Theorie der Entwicklungsfinanzierung: Mit Kleinkreditprogrammen Kredit- undArbeitsmarktsegmentierung überwinden 9783964567727

Der vorliegende Band analysiert die Ursachen und Folgen von Kreditmarktsegmentierung in Entwicklungsländern. Zahlreiche

163 44 10MB

German Pages 196 [200] Year 2000

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Table of contents :
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Einleitung
Anmerkungen Zur Methode
I. Teil: Theoretische Herleitung Von Kreditmarktsegmentierungen
II. Teil: Auswirkungen Der Kreditmarktsegmentierung
III. Teil: Lösungsansätze Erfolgreicher Kleinkreditprogramme
IV. Teil: Impactanalyse Von Kleinkreditprogrammen
Zusammenfassung Und Schlußfolgerungen
Literaturverzeichnis
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Theorie der Entwicklungsfinanzierung: Mit Kleinkreditprogrammen Kredit- undArbeitsmarktsegmentierung überwinden
 9783964567727

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IngoTschach

Theorie der Entwicklungsfinanzierung

Göttinger Studien zur Entwicklungsökonomik de Desarrollo Económico in Development Economics Herausgegeben von Hermann Sautter

8

Göttinger Studien zur Entwicklungsökonomik

Theorie der Entwicklungsfinanzierung Mit Kleinkreditprogrammen Kredit- und Arbeitsmarktsegmentierung überwinden

Ingo Tschach

Vervuert Verlag • 2000

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Tschach, Ingo: Theorie der Entwicklungsfinanzierung : mit Kleinkreditprogrammen Kredit- und Arbeitsmarktsegmentierung überwinden / Ingo Tschach. - Frankfurt am Main : Vervuert, 2000 (Göttinger Studien zur Entwicklungsökonomik, de desarrollo económico, in development economics ; 8) Zugl.: Frankfurt (Main), Univ., Diss., 1998 ISBN 3-89354-178-0

©Vervuert Verlag, Frankfurt am Main 2000 Alle Rechte vorbehalten Gedruckt auf säure- und chlorfrei gebleichtem, alterungsbeständigem Papier Printed in Germany

Vorwort

V

VORWORT

An Darstellungen von Kleinkreditprogrammen in Entwicklungsländern fehlt es nicht. Die meisten von ihnen sind praxisbezogen, an Erfolgsrezepten interessiert und in ihrer Methodik partialanalytisch. Eine streng theoretische Begründung solcher Programme auf der Basis eines totalanalytischen Ansatzes gab es bisher nicht. Die hier vorgelegte Arbeit von Ingo Tschach schließt diese Lücke. Zum ersten Mal ist es m.W. mit dieser Studie gelungen, auf theoretisch anspruchsvolle Weise die institutionellen Defizite der Kreditmärkte in Entwicklungsländern herauszuarbeiten und die Wirkungen von Kleinkreditprogrammen auf die Faktorallokation, die Einkommensverteilung und den Wachstumsprozess zu klären. Die dabei angewandte Methode ist insofern originell, als der Verfasser ausschließlich mit grafischen Modellen arbeitet. Das macht die teilweise schwierigen Argumentationsketten leichter nachvollziehbar, und es bedeutet - gegenüber den vorherrschenden algebraischen Darstellungsformen - keineswegs einen Verzicht auf analytische Schärfe. Bestechend ist, wie komplexe Modelle aus einigen wenigen Bausteinen zusammengesetzt werden -

wie etwa das Kreditmarktmodell von

STIGLITZ/WEISS und das Außenhandelsmodell von HECKSCHER-OHLIN. Die Kreativität, mit der allokationstheoretische Modelle aus der Außenwirtschaftslehre auf binnenwirtschaftliche Fragestellungen übertragen wird, macht die Lektüre außerordentlich reizvoll. Vier Fragen sind es, die der Verfasser mit diesen Methoden beantwortet: - Weshalb sind Kreditmärkte in Entwicklungsländern segmentiert? - Welche Auswirkungen hat die Kreditmarktsegmentierung auf die Arbeitsmärkte und die Einkommensverteilung? - Können Kleinkreditprogramme die Segmentierung der Kreditmärkte überwinden? - Welche Auswirkungen von Kleinkreditprogrammen auf Allokation, Wachstum und Verteilung lassen sich auf Grund der theoretischen Analyse erwarten?

VI

Vorwort

Zur Segmentierung der Kreditmärkte kommt es nach der Analyse von Ingo Tschach, weil angesichts unterschiedlicher (von der Unternehmensgröße abhängiger) Kapitalrenditen, Kreditvergabekosten und Risiken zwar Kleinunternehmen (über den informellen Kreditmarkt) und Großunternehmen (über den formellen Kreditmarkt) bedient werden, nicht aber mittelgroße Unternehmen. Es gibt also eine Lücke in der Kreditversorgung, die kleine Unternehmen schwer überspringen können. Das ist eine Erklärung der Kreditmarktsegmentierung, die über die bisher üblichen hinausgeht. Die Segmentierung des Kreditmarktes führt auch zu einer entsprechenden Spaltung des Arbeitsmarktes, und die Fragmentierung beider Märkte resultiert in einer ungleichen Einkommensverteilung. Indem der Verfasser diese Wirkung herausarbeitet, begnügt er sich nicht mit einer partialanalytischen Betrachtungsweise. Ihn interessieren die gesamtwirtschaftlichen Wirkungen, die er im Rahmen seines Modells auf streng logische Weise deduziert Kleinkreditprogramme wären überfordert, die bestehende Fragmentierung der Märkte vollständig zu überwinden, aber sie leisten dazu immerhin einen Beitrag, indem sie die Marktlücke schließen, die der Verfasser zuvor herausgearbeitet hat. Bei der Herleitung dieses Ergebnisses gelingt es Ingo Tschach, die verschiedenen Kreditprogramme, mit denen derzeit in vielen Ländern experimentiert wird, von einem konsistenten theoretischen Rahmen aus zu interpretieren. Bei der Beantwortung der vierten Frage laufen alle zuvor verfolgten Argumentationslinien zusammen. Kleinkreditprogramme tragen zur Verbesserung der Allokationseffizienz bei und sie beseitigen Wachstumsbarrieren. Es entstehen aber auch Verteilungseffekte, die bei der üblichen partialanalytischen Betrachtung dieser Programme völlig übersehen werden. Die „Impact"-Analyse, die der Beantwortung der vierten Frage gewidmet ist, bildet den krönenden Abschluss der Arbeit und stellt einen besonders deutlichen Erkenntnisfortschritt gegenüber bisher vorliegenden Untersuchungen dar.

Vorwort

VII

Insgesamt ist dies eine außerordentlich lesenswerte Studie, die einem aktuellen entwicklungsökonomischen Thema gewidmet ist und die sich einer außerordentlich originellen Methode bedient. Ich wünsche der Arbeit eine weite Verbreitung.

Göttingen, Dezember 1999

Hermann Sautter

Inhaltsverzeichnis

VIII

INHALTSVERZEICHNIS

ABBILDUNGSVERZEICHNIS TABELLENVERZEICHNIS

X XIII

EINLEITUNG

1

ANMERKUNGEN ZUR METHODE

4

I. TEIL: THEORETISCHE HERLEITUNG VON KREDITMARKTSEGMENTIERUNGEN

7

1. Das Grundmodell und seine Annahmen

8

2. Zahlungsfähigkeit und asymmetrische Informationsverteilung a) Das Modell von

STIGUTZ/WEISS

15 15

b) Einige Erweiterungen

17

c) Preissetzung und Rationierung bei asymmetrischer Informationsverteilung

21

3. Zahlungswilligkeit

23

a) Intrinsische Motivation und soziale Distanz • Ein Exkurs zu

MAX WEBER

25

b) Extrinsische Motivation - Konsequenzen für das Kreditangebot der Banken 27

4. Kreditangebotsfunktion von formellem und informellem Finanzsektor

30

H. TEIL: AUSWIRKUNGEN DER KREDITMARKTSEGMENTIERUNG

35

I . Betriebsgrößenstruktur

35

2. Arbeitsmarktsegmentierung

39

3. Volkswirtschaftliche Effizienzverluste

45

a) Statische Effizienzverluste

aufgrund dualistischer Strukturen

b) Dynamische Effekte dualistischer Strukturen

4. Folgen für die Einkommensverteilung a) Die funktionale Einkommensverteilung b) Die personelle Einkommensverteilung

5. Die Stabilität des Systems

46 50

52 52 53

56

Exkurs: Erklärung historischer Finanzmarktentwicklungen durch die neue Theorie 58

Inhaltsverzeichnis

IX

III. TEIL: LÖSUNGSANSÄTZE ERFOLGREICHER KLEINKREDITPROGRAMME

65

1.

Überblick

66

2.

Erhöhung des inländischen Sparens

3.

4.

68 72

c) Die empirische Relevanz des Problems zu geringer Ersparnisse

74

Maßnahmen zur Erhöhung der Zahlungsfähigkeit

75

a) Verminderung der Informationsasymmetrie b) Verminderung der Informationsproblematik durch intertemporale Anreize c) Verminderung der Transaktionskosten der Banken

76 80 82

d) Verbesserung der Rahmenbedingungen

84

Maßnahmen zur Erhöhung der Zahlungswilligkeit a) b) c) d)

5.

68

a) Zinssatzerhöhungen und das "iron law ofsavings rate restrictions" b) Andere Möglichkeiten zur Erhöhung der Sparneigung

88

Mentalität, Einstellungen,kulturelle Aspekte und soziale Nähe Peer Pressure Reduzierung der Pfändungskosten Die Wirkung reduzierter Kosten bei der Durchsetzung von Forderungen

88 90 92

auf die Kreditvergabe

95

institutionelle Alternativen für die Kleinkreditvergabe a) Aufbau von Gruppenkredltprogrammen b) Aufbau von Indlvidualkreditprogrammen c) Downscaling von Banken

97 97 103 107

IV. TEIL: IMPACTANALYSE VON KLEINKREDITPROGRAMMEN

RU

1. Auswirkungen auf Finanzsektor und Betriebsgrößenstruktur

111

a) Das Modell von STIGLITZ/WEISS

112

b) Das Grundmodell

120

2. Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt und die sektorale Verteilung

3.

a) Kleinkredite In offenen Volkswirtschaften

129

b) Kleinkredite in geschlossenen Volkswirtschaften

138

Einkommenswirkungen a) Einkommenswirkungen für Kunden, Nichtkunden und Konsumenten b) Einkommensabhängige Einkommensstelgerungen

4.

128

Gesamtwirtschaftliche Wirkungen

ZUSAMMENFASSUNG UND SCHLUÜFOLGERUNGEN

142 144 152 154 167

Abbildungsverzeichnis

X

ABBILDUNGSVERZEICHNIS I. TEIL: THEORETISCHE HERLEITUNG VON KREDITMARKTSEGMENTIERUNGEN Abb. 1:

Die Abhängigkeit der Kapitalrendite von der Unternehmensgröße

Abb. 2:

Die Kosten des Kreditangebots der Banken

10

Abb. 3:

Die Wirkungen gesetzlicher Höchstzinssätze auf die Kreditvergabe

11

Abb. 4:

Durchschnitts-und Grenzertrag des Kapitals

13

Abb. 5:

Die zentralen Aussagen von STIGLITZ/WEISS (1981)

16

Abb. 6:

Das erweiterte STIGLITZ/WEISS Modell

19

Abb. 7:

Das Kreditangebot der Banken im erweiterten STIGLITZ/WEISS Modell

20

Abb. 8.

Das Kreditangebot der Banken bei asymmetrischer Informationsverteilung für unterschiedliche Unternehmensgrößen

23

Pfändungskosten und Kreditangebot der Banken

29

Abb. 9:

Abb. 10: Die Kreditangebotsfunktionen des formellen und informellen Finanzsektors

9

31

II. TEIL: AUSWIRKUNGEN DER KREDITMARKTSEGMENTIERUNG Abb. 11: Die segmentierten Faktormärkte im HECKSCHER-OHLiN-Modell

40

Abb. 12: Die Segmentierung der Faktormärkte anhand der Faktorbox

43

Abb. 13: Faktormarktsegmentierung und Effizienzverlust ersten Grades

48

Abb. 14: Faktormarktsegmentierung und Effizienzverlust zweiten Grades

49

Abb. 15: Der Kreditmarkt vor Einführung subventionierter Kreditprogramme

60

Abb. 16: Die Auswirkungen von Zinsobergrenzen auf die Unternehmensfinanzierung

61

Abb. 17: Der Kreditmarkt nach Aufhebung von Zinsobergrenzen

62

III. TEIL: LÖSUNGSANSÄTZE ERFOLGREICHER KLEINKREDITPROGRAMME Abb. 18: Übersicht der verschiedenen Lösungsansätze

67

Abb. 19: Der Markt für Sparguthaben ohne Zinsrestriktionen

69

Abb. 20: Die Sparangebotsfunktionen bei nicht-negativen Realzinssätzen

70

Abbildungsverzeichnis

XI

Abb. 21: Die Marktwirkungen nicht-negativer Sparzinssätze

71

Abb. 22: Das Kleinkreditangebot eines liquiden Bankensektors

75

Abb. 23: Verminderte Informationsproblematik im STIGLITZ/WEISS Modell

78

Abb. 24: Verminderte Informationsproblematik im Grundmodell

79

Abb. 25: Die Wirkung verminderter Transaktionskosten im Grundmodell

83

Abb. 26: Die Wirkung verbesserter Rahmenbedingungen im STIGLITZ/WEISS Modell

85

Abb. 27: Die direkten Wirkungen verbesserter Rahmenbedingungen im Grundmodell

86

Abb. 28: Die Gesamtwirkungen verbesserter Rahmenbedingungen

87

Abb. 29: Die Wirkungen reduzierter Pfändungskosten auf die Kreditvergabeentscheidungen der Banken

96

Abb. 30: Die Produktivitätsentwicklung von Individualkreditprogrammen am Beispiel von Calpiä und Caja de los Andes

105

IV. TEIL: IMPACTANALYSE VON KLEINKREDITPROGRAMMEN Abb. 31: Kleinkreditvergabe als Marktergebnis

113

Abb. 32. Kleinkreditvergabe durch wirtschaftliche Anreize

115

Abb. 33: Kleinkreditvergabe durch zielgruppenorientierte Finanzintermediäre

117

Abb. 34: Erwartete, tatsächliche und gesteigerte Rendite der Kleinkreditvergabe

118

Abb. 35: Direkte Wirkungen effizienterer Kredittechnologien auf den Finanzmarkt Abb. 36: Kreditmarkt und Unternehmensrentabilität

121 123

Abb. 37: Die Notwendigkeit zielgruppenorientierter Finanzinstitutionen

124

Abb. 38: Die Finanzmarktwirkungen von Gruppenkreditprogrammen

126

Abb. 39: Auswirkungen gestiegener Kapitalmarktzinsen auf den Kreditmarkt

128

Abb. 40: Die kurzfristigen Wirkungen gesunkener Refinanzierungssätze

132

Abb. 41: Änderungen der Faktor- und Güterpreise bei gesunkenen Refinanzierungssätzen

133

Abb. 42: Sektorale Verschiebungen durch Kapitalzuflüsse und moderate Zinssenkungen

134

Abb. 43: Sektorale Verschiebungen durch Kapitalzuflüsse bei stärkeren Zinssenkungen

135

Abbildungsverzeichnis

XII

Abb. 44: Sektorale Änderungen bei Zinssenkungen und nur geringen Kapitalzuflüssen? Abb. 45: Die Wirkung von Kleinkrediten in einer geschlossenen Volkswirtschaft

137 139

Abb. 46: Die sektoralen Wirkungen von Kleinkreditprogrammen in einer geschlossenen Volkswirtschaft

141

Abb. 47: Die direkten Einkommenswirkungen von Kleinkrediten

143

Abb. 48: Die Situation vor der Kreditvergabe an neue Unternehmen

144

Abb. 49: Die Situation bei mäßiger Kreditvergabe an neue Unternehmer

145

Abb. 50: Die Situation einer stärkeren Kreditvergabe an neue Unternehmer

147

Abb. 51: Die mittelfristigen Wirkungen der Kreditvergabe an neue Unternehmer 148 Abb. 52: Die Situation vor der Kreditvergabe an bestehende Unternehmen

149

Abb. 53: Wirkungen einer Kreditvergabe an einen kleinen Teil der Unternehmen Abb. 54: Wirkungen einer Kreditvergabe an die Mehrheit der Unternehmen

150 151

Abb. 55: Die Abhängigkeit von Einkommenszuwächsen vom vorherigen Einkommensniveau

154

Abb. 56: Die Herleitung der Handelsindifferenzkurve

155

Abb. 57: Die Herleitung einer Handelsindifferenzkurvenschar

156

Abb. 58: Die Herleitung der Tauschkurve

157

Abb. 59: Die Tauschkurve des Auslands

158

Abb. 60: Die Tauschkurve bei effizienter Kleinkreditvergabe

159

Abb. 61: Die Tauschkurve mit und ohne Kleinkreditvergabe

160

Abb. 62: Der Außenhandelsmarkt des großen Landes vor und nach einer effizienten Kleinkreditvergabe

161

Abb. 63: Wohlfahrtssteigerungen im Ungleichgewicht

162

Abb. 64: Wohlfahrtssteigerungen durch handelspolitische Instrumente

163

Tabellenverzeichnis

XIII

TABELLENVERZEICHNIS Tab. 1:

Die Verteilung der Beschäftigten in Produktionsbetrieben

38

Tab. 2:

Funktionale Einkommensverteilung bei segmentierten Faktormärkten

52

Tab. 3:

Personelle Einkommensverteilung bei segmentierten Faktormärkten

54

Einleitung

1

EINLEITUNG In den meisten "Entwicklungsländern" 1 sind große Teile der Bevölkerung arm: Sie arbeiten in Klein- oder Kleinstunternehmen des informellen Sektors, die zur Finanzierung ihrer Aktivitäten auf sehr teure, informelle Kredite angewiesen sind, deshalb sehr arbeitsintensiv produzieren und eine geringe Arbeitsproduktivität aufweisen. Daher sind die informellen Lohnsätze sehr gering. Ein großer Teil der informellen Betriebe produziert nichthandelbare Güter und Dienstleistungen. Parallel zu diesem informellen Sektor produziert ein moderner, formeller Sektor, der relativ großzügig mit relativ billigem Kapital ausgestattet ist, mit einer hohen Arbeitsproduktivität und relativ hohen Lohnsätzen. Die großen Faktorpreisunterschiede führen zu einem starken Wohlstandsgefälle innerhalb dieser Länder, jedoch nicht, wie die traditionelle Wirtschaftstheorie erwarten ließe, zu Faktorwanderungen und damit zu einer Angleichung der Faktorpreise.2 Warum auch bei weitreichenden Liberalisierungsmaßnahmen und damit einhergehenden relativ kompetitiven Märkten Faktormarktsegmentierungen bestehen bleiben, konnte bisher von der wirtschaftswissenschaftlichen Theorie nicht erklärt werden. Die Weigerung formeller Finanzinstitutionen, kleine Kredite an Unternehmen des informellen Sektors zu vergeben, wurde immerhin mit (inzwischen weitgehend abgeschafften) Zinsobergrenzen oder asymmetrischer Informationsverteilung begründet. Jedoch ist zu beobachten, daß Banken auch mittelgroßen Unternehmen

Die vorliegende Arbeit wurde ermöglicht durch die finanzielle Unterstützung der "Studienstiftung des Deutschen Volkes" und der "International Project Consult" (IPC), Frankfurt, denen ich an dieser Stelle danken möchte. Ich danke außerdem Herrn Prof. H. Sautter und Herrn Prof. R.H. Schmidt für ihre wertvollen Anregungen. Die Arbeit wurde im Juli 1998 vom Fachbereich Wirtschaftswissenschaften der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main als Dissertation angenommen. 1

Unter "Entwicklungsländern" werden die Länder verstanden, die im Vergleich zu den Industrieländern relativ niedrige Pro-Kopf-Einkommen aufweisen. Der Begriff impliziert, daß es entwickelte Länder, nämlich die Industrieländer, gäbe, deren Entwicklung dementsprechend nachzuvollziehen wäre, was jedoch nicht der Meinung des Autors entspricht. Da es aber keinen besseren Begriff für die Gruppe dieser Länder gibt, wird er in dieser Arbeit trotzdem verwendet, allerdings in Anführungszeichen, um an die irreführende Wortwahl zu erinnern.

2

Vgl. HECKSCHER, 1919, OHLIN, 1 9 3 1 u n d RYBCZYNSKI, 1955.

2

Einleitung

kaum Kredite anbieten. Auffallend sind auch die großen Zinsunterschiede zwischen den kleinsten Bankkrediten und den größten informellen Krediten. Bisher konnte nicht geklärt werden, warum sich keine formellen Institutionen in einem Zwischenbereich angesiedelt haben und kleinere Kredite als Banken zu etwas höheren Zinssätzen vergeben. Auch für die Segmentierung der Arbeitsmärkte gibt es keine schlüssigen Erklärungen. Die Aussage, daß formelle Unternehmen bei begrenztem Kapitalbestand und relativ kapitalintensiver Produktion nicht genügend Arbeitsplätze zur Verfügung stellen können, und die verbleibenden Arbeitskräfte halt informell arbeiten müssen, erklärt nicht, warum kaum ein Betrieb eine Faktorkombination wählt, die zwischen denen der formellen und informellen Unternehmen liegt. Dadurch könnte auch bei gegebenem Kapitalbestand mehr Arbeit eingesetzt werden, wodurch (im Vergleich zu der segmentierten Produktionsweise) die durchschnittliche Arbeitsproduktivität, und damit auch die Gesamtproduktion, steigen würde. Die Frage, warum die Marktkräfte zu ineffizienten Faktorallokationen führen, ist bisher ungeklärt. Auch ohne die oben angesprochenen offenen Fragen geklärt zu haben, wurde ein Instument entwickelt, das, je nach ideologischer Ausrichtung, entweder die Armut bekämpfen oder aber die Kreditmarktsegmentierung reduzieren soll: armutsorientierte Kleinkreditprogramme sollen preisgünstigere Kredite als der informelle Sektor vor allem an die Ärmsten der Armen vergeben und damit nicht nur das Ausmaß der Armut, sondern auch die Ungerechtigkeiten der Kreditvergabe reduzieren; finanzmarktorientierte Kleinkreditprogramme sollen den Finanzsektor vertiefen und damit das Ausmaß der Kreditmarktsegmentierung verringern. Tatsächlich konnten Institutionen aufgebaut werden, die kleine und kleinste Kredite ganz oder nahezu kostendeckend vergeben. Die ausschließlich positiven Wirkungen dieser erfolgreich implementierten Kleinkreditprogramme sind unbestritten. Allerdings beschränken sich Impactanalysen von Kleinkreditprogrammen auf die direkten Wirkungen für die Kreditnehmer; indirekte Wirkungen, z.B. auf die Einkommen der nicht mit Kredit

Einleitung

3

versorgten Klein(st)unternehmer oder die Entwicklung der Marktpreise, wurden bisher nicht analysiert.3 Die Arbeit soll auf die oben genannten Fragen eine Erklärung geben, indem eine hinreichende Bedingung für das Entstehen und die Existenz der beschriebenen Phänomene analysiert wird: Kreditmarktsegmentierungen werden aus dem Zusammenwirken von asymmetrischer Informationsverteilung, hohen Transaktionskosten der Banken und einem relativ geringen Sparangebot hergeleitet. Es wird gezeigt, daß die Auflösung von Kreditmarktsegmentierungen eine notwendige Bedingung für die Überwindung der Arbeitsmarktsegmentierung und von Segmentierungen der Betriebsgrößenstruktur ist. Die vorliegende Arbeit argumentiert bei allen die Kreditvergabe betreffenden Fragen aus Sicht der Kreditinstitutionen, da diese die begrenzende Marktseite bilden. Unter den "Gesamtkosten der Bank" bzw. deren Bestandteilen werden, wenn dies nicht ausdrücklich ausgeschlossen wird, immer die auf die Kreditsumme bezogenen, prozentualen Kosten der Kreditvergabe verstanden. Im I. Teil wird gezeigt, daß Informationsasymmetrien in Verbindung mit hohen Transaktionskosten eine hinreichende Bedingung für das Entstehen bzw. den Fortbestand von Kreditmarktsegmentierungen sind. Banken können die Zahlungsfähigkeit und die Zahlungswilligkeit potentieller Kreditnehmer nicht mit ausreichender Sicherheit einschätzen und bieten daher Kredite nur Unternehmen an, die eine bestimmte Mindestbetriebsgröße überschreiten. Das heißt nicht, daß es nicht auch andere hinreichende Bedingungen für Kreditmarktsegmentierungen geben könnte, wie z.B. bürokratische Hemmnisse oder exzessive Auflagen und Kostenbelastungen für die Formalisierung informeller Unternehmen. Die Überwindung von Informationsoder Transaktionskostenproblemen ist jedoch eine Voraussetzung, um die Segmentierung von Kreditmärkten zu reduzieren. Der II. Teil beschäftigt sich mit den Auswirkungen von Kreditmarktsegmentierungen. Zunächst wird gezeigt, daß diese auch eine Segmentierung der Betriebsgrößen-

3

V g l . BOLNICK/NELSON, 1 9 9 0 , S . 3 0 0 .

4

Einleitung

struktur nach sich ziehen, was wiederum zu segmentierten Arbeitsmärkten führt. Die Segmentierung von Kredit- und Arbeitsmärkten bedingt wiederum gesamtwirtschaftliche Effzienzverluste und eine sehr ungleiche Einkommensverteilung. Trotz der Komplementarität dieser üblicherweise konfligierenden Ziele ist das System politökonomisch stabil. Im III. Teil wird beschrieben, wie erfolgreiche Kleinkreditprogramme die im I. Teil dargestellten Probleme lösen. Nach einer Analyse der Bedeutung des inländischen Sparangebots wird die Wirkung einzelner Maßnahmen zur Erhöhung der Zahlungsfähigkeit und Zahlungswilligkeit dargestellt. Danach wird beschrieben, welche Kombinationen dieser Maßnahmen verschiedene Institutionentypen üblicherweise einsetzen und über welche komparativen Vor- und Nachteile sie dadurch verfügen. Der IV. Teil stellt die gesamtwirtschaftlichen Wirkungen erfolgreicher Kleinkreditprogramme, jeweils gesondert für die verschiedenen institutionellen Alternativen der Kreditvergabe, dar. Dabei werden zunächst die Auswirkungen auf den Finanzsektor, die Betriebsgrößenstruktur, den Arbeitsmarkt und die sektorale Verteilung wirtschaftlicher Aktivitäten untersucht. Danach werden die Einkommenswirkungen sowohl für die Kreditkunden, aber auch für die nicht mit Kleinkrediten versorgten Unternehmer und die Konsumenten analysiert. Schließlich wird gezeigt, unter welchen Bedingungen eine erfolgreiche Kleinkreditvergabe zu verschlechterten Terms of Trade und damit zu einer Verschlechterung der gesamtgesellschaftlichen Wohlfahrt führen kann.

ANMERKUNGEN ZUR METHODE

Die vorliegende Arbeit argumentiert theoretisch auf der Basis graphischer Analysen. In Lage und Verlauf der Kurven sind viele Verhaltensannahmen enthalten, die entweder denen der traditionellen Theorie entsprechen oder auf plausiblen Überlegungen und Beobachtungen realer Situationen beruhen und dann explizit angesprochen werden. Auf diese Weise lassen sich Schlußfolgerungen ableiten, die genau mit in vielen "Entwicklungsländern" vorherrschenden Phänomenen übereinstimmen, deren Existenz bisher gar nicht oder nur unzureichend erklärt werden konnte.

Einleitung

5

Auf empirische Belege wird in den meisten Fällen bewußt verzichtet. Eine seriöse Analyse müßte viele Nebenwirkungen berücksichtigen und richtig einschätzen (siehe auch IV. Teil). Dies ist jedoch sehr problematisch, da Kleinkreditprogramme über Jahrzehnte aufgebaut werden und sich die Rahmenbedingungen in dieser Zeit so stark verändern, daß es kaum möglich sein wird, alle exogenen "Störgrößen" korrekt aus den Ergebnissen herauszurechnen. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit ist dies auf keinen Fall zu leisten. Aus dem gleichen Grund wird auch kaum auf Fallbeispiele zurückgegriffen, da auch hier die äußeren Umstände die Ergebnisse beeinflussen und man in vielen Fällen auch gegenteilige Aussagen "belegen" könnte. Bei der Vielzahl von vorhandenen Fallstudien4 wäre es durchaus möglich, alle theoretisch abgeleiteten direkten Wirkungen zu belegen, worauf jedoch aus Gründen der Seriosität verzichtet wird. Die indirekten Wirkungen, die die Arbeit nahelegt, wurden bisher von empirischen Studien nicht erfaßt. Die Arbeit richtet sich an Leser, die bereits mit der Kleinkreditprogramme betreffenden Literatur vertraut sind. Die bereits vielfach veröffentlichten Grundlagen der Entwicklungsfinanzierung werden nicht noch einmal dargestellt, zum einen, um kenntnisreiche Leser nicht zu langweilen, zum anderen, um nicht den Rahmen der Arbeit zu sprengen. Für interessierte Leser wird am Ende der Arbeit eine umfangreiche Literaturliste angeboten. Die dort aufgeführten, einschlägigen Veröffentlichungen können der Vertiefung der Grundlagenkenntnisse dienen. Die vorliegende Arbeit sollte jedoch auch ohne deren Kenntnis verständlich sein.

4

Vgl. z.B. HULME/MOSLEY, 1996b, für Fallstudien zu BancoSol, Bolivien, BKK, KURK und BRI, Indonesien, BRAC, Bangladesch, SANASA, Sri Lanka, KREP, Kenia und Malawi Mudzi Fund, Malawi; sowie GONZÄLEZ-VEGA et al., 1997, für 5 Kleinkreditprogramme in Bolivien, GONZALEZVEGA, 1996 für 5 Kleinkreditprogramme in El Salvador, TSCHACH, 1996, zu CARD, Philippinen, VELASCO, 1993, zu Pro-Crédito, Bolivien, BIRBUETDIAZ, 1993, ANED, Bolivien, GIRAO, 1993, Prorenda, Brasilien, KWITKO, 1993, Centra Ana Terra, Brasilien und BARUA, 1993, Grameen Bank, Bangladesch.

7

I. TEIL:

THEORETISCHE HERLEITUNG VON KREDITMARKTSEGMENTIERUNGEN

Dieser Teil beschäftigt sich mit der Frage, warum sich Kreditmärkte segmentieren. Gibt es "zwingende" Entstehungsgründe, bei deren Existenz sich Segmentierungen einstellen müssen? Unter welchen Voraussetzungen geschieht dies? In der Literatur werden Kreditmarktsegmentierungen teils auf gesetzliche Zinsobergrenzen zurückgeführt, teils auf eine asymmetrische Informationsverteilung, die zu impliziten Zinsobergrenzen führen kann. Beides führt dazu, daß Nachfrager nach kleinen Krediten rationiert werden und nur noch große Kredite vergeben werden. Kleine Kredite werden vom informellen Finanzmarkt zu wesentlich höheren Zinssätzen bereitgestellt. Gesetzliche Zinsobergrenzen sind inzwischen in den meisten Ländern abgeschafft oder stellen keine Restriktion mehr dar, so daß es jeder Bank erlaubt wäre, kleinere und mittlere Kredite zu höheren Zinssätzen zu vergeben. Dies ist jedoch in der Praxis kaum zu beobachten. Warum sich jedoch keine Institutionen herausgebildet haben, die mittelgroße Kredite zu mittleren Konditionen anbieten, beantwortet die Literatur nicht. Gäbe es diese Institutionen, gäbe es keine Kreditmarktsegmentierung, sondern einen fließenden Übergang der Kreditkonditionen, abhängig von den Intermediationskosten bzw. den Kreditbeträgen. Um der Beantwortung dieser Frage auf die Spur zu kommen, wird die Dimension "Unternehmensgröße" explizit in die Analyse miteinbezogen, und zwar nicht, wie üblich, als Unterscheidung zwischen "groß" und "klein", sondern als ein Kontinuum möglicher Größen. Dadurch wird es möglich, zum einen die Ursachen für Kreditrationierungen und Kreditmarktsegmentierungen noch klarer darzustellen, zum anderen den konzeptionellen Grundstein zu legen, anhand dessen in den folgenden Teilen gezeigt wird, warum sich keine "mittleren" Institutionen bilden, welche gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen daraus resultieren und wie man die Situation langfristig verbessern kann. Im ersten Kapitel werden das Grundmodell und die ihm zugrundeliegenden Annahmen vorgestellt. Während im zweiten Kapitel untersucht wird, wie die Banken rea-

8

Theoretische Herleitung von Kreditmarktsegmentierungen

gieren, wenn sie aufgrund von asymmetrischer Informationsverteilung die Zahlungsfähigkeit einzelner Schuldner nicht relativ zuverlässig abschätzen können, analysiert das dritte Kapitel ihre Reaktion auf mögliche bzw. vermutete Zahlungsunwilligkeiten der Schuldner. Beides dient dazu, im vierten Kapitel eine Kreditangebotsfunktion für die Banken abzuleiten. Dieser wird die Angebotsfunktion informeller Kreditgeber gegenübergestellt, um zu zeigen, warum sich Kreditmarktsegmentierungen herausbilden müssen.

1.

Das Grundmodell und seine Annahmen

Man kann vielfach beobachten, daß die Kapitalrendite eines Unternehmens von der Unternehmensgröße abhängt. Die Rendite sehr großer Unternehmen ist begrenzt, da Kapital für Großprojekte international praktisch unbegrenzt mobil ist und Renditevorsprünge relativ schnell von anderen Marktteilnehmern beobachtet werden, worauf diese reagieren. 5 Kleinere Unternehmen können relativ unbemerkt in schmale Marktnischen vorstoßen und dort höhere Gewinne realisieren. In fast allen "Entwicklungsländern" sind außerdem die Opportunitätskosten der (ungelernten) Arbeit sehr gering. Dadurch ist bei Klein- und Kleinstunternehmen eine extrem hohe Kapitalproduktivität zu beobachten, die durchaus über 100% pro Monat betragen kann.6 Diese Beobachtungen bilden den Ausgangspunkt der Analyse: Im folgenden wird davon ausgegangen, daß die Kapitalproduktivität eines Unternehmens negativ mit der Unternehmensgröße korreliert ist, als deren Maßstab die Bilanzsumme dienen soll. Dieser Zusammenhang ist in Abbildung 1 dargestellt, mit einem logarithmischen Maßstab der X-Achse. Die Kapitalrendite ist natürlich keine "scharfe" Funktion der Unternehmensgröße; vielmehr steht die dargestellte Funktion stellvertretend für ein breites Band, dessen Regressionsgerade sie bilden könnte.

5

6

Dies mag in einigen Hochtechnologiesektoren wie z.B. der Herstellung von Computerchips, Software oder Flugzeugen aufgrund der hohen Markteintrittsbarrieren anders sein, in den meisten "Entwicklungsländern" stellen die "Großunternehmen" allerdings Produkte her, deren Herstellung nicht mit besonders hohen Markteintrittsbarrieren verbunden ist.

Vgl. Schmidt/Mommartz, 1996, App. B4/a S. 19.

Das Grundmodell und seine Annahmen

9

Abb. 1: Die Abhängigkeit der Kapitalrendite von der Unternehmensgröße Nun sollen die Kosten ermittelt werden, zu denen Banken Kredite an die Unternehmen vergeben können. Dabei wird davon ausgegangen, daß die Höhe der von den Unternehmen nachgefragten Kreditbeträge mit der Größe der Unternehmen positiv korreliert.7 Ein Teil der Transaktionskosten der Banken ist fix, d.h. von der Höhe der Kredite unabhängig. Dadurch sind ihre auf die Kreditsumme bezogenen, prozentualen Kosten bei kleinen Krediten höher als bei großen. Auch die (prozentualen) Risikokosten sind bei kleinen Unternehmen größer als bei großen, und zwar nicht, weil ihre Geschäftstätigkeit risikoreicher wäre (im Gegenteil), sondern weil konventionelle Banken mit ihren traditionellen Verfahren nicht in der Lage sind, das Risiko

7

Tatsächlich ist zu beobachten, daß Klein(st)betriebe einen wesentlich höheren Anteil der "Bilanzsumme" eigenfinanzieren als Großbetriebe. Oer Einfachheit halber wird im folgenden bei allen Betrieben eine gleichhohe Eigenkapitalquote angenommen. Würde man die geringere Eigenkapitalquote der Großbetriebe in die Analyse einbeziehen, ergäben sich keine qualitativen Änderungen, die quantitativen Wirkungen würden verstärkt.

10

Theoretische Herleitung von Kreditmarktsegmentierungen

dieser Unternehmen einzuschätzen, die üblicherweise nicht einmal über eine Buchhaltung verfügen. Die Refinanzierungskosten der Bank sind von der Verwendung unabhängig und somit für alle Kredite gleich. Abbildung 2 zeigt die prozentualen Kosten, die den Banken bei der Kreditvergabe entstehen, in Abhängigkeit von der Kredit- bzw. Unternehmensgröße. Z u den Refinanzierungskosten i ,,f sind zunächst die variablen und fixen Transaktionskosten der Banken zu addieren. Bei kleinen Kreditbeträgen können diese extrem hoch werden, da es sich hier um Unternehmenskredite handelt und nicht um Personal- oder Kontokorrentkredite, für die sich Kleinstunternehmer in der Regel nicht qualifizieren. Daher kommen für sie nur die aufwendigeren Unternehmenskredite in Frage. Zusätzlich sind noch Risikokosten berücksichtigt.

Abb. 2:

Die Kosten des Kreditangebots der Banken

11

Das Grundmodell und seine Annahmen

Die oberste Kurve stellt die Kosten der Banken bei der Kreditvergabe in Abhängigkeit von der Kredit- bzw. Unternehmensgröße dar, d.h. zu diesen Zinssätzen können die Banken genau kostendeckend Kredite anbieten. Zugang zu Bankkrediten würden nach diesen Überlegungen alle Unternehmen haben, bei denen die Kapitalrendite oberhalb der Kostenkurve der Banken liegt, d.h. Unternehmen mit einer Größe zwischen A und B. Eine solche Kreditallokation wäre zugleich volkswirtschaftlich effizient. An diesem Modell kann man sehr gut die Wirkungen von gesetzlichen Höchstzinssätzen ablesen (siehe Abbildung 3). Führt der Staat beispielsweise einen Höchstzinssatz von i

ein, so wird dies dazu führen, daß nur noch Unternehmen Kredite

erhalten, die den Banken geringere Kosten als

verursachen, also mindestens

die Größe G ™ haben. Alle kleineren Unternehmen werden rationiert, da die Banken Kapital- a rendite der Unternehmen

Gesamtkostenkurve der Bank

Kosten der Banken

A

c



GC

1

Gr"'

^

>

UnternehmensgröBe

Abb. 3: Die Wirkungen gesetzlicher Höchstzinssätze auf die Kreditvergabe

12

Theoretische Herleitung von Kreditmarktsegmentierungen

Verluste machen würden, wenn sie diese mit Krediten zu einem Zinssatz von bedienen würden. Dies ist besonders deshalb bemerkenswert, da die größeren dieser Unternehmen die höchsten Differenzen zwischen Kapitalrendite und Kapitalkosten aufweisen, d.h. das vorhandene Kapital aus volkswirtschaftlicher Sicht am effizientesten nutzen. Somit ergibt sich auf dem Kreditmarkt ein Kontraktbereich (DEB), innerhalb dessen für alle Teilnehmer ein Kreditvertrag absolut vorteilhaft ist. Der Kontraktbereich entspricht einer Tauschlinse: Ein Vertrag auf einer Begrenzungslinie bedeutet, daß nur ein Partner die für ihn maximalen Gewinne erzielt, der andere gerade indifferent ist. Die Gewinne sind, bei vorgegebener Unternehmensgröße, für den jeweiligen Partner umso höher, je größer der vertikale Abstand zwischen "Vertragspunkt" und seiner Kostenfunktion bzw. seinem Renditepunkt ist. Multipliziert man diesen Abstand mit dem Kreditbetrag (Funktion der Unternehmensgröße), so erhält man den jeweiligen absoluten Gewinn eines jeden Kontraktpartners. Man erkennt, daß der Höchstzinssatz auf die Kreditkonditionen der großen Unternehmen keinen Einfluß ausübt, während er bei den kleineren nicht rationierten Unternehmen die "Gewinnverteilung" zugunsten der Unternehmen regelt. Nun sind gesetzliche Höchstzinssätze, zumindest mit bindendem Charakter, inzwischen in fast allen Ländern wieder abgeschafft worden. Trotzdem hat sich gezeigt, daß Banken in der Regel ihre Zinssätze nicht über ein bestimmtes Maß hinaus anheben und lieber kleine Unternehmen gar nicht mit Kredit versorgen. Die Gründe hierfür werden in den nächsten Kapiteln dargelegt.

Exkurs: Durchschnitts- vs. Grenzertrag des Kapitals Bisher wurde das Kalkül der Banken bei der Kreditvergabe analysiert. Diese interessiert in erster Linie die durchschnittliche Kapitalrendite der Unternehmen, um deren RückZahlungsfähigkeit zu evaluieren. Daher benutzte die bisherige Analyse ebenfalls die Gesamtkapitalproduktivität. Unternehmer werden dagegen bei der Entscheidung, einen Teil ihres Bilanzvolumens via Kredite zu finanzieren, den Grenzertrag, d.h. den zusätzlichen Gewinn der

Das Grundmodell und seine Annahmen

13

dadurch möglichen Investitionen, gegen die Grenzkosten der zusätzlichen Kredite abwägen. Daher müssen für die Analyse der Kreditnachfrage diese Größen verwendet werden. Abbildung 4 stellt der durchschnittlichen Kapitalrendite der Unternehmen die Grenzkapitalproduktivität gegenüber. Um den logarithmischen Maßstab der Abszisse etwas anschaulicher zu gestalten, wurden Beispielwerte bzgl. der Bilanzsumme der Unternehmen eingetragen. Die Grenzproduktivitätskurve schneidet die Abszisse beim halben Wert des Schnittpunktes der Durchschnittsertragskurve. Aufgrund der logarithmischen Skalierung ist dies jedoch nicht auf halber Strecke, sondern wie dargestellt relativ nah bei der Durchschnittsertragskurve, aus dem gleichen Grund verlaufen beide Kurven parallel.

UnternehmensgröBe

Abb. 4: Durchschnitts- und Grenzertrag des Kapitals

14

Theoretische Herleitung von Kreditmarktsegmentierungen

Die Grenzkosten zusätzlicher Kredite liegen unterhalb der durchschnittlichen Zinskosten, da der Zinssatz auch für die bereits vorher aufgenommenen Kredite fällt. Je größer die Kredite werden, umso geringer ist die Differenz zwischen Durchschnittsund Grenzkosten der Kredite, da bei größeren Krediten die Zinsen nicht mehr so stark fallen. Bei kleinen Unternehmen sinken die Kreditkosten bei einer Unternehmensausweitung stärker als die Kapitalrentabilität, weshalb sich der Bereich der Unternehmen, die Kredite nachfragen, vergrößert (von A nach G). Allerdings werden Betriebe dieser Größenordnung sowieso rationiert, d.h. es vergrößert sich lediglich das Ausmaß der Kreditrationierung. Demgegenüber nimmt die Nachfrage großer Unternehmen ab: Ab etwas unter US$ 10 Mio. lohnt sich eine kreditfinanzierte Ausweitung der Geschäftstätigkeit nach ökonomischen Maßstäben nicht mehr. Der Kontraktbereich schrumpft um das Viereck HFBE (die Banken kalkulieren nach wie vor mit den Durchschnittswerten). Allerdings hat diese Einschränkung der Kreditnachfrage auf die Analyse von Kreditmarktsegmentierungen keinen Einfluß, da diese auf die Rationierung von kleinen und mittleren Unternehmen zurückzuführen sind. Je nachdem, ob Überlegungen aufgrund von Durchschnitts- oder Grenzkapitalrentabilität angestellt werden, ergeben sich unterschiedliche Marktwirkungen. Die Durchschnittsbetrachtung ist für das Kalkül der Banken relevant, die Grenzbetrachtung für die Kreditnachfrage der Unternehmen. Da sich bei der Verwendung der Grenzbetrachtung die Kreditnachfrage in den in dieser Arbeit analysierten Marktsegmenten im Vergleich zur Durchschnittsbetrachtung ausweitet, die Unternehmen aber von Seiten der Banken, die die Durchschnittsbetrachtung anwenden, rationiert werden, kann die Grenzbetrachtung im folgenden vernachlässigt werden. Man sollte jedoch im Hinterkopf behalten, daß die Kreditnachfrage, und damit die Kreditrationierung, immer noch etwas höher ausfällt, als die Durchschnittsbetrachtung nahelegt.

Zahlungsfähigkeit und asymmetrische Informationsverteilung 2.

15

Zahlungsfähigkeit und asymmetrische Informationsverteilung

In diesem Kapitel werden die Auswirkungen von asymmetrischer Informationsverteilung auf das Kreditangebot der Banken analysiert. Dazu wird zunächst anhand des Modells von

STIGLITZ/WEISS ( 1 9 8 1 ) *

gezeigt, daß asymmetrische Informationsvertei-

lung genauso wie gesetzliche Bestimmungen dazu führen kann, daß Banken ihre Zinssätze nicht über ein bestimmtes Maß hinaus erhöhen können, ohne sich selber zu schaden. Dadurch ist der Preismechanismus, der für die Räumung der Märkte sorgen könnte, außer Kraft gesetzt. Im zweiten Abschnitt werden einige sehr restriktive Annahmen des STiGLiTz/WEiss-Modells aufgehoben, um dann anhand der neuen Schlußfolgerungen die Reaktion der Banken abzuleiten, insbesondere Preissetzung und Rationierung. a)

Das Modell von

STIGLITZ/WEISS

In diesem Abschnitt sollen kurz einige zentrale Aussagen des Aufsatzes von STIGLITZ

und W E I S S

(1981)

wiedergegeben werden. Auf eine ausführliche Herleitung

der Ergebnisse wird an dieser Stelle verzichtet. Abbildung

5

faßt die Kernaussagen des Modells von

STIGLITZ/WEISS

zusammen. 9 Im

dritten Quadranten ist eine Sparfunktion dargestellt, in der ein positiver Zusammenhang zwischen Sparvolumen (S) und Sparzins (r*) angenommen ist. Die Ergebnisse würden sich allerdings auch dann nicht grundsätzlich ändern, wenn das Sparvolumen völlig zinsunelastisch wäre. Die Rendite, die die Banken bei der Kreditvergabe erzielen (r), muß mindestens dem Sparzins entsprechen. Aus Vereinfachungsgründen werden diese beiden Größen im folgenden gleichgesetzt. Im zweiten Quadranten wird lediglich das Sparvolumen in den ersten Quadranten gespiegelt, wodurch es zum Kreditangebot wird.10

8 9

10

Vgl. STIGLITZ/WEISS, 1 9 8 1 . Vgl. STIGLITT/WEISS, 1 9 8 1 .

Die Banken können aufgrund des Multiplikatoreffekts ein mehrfaches der Spareinlagen als Kredite vergeben. Allerdings ist der Multiplikator exogen vorgegeben und damit konstant, so daß sich lediglich eine Aufblähung ergibt, die in der dargestellten Sparfunktion bereits enthalten sein soll.

16

Theoretische Herleitung von Kreditmarktsegmentierungen

Abb. 5: Die zentralen Aussagen von STIGLITZ/WEISS (1981)

Zentrale Bedeutung haben der 1. und der 4. Quadrant. Im vierten Quadranten ist die Abhängigkeit der Rendite der Banken (r) vom Kreditzinssatz (i) dargestellt. Ausgehend von einer asymmetrischen Informationsverteilung zwischen Gläubiger und Schuldner konnten STIGLITZ und WEISS zeigen, daß bei steigenden Kreditzinssätzen zum einen Schuldner mit geringen Risiken zuerst auf die Durchführung ihrer Projekte verzichten (müssen), zum anderen die Schuldner, die weiterhin Projekte durchführen, durch die steigenden Zinssätze dazu angereizt werden, in immer riskantere Projekte zu investieren. Am Risiko sind die Banken natürlicherweise beteiligt, was sich auch auf die von ihnen erwirtschaftete Rendite niederschlägt: Während die Gerade im 4. Quadranten einen Zusammenhang zwischen r und i wiedergibt, der gelten würde, wenn kein Kreditrisiko für die Bank bestünde (r = i), stellt r(i) den tatsächlich für die Bank relevanten Zusammenhang dar: STIGLITZ und WEISS konnten zeigen, daß eine Zinssatzerhöhung über einen Zinssatz i m " dazu führen muß, daß sich die Rendite der Banken vermindert.

Zahlungsfähigkeit und asymmetrische Informationsverteilung

17

Im ersten Quadranten ist nun das Kreditangebot der Banken (Kr*) abgetragen, das man durch einfache Spiegelung im 4-Quadranten-Schema erhält (im Gegensatz zu den sonst üblichen Darstellungen von Angebot und Nachfrage sind hier die Achsen vertauscht). Man erkennt, daß es zwar einen Schnittpunkt zwischen Kreditangebot und -nachfrage gibt (B), dieser jedoch bei einem Zinssatz oberhalb i™x liegt (C). Die Banken werden nicht gewillt sein, so hohe Zinsen zu fordern, da sie dadurch ihre eigene Rendite mindern würden. Daher werden sie Kr™" Kredite zu einem Zinssatz von genau i™* auslegen. Durch die "Weigerung", höhere Zinsen (=Preise) zu fordern und damit die bei imax bestehende Nachfrage zu reduzieren, ist der Marktmechanismus außer Kraft gesetzt: Der bestehende Nachfrageüberhang kann nicht durch Preiserhöhungen beseitigt werden, sondern bleibt in der eingezeichneten Größenordnung bestehen. Diese Überlegungen zeigen, daß es auch ohne gesetzliche Zinsobergrenzen "implizite" Höchstzinssätze geben kann, die sich aufgrund asymmetrischer Informationsverteilung einstellen. Durch sie wird eine Markträumung verhindert und Kreditrationierung notwendig. Die Wirkungen lassen sich, analog zu den gesetzlichen Höchstzinssätzen, in Abbildung 3 ablesen.

b)

Einige

Erweiterungen

In diesem Abschnitt sollen dem Modell von STIGLITZ/WEISS einige Erweiterungen hinzugefügt werden, um die Annahmen dieses Modells mit denen des Grundmodells kompatibel zu machen. Problematisch sind in diesem Zusammenhang die Annahmen von STIGLITZ und WEISS, daß a) alle Kreditnehmer gleich große Kredite nachfragen, b) der Erwartungswert der Rendite bei allen Kreditnehmern gleich hoch ist und c) keine Transaktionskosten berücksichtigt werden müssen. Diese drei Annahmen sollen nun aufgelöst werden: Unternehmen weisen abhängig von ihrer Größe verschiedene Kapitalrenditen auf, fragen verschieden große Kredite nach und verursachen unterschiedliche prozentuale Transaktionskosten. Wie wirken sich diese Änderungen im oben dargestellten Modell aus?

18

Theoretische Herleitung von Kreditmarktsegmentierungen

Eine höhere Kapitalrendite führt aufgrund der höheren Gewinnerwartungen generell zu zwei Effekten: Zum einen nimmt bei gegebenem Zinssatz auch die Risikobeteiligung der Banken ab (Abstand zur 45° Geraden), zum anderen erhöht sich der für die Banken renditemaximierende Zinssatz imax. Durch diese beiden Effekte wird die Renditefunktion der Banken r(i) nach rechts unten gestreckt. Die den Banken entstehenden Transaktionskosten fallen zinssatzunabhängig an und verschieben daher die Renditefunktion parallel nach oben. Abbildung 6 stellt diese Zusammenhänge getrennt für kleine und große Kredite dar: Kleinkredite werden an kleine Unternehmen mit hohen Kapitalrenditen vergeben, daher ist die sie betreffende Renditefunktion der Banken r(i)"™o relativ gestreckt. In dieser Funktion sind die Transaktionskosten der Banken allerdings noch nicht enthalten. Diese sind für Kleinkredite relativ hoch, die Funktion wird also relativ stark nach oben verschoben. Die um die Transaktionskosten reduzierte Nettorendite der Banken ist durch die Funktion r(i)^"" wiedergegeben. Für große Kredite ergibt sich analog eine relativ gestauchte Kurve mit einem bei jedem Zinssatz größerem Abstand zur 45° Geraden. Allerdings fallen bei großen Krediten wesentlich geringere prozentuale Transaktionskosten für die Banken an, so daß sich die Kurve weniger stark nach oben verschiebt;

stellt die Nettorendi-

tefunktion der Banken bei der Vergabe großer Kredite dar. Man erkennt deutlich, daß der renditemaximale Höchstzinssatz bei kleinen Krediten mit i ™ zwar wesentlich über dem der großen Kredite liegt (i™)), die Rendite der Banken r(i) ist jedoch in weiten Bereichen bei großen Krediten höher: Nur wenn sich auf dem Großkreditmarkt ein Zinssatz kleiner als iknl einstellt, läßt sich auf dem Kleinkreditmarkt eine vergleichbare Rendite wie auf dem Markt für große Kredite erwirtschaften. In diesem Fall würden große Kredite zu einem Zinssatz von i krt vergeben, während Kleinkunden den wesentlich höheren Zinssatz

zahlen

müßten. Man beachte, daß trotz der erheblichen Zinssatzdifferenz die Nettorendite für die Banken mit r™"„ für beide Kreditnehmergruppen gleich hoch wäre.

Zahlungsfähigkeit und asymmetrische Informationsverteilung

Abb. 6:

19

Das erweiterte STIGUTZ/WEISS Modell

Die in den ersten Quadranten gespiegelten Kreditangebotskurven sind stark interpretationsbedürftig, da sie nur dann gelten würden, wenn das Sparaufkommen jeweils ausschließlich an die jeweilige Kreditnehmergruppe weitergeleitet werden würde. Die notwendige Analyse soll anhand der nächsten Abbildung durchgeführt werden. In Abbildung 7 werden den oben angenommenen Bedingungen drei mögliche Kreditnachfragefunktionen der Großkunden gegenübergestellt. Entspricht die Nachfrage der Großkreditnehmer K r ^ , , so wird sich auf diesem Teilmarkt ein Zinssatz größer als i " einstellen, bei dem die Nettorendite der Banken höher ist, als diese auf dem Kleinkreditmarkt erzielen können. Daher werden sie ausschließlich große Kredite vergeben und Kleinkreditnehmer vollständig rationieren. Entspricht die Großkreditnachfrage K r ^ . werden selbst Großkreditnehmer rationiert werden müssen, da auch bei einem Zinssatz von i™^ die Nachfrage das maximale Angebot übertrifft.

20

Theoretische Herleitung von Kreditmarktsegmentierungen

Abb. 7: Das Kreditangebot der Banken im erweiterten Stigutz/Weiss Modell Lediglich wenn die Nachfrage nach großen Krediten die Angebotsfunktion bei einem Zinssatz unterhalb von i1"" schneidet, bekommen Kleinkreditnachfrager überhaupt Kredite angeboten. Im Falle der hier eingezeichneten Nachfragekurve K r ^ würden Kleinkreditnehmern Kredite mit einem Volumen angeboten, das der Differenz von Angebot und Nachfrage auf dem Großkreditmarkt beim Zinssatz von ikrlt entspräche, und zwar zu einem Zinssatz von i

. Ist die Nachfrage nach Kleinkrediten größer,

wird Kredit in diesem Marktsegment auch weiterhin rationiert. Nur wenn die Nachfrage kleiner als das eingezeichnete maximale Kleinkreditangebot ist, fallen auf beiden Märkten, also für Klein- und Großkredite, die Zinssätze, und zwar derart, daß die Nettorendite für die Banken r(i) stets auf beiden Teilmärkten gleich hoch ist. Somit lassen sich drei Marktkonstellationen unterscheiden, die für Kleinkreditnehmer unterschiedliche Konsequenzen nach sich ziehen:

21

Zahlungsfähigkeit und asymmetrische Informationsverteilung

a) Die Nachfrage nach großen Krediten führt auf diesem Teilmarkt zu einem Zinssatz oberhalb i""1 und damit zur vollständigen Rationierung der Kleinkreditnachfrager. Die Banken realisieren eine Nettorendite größer als r™~ . b) Die Nachfrage nach großen Krediten schneidet die Angebotsfunktion auf diesem Teilmarkt bei einem Zinssatz unterhalb i1"* Die Banken verlangen trotzdem einen Zinssatz von i1""1 von den Großkreditkunden, der verbleibende Angebotsüberschuß, den sie auf dem Kleinkreditmarkt zum Zinssatz von i

vergeben,

kann dort die Nachfrage nicht befriedigen. Angebots- oder Nachfrageänderungen auf dem Großkreditmarkt wirken sich auf diesem selbst überhaupt nicht aus, die Kreditkonditionen bleiben langfristig stabil. Statt dessen bewirken sie auf dem Kleinkreditmarkt bei konstantem Zinssatz (i™n) Mengenschwankungen in genau gleicher Höhe wie auf dem Großkreditmarkt, allerdings in entgegengesetzter Richtung. Eine Erhöhung der Großkreditnachfrage um bspw. US$ 1 Mio. würde somit das Kleinkreditangebot um genau denselben Betrag reduzieren. Nachfrageschwankungen auf dem Kleinkreditmarkt wirken sich dagegen nur auf diesem selbst aus, indem sich das Ausmaß der Kreditrationierung ändert. Somit besteht eine Dependenz dieses Teilmarktes vom Großkreditmarkt. Die Banken realisieren eine Nettorendite von genau c) Die Nachfrage nach Kleinkrediten beim Zinssatz von

. ist geringer als der

Angebotsüberschuß auf dem Großkreditmarkt beim Zinssatz von ikrit. Kreditrationierung findet nicht mehr statt, die Banken müssen eine Nettorendite von weniger als r™"„ hinnehmen. Nachfrageschwankungen auf jedem der beiden Teilmärkte wirken sich nun auf die Zinssätze und die Kreditmenge beider Teilmärkte aus, d.h. es besteht eine Interdependenz zwischen beiden Teilmärkten.

c) Preissetzung und Rationierung bei asymmetrischer

Informationsverteilung

In diesem Kapitel wurden bisher lediglich Aussagen über Kreditrationierung bei nur zwei Kreditgrößen getroffen. Diese möglicherweise irreführende Einschränkung soll nun aufgehoben werden. Da dies im Modell von Stiglitz/Weiss nicht möglich ist,

22

Theoretische Herleitung von Kreditmarktsegmentierungen

werden die im vorigen Abschnitt erarbeiteten Zwischenergebnisse nun in das Grundmodell übertragen. Wie sich zeigte, können sich implizite Höchstzinssätze aufgrund von asymmetrischer Informationsverteilung bilden, die die Banken auch ohne gesetzliche Regelungen davon abhalten, ihre Zinssätze über ein bestimmtes Maß hinaus anzuheben. Der Unterschied zu gesetzlichen Zinsobergrenzen besteht allerdings darin, daß diese impliziten Höchstzinssätze von der Unternehmensgröße abhängen: Je kleiner ein Unternehmen, desto höher ist die erwartete Kapitalrendite, was bei konstantem Zinssatz die Risikokosten der Bank reduziert. Dadurch greifen die negativen Effekte asymmetrischer Informationsverteilung bei kleinen Betrieben erst bei höheren Zinssätzen als bei großen Unternehmen: Der implizite Höchstzinssatz wächst mit abnehmender Unternehmensgröße, was durch eine "Höchstzinssatzfunktion" dargestellt wird. Diese ist in Abbildung 8 dargestellt. Die Banken sehen sich mit der Höchstzinssatzfunktion i™'x konfrontiert ( f „ für formelle Finanzinstitution), die für jede Unternehmensgröße den Zinssatz angibt, bei dem die Bank die höchste Rendite erwirtschaftet. Die Bank wird daher weder Zinssätze oberhalb dieser Funktion verlangen, noch Kredite an Unternehmen vergeben, bei denen die zu erwartenden Kosten die Erträge übersteigen: Sie wird Kredite nur an solche Unternehmen vergeben, bei denen die Gesamtkostenkurve unterhalb der Höchstzinssatzfunktion liegt. Das ist bei einer Betriebsgröße zwischen Gr™ und Gr™" der Fall; alle Unternehmen, die kleiner als Gr™ sind, werden rationiert. Der Kontraktbereich ist durch die Fläche DBE gekennzeichnet. Die Banken werden versuchen, ihre Kredite zu Konditionen zu vergeben, die den Punkten auf den Strecken DE und EB entsprechen, weil sie dort die höchsten Gewinne machen. Für die Unternehmen wären die Konditionen auf der Kurve DB ideal. Alle Punkte zwischen diesen Linien sind für Unternehmen wie auch Banken akzeptabel; welche Konditionen sich tatsächlich einstellen, wird von den jeweiligen Markt- und Wettbewerbsverhältnissen des Finanzsektors abhängen.

Zahlungswilligkeit

23

Abb. 8: Das Kreditangebot der Banken bei asymmetrischer Informationsverteilung für unterschiedliche Unternehmensgrößen Asymmetrische Informationsverteilung führt somit, auch unter Berücksichtigung einer von der Unternehmensgröße abhängigen Kapitalrendite, Transaktionskosten und einem Kontinuum möglicher Unternehmensgrößen, zu impliziten Höchstzinssätzen, die kleinen und mittelgroßen Unternehmen den Zugang zu Kredit versperren, obwohl ihre erwarteten Kapitalrenditen (z.T. weit) über den Gesamtkosten der Banken liegen. Dadurch führt einzelwirtschaftliche Effizienz zu gesamtwirtschaftlicher Ineffizienz.

3.

Zahlungswilligkeit

Damit ein Kredit tatsächlich zurückgezahlt wird, muß der Kreditnehmer nicht nur zahlungsfähig, sondern auch zahlungswillig sein. Doch warum sollte ein Schuldner

24

Theoretische Herleitung von Kreditmarktsegmentierungen

einen Kredit überhaupt zurückzahlen wollen? Die Antwort ist einfach: Weil es ihm dadurch besser geht, als wenn er die Rückzahlung verweigern würde! Das heißt mit anderen Worten, daß er, wenn es ihm durch die Rückzahlung nicht besser geht, den Kredit auch nicht zurückzahlen wird. Aber wieso soll es ihm, wenn er zurückzahlt, dadurch besser gehen, muß er doch für die Rückzahlung erhebliche Ressourcen aufbringen? Was also genau treibt einen Kreditnehmer dazu, seine Schulden auch wieder zu tilgen? Die Rückzahlungen von Krediten können intrinsisch oder extrinsisch motiviert sein.11 Intrinsische Motivation soll hier bedeuten, daß der Schuldner nicht aufgrund ökonomischer Motive, sondern aufgrund eigener

Einstellungen,

Moralvorstellungen,

persönlicher Beziehungen o.a. zurückzahlt. Er würde sich einfach schlecht fühlen, wenn er sich anders verhalten würde. Im weiteren Sinne handelt es sich auch dann um intrinsische Motivation, wenn er durch seine Rückzahlung einen Ansehensverlust vermeiden will: Da seine Handlungen von seinem sozialen Umfeld registriert werden, muß er bei Verhaltensweisen, die nicht den sozialen Normen entsprechen, mit sozialen Sanktionen rechnen. Extrinsische Motivation soll im folgenden so definiert sein, daß der Schuldner die Rückzahlung vornimmt, weil er sich dadurch ökonomisch besser stellt. Dies kann verschiedene Gründe haben: Die Bank pfändet sonst sein Haus, d.h. er verliert mehr, als er durch eine Zahlungsweigerung gewinnen würde; er verliert sonst den Zugang zu Folgekrediten, die für ihn wertvoller sind als die fällige Rückzahlung; seine anderen Geschäftspartner verlieren ihr Vertrauen und schließen keine Geschäfte mehr mit ihm ab bzw. treffen so hohe "Sicherheitsvorkehrungen", daß sich jede Transaktion wesentlich verteuert. Durch alle diese Effekte kann eine Zahlungsweigerung "teurer" als die Rückzahlung werden und wäre dann irrational. Im ersten Abschnitt dieses Kapitels wird aufbauend auf einer soziologischen Analyse von Max Weber die intrinsische Motivation von Kleinkreditnehmern untersucht. Im

"

Vgl. z.B. FREY, 1992, S. 162. Zur Diskussion von Zusammenhängen zwischen intrinsischer und e x t r i n s i s c h e r M o t i v a t i o n vgl. z . B . BOULDING, 1 9 6 8 , HIRSCHMAN, 1 9 6 5 , 1 9 8 2 , ARROW, 1 9 7 0 , 1 9 7 4 , SEN, 1 9 7 7 und MICHELMAN, 1 9 6 7 .

Zahlungswilligkeit

25

folgenden Abschnitt werden dann einige Ursachen einer geringen extrinsischen Motivation dargestellt, um daraus die Folgen für das Kreditangebot der Banken abzuleiten.

a)

Intrinsische Motivation und soziale Distanz • ein Exkurs zu MAX WEBER

In diesem Abschnitt wird zunächst eine soziologische Analyse von MAX WEBER zur Wucherfrage vorgetragen. Daraus lassen sich Schlußfolgerungen ziehen, welche Faktoren die intrinsische Motivation von Kleinkreditnehmern beeinflussen, formelle Kredite zurückzuzahlen. In fast allen Religionen gilt die Kreditvergabe gegen Zinsen als ethisch verwerflich und als Wucher.12 Nach WEBER liegt "der ursprüngliche Grund der Zinsperhorreszierung [...] durchweg in dem Bittleistungscharakter des primitiven Notdarlehns, welcher den Zins 'unter Brüdern' als Verstoß gegen die Nothilfepflicht erscheinen lassen mußte."13 Aus der Nachbarschaftshilfe ("Der 'Nächste' hilft dem Nachbarn, denn auch er kann seiner einmal bedürfen."14) entwickelte sich eine Ethik der Gegenseitigkeit in ethnisch geschlossenen oder religiösen Gemeinschaften.15 So steht im 5. Buch Moses, auf das sich Juden, Christen und Moslems berufen: "Du sollst an deinem Bruder nicht wuchern, weder mit Geld, noch mit Speise, noch mit Allem, damit man wuchern kann. An dem Fremden magst du wuchern, aber nicht an deinem Bruder."16 Wie alle traditionalen Gesellschaften gab es auch in der hebräischen keinen ethischen Universalismus.17 WEBER differenziert in Binnen- und Außenmoral: "Ursprünglich stehen zwei verschiedene Einstellungen zum Erwerb unvermittelt nebeneinander: nach innen Gebundenheit an die Tradition, an ein Pietätsverhältnis zu den Stammes-, Sippen- und Hausgenossen unter Ausschluß hemmungslosen Erwerbes innerhalb des Kreises der durch die Pietätsbande miteinander Verbundenen: B i n n e n m o r a l , - und absolute Hemmungslosigkeit des Erwerbstriebs im Verkehr nach außen, wo jeder

12 13 14 15

16 17

Vgl. TRENK, 1991, S. 143. WEBER. 1972, S. 352. WEBER, 1972, S. 350. Vgl. TRENK, 1991, S. 143, sowie SIMON, 1993, S. 63-76, zum Altruismus in der sozialen und kulturellen Evolution. MOSES, 5. Buch, XXIII, 19/20. Vgl. TRENK, 1991, S. 143.

Theoretische Herleitung von Kreditmarktsegmentierungen

26

Fremde ursprünglich Feind ist, demgegenüber es keine ethischen Schranken gibt: A u ß e n m o r a l . Die Entwicklung geht nun davon aus, daß auf der einen Seite die Rechenhaftigkeit in das Innere der traditionalen Verbände eintritt und dort die alten Pietätsbande zersetzt. Sobald innerhalb einer Familiengemeinschaft abgerechnet, nicht mehr streng kommunistisch gewirtschaftet wird, ist es mit der naiven Pietät und der Zurückstellung des Erwerbstriebes vorbei. Diese Seite der Entwicklung ist besonders im Okzident eingetreten. Gleichzeitig findet Temperierung des hemmungslosen Strebens nach Gewinn bei Übernahme des Erwerbsprinzips in die Binnenwirtschaft statt. Das Ergebnis ist regulierte Wirtschaft mit einem gewissen Spielraum für den Erwerbstrieb. "18 NELSON19 führt die Aufhebung des Partikularismus im Christentum und Islam auf den universalistischen Anspruch beider Religionen zurück. Dadurch wurde das Zinsverbot als für alle geltend ausgelegt. Später beriefen sich christliche Reformatoren gleichzeitig auf den Universalismus und die alttestamentarische

Ausnahme.20

NELSON faßt das Resultat so zusammen: "In short, Western morality after Calvin reaffirmed the vocabulary of universalism, refused to concede that God could authorize or equity allow us to treat the Other different from the Brother, assimilated the Brother to the Other, and eventuated in the Universal Otherhood. In modern capitalism, we are all 'brothers' in being equally 'others'."21 Gruppenmitglieder und Fremde wurden gleichgestellt, Binnenverhältnis und Außenverhältnis aneinander angeglichen. Damit war sowohl das Zinsverbot als auch der hemmungslose Erwerb aufgehoben.22 An deren Stelle trat eine einheitliche Wirtschaftsmoral. Dennoch beeinflußt auch in westlichen Gesellschaften die soziale Nähe oder Distanz von Institutionen immer noch das Verhalten der Individuen. So wird ein kleinerer Versicherungsbetrug oder leichte Steuerhinterziehung von vielen als Kavaliersdelikt angesehen; Staat und Versicherungen sind Institutionen mit großer sozialer Distanz. Demgegenüber macht man Freunden immer noch "Freundschaftspreise", weil ein rein ökonomisches Verhalten ein ungutes Gefühl hinterlassen würde.

18

WEBER, 1923, S. 303.

19

V g l . NELSON, 1969, S . 3f. V g l . TRENK, 1991, S. 145. NELSON, 1969, S. X X I V .

20 21 22

Vgl. TRENK, 1991, S. 145.

27

Zahlungswilligkeit

Dies ist bei Kleinkreditnehmern in "Entwicklungsländern" nicht anders: Je größer die soziale Distanz zur kreditvergebenden Institution ist, desto geringer ist die intrinsische Motivation, die Kredite auch tatsächlich zurückzuzahlen. Gerade von ärmeren Bevölkerungskreisen werden Banken oft als Fremdkörper empfunden, außerhalb der eigenen Lebenswirklichkeit. Die intrinsische Motivation im engeren Sinne, die bei einer Bank aufgenommenen Kredite zurückzuzahlen, wird daher üblicherweise sehr gering sein. Da Banken der Außenmoral unterliegen, sind bei einer Zahlungsweigerung auch keine Sanktionen des direkten sozialen Umfeldes zu erwarten. Im Gegenteil, Schuldner, die sich erfolgreich der Kreditrückzahlung entziehen können, ernten oft soziale Anerkennung für ihre Cleverneß,23 werden ihre Kredite also wohl kaum aufgrund intrinsischer Motivation im weiteren Sinne tilgen. Bei Kleinkreditnehmern traditioneller Banken ist somit eine insgesamt sehr niedrige intrinsische Motivation zu erwarten, einmal ausgezahlte Kredite auch vertragsgemäß zurückzuzahlen. Mit diesem Faktum müssen die Banken rechnen; ihnen bleibt zur Durchsetzung ihrer Kreditforderungen lediglich die Nutzung extrinsischer Motivation übrig. b)

Extrinsische

Motivation

• Konsequenzen

für das Kreditangebot

der Ban-

ken Die Gründe extrinsischer Motivation, einen Kredit zurückzuzahlen, lassen sich in zwei Bereiche einteilen: Zum einen vermeidet der Kreditnehmer Kosten, die ihm entstehen, wenn die Bank versucht, die Rückzahlung zu erzwingen; zum anderen sichert er sich zukünftigen Nutzen, der sich aus einer weiteren Zusammenarbeit mit der Bank (nur dann) ergeben wird, wenn der jetzige Kredit tatsächlich getilgt wird (intertemporale Bindung).

23

Das gleiche Verhalten gegenüber sozial nahestehenden Institutionen würde zu gravierenden sozialen Sanktionen führen. Dies ist einer der Gründe, warum informelle Kredite vor formellen zurückgezahlt werden (vgl. ADAMS/GRAHAM, 1981, S. 352).

28

Theoretische Herleitung von Kreditmarktsegmentierungen

Die intertemporale Bindung greift natürlich nur dann, wenn der Schuldner auch davon ausgehen kann, daß sein kooperatives Verhalten tatsächlich d e Entscheidungsgrundlage für seinen zukünftigen Zugang zu Krediten bildet. Dies ist jedoch selten der Fall: Wie in Abschnitt 2.b) gezeigt wurde, führen Nachfrageschwankungen auf dem "Großkreditmarkt" in der Regel zu Mengenschwankungen gleichen Betrages auf dem "Kleinkreditmarkt", bei unveränderten Zinssätzen. Der gleiche Mechanismus greift natürlich bei Angebotsschwankungen, z.B. durch Zentralbankmaßnahmen, die von den Banken auf die jeweils kleinsten Kredite umgeleitet werden, während die größeren normalerweise kaum oder gar nicht betroffen sind. So kann man in vielen Ländern beobachten, daß das Kleinkreditangebot, wenn es denn existiert, starken Schwankungen unterliegt. Kleinkreditnehmer haben daraus in der Vergangenheit gelernt, daß ihr persönlicher Zugang zu Krediten nicht durch die pünktliche Rückzahlung aller Raten garantiert ist. Intertemporale Bindungen bilden daher kaum einen Anreiz, Kleinkredite konventioneller Banken zurückzuzahlen. Damit bleibt den Banken lediglich das Drohpotential, die Durchsetzung ihrer legitimen Forderungen auf legalem Wege zu erzwingen. Dabei sind sie jedoch in vielen Ländern Gesetzen unterworfen, die die Kreditnehmer sehr stark schützen und den Gläubigern nur wenig Gestaltungsspielraum gewähren.24 Für sie ist die legale Eintreibung ihrer Forderungen ein sehr langwieriger und teurer Prozeß, bei dem die Prozeßkosten häufig den Wert von kleinen Krediten übersteigen würden. Wenn es den Banken außerdem durch Gesetze oder die ökonomische Situation eines Schuldners unmöglich gemacht wird, diese Kosten auf den zahlungsunwilligen Kreditnehmer zu überwälzen, macht eine gesetzliche Durchsetzung der Rückzahlung ökonomisch für die Bank keinen Sinn. Dies wissen jedoch auch die Schuldner, weshalb sie in diesem Fall wohl kaum irgendeine extrinsische Motivation zur Rückzahlung haben dürften. Daher werden die Banken keine Kredite vergeben, bei denen die Kosten, ihre Forderungen auf legalem Wege durchzusetzen,

die Kreditsumme

übersteigen

würden. Die Gesetze, die die Kreditnehmer schützen sollten, verhindern dann, daß

24

V g l . KRAHNEN/SCHMIDT, 1 9 9 4 , S . 3 3 .

Zahlungswulligkeit

29

diese überh aupt Zugang zu Krediten erhalten. Je teurer für die Banken die gesetzliche Durchsetzung ist, umso höher ist auch die "Mindestkreditsumme". Diese Zusammenhänge sind in Abbildung 9 in die Ergebnisse der bisherigen Analyse integriert. Es wurde angenommen, daß bei der legalen Zahlungsdurchsetzung Kosten (Pfäindungskosten) in einer Höhe anfallen, die der Höhe der Kredite entspricht, die von Unternehmen der Größe Gr*™" nachgefragt werden. Diese lägen damit noch oberhalb der Mindestkreditsumme, die sich aufgrund asymmetrischer Informations Verteilung und der damit einhergehenden mangelhaften Möglichkeiten, die Zahlungsfähigkeit (Gr;:).

der

Schuldner

einschätzen zu können,

ergeben

würde

25

Abb. 9: Pfändungskosten und Kreditangebot der Banken

25

Dies muß nicht so sein! Wenn Gr"™" kleiner als G r ™ ist, liegt allerdings Kein binding constraint vor, und die weitere Analyse ist in diesen Fällen überflüssig. Die Abbildung 9 bezieht sich somit auf alle anderen Fälle.

Theoretische Herleitung von Kreditmarktsegmentierungen

30

Wie oben argumentiert wurde, bietet die Bank ausschließlich Kredite an, deren Kreditsumme oberhalb der Pfändungkosten liegt, in diesem Fall Gr*™,". Es gilt weiterhin die gleiche Gesamtkostenfunktion der Bank als mögliches Kreditangebot. Natürlich wird die Bank auch in diesem Fall, abhängig von den Marktbedingungen, versuchen, höhere Zinssätze innerhalb des Kontraktbereiches zu fordern. Nachfrager nach Krediten mit einer kleineren Unternehmensgröße als Gr*™j? werden rationiert, da es für sie weder intrinsische noch extrinsische Motivationen geben würde, die Kredite zurückzuzahlen. Dies macht sie als Kunden für die Bank unattraktiv. Somit kann die ohnehin schon aufgrund von asymmetrischer Informationsverteilung bestehende Rationierung kleiner Kredite weiter in Richtung mittelgroße Kredite verschärft werden. Welche der beiden möglichen Ursachen das binding constraint bildet, kann nur im Einzelfall entschieden werden.

4.

Kreditangebotsfunktion von formellem und informellem Finanzsektor

In den vorangegangenen Kapiteln wurde argumentiert, warum Banken kleine und mittlere Unternehmen vom Zugang zu Kredit ausschließen werden. Diese Kreditrationierung bestimmter Marktsegmente stellt allerdings nur dann ein Problem dar, wenn es keine anderen Institutionen gibt, die diese Marktsegmente effizient bedienen können. Um dies zu überprüfen, soll zunächst die Angebotsfunktion informeller Kreditgeber dargestellt werden, die dann dem Kreditangebot der Banken gegenübergestellt wird, um daraus die Konsequenzen für den gesamten Kreditmarkt abzuleiten. Informelle Kreditgeber sind nicht Teil des formellen Finanzsystems und haben daher auch keine Möglichkeiten, sich zu relativ günstigen Konditionen bei der Zentralbank oder dem Publikum zu refinanzieren. Auch ihr Liquiditätsmanagement ist schwierig, ineffizient und damit kostspielig. Aus diesen Gründen müssen sie mit sehr hohen Refinanzierungskosten kalkulieren. Ihr Vorteil gegenüber konventionellen Banken besteht allerdings darin, daß sie die Situation "ihrer" Kleinkreditnehmer sehr genau einschätzen können und somit nicht

Kreditangebotsfunktion von formellem und informellem Finanzsektor

31

mit den Problemen asymmetrischer Informationsverteilung konfrontiert sind. Außerdem werden sie als Teil des sozialen Umfeldes der Schuldner angesehen, was deren intrinsische Motivation zur Rückzahlung entscheidend erhöht. Sie sind trotzdem einem Kreditrisiko ausgesetzt, nämlich in dem Fall, in dem ein Schuldner zahlungsunfähig wird. Dieses Risiko können informelle Kreditgeber jedoch relativ gut einschätzen und dadurch ihren Kunden in Rechnung stellen: Es ist daher kein Problem, sondern Teil des Geschäfts. Außerdem sind ihre Transaktionskosten im Vergleich zu konventionellen Banken relativ gering. Diese Zusammenhänge sind in Abbildung 10 in die in den vorigen Kapiteln erarbeitete Grafik hinzugefügt. Zu den bereits relativ hohen Refinanzierungskosten addieren sich zunächst noch die Risikokosten (k™), die allerdings für informelle Kreditgeber abschätzbar und von der Unternehmensgröße unabhängig anfallen.

Abb. 10: Die Kreditangebotsfunktionen des formellen und informellen Finanzsektors

32

Theoretische Herleitung von Kreditmarktsegmentierungen

Nach Addition der Transaktionskosten, die wiederum bei kleinen Krediten stärker ins Gewicht fallen als bei "größeren", erhält man die Gesamtkostenkurve informeller Kreditgeber, die, analog zur Kostenkurve der Banken, die minimal möglichen Zinssätze in Abhängigkeit von der Kredit- bzw. Unternehmensgröße wiedergibt. Damit ergibt sich erneut ein Kontraktbereich zwischen der Kostenkurve der Gläubiger und der Kapitalrendite der Unternehmen, der den Möglichkeitsraum der Kreditkonditionen auf dem informellen Kreditmarkt determiniert. Man erkennt, daß alle Unternehmen mit einer Größe zwischen Gr™" und Gr™" Zugang zu informellen Krediten erhalten werden. Im Unterschied zum formellen Kreditmarkt werden auf dem informellen keine Unternehmen aufgrund ihrer Größe rationiert; allerdings ist eine Kreditaufnahme für Unternehmen, die kleiner als G r | J bzw. größer als G r ™ sind, einfach nicht rentabel, da die zu zahlenden Zinssätze über den von ihnen erreichbaren Kapitalrenditen liegen würden.

Schlußfolgerungen Aus diesen Überlegungen ergeben sich folgende Konsequenzen für den Kreditmarkt als ganzen: Relativ kleine Unternehmen mit einer Größe zwischen Gr™" und Gr™" können sich auf dem informellen Kreditmarkt (zu relativ hohen Zinssätzen) refinanzieren, während sich relativ große Unternehmen auf dem formellen Finanzmarkt zu niedrigen Zinssätzen Kapital beschaffen Die hohen Zinssätze im informellen Bereich spiegeln unter Umständen lediglich die hohen Kosten kleiner Kredite wieder: In dem Beispiel der Abbildung 10 verfügen informelle Kreditgeber tatsächlich in fast allen Bereichen dieses Segmentes über komparative Kostenvorteile gegenüber dem formellen Finanzsektor (Ausnahme: AF). Dies kann jedoch auch anders sein, wenn z.B. die Transaktionskosten der Banken etwas geringer ausfallen und sich somit die Gesamtkostenkurve der Banken zum Ursprung hin verschiebt.

Kreditangebotsfunktion von formellem und informellem Finanzsektor

33

Das wichtigste Ergebnis ist, daß Unternehmen mit einer Größe zwischen G r " " und Gr*™"26 keine Möglichkeit haben, sich auf einem der beiden Märkte zu verschulden: im formellen Kreditmarkt sind sie für die Banken zu klein und damit unattraktiv, auf dem informellen Markt sind die Zinssätze höher als ihre Rendite, d.h. eine Verschuldung wäre ökonomisch irrational. Unternehmen mittlerer Größe haben daher überhaupt keinen Zugang zu irgendwelchen Refinanzierungsmöglichkeiten, was ihre Wettbewerbsfähigkeit nachhaltig beeinträchtigen dürfte. Warum sich keine Institutionen im Bereich der mittelgroßen Unternehmen positionieren, wird im III. Teil analysiert.

26

Falls die Pfändungskosten relativ gering und daher Gr*"™ Kleiner als Gr™" ist, muß im Text Gr*™" durch Gr™1" ersetzt werden.

Betriebsgrößenstruktur

II. TEIL:

35

AUSWIRKUNGEN DER KREDITMARKTSEGMENTIERUNG

Nachdem im I. Teil eine Ursache für die Segmentierung von Kreditmärkten herausgearbeitet wurde, beschäftigt sich dieser Teil mit den Auswirkungen dieser Segmentierung. Dabei wird zunächst die zu erwartende Wirkung auf die Betriebsgrößenstruktur analysiert, um dann zu zeigen, daß eine Kreditmarktsegmentierung auch eine Arbeitsmarktsegmentierung nach sich zieht. Die volkswirtschaftlichen Effizienzverluste der Faktormarktsegmentierungen werden im dritten Kapitel dargestellt, gefolgt von einer Diskussion der Verteilungswirkungen, die in volkswirtschaftlichen Analysen leider oft vernachlässigt werden. Daran schließen polit-ökonomische Überlegungen bzgl. der Stabilität von Faktormarktsegmentierungen an. Am Ende dieses Teils der Arbeit werden die historischen Entwicklungen vieler "Entwicklungsländer" mit den bis dahin erarbeiteten Ergebnissen erklärt.

1.

Betriebsgrößenstruktur

Die bisherige Analyse hat gezeigt, daß unter den angenommenen Umweltbedingungen Unternehmen mittlerer Größe keinen Zugang zu Kredit erhalten. Sollte es trotzdem mittelgroße, d.h. eigenfinanzierte Betriebe geben, ist es unter sich ständig ändernden Rahmenbedingungen möglich, daß diese Betriebe im Laufe der Zeit irgendwann den Sprung zu den großen Unternehmen schaffen. Da aber der fehlende Kreditzugang für sie einen Wettbewerbsnachteil darstellt, dürfte es wahrscheinlicher sein, daß sie ihre Tätigkeit irgendwann einstellen müssen oder langsam immer kleiner werden, bis auch sie zu den kleinen Unternehmen zu rechnen sind. Eine erfolgreiche wirtschaftliche Tätigkeit bestehender mittelgroßer Betriebe in dieser Unternehmensgröße ist erheblich erschwert. Neue mittelgroße Unternehmen wird es kaum geben. Die bisherige Analyse hat gezeigt, daß kleine Betriebe keinen Anreiz haben, kreditfinanziertes Wachstum anzustreben, da sie sich nur informell zu sehr hohen Zinssätzen finanzieren können. Aber auch ein eigenfinanziertes Wachstum ist nicht zu erwarten. Kleine Betriebe

36

Auswirkungen der Kreditmarktsegmentierung

werfen üblicherweise einen Gewinn ab, der zwar wesentlich über dem "Lebensnotwendigen" liegt, der es jedoch gerade einmal ermöglicht, darüber hinausgehende Ausgaben für vitale Bedürfnisse wie Bildung der Kinder, gesunde Wohnverhältnisse oder gegebenenfalls einen Arztbesuch und Medikamente bezahlen zu können. Üblicherweise besteht eine starke Präferenz zugunsten der Befriedigung dieser Bedürfnisse.27 Eine eigenfinanzierte Geschäftsausweitung wird daher nur von wenigen Kleinunternehmern realisiert werden, die eine geringere Zeitpräferenzrate aufweisen, z.B. weil die Kinder bereits erwachsen sind und ein eigenes Einkommen erzielen. Daher kann man davon ausgehen, daß unter den im I. Teil angenommenen Marktbedingungen nur sehr wenige kleine Unternehmen zu mittelgroßen Betrieben heranwachsen werden. Auch bei schrumpfenden großen Betrieben ist es unwahrscheinlich, daß sie längere Zeit als mittelgroße Unternehmen arbeiten. Aus dem Modell läßt sich zwar ableiten, daß sie durch ihren Schrumpfungsprozess für die Banken nicht länger als Kreditnehmer interessant sind, somit ihren Zugang zu formellen Krediten und damit auch einen Wettbewerbsvorteil einbüßen werden. Diese Aussage sollte nicht überbewertet werden, da das neuerdings mittelgroße Unternehmen der Bank ja seit langem bekannt ist und langfristige Beziehungen die Informationsproblematik verringern. Für dieses Unternehmen verschöbe sich somit die Höchstzinsgerade nach oben, der Zugang zu Kredit bliebe, wenn auch zu etwas ungünstigeren Konditionen, bestehen. Die Schrumpfung deutet allerdings in vielen Fällen auf betriebliche Ineffizienzen oder für das Unternehmen ungünstige Marktbedingungen hin. Dies verschiebt im Modell die Funktion der Unternehmensrendite nach unten. Bei zusätzlich gestiegenen Kosten wird es für das Unternehmen schwer sein, sich weiterhin am Markt zu behaupten. Die mittelgroße Betriebsgröße wird daher oft nur eine Durchgangsstation auf dem Weg in den Konkurs sein. Lediglich in Ausnahmefällen, wenn das Unternehmen in seinem schrumpfenden Marktsegment keine ernsthaften Mitbewerber hat, wird es nicht mit Preiskämpfen konfrontiert werden und auch weiterhin eine befriedigende Rendite erwirtschaften können.

27

Vgl. z . B . GATE/BALLON/MANALO, 1 9 9 6 , S. 177.

Betriebsgrößenstruktur

37

Somit wird es insgesamt nur wenige mittelgroße Unternehmen geben, d.h. diese Betriebsgröße ist im Unternehmensspektrum unterrepräsentiert. Statt dessen gibt es vor allem kleine bzw. sehr kleine Unternehmen (im folgenden kleine Unternehmen) sowie große und sehr große (im folgenden große Unternehmen). Der segmentierte Kreditmarkt führt damit mittelfristig auch zu einer segmentierten Betriebsgrößenstruktur. Diese verhindert die besonders bei sich ändernden Rahmenbedingungen notwendige dynamische Entwicklung von Unternehmen sowie die Herausbildung einer breiteren, innovativen Unternehmerschicht. Neue, große Unternehmen werden mangels eigener Unternehmer mit großer Wahrscheinlichkeit von Ausländern oder multinationalen Unternehmen gebildet. Die theoretisch abgeleiteten Effekte sollen nun empirisch überprüft werden. Tabelle 1 zeigt zunächst die Verteilung der Beschäftigten von Produktionsbetrieben nach Betriebsgrößen für 14 "Entwicklungsländer":28 Man erkennt, daß mit Ausnahme von Indien und Nigeria mittelgroße Unternehmen jeweils weniger als ein Sechstel der Arbeitnehmer beschäftigen. Die Ausnahmen sind in Indien durch einen zumindest in den Städten sehr effizienten informellen Finanzmarkt zu erklären, wo die Zinssätze nur wenig (2-4% p.a.) über dem der Banken liegen.29 Die Abweichungen in Nigeria dürften auf die umfangreichen Ölvorkommen dieses Landes zurückzuführen sein. Die Daten untermauern damit eindrucksvoll die These der segmentierten Betriebsgrößenstruktur. Kritiker könnten einwenden, daß die Daten eine segmentierte Betriebsgrößenstruktur nur für Produktionsbetriebe belegen. Sektorübergreifende Daten für die gesamte Volkswirtschaft eines Landes stehen leider nicht zur Verfügung. Es gibt jedoch Studien, die die Verteilung der Beschäftigten aller kleinen und mittelgroßen Betriebe untersuchen und diese mit der Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter vergleichen.30

28

Die Betriebsgröße wird hier nach Anzahl der Beschäftigten gemessen, da keine Statistiken bzgl. der Verteilung der Beschäftigten auf Betriebe vorhanden sind, deren Betriebsgröße am Bilanzvolumen gemessen wird. Die an der Zahl der Beschäftigten gemessene Betriebsgröße stellt jedoch eine hinreichend genaue Annäherung dar.

29

V g l . TIMBERG/AIYAR, 1 9 8 4 , S . 5 7 .

30

V g l . z . B . LEADHOLM/MEAD, 1 9 9 3 , S . 1 1 - 1 4 , s o w i e LEADHOLM/MEAD, 1 9 9 8 , S . 1 - 1 5 .

Auswirkungen der Kreditmarktsegmentierung

38

Anzahl der Beschäftigten

Land (Datum der Untersuchung)

Kleine Unternehmen (50 Beschäftigte)

Indien

1971)

42%

20%

38%

Tanzania

1967)

56%

7%

37%

Ghana

1970)

84%

1%

15% 41%

Kenia

1969)

49%

10%

Sierra Leone

1974)

90%

5%

5%

Indonesien

1977)

77%

7%

16%

Zambia

1985)

83%

1%

16%

Honduras

1979)

68%

8%

24% 31%

Thailand

1978)

58%

11%

Philippinen

1974)

66%

5%

29%

Nigeria

1972)

59%

26%

15%

Jamaica

1978)

35%

16%

49%

Kolumbien

1973)

52%

13%

35%

Korea

1975)

40%

7%

53%

Tab. 1: Die Verteilung der Beschäftigten in Produktionsbetrieben Quelle: LEADHOLM/MEAD, 1987, S. 15. LEADHOLM/MEAD sprechen von dem "missing middle. [...] employment is concentrated in microenterprises (10 or less workers) or in very large enterprises (50 or more workers), with few in the 10-50-person range. This phenomenon [...] raises questions as to whether policy or institutional constraints are hindering a process of evolution whereby the smallest enterprises grow into this middle category."31 Die bisherige Analyse hat gezeigt, daß auch kompetitive Märkte das Wachstum kleiner Betriebe zu mittleren Betriebsgrößen wirksam verhindern können.

31

LEADHOLM/MEAD, 1 9 9 3 , S . 1 2 .

Arbeitsmarktsegmentierung

2.

39

Arbeitsmarktsegmentierung

Die bisherige Analyse hat gezeigt, daß es unter den angenommenen Bedingungen vor allem kleine oder große, d.h. kaum mittelgroße Unternehmen geben kann. Kleine Betriebe refinanzieren einen Teil ihrer "Bilanzsumme" mit informellen Krediten, zu sehr hohen Zinssätzen. Die Kapitalrentabilität muß dementsprechend sehr hoch sein, was diese Unternehmen zwingt, relativ arbeitsintensiv zu produzieren, d.h. mit einer geringen Arbeitsproduktivität. Daraus leitet sich ein geringer Lohnsatz ab. Große Unternehmen können sich billig refinanzieren, was analog zu kapitalintensiver Produktion mit hoher Arbeitsproduktivität und hohen Löhnen führen wird. Damit teilt sich der Arbeitsmarkt in zwei Bereiche: In großen Unternehmen werden relativ hohe Löhne gezahlt, in kleinen geringe. Dies ist kein Produkt irgendwelcher Auflagenpolitik, sondern Resultat von Marktprozessen bei vollkommener Konkurrenz! Die Segmentierung des Kreditmarktes zieht somit nicht nur eine segmentierte Betriebsgrößenstruktur nach sich, sondern führt auch zu segmentierten Arbeitsmärkten. Die kleinen Betriebe arbeiten meist informell. Dies ist zum einen auf eine exzessive Auflagenpolitik und bürokratische Hemmnisse zurückzuführen, die eine Formalisierung relativ teuer machen.32 Allerdings bringt eine Formalisierung auch Vorteile wie z.B. Rechtssicherheit mit sich. Jedoch sind die Kosten der Formalisierung von der Unternehmensgröße relativ unabhängig, während die Vorteile mit der Betriebsgröße mitwachsen. Somit wird es eine "kritische Betriebsgröße" geben, ab der eine Formalisierung für das Unternehmen ökonomisch sinnvoll ist. Die Unfähigkeit bzw. Unwilligkeit der Kleinunternehmen, sich zu formalisieren, ist dementsprechend auch auf deren Wachstumsbeschränkungen zurückzuführen, die, wie oben gezeigt wurde, aus der Kreditmarktsegmentierung resultieren. Wann immer diese kritische Unternehmensgröße oberhalb der durch den Kreditmarkt determinierten "maximalen Kleinbetriebsgröße" liegt, ist eine Fomalisierung für diese Kleinunternehmen ökonomisch nachteilig und daher schwer durchsetzbar.

32

Vgl. deSoto, 1990.

40

Auswirkungen der Kreditmarktsegmentierung

Ursache für das Ent-/Bestehen eines großen informellen Sektors sind somit bürokratische Hemmnisse in Verbindung mit Kreditmarktsegmentierungen. Abbildung 11 stellt die Segmentierung beider Faktormärkte im HECHSCHER-OHLN Modell dar.33 Im Gegensatz zu den üblichen Darstellungen wird hier nicht mit zwei sondern mit drei Sektoren gearbeitet, um die komplexe Realität treffender wiederzugeben.34 Im Industriesektor 1 (I1) wird mit einem linear-limitationalem Produktions-

Abb. 11: Die Segmentierten Faktormärkte im HECKSCHER-OHLIN-Modell

33

34

Für eine Darstellung des Grundmodells von HECKSCHER-OHLIN vgl. HECKSCHER, 1919; OHLIN, 1931, JONES, 1956-57; LANCASTER, 1957. Dieses Modell hat sicherlich den Nachteil, daß von

Transaktions- bzw. Informationskosten abstrahiert wird, aus deren Existenz die bisherige Argumentation ja erst die Segmentierungen abgeleitet hat. Trotzdem lassen sich an diesem Modell einige grundlegende Effekte darstellen, auch wenn sich durch diesen Widerspruch natürlich eine größere Unscharfe ergibt. Es gibt auch Autoren, die das HECKSCHER-OHLIN Modell mit drei Sektoren modellieren. Allerdings beziehen diese sich ausschließlich auf den Handel zwischen verschiedenen Volkswirtschaften und beschäftigen sich nicht mit möglichen Segmentierungen innerhalb einer Volkswirtschaft. Vgl. z . B . MEADE, 1 9 5 0 , o d e r DEARDORFF, 1 9 9 3 , S . 5 7 - 6 1 .

Arbeitsmarktsegmentierung

41

prozeß das handelbare Gut 1 hergestellt.3511 stellt die Einheitsisoquante dar, die die möglichen Faktoreinsatzkombinationen angibt, mit denen vom Gut 1 eine Gütermenge im Wert von US$ 1,- hergestellt werden kann. Die Isoquante I2 spiegelt anaiog die Produktionsmöglichkeiten zur Herstellung von Gut 2 wieder, für die eine mittlere Faktorsubstitutionselastizität angenommen wurde. In einem dritten Sektor werden nichthandelbare Güter gemäß der Isoquante NH produziert. Auf kompetitiven Märkten werden sich nun Faktor- und Güterpreise einstellen, bei denen die Unternehmen ihre Güter und Dienstleistungen ohne Verluste, aber auch ohne größere Gewinne produzieren und absetzen können. Unternehmer würden demgemäß lediglich über die Kapitalrendite des von ihnen eingesetzten Kapitals sowie die Entlohnung ihrer Arbeitskraft "Gewinne" verbuchen. Diese Annahme ist gerade in "Entwicklungsländern" nicht sehr realitätsnah, da dort Unternehmertum ein sehr knapper Faktor ist, der entsprechend hoch entlohnt wird. Trotzdem kann mit diesem Modell sehr gut weitergearbeitet werden, wenn man annimmt, daß der Unternehmerlohn bereits in den Isoquanten integriert ist: Die Isoquante I1 könnte beispielsweise eine Gütermenge von US$ 1,2 abbilden, von der bereits eine Gewinnmarge von US$ 0,2 vorab abgezogen worden ist, die der Entlohnung des äußerst knappen Faktors "Unternehmertum" dient. Da sich die Unternehmer in den Bereichen betätigen werden, wo ihre Gewinne besonders hoch sind, kann man auch annehmen, daß ihre "Faktorentlohnung", ähnlich der der anderen Faktoren, in den ihnen zur Auswahl stehenden Sektoren gleich hoch ist. Daher kann diese konstante Größe der Übersichtlichkeit halber aus der Analyse ausgeschlossen werden. Dies soll im folgenden geschehen; die Isoquanten seien also bereits um den Unternehmergewinn berichtigt, wodurch für die verbleibende Analyse angenommen werden kann, daß Unternehmer keine außergewöhnlichen Gewinne erzielen können, d.h. daß vollständige Konkurrenz besteht.

35

Die Limitationalität ist Keine zentrale Annahme, sondern eine Annäherung an die Realität. Die im folgenden abgeleiteten Zusammenhänge würden sich durch eine höhere Faktorsubstitutionselastizität qualitativ nicht ändern.

42

Auswirkungen der Kreditmarktsegmentierung

Durch diese Hilfsannahme der vollständigen Konkurrenz lassen sich die statischen Effekte der Faktormarktsegmentierungen besser darstellen. Im nächsten Kapitel werden zusätzlich noch die dynamischen Effekte untersucht, bei denen diese Hilfsannahme dann wieder fallengelassen wird. Bei vollständiger Konkurrenz müssen sich nun Preisverhältnisse einstellen, bei denen die Faktorpreisgeraden, d.h. die Faktorkombinationen, die Kosten in Höhe eines US$ 1,- verursachen, gerade die Isoquanten berühren. So wie die Isoquanten liegen, gibt es keine einzelne Gerade, bei der dies möglich wäre. Dies verwundert nicht weiter, wurde doch oben gezeigt, daß sich für Klein- und Großunternehmen verschiedene Faktorpreise bilden müssen. Diese Segmentierung beider Faktormärkte ist in Abbildung 11 abgebildet, indem die Gerade durch die Punkte A und B die Faktorpreise für große Betriebe darstellt, also mit hohen Lohnsätzen und niedrigen Kapitalkosten, während die Gerade durch die Punkte C und D die Faktorpreise für Kleinbetriebe wiederspiegelt. Kleinbetriebe produzieren aufgrund der hohen Kapitalkosten relativ arbeitsintensiv, weshalb sie zum einen die einzigen Anbieter im arbeitsintensiven Sektor der nicht-handelbaren Güter sind, zum anderen das Industriegut 2 parallel zu den Großbetrieben mit einer relativ arbeitsintensiven Technologie produzieren (Punkt C). Analog produzieren Großunternehmen kapitalintensiv, und zwar als einzige Anbieter im kapitalintensiven Sektor 1 und neben den informellen Kleinbetrieben auch im Sektor 2, jedoch relativ kapitalintensiv (Punkt B). Die Bezeichnung "kapitalintensiv" bezieht sich auf den Vergleich mit den Kleinbetrieben, nicht mit anderen Volkswirtschaften! Die hier dargestellte, im Inland relativ kapitalintensive Produktion kann im Vergleich mit dem Ausland durchaus relativ arbeitsintensiv sein. Die Segmentierung der Faktormärkte in jeweils zwei voneinander getrennt funktionierende, kompetitive Teilmärkte wird besonders deutlich anhand der Faktorboxdarstellung des STOLPER-SAMUELSON-Theorems.36 Abbildung 12 teilt den gesamten

36

Z u m Grundmodell d e s STOLPER-SAMUELSON-Theorems vgl. STOLPER/SAMUELSON, 1 9 4 1 .

Arbeitsmarktsegmentierung

43

Faktorbestand einer Volkswirtschaft auf den formellen und informellen Sektor auf: Der formelle Sektor, d.h. die Großbetriebe, verfügen über Arbeit und Kapital entsprechend der Faktorbox, die sich zwischen O"* und Punkt C aufspannt. Analog beschäftigt der informelle Sektor die Faktoren der Box zwischen dem Punkt C und gin»

Abb. 12: Die Segmentierung der Faktormärkte anhand der Faktorbox Man erkennt, daß der formelle Sektor relativ reichlich mit Kapital ausgestattet ist. Er nutzt die Faktoren 0,or - A zur Produktion von I1, und A - C für die Produktion von I2. Im Punkt A tangieren sich die beiden Isoquanten und dort werden auch die Faktorpreise ermittelt: Die Faktorpreisgerade muß, wenn die Märkte funktionieren, die beiden Isoquanten ebenfalls tangieren. Das relativ große Gefälle zeigt an, daß die Lohnsätze relativ hoch und die Kapitalzinsen relativ gering sind. Umgekehrt verfügt der informelle Sektor über relativ wenig Kapital. Er setzt die der Strecke CB entsprechenden Faktoren zur Produktion von I2 ein, und die verbleiben-

44

Auswirkungen der Kreditmarktsegmentierung

den Faktoren (B - 0'nf) produzieren nichthandelbare Güter und Dienstleistungen. Auch dieser Teilmarkt funktioniert, d.h. die Faktoren sind vollbeschäftigt und werden gemäß ihres Wertgrenzproduktes entlohnt. Dies ist im Punkt B ablesbar, wo sich die beiden Isoquanten tangieren und sich mit gleicher Steigung die Faktorpreisgerade bildet. Das relativ geringe Gefälle dieser Geraden zeigt einen niedrigen Lohnsatz und hohe Kapitalzinsen an. Es bleibt die Frage: Wie kann es sein, daß sich in einer Volkswirtschaft zwei voneinander völlig getrennte Teilmärkte bilden, die sich nicht ausgleichen? Zwei mögliche Lösungen sind zu betrachten: Eine Angleichung der Faktorpreise könnte geschehen zum einen durch eine Abwanderung der Faktoren jeweils in die Teilmärkte, die die höhere Entlohnung zahlen, zum anderen, gemäß des Faktorpreisausgleichstheorems,37 also durch "Handel" zwischen formellem und informellem Sektor. Die "Abwanderung" des Faktors Kapital in den informellen Sektor wird, wie im ersten Teil gezeigt wurde, nicht stattfinden. Die Arbeitskräfte des informellen Sektors würden zwar gerne in den formellen abwandern, finden dort jedoch keine Arbeitsplätze. Daß der Lohnsatz im formellen Sektor nicht stark sinkt, liegt zum einen an der hohen Arbeitsproduktivität, zum anderen lassen sich die Arbeitskräfte dort relativ leicht organisieren. Für die Unternehmer ist, insbesondere aufgrund der hohen Kapitalintensität der Produktion, die Stabilität und Verläßlichkeit der Arbeiter ein wichtiger Faktor, der nicht durch Lohnsenkungen aufgewogen werden kann. Zudem kann mittels des Lohngefälles Druck auf die Arbeiter ausgeübt werden, da sie bei einem Arbeitsplatzverlust eine wesentliche Verminderung ihres Einkommens zu befürchten hätten. So zeigten

SHAPIRO

und

STIGLITZ

1984, daß es für Arbeitgeber

durchaus rational sein kann, Löhne oberhalb des "Gleichgewichtslohns" zu zahlen, weil sie dadurch die Probleme asymmetrischer Information mindern können.38 Eine "Faktorwanderung" zwischen den beiden Teilmärkten ist somit nicht zu erwarten.

37 38

V g l . SAMUELSON, 1 9 4 8 , 1 9 4 9 , 1 9 5 3 - 5 4 und 1 9 6 7 . V g l . SHAPIRO/STIGLITZ, 1 9 8 4 , S . 4 3 3 - 4 4 4 , sowie YELLEN, 1 9 8 4 , S . 2 0 0 - 2 0 5 , STIGLITZ, 1 9 8 5 , S . 5 9 5 6 1 8 u n d GREENWALD/STIGLITZ, 1 9 8 7 , S. 4 4 4 - 4 5 6 .

Volkswirtschaftliche Effizienzverluste

45

Bleibt als mögliche Auflösung die Faktorpreisangleichung durch "Handel". Gemäß des Faktorpreisausgleichstheorems müssen sich Faktorpreise durch Freihandel ausgleichen. Freihandel ist innerhalb einer einzelnen Volkswirtschaft definitionsgemäß gegeben, da innerhalb eines Landes keine Zölle erhoben werden. Allerdings leitet das Theorem die Angleichung der Faktorpreise explizit nur für nichtvollständige Spezialisierung ab.39 In unserem Fall ist jedoch der formelle Sektor allein in der Lage, das Gut I1 zu produzieren, während der informelle Sektor als einziger Anbieter nicht-handelbare Güter produziert. Daher ist in diesen beiden Sektoren eine vollständige Spezialisierung vorhanden, die Faktorpreise werden sich also nicht ausgleichen. Somit gibt es keine Marktkräfte, die zu einer Auflösung oder Reduzierung der Segmentierungen beitragen könnten. Die Segmentierung der Faktormärkte, hervorgerufen durch die Kreditmarktsegmentierung, ist unter den genannten Annahmen dauerhaft, d.h. es herrscht ein "Gleichgewichtszustand". Besonders bemerkenswert ist, daß trotz der angenommenen vollständigen Konkurrenz mit jeweils zwei verschiedenen Arbeits- und Kapitalproduktivitäten produziert wird, bei voneinander verschiedenen Faktorpreisen, die nicht dazu führen, daß die jeweils geringer bezahlten Faktoren in andere Sektoren abwandern.

3.

Volkswirtschaftliche Effizienzverluste

In den vorangehenden beiden Kapiteln wurde gezeigt, daß Kreditmarktsegmentierungen auch Segmentierungen in der Betriebsgrößenstruktur sowie auf dem Arbeitsmarkt nach sich ziehen. Doch was ist daran schlecht? Mit der Beantwortung dieser Frage beschäftigen sich die folgenden beiden Kapitel. Bevor im vierten Kapitel die negativen Effekte auf die Einkommensverteilung untersucht werden, beschäftigt sich dieses Kapitel mit den aus den Segmentierungen resultierenden volkwirtschaftlichen Effizienzverlusten. Dabei werden zunächst die statischen Effizi-

39

Vgl. ROSE, 1 9 8 9 , S . 3 2 8 - 3 3 0 .

Auswirkungen der Kreditmarktsegmentierung

46

enzverluste untersucht, die sich aus der Anwendung der neoklassischen Theorie ableiten lassen, um daraufhin die wahrscheinlich viel gravierenderen dynamischen Effekte zu beleuchten.40

a)

Statische Effizienzverluste aufgrund dualistischer Strukturen

Die Produktion einer Volkswirtschaft kann nur effizient sein, wenn die Produktionsfaktoren vollständig und entsprechend ihrer relativen Knappheit eingesetzt werden, d.h., wenn das Verhältnis ihrer Grenzprodukte dem Faktorpreisverhältnis entspricht. Graphisch zeigt sich dies, wenn die Isoquanten in den jeweiligen Produktionspunkten die gleichen Steigungen wie die Faktorpreisgerade aufweisen. Gemäß dieser Definition arbeiten der formelle und der informelle Sektor jeweils mit den ihnen zur Verfügung stehenden Faktoren effizient. Dies trifft jedoch nicht für die gesamte Volkswirtschaft zu, da sich die jeweiligen Steigungen im formellen und informellen Sektor unterscheiden. Unterschiedliche Faktorpreise bzw. Faktorgrenzproduktverhältnisse weisen auf gesamtwirtschaftliche Ineffizienzen hin, die im folgenden genauer untersucht werden. Zur besseren Übersicht werden die Effizienzverluste in vier Gruppen eingeteilt: Effizienzverluste ersten Grades entstehen durch ineffiziente Faktorallokation innerhalb des Industriesektors I2. Unterschiedliche Faktoreinsatzverhältnisse im formellen und informellen Teil dieses Sektors aufgrund der fehlenden Faktorsubstitution zwischen den beiden Teilbereichen führen zu Produktionsminderungen. Doch auch wenn der Industriesektor I2 die von ihm benutzen Faktoren effizient nutzen würde, gäbe es unter den derzeitigen Bedingungen noch Effizienzverluste zweiten Grades, die durch die dann fehlende Faktorsubstitution zwischen den verschiedenen Sektoren entstünden, weil dann die Faktorgrenzproduktivitäten in den drei verschiedenen Sektoren nicht übereinstimmen würde.

40

Zu Gründen und Ursachen dualistischer Strukturen vgl. auch RANIS, 1991, KANBUR/MCINTOSH, 1985, sowie SINGER, 1970.

Volkswirtschaftliche Effizienzverluste

47

Würde die Faktornutzung auch zwischen den verschiedenen Sektoren effizient geregelt, würden die Effizienz- und Produktionssteigerungen zu Änderungen der Produktpreise führen, was noch einmal zu einer Verschiebung der wirtschaftlichen Aktivität zwischen den Sektoren führen könnte. Diese Effekte bilden die Effizienzverluste dritten Grades.

Die veränderten Faktor- und Güterpreise können Veränderungen im Faktorangebot nach sich ziehen. Dies ändert nicht nur die Ausmaße der Faktorbox und damit die Produktionsbedingungen, sondern hat auch Einfluß auf Einkommenshöhe und -Verteilung. Abhängig von den Einkommenselastizitäten verändert dies wiederum die Nachfrage nach den verschiedenen Produkten. Alle diese Effekte zusammen bilden die Effizienzverluste vierten Grades.

Die weitere Analyse soll sich auf die Effizienzverluste ersten und zweiten Grades beschränken, da diese die letzteren im Normalfall an Bedeutung weit übertreffen. Außerdem sind die Effizienzverluste dritten und vierten Grades von so vielen Faktoren abhängig, wie Angebots- und Nachfrageelastizitäten auf Güter- und Faktormärkten, daß eine generelle Analyse den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde. Die Effizienzverluste ersten Grades werden in Abbildung 13 dargestellt, die auf der Faktorbox des vorigen Kapitels aufbaut. In einem ersten Schritt sind die Isoquanten des formellen und informellen Bereichs des Industriesektors 2 für beide Bereiche zusätzlich durch den Punkt C gespiegelt, ebenso wie die beiden Faktorpreisgeraden (l/i)'w und (l/i)'nl. Man erkennt, daß die jeweiligen Faktorpreisgeraden zwar die Isoquanten tangieren, doch bestehen erhebliche Unterschiede zwischen formellem und informellem Bereich (gekennzeichnet durch den Winkel a). Zwischen den beiden Isoquanten bildet sich eine Linse, die den Bereich möglicher Effizienzverbesserungen kennzeichnet. Würden beide Teilbereiche des Industriesektors 2 mit demselben Faktoreinsatzverhältnis arbeiten (determiniert durch die Steigung der Geraden AB), so könnten sie bei Aufrechterhaltung ihrer Produktionsmenge Faktoren der Menge EV1 einsparen. EV1 kennzeichnet somit den Effizienzverlust ersten Grades.

Auswirkungen der Kreditmarktsegmentierung

48

Abb. 13: Faktormarktsegmentierung und Effizienzveiiust ersten Grades Um den Effizienzveiiust zweiten Grades abzuleiten, wird angenommen, daß zwischen den beiden Teilbereichen des Industriesektors 2 bereits eine effiziente Faktorsubstitution stattgefunden hat, d.h. beide Bereiche mit demselben Faktoreinsatzverhältnis

operieren. Nun werden effizienzsteigernde

Faktorsubstitutionen

zwischen den drei Sektoren untersucht. Die Annahme, daß der Industriesektor 1 durch eine linear-limitationale Produktionsfunktion gekennzeichnet ist, führt natürlich auch dazu, daß hier keine Faktorsubstitution sinnvoll ist. Bei einer höheren Faktorsubstitutionselastizität würden hier die gleichen Prozesse stattfinden, wie sie im folgenden für die Faktorsubstitution zwischen Industriesektor 2 und dem Sektor nichthandelbarer Güter abgeleitet wird. In Abbildung 14 wurde zunächst für die beiden Teilbereiche des Industriesektors 2 eine gemeinsame Isoquante ( I ^ J eingezeichnet, die, ausgehend von dem Punkt A als Ursprung, die Faktorkombinationen kennzeichnet, mit denen die gemeinsame, vorherige Gesamtproduktion aufrecherhalten werden kann. Man erkennt wiederum,

Volkswirtschaftliche Effizienzverluste

49

daß deren Steigung im Punkt B von der dortigen Steigung der Isoquante der nichthandelbaren Güter abweicht und sich eine Linse möglicher Effizienzverbesserungen bildet.

Abb. 14: Faktormarktsegmentierung und Effizienzverlust zweiten Grades Ein effizienzsteigernder Faktoraustausch zwischen den beiden Sektoren wird dazu führen, daß die nichthandelbaren Güter kapitalintensiver produziert werden, entsprechend dem Faktoreinsatzverhältnis, das durch die Gerade D0'nf determiniert wird. Um seine alte Produktion aufrechtzuerhalten benötigt der Industriesektor 2 nicht sämtliche verbleibenden Faktoren (AD), sondern kann Faktoren der Menge EV 2 einsparen. EV 2 kennzeichnet somit den Effizienzverlust zweiten Grades. Die Faktorpreise stellen sich entsprechend der Gerade (l/i)' ein, also höhere Löhne und niedrigere Kapitalzinsen als im informellen Sektor (l/i)1"', bzw. niedrigere Löhne und höhere Kapitalzinsen als im formellen Sektor (l/i)'or. Die neue Faktorpreisgerade gilt dann für alle Bereiche der Volkswirtschaft, also auch für den Industriesektor 1. Ein Faktoraustausch führt damit zur Aufhebung der Segmentierung.

Auswirkungen der Kreditmarktsegmentierung

50

Eine einfache Lösung für ein schwieriges Problem? Nicht ganz, denn zum einen wurde im ersten Teil ja bereits abgeleitet, daß ein Faktoraustausch auf dem Kapitalmarkt kaum stattfinden wird. Dieser wiederum war der Auslöser für die anderen Segmentierungen. Doch selbst wenn Möglichkeiten gefunden würden, die Kapitalmobilität zwischen den Sektoren entscheidend zu erhöhen, sollte man nicht annehmen, daß dadurch einheitliche Faktorpreise erreicht würden: Die Faktorboxdarstellung vernachlässigt, wie oben bereits erwähnt, Transaktions- und Risikokosten vollständig. Die Kreditvergabe an Großunternehmen des Industriesektors 1 wird immer billiger sein als an Kleinunternehmen, die nichthandelbare Güter produzieren. Jedoch ließe sich durch eine verbesserte Faktormobilität das Ausmaß der Preisdifferenzierung vermindern. Die aus Abbildung 14 abgeleiteten Zusammenhänge sind somit nicht falsch, sondern in der Realität lediglich unschärfer und weniger absolut. Ein verbesserter Faktoraustausch zwischen den Sektoren löst also die statischen Effizienzprobleme nicht vollständig, sondern setzt einen Prozess zu einer graduellen Verbesserung der Situation in Gang.

b)

Dynamische Effekte dualistischer Strukturen

Wahrscheinlich viel gravierender als die statischen Effizienzverluste sind die dynamischen Effekte dualistischer Strukturen. Wie oben abgeleitet wurde, macht es eine Kreditmarktsegmentierung Betrieben mittlerer Größe sehr schwer, erfolgreich arbeiten zu können. Es wurde gezeigt, daß es unwahrscheinlich ist, daß kleine Betriebe wachsen, oder große Betriebe unterhalb der "formellen Mindestbetriebsgröße" funktionieren können. Bei sich ändernden Rahmenbedingungen sind Anpassungen der Betriebsgröße manchmal

unumgänglich.

Wenn

das

Marktsegment

eines

großen

Betriebs

schrumpft, ist es vorzuziehen, daß dieser ebenfalls seine wirtschaftliche Aktivität reduziert, als daß er seinen Betrieb ganz einstellt. Kleinere "Großunternehmen" stehen hier sozusagen am Rande des Abgrunds: Eine Anpassung nach unten ist nicht beliebig weit möglich, da sie bei einer zu kleinen Unternehmensgröße ihren

Volkswirtschaftliche Effizienzverluste

51

Zugang zu Bankkrediten verlieren würden.41 Gleiches droht, wenn sich aus irgendeinem Grund, z.B. einer kontraktiven Geldpolitik, das Kreditangebot des Bankensektors reduzieren sollte. Dann werden die Kredite, wie oben gezeigt, zunächst den kleineren Großunternehmen gestrichen werden. Der Verlust ihres Kreditzugangs wird viele dieser Unternehmen in den Ruin treiben, obwohl sie einzelwirtschaftlich über eine gesunde Basis verfügen. Diese Schockanfälligkeit reduziert gleichzeitig den Handlungsspielraum der Wirtschaftspolitik. Auch das Wachstum kleiner Betriebe in mittlere Betriebsgrößen ist, wie bereits gezeigt, durch die Kreditmarktsegmentierung stark erschwert. Dies verhindert, daß neue, innovative Unternehmen entstehen, daß Marktnischen erschlossen werden und sich eine breitere, dynamische Unternehmerschicht bildet, die sich mit ihren Unternehmen schnell und flexibel an sich ändernde Rahmenbedingungen anpassen kann. Die vorhandenen Kleinunternehmer bilden keine "Unternehmerschicht", da sie wegen mangelnder Ressourcen, legaler und bürokratischer Hemmnisse kaum ein signifikantes Innovationspotential entwickeln können. Ihre "Leistung" besteht mehr im Überleben als im Aufbau von Unternehmen, die sich dynamisch am Markt entwikkeln können, ist nicht knapp und wird deshalb auch nicht, wie im formellen Sektor, besonders entlohnt. Man sollte sie daher "Selbstbeschäftigte" und nicht "Unternehmer" nennen.42 Das Fehlen eines breiten Mittelstandes von Unternehmern zieht nicht nur eine stark verminderte Innovationskraft der Volkswirtschaft nach sich. Auf veränderte Rahmenbedingungen reagieren sehr große Unternehmen oft zu spät, die Reaktion "kleinerer" Großunternehmen ist, wie oben gezeigt, behindert. Die so verminderte Anpassungsfähigkeit führt zu einer höheren Schockanfälligkeit des Systems. Außerdem

41

42

Wie bereits oben erwähnt, vermindern langfristige Beziehungen die Informationsproblematik, und die Höchstzinssatzfunktion verschiebt sich nach oben. Dies ermöglicht für ehemals große Unternehmen eine gewisse Anpassung nach unten auch unterhalb der formellen "Mindestbetriebsgröße". Dennoch ist der Spielraum begrenzt, und bei einem weitergehenden Schrumpfungsprozess werden sie trotzdem ihren Kreditzugang verlieren. GATE et al., 1996, S. 176 sprechen von "livelihood enterprises" im Gegensatz zu innovativen Unternehmern.

Auswirkungen der Kreditmarktsegmentierung

52

müssen unternehmerische Leistungen wegen der Knappheit dieses Faktors sehr hoch entlohnt werden. Da das Inland jedoch kaum eigene Unternehmer hervorbringt, werden durch die hohe Entlohnung ausländische Unternehmer angelockt, die diese Leistungen erbringen und die hohen Gewinne dann meist ins Ausland transferieren. Die Abhängigkeit der Volkswirtschaft von ausländischen Unternehmern erhöht wiederum die Schockgefahr gegenüber Kapitalflucht.

4.

Folgen für die Einkommensverteilung

In diesem Kapitel werden die Folgen segmentierter Faktormärkte auf die Einkommensverteilung untersucht. Dabei wird zunächst die funktionale Einkommensverteilung betrachtet, und zwar jeweils getrennt für den formellen und den informellen Sektor, um daraus Schlüsse auf die personelle Einkommensverteilung zu ziehen.

a)

Die funktionale Einkommensverteilung

In diesem Abschnitt wird die funktionale Einkommensverteilung noch einmal vollständig und übersichtlich dargestellt. Dabei beziehen sich Angaben wie "hoch" oder "sehr niedrig" immer auf den Vergleich mit der Situation, in der sich dieselbe Volkswirtschaft befinden würde, wenn die Faktormärkte (seit längerem) nicht segmentiert wären. Neben den Kapital- und Arbeitseinkommen werden außerdem noch die (zusätzlichen) Einkommen aus unternehmerischer Tätigkeit betrachtet.

Formeller Sektor

Informeller Sektor

Arbeitseinkommen

relativ hoch

sehr niedrig

Kapitaleinkommen

sehr niedrig

sehr hoch

sehr hoch

Sehr gering

Einkommen aus unternehmerischer Tätigkeit Tab. 2:

Funktionale Einkommensverteilung bei segmentierten Faktormärkten

Folgen für die Einkommensverteilung

53

Wie bereits in den vorigen Kapiteln erwähnt, sind im formellen Sektor die Kapitalkosten und damit natürlich ebenfalls die Kapitaleinkommen sehr gering. Besonders in der Vergangenheit waren die realen Zinssätze in vielen Ländern negativ, formelle "Kapitaleinkommen" waren negativ und wurden zum Kostenfaktor. Dies führt wie oben gezeigt zu relativ hohen Löhnen in diesem Sektor. Da unternehmerische Tätigkeit sehr knapp ist, wird sie auch entsprechend sehr hoch entlohnt. Der informelle Sektor stellt in vielen Aspekten das Spiegelbild des formellen dar: Die Arbeitseinkommen sind sehr niedrig, dafür muß Kapital sehr hoch entlohnt werden. Das Ausmaß unternehmerischer Tätigkeit im Schumpeter'schen Sinne ist gering: Die Leistung der "Mikrountemehmer" besteht vor allem im Überleben und weniger im Aufbau unternehmerischer Institutionen, die sich dynamisch den Marktverhältnissen anpassen. Das Einkommen dieser Mikrountemehmer besteht demgemäß auch hauptsächlich aus der Summe ihres Arbeitseinkommens und der Entlohnung des von ihnen eingesetzten Kapitals. Einkommen aus unternehmerischer Tätigkeit wird im informellen Sektor nur in geringem Umfang erwirtschaftet.

b)

Die personelle

Einkommensverteilung

Aus der oben dargestellten funktionalen Einkommensverteilung soll nun auf die personelle geschlossen werden. Dazu werden Überlegungen angestellt, welche sozialen Gruppen die jeweiligen Einkommensarten erhalten. Um die Analyse zu vereinfachen, wird sie im folgenden auf drei "Gruppen" beschränkt: die "Reichen", die "Wohlhabenden" und die "Armen" (siehe Übersicht in Tabelle 3). Diese Einteilung in idealtypische Gruppen dient ausschließlich der analytischen Strukturierung und sollte nicht als ein Abgleiten in die Ideenwelt des Klassenkampfes mißverstanden werden. Die Reichen arbeiten entweder als Unternehmer oder in gehobenen Positionen im formellen Sektor. Letztere beziehen ein sehr hohes Einkommen für ihre Arbeit, während erstere hauptsächlich für ihre unternehmerische Tätigkeit entlohnt werden. Kapitaleinkommen spielen in dieser Betrachtung keine Rolle, da überschüssige Mittel in erster Linie in Immobilien oder im Ausland angelegt werden. Unternehmer benötigen außerdem Eigenkapital, um ihre Unternehmungen durchführen zu können

Auswirkungen der Kreditmarktsegmentierung

54

und sich bei Banken für Kredite zu qualifizieren. Die geringe Entlohnung ihres Kapitals in ihren Betrieben wird allerdings überkompensiert a) durch die sehr geringen oder negativen Realzinsen, mit denen sie sich im Bankensektor refinanzieren können und b) durch die sehr hohe Entlohnung für ihre Unternehmertätigkeit. Insgesamt hält diese Gruppe im Bankensektor mehr Immobilien- und Unternehmenskredite als Spareinlagen, ist somit Nettokreditnehmer und profitiert so von den geringen Zinssätzen. Die Segmentierung dient ihnen weiterhin zur effektiven Sicherung vor stärkerem Wettbewerb, der sich durch eine sonst mögliche, breitere Unternehmerschicht zwangsläufig bilden würde.

Arbeitseinkommen

Kapitaleinkommen

"Reiche"

unbedeutend oder sehr hoch für gehobene Positionen

Kapital ist überwiegend im Ausland angelegt

"Wohlhabende"

relativ hoch für geringe Guthaben im normale Arbeit formellen Sektor zum im formellen LiquiditätsmanageSektor ment. Informelle Geldverleiher erhalten hohe Kapitaleinkünfte

"Arme"

sehr niedrig

Kosten für Kredite

Einkommen aus unternehmerischer Tätigkeit

sehr gering oder sehr hoch, da Unternegativ für formelle nehmertum sehr Untemehmensfiknapp ist nanzierung geringe Kosten für Hypothekenoder Konsumentenkredite

formelle Arbeiter sind nicht unternehmerisch aktiv. Informelle Geldverleiher können u.U. Monopolrenten abschöpfen

Spareinlagen im for- informelle Kredite mellen Sektor werden zur Untemehsehr gering oder mensfinanzierung negativ verzinst sehr teuer

sehr gering, da nicht im Schumpeterschen Sinne unternehmerisch aktiv

Tab. 3: Personelle Einkommensverteilung bei segmentierten Faktormärkten Die Wohlhabenden bilden die "Mittelschicht", zu der zum einen die Arbeiter und Angestellten des formellen Sektors gehöhen, zum anderen die Kapitalgeber des informellen Sektors. Die formellen Arbeitnehmer erhalten, wie oben gezeigt, ein relativ hohes Arbeitseinkommen. Über Kapitaleinkommen verfügen sie kaum, da sie Guthaben im Bankensektor hauptsächlich als Liquiditätsreserve halten. Aufgrund ihres stabilen Arbeitsverhältnisses qualifizieren sie sich oft für Konsumenten- oder

Folgen für die Einkommensverteilung

55

sogar für kleinere Hypothekenkredite des formellen Finanzsektors, bei dem sie dadurch ebenfalls Nettokreditnehmer sind und somit wie die Reichen von den geringen Zinssätzen profitieren. Die informellen Geldverleiher beziehen ihr Einkommen aus der Kreditvergabe an informelle Klein- und Kleinstbetriebe. Sie können ihr Geschäft nur dann erfolgreich betreiben, wenn sie die Lage ihrer Kunden relativ verläßlich einschätzen können. Die für die Kreditvergabe notwendige Informationsbeschaffung schränkt zum einen ihre Tätigkeit auf relativ wenige Kreditnehmer ein, wirkt zum anderen aber auch als Markteintrittsbarriere gegenüber möglichen Konkurrenten und ermöglicht somit das Abschöpfen von Monopolrenten. Die Segmentierung der Faktormärkte verschafft informellen Kreditgebern ein relativ hohes Einkommensniveau, schließt sie allerdings auch weitgehend von darüber hinausgehenden Einkommenssteigerungen aus. Die Armen arbeiten, meist selbständig oder in Familienbetrieben, im informellen Sektor und werden dafür sehr gering entlohnt. Sie halten i.d.R. Spareinlagen bei den Banken als Rücklage für Notfälle. Da sie sich selten für Bankkredite qualifizieren, sind sie Nettosparer im formellen Finanzsystem und deshalb von den geringen oder negativen Realzinssätzen negativ betroffen. Einen Teil des von ihnen benötigten Kapitals müssen sie mit teuren informellen Krediten finanzieren,43 was sowohl ihr Einkommen weiter reduziert, als auch jegliche nachhaltige Wachstumsperspektive unterbindet (s.o.). Obwohl selbständig, sind sie kaum im unternehmerischen Sinne aktiv und erhalten somit höchstens eine geringe, zusätzliche Entlohnung für ihre Unternehmertätigkeit. Eine Segmentierung der Faktormärkte benachteiligt somit die ohnehin schon Armen zusätzlich, indem sie ihr Einkommen weiter reduziert und sie außerdem von Einkommenssteigerungen, z.B. durch betriebliches Wachstum, weitgehend ausschließt.

43

Es mag irrational erscheinen, daß die Armen kaum verzinste Spareinlagen bei den Banken halten und sich gleichzeitig teuer bei informellen Kreditgebern verschulden. Tatsächlich handelt es sich bei der Zinsdifferenz um eine Art Versicherungsprämie: In einem Notfall kann die Zahlung von Kreditquoten verweigert bzw. verschoben werden und gleichzeitig auf das Sparguthaben zurückgegriffen werden. Hätte man mit d e m Sparguthaben bereits einen Teil des Kredites zurückgezahlt bzw. gar nicht erst aufgenommen, wäre man in einem Notfall auf einen schnellen, zusätzlichen Kredit angewiesen. Da es keine Kreditgarantie für die Armen gibt, scheidet diese für sie wesentlich billigere Lösung des "Versicherungsproblems" aus. Vgl. SCHMIDT/MOMMARTZ, 1996, App. B4a) S. 3-5.

Auswirkungen der Kreditmarktsegmentierung

56

Die Reichen erfahren dagegen eine Einkommenssteigerung und werden vor zusätzlicher Konkurrenz geschützt. Auch die Wohlhabenden gewinnen, wenn auch wenig, so doch gerade so viel, daß ihnen ein verhältnismäßig angenehmes Leben und eine relativ gesicherte Zukunftsperspektive geboten werden. Faktormarktsegmentierungen verschärfen somit die Einkommensunterschiede, führen zu verstärkten Einkommenskonzentrationen und verringern die Verteilungsgerechtigkeit.

5.

Die Stabilität des Systems

Im dritten Kapitel dieses Teils wurde gezeigt, daß eine Segmentierung der Faktormärkte sowohl zu statischen Produktionseinbußen als auch zu einer nachhaltigen Verringerung des gesamtwirtschaftlichen Wachstums führt. Das letzte Kapitel zeigte zudem, daß Faktormarktsegmentierungen zu einer ungleicheren Einkommensverteilung führen. Damit werden die üblicherweise konfligierenden Ziele Verteilungsgerechtigkeit und Wachstum komplementär, und es wäre zu erwarten, daß die Wirtschaftspolitik eines jeden Landes alles daransetzen würde, das Ausmaß der Segmentierungen zu verringern und die Kleinstbetriebe des informellen Sektors zu fördern. Tatsächlich haben viele Regierungen die Förderung des informellen Sektors auf ihre Fahnen geschrieben. Doch die offizielle Politik wird durch eklatante Passivität in diesem Bereich konterkariert. Beispielhaft sei hier die Situation in El Salvador wiedergegeben: "Of course, as everywhere, official policy declarations in El Salvador often recognize, and praise, the role of microenterprises. But facts speak louder than words. [...] the fact that a government commission on the development of the microenterprise sector which was composed of high-ranking officials did not even hold a single working session serves to underscore the validity of the general complaint about government neglect of this sector."44

44

Schmidt/Mommartz, 1996, S. 17.

Die Stabilität des Systems

57

Wie ist diese "Verweigerungshaltung", die Segmentierung durch eine gezielte Förderung des informellen Sektors zu verringern, zu erklären, könnten doch dadurch gleichzeitig verteilungs- und wachstumspolitische Ziele erreicht werden? Diese Frage läßt sich nur auf der Grundlage polit-ökonomischer Überlegungen beantworten, denn was gut für die Gesellschaft als Ganzes ist, begünstigt noch lange nicht alle Teile der Gesellschaft.45 An den Schaltstellen politischer und wirtschaftlicher Macht sitzen üblicherweise die "Reichen". Diese profitieren wie oben gezeigt von den vorhandenen Segmentierungen und haben somit kein Interesse, die gegenwärtige Situation zu verändern. Um sie durch politischen Druck zu einer veränderten Politik zu zwingen, müßten sich betroffene Gruppen schlagkräftig organisieren können. Dazu wären die Arbeitnehmer des formellen Sektors noch am ehesten in der Lage, doch diese profitieren ebenfalls von den gegebenen Konstellationen. Tatsächlich führen Einkommenserhöhungen in diesem Sektor nur zu noch stärkeren Faktormarktsegmentierungen. Die im informellen Sektor tätigen Armen bilden dagegen eine viel zu heterogene Gruppe, um sich auch nur mittelfristig geschlossen formieren zu können. Sie sind viel zu sehr mit ihrem Überleben beschäftigt, als daß sie sich den "Luxus" politischen Engagements leisten könnten. Ist ihre Lage einmal so schlecht, daß selbst ihr Überleben gefährdet ist, kann es wohl zu kurzfristigen Zusammenschlüssen kommen, die dann jedoch leicht mit rudimentärsten Nothilfen und ein paar Lippenbekenntnissen (s.o.) abgespeist werden können. Da sie sich nicht mittelfristig organisieren können, können sie auch die Einlösung dieser Lippenbekenntnisse nicht durchsetzen; die zwangsläufige Frustration über dieses "Politikversagen" und die empfundene Wirkungslosigkeit politischen Engagements vermindert dann zusätzlich die Organisationsfähigkeit dieser Bevölkerungsgruppe. Das System segmentierter Faktormärkte ist somit polit-ökonomisch stabil.

45

Zu den Grundlagen der politischen Ökonomie vgl. OLSON, 1968.

Auswirkungen der Kreditmarktsegmentierung

58

Exkurs: Erklärung historischer Finanzmarktentwicklungen durch die neue Theorie Die in der bisherigen Arbeit hergeleiteten theoretischen Ergebnisse sollen nun genutzt werden, um die historischen Entwicklungen vieler Länder zu erklären. Gleichzeitig wird gezeigt, daß sich Segmentierungen nicht dadurch auflösen lassen, daß man die zu ihrer Entstehung führenden Ursachen wieder beseitigt. Bis in die 80er Jahre versuchten Regierungen und Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit, Kleinbauern und Klein(st)betrieben durch subventionierte Kredite Wachstumsimpulse zu verschaffen und dadurch die Einkommen in diesen Sektoren zu erhöhen. Gleichzeitig sollte dadurch der als wucherisch empfundene, informelle Kreditsektor ausgetrocknet werden. Banken wurden durch Verordnungen verpflichtet, bestimmte Quoten ihres Portfolios begünstigten Kreditnehmergruppen zu oft negativen Realzinssätzen zur Verfügung zu stellen. Die Zielgruppenorientierung sollte durch Limitierungen in der Kredithöhe sichergestellt werden.46 Die Subventionskomponenten bei diesen Programmen waren erheblich: So entsprachen sie z.B. in Costa Rica 30% der Kreditsumme, in Brasilien 3-4 Mrd. US$ jährlich.47 Bezahlt wurden diese Subventionen zum Teil aus Geldern der Entwicklungszusammenarbeit, oder aber durch Geldmengenausweitungen, die wiederum zu erhöhter Inflation führten. Von der daraus resultierenden Inflationssteuer sind Arme überproportional betroffen, da sie erstens einen höheren Anteil ihres Vermögens in Währung halten und sie zweitens aufgrund der relativ kleinen Beträge der Inflationssteuer kaum ausweichen können.48 Die Subventionen waren natürlich auch für Reiche attraktiv. Tatsächlich zeigte sich, daß "the capacity of such borrowers [Großkunden, Anm. des Verfassers] to manipulate any institution, and the price of its credit, to their own advantage"49 stärker

46

47

48 49

V g l . z . B . ADAMS/GRAHAM, 1981, S. 349.

Vgl. VOGEL, 1984, S. 135f. sowie ADAMS/GRAHAM, 1981, S. 352-359. Diese Zahlen sind keine Ausnahmen. Noch 1994 wurden in einem bilateralen Programm zur Förderung der Rußlanddeutschen Kredite mit einer Subventionskomponente von über 60% (!) der Kreditsumme vergeben. Zum Konzept der Inflationssteuer siehe: Guus et al., 1987, S. 334-336. LIPTON, 1 9 7 6 , S. 134.

Erklärung historischer Finanzmarktentwicklungen durch die neue Theorie

59

waren als jegliche Kontrollmechanismen der Regierungen.50 So zeigt VOGEL, daß in Costa Rica 55% der "Kleinkredite" auf nur 1,2% der Schuldner entfielen.51 Für ein bilaterales Programm der deutschen Entwicklungszusammenarbeit in Nicaragua konnten NITSCH/SCHMIDT/ZEITINGER 1981 sogar nachweisen, daß kein einziger aus der deutschen Kreditlinie refinanzierter Kleinkredit an Arme vergeben worden war und statt dessen sämtliche (!) Gelder in den Taschen einiger Reicher versickert waren.52 Die Wirkung dieser Politik war, daß Bankkredite zwar sehr niedrige, meist sogar negative Realzinsen aufwiesen, dafür aber nur wenigen Großkunden der Banken zur Verfügung standen. Die hier geschilderte Situation soll nun auf das im ersten Teil eingeführte Grundmodell übertragen werden. Abbildung 15 zeigt eine mögliche Marktkonstellation vor Beginn der Programme: Banken weisen von der Kredit- bzw. Unternehmensgröße ihrer Kunden abhängige Kostenstrukturen auf und vergeben daher Kredite zu unterschiedlichen Zinssätzen. Da sie ihre Kunden seit langem kennen, können sie deren Risiken auch relativ gut einschätzen. Moral Hazard ist kaum zu befürchten, sind doch ihre Kunden auf die langfristigen Kreditbeziehungen angewiesen. Informelle Kreditgeber haben höhere Refinanzierungskosten, dafür aber geringere Transaktionskosten als die Banken. In dem dargestellten Beispiel haben alle Unternehmensgrößen Zugang zu mindestens einer Kreditart, Unternehmen mit Betriebsgrößen zwischen A und F können sogar zwischen formellen und informellen Krediten wählen. Es sind jedoch auch andere Konstellationen vorstellbar, in denen es einen Größenbereich gibt, der keinen Zugang zu Kredit besitzt. Wichtig ist, daß dieser Bereich relativ klein ist, da Kreditbeziehungen seit langem etabliert sind und die Banken dadurch auch in der Lage sind, relativ kleine Kredite zu vergeben.

50

Zusätzlich ist fraglich, inwieweit die Regierungen tatsächlich hinter ihren eigenen, offiziellen Programmen standen, kamen ihre Mitglieder doch zumeist aus derselben sozialen Schicht wie die letztlich von den Programmen begünstigten Großkreditnehmer.

51

V g l . VOGEL, 1 9 8 4 , S . 1 3 6 .

52

Vgl. NITSCH/SCHMIDT/ZEITINGER, 1981. In ebenfalls in dieser Studie untersuchten Programmen in Kolumbien und Ecuador war die Situation nicht wesentlich anders.

60

Auswirkungen der Kreditmarktsegmentierung

Abb. 15: Der Kreditmarkt vor Einführung subventionierter Kreditprogramme Abbildung 16 stellt die Wirkung der Kreditprogramme, die auf verordneten Höchstzinssätzen basieren, vereinfachend und analog zur Abbildung 3 dar. Dabei wird davon abstrahiert, daß der Ausschluß mittlerer Unternehmen vom Kreditzugang Rückwirkungen auf den Refinanzierungssatz der Banken hat und sich dieser reduzieren würde.53 Diese Vereinfachung ist vertretbar, da sich die Wirkungen qualitativ nicht ändern und quantitativ lediglich verstärken würden. Wie bereits im ersten Teil der Arbeit argumentiert, lohnt sich aufgrund legaler Zinsobergrenzen die Kreditvergabe an mittelgroße Unternehmen für die Banken nicht mehr. Während es schwierig ist, Zinssatzbestimmungen effektiv zu umgehen, können Auflagen bzgl. begünstigter Kreditnehmergruppen oder Limitierungen der

53

V g l . TSCHACH, 1 9 9 5 , S . 4 - 1 0 .

Erklärung historischer Finanzmarktentwicklungen durch die neue Theorie

61

Kredithöhe leichter umgangen werden. Dadurch werden von den Banken nur noch Unternehmen bedient, die große Kredite nachfragen. Der gleiche Effekt ergibt sich im Falle von Kreditsubventionen.54

Abb. 16: Die Auswirkungen von Zinsobergrenzen auf die Unternehmensfinanzierung Für die weitere Analyse ist es wichtig, daß mittelgroße Unternehmen ihren Zugang zu Bankkrediten nachhaltig verlieren. Dadurch werden langfristige Kreditbeziehungen beendet, und mittelgroße Betriebe werden immer seltener, bis schließlich kaum noch Unternehmen in dieser Größe existieren (siehe Argumentation im Kapitel 1 dieses Teils). Konsequenz der Kreditsubventionspolitik war somit nicht die beabsichtigte Besserstellung von Klein- und Mittelbetrieben, sondern im Gegenteil das

54

V g l . TSCHACH, 1 9 9 5 , S . 4 - 1 0 , s o w i e GONZALEZ-VEGA, 1 9 8 4 .

62

Auswirkungen der Kreditmarktsegmentierung

Entstehen bzw. eine Verschärfung bereits vorhandener Kreditmarktsegmentierungen. Die meisten Ländern haben inzwischen diese Politik staatlich verordneter billiger Kredite auf Druck der Bretton-Woods-Institutionen wieder aufgegeben. Zinsobergrenzen wurden abgeschafft oder so weit erhöht, daß sie ihren bindenden Charakter verloren haben. Dennoch bleiben die Faktormarktsegmentierungen weiter bestehen, und es werden kaum Kredite an kleine und mittlere Unternehmen vergeben. Die Erklärung für dieses Marktversagen wird in Abbildung 17 gegeben: Analog zu der im ersten Teil entwickelten Argumentation sind die Banken nun aufgrund einer verstärkten Informationsproblematik mit einer impliziten Höchstzinssatzfunktion (i

)

konfrontiert, da sie potentielle Kreditkunden der mittleren Unternehmensgröße nicht

Abb. 17: Der Kreditmarkt nach Aufhebung von Zinsobergrenzen

Erklärung historischer Finanzmarktentwicklungen durch die neue Theorie

63

mehr aufgrund langfristiger Geschäftsbeziehungen kennen. Der für sie profitable Geschäftsbereich erstreckt sich daher nicht wie vor Einführung der subventionierten Kredite auf Unternehmen mit einer Größe zwischen A und B, sondern lediglich von C' bis B, d.h. eine Ausdehnung des Geschäftsbereichs ist zwar möglich, fällt jedoch relativ gering aus. Es bleibt somit eine Lücke im Spektrum möglicher Unternehmensgrößen bestehen. Insbesondere ist für die kleinen, informellen Unternehmen die Wachstumsbeschränkung nicht aufgehoben, d.h. ihnen ist weiterhin der Sprung in mittlere Betriebsgrößen bzw. den formellen Sektor verwehrt. Zu fragen ist auch, inwieweit die mögliche Ausweitung des formellen Bereichs sich überhaupt effektiv auswirkt, da in diesem Bereich zunächst einmal gar keine Unternehmen existieren. Neugründungen bleiben schwierig, da weiterhin eine beträchtliche Unternehmensgröße schon bei der Gründung notwendig bleibt, Unternehmen also nicht "organisch" in diesen Bereich hineinwachsen können. Immerhin können sich große Unternehmen bei für sie ungünstigen Rahmenbedingungen jetzt leichter nach unten anpassen. Wie in dieser Analyse abgeleitet hat auch die Realität gezeigt, daß eine Liberalisierung des Kreditmarktes nicht automatisch dazu führt, daß Banken kleine Unternehmen finanzieren. Im Gegenteil ziehen sie es zumeist sogar vor, überschüssige liquide Mittel zinslos bei den Zentralbanken anzulegen als sie in Form von Krediten an kleine Unternehmen zu vergeben. Die einmal durch die Zinssubventionspolitik geschaffene Segmentierung des Kreditmarktes ist somit dauerhaft und zumindest mittelfristig irreversibel und damit eine hinreichende Bedingung für den Fortbestand aller in diesem Teil abgeleiteten Auswirkungen einer Kreditmarktsegmentierung.

65

III. TEIL: LOSUNGSANSÄTZE ERFOLGREICHER KLEINKREDITPROGRAMME Nachdem in den ersten beiden Teilen zunächst Ursachen und Auswirkungen von Kreditmarktsegmentierungen analysiert wurden, beschäftigt sich dieser Teil mit Möglichkeiten, die Segmentierungen langfristig und nachhaltig zu reduzieren. Die hier dargestellten "Lösungen" allein garantieren allerdings noch lange nicht die Überwindung dualistischer Strukturen, da es zweifelsfrei noch andere Faktoren gibt, die einer Auflösung des informellen Sektors im Wege stehen. Dies sind vor allem bürokratische Hemmnisse und exzessive und undurchsichtige Auflagenpolitiken, die es Klein- und Kleinstunternehmern oft unmöglich machen, den gesetzlichen Bestimmungen nachzukommen, ohne dafür ihr Geschäft ganz aufzugeben. Die Reduzierung dieser Bestimmungen auf ein für Kleinstunternehmer erträgliches Maß ist somit eine andere, notwendige Bedingung zur Überwindung der Segmentierungen. Darauf genauer einzugehen würde jedoch den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Eine zweite notwendige Bedingung zur Auflösung der Segmentierungen ist allerdings die Beseitigung von Kreditrationierung aufgrund von Unternehmensgrößen. Solange die im ersten Teil dargestellten Rationierungen weiterbestehen, müssen Faktormarktsegmentierungen weiterbestehen. Daher ist die Beseitigung oder zumindest die Reduzierung von Kreditrationierungen eine notwendige Bedingung für eine nachhaltige organische Entwicklung der Wirtschaft eines jeden Landes. Zu diesem Zweck sind von der internationalen Entwicklungszusammenarbeit Kleinkreditprogramme in Leben gerufen worden, mit deren Hilfe die Funktionsfähigkeit der Finanzmärkte verbessert werden soll. Im folgenden sollen die Wirkungen verschiedener Ansätze theoretisch erklärt werden. Auf eine detaillierte Darstellung der operativen Umsetzung wird bewußt verzichtet, da dieses know how zum einen bereits vorhanden ist, wie viele erfolgreiche Kreditprojekte beweisen,55 die Darstellung zum anderen ganze Bände füllen und daher den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde. Im ersten Kapitel werden in einem kurzen Überblick die verschiedenen möglichen Strategien beschrieben, mit denen die Funktionsfähigkeit von Kreditmärkten erhöht

55

Zu nennen sind u.a. Grameen Bank in Bangladesch, KUPEDES in Indonesien, CERUDEB in Uganda, Calpia in El Salvador oder Caja de los Andes in Bolivien.

Lösungsansätze erfolgreicher Kleinkreditprogramme

66

werden kann. Die folgenden Kapitel zeigen dann, mit welchen Instrumenten sich die verschiedenen Strategien verfolgen lassen und wie sie sich im Rahmen dieser Strategien auswirken: Im zweiten Kapitel werden Möglichkeiten zur Erhöhung der Sparneigung diskutiert, gefolgt von Maßnahmen zur Erhöhung der Zahlungsfähigkeit (drittes Kapitel) und der Zahlungswilligkeit (viertes Kapitel). Das letzte Kapitel erörtert, mit welchen verschiedenen institutionellen Alternativen sich die verschiedenen Strategien und Instrumente in die Praxis umsetzen lassen.

1.

Überblick

Im ersten Teil der Arbeit wurde abgeleitet, daß asymmetrische Informationsverteilung eine Markträumung auf Kreditmärkten verhindern kann, wodurch sich Kreditrationierung als Marktergebnis einstellt. Dies ist jedoch von den jeweiligen Marktbedingungen abhängig, d.h., andere Marktkonstellationen können zu anderen, positiveren Ergebnissen führen. In diesem Kapitel werden verschiedene Strategien kurz umrissen, mit denen sich die Marktbedingungen zugunsten einer verbesserten Kreditintermediation beeinflussen lassen. In Abbildung 18 sind die Wirkungen einer erhöhten Sparneigung sowie einer verbesserten Zahlungsfähigkeit dargestellt. Eine erhöhte Sparneigung, dargestellt durch S(r)', verschiebt die Sparfunktion nach links, was das Kreditangebot bei jedem Marktzinssatz erhöht. Daraus resultiert die Kreditangebotsfunktion Kr*2 (gepunktete Linie), wodurch sich die Kreditrationierung um die Strecke CE auf den Betrag EA reduziert. Obwohl die informationsökonomischen Probleme nicht gelöst werden, vermindert sich also das Ausmaß ihrer negativen Wirkungen. Eine verbesserte Zahlungsfähigkeit der Kreditnehmer einer Bank reduziert die Risikokosten der Bank (vertikaler Abstand zwischen r=i und r(i) bzw. r(i)'). Gleichzeitig erhöht sich der für die Bank gewinnmaximale Zinssatz imix, was zur Kreditangebotsfunktion Kr*3 führt (gestrichelte Linie). Der Marktbereich wird dadurch vergrößert und die Kreditrationierung vermindert, da sich durch die mögliche Zinssatzerhöhung gleichzeitig das Kreditangebot erhöht und die Kreditnachfrage reduziert.

Überblick Die Auswirkungen von Transaktionskostenreduzierungen

67 der Banken sind nicht im

Schaubild dargestellt. Transaktionskosten verschieben r(i) nach oben und demgemäß Kr* nach unten. Eine Verminderung der Transaktionskosten verschiebt somit das Kreditangebot der Banken, ähnlich einer erhöhten Sparneigung, zinsunabhängig nach oben.

Abb. 18: Übersicht der verschiedenen Lösungsansätze Schließlich kann eine Verminderung der Kosten bei der Durchsetzung

von Forde-

rungen das Ausmaß von Kreditrationierung reduzieren, indem es den Banken möglich wird, kleinere Unternehmen als vorher zu bedienen. Dies ist allerdings davon abhängig, ob die Kosten der Durchsetzung von Forderungen tatsächlich ein binding constraint bilden. Im folgenden sollen die möglichen Maßnahmen zur Reduzierung von Kreditrationierung bzw. der Segmentierung von Kreditmärkten im einzelnen diskutiert werden.

Lösungsansätze erfolgreicher Kleinkreditprogramme

68

2.

Erhöhung des inländischen Sparens

Bereits in den 50er Jahren wurde die mangelnde Sparneigung (im Bankensystem) in vielen "Entwicklungsländern" als Problem erkannt.56 Die damaligen Strategien, die gesamtwirtschaftliche Ersparnis durch Zölle oder Inflation zu erhöhen, gelten inzwischen als gescheitert. Sie wurden abgelöst durch Forderungen, die Sparzinssätze zu erhöhen und dadurch das Spar- bzw. Kreditangebot zu erhöhen. Die Eignung solcher Maßnahmen wird im folgenden Abschnitt untersucht, um danach andere Möglichkeiten zu einer Steigerung der inländischen Ersparnisse zu diskutieren und schließlich die empirische Relevanz des Problems zu geringer Ersparnisse zu überprüfen.

a)

Zinssatzerhöhungen und das "iron law of savings rate restrictions"

In den Zeiten der financial repression waren die Realzinssätze in vielen Ländern aufgrund gesetzlicher Bestimmungen negativ, was zurecht als Problem erkannt wurde, das überwunden werden müßte. Inzwischen wird gefordert, daß Sparzinssätze in jedem Fall zumindest so hoch sein sollten, daß der Geldwert erhalten bleibt. Doch auch nach der Liberalisierung der Finanzsysteme blieben die Realzinsen für Sparguthaben meist knapp negativ. Dies wird häufig den in vielen Ländern vorherrschenden Oligopolstrukturen im Bankensystem zugeschrieben, und die Forderung nach zumindest knapp positiven Realzinssätzen bleibt erhalten. Dabei wird leider oft übersehen, daß den Banken gerade für kleinere Sparguthaben sehr hohe Transaktionskosten entstehen, da zum einen die jeweiligen Beträge sehr gering sind, zum anderen unverhältnismäßig viele Transaktionen vorgenommen werden: So wurde beispielsweise bei den Cajas Municipales de Aborro y Crédito in Peru beobachtet, daß Kleinstunternehmer zu Beginn ihrer Mittagspause ihr gesamtes Bargeld auf ihr Sparkonto einzahlten, um es nach ihrem Essen wieder abzuheben. Auf diese Weise wurden bis zu 10 Transaktionen am Tag (!) getätigt. Zwar war es der Caja möglich, einen beträchtlichen Teil ihres Kreditportfolios mit diesen kleineren Sparguthaben zu

56

V g l . MCKINNON, 1 9 7 3 .

Erhöhung des inländischen Sparens

69

refinanzieren, allerdings verursachen diese jährliche Transaktionskosten von über 40% des Sparvolumens.57 Bei solch einer Kostenstruktur ist es leicht einzusehen, daß kommerzielle Banken an diesen Sparguthaben wenig Interesse zeigen, wenn der von ihnen gezahlte Zinssatz nicht entsprechend unter den Refinanzierungskosten alternativer Quellen liegt. Im folgenden soll gezeigt werden, wie sich "rationale Banken" verhalten müssen, wenn sie durch gesetzliche Bestimmungen oder die öffentliche Meinung verpflichtet werden, auf alle Sparkonten einen Realzinssatz von mindestens 0 zu zahlen. Dazu wird ein Modell verwendet, das vereinfachend von nur zwei Gruppen von Sparern ausgeht: Großsparer sparen hohe Beträge und ihr Sparangebot ist relativ zinselastisch, da sie ihr Vermögen verhältnismäßig leicht in anderen Anlageformen oder im Ausland anlegen können, während Kleinsparer kleine Beträge sparen, die sie verhältnismäßig zinsunelastisch anbieten, da sie ihre Sparguthaben hauptsächlich zum Liquiditätsmanagement oder als Risikovorsorge für Notfälle und nicht zum Zweck der Vermögensbildung halten. Die jeweiligen Sparangebotsfunktionen in den beiden Teilmärkten sind in Abbildung 19 durch die Kurven A'gI bzw A'M dargestellt.

Abb. 19: Der Markt für Sparguthaben ohne Zinsrestriktionen

57

Vgl. SCHMIDT/ZEITINGER 1998, S. 39, sowie die Studien zu den Cajas Municipales de Ahorro y Crédito in Peru von MOMMARTZ, 1994 und BREDENBECKER, 1997 mit detaillierteren Informationen.

Lösungsansätze erfolgreicher Kleinkreditprograrrme

70

Für die Banken sind jedoch nicht die gezahlten Zinsen, sondern die Gesamtkosten der Sparguthaben relevant. Daher addieren sie in ihrem Kalkül zu den jeweiliger am Markt wirksamen Sparangebotsfunktionen noch die ihnen entstehenden Transaktionskosten hinzu. Diese verschieben die Angebotsfunktionen parallel nach oben, wodurch man die für die Banken relevanten Gesamtkostenkurven A,, und A« enält. Die Banken werden ihr Sparportfolio nun so zusammenstellen, daß ihnen auf beden Teilmärkten Gesamtkosten in gleicher Höhe entstehen. Unter dieser Voraussetzung gibt A,, s das Gesamtsparangebot des FinanzseFtors wieder. Bei einer (ebenfalls bereits um die Transaktionskosten bereinigten) Kreditnachfragefunktion NgM ergäben sich für die Banken Refinanzierungskosten von i "„, die Großsparer würden S

zu einem Zinssatz von i °r anlegen, die Kleinsparer S °

zum negativen Realzinssatz von

. Diese Situation entspräche einem Marktgleich-

gewicht, niemand wird "diskriminiert". Werden nun die Banken durch gesetzliche Vorschriften oder die öffentliche Meirung dazu verpflichtet, Sparguthaben mit Realzinssätzen von mindestens 0 auszustaten, ändert sich ihr Kalkül: Wie in Abbildung 20 dargestellt haben die Zinsvorschrifter auf den Großsparermarkt keinen Einfluß, dort wurde auch vorher ein positiver Reabnssatz gezahlt. Der Kleinsparermarkt zeichnet sich dagegen in dem Bereich, wo vcrher •A

•hl a

Großsparer

/

Kleinsparer

Gesamtmarkt

Abb. 20: Die Sparangebotsfunktionen bei nicht-negativen Realzinssätzen

Erhöhung des inländischen Sparens

71

auch bei negativen Realzinsen gespart wurde, durch eine völlig zinselastische Angebotsfunktion bei dem Mindestzinssatz von 0 aus. Für das Kalkül der Banken ist die neue Gesamtkostenfunktion Au relvant. Auf dem Gesamtmarkt aggregieren sich erneut die Gesamtkostenfunktionen der beiden Teilmärkte zur Gesamtangebotsfunktion A^,. Diese weist aufgrund des zinselastischen Teils im Kleinsparermarkt ebenfalls einen völlig zinselastischen Bereich auf, der allerdings rechts vom Schnittpunkt mit der Nachfragekurve liegt. Das Marktergebnis der neuen Situation wird in Abbildung 21 dargestellt: Auf dem Gesamtmarkt schneiden sich Angebot und Nachfrage bei einem Zinssatz von i . Da die Banken keine Spareinlagen akzeptieren werden, die ihnen höhere Gesamtkosten als i

verursachen, werden Kleinsparer von ihnen nicht mehr bedient. Von

den Großsparern werden dagegen höhere Spareinlagen (S^) zum erhöhten Zinssatz i 'gr angenommen. Dadurch erhöhen sich die Rentengewinne der Großsparer um die grau schattierte Fläche. Die Kleinsparer und die Kreditnachfrager sind demgegenüber mit Rentenverlusten bestraft, die ebenfalls grau schattiert dargestellt sind.

Abb. 21: Die Marktwirkungen nicht-negativer Sparzinssätze Diese Analyse zeigt, daß eine konsequente Umsetzung der Forderung nach geldwerterhaltenden Sparzinsen für alle nur zu kontraproduktiven Wirkungen zulasten derer führt, zu deren Gunsten die Forderung überhaupt erhoben wird. Daher sollten

72

Lösungsansätze erfolgreicher Kleinkreditprogramme

diese Forderungen fallengelassen werden. Eine Entscheidung zugunsten eines marktwirtschaftlichen Wirtschaftssystems bedeutet eben auch, daß die verschiedenen Wirtschaftssubjekte für von ihnen nachgefragte Leistungen mit den von ihnen verursachten Kosten belastet werden. Im Kreditbereich ist dies inzwischen common sense. Für den Sparmarkt gelten die gleichen Gesetze, gutgemeinte Eingriffe in die Entscheidungsautonomie der Finanzinstitutionen werden daher zu kontraproduktiven Ergebnissen führen. Dies ist kein Plädoyer für wirtschaftspolitische Passivität. Wo immer oligopolistische Strukturen zu X-Ineffizienzen und unnötig hohen Spreads geführt haben, sollten Maßnahmen ergriffen werden, diese zu beseitigen. Negative Realzinssätze allein sind jedoch noch kein hinreichendes Indiz für ebendiese Marktunvollkommenheiten. Im Gegenteil: Zinsdifferenzierungen auf der Basis von Sparhöhe und Laufzeiten weisen auf eine kundennahe und bedarfsgerechte Ausgestaltung der Sparprodukte hin. Ein zusätzliches Argument gegen Sparzinserhöhungen zur Lösung von Kreditrationierungsproblemen begründet sich aus der Endogenität des Sparzinssatzes. Zumindest für den Fall, daß der Finanzsektor nicht durch gravierende Marktunvollkommenheiten gekennzeichnet ist und keine übermäßigen Monopol- oder Oligopolrenten abgeschöpft werden, ergibt sich der Sparzinssatz aus dem Marktgeschehen. Eine nicht marktinduzierte Zinserhöhung würde die Sparfunktion nicht verschieben, sondern höchstens zu Bewegungen auf der alten, unveränderten Sparfunktion führen. Auch im Modell von Stiglitz/Weiss, das ja bereits die Informationsproblematik auf dem Kreditmarkt berücksichtigt, ergeben sich Sparzins und Sparvolumen endogen aus dem Marktgeschehen. Daher können jegliche Interventionen das Ausmaß der Kreditrationierung nur verschärfen.

b)

Andere Möglichkeiten zur Erhöhung der Sparneigung

Der Zinssatz scheidet also als Instrument zur Erhöhung der Sparneigung aus. Daher sollen in diesem Abschnitt andere Instrumente analysiert werden, die es insbesondere für Kleinsparer attraktiver machen, ihre Überschüsse im Bankensystem zu

Erhöhung des inländischen Sparens

73

halten. Dabei müssen zunächst die verschiedenen Sparmotive näher beleuchtet werden, um daraus dann Rückschlüsse bzgl. einer verbesserten Ausgestaltung der Sparkonditionen ziehen zu können. Kleinsparer bilden selten finanzielle Ersparnisse zum Zweck der Vermögensbildung, da langfristige Überschüsse üblicherweise in das eigene Haus, die Ausbildung der Kinder oder in das eigene, kleine Unternehmen investiert werden. Darin unterscheidet sich die Situation in den meisten Entwicklungsländern grundlegend von der Situation der Industrieländer im vorigen Jahrhundert, wo Kleinsparer in der Regel zur Miete wohnten und ihren Lebensunterhalt aus einer abhängigen Beschäftigung bezogen. Dies schloß Investitionen ins eigene Haus oder Geschäft naturgemäß aus und ermöglichte es, von einer großen Anzahl von Kleinsparern beträchtliche Beträge zum Aufbau großer industrieller Organisationen zu sammeln. In den meisten "Entwicklungsländern" besitzen Kleinsparer für sie attraktivere langfristige Verwendungsmöglichkeiten, als der Finanzsektor anzubieten vermag. Daher werden finanzielle Rücklagen von ihnen in erster Linie zur oder der Glättung schwankender

Einkommen

Risikovorsorge

gebildet. In beiden Fällen sind

Zinsüberlegungen von nachrangiger Bedeutung, obwohl sie natürlich einen Einkommenseffekt für die Betroffenen nach sich ziehen. Viel wichtiger ist die problemlose, schnelle bzw. sofortige Verfügbarkeit der Ersparnisse. Wenn zum Beispiel an einem Samstag ein Familienmitglied eines Kleinsparers krank wird oder sich ihm unerwartet eine besonders günstige, jedoch auf das Wochenende beschränkte, geschäftliche Gelegenheit bietet, benötigt er seine Ersparnisse sofort, d.h. außerhalb der Banköffnungszeiten. Für seine Entscheidung, in welcher Form er seine Ersparnisse hält, spielt daher die Verfügbarkeit eine wesentlich größere Rolle als der Zinssatz. Daher dürften kürzere Wartezeiten und längere Öffnungszeiten einen wesentlich größeren Einfluß auf das von Kleinsparern aufgebrachte Sparvolumen haben als noch so große Zinserhöhungen. Eine sehr starke Differenzierung nicht nur des Zinssatzes, sondern auch der Liquidität von Spareinlagen verschiedener Höhe deutet daher weniger auf eine Diskriminierung der Armen als auf eine bedarfsgerechte und kundennahe Ausgestaltung der verschiedenen Sparprodukte einer Finanzinstitution hin.

Lösungsansätze erfolgreicher Kleinkreditprogramme

74

c)

Die empirische Relevanz des Problems zu geringer Ersparnisse

In den meisten Ländern sind die Finanzsysteme aufgrund der schlechten Erfahrungen mit der financial repression oder auf Druck der Bretton-Woods Institutionen bereits vor Jahren liberalisiert worden. Seitdem werden Kredite mehr nach ökonomischen Kriterien als aufgrund politischer Überlegungen vergeben, für Spareinlagen haben sich verhältnismäßig kompetitive Märkte entwickelt. Dies hat dazu geführt, daß die formellen Finanzinstitutionen immer liquider wurden und inzwischen über mehr Liquidität verfügen, als sie für ihr Kreditgeschäft benötigen.58 Trotzdem hat sich gezeigt, daß Banken Kleinkredite entweder gar nicht vergeben, oder aber in einem Umfang, der beweist, daß dieses Marktsegment für sie in keiner Weise interessant ist. Die bisherigen Überlegungen, Kreditrationierungen durch eine Erhöhung der Sparneigung zu bekämpfen, bauten auf dem Modell von

STIGLITZ/WEISS

auf. Um den

offensichtlichen Widerspruch mit den empirischen Befunden aufzuklären, soll nun noch einmal auf die bereits im ersten Teil dargestellte Erweiterung zurückgegriffen werden. Analog zur Abbildung 7 wird dabei explizit zwischen Groß- und Kleinkreditnehmern unterschieden. Die Abbildung 22 gibt eine Erklärung für die "Weigerung" der Banken, den Kleinstunternehmenssektor in nennenswertem Umfang mit Krediten zu versorgen. Auch wenn eine Finanzinstitution so liquide ist, daß die Opportunitätskosten zur Refinanzierung zusätzlicher Kredite 0 betragen, wird sie zusätzliche Kredite nur dann vergeben, wenn ihr durch die Kreditvergabe keine Verluste entstehen. Die Abbildung 22 zeigt nun eine Marktkonstellation, in der den Banken bei der Kleinkreditvergabe so hohe Transaktions- und Risikokosten entstehen, daß sie auch im günstigsten Fall eine negative Nettorendite erwirtschaften würden. Unter diesen Bedingungen kann sich ein Engagement im Kleinstunternehmenssektor für eine

58

Vgl. z.B. für El Salvador SCHMIDT/MOMMARTZ, 1996, S. 5 bzw. für die westafrikanische W ä h rungsunion CAMARA, 1998, S. 177. In Mali hielten Banken 1994 das 12 - 56fache der vorgeschriebenen Mindestreserven bei der Zentralbank.

Maßnahmen zur Erhöhung der Zahlungsfähigkeit

75

Abb. 22: Das Kleinkreditangebot eines liquiden Bankensektors Bank nur negativ auswirken. Deshalb wird sie auch bei großer Liquidität keine Kleinkredite vergeben; eine Erhöhung der Sparneigung kann das Problem der Kreditrationierung daher nicht lösen.

3.

Maßnahmen zur Erhöhung der Zahlungsfähigkeit

Für jeden Kreditgeber sind die Zahlungsfähigkeit wie auch die Zahlungswilligkeit seiner Kreditnehmer von entscheidender Bedeutung. Beide Parameter beeinflussen sich dabei gegenseitig, d.h. eine verbesserte Zahlungsfähigkeit wird grundsätzlich die Zahlungswilligkeit positiv beeinflussen, während eine sehr hohe Zahlungswilligkeit die Entscheidungen eines Kreditnehmers dahingehend beeinflussen wird, daß er später mit großer Wahrscheinlichkeit auch zahlungsfähig sein wird. Die analytisch sinnvolle Trennung der beiden Parameter soll nicht darüber hinwegtäuschen, daß alle vorgestellten Maßnahmen beide Parameter beeinflussen. Die Analyse kann sich jedoch nur auf die direkten Hauptwirkungen beschränken.

Lösungsansätze erfolgreicher Kleinkreditprogramme

76

Im ersten Abschnitt werden die Wirkungen einer verminderten Informationsasymmetrie dargestellt. Diese verändert zwar die Zahlungsfähigkeit keines einzelnen Unternehmens, führt aber zu einer verbesserten Auslese durch die Kreditinstitution, die kreditunwürdige Schuldner leichter erkennen kann. Daraufhin werden die Wirkungen intertemporaler Anreize erörtert, die die Informationsasymmetrie zwar nicht reduzieren, dafür aber deren negative Wirkungen. Der dritte Abschnitt befaßt sich mit dem Einfluß der Transaktionskosten der Bank auf die Zahlungsfähigkeit der Kreditnehmer, um dann abschließend die Bedeutung der Rahmenbedingungen zu analysieren.

a)

Verminderung der

Informationsasymmetrie

Asymmetrische Informationsverteilung ist die Ursache für marktinduzierte Kreditrationierung. Sie erhöht nicht nur die Wahrscheinlichkeit von Kreditausfällen sondern führt auch via adverse selection und moral hazard dazu, daß sich ein impliziter Höchstzinssatz bildet, bei dessen Überschreitung die Bank ihre eigene Rendite mindert. Dadurch ist der Handlungsspielraum der Bank eingeschränkt und viele Nachfrager nach Krediten werden rationiert. Einen ersten Ansatzpunkt zur Überwindung von Kreditrationierung bilden daher Versuche, das Ausmaß der Informationsasymmetrie zu vermindern. Die herkömmliche Kreditanalyse der Banken ist dazu im Klein(st)unternehmenssektor wenig geeignet, da sie formelle Strukturen wie etwa eine verläßliche Buchführung voraussetzt und außerdem eine für diesen Sektor unangebrachte Trennung zwischen Betriebs- und Familienausgaben vornimmt. Da die Analyse im wesentlichen innerhalb der Bank anhand schriftlicher Unterlagen stattfindet, kann sich der Kreditsachbearbeiter kein eigenes Bild machen, was Kreditkunden erheblichen Spielraum bei der "Wahl des Wahrheitsgehaltes" der von ihnen übermittelten Informationen verschafft, die Informationsasymmetrie steigt erheblich. Manche Banken verlangen daher schriftliche Beglaubigungen von unabhängigen Gutachtern. Dies treibt jedoch die Transaktionskosten in für Kleinkredite absurde Höhen. Kurzum: Die traditionelle Kreditanalyse der Banken muß im Kleinstunternehmenssektor scheitern und verhindert damit wirksam, daß Banken diesen Sektor als lohnendes Betätigungsfeld begreifen.

Maßnahmen zur Erhöhung der Zahlungsfähigkeit

77

Jedoch sind auch andere Konzepte für eine angepaßte Kreditanalyse bereits entwickelt, getestet und immer weiter optimiert worden. Dabei wurde die Erfahrung gemacht, daß Zahlungsunfähigkeiten selten auf externe Schocks zurückzuführen sind, sondern fast immer durch eine fehlerhafte Kreditanalyse (in Verbindung mit einer Selbstüberschätzung des Kreditnehmers) induziert werden. Daher ist eine zutreffende Kreditanalyse das Hauptinstrument zur Sicherstellung der späteren Zahlungsfähigkeit der Kreditnehmer. Eine an die Erfordernisse von Kleinstunternehmen angepaßte Kreditanalyse setzt bei der Erfassung der Familienwirtschaft

des Kreditnehmers an: Der Sachbearbeiter

erfaßt vor Ort sämtliche, d.h. geschäftliche und private Einnahmen und Ausgaben des Schuldners, da geschäftliche Überschüsse naturgemäß prioritär zur Deckung der elementaren Bedürfnisse der Familie eingesetzt werden. Seine Zahlungsfähigkeit wird aus dem dann noch verbleibenden Überschuß berechnet. Damit ist seine Zahlungsfähigkeit auch dann noch gewährleistet, wenn der Kredit nicht zu einer Einkommensverbesserung führt. Dies macht auch eine Kontrolle der Verwendung ausgezahlter Mittel überflüssig, die erfahrungsgemäß sowieso kaum möglich ist.59 Erfahrene Kreditsachbearbeiter können die wirtschaftliche Situation der Kleinstunternehmer nach ihrer detaillierten Analyse oft besser einschätzen als diese selbst. Dies liegt erstens an der strukturierten und relativ lückenlosen Erfassung sämtlicher Zahlungsströme, zweitens daran, daß durch die Analyse vor Ort dem Kreditkunden ein nur geringer Spielraum gegeben wird, Informationen zu verfälschen. Letztlich sind die Kleinstunternehmer häufig über ihre finanzielle Situation selbst nicht genau informiert, und erfahrene Sachbearbeiter können durch gezielte Fragen den Informationsstand beider Seiten erhöhen. Durch eine gute Kreditanalyse wird somit nicht nur das Ausmaß der Informationsasymmetrie mationsniveau

insgesamt erhöht; eine Überschuldung des Kreditnehmers kann

effektiv verhindert werden.

59

vermindert, sondern auch das Infor-

Vgl. LIPTON. 1 9 7 6 , S . 5 4 7 .

78

Lösungsansätze erfolgreicher Kleinkreditprogramme

Auf eine empirische Darstellung der Wirkungen verminderter Informationsasymmetrie soll zunächst verzichtet werden, da erfolgreiche Kreditinstitutionen eine Kombination verschiedener Instrumente anwenden, um eine pünktliche Rückzahlung sicherzustellen. Die Erfolge sind daher den einzelnen Instrumenten nicht direkt zuzuordnen. Statt dessen soll anhand der im ersten Teil eingeführten Modelle die Wirkung theoretisch erörtert werden. Abbildung 23 zeigt die Effekte verminderter Informationsasymmetrie auf die Situation der Banken bei der Kreditvergabe. Durch den verbesserten Informationsstand kann die Bank nicht kreditwürdige Kunden leichter erkennen und von der Kreditvergabe ausschließen. Dadurch senken sich ihre Risikokosten, die im Schaubild dem vertikalen Abstand zwischen r=i und r(i) bzw. r(i') entsprechen. Durch die reduzierte adverse se/ecf/on-Problematik erhöht sich außerdem der für die Bank gewinnmaximale Zinssatz i m " auf i m " 2 . Insgesamt streckt sich dadurch die Kreditangebotsfunk-

Abb. 23: Verminderte Informationsproblematik im STIGLITZ/WEISS Modell

Maßnahmen zur Erhöhung der Zahlungsfähigkeit

79

tion nach rechts oben (Kr*2). Das Gesamtvolumen der vergebenen Kredite erhöht sich von Kr1™" auf Kr™*2, zusätzlich verringert sich aufgrund der höheren Marktzinsen die Kreditnachfrage. Die Gesamtwirkung beider Effekte ist eine Verminderung des Nachfrageüberhangs bzw der Kreditrationierung von der Höhe CA auf ED. Betrachtet man den Markt aus der Perspektive der Unternehmensgröße (Grundmodell), ist die Bank durch den besseren Informationsstand zum einen in der Lage, bei jeder Unternehmensgröße höhere Zinssätze zu berechnen ohne sich selbst zu schaden, was sich in der Drehung der Höchstzinssatzfunktion ausdrückt, zum anderen reduzieren sich ihre Gesamtkosten durch die geringere Risikoübernahme, insbesondere bei kleinen Unternehmen. Der Kontraktbereich vergrößert sich um die grau schattierte Fläche von DBE auf GBE, d.h. Unternehmen mit einer Größe zwischen Gr™"2 und Gr™; können nun von den Banken wirtschaftlich bedient werden und erhalten dadurch Zugang zu Bankkrediten, das Spektrum möglicher Unternehmensgrößen wird also nach unten ausgedehnt.

Abb. 24: Verminderte Informationsproblematik im Grundmodell

Lösungsansätze erfolgreicher Kleinkreditprogramme

80

b)

Verminderung der Informationsproblematik durch intertemporale Anreize

"In markets with important moral hazard problems, competitive behavior, in general, features intertemporal linkages."60 Intertemporale Bindungen liegen vor, wenn sich der Nutzen aus einer Geschäftsbeziehung nicht nur auf die gegenwärtige Periode, sondern auch auf die Zukunft bezieht, der Fortbestand der Beziehung jedoch vom Wohlverhalten der Partner abhängig gemacht wird. Der Zugang zu Bankkrediten erhöht die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen, und ein langfristig garantierter Kreditzugang ist für sie sehr wertvoll: "What matters is not access to loanable funds but the development of an established credit relationship."61 Der Nutzen des zukünftigen Kreditzugangs übersteigt dabei oft die Höhe der gegenwärtigen Kreditsumme. Dies kann sich eine Bank zunutze machen, indem sie ihren Klienten die Gewährung zukünftiger Kredite zusichert, jedoch nur unter der Bedingung, daß gegenwärtige Kredite pünktlich getilgt werden. Intertemporale Bindungen können allerdings nur wirksam eingesetzt werden, wenn einige grundlegende Voraussetzungen erfüllt sind. Sie funktionieren erstens nur dann, wenn halbwegs stabile Rahmenbedingungen und ein nicht allzu feindliches Umfeld den Kleinstunternehmern eine nachhaltige Perspektive bieten, Gewinne zu erzielen, da sonst zukünftige Kredite an Wert verlieren. Zweitens müssen die Kreditkunden an die Möglichkeit einer langfristigen Kreditbeziehung mit der Finanzinstitution glauben. Werden ihnen z.B. nicht kostendeckende Kreditzinsen berechnet, ahnen die Schuldner recht bald, daß Kredite in Zukunft entweder von der Bank rationiert werden, oder aber die Institution ihre Tätigkeit ganz wird einstellen müssen. Jegliche Unsicherheit in Bezug auf spätere Kredite verursacht starke Anreize, die Rückzahlungen zu verweigern. Die Geschichte der Kleinkreditprogramme ist voll von derartigen Beispielen. Ein dritter wichtiger Faktor ist die Ernsthaftigkeit, mit der die Bank versucht, säumige Kredite einzutreiben. Die kompromißlose Durchsetzung von Forderungen signalisiert

60

STIGLITZ/WEISS, 1983, S. 925.

61

GONZALEZ-VEGA, 1998, S. 17.

Maßnahmen zur Erhöhung der Zahlungsfähigkeit

81

zum einen, daß die Kreditbeziehung als Geschäftsbeziehung und nicht als Sozialprogramm betrieben wird. Dies erhöht wiederum den Glauben an den langfristigen Bestand der Institution. Zum anderen vermindert sich aber auch der "Wert" einer Zahlungsweigerung, da absehbar ist, daß der Kredit ohnehin irgendwann eingetrieben wird. Schließlich ist auch die zeitnahe Erfassung und Verfolgung von Zahlungssäumigkeiten ein wichtiges Signal für die Professionalität der Institution und steigert zusätzlich die Wahrscheinlichkeit der RückZahlungsfähigkeit. Gerade Kleinstunternehmer versäumen die Zahlung einer Rate selten deshalb, weil sie dazu nicht in der Lage wären, sondern weil ihnen andere Ausgaben wichtiger sind. Die Erfahrung hat gezeigt, daß sich die Rückzahlungsquoten entscheidend erhöhen lassen, wenn nach einer versäumten Ratenzahlung bereits am nächsten Tag der Kreditsachbearbeiter den Kunden in seinem Geschäft aufsucht und die Zahlung mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln durchzusetzen versucht. Dann wird die Rückzahlung oft dadurch möglich, daß Mittel von anderen Verwendungen abgezogen werden, und die intertemporalen Anreize bleiben bestehen, da durch die noch geringe Zahlungssäumigkeit der Zugang zu späteren Krediten noch nicht gefährdet ist. Intertemporale Bindungen vermindern das Ausmaß asymmetrischer Informationsverteilung nicht. Sie reduzieren allerdings die daraus entstehenden Probleme, da sich die Interessen der Kreditkunden denen der Kreditinstitutionen angleichen. Daher werden sie aus "Eigennutz" ihre Entscheidungen so treffen, daß sie zahlungsfähig bleiben, um den Zugang zu den für sie so wertvollen zukünftigen Krediten nicht zu gefährden. Dadurch läßt sich die moral hazard-Problematik lösen oder zumindest erheblich reduzieren. Im gleichen Ausmaß erhöht sich natürlich ebenfalls ihre Zahlungswilligkeit. Durch die Verminderung der Informationsproblematik werden die Banken in die Lage versetzt, ihre Risikokosten zu senken und gleichzeitig ihre Zinsen zu erhöhen. Daher können sie kleinere Unternehmen als vorher wirtschaftlich bedienen. Auf eine theoretische Darstellung der Wirkungsweise intertemporaler Anreize wird an dieser Stelle verzichtet, da die Wirkungen denen einer verminderten Informationsasymme-

Lösungsansätze erfolgreicher Kleinkreditprogramme

82

trie gleichen und somit ebenfalls in den im vorigen Abschnitt dargestellten Abbildungen 23 und 24 abgelesen werden können.

c)

Verminderung der Transaktionskosten der Banken

Insbesondere im Kleinstunternehmenssektor verhindern die bei der Kreditvergabe entstehenden Transaktionskosten oft, daß dieses Marktsegment überhaupt bedient werden kann. Die von traditionellen Banken eingesetzte Kredittechnologie würde bei kleinen, kurzfristigen Krediten Kosten von über 100% (auf Jahresbasis) verursachen, weshalb eine kostendeckende Kreditvergabe gar nicht erst versucht wird. Die Kreditkonditionen wären ohnehin ungünstiger als im informellen Kreditsektor. Transaktionskosten lassen sich jedoch durch den Einsatz angepaßter Kredittechnologien und straffe Organisationsstrukturen senken. Speziell maßgeschneiderte Software ermöglicht im Kleinstunternehmenssektor ein "Massenkreditgeschäft", und damit Skaleneffekte, wodurch sich die Transaktionskosten auf unter 20% reduzieren lassen. Dies ist zwar im Vergleich zu herkömmlichen, d.h. größeren Bankkrediten immer noch sehr viel, stellt für eine erfolgreiche Kleinkreditvergabe aber kein Hindernis mehr dar. Kostendeckende Realzinssätze von ca. 30% liegen wesentlich unter denen des informellen Kreditsektors und sind damit für Kleinstunternehmer äußerst attraktiv. Die Wirkungen von Transaktionskostensenkungen auf die Kreditvergabeentscheidungen von Banken werden in der Abbildung 25 dargestellt. Um die Transaktionskosten von den Risikokosten zu trennen ist neben der Gesamtkostenkurve der Banken auch eine Kostenfunktion ohne Berücksichtigung der Risikokosten eingezeichnet (Gkk ohne Risikokosten). Eine Transaktionskostensenkung verlagert diese Funktion in Richtung Ursprung (Gkk' ohne Risikokosten). Um die neuen Gesamtkosten zu erhalten, müssen auf diese Funktion die Risikokosten erneut aufgeschlagen werden. Allerdings führt die Transaktionskostensenkung zu Zinssenkungen, die wiederum die Probleme asymmetrischer Informationsverteilung und damit die Risikokosten reduzieren, d.h. der vertikale Abstand zwischen Gesamtkostenkurve und der Funkti-

Maßnahmen zur Erhöhung der Zahlungsfähigkeit

83

on ohne Berücksichtigung der Risikokosten ist bei jeder Unternehmensgröße geringer als vorher.

Abb. 25: Die Wirkung verminderter Transaktionskosten im Grundmodell Die Gesamtkosten der Bank reduzieren sich somit stärker als die Transaktionskosten, was eine überproportionale Ausweitung der Geschäftstätigkeit in Richtung kleinerer Unternehmen ermöglicht. Im hier eingezeichneten Beispiel vergrößert sich der Kontraktbereich um die grau schattierte Fläche (EBD), d.h. durch die Transaktionskostensenkung können zusätzlich Unternehmen mit einer Betriebsgröße zwischen Gr"'"2 und Gr™ bedient werden.

Lösungsansätze erfolgreicher Kleinkreditprogramme

84

d)

Verbesserung der Rahmenbedingungen

Jegliche wirtschaftliche Aktivität ist in ein sozio-ökonomisches Umfeld eingebettet, das den wirtschaftlichen Erfolg mitbestimmt. Da die gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen die Gewinnaussichten der Unternehmen und damit auch deren Zahlungsfähigkeit erheblich beeinflussen, werden die Wirkungen verbesserter Rahmenbedingungen auf den Kreditsektor in diesem Abschnitt analysiert, auch wenn einzelne Finanzinstitutionen sie nicht beeinflussen können. Auf eine Analyse, wie die Rahmenbedingungen verbessert werden können, wird allerdings verzichtet. Aus Vereinfachungsgründen sei eine Verbesserung der

Rahmenbedingungen

gekennzeichnet durch eine größere gesamtwirtschaftliche Stabilität sowie verbesserte Gewinnaussichten der Unternehmen. Gesamtwirtschaftliche Stabilität wird zunächst die Streuung der Unternehmenserträge reduzieren. Dies vermindert tendenziell das Ausmaß der asymmetrischen Informationsverteilung, da diese ja gerade durch eine hohe Streuung der Erträge zum Problem wird.62 Außerdem erhöhen sich die Chancen, daß ein Unternehmen ähnliche Gewinne wie in den Vorperioden erzielt, was die Informationsasymmetrie zumindest bei Folgekrediten weiter reduziert. Die für die Unternehmen erhöhte Planungssicherheit erhöht für sie den Wert zukünftiger Kredite, da sie die durch die Kredite ermöglichten Gewinne besser abschätzen können. Dadurch wird der Einsatz intertemporaler Anreize zu einem wirksameren Instrument für die Banken. Durch die verbesserten Gewinnchancen erhöht sich aber auch direkt die Zahlungsfähigkeit der Kreditnehmer. Die Effekte verbesserter Rahmenbedingungen sind in Abbildung 26 in das Modell von

STIGLITZ/WEISS

übertragen. Zunächst streckt sich durch die oben beschriebenen

Wirkungen die Renditefunktion der Banken r(i) nach rechts unten. Die verminderten Risikokosten und die möglichen Zinserhöhungen strecken wiederum die Kreditangebotsfunktion Kr* nach rechts oben. Bis hierher ergeben sich die Effekte somit analog zu denen einer verringerten Informationsasymmetrie.

62

V g l . STIGLITZ/WEISS, 1 9 8 1 .

Maßnahmen zur Erhöhung der Zahlungsfähigkeit

85

Die verbesserten Rahmenbedingungen werden jedoch auch die Kreditnachfragefunktion (KrN) nach rechts verschieben, da Investitionen nun eine höhere Rendite abwerfen. Einer Ausweitung des Kreditangebots steht somit eine erhöhte Kreditnachfrage gegenüber. Der Gesamteffekt auf das Ausmaß der Kreditrationierung ist somit unbestimmt: Im abgebildeten Beispiel vermindert sich die Kreditrationierung etwas, von C A auf ED.

Abb.

26:

Die Wirkung verbesserter Rahmenbedingungen im STIGLITZ/

WEISS

Modell Eine Analyse anhand des Grundmodells ermöglicht eine bessere Abschätzung der Wirkungen verbesserter Rahmenbedingungen. In Abbildung 27 werden zunächst die direkten Wirkungen dargestellt. Analog zu einer Verminderung der Informationsasymmetrie dreht sich zunächst die Höchstzinssatzgerade nach oben und die Gesamtkostenfunktion der Bank nach unten. Zusätzlich verschiebt sich aber auch

Lösungsansätze erfolgreicher Kleinkreditprogramme

86

die Kapitalrendite der Unternehmen nach oben. Der direkte Effekt wäre somit eine Ausweitung des Kontraktbereichs um die grau schattierte Fläche, d.h. von DBE auf GB'E'.

Abb. 27: Die direkten Wirkungen verbesserter Rahmenbedingungen im Grundmodell Nun ist es allerdings unwahrscheinlich, daß eine derartige Ausweitung der Kreditvergabe keinen Einfluß auf die Refinanzierungskosten im formellen Finanzsektor hätte. Daher wird in Abbildung 28 die indirekte Wirkung einer (moderaten) Steigerung der Refinanzierungskosten von

auf i "¿r2 in die Analyse einbezogen. Da-

durch verschiebt sich die aus der Abbildung 27 bekannte, gestrichelt eingezeichnete Gesamtkostenfunktion der Banken (unternehmensgrößenunabhängig) parallel nach oben, d.h. den Banken entstehen Gesamtkosten in Höhe der Funktion Gkk'(i^ 2 ). Der Kontraktbereich ändert sich von DBE auf GB'. Der Effekt auf die mögliche maximale Unternehmensgröße ist unbestimmt, da bei einer stärkeren Erhöhung der

Maßnahmen zur Erhöhung der Zahlungsfähigkeit

87

Refinanzierungskosten die maximal mögliche Unternehmensgröße auch schrumpfen kann. Dagegen ist die Ausweitung des Unternehmensspektrums im unteren Bereich sicher, da in diesem Bereich die Refinanzierungskosten einen wesentlich geringeren Anteil an den Gesamtkosten ausmachen. Die verringerte Informationsproblematik senkt demgegenüber die Risikokosten und erhöht den Maximalzinssatz in einem solchen Ausmaß, daß die Steigerung der Refinanzierungskosten überkompensiert wird.

Abb. 28: Die Gesamtwirkungen verbesserter Rahmenbedingungen Da die großen Unternehmen nicht rationiert werden, sondern sich höchstens aufgrund hoher Zinsen gegen die Aufnahme von Krediten entscheiden, und sich das Ausmaß der Rationierung im Bereich mittelgroßer Unternehmen verringert, ist der Gesamteffekt verbesserter Rahmenbedingungen auf die Kreditrationierung eindeutig positiv.

88 4.

Lösungsansätze erfolgreicher Kleinkreditprogranme

Maßnahmen zur Erhöhung der Zahlungswilligkeit

Die Zahlungsfähigkeit eines Kreditnehmers allein sichert noch nicht die Rückzahlung des Kredites, er muß auch zahlungswillig sein. Daher beschäftigt sich dieses Kapitel mit Maßnahmen, die die Zahlungswilligkeit erhöhen können. Der erste Abschnitt behandelt Aspekte, welche die intrinsische Motivation im engeren Sinne bestimmen (vgl. 1. Teil); danach wird die Möglichkeit analysiert, durch peer pressure die intrinsische Motivation im weiteren Sinne zu erhöhen. Der dritte Abschnitt stellt verschiedene Ansätze dar, die Kosten der Forderungsdurchsetzung für die Bank zu redjzieren und so die extrinsische Motivation zur Kredittilgung zu erhöhen. Auf eine Darstellung intertemporaler Anreize, die ebenfalls die extrinsische Motivation verstärken, wird an dieser Stelle verzichtet, da ihre Wirkungen auf die Zahlungsfähigkeit bereits im dritten Kapitel erörtert wurden. Der letzte Abschnitt analysiert, wie sich reduzierte Kosten der Forderungsdurchsetzung auf die Kreditvergabe auswirker.

a)

Mentalität, Einstellungen,

kulturelle Aspekte und soziale Nähe

Für eine Finanzinstitution ist die angenehmste und billigste Art, die Zahlungswilligkeit ihrer Kreditkunden sicherzustellen, wenn die Mentalität

ihrer Klienten eine

Zahlungsweigerung von vornherein aus ethischen Gründen nicht zuläßt. Die Mentalität ist jedoch über Jahrhunderte gewachsen und läßt sich nur schwer, und dann nur sehr langfristig ändern und muß daher eher als ein "Standortfaktor" und nicht als ein Instrument zur Verbesserung der Zahlungswilligkeit begriffen werden. Auch die Einstellungen

zu Kreditbeziehungen sind aus den Erfahrungen der Ver-

gangenheit erwachsen. In vielen ländlichen Gegenden sind Kreditbeziehungen traditionell in Patronagesysteme eingebunden. Für Kreditnehmer ist es dann selbstverständlich, daß sie lediglich die ihnen zur Verfügung stehenden Überschüsse an den Gläubiger abführen. Eine feste, regelmäßige Ratenzahlung erscheint ihnen unsinnig. Statt dessen bieten sie z.B. ihre Arbeitsleistung oder ihre politische Unterstützung als Substitut oder Komplement an, was für eine Bank jedoch i.d.R von geringem Wert ist. Außerdem wird vom Gläubiger selbstverständlich erwartet, daß er selbst bei großer Kreditsäumigkeit neue Kredite z.B. für soziale Ereignisse bereit-

Maßnahmen zur Erhöhung der Zahlungswilligkeit

89

stellt. In einem solchen Umfeld ist es für eine formelle Finanzinstitution kaum möglich, erfolgreich Kleinkredite zu vergeben. In vielen Gegenden ist die Zahlungsmoral durch in der Vergangenheit durchgeführte Kreditprogramme untergraben worden, welche auf eine kompomißlose Durchsetzung ihrer Forderungen verzichtet haben. So erzielte z.B. eine staatliche Entwicklungsbank in Bangladeschs Städten gerade einmal eine Rückzahlungsquote von 10'/o.63 Solche Kreditprogramme führten dazu, daß Kredite als sozialpolitisch motivierter Transfer und nicht länger als Forderungen angesehen werden, die auch tatsächlich getilgt werden müssen. Dies erschwert naturgemäß die Arbeit einer Finanzinstitution, die versuchen will, Kleinkredite auf einer wirtschaftlich gesunden Basis zu vergeben. Im Gegensatz zur Mentalität der Kreditnehmer lassen sich ihre Einstellungen zu Krediten allerdings etwas leichter ändern. Wenn potentiellen Kunden vor der Kreditvergabe unmißverständlich klargemacht wird, daß die Bank bei einer Zahlungsweigerung versuchen wird, die Rückzahlung mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln durchzusetzen, und ihnen dies später durch eine klare, durchsichtige und kompromißlose Vorgehensweise der Kreditinstitution auch "vorgelebt" wird, ändern sich die Einstellungen relativ schnell. In der Anfangsphase bedeutet dies allerdings eine zusätzliche Kostenbelastung für die Bank. Kulturelle Aspekte können für die Kreditvergabe zu entscheidenden Hindernissen werden. Da sie jedoch in jedem Land verschieden sind und auch kaum geändert werden können, soll hier nur ein Beispiel gegeben werden, das verdeutlichen wird, daß vor jedem Projektbeginn eine Analyse der kulturellen Gegebenheiten unumgänglich ist. In Mali glauben selbst hochgebildete, an französischen Universitäten ausgebildete Leute, daß Magier die Macht besitzen, andere Leute krank zu machen, wenn sie dies wollen. Daher ist es dort gang und gäbe, Banken an der Durchsetzung ihrer Forderungen zu hindern, indem die Schuldner den zuständigen Mitarbeitern androhen, in diesem Falle den auf sie hörenden Magier zu veranlassen, den

63

V g l . JACKELEN/RHYNE, 1 9 9 1 , S . 5 .

Lösungsansätze erfolgreicher Kleinkreditprogramroa

90

zuständigen Bankmitarbeiter krank zu machen. Die Angst vor dem Magier verhindert wirksam, daß die Bankmitarbeiter Maßnahmen zur Krediteintreibung in Gang setzen. Eine erfolgreiche Kreditvergabe ist dadurch von vornherein ausgeschlossen. Bereits im ersten Teil wurde gezeigt, daß die soziale Nähe zwischen Gläubiger und Schuldner einen wichtigen Einfluß auf die Zahlungsmoral der Kreditnehmer ausübt. Die Kredittilgung bei sozial nahestehenden Institutionen besitzt wesentlich höhere Priorität als bei sozial entfernten. Daher ist die "soziale Positionierung" bei der Kleinkreditvergabe eines der effektivsten Mittel, um die intrinsische Motivation der Schuldner, ihre Kredite zurückzuzahlen, zu erhöhen. Soziale Nähe läßt sich durch verschiedene Maßnahmen erhöhen: Die Kreditsachbearbeiter, aber auch das übrige Personal incl. dem Management, sollten aus der heimischen Bevölkerung rekrutiert werden. Kundennähe sollte durch persönliche Beziehungen zwischen Kreditnehmer und Sachbearbeiter, eine bedarfsgerechte Ausgestaltung der Finanzprodukte sowie relativ regelmäßige Besuche des Sachbearbeiters vor Ort hergestellt werden. Schließlich ist es hilfreich, wenn im Aufsichtsrat, der die langfristige Politik der Finanzinstitution bestimmt, auch der Zielgruppe bekannte Kleinstunternehmer vertreten sind. Dies erhöht nicht nur die Identifikation der übrigen Kleinstunternehmer mit "ihrer" Bank, sondern sichert darüberhinaus auch die nachhaltige Zielgruppenorientierung der Institution.

b)

Peer Pressure

Der Einsatz von peer pressure hat sich in vielen ländlichen Gegenden Asiens als wirksames Instrument zur Sicherstellung der Zahlungswilligkeit erwiesen; bekanntestes Beispiel ist die Grameen-Bank. 64 Demgegenüber sind Versuche peer pressure in lateinamerikanischen Städten einzusetzen fast ausnahmslos gescheitert.

In

diesem Abschnitt wird zunächst die Funktionsweise von peer pressure dargestellt, um daraus dann die notwendigen Voraussetzungen für einen erfolgreichen Einsatz

64

Vgl. Z.B. PEEGE, 1988, S. 167.

Maßnahmen zur Erhöhung der Zahlungswilligkeit

91

dieses Instruments abzuleiten und zu erklären, warum es in lateinamerikanischen Städten scheitern mußte. Um peer pressure einzusetzen wird zunächst eine Kreditgruppe gebildet. Während einige Institutionen die Gruppenmitglieder verpflichten, auch für die Rückzahlung der Kredite anderer Gruppenmitglieder zu haften, oder aber den weiteren Kreditzugang von der pünktlichen Rückzahlung aller Gruppenmitglieder abhängig machen, verlangt die Grameen-Bank von den Gruppenmitgliedern eines zahlungsunwilligen Kreditnehmers lediglich "to influence the borrowers' repayment behavior."65 Die soziale Ächtung einer Zahlungsweigerung erhöht die intrinsische Motivation (im weiteren Sinne) des Schuldners, seinen Verpflichtungen doch noch nachzukommen. Dies wirkt bei der Grameen-Bank sogar, obwohl die anderen Gruppenmitglieder von seiner Zahlungsweigerung ökonomisch überhaupt nicht betroffen wären, d.h. der Zugang zu weiteren Krediten ist vom Verhalten der anderen Gruppenmitglieder unabhängig.66 Allerdings ist die Grameen-Bank sozial so nah an ihrer Zielgruppe positioniert, daß die anderen Gruppenmitglieder eine Zahlungsweigerung als Schwächung "ihrer" Institution erkennen und daher den zahlungsunwilligen Schuldner sozial ächten. Da dieser seine soziale Einbindung in die Dorfgemeinschaft nicht aufs Spiel setzen will, wird er daher von vornherein seine Verpflichtungen erfüllen; Zahlungsunwilligkeiten werden effektiv vermieden. Peer pressure kann jedoch nur unter bestimmten Voraussetzungen funktionieren. So ist es erstens notwendig, daß die Gruppenmitglieder tatsächlich Zahlungsunwilligkeit von Zahlungsunfähigkeit unterscheiden können. Dazu sind relativ intime Kenntnisse der ökonomischen und sozialen Situation der anderen Gruppenmitglieder erforderlich. In stabilen, ländlichen Gegenden kennen sich Dorfmitbewohner untereinander i.d.R. so gut, daß diese Informationen vorhanden sind und nicht erst beschafft werden müssen. Kleinstuntemehmer in lateinamerikanischen Städten kennen sich dagegen nur oberflächlich und können die Zahlungsfähigkeit der anderen nur schlecht oder gar nicht abschätzen.

65

SCHMIDT/ZEITINGER, 1994, S. 62.

66

V g l . SCHMIDT/ZEITINGER, 1994, S. 62.

Lösungsansätze erfolgreicher Kleinkreditprogranme

92

Zweitens müssen zahlungsunwillige Kreditnehmer von der sozialen Ächtung der anderen Gruppenmitglieder negativ betroffen sein. In stabilen, ländlichen Gegenden ist der potentielle Ausschluß aus der Dorfgemeinschaft eine hinreichende Drohung. In lateinamerikanischen Städten verbindet die verschiedenen Kleinstunternehmer wenig, das Drohpotential sozialer Ächtung ist dementsprechend gering. Schließlich kann peer pressure nur unter relativ stabilen Rahmenbedingungen funktionieren, die einen Wechsel der Beschäftigung und des Unternehmensstandorts verteuern. In Lateinamerika probieren Kleinstunternehmer häufig von allein verschiedene Standorte in ganz unterschiedlichen Stadtteilen oder sogar Städten aus, weil sie sich vom Wechsel einen Einkommenszuwachs erhoffen. Durch ciese Standortwechsel können sich zahlungsunwillige Kreditnehmer jeglicher sozialer Kontrolle ihres direkten geschäftlichen Umfeldes problemlos entziehen; eine "Bestrafung" nicht-kooperativen Verhaltens wird erschwert. Der Einsatz von peer pressure als Instrument zur Sicherung der Zahlungswilligkeit ist somit in besonderem Maße von dem Umfeld abhängig, in dem eine Finanzinstitution operiert. Die Kreditnehmer einer Gruppe müssen sich gegenseitig gut kernen, in ein stabiles soziales Beziehungsgeflecht eingebettet und örtlich gebunden sein. Diese Bedingungen liegen eher in ländlichen Gegenden als in Städten vor, wo der Kleinstunternehmenssektor einem ständigen Anpassungsdruck ausgesetzt ist. der ohnehin zu einem relativ häufigen Wechsel der Beschäftigungsart oder des Standortes zwingt.

c)

Reduzierung

der

Pfändungskosten

Hohe Kosten bei der Durchsetzung von Forderungen können die extrinsische Motivation zur Kredittilgung untergraben. Wenn die Kosten der Krediteintreibung die Kredithöhe überschreiten und es einer Finanzinstitution aufgrund gesetzlicher Bestimmungen oder der ökonomischen Situation des Kreditnehmers nicht möglich ist, diese Kosten auf den Schuldner abzuwälzen, lohnt sich die Krediteintreibung für die Bank nicht, wird daher unwahrscheinlich und reizt somit den Kreditnehmer an,

Maßnahmen zur Erhöhung der Zahlungswilligkeit

93

die Rückzahlung zu verweigern (siehe auch Herleitung im ersten Teil). Hohe Pfändungskosten verhindern daher eine erfolgreiche Kleinkreditvergabe. In diesem Abschnitt werden drei Ansätze vorgestellt, mit denen die Kosten der Forderungsdurchsetzung reduziert werden können. Zunächst können gesetzliche Bestimmungen dahingehend verändert werden, daß eine gerichtliche Eintreibung schneller und billiger möglich ist. Danach wird ein Konzept vorgestellt, bei dem private Gegenstände quasi als Pfand benützt werden. Schließlich wird ein in Uganda getestetes Verfahren beschrieben, bei dem vordatierte Schecks als Sicherheit verwendet werden. Nicht eingegangen wird auf Kosten, die entstehen können, weil ein säumiger Kreditnehmer "untertaucht" und erst ausfindig gemacht werden muß, da diese Kosten wie die der gerichtlichen Eintreibung wirken. Es sollte aber klar sein, daß die Durchsetzung von Forderungen immer voraussetzt, daß der entsprechende Kreditnehmer gefunden werden kann und daß die bei der Suche anfallenden Kosten nicht prohibitiv hoch sind. Die "Suchkosten" werden durch Faktoren wie die Funktionsfähigkeit des Meldewesens und die Mobilität der Kreditnehmer beeinflußt. Die Gesetze vieler Länder zeichnen sich durch einen sehr hohen Schutz der Kreditnehmer vor einer legalen Durchsetzung von Kreditforderungen aus. Dies treibt natürlich die Kosten einer legalen Forderungsdurchsetzung in die Höhe. In vielen Fällen ist sogar unklar, ob das Gericht den Schuldner zur Tilgung seines Kredites "verurteilt". Die Folgen solcher Rahmenbedingungen wurden im ersten Teil der Arbeit beschrieben. Der aus ökonomischer Sicht einfachste Weg zur Reduzierung der Pfändungskosten ist sicherlich eine vereinfachte und kostenreduzierte gesetzliche Eintreibung. So sollte es möglich sein, schon allein auf der Grundlage eines vorliegenden Kreditvertrages und der für bisher geleistete Rückzahlungen ausgestellten Quittungen einen Zahlungsverzug gerichtlich festzustellen und eine Vollstreckung durch staatliche Instanzen schnell und ohne hohe Kosten durchzusetzen. Technisch ist dies nicht weiter schwierig; die Änderung bzw. Vereinfachung einiger Gesetze und die Sicherstellung gerichtlicher und polizeilicher Kapazitäten ist bereits ausreichend.

94

Lösungsansätze erfolgreicher Kleinkreditprogramme

Problematisch ist in vielen Ländern allerdings die politische Durchsetzbarkeit dieser Maßnahmen, da zahlungsunfähige Kreditnehmer als "Opfer" angesehen werden und nicht als "mündige Bürger", die für die Konsequenzen ihres Handelns selber voll verantwortlich sind. Da sich Zahlungsunfähigkeit und Zahlungsunwilligkeit nur schwer voneinander unterscheiden lassen, ist die öffentliche Meinung i.d.R. eher geneigt, zugunsten der schwachen Schuldner als der starken, oft als allmächtig empfundenen Banken Partei zu ergreifen. Trotzdem sollten die Gesetze, wo immer dies möglich ist, von übermäßigen Schuldnerschutzbestimmungen

entrümpelt

werden. Ein besser funktionierender Finanzmarkt hilft den Armen sicherlich mehr als der Schutz einiger weniger vor einer vielleicht tatsächlich manchmal auch "ungerechten" Eintreibung fälliger Kreditforderungen. Gesetzliche Bestimmungen können von einzelnen Finanzinstitutionen nur selten beeinflußt werden und bilden daher einen Teil der Rahmenbedingungen, denen sie sich anpassen müssen. Erfolgreiche Kleinkreditinstitutionen haben daher andere, angepaßte Instrumente zur Durchsetzung ihrer Forderungen entwickelt. Ein bisher sehr erfolgreicher Ansatz, der auch in den meisten Ländern einsetzbar ist, verlangt von den Kreditnehmern vor der Auszahlung eines Kredites, private Gegenstände wie Fernseher oder Kühlschränke quasi als Pfand zur Verfügung zu stellen. Dabei bleiben die Gegenstände im Besitz des Schuldners und werden nur dann von der Bank eingezogen, wenn der Kreditnehmer mit seinen Zahlungen in einem vorher festgelegten Ausmaß in Verzug ist. Bei der Auswahl der zu verpfändenden Gegenstände ist es für die Bank weniger zentral, daß der Verkaufswert den Kredit in vollem Umfang absichert, als vielmehr, daß der Kreditnehmer von der Einziehung der Geräte in seinem Privatleben möglichst stark betroffen ist. Der hohe Gebrauchswert eines Kühlschranks oder die "soziale Bedeutung", fernsehen zu können, verhindern eine Zahlungsweigerung effektiver, als dies durch andere dingliche Sicherheiten erreicht werden könnte, die zu einem späteren, dem Kreditnehmer angenehmeren Zeitpunkt immer wieder zurückgetauscht werden könnten. Der Verlust an Lebensqualität trifft ihn härter als die zeitweise Aufgabe der Verfügungsgewalt von Eigentum, das zwar einen höheren Wert besitzt, kurzfristig aber leichter entbehrbar ist.

Maßnahmen zur Erhöhung der Zahlungswilligkeit

95

Ein anderes Instrument zur Durchsetzung von Forderungen ist in Uganda von der Finanzinstitution CERUDEB entwickelt und erfolgreich eingesetzt worden. Ermöglicht wurde dies durch ein neues Scheckgesetz, welches das Ausstellen eines ungedeckten Schecks zu einer kriminellen Handlung erklärte und die "Täter" mit dem sofortigen Vollzug einer Gefängnisstrafe bedroht. Da die Verhältnisse in den Gefängnissen Ugandas wirklich "unangenehm" sind, wird das Ausstellen ungedeckter Schecks seitdem vermieden. CERUDEB hat sich die veränderte Gesetzeslage zunutze gemacht, indem es sich vor Auszahlung eines jeden Kredites für alle später fälligen Raten jeweils einen vordatierten Scheck in entsprechender Höhe unterschreiben läßt. Viele Kreditnehmer traten daraufhin vom Kreditvertrag zurück, sodaß man bei ihnen wohl die hidden intention vermuten kann, den Kredit nicht zurückzuzahlen. Einige wenige Schuldner testeten die Grenzen und verweigerten die fälligen Raten, wurden daraufhin inhaftiert, was jedoch ihre Verwandten sofort veranlaßte, die fälligen Forderungen zu begleichen. Insgesamt ließ sich die Zahlungssäumigkeit durch das neue System erheblich reduzieren. Dieses System läßt sich nicht so universell einsetzen wie das oben dargestellte Pfandsystem. Eine Voraussetzung bildet zunächst ein straffes Scheckgesetz, das das Ausstellen ungedeckter Schecks unnachgiebig und relativ hart ahndet. Zum anderen setzt dieses System aber auch die Kapazität der Finanzinstitution voraus, Zahlungsunwilligkeit von Zahlungsunfähigkeit unterscheiden zu können, da sonst tatsächlich "Opfer produziert werden" und die Kleinkreditvergabe kontraproduktive Entwicklungsbeiträge leisten würde.

d)

Die Wirkung reduzierter Kosten bei der Durchsetzung von Forderungen auf die Kreditvergabe

In diesem Abschnitt wird erörtert, wie sich reduzierte Kosten bei der Durchsetzung von Forderungen auf die Kreditvergabe von Banken auswirken werden. Da für Kreditinstitutionen die durchschnittlichen Kosten relevant sind, ist die Analyse nicht nur für reduzierte Pfändungskosten, sondern auch für erhöhte Zahlungswilligkeiten

96

Lösungsansätze erfolgreicher Kleinkreditprogramme

aufgrund von peer pressure oder näherer sozialer Positionierung der Bank gültig. Aus Vereinfachungsgründen wird allerdings nur mit "reduzierten Pfändungskosten" argumentiert, ebenso wie auf eine empirische Darstellung verzichtet wird, da wie oben bereits erwähnt, empirische Resultate immer auf einer ausgewogenen Zusammenstellung verschiedener Maßnahmen basieren. Die Abbildung 29 zeigt die Wirkungen reduzierter Pfändungskosten auf die Kreditvergabepolitik von Banken, ausgehend von dem im ersten Teil dargestellten Szenario hoher Kosten der Forderungsdurchsetzung, die ein binding constraint bildeten und eine Kreditvergabe nur an Unternehmen mit einer Mindestgröße von Gr*™" zuließ. Nach der Kostenreduzierung ließe die Zahlungswilligkeit der Schuldner eine Kreditvergabe bis hin zu einer Mindestgröße von Gr"

zu. Da allerdings auch die

Zahlungsfähigkeit berücksichtigt werden muß, die im hier eingezeichneten Beispiel

Abb. 29: Die Wirkungen reduzierter Pfändungskosten auf die Kreditvergabeentscheidungen der Banken

97

Institutionelle Alternativen für die Kleinkreditvergabe

nun das binding constraint bildet, kann die Kreditvergabe nur bis zu Unternehmensgrößen von G r ™ ausgeweitet werden, kleinere Unternehmen werden auch weiterhin rationiert, allerdings nun aufgrund der Probleme asymmetrischer Informationsverteilung. Der Kontraktbereich vergrößert sich um die dunkelgrau schattierte Fläche. Das dargestellte Beispiel macht deutlich, wie wichtig ein ausgewogenes Zusammenspiel verschiedener Maßnahmen ist. Werden z.B. die informationsökonomischen Probleme gleichzeitig angegangen, verstärkt sich die Wirkung reduzierter Pfändungskosten, die Kreditrationierung wird weiter, nämlich bis Gr**

5.

verringert.

Institutionelle Alternativen für die Kleinkreditvergabe

In den vorigen Kapiteln wurden verschiedene Instrumente diskutiert, mit denen die Vergabe von Kleinkrediten jeweils in bestimmten Bereichen effizienter gestaltet werden kann. Erfolgreiche Kleinkreditprogramme zeichnen sich durch eine effiziente Kombination verschiedener dieser Instrumente aus und lassen andere, von ihnen nicht benötigte und daher unnötig kostspielige Instrumente weg. Im folgenden sollen nun drei typische Organisationsformen analysiert werden, in die sich die meisten erfolgreichen Kleinkreditprogramme einordnen lassen: Aufbau von Gruppenkreditprogrammen und Individualkreditprogrammen (upgrading) sowie Kleinkreditvergabe durch Banken (downscaling).

a) Aufbau von

Gruppenkreditprogrammen

Gruppenkreditprogramme sind durch die Grameen-Bank berühmt geworden, die als erste Institution der internationalen Fachwelt gezeigt hat, daß es möglich ist, Kleinkredite an Arme zu vergeben, ohne daß größere Kreditausfälle in Kauf genommen werden müssen. Aufgrund des frühen, weithin bekannten Erfolgs wurde dieses Konzept inzwischen häufig kopiert und dürfte das weitest verbreitete Modell der Kleinkreditvergabe sein. Ziel dieser Programme ist es, einen Beitrag zur Armutsbekämpfung zu leisten. Dabei wollen sie möglichst viele Hindernisse, die der Beseitigung der Armut im Wege

98

Lösungsansätze erfolgreicher Kleinkreditprogramme

stehen, beseitigen, d.h. das Dienstleistungsangebot geht i.d.R. über Finanzdienstleistungen hinaus. Zielgruppe sind folgerichtig die Ärmsten der Armen, d.h. Arbeitslose oder Unterbeschäftigte, die häufig über keinerlei berufliche Erfahrung verfügen. Viele Gruppenkreditprogramme vergeben Kredite ausschließlich an Frauen. Die Kreditvergabe beginnt, indem die Kreditsachbearbeiter potentielle Kreditnehmer auswählen, die bestimmte Einkommens- und Besitzverhältnisse nicht überschreiten dürfen. Diese werden ein bis zwei Wochen (meist halbtags) geschult, zum einen, um alle für die spätere Kreditbeziehung wichtigen Belange zu lernen, zum anderen aber auch, um persönliche Beziehungen zum Kreditsachbearbeiter und (falls nötig) zu den anderen Gruppenmitgliedern aufzubauen. Bei ausreichenden

Lernerfolgen,

Disziplin und persönlicher Eignung werden sie als Kreditnehmer zugelassen (Screening) und Gruppen mit je nach Institution zwischen 5 und 30 Mitgliedern gebildet. Die Gruppenmitglieder reichen einen Kreditantrag ein, der ausführlich erklärt, wofür sie den Kredit verwenden wollen. Den anderen Gruppenmitgliedern wird die Aufgabe übertragen, zu überwachen, daß der Kredit wie vereinbart verwendet wird (peer monitoring). Um ihnen einen wirtschaftlichen Anreiz zu geben, diese

Überwa-

chungsfunktion auch tatsächlich auszuüben, werden üblicherweise zunächst nur an einen Teil der Gruppe Kredite ausgezahlt, die anderen erhalten ihre Kredite erst dann, wenn die ersten Raten pünktlich bezahlt worden sind. Die Kontrolle der Kreditverwendung ist wichtig, da die Kreditnehmer üblicherweise nicht über eigenes Kapital verfügen und sie die Kredite nur dann tilgen können, wenn diese auch produktiv verwendet werden. Die Gruppenmitglieder treffen sich einmal pro Woche, um ihre Zahlungen zu leisten und Gruppenangelegenheiten zu besprechen. Dafür werden i.d.R. ein bis zwei Stunden benötigt. Für die Gruppenmitglieder besteht Anwesenheitspflicht, die nur in begründeten Ausnahmefällen (z.B. Schwangerschaft) aufgehoben wird. Folgekredite bekommen nur die Kunden, die sowohl pünktlich zahlen als auch regelmäßig anwesend sind. Zahlt ein Kreditnehmer eine Rate nicht pünktlich, ist es die Aufgabe der anderen Gruppenmitglieder, sozialen Druck auf ihn auszuüben, damit er seine Raten doch

Institutionelle Alternativen für die Kleinkreditvergabe

99

noch zahlt (peer pressure). Dieser soziale Druck kann ein sehr effizientes Mittel zur Sicherstellung der Zahlungswilligkeit sein. Voraussetzung ist zum einen, daß sich die Kreditnehmer sozial nahestehen, damit der Druck überhaupt greift. Zum anderen müssen die anderen Gruppenmitglieder die tatsächliche Zahlungsfähigkeit des säumigen Kreditnehmers einschätzen können. Ist dies nicht der Fall, kann es zu sozialen Härten kommen, wenn ein Kreditnehmer zwar zahlungswillig, aber nicht zahlungsfähig ist und dann aufgrund seiner "Zahlungsweigerung" aus der Gemeinschaft ausgestoßen wird. Der Einsatz von peer monitoring und peer pressure beruht auf der Annahme, daß den Gruppenmitgliedern die Informationen, die die Bank zur Übernahme dieser Aufgaben erst noch beschaffen müßte, ohnehin (kostenlos) zur Verfügung stehen. Anstatt also die Informationsasymmetrie zwischen Kunden und Bank abzubauen, werden die anderen Gruppenmitglieder als Agenten eingesetzt, die gegenüber der Bank komparative Vorteile haben und die Aufgaben somit kostengünstiger erfüllen können. Die Gesamtkosten, d.h. Kosten der Bank plus Kosten der Kreditnehmer, sollten daher durch diese Aufgabenübertragung sinken. Auch das peer monitoring kann nur dann effektiv funktionieren, wenn die Gruppenmitglieder sich gegenseitig einschätzen können. Vor allem in stabilen, ländlichen Regionen kennen sich die Bewohner gegenseitig recht gut und Informationen stehen tatsächlich kostenlos zur Verfügung. Bei vergleichbarer sozioökonomischer Situation der Gruppenmitglieder können diese daher die Lage der anderen relativ gut einschätzen. Bei wachsender ökonomischer Differenzierung ist dies allerdings immer schwieriger, weshalb Gruppenkreditprogramme relativ geringe Höchstkreditbeträge festsetzen, oberhalb derer sich die Kunden nicht verschulden dürfen. Um zusätzliche Anreize zu setzen, Kredite pünktlich zu tilgen, werden auch intertemporale Anreize gesetzt. Kreditnehmern, die alle Raten rechtzeitig zurückgezahlt haben und nicht öfter als einmal unentschuldigt vom Gruppentreffen ferngeblieben sind, wird ein höherer Folgekredit zugesichert. In einigen Fällen ist die Erhöhung noch an den Nachweis gekoppelt, daß sich das Eigenkapital des Kleinstbetriebs um ein bestimmtes Mindestmaß erhöht hat. l.d.R. bekommt ein Kunde bei einer verspä-

100

Lösungsansätze erfolgreicher Kleinkreditprogramme

teten Zahlung oder zwei bis drei versäumten Gruppentreffen einen Folgekredit in gleicher Höhe. Die Wirkung intertemporaler Anreize nimmt allerdings ab, wenn ein Kreditnehmer die Kreditobergrenze erreicht. Dies wird jedoch durch die bis dahin aufgebaute (intrinsische) Zahlungsmoral kompensiert. Durch die Kombination von peer monitoring, peer pressure und intertemporalen Anreizen haben erfolgreiche Gruppenkreditprogramme Kreditausfälle von weniger als zwei Prozent zu verzeichnen. Da ein Teil der Bankaufgaben (Überwachung und Forderungsdurchsetzung) an die Kunden übertragen wurde, läßt sich relativ schnell eine befriedigende Produktivität erreichen: Erfolgreiche Gruppenkreditprogramme versorgen pro Kreditsachbearbeiter 250-400 Kreditnehmer. Aufgrund ihrer Armutsorientierung sind Gruppenkreditprogramme außerdem in der Lage, an das soziale Gewissen ihrer Mitarbeiter zu appellieren und daher qualifiziertes Personal auch zu geringen Lohnsätzen zu attrahieren: Die Verwaltungskosten belaufen sich dadurch auf nur ca. 10%-20% des Kreditportfolios.67 Die Kreditkonditionen sind üblicherweise starr und unflexibel. Kreditbeträge folgen einem festgelegten Schema, von dem nicht abgewichen wird, d.h. alle Kunden erhalten als ersten Kredit den gleichen Betrag, die Höhe der Folgekredite ist ebenfalls im voraus genau fixiert und wird nicht an die wirtschaftliche Entwicklung und die Bedürfnisse der Kunden angepaßt. Die Laufzeit ist in der Regel bei allen Krediten standardisiert, meist ein Jahr. Obwohl dies Kosten senkt und nur geringe Ansprüche an institutionelle Kapazitäten stellt, mindert es den Wert der Kredite für die Kunden. Die Kosten für die Kunden setzen sich aus offenen, versteckten und nichtmonetären Komponenten zusammen.68 Die offenen Kosten sind Kreditzinsen und Gebühren, die real meist 15%-35% ausmachen. Versteckte Kosten fallen dadurch an, daß fast alle Gruppenkreditprogramme obligatorische Sparkomponenten enthalten: Bei jedem wöchentlichen Treffen müssen alle Kunden einen bestimmten Betrag sparen, der nicht frei wieder abgehoben werden kann, sondern erst ausgezahlt wird, wenn der Kunde aus dem Programm ausscheidet.

67

Vgl. Z . B . J A I N , 1 9 9 7 , S . 1 2 , S. 2 9 .

68

Vgl. ADAMS/VOGEL, 1 9 8 6 , S. 4 8 4 .

Institutionelle Alternativen für die Kleinkreditvergabe

101

Die Ersparnisse werden natürlich geringer verzinst als die Kredite. Gleichzeitig erhöhen sie den Kreditbedarf der Kunden, da die als Ersparnis gebundenen Mittel nicht für Investitionen eingesetzt werden können. Es handelt sich also um eine Bilanzverlängerung in Höhe der Ersparnisse, die für die Kreditnehmer mit Kosten in Höhe der Zinsdifferenz verbunden ist. Diese Kosten müssen den offenen Kreditkosten zugeschlagen werden. Schließlich sind noch die nicht-monetären Kreditkosten zu bedenken: Die Kreditnehmer müssen jede Woche an den Gruppentreffen teilnehmen, Zeit, die ihnen zum Arbeiten fehlt. Sie müssen zwar kein Geld zahlen, dafür gehen ihnen jedoch Einkünfte verloren; als Kosten müssen die Opportunitätskosten der Arbeit eingesetzt werden. Das gleiche gilt für die Schulungsphase. Die Bewertung ist allerdings nicht so einfach, wie es auf den ersten Blick scheint. Zunächst ist die Frage zu stellen, wie hoch denn die Opportunitätskosten der Arbeit überhaupt sind. Werden etablierte Kleinstunternehmer bedient, müssen an dieser Stelle die entgangenen Gewinne eingesetzt werden, d.h. für diese Kundengruppe sind die Opportunitätskosten relativ hoch. Die typische Zielgruppe von Gruppenkreditprogrammen sind jedoch Beschäftigungslose oder extrem Unterbeschäftigte, d.h. die Opportunitätskosten sind zunächst nahezu null. Werden die Kredite erfolgreich zum Aufbau von Kleinstunternehmen eingesetzt, steigen sie allerdings im Zeitablauf immer weiter an. Die Schulungsphase und die Gruppentreffen können den Kunden auch nutzen: Während etablierte Kleinstunternehmer kaum oder nur wenig profitieren, werden bei der üblichen Zielgruppe erstmals Selbstwertgefühl und Disziplin aufgebaut, was die Kreditnehmer überhaupt erst in die Lage versetzt, wirtschaftlich erfolgreich tätig zu werden. Die regelmäßigen Gruppentreffen dienen dem Erfahrungsaustausch und sind anfangs sehr wertvoll, doch nimmt der Nutzen im Zeitablauf immer weiter ab. Die Ersparnisse sind anfangs sehr gering und verursachen daher nur geringe Kosten. Im Gegenzug erhält der Kreditnehmer wertvolle "Versicherungsleistungen": Persönliche Katastrophen einzelner Gruppenmitglieder wie Krankheit oder Tod von Familienangehörigen können abgefedert werden, indem aus den Ersparnissen der

Lösungsansatze erfolgreicher Kleinkreditprogramme

102

Gruppe Notfallkredite vergeben werden, durch die in vielen Fällen der totale wirtschaftliche Niedergang verhindert werden kann. Allerdings bleibt der Wert der Versicherungsleistung im Zeitablauf konstant, während sich der Wert der Ersparnisse, und damit die durch die Zinsdifferenz induzierten Kosten immer weiter erhöhen. Diese Kostenerhöhungen werden anfangs noch durch steigende Kreditbeträge kompensiert, doch bei Erreichen der maximalen Kreditsumme steigen die Kosten immer weiter, während der Nutzen konstant bleibt. Tatsächlich halten langjährige Kreditkunden häufig größere Ersparnisse als Kredite. Sie sind Nettosparer, die trotzdem Zinsen zahlen müssen. Insgesamt nehmen also die versteckten und nicht-monetären Kosten im Zeitablauf zu, der Wert der dadurch möglichen komplementären Leistungen jedoch ab. Insbesondere langjährige Kunden vermissen die Anpassung der Finanzdienstleistungen an ihre wirtschaftliche Entwicklung. Dazu zählen neben der Kredithöhe auch flexiblere Zahlungspläne, parallele Kredite zur Finanzierung von Bedarfsspitzen und andere Finanzdienstleistungen wie z.B. Zahlungsverkehr. Während die Produktpalette der Gruppenkreditprogramme für die neuaufgenommenen Kunden aus dem Kreis der Allerärmsten gut angepaßt ist, wachsen erfolgreiche Kreditnehmer aus der Institution heraus, da für sie keine auf ihre neuen Bedürfnisse zugeschnittenen Dienstleistungen bereitstehen. Tatsächlich hat sich gezeigt, daß dort, wo Gruppen- und Individualkreditprogramme miteinander konkurrieren, viele langjährige und erfolgreiche Kunden der Gruppenprogramme zu den Individualprogrammen wechseln (müssen), um ihren Bedarf an Finanzdienstleistungen zu decken.69 Gruppenkreditprogramme

haben gegenüber

Individualprogrammen

komparative

Vorteile bei der Versorgung extrem armer Bevölkerungskreise: Sie allein sind in der Lage, Arme nicht nur mit Krediten zu versorgen, sondern darüber hinaus auch noch Selbstwertgefühl und Disziplin aufzubauen, ohne welche eine selbstständige Geschäftstätigkeit überhaupt nicht erfolgreich sein kann. Dadurch sind sie in der Lage,

69

Siehe z.B. in Bolivien BancoSol und Caja de los Andes: KRÜTZFELDT, 1997, S. 101 - 110 und VALENZUELA, 1 9 9 7 , S . 1 1 1 - 1 2 0 .

Institutionelle Alternativen für die Kleinkreditvergabe

103

die Ärmsten aus der Marginalisierung herauszuholen. Dies ist wahrscheinlich der größte Beitrag von Gruppenkreditprogrammen zur Armutsbekämpfung. Die extrem starren Kreditkonditionen stellen nur geringe Anforderungen an den institutionellen Aufbau und die Ausbildung der Mitarbeiter. Dafür handelt man sich allerdings Beschränkungen ein, die die erfolgreichen Kunden zum Abwandern zu anderen Anbietern geradezu zwingen. Gruppenkreditprogramme, die nicht durch Individualkreditprogramme ergänzt werden, können daher die Armut nur lindern, nicht aber beseitigen. 70

b)

Aufbau

von

Individualkreditprogrammen

Individualprogramme verfolgen das Ziel, den Finanzmarkt zu vertiefen, d.h. formelle Kredite an Kreditnehmer zu vergeben, die bisher auf informelle Kredite angewiesen waren. Um dieses Ziel zu erreichen, sollen überlebensfähige Finanzinstitutionen aufgebaut werden, was impliziert, daß die Kreditvergabe mindestens kostendeckend sein muß. Daher werden besonders schwierige Kunden- und Marktsegmente, wie z.B. Unternehmensneugründungen oder die Nachfrager nach extrem kleinen Krediten nicht in signifikantem Umfang bedient. Die Zielgruppe dieser Institutionen bilden dementsprechend etablierte Kleinstunternehmer mit Geschäftserfahrung,

denen

durch kostengünstige Refinanzierungsmöglichkeiten verbesserte Wachstumschancen eröffnet werden sollen. Die Auswahl potentieller Kreditnehmer erfolgt nicht durch die Kreditsachbearbeiter; diese werden erst aktiv, wenn sich die Kunden selbst mit einem Kreditantrag an die Institution wenden. Dann wird eine cash-flow-Analyse durchgeführt, die die ganze Familienwirtschaft miteinbezieht, d.h. alle geschäftlichen und familiären Ein- und Auszahlungsströme werden erfaßt und daraus die Höhe der Kreditwürdigkeit abgeleitet ( Screening ). Die Tilgung der Kredite wird dann an den cash-flow der Familienwirtschaft angepaßt, wodurch die Zahlungsfähigkeit des Kreditnehmers auch für den Fall gewährleistet werden soll, daß der Kredit keinen positiven Einfluß auf das

70

V g l . GATE et a l „ 1 9 9 6 , S . 1 7 7 .

104

Lösungsansätze erfolgreicher Kleinkreditprogramme

Einkommen des Kunden hat. Gleichzeitig wird die Informationsasymmetrie abgebaut, wenn nicht sogar umgekehrt. Die monitoring-Funktion erfolgt ausschließlich anhand der Zahlungsströme, d.h. es erfolgt keine Kontrolle der Kreditverwendung. Diese wäre aufgrund der Fungibilität des Geldes auch gar nicht möglich. Solange der Kreditnehmer seine Raten pünktlich zahlt, wird von seiten der Institution nichts weiter unternommen. Gerät er dagegen in Zahlungsverzug, wird dies vom EDV-System sofort erkannt, und ein Kreditsachbearbeiter versucht ihn in den nächsten Tagen zur Tilgung zu bewegen. Als Druckmittel dient die Drohung, die vom Kunden bei Vertragsabschluß gestellten Sicherheiten, in der Regel Gebrauchsgüter wie Fernseher oder Kühlschränke, zu pfänden, die er dann erst nach Zahlung der fälligen Raten zurückerhält und in der Zwischenzeit nicht nutzen kann. Der angedrohte Nutzenentgang erhöht im Normalfall seine Zahlungswilligkeit so sehr, daß er die fälligen Zahlungen an die Bank alternativen Verwendungen vorzieht; sein cash-flow läßt ihm i.d.R. diesen Gestaltungsspielraum. Als zusätzlicher Anreiz zu pünktlichen Zahlungen werden auch von Individualkreditprogrammen intertemporale Anreize eingesetzt. Kreditnehmern mit einem durchschnittlich geringen Zahlungsverzug (z.B. von weniger als 3 Tagen pro Rate) wird der künftige Zugang zu Kredit garantiert. Eine Erhöhung des Betrages wird allerdings von der wirtschaftlichen Situation abhängig gemacht, d.h. nur dann gewährt, wenn die dann erneut durchgeführte cash-flow-Analyse eine höhere Zahlungsfähigkeit erkennen läßt. Außerdem bieten viele Institutionen Kreditnehmern, die über längere Zeit pünktlich getilgt haben, vergünstigte Konditionen an. Allerdings ist auch der "Wert" einer Zahlungsweigerung sehr gering, da die Institution alle rechtlichen Möglichkeiten auszuschöpfen bereit ist, um die fälligen Zahlungen einzuklagen. Da Kredite nur an etablierte Kleinstunternehmer vergeben werden, und mit ihnen i.d.R. nur ein relativ geringer Teil des Betriebsvermögens finanziert wird (10%-30%), sind die Forderungen der Bank üblicherweise durchsetzbar. Eine Zahlungsweigerung hat dementsprechend für die Kunden nur negative Auswirkungen und wäre irrational.

Institutionelle Alternativen für die Kleinkreditvergabe

105

Insgesamt ist es erfolgreichen Individualkreditprogrammen mit diesen Maßnahmen möglich, Kreditausfälle auf weniger als ein Prozent zu begrenzen. Allerdings sind die Anforderungen dieser Kredittechnologie an institutionelle Kapazitäten (u.a. EDVSystem) und die Qualifizierung der Mitarbeiter wesentlich höher als bei Gruppenprogrammen. Dementsprechend sind auch die Lerneffekte größer. So ist die Produktivität der Kreditvergabe üblicherweise in der Startphase noch relativ gering (ca. 50-100 Kreditnehmer pro Kreditsachbearbeiter), steigt dann aber in den Folgejahren immer weiter an und erreicht, ähnlich wie bei den Gruppenprogrammen, den Bereich von 400 Kreditnehmern pro Sachbearbeiter (siehe Abbildung 30). Da Individualkreditprogramme in der Regel "Marktlöhne" zahlen, sind ihre Verwaltungskosten mit 15%-30% trotzdem höher als bei Gruppenkrediten.

Number of Outstanding loans per Member of Credit Staff

Abb. 30: Die Produktivitätsentwicklung von Individualkreditprogrammen am Beispiel von Calpiä und Caja de los Andes Quelle: LEPP, 1997, S. 3. Dafür können Individualkreditprogramme ihre Dienstleistungen besser an die Bedürfnisse ihrer Kunden anpassen. Die Kredithöhe wird entsprechend dem Bedarf bzw. der maximalen Zahlungsfähigkeit der Kreditnehmer festgelegt und unterliegt

106

Lösungsansätze erfolgreicher Kleinkreditprogramme

praktisch keiner Wachstumsbeschränkung,71 da auch die Überwachung größerer Kreditbeträge von den Sachbearbeitern problemlos bewältigt werden kann. Der Zahlungsplan ist dem cash-flow der Familienwirtschaft angepaßt. Die Kreditzinsen liegen meist mit real 20%-40% leicht über denen von Gruppenkrediten. Dafür fallen keine versteckten Kreditkosten an, da Kredite unabhängig vom Spargeschäft vergeben werden. Auch die nicht-monetären Kosten sind, zumindest in Urbanen Regionen, gering, da für die Transaktionen nur kurze Wartezeiten von wenigen Minuten an der Kasse in Kauf genommen werden müssen. In ländlichen Regionen kommen die Reisekosten und -zeiten hinzu, da Individualkreditprogramme üblicherweise nicht in die Dörfer der Kunden kommen, um die fälligen Raten zu kassieren. Daher liegen die komparativen Vorteile dieser Institutionen eher in Urbanen als in ländlichen Regionen. Die Kredittechnologie von Individualkreditprogrammen läßt kein Angebot von integrierten Versicherungsleistungen zu, d.h. es fallen zwar keine versteckten Kreditkosten an, dafür können die Kreditnehmer aber auch keine der bei Gruppenkrediten üblichen Zusatznutzen realisieren. Wie oben gezeigt wurde, nehmen diese Zusatznutzen im Laufe der wirtschaftlichen Entwicklung der Kreditnehmer immer mehr ab, während die Kosten zunehmen. Daher sind Individualkredite vor allem für Kreditnehmer interessant, die wirtschaftlich bereits etwas weiter entwickelt sind. Dieses Kundensegment, d.h. die bereits etablierten Klein(st)unternehmer, bildet allerdings auch die Zielgruppe dieser Institutionen, das Angebot ist daher gut an ihre Bedürfnisse angepaßt. Individualkreditprogramme leisten einen Beitrag zur Armutsbekämpfung, indem sie ihren Kunden wesentlich günstigere Kredite als der informelle Finanzsektor bereitstellen. Die Einkommen der Kreditnehmer erhöhen sich entsprechend der Zinsdifferenz, zusätzlich werden Wachstumsbarrieren aufgehoben (siehe I. Teil). Außerdem werden in den wachsenden Klein(st)unternehmen Arbeitsplätze für vorher un- oder

71

Dies gilt natürlich nur solange, wie der Kreditnehmer die Kreditobergrenze der Institution nicht überschreitet. Diese liegt allerdings für "Neukunden" in weiter Ferne. Sollte sie erreicht werden, kann der Kunde i.d.R. problemlos zu anderen Banken wechseln und seinen Bedarf an Finanzdienstleistungen dort decken.

Institutionelle Alternativen für die Kleinkreditvergabe

107

unterbeschäftigte Arme geschaffen, was wiederum deren (Arbeitseinkommen indirekt erhöht. Individualkreditprogramme helfen somit den Ärmsten der Armen nur indirekt, beseitigen dafür jedoch zumindest eine strukturelle Ursache für die Entstehung von Armut. Langfristig dürften sie zur Bekämpfung der Armut stärker beitragen als Gruppenkreditprogramme, die die Armut lediglich lindern können.

c)

Downscaling

von

Banken

Eine dritte institutionelle Alternative für die Kleinkreditvergabe besteht im downscaling von Banken. Hierbei werden keine neuen Institutionen aufgebaut, sondern bestehende in die Lage versetzt, Kleinkredite an die Zielgruppe zu ihrem eigenen wirtschaftlichen Vorteil zu vergeben. Dabei wird im wesentlichen die von den Individualkreditprogrammen benutzte Kredittechnoiogie verwendet, weshalb diese nicht noch einmal beschrieben werden soll. Statt dessen konzentrieren sich die folgenden Ausführungen auf die institutionellen Unterschiede gegenüber dem Aufbau neuer, zielgruppenorientierter Institutionen. Banken wirtschaften gewinnorientiert. Sie werden daher nur dann zur Vergabe von Kleinkrediten bereit sein, wenn sie erwarten können, daß sich dadurch ihr Gesamtgewinn erhöht. Um diese Bedingung zu erfüllen, muß das zu erwartende Betriebsergebnis aus dem Kleinkreditgeschäft gegen seine externen Effekte auf die anderen Geschäftszweige der Bank abgewogen werden. Zu bedenken ist insbesondere, daß die Stammkundschaft abgeschreckt werden könnte, wenn in den gleichen Filialen "hunderte dreckiger Kleinstunternehmer" ihre Zahlungen tätigen. Solche negativen externen Effekte der Kleinkreditvergabe können natürlich vermieden werden, indem die Banken für diese Geschäftssparte eigene Filialen eröffnen. Allerdings ginge dadurch die besondere Attraktivität des downscaling-Ansatzes verloren, die ja gerade darin besteht, daß bereits bestehende Banken beim Einstieg in das Kleinkreditgeschäft auf ein breites, bereits bestehendes Filialnetz zurückgreifen können und nicht erst in den Aufbau von neuen Filialen investieren müssen.

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Lösungsansätze erfolgreicher Kleinkreditprogramme

Da Banken auf dem freien Markt nicht im Kleinkreditgeschäft tätig sind, kann man davon ausgehen, daß sie dieses Segment nicht als attraktiv ansehen. Will man sie trotzdem dazu bewegen, Kleinkredite zu vergeben, muß man ihnen attraktive Angebote machen (Subventionskomponenten), die erstens die Kosten der Kleinkreditvergabe reduzieren, zweitens die Erträge dieser Sparte erhöhen und drittens möglichst positive externe Effekte induzieren, die die Wettbewerbsfähigkeit der Bank in ihrem Stammgeschäft erhöhen. Die Kosten der Kleinkreditvergabe lassen sich durch die im vorigen Abschnitt beschriebene Kredittechnologie senken. Diese ist jedoch von der traditionellen Kredittechnologie der Banken so verschieden, daß ihre Einführung erhebliche Kosten verursacht, deren Übernahme von den Banken gescheut wird. Daher sollten downscaling-Projekte eine Subventionskomponente beinhalten, in deren Rahmen Mitarbeiter in der Anwendung der neuen Technologie ausgebildet werden und die nötigen institutionellen Kapazitäten geschaffen werden (Anschubfinanzierung). Lerneffekte und die immer stärkere Ausnutzung von Skaleneffekten werden im Zeitablauf die Kosten weiter sinken lassen. Die Erträge des Kleinkreditgeschäfts lassen sich vor allem dadurch steigern, daß auch die Vergabe etwas größerer Kleinkredite zugelassen wird, welche naturgemäß profitabler sind. Zinssätze sollten nicht begrenzt werden. Statt dessen sollte der Wettbewerb in diesem Marktsegment erhöht werden, indem gleichzeitig mehreren Banken die gleiche Hilfe angeboten wird. Wenn sich die Kleinkreditvergabe für die Banken tatsächlich als lohnendes Betätigungsfeld erweist, werden sie von allein um Marktanteile kämpfen und dabei sowohl für die Kunden günstigere Konditionen als auch immer kleinere Kredite anbieten. Schließlich lassen sich auch positive externe Effekte auf das Stammgeschäft der Banken induzieren, indem den Banken zur Refinanzierung ihres Kleinkreditgeschäfts langfristige Kredite (zu Kapitalmarktzinssätzen) angeboten werden. Dies ist den Geberorganisationen ohne weiteres möglich, da sie Zugang zu langfristigen Krediten auf den internationalen Märkten haben. Gerade kleinere Banken in "Entwicklungsländern" haben diesen Zugang nicht, weshalb für sie langfristige Refinan-

Institutionelle Alternativen für die Kleinkreditvergabe

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Zierungsmöglichkeiten von großem Wert sind. Die langfristige Refinanzierung der (kurzfristigen) Kleinkredite ermöglicht ihnen in diesem Bereich eine negative Fristentransformation, so daß sie intern eine Bilanzumschichtung vornehmen können: Die Kleinkredite refinanzieren sie durch ihnen ausreichend zur Verfügung stehende, kurzfristige Verbindlichkeiten, während sie die langfristigen Refinanzierungslinien der Geberorganisationen verwenden, um für sie besonders attraktive, langfristige Großkredite zu refinanzieren. So einfach und attraktiv der downscaling-Ansatz in der Theorie aussieht, so schwierig ist die erfolgreiche, praktische Umsetzung. Für die Banken bestehen starke Anreize, die Subventionen lediglich "mitzunehmen" und nicht ernsthaft in das Kleinkreditgeschäft einzusteigen. So können sie versuchen, Konsumkredite an Beschäftigte des formellen Sektors als Kleinkredite für informelle Unternehmer zu deklarieren und sich die Ausbildung ihrer Kreditsachbearbeiter von den Geberorganisationen bezahlen zu lassen, diese dann aber in anderen Geschäftssparten einzusetzen. Gelingt dies den Banken, so verpuffen die Subventionen wirkungslos, ohne daß eine Vertiefung des Finanzmarktes erreicht wird. Eine wirkungsvolle Überprüfung ist schwierig und oft prohibitiv kostspielig. Aus diesen Gründen ist der downscaling-Ansatz vor allem dann attraktiv, wenn auf dem Finanzmarkt eines Landes die Wettbewerbsintensität steigt und daher die Profitabilität der Banken unter Druck gerät. In diesen Fällen müssen sich zumindest einige Banken nach neuen Nischen umsehen, so daß das Vordringen in das Kleinkreditsegment eine erfolgreiche Marketingstrategie sein kann. Zeigt sich erst einmal, daß dieses Segment rentabel bedient werden kann, werden auch andere Banken nachziehen.

Auswirkungen auf Finanzsektor und Betriebsgrößenstruktur

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IV. TEIL: IMPACTANALYSE VON KLEINKREDITPROGRAMMEN Nachdem im vorigen Teil untersucht wurde, mit welchen Instrumenten die im ersten Tei! beschriebenen Probleme überwunden oder zumindest verringert werden können, analysiert dieser Teil, welche Wirkungen aus einer verbesserten Kreditvergabe resultieren. Das erste Kapitel untersucht, wie unterschiedliche Grade der Problemlösung die Funktionsfähigkeit der Finanzmärkte und die

Betriebsgrößenstruktur

verändern. Daraufhin werden die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt und die sektorale Verteilung wirtschaftlicher Aktivität analysiert. Das dritte Kapitel zeigt partialanalytisch die Einkommenseffekte einer verbesserten Kreditvergabe für verschiedene Gruppen von Betroffenen: Die Kreditnehmer, die "Nichtkreditnehmer" und die Konsumenten. Schließlich werden anhand einer Totalanalyse mögliche gesamtwirtschaftliche Wirkungen dargestellt.

1. Auswirkungen auf Finanzsektor und Betriebsgrößenstruktur In diesem Kapitel werden die Auswirkungen einer effizienteren Kleinkreditvergabe auf den Finanzsektor untersucht. Langfristiges Ziel jeglicher Entwicklungsstrategie sollte immer die Hilfe zur Selbsthilfe sein. Im Zusammenhang der Kleinkreditvergabe bedeutet dies, daß Kleinkreditnehmer ein attraktives Kundensegment bilden und von gewinnorientierten Finanzintermediären im eigenen (Gewinn-)lnteresse Dienstleistungen angeboten bekommen.72 Im dritten Teil wurden Instrumente erörtert, die die Attraktivität der Kleinkreditvergabe steigern. Bis jetzt wurde allerdings noch nicht untersucht, wie stark diese Instrumente wirken müssen, um Finanzintermediäre dazu zu bewegen, diese Dienstleistungen tatsächlich aus freien Stücken anzubieten. Außerdem wurden noch keine Strategien diskutiert, die eine Kleinkreditvergabe auch dann gewährleisten, wenn diese bei ausschließlicher Gewinnorientierung nicht (ganz) rentabel ist. Wie schon im ersten Teil startet auch hier die Analyse anhand des Modells von STIGLITZ/WEISS, d.h. es wird zwischen nur zwei Kreditnehmergruppen unterschieden,

72

Vgl. auch BMZ, 1994, S. 6.

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Impactanalyse von Kleinkreditprogrammen

die "große" und "kleine" Kredite nachfragen. Danach werden die Ergebnisse anhand des Grundmodells auf ein Kontinuum möglicher Kredithöhen übertragen, wodurch sich die Folgen für die Betriebsgrößenstruktur ableiten lassen.

a) Das Modell von STIGUTZ/WEISS Die Auswirkungen auf den Finanzmarkt hängen vom Ausmaß der Effizienzverbesserungen ab. Daher werden im folgenden vier verschiedene Szenarien dargestellt und die jeweiligen Ergebnisse und Schlußfolgerungen abgeleitet.

Kleinkreditvergabe als Marktergebnis Auf kompetitiven Märkten werden Leistungen immer dann angeboten, wenn sie eine höhere Rendite als alternative Projekte versprechen. Ist ein Markt, wie bei Finanzmärkten in den meisten "Entwicklungsländern" anzunehmen, nicht absolut kompetitiv, fließen auch andere Überlegungen in die Analyse ein. Bei der Kleinkreditvergabe ist besonders zu berücksichtigen, daß a) die Bank für bestehende Kunden möglichenweise an Attraktivität verliert, weil diese z.B. den Kontakt mit Kleinstunternehmern auf jeden Fall vermeiden möchten, b) die Bankmanager selbst Vorbehalte gegen diese Kundengruppe hegen, oder c) zwischen Bank und Zielgruppe eine so große soziale Distanz besteht, daß Kleinstunternehmer von den Bankmitarbeitern nicht richtig eingeschätzt werden können und sie ihnen daher zu suspekt sind. Je ausgeprägter diese "Hinderungsgründe" sind, umso höher muß die zu erwartende Rendite über der Rendite bei "Großkrediten" liegen. Umgekehrt ist es auch möglich, daß die öffentliche Meinung eine Vergabe von Kleinkrediten seitens der Banken fordert, das Angebot dieser Leistungen also das Ansehen der Bank und damit ihre Attraktivität steigert und sie daher Kleinkredite auch bei geringeren Renditeerwartungen vergeben wird.73

73

Allerdings fordert die öffentliche Meinung in aller Regel auch, Kleinkredite zu ähnlich hohen Zinssätzen wie Großkredite zu vergeben, was eine akzeptable oder auch nur positive Rentabilität verhindert.

Auswirkungen auf Finanzsektor und Betriebsgrößenstruktur

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Abbildung 31 stellt diese Überlegungen modellhaft dar. Großkredite weisen einen Zusammenhang zwischen Zinssatz und Rendite der Bank gemäß der Funktion r

C•) SSrto - b z w nach Abzug der Transaktionskosten r(i)j^® auf. Die traditionelle Klein-

kreditvergabe ist durch die gestrichelten Kurven dargestellt, d.h. die maximal erreichbare Rendite für Kleinkredite lag mit r^'* deutlich unter der für Großkredite

Abb. 31: Kleinkreditvergabe als Marktergebnis Nun wird die Einführung einer effizienteren Kredittechnologie bei der Kleinkreditvergabe unterstellt, die sowohl die Risiken begrenzt (Streckung von r(i)

) als auch

die Transaktionskosten senkt (verringerter Abstand zwischen Brutto- und Nettorendite). Als Resultat ergibt sich die Nettorenditefunktion r ( i ) ^ 0 2 , d.h. die maximal erreichbare Rendite der Bank steigert sich bei der Kleinkreditvergabe auf r j ^ u n d liegt damit über der Rendite für große Kredite. Daher besteht für Banken nun ein

114

Impactanalyse von Kleinkreditprogrammen

wirtschaftlicher Anreiz, Kleinkredite zu vergeben. Selbst wenn Banken negative Auswirkungen auf ihre traditionelle Großkreditvergabe befürchten müssen, wird sich auf halbwegs kompetitiven Märkten in der Regel mindestens eine Bank finden, die sich, evl. unter Aufgabe ihres Stammgeschäfts, auf die Vergabe kleiner Kredite spezialisiert. Die hohe Rendite ermöglicht dieser Bank ein starkes Wachstum, das nicht nur die Versorgung der Zielgruppe mit Krediten sicherstellt, sondern auch anderen Banken die Attraktivität dieses Marktsegments beweist. Auf längere Sicht werden daher immer mehr Banken in dieses Segment vorstoßen, der resultierende Wettbewerb wird die Konditionen für die Kunden weiter verbessern. Ist dieses Szenario zu optimistisch? Nun, nicht ganz. Die Erfahrung hat gezeigt, daß es bei der Kleinkreditvergabe starke Lerneffekte gibt, die langfristig die Kosten senken. In Peru bieten beispielsweise seit über einem Jahrzehnt die aus einem upgrading-Projekt entstandenen kommunalen Sparkassen Finanzdienstleistungen für Klein(st)unternehmer an und arbeiten inzwischen mit guten Gewinnen. Dies blieb anderen Finanzintermediären nicht verborgen, insbesondere die in den letzten Jahren verstärkt in den Markt drängenden chilenischen Financieras haben im Kleinkreditgeschäft bereits ein lohnendes Marktsegment erkannt. Allerdings beschränken sie sich auf die rentabelsten und unkompliziertesten Teilsegmente, d.h. sie vergeben "Konsumkredite" an Angestellte des formellen Sektors, die allerdings zu einem beträchtlichen Teil (ca. 30%) an Familienangehörige weitergeleitet werden, die diese Gelder dann zur Finanzierung ihrer Kleinstunternehmen verwenden Durch den Markteintritt der chilenischen Financieras hat sich das Kreditangebot für Kleinstunternehmer, wenn auch indirekt, wesentlich erhöht. Z u bemängeln bleibt allerdings, daß der Zugang z u Kredit nur den Kleinstunternehmern offensteht, die Angestellte des formellen Sektors zu ihrer Familie zählen können. Die Ambivalenz einer Kleinkreditvergabe an nur einen Teil der Kleinunternehmer wird in Abschnitt IV.3.a dargestellt. Kleinkreditvergabe durch wirtschaftliche Anreize In den meisten "Entwicklungsländern" ist die Vergabe von Kleinkrediten nicht so rentabel wie die großer Kredite. Diese Situation ist in Abbildung 32 dargestellt, die

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Auswirkungen auf Finanzsektor und Betriebsgrößenstruktur

sich auf die Wiedergabe der Nettorenditefunktionen nach Einführung der neuen Kredittechnologien beschränkt. Nimmt man an, daß die Nachfrage nach großen Krediten zu einem Zinssatz oberhalb von

führt, bietet die Bank gar keine Klein-

kredite an. Selbst bei einem Zinssatz knapp unterhalb von iJ£,'B wird die Bank nicht bereit sein, in die Einführung einer für sie neuen Kredittechnologie zu investieren. Außerdem wäre in diesem Fall die Angebotsmenge an Kleinkrediten stark von Schwankungen auf der Großkreditmarkt abhängig, der Zugang zu Krediten also langfristig nicht gesichert (siehe auch erster Teil).

r Abb. 32: Kleinkreditvergabe durch wirtschaftliche Anreize Eine gewinnorientierte Bank wird in dem hier dargestellten Fall also in der Regel keine Kleinkredite vergeben, da die alternative Anlage in großen Krediten die gleiche oder eine (knapp) höhere Rendite verspricht und keine zusätzlichen Investitionen erfordert. Will man die Banken doch zur Vergabe von Kleinkrediten bewegen, muß man ihnen wirtschaftliche Anreize bieten, die die erwartete Rendite der Kleinkreditvergabe entsprechend erhöhen (siehe III.5.C). Im folgenden wird das Konzept der Interamerikanischen

Entwicklungsbank

dargestellt,

das

diese

in

ihren

"Micro-Global"-

Programmen in einigen Ländern Lateinamerikas anwendet. Dabei werden zum einen

116

Impactanalyse von Kleinkreditprograrrmen

die Kosten, die bei der Einführung der neuen Kredittechnologie entstehen, subventioniert, indem technische Zusammenarbeit für die Banken kostenlos zur Verfügung gestellt wird. Zum anderen können sich die Banken in Höhe ihres Kleinkreditpjrtfolios bei der Interamerikanischen Entwicklungsbank langfristig verschulden.