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German Pages 450 [457] Year 1980
LITERATURWISSENSCHAFTLICHES JAHRBUCH IM AUFTRAGE DER GÖRRES-GESELLSCHAFT HERAUSGEGEBEN VON HERMANN KUNISCH, THEODOR BERCHEM UND FRANZ LINK
NEUE FOLGE / EINUNDZWANZIGSTER BAND
1980
DUNCKER & HUMBLOT · BERLIN
LITERATÜRWISSENSCHAFTLICHES JAHRBÜCH I M AUFTRAGE DER GÖRRES-GESELLSCHAFT H E R A U S G E G E B E N V O N PROF. DR. H E R M A N N
KUNISCH,
PROF. DR. T H E O D O R B E R C H E M U N D PROF. D R . F R A N Z
NEUE FOLGE / E I N U N D Z W A N Z I G S T E R
LINK
BAND
1980
Das Literaturwissenschaftliche herausgegeben v o n
Prof.
Jahrbuch Dr.
w i r d i m Auftrage der Görres-Gesellschaft
Hermann
Kunisch, Nürnberger
Straße 63,
8000
München 19, Professor D r . Theodor Berchem, Frühlingstr. 35, 8700 W ü r z b u r g Lengfeld, und Professor D r . Franz L i n k , Eidirodtstr. 1, 7800 Freiburg. Redaktion: D r . K u r t M ü l l e r , Steinbuckstr. 2, 7830 Emmendingen 16. Das Literaturwissenschaftliche
Jahrbuch
erscheint als Jahresband jeweils i m U m -
fang v o n etwa 20 Bogen. Manuskripte sind an die Herausgeber zu senden. U n v e r langt eingesandte Beiträge können nur zurückgesandt werden, w e n n
Rückporto
beigelegt ist. Es w i r d dringend gebeten, die Manuskripte druckfertig, einseitig i n Maschinenschrift
einzureichen. E i n M e r k b l a t t
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kann bei der Redaktion angefordert werden. D i e E i n h a l t u n g der Vorschriften ist notwendig, damit eine einheitliche Ausstattung des Bandes gewährleistet ist. Besprechungsexemplare v o n Neuerscheinungen aus dem gesamten Gebiet der europäischen Literaturwissenschaft, einschließlich Werkausgaben, werden an die Adresse der Redaktion erbeten. Eine Gewähr für die Besprechung kann nicht übernommen werden. Verlag: Duncker & H u m b l o t , Dietrich-Schäfer-Weg 9, 1000 Berlin 41.
LITERATURWISSENSCHAFTLICHES JAHRBUCH EINUNDZWANZIGSTER BAND
Arche Noah, Illustration zum altenglischen Genesis-Gedicht (um 1000), Bodley MS. Junius 11, p. 66 (vgl. S. 24 ff.).
LITERATURWISSENSCHAFTLICHES JAHRBUCH I M AUFTRAGE D E R G Ö R R E S G E S E L L S C H A F T H E R A U S G E G E B E N VON H E R M A N N K O N I S C H , THEODOR BERCHEM UND FRANZ LINK
N E U E FOLGE / E I N U N D Z W A N Z I G S T E R
BAND
1980
D U N C K E R
&
H Ü M B L O T
/
B E R L I N
Redaktion: Kurt Müller
Alle Hechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der photomechanischen Wiedergabe und der Ubersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 1980 Duncker & Humblot, Berlin 41 Printed in Germany Gedruckt 1980 bei Berliner Buchdruckerei Union GmbH., Berlin 61 I S B N 3 428 04733 8
I N H A L T
AUFSÄTZE Manuel
F ernândez-G aliano (Madrid), Altes und neues in der Alexandra
des
Lykrophon Vincent
7
DiMarco
(Amherst/Mass.), U x o r N o a h Rediviva: Some Comments
on H e r Creation and Development Norbert
Kohl
(Freiburg i. Br.), Zur Rezeption der Antike in Sir Philip Sid-
neys Defence Eva Maria
21
of Poesie
lnbar
39
( N e w Haven/Conn.), Zur Funktion der Fußnoten in Wie-
lands Shakespeare-Übersetzung Robert
Mühlher
Hermann
57
(Wien), E. T . A . Hoffmanns Bamberger Jahre
75
F . Weiss (Ann Arbor/Mich.), Unveröffentlichte Briefe Achim von
Arnims nebst anderen Lebenszeugnissen
89
Kurt Schlüter (Freiburg i. Br.), Politische Zeitungslyrik und Pamphletdichtung in England im Gefolge der französischen Revolution
171
Horst Fritz (Mainz), Heinrich Drendorf und Frederic Moreau. Aspekte gefährdeter Individualität bei Stifter und Flaubert Kurt Müller
229
(Freiburg i. Br.), Identität und Rolle in Theodore Dreisers Sister
Carrie . Teil I : Rollenverhalten, Identität und soziale Struktur Willi
Erzgräber
253
(Freiburg i. Br.), » The Moment of Vision « im modernen
englischen Roman Franz H. Link Manfred
283
(Freiburg i. Br.), W . S. M e r w i n : Metaphysiker des Schweigens 303
Bambeck
(Frankfurt/Main),
Michel Butor
» Grand Veneur « im W a l d von Fontainebleau
La
Modification :
Der 321
4
Inhalt KLEINE
BEITRÄGE
Werner Fechter (Lenzkirch), Unveröffentlidites von und an Dietzenschmidt . .
345
Gottfried
349
Stix (Rom), M a x Löwenthals Verherrlichung des Unsagbaren
BERICHT John Hennig
(Basel), Goethes Kenntnis der schönen Literatur Italiens
361
BUCHBESPRECHUNGEN Milton
McC.
Gatch, Preaching and Theology
fric and Wulfstan
T. A. Shippey, Beowulf. Alcuin
385
View
(Von Alfred Bammesberger) 386
Valentin , Le théâtre des Jésuites dans les pays de langue allemande
(1554 -1680) Norbert
Ael-
Studies in English Literature, Bd. 70; W. F. Bolton ,
and Beowulf . An Eighth-Century
Jean-Marie
in Anglo Saxon England:
(Von Alfred Bammesberger)
(Von Fidel Rädle)
H. PlatZy Ethik
387
und Rhetorik
in Ben Jonsons Dramen.
Anglistisdie
Forschungen, Band 113 (Von K . P. S. Jochum)
403
Europäische Bukolik
und Georgik, hrsg. von Klaus Garber (Von Volker Kapp) 404
Goethe-Wörterbuch.
Hrsg. von der Akademie der Wissenschaften der D D R ,
der Akademie der Wissenschaften in Göttingen und der Heidelberger A k a demie der Wissenschaften. Erster Band A - azurn (Von Hermann Kunisch) 407 Herbert Ulrich
Seidler, Studien zu Grillparzer Pretzel,
Kleine
Schriften.
Mit
und Stifter
(Von Hermann Kunisch) 416
einem Geleitwort
herausgegeben von
Wolfgang Badiofer und K a r l Stackmann ( V o n Hermann Kunisch) Rüdiger Ahrens und Erwin turtheorie.
Wolff
(Hg.), Englische und amerikanische
Studien zu ihrer historischen
Entwicklung.
422 Litera-
2 Bände (Von Norbert
Kohl) Gerhard
431 Hoffmann,
Raum, Situation,
erzählte Wirklichkeit:
historische Studien zum englischen und amerikanischen Lubbers)
Poetologische und Roman
(Von Klaus 433
Inhalt Alfred
Döblin,
Pilgerin
Der Oberst und der Dichter
Aetheria.
oder Das menschliche Herz.
Die
H g . und mit einem Nachwort versehen von Anthony
W . Riley; Alfred Döblin,
Erzählungen
Pässler; Alfred
Autobiographische
Döblin,
aus fünf Jahrzehnten. Schriften
nungen. H g . von Edgar Pässler (Von Manfred Auer) Namen- und Werkregister
NACHWEIS DER
H g . von Edgar
und Letzte
Aufzeich436 443
ABBILDUNGEN
Titelbild: Arche Noah, Illustration zum altenglisdien Genesis-Gedicht (um 1000), Bodley MS. Junius 11, p. 66. D i e Reproduktion erfolgt mit freundlicher Erlaubnis der Bodleian Library, Oxford. Nach S. 126: Brief Achim von Arnims an Franz K a r l Leopold von Seckendorf vom 18. Juli 1806. Original im Besitz des Goethe-Museums, Düsseldorf. Die Reproduktion erfolgt mit freundlicher Erlaubnis des Goethe-Museums.
ALTES U N D NEUES I N DER ALEXANDRA DES L Y K O P H R O N Von Manuel Fernandez-Galiano
Es wäre sinnlos zu leugnen, daß Lykophron, den das Altertum schlechthin als Verfasser des σκοτεινον ποίημα kannte, selbst für den gebildeten Leser bewußt dunkel ist. Die Einführung in irgendeine seiner wenigen Ausgaben kann uns reichlichen Stoff darüber vermitteln. Vergessen wir nicht, daß der Dichter, der von Ptolemaios I I . Philadelphos nach Alexandria berufen wurde, um dort an den Texten der alten Komödie zu arbeiten, dem kultivierten, etwas neurotischen Kreis von Intellektuellen angehörte, die in der Bibliothek und im Museum forschten, wie sie von Timon von Phleius (fr. 12 D.) beschrieben werden. Lykophron ist, wie auch andere Schriftsteller seiner Zeit, ein sehr guter Kenner der Klassiker, der Geschichte und der Mythologie; er beherrscht den poetischen Wortschatz bis in seine entlegensten Glossen; er ist ein wahrer Spezialist des iambischen Trimeters, den er mit bewundernswerter Meisterschaft handhabt; er gehört einer supergebildeten Welt an, in der die Gelehrten wetteifern in Geist und Scharfsinn, um lexikographische Neuheiten oder rhetorische Figuren zu finden, die dem gemeinen Volk, das Kallimaclios so verschmähte, kaum oder gar nicht zugänglich waren. Man denke zum Beispiel an die gekünstelten Anagramme, mit welchen Lykophron dem Königspaar schmeichelte: Πτολεμαίος ist άπο μέλιτος, honigsüß, 'Αρσινόη wird zu einem zarten ϊον Ήρας, Veilchen der Göttin Hera. Aber das, worauf es hier ankommt, ist nicht, was wir ja alle wissen, daß Lykophron ein dunkler Dichter war — schon Statius (Silu. V 3, 156-7) rühmte, daß sein Vater es verstanden hatte, in die » latebras ... Lycophronis atri « einzudringen —, sondern zu versuchen zu entdecken, warum er es ist. Wäre es möglich, daß in dieser Dunkelheit nur ein kindischer Wunsch steckt, das Publikum zu blenden, épater le bourgeois ? Quintilian ( V I I I 2, 18) sagt sehr kluge Worte über bestimmte schlechte Rhetoren oder Poetaster: es scheine als ob sie einer inneren Stimme gehorchten, die ihnen ständig sagte σκότισον » verdunkle «; und ein ausgezeichnetes Buch des Polen Sinko, das, soweit mir bekannt ist, leider nicht in andere Sprachen
Manuel Fernndez-Galiano
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übersetzt ist, bietet uns einige sehr treffende Sätze über den Stil unseres Dichters. Sinko 1 behandelt den französischen Symbolismus, der für seine » dunkle « Dichtung den Spanier Luis de Góngora zum Vorbild nimmt, samt seinem Widerhalle bei Paul Valéry und bei anderen, und bemerkt, daß Alfred Thibaudet, im Verlauf einer Polemik über die » Unverständlichkeit « dieser Dichter, zwischen » klaren « Autoren unterschied, die für die Mehrheit der Menschen schreiben, und » dunklen « oder » hermetischen «, die für sich selber oder höchstens für eine kleine Gesellschaft von Freunden dichten. Es gibt aber zwei Seiten2 in der Einführung der nützlichen Lykophron-Ausgabe des Argentiniers Lorenzo Mascialino, die mir geholfen haben, eine feinere Unterscheidung in dieser Hinsicht vorzuschlagen: Dichter, die für sich selber und für jedermann leicht verständlich sind. Hier können wir, um bei der spanischen Literatur zu bleiben, die ich natürlich am besten kenne, Federico Garcia Lorca nennen. Schriftsteller, deren geistige Welt voll ist von Windungen, Falten und Tiefen, und die vielleicht für sich selber schreiben, um die Geheimnisse des Lebens und der Seelen aufzuhellen, aber ihre Suche nach dem Schlüssel des Weltalls benötigt weder seltene Ausdrücke noch zierliche Figuren: die Wörter sind alltäglich, wenn auch ihr Inhalt vom Laien, von dem mit dem Dichter und seinem Innenleben nicht Vertrauten, nur schwer erfaßt wird. Es ist die hermetische Dichtung der modernen Zeiten. Mascialino nennt Mallarmé, Pabo Neruda, Stefan George. Saint-John Perse, Guillén, Montale, Aleixandre, Seferis, Hammarskjöld, Senghor, sogar Unamuno und Antonio Machado in ihren » intellektuellsten « Gedichten könnten mit einem freieren Gebrauche des Worts » hermetisch « zum Katalog hinzugefügt werden. Es sind anscheinend klar verständliche Dichter für den oberflächlichen Beobachter, aber unendlich schwierig für den, der sie wirklich verstehen will. Zu einer anderen Reihe würde ich jene dunklen Autoren rechnen, die sich nicht im geringsten anstrengen, die Dinge für den Leser leicht zu gestalten. Jeder weiß, von wem ich spreche. Ich nenne als Beispiel drei heutzutage weltbekannte Schriftsteller, Hauptvertreter einer Richtung, die von vielen jungen Literaten nachgeahmt wird, aber mit dem geringen Erfolg, der dem allgemein niedrigen Stand der humanistischen Ausbildung an den heutigen Universitäten entspricht: James Joyce, Ezra Pound, T. S. Eliot. Und schließlich eine letzte Gruppe von Dichtern, bei denen der in sich klare Inhalt durch eine Fülle von seltsamen Vokabeln, verwickelten Wen1 Literatura
grecka I I 1, Krakau, 1947, 528 - 9.
2 Barcelona, Alma Mater, 1956, X X X V I I I - X X X I X .
Alexandra des Lykophron
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düngen, ungewöhnlichen Figuren und gegebenenfalls durch die absichtliche Veränderung der logischen Ordnung der Erzählung verdunkelt wird. Mascialino führt den französischen Dichter Maurice Scève an und sein sehr künstliches Werk Délie, objet de plus haute vertu, dessen Titel schon gleichzeitig Anspielungen auf Artemis, die keusche Göttin von Delos, und, mit einem durchsichtigen Anagramm, auf Vidée , die platonische Idee, enthält. Diesen Schriftsteller kenne ich nicht gut und kann deshalb im Augenblick nicht beurteilen, ob seine Dunkelheit nur formell ist oder auch den Inhalt betrifft. Wohl bin ich aber vertraut mit der Dichtung meines Landsmannes Luis de Góngora, der an der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert — seine Geburt fällt fast genau mit dem Tod von Scève zusammen — die Soledades und den Polifemo schrieb und damit den sogenannten » Culteranismo « hervorrief, dessen Name sich auf Dichtungen für kultivierte Menschen bezieht. Góngora erreichte einen großen Ruf, war aber auch Ziel vieler Spötteleien; die Späße des Lope de Vega sind in Spanien sehr gut bekannt. Natürlich konnte sein Werk ohne Erklärungen nicht verstanden werden. So entstanden der monumentale Kommentar von Salazar Mardones — mehr als 400 Seiten für 127 Strophen — und die außerordentlich pedantische Auslegung von Garcia Coronel. Beide waren seinerzeit sehr nützlich, trotz mancher Irrtümer und Kindereien; und dann kam, in unserem Jahrhundert, die vortreffliche Ausgabe des großen Dichters und Philologen Damaso Alonso, der durch das Verfahren der parallelen Paraphrase bewies, daß Góngora nicht so schwierig ist, wie es aussieht, und alles ziemlich gut verständlich wird, sobald man den komplizierten Mechanismus der Glossen und Bilder zerlegt. So, wenn der Dichter sagt iOh 3 del aire de Jupiter vendado pollo — si alado no, lince sin vista polìtico rapaz ...!,
—,
würde kein Spanier es ohne vorhergehende Erklärungen verstehen. Aber Alonso erklärt, daß, obwohl Cupido die Augen verbunden hat, seine Sicht so durchdringend wie die eines Luchses ist; er trägt Flügel wie ein Vogel und ist scharfsinnig und treffsicher wie ein echter Sohn des Adlers des Jupiter. So werden die Verse durchaus verständlich. In Spanien begingen wir vor drei Jahren die Fünfzigjahrfeier der » Generation von 1927 «, einer Gruppe hervorragender Dichter, denen die Dreihundertjahrfeier des Todes Góngoras Anlaß gab zu einer Huldigung und Kompensation für die negative Weise, in der die damaligen Kritiker den alten Schriftsteller behandelten. Im Gefolge davon entstand eine gongorinische Mode, die sich in der spanischen Literatur durch den Bürgerkrieg hindurch behauptete. Auch der feinsinnige Dichter Miguel Hernandez, ein
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Manuel Ferndndez-Galiano
Opfer des Krieges, folgte dieser Tendenz, als er 1933, erst dreiundzwanzig Jahre alt, seinen wichtigen Perito en lunas veröffentlichte. Das Buch besteht aus 42 Strophen, von denen eine jede ein poetisches Rätsel aufgibt: ein bestimmter Gegenstand — eine Palme, eine Rakete, eine Wassermelone — verbirgt sich und verschwindet unter einer Menge von kühnen Metaphern. Der Sarg ist ein » final modisto de cristal y pino « (endlicher Schneider aus Glas und Kiefernholz): das Bild erscheint schon bei Homer, λάινον εσσο χιτώνα (Γ 57), und bei Aischylos, χθονος τριμοιρον χλαΐναν . . . λαβείν (A g. 872). Der Brunnen ist eine » torre redonda, / subterraneo quinqué, canon de canto « (runder Turm, unterirdische Öllampe, senkrechte Kanone), usw. Es ist auch sehr bezeichnend, daß das Werk als Gesamtleitspruch ein Zitat von Valéry trägt — je m'enfonce au mépris de tant d'azur oiseux —
und, am Ende der 13. Strophe, einen berühmten Vers von Góngora, » a batallas de amor, campos de pluma « (für Liebesschlachten, Federfelder), der von Mallarmé als Motto der ganzen symbolistischen Schule aufgestellt wurde. Aber damit noch nicht genug. Die Dreihundertjahrfeier von Góngora kam nur drei Jahre nach dem Manifeste du surréalisme von André Breton und neun Jahre nach den Calligrammes , in denen Guillaume Apollinaire die hellenistische Tradition der carmina figurata aufgenommen hatte; ein weiterer Vertreter der neuen Schule, Louis Aragon, hatte Spanien 1925 besucht; eine Festschrift für Góngora, voll von surrealistischer Dichtung, erschien 1927 in der spanischen Zeitschrift Litoral; zwei Jahre nachher wird der Film Le chien andalou von Luis Bunuel, der einen so großen Eindruck auf uns Kinder machte, zum erstenmal gezeigt; und aus dem gleichen Jahr stammt auch ein kleines, aber bewundernswertes Buch, Sobre los angeles, von Rafael Alberti, mit seiner glänzenden Reihe surrealistischer Bilder. » V i que el mar verdadero era un muchacho que saltaba desnudo « (ich sah, daß das wahre Meer ein Knabe war, der nackt herumsprang). Oder » un rey es un erizo sin secreto « (ein König ist ein Igel ohne Geheimnis). Merkwürdigweise — Alberti war kein Kenner der klassischen Dichtung und hat wahrscheinlich niemals Lykophron gelesen — erscheint dieser Igel im Vers 1093 der Alexandra: der schlaue König Nauplios, der Vater des Palamedes, der die Hühner gegen die Hähne aufreizt. Es hat deshalb seinen guten Grund, wenn noch 1950, als der ehemalige surrealistische Künstler Salvador Dali wieder nach den klassischesten Vorbildern malte, die französische Zeitschrift La nef einen Almanack Sur-
Alexandra des Lykophron
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réaliste du Demi-siècle veröffentlichte, in dem ein Fest mit nur acht Gästen gefeiert wird, von denen einer gerade der Verfasser der Alexandra ist. Wir sind uns somit einig, daß Lykophron ein im Grunde verständlicher Dichter wäre, wenn er nicht absichtlich sein Werk verdunkelt hätte; hier möchten wir flüchtig einige seiner Verfahrensweisen mustern. Da ist zum Beispiel das, was wir Erzählung nennen könnten, als eine Beschreibung zukünftiger Tatsachen in den Mund der Kassandra gelegt. Schon die Alten sprachen bekanntlich vom ύστερον πρότερον, einer Umkehrung, die sie Homer zuzuschreiben pflegten, aber nur in Bezug auf winzige Änderungen, wie in der Ilias (I 251), αμα τράφεν ήδέ γένοντο, oder in der Aeneis von Vergil ( I I 353), moriamur et in media arma ruamus. Wichtiger jedoch ist die schon von Homer selbst eingeführte Abwechslung der linearen und ununterbrochenen Erzählungen, wie die der llias selbst, mit dem künstlerischen Verfahren, das heute in der Filmkunst Rückblendung genannt wird, und das wir in der Odyssee finden: ein auffälliger Kontrast, der später in den mythischen Geschichten von Stesichoros und Pindar erscheint. Somit können wir Lykophron keinen Vorwurf machen, wenn er einen guten Gebrauch macht von einem Hilfsmittel, das das Interesse des Lesers wachhält und die Monotonie vermeidet. Darin ist es eigentlich » modern «. Bei der Vorbereitung dieses Vortrags erinnerte ich mich an einen berühmten und schönen Roman von Aldous Huxley, Eyeless in Gaza, den ich vor langer Zeit gelesen hatte, und fand zwischen seinen Seiten einen Zettel, auf dem ich die chronologische Folge der Kapitel vermerkt hatte, die der Verfasser ohne jede Ordnung bringt: 27, 40, 28, 1, 15, 2 usw. Etwas ähnliches findet man in Rayuela, dem besten Werke des Julio Cortazar, der dem Leser im Vorwort zwei Weisen vorschlägt, sich damit zu befassen: entweder solle er die mit 1 bis 56 bezeichneten Kapitel lesen, und weiter nichts, oder die » entbehrlichen «, durcheinandergewürfelten Kapitel einschieben, indem er, wie ein Frosch, von 73 zu 1 und 2 und dann zu 116, 3, 84 usw. springt. Das alles gehört anscheinend zur modernen Theorie vom nicht nur rezeptiven, sondern auch aktiven Leser, der mit dem Schriftsteller mitarbeitet; und so steht außer Zweifel, daß Lykophron schon damals anfing, den Leser zur Mitarbeit anzuregen. Ich kann mich kaum bei anderen bemerkenswerten stilistischen Eigenarten unseres Dichters aufhalten, wie der Fülle und dem Reichtum seines Wortschatzes, der großen Menge von απαξ ειρημένα und prima dicta , seinen vielen Bemühungen, Götter und Helden zu maskieren. Eins seiner Verfahren besteht darin, sie durch die mannigfaltigsten Tiere darzustellen.
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Es ist ein richtiger Tierpark, dessen Insassen die verschiedenen Personen mit ihren eigentümlichen Zügen charakterisieren. Es handelt sich um den Metapherntypus, den Tryphon (Trop. 192, 12) από έμψυχων επί έμψυχα nannte und bei dem, nach Quintilian ( V I I I 6, 9), in rebus animalibus aliud pro alio ponitur. Lykophron beweist eine große Erfindungsgabe bei seiner Anwendung. Es erscheinen natürlich häufiger die bekannten Prototypen wie der Löwe als Vertreter des Mutes, der Stier als der der Kraft, der Hund als der des Lasters, die Schlange als der der Tücke, der Wolf als der der Grausamkeit. Aber wir finden auch Tiere, von denen in diesem Sinne weniger Gebrauch gemacht wird: der Geier, der die raubgierige Lüsternheit von Zeus und Apollon charakterisiert; der Krebs, der den alten Phoinix mit seinem runzeligen Körper darstellt; mehrere Gattungen, die mit der Möwe mehr oder weniger verwandt sind, und mit denen auf die Seefahrer hingedeutet wird, usw. Aber wenn, wie Aristoteles in seiner Rhetorik (1405 b 3 - 5 ) sagt, eine Metapher eben ein Rätsel ist, dann sollte diese meisterhafte Fähigkeit des Verfassers eines rätselhaften Werkes im vollen Sinne des Wortes für den aufmerksamen Leser kein spanisches Dorf sein. Der Philosoph fügt aber auch hinzu, daß die wahre Metapher nicht die Konjunktionen » wie « oder dergleichen mit sich führt. Wenn der Dichter sagt ώς δέ λέων έπόρουσεν, » er sprang auf wie ein Löwe «, so ist diese Figur eine είκών, ein Vergleich; die eigentliche μεταφορά entsteht erst in Sätzen wie λέων επόρουσε, » der Löwe sprang auf «. Nun finden wir bei Lykophron manchmal diese εικόνες mit den Konjunktionen ώς oder οία, eine Weise, die kaum einen großen stilistischen Unterschied gegenüber dem Gebrauch der modernen Dichter oder ihres Meisters Góngora darstellt, bei dem etwa die durstigen Mädchen zum Brunnen laufen » cual simples codornices al reclamo « (wie einfältige Wachtel, die dem Lockruf folgen). Denken wir weiter an Apollinaire (»je suis fidèle comme un dogue / au maître «), an Mallarmé (» contre la nudité peureuse de gazelle / qui tremble, sur le dos, tel un fol éléphant, / renversée . . . «), an Garcia Lorca (» las navajas de Albacete, / bellas de sangre contraria, / relucen corno los peces « — die Messer von Albacete, schön von dem Blut der Streiter, glänzen wie die Fische; » la iglesia grüne a lo lejos / corno un oso panza arriba « — die Kirche brummt in der Ferne wie ein auf dem Rücken liegender Bär). Auch die Fälle, wo Lykophron das Verbum > werden < metaphorisch benützt, erinnern an die stilistischen Bräuche unserer heutigen Dichter. So wird im Vers 1203 mit einer Metapher άπό άψυχων επί έμψυχα der Gott Kronos ( τύμβος γεγώς . . . σποράς) in das Grab seiner Söhne verwandelt. Bei Miguel Hernandez finden wir » para hacerme / ruisenor de las
Alexandra des Lykophron
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desdichas « (um eine Nachtigall zu werden, die das Unglück beklagt); » en su mano los fusiles / leones quieren hacerse « (die Gewehre in ihren Händen wollen Löwen werden); » los cuerpos que parecen / potros batalladores « (die Körper, die aussehen wie kämpf ende Fohlen). Aber Lykophron erweist sich stilistisch raffinierter als die modernen Dichter. Wir können bei ihm nirgends metaphorische Bilder der einfachsten Gattung entdecken, die beispielsweise mit denen des Antonio Machado vergleichbar wären: » la estrella es una lagrima / en el azul celeste « (der Stern ist eine Träne am blauen Himmel). Dasselbe gilt von der appositiven Metapher, die schon Aischylos (Ag. 1223 - 4) verwendet (έκ τώνδε ποινάς φημι βουλεύειν τινά, λέοντ' αναλκιν) und der wir auch bei modernen Dichtern begegnen: Apollinaire (» le phénix, ce bûcher qui soi-même s'engendre «), Valéry (» grande mer, . . . / hydre absolue, ivre de ta chair bleue, / qui te remords Tétincelante queue «), Lorca (» el monte, gato garduno, / eriza sus pitas agrias « — der Buschwald, eine Wildkatze, sträubt seine Agavenstacheln). Auch diese Ausdrucksform fehlt bei Lykophron. Sehr häufig dagegen ist in der Alexandra die unmittelbare Metapher, wo das Symbol ohne weiteres die Stelle der Person oder der versinnbildlichten Sache einnimmt: » bis der Löwe (Herakles), mit dem Löwenjungen (Aias) seines Freundes (Telamon) auf dem Schloß, Zeus anflehte « ; oder aber » ich beweine die zwei Nachtigallen « (Laodike und Polyxena); wieder ein Verfahren, das den hellenistischen Schriftsteller dem modernen Geschmack näher bringt. Auch der heutige Leser bevorzugt die unmittelbare Metapher, und dementsprechend schreiben unsere zeitgenössischen Dichter nicht » wolltest den Durst der Menschen löschen, die wie Panther waren «, sondern direkt: » wolltest den Durst der Panther löschen (» quisiste apaciguar la sed de las panteras «, bei Miguel Hernandez); noch schreiben sie » die Wellen, sich brechend dicht hintereinander, schlagen auf die Knaben wie angreifende Ochsen «, sondern, in der kühnen Ausdrucksweise von Garcia Lorca, » die dicken Ochsen des Wassers greifen die Knaben an (» los densos bueyes del agua / embisten a los muchachos «). Die Leser der Alexandra wären aber ihrem Verfasser sicher sehr dankbar gewesen, wenn er sie nicht mit seinen gelegentlich störenden zoologischen Metaphern in so große Verwirrung gebracht hätte; denn was geschieht anderes, wenn der Löwe und der Wolf die gleiche Person sind? Eine der tiefsten Dunkelheiten des dunklen Lykophron ist der Zeitpunkt, wie unbestimmt er auch sei, zu dem sein Werk geschrieben wurde. Dieses ganze Problem dreht sich um zwei bestimmte Stellen seiner Dichtung: die Verse 1226 ff., in denen Kassandra den Ruhm Roms, versinn-
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Manuel Fernndez-Galiano
bildlicht in Romulus und Remus, den Nachkommen des Aeneas, voraussagt, und 1439 ff., in denen von jemand gesprochen wird, der andere demütigen und mit dem ein Dritter später kämpfen und sich versöhnen wird. Die ersten Verse dieser letzten Stelle sollen nach der herkömmlichen Auslegung eine Anspielung auf Alexander den Großen enthalten und würden im Klartext heißen: »bis daß der große Alexander, der seine eigene Familie vernichten mußte und der die Perser zwang, ihm zu schmeicheln und ihm die Oberhoheit über Europa und Asien zu überlassen, nach der sie vorher strebten, den Frieden schließt. « Die Erwähnung von Thesprotien, einer Gegend in Epirus, und die von Dardanos und Aiakos kann man sich erklären, denn in Olympias, der Mutter Alexanders, sagte man, seien das Geschlecht der Troer und, durch den königlichen Stamm der Molosser, die Vorfahren des Achilles vereint. Wir hätten hier auch einen Bezug auf das Blutbad unter den Verwandten, das Alexander anrichten mußte, als er zur Macht kam. Die Perser würden als Nachkommen des Argivers Perseus betrachtet. Galadra ist eine Stadt Makedoniens. Alexander wäre (so zweimal in den Scholien) erst ein rötlicher Löwe und später ein Wolf. Noch schwieriger sind die Verse 1446 - 1450: μεΐΚ εκτην γένναν, »nach der sechsten Generation « ist rätselhaft; wir wissen nicht, wer der Verwandte von Kassandra ist. Die Ähnlichkeit der Ausdrücke der Verse 1229 (γης και θαλάσσης) und 1448 (πόντου τε και γης) läßt daran denken, daß auch hier von den Römern gesprochen wird. Aber außer anderen Schwierigkeiten, die auch die vorhergehenden Verse betreffen (taktloses Erwähnen der Verbrechen Alexanders, sonderbare Vereinigung des Löwen und des Wolfes in demselben Gleichnis), besteht ein historischer Zweifel, auf Grund dessen ein berühmtes Scholion, mit Bezugnahme auf die erstgenannte Stelle, nahelegt, die Alexandra einem anderen Lykophron zuzuschreiben als dem Verfasser der Tragödien, denn συνήθης . . . ών τω Φιλαδέλφω, ουκ αν περί 'Ρωμαίων διελέγετο, » wenn er ein Freund des Philadelphos war, konnte er nicht von den Römern sprechen «. Tzetzes meinte, daß diese Behauptung eine φλυαρία sei, » eine Albernheit «, und niemand erinnerte sich mehr daran, bis Charles James Fox 1800 und 1801 über diese Frage zwei Briefe an Wakefield schrieb, die Döderlein 3 später veröffentlichte und in denen er bemerkte, daß die Lage in Rom zwischen 280 und 270 nicht im Einklang stehe mit den übertriebenen Äußerungen Lykophrons an der ersten Stelle. Er glaubt, daß es sich in der zweiten um die römischen Bündnisse mit Philipp V. oder Ptolemaios Epiphanes handeln könnte, und so greift er zu dem leichten Ausweg, beide Stellen als spätere Interpolationen zu erklären. Das ist die Lösung, die unter anderen Scheer in seiner Ausgabe von 1881 annimmt. 3 Rhein. Mus. 3 (1829), 465 - 73.
Alexandra des Lykophron
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Nicht alle aber fanden sich mit einer solchen damnatio ab. Einige Vorschläge sind sehr hypothetisch, wie der von Clinton 4 , für den das Ansehen Roms, auch was das Seewesen anbetrifft, wenigstens zum Teil die klare Voraussicht des Dichters rechtfertigen würde, der nach 260, dem Jahre des Seesieges des Gaius Duilius bei Mylae während des ersten Punischen Krieges, schon die künftige Macht Roms ahnen konnte. Weitere allzu künstliche Theorien dagegen, wie sie zum Beispiel von Wilamowitz 5 und Momigliano 6 zu sehr verschiedenen Zeiten vertreten wurden, haben ihre Schöpfer 7 später selbst aufgegeben. Ziemlich großen Erfolg hatte die These von Holzinger, die er in seiner sehr guten Ausgabe von 1895 aufstellte. Die Paraphrase des Anfangs der zweiten Stelle wäre: » bis dass der grosse Pyrrhos, der seine eigene Familie vernichten musste und Alexandros zwang, Demetrios Poliorketes zu schmeicheln und ihm das Königreich abzutreten, den Frieden schließt. « Auch Pyrrhos tötete seinen Mitregenten und Verwandten Neoptolemos. Alexandros ist dann natürlich nicht Alexander der Große, sondern der Sohn des Kassandros, ein Argiver, das heißt, ein Argeade, da seine Mutter eine illegitime Tochter Philipps I I . war. Die letzten Worte können auf die Verwicklungen anspielen, die sich ergaben, bevor der Sohn des Antigonos den Thron bestieg. Die Paraphrase geht dann so weiter: » und, nach einem sechsjährigen Kriege, wird ein Verwandter von mir, ein ausgezeichneter Kämpfer, einen ehrenvollen Frieden mit Pyrrhos schliessen, er wird dann im besten Verhältnis zu ihm stehen und alle Früchte des Krieges behalten. « Wie man sieht, handelt es sich dabei um Gaius Fabricius Luscinus, einen Römer und folglich einen Nachkommen des Aeneas. Die Alexandra wäre dann vor 274 beendet worden, dem Jahr, in dem Pyrrhos, aus Italien zurückgekehrt, Antigonos Gonatas den Thron entriß, den er nur kurze Zeit behalten sollte. Der umstrittene Satz des Verses 1229 würde dann etwa lauten: » nicht nur von dem italischen Land, wie bis jetzt, sondern sich nach und nach aufs Meer wagend. « Es sind aber viele Hindernisse, die diesem Vorschlag entgegenstehen: γέννα kann wohl kaum » Jahr « bedeuten. Es ist ferner merkwürdig, daß nicht von Alexander dem Großen und so viel von Pyrrhos, einer weniger bedeutenden Persönlichkeit, gesprochen wird. Das Partizip λαβών des Verses 1450 paßt schlecht auf den notwendigen Begriff » zurückbehalten « oder » wiedergewinnen « usw. Diese Unsicherheit war vielleicht der Grund für die allmähliche Verbreitung der » modernen « Hypothese. Schon 1827, zwei Jahre vor dem Er4 Fasti Hellenici 5
De Lycophronis
I I I , Oxford (1841), 13. Alexandra
commentatiuncula,
Greifswald, 1883.
6 Journ. Rom. Stud. 32 (1942), 53 - 64. 7 Cf. Momigliano, Class. Quart. 39 (1945), 49 - 53.
Manuel Fernndez-Galiano
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scheinen der Briefe von Fox, hatte Niebuhr 8 es für möglich gehalten, daß nicht nur diese zwei Gruppen von Versen, sondern die ganze Alexandra das Werk eines Dichters ist, der, mit einer post e^e«i«w-Prophezeiung, die Eroberung Griechenlands durch Rom und die Verschmelzung beider Kulturen und Völker nach dem ersten Punischen Krieg, der Angliederung von Korsika und Sardinien, dem Eingriff in Illyrien, der Unterwerfung der Kelten, dem zweiten Punischen Krieg und dem Streit mit Philipp V., der mit dem Sieg von Kynoskephalai endete, feiern wollte. Mehr nodi, das Werk sollte nach 188 geschrieben worden sein, ein Jahr, in dem mit dem Frieden von Apameia Antiochos I I I . die römische Übermacht im Osten anerkennen mußte. Dazu fügte Beloch9 noch die Möglichkeit, daß es zwei Schriftsteller mit dem Namen Lykophron gab, den Sohn des Geschichtsschreibers Lykos, den Verfasser von Tragödien, im 3. Jahrhundert, und den Sohn des Sokles, der die Alexandra um 190 geschrieben hätte. Die Theorie genießt heute einen vielleicht unverdienten Ruf nach den Nachträgen von Skutch (der Verfasser der Alexandra hat Euphorion gelesen10), Sudhaus (über die Verehrung des Titus Quinctius Flamininus in Griechenland 11) und dem Artikel von Ziegler 12 in der Realencyclopädie. Dieser letztere sagt, daß man keinen rechten Sinn in einer solchen Prophezeiung zu Zeiten des ersten Lykophron sieht, als ein Römer kaum griechisch gelesen haben würde. Es sei audi seltsam, daß der so kritisierte Erklärer der alten Komödien sich als ein erfahrener Philologe und Mythograph in der Alexandra erweist. Es gebe eine Richtung allmählicher Verdunklung Kallimachos — Euphorion — Lykophron. Wenn Kallimachos den Lykophron gelesen hätte, würde die Alexandra seinen üblichen Spott herausgefordert haben. Man könne sich das jahrhundertelange Schweigen, wenn man von Aristophanes von Byzanz absieht, über ein später so gut bekanntes Gedicht nicht erklären. Philipp V. würde von Alexander an der siebte König von Makedonien sein, wenn man vor ihm nur die Antigoniden zählte und kurzlebige Könige oder Thronräuber, wie Philipp III., Arrhidaios, Kassandros und seine drei Söhne, Pyrrhos, Lysimachos, Ptolemaios Keraunos wegließe, usw. Ähnliche Überlegungen kehren wieder in dem Artikel, der Lykophron vor wenigen Jahren, ebenfalls in der Realencyclopädie, von Josifovic 13 ge8 Rhein. Mus. 1, 1827, 108 - 17. » Griechische Geschichte I I I 2, 478. 10
Realencyclopädie
6 (1907), 1 1 7 4 - 9 0 , s.v.
h Rhein. Mus. 63 (1908), 481 - 7. 12 Realencyclopädie 13 (1927), 2 3 1 6 - 81, 5. v. 13 Realencyclopädie
Euphorion. Lykophron.
Supplementb. 11 (1968), 888 - 9 3 0 , s.v.
Lykophron.
Alexandra des Lykophron
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widmet wurde. Seine Meinung würde zu einer Paraphrase folgender Art führen: » und, sechs Generationen später, wird ein Verwandter von mir, ein ausgezeichneter Kämpfer, einen ehrenvollen Frieden mit Philipp V. schließen und im besten Verhältnis zu den Hellenen stehen, unter anderem weil er sich mit einer bescheidenen Entschädigung begnügen wird. « Dieser These aber kann man entgegenhalten: a) den Gebrauch von γέννα als » Regierungszeit « ; b) die erwähnte Auslassung von Königen von Makedonien; c) der große Meister der hellenistischen Philologie, Rudolf Pfeiffer 14 , sagt in seiner Kallimachosausgabe : » si respicias quot res et vocabula Lycophro et Callimachus ex iisdem fontibus prompserint, > Alexandram < potius tertio saeculo tribuas quam altero «; d) der gleiche Pfeiffer kommt in seiner History of Classical Scholarship 15 auf anderem Wege zu ähnlichen Schlußfolgerungen: » this penchant for glosses is characteristic also of the treatise Περί κωμφδίας, and the inclination to enigmatical obscurity would be in harmony with a tendency we observed in the > Technopaegnia < of the early third century B. C. I am therefore disposed, after examining Lycophron's scholarly work, to accept the traditional date of > Alexandra < as correct « ; e) im Jahre 1961 schreibt Eugenio Manni 1 6 : » Licofrone è anteriore a Timeo « ; f) zwei Jahre später erklärt derselbe Manni 1 7 : » Callimaco ed Euforione scrivono dopo il Φωκικός πόλεμος (zwischen 280 und 250), Licofrone prima di esso «; g) Picard 18 hat einen Silberpokal studiert, auf dem Kassandra mit Lykophron und mit dem Philosophen Menedemos von Eretria zu sehen ist, der am Königshof von Antigonos Gonatas lebte; h) Hurst 1 9 hat bemerkt, daß die Anspielungen auf historische Tatsachen der Zeit des Flamininus, die manche geglaubt haben, in der Alexandra finden zu können, nicht der Struktur der Rätsel des Lykophron entsprechen; er vermutet dagegen, daß im Vers 1449 ein Bezug auf den Austausch von 1 4 Callimadjus
II,
O x f o r d (1953), X L I I I .
« O x f o r d (1968), 120. ie Kokalos 7 (1961), 8. 17
«
Mise. Rostagni, Torino (1963), 178. Mon. Piot 44 (1950), 53 - 82; Actes I*r Congr. F.I.E.C.,
™ Mèi
Collari,
Lausanne (1976), 231 - 5 .
2 Literaturwissenschaftliches Jahrbuch, 21. Band
Paris (1951), 191 - 6.
Manuel Ferndndez-Galiano
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Gesandten zwischen Rom und Ptolemaios Philadelphos im Jahre 273 steckt; i) ich selbst habe das kleine Tragikerfragment P. Oxy. 2746 kommentiert 2 0 , in welchem der Chor, Priamos, Deiphobos und Kassandra reden, die den Kampf zwischen Hektor und Achilles im 22. Gesang der Ilias vorauszusehen oder intuitiv zu erkennen scheint. Die Ähnlichkeit zwischen dem Wortschatz des neuen Textes und dem der Alexandra ist überraschend: von den vierundzwanzig wichtigen Wörtern, die der Papyrus enthält, stehen vierzehn in unserem Gedicht und eines in einem tragischen Fragment von Lykophron. Wir finden αινίγ[ματος], προ πύργων, στήσον gegenüber στήσει, πόδα am Trimeterende wie bei den neun Vorkommen dieses Wortes bei Lykophron, βάλλει προς οΰδας gegenüber κλίνει προς οΰδας, λεύσσω, βουλαΐς, γήρυν, παρεπλάγχθης gegenüber παραπλαγχϋέντα, φράσον. Obgleich meine Hypothese gewagt erscheinen mag, daß wir es hier mit einem Bruchstück einer Tragödie von Lykophron, der Kassandra oder den Schutz flehenden, zu tun haben, ergibt sich aus diesen Erwägungen auf jeden Fall folgendes: 1. Die völlige Bestätigung des hellenistischen Charakters des Textes. 2. Daß es unwahrscheinlich ist, daß das Fragment, wie Coles 21 vermutet, aus dem Hektor des Astydamas stammt, dessen Datum zu hoch liegt. 3. Die Alexandra kaum einer so späten Zeit angehören kann wie die Jahre der Schlacht von Kynoskephalai. j) Daraufhin habe ich auch den Wortschatz der Alexandra mit dem der Fragmente des Lykophron selbst und mit dem des Sositheos verglichen und eine außergewöhnliche Übereinstimmung beobachtet. Diese Überlegungen scheinen die » moderne « These zu widerlegen; die » prokrustischen « Versuche, das Leben unseres Verfassers so weit wie möglich zu verlängern,sind auch nicht fruchtbar gewesen; der gordische Knoten muß mutig durchgeschnitten werden. Das tat Wilamowitz selber 22, einundvierzig Jahre nach seiner ersten Arbeit, mit großem Scharfsinn. Überzeugt, daß die Erwähnung bei Aristophanes von Byzanz eine unleugbare Tatsache ist, und ebenso auch, daß Euphorion und Apollonios später anzusetzen sind als Lykophron, glaubte er an eine echte Prophezeiung von Seiten eines inspirierten Dichters, der den Ruhm der Römer in der Schlacht von Sentinum im Jahre 295 frühzeitig dämmern sah. Bei den ersten Versen der zweiten Stelle 2 0 Mus. Phil. Lond. 3 (1978), 1 3 9 - 4 1 . 21 Ox. Pap. 36 (1970), 7 - 1 1 . 22
Hellenische Dichtung I I , 143 - 64.
Alexandra des Lykophron
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würde es sich dann um Alexander den Großen handeln, dem die Metapher des Löwen vorbehalten bliebe, während der Wolf das makedonische Volk im allgemeinen verkörpern würde. Was darauf folgt, könnte man dann so paraphrasieren: » und, sechs Generationen später (nach Alexander, das heißt, zu einer unbestimmten Zeit zwischen 150 und 120), wird ein Verwandter von mir (ein Römer, Nachkomme des Aeneas; vielleicht — Lykophron weiß es selbst nicht — jemand der von Asien kommt), ein ausgezeichneter Kämpfer, der endgültig, nach Kriegen zu Lande und zur See, die beiden Kontinente versöhnt, von allen gefeiert werden und damit eine geistige Beute seiner Eroberungen erhalten. « Warum soll dieser Mann, der von seinem Vater, dem Geschichtsschreiber, in die exotische abendländische Welt eingeführt wurde, kein wahrer Prophet gewesen sein, der nach den Samnitenkriegen vermuten konnte, daß Rom eines Tages die Alleinherrschaft nicht nur über die Erde, sondern auch über die Meere erringen würde?
U X O R N O A H R E D I V I V A : SOME COMMENTS O N HER C R E A T I O N A N D DEVELOPMENT Von Vincent DiMarco Although most students of early English drama would admit that the striking character Uxor Noah of the Chester, York, and Wakefield cycles1 is largely the result of the genius of the English playwrights, her characterization as one who for a time refuses to board the ark, and thus jeopardizes God's plan to preserve Noah and his family, has been considered the product of an accretion of various motifs represented in literature, art, and folklore available to the authors of the cycles in the composition of their dramas. I confess to a certain suspicion of sudi reconstructions of a character like Uxor Noah who differs so radically from her Biblical source, who finds no convincing prototype in extra-Biblical Jewish legends of the Flood, who is never interpreted unfavorably by Patristic and post-Patristic commentators, and who seems to be without analogue in continental medieval drama. I n the examination of Uxor Noah that follows, then, I shall first consider the evidence from before the time of the cycles of her alleged appearances in England as a hesitant or contrarius individual. Then I shall evaluate the relevance of certain folklore materials to her depiction in the Newcastle Noah play and the Flood pageants of the Chester, York, and Wakefield cycles. And finally I shall suggest some approaches to the problem of her origin and development that modify, or even replace, the standard scholarly explanations. In the most systematic and comprehensive study of the dramatic art of the Wakefield Master, Millicent Carey 2 reconstructs the precycle history of Uxor as follows. Although the Bible mentions her merely as one 1 Editions of the complete cycles are the following: 7he Chester Mystery Cycle y ed. R. M . Lumiansky and D a v i d Mills, Vol. 1, EETS, S. S. N o . 3 (London, 1974); York Plays , ed. Lucy Toulmin Smith (Oxford, 1885); and The Towneley Plays, ed. George England and Alfred W . Pollard, EETS, E. S. N o . 71 (London, 1897; reprinted 1952). For the works of the Wakefield Master, I cite The Wakefield Pageants in the Towneley Cycle , ed. A . C. Cawley (Machester, 1958; reprinted 1963). 2 Millicent Carey, The Wakefield 1930), pp. 75 - 99, esp. pp. 75 - 77.
Group
in the Towneley
Cycle
(Baltimore,
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Vincent DiMarco
of the inhabitants of the ark, a tradition later arose, exemplified in England by the Cursor Mundi and the Cornish play of the Creation of the World , that Noah's relatives mocked him while he was at work constructing the vessel that would save mankind. The Cornish play in particular suggests a development of this tradition of ridicule by Noah's relatives in depicting what looks to be the hesitation of Noah's own wife to enter the ark. Later playwrights doubtless drew on this tradition and, perhaps on analogy with the Adam and Eve story, the devil was introduced into one English version of the Flood story, the Newcastle Noah play, to tempt Uxor to cause trouble for her husband and to frustrate his plan to build the ark. A l l during this time, it is to be supposed, Uxor's character was further darkened by the prevalent medieval satire of shrewish women in general and quarrelsome wives in particular. But it was when the motif of her hesitation was later joined to the motif of her causing trouble for her husband that the main outlines of her characterization in the cycles were established. Besides some serious problems of chronology — one of which, regarding the date of the Cornish play, I shall discuss below — this reconstruction seems to me to rely on a forced, if not altogether impossible reading of the texts on which it depends. First, the evidence adduced from the Cursor Mundi, that in a popular, vernacular, non-dramatic work readily accessible to the playwrights, 3 Noah's relatives ridiculed him while he was building the ark. Such an interpretation, I suggest, is flatly contradicted by the fact that in this poem Noah's » relatives « — unless we mean by that term anyone no matter how distantly related to the patriarch — do no such thing. The author of this poetic treatment of Biblical and apocryphal history is careful in his version of the Noah episode to represent the doubters and mockers, whom he calls the » folk « of Noah, as completely distinct from Noah's family. Noah preaches to this obstinate and unfortunate » folk « in lines 1730-40, then abandons them to their folly; only after the Flood has swept them away (lines 1813 - 28) de we hear of them again, when Noah prays to God for mercy on their souls. This folk can in no way correctly be identified with Noah's immediate family and the wives of his sons; for the family, having been singled out by God for deliverance before Noah preaches to the doubters, takes no further part in the action until the raven is dispatched from the vessel (lines 1874 - 82). Noah's immediate family and his daughters-in-law are saved, while the » folk « do not survive. The episode effectively emphasizes the contrast s Cursor Mundi , ed. R. Morris, V o l . 1, EETS, O . S. N o . 57 (London, 1874). The poem dates from the end of the thirteenth or beginning of the fourteenth century.
Uxor Noah Rediviva
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of one righteous man and his obedient family with the larger world of ridicule and disbelief. Any hint of mockery among Noah's relatives would be incongruous and confusing. Second, the evidence brought forward from the Cornish Creation play of a precycle instance of Uxor's hesitation to enter the ark is also highly suspect, if not completely without foundation. For it is important to note that the play here referred to is not the medieval Cornish Ordinale de origine mundi (fourteenth century?), 4 in which Uxor is always obedient to Noah's commands and instructions, but rather the Gwreans an bys , or the Creation of the World, set down in 1611 by one William Jordan. 5 The author of this later pageant — it is not known whether Jordan composed, or merely copied the work — knew the medieval Ordinale to be sure; but one episode that clearly shows his additions to this source is that of the Flood, where the author introduces an entirely new character, the disbeliever Tubal-Cain. Even putting aside the late, perhaps even postmedieval date of this play, however, we can well wonder if the author's liberties with his source are manifested in a radically different Uxor who hesitates to board the ark. Consider the alleged hesitation in the following dialogue between Noah and Uxor: Noah: Kewgh abervath ow flehys hages gwregath magata ogas an Noer ew cuthys der an glawe es awartha te benyn abervath des ow der bethy a vynta Uxor: res ew sawya an pyth es nyn dale thym towlall tho veas da ew thyn aga sawya I costyans showre a vona an keth tacklowe es omma noy teake to a wore hedna (Noah: » Go ye within, my children, and your wives as well: the earth is nigh covered through the rain that is above. Thou woman, come within: wouldst thou quite drown me? « Noah's wife: » Needful is it to save what 4 Ordinale de origine mundi in The Ancient Cornish Drama , ed. and trans. Edwin Norris, 1 (London, 1859). See also The Cornish Ordinalia: a Medieval Dramatic Trilogy, trans. Markham Harris (Washington, D. C., 1969). δ First edited, unsatisfactorily, as The Creation of the World , by Davies Gilbert, trans. John Keigwin (London, 1827). This text was superseded by Gwreans an bys: the Creation of the World, a Cornish Mystery, ed. and trans. Whitley Stokes (Berlin, 1863). For the problems of Jordan's identity and relationship to the work, see Gwreans an bys, p. 4 and Dictionary of National Biography, s. v. Jordan, William.
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Vincent DiMarco there is. I ought not to throw away — good it is for us to save them. They cost a shower of money, the same tackles that are here — fair Noah, thou knowest that. « ) β
I rather doubt there is hesitation here at all. When the dramatist wishes to portray doubt, disbelief, or resistance, he can hardly be said to underplay it, as he demonstrates in an argument of more than one hundred lines carried on between Noah and the disbeliever Tubal-Cain. I f this single speech of Uxor is intended to show her hesitation, Noah certainly seems oblivious to the fact: their words to each other here amount to merely an amicable, humorous exchange between a husband ready to depart on a long and dangerous voyage and a wife who tries to bring too much luggage with her as she comes aboard. Indeed, even through the comparative woodenness of the translation it may be possible to appreciate the joke at the center of the dialogue: although the rain has already begun, Noah's most immediate fear is of » drowning « under Uxor's baggage; but bring it with her she must, for it cost a » shower «, a veritable flood, of money. The very next speech, it should be added, shows Noah and Uxor long embarked and safely on their way, and carries no echo of previous hesitation, recalcitrance, or trouble of any sort. There may be humor here in the treatment of Uxor's attachment to worldly goods, but unlike the development of this theme in, for example, the Chester Flood pageant, such humor is not at the expense of Uxor's faith or obedience with respect either to God or her husband. So much for Carey's only evidence of precycle instances of the mocking and hesitation motifs. Before discussing the motif of Uxor causing trouble for her husband, and often carrying out the wishes of the devil as she does so, I shall treat an even earlier alleged example of hesitant or contrarius Uxor, put forward independently by Sir Israel Gollancz and Katherine Garvin, 7 and endorsed by subsequent students of the drama. This is the illustration of Noah's ark in Bodley MS. Junius 11, accompanying the Old English Genesis poem (see frontispiece). The illustration supposedly shows the unwillingness of Uxor to enter the ark, even though the poem, which occasionally departs from the Biblical account of the Flood to introduce material from the tradition of commentary on the book of Genesis and perhaps even a few details culled from Jewish sources,8 contains 6 Gwreans an bys , ed. Stokes, lines 2436 - 47. Commenting on the N o a h section of the Ordinale y Thurston C . Peter, The Old Cornish Drama (London, 1906), p. 19, remarks, » W e have no silly quarrel between N o a h and his wife, no drunkenness of Noah, no ribald jokes. « 7 The Cadmon Manuscript of Anglo-Saxon Biblical Poetry , ed. Sir Israel Gollancz (London, 1927), p. x l v ; Katherine Garvin, » A N o t e on Noah's Wife, « MLN, 49 (1934), pp. 88 - 90.
Uxor Noah Rediviva
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absolutely no reference to hesitation or resistance on Uxor's part. In a sense, then, the question becomes one of the relation of the illustrations to their presumed source (perhaps a lost illustrated Old Saxon Genesis)? and the degree to which an artist could be expected to adapt the pictorial models that he inherited to a poem, composed long before, which paraphrased scriptural accounts. Curiously enough, Gollancz, who first advanced the theory of Uxor's depiction here, felt that in general the scribe worked together with the illustrators in a creative enterprise to plan the layout, and presumably the content, of the illustrations of the manuscript under production. More recently, a much looser relationship of text and illustrations has been provocatively argued by George Henderson, 10 who exposes what he takes to be the frequent misalignment of illustrations with the portions of the text they were supposedly intended to illustrate, as well as the unevenness of the concentration of illustrations throughout the manuscript. Henderson goes so far as to question the illustrators' knowledge of Old English, and he describes the illustrators' criticism of the plan of illustration, which reaches a » climax of apparent willfulness « just before the work of illustration is » given up altogether. « u Without denying the dependence of the illustrations on some lost model and even, for that matter, the presence of occasional illustrated details, earlier in the manuscript, that are not narrated in the text of the poem, 12 I wish to emphasize what seems to me the general faithfulness of the illustrator to the text of the Noah section of the poem; the high degree to which the illustrations of this section either render literally or through pictorial metaphor the details of the narrative; and the precise and 8 For the poet's debt to the exegetical tradition, see Bernard F. Huppé, Doctrine and Poetry: Augustine's Influence on Old English Poetry ( N e w Y o r k , 1959), pp. 1 3 1 - 2 1 6 , esp. pp. 1 6 6 - 7 6 ; possible Jewish sources are brought forward by Aaron Mirsky, » O n the Sources of the Anglo-Saxon Genesis and Exodus «, English Studies , 48 (1967), pp. 385 - 97. 9 See Barbara R a w , » The Probable Derivation of Most of the Illustrations in Junius 11 from an Illustrated O l d Saxon Genesis «, ASE , 5 (1976), pp. 133 - 4 8 . 10 George Henderson, » The Programme of Illustrations in M S Junius X I « in Studies in Memory of David Talbot Rice, ed. Giles Robertson and George H e n derson (Edinburgh, 1975), pp. 1 1 3 - 4 6 . Thomas H . Olgren, » T h e Illustrations of the Cadmonian Genesis: Literary Criticism through A r t «, Medievalia et Humanistica, Ν . S. 3 (1972), pp. 1 9 9 - 2 1 2 , argues that for the Genesis Β interpolation the artist adapted pictorial models in order to accommodate the unusual portions of the text he was illustrating. I regret the unavailability of Ohlgren's later study, » Some N e w Light on the O l d English Cxdmonian Genesis Studies in Iconography , 1 (1975), pp. 38 - 75. 11
George Henderson, » The Programme of Illustrations in M S Junius X I «,
p. 130.
12 As for example that of Enoch trampling a dragon, reproduced in Gollancz, The Cœdmon Manuscript, p. 60.
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meaningful alignment of these drawings with the text they illustrate. There are four separate illustrations of the Noah story in the manuscript by the hand of the first artist; 13 disregarding for the moment the illustration at issue, the contents of the other three may be summarized as follows: (p. 63) A n illustration of three scenes, framed architecturally, and depicting from left to right: a woman, attended by a midwife, about to give birth; Noah, crowned, receiving his subjects; and Noah, seated before three young men. (p. 65) A two-part illustration: above, N o a h receives from God warning of the Flood; below, N o a h at work on the vessel. (p. 68) A full-page, two-part illustration, designed to be read from bottom to top. Below, God closes the door of the ark which, apparently for reasons of space, has been modified into a vessel of two, rather than three, stories. Above, this same vessel w i t h door closed rides upon the waves.
The first of the Noah illustrations does not, as has been claimed, 14 begin with the depiction of Uxor Noah giving birth. Rather, it is the birth of Noah. Once we realize this, we can appreciate the degree to which the illustration pictorially imagines the details of the lines that immediately precede and follow it in the manuscript: H e pone yldestan N o e nemde, se nipfmm xr land bryttade sippan Lamedi gewat. Haefde aspelinga aldorwisa V hund wintra p a he furpum ongan bearna strynan, pses pe bec cwepaj). Sem vrxs haten sunu Noes, se yldesta, oper Cham, f>ridda lafeth.is 13 The concluding scenes of the N o a h story — the disembarkation from the ark, Noah's sacrifice, God's covenant w i t h N o a h , the cultivation of the earth, the discovery of Noah's nakedness, and Noah's death — need not concern us here, for they represent the work of a different artist and are dependent at least in part on a different iconographical tradition. See George Henderson, » Late-Antique Influences in Some English Mediaeval Illustrations of Genesis «, Journal of the Warburg and Courtauld Institutes , 25 (1962), pp. 1 7 2 - 9 8 , in which it is suggested that the lemon-shaped ark drawn by the second artist may show affinities to the iconography of the Cotton Genesis. For a reconstruction of the Cotton Genesis series of miniatures, see K u r t Weitzmann, » Observations on the Cotton Genesis Fragments «, in Late Classical and Mediaeval Studies in Honor of Albert Matthias Friend , / r . , ed. K u r t Weitzmann (Princeton, N . J., 1955), pp. 1 1 2 - 3 1 ; and, w i t h particular relevance to the N o a h episode, the same author's Studies in Classical and Byzantine Manuscript Illumination (Chicago and London, 1971), pp. 45 - 49. 14 George Henderson, » The Programme of Illustrations in M S Junius X I «, p. 138.
Genesis , in The Anglo-Saxon Poetic ( N e w York, 1931), lines 1234 b - 42 a.
Records , ed. George Philip Krapp, 1
Uxor Noah Rediviva
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For what we see here in comic-strip fashion is nothing more than the three important details of these lines rendered i n chronological order: first, the birth of Lamech's heir; then Noah as » aldorwisa « reigning over his subjects; and finally Noah, as an old man, having fathered three children. The second illustration of the Noah sequence, in its grouping together of two closely related scenes of the order to build the ark and Noah's work on the construction of the vessel, reproduces not only the narrative details of the poem at this point, but also suggests pictorially the speed with which Noah put God's command into action; for after Deus orders the vessel to be begun (» ongyn I>e scip wyrcan, merehus micel «) and gives Noah the proper measurements, the poet immediately tells how quickly Noah set to work: N o e fremede swa hine nergend heht, hyrde f a m halgan heofoncyninge, ongan ofostlice £>aet hof wyrcan, micie merecieste. 16
And this two-part illustration is appropriately placed right between the command and its speedy execution. Similarly, the large, two-part illustration of Deus closing the door to the ark below a scene of the ark riding on the crest of the waves clearly aims to visualize the lines that immediately follow it in the lay-out of the manuscript. First we have the paraphrase and the elaboration of the corresponding detail in the Biblical Genesis that » inclusit eum Dominus deforis «: H i m on hoh beleac heofonrices weard merehuses mup mundum sinum, sigora waldend, and segnade earce innan agenum spedum nergend usser. 17
Then, a few lines below on the same page, we find the second mention of this motif along with a description of the ark tossed about on the waves, exactly as we see it in the illustration : Flod ealle wreah, hreoh under heofonum hea beorgas geond sidne grund and on sund ahof earce from eor{)an and p a spelo mid J) a segnade self a drihten, scyppend usser, f>a he pset scip beleac. 1 8 i · Genesis, ed. Krapp, lines 1 3 1 4 - 1 7 a. 17
Genesis, ed. Krapp, lines 1363 - 67 a.
18
Genesis, ed. Krapp, lines 1386 b - 9 1 .
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Vincent DiMarco
The elevation of the ark and its suspension on the crest of the waters is obviously a detail the poet wishes to emphasize, for the describes the vessel just a few lines later on the same pages as » ahafen on pa hean lyft «, surrounded by the universal destructiveness of the Flood. Clearly the illustrator depicts the two related motifs of the closing of the ship by God and its preservation in the midst of, and above, the universal Deluge both in his two-part illustration and his particular editing of these scenes; for contrary to his usual practice of composition, he here composes the narrative from bottom to top, in a way that pictorially suggests the elevation of the ark above the surrounding waters. Let us now consider the alleged illustration of Uxor's unwillingness to board the ark. Here, I suggest, we find no compelling pictorial evidence that the female figure not yet aboard is meant to represent Uxor, rather than one of her daughters-in-law. Only two other women are depicted in the scene: they are obviously the wives of two of Noah's sons, and they are situated in the same quarters toward which the ladder leads. The viewer's first impression, then, is that the third woman not yet aboard is the third of Noah's daughters-in-law, and that the young man gesturing to her from the ladder is her husband, directing her to board behind him. The woman, it is fair to say, is not appreciably different in appearance, expression, or pose, from the two women already on the ark. Consistent with what we have seen in the other illustrations, we should expect to find lines in the poem which, through a literal visualization of their contents, should explain the more curious details of this drawing. Consider in this respect the lines immediately following the illustration: D a to N o e cwxp nergend usser: "Ic pe paes mine, monna leofost, waere gesylle, pset p u weg nimest and feora faesl |)e p u ferian scealt geond deop waster daegrimes worn on lides bosme. Laed, swa ic pe hate, under earce bord eaforan pine, frumgaran pry, and eower feower wif. O n d p u seofone genim on past sundreced tudra gehwilces geteled rimes, para pe to mete mannum lifige, and pare operra aelces twa. Swilce p u of eallum eorpan waestmum wiste under waegbord werodum gelaede, p a m pe mid sceolon mereflod nesan. Fed freolice feora wocre op ic pxre lafe lagosipa eft reorde under roderum ryman wille.
Uxor Noah Rediviva
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Gewit p u nu mid hiwum on paet hof gangan, gasta werode. Ic pe godne wat, faesthy digne; p u eart freopo wyrpe, ara mid eaforum. 1®
I suggest that the angels placed in the upper corners of the scene represent a rationalization in picture of the pledge of protection and deliverance explicitly given by God to Noah. The appearance of Deus at the door of the ark is likewise a visual rendering of the pledge spoken in the poem, in a fashion consistent with what occurs later in the text and its illustration when God Himself closes the door after all are safely aboard. The paddle or rudder that Noah holds is the illustrator's visualization of God's command » past pu weg nimest «, > that you take up the course < or > undertake the journey Rezeption goldene Welt N a t u r < in der Renaissance die detaillierte Studie von H a r o l d S. Wilson, » Some Meanings of > Nature < in Renaissance Literary Theory «. ]HI Bd. 2 (1941), S. 430 - 448. 40 Defence , a.a.O., S. 9.
41 Ebd.
Norbert Kohl
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Bäume fruchtbarer und die Blumen wohlriechender sind, eine Welt, in der es den wahren Liebenden, den treuen Freund, den tapferen Mann und den gerechten Fürsten gibt. Die Besonderheit des poetischen Prozesses besteht in der kognitiven Fähigkeit des Dichters, sein Werk nach einer » Idea or fore-conceit « 4 2 zu entwerfen, die ihm das ideale Gepräge gibt. Dies heißt nicht, daß er schöne Luftschlösser abseits der Wirklichkeit baut; im Gegenteil, Sidney betont wiederholt, daß die Darstellung der Natur und des Menschen im Zustand ihrer ästhetischen und moralischen Perfektion eine praxisleitende Funktion erfüllt, indem sie zur Nachahmung einlädt und zum Wetteifern anstachelt. Die höchste Ehre gebührt selbstverständlich dem » Heavenly Maker of that maker [sc. the poet] «, 43 der in Vollkommenheit schafft, was wir aufgrund unseres » infected will « 4 4 nach dem Sündenfall nicht erreichen können. Diese Argumentation mündet ein in die bekannte Definition: Poesy therefore is an art of imitation, for so Aristotle terms it in the word mimesis , that is to say a representing, counterfeiting, or figuring forth (to speak metaphorically, a speaking picture) with this end, to teach and delight. 4 5
Wenn Sidney zuvor die besondere Leistung des artifex in seinem skill sah, d. h. in seiner Fähigkeit, zur Erkenntnis der Idea , nicht aber im ausgeführten Werk, dann kann der Gegenstand der Nachahmung nicht in der unvollkommenen Welt der Erscheinungen liegen, sondern in einer den Phänomenen zugrundeliegenden idealen Wesenhaftigkeit. Die altera natura, die der Dichter schafft, bildet die Erkenntnis dessen ab, » what may be and should be«. 46 David Daiches interpretierte diese Wendung mit dem Satz: » Sidney has changed Aristotle's probable > should < to a moral > should Glückselig, heilbringend also die Katastrophe, die dich aus den Fesseln befreite! < > Sage das nicht zu spät trat die Befreiung ein. Mir geht es wie jenem Gefangenen, der, als er endlich befreit wurde, dem Getümmel der Welt, ja dem Licht des Tages so entwöhnt war, daß er nicht vermögend, der goldnen Freiheit zu genießen, und sich wieder zurücksehnte in den Kerker Das ist das ist nun eine von Euern konfusen Ideen, Johannes, mit denen Ihr Euch und andere plagt! — Geht! geht! — Immer hat es das Schicksal mit Euch gut gemeint, aber daß Ihr nun einmal nicht im gewöhnlichen Trott bleiben könnt, daß Ihr rechts, links herausspringt aus dem Wege, daran ist niemand schuld als Ihr selbst. Recht habt Ihr indessen wohl, daß, was Eure Knabenjahre betrifft, Euer Stern besonders waltete . . . < « . Dieser Stern habe Hoffmann-Kreisler in eine falsche Richtung, in die Beamtenlaufbahn geführt und die wahre Bestimmung seines Lebens, die Kunst, habe sich » in einem nicht geahnten Moment gerächt «. So kann bei der Erkundung der Gründe, die ihn nach Bamberg führten, wie bei der Frage nach der Rolle dieses Abschnittes in der Biographie, Hoffmanns eigene schwankende, ja sich widersprechende Deutung nicht unberücksichtigt bleiben. Er hat mehrfach auf die Spaltung seines Lebens in ein äußeres und inneres hingewiesen. Eine Stelle findet sich in einem Brief, in dem er, bei der Beurteilung seines Bamberger Lebens, die durch äußere Widrigkeiten bewirkte » innere Entzweiung « erwähnt, und diese wichtiger nimmt, als deren vermeintliche Ursachen. Deutlicher noch erwähnt er diese Dualität zu Beginn der Abenteuer der Silvesternacht, wo der reisende Enthusiast, der fiktive Herausgeber, » offenbar sein inneres Leben 2 » Amelie Linz-Godin über E. T . A . Hoffmann. Eine > Plauderei < der Tochter D r . Friedrich Speyers über den Dichter, eingeleitet und erläutert von Rudolf Herd I n : MHG 8. H e f t (1961), S. 7.
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Robert Mühlher
so wenig vom äußeren « trenne, » daß man beider Grenzen kaum zu unterscheiden vermag «. Unter Hoffmanns Aussagen über sich fällt eine Diagnose auf, wenn er den inneren Zustand vor seinem Eintritt in Bamberg als eine » Krankheit « bezeichnet. Andernorts spricht er von einer » Gemütskrankheit «. Als einen Kranken hat sich Hoffmann empfunden. Auch Hans von Müller erklärt in der Einleitung seines Kreisler-Buches: » Hoffmann-Kreisler ist nichts weniger als gesund. Freilich, er setzt seinen Stolz darein, für hart und spöttisch gehalten zu werden; er ist zynisch bis in seine Selbstgespräche, bis in die Sprünge seines Stils hinein. I n Wirklichkeit ist er krank, hoffnungslos krank. « 3 Kreisler selbst erwähnt seine — der Außenwelt verborgene — Krankheit: » hin und her schwankend, unfähig einen Entschluß zu fassen, zerrissen im innersten Gemüt. « Gespräche » voll Heiterkeit und Milde wirkten als wohltuende Arznei, ohne daß die also Gebende jene Krankheit « kenne. Worin diese besteht, verbleibt ein Geheimnis. Es entspricht dies Hoffmanns Hang, wie Kunz berichtet, auch sich selbst ein Rätsel zu bleiben. Meister Abraham kennt Kreislers Krankheit, spricht sie aber nicht aus: » Es gibt Dinge in unserm Innern, die sich so gestalten, daß die vertrautesten Freunde darüber nicht reden dürfen. Darum verhehlte ich dir sorglich, was ich in dir erschaut, aber mit jenem Fest, dessen tieferer Sinn nicht die Fürstin, sondern eine andere geliebte Person und dich selbst traf, wollte ich dein ganzes Ich gewaltsam erfassen. Die verborgensten Qualen sollten lebendig werden in dir und wie aus dem Schlaf erwachte Furien mit verdoppelter Kraft deine Brust zerfleischen. Wie einem zum Tode Siechen sollte Arzenei, dem Orkus selbst entnommen, die im stärksten Paroxysmus kein weiser Arzt scheuen darf, dir den Tod bereiten oder Genesung! « Aber so viel läßt sich feststellen, daß dieses Krankheitsbild Ruhe, Heiterkeit und Gelassenheit vermissen läßt. Hoffmanns Zeit bezeichnet es als Geistesgestörtheit im Gegensatz zur Geisteskrankeit. Unerschütterliche Gemütsruhe, heitere Gelassenheit bestimmen die » lichten Momente « jener Geistesgestörten, die sich einmal normal, ein anderes Mal wie verrückt benehmen. Hoffmann mußte dieser Begriff aus der Rechtswissenschaft des 18. Jahrhunderts, in der der Freispruch eines Angeklagten wegen geistiger Erkrankung entsprechend den neuen Tendenzen des Humanitätszeitalters aufkam, geläufig sein. Hier wäre ein ausführlicher Einblick in die neuen juridischen Strafrechtstheorien jener Epoche geboten, in denen die Zurechnungsfähigkeit eines Verbrechers entweder als stark herabgesetzt oder gar 3 Das Kreisler-Buch. Texte, Compositionen und Bilder von E. T. A. Zusammengestellt von Hans von Müller, Leipzig 1903, S. X L V I I I .
Hoffmann.
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zeitweise ausgeschaltet angenommen wurde. Ähnliches gilt auch für KreislerHoffmann, an dem viele » Spuren des Wahnsinns « bemerken und der vergebens » Ruhe und Heiterkeit « sucht. Nein. Die Katastrophe von 1806 war es nicht. Nicht in den äußeren Umständen konnten die Ursachen seiner Krankheit liegen. Die Veränderung seiner äußeren Lebensumstände bewirkte nur, daß die ursprüngliche psychische Seelenstruktur wieder hervortrat. Schon als Kind erlebt er die Welt als Kampf zwischen einem bösen und einem guten Prinzip, einem » bösen Dämon « und einem » Engel des Lichts «, den er den » Geist der Tonkunst « nennt. Beide Prinzipien spürt er in sich selbst wirken, aber sie » entzweien « ihn oft mit sich selbst. » Als ich mich frei fühlte« — also in jener Zeit nach 1806 —, »da erfaßte mich jene unbeschreibliche Unruhe, die, seit meinen frühen Jugendjahren, so oft mich mit mir selbst entzweit hat. Nicht die Sehnsucht ist es, die, wie jener tiefe Dichter [Tieck] so herrlich sagt, aus dem höheren Leben entsprungen, ewig währt, weil sie ewig nicht erfüllt wird, weder getäuscht noch hintergangen, sondern nur nicht erfüllt, damit sie nicht sterbe; nein — ein wüstes wahnsinniges Verlangen bricht oft hervor nach einem Etwas, das ich in rastlosem Treiben außer mir selbst suche, da es doch in meinem eignen Innern verborgen, ein dunkles Geheimnis, ein wirrer rätselhafter Traum von einem Paradies der höchsten Befriedigung, das selbst der Traum nicht zu nennen, nur zu ahnen vermag, und diese Ahnung ängstigt mich mit den Qualen des Tantalus. Dies Gefühl bemeisterte sich schon, als ich noch ein Kind, meiner oft so plötzlich, daß ich mitten aus dem frohsten Spiel mit meinen Kameraden davonlief in den Wald, auf den Berg, dort mich niederwarf auf die Erde und trostlos weinte und schluchzte, unerachtet ich eben der tollste, ausgelassenste von allen gewesen. Später lernte ich mich selbst mehr bekämpfen, aber nicht auszusprechen vermag ich die Marter meines Zustandes, wenn in der heitersten Umgebung gemütlicher wohlwollender Freunde, bei irgend einem Kunstgenuß, ja selbst in den Momenten, wenn meine Eitelkeit in Anspruch genommen wurde auf diese, jene Weise, ja! wenn mir dann plötzlich alles elend, nichtig, farblos, tot erschien, und ich mich versetzt fühlte in eine trostlose Einöde. Nur einen Engel des Lichts gibt es, der Macht hat über den bösen Dämon. Es ist der Geist der Tonkunst, der oft aus mir selbst sich siegreich erhebt, und vor dessen mächtiger Stimme alle Schmerzen irdischer Bedrängnis verstummen. « Die Rätin Benzon sagt von Kreisler — und so sah sich Hoffmann selbst: » Wohl uns, wohl uns, daß er fort ist, der Unglückliche, der überall, wo er sich blicken läßt, nur verstörendes Unheil anrichtet. Sein leidenschaft6 Literaturwissenschaftliches Jahrbuch, 21. Band
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liches Wesen, seine Verbitterung, nicht anders kann ich seinen hochgepriesenen Humor bezeichnen, steckt jedes reizbare Gemüt an, mit dem er dann sein grausames Spiel treibt. Zeugt die höhnende Verachtung aller konventionellen Verhältnisse, ja der Trotz gegen alle üblichen Formen von Obergewicht des Verstandes, so müssen wir alle unsere Knie beugen vor diesem Kapellmeister, doch soll er uns in Ruhe lassen und sich nicht auflehnen gegen alles, was durch die richtige Ansicht des wirklichen Lebens bedingt und als unsere Zufriedenheit begründend anerkannt wird. Darum! — dem Himmel sei gedankt, daß er fort ist, ich hoffe ihn nie wiederzusehen. « Nicht zu übersehen ist der Gesundheitszustand Hoffmanns in jener Zeit. Die Tochter Dr. Friedrich Speyers weiß zu berichten: » Als Arzt hatte mein Vater seine liebe Not mit diesem eigensinnigsten aller Patienten, der, nicht selten an heftigen Magenkrämpfen leidend, darauf bestand, sich durch Rum und Cognac selbst kurieren zu wollen, nichtsdestoweniger aber dem Doktor seine Klagen vortrug, der Drohung, ihm den Stuhl vor die Tür zu setzen, stets mit dem Versprechen künftigen Gehorsams begegnete und von seiner Nervosität befreit zu werden forderte, ohne sich auf irgendeinen Vorschlag einlassen zu wollen. Diese hochgradige Nervosität äußerte sich in Anfällen förmlicher Verzweiflung, sobald irgend etwas vorkam, was Hoffmanns Behagen störte. Er pflegte sich gegen alles ihm Widrige energisch auf die Hinterfüße zu setzen und konnte in dieser Notwehr, wie er es nannte, überaus grob und sarkastisch werden. Wer ihn überhaupt störte, war sein Feind, wer nun gar sang, in seiner Nachbarschaft musizierte, war sein Todfeind. Leicht geriet er in Wut, klagte dann Menschen und Schicksal an. « So berichtet das Tagebuch am 4. August 1812: » Wüthende Magenschmerzen «, und am 26. August 1812: » Wüthender Kopfschmerz «. Hoffmann empfand seinen krankhaften Zustand als eine innere » Entzweiung «. Er hat diesen Ausdruck wiederholt gebraucht. Im Bamberger Tagebuch spricht er sogar von einer Vervielfältigung seines Ichs, ja geradezu vom » Untergang « des Ichs. Dieser schon von Kindheit an gegebene Zustand, den Hoffmann auch als Kampf eines Engels des Lichts gegen einen Dämon mythologisiert, erhält noch eine unerwartete Verstärkung. Die Quelle jener Entzweiung hatte Hoffmanns Freund Hippel in einer Jugendliebe zu der verheirateten Cora Hatt gesehen, durch die, nach Hippels Deutung, in Hoffmanns Wesen ein Riß gekommen sei, der ihm zeitlebens verblieb. Dieser Gemütskranke kam nun just nach Bamberg, in dem bedeutende Ärzte lebten. Man hat wiederholt beobachtet, daß deutsche Universitätsstädte keine bedeutenden Theaterstädte seien, wie umgekehrt gute Theaterstädte selten in den Ruf großer Universitätsstädte gelangten. Als Hoff-
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mann nach Bamberg kam, konnte man seinem Theater keinen Ruf nachsagen. Hingegen besaß die Stadt einen solch großen Ruf als wissenschaftliches Zentrum der Medizin, daß » lernbegierige Studenten und Ärzte nicht nur aus Europa, sondern auch aus Amerika « die Bamberger Klinik besuchten, wo Marcus und Röschlaub lehrten und praktizierten. 4 Daß dies auf Hoffmann stärkste Wirkungen ausüben mußte, ist klar, zumal er sich mit Dr. Marcus bald bekannt machte. Marcus siedelte 1778 als tüchtiger Arzt nach Bamberg über und schuf sich hier eine hervorragende Stellung. Als Leibarzt des Fürstbischofs von Bamberg und Würzburg, der große Stücke auf ihn hielt, begründete er ein allgemeines Krankenhaus, das er in musterhafter Weise einrichtete. Um das Jahr 1793, zu der Zeit, als er sich das Brownsche System zu eigen gemacht hatte, eröffnete er am Krankenhaus klinische Vorlesungen, welche die neue Lehre verbreiteten. Marcus und Andreas Röschlaub scheinen die ersten in Deutschland gewesen zu sein, die in Bamberg die Erregungslehre John Browns, den » Brownianismus «, » begeistert « ergriffen. 5 Röschlaub hat 1806 in Frankfurt seine deutsche Übersetzung von Browns Werken mit dessen Biographie veröffentlicht, die Browns Sohn 1804 in London in drei Bänden herausgegeben hatte. Der deutsch-russische Arzt Weickardt hatte das System zu Anfang der 90er Jahre nach Deutschland gebracht. Neben Marcus stand Hoffmann auch in engstem persönlichen Kontakt mit Röschlaub, der so wie Marcus am Bamberger Spital wirkte. G. H . Schubert erzählt in seiner Selbstbiographie, er habe in Bamberg eine » fröhliche Gesellschaft von Studierenden an der damals unter Röschlaubs Namen und Leitung berühmten medizinischen Hochschule von Bamberg « gefunden. Röschlaub war verreist, aber sein Geist » sprudelte wie Champagner in den jungen Köpfen und Herzen seiner Zuhörer. Sie alle, so wie ich, schwärmten für Schelling und seine Naturphilosophie, nächst diesem aber für ihren Lehrer Röschlaub und seine John Brownische Erregungstheorie. Mir, als dem Gaste aus dem hochberühmten Jena, wo Schelling als geistiger Herrscher waltete, widerfuhr hohe Ehre und Beachtung; ich mußte öfter, als ich bis dahin jemals getan hatte, bei dem jubelnden Ausbringen der Gesundheit, in Bamberger Bier Bescheid tun, ließ mich sogar, so gerne ich lieber daheim geblieben wäre, zum Besuche einer musikalisch-theatralischen Unterhaltung bewegen, wo in der sehr gemischten Gesellschaft meine Zunge und mein Benehmen burschikoser und mutwilliger sich anstellte, als die innere Tat der Gesinnung es war. « 6 4
Ricarda H u d i , Ausbreitung
und Verfall
der Romantik,
Leipzig 1902, S. 275.
δ Huch, a.a.O. β Gotthilf Heinrich Schubert, Der Erwerb aus einem vergangenen und Erwartungen von einem zukünftigen Leben, 4 Bde. 1854 - 1856. Zitat 1, S. 379 f.
6*
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Die naturphilosophische Situation in Bamberg zur Zeit Hoffmanns illustriert ein treffliches Zeugnis: ein Ölgemälde, das heute die Bamberger Studienbibliothek aufbewahrt und das zuerst von F. Leitschuh reproduziert wurde 7 . Das Bild, das den Arzt Marcus darstellt, wie er von einer priesterlich bekleideten Gestalt geleitet wird, ist nur aus der Zeit heraus zu verstehen, in der Marcus durch seine Freunde Franz von Baader und Schelling jene Wendung zur Theosophie vollzog, deren Schutzpatron Jakob Böhme war: der Mystagog geleitet den Neophyten Marcus den Weg zur Einweihung in Mysterien. Das von Hoffmann gemalte, aber nicht signierte Bild ist ein Zeugnis für den Geist, der auch die Bamberger medizinische Schule unmittelbar vor Hoffmanns Ankunft in Bamberg beherrschte. Maassen schrieb dazu: » Man wird an Virgil aus Dantes Inferno erinnert. « 8 Auch L. Hirschberg äußert sich ähnlich. Das literarische Dokument dieser Wende Schellings von Spinozas Naturphilosophie zu Böhmes Naturmystik und Naturtheologie sind die Jahrbücher der Medizin als Wissenschaft (1805 - 08). Was immer auch Hoffmann an geistigen Beständen nach Bamberg mitgebracht haben mag, so wurde er doch erst hier in jenem Prozeß zum Mitstreiter, den die neue Naturphilosophie entfacht hatte. Das wichtigste Ereignis der inneren Biographie der Bamberger Jahre ist die Leidenschaft, die den in der Mitte der dreißiger Jahre stehenden gereiften Mann für seine Gesangsschülerin Julia Marc (1796- 1864) erfaßte, » ein harmloses junges Mädchen, das kaum den Kinderschuhen entwachsen war « (Η. v. Müller). Wichtig war sie für sein Leben, wichtiger noch für seine Kunst. Denn der Zusammenhang zwischen Erlebnis und Dichtung liegt hier in seltener Offenheit zutage. Die entsprechenden Lebenszeugnisse sind die verschiedenen dichterischen Metamorphosen der JuliaGestalt, unter diesem oder auch anderen Decknamen, gipfelnd in Kater Murr y in dem die Kreisler-Handlung mit dem Bericht schließt, Julia werde an den debilen Prinzen Ignaz verheiratet, unter dem eine Karikatur jenes Kaufmanns Groepel chiffriert erscheint, » einem Dummkopf, Wüstling und Trunkenbold « (H. v. Müller). Über Stimmung und seelische Befindlichkeit keiner Täuschung hingeben. A m 18. Dezember ein: »Abschiedsvisite bey Julchen pour jamais Stimmung — in der Rose (eingeschlafen). « Am
Hoffmanns kann man sich 1812 trägt er ins Tagebuch ! — sonderbare gespannte 25. November vermerkt er:
7 F. Leitschuh, Franz Ludwig von Erthal, Fürstbischof von Bamberg und Würzburgy Herzog von Franken y Bamberg 1894, S. 214. Bessere Reproduktion in: Maassen, Hoffmann-Ausgabe, Bd. V I . Titelbild. 8 Maassen, V I , S. 403.
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» höchste infamste GeldNoth — Kunz nichts hergegeben « und am folgenden Tage: » In der höchsten Noth den alten Rock verkauft um nur fressen zu können!! « Am 20. Dezember 1812 reist Julchen von Bamberg ab. Die Katastrophe war vollendet: Julchen war an Groepel, den » asino mercate « verschachert, die Armut und Dürftigkeit hatte einen Tiefpunkt erreicht. Uber diese Leidenschaft, die Hoffmann selbst eine » besondere Episode unangenehmer A r t « nennt (4.-20. März 1811), geben die Tagebücher manchen Wink. Von Anfang an aber durchdringen sich zwanghafte Überwältigung durch die ihn unterjochende Leidenschaft und religiöse Anrufe. So steht am 2. Februar 1811 im Tagebuch: »Das Ktch wird obligat — ο miserere mei domine «, und am folgenden Tag verbinden sich das Zeichen » Ktchn « mit dem Schmetterlingsymbol und die Worte » De profundis clamamus «; » Amoureux comme quatre vingt diables « (5. Februar 1811). Am 16. Februar 1811 fürchtet Hoff mann, es werde Unheil aus dieser »romantischen Stimmung» entstehen. Am 28. Februar 1811: » quod deus bene vertat«, am 9. Januar 1812: »Das Verderben schwebt über mir und ich kanns nicht vermeiden —. « Am 19. Januar 1812 nennt er Julia »Dämon» und schreit auf: »Satanas-Satanas«. Seine Stimmung kann nichts als Verderbliches herbeiführen (28. Januar 1812). Endlich erlebt er sogar sein Selbst vom Untergang bedroht, wir durchleben im Tagebuch alle Tiefen einer das Selbst zerstörenden Leidenschaft, bis er am 10. September 1812 wünscht: » Ich wollt es wäre alles vorbei. « Ein Bild der Heiligen der Musik, der heiligen Cäcilia, hatte Hoffmann vorgeschwebt, als er sein Töchterlein auf deren Namen taufen ließ. Auch Julia Marc rückte bei der Vorführung lebender Bilder in die Nähe der heiligen Cäcilia, da sie diese darstellt. Die Nähe dieses Mädchens zum Madonnahaften kommt noch in der späten Erzählung Meister Johannes Wacht zum Ausdruck: » Im südlichen Deutschland, vorzüglich in Franken, und zwar beinahe nur ausschließlich in der Bürgerklasse, trifft man solche feine, zierliche Gestalten, solche liebliche fromme Engelsgesichtlein, süße Sehnsucht des Himmels in den blauen Augen, des Himmels Lächeln auf den Rosenlippen, daß man wohl gewahrt, wie die alten Maler die Originale zu ihren Madonnen nicht weit suchen durften. « Im Β er ganza: » Er war [ . . . ] sehr verliebter Natur und verehrte von weitem mit Inbrunst und Andacht Cäcilien wie eine Heilige. « In der Julia-Tragödie (Hans von Müller) vereinigen sich verschiedene Elemente: der Musik-Enthusiasmus, verdrängte Reminiszenzen der früheren Cora-Hatt-Leidenschaft, deren nachwirkende Spuren Hippel bezeugt hat, der Riß bis in den Kern, die Zerrissenheit seines Wesens, das Bedrohliche einer Leidenschaft, die ihn seinem eigentlichen künstlerischen Wesen ent-
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fremdet, Ideen über den Wahnsinn vereinigen sich mit solchen über den Satan. Julia, zur heiligen Cäcilie emporgesteigert, bekommt durch die bedrohliche Leidenschaft Züge eines archetypischen Höllengeistes, wie den Abenteuern der Silvesternacht zu entnehmen ist: Julia, die harmlose kleine Julia, wandelt sich zur heiligen Cäcilia, aber auch zum bösen Dämon, zu Satanas, zum » petit monsieur «, zum Teufel, zu verführerischen Frauenbildern auf den Warnungstafeln der Callot, Rembrandt und Höllenbreugel, so daß am Ende der Abenteuer der Silvesternacht der Ausruf zu lesen ist: » Ο Julie — Giulietta — Himmelsbild — Höllengeist — Entzücken — und — Qual — Sehnsucht — und — Verzweiflung. « Interesse dürfen auch Hoffmanns verschiedene Äußerungen über die Bamberger Jahre beanspruchen. Er nennt sie seine » Lehr- und Marterjahre «, spricht von der » bösesten Zeit aller bösen Zeiten « wie von der » Unglückszeit acherontischer Finsternis «. Er meint, es sei » eine sehr verhängnisvolle Zeit « gewesen, » die dem armen Johannes den rettungslosen Untergang drohte «. Vom » ersten Augenblick « seiner » Ankunft « habe » alles wie eine feindliche dämonische Kraft « gegen ihn gewirkt, » ihn « von der Tendenz oder besser von der Kunst, » der ich nun einmahl mein ganzes Daseyn, mein Ich, in allem Regen und Bestreben geweiht habe, gewaltsam wegzureißen «. I m folgenden ist vom äußeren wie vom inneren Leben, aber auch von dem Vorrang des zweiten die Rede. » Meine Lage bey Cuno, selbst das aufgedrungene fremde Fach bey H[olbein], welches noch dazu so viel verführerisches hatte, aber vorzüglich die nie zu vergessenden und zu verwindenden Auftritte mit D[ittmayer?], die armseeligen dümmlichen Plattitüden des alten Mannes; in anderer Hinsicht, aber doch verderblich wirkend, die fatalen Auftritte mit K[unz] und ganz zuletzt mit dem S., der mir wie ein ganz neugebackenes aber mißrathenes Teufelchen vorkam — kurz — die ganze Opposition gegen alles bessere Thun, Wirken und Treiben in dem höhern Leben, wo der Mensch sich mit regem Fittig über den stinkenden Pfuhl seines armseeligen Brodbettel Lebens erhebt, erzeugte in mir eine innere Entzweyung, einen innern Krieg, der mich viel eher vernichten konnte, als jeder Tumult um mich von außen her. — Jede unverdiente harte Kränkung, die ich erleiden mußte, vermehrte meinen innern Groll, und indem ich mich immer und immer mehr an Wein als Reizmittel gewöhnend das Feuer nachschürte, damit es lustiger brenne, achtete ich das nicht, daß auf diese Art nur aus dem Untergange das Heil ersprießen könne. « 9 Wie aus der Persönlichkeitanalyse wohl deutlich geworden ist, spielt der Gedanke, von einem bösen Prinzip verfolgt zu werden, das Ringen mit » A n Speyer, Dresden 13. July 1813.
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dieser teils geglaubten, teils wieder verworfenen Vorstellung, eine große Rolle. Dem Kenner der Religionsgeschichte kann es nicht verborgen bleiben, daß Hoffmann mit solcher idée fixe in die Nähe eines dualistischen und gnostischen Weltbildes zweier sich von Anbeginn an bekämpfender Prinzipien geraten mußte. Erst dadurch, daß Hoffmann seine Leidenschaft zu Julia mit den religiös-mystischen, medizinischen und naturphilosophischen Ideen anreicherte, wurde sie fruchtbar im literarischen Werk. Indem er seine Leidenschaft als Krankheit und diese Erkrankung im Sinne einer religiösen Heilkunde auffaßte, baute sie sich zu jenem gewaltigen poetischen Explosivstoff auf, als den wir sie aus den Werken kennenlernen. Andererseits begreift Hoffmann das dichterische Schaffen als einen aus dem Medizinisch-Körperlichen ins Geistige übersetzten Vorgang, wenn er am 6. Januar 1811 daran denkt, sich von der Julia-Krankheit durch Dichtung zu heilen: » Ich meine, geistige Ausleerungen können wie ein Aderlaß wirken. « Entscheidende Impulse, die den Grund von Hoffmanns geistiger Existenz in Bamberg bildeten, gingen von der katholischen Lebenswelt und Atmosphäre des Hochstifts aus und es bildet das Geheimnis dieser Schaffenszeit, daß er seine tiefe Leidenschaft für Julia Marc unter Aspekten erlebt, die er dem Katholizismus, ja dem Mystizismus entnimmt. So wäre das alles andere Schaffen überragende Werk, Die Elixiere des Teufels, wohl kaum geschrieben worden, hätte Hoffmann nicht die Bamberger Religiosität ebenso erlebt wie die Leidenschaft für Julia. Im einleitenden Gespräch zu den Serapionsbrüdern sagt Ottmar: » Nun weiß ich, warum vor einigen Jahren deine ganze Phantasie von Mönchen, Klöstern, Einsiedlern, Heiligen erfüllt war. Ich merkte das aus dem Briefe, den du mir damals schriebst, und in dem ein solch eigner mystischer Ton herrschte, daß ich auf allerlei sonderbare Gedanken geriet. — Irr' ich nicht, so dichtetest du damals ein seltsames Buch, das, auf den tiefsten katholischen Mystizismus basiert, so viel Wahnsinniges und Teuflisches enthielt, daß es dich hätte bei sanften hochgescheiten Personen um allen Kredit bringen können. « Das Buch ist das Meisterwerk jener Jahre, und nicht allein jener späteren Lebensepoche. Als satanisch erlebt er alles, was die Willensfreiheit bedroht: so in erster Linie die sinnliche Leidenschaft, dann aber auch medizinisch-wissenschaftliche Praktiken wie Magnetismus und Somnambulismus, bei dem den Somnambulen der Wille des Magnetiseurs aufgezwungen wird. Wenn Walter Muschg von Hoffmann sagt: » Die Welt ist ihm der Schauplatz des ewigen Krieges zwischen guten und bösen Dämonen «, so verweist dies auf einen Dualismus zweier einander bekämpfender Prinzi-
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pien, Gut und Böse, Licht und Finsternis, oder auch, nach Jakob Böhme, Licht und Feuer. Der Dualismus (samt dem Asketismus) erscheint in den Elixieren als Kampf zwischen Feuer und Licht, aber Aurelie verkündet aus dem symbolischen Rosenkelch: » Kein Kampf zwischen Licht und Feuer. « Auf dem höchsten Lichtpunkt des Lebens aber ist die Vereinigung der Gegensätze erreicht. Es lodert » das Sinnliche und Obersinnliche in einer Flamme « auf. Der Märtyrer erscheint mit einer Krone » gekrönt «, das Feuer, das über das Licht gesiegt, krönt ihn. Aber an Stelle des Feuers treten die die Gegensätze von Oben und Unten vereinigenden Blutstropfen Christi vom Kreuz. Die entscheidende Darstellung dieser Synthese findet sich im Märchen Der goldne Topf und im Roman Die Elixiere des Teufels. Das orientalisierende Märchen enthält Vorstellungen des Dualismus, wie sie durch die Feenmärchen mit ihrem Dogma der Metempsychose, besonders durch Cazottes Diable amoureux in Hoffmann angeregt wurden. I n dieser Welt erstrebt der Gnostiker die Vergottung im Geist; der Roman zeigt den Mönch Medardus, in dem die Flamme der Selbstvergötzung brennt, wie dies schon Muschg festgestellt hat: » I m Medardus brennt der Trieb der Selbstvergötzung. « 1 0 Hier wurde die Selbstvergottung im Geist verurteilt als Selbstvergötzung. Jener » Engel des Lichts «, den Hoffmann auch » Geist der Tonkunst «, und im orientalisierenden Märchen entsprechend » Phosphorus « nannte, war der Lichtträger Luzifer, der Kunde von der Lichtwelt brachte: » Nein! Frevel, ruchloser Frevel ist es, sich wie jener gefallene Engel des Lichts, der die Sünde über die Welt brachte, gleichstellen zu wollen der ewigen Macht, die das Innere des Menschen durchschaut, weil sie es beherrscht « (Meister Floh). Die Bedeutung der Bamberger Jahre liegt in der aus religiösen Tiefen erwachsenen Abwehrkraft gegen die als satanisch erlebte Unterjochung durch die Leidenschaft. Dies glühte noch längere Zeit in Leipzig, Dresden und Berlin fort und vergloste allmählich, bis Hoffmann diese gewaltige Bamberger Krise als überstanden ansehen konnte. Hitzig hat berichtet, Hoffmann habe bei der Ausarbeitung des zweiten Teiles der Elixiere die frühere Stimmung nicht wiederfinden können. Wie sich dies auch verhalte, die in den Bamberger Jahren durchlebten inneren Stürme haben Hoffmanns bedeutendste dichterische Werke hervorgebracht. Es liegt nur nahe, dabei auch der besonderen Einwirkung der alten Bischofsstadt den gebührenden Anteil einzuräumen. 10 Walter Muschg,
Tragische Literaturgeschichte,
Bern 21953, S. 88.
UNVERÖFFENTLICHTE BRIEFE A C H I M V O N ARNIMS NEBST A N D E R E N LEBENSZEUGNISSEN I 1793 - 1810 Von Hermann F. Weiss Es ist das Verdienst Jürgen Knaacks1, ein Register der Briefe Arnims zusammengestellt zu haben2, welches statt der von Otto Mallon verzeichneten 1
öfters zitierte Werke werden folgendermaßen abgekürzt: Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 1 ff., Leipzig 1875 ff. Achim von Arnim, Sämtliche Romane und Erzählungen, Arnim I, I I , I I I 3 Bände, hrsg. v. Walther Migge, München 1962 - 65. H ä r t l , Heinz, Arnim und Goethe. Zum Goethe-Verhältnis der Romantik im ersten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts. Anhang: Härtl Ein fragmentarischer Erzählzyklus Arnims (Text), Diss, (masch.) H a l l e 1971.
ADB
Katalog Knaack
Mallon Memoiren
Raumer NDB Riley
Schüddekopf
Steig I
Katalog der Bibliothek Ludwig Achim von Arnims und der Bettine in Wiepersdorf (masdi.), Wiepersdorf 1929. Knaack, Jürgen, Achim von Arnim — Nicht nur Poet. Die politischen Anschauungen Arnims in ihrer Entwicklung. M i t ungedruckten Texten und einem Verzeichnis sämtlicher Briefe, Darmstadt 1976. Mallon, Otto, Arnim-Bibliographie, Berlin 1925. Memoiren eines deutschen Staatsmannes aus den Jahren 1788 bis 1816, Leipzig 1833. [Hans G r a f v. Schlitz, Freiherr von Labes (1763 - 1831), Onkel A . v. Arnims] Raumer, Friedrich Ludwig Georg von, Lebenserinnerungen und Briefwechsel, Bd. 1, Leipzig 1861. Neue Deutsche Biographie, Bd. 1 ff., Berlin 1953 ff. Kastinger Riley, Helene M . , Ludwig Achim von Arnims Jugend- und Reisejahre. Ein Beitrag zur Biographie mit unbekannten Briefzeugnissen, Abhandlungen zur Kunst-, Musikund Literaturwissenschaft, Bd. 266, Bonn 1978. » Goethe und die Romantik. Briefe und Erläuterungen «, 2. Theil, hrsg. v. C a r l Schüddekopf u. Oskar Walzel, Sc&ri/ten der Goethe-Gesellschaft, Bd. 14, Weimar 1899. Achim von Arnim und die ihm nahestanden. 1. Bd.: Achim von Arnim und Clemens Brentano, bearb. v. Reinhold Steig, Stuttgart 1894.
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475 1 118 Briefe sowie Briefexzerpte bzw. -konzepte anführt, wobei zu berücksichtigen ist, daß Arnims Korrespondenz noch umfangreicher gewesen sein muß. Dies ergibt sich aus der Tatsache, daß, wie die vorliegende Edition bezeugt, weitere, bei Knaack nicht erwähnte Briefe gefunden werden konnten 8 , vor allem aber aus den in Arnims Schreiben oder denen seiner Briefpartner enthaltenen Hinweisen auf unbekannte Briefe 4. Knaack gab neben dem Druck- auch erstmals den Aufbewahrungsort vieler Originalbriefe an, so daß sichtbar wurde, wieviel auf diesem für die Arnimund die Romantikforschung wichtigen Gebiet noch unveröffentlicht ist. In den letzten Jahrzehnten sind nur zwei größere Editionen von Arnimbriefen erschienen, und zwar der von Werner Vordtriede veröffentlichte Briefwechsel zwischen Arnim und seiner Gattin Bettine aus den Jahren 1811-1831 5 und Roswitha Burwicks wichtige, soeben erschienene Edition zahlreicher, oft schwer entzifferbarer Exzerpte aus zum Teil verlorengegangenen Briefen 6. Die schon in Hoffmanns Forschungsbericht erwähnte Tendenz zu kleinen Briefpublikationen 7 setzte sich in den siebziger Jahren Steig I I
Steig I I I
Stoll I - I I
Vordtriede I - I I
Achim von Arnim und die ihm nahestanden. 2. Bd.: Achim von Arnim und Bettina Brentano, bearb. v. Reinhold Steig, Stuttgart u. Berlin 1913. Achim von Arnim und die ihm nahestanden. 3. Bd.: Achim von Arnim und Jacob und Wilhelm Grimm, bearb. v. Reinhold Steig, Stuttgart u. Berlin 1904. Stoll, Adolf, Friedrich Karl von Savigny. Ein Bild seines Lebens, mit einer Sammlung seiner Briefe, Bd. 1 ff., Berlin 1927 ff. Achim und Bettina in ihren Briefen. Briefwechsel Achim von Arnim und Bettina Brentano, hrsg. v. Werner Vordtriede, 2 Bde., Berlin 1961.
2 Knaacks Buch geht auf seine Hamburger Dissertation von 1973 (Die politischen Anschauungen Achim von Arnims in ihrer Entwicklung: Mit ungedruckten Texten und einem Verzeichnis sämtlicher Briefe Arnims als Anhang) zurück, auf die bereits Volker Hoffmanns wertvoller Forsdiungsbericht aufmerksam machte (» Die Arnim-Forschung 1945 - 1972 in: Deutsche Vjs 47 (1973), Sonderheft Forschungsreferate, S. 342). 3 Die Suche des Verf. nach Arnim-Handschriften in außerhalb des deutschen Sprachraums gelegenen Archiven (in England, Frankreich, Italien, der ÖSSR, den Niederlanden, den U S A und den skandinavischen Ländern) hat bisher nur weniges zutage gefördert. 4 Allein die von Riley veröffentlichten 23 Briefe der Großmutter zahlreiche nicht erhaltene Briefe Arnims.
erwähnen
5 Zur K r i t i k dieser Edition, die wissenschaftlichen Ansprüchen nicht vollauf genügt, vgl. Hoffmann, a.a.O., S. 287 - 288. 6 Roswitha Burwick, » Exzerpte Achim von Arnims zu unveröffentlichten Briefen «, Jahrb. d. Fr. Dt. Hochstifts 1978, S. 298 - 395. 7 Z u den Briefeditionen aus dem Zeitraum 1945 - 1972 vgl. Hoffmann, a.a.O., 5. 281 - 2 8 2 . A u f den von H ä r t l veröffentlichten wichtigen Brief an Goethe vom 6. Januar 1811 sei hier nachdrücklich verwiesen ( H ä r t l , S. 255 - 2 5 8 ) . D e r bei
Unveröffentlichte Briefe A i m von Arnims
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fort. Jürgen Knaack veröffentlichte 1972 einen aufsdilußreichen Brief entwurf vom Herbst 1807 an Frau Schwinck8. Helene M. Kastinger Riley hat in den letzten Jahren — allerdings nicht immer mit der gebotenen Sorgfalt — folgende Handschriften ediert: den Brief vom 16. März 1802 an Heinrich Dieterich und vom 30. Mai 1830 an Unbekannt 9 , zwei Briefentwürfe aus den Beständen des Hochstifts vom 26. September und vom 8. Dezember 1808 an Madame de Staël 10 , ein Briefexzerpt vom 26. September 1808 an A. W. Schlegel11, ferner neun Briefe aus den Jahren 1788 bis 1797 an den Vater 12 , zwei Brieffragmente an den Onkel vom 30. Dezember 1802 und 6. März 1804 13 , Teile eines Briefs an Onkel und Tante, der etwa 1796 verfaßt wurde 14 , ferner ein im Frühjahr 1804 geschriebenes Knaack nicht verzeichnete Brief an Schelling vom 9. A p r i l ( 1 8 0 8 ) wurde erstmals publiziert in: F. W . J. Schelling, Briefe und Dokumente, hrsg. v. Horst Fuhrmanns, Bd. 3, Bonn 1975, S. 490. 8
stifts
» Ein unbekannter Briefentwurf Achim von Arnims «, Jahrb. d. Fr. Dt. 1972, S. 2 0 3 - 2 2 2 ( = Knaack N r . 174).
Hoch-
9 Helene M . Kastinger Riley, » Z w e i unbekannte Briefe Achim von Arnims «, Etudes Germaniques 31 (1976), S. 3 7 - 4 1 . Berichtigungen von Druckfehlern ebd., S. 236. — Die beiden Briefe (Knaack N r . 36 bzw. 1087) werden leider nur spärlich kommentiert. Unverständlich ist, daß Riley das D a t u m im Briefkopf übersieht und den ersten Brief auf den 6. M ä r z 1802 datiert. Der zweite Brief riditet sich wahrscheinlich an den Verleger Friedrich Heinrich Dümmler ( 1 7 7 7 - 1846); vgl. O t t o Pfülf, » Achim von A r n i m i m Spiegel seiner Briefe «, Stimmen aus Maria Laach 67 (1904), S. 416. Folgende Lesefehler wären in diesem Brief zu berichtigen: »das Ries« statt » d e r Preis«, » fl. 6 angesezt « statt » H . 8 angesetzt «, » fl 16 « statt » H 16 «. 10 Helene M . Kastinger Riley, » Einiges Neue zu den Beziehungen zwischen Frau von Staël und Ludwig Achim von A r n i m «, Zeiiic&r. / . Franz. Sprache u. Lit. 87 (1977), S. 53 - 59 (Knaack N r . 275 bzw. 304). Der gleichfalls im Freien Deutschen Hochstift (abgek. F D H ) befindliche, von Burwick (a.a.O. S. 364 f.) veröffentlichte Brief an Frau von Staël vom 18. A p r i l 1809 w i r d übrigens nicht berücksichtigt. Zur Diskussion von Arnims Einstellung zur Frau von Staël hätten auch die von Knaack (S. 83) erwähnten Handschriften herangezogen werden müssen. — Angesichts der Tatsache, daß die Edition von Burwick, welche die beiden Briefe enthält (S. 358 bzw. 361), dem F D H seit längerem vorliegt, bleibt es unverständlich, daß sie auch von Riley veröffentlicht werden. Burwick transkribiert übrigens den Brief vom 8. Dezember genauer als Riley. 11 Helene M . Kastinger Riley, » Notizen über einiges Unveröffentlichtes aus den Beziehungen der Brüder Schlegel zur zeitgenössischen Romantik «, Literaturwiss. Jahrb. 18 (1977), S. 1 3 9 - 140 ( = Knaack N r . 274). 12 Riley S. 19 - 3 1 ( = Knaack N r . 1 - 9 ) . Riley läßt viel unveröffentlichtes M a terial unberücksichtigt, das für ihre biographische Studie wichtig gewesen wäre. Überdies nimmt sie wichtige neuere Arbeiten über Arnim, darunter die von H ä r t l und Knaack, nicht eigentlich zur Kenntnis.
i« Riley S. 82 - 84 ( = Knaack N r . 48) und S. 99 - 100 ( = Knaack N r . 66). 14
Riley S. 29 - 30 ( F D H 12886). I d i schließe mich der Datierung von Knaack (Knaack N r . 9) an. Riley datiert den Brief auf die Zeit kurz nach dem 20. O k tober 1973, übersieht aber, daß der Onkel die Tante erst im Frühjahr 1794 heiratete.
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Brieffragment an Clemens Brentano 15 , ein kurzes Fragment an Unbekannt 16 , schließlich drei Briefentwürfe an Frau Schwinck aus den Jahren 1808 - 1812 1 7 .
M i t einer historisch-kritischen Ausgabe der Werke Arnims ist aus finanziellen und personellen Gründen in absehbarer Zukunft nicht zu rechnen, selbst nicht mit einer Edition sämtlicher Briefe, die an sich schon ein umfangreiches Unternehmen darstellen würde. Der zum Teil noch unbekannte Nachlaß Arnims wird wahrscheinlich auch weiterhin allmählich durch Teilpublikationen erschlossen werden 18 , wobei zu hoffen bleibt, daß eine allzu weitgehende Zersplitterung der jeweiligen Editionsbereiche vermieden wird. In diesem Sinne erfaßt die hier vorgelegte Edition 1 9 in möglichster Vollständigkeit diejenigen unbekannten Arnimbriefe, die nicht aus den umfangreichen noch erhaltenen Briefwechseln stammen20. Unveröffentlichte Briefe an Bettine und Clemens und an seinen Bruder Carl Otto müssen also anderen Editionszusammenhängen vorbehalten bleiben. Bei den hier veröffentlichten Briefen handelt es sich um Stücke aus weniger bekannten Korrespondenzen, die größtenteils verschollen oder in der Hauptsache bereits ediert worden sind. Diese verstreuten Funde werden in chronologischer Reihenfolge dargeboten, um die Entwicklung Arnims als Mensch und Dichter, die Entfaltung seiner Interessen wie seiner sprachlichen Möglichkeiten 15
Riley S. 100 - 102 ( = Knaack N r . 65).
10
Riley S. 98. 17 Riley S. 163 - 168 ( = Knaack N r . 292, 335, 533). Auch diese Handschriften sind bei Burwick veröffentlicht (S. 360, 363, 377 f.), und zwar vollständiger und genauer als bei Riley. 18 H e i n z Härtls wichtige Edition der ca. 150 Briefe Arnims an Savigny erscheint 1981. 19 M e i n herzlicher D a n k gilt den Leitern aller Archive und Bibliotheken, welche mir freundlicherweise die Veröffentlichung der hier dargebotenen Handschriften gestatteten, insbesondere H e r r n Prof. D r . K a r l - H e i n z H a h n , dem Direktor des Goethe-Schiller-Archivs (abgek. G S A ) in Weimar, H e r r n D r . Detlev Lüders, dem Direktor des Freien Deutschen Hochstifts in Frankfurt, H e r r n D r . Wilfried Werner, dem Leiter der Handschriftenabt. der U B Heidelberg, und Frau D r . I . Stolzenberg und H e r r n D r . T . Brandis von der Staatsbibliothek Preußischer K u l turbesitz Berlin. — Ich möchte auch Frau D r . Renate Moering ( F D H ) , H e r r n D r . H e i n z H ä r t l (Halle) und H e r r n D r . Jürgen Knaack für mancherlei wertvolle H i n weise danken, schließlich auch der Horace H . Rackham School of Graduate Studies an der University of Michigan für die finanzielle Förderung meines V o r habens. 2 0 D i e meisten der im F D H befindlichen Briefe in dieser Kategorie w i r d der Verf. demnächst im Jahrb. d. Fr. Dt. Hochstifts edieren. V o n meinen beiden Briefeditionen bleiben Geschäftsbriefe und andere Papiere ausgeschlossen, die A r n i m als Gutsbesitzer in Wiepersdorf verfaßte. Diese von der Forschung noch nicht verwerteten Materialien befinden sich im Staatsarchiv Potsdam (Pr. Br. Rep. 37 Gutsarchiv Wiepersdorf).
Unveröffentlichte Briefe A i m von Arnims
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deutlich werden zu lassen. Briefentwürfe werden einbezogen, weil in ihnen Arnims Absichten und Meinungen oft unverhüllter hervortreten. Die Handschriften sind originalgetreu wiedergegeben; lediglich m und η werden zu mm und nn aufgelöst. Lesearten werden nur angeführt, wenn sie inhaltlich wichtig sind. Abkürzungen werden nach Bedarf ergänzt. Unterstrichene Wörter werden im Kursivdruck wiedergegeben. Sperrdruck entspricht lateinischer Schrift. Eine eindeutige Entscheidung in Bezug auf Zusammen» und Getrenntschreibung ist nicht immer möglich 21 . Verzeichnis
der im f o l g e n d e n a b g e d r u c k t e n und Dokumente
Briefe
N r . 1.
Entwurf zu einem Brief an den Vater. E t w a 1793
S. 94
N r . 2.
Entwurf zu einem Brief an den Vater. E t w a 1. Januar 1794 . . . .
S. 98
N r . 3.
Entwurf zu einem Brief an den Onkel. E t w a 1. Januar 1794
S. 100
N r . 4.
Entwurf zu einem Brief an den Onkel. Anfang M ä r z 1794
S. 102
N r . 5.
Entwurf zu einem Brief an Onkel und Tante. Anfang Januar 1795 S. 102
N r . 6.
Entwurf zu einem Brief an den Onkel. Anfang Januar 1796
S. 104
N r . 7.
Entwurf zu einem Brief an den Onkel. Anfang 1796
S. 106
N r . 8.
Entwurf zu einem Brief an C a r l Philipp Gotthilf von der G o l t z ( ? ) . Ende Juli 1798
Exkurs: Brief des Onkels an Arnim. 31. Januar 1801 N r . 9.
S. 108 S. 110
Fragment eines Briefs an Friedrich von Raumer. Ende November 1801
S. 115
N r . 10.
Fragment eines Briefs an die Tante. 17. August 1802
S. 118
N r . 11.
Brief an Wilhelmine von Hastfer. 10. Juni 1803
S. 119
N r . 12.
Fragment eines Briefs an Unbekannt. 9. Februar 1804
S. 121
N r . 13.
Brief an Heinrich Dieterich. 9. September 1804
S. 122
N r . 14.
Fragment der Abschrift eines Briefs an Unbekannt. Frühjahr 1806
S. 123
N r . 15.
Fragment eines Briefs an die Tante. 16. Juni 1806
S. 125
N r . 16.
Brief an Franz K a r l Leopold von Seckendorf. 18. Juli 1806
S. 126 S. 129
N r . 17.
Brief an einen Verwandten. 31. Dezember 1806
N r . 18.
Beilage zu einem Brief an Johann Georg Zimmer. 28. November
N r . 19.
Brief an Johann Friedrich Blumenbach. 20. A p r i l 1808
S. 134
N r . 20.
Brief an Friedrich Heinrich von der Hagen. 29. M a i 1808
S. 136
N r . 21.
Brief an Johann Georg Zimmer. Ende November 1808
S. 140
N r . 22.
Brief an Sophie Marie Leisewitz. 8. Dezember 1808
S. 141
1807
S. 130
21 Zeichenerklärung: