasse eGmuH zu Dieringhausen, GV-Protokoll vom 22. April 1906. 212 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 74-2, Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Dieringhausen, Revisionsbericht 1906. 213 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 74-2, Revisionsberichte 1910 und 1913. 214 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 74-2, Revisionsbericht 1904; AdVBO, Bestand RB Wiehl, 74-2, Revisionsbericht 1929.

2. Das Aktivgeschäft

333

Abbildung 13: Entwicklung der Konten in laufender Rechnung bei der Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Dieringhausen im Vergleich zu den Hypothekarkrediten und Spareinlagen (in Mark) (1903–20)

Quelle: LA NRW Düsseldorf, Rep. 161 Nr. 182, Bilanzveröffentlichungen; LA NRW Düsseldorf, Rep. 161 Nr. 183, Bilanzveröffentlichungen.

Zwei Aspekte stechen im Aktivgeschäft der Dieringhausener Kreditgenossenschaft besonders hervor, zum einen die vielen Hypotheken, die in großem Umfang offensichtlich zur Finanzierung von Bauprojekten verwendet wurden, zum anderen die vielen Bürgschaftsdarlehn an Wasserleitungs- und Elektrizitätsgenossenschaften.215 Die Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Dieringhausen vergab an Einzelmitglieder von Wasser- und Elektrizitätsgenossenschaften, die zugleich auch Mitglied der Dieringhausener Kreditgenossenschaft waren, regelmäßig Darlehn zum Anschluss der Wirtschafts- und Wohngebäude an die kommunale Kanalisation oder zur Elektrifizierung der Gebäude. Abgesichert wurden diese Darlehn durch die Bürgschaft der anderen Einzelmitglieder der jeweiligen Versorgungsgenossenschaft. Im November 1895 erhielten erstmals zwei Mitglieder der benachbarten Wasserleitungsgenossenschaft jeweils einen Kredit zur Verlegung von Trink- und Abwasserleitungen zu ihren Häusern in Hunstig beziehungsweise Bünghausen.216 Für den Kredit des Mitgliedes W. Kxxxx über 2.040 Mark bürgten insgesamt 14 Mitglieder der Wasserleitungsgenossenschaft, für den Kredit W. Wxxxxx über 1.600 Mark bürgten acht Mitglieder der Wasserleitungsgenossenschaft. Voraussetzung für solche Darlehn war, dass die Versorgungsgenossenschaft in der Rechtsform der eGmuH bestand, also alle Mitglieder in vollem Umfang zu haften hatten. Es bürgte nicht die Körperschaft, sondern eine Anzahl von Einzelmitgliedern. Mehrere solcher Darlehn für Mitglieder von Versorgungsgenossenschaften in den umliegenden Ortschaften 215 Zur Gründung und Entwicklung von Elektrizitätsgenossenschaften in Preußen siehe Petersilie: Mitteilungen zur deutschen Genossenschaftsstatistik für 1909, S. 62–70. – Am 1. Januar 1910 bestanden in Preußen 238 Elektrizitätsgenossenschaften, fünf davon in der Rheinprovinz. Vgl. Padtberg: Wirtschaftsgeschichte, S. 192 f. 216 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 73-1, Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Dieringhausen, VSProtokoll vom 15. November 1895.

334

VIII. Die Geschäftstätigkeit

(Bielstein, Erbland, Oberbantenberg, Osberghausen etc.) folgten.217 1907 hatte ein Mitglied auf diesem Wege ein Darlehn über 10.000 Mark zur Anlage einer Wasserleitung erhalten, jedoch änderte man einige Tage später den Darlehnsnehmer von der natürlichen Person des Einzelmitgliedes in die Versorgungsgenossenschaft ab, da die Darlehnssumme offensichtlich zum Bau von Wasserleitungen bei verschiedenen Eigentümern dienen sollte.218 Auch hier spielten Sicherheitserwägungen die entscheidende Rolle. Die Kreditgenossenschaft beteiligte sich zudem umfassend an der Finanzierung von Gebäuden – offensichtlich so umfangreich, dass der Gummersbacher Landrat Kirschstein sich in der von ihm anlässlich des zehnjährigen Jubiläums der Genossenschaft geleiteten Generalversammlung berufen fühlte, einige mahnende Worte über die Finanzierung solcher großen und langfristigen Projekte zu verlieren. Er warnte davor, in der Kreditgewährung „zu weit zu gehen“,219 auch wenn die Berechnungen der Bevölkerungsentwicklung für die Region sich „in aufsteigender Linie“220 befanden. Es sei dennoch vor zu viel Investitionsgeist zu warnen, da die Schwankungen im Geschäftsgang der Industriebetriebe sich sehr schnell in der Einwohnerzahl niederschlagen würden und damit etwa der Bedarf an Wohnraum zurückgehe oder das Risiko der Zahlungsunfähigkeit eintrete.221 Die Kreditgenossenschaft hatte im Vorjahr entsprechende Voraussetzungen geschaffen, um überhaupt in diesem Geschäftssegment Fuß fassen zu können. Zunächst hatte die Generalversammlung den § 35 der Satzung dahingehend geändert, dass die Kreditlinie pro Mitglied auf 20.000 Mark heraufgesetzt wurde. Zugleich bestimmte die Generalversammlung, dass die Beleihung von Grundstücken und Gebäuden künftig bis zu zwei Dritteln beziehungsweise 66 Prozent des Wertes möglich seien sollte – bis dahin hatte der Wert des beliehenen Grundstückes oder Gebäudes zwei Mal so hoch sein dürfen wie die Darlehnssumme. Die Zinsen für Hypotheken wurden auf vier Prozent festgelegt.222 Das Realkreditgeschäft lief gut an. Der Revisor Rieder kam in seinem Revisionsbericht 1911 zu dem Ergebnis, dass wegen „reger“ Bautätigkeit in Dieringhausen höhere Abhebungen von Kunden vorgenommen wurden, aber auch höhere Kredite durch die Genossenschaft gewährt wurden, sodass die Genossenschaft „gezwungen“ gewesen sei, einen Bankkredit der Zentralkasse in Anspruch zu nehmen.223 Mehr noch, Rieder empfahl „in nächster Zeit die Ge­ schäfte weniger zu forcieren“224 und stärker auf die Liquidität der Genossenschaftsbank zu achten. Bis dahin war die Dieringhausener Kreditgenossenschaft äußerst selten in der Situation gewesen, Anleihen bei der Zentralkasse aufnehmen zu müs217 1896: 2; 1897: 1; 1898: 3; 1899: 2; 1900: 2; siehe AdVBO, Bestand RB Wiehl, 73-1, Spar- und Darlehenskasse eGmuH zu Dieringhausen, VS-Protokolle von 1895 bis 1900. 218 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 73-1, VS-Protokolle vom 21. Juni und 19. Juli 1907. 219 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 134-4, Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Dieringhausen, GVProtokoll vom 7. Mai 1905. 220 Ebd. 221 Ebd. 222 Ebd. 223 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 74-2, Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Dieringhausen, Revisionsbericht 1911. 224 Ebd.

2. Das Aktivgeschäft

335

sen. Die Genossenschaft hatte Ende 1911 26.399 Mark Schulden bei der Zentralkasse. Das Betriebskapital bestand in der Regel aus Spareinlagen.225 Schon der Genossenschaftstag zu Neustadt 1895 hatte als ‚Goldene Regel‘ festgelegt, dass auf das „richtige Verhältnis zwischen dem fremden Kapital, welches eine Genossen­ schaft in ihren Geschäften verwendet, und ihrem eigenen Vermögen“ zu achten sei, zumal dies die „notwendige Grundlage für eine solide Geschäftsführung“226 bilde. Dieses Verhältnis sei zugleich ein Schutzinstrument „gegen die Gefahr persönli­ cher Heranziehung der einzelnen Genossen“.227 Die Empfehlung des Genossenschaftstages lautete daher: Die Genossenschaften „sollten ein größeres Gewicht“ auf die Einhaltung der nach § 47 GenG der Generalversammlung obliegenden Festsetzung (1.) des Gesamtbetrages für Anleihen und Spareinlagen und (2.) der Grenzen in der Kreditgewährung legen.228 Einen ähnlichen Hinweis formulierte zum Beispiel auch der Kölner Verband an seine Mitglieder: „Eine Genossenschaft, die selbst kein Vermögen besitzt, kann auch anderen nichts leihen – ohne nennenswerte Kreditwürdigkeit kann sie kein Geld von den Bäumen schütteln, der allgemeine Geldmarkt bleibt ihr verschlossen“.229 Das Verhältnis sollte jedes Jahr nach den Kenntnissen der aktuellen Vermögensbilanz und unter Berücksichtigung „aller ein­ schlägigen Verhältnisse“230 und nach der Vermögenslage nicht nur der Genossenschaft, sondern auch der Einzelmitglieder neu beraten und beschlossen werden.

225 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 74-2, Revisionsbericht 1908. 226 Reichsverband der deutschen landwirtschaftlichen Genossenschaften – Raiffeisen: Taschenbuch (1931), S. 469 f. – Der Genossenschaftstag zu Swinemünde 1909 fasste in diesem Zusammenhang folgenden Beschluss: „Aus rechtlichen, wirthschaftlichen und genossenschaftlichen Gründen ist es eine unabweisbare Pflicht der ländlichen Genossenschaften, auf eine angemes­ sene Stärkung des eigenen Kapitals durch Erhöhung der Genossenschaftsanteile und gestei­ gerte Ansammlung von Reserven hinzuarbeiten“. Siehe Beschluss des Genossenschaftstages zu Bonn 1903 über die Gewinn- und Verlustrechnung und Stärkung der Reserven zum Ausgleich etwaiger Unterbilanzen, ebd., S. 474. 227 Ebd., S. 469. 228 Ebd.; vgl. auch Stärkung der Liquidität der Genossenschaften durch Erhöhung des eigenen Betriebskapitals, in: RhGbl. vom 31. Januar 1910, S. 9. 229 Ebd. 230 Reichsverband der deutschen landwirtschaftlichen Genossenschaften – Raiffeisen: Taschenbuch (1931), S. 469.

336

VIII. Die Geschäftstätigkeit

Tabelle 28: Entwicklung des Betriebskapitals (Eigenkapital und Fremdkapital) und Einlagen (in Mark) bei der Zentralkasse der Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Dieringhausen (1903–18) Depositen bei Hauptgenossenschaftskasse Bonn

EigenkapitalI (Reservefonds, Geschäftsguthaben der Mitglieder, Betriebsrücklagen)

Fremdkapital (Spareinlagen, Guthaben in laufender Rechnung; ohne Anleihen bei Zentralkasse)

1903

5.065,02

15.809,80

365.439,37

1904

5.243,82

16.314,81

k.A.

1905

6.381,25

19.936,04

518.858,64

1906

6.626,18

23.452,05

634.069,41

1907

6.893,86

26.667,99

697.591,43

1908

41.440,90

31.593,96

776.548,85

1909

51.077,40

36.444,41

872.664,18

1910

52.902,40

41.179,92

966.021,70

1911

54.770,16

46.661,50

973.322,12

1912

-

52.067,67

1.099.134,65

1913

-

56.355,78

1.227.663,73

1914

-

60.512,54

1.333.688,33

1915

650,00

65.730,90

1.321.789,00

1916

635,57

69.394,74

1.446.897,43

1917

1.022.227,38

79.431,52

1.991.639,16

1918

568.428,53

84.379,37

2.566.728,86

I Den

Begriff des Eigenkapitals kannte das Genossenschaftsgesetz so nicht. Es wurde unterschieden zwischen Stammkapital (Geschäftsanteil und Geschäftsguthaben der Mitglieder) und Zusatzkapital (Reservefonds und sonstige Vermögen). Es war auch vom „Vermögen der Genossenschaft“ die Rede. Siehe hierzu Obst: Bankbuchhaltung, S. 4 f. Das Eigenkapital bildete neben dem Betriebskapital auch das Garantiekapital, was bei den Genossenschaften aufgrund der Rechtsform der eGmuH eine untergeordnete Rolle spielte. Fremdes Kapital erhielten die Genossenschaften grundsätzlich durch Depositen- und Kontokorrentgelder. Das Verhältnis von Eigen- zu Fremdkapital lag vor dem Ersten Weltkrieg bei der Deutschen Bank bei 14 Prozent Eigenkapital und 86 Prozent Fremdkapital, bei der Dresdner Bank bei 16,9 Prozent zu 83,1 Prozent. Vgl. Citron: Reichsgesetz, S. 601 f. Quelle: LA NRW Düsseldorf, Rep. 161 Nr. 182, Bilanzveröffentlichungen; LA NRW Düsseldorf, Rep. 161 Nr. 183, Bilanzveröffentlichungen.

Wichtige Grundlage neben der Nachfrage nach den Leistungen der Kreditgenossenschaft war für die Entwicklung der Genossenschaft insbesondere auch die sorgfältige und geschickte Geschäftsführung. Die Geschäftsführung der Spar- und Dar-

2. Das Aktivgeschäft

337

lehnskasse eGmuH zu Dieringhausen galt auch im Vergleich mit anderen Genossenschaften als eine „mustergültige“:231 Die Dieringhausener Kasse wurde am 25. September 1898 auf der Jahresversammlung des landwirtschaftlichen Vereins für Rheinpreußen – des Vereins nicht des Bonner Genossenschaftsverbandes – mit der bronzenen „Medaille für musterhafte Geschäftsführung“232 ausgezeichnet und erhielt neben einer Urkunde einen Geldpreis. Dies diente freilich der Auszeichnung der Geschäftsführung durch den Rendanten, lässt aber auch Rückschlüsse auf ein gutes Funktionieren der Zusammenarbeit der einzelnen Organe zu. Der Revisor Koch schrieb im Revisionsbericht 1910, dass er bei der abschließenden gemeinsamen Sitzung mit Vorstand und Aufsichtsrat nach der von ihm durchgeführten Prüfung den Eindruck gewonnen habe, dass die Mitglieder von Vorstand und Aufsichtsrat „harmonisch“ zusammenarbeiteten.233 Der Vorsicht beider Organe sei es zu verdanken, dass die Genossenschaft eine so „erfreuliche Entwicklung“ genommen habe.234 Vorstand und Aufsichtsrat kamen einmal pro Monat zur „gründlichen“235 Beratung der Kreditanträge zusammen. Vorstand und Aufsichtsrat erhielten hier – anders als bei anderen dem Bonner Verband angeschlossenen Kreditgenossenschaften – bis Anfang des 20. Jahrhunderts keine Aufwandsentschädigungen. Mitglieder hatten gegen die Zahlung einer solchen Vergütung protestiert.236 Die Tatsache, dass die Auszeichnung im Rahmen der Mitgliederversammlung des Landwirtschaftlichen Vereins erfolgte, unterstreicht die starke Verknüpfung zwischen Landwirtschaftlichem Verein und Genossenschaftsbewegung. An dieser Stelle viel wichtiger erscheint jedoch die Tatsache, dass die Geschäftsführung durch eine umsichtige, sorgfältige Geschäfts- und Buchführung die Basis für das enorme Wachstum der Genossenschaft schuf. Wiederholt attestierten die Revisoren der Genossenschaft eine „mustergültige“ Geschäfts- und Buchführung.237 Der Revisor Rieder schrieb etwa in seinem Bericht 1906: „Die Genossenschaft hat sich Dank der rührigen Tätigkeit der Verwaltungsorgane nicht zum wenigsten des Rendanten recht gut entwickelt und erfreut sich einer lebhaften Inanspruchnahme aller Mitglieder“.238 Aufgrund des gewachsenen Geschäftsumfangs empfahl der Revisor Koch in seinem Revisionsbericht über die Prüfung am 19. und 20. April 1910 die Einrichtung einer regelmäßigen Bonitätsprüfung der Darlehnsnehmer. Nach der Dienstan231 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 74-2, Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Dieringhausen, Revisionsbericht 1906. 232 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 134-4, Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Dieringhausen, GVProtokoll vom 23. Januar 1898; siehe auch Mahnung zu strenger ordnungsgemäßer Geschäftsführung, in: RhGbl. vom 31. Oktober 1910, S. 160. 233 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 74-2, Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Dieringhausen, Revisionsbericht 1910. 234 Ebd. 235 Ebd. 236 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 134-4, Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Dieringhausen, GVProtokoll vom 16. April 1899. 237 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 74-2, Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Dieringhausen, Revisionsberichte unter anderem 1906, 1908, 1911. 238 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 74-2, Revisionsbericht 1906.

338

VIII. Die Geschäftstätigkeit

weisung waren Vorstand und Aufsichtsrat zwar verpflichtet, einmal pro Monat die Kreditgesuche zu beraten, doch empfahl der Revisor darüber hinaus, die von den Schuldnern gegebenen Sicherheiten, das heißt die Verhältnisse der Schuldner und Bürgen, einmal jährlich zu überprüfen.239 Ähnliche Beschlüsse ergingen bereits einige Jahre zuvor: 1899 bildete man eine interne Kommission zur Prüfung der Kredit- und Bürgschaftslisten;240 1901 beschloss der Vorstand, dass der Rendant jeden September die Bürgschafts- und Kreditliste prüfen und dann den Vorstand und den Aufsichtsrat über diese Prüfung informieren solle.241 Grundsätzlich wurde bei der Dieringhausener Genossenschaftsbank um 1913 bei „jeder Kreditwährung der Aufsichtsrat gehört“,242 was die Geschäftsführung zusätzlich absicherte, zugleich aber auch auf eine starke Stellung des Aufsichtsrates hinweist.243 Aus den Protokollen geht hervor, dass Vorstand und Aufsichtsrat gemeinsam beschlossen, ob ein Kredit grundsätzlich gewährt werden sollte; die Konditionen beziehungsweise die Darlehnshöhe legte jedoch der Vorstand fest.244 Die Bedeutung dieser Kreditgenossenschaft innerhalb des Gummersbacher Kreises, aber auch unter den rheinischen, dem Bonner Verband angehörigen Genossenschaften kommt sicherlich auch darin zum Ausdruck, dass der Landrat regelmäßig als Gast an den Generalversammlungen teilnahm. Und auch Nikolaus Feldmann, Direktor der Bonner Zentralkasse, sollte 1904 hier einen Vortrag halten, den er allerdings aus Krankheitsgründen absagte.245 Insgesamt entwickelte sich die Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Dieringhausen bis 1914 zu einer Genossenschaftsbank: in ihrer „äusseren Entwicklung sowohl wie auch in ihrer inneren Fes­ tigung hat die Genossenschaft im letzten Jahre [1912; Anm. d. Verf.] einen merkli­ chen Aufschwung genommen“.246 1910 wurde zur Unterstützung des Rendanten ein Lehrling eingestellt.247 Die Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Dieringhausen war ab 1910 die ‚ländliche‘ Kreditgenossenschaft des Untersuchungsraumes mit dem größten Aktivgeschäft. Personalkredite ohne Bürgschaft spielten nun überhaupt keine Rolle mehr. Durch Hypothek gesicherte Darlehn hatten erheblich zugenommen, wobei nicht nur größere Summen, sondern auch kleinere Beträge von etwa 600 Mark hypothekarisch gesichert wurden, wenn die Bonität des Schuldners 239 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 74-2, Revisionsberichte 1910 und 1913. 240 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 73-1, Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Dieringhausen, VSProtokoll vom 10. Mai 1899. 241 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 73-1, VS-Protokoll vom 30. September 1901. 242 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 74-2, Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Dieringhausen, Revisionsbericht 1913. 243 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 74-2, Revisionsbericht 1923. Der Aufsichtsrat sollte innerhalb des Aufsichtsrates besondere Abteilungen bilden, um die Prüfung der einzelnen Geschäftszweige auf diese zu verteilen, was Risiken minimieren und die Effizienz steigern sollte. 244 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 73-5, Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Dieringhausen, VSProtokoll vom 2. Mai 1909. Beschluss über die Vorgehensweise bei der Kreditgewährung. 245 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 134-4, Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Dieringhausen, GVProtokoll vom 5. Mai 1904. 246 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 74-2, Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Dieringhausen, Revisionsbericht 1913. 247 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 73-5, Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Dieringhausen, VSProtokoll vom 29. November 1910.

2. Das Aktivgeschäft

339

dies erforderte. Die erste Kautionshypothek wurde im Dezember 1898 über 250 Mark an einen Dieringhausener Fabrikarbeiter vergeben.248 Danach folgten regelmäßig, wenn anfänglich auch noch vereinzelt, auch höhere Darlehn gegen Sicherungshypothek. Die wohl höchste hypothekarisch gesicherte Summe überhaupt – 21.000 Mark – erhielt im November 1913 Dr. Sxxxxxxxxx zur Finanzierung zweier Wohnhäuser und eines Baugrundstückes.249 Neben der Lage des Sitzes der Genossenschaft im Verkehrs- und Wirtschaftsraum, der sehr offensichtlich engagierten Geschäftsführung, dem Installieren von über die Vorgaben der Satzung hinausgehenden Sicherungsinstrumenten, wie etwa der Wahl von zusätzlichen Vertrauensmännern und der stets gemeinsamen Überprüfung von Kreditanträgen durch Vorstand und Aufsichtsrat, war sicherlich für das erhebliche Wachstum der Genossenschaft auch die regelmäßige Revision beziehungsweise die Beachtung der vom „Verband angeregten Maßnahmen“250 durch die Geschäftsführung enorm wichtig. Ein kurzer Ausblick zeigt, dass mit dem starken Ansteigen der Einlagen während des Ersten Weltkrieges und dem erheblichen Rückgang der Nachfrage nach Darlehn, das Betriebskapitel der Genossenschaft erheblich wuchs. Die Zunahme der Sparbücher, verschiedene Hinterlegungen von (Wert-) Papieren sowie die Vielzahl der Unterlagen, die bei der Geschäftsführung anfielen, führten 1917 dazu, dass die Kassenschränke laut Revisor nicht mehr ausreichend waren. Die Empfehlung lautete daher, „größere, abschließbare“ Schränke zu beschaffen, besser noch „ei­ nen geeigneteren Platz“ zu suchen und die Geschäftsräume dorthin zu verlegen.251 Der Bau eines eigenen Geschäftsgebäudes wurde jedoch durch den Ersten Weltkrieg und die Inflation zunächst verhindert, sodass der Revisor 1921 nochmals darauf hinwies, dass der Genossenschaftsbetrieb sich „in den letzten Jahren auf der bankmäßigen Seite“252 so fortentwickelt habe, dass das Büro und die Aufbewahrungsmöglichkeit zu klein seien, die Registratur nicht mehr ausreiche und er daher auch empfehlen würde, eine Schreibmaschine anzuschaffen.253 In den Kriegsjahren nahmen also die Umsätze in allen Geschäftszweigen „gewaltig“254 zu. 1919 schrieb der Revisor Bruns: Aufgrund immer noch verhältnismäßig hoher Verwaltungskosten und unrentabler Diskontierung von Krediten hatte mit dieser allgemein positiven Entwicklung „nur der jährliche Reingewinn […] nicht Schritt gehalten“;255 die „Genossenschaft nimmt am Umfang sehr schnell zu“.256 Der Umsatz belief sich 1919 auf 20 Mio. Mark – Posten unter 100 Mark seien die Ausnahme, so Koch.257 Die Inflation nahm der Revisor bei der Beurteilung offensichtlich noch nicht wahr. Probleme ergaben sich seit 1917 zunehmend wegen der hohen Einzelbeträge, wel248 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 73-1, VS-Protokoll vom 2. Dezember 1898; Kautionshypotheken wurden bei der Auswertung den ‚normalen‘ Hypothekarkrediten angerechnet. 249 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 73-1, VS-Protokoll vom 25. November 1913. 250 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 74-2, Revisionsbericht 1919. 251 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 74-2, Revisionsbericht 1917. 252 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 74-2, Revisionsbericht 1921. 253 Ebd. 254 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 74-2, Revisionsbericht 1919. 255 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 74-2, Revisionsbericht 1917. 256 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 74-2, Revisionsbericht 1919. 257 Ebd.

340

VIII. Die Geschäftstätigkeit

che die Genossenschaftsbank einigen Mitgliedern überlassen hatte, beziehungsweise aus der veränderten Vermögenslage vieler Schuldner; bis 1919 hatte sich bedingt durch den Ersten Weltkrieg die Vermögenslage mancher Schuldner erheblich geändert.258 Der Revisor empfahl daher, unbedingt anhand der Kontoauszüge regelmäßig sämtliche Außenstände zu überprüfen und zu kontrollieren, ob alle Dokumente (Schuldurkunden, Kontoanerkenntnisse etc.) vorhanden waren, um gegebenenfalls rechtliche Schritte einleiten zu können.259 e) Beispiel 5: Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Derschlag Nur rund acht Kilometer weiter westlich von Dieringhausen ebenfalls im Aggertal wurde 1905 die Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Derschlag unter Beteiligung des Landrates Kirschstein gegründet.260 Der Geschäftsbezirk umfasste – wie auch bei der Dieringhausener Kreditgenossenschaft – einen Radius von acht Kilometern und überschnitt sich damit in weiten Teilen mit dem Geschäftsbezirk der Dieringhausener Kasse. Die Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Derschlag gehörte, wie auch die Dieringhausener Genossenschaft, dem Bonner Verband an, das heißt Grundlage waren in beiden Fällen das Musterstatut sowie die Mustergeschäftsordnung des Bonner Verbandes. In Dieringhausen hatte man bis 1905 relativ wenige Modifikationen an dem Musterstatut vorgenommen, sodass die Statuten beider Genossenschaften 1905 sehr ähnlich waren. Im Raum Gummersbach wurden zwischen 1860 und 1880 rund 20 neue industrielle Unternehmen angesiedelt. Neben den Standorten Kloster, Friedrichsthal und Derschlag entstanden vor allem in Niederseßmar, Mühlenseßmar, Vollmershausen und Gummersbach-Stadt überregional bedeutende Industriestandorte. Den Einwohnern des Kirchspiels Gummersbach und umliegender Ortschaften sagte man bereits um 1800 eine ausgesprochene „Händlermentalität“261 nach. Carola Beate Padtberg etwa interpretiert die Aussagen J. F. F. Steinens, der 1856 unter anderem das Kirchspiel Gummersbach beschrieb, so, dass hier „wegen der kargen Böden […] als notwendige Überlebensstrategien […] viele Einheimische geschäftstüchti­ ger als anderenorts aufgetreten“262 seien. Das protestantische Arbeitsethos wirkte hierbei verstärkend.263 Derschlag lag in der Bürgermeisterei Gummersbach nicht unweit der Stadt Bergneustadt.264 Seit circa 1845 siedelten in Derschlag mehrere Fabriken (Textilindustrie) an, unter anderem hatten Unternehmerfamilien aus (Berg-) Neustadt hier Betriebsstätten errichtet.265 Die Erwerbsstruktur in Derschlag war vor allem handwerklich-gewerblich geprägt, das nahegelegene Berg258 259 260 261 262 263 264 265

AdVBO, Bestand RB Wiehl, 74-2, Revisionsbericht 1917. Ebd. AdVBO, Bestand RB Wiehl, 77-6, Gründungsprotokoll vom 30. März 1905. Padtberg: Wirtschaftsgeschichte, S. 48. Ebd. Ebd. Adressbuch für die Kreise Gummersbach, Waldbröl und Wipperfürth (1911), S. 11. Padtberg: Wirtschaftsgeschichte, S. 142–147.

341

2. Das Aktivgeschäft

neustadt und auch die umliegenden Ortschaften wiesen einen hohen Arbeiteranteil auf.266 Die pro Jahr getätigten Spareinlagen blieben etwas hinter denen der Dieringhausener Kasse zurück, obwohl beide Genossenschaften aktiv unter anderem unter den Arbeitern warben. Das Eigenkapital der Genossenschaft nahm dagegen eine nahezu exponentielle Entwicklung. Die Thesaurierung des Gewinns wurde bis 1907 gehemmt, da aus dem Gewinn das Gehalt des Rendanten – zwei Prozent des Umsatzes – gezahlt werden musste. Erst für 1908 wurde dem Rendanten ein den Verhältnissen des Unternehmens entsprechendes Fixum von 3.000 Mark vergütet.267 Tabelle 29: Entwicklung der Mitgliederzahl, des Eigenkapitals und der Spareinlagen (in Mark) der Spar-und Darlehnskasse eGmuH zu Derschlag (1905–14/18) Mitglieder

Eigenkapital

EigenkapitalquoteI

Spareinlagen bei der GenossenschaftII

1905

141

2.414

3,01

43.793

1907

218

4.786

1,62

164.648

3,10

236.635

1906 1908 1909 1910 1911

1912 1913 1914 1918

187 234 260

3.488 6.743

11.287

257

15.070

280

20.900

265 273 279

17.262 26.477 30.197 43.360

1,28 1,90 4,19 4,19 4,36 5,31 5,99 3,71

Gesamtumsatz 712.156

91.601

2.576.846

221.282

3.856.758

282.331 317.832 343.372 366.705 354.871

3.802.808 4.043.872 3.572.540 3.956.732 4.439.141 5.246.918 4.194.814 7.052.630

‚Behelfskennzahl‘: (100 x Eigenkapital)/Summe der Passiva. Am Ende des Geschäftsjahres; ohne Einlagen auf Konten in laufender Rechnung. Quelle: Reichsverband: Jahrbücher. I

II

266 Siehe etwa Adressbuch für die Kreise Gummersbach, Waldbröl und Wipperfürth (1911). 267 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 76-8, Revisionsbericht 1908. Laut Revisionsbericht war der Reingewinn im Verhältnis zum Geschäftsumfang „noch gering. Es ist dies auf die hohen Bankzin­ sen und hohe Verwaltungskosten zurückzuführen“. Schon im „vorherigen Revisionsbericht“, so der Revisor, habe er „darauf hingewiesen, dass der hohe Modus der Bezahlung des Rendan­ ten nach Umsatz unrichtig ist. Ich empfehle vielmehr die Festsetzung eines Fixus und daneben geringe prozentuale Beteiligung am Reingewinn“. Diese Vorschläge seien von Vorstand und Aufsichtsrat „stillschweigend gutgeheißen“ worden. Zudem sollte ein Lehrling eingestellt werden, der 150 Mark erhalten sollte. Der Aufsichtsrat setzte offensichtlich das Gehalt des Rendanten auf 3.000 Mark fest und stellte eine Beteiligung am Reingewinn in Aussicht. „Der Rendant hatte aber mittlerweile in der unrichtigen Annahme, dass eine Aenderung in der Be­ rechnung des Gehaltes nicht eintreten würde, den früheren Berechnungsmodus – 2% vom Um­ satz – in Anwendung gebracht“. Die zu viel entnommenen 600 Mark müssten, so der Revisor, „selbstverständlich von dem Rendanten zurückerstattet werden […] 3000 Mark [seien] immer noch reichlich bemessen“.

342

VIII. Die Geschäftstätigkeit

Abbildung 14: Entwicklung der Umsätze (in Mark) der Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Derschlag im Vergleich mit der Entwicklung des Umsatzes der Sparund Darlehnskasse eGmuH zu Dieringhausen (1896–1918)

Quelle: Reichsverband: Jahrbücher.

Beim Vergleich der Umsätze der Derschlager Kasse mit denen der Dieringhausener Kasse fällt auf, dass die Derschlager Kreditgenossenschaft bereits unmittelbar nach der Gründung hohe Umsätze verzeichnete. Dies ist zum einen auf die relativ hohen Bankkredite bei der Zentralkasse zurückzuführen, das heißt wie auch etwa die Wipperfelder Kreditgenossenschaft wartete die Geschäftsführung nicht erst, bis etwa durch Spareinlagen ausreichend Betriebskapital angesammelt worden war, bevor erste Darlehn vergeben wurden. Stattdessen nahm die Genossenschaft Anleihen bei der Zentralkasse auf, um umgehend Anfragen bedienen zu können. Der Revisor Kurtz schrieb in diesem Zusammenhang in seinem Bericht 1907: „Die Genossen­ schaft hat sich über erwarten gut entwickelt. Allerdings musste hier der Bankkredit mehr als bei anderen Genossenschaft in Anspruch genommen werden. Zu meiner Freude konnte ich aber konstatieren, dass es eine der Hauptbestrebungen der Ver­ waltungsorgane ist, möglichst viele Betriebsmittel im eigenen Bezirk durch An­ sammlung von Spareinlagen aufzubringen. So haben auch die Spareinlagen schon eine beachtliche Höhe erreicht“.268 Ende 1906 waren 209 Sparbücher ausgegeben; die Einlagen beliefen sich auf 91.601 Mark.269 Zum anderen ist dieser schnelle Anstieg des Umsatzes auf das umfangreiche Diskontieren von Wechseln, das die Genossenschaft seit Geschäftsbeginn betrieb, zurückzuführen. Das Wechselgeschäft nahm bis 1914 eine zentrale Rolle in der Geschäftspolitik der Genossenschaft ein. Im zweiten Geschäftsjahr stellte der Vorstand bereits Anträge für Darlehn auf Schuldschein und Hypothek zurück, da das Geld – so die Geschäftsführung – in laufender Rechnung und im Wechseldiskont dringender gebraucht wurde 268 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 76-8, Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Derschlag, Revisionsbericht 1907. 269 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 77-6, Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Derschlag, GV-Protokoll vom 24. März 1907.

2. Das Aktivgeschäft

343

und die Zinserträge bei Schuldschein- und Hypothekarkrediten zu niedrig seien.270 Offensichtlich lenkte aber auch der Verband die Geschäftsführung dahin, das Geschäft mit Hypothekarkrediten einzuschränken. Zwar wurde diese Anregung in den Revisionsberichten mit der Liquidität der Genossenschaft selbst begründet, doch ist zu vermuten, dass der Verband damit die Konkurrenz zwischen der Derschlager und der Dieringhausener Kasse, die inzwischen immer umfangreichere Hypothekarkredite vergab, zu drosseln versuchte.271 Die Derschlager Kreditgenossenschaft hatte sich also – oder wurde vonseiten des Verbandes dahin gelenkt – unmittelbar nach der Gründung eine Nische gesucht beziehungsweise war bereits mit dieser geschäftlichen Ausrichtung gegründet worden: das Wechselgeschäft: „Neben den sonstigen bekannten Kreditgeschäften pflegt die Verwaltung insbesondere das Wechselgeschäft, anscheinend auch mit Erfolg“,272 so das Ergebnis der Revision 1906. Den Umsatz für 1906 zeigt die Tabelle 30, woraus nicht nur der hohe Umsatz im Wechselverkehr deutlich wird, sondern zudem auch ein hoher Umsatz im Kontokorrentgeschäft. Tabelle 30: Umsatz der Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Derschlag (1906; in Mark) Kasse Konten in laufender Rechnung Bankkonto (Zentralkasse) Spareinlagen Wechselkonto Darlehn

Soll

446.336,85

Haben

451.526,92

Soll

317.303,53

Haben

227.438,43

Soll

134.912,10

Haben

230.428,61

Soll

24.800,83

Haben

72.618,61

Soll

271.334,68

Haben

206.596,40

Soll Haben

54.801,87 6.530,75

Quelle: AdVBO, Bestand RB Wiehl, Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Derschlag, 77-6, GV-Protokoll vom 24. März 1907.

Die Musterdienstanweisung des Bonner Verbandes kannte im Wechselgeschäft folgende Regeln: Wechsel durften grundsätzlich nur dann diskontiert werden, wenn 270 Ebd. 271 Siehe etwa AdVBO, Bestand RB Wiehl, 76-8, Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Derschlag, Revisionsbericht 1907. 272 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 76-8, Revisionsbericht 1906.

344

VIII. Die Geschäftstätigkeit

die Betriebsmittel ausreichend vorhanden waren. Es durften ausschließlich Geschäftswechsel diskontiert werden, die, wie gewöhnlich, nicht länger als drei Monate laufen sollten. Jeder Wechsel hatte drei Unterschriften zu tragen, zwei der Unterzeichner hatten den Vorstandsmitgliedern „gut bekannt“273 zu sein. Der Diskontant sollte Mitglied der Genossenschaft sein. Nicht akzeptierte Wechsel (Tratten) durften nicht diskontiert werden, allerdings eingezogen werden. Zur Absicherung der Genossenschaft diente insbesondere auch die Regelung, dass Platzwechsel, also nicht am Ort des Sitzes der Genossenschaft zahlbare Wechsel, an die Zentralkasse zu schicken waren, wenn nicht „gerade der Genossenschaft eine günstigere sichere Einziehung derselben geboten“274 wurde. Der Wechsel war gemäß der von der Zentralkasse Bonn herausgegebenen Anweisungen so zeitig zu übersenden, dass „dieser mindestens 10 Tage vor Verfall“275 eintraf. Die Höhe des Diskonts war „von Zeit zu Zeit“276 von Vorstand und Aufsichtsrat festzusetzen. Bis zu einem Betrag von 1.000 Mark durfte der Vorstand laut Musterdienstanweisung, die in modifizierter Fassung auch für die Derschlager Kasse verbindlich war, selbstständig agieren – bei höheren Beträgen musste die Genehmigung des Aufsichtsrates erfolgen.277 In einer gemeinsamen Sitzung des Revisors Peter Kerp und der Mitglieder des Vorstandes und Aufsichtsrates am 15. April 1905, unmittelbar nach der Gründung der Genossenschaft, erklärte der Revisor zunächst die Dienstanweisung und Geschäftsordnung. Danach änderte man die Musterdienstanweisung in Abschnitt X: Gestrichen wurde Satz 5 (Mindestumsatz auf Konten in laufender Rechnung) sowie die zweite Zeile in Satz 7 (Verantwortung des Rendanten für die Überwachung des Mindestumsatzes). Darüber hinaus änderte man den Absatz XII, der die wesentlichen Bestimmungen über das Wechselgeschäft enthielt: „Es dürfen nur und inso­ fern die Betriebsmittel es gestatten Geschäftswechsel discontiert werden, dieselben sollen gewöhnlich nicht länger als 3 Monate laufen und 2 Unterschriften tragen, die den Vorstandsmitgliedern als g u t bekannt sein müssen. Dasselbe gilt für Trat­ ten. Absatz 3 wird gestrichen“.278 Am 9. Mai 1905 nahm man weitere kleinere Änderungen vor.279 Das Wechselgeschäft wurde bei allen Verbänden kritisch gesehen, jedoch war die Haltung des Bonner Verbandes diesbezüglich besonders zweckorientiert. In der Anleitung zur Geschäfts- und Buchführung der Raiffeisen-Vereine, Auflage 1906, 273 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 96-15, Spar und Darlehnskasse eGmuH zu Dieringhausen, Dienstanweisung und Geschäftsordnung, um 1912 (Vordruck des Verbandes rheinpreußischer landwirtschaftlicher Genossenschaften Bonn), S. 12. 274 Ebd., S. 13. 275 Ebd., S. 12 f. 276 Ebd., S. 13. 277 Ebd., S. 12 f.; AdVBO, Bestand RB Wiehl, 78-1, Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Derschlag, VS- und AR-Protokoll vom 15. April 1905. 278 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 78-1, VS- und AR-Protokoll vom 15. April 1905 [Hervorhebung im Original]. Zudem änderte man Abschnitt XIV Ziffer 1, wonach Interims-Quittungen für Spareinlagen unter drei Mark ausgegeben wurden; siehe auch ebd., VS- und AR-Protokoll vom 9. Mai 1905. 279 Ebd.

2. Das Aktivgeschäft

345

hieß es: „Des Wechselverkehrs sollen sich die Raiffeisen­Vereine vollständig ent­ halten, auch liegt die Befassung mit Wechselgeschäften außer ihrem statutenmäßi­ gen Geschäftskreise“.280 Trotz der Gefahren, die im Wechselgeschäft lägen, würde es sich jedoch gerade in „Industriegegenden“ nicht immer vermeiden lassen, diesen Geschäftszweig zu bedienen.281 In der Auflage von 1913 hatte der Verband seine Ansichten ‚liberalisiert‘ beziehungsweise passte sie weiter den bankmäßigen Bedürfnissen, nun auch verstärkt der ländlichen Bevölkerung, an: „Der Spar­ und Darlehnskassen­Verein soll den Bedürfnissen aller Bewohner des Vereinsbezirkes gerecht werden, es jedem möglich machen, seine Geldgeschäfte mit ihm abzuwickeln“.282 Weiter heißt es: „Er ist deshalb gezwungen, seinen Geschäftsbe­ trieb nach Möglichkeit den Bedürfnissen der Einwohner anzupassen. In industriel­ len und solchen Gebieten, in denen sich die Mitglieder der Vereine zum Teil aus Gewerbetreibenden zusammensetzen, kann es empfehlenswert, ja notwendig sein, daß die Genossenschaft auch den Wechselverkehr pflegt, wenn sie nicht auf die Mitgliedschaft eines Teiles der Bewohner im Vereinsbezirk verzichten will“.283 Hier stellt sich die Frage – unter Hinweis darauf, dass es sich um überregionale, deutschlandweit vertriebene Handbücher handelte –, inwieweit der Raiffeisen-Verband hier nur rein auf die veränderten Bedürfnisse von Mitgliedern in stärker gewerblich-industriellen Räumen einging, oder inwieweit es sich um eine Modifikation in Reaktion auf die weitaus rationaleren, ‚universalbankmäßigen‘ Kreditgenossenschaften einiger dem Reichsverband angeschlossener Regionalverbände, wie dem Bonner Verband, handelte. Mehr noch ist fraglich, inwieweit der 1905 eingegangene Zusammenschluss der Raiffeisen-Organisation mit dem Reichsverband sich hier niederschlug. Der Raiffeisen-Verband schlug folgende Methode zur Annahme von Wechseln vor, das heißt wenn nun Wechselgeschäfte ‚nicht zu umgehen‘ waren: Grundsätzlich war hierbei jeder Verstoß gegen das Statut zu vermeiden. „Das betreffende Mitglied, das durch seinen Geschäftsbetrieb zur Annahme von Wechseln gezwun­ gen ist, erwirbt […] einen Kredit in laufender Rechnung; erhält es von einem Kun­ den einen Wechsel in Zahlung, so gibt es diesen dem Verein zur Einziehung und nimmt dafür, sofern und insoweit es nötig ist, den Betrag in bar von seinem Kredit in laufender Rechnung beim Verein, der den Kontoinhaber dafür belastet und dann beim Eingang der Wechselsumme dafür entsprechend erkennt. Auf diese Weise dürfte dem Mitgliede gedient sein, und der Verein übernimmt nicht die Gefahr des Wechselverkehrs, die vielmehr gänzlich von dem Mitgliede zu tragen ist. Damit soll der Wechselverkehr in den bezeichneten Grenzen den Vereinen aber keineswegs empfohlen, sondern nur ein Verfahren gezeigt werden, das unter besonderen Ver­ hältnissen in Ausnahmefällen angewendet werden kann“.284 280 Generalverband der deutschen Raiffeisen-Genossenschaften: Anleitung (1906), S. 78. 281 Ebd. – Daneben – jedoch nicht zu verwechseln – der Wechselverkehr mit der Zentralkasse, die insbesondere bei einer hohen Geldnachfrage den Wechselkredit der Preußischen Zentral-Genossenschaftskasse in Anspruch nahm. 282 Generalverband der deutschen Raiffeisen-Genossenschaften: Anleitung (1913), S. 64. 283 Ebd., S. 64 f. 284 Generalverband der deutschen Raiffeisen-Genossenschaften: Anleitung (1906), S. 78. – Diese

346

VIII. Die Geschäftstätigkeit

Als man am 15. Mai 1908 bei der Derschlager Kasse die Grenze für die Spareinlagen und Anleihen bei der Zentralkasse auf 500.00 Mark festgesetzt und die Höchstgrenze für Kredite je Mitglied auf 20.000 Mark, empfahl der Revisor, ebenfalls eine Höchstgrenze für Kredite im Wechselverkehr festzulegen.285 Schwierigkeiten in diesem Geschäftssegment entstanden zunehmend aufgrund der Komplexität des Wechselgeschäftes. Der Revisor stellte wiederholt größere Differenzen in den Büchern fest. Er mahnte abermals die Geschäftsführung zur Vermeidung solcher Fehler und empfahl dringend, ein Wechselobligo anzulegen: „Obgleich auf diese Einrichtung in den Revisionsberichten von 1906 und 1907 hingewiesen wor­ den ist, wurde mit dieser Kontrolleinrichtung noch nicht begonnen. Ich verkenne durchaus nicht die Arbeit, die diese Einrichtung verursachen wird“.286 Weiter hieß es: „diese Einrichtung“ sei ein „sehr wesentliches Mittel zur Gesundhaltung der, wie diese Kasse, grossen Wechselverkehr pflegenden Genossenschaften“.287 Der Rendant gestand 1908 gegenüber dem Revisor, dass er „bei einzelnen Personen in der Wechselannahme etwas zuweit gegangen sei“.288 In der Annahme von Wechseln wurde bei der Derschlager Kasse dem Rendanten durch Vorstand und Aufsichtsrat „völlig freie Hand gelassen“,289 was, verursacht durch wiederholte Fehler, den Revisor 1910 dazu veranlasste, darauf hinzuweisen, dass die „Befugnisse des Vorstandes, besonders die des Rendanten für die Diskontierung enger gezogen werden“290 müssten. „Wechselverkehr: Unsere Kasse arbeitet viel mit gutsituier­ ten Handwerkern, die neben ihrem Handwerk auch Kleinhandel betreiben, z.B. Ei­ senwaren­, Fahrradhandel etc. Diese sind bei der scharfen Concurrenz gezwungen ihre Waren häufig gegen Ratenzahlung abzusetzen. Um sich nun bei nicht pünktli­ cher Einhaltung des Zieles zu sichern, nehmen sie Wechsel auch von kleinen Beträ­ gen in Zahlung und bereiten dadurch einen indirecten Druck auf ihre Kundschaft. Der Aufsichtsrat hält es daher nicht für richtig von dieser Gepflogenheit, kleine Wechsel auch zu diskontieren, abzugehen“,291 so der Aufsichtsrat 1910. Grundsätzlich entsprach also das Wechselgeschäft den Bedürfnissen der Einwohner ihres Geschäftsgebietes, was sich an der Erwerbsstruktur ablesen lässt. „Ob aber eine se­ gensreiche Arbeit darin erblickt werden kann, wenn Wechsel unter M 20,- ja sogar

285

286 287 288 289 290 291

Vorgehensweise („Wechselinkasso“) wurde auch noch in der Auflage von 1913 empfohlen. Siehe Generalverband der deutschen Raiffeisen-Genossenschaften: Anleitung (1913) , S. 64 ff. AdVBO, Bestand RB Wiehl, 75-7, Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Derschlag, Verwaltungsstatistik 1911; AdVBO, Bestand RB Wiehl, 77-6, Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Derschlag, GV-Protokoll vom 15. Mai 1908; AdVBO, Bestand RB Wiehl, 76-8, Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Derschlag, Revisionsbericht 1909. AdVBO, Bestand RB Wiehl, 76-8, Revisionsbericht 1908. Ebd. Ebd. Ebd.; AdVBO, Bestand RB Wiehl, 78-1, Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Derschlag, VSund AR-Protokoll vom 9. Mai 1905. AdVBO, Bestand RB Wiehl, 76-8, Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Derschlag, Revisionsbericht 1910. AdVBO, Bestand RB Wiehl, 78-1, Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Derschlag, AR-Protokoll vom 19. Mai 1910.

2. Das Aktivgeschäft

347

von M 8,– diskontiert werden, möchte ich bezweifeln“,292 so der Revisor Koch in seinem Prüfungsbericht 1910. Der Geschäftsbetrieb wurde mit Ausbruch des Ersten Weltkrieges, vor allem aber ab 1915/16, insgesamt „wesentlich ruhiger“, was sich „namentlich im Kreditverkehr sehr bemerkbar“ machte.293 Das Wechselgeschäft der Derschlager Genossenschaft verlor „sehr an Bedeutung“.294 Dies schlug sich auch im Umsatz der Kasse nieder. Wie bereits dargestellt, vergab die Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Derschlag neben dem Wechselgeschäft, womit die Verwaltung der Genossenschaft offensichtlich eine große Nachfrage bediente und entsprechend eine Nische gefunden hatte, auch Personalkredite und Hypothekarkredite. Reine Personalkredite ohne Bürgschaft konnten nicht festgestellt werden. Wie auch Guinnane für den Fall Oberdrees bei Rheinbach (Eifel) konstatiert, wo zwei Brüder gegenseitig für jeweils ein Darlehn von 50 Mark bürgten,295 war es bei der Derschlager Kasse in den ersten zwei Geschäftsjahren immer wieder vorgekommen, dass Mitglieder gegenseitig bürgten: Im Juni 1905 wurden drei Darlehnssuchenden je 5.000 Mark bewilligt, wobei jeweils zwei Mitglieder für das dritte bürgten.296 Hin und wieder, so etwa im Frühjahr 1905, in der zweiten Hälfte des Jahres 1906 und wiederholt im Jahr 1912 wurden Darlehn auch durch Verpfändung von Sparbüchern oder Lebensversicherungen abgesichert, was weniger in betriebswirtschaftlichen oder konjunkturellen Ursachen begründet war, als vielmehr in der jeweils persönlichen Situation der Darlehnsnehmer. Personalkredite mit Bürgschaft wurden kontinuierlich beantragt und gewährt – zwischen April 1905 und Dezember 1913 insgesamt 250 Darlehn. Im gleichen Zeitraum wurden zudem 114 Hypothekarkredite vergeben (siehe Grafik 32). Nicht mit eingerechnet sind Kredite, die vom Aufsichtsrat etwa den Vorstandsmitgliedern bewilligt wurden.297 Wofür die Darlehnssummen verwendet wurden, ließ sich, anders als etwa für einige Jahre bei der Hönniger Kreditgenossenschaft, hier nicht eruieren. Der Vergleich der Anzahl der bewilligten Kredite mit der Summe der bewilligten Darlehn zeigt, dass das Verhältnis zwischen Anzahl und Summe relativ ausgewogen war, das heißt wurden weniger Kredite vergeben, war auch die Summe der bewilligten Darlehn niedriger. In Dieringhausen hingegen konnte bei einer geringen Anzahl bewilligter Kredite nicht unmittelbar geschlussfolgert werden, dass auch die insgesamt ausgeliehene Summe geringer war, da in Dieringhausen im Rahmen des Hypothekarkreditgeschäftes auch größere Summen auf längere Zeit an 292 293 294 295

Ebd. AdVBO, Bestand RB Wiehl, 78-1, Revisionsbericht 1917. AdVBO, Bestand RB Wiehl, 78-1, Revisionsbericht 1919. Guinnane: Information Machines, S. 16. – Die Kreditgenossenschaft Oberdrees ist ein Vorgängerinstitut der Raiffeisenbank Rheinbach Voreifel eG. Siehe Bessler-Worbs/Schlütz: Handbuch. 296 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 77-8, Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Derschlag, VS-Protokolle aus den Monaten Juni, August, September, Dezember 1905, Februar, März, Mai, Juli 1906, August 1907. – Die Summen bewegten sich zwischen 600 und 5.000 Mark. Teils bürgten drei Mitglieder, teils zwei Mitglieder gegenseitig. Es wurde stets allen Beteiligten jeweils die gleiche Darlehnssumme bewilligt. 297 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 78-1, Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Derschlag, VS- und AR-Protokolle.

348

VIII. Die Geschäftstätigkeit

ein einzelnes Mitglied ausgeliehen wurden. Der Vergleich des Personal- und Hypothekarkreditgeschäftes der Derschlager Kasse mit dem der Dieringhausener Kasse zeigt, dass die Anzahl der bewilligten Kredite bei der Derschlager Kasse häufig von der Kurve der Dieringhausener Genossenschaft abweicht. Und auch die insgesamt je Vorstandssitzung bewilligte Summe wich durchschnittlich von den Summen bei der Dieringhausener Genossenschaft ab. So wurden bei der Dieringhausener Kasse durchschnittlich weniger Kredite zu höheren Kreditsummen vergeben: Von März 1905 bis Dezember 1913 wurden insgesamt etwa 1,2 Mio. Mark in rund 380 Krediten bewilligt. Bei der Derschlager Kasse waren es im gleichen Zeitraum 460 Kredite von insgesamt nur circa 675.000 Mark. Auffällig häufig wurden Konten in laufender Rechnung überzogen. Diese Feststellung trifft offensichtlich nicht nur im Vergleich mit den anderen Kreditgenossenschaften im engeren Untersuchungsraum zu, sondern ist auch identisch mit der Einschätzung des Revisors im Prüfungsbericht 1908: „Für die kurze Zeit des Bestehens der Genossenschaft ist die Zahl der Überschreitungen ziemlich gross“.298 Bis 1910 gaben Kreditüberschreitungen „bei jeder Revision Veranlassung zur Beanstandung“.299 Bedenken rief einerseits die Anzahl der Überziehungen hervor, andererseits waren mehrere Konten in „ r e c h t b e d e n k l i c h e r H ö h e “ 300 überzogen. Für diese Konten – für deren Überziehung grundsätzlich der Rendant zur Verantwortung zu ziehen war – musste, sofern der Schuldner noch kreditfähig war, das heißt genügende Sicherheit vorausgesetzt werden konnte, die Kredithöhe aufgestockt respektive hinreichend abgesichert werden, anderenfalls „energisch“ auf die Rückzahlung hingewirkt werden.301 Sehr gewissenhaft wurde hingegen die Kontoanerkenntnis für Kontokorrentkonten eingeholt. Diese dienten im Streitfalle als „bestes Beweismittel“.302 Um den Arbeitsaufwand beziehungsweise die Versand- und damit die Verwaltungskosten zu senken, aber auch aus kundenpolitischen Erwägungen sollten die Anerkenntnisse beziehungsweise die Einholung der Unterschrift „bei schlechtem Umsatz und bei Kreditüberschreitungen“303 mit der Mahnung entsprechend verbunden werden. Der Revisor verwies wiederholt darauf, dass die sorgfältigste Bonitätsprüfung „nutzlos“ sei, wenn auf der anderen Seite die Möglichkeit zu „willkürlichen Kredi­ tüberschreitungen“ gegeben werde.304 Die Geschäftsführung kam Ratschlägen der Revisoren wiederholt nicht nach, insbesondere legte man kein Wechselobligo an, obwohl das Wechselgeschäft fortwährend umfangreich blieb. Ab 1910 wurden daher auch der Ton der Revisoren und die Wahl der Adjektive in ihren Berichten zusehends schärfer. Der Revisor Rieder schrieb 1909 noch: „Wenn ja auch nicht zu leugnen ist, dass das Wechselgeschäft 298 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 76-8, Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Derschlag, Revisionsbericht 1908; 78-1, Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Derschlag, AR-Sitzung vom 16. April 1908. 299 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 76-8, Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Derschlag, Revisionsbericht 1910. 300 Ebd. [Hervorhebung im Original]. 301 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 76-8, Revisionsbericht 1908. 302 Ebd. 303 Ebd. 304 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 76-8, Revisionsbericht 1909.

2. Das Aktivgeschäft

349

einen netten Verdienst für die Genossenschaft abwirft, so birgt es auch andererseits manche Gefahr in sich, wenn nicht mit der erforderlichen Sorgfalt gearbeitet wird und möchte an dieser Stelle die Verwaltung im eigenen Interesse ersuchen, vollste Aufmerksamkeit diesem Geschäfte stets zu widmen“.305 Wie gezeigt werden konnte, traten wiederholt Ungenauigkeiten in der Buchhaltung und Kontoüberschreitungen auf. Eine Ursache war hier sicherlich die starke Nachlässigkeit des Aufsichtsrates, der sehr unregelmäßig interne Revisionen vornahm und zudem vielfach nicht nach den in der Dienstanweisung aufgeführten Vorgaben prüfte.306 Kredite wurden sehr häufig nur nachträglich durch den Aufsichtsrat genehmigt und nicht etwa wie in Dieringhausen ex ante von Vorstand und Aufsichtsrat gemeinsam besprochen.307 Hinzu kam, dass man sich in Derschlag relativ ‚taub‘ gegenüber den Ratschlägen des Revisors zeigte; 1910 schrieb der Revisor Koch: „Ich gebe zum Schluss dem bestimmten Erwarten Ausdruck, dass die nun wiederholt erhobenen Beanstandungen hinsichtlich der Kreditüberschrei­ tungen und des Wechselobligos den Verwaltungsorganen Veranlassung geben mö­ gen, ernstlich einer nochmaligen Wiederholung vorzubeugen, wie überhaupt für die folge der Erledigung der gezogenen Monitas mehr Beachtung geschenkt werden muss“.308 305 Ebd. 306 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 78-1, Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Derschlag, VS- und AR-Protokolle, ab 1905. Häufig finden sich nur Einträge, dass Sitzungen stattgefunden haben; siehe auch AdVBO, Bestand RB Wiehl, 76-8, Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Derschlag, Revisionsbericht 1910. Der Revisor Koch mahnte hier, dass gerade wegen des großen Umfanges des Wechselgeschäftes regelmäßige Prüfungen durch den Aufsichtsrat notwendig seinen. Der Aufsichtsrat würde zu selten Inventuren (Prüfung der Kasse, der Belege, Wechsel, Wertpapiere etc.) vornehmen. Die Unterlagen seien häufig fehlerhaft; ebd., Revisionsbericht 1911. Auch der Bericht des Revisors Rieder war eher ‚nüchtern‘. Die Arbeit des Vorstandes bewertete er als befriedigend, der Aufsichtsrat solle sich aber intensiver um die Geschäfte der Genossenschaft kümmern, insbesondere um die ausstehenden Forderungen. Zudem sollte der Aufsichtsrat mehr Sitzungen abhalten, in denen er den Vorstand prüfte; ebd., Revisionsbericht 1913. Hier schrieb Rieder: „Was indes die Tätigkeit des Aufsichtsrates betrifft, möchte ich für die Folge bei dem doch immerhin erheblichen Umfange des Geschäftsbetriebes eine intensivere Tätigkeit sehen. Ich weise darauf hin, dass dem Aufsichtsrat durch die Dienstanweisung die Vornahme von unvermuteten Revisionen sowie die eingehende Prüfung der Bilanzen an Hand der Quit­ tungen, Saldoanerkenntnisse u.s.w. zur Pflicht gemacht ist“; ebd., Revisionsbericht 1914. Koch moniert erneut die Arbeit des Aufsichtsrates, der nicht ausreichend, wie GenG und Statut verlangen, die Arbeit des Vorstandes prüfte. Der Aufsichtsrat sollte nun endlich dazu übergehen, unvermutete Prüfungen vorzunehmen. Die Pflicht des Aufsichtsrates sei „damit nicht erfüllt“, dass dieser „gut unterreichtet“ sei; AdVBO, Bestand RB Wiehl, 75-8, Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Derschlag, Verwaltungsstatistik 1910. Der Aufsichtsrat bestand aus fünf Mitgliedern aus Derschlag und dem Präsidenten des Aufsichtsrates, dem Fabrikanten Emil Müller aus Dümmlinghausen; AdVBO, Bestand RB Wiehl, 75-7, Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Derschlag, Verwaltungsstatistik 1911. Der Aufsichtsrat bestand nur noch aus vier Mitgliedern mit Wohnsitz in Derschlag und dem Präsidenten Müller. 307 Siehe AdVBO, Bestand RB Wiehl, 78-1, Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Derschlag, VSund AR-Protokolle; AdVBO, Bestand RB Wiehl, 76-8, Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Derschlag, Revisionsbericht 1914. 308 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 76-8, Revisionsbericht 1910.

350

VIII. Die Geschäftstätigkeit

Eine wichtige Aufgabe der Verwaltung war es in den ersten Jahren nach der Gründung, den Bankkredit bei der Zentralkasse, der verhältnissmäßig hoch war, zu reduzieren. Die Bankschuld belief sich 1908 auf rund 88.700 Mark, war damit rund 96.000 Mark gegenüber 1907 zurückgegangen: „Es ist dies ein erfreuliches Zei­ chen. Immerhin muss das Bestreben der Verwaltungsorgane weiter dahin zielen, damit die Bankverbindung mit der Zeit das wird, wie sie ihrem eigensten Zweck nach sein soll, die Geldausgleichstelle der Genossenschaften, nicht aber ständige Kreditquelle“.309 Noch 1913 waren jedoch die eigenen Mittel im Verhältnis zum Geschäftsumfang nicht besonders hoch, wobei jedoch zu berücksichtigen ist, dass die Genossenschaft ‚erst‘ 1905 gegründet wurde.310 Derschlag und Dieringhausen waren jedoch hinsichtlich ihres enormen Größenwachstums keine Einzelfälle, wie etwa das Beispiel des 1871 gegründeten Rheinböllener Darlehnskassen-Vereins eG (Kreis Simmern, Hunsrück) zeigt. Vorbereitet wurde die Gründung – wie auch 1870 die Gründungen der Volksbanken in den Kreisen Gummersbach, Waldbröl und Wipperfürth – durch Vorträge des dortigen Wanderlehrers des Landwirtschaftlichen Vereins,311 der durch seine „allge­ meine Thätigkeit“312 bekannt war. Grundlage war auch hier das Musterstatut nach Schulze-Delitzsch; der Geschäftsbezirk umfasste die gesamte Bürgermeisterei Rheinböllen.313 Die Genossenschaft war bis zur Einführung der Revisionspflicht 309 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 76-8, Revisionsbericht 1908. 310 Siehe hierzu unter anderem AdVBO, Bestand RB Wiehl, 76-8, Revisionsbericht 1913. 311 Zur Lokalabteilung Simmern des Landwirtschaftlichen Vereins für Rheinpreußen siehe Bauer: Gesellschaft, S. 206–254, 344 f. – Der Gründungsverlauf entsprach hier eins zu eins den Gründungsverläufen in den näher untersuchten Kreisen Gummersbach, Waldbröl und Wipperfürth. 312 Hunsrücker Zeitung. Organ für den Kreis Simmern vom 3. Februar 1871 zit. n. Dreyse: 125 Jahre, S. 18. 313 Ebd. Geschäftsbezirk war Rheinböllen und Umgegend, jedoch insbesondere die Bürgermeisterei Rheinböllen. Es wurde ein Eintrittsgeld erhoben, vor allem, um zügig einen Reservefonds aufzubauen. Siehe Volksbank Rheinböllen eG, unverzeichneter Ordner ,Gründungsprotokoll, alte Aktenstücke, Verträge, Requisitionsbefreiung‘, Handschriftliches Statut des Rheinböllener Darlehnskassen-Vereins eG vom 6. August 1871. Geschäftsbezirk war die Bürgermeisterei Rheinböllen; ebd, Statut des Rheinböllener Darlehnskassen-Vereins eGmuH (Musterstatut der Vereinigung der deutschen landwithschaftlichen Genossenschaften e.V.), 1889. Hier wird als Geschäftsbezirk die Bürgermeisterei Rheinböllen sowie Rheinböllerhütte, Emmerichshütte und Forsthaus Erbach genannt, das heißt auch hier fand eine sukzessive Ausweitung des Geschäftsbezirkes statt. Der Geschäftsbezirk umfasste um 1910 damit circa 5.000 Einwohner. Siehe hierzu ebd., unverzeichnete Verwaltungs-Statistik der Kredit-Genossenschaft für das Geschäftsjahr 1912; ebd., Statut des Rheinböllener Darlehnskassen-Vereins eGmuH zu Rheinböllen, 1907; Volksbank Rheinböllen eG, unverzeichneter Ordner ,Gründungsprotokoll, alte Aktenstücke, Verträge, Requisitionsbefreiung‘, Statut des Rheinböllener Darlehnskassen-Vereins eGmuH zu Rheinböllen (Musterstatut des Bonner Verbandes), 1928, Festlegung des Geschäftsbezirkes auf die Bürgermeisterei Rheinböllen mit dem Zusatz, dass nach Einschätzung des Vorstandes auch Personen außerhalb der Bürgermeisterei die Mitgliedschaft erwerben können; siehe ebd., Schreiben des Rheinböllener Darlehnskassen-Vereins eGmuH, ohne Datum, Schreiben an den Regierungspräsidenten mit der Bitte, die Eröffnung einer Annahmestelle der Kreissparkasse Simmern in Rheinböllen zu verweigern, da bereits die Rheinböllener Kreditgenossenschaft bestehe, und da beim Publikum damit auch der Eindruck erweckt würde, der Darlehnskassen-Verein könnte den Anforderungen an eine ordentliche Kasse nicht gerecht werden.

2. Das Aktivgeschäft

351

1889 verbandslos (so genannte wilde Genossenschaft).314 Vonseiten der Geschäftsführung war ein Versuch, die Genossenschaft dem Raiffeisen-Verband anzuschließen, aufgrund der „Einengung“ abgelehnt worden.315 1889 wurde die Genossenschaft Mitglied des Bonner Verbandes. Helmut Dreyse, ab 1978 Geschäftsführer der Rheinböller Genossenschaft, schrieb anlässlich des 125-jährigen Jubiläums der Genossenschaft: „Dieser [Bonner; Anm. d. Verf.] Verband, der das Gute der beiden Organisationen Raiffeisen und Schulze­Delitzsch in sich aufnahm, der das Einen­ gende von Raiffeisen fortließ und gegenüber von Schulze­Delitzsch die landwirt­ schaftlichen Interessen in den Vordergrund stellte“316 passte damit weit besser zur Entwicklung der Genossenschaft, die bereits 1893 beschloss, die Mitgliederzahl zu beschränken und nur noch nach Ausscheiden von Mitgliedern entsprechend der Warteliste neue Mitglieder aufzunehmen. 1900 hatte die Genossenschaft bereits 320 Mitglieder, das Geschäftsguthaben belief sich auf über 60.000 Mark, die Rücklagen auf über 100.000 Mark (1893 wurde jedem Mitglied bereits eine Dividende von 40 Mark gutgeschrieben), die Spareinlagen auf 1,05 Mio. Mark bei einer Bilanzsumme von 1,23 Mio. Mark und Verwaltungskosten von über 5.300 Mark.317 Bereits 1893 hatte die Genossenschaft 38 Hypotheken im Gesamtwert von 62.000 Mark innerhalb des Geschäftsbezirkes und 11 Hypothekarkredite von insgesamt 118.500 Mark außerhalb des Geschäftsgebietes vergeben, was darauf hindeutet, dass auch hier eher der ausgedehnte Geschäftsbereich im Sinne Schulze-Delitzschs praktiziert wurde.318

314 315 316

317

318

Zudem bestehe in der Bürgermeisterei Rheinböllen kein Bedürfnis nach einem weiteren Institut. Guinnane: Friend, S. 29. Dreyse: 125 Jahre, S. 37. Ebd., S. 38; Volksbank Rheinböllen eG, unverzeichneter Ordner ,Gründungsprotokoll, alte Aktenstücke, Verträge, Requisitionsbefreiung‘, Schreiben der General-Anwaltschaft deutscher Genossenschaften für Deutschland vom 22. Oktober 1889, Übersendung der Instruction zur Abänderung der Statuten und einem Formular für die Beitrittserklärung zum General-Anwaltschaftsverband ländlicher Genossenschaften für Deutschland zu Neuwied; ebd., Schreiben des Präsidiums des landwirtschaftlichen Vereins für Rheinpreußen vom 15. Januar 1890; Dreyse: 125 Jahre, S. 37. – Im Vorfeld der Statutenänderung hatte die Verwaltung nicht nur bei dem Verband Bonn und dem Verband Neuwied Informationen eingeholt, sondern auch mit den Verwaltungen der Kreditgenossenschaften in Kirchberg und Kastellaun zusammen beraten. Rheinböller Darlehnskassenverein eGmuH: 60 Jahre; siehe auch Volksbank Rheinböllen eG, unverzeichnetes Bilanzbuch des Rheinböllener Darlehnskassenvereins eGmuH; ebd., unverzeichneter Geschäftsbericht über das 61. Geschäftsjahr 1931 des Rheinböllener Darlehnskassenvereins eGmuH Rheinböllen, darin Übersicht über die Geschäftsentwicklung seit 1871. Siehe hierzu Volksbank Rheinböllen eG, unverzeichneter Ordner ,Gründungsprotokoll, alte Aktenstücke, Verträge, Requisitionsbefreiung‘, Statut des Rheinböllener Darlehnskassenvereins eGmuH zu Rheinböllen, 1907; ebd., unverzeichneter Ordner ,Gründungsprotokoll, alte Aktenstücke, Verträge, Requisitionsbefreiung‘, Statut des Rheinböllener Darlehnskassen-Vereins eGmuH zu Rheinböllen (Musterstatut des Bonner Verbandes), 1928, Festlegung des Geschäftsbezirkes auf die Bürgermeisterei Rheinböllen mit dem Zusatz, dass nach Einschätzung des Vorstandes auch Personen außerhalb der Bürgermeisterei die Mitgliedschaft erwerben können. Siehe ebd., Schreiben des Rheinböllener Darlehnskassen-Vereins eGmuH, ohne Datum, Bitte an den Regierungspräsidenten, die Eröffnung einer Annahmestelle der Kreissparkasse Simmern in Rheinböllen zu verweigern, da bereits die Rheinböllener Kreditgenossenschaft

352

VIII. Die Geschäftstätigkeit

Zusammenfassend kann festgestellt werden: Die Kreditgenossenschaften ermöglichten zunächst einmal, überhaupt auf formalem Wege Geld zu leihen. Ein weiterer Vorteil waren die verhältnismäßig geringen Kreditkosten (Zinsen, Provision und andere Auslagen und Nebenkosten, wie etwa Porto- und Stempelkosten; siehe Abschnitt VIII.4). Der Aufsichtsrat entsprach einer Art Kreditinformationssystem, gehörte damit sowohl konzeptionell wie auch gesetzlich-statuarisch zur Kreditüberwachung und diente damit der Risikosteuerung des Kreditgeschäfts. Wie an den Beispielen Dieringhausen und Derschlag verdeutlicht wurde, gab es unter den ländlichen Kreditgenossenschaften des engeren Untersuchungsraumes einige, die sich zunehmend beziehungsweise gleich bei Gründung in anderen Segmenten des Aktivgeschäftes als im Personalkredit beziehungsweise im Geschäft mit landwirtschaftlichen Krediten Nischen suchten und um 1914 keine ‚klassischen‘ ländlichen Kreditgenossenschaften mehr waren. 3. DAS PASSIVGESCHÄFT Dem Passivgeschäft kamen zwei Funktionen zu, zum einen die intermediärstypische Transformationsfunktion, zum anderen eine soziale im Bereich der Sparerziehung und der eigenverantwortlichen Vorsorge, womit sich die „örtliche […] Bedeutung“319 der Kreditgenossenschaften nicht nur aus dem Aktivgeschäft, sondern auch aus dem Spargeschäft ergab. Die Kreditgenossenschaften wurden zu „Sammelpunkten des ländlichen Kapitals“,320 wobei, so der Verband rheinischer landwirtschaftlicher Genossenschaften e.V. im Jahr 1929, die Landwirtschaft „am wenigsten vertreten“321 sei. Das Passivgeschäft – Spareinlagen, Einlagen in laufender Rechnung, Anleihen bei den Zentralkassen – hatte vor allem eine enorm wichtige funktionale Bedeutung im Sinne der Intermediärsrolle der Kreditgenossenschaften: Das Passivgeschäft ermöglichte erst das Aktivgeschäft, sei es durch Anleihen bei der Zentralkasse oder das Kollektieren von Sparbeträgen, zumal das Eigenkapital (Geschäftsguthaben der Mitglieder, Reservefonds, eventuell andere Betriebsrücklagen) die Finanzierung des Aktivgeschäftes nicht ermöglichte, sondern lediglich neben der uneingeschränkten Haftpflicht der Absicherung diente.322 Die Kreditgenossenschaften brauchten also das Passivgeschäft, um überhaupt ihr Aktivgeschäft betreiben zu können. Aus dem fast gleichen Personenkreis, der für das Aktivgeschäft der Kreditgenossenschaften bedeutsam war, bezogen diese auch die Betriebsmittel, das heißt Einlagen im Kontokorrentverkehr sowie mittel- und längerfristige Depositen. Neben der Bedeutung der Einlagen für die Betriebsmittel war hier auch die Sparerziehung der ländlichen Bevölkerung im Sinne der Eigen-

319 320 321 322

bestehe, und da beim Publikum damit auch der Eindruck erweckt würde, der DarlehnskassenVerein könnte den Anforderungen an eine ordentliche Kasse nicht gerecht werden. Zudem bestehe in der Bürgermeisterei Rheinböllen kein Bedürfnis nach einem weiteren Institut. Petersilie: Mitteilungen zur deutschen Genossenschaftsstatistik für 1911, S. 43. Verband rheinischer landwirtschaftlicher Genossenschaften: Verband, S. 47. Ebd. Generalverband der deutschen Raiffeisen-Genossenschaften: Anleitung (1906), S. 11–14.

353

3. Das Passivgeschäft

verantwortung ein wesentliches Element des Genossenschaftswesens – vergleichbar mit dem der Sparkassen. Dies zeigt sich unter anderem deutlich in der exponierten Stellung des Spargeschäftes in den Mustersatzungen insbesondere des Kölner Verbandes, wo in § 2 als Zweck noch vor der Gewährung von Krediten das Spargeschäft angeführt wurde.323 In Raiffeisens ,Die Darlehnskassen-Vereine‘ hieß es 1866: „Zur Hebung der wirtschaftlichen Verhältnisse auf dem Lande kommt, von der materiellen Seite betrachtet, bei der Bevölkerung im wesentlichen zweierlei in Betracht: Sparsamkeit und Fleiß“.324 Daher sei die Sparsamkeit der ländlichen Bevölkerung zu fördern und seien die Sparbeträge zinsbringend mit Hilfe der Genossenschaft anzulegen. Das Fremdkapital der dem Raiffeisen-Verband angeschlossenen Kreditgenossenschaften im Deutschen Reich belief sich bis 1905 zu rund 80 Prozent auf Spareinlagen, zu etwa fünf Prozent auf Einlagen im Kontokorrentverkehr und zu circa elf bis 14 Prozent auf Anleihen bei der Zentralkasse. Verschwindend gering war der Anteil anderer Geldquellen, wie auch nachstehende Tabelle 31 zeigt. Tabelle 31: Stand des Passivgeschäftes der deutschen Raiffeisen-Genossenschaften (um 1900) fremde Gelder

davon Spareinlagen

davon Kontokorrent

davon Anleihen bei der Landw. ZentralDarlehnskasse

in Mark

in Mark

in Mark

in Mark

in %

in %

in %

1897

101.448.106

81.387.423

80,2

5.641.350

5,6

14.145.802

13,9

1900

198.747.384 162.453.583

81,7

9.309.762

4,7

26.450.664

13,3

1902

273.912.371 229.649.550

83,9

11.755.413

4,3

30.463.846

11,1

Quelle: Petersilie: Mitteilungen zur deutschen Genossenschaftsstatistik für 1903, S. 8.

Die Bedeutung der Einlagen im Kontokorrentverkehr bei dem Reichsverband angeschlossenen Kreditgenossenschaften war etwas größer: Mit insgesamt 36.817.775 Mark im Jahr 1899 beliefen sich hier die Kontokorrenteinlagen durchschnittlich auf 13,3 Prozent.325 Die Anleihen bei den Zentralkassen beliefen sich im Jahr 1894 auf 11,3 Prozent, 1899 auf 16,3 Prozent und 1902 auf 11,5 Prozent, womit dieser Anteil dem der Genossenschaften des Raiffeisen-Verbandes ähnlich war und insbesondere vom Entwicklungsstadium der jeweiligen Genossenschaft und von den allgemeinen Entwicklungen am Geldmarkt abhing.326 Im Reichsdurchschnitt kam anderen 323 RWWA 404-88-6, Statut des Stieldorfer Spar- und Darlehnskassen-Vereins eGmuH, 1905, S. 1, § 2. 324 Raiffeisen: Darlehnskassen-Vereine, S. 73. 325 1900: 57.008.160 = 17,8 Prozent; 1902: 83.578.496 = 14 Prozent. 326 Petersilie: Mitteilungen zur deutschen Genossenschaftsstatistik für 1903, S. 8.

354

VIII. Die Geschäftstätigkeit

Geldquellen bei Genossenschaften mit Anschluss an den Reichsverband mit etwa sieben bis neun Prozent eine höhere Bedeutung zu. Hierunter fielen auch Wechselbestände. Im Jahr 1905 belief sich das fremde Betriebskapital der dem Reichsverband angeschlossenen deutschen Kreditgenossenschaften insgesamt auf 1.223.247.938 Mark, was durchschnittlich 111.214 Mark pro Kasse oder 1.275 Mark je Mitglied entsprach. Bis 1910 stieg die Gesamtsumme auf 2.046.682.642 Mark, das heißt durchschnittlich auf 159.935 Mark pro Kasse beziehungsweise 1.693 Mark pro Mitglied. Entsprechend nahmen auch die Summen der im jeweiligen Geschäftsjahr getätigten Spareinlagen zwischen 1905 und 1910 zu: Im Jahr 1905 wurden Spareinlagen von insgesamt 359.408.987 Mark eingezahlt, das heißt durchschnittlich pro Kasse 34.200 Mark beziehungsweise 384 Mark pro Mitglied. Die Summe der im jeweiligen Geschäftsjahr eingezahlten Spareinlagen stieg kontinuierlich weiter und belief sich im Jahr 1910 auf 541.608.873 Mark und damit durchschnittlich auf 448 Mark pro Mitglied bzw. 42.327 Mark je Kasse.327 Eine wichtige Bedeutung kam hierbei auch dem Kleinsparwesen wie etwa dem Jugendsparen zu. Mit dem Ziel, auch Kleinstbeträge heranzuziehen, aber auch aus sozialen beziehungsweise erzieherischen Beweggründen erhielten Kinder und Jugendliche sowie Dienstboten – ähnlich dem Konzept der Sparkassen – höhere Zinsen für ihre Sparbeträge.328 Damit versuchte man diese Personengruppe bereits frühzeitig an die Kasse zu binden und etwa eine Abwanderung zur Sparkasse zu verhindern. Kinder von Mitgliedern der Dieringhausener Kasse erhielten bis zur Volljährigkeit 3½ Prozent Zinsen.329 Bei der Spar- und Darlehnskasse eGmuH Kreuzberg wurde 1905 eine eigene Jugendsparkasse eingerichtet, die 3,6 Prozent Zinsen auf Sparguthaben gab, während erwachsene Nichtmitglieder einen Zinssatz von 3½ Prozent auf ihre Spareinlagen erhielten – Mitglieder hingegen erhielten 34/5 Prozent und wurden damit weiterhin bevorzugt behandelt.330 Daneben empfahl etwa der Raiffeisen-Verband die Einrichtung von Pfennigssparkassen, die sich bei einzelnen Kreditgenossenschaften „gut bewährt“331 hätten. Für den engeren Untersuchungsraum konnte diese Einrichtung bei den Raiffeisen-Kassen allerdings nicht konstatiert werden. Eine wichtige Bedeutung kam auch der so genannten Mündelsicherheit zu: 1899 ersuchte der Genossenschaftstag zu Breslau die Anwaltschaft des Reichverbandes, die Reichsregierungen danach zu ersuchen, dass die Anlage von Mündelgeldern bei Spar- und Darlehnskassen gestattet werde, mehr noch, dass 327 Petersilie: Mitteilungen zur deutschen Genossenschaftsstatistik für 1911, S. 17, Tab. ,Die wichtigsten Geschäftsergebnisse der Darlehnskassen des Reichsverbandes der deutschen landwirtschaftlichen Genossenschaften 1905 bis 1910‘; siehe auch Petersilie: Mitteilungen zur deutschen Genossenschaftsstatistik für 1909, S. 12. 328 Siehe etwa AdVBWL, 1-4, Hohkeppeler Spar- und Darlehnskassen-Verein eGmuH, VS-Protokoll vom 26. April 1896. – Die Zinsen für Kinder und Dienstboten wurden hier auf drei Prozent festgesetzt. Siehe ebd., VS-Protokoll vom 10. Juli 1898; Verband rheinischer landwirtschaftlicher Genossenschaften: Verband, S. 47. 329 AdVBO, 73-1, Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Dieringhausen, VS-Protokoll vom 25. September1895. 330 AdVBWL, 2-6, Spar- und Darlehnskasse eGmuH Kreuzberg, GV-Protokolle vom 21. Mai 1905 und 13. Mai 1906. 331 Generalverband der deutschen Raiffeisen-Genossenschaften: Anleitung (1906), S. 12 f.

355

3. Das Passivgeschäft

die Anlage von Kirchen-, Schul-, Gemeinde-, Stiftungs- und dergleichen Geldern bei den Spar- und Darlehnskassen für zulässig erklärt werde.332 In der Rheinprovinz konnten die dem Bonner und dem Kölner Verband angeschlossenen Kreditgenossenschaften bis 1918 zunehmend mehr Spareinlagen einsammeln, wobei zu zeigen sein wird, dass lokal die Spareinlagen bei den einzelnen Kreditgenossenschaften höchst different waren. Tabelle 32: Spareinlagen der rheinischen, den Verbänden Bonn und Köln angeschlossenen Kreditgenossenschaften (1895–1918) Jahr

Spareinlagen insgesamt (Mark)

Spareinlagen pro Kreditgenossenschaft (Durchschnitt; Mark)

1895

9.000.000

50.000

1900

28.346.972

84.872

1905

73.096.522

138.440

1910

118.769.263

180.775

1914

143.874.291

216.027

1918

291.006.908

422.973

Quelle: Verband rheinischer landwirtschaftlicher Genossenschaften: Verband, S. 47.

Wie bereits in Abschnitt V.1 näher analysiert, wurde die Gewichtung des Sparkassengeschäftes auch durch dessen Stellung in § 2 der Satzungen ausgedrückt. Während die Mustersatzung des Raiffeisen-Verbandes grundsätzlich die Verbesserung der Verhältnisse der Vereinsmitglieder zum Zweck hatte und hierzu eben das Darlehns- und das Sparkassengeschäft als geeignete Mittel und damit als Gegenstände des Unternehmens installiert wurden, wurde in den Musterstatuten des Bonner Verbandes, der wiederum die Vorlage des Reichsverbandes verwendete, als Zweck des Unternehmens zunächst ganz deutlich das Darlehnsgeschäft herausgestellt, gefolgt von dem Zweck der „Erleichterung der Geldanlage und Förderung des Sparsinns“.333 Grundsätzlich war bei allen Kreditgenossenschaften laut Genossenschaftsgesetz die Höchstgrenze für Anlehn und Spareinlagen, das heißt des Fremdkapitals, durch die Generalversammlung festzusetzen und die Einhaltung durch den Aufsichtsrat zu kontrollieren.334 Spareinlagen konnten von Mitgliedern

332 Reichverband für landwirtschaftliche Genossenschaften: Taschenbuch (1923), S. 386. 333 LA NRW Düsseldorf, Rep 78 Nr. 49, Statut der Spar- und Darlehnskassen eGmuH zu Denklingen vom 2. Mai 1909, § 2. 334 Ebd., § 35 Abs. 16; RWWA 404-11-12, Statut des Breniger Darlehenskassen-Vereins eGmuH vom 17. August 1890, § 19 Abs. 6, §23 Abs. 23.

356

VIII. Die Geschäftstätigkeit

und Nichtmitgliedern eingezahlt werden.335 Die ‚Anleitung zur Geschäfts- und Buchführung‘ des Raiffeisen-Verbandes empfahl die Einrichtung von dezentralen Annahmestellen, wenn der Geschäftsbezirk etwa verschiedene Ortschaften umfasste. Mit der Verwaltung sollten vertrauenswürdige Mitglieder beauftragt werden, oder dort wohnende Vorstands- oder Aufsichtsratsmitglieder sollten die Leitung der Annahmestelle übernehmen. Eine besondere Buchführung war hierzu nicht notwendig lediglich die Führung eines Einnahmenkontrollbuches. Zur monatlichen Vorstandssitzung sollten die Sparbeträge zur Gutschrift auf die jeweiligen Konten und zur Quittierung im Sparbuch mitgebracht werden. Höhere Beträge sollten möglichst zeitnah beim Rendanten abgeliefert werden, um so Zinsverluste zu vermeiden.336 Daneben wurde empfohlen, Sparmarken-Sparen anzubieten.337 Die Spareinlagen, die die einzelnen Kreditgenossenschaften im engeren Untersuchungsraum heranziehen konnten, waren sehr unterschiedlich, wie folgende Abbildung zeigt. Abgebildet sind hier die dem Raiffeisen-Verband angeschlossenen Kreditgenossenschaften – darunter also die ältesten Kreditgenossenschaften des engeren Untersuchungsraumes, die um 1905 bereits seit rund 30 Jahren etabliert waren. Nicht einbezogen sind die Guthaben in laufender Rechnung. Auffällig sind die hohen Spareinlagen, welche die Engelskirchener Kreditgenossenschaft verzeichnen konnte. Hier hatte der Gemeinderat seit den 1850er-Jahren wiederholt erklärt, dass für eine Sparkasse kein Bedarf gegeben sei, da die Firma Ermen & Engels eine Fabriksparkasse eingerichtet habe und es durch den regelmäßigen Verkehr zwischen Engelkirchen und Lindlar – die Engelskirchener gingen etwa in Lindlar zum Markt – ausreiche, dass man dort Spareinlagen bei der öffentlichen Sparkasse tätigen könne. Alternativ konnten Engelskirchener auch Einlagen beim seit 1894 ebenfalls in der Bürgermeisterei ansässigen Hohkeppeler Spar- und Darlehnskassen-Verein tätigen – Darlehn aufnehmen konnten sie hier jedoch nicht. Der Ort Engelskirchen profitierte von der Industrialisierung des Aggertals, sodass hier vermutlich ein großer Teil der Spareinlagen von der Arbeiterschaft stammte. Auffällig sind auch die hohen Summen, die bereits in der Anfangszeit der Hohkeppeler Kasse eingezahlt wurden: Im März 1895 wurden zunächst 800 Mark von einer einzelnen Person, dann kurze Zeit später 900 Mark und im Sommer 1895 erneut 1.000 Mark durch ein neues Mitglied eingezahlt, obwohl dieses stark landwirtschaftlich geprägte Höhengebiet zu den ärmeren Gebieten des Wipperfürther Kreises gehörte.338 Die Nümbrechter Kreditgenossenschaft gehörte wie die Morsbacher zu den ältesten Kreditgenossenschaften des Untersuchungsraumes. Beide wurden 1874 gegründet. Sehr unterschiedlich war hingegen der Stand der Spareinlagen. Die Kreditgenossenschaft in Mühlen (gegr. als Faulmerter Spar- und Darlehnskassen-Verein) wurde erst 1901 gegründet, verzeichnete aber bereits fast so hohe Spareinlagen wie die Nümbrechter Kreditgenossenschaft. 335 Siehe etwa RWWA 404-11-12, Statut des Breniger Darlehenskassen-Vereins eGmuH vom 17. August 1890, § 30. 336 Generalverband der deutschen Raiffeisen-Genossenschaften: Anleitung (1906), S. 12. 337 Ebd. 338 AdVBWL, 1-4, Hönniger Spar- und Darlehnskassen-Verein eGmuH, VS- Protokoll von März bis August 1895.

3. Das Passivgeschäft

357

Abbildung 15: Spareinlagen (in Mark) der dem Raiffeisen-Verband angeschlossenen Kreditgenossenschaften (1905 und 1910)

Quelle: Reichsverband: Jahrbücher.

Bei der Wahl eines anderen, geografisch etwas anders gelagerten Samples und auch beim Vergleich der Ergebnisse mit denen der Kreditgenossenschaften mit Sitz in einer ähnlichen Lage im Wirtschaftsraum und damit mit ähnlichen Rahmenbedingungen, zeigt sich ein ähnliches Bild.

358

VIII. Die Geschäftstätigkeit

Abbildung 16: Vergleich der Spareinlagen (in Mark) der im Kreis Gummersbach ansässigen Kreditgenossenschaften (1905, 1914, 1919) 3.000.000 2.500.000 2.000.000 1.500.000 1.000.000 500.000 0

MarienbergSpar- und Spar- und Nümbrechter Spar- und Spar- und Spar- und hausener SparSpar- und Darlehnskassen- Spar- und Darlehnskasse Spar- und Darlehnskasse Darlehnskasse Darlehnskasse und Darlehnskasse Verein Darlehnskasse eGmuH Darlehnskassen- eGmuH zu eGmuH zu Ründeroth DarlehnskasseneGmuH zu eGmuH eGmbH Mühlen b. Verein RodtDieringhausen eGmuH Verein Derschlag Oberbantenberg Wiedenest Bielstein eGmuH Müllenbach eGmuH

1905

451.172

18.106

68.584

229.204

235.822

16.468

43.793

3.193

1914

1.157.935

17.886

169.956

409.678

514.335

146.792

354.871

56.563

31.035

1919

2.510.497

323.361

428.401

972.094

1.389.336

312.818

936.175

119.738

203.169

Quelle: LA NRW Düsseldorf, LA Gummersbach, Nr. 87, Auskünfte der Kassen an den Lokalabteilungs-Direktor des Landwirtschaftlichen Vereins für Rheinpreußen; LA NRW Düsseldorf, D XIV A 360 (1914–20), Verwaltungsbericht Kreis Gummersbach 1914–1920, S. 90 f.

Zu den Kreditgenossenschaften mit ‚ausgedehnten‘ Geschäftsbezirken zählten die Kreditgenossenschaften in Dieringhausen, Ründeroth, Rodt-Müllenbach, Derschlag und (Ober-) Bantenberg. Hier war es vor allem die Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Dieringhausen, die enorm hohe Spareinlagen im Verhältnis zu den anderen im Kreis ansässigen Kreditgenossenschaften verzeichnete, und die zugleich auch das umfangreichste Aktivgeschäft hatte. 1905 lag ihr Marktanteil bei 42 Prozent, ging allerdings bis 1914 leicht zurück (41 Prozent) und betrug 1919 lediglich noch 35 Prozent bei zeitgleich dem höchstem Einlagenbestand gegenüber allen anderen untersuchten Kreditgenossenschaften des Kreises Gummersbach. Zu Gunsten welcher Genossenschaften verlor die Kreditgenossenschaft Dieringhausen Marktanteile? Die Spar- und Darlehnskasse Ründeroth hatte 1905 einen Marktanteil von zwei Prozent, 1914 von einem Prozent und konnte diesen bis 1919 auf vier Prozent ausweiten. Bei sechs Prozent verharrte der Marktanteil der Marienberghausener Kreditgenossenschaft; die Oberbantenberger Kasse hatte 1914 einen Marktanteil von zwei Prozent, den sie auch bis 1919 nicht ausbaute beziehungsweise ausbauen konnte. Wie auch die Dieringhausener Kreditgenossenschaft verloren die Spar- und Darlehnskasse eGmuH Mühlen und der Nümbrechter Spar- und Darlehnskassen-Verein eGmuH erhebliche Marktanteile: Die Spar- und Darlehnskasse eGmuH Mühlen hatte 1905 einen Marktanteil von 22 Prozent, 1914 und 1919 lediglich noch jeweils 14 Prozent. Nicht ganz so stark verlor die Nümbrechter Kasse, deren Geschäftsgebiet die Kirchengemeinde Nümbrecht umfasste, wozu auch ein großer Teil der Bürgermeisterei Marienberghausen gehörte. Dem Landrat

3. Das Passivgeschäft

359

berichtete die Verwaltung, dass man auch vielfach Spareinlagen aus anderen Bürgermeistereien angenommen habe.339 Dennoch verlor die Kreditgenossenschaft, deren Marktanteil 1905 bei 22 Prozent lag, bis 1919 drei Prozent. Zu den Gewinnern gehörten die Kreditgenossenschaften Rodt-Müllenbach und Derschlag. Erstere wurde 1905 gegründet, hatte im Gründungsjahr einen Marktanteil von zwei Prozent und konnte diesen bis 1914 auf fünf Prozent ausbauen, verlor bis 1919 jedoch wieder einen Prozentpunkt. Der tatsächliche Gewinner war die Derschlager Kasse, die mit ihrer sehr offensiven Werbung bereits unmittelbar nach ihrer Gründung im Jahr 1905 ihren Marktanteil von vier Prozent (1905) auf zwölf Prozent (1914) ausbauen konnte. 1919 lag ihr Marktanteil bei 13 Prozent. Obwohl die Dieringhausener Kasse mit der Gründung neuer Kreditgenossenschaften, insbesondere in Folge der Gründung der Derschlager Kasse, Marktanteile verlor, verzeichnete sie weiterhin den höchsten Spareinlagenbestand. Offensichtlich profitierten die Kreditgenossenschaften auch von der Ausdehnung ihres Geschäftsgebietes. Die Gruppe der Kreditgenossenschaften mit ausgedehntem Geschäftsgebiet, die alle dem Bonner Verband angehörten, konnte abgesehen von Dieringhausen prozentual ihren Marktanteil sichern beziehungsweise erheblich ausbauen, zu Ungunsten der Genossenschaften mit ,traditionell‘ begrenztem Geschäftsgebiet. Insbesondere bei dieser Wettbewerbssituation stellt sich die Frage, welche Rolle bei dieser Entwicklung die Zinsen spielten. Die Entwicklung des Spargeschäftes beziehungsweise der Zinsen der im Kreis Wipperfürth ansässigen Kreditgenossenschaften soll hier kurz anhand des Beispiels Kreuzberg dargestellt werden. Die Entwicklungen bei den anderen untersuchten Kreditgenossenschaften weichen hiervon kaum ab. Die folgende Grafik gibt die Entwicklung der Zinsen für Einlagen und Schulden in laufender Rechnung sowie für Spareinlagen von Mitgliedern und von Nichtmitgliedern wieder, außerdem die Zinssätze für Darlehn auf feste Zeit bei der Kreuzberger Kreditgenossenschaft. Angegeben wird jeweils der Zinssatz, den die Generalversammlung beschloss. Hier zeigt sich, dass die Zinsen zwischen 1895 und 1918 in langsamem Tempo von drei auf vier Prozent angehoben wurden; dabei fehlt der Beschluss für das Krisenjahr 1901. Es zeigt sich dennoch, dass gerade das Spargeschäft über diesen Zeitraum von allgemeinen Entwicklungen am Geldmarkt wohl völlig unberührt blieb.

339 LA NRW Düsseldorf, LA Gummersbach, Nr. 87, Auskünfte der Kassen an den Lokalabteilungs-Direktor des Landwirtschaftlichen Vereins für Rheinpreußen.

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VIII. Die Geschäftstätigkeit

Abbildung 17: Entwicklung der Zinsen (in Prozent) im Aktiv- und im Passivgeschäft des Kreuzberger Spar- und Darlehnskassen-Vereins eGmuH (1895–1918)

Quelle: AdVBWL, 2-6, Kreuzberger Spar- und Darlehnskassen-Verein eGmuH, GV-Protokolle 1895–1918.

Die Zinsen für Spareinlagen wurden reguliert durch die Zentralkassen, jedoch „im Allgemeinen“ fixiert durch Beschluss der Generalversammlung, wobei der Vorstand den Prozentsatz für Anlehn und Einlagen „im Einzelfall mit den betreffenden Gläubigern“340 vereinbarte. Diese individuellen Vereinbarungen lassen sich quellenbedingt nicht nachzeichnen. Bei der Wipperfelder Kasse passte der Vorstand zeitweise die Zinssätze an – vor allem dann, wenn die Zentralkasse die Erhöhung des Zinsfußes verlangte beziehungsweise die Genossenschaft durch die Erhöhung der Zinsen bei der Zentralkasse gezwungen war, ihre ebenfalls anzuheben. So beschloss der Vorstand der Wipperfelder Kasse am 9. Juni 1907 die Erhöhung der Zinssätze sowohl für Einlagen als auch für Darlehn um ¼ Prozent; am 13. Oktober 1907 folgte erneut eine Anpassung der Zinsen durch den Vorstand, da die Zentralkasse als Reaktion auf die allgemeinen Geldmarktverhältnisse ebenfalls ihre Zinsen hatte erhöhen müssen.341 Deutlich wird die Bedeutung der Unterscheidung zwischen Zinssätzen für Mitglieder und Nichtmitglieder in einem Beispiel aus dem Raum Trier: Im Dezember 1912 nahm der Revisor Stiehl vom Trierer Verband an der Generalversammlung des Osburger Spar- und Darlehnskassenvereins eGmuH zu Osburg teil.342 Aufgabe des Revisors Stiehl war es, den Mitgliedern zu erklären, dass bedingt durch die Änderung des Zinsfußes eine „gleichmäßige Gestaltung der 340 RWWA 404-88-6, Statut des Stieldorfer Spar- und Darlehnskassen-Vereins eGmuH, 1905, S. 11, § 47. 341 AdVBWL, 3-15, Wipperfelder Spar- und Darlehnskassen-Verein eGmuH, VS-Protokolle vom 9. Juni 1907 und 13. Oktober 1907. 342 AdVBT, 1-4, Osburger Spar- und Darlehnskassenverein eGmuH zu Osburg, GV-Protokoll vom 15. Dezember 1912.

4. Die Zusammenarbeit mit den Zentralkassen

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Zinsen“343 für Einlagen von Mitgliedern und Nicht-Mitgliedern in Höhe von vier Prozent notwendig sei. Der Rendant sprach sich gegen diesen Antrag aus, denn er war der Meinung Mitglieder sollten gegenüber Nichtmitgliedern einen Vorteil haben, und beantragte daher, den Zinsfuß von 3¾ Prozent für Nichtmitglieder und vier Prozent für Mitglieder zu belassen. Zuletzt einigte sich die Generalversammlung auf die Anhebung der Zinsen ab dem 1. Januar 1913 auf 4¼ Prozent für Mitglieder und vier Prozent für Nichtmitglieder.344 Damit wollte man gleichzeitig einen Anreiz geben, der Genossenschaft beizutreten, aber auch die Mitglieder motivieren, Spareinlagen unbedingt bei der Kreditgenossenschaft zu tätigen. Abgesehen von der offensiven Werbung um Spareinlagen durch die erst 1905 gegründete Derschlager Kasse ist ein neutrales Nebeneinander oder aber eine Kooperation der Kassen festzustellen, so etwa durch das Schalten gemeinsamer Werbeanzeigen.345 Gemeinsame Annoncen im Lokalblatt – wie sich etwa auch für den Raum Bergisch Gladbach, westlich der näher untersuchten Kreise, noch für die 1950er/60er-Jahre nachweisen lässt – wurden sicherlich jedoch nur dort vorgenommen, wo die monopolartige Konstellation der Geschäftsgebiete in ‚Reinform‘ vorlag. Für den Kreis Gummersbach ist eine solche Kooperation nicht auszumachen. Grundsätzlich spielten die Spareinlagen und Guthaben in laufender Rechnung bei den ländlichen Kreditgenossenschaften im Deutschen Reich bis zum Ende des Ersten Weltkrieges zwar für den Mikrokosmos der Kreditgenossenschaften selbst eine enorme Rolle, im Vergleich mit den Sparkassen waren sie jedoch ‚weit abgeschlagen‘ (siehe Abschnitt IX). 4. DIE ZUSAMMENARBEIT MIT DEN ZENTRALKASSEN „Die Aufgabe, Nachfrage und Angebot von Geld im örtlichen Mitgliederkreise aus­ zugleichen, vermag die vereinzelt arbeitende Kreditgenossenschaft nicht restlos zu erfüllen. Sie muß immer mit zeitweiligem Überfluß wie mit zeitweiligem Mangel an Geld rechnen“,346 so Nikolaus Feldmann, Direktor der Genossenschaftsbank für Rheinpreußen eGmbH (Bonn) im Jahr 1914. Hier war es Aufgabe der drei beziehungsweise vier rheinischen ländlichen Zentralkassen (auch Verbandskassen genannt), entsprechend ihrer Funktion als „Geldausgleichsstellen“ effizient Abhilfe 343 Ebd. 344 Ebd. 345 Auch heute liegen die Geschäftsgebiete grundsätzlich flickenteppichartig nebeneinander, wobei sich auch eine Vielzahl von Überschneidungen ausmachen lassen, wie etwa im Kölner Raum. Siehe hierzu die verschiedenen Einträge in Bessler-Worbs/Schlütz: Handbuch. Das gemeinsame Corporate Design und gemeinsames nationales Marketing verweisen auf die Stärke der „Subsidiarität“. Zur Subsidiarität siehe Bonus: Selbstverständnis, S. 71. 346 Feldmann: Verband, S. 48; siehe auch Guinnane: Regional Banks, S. 3: “There are many ways to understand the idea of ‘Ausgleich.’ No contemporary publication that I am aware of really spells it out, and some of what is reported here is either inconsistent with the way Centrals were portrayed at the time, or points to a function that was so clearly­understood that it did not war­ rant contemporary comment”.

362

VIII. Die Geschäftstätigkeit

zu schaffen.347 Die Rolle der Zentralkassen wurde 2004 von Timothy W. Guinnane untersucht.348 Christoph Schlosser untersuchte im Jahr 2008 die Entwicklung genossenschaftlicher Zentralbankstrukturen und -funktionen aus institutionenökonomischer Sicht.349 Guinnane formuliert: “To address the lack of diversification and the liquidity problems inherent in these policies, cooperative leaders created a set of ‘Central banks,’ regional institutions that were owned and controlled by their member cooperatives, and which acted as a bank for their members”.350 Hiermit sind die zentralen Aspekte beziehungsweise Funktionen der Zentralkassen im Wesentlichen benannt. Im Folgenden soll analysiert werden, welche Bedeutung die rheinischen Zentralkassen für die untersuchten Kreditgenossenschaften hatten; in welchem Umfang und zu welchem Zeitpunkt deren Geldausgleichsfunktion in besonderem Maße in Anspruch genommen wurde, zumal bereits festgestellt werden konnte, dass die ländlichen Kreditgenossenschaften in den Kreisen Gummersbach, Waldbröl und Wipperfürth unmittelbar nach der Gründung – so etwa im Besonderen die Derschlager Kasse, aber auch die Kreditgenossenschaft in Wipperfeld – Kredite der Zentralkassen als Anschub für ihr lokales Aktivgeschäft nutzten. Für die Beurteilung der Zentralkassen gilt gleichermaßen wie für die der Primärgenossenschaften, dass deren Erfolg nicht am Gewinn zu messen ist, sondern an der Erfüllung ihres Unternehmensziels, das, sofern sie in der Rechtsform der eingetragenen Genossenschaft operierten, in der Erfüllung des Förderauftrages (§ 1 GenG) bestand. Ziel musste also sein, einen effizienten Geldausgleich zwischen den angeschlossenen Primärgenossenschaften herzustellen, damit diese wiederum ihren Förderauftrag gegenüber ihren Mitgliedern erfüllen konnten. Zentralbanken waren – und sind – demnach die Genossenschaften der Genossenschaften: Sie übernahmen den Geldüberfluss des einen Teils ihrer Mitglieder und befriedigten damit den Bedarf des anderen Teils. Defizite oder Überschüsse konnten hierbei entweder vom Geldmarkt beschafft werden (Passivgeschäft) oder auf diesem untergebracht werden (Aktivgeschäft).351 Die Entstehung dieser zentralen Organisationen innerhalb des Genossenschaftssektors ist nur unter Berücksichtigung der Spezifika der genossenschaftlichen Kreditwirtschaft nachvollziehbar.352 Das für Banken generell geltende bilanzpolitische Problem des Liquiditätsausgleichs bestand wegen der Dezentralität im Genossenschaftssektor – zugleich innewohnendes spezifisches Strukturmerkmal – in „zugespitzter“353 Form aufgrund der ‚Kleinheit‘ und des eher geringen Risikoausgleichs.354 Besondere Schwierigkeiten oder Einschränkungen ergaben sich bei den Genossenschaften aus (1.) dem Förderauftrag: Das Unternehmensziel 347 Hildebrand: Zentralkassen, genossenschaftliche, S. 950. Die „Verbandskassen“ wickelten in der Regel nur Geschäfte mit den Genossenschaften ab, die demselben Genossenschaftsverband angehörten wie sie selbst. 348 Guinnane: Regional Banks. 349 Schlosser: Entwicklung. 350 Guinnane: Regional Banks, S. 1. 351 Hildebrand: Zentralkassen, genossenschaftliche, S. 950. 352 Schlosser: Entwicklung, S. 87. 353 Ebd. 354 Guinnane: Regional Banks, S. 2.

4. Die Zusammenarbeit mit den Zentralkassen

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war aufgrund des Förderauftrages nicht auf Gewinnmaximierung ausgelegt, sondern auf die Versorgung der Mitglieder ausgerichtet; (2.) der lokalen Begrenzung ihrer Geschäftsgebiete und damit (3.) der Determinierung des Mitgliederwachstums. Dies bestimmte zugleich auch die Eigenkapitalbildung. Das Eigenkapital wurde nicht wie bei Privatbanken aus den Überschüssen fortlaufend erweitert, sondern lediglich aus den Geschäftsguthaben der Mitglieder (Geschäftsanteil), der Gewinnzuführung in den Reservefonds und, wenn diese erhoben wurden, aus den Eintrittsgeldern gebildet.355 Die Mitgliederstruktur, durch das lokal begrenzte Geschäftsgebiet in der Regel sozioökonomisch sehr homogen – Guinnane spricht von „similar economic fortunes“356 – beeinflusste zudem den Risikoausgleich negativ. Hier war besonders die Mitgliederstruktur der Genossenschaften im Kreis Wipperfürth und innerhalb des Kreises besonders die Mitgliederstruktur der in den Höhengebieten ansässigen Kreditgenossenschaften (zum Beispiel Spar- und Darlehnskassen-Vereine in Hohkeppel und Linde), extrem homogen, während sich etwa in Denklingen (Kreis Waldbröl) zunehmend eine Polung landwirtschaftlicher und gewerblicher Mitglieder abzeichnete. Die Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Derschlag (Kreis Gummersbach) hatte von Anfang an eine stark gewerbliche Ausrichtung, was auch Ursache für ihre starke Ausrichtung auf die Diskontierung von Wechseln war. Zum einen war – insbesondere bei den rein landwirtschaftlichen Kreditgenossenschaften – der saisonale Geldbedarf bei allen Mitgliedern zumindest ähnlich, zum anderen bestand bei vielen gleichermaßen ein konjunktureller Geldbedarf, zum Beispiel im Falle von Ernteausfällen. Die notwendige Refinanzierung galt wegen der geringen Eigenkapitalquote und in den Anfangsjahren wegen der noch wenig bekannten Rechtsform der eGmuH als schwierig.357 Hinzu kam das Problem der Fristenkongruenz: Das Fremdkapital wurde großteils nur auf kurze Zeit hineingenommen, jedoch in der Regel als mittel- oder langfristige Darlehn ausgegeben.358 Um dieses Problem möglichst gering zu halten, sollten die dem Kölner Verband angeschlossenen Kreditgenossenschaften sich zwar beim Tilgungsplan an der Leistungsfähigkeit des Darlehnsnehmers orientieren, jedoch statuarisch nur Überbrückungsdarlehen, zum Beispiel in witterungsbedingten Notsituationen, vergeben.359 Was das Eigenkapital anbelangte, so unterlag dieses gewissen Schwankungen, da Mitglieder beim Austritt aus der Genossenschaft ihr Guthaben mitnahmen. Aufgrund der eng begrenzten Geschäftsbezirke, wie insbesondere bei den Kreditgenossenschaften des Kreises Wipperfürth (abgebildet: Hönnige und Wipperfeld), wurde das Anwachsen des Eigenkapitals zusätzlich gehemmt (siehe Abbildung 18).

355 356 357 358 359

Schlosser: Entwicklung, S. 87 ff. Guinnane: Regional Banks, S. 2. Schlosser: Entwicklung, S. 87. Guinnane: Regional Banks, S. 2. RWWA 404-88-6, Statut des Stieldorfer Spar- und Darlehnskassen-Vereins eGmuH, 1905, S. 11, § 48.

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VIII. Die Geschäftstätigkeit

Abbildung 18: Eigenkapital (in Mark) der Kreditgenossenschaften Derschlag, Dieringhausen, Hönnige und Wipperfeld (1896–1914)

Quelle: Reichsverband: Jahrbücher.

Die Kreditgenossenschaften Dieringhausen und Derschlag mit ihren extendierten Geschäftsgebieten konnten hingegen ihr Eigenkapital vervielfachen. In den ersten Jahren setzte sich das Eigenkapital zunächst vor allem aus dem Guthaben der Mitglieder zusammen – in Dieringhausen war das Verhältnis Reservefonds zu Geschäftsguthaben der Mitglieder im Jahr 1898, also drei Jahre nach der Gründung, eins zu vier. Im Jahr 1905 kippte das Verhältnis. Im Jahr 1914 waren die Gewinne soweit thesauriert, dass der Reservefonds im Verhältnis zum Guthaben der Mitglieder vier zu eins betrug. Bei der Derschlager Kreditgenossenschaft drehte sich das Verhältnis bereits nach nur fünf Geschäftsjahren, bei der Wipperfelder Kreditgenossenschaft im siebten Jahr ihres Bestehens, in Olpe nach drei Geschäftsjahren. Bei der Kreditgenossenschaft in Linde zum Beispiel stagnierte aufgrund gleich bleibender Mitgliederzahlen und keiner Erhöhung der Geschäftsanteile die Entwicklung der Geschäftsguthaben der Mitglieder, während sich der Reservefonds zwischen 1904 und 1914 aufgrund einer gesunden Entwicklung der Geschäfte verfünffachte. Der Geschäftsanteil war bei den im Kreis Wipperfürth ansässigen Kreditgenossenschaften im Vergleich zu den dem Bonner Verband angeschlossenen Kreditgenossenschaften mit ihren ausgedehnten Geschäftsbezirken verhältnismäßig gering: In Hohkeppel kostete der Geschäftsanteil noch 1914 fünf Mark, in Wipperfeld zehn Mark, bei den Kassen Ründeroth und Rodt-Müllenbach hingegen bereits 40 beziehungsweise 35 Mark. In Dieringhausen zahlten die Mitglieder neben dem Geschäftsanteil auch noch ein Eintrittsgeld, das 1900 von zwei auf fünf Mark angehoben wurde.360 Im Jahr 1906 belief sich das Eintrittsgeld bereits auf zehn Mark, so auch bei der Kasse Ründeroth.361 Die Kasse in Derschlag erhob fünf Mark, die 360 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 134-4, Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Dieringhausen, GVProtokoll vom 22. April 1900; Reichsverband: Jahrbücher, statistischer Teil, diverse Jahrgänge. Hier gibt es die Spalte „Eintrittsgelder“ nicht. Die Statistiken des Bonner Verbandes weisen hingegen die Eintrittsgelder mit aus, siehe etwa Verband rheinpreußischer landwirtschaftlicher Genossenschaften: Statistik für 1906, S. V. 361 Ebd.

4. Die Zusammenarbeit mit den Zentralkassen

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Kasse in Rodt-Müllenbach hingegen kein Eintrittsgeld. Es bestand vonseiten des Bonner Verbandes demnach hierzu kein Grundsatz. Ob und wie viel Eintrittsgeld erhoben wurde, hing offensichtlich individuell von den örtlichen Verhältnissen ab.362 Bei den Kreditgenossenschaften des Kölner Verbandes im Kreis Wipperfürth erhoben alle Genossenschaften neben dem gesetzlich verpflichtenden Geschäftsanteil auch ein Eintrittsgeld zur Verbesserung des Eigenkapitals: In Egen und Olpe war ein Eintrittsgeld von 1,50 Mark, in Linde und Wipperfeld von zwei Mark, in Hönnige, Agathaberg, Hohkeppel und Kreuzberg von drei Mark zu entrichten.363 Abbildung 19: ‚Eigenkapitalquote‘ (in Mark) – Entwicklung des Eigenkapitals zur Summe der Passiva (1896–1914)

Quelle: Berechnet nach Reichsverband: Jahrbücher.

Wie die Abbildung 19 zeigt, stieg das Eigenkapital bei den im Kreis Wipperfürth ansässigen, stark landwirtschaftlich ausgerichteten Kreditgenossenschaften nur linear. Gerade der unbeschränkten Haftpflicht kam eine besondere Bedeutung in der Refinanzierung der Kreditgenossenschaften zu. Trotz Einführung der Rechtsform der eGmbH 1889 blieben – auf Anraten der Verbände – viele ländliche Kreditgenossenschaften in der Rechtsform der eGmuH bestehen. Im näheren Untersuchungsraum war es lediglich die dem Revisionsverband des BDL angeschlossene Kreditgenossenschaft in Klaswipper, die in der Rechtsform der eGmbH bestand – alle anderen blieben bis zum Ende des Untersuchungszeitraumes, teils bis in die 1950er/60er-Jahre, der Rechtsform der eGmuH verhaftet. In Preußen bestanden 1890 insgesamt 2.822, 1895 3.842 und im Jahr 1905 8.201 Genossenschaften mit

362 Ebd., S. V, VII. Von 109 hier genannten Kreditgenossenschaften erhoben 37 kein Eintrittsgeld, 57 ein Eintrittsgeld bis einschließlich neun Mark, zwölf ein Eintrittsgeld von zehn Mark, alle anderen höhere (maximal 50 Mark) Eintrittsgelder. 363 Verband rheinischer Genossenschaften/Centralgenossenschaften zu Cöln am Rhein: Jahrbuch für 1906 beziehungsweise 1906/07, S. 80.

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VIII. Die Geschäftstätigkeit

unbeschränkter Haftpflicht364 mit insgesamt 984.028 Mitgliedern (1905).365 Weit weniger Genossenschaften waren in der Rechtsform der unbeschränkten Nachschusspflicht eingerichtet worden.366 Höher war die Zahl der Genossenschaften mit beschränkter Haftpflicht: 1905 bestanden 5.004 Genossenschaften in der Rechtsform der eGmbH (966.599 Mitglieder).367 Von 100.000 Einwohnern im Regierungsbezirk Köln gehörten 2.695 Einwohner einer Genossenschaft mit beschränkter368 und 2.059 einer Genossenschaft mit unbeschränkter Haftpflicht369 an.370 Im Jahr 1910 bestanden im Deutschen Reich 19.116 Genossenschaften mit unbeschränkter Haftpflicht, davon 9.616 in Preußen. In der Regel waren es Kreditgenossenschaften, die in der Rechtsform der eGmuH eingerichtet waren – insgesamt gab es im Jahr 1910 9.331 Kreditgenossenschaften in Preußen.371 Für das Funktionieren der genossenschaftlichen Zentralkassen war zunächst vor allem die Bereitschaft der Genossenschaften, ihr vorübergehend freiliegendes Kapital der Gesamtorganisation zur Verfügung zu stellen, ein wichtiges Moment.372 Die Gründungsgeschichte der Bonner Zentralbank zeigt die anfängliche Zurückhaltung vieler Genossenschaftsfunktionäre. Aus den Funktionen der Zentralkassen, ihrer Mitglieder sowie deren Mitgliedern ergaben sich folglich drei Probleme: Das Geld musste zur richtigen Zeit in der richtigen Höhe am richtigen Ort sein.373 Konnten die Zentralkassen den von ihren Mitgliedern benötigten Kredit aufgrund zu geringen Eigenkapitals oder wegen fehlender bankmäßiger Sicherheiten nicht auf dem Geldmarkt beschaffen, wurde „die Entwicklung des Genossenschaftswesens gebremst“.374 Raiffeisen hatte bereits 1874 eine überregionale Zentralkasse gegründet, jedoch im ersten Anlauf erfolglos.375 Guinnane gibt folgenden Grund hierfür an: 364 1903: 7.489; 1904: 7.795; 1906: 8.528. 365 1903: 911.133; 1904: 945.676; 1906: 1.021.294 beziehungsweise 2.771 Mitglieder auf 100.000 Einwohner im Jahr 1905 (1903: 2.566, 1904: 2.663, 1906: 2.767). 366 1904: 122 mit 19.762 Mitgliedern, 1905: 123 Genossenschaften mit 20.365 Mitgliedern, 1906: 125 Genossenschaften mit 20.742 Mitgliedern. 367 1903: 4.171 (mit 780.023 Mitgliedern), 1904: 4.621 (882.514 Mitglieder), 1906: 1.049.687 Mitglieder. 368 1904: 2.558, 1906: 2.715. Für 1904 und 1905 berechnet anhand der Ergebnisse der Volkszählung von 1900, für 1906 anhand der Zahlen der Zählung von 1905. 369 1904: 1.763, 1906: 2.394. 370 Zu diesen Zahlen siehe Petersilie: Entwicklung, S. 17–20; ders.: Mitteilungen zur deutschen Genossenschaftsstatistik für 1906, S. 13 ff., 17, 30, Tab. ,Die Genossenschaften nach dem Gegenstande des Unternehmens am 1. Januar 1903, 1904, 1905 und 1906 in den grösseren Bundesstaaten‘; ders., Mitteilungen zur deutschen Genossenschaftsstatistik für 1906, S. 1*f., Tab. Ia ,Stand der eingetragenen Genossenschaften nach der Haftpflicht am 1. Januar 1906‘, insbes. S. 1*; ebd., S. 3*–13*, Tab. Ib ,Stand der eingetragenen Genossenschaften nach der Haftpflicht und nach dem Gegenstand des Unternehmens am 1. Januar 1906‘, insbes. S. 7*f. 371 Im Deutschen Reich existierten zudem 158 Genossenschaften mit unbeschränkter Nachschusspflicht, wovon 128 ihren Sitz im Königreich Preußen hatten, sowie 10.163 mit beschränkter Haftpflicht, von denen 6.708 in Preußen ansässig waren. Für den Zeitraum bis 1911 siehe Petersilie: Mitteilungen zur deutschen Genossenschaftsstatistik für 1911, S. 22 ff., 33. 372 Hildebrand: Zentralkassen, genossenschaftliche, S. 950–953. 373 Ebd. 374 Ebd., S. 951. 375 WGZ: 100 Jahre, S. 17. – Am 12. Juni 1872 wurde die erste ländliche Zentralkasse überhaupt

4. Die Zusammenarbeit mit den Zentralkassen

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„Schulze -Delitzsch’s critique of Raiffeisen’s first central was at some level a legal argument. Raiffeisen first tried making local cooperatives members of a regional Central that was itself a cooperative with unlimited liability. As Schulze­Delitzsch noted, this structure potentially made each member of a local cooperative liable for all the debts of a very large institution”.376 Das heißt die Mitglieder gerieten durch die Mitgliedschaft ihrer Primärgenossenschaft bei einer übergeordneten Genossenschaft in eine unüberschaubare Situation mit unbeschränkten Risiken. Der dreistufige Aufbau wurde also „wegen nicht hinnehmbarer Rechtsfolgen“377 gehemmt beziehungsweise die Risiken der unbeschränkten Haftpflicht ließen diese im ersten Anlauf scheitern. 1876, im zweiten Anlauf, wurde Raiffeisens regionale, rheinische Zentralkasse, die 1872 gegründete Rheinische landwirtschaftliche Genossenschaftsbank, von der Rechtsform der eGmuH in eine Zentralkasse in der Rechtsform der Aktiengesellschaft für den ganzen deutschen Raum, der alle dem Raiffeisen-Verband angeschlossenen Kreditgenossenschaften angehörten, umgewandelt.378 Beim Reichsverband hingegen waren die Kreditgenossenschaften in der Regel – entsprechend den Grundsätzen im Darmstädter Programm – den Zentralkassen ihrer regionalen Verbände angeschlossen.379 Die Zentralität bei Raiffeisen hatte 1901 unter anderem dazu beigetragen, dass unter Faßbender eine Reihe Genossenschaften aus dem Raiffeisen-Verband austraten. a) Genossenschaftsbank für Rheinpreußen eGmbH, Bonn Auf einem außerordentlichen Verbandstag im Dezember 1891 erstattete der Geschäftsführer des Bonner Verbandes, [Friedrich] Dettweiler, Bericht über den „Geldausgleich“380 zwischen den einzelnen Genossenschaften.381 Thematisiert worden war der Geldausgleich zwischen den Primärgenossenschaften bereits auf dem Genossenschaftstag des Reichsverbandes (zu diesem Zeitpunkt noch Allgemeiner Verband der deutschen landwirtschaftlichen Genossenschaften) in Kiel.382

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von Raiffeisen gegründet. Der Rheinischen Landwirtschaftlichen Genossenschaftsbank folgten gleiche Institute für Hessen und Westfalen sowie 1874 ein Spitzeninstitut, die Deutsche landwirtschaftliche Generalbank (Sitz Neuwied). Guinnane: Regional Banks, S. 6; siehe auch WGZ: 100 Jahre, S. 17; Thiemann: Zentralbanken, S. 12 f.; Oehme: Zentralkassen, S. 11 f. Thiemann: Zentralbanken, S. 13. WGZ: 100 Jahre, S. 17. – Nach einer Interpellation Schulze-Delitzschs im Reichstag 1876 wurden die überregionale Zentralkasse sowie die beiden regionalen Zentralkassen in Hessen und Westfalen aufgelöst. Siehe etwa Guinnane: Regional Banks, Table 1. Reichsverband der deutschen landwirtschaftlichen Genossenschaften: Taschenbuch (1923), S. 384 f. Zur Entstehungsgeschichte der Zentralkasse siehe WGZ Bank: 100 Jahre, S. 33. Reichsverband der deutschen landwirtschaftlichen Genossenschaften: Taschenbuch (1923), S. 384. – Der Genossenschaftstag 1891 zu Kiel beschloss: „a) Bei einer genügenden Anzahl von ländlichen Spar­ und Darlehnskassen in einer Provinz oder einem entsprechenden Landesteil empfiehlt sich die Errichtung einer G e l d a u s g l e i c h s s t e l l e für dieselbe. b) Die geeig­ netste Form für die Geldausgleichsstelle ist die Genossenschaft mit beschränkter Haftpflicht.

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VIII. Die Geschäftstätigkeit

Da einige Genossenschaften über Geldüberschüsse verfügten und keine Anlagemöglichkeiten bestünden, hätten diese begonnen, ihre Überschüsse in Wertpapieren anzulegen, andere wiederum hätten Geldmangel, doch gehörten dem Verband noch zu wenige Genossenschaften an, um eine Zentralkasse zu bilden.383 Daher wurde zunächst die Einrichtung einer „Meldestelle für Geldüberschuß und Geldbedarf“384 erwogen. Offen blieb die Frage, welche Sicherheiten den Genossenschaften, die Geld an andere verliehen, geboten werden sollten. Der an der Versammlung teilnehmende Direktor der Landesbank der Rheinprovinz (Düsseldorf), Regierungsrat Dr. Lohe, erklärte grundsätzlich die Bereitschaft der Landesbank, die Funktion einer Ausgleichsstelle für die Genossenschaften zu übernehmen, jedoch könne die Landesbank aus Risikoerwägungen – der Direktor „kenne die Organisation der Genos­ senschaften nicht genügend“385 – keine Kredite gewähren, da die solidarische Haftung als Garantie nicht als ausreichend anzusehen sei.386 Am 30. April 1892 wurde von 14 Genossenschaften und drei Einzelmitgliedern die Hauptgenossenschaftskasse für Rheinpreußen eGmbH zu Bonn gegründet, wobei gerade die größeren Genossenschaften sich zunächst aus „Furcht“ und „Miß­ trauen“ gegen eine Beteiligung aussprachen.387 Als reine Geldausgleichsstelle konzipiert, wickelte die Hauptgenossenschaftskasse später auch die Finanzierung von Geschäften der Bezugs- und Absatz-, der Molkerei-, Winzer- und anderen Genossenschaften ab. Wie bereits der Genossenschaftstag 1891 in Kiel für alle ihm angeschlossenen Verbände beschlossen hatte, wurde die Zentralkasse aus Sicherheitsgründen in Form der Genossenschaft mit beschränkter Haftpflicht (eGmbH) eingerichtet.388 Die Gründung der Bonner Zentralkasse fiel in eine Zeit, in der nach Inkrafttreten des Genossenschaftsgesetzes und mit diesem die Einführung der

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c) Um die Kreditfähigkeit der Geldausgleichsstelle möglichst auszudehnen, ist es erforderlich, die Haftsumme pro Geschäftsanteil nicht zu niedrig zu bemessen und keine im Verhältnis zur Haftsumme zu hohen Kredite an die Mitgliedsgenossenschaften zu gewähren. d) Es ist wün­ schenswert, einen Geschäftsverkehr zwischen den in Deutschland bestehenden Geldaus­ gleichsstellen für ländliche Spar­ und Darlehnskassen zur gegenseitigen Aushilfe anzubahnen. e) Es empfiehlt sich, für die Geldausgleichsstellen die Zinsspannung zwischen Einlagen und Darlehn und die Höhe der Provision so zu bemessen, daß die Geschäftsunkosten derselben gedeckt werden“. [Hervorhebung im Original]. RWGV-Leihgabe, ZLVfRh-Beilage Nr. 52, 1891, S. 423, Bericht über die (erste) außerordentliche Generalversammlung des Verbandes der rheinpreußischen landwirthschaftlichen Genossenschaften in Bonn am 5. Dezember 1891. Verband rheinischer landwirtschaftlicher Genossenschaften: Verband, S. 17. LHA Koblenz, 403/13275, Feldmann: [Festschrift]: 1914, S. 48; Bericht über die vierte ordentliche Generalversammlung des Verbandes der rheinpreußischen landwirthschaftlichen Genossenschaften in Bonn am 5. November 1892 (ZLVfRh-Separatabdruck 1892), S. 5. Eintragung ins Genossenschaftsregister am 18. Mai 1892, Aufnahme des Geschäftsbetriebs am 26. September 1892. Die Landesbank der Rheinprovinz ging 1888 aus der 1847 errichteten öffentlich-rechtlichen rheinischen Provinzialhilfskasse hervor. Aufgaben waren die Vergabe von Realkrediten und Kommunalkrediten sowie der Verkehr der Sparkassen und der Vertrieb von Provinzialanleihen. Siehe Pohl: Festigung, S. 318. Feldmann: Verband, S. 49. Reichsverband der deutschen landwirtschaftlichen Genossenschaften: Taschenbuch (1923), S. 385.

4. Die Zusammenarbeit mit den Zentralkassen

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Rechtsform der eGmbH die meisten deutschen genossenschaftlichen Zentralkassen gegründet wurden.389 Von den 21 im Jahr 1900 bestehenden genossenschaftlichen Zentralkassen waren neun „Buchkassen“.390 Nach Anschluss an die Landesbank der Rheinprovinz erhielt die Hauptgenossenschaftskasse dort ein Konto in laufender Rechnung bis zur vollen Höhe der Haftsumme, wobei sich die Landesbank eine genaue Prüfung der Sicherheiten vorbehielt.391 Der Geschäftsanteil wurde auf 20 Mark, die Haftsumme je Anteil auf 1.000 Mark festgesetzt.392 Um eine entsprechende Kreditfähigkeit zu erreichen, war es erforderlich, die Haftsumme nicht zu niedrig anzusetzen.393 Auch hierbei galt – wie bei den Zusammenschlüssen einzelner Landwirte und Gewerbetreibender zu den Primärgenossenschaften –, dass in der Zentralkasse die Leistungsfähigkeit aller Einzelgenossenschaften summiert wurde und damit die Kreditfähigkeit stieg.394 Die Buchungen liefen also direkt über die Landesbank, das heißt Einzahlungen wurden durch die Primärgenossenschaften direkt an die Landesbank vorgenommen und Auszahlungen auf Anweisung der Hauptgenossenschaftskasse abgewickelt.395 Diese Verbindung zwischen Zentralkasse und Landesbank war, wie bereits erwähnt, keine singuläre Erscheinung, wenn auch die Bonner Zentralkasse unter den rheinischen Zentralkassen eine Vorreiterrolle einnahm.396 Die Gewährung der Kredite und die Annahme von Geldern wurden in den „denkbar einfachsten Formen“397 abgewickelt. So konnte etwa eine Bezugsgenossenschaft einen Waggon Futtermittel bei der Bezugskommission, welche der Landwirtschaftliche Verein 1887 gegründet hatte, bestellen. Das Futter war bei Annahme zu bezahlen. Die Genossenschaft sandte daher zwei ausgefüllte Quittungsvordrucke an die Landesbank, welche damit aufgefordert wurde, den Betrag an den Lieferanten zu überweisen, womit aus dem Waren- ein Geldkredit wurde. Im Jahr 1892 wurden neun Genossenschaften insgesamt 50.950 Mark Kredite bewilligt, im Jahr 1893 (bis 20. Oktober) wei389 Guinnane: Regional Banks, S. 6, “After 1889 virtually all new Centrals were formed on this basis, and some of the older ones re­organized themselves as limited­liability cooperatives. The 1889 law also marked the beginning of the so-called ‘Centrals movement,’ a period that saw the formation of many more Centrals, usually as limited­liability cooperatives”. Zur inneren Struktur der Zentralkassen siehe ebd., S. 9–13. 390 Oehme: Zentralkassen, S. 30. – Alle „Buchkassen“ hielten selbst keine Barmittel, sondern wickelten für ihre Mitglieder ausschließlich die Geschäfte mit Bargeld zwischen den Mitgliedern und der Preußischen Zentralgenossenschaftskasse oder anderen Banken ab. Siehe Abschnitt VII.2.c). 391 Bericht über die vierte ordentliche Generalversammlung des Verbandes der rheinpreußischen landwirthschaftlichen Genossenschaften in Bonn am 5. November 1892 (ZLVfRh-Separatabdruck 1892), S. 5. – Der Zinsfuß war schwankend je nach Reichsbankdiskontsatz. 392 Ebd.; siehe auch Feldmann: Verband, S. 50. 393 Reichsverband der deutschen landwirtschaftlichen Genossenschaften: Taschenbuch (1923), S. 385. 394 RWGV-Leihgabe, Bericht über die fünfte ordentliche Generalversammlung des Verbandes der rheinpreußischen landwirthschaftlichen Genossenschaften in Bonn am 4. November 1893. 395 Siehe Oehme: Zentralkassen, S. 30. 396 RWWA 378-10-5, Rundschreiben der General-Anwaltschaft ländlicher Genossenschaften für Deutschland an die angeschlossenen Spar- und Darlehnskassen-Vereine, 26. Januar 1898. 397 Havenstein: Ausbau, S. 4.

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VIII. Die Geschäftstätigkeit

tere 74.380 Mark verteilt auf insgesamt 15 Genossenschaften. Alles in allem wurden Einlagen im Wert von 5.2649,03 Mark getätigt, sowie 46.909,44 Mark wieder abgehoben.398 Die Gewährung von Krediten und die Annahme und Verzinsung von „überflüssigen Geldvorräthe[n]“399 blieb jedoch nicht der alleinige Zweck der Hauptgenossenschaftskasse. Die zahlenmäßige Zunahme der Kreditgenossenschaften und der beginnende Ausbau der ländlichen Kreditgenossenschaften zu „Institu­ ten mit genossenschaftlich­bankgeschäftlichen Tendenzen“400 führte zur Erweiterung der Geschäftsfelder. Im Jahr 1898 führte die Zentralkasse eine Wertpapierabteilung ein. 1903 gab die Zentralgenossenschaft die althergebrachte BuchkassenBeziehung, die zunächst mit der Landesbank, später mit der 1895 gegründeten Preußischen Zentralgenossenschaftskasse (Berlin) bestand, auf; aufgrund der Vielfältigkeit der Geschäftsfelder und der nötigen schnellen Abwicklung des Geschäftsverkehrs übernahm die Zentralkasse nun selbst die Funktion der Geldkasse. Sämtlicher Barverkehr wurde nun über die Hauptgenossenschaftskasse selbst abgewickelt. Die Preußische Zentralgenossenschaftskasse diente nun lediglich als überregionale Zentralkasse. Auf Beschluss der Generalversammlung 1904 wurde das Statut entsprechend geändert, sodass von nun an neben der originären Funktion des Geldausgleichs statuarisch bestimmter Zweck der Hauptgenossenschaftskasse der Betrieb sämtlicher Bankgeschäfte war.401 Im Jahr 1906 erfolgte eine der neuen Geschäftstätigkeit angemessene Umfirmierung in Genossenschaftsbank für Rheinpreußen eGmbH.402 In diesem Zusammenhang erhöhte man – erstmals seit der Gründung – den Geschäftsanteil auf 50 Mark, 1909 folgte die Erhöhung auf 100 Mark bei gleichbleibender Haftsumme je Anteil von 1.000 Mark, was das Verhältnis zwischen Eigenkapital und Betriebskapital in ein ausgewogeneres Verhältnis brachte. Ab 1895 nahm insbesondere der Umsatz erheblich zu. Von 1901 an hatte sich der Reingewinn gegenüber dem Vorjahr jeweils verdoppelt, und ab 1905 nahm der Reingewinn enorm zu, was es möglich machte, das Eigenkapital von 200.120 Mark (1905) auf 394.530 Mark (1906) aufzustocken.403 Das Eigenkapital betrug 6,2 Prozent an den Gesamtaktiva – 1913 mehr als 20 Prozent. Bis zu Beginn des Ersten Weltkrieges war die Genossenschaftsbank eine „Zentrale für alle Geschäfte der Genossenschaften“.404 Eine Sicherheitsmaßnahme war hierbei jedoch die Beschränkung auf ‚genossenschaftliche‘ Geschäfte, das heißt ausschließlich auf das Mitgliedergeschäft. Der Direktor der Zentralkasse, Nikolaus Feldmann, beschrieb 398 RWGV-Leihgabe, Bericht über die fünfte ordentliche Generalversammlung des Verbandes der rheinpreußischen landwirthschaftlichen Genossenschaften in Bonn am 4. November 1893. 399 Havenstein: Ausbau, S. 4. 400 Feldmann: Verband, S. 50. 401 Ebd. 402 Verband rheinischer landwirtschaftlicher Genossenschaften: Verband, S. 18; Havenstein: Ausbau. 403 Zahlen nach LWK: Jahresbericht für 1910 und den fünfjährigen Zeitraum 1906–1910, S. 266; Feldmann: Verband, S. 51; Verband rheinischer landwirtschaftlicher Genossenschaften: Verband S. 18; vgl. ferner Bericht über den neunzehnten Verbandstag des Verbandes der rheinpreußischen landwirthschaftlichen Genossenschaften e.V. in Bonn am 7. September 1907, S. 7 f. 404 Feldmann: Verband, S. 50.

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die Zentralkasse 1914 als „Sammelbecken, das die zufließenden Gelder aufnimmt und sie befruchtend wieder hinausleitet“.405 b) Rheinische Bauern-Genossenschaftskasse eGmbH, Köln Nur wenige Monate nach der Gründung der Bonner Hauptgenossenschaftskasse für Rheinpreußen eGmbH gründete der Rheinische Revisionsverband (Kempen) am 17. Dezember 1892 mit 25 Genossenschaften den Rheinischen Bauern-Kreditverein eGmbH zu Kempen (Rhein).406 Im Jahr 1901, mit der Sitzverlegung von Kempen am Niederrhein nach Köln, wurde die Zentralbank in Rheinische Bauern-Genossenschaftskasse eGmbH umfirmiert. Statuarischer Zweck war das Geldvermittlungsgeschäft im Sinne des Förderauftrages und hierzu die Gewährung von Krediten sowie die Annahme und Verzinsung von Geldüberschüssen.407 Die Mitgliedschaft konnten alle ländlichen Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften mit Sitz in der Rheinprovinz sowie Einzelpersonen, die Mitglied des Vorstandes oder Aufsichtsrates der Zentralkasse waren, erwerben. Anfänglich war die Haftsumme auf 3.000 Mark festgesetzt. Jedes Mitglied konnte maximal einen Geschäftsanteil (1.000 Mark) erwerben; später bis zu zehn und seit 1910 bis zu 50 Anteile. Für einen Kreditanspruch von 15.000 Mark war mindestens ein Geschäftsanteil zu erwerben.408 Bis 1911 wurde vorausgesetzt, dass der Kauf eines weiteren Geschäftsanteils beziehungsweise die damit übernommene Haftsumme hinreichend durch das nachzuweisende Vermögen der Genossenschaft gedeckt wurde. Diese Bedingung ließ man allerdings fallen. Von der neuen Regelung machten auch einige größere Genossenschaften Gebrauch, sodass die Haftsumme hinaufgesetzt werden konnte, was auch die Leistungsfähigkeit der Zentralkasse nominal beträchtlich ansteigen ließ. Wie auch die Hauptgenossenschaftskasse für Rheinpreußen war der Rheinische Bauern-Kreditverein zunächst der Landesbank der Rheinprovinz in Düsseldorf angeschlossen, nahm jedoch 1897 ebenfalls die Geschäftsverbindung mit der Preußischen Zentralgenossenschaftskasse in Berlin auf. Der Geschäftsverkehr der Zentralkasse mit den Einzelgenossenschaften wurde fast ausschließlich in laufender Rechnung abgewickelt. In Phasen der Geldknappheit verlangte die Zentralkasse vorherige Ankündigung. 405 Ebd., S. 54. 406 Rheinischer Bauern-Verein: Dreißig Jahre, S. 144; zur Entstehung der Zentralkasse siehe WGZ: 100 Jahre, S. 34. 407 Rheinischer Bauern-Verein: Dreißig Jahre, S. 144 f. – Die Entwicklung wird hier nur mit Hilfe von zeitgenössischen Druckschriften und einer Festschrift der WGZ-Bank skizziert. Das Archiv der WGZ-Bank umfasst Altakten der Zentralkasse. Siehe Guinnane: Regional Banks, S. 8 f. 408 Siehe etwa auch die Grundsätze, die der Genossenschaftstag des Allgemeinen Verbandes der deutschen landwirtschaftlichen Genossenschaften 1891 in Kiel aufstellte, wonach die an die Einzelgenossenschaften gegebenen Kredite in einem entsprechenden Verhältnis zu der durch die Einzelgenossenschaften übernommenen Haftsumme stehen sollten. Siehe Reichsverband der deutschen landwirtschaftlichen Genossenschaften: Taschenbuch (1923), S. 384 f.

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Der Aufsichtsrat legte die Grundsätze über die Gewährung von Krediten fest, der Vorstand hingegen war für die Bewilligung der Kredite innerhalb der vom Aufsichtsrat vorgegebenen Grundsätze zuständig. Je nach Vermögen der Einzelgenossenschaft beziehungsweise ihrer Mitglieder wurden Kredite gewährt: Bei Genossenschaften mit unbeschränkter Haftpflicht orientierte sich der Kredit an dem nachgewiesenen steuerpflichtigen Vermögen der Mitglieder der Einzelgenossenschaften, bei Genossenschaften mit beschränkter Haftpflicht an der Haftsumme, wobei der Kredit erstens ein Drittel des steuerpflichtigen Vermögens und zweitens zwei Drittel der vertretbaren Haftsumme nicht überschreiten dufte. Darüber hinaus wurde geprüft, ob der Geschäftsanteil in einem „angemessenen Verhältnis“409 zur beantragten Kreditsumme stand, ob entsprechend Reserven gebildet wurden, der „Betrieb den dafür maßgebenden Normen“410 entsprach, die „Ausschließlichkeit“ im Geschäftsverkehr gewährt wurde, ob die antragstellende Spar- und Darlehnskasse den Reingewinn uneingeschränkt dem Reservefonds zukommen ließ und die Verwaltung tatsächlich unentgeltlich arbeitete.411 Die „Ausschließlich­ keit“ des Geschäftsverkehrs der Einzelgenossenschaften mit dem Bauern-Kreditverein war durch die Einzelgenossenschaften schriftlich zu erklären: „Die ange­ schlossenen Genossenschaften verpflichten sich, die Rheinische Bauern-Genossen­ schaftskasse als ihre ausschließliche Bankstelle zu betrachten, d.h. nur an diese ihre überflüssigen Geldbestände abzuführen, nur bei ihr Kredit in Anspruch zu nehmen. Es ist daher auch verboten, daß eine örtliche Genossenschaft mit der an­ deren örtlichen Genossenschaft Kreditbeziehungen unterhält, auch dann, wenn beide Genossenschaften am selben Orte bestehen. Zwar kann auf Antrag gestattet werden, daß benachbarte Genossenschaften Zahlungen in der Weise austauschen, daß eine Genossenschaft überflüssige Gelder an die andere abgibt, falls diese Ver­ wendung dafür hat, sodaß die Kosten der Hin­ und Hersendung über Cöln erspart werden. Derartige Zahlungen erfolgen aber stets für Rechnung der Rheinischen Bauern­Genossenschaftskasse, der über den Vorgang sofort ordnungsmäßige Bu­ chungsaufgabe zu machen ist. Ohne Wissen und Willen der Rheinischen Bauern­ Genossenschaftskasse darf der Bankverkehr mit derselben weder unmittelbar noch mittelbar zu Geschäften benutzt werden, die nicht genossenschaftlichen Zwecken dienen. Es kann den Genossenschaften auch nicht gestattet werden, Wechsel bei anderen Banken diskontieren zu lassen“.412 Damit wurden etwa Kreditgeschäfte mit anderen Banken ausgeschlossen, was nicht nur das Risiko schmälerte, weil die Zentralkasse damit die einzige Gläubigerin der jeweiligen Genossenschaft war, sondern auch die Informationskosten für die Zentralkasse erheblich senkte. Zudem sicherte dies den Zufluss von Einlagen. Darüber hinaus wurde durch die Verpflichtung zur Übernahme mindestens eines Ge-

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Rheinischer Bauern-Verein: Dreißig Jahre, S. 146. Ebd., S. 147. Ebd., S. 146 f.; zur Ausschließlichkeit siehe auch Guinnane: Regional Banks, S. 12, 25 f. Rheinischer Bauern-Verein: Dreißig Jahre, S. 151; siehe auch Lüer: Anspruch, S. 242 (Abdruck einer Ausschließlichkeitserklärung von 1933).

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schäftsanteils das Eigenkapital nachhaltig verbessert.413 Die Ausschließlichkeitserklärung war insbesondere in Phasen der Geldknappheit umso wichtiger. Neben die Annahme von Depositen und die Gewährung von Krediten traten – wie auch bei der Hauptgenossenschaftskasse in Bonn – bis zu Beginn des Ersten Weltkrieges weitere Geschäftsfelder und Betreuungsaufgaben: Förderung und Abwicklung des Scheckverkehrs, Aufbau von Inkasso-Verbindungen, Inkasso von Wechseln, Schecks und bereits ausgelosten Wertpapieren sowie die Diskontierung von Wechseln, Führung von Avalkonten, An- und Verkauf von Wertpapieren sowie Aufbewahrung von Wertpapieren und Kautionen, zudem Einlösung von Zins- und Dividendenscheinen sowie Erneuerung derselben, darüber hinaus Vermittlung von Geschäften mit der Landesbank.414 Der Verkehr mit den Mitgliedern sollte möglichst die Selbstkosten decken und mit Gewinn abgeschlossen werden, dessen Höhe ausreichend war, um das Beteiligungskapital der Mitglieder entsprechend zu verzinsen und vor allem die Möglichkeit schuf, einen Reservefonds zu bilden. Trotz der Ausschließlichkeitserklärung, welche die Genossenschaften gegenüber der Zentralkasse abzugeben hatten, mussten die Zentralkassen möglichst konkurrenzfähig gegenüber solchen Instituten sein, die bereit waren, mit den Genossenschaften Geschäfte zu machen. Dr. Karl Hildebrand, Generalrevisor beim Verband der Deutschen Raiffeisen-Genossenschaften und Dozent für Genossenschaftswesen an der Handelshochschule Berlin, formulierte 1927/28, dass die Zentralkassen letztlich nur existenzberechtigt seien, wenn sie gegenüber anderen Instituten konkurrenzfähig blieben – hierin lag zugleich ursprünglich die negative Ursache für die Gründung der Zentralkassen: Als „Arme­ Leute­Vereine“415 fanden die Primärgenossenschaften keine Kreditgeber.416 Durch ihren Zusammenschluss zur Zentralkasse wurden außenstehende Kreditgeber jedoch unnötig beziehungsweise waren nur von geringer Bedeutung. Die Ausschaltung des Erwerbsmoments wurde zugleich zur Möglichkeit, gegenüber anderen Kreditinstituten konkurrenzfähig zu bleiben.417 Die geschäftliche Entwicklung der Kölner Zentralkasse wird im Anhang – Tabelle (v) – dargestellt.418 Mehr als verdoppelt hatte sich der Gesamtumsatz 1897 gegenüber dem Vorjahr. Wie bei der Bonner Zentralkasse nahm auch der Gesamtumsatz der Kölner Zentralkasse ab 1905 erheblich zu. Zusammenfassend lässt sich konstatieren, dass die beiden Zentralkassen bis zu Beginn des Ersten Weltkrieges sämtliche Bankdienstleistungen, welche die Einzel413 414 415 416 417

Rheinischer Bauern-Verein: Dreißig Jahre, S. 151. Ebd., S. 150. Hildebrand: Zentralkassen, genossenschaftliche, S. 950. Ebd. Die gewerbsmäßigen Kreditinstitute forderten bankmäßige Sicherheiten, die viele Genossenschaften nicht geben konnten. Die Kreditfähigkeit der Zentralbank war in der Regel ebenfalls nicht sehr groß. Um höhere Summen am Geldmarkt zu besorgen, benötigte diese in der Regel von ihren Mitgliedern bankmäßige Sicherheiten, wie Warenwechsel. Diese jedoch konnten meist nur solche Genossenschaften vorweisen, die Gewerbetreibende und Handwerker als Mitglieder hatten – Landwirte kamen normalerweise nicht mit Wechseln in Kontakt. 418 LWK: Jahresbericht für 1910 und den fünfjährigen Zeitraum 1906–1910, S. 279 f.; Rheinischer Bauern-Verein: Dreißig Jahre, S. 148.

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genossenschaften aus Kostengründen oder aus technischen Gründen nicht selbst abwickeln konnten, ausführten, das heißt neben dem Geldausgleich kristallisierten sich verschiedene Aufgaben klassischer Bankgeschäfte heraus. Hierzu gehörten etwa der An- und Verkauf von Wertpapieren (kommissionsweise), Zinsscheineinlösungen, Depotgeschäfte. Besondere Bedeutung kam den Zentralkassen bereits seit ihren Gründungstagen im Bereich des bargeldlosen Zahlungsverkehrs, den sie für ihre Mitglieder abwickelten, zu.419 Die Zentralkassen waren die „B a n k i e r s “420 der Mitglieder und bei „langfristigen Geschäften auch deren F i n a n z i e r s “.421 Die Zentralkassen waren Tochterunternehmen der Verbände, wie diese selbst Tochterinstitutionen der landwirtschaftlichen Interessenvertretungen waren. c) Zinspolitik Am 10. Juni 1908 fand in Bonn der 20. Verbandstag (Mitgliederversammlung) des Bonner Verbandes statt. Dies war der erste Verbandstag nach dem Krisenjahr 1907, als der Reichsbankdiskontsatz erstmalig in der Geschichte der Reichsbank die Höhe von 7½ Prozent und der Lombardsatz eine Höhe von 8½ Prozent erreicht hatte, worunter auch die rheinischen Kreditgenossenschaften „zu leiden gehabt“422 hatten, so der Verbandsdirektor Gustav Havenstein. In seinem Jahresbericht, den Havenstein den anwesenden Vertretern der angeschlossenen Genossenschaften vortrug, formulierte er eine Formel, unter der sich letztlich die ‚ideale‘ Zinspolitik der rheinischen Kreditgenossenschaften für den gesamten Untersuchungszeitraum zusammenfassen lässt: Die Zinspolitik sei das „wichtigste Mittel […], um einen ge­ sunden Ausgleich zwischen Guthaben und Einlagen zu erzielen. Die Aufgabe der Genossenschaften muß es sein, den Ausgleich innerhalb der Genossenschaft her­ beizuführen. So viel Einlagen aus eigenem Kreise, als sie für Darlehen an ihre Mitglieder braucht, das ist das Ideal, und dieses Ideal läßt sich erreichen durch die Normierung eines richtigen Zinsfußes. Ist der Zinsfuß auf beiden Seiten zu niedrig, dann wird viel Geld abgehoben und wenig Geld eingelegt. Wenn der Zinsfuß für Einlagen erhöht wird, so wird die Folge sein, daß mehr Geld in die Kasse hinein­ strömt. Es kommt nicht darauf an, ob der Entleiher ¼ oder ½ % mehr bezahlen muß, sondern nur darauf, daß er das Geld rechtzeitig und in der Höhe erhält, wie er es wünscht“.423 419 Vereinzelt betrieben die Zentralkassen auch Warenabteilungen. Im Untersuchungsgebiet wurden hierzu jedoch separate Bezugs- und Absatzgenossenschaften und Konsumgenossenschaften gebildet, deren Entwicklung hier nicht weiter nachgegangen werden soll. Während bei den landwirtschaftlichen Genossenschaften die Notwendigkeit des Geldausgleichs zur Errichtung von Zentralkassen geführt hat, war bei den Konsumvereinen und gewerblichen Genossenschaften in erster Line der Wunsch nach Kapitalzusammenfassung ursächlich. Insbesondere für die städtischen Volksbanken wurden die Zentralbanken teils entbehrlich. 420 Hildebrand: Zentralkassen, genossenschaftliche, S. 950 [Hervorhebungen im Original]. 421 Ebd. 422 RWGV-Leihgabe, Bericht über den zwanzigsten Verbandstag des Verbandes der rheinpreußischen landwirtschaftlichen Genossenschaften e.V. in Bonn am 10. Juni 1908, S. 8. 423 Ebd.

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Die Satzungen der Kreditgenossenschaften enthielten – je nach Verbandszugehörigkeit – unterschiedliche Bestimmungen für die Festlegung der Zinsen.424 Allen Mustersatzungen gemeinsam ist, dass lediglich festgelegt wurde, welches Organ die Zinsen festsetzte. Über die Dauer der Gültigkeit und die Höhe finden sich keine Bestimmungen. Für alle Personenkreise galten die gleichen Zinsen. Nach älteren Normalstatuten des Raiffeisen-Verbandes, die etwa die Grundlage für die Satzung des Breniger Darlehnskassen-Vereins eGmuH von 1890 bildeten, oblag es der Generalversammlung, die Zinssätze und Provisionen für Darlehn festzusetzen. Noch vor 1913 änderte man die Mustersatzungen dahingehend, dass die Festsetzung des Zinsfußes für Spareinlagen, Darlehn und Haben und Schulden in laufender Rechnung vom Vorstand festgesetzt wurde.425 Die vom Bonner Verband herausgegebenen Mustersatzungen enthielten hingegen keine Regelung, wer für die Festlegung der Zinsen zuständig war – in der Dienstanweisung, auf die in der Satzung verwiesen wurde, wurde diese Aufgabe Vorstand und Aufsichtsrat übertragen.426 Laut den vom Verband Köln herausgegebenen Musterstatuten waren die Zinssätze durch die Generalversammlung festzusetzen.427 Langfristig setzte sich jedoch die Regelung durch, dass der Vorstand die Zinsen und Provisionen bestimmte und der Aufsichtsrat diese genehmigte. Dass diese Regelung besser den Anforderungen an eine ‚Dorfbank‘ entsprach, spiegelt sich auch darin wider, dass sich nach der Fusion des Bonner und des Kölner Verbandes (1924) – die beide Mitglied des Reichsverbandes waren – endgültig durchsetzte, dass der Vorstand die 424 Die Mitglieder beschlossen die Zinssätze für die einzelnen Geschäftszweige alljährlich auf der Generalversammlung. Während nach den Musterstatuten des Raiffeisen-Verbandes die Zinsen durch den Vorstand festgesetzt wurden, beschloss nach den Musterstatuten des Bonner und des Kölner Verbandes die Generalversammlung gemeinsam über die Zinsen. Bei einigen Kreditgenossenschaften, so etwa beim Hönniger Spar- und Darlehnskassen-Verein, beschloss die GV, die Festsetzung der Zinsen an den Vorstand zu übertragen, um so flexibler auf Veränderungen im Geldmarkt reagieren zu können. Und auch bei der Wipperfelder Kasse passte der Vorstand zeitweise die Zinssätze an, vor allem dann, wenn die Zentralkasse die Erhöhung des Zinsfußes verlangte beziehungsweise die Genossenschaft durch die Erhöhung der Zinsen bei der Zentralkasse gezwungen war, ihre ebenfalls anzuheben. So beschloss der Vorstand der Wipperfelder Kasse am 9. Juni 1907 die Erhöhung der Zinssätze sowohl für Einlagen als auch für Darlehn um ¼ Prozent, am 13. Oktober 1907 folgte erneut eine Anpassung der Zinsen durch den Vorstand, da die Zentralkasse als Reaktion auf die allgemeinen Geldmarktverhältnisse ebenfalls ihre Zinsen hatte erhöhen müssen; AdVBWL, 3-15, Wipperfelder Spar- und DarlehnskassenVerein, VS-Protokolle vom 9. Juni 1907 und 13. Oktober 1907; AdVBWL, 2-6, Kreuzberger Spar- und Darlehnskassen-Verein, GV-Protokolle; siehe Abschnitt VII.3. Hier finden sich die Entwicklung der Zinsen für Einlagen und Schulden in laufender Rechnung, für Spareinlagen von Mitgliedern und Nichtmitgliedern sowie die Zinssätze für Darlehn auf feste Zeit bei der Kreuzberger Kreditgenossenschaft. 425 Generalverband der deutschen Raiffeisen-Genossenschaften: Anleitung (1913), S. 103; siehe auch RWWA 366-12-1, Satzung des Neurather Darlehnskassen-Vereins eGmuH vom 1. Dezember 1929, § 21 Abs. 1. 426 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 96-15, Spar und Darlehnskasse eGmuH zu Dieringhausen, Dienstanweisung und Geschäftsordnung, um 1912 (Vordruck des Verbandes rheinpreußischer landwirtschaftlicher Genossenschaften Bonn). 427 RWWA, 367-3-22, Statut des Siegburg-Mülldorfer Spar- und Darlehnskassen-Verein eGmuH vom 28. Oktober 1908; Stieldorf vom 18. Juni 1905, § 42 Abs. 10.

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Zinsen festlegte.428 Zugleich zeigt sich in diesem Zusammenhang aber auch nochmals, dass gerade der Kölner Verband vielfach viel länger an originären RaiffeisenRegeln festhielt als der Bonner Verband und offensichtlich auch als der RaiffeisenVerband selbst. Häufig hatten bei den dem Kölner Verband angeschlossenen Kreditgenossenschaften die Generalversammlungen den Vorständen die Festlegung der Zinsen übertragen. Raiffeisen selbst hatte 1866 über die Zinsen und Provisionen geschrieben: „Bei der Festsetzung ist im wesentlichen zweierlei zu bedenken: einmal der Wert des Geldes und dann das gute Bestehen des Vereins“.429 Die Zinsen sollten zu keiner Zeit unter dem „gangbaren Wert“430 von fünf Prozent festgelegt werden. Besser sei es, sobald ausreichend Reservekapital bestehe, die Provision herabzusetzen. Die Provision sei so zu normieren, dass „sie, die Zinseszinsen mit in Anschlag gebracht, auf ein Jahr berechnet etwa ½ % beträgt, so daß für Zinsen und Provision zusam­ men ca. 5½ % gezahlt werden. Dieser Prozentsatz ist nicht zu hoch. Wenn man be­ denkt, was an die Wucherer gezahlt werden müßte“.431 Die Zinsen sollten nachträglich berechnet werden – alles andere sei „in moralischer Beziehung wucherisch“,432 zudem sei es buchhalterisch aufwendig, im Voraus zu viel gezahlte Zinsen wieder gutzuschreiben.433 Zur Zinsspanne hieß es in der Anleitung zur Geschäftsführung der Raiffeisen-Vereine, dass durch die Gewinne aus den Zinsen die Verwaltungskosten gedeckt und der Reservefonds aufgestockt werden können müsste,434 dass „[J]junge Vereine mit geringem Umsatz eine Zinsspannung von mindestens 1 %, ältere mit größerem Umsatz und erheblichen Reserven immerhin eine solche von ½ % vorsehen müssen“.435 Bei der Festsetzung der Zinsen sei es jedoch unbedingt notwendig, die „örtlichen Verhältnisse“, aber auch „die Verhältnisse der nächsten Umgebung“ zu berücksichtigen.436 Für alle Genossenschaften galt, wie in § 23 des Breniger Statuts festgelegt: Die „Festsetzung der Höhe des gesammten Betriebska­ pitals (Anlehn), des geringsten Betrages der Einlagen und des Prozentsatzes der von den Vereinsmitgliedern von den Darlehn zu zahlenden Provisionen und 428 RWWA 378-9-9, Statut der Spar- und Darlehnskasse Miel eGmuH zu Miel vom 3. Februar 1929, § 35 (Mustersatzung des Verbandes rheinischer landwirtschaftlicher Genossenschaften e.V. Köln); RWWA 404-37-12, Statut der Spar- und Darlehnskasse eGmuH Bonn-Süd vom 12. Juni 1925, § 35 Abs. 9. Genehmigung der Dienstanweisung für Vorstand, Rendant und Aufsichtsrat durch Generalversammlung (Mustersatzung des Verbandes rheinischer landwirtschaftlicher Genossenschaften e.V. Köln); RWWA 404-37-12, Dienstanweisung und Geschäftsordnung für die Spar- und Darlehnskasse eGmuH Bonn-Süd, genehmigt am 12. Juni 1925, S. 12, Abschnitt G, Abs. 4. Zinsen wurden durch Vorstand festgelegt und durch Aufsichtsrat genehmigt (Vordruck des Verbandes rheinischer landwirtschaftlicher Genossenschaften e.V. Köln). 429 Raiffeisen: Darlehnskassen-Vereine, S. 76. 430 Ebd. 431 Ebd. 432 Ebd. 433 Ebd. 434 Generalverband der deutschen Raiffeisen-Genossenschaften: Anleitung (1913), S. 103–106; ders.: Anleitung (1919), S. 93 ff. 435 Generalverband der deutschen Raiffeisen-Genossenschaften: Anleitung (1913), S. 104. 436 Ebd.

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Zinsen“,437 sowie die Festsetzung der Kreditlinie pro Mitglied war von den Mitgliedern in der Generalversammlung zu beschließen, was den Bestimmungen des Genossenschaftsgesetzes entsprach.438 Die Neuwieder Zentralkasse setzte 1894 rund 28 Mio. Mark um, 6,5 Mio. Mark mehr als noch im Vorjahr. Das Aktienkapital konnte zeitgleich von 1.073.000 auf 2.105.000 Mark erhöht werden – „für die Vereine sind diese Zahlen von ungeheue­ rer Bedeutung“,439 so im Raiffeisen-Kalender für das Jahr 1896: Mit Hilfe des erhöhten Aktienkapitals war es der Neuwieder Zentralkasse „nach unsäglichen Be­ mühungen“ gelungen, den Privatdiskontsatz der Reichsbank „zu erlangen“.440 Damit konnte die Zentralkasse im Rahmen des ihr bewilligten Kredits über Geld zu zwei Prozent verfügen – „Neuwied hat damit allen anderen Genossenschaftsver­ bänden den Rang abgelaufen; es bildet den einzigen und ersten landwirt­ schaftlichen Genossenschaftsverband, welchem die Vorteile, die bis­ her nur dem Großkapital zur Verfügung standen, seitens der Reichs­ bank gewährt werden“.441 Freilich blieben damit die Schwankungen im Zinsfuß bestehen. In den Anfängen der regionalen rheinischen Zentralkassen nahm die Landesbank in Düsseldorf eine wichtige Rolle in der Zinsgestaltung der rheinischen (Kredit-) Genossenschaften ein. Unmittelbar nach ihrer Gründung ging die Zentralkasse Bonn eine Kooperation mit der Landesbank in Düsseldorf ein. Durch den Anschluss der Bonner Zentralkasse an die Landesbank der Rheinprovinz in den ersten Jahren ihres Bestehens waren die Zinsen insofern schwankend, als sich die Landesbank am Diskontsatz der Reichsbank orientierte: Guthaben wurden der Bonner Zentralkasse mit einem Prozent unter und Schulden mit einem Prozent über dem Diskontsatz berechnet.442 Die Zentralkasse Bonn gab diese Schwankungen zunächst an ihre Primärgenossenschaften weiter. Dies führte zu erheblicher Unsicherheit für die Primärgenossenschaften und ihre Mitglieder, sowie zu einem erheblichen Mehraufwand für die Verwaltungsorgane der Kreditgenossenschaften. Um diesen Mehraufwand zu reduzieren, rechnete die Zentralkasse Bonn die Zinsen erst zum Ende des Jahres mit den Kreditgenossenschaften ab, was freilich ein gewisses Risiko barg. Als zum Beispiel die Landesbank 1894 die Spanne auf ein Prozent herabsetzte, gab die Bonner Zentralkasse diese Vergünstigung unmittelbar an ihre Primärgenossenschaften weiter, indem sie ihre Zinsspanne ebenfalls auf ½ beziehungsweise ¾ Prozent heruntersetzte.443 Die Kreditgenossenschaften wiederum gaben die Konditio437 RWWA 404-11-12, Statut des Breniger Darlehnskassen-Vereins eGmuH vom 17. August 1890, § 23 Abs. d; siehe auch RWWA 404-20-4, Statut des Uckerather Darlehnskassen-Vereins vom 10. November 1889, § 23 Abs. d; siehe darüber hinaus RWWA, 401-2-5, Statuten des Herkenrather Darlehnskassen-Vereins eG vom 26. Oktober 1879, § 30. 438 Siehe etwa RWWA 366-5-17, Statut des Neurather Darlehnskassen-Vereins eGmuH vom 13. November 1893, § 23 Abs. d. 439 Neuwieder Raiffeisen-Kalender für das Schaltjahr 1896, S. 25. 440 Ebd. 441 Ebd. [im Original hervorgehoben]. 442 Siehe Verband der rheinpreußischen landwirthschaftlichen Genossenschaften: Statistik der am 31. Dezember 1895 angeschlossenen Genossenschaften, S. 16 f. 443 Feldmann: Verband, S. 52; Verband der rheinpreußischen landwirthschaftlichen Genossen-

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VIII. Die Geschäftstätigkeit

nen in der Regel – dennoch ist gerade in Krisenzeiten davon zu lesen, dass es einige Kreditgenossenschaften gab, die versuchten, durch die geringen Zentralkassenzinsen lokal Gewinne zu erzielen – genauso an ihre Mitglieder weiter.444 Die Bonner Zentralbank bestimmte – möglichst unabhängig vom Reichsbanksatz – ihre Zinssätze für den Verkehr mit den Mitgliedern im Voraus. Maßgebend war der Geldzufluss und -abfluss im eigenen Betrieb. Dieses System war, so der Direktor der Zentralkasse, Nikolaus Feldmann, unabhängig von der Zinskurve des Geldmarktes.445 Auf diese Weise sei es gelungen, gleichbleibende Zinsen anzubieten.446 Neben der Stabilität der Zinsen war deren Höhe von besonderer Bedeutung. Die Zinsspanne der Bonner Zentralkasse betrug bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs durchschnittlich ½ bis ¾ Prozent, resultierend aus der geschilderten Eigenversorgung durch einen eigenen genossenschaftlichen Geldkreislauf der dem Bonner Verband angeschlossenen Kreditgenossenschaften untereinander. Die Funktion der Preußischen Zentralgenossenschaftskasse, welche die Vorzugskredite zu geringem Zinsfuß gewährte, war laut Feldmann für das Betriebskapital der Bonner Zentralkasse nur geringfügig von Bedeutung, da letztere diese Kredite in der Regel nur selten in Anspruch nehmen musste. Eine Diversifikation der Risiken und des Geldbedarfes ergab sich unter anderem dadurch, dass nicht nur Kreditgenossenschaften der Hauptgenossenschaftskasse, sondern auch Bezugs- und Absatz-, Winzer-, Molkereigenossenschaften etc. der Zentralkasse angeschlossen waren.447 Mit der 1895 gegründeten Preußischen Zentralgenossenschaftskasse trat eine neue Einrichtung auf den Plan, die bisher vor allem vielfach im Zusammenhang mit Fragen nach der staatlichen Genossenschaftspolitik untersucht wurde.448 Ihre spezifische Rolle im Genossenschaftssektor wurde aus informationsökonomischer Perschaften: Statistik der am 31. Dezember 1895 angeschlossenen Genossenschaften, S. 16 f. 444 Siehe für 1895 ebd.; vgl. ferner Verband der rheinpreußischen landwirthschaftlichen Genossenschaften: Statistik der am 31. Dezember 1896 angeschlossenen Genossenschaften, S. 22 f. So beliefen sich etwa die Soll-Zinsen der Hauptgenossenschaftskasse für Rheinpreußen für Konten in laufender Rechnung auf 4½ Prozent, ab dem 1. April auf vier Prozent, Haben-Zinsen auf 3½ Prozent beziehungsweise ab 1. April 1895 auf 31/3 Prozent bei einer halbjährlichen Provision von 1/10 Prozent. Mitglieder der Spar- und Darlehnskasse eGmuH Dieringhausen zahlten in laufender Rechnung für Schulden 4½ Prozent Zinsen und für Guthaben in laufender Rechnung erhielten sie 3½ Prozent bei einer halbjährlichen Provision von 1/ 5 Prozent. 445 Feldmann: Verband, S. 53. 446 Dennoch sollte berücksichtigt werden, dass die ländlichen Kreditgenossenschaften in den untersuchten Kreisen nicht völlig ‚autark‘ und von der allgemeinen Wirtschafts- und Geldmarktlage abgeschnitten waren, da sie auf verschiedenste Weise in die Gesamtwirtschaft eingebunden waren. Eine gewisse Anpassung an den Geldmarkt war daher unumgänglich. Ziel der Hauptgenossenschaftskasse war eine „möglichste Stabilität des Zinses“ und Gleichmäßigkeit, jedoch unter Berücksichtigung der allgemeinen wirtschaftlichen Lage. Siehe Feldmann: Verband, S. 53. 447 Ebd. 448 Zur Geschichte der Preußenkasse siehe insbesondere Engelhardt: Gründung, S. 11–31; Faust: Zentralbank; siehe zudem Fechtrup: Deutsche Genossenschaftsbank; Hillringhaus: Preußische Zentralgenossenschaftskasse. Einen guten Überblick über die geschäftliche Entwicklung der Preußenkasse liefern die sehr ausführlichen Jahresberichte der Preußenkasse. Währen der Drucklegung der vorliegenden Untersuchung erschienen Guinnane: Selbsthilfe sowie Guinnane: State Support.

4. Die Zusammenarbeit mit den Zentralkassen

379

spektive zuletzt 2008 von Schlosser und von Guinnane 2004 untersucht.449 An dieser Stelle sollen lediglich die Gründungsidee sowie die daraus resultierenden Aufgaben und Praktiken der kurz als Preußenkasse bezeichneten Zentralkasse dargestellt werden. Mit ihrer Existenz beziehungsweise ihrer Funktion erklärt sich die Stabilität der Zinssätze. Zugleich leitete sich aus der Preußenkasse teils auch der fehlende Wettbewerb unter den Primärgenossenschaften ab. Die Preußenkasse ist vielfach mit der Formel „Selbsthilfe ergänzt durch Staatshilfe“450 beschrieben worden. Die Idee der Preußenkasse als Spezialinstitut zur Förderung des kleinen und mittleren landwirtschaftlichen Betriebes war ideengeschichtlich eng mit dem „so­ zialreformatorischen Genossenschaftswesen“451 verknüpft. Die Preußenkasse hatte gleichzeitig agrar- und sozialpolitischen Charakter: Sie gab den „Personalkredit der Mittelklassen, also derjenigen Bevölkerungsschichten, die auf eigenes Risiko mit mäßigem Kapital und eigener Arbeit an der wirtschaftlichen Produktion betei­ ligt sind, zu fördern und zu kräftigen versucht“.452 Aufgabe der Preußenkasse war es also, den „saisonalen und regionalen Geldausgleich für möglichst große Teile der genossenschaftlichen Wirtschaft“453 herzustellen und zugleich eine Verbindung zwischen Genossenschaftssektor und dem allgemeinen Geld- und Kapitalmarkt zu schaffen.454 Grundsätzlich durfte die Preußenkasse Darlehn nur an die Zentralkassen vergeben. Ein Zwang zum Anschluss bestand nicht.455 Nach § 2 des Errichtungsgesetzes durfte die Preußenkasse zudem im Geschäftsverkehr unter anderem mit den kommunalen Sparkassen stehen.456 Im Jahr 1896 führte die Preußenkasse 152 Konten kommunaler Sparkassen, zehn Jahre später 471 und 1913 mehr als doppelt so viele (1.059).457 Eine besondere Bedeutung kam dem Ausschließlichkeitsverhältnis zu, welches, wie bereits dargelegt, die regionalen Zentralkassen an ihre lokalen Kassen ‚weitergaben‘.458 Mit dem „Kredit auf Grund von Haftsummen“459 sicherte die 449 Schlösser: Entwicklung; Guinnane: Regional Banks. 450 Für einen knappen Überblick über die Frage zur Ergänzung der Selbsthilfe durch den Staat beziehungsweise zur Rolle des Staates als Förderer des Genossenschaftswesens siehe unter anderem Engelhardt: Gründung, S. 11–31. 451 Ebd., S. 16 ff. 452 Ebd., S. 19; Busche: Förderung, S. 86-93, integrierte die Preußische Zentralgenossenschaftskasse in die Beantwortung seiner Frage nach der öffentlichen Förderung der deutschen Genossenschaften vor 1914. Durch die Preußenkasse erfuhren die Kreditgenossenschaften finanzielle Förderung vonseiten des preußischen Staates. Siehe zu den Aufgaben der Preußenkasse auch Hillringhaus: Preußische Zentralgenossenschaftskasse, S. 21–24, bes. S. 21 f.; siehe zudem Pufendorf: Klepper, S. 54–62. 453 Engelhardt: Gründung, S. 24. 454 Ebd. – Die Grundlage der Geschäftstätigkeit der Preußenkasse bildete das Gesetz betreffend die Errichtung einer Zentralanstalt zur Förderung des genossenschaftlichen Personalkredits vom 31. Juli 1895. Vgl. Guinanne: Selbsthilfe, S. 77–92; Hillringhaus: Preußische Zentralgenossenschaftskasse, S. 24 f. 455 Engelhardt: Gründung, S. 21. 456 Hillringhaus: Preußische Zentralgenossenschaftskasse, S. 54 f. 457 Ebd., S. 29. 458 Engelhard: Gründung, S. 25. 459 Hillringhaus: Preußische Zentralgenossenschaftskasse, S. 31 f.

380

VIII. Die Geschäftstätigkeit

Preußenkasse die Darlehnsgewährung zum einen durch das von den Genossenschaften selbst gebildete Vermögen, zum anderen durch die Garantieverpflichtung, welche aus den von Mitgliedern übernommenen Haftsummen resultierte. Dadurch konnte die Preußenkasse den Verbandskassen billigen, langfristigen und hohen, nach der Leistungsfähigkeit, das heißt in Orientierung an der Haftsumme, begrenzten Kredit bieten. Die Leistungsfähigkeit der Kreditsuchenden überprüfte die Preußenkasse – wie wiederum auch die regionalen Zentralkassen – anhand der Steuerdaten der Genossenschaften.460 Die regionalen Zentralkassen standen mit der Preußenkasse in der Regel durch Konten in laufender Rechnung im Verkehr.461 Bei der Preußenkasse wurde nach den Vorgaben des Errichtungsgesetzes und nach der Dienstanweisung gearbeitet – auf Einzelfälle konnte meist nicht eingegangen werden.462 Ein Beleg für die Stabilität der Zinssätze der Preußenkasse liefert Grafik 1 bei Guinnane,463 welche die Entwicklung der Zinssätze für Guthaben und Darlehn in laufender Rechnung bei der Preußischen Central-Genossenschaftskasse sowie die Zinssätze im Wechselverkehr für den Zeitraum 1895 bis 1914 wiedergibt, zudem die Zinssätze des Geldmarktes, ausgedrückt in den Wechseldiskont- und den Lombarddiskontsätzen der Reichsbank.464 Die Zinsen lagen also unter dem Niveau der Reichsbank.465 Auch wenn der Staat das Betriebskapital zur Verfügung stellte, war die Zentralgenossenschaftskasse von Anfang an „vermögensrechtlich vollständig getrennt“.466 Arnd Holger Kluge resümiert: „Die Zinspolitik der Preu­ ßenkasse zielte auf Stabilisierung der Zinsen“.467 Dies konnte jedoch nur erreicht werden, da der Staat auf eine entsprechende Verzinsung seines Eigenkapitals verzichtete. Ziel war es also, kostendeckend zu wirtschaften, nicht jedoch gewinnmaximierend. Hinzu kam, dass die Preußenkasse mit dem Haftsummenkredit die „persönliche Haftpflicht der Genossen berücksichtigte“ und damit die „Kredit­ summe weit über den bei einer Beschränkung auf Wechsel­ und Lombardkredite möglichen Umfang hinaus steigern“ konnte.468 In diesem Kontext ist auch die Überprüfung des Vermögens der Mitglieder bei der Dieringhausener Kreditgenossenschaft vorgenommen worden: Der Kredit in laufender Rechnung bei der Bonner 460 461 462 463 464

465 466 467 468

Ebd., S. 31 f. Ebd., S. 33. Engelhardt: Gründung, S. 29. Guinnane: Regional Banks, Figure 1. Ebd.; siehe auch Preußische Central-Genossenschafts-Kasse: Bericht über das XVII. Geschäftsjahr, 1912, S. 49, Tab. ,Allgemeine Übersicht der Zinssätze‘. Die Zinssätze sind Durchschnittsvorzugszinssätze je Etatjahr vom 1. April bis zum 31. März. Vom 1. Oktober 1895 bis 30. September 1902 waren die Zinssätze in den einzelnen Zweigen des Geld- und Zinsverkehrs einheitlich. Nach Inkrafttreten neuer Geschäftsbestimmungen war nach Zinssätzen zu Vorzugsbedingungen und ohne Vorzugsbedingungen zu unterscheiden. Die Zinssätze ohne Vorzugsbedingungen richteten sich in der Regel nach den Sätzen der Reichsbank. Es weichen ab die tatsächlich in Rechnung gestellten Zinssätze. Siehe hierzu ebd., S. 10 ff. Kluge: Geschichte, S. 281. Engelhardt: Gründung, S. 22: „Die Verfassung der Bank entsprach voll und ganz derjenigen der damaligen Reichsbank“. Kluge: Geschichte, S. 281. Dieses Ergebnis teilen auch andere Autoren, so etwa Fehl/Zörcher: Ringen. Kluge: Geschichte, S. 281.

381

4. Die Zusammenarbeit mit den Zentralkassen

Zentralkasse war ausgeschöpft. Zur Beantragung einer höheren Kreditlinie sollte die Genossenschaft einen weiteren Geschäftsanteil erwerben, vor allem aber das Vermögen der Mitglieder feststellen, um die Erweiterung des Kredites entsprechend abzusichern.469 Die Bonner Zentralkasse kam zu dem Ergebnis, dass die „starke Bedarfswelle“470 Ende der 1890er-Jahre von einem starken Geldüberschuss Anfang des 20. Jahrhunderts abgelöst wurde. Ab 1905 setzte dann wieder eine starke Inanspruchnahme der Kredite bei der Zentralkasse durch die Primärgenossenschaften ein, die 1913 ihren Höhepunkt erreichte, was ein Anziehen der Zinsen zur Folge hatte. Während der Reichsbankdiskont 1907 bis auf 7½ Prozent stieg, blieb der Zinsfuß für Schulden in laufender Rechnung bei der Hauptgenossenschaftskasse für die Rheinprovinz eGmbH (Bonn) dennoch auf 4½ Prozent, für Darlehn auf festen Termin bei vier Prozent.471 Der Zinsfuß für Guthaben wurde – im Verhältnis zur hohen Geldnachfrage – minimal von 3¼ auf 3¾ Prozent erhöht.472 Die Einzelgenossenschaften in den Kreisen Gummersbach und Waldbröl konnten weiterhin Kredite in laufender Rechnung sowie Darlehn auf festen Termin zu 4½ Prozent zu gewähren, wie die nachstehende Tabelle zeigt.

/6–1/5

Derschlag



DieringHausen



Drabenderhöhe



¼



RodtMüllenbach



¼

Ründeroth



1

/3

1

/10

1

4½ –5 ½

Mitgliederzahl

Guthaben in laufender Rechnung

10 Jahre





4

187

10 Jahre

4–4½





281

-

-



3¾–4



21



-

20 Jahre

4–4½





44

-

-

-

-





65



-

Anlehn und Sparein-lagen

Hypothek

höchste Laufzeit

Darlehn Provision

Darlehn

laufende Rechnung Provision

Schulden in laufender Rechnung

Tabelle 33: Zinsfuß der dem Verband Bonn angeschlossenen Kreditgenossenschaften im Kreis Gummersbach im Jahr 1907

/10

1

Quelle: RWGV-Leihgabe, Übersicht über die Geschäftsergebnisse der Genossenschaften für das Jahr 1907, S. I–X. 469 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 73-1, Spar- und Darlehnskasse eGmuH Dieringhausen, VS-Protokoll vom 22. Dezember 1895. 470 Feldmann: Verband, S. 52. 471 RWGV-Leihgabe, Bericht über die XIX. Generalversammlung des Verbandes der rheinpreußischen landwirtschaftlichen Genossenschaften e.V. Bonn in Bonn am 7. September 1907, S. 7. 472 Ebd.

382

VIII. Die Geschäftstätigkeit

Ähnlich verhielt es sich bei den Kreditgenossenschaften, die der Rheinischen Bauern-Genossenschaftskasse eGmbH (Köln) angeschlossen waren. Hier lagen die Zinsen ebenfalls etwas über vier Prozent und konnten bei allen Kreditgenossenschaften im engeren Untersuchungsraum gleich gehalten werden. Tabelle 34: Zinssätze der dem Verband Köln angeschlossenen Kreditgenossenschaften im Kreis Wipperfürth im Geschäftsjahr 1906/07 Sitz der Kreditgenossenschaft

Darlehn

Einlagen

Mitglieder

Hönnige



32/3

72

Egen





28

Agathaberg



4

78

Hohkeppel





98

Kreuzberg

4

34/5

74

Linde





53

Olpe





46

Wipperfeld





69

Quelle: Verband rheinischer Genossenschaften/Centralgenossenschaften zu Cöln a. R.: Jahrbuch für 1906 bezw. 1906/07, S. 80 f.

Was das Passivgeschäft betraf, so sind auch hier kaum Unterschiede in der Zinspolitik der einzelnen Genossenschaftsbanken auszumachen, obwohl im Spargeschäft keine Bindung an das Geschäftsgebiet bestand und das Verbot von Nichtmitgliedergeschäften sich ausschließlich auf das Darlehnsgeschäft bezog. In den Jahren 1910 und 1911 bestand bei den meisten Kreditgenossenschaften wieder Geldüberschuss. Zu dem stärkeren Geldbedarf 1905 bis 1908 trug unter anderem die Hochkonjunktur bei. Verstärkter Geldbedarf trat ebenso 1911 bis 1913 auf.473 Eine Rolle spielten hierbei auch Ernteergebnisse, wie etwa die Dürre im Sommer/Herbst 1911.474 Die Landwirte hatten aufgrund des Futternotstandes vermehrte Ausgaben, was zu einer erhöhten Aufnahme von Krediten zwang, vor allem aber auch die Einlagen reduzierte,475 wobei aber die allgemeine Geldknappheit eher zur Zurückhaltung in der Kreditgewährung führte. In der zweiten Jahreshälfte 1912 kam hinzu, dass wegen der zunehmend angespannteren politischen Lage stellenweise vermehrt Spareinlagen zurückgezogen wurden, wenn auch die rheinischen Kreditgenossenschaften von größeren, abrupten Zurückziehungen verschont blie473 LHA Koblenz, 403/13275, Bericht über den XXIV. Verbandstag des Verbandes der rheinpreußischen landwirthschaftlichen Genossenschaften e.V. Bonn am 8. Juni 1912. 474 Siehe etwa LA NRW Düsseldorf, LA Wipperfürth Nr. 111, monatliche Immediatsberichte des Wipperfürther Landrats. 475 LHA Koblenz, 403/13275, Bericht über den XXV. Verbandstag des Verbandes der rheinpreußischen landwirthschaftlichen Genossenschaften e.V. Bonn am 24. Mai 1913.

4. Die Zusammenarbeit mit den Zentralkassen

383

ben. Neue Einzahlungen wurden entsprechend nur zurückhaltend getätigt, wie auch das Beispiel des Wipperfürther Spar- und Darlehnskassen-Vereins eGmuH zeigt.476 Der von der Preußischen Zentralgenossenschaftskasse zur Verfügung gestellte Notstandskredit wurde von der Bonner Zentralkasse praktisch nicht in Anspruch genommen, da man aus eigenen Mitteln Notstandsgeld zur Verfügung stellen konnte, was jedoch ebenfalls kaum in Anspruch genommen wurde – Ende 1912 hatten die Genossenschaften rund 33.000 Mark des Notstandsgeldes abgerufen.477 Bei der Bonner Zentralbank wurde zum 1. Januar 1913 eine „organische Ord­ nung der Zinssätze“478 eingeführt, die zwischen Kredit in laufender Rechnung mit einem festen Zinsfuß und Kredit auf Wechsel mit schwankendem Zinsfuß – je nach Diskontsatz der Reichsbank – unterschied.479 Damit orientierte man sich an der „auf diesem Gebiete geradezu vorbildlich“480 arbeitenden Preußischen Zentralgenossenschaftskasse, die zunehmend mehr Wechselkredite als Kredite in laufender Rechnung abwickelte.481 Ziel der Hauptgenossenschaftskasse war es, damit den Geldumlauf zu beschleunigen respektive die Geldflüssigkeit zu erhöhen – „ein Be­ dürfnis der Zeit“,482 so Gustav Havenstein im Jahr 1912 auf dem XXIV. Verbandstag des Verbandes der rheinpreußischen landwirthschaftlichen Genossenschaften. Für die Preußenkasse gilt demnach: Eine „wettbewerbliche Ordnung des Geldmarktzuganges“483 wurde im genossenschaftlichen Banksektor mit der Gründung der Preußenkasse ausgeschaltet.484 In der Funktion der Preußenkasse lag die Erklärung für die stabilen und weitgehend gleichen Zinsen bei allen untersuchten Kreditgenossenschaften. Die Preußenkasse trug zudem auch mit dazu bei, den 476 Ebd. 477 Ebd. Ende 1912 beliefen sich die Aktiva der der Zentralkasse auf insgesamt 5.193.698,89 Mark. 478 LHA Koblenz, 403/13275, Bericht über den XXIV. Verbandstag des Verbandes der rheinpreußischen landwirthschaftlichen Genossenschaften e.V. Bonn am 8. Juni 1912. 479 Ebd. 480 Ebd. 481 Siehe LHA Koblenz, 403/13275, Preußische Zentral-Genossenschafts-Kasse: Bericht über das XXIII. Geschäftsjahr (Rechnungsjahr 1917), Berlin 1918, Anlage 3 ,Zusammenstellung der Gewinn- und Verlustrechnungen“ sowie Anlage 4 „Wechselverkehr mit Verbandskassen‘. 482 LHA Koblenz, 403/13275, Bericht über den XXIV. Verbandstag des Verbandes der rheinpreußischen landwirthschaftlichen Genossenschaften e.V. Bonn am 8. Juni 1912. – Die Bonner Zentralkasse stillte den Geldbedarf der Primärgenossenschaften laut Havenstein jedoch nicht ausschließlich durch die von den Primärgenossenschaften getätigten Einlagen, sondern auch mit Hilfe der Geschäftsguthaben und Reserven (Eigenkapital), um so eine Kreditaufnahme bei der Preußischen Zentralgenossenschaftskasse und damit gegebenenfalls ein Ansteigen der Zinssätze weitestgehend zu vermeiden. 483 Fehl/Zörcher: Ringen, S. 32–55, beleuchten dezidiert die Haltung des Allgemeinen Verbandes beziehungsweise der Vertreter der Schulze-Delitzsch’schen Genossenschaftsrichtung zur Gründung der Preußischen Central-Genossenschaftskasse, die Bedenken hatten gegenüber der durch den Staat installierten Ausschaltung der wettbewerblichen Ordnung im Geldmarktzugang und den Bemühungen der Volksbanken-Vertreter, möglichst von dieser staatlichen Einrichtung keinen Gebrauch machen zu müssen. 484 Zum Wettbewerb im Genossenschaftssektor, insbesondere zur Haltung der Vertreter der Schulze-Delitzsch’schen Richtung siehe ebd., S. 42–45.

384

VIII. Die Geschäftstätigkeit

Wechselverkehr im ländlichen Kreditgenossenschaftswesen zu ‚beleben‘.485 Zur Frage nach der Zinspolitik der hier näher untersuchten Kreditgenossenschaften, insbesondere der stark landwirtschaftlich geprägten, muss die Schlussfolgerung insgesamt lauten, dass für den Zeitraum von 1889 bis zu Beginn des Ersten Weltkrieges die Zinssätze der Reichsbank keine allzu große Rolle spielten – auch nicht in Krisenjahren. Der Geschäftsverkehr der ländlichen Verbandskassen war dennoch diachron sehr unterschiedlich – je nach Ernte und Preisgestaltung für landwirtschaftliche Erzeugnisse. In „guten Jahren“, so Hillringhaus, hatten einige der Verbandskassen „erhebliche Guthaben bei der Preußenkasse“.486 Alle untersuchten Genossenschaften haben mit den Zentralkassen zusammengearbeitet, was bereits durch die Verbandsanbindung vorgegeben wurde. Das den Genossenschaften zufließende Kapital bedurfte eines ziemlich gleichbleibenden Zinses, um so den Bedürfnissen der landwirtschaftlichen Betriebe und des ländlichen Kleingewerbes gerecht zu werden. Wettbewerb spielte auf lokaler Ebene ebenfalls keine große Rolle in der Zinspolitik im Darlehnsgeschäft, zumindest nicht im Wettbewerb mit den Nachbargenossenschaften, wenn dieser durch die Überschneidung der Geschäftsgebiete (wie im Kreis Gummersbach) theoretisch bestehen konnte. Wettbewerb unter den Kassen, der sich etwa in der Höhe der Zinsen für Einlagen und Darlehn widerspiegeln würde, konnte nicht beziehungsweise nur in äußerst geringem Umfang festgestellt werden. Die Erklärung dieses Untersuchungsergebnisses liegt im dreistufigen Aufbau des Genossenschaftswesens. Wie auch der Vergleich der Zinsen der rheinischen Zentralkassen zeigt, boten auch diese Darlehn zu sehr ähnlichen und stabilen sowie weitgehend geldmarktunabhängigen Konditionen an. Erschütterungen des Geldmarktes wie 1900/01, 1906/07 und 1911/12 hatten keine massiven Auswirkungen auf die hier näher untersuchten regionalen Zentralkassen in Köln und Bonn.487 Die Zinspolitik der rheinischen Zentralkassen war darauf ausgerichtet, möglichst gleichbleibende und moderate Zinsen für die angeschlossenen Primärgenossenschaften zu erwirken, die dann nach Möglichkeit ebenso an die Einzelmitglieder weitergegeben wurden.488 5. DIE VERWALTUNGSKOSTEN Die – auch landläufig unterstellte – Effizienz historischer ländlicher Kreditgenossenschaften resultierte unter anderem aus einer kostengünstigen Verwaltung: Neben der ehrenamtlichen Tätigkeit der Mitglieder kam hier dem relativ eng umgrenzten Geschäftsgebiet sowie den standardisierten Geschäftsabläufen, wie in Abschnitt VII.1.a) ausführlich dargestellt, große Bedeutung zu. Größenvorteile lagen hier folglich in der Kleinheit. Im Folgenden werden die Verwaltungskosten der ländlichen Kreditgenossenschaften für den Zeitraum der 1890er-Jahre, insbesondere aber 485 486 487 488

Hillringhaus: Preußische Zentralgenossenschaftskasse, S. 33 f. Ebd., S. 49. Siehe hierzu Oehme: Zentralkassen, S. 30–49. Rheinischer Bauern-Verein: Dreißig Jahre, S. 150 f.

5. Die Verwaltungskosten

385

ab Anfang des 20. Jahrhunderts bis 1914, rekonstruiert,489 um so eine Antwort auf die Frage nach der betriebswirtschaftlichen Effizienz der Kreditgenossenschaften geben zu können. Die Kategorie der Verwaltungskosten und Abschreibungen umfasst Kosten, „die zwangsläufig beim Betrieb einer Bank entstehen“.490 Hierzu sind vor allem Personalkosten, Kosten für Räume und Gebäude sowie Mobiliar, Reisekosten etc. zu zählen.491 Besonders die Personalkosten fallen, wie zu zeigen sein wird, in der Regel schwer ins Gewicht; das Bankgewerbe ist generell personalintensiv. Im Falle der ländlichen Kreditgenossenschaften waren die Personalkosten noch verhältnismäßig gering, obwohl sie auch dort mit Abstand den größten Posten in der Aufstellung der Ausgaben für die Verwaltung darstellten. Welche Kosten fielen für die Verwaltung bei ländlichen Kreditgenossenschaften grundsätzlich an? Für die Spar- und Darlehnskasse Derschlag (gegr. 1905), die dem Bonner Verband angeschlossen war und ihren Sitz in Gummersbach-Stadt hatte, geben die Bilanzen für 1907 bis 1911 detailliert Auskunft über die Höhe der Verwaltungskosten und deren Verteilung über die einzelnen Posten. Jahresabschlüsse beziehungsweise Bilanzen sind selten für alle im Untersuchungsraum gelegenen Kreditgenossenschaften vollständig überliefert. Da es sich auch bei den Unterlagen zur Aufstellung des Jahresabschlusses um Druckvorlagen, herausgegeben von den Verbänden, handelte, lässt sich anhand einzelner Jahresabschlüsse über das einzelne genossenschaftliche Unternehmen hinausgehend generell feststellen, welche Kostentypen bei der Verwaltung entstanden, da einzelne Posten überall ähnlich waren. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass es sich bei der Derschlager Kasse aufgrund des großen Geschäftsgebietes und des umfangreichen Wechselgeschäftes um ein Beispiel handelt, das hinsichtlich der Geschäftsergebnisse nur bedingt mit den anderen Kassen des Gebietes vergleichbar ist. Dies gilt insbesondere für den Vergleich mit den Kreditgenossenschaften des Kreises Wipperfürth. Laut Revisionsbericht von 1907 entwickelte sich die Derschlager Genossenschaft bereits in den ersten beiden Geschäftsjahren „über Erwarten gut“;492 der Verkehr in laufender Rechnung war „ein ziemlich reger“,493 was die Genossenschaft erheblich durch aktive Werbung forcierte. Darüber hinaus konnte die Genossenschaft hohe Spareinlagen im eigenen Bezirk ansammeln und hatte nach nur zwei Geschäftsjahren bereits über 200 Sparbücher ausgegeben.494 Neben der Vergabe von Personal- und Realkrediten wickelte die Spar- und Darlehnskasse Kaufschilling- und Wechselgeschäfte ab. Zu489 Bedingt durch die Quellenlage können entsprechende Aussagen für die 1880er-Jahre nicht gemacht werden. 490 Burhop: Kreditbanken, S. 72. 491 Ertl/Licht: Genossenschaftswesen, S. 103. – In der Statistik des Allgemeinen Verbandes werden unter Verwaltungskosten „Gehälter, Porti, Diäten, Reisekosten und dergl., ohne Fracht und Dividenden“ gerechnet. 492 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 76-8, Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Derschlag, Revisionsbericht 1907. 493 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 76-8, Revisionsbericht 1907. 494 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 77-6, Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Derschlag, GV-Protokoll vom 24. März 1907, Jahres- und Geschäftsbericht des Vorsitzenden des AR. Hier werden für Ende 1906 „209 Sparbücher im Verkehr“ genannt. Die Einlagen beliefen sich auf 91.601 Mark. Vgl. AdVBO, Bestand RB Wiehl, 77-6, Jahres- und Geschäftsbericht des Vorsitzenden

386

VIII. Die Geschäftstätigkeit

dem nahm die Kasse am Postscheckverkehr teil.495 Im Geschäftsjahr 1906 wickelte die Spar- und Darlehnskasse innerhalb nur eines Jahres mehr als 4.000 Geschäftsvorfälle ab.496 Der Geschäftsbetrieb wurde bereits in den ersten drei Geschäftsjahren so umfangreich, dass der Aufsichtsrat im Februar 1908 darüber beriet, ob die Genossenschaft nicht „zur Entlastung des Rendanten“497 für ein Jahresgehalt von 300 Mark einen Lehrling einstellen sollte. Das Geschäftsgebiet erstreckte sich, wie bereits ausführlich in Abschnitt VII.1.b) dargestellt, auf acht Kilometer um Derschlag,498 was ungefähr Derschlag, Gummersbach, Niederseßmar und Bergneustadt mit insgesamt circa 30.000 Einwohnern umfasste. Die Derschlager Kasse hatte mit rund 7.000 Mark im Jahr 1914 die höchsten Verwaltungskosten aller in den Kreisen Gummersbach, Waldbröl und Wipperfürth untersuchten Kreditgenossenschaften. Im Geschäftsgebiet der Derschlager Kasse waren viele Gewerbetreibende und Handwerker ansässig, was sich in der Mitgliederliste beziehungsweise Mitgliederstruktur und in der Besetzung der Verwaltungsämter widerspiegelte.499 Dieser Klientel entsprechend hatte die Verwaltung der Genossenschaft bewusst versucht, die Geschäftspolitik an den Bedürfnissen von Kleinhandel und Kleingewerbe

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des AR pro 1907 (in der Generalversammlung vom 10. Mai 1908): Ende 1907 waren 317 Sparbücher im Umlauf. AdVBO, Bestand RB Wiehl, 78-1, Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Derschlag, AR-Protokoll vom 15. April 1905: „Ferner wurde die Einführung des Checkverkehres beschlossen“; AdVBO, Bestand RB Wiehl, 76-5, Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Derschlag, Jahresabschluss für 1909; Obst: Wechsel- und Scheckkunde S. 95. Laut Scheckgesetz vom 11. März 1908 waren unter anderem in das „Genossenschaftsregister eingetragene Genossenschaften, welche sich nach den für ihren Geschäftsbetrieb maßgebenden Bestimmungen mit der An­ nahme von Geld und der Leistung von Zahlungen für fremde Rechnung beschaffen“ (§ 2), als Bezogene zum Scheckverkehr zugelassen. AdVBO, Bestand RB Wiehl, 77-6, Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Derschlag, GV-Protokoll vom 24. März 1907, Jahres- und Geschäftsbericht des Vorsitzenden des AR. Es wurden laut Journaleinträgen 4.020 Geschäftsvorfälle abgewickelt; siehe auch LA NRW Düsseldorf, DXIV A 357 (1906), Verwaltungsbericht Gemeinde Gummersbach 1906, S. 59; AdVBO, Bestand RB Wiehl, 77-6, Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Derschlag, GV-Protokoll vom 10. Mai 1908, Jahres- und Geschäftsbericht des Vorsitzenden des AR. Am 31. Dezember 1907 betrugen die Spareinlagen 164.648,05 Mark. AdVBO, Bestand RB Wiehl, 78-1, Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Derschlag, AR-Protokoll vom 18. Februar 1908; siehe auch AdVBO, Bestand RB Wiehl, 77-6, Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Derschlag, GV-Protokoll vom 24. März 1907, Jahres- und Geschäftsbericht des Vorsitzenden des AR. AdVBO, Bestand RB Wiehl, 75-7, Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Derschlag, Verwaltungsstatistik für 1911; AdVBO, Bestand RB Wiehl, 77-6, Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Derschlag, GV-Protokoll vom 18. Mai 1905. Nur sechs Wochen nach der Gründung wurde der § 3 der Satzung geändert und der Geschäftsbezirk von fünf auf acht Kilometer ausgeweitet. Siehe hierzu Kapitel VII. AdVBO, Bestand RB Wiehl, 75-1, Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Derschlag, Mitgliederliste. Unter den ersten Mitgliedern waren neben dem Landrat, dem Bürgermeister und dem Hauptlehrer vor allem Kaufleute, Buchhalter, Fabrikanten sowie unter anderem ein Schustermeister, ein Bäcker, ein Fabrikarbeiter und ein Ackerer. Der Vorstand bestand aus zwei Buchhaltern, einem Gastwirt, einem Landwirt und einem Bäcker mit Wirtschaft; der Aufsichtsrat aus drei Fabrikanten, zwei Kaufleuten und einem Schlossermeister.

5. Die Verwaltungskosten

387

auszurichten.500 Mehr noch erklärt diese Mitgliederstruktur zugleich unter anderem das rege Geschäft in laufender Rechnung sowie das umfangreiche Geschäft mit Wechseln. Beide Geschäftszweige gelten als arbeits- und kostenintensiv. Nach Ansichten des Bonner Verbandes waren Wechselgeschäfte daher „nur bei den entwi­ ckelteren Spar­ und Darlehnskassen zulässig“.501 Der „beträchtliche“502 Reingewinn des ersten Geschäftsjahres musste vor allem zur Deckung der Verwaltungskosten, insbesondere des Rendantengehalts, verwendet werden. Eine Thesaurierung war damit nicht möglich.503 So beliefen sich die Ausgaben für die Verwaltung der Derschlager Kasse im Jahr 1907 insgesamt auf 4.782,23 Mark, wovon allein 3.600 Mark auf das Gehalt des Rendanten entfielen.504 Zum Vergleich: Das Gehalt des Rendanten der Kreis-Spar- und Darlehnskasse zu Waldbröl belief sich laut Beschluss des Kreistages vom 2. März 1909 auf 4.500 Mark. Hinzu kamen Zuschläge für Dienstaufwand von 300 Mark und Wohnungsgeld von 450 Mark. Das Gehalt des Kontrolleurs betrug laut Beschluss des Kreistages vom 1. April 1909 1.500 Mark. Zudem erhielt der Kontrolleur ein Wohnungsgeld von 240 Mark. Die Renumeration des Kreisboten für verschiedene Botendienste belief sich auf 100 Mark.505 Darüber hinaus wurden für Porti 282,73 Mark ausgegeben. Hierin enthalten waren nicht nur der Schriftverkehr zwischen Genossenschaft und Mitgliedern oder zwischen Genossenschaft und Amtsgericht, sondern auch sämtliche Portokosten für den Schriftverkehr zwischen der Genossenschaft und der Zentralkasse, das heißt auch die Kosten, die der Zentralkasse entstanden und durch die Genossenschaft zu erstatten waren.506 Des Weiteren wurden Geschäftsbücher für 257,50 Mark angeschafft, Gerichtskosten von 427,90 Mark und Steuern sowie Stempelgebühren von 37,60 Mark gezahlt. Die „Localmiete“ betrug 50 Mark, ein Jahr später 100 Mark 500 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 77-6, Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Derschlag, GV-Protokoll vom 24. März 1907, Jahres- und Geschäftsbericht des Vorsitzenden des AR. Hier wird von der einer bewussten „Centralisierung auf das Kleingewerbe und den Kleinhandel“ gesprochen; siehe auch AdVBO, Bestand RB Wiehl, 78-1, Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Derschlag, AR-Protokoll vom 19. Mai 1910. 501 AdVBO, unverzeichnetes Muster für Dienstanweisung und Geschäftsordnung [für Spar- und Darlehnskassen], herausgegeben vom Verband der rheinpreußischen landwirthschaftlichen Genossenschaften (Bonn), vor 1924; Generalverband der deutschen Raiffeisen-Genossenschaften: Anleitung (1913), S. 65. 502 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 76-8, Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Derschlag, Revisionsbericht 1907. 503 Ebd.; zur Festsetzung des Gehaltes siehe AdVBO, Bestand RB Wiehl, 78-1, AR-Protokoll vom 18. Februar 1908. – Der Verbandsrevisor riet daher, dass für das Gehalt des Rendanten ein fester Betrag festgesetzt werden sollte und zugleich eine prozentuale Beteiligung am Reingewinn vereinbart werden könnte; die Ausrichtung der Höhe des gesamten Gehaltes am Umsatz beziehungsweise an den Einnahmen und Ausgaben hielt er für „unzweckmäßig“. Siehe Abschnitt VIII.1.d). 504 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 78-1, Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Derschlag, AR-Protokoll vom 18. Februar 1908. In der Sitzung wurde nachträglich das Gehalt des Rendanten von 3.000 Mark für 1907 genehmigt. Zudem sollte der Rendant je nach Geschäftslage eine Gratifikation erhalten. 505 LA NRW Düsseldorf, LA Waldbröl Nr. 7361, Teil 2, S. 230, Aufstellung. 506 RWWA, 404-13-15, Allgemeine Geschäftsbedingungen der Rheinischen Landesgenossenschaftskasse eGmbH zu Köln, circa 1927.

388

VIII. Die Geschäftstätigkeit

inklusive Licht und Heizung (1911: 100 Mark). Damit belief sich der Kostenanteil für das Geschäftslokal 1907 auf 1,2 Prozent der Verwaltungskosten, 1908 auf 2,4 Prozent (1911: 2,1 Prozent).507 Dass dieser Posten nicht höher ausfiel, ist vor allem dem Umstand geschuldet, dass die Kreditgenossenschaften keine eigenen Bankgebäude unterhielten, sondern die Geschäfte in privaten Räumen einzelner Verwaltungsmitglieder, meistens jedoch in der Wohnung des Rendanten, abwickelten. Im Falle der Spar- und Darlehnskasse Derschlag wurde sogar die erste Generalversammlung in der Wohnung des Rendanten Ernst Mermagen abgehalten.508 Unter die Ausgaben für die Verwaltung fielen zudem sämtliche Versicherungsbeiträge. Für Auskünfte über Kreditreflektanten und Schuldner bei Auskunfteien wurden insgesamt 51,50 Mark ausgegeben. Vermutlich wurden unter diesen Posten auch die Portokosten für Auskünfte bei anderen Banken oder Gemeindeverwaltungen gerechnet. Bei der Volksbank Rheinböllen eG (Hunsrück), die ebenfalls dem Bonner Verband angehörte und deren Geschäftsbetrieb stark auf Gewerbetreibende ausgerichtet war, sind einige Akteneinheiten überliefert, die vermuten lassen, wie rege die Korrespondenz zwischen (Genossenschafts-) Banken, Händlern und Gemeindeverwaltungen im Vorfeld eines größeren Geschäftsabschlusses oder bei ausbleibenden oder schleppenden Tilgungen gewesen sein mag. Viele Händler erfragten, zum Beispiel wenn ein Mitglied der Genossenschaft eine Ratenzahlung oder ein Kommissionsgeschäft abschließen wollte, beim Rheinböllener DarlehnskassenVerein Referenzen. Auch die Landesbank oder andere Banken, die Umschuldungsoder andere Hypothekarkredite vergaben, informierten sich regelmäßig über die Verhältnisse einzelner Mitglieder. Gleichermaßen holte auch die Rheinböllener Kreditgenossenschaft Auskünfte ein, welche teils kostenpflichtig waren, besonders bei Auskunfteien.509 In die Verwaltungskosten wurden darüber hinaus die Ausgaben für die Revision sowie der Verbandsbeitrag einberechnet. Letzterer belief sich für 1907 auf 75 Mark.510 Der Verbandsbeitrag errechnet sich in der Regel aus einer „Grundtaxe“, die zu diesem Zeitpunkt 15 Mark (ab 1909 20 Mark) betrug,511 und einem Zuschlag, welcher sich am Gesamtjahresumsatz der Genossenschaft orientierte und sich bereits seit Anfang der 1890er-Jahre auf eine Mark pro 10.000 Mark Umsatz belief. Sowohl die „Grundtaxe“ als auch der Zuschlag wurden alljährlich auf der Generalversammlung des Verbandes festgelegt.512 Zu den Ausgaben für die 507 Ausgaben für Verwaltung abzüglich Rückerstattungen durch Mitglieder. 508 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 77-6, Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Derschlag, GV-Protokoll vom 18. Mai 1905. 509 Volksbank Rheinböllen eG, Ordner 1, 2, 3 und 4, ,Auskünfte‘. 510 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 76-5, Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Derschlag, Gewinnund Verlustrechnung für 1907. 511 Festsetzung des Jahresbeitrages pro 1907 siehe RWG-Leihgabe, Bericht über den neunzehnten Verbandstag des Verbandes rheinpreußischer landwithschaftlicher Genossenschaften eingetragener Verein in Bonn, 7. September 1907, S. 4; RWGV-Leihgabe, Bericht über den zwanzigsten Verbandstag des Verbandes rheinpreußischer landwithschaftlicher Genossenschaften eingetragener Verein in Bonn, 10. Juni 1908, S. 4 f. 512 Siehe unter anderem ZLVfRh 30/1891, S. 240; RWGV-Leihgabe, Protokolle über die Generalversammlungen des Verbandes der rheinischen landwirthschaftlichen Genossenschaften zu Bonn in den Jahren 1889 bis incl. 1898, Protokoll des ersten Verbandstages, 25. Oktober 1890

5. Die Verwaltungskosten

389

Verwaltung kamen die Abschreibungen auf „Geräte und Utensilien“, was meist nicht mehr als und wenn überhaupt eine Schreibmaschine umfasste.513 Im Falle der Spar- und Darlehnskasse Derschlag gehörte hierzu die „Anlage eines Telephons“514 im Hause des Rendanten, wo die Genossenschaft zunächst einen Geschäftsraum angemietet hatte. Gerichtskosten, Ausgaben für Formulare und Drucksachen, Porti und Ausgaben für Ferngespräche sowie verschiedene Spesen und Ausgaben für Auskünfte konnte die Genossenschaft anteilig auf der Haben-Seite verbuchen, das heißt die Verwaltungskosten wurden nicht ausschließlich durch die Genossenschaft getragen, sondern wurden in dem Moment, in dem ein Mitglied eine Leistung der Genossenschaft in Anspruch nahm, entsprechend umgelegt und waren durch das Mitglied zu bezahlen. So wurden in 1907 zum Beispiel 37,03 Mark für Drucksachen und Formulare an die Genossenschaft zurückbezahlt. Zudem wurden 556,24 Mark an Gerichtskosten zurückerstattet und 30,60 Mark für Porti sowie zwei Mark für Auskünfte.515 Demnach wurden 1907 rund 13 Prozent der Ausgaben für die Verwaltung durch die Rückerstattungen gedeckt. In der Summe beliefen sich die Verwaltungskosten im Verhältnis zum Gesamtumsatz (1907: 3.802.807,76 Mark) auf 0,13 Prozent, womit hier die Kosten 0,5 Prozentpunkte unter dem preußischen Durchschnitt lagen.516 Für den Bonner Verband liegen keine entsprechenden statistischen Daten für das Jahr 1907, sodass ein Vergleich nicht möglich ist. Mit steigender Mitgliederzahl und weiterem Anwachsen des Geschäftsumfanges stiegen stetig, wenn auch in moderatem Maße, die Ausgaben für die Verwaltung: Im Jahr 1909 wurden insgesamt 5.133,64 Mark ausgegeben. Da die Genossenschaft die Ausgaben in vielen Bereichen (zum Beispiel die Stempelgebühr) jedoch auf die Mitglieder umlegte, wurden 1909 insgesamt 730,07 Mark (14,22 Prozent) rückerstattet; 1911 beliefen sich die Verwaltungskosten auf 5.654,68 Mark, von denen 960,46 Mark (16,99 Prozent) von den Mitgliedern zurückgezahlt wurden. Eine ausführliche Zusammenstellung sämtlicher Verwaltungskosten der Sparund Darlehnskasse Derschlag für die Jahre 1907 bis 1911 findet sich exemplarisch in der Tabelle 35.

513 514 515 516

in Bonn: „Namens des Verbands­Ausschusses schlägt Dr. Nücker (Bitburg) der Versammlung vor, den Beitrag für das Gründungsjahr 1889 fallen zu lassen, dagegen den von der konstituie­ renden Versammlung festgesetzten Beitrag von 10 M für das laufende Jahr 1890 zu erheben und für das kommende Jahr ebenfalls 10 M festzusetzen, vorbehaltlich eines noch zu erheben­ den weiteren Zuschlags, der sich nach dem Geschäftsumfange der einzelnen Genossenschaften richten und von dem nächstjährigen Verbandstage festgesetzt werden soll“. Siehe unter anderem AdVBO, Bestand RB Wiehl, 76-7, Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Derschlag, Jahresabschluss für 1907. AdVBO, Bestand RB Wiehl, 77-6, Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Derschlag, GV-Protokoll vom 18. Mai 1905. AdVBO, Bestand RB Wiehl, 76-5, Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Derschlag, Gewinnund Verlustrechnung für 1907. Reichsverband: Jahrbuch 1908, S. 184.

390

VIII. Die Geschäftstätigkeit

Tabelle 35: Verwaltungskosten der Spar- und Darlehnskasse eGmuH Derschlag (Kreis Gummersbach) für die Jahre 1907, 1908, 1909 und 1911 Posten

1907 (Mark)

1908 (Mark)

1909 (Mark)

1911 (Mark)

Umsatz

190.1403,88

192.8379,53

202.1935,75

1.978.365,76

Ausgaben für Verwaltung

4.782,23

4.826,86

5.133,64

5.654,68

Gehälter (gesamt)

3.600,00

3.500,00

3.650,00

4.079,25

1) Rendant

3.600,00

3.000,00

3.350,00

3.750,00

450,00

300,00

300,00

3) Sitzungsgelder

50,00

-

29,95

Reisekosten

12,50

10,00

-

2) Direktor

Geschäftsbücher etc.

257,50

146,65

297,27

221,69

Porti

282,73

208,03

287,65

340,79

-

107,90

106,15

128,60

427,90

548,68

513,60

544,90

Steuern

37,60

87,15

-

40,20

Verbandsbeitrag (Verband Bonn)

75,00

75,00

80,00

80,00

-

30

-

22,50

50

100

100

100

-

-

Ferngespräche Gerichtskosten (und Wechselgebühren)

Revision Miete Auskunft

51,50

Sonstiges

-

5,95

88,97

96,05

,Rückerstattung von Verwaltungskosten‘

625,87

709,8

730,07

960,46

Gerichts­ und Wechselkosten

556,24

583,12

546,65

672,93

Formulare und Drucksachen

37,03

34,48

39,77

30,15

Porti

30,60

90,20

129,35

221,98

Ferngespräche

-

-

14,30

35,40

Auskunft

2

2

-

-

Quelle: AdVBO, Bestand RB Wiehl, 76-7, Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Derschlag, Jahresabschluss für 1907; AdVBO, Bestand RB Wiehl, 76-6, Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Derschlag, Jahresabschluss für 1908; AdVBO, Bestand RB Wiehl, 76-5, Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Derschlag, Jahresabschluss für 1909; AdVBO, Bestand RB Wiehl, 75-7, Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Derschlag, Jahresabschluss für 1911.

391

5. Die Verwaltungskosten

Für 1911 (sowie für einige Jahre zwischen 1918 und 1929) ist zudem eine relativ detaillierte Aufstellung der Verwaltungskosten für die einzelnen Monaten überliefert. Tabelle 36: Geschäftskosten (Ausgaben) der Spar-und Darlehnskasse eGmuH Derschlag nach Monaten im Jahr 1911 (in Mark) 1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

Januar

25

250

0,40

28,60

43,10

-

-

0,27

-

-

347,37

Februar

25

-

43,68

3,80

25,25

6,10

8,30

-

-

-

112,13

März

25

500

25,60

2,30

30,40

-

4,40

2,19

-

-

589,89

April

25

250

25,20

25,35

66,95

75,80

4,40

1,72

-

100

574,42

Mai

25

250

26,27

2,00

43,15

29,50

6,20

2,81

-

-

384,93

Juni

25

400

40,82

1,60

51,30

19,45

3,70

1,97

-

19,70

563,54

Juli

25

600

33,40

29,35

50,25

3,75

2,60

0,96

80,00

-

825,31

August

25

250

33,25

1,70

92,10

5,85

3,90

1,29

62,70

6,75

482,54

September

25

250

27,35

2,90

39,75

66

3,90

1,26

-

5,25

421,41

Oktober

25

250

29,15

26,85

44,35

13,39

4,30

2,56

12,50

5,25

413,35

November

25

250

26,90

0,95

36,00

-

3,80

1,56

-

-

344,21

Dezember

25

500

28,77

3,20

22,30

1,85

2,50

2,96

-

49,70

636,28

300 3.750 340,79 128,60 544,90 221,69

48,00

19,55 155,20

186,65

5.695,38

Summe

1: Direktor; 2: Rendant; 3: Porti; 4: Telefon (,Ferngespräche‘); 5: Gerichtskosten und Gebühr für Wechsel; 6: Annoncen und Drucksachen; 7: Quittungsstempel; 8: Postscheckamtgebühr; 9: Steuern, Revision, Verbandsbeitrag; 10: Versicherung, Sitzungsgelder, Reisekosten, Wohnung mit Heizung und Beleuchtung, Abschreibungen; 11: Gesamtkosten. Quelle: AdVBO, Bestand RB Wiehl, 75-7, Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Derschlag, Jahresabschluss 1911.

Tabelle 37: Geschäftskosten ,Rückvergütung‘ der Spar-und Darlehnskasse eGmuH Derschlag nach Monaten im Jahr 1911 (in Mark) Wechselgebühren

Porto und Spesen

Drucksachen

Ferngespräche

Gesamt

Januar

41,30

4,30

-

6,40

52,00

Februar

41,70

10,60

5,60

3,80

61,70

März

29,65

14,80

2,35

2,10

48,90

April

48,35

5,90

1,55

3,35

59,15

Mai

48,15

7,55

3,70

1,75

61,15

392

VIII. Die Geschäftstätigkeit Wechselgebühren

Porto und Spesen

Drucksachen

Ferngespräche

Gesamt

Juni

51,40

69,33

2,90

1,10

124,73

Juli

38,43

8,70

3,00

4,05

54,18

August

88,65

13,50

2,45

1,45

106,05

September

39,85

5,90

1,15

2,90

49,80

Oktober

62,15

11,55

1,75

5,35

80,80

November

67,00

4,90

3,45

0,95

76,30

Dezember

116,30

64,95

2,25

2,20

185,70

Summe

672,93

221,98

30,15

35,40

960,46

Quelle: AdVBO, Bestand RB Wiehl, 75-7, Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Derschlag, Jahresabschluss 1911.517

Die Rückvergütung durch die Mitglieder zeigt die Tabelle 37. Der Direktor (Vereinsvorsteher/Vorstandsvorsitzende) erhielt monatlich eine Aufwandsentschädigung von 25 Mark. Im Sommer nach der Genehmigung der Bilanz erhielt der Rendant zusätzlich zu seinem Gehalt eine Gratifikation. Auch diese Tabelle zeigt noch einmal deutlich, dass die Personalkosten gegenüber allen anderen Kosten stets am höchsten waren.518 Der Verkehr mit der Zentralkasse wurde in Bankauszügen, angefertigt von der Zentralkasse, festgehalten. Diese wurden den Genossenschaften zur Verfügung gestellt und bedeuteten für den Rendanten eine „schöne Arbeitsersparnis“.519 So musste der Rendant nicht mehr selbst die Beträge ermitteln, sondern nur noch die Kontoauszüge prüfen. Die Auszüge dienten vor allem aber – und das war auch ihr funktioneller Kern – der gegenseitigen Kontrolle und Absicherung zwischen Zentralkasse und Genossenschaft, zumal die Auszüge durch die Verwaltung der Genossenschaft binnen einer festgesetzten Frist gegebenenfalls schriftlich zu beanstanden waren, da die Rechnung ansonsten als „anerkannt“520 galt. 517 Vgl. etwa auch Jahresabschlüsse des Eppinghovener Spar- und Darlehnskassenverein eGmuH (heute Volksbank Dinslaken eG); RWWA, 372-14-3, Unterlagen zur Erstellung des Jahresberichtes; RWWA 372-14-4, Unterlagen zur Erstellung des Jahresberichtes; der Bestand Abt. 372 umfasst weitere Jahresberichte, die einen umfassenden Überblick liefern. 518 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 75-7, Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Derschlag, Jahresabschluss für 1911; siehe auch AdVBO, Bestand RB Wiehl, 78-1, Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Derschlag, AR-Protokoll vom 19. Mai 1910: „Das Gehalt des Rendanten wurde für die Jahre 1910–12 auf Mk. 3.100,- festgesetzt. Als Tantiéme wurde für das verflossene Ge­ schäftsjahr 1909 Mk. 300 festgesetzt und für 1910 als Entschädigung für den zu haltenden Lehrling die Summe von Mk. 300 bewilligt. Das Gehalt des Directors wird auf Mk. 300 pro Jahr festgesetzt“. 519 AdVBO, Bestand RB Wiehl, 76-8, Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Derschlag, Revisionsbericht 1907. 520 RWWA, 404-13-15, Allgemeine Geschäftsbedingungen der Rheinischen Landesgenossenschaftskasse eGmbH zu Köln, circa 1927.

5. Die Verwaltungskosten

393

Während es sich bei der Spar- und Darlehnskasse Derschlag um eine Kreditgenossenschaft mit stark gewerblich geprägter Mitgliederstruktur handelte,521 waren die Kreditgenossenschaften im Kreis Wipperfürth in vergleichsweise stärker landwirtschaftlich geprägten Orten ansässig. Die Verbandsstatistiken für den Zeitraum 1905 bis 1908/09 führen Wechselgeschäfte nicht einmal mit auf, da der Wechsel in der Landwirtschaft in der Regel keine große Rolle spielte. Im Vergleich zu den rund 4.000 Geschäftsvorfällen der Spar- und Darlehnskasse Derschlag im Jahr 1906 belief sich die Anzahl der Tagebuchposten der 1894 in Hohkeppel gegründeten Kreditgenossenschaft gerade einmal auf 537. Damit war sie unter den acht im Kreis ansässigen und zugleich dem Kölner Verband angeschlossenen Kreditgenossenschaften diejenige mit den meisten Buchungen. In Agathaberg verzeichnete man 446 Tagebuchposten, in Kreuzberg 403, in Linde 354, in Hönnige (ab 1910 Sitz in Wipperfürth) 305, in Olpe 205 und in Wipperfeld 182. Die Spar- und Darlehnskasse in Egen, in deren Geschäftsgebiet lediglich 400 Personen lebten, von denen 28 der Genossenschaft beigetreten waren, belief sich die Anzahl der Tagebucheinträge auf gerade einmal 29. Auch wenn die Statistiken des Kölner Verbandes nicht so detailliert und umfangreich waren wie die des Bonner Verbandes und Jahresberichte im Archiv der Volksbank Wipperfürth-Lindlar eG nicht nachzuweisen sind, lässt sich dennoch konstatieren, dass der Geschäftsumfang der Kreditgenossenschaften im Kreis Wipperfürth kaum denen der Derschlager Kasse entsprach, was sich folglich auch in den Aufwendungen für die Verwaltung der einzelnen Spar- und Darlehnskassen niederschlug. Bei der Auswertung von Geschäftsordnungen, Dienstanweisungen und Anleitungen zur Führung von Kreditgenossenschaften wird deutlich, dass es weit (zeit-) aufwendiger war, Darlehn zu verwalten, als zum Beispiel Spareinlagen. Die Spar- und Darlehnskasse Egen – die kleinste der untersuchten Genossenschaften – führte lediglich sieben „Konten der Einleger“, 16 „Konten der Darlehn“ sowie zwei Konten in laufender Rechnung. Der Gesamtumsatz für 1905 belief sich auf 8.178 Mark. Laut Verbandsstatistik – deren Erhebungsgrundlage nicht eindeutig geklärt werden konnte – beliefen sich die Verwaltungskosten auf 15 Mark. Zum Vergleich: Die Verwaltungskosten der Spar- und Darlehnskasse in Hönnige, die dem Gesamtumsatz nach die größte Kreditgenossenschaft im Kreis Wipperfürth war (Gesamtumsatz 1905: 251.519 Mark), beliefen sich im Jahr 1905 auf 325 Mark. Nur die Spar- und Darlehnskasse Hohkeppel hatte mit 338 Mark höhere Verwaltungskosten, führte aber auch bei 98 Mitgliedern – 16 Mitglieder mehr als die Hönniger Kasse – 15 Konten in laufender Rechnung (Hönnige: zehn), 57 Darlehnskonten (Hönnige: 96) und 183 Einlegerkonten (Hönnige: 86). Auch für den Kreis Wipperfürth ist zu konstatieren, dass einige Posten der Ausgaben für die Verwaltung durch die Rückvergütung durch die Mitglieder aufgefangen wurden. So beschloss, um ein Beispiel anzuführen, die Generalversammlung der Hohkeppeler Genossenschaft 1899, für jedes Mitglied ein Exemplar des Statuts, der Geschäftsordnung sowie der Dienstanweisung drucken zu lassen, die „jedem Mitglied gegen 521 Siehe unter anderem AdVBO, Bestand RB Wiehl, 77-6, Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Derschlag, GV-Protokoll vom 24. März 1907, Jahres- und Geschäftsbericht des Vorsitzenden des AR.

394

VIII. Die Geschäftstätigkeit

Vergütung ausgehändigt“522 wurden. Die Verwaltungskosten enthielten vermutlich jedoch nicht die Ausgaben für Löhne und Gehälter, zumal dem Rendanten der Hohkeppeler Spar- und Darlehnskasse seit 1895 ein „Honorar“ von 100 Mark pro Jahr zustand, womit die Gesamtsumme der Hohkeppeler Verwaltungskosten höher gewesen sein dürfte.523 Tabelle 38: Ausgewählte Geschäftsergebnisse der im Kreis Wipperfürth ansässigen Kreditgenossenschaften für das Jahr 1905 Sitz

1

2

3

4

5

6

Hönnige

72

25.1519

325

Egen

28

8.178

Agathaberg

78

Hohkeppel

7

8

9

10

305

40.582

56.751

235

86

96

10

15

29

1.490

400

4

7

16

2

191.491

175

446

22.059

42.218

50

69

53

13

98

121.877

338

537

3.259

33.456

296

183

57

15

Kreuzberg

75

135.184

182

403

18.145

5.537

212

110

60

5

Linde

55

149.968

195

354

18.670

19.458

162

99

26

18

Olpe

48

75.318

147

205

13.635

11.561

51

73

11

8

Wipperfeld

61

61.450

76

182

9.574

5.400

105

45

33

7

1: Anzahl der Mitglieder, 2: Gesamtumsatz (in Mark); 3: Kosten Verwaltung (in Mark); 4: Anzahl der Tagebuchposten; 5: Umsatz in lfd. Rechnung mit Mitgliedern/Einzahlungen (Mark); 6: Umsatz in lfd. Rechnung mit Mitgliedern/Auszahlungen (Mark); 7: Gewinn/Verlust (Mark); 8: Konten der Einleger (Anzahl); 9: Konten der Darlehn (Anzahl); 10: Konten in laufender Rechnung (Anzahl). Quelle: Verband rheinischer Genossenschaften e.V. zu Köln: XII. Uebersicht (Statistik) der Geschäfts-Ergebnisse angeschlossenen Genossenschaften für das Jahr 1905, S. 26 f.

Auf alle genannten Kreditgenossenschaften gerechnet lagen die Verwaltungskosten im Verhältnis zum Umsatz bei 0,15 Prozent. Mit 0,28 Prozent waren die Verwaltungskosten im Verhältnis zum Umsatz bei der Spar- und Darlehnskasse Hohkeppel am höchsten und mit 0,09 Prozent bei der Spar- und Darlehnskasse in Agathaberg am niedrigsten. Pro Mitglied beliefen sich die Verwaltungskosten im Durchschnitt auf 2,82 Mark. Bei der Spar- und Darlehnskasse Hönnige waren die Verwaltungskosten auf das einzelne Mitglied gerechnet mit 4,51 Mark am höchsten, bei der Spar- und Darlehnskasse Egen mit 0,54 Mark am niedrigsten.524 Im Geschäftsjahr 1906 haben sich die Verwaltungskosten gegenüber 1905 kaum verändert: Auf alle genannten Kreditgenossenschaften gerechnet lagen die Verwaltungskosten im Ver522 AdVBWL, 1-7, Hohkeppeler Spar- und Darlehnskassen-Verein eGmuH, GV-Protokoll vom 10. Januar 1899. 523 AdVBWL, 1-4, Hohkeppeler Spar- und Darlehnskassen-Verein eGmuH, VS-Protokoll vom 19. November 1894. 524 Eigene Berechnungen nach ebd.

5. Die Verwaltungskosten

395

hältnis zum Umsatz bei 0,18 Prozent (+ 0,3).525 Die Entwicklung der Verwaltungskosten über einen längeren Zeitraum zu untersuchen ist aufgrund der fragmentarischen Quellenlage nicht möglich. Die Verwaltungskosten blieben im Schnitt unter 500 Mark, was zwischen 1905 und 1914 ein Vierzehntel der Derschlager Verwaltungskosten und ein Neuntel der Dieringhausener Verwaltungskosten ausmachte. Im dritten Geschäftsjahr stiegen die Verwaltungskosten nominal leicht an. Anders als im Reichsdurchschnitt scheint es im Kreis Wipperfürth jedoch in Krisen, wie etwa 1910/11, zur Verteuerung der Verwaltungskosten gekommen zu sein. Ein Blick auf die Entwicklung der Verwaltungskosten im Reichsdurchschnitt beziehungsweise der Verwaltungskosten aller dem Reichsverband angeschlossenen ländlichen Kreditgenossenschaften zeigt, dass die Verwaltungskosten im Verhältnis zum Umsatz von Bezirk zu Bezirk schwankten und sich daher reichsweite Aussagen über die Verwaltungskosten der Genossenschaften schwer verallgemeinern lassen, was Mikrountersuchungen notwendig werden lässt. Zudem sind die durchschnittlichen Verwaltungskosten der dem Trierer Verband angeschlossenen Kreditgenossenschaften genannt, dessen Genossenschaften jedoch durchschnittlich stets höhere Verwaltungskosten aufweisen. Dies könnte daraus resultiert haben, dass der Trierer Verband keinem Dachverband angeschlossen war und hierdurch aufgrund mangelnder Externalisierungsmöglichkeiten positive Economies of Scale ausblieben, was sich wiederum auf die Verwaltungskosten der Primärgenossenschaften negativ auswirkte. Nach Ansicht des Reichsverbandes hing diese Divergenz vor allem mit einer unvollständigen Datenerhebung beziehungsweise unterschiedlichen Erhebungsgrundlagen zusammen. Beim Bayerischen Verband wurden etwa nur Rechnergehalte angegeben. Zudem war die Form der Kreditvergabe – in laufender Rechnung oder als Darlehn –, sowie welche Geschäftszweige überhaupt betrieben wurden, ausschlaggebend.526 Im Jahr 1897 lagen die Verwaltungskosten im Reichsdurchschnitt bei 391 Mark pro Kasse und fielen dann 1898 auf 246 Mark (1899: 254 Mark; 1900: 277 Mark). Bis 1901 stiegen sie auf 317 Mark. Im Jahr 1905 lagen die Verwaltungskosten durchschnittlich bei 480 Mark; fünf Jahre später beliefen sich die Verwaltungskosten pro Kasse durchschnittlich auf 694 Mark 525 Zwar waren die Verwaltungskosten im Verhältnis zum Umsatz 1908 bei der Wipperfürther Kasse mit 0,1 Prozent immer noch ähnlich wie in den Jahren 1905 und 1906, doch waren sie in Egen auf 3,5 Prozent gestiegen, was folglich den Kreisdurchschnitt erheblich – von 0,18 Prozent auf 1,9 Prozent – anhob. Die Spar- und Darlehnskasse in Hohkeppel lag mit 0,27 Prozent an der Spitze, während die Kreditgenossenschaft Agathaberg mit 0,12 Prozent prozentual den geringsten Verwaltungskostenaufwand hatte. Durchschnittlich auf alle im Kreis ansässigen Kreditgenossenschaften gerechnet fielen je Mitglied 3,13 Mark für die Verwaltungskosten an. Bei der Spar- und Darlehnskasse Hönnige waren es mit 4,26 Mark die meisten und in Egen – wie im Vorjahr – mit 0,54 Mark je Mitglied die wenigsten Verwaltungskosten, was wiederum vermuten lässt, dass die Egener Kreditgenossenschaft in sehr eingeschränktem Umfang geschäftig war. 526 Reichsverband: Jahrbuch 1903, S. 166; Jahrbuch 1920, S. 171. – Für die Erhebung der Ergebnisse wurde der „übliche Fragebogen“ verwendet, der aus dem für das Jahr 1896 zum ersten Mal verwendeten Frageboden entwickelt wurde. Die Daten des Reichsverbandes können gewissermaßen als Reichsdurchschnitt betrachtet werden, insbesondere für die Zeit 1905 bis 1913, als der Raiffeisen-Verband dem Reichsverband angeschlossen war.

396

VIII. Die Geschäftstätigkeit

(1913: 813 Mark). Umgerechnet auf ein Mitglied ergaben sich folgende Werte: 1897 lagen die Kosten durchschnittlich bei 4,86 Mark, 1900 bei 3,75 Mark und 1905 bei 5,48 Mark. In Relation zum durchschnittlichen Umsatz der Kassen beliefen sich die Verwaltungskosten 1897 auf 0,22 Prozent, schwankten von 1898 bis einschließlich 1903 zwischen 0,14 und 0,15 Prozent, stiegen 1904 auf 0,19 Prozent und blieben bis 1910 bei 0,18 Prozent. 1911 und 1912 lagen sie erneut bei 0,15 Prozent,527 womit in den Krisenjahren der Anteil der Verwaltungskosten am Umsatz zurückging, da offensichtlich der Geschäftsbetrieb ‚gedrosselt‘ wurde. Diese Entwicklung lässt sich auch bei den in Preußen ansässigen Kreditgenossenschaften konstatieren. Hier lagen die Verwaltungskosten im Verhältnis zum Umsatz bei 0,18 Prozent im Jahr 1896 (1897: 0,17 Prozent) und fielen dann auf 0,12 Prozent im Jahr 1898. Zwischen 1899 und 1903 pendelte sich der Verwaltungskostenanteil – wie auch auf Reichsebene – auf 0,14 bis 0,15 Prozent ein und stieg 1904 auf 0,18 Prozent. Bis einschließlich 1910 lagen die Verwaltungskosten bei 0,17 bis 0,18 Prozent und fielen 1911 auf 0,13 Prozent, was freilich ebenfalls auf die schlechten Ernteergebnisse und den Futternotstand 1910/11 zurückgeführt werden kann.528 Der Verband Bonn, der dem Reichverband angeschlossen war, meldete für den Zeitraum 1896 bis 1914 eine recht ähnliche Entwicklung.529 Geht man von einer gleichen Erhebungsgrundlage aus, so lagen die Verwaltungskosten bei den Kreditgenossenschaften des Bonner Verbandes jedoch stets etwas unter dem Reichsdurchschnitt; dies gilt gleichermaßen für den Vergleich mit den preußischen Daten in den Jahren 1900, 1901, 1903, 1905, 1909 bis 1911. In den Jahren 1896, 1898, 1912 und 1914 lagen die Verwaltungskosten der Kreditgenossenschaften des Bonner Verbandes über denen des preußischen Durchschnitts. Ein Vergleich mit statistischen Erhebungen des Reichsverbandes mit den Daten für die Kreditgenossenschaften des Kölner Verbandes zeigt, dass die Egener Ergebnisse den Kreisdurchschnitt beeinflussten, nicht jedoch die Verwaltungskosten im Verbandsdurchschnitt und im preußischen Durchschnitt, da auf dieser Ebene die Egener Einzelergebnisse nicht ‚zu Buche schlugen‘. Wo kaum Geschäfte abgewickelt werden, entstehen in der Regel auch kaum Kosten. So wurden bei der Egener Kreditgenossenschaft 1908 lediglich vier Einlegerkonten und sechs Darlehnskonten betreut; Konten in laufender Rechnung gab es nicht.530 Auf Beschluss der Generalversammlung vom 16. August 1910 wurde die Kreditgenossenschaft liquidiert – sie war für ein Fortbestehen zu klein gewesen.531 527 Reichsverband: Jahrbücher 1896–1914. – Der Verwaltungskostenanteil wird hier nicht wie bei den heute gängigen Bilanzkennzahlen Verwaltungskosten/Betriebskosten x 100 gerechnet, sondern Verwaltungskosten/Umsatz x 100. 528 Alle Daten nach Reichsverband: Jahrbücher, versch. Jgge. 529 Alle Daten nach Reichsverband: Jahrbücher 1896–1914. 530 Verband rheinischer Genossenschaften e.V. zu Cöln: XV. Uebersicht (Statistik) der Geschäftsergebnisse der angeschlossenen Genossenschaften für das Geschäftsjahr 1908 bezw. 1908/09, S. 28 f. 531 AdVBWL, Auszug des Amtsgerichtes Wipperfürth, Egener Spar- und Darlehnskassen-Verein eGmuH, Registereintrag vom 10. März 1914: „Nach Verteilung des Genossenschaftsvermö­ gens ist die Vollmacht der Liquidatoren erloschen“. Damit war die Liquidation abgeschlossen.

IX. KONKURRENZ MIT SPARKASSEN UND ANDEREN BANKENTYPEN Bei der Betrachtung des Kartenblattes des Geschichtlichen Atlasses zur Geschichte der Sparkassen und Banken im nördlichen Rheinland von 1789 bis 1913 fällt unmittelbar auf, dass das Bergische Land bankenmäßiges ‚Ödland‘ war.1 Während die erste Karte eine gleichmäßige Verbreitung von kommunalen Sparkassen über den Kreis Gummersbach zeigt, zudem für den Kreis Wipperfürth zwei Sparkassen und für den Kreis Waldbröl eine kommunale Sparkasse eingezeichnet sind,2 zeigt die zweite Karte, in der ausschließlich Privatbanken, Aktienbanken und öffentliche Banken kartografisch festgehalten sind, für den Bergischen Raum keine einzige Regional- oder Aktienbank.3 Von Westen nach Osten, zwischen Mülheim am Rhein und Gummersbach, bestanden außer den beiden Reichsnebenstellen in Mülheim und in Gummersbach (eröffnet 1889) keine Banken. Und auch weiter östlich, in den Kreisen Olpe und Siegen, ist jeweils nur eine Reichsbanknebenstelle auszumachen. Von Norden nach Süden war im nördlich vom engeren Untersuchungsraum und südlich von Barmen und Elberfeld gelegenen Kreis Lennep, wo die Industrialisierung größeren Fortschritt genommen hatte, eine Vielzahl von Banken ansässig. Im Siegkreis (südlich der untersuchten Kreise) bestand neben einer Reichsbanknebenstelle eine Zweigstelle des Barmer Bankvereins.4 Nicht in der Karte abgebildet ist die 1910 in Gummersbach gegründete Oberbergische Landesbank.5 Insgesamt wurden bis 1914 keine Bankfilialen im engeren Untersuchungsraum eingerichtet, womit in den drei Kreisen keine direkten Konkurrenzinstitute (außer den Sparkassen) bestanden.6 1 2 3

4 5

6

Thomes: Sparkassen, Kartenbeiblatt; ferner zur Struktur der deutschen Kreditwirtschaft Hardach: Geschichte, S. 13. Siehe auch Kapitel III. Thomes: Sparkassen, S. 18; zu den Filialen der Reichsbank siehe auch Pohl: Festigung, S. 251. – 1902 unterhielt die Reichbank reichsweit 375 Filialen, die in „ihrer Gesamtheit den Geldum­ lauf im Deutschen Reich regeln sollten“ (Pohl: Konzentration, S. 104). Baldus: Entwickelung, S. 258, nennt für den Kreis Gummersbach für das Jahr 1927 die Reichsbanknebenstelle sowie jeweils eine Zweigniederlassung des Barmer Bankvereins, der Deutschen Bank und des A. Schaaffhausen’schen Bankvereins (ab 1921), zudem die Gummersbacher Volksbank, die in den 1880er-Jahren in eine Aktiengesellschaft umgewandelt wurde und schließlich mit der Rönsahler Bank in Ohl (Kreis Wipperfürth) fusionierte. Danach lautete die Firma Bergische CreditAnstalt AG. Vor dem Ersten Weltkrieg wurde sie vom Barmer Bankverein übernommen. Thomes: Sparkassen, Kartenbeiblatt. Stadt Gummersbach: 1.000 Jahre, S. 34; Padtberg: Wirtschaftsgeschichte, S. 197; Baldus: Entwickelung, S. 259. – Die Oberbergische Landesbank KG wurde durch den Direktor der Bergischen Credit-Anstalt AG gegründet. Die Oberbergische Landesbank KG wurde 1920 von der Deutschen Bank übernommen. Siehe Padtberg: Wirtschaftsgeschichte, S. 197. – Zur Entstehungsgeschichte und Entwicklung der öffentlichen Sparkassen im Untersuchungsraum bis circa 1890 siehe auch Kapitel III.

398

VIII. Die Geschäftstätigkeit

Als stärkste Konkurrenten der ländlichen Kreditgenossenschaften galten die öffentlich-rechtlichen Sparkassen, wobei sich diese Konkurrenzsituation vor allem nach der Inflation beachtlich verschärfte.7 Nikolaus Feldmann schrieb 1914: „Das Verhältnis zu den Sparkassen war nicht immer sehr erfreulich“.8 Im Kreis Bitburg (Regierungsbezirk Trier) etwa sahen die Kreditgenossenschaften 1904 in der neu gegründeten Sparkasse eine „unerwünschte Konkurrentin, deren Erfolge nur zu einer erheblichen Einschränkung ihres eigenen bisherigen Arbeitsgebietes führen“9 konnten, was sie wiederum veranlasste, eine Beschwerde beim Trierer Regierungspräsidenten vorzubringen.10 Neben der zunehmend „bankmäßigen Ausgestaltung“11 der Sparkassen würde vielerorts „unter Außerachtlassung der einfachsten Rücksicht“12 intensivster Wettbewerb um die Spareinlagen betrieben, was die Situation der Kreditgenossenschaften erschwere und zu „Hemnissen“13 im Geschäftsbetrieb der Kreditgenossenschaften führe. Diese Entwicklung veranlasste die vier rheinischen Genossenschaftsverbände dazu, eine gemeinsame Eingabe beim Oberpräsidenten der Rheinprovinz vorzubringen, mit dem Ziel, den „zügellosen“14 Wettbewerb der Sparkassen einzudämmen. Man forderte, die Reklame der Sparkassen einzuschränken und weitere „Zinstreibereien“15 künftig zu unterbinden.16 Neben dem Spargeschäft waren die Sparkassen durchaus auch im Aktivgeschäft Konkurrenten der Kreditgenossenschaften. Der Reichsverband beziehungsweise der Bonner Verband formulierten 1909 ihre Bedenken: Man müsse die Sparkassen und ihre Aktivitäten im Personalkreditgeschäft im Auge behalten. Das Personalkreditgeschäft sei traditionell die „Haupttätigkeit“17 der Spar- und Darlehnskassen. Von den Sparkassen sei der Personalkredit hingegen bisher in „ziem­ lich geringem Umfang gepflegt“18 worden. Der Generalsekretärs des Reichsverbandes Otto Gennes19 formulierte über Ergebnisse des Schlesischen Sparkassen7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19

Kestermann: Reformen, S. 7. Feldmann: Verband, S. 32. LA Koblenz, 403/9347, Schreiben des Regierungspräsidenten in Trier an den Oberpräsidenten der Rheinprovinz betreffend Eingabe von Kreditgenossenschaften im Kreise Bitburg, 15. März 1904. Ebd. Feldmann: Verband, S. 32. Ebd. Ebd. Ebd., S. 33. Ebd. Nicht weiter thematisiert werden hier zum Beispiel Bestrebungen, einen direkten Geschäftsverkehr zwischen Sparkassen und Kreditgenossenschaften einzurichten. Siehe Reichsverband der deutschen landwirtschaftlichen Genossenschaften: Taschenbuch (1923), S. 427 f. RWGV-Leihgabe, Bericht über den einundzwanzigsten Verbandstag des Verbandes der rheinpreußischen landwirtschaftlichen Genossenschaften eingetragener Verein in Bonn am 15. September 1909, S. 12. Ebd. Der Regierungsrat Otto Gennes (*1873 (Baumholder, Regierungsbezirk Trier)) trat 1900 in den Dienst des Reichsverbandes (ab 1904 Generalsekretär). Nach Haas’ Tod wurde Gennes Anwalt und Vorstand des Reichsverbandes. Gennes war Anfang der 1920er Jahre Mitglied des Vorläu-

1. Das Spargeschäft

399

tages von 1907, dass „die Pflege des Personalkredits mehr Arbeit macht[e] als diejenige des Hypothekarkredits, daß die Prüfung der Sicherheit, die Kontrolle usw. schwieriger sind, in der Hauptsache aber […], daß die öffentlichen Kassen gar nicht über genügende Kapitalien verfügen, um den Personalkredit ausreichend zu befriedigen und vor allem auch in der Abneigung des Publikums, welches sich in Geldsachen ungern an die Behörde wendet und lieber zu dem Bankier geht, der für das Publikum nicht nur Geldleiher, sondern gleichzeitig dessen Vertrauter und Rat­ geber ist“.20 1. DAS SPARGESCHÄFT Im engeren Untersuchungsraum blieben die kommunalen Sparkassen im Spargeschäft bis zum Ende des Untersuchungszeitraumes – und auch darüber hinaus – Marktführer.21 Die öffentlichen Sparkassen in Gummersbach, Lindlar, Wipperfürth und Waldbröl wurden nicht nur vor der Gründung der ersten ländlichen Kreditgenossenschaften eingerichtet, sondern nutzten auch verschiedene Ansätze, um den Sparsinn der kleinen Leute zu fördern und auch kleinste Sparbeträge der ländlichen Bevölkerung einzusammeln. Hierzu zählten unter anderem auch die so genannten Pfennigssparkassen, deren Einrichtung auch von Genossenschaftsverbänden empfohlen wurde. Vonseiten der Gemeinde- und Kreisverwaltungen waren die Erfolge der Pfennigssparkassen jedoch bereits in den 1880er-Jahren als gering bezeichnet worden. Die Ausweitung der Geschäftstätigkeit der Sparkassen, wozu auch die Einrichtung von Pfennigssparkassen zu zählen ist, wurde Anfang der 1880er-Jahre durch das „Postsparkassengespenst“22 induziert. Pläne, Postsparkasse zu gründen, wurden jedoch durch den Reichstag 1885 abgelehnt. Parallel zu dieser Diskussion wurde vonseiten der Öffentlichkeit immer mehr die geringe Serviceorientierung der Sparkassen kritisiert, deren Ursachen im Beharren auf überkommene Strukturen der Gründungszeit zu suchen sind. Das Filialnetz war nur schleppend ausgebaut worden, die Öffnungszeiten waren wenig kundenfreundlich. Das „Potential, das in ihrem Bereich des Bank­ und Kreditmarktes vorhanden war“, nutzten die Sparkassen somit „nicht völlig“ aus,23 sodass man neben der Ausweitung des Filialnetzes sukzessive die Öffnungszeiten verbessert, Prämien für Sparer, den Übertragbarkeitsverkehr und die tägliche Verzinsung einführte sowie

20 21 22 23

figen Wirtschaftsrates, zudem im Verwaltungsrat der Deutschen Rentenbank sowie der Deutschen Rentenbank-Kreditanstalt und der Girozentrale der österreichischen Genossenschaften (Wien). Darüber hinaus saß er in Aufsichtsräten diverser Organisationen des genossenschaftlichen Verbundes (RegenoLebensversicherungs AG, Deutsche Genossenschafts-Hypothekenbank AG etc.). Siehe Reichshandbuch der deutschen Gesellschaft, S. 533. RWGV-Leihgabe, Bericht über den einundzwanzigsten Verbandstag des Verbandes der rheinpreußischen landwirtschaftlichen Genossenschaften eingetragener Verein in Bonn am 15. September 1909, S. 12. Wysocki: Untersuchungen, S. 13, 152–190. Pohl: Sparkassen, S. 77. Ebd.; siehe auch Ashauer: Betrachtung, S. 14.

400

VIII. Die Geschäftstätigkeit

die Kündigungsfristen lockerte.24 Darüber hinaus wurden Pfennigs-, Jugend- und Fabriksparkassen gegründet.25 Mit der Gründung dieser Kassen sollten auch kleine und kleinste Beträge gesammelt, der Sparsinn gefördert und die Präsenz vor Ort erhöht werden. Schon die Gründung der Sparkassen Anfang der 1850er-Jahre stieß in vielen Orten der drei untersuchten Kreise zunächst auf wenig Interesse. Das gleiche Bild zeigt sich bei der Verordnung zur Gründung von Pfennigssparkassen. In Wipperfürth sah man geringe Erfolgsaussichten aufgrund fehlender Interessenten und mangelnder Sparfähigkeit: „Die Kinder pflegen hier nicht Taschengeld zu erhalten“,26 und junge Fabrikarbeiter wollte der Sparkassenvorstand lieber direkt als Sparkassenkunden gewinnen. Trotz Bedenken, die man auch der Bezirksregierung mitteilte, richtete die Sparkasse Wipperfürth versuchsweise eine Pfennigssparkasse ein, jedoch nicht als selbstständiges Institut, sondern als „Abteilung der hiesigen Gemeinde­Sparkasse“.27 Die Pfenningssparkasse erhielt eine eigene Geschäftsordnung; Verzinsung und Verwaltung erfolgten jedoch nach den Vorschriften der Sparkasse.28 Erfolglos blieben die Bemühungen in Klaswipper und in der Bürgermeisterei Wipperfeld, wo man wegen der „zerstreuten Lage der hiesigen Gehöfte große Schwierigkeiten“29 bei der Einrichtung einer Pfenningssparkasse sah. Zudem hatte man Schwierigkeiten, „geeignete Personen“30 für die Leitung der Pfennigssparkasse zu finden. Darüber hinaus schätzte der Bürgermeister den Bedarf eines solchen Instituts als eher gering ein, da die Bürgermeisterei mit der Sparkasse Wipperfürth verbunden war und diese „durch den häufigen Verkehr der Gemeinde-Einsas­ sen mit der Stadt Wipperfürth leicht zugänglich“31 war, zumal darüber hinaus Nebenrendanturen in Olpe und Delling bestanden. In Engelskirchen verwies man auf die private Sparkasse der Firma Ermen & Engels. Zwar erkannte man auch hier generell die Zweckmäßigkeit einer Pfennigssparkasse an, sah aber wegen des Bestehens der Fabriksparkasse keinen Bedarf (1883 wurden Spareinlagen mit fünf Prozent verzinst). Zudem sah man (wie auch in Wipperfeld) Probleme, geeignete Personen zu finden, welche „die nötige Garantie und welche die verschiedenen mit Arbeit und Zeitverlust verbundenen Posten insbesondere die Stellung eines Cassie­

24 25

26 27 28 29 30 31

Ebd. Pohl: Sparkassen, S. 77; Kreissparkasse in Waldbröl: 125 Jahre, S. 15. – Laut des Statuts der Kreissparkasse in Waldbröl von 1868 begann die Verzinsung „mit dem ersten des nach der Einzahlung folgenden Monats, und hört[e] auf mit dem 1. desjenigen Monats, in welchem die Rückzahlung“ vorgenommen wurde. Rückzahlungen waren vorher anzuzeigen. LA NRW Düsseldorf, LA Wipperfürth Nr. 158, S. 39, Schreiben des Bürgermeisteramtes Wipperfürth an die Bezirksregierung vom 6. Dezember 1883. Ebd. Siehe auch LA NRW Düsseldorf, LA Wipperfürth Nr. 245, S. 163, Geschäfts-Ordnung für die mit der Sparkasse zu Wipperfürth verbundene Pfennigs-Sparkasse. LA NRW Düsseldorf, LA Wipperfürth Nr. 158, S. 38, Schreiben des Bürgermeisteramtes Wipperfeld an die Bezirksregierung vom 29. November 1883. Ebd. LA NRW Düsseldorf, LA Wipperfürth Nr. 158, S. 36, Schreiben des Bürgermeisteramtes Klaswipper an die Bezirksregierung vom 1. Dezember 1883.

1. Das Spargeschäft

401

rers zu übernehmen bereit waren“.32 Auch der Lindlarer Sparkassenvorstand war wenig optimistisch, dass sich eine Pfennigssparkasse rentieren würde, da bereits bei der Sparkasse selten kleine Einlagen getätigt wurden33 – die Minimal-Einlage von einer Mark kam „fast gar nicht vor und [wenn] nur von Kindern“.34 Zudem verwies man auf die unverhältnismäßig aufwendigen „Mühewaltungen“ und die Kosten für den Druck neuer Statuten, Quittungsbücher etc.35 Pfennigssparkassen richteten schließlich noch die Bürgermeistereien Kürten,36 Engelskirchen37 und Lindlar38 ein. Im Kreis Gummersbach schrieb der Landrat von Sybel 1881 an den Bürgermeister Bülowius, zugleich Vorstand der Sparkasse, dass er rate, „Pfennigs­ sparstationen“39 auch außerhalb Gummersbachs in Vollmershausen, Seßmar und Derschlag zu errichten, da die Fabrikarbeiter „erfahrungsgemäß selten etwas“40 zurücklegen würden. Bei diesem Personenkreis setzte 1905 auch die Derschlager Kreditgenossenschaft mit ihrer Werbeoffensive an (siehe Abschnitt VII.1.b)). Bereits einige Monate später beschloss die Stadtverordnetenversammlung die Gründung der Pfennigssparkasse zu Gummersbach, deren Erfolg jedoch – trotz Ausweitung des Verkaufsstellennetzes und Plakatwerbung – ausblieb. Auch im Kreis Waldbröl wurde das Sparmarkensystem – allerdings erst 1889 – eingeführt. Die Kreissparkasse Waldbröl richtete insgesamt 14 Annahmestellen und 113 Nebenverkaufsstellen ein, stellte die Pfennigssparkasse allerdings 1902 ein.41 Im Jahr 1908 wurde im Kreis Waldbröl erneut an 57 Schulen der Versuch mit Schulsparkassen unternommen.42 Mit dieser Entwicklung lässt sich auch erklären, warum bei den Genossenschaften des engeren Untersuchungsraumes keine Pfennigssparkassen installiert wurden. Offensichtlich hatte man aus dem geringen Erfolg der Pfennigs32 33 34 35 36

37 38 39 40 41 42

LA NRW Düsseldorf, LA Wipperfürth Nr. 158, S. 41, Schreiben des Bürgermeisteramtes Engelskirchen an die Bezirksregierung vom 5. Dezember 1883. LA NRW Düsseldorf, LA Wipperfürth Nr. 158, S. 66, Schreiben des Bürgermeisteramtes Lindlar an die Bezirksregierung vom 30. Juni 1884. Ebd. Ebd. LA NRW Düsseldorf, LA Wipperfürth Nr. 158, S. 73, Schreiben des Bürgermeisteramtes Kürten an die Bezirksregierung vom 22. September 1884. – Sitz war Biesfeld, und der Geltungsbereich erstreckte sich auf die Bürgermeisterei Cürten; LA NRW Düsseldorf, LA Wipperfürth Nr. 158, S. 74, Schreiben vom 21. September 1884; S. 75–85, Bemerkungen und Statuten-Entwurf für eine Pfennigs-Sparkasse in Cürten, unterzeichnet am 18. Mai 1884. LA NRW Düsseldorf, LA Wipperfürth Nr. 158, S. 86, Schreiben des Bürgermeisteramtes Engelskirchen an die Bezirksregierung vom 1. August 1884; Statut der Pfennigssparkasse zu Engelskirchen siehe LA NRW Düsseldorf, LA Wipperfürth Nr. 245, S. 89 ff. LA NRW Düsseldorf, LA Wipperfürth Nr. 158, S. 103, Schreiben des Bürgermeisteramtes an die Bezirksregierung vom 19. Januar 1885. Bericht über Missbrauch der Spareinrichtung und Wettbewerb unter den Kindern, die die Sparmarken bei den Lehrern kaufen konnten. Zit. n. Pomykaj/Woelke: 150 Jahre, S. 15. Zit. n. ebd. Kreissparkasse Waldbröl: 125 Jahre, S. 29 ff. – Die amtliche Bekanntmachung vom 20. Oktober 1889 nannte als Verkaufsstellen je Bürgermeisterei zwei Lehrer oder Pfarrer in unterschiedlichen Orten, lediglich in der Bürgermeisterei Denklingen den Kaufmann Hermann Günther. Siehe etwa für die Entwicklung der Schulsparkasse Lindlar die Nachweisungen über den Geschäftsbetrieb in GArL, Nr. 270, Nachweisung betreffend Schulsparkassen.

402

VIII. Die Geschäftstätigkeit

sparkassen der öffentlichen Sparkassen abgeleitet, dass sich mit diesen Einrichtungen kein großer Einlagenzuwachs abzeichnen würde. Richard Poppelreuter kam für den Landkreis Bonn zu dem Ergebnis, dass sich die Pfennigssparkassen „durchaus nicht als lebensfähig erwiesen“,43 auch wenn eine „anfänglich rasche Nach­ ahmung“44 stattgefunden habe und in einigen Dörfern, „noch lange bevor man an die Errichtung anderer Kassen dachte“,45 dieses Sparsystem eingeführt worden war. Die Sparkassen verzeichneten im engeren Untersuchungsraum hingegen ein stetiges Wachstum – je nach Sitz freilich in unterschiedlichem Tempo und Umfang. Im Jahr 1900 beliefen sich die Spareinlagen bei der Städtischen Sparkasse Gummersbach auf 2,16 Mio. Mark (auf 2.388 Sparbüchern), bei der Bergneustadt-Lieberhausener Kasse auf 1,39 Mio. Mark (auf 1.359 Sparbüchern). Damit besaß rein statistisch fast jeder Gummersbacher Haushalt ein Sparbuch, allerdings war nicht tatsächlich jeder Haushalt auch Kunde der Sparkasse. Bis 1913 stiegen die Einlagen bei der Gummersbacher Kasse auf 7,1 Mio. Mark (auf 5.074 Sparbüchern) und bei der Bergneustadt-Lieberhausener Kasse auf 4,1 Mio. Mark (auf 2.840 Sparbüchern). Die Gimborner Kasse wies einen Spareinlagenbestand von 1,2 Mio. Mark (auf 912 Sparbüchern) auf. 1901 wurde die Städtische Sparkasse Gummersbach zur mündelsicheren Anstalt erklärt.46 Bei der Gimborner Sparkasse (Kreis Gummersbach) lag der durchschnittliche Sparbetrag pro Kunde 1913 bei 1.347 Mark. Hinter der Entwicklung der Gummersbacher Kasse blieb die Gimborner Kasse jedoch zurück. Dies hing zum einen mit der wirtschaftlichen Entwicklung Gummersbachs zusammen; eine wichtige Rolle spielte zum anderen, dass viele Einwohner aus dem Geschäftsbezirk der Gimborner Kasse offensichtlich in Gummersbach arbeiteten und dort ihre Spareinlagen bei der städtischen Sparkasse Gummersbach deponierten, womit auch Wettbewerb zwischen den Sparkassen entstand.47 In das Geschäftsgebiet der Vereinigen Sparkasse der Homburgischen Gemeinden zu Wiehl, die erst 1901 gegründet wurde, fielen unter anderem die Geschäftsbezirke der Kreditgenossenschaften in Nümbrecht (gegründet 1874), in Marienberghausen (gegründet 1900) und in Faulmert (ab 1903 Mühlener Spar- und Darlehnskassen-Verein). Ein Vergleich der Entwicklung des Passivgeschäftes der Sparkasse in Wiehl mit dem der zeitgleich gegründeten Faulmerter (ab 1903 Mühlener) Kreditgenossenschaft zeigt das unterschiedlich starke Anziehen dieses Geschäftszweiges.

43 44 45 46 47

Poppelreuter: Sparwesen, S. 6. Ebd. Ebd. Pomykaj/Woelke: 150 Jahre, S. 15. Pomykaj: Geschichte, S. 189; Ashauer: Betrachtung, S. 14.

403

1. Das Spargeschäft

Tabelle 39: Entwicklung des Passivgeschäftes der Vereinigten Sparkasse der Homburgischen Gemeinden zu Wiehl und der Spar- und Darlehnskasse Mühlen (1901–20) Vereinigte Sparkasse der Homburgischen Gemeinde zu Wiehl Gesamtumsatz Spareinlagen (in Mark) (in Mark) 1901

1.144.290,08

Spar- und Darlehnskasse Mühlen

Sparbücher Gesamtumsatz Spareinlagen Sparbücher (Anzahl) (in Mark) (in Mark) (Anzahl)

327.033,46

426

1902

238.018,81

59.719,61

91

1905

2.412.372,19

1.624.724,69

1.280

614.699,83

229.204,35

218

1910

2.956.193,18

2.946.285,50

2.057

1.817.146,47

327.178,13

247

1915

11.953.879,20

4.247.870,21

3.015

2.488.722,13

447.815,47

316

1920

31.674.094,30 11.445.311,40

5.040

2.955.459,00 1.071.493,90

648

Quelle: AdVBO, 32-12/5, Übersicht über die Geschäftsergebnisse der Vereinigten Sparkasse der Homburgischen Gemeinden zu Wiehl (1903–1929); AdVBO, 32-12/6, Übersicht über die Geschäftsergebnisse der Spar- und Darlehnskasse Mühlen (1903–1929); vgl. auch AdVBO, 32-12/7, Übersicht über die Geschäftsergebnisse der Spar- und Darlehnskasse Oberbantenberg (1903–1929).

Bei einem mehr als doppelt so hohen Umsatz verzeichnete die Sparkasse im Jahr 1915 27 Mal mehr Spareinlagen als die Mühlener Kreditgenossenschaft und hatte rund acht Mal mehr Sparbücher ausgegeben. Das Homburger Land galt bis 1914 als „wenig entwickelt“:48 Landwirtschaft, Gewerbe und Verkehr waren durch die marginalen Böden, das Klima und die abgelegene Verkehrslage bis zum Ende des Untersuchungszeitraumes rückständig. Verstärkt wurde diese desolate Lage durch den hohen Zersplitterungsgrad des Grundbesitzes und daraus folgend geringen Betriebsgrößen sowie einem Verharren in traditionellen Anbaumethoden. Mögliche Absatzgebiete, wie etwa im Siegburger oder Kölner Raum, waren durch die unterentwickelte Verkehrsanbindung nur schwer zu erreichen. Verdienstmöglichkeiten waren insgesamt also eher wenig gegeben. Erst mit der Eröffnung der Bahnverbindung zwischen Bielstein und Waldbröl und Homburg und Bröl im Jahr 1915 trat hier eine Verbesserung ein.49 Das Geschäftsgebiet der Sparkasse in Wiehl umfasste die Gemeinden Nümbrecht, Marienberghausen und Wiehl, wo im Jahr 1900 rund 9.700 und 1910 etwa 10.700 Personen lebten. In der Gemeinde Wiehl, wo die Mühlener Kreditgenossenschaft ihren Sitz hatte, wohnten 1910 etwa 4.900 Einwohner.50 Diese sozioökonomische Struktur beeinflusste auch die Entwicklung der Spartätigkeit, wobei die Wiehler Sparkasse sich im Kreisvergleich bis zum Ersten Weltkrieg zur zweiteinlagenstärksten Sparkasse entwickelte, was unter anderem damit zusam48 49 50

Padtberg: Wirtschaftsgeschichte, S. 217. Ebd. Siehe Abschnitt II.7.

404

VIII. Die Geschäftstätigkeit

mengehangen haben dürfte, dass ihr Geschäftsgebiet nicht nur eine einzige Gemeinde umfasste. Die kommunalen Sparkassen beschränkten ihre Geschäfte satzungsmäßig eigentlich ausschließlich auf Einwohner des Geschäftsgebietes; wie aber auch das Beispiel der Städtischen Sparkasse Gummersbach, die zeitweise als Kreissparkasse fungierte, zeigt, wurden auch Einlagen von Auswärtigen angenommen. Bei der Mühlener Kreditgenossenschaft war es grundsätzlich auch Personen von außerhalb des Geschäftsgebietes gestattet, Spareinlagen zu tätigen (ausgeschlossen waren Nichtmitglieder bei Kreditgenossenschaften lediglich vom Aktivgeschäft). Bestimmungen darüber, wie weit entfernt jemand wohnen dufte, um Spareinlagen zu tätigen, gab es nicht. Verlagert man die Auswahl der Institute weiter in Richtung des Aggertals, wo durch die fortschreitende Industrialisierung nicht nur die Bevölkerung zunahm, sondern auch die Sparfähigkeit aufgrund besserer Einkommensverhältnisse stieg,51 und vergrößert man das Sample, so zeigt sich hinsichtlich der Marktanteile im Passivgeschäft kaum ein anderes Bild. Tabelle 40: Spareinnahmen (in Mark) von Sparkassen und Kreditgenossenschaften im Kreis Gummersbach (1905, 1914, 1919) Institut Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Dieringhausen

1905

1914

1919

451.172

1.157.935

2.510.497

Spar- und Darlehnskasse Ründeroth eGmuH

18.106

17.886

323.361

Marienberghausener Spar- und DarlehnskassenVerein eGmuH

68.584

169.956

428.401

Spar- und Darlehnskasse eGmuH Mühlen b. Bielstein

229.204

409.678

972.094

Nümbrechter Spar- und Darlehnskassen-Verein eGmuH

235.822

514.335

1.389.336

Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Rodt-Müllenbach

16.468

146.792

312.818

Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Derschlag

43.793

354.871

936.175

Spar- und Darlehnskassen-Verein eGmuH Oberbantenberg

56.563

119.738

Spar- und Darlehnskasse eGmbH Wiedenest

31.035

203.169

2.859.051

7.195.589

Sparkasse Bergneustadt

4.281.844

9.072.369

Städtische Sparkasse Gummersbach

7.697.315

16.748.022

Summe Kreditgenossenschaften

51

1.065.054

Siehe zur Entwicklung der Einkommen als Vorraussetzung für Sparen Wysocki: Untersuchungen, S. 45–63. Wysocki verweist darauf, dass die Gründung einer Sparkasse nicht zugleich impliziert, dass die Sparfähigkeit der Einwohner des Raums entsprechend hoch beziehungsweise konstant war, um die Einrichtung tatsächlich auch nutzen zu können; dies galt insbesondere für Taglöhner, Dienstboten etc.

405

1. Das Spargeschäft Gemeindesparkasse Gimborn

1.290.431

3.046.166

Gemeindesparkasse Marienheide

3.568.080

8.747.993

Gemeindesparkasse Ründeroth

2.336.190

5.483.003

Vereinigte Sparkasse d. homburg. Gemeinden in Wiehl

4.286.403

10.045.414

23.460.263

53.142.967

Summe Sparkassen

Quelle: LA NRW Düsseldorf, LA Gummersbach, Nr. 87, Auskünfte der Kassen an den Lokalabteilungsdirektor des Landwirtschaftlichen Vereins für Rheinpreußen. Es fehlen bei den Kreditgenossenschaften die Guthaben in laufender Rechnung.

Damit lag der Marktanteil der Sparkassen im Kreis Gummersbach im Passivgeschäft 1914 bei 89 Prozent. Bis 1919 trat keine Änderung ein; die Kreditgenossenschaften konnten zwischen 1914 und 1919 lediglich ein Prozent zulegen. Für den Kreis Wipperfürth fällt das Ergebnis kaum anders aus. Ein Vergleich der Spareinlagen der Sparkassen in Wipperfürth und Lindlar52 mit den Spareinlagen bei sämtlichen im Kreis ansässigen Kreditgenossenschaften zeigt für das Jahr 1905 einen Marktanteil der Sparkassen von 83 Prozent.53 Die Zinsen für Einlagen lagen um 1905 sowohl bei der Sparkasse in Lindlar als auch bei der Sparkasse in Wipperfürth bei 3½ beziehungsweise vier Prozent. Die dem Kölner Verband angeschlossenen Kreditgenossenschaften boten ebenfalls zwischen 3½ und vier Prozent Zinsen auf Einlagen. Tendenziell änderte sich an diesen 52

Spareinlagen der Sparkassen Wipperfürth und Lindlar (in Mark) für den Zeitraum 1904 bis 1915: Jahr 1904 1905

2.256.242,08

1907

2.515.600,88

1906 1909 1910 1912 1913 1915

53

SK Wipperfürth (in Mark)

2.391.896,62 3.998.355,85 4.824.389,92 5.680.256,44 5.873.666,01 5.306.731,77

SK Lindlar (in Mark)

2.068.139,33 2.101.245,34 2.172.528,46 2.275.769,46 2.290.756,07 2.454.291,12 2.608.305,93 2.685.967,76 2.642.353,47

KrRBK, 04-1803, Verwaltungs-Bericht des Kreisausschusses des Kreises Wipperfürth für das Jahr 1905, 12; KrRBK, 04-1804, Verwaltungs-Bericht des Kreisausschusses des Kreises Wipperfürth für das Jahr 1906, S. 12; KrRBK, 04-1805, Verwaltungs-Bericht des Kreisausschusses des Kreises Wipperfürth für das Jahr 1907, S. 16; KrRBK, 04-1808, Verwaltungs-Bericht des Kreisausschusses des Kreises Wipperfürth für das Jahr 1911, S. 18; KrRBK, 04-1810, Verwaltungs-Bericht des Kreisausschusses des Kreises Wipperfürth für das Jahr 1913, S. 13; KrRBK, 04-1811, Verwaltungs-Bericht des Kreisausschusses des Kreises Wipperfürth für das Jahr 1915, S. 13. Errechnet nach Angaben in Fußnote 2033; siehe auch diverse Faszikel im GArL. Die Akten im GArL umfassen teils genaue Aufstellungen über den Geschäftsbetrieb sowie die Verwaltungskosten der Sparkasse Lindlar bis circa 1914.

406

VIII. Die Geschäftstätigkeit

Zinssätzen weder bei den Sparkassen noch bei den Kreditgenossenschaften bis 1919 etwas. In Waldbröl zum Beispiel setzte der Kreistag die Zinsen für Einlagen bei der Waldbröler Kreissparkasse ab dem 1. Januar 1914 bis 2.500 Mark auf vier Prozent und für Einlagen über 2.500 Mark auf 3¾ Prozent fest.54 Zum Vergleich: Bereits 1868 erhielten Sparer 31/3 Prozent, bei Einlagen über 2.000 Thaler legte das „Kuratorium“ den „Zinsfuß nach dem Ermessen“ fest.55 Anfang des 20. Jahrhunderts belief sich der Zinsfuß bei allen Sparkassen des Kreises Gummersbach auf 3½ bis 3¾ Prozent und wurde dann 1912 auf vier Prozent festgesetzt. Noch im Jahr 1919 zahlten alle im Kreis Gummersbach ansässigen kommunalen Sparkassen vier Prozent Einlagenzinsen.56 Räumliche Nähe spielte bei der Wahl des Institutes, bei dem man seine Sparbeträge ablieferte, offenbar keine primäre Rolle. Da die Zinsen bei Kreditgenossenschaft und Sparkassen weitgehend die gleichen waren (beziehungsweise waren Zinsen von drei bis vier Prozent bei gegebenenfalls ungünstigem Zinsverlauf wohl „nicht sehr attraktiv“57) und die Kündigungsfristen ähnlich konzipiert waren, bliebe zu prüfen, welche Bedeutung zum Beispiel dem Prämiensparen und der Einlagensicherung bei den Sparkassen zu kam, dass der Marktanteil der Sparkassen im Passivgeschäft so hoch war. Die Reservefonds der Kreditgenossenschaften waren verhältnismäßig klein, die Rechtsform der eGmuH sicherte die Einlagen soweit wie das Vermögen der Vermögen der Mitglieder im Schadensfalle eintrat. Auch bei den Sparkassen im Kreis Gummersbach ansässigen hatte keine Sparkasse bis zum Ende des Ersten Weltkrieges einen höheren Reservefonds als 3,2 Prozent des Einlagenbestandes angesammelt.58 Aber – anders als bei den Kreditgenossenschaften – bürgten hier die Gemeinden beziehungsweise der Kreis für die Sicherheit der Einlagen. Angst der Sparer, Spareinlagen bei den Kreditgenossenschaften zu deponieren, bestand offensichtlich nicht, wie das Beispiel des Hohkeppeler Spar- und Darlehnskassen-Vereins zeigt, wo bereits in den ersten Monaten nach der Gründung hohe Beträge deponiert wurden, obwohl die Sparkasse Lindlar auch von Einwohnern der Gemeinde Hohkeppel genutzt werden konnte. Was das Verhältnis zwischen ländlichen Kreditgenossenschaften und Volksbanken anbelangt, so konnten für den engeren Untersuchungsraum keine Hinweise gefunden werden. Das Bergische Land war offenbar auch kein Boden für Volksbanken in der Rechtsform der Genossenschaft. Noch vor Beginn des Untersuchungszeitraumes wurden die Volksbanken mit Sitz in Ohl und Gummersbach in Aktiengesellschaften umgewandelt und die in Lindlar und Wipperfürth ansässigen Volksbanken entwickelten sich nur schleppend. Einzig die Eckenhagener Volksbank, die in den Anfangsjahren einen großen Mitgliederzulauf aus Denklingen verzeichnen konnte, entwickelte sich gut und fusionierte erst 2001 mit der Raiffeisenbank Wiehl 54 55 56 57 58

LA NRW Düsseldorf, D XIV A 223 a (1909–13), Verwaltungsbericht Kreis Waldbröl 1909– 1913, S. 25. Kreissparkasse in Waldbröl: 125 Jahre, S. 15. Baldus: Entwickelung, S. 260. Ashauer: Betrachtung, S. 14. LA NRW Düsseldorf, D XIV A 360 (1914–20), Verwaltungsbericht Kreis Gummersbach 1914– 1920, S. 88–91.

2. Das Kreditgeschäft

407

eG.59 In Richtung der Sparkassen empfahl Schulze-Delitzsch allerdings schon frühzeitig, „mit Zinsen nicht zu geizen“ und bei Bedarf auch höhere Zinssätze festzusetzen als die „konkurrierenden Sparkassen“.60 2. DAS KREDITGESCHÄFT Was das Aktivgeschäft, insbesondere den Personalkredit mit und ohne Schuldschein und das Darlehn gegen Bürgschaft betrifft (Gründungszweck der ländlichen Kreditgenossenschaften und ihr Kerngeschäft), blieben die Sparkassen hinter den Kreditgenossenschaften zurück. Dies traf jedoch nicht immer auf die nominellen Volumina zu, welche die Sparkassen im Personalkreditgeschäft ausliehen, sondern auf den Anteil des verzinslich angelegten Einlagenbestandes. Am gesamten Bestand war der Anteil der Personalkredite minimal.61 Die Ursache hierfür wurzelte in strategischen Entscheidungen, wie zum Beispiel der Reduzierung des Personalkreditgeschäftes bei der Sparkasse in Wipperfürth (siehe Kapitel III).62 Grundsätzlich galten die Bestimmungen für das Personalkreditgeschäft in Preußen, etwa im Vergleich mit Bayern, als liberal. Bereits 1857 hatte man den Gemeindesparkassen freigestellt, Darlehn gegen Schuldschein oder Bürgschaft auszugeben. 1894 lockerte der Oberpräsident der Rheinprovinz die Regularien für die Laufzeit der Darlehn, die laut Statut bis dahin auf maximal drei Jahre ausgegeben werden konnten. Damit wurde den Sparkassen ermöglicht, weit stärker als Wettbewerber im Personalkreditgeschäft aufzutreten.63 Hansjoachim Henning kommt zu dem Ergebnis, dass mit dem Aufkommen der Kreditgenossenschaften die Sparkassen aus dem unteren Segment des Hypothekarkreditgeschäftes verdrängt wurden, da gerade bei Beträgen unter 1.500 Mark der „Personalkredit der Kreditgenossenschaften bequemer und darum attraktiver war“,64 andererseits jedoch konnten die Sparkassen bei dinglicher Sicherung Kredite zu günstigeren Konditionen anbieten als die Kreditgenossenschaften, zumal die Sparkassen bereits positive Lernkurveneffekte verzeichnen konnten, vor allem aber über andere Kapitalien verfügten als ländliche Kreditgenossenschaften mit einer homogenen Mitgliederstruktur. „Indem die Sparkassen ihre Hypotheken­ vergabe deutlicher als bisher funktional gruppierten, paßten sie sich der veränder­ ten Wettbewerbssituation am Hypothekenmarkt an, ohne Grundlinien und Grund­ erfordernisse ihrer bisherigen Geschäftspolitik aufzugeben oder gar ihren bisheri­ 59 60 61

62 63 64

Bessler-Worbs/Schlütz: Handbuch. Zit. n. Ashauer: Betrachtung, S. 14. Zum Aktivgeschäft der Sparkassen siehe Pohl: Einführung, S. 10–13. Pohl konstatiert auch hier eine geringe Bedeutung des Sparkassen-Personalkredits und bezweifelt die tatsächliche Erfüllung des satzungsmäßig formulierten Personalkreditgeschäftes. Zum Personalkreditgeschäft siehe Pix: Personalkredit, S. 17–46. Siehe zum Kreditgeschäft der Sparkasse Wipperfürth etwa StAW, A 192, Unterlagen zu Darlehnsnehmern der Sparkasse Wipperfürth, Korrespondenz mit Darlehnsnehmern, bis circa 1914. Pix: Personalkredit, S. 32. Henning: Aufbringung, S. 49.

408

VIII. Die Geschäftstätigkeit

gen Kundenstamm zu vernachlässigen“,65 so Henning. 1889 verlieh die Kreissparkasse in Waldbröl zum Beispiel Geld gegen Schuldschein oder Hypothek zu einem Zinsfuß von 4½ Prozent.66 Folgt man Manfred Pix, so waren in Preußen 1860 11,24 Prozent des zinsbar angelegten Sparkassenvermögens als Personalkredite gegen Schuldschein mit Bürgschaft und 6,64 gegen Faustpfand und Wechsel ausgegeben; bis 1870 stiegen die Personalkredite gegen Schuldschein mit Bürgschaft auf 13,38 Prozent, während Personalkredite auf Wechsel oder gegen Faustpfand nur noch 3,57 Prozent betrugen. Bis 1900 ging der Anteil des in Darlehn gegen Schuldschein zinsbar angelegten Sparkassenvermögens auf 2,52 Prozent zurück (Personalkredit gegen Faustpfand und Wechsel: 2,79 Prozent).67 Das heißt insgesamt nahm das Aktivgeschäft seit 1870 exponentiell zu, während der Personalkredit nur einen linearen Zuwachs verzeichnete.68 Pix konstatierte zugleich eine hohe regionale und lokale Differenzierung, sodass lokale Analysen notwendig sind.69 Einen verhältnismäßigen Anteil des Personalkredits am Aktivgeschäft zeigt die nachstehende Tabelle 41 für Sparkassen aus dem Kreis Gummersbach. Tabelle 41: Von den Einlagenbeständen ausgeliehene Kapitalien in Prozent (1919) von den Be1 ständen zinsbar (%) angelegt (in Mark) Sparkasse Bergneustadt Städtische Sparkasse Gummersbach

8.347.208 17,42 17.824.533 22,99

2 (%) 8,29

3 (%) 39,3

4,82 60,15

Gemeindesparkasse Gimborn

2.729.508

6,54 16,89

Gemeindesparkasse Marienheide

7.888.558 32,43

2,37 40,55

Gemeindesparkasse Ründeroth

6.646.940

12,9

38

Vereinigte Sparkasse der homburgischen Gemeinden in Wiehl

8.978.741

3,84 11,32

43,3

4,5

32,1

4 (%) 0,29

5 (%) 0,1

0,51 0,02 0,5

6 (%) 18,6

7 (%) 0,8

2,67 15,27 33,5

0,17 0,26

8,27

6,1

34,5

30,8

1,91 0,11 26,98

1,9

0,2

0,3

1: in Hypotheken und Grundschulden auf städtische Grundstücke, 2: in Hypotheken auf ländliche Grundstücke, 3: in Inhaberpapiere (Bilanzwert), 4: gegen Schuldschein mit und ohne Bürgschaft, 5: gegen Faustpfand, 6: bei Korporationen und öffentlichen Institutionen, 7: sonstige Anlagen (bei Banken). Quelle: LA NRW Düsseldorf, D XIV A 360 (1914–20), Verwaltungsbericht Kreis Gummersbach, S. 88–91. 65 66 67 68 69

Ebd. Kreissparkasse in Waldbröl: 125 Jahre, S. 30. Pix: Personalkredit, S. 24 ff. Ebd., S. 24 f. Ebd., S. 29; siehe auch Kapitel III.

2. Das Kreditgeschäft

409

Von den insgesamt von den Sparkassen im Kreis Gummersbach ausgeliehenen Kapitalien waren lediglich 0,17 Prozent (Sparkasse Marienheide mit rund 13.400 Mark) bis 1,9 Prozent gegen Schuldscheine (mit und ohne Bürgschaft) ausgeliehen. Mit 1,9 Prozent war der Anteil der ausgeliehenen Kapitalien am gesamten Einlagenbestand bei der Sparkasse in Wiehl am höchsten. Hier waren insgesamt Darlehn gegen Schuldschein im Umfang von 170.500 Mark ausgeliehen. Zum Vergleich: Bei der Kreditgenossenschaft Drabenderhöhe waren rund 61.500 Mark in laufender Rechnung ausgeliehen sowie 29.500 Mark als Darlehn auf feste Zeit ausgegeben; bei der Spar- und Darlehnskasse zu Derschlag, die inzwischen stark ‚volksbankmäßig‘ aufgestellt war, beliefen sich die Ausleihungen in laufender Rechnung auf rund 197.000 Mark und auf feste Zeit waren rund 10.000 Mark ausgeliehen. Hiervon waren wiederum einige Beträge auch gegen Hypothek gesichert, sodass die Wiehler Sparkasse dem Volumen nach gar nicht so sehr diesen Kreditgenossenschaften im Personalkreditgeschäft nachstand. Keine der ländlichen Kreditgenossenschaften im engeren Untersuchungsraum hatte jedoch ein so umfangreiches Aktivgeschäft wie die Dieringhausener Kreditgenossenschaft, die 1918 insgesamt fast zwei Mio. Mark ausgeliehen hatte – im Gegensatz zu den Anfängen in der Regel jedoch nicht als reinen Personalkredit, sondern immer mindestens gesichert durch einen oder zwei Bürgen, vielfach jedoch durch Hypotheken. Grundsätzlich wurden also auch durch die Sparkassen Schuldscheindarlehen vergeben, wenn auch dieser Geschäftszweig hinter allen anderen Segmenten des Aktivgeschäftes zurückstand. Dies galt gleichermaßen für den Kreis Waldbröl. Der Waldbröler Kreistag beschloss am 5. Juni 1913, die Zinsen für Hypotheken von 4½ auf 4¾ Prozent (ab 1. Oktober 1913) zu erhöhen. Für die künftige Entwicklung des Aktivgeschäftes weitaus bedeutsamer dürfte der Beschluss vom 11. Dezember 1913 gewesen sein: Der Sparkassenvorstand sollte künftig die Zinssätze für die bereits bestehenden Darlehnsverträge als auch für neue Darlehn auf Schuldschein – zum Beispiel monatsweise – „nach dem jeweiligen Stande des Geldmarktes“70 bestimmen, was für Darlehnsnehmer weniger kalkulierbare Kosten bedeutete. Darüber hinaus wurde dem Vorstand übertragen, eine Provision für Darlehn zu erheben, und zwar von einem halben bis einem Prozent der Darlehnssumme entsprechend der Entwicklung des Geldmarktes, was die Kredite entsprechend verteuerte. Die Provision konnte der Vorstand bei jedem Darlehnsantrag individuell festlegen, das heißt je nach Lage am Geldmarkt, aber auch je nach Kreditfähigkeit und -würdigkeit des Antragstellers. Andere Banktypen spielten im engeren Untersuchungsraum als Wettbewerber der Kreditgenossenschaften keine Rolle. Aufgrund ihrer Statuten schied die Reichsbank generell aus, war jedoch indirekt wichtig, da sie den Giro- und Überweisungsverkehr abwickelte. Die Zahl der direkt mit der Reichsbank zusammenarbeitenden Kreditgenossenschaften war generell äußerst gering. Der Zugriff funktionierte in der Regel über die Preußenkasse, die jederzeit Kredite direkt bei der Reichsbank aufnehmen konnte. Auch zwischen Staatsbanken und ländlichen Kreditgenossenschaften bestand aufgrund ihrer unterschiedlichen Funktionen keine Konkurrenz. 70

LA NRW Düsseldorf, D XIV A 223 a (1909–13), Verwaltungsbericht Kreis Waldbröl 1909– 1913, S. 25.

410

VIII. Die Geschäftstätigkeit

Dies galt grundsätzlich auch für das Verhältnis zwischen Privatbanken und ländlichen Kreditgenossenschaften. Alfred Kestermann kam zu dem Ergebnis, dass aus „Genossenschaftskreisen […] keine Klagen über eine unerwünschte Konkurrenz der Privatbanken“71 bekannt seien. Mit dem Ausbau des Filialnetzes der Aktienbanken entstand mit deren Depositenkassen grundsätzlich eine neue Konkurrenz im Passivgeschäft, was jedoch bis 1914 mangels Bankstellen keine Rolle im Untersuchungsraum spielte.72 Thomes konstatiert, dass auch Bankhäuser vielfach Geschäftsbeziehungen zur Landwirtschaft unterhielten, insbesondere in Form von Kontokorrentkrediten, Vermittlung im internationalen Zahlungsverkehr und auch im Emissionsgeschäft.73 Für den engeren Untersuchungsraum, wo kleine und mittlere Landwirtschaft vorherrschte, konnten solche Befunde nicht erbracht werden. Die ländlichen Kreditgenossenschaften selbst waren von Geschäften mit anderen Banken als mit ihren Verbandskassen aufgrund der Ausschließlichkeitsregelung ausgeschlossen.74 Auch Großbanken spielten im Untersuchungsraum für den landwirtschaftlichen Kredit daher keine Rolle.

71 72 73 74

Kestermann: Reformen, S. 8. Ebd., S. 7 f; Ashauer: Betrachtung, S. 15; Frost: Wünsche, S. 20–27. Thomes: Sparkassen, S. 22 f. Siehe Abschnitt VIII. 4.

X. FAZIT 1. DIE LÄNDLICHE KREDITGENOSSENSCHAFT GAB ES NICHT Der oftmals in der allgemeinen Forschungsliteratur dargestellte Stereotyp der Raiffeisen-Kreditgenossenschaft kann nach der Analyse der ländlichen Kreditgenossenschaften in der Rheinprovinz nicht aufrechterhalten werden. Vielmehr kristallisierte sich eine Typenvarianz entsprechend differenter ökonomischer Bedürfnisse sowie gesellschaftlicher und agrarpolitischer Verhältnisse heraus. So wichtig die Formulierung generalisierender Erkenntnisse auch sein mag, von Pauschaletikettierung muss angesichts dieser Varianz abgesehen werden. Dennoch konnten signifikante Merkmale und institutionelle, organisatorische und funktionale Äquivalente synthetisiert werden, die über die Fallbeispiele hinausgehend auf eine Vielzahl ländlicher Kreditgenossenschaften übertragbar sind. Deutlich wurde die enorme Bedeutung der landwirtschaftlichen, berufsständischen Interessenvertretungen sowie der Genossenschaftsverbände für die Entstehung und Entwicklung der ländlichen Kreditgenossenschaften. Zwar variierte die Entstehungsgeschichte der einzelnen Kreditgenossenschaften im Hinblick auf das Gründungsjahr und die Initiatoren mitunter deutlich, gleichwohl konnte ein Grundmuster der Gründungsverläufe nachgewiesen werden: Die Entwicklungslogik selbst unterlag dem zentralen Gründungsmotiv, der Abschaffung der vermeintlich ländlichen Kreditnot sowie den gleichgerichteten Bedarfen in den verschiedenen lokalen Kontexten. Mit der Modernisierung der Landwirtschaft nahm die Monetarisierung der landwirtschaftlichen Betriebe und folglich auch der Grad der Vernetzung der ländlichen Bevölkerung zu. Mit der Intensivierung der Landwirtschaft wurde der Zugang zu Fremdkapital zunehmend zu einer Notwendigkeit. Fremdfinanzierung war allein auf informellem Weg nicht mehr möglich, stattdessen bedurfte es eines „besonderen orga­ nisatorischen Rahmen[s]“.1 Die ländliche Kreditnot war keineswegs Folge von Kapitalmangel, sondern Ergebnis eines strukturellen Defizits: Intermediäre, die Kapitalsuchende und Anleger zusammenbrachten, gab es in ländlichen Gebieten nicht und die bestehenden informellen Kreditbeziehungen waren von großen Koordinations- und Informationsproblemen geprägt. Dies änderte sich erst mit dem Aufkommen der ländlichen Kreditgenossenschaften, welche die Funktion des Finanzintermediär übernahmen. Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden sowohl in ländlichen wie auch städtischen Räumen Kreditgenossenschaften. In den als wesentlich zu bezeichnenden Merkmalen, wie der Begrenzung des Geschäftsgebietes und der Ausleihfristen, unterschieden sich die städtischen Kreditgenossenschaften erheblich von den ländlichen Kreditgenossenschaften (erste Differenzierungsebene). Der 1

Abel: Agrarpolitik, S. 317.

412

X. Fazit

Begriff der ‚ländlichen Kreditgenossenschaft‘ umklammert zwar sämtliche im ländlichen Raum ansässigen Kreditgenossenschaften, doch sind innerhalb dieser Kategorie weitere Typen zu differenzieren. Insbesondere ist zu unterscheiden, ob Genossenschaften basierend auf den Raiffeisen’schen Normalstatuten gegründet und dem zentralistisch organisierten Raiffeisen-Verband in Neuwied angeschlossen wurden, oder ob sie regionalen Genossenschaftsverbänden mit Anschluss an den von Wilhelm Haas gegründeten Reichsverband angehörten (zweite Differenzierungsebene). Auf regionaler Ebene zeigt sich darüber hinaus eine Ausdifferenzierung kongruent zur organisationshistorischen Entstehung der einzelnen regionalen Genossenschaftsverbände, die hier insbesondere für die Verbände Köln und Bonn nachgewiesen werden konnte (dritte Differenzierungseben). Wie schon einige Zeitgenossen2 und später auch Wolfgang Oehme3 konstatierten, waren diejenigen Primärgenossenschaften, die den regionalen Genossenschaftsverbänden des dezentral organisierten Reichsverbandes (dreistufiger Aufbau: Genossenschaften, regionale Verbände, Reichsverband) angeschlossenen waren, vielgestaltig, während dem bis 1899 beziehungsweise bis 1905 zentral organisierten Raiffeisen-Verband ausschließlich Primärgenossenschaften angehörten, denen die Raiffeisen’schen Normalstatuten zu Grunde lagen, deren Änderung erheblich erschwert wurde.4 Zwar entwickelte auch der Reichsverband Musterstatuten5 und hatte mit dem ‚Darmstädter Programm‘ allgemeingültige Grundsätze aufgestellt, denen sich die regionalen Verbände mit ihrem Beitritt zum Reichsverband als Spitzenorganisation verpflichteten, doch war es den regionalen Verbänden darüber hinaus grundsätzlich freigestellt, Regeln und Verfahren in den Musterstatuten ihrer Primärgenossenschaften zu ergänzen, zu streichen oder den lokalen Verhältnissen entsprechend anzupassen, um mögliche lokalspezifische PrinzipalAgenten-Probleme zu reduzieren.6 Welcher Typ Kreditgenossenschaft in den einzelnen Ortschaften gegründet wurde, hing zunächst von der Präsenz des einzelnen Genossenschaftsverbandes ab. Welcher Verband, wo aktiv war, wurde wiederum stark von der Präsenz der jeweiligen agrarischen Interessenverbände geprägt, was wiederum von der Bevölkerungs- und Erwerbsstruktur, der Lage im Verkehrsund Wirtschaftsraum sowie von der Agrarstruktur abhing. Zudem spielten konfessionelle Aspekte eine Rolle, wie besonders am Beispiel des Kreises Wipperfürth deutlich wird. Aus der Lage im Verkehrsraum und der Größe der landwirtschaftlich genutzten Fläche resultierte die Marktintegration der einzelnen landwirtschaftlichen Betriebe. Für die drei untersuchten Kreise lassen sich dementsprechend unterschiedliche Gründungsverläufe feststellen, wobei sich hier insbesondere der Kreis Wipperfürth von den beiden anderen Kreisen unterscheidet.

2 3 4 5 6

Etwa Ertl/Licht: Genossenschaftswesen. Oehme: Zentralkassen, S. 10. Siehe etwa Abschnitt IV.2.a). Ein Abdruck des Musters findet sich im Anhang bei Ertl/Licht: Genossenschaftswesen. Siehe Abschnitt IV.2.b).

2. Genossenschaftsverbände als Tochterorganisationen

413

2. GENOSSENSCHAFTSVERBÄNDE ALS TOCHTERORGANISATIONEN DER AGRARVERBÄNDE Die Genossenschaftsbewegung wurde flankiert durch die Interessenvertretungen der Landwirte, den Landwirtschaftlichen Verein für Rheinpreußen e.V. (Bonn) und den Rheinischen Bauernverein e.V. (Kempen). Der für den engeren Untersuchungsraum weniger relevante Trierer Bauernverein e.V. (Trier) übernahm federführend diese Funktion im Süden der Rheinprovinz. Das passende Fundament sowie einen entscheidenden Schub erhielt das Genossenschaftswesen durch das Genossenschaftsgesetz von 1889, das die gesetzlich vorgeschriebene Revision einführte. Sowohl der Landwirtschaftliche Verein für Rheinpreußen als auch die Bauernvereine in Kempen und Trier (wie auch unter anderem in Münster/Westfalen) hatten grundsätzlich ‚schon immer‘ die aus dem Fehlen formeller Finanzintermediäre entstehenden Probleme des ländlichen Raumes lösen wollen, nur hatte ihnen zunächst das geeignete Instrumentarium gefehlt. Als Raiffeisen mit seinen Darlehnskassen-Vereinen auf den Plan trat, hatte der Landwirtschaftliche Verein für Rheinpreußen die Probleme des ländlichen Geldmarktes beziehungsweise des landwirtschaftlichen Kredits schon einige Jahre thematisiert und zunächst Lösungsansätze in den Sparkassen, später dann in Hermann Schulze-Delitzschs Volksbanken gesehen. Beide Konzepte entfalteten jedoch noch nicht die gewünschte Wirkung: Die ländliche Bevölkerung wurde nicht hinreichend mit Krediten versorgt; vielerorts gelang es nicht den zu sozialen Problemen führenden Wucher einzudämmen. Erste Versuche des Landwirtschaftlichen Vereins mit der Gründung eines eigenen Kreditvereins scheiterten an der Weitläufigkeit des Geschäftsgebietes und den daraus resultierenden enorm hohen Informationskosten. Das Besondere an Raiffeisens Normalstatuten hingegen war die Kompatibilität mit den ländlichen beziehungsweise landwirtschaftlichen Rahmenbedingungen, wozu neben langen Ausleihfristen (in der Regel bis zu zehn Jahren) der Rückgriff auf die tradierten dörflichen Gesellschaftsstrukturen gehörte: Das schon bestehende Kirchspiel diente hier als effizientes Kreditüberwachungssystem. Mit dem Raiffeisen-Konzept (publiziert erstmals 1866) schien endlich das geeignete Mittel für die Überwindung der finanziellen Strukturprobleme gefunden. Doch übten insbesondere die Vertreter des Landwirtschaftlichen Vereins, wie Dr. Gustav Havenstein, immer wieder Kritik an der Unveränderbarkeit der Statuten und deren unzureichende Passgenauigkeit; in der Tat waren die Bedürfnisse der ländlichen Bevölkerung aufgrund der sehr heterogenen Agrarstruktur des Rheinlandes durchaus unterschiedlich gelagert. Zudem waren die Mitglieder der Sektion Volkswirtschaft des Landwirtschaftlichen Vereins dagegen, die ihnen sinnvoll erscheinenden Regeln des Schulze-Delitzsch’schen Konzepts aufzugeben. Mit Gründung des Verbandes der rheinpreußischen landwirtschaftlichen Genossenschaften e.V. (Verband Bonn) im Jahr 1889 als Tochterorganisation des Landwirtschaftlichen Vereins wurde dieser neue, auf regionaler Ebene operierende Verband, umgehend dem Haas’schen Reichsverband als Spitzenverband angeschlossen. Die offene Haltung des Reichsverbandes gegenüber Verbänden mit unterschiedlichen, von den Raiffeisen’schen Normalstatuten abweichenden Musterstatuten kam der Mitgliederstruktur des Bonner Verbandes sehr entgegen, zumal dieser stark auf Be-

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X. Fazit

zugs- und Absatzgenossenschaften ausgerichtet war. Die Probleme des ländlichen Kreditmarktes, der Mangel an adäquaten Landwirtschaftsdarlehn (optimalerweise in Form von formalen Personalkrediten) war auch vonseiten des Rheinischen Bauernvereins e.V. schon längst vor der Gründung des eigenen Genossenschaftsverbandes, dem Rheinischen Revisionsverband e.V.,7 thematisiert worden. Bereits 1883 erging der Beschluss, „das Bedürfnis der ländlichen Bevölkerung nach Personal­ kredit durch Errichtung von Spar­ und Darlehnskassen zu befriedigen“.8 In der Folgezeit gründete der Rheinische Bauernverein mehrere Spar- und Darlehnskassenvereine, welche er – wie es zunächst auch der Landwirtschaftliche Verein praktiziert hatte – dem Raiffeisen-Verband in Neuwied „zuführte“.9 Nach der Gründung des eigenen Genossenschaftsverbandes, dessen Verbandssatzung explizit die „Anregung und Anleitung zur Errichtung neuer Genossenschaften“10 benannte, nutzte der Verband die bereits fest etablierten Ortsgruppensitzungen des Rheinischen Bauernvereins, um für die Neugründung von Einzelgenossenschaften zu werben, und veranstaltete darüber hinaus „besondere Werbeversammlungen“.11 Auch dieser Verband schloss sich Anfang des 20. Jahrhunderts dem Reichsverband an. Unter dem Dach des Reichsverbandes kamen also sowohl Verbände zusammen, die sich stark an Raiffeisens Normalstatuten orientierten (zum Beispiel beim Verband Köln), als auch regionale Verbände, deren Musterstatuten sich an die Statuten der Volksbanken anlehnten. In den Folgejahren zeichnete sich zunehmend eine Zersplitterung der rheinischen Genossenschaftsbewegung ab: Aus der Konkurrenz der rheinischen landwirtschaftlichen Interessenvertretungen untereinander gingen nicht nur die drei Genossenschaftsverbände mit Sitz in Kempen (später Köln), Bonn und Trier hervor, die sich parallel zu dem in Neuwied ansässigen Raiffeisen-Verband etablierten, sondern auch verschiedene, mit einander konkurrierende Konzeptionen ländlicher Kreditgenossenschaften. Ausdruck dieser divergierenden Ausprägungen sind die von den Verbänden jeweils herausgegebenen Musterstatuten, welche die Unternehmensverfassungen der jeweiligen Primärgenossenschaften bildeten. Dies blieb nicht ohne Spannungen der einzelnen Organisationen untereinander, die teils in regelrechten Revierkämpfen ihren Ausdruck fanden.12 Ursache war vor allem die Doppelfunktion des Landwirtschaftlichen Vereins, der berufsständische Interessenvertretung einerseits und Staatseinfluss andererseits verkörperte,13 und die Entste7 8 9 10 11 12

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Gegründet 1891, Sitz Kempen, ab 1901 Verband rheinischer Genossenschaften e.V., Köln. Verband rheinischer landwirtschaftlicher Genossenschaften: Verband, S. 21. Ebd. Rheinischer Bauern-Verein: Jubiläumsbericht, S. 17. Verband rheinischer landwirtschaftlicher Genossenschaften: Verband, S. 23. Der Kenner der rheinischen Genossenschaftslandschaft Willy Wygodzinski schrieb hierzu 1917: „Wenn vielleicht dadurch [die Agitation der Interessenvertretungen gegeneinander; Anm. d. Verf.] bisweilen Kräfte verbraucht wurden, die zweckmäßiger der positiven Arbeit zugewendet worden wären, so hat die ‚Konkurrenz‘ doch hier wie überall ihr Gutes gehabt, indem die Förderung der landwirtschaftlichen Interessen der Rheinprovinz aus der durch den Wettkampf verstärkten Hingabe aller Teile den größten Nutzen zog“. Siehe Wygodzinski: Landwirtschaft, S. 278. Siehe hierzu Wischermann/Nieberding: Revolution, S. 128; Ziegler: Zeitalter, S. 251 f.

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hungsgeschichte der freien Bauernvereine. Diese Spannungen wurden letztlich bis in die nächste Generation – die der Genossenschaftsverbände – hineingetragen: „Doch blieben nicht nur sachliche Differenzen bestehen, sondern vor allem der Zusammenhang der Verbände mit den Vereinen [Bauernvereine und Landwirtschaftlicher Verein; Anm. d. Verf.] macht sie freiwillig oder unfreiwillig zu Gefolgs­ leuten auch in deren Kämpfen“.14 Die zunehmend enge Verbindung von Interessenvertretungen und Genossenschaftsverbänden wurde nach außen demonstriert: zum Beispiel durch Personalunionen, Nutzung der gleichen Gebäude und Büros, Mitgliederzeitschriften bis hin zur Prämierung vorbildlich arbeitender Primärgenossenschaften durch den Landwirtschaftlichen Verein. Vonseiten der Primärgenossenschaften wurde die Anbindung an die berufsständischen Interessenvertretungen etwa durch Bezahlung der Mitgliederbeiträge der Einzelmitglieder aus den Gewinnen sowie durch weitere institutionelle Verknüpfungen, wie den Beitritt von Primärgenossenschaften zur Haupt-Bezugs- und Absatzgenossenschaft des Rheinischen Bauernvereins, was Trittbrettfahrerproblemen entgegenwirken sollte.15 Die Frontstellung der Zentralität, wie sie Raiffeisen in Neuwied praktizierte, und der Dezentralität, die sich mit der Konstituierung der Genossenschaftsverbände des Landwirtschaftlichen Vereins sowie der beiden Bauernvereine ergab, wurde maßgeblich verdichtet durch die überregionale Zweiteilung des ländlichen Genossenschaftswesens in die Raiffeisen’sche Richtung und die Richtung Wilhelm Haas’, der von Hessen aus ein zweckrationaleres, integrales, das heißt alle Genossenschaftstypen umfassendes Konzept ländlicher Genossenschaften proklamierte. Haas’ Genossenschaftskonzept und insbesondere dem des Bonner Verbandes fehlten expressis verbis die Raiffeisen’schen „ethisch­gefühlsmäßigen“ Momente, während die „modern­geschäftsmäßigen“ Elemente zunehmend multipliziert wurden.16 Aus dieser Fraktionenbildung resultierte ein systematisches, geradezu strategisches Vorgehen der Genossenschaftsverbände bei der Initiierung und Gründung neuer Kreditgenossenschaften. Die Genossenschaftsverbände erstellten Marktanalysen mit Hilfe der Lokalabteilungen beziehungsweise Ortsgruppen der Interessenverbände und platzierten anhand der Ergebnisse entsprechende Vortragsveranstaltungen in noch kaum genossenschaftlich erschlossenen Gebieten, mit dem Ziel der Gründung neuer Kreditgenossenschaften nach dem jeweils vertretenen Genossenschaftskonzept und des Anschlusses der neuen Genossenschaften an den Genossenschaftsverband. Weitere Untersuchungen, etwa anhand einer Fallstudie mit Verortung im südlichen Rheinland, könnten Klarheit darüber bringen, ob mit dem Trierer 14 15

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Wygodzinski: Landwirtschaft, S. 281. AdVBWL, 2-9, Hönnigethaler Spar- und Darlehnskassen-Verein eGmuH, GV-Protokoll vom 16. Februar 1902; GV-Protokoll vom 12. Juni 1910. Beschluss, den Mitgliedern der Genossenschaft, die zugleich Mitglied des Rheinischen Bauernvereins waren, den Mitgliederbeitrag bei diesem (anteilig) zu bezahlen; siehe auch AdVBT, 1-4, Osberger Spar- und DarlehnskassenVerein eGmuH, GV-Protokoll vom 15. Dezember 1912. Beschluss, den Mitgliedsbeitrag für den Trierischen Bauernverein als Genossenschaft zu übernehmen; siehe zum Organisationsdilemma von Verbänden und Vereinen auch Wischermann/Nieberding: Revolution, S. 127. Wygodzinski: Landwirtschaft, S. 281.

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X. Fazit

Verband nicht ein weiterer – vermutlich in den Grundstrukturen denen des Raiffeisen-Verbandes sehr ähnlicher – Kreditgenossenschaftstyp entstand, zumal sich der Trierer Verband bis zum Ersten Weltkrieg ohne Anschluss an einen Spitzenverband entwickelte. 3. KREDITGENOSSENSCHAFTEN IN DEN KREISEN GUMMERSBACH, WALDBRÖL UND WIPPERFÜRTH: GRÜNDUNGSVERLÄUFE Für die erste Gründungsphase (bis 1889) in den untersuchten Kreisen lässt sich feststellen, dass dort zunächst bestehende Kommunikationsnetzwerke sowie die Anbindung an das überregionale Verkehrsnetz eine wesentliche Rolle für die Verbreitung des neuen Finanzintermediärs Kreditgenossenschaft gespielt haben dürften. Für die erste Gründungsphase wichtiger Faktor war zudem die Größe der Orte.17 In größeren Ortschaften war die Präsenz des Landwirtschaftlichen Vereins größer, der vor allem Honoratioren (Landräte, große Landwirte, Pfarrer) organisierte, die als Initiatoren und führender Mitglieder der ersten Genossenschaften gewonnen werden konnte. Diese Gründungsverläufe machen deutlich, dass es sich bei der Genossenschaftsbewegung weniger um eine Bewegung ‚von unten‘ als vielmehr um eine Initialisierung der Genossenschaften ‚von oben‘ handelt.18 Die ersten Kreditgenossenschaften, die in den drei untersuchten Kreisen überhaupt gegründet wurden, waren Volksbanken. In den Kreisen Gummersbach, Waldbröl und Wipperfürth hatte der Landwirtschaftliche Verein, in einer Phase als er noch die Verbreitung der Schulze-Delitzsch’schen Volksbanken propagierte, 1870 die Gründungen von Volksbanken in den größeren Orten Eckenhagen, Gummersbach, Lindlar, Ohl und Wipperfürth durch Vortragsreihen und Zeitungsinserate forciert und mit Hilfe angesehener Wanderschullehrer und unter Einbindung von lokalen Lehrern die Gründungen umgesetzt. Kleine Landwirte, zeitgenössisch als „Ackerer“19 bezeichnet, waren hier unterrepräsentiert. Die Vorgehensweise, zunächst in größeren Ortschaften Genossenschaften zu gründen, wo befähigte Honoratioren sich deren Verwaltung annehmen konnten und wo die Leute aus den umliegenden Weilern an Markttagen zusammenkamen oder ihre Rechtsgeschäfte abwickelten, war eine Vorgehensweise, die sich mit Beschreibungen Poppelreuters für den Raum Bonn deckt.20 Die Volksbank war jedoch für die bergischen Kreise offenbar nicht passgenau. Lediglich die Eckenhagener Volksbank eG hatte über den Untersuchungszeitraum hinausgehend Bestand. Die anderen Volksbanken wurden aufgrund ihrer 17 18 19 20

Zeigt sich unter anderem am Beispiel der Volksbanken in Eckenhagen und Lindlar – wenn man diese ihrer Gründungsgeschichte wegen als ländliche Finanzintermediäre betrachtet. Siehe Kapitel III. Abschnitte II.3 und III.3. Der Begriff des Ackerers findet sich in sämtlich im Rahmen der Untersuchung herangezogenen Mitgliederlisten. Siehe etwa AdVBWL, 6-5, Hohkeppeler Spar- und Darlehnskassen-Verein eGmuH, Liste der Genossen. Siehe Poppelreuter: Sparwesen; Erdmann: Diesseits, S. 51–60.

3. Kreditgenossenschaften in den Kreisen Gummersbach, Waldbröl und Wipperfürth

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schlechten wirtschaftlichen Entwicklung liquidiert oder in Aktiengesellschaften umgewandelt, um der gesetzlichen Revision zu entgehen. Grundsätzlich bestanden ab 1870 in allen drei Kreisen Volksbanken, daneben öffentliche Sparkassen. Die Raiffeisen-Kassenvereine wurden 1874 in Morsbach und in Denklingen (Kreis Waldbröl) sowie in Nümbrecht (Kreis Gummersbach) gegründet. Im Falle des Kreises Waldbröl zeigt sich in der geografischen Nähe zum Kreis Altenkirchen (Raiffeisens Heimatkreis) die Bedeutung von Kommunikationsnetzen für die Verbreitung von Genossenschaften besonders deutlich: Der Waldbröler Viehmarkt wurde überregional besucht, was auf einen höheren Marktverflechtungsgrad dieser Gegend hinweist. Anders als die beiden anderen untersuchten Kreise wurde Waldbröl bereits 1872 durch die Bröltalbahn an das rheinische Schienennetz angeschlossen, sodass hier frühzeitig Anschluss in Richtung des Siegtales bestand, während die Verbindung nach Norden in Richtung Wiehl und von hier aus an das Aggertal erst 1906 fertiggestellt wurde.21 Relevant für die Gründung der ersten Kreditgenossenschaften war im innerkreislichen Vergleich zudem die Größe der landwirtschaftlichen Betriebe. Innerhalb des Kreises Waldbröl herrschten im Osten und Südosten vor allem kleinbäuerliche Betriebe mit Subsistenzwirtschaft vor, während etwa in Morsbach und Denklingen mittelbäuerliche Betriebe angesiedelt waren, die aufgrund ihrer Marktfähigkeit einen höheren Kapitalbedarf hatten. Diese Orte bildeten unter anderem die Vorhut des ländlichen Kreditgenossenschaftswesens in den Kreisen Gummersbach, Waldbröl und Wipperfürth. Eine weitere, zweite Gründungsphase stellt der Zeitraum zwischen 1890 und 1899/1900 dar. Während dieser zehn Jahre wurden nunmehr auch erste Kreditgenossenschaften in dem stark landwirtschaftlich geprägten Kreis Wipperfürth gegründet. Im Vergleich mit dem Kreis Waldbröl, wo während dieser zweiten Phase nicht eine einzige Kreditgenossenschaft initiiert wurde, wurden im Kreis Wipperfürth innerhalb nur eines Jahres (1894) gleich mehrere Kreditgenossenschaften gegründet. Diese Gründungen lagen hinsichtlich des Zeitpunktes der Gründung im überregionalen Vergleich absolut im Trend, da reichsweit 1895 eine Gründungswelle einsetzte, die vor allem auf die Gründung der Preußenkasse (1895) zurückgeführt wird.22 Im Kreis Wipperfürth wurde bereits das Jahr 1894 zu dem Gründungsjahr schlechthin. Die Ernte des Jahres 1893 war extrem schlecht ausgefallen, sodass durch die Provinzialverwaltung die Beschaffung von Futtermitteln organisiert worden war. 1894 trat kaum Besserung ein. Die desolate Lage der Landwirtschaft dürfte die Gründungen evoziert haben. Abgesehen von der Gegend direkt um die Kreisstadt Wipperfürth, wo mit vier Hektar landwirtschaftlicher genutzter Fläche je landwirtschaftlichem Betrieb mittlere landwirtschaftliche Betriebe dominierten, waren gerade die Höhengebiete des Kreises wirtschaftlich schwach: Das Innere des Kreises Wipperfürth war topografisch stark zergliedert. Aufgrund der bergigen 21 22

Gries/Nicke: Wiehltalbahn, S. 7, 9. Auf Reichsebene lässt sich eine Gründungswelle ab 1895 erkennen, die mit der Gründung weiterer Zentralkassen und der Einrichtung der Preußenkasse zu erklären ist. In allen drei Kreisen bestanden mehrere ländliche Kreditgenossenschaften, insbesondere in den Kreisen Gummersbach und Waldbröl konnte die ländliche Bevölkerung bereits auf rund 25 Jahre genossenschaftliche Tätigkeit zurückblicken.

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X. Fazit

Landschaft wurde dieser Raum verkehrstechnisch nur verzögert erschlossen. In diesen abgelegenen Höhengebieten war die Gründung von Kreditgenossenschaften besonders wichtig, da es hier – anders als in größeren Ortschaften, wo bereits vereinzelt Sparkassen und Volksbanken bestanden – keine Möglichkeiten zur formalen Geldleihe und zum Anlegen der Spargroschen bestanden.23 Auch für die zweite Gründungsphase in den drei untersuchten Kreisen zeigt sich, dass Genossenschaften zunächst in größeren Ortschaften gegründet wurden: Dreine, wo 1894 die erste Kreditgenossenschaft gegründet wurde, lag nicht unweit der Kreisstadt Wipperfürth. Hingegen anders als bei den Volksbankgründungen übernahmen die Landwirte hier von Anfang selbst die Gründung sowie zentrale Ämter in Vorstand und Aufsichtsrat. Nach der Gründung in Dreine folgten innerhalb kurzer Zeit Gründungen in weiteren Kirchdörfern. Alle diese Gründungen wurden vom Kölner Verband angestoßen, der im Kreis Wipperfürth bis zum Ende des Untersuchungszeitraumes dominierte, lediglich in den Randbezirken wurden Kreditgenossenschaften gegründet, die dem Raiffeisen-Verband angeschlossenen waren – im Kreisinneren konnte zunächst kein anderer Verband Fuß fassen. Für diese Dominanz des Kölner Verbandes war neben der stark agrarischen Erwerbsstruktur die konfessionelle Struktur des Kreises entscheidend. Die Einwohner des Kreises Wipperfürth waren zu 90 Prozent katholisch, womit der Kreis im Bergischen Land eine katholische ‚Enklave‘ bildete. Aus dieser Tatsache ableiten lässt sich zunächst die verhältnismäßig starke Position des Rheinischen Bauernvereins, der sich insbesondere auf die Interessen katholischer Klein- und Mittelbauern konzentrierte. Diese Ausrichtung hatte freilich Auswirkungen auf die Zielsetzung des Kölner Verbandes (als Tochterorganisation des Bauernvereins), der damit seine Klientel im Bergischen insbesondere beziehungsweise ausschließlich im Kreis Wipperfürth fand. Die Mitgliederstruktur aller untersuchten Kreditgenossenschaften bildete nahezu eins zu eins die Erwerbsstruktur der jeweiligen Geschäftsgebiete ab; keine der untersuchten Genossenschaften bestand ausschließlich aus Landwirten – auch nicht im stark agrarisch geprägten Kreis Wipperfürth. Die dritte Gründungsphase in den drei untersuchten Kreisen ist für die Jahre 1900/01 bis 1914 anzusetzen. In dieser Phase wurden insgesamt die meisten Kreditgenossenschaften gegründet. Im Kreis Waldbröl, wo in der zweiten Phase keine weiteren Kreditgenossenschaften gegründet worden waren, setzten jetzt wieder Gründungsaktivitäten ein, wobei eine Dominanz des Raiffeisen-Verbandes eindeutig hervorsticht. Lediglich die Denklinger Kreditgenossenschaft gehörte dem Bonner Verband an, was auf die intensiven (Arbeits-) Beziehungen der Denklinger in den Kreis Gummersbach zurückgeführt werden könnte oder aber auf die schlechten Erfahrungen mit einer ersten Kreditgenossenschaften (gegr. 1874), die damals mangels Auswahlmöglichkeiten dem Raiffeisen-Verband angeschlossen war. Im Kreis 23

Andererseits: In den westlichen Randgebieten des Kreises Wipperfürth, an der Grenze zum Kreis Mülheim am Rhein, der zwischen dem Banken- und Handelszentrum Köln und dem Kreis Wipperfürth lag und einen höheren gewerblichen und Industrialisierungsgrad aufwies, wurde bereits 1891 eine ländliche Kreditgenossenschaft in Bechen gegründet (Anschluss an den Raiffeisen-Verband). Für den Kreis Mülheim am Rhein ist eine starke Gründungswelle bereits für die die 1870er-Jahren zu konstatieren.

3. Kreditgenossenschaften in den Kreisen Gummersbach, Waldbröl und Wipperfürth

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Gummersbach, der stärker gewerblich geprägt und weit stärker vom Industrialisierungsprozess gekennzeichnet war, setzten 1900 ebenfalls verstärkt Gründungsaktivitäten ein: Von 1900 bis 1902 wurden drei Kreditgenossenschaften mit Anschluss an den Raiffeisen-Verband gegründet, zwischen 1903 und 1913 fünf weitere Kreditgenossenschaften mit Anschluss an den Bonner Verband. Bedingt durch die hohe Dichte kommunaler Sparkassen im Kreis Gummersbach und infolge der zunehmend gewerblich-industriellen Struktur war der Bedarf nach rein landwirtschaftlichen Kreditgenossenschaften nur bedingt gegeben, sodass das stärker modern-geschäftsmäßig ausgerichtete Konzept des Bonner Verbandes besonders gut greifen konnte. Im Kreis Wipperfürth wurden in der dritten Phase systematisch Lücken geschlossen, das heißt in (Kirchen-) Gemeinden, in denen bis dahin keine Kreditgenossenschaften gegründet worden waren, wurden diese nun initiiert. Insgesamt lässt sich feststellen, dass dort, wo kreditwirtschaftliche Strukturen bereits vorgeprägt waren, wie im Kreis Gummersbach, die Gründungen von Kreditgenossenschaften später einsetzten. In stärker landwirtschaftlich strukturierten Räumen, wo kaum Zugriff auf bereits bestehende formale Intermediäre bestand und die Armutsgrenze niedriger lag, wurden demgegenüber bereits in den 1890er-Jahren mit Nachdruck klassische ländliche Kreditgenossenschaften initiiert. Aus einer gesamtrheinischen Vogelperspektive zeigt sich nachdrücklich, dass die Gründungsaktivitäten der Verbände eine Strategie aufwiesen. Die Verbände versuchten ihren Einfluss systematisch auszubauen, indem sie Gründungen von Kreditgenossenschaften – offensichtlich kreisweise – vornahmen. Der Kölner Verband hatte hierbei in einigen Kreisen der nördlichen Rheinlande – im Süden dominierte sowieso grundsätzlich der Trierer Verband – keinen Fuß fassen können. Dies gilt unter anderem für die Kreise Waldbröl und Gummersbach. Im Kreis Gummersbach bestanden um 1905 neun Kreditgenossenschaften, von denen keine dem Verband Köln angeschlossen war. Im westlicher gelegenen Kreis Wipperfürth hingegen gehörten zwölf von 13 um Wipperfürth und Lindlar ansässigen Kreditgenossenschaften dem Kölner Verband an. Fünf von diesen zwölf Kreditgenossenschaften wurden relativ zeitgleich gegründet: vier im Januar 1894, eine im Herbst 1894. Ein Blick in andere rheinische Gebiete zeigt, dass diese konzentrierte Gründung von Kreditgenossenschaften in einem bestimmten Gebiet nicht ungewöhnlich war.24 Damit zeigt sich, dass die Kreditgenossenschaften grundsätzlich planvoll und bewusst gegründet wurden und in der Regel nicht spontan beziehungsweise zufallsbedingt als direkte Reaktion zum Beispiel auf akute Krisen. Gestützt wird dieses wesentliche Ergebnis durch eine Aussage des Kölner Verbandes im Geschäftsbericht für das Jahr 1906: Von den 34 neu zum Verband gestoßenen Genossenschaften „wurden 30 auf Anregung des Verbandes bezw. unter Mitwirkung des Verbandes errichtet, wäh­ rend 4 derselben aus anderen rheinischen Genossenschaftsverbänden zu unserem 24

Im Kreis Düren wurden innerhalb des Jahres 1904 neun neue Kreditgenossenschaften gegründet wurden, die alle dem Verband rheinischer Genossenschaften angeschlossen waren. Im Kreis Bergheim wurden 1904 vier und im Kreis Euskirchen fünf neue Kreditgenossenschaften gegründet, die ebenfalls alle dem Verband angeschlossen waren. Solche Beobachtungen lassen sich in anderen Gegenden unter anderem auch für das Jahr 1895 machen: 1895 initiierte der Verband acht Gründungen im Kreis Kleve und sieben im Kreis Geldern.

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X. Fazit

Verbande übertraten […]. Es verdient erwähnt zu werden, daß diese Uebertritte der eigensten Initiative der betr. Genossenschaften entsprangen“.25 Im Umkehrschluss lässt sich also konstatieren, dass es in vielen anderen Fällen offenbar zu konkreter Propaganda gekommen war, um so die Verbandsbasis auszubauen.26 Ein solches Vorgehen wurde durch die Satzung des Verbandes gedeckt: Ziel des Verbandes war es, die Gründung neuer Genossenschaften anzuregen, Hilfestellung bei der Gründung zu leisten und dafür zu sorgen, dass die neuen Genossenschaften sich dem Verband anschlossen.27 Die Ziele der anderen Verbände waren gleich. Der Verband ländlicher Genossenschaften Raiffeisenscher Organisation der Rheinlande (Koblenz)28 berichtete 1905, dass die Raiffeisen-Organisation sich nie habe „ver­ leiten“ lassen, „Vereine um jeden Preis zu gründen“,29 sondern nur nach sorgfältiger Prüfung der Situation vor Ort die Gründungen gefördert habe. Der Verband Bonn, dem 1915 128 Kreditgenossenschaften angehörten, hatte nach eigenen Angaben in der Regel sogar nur dort – anders als etwa der Raiffeisen-Verband – Gründungen befürwortet und unterstützt, wo die Gründungsinteressierten bereit waren, Geschäftsanteile von mindestens 100 Mark zu erheben, um von vornherein Eigenkapital zu bilden und so Prosperität in Aussicht zu stellen.30 Um etwa 1905 erkannten dann alle rheinischen Verbände, dass die Rheinprovinz weitgehend mit einem Netz von Genossenschaften überzogen war, das heißt die Erschließung des ländlichen Raumes mit Kreditgenossenschaften eigentlich abgeschlossenen war. das heißt

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Verband ländlicher Genossenschaften: Geschäftsbericht 1906 [ohne Paginierung]: Es „wurden 30 auf Anregung des Verbandes bezw. unter Mitwirkung des Verbandes errichtet, während 4 derselben aus anderen rheinischen Genossenschaftsverbänden zu unserem Verbande über­ traten und zwar die Spar­ und Darlehnskassenvereine Büderich, Kendenich und Blankenrath, sowie der Winzerverein Remagen. Es verdient erwähnt zu werden, daß diese Uebertritte der eigensten Initiative der betr. Genossenschaften entsprangen“. Siehe auch LWK: Jahresbericht 1900, S. 25: „Die neugegründeten Spar­ und Darlehnskassen­ vereine wurden zum großen Teil in solchen Gegenden errichtet, in denen das ländliche Genos­ senschaftswesen bisher noch gar nicht bezw. noch wenig Fuß gefaßt hatte“. LHA Koblenz, 403/13275, S. 383–391, Revidierte Satzung des Verbandes rheinischer Genossenschaften eingetragener Verein zu Cöln (Rhein.), § 1. Dieser Verband wurde im Jahr 1905 aus dem Generalverband ländlicher Genossenschaften für Deutschland e.V. (Raiffeisen-Verband) als Filialverband ausgegliedert und als selbstständiger Verband mit Revisionsrecht neu konstituiert wurde; RWWA, 89-3-11, Satzung für den Rheinischen Raiffeisen-Verband e.V. zu Koblenz, §§ 1, 5, 8. LWK: Jahresbericht für 1905 und den fünfjährigen Zeitraum 1901–1905, S. 153. Hierin könnte – neben der regelmäßigen Überwachung durch die Revision – ein Grund gelegen haben, warum die Liquidationsquote der rheinischen Kreditgenossenschaften so verhältnismäßig gering war. Im Kreis Wipperfürth sind von 14 ländlichen Kreditgenossenschaften nur zwei zur Liquidation gekommen: Die eine Genossenschaft war nicht ‚existenzfähig‘ – mehr ist den Akten nicht zu entnehmen –, die andere hatte zu viele Außenstände. Darüber hinaus darf man bei der zweiten Genossenschaft Zweifel an der Arbeit des Revisors haben.

4. Die innere Organisation der Kreditgenossenschaften

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4. DIE INNERE ORGANISATION DER KREDITGENOSSENSCHAFTEN Die innere Organisation der ländlichen Kreditgenossenschaften war äußerst effizient. Gleichwohl konnten aufgrund des genossenschaftlichen Konstruktionsprinzips in praxi Prinzipal-Agenten-Probleme auftreten, die eine gute Corporate Governance theoretisch minimieren wenn nicht sogar vermeiden konnte. Die grundsätzlichen Probleme in Kreditbeziehungen, die unterschiedliche Verteilung von Informationen und divergierende Ziele, sollten durch die Schaffung einer Genossenschaft formal reduziert werden. Dennoch ist davon auszugehen, dass das kreditnehmende Mitglied die Risiken und Chancen einer fristgerechten Tilgung besser kannte als die Geschäftsführung. Die Geschäftsführung hingegen war besser informiert über die Geschäftslage als es die Mitglieder waren, welche die Geschäftsführung zur Abwicklung der Geschäfte in ihrem Sinne wählten. Anschauliche Evidenz liefert hierfür das Beispiel des Vereinsvorstehers Kxxxx, der zugleich Gründungsmitglied der Genossenschaft, Gastwirt in Denklingen und seit 1862 Postexpediteur war: 1878 wurde er aus seinem Amt enthoben und aus der Genossenschaft ausgeschlossen,31 nachdem er „den Verein nach jeder Bezeichnung zu schädigen versucht“32 hatte. Kxxxx hatte versucht, durch die Übernahme mehrerer Aufgaben und Ämter im Dorf seinen persönlichen Einfluss auszuweiten und seine ökonomische Situation zu verbessern. In diese Ämter brachte er die als Wirt am Tresen gesammelte Informationen in das genossenschaftliche Kreditüberwachungssystem ein, verwertete diese vice versa (mehr oder weniger verborgen) weiter, um persönliche Vorteil zu realisieren; Kxxxx bediente sich hier schlicht der List als Option des Opportunismus. Ein anderes Bild liefert hingegen das Beispiel des Dieringhausener Rendant, der es verstand, die auf Wachstum ausgerichteten Bedingungen des strukturellen Wandels für ein Größenwachstum der Genossenschaft zu nutzen. Die Zielvorstellungen der Mitglieder und der Geschäftsführung konnten also ebenfalls asynchron sein, wenngleich vermutlich weniger divergent als etwa in Aktiengesellschaften. Die Ursache hierfür lag vor allem im Selbstverwaltungs- sowie im Identitätsprinzip. Die zentrale Frage, die sich den Mitgliedern stellte, war, in welcher Weise sie sicher gehen konnten, dass die Genossenschaft ihrem Zweck, der Erfüllung des Förderauftrags nachkam, welcher sowohl die Förderung des Sparsinns, etwa durch die Schaffung von Sparkassen, umfassen konnte, vor allem aber auf die Darlehnskasse zur Beschaffung von Kapital abzielte, was – gemäß dem im Genossenschaftsgesetz festgeschriebenen Förderauftrag – die „Wirtschaftsbetriebe“33 der Mitglieder fördern sollte. Dies zu erreichen, sollte die Unternehmensverfassung garantieren. Die in den Statuten geregelten Unternehmensverfassungen der Genossenschaften wurden unter Berücksichtigung des Genossenschaftsgesetzes sowie weiterer staatlicher Rechtsvorschriften durch die Genossenschaftsverbände festgelegt: Durch die Ausarbeitung von Mustersatzungen für Kreditgenossenschaften durch die Verbände 31 32 33

HStA Düsseldorf, Rep. 78 Nr. 35, Statut vom 20. Januar 1874, Ausschluss nach § 4 Abs. c des Statuts. AdVBO, Bestand RB Wiehl, 26-5, Denklinger Darlehnskassen-Verein eGmuH, VS/VR-Protokoll vom 15. Mai 1878. Siehe Kapitel III.

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X. Fazit

wurden die formalen Regeln und Verfahren der Primärgenossenschaften derart gestaltet, dass formal die verschiedenen Prinzipal-Agenten-Beziehungen optimal, das heißt transaktionskostensenkend, abgestimmt waren. Die Leitung der Genossenschaft lag beim Vorstand, der durch den Aufsichtsrat kontrolliert wurde. Anders als bei Aktiengesellschaften konnten zum Vorstand nur Mitglieder der Genossenschaft gewählt werden. Dies galt ebenso für den Aufsichtsrat.34 Bevor der Aufsichtsrat mit dem Genossenschaftsgesetz 1889 verbindlich als internes Kontrollorgan durch die Genossenschaften in ihre Organisation zu integrieren war, hatte der Raiffeisen-Verband den Verwaltungsrat bereits in die von ihm herausgegebenen Normalstatuten für Kreditgenossenschaften eingefügt. Vorstand und Aufsichtsrat wurden von der Generalversammlung aus deren Mitte heraus gewählt, was ebenfalls einen Unterschied zur Aktiengesellschaft darstellt und nicht selten in Ermangelung von fachlich versierten Mitgliedern zu Schwierigkeiten führen konnte. Es zeigten sich bei einigen Genossenschaften erhebliche Nachlässigkeiten des Aufsichtsrates gegenüber dem Vorstand. Dieses Überwachungsproblem wurde bereits bei den Verhandlungen zum Genossenschaftsgesetz von 1889 diskutiert, woraufhin der Gesetzgeber mit der externen Revision eine zusätzliche Kontrolle einführte, um diese Schwachstelle abzufedern. Ein entsprechendes Revisionsrecht konnten die Verbände beantragen.35 Unter Ausnutzung von Skaleneffekten, wie etwa den Verkauf von Vorgabendokumenten, und unter Ausschöpfung sämtlicher Informationskanäle übernahmen die Verbände nach Verleihung des Revisionsrechts bei allen untersuchten Kreditgenossenschaften die Revision. Durch diverse Optionen zur Externalisierung von Aufgaben (zum Beispiel Erstellung von Drucksachen oder aber den Bezug von Blanko-Protokollbüchern über die Verbände) und durch die möglichst einfach gehaltene und durch die Verbände (meist im Rahmen der Revision) betreute Geschäfts- und Buchführung waren aufwendige Einarbeitungsphasen für die Geschäftsführer, Vorstand und Aufsichtsrat in der Regel überflüssig, zudem wurden mögliche Fehlerquellen reduziert. Welche Buchführung in den Genossenschaften praktiziert wurde, welche Formulare verwendet wurden und welche formalen Regelsysteme die Statuten kannten, war damit abhängig von der Verbandszugehörigkeit der Genossenschaft, wodurch auch die strategische Ausrichtung der Geschäftstätigkeit maßgeblich bestimmt wurde.36 Die Untersuchung der Kreditgenossenschaften in den drei Bergischen Kreisen konnte deutlich machen, dass vor allem zwei Variablen besonderen Einfluss auf die Prinzipal-Agent-Konstellationen hatten: die Größe des Geschäftsgebietes und das Verhältnis von Geschäftsführung zum Vorstand; genauer, ob der Geschäftsführer (Rendant oder Rechner genannt) Mitglied des Vorstandes war oder nicht. Während die einen, dem Kölner Verband angehörigen Kreditgenossenschaften der „Kirchturmpolitik“37 und insgesamt den originären Raiffeisen-Prinzipien verhaftetet blieben, wurden die dem Bonner Verband angehörigen Kreditgenossenschaf34 35 36 37

Siehe Hilkenbach: Corporate Governance. Das Genossenschaftsgesetz von 1889 kannte zudem alternativ die Revision durch einen vom Amtsgericht bestellten, verbandsunabhängigen Revisor. Siehe Kapitel V und Abschnitt VI.1. Lüer: Anspruch, S. 180.

4. Die innere Organisation der Kreditgenossenschaften

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ten bereits bei der Gründung stärker ökonomisch ausgerichtet – in ihren Statuten verbanden sich Elemente der Raiffeisen’schen Normalstatuten mit den Merkmalen der Schulze-Delitzsch’schen städtischen Kreditgenossenschaften. Ein besonderes Charakteristikum dieser Kreditgenossenschaften war jeweils die Ausdehnung des Geschäftsbezirkes auf einen Radius von bis zu acht Kilometern, bei der man sich nicht an gegebenen Einheiten, wie dem Pfarrbezirk oder der politischen Gemeinde, orientierte und damit die von Raiffeisen geforderte Begrenzung zur Reduzierung der Informationsasymmetrie ablegte. Durch die über die Vergabe von Personalkrediten hinausreichenden Leistungsangebote und durch die Interferenz der einzelnen Geschäftsbezirke – sowohl der Genossenschaften des gleichen Verbandes als auch mit Kreditgenossenschaften, die dem Raiffeisen-Verband angeschlossen waren, – wurde hier eine grundsätzlich neue Situation geschaffen: eine Konkurrenzkonstellation unter den lokalen Kreditgenossenschaften.38 Diese Ausdehnung des Geschäftsbezirkes führte zu diversen Koordinations- und Überwachungsproblemen, die im Falle der Kasse Dieringhausen durch das Einsetzen von Vertrauensmännern – was so im Musterstatut nicht vorgesehen war – reduziert wurden und im Falle der Kasse Derschlag durch die Einschaltung von Agenten, die als Sammelstelle für Spargelder fungierten. Zur Senkung von Informationsasymmetrien bildeten sich also – wenn auch in geringem Umfang – im Laufe der Zeit weitere, nicht im Statut fixierte Regeln und Verfahren heraus. Ein weiteres Beispiel findet sich mit dem 1874 gegründeten Denklinger Darlehnskassenverein. In Denklingen hatte man bereits in den 1870er-Jahren als Beschluss der Generalversammlung eine Art Bankgeheimnis eingeführt. Diese Schweigepflicht zum Schutz der Mitglieder fand jedoch bei keiner Genossenschaft grundsätzlich Eingang in die Statuten. Einige Genossenschaften führten zudem zusätzlich die Gegenzeichnung von Quittungen durch ein weiteres Vorstandsmitglied ein, um die Gefahr von Unterschlagungen oder unbeabsichtigten Fehlern zu reduzieren. In einigen Fällen wurden über die vierteljährlichen Kontrollen der einzelnen Kreditverträge durch den Aufsichtsrat hinausgehend jährliche Überprüfungen aller Kreditfälle durch besondere Kommissionen aus Mitgliedern der Verwaltung eingeführt. Solche zusätzlichen individuellen, nicht durch das Musterstatut vorgezeichneten Kontrollmechanismen wurden häufig nicht aus einem aktuellen Anlass lanciert, sondern vielfach – so zumindest der Quellenlage nach – ex ante eingeführt und waren daher Präventivmaßnahmen.39 Hierzu zählt etwa auch das Vertrauensmännersystem, welches die Dieringhausener Kreditgenossenschaft zur Unterstützung des Aufsichtsrates einsetzte und welches sowohl im Vorfeld der Gewährung eines Darlehns die Überprüfung der Kreditfähigkeit und der Kreditwürdigkeit als auch nach Vertragsabschluss die Kontrolle des Darlehnsnehmers erleichtern sollte. Implementiert wurde das Vertrauensmännersystem nach der Ausweitung des Geschäftsbezirkes auf einen Radius von acht Kilometern im Jahr 1900, womit das Geschäftsgebiet zehnmal so viele Einwohner umfasste, wie es Raiffeisen beziehungsweise der Raiffeisen-Verband immer als Richtwert vorgegeben hatten. 38 39

Abschnitt VII.1.b). Siehe etwa Abschnitt VIII.2.

424

X. Fazit

Weiteres Unterscheidungsmerkmal der Genossenschaften des Bonner Verbandes von denen des Kölner- und des Raiffeisen-Verbandes war neben dem ausgedehnten Geschäftsbezirk die volksbankentypische Zusammensetzung des Vorstandes: Der Geschäftsführer (Rendant) hatte weniger eine Hilfsfunktion, sondern war als Mitglied des Vorstandes mit entscheidungsbefugt, statt dem Vorstand lediglich weisungsgebunden zu sein. Dies minimierte zwar die im Geschäftsalltag unpraktische Abhängigkeit des Geschäftsführers von den Entscheidungen des Vorstandes, erhöhte aber zugleich auch seine Verantwortung und verschob damit – zumindest theoretisch – seine Ziele, etwa eine höhere Besoldung der Vorstände, wie das Beispiel Derschlag zeigt. Weitere formale Regeln reichten weit über die Praktiken der traditionellen, um die Kirchturmspitze kreisenden Genossenschaften hinaus. Da die Geschäftsgebiete weitläufiger waren, erreichte die Einladung zur Generalversammlung in Form eines Aushanges an der Kirchentür nicht mehr alle Mitglieder. Stattdessen wurden die Mitglieder mindestens eine Woche im Voraus postalisch sowie über die lokale Tageszeitung eingeladen, von ihren Stimmrechten Gebrauch zu machen (eine Stimme pro Mitglied). In der Generalversammlung selbst fanden Wahlen geheim statt, womit die für Raiffeisen typische offene Abstimmung wegfiel, die zugleich eine unabhängige Stimmabgabe durch die Mitglieder unter den Augen der zu den Dorfeliten zählenden Mitglieder verhinderte. Anders als die Raiffeisenkassen erhoben die Genossenschaften mit Anschluss an den Bonner Verband Eintrittsgeld, womit grundsätzlich kreditwürdige Mitglieder, die im Moment aber nicht über das entsprechende Kapital verfügen, von vorneherein ausgeschlossen werden. Damit fand eine Adverse Selection statt. Ebenfalls anders als es Raiffeisens Normalstatuten vorsahen, schütteten Genossenschaften nach den Musterstatuten des Bonner Verbandes eine Dividende aus, was nicht ohne Auswirkungen auf die Zielvorstellungen der Mitglieder blieb. Ein weiterer Unterschied lag in der Festsetzung der Zinsen. Diese wurden bei Genossenschaften nach dem Musterstatut des Bonner Verbandes durch den Vorstand und nicht, wie in Raiffeisens Normalstatuten vorgesehen, durch die Generalversammlung festgelegt, sodass diese kurzfristig an den Geldmarkt beziehungsweise den Vorgaben der Zentralkassen angepasst werden konnten und sich dem direkten Einfluss der Mitglieder entzogen. Zur Lösung von Anreizproblemen wurde die Geschäftsführung der Kreditgenossenschaften des Bonner Verbandes, deren Ziele theoretisch die möglichst langfristige Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses – zwischen Genossenschaft und Geschäftsführung wurde ein so genannter Rechner- oder Rendantenvertrag abgeschlossen –, eine gute Entlohnung und persönlicher Einfluss sind, in größerem Umfang entlohnt und Gratifikationen fielen höher aus. Den Primärgenossenschaften des Bonner Verbandes, dessen Mutterorganisation der Landwirtschaftliche Verein für Rheinpreußen war, lagen weitestgehend die Regeln des Musterstatuts des Reichsverbandes zu Grunde. Die Kombination aus den Musterstatuten des Reichsverbandes und dem ausgedehnten Geschäftsbezirk, war jedoch ein Spezifikum des Bonner Verbandes und kann als Bonner Model bezeichnet werden.40 40

Beim Reichsverband hatte man grundsätzlich die Beibehaltung eines eng begrenzten Geschäftsgebietes gefordert.

5. Externe Kontrolle: die Revision durch die Verbände

425

Die Entstehung und die langfristige Durchsetzung der Organisationsform Kreditgenossenschaft mit ihren formalen und informellen Regelsystemen war nicht nur vom tatsächlich vorhandenen ökonomischen Bedarf nach einer solchen Einrichtung abhängig, sondern auch davon, ob dieser Bedarf von der lokalen Gesellschaft erkannt wurde. Eine wichtige Rolle spielten Engagement, Fähigkeiten und Kenntnisse Einzelner. Nur da, wo der Ackerer nicht dem Bild des politisch und wirtschaftlich konservativen Bauern entsprach, sondern die agrarische Mittelschicht bereit war, die „Herausforderungen der Marktgesellschaft anzunehmen“,41 drückte sich die Innovationsbereitschaft in der fortschreitenden Ausweitung des landwirtschaftlichen Genossenschaftswesens aus.42 In diesem Prozess – so Wolfgang Pyta – entwickelte sich der Ackerer jedoch nicht zu einem „nüchtern kalkulie­ renden Unternehmer, der soziale Kontakte an der Elle des wirtschaftlichen Nutzens“43 maß, sondern hielt weiterhin an kooperativen Formen des Zusammenlebens und -wirtschaftens fest. Die Verknüpfung von Moderne und Rückgriff auf überkommene Strukturen des dörflichen Zusammenlebens sowie das Wirken individueller Akteure waren wesentlicher Baustein für den Erfolg der Organisationsform Genossenschaft. 5. EXTERNE KONTROLLE: DIE REVISION DURCH DIE VERBÄNDE Prinzipal-Agenten-Probleme, die aus divergierenden Zielvorstellungen und Informationsasymmetrien zwischen Mitgliedern, Geschäftsführung, Vorstand und Aufsichtsrat entstanden, wurden durch die externe Kontrolle, die mindestens alle zwei Jahre durchzuführende Revision, reduziert. Diese wurde bei allen untersuchten Genossenschaften durch Revisoren der Verbände durchgeführt. Die externe Revision wurde mit dem Genossenschaftsgesetz von 1889 eingeführt.44 In der Revision lag ein entscheidendes Instrument zur Unterstützung der kaufmännisch kaum geschulten Verwaltungsorgane und zur Aufdeckung von Fehlerquellen oder bewusster Misswirtschaft. Bis zur Einführung der Revision 1889 hatten sich bei den bereits bestehenden Verbänden durch Learning by Doing Revisionsmethoden entwickelt, die in großem Umfang Berücksichtigung im Genossenschaftsgesetz fanden. Die Festlegung der Prüfmethoden war den Verbänden durch den Gesetzgeber übertragen worden und konnte somit von Verband zu Verband unterschiedlich sein. Bei der externen Revision treten neue Prinzipal-Agenten-Probleme auf: Die Revisoren wurden per Dienstvertrag bei den Verbänden angestellt. Ihre Ziele konnten durchaus andere sein als die des Verbandsvorstandes, zum Beispiel eine möglichst zügige Abwicklung der Revision, um so die Dienstreise zu verkürzen und somit mehr Freizeit zu haben (Shirking on the Job). Die Revisoren verfügten durch ihre Revisionsreisen über andere Informationen über die zu revidierenden Genossenschaften als 41 42 43 44

Aldenhoff-Hübinger: Agrarpolitik, S. 17. Ebd. Pyta: Dorfgemeinschaft, S. 47. In der zeitgenössischen Diskussion wurde dies vielfach als Durchgriff des Staates auf die Genossenschaften betrachtet und kritisiert.

426

X. Fazit

Verbandsvorstand und -geschäftsführung in der Hauptgeschäftsstelle, was zu Informationsvorteilen der Revisoren führte. Eine wichtige Regel war, dass die Revisoren nicht Mitglied der zu revidierenden Genossenschaft sein durften, um die Genossenschaft unabhängig kontrollieren zu können. Zur Reduktion von Informationsasymmetrie zwischen Revisor und Verband, hatte der Revisor nicht nur den Revisionsbericht einzureichen, sondern musste sich selbst regelmäßig einer Superrevision (Witness Auditing) unterziehen. Auf Grundlage der Prüfungsberichte wurde in persönlichen Gesprächen die Arbeit überprüft. Die Superrevision diente zudem zur Aufdeckung etwaiger Schwachstellen in den Revisionsmethoden. Eine wichtige Rolle kam auch der Revisorenausbildung zu, welche in den Anfangsjahren in Form eines verbandsinternen Mentorings organisiert war und bis 1914 maßgeblich professionalisiert wurde. Aufgabe der Revisoren war es nicht die Buchhaltung en détail zu prüfen, sondern vielmehr sicherzustellen, dass gesetzliche Bestimmungen eingehalten wurden (zum Beispiel ob der Aufsichtsrat regelmäßig seiner Kontrollfunktion nachkam), oder ob Kredite entsprechend den statuarischen Regeln besichert waren. Der Prüfungsbericht wurde hierbei zentral: Dieser hielt die Mängel fest, diente als Arbeitsgrundlage für die nächste Revision und war durch den Aufsichtsrat der Generalversammlung vorzustellen, damit die Mitglieder über etwaige Mängel oder Schwachstellen informiert waren. Darüber hinaus enthielt der Bericht Hinweise und Verbesserungsvorschläge. Grundsätzlich hatte der Bericht neutral formuliert zu sein – ohne Lob und persönlichen Tadel – konnte aber, wie das Beispiel Derschlag zeigt auch wenig freundlich ausfallen.45 Die zeitgenössische Formel, der Revisor, ‚Dein Freund und Berater‘, ist nicht überzubewerten und bleibt ebenfalls nachweislich nicht ohne Prinzipal-Agenten-Probleme zwischen Revisor und der zu revidierenden Genossenschaft beziehungsweise deren juristischen Vertretern. Die Fallbeispiele zeigen Nachlässigkeit sowie Nachgiebigkeit aus persönlicher Verbundenheit zum Kreditnehmer, sodass Kontenüberziehungen toleriert oder zu schwache Besicherung akzeptiert wurden oder den Kreditunterlagen wichtige Dokumente nicht beilagen.46 Bei der Revision handelte es sich um ein Ex-post-Kontrollinstrument. Zwar versuchten die Genossenschaftsverbände den Zeitraum zwischen den Revisionen möglichst kurz zu halten, doch blieb die Revision eine nachgelagerte. Kam der Revisor zu einem Zeitpunkt, zu dem ein Kredit noch nicht geplatzt war, konnte seine Hilfestellungen durchaus Schlimmeres verhindern. Hatten die internen Kontrollmechanismen nicht gegriffen und war die externe Kontrolle zu schwach oder fand zu spät statt, kam es äußerstenfalls zum Konkurs, wie etwa in Denklingen (unter anderem wegen des eigennützigen Verhaltens Kxxxxs). In Engelskirchen hatte der Revisor die Unregelmäßigkeiten und die Überschuldung offenbar nicht erkannt, sei es weil die Geschäftsführung dem Revisor absichtlich Informationen vorenthielt oder er die Misswirtschaft selbst nicht erkannt hatte.47 Ein erheblicher Schwachpunkt der Revision waren die fehlenden Zwangsmittel der Verbände gegenüber den Genossenschaften. Die Revisionsberichte hatten daher 45 46 47

Abschnitte VI.2.b) und VIII.2.e). Siehe Abschnitt VI.2. Siehe Abschnitte VI.2.b) und VI.2.d).

6. Aktiv- und Passivgeschäft

427

vor allem den Charakter eines Mängelkataloges mit unverbindlichen Verbesserungsvorschlägen. Das Sanktionsmittel des Verbandsauschlusses hatte kaum abschreckende Wirkung, da der Wechsel zu einem anderen Verband grundsätzlich möglich war beziehungsweise es nach dem Genossenschaftsgesetz erlaubt war, die Revision durch einen vom Amtsgericht bestellten Revisor vornehmen zu lassen. 6. AKTIV- UND PASSIVGESCHÄFT Das optimale Zusammenwirken der Verwaltungsorgane ergänzt durch die externe Revision diente vor allem dem reibungslosen Ablauf von Aktiv- und Passivgeschäft und damit wiederum der Mitgliederförderung. Eine besondere Bedeutung kam und kommt heute noch hierbei – wie schon bei der Besetzung der Ämter – dem Identitätsprinzip zu: Das Mitglied tritt mal als Darlehensnehmer und damit in der Agenten-Position gegenüber der Genossenschaft auf und mal als Sparer, das heißt in der Position des Prinzipals, der von seiner Genossenschaftsbank eine sichere, gut verzinsliche Anlage seiner Spargelder erwartet. Nimmt er die Leistungen der Genossenschaft nicht aktiv in Anspruch, so überträgt er doch dieser ihrem Zweck nach sowie mit der Zeichnung seines Anteils die Aufgabe, mit dem von ihm eingelegten Geld in seinem Sinne zu wirtschaften und für seinen Bedarfsfall vorzusorgen. Von der Lage des Geschäftsgebietes im Wirtschaftsraum wurde die Mitgliederentwicklung determiniert und mit der Ausdehnung des Geschäftsgebietes die Grundlage für das Größenwachstum der Unternehmen gelegt, wie sich deutlich am Beispiel der Dieringhausener Genossenschaft zeigt. Diese Genossenschaft unterschied sich sowohl aufgrund ihrer Mitgliederzahl als auch aufgrund des Umfanges von Aktiv- und Passivgeschäft maßgeblich von den anderen Kreditgenossenschaften, insbesondere den im Kreis Wipperfürth ansässigen, dem Verband Köln angeschlossenen. Die Berufsstruktur der Mitglieder hing ebenfalls von der Lage im Wirtschaftsraum ab: So zeigt sich weniger bei den Kreditgenossenschaften im Kreis Wipperfürth als vielmehr bei den im Aggertal ansässigen Kreditgenossenschaften bereits vor 1914 eine „berufsständische Neutralisierung“.48 Für alle näher untersuchten Kreditgenossenschaften gilt gleichermaßen, dass Mitglieder über einen langen Zeitraum, minimal über die Dauer der Rückzahlung ihres Darlehns, Mitglied in der Genossenschaft waren, wodurch – theoretisch – ein kostensenkendes RelationshipBanking möglich war, da die Mitglieder sowohl als Darlehnsnehmer, Sparer und gegebenenfalls als Inhaber eines Kontokorrentkontos der Geschäftsführung, dem Vorstand und dem Aufsichtsrat bekannt waren und damit sich zügig Kreditwürdigkeit und -fähigkeit feststellen ließen. Die Kreditgenossenschaften im Kreis Wipperfürth blieben bis 1914 und auch noch darüber hinaus den originären Raiffeisen-Prinzipien treu: Die Kredite wurden in der Regel als Personalkredite mit Bürgschaft vergeben. Nicht besicherte Darlehn durften nicht vergeben werden, um die solidarisch haftenden Mitglieder der eingetragenen Genossenschaft mit unbeschränkter Haftpflicht zu schützen. Neben der Stellung eines Bürgen wurden 48

Abel: Agrarpolitik, S. 320.

428

X. Fazit

Kredite, wie zum Beispiel größere Baudarlehn (siehe Spar- und Darlehnskasse Dieringhausen) in Form von Hypothek oder auch die Hinterlegung eines Wertpapieres (Bonding) besichert, insbesondere dann wenn kein adäquater Bürge vorgebracht werden konnte. Die Darlehnssummen waren meist nicht höher als 1.000 Mark, wodurch unter anderem eine gewisse Risikostreuung möglich wurde. Die Tilgungsfristen erstreckten sich über einen ausreichend langen, der Leistungsfähigkeit des Darlehnsnehmers angepassten Zeitraum, sodass Fallimente eher selten konstatiert werden konnten. Kredite wurden vor allem im ersten Jahresquartal beantragt, was dem landwirtschaftlichen Arbeitskalender entsprach. Lokale Wetterereignisse (Hagel, Trockenheit) konnten dazu führen, dass aufgrund schlechter landwirtschaftlicher Erträge Tilgungen gestundet werden mussten.49 Während generell die Darlehn in runden Raten jährlich, in der Regel zum 1. oder 31. Dezember, zurückzuzahlen waren, vereinbarte der Vorstand der Hohkeppeler Kreditgenossenschaft vielfach auch monatliche Raten, ohne dabei jedoch die Gesamtlaufzeit des Kredits zu verkürzen. Mit dieser Vorgehensweise konnte der Rendanten Informationslücken verringern, da er in regelmäßigen, kürzeren Abständen den Darlehnsnehmer ‚zu Gesicht bekam‘. Zudem flossen auf diese Weise regelmäßig kleinere Geldbeträge zurück, die dann wieder an andere Mitglieder ausgeliehen werden konnten, was den Kapitalumlauf beschleunigte. Der markanteste Unterschied zwischen den traditionellen Raiffeisenkassen beziehungsweise Kassen des Kölner Verbandes und den Genossenschaftsbanken des Bonner Verbandes wird sehr deutlich anhand der Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Dieringhausen (gegründet 1895) und der Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Derschlag. Letztere wurde 1905, das heißt in der dritten Gründungsphase, gegründet. Als ‚Newcomerin‘ wurde sie in einer bereits weitgehend entwickelten Kreditgenossenschaftslandschaft gegründet (im Raum Gummersbach bestanden bereits sieben Kreditgenossenschaften, daneben sechs kommunale Sparkassen). Der zunehmende Anteil Gewerbetreibender an den Erwerbstätigen, als Folge der Industrialisierung und Urbanisierung des Gummersbacher Raumes, weckte das Bedürfnis nach einer Institution, die Wechselgeschäfte für die Gummersbacher und Bergneustädter Kaufleute und kleinerer Handwerker abwickelte. Im Wechselgeschäft fand die Derschlager Kreditgenossenschaft ihre Nische (die Kreditgenossenschaft diskontierte 1906 Wechsel im Gesamtwert von rund 270.000 Mark). Mit dieser Nischenstrategie unterschied sich die Derschlager Kasse maßgeblich von allen anderen ländlichen Kreditgenossenschaften in ihrem Geschäftsbezirk und auch von allen anderen untersuchten Kreditgenossenschaften.50 Dies resultierte aus der Ablehnung des Wechselgeschäftes unter anderem durch den Raiffeisen-Verband, der wegen der aufwendigen Überwachung der an dem Wechsel beteiligten Personen, dem daraus resultierenden hohen Risiko und den damit verbundenen hohen Informationskosten für die kleinen, ehrenamtlich geführten Kreditgenossenschaften zu komplex und mithin zu kostenaufwendig war.51 An dem Derschlager Beispiel zeigt sich zugleich, dass der Verbandsname ‚Verband rheinpreußischer landwirt49 50 51

Vgl. Abschnitt VIII.2.b). Siehe Abschnitt VIII.2.e). Siehe ebd.

6. Aktiv- und Passivgeschäft

429

schaftlicher Genossenschaften e.V., Bonn‘ der das Adjektiv ‚landwirtschaftlich‘ enthielt nicht unbedingt Rückschlüsse auf die Mitgliederstruktur der Kreditgenossenschaften oder auf typisch landwirtschaftliche Geschäftssegmente der Primärgenossenschaften zulässt. Vielmehr kommt in dem Namen zum Ausdruck, dass sämtliche Typen landwirtschaftlicher Genossenschaften in den Verband aufgenommen wurden. Der Direktor der Bonner Zentralkasse und Nachfolger Havensteins im Amt des Verbandsdirektors, Nikolaus Feldmann, formulierte 1914: „Grundlegend anders als Raiffeisen betrachtet Havenstein […] das Verhältnis der Genossenschaft zum Berufsstand. Er sieht zwar klar, was offen zutage liegt: daß sich Mitglieder­ kreis und Aufgabenbereich beider Organisationen nicht decken. Der Berufsverein beschränkt sich auf die Landwirte, die Kreditgenossenschaft erfaßt und betreut das ganze Landvolk, also neben dem Landwirt auch das ländliche Gewerbe, Handwer­ ker, Kaufleute und schließlich die Arbeiter. Deshalb ist die Kreditgenossenschaft keine landwirtschaftliche, sondern eine ländliche Genossenschaft“.52 Die Ausweitung auf alle Berufsgruppen diente vor allem der Risikodiversifikation. Aufgrund der Lage im Wirtschaftsraum, der daraus resultierenden Mitgliederstruktur und der Verschiebung von Nachfrage und Angebot hin zu stärker universalbankmäßigen Leistungen waren sowohl die Derschlager Kasse, als auch die Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Dieringhausen (Dieringhausen war wichtiger Verkehrsknotenpunkt und entwickelte sich zu einem der dichtbesiedelten Räume im Oberbergischen) keine landwirtschaftlichen Kreditgenossenschaften. Bei der Dieringhausener Kreditgenossenschaft handelte es sich aufgrund ihrer Lage und Mitgliederstruktur auch nur noch bedingt um eine ländliche Kreditgenossenschaft. Die Dieringhausener Kreditgenossenschaft, die zunehmend hypothekarisch gesicherte Kredite insbesondere für Bauprojekte, die Elektrifizierung von Wohn- und Wirtschaftsgebäuden und deren Anschluss an die Kanalisation vergab, hatte um 1900 den landwirtschaftlichen Kredit bereits so weit aus den Augen verloren, dass die Generalversammlung 1901 beschloss, die Genossenschaft solle künftig stärker den originären Gründungszweck berücksichtigen und dem Landwirt auch dann mit einem Personalkredit dienen, wenn der Antragsteller zwar wirtschaftlich „schwach“, aber grundsätzlich „würdig sei“.53 Die Lage der Genossenschaft, der große Geschäftsbezirk und die Mitgliederstruktur führten zu einem stark steigenden Geschäftsumfang, was wiederum zu neuen Überwachungs- und Koordinierungsproblemen führte. Zur Senkung von Koordinationsproblemen führte man bereits 1897 geregelte Öffnungszeiten ein. Zudem stellte man dem Geschäftsführer einen zusätzli52

53

Feldmann: Verein, S. 451 f., weiter heißt es: „Aber auch die Kreditgenossenschaft ist der land­ wirtschaftlichen Berufsvereinigung entsprossen, und aus diesem Mutterboden saugt sie ihre besten Kräfte. […] Den ganzen Kreis ihrer Aufgaben erfüllen, mit einem Wort genossenschaft­ lich leben, kann die Genossenschaft nur, wenn sie sachlich und persönlich mit dem landwirt­ schaftlichen Berufsstand vereinigt bleibt“. Siehe ferner AdVBO, Bestand RB Wiehl, 76-8, Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Derschlag, Schreiben des Revisors Koch vom 16. September 1919: „Gewiss, die Zahl der Mitglieder allein tut es nicht. Eine Kreditgenossenschaft wird erst dann tief wurzeln, wenn in ihr alle Berufsstände und in möglichst grosser Anzahl vertreten sind“. AdVBO, Bestand RB Wiehl, 134-4, Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Dieringhausen, GVProtokoll vom 21. April 1901; ferner Kluge: Geschichte, S. 190.

430

X. Fazit

chen Kontrolleur an die Seite, der sämtliche Spar- und Kontokorrentgegenbücher mit unterzeichnete und die Kassenkontrolle übernahm. Darüber hinaus wurde zur Unterstützung des Geschäftsführers schon 1910 ein Lehrling eingestellt – in Derschlag 1908. Bei den stark landwirtschaftlich geprägten Kreditgenossenschaften des Kreises Wipperfürth blieb der Geschäftsverkehr hingegen so klein, dass solche Maßnahmen nicht ergriffen wurden. Das Passivgeschäft entwickelte sich im Verhältnis zum Aktivgeschäft in ähnlichem Umfang. Anleihen der Zentralkassen waren etwa nach Gründung der Genossenschaften vielfach notwendig, um den Geschäftsbetrieb aufnehmen zu können – in Hönnigethal und Dieringhausen jedoch nur in geringem Umfang, da nach nur wenigen Monaten beziehungsweise bereits in den ersten Geschäftsjahren das Spargeschäft so gut angelaufen war, dass die Kassen nicht nur die Nachfrage von Darlehnssuchenden bedienen, sondern zugleich ausreichend Liquidität vorhalten konnten, um Auszahlungen von Kontokorrent- und Sparkonten jederzeit vornehmen zu können. Eine besondere Rolle fiel den Zentralkassen zu. Diese wurden von Genossenschaftsverbänden eingerichtet, um den Geldausgleich zwischen den einzelnen ländlichen Kreditgenossenschaften zu besorgen, das heißt Fristen- und Losgrößentransformationen im Geschäftsbetrieb der Primärgenossenschaften zu ermöglichen. Überschüsse der einen Kreditgenossenschaft wurden über die Zentralkasse (als Intermediär) zu einer anderen Kreditgenossenschaft transferiert, welche aufgrund der lokalen Gegebenheiten (etwa Ernteausfälle) einen höheren Bedarf anmeldete, als ihr eigenes Passivgeschäft leisten konnte.54 Ein solcher Ausgleich – Raiffeisen hatte diesen über sämtliche deutsche Staaten organisieren wollen, was sich jedoch zunächst vor allem an Haftungsfragen zerschlug – fand zunächst nur unter den Kreditgenossenschaften eines Verbandes statt. Mit dem Anschluss der Kreditgenossenschaft an einen Verband verpflichtete sie sich in der Regel zugleich auch zum Beitritt zu dessen Zentralkasse. Der Bonner Verband gründete 1891 eine eigene Zentralkasse (Hauptgenossenschaftskasse für Rheinpreußen eGmbH zu Bonn, später Genossenschaftsbank für Rheinpreußen eGmbH, Bonn), die als Buchkasse zunächst mit der Landesbank der Rheinprovinz zusammenarbeitete, und der Kölner Verband, der zu diesem Zeitpunkt seinen Sitz noch in Kempen am Niederrhein hatte, gründete 1892 den Rheinischen Bauern-Kreditverein eGmbH (später Rheinische Bauern-Genossenschaftskasse eGmbH, Köln). Sowohl die Bonner als auch die Kölner Zentralkasse bestanden in der Rechtsform der eGmbH. Im Rahmen eines Ausschließlichkeitsvertrages verpflichteten sich die Primärgenossenschaften, sämtliche Geschäfte ausschließlich mit ihrer Zentralkasse abzuwickeln. Dies schloss grundsätzlich Anleihen bei Geschäftsbanken und die Diskontierung von Wechseln bei Reichsbanknebenstellen aus. Zudem war der direkte Verkehr zwischen zwei lokalen Kreditgenossenschaften untersagt beziehungsweise nur mit ausdrücklicher Zustimmung der Zentralkasse erlaubt. In diesem Ausschließlichkeitsverhältnis, das durch weitere Kontrollmechanismen (Anleihesummen nur im Verhältnis zum gezeichneten Anteil; Orientierung am Gesamtvermögen der Mitglieder, das anhand 54

Siehe Abschnitt VIII.4.

6. Aktiv- und Passivgeschäft

431

der einzureichenden Steuerunterlagen ermittelt wurde etc.) erweitert wurde, lag der Schlüssel, Informationsasymmetrien zu reduzieren und Haftungsrisiken zu senken. Dies trug dazu bei, dass die Zentralkassen allen untersuchten Kreditgenossenschaften einen relativ stabilen Zinssatz gewähren konnten, was positive Auswirkungen auf das Aktiv- und das Passivgeschäft der Genossenschaften hatte.55 Zentrale Bedeutung kam hierbei der 1895 gegründeten ‚Preußenkasse‘ (Preußische Zentralgenossenschaftskasse, Berlin; Anstalt öffentlichen Rechts) zu, die wiederum den Ausgleich zwischen den Zentralkassen möglich machte und damit Koordinationsprobleme in der Kapitalbeschaffung erheblich verringerte. Sowohl der niedrige Zinssatz, den die Zentralkassen dort für Kredite zu zahlen hatten, als auch die geringen Anforderungen an die Besicherung der Kredite hatten staatlichen „Subventions­ charakter“.56 Da alle Zentralkassen zu gleichen Bedingungen von der Preußenkasse mit Kredit versorgt wurden, war es „nahezu unvermeidlich“,57 dass die Konditionen aller ländlichen Zentralkassen sehr homogen ausfielen. Die Zinsstabilität ermöglichte nicht nur eine stabile Geschäftspolitik der Kreditgenossenschaften, sondern erleichterte zudem technisch die Geschäftsführung, was auch Auswirkungen auf die Höhe der Verwaltungskosten hatte, da eine Überwachung des Geldmarktes wie auch mit Schwankungen verbundene Neuberechnungen entfielen. Die Verwaltungskosten der Kreditgenossenschaften waren in der Regel niedrig, worin sich die Effizienz der Kreditgenossenschaften ausdrückt. Den größten Posten nahmen aufgrund der Personalintensivität des Bankgeschäftes trotz der vielfach ehrenamtlichen Tätigkeit der Verwaltungsmitglieder die Gehälter der Rendanten ein. Kaum zu Buche schlugen etwa Schreibutensilien, zum Beispiel empfahl der Revisor bei der Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Derschlag, die zu den großen genossenschaftlichen Unternehmen im Untersuchungsraum gehörte, erst 1921 die Anschaffung einer Schreibmaschine. An eine solche Anschaffung war bei den kleineren Kreditgenossenschaften vor allem im Kreis Wipperfürth noch gar nicht zu denken. Darüber hinausgehende mechanische oder technische Hilfsmittel spielten bei den untersuchten ländlichen Kreditgenossenschaften bis 1914 – und auch darüber hinaus – keine Rolle. Die Kosten, die für den Geschäftsbetrieb anfielen, wurden in großem Umfang auf die Mitglieder umgelegt: Die Stempelgebühr für Urkunden, Porti sowie die Kosten für Spar- und Quittungsbücher holten sich die Genossenschaften bei den Mitgliedern wieder. Zudem hatten die Mitglieder, wie bereits Raiffeisen gefordert hatte, Provisionen für Darlehn zu zahlen, um so im Geschäftsbetrieb entstehende Kosten zu decken. Die Kreditgenossenschaften blieben im Umfang weit hinter dem Passivgeschäft der Sparkassen, die im Untersuchungsraum im Spargeschäft einen Marktanteil von rund 90 Prozent hatten, zurück. Im Aktivgeschäft zeichnete sich bei den Sparkassen im Untersuchungsraum nominell eine nicht so starke Diskrepanz gegenüber den Kreditgenossenschaften ab, wie zunächst angenommen: Der Anteil der gegen Bürgschaft vergebenen Darlehnssummen war mit fünf bis zehn Prozent zwar gering, doch nominell war der Umfang der durch die Sparkassen vergebenen priva55 56 57

Siehe Abschnitt VIII.4.c). Fehl/Zörcher: Ringen, S. 46 f. Ebd.

432

X. Fazit

ten Darlehn gegen Bürgschaft gar nicht so viel kleiner als bei den Kreditgenossenschaften, wie das Waldbröler Beispiel zeigt. Die getrennte Betrachtung von kommunalen Sparkassen und Kreditgenossenschaften ist in künftigen Forschungen unbedingt aufzuweichen, um keine Sonderverläufe oder Sonderinstitute zu kreieren; die fast schon konkurrierende Frontstellung der Sparkassen- und der Genossenschaftsforschung, die sich aus dem Alltagsgeschäft der Sparkassen und Genossenschaftsbanken und der Situation am Markt (beide, Sparkassen und Kreditgenossenschaften, reflektieren den gleichen Kundenkreis) ergibt, ist zugunsten wissenschaftlicher Ergebnisse unbedingt aufzugeben. Offen muss bleiben, wofür die Darlehn de facto genutzt wurden. Lediglich das Protokollbuch des Vorstandes des Hönnigethaler Spar- und Darlehnskassen-Vereins enthält für einige Jahre Angaben zum Zweck. Inwieweit die bewilligte Summe für den angegebenen Zweck tatsächlich verwendet wurde, lässt sich ebenfalls nicht nachvollziehen, da Aufzeichnungen der Darlehnsnehmer fehlen. Damit sind Aussagen darüber, welche positiven Effekte der genossenschaftliche Kredit auf die wirtschaftliche Situation des Einzelmitgliedes hatte, nicht möglich. Beim Hönnigethaler Spar- und Darlehnskassen-Verein wurden auffällig häufig Darlehn zur Ablösung eines bereits bestehenden Kredits beantragt. Da die Verschuldungsstatistik der Landwirtschaftskammer einen höheren Verschuldungsgrad infolge der oftmals praktizierten geschlossenen Hofübergabe für den Raum Wipperfürth ermittelte, muss offen bleiben, ob bedingt durch diesen verhältnismäßig höheren Verschuldungsrad so viele Darlehn „zur Abtragung einer älteren Schuld“58 beantragt wurden, oder ob es sich hierbei um einen Befund handelt, der sich auch auf andere Genossenschaften übertragen lässt. Letztlich lässt sich auch nur anhand des Zeitpunktes, zu dem ein Darlehn beantragt wurde, und anhand der Höhe des Darlehns (etwa mit Hilfe von Preisen) grob schätzen, ob es sich um ein Darlehn etwa zum Ankauf von Saatgut handelte. Auf der Quellengrundlage kann keine abschließende Aussage über die Struktur des Kreditgeschäftes gemacht werden. Wegen der unzureichenden Quellenlage sowie aufgrund der gemischten Betriebsform in den drei nähere untersuchten Kreisen lässt sich nicht feststellen, ob sich die ländlichen Kreditgenossenschaften in stärker viehwirtschaftlich orientierten Agrarräumen anders entwickelten als in stärker getreidewirtschaftlichen Gegenden. Klar konturiert erscheint die grundsätzliche strukturelle Bedeutung der Kreditgenossenschaften als Finanzintermediäre. Trotz vieler Unterschiede zeichnet sich aber auch ein Muster vergleichbarer Entwicklungslinien und Funktionen heraus. Dennoch macht das analysierte Sample deutlich, dass eine weitere größer angelegte, stärker komparative Untersuchung notwendig bleibt. Insgesamt zeigt sich, dass sich die Entstehung und die weitere Ausgestaltung des ländlichen Genossenschaftswesens nur unter hinreichender Einbindung in die ökonomischen, sozialen und interessenspolitischen Rahmenbedingungen analysieren lassen. Die Bildung eines entsprechenden Samples wird jedoch stark durch die teils desolate Quellenlage erschwert. In den wenigen bisher vorgelegten wirtschaftshistorischen Untersuchungen über die Entstehung und die Entwicklung der ländlichen Kreditgenossen58

AdVBWL, 2-8, Hönnigethaler Spar- und Darlehnskassen-Verein eGmuH, VS-Protokolle 1894.

6. Aktiv- und Passivgeschäft

433

schaften wurden die Strukturen der formalen Organisation, unternehmensspezifische Regeln der Beschaffung, Verarbeitung und Überwachung der im Zeitverlauf veränderlichen Informationen über die Vertragspartner vielfach völlig ausgeblendet, was aufgrund der Bedeutung dieser Aspekte für das grundsätzliche Funktionieren der Genossenschaften als Finanzintermediäre zunächst völlig unverständlich erscheint und als besonderes Desiderat der Forschung zu bezeichnen ist. Gerade in diesen Strukturen, insbesondere im ausgefeilten System von interner Überwachung (Vorstand überwacht Rendant, Aufsichtsrat überwacht Vorstand) und externer Kontrolle (die regelmäßige Revision durch den Verbandsrevisor), lag der Schlüssel des langfristigen Erfolgs der ländlichen Kreditgenossenschaften. Wie jeder anderen Unternehmensform auch, lagen den ländlichen Kreditgenossenschaften spezielle Organisationsstrukturen und Strategien, welche grundsätzlich nicht statisch waren und im Laufe der Zeit wiederholt modifiziert werden mussten, zu Grunde, wobei gerade über den Untersuchungszeitraum die stark agrarisch geprägten Kreditgenossenschaften besonders im Kreis Wipperfürth weniger Anpassungsbedürfnis hatten. Die in zunehmend gewerblich-industriellen Orten ansässigen Kreditgenossenschaften veränderten hingegen nicht nur ihr Leistungsspektrum, sondern schufen zusätzlich neue Organisationsmerkmale (etwa die Implementierung von zusätzlichen Vertrauensmännern oder Kontrolleuren), zur Senkung der mit dem Wachstum verbundenen Informationsasymmetrien. Aufgrund der teils desolaten Quellenlage können solche Veränderungen jedoch kaum für alle Genossenschaften rekonstruiert werden. Mit Hilfe der Musterstatuten lassen sich allerdings die von den Verbänden vorgegebenen Regeln und Verfahren sowie deren Veränderungen je Typ (Zugehörigkeit zum Bonner, Kölner oder Raiffeisen-Verband) nachzeichnen – individuelle Modifikationen nur insofern, wie diese durch die Organe beschlossen wurden und diese Beschlüsse in den Protokollbüchern festgehalten wurden. Mit der Formalisierung von Kreditbeziehungen trugen die Kreditgenossenschaften zur Modernisierung der ländlichen Gesellschaft bei: die Kreditgenossenschaften brachten der ländlichen Gesellschaft das Bankgeschäft. Die Kreditgenossenschaften unterstützten damit den Strukturwandel der Landwirtschaft und ländlicher Gewerbe, da mit Hilfe der Genossenschaften viele Betriebe notwendige Investitionen vornehmen konnten, die zu einer Fortführung des Betriebes notwendig waren. Es bleibt also festzuhalten: Als Intermediäre auf dem ländlichen Geldmarkt erbrachten die ländlichen Kreditgenossenschaften die von ihnen erwarteten Transformationsleistungen in hinreichendem Maße, sodass sich das Konzept Genossenschaft langfristig durchsetzte und Genossenschaftsbanken heute die dritte Säule der deutschen Bankenlandschaft bilden.

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS AdRBMR AdVBO AdVBT AdVBWL AEKR AG ALR AR Art. BA BI BLZ e.V. ebd. EDG eG eGmbH eGmuH GArL GB gegr. GenG GG GV HZ JoF JWG KrRBK KStA LA Koblenz LA NRW Düsseldorf LWK NDB NIÖ RGBl. RhGbl.

Archiv der Raiffeisenbank Much-Ruppichteroth eG Archiv der Volksbank Oberberg eG Archiv der Volksbank Trier eG Archiv der Volksbank Wipperfürth-Lindlar eG Archiv der Evangelischen Kirche im Rheinland Aktiengesellschaft Allgemeines Landrecht Aufsichtsrat Artikel Bankhistorisches Archiv Bankinformation – Fachmagazin der Volksbanken und Raiffeisenbanken Bergische Landeszeitung eingetragener Verein ebenda Enzyklopädie Deutscher Geschichte eingetragene Genossenschaft eingetragene Genossenschaft mit beschränkter Haftpflicht eingetragene Genossenschaft mit unbeschränkter Haftpflicht Gemeindearchiv Lindlar Genossenschaftsblatt für Rheinland und Westfalen gegründet Genossenschaftsgesetz (Gesetz, betreffend die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften) Geschichte und Gesellschaft Generalversammlung Historische Zeitschrift Journal of Finance Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte/Economic History Yearbook Kreisarchiv Rheinisch-Bergischer Kreis Kölner Stadt-Anzeiger Landesarchiv Koblenz Landesarchiv NRW, Düsseldorf Landwirtschaftskammer für die Rheinprovinz Neue Deutsche Biographie Neue Institutionenökonomik Reichsgesetzblatt Rheinisches Genossenschaftsblatt

Abkürzungsverzeichnis

RhVjbl. RoES RWGV RWWA StAW UAB VR VS VSWG WWA ZAA ZfgG ZLVfRh

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Rheinische Vierteljahrsblätter Review of Economic Studies Rheinisch-Westfälischer Genossenschaftsverband e.V., Münster Stiftung Rheinisch-Westfälisches Wirtschaftsarchiv zu Köln Stadtarchiv Wipperfürth Universitätsarchiv Bonn Verwaltungsrat Vorstand Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte Stiftung Westfälisches Wirtschaftsarchiv, Dortmund Zeitschrift für Agrargeschichte und Agrarsoziologie Zeitschrift für das gesamte Genossenschaftswesen Zeitschrift des landwirtschaftlichen Vereins für Rheinpreußen

QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS 1. LITERATUR a) Monografien und Aufsätze Abel , Wilhelm: Geschichte der deutschen Landwirtschaft vom frühen Mittelalter bis zum 19. Jahrhundert, Stuttgart 1962. –: Agrarpolitik (Grundriß der Sozialwissenschaft 11), Göttingen 31967. –: Agrarkrisen und Agrarkonjunktur. Eine Geschichte der Land- und Ernährungswirtschaft Mitteleuropas seit dem hohen Mittelalter, Göttingen 31978. Achilles, Walter: Die Landwirtschaft in Preußen vor dem Ersten Weltkrieg in den Grenzen des wissenschaftlichen Erkenntnisstandes und der Ausbildung. In: Kaufhold, Karl Heinrich / Sösemann, Bernd (Hg.): Wirtschaft, Wissenschaft und Bildung in Preußen. Zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte Preußens vom 18. bis zum 20. Jahrhundert (VSWG, Beihefte 148), Stuttgart 1998, S. 35–49. Akerlof, George A.: The Market for ‚Lemons‘. Quality Uncertainty and the Market Mechanism. In: The Quarterly Journal of Economics 3/84 (1970), S. 488–500. Albrecht, Gerhard: Schulze-Delitzschs Leben und Werk. In: Deutscher Genossenschaftsverband Schulze-Delitzsch e.V. (Hg.): Schulze-Delitzsch 1808–1958. Festschrift zur 150. Wiederkehr seines Geburtstages, Wiesbaden 1958. Aldenhoff, Rita: Schulze-Delitzsch. Ein Beitrag zur Geschichte des Liberalismus zwischen Revolution und Reichsgründung, Baden-Baden 1984. Aldenhoff-Hübinger, Rita: Agrarpolitik und Protektionismus. Deutschland und Frankreich im Vergleich 1879–1914 (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 155), Göttingen 2002. Aschhoff, Gunther / Henningsen, Eckart: Das deutsche Genossenschaftswesen. Entwicklung, Struktur, wirtschaftliches Potential (Veröffentlichungen der DG BANK Deutsche Genossenschaftsbank 15), Frankfurt am Main 1995. Ashauer, Günter: Betrachtung des ‚Privatkunden‘ in der Zeit vor 1959. In: BA, Beiheft 16 (1990), S. 11–21. –: Von der Ersparungscasse zur Sparkassen-Finanzgruppe. Die deutsche Sparkassenorganisation in Geschichte und Gegenwart, Stuttgart 1991. Au, Juliusz: Die Creditgenossenschaften in ihrer Bedeutung für Stadt und Land und in ihren Beziehungen zur socialen Frage, Heidelberg 1869. Bähren, Otto: Der Aufbau des ländlichen Genossenschaftswesens in Deutschland, Königsberg 1925. Baldus, Burghard: Die wirtschaftliche Entwickelung des rheinländischen Kreises Gummersbach im 19. und 20. Jahrhundert, Gummersbach 1927. Barre, Ernst: Ueber den ländlichen Wucher im Saar- und Mosel-Gebiet. In: Preussische Jahrbücher 62 (1888). Barth, Boris: Banken und Kapitalexport vor 1914. Anmerkungen zum Forschungsstand der politischen Ökonomie des Kaiserreiches. In: Köhler, Manfred / Keith, Ulrich (Hg.): Banken, Konjunktur und Politik. Beiträge zur Geschichte deutscher Banken im 19. und 20. Jahrhundert (Bochumer Schriften zur Unternehmens- und Industriegeschichte 4), Essen 1995, S. 42–54. Bauer, Alfred: Ländliche Gesellschaft und Agrarwirtschaft im Hunsrück zwischen Tradition und Innovation (1870–1914) (Trierer Historische Forschungen 64), Trier 2009. Becker, Heribert: Siedlungsgenetische Untersuchungen im südlichen Bergischen Land. Die Gestal-

1. Literatur

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tung ländlicher Siedlungstypen der vorindustriellen Zeit durch Sozialverfassung und Naturraumgefüge, Diss. Universität Köln 1980 (Textteil und Kartenteil). Beckmann, Fritz: Kreditpolitik und Kreditlage der deutschen Landwirtschaft seit der Währungsstabilisierung, Berlin 1926. Behnke, Walter: Die Entwickelung der landwirtschaftlichen Spitzenorganisationen, Diss. Ohlau i. Schlesien [1929]. Benston, George J. / Smith, Clifford W.: A Transactions Cost Approach to the Theory of Financial Intermediation. In: JoF 1/31 (1976), S. 215–231. Berger, Manfred: Die Bergische Eisenstraße. Die Entwicklung des Straßenwesens von den Anfängen bis zum Ende der vorindustriellen Zeit. In: Beiträge zur Oberbergischen Geschichte 4 (1993), S. 24–37. Bernicken, Hans: Bankbetriebslehre, Stuttgart 1926. Bessler-Worbs, Tanja / Schlütz, Frauke: Handbuch der rheinischen und westfälischen Genossenschaftsbanken [unveröffentlichtes Manuskript]. –: / Schmidt, Frauke: Wer suchet, der findet. RWGV-Forschungsprojekt zur Geschichte der rheinischen und westfälischen Kreditgenossenschaften geht in die heiße Phase. In: GB 3 (2006), S. 4–8. Beuthien, Volker: 100 Jahre Genossenschaftsgesetz. Genossenschaftsverbände im Rechtswandel. In: Genossenschaftsverband Rheinland e.V. (Hg.): Partnerschaft im Wandel der Zeit. 100 Jahre Genossenschaftsverband Rheinland e.V., [o. O.; o. J.], S. 107–127. Birnbaum, Karl (Bearb.): Das Genossenschaftsprincip in Anwendung und Anwendbarkeit in der Landwirthschaft. Denkschrift im Auftrage des Congresses Norddeutscher Landwirthe, Leipzig 1870. Blickle, Peter: German agrarian history during the second half of the twentieth century. In: Thoen, Erik / Molle, Leen van (Hg.): Rural history in the North Sea area. An overview of recent research. Middle Ages – twentieth century (CORN Publication Series 1), Turnhout 2006, S. 147–175. Boehler, Jean-Michel: Routine oder Innovation in der Landwirtschaft. ‚Kleinbäuerlich‘ geprägte Regionen westlich des Rheins im 18. Jahrhundert. In: Prass, Reiner / Schlumbohm, Jürgen / Beaur, Gerard: Ländliche Gesellschaften in Deutschland und Frankreich, 18.-19. Jahrhundert (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 187), Göttingen 2003, S. 101– 123. Boelcke, Willi A.: Der Agrarkredit in deutschen Territorialstaaten vom Mittelalter bis Anfang des 18. Jahrhunderts. In: North, Michael: Kredit im spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Europa (Quellen und Darstellungen zur hansischen Geschichte, Neue Folge 37), Köln/Weimar 1991, S 195–213. Böhmert, Victor: Die Wohlfahrtspflege auf dem Lande (Volkswohl-Schriften 26), Dresden 1898. Bonus, Holger: Die Genossenschaft als Unternehmungstyp (Arbeitspapiere des Institutes für Genossenschaftswesen der Westfälischen Wilhelms-Universität 6), Münster 1985. –: Die Genossenschaft als modernes Unternehmenskonzept, Münster 1987. –: Das Selbstverständnis moderner Genossenschaftsbanken. Rückbindung von Kreditgenossenschaften an ihre Mitglieder, Tübingen 1994. –: / Greve, Rolf / Kring, Thorn / Polster, Dirk: Der genossenschaftliche Finanzverbund als Strategisches Netzwerk. Neue Wege der Kleinheit (Arbeitspapiere des Institutes für Genossenschaftswesen der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster 16), Münster 1999. Borchardt, Andreas / Göthlich, Stephan E.: Erkenntnisgewinn durch Fallstudien. In: Albers, Sönke / Klapper, Daniel / Konradt, Udo / Walter, Achim / Wolf, Joachim (Hg.): Methodik der empirischen Forschung, Wiesbaden 2006, S. 37–54. Borchardt, Knut: Zur Frage des Kapitalmangels in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Deutschland. In: Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik 173 (1961), S. 401–421. Borcherdt, Christoph: Agrargeographie (Teubner Studienbücher Geographie), Stuttgart 1996. Born, Karl-Erich: Geld und Banken im 19. und 20. Jahrhundert, Stuttgart 1976. Bracht, Johannes: Reform auf Kredit. Grundlastenablösungen in Westfalen und ihre Finanzierung

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Quellen- und Literaturverzeichnis

Spar- und Darlehnskasse Dieringhausen (Hg.): 60 Jahre Geschichte der Spar- und Darlehnskasse eGmuH Dieringhausen, [o. O.] 1955. –: 75 Jahre Spar- und Darlehnskasse Dieringhausen, [o. O.] 1970. Spar- und Darlehnskasse Dürscheid (Hg.): Festschrift zum 60-jährigen Jubiläum der Spar- und Darlehnskasse Dürscheid, 1954. Spar- und Darlehnskasse Immekeppel eG (Hg.): Festschrift 100 Jahre Spar- und Darlehnskasse eG, bearb. v. Hubert Müller, [o. O.] 1977. Spar- und Darlehnskasse Mark-Oberberg eG (Hg.): Spar- und Darlehnskasse Mark-Oberberg eG 1894–1994, Meinzerhagen 1994. Spar- und Darlehnskasse eGmbH Wipperfürth (Hg.): 70 Jahre Spar- und Darlehnskasse eGmbH Wipperfürth, [o. O.] 1964. Verband rheinischer landwirtschaftlicher Genossenschaften e.V. Köln (Hg.): Verband rheinischer landwirtschaftlicher Genossenschaften e.V. Köln von 1889–1929, Köln [1929]. Verband rheinischer landwirtschaftlicher Genossenschaften e.V. Köln: 60 Jahre Verband rheinischer landwirtschaftlicher Genossenschaften e.V. Köln, [Köln] 1949. Thoma, Josef (Verf.): 75 Jahre Verband rheinischer Genossenschaften Raiffeisen e.V., Köln 1964. Volksbank Krefeld von 1897 eG: 100 Jahre Volksbank Krefeld 1897–1997. Eine Chronologie, Krefeld 1997. Volksbank Meinerzhagen eG (Hg.): Chronik der Müllenbacher Genossenschaftsbank 1905–2005, Meinerzhagen 2005. Volksbank Oberberg: 100 Jahre Volksbank in Eckenhagen. 1870–1970, Gummersbach 1970. Volksbank Wipperfürth eG (Hg.): 100 Jahre Volksbank Wipperfürth eG, [o. O.] 1994. Westdeutsche Genossenschafts-Zentralbank eG (WGZ) (Hg.): 100 Jahre genossenschaftliche Zentralbank im Rheinland und in Westfalen (1884–1984), Köln 1984.

2. QUELLEN a) Gedruckte Quellen Gesetze, Kommentare Bundes-Gesetzblatt des Norddeutschen Bundes, 1868, Nr. 24, Gesetz, betreffend die privatrechtliche Stellung der Erwerbs- und Wirthschaftsgenossenschaften vom 4. Juli 1868. Citron, Fritz: Das Reichsgesetz, betreffend die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften. Kommentar zum praktischen Gebrauch für Juristen, Genossenschaften und ihre Mitglieder, Berlin/ Leipzig 121932. Gesetz über die Sicherung und Nutzung öffentlichen Archivguts im Lande Nordrhein-Westfalen. Archivgesetz Nordrhein-Westfalen vom 16. Mai 1989. Ihrig, Karl: Was ist zu thun um den Bestimmungen des Genossenschafts-Gesetzes vom 1. Mai 1889 zu genügen? Darmstadt 31894. –: Was ist zu tun um den Bestimmungen des Gesetzes betreffend die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften, zu genügen? Ein parktischer Wegweiser für Genossenschaftsvorstände im Verkehr mit den Registergerichten mit einer vollständigen Formularien-Sammlung (hg. v. Reichsverband der deutschen landwirtschaftlichen Genossenschaften zu Darmstadt), Darmstadt 101912. Makower, H. (Bearb.): Das Allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch nebst den dazu in Preußen erlassenen ergänzenden Bestimmungen, insbesondere dem Einführungsgesetze und der Instruktion. Kommentar, Berlin 21865 Reichsgesetzblatt, 1889, Nr. 15, Bekanntmachung, betreffend die Führung des Genossenschaftsregisters und die Anmeldung zu demselben vom 11. Juli 1889. Reichsgesetztblatt, 1889, Nr. 11, Gesetz, betreffend die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften vom 1. Mai 1889. Schaffland, Hans-Jürgen / Cario, Daniela / Schulte, Günther (Bearb.): Genossenschaftsgesetz, Ge-

2. Quellen

457

setz betreffend die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften. Mit Erläuterungen zum Umwandlungsgesetz. Kommentar, Berlin 342005.

(Zeitgenössische) Zeitschriften von Verbänden und Vereinen, (Tages­) Zeitungen Bergische Landeszeitung. Kölner Stadt-Anzeiger. Rheinisches Genossenschaftsblatt. Fachzeitschrift für das ländliche Genossenschaftswesen. Wipperfürther Kreis-Intelligenzblatt. Zeitschrift des Landwirthschaftlichen Vereins für Rheinpreußen. Landwirtschaftliche Genossenschafts-Zeitung.

Zeitgenössische Jahresberichte von Verbänden und Vereinen, Taschenkalender, Anleitungen (meist seriell erschienen) sowie Veröffentlichen der staatlichen statistischen Büros Berichte über den Verbandstag des Verbandes der rheinpreußischen landwirtschaftlichen Genossenschaften e.V. Bericht über die Tätigkeit des Rheinischen Bauern-Vereins e.V. und der ihm angeschlossenen genossenschaftlichen Institute während des … Zeitraumes von … bis … Generalverband der deutschen Raiffeisen-Genossenschaften e.V. (Hg.): Anleitung zur Geschäftsführung der Raiffeisenschen Spar- und Darlehnskassen-Vereine (Deutsche ländliche Genossenschaftsbücherei 8), Berlin 111919. Generalverband ländlicher Genossenschaften für Deutschland e.V. (Hg.): Anleitung zur Geschäftsund Buchführung der Raiffeisenschen Spar- und Darlehnskassen-Vereine, Neuwied 91906. Generalverband ländlicher Genossenschaften für Deutschland e.V. (Hg.): Kleine Anleitung zur Geschäftsführung der Raiffeisen-Vereine, Berlin 101913. Generalverband ländlicher Genossenschaften für Deutschland e.V. in Berlin (Hg.): Die RaiffeisenOrganisation (Raiffeisen-Bibliothek 1), Neuwied 121914. Jahrbuch des Reichsverbandes der deutschen landwirtschaftlichen Genossenschaften (zuvor Allgemeiner Verband der deutschen landwirtschaftlichen Genossenschaften). Jahrbuch des Verbandes rheinischer Genossenschaften e.V. und seiner Centralgenossenschaften zu Cöln am Rhein, verschiedene Jahrgänge. Jahresbericht des Generalverbandes ländlicher Genossenschaften für Deutschland e.V. und Statistik der Raiffeisen Genossenschaften, verschiedene Jahrgänge. Jahresbericht des Vorstandes des Rheinischen Bauern-Vereins und Uebersicht über den derzeitigen Stand der Gesamtorganisation, verschiedene Jahrgänge. Jahresbericht der Neuwieder Raiffeisen-Organisation / Jahresbericht des Generalverbandes ländlicher Genossenschaften Raiffeisenscher Organisation für Deutschland, verschiedene Jahrgänge. Königlich Statistisches Bureau (Hg.): Preussische Statistik XXX. Die Ergebnisse der Volkszählung und Volksbeschreibung im Preussischen Staat vom 1. December 1871, Berlin 1875. Landwirtschaftskammer für die Rheinprovinz: Jahresbericht der Landwirtschaftskammer für die Rheinprovinz an den Herrn Minister für Landwirtschaft, Domänen und Forsten über die Veränderungen und Fortschritte der Landwirtschaft in der Rheinprovinz, verschiedene Jahrgänge. Neuwieder Raiffeisen-Kalender, verschiedene Jahrgänge. Petersilie, A. (Bearb.): Die Entwicklung der eingetragenen Genossenschaften in Preussen während des letzten Jahrzehnts (Sonderabdruck aus dem Ergänzungshefte zur Zeitschrift des Königlich Preußischen Statistischen Landesamts). –: Mitteilungen zur deutschen Genossenschaftsstatistik (Sonderabdruck aus dem Ergänzungshefte zur Zeitschrift des Königlich Preußischen Statistischen Landesamts), verschiedene Jahrgänge.

458

Quellen- und Literaturverzeichnis

Reichsverband der deutschen landwirtschaftlichen Genossenschaften – Raiffeisen – e.V.: Taschenbuch für landwirtschaftliche Genossenschaften, Berlin 71931. Reichsverband der deutschen landwirtschaftlichen Genossenschaften zu Berlin (Hg.): Taschenbuch für landwirtschaftliche Genossenschaften, Berlin 51923. –: Taschenbuch für landwirtschaftliche Genossenschaften, Berlin, 61926. Rheinischer Bauern-Verein: Der Rheinische Bauern-Verein und seine Gesamt-Organisation, [o. O.; nach 1922]. Statistik des Deutschen Reiches, Neue Folge 109, Die Berufs- und Betriebszählung vom 14. Juni 1895, Berlin 1897. Statistik der dem Verbande der rheinpreußischen landwirthschaftlichen Genossenschaften am 31. Dez. angeschlossenen Genossenschaften, verschiedene Jahrgänge. Uebersicht (Statistik) der Geschäfts-Ergebnisse der dem Verbande rheinischer Genossenschaften, e.V. zu Köln angeschlossenen Genossenschaften. Vorstand des Rheinischen Bauern-Vereins, Jahresbericht pro 1905 und Uebersicht über den derzeitigen Stand der Gesamtorganisation.

Adressbücher, Verzeichnisse Adressbuch der Kreise Gummersbach, Waldbröl und Wipperfürth, 1911. Adreßbuch des Kreises Sieg und Waldbröl, 1900. Preußische Central-Genossenschafts-Kasse: Jahr- und Adreßbuch, 1908. Verzeichnis der evangelischen Gemeinden und Pfarrer in der Rheinprovinz und in Hohenzollern, Koblenz 1933.

b) Ungedruckte Quellen Archive der Genossenschaftsbanken und Sammlungen bei Genossenschaftsbanken und Genossenschaftsverbänden Archiv der Raiffeisenbank Much-Ruppichteroth eG [AdRBMR] Archiv der Volksbank Oberberg eG [AdVBO] Archiv der Volksbank Trier eG [AdVBT] Archiv der Volksbank Wipperfürth-Lindlar eG [AdVBWL] Rheinisch-Westfälischer Genossenschaftsverband e.V. [RWGV-Leihgabe] Volksbank Erkelenz-Hückelhoven-Wegberg eG Volksbank Meinerzhagen eG Volksbank Rheinböllen eG

Öffentliche Archive (Landesarchive, Kreisarchive, Stadt­ und Gemeindearchive, Wirtschaftsarchive), Behörden Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Standort Düsseldorf [LA NRW, Düsseldorf] – LA Wipperfürth (Landratsamt) – LA Gummersbach (Landratsamt) – LA Waldbröl (Landratsamt) – Amtsgerichte Rep. 78 Rep. 161 – Druckschriftensammlung Landesarchiv Koblenz [LA Koblenz] – Best. 393

2. Quellen

459

– Best. 403 – Best. 441 Archiv des Rheinisch-Bergischen Kreises [KrRBK] – Verwaltungsberichte des Kreises Wipperfürth Gemeindearchiv Lindlar [GArL] Stadtarchiv Wipperfürth [StAW] Archiv der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn [UAB] – Personalakten Stiftung Rheinisch-Westfälisches Wirtschaftsarchiv zu Köln [RWWA] – Abt. 1 – Abt. 89 – Abt. 366 – Abt. 367 – Abt. 372 – Abt. 378 – Abt. 404 Amtsgerichte – Registerbände (soweit nicht in Landesarchiven) Archiv der Evangelischen Kirche im Rheinland [AEKR] – Verzeichnis der evangelischen Gemeinden und Pfarrer in der Rheinprovinz und in Hohenzollern.

Onlinequellen ,Prof. Bonus wird 65‘, Mitteilung vom 10. Februar 2000 unter www. Uni-protokolle.de/nachrichten/ text/56194 (zuletzt abgerufen am 3. Mai 2009). Art. Faßbender. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (zuletzt abgerufen am 11. November 2010). Schumacher, Martin: Loë, Felix Freiherr, päpstlicher Graf 1877. In: NDB 15 (1987), S. 13f unter URL: http://www.deutsche-biographie.de/pnd117084263.html (zuletzt abgerufen am 10. Januar 2011). www.agi-genoforschung.de (zuletzt abgerufen am 3. Mai 2009). www.netzwerk-exellenzcluster.uni-trier.de (zuletzt abgerufen am 3. Mai 2010). Meyers Konversationslexikon, Bd. 10, 41885–1892 (zuletzt abgerufen am 16. Januar 2011).

VERZEICHNIS DER ABBILDUNGEN, KARTEN UND TABELLEN Abbildung 1: Abbildung 2: Abbildung 3: Abbildung 4: Abbildung 5: Abbildung 6: Abbildung 7: Abbildung 8: Abbildung 9: Abbildung 10: Abbildung 11: Abbildung 12: Abbildung 13: Abbildung 14: Abbildung 15: Abbildung 16: Abbildung 17: Abbildung 18: Abbildung 19:

Bevölkerungsentwicklung im Kreis Wipperfürth (1885–1925) ........................... 90 Bevölkerungsentwicklung in den Gemeinden der Bergischen Hochflächen (1816–1925) ........................................................... 92 Eingetragene Genossenschaften im Deutschen Reich (alle Typen) (1893–1925) ................................................................................... 149 Landwirtschaftliche Genossenschaften im Deutschen Reich (ohne Zentralgenossenschaften) (1900–30) ....................................................... 149 Anzahl der landwirtschaftlichen/ländlichen (Kredit-) Genossenschaften in Preußen beziehungsweise in der Rheinprovinz (1895–1930) ........................ 150 Herkunft der rheinischen Genossenschaftsverbände.......................................... 181 Gründungsphasen in den Kreisen Gummersbach, Waldbröl und Wipperfürth (Anzahl der gegründeten Kreditgenossenschaften pro Jahr je Kreis; vor 1889–1914)...................................................................... 201 Mitgliederentwicklung der dem Verband Köln angeschlossenen Kreditgenossenschaften des Kreises Wipperfürth (1900–14) ............................ 284 Gesamt-Darlehnssumme der pro Jahr bewilligten Darlehn beim Hönnigethaler Spar- und Darlehnskassen-Verein eGmuH (1894–1914).......................................................................................... 315 Mitgliederentwicklung der Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Dieringhausen im Vergleich zur Mitgliederentwicklung des Hönnigethaler Spar- und Darlehnskassen-Vereins eGmuH (1894/95–1918) ............................ 324 Gesamtsumme der Personalkredite ohne Bürgschaft, vergeben je Vorstandssitzung (in Mark) (1895–1903) ....................................... 327 Summe der Aktiva sämtlicher ländlicher Kreditgenossenschaften in den Kreisen Gummersbach, Waldbröl und Wipperfürth (1910) .................... 331 Entwicklung der Konten in laufender Rechnung bei der Sparund Darlehnskasse eGmuH zu Dieringhausen im Vergleich zu den Hypothekarkrediten und Spareinlagen (in Mark) (1903–20) ................. 333 Entwicklung der Umsätze (in Mark) der Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Derschlag im Vergleich mit der Entwicklung des Umsatzes der Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Dieringhausen (1896–1918).............. 342 Spareinlagen (in Mark) der dem Raiffeisen-Verband angeschlossenen Kreditgenossenschaften (1905 und 1910) .......................................................... 357 Vergleich der Spareinlagen (in Mark) der im Kreis Gummersbach ansässigen Kreditgenossenschaften (1905, 1914, 1919) .................................... 358 Entwicklung der Zinsen (in Prozent) im Aktiv- und im Passivgeschäft des Kreuzberger Spar- und Darlehnskassen-Vereins eGmuH (1895–1918) ...... 360 Eigenkapital (in Mark) der Kreditgenossenschaften Derschlag, Dieringhausen, Hönnige und Wipperfeld (1896–1914) ..................................... 364 ‚Eigenkapitalquote‘ (in Mark) – Entwicklung des Eigenkapitals zur Summe der Passiva (1896–1914) ................................................................. 365

Verzeichnis der Abbildungen, Karten und Tabellen Karte 1: Karte 2: Karte 3: Tabelle 1: Tabelle 2: Tabelle 3: Tabelle 4: Tabelle 5: Tabelle 6: Tabelle 7: Tabelle 8: Tabelle 9: Tabelle 10: Tabelle 11: Tabelle 12: Tabelle 13: Tabelle 14: Tabelle 15: Tabelle 16: Tabelle 17: Tabelle 18: Tabelle 19:

Tabelle 20: Tabelle 21: Tabelle 22:

461

Der Untersuchungsraum....................................................................................... 13 Der eng umgrenzte Geschäftsbezirk (Ausschnitt aus den Kreisen Mülheim am Rhein und Wipperfürth) ................................................................ 268 Geschäftsgebiete der im Kreis Gummersbach ansässigen Kreditgenossenschaften (Stand: 1919) ............................................................... 270 Mögliche Prinzipal-Agent-Beziehungen in Kreditgenossenschaften .................. 53 Bevölkerung und flächenmäßige Ausdehnung der Bürgermeistereien und Gemeinden des Kreises Wipperfürth (1905/1910) ........................................ 91 Bevölkerungsentwicklung in den Gemeinden des Kreises Waldbröl (1871–1913) sowie Anzahl der Wohnstätten (1910) ............................................ 93 Bevölkerungsentwicklung im Kreis Gummersbach und in dessen Gemeinden (1875–1925) ............................................................... 94 Konfessionelle Struktur des Kreises Wipperfürth (1900–15) ............................ 101 Bevölkerung in den Gemeinden des Kreises Waldbröl nach Konfession (1910) ..................................................................................... 102 Bevölkerung in den Gemeinden des Kreises Gummersbach nach Konfession (1910) ..................................................................................... 103 Aktivgeschäft der Sparkassen mit Sitz in Lindlar, Gummersbach, Waldbröl und Wipperfürth (1860–74) ................................................................ 131 Kommunale Sparkassen in den Kreisen Gummersbach, Waldbröl und Wipperfürth (1853–1901)............................................................................ 135 Synopse – Unterschiede in den Prinzipien Raiffeisens und Schulze-Delitzschs ...................................................................................... 146 Ländliche Kreditgenossenschaften in den Kreisen Wipperfürth, Gummersbach und Waldbröl nach Verbandszugehörigkeit ............................... 151 Mitgliederentwicklung des Verbandes rheinpreußischer landwirtschaftlicher Genossenschaften e.V. (Bonn) von der Gründung am 5. Oktober 1889 bis 1907 ............................................................................. 159 Verband rheinpreußischer landwirtschaftlicher Genossenschaften (Bonn): angeschlossene Genossenschaften nach Genossenschaftstyp (1910–24) .......... 162 Anzahl der an die drei großen Spitzenverbände angeschlossenen Kreditgenossenschaften im Deutschen Reich beziehungsweise in Preußen (1903 und 1909) ............................................................................... 168 Rheinischer Revisionsverband (ab 1901 Verband rheinischer Genossenschaften e.V., Köln), angeschlossene Genossenschaften nach Genossenschaftstyp (1891–1924) .............................................................. 172 Vorstandsmitglieder des Kölner und des Bonner Verbandes sowie nach der Fusion 1924 ............................................................................... 182 Vergleich der Mustersatzungen des Raiffeisen-Verbandes, des Kölner Verbandes sowie des Bonner Verbandes .......................................... 214 Revisionstage und Revisoren bei der Spar- und Darlehnskasse Derschlag ....... 250 Revisionstage und Revisoren bei den Kreditgenossenschaften Wipperfürth, Wipperfeld, Kreuzberg (alle Kreis Wipperfürth) sowie Wormersdorf, Iversheim und Uedesheim (außerhalb der näher untersuchten Kreise) (1880–1930) ....................................................................................................... 252 Geschäftsgebiete der im Kreis Gummersbach ansässigen Kreditgenossenschaften (Stand: 1919) ............................................................... 270 Mitgliederbestand des Denklinger Darlehnskassen-Vereins eGmuH (1874, 1891) sowie der Spar- und Darlehnskasse Denklingen eGmuH am 2. Mai 1909 (Tag der Gründung).................................................................. 290 Erwerbsstruktur der 1905 der Spar- und Darlehnskasse eGmuH Derschlag beigetretenden Mitglieder .................................................................................. 291

462 Tabelle 23: Tabelle 24: Tabelle 25: Tabelle 26: Tabelle 27: Tabelle 28: Tabelle 29: Tabelle 30: Tabelle 31: Tabelle 32: Tabelle 33: Tabelle 34: Tabelle 35: Tabelle 36: Tabelle 37: Tabelle 38: Tabelle 39: Tabelle 40: Tabelle 41:

Verzeichnis der Abbildungen, Karten und Tabellen Ausgaben für den landwirtschaftlichen Betrieb rheinischer Kleinbauern (1910) ............................................................................................ 299 Auszug aus der Rohbilanz nach Tagebuchposten (in Mark) am Tag der Generalversammlung des Hönniger Spar- und Darlehnskassen-Vereins eGmuH (1895–1914).......................................................................................... 309 Entwicklung des Aktivgeschäftes des Hönnigethaler Sparund Darlehnskassen-Vereins eGmuH (1894–1914) ........................................... 310 Entwicklung der Mitgliederzahl, des Aktiv- und Passivgeschäftes sowie des Eigenkapitals (in Mark) beim Wipperfelder Spar- und Darlehnskassen-Verein eGmuH (1903–1914).................................................... 321 Personalkredite ohne Bürgschaft nach der Darlehnssumme (1895–98) ............ 329 Entwicklung des Betriebskapitals (Eigenkapital und Fremdkapital) und Einlagen (in Mark) bei der Zentralkasse der Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Dieringhausen (1903–18) ................................................................ 336 Entwicklung der Mitgliederzahl, des Eigenkapitals und der Spareinlagen (in Mark) der Spar-und Darlehnskasse eGmuH zu Derschlag (1905–14/18) .... 341 Umsatz der Spar- und Darlehnskasse eGmuH zu Derschlag (1906; in Mark)... 343 Stand des Passivgeschäftes der deutschen Raiffeisen-Genossenschaften (um 1900) ........................................................................................................... 353 Spareinlagen der rheinischen, den Verbänden Bonn und Köln angeschlossenen Kreditgenossenschaften (1895–1918) .................................... 355 Zinsfuß der dem Verband Bonn angeschlossenen Kreditgenossenschaften im Kreis Gummersbach im Jahr 1907 ................................................................ 381 Zinssätze der dem Verband Köln angeschlossenen Kreditgenossenschaften im Kreis Wipperfürth im Geschäftsjahr 1906/07 ............................................... 382 Verwaltungskosten der Spar- und Darlehnskasse eGmuH Derschlag (Kreis Gummersbach) für die Jahre 1907, 1908, 1909 und 1911 ...................... 390 Geschäftskosten (Ausgaben) der Spar-und Darlehnskasse eGmuH Derschlag nach Monaten im Jahr 1911 (in Mark) .............................................. 391 Geschäftskosten ,Rückvergütung‘ der Spar-und Darlehnskasse eGmuH Derschlag nach Monaten im Jahr 1911 (in Mark) ................................ 391 Ausgewählte Geschäftsergebnisse der im Kreis Wipperfürth ansässigen Kreditgenossenschaften für das Jahr 1905 ....................................... 394 Entwicklung des Passivgeschäftes der Vereinigten Sparkasse der Homburgischen Gemeinden zu Wiehl und der Spar- und Darlehnskasse Mühlen (1901–20) .............................................................................................. 403 Spareinnahmen (in Mark) von Sparkassen und Kreditgenossenschaften im Kreis Gummersbach (1905, 1914, 1919) ...................................................... 404 Von den Einlagenbeständen ausgeliehene Kapitalien in Prozent (1919) ........... 408

ANHANG

464

Anhang

Bevölkerung 1910

5

2.719

4.143

Bergneustadt-Land

Lieberhausen

2181,8

26

1.217

1.198

Wiedenest

1878,7

23

1.311

1.293

Drabenderhöhe

Drabenderhöhe

2744,8

42

3.407

5.012

Gimborn

Gimborn

4088,8

50

3.303

3.642

Gummersbach (Stadt)

Gummersbach (Stadt)

4007,1

31

10.010

16.050

Marienberghausen

Marienberghausen

3737,2

61

2.767

2.537

Marienheide

Marienheide

3806,7

52

2.749

3.920

Nümbrecht

Nümbrecht

3510,9

45

2.730

3.247

Ründeroth

Ründeroth

2452,1

41

3.179

3.780

Wiehl

Wiehl

2818,8

48

2.985

4.897

Ortschaften 1920

1316,5

Fläche (ha)

Bergneustadt (Stadt)

Gemeinde/ Stadt

Bergneustadt (Stadt)

Bürgermeisterei

Bevölkerung 1890

(i.) Ländliche Kreditgenossenschaften im Kreis Gummersbach

465

Geschäftsbezirk

Verband

Gründungsjahr

Kreditgenossenschaften

Anhang

Spar- und Darlehnskassenverein eGmuH Wiedenest

1913

Verband rheinpreußischer landwirtschaftlicher Genossenschaften (Bonn)

Bürgermeisterei BergneustadtLand

Spar- und Darlehnskassenverein eGmuH Oberbantenberg

1902

Raiffeisen-Verband

Oberbantenberg und Umgebung

Spar- und Darlehnskasse Drabenderhöhe

1906

Verband rheinpreußischer landwirtschaftlicher Genossenschaften (Bonn)

Derschlag

1905

Verband rheinpreußischer landwirtschaftlicher Genossenschaften (Bonn)

Derschlag + 8 km

Dieringhausen

1895

Verband rheinpreußischer landwirtschaftlicher Genossenschaften (Bonn)

Dieringhausen + 8 km

Marienberghausener Spar- und Darlehnskassenverein zu Marienberghausen

1900

Raiffeisen-Verband

Pfarrgemeinde Marienberghausen

Spar- und Darlehnskasse eGmuH in (Rodt-) Müllenbach

1905

Verband rheinpreußischer landwirtschaftlicher Genossenschaften (Bonn)

Müllenbach + 5 km

Spar- und Darlehnskassen-verein eGmuH Nümbrecht

1874

Raiffeisen-Verband

Kirchengemeinde Nümbrecht

Spar- und Darlehnskasse eGmbH Ründeroth

1903

Verband rheinpreußischer landwirtschaftlicher Genossenschaften (Bonn)

Ründeroth + 5 km

Mühlener Spar- und Darlehnskassenverein (seit 1903, gegr. als Faulmerter Spar- und Darlehnskassenverein, ab 1940 Spar- und Darlehnskasse Bielstein eGmuH (ab 1961 eGmbH))

1901

Raiffeisen-Verband

Teile der Gemeinde Drabenderhöhe und der Kirchengemeinde Wiehl

Bürgermeisterei

Eckenhagen

Denklingen

Waldbröl

Eckenhagen

Denklingen

Waldbröl

6.634

4.940

6.775

5.521

2.730

Dattenfeld

Morsbach

3.275

Fläche (ha)

Rosbach

Gemeinde

Morsbach

Dattenfeld

Ortschaften 82

60

76

71

18

47

Bevölkerung 1890 5.246

3.957

4.393

4.404

2.345

3.701

6.839

4.495

5.070

4.948

2.774

4.244

Bevölkerung 1910

(ii.) Ländliche Kreditgenossenschaften im Kreis Waldbröl

Wohnstätten 1910 1.107

783

953

833

499

752

Kreditgenossenschaft

1909

Denklingen 2

1903

1874–1903

Denklingen 1

Waldbröl

1909

1924–1930

Heidberg Brüchermühle

1870

1874

1882-vor 1913

26.10.1907

Gründungsjahr

Volksbank Eckenhagen

Morsbach

Dattenfeld

Rosbach

Verband Raiffeisen-Verband

Verband rheinpreußischer landwirtschaftlicher Genossenschaften (Bonn)

Raiffeisen-Verband

Raiffeisen-Verband

Verband rheinischer Genossenschaften (Köln)

Schulze-Delitzsch

Raiffeisen-Verband

Raiffeisen-Verband

Verband rheinpreußischer landwirtschaftlicher Genossenschaften (Bonn)

Anhang

467

468

Anhang

Engelskirchen

5.626

Hohkeppel Klüppelberg

Klüppelberg

6.411

82

2.569

91

3.605

117

2.021

67

6.411

71

Kreditgenossenschaften

1.615

Bevölkerung 1.12.1905 Gemeinde

Engelskirchen

Fläche (ha) Gemeinde

Fläche (ha) Bürgermeisterei 4.184

Cürten

Bevölkerung 1.12.1905 Bürgermeisterei

Bechen

Ortschaften

Cürten

Gemeinde

Bürgermeisterei

(iii) Ländliche Kreditgenossenschaften im Kreis Wipperfürth

3.624

1.279

Bechener Darlehnskassenverein eGmuH

2.345

Kürten

4.302

Spar- und Darlehnskasse Engelskirchen eGmuH

1.328

Hohkeppeler Spar- und DarlehnskassenVerein eGmuH

4.360

Klüppelberger Volksbank eG, Ohl

5.630

4.360

Thierer Volksbank Thierer Spar- und Darlehnskassen-verein eGmuH, Thier Spar- und Darlehnskasse Claswipper eGmbH, Claswipper (ab 1923: eGmuH) Kreuzberger Sar- und Darlehnskassenverein eGmuH, Kreuzberg

Lindlar

Lindlar

6.675

6.675

100

6.449

6.449

Frielingsdorfer (Spar- und Darlehnskassen-Verein eGmuH) Lindlarer Volksbank eG Linder Spar- und Darlehnskassenverein eGmuH, Linde Sünger Spar- und Darlehnskassenverein

Olpe

Wipperfürth

Olpe Wipperfeld Wipperfürth

3.796

4.461

2.202

65

1.594

59

4.461

151

2.429

1.420 1.009

5.738

5.738

Olpener Spar- und DarlehsnkassenVerein eGmuH

Wipperfelder Spar- und DarlehnskassenVerein eGmuH, Wipperfeld Wipperfürther Volksbank eG

Hönnigethaler Spar- und DarlehnkassenVerein eGmuH, Hönnige bei Wipperfürth Agathaberger Spar- und DarlehnskassenVerein eGmuH, Agarthaberg

469

Geschäftsbezirk

Gründungsjahr

Gegenstand des Unternehmens (SK=Sparkasse, DK=Darlehnskasse, A=Absatz landw. Erzeugnisse, B=Bezug landw. Bedarfsartikel)

Anhang

1891 1902 1899 1894

(Kirchspiel) Verband rheinischer Genossenschaften (Köln, zuvor Rheinischer Revisionsverband Kempen)

SK/DK

(Kirchspiel)

1907 (13.3.)

Verband rheinischer Genossenschaften (Köln, zuvor Rheinischer Revisionsverband Kempen)

SK/DK

(Kirchspiel)

Verband Bund deutscher Landwirte, ab 1922: Verband rheinischer Genossenschaften (Köln, zuvor Rheinischer Revisionsverband Kempen);

SK/DK/B

1894

Verband rheinischer Genossenschaften (Köln, zuvor Rheinischer Revisionsverband Kempen)

SK/DK

1909

Verband rheinischer Genossenschaften (Köln, zuvor Rheinischer Revisionsverband Kempen)

1870 1870

1900

„Pfarrgemeinde“; 1896 Beschluss, auch Personen außerhalb des Geschäftsgebietes aufzunehmen, die dem VS bekannt waren (Kirchspiel)

1870 1900

Verband rheinischer Genossenschaften (Köln, zuvor Rheinischer Revisionsverband Kempen)

SK/DK

(Kirchspiel)

1908 1901 1903

Verband rheinischer Genossenschaften (Köln, zuvor Rheinischer Revisionsverband Kempen)

(Kirchspiel)

Verband rheinischer Genossenschaften (Köln, zuvor Rheinischer Revisionsverband Kempen)

SK/DK/B/A

(Kirchspiel/Gemeinde)

1894 (16.1.)

Verband rheinischer Genossenschaften (Köln, zuvor Rheinischer Revisionsverband Kempen)

SK/DK

(Kirchspiel)

1894 (18.1.)

Verband rheinischer Genossenschaften (Köln, zuvor Rheinischer Revisionsverband Kempen)

SK/DK

(Kirchspiel)

1870

38

1894

315

6.829.000

6.666.000

6.477.000

6.435.000

6.591.000

6.277.000

6.193.000

6.093.000

5.564.000

5.332.000

4.745.000

4.373.000

4.059.000

3.535.000

3.026.000

2.565.000

1.873.000

1.202.000

636.000

240.000

59.000

135.000

Gesamthaftsumme

284.222.562

131.398.353

116.413.145

97.002.277

79.653.400

65.879.342

47.557.809

43.498.348

39.208.006

30.023.344

50.090.262

33.364.114

33.650.094

24.133.752

10.474.870

9.671.342

5.700.662

3.606.003

1.969.856

1.210.878

428.486

11.198

208.598

Gesamtumsatz

5.914.459

4.639.915

5.193.699

4.494.847

4.249.474

3.968.263

3.768.170

3.999.440

3.695.464

3.244.764

2.720.609

2.761.961

2.336.523

1.925.942

1.810.368

1.476.992

1.346.509

1.069.288

593.054

395.358

139.970

8.521

411.134

Bilanzsumme (Aktivseite)

703.700

682.800

666.600

660.400

669.900

650.350

313.680

299.630

291.530

119.120

110.440

96.531

87.778

81.176

74.419

60.898

51.106

39.613

23.870

12.580

4.780

980

2.360

Geschäftsguthaben

Eigenkapital

867

266.000

265.000

240.000

220.000

200.000

175.000

150.000

125.000

103.000

81.000

66.000

50.000

41.000

31.759

20.185

15.346

5.421

10.000

3.407

2.000

322

Reserven (einschl. Gewinnzuweisungen) 980

969.700

947.800

906.600

880.400

869.900

825.350

463.680

424.630

394.530

20.0120

17.6440

14.6531

12.8778

11.2935

94.604

76.244

61.106

45.034

27.277

14.580

5.647

2.682

gesamt

9

53.351

46.713

47.015

51.146

46.141

40.168

38.426

28.144

20.439

21.245

14.640

14.342

14.422

7.252

8.091

6.143

2.969

1.906

1.313

640

322

Reingewinn

Quelle: LWK: Jahresbericht für 1910 und den Zeitraum 1906–1910, S. 266; LHA Koblenz, 403/13275, Feldmann, Genossenschaftswesen, S. 51; Verband rheinischer landwirtschaftlicher Genossenschaften: Verband, S. 18; Bericht über den neunzehnten Verbandstag des Verbandes der rheinpreußischen landwirthschaftlichen Genossenschaften e.V. in Bonn am 7. September 1907, S. 7 f.

307

1914

1913

307

305

303

295

282

187

275

256

239

219

207

193

1912

1911

1910

1909

1908

1907

1906

1905

1904

1903

1902

1901

172

149

1900

133

1899

1898

121

93

65

1897

1896

1895

32

18

1892

1893

Mitglieder

Jahr

(iv.) Entwicklung der Zentralkasse Bonn

470 Anhang

723

720

722

726

723

703

685

652

612

552

505

460

332

313

294

262

2.389

2.275

2.084

1.973

1.882

1.804

1.727

1.592

1.494

1.391

1.280

1.145

848

678

294

262

204

145

80

37

Geschäftsanteile

1.753.600

1.644.800

1.451.500

1.326.400

1.231.400

1.177.300

1.110.000

1.007.700

947.500

898.400

841.600

752.600

671.000

477.000

28.500

26.000

20.300

14.500

7.800

3.800

Geschäftsguthaben

13.348.000

13.650.000

12.504.000

11.838.000

11.292.000

10.824.000

10.362.000

9.552.000

8.964.000

8.346.000

7.680.000

6.877.000

5.088.000

4.068.000

1.764.000

1.572.000

612.000

435.000

110.000

240.000

Haftsumme

260.560.114

230.391.706

255.222.489

229.565.990

187.618.913

186.472.833

157.691.162

121.125.815

74.766.861

66.169.699

55.873.376

32.418.390

27.345.213

25.567.765

18.370.858

16.054.582

10.786.957

6.240.288

2.858.337

1.237.282

Gesamtumsatz

19.193.355

17.562.612

18.631.088

16.730.488

16.040.776

15.233.178

15.503.034

14.013.844

11.457.436

9.890.962

7.789.835

6.203.682

5.854.182

4.756.565

3.385.667

2.236.900

1.322.850

942.740

355.057

143.067

Betriebskapital

13.202

42.193

36.101

32.934

34.256

17.605

23.892

25.595

20.933

19.906

17.512

12.200

14.676

9.501

10.288

7.952

4.090

3.206

486

2.267

Reingewinn (nach Abzug der Zinsen für Geschäftsanteil)

210.0000

200.0000

180.000

150.000

120.000

100.000

90.000

75.000

60.000

45.000

35.000

25.000

20.000

15.000

10.000

6.000

3.500

2.000

150

1.000

Reservefonds

135.257

132.055

113.409

107.308

104.374

90.118

82.513

73.621

63.026

57.093

47.187

39.675

32.466

22.790

18.289

12.001

6.549

3.959

336

1.753

Betriebsrücklagen

Quelle: LWK: Jahresbericht für 1910 und den fünfjährigen Zeitraum 1906–1910, S. 279 f; Rheinischer Bauern-Verein: Dreißig Jahre, S. 148.

1912

1911

1910

1909

1908

1907

1906

1905

1904

1903

1902

1901

1900

1899

1898

1897

204

145

1896

80

1895

1894

37

Mitglieder

1893

Jahr

(v.) Entwicklung der Zentralkasse Köln (1893–1912)

3

/10 36

4–4,2

3,7–3,9

3,6–4

3¾-4

3¾-4¼

3¾-4 ½

/10–3¾ 36

36

/10

36

/10



4



31/3–31/8



4–3¼

4–3¼

4–3¼

3–3¼

Depositen Zinsen

4

4

/10 39

/10

39

4,25–4,50



4–4¼



4¼-4½

4–4¾

/10–4 39

4

/10 39



4









4–4¾

Vorschüsse Zinsen

Anhang

471

Winfried Lampe

Der Bankbetrieb in Krieg und Inflation Deutsche Großbanken in den Jahren 1914 bis 1923 Schriftenreihe des Instituts für Bankhistorische Forschung – Band 24

Winfried Lampe Der Bankbetrieb in Krieg und Inflation 2012. 440 Seiten mit 64 Tabellen. Kart. ISBN 978-3-515-10100-4

Die traditionelle Bankbetriebslehre sieht grundsätzlich keine Probleme bei der Bewältigung des inländischen Geldwertrisikos durch den Bankbetrieb. Solange der Bankbetrieb das „Prinzip der Wertgleichheit“ realisiert, jederzeit Forderungen und Verbindlichkeiten, Realwerte und Eigenkapital im Gleichgewicht hält, ist er gegen Geldwertschwankungen immun. Die Erfahrungen der Banken in der großen deutschen Inflation mit sehr hohen Eigenkapitalverlusten stellen diesen einfachen theoretischen Ansatz infrage. Winfried Lampe analysiert detailliert die betriebswirtschaftliche Entwicklung von Commerzbank, Deutscher Bank und Dresdner Bank in den unterschiedlichen Phasen der Geldentwertung und unterzieht das „Prinzip der Wertgleichheit“ einer kritischen Überprüfung. Er kommt zu dem Ergebnis, dass Banken leichte bis mittlere Geldentwertung durch entsprechende Geschäftspolitik bewältigen können, Hyperinflation aber durch den unvermeidlichen Einlagenabzug das faktische Ende der Geschäftstätigkeit von Banken bedeutet. Die Einhaltung des „Prinzips der Wertgleichheit“ geht ins Leere. Banken sollten daher ein ureigenes Interesse an einer auf Geldwertstabilität ausgerichteten Geld- und Fiskalpolitik haben.

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