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German Pages 394 [404] Year 1968
LITERATURWISSENSCHAFTLICHES JAHRBUCH IM AUFTRAGE DER GÖRRES-GESELLSCHAFT HERAUSGEGEBEN VON HERMANN KUNISCH
NEUE FOLGE / ACHTER BAND
1967
DUNCKER & HUMBLOT · BERLIN
LITERATURWISSENSCHAFTLICHES JAHRBÜCH IM AUFTRAGE DER GÖRRES-GESELLSCHAFT HERAUSGEGEBEN VON PROF. DR. HERMANN KUNISCH
N E U E FOLGE / A C H T E R
BAND
1967
Das »Literaturwissenschaftliche Jahrbuch' w i r d i m Auftrage der Görresgesellschaft herausgegeben v o n Professor D r . H e r m a n n Kunisch, 8 München 19, NürnbergerStraße 63. Schriftleitung: D r . Wolfgang F r ü h w a l d , 89 Augsburg, Nesselwangerstraße 18 und D r . Günter N i g g l , 8 München 19, Löfftzstraße 1. Das im
jLiteraturwissenschaftlidie Umfang
von
etwa
Jahrbuch'
erscheint
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leistet ist. Besprechungsexemplare von Neuerscheinungen aus dem gesamten Gebiet der europäischen Literaturwissenschaft,
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Duncker
&
Humblot,
1 Berlin
41 (Steglitz), Dietrich-Schäfer-Weg
9.
LITERATURWISSENSCHAFTLICHES JAHRBÜCH ACHTER BAND
Friedrich Schlegel, 'Nachträglicher Zusatz vom ganzen Goethe'. Nadilaßheft S. [1], (s. S. 71 und 77 f.).
LITERATURWISSENSCHAFTUCHES JAHRBUCH I M AUFTRAGE DER GÖRRES-GESELLSCHAFT HERAUSGEGEBEN VON HERMANN
NEUE FOLGE / A C H T E R
KUNISCH
BAND
1967
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Alle Rechte, audi die des auszugsweisen Nachdrucks, der photomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung für sämtliche Beiträge, vorbehalten. © 1968 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1968 bei Berliner Buchdruckerei Union GmbH., Berlin 61 Printed in Germany
INHALT Hermann Kuniscb (München), Johannes Pfeiffer zum 65. Geburtstag
1
AUFSÄTZE Benedikt Vollmann OSB. (München), Simplicitas divinae providentiae. Zur Entwicklung des Begriffs in der antiken Philosophie und seiner Eindeutschung in Notkers 'Consolatio'-Übersetzung 5 Harald Burger (Zürich), Jacob Masens 'Rusticus imperans\ Zur lateinischen Barockkomödie in Deutschland 31 Hermann Kuniscb (München), Friedrich Schlegel: 'Nachträglicher Zusatz vom ganzen Goethe in der jetzigen deutschen Litteratur: 1823' 57 Walter Weiss (Salzburg), Der Zusammenhang zwischen Amerika-Thematik und Erzählkunst bei Charles Sealsfield (Karl Posti). Ein Beitrag zum Verhältnis von Diditung und Politik im 19. Jahrhundert 95 Wolf gang Landthaler
(München), Münchener Stifter-Handschriften
Gerhart Mayer (Mainz), Über Wilhelm Raabes Verhältnis zur Religion
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Margarete Kupper (Würzburg), Wiederentdeckte Texte Else Lasker-Schülers I I I 175 Karl Eibl (Bochum), Zur Entstehung von Gustav Sacks Romanfragment 'Paralyse' 201 Anthony W. Riley (Kingston, Ontario), Die Literatur über Elisabeth Langgässer: Eine Bibliographie 265 Thomas O. Brandt (Durham, New Hampshire), Gedichte, Texte, Demonstrationen. Zur zeitgenössischen Lyrik Westdeutschlands 289 KLEINE BEITRÄGE Eckart Peterich (München), Die drei Erzengel in Goethes 'Prolog im Himmel' . . 305 Dirk Forster
(Deisenhofen), Erinnerungen an Ernst Stadler
311
BUCHBESPRECHUNGEN Georg Baesecke, Kleinere Schriften (Von Günther Schweikle)
zur althochdeutschen Sprache und Literatur. 321
Scriptura Gothica Libraria a saeculo XII usque ad finem medii aevi L X X X V I I imaginibus illustrata. Cura Ioachimi Kirchner. (Von Hanns Fischer) . . . . 324 Alois M. Haas y Parzivals Burger)
tumpheit bei Wolfram
von Eschenbach. (Von Harald 325
Inhalt
VI
Blake Lee Spahr, Anton Ulrich and Aramena. The Genesis and Development of a Baroque Novel. (Von Adolf Haslinger) 331 Novalis Schriften. Die Werke Friedrich von Hardenbergs. l.Band: Das dichterische Werk. Hrsg. von Paul Kluckhohn (f) und Richard Samuel unter Mitarbeit von Heinz Ritter und Gerhard Schulz. — 2. Band: Das philosophische Werk I. Hrsg. von Richard Samuel in Zusammenarbeit mit HansJoadiim Mahl und Gerhard Schulz. (Von Wolfgang Frühwald) 343 Clemens Brentano, Werke. Wolfgang Frühwald) Werner Hoffmann, wald)
Vierter Band. Hrsg. von Friedhelm Kemp. (Von 352
Clemens Brentano. Leben und Werk.
(Von Wolfgang Früh357
Hans Werner Seiffert, Untersuchungen zur Methode der Herausgabe deutscher Texte. (Von Bernhard Gajek) 363 Deutsches Literatur-Lexikon. Biographisch-bibliographisches Handbuch. Begründet von Wilhelm Kosdi. Dritte, völlig neu bearbeitete Auflage. Hrsg. von Bruno Berger und Heinz Rupp. 1. und 2. Lieferung. (Von Wolfgang Frühwald) 373 Namen- und Sachregister
377
N A C H W E I S DER ABBILDUNGEN Die beiden faksimilierten Friedrich-Schlegel-Handsdiriften (Titelbild und nach S. 74) entstammen einem Nachlaßheft Schlegels aus dem Besitz der Görres-Gesellschaft, die beiden nach S. 144 und 148 wiedergegebenen Stifter-Autographen der Stifter-Sammelmappe Cgm 7386 der Bayerischen Staatsbibliothek, München. Für die freundliche Genehmigung des Abdrucks sei der Bayerischen Staatsbibliothek geziemend gedankt.
J O H A N N E S P F E I F F E R Z U M 65. G E B U R T S T A G
Lieber, verehrter H e r r Pfeiffer, als m i r vor einigen Tagen Ihre Festschrift zugeschickt wurde, wurde m i r mein Versäumnis schmerzlich bewußt. Ich hatte den Herausgebern der Ihnen zugedachten Geburtstagsgabe versprochen, einen Beitrag zu liefern; hatte m i r auf meinem Arbeitstisch die seit langem gesammelten, oft ergänzten, i n vielfachen M ü h e n immer wieder durchdachten Materialien bereitgestellt, u m sie -endlich zu einem Versuch über Goethes Auffassung v o m Menschen auszuformen u n d sie Ihnen zu widmen. Es ist nicht dazu gekommen. Sie kennen selbst die Zweifel, das Ungenügen am Gedachten und Empfundenen, das Versagen der K r ä f t e und das Müdewerden; und, was am schwersten wiegt, die m i t den Jahren zunehmende Angst v o r dem Sich-Äußern, w e i l man fühlt, wie wenig sich schließlich m i t Worten ausrichten läßt. Würde man damit Ernst machen — und oft ist die Versuchung dazu groß — so würde sich schließlich das Menschliche u m ein Wesentliches verkürzen. Das W o r t ist uns dennoch anvertraut als eines der M i t t e l , nicht nur selbst jemand zu sein, sondern auch i m Kreis des Menschlichen u n d v o r G o t t zu existieren. I n K ü r z e und ganz einfach, eine Fülle v o n inneren u n d äußeren Abhaltungen hat die Ausführung meiner Absicht verhindert. Nachdem ich i n Ihrer Festschrift nicht zu Worte gekommen bin, bitte ich, ein öffentliches G r u ß w o r t an dieser Stelle nachholen zu dürfen. Ich hoffe, daß es Ihnen auch hier und i n dieser Form w i l l k o m m e n sein w i r d . Was uns über das Menschliche hinaus verbindet, jenseits der Fragen, die das geistige und religiöse Schicksal unserer Zeit betreffen, ist die Sache der Dichtung und der Kunst überhaupt. Wenn m i r die Dichtung so entscheidend als eine Kunst des Wortes erscheint, so danke ich das, abgesehen v o n dem, was als Voraussetzung für eine solche Auffassung u n d Wertung bei m i r vorhanden gewesen ist, zunächst Ihnen. Wenn daneben, das v o n Ihnen Vermittelte ergänzend, abwandelnd, bestätigend u n d i n kritisches Licht rückend, die Hinweise anderer m i r wichtig geworden sind, so ist das bei jedem geistigen Vorgang selbstverständlich. Neben einigen Vertretern meines Faches, der Literaturwissenschaft, müßte ich die N a m e n derer nennen, die ich i n besonderem Maße als meine Lehrer verehre: Romano G u a r d i n i u n d Theodor 1 Literaturwissenschaftliches Jahrbuch, 8. Bd.
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Hermann Kunisch
Haecker, z w e i Gestalten übrigens, die i n vieler Hinsicht, i n Temperament, geistigem und sprachlichem Stil, sehr voneinander abweichen, der eine irenisch, ausgleichend, der andere polemisch, hart u n d oft ungerecht verurteilend, beide aber verwandt i n dem Bemühen u m »Unterscheidung des Christlichen« — was unter anderem m i t beider engem Verhältnis zu Kierkegaard zusammenhängen mag — , beide auch übereinstimmend i n der Hochschätzung der Kunst als einer der Grundgegebenheiten menschlicher Existenz. I n dieser meiner Verbindung zu den beiden katholischen Denkern mag das begründet sein, was Sie u n d m i d i , bei aller überwiegenden Gemeinsamkeit, gelegentlich unterscheidet. Sie setzen, wie die Genannten m i t Kierkegaard vertraut, der Kunst Grenzen u n d bezeichnen sie, m i t einem Ihrer härtesten, aber auch klärendsten Worte, als »HalbWirklichkeit«. Haecker u n d besonders Guardini, das mag ein spezifisch Katholisches sein, sind darin optimistischer, wenn auch keineswegs leichtfertiger. Wer wie Haecker die H ö l l e als den O r t definieren konnte, an dem Menschenworte ewig G ü l t i g keit hätten, weiß u m die Grenze künstlerischen Spiels, auch wenn er, wie i n ähnlicher Weise Guardini, bewundernd u n d ehrfürchtig staunend feststellt, welche Würde u n d welche den Einzelmenschen u n d das menschliche M i t einander bestimmende K r a f t dem W o r t eigen ist; immer aber, u n d d a r i n erkennen auch sie Grenze u n d Fragwürdigkeit menschlichen Sprechens, nur als Teilhabe am Logos, welcher die zweite Person i n der Gottheit ist. Sie, lieber H e r r Pfeiffer, deuten einmal i n einem Ihrer Briefe an, daß H e r m a n N o h l Zweifel an Ihrer u n d Eugen Gottlob Winklers »Ubersteigerung der I d e n t i t ä t v o n I n h a l t u n d Form« geäußert habe; u n d Sie erkennen selbst an, daß hier eine »Gefahr« liegt, betonen aber doch m i t Entschiedenheit, wie wichtig Ihnen »das Scheinhaft-Schwebende der dichterischen W i r k lichkeit sowie das Frei-Spielende der dichterischen H a l t u n g « sei. H i e r liegt der G r u n d zu Tage, w o alle Dichtungsbetrachtung ihre Berechtigung u n d ihre Begrenzung erfährt. W i e befreiend w a r der v o n Ihnen w o h l zuerst so eindringlich u n d fordernd (ich drücke es so aus, o b w o h l gerade diese Worte Ihrer stillen, uneifernden A r t nicht gerecht werden) geführte Nachweis, daß es das Gemeinte nur in der Form gebe. Aber solche Ineinssetzung — vielleicht lag da auch der Ausgangspunkt für Nohls E i n w a n d — verdeckt zu leicht, daß eben etwas »Gemeintes« i n der Form »erscheint«, das heißt doch aus einem verdeckten Grunde aufleuchtet. W i r alle wissen, was Sie sagen w o l l t e n u n d wollen, wenn Sie davor warnen, dieses Gemeinte als »ontisch bestimmtes Zeugnis« mißzuverstehen. Ihre i m Jahre 1954 brieflich geäußerten Hinweise waren veranlaßt durch meinen Versuch über 'Dichtung als W i r k l i c h k e i t \ Ich habe i h n inzwischen stofflich erweitert und gründlicher gefaßt. Wer ist nicht immer v o n neuem sowohl fasziniert u n d angezogen, wie auch bestürzt u n d beunruhigt v o n
Johannes Pfeiffer zum 65. Geburtstag
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dem, was künstlerische Hervorbringung ist; u n d w a n n käme man damit an ein Ende? Was m i r i n diesen dazwischenliegenden Jahren i n zunehmendem Maße dringlicher geworden ist, ist die Bedeutung des Stoffes für den Rang eines Kunstwerkes und die Aussagekraft des Gegenstandes unabhängig v o n seiner künstlerischen Form. Oder gibt es das gar nicht, den Gegenstand außerhalb seiner Form? Wer möchte leichthin den Gewinn der v o n Ihnen angeregten Einsichten opfern? Hofmannsthal meinte, daß F o r m erst wesenhaft würde als Form v o n I n h a l t . Bedeutet das nicht, daß die Wesenhaftigkeit der Form wüchse m i t dem Gewicht des i n ihr sich verlebendigenden I n halts? So etwa glaubte es auch Theodor Haecker. A m aufregendsten ist die Tatsache, daß Goethe, den der alte Friedrich Schlegel n u r als Künstler glaubte anerkennen zu können, i n offenbarem Gegensatz zu seiner wiederholten Betonung der Gültigkeit der Form, der er die K r a f t der Bedeutungsumbildumg eines Stoffes zuerkannte, gerade i n späten Äußerungen die für den W e r t einer Dichtung ausschlaggebende F u n k t i o n des Gegenstandes verteidigt hat. Er beneidete Lessing i n Hinsicht auf dessen ' M i n n a v o n Barnhelm' wegen des Glücks, das i h m durch den großen geschichtlichen H i n t e r grund zuteil geworden sei. Haecker sah das Glück des Vergil darin, daß er i n seiner geschichtlichen Stunde dem großen Stoff begegnet sei. Er definierte »klassische Kunst« geradezu a Is das »Zusammentreffen eines großen Dichters m i t einem großen realen — nicht fingierten oder geträumten Gegenstand«, wie er es bei Vergil zu sehen glaubte. D a r i n sind w i r uns sicher einig, würde i d i glauben, daß das Beiwort »groß« v o r dem Dichter unabdingbar bleibt. D e n n es geht doch auf das Sagenkönnen! U n d ohne dies gibt es gewiß keine »große« Dichtung bei noch so großem Gegenstand. Schließt sich so der Ring? Das würde dann doch bedeuten, daß entscheidend schließlich nur die K r a f t des Sagens ist, der »Satz«, wie K a r l Kraus es ausgedrückt hat. Aber das Zweideutige und Halbwahre, das Sie so beunruhigt? Lassen w i r es heute auf sich beruhen. Ich hatte ein G r u ß w o r t schreiben w o l l e n ; nun ist es so etwas wie ein Gespräch geworden, i n jenem Sinne, den w i r beide nur für vertretbar halten. W i r mißtrauen den »echten« Gesprächen unserer Zeit, die immer mehr v o n den Gegenständen entfernen u n d überdies noch den Eindruck erwecken, als seien sie notwendig u n d vermöchten irgendetwas zu bewirken. Ich habe oben eine Andeutung über das uns jenseits der uns zur Aufgabe gewordenen Beschäftigung m i t Dichtung und W o r t vorhandene Gemeinsame gemacht. Es hat sich wieder gemeldet bei dem Gefühl, dieses an Sie gerichtete W o r t sei ein Gespräch geworden, das schließlich über den engeren Gegenstand hinausweise auf einen darunter liegenden Grund, aus dem Sorgen aufsteigen, die uns beide bedrücken, — sicherlich nicht nur uns; aber die so Betroffenen haben k a u m eine gemeinsame Stimme, wie es die 1*
Hermann Kunisch
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Vertreter eines avantgardistischen Optimismus heute haben. M i d i beschäftigt jüngst die i m 19. Jahrhundert ganz offenbar werdende, wenn audi schon viel früher beginnende Auseinandersetzung einer einsamen Gemeinde der »Unzeitgemäßen« m i t dem »Zeitgeist«. Sie selbst haben unabhängig dav o n i n Ihrem 'Brevier' manche Stimmen dazu gesammelt. Nicht als ob diese oder w i r glaubten, es könne jemand außerhalb seiner Zeit geistig existieren. Aber entscheidend ist, i n welchen Erscheinungen man das »Gesicht« als das Wesentliche der Zeit zu sehen glaubt. Der A n t e i l derer, die es — u m eine Formel v o n Immermann zu gebrauchen — nicht i m »Zeitgeist«, sondern i n dem »Geist der Zeit, oder richtiger gesagt: Der Ewigkeit, der i n stillen K l ü f t e n tief unten sein geheimes W e r k treibt«, suchen, ist die Schwerm u t und das Gefühl der Vergeblichkeit, u n d als Folge davon das A l l e i n sein. W i r wollen nicht wünschen, daß es anders sei. I n Ihren Briefen hat mich oft der Ausdruck dieses Alleinseins berührt; i n Ihren Arbeiten haben Sie Bestätigung u n d Zeugenschaft i n Fülle dagegen aufgerufen, seit I h r e m noch immer unvergleichlichen Bande 'Anfechtung u n d Trost'. Spricht er nicht sogar gegen Ihre theoretisch oft geäußerte Ansicht v o n dem ScheinCharakter der Kunst? N e i n , w o h l nicht ganz. M a n muß doch genauer unterscheiden! Aber das w o l l e n w i r nun lassen! W o r t u n d Dichtung werden uns beiden — auch wenn immer v o n neuem alle Fragen wieder aufbrechen, die beantwortet zu sein schienen — jenes letztlich Unerklärliche bleiben, m i t dem zu beschäftigen bedeutet, sich selbst u n d dem Rätsel des Menschlichen zu begegnen. Was ich zum Schluß meiner Epistel wünschen möchte, ist dieses, daß Sie bereit sein könnten, die Rolle, die Ihnen darin als einem Gesprächspartner zugefallen ist, anzunehmen. Wünschen möchte ich endlich, daß w i r ein w i r k liches Gespräch wieder führen könnten, wie w i r es bisher nur einmal v o r Jahren i n H a m b u r g i n Ihrem Hause u n d auf dem langen Spaziergang über dem Wasser i n Blankenese miteinander hatten. Diese Aussicht nehme ich für einen guten Trost u n d als Bestärkung, i n dem fortzufahren, was w i r als unsere Aufgabe ergriffen haben, — oder «dürfen w i r sagen, das uns ergriffen hat, u n d dem w i r uns nicht entziehen wollen. Ich grüße Sie sehr dankbar u n d i n Freundschaft als I h r H e r m a n n Kunisch I m J u l i 1967.
SIMPLICITAS Zur
DIVIN AE
Entwicklung des Begriffs
PROVIDENTIAE i n der antiken
Philosophie
und seiner Eindeutschung i n Notkers 'Consolatio'-Ubersetzung V o n Benedikt V o l l m a n n OSB
Die erste u n d eigentliche Aufgabe der vorliegenden Arbeit ist die Beantw o r t u n g der Frage: wie übersetzt N o t k e r der Deutsche den v o n Boethius i m Schlußteil der 'Consolatio philosophiae' so sehr herausgehobenen Terminus simplicitas (simplex), bezogen auf G o t t u n d seine Vorsehung? U m die Ubersetzungsleistung jedoch beurteilen zu können, muß i n einem ersten T e i l die Geschichte des Begriffs v o r und seine Verwendung bei Boethius untersucht werden. Das innere Z i e l der Darlegungen wäre erreicht, wenn sichtbar würde, wie griechisches theologisches Denken nach einem Prozeß lebendiger, spannungsvoller W a n d l u n g i m lateinischen Bereich aufgenommen u n d adaptiert w i r d , dann i m Zusammenbruch der alten W e l t nicht einfach untergeht, sondern h i n ü b e r w i r k t auf die jungen V ö l k e r des Westens, die i n anfänglich mühsam tastenden Versuchen der Aneignung die Grundlage für eine selbständige Entwicklung gewinnen.
1 SimplicitaSy Einfachheit, Einfalt, v o n G o t t ausgesagt, das mag den philosophisch weniger Bewanderten auf den ersten Blick befremden. Unserem Sprachgebrauch ist der Begriff geläufig als Aussage über die moralische (positiv) oder intellektuelle (negativ) Q u a l i t ä t eines Menschen 1 , ganz ähnlich hierin dem griechischen άπλότης (άπλοΰς ) u n d dem lateinischen simplicitas (simplex) 2. N a t ü r l i c h macht es keine Schwierigkeit, den Begriff des Einfach-Lauteren v o m menschlichen T u n her auf G o t t bzw. die Götter zu übertragen, wie Piaton es am Ende des 2. Buches über den Staat t u t 3 ; aber 1 Vgl. Grimm, Deutsches Wörterbuch, Bd. I I I , 172—173, und Trübners Deutsches Wörterbuch, Bd. I I , 151—152. 2 Vgl. die überaus sorgfältige und aufschlußreiche Untersuchung von Otto Hiltbrunner: Latina Graeca. Semasiologische Studien über lateinische Wörter im Hinblick auf ihr Verhältnis zu griechischen Vorbildern, Bern 1958. 3 κομιδχί αρα ό Φεος άπλοΰν και άληθές εν τε εργφ και εν λόγω, και οΰτε αυτός μεΐΚσταται οΰτε άλλους άπατφ (Staat 382e [Burnet]).
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Benedikt Vollmann
das ist nicht gemeint, wenn i n der antiken Philosophie v o n göttlicher simplicitas die Rede ist. Vielmehr geht es hierbei u m ein ontologisches Problem, ja u m eine der Kernfragen der Metaphysik überhaupt: wie ist die V i e l f a l t u n d Verschiedenheit der seienden Dinge auf ein Einfaches zurückzuführen? Genau wie i n der Erkenntnisordnung das Vielerlei nur dadurch verstanden werden kann, daß es auf Gemeinsames, Notwendiges u n d deshalb m i t Sicherheit Aussagbares, nämlich den Begriff, bezogen w i r d , so ist die feststellbare Tatsache, daß die Einzeldinge nicht beziehungslos-chaotisch sich verhalten, sondern i n einem Ordnungsverhältnis zueinander stehen, nur dadurch erklärlich, daß i n ihnen ein Allgemeineres u n d damit notwendig E i n facheres enthalten ist, das nur je u n d je verschieden ausgeprägt erscheint. So versteht man denn, daß die Philosophie v o n ihren ersten Anfängen an nach dem Allgemeinsten u n d Einfachsten überhaupt gefragt hat, das der Weltordnung als ganzer zugrunde liegen muß, sozusagen nach dem einheitlichen U r p r i n z i p , das alle Aussonderungen aus sich entläßt. Wenn auch bei den frühesten Versuchen eines Thaies v o n M i l e t , Anaximander, Anaximenes oder Parmenides der Ausdruck άπλοΰς κτλ. noch keine Rolle spielt, so ist doch die Sache, bzw. die Richtung des Fragens auf ein Allereinfachstes h i n da. M i t aller nur wünschenswerten Deutlichkeit t r i t t dann auch der Terminus bei Anaxagoras auf, v o n dem Aristoteles i n c D e anima' berichtet: »Als U r p r i n z i p v o n allem setzt er den Nous an. E r behauptet, dieser allein unter allen Seienden sei einfach, unvermischt u n d rein. Ebendiesem U r p r i n z i p schreibt er Erkenntnis u n d Bewegung zu, indem er sagt, der Nous bewege das AU.« 4 Piaton hat, wie schon berührt, den Begriff ins Ethische gewendet, w o er v o n den Göttern spricht: Des Gottes Einfalt besteht darin, daß er niemanden täuscht. Aber i n den Aussagen über das Göttlich-Schöne an sich steht Piaton ganz i n der Linie des ontologischen Denkens, auch wenn der Ausdruck άπλότης κτλ. nicht erscheint 5 . Z u m gleichen Ergebnis, daß nämlich das Göttliche höchst einfach sein müsse, gelangt Aristoteles aus seinem System der Naturerklärung, d. h. aus seiner Akt-Potenz-Lehre. Das Göttliche ist, i m Gegensatz zu den irdischen 4 Kap. 2 (405 a 16—18 άρχήν γε τόν νουν τίθεται μάλιστα πάντων μόνον γοΰν φησίν αύτόν των δντων άπλοΰν είναι και άμιγή τε και καθαρόν άποδίδωσι δ9 $μφω τη αύτη άρχη, τό τε γινώσκειν και τό κινεΐν, λέγων νουν κινήσαι τό παν. Mir erscheint angesichts der fragmentarischen Überlieferung des Anaxagoras unbewiesen, daß Aristoteles an der genannten Stelle gerade Anaxagoras Β 12 [Diels-Kranz I I 37] wiedergibt, d. h. daß Aristoteles άπλοΰς aus Eigenem hinzugefügt hat, wie Hiltbrunner a. Anm. 2 a. O. 39 meint. δ Das Göttlich-Schöne ist ein άεΐ ôv καΐ οΰτε γιγνόμενον οΰτε άπολλύμενον, οΰτε αύξανόμενον οΰτε φθίνον . . . άλλα . . . μονοειδές άεΐ δν . . . (Symposion 211 ab [Burnet], Vgl. dazu Phaidon 78b—79a).
Simplicitas Divinae Providentiae
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Dingen, n i d i t zusammengesetzt aus Verwirklichtem ( A k t ) u n d Möglichem (Potenz), sondern es ist reine Verwirklichung, volles, unvermischtes Sein u n d daher einfach u n d unwandelbar, selbst unbewegt, doch alles andere bewegend, d. h. aus der Potenz i n den A k t überführend. Daher ist die v o n i h m verursachte Bewegung eine »einfache Bewegung« 6 , es genießt ein »einfaches Glück« 7 , ja, es ist selbst das einfache Wesen, das reine W i r k l i c h k e i t ist 8 . Dieses A x i o m v o n der göttlichen Einfachheit ist seither nie wieder verloren gegangen. Es herrscht i m Neuplatonismus ebenso wie i n der Patristik u n d der Scholastik u n d allen auf Piaton u n d Aristoteles gründenden Systemen. D a r i n liegt auch keinerlei Schwierigkeit. W o h l aber i n der Verbindung jener göttlichen E i n f a l t m i t dem Begriff der Vorsehung. Es ist oft darauf hingewiesen worden, daß Aristoteles weder das W o r t (πρόνοια) noch die Sache kennt. E r k a n n sie logischerweise nicht kennen, da das πρώτον κινούν άκίνητον i n erhabener Jenseitigkeit thronend u n d dem Weltgeschehen entrückt, nicht helfend eingreifen u n d niemandem beistehen kann. Piaton spricht sich z w a r m i t aller Entschiedenheit dafür aus, daß die Götter sich u m die irdischen Dinge k ü m m e r n 9 , aber es sind die Götter, v o n denen dies gilt, nicht das reine Sein der hyperuranischen Sphäre. (Die Götter — u n d der Demiurg des 'Timaios* ist nur ein Sonderfall bzw. eine Weiterentwicklung derselben Vorstellung — sind eben Wesen, »Seelen«, wie Piaton sich ausdrückt, die die vollkommene Bewegung des Kosmos leiten, während das einfache, eingestaltige Gute u n d Schöne, das absolute Sein, i n vollkommener Ruhe verharrt.) Eine w i r k l i c h zentrale Stelle n i m m t der Gedanke der Vorsehung aber i n einem anderen großen Denksystem ein, das der Akademie u n d dem Peripatos i n vielen Dingen geradewegs entgegengesetzt w a r , d. h. i n der Stoa. H i e r steht G o t t nicht einsam der W e l t gegenüber, er ist vielmehr als Logos ihre innerste Seele, die H a r m o n i e der W e l t selbst, u n d alles, auch das Geringfügigste, was i n ihr vorgeht, ist Ausdruck u n d Entfaltung des göttlichen Weltplans, der πρόνοια. Es versteht sich aber v o n selbst, daß dieser » V o r sehung« nicht der Charakter der ontologischen Einfachheit zukommen kann. Scharf formulierend könnte man sagen: Divina simplicitas ist das logische Postulat eines dualistischen Systems, i n welchem die Vielzahl der Dinge auf der einen, das transzendente Göttliche auf der andern Seite steht; die β όρώμεν . . . τήν άπλοΰν φοράν . . . άκίνητον. (Metaphysik 1073 a 28—30 [Jaeger]). 7 ό θεός άεΐ μίαν καΐ άπλήν χαίρει ήδονήν. (Nikomachisdie Ethik 1154b 26 [Β y water]). 8 και ταύτης (seil, συστοιχίας) ή ούσία πρώτη, και ταύτης ή απλή καΐ κατ* ένέργειαν. (Metaphysik 1072 a 31—32 [Jaeger]). 9 Gesetze 899d—903a.
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Benedikt Vollmann
Providentia hingegen ist v o n Haus aus einem monistischen W e l t b i l d zugeordnet, i n dem deus sive natura die Einzeldinge nicht übersteigt. Nähern w i r uns unter diesen Voraussetzungen der 'Consolatio philosophiae' des Boethius, dann sind w i r vielleicht i m ersten Augenblick überrascht, hier Ausdrücke wie simplicitas divinae providentiae, simplex Providentia u. ä. zu finden 1 0 . D a ist offenkundig etwas geschehen: V o m transzendenten G o t t w i r d ausgesagt, daß er sich u m die W e l t kümmert, ja es stellt sich bei näherer Betrachtung heraus, daß gerade i n der ontologischen Einfachheit der göttlichen Vorsehung die Lösung des Theodizeeproblems gefunden w i r d , i n welchem die Gedankenreihe der 'Consolatio' gipfelt. Genuin stoisches Philosophieren findet sich hier eingebettet i n die Ideenwelt Piatons u n d Aristoteles'. Das ist nun freilich nicht eine Eigenleistung des Boethius; die Annäherung bzw. Ausgleichung der verschiedenen philosophischen Schulen ist typisch für die ausgehende A n t i k e . So bemüht man sich i m Neuplatonismus immer wieder u m den Nachweis einer substantiellen Ident i t ä t v o n Piaton u n d Aristoteles. Aber auch stoische Lehren finden i n den Kreisen der Akademie u n d des Peripatos Beachtung. M a n konnte nicht w o h l an den großen Fragen vorübergehen, welche die Stoa ins Gespräch gebracht hatte: Göttlicher Weltplan, Vorsehung, Schicksal, Willensfreiheit, das waren Anliegen der persönlichen Daseinssicherung u n d eines philosophischen Selbstverständnisses, Anliegen, die i n den verworrenen Zeiten des frühen Hellenismus dringend geworden waren u n d deren A k t u a l i t ä t audi i n den nachfolgenden Jahrhunderten k a u m abnahm. Eine Auseinandersetzung m i t diesen Problemen konnten auch die Platoniker sich nicht schenken, und so entstanden schon i m mittleren Piatonismus, v o r allem aber i m Neuplatonismus eine Reihe v o n Abhandlungen über Providentia u n d fatum , ζ. Β. Ps. Plutarch, 'De fato'; Plotin, 'Enneaden' 3, 1—3; Proklos, 'De decern dubitationibus circa providentiam'; 'De Providentia et fato'; Hierokles, 'De Providentia et fato'; Ammonios Hermeiou, 'De fato'. Was v o n den Piatonikern hierbei geleistet werden mußte, w a r , die Gesamtheit der Dinge m i t der göttlichen πρόνοια i n Verbindung zu bringen 1 1 , ohne die Transzendenz des absolut einfachen göttlichen εν aufzugeben 12 . 10 Vgl. vor allem 4, 6. (Idi zitiere nach der Ausgabe von Ludwig Bieler im Corpus Christianorum Latinorum, Turnholti 1957. An dritter Stelle erscheinende Zahlen beziehen sich auf die §§ dieser Ausgabe, die aus der Weinbergerschen übernommen sind.) Die gesamten Belege unten S. 16. 11 Man vergleiche etwa die genannten plotinischen Traktate mit Piaton (Staat 514a—518b; Theaitetos 176a), und man wird spüren, welcher Wandel sich in der Zwischenzeit vollzogen hat. Bei letzterem ist die ewige Welt der Ideen viel schärfer von der Welt des Irdisch-Zufälligen getrennt. Einen ersten Schritt hin auf die Verbindung der beiden Bereiche hatte freilich Piaton selbst schon in seinem Alterswerk 'Timaios' getan. 12 Mit aller Deutlichkeit etwa Plotin, Enneaden 6, 9, 5 [Bréhier 178, 24] : άπλοΰν
Simplicitas Divinae Providentiae
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Das führte zu einer doppelten Frage: wie kommen erstens die vielerlei Dinge i n das Blickfeld der einfachen göttlichen πρόνοια? u n d zweitens: wie erreicht diese πρόνοια ihrerseits die Einzeldinge m i t ihrer fürsorgenden Leitung? Das erste Problem w i r d beantwortet m i t dem Satz, daß jede Erkenntnis sich nicht v o m Objekt her bestimmt, sondern v o n der Erkenntniskraft des Subjekts. Wie der Körpersinn sinnlich, die Ratio rationaliter erkennt, so erkennt die Providenz providentialiter, d. h. einfach u n d umfassend, ohne Diskurs 1 3 . Sie ist i n ihrer Erkenntnis unteilbar wie der M i t t e l p u n k t i m Kreis, u n d so ist es i h r möglich, das Einzelne zu erreichen, ohne sich zu zersplittern14. Das zweite Problem, wie nämlich die transzendente πρόνοια ihre heilende u n d Gutheit verleihende K r a f t 1 5 den Einzeldingen zukommen lassen kann, lösen die Neuplatoniker m i t der Annahme v o n Zwischenwesen und Z w i schen-Vorsehungen, die natürlich alle unter der ersten Vorsehung stehen 10 . δέ τό εν και ή πάντων άρχή. Ähnlich Proklos, Institutio theologica 127 [Dodds ] : παν τό θείον άπλοΰν πρώτως έστί και μάλιστα, και δια τοΰτο αύταρκέστατον. 13 Et ante alia queramtis — si Providentia est omnium , totorum , partium et usque ad individuissima celorum et eorum que sub celo , eternorum et corruptibiliumy oportet autem providentiam cognoscere eorum quibus providetur dignitatem ... —: quomodo cognoscit omnia , et tota et partes et corruptibilia et eterna , et quis modus cognitionis ? (Proklos, De decern dubitationibus circa providentiam 12,1—8 [Boese]). Ultra autem has omnes (scil. cognitiones) est providentiae cognitio y super intel lectum existens et uno solo y secundum quod et est unusquisque deus et providere omnium dicitur , in ea que ante intelligere operatione sistens se ipsum. Hoc itaque uno, secundum quod et consistita cognoscit omnia. (Ders., a.a.O., 4, 1—5). — Weitere Stellen hierzu bei Friedrich Klingner , De Boethii consolatione philosophiae, Berlin 1921, 107, Anm. 4—6. Providentia quidem enim dicto modo differente a fato , palam erit qualiter diffugiunt multa fatum t providentiam autem nichily et qualiter desuper Providentia fatum gubernans , quod ipsa produxit ... (Proklos, De Providentia et fato I I 4, 3—6 [Boese]). Ähnlich Plotin, Enneaden 3, 3, 5. 14 ώς οΰν, ει του κύκλου γνώσιν εχει τό κέντρον, κεντρικήν αν είχεν αυτήν ωσπερ και τήν ύπόστασιν, και ουκ äv έμέριζεν έαυτήν τοΐς του κύκλου μέρεσιν οΰτως και ή της προνοίας ένιαία γνώσις έν τφ αύτφ άμερεί πάντων εστίν των μεριζομένων γνώσις και τών άτομωτάτων έκάστου και των όλικωτάτων και ως ύπέστησεν εκαστον κατά τό εν, οΰτως και γινώσκει εκαστον κατά τό εν. (Proklos, De decern dubitationibus circa providentiam I 5,28—33 [Boese].) Das Bild vom Kreis und Zentrum schon bei Plotin, Enneaden 6,5,5; 6, 9, 8 und öfter. Ebenso Marius Victorinus, Adversus Arium 4,24 [Henry 572, 30—39]. Weitere Belege im Kommentar zu dieser Stelle von Pierre Hadot , Marius Victorinus. Traités théologiques sur la Trinité. I I . Bd. ( = Sources Chrétiennes 69), Paris 1960, 1036. 15 πάντων παρακτικον έκεΐνο τό εν πάντων σωστικον είναί φαμεν . . . (Proklos, op. cit. I 5,15). και μήν και ε'ι πασιν το άγαθόν ουκ άλλαχόθεν ή έκ της προνοίας έφήκειν συγχωροΰμεν, ως έκ του νου τήν νόησιν . . . (Ders., a. a. Ο. 17,1—2). Vgl. auch Ps. Plutarch, De fato 9. (Text in der folgenden Anmerkung.) 18 Vgl. Proklos, a. a. Ο. I 16. Es ist bezeichnend, daß schon in der mittelplatonischen Schrift 'De fato' des Ps. Plutarch eine dreifache πρόνοια unterschieden wird: ^στιν ουν πρόνοια ή μέν άνωτάτω και πρώτη του πρώτου θεοΰ νόησις, είτε και βούλησις οΰσα εύεργέτις απάντων, καθ* ήν πρώτως έκαστα τών ϋείων διά παντός
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So w i r d auch das Fatum, die Schicksalsfügung, die für den einzelnen Leidvolles bringen kann, unter die Providentia, unter den guten göttlichen Gesamtweltplan, eingeordnet 1 7 . Schon der Vergleich der wenigen angeführten Textstellen m i t der 'Consolatio* des Boethius (4, 6—7, u n d 5, 1—6) genügt, u m zu erkennen, daß die wesentlichen Aussagen über Providentia v o n Boethius bereits vorgefunden u n d übernommen w u r d e n : Einfachheit des göttlichen Wesens an sich; eine entsprechend geartete, R a u m u n d Zeit überwindende Erkenntnisweise; die Kreis-Mittelpunkt-Analogie; die Überlegungen zu Providentia u n d fatum. Ja sogar die letzten Ausführungen der Consolatio, die über Vorsehung u n d Willensfreiheit, welche nicht Allgemeingut der neuplatonischen Schule sind, finden sich bei einem ihrer spätesten Vertreter nahezu w ö r t l i c h vorgeformt, bei Ammonios H e r m e i o u 1 8 . Was bleibt dann für Boethius? D r e i Dinge, wie m i r scheint, hat er — v o n der künstlerischen Form ganz abgesehen 19 — v o r allem bei getragen: erstens, den konsequenten Einsatz der zugkräftigen Formel simplicitas divinae providentiae u. ä., zweitens, die straffe O r d n u n g der i n Rede stehenden Probleme u m diesen Zentralbegriff, drittens, den Einbau der vorgefundenen theoretischen Überlegungen i n einen Stufenweg der Erkenntnis, i n das Gesamtgefüge der c Consolatio\ Das erste mag nach den obigen Ausführungen überraschend klingen, aber tatsächlich findet sich der Terminus άπλή πρόνοια u. ä. nirgends i n den zitierten Texten, weder bei Ps. Plutarch noch bei P l o t i n oder Proklos. Auch Hierokles hat i h n nicht, jedenfalls nicht i n dem uns überlieferten, relativ umfangreichen Fragment seiner Schrift 'De Providentia et f a t o ' 2 0 , ja nicht einmal Ammonios Hermeiou i n ' D e fato', o b w o h l dieser T r a k t a t m i t der
αριστά τε και κάλλιστα κεκόσμηται. ή δέ δευτέρα δευτέρων θεών των κατ' ούρανόν ιόντων, καθ' ήν τά τε θνητά γίγνεται τεταγμένως και δσα πρός διαμονήν και σωτηρίαν έκάστων των γενών, τρίτη δ* δν είκότι φηθείη πρόνοιά τε και προμήθεια των δσοι περί γήν δαίμονες τεταγμένοι τών άνθρωπίνων πράξεων φύλακες τε καΐ έπίσκοποί είσιν. (Ps. Plutarch, De fato 9 [Bernardakis].) 17 και ή μέν είμαρμένη πάντως κατά πρόνοιαν, ή δέ πρόνοια ουδαμώς καθ' είμαρμένην (Ps. Plutarch a. a. Ο.). Providentia quidem enim dicto modo differente a fato, palam erit qualiter diffugiunt multa fatum, providentiam autem nichil, et qualiter desuper Providentia fatum gubernans, quod ipsa produxit . . . (Proklos, De Providentia et fato I I 4, 3—6 [Boese]). Ähnlich Plotin, Enneaden 3, 3, 5. 18 Pierre Courcelle, Boèce et l'école d'Alexandrie. — In: Mélanges d'archéologie et d'histoire 52 (1935), 185—223. Auf diese Übereinstimmung hatte zuvor schon Klingner, a. Anm. 13 a. O. 107, Anm. 2 hingewiesen. 19 Klingner, a. Anm. 13 a. O., vor allem 112—118. 20 Das Werk ist erhalten in einem Auszug des Photios, in: Migne, PG 103, 701 bis 708 und 104, 75—96.
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Philosophie des Boethius sich vielfach b e r ü h r t 2 1 . Ebensowenig geben die zahlreichen Kommentare her, die Ammonios, sein Schüler Olympiodoros u n d dessen Schüler D a v i d u n d Elias zu Piaton, Aristoteles u n d Porphyrios verfaßt haben. N u r bei Iohannes Philoponos, gleichfalls einem Schüler des Ammonios, taucht der Ausdruck beiläufig a u f 2 2 . D a auch die lateinische Literatur v o r der 'Consolatio' eine Fügung wie simplicitas divinae providentiae u. ä. nicht k e n n t 2 3 , dürfen w i r den Schluß wagen: Boethius hat eine Wortverbindung, die v o n den Neuplatonikern der alexandrinischen Schule en passant gebildet worden war, aufgegriffen u n d durch bewußten Einsatz zur festen, einprägsamen Formel erhoben. Zweitens. Diese schlagkräftige Formel w i r d i n der Consolatio zu einem Zentralbegriff, der die Lösung einer Reihe v o n Problemen ermöglicht. 21 Ganz nahe an der von uns gesuchten Formel ist freilich eine Stelle in § 5. Es ist dort die Rede davon, daß die Götter auf eine besondere Weise (κατά τον θεοίς προσήκοντα τρόπον) ihre Vorsehung ausüben, nicht indem sie sich beraten, wie die Dichter sagen, noch indem sie einmal dies, einmal das beschließen und ausführen: άλλότριον γάρ τοΰτο της μιας και απλής καί άτρέπτου παντάπασιν αύτών ένεργείας, καί μόνοις προσήκον τοις υπό χρόνου μετρουμένοις. [Orelli 169,18—20]. 22 In Aristotelis Physicorum libros très priores commentarla [Vitelli 313,23—25]. Im Zusammenhang ist gesagt worden, daß die Vorsehung simpliciter et per se nur das Gute will, daß per accidens jedoch, ex parte subiecti, etwas Leidvolles von der Vorsehung zugeteilt werden kann. »Es ist demnach nicht verwunderlich, wenn τής προνοίας απλής τίνος οΰσης καί πάντας καθ' αύτό εύεργετεϊν β ουλομένης άλλ' ού κατά συμβ εβ η^ώς, dennoch per accidens das Getreide verdirbt oder gedeiht.« Diese und die in der vorigen Anmerkung angeführte Stelle können m. E. als Bestätigung der von Courcelle (a. Anm. 18 a. O.) geäußerten Behauptung gelten, daß das Denken des Boethius stark von der alexandrinischen Schule des Neuplatonismus beeinflußt war. (Die Frage, ob ein persönlicher Kontakt zustande gekommen ist, klammere ich aus.) Zum gleichen Ergebnis gelangt man auch, wenn man Boethius und die Alexandriner bzgl. der Weise ihres Philosophierens vergleicht: in beiden Fällen eine klare, einfache und lebendige Gedankenführung, die sich deutlich von der komplizierten, mehr spekulativen und theoretisierenden Art des Proklos und der Athener abhebt. (Vgl. dazu Fr. Ueberweg - K. Praechter, Grundriß der Geschichte der Philosophie. I. Bd. Die Philosophie des Altertums, 12. Aufl. Berlin 1926, 635.) Übrigens scheint die Auffassung von Courcelle allgemein die Zustimmung der Fachwelt gefunden zu haben. Man vergleiche den I I I . Bd. der Entretiens der Fondation Hardt, Recherches sur la tradition platonicienne. Genève 1957, 91. 23 Ich stütze mich auf das Zettelmaterial des Thesaurus Linguae Latinae, dessen Benützung mir freundlicherweise gestattet wurde. Es ist bemerkenswert, daß auch der 'Timaios'-Kommentar des Chalcidius nichts bietet. Ich möchte fast meinen, daß man dies hätte erwarten dürfen, wenn Chalcidius und die 'Consolatio' wirklich so eng verwandt wären, wie Jan Sulowski behauptet, der glaubt nachgewiesen zu haben, daß beide Werke auf den verlorenen 'Timaios'-Kommentar des Porphyrios zurückgehen. (The Sources of Boethius* 'De consolatione philosophiae', in: Sophia 29 [1961], 67—94.) In Wirklichkeit hat die 'Consolatio* mit Chalcidius nur wenig gemeinsam (vgl. die von Sulowski angezogenen Parallelen), so wenig wie Chalcidius, dessen Hauptquellen Mittelplatoniker sind, mit Porphyrios. (Vgl. J. H . Waszink — P. J. Jensen, Timaeus a Calcidio translatus commentarioque instructus. ( = Plato Latinus, vol. IV), Londinii et Leidae 1962, X X X V — C V I ) .
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Boethius gibt selbst zu Beginn v o n 4, 6 eine Ubersicht über die noch ausstehenden Fragen, die den Rest des Werkes ausfüllen. Es sind dies das Verhältnis v o n Vorsehung u n d Schicksal, der Z u f a l l , das göttliche Vorherwissen bzw. die göttliche Vorherbestimmung u n d — i m Zusammenhang damit — die menschliche Willensfreiheit. Jedes dieser Themen w i r d v o n der simplicitas divinae providentiae her angegangen, die ihrerseits v o n spekulativen Wucherungen befreit w i r d 2 4 . I m Falle des Verhältnisses v o n Schicksal und Vorsehung besteht die Lösung darin, daß die Providentia das fatum umgreift, das fatum aber die A n w e n d u n g des i n sich einfachen, ewigen, immer gegenwärtigen göttlichen Weltplans auf die i m Wandel begriffenen Einzeldinge darstellt 2 5 . V o n daher w i r d verständlich, daß es einen Zufall im absoluten Sinn nicht gibt; was uns als Z u f a l l erscheint, ist ein unsere beschränkte Erkenntnis überraschendes Zusammentreffen v o n Wirkursachen, das aus der gesamthaften O r d n u n g der Vorsehung hervorgeht 2 6 . G i b t es aber dann, wenn alles i n der Vorsehung beschlossen ist, für die vernunftbegabten N a t u r e n noch eine Willensfreiheit, oder, wenn es sie gibt, ist dann Gottes Vorherwissen sicher u n d unbedingt? Das erstere muß gefolgert werden aus der Tatsache v o n gut u n d bös, v o n L o h n u n d Strafe i m menschlichen Bereich. Das zweite aber wäre der Vollkommenheit des göttlichen Seins zuwider. D i e A n t w o r t : Menschliche Willensfreiheit besteht zusammen m i t göttlichem Vorherwissen, w e i l dieses v o n größter, transzendenter E i n fachheit ist, nicht i m zeitlichen Nacheinander folgert u n d schließt, sondern i n einem immer gegenwärtigen nunc alle Dinge erkennt 2 7 .
24 Die Stufenreihen der Providentia (vgl. oben Anm. 16) spielen keinerlei Rolle mehr: Sive igitur famulantibus quibusdam providentiae divinis spiritibus fatum exercetur seu anima seu tota inserviente natura seu caelestibus siderum motibus seu angelica virtute seu daemonum varia sollertia seu aliquibus horum seu omnibus fatalis series texitur, illud certe manifestum est immobilem simplicemque gerendarum formam rerum esse providentiam . . . (4, 6, 13). Das lag im Sinne der alexandrinischen Schule (vgl. Ueberweg-Praecbter, a. Anm. 22 a. O.); zudem kann in diesem Punkte christlicher Einfluß mitgewirkt haben. (Vgl. hierzu Raoul Carton, Le christianisme et l'augustinisme de Boèce, in: Revue de philosophie, Ν . S. 1 (1930), 573—659, besonders 604—606. Bezüglich der meisten anderen Punkte freilich kann idi mir Cartons Auffassungen nicht zu eigen machen.) 25 illud certe manifestum est immobilem simplicemque gerendarum formam rerum esse providentiam, fatum vero eorum quae divina simplicitas gerenda disposuit mobilem nexum atque ordinem temporalem. (4, 6, 13). 28 si quidem aliquis eventum temerario motu nullaque causarum connexione productum casum esse definiat, nihil omnino casum esse con firmo . . . (5, 1, 8). licet igitur definire casum esse inopinatum ex confluentibus causis in his quae ob aliquid geruntur eventum. Concurrere vero atque confluere causas facit ordo ille inevitabili conexione procedens qui de providentiae fonte descendens cuncta suis locis temporibusque disponit. (5, 1, 18—19). 27 omne namque futurum divinus praecurrit intuitus et ad praesentiam propriae cognitionis retorquet ac revocai ; nec alternat , ut aestimas, nunc hoc nunc aliud praenoscendi vice, sed uno ictu mutationes tuas manens praevenit atque complecti-
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Drittens. Der Mensch, der an der göttlichen Weltordnung verzweifelt, weil die scheinbare Ungerechtigkeit, die confusio der irdischen Verhältnisse 2 8 i h n durcheinanderbringt, muß Schritt für Schritt der Einfachheit der göttlichen Erkenntnisweise, soweit dies geschehen kann, angenähert werden. Boethius, der zu Beginn der c Consolatio > m i t G o t t haderte, w i r d v o n der Philosophie diesen Weg geführt, u n d so wie sich i h m i n den ersten Büchern die Relativität der äußeren Güter zeigte, so führt i h n i n den letzten die Philosophie immer tiefer hinein i n das Wesen u n d W i r k e n des Göttlichen i n dieser Welt. A l l e Erörterungen der Schulphilosophie werden dabei zu Momenten eines inneren Wandels, der i n 3,9 2 9 entscheidend vollzogen wurde u n d m i t der Anerkennung der göttlichen Welt- u n d Werteordnung i n 5, 6 seinen Abschluß f i n d e t 3 0 . I n diese Vorwärts- u n d Aufwärtsbewegung werden die Texte eingebaut, die Boethius aus seinen griechischen Vorlagen übersetzt u n d die i n ihrer Verschiedenartigkeit den unvorbereiteten Leser überraschen, ja sogar ernsthafte Forscher zur Annahme verleiteten, Boethius hätte blindlings zusammengestellt, wessen er nur habhaft werden k o n n t e 3 1 . Aber wenn etwa die 'Consolatio' i n 2, 4, 23 plötzlich den T o n ändert u n d aus dem Predigtton der stoischen Diatribe mehr i n ein Philosophieren nach A r t des aristotelischen Protreptikos übergeht 3 2 , so ist der G r u n d hiefür nicht i n dem A b brechen irgendeiner Vorlage zu suchen, vielmehr ist die Genesung des kranken Boethius nunmehr soweit fortgeschritten, daß die Philosophie stärkere H e i l m i t t e l anwenden k a n n 3 3 . Entsprechendes gilt v o n jenem Neueinsatz 4, 6 3 4 , der den Begriff der simplex Providentia zum I n h a l t hat und der auch dem äußeren Aufbau der 'Consolatio' nach der veränderten Sprechweise i n
tur. Quam comprehendendi omnia visendique praesentiam non ex futurarum proventu rerum sed ex propria deus simplicitate sortitus est. (5, 6, 40—41). 28 cur ... scelerum supplicia bonos premant, praemia virtutum mali rapiant, vehementer ammiror, quaeque tarn iniustae confusionis ratio videatur ex te scire desidero. (4, 5, 4). 29 Vgl. unten Anm. 35. 30 manet intemerata mortalibus arbitrii libertas nec iniquae leges solutis omni necessitate voluntatibus praemia poenasque proponunt. Manet etiam spectator desuper cunctorum praescius deus visionisque eius praesens semper aeternitas cum nostrorum actuum futura qualitate concurrit bonis praemia malis supplicia dispensans. (5, 6, 44—45). 31 Siehe Klingner, a. Anm. 13 a. O. 8—9. 32 A.a.O., 9. ** Ksed quoniam rationum iam in te mearum fomenta descendunt, paulo validioribus utendum puto. (2, 5, 1). Damit ist zu vergleichen 2, 1, 7: sed tempus est haurire te aliquid ac degustare molle atque iucundum, quod ad interiora transmissum validioribus haustibus viam fecerit. 34 tunc velut ab alio orsa principio disseruit. (4, 6, 7). Auch in diesem Zusammenhang das Bild vom Heilmittel: haec quoque te nosse quaedam medicinae tuae portio est (4, 6, 5).
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2, 4 spiegelbildlich korrespondiert 3 5 . So erhalten die aus den verschiedenen Philosophen u n d Philosophenschulen übernommenen Gedanken u n d Formulierungen einen neuen Stellenwert 3 6 . Wurden ζ. B. i n manchen neuplatonischen Schriften die Fragen nach fatum , Providenz, göttlicher Erkenntnisweise mehr aus spekulativem Interesse, sozusagen u m des Weltsystems w i l l e n gestellt, so geht die 'Consolatio' unmittelbar v o m Standpunkt des gequälten, hilfesuchenden Menschen aus, den die personifizierte Philosophie Schritt für Schritt aus dem W i r r w a r der Dinge befreit u n d durch Läuterung seiner Einsicht jener allereinfachsten göttlichen Erkenntnisweise nahebringt, die Vergangenheit, Gegenwart u n d Z u k u n f t rein umfaßt u n d die schmerzlichen Rätsel des Schicksals auflöst. Dies mußte für die Folgezeit bedeuten, daß einerseits u m seiner K l a r h e i t u n d Durchsichtigkeit w i l l e n u n d andrerseits wegen seiner persönlich-religiösen Färbung das W e r k auf Kreise einwirken konnte, die zu den griechischen Quellen k a u m je Zugang gefunden hätten, u n d daß so neuplatonisches Denken am Ausgang der A n t i k e i n einer F o r m bereitgestellt wurde, i n der es nach der Pause der »dunklen Jahrhunderte« v o n 600 bis 800 auf die lernfreudigen jungen V ö l k e r w i r k e n konnte.
2 K n a p p ein halbes Jahrtausend nach des Boethius T o d w i r d das Bekenntnisbuch des großen Römers v o m Klosterschul-Meister N o t k e r I I I . ins Deutsche übersetzt. N i c h t als ob er es als erster wieder ans Licht gezogen hätte: Ioannes Eriugena, Remigius v o n Auxerre u n d ein uns unbekannter, jedoch bei N o t k e r noch faßbarer Kommentator des 9. Jahrhunderts hatten das W e r k , das z u m Schulkanon gehörte, bereits auf lateinisch e r k l ä r t 3 7 . Ja es gab 35 Aus Raumgründen muß ich midi hier mit dem Hinweis begnügen, daß m. E. dem Aufbau der ganzen 'Consolatio' zwei Konstruktionselemente zugrunde liegen, ein lineares und ein symmetrisches. Das lineare entspricht einer Entwicklung vom Nullpunkt des Beginns (Verzweiflung) zum Höhepunkt des Schlusses (Einsicht und Vertrauen). Das symmetrische meint eine Entsprechung der Bücher, angeordnet um eine Mittelachse. Die Mittelachse des Werkes (auch rein quantitativ) wäre 3, 9, wo unter Anspielung auf das platonische Höhlengleichnis und unter Verwendung der neuplatonischen έπιστροφή-Vorstellung die seelische Umkehr des Boethius sich vollzieht (3, 9, 24). Den Ausführungen über das falsche Glück von 2, 4, 23 bis 3, 8 entsprechen dann die Dialoge über das wahre Glück von 3,10 bis 4, 5. Die Diatribenpredigt vor 2, 4 wird überholt durch die Einsicht in das Wesen des göttlichen Weltpllans ab 4, 6 und das verstockte Schweigen des kranken Boethius im ersten Buch steht gegen das erfüllte Lauschen auf den kaum mehr durch Wechselreden unterbrochenen Lehrvortrag der Philosophie im fünften. 36 Vgl. hierzu Klingner, a. Anm. 13 a. O., bes. 92—102. 87 Dieser Kommentator ist nicht zu verwechseln mit dem von Ε. T. Silk so genannten und edierten Saeculi noni auctor, den er nur zu gerne mit Ioannes Eriugena identifiziert hätte. (E. T. Silk, Saeculi noni auctoris in Boetii Consolationem
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auch schon deutsche Glossen zur 'Consolano' u n d zwar seit dem Ausgang des 9. Jahrhunderts, v o r allem i n St. Gallen, u n d N o t k e r hat vermutlich diese Glossen für seine Übersetzung teilweise b e n ü t z t 3 8 . Ubersetzung: das kennzeichnet sowohl die Größe als auch die Grenzen des Notkerschen Werkes. D i e Größe, w e i l er eines der kostbaren Vermächtnisse der A n t i k e , ein philosophisch ebenso tiefes wie anspruchsvolles Buch, seinen Schülern auf deutsch nahebringt u n d z w a r i n planvoller Übersetzungsarbeit u n d systematischer Schriftlichkeit. D i e Grenzen, w e i l N o t k e r die Gedanken des Boethius nicht i n eine »neue« Philosophie umsetzt, wie etwa Thomas v o n A q u i n , sondern eben »nur« übersetzt, u m sie verständlich zu machen. Auch die eingestreuten kleinen Kommentare u n d Exkurse dienen diesem einen Zwecke. Das bringt notwendig m i t sich, daß etwas v o n dem drängenden A t e m des Urtextes verloren geht. Aus einem i m Angesichte des Todes geschriebenen W e r k w i r d eben ein Schulbuch, ein Bildungsbuch, wenn man w i l l . Über diese Situation, diesen »Sitz i m Leben« der Notkerschen Arbeit müssen w i r uns i m klaren sein, u m nicht ungerechterweise v o n i h r etwas z u verlangen, was sie nicht geben kann u n d w i l l . M a n w i r d daher billigerweise auch v o n der simplicitas divinae providentiae bei N o t k e r nicht erwarten, daß sie i n neue, v ö l l i g unbekannte Perspektiven gerückt w i r d . Das, was Boethius gedacht hat, w i r d rezipiert, nachgedacht, übersetzt. Wie freilich N o t k e r rezipiert, das zu sehen lohnt der Mühe, die w i r uns nunmehr machen w o l l e n 3 9 .
philosophiae commentarius. [ = Papers and Monographs of the American Academy in Rome, I X ] , Rome 1935). Dieser Kommentar ist nach den einleuchtenden Untersuchungen von G. Mathon vielmehr dem 12. Jahrhundert zuzuweisen: Le commentaire de Pseudo-Érigène sur la Consolatio Philosophiae de Boèce, in: Recherches de Théologie ancienne et médiévale 22 (1955), 213—257. Der Kommentator, den Notker zusätzlich zu Remigius benützt, ist nur auf dem Wege des Materialvergleichs zu erschließen. Sehrt - Starch bezeichnen ihn in ihrer Ausgabe mit der Sigle X . Siehe auch August Naaber, Die Quellen von Notkers: 'Boethius de consolatione philosophiae'. Münster, phil. Diss. 1911; Pierre Courcelle y Étude critique sur les commentaires de la Consolation de Boèce ( I X e — X V e siècles), in: Archives d'Histoire Doctrinale et Littéraire du Moyen Age 12 (1939), 5—140. 38 Vgl. Werner Bach, Die althochdeutschen Boethiusglossen und Notkers Ubersetzung der Consolatio. — Würzburg 1934 (Phil. Diss. Halle), vor allem 25—30. Ingeborg Schröbler, Notker I I I von St. Gallen als Ubersetzer und Kommentator von Boethius' De consolatione philosophiae, Tübingen 1953, 174—176 hält zwar die fünf von Bach, a.a.O., 26—28 beigebrachten Stellen nicht für zwingend, glaubt aber doch wegen der Menge der übrigen Übereinstimmungen an eine Beziehung Notkers zu den althochdeutschen Boethiusglossen. 39 Die Untersuchung wird, wie ich glaube, die oben Anm. 38 zitierte Arbeit von Ingeborg Sc&rö£/er in einer doppelten Weise fortführen. Einmal sachlich, insofern als mit der Besprechung von simplicitas, simplex der Vorstellungskreis Providenz und Liberum Arbitrium (Schröbler, a.a.O., 70—107) deutlicher greifbar wird. (Schröbler hatte sich — methodisch völlig legitim — auf die Behandlung der sub-
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I m Text des Boethius k o m m t die Wortfamilie simplex, simplicitas, bezogen auf Gottes N a t u r u n d Erkenntnis an den folgenden Stellen v o r 4 0 : 169, 6; 172, 4 ; 218, 1; 272, 26; 274, 25; 276, 5; 276, 9; 276, 26—27; 277, 25; 278, 8; 279, 12; 281, 18; 326, 14; 334, 30; 337, 12; 346, 21; 350, 27; 351, 11; 352, 23; 353, 1; 361, 21. Es wäre aber eine Täuschung, wenn w i r glaubten, daß i m althochdeutschen Text immer dafür der gleiche Ausdruck stände. Abgesehen davon, daß N o t k e r häufig das lateinische Substantiv m i t einem deutschen A d j e k t i v wiedergibt (272,27; 274, 28; 346, 22; 351, 13; 352, 25) oder auch einmal das A d j e k t i v m i t einem Substantiv (350, 28), ganz abgesehen davon also, entspricht dem lateinischen simplex, simplicitas durchaus nicht immer dieselbe deutsche Wortfamilie. Z w a r übersetzt N o t k e r i n den meisten Fällen m i t einvalte, einvalti (169, 8; 172, 7; 281, 20; 326, 16; 335, 1; 337, 13; 346, 22; 350, 28; 351, 13; 352, 25; 353, 3; 361, 22), doch bietet er an anderen Stellen dafür sieht (272, 27), samohaft {27 β, 15), einstuodel (277, 3) u n d zesamine (278, 10) 4 1 . Es fällt sofort auf, daß sich die vier weiteren Ubersetzungsvarianten, jede nur einmal verwendet, auf den R a u m v o n ein paar Seiten zusammendrängen, während nachher ausnahmslos einvalte, einvalti erscheint. Sehen w i r näher zu, so ergibt sich, daß es eben die Seiten sind (271—80), auf denen Boethius den Begriff der simplicitas i m V o r g r i f f auf Buch 5 z u m ersten M a l erläutert. N o t k e r schließt sich dieser E x p l i k a t i o n an, indem er seinerseits v o n verschiedenen Übersetzungsmöglichkeiten her den Begriff angeht u n d auffaltet. U m diese Nuancen bereichert k a n n dann i m weiteren ruhig immer das gleiche Ubersetzungswort einvalti für simplicitas eintreten. W i r versuchen i m folgenden, den semantischen Bereich jedes dieser Worte zu bestimmen, indem w i r die bei Graff 42 angegebenen Stellen m i t Notkers Sprachgebrauch vergleichen 4 3 , wobei die besonderen Verhältnisse es gestatten, die Chronologie der Werke Notkers unberücksichtigt zu lassen 44 . Aus stantivischen Termini Providentia, praevidentia usw. beschränkt und die erläuternden Appositionen ausgeklammert). Zweitens versuche ich die semantische Entwicklung der untersuchten Wörter genauer zu fassen als Schröbler, die ja ungleich mehr Wörter bespricht, tun konnte. 40 Stellen wie 240, 24, 27; 356, 21; 357, 1 können vorläufig außer acht gelassen werden, da dort simplex nicht von der divina Providentia gebraucht wird. Die zwei Vergleiche aus der Geometrie (277, 25 und 278, 8) und den einen von der Erkenntnisweise des Künstlers (276, 9) habe ich jedoch aufgenommen, da sie unmittelbar zum Thema gehören. 41 Dreimal wird simplex, simplicitas überhaupt nicht übersetzt: 276, 7; 277, 28; 279, 13. 42 E. G. Graff, Althochdeutscher Sprachschatz . . . I — V I , Berlin 1834—1842. 43 E. H . Sehrt — W. K. Legner, Notker — Wortschatz, Halle 1955. 44 einstuodel ist vermutlich ein Hapaxlegomenon; zesamine weist keine semantischen Nuancierungen auf; einvalte kommt fast ausschließlich in der 'Consolatio'Übersetzung vor; die restlichen zwei Stellen spiegeln den allgemeinen Sprachge-
Simplicitas Divinae Providentiae der Vergleichung dieses Materials folgt die Deutung der betreffenden solatio'-Stellen.
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a) einstuodel Fangen w i r beim vorletzten Terminus an, der der einfachste, freilich auch der unergiebigste ist. 276, 24—26: Illud certe manifestum est, providentiam immobilem formam esse gerendarum rerum et simplicem. 277, 2 — 4 w i r d das folgendermaßen übersetzt: So ist io daz kuis providentiam uuésen stilla finde éinstûodela seaf funga der o geskéhen sulendôn dingo . Graff 45 hat das W o r t einstuodel überhaupt nur zweimal gefunden, einmal an unserer Stelle und z u m andern i n einem 'Consolatio'-Glossar aus dem 11. Jahrhundert (Einsiedeln 302, früher 193) 4 6 , wobei die Vermutung naheliegt, daß die Einsiedler Glossensammlung v o n N o t k e r abhängig ist. Möglicherweise ist dann einstuodel eine Notkersche Neubildung. Die Seltenheit des Wortes erklärt auch, w a r u m es bzgl. seiner Bedeutung zu Mißverständnissen k a m : Graff bezieht es an unserer Notkerstelle auf immobilisé , o b w o h l N o t k e r ganz gewiß immobilis m i t still u n d simplex m i t einstuodel wiedergeben wollte. Steinmeyer u n d Sievers haben sich ihrerseits an der anderen Belegstelle gleichfalls irreführen lassen, wenn sie anmerken: »einstuodila fälschlich auf pura statt auf solitaria bezogen.« 48 I n Wirklichkeit ist das W o r t zu erklären aus der Analogie zu einer ähnlichen Bildung m i t -stuodel (von stan): uuancstodal* 9 = uuanchal, d. h. schwankend, w a n k e l m ü t i g 5 0 . (Das Beispiel zeigt deutlich, wie sehr hierbei die ursprüngliche Bedeutung v o n -stuodel schon abgeflacht ist: der Wankende hat ja eben keinen »Stand«. -stuodel muß bereits ebenso z u m Versatzstück für W o r t b i l d u n g geworden sein wie bei uns etwa -bar i n »tragbar«.) einstuodel ist demnach dasselbe wie »ein-fach, ein-fältig, ein-ständig, ein-geartet«, wenn man die letzteren zwei Formen bilden könnte. H a n d e l t es sich tatsächlich u m eine sprachliche Schöpfung Notkers, so muß sie verstanden werden i n Analogie zu ein-valte. brauch. Die Bedeutungsdifferenzierungen bei sieht und samohaft jedoch kommen aus der inhaltlichen Verschiedenheit des Kontextes und können daher nicht im Sinne einer Entwicklung gedeutet werden. Die Beweise für diese Behauptungen müssen aus den einzelnen Abschnitten entnommen werden. Im übrigen möge man diesen Vorgriff entschuldigen, den die Klärung des methodischen Vorgehens notwendig machte. 45 Graff V I 654. 40 Glossen 2, 62, 18. 47 Graff , a.a.O. 48 Glossen 2, 62 Anm. 12. 49 Graff V I 654. 50 Graff I 691. Die dort angegebenen Interpretamente iners und infidelis aus den Prudentius-Glossen passen genau auf die zwei Texte der 'Leges Bavariorum > Graff V I 654. 2 Literaturwissenschaftliches Jahrbuch, 8. Bd.
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Für das Verständnis des gemeinten Inhalts ist daraus nichts zu gewinnen u n d so gehen w i r z u m nächsten Terminus über.
b) zesamine Nach Graff 51 k o m m t das W o r t hauptsächlich i n Verbindung m i t Verben vor. D i e Grundbedeutung entspricht dem lateinischen cum i m Sinne eines örtlichen oder zeitlichen Beieinander u n d Ineinander v o n Personen u n d Sachen. Graff gibt a.a.O. fünf Belege aus althochdeutschen Glossen. Es steht dort als Übersetzungswort für comminus i n Vergils 'Äneis* 10, 453—54: desiluit Turnus biiugis, pedes apparat ire comminus.. , 5 2 ; für in id ipsum i m 4. K a n o n des Konzils v o n N i z ä a : t g e l g [seil, επισκόπους ] ει ς τό αυτό συναγομένους. 58 ; für commixtim i m Hieronymusprolog zu Isaias: Isaias... de utroque regno , nunc commixtim, nunc separatim, texit oraculum M. Ähnlich verstehen sich zisamina pitaniu für collecta 55 i n dem Z i t a t aus Ecclesiasticus 4, 36: Non sit porrecta manus tua ad aeeipiendum et ad dandum collecta u n d ferner zasamane camahotero für coniugiorum i m Abrogans 5 6 . D i e Verwendung des Wortes bei N o t k e r entspricht dem allgemeinen Gebrauch: es erscheint regelmäßig m i t Verben verbunden 5 7 u n d bedeutet etwa so viel wie das lateinische cum i n Zusammensetzungen. Besehen w i r n u n unsere Boethiusstelle, so scheint Notkers Übersetzung auf den ersten Blick etwas blaß: Si quid vero illi se medio conectat et society in simplicitatem cogitur diffundique ac diffluere cessât. Taz sih aber habet ze demo mitten, sih zesâmine duinget unzegréitez ünde unzelâzenez (278, 7—11). W i r sehen, an die Stelle des auffälligen in simplicitatem cogere ist das anspruchslose zesamine duinget getreten, das man bei einer lateinischen Rückübersetzung vielleicht m i t comprimitur wiedergegeben hätte. D o d i wäre offenkundig comprimitur wiederum ein Stückchen blässer als der Notkersche Ausdruck, dem das noch nicht ganz z u m Präfix gewordene zesamine u n d das reflexive sih duingen eine größere K r a f t verleiht. Jedenfalls ist der boethianische Gedanke k l a r erfaßt, wenngleich die i h n ausdrückenden Bildvorstellungen ein wenig differieren. Es geht u m einen Vergleich aus der Geometrie: wie bei konzentrischen Kreisen m i t abnehmenden Radien die Kreisumfänge geringer werden, so schwindet i n der W e l t der geschaffenen Dinge der Einfluß des « Graff V I 36. 62 Glossen 2, 667, 7. 63 Glossen 2, 107, 41. Der Text ist zitiert aus H . Th. Bruns, Canones apostolorum et conciliorum saeculorum IV. V. VI. V I I . I, Berolini 1839, 15. 54 Glossen 1, 592, 52. Der Text aus PL 28, 827 A. 55 Glossen 1, 566, 29. M Glossen 1, 102, 24. 67 Vgl. Sehrt - Legner, Notker-Wortschatz 630.
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Fatums i n dem Maße, als sich ein D i n g dem ungeschaffenen, ruhenden M i t telpunkt des Seins nähert. Unser Satz gehört noch ganz i n die erste H ä l f t e des Geometrie-Vergleichs. I n der Formulierung des Boethius t r i t t mehr das Endergebnis heraus: w i r d der Radius gleich N u l l , f ä l l t der U m f a n g des Kreises m i t dessen Zentrum zusammen, der Kreis verliert jegliche Ausdehnung u n d w i r d z u m Punkt. Notkers Übertragung läßt diesen Endzustand weniger deutlich spüren, w e i l das zesamine nicht so eindeutig p u n k t u e l l ist, wie die jede A r t v o n Mehrteiligkeit ausschließende simplicitas; dafür aber drängt sich i n dem zesamine duingen die stufenweise Reduzierung des Radius, also der Weg z u m Endzustand, u m so eindrucksvoller der Vorstellung auf. D i e Notkersche Übertragung der Stelle ist also nicht ganz wörtlich, aber trotz einer Verschiedenheit der Nuancen durchaus sinngetreu u n d zugleich b i l d k r ä f t i g . Ja, ich glaube, es läßt sich sogar deutlich machen, w a r u m N o t k e r hier nicht wörtlicher übersetzen w o l l t e , w a r u m ein Operieren m i t einvalti i h m i n diesem Falle fehl am Platze schien. Doch müssen w i r hiefür den neuen Abschnitt beginnen.
c) einvalte,
einvalti,
einvaltlih
Gehen w i r zuerst i n einem größeren lateinischen L e x i k o n die Lemmata simplex u n d simplicitas durch u n d vergleichen w i r sodann die v o n Graff 58 gebotenen althochdeutschen Belege für einvalte u. ä., so f ä l l t selbst dem flüchtigsten Leser auf, daß i m deutschen Sprachbereich die Bedeutung sich stark eingeengt hat. V o n dem ursprünglichen Numerale ( simplex i m Gegensatz zu duplex, triplex , multiplex) ist k a u m eine Andeutung mehr vorhanden 5 9 . A n dessen Stelle t r i t t eine v o r allem ethisch wertende Bedeutung v o n simplex , teils i m Sinne unseres neuhochdeutschen »einfältig, ungebildet«, teils i m Sinne v o n »lauter, rein, echt«. Beides gab es so — neben der erstgenannten Verwendung — auch schon i m lateinischen Sprachbereich u n d hier wiederum v o r allem i n der christlichen Predigt 6 0 . D i e Vermutung, es handle sich bei unserem W o r t u m eine Lehnübersetzung der frühen Glaubensboten 61 , scheint hierdurch begründet. « Graff I 319—320. 59 Es gibt eine Ausnahme: in einer Glosse zu GREG. M. in evang. 37, 7 (PL 76, 1278 CD) steht: Cum duplo ergo exercitu contra simplum (einvaltaz) venit ... (vgl. Lk. 14, 27). — Glossen 2, 304, 16. " Vgl. Job 1, 1 u. ö.; Prov. 2, 21 u. ö.; Mt. 6, 22; 10, 16; Phil. 2, 15; 1 Petr. 1, 22; 2 Kor. 1, 12 u. ö.; AMBR. Noe 18, 64 (PL 14, 412 B); ders. Luc. 8, 60 (PL 15, 1874 C); AUG. gen. c. Manich. 2, 15, 23 (PL 34, 208 BC); ders. in evang. loh. 6, 3 (PL 35, 1426 C); GREG. M. moral. 1, 36 (PL 75, 543 D — 544 A); 2, 49 (PL 75, 578 D ) ; 35, 40 (PL 76, 771 D). 61 Fr. Kluge - W. Mitzka, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, 18. Aufl., Berlin 1960, 158. 2*
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Sehen w i r die Belege an. Für einfaltlih gleich »beschränkt« findet sich nur ein Beispiel u n d z w a r aus der 'Benediktinerreger : simplicioribus (einf altlibero) abbas factis suis divina mandata demonstret β2. D i e restlichen v o n Graff angeführten Stellen gehen alle mehr oder weniger auf eine positive ethische Bewertung hinaus. I m Junius-Glossar findet sich einvalt gleich meracissimum, wobei perfectus u n d thurahnoht als Synonyme beigegeben sind 6 3 . I n derselben Richtung liegt Otfrieds Gebrauch i n 2, 7, 55 u n d 5, 23, 163—65. Bei Gregor lesen w i r i n der 17. Evangelienhomilie 8 4 : Ille autem vere se diligit, qui pure (einfaltliho) diligit auctoremfi*. Ganz bezeichnend ist es, wenn i n Anlehnung an das Bibel w o r t : Estote ergo prudentes sicut serpentes et simplices sicut columbae 66 das Patronymon des Petrus, Barjona (filius columbae), i m 'Abrogans* m i t ainfalti glossiert w i r d 6 7 . So verstehe ich auch simpliciter (einfaltliho) contentus i n der 'Regula Benedicti' als »schlicht-bescheiden vorliebnehmend« i m Sinne einer ethischen Q u a l i t ä t des ankommenden fremden Mönches 6 8 . Die noch verbleibenden Stellen bei Graff lassen sich bis auf zwei schwer deutbare 169 auf die Bedeutung purus, merus i m vollen Sinne, also »rein, lauter, ungetrübt« 7 0 , oder i n einem abgeschwächten Sinne, entsprechend dem lateinischen mere gleich »allein, bloß nur«, zurückführen 7 1 . Fragen w i r uns nunmehr nach dem Sprachgebrauch bei N o t k e r u n d sehen w i r die i n Sehrt — Legners Wortschatz aufgeführten Belegstellen an, so 62 Benediktinerregel Kap. 2 (U. Daab, Die Althochdeutsche Benediktinerregel des Cod. Sang 916, Tübingen 1959, 16 [ = Steinmeyer S. 199]). 63 Glossen 4 7 32. 84 GREG. M. in evang. 17, 11 (PL 76, 1144 C). 65 Glossen 2, 291, 14. ββ Mt. 10, 16. 67 Glossen 1, 60, 15. — Noch eine weitere Verbindung scheint aufgrund einer Bibelstelle eingedrungen zu sein: rehte unde einvaltlihen in der 3. Wessobrunner Predigt. Dort heißt es: Daz êriste daz sint sä die kihîetin, die dir lebent chuosclîhen , rehte unde einvältlichen, unte andere mit ire guoten siten lêrent ... (K. Müllenhoff - W. Scherer, Denkmäler deutscher Poesie und Prosa aus dem V I I I . bis X I I . Jahrhundert, 3. Aufl., I, Berlin 1892, 279). Das entspricht dem aus Job geläufigen simplex et rectus (Job 1, 1; 1, 8; 2, 3. Vgl. dazu den Kommentar Gregors des Großen moral. 1, 36 [PL 75, 543 D — 544 A]). Von hier führt wohl der krause Weg der karolingischen Klosterphilologie zu der sonst schwer verständlichen Abrogans-Glosse ainvalt — canon (Glossen 1, 72, 23), da canon häufig mit rectum, rihti u. ä. glossiert wird (Glossen 1, 72, 23; Β. I. Docen, Beyträge zur Geschichte und Literatur . . . hgg. von I. Chr. von Aretin 7, 1806, 248, 250). 68 Benediktinerregel Kap. 61 (Daab a. Anm. 62 a. O. 84 [ = Steinmeyer 269]). 69 subnixis, subnixius (einf aid, einf alt) in Κ und Ra. (Glossen 1, 250, 20). — specialiter (unzuuiflo, einf alto) in Ic. (Glossen 4, 20, 65). 70 Otfried 5, 23, 85: lib einf alt. Ders. 4, 31, 13: guat einfolt. Κ und Ra: ad liquidum (zeimv alterno, ze ainvaltum) (Glossen 1, 34, 22). Pa Κ und Ra: contemplari (einvalto scauôn) (Glossen 1, 84, 2). 71 Otfried 5, 23, 87: einf alte thie guete. Ders. 3, 22, 45: man einfolt. Gregor der Große, in evang. 22, 8 (PL 76, 1179 C): . . . quia Redemptor noster nec purus (einvalt) homo aestimandus est (Glossen 2, 297, 45).
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stoßen w i r auf einen merkwürdigen Sachverhalt: v o n den 23 Fällen, i n denen einvalte u. ä. bei N o t k e r v o r k o m m t , treffen 21 auf die 'Consolatio* u n d nur je einer auf Martianus Capeila u n d die Psalmen. Während nun an den beiden letzteren Stellen das W o r t i n einer der uns schon geläufigen Bedeutungen erscheint 72 , w i r d es i n der 'Consolano* z u etwas Neuem, nämlich zum Träger der philosophisch-theologischen Aussage v o n der einzigartigen Beschaffenheit des göttlichen Wesens. Der Schritt scheint zwar leicht: einvalte für simplex i n der Bedeutung »sittlich lauter« w a r schon gegeben; taucht nun simplex i n der neuen Bedeutung »von nicht zusammengesetzter Wesenheit« auf, so sage man eben analog auch dazu einvalte, u n d das Problem ist gelöst. Die inhaltliche Erfüllung des Wortes schreibt sich ohnehin v o n der Vorlage, also v o n Boethius, u n d nicht v o n N o t k e r her! Das ist gewiß z u m T e i l richtig; die Verwendung v o n einvalte für simplex lag nahe. Dennoch ist es ein Schritt, nicht gleich, aber doch vergleichbar dem des Anaxagoras, als er das Wesen des Nous m i t άπλοΰς bezeichnete 73 . U n d N o t k e r hat diesen Schritt i n aller Bewußtheit vollzogen. Dies erhellt daraus, daß er nicht mechanisch einvalte setzt, w o immer i n seiner Vorlage simplex stand, simplex k o m m t i n den logischen Schriften des Boethius nicht selten v o r ( z . B . 375, 3; 390, 23; 396, 30; 491, 2), aber nie verwendet N o t ker dort einvalte, sondern bar y barlicho, turh sih u n d v o r allem sieht 7*. Das läßt sich nur so deuten, daß N o t k e r bewußt einvalte für die Kennzeichnung der göttlichen Wesensvollkommenheit reserviert hat. So gebraucht er es an 19 v o n insgesamt 21 Textstellen, u n d nicht einmal die zwei übrigbleibenden Stellen entwerten diesen Befund, ja, sie bekräftigen ihn geradezu indirekt. Es verhält sich damit so: 240, 26 u n d 356, 21 steht einvalte als Übersetzungswort für das schon seit Aristoteles häufige άπλώς = simpliciter = »schlechthin, unbedingt, uneingeschränkt, absolut« ( i m Gegensatz zu κ α τ ά τ ι = secundum quid = »in gewisser Hinsicht«), einvalte hat also hier einen rein philosophischen, logischen Sinn. Aber, o b w o h l das W o r t i n dieser Bedeutung sich an schon Vorhandenes anschließen (und somit verstehen) läßt, etwa an purus, perfectus u n d die zwei Otfriedtexte 5, 23, 85 u n d 4, 31, 1 3 7 5 , setzt N o t k e r 356, 21 eine verdeutlichende Ergänzung hinzu (Una simplex . 72 Ps. 106, 38 {Piper II 464, 21 = Sehrt - Starch I I I 803, 8) entspricht simpliciter viventes (mit einfalti lebinte) den simplices der Benediktinerregel (vgl. oben Anm. 62). Im Martianus Capella (775, 4—8) spielen gleich drei Bedeutungsnuancen herein: einvalti a) rein, unschuldig, b) simpel, unerfahren und c) ungeteilt Qf, der fóne éinemo zinken in zuêne sih spaltet, also óuh ter ménnisco nah tero chindiskun éinfalti éinuuéder gefahet ze zêseuuun, aide ze uuinsterun, daz chìt ad virtutes aide ad vitia). 73 Vgl. oben Anm. 4. 74 Ähnlich schon in der 'Consolatio': 357, 1. Zu sieht vgl. unten S. 23—26. 75 Vgl. oben Anm. 63, 70 und 71.
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Êiniu ist éinualte unde âne Iba) — 240, 26 hat v o m lateinischen Text her schon eine — u n d wechselt i n beiden Fällen i n den folgenden, parallelen Sätzen auf andere T e r m i n i über: Nam uti cadaver hominem mortuum dixeris, simpliciter vero hominem appellare non possis ... Also ih tes ménnisken bóteh einen toten ménnisken héizo , nais nîeht érchenen ménnisken ... (240, 26—241, 1) u n d : S ed haec conditio minime secum illam simplicem trahit . Aber disiu gedingota not nefüoret tia bârun nôt mit iro nîeht (356, 30 bis 357, 2). Daraus muß gefolgert werden: einvalte w a r für N o t k e r so sehr m i t dem Begriff der göttlichen Wesenseinfachheit verbunden, daß die Versuche eines erweiterten Gebrauchs abgesichert werden mußten u n d zudem eben singuläre Versuche blieben. Jetzt erklärt sich uns auch das Verhalten Notkers bei dem oben besprochenen Geometrievergleich 7 8 : 278, 8—11 hatte er in simplicitatem cogere m i t zesamine duingen übersetzt. Einige Zeilen zuvor stand für Nam ut orbium circa eundem cardinem sese vertentium, qui est intimus, ad simplicitatem medietatis accedit... Also dero mànigon ringo, die an demo ràde umbe einen stéft uuérbent , tér under allen der innerôsto ist, tér nàhôst stéfte ist... (277, 24—29). Beide Male handelt es sich nicht u m simplicitas im Bereich des Göttlichen, sondern i m Bereich der Mathematik. Gerade hier aber w i l l u n d kann N o t k e r einvalti nicht verwenden, w e i l dieser Ausdruck für i h n eine religiöse Assonanz hat, die i h n dem Gebiet philosophisch-theologischer Aussagen zuweist. Nahegelegt w a r eine semantische Erweiterung des Wortes gerade i n dieser Richtung durch den allgemeinen Sprachgebrauch, wie w i r i h n oben v o r gefunden haben: einvalti, i n der ethischen Wertung gleichbedeutend m i t »rein, lauter« u n d neben perfectus (thurahnoht) gestellt, läßt doch verhältnismäßig leicht die Übertragung auf das Göttliche zu, i n dem ja moralische u n d ontische »Reinheit« zusammenfällt. (Ein gutes Analogon ist die E n t wicklung v o n purus y das w i r als Interpretament zu einfaltliho i n der 17. G r e g o r - H o m i l i e 7 7 kennen gelernt haben. 274, 29—275, 5 lesen w i r n u n : Qui modus cum conspicitur in ipsa puntate divinae intelle gentiae, Providentia nominatur... Tiu selb a uuisa habet zuène nâmen; einer ist, sô man irò gedénchet in sélbes kôtes lütteren uuîstûome ; diu uuisa héizet Providentia . . . ) . Zugleich verhindert dieser semantische H i n t e r g r u n d , daß die »Einfachheit« als eine leere Einfachheit, als eine Einfachheit des Mangels verstanden w i r d . Gerade auch Stellen wie O t f r i e d 5, 23, 163—65: einfoltaz guat... einfolta uuunna bereiten den Gedanken der »erfüllten«, Vollkommenheit implizierenden Einfachheit vor, v o n dem N o t k e r so gepackt ist, daß er i h n 78 77
Vgl. oben S. 18 f. Anm. 64 und 65.
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auch unabhängig v o n der Textvorlage immer wieder seinen Schülern u n d Lesern v o r f ü h r t 7 8 . Diese starke theologisch-religiöse Valenz ist dann paradoxerweise auch das, w o r i n Notkers einvalti die simplicitas des Boethius übertrifft, o b w o h l das W o r t eben erst aus der 'Consolatio' seinen religiös-theologischen Gehalt entlehnt hat, w i e zuvor seinen ethischen aus der Heiligen Schrift u n d der Väterpredigt. Aber indem N o t k e r einvalti nicht überall einsetzt, w o der Lateiner simplex stehen hatte, sondern es gewissen Bereichen bewußt entzieht, bewahrt er es v o r der sprachlichen N i v e l l i e r u n g u n d erhält i h m eine A u r a des Bedeutenden, die, wenn ich recht sehe, dem vielgebrauchten simplex nicht mehr i n der gleichen Weise eignete.
d) sieht Der vierte Terminus, m i t dem N o t k e r simplicitas eindeutscht, ist das A d j e k t i v sieht. Es k o m m t , wie gesagt, nur einmal i n diesem Sinne i n der 'Consolatio' v o r : In hac enim s. materia quaeri solet de simplicitate providentiae. Târ ist ana ze fragenne dero gotes sléhtun providentiae. St ist sléht ünde êinfâlte finde ungelîh mannes providentiae, uuànda sì sament unde eines scuzes ànasihet, tàz ménnisko échert sumez άηα -sihet ... (272, 25—30). Aber auch an diesem einen Fall läßt sich manches Interessante über Notkers D e n k - u n d Sprechweise ausmachen. So natürlich es nämlich auf den ersten Blick erscheinen mag, sieht i n der Bedeutung unseres nhd. »einfach« zu nehmen, so wenig selbstverständlich stellt es sich einem näheren Zusehen dar. D i e Belege bei Graff 79 lassen, grob gesprochen, zwei Verwendungen des Wortes unterscheiden, eine ursprüngliche u n d eine übertragene. I m ursprünglichen Sinn heißt sieht soviel wie »eben, glatt«, bezogen auf Dinge der K ö r perwelt wie Wege 8 0 , H ö l z e r 8 1 , Steine 8 2 , M e t a l l 8 3 , Panzerringe 8 4 , K ö r p e r 78 Man vergleiche etwa die drei zum Teil exkursartigen Erläuterungen 272, 27 ff., 326, 20 ff., 335, 1 ff. 79 Graff V I 786—88. Ich übergehe hier wie im folgenden Abschnitt einige der Grafischen Angaben, da es mir nicht gelang, sie zu identifizieren. 80 aspera irt vias planas (in slehta uuega): Tatian I, 13, 3; puro (inslehtemo) ut possent concurrere campo: VERG. Aen. 12, 771 (Glossen 2, 671, 12). Dazu wohl auch planus (sieht) im Summarium Heinrici (Glossen 3, 253, 74). θ1 fac tibi arcam de lignis levigatis (gislihten): Gen. 6, 4 (Glossen 1, 283, 4). Ähnlich wohl im Summarium Heinrici levigatus (sieht) (Glossen 3, 245, 49). tum leves (siechtun) calamos et rasae hastilia virgae ... aptare ...: VERG. georg. 2, 358 (Glossen 2, 634, 35). qui leni (slehtin) iugo Christi colla submittere cupis ... : (Daab a. Anm. 62 a.O. 8 [= Steinmeyer 191]). 82 ... et elegit sibi quinque limpidissimos (slehtistun, hantmazzistun, sìnauuello -
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teile 8 5 . V o n hier aus erstrecken sich die Übertragungen auf das Gebiet des Geistigen i n den verschiedenen Formen. Bezogen auf den menschlichen Charakter und dessen Äußerungen ergibt sich »sanft, milde, lockend« 8 6 . D a n n können Erkenntnisobjekte so »eben« sein, daß sie dem erkennenden Intellekt keinen Widerstand entgegensetzen 87 . U n d schließlich läßt sich v o n kunstvoller Sprache aussagen, sie sei »eben, fein, glatt, sauber gearbeitet« 8 8 . Wie k o m m t N o t k e r n u n auf sieht u n d einvalte, ausgesagt v o n der N a t u r der göttlichen Providenz? Bisher hatten w i r eine Stelle, an der die Eigenschaft sieht v o n Personen ausgesagt wurde, jedoch m i t ganz anderem S i n n 8 9 . W i r hatten auch ungefähr die Bedeutung »vollkommen«, aber nur bei v o l l kommen ausgearbeiteten Gegenständen. W i r fanden das W o r t schließlich i m Zusammenhang m i t geistiger, ja sogar m i t göttlicher Erkenntnis. Doch bezog sich die Prädikation sie ht ο of fan auf den Erkenntnis gegenständ. A l l e drei Wege führen nicht zur simplex Providentia. Aber das Rätsel bleibt auch, wenn w i r zu N o t k e r übergehen. O b w o h l dieser den Terminus sehr häufig verwendet, bleibt unsere Stelle doch singulär. N o t k e r kennt sieht i n der gewöhnlichen Grundbedeutung »flach,
stun) lapides de torrente ... : 1 Sam. 17, 40 (Glossen 1, 283, 59 und 1, 401, 57). 83 praefixit tabulas dives manus aequore levi (slehtemo) candentes.: PRUD. perist. 11, 185—86 (Glossen 2, 438, 67). 84 levibus (siebten) huic hamis consertam ... loricam ...: VERG. Aen. 5, 259—60 (Glossen 2, 654, 71). 85 nosti quod Esau f rater meus homo pilosus sit , et ego lenis (sieht): Gen. 27, 11 (Glossen 1, 813, 19). ille inter vestes et levia (siebten) pectora lapsus ...: VERG. Aen. 7, 349 (Glossen 2, 659, 62). 86 hostis blandus (slecter): Murbacher Hymnen 15, 3, 4; sermone blando (siehtemu) angelus ... : ebd. 19, 6, 1; nec carnis gaudia blandis (sclehtem)... aestibus: ebd. 4, 4, 2; vultusque caeli blandior (siederà): ebd. 5, 3, 3. miscens... terroribus blandimenta (slehtiu): Benediktinerregel Kap. 2 (Daab a. Anm. 62 a.O. 17 [= Steinmeyer 200]). et alium qu'idem blandimentis (slehtidoom)... : ebd. (Daab 18 [ = Steinmeyer 201]). si loquitur monachus leniter (slehto) et sine risu . . . : ebd. Kap. 7 (Daab 34 [ = Steinmeyer 216]). Die Glossierung severus (sieht) in Ra und Κ (Glossen 1, 247, 2) ist offenkundig ein Mißverständnis. 87 ille (seil. Deus) enim cognovit cogitationes hominum ... sicut et omnia er eat, ita ei universa liquide patent . . . so sama ist iz imo al slehto offan: Monseer Fragmente, De vocatione gentium 2 (Müllenhoff-Scherer a. Anm. 67 a.O. 211). 88 Otfried I 1, 15—16. Ich denke, daß dieser bekannte Vers von levis, levigatus (Anm. 82 und 84) her zu interpretieren ist. Das gilt auch für das Substantiv I 1, 19. »Prosaische Schlichtheit« ist zwar als Nuance denkbar, aber die Haupt- und Grundbedeutung ist auch hier »schönes Ebenmaß, vollendete Form, die alle Unebenheiten ausgefeilt hat«. Man vergleiche Otfried I, 1, 36 und Notker, Consolatio 110, 2.). 89 Siehe oben Anm. 86 Murbacher Hymnen 15, 3, 4. Ähnlich, jedoch mit Verwendung des Substantivs, Otfried I V 5, 22: thaz ólei (zeinôt) ouh thia slihti thera sinera éregrehti.
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eben« 9 0 . E i n m a l gebraucht er es v o m wörtlichen Schriftverständnis 9 1 u n d einmal, scheinbar neuhochdeutsch, v o n »schlichter« Speise 92 . Schließlich steht es zweimal für lenis 93. D i e restlichen 15 Fälle bewegen sich, abgesehen v o n einer einmaligen mathematischen Verwendung i m Martianus C a p e i l a 9 4 , alle i m Feld der L o g i k (183, 28; 491, 4; 501, 27; 502, 10; 513, 11. 16. 17; 514, 1; 580, 13; 584, 21—22; 605, 24; 606, 15). Begriffe, Aussagen, Syllogismen, Opiniones werden als sieht bezeichnet i n der Wiedergabe v o n simplex u n d es bedeutet »nicht zusammengesetzt, einfach«. D i e Verwendung v o n sieht i n diesem Sprachbereich ist so häufig, daß w i r es bereits als terminus technicus i m V o k a b u l a r der logischen Schriften Notkers betrachten dürfen. D i e Folgerungen aus alle dem für unsere schwierige, w e i l nicht einzuordnende 'Consolatio'-Stelle liegen auf der H a n d : w i r haben es 272, 25—30 m i t einem Sprachexperiment Notkers zu tun. V o n den logischen Arbeiten des Boethius herkommend, gebraucht er nunmehr an dieser einen Stelle zur Kennzeichnung der göttlichen Vorsehung u n d implicite zur Kennzeichnung Gottes selbst, den Terminus sieht gleich simplex gleich »nicht zusammengesetzt«, den er bislang i n diesem Sinne nur zur Kennzeichnung sprachlicher Erscheinungen verwendet hat. D a ß es N o t k e r hierbei v o r allem auf das »nicht zusammengesetzt« ankam, zeigt die nachfolgende Erklärung: uuânda si sament unde eines scuzes άηα -sihet , tdz mênnisko échert sumez άηα sihet ... (272, 29—30). Z u dieser Hauptbedeutung treten aber notwendig noch die Assoziationen, die sieht, ausgesagt v o n Personen, m i t sich führt. M i t h ö r e n w i r d man also müssen sieht gleich »vollkommen«, wie es für N o t k e r i m Substantiv slihti mitgegeben ist, ausgehend v o n der Glättung, Polierung eines Werkstückes 95 . Bei N o t k e r nicht belegt, aber v o m St. Galle90 ius est mart nunc blandiri strato aequore. Ter mère muoz 6uh stille sîn mit slêhtero ébeni (Consolatio 60, 13—16). Hierzu lassen sich wohl zwei Glossen stellen, die wir oben nicht unterbringen konnten: tranquillus (sieht): K, Ra und R (Glossen 1, 224, 8 und 1, 256, 6). 91 aber secundum literam (nah siebten uuortin) mugen ir o bêin f erbrochen uuerden: Ps. 33, 21 ( I I 115, 20 = Sehrt-Starck 190, 10—11). Vgl. dazu Otfried I I I 7, 76. 02 . . . quae solebat solvere sera ieiunia facili glande, tîu dir si tig uuâs spato inbîzen mit slêhtero fuoro (96, 27—30). Es steht sicher das lateinische de plano = »ohne Umstände, ohne Schwierigkeit, leicht« dahinter, das sich mit facilis (»leicht zu beschaffen«) deckt. 93 Et lene quidem, quod in rectum partes sibi iaceant. Onde sieht, fóne diu, daz siniu teil ébenhoho ligent. (459, 8—10); lene (slehtiz) (458, 26). 94 ... planarum illa docet plenitudo ... tîu fòlleglìdoi dero sléhton numerorum lêret. (779, 27—780, 1). 95 ... praestantes quidem natura mentes, sed nondum perfectione virtutum perductas ad extremam manum ... pûrlichiu chido ih, nais nîeht prâhtîu mît tûrnohti àllero tûgedo ze dero iungestûn slihti ... Taz ist tero uuérhmânno sito , so sie irò uuêrh fólletuont, taz sie siu ze iungest slihtent. Tie ouh irò tugede durnóhte sint, tîe sulen sia slihten mit iro deumüoti. (109, 27 — 110, 7).
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ner M i l i e u her gefordert", ist die dritte Nuance sieht gleich »gütig, milde«, die seine Schüler m i t dem W o r t verbinden mußten* Das ganze ist ebenso eindrucksvoll wie kühn. N o t k e r hat das Experiment nicht wiederholt, sondern i m folgenden regelmäßig simplex , bezogen auf Providentia, m i t einvalte übersetzt, genauso, wie er simplex i n logischem Zusammenhang eben nur zweimal m i t einvalte interpretiert h a t 9 7 , sonst aber regelmäßig m i t sieht oder anderen entsprechenden T e r m i n i 9 8 . Es ist, als w o l l e er den zu deutenden Begriff nach allen Seiten h i n abtasten u n d i n Z u sammenhänge hineinstellen, die imstande waren, seine Schüler v o r einem mechanischen Übersetzen zu bewahren u n d sie i n die Sache selbst einzuführen 9 9 .
e) samohaft Als letzter Terminus ist noch samohaft zu behandeln 1 0 0 . W i r treffen i h n 276, 7—18 an: Sicut enim artifex mente percipiens formam faciendae rei movet operis effectum, et quod simpliciter praesentarieque prospexerat, per terque facienda disposuit... Also der zimber-man, daz er tüon uuile, ze êrest in sînemo müote bildot unde dâra-nâh vuurchet. Onde dàz ér in sàmohâftero àntuuvrti sines müotes pedâhta , êinzên mâlezet , also ist tâz ketân , dâz kótes Providentia in staterò éinluzzeghéite benéimet ze tuonne ... samohaft erinnert an zesamine i m 2. Abschnitt. Handelte es sich dort u m einen Vergleich aus der Geometrie, so stammt diesmal das B i l d aus der geistigen Tätigkeit des Menschen: so w i e der H a n d w e r k e r / Künstler sein W e r k i m Geiste als ganzes konzipiert, i n der Realität aber schrittweise verwirklicht, so verhält sich Providentia zu fatum . N o t k e r überträgt simpliciter praesentarieque prospicere m i t in samohaftero antuuurti sines müotes pedenchen, nhd. etwa: »in gesammelter Gegenwärtigkeit seines Geistes überlegen«. Was i n den voraufgehenden Abschnitten schon zu beobachten
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Vgl. oben Anm. 86 die Glossen zur Benediktinerregel. Vgl. oben S. 21 f. Vgl. oben S. 21. 99 Paul Hoffmann, Die Mischprosa Notkers des Deutschen, I. Teil Diss. Göttingen 1906, 13 schreibt: »Wenn Notker Verdeutschungen neben die wissenschaftlichen Fachausdrücke setzt, so betrachtet er diese nicht als vollgültigen Ersatz derselben, so daß er sie selbständig gebrauchen könnte, sondern wie bei den historisch römischen terminis als Anleitung zum Verständnisse der theoretischen Ausdrücke oder als ihre Versinnlidiung.« Das gilt wohl nicht für alle Verdeutschungen Notkers — viele sind durchaus selbständig geworden. Aber auf die »Übersetzungsexperimente« trifft die Beobachtung Hoffmanns recht genau zu. 199 Graff V I 34—35. 87
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war, gilt auch hier v o n neuem: N o t k e r greift bereits gebildete Wörter auf, gibt ihnen aber neue Sinngehalte, indem er sie auf neue, geistige Bereiche anwendet. samohaft ist, wie das dazugehörige Substantiv samohafti, vor N o t k e r i m Sinne von »zusammen, zusammenhängend, Zusammenhang« gebraucht, und zwar so, daß verschiedene Personen, Dinge, Körper- oder Zeiteinheiten erkennbar sind, v o n denen dann ausgesagt w i r d , daß sie auf irgend eine Weise verbunden sind. Feindliche Parteien i m K a m p f haben so «miteinander« zu t u n 1 0 1 , die Reliquien von Heiligen können »zusammen« bestattet werden 1 0 2 . V o n der Caritas läßt sich aussagen, daß sie m i t dem H l . Geiste »verbunden« i s t 1 0 3 . Ebenso können Zeitteile zusammenhängen 104 , oder körperhafte Gegenstände 105 , wie denn samohafti auch für massa106 und corpus 107 verwendet w i r d . A l l dies ist ein gutes Stück entfernt v o n der Abstraktion Notkers an unserer Stelle, bei der eben nicht ausgesagt w i r d , daß »etwas m i t etwas verbunden« ist, sondern w o von der abstrakten antuuurti behauptet w i r d , sie sei samohaft y d. h. i n sich und m i t sich »zusammen, konzentriert«. Diese »Konzentration« hat man sich, analog zu 278, 7 — I I 1 0 8 , bis zur Punktförmigkeit gehend vorzustellen. Wie dort, bringt auch hier der deutsche Terminus klarer zum Ausdruck als der lateinische, daß es sich u m eine »erfüllte Einfachheit« handelt, eine Einfachheit, die durch Konzentration, nicht durch Elimination entstanden ist. Wie sehr dies zutrifft, zeigt deutlich die andere Textstelle, an der N o t k e r das A d j e k t i v verwendet. Ps. 38, 7 lesen w i r : Verumtamen universa vanitas, i. mutabilitas, omnis homo vivens. Si óuh der mennisco transiliens mundum (überspringende dia uuerlt), er ist unz er lêbet, sâmohaftiu uuéhsalhéit .10° samohaftiu uuehsalheit — man beachte, daß der Terminus wiederum auf ein Abstraktum bezogen ist — 101 hactenus alternis sudatum est comminus (samanhafto) armis: PRXJD. psych. 820 (Glossen 2, 465, 20). 102 mandant restituì cavoque claudi mixtim (samahaft) marmore pulverem sacrandum: PRUD. perist. 6, 141, (Glossen 2, 445, 44). 103 siu ist samahafti mit demo heilagin geiste: Monseer Fragmente, De vocatione gentium 4 (Müllenhoff-Scherer, a. Anm. 67 a.O. 213). 104 triduum illud continuatone (pisamabaft) duxerunt: GREG. TUR. Mart. 1, 6 (PI 71, 920 B) (Glossen 2, 758, 6). 105 non solidum (samahaftaz, festi), sed inane et cavum facies illud: Ex. 27, 8 (Glossen 1, 291, 44). 106 servatum est..., ut ex massa (samahafti) dioecesium nulla caper etur, ut proprium episcopum habuisset ...: CONC. Carth. I I I can. 46 (Bruns a. Anm. 53 a.O. 132) (Glossen 2, 119, 71). 107 multa corpora liirorum (samahafti): Ps. DAMAS, epist. ad Hieronymum ( Vallarsi , Opera S.Hieronymi X I 376—377 ( = PL 13, 440c) (Glossen 1, 513, 41). 108 Vgl. oben S. 18. 109 Piper I I 142, 11—13 ( = Sehrt-Starde 233, 9—11).
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ist zu begreifen als Übertragung eines Wortgebraudis, wie w i r i h n etwa an der Exodusstelle kennengelernt h a b e n 1 1 0 : samohaft gleich solidum, ausgesagt v o n festen K ö r p e r n i m Sinne v o n »massiv, ohne H o h l r a u m « , samohaftiu uuehsalheit heißt also: »totale, vollständige, allumfassende, durch u n d durch gehende Veränderlichkeit«. Das Substantiv samohafti bedeutet überhaupt die umfassendste Ansammlung v o n Dingen, die es gibt, nämlich das W e l t a l l , das Universum, aber eben i m Sinne der Etymologie des Wortes u n d der antiken wie der mittelalterlichen Weltauffassung m i t deutlichem Bezug auf das Eine dieser V i e l heit v o n Dingen (uni-vorsum) 111. Der bezeichnendste Ausdruck dieser E i n stellung zur W e l t ist ein Satz Notkers aus seiner Martianus-Übersetzung, w o samohafti sowohl für W e l t a l l steht, als auch für die Einfachheit des göttlichen Wissens, m i t dem eben dieses W e l t a l l umfaßt w i r d : So si dia irdiskun uuizentheit irspêh , sô uuârd irò diu gótelicha gegeben, diu in éinero samohafti unde eines plicches alliu ding pegrifet, also in boetio de consolatione gescriben ist. Tia samohafti óuget er mit temo èie, dâz er ze ûzerôst chit temo himele gelichez, unde in mittemen dero érdo, unde underzuiskên dero lüfte, also diu machina getan ist tirro anasihtigûn uuérlte . (810, 1—8). H i e r i n drückt sich i m Worte ein genuiner mittelalterlicher Piatonismus aus: die samohafti, bestehend aus H i m m e l — Erde — L u f t , symbolisiert i m Ei, ist u m g r i f f e n 1 1 2 v o n der samohafti des unumgriffenen göttlichen Wissens, m. a. W . , die göttliche samohafte uuizentheit ist V o r b i l d u n d Existenzgrund des Universums. Nehmen w i r nun noch hinzu, daß samohafti bei N o t k e r auch das universale, den Allgemeinbegriff, bedeutet 1 1 8 , dann haben w i r i n dem einen deutschen W o r t tatsächlich einen A b r i ß des mittelalterlichen Piatonismus v o r uns. D e n n wer diesen Ausführungen bisher gefolgt ist, w i r d gewiß nicht auf den Gedanken kommen, daß etwa Notkers W o r t a r m u t daran schuld sein könnte, daß hier für simplicitas, universum u n d universale ein einziger Terminus erscheint. V i e l mehr ist dies der Ausdruck einer philosophischen Überzeugung, daß die Fülle der W e l t aus dem göttlichen Universal-Begriff existiert u n d daß der menschliche Universalbegriff diese Spannung i m kleineren Maßstab wie-
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Siehe Anm. 105. Vgl. K. E. Georges, Ausführliches Lateinisch-Deutsches Handwörterbuch..., 10. Aufl., Basel 1959 sub voce. 112 Vgl. dazu noch Martianus 2, 43: Universumque totum infinibilis patris profunditate coercitum i. circumscriptum. Onde alle dia samohafti mit tes umbegriffenen fâter geuuâlte umbehabeta . . . (840, 24—28). 118 Quod enim est sensibile vel imaginabile id non posse esse universum. Onde chêdendo dâz man einzèn sêhen aide bîldôn mag, in éina samohafti daz nemugen chómen. (344, 10—13). 111
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derum abbildet, indem er die Vielheit der Erscheinungen i n die Einheit der Erkenntnis zusammenfaßt. Auch hier zeigt sich wieder Notkers Eigenart eines sozusagen »lautlosen« Philosophierens. Sieht man nicht sehr genau h i n und hat man nicht die semantische Entwicklung des i n Frage stehenden Wortes deutlich v o r Augen, dann entgeht einem nur allzu leicht, was hier an Gedankenarbeit geleistet wurde. Bemüht man sich aber ernsthafter u m ihn, dann zeigt es sich durchaus, wie sehr N o t k e r ein »schöpferischer« Übersetzer w a r u n d wie hinter jedem seiner Sätze nicht nur der Wortmeister, sondern der sich i n der Sprache ausdrückende denkende, forschende, lehrende Mensch stand. W i r dürfen nicht übertreiben: N o t k e r hat kein eigenes philosophisches W e l t gebäude errichtet; aber er hat i n unserer Sprache zu denken, mehr noch, er hat aus unserer Sprache weiterzudenken gelehrt. W i r sind am Ende unserer Beobachtungen zu simplicitas divina i n N o t kers Übersetzung der 'Consolatio'. W i r haben gesehen, wie der Begriff i n der A n t i k e sich bildete, wie er i n der 'Consolatio' des Boethius z u m Schlüssel wurde für die Lösung der Fragen u m Schicksal, Vorsehung, Willensfreiheit. V o r allem aber gelang es uns, glaube ich, festzustellen, wie dieser Begriff durch Notkers variierende Übersetzung i n die deutsche Sprache eingeht, diese verändert u n d zugleich v o n ihr selbst verändert w i r d . D i e althochdeutschen Wörter einvalte, sieht, samohaft nehmen v o n simplicitas her philosophisch-theologische Gehalte auf; andererseits fächern sie umgekehrt durch die A r t , wie N o t k e r sie einsetzt, den lateinischen, schon i n der Gefahr schulmäßiger Fixierung stehenden Terminus auf u n d veranlassen Assoziationen, die sich v o m U r t e x t allein nicht so leicht ergeben. Das ganze kann als Beispiel einer lebendigen, d. h. über Bildungsbeflissenheit hinausgehenden, an der Sache selbst interessierten Rezeption antiken Denkens i m deutschen Mittelalter betrachtet werden.
JACOB MASENS 'RUSTICUS
IMPERANS'
Z u r lateinischen Barockkomödie i n Deutschland V o n H a r a l d Burger
N u r wenige K o m ö d i e n v o n Rang hat das deutsche Barock hervorgebracht 1 , u n d k a u m eine v o n weltliterarischer Bedeutung. D i e K o m ö d i e n eines H e r zog Julius v o n Braunschweig oder des Andreas Gryphius finden heute nur mehr historisches Interesse. A u f den deutschen Bühnen werden Lustspiele des 17. Jahrhunderts nicht mehr aufgeführt. Keine Komödie v o m Charakter der Molièresdien hat die deutsche Literatur des 17. Jahrhunderts entwickelt. D i e Gründe sind mannigfach. N i c h t zuletzt spielt die geringe Ausbildung u n d mangelnde Verfeinerung der deutschen Sprache eine R o l l e : Geschliffenheit der D i k t i o n fehlt der deutschen Sprache i n der ersten H ä l f t e des Jahrhunderts. Erst dem deutschen Hochbarock gelingt der Anschluß an den i m übrigen Europa längst ausgebildeten S t i l der scharfsinnigen Sentenzen, der scharfsinnigen Metaphern 2 . Wichtiger aber als Perfektion der Sprache ist für die Ausbildung einer literarischen Komödie die durchdringende Einsicht i n die menschlichen Verhältnisse u n d die Vorgänge der menschlichen Psyche. Beides, die sprachliche wie die seelenkundliche Voraussetzung, ist für die französische Komödie gegeben. Deutschland hat sich beides erst mühsam erringen müssen. Was die deutsche Literatur jenseits dieser Anforderungen leisten konnte, den Anschluß an den antiken Mimus i m Fasnachtsspiel 3 u n d die Nachfolge der englischen Komödianten bzw. später der Commedia dell'arte 4 , hat sich i n literarisch nur wenig bedeutsamen Dokumenten niedergeschlagen, da es sich dabei u m Formen des Theaters 1 Immer noch die einzige Gesamtdarstellung der Geschichte der deutschen Komödie: Karl Holl, Geschichte des deutschen Lustspiels, Leipzig 1923. 2 Dazu neuerdings: Manfred Wind fuhr. Die barocke Bildlichkeit und ihre Kritiker — Stilhaltungen in der deutschen Literatur des 17. und 18. Jahrhunderts, Stuttgart 1966 (Germanistische Abhandlungen 15). 3 Vgl. Eckehard Catholy, Das Fastnachtsspiel des Spätmittelalters — Gestalt und Funktion, Tübingen 1961 (Hermaea N . F. 8); ferner jüngst von demselben: Fastnachtsspiel. Sammlung Metzler, Stuttgart 1966. 4 Vgl. Walter Hinck, Das deutsche Lustspiel des 17. und 18. Jahrhunderts und die italienische Komödie, Commedia dell'arte und Théâtre italien, Stuttgart 1965 (Germanistische Abhandlungen 8).
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Harald Burger
handelt, die der Improvisation, der nichtliterarischen Schaustellung nahestehen. Angesichts dieses für den Literaturhistoriker nicht erfreulichen Bildes scheint es nicht unnötig, den Blick auf ein W e r k zu lenken, das z w a r i n den meisten Handbüchern erwähnt, aber i n seiner Bedeutung für die Literaturu n d Theatergeschichte des 17. Jahrhunderts i n Deutschland kaum je gewürdigt w i r d : Jakob Masens 'Rusticus Imperans' 5 . Das Stück g i l t allgemein als die meistgespielte u n d beliebteste lateinische Schulkomödie des Jahrhunderts 6 , eine eingehende Deutung wurde dem W e r k aber bisher nicht zuteil. Es soll i m folgenden versucht werden, .die Komödie m i t Masens eigenem dramentheoretischen W e r k 7 i n Beziehung zu setzen und sie i n den geistigen H o r i z o n t des Barockdramas hineinzustellen. D i e Geschichte v o m betrunkenen Bauern, der für einen Tag z u m K ö n i g gemacht u n d dann wieder i n seine N i e d r i g k e i t zurückgestoßen w i r d , bietet 5 Gedruckt wurde das Stück in: Palaestra Eloquentiae Ligatae. Dramatica. Pars I I I . et vltima. Quae complectitur Poesin Comicam, Tragicam, Comico-Tragicam. Praeceptis et Historijs rarioribus, cum Exemplis singulorum Poematum illustrata. AVtore R. P. Iacobo Masenio, è Societate Iesv. Coloniae Agrippinae, Apud Ioannem Busaeum, Anno M. DC. L V I I , 12°, pp. 497. — Der erste Teil der 'Palaestra' erschien 1654 (Liber I & I I ) bzw. 1661 (Liber I I I ) , der zweite Teil 1654. Die Theaterstücke wurden also erst im letzten Teil beigegeben. (Die bibliographischen Angaben nach de Backer / Sommervogel, Bibliothèque de la compagnie de Jésus, Première partie, V, 686.) Eine deutsche Übersetzung des Stückes, die allerdings streckenweise kürzt und dem Original nicht immer gerecht wird, wurde vorgelegt von Josef Großer S. J.: 'Rusticus imperans oder Der Schmied als König — Historisches Lustspiel von Jakob Masen S. J.', Amandus-Laienspiele Heft 4, Wien 1947. — Eine kritische Edition der Komödie ist für einen der nächsten Bände des Literaturwissenschaftlichen Jahrbuchs geplant. Zur Biographie des Jakob Masen (1606 bis 1681): N . Scheid S. J., Der Jesuit Jakob Masen, ein Schulmann und Schriftsteller des 17. Jahrhunderts, Köln 1898 (Vereinsschriften der Görres-Gesellschaft), vor allem S. 1—3. B. Duhr S. J., Christoph Brower und Jacob Masen, Festschrift des Marzellen-Gymnasiums in Köln, Köln 1911, S. 91—107. 6 Vgl. etwa: Johannes Müller S. J., Das Jesuitendrama in den Ländern deutscher Zunge vom Anfang (1555) bis zum Hochbarock (1665), Bd. 1, Augsburg 1930, S. 86, oder: Geschichte der deutschen Literatur 1600 bis 1700, von J. G. Boeckh, G. Albrecht, K. Böttcher, K. Gysi, P. G. Krohn, H . Strobach, Berlin 1963, S. 365 (in: Geschichte der deutschen Literatur, hrsg. von K. Gysi, K. Böttcher, G. Albrecht, P. G. Krohn, Kollektiv für Literaturgeschichte, Bd. 5). Die Literaturgeschichten von Richard Newald (Die deutsche Literatur vom Späthumanismus zur Empfindsamkeit, München 5. Aufl. 1965, in: Geschichte der deutschen Literatur, von ii. de Boor und R. Newald, Bd. 5) und Paul Hankamer (Deutsche Gegenreformation und deutsches Barock — Die deutsche Literatur im Zeitraum des 17. Jahrhunderts, Stuttgart 3. Aufl. 1964) erwähnen Masens Lustspiels überhaupt nicht. 7 Palaestra eloquentiae ligatae I I I , s. Anm. 5. Mir stand die Ausgabe von 1664 (NOVA EDITIO. Priori longé correctior) zur Verfügung, nach der ich im folgenden zitiere. Auch Kapitelangaben und Seitenzahlen beziehen sich auf diesen Text. Abbreviaturen und Ligaturen werden aufgelöst (auch in den übrigen zitierten lateinischen Texten).
Jacob Masens 'Rusticus Imperane*
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nicht nur den Stoff für einen Schwank, w i e i h n auch die Wanderbühnen hätten produzieren können, er reizt den barocken Dichter zu moralischer u n d weltanschaulicher Deutung, w i e es i m Prolog des Masenschen Stückes angespielt ist: Rex è Rustico , è Rege f actus Rusticus — die typische K u r v e der barocken Schicksalslinie, das R a d der allgewaltigen Fortuna. Das M o t i v 8 , das aus dem Orient, aus der W e l t v o n 1001 Nacht i n den Westen gelangt ist, w i r d bereits v o m ersten abendländischen Bearbeiter, Ludovico Vives, auf seine über die Handgreiflichkeit des Schwankes hinausweisenden Elemente h i n ausgedeutet (Joh. L u d o v . V i v i s V a l e n t i n i epistolarum quae hactenus desiderabantur Farrago . . . Antverpiae M D L V I fol. 25b ff. 9 ). So nennt Vives die Geschichte eine fabula »de vitae somnio«, i n der demonstriert werde, quale esset vita nostra ludicrum. D i e Transparenz der unscheinbaren Anekdote auf eine totale Relativierung des menschlichen Lebens h i n ist hier bereits angetönt. 'Das Leben ein Traum* (La v i d a es sueno) — eben unter diesem T i t e l w i r d Calderón sein großes D r a m a (1635) verfassen, gleichfalls i n A n k n ü p f u n g an das M o t i v v o m träumenden Bauern. M i t dem M o t i v des Lebenstraumes verkettet ist das Problem der Zeitlichkeit des menschlichen Daseins: Quid interest inter diem illius et nostros aliquot annosi nihil penitus, ni si quod haec est paulo diuturnius somnium. D i e Lebenszeit des Menschen ist — sub specie aeternitatis, w i r d stillschweigend vorausgesetzt — nicht mehr als der eine glanzvolle Tag des Bauern, woraus die vanitas nostrae vitae resultiert. I m kurzen Bericht des Vives sind damit schon alle wesentlichen M o t i v e genannt, die die weltanschauliche Deutung der Fabel i m Barockzeitalter bestimmen: das Jedermann-Motiv (der Bauer ist Repräsentant des Menschen überhaupt), das Leben ein Traum, Zeitverfallenheit u n d Eitelkeit des Irdischen 1 0 . Letztgültige erzählerische Gestaltung erfährt die häufig nacherzählte Fabel i n Jakob Bidermanns 'Utopia* (1640). I n diesem unerschöpflichen Sammelbecken v o n Anekdoten u n d N o v e l l e n jeglicher Provenienz w i r d das M o t i v zu einer mehrgliedrigen, höchst geistvollen u n d pointierten Erzählung ausgestaltet 11 , die den meisten theatralischen Bearbeitungen des Stoffes i n späterer Zeit als Vorlage dient. 8 Zur Geschichte des Stoffes vgl. Alexander von Weilen, Shakespeares Vorspiel zu Der Widerspänstigen Zähmung, Ein Beitrag zur vergleichenden Literaturgeschichte, Frankfurt a. M. 1884; Ρ .Blum, die Geschichte vom träumenden Bauern in der Weltliteratur, Programm Teschen 35, 1908; Elisabeth Frenzel, Stoffe der Weltliteratur, Ein Lexikon dichtungsgeschichtlicher Längsschnitte, Kröners Taschenausgabe Bd. 300, Stuttgart 1962, S. 68—71. 9 Zitiert nach v. Weilen, a.a.O., S. 3 f. 10 Goulart, der die Erzählung des Vives ins Französische übersetzt, gibt ihr den treffenden Titel 'Vanité du monde magnifiquement représentée' (in: Histoires admirables et mémorables de nostre temps, 1607, Bd. 1, fol. 360 b. — Angabe nach v. Weilen, a.a.O., S. 6). 11 In der mir zur Verfügung stehenden Ausgabe von 1664 (VTOPIA Didaci
3 Literaturwissenschaftliches Jahrbuch, 8. Bd.
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A u f der Bühne erscheint die Fabel zunächst n u r als Einkleidung, als R a h men anderer Stücke (so ζ . B. i n Shakespeares ' T a m i n g of the Shrew', nach 1594) 1 2 . Schon i n der ersten H ä l f t e des 17. Jahrhunderts aber sind selbständige Bühnenfassungen des Stoffes nachzuweisen. I m D r a m a des p o m merschen Pfarrers H o l l o n i u s 'Somnium vitae humanae' (1605), das (wie Calderóns D r a m a ) bereits i m T i t e l auf die D e u t u n g verweist, k a n n die eigentliche Geschichte allerdings nicht z u m Tragen kommen, da dem Pfarrer die direkte Darstellung der anstößigen Fabel nicht v e r a n t w o r t b a r erscheint; so w i r d das H a u p t m o t i v auf weite Strecken z u r Hintergrundshandlung, die n u r i m Bericht vorgestellt w i r d , w ä h r e n d auf der Bühne lauter lose aneinander gereihte Episoden abrollen. A b e r auch sonst erweist sich der Stoff als nicht v o n vornherein geeignet f ü r die Bühnendarstellung. V o n Weilen nennt als Hauptschwierigkeit die Dürftigkeit
des Handlungsgerüstes 1 3 :
Mehr
als eine V e r w a n d l u n g
und
R ü c k v e r w a n d l u n g biete der einschichtige Stoff zunächst nicht an. Erst der Phantasie eines H o l b e r g ( i n ' J e P P e paa Bjerget eller dee forwandlede Bonde' 1722) sei es möglich gewesen, die karge Fabel i n ein reiches u n d dichtes Bühnenstück z u e n t f a l t e n 1 4 . Das wäre zutreffend, w e n n nicht bereits Masens W e r k eine meisterhafte Disposition ohne Flickstücke u n d Leerstellen aufwiese 1 5 . Bernardini, seu Iacobi Bidermani e Societate Jesv Sales Mvsici, Quibus Lvdicra Mixtim & seria litteratè ac festiuè denarrantur. Dilingae. M. DC. X L I V . ) die Seiten 155, 191—199, 210—217, 255—256, 283—286, 295—296. 12 Vgl. v. Weilen, a.a.O., S. 52. 13 V. Weilen, a.a.O., S. 52. 14 V. Weilen., a.a.O., S. 53. 15 Die Frage, welche Vorlagen Masen für sein Stück herangezogen hat, scheint mir noch nicht endgültig beantwortet. Uber die Entstehungszeit des Werkes wissen wir nichts Genaues; nur eine pauschale chronologische Anmerkung zur Aufführung der Stücke findet sich in der Vorrede zu den Tragico-Comoediae und ComicoTragoediae (p. 312 f): nunc & mixtas comico tragicoque argumento actiones (quod à Veteribus parcius praestitum est) in scena proponemus, avide alias, cum in theatro spectarentur, prae superioribus exceptas , idque potissimum Monasterii Westphalorum, quando armis hoc seculo anni 1647 & 1648 diversorum regnorum collisione ferventibus, legatis per Europam eodem confluentibus, de pace universali disceptatum, ac denique conclusum fuit. Dazu Scheid, a.a.O., S. 41, Anm. 1: »Aus der Stelle folgt wohl n i c h t . . . , daß nur die drei Schauspiele vor den Friedensgesandten gegeben worden seien, vielmehr müssen, wenn der Vergleich der Stücke untereinander auch in Münster gemacht werden konnte, die Lustspiele und die Tragödie ebenfalls dort aufgeführt worden sein.« Man wird wohl annehmen dürfen, daß der 'Rusticus Imperane* nach 1640, dem Erscheinungsjahr von Bidermanns 'Utopia', entstanden ist. Daß Masen in manchen Details Bidermann folgt, wenn er auch im Ablauf der Aktion durchaus von der 'Utopia' abweicht (vor allem was den zweiten Teil der Erzählung Bidermanns betrifft), wird noch zu zeigen sein. Die 'Geschichte der deutschen Literatur 1600 bis 1700' (Berlin 1963, s. o. Anm. 6), S. 365, bringt Masens Stück in unmittelbare Beziehung zu Calderóns 'La vida es suefio' (1635), was historisch an sich nicht undenkbar wäre. Die enge Verbindung von Köln, wo Masen 14 Jahre lang im Jesuitenkolleg wirkte, zu den Niederlanden
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Masen ist i n erster Linie D i d a k t i k e r , die Poesie dient i h m meist nur als I l l u s t r a t i o n seiner theoretischen Explikationen (was über den Wert seiner Dichtungen noch nichts aussagt). So wurde er v o r allem berühmt durch seine großen Handbücher zur Poetik und Rhetorik (zumal die oben genannte 'Palaestra eloquentiae ligatae'; dazu kommen Werke zur Epigrammatik, Symbolik, Stilistik des antiken Latein) 1 > β . Bezeichnenderweise erscheinen Masens Theaterstücke i m Anhang zu seiner Dramaturgie als exempla für die einzelnen Dramen-Gattungen (vgl. den ausführlichen T i t e l der Palaestra). D a er seine eigenen Dramen häufig zitiert und auslegt, u m die theoretischen Grundsätze zu erläutern, dürfen w i r umgekehrt das dramatische W e r k zunächst aus Masens eigener Theorie zu erhellen versuchen. Daß Rhetorik und Dichtung i m Barock i n einer unmittelbaren Wechselwirkung stehen, ist immer wieder herausgestellt worden, neuerdings durch die umfassende Untersuchung v o n Manfred W i n d f u h r (vgl. oben A n m . 2). Masen k a n n geradezu als Musterfall dafür gelten. Beginnen w i r m i t der auffälligen Gliederung des Stückes i n vier A k t e (nach aristotelisch-humanistischer Theorie wären drei oder fünf A k t e die Regel). Diese Lizenz hat ihre W u r z e l i n Masens Grundauffassung v o m Wesen bühnengerechter Darstellung 1 7 . Der erste Hauptsatz (L. 1, c. 3, § 1, p. 14), die proprietates des Dramas betreffend, lautet: Drama si non verum, saltern sit verisimile (nach Aristoteles, Poetik c. 9). Diesen Grundsatz führt er auf durchaus eigene Weise u n d i m Gegensatz zu den meisten deutschen Barockdramatikern durch: Wahrscheinlich ist, was dem Zuschauer glaubw ü r d i g erscheint; bei unglaubwürdigen u n d unwahrscheinlichen Vorgängen muß die poetische Absicht, die zu solchen Abweichungen A n l a ß gibt, dem Zuschauer unmittelbar einsichtig sein (so etwa bei den Allegorien, die schon und damit auch zu Spanien ermöglichte eine originäre Kenntnis der spanischen Literatur. Aber Calderóns Stück ist in seiner Anlage zu verschieden von Masens Komödie, als daß es als direkte Quelle für den 'Rusticus Imperane* angenommen werden könnte. Für wahrscheinlicher halte ich, daß Jesuitenspiele, die vor Masen das gleiche Thema behandelten, das Schema der Handlung bereits anboten. Sdoeid (S. 44) weist auf eine dramatische Bearbeitung aus Maastricht (1641) hin, die Strukturähnlichkeiten mit Masens Stück besitzt, und eine weitere aus Westflandern (1638). Jedenfalls wäre allen ähnlichen Gestaltungen des Stoffes, zumal im engeren Umkreis der Niederlande, nachzugehen, bevor sich die Quellenfrage für den 'Rusticus Imperans' lösen ließe. 16 Darüber hinaus verfaßte Masen Musterreden, Predigten, asketische Schriften, Streitschriften zur Theologie und Arbeiten zur Geschichte von Trier und Paderborn (Zusammenstellung der Werke bei Scheid, a.a.O., vor S. 1). Literatur zu Masens Poetik: Ν . Νessler, Dramaturgie der Jesuiten Pontanus, Donatus und Masenius, Programm Brixen 1905. A. Happ, die Dramentheorie der Jesuiten, Diss. München 1922. 17 Es kann hier nicht darum gehen, Masens Dramentheorie gegen die Arbeiten der Vorläufer und Zeitgenossen abzuheben. Uns interessiert das Theoretische nur, insofern es für das Verständnis von Masens Komödie von Wert ist. Im übrigen sei auf die angegebene Literatur verwiesen. *
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durch ihre Aufmachung, ihre Insignien usw., als f i k t i v e Figuren erkennbar sind). Maßstab für die Anlage u n d Durchführung eines Theaterstückes ist also das Publikum, seine Erwartungen u n d seine Aufnahmefähigkeit, da letztlich die Absicht des Theaters, die »Tendenz« (wie man m i t einem mißverständlichen Ausdruck gesagt hat) zumal des Ordensdramas auf die Unterhaltung u n d v o r allem die Belehrung des Publikums zielt. Masen deutet den bekannten Satz aus der Poetik des Aristoteles ganz i m Sinne christlich-moralischer D i d a k t i k : L . 1, c. 1, § 2, p. 2: das D r a m a dient ad delectationem simul ac pravorum affectuum purgationem 18 oder anders gewendet (L. 2, c. 1, § 1, p. 54): Po'étae Dramatico hoc inprimis propositum esse debet , ut cum delectatione erudiat, affectusque spectatorum moderetur. I m gleichen Sinne ist die auf die Möglichkeiten der Bühne u n d den K o n t a k t m i t .dem P u b l i k u m anspielende Vorrede zu den Dramen gehalten: Ego vero existimo, in scena agendum magis, quam disserendum esse. U n d später, gegen die nur z u m Lesen geeigneten Stücke: Stylo tarnen ita moderandum erit, ut solo aurium judicio discerni verborum sententia, citra laboriosam suspensi animi investigationem, possit; secus y quam ab aliis quibusdam tragoediogr aphis factum, qui oculis magis lectorum, quam spectatorum auribus opportuni , tragoedias, tantum ut legerentur, dedisse visi sunt (p. 130). Erstes Erfordernis für eine bruchlose u n d eingängliche A b w i c k l u n g der H a n d l u n g ist demnach die aus der Fabel selbst sich ergebende Aufgliederung des Stoffes. Z u vermeiden sind abrupte Brüche oder Lücken i n der actio (Suffecerit igitur, si partium in actione sibi invicem succedentium series ita cohaereat, ut deformis nullibi hiatus pateat. L . 1, c. 3, § 2, p. 16); wobei die Z a h l der A k t e v o n der inneren Gliederung des Stoffes abhängt (id statuendum existimo: ut pro rerum tantum , consiliorum, partiumque diver sitate actus mutetur toties, quoties rei natura exigit. L . 1, c. 4, § 2, p. 22). Die strenge klassizistische Forderung nach Beachtung der »Einheiten« ist also entbehrlich, wenn nur die innere Einheitlichkeit der actio u n d der Figuren gewahrt b l e i b t 1 9 . Das gleiche Prinzip gilt für den U m f a n g der 18
Die aristotelische κάθαρσις τών παθημάτων versteht Masen durchaus im ethischen Sinne: die Reinigung der Affekte durch das Drama bringt die Seelenkräfte und Strebungen in die richtige Ordnung. So heißt es für die Tragödie (L. 1, c. 2, § 2, p. 7) : Finis Tragoediae est, ut misericordiam & metum in spectatore ad mediocritatem expurget. Non enim, ut nonnulli male cum Piatonicis contra Aristotelem hic urgent, ad misericordiae terrorisque objecta saepius proposita, accrescent hae perturbationes, nisi immoderate circa ea versemur: sed potiùs vitiorum ac poenarum metu, miserendique afflictorum consuetudine affectiones inordinatae, tanquam virtutum remedio , sanabuntur. Für die Komödie gilt das Entsprechende, nur treten für misericordia und metus die Affekte spes und gaudium ein (vgl. L. 1, c. 2, § 3, p. 10). Vgl. dazu auch Scheid, a.a.O., S. 37. 19 Eine ganz ähnliche Haltung gegenüber der humanistischen Poetik nimmt
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A k t e , die A n z a h l der Szenen innerhalb des Aktes (Quot vero in actum quemlibet admittendae sint scenae, magis iterum quemvis ratio, & rerum quas tractat natura, quam scriptae leges debent admonere. L . 1, c. 4, § 2, p. 23) sowie die A n z a h l der auftretenden Personen (Ad naturam haec iterum actionis exigenda erunt. In qua neque convenit, ut spectator multi tudine confundatur, neque ut paucitate fastidium capiat. L . 1, c. 4, § 2, p. 24). Für den 'Rusticus Imperans' gibt Masen eine detaillierte Analyse, w a r u m er den Stoff auf vier A k t e verteilt und nach welchen Prinzipien er die Schwerpunkte anordnet (L. 1, c. 7, § 2, p. 37—40: Quomodo conceptus Dramatis formandus sit?). Gehen w i r seinem Gedankengang nach 2 0 : Bestimmend für die Gestaltung der materia ist der conceptus Dramatis, der sich wiederum i n die Frage nach dem Ziel, der Absicht (finis) u n d nach der A n o r d n u n g bzw. Aufgliederung (dispositio) ausfaltet. I m 'Rusticus Imperans* ist das Ziel ein doppeltes: ut gaudeant (auditor es) hominem ob ebrietatem vario errore circumagi, discantque cùm hujus vitae vanitatem, cujus quoddam schema est, tum Vitium illud, jucundo spectaculo errorum persuasi , detestentur (p. 38). Rein formal besteht das Z i e l hier wie bei jedem Drama i n der Doppelheit v o n Unterhaltung u n d Belehrung. D i e didaktische Absicht wiederum geht i n zwei Richtungen, die nun das Spezifische dieses Dramas ausmachen: die Eitelkeit des menschlichen Lebens aufzuweisen und die Verachtung des Lasters — hier der Trunksucht — zu erwirken. Das erstere ist uns bereits als G r u n d m o t i v der Deutung i n der Erzählung des Vives begegnet, das zweite entspricht den moralischen Tendenzen des Schulmannes u n d Predigers. Nachdem so der ideelle Rahmen abgesteckt ist, der der materia sein Gepräge geben w i r d , muß die fabula i n ihrer historischen Reinheit herausgestellt werden (Proximè illud assecuturus es, si primüm veritatem facti expendas, quod Philippus Princeps hominem ebrium, juxta viam repertum, habitu regio, ac honore extulerit; mox rursus ebrium ad relictas sor des depositurus 21. p. 38). Masen ist w o h l der Meinung, daß die Geschichte auf einem historisch verbürgten Geschehnis beruht; u m einer fabula aber die Veritas facti zu sichern, bedürfte es nicht unbedingt der historischen Faktizität, es würde genügen, wenn die Möglichkeit eines sol-
Bidermann ein. Vgl. Verf., Jakob Bidermanns 'Belisarius' — Edition und Versuch einer Deutung, Berlin 1966 (Quellen und Forschungen N. F. 19 [143]), S. 115 ff. 20 Scheid (a.a.O., S. 46 ff.) bemüht sich ebenfalls um eine Analyse des Aufbaus, aber nach modernen dramaturgischen Maßstäben, wohingegen es uns sinnvoller erscheint, Begriffe und Kriterien der Beschreibung aus der zeitgenössischen Theorie zu beziehen, zumal wenn der Dichter selbst über sein Werk reflektiert. 21 Philipp der Gute (1419—1467) von Burgund. Ort der Handlung: Brügge.
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cheti Vorkommnisses nach allen Seiten ausgewiesen wäre (vgl. die oben S. 35 f. zitierten Grundsätze Masens über Veritas und verisimilitude ή. N u n erst beginnt das eigentliche H a n d w e r k des Dramatikers: Deinde videndum, quo hanc rem modo accommode ad finem praefixum possis exponer e (p. 38). D i e expositio oder dispositio vollzieht sich i n zwei Schritten: Zunächst müssen die historischen Daten bühnenwirksam ausgeschmückt werden (adornare), sodann w i r d das neu entstandene Ganze i n seine natürlichen Teile gegliedert. Ausschmückung bedeutet vorzüglich die Erfindung v o n err or es, oder was dasselbe ist: die Einführung v o n Verwicklungen (implicatio) 22. Die Hauptperson des Stückes, die i n der Überlieferung ein beliebiger Trunkenbold ist, w i r d nun zum Schmied Mopsus individualisiert 2 3 , der einen Gesellen (Congrio) zugewiesen bekommt. Die Einführung dieser Nebenfigur scheint Masens eigene Leistung zu sein, da die v o r Masen bezeugten Fassungen des Stoffes nichts dergleichen bieten 2 4 . Das Vorhandensein eines Gesellen gibt dem Dichter Gelegenheit zu einer höchst possierlichen implicatio, die zugleich aus dem Hauptlaster des Helden entspringt: Congrio, den sein Meister — wie schon so oft — i m Suff geprügelt hat, beschließt, sich u m H i l f e an seinen milden Landesherrn zu wenden. Der Landesherr aber, den er als Richter vorfindet, ist sein zum Eintagskönig verwandelter Meister. Dieser nun sieht sich genötigt, gegen sich selbst bzw. gegen sein früheres Ich einen Urteilsspruch zu fällen, der den Gesellen zum Meister u n d den Meister zum Gesellen macht. Charakteristisch für Masens S t i l w i l l e n ist die Ökonomie der M o t i v e u n d Elemente der H a n d l u n g : Die Trunksucht des Helden ist G r u n d für alle errores, i n die er sich verstrickt (Fabrum igitur fingimus, cui famulum adjunximus injuria ab hero laesum, idque per ebrietatem potiüs, quam aliud Vitium, ne à causa erroris praeeipui, adeoque extra limites de fleeter emus. p. 38) 2 5 . 22 Zum Begriff des error und der implicatio vgl. L. 1, c. 3, § 3, p. 16: 'De implicatione Dramatum, & erroris, quo implicantur, agnitione': Cùm enim omnis fabula, aut simplex sit, in qua illud, quod in principio timetur, demum (nulla rerum muta tione interveniente.) sub finem evenit: aut implexa, in qua res fortunaêque, alium principio exitum spectant, diversum ab eo, quem denique consequuntur. Vt proinde buie semper peripetia, id est, rerum praeter exspectationem in contrarium inflexio , sit conjuncta : saepe & perturbatio, si mutatio tragica : denique & agnitio erroris non infrequenter. 23 In den meisten übrigen Bearbeitungen des Stoffes ist der Protagonist ein Bauer, bei Shakespeare ein Kesselflicker. Warum Masen ihn als Schmied verkörpert, wird am Ende noch einmal zu fragen sein. 24 Vgl. Scheid, a.a.O., S. 44. 25 Masen unterscheidet (L. 2, c. 1, § 3, p. 55) drei Arten des error: alius in verbis: in factis alius: tertius in utrisque. Der error in factis kann entweder die Zuschauer oder die handelnden Personen betreffen. Letzteres wiederum vel ex ignorantia aut
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Normalerweise bedingt die implicatio am Ende eine Auflösung mittels der agnitio (vgl. L . 1, c. 3, § 3, p. 16), der Einsicht des Helden i n die Gründe u n d Zusammenhänge des Spiels, das er gespielt hat bzw. das m i t i h m gespielt wurde. I m 'Rusticus Imperans' aber ist eine solche Einsicht des Helden unnötig, es genügt, wenn Herzog Philipp, der »Regisseur« der Posse, die Übersicht hat (Hunc vero errorem agnitione Protagonistae interveniente solvere non erat necessarium, nec perinde fortassis spectatori gratum; quod sufficeret agnitionem penes Philippum ejusque aulicos esse erro ris hujusce machinatores, ebrietatisque Ulusores. p. 38). Daß die Absicht des Werkes geradezu vereitelt wäre, wenn der Schmied am Ende aufgeklärt würde über ein seltsames Geschick, w i r d noch z u zeigen sein 2 6 . Der für die Hauptperson unglückliche Ausgang der Komödie ist deswegen gerechtfertigt — sofern das Vergnügen der Zuschauer nicht beeinträchtigt w i r d — , w e i l bei glücklichem Ende der Dichter i n den Verdacht geriete, dem Laster Vorschub zu leisten ( quòd felici exitu vitiis f avere poeta videatur. p. 38). Auch sonst weist Masen immer wieder auf die moralische Verantwortlichkeit des Komödiendichters h i n : Seine Aufgabe sei es, die Laster nicht nur darzustellen (so habe die A n t i k e das A m t des Komödiendichters mißverstanden), sondern verächtlich u n d verabscheuenswert zu machen (vgl. z. B. den Prolog zum 'Telesbius': Vetus error comicorum est, saepè fingere, / Non corrigere scelera. p. 438). Durch die Individualisierung der H a u p t f i g u r u n d durch ihre Ausstattung m i t einer realen U m w e l t , zu der als wichtiger Handlungsträger der Geselle gehört, ergibt sich eine fabula implexa, die reich an auseinander entspringenden Verwicklungen ist u n d die das Ende aus ihrer eigenen Anlage hervorbringt. Diese differenzierte A k t i o n gilt es nun i n Teile zu gliedern, die sowohl der inneren Disposition des Stoffes als auch der Fassungskraft des Publikums angemessen sind. Der 1. A k t enthält das fundamentum der H a n d l u n g : Zunächst muß die causa erroris vorgeführt werden: die Trunksucht des Schmiedes; weiterhin aber noch die Überführung des Betrunkenen i n den Palast, da erst daraus die Spannung auf die künftigen Veränderungen erwächst. Der Zweck des Vorgangs aber muß verhüllt bleiben, w e i l sonst die gespannte E r w a r t u n g
ingenii simplicitate: vel ex vitio & malitia agenti evenït. Hier hat der error praecipuus des Schmiedes seinen Ort: Alle Verwicklungen entstehen für ihn aus dem vitium ebrietatis. 26 An anderer Stelle nennt Masen den 'Rusticus Imperans* als Beispiel dafür, daß die agnitio gelegentlich fehlen muß, gibt aber keine nähere Begründung: Quanquam autem ad mutationem, tanquam caussa, non requiratur necessario agnitio y imo nonnunquam abesse debeat, uti in Rustico nostro imperante ac sude felicitatis originem nesciente, clarum est (L. 1, c. 3, § 3, p. 17 f.).
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des Zuschauers zerstört würde (nam sic illius, daretur , exspectatio tolleretur.
quod in sequentibus
actibus
p. 3 9 ) 2 7 .
Der 2. A k t umfaßt die erste commutatio : der Bauer findet sich, als er aus dem Rausch erwacht, i n der Rolle des Fürsten wieder. I m 3. A k t erscheint Mopsus i n der F u n k t i o n des Fürsten, solange bis er i n sein altes Laster verfällt, sich betrinkt u n d durch eigene Schuld seine zweite V e r w a n d l u n g hervorruft. Wiederum verlangt die Ökonomie der Geschichte, daß die durchgehende causa erroris beibehalten w i r d , ohne Einführung neuer Verwicklungsmotive. Für den 4. A k t bleibt dann folgerichtig die Darstellung der letzten Wandlung, des Sturzes v o m K ö n i g t u m i n die Knechtschaft. Schematisch ließe sich die E n t f a l t u n g der vier A k t e am Leitfaden der commutationes so skizzieren: 1. A k t : Der G r u n d für alle Verwicklungen (causa erroris) w i r d vorgeführt, sodann w i r d die erste commutatio vorbereitet (man bringt den Betrunkenen ins Schloß). 2. A k t : D i e erste commutatio
(der Bauer findet sich als K ö n i g wieder).
3. A k t : Der neue Zustand w i r d dargestellt, bis sich die zweite tio vorbereitet. 4. A k t : D i e zweite commutatio
commuta-
(der Eintagskönig w i r d zum Knecht).
Dieses gegliederte u n d verlebendigte Handlungsgerüst erfährt nun weitere Ausschmückung, Veranschaulichung — eine exornatio auf höherer Stufe. Dies geschieht durch Ausgestaltung v o n »Episoden«, durch Individualisierung der einzelnen Vorgänge u n d Darstellungen, die sich zwanglos aus der N a t u r der actio ergeben m u ß 2 8 . Z w a r k a n n die Fabel auch ohne solche A m p l i f i k a t i o n bestehen, aber sie bleibt unanschaulich, untheatralisch (ut actum exornent impleantque, licet abesse, sine fabulae destructione, possent. p. 39). D i e zweite exornatio dient zunächst dazu, die einzelnen Szenen (als kleinste Einheiten der dargestellten A k t i o n ) zu bereichern (wie z. B. das Gejammer der Frau des Schmiedes I I I , 4), gelegentlich aber bietet sie Stoff für die Erfindung ganzer Szenen, die 27 Über exspectatio und deren engen Zusammenhang mit der implicatio vgl. L. 2, c. 1, § 1, p. 54. 28 Darum ist es vom Wort wie von der Sache her nicht angängig, solche Ausschmückungen als interludii zu bezeichnen, wie es diejenigen Dramatiker tun, die aus Stoffmangel Episoden einschieben, die keinen natürlichen Zusammenhang mit der actio haben: Hanc distributionem sequetur de episodiis deliberano , non interludiis (ut nonnulli vocant) longe petitis, sed negotiis jucundis ex re, quae geritur, opportune natis (p. 39).
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den eigentlichen Handlungsablauf nicht vorwärtstreiben, aber auch nicht hemmen (so i n I I , 4 die Darstellung des großen Festmahles). Als letztes wäre der stylus zu erwägen, worunter nicht nur die sprachliche Ausfeilung i m engeren Sinne (Versmaß, W a h l der geeigneten Stillage usw.), sondern die sprachliche Charakterisierung der einzelnen Personen zu verstehen ist: Sub haec adhibenda stylo manus, idque ante omnia laborandum, ut suis quamque personam idoneis ad rem praesentem moribus instruas (p. 39). D i e exakte Erfassung u n d Vorstellung der mores 29 ist deshalb v o n immenser Bedeutung für die Bühnenwirksamkeit eines Stückes, w e i l v o n i h r i n hohem Maße die verisimilitudo (das erste Erfordernis des Dramas, s. o. S. 35) abhängt. Stil i m engeren Sinne, d. h. Sprachstil, wie er als sprachliche Grundhaltung dem ganzen Stück eignet, ist i n einem lateinischen Text des 17. Jahrhunderts immer Nachahmung eines antiken Vorbildes, eines Musters, einer »Autorität« (wie das Mittelalter sagen würde). Für die Komödie bleibt nur die W a h l zwischen Plautus u n d Terenz 3 0 . Für Masen ist Plautus der größere Bühnendichter, wenngleich Terenz durch die Reinheit u n d Eleganz des Stiles besticht: Plautus Terentio in multis est praeferendus ... Nam, ut verum esse illud admisero puritate sermonis ac prudenti fabulae disposinone, atque oeconomia Terentium excellere. Plautum inusitata sordidâque oratione ac neglectiori dispositione nonnunquam vilescere: tamen hic Comicus magis, ac poeta est: ita varietate materiae, ac descrip tione rerum, affectuum vi, morum imitatione, sententiarum gratia, ac pondéré, salibusque antecellit Terentium (L. 1, c. 7, § 1, p. 36 f.). Auch hier f ä l l t auf, wie sehr Masen das D r a m a u n d zumal die Komödie v o n der Bühnenwirksamkeit her versteht. Idealfall der imitatio wäre es, die M i t t e z w i schen beiden V o r b i l d e r n zu finden, aus beiden das Beste z u m Maßstab zu nehmen. U n d eine solche Stilintegration, eine Vereinigung v o n Reinheit, Maß, weltläufiger Eleganz einerseits u n d Ursprünglichkeit der komischen Situationen u n d Plastizität der Charaktere andererseits, habe i h m bei A b fassung des 'Rusticus Imperans* vorgeschwebt: siquidem hos autor es imitandos susceperis, medium te fere inter utrosque incedere cupiam: ita ut illius antiquitatem hujus puritate ac moderatione castiges: hujus vero remissionem, illius, qua in moribus formandis comitate, pollet, excites: intra tamen urbanitatis limites ... Hoc propositum nobis fuit in Rustico Imperante (L. 1, c. 7, § 1, p. 37). Wieweit Masen seine Absicht hat verwirklichen kön29
Masen widmet dem Problem der mores, im Anschluß an Aristoteles, ausführliche Erörterungen, z. B. L. 1, c. 5, § 1, p. 25 f., wo viererlei für die präzise Formulierung der mores gefordert wird: sie müssen probi, convenientes, famae convenientes und aequales sein. 30 Vgl. Marvin T. Herrick, Comic Theory in the Sixteenth Century, University of Illinois Press, Urbana 1964. Dort weitere Literatur (zu ergänzen wäre: Otto Franche, Terenz und die lateinische Schulkomödie in Deutschland, Weimar 1877).
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nen, muß dem U r t e i l der intimen Kenner antiker Komödiendichtung vorbehalten bleiben 3 1 . Es dürfte deutlich genug geworden sein, wie bewußt u n d i m besten Sinne handwerklich Masen das Geschäft des Dramatikers ausübt, wie sehr er alle Einzelheiten aus einer einheitlichen Grundkonzeption v o m Wesen des Theatralischen entfaltet. V o n diesen dramaturgisch-technischen Gesichtspunkten aus, die Masen uns selbst an die H a n d gab, ist nun eine Schicht tiefer vorzudringen: Wie realisiert sich die für die Schaustellung präparierte Fabel als Komödie, wie und aus welchen Elementen baut sich das Komische auf u n d i n welchen H o r i z o n t öffnet sich das durch die komische Repräsentation Gemeinte? Anders gewendet: wie dient das Komische der »Tendenz« des Stückes (als finis w a r oben die Abwendung v o m Laster der Trunksucht und der Aufweis der vanitas des Irdischen genannt), bzw. inwiefern inkorporieren sich die leitenden didaktischen Ideen i n der Gattung Komödie? Daß finis nicht als nachträglich abgezogene Lehre oder als didaktischer A u f p u t z zu verstehen ist, erhellt aus der obigen Darstellung der Disposition des Stückes, die ja immer schon i n Hinsicht auf die ans Licht zu stellende Idee vorgenommen w i r d . (So stehen auch i n der Masenschen D e f i n i t i o n des Dramas delectare und erudire nicht unverbunden nebeneinander, sondern bilden eine unlösliche Einheit: Poëtae Dramatico hoc inprimis propositum esse debet , ut cum delectatione erudiat, affectusque spectatorum moderetur [ L . 2, c. 1, § 1, p. 54].) Wenn die Masensche Komödie zunächst das Ziel hat, das Laster zu geißeln 3 2 , es i n seiner Menschenunwürdigkeit lächerlich zu machen, so ist sie 31 Da eine Untersuchung der im engsten Sinne sprachlichen Komik, des Wortwitzes, der scharfsinnigen Wortspiele usw., nur sinnvoll wäre im Vergleich mit den antiken (und eventuell humanistischen) Vorbildern, muß sie hier unterbleiben. Masen selbst gibt in seinen Werken zur Rhetorik und Poetik eine reich gegliederte Terminologie für eine derartige Studie an die Hand. Grundsätzlich ist nur festzuhalten, daß Masen zumal für die Komödie die unmittelbare Verständlichkeit aller Sentenzen, Metaphern usw. in den Vordergrund stellt. Die Sprache, auch in ihren raffiniertesten Möglichkeiten, bleibt immer der Plastizität und Eindringlichkeit des Theatralischen untergeordnet: Illud solum advertere omnes cupiam, vehementer a scopo hujus poesios aberrare, qui earn ita epithetis suffarciunt, ita metaphoris & fabulis obscurant , ita circumducunt sententiis; ut vix paucorum sensus animosque penetrare possit. Cum, nisi facilitate sua, auditorum animis statim intellecta insideaty omnem motum fructumque amissura sit (Palaestra I I I , L. 1, c. 5, §2, p. 31). 32 Drei Dramen Masens haben das Ziel (finis), die Trunksucht anzuprangern: die Comoedia Fabulosa 'Bacchi Schola eversa', die Comico-Tragoedia Parabolica 'Telesbius' und die Comoedia Historica 'Rusticus Imperans\ Mit diesen drei Gestaltungen der einen »Tendenz« sind nach Masenscher Theorie (L. 1, c. 7, § 2, p. 39 f.) die drei hauptsächlichen Möglichkeiten theatralischer Veritas bzw. verisimilitudo erschöpft. In der 'Bacchi schola eversa' ist die Fiktion offensichtlich (aperta f ietto )f im 'Telesbius' ist sie verborgen, da das Stück parabolisch gemeint ist (darauf weisen
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v o n vornherein als satirische Komödie angelegt u n d fügt sich als solche den Tendenzen des Jahrhunderts ein: der Epoche jesuitischer Kasuistik, der französischen Moralistik u n d der überragenden satirischen (wenngleich mehr als satirischen) Komödie eines Molière. Was aus dem vorgegebenen moralischen Rahmen herausfällt, w i r d i n seiner Lächerlichkeit bloßgestellt 3 3 . So ist ein Betrunkener i n seinem tierischen Rausch schon deshalb komisch, w e i l er die Verselbständigung des Vital-Animalischen auf Kosten der v o m Menschen geforderten Einheit »oberer« u n d »unterer« Vermögen verkörpert. Das Aufsteigen der nackten Physis i n die Zonen der Bewußtheit, das Überborden des Animalischen, w i r d drastisch vorgeführt i m Vergleich m i t dem Ansteigen der Flut, i m Vergleich v o n Suff und Schiffbruch, wie er i m ersten A u f t r i t t (Zwiegespräch Mopsus—Congrio) durchgespielt ist: Mopsus. Cymbam admove, / Iam nunc mare intumescit fluctibus haurior. / Congrio. Cerebrum tibi musto innatat, ratio mergitur. / Mopsus. Iam ad Collum unda pertigit. I Congrio. Credo de ventriculo / Ad fauces assurgere: ut exundet, vereor. / Mopsus. Ab, mergimur! ( I , 1, p. 170). Die auf allgemein menschliche Schwächen zielende Satire der Trunksucht gewinnt i m 'Rusticus Imperans' noch einen besonderen A k z e n t , insofern sie zur konkret-geschichtlichen Z e i t k r i t i k spezifiziert w i r d . Das Saufen als eine besondere Untugend der Deutschen zu geißeln, w i r d der Ordensdichter nie müde. So singt der bacchantische Chor am Ende des I I I . Aktes der Bacchi Schola eversa (p. 237): Est in orbe Germanorum / Infinitus numerus. / Sapientum, ac Stultorum; / Quanquam Stultis vincimus.. .34. Und im 'Rusticus Imperans' entspinnt sich nach der anstrengenden Gerichtssitzung der folgende Dialog, m i t ironischer Anspielung auf die 'Germania* des Tacitus: Mopsus. Nunc intrò nos consequere; nam coena appétit. / Sicca haec Consilia, prae madidis, minus probo, j Cleobulus. Non insane, namque hic mos Teutonum est vêtus; / Nihil ut deliberent, nisi inter pocula. / Mopsus. Veterem hune morem alere decet, ne intercidat ( I I I , 3, p. 192). Wenn die Trunksucht i n ihrer barbarischen Maßlosigkeit komisch erscheint und auf diese Weise indirekt — durch das befreiende und das M a ß wiederschon die »sprechenden« Namen der Personen hin: Heterobulus — böser Engel, Eubulus — Schutzengel, Thanatus — Tod etc.), wohingegen dem 'Rusticus Imperane* eine historisch verbürgte Fabel zugrundeliegt. 33 Es kann nicht Aufgabe dieser Studie sein, dem Wesen des Komischen im 17. Jahrhundert prinzipiell nachzuspüren, es sollen nur einige Perspektiven aufgewiesen werden. Für das 16. Jahrhundert hat Marvin T. Herrick, a.a.O. (s. o. Anm. 30), eine Darstellung der Theorie des Komischen versucht, die sich vor allem auf die rhetorischen Handbücher und besonders die Terenz-Rezeption stützt. 34 Deutsche Übersetzung bei Sdoeid, a.a.O., S. 51 (dort irrtümlich als Schluß des 4. Aktes angegeben).
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herstellende Gelächter — kritisiert w i r d , so setzt die ausdrückliche Satire erst i n dem Augenblick ein, da der Bauer i n seinem neuen fürstlichen Stand i n die alten Gewohnheiten zurückfällt. H i e r eröffnet sich ein zweiter Rahmen, eine weitere Maß-gebende N o r m : der Bereich der gesellschaftlichhöfischen K o n v e n t i o n u n d i m weiteren Sinne der Bezirk menschlicher Gesellschaft überhaupt. A n dieser N o r m w i r d das Benehmen der H a u p t f i g u r nach ihrer ersten V e r w a n d l u n g gemessen, ein Herausfallen aus dieser Ebene r u f t neue K o m i k hervor. I n plastischen Genre-Bildern bricht der Widerstreit v o n höfisch-repräsentativer Gesittung u n d vital-animalischer Gier auf, bis schließlich der Eintagsfürst wieder i n der Bewußtlosigkeit des Rausches versinkt. D i e Rolle, i n die man den Schmied versetzt hat, paßt i h m schlecht auf den Leib, auch als Fürst bleibt er der ungehobelte K l o t z , der er war. I n Bidermanns Erzählung w i r d dies explizit gesagt: diali imperio de fune tus, esse is rursus incipit, qui nunquam desterai (Utopia p. 216). Aus christlichmittelalterlicher Spekulation erwachsen, hält sich die Idee v o n der natürlichen Gegliedertheit u n d Rangabstufung der menschlichen Gesellschaft bis ins Barock: D e r ständische or do ist Richtschnur für die A r t der Betätigung u n d der Aufgabe i n dieser W e l t 3 5 . Wer aus diesem vorgegebenen ordo leichtfertig auszubrechen wagt, versündigt sich oder — i m Rahmen spielerischer K o m i k — macht sich lächerlich. Schuld des Schmiedes ist es nicht, daß er i n seine Rolle verstoßen w i r d , sondern daß er sich nicht seiner Unfähigkeit zum Fürstenamt bewußt ist. Nach der ersten Überraschung meldet sich b a l d die praktische Veranlagung des Helden, u n d er schickt sich m i t einigem Wohlbehagen i n die veränderte Situation. D i e Einsicht, daß er sich eine Würde anmaßt, die i h m nicht zusteht, k o m m t i h m erst wieder, als es zu spät ist, so daß er am Ende den wahren Fürsten u m Gnade b i t t e t : Obsecro .. . ut mihi fabrum esse liceat, / Princeps esse posthac non praesumam ampltùs ( I V , 4, p. 204). Solange der 35 Dazu zwei zufällig herausgegriffene mittelalterliche Belege: Aus dem Tolicraticus* (L. 1, c. 3) des Johannes von Salisbury: Philosophi gentium iustitiam, quae politica dicitur, praeeeptis et moribus informantes ... unumquemque suis rebus et studiis voluerunt esse contentum: urbanis et suburbanis, colonis quoque vel rusticis sua singulis loca et studia praescribentes (zitiert nach Hans H . Glunz, Die Literarästhetik des europäischen Mittelalters, Wolfram — Rosenroman — Chaucer — Dante, Frankfurt a. M. 2. Aufl. 1963, S. 64, Anm. 88). Oder aus dem 'Meier Helmbrecht' die berühmte Mahnrede des Vaters an seinen Sohn, er solle den Bauernstand ehren und nicht nach Höherem ausgreifen: Lieber sun, belip bî mir! I ich wetz wol, ez wil geben dir / der meier Ruopreht sîn hint, / vil schâfe, swine und zehen rint, / alter unde junger. / ze hove hâstu hunger / und muost dar zuo vil harte ligen / und aller gnaden sin verzigen. / nü volge miner 1ère, / des hâstu frum und ère; / Wan selten im gelinget, / der wider sinen orden ringet. / din ordenunge ist der phluoc (Die Märe vom Helmbrecht, von Wernher dem Gartenaere, hg. von Fr. Panzer, 6. Aufl. besorgt von Kurt Ruh, Tübingen 1960, ATB 11, V. 279 ff.).
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Schmied nichts weiter darstellt als einen betrunkenen H a n d w e r k e r , ist er i n einem unmittelbar-einschichtigen Sinne komisch; i n seiner zwielichtigen Rolle als Fürst aber w i r d auch die K o m i k der Figur doppelschichtig. U n d noch weiter verkompliziert sich das Spiel, insofern sich an der Person des falschen Fürsten eine regelrechte Satire des höfischen Lebens der Zeit entspinnt. D a erscheint der Eintagsfürst für Augenblicke als Muster der haltlosen K l e i n Tyrannen der Epoche, die ihre Würde und ihre Standespflichten i n den Niederungen billigen Amüsements vergessen; die Satire auf die StandesAnmaßung wandelt sich z u m Fürstenspiegel. Die possierliche Situation etwa, wie Mopsus sich vergeblich bemüht, einen Brief zu entziffern, gibt A n l a ß zu einer satirischen K r i t i k am verantwortungslosen Fürsten, wobei i n bewußter Zweideutigkeit nicht mehr zu entscheiden ist, ob die K r i t i k sich nur auf die gegenwärtige Situation u n d den falschen Fürsten oder auf allgemeinere Verhältnisse richtet: Legatus. sunt, quod Cleobulus. Aliis datur comedant,
Has consule literas. Cleobulus. Nunquid hebraicè / Inscriptae à calce lectio incboat? / Mopsus. Exciderunt herclè artes illae. Scio equidem , / Neque mos est Principibus , istis operam dare. / hoc negotium, pro his ut studeant. / His, pro aliis ut bibant, ac est labor ( I I I , 2, p. 188).
Ähnlich w i r d an anderer Stelle die Sucht der galanten Gesellschaft nach fremden Moden k a r i k i e r t : Tonsor. S ed Principem id obsecro, / Vt edicat, qua forma barbam refingi veliti / Hispanicâ, an Gallica, an magis Germanica? / Cleobulus. Morem hujus se eli nescis, vestimur Gallicè, / Bibimus Germanici, tondemur Hispanicè ( I I , 2, p. 180). Wenn der falsche Fürst z u m A n l a ß der Fürstensatire werden kann, so bleibt andererseits der wahre Fürst des Stückes, P h i l i p p der Gute, frei u n d unberührt v o n jeglicher K o m i k oder K a r i k a t u r . Dies hat seinen G r u n d i n der Ausnahme-Stellung, die P h i l i p p als Zentrum und überschauender K r i t i k e r der m i t dem Schmied veranstalteten Posse genießt. P h i l i p p ist der lenkende Geist, dessen Planungen der Schmied bedingungslos — u n d ohne es zu wissen — ausgeliefert i s t 3 6 . I n komplexen Schichtungen also vollzieht sich der Aufbau des Komischen i m 'Rusticus Imperans': v o n der unmittelbar-drastischen, aus urtümlichen Schichten des Menschlichen stammenden K o m i k der Vitalsphäre über die K o m i k der Kontrastsituation, die aus dem ständigen Heraus- u n d Abgleiten aus der moralischen bzw. gesellschaftlichen N o r m entsteht, zur Z e i t k r i t i k u n d zum satirischen Fürstenspiegel.
38 Ein in Dillingen 1642 aufgeführtes Spiel 'Ioviani superbia', das den gleichen Stoff behandelt, bezieht den wahren Fürsten in die Kritik ein und verurteilt das übermütige Spiel als »einen Akt frevelhafter Überhebung« (Frenzel, a.a.O., S. 70).
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D a m i t wäre aber erst jener Bereich des Komischen angedeutet, der sich aus dem Charakter der Hauptperson ergibt, aus der Neigung des Schmiedes zur vitalen Maßlosigkeit. U n t e r diesem Aspekt trägt der 'Rusticus Imperans' Züge der Charakterkomödie, da das Betrunkensein des Schmiedes nicht eine einmalige Situation ist, die die A k t i o n an einem Punkte auslöst, sondern ein Habitus, eine grundsätzliche Verfassung zum error, aus der sich das Spiel immer wieder neu entwickelt. Eine zweite Ebene komischer Möglichkeiten, die nun weit tiefer i n die Problematik menschlicher Existenz hineinreicht, konstituiert sich aus dem zweiten Z i e l (finis) des Stückes: die vanitas des Irdisch-Menschlichen darzustellen. D a m i t berühren w i r den zentralen Bezirk barocker Daseins- und Weltauffassung, einen Bereich, i n dem das vordergründig komische Gebaren des einzelnen Menschen sich zum Bild, zum Exempel des menschlichen Daseins i n der W e l t weitet. Das Thema der vanitas, der Eitelkeit alles Irdischen, hält sich als christlich-asketisches L e i t m o t i v v o n der mittelalterlichen bis zur barocken Literatur i n ungebrochener T r a d i t i o n durch. I n den verschiedensten Varianten und Perspektiven durchgespielt, sinkt es nicht selten zum Gemeinplatz der Katechetik herab, gelegentlich aber erfüllt es sich i n kühnen Versuchen, die Gefährdetheit der menschlichen Existenz i m Drama (zumal i n der Tragödie eines Bidermann oder Gryphius) v o r Augen zu führen. I n Masens Lustspiel w i r d die i>dmtas-Problematik nicht ebenso unmittelbar aus der theatralischen Schaustellung sichtbar wie die vordergründige Satire auf die Trunksucht. Wenn das M o t i v aber nur an wenigen Stellen ausdrücklich zur Sprache k o m m t , so enthüllt es sich doch i m Ablauf, i m Gefälle der H a n d l u n g als leitende u n d gestaltgebende Idee. Gehen w i r aus v o m Epilog, w o der Sinn des Stückes i n sentenzartiger Raffung zusammengefaßt ist (p. 206 f.) : Homo iste , fortunae tarn ludicrae pila , / Meum ac vestrum spectatores speculum fuit. I m Geschick des Schmiedes spiegelt sich das Los des Menschen auf dieser Erde, insofern er der Fortuna unterworfen i s t 3 7 . Der Spiegel selbst ist lächerlich i n seiner vanitas u n d ebenso das, was i n i h m abbildlich erscheint. Vanum speculum vanitatis vanissimae, / Fragile speculum , fortunae prorsus vitreae, / Ridiculum speculum humanae inconstantiae, / Opum fluxarum, voluptatis lubricae, / Fugitivi honoris speculum. (Die Metaphern für die Inkonstanz des Menschlichen sind i n der gesamten Barockliteratur immer wieder dieselben: Das Leben ist vergleichbar dem Glas, dem D a h i n ziehen eines Flusses, dem kurzen Blühen und Verwelken einer Blume usw.) 37 Zur Fortuna-Problematik des Mittelalters vgl. Marianne Skowronek, Fortuna und Frau Welt, Zwei allegorische Doppelgängerinnen des Mittelalters, Diss. Berlin 1964. Dort ist die neuere Literatur zusammengestellt.
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D a der rusticus Spiegel des menschlichen Lebens überhaupt ist, geschieht an i h m nichts anderes, als was sich i m Dasein jedes einzelnen Menschen i n gleicher Abfolge wiederholt: Similis ô mi homo, / Rex es, quisquis inter animantes es homo. / Hodie vivis, flores, laetaris, Rex es hodie: / Cras non futurus. D a m i t ist einerseits das Jedermann-Thema angeschlagen — u n d so fügt sich der 'Rusticus Imperans' i n die lange Reihe v o n HekastusSpielen v o m 16. Jahrhundert über Bidermanns 'Cenodoxus' bis zu modernen Ausprägungen des Typs — , andererseits w i r d das Dasein des Menschen, des Jedermann, auf seine zeitliche Struktur h i n ausgelegt. Z u m ersteren: I n Masens »parabolischen« Dramen 'Androphilus' und 'Telesbius' ist das Exemplarische der Figuren noch durchsichtiger als i n unserem Stück: die sprechenden N a m e n (z. B. Andropater, Androphilus, Anthropus), scenae mutae usw. weisen den Zuschauer v o m ersten Augenblick des Spiels darauf hin, daß die Figuren über ihre Vereinzeltheit hinausdeuten auf Grundphänomene des Menschlichen überhaupt u n d damit dem Zuschauer zum untrüglichen Spiegel des eigenen Daseins werden (Teleshii omnes estis, quotquot estis hîc / Coram — heißt es i m Epilog zum 'Telesbius', p. 495). I n beiden Stücken ist die Doppelheit v o n Spielebene und Bedeutungsebene v o n vornherein durchschaubar; beide Dramen tendieren deutlich zur M a h n - und Bußpredigt, wobei das Theatralisch-Bühnenmäßige streckenweise zweitrangig w i r d (der Epilog zum 'Telesbius' steigert sich zu einer eindringlichen Predigt v o m Jüngsten Gericht). Dagegen offenbart sich i m 'Rusticus Imperans', der Gattung ider comoedia historica gemäß, nur an einigen zentralen Stellen der actio, i n voller K l a r h e i t aber erst am Ende des Spiels der geheime Sinn, die ideelle Struktur des Geschehens. Die bühnengerechte Vordringlichkeit der theatralischen Darstellung, die nur nach u n d nach den »Sinn« aus sich entläßt, das ambivalente Schwanken zwischen den Ebenen an den Kulminationspunkten der H a n d l u n g sichert dem Stück den V o r r a n g v o r allen anderen Dramen des Dichters. U n d ergreifender als i n parabolisch-allegorischen Schaustellungen bricht am Geschick des v o n Allegorischem unbelasteten Schmiedes das Problem der Zeitlichkeit menschlichen Daseins a u f 3 8 . Zeit als innere Daseinsform des Menschen ist für den barocken Dichter nicht eine kontinuierliche Abfolge, nicht ein stetes Verrinnen, sondern sprunghafte, diskontinuierliche Reihung diskreter Momente. Das Heute 38 Den Zusammenhang von Fortuna-Idee, Geschichtlichkeit und Zeitlichkeit des Menschen, zumal ihre Verflochtenheit in der Jesuiten-Tragödie, habe ich in meiner Arbeit über J. Bidermanns 'Belisarius' (s. o. Anm. 19), S. 170 ff., aufzuweisen versucht. Hier kann auf den literarhistorischen Hintergrund der Problematik nicht eingegangen werden.
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ist nicht die natürliche Fortsetzung des Gestern, sondern ein völliger N e u beginn, zugespitzt gar der Umschlag ins Gegenteil. Ironisch spielen die H ö f l i n g e m i t diesem Gedanken, wenn sie dem neuen Fürsten m i t einer Lobeshymne huldigen, die zunächst nicht mehr als eine spöttische H y p e r b e l zu sein scheint, die schließlich aber zur entlarvenden Beschreibung des Fortuna-Geschehens w i r d : Democles. Cottidie alius ac grandior eluces palam. / Quem heri Theseum, hodie compellant Herculem: / Cr as tibi non habebunt par nomen ampliûs, / Ita in te crescit virtutum soboles indies. / Menedemus. Quin & alterum te credunt ab usque heri. / Cras mox futurum alterum . . . ( I I I , 2, p. 186). Mopsus i n seiner Einfältigkeit glaubt den wohltönenden Sprüchen der Höflinge, die i h m einreden, die Seele des Herkules sei i n i h n eingekehrt. Mopsus. expertus scio / Ita rem esse: alterum me abs heri esse jam modo, / Atque ex fabro tantum me nunc factum Ducem. I n der A n t w o r t des Cleobulus w i r d der waghalsige Spott auf die Spitze getrieben: Ita magnis fere amat fieri Heroibus... Fortuna quos improvisé levât, antè opprimit (III, 2, p. 186). A u f die Schicksalskurve des Menschen unter der Herrschaft der Fortuna ist damit angespielt — doch bösartigerweise nur auf den jähen Anstieg, nicht aber auf den unvermeidlichen Absturz, wie er an der zweiten commutatio des Schmiedes exemplarisch vorgeführt w i r d . D i e typische Fallbewegung der Barocktragödie (z. B. i n Bidermanns 'Belisarius' durch Fortuna formuliert: efferam altiùs / Inde unum, ut ille per altiùs praeceps eat. V . 85 f.) ist nur scheinbar und nur ironisch i n eine Steigbewegung umgedeutet; entscheidend u n d end-gültig bleibt der jähe Absturz aus dem T r a u m glück i n die N i e d r i g k e i t der Realität. D i e Zeitlichkeit des Menschen erweist sich so als dialektischer Umschlag: Das Heute ist das Andere des Gestern, wie das Morgen das Heute vernichtet. So w i l l es Fortuna, die blinde u n d zynische W a l t e r i n geschichtlichirdischen Daseins. A n diesem Punkte der Einsicht i n die Struktur menschlicher Existenz droht sich die Komödie als Tragödie zu enthüllen; u n d der Epilog scheint i n Ratlosigkeit zu enden: Vultis planius explicem, / Ac rem altero confirmem veriverbiof / Dicam, an tacebo? durum est. tacebo aedepol. / Ne cui gaudium abeunti hinc auf er am suum. / Atque ex laeto moestum faciam. Der Dichter verstummt v o r der Abgründigkeit seiner Auslegung des eben dargestellten Spiels. Er verstummt, w e i l er der Komödie ihren heiteren Schein u n d dem Zuschauer die fröhliche Genugtuung über das Gesehene belassen w i l l . U n d d o d i w i r d er weitersprechen: Attamen haud quidem tacebo ... A n dieser Stelle halten w i r ein, u m den Augenblick des Schwankens zwischen Komödie u n d Tragödie i n seinem Sinn zu präzisieren: Die D i a l e k t i k des zeitlichen Seins bedroht das Menschliche i n seinem Kern. Das Iden-
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tische i n der antithetischen Kette v o n Zeitmomenten ist das Ich des Menschen. Insofern aber das Ich sich als Zeitliches begreift, w i r d es i n den Strudel des Fortuna-Geschehens, der Diskontinuität der Zeit u n d der Geschichte hineingerissen. I n diesem circulus verfängt es sich u n d gerät an den A b g r u n d tragischen Selbstverlustes. So weist es die Barock-Tragödie auf. U n d an diesen A b g r u n d reicht auch das Lustspiel Masens i n der Szene, da die commutatio des Schmiedes z u m Fürsten sich i m Bewußtsein des H e l den realisiert. Dieser das Zentrum des Komischen i m 'Rusticus Imperans' erschließende Moment verlangt eine genaue Analyse. Z u m Vergleich sei Bidermanns Gestaltung der V e r w a n d l u n g herangezogen, da i n der pointierten Form der novellistischen Erzählung das Problem schärfer sichtbar w i r d als i n der aufs Optische gestellten theatralischen Vorführung. Der Bauer i n der 'Utopia* erwacht aus dem Rausch u n d findet sich i n fürstlicher Umgebung wieder. Der unglaubwürdige Gegensatz zum gewohnten M i l i e u erweckt i n i h m den Gedanken an die W i l l k ü r der Fortuna: vbi me terrarum fortuna locasti (p. 193)? Schwankend zwischen Wachen u n d Traum, immer unsicherer über die Wirklichkeit oder U n w i r k l i c h k e i t seines augenblicklichen Daseins, beginnt er an der Identität seiner Person irre zu werden: Eò caepit cogitare , alium vtique se factum, nec iam seipsum esse (p. 193). I n höchstem Entsetzen (stupidus metu, p. 194) schaut er i n den Spiegel — u n d erkennt sich nicht wieder. D i e i n ihrer absurden L o g i k komische Konsequenz: wenn niemand sonst da ist, dem dies Gesicht gehören kann, muß m i r m i t dem Ich auch das Gesicht verloren gegangen sein (vbi neminem adesse alium vidit, cuius ea imago esset; quid si, inquit & vultus se meus mecum amisitì p. 194). I m Spiegel ereignet sich ein rätselhaftes Ineinander v o n I d e n t i t ä t u n d Andersheit, v o n Einheit und Gespaltenheit — typisches Symbol barocker Existenz. V ö l l i g verstört, beklagt er das Unglück des totalen Selbstverlustes: calamitas me totum triumphasti, & nihil mihi de toto me reliquum f ecisti (p. 194). Aber seine naive Schläue macht sich i n der katastrophalen Erfahrung geltend u n d weist i h m eine praktische M ö g lichkeit, die Probe aufs Exempel zu machen: Ich w i l l aufstehen u n d schauen, ob meine Frau u n d meine Leute mich noch erkennen (Quin lubet tarnen cubitu surgere; &, quando ego mémet ignoro, experiri, ecquid vxor mea me; ecquid liberi , & serui adhuc aliqui nôrint? p. 194). Diese Realprobe erweist sich als undurchführbar, da niemand aus seinem Lebenskreis i n der Nähe ist. D a f ü r stürzen die Kammerdiener u n d H ö f l i n g e hinzu, u m i h n v o n der Realität seiner neuen Rolle zu überzeugen. I n geistreicher Ausnützung seiner fundamentalen Unsicherheit kehren sie das Problem u m : Wenn er sich einbilde, einmal ein Bauer gewesen zu sein, so könne er das nur geträumt haben. I n eine A r t insania mentis sei er w o h l verfallen, die 4 Literaturwissenschaftliches Jahrbuch, 8. Bd.
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i h n des Bewußtseins seiner selbst beraubt habe: à seipso paulisper abisse (p. 197). I n diesem schwindelnden Spiel m i t Rollen, Personen, Identitäten u n d Entfremdungen gerät der H e l d an den R a n d geistiger Zerrüttung. Aber nur bis an den R a n d ; v o r dem Absturz bewahrt i h n seine zugleich p r i m i t i v e und heilsame Anpassungsfähigkeit; sein Mangel an geistiger Entschiedenheit u n d Kühnheit rettet i h n v o r dem endgültigen Selbstverlust. Für die Tragödie ist er nicht geboren, u n d so assimiliert er sich die veränderten Umstände rasch u n d gründlich. Nicht lange dauert es, bis er zu befehlen u n d zu herrschen beginnt wie ein wirklicher Fürst — oder wie er sich einen solchen vorstellt. Aber m i t ironischer Finesse bemerkt der Erzähler: Sed oculos ferme saginabat ea voluptas (die Herrlichkeiten des Palastes und der Gärten); stomacho nondum se regem agnoscente, Videt mala aurea , & praeterit . . . (p. 211). Die Vitalsphäre hat dem Rollentausch nicht folgen können, der Bauch kennt seinen neuen H e r r n noch nicht! I m rein V i t a l e n entdeckt sich b r u t a l die unter dem Glanz der Erscheinung verborgene barbarische Wirklichkeit. Nachdem der Bauer gehörig geschlemmt hat, versinkt er wieder i n den Rausch, der einen zweiten Selbstverlust bedeutet. Selbstverlust n u n i n dem ironischen Sinne, daß er i m Rausch das Bewußtsein u n d damit sein neu erworbenes Ich als Fürst verliert: paganus mentem denuo exuit, ac somnum incidit;rursus sui oblitus,rursus mortuus (p. 215 f.). Eines bleibt i n diesem aufregenden Spiel m i t Sein u n d Schein, T r a u m u n d Wirklichkeit, Ich u n d Nicht-Ich, Selbstverlust u n d Selbstgewinn festzuhalten: am radikalen Wechsel der Verhältnisse, an der abrupten Gegensätzlichkeit v o n Heute u n d Gestern erfährt der Mensch die Brüchigkeit seines Daseins als ein Zerbröckeln der Person, als eine Selbstentfremdung, die die Möglichkeit der T r a g i k i n sich birgt. Der komischen Figur aber gelingt es, wieder auf festen (wenngleich nur scheinbar festen) Boden zu gelangen, da Mangel an Bewußtheit u n d Verwurzelung i m Vital-Physischen die rigorose Konsequenz eines tragischen Zusammenbruchs v o n vornherein ausschließen. Verfolgen w i r nun die entsprechende Szene i m 'Rusticus Imperans', so springt die Strukturähnlichkeit zur Bidermannschen Erzählung i n die Augen. Auch hier das ratlose Erstaunen des Erwachenden, auch hier der Blick i n den Spiegel, der die bedrohte Identität sichern soll. Aber an diesem Punkte w i r d — anders als bei Bidermann — das radikale Bohren, die Suche des Geängstigten nach dem verlorenen Ich abgebogen i n eine harmlosere Unsicherheit: Mopsus erkennt trotz aller Veränderungen sein Gesicht wieder — u n d das Gesicht verbürgt die Resistenz der Person (Abs te, Mopse, nunc scire velim, Esne, qui fuerasì / Ista herclè barba tua . est nupera . Et quoque / Haec tua est frons. hie nasus, vultusque est tuus. I I , 2, p. 179). Aber die verfremdete K l e i d u n g macht i h n erneut ratlos, u n d so sucht er —
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wie der Bauer Bidermanns — nach seiner Frau und seinen Leuten, die K l a r h e i t über die Situation schaffen könnten. Als auf sein Rufen niemand erscheint, siegt die physis über den Bewußtseinszweifel, Mopsus legt sich wieder ins Bett: Procumbam hoc lecto iterum ( I I , 2, p. 179). Nachdem die H ö f l i n g e aufmarschiert sind, u m i h m sein Dasein als Fürst schmackhaft zu machen, wehrt er sich nicht lange gegen die neue Würde. I n einem ausführlichen M o n o l o g ( I I , 3) versucht er die Etappen des Glückwechsels zu rekonstruieren. Über die letzte durchzechte Nacht hinaus aber vermag er nicht vorzudringen. Zwischen diesem letzten Augenblick der Erinnerung u n d dem Jetzt liegt eine unausfüllbare Lücke, ein Sprung, eben der jähe Wechsel des Fortuna-Geschehens ( Exinde quid mihi factum ignoro; nisi / Quod hic me reperiam . . . I I , 3, p. 182). Aber ohne weiter nachzugrübeln, entscheidet er sich dafür, dem Zeugnis der Sinne Glauben zu schenken u n d das unverhoffte Glück als Realität zu akzeptieren (Sed tamen ita luculentae rei quis obviam / Contra iveriti etenim, an non dementia / Haec manifestarla sit, ita obniti omnibus / Hic sensibus . . . I I , 3, p. 182). Wiederum ein Sieg des Sinnenhaften über die wache Bewußtheit, der gleichzeitig die Rettung v o r dem Selbstverlust bedeutet. U n d noch einmal muß der Spiegel die Identität sichern, nun aber als Bestätigung des neuen Ich, der fürstlichen Person: En rursum ad speculum veritatem consule. / Nihil in te Mopsi est simile a capite ad pedes. / Vti ego herclè novi Philippum esse Principem, / Sic totus incedo ( I I , 3, p. 182). Gegenüber Bidermanns ironisch zugespitzter Erzählung f ä l l t an Masens Gestaltung auf, daß die R a d i k a l i t ä t des Problems früher zurückgenommen w i r d , daß er den Helden i n mehreren Vorstößen i n den Raum personaler Gefährdetheit eindringen läßt, die aber immer schwächer u n d vorläufiger werden, bis sich schließlich das Ich auf seine neue Rolle gefahrlos eingespielt hat. Aus dem immer neuen H i n u n d H e r , dem urtümlichen Sich-Behaupten der Sinnensphäre gegenüber der Wachheit des Bewußtseins bezieht die Szene ihre tiefreichende K o m i k . Daß der Schmied sich über seine wahre Situation täuscht, ist heilsam i m Augenblick, aber audi die vordergründig heilsame Täuschung bleibt Selbstbetrug, bleibt fundamentale Blindheit gegenüber der Wahrheit. Erwacht ist er nur i n einem äußerlichen Sinne (Nisi me fallo, jam sane evigilavi, & oculis I Somnum omnem excussi. I I , 3, p. 181), i n Wirklichkeit hat sich aber erst jetzt sein Dasein zum T r a u m verflüchtigt. Jenseits stofflicher u n d formaler Gründe w i r d n u n evident, w a r u m die agnitio des Helden i n diesem Stück nicht stattfinden k a n n u n d darf: D e n i m Selbstbetrug befangenen, nicht über seine eigene Begrenztheit hinausgelangenden Menschen darzustellen, ist eben Sinn u n d Absicht des Stückes 39 . 39
In Palaestra I I I , L. 2, c. 3, p. 61, unter der ersten Art von alienatio, erzählt Masen eine der Fabel des 'Rusticus Imperans' sehr ähnliche Geschichte (Zusammen4*
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Wenden w i r uns wieder dem Epilog zu: Die Doppelgesichtigkeit des Spiels, das ungewisse Schwanken zwischen K o m i k u n d Tragik, das den Dichter i n seiner Deutung des Spiels einhalten ließ, verwies auf die fundamentale Bedrohtheit des Menschen durch die zeitliche Struktur seines der Fortuna ausgelieferten Daseins. (Dabei ist Fortuna nichts als eine Metapher für das barocke Verständnis v o n Zeit u n d damit v o n der geschichtlich-irdischen Seinsweise des Menschen.) Das ist aber gleichwohl nicht das letzte W o r t des Dichters und zumal des Theologen. A u f einer höheren Ebene der Einsicht wandelt sich die Gefährdung durch die Zeitlichkeit i n eine positive Möglichkeit, über die Bedingtheit des Irdischen hinauszugelangen, als ein Stimulans, über den eigenen Schatten zu springen i n die Gewißheit des Heils i m Glauben. Die W e l t der Fortuna kann nur dem z u m Verhängnis werden, der sich i h r bedingungslos preisgibt; starres Sich-klammern an Irdisches, an die immanent-geschichtliche Existenz überhaupt f ü h r t zur tragischen Katastrophe 4 0 , wobei T r a g i k — durchaus i n anderem Verständnis als i m Rahmen der antiken oder der neueren Tragödie — gleichbedeutend ist m i t schuldhafter Blindheit (caecitas) gegenüber der (grundsätzlich erkennbaren) Wahrheit. D i e Wahrheit des Menschlichen u n d des Irdischen zu durchschauen u n d sich damit über die geschichtliche Bedingtheit zu erheben, ist dem Christen durch die Offenbarung ermöglicht. Anni perbreves / Perpauci, & forte nec anni quidem, nec menstruae / Lunae supersunt: aliud spectaculum erit, / Aliud theatrum aeternitatis in domo: / Vbi plures nostrum aderunt (Epilog p. 206 f.). M i t dem Tode gelangt das Irdische an sein Ende, zugleich aber bricht eine neue W e l t an, die W e l t der Ewigkeit. V o m Ende des Lebens her, das zugleich ein neuer A n f a n g ist, erscheint das menschliche Dasein i n seiner Wahrheit, seiner Eigentlichkeit: als fabula , als flüchtiges Spiel, als quantité négligeable . fassung nach Scheid, a.a.O., S. 43): »Sieben spanische junge Burschen schläfern zum Fastnachtsspaß einen ihrer Freunde mit einem starken Kräutertrank ein, scheeren ihm dann eine Mönchsglatze, stecken ihn in eine Kutte und bringen ihn so in das nächste Kloster, wo der arme Schlaftrunkene, im Einverständnis mit den Mönchen, von seinen lustigen Freunden in eine Zelle gebracht wird. In der Nacht schleppen ihn die Mönche >volens nolens< mit in den Chor, behandeln ihn überhaupt als wirklichen Mönch. Am nächsten Tage schicken sie ihn sogar in seinem Mönchsaufzuge und in Begleitung eines Klosterbruders durch die belebtesten Straßen der Stadt, wo er vordem sehr bekannt war und jetzt allgemein angestaunt und verlacht wird. Abends schläfern ihn die Mönche wieder ein, und dann bringen ihn seine alten Spaßgenossen in seine Wohnung zurück. Beim Erwachen hält er alles für einen Traum, erkennt aber bald an der geschorenen Glatze und an dem Lachen der muntern Gesellschaft die Wirklichkeit des tollen Fastnachtsstreiches. Daraufhin wendet er den Scherz in Ernst und wird wirklich Mönch.« Diese Wandlung, die stark an die Thematik von Bidermanns 'Philemon Martyr' erinnert, setzt eine tiefe Einsicht voraus, die der Schmied nicht besitzt und auch nicht erwirbt, da er zu sehr dem Sinnenhaft-Irdischen verhaftet bleibt. 40 Vgl. Verf., J. Bidermanns 'Belisarius', S. 183 ff.
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Nonne fabulam lusimusi / Nunquid dieculae unius vitam viximusi U n d wie das Leben erst v o m Ende her sich i n seinem Wesen durchschauen läßt, so ist auch der Sinn des 'Rusticus Imperans' erst v o m Ende her ganz zu begreifen, so daß der Epilog nifht ein beliebiges, unverbindliches N a c h w o r t ist, sondern das ideelle Ziel, auf das h i n die Komödie angelegt ist. M i t dem Epilog vollzieht der Dichter die geistige Wandlung, die dem Helden nicht beschieden war. Das Stück weist also über sich hinaus i n einen H o r i z o n t , der erst v o m Ende her sich ganz eröffnet, während er innerhalb des Spiels selbst i m Mummenschanz der komischen Verwicklungen meist verdeckt bleibt. Aus der neu gewonnenen Perspektive w i r d i m Epilog die wahre Realität des menschlichen Daseins noch eindringlicher analysiert: Das Leben ist ein Schauspiel, dessen A k t e u r der Mensch ist ( personam egimus). Als Regisseur erscheint aus innerweltlicher Perspektive die Fortuna, i m Lichte der Heilsgeschichte aber entdeckt er sich als göttliche Vorsehung 4 1 . I m Stück selbst w i r d die Providentia repräsentiert durch den echten Fürsten, P h i l i p p den Guten, der die Fäden der K o m ö d i e i n der H a n d hat u n d als K r i t i k e r dem A b l a u f der actio zuschaut: Philippus. scenicum ego principem hunc tantisper volo , / V i suo nos habitu ac moribus extemporaneus / Princeps delectet ... Ego arbiter vobis ex specula baud procul abero ( I , 4, p. 176). D a m i t w i r d v o l l einsichtig, w a r u m P h i l i p p selbst nicht der Fürstensatire unterworfen werden kann (s. o. S. 45). Das menschliche Dasein ist für den durch die Offenbarung Erleuchteten eine Komödie, sofern es ein Exempel der Verkrampfung, des Sich-klammerns an Nichtigkeiten darstellt. Sub specie aeternitatis erzeugt das blinde Gebaren des Menschen nur Gelächter, ein Gelächter, das — wenn eine Ausweitung des Bergsonschen Gedankens i n theologisch-metaphysische H o r i zonte gestattet ist — als châtiment de la raideur z u verstehen wäre. A u f den 'Rusticus Imperans' bezogen bedeutet dies: Das Geschick des Schmieds ist Spiegel der Komödie, die alle Menschen spielen, die m i t jedem Menschen gespielt w i r d . (Dieses Resümee zieht auch P h i l i p p , nachdem das Spiel m i t dem Schmied an sein Ende gelangt ist: Quem nos hodie ilio in homine lusum lusimus, / Deus ac natura ludunt nobiscum indies. I V , 1, p. 197). W i r alle sind Könige für einen Tag, für den Tag, der unser Leben bedeutet (hier k l i n g t die große Idee der Renaissance v o m Menschen als Mikrokosmos, als K ö n i g dieser W e l t nach — nun aber i n kritischer Relativierung): Ο Rex unius dieculae , Ο Rex scenice, / O , quid superbis mi homo? Aber dieses Sein ist ein Nichts i m Vergleich zu jenem Sein, das m i t dem Tode anbricht: Cr as non eris, / Imo eras primùm 41
Zum Verhältnis von Fortuna und Providentia vgl. M. Skowronek, S. 31 ff.; Verf., J.Bidermanss «Belisarius', S. 172 ff.
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eris, in aeternitate cum eris. I n dieser heilsgeschichtlichen D i a l e k t i k v o n Sein u n d Nicht-Sein gründet für den christlichen Dichter die Möglichkeit, das menschliche Leben qua irdisch-bedingtes als Komödie aufzufassen. Das scheinbar unwiderlegbar sich darbietende Sein des^ Irdischen w i r d v o n seinem Ende her als Nicht-Sein entlarvt, u n d erst m i t dem Untergang, der Ver-Nichtung dieses anmaßenden Seins kann das wahre, ewige Sein anheben. Einen Sinn vermag das Irdische nur aus dem Bezug zum Jenseitigen zu gewinnen, u n d diesen Bezug immer neu zu realisieren, ist die ungeheuer schwerwiegende Aufgabe des Menschen. U n d i n einer kühnen Ausweitung der dialektischen Symbolik v o n rusticus u n d rex eröffnet der Epilog den letzten H o r i z o n t der K o m ö d i e : Istic (in der Ewigkeit) quem te esse velis, nunc vide in tempore: / Ex Rustico esse Rex, an ex Rege Rusticus? / Ex felice miserrimus, an ex misero felicissimusi / In hac vita y dum licet, tibi personam elige. Der exemplarische Charakter des rusticus ist so vielschichtig geworden, daß es schwerfällt, diese äußerste Perspektive noch begrifflich zu erfassen (zumal die SchauspielMetapher nun auch auf den jenseitigen Bereich übertragen w i r d ) . Doch w i r d man die letzten Verse etwa so zu verstehen haben: Das Geschick des Schmiedes ist nicht nur Spiegel des der Fortuna unterworfenen Daseins des Menschen, auch nicht nur Darstellung des vitae somnium, sondern letztlich A b b i l d des heilsgeschichtlichen Weges des Menschen 42 . I n das diesseitige Leben hineingestellt, hat er die Möglichkeit, über seine Rolle i m Jenseits zu entscheiden. Dabei ist es offenbar gleichgültig, welche Rolle er i n diesem Leben zugewiesen bekommt. Ausschlaggebend ist nur, wie er sie absolviert. I n diesem Sinne ist er »Schmied seines Glücks«: Fortunam Faber fabricare tuammet tibi. (Scheid 43 vermutet, daß Masen nur 42 In einem anderen Stück, dem 'Androphilus', wagt Masen das kühne Unternehmen, die Heilsgeschichte selbst in ihren biblisch-dogmatischen Situationen in parabolischer Gestaltung auf die Bühne zu bringen: den Sündenfall des ersten Menschen, den Opfertod Christi und die daraus resultierende Erlösung des Menschen von der Erbsünde und seine erneute Adoption als Kind Gottes. Bedeutsam für das Problem der Veritas einer dichterischen Darstellung sind einige Gedanken im Prolog des Stückes (p. 384): Die personae verae des Dramas sind nicht die realen Spiel-Figuren des Bühnengeschehens, sondern die in ihnen repräsentierten Personen Gott Vater, Christus, Adam (als Vertreter des gesamten Menschengeschlechts) usw. Der reale Vorgang bezieht also seine Wahrheit nicht aus der Faktizität der irdischen Historie, sondern aus der in ihm aufleuchtenden Heilsgeschichte. Im 'Rusticus Imperans* ist die Wahrheit des Dargestellten auf doppelte Weise gesichert: einmal durch die Veritas der actio historica, zum anderen durch die in die geschichtliche Fabel hineinreichende bzw. in ihr sich offenbarende Wahrheit des Glaubens. 43 a.a.O., S. 44. Dort erwägt Scheid noch eine zweite Möglichkeit, die Änderung zu erklären: »Es könnte jedoch auch der Schalk im Dichter die Umänderung des Namens vorgenommen haben. Wenige Jahre vorher nämlich, so wird berichtet, hatten die Jesuiten in Köln einen drolligen Schmied auf die Bühne gebracht, und
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wegen dieses Sprichwortes, das die Pointe des Spiels enthält, den Bauer der gängigen Erzähltradition zum Schmied umgewandelt habe.) I n einer meines Wissens für die Jesuitenliteratur ganz ungewöhnlichen Erweiterung des Begriffes w i r d Fortuna nun als das ewige Geschick des Menschen verstanden, wobei die Ambivalenz des Wortes festgehalten ist: Durch sein Agieren auf Erden kann der Mensch sein jenseitiges Dasein z u m H e i l oder z u m U n h e i l wenden. I m Wechsel des Verständnisses v o n Fortuna spiegelt sich ein Wechsel der Perspektiven: Aus innerweltlicher Sicht ist Fortuna die blinde G ö t t i n m i t dem Rade, aus der Sicht der Heilsgeschichte aber w i r d sie zur Lenkerin u n d Führerin aus dem circulus vitiosus des Irdisch-Geschichtlichen i n die Freiheit der Offenbarung hinein. Das letzte W o r t des Epilogs faßt den Sinn des durch das Spiel Exemplifizierten i n eine Formel zusammen: Humiiis assurgit Rusticus, Rex arrogans cadit. Dabei liegt das Schwergewicht eindeutig nicht mehr auf dem Gegensatz rusticus — rex, sondern auf der A d j e k t i v - O p p o s i t i o n humilis-arrogans. M a n w i r d den Satz i n eschatologischer Interpretation so auslegen dürfen: Der Demütige ( i m christlichen Sinne), derjenige, der die Nichtigkeit seiner irdischen Existenz durchschaut, w i r d zu ewiger Ehre aufsteigen, während der Anmaßende, der auf seine irdische Würde pocht, i n die Verdammung stürzt. E i n zweites Exempel dafür hat Masen kunstvoll als Parallel- u n d Nebenhandlung zur Geschichte des Schmiedes i n das Spiel eingeflochten: die kläglich endende Eskapade des H o f n a r r e n Salpa. Während der » I n t h r o nisation« des Mopsus scheint der N a r r — als »weiser N a r r « 4 4 — die grandiose K o m i k zu durchschauen: Vbi nunc foeni satis invenero, ut foramina omnia / Intus forisque oppleam, ne quis risus mihi evoletf / Enimvero oporteret alios potiùs ridenda non facere, / Quam me ridenda non ridere ( I I I , 1, p. 185). Nachdem er aber sieht, wie glänzend es dem neuen Fürsten ergeht, versucht er, v o n geistiger Blindheit geschlagen, die Glückskurve des Mopsus zu imitieren, den glücklichen Z u f a l l m i t List an sich zu locken. E r legt sich an der gleichen Stelle auf die Straße, w o man den Schmied gefunden hatte, m i m t den Betrunkenen u n d hofft, daß i h m nun auch des Mopsus Los zuteil werde. Die H ö f l i n g e aber durchschauen den einfältigen Trick u n d spielen dem armen N a r r e n übel m i t . Sosa. novam fabulam / Ordiemur darüber hatte sich die ehrsame Zunft beim Magistrat beschwert, war aber mit der versöhnenden Versicherung entlassen worden, daß so etwas dem Stande eher zur Zierde als zur Schmach gereiche, weil die Patres mit ihren Scherzen niemanden verletzen wollten.« 44 Neuere Literatur zum »weisen Narren«: Annemarie Schöne, Die weisen Narren Shakespeares und ihre Vorfahren, Jahrbuch für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft Bd. 5, Köln 1960, S. 202 ff. Barbara Könneker, Wesen und Wandlung der Narrenidee im Zeitalter des Humanismus, Brant — Murner — Erasmus, Wiesbaden 1966 (dort Zusammenstellung der weiteren Literatur).
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hodie ... Noster istic morio ad viam stratus , Mopst loco , / Mopst fortunam expectat ( I I I , 6, p. 195). Der N a r r w i r d selbst zum N a r r e n gehalten, w e i l er sich gescheiter glaubte als die anderen. N u r der wahre » N a r r i n Christo« 4 5 , der sich nicht auf H ä n d e l m i t der G ö t t i n Fortuna einläßt, sondern aus der Einsicht i n die Nichtigkeit des Irdischen (eras primùm eris!) lebt, k a n n die Fortuna des ewigen Heils erlangen. Nach dem Bibel w o r t : Wer aber sich selbst erhöht, w i r d erniedrigt werden, u n d wer sich selbst erniedrigt, w i r d erhöht werden ( M t . 23, 12).
45 Dieser letzte Schritt der Deutung erweist, daß Masens rusticus sich in die Tradition der illitterati y der idiotae t der tumben des Mittelalters einreiht. Vgl. dazu: H. Grundmann, Litteratus-illitteratus, Der Wandel einer Bildungsnorm vom Altertum zum Mittelalter, in: Archiv für Kulturgeschichte 40 (1958), S. 1—65. Alois M. Haas, Parzivals tumpheit bei Wolfram von Eschenbach, Berlin 1964 (Philologische Studien und Quellen 21), S. 230 ff.
F R I E D R I C H SCHLEGEL: 'NACHTRÄGLICHER ZUSATZ V O M G A N Z E N GOETHE I N D E R J E T Z I G E N D E U T S C H E N L I T T E R A T U R : 1823' Aus der Handschrift mitgeteilt u n d erläutert v o n H e r m a n n Kunisch
I. Das hier zum ersten M a l e veröffentlichte Fragment v o n Friedrich Schlegel ist die letzte Auseinandersetzung des Romantikers m i t dem trotz aller grundsätzlichen Einwände u n d heftiger polemischer Angriffe, v o r allem i n privaten, brieflichen Äußerungen, hoch geachteten Goethe. D i e Faszination durch Goethe dauerte das ganze Leben; u n d Schlegels A b w e h r ist die K e h r seite einer »gekränkten Liebe«. D i e Beschäftigung m i t Goethe zieht sich fast durch das ganze W e r k Schlegels. Neben vielen Hinweisen auf i h n i n Schriften größeren Umfangs, v o r allem i n dem Aufsatz 'Über das Studium der griechischen Poesie' (1795/96) u n d den Vorlesungen v o n 1812: 'Geschichte der alten u n d neueren Litteratur', befassen sich zwei selbständige Arbeiten m i t Goethe, die Rezension der 'Lehrjahre': 'Über Goethe's Meister' (1798) und die 'Anzeige' der vier ersten Bände der Cottaischen Goethe-Ausgabe v o n 1808 1 . Der 'Nachträgliche Zusatz' sollte sich diesen beiden K r i t i ken anschließen u n d als dritter Goethe-Aufsatz i n der 2. Ausgabe der 'Sämmtlichen Werke' veröffentlicht werden. D i e Arbeit ist unvollendet geblieben u n d ist daher nicht i n den 'Werken' erschienen. D a sie an der entscheidenden Stelle abbricht, bleibt nur das Bedauern, daß w i r das letzte 1 Im Erstdruck des Meister-Aufsatzes, Athenäum I, 2 (1798) trug dieser die Überschrift; 'Über Goethe's Meister'; in der ersten Ausgabe der'Sämmtlichen Werke', Band 10 (1825), S. 123—152, heißt der Titel: 'Charakteristik der Meisterischen Lehrjahre von Goethe. 1798.' Eine zusammenfassende Darstellung der Bemühungen Friedrich Schlegels um Goethe habe ich in einem Aufsatz über 'Friedrich Schlegel und Goethe' gegeben; zuerst gedruckt in dem Sammelband: 'Münchener Universitätswoche an der Sorbonne zu Paris vom 13.—17. März 1956'. Hg. von Jean Sarrailh u. Alfred Marchionini, München 1956, S. 104—115. Jetzt mit einigen Ergänzungen in: 'Kleine Schriften', Berlin 1968, S. 189—204. Danach im folgenden zitiert als 'Friedrich Schlegel und Goethe'. — Reiches Material bieten die RomantikArbeiten von Josef Körner; für das hier in Frage stehende Problem besonders 'Romantiker und Klassiker' (1924), wo auch zum erstenmal unser Fragment erwähnt wird; s. dort S. 199.
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W o r t Schlegels über Goethe nicht endgültig kennen. Das Fragment ist aber auch so, nicht nur für die Wirkungsgeschichte Goethes u n d die Geistesgeschichte der zwanziger Jahre des 19. Jahrhunderts, sondern auch für die Beurteilung der Schlegelschen Ästhetik v o n großem Wert. Das Fragment ist m i t anderen, umfangreichen Teilen des Schlegel-Nachlasses lange verloren gewesen. Nach diesem Kriege sind diese Nachlaßhefte wiedergefunden u n d der ehemaligen Besitzerin, der Görres-Gesellschaft, zurückgegeben worden 2 . I n einem Aufsatz, 'Friedrich Schlegels letztes W o r t über Goethe' i n der 'Kölnischen Volkszeitung' (28. 2. 1932) hat Josef K ö r ner ein kürzeres Bruchstück Schlegels über Goethe abgedruckt. Es findet sich i n einem der v o n i h m entdeckten Nachlaßhefte 3 , die nicht zu dem Bestand der der Görres-Gesellschaft vermachten Handschriften gehören; w o h l aber i n mannigfachem thematischen Zusammenhang damit stehen. Körner nahm i n seiner Erstveröffentlichung an, daß dieses Fragment den ersten E n t w u r f zum 'Nachträglichen Zusatz' darstelle. Diese Annahme erscheint auf G r u n d der nun wieder vorhandenen beiden Texte als wenig wahrscheinlich. T r o t z der gemeinsamen, gegen Goethes »atheistische« Gesinnung gerichteten Grundhaltung der K r i t i k Schlegels sind doch i m Einzelnen beide Fragmente voneinander verschieden. Der 'Zusatz' ist nach der Absicht des Verfassers letztlich i n Auseinandersetzung m i t den sogenannten »nachgemachten W a n derjahren« v o n Joh. Friedrich W i l h e l m Pustkuchen ein neuer Versuch Schlegels, den Dichter des ' W i l h e l m Meister' weltanschaulich u n d künstlerisch endgültig zu beurteilen u n d z w a r i m Zusammenhang der damaligen deutschen Literatur. Das heißt für Schlegel innerhalb seiner bereits i n den Jugendschriften begonnenen Bemühungen u m eine K l ä r u n g der literarischen Situation zwischen den »antiken« und »modernen« Formen 4 . I m M i t t e l p u n k t des kleineren Bruchstückes steht die Vorstellung v o n einem dualistischen Gegensatz, der aus dem Fehlen eines »festen inneren Mittelpunktes« »einer nicht zum Z i e l gelangten großen N a t u r « entspringe 5 . 2 Vgl. dazu die Auseinandersetzung von Heinrich Finke und Josef Körner in der 'Kölnischen Volkszeitung' vom 26.9. 1931 und 28.2. 1932. Ferner die Berichte von Ernst Behler y Alois Dempf und Hermann Kunisch im 'Jahresbericht der GörresGesellschaft' 1955, Köln 1956, S. 44 f. S. weiter 'Friedrich Schlegel und Goethe', S. 189, Anm. 1. 3 'Zur Poesie und Litteratur 1823'; im Besitz der Ehemaligen Preußischen Staatsbibliothek (Stiftung Preußischer Kulturbesitz), Signatur Ms germ. 4° 1765. 4 Vgl. dazu 'Friedrich Schlegel und Goethe', S. 193 ff.; bes. S. 197, Anm. 26. 5 Diese Feststellung findet sich bereits in den Wiener Vorlesungen von 1812, Sämmtliche Werke, Band 2 (1822), S. 314 und ist wohl der eigentliche Kern aller Goethe-Kritik Schlegels. Das gleiche Urteil fällt Schlegel in demselben Nachlaßheft von 1823 über Goethe wie über die Literatur überhaupt: »An Talenten fehlt es auch in der Poesie nicht; noch weniger an Ideen von Kunst, auch nicht an der Erkenntnis und Anregung der Fantasie; wohl aber an einem festen Mittelpunkt des
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I n aphoristischer K ü r z e werden eine Reihe v o n Beobachtungen aus Goethes Schriften zur Morphologie, Metamorphose u n d Farbenlehre aufgeführt u n d zu Äußerungen über die Kunst i n Beziehung gesetzt. A u f diese Weise entsteht ein ebenso geistreicher wie gefährlicher Ansatz zu einem A u f r i ß der Goetheschen Gestalt. Er gehört aber stärker als der ursprünglich für eine Veröffentlichung gedachte 'Zusatz* i n die Nähe der spontanen, übertriebenen privaten Äußerungen u n d ist wie diese Ausdruck momentaner Stimmung u n d Verstimmung, polemisch zugespitzt; u n d ebenso Zeichen tiefer Sorge wie der Freude am intellektuellen Spiel: K r i t i k als A r t i s t i k . I n einem genauen Sinne k a n n man bei dieser Skizze nicht v o n einem E n t w u r f zu dem ausführlicheren 'Nachträglichen Zusatz' aus dem gleichen Jahre sprechen. Sie gehören aber schon wegen der zeitlichen Nähe und des gleichen Anlasses zusammen und ergänzen einander. Die eigentümliche Denkund Schreibweise des späten Schlegel w i r d , sieht man beide Texte zusammen, u m einiges deutlicher. U n d w o h l w i r d auch Schlegels zugleich k r i t i scher u n d verehrender Standpunkt durch die unmittelbare Gegenüberstellung zweier die gleichen Fragen, wenn auch v o n verschiedenen Ausgangspunkten her u n d m i t unterschiedlicher Akzentsetzung angehenden Texte verständlicher. Was diesen schwierigen u n d exzentrischen K r i t i k e r angeht, darf nichts unversucht gelassen werden, u m das eigentlich Gemeinte hinter polemischen Übertreibungen und eigenwilligen Verkürzungen sichtbar zu machen, und so seinen Grundansatz als einen ungewöhnlichen, aber dennoch ernsten u n d tiefgreifenden deutlicher werden zu lassen. N u r so kann entschieden werden, ob es sich i m Fall Goethes u m einen dem Gegenstand unangemessenen handelt. Josef Körner schrieb i n der Einleitung zu seinem ersten Abdruck i n der 'Kölnischen Volkszeitung': »Ich hoffe m i t den folgenden neuen M i t t e i l u n gen . . . aufs neue zu erhärten, daß keine Zeile, die Friedrich Schlegel geschrieben hat, der Bedeutsamkeit entbehrt, so daß sich kaum ermessen läßt, welche Fülle reichsten u n d tiefsten Geistes uns verloren gegangen ist, wenn die auf der großen Liste' 8 verzeichneten Papiere w i r k l i c h auf immerdar verschwunden sein sollten.« Diese Erwägungen mögen es gerechtfertigt erscheinen lassen, dem Abdruck des unbekannten 'Zusatzes' einen Neudruck des nur schwer erreichbaren kurzen Fragments vorauszuschicken 7 . Glaubens und des Lebens, als Träger für das Ganze. — In dieser Hinsicht wäre auch Goethe in der zersplitterten Vielseitigkeit seiner fragmentarischen Anklänge und dichterischen Ideen aller Art, eigentlich das wahre Vorbild der gesamten deutschen Litteratur« (7). 8 Gemeint ist das von Körner in seinem Buch 'Friedrich Schlegels Neue philosophische Schriften' (1935), S. 334—36 veröffentlichte Verzeichnis der damals verschollenen, im Besitze der Görres-Gesellschaft gewesenen (heute wieder aufgefundenen, s. 'Friedrich Schlegel und Goethe', S. 189, Anm. 1) Nachlaßhefte. 7 Die Wiedergabe erfolgt hier nach einer Photokopie der Handschrift, die mir
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Schon i n seiner früheren Poesie (1770—1800) ist überall ein atomistisches Zersplittern sichtbar u n d vorherrschend, welches eben aus dem Mangel an einem vollen u n d festen M i t t e l p u n k t entspringt 1 . — Späterhin hat sich die Poesie, seit er sie aufgegeben, bey i h m i n ihre Elemente, N a t u r u n d Kunst zersetzt, u n d ist i n die beyden Ströme seiner Morphologie u n d Kunsthefte auseinandergefahren; und Statt des fehlenden M i t t e l p u n k t s hat er sich selbst u n d seine Person u n d sein Leben i n Dichtung und Wahrheit aufgestellt. — Es fehlt i n der M i t t e zwischen dieser N a t u r u n d Kunst, nur das Ewige, nämlieh G o t t u n d das Göttliche. — Seine Farbenlehre ist ganz atheistisch; es kann nur ein K a t h o l i k die Farben verstehen, welches so paradox es k l i n g t , leicht einleuchtend gemacht werden kann, wenn die Farben nichts andres sind, als die materielle Erscheinung der 7 V i r t u t e s l a . I n der Metamorphose der Pflanzen scheint die Tendenz u n d Absicht keine andre, als die Blume zu läugnen. D i e verschiedenen Epochen v o n Goethe könnte man auch nach der neuen Wolkencheorie folgendergestalt charakterisiren. Die ersten Jugendwerke hängen als feuchter Nebelstreif i m Mondschein an den Bergen, w i e Stratus; dann folgt der männlich zusammengeballte Cumulus; endlich der verdünnte, leichte Cirrhus, schleyerhaft — und zuletzt der aufgelöste Nimbus, der zu Boden fährt oder i n vielen Strömungen niedergeht 2 . Das Atheistische der Farbenlehre spricht sich recht deutlich i n der M o r p h o logie I , 3 t e s H e f t , S. 133 [aus]. — „Finsterniß u n d Licht stehen einander uranfänglich entgegen, eins dem andern ewig fremd; nur die Materie, die i n und zwischen beyde sich gestellt, hat, wenn sie körperhaft undurchsichtig ist, eine beleuchtete u n d eine finstere Seite pp. Ist die Materie durchscheinend, so entwickelt sich i n ihr, i m H e l l d u n k e l n , Trüben, i n Bezug aufs Auge das; was w i r Farbe nennen." 3 von der Handschriftenabteilung der Ehem. Preußischen Staatsbibliothek (Stiftung Preußischer Kulturbesitz) zur Verfügung gestellt wurde. Dafür sei hier geziemend gedankt. Durch den Vergleich mit der Handschrift konnten einige Versehen des ersten Druckes berichtigt werden. Zusätze des Herausgebers in eckigen Klammern. Die Handschrift weist zahlreiche Unterstreichungen auf, die vielleicht auf Schlegel selbst zurückgehen. Solche Unterstreichungen finden sich auch in anderen seiner Handschriften; allerdings nicht in dem 'Zusatz vom ganzen Goethe*. In unserem kleineren Fragment bedeuten die Striche entweder Hervorhebungen oder Abtrennungen der einzelnen Gedankengruppen; außerdem sind die Goetheschen Titel unterstrichen (z.B. Morphologie I ; Kunstschriften usw.). Im folgenden Abdruck wird auf Wiedergabe der Striche, da sie so unterschiedliche Funktionen haben, verzichtet. Nur die Trennungsstriche werden angegeben. Die Handschrift hat mehrere Nachträge am äußeren Rande, die Körner in seinem Abdruck als Fußnoten wiedergegeben hat. Da sie nicht durch Verweisungszeichen eingeordnet sind, habe ich sie in den Apparat verwiesen. — Die Erläuterungen werden hier, wie im Abdruck des 'Zusatzes', vom textkritischen Apparat getrennt. Wichtige biographische und bibliographische Nachweise verdanke ich meinem Schüler Dr. Günter Niggl.
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D a n n i n den Gedichten. Β. I I . S. 244: 30
„Verdoppelte sich der Sterne Schein, Das A l l w i r d ewig finster seyn." 4 Metamorphose der Pflanzen i n der Morphologie I . S. 41 u n d 42. „ O h n e Anmaßung, die ersten Triebfedern der N a t u r w i r k u n g e n entdecken zu wollen w i r hätten i n dem Bisherigen auf Aeußerung der K r ä f t e
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unsre Aufmerksamkeit gerichtet." 5 Es herrscht durchgehends i n Goethe ein gemeiner Dualismus, so wie er auf dem falschen Standpunkte der nicht verstandnen Erfahrung oder des empirischen Scheins sich ergiebt; dieses ist der herrschende G r u n d t o n i n allen seinen Gedichten, u n d darum ist er recht eigentlich ein moderner Dichter 6 . — Dieser dualistische Gegensatz ist v o n Schütz u n d Schubarth w o h l bemerkt u n d charakterisirt, aber gar nicht richtig gewürdigt worden 7 . Der eigentliche Gegenstand des Drama ist eine Krisis; u n d das ist die wahre Idee des dramatischen Werks. I n diesem Sinne ist es immer eine historische Poesi[e]; ider I n h a l t mag erfunden, oder auch äußerlich geschichtlich seyn. W o h l giebt es neben der Kunst der Fantasi[e], auch eine tiefere Poesi[e] der Seele, welche i n jener wie i n ihrer H ü l l e noch verborgen ruht.
N i c h t die Sprache hatte sich unüberwindlich gezeigt, n o d i auch das H e r z , was ganz unerlaubt ist, zu sagen; w o h l aber die Zeit.
50
Das Türkische i n der Poesie hat Goethe bloß als Ausweg geliebt und gesucht, u m der eigentlichen Fülle u n d Tiefe der morgendländischen Dichtung i m Indischen, die immer mehr zur katholischen Wahrheit hinneigt, zu entgehen. Es ist das Türkische ein Analogen u n d Surrogat des Protestantismus i m Osten. — Hieir zeigt sich audi seine Abneigung gegen eigentliche Mythologie.
55
Sehr m e r k w ü r d i g ist, daß i n dem Aufsatz über die Ballade (Kunsthefte j j j t e n Bandes, l t e s H e f t , S. 50) 8 Goethe diese, als aus der epischen, lyrischen u n d dramatischen Gattung gemischt als das U r E y der Poesie aufstellt, da sie doch nur die A t o m e einer zerstörten Poesie, i n fragmentarischen Volksliedern enthalten; u n d nicht den ersten göttlichen A n k l a n g der Poesie, wie er i n dem H y m n u s gefunden w i r d , dem wahren Anfang derselben.
60
Hermann Kunisch
62
Entscheidend für die Charakteristik der neuesten Epoche und die wahre Auflösung des jetzigen Problems i n der Kunst, ist die W i r k u n g , welche der deutsche Calderon gemacht hat®. 65
70
Für das Fehlende i n Goethes Poesie kann der Anlaß am besten genommen werden, v o n seinem eignen Geständniß und Epigramm über die Sprache 10 . Ganz verkehrt ist es, daß die neueste Secte der jetzigen R a d i k a l e n 1 1 i h n ganz als Naturdichter (ohne alle K r i t i k ) [,] was v ö l l i g unwahr ist, betrachten, oder gar i n das Gebiet der Wissenschaft u n d Philosophie herüber setzen w i l l ; w o m i t i h m ein schlechter Dienst geleistet würde; da die poetische A u f fassung v o n Id[ealismus] : Re[alismus] ganz eine andre ist, als die spitzfindige Metaphysik einer seichten Philosophie darüber.
Textkritiscber Die Worte Schlegels stehen in Antiqua; sätze des Herausgebers und Ergänzungen eckigen Klammern. 4—7
Apparat die des Herausgehers kursiv. Zunicht ausgeschriebener Wörter in
Neben den Zeilen 4—7 auf dem Rande: Das Epigramm v o n der Sprache, weshalb er kein Dichter geworden, w o h l zu beherzigen. Nach Jos. Körner handelt es sich bei dem Epigramm um Nr. 76 der Venetianischen Epigramme: Was mit mir das Schicksal gewollt? Es wäre verwegen, Das zu fragen: denn meist will es mit vielen nicht viel. Einen Dichter zu bilden, die Absicht wär* ihm gelungen, Hätte die Spradie sich nicht unüberwindlich gezeigt. Es bleibt fraglich, ob man dieses Epigramm als Geständnis in dem Sinne nehmen darf, wie Schlegel es andeutet. Man muß den Zusammenhang des ganzen Zyklus bedenken. Hier wendet sich die »Frechheit«, die Goethe selbst diesen Gebilden nachsagt, gegen sich selbst.
9 9—14
nur] danach gestr. G o t t Neben den Zeilen 9—14 auf dem Rande: Der große, gemeinschaftliche Fehler bey den Bewunderern, wie bey den Feinden Goethes ist [dahinter daß gestr.] jetzt, daß sie i h n so [dahinter gern gestr.] durchaus absolut nehmen und ganz aus seinem organischen Zusammenhange herausreißen. Den Vorwurf der Absolutsetzung Goethes, das heißt doch wohl, einer Isolierung einzelner Anschauungen statt einer organischen Zusammenschau, erhebt Schlegel auch in dem 'Zusatz', wo er auch,
Friedrich Schlegel: Nachträglicher Zusatz vom ganzen Goethe wie hier, Pustkuchen und Schubarth als die beiden der Gegnerschaft und Freundschaft anführt.
63
Hauptzeugen
20
zuletzt] danach gestr. Nimbus
-34
Neben den Zeilen 25—34 am Rand: D i e ganze O p t i k v o n Goethe, nébst den darauf fortgeführten Kunstansichten f ü h r t nur dahin, und hat einzig zum Z i e l den grauen Zustand i n der Kunst wie i n der N a t u r einzuführen u n d z u m herrschenden zu machen; so wie Schleiermacher nur die frommen Zustände als Christenthum u n d die Erklärung derselben als Theologie gelten läßt. Körner liest: sauern Zustände, was mir von der Sache her wenig einleuchtend scheint. Auch von der Schrift her ist frommen wahrscheinlicher. Vor diesem Zusatz ist gestrichen zunächst Die, dann: die O p t i k sich anschließenden]
alle die an
36
gemeiner] davor gestr. falscher
39
moderner Dichter unterstrichen,
•39
Neben Zeile 36—39 am Rande: Schub[arth] ein umgedrehter Pustkuchen, bey de nur Radikale i n der L i t t e r a t u r ; radikale Gemeinheit. — Pustk[uchen] als polemisches Heupferd, Schub[arth] begeisterte Ameise. Körner liest: polemische Heuschrecke. Im ' Z u satz' spricht Schlegel in Bezug auf Schubarth vom begeisterten Fleiß einer Ameise.
42
daneben am Rande:
44
vor auch zwei unleserliche Wörter gestr.
46
Kunst über gestr. Poesie
moderner doppelt
NB
58
einer über gestr. der
59
enthalten] davor gestr. enthalten [enthüllen?]
if.
wie er über gestr. der uns
60
wahren] davor gestr. einzigen
65
hinter werden ein
67
betrachten] davor gestr. betrachtet; darnach gestr. w [ i l l ? ]
71
In der Handschrift Philosophie
•71
Neben Zeile 68—71 am Rande: H i e r ist nachzuweisen, wie seinen Versuchen [aus der Kunst gestr.] bestimmte Ideen einer vorhandenen Kunstart oder Form z u m Grunde liegen u n d den Anstoß geben.
Komma!
φς , eine bei Schlegel häufige Abkürzung
für
64
Hermann Kunisch Erläuterungen
1) D a z u oben S. 58, A n m . 5; ferner Jos. Körner, Romantiker und Klassiker. D i e Brüder Schlegel i n ihren Beziehungen zu Schiller und Goethe, Berlin 1924, S. 191. Körners Bemerkung »diese ganze sauertöpfische M i ß w ü r d i gung« scheint m i r das diesen Auseinandersetzungen zugrunde liegende Gef ü h l zu verkennen. Solche Einschätzung ist eine Folge des allzu starken Eingehens auf die privaten Urteile Schlegels; die v o n diesem an die Öffentlichkeit gegebenen Wertungen — u n d an die sollte «man sich zunächst u n d v o r allem halten; auf jeden F a l l aber die Ebenen der Äußerungen sorgfältig trennen — sind doch v o n gewichtigerer A r t . S. dazu meinen Aufsatz 'Friedrich Schlegel u n d Goethe*. l a ) Schlegel, der schon i n der Neunten und Z w ö l f t e n seiner Wiener V o r lesungen v o n 1812, Sämmtliche Werke, Band 2 (1822), S. 7 ff. u. S. 124 f., Dante als den größten der christlich-allegorischen Dichter betrachtet, denkt hier vielleicht an die sieben allegorischen Frauengestalten i n Dantes »Paradiso terrestre« ( ' D i v i n a Commedia', Purgatorio X X I X , v. 121—132), die die drei göttlichen und die vier Kardinal-Tugenden repräsentieren: die ersteren sind gestaltgewordene Farben (»rot wie Feuer«, »ganz aus Smaragd«, »frischgefallener Schnee«), die letzteren tragen purpurne Gewänder. — M ö g lich wäre auch eine Verbindung z u den sieben Leuchtern i m gleichen 'Purgatorio'-Gesang (v. 73—81), v o n deren Lichtern sieben Farbstreifen nach A r t des Regenbogens ausgehen: G. A . Scartazzini (La D i v i n a Commedia d i Dante Alighieri. Riveduta nel testo e commentata «da G. A . S. terza editione. M i l a n o 1899) deutet diese Streifen als die Tugenden, die v o n den Leuchtern als den sieben Gaben des Heiligen Geistes hervorgebracht werden. Näheres hierzu bei G. Ledig, Dantes Göttliche Komödie, i n den einzelnen Gesängen aus mittelalterlichem Denken erläutert, Jena 1943 (Beiträge zur mittelalterlichen, neueren u n d allgemeinen Geschichte. 23), S. 267 f. 2) E i n anderer Einteilungsversuch i m gleichen Nachlaßheft v o n 1823: »Goethes verschiedene Epochen u n d Manieren Hessen sich viel zweckmäßiger i n vier Abtheilungen bringen: 1) D i e jugendlich genialische Epoche. Werther, Götz, Faust, Hans Sachsische Gedichte; Faust die K r [unleserlich; »Krönung«?] 2) D i e blühend romantische, musikalische, frei gebildete. Claudine, Egmont, Tasso. I t a l . Stanze. 3) D i e antike, sinnlich-ironische. D i e Gedichte i n alten Sylbenmaßen. 4) D i e modern, alternde, weitschweifig prosaische. Die höchsten Werke liegen immer auf dem Scheide- u n d Uebergangspunkte v o n einer Epoche z u r andern: w i e Faust v o n 1) z u 2) Tasso v o n 2) zu 3) Meister v o n 3) zu 4). — D e n Charakter dieser vier Epochen könnte man i n Naturgleichnissen folgendermaßen ausdrücken 1) Irdisch getrübtes Jugendfeuer 2) Blumenhaftige, fruchtreiche Frühlingsluft 3) Glatter Stein, guter M a r m o r 4) W e i t verbreitetes Gewässer.«
Friedrich Schlegel: Nachträglicher Zusatz vom ganzen Goethe
65
3) D i e Belege u n d Hinweise aus Goethes dichterischen u n d naturwissenschaftlichen Arbeiten innerhalb solcher fragmentarischen Niederschriften bekunden neben der A r t der Formulierung seiner Gedanken Schlegels intensive u n d bei aller inneren Beteiligung sorgfältige Beschäftigung m i t Goethe i n den Jahren v o r 1823. D i e Stellenangaben werden hier u n d i n den folgenden Anmerkungen ergänzt; außerdem werden die Zitate i n den heute gebräuchlichen Ausgaben nachgewiesen u n d i n ihrem W o r t l a u t angeführt, da die Schlegel'sche Wiedergabe an einigen Stellen, wenn auch nur geringfügig, v o n i h m abweicht. »Morphologie I , 3 t e s H e f t , S. 133«: 'Entoptische Farben'. V I I I . Polarität. i n : ' Z u r Naturwissenschaft überhaupt. Erfahrung, Betrachtung, Folgerung durch Lebensereignisse verbunden. V o n Goethe. Erster Band.' 1817—1822: ' Z u r Naturwissenschaft. Ersten Bandes, Drittes H e f t . ' 1820, S. 133. ^ E r s t druck) = Weimarer Ausgabe, I I . A b t . , Bd. 5 1 , S. 261, Z . 5—13 = Goethe. Die Schriften zur Naturwissenschaft. Leopoldina-Ausgabe. I . A b t . , Bd. 8: Naturwissenschaftliche Hefte. Bearbeitet v o n Dorothea K u h n , Weimar 1962, S. 99, Z . 12—19: »Finsternis und Licht stehen einander uranfänglich entgegen, eins dem andern ewig fremd, n u r die Materie, die i n u n d zwischen beide sich stellt, hat, wenn sie körperhaft undurchsichtig ist, eine beleuchtete u n d eine finstere Seite, bei schwachem Gegenlicht aber erzeugt sich erst der Schatten. Ist die Materie durchscheinend, so entwickelt sich i n ihr, i m H e l l d u n k l e n , Trüben, i n Bezug aufs Auge, das was w i r Farbe nennen.« 4) D i e Angabe v o n Jos. Körner, es handele sich u m v. 79 f. der 'Zahmen Xenien', ist unzutreffend. D i e Verse gehören z u Goethes »Gereimten D i s t i chen« ' G o t t , Gemüth u n d Welt'. Schlegel hat offenbar Band 2 der 'Werke' (1815—1819) benutzt; die Seitenzahl 244 (statt 214) beruht w o h l auf einem Verschreiben. »Gedichte. Bd. I I . S. 244«: ' G o t t , G e m ü t h u n d W e l t ' , v. 77 f. Erstdruck i n : 'Goethes Werke'. Stuttgart u n d Tübingen, J. G. Cotta. 20 Bände. 1815—1819, Bd. 2, S. 214. (1815) = Weimarer Ausgabe, I . A b t . , Bd. 2, S. 218, v. 77 f.: Verdoppelte sich der Sterne Schein, Das All wird ewig finster sein. 5) »Metamorphose der Pflanzen i n der Morphologie I . S. 41 u n d 42«: ' D i e Metamorphose der Pflanzen'. X I I . Rückblick und Ubergang. 84. i n : ' Z u r Morphologie. Erfahrung, Betrachtung, Folgerung durch Lebensereignisse verbunden. V o n Goethe. Erster Band.' 1817—1822: ' Z u r Morphologie. Ersten Bandes, Erstes H e f t . ' 1817, S. 41 f. (Entstanden i m W i n t e r 1789;
5 Literaturwissenschaftliches Jahrbuch, 8. Bd.
66
Hermann Kunisch
Erstdruck unter dem T i t e l : 'Versuch die Metamorphose der Pflanzen z u erklären.' 1790.) = Weimarer Ausgabe, I I . A b t . , Bd. 6, S. 71, Z . 6—10 = Goethe. Die Schriften zur Naturwissenschaft. Leopoldina-Ausgabe. I . A b t . , Bd. 9: Morphologische Hefte. Bearbeitet v o n Dorothea K u h n , Weimar 1954, S. 48, Z . 13—20: » U n d so wären w i r der N a t u r auf ihren Schritten so bedachtsam als möglich gefolgt; w i r hätten die äußere Gestalt der Pflanze i n allen ihren U m wandlungen, v o n ihrer Entwicklung aus dem Samenkorn bis zur neuen Bildung desselben begleitet, u n d ohne Anmaßung, die ersten Triebfedern der N a t u r w i r k u n g e n entdecken z u wollen, auf Äußerung der Kräfte, durch welche die Pflanze ein u n d eben dasselbe Organ nach und nach umbildet, unsre Aufmerksamkeit gerichtet.« 6) Z u »modern« i m Gegensatz zu »antik« s. 'Friedrich Schlegel und Goethe'. Zeitweise w o l l t e Schlegel i n Goethe eine Möglichkeit sehen, das Moderne, dessen Hauptvertreter für i h n Shakespeare w a r , m i t dem A n t i k e n zu versöhnen. S. auch unten S. 93 f. 7) Jos. Körner vermutet hinter dem hier genannten Schütz den Verfasser eines 1822 m i t der Jahreszahl 1823 i n H a l l e erschienen Buches 'Goethe u n d Pustkuchen oder über die beiden Wanderjahre W i l h e l m Meisters u n d ihre Verfasser. E i n Beitrag zur Geschichte der deutschen Poesie u n d Poetik': Friedrich K a r l Julius Schütz (1779—1844). Dieser Schütz, 1801 gleichzeitig m i t Schlegel Privatdozent i n Jena, beteiligt an der v o n seinem Vater C h r i stian Gottfried Schütz begründeten 'Allgemeinen Litteraturzeitung' i n Jena, ist der Verfasser zahlreicher Schriften v o n geringem wissenschaftlichen Gewicht zur Geschichte, Literatur u n d zum Theater. Über Goethe hat er sich auch später noch geäußert; v o r allem i n dem siebenbändigen W e r k 'Goethes Philosophie. Eine vollständige schematisch geordnete Zusammenstellung seiner Ideen. Herausgegeben u n d m i t einer Charakteristik seines philosophischen Geistes begleitet', 1825—1827. Uber F. K . J. Schütz siehe L u d w i g Frankel i n der 'Allgemeinen Deutschen Biographie', Bd. 33 (1891), S. 117—120; ferner L u d w i g Geiger i n seiner Einleitung z u m Neudruck der 'Wanderjahre' v o n J. F. W . Pustkuchen, Berlin 1913, S. 67. — Z u diesem Schütz, der i n seinem Buch die 'Wanderjahre' oberflächlich u n d d ü r f t i g k r i t i siert, würde stimmen, daß sein Hauptaugenmerk dem philosophischen Gehalt gilt. Gegen diese Identifikation spricht, daß der v o n Schlegel m i t Nachdruck betonte »gemeine Dualismus« i n der genannten K r i t i k keine Rolle spielt. Eine solche Deutung findet sich dagegen i n einer langen Rezension der 'Wanderjahre' i m 23. Band der 'Jahrbücher der Literatur', W i e n July, August, September 1823, S. 67—99: ' W i l h e l m Meisters Wanderjahre, oder die Entsagenden, ein Roman v o n Göthe. Erster Theil. Stuttgard u n d T ü b i n gen, i n der Cottaschen Buchhandlung.' Als Verfasser zeichnet W i l h e l m von Schütz. I n dieser Rezension heißt es: »Alle [d. h. diejenigen, die eine »Versöhnung der allertrennendsten Auflösung« i n Dichtkunst, Philosophie, Wissenschaft, Naturbetrachtung u n d Religion versuchten] fand er i n Täuschung,
Friedrich Schlegel: Nachträglicher Zusatz vom ganzen Goethe
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die sich rühmten, jene große Dissonanz aufgelöset zu haben, u n d statt ebenfalls i n solche einzugehen, zog er es vor, sie ungelöset stehen zu lassen. V i e l leicht hatte er sich m i t reiner, die Heucheley verabscheuender Offenheit gestanden, daß, wie er geboren, diese Dissonanz für i h n nun einmal da, m i t dem eigenen Leben i h m gegeben, u n d v o n i h m nicht aufzulösen sey.« (S. 75). V o n solcher Übereinstimmung her liegt die Annahme nahe, daß es sich bei dem v o n Schlegel erwähnten Schütz u m diesen Christian W i l h e l m von Schütz handelt. Das ist auch deswegen wahrscheinlich, w e i l Schütz i n mannigfachen Beziehungen zu den Romantikern gestanden hat. A u f jeden Fall gehören i n die durch Pustkuchens »nachgemachte Wanderjahre« hervorgerufene Auseinandersetzung beide Schütz hinein. Christian W i l h e l m v o n Schütz (1776—1847), i n Berlin geboren, lebte dort, i n Dresden u n d auf seinem G u t bei Frankfurt a. O. Als Verfasser v o n lyrischen Gedichten hat er die A u f merksamkeit v o n A . W . Schlegel erregt, der allerdings seine v o n Schiller abhängigen Tragödien ablehnte. Schütz hat Verbindung zu Tieck, Fichte, Bernhardi u n d Varnhagen gehabt u n d hat an Friedrich Schlegels 'Museum' m i t gearbeitet. Nach seiner Konversion hat er die katholische Sache m i t wenig Glück u n d ohne Anerkennung durch die K a t h o l i k e n gegen die preußische P o l i t i k publizistisch vertreten. Goethe hat sich für i h n wegen der i n seiner späteren Zeit betriebenen naturwissenschaftlichen (Geologie, Botanik) Studien interessiert; vgl. etwa 'Tag- u n d Jahreshefte' 1808 u n d 1817. H i e r findet sich die immerhin bemerkenswerte Äußerung: » W i l h e l m v o n Schütz v o n Ziebingen erneuerte frühere Unterhaltungen i n Ernst u n d Tiefe.« (Weim. Ausg. I , Bd. 36, S. 133, Z . 22 f.). Über W i l h e l m v. Schütz vgl. Oskar F. Watzel i n der 'Allgemeinen Deutschen Biographie', Band 33 (1891), S. 134 bis 136. Z u dem F a l l Pustkuchen vgl. Schlegel i m 'Nachträglichen Zusatz', meinen Aufsatz 'Friedrich Schlegel u n d Goethe' (dort Anmerkung 26 weitere bibliographische Angaben) u n d die Einleitung v o n L u d w i g Geiger z u seiner N e u ausgabe der 'Wanderjahre' v o n J. F. W . Pustkuchen, Berlin 1913. — Eine Bibliographie der zeitgenössischen Rezensionen der 'Wanderjahre' Goethes findet sich bei Gustav Dichler, ' W i l h e l m Meisters Wanderjahre' i m U r t e i l deutscher Zeitgenossen. Archiv für das Studium der neueren Sprachen, Band 162/63 (1932), S. 23—29. 8) Gemeint ist Goethes 'Betrachtung u n d Auslegung' seiner 'Ballade': »Herein, ο du Guter!« Erstdruck i n : 'Uber Kunst und Alterthum. D r i t t e n Bandes erstes H e f t . ' 1821, S. 59—66 = Weimarer Ausgabe, I . A b t . , Bd. 41 1 , S. 223—227. 9) Schlegel verweist hier auf die Übersetzung Calderons durch seinen Bruder August W i l h e l m : 'Spanisches Theater', Berlin 1803—1809, 2 Bände. 10) S. i m textkritischen A p p a r a t zu Zeile 4—7. 11) Gemeint sind die hier genannten radikalen Gegner und Bewunderer Goethes, v o r allem Pustkuchen u n d Schubarth, die beide auch i m 'Zusatz' angegriffen werden. 5*
Hermann Kunis
68
II. Nachträglicher
Zusatz
vom
ganzen
Goethe
Wie oben mitgeteilt, ist dieser Aufsatz i n einem Nachlaßheft aus dem Besitz der Görres-Gesellschaft überliefert 1 . Diese Manuskripte wurden i m Jahre 1878 der Görres-Gesellschaft v o n dem bisherigen Besitzer H u b e r t v o n Lassaulx übergeben, der sie v o n seiner Großmutter Franziska v o n Longard, einer Enkelin Dorothea Schlegels, überkommen hatte. Das H e f t m i t dem 'Nachträglichen Zusatz' besteht aus kräftigem, grauem Papier i n der Größe 16,5 X 23 cm. D e r Großbogen ist i n der M i t t e gefaltet u n d trägt als Wasserzeichen ein wappenartiges Muster u n d querstehend den N a m e n B R I L L M A I E R . Z w e i Lagen v o n unterschiedlicher Dicke sind aneinander gebunden; v o n der ersten sind oben zwei Blätter abgeschnitten worden. D i e Seiten sind nicht gezählt. A u f dem obersten B l a t t beginnt der Aufsatz; er reicht bis zur Seite 11. Wenn man das jetzige H e f t durchzählt, beginnt die zweite Lage auf Seite 21; sie reicht bis Seite 36. Der erste T e i l ist m i t dem Goethe-Aufsatz bis Seite 11 gefüllt; die übrigen Seiten sind unbeschrieben. Der zweite T e i l des Heftes ist bis auf die letzte Seite ganz beschrieben. A u f Seite 21, also nach 9 leeren Seiten des ersten Teils, beginnt ein neuer Text mitten i n einem Satz: »höherer Geist der Liebe oft [oder: »erst«?] hervorleuchten soll.« U n m i t t e l b a r anschließend beginnt auf der dritten Seite ein Abschnitt aus dem Bericht 'Ueber die Deutsche Kunstausstellung zu R o m ; i m Jahre 1819' 2 ; beginnend: »Die Sache [darüber: »Die Angelegenheit«] der christlichen Kunst u n d die richtige Ansicht v o n ihrer hohen W ü r d e . . . « . E r reicht bis »Jener nach der antiken Ansicht i n der N a t u r königlich herrschende und wie der [aus: »ein«] ordnende(r) G o t t waltende Formengeist erscheint doch eigentlich nur [ i m Druck: »blosz«] äußerlich als ein solcher u n d ist an sich wieder nur die materielle H ü l l e , aus welcher jene verborgene göttliche Seele alles Lebens, als«. H i e r schließen n u n die i n der Handschrift davor stehenden zwei Seiten an: »höherer Geist der L i e b e . . . « usw. 3 . E i n Vergleich m i t dem Erstdruck, der hier nicht genau durchgeführt werden kann, läßt darauf schließen, daß es sich, wie kleine Abweichungen zeigen, u m eine erste Niederschrift des Kunstberichtes handelt. D a n n lägen diese Seiten zeitlich v o r unserem Goethe-Aufsatz. Dieser Eindruck erster Niederschrift ergibt sich auch daraus, daß auf der Rückseite des m i t »Lebens, als« schließenden Abschnittes des Berichts über die Kunst1
S. oben S. 58, Anm. 2; ferner 'Friedrich Schlegel und Goethe', S. 189, Anm. 1. Sämmtl. Werke, 10. Band, Wien 1825, S. 204—243. In der ersten Ausgabe der 'Sämmtlichen Werke', 10. Band, Wien 1825, stehen diese Teile auf S. 238—241 unten, und die in der Handschrift voranstehende Stelle S. 241—243. 8
3
Friedrich Schlegel: Nachträglicher Zusatz vom ganzen Goethe
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ausstellung nicht die Fortführung dieses Satzes steht, sondern ein Stück aus dem Aufsatz 'Ueber L a Martine's religiöse Gedichte. 1820' 4 . D i e folgende, ohne Zwischenraum anschließende Seite beginnt m i t einem »Zusatz z u m L a Martine«, i m Druck als »Anmerkung 1824«: »La Martine ist sich nicht gleich geblieben u n d ist [»ist« fehlt i m D r u c k ] i n der zweyten Lieferung seiner dichterischen Meditationen« usw. 6 . Einzelne v o n Schlegel stammende, aber nicht konsequent durchgeführte Seitenzahlen zeigen, daß diese jetzt m i t dem Goethe-Aufsatz zusammengehefteten Blätter ursprünglich anders geordnet gewesen sein müssen. D a es uns auf den 'Nachträglichen Zusatz v o m ganzen Goethe' ankommt, braucht diese Frage hier nicht beantwortet zu werden. Z u m a l es sich offenbar u m Niederschriften zur ersten Auflage der 'Werke' handelt, deren T e x t also durch den Druck überholt ist. Ebenso wenig k a n n hier geklärt werden, woher das Doppelblatt v o m gleichen Papier stammt, das lose diesem H e f t beiliegt. Es handelt sich u m vier Seiten aus einem Manuskript über Poesie. Es kann auch i n diesem Falle nicht unsere Aufgabe sein, festzustellen, zu welchem W e r k oder Aufsatz sie gehören. A l l e Seiten dieses Heftes waren ursprünglich i n der M i t t e gefaltet. Bei der Niederschrift hat aber Schlegel durch Faltung einen schmalen inneren u n d einen breiteren äußeren R a n d hergestellt. Beide Ränder sind aber oft entweder einfach überschrieben oder, dies gilt besonders v o m äußeren Rande, m i t Zusätzen versehen. D i e äußere Verfassung des 'Nachträglichen Zusatzes' u n d die stilistische Durchformung lassen deutlich erkennen, daß Schlegel hier zunächst eine Druckvorlage für die 2. Auflage der 'Sämmtlichen Werke' herstellen wollte. Z u A n f a n g w i r d auf die beiden früher gedruckten Goethe-Abhandlungen verwiesen als »unter 1 und 2« stehend, also auf die Meister-Rezension v o n 1798 und die'Anzeige v o n Goethe's Werken' v o n 1808, die schon i m 10. Bande der ersten Auflage (1825) unter Abschnitt I I , 'Neue Kunst u n d L i t t e r a t u r ' als N r . 1 und 2 erscheinen. Der 'Nachträgliche Zusatz' sollte diesen Aufsätzen also als N r . 3 folgen. Je weiter Schlegel i n der Niederschrift des ' Z u satzes' gelangt, u m so mehr macht sie den Eindruck eines ersten Entwurfes, demgegenüber der Verfasser w o h l immer stärker ein Gefühl des Nichtbewältigenkönnens empfunden haben mag. M a n glaubt diesem Versuch anzumerken, wie intensiv, aber auch quälend das Ringen u m den großen Gegenstand gewesen sein muß. Das Abbrechen der Auseinandersetzung deutet vielleicht auf eine Unsicherheit seinem geistigen Ansatz gegenüber, oder aber auf ein Versagen des Mutes u n d der K r ä f t e v o r dieser gewaltigen A u f gabe. G a l t es doch, abzulehnen u n d Unterscheidungen klarzulegen, w o er 4 5
S. W. 10, S. 262, letzte Zeile bis 263. S. W. 10, S. 256 f.
70
Hermann Kunisch
liebte, indem er versuchte, die endgültige Bedeutung dieses größten Gegenstandes der damaligen Literatur festzustellen 8 . D i e Handschrift ist schwer zu entziffern; einzelnes ist nicht m i t ganzer Sicherheit zu lesen. Das gilt v o r allem für erste, sofort wieder verworfene und gestrichene Ansätze. Meist handelt es sich u m kleine Wörter (wie, so, da, er usw.), die sehr flüchtig geschrieben und auch i m endgültigen Text nur i m Sinnzusammenhang richtig gedeutet werden können. Zunächst hat Schlegel versucht, einen durchgearbeiteten T e x t für den Druck zu liefern; die Verbesserungen und Zusätze sind genau eingeordnet, die Sätze zu Ende geführt, Verworfenes w i r d gestrichen. Später, etwa v o n der vierten Seite an, t r i t t der Charakter eines ersten Entwurfs immer deutlicher hervor. D i e Sätze werden, wie auf der verhältnismäßig glatt geschriebenen Seite 4, nicht immer syntaktisch ausgeformt, sondern halten flüchtig den Gedankengang fest. So können i m Sinn durchaus verstehbare, i n der stilistischen Ausbildung unsichere Sätze entstehen, die zu korrigieren kaum möglich ist. Die Interp u n k t i o n ist unregelmäßig, läßt sich aber leicht ergänzen. Überholtes w i r d (s. S. [ 5 ] ff.) nicht mehr gestrichen, so daß zwei Versionen neben- oder übereinander stehen können. I n solchen Fällen ist die Entscheidung, welches die erste und welches die endgültige Fassung ist, schwierig; s. etwa die Variante des Zusatzes zu Zeile 101. Zusätze am Rande werden nicht immer durch Verweisungszeichen eingeordnet, so daß die Einfügung nach dem Sinnzusammenhang geschehen muß. Dieser aber w i r d auf den späteren Seiten lockerer und sprunghafter; das Ganze nähert sich auch i n dieser Hinsicht einer flüchtigen Skizze. Der folgende Abdruck gibt alles Lesbare wieder, der textkritische A p p a r a t versucht den Vorgang der Niederschrift zu rekonstruieren. I n einigen Fällen ist die Entscheidung des Herausgebers ein Vorschlag, dem keine absolute Gültigkeit zukommt. D a der A p p a r a t sehr umfangreich sein muß, w i r d er am Schluß des Textes angefügt. Die erklärenden Anmerkungen werden der Übersichtlichkeit wegen gesondert aufgeführt. A l l e Änderungen der H a n d schrift (Streichungen, Zusätze usw.) werden i m A p p a r a t verzeichnet, u m den endgültigen Text, soweit er sich m i t Sicherheit feststellen läßt, zusammenhängend u n d lesbar darzubieten. D i e Seiten der Handschrift werden durch Ziffern i n eckigen K l a m m e r n bezeichnet, u { = und) wurde stillschweigend ergänzt; alle anderen Zufügungen des Herausgebers stehen i n eckigen Klammern. Bei der Entzifferung des Textes haben m i r meine Schüler D r . Klaus Briegleb u n d D r . Wolfgang K r ö n geholfen. Ihnen sei an dieser Stelle besonders gedankt.
β Zur Deutung dieser Auseinandersetzung, besonders zur Gültigkeit des Verfahrens vgl. 'Friedrich Schlegel und Goethe*.
Friedrich Schlegel: Nachträglicher Zusatz vom ganzen Goethe
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Text Nachträglicher Zusatz v o m ganzen Goethe •in der jetzigen deutschen L i t t e r a t u r : 1823.
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Die bey den unter 1. und 2. voranstehenden Aufsätze 1 sind hier wiederum so gegeben worden, wie die Charakteristik der Meisterischen Lehrjahre v o r fünf u n d zwanzig Jahren angefangen und unvollendet geblieben ist, und wie dann die umfassendere Uebersicht der sämmtlichen Dichterwerke Goethes nach der ersten Cottaschen Ausgabe v o r etwa sechzehn Jahren weiter geführt wurde. Es ist i m Wesentlichen wenig daran zu verändern gewesen; u n d mögen diese Urtheile als Denkmahle jener Zeit w o h l auch i n einem gewissen Sinne das Gepräge derselben beybehalten. Seitdem aber ist eine große Bewegung besonders über den Meister entstanden, durch die an sich so geringe Veranlaßung der nachgemachten Wanderjahre 2 . Mancher alte, viel weiter umfassende u n d tiefer eingreifende Streit u n d der deutschen Kunst u n d Litteratur eingebohrene Zwiespalt ist dabey wieder zur Sprache gekommen und v o n neuem rege geworden. U n d nachdem so verschiedenartige Urtheile über diesen Gegenstand sich chaotisch durchkreuzen und ohne Compaß auf dem bewegten Meere der herrschenden Zeitstimmung h i n u n d wieder gehen; so fehlt es w o h l mehr als je an einem entscheidenden und lösenden W o r t dieses so aesthetisch verwickelten deutschen LitteraturKnotens zum Schlußstein jener früheren wohlgemeynten DichterStudien u n d fragmentarisch geblichenen Urtheile über dieses große KunstPhänomen unsrer Zeit. [ 2 ] Es ist ein großes Bedürfniß der Zeit, daß sie über sich selbst zum Bewußtseyn gelange, auch i n der L i t t e r a t u r ; damit es u m so eher zu einer durchgreifenden heilsamen Krisis, wie i n der Wirklichkeit selbst, so auch i n der wissenden Kunst, als dem intellektuellen Nachbilde des Lebens k o m men möge. Für den vorliegenden 'Gegenstand des allgemeinen erregten Streites über die Poesie unsres Dichters u n d den W e r t h derselben müßen w i r aber den Blick vorzüglich nur auf das Ganze festhalten, und dürfen für jetzt dem sonst i n der Erforschung so natürlichen und für sie sehr ersprießlichen Streben des Kunstsinns, sich i n die Einzelheiten der Structur eines einzelnen wahrhaft genialischen Gebildes ganz zu vertiefen, wie es w o h l auch i n jenen früheren Aufsätzen geschehen ist, hier nicht weiter nachgeben, als für diesen Zweck angemessen ist. Ueber das einzelne Werk u n d Gedicht, ja auch über den einzelnen Dichter selbst u n d die ganze Reihenfolge seiner Bestrebungen, w i r d es uns hier genügen, das rechte W o r t zu treffen, und i n der K ü r z e die Stelle zu bestimmen, w o Jedes i m Allgemeinen hingehört. Das Hauptaugenmerk aber muß das Ganze bleiben, nämlich die Zeit selbst u n d
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der verwickelte K n o t e n i n dem PartheyenGanzen ihrer intellektuellen E n t wicklung u n d Poesie, nach allen ihren Bewegungen[,] sie mögen nun i n der Kunst vorwärts schreiten oder rückgängig werden, u n d w i r k l i e h oder scheinbar, z u m T h e i l oder ganz still stehen u n d ins Stocken gerathen.
[ 3 ] Nach dieser zur Richtschnur des Verfahrens vorangeschickten allgemeinen Bemerkung 3 nehmen w i r den Faden des vorliegenden Problems wie45 der auf und kehren zurück zu dem durch jenen Pustkuchen gegebenen A n fangspunkte dieser litterarischen Streitbewegung zwischen den leidenschaftlichen Gegnern u n d den Unbedingten der jetzigen Zeit unter den Bewunderern unsres Dichters. Was man nun auch v o m W e r t h der Erfindung überhaupt, oder v o n dem sittlichen W e r t h der einzelnen Charaktere insbesondere, 50 v o m Gehalt der ganzen Darstellung i m W i l h . Meister denken [ , ] wie verschieden man i n dieser Hinsicht über dieses Werk urtheilen mag; zwey Dinge bleiben d a r i n [ , ] welche allgemeine Bewunderung verdienen; die Schönheit des Styls u n d diese bey Gegenständen solcher A r t aus dem Leben bis dahin i m Deutschen noch nicht erreichte A n m u t h u n d geistreiche K l a r h e i t 55 der Sprache; u n d dann jene innere Verbindung u n d dichtende Lebendigkeit, welche ich das epische Gewebe i n dem Ganzen nennen möchte, Eigenschaften, welche der darstellende u n d das Leben umfassende Roman allerdings m i t der w i r k l i c h epischen Darstellung theilen u n d gemein haben k a n n und darf. Jene frühere Charakteristik w a r eben i n diesem Sinne auf dieses A l l 60 gemeine u n d auf den lebendigen Reichthum i n dieser geistreichen Dichtung gerichtet, damit der Blick auf diese hingewendet, und nicht etwa die Bewunderung auf Einzelheiten abgelenkt würde, welche auf die Dauer keinen zureichenden Gegenstand derselben weder i n der Gesinnung noch i m Kunst Gefühl darbieten können. D a r i n liegt das Anziehende des Eindrucks i n die65 sem Werke, u n d zugleich der objektive K u n s t w e r t h desselben; u n d es darf uns daher eben nicht befremden, wenn zwey Dichter gleich damals i n darstellenden Romanen, welche dem darin waltenden Geiste nach himmelweit v o n dem Meister verschieden und auf ganz etwas andres ausgehen, dieses Allgemeine aus dem neuen W e r k , die A n m u t h dieses klaren Styls nämlich 70 u n d jenes epische Gewebe, auf eigentümliche Weise zu ihrem Zweck angewendet [ 4 ] u n d sich angeeignet haben, ohne daß man dieses eine Nachahmung schelten dürfte. Ich meyne Tieck i n seinem Sternbald, welchen obw o h l er ein KünstlerRoman heißt, niemand m i t dem Meister [ w i r d ] zusammenstellen w o l l e n ; und Hardenberg i n dem Ofterdingen, w o vielmehr 75 i m charaktervollen Gewände des Mittelalters die Geheimniße der N a t u r wie i n einem ZauberSpiegel magisch angedeutet u n d nicht bloß die verschiedenen Seiten v o n der Oberfläche des Lebens auf eine geistreiche A r t zusammengestellt werden. Jene A r t u n d Weise i n der Sprache u n d Darstellung des Meister ist etwas so allgemein Objektives, daß als zu jener Zeit, als der
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Eindruck davon noch neu war, ein darstellender R o m a n erschien, v o n weiblicher H a n d aus dem gesellschaftlichen Leben entworfen, anfangs sogar eine Täuschung u n d Ungewißheit dadurch entstand 4 ; wie denn auch jetzt die Aufmerksamkeit, welche der falsche Pustkuchen erregt hat, zunächst vielleicht dem Umstände verdankt [ w i r d ] , daß die angenommene Manier i n den nachgemachten Wanderjahren auf den ersten Blättern für die flüchtigeren Leser täuschend genug beybehalten war, obgleich der ungebetne Fortsetzer sie nicht lange durchzuführen [imstande] war. Denn etwas andres ist freylich jene äußere M a n i e r f , ] die sich nachbilden u n d nachäffen läßt, u n d die innere Kunst i n der Sprache u n d Darstellung oder Verwebung derselben. I n diesem letzten Sinne hat der Dichter selbst die gleiche Kunst Methode des darstellenden Romans i m S t y l und i n dem epischen Gewebe, o b w o h l m i t mancher [ 5 ] wesentlich [ e n ] Veränderung auf ein W e r k v o n ganz verschiedenem Zweck u n d Geist angewandt und also was i h m i m ersten Versuch 5 so glücklich gelungen war, selbst nachgebildet; u n d wenige unter seinen Werken hat er w o h l so rein vollendet u n d künstlerisch durchgeführt als diese Wahlverwandtschaften; welches ich um so unpartheyischer anerkenne, da ich w o h l gestehen muß, daß mich die darin herrschende Gesinnung u n d innerste geistige Tendenz wenig anspricht, u n d sehr w i d e r w ä r t i g absticht gegen die Heiterkeit der Meisterischen Lehrjahre. Selbst i n jener m i t so mancherley Dichtung versetzten Wahrheit aus Seinem Leben hat der Dichter die gleiche Manier u n d denselben epischen Fluß der Darstellung i n Prosa angewandt, o b w o h l i n einer sehr verdünnten Q u a l i t ä t hier ungleich nachläßiger[.] Z u den .alten Lehrjahren hat der Dichter n u n i n seinen eignen Wanderjahren gleich anmuthig den Faden weiter zu führen angefangen; u n d dem ganzen Meisterischen Werke noch eine Reihe v o n ähnlich[en] Bruchstücken des Lebens u n d der B i l d u n g hinzugefügt, welche bloß rhapsodisch genommen den schönsten unter den früheren nicht nachstehen dürfen. Ohne sichtbaren, oder nur i n ganz losem Zusammenhang stehen sie auch i n der vollendeten Ausarbeitung den Wahlverwandtschaften w e i t nach; haben dagegen aber die Heiterkeit der alten Lehrjahre v o r diesen voraus[.] Wenn aber die jetzigen absoluten Geister ein Ganzes darin erspüren w o l len, oder i n dem weder sehr tiefsinnigen noch sonderlich glücklich [en] E i n f a l l v o n den dreyerley Ehrfurchten, mehr als einen flüchtigen Dichtergedanken, u n d etwa gar eine neue u n d tiefsinnige Theorie der Erziehung, u n d nächstdem w o h l auch alles Lebens[,] Glaubens u n d Denkens zu entdecken wissen; so k a n n jeder, der nicht m i t i n diesem falschen Strome befang[en] ist, an solchen erkünstelten Ungedanken u n d i h r eignes Z i e l u n d alles M a ß überspringenden NichtUrtheilen w o h l eigentlich gar keinen A n t h e i l nehmen. [ 6 ] Dieser H a n g zur Uebertreibung ist bey der nachahmenden Menge i n Deutschland als ein Surrogat der ächten Begeisterung einmal hergebracht
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u n d zur andren N a t u r geworden; wie i n F r a n k r e i c h ] die Mode i n allen Dingen herrscht u n d immer geherrscht hat, so gehört den deutschen Geistern v o n geringerem Gehalt irgend eine A r t v o n litterarischem BaalsDienst, v o n poetisch[em] GötzenSkandal, zum unentbehrlichsten Bedürfniß, ein be125 stimmtes M a ß v o n irgend einer Lieblingsabgeschmacktheit[,] welches denn, wenn es einmal nicht anders seyn k a n n [ , ] allenfalls noch nachgesehen werden möchte[,] wenn dabey nur nicht immer gleich gewaltsam alles M a ß u n d Ziel überschritten würde. Es liegt das nun einmal i n den absoluten Zuständen oder sollen w i r sagen [ d e r ] unbedingten Beschaffenheit[,] wenn w i r 130 die krankhafte Richtung anders so bezeichnen dürfen, des jetzigen deutschen Geistes; nach dieser muß nun einmal alles unbedingt seyn, und alles unbedingt aufgefaßt und ausgesprochen werden. U n d da ist denn unser ehrenwerther Dichter u n d Meister ein eigentlicher litterarischer Weltgeist, dichterischer Demiurg, m i t einem Worte jener All-Goethe, wie sie es nennen. 135 W i e die Wahlverwandtschaften, welche unter den Werken des Dichters sich am meisten zu diesem nicht sowohl zerstörenden als schon zerstörten Geist der neuesten Zeit hinneigen, darauf ausgeh [en,] eine chemische Zersetzung der Ehe u n d dann der Seelen selbst i n der kunstreichsten Darstellung des geselligen Lebens anschaulich darzulegen; so ist jetzt auch das U r t h e i l über 140 Goethe durch eine ähnliche Zersetzung auf eine zwiefache A r t absolut geworden und i n das Verstandlose gefallen, während das früher vorhandene U r t h e i l über diesen Dichter vielleicht ein hier u n d da i n schwankender Rücksicht unvollendetes, u n d noch mancher Berichtigung u n d näheren Bestimmung bedürfendes, aber doch wenigstens ein m i t Verstand geführtes, 145 auf ein Verstehen gegründetes, u n d durch dieses Verstehen, durch die Kunst und ihre Entwicklung so wie durch das Ganze des Dichters selbst bedingtes und begründetes U r t h e i l war. Recht charakteristisch für die gegenwärtige Zeit ist es daher, wie die Sache jetzt steht: während v o n der einen Seite der aufgedrängte Pustkuchen dem alten Meister auf eine ziemlich rohe A r t v o r 150 w i r f t , daß er ein unmoralischer und un[7]christlicher Dichter gewesen, ja daß er überhaupt kein wahres Dichtergenie sey, w o r i n i h m die Zeit und die N a t i o n gewiß nicht beystimmt, und auch die Kunst, u n d wer sie m i t Ernst erforscht, niemahls beystimmen kann, findet sich v o n der andern Seite ein Bewunderer unter dem Nahmen Schubarth 6 , ausgerüstet m i t einem w o h l 155 abgefaßten MeisterPatent für seine verdrießliche neue Lobeserfindung auf den dichterischen Demiurg u n d AllGoethe, der m i t dem begeisterten Fleiß einer Ameise, grade was der andre verabscheut[,] nämlich den i n vielen Werken des Dichters verborgenen Faden des innerlichen Mephistopheles hervorzieht, als w o r i n grade das Allerköstlichste seiner Ironie liege. Insofern 160 zwey entgegenstehende I r r t h ü m e r sich gegenseitig z w a r nicht ergänzen, w e i l aus zwey N u l l e n doch nie ein Ganzes oder eine Einheit hervorgehen kann,
Friedrich Schlegel, 'Nachträglicher Zusatz vom ganzen Goethe'. Nachlaßheft S. [6]. (s. S. 73 f. und 83—85).
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w o h l aber sich gegenseitig fordern u n d daher gleichzeitig erscheinen, so gehören auch beyde, der Nachgemachte Wandrer u n d dieser kleine, eben so nachgemachte Mephistopheles unter den Bewunderern durchaus zusammen, unid bilden gemeinsam nur E i n Phänomen v o n neuer unbedingter K r i t i k ohne Urtheil. U n t e r andrem hat dieser kleine Mephistopheles die Entdekkung gemacht, w o r i n i h m der französische Lobredner, Cousin 7 , i m Uebermaß der liberalen Freude über diesen glücklichen Fund eines leibhaften deutschen Voltaire, A l l z u bereitwillig, m i t einstimmt i n diese Ansicht, daß Goethe eigentlich Zeit seines ganzen Lebens ein heimlicher Philosoph gewesen, ohne daß w i r andren solches bemerken können, u n d habe sich nur gleichsam i m provisorischen Zustande als der größte aller Dichter und Demiurg i n der Kunst u n d Poesie offenbart. Auch — Es darf aber w o h l kaum erinnert werden, wie sehr der ganze Standp u n k t dadurch verrückt und verschoben w i r d [ . ] [ 8 ] So wie ich nun schon v o r dreyßig Jahren 8 ein reiches DichterGenie i n Goethe bewundert und erkannt habe, o b w o h l seine Hervorbringungen, sehr mannichfaltig und ungleichf,] die Seele nicht alle i n dem gleichen Grade erfüllen oder ansprechen können; so finde i d i auch jetzt vorzüglich nur m i t denjenigen ein Interesse, mich über diesen Gegenstand zu verständigten], welche einzig die Poesie i n i h m lieben, wobey uns alles Persönliche ganz fremd bleiben muß, welches jetzt die Einen vergöttern, eben w e i l sie es als ein bloß Persönliches u n d Ueberzeitliches auffassen und anstaunen, während die andren es eben so unbedingt herabsetzen u n d leidenschaftlich schmähen. Die ächte Poesie i n diesem reichen Kunstgefilde eines einzigen Dichters aber gegen die gemachten Vorwürfe, daß er als Dichter unmoralisch u n d unchristlich sey, zu vertheidigen, und dann dodi das eigentlich u n d innerlich Fehlende i n diesem merkwürdigsten KunstPhänomen unsrer Zeit auszumitteln, ist schon deshalb belohnend, w e i l diese Frage die innersten Probleme desselben u n d unsrer Litteratur überhaupt berührt. M i r mag es vielleicht u m so eher vergönnt seyn, wenn ich darin zugleich eine Gelegenheit finde, so manche früheren Urtheile ergänzend zu vollenden, und zu zeigen[,] daß alle jene früheren U r t h e i l e f , ] wenn sie äußerlich auch fragmentarisch erscheinen mochten, innerlich [ 9 ] doch ein Ganzes gewesen sind, als auf einem bestimmten Standpunkte der Zeit u n d der Kunst, der Vergangenheit u n d der Gegenwart ruhend, welchem w i r jetzt nur noch als Schlußstein auch einen bestimmten Blick i n die nächste Z u k u n f t unsrer L i t t e r a t u r und intellektuellen Bildung hinzufügen wollen. Es w a r schon seit vielen Jahren und selbst noch i n der früheren Periode eine starke Parthey i n der deutschen Litteratur vorhanden, welche Goethes Dichtung unmoralisch fand, eben darum Schillern höher [stellte], oder auch an solche mehr religiöse[n] u n d ernstefn] Geister wie Jakobi sich anschloß; u n d dieß allein hat der gewagten Polemik der falschen
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Wanderjahre einigen Eindruck auf das P u b l i k u m verschaffen können. W i r d diese Frage v o n der Sittlichkeit eines Dichters bloß auf die Linie des Schickliehen i n der Darstellung der Sinnlichkeit beschränkt, so ist sie sehr unfruchtbarf,] indem sie sich leicht u n d ganz v o n selbst entscheidet und auf wenige einfache Grundsätze zurückführen läßt. D i e ängstliche Pedanterey welche überall nur heimliche Dinge auswittert, und der Poesie, die doch eine sinnliche Kunst ist, den Sinnenreiz ganz entziehen w i l l , w i r d w o h l niemahls allgemeinen Eingang finden, so lange nicht die ganze W e l t i n Eine H e r r n huter Brüdergemeinde verwandelt u n d i n lauter fromme Zustände nach der neuesten pietistischen A r t [ , ] wie das i n der jetzigen Sprache genannt w i r d [ , ] aufgelöst ist. A u f der andren Seite ist einleuchtend, daß ein Dichterf,] welcher absichtlich lüsterne Schilderungen sucht wie Wieland i n den meisten seiner Werke gethan, sich eben so sehr u n d vielleicht noch mehr an der Kunst als gegen die Sitte versündigt[,] da die ächte Kunst w o h l dem Frühl i n g seine Blumen [ 1 0 ] u n d der Jugend ihre Freude läßt, aber keine unlautere Absicht duldet. Es versteht sich übrigens w o h l v o n selbst, daß dem antiken Dichter des heidnischen Alterthums hierin manches frey stand, und jene Linie des Schicklichen für i h n überhaupt ganz anders gezogen w a r , als dieses für den neueren Dichter der christlich gesitteten Zeit gelten kann. N u n kann es w o h l auch einem ächten Dichter der neueren Zeit begegnen, daß er hierin, besonders wenn er ganz i n den Ideen u n d Dichtern des Alterthums groß gezogen, m i t diesem erfüllt u n d davon begeistert worden, auf eine Zeitlang des rechten Weges verfehlt, u n d der eignen Umgebung vergessend, zu sehr i n die Sitten des [ v o n ] i h m so verehrten Alterthums hinüber geräth; •dodi w i r d ihn, wenn er i m thätigen KünstlerLeben u n d mannichfach erworbenen D i d i t e r R u h m auf die W e l t z u w i r k e n strebt[,] das Gesetz der [ Z e i t ] u n d der i n ihr herrschenden Begriffe bald ganz v o n dieser Abweichung zur antiken Freyheit i n das Gleis der jetzigen Sitte zurücklenken. Aber auch unter den großen Dichtern der christlichen N a t i o n e n i n der früheren Zeit waltet hierin ein großer Unterschied ob ; die Muse der spanischen Dichter ist mehrentheils v o n so strenger Schöne und so überaus großer Zartheit, daß man w o h l bemerkt hat, w i e i n einem lieblichen SchäferRoman i n zwey starken Bänden des Cervantes auch nicht einmal ein K u ß als schuldlose Liebkosung v o r k o m m t . U n t e r den italiänischen Dichtern neigen sich einige aber auch i n diesem Punkte mehr zur antiken Freyheit, stärker fast, als unsre Zeit es ertragen würde; wer möchte aber darum diese sonst so hochverdienten Männer u n d K o r y p h ä e n i n der neueren Kunst m i t dem Schwerdte der allgemeinen Verwerfung aus der LitteraturGeschichte herausschneiden u n d verunglimpfen? Es läßt sich w o h l eigentlich keine für die einzelnen Fälle bestimmt ausreichende Regel darüber geben, sondern das sittliche Gefühl [ , ] welches aber doch auf diesem Gebiet zugleich ein künst-
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lerisches seyn soll, wenigstens i m Einverständnis des letzteren sich äußern soll, muß entscheiden; [ 1 1 ] so eng können auch dem Dichter die Gränzen w o h l nie gezogen werden, daß er nichts sagen u n d ausdrücken dürfte, als was i m gebildeten Gespräch der Gesellschaft v o n jungen Frauenzimmern gesprochen zu werden pflegt. Diese ganze ängstliche Untersuchung aber, ob unser Dichter i n einigen Elegien u n d I d y l l e n oder i n ein Paar Sinngedichten vielleicht etwas zu a n t i k u n d zu frey i m Ausdruck gewesen, ist an sich so unfruchtbar und i n Beziehung auf diesen Dichter geringfügig u n d untergeordnet [ , ] daß w i r uns w o h l die Mühe ersparen können, sie ängstlich ins Einzeln« weiter durchzuführen. W i r lassen sie daher lieber fallen u n d wenden uns der Tandelmarkt in Wien< 15 [Seiten] 14 [fl.] — [kr.].« Über seine Praxis der Honorarzahlung schreibt Stifter an Heckenast am 24. 1. 1842 (SW X V I I , S. 106—108): »Bei mir ist der Gang des Geschäftes folgender: Bei Eingang des Manuscripts berechne ich den Betrag des Honorars und zahle selbes nach einer vorläufigen Lesung; — « Es darf wohl angenommen werden, daß zum Abrechnungstermin (13. 10. 1841) demnach der 'Tandelmarkt* fertig vorlag. Im weiteren Briefwechsel Stifter — Hekkenast über 'Wien und die Wiener* wird dieser Aufsatz nicht mehr erwähnt. 15 SW X V I I , S. 122—128 (126), Brief Nr. 48, datiert: 17. 7. 1844. 16 SW X V I I , S. 376. Anmerkung des Hrsg. Gustav Wilhelm zu Brief Nr. 48.
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D i e N o t i z e n zur Fassung J der 'Mappe meines Urgroßvaters', die i m 2. u n d 3. Q u a r t a l 1841 u n d i m 1. Q u a r t a l 1842 i n der 'Wiener Zeitschrift' 1 7 erschien, sind dagegen spätestens i n den Zeitraum zwischen Sommer 1841 u n d W i n t e r 1841/42 einzuordnen. D i e Tatsache, daß diese beiden N o t i z e n zu 'Der T o d der Erde' unter Anmerkungen z u anderen Werken Stifters stehen, berechtigt zu der A n nahme, daß zu diesem Z e i t p u n k t Stifter noch kein gesondertes N o t i z h e f t für 'Der T o d der Erde' führte. Zusammengefaßt ergeben diese Vermutungen für die Abfassungszeit der vorliegenden 'Brigitta'-Entwürfe folgendes B i l d : 1. D i e E n t w u r f b l ä t t e r des C g m 7386 waren Ende 1841 n o d i nicht zu dem genannten N o t i z h e f t für 'Der T o d der Erde' zusammengefaßt. 2. Spätestens i m Sommer 1843 wurden sie durch ein neues Gesamtmanuskript der Novelle, das als Druckvorlage diente, ersetzt. 3. D i e E n t w ü r f e wurden vermutlich i n der Zeit zwischen Sommer 1842 (terminus a quo) u n d Sommer 1843 (terminus ante quem) niedergeschrieben. Relative Datierung
der Blätter
gleicher
Seitenzahl:
Durch Vergleich der Manuskriptfassungen m i t der Journalfassung gelingt die relative Datierung der Blätter gleicher Seitenzahl sehr viel eindeutiger als die Gesamtdatierung der Entwürfe. Durch die allmähliche Annäherung der Textgestalt an die Fassung J k a n n die Reihenfolge der Entwürfe m i t großer Sicherheit festgelegt werden. W i r versuchen nachfolgend diese A n näherung an charakteristischen Beispielen zu zeigen; die wenigen Gegenbeispiele sind ohne weiteres, z. B. durch Rückgriff Stifters auf den Ausdruck der früheren Fassung erklärbar 1 8 . Brigitta
7: B l a t t 5 a und 4 a + b .
Bereits ein äußerlicher Vergleich der Textgestalt zeigt, daß 5 a v o r 4 a + b einzuordnen ist, da B l a t t 4 der Druckfassung J i n zahlreichen Details näher steht. 17
Adalbert Stifter, Die Mappe meines Urgroßvaters, in: Wiener Zeitschrift für Kunst, Literatur, Theater und Mode. Hrsg. v. Friedrich Witthauer. Wien 1841— 1842. Nrr. 88—93 ( = 3.—12. 6. 1841): Die Antiken. Der sanftmüthige Obrist. Nrr. 151—156 ( = 21.—30. 9. 1841): Die Geschichte der zween Bettler. Nrr. 43— 50 ( = 1.—11. 3. 1842): Das Scheibenschießen in Pirling. 18 Im folgenden werden zitiert: Die Entwürfe des Cgm 7386 als M ( = Münchener Entwürfe) nach Blattzählung der Bayerischen Staatsbibliothek und Zeile der Handschrift; die Druckfassung J nach Seite und Zeile des Paralleldrucks der beiden 'Brigitta'Fassungen: Adalbert Stifter, Brigitta, Urfassung / Studienfassung. Hrsg. v. Max Stefl, Augsburg o. J.
Münchener Stifter-Handschriften
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1. M M J 2. M M
5a, 3 4a, 9—10 20, 3— 4 5a, 11—12 4a, 18
W i r k l i c h w a r es Ich sage „ i n Wüste", den w i r k l i c h w a r es Ich sage „ i n Wüste", denn w i r k l i c h w a r es seit vier u zwanzig Stunden seit fünfzehn Stunden
J 3. M M J 4. M M
20, 5a, 4a, 20, 5a, 4a,
15 16 24 15 17 26—29
seit fünfzehn Stunden f ü n f oder sechs M u l d e n zwei oder drei M u l d e n zwei oder drei M u l d e n [fehlt] „ W e m gehört das Anwesen, das w i r verlassen haben?" fragte ich wieder meinen Begleiter. „ „ M a r o s h e l i " " antwortete er, u ich wußte nicht, ist dieß der N ä h m e des H e r r n , oder sonst eine ungarische A n t w o r t .
J 20, 25—26
„ W e m gehört das Anwesen, das w i r verlassen haben?" fragte ich meinen Begleiter. „Marosheli" antwortete er, u n d ich wußte nicht, ist dies der N a m e des Besitzers, oder sonst eine ungarische A n t w o r t .
Brigitta
13: B l a t t 8 a, 10 a, 9 a.
1. M
2
b a l d erkanten alle, die hinüber kamen, -daß .der M a n auf unheiligem, verzaubertem Boden stehe, [Ergänzung am R a n d ] aber bald erkanten alle, die hinüber kamen, daß der M a n auf anderem, wie verzauberten Boden stehe, [ i m T e x t ]
8a,
M
10a,
2— 3
M
9a,
2— 3
aber b a l d erkanten alle, die hinüber kamen, daß der M a n auf einem andern gleichsam verzauberten Boden stehe,
19—21
aber bald erkannten alle, die hinüber kamen, daß der M a n n auf anderem, wie verzaubertem Boden stehe, [fehlt] [fehlt]
J 42,
2. M M M
8a, 10a, 9a,
5 4 4
J 42, 23 3. M 8a, 8— 9
Damals redete man viel h i n u her [Ergänzung am Rand] damals redete man viel h i n und her [ i m T e x t ] i d i kene nicht die K r ä f t e des Magnetismus [Ergänzung am R a n d ]
Wolfgang Landthaler
128 M
10a,
5— 6
M 9a, 4 J 42, 23
„ I c h kene nicht die K r a f t ides Magnetismus,
..
habe v i e l davon gehört, u wenig geglaubt, Text] [fehlt] [fehlt]
[im
D a die Bruchstücke 10 a u n d 9 a sehr kurz sind, können nur wenige Parallelen verglichen werden. T r o t z des scheinbaren Widerspruchs des ersten Beispiels, das ebenso gut eine Folge 8 a — 9 a — 10a zuließe, erscheint wahrscheinlicher, daß 9 a nach 10 a entstanden ist: das Fehlen des zweiten Beispiels i n 8 a u n d 10 a u n d die Streichung der Anspielung auf den Magnetismus an dieser Stelle (Beispiel 3) i n den Fassungen 9 a und J stützen diese Zuordnung. Brigitta
15: B l a t t 11 a, 12 a.
D i e chronologische O r d n u n g der beiden Fassungen der Seite 15 ist ungleich schwieriger, da der Vergleichstext M 12 a sehr kurz ist: i n i h m w i r d nur das erste M o t i v (die Kinderseele als Nährboden suchendes Pflänzchen) neu formuliert. Der Vergleich der einzelnen Stellen ergibt durchaus kein eindeutiges E r gebnis für die Reihenfolge M l i a — M 12a — J, sondern zum T e i l scheint M l i a der späteren Druckfassung näher zu stehen. Entscheidend für die zugrundegelegte O r d n u n g M l i a — M 12a — J erscheint, daß M 12a unter enger Anlehnung an die Erzählstruktur der vorherigen Fassung M l i a den I n h a l t zu straffen u n d zusammenzudrängen sucht. Diese Tendenz ist i n J unter Weglassung einzelner Erzählteile konsequent u n d verstärkt weitergeführt. Brigitta
17: B l a t t 17 a, 16 a, 15 a, 13 a + b , 14 a.
Seite 17 liegt i n fünf Entwürfen sehr unterschiedlicher Länge vor. M 17 a, das nur eine Textzeile enthält, scheidet für einen Vergleich aus, es sei denn, man nähme an, daß i n dieser Ausarbeitungsstufe »versäumtes« neu hinzugetreten ist, das i n allen anderen Fassungen bereits fester Textbestandteil ist. Diese Annahme ließe sich durch das Schriftbild stützen, doch wahrscheinlich handelt es sich u m einen Schreibfehler Stifters, der i h n veranlaßte, das B l a t t auszuscheiden. 1. M 16a,
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M
15a,
8
M
13a,
8
Noch spät als die Quellen endlich doch versiegt waren, Später, als die Quellen endlich doch versiegt waren, u sie stiller geworden, Endlich versiegten doch die Quellen, u sie w a r d stille —
Münchener Stifter-Handschriften M
14a,
8
129
Endlich versiegten doch die Quellen, u sie w a r d stille —
11—12
— so saß sie während die Kerzen herabbranten — J 54, 20—21 Endlich, da die Quellen doch versiegt waren, u n d die Kerze herabgebrannt, 25—26 — sie w a r d stiller und stiller — 2. M 16a, 8— 9 1. Fassg. saß sie v o r dem Spiegeltische auf dem Tep-
M M
15a, 13a,
M
14a,
J 54,
piche ihres Zimers [ a u f dem Teppiche ihres Zimers m T gestrichen] 2. Fassg. saß sie auf der Erde v o r dem Spiegeltische [auf der Erde über der Zeile eingefügt] 9 saß sie v o r dem Spiegeltische auf der Erde, 8— 9 1. Fassg. aber lange darnach saß sie nodi, wie ein ausgeweintes K i n d auf der Erde v o r dem Spiegeltische, [ n o d i m T gestrichen] 2. Fassg. — aber lange darnach noch saß sie, wie ein ausgeweintes K i n d auf der Erde v o r dem Spiegeltische, [noch am Zeilenende angefügt] 8— 9 — aber lange darnach noch saß sie, wie ein
21—22
3. M 16a, 10—11 M 15a, 11
ausgeweintes K i n d auf der Erde v o r dem Spiegeltische, saß sie nodi, wie ein ausgeweintes K i n d auf der Erde, v o r dem Spiegeltische, waren feucht — waren feucht, u lagen auf dem keuschen Busen
M
13a, 11
waren feucht, u dekten den keuschen Busen —
M
14a, 11
waren feucht, u dekten den keuschen Busen —
J 54,
24—25
waren feucht, u n d hingen ohne Schönheit u m den keuschen Busen —
4. M
16a, 13
auf ihre ermatteten Augen sank,
M
15a, 14
u m die ermatteten Augen spielte,
M
13a, 14
u m die ermatteten Augen spielte,
M
14a, 14
u m die ermatteten Augen spielte,
J 54,
29
u m die ermatteten Augen spielte,
Aus dem Vergleich der Entwürfe »Brigitta 17« ergeben sich zwei deutlich unterscheidbare Entwurfgruppen, M 16 und 15 einerseits, M 13 u n d 14 andererseits. Die Beispiele weisen darauf hin, daß M 16 v o r M 15 liegen muß. Die zeitliche O r d n u n g der Entwürfe M 13 u n d 14 ergibt sich nicht nur 9 Literatunvissenschaftliches Jahrbuch, 8. Bd.
Wolfgang Landthaler
130
aus den Beispielen 1 und 2, sondern w i r d auch bei Betrachtung der z u m T e i l nur i n diesen beiden Fassungen neu ausgearbeiteten Textteile sichtbar: 5. M 15a, 17 M 13a, 18 M 14a, 21—22
allein zu i h r sprechen zu i h r allein sprechen sie allein sprechen
J 54, 33 6. M 15a, 20 M 13a, 23—24
sie allein sprechen sagte sie sanft: sie aber, i h r glanzvolles Auge freundlich zu
M
dem seinen hebend, sagte sanft: [freundlich über der Zeile eingefügt] sie aber, i h r glanzvolles Auge freundlich zu dem seinen hebend, sagte sanft: [freundlich im Text] daß sie m i t fester Sanftmut antwortete: eine Liebe ohne M a ß u n d Ende — [Ergän-
14a, 26—27
J 55, 1— 2 7. M 13a, 28 M 14a, 31—32 J 55, 23—25 8. M M J 9. M M
M
13a, 14a, 55, 15a 13a,
33 36 29 34
l.Fassg. 2. Fassg.
14a, 37
1. Fassg. 2. Fassg.
J 55, Brigitta
30—31
zung am R a n d ] eine Liebe ohne M a ß u n d Ende — [ i m T e x t ] — ich weiß selbst nicht, wie hoch, aber m i r ist, als sollte sie ohne M a ß u n d Ende sein — Sie würde vielleicht noch mehr geredet haben, Sie würde vielleicht noch mehr gesagt haben, Sie hätte vielleicht n o d i mehr gesagt, Lippe i n Schmerz [ A n m e r k u n g am R a n d ] aber ihre Lippe bebte v o r Schmerz aber sie schwieg u ihre L i p p e bebte v o r Schmerz [sie schwieg u Ergänzung über der Zeile] aber sie schwieg u ihre L i p p e bebte v o r Schmerz [sie schwieg u gestrichen] aber ihre Lippe bebte v o r Schmerz aber ihre L i p p e bebte v o r Schmerz
21: B l a t t 20 a, 19 a, 18 a.
Auch diese Seite liegt i n drei Fassungen vor, v o n denen die Blätter 20 u n d 19 wesentlich kürzer als B l a t t 18 sind. 1. M 20a, M 19a,
M
18a,
5 4— 6
4— 6
u fragte u m dieß u jenes, was sich bei i h m ergeben. Auch sie fragte nun u m dieses u jenes, was sich auf einen oder andern Nachbar bezog, auf die Angelegenheiten des Vereines, auf den künftigen Landtag, A u d i sie fragte dan u m dieses u jenes, was sich auf
Münchener Stifter-Handschriften
J 65,
16—19
2. M 19a
131
ein u den andern Nachbar bezog, auf die Angelegenheiten des Vereins, auf den künftigen Landtag — Auch sie fragte dann u m dieses u n d jenes, was sidi auf ein u n d den andern Nachbar bezog, auf die Angelegenheiten des Vereins, oder den künftigen Landtag — eine wahre Blume der Gesundheit [ A n m e r k u n g am
Rand] 18a, 39—40 1. Fassg. eine wahre Blume v o n Gesundheit u n d K r a f t [gestrichen] 2. Fassg. eine wahre Blume v o n unbewußter Gesundheit u Güte [Ergänzung am R a n d ] J 66, 23—24 eine wahre Blume v o n Gesundheit
M
Außer den angeführten Beispielen spricht für die Reihenfolge M 20 a — 19a — 18 a auch die A n k n ü p f u n g der »Bunda«-Episode. M 19 a fügt sie unmittelbar an die Beobachtung der Gespräche zwischen dem M a j o r u n d Brigitta an, als Beispiel dafür, wie sehr Brigitta die Angelegenheiten des Majors am Herzen liegen, »als läge eine A r t Zärtlichkeit darinen, wie sie sich u m dieselben kümerte« ( M 19 a, 7 f.). Später w i r d i n M 19 a die »Bunda«-Episode eingeklammert zur Kennzeichnung dafür, daß sie jetzt an anderer Stelle i n das Erzählgefüge eingeordnet werden sollte. M 18 a führt die i n M 19a geplante Umstellung dann aus: Als Beispiel für die » A r t Zärtlichkeit« Brigittas w i r d nunmehr ihre Überlegung geschildert, daß sich auf dem Gute des Majors an den Hoffenstern ein Weinrebenspalier aufziehen lasse; die »Bunda«-Episode w i r d jetzt zur »rührenden Probe« ( M 18 a, 44 f.), »wie sehr der M a j o r auch dem Jünglinge gut« ( M 18 a, 44) ist. I n J (65, 26—31; 67, 25—68, 1) ist diese A n o r d n u n g beibehalten, nur streicht Stifter jetzt den ausdrücklichen H i n w e i s auf F u n k t i o n u n d Sinn der Episode. Relative
Datierung
der übrigen
Entwürfe:
Während sich die Reihenfolge der Entwürfe gleicher Seitenzahl m i t großer Sicherheit festlegen u n d begründen läßt, ist die relative Datierung der übrigen Blätter nur sehr schwer festzulegen. D a ein vollständiges und fortlaufendes Manuskript den Entwürfen vorausgeht, ist grundsätzlich jede Reihenfolge der Entstehung denkbar; äußere Kriterien, die eine solche Datierung ermöglichten, fehlen. A m Rande v o n M I I a (»Brigitta 15«) steht aber eine Bleistiftnotiz, die sich nicht auf den T e x t v o n »Brigitta 15«, sondern auf »Brigitta 17« bezieht: 9*
Wolfgang Landthaler
132
»Bild, w o sich ein Bruder opfert«. I n allen vier Fassungen v o n »Brigitta 17« ist dieses »Bild« fester Textbestandteil, die Textgestalt bleibt — m i t Ausnahme v o n Orthographie u n d I n t e r p u n k t i o n — unverändert: »u mußte ein zufällig da liegendes Bildchen — es w a r ein Kinderbildchen, auf dem dargestellt w a r , wie sich ein Bruder für den andern opfre — dieses B i l d chen mußte sie unaufhörlich u m i t G l u t auf ihre L i p p e n d r ü k e n , . . . « ( M 16 a, 3—6). Daraus ist z u schließen, daß M 16 a, 15 a, 13 a, 14 a nach M l i a niedergeschrieben wurden; Rückschlüsse auf die übrigen Blätter sind aber daraus nicht möglich. b) C g m 7 3 8 7 B l a t t
6:
I n C g m 7387 findet sich als B l a t t 6 ein einzelnes E n t w u r f b l a t t zu 'Brigitta', das nur deshalb n i d i t zu C g m 7386 gehört, w e i l es Stifter nicht i n jenes N o t i z h e f t aufgenommen hat, zu dem er die Blätter des C g m 7386 vereinigt h a t t e 1 9 . Z w a r weist auch dieses B l a t t — es gehört ebenfalls zur Pachinger-Schenkung — Nähspuren u n d den charakteristischen K n i d t i n der B l a t t m i t t e auf, doch ist nicht festzustellen, zu welchem N o t i z h e f t es ursprünglich gehörte. Äußerlich gleicht das B l a t t ganz den E n t w ü r f e n des C g m 7386, weißgraues Papier m i t senkrechter Riffeiung u n d unbeschnittenem Rand, Größe 22,7 X 28 cm, audi T i n t e u n d Schrift weisen auf die Entstehungszeit der E n t w ü r f e des C g m 7386. 6 a : Nach der Überschrift u n d der K a p i t e l z a h l : Brigitta. v o n Adalbert Stifter. 1. 25 Zeilen Text. 6 b : 8 Zeilen Text, an die Vorderseite anschließend. Sehr flüchtiger Schriftduktus. D i e i n C g m 7386 übliche Seitenkennzeichnung fehlt. I m nachfolgenden Textabdruck w i r d i n diesem einen F a l l die Blattfolge der Codices durchbrochen u n d C g m 7387, 6 a + b hinter den E n t w u r f C g m 7386, l a + b eingeordnet, m i t dem es inhaltlich korrespondiert, da so die Bedeutung der beiden Blätter als entwickelnde Vorfassungen auf den Druck J hin, deutlicher w i r d . Aus einem Vergleich zwischen C g m 7386 B1 l a + b ( = M l a + b) m i t C g m 7387 B l 6 a + b ( = M 6 a + b) ergibt sich nämlich, daß M 6 nach M 1 entstanden ist, o b w o h l hier häufiger als sonst Gegenbeispiele anzuführen sind. 1. M l a , 19
5— 6
müssen endlose unentdekte Gebiethe ahnen,
Genaue Beschreibung des Cgm 7387 in dem für LJb I X , 1968 vorgesehenen, zweiten Teil dieses Beitrages.
Münchener Stifter-Handschriften M 6a, 5— 6 J 8, 18 2. M M J 3. M M J 4. M
la, 6a, 8, la, 6a, 8, la,
133
w i r ahnen endlose unentdekte Gebiethe, w i r ahnen endlose Gebiete,
7 6— 7 19—20 18—19 18 34 20—21
. . . ein Land, u dan wieder, u so fort, . . . ein Land, u so fort, . . . ein seltsames Land, u n d so fort, m i t den N e r v e n des Auges m i t den Sehnerven m i t den Sehnerven — wie, f l i e ß t . . . m i t der Woge des Lichtes i n Seele, M 6a, 20—21 1. Fassung: F l i e ß t . . . auf den Wogen des Lidites sere Seele, [ [ d e ] n ] [ W o g e ] η . . . i n Seele gestrichen] 2. Fassung: F l i e ß t . . . auf der Woge des Lichtes herein, [ z u i h r herein über der Zeile fügt]
unsere i n ununsere zu i h r einge-
J 9, 2— 3 Fließt i h r . . . m i t der Woge des Lichtes zu, 5. M l a , 22—23 1. Fassung: m i t einer andern, sie sei nun feiner oder r o h e r , . . o d e r noch andern unbekannten? 2. Fassung: m i t einer andern, sie sei nun feiner oder roher, . . . oder noch einer andern unbekannten? [einer 2 über der Zeile eingefügt] M 6a, 21—22 auf einer andern, feinern oder rohern, . . . , oder gar noch andern unbekannten? J 9, 3— 5 m i t einer andern, . . . , oder m i t noch feinern unbekannteren Weltgeistern? Gegenbeispiele: 1. M l a , 17 M 6a, 16—17
den festen Bau der W e l t das Sandkorn W e l t a l l
J 2. M M J 3. M
den festen beschränkten Bau der W e l t wissen nicht w a r u m — wissen nicht die Gründe — wissen nicht warum. o f t wußten zwei nicht ihr gegenseitig Dasein auf dem Erdball, u sie suchten sich. — oft suchten sich zwei Menschen, die i h r gegenseitiges Dasein noch gar nicht wissen, dennoch durch den ganzen E r d b a l l , . . .
8, 32—33 lb, 6 6b, 5 9, 15 lb, 7— 8
M 6b,
J 9, 4. M l b ,
6— 7
15—17 8
o f t wußten zwei noch gar nicht ihr gegenseitig Dasein auf dem Erdball, u n d sie suchten sich schon; [fehlt]
Wolfgang Landthaler
134 M 6b, J 9,
7— 8 17
u wenn sie sich finden, haben sie sich schon Jahrhunderte geliebt [fehlt]
T r o t z der Gegenbeispiele sollte M 1 früher als M 6 eingeordnet werden können, denn M 6 erzählt gegenüber M 1 genauer u n d gewandter, v o r allem die syntaktische Zuordnung der Einzelglieder w i r d strenger, indem die zahlreiche Einzelsätze einschließende Darstellung M 1 verkürzt w i r d . Diese Ergebnisse der Überarbeitung v o n M 1 zu M 6 sind i n J alle bewahrt. M 6 stellt also vermutlich eine Niederschrift dar, die nach M 1 u n d v o r J einzuordnen ist. I n allen drei Fassungen w i r d der Gedanke »unbegreiflich, unausstaunbar sind w i r o f t gekettet an ein anderes« 20 i n den M i t t e l p u n k t gestellt. Gegenüber M 1 hat Stifter i n M 6 als neuen Aspekt einbezogen, daß diese schicksalhaften Bindungen weit über die Lebenszeit hinausreichen: ». . . , u wenn sie sich finden, haben sie sich schon Jahrhunderte geliebt« 2 1 . Später hat er diese Formulierung verworfen u n d sich i n J wieder stärker an M 1 angeschlossen. Für die Annahme, daß der Dichter i n M 6 bewußt eine v o r läufige Zwischengestalt dieser Stelle erprobte, sprechen auch die flüchtige Schrift, die fehlende Seitenbezeichnung i n M 6 b, u n d daß der E n t w u r f an der erwähnten Stelle abbricht, w o m i t er weniger weit als M 1 reicht. W i e die E n t w ü r f e des Cgm 7386 dürfte M 6 i m Zeitraum zwischen Sommer 1842 u n d Sommer 1843 entstanden sein, jedoch sind audi aus M 6 selbst keine Anhaltspunkte zu gewinnen, w a n n Stifter an 'Brigitta* arbeitete. Text Zur Edition: Wir geben nachfolgend den Text der Brigitta-Entwürfe aus Cgm 7386 und Cgm 7387 wieder. Die Reihenfolge des Druckes ergibt sich aus der Blattzählung der Bayerischen Staatsbibliothek, bzw. der Seitenkennzeichnung Stifters (s. o. S. 121 f.), doch werden abweichend davon die Blätter gleicher Seitenzahl nach der in der Einleitung erschlossenen Entstehungsfolge geordnet; Blatt 6 aus Cgm 7387 wird nach Blatt 1 des Cgm 7386 eingefügt. Der Sinnzusammenhang ergibt sich bei einem Vergleich der Entwürfe mit dem Erstdruck der Novelle, der zitiert wird nach: Adalbert Stifter, Brigitta, in: A. S., Erzählungen in der Urfassung. Hrsg. von Max Sie//, Augsburg 1952, S. 181 ff. (zit. Stefl). zu »Brigitta 1 + 2« = Cgm 7386 Bl l a + b und Cgm 7387 Bl 6 a + b vgl. Stefl. S. 181, 1 — 182, 25; zu »Brigitta 5« = Cgm 7386 Bl 2a vgl. Stefl. S. 187, 6 — 188, 32; zu »Brigitta 5« = Cgm 7386 Bl 3 a vgl. Stefl S. 186, 28 — 187, 2; 20 M lb, 5; M 6b, 4; J 9, 12—14. " M 6b? 7—8f
Münchener Stifter-Handschriften zu »Brigitta zu »Brigitta
7+ 9«
zu »Brigitta 11« zu »Brigitta 13«
135
8« = Cgm 7386 Bl 5 a, 4 a + b vgl. Stefl. S. 191, 1 — 193, 15; = Cgm 7386 Bl 6 a vgl. Stefl S. 194, 30 — 195, 12 und S. 200, 13 — 201, 5; = Cgm 7386 Bl 7 a vgl. Stefl S. 197, 17 — 24 und S. 198, 14 — 200, 5; = Cgm 7386 Bl 8 a, 10 a, 9 a vgl. Stefl S. 202, 19 — 204,
10;
zu »Brigitta 15«
= Cgm 7386 Bl I I a , 12a vgl. Stefl S. 206, 4 — 207, 8 und S. 209, 9 — 14; zu »Brigitta 17+18« = Cgm 7386 Bl 17 a, 16 a, 15 a, 13a + b, 14 a vgl. Stefl S. 210, 1 — 212, 25; zu »Brigitta 21« = Cgm 7386 Bl 20 a, 19 a, 18 a vgl. Stefl S. 217, 31 — 219, 27. Ziel des Druckes ist eine möglichst getreue Wiedergabe des Handschriftenbildes; die Schreibweise Stifters, Orthographie und Interpunktion wurden deshalb beibehalten, insbesondere die dem Dichter bewußten orthographischen Eigenheiten, wie ζ für tz, k für ck y m und ή für mm und nn, u für und; aufgelöst wurde dagegen Stifters Abkürzung für daß, die aus einem deutschen d und dem unteren Bogen des 2 (aus sz) besteht (vgl. Abbildungen). August Sauer nahm, gestützt auf die Untersuchungen Horcicka's an, daß Stifter erst in der Mitte der fünfziger Jahre »von der in den vierziger Jahren befolgten landläufigen Orthographie« zu den hier skizzierten »schrullenhaften, ihm durch die Augsburger Allgemeine Zeitung vermittelten Vorschriften Adolf Menzels überging, die besonders in der Verwendung des k für ck und des ζ für tz, sowie in einer übergroßen Sparsamkeit in der Verwendung des Kommas sehr störend wirken« 22 , doch zeigen unsere Entwürfe, daß der Dichter schon in den frühen vierziger Jahren diese Regeln konsequent befolgte. Der Druck bemüht sich, die im jeweiligen Entwurf zuletzt angestrebte Fassung wiederzugeben, die Vorstufen dazu im Apparat festzuhalten, der sich — modifiziert — an den Apparat der SW anschließt. Für den Haupttext wurden dabei Korrekturen Stifters berücksichtigt, soweit sie in den Text eingearbeitet wurden; die Korrekturen wurden nicht im Haupttext berücksichtigt, wenn sie nur Hinweis und Notiz für eine spätere neue Niederschrift sind oder wenn sie nicht konsequent eingearbeitet wurden. Zeichenerklärung : aR = am Rande mB = mit Bleistift mT = mit Tinte üdZ = über der Zeile. In Winkelklammern gesetzt wurden Textteile, die Stifter versehentlich nicht gestrichen hat, runde Klammern im Haupttext stammen von Stifter, im Apparat werden in runden Klammern mitunter vorausgehende oder nachfolgende Teile des Entwurfes zitiert, um die Stellung der Lesart im Text zu verdeutlichen; Unterstreichungen des Dichters werden durch Sperrdrude wiedergegeben, eckige Klammern und Kursive bezeichnen Zusätze des Herausgebers. 22 Erster Bericht von Prof. Dr. August Sauer über die im Rahmen der 'Bibliothek deutscher Schriftsteller aus Böhmen* geplante kritische Gesammtausgabe der Werke Adalbert Stifters, Prag 1900, S. 10 (Mittheilungen Nr. X I I der Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaft, Kunst und Literatur in Böhmen).
Wolfgang Landthaler
136 [Cgm 7386, la]
Brigitta
!.
Brigitta. v o n Adalbert Stifter 1. 5
Wenn w i r eines jener Bücher lesen, i n denen die menschliche Seele beschrieben w i r d , so ist alles klar, die K r ä f t e sind gesondert, die Verrichtungen fertig, u alles liegt v o r uns: sehen w i r d dan aber i n -die Seele selber, so ist es wieder dunkel — magische Dinge geschehen, als stünde i n jenem Buche n o d i nicht das rechte, w i r werden aufgeschoben, müssen endlose unentdekte Gel o biethe ahnen, o f t b l i z t es auf, als läge hinter denen erst noch redit ein L a n d , u dan wieder, u so fort, daß das H e r z sich v o r sich selber fürchtet — wer weiß, wie w e i t es geht — eine gelegentliche T h a t ein plözlicher B l i k der Wissenschaft z u k t zuweilen den Schleier weg, aber das neue Ahnen ist dan schauerlicher, als das frühere beschränkte Wissen — man denke nur an die 15 zwei merkwürdigen unbestrittenen Thatsachen d e r Geisterfurcht u d e s S o m n a m b u l i s m u s ! wie tief mag der A b g r u n d erst noch sein? Die Wissenschaft hat ein Kerzlein angezündet, u w i r sehn an seiner M ü n dung zwei isolirte Steinchen glänzen, dan ist Finsterniß, vielleicht Ewigkeit? 20
25
u wie wunderbar nur die Seele m i t ihren Dienern zusamenhängt, den Sinen, die den festen Bau der W e l t i n ihre Unendlichkeit hineintragen müssen: heute sieht sie m i t den Nerven des Auges durch L u f t u Glas, morgen m i t denen der Herzgrube durch Mauern u Berge — wie, fließt etwa dan die Außenwelt nicht mehr m i t der Woge des Lichtes i n unsere Seele, sondern m i t einer andern, sie sei nun feiner oder roher, m i t Electricität, oder noch einer andern unbekannten? u wie zahllos, manigfaltig, unbegreiflich müssen jene Fäden u Brüken sein, die zwischen Geist u Geist gespant sind, niemand hat sie gesehen u ge[Cgm 7386, lb]
2.
zählt, u denoch sind sie mehr, als die Z a h l der Sterne am Firmamente — 30 auf ihnen geht die fremde Seele zu der unsern herüber, liebt sie, haßt sie, u m h ü l l t sie, schmeichelt ihr, u zieht sie uns aus dem Leibe, u n i m t sie zu sich hinüber unbegreiflich, unausstaunbar sind w i r o f t gekettet an ein anderes, lechzen nach ihm, versprizen unser B l u t für ihn, — u wissen nicht w a r u m — oft wußten zwei noch nicht i h r gegenseitig Dasein auf dem E r d 35 ball, u sie suchten sich — zwei andere, ehe sie kaum n o d i das Weis ihrer Augen sahen, haßten sich schon ein unbegreiflicher Engel der Tugend u Schönheit fliegt durch das menschliche Geschledit, u läßt auf einzelne die Verklärung fallen, w i r verehren sie; aber w a r u m müssen w i r v o r jenem Engel anbethen, wen er seine sanften Silberfäden v o n Herzen zu Herzen 40 zieht? — oder sind es die allein, auf denen die Seelen wandern? nein — ;
Münchener Stifter-Handschriften
137
den ehe ich Zeit habe, dieß an dem andern z u entdeken, w a r u m ist es, daß mich sein Lächeln entzükt, daß wen er geht, emporschaut, den A r m hebt,
45
sanfte Freude durch mein H e r z wallt? w e n er sint, ich weiß es, daß er jezt an m i d i denkt, daß er sich sehnt — ich zittere, w e i l ich weiß, daß er zittert [Cgm 7387, 6a]
Brigitta
1.
Brigitta. v o n Adalbert Stifter. 1. 50
Wen w i r eines jener Bücher lesen, i n denen die menschliche Seele beschrieben w i r d , so ist alles k l a r , die K r ä f t e sind gesondert, die Verrichtungen fertig, u alles liegt v o r uns: sehn w i r aber i n die Seele selber, so ist es wieder dunkel — magische Dinge geschehen, als stünde i n jenem Buche noch nicht das rechte, w i r ahnen endlose unentdekte Gebiethe, oft b l i z t 55 es auf, als läge hinter denen erst noch recht ein Land, u so fort, daß das H e r z sich v o r sich selber fürchtet — wer weiß, wie weit es geht — eine gelegentliche That, ein plözlicher B l i k der Wissenschaft z u k t zuweilen den Schleier weg, aber das neue Ahnen ist dan schauerlicher, als das frühere beschränkte Wissen, man denke nur an die zwei merkwürdigen unbestreit60 baren Thatsachen der Geisterfurcht u des Somnambulismus — w i e tief mag der A b g r u n d erst noch sein, die Wissenschaft hat ein Kerzlein angezündet, u w i r sehn an seiner M ü n d u n g zwei isolirte Steinchen glänzen, d a n ist F i n sterniß, vielleicht E w i g k e i t . . . u wie wunderbar nur die Seele m i t ihren Dienern zusamenhängt, den Sinen, die das Sandkorn W e l t a l l i n ihre U n 65 endlichkeit hereintragen müssen: heute sieht sie m i t den Sehnerven durch
70
75
L u f t u Glas, morgen m i t denen der Herzgrube durch Mauern u Berge Fließt etwa dan die Außenwelt nicht mehr auf der Woge des Lichtes zu i h r herein, sondern auf einer andern, feinern oder rohern, der Electricität, oder noch andern unbekanten? u wie zahllos, manigfaltig unbegreiflieh müssen jene Fäden u Brüken sein, die zwischen Geist u Geist gespant sind — niemand hat sie gesehen u gezählt, u denoch sind sie mehr, als die Z a h l der Sterne am Firmamente — auf ihnen geht die [6 b] fremde Seele zu der unsern herüber, liebt sie, haßt sie, u m h ü l l t sie, schmeichelt i h r , u zieht sie uns aus dem Leibe, u n i [ m ] t sie z u sich hinüber unbegreiflich, unausstaunbar sind w i r o f t gekettet an ein anderes, lechzen nach ihm, versprizen unser B l u t für i h n — u wissen nicht die Gründe — oft suchen sich zwei Menschen, die i h r gegenseitiges Dasein noch gar nicht wissen, dennoch durch den ganzen Erdball, u wenn sie sich finden, haben sie sich schon Jahrhunderte geliebt
138 80
[Cgm
Wolfgang Landthaler 7386, 2 a]
Brigittas.
drängten sich nachher durch mein Gedächtniß, so daß es m i r später nicht i m Traume einfiel, daß ich einmahl auf einer ungarischen H a i d e zu diesem Manne unterwegs sein werde, u daß ich m i r sein B i l d so Z u g für Z u g v o r mahlen würde, wie ich es auf jenen endlosen Ebenen w i r k l i c h mehr, als ein85 m a h l that. Wen aber jemand glauben sollte, ich sei deßhalb i n ganz gerader Linie auf die Besizung des Majors losgegangen, so i r r t er sich gar sehr; den da ich einmahl i n diesem Lande war, da es mich nach u nach m i t einer wundersamen R o m a n t i k zu fassen began, wie ich es gar nicht ahnte — ich k a m nehmlich v o n Ländern, w o sich die Menschen wie Bachkiesel gleichen, 90 hier alles anders: Mensch u Boden zu gleicher naiver Nationalphisiognomie verwachsen, nichts Verbrauchtes, nichts Abgenüztes, ein V o l k i n uralter Verfassung, aber wie ein frischlächelndes K i n d i m Roke seines Vaters — auch der Boden so: so viel W i l d h e i t , so viel Üppigkeit, so viel Anfang, so v i e l Jungfräulichkeit, diese Haiden, diese Heerden, Pferde, Rinder, dieses 95 Nomadenhafte — es w a r m i r , als sei ich auf einmal i n ein frisches Beginen versezt, als begäne ich selber, als hörte ich den H a m e r schallen, w o m i t die Z u k u n f t dieses Volkes, vielleicht eine herrliche, geschmiedet w i r d — alles Vergehende ist müde, alles Werdende feurig da es nun so w a r , so ging ich kreuz u quer durch das Land, ich schlief bei H i r t e n u den großen 100 zottigen Hunden, ich aß unter dem tief herabgehenden Rohr dache, trank manchmahl einsam aus jenen Haidebrunen, die m i t dem fürchterlich spizen W i n k e l ihrer Stangen z u m H i m e l sehen, ging durch Röhrichte, durch Sümpfe, sah die U n z a h l grauer Rinder auf der grauen oder violett dämernden Ebene wandeln, sah den Fuhrman über die Steppe jagen, den weißen 105 M a n t e l des Roßhirten, den Sakpfeifer, ich sah endlose Dörfer dieses L a n des, ich sah seine grünen Weinhügel aufstreben u w e i t draußen seine sanftblauen Berge ziehen u so geschah es endlich, daß ich auch eines Tages meinte, ich müsse jezt auch schon ganz nahe an dem Hause meines k ü n f tigen Gastfreundes sein. Ich w a r den ganzen Nachmittag durch ein heißes 110 Steinfeld gegangen, links hob sich ein blaues dunkles Berghaupt nach dem andern empor, ich hielt sie für die Karpathen, rechts stand zerrissenes L a n d m i t jener eigenthümlidi röthlichen Färbung, wie sie so o f t der Hauch der Steppe gibt, beide schienen sich v o r m i r i n einen spizen W i n k e l zu vereinigen, w o ich meinte, daß mich das Gebirge aufnehmen, u zu einem anmuthi115 gen Landsize meines Freundes geleiten werde, aber wie ich eben aus einer M u l d e , i n der das Bette eines ausgetrokneten Gebirgsbaches lief, emporstieg, schaute plötzlich rechts ein Kastanienwald u ein weißes Haus herüber — eine Sandwehr hatte m i r beides bisher gedekt — drei Meilen — drei Meilen hatte ich heute öfter gehört, als ich nach U w a r fragte, so hieß nehmlich 120 das Ziel meiner Reise, aber da ich die ungarischen Meilen aus Erfahrung
Münchener Stifter-Handschriften
139
kante, u der Meinung war, i d i müsse seit meiner lezten Frage schon fast sieben gegangen sein [Cgm 7386, 3 a]
B r i g i 11 a. 5.
Jezt samelte er L a v a u Alterthümer — v o n jener Melancholie oder 125 Trauer konnte ich keine Spur an i h m entdeken, dagegen erschien es mir, als sei er w i r k l i c h m i t seinen Jahren i n Widerstreit; den öfter, wen er sich erwärmte u begeistert redete, so ging es durch seine bereits alternden Züge, wie schwärmerisch schönes H o f f e n einer einsamen Jünglingsseele. [Cgm 7386, 5 a] 130
135
Brigitta
7.
ben i h m der schlanke Ungar m i t rundem Hute, Schnurbart, Zottelpelz u flatternden weißen Beinkleidern — beide i n Nacht u Wüste hinein reitend. W i r k l i c h w a r es wieder eine Wüste, i n die w i r geriethen, nachdem w i r die Umfriedigung des Weinberges verlassen hatten, oder vielmehr es w a r mein altbekantes Steinfeld, u z w a r sich selber so ähnlich geblieben, daß ich anfangs wähnte, w i r reiten denselben Wèg, den ich gekomen, wen m i d i nicht das trübe Roth, das noch «hinter meinem Rüken am H i m e l glühte, belehrt hätte, daß w i r w i r k l i c h gegen Osten reiten. „ W i e w e i t nach U w a r ? " fragte ich. „ „ D r e i M e i l e n " " antwortete Miklosch.
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N u n diese Rechnung begreife, wer da kan, dachte ich, seit vier u zwanzig Stunden habe ich imer drei Meilen. A n denselben unzähligen grauen Steinen ritten w i r vorbei, wie ich sie heute den ganzen Tag zu tausenden gezählt habe, sie lagen unten i n der Dämerung u glozten unheimlich m i t falschem Lichte aus der dunklen H a i d e u glitten zu beiden Seiten meines
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Rosses hinter mich, der Boden w a r imer eben — imer eben, nur daß w i r wieder f ü n f oder sechs M u l d e n hinab u hinan gestiegen waren, i n deren jeder ein starrer Strom v o n Kieselgerölle lag. Endlich ging ein blutrothes Stük M o n d auf, u i n seinem schwachen Lichte stand auch das schlanke zarte Gerüste das ich für das Z i e l der Begleitung h i e l t [ . ]
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„ „ H i e r ist der Galgen, sagte Miklosch, indem er sein Pferd anhielt, seht ihr dort unten, w o der B a d i glänzt, jenen schwarzen Haufen, auf den gehet zu, es ist eine Eiche, auf der man sonst die Übelthäter aufgehängt hat, jezt darf das nicht mehr sein, v o n der Eiche aber begint ein gemachter Weg, an dem junge Bäume gepflanzt sind, geht eine Stunde fort, u am Gitterthor
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z u m Garten zieht an der Stange, wen das T h o r nicht gesperrt ist, geht der H u n d e wegen nicht hinein, sondern zieht nur an der Glokenstange. So — Steigt ab.*« Ich that es, u w o l l t e dem Knechte einen nach meiner Meinung reichlichen L o h n geben, aber auch er schlug i h n aus, nahm mein Pferd am Zügel, u
140 160
Wolfgang Landthaler
w a r bald i n der Dunkelheit verschwunden, m i r schien, als spute er sich, v o n dem unheimlichen Orte wegzukomen — i d i that einen B l i k hin, zwei
Säulen standen i m röthlichen Mondlichte m i t einem Querbalken liegt ein K o p f oben, oder sizt eine Eule darauf? — der davon eilende Miklosch hatte meine Fantasie gewekt — aber alles blieb ruhig, der K o p f regte sich 165 nicht, die Eule flog nicht weg, das Gras der H a i d e lispelte u flüsterte n i d i t , u i d i ging der Eiche entgegen. W i r k l i c h began dort ein Weg nach A r t unserer Straßen, m i t Gräben u einer Allee, daher es m i r möglich wurde, darauf fort zu gehen, während der dunkle morige Streifen, auf dem w i r d u r d i das Steinfeld hergekomen, u den sie einen Fahrweg heißen, nur dem sichern Auge 170 eines Ungarns i n der Nacht unterscheidbar u sicher ist. [Cgm
7386, 4a]
B r i g i t t a 7.
mich zu Milosch. Dieser führte m i d i noch eine Weile i n den Weinpflanzungen fort, bis w i r i n eine Thalkrüme stiegen, u auf Wirthsdiaftsgebäude stießen, aus denen er zwei jener kleinen Rosse zog, w i e man sie auf den 175 H a i d e n dieses Landes antrift. Meines sattelte er, seines bestieg er, wie es w a r , u sofort ritten w i r i n die Abendd[ä]merung hinein, dem dunklen Osthimel entgegen. Es modite ein sonderbarer A n b l i k gewesen sein: der deutsche Wandersman samt Ränzlein, Knotenstok u Kappe zu Pferde sizend, neben i h m der hagere Ungar m i t rundem H u t e , Schnurbart, Zottel180 pelz u flatternden weißen Beinkleidern — beide i n Nacht u Wüste hineinreitend. Ich sage „ i n Wüste", den w i r k l i c h w a r es wieder eine Wüste, i n die w i r jenseits der Umfriedigung der Weinberge geriethen, oder vielmehr es w a r wieder mein altes Steinfeld, u z w a r sich selber so gleich geblieben, daß ich anfangs wähnte, w i r reiten denselben Weg, den ich gekomen, wen mich 185 nicht das schmuzige Roth, das noch hinter meinem Rüken am H i m e l glühte, belehrt hätte, daß w i r w i r k l i c h gegen Osten reiten. „ W i e weit nach U w a r ? " fragte ich. „ „ D r e i M e i l e n , " " antwortete Milosch. 190
195
N u n diese Rechnung begreife, wer da kan, dachte ich — seit fünfzehn Stunden imer drei Meilen. A n denselben unzähligen grauen Steinen ritten w i r vorbei, wie ich sie heute den ganzen Tag zu tausenden gezählt habe — sie glitten m i t falschem Lichte auf dem dunkeln Boden hinter mich, ich hörte nicht die Hufschläge unsrer Pferde, als wen etwa das Eisen zufällig auf einen Stein schlug, der i m troknen More stak, der Boden w a r eben — imer eben, n u r daß w i r wieder zwei oder drei M u l d e n hinab u hinangestiegen waren, i n deren jeder ein starrer Strom v o n Kieselgerölle lag. „ W e m gehört das Anwesen, das w i r verlassen haben?" fragte ich wieder meinen Begleiter.
Münchener Stifter-Handschriften
200
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„ „ M a r o s h e l i a < t antwortete er, u ich wußte nicht, ist dieß der N ä h m e des H e r r n , oder sonst eine ungarische A n t w o r t . Endlich ging ein blutrothes Stük M o n d auf, u i n seinem schwachen Lichte stand auch schon das schlanke zarte Gerüste auf der Haide, das i d i für das Z i e l der Begleitung hielt.
205
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„ „ H i e r ist der Galgen, sagte M i l o s d i i n gutem Deutsch, indem er sein Pferd anhielt — seht dort unten, w o der Bach glänzt, ist ein schwarzer Haufen, auf den geht zu, es ist eine Eiche, auf der man sonst die Obelthäter aufgehängt hat, jezt darf das nicht mehr sein, v o n der Eiche aber begint ein gemachter Weg, an dem junge Bäume gepflanzt sind, geht eine Stunde fort, u n d am G i t t e r zieht an der Glokenstange. W e n es nicht gesperrt wäre, so geht der H u n d e wegen nicht hinein, sondern zieht nur an der Glokenstange. So. Steigt ab, u macht den R o k zu, daß i h r nicht das Fieber b e k o m t . " "
K a u m w a r ich abgestiegen, haschte er nach dem Zügel meines Pferdes, u flog davon. Ich rief i h m einen D a n k nach, aber es k a m keine A n t w o r t . E r 215 hatte v o n dem Orte weg getrachtet u ich mußte nun einen B l i k h i n thun — zwei Säulen u ein Querbalken standen i m gelben Mondlichte — liegt ein K o p f oben oder sizt eine Eule darauf? ich schaute nicht mehr hin, sondern ging eilfertig weiter, ob auch das ganze Gras der H a i d e hinter m i r lispelte u rieselte — i d i k a m zur Todeseiche, der Bach schillerte u glänzte u ringelte 220 sich u m Binsen, w i e eine todte Schlange, ich ging um die Eiche herum, u w i r k l i c h began jenseits derselben ein gerader weißer i m Mondlichte schimernder Weg, der nach A r t unserer Straßen fortlief, gestampft, m i t Gräben, u einer Allee versehen. Ich ging frisch auf i h m weiter, u es that m i r w o h l , daß ich meine Schritte wieder schallen hörte, w i e zu Hause i n dem lieben 225 Deutschland. A u f dem schwarzen Streifen des Steinfeldes, den sie einen Fahrweg heißen, ist es nur dem geübten Auge [4 b] 8. eines Ungarns möglich, sich nicht i n die Steine zu verreiten u den H a l s zu brechen. 230
Fast zwei Stunden ging ich, der M o n d stand k l a r am warmen Somerhimel, die H a i d e lief unter i h m weg, w i e eine fahle Scheibe, schwarze K l u m p e n hoben sich, wie Wälder oder Gärten — u endlich stand i d i auch v o r dem Gitter, hinter dem [Cgm
235
7386, 6a]
B r i g i t t a 9.
samlungen, an den Wänden hingen Waffen, darunter sogar noch Bogen u Pfeile, dan schlotterige Kleider u Kostüme, wie Geister verschollener T a r taren, auf jedem Bette, statt der Deke, lag jenes nationale Oberkleid, das sie Bunda heißen
ich t r a t t ans Fenster, aber auch die Landschaft w a r
142
240
245
Wolfgang Landthaler
nicht deutsch: w i e eine andere, nur riesengroße Bunda, lag der dunkle Flek des Waldes oder Gartens unten, draußen schillerte das Grau der Haide, dan waren Streifen, ich wußte nicht, sind es Gegenstände der Erde, sind es Wolkenschichten. I d i aß u t r a n k noch, legte mich dan nieder, u ehe ich das weiche Pelzw e r k der Bunda über meine ermüdeten Glieder zog u die Augen i m Schlafe Schloß, dachte ich noch: „So b i n ich den nun neugierig, was ich i n dieser Wohnung Freundliches oder Häßliches erleben werde."
2. U n d w i r k l i c h schien es auch i n Kurzem, als sollte i d i etwas erleben, nur Gestalt u A r t desselben konnte ich nicht recht gewinen; den gerade, wie 250 i n Italien m i t diesem Mane, geschah es m i r auch hier, daß ich bald i n ein seltsames magisches N e z v e r w i k e l t w a r , nur daß es dort heiterer, hier düstrer war. H i e r wie dort gingen Gerüchte u Vermuthungen herum, u sonderbar, ehe ich noch gar viele Tage i n U w a r u dessen Umgebung w a r , umflogen sie auch schon wie unheimliche Gespenster meine Ohren. E r soll 255 Magnetiseur sein, er soll an manchen Menschen schon unglaubliche Wunder verrichtet, aber auch manche, nahmentlich junge Mädchen schon sehr unglüklich gemacht haben, w e i l er ihnen die Seele aus dem Leibe nahm, sie dan immer nach jener Gegend schauen müssen, w o h i n er gereist sei, bis sie allmählich abzehren u sterben. Vorzüglich spielt man bei solchen Ge260 legenheiten auf eine junge Gräfin an, aber man bricht die Geschichte imer wieder ab. Jezt sei er strenger u zurükgezogener, aber man kene w o h l die Ursache: w e i l er Frevel getrieben m i t den geheimen K r ä f t e n der menschlichen Seele, so sei er durch dieselben K r ä f t e gestraft worden, die er zu beherrschen gemeint hätte; den er selber müsse nun troz seiner Jahre nach 265 einer Gegend schauen, w o ein Wesen lebe, m i t dem er, man wisse nicht wie, i n Berührung gekomen, u w o sich Dinge ereignet haben müssen, die über seine Gewalt gingen [Cgm 270
275
7386, 7a]
B r i g i t t a 11.
i n unsern Kriegen sind w i r aufgehoben worden, wie eine kostbare Blume i n einem Gedenkbuche — dieses weite L a n d ist ein wahres Kleinod, aber es ist noch nicht gefaßt, allein das darf nicht bleiben — ganz Europa k ö m t i n ein Ringen u w i l l sich nuzbar machen, w i r dürfen ohne größte Gefahr für die Z u k u n f t nicht zurük bleiben — das erste aber, was ein aufstrebendes L a n d zu t h u n hat, ist, daß es alle Schleußen seiner ursprünglichen Quellen öffne, ich meine die U r p r o d u k t i o n — u wie ins Ungeheure die bei uns noch zu steigen vermöge, werdet ihr auf eurer Wanderung w o h l bemerkt haben — meine Landsleute, wenigstens der untere Schlag, sind n o d i
Münchener Stifter-Handschriften
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Kinder, denen man vormachen muß, was m a n w i l l , daß sie beginen sollen seht i h r , ein Weib ists, die m i r diesen Gedanken eingab, daß w i r Be280
sizende anfangen sollen, durch ausgezeichnete Selbstbewirthschaftung, durch Anlegung v o n Straßen, durch Verbrüderung m i t dem V o l k e ein Beispiel u einen Antrieb zu geben, daß einmahl alle natürlichen A d e r n dieses Landes recht lebendig pulsiren, ehe man m i t den künstlichen begine — u seit ich es nun thue, seit ich i n der M i t t e meiner Leute lebe, i n ihrer Kleidung, u 285 i n ihren Sitten, seit schon ein dritter Nachbar i n unsern B u n d tratt, seit die kleineren empor bliken, u nachzuahmen beginen, seit ich v o n dem gemeinen Mane geliebt, ja fast angebetet werde, seitdem ists mir, als hätte ich jenes G l ü k n u n auf einmahl zu Hause gefunden, dem ich sonst auf der ganzen Erde nachgereiset bin, u das, w e n ich es ergrif, blos Ekel zurük290 ließ." „ I c h sage euch, fuhr er i n einem heimlicheren Tone fort, ich glaube, daß ich es Vaterlandsliebe nenen darf, was ich jezt fühle, u was so süß ist, — v o n allen denen, die i h r heute auf den Feldern gesehen habt, ist kein einziger, der nicht eher den lezten Tropfen B l u t versprizte, ehe er zuließe, 295 daß m i r nur ein H a r gekrümt würde — u dieß alles erst, seit ich unter ihnen lebe, u einer der ihrigen b i n — ach u ich 'bin erst gekomen, als mein H a u p t grau geworden, u als ich schon Jahre lang meine Pflicht versäumt hatte — sie aber trugen es m i r nicht nach, sondern wandten m i r ihre unerfahrenen rohen Herzen zu, sobald sie nur erkanten, daß das meine ihnen 300 gehöre — ich habe keinen Sohn, statt seiner Liebe muß ich m i r die v o n andern samein, u sie t h u t auch w o h l — ich denke oft, es müsse rührend sein, wen ich für hunderttausende zu ihrem Besten w i r k e n könnte, blos w e i l sie K i n d e r sind u vertrauen, wen sie auch nicht wissen, ob ich sie zum Guten oder Bösen führe." 305
E r hielt lange Zeit ine, u auch ich, wie v o n einer A r t Schmerz ergriffen, schwieg. Endlich, als w i r durch den Park zurük ritten, sagte er, als ob er i n alte Erinerungen sänke: „ich habe einst geglaubt ganz anders w i r k e n z u könen, ich habe geglaubt, daß i n meinem Herzen ein großes heiliges W o r t liege, das ich einst allen Menschen sagen werde, daß sie entzükt seien u 310 größer edler werden — aber bei der einzigen Gelegenheit, i n die es kam, vermochte mein eignes H e r z nicht groß u edel zu sein, — u alles w a r nichts das ist n u n vorbei — !! es ist vorbei !"
315
Über sein dunkles Auge ging ein sanfter Schatten, wie ich es schon aus frühern Zeiten kannte, wen w i r so öfters auf dem Epomeo saßenf,] auf das weite Meer sahen, u er sich verlor u Träume u Wünsche sprach. Als w i r i n den H o f der Wirtschaftsgebäude eingeritten waren, stand ein Jüngling da v o n außerordentlicher Schönheit, ebenfalls, wie w i r gekleidet. Er hatte dem M a j o r einen Brief gegeben, u w a r dan wieder fort geritten.
144
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Wolfgang Landthaler
W i r aßen samt allen Knechten u Mägden i n einer Vorhalle, oder eigentlich nur unter einem ungeheuren Vordache, an dem ein riesiger N u ß b a u m stand. A n dem hölzernen Brunenhause lehnte ein Sakpfeifer, der z u unserem Mahle schwermüthige magyarische Weisen blies. [Cgm
7386, 8a]
Brigitta
13
schaft sei die Frau auch w e r t h ; den es lebe kein Mensch i n der Gegend, der sie nicht hochachte u verehre — aber bald erkannten alle, die hinüber kamen, daß der M a n n auf unheiligem verzaubertem Boden stehe, diese Liebe u Leidenschaft des Majors sei unerklärlich, es bleibe w o h l alles i n der strengsten F o r m der bloßen Achtung, aber man sehe deutlich, w i e er nur m i t Mühe die düstre G l u t zurük drüke, u m i t den Schmerzen seiner Seele 330 kämpfe — ich kenne nicht die K r ä f t e des Magnetismus [ — ] die Erscheinung sei i n der T h a t ganz wundervoll, wie ein M a n , dem einst alle Schönheiten zugeflogen, u der sie alle verlassen, nun i n seinen alternden Tagen m i t einer so tiefen, schwermüthigen, nachhaltenden Leidenschaft an einem nicht schönen, auch bereits alternden Weibe hängen könne — es spreche 335 dieß für ihre Trefflichkeit, u strafe den Gatten, der sie leichtfertig verstieß, während hier ein anderer vergeblich seufze, sie zu besizen. Einige schreiben es v o n dem Magnetisiren her, aber es gibt dunkle unbegreifliche Bande u Gewalten der Seele — w i e tief es den M a j o r ergriffen habe, köne man daraus abnehmen, [daß,] obgleich er imer k ü h l u ruhig gegen sie selbst 340 sei, er doch a l l seine I n i g k e i t u verhaltne Neigung auf das H a u p t ihres Sohnes wende, i h n vergöttere, u es auch dahin gebracht habe, daß i h n der junge Mensch unbegreiflich, fanatisch liebe. Das alles w a r m i r seltsam u wunderbar, ich w a r begierig auf B r i g i t t a [ . ]
325
M i r k a m bei diesen W o r t e n wieder zu Sinne, wie es m i r v o r länger schon aufgefallen, u empfindlich gewesen sei, daß jener schöne junge M a n , dessen ich oben erwähnte, öfter z u uns gekomen, daß i h n der M a j o r v o r allen andern ausgezeichnet hatte, ja oft stundenlang m i t i h m i m Schreibzimer gesessen w a r , ohne i h n m i r je aufzuführen — u ich hätte doch so gerne nähere Bekantschaft m i t dem Mane gemacht, sein dunkles sanftes Auge 350 sprach so schön zu m i r , daß ich dachte: d i r könnt* ich so recht v o n Herzen gut sein — u wen er z u Pferde saß, so k r a f t v o l l u so bescheiden, da führte er ein so schönes längstverblichnes B i l d i n meine Seele zurük, das B i l d eines Jugendfreundes, den m i r der T o d entrissen, u den ich einst m i t tausend Thränen beweint hatte. Diesen Jüngling hielt ich nun für Brigittas 355 Sohn, da ja kein anderer zu uns gekomen, den der M a j o r so zärtlich behandelt hätte. Auch fiel m i r jezt ein, wie ich o f t ein blasses leidendes Gesicht an dem M a j o r gesehen habe, wie das eines Kranken, u imer, wie ich Brigitta nenen hörte, k a m m i r jenes alte reitende Weib i n den K o p f ,
345
Adalbert
Stifter,
Entwurfblatt
8 a z u r Urfassung
der ' B r i g i t t a ' ( C g m 7386): s. S. 144 f.
Münchener Stifter-Handsdiriften
360
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das m i r die Pferde bis zu dem Galgen m i t gegeben hatte, u die halbe Nacht nach der Ankündigung, daß w i r morgen nach Marosheli reiten werden, hatte ich halb wachend halb träumend den Magnetismus u seine dunkle K r a f t i m Sinne, wie könnte den der M a n , der so kindisch reizbar gegen jede Ungestalt ist, an ein solches Wesen gebunden sein — er selber hatte m i r einst erzählt, daß er [in] Frankreich einen kranken Jüngling gekant, u sehr geliebt habe, weßhalb er i h m manchmahl über die H a r e gestreichelt, worauf es aber dan geschehen sei, daß er sich gar nicht mehr v o n dem Bette des K r a n k e n entfernen durfte; den sonst habe «dieser heftige Zukungen bekomen. [Cgm
370
375
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7386, 10a]
Brigitta
13.
schaft sei die Frau auch w e r t h ; den es ldbe kein Mensch i n der Gegend, der sie nicht hochachte, u verehre — aber bald erkanten alle, die hinüber kamen, daß der M a n auf anderem, wie verzauberten Boden stehe, daß er eine düstre G l u t zurük drüke, u wie m i t tiefen Schmerze kämpfe. Äußerlich stehn die beiden Menschen k ü h l u w ü r d e v o l l gegenüber. „ I c h kene nicht die K r a f t des Magnetismus, fuhr der M a n fort, habe viel davon gehört, u wenig geglaubt, aber w u n d e r v o l l bleibt die Erscheinung imer. [Cgm
7386, 9a]
B r i g i t t a 13
schaft sei die Frau auch w e r t h ; den es lebe kein Mensch i n der Gegend, der sie nicht hochachte u verehre — aber bald erkanten alle, die hinüber 380 kamen, daß der M a n auf einem andern gleichsam verzauberten Boden stehe, daß er eine düstre G l u t zurük drüke, u wie m i t tiefen Schmerze seiner Seele kämpfe. Damahls redete man viel h i n u h e r [ . ] W i e ein Wunder flog gleich die K u n d e v o n O h r zu O h r , man beobachtete, aber die beiden Menschen standen imer k a l t u w ü r d e v o l l gegenüber 385
[Cgm
7386, IIa]
B r i g i t t a 15.
liebend u erbittert, w e i l sie nicht ahnte, daß sie es selber so hervorgerufen; den die junge noch umhüllte Seele wußte doch schon, daß sie sich selber M u t t e r sei, w e i l man sie zurükgewiesen: ach einstens, da die ersten zarten Würzlein wuchsen, u nach dem warmen Boden der Mutterliebe griffen, w a r 390 keiner da — da mußten sie i n den Fels des eignen Herzens schlagen, u da trozen.
395
So wuchs sie auf, sie forderte nichts, u wen man gab, freute sie sich nicht, am liebsten erwarb sie selbst, u hielt dan fest. Beim Lernen m i t ihren Schwestern saß sie unten an, u starrte m i t den i n der T h a t schönen, aber düstern Augen auf die Eke des fernen Buches, oder der Landkarte, u wen der Lehrer eine seltne rasche Frage an sie that, erschrak sie, u wußte keine 10 Literaturwissenschaftliches Jahrbuch, 8. Bd.
146
Wolfgang Landthaler
A n t w o r t , aber an langen Abenden, oder sonst, wen man sie nicht vermißte, lag sie auf der Erde über Büchern, Bildern u Karten, u brütete eine seltsame, verstümelte, fantastisch glühende W e l t i n i h r H e r z hinein, welche W e l t 400 niemand berichtigte, w e i l sie dieselbe nie äußerte, u die sie darum desto tiefer hüthete, w e i l sie dieselbe an andern nicht sah. Der Vater hielt ihr oft freundliche Ermahnungsreden über i h r stumes störrisches Wesen, u stellte i h r die Leutseligkeit ihrer Schwestern als Beispiel vor, aber da wurde sie noch störriger u stumer. Wen neue Kleider kamen, paßten sie ihren Schwe405 stern lange nicht, u mußten oft gerichtet u geändert werden: Brigittas fand man imer gut — ihr K o p f p u z w a r b a l d fertig, u wen sie sich den Saum des Kleides k o t h i g gemacht, tadelte man sie nie. D a stand sie manchmahl v o r dem Spiegel, als sie i n das A l t e r der Jungfrau getretten war, u schoß einen B l i k auf ihr dunkles A n t l i z , u m dessen braune Stirne sich die 410 rabenschwarze Loke schlang, spröde, wie die eines Manes — was sie aber dachte, weiß man nicht. Luisens, ihrer Schwester A n t l i z , w a r wie ein Engel des Himels schön, u sanft, wie ein Engel des Himels
[Cgm 7386, 12 α] 415
liebend u erbittert, w e i l sie nicht ahnte, daß sie selber schuld sei; den die junge Seele wußte schon, daß sie zurükgedrükt, sich selber M u t t e r w a r d : da die ersten zarten W ü r z l e i n [wuchsen] u nach dem warmen weichen Boden der Mutterliebe griffen u i h n nicht fanden, mußten sie i n den Fels des eignen Herzens schlagen u da trozen — späteres Erdreich w a r umsonst. [Cgm
420
Β r i g i 11 a. 15.
7386, 17a]
Brigitta
17.
als müßten sie i n diesem Momente ein ganzes versäumtes L [ e b e n ] [Cgm
7386, 16a]
Brigitta
17.
als müßten sie i n diesem Momente ein ganzes versäumtes Leben nachhohlen, sie meinte, wen sie nur das heftige H e r z herausgeweint hätte, dan müsse i h r leichter sein, sie w a r i n die Kniee gesunken, u mußte ein zufällig da 425 liegendes Bildchen — es w a r ein Kinderbildchen, auf dem dargestellt war, wie sich ein Bruder für den andern opfre — dieses Bildchen mußte sie unaufhörlich u m i t G l u t auf ihre L i p p e n drüken, bis es ganz zerknittert u durchnäßt war. Noch spät, als die Quellen endlich doch versiegt waren, saß sie auf der 430 Erde v o r dem Spiegeltische u san u brütete — die H ä n d e lagen i n dem Schose, die Schleifen u Krausen des Nachtgewandes waren feucht — endlich schöpfte sie ein parmahl frischen Athem, wischte sich die Augenwimpern u ging zu Bette — aber noch spät, als schon der Schlumer auf ihre ermatteten Augen sank, schlüpften noch die leisen Worte aus ihren L i p p e n : „Es ist 435 nicht möglich, es ist ja nicht möglich."
Münchener Stifter-Handschriften
[Cgm 7386, 15 a]
147 Brigitta
17.
als müßten sie i n diesem Momente ein ganzes versäumtes Leben nachhohlen, sie meinte, wen sie nur das heftige H e r z herausgeweint hätte, dan müsse i h r leichter sein, sie w a r i n die K n i e gesunken, u mußte ein zufällig 440 da liegendes Bildchen — es w a r ein Kinderbildchen, auf dem dargestellt war, wie sich ein Bruder für den andern opfere — dieses Bildchen mußte sie unaufhörlich u m i t G l u t auf ihre L i p p e n drüken, bis es ganz zerknittert u durchnäßt war. 445
Später, als die Quellen endlich d o d i versiegt waren, u sie stiller geworden, saß sie v o r dem Spiegeltische auf der Erde, u san noch u brütete — d i e H ä n d e lagen i n dem Schose, die Schleifen u Krausen des Nachtgewandes
waren feucht, u lagen auf dem keuschen Busen endlich schöpfte sie ein parmahl frische[n] Athem, wischte sich m i t flacher H a n d die Augenwimpern, u ging zu Bette — aber noch spät, als schon der Schlumer u m die 450 ermatteten Augen spielte, schlüpfte noch der Hauch der leisen Worte über ihre L i p p e n : „Es ist nicht möglich, es ist ja nicht möglich!"
455
D a r u m , als nach vielen Wochen wieder einmahl eine Gelegenheit w a r , w o er allein zu ihr sprechen konnte, als er so aufrichtig zu i h r aufsah, als er sie bath, sie möge i h n doch vorerst nur kenen lernen, er sei nicht ganz unwerth ihres großen Herzens, das i h m so unbegreiflich aus ihrem ganzen Wesen entgegendämre, sagte sie sanft: „ T h u n Sie es nicht, t h u n Sie es nicht, werben Sie nicht u m mich, es w i r d Sie reuen." „ „ W a r u m den, Brigitta, w a r u m ? " "
460
W e i l ich m i t gar keiner andern Liebe zufrieden sein kan, als m i t der höchsten, ja die allerhöchste [ — ] ich verlange noch eine höhere, als alle [ — ] , wodurch jede jener schönen Jungfrauen überbeseligt wäre, ist m i r nichts, ich verlange eine noch größere — ach
[Cgm 7386, 13 a]
Brigitta
17.
als müßten sie i n diesem Momente ein ganzes versäumtes Leben nachhohlen, sie meinte, w e n sie nur das heftige H e r z herausgeweint hätte, dan müßte i h r leichter sein. Sie w a r i n die K n i e gesunken, rang die H ä n d e u mußte ein zufällig da liegendes Bildchen — es w a r ein Kinderbildchen, auf dem dargestellt war, wie sich ein Bruder für den andern opfere — dieses B i l d chen mußte sie unaufhörlich, u m i t G l u t auf ihre Lippen drüken, bis es ganz 470 zerknittert, u durchnäßt war.
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Endlich versiegten d o d i die Quellen, u sie w a r d stille — aber lange darnach noch saß sie, wie ein ausgeweintes K i n d auf der Erde v o r dem Spiegeltische, u san u brütete — die H ä n d e lagen i m Schose, die Schleifen u Krausen des Nachtgewandes waren feucht, u dekten den keuschen Busen — endlich io•
148
Wolfgang Landthaler
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schöpfte sie ein parmahl frische[n] Athem, wischte sich m i t der flachen H a n d die Augenwimpern u ging zu Bette — allein noch spät, als schon der Schlumer u m die ermatteten Augen spielte, schlüpfte noch der Hauch der leisen Worte über ihre L i p p e n : „Es ist nicht möglich, es ist ja nicht möglich!"
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Denoch w a r es möglich: — Mehrere Wochen vergingen nach dieser Begebenheit ohne bedeutendes Ereigniß, M u r a i schien ruhig u k ü h l , aber als nach langem wieder einmahl eine Gelegenheit kam, w o er zu ihr allein sprechen konnte, heftete er seine Augen ernst u aufrichtig auf sie, u bath sie schwermüthig, sie möge es doch vorerst nicht ablehnen, ihn näher kenen zu lernen, vielleicht sei er nicht ganz unwerth ihres Herzens, das i h m so unbegreiflich schön aus ihrem Wesen entgegen dämere u m i t so sanften hinziehenden Banden, wie i n seinem ganzen Leben nie. — Dabei sah er sie fragend u zagend an — sie aber, ihr glanzvolles Auge freundlich zu den seinen hebend, sagte sanft: „ T h u n Sie es nicht, t h u n Sie es nicht, werben Sie nicht u m mich, Sie würden es bereuen."
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„ „ W a r u m , Brigitta, w a r u m ? " "
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W e i l ich, antwortete sie leise, — w e i l ich keine andre Liebe fordere, als die höchste, ja eine höhere, als das schönste Mädchen dieser E r d e [ , ] eine Liebe ohne M a ß u n d E n d e [ , ] da nun dieß unmöglich ist, so werben Sie nicht u m mich — da Sie der erste Mensch sind, der nach meinem Herzen frägt, bisher kümerte sich niemand, ob u was für eins ich habe, da Sie der einzige s i n d [ , ] der auf mich geblikt, so kan ich gegen Sie nicht falsch s e i n . . . . "
Sie würde vielleicht noch mehr geredet halben, wen nicht Leute herzu gekomen wären, aber sie schwieg u ihre Lippe bebte v o r Schmerz. 500 Daß Murais H e r z durch diese Worte nicht beschwichtigt, sondern nur noch mehr entflamt wurde, begreift sich: wie an einem Engel des Lichtes hing sein Auge an ihrem Antlize, wie ging es an a l l diesen schönen regelmäßigen Gesichtern vorüber ihrem fühlenden leidenschaftlichen Auge zu begegnen — die Umgebungen beganen das Unglaubliche zu ahnen, u man 505 erstaunte unverhohlen, M u r a i drükte seine Neigung u Verehrung imer entschiedner u v o r dem Angesichte aller W e l t aus — i n Brigittas Busen schwoll ein Herz v o l l Stolz u Liebe — u eines Tages i n einem einsamen Zimer, da ferne die dunkle M u s i k scholl, da er v o r i h r stand, sie bittend u beschwörend — da er sie gegen sein H e r z zog, Schmerz u Liebe i n seinen Zügen — 510 da vergaß sie sich; sie schlang m i t eins den starken A r m u m ihn, u drükte ihren M u n d auf seinen, der sie bebend empfing, u nie, sagte noch nach vielen Jahren der Man, habe er eine solche Seligkeit empfunden, als damahls, da diese kräftige unentweihte Lippe zum erstenmahl auf seiner brante. 515
Der dunkle Vorhang zwischen den beiden Herzen w a r nun zerrissen, i n wenig Tagen w a r Brigitta die erklärte Braut des schönen Manes, u sein
Adalbert Stifter, Entwurfblatt 13 a zur Urfassung der 'Brigitta' (Cgm 7386): s. S. 147—149.
M n e n e r Stifter-Handschriften
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I n s t i n k t , der i h n an dieß Wesen rieß, hatte i h n nicht getäuscht; den nach u nach w a r es, als quölle erst langsam, dan imer reicher u reicher ein lange zurükgehaltenes lange genährtes Paradieß sachte aus ihrer Seele i n die seine über — er schwam i n Seligkeit [ — ] wie konnte es auch anders sein: 520 stark u keusch, wie kein anderes Weib, w e i l sie i h r H e r z nicht durch Liebesgedanken u [13b]
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Liebesbilder v o r der Zeit entmant hatte, trachte sie i h m ein ungeschwächtes Leben dar, das sein ungeschwächtes H e r z empfinden konnte, u w e i l sie stets allein gewesen, u sich selbst ihre W e l t gebaut hatte, führte sie i h n nun i n ein originelles neues Reich, das i h n bezauberte, u wie ihre einsame Fantasie nach u nach v o r i h m zu spielen began, erkante er auch, wie heiß u heftig sie i h n liebe — w e i l er der einzige gewesen, der sie erkante, so w a r sie auch nun das Eigenthum dieses einzigen, ö f t e r sagte er i h r jezt, als er sie das erste M a h l gesehen — das habe er gleich gewußt, daß er dieses Weib entweder hassen oder lieben müsse ihr den auch, ob es H a ß , ob Liebe sei? [Cgm 7386, 14a]
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i h r armen Bethörten! w i ß t
Brigitta
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als müßten sie i n diesem Momente ein ganzes versäumtes Leben nachhohlen, sie meinte, wen sie nur das heftige H e r z heraus geweint hätte, dan müßte i h r leichter sein. Sie w a r i n die K n i e gesunken, rang die Hände, u mußte ein zufällig da liegendes Bildchen — es w a r ein Kinderbildchen, auf dem dargestellt war, wie sich ein Bruder für den anderen opfere — dieses Bildchen mußte sie unaufhörlich u m i t G l u t auf ihre L i p p e n drüken, bis es ganz zerknittert u durchnäßt war.
Endlich versiegten doch die Quellen, u sie w a r d stille — aber lange darnach noch saß sie, wie ein ausgeweintes K i n d auf der Erde v o r dem Spiegeltische, u san u brütete — die H ä n d e lagen i m Schose, die Schleifen u K r a u sen des Nachtgewandes waren feucht, u dekten den keuschen Busen — so 545 saß sie während die Kerzen herabbranten — endlich schöpfte sie ein parmahl frische[n] Athem, wischte sich m i t flacher H a n d die Augenwimpern, u ging zu Bette — allein noch spät, als schon der Schlumer u m die ermatteten Augen spielte, schlüpfte noch der Hauch der leisen Worte über ihre Lippen: „Es ist nicht möglich, es ist ja nicht möglich!" 550 Aber was das Schiksal w i l l , muß möglich werden — waren nun die beiden Menschen v o n einem dunklen Verhängniß getrieben, oder v o n einem unerklärlichen Bande ihrer Seelen — es mußte sich erfüllen. O b w o h l nach obigem Ereigniß mehrere Wochen gleichförmig vergingen, o b w o h l M u r a i k ü h l u ruhig schien, t r a t t er doch, als wieder eine Gelegenheit kam, w o er
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Wolfgang Landthaler
sie allein sprechen konnte, zu ihr, heftete trübe u ernste u aufrichtige Augen auf sie, u bath, sie möchte i h n doch kenen lernen, vielleicht sei er nicht unwerth des stolzen Herzens, das i h n n u n verachte, u gegen das er doch m i t so sanften Banden hingezogen werde, wie gegen nichts i n seinem ganzen Leben. Dabei w a r sein B l i k fragend u zagend — sie aber, ihr glanzvolles Auge freundlich zu dem seinen hebend, sagte sanft: „ T h u n Sie es nicht, thun Sie es nicht, werben Sie nicht u m mich, Sie würden es bereuen." „ „ W a r u m , Brigitta, w a r u m ? " "
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„ W e i l idi, antwortete sie leise — w e i l ich keine andre Liebe fordre, als die höchste, ja eine höhere, als das allerschönste Mädchen dieser Erde, eine Liebe ohne M a ß u Ende — sehn Sie, da nun dieß nicht möglich ist, so werben Sie nicht u m mich — Sie sind der erste Mensch, der v o n meinem Herzen redet, bisher fragte niemand, ob u was für eins ich habe — da Sie der einzige sind, der auf mich geblikt, so k a n ich gegen [S]ie nicht falsch sein Sie würde vielleicht noch mehr gesagt haben, wen nicht Leute herzu gekomen wären, aber ihre Lippe bebte v o r Schmerz. Daß Murais H e r z durch diese Worte nicht besdiwichtigt, sondern nur noch mehr entflamt wurde, begreift sich: waltete n u n ein dunkles Verhängnis über diesen zwei Menschen, oder, waren sie v o n einem Zuge ihrer Seelen getrieben, es mußte sich erfüllen u wie an einem Engel des Lichtes hing v o n n u n an sein Auge an ihrem Antlize, an all den Schönheiten ging es vorüber das ihre zu suchen, das wie v o n dunklem Gefühle [Cgm 7386, 20a]
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ich werde w o h l der deutsche Reisegenosse u Freund sein, den er schon so lange erwarte. Der M a j o r zog eine Schreibtafel hervor, u fragte sie u m mehrere Dinge, die sie k l a r u freundlich beantwortete. D a n erzählte sie i h m manches, das sich bei i h r verändert habe, u fragte u m dieß u jenes, was sich bei i h m ergeben.
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[Cgm 7386, 19 a]
Brigitta.
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ich werde w o h l der deutsche Reisegenosse u Freund sein, den er schon so lange erwarte. Der M a j o r zog eine Schreibtafel hervor, u fragte sie u m mehrere Dinge, die sie klar u freundlich beantwortete, u v o n denen er sich manche notirte. 590 Auch sie fragte nun u m dieses u jenes, was sich auf den einen oder andern Nachbar bezog, auf die Angelegenheiten des Vereines, auf den künftigen Landtag, u wen sie auf Dinge seines eignen Hauses kam, w a r mirs, als läge
M n e n e r Stifter-Handschriften
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eine A r t Zärtlichkeit darinen, wie sie sich u m dieselben kümerte. (Sie w a r f i h m vor, daß er neulich, wie sie gehört, wieder i n leichten Kleidern von der Versamlung i n Gömör weg bei der Nacht über die H a i d e geritten, ob er den .die Nachtluft dieser Ebenen so wenig kene, daß er sich so ausseze) [Cgm 7386, 18a]
Brigitta
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ich werde w o h l der deutsche Reisegenosse u Freund sein, den er schon so lange erwarte. 600
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Der M a j o r zog eine Schreibtafel hervor, u fragte sie u m mehrere Dinge, die sie k l a r u freundlich beantwortete, u v o n denen er sich manche notirte. Auch sie fragte dan u m dieses u jenes, was sich auf ein u den andern Nachbar bezog, auf die Angelegenheiten des Vereins, auf den künftigen Landtag — u ich sah bei der Gelegenheit, m i t welchem tiefen Ernste sie diese Angelegenheiten betrieben — sie ging rastlos v o n eine[m] Gegenstand auf den andern, u faßte sie alle schnell u richtig, w o sie kein U r t h e i l hatte, bath sie m i t naiver Unwissenheit den M a j o r u m Berichtigung, nur wen sie auf Dinge seines eignen Hauses kam, w a r mirs, als läge eine A r t Zärtlichkeit darinen, wie sie sich u m dieselben kümerte.. Sie zeigte i h m den neuen hölzernen Säulengang am hinteren Geschoße des Hauses, an dem sie Reben empor ziehen wolle, u meinte, an seinen Hoffenstern lasse sich auch so ein D i n g anbringen, w o es sich i n der Späthefbstsone recht angenehm size — sie führte uns durch den Park, der v o r zehn Jahren noch ein wüster Eichenw a l d gewesen, — jezt gingen Wege durch, v o n den Bergen hinter i h m sprangen eiskalte Quellen herab, u hie u da wandelte ein Reh, sie hatte durch unsägliche Ausdauer u m den ungeheuren U m f a n g desselben eine »hohe Mauer gegen die Wölfe führen lassen, u es w a r ordentlich, als ob die Rehe das wüßten, u ihr dankten, indem sie unbefangen m i t den glänzenden Augen auf uns sahen, u gleichsam die Blike ihrer H e r r i n erwiederten — i n der That, die Augen dieser H e r r i n schienen noch glänzender, als die der Rehe, u heute v o n besonderer Freundlichkeit zu strahlen, w e i l der M a n an ihrer Seite ging, der ihren W e r t h zu schäzen wußte — zwei Reihen schneeweißer Zähne, u der noch so geschmeidige Wuchs gab m i r v o n i h r ein B i l d unverwüstlicher K r a f t . Sie w a r heute i n Frauenkleidern, w e i l sie den M a j o r erwartet hatte, u i h m den Tag schenken wollte. U n t e r Gesprächen der verschiedensten A r t , die sich aber meistens wieder auf P o l i t i k wendeten, auf die Z u k u n f t dieses Landes, auf Hebung u Veredlung des gemeinen Manes, auf Bearbeitung u Benüzung des Bodens, auf Regulirung u Einschränkung des Donaustromes u der Theis, auf ausgezeichnete Persönlichkeiten der Vaterlandsfreunde, u dergleichen, durchwandelten w i r den größten Theil des Parkes, u kehrten endlich wieder i n das Haus zurük.
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Z u m Essen k a m nun m i t sonenverbranten Wangen auch Gustav, der Sohn Brigittas, der lieblich schlanke Jüngling, der heute an der Stelle der M u t t e r die Felder besucht, u deren Arbeit geregelt hatte, seine Augen waren fröhlieh u heiter, es w a r , als ob ein Sonenblik hereinfiele, da er zu uns kam, ich konnte i h n nicht genug betrachten, wie er dasaß, eine wahre Blume v o n unbewußter Gesundheit u Güte.
Nachmittags ergoß er sich gegen mich i n ein leidenschaftliches einseitiges L o b des Majors, dieser aber w a r gegen i h n imer ruhig u einfach[,] beinahe 640 väterlich, wodurch er i h n so beherrschte, daß jener i h n nie anders ansah, wen er zu i h m redete, als m i t der größten Ehrfurcht u Schweigsamkeit, wie sehr aber der M a j o r auch dem Jünglinge gut war, davon hatte ich eine rührende Probe, die beinahe an den T a g gekomen wäre, als w i r A b schied nahmen, u m nach U w a r zurük zu kehren. Brigitta w a r f nehmlich 645 dem M a j o r vor, daß sie gehört, er sei neulich wieder i n der Nachtluft i n leichten Kleidern v o n Gömörs Versamlung weg über -die H a i d e geritten, ab er es den noch nicht genug erfahren, wie tükisch die T h a u l u f t dieser Ebenen sei, daß er sich so ausseze? Er entschuldigte sich nicht, u versprach i n Z u k u n f t vorsichtiger zu sein — ich aber wußte recht gut, daß er damahls 650 seine Bunda Gustav aufgenöthigt hatte, der leichtsinig ohne alle derlei gekomen war, u daß er i h m damahls vorgelogen, er habe noch eine zweite i m Stalle liegen.
1 Brigitta 1. aR; 25 einer mT üdZ; 28 2. aR; 30 fremde ] f mT aus F verbessert; 35 nach noch ] zum ersten mahle mT gestrichen; 38 müssen mT üdZ ] ist es, daß mT gestrichen; nach wir ] anbfethen] mT gestrichen; 39 Engel mT üdZ ] Abglanze mT gestrichen; nach anbethen ] müssen mT gestrichen; aR kurze Anmerkung Stifters mB; sehr schwacher Schriftzug, deshalb nicht mehr leserlich; 46 Brigitta 1. aR; 60 der ] r mT aus s geändert; 64—65 die das Sandkorn Weltall in ihre Unendlichkeit hereintragen müssen mB unterstrichen; 67 der ] r mT geändert aus n; Woge ] Wogen η mT gestrichen; 67—68 zu ihr herein mT üdZ ] in unsere Seele mT gestrichen; 68 einer mT üdZ; 71 gesehen u mT üdZ; 74 ni[m]t] nimt; 76 nach die] wunderbaren] mT gestrichen; aR mT (sehr flüchtige Schrift) ist er wir selber 1 Wort, unleserlich andere Liebe; 80 Brigitta 5. aR; 91 ein Volk mT aR, mit Korrekturzeichen eingefügt; 92 aber mT üdZ; 94 nach Rinder, ] wie im Urstande mT gestrichen; 95 sei ] sein η mT gestrichen; 96 ich2 mT üdZ; 99 den großen mT üdZ; 104 Ebene mT aR, mit Korrekturzeichen eingefügt ] Ebene mT gestrichen, Steppe mT üdZ, dann wieder mT gestrichen; 106 nach seine1 ] en mT gestrichenes Wortbruchstück; nach Weinhügel ] u mT gestrichen; 107 nach Tages ] ver-[meinte] mT gestrichen; 108 jezt auch mT üdZ ] nun mT gestrichen; 111 nach Land ] emfpor] mT gestrichen; 113 nach sich ] vor m [ir] mT gestrichen, ge[gen midi] mT üdZ, dann wieder mT gestrichen; 117 nach herüber ] drei mT gestrichen; 118 Sandwehr 1 Sandhügel hügel mT gestrichen, wehr mT üdZ; 120 nach aber ] wie mT gestrichen; 122 nach sieben ] zurükgelegt haben, so mT gestrichen; 123 Brigitta. 5. aR; 126 seinen ] η der Endung mT aus m geändert; Jahren mT üdZ ] Alter mT gestrichen; 129 Brigitta 7 aR; 134 sich selber mB aR, mit Korrekturzeichen eingefügt; 136 trübe mB aR ] sdimutzi-wissennaturalistisch< hat der es beschrieben, wie der wütende Grieche dem gefallenen Feind die Sehnen zwischen Knöchel u n d Ferse durchbohrte u n d den edlen Leichnam m i t Riemen v o n Stierhaut an seinen Kriegswagen band, u m i h n u m die Mauern v o n I l i o n zu zerren, u n d — nachher u m den Rogus des Patroklos: >Traun, nicht kor er das Schönere oder das Bessere . . . Aber Apollon Schütze völlig den Leib vor Entstellungen, weil ihn des Mannes Jammerte, selbst im Tod, und deckte ihn ganz mit der Agis Goldenem Schirm, daß nicht ihm die Haut er zerschorrete schleifende So sang der Dichter v o r Jahrtausenden, so w i r d der wahre Dichter heute u n d nach Jahrtausenden singen 3 7 .« I n entschiedener Frontstellung gegen die Verfechter eines naturalistischen Realismus der Vordergründigkeit forderte Raabe v o m Dichter, daß er noch angesichts der Furchtbarkeit des Gräßlichen — das nicht verdeckt werden dürfe — darum ringe, die bewahrende K r a f t schicksalhafter Seinsmächte m i t seinen M i t t e l n sichtbar zu machen. I n diesem Sinn verehrte er Goethe als weltweisen »Parakleten«, w e i l dieser i h m hintergründige Sinnzusammenhänge des w i r r e n Lebensgeschehens erschlossen hatte 3 8 . K e i n Z u f a l l , daß dieses W o r t trotz Säkularisation noch immer einen religiösen Bedeutungsgehalt i m p l i z i e r t ! Es ist zu Recht darauf hingewiesen worden, daß die i n den Notizbüchern niedergelegten Äußerungen des reifen Raabe teilweise i n einem gewissen Widerspruch zu seinen Dichtungen stehen. Das liegt nicht nur an der häufig verwendeten F o r m des Aphorismus, die eine überspitzte Schärfe der Aussage fordert; vielmehr treten i n der resignierten Bitterkeit, die hier sich L u f t schafft, tiefere Seelenschichten unseres Autors zutage 3 9 . Solch hoffnungsloser Stimmungen konnte er sich einzig m i t der Feder i n der H a n d erfolgreich erwehren. Z w a r verhehlte er seit dem 'Schüdderump* nicht mehr, wie er das lärmvolle, hektische »Getümmel« i m Räume der Gesellschaft beurteilte. Meister A u t o r formuliert es präzise: »Alles ist i n der W e l t v o r handen, aber nichts an der richtigen Stelle 4 0 .« D i e W e l t w i r d als Chaos erlebt, u n d nur i n der sicheren Distanz zu i h r vermag noch ein wesenhaftes Menschentum zu existieren. 37
1900; Schreibmappe (ebd. S. 129). März 1875 (ebd. S. 105). Vgl. K. Hoppe, Raabes Aphorismen, chronologisch geordnet (Jb. der RaabeGes. 1960, S. 95). 40 11, 157; vgl. auch 11, 65; 16, 296. 38 39
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Gerhart Mayer
Aber gerade hier setzt nun Raabes poetische Sinngebung aus religiös gegründetem Lebensvertrauen ein. H e r r v o n Schmidt äußert sich betroffen über den schicksalsgeprüften u n d doch so weltüberlegenen Meister A u t o r : »Dem M a n n geht es immer gut! D e m M a n n kann es nie schlecht gehen!« (11, 54). I n der Existenz solcher Ausnahmemenschen offenbart sich beim reifen Raabe eine weisheitsvolle Schicksalsmacht, die häufig m i t der Chiffre »Weltregierung« belegt w i r d . So f ü h l t sich Stopfkuchen bei der E n t l a r v u n g v o n Kienbaums M ö r d e r als Werkzeug der »Weltregierung u n d allerhöchsten Justiz«; oder der u m seinen Schützling Theodor besorgte Bruseberger f ü h r t es auf das Walten der »erhabenen Weltregierung« zurück, daß der Junge i n die rechten H ä n d e gelangte; u n d der Erzähler i n 'Kloster Lugau' rühmt den »Rat u n d die bessere Einsicht der allerhöchsten Weltregierung«, die »gottlob ziemlich häufig« das menschliche Geschick z u m Guten wende 4 1 . D r . Baumsteiger schließlich sieht i n einer heil vollen Schicksalsfügung die »allerhöchste Regie« am Werke (15,129). Diese Seinsmacht, als unsichtbarer Regisseur des theatrum mundi vorgestellt, manifestiert sich i m sogenannten »Zusammenhang der Dinge«: sei es als sinnstiftendes irrationales Schicksal (19, 85), sei es als kausaler Ordnungszusammenhang der Lebensphänomene 4 2 . Jene determinierende kosmische Macht erscheint jedoch nicht immer i m Lichte gütiger Weisheit. M u t t e r Cruse, eine ehemalige Schauspielerin, empfindet angesichts der beiden verlassenen K i n d e r der toten Erdwine Hegewisch das W a l t e n einer »seltsamen Regie«, u n d der Erzähler dieser traurigen Geschichte ( ' I m alten Eisen') stimmt i h r zu, wenn er das Leben als »die große Tragikomödie unter unseres Herrgotts D i r e k t i o n « k o m m e n t i e r t 4 8 . Auch die »Weltregierung« erscheint manchmal unbegreifbar, widersinnig, ja sogar ungerecht 44 . Wiederum w i r d uns bewußt, daß Raabe stets nur vage hinweisende Chiffren setzt, welche die rätselvolle Fremdheit des Numinosen letztlich nicht aufzuheben vermögen. D e r Regisseur, der das Lebensspiel inszeniert — zu diesem Schluß gelangt der sonst recht bürgerlich gesinnte K a r l K r u m h a r d t i n den ' A k t e n des Vogelsangs' — bleibt wesensmäßig unerkennbar (19, 333 f.). Des Dichters religiöses Grundgefühl bekundet sich am eindrucksvollsten i n der Gestalt des homo religiosus, der, wie erwähnt, i n den 'Unruhigen 41 18, 149, 167 f. (vgl. G. Mayer, Die geistige Entwicklung W. Raabes, S. 95 f.); 15, 342; 19, 71; vgl. audi 16, 20. Diese Metapher findet sich in Werken, die zwischen 1881 und 1898 entstanden sind. 42 19, 89; 15, 212, 237, 240, 247, 342. — Dieser Ausdruck begegnet in den Werken, die zwischen 1881 und 1893 entstanden sind. 43 16, 405, 377. — Auch der Erzähler in -Fabian und Sebastian* beklagt die »Gleichgültigkeit des unbewegten Weltenauges« angesichts der ergreifendsten menschlichen Schicksale (15, 155). 44 15, 537 f.; 111,6, 113.
Uber Wilhelm Raabes Verhältnis zur Religion
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Gästen' u n d i n 'Altershausen' an zentraler Stelle steht. I n Phöbe u n d M i n chen gestaltete der reife Raabe sein persönliches idealtypisches Wunschbild des stillgewordenen, weltüberwindenden Einzelnen, des abgeklärten Menschen der großen Ausnahme, der, wie Dorette Kristeller Phöbe bestätigt, »alle hundert Jahr nur einmal« begegnet (16, 320). I h m werden die höchsten Prädikate zuteil: Phöbe besitzt als einzige Figur des Romans » w i r k liches Dasein u n d wahrhaftige Bedeutung« gegenüber dem »farbigen Schein u n d Getümmel« des Säkulums (16, 296). Der humorvoll-gelassene Geheimrat Feyerabend, der »sogenannten Wirklichkeitswelt« der Gesellschaft entstammend, verflüchtigt sich z u m »armen Schatten« angesichts des überwältigenden Daseins v o n Minchen Ahrens 4 5 . »Wirklichkeit« u n d schattenhafter »Schein« sind bei Raabe nicht ontologische, sondern ethische Begriffe. Sie bezeichnen den G r a d an menschlicher Wesenhaftigkeit, der den einzelnen Gestalten eignet. Sehr aufschlußreich, daß ab 1880 nur noch dem schlichten, herzensfrommen Menschen der höchste Realitätswert ausdrücklich zugesprochen w i r d ! Raabes homines religiosi entsprangen einer Sehnsucht des Dichters, die er ergreifend formulierte: »Oh, i n dieser fahrigen W e l t eine Philosophie des Stillehaltens, Stilleseins, Stillebleib ensΖ«46. Er wußte u m die Macht der Frömmigkeit, wenn er gerade den religiösen Menschen als Idealtypus innerer Freiheit u n d stiller Unverstörbarkeit darstellte. E r wußte aber auch, daß diese W e l t eines kindhaft-naiven Menschentums letztlich nicht die seine w a r . Der reife Raabe sah i n der Religion vor allem eine wertvolle H i l f e i n seinem Bemühen u m sittliche Lebensbewältigung; sie schien i h m den Weg zu gelassener Weltüberlegenheit am besten zu ebnen. I n diesem Sinn konzipierte er Phöbe u n d Minchen, bei denen bergender religiöser Glaube u n d ethische Liebestat eins sind. Der Dichter befand sich hier i n einer gewissen Übereinstimmung m i t dem zeitgenössischen liberalen Protestantismus, der auf die Erörterung dogmatischer Fragen ebenfalls weitgehend verzichtete und seine Aufmerksamkeit dem Bereich der E t h i k zuwandte. D a r i n ist einer der Gründe zu sehen, w a r u m Raabe keinen Zugang zum orthodoxen C h r i stentum gefunden hat, das den ursprünglichen Charakter des Evangeliums als metaphysischer Erlösungsreligion zu bewahren suchte 47 . Der Dichter dagegen bekannte sich, wie erwähnt, seit seinen Stuttgarter Jahren zu einem konsequenten Agnostizismus, der i h m keine systematischen metaphysischen Spekulationen mehr gestattete. Daher distanzierte er sich, u m nur ein Beispiel zu nennen, entschieden v o n der kirchlichen Unsterblichkeitslehre. I n 45
I I I , 6, 278, 343. ® 1889; Schreibmappe (Jb. der Raabe-Ges. 1960, S. 125). Vgl. H . Oppermann, W. Raabe im Verhältnis zum Christentum; Deutsches Pfarrerblatt 18 (1964). 4
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Gerhart Mayer
einem Brief aus dem Jahre 1885 an seinen Freund Jensen belächelte er seine christlich gesinnten Braunschweiger M i t b ü r g e r : »Neunundneunzig v o m H u n d e r t glauben wahrhaftig noch immer dran, eine unsterbliche Seele zu haben. Fort m i t dem Q u a r k . . . « 4 8 Noch ein Jahr v o r seinem Tode neigte Raabe dazu, die christliche Jenseitsvorstellung zu verwerfen u n d an deren Stelle lediglich ein unbestimmtes »süßes Nichts« zu setzen 49 . Des Dichters widersprüchlich-spannungsvolle Religiosität offenbarte sich i n einem Spektrum v o n Gestalten differenziertester Gläubigkeit: grübelnde, skeptische Wahrheitssucher wie der wackere Tischlermeister Spörenwagen oder der unruhige Welten wanderer Feyerabend; die göttergleiche Weltüberlegenheit eines Stopfkuchen, den es nicht kümmert, ob er i n einer »verständigen u n d vernünftigen« W e l t lebt, der jedoch auf G r u n d seines eigenen Lebenswegs eine Schicksalsmacht erahnt, die den Menschen zu dem i h m »Dienlichen« führen k a n n ( 1 8 , 9 6 , 6 3 ) ; u n d schließlich der Idealtypus des religiösen Menschen, der i m w i r r e n Dasein den numinosen Sinnzusammenhang nicht nur ahnt, sondern i n t u i t i v u m i h n weiß, w e i l er i n der »Gnade« steht, wie der Erzähler der 'Unruhigen Gäste' z u m Schluß k l a r erkennt 5 0 . Diese widersprüchliche V i e l f a l t religiöser H a l t u n g e n erwuchs aus Raabes starkem Glauben an die Existenz eines sinnvoll determinierenden numinosen Seinsgrundes — ein Glaube, der jedoch durch die gegenteilige Erfahrung einer w e i t h i n chaotisch-sinnlosen W e l t ständig widerlegt wurde. Der Dichter bezweifelte z w a r nie, daß jene göttliche Schicksalsmacht an u n d für sich existiere, aber er wußte auch, daß sie sich dem leidenden Menschen nur selten hilfreich offenbare. Daher w a r sein letztes W o r t gegenüber dieser rätselhaften Gottheit ein demütig sich bescheidendes Ignorabimus. Diese G r u n d struktur seiner Religiosität prägte nachhaltig die Werke der dritten u n d zugleich bedeutendsten Schaffensepoche, die das letzte Viertel des neunzehnten Jahrhunderts umspannt.
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Brief v. 29. 12. 1885 (In alls gedultig, S. 216). Brief v. 13. 12. 1909 (Raabe-Kalender 1913, S. 126). 30 Raabes Verhältnis zu seinen Gestalten beleuchtet eine Notiz aus den Jahren zwischen 1885 und 1903: »Unpersönlichkeit des Dichters: das Kindergefühl behalten: Ich bin das alles zusammen! Objektivität und Subjektivität . . . « (Jb. der Raabe-Ges. 1960, S. 135). 49
W I E D E R E N T D E C K T E T E X T E ELSE L A S K E R - S C H Ü L E R S
III
Aus dem Lasker-Schüler-Archiv i n Jerusalem V o n Margarete K u p p e r Einleitung I m Herbst 1966 ermöglichte es m i r die Deutsche Forschungsgemeinschaft, nach Israel zu reisen, u m den Nachlaß Else Lasker-Schülers für eine i n V o r bereitung befindliche Briefausgabe auszuwerten. Bei der Durchsicht u n d Neuordnung des Nachlasses fanden sich unter Stößen v o n Manuskripten u n d Typoskripten, v o n Zeichnungen, Briefen, Notizbüchern, Merkzetteln, Zeitschriften, Zeitungsausschnitten, Druckfahnen, Rechnungen, Verträgen u n d anderen Dokumenten auch Handschriften, Maschinenschriften u n d Zeitungsdrucke m i t Texten v o n Else Lasker-Schüler, die entweder bisher noch ungedruckt oder außerhalb der Original- u n d der posthumen Ausgaben lediglich einmal publiziert worden sind. I m Anschluß an die 1964 u n d 1965 i m Literaturwissenschaftlichen Jahrbuch gedruckten »wiederentdeckten Texte« werden hier die Jerusalemer Funde mitgeteilt. D i e ihnen nachfolgenden Anmerkungen geben eine Beschreibung der Texte. E i n Bericht über den Nachlaß m i t einer Aufstellung seines Bestandes, sowie einem Namen- u n d Sachregister ist für den folgenden Band dieses Jahrbuches geplant. Z u m Zwecke der Kollationierung sind die Anmerkungen der hier veröffentlichten Texte m i t den jeweiligen Registriernummern versehen, die sich auf das genannte Nachlaßverzeichnis u n d auf das Sachregister beziehen. Der Abdruck der Texte erfolgt m i t freundlicher Genehmigung des Nachlaß Verwalters, H e r r n Manfred Sturmanns (Jerusalem), dem ich — w i e auch der Deutschen Forschungsgemeinschaft — herzlich danke.
Texte [Abschied] Der Regen säuberte die w i l d e Wasserwand, Ich schreibe auf den wellenblauen Bogen
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Margarete Kupper U n d fühle sanft erstarken meine müde H a n d V o n Liebesversen, die mich immer süß betrogen. Ich wache i n der Nacht stürmisch auf hohen Meereswogen! Vielleicht entglitt ich meines Engels liebevoller H a n d . Ich habe die W e l t , — die W e l t hat „ m i c h " betrogen . . . Ich grub den Leichnam zu den Muscheln i n den Sand. W i r blicken a l l zu einem H i m m e l auf, mißgönnen uns das Land? W a r u m hat G o t t i m Osten wetterleuchtend sich verzogen, V o m Ebenbilde Seines Menschen übermannt. Ich wache i n der Nacht stürmisch auf hohen Meereswogen! U n d was mich je m i t Seiner Schöpfung Ruhetag verband, Ist bang ein spätes Geyerheer i n diese Dunkelheit geflogen! [ D i e Verscheuchte] Es ist der Tag i m Nebel v ö l l i g eingehüllt N u r angedeutet ist das L a n d Fast durchsichtig gezeichnet wie auf einem B i l d U n d keine Leidenschaft bewegt sich auch nicht d u u n d ich K e i n Wunsch erzittert, regt sich. So lange w a r kein H e r z zu meinem m i l d D i e W e l t erkaltete, der Mensch verblich D e r Dichter nur trägt unverändert m i t sich Des Feldes wogend Liebesbrot u n d seiner Blume Ebenbild. W o w e i l t der Wunderodem, der aus meinem Leben wich? Ich schweife heimatlos ein flüchtend W i l d Durch bleiche Zeiten träumend, denn ich liebe dich. Doch deine Lippe, der der meinen glich Ist wie ein Pfeil gespitzt, auf mich gezielt. So einsam ist die Dichterin w o h l ewiglich. E i n Liebeslied N u n stirbt das Laub der Bäume wieder U n d aller Vögel weiche Liebeslieder I n jedem einzigen späten Blatt. I n deinen dunkelen Indianerhaaren D u f t e t noch des Nadelwalds Gefieder. D i e Sonne küßte seine Farbe satt. B a l d schneien kalte Wintersterne nieder Sie reifen weiß i m Silberarm der Wolkenglieder Ich weiß noch, — als sie Wölkchen waren
Wiederentdeckte Texte Else Lasker-Schülers I I I Der H i m m e l öffnete die jungen Augenlider — — W i r waren eingeschlummert beide müde — M i l d übte sich der Lenz i m Regnen der Etüde. Sascha (Senna H o y ) E r w a r schön u n d k l u g U n d gut. U n d betete wie ein K i n d noch: Lieber G o t t mach mich fromm, Dass ich i n den H i m m e l komm. Ein Mit Die Wir
Magnolenbaum w a r er lauter weissen Flammen. Sonne scheint — spielten u m i h n fangen.
Seine M u t t e r weinte sehr Nach ihrem „ w i l d e n grossen Jungen" N e u n Jahre blieb sein Leben stehn, N e u n Jahre m i t der Zeit gerungen H a t er! M i t Ewigkeiten. D a er den Nächsten liebte W i e sich selbst, Ja, über sich hinaus! Verloren: Welten, Sterne, Seiner Wälder grüne Seligkeiten. U n d teilte noch i n seiner H a f t Sein H e r z dem Bruder dem — Gottgeliebt, da er nicht lau ist; Der Jude, der Christ ist U n d darum wieder gekreuzigt w a r d . V o l l Demut stritt er, Reinen Herzens l i t t er, gewittert er! Sein frisches Aufbrausen Erinnerte an Quelle A l l e r Quellen. Doch i n der Finsternis zwiefacher, Böser Nüchternheit des Kerkers, Schrieb er m i t Russ der Schornsteine: Lebensernste. 12 Literaturwissenschaftliches Jahrbuch, 8. Bd.
Margarete Kupper Rindenherb, hindusanft Erlöste i h n der Tod. H i n t e r kläglicher Aussicht Gitterfenster Unbiegsamen Katzenpupillen Starb er i m Frühgeläut. A b r a h a m Stenzel Begraben sind die Bibeljahre längst. W i r beide tragen nur noch sehnsüchtig D e n Flor u m unseren blauen H u t . M e i n Spielgefährte H a m i d Stenzel: E r gärte m i t dem M a r k i m Stamm Der Gottesbäume auf dem Libanon. Der Sturm vertrieb i h n aus der H e i m a t I n ein hartes Land. — M a n i h m die ehrwürdige Sprache steinigte. U n d seine Zunge stolperte über das Hebräisch. E r spricht seitdem des Gettos: Jiddisch Platt. „Werklich" ! Stark u n d hilflos — W e i t gehen seine Blicke auf und schimmern, K l a r , grün, man sieht auf keuschem G r u n d Der grossen Jordanaugen. D i e erinnern A n die Erzväter sich. E i n inniginnerlicher Dichter, U n d seines Herzens Unverfälschheit Macht i h n liebwert. Wenn w i r nach Mitternacht I m W i n t e r durch die Strassen Z w e i edle Lasttiere trabten Zusammen leiernd durch den Schnee — Wie i n der Wüste klangs — — K o p f gebeugt — überall: Saharah . . . U n d jedem W i n d e blickt er nach, D e r liebreich über seine schwarzen Haare streicht, D e n n seiner Verse Muse Kabala Trägt i h n i m A r m .
Wiederentdeckte Texte Else Lasker-Sdiülers I I I Paul Gangolf Braungebrannt k o m m t er geschritten (Eben mal durchs Café) V o n Neapel, manchmal auch v o n Salzburg. U m m i t Freund u n d Freund i n Freundschaft (Eine Nacht wirds dodi) zu plaudern. Gangolfs H e r z ist innig. Unser liebster Kamerad — Das verlorene K i n d — Väterlich u n d mütterlich sind w i r zum Paul. U n d er spielt so gerne Großsein A u f der bunten M u r m e l w e l t , D i e er überm Tisch uns zurollt. I m m e r wieder „lebend noch!" K a m er, sich z u m Teufel wünschend, Schwermütig u n d todgütig v o n der Front heim. Wenn w i r damals durch die Straßen schlenderten, — Ich der Prinz, E r i n seiner U n i f o r m : E i n staubmüder Kriegsgraf; Der die Schlacht der V ö l k e r hinnahm Wie das Schicksal eines Wandgemäldes, Dessen Farben schreien. Ernst ist es Paul Gangolf m i t dem Malen U n d dem Zeichnen und Radieren: Feste, gefahrvolle Gewebe. Abenteuer jedes seiner Bilder Aus feinstem N e r v . D o r t überm K i r c h t u r m tanzt der Schwärmer. Eisenbahnen rasen kreuz u n d quer Wie über die Geleiselinien A u f der Fläche seiner starken H a n d . — O , die Sehnsüchte seines Herzens — Zerfleischt wandeln sie, Gerippen Durch den Strahl der Feder schaurig. Unerhört erschütternd sein Selbstbild — — Mondloses — E x t r a k t des tiefsten Alleinseins.
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— Aber zwisdien seinen spielerischen Wänden Pflegt er m i t Vorliebe Bauherr zu sein: Puppentheater, Papierschauspieler u n d Tänzerinnen herzuzaubern. W ü ß t ' ich ein W o r t für das degenerierte Altmeisterlich u n d affektierte W o r t „Genie" — Es paßte auf Paul Gangolf. K a r l Hannemann Sein Vater, dessen Vater schon w a r Intendant i n Tilsit. Seine M u t t e r : Böhmin. K a r l : E i n Zigeuner! E r lebte auch am liebsten: Immerdurchdiewelt, A u f Rädern v o n zwei spielerischen Apfelschimmeln O r t zu O r t gezogen. Als Jüngling saß er gerne unter Aesten spät i m Herbst. Ich b i n verliebt i n seine achtzehn Jahre! Zwischen H e r z u n d H e r z b l a t t Trage ich Wachholderkarls Konterfei. Berlin S.W. am Halleschen T o r w o h n t K a r l Hannemann M i t seinem sorglich treuen Freunde K i n g am Spreekanal, Der K a r l würde sonst am D o r n des Lebens hängen bleiben. Er träumt und säumt u n d schäumt, Trägt er uns seine Verse, seine Dramen v o r Bis sich der Dämmer meldet, Grau ans Fenster pocht. M i t einem schwärmerischen V o l l a k k o r d l u l l t uns so gern Wachholderkarl zärtlich ein. E r weiß, w i r lieben ihn, wenn er K l a v i e r spielt. U n d w i e erst — so er m i t dem hölzernen Hämmerchen D i e Trällerchen v o m Kämmerchen E i n Liedchen auf der kleinen H o l z k l a v i a t u r So dahin lieb klimpert. K a r l Hannemann — ich sah i h n schon v o r Jahren D i e Rolle v o n „ d e m " spielen, der die Maulschellen kriegt. Frau Andrejew wünschte i h m begeistert Glück nach dem Theaterschluß. Ich schenkte i h m ein Schiff, das steht auf seinem Eckbrett. U n d eine Spieluhr: Ach, wie ist es möglich dann — jedoch — Ich holte mein Präsent am andern Tage reuevoll zurück. Die Bühne ist m i t Karls H e r z verwachsen, Sein Fuß verwurzelte m i t ihrem H o l z . Er erbte seiner Väter buntes, stolzes Komödiantenblut.
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Günther Birkenfeld E i n Porträt Es ist der Schwede i n Berlin, v o n dem diese kleine Geschichte handelt; Lars Hansens Bruder aus dem Swenska-Film. Ich müßte mich schon sehr täuschen — sie gleichen sich nämlich beide auf ein Blondhaar. Es blickt u n d w i t t e r t i n den hellen türkisblaugrauen Fjordaugen des schönen G ü n t h e r B i r k e n f e l d u n d ein Bündel Rittersporn immer bereit zwischen seinen Brauen. M i r liegt nichts daran, die Inhalte seiner glänzenden Romane zu schildern, den Lesern die Erlebnisse u n d Geheimnisse vorwegzunehmen. Ich traue dem P u b l i k u m eigene K r i t i k zu. M i r wenigstens raubt jedwede Einführung i n die Tiefe oder Leere eines Buches weiteres Interesse. Selbst lesen! Was soll das Vorprobieren, n o d i zumal hier das A u f knallen einer Knallerbse v o m Strauch des Buches: „ D r i t t e r H o f l i n k s . " Lesen Sie selbst, verehrte Romanleser, die zwei lebenden Romane des Dichters Günther Birkenfeld u n d lassen Sie sich überraschen. Aus seiner Großvogelperspektive gesehen, leuchtet das Tausendundeingestirn über die Dunkelheit der Erde nicht einen Schein klarer gedichtet, als die matte Lampe der Arbeitskammer. E r faßt den Demant der A r m u t i n dichterisches Gold. V o r seinem letzten R o m a n : „ D r i t t e r H o f l i n k s " erschien sein träumendes Buch „ A n d r e a s " . Das lag eine ganz Nacht wach i n meinen Händen. Ich w a r i m Mond. Schwebt doch diese Dichtung zwischen H i m m e l u n d Erde, zwischen Gefühlen und Gedanken. Erinnert an jenen schon lange gestorbenen sentimentalen Roman, an den M a n n i m Monde, der damals die Bleichsucht der Töchter der Stadt verursachte: Andreas' alter H e r r ! H i n t e r der Säule der Backfischbälle suchen die jungen Mädchen nicht mehr heimlich den Mysteriösen i m duftenden nächtlichen schwarzen Bart. Der blasierte Poseur k a m längst aus der Mode. E r paßte i n die Zeit der Photographiealbums u n d w a r i h m w i l l k o m m e n . Heute macht man größere Ansprüche an den M o n d m a n n u n d an astrologische Wunder. Birkenfelds „Andreas", der modern dichtende Enkel, entstammt w o h l dem Mondgesdilechte, wie w i r Dichter alle, aber er ist ein lebendiges Bildnis. D i e Romane Birkenfelds ballen sich aus gemischtem herben u n d starken W o r t zu einem Körper. D e r Günther muß dichten. Sein Buch stürmt i n die W e l t wie der entzükkende Durchgänger selbst. Der Bücherrücken sein Steckenpferd. I h m gelingt es, seiner Bücherwelt, wie den wirklichen M a l e r n ihren Bildern, Odem einzuflößen. D a r u m bleiben seine Menschen lebendig bis z u m Schluß u n d — der Lesende ermüdet nicht. Drohende W o l k e n aus Milliardtropfenschweiß bedrücken die Armenviertel seiner Geschichten. Eigentlich schreibt Günther Birkenfeld ja keine Romane. E r ! E i n Romanschriftsteller? W i e hochtrabend!
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Geschichten schreibt er, hingestreckt auf dem Boden seines Zimmers; schwedischen Punsch dazu u n d eine Indianerpfeife i m M u n d w i n k e l u n d M u t hat er u n d es imponiert m i r , daß seine wundervollen melancholischen Edelschmöker d o d i — gut!! ausgehen. Wuppertal D e m Wuppermenschen, der der Schornsteinballade entronnen zu sein glaubt, zeigt die Erinnerung immer wieder verzaubert die H e i m a t . Russw o l k e n steigen, finstere Botschaften gespenstiger Drachen, auf zur Höhe. So o f t spazierten meine M u t t e r und ich, H a n d i n H a n d die Sadowastrasse steil bergauf bis i n die laubige Feier; die Bäume rauschten dann so froh u n d grün. Bevor w i r aber i n den W a l d traten, schauten w i r uns das bergische Panorama an, es lag unter uns i m T a l zu Füssen meiner v o n m i r angebeteten M a m a u n d glitzerte i n Tausendlichtern i m Geschmeide u m den H a l s des Morgens. Bunt malte der Sonnensmaragd die Schieferdächer der Häuser. U n d die vielen Fabriken fabrizierten m i t ihren unzähligen, fleissigen H ä n d e n : K n ö p f e ; w i r k t e n Suttasch u n d Band. Ich erinnere mich, da ich einmal als noch kleines K i n d meine M a m a fragte, ob die Schornsteine Zigarren rauchen? Schnee fiel auf das Jahr meiner Geb u r t — was m i r n u n zustatten kommt. Ich besuchte auf der A u die Töchterschule — täglich; wie man eine Reise macht — m i t Schokolade u n d K l ö m kens i n der Kleidertasche. Senkrecht rutschte ich i m W i n t e r bei Glatteis auf ein zweites Paar Strümpfe, aber — ü b e r die Stiefelchen gezogen, das Ende der Sadowastrasse m i t dem W i n d herunter. Als zwei Löcher kamen dann meine beiden wollengestrickten Beschützer an. Ich aber schlitterte unbekümmert weiter durch die eisglatten Gössen den nächsten Weg bis ans Schultor. O f t brachte mich u n d meine Freundin, mein weisshaariger, zwölfjähriger, lustiger Papa, fast bis ins Klassenzimmer m i t einer Schatulle — „ f ü r das Fräulein Lehrerin". D a m i t sie mich nicht Zu v i e l frage i m Rechnen. Unterwegs jammerte er m i t uns Schulkindern, dass w i r i n die langweilige Schule gehen müssen, alle Tage; u n d meiner teuren M u t t e r kostete es die grösste Mühe u n d Ueberredungskunst, mich für die N o t w e n d i g k e i t der Lektionen zu überzeugen. Aber wenn die Schule aus w a r , u n d es wurde Lenz draussen, trippelte ich w i e ein H ü n d l e i n , halbblind, halbtaub, am R a n d des Baches, der zwischen einer Buschwand u n d der Breitestrasse rauschte, säumend dahin . . . Liess das Quellwasser rieseln zusammen m i t der kleinen roten Quelle meines Lebens. Gegenüber auf dem erhöhten Pfad spielten arme K i n d e r oder sammelten Waldbeeren i n ihren geflochtenen Körbchen. Manchm a l k a m unsere kraushaarige Köchin, u m schnell noch beim K a u f m a n n Gewürze u n d Lorbeerblätter z u m Fisch zu holen, ausserdem ihren Bräu-
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tigam; der wartete i n der Kneipe. Jeden M i t t a g sass er bei uns i m grossen eingebauten Küchensdirank. „ N u n kriech wacker i n D i n g kleng Esszimmer, W i l l e m ! " L u d sie i h n ein. U n d zu meiner M a m a sagte sie später, unheimlich gestikulierend mich betrachtend, „ d a t Eisken fliegt no eenmol i n dat olle klenge Wasser r i n " . D a r u m durfte ich m i t der Schule niemals Ausflüge machen, dafür ging meine M a m a m i t m i r u n d meinen schon fast erwachsenen Schwestern i n die Konditorei. Wenn der Sonntag kam, holte mich meine Freundin schon i n Hahnenfrühe ab. W i r spazierten dann die Königstrasse u n d weiter die Herzogstrasse auf u n d ab, bis w i r dem schönen Kunstreiter begegneten, der i m Zirkus Renz unsere beiden runden Herzen i n Brand gesetzt. M e i n schelmischer Papa hatte das wieder sofort bemerkt u n d Hess sich v o n uns K i n dern dringlicher bitten, m i t uns den Zirkus zu besuchen. Manchmal kaufte er uns Pfefferminzstangen, ein zartes Federsträusschen daran geheftet, dem schmachtenden Jockei i n die Manege zu werfen. Wehe, wenn dann der „ A u j u s t " die inbrünstige Gabe schnüffelnd auflas! A n Wochentagen aber nahm ich fürlieb, m i t den Strassenjungen zu spielen, mich herumzuprügeln u m die dicken Birnen, die auf unsere Gasse v o m grossen Birnbaum, i n „Schülers Gasse", einfach aus dem Nachbargarten hineinplumpsten. Manchmal mussten — partout! — ein paar v o n den Jungens m i t uns zu M i t t a g essen! Eigentlich beglückte es meine M u t t e r , wenn ich darum so stürmisch bat. Sie liess dann jedesmal zum Nachtisch Cremeschnittchen holen u n d nur mein Papa, der sicherlich sonst zu jammern angefangen hätte, bekam wie meine kleinen Gäste v o n dem Dessert zwei Stück. Interessant empfand ich schon als K i n d den Döppersberg; dort kamen die Reisenden an; u n d wenn man irgend w o h i n reisen wollte, ging's zunächst z u m Döppersberger Bahnhof. Schon damals bauten sie gegenüber das luxuriöse H o t e l : Der Kaiserhof; ganz nach englischem Stil u n d komfortabler Eleganz. Aber i n der Stadt selbst, doch nicht fern v o n dem grossen Bahnhofshotel, befindet sich das entzückende, ebenfalls moderne H o t e l zur Post. Sein Frühstückszimmer ist direkt eine kleine, aber kostbare Bildergalerie jüngster Meister. M i t Herzbeben empfing ich den Gruss und das edle Kopfnicken der blauen Pferde meines herrlichen brüderlichen Freundes, des blauen Reiters: Franz Marc. Auch Gemälde, K o p i e n seiner Freunde, hängen neben französischen Meistern. Ich gehöre beileibe nicht zu den Galerieläufern, die i h r Kunstverständnis — m i t diesen Nebensprüngen (excuse!) zu beweisen hoffen; doch hier zeugt die selten getroffene wertvolle W a h l der Maler v o m kulturellen Wert des Besitzers. E r gab m i r den Rat, die ganze Strecke — v o n Sonnborn nach Rittershausen u n d wieder
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zurück: die Schwebebahn zu benutzen. D i e schwebte dann auch bald m i t m i r über die liebe Wupper des vermählten Wuppertals. D i e Schwebebahn schwebte noch nicht, wie ich i n Elberfeld lebte, die bauten V o n der Heydts erst, w i e ich nicht mehr da w a r — nach dem Muster eines vorsintflutlichen Ichthyosaurus. So ruht der mächtige eisengeschmiedete Korpus, an dessen unteren Gliedern die Schwebebahn i n R o l len u n d Seilen über die Wupperwelt gleitet, v o n Anbeginn bis zum A n beginn der verehelichten Städte. M o p p , ein „musikalischer" Maler I n Galauniform k a m er dazumal nach Berlin, einen berühmten K a p e l l meister zu porträtieren. M o p p k a m i n Gala. Das heisst i n einem schlanken langen Gehrock u n d sehr hohen eleganten Samtkragen. E i n artiger Abbé; ein R i t t e r zugleich, küsste den Frauen respektvoll die H a n d . U n d da er aus W i e n nach Berlin kam, wenn auch kurz, erfreute er uns alle i n unserer alten Heimstätte, dem Café des Westens. W o es uns auch am Morgen hintrieb, ins Café des Westens kehrten w i r heim. M o p p ( M a x Oppenheimer) gestern 40 geworden, gratulierte ich abends hier i m Selekt zu seinem dreissigsten Jahre. W i e n konservierte, bemerkt jemand i n einer Sofa-Ecke nahe v o n unserem Tisch. Wiens unbekümmerte Munterkeit erfrischte; ganz W i e n (weiland) ein einziger Jungbrunn! M o p p ist ernster geworden, auch seine Bilder stehen, etliche tief verbrämt, i n frühester Zeit entstanden, i n ihren Rahmen i n den Sälen vieler wiener Althäuser u n d geben den Wänden Format. Das Porträt des Thomas M a n n aus echtperlender Farbe, schmückt Londons Galerie. Herausgebracht v o m gentlesten künstlerischen Verleger Zürichs, unserm D o k t o r Oprecht, erschien v o r kurzem das wundervolle Grossbilderbuch des Mopps: „Menschen finden ihren M a l e r " . Zwischen weiss weisse Buchseiten bewahrt, die Bildnisse grosser Menschen: August Strindberg, den träumerischen Tiger m i t den L i p p e n einer zarten Frau. N i c h t w e i t v o n i h m entfernt: D e r Peter Altenberg. W i r beide verehrten uns sehr. H ä t t e ich nur mein Preisgedicht der Tibetteppich unterlassen zu dichten. Er lag i h m i m Wege. U n d ich schrieb i h m nach W i e n : „Je emsiger Sie, verehrter Peter Altenberg, meinen Tibetteppich demolieren, desto bedeutender gewinnt er an Alterswert." Das dritte Porträt, das ich i m feinen Buche betrachte — unseren Sternenprofessor A l b e r t Einstein, den mächtigen Sternenguckkasten. So nannte ich i h n gerne. Er guckte so kindlich u n d bewegte sich so unbeholfen, w o er sich auch hinbegab, ja i m eigenen Hause. Denn er blickte eigentlich immer nur in die Sterne und heute noch v o m anderen Erdteil der W e l t aus. So
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zeichnete i h n audi M o p p u n d erinnert mich auch noch an die Eigenschaften der vielen v o n i h m porträtierten Menschen unserer Zeit. *
Doppelt zwischen den Bilderreihen begegnet der Beschauer dem prachtvollen Romancier u n d Dichter: Heinrich M a n n , dem Senor Enrico. Sein B i l d könnte am zeremoniellsten H o f e stehen. M i t spanischer Etiquette malte i h n M o p p . Ich blättere weiter u n d erkenne den grössten Schachmeister aller Zeiten: Emanuel Lasker. Seinem Schachhaupt entspringen unbesiegbare Schachzüge. A u f der folgenden Seite: Frank Wedekind, der monumentale Dramatiker. M o p p malte i h n als Mephisto, m i t kühlen, aber saphirblauen Augen. Ich erhole mich eine Weile beim Anblick des eigenartigen gütigen glühenden Komponisten: A r n o l d Schönberg. Ebenfalls den engelhaften Musiker Ferrucio Busoni verewigte M o p p . Viele Buchseiten m i t Streichkonzerten folgen, bis auf einmal ein malender Wanderbursche v o r seiner Türe Seite steht, der Egon Schiele jung, — verschmäht, beschämt und müde. Schön schreibt M o p p z u m Bilde: „ W i r hatten beide ein Z i e l u n d waren stolz auf unsere Bedürfnislosigkeit." Grosse Freude machte m i r das B i l d v o n Franz Werfel, dem ganz ganz grossen Dichter. Ebenso meines herzlieben Freundes königliches Gesicht: Paul Leppin aus Prag, der himmliche Romane schrieb der Welt. „ A b e r L e p p i n befindet sich ja gar nicht i n meinem Buche: Menschen finden ihren M a l e r . " Stellt mich M o p p höchst erstaunt zur Rede. „ A b e r gemalt haben Sie i h n doch mal, M o p p . " U n d ich seh i h n überall! I n Chaosnuancen malte M o p p K a r l Sternheims stürmende dunkle Augen u n d v o n Joseph Szigeti zeichnete er ein musikalisches Porträt. D e r Maler M o p p zerfliesst leise i n Geigen u n d Geigenbogen u n d Geigensaiten: D i e A m a t i . . . U n d weiter n u n ein drittes Musikbildnis: K a r l Flesch und seine Kapelle. Trance . . . A t t e n t i o n ! Der dichtende Weltkonsul: Thomas Mann. U n d auf der letzten Seite seines Buches: er selbst, der Maler M o p p . A u f den Zeichenbogen v o r sich wie auf den weissen Tasten spielend, zeichnet er eine ernste Fuge. E r zerfliesst, — u m sich ganz zu finden. M o p p , ( M a x Oppenheimer) ein „musikalischer" Maler. Es beweisen seine mannigfachen unendlich liebreich gemalten Orchester-Streich- u n d Kammerspielkonzerte. Gerade w i e er die M u s i k m a l t ! Es sind Schöpfungen, dessen
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Farben ich — lausche. Es streiten sich die Zaubersaiten des Cello, m i t den Violinen, u m schließlich versöhnend zu schluchzen; farbenschluchzende Töne hinschwingend zur Ewigkeit. Das Marionettentheater des D i r e k t o r L ö w y Kleine Schulmädchen legen m i t Vorliebe zwischen B l a t t u n d B l a t t ihrer Schulhefte Papierpuppen. Kleiden sie i n bunte glanzpapierene, silberne u n d goldene K l e i d e r ; abwechselnd sie betrachtend während der trockenen Lektionen. Eine ganze Truppe unter — D a d i der Fibel! D i e Schuljungen aber gehn aufs Ganze! Sie wünschen sich aus H o l z gezimmerte Theater. Kasperletheater m i t üblichen Schauspielern dazu: D e n Kaspar, den Teufel, den nimmer i n Frieden gelassenen Bürger; den R i t t e r u n d seine auserwählte Prinzessin! Das K r o k o d i l u n d v o r allem den Drachen. Das erste Brett „der Bretter, die die W e l t bedeuten", wurde gelegt beim Bau des Kasperletheaters. A u f den Jahrmärkten, die verschwunden leider v o n den Stadtplätzen, begegnete ich früher den kindlichen Bühnen. I n Amsterdam versäumte i d i tatsächlich ihretwegen das Panorama der Stadt zu betrachten. M u t t e r u n d K i n d guckten m i t strahlenden Augen dem spannenden Spiele zu u n d — der liebe G o t t sass oft zwischen den jauchzenden Kleinen i m P u b l i k u m , K i n d geworden, i m blauen Mantelkragen u n d freute sich m i t der Schaar. A l i l e Freude ist tot. Uberall liegt sie begraben; die Kleinen warten auf ihre Auferstehung. Der heranwachsende Mensch w i r d gut durch Freude; N i c h t durch zu zeitig erleidenes Leid. Freude erhellt das H e r z , Schmerz verdunkelt den Herzschlag. Baut Kasperletheater auf kleinsten Plätzen für arme u n d reiche K i n d e r , für die n o d i wachsende Menschheit, damit sie nicht verhärtet, sie wieder springen lernt, auch über des Heiligen Landes Steinpfade. Uberraschend erschien i n Jerusalem eine lebendige Marionette, ein blondhaariger, blauäugiger Marionettenlord. E i n Universalgenie, ein Mensch, der alle Theaterkünste u n d ihre Schattierungen gleich bedeutend rhythmisch u n d tondichtend beherrscht. D i e Darbietungen seines winzigen Theaters beglücken Väter, M ü t t e r u n d ihre Kinder. Aus der Vogelperspektive, aus der unscheinbarsten Insektenperspektive schaut man des öfteren auf der Puppenbühne die grosse W e l t leuchten. L ö w y lässt nicht alleine Puppenschauspieler Theater spielen, er bildet auch die Tierdien des Erdbodens aus zu Mimen. D i e Bescheidenheit, m i t der unser Marionettenlord die O v a t i o nen des stürmisch applaudierenden Publikums entgegennimmt, bezeugt in i h m den „ w a h r e n " Künstler, der stets den R u h m seiner Muse, hier: einer himmlischen Marionettendiwa zu Füssen legt.
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Der achtzigjährige Maler Simson Goldberg Heute w i r d er achtzig Jahre alt. E r trägt noch immer m i t Vorliebe beim Malen seinen weiß u n d blau gestreiften frackähnlichen Gehrock, der stets wieder i n der Reinigungsanstalt v o n Farbflecken gesäubert werden muß. Schon i n Paris w a r f er sich allabendlich i n feierliche Gala, bevor er sich zu den Abendkursen, zum Aktzeichnen ins Meisteratelier begab. Der menschliche K ö r p e r bedeutete für ihn, schien er feenhaft, glitzernder noch w i e Sonne, w a r er morsch u n d faltig oder v e r w i t t e r t : E i n Tempel. — Sein Vater w a r ein frommer M a n n , seine M u t t e r w a r i h m das V o r b i l d aller Frauen der Welt, aber audi weiser als jeder männliche Einwohner des Dorfes, eine Medizinfrau, die Wunder verrichtete an schon längst aufgegebenen Kranken. I n den Nächten sammelte sie am H a n g des Waldes — i m V o l l m o n d — heilkräftige W u r z e l n u n d K r ä u t e r ; manchmal durfte sie der kleine Simson begleiten; gelangen ihm, ein Knäblein noch, die verschiedenen sanften Lodcbildchen auf den niedlichen Pappschachteln, die seine kluge M u t t e r m i t allerlei Tee füllte, m i t K a m i l l e n u n d Taubnesseln u n d Brombeeren besonders. Kehrte die M u t t e r m i t i h m heim, mußten i m Stall die Schäfchen 'ran! Das heißt, die W i r k u n g der noch fragwürdigen Pflanzen ausprobieren. Wenn die guten Tiere verdächtig laut und anhaltend meckerten, band die mitleidige M u t t e r ihnen ein warmes Tuch u m den Leib, denn sie hatten beide Leibweh bekommen u n d seine M u t t e r Kopfzerbrechen. Sie saß dann, erzählte m i r der Maler, die H ä n d e i m Schoß gefaltet, u n d dachte darüber nach, wie man diese saftigen Beeren oder verheißenden Blätter w o h l entgiften könnte? Ich hörte i h m so gerne zu, wenn er v o n seinem Elternhaus plauderte, aber auch seine Lehrjahre interessierten mich ungemein. I n Paris versäumte er keine Stunde i n den Elementarklassen der Akademie. D i e Malerkollegen nannten i h n : Monsieur Golbèrt, u n d den N a m e n behielt er bei u n d er saß u n d stand i h m auch vorzüglich, nahte er i n seinem feierlichen hellen Frack u n d weißer K r a w a t t e , mich abzuholen i n den Zoo zur Tier-, aber auch zur exotischen Völkerschau. Eigentlich w a r Monsieur Golbèrt mein Gouverneur, eigens für mich auf der W e l t , engagiert v o n seinem Freund, meinem vielbeschäftigten M a n n . Schon i n der Frühe warteten auf i h n die Patienten. Neben seinem Sprechzimmer standen w i r beide v o r unseren großen Staffeleien u n d ich namentlich mußte ochsen. Immer wieder dieselbe Nase, immer wieder denselben M u n d u n d die langen, manchmal abstehenden Ohren „noch einmal zeichnen!" Das M o d e l l empfand schon M i t l e i d m i t m i r , es k a m i h m ein leises Rühren an. D a n n warnte Monsieur Golbèrt — ohne sich weiter zu erregen — die modellsitzende Frau oder den greisen M a n n i m Schneebarte, sich nicht i n seine Methoden einzumischen. Aber des öftern endete die Malstunde zwischen uns beiden m i t einer Katastrophe. D a n n öffnete sich die Wartezimmertür des Arztes ob der Störung, u n d w i r stoben
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auseinander. Ich sei ein ebenso reissender, wie aufreizender Mensch u n d noch undankbar obendrein! E i n m a l brachte er zur Studie einen müden Weltwanderer m i t . E r habe i h n aufgefischt am R a n d der Spree u n d beinahe wäre er ertrunken. W i r bewirteten i h n zunächst u n d begannen i h n dann zu porträtieren. Es kamen oft Zuschauer zur Malstunde, v o n Simson Goldberg zu lernen. Prof. Liebermann hielt i h n für den besten Techniker der Zeichenkunst i n Berlin. Ich weiß noch wie heute, als Monsieur Golbèrt meine eben v o l l endete Studie m i t H a u t u n d Haaren u n d dem Zeichenbrett einfach unter den A r m nahm u n d m i t meinen Produktionen zu Liebermann eilte. O f t w a r er zu Gast bei seinem hochverehrten Maler u n d Menschen, u n d erntete immer großes Lob. D a n n k a m er andächtig wie ein riesig aufgeschossener K o n f i r m a n d zur Zeichenstunde i n unser Haus. Wenn ich dann neckend u n d stürmisch fragte, was sein Liebermann alles gesagt habe, pflegte Monsieur Golbèrt m i t einer Handbewegung zu antworten, die ungefähr i n W o r t e n übersetzt heißt: „Erst R u h e . . . " Er nahm sich i n der T a t heraus, mich zu erziehen; es w a r ganz selbstverständlich für ihn, ja das gehörte z u m Fach der Malerei, z u m Zeichenstudium. Aber er machte auch manchen tollen Streich gemeinsam m i t m i r , wenn es galt, den Spießer zu ärgern. D a n n waren w i r Spielgefährten, verschworene Indianer u n d überlegten i m K r a a l . Schließlich lebten der m i r angetraute hoch bedeutende A r z t u n d alle anderen Menschen unserer Umgebung, nur als unsere Statisten, als Hintergründe u n d Ausgangspunkte unserer abenteuerlichen Einfälle. V o r der L e k t i o n berieten w i r schon, w o w i r den Nachmittag verbringen wollten. W i r wanderten über Wiesen; ach, ich wäre so gerne durch die Bäche „ b a r f u ß " geplätschert, aber das erlaubte der sehr gesittete H e r r Gouverneur keineswegs. Ja, das sei für eine Frau D o k t o r i n geradezu „unanständig". U n d so opferte ich gehorchend die grösste Sommerfreude seiner strengen Etikette. D a f ü r verstand er, großes Interesse für alle herrlichen Bäume, denen w i r begegneten, für die bescheidensten Butterblümchen i n m i r zu erwecken. Er verstand i m N u die Rüben aus dem Acker schießen zu lassen v o r unseren Augen. M e r k t e ich aber eine Hexerei, dann verboxte ich i h n mitleidslos, ob w i r allein oder ob Ausflügler u m uns standen. Jede Kastanie, ja jede Haselnuß am Strauch w a r für i h n ein Ereignis, daran ich mich m i t erfreuen sollte. E i n m a l aber waren w i r uns sehr böse — „ f ü r ewig" ! D i e Stunden fielen aus, die lustigen Spaziergänge u n d kein Streich hing mehr reif z u m Abpflücken an unseren entlaubten, freudlosen Herzen. Jeden Morgen fragte mich mein M a n n : „ S o l l ich i h n holen?" Jeden Nachmittag telephonierte Monsieur Golbèrt zur Sprechstundenzeit, er habe eine interessante Patientin für seinen Freund, eine M i l l i a r d ä r i n m i t Krampfadern an beiden Beinen. M e i n M a n n w a r nämlich H a u t - u n d Beinarzt. D r e i Monate dauerte der unerträgliche
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Zustand des Böseseins; bis w i r , siehe da, beide schon melancholisch geworden, uns trafen v o r der Untergrundbahn, er i m Begriff, auszusteigen, ich gerade dabei, i n sein v o n i h m verlassenes Coupé zu treten. Ich glaube, w i r begrüßten einander zunächst, an seiner M u t t e r Versuchsschafe uns erinnert, m i t „Schaf" . . . D a n n begleitete Monsieur Golbèrt mich heim, trockenen Gesprächs, aber unsere Herzen hüpften v o r Freude geradezu! Es k a m der denkwürdige Tag, der Tag, an dem Simson Goldberg seine Professur — erlitt. „ E r l i t t ! ! " Er konnte sich v o r Gratulanten nicht retten. E r sei schließlich auf das Dach seines Hauses geklettert u n d m i t H i l f e des Schornsteinfegers, der gerade den Schornstein fegte, durch den Ofen bis zur Parterrewohnung einer Frau Kommerzienrat „getaucht". A u f dem G r u n d ihres Meeresteppichs habe er, ein Fisch zwischen gewobenen Korallenbüschen u n d grünen Muscheln u n d Austern u n d unzähligen Perlen, geschwommen. . . . Sein Frack, v o m Ruß bestaubt, wanderte wieder zur Wäsche, auch die Knöpfe waren ramponiert. I m Salon Paul Cassirer hingen des neugebackenen Professors Bilder. Schon am Abend heftete der Aufseher ein kleines Plakat m i t dem „süßen" Worte „ A u s v e r k a u f t " an die schönste seiner L a n d schaften. Der v o n der Presse geehrte Künstler gab eine Festfeier, u n d w i r rechneten es i h m hoch an, daß er den Briefträger, seinen Zeitungsjungen und das Bollemädchen nicht vergaß, einzuladen, die i h m nach Vorschrift, der schon lange friedlich ruhenden M u t t e r , jeden Morgen die Pulle M i l c h v o r seine T ü r stellte. Aber neben dem Professor saß die N y m p h e Agnes. Er hat sie auf einer Bank i m Friedrichshain weinend gesehen, sich neben sie gesetzt, sie getröstet u n d sie m i t i n die Zeichenstunde gebracht. Atemlos wartete er auf neue Tränen — denn unsere Aufgabe hieß: Die weinende N y m p h e . Sie w a r wunderschön u n d wurde seine Frau u n d schenkte i h m Z w i l l i n g e : den Manfred u n d den wundervollen Sänger Hermann. N u n w i r d der liebe Professor achtzig Jahre u n d zu gleicher Zeit achtzehn Lenze alt, ewigjung, streichlustig, gerade angefangen — die Akademie zu besuchen. E i n Leben liegt v o r i h m ! Ich erzähle etwas von Palästina Diesmal brachte mich der charmante und galante italienische Dampfer „ G a l i l ä a " nach Palästina u n d sein Bruder, das mächtige Großschiff: Gerusalemme, zum zweiten Male i n die Schweiz zurück i n mein A d o p t i v l a n d . Als w i r damals am A b e n d am Z i e l unserer Hinreise i n H a i f a landeten, staunte ich, wie groß u n d funkelnd die morgenländische Hafenstadt i n den 2V2 Jahren meiner Abwesenheit geworden; sie k a n n sich sehen lassen, die einen so strahlend anblickt. Aber ich sehne mich nach Jerusalem — wie der nette verehrte Commandante gentlissimo unserer Galiläa richtig vermutete.
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U n d nach den üblichen Formalitäten stieg ich sofort i n den Autoomnibus, der mich i n die Lieblingsstadt Gottes brachte. Immer über den gelben Sandteppich der Wüste; manchmal durch die Straßen kleiner arabischer Städte u n d Dörfer rollte unser Wagen bergab, u m wieder an einem Palmenhain vorbei, empor nach Jerusalem zu fahren. M a n glaubt sich auf dem fernsten Stern, einem Schleppstern der M o n d sichel, die gleitet wagerecht, ein grandioser goldener Nachen durch das weite Wolkenmeer am Strand des Horizonts entlang. Nach der Reise ins Heilige L a n d gibt es doch nur noch eine einzige Reise: Die H i m m e l f a h r t . W e i l man das höchste irdische Z i e l erreichte zu L a n d u n d zur See: Jerusalem. V o n dort geht es nicht weiter, v o n dort führt der direkte Weg i n die Himmel. D i e hebräischen schlichten Mönche glauben unerschütterlich an die H i m mel. Sie lächeln bescheiden, fragt man sie, w o die H i m m e l liegen. I n welcher Himmelsrichtung? U n d — „Breitengrad"? meint w o h l w o l l e n d ein Ueberklügelter. Doch die demütigen Gottesjünger überhören schweigend die H o f f a r t . Sie möchten A d o n a j u n d Seinen Engeln nicht zuvorkommen. Ohne des Todestalers verlustig, üblichen Z o l l , k o m m t keine Seele durch den unsichtbaren Tunnel des geheimnisvollen Viadukts ins Paradies zu G o t t heim. „ I s t Palästina schön?" U n d fragt man mich auch abermals u n d immer noch einmal, ob Palästina u n d seine Hauptstadt Jerusalem schön? So b i n ich, selbst i m Interesse des Landes, zu ehrlich zu antworten, Palästina ist schön. Palästina ist Gestein, Schöpfungsgestein, der kostbarste Edelstein des H e r r n . E r trug i h n v o r der Offenbarung der W e l t an Seiner H a n d . I n meinen frühsten Gedichten steht: Ich möchte einmal Gottes Hand fassen Und Jerusalem an Seinem Finger sehen . . . Palästina ist Gestein. Zwischen Gestein u n d Gestein wuchsen Gegenden, schlängelten sich Landstreifen bis ans Meer. Es ragten H ö h e n empor u n d stürzten kratergrausig sich auf Täler u n d höhlten sie aus. A u f ihren wiesigen Abhängen weidet das L a m m . E i n methodisches Chaos denke man sich Palästina, arbeitsam u n d v o n der Sonne verklärt. A u f die sandfarbene L e i n w a n d i m Rahmen der Berge Judas u n d Moabs u n d Gilboas malt die sonnige Goldmalerin, auf der Himmelsleiter sitzend, ihre zauberischen Träume. Viele m i t lila H i n t e r g r ü n den, etliche orangengelb u n d zitronengelb. Setzt plötzlich eine Flamme aus heißgepaarten Farben, einen A k z e n t auf das — W e l t p o r t r ä t der Heiligen roten Erde.
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A u f der Fahrt zum Toten Meer begegnen uns Reisenden bunte W a n derer, aus der Bibelzeit noch übrig. Ihrem Wandel entströmt Gläubigkeit u n d Vertrauen zu ihrem H e r r n . Sie schreiten nicht w e i t v o r unserem O m n i bus, geruhsam den Weg i n m i t t e n der Wüste entlang u n d die tauben schnellen Räder unseres Wagens erreichen die Pilger doch nicht. A u f einmal sehe i d i sie verschwinden, wie über Stufen hinabgleiten ins Innere der Welt. Unser schweres A u t o fährt gedankenlos über ihren frommen Wandel hinweg. Diesen unerklärlichen Vorgang erlebten nur ich u n d meine kleine Freundin T r u d m i r i a m , denn die Menschen auf ihren Sitzen schlummerten den 60Grad-Hitzeschlaf. Kamele, geschmückte m i t lauter Perlen, vielartige Talismane, die sie v o r m Verunglücken schützen sollen, begegnen uns. Es ist ganz still i m W a genraum, man hätte ein Sandkorn fallen hören, eine Muschel sicherlich. Jäh erwacht das niedliche Töchterchen auf dem Schöße ihres Papas, eines Juden aus Bagdad. Bestürmt i h n auf Hebräisch, ob es auch nicht zur Salzsäule werde an Loths Meer? Es w o l l e lieber nicht an den Strand gehen. W i r befinden uns noch i n offenen, ewigen Wüsten, aber w i t t e r n i n der Ferne Orangenwälder. Schon grünt ein Emek zu unserer Rechten. Der hebräische Bauer ist der Fürst des Landes. A m späten Abend i m liebevollen u n d geschmackvollen Gasthaus „ V i e n n a " mußte ich n o d i Gästen v o m Toten Meer erzählen. D i e nicht m i t w o l l t e n des jähen geographischen Luftwechsels wegen, sich erst i n der Heiligen Stadt zu akklimatisieren gedachten. Das Tote Meer liegt ungefähr 200 Meter unter dem Meeresspiegel. N u n rechne man dazu die 800 Meter, die man noch v o n Jerusalem bis ins T a l zu gelangen auszuatmen gezwungen. Mancher Körper leidet unter dem Blutdruck. Ich spürte nichts, erfüllt v o l l Erwartung. I n unserer Schulbibel erreichte ich als K i n d schon einmal das gewaltige Tote Urmeer-Eiland; allerdings auf einer der kleinen gelblichen Seiten z w i schen Religionsgesdiichten gezeichnet. Auch i d i suchte auf dem naiven B i l d chen wie die kleine D o r a i m Autoomnibus nach der salzkandierten Säule, nach der ungehorsamen Frau Loths. Ich schilderte meinen Zuhörern, wie ich u n d meine junge Freundin am Toten Meeresstrand angelangt, die zierliche Bagdaneserin schließlich tauchen sahen i n den warmen Wellen; doch v o n seinen Oelen getragen das schmale olivfarbene Körperchen immer wieder sachte emporstieg. Das Tote Meer ist eigentlich ein großer See, gewürzt m i t Mineralien: Salz, Brom, aber auch m i t Schwefel u n d Oel. M a n k a n n sich beide H ä n d e v o l l Salz m i t nach Hause nehmen. Allerdings noch ungereinigtes, ungenießbares. D i e fleißigen hebräischen Arbeiter bauten Salzwerke; die stehen, Schutzpatrone, v o r dem biblischen Gewässer. Das Tote Meer ist i n Wirklichkeit
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ein See, aber sein Charakter ozeanisch. D i e Berge Moabs bewachen das geölte majestätische Wasser. V o n der Hausterrasse eines großen Dichters i n T a l p i o t h erblickte ich z u m ersten M a l e die kuppeiförmigen H ö h e n u n d schmal entlang den Toten Meeressee. Es ließe sich w o h l reiten auf diesen Dromedarbuckeln, meinte ich ernsthaft, zur Freude des A d o n u n d seiner Frau. Es w a r noch frühster Morgen, die Sonne hatte sich zum ersten M a l e verschlafen. D i e herrlichen Berge noch i n ihrer Naturfarbe, braunfaserig u n d grau wie das Fell an enthäuteten Stellen der lieben stolzen Wüstentiere. D i e moabitischen Berge erschienen m i r n u n aus der N ä h e erschaut u m den ozeanischen Salzsee, gereckter, sich zur Wehr setzend geneigter. So w e i t dehnte sich der Strand! W i e mag einem Schiffbrüchigen w o h l zumute gewesen sein v o r tausend Jahren! W i r suchten uns i n unseren Tüchern Muscheln. Ich m i r solche, welche m i r einzig i n ihrer Farbe erschienen. Aber immer, wenn ich neugesammelte zu den schon gesammelten zu legen gedachte, waren die vorangesammelten w i e durch eine Oeffnung verschwunden. „Das Tuch ist ganz!" sage ich zu T r u d m i r i a m , die eine v o n den „kostbarsten" . . . betonte sie lächelnd, wiederfand. M ü d e setzten w i r uns auf den R a n d eines morschen Bootes; zogen uns nach kleiner Rast Schuhe u n d Strümpfe aus u n d sprangen i n die erste Welle, die uns entgegensprudelte. U n d immer tiefer i n die heilige Flut, bis unsere Füße überzogen m i t dem P r o d u k t des Toten Meeres, ganz weiß waren u n d krustig. U n d Durst verspürten w i r mächtig; träumten schon v o n den Apfelsinensäften u n d dem Grapefruchtwein i n der einladenden H a l l e v o r der Düne, i n der w i r dann unser salziges Fußbad süß begossen. V o n der Lieblingsstadt Gottes, Jerusalem, verriet ich schon so v i e l i n meinem Buch: „Das Hebräerland" u n d zeigte es auch auf meinen Illustrationen dem Leser. Ich könnte es nur wiederholen i n W o r t u n d Bildern, mein Gebet an die Heiligste Stadt. V o n H a i f a aus erreicht man i n ein u n d einer halben Stunde: Tiberias. D i e biblische Stadt hat sich nicht eine Spur verändert, nicht die unleserlichste Fußspur verstreut. Dieselben Fischer fischten am Genezarethsee wie zu Zeiten des Neuen Testaments u n d werfen ihre Netze aus. Auch Philippus glaubte ich unter ihnen zu erkennen. I n glühendbemalten Segelbooten sitzen nackte Araber jungen; sie necken die kleinen Fische i m Wasser. Ich hätte Lust, i n den buntverklärten See z u springen — aber der Araber würde einer Frau solche F r i v o l i t ä t nicht so leicht verzeihen. „ I n Sänften" trägt man die Frauen des Harems verschleiert z u m Strand, z u m Frauenstrande. I n den Bibelzeiten zählte Tiberias zu den allerersten Badeorten des Morgenlandes. H i n eilten die K r a n k e n des Landes, zu gesunden i n den heilenden heißen Quellen.
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W i r steigen aufwärts v o m Ufer des Genezarethsees, dem See v o n Tiberias; kommen an Bazaren vorbei; sie liegen i m Halbkreis der Straße. Friede: „Schalom" wünschen uns die H ä n d l e r , w i r ihnen zurück: „Schalom". Aber gleich freundlich v o n Herzen kommend. D e n n i m Grunde herrscht v o n zu Haus aus keine Feindschaft. Ich erstehe eine liebliche Glaskette; fünfmal paßt sie bequem u m meinen Hals. I h r durchsichtiges Herzchen lasse ich über meinen Handrücken hinu n d h e r g l e i t e n . . . ja, das einfache glitzerne H e r z Tiberias i n M i n i a t u r . D i e H ä n d l e r beteuern z w a r , es sei aus langersehnten Regentropfen i m späten Herbst i n der Regenzeit entstanden. A u f meinen ersten Bildern i n der K i n d h e i t zeichnete ich dieselben Paläste u n d glänzende Häuser Schwarzachat und tönte sie m i t l i l a Stiften an den Seiten oder unter einem besonderen Bogenfenster wie v o n einem l i l a M o n d beschienen. H o l d spielte die Phantasie u n d parallel der meinen — der Baumeister der phantastischen Stadt. „ N o c h ein paar G r a d heißer", scherzt mein Begleiter neben m i r , „ u n d w i r beide sind gar, reif für den Sonnenstich." Auch harrt der Autoomnibus auf uns schon eine Zeitlang, u n d w i r machen größere Schritte, aber mein Gemüt träumt wie der zurückgelassene magische See. W i r fahren durch die schönste Palmenallee, die uns v o r einigen Stunden ins Innere v o n Tiberias führte, u n d es dauerte nicht lange u n d es w a r wieder Wüste. Jericho grüßte uns, und ich sah gerade vorher durch des Doktors Fernglas den Jordan fließen. Immer Wüste v o r u n d hinter uns . . . sanft empfand ich sie, eine Mutter. Sie wickelte einen jeden u n d eine jede v o n uns i m Wagenraume i n eine Kamelhaardecke. Aber ich tat nur so, als ob ich schliefe, noch einmal Nazareth zu schauen. Gegenwärtig bewunderte ich schweigend die blühenden K o l o n i e n unserer Chaluzim. Sie erinnerten mich an die dicke Apfelsine i n meiner Kleidertasche, trotzdem sie mich schon lange inkommodierte. U n d ich befreite sie aus ihrem viel zu engen Verlies und t r a n k den kleinen Jakobbrunnen w i l l k o m m e n d aus. Der jüdische Bauer ist wahrlich der Fürst i m Heiligen Lande, ein Knecht Gottes. E r überläßt i h m die heilige steinige Flur. Ich schrieb an den Großbauer v o n Tel Joseph: Lieber Nehemia Cymbalist! (Ich kopierte den I n h a l t aus meinem N o t i z buch später auf einen weiten Bogen.) Verarge m i r nicht mein D i r gegebenes und nicht gehaltenes W o r t , Dich zu besuchen i n Deiner K o l o n i e : Tel-Joseph. Ich b i n übersättigt u n d erschöpft wie eine Biene, die zu viel H o n i g naschte aus dem Silberkelch der K ö n i g i n der Nacht. T r u n k e n b i n ich, eine flatternde schwankende Geiertaube v o n N a r d e n der Engelslüfte, die die Heilige Stadt umsüßen. Aber ich kehre heim zum dritten Male, zum dreißigsten Male 13 Literaturwisseoschaftliches Jahrbuch, 8. Bd.
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zurück i n unsere ureigenste H e i m a t , sie zu umspielen wie die Welle, sie möchte auch lieber heim i n ihren Ozean u n d nicht zergehen sterbend i m Sande. Ich hatte m i r Nazareth ganz anders vorgestellt — ähnlich wie Bethlehem, das n o c h kleinere Bethlehem, das ich so oft als K i n d schaute i n der Schulaula unter dem großen Tannenbaum; das heilige Städtchen aus der Spielschachtel auf dem Moos am Fuße der geschmückten Tanne. Aber nun weiß ich, die breite Freitreppe fehlte immer, die das alte verbrämte Städtchen m i t dem alten verbrämten Städtchen eine sich erhebende Stufenbrücke verbindet. D a r a u f die ärmsten Kinderlein sitzen und aramäische Volksliedchen singen; ihre aus Fetzen u n d Lumpen fabrizierten Puppen zärtlich einlullen. Nazareth ist keine kleine Stadt, auch keine zerfallene. A u f ihren H ü g e l n stehen guterhaltene villenartige Häuser, auch neuerrichtete Bauten, u n d an den Hecken der Gärten wiegen sich weiche weiße Winden. Gern wäre ich zu Fuß durch Nazareth gegangen u n d mein guter Begleiter tröstete mich: „ W e n n wieder Frieden herrscht." Ich gucke noch immer aus dem Wagenfenster; Nazareth längst der Wüste u n d ihrer säumenden Einfalt überlassend. Ich entdecke Farben, die ich noch nie gesehen, sie bekleiden die heiligen Berge. W i e selig ein Land, das diese Leuchten tragen darf. Wieder etwas v o n Palästina Ich wandele so für mich h i n . . . über den Jaffaroad über die K i n g Georgestreet nach Rehavia. K o m m e an der schönen Jeschurun-Synagoge vorbei, überlege, ob ich den kleinen Erdhügel besteige, auf dem der fromme Juwel gerade schimmernd leuchtet? Oder ungekürzt das Ziel, das Haus der K e ranoth u n d der Jewish Agency erreichen soll? I n meinem ersten Buch: „Das Hebräerland", verglich ich das wundervolle Gebäude des hebräischen M i n i steriums m i t einem Rabbuni, dessen A r m e liebevoll die Pilger empfängt. Nach dem V o r b i l d des Halbmonds gebaut, glaubt man v o n Ferne, das herrliche Haus bewege sich ab u n d zunehmend, schäumend rotgelblich beleuchtet i n der Abendstunde. — I m V o r r a u m des mächtigen Palastes, immer gleich artig jedeinen beschirmend, sitzt ein liebreicher jüdischer M a n n - i m Monde. So ein schlichter bebarteter Wächter. E r weiss schon — zu der lieben nimmermüden Gewerett K ü m m e l w i l l ich. Ich komme mitten aus der Stadt Jerusalem. Ich liebe es, mitten i n der Stadt jeder Stadt zu wohnen u n d — erst i n Jerusalem! Gemütlich hinter den Hecken irgendwo, käme m i r wie eine Flucht v o r Begebenheiten vor. Ich möchte eben weder Erfrischendes, aber auch nicht Schmerzendes versäumen, nicht das Leid noch das plötzlich strahlende Lächeln eines beschenkten Kindes. N i c h t den Anblick der entzückenden kleinen fleissigen Zeitungs-
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Verkäufer: „ H a a r e z ! " „ D a v a r ! " „Palestine Post!" „ T a m z i t I t o n e j n u ! " I d i hab die niedlichen Adons, schon angehende grosse Kaufleute i n mein H e r z geschlossen. U n d i d i b i n stolz, sitzt wenigstens einer v o n ihnen auf den Stufen unserer Flurtreppe, vertrauend auf mich wartend. Uns schmeckten doch einst auch Bonbons!!? Das ich nur keine Begebenheit versäume, nicht einen Laut, nicht einen Fuss oder H u f schritt! Ungesehen v o n m i r , überschreitet kein Esel, noch weniger eine Kameelkarawane den Jaffaroad. U n d i d i beantworte oft die Frage: w a r u m ich nicht i n Rehavia wohne, oder i n einem anderen V o r o r t Jerusalems, m i t einer Ausrede — die nicht ganz unwahr. M a n k a n n ja auch nicht den ganzen T a g nur grünes Dessert essen! Lieb' ich doch unsäglich die Bäume gerade, m i r w a h l v e r w a n d t wie der Bach. Es spiegeln sich doch so viele Menschen i n meinem Angesicht. Selbst Vögel leben m i t m i r i m Gewoge der Stadt Jerusalems, u n d es stände ihnen frei, v o n ihrer laubigen Urgrossmama eingeladen, unter schattigen Zweigen i n den Gärten Rehavias zu residieren. So viel G r ü n ist immer noch da!: Und pflanzte man in die Erde mich — Ein Johannisbrotbaum würde ich. Und freute mich schon königlich, Auf den Mai, auf den Mai! H i e r i n Asien, w o weniger Immergrün, jagt der nach Palästina Verpflanzte ehrlicher u n d begehrlicher nach einem laubigen O r t . Ja was man nicht hat oder verloren hat! Hingegen die Bauern unter den Juden, die Fürsten Jeschuruns besuchen m i t Vorliebe das Innere der Heiligen Stadt: erst am späten A b e n d heimzukehren, gottwohlgefällige K i n d e r Israels zu ihren Äckern u n d Hainen, m i t deren W u r z e l n sie alle verknotet. Diese Bauerngemeinden schlagen die rostige Erde, ein Testament, auf, u n d beleben die vergilbten Erdschichten. W i r , die w i r das Emek besuchen, blättern nur i n den Erdseiten. Ich erröte . . . Diese Gottgräber stossen auf G o t t beim ersten Schaufelstoss jeder neuen Siedlung. D i e starke wortlose Andacht erfreut Adonaj. Ist G o t t etwa ein eitler G o t t , ein eitler Vater, der Seine K i n d e r i n die W e l t setzte, I h n nur m i t W o r t e n zu lobpreisen? D e r H e r r w a r Selbst ein göttlicher Bauer, der die erste Cypresse pflanzte u n d die Granate; N o a h , dem Winzer, den Weinstock i m K e i m verpachtete. V o r allem säete G o t t : D I E H E C K E D E R B A R M H E R Z I G K E I T u m die I h m teure Stadt Jerusalem. Es traben wieder Kameele über den D a m m , edle Könige. Es drängt mich, ihnen Ehre zu erweisen, einige Augenblicke zu verweilen. Zwischen H ü g e l u n d H ü g e l der adeligen Wüstentiere, sitzt i m gestreiften Atlaskleide der 13*
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Beduine. V o r i h m geborgen sein junger Sohn. Wenn er gross sein w i r d , reichen sich Sarahs K i n d e r u n d Hagas Nachkommen die H a n d geschwisterlich. Vielleicht aber schon morgen oder heute Abend unter den H i m m e l n . Denn viele H i m m e l schweben i n der Dunkelheit hernieder auf Flügeln; Engel i n flaumisch taubenblau und lilagefiedertem K l e i d . U n d gegenüber Gottostens ein zweiter H i m m e l : Eine weite Feuerschwinge breitet sich über die bräutliche Stadt des H e r r n . . . „Tröste uns Jerusalem u n d einer deiner Menschen den zweiten, der i h m andächtig begegnet auf den Wegen, ö f f n e deine Tore allen, die Einlass begehren!!" O D E R S O L L V I E L L E I C H T G O T T SELBST D I E T O R E Ö F F N E N ? ! Streichle das Tier, deinen Esel, der den Stein unermüdlich zum Bau trägt Ihre Erstickungsschreie, da sie des öfteren überbürdet, verwunden mein Herz. Dem geringsten Tiere sei milde, — schmeckt dir doch sein Fleisch. D e m Manne des Orients, Jude und Araber, bedeutet das Kameel, das i h n trägt, ein treusamer Freund. V o r allem aber n i m m dich des hilflosen hungernden Kindes an. M I T J E D E M K I N D E W A E C H S T G O T T N E U A U F D I E ERDE! D i e Urenkel Abrahams reichen sich die H a n d , vielleicht gegenwärtig, da ich es ersehne m i t ganzem Herzen, m i t ganzer Seele u n d m i t ganzer Kraft. Schon begegnet man wieder Söhne Allahs, grossen malerischen Gestalten; auch stolzschreitenden Araberinnen i m oberen Stadtteil auf dem Jaffaroad; ihre niedlichen K i n d l e i n oder Körbe m i t Obst gefüllt wie i n Vorzeiten, auf dem Kopfe tragend. U n d m i t mancher verschleierten Haremsdame i n schwarzer Robe u n d schlanken Stiefeletten betrachte ich die Schaufenster der Streets. D i e Einwohner Jerusalems schlafen viel u n d schon früh am Abend legen sie sich nieder. Verschlafen kleine Streitigkeiten gerne, aber auch grimmige Feindschaft und — erst — künstlich erzeugte. M i t Vorliebe steige ich hinab i n die Araberstadt u n d betrachte auf den berauschenden bunten Strassen und Gassen die malikalten Häuser. D e m nimmermüden herzlichen Rabbi D o k t o r K u r t W i l h e l m hier i n Jerusalem verdanke ich meinen wirklichen Ausflug v o r zwei Jahren unten zum arabischen Stadtteil. Ich zündete schon bei meinem Gang, drei Jahre vorher, i m G o t t u m der Klagemauer, der Mauer der Barmherzigkeit, eine liebe Kerze an. Heute aber verdanke ich den Anblick der unteren himmelnahen Stadt dem geistlichen D o k t o r , dessen Predigten u n d Lehren frei v o n Schlacken u n d Aberglauben, ehrlich und durchläutert wie er selbst. I h m ewig D a n k , da ich schaute die noch demantschimmernde Davidstadt. Es ringeln sich klaftertief i m innersten der A l t s t a d t Haus i n Haus. Häuser werden Geschwister auf der Erdtiefe. W i r betreten Lurjas Geburtshaus. Jeschuruns
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heiligsten frommglühendsten Rabbunis Elternhaus. Ich setze mich i n die kleine Nische, darin der Heilige seinen ersten Schlaf geschlafen. Wieder i m oberen Stadtteil Jerusalems, erschüttert, auch v o m Burgunder der Sonne berauscht, brach ich zusammen. Was ich selbst i m Traume nicht hoffte zu erschauen, erfüllte sich i n Wirklichkeit am Ende der Erde. Der H i m m e l leuchtete purpur wie heute, man blickt i n einen feiertäglichen H i m m e l , i n das H e r z des Ewigen — für jeden weit geöffnet — überall G o t t u n d Seine E n g e l . . . Es erzählt der D o k t o r i m Freien die Wunder der Bibel — i n der Zeit die blühende hohe Cypresse, die grünende Thora m i t den Sternen spielt. Anmerkungen (19) [Abschied] hs. Ms., Tinte, 2 Bl., einseitig beschrieben, eingeklebt i n ein schwarzgraumeliert gebundenes H e f t ( = Vorbereitung des zweiten Palästinabuches), auf den hs. pg. Seiten 51—52, ohne Uberschrift, leicht abweichende Fassung des Gedichtes 'Abschied' (gedruckt i n 'Konzert', 1932), Korrekturen m i t T i n t e : Str. 4, Z . 3: »bang« über gestrichenem »wie«; m i t Bleistift: Str. 4, Z. 3: »unstät« (nach »Geyerheer«) gestrichen; am Ende Bleistift-Zeichnung: K o p f i m P r o f i l ( = Selbstdarstellung). (25) [ D i e Verscheuchte] hs. Ms., Tinte, Rückseite eines Briefes v o n H e i n z K a h n , W u p p e r t a l - E l berfeld, 11. 1. 1934, ohne Uberschrift, abweichende Fassung des Gedichtes ' D i e Verscheuchte' (gedruckt i n ' M e i n blaues K l a v i e r ' , 1943); Korrekturen m i t Tinte, (erster Entwurf?): Str. 1, Z . 2 : »und der H o r i z o n t « (nach »Land«) gestrichen; Str. 1, Z . 5: »Kein« (vor »Wunsch«) gestrichen, darunter: »und jeder«, dies wieder gestrichen u n d »Kein«durch Unterpungierung wiedereingesetzt; Str. 2, Z . 4: »Des Feldes« gebessert aus: »Der Felder«, »wogend« nachträglich eingesetzt, unter »Liebesbrot« gestrichenes »Silberbild« (ursprünglich für »Ebenbild«?); Str. 4, Z . 3: »So einsam ist, der sich die W e l t erdichtet« gestrichen, unter »sich«: »ewiglich dichtet«, wieder gestrichen, über »ist«: »bin ich«, unter »der«: »da ich dichte« u n d beides gestrichen, unter der endgültigen Zeile: »So einsam ist die Dichterin w o h l ewiglich.«: »Dein Schwert«, gestrichen, darunter: »Ich glaubte doch ein Beet sei dein [?] Schild«, unter »Beet«: »Levkojen«, wieder getsrichen, oder dieses Sinnes [ ? ] : »Ich glaubte doch ein Beet sei den [der?] Levkojen Schild«, »Ich« gestrichen, darüber: »Und«, dann die ganze Zeile gestrichen, darunter: »Und«, gestrichen; auf der anderen Seite des gefalteten Briefbogens: » D r . K a h n , H e i n z Schlieferstr. 15 Elberfeld-Wuppertal«.
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(4) E i n Liebeslied hs. Ms., Bleistift, 2. Bl., einseitig beschrieben, bisher unveröffentlicht, ursprüngliche Überschrift: »Ein Herbstlied.«, gestrichen, darunter: »Manuscript«, unterstrichen, daneben: »Ein Liebeslied«, unterstrichen, daneben: »Manuscript«, Korrekturen m i t Bleistift: Str. 2, Z . 2: »Des Nadelwalds« gebessert aus: »der N a d e l w a l d « ; Str. 2, Z . 3: »seine« (nach »küßte«) je einmal über u n d unter der Zeile eingefügt; Str. 3, Z . 3: »sie« (nach »als«) über der Zeile eingefügt; Str. 4, Z . 2: »maienmüde«, »maien« gestrichen. (52) Sascha (Senna H o y ) Maschinenskriptum, 2 Bl., einseitig beschrieben, zugrunde liegt der Verskörper des Gedichtes 'Ernst Toller' (gedruckt i n : D i e Weltbühne, 6 . 1 . 1925); Korrekturen m i t T i n t e : Oberschrift »Senna H o y « m i t runden K l a m m e r n versehen, darüber: »Sascha«; Str. 6, Z . 4: ursprünglich: »Erinnerte wie nie je an ein [?] Q u e l l . . . « ; Str. 6, Z . 5: gestrichen, Maschinenschrift darunter unleserlich, dafür unter der Zeile: »Aller Quellen.«, auf Bl. 2: »Sascha (Senna H o y ) (Fortsetzung)«; Strophen 7 u n d 8 durch römische Z i f f e r n am Rande vertauscht; Str. 8 (ursprünglich 7), Z . 2 : ursprünglich »Niemals mehr haften w o ! « überschrieben: »Erlöste i h n der Tod.«; Str. 8, Z . 5: ursprüngliches »Dichtete« überschrieben: »Starb«. (21) A b r a h a m Stenzel Maschinenskriptum, 1 Bl., einseitig beschrieben, bisher unveröffentlicht, hs. pag. m i t T i n t e : »60« (gehört zur Satzvorlage des Buches ' K o n z e r t ' ) ; Korrekturen m i t T i n t e : unter der Überschrift i n runden K l a m m e r n : » H a mid«, gestrichen; Str. 5, Z . 1: ursprünglich: »Spricht er es stark u n d h i l f los — « , die ersten drei W ö r t e r gestrichen, dann: »Stark [ . . . ] « > weitere Korrekturen v o n Tippfehlern. (111) Paul Gangolf Druck, Zeitungsausschnitt unbekannter H e r k u n f t . (21) K a r l Hannemann Druck, Zeitungsausschnitt, (Berliner Tageblatt, zwanziger Jahre?), hs. pag. m i t T i n t e : »55« (gehört zur Satz vorläge des Buches 'Konzert'), ursprüngliche (gedruckte) Überschrift: »Der Hannemann«, über gestrichenem »Der« m i t Blaustift: »Karl«. (112) Günther Birkenfeld Druck, Zeitungsausschnitt, (Berliner Tageblatt, zwanziger Jahre?). (113) W u p p e r t a l Druck, Zeitungsausschnitt, (Berliner Tageblatt, zwanziger Jahre?).
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(114) M o p p , ein „musikalischer" Maler Druck, Zeitungsausschnitt, Pariser Tageszeitung, N r . 780. (115) Das Marionettentheater des D i r e k t o r L ö w y Druck, Zeitungsausschnitt, M B , Wochenzeitung des I r g u n Oleg Merkas Europa, T e l A v i v , (vierziger Jahre?). (116) Der achtzigjährige Maler Simson Goldberg Druckfahne m i t Bleistift-Korrekturen, auf der Rückseite hs. Vermerk: »Das ist der Abdruck eines Privatjournals«, unter dem Text am Rande hs. m i t Bleistift: »Vielleicht könnte man auf d. Seite [eine nach unten weisende gezeichnete H a n d ] Berichtadresse setzen? Für die Gratulanten: H e r r n Kunstmaler Simson Goldberg. Birsfelde bei Basel Salmenstr. 7.«. (19) Ich erzähle etwas v o n Palästina Druck, Zeitungsausschnitte, (Jüdische Rundschau, Berlin?), eingeklebt i n ein schwarzgraumeliert gebundenes H e f t ( = Vorbereitung des zweiten Palästinabuches), auf den hs. pag. Seiten 1—5, Korrekturen m i t Bleistift: »des A d o n u n d seiner Frau«: statt »Frau«: »Adona«, »zu T r u d m i r i a m « : stattdessen: »zu meiner Begleiterin«, »mein Begleiter«: statt »Begleiter«: »Freundin«. (19) Wieder etwas v o n Palästina Druck, Zeitungsausschnitt unbekannter H e r k u n f t , eingeklebt i n ein schwarzgraumeliert gebundenes H e f t ( = Vorbereitung des zweiten Palästinabuches), auf der hs. pag. Seite 55, gedruckte Uberschrift: »Etwas v o n Jerusalem Aus meinem kommenden zweiten Palästinabuch Tiberias«, hs. m i t T i n t e geändert i n : »Wieder etwas v o n Palästina«. V g l . noch unveröffentlichten Brief an Sylvain Guggenheim, Zürich, v o m 28. 12.1937: » I n den Baseler Nachrichten steht i n der Weihnachtsbeilage liter. Beilage der A n f a n g meines zweiten Buchs: Tiberias. Freute mich sehr. Dasselbe was schon i n dem jüd. Journal stand. W e n n Sie m a l Zeit haben, lese ich Ihnen weiter vor. Ich b i n dabei zu schreiben: Momentan: Nacht auf See, See auf Nacht. Ich glaube es w i r d ein schönes Buch; wieder m i t Illustrationen.« Ferner Postkarte v o m 2 8 . 3 . 1 9 3 8 : » I m Dichten mitten hinein — möchte ich Sie fragen m i t blauer Bleistift — ich möcht Ihnen so gern weiter aus meinem neuen Manuscript: Tiberias vorlesen. Wann?«
Z U R E N T S T E H U N G V O N G U S T A V SACKS R O M A N F R A G M E N T 'PARALYSE' Von K a r l Eibl
I.
Einführung 1
R i l k e schätzte i h n 1 , B r i t t i n g bewunderte i h n 2 ; Soergel nannte i h n »den ursprünglichsten jungen deutschen Dichter« 3 , u n d Oskar Walzel schrieb: »Keiner rang so titanisch, die Last des Überlieferten abzuschütteln u n d seinem Dasein rechten Sinn zu geben wie Gustav Sack. Aus dionysischem Taumel erahnte er echteres Menschentum.« 4 Als Sack 1916 m i t einunddreißig Jahren i n Rumänien fiel, hatte er trotz aller Mühe noch für keines seiner großen Werke einen Verleger gefunden; nur elf kleinere Arbeiten waren gedruckt. Doch bereits 1917 erschien der erste Roman, ' E i n verbummelter Student', erreichte i n drei Monaten eine Auflage v o n 20 000 Exemplaren und machte den N a m e n seines Verfassers bekannt, fast berühmt. 1919 folgte der zweite Roman, ' E i n Namenloser', u n d 1920 gab die W i t w e , Paula Sack, die 'Gesammelten Werke i n zwei Bänden' heraus; sie enthalten die Frucht v o n sechs Jahren literarischer A r beit: zwei Romane, ein Romanfragment, »Andeutungen« zu einem vierten Roman, ein Drama, etwa 80 Gedichte und r u n d 30 Erzählungen u n d Essays 5 . Sacks bescheidener R u h m dauerte freilich k a u m länger als zehn Jahre, u n d er w a r bei vielen auf ein Mißverständnis gegründet 6 . Es w a r der ge1 Friedrich Burschell, 'Revolution* und 'Neue Erde', S. 256, in: Expressionismus, hrsg. von Paul Raabe, Ölten 1965, S. 251 ff. 2 Dietrich Bode, Georg Britting, Stuttgart 1962 (Germanistische Abhandlungen 1), s. dort den Index. 3 Albert Soergel, Dichtung und Dichter der Zeit, N F : Im Banne des Expressionismus, Leipzig 1925, S. 812 ff. 4 Wilhelm Scherer und Oskar Walzel, Geschichte der deutschen Literatur, Berlin 1928, S. 689. 5 Alle erschienen in Berlin bei S. Fischer. Der erste Band der 'Gesammelten Werke* enthält eine einleitende Biographie von Hans W. Fischer. • Leider sind auch heute noch die Informationen, die Literaturgeschichten und Nachschlagewerke zu Sack geben, vielfach lückenhaft und falsch. Die ausführlichste
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fallene Leutnant, den man m i t Gestalten wie Walter Flex u n d H e r m a n n Löns unter die »Unvergessenen« einreihte, u n d v o n dem Friedrich Georg Jünger z u sagen wagte: »Sack hatte — w i r rechnen es i h m hoch an — einen v o n G r u n d auf inhumanen Zug.« 7 D e n Literaturgeschichten hatte Sack eine Formel z u bieten, die es leicht machte, i h n kurz u n d knapp — u n d falsch — zu charakterisieren: »Lieber verroht, als vergeistigt« 8 , sagt sein Namenloser; daß dieses W o r t i n einem Gespräch fällt, an dessen Ende es heißt: »Praktische Philosophie, mein Lieber. Merken Sie denn nicht, daß ich mich für drei Wochen Lagerleben trainiere?«, w i r d freilich nirgends angemerkt ( I , 287 f.) 9 . Gustav Sacks W e r k ermöglichte derartige O k k u p a t i o n für faschistoide Berserker-Gesinnung n u r auf den ersten Blick. Sack schrieb v o n »verfluchten Juden« ( I , 452), aber der einzige M a n n , m i t dem i h n eine A r t Freundschaft verband, hieß C y r i l Davidsohn; er ließ seinen »Studenten« v o n »verfluchten Sozialdemokraten« ( I , 119) sprechen, aber Erich Mühsam vermutete, daß Sack, hätte er den K r i e g überlebt, »sich dem Proletariat nicht bloß m i t der Sympathie, sondern m i t der ganzen Person verpflichtet« h ä t t e 1 0 . Dieser Corpsstudent, der seiner Unbändigkeit wegen v o n seiner Verbindung ausgeschlossen wurde, dieser Leutnant, der während seiner Dienstzeit 1912 wegen einer Liebesgeschichte die Gefreitenknöpfe verlor, der das bayrische Verdienstkreuz erhielt u n d für das Eiserne Kreuz v o r geschlagen wurde, u n d für den doch der Arrest auch während des Krieges »eiserner Bestandteil des militärischen Daseins« 1 1 w a r , hatte seinen »Studenten« den K r i e g als chaotischen Ausbruch aus dem Z w a n g überlieferter D e n k - u n d Lebensformen herbeiwünschen lassen; 1914 aber — er w a r gerade i n der Schweiz — weigerte er sich, sich zu stellen, sich v o n »übelriechenden Massensuggestionen unterkriegen zu lassen« ( L M 455), — bis er dann, v o m Elend gezwungen, doch kapitulierte. Aber er begann i n der und zuverlässigste Information gibt noch immer die Einleitung von Fischer. Eine Wiener Dissertation von Franz G. Wansch über 'Gustav Sack. Persönlichkeit und Werk* steht kurz vor ihrem Abschluß. Zur kurzen Information eignet sich am besten der recht umfangreiche Abschnitt bei Soergel (audi in der Bearbeitung durch Curt Hohoff, Düsseldorf 1961). 7 Friedrich Georg Jünger, Gustav Sack, in: Ernst Jünger (Hrsg.), Die Unvergessenen, 1928, S. 297. 8 Noch Walter H . Sokel, der Sack ausführlich behandelt und auf eine derartige Formel nicht angewiesen wäre, schreibt: »>Lieber verroht als vergeistig* ist Sacks Motto« (W. H . Sokel, Der literarische Expressionismus, München o. J., S. 122). • Sacks Werke werden nach den 'Gesammelten Werken' mit Angabe von Bandund Seitenzahl, seine Briefe nach der Auswahl 'Prosa, Briefe, Verse', München 1962, mit der Chiffre L M ( = Langen-Müller) zitiert. 10 Brief an Paula Sack vom 29. X I I . 1920 aus Niederschönenfeld, mitgeteilt in: Münchner Merkur, 2. X I I . 1966. 11 Fischer, I, 72.
Entstehung von Gustav Sacks Romanfragment 'Paralyse'
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Schweiz ein D r a m a ('Der Refraktair', vollendet 1916), dessen H e l d v o n den »fluchbeladenen Phrasen Ehre, Vaterland, Z i v i l i s a t i o n u n d K u l t u r « ( I I , 94) spricht u n d sich lieber v o m Felsen stürzt als »nur u m der D i v i d e n den v o n K r u p p u n d Kreusot w i l l e n i n den Tod« zu gehen (11,94): »Ich habe kein Vaterland, ich habe kein V o l k , ich kenne keine Rasse« ( I I , 108). — So ist es nicht verwunderlich, daß Sack b a l d zusammen m i t seinen »entarteten« expressionistischen Zeitgenossen totgeschwiegen wurde. D i e Wiederentdeckung des Expressionismus nach dem Kriege hätte auch zu einer neuen, unvoreingenommenen Beurteilung der Dichtungen Sacks führen müssen. Tatsächlich erschienen 1958 seine Gedichtsammlung ' D i e drei R e i t e r ' 1 2 u n d eine kleine A u s w a h l aus dem Gesamtwerk 1 3 . 1962 wurde eine große A u s w a h l unter dem T i t e l 'Prosa, Briefe, Verse' 1 4 ediert, welche die beiden Romane, einige Gedichte u n d einige der Erzählungen u n d Essays wieder greifbar machte; dazu wurde etwa die H ä l f t e der Briefe Sacks an seine Frau abgedruckt. Leider konnte sich der ungenannte Herausgeber nicht dazu entschließen, die Texte unverändert abzudrucken. Seine Eingriffe betreffen scheinbar Nebensächliches: D i e zahlreichen Gedankenstriche w u r den r a d i k a l vermindert, K o m m a t a u n d Anführungszeichen wurden eingesetzt. Solche »Normalisierung«, die bei manchem anderen A u t o r , zumal bei einer Leseausgabe u n d bei behutsamem Vorgehen, erlaubt sein mag, geht bei Sack, der die I n t e r p u n k t i o n bewußt als S t i l m i t t e l u n d Bedeutungsträger einsetzt, an die dichterische Substanz 1 5 .
Gustav Sack, Die drei Reiter, Hamburg / München 1958. Gustav Sack, Eine Einführung in sein Werk und eine Auswahl von Hans Harbeck, Wiesbaden 1958 (Verschollene und Vergessene). 14 Gustav Sack, Prosa, Briefe, Verse. Vorwort von Dieter Hoffmann, München 1962. 15 Paula Sack hat sich am 3./4. Dezember 1966 zu dieser Ausgabe in der Süddeutschen Zeitung geäußert: »so erfreulich . . . das Vorhandensein dieses Buches ist — der Preis, den ich dafür zu zahlen hatte, war so, daß ich bis heute zweifeln muß, ob er nicht zu hoch war. Es mußte nämlich — auf dieser Bedingung bestand man — das Ganze . . . durch den Dudenwolf gedreht werden, wobei . . . allem voran Sacks von ihm sakrosankt erachtete Interpunktion vergewaltigt wurde . . . Eine wahre Wanzenjagd setzte ein auf die von Sack besonders in seinem Jugendwerk überschwenglich ausgesäten Gedankenstriche. Hier behutsam zu roden, war erlaubt, war geboten. Was aber geschah, war die bedenkenlose Ausrottung dieses durchaus legitimen Satzzeichens, wobei es unvermeidlicherweise zu grotesken Sinnentstellungen und insgesamt zur Erschwerung der Erfassung des ohnehin nicht einfachen Textes kam. Und gar das Komma, dessen sich Sack aus Gründen, die wir zu respektieren haben, allgemein eher spärlich bedient — die Kommata wurden, samt obligatorischen Gänsefüßchen der direkten Rede verschwenderisch über die Seiten gestreut. Sooft ich, zum Beispiel in Sacks Briefen, auf seine eindringliche Mahnung stoße, doch ja, beim Abtippen, um Himmelswillen genauestens auf die Interpunktion zu achten — keine Angst, ich tat es! — ebenso oft läuft es mir schuldbewußt übers Herz, wenn ich an das oben geschilderte Sakrileg denke.« 18
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Die Auswahl verzichtet auf das Drama 'Der Refraktair' u n d auf das Romanfragment 'Paralyse'. Das Fehlen des Dramas ist bei einer Auswahlausgabe durchaus zu rechtfertigen. Daß jedoch das Fragment nicht enthalten ist, kann nur dann nicht bedauert werden, wenn man bedenkt, daß es damit auch v o r den Eingriffen des Herausgebers verschont blieb. Denn während der Zugang zu den beiden abgeschlossenen Romanen noch durch manche Geschmacksunsicherheit des literarischen A u t o d i d a k t e n Sack erschwert w i r d u n d sie sich nur dem gutwilligen Leser erschließen, könnte dieses Fragment am ehesten den Weg zu einem adäquaten Verständnis Sacks u n d zu einer gerechten Beurteilung auch der früheren Werke ebnen. Dieses Fragment, das i n den wenigen Exemplaren der 'Gesammelten Werke' eher versteckt als greifbar ist, u n d v o n dem Sack meinte, es sei »das Tiefste, was ich schrieb« ( I I , 139), gehört neben Brods 'Nornepygge' und Einsteins 'Bebuquin' zu den bedeutendsten Zeugnissen frühexpressionistischer Romandichtung.
2 Der 1910 unter dem T i t e l 'Der dunkelblaue Enzian' erstmals einem Verlag angebotene, i m Frühjahr 1911, i m W i n t e r 1912/13 u n d noch einmal i m Herbst 1916 überarbeitete Roman ' E i n verbummelter Student' kann als Sacks erstes vollgültiges W e r k angesehen werden 1 6 . Es hat das B i l d v o m »modernen R o m a n t i k e r « 1 7 Sack geprägt. Doch die zweifellos vorhandenen romantischen Requisiten — der dunkelblaue Enzian, die Liebe zum Schloßfräulein, ein Titel, der 'Taugenichts'-Atmosphäre beschwört — machen kaum das Zentrum des Werkes aus. I m M i t t e l p u n k t steht vielmehr jenes G r u n d problem, das Sacks gesamtes W e r k durchzieht: der quälende, unlösbare Zwiespalt v o n positivistisch-naturwissenschaftlichem Wahrheitsbegriff u n d existenziellem Wahrheitsbedürfnis. 18
Zu den folgenden Abschnitten muß ich auf meine Dissertation 'Sprachskepsis im Werk Gustav Sacks* verweisen, die zu einigen der hier etwas apodiktisch und abgekürzt formulierten Punkte die nähere Begründung bringen wird. 17 Hanns Martin Elster (Leipziger Neueste Nachrichten, 4. X I I . 1926) schreibt: »Mit dem Worte moderne Romantik kennzeichnet man am besten Sacks geistiges, seelisches Schaffen.« 'Ein neuer Romantiker' ist ein Aufsatz von Hanns Jobst überschrieben (Das Literarische Echo X I X , Sp. 1369 f.), der — sieht man von einigen Exaltationen ab — zum Verständigsten gehört, was über Sack geschrieben wurde. Ernst Jenisch (Rhein-Ruhr-Zeitung, 5. X I I . 1926) spricht von einem »Roman der Lebenslüge«. Theodor Lessing entdeckt im 'Studenten': »Erstens: Naturdämonie ohnegleichen, zu Zweit: eine eiskalte Grübelei gewaltiger Denkkraft, und zu Dritt eine Reizsamkeit, die jedes Alltägliche in Riesenausmaßen sieht. Daher der Abschluß vor der Welt. Ihm erregte Alles.« (Hamburger Anzeiger, 3. X I I . 1926). Richard Dehmel kam zu dem Urteil, Sack sei ein »Dichter vom Geschlecht Jean Pauls« (nach Harbeck, März X I , S. 79).
Entstehung von Gustav Sacks Romanfragment 'Paralyse
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Der Student der Naturwissenschaften Erich Schmidt sucht »die Formel, die ihn, die Dinge u n d sein Verhältnis zu ihnen u m f a ß t « 1 8 , u n d weiß zugleich, daß er diese Formel nicht finden w i r d . Immer wieder steht er »vor der m i t Brettern zugenagelten W a n d — es ist so jämmerlich traurig« (1,110). Als K e r n aller Formeln, die sich anbieten, entpuppt sich für ihn, den Schüler Nietzsches, »der i n ein W o r t verkleidete hinterweltliche Finstergott« ( I , 106), mag er nun auf den Pfaden Schopenhauers auf das Prinzip des »Willens« stoßen oder als Student i m Jahre 1910 die W e l t aus der »Materie«, der »Kraft«, dem »Stoff« erklären. Sein Versuch, die Einheit der W e l t i m Rausch des Eros zu erfahren, scheitert ebenso wie das Vorhaben, seine »Sehnsucht« durch physische Arbeit i m Bergwerk abzutöten. A m Ende bleibt i h m nur der Fluch und der Selbstmord. Sacks zweiter Roman, ' E i n Namenloser', entstand i m W i n t e r 1912/13. Er ist nach Sacks eigener Aussage »in seiner T r a g i k u n d seinem Pessimismus radikaler und t i e f e r . . als der 'Student'« ( L M 430) und » w u r d e . . . i m bewußten H i n b l i c k auf den 'Studenten' geschrieben . . . Beiden zugrunde liegt das Suchen nach einer definitiven Wahrheit« ( L M 428 f.). Der Namenlose hat zvtAt die Vergeblichkeit dieses Suchens erkannt, aber er kann sich nicht damit abfinden. So sucht er Vergessen i m Rausch, i n der Liebe eines D i r n chens. D i e blonde Ciaire w i r d i h m zum »Ort«, v o n dem aus er die W e l t ohne alles Fragen »als B i l d ansehen kann« ( I , 374). Doch auch dieser archimedische P u n k t ist ein Gottersatz. Der Namenlose findet Ruhe i m »eindeutigen Trieb«, w e i l i h m dieser zum »Symbol« w i r d für die »Eindeutigkeit der vieldeutigen Welt« ( I , 405). Als Ciaire i h n verläßt, schreibt er die Geschichte des Sommers m i t ihr nieder als schonungslose »Selbstanalyse« ( I , 315 ff). Noch hofft er, Ciaire, seine Garantie für die Einheit der Welt, wiederzugewinnen; doch als er erfährt, daß sie sich getötet hat, folgt er ihr nach. » D a n n rollte die Sonne herauf u n d die Drehorgel ging ihren alten Gang.« ( I , 408). M i t diesen letzten Worten des unbekannten Herausgebers der »Selbstanalyse« w i r d dieses Dokument intellektueller Verzweiflung hineingestellt i n die unbegreifliche Phänomenalität einer W e l t , die jede A n t w o r t auf die Frage nach ihrem Sinn verweigert. Es ist »das Leiden u n d der Zwiespalt unserer Zeit«, so läßt Sack den Namenlosen sagen, »der aus einer verrückten Laune gerade i n m i r sein Hauptquartier aufgeschlagen hat« ( I , 299). Sack begreift sich selbst als den Repräsentanten einer Ubergangszeit. Unser Denken ist nach seiner Meinung verdorben durch die Denkgewohnheiten monolithischer, monokausaler W e l t bilder. Daher rühre die unstillbare Sehnsucht nach der prima causa, nach 18
Aus dem Vorwort einer frühen Kladdenniederschrift (im Nachlaß Mappe D II).
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dem «letzten Grund«, die das Denken immer wieder verlockt, hinauszufragen über seine Grenzen ins A n t w o r t l o s e 1 0 . N u r als das »Rätsel«, als das »Furchtbare« ist das Außer- u n d Übermenschliche für den Agnostiker Sack zu begreifen. K e r n des Zwiespalts ist die Unmöglichkeit, noch ein Göttliches zu glauben, u n d die Unmöglichkeit, ohne einen solchen Glauben zu leben. N u r v o n ferne erahnt der Namenlose einen Menschentypus, der diesen Zwiespalt überwunden h a t ; es ist Sacks Konzeption eines »Übermenschen«: Der rauschlose Mensch, der freie Mensch, wie er sich gehört, ist der, der der Unerklärbarkeit und vollkommenen Haltlosigkeit lachend ins Auge sieht, der sie keinen Augenblick vergißt, der ihr zum Trotze lebt, der in uferlosen Meeren mit Freuden schwimmt, der keines Ruheortes für sein kurzes Sonnendasein, der keines Glückes bedarf, es müßte denn gerade sein Trotz und sein Wandern auf Eis sein Glück sein. Aber er nennt es nicht Glück, er ist zu stolz, man verschwendet ihm dieses Wort auf zu Vieles, und er verachtet Abendröten und Astern und blaue Veilchenglücke. Er sagt: gebt mir noch uferlosere Meere, noch kälteres Eis. — In sein Auge möchte ich sehen, aber wo gäbe es solchen — Herrn der Welt? (I 381 f.). Diese Skizze des neuen Menschen ist die Keimzelle des 'Paralyse'-Projekts. 3 Der Plan zu einem dritten Roman reift i n Sack schon während der A r beit am 'Namenlosen*. I m Herbst 1912 ist er v o m Militärdienst i n seine Heimatstadt Schermbeck zurückgekehrt, u n d während des Winters entsteht der 'Namenlose', der diese Dienstzeit als Handlungsgerüst verarbeitet. Gleichzeitig w i r d der 'Verbummelte Student' zum zweiten Male überarbeitet. A m 2 9 . 1 . 1913 schreibt Sack an Paula Harbeck, der er das M a n u skript des 'Namenlosen' geschickt hat: Vielleicht wird der Schluß noch geändert, aber dann müßte sich aus dem Namenlosen ein Charakter noch entwickeln lassen, wie er auf S. 149 angedeutet ist. Und das bezweifle ich vorläufig noch. Und was Sie dann jetzt lesen, wäre nur der erste Teil zu einem größeren Buch20. Hans Harbeck berichtet, Sack habe i h m brieflich auseinandergesetzt, daß auf die beiden Romane v o m »cholerischen Flucher« u n d v o m »müden 19
So heißt es in den letzten Zeilen des Gedichtes 'Gott': »Oh Ding an sich! Oh Wahrheit! Letzter Grund! Nun stirbst du — dennoch fachte dieses Wort all unsrer Sehnsucht Narrenschmerzen und Gelüste an und unsre Welt verdorrt noch in den Dünsten, die dein toter Mund aushaucht, zu einem runden Narrenort.« (II, 29).
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Der Brief ist bisher unveröffentlicht.
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Pessimisten« m i t »logischer N o t w e n d i g k e i t « noch ein dritter folgen müsse m i t dem T i t e l 'Der große H e l d ' . »Da müßte man aber die Wüste u n d die Tropen gesehen haben.« 2 1 I m Brief v o m 14. 2.1913 n i m m t der Plan bereits deutlichere Gestalt an. Sack schreibt an Paula Harbeck: Ein Dichter-Philosoph ( i la Nietzsche): >Herr der WeltSardanapalNibelungenbesingt< und schließlich von der Ewigen Wiederkehr jubelt, seiner erbarmt und ihn mit der Axt niederschlägt. Der Stoff ist hart und grausam, aber wenn ich den zwingen könnte! Aber es muß im Hochgebirge spielen, darf gar nicht anders, und das kenne ich eben noch nicht... Mein Wunsch ist Genf! um da das >GenieIm Hochgebirge< soll katholisch sein, das ist die einzige Religon, die — weil sie ehrlich und konsequent ist — erträglich ist. Und in Venedig soll sie gewesen sein und in Neapel und ihn, Hakon soll er heißen und ein Norweger ist er, mit Schilderungen dieser Gegenden aus seinen Eishöhlen hinweglocken. Und der Alte, der jenen mit einer Axt totgeschlagen hat, soll seine Leiche wie einen lästigen Stein in einen Abgrund stoßen, und dann soll er weiter seinem harmlosen, triebhaften Gewerbe nachgehen, während die Firnen und Gletscher gelassen und geheimnisvoll... glänzen usf. — Das Ding reizt mich fortwährend. (LM 430/2). 21 Hans Harbeck, Erinnerung an Gustav Sack, Sächsisches Volksblatt Zwickau, 2. Mai 1927. Die Briefe, auf die Harbeck sich stützt, sind im Krieg verbrannt. — Sack lernte den Journalisten Hans Harbeck während seines Dienstjahres in Rostock kennen. Er gab ihm das Manuskript des 'Studenten* zu lesen, und Harbeck gab es über seine Schwester, Sacks spätere Frau, an den Schriftsteller Hans W. Fischer weiter. Fischer sah Sack nur ein einziges Mal kurz während des Krieges, stand aber in Briefwechsel mit ihm. Mit Harbeck verkehrte Sack während der Münchner Zeit, dodi war das Verhältnis — wie auch das zu Fischer — nicht ungetrübt.
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Wenig später, am 10. 3. 1913, trägt Sack dann folgendes Schema i n die Handschrift seines Jugendwerkes 'Erwins T o d ' e i n 2 2 : Olof. — Unbewußt suchendes und drängendes Gefühl des Herumwühlens und Wütens in Gottgestalten und tollen Phantastereien; Erwins Tod. — Überwindung des Götterglaubens; Ein verbummelter Student. — Versuch, die Reste dieses Glaubens in der Philosophie zu vernichten (mißglückt); Der Namenlose. — Der Götterglaube ist völlig überwunden; um aber im Relativismus und Positivismus bestehen zu können, Stütze und Verbindung mit dem Innersten der Natur durch geschlechtliche Liebe (tragisch); Im Hochgebirge. — Der vollkommene Positivist und freie Mensch. (I, 43) 2 *. Eine Auswertung dieser Hinweise zeigt, daß sich zu Beginn des Jahres 1913 zwei verschiedene, beinahe konträre Gedankenlinien m i t dem Romanprojekt verbinden. E i n m a l ist es »logische Notwendigkeit«, die Sack z u m Plan eines dritten Romans führt. Seine Argumentation ist uns zwar nicht erhalten, aber der zweimalige H i n w e i s auf die Seite 149 des Manuskripts des 'Namenlosen* — eben jene v o n uns zitierte Stelle über den »rauschlosen« u n d »freien« Menschen — u n d das Schema v o m 10. 3. geben deutliche Anhaltspunkte dafür, v o n welcher A r t diese N o t w e n d i g k e i t gewesen sein dürfte. Das System, i n das Sack seine Werke i m 'Erwin'-Schema bringt, hat zwei i n dieser Zeit sehr bedeutsame V o r b i l d e r : Auguste Comtes Dreistadiengesetz und Nietzsches Skizze der Entwicklung des »freien Geistes«. Deutlich ist der Weg v o m »theologischen« über das »metaphysische« zum »positiven« Stadium zu erkennen, u n d ebenso k l i n g t die v o n Nietzsche skizzierte Entwicklung des Geistes v o n der »Gebundenheit« über die krisenhafte »Loslösung« zur »Freiheit« a n 2 4 . Das »Genie«, der »große H e l d « des dritten Romans, sollte also als der »vollkommene Positivist u n d freie Mensch« die Krisensituation der beiden abgeschlossenen Romane überwinden u n d einen gesdiichtsphilosophisch begründeten neuen Menschentypus verkörpern. Neben diese I n t e n t i o n t r i t t aber schon i m Brief v o m 14. 2. eine zweite: Z w a r w i r d auch hier auf die Seite 149 des Manuskripts hingewiesen, aber die »Höhe« des » H e r r n der Welt« soll nur mehr den Ausgangspunkt des 22
Sacks Jugend werke, namentlich die Versepen Olof* (die »Dichtung« wurde kurioserweise als einziges von Sacks größeren Werken gedruckt; sie erschien 1904 unter dem Namen Ernst Schahr auf Veranlassung der Eltern bei Gustav Schuhr in Berlin) und 'Erwins Tod', zeugen in ähnlicher Weise von epigonal-trivialromantischen Anfängen wie die Jugendwerke der etwa gleichaltrigen Trakl, Stadler und Heym. 23 Die Eintragung wird in der etwas vereinfachten Fassung wiedergegeben, in der Fischer sie mitteilt. 24 Vorrede zu 'Menschliches, Allzumenschliches\
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Romans bilden; geschildert soll gerade der V e r f a l l dieses Menschen werden. H i e r wie auch i m Brief v o m 2. 3. w i r d der Gedanke einer ideologisch begründeten A b r u n d u n g z u m Zyklus aufgegeben; dafür treten Überlegungen i n den Vordergrund, welche die künstlerische Praxis betreffen. H i e r mußte eine Entscheidung fallen. Doch zunächst ruht der Plan für ein halbes Jahr. Ende A p r i l bricht Sack nach München auf, w o er Fuß zu fassen versucht; i m J u l i w i r d er zu einem Manöver auf dem Lechfeld eingezogen. Erst nach der Rückkehr am 19. September 1913 beginnt die Arbeit am Roman, der n u n den T i t e l 'Paralyse' trägt.
4 Ursprünglich sollte der Roman i m »Hochgebirge« einsetzen 25 . Doch Sack hat das Hochgebirge noch immer nicht gesehen, und so verarbeitet er zunächst das Manöver u n d die Zeit i n München. Es entstehen die K a p i t e l 'Das Turkosgrab', 'Das Heiligenbild', 'Berberitzen', 'Intermezzo' u n d ' D i e Stadt u n d der Wahnsinn'. Diese K a p i t e l sind ungleich an Gewicht. D i e ersten vier K a p i t e l — sie behandeln das Manöver und bilden damit auch eine stoffliche Einheit — wurden v o n Sack als »Einleitungskapitel« bezeichnet; erst das fünfte K a p i t e l nennt er » H a u p t k a p i t e l « ; es ist etwa ebenso lang wie die vorhergehenden zusammen 2 6 . W i r ordnen die T e x t e 2 7 nach Gruppen, die sowohl inhaltliche als auch chronologische Einheiten bilden, u n d bezeichnen sie m i t Α , Β u n d C. Die einzelnen Manuskripte jeder Gruppe werden i n der Reihenfolge ihrer E n t stehung numeriert u n d stellen jeweils verschiedene Fassungen des gleichen Textes dar. Größere Texteinheiten — Hefte, i n denen ausschließlich 'Paralyse'-Texte stehen — werden m i t großen, kleinere fragmentarische Texte aus verschiedenen Heften meist anderen Inhalts werden m i t kleinen Buchstaben gekennzeichnet 28 . Die Gruppe A umfaßt die vier Manöverkapitel und reicht bis i n den zweiten Absatz des Stadtkapitels hinein; die Cäsur zwischen Β u n d C liegt beim Beginn des letzten größeren Reflexionszusammenhanges. 25
Fischer berichtet einen solchen Anfang I, 39. Siehe unten den Brief an Fischer. 27 Sacks handschriftlicher Nachlaß befindet sich im Besitz von Frau Paula Sack in Lochham b. München. Die Manuskripte liegen dort in der Mappe J. Lediglich das Heft mit Text c 2 liegt in Mappe K. 28 Es werden jedoch nur Texte berücksichtigt, die als >Fassungen< bezeichnet werden können. Auf einige spontan niedergeschriebene, überwiegend stichwortartige Notizen, die sich meist im Anschluß an den fortlaufenden Text finden, wurde verzichtet. 26
14 Literaturwissenschaftliches Jahrbuch, 8. Bd.
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Gruppe A (19. September bis 21. Oktober 1913) A 1: Schulheft m i t Aufschrift 'Paralyse*. 22 sehr nierte Seiten i n Tintenschrift. Das H e f t enthält gende Niederschrift der ersten vier K a p i t e l u n d D e r zusammenhängende Text endet m i t Zeile 45 würfe.
klein beschriebene, pagidie erste zusammenhänden A n f a n g des fünften. »Masse«. Es folgen Ent-
A m Ende des fortlaufenden Textes steht »Arcisstr. 61 4 «. A m 18. September schreibt Sack v o m Manöver an Paula Harbeck: »Morgen sehen w i r uns zwischen zwei u n d drei U h r i m Stefanie . . . Bis zum 1. Oktober werde ich, wenn möglich, noch Amalienstraße wohnen« ( L M 445 f.). Er k a m also am 19. September zurück nach München u n d zog am 1. Oktober i n die Arcisstraße; dazwischen entstand A 1. A 2: Schulheft m i t der Aufschrift 'Paralyse P. 59 Seiten, paginiert, großenteils sorgfältige Tintenschrift. Der Text ist eine Neufassung v o n A 1, enthält also gleichfalls die Manöverkapitel u n d führt das Stadtkapitel nur u m wenige Zeilen weiter. Ende Zeile 65, »beginnt«. Es folgen Entwürfe. A u f der vorderen Umschlagseite steht »21. X . 13«. A m 22. X . 1913 schickt Sack ein 'Paralyse'-Manuskript m i t einem Begleitbrief an Fischer (zum Brief s. u.). Es muß sich dabei u m A 2 gehandelt haben, das also zwischen dem 1. Oktober u n d dem 21. Oktober 1913 geschrieben wurde. Gruppe Β (22. Oktober bis 25. November 1913) Β 1: Schulheft ohne Umschlag. Paginiert v o n 60 bis 85, dann f ü n f unpaginierte Seiten, aber fortlaufender Text. Der Text schließt an A 2 an u n d endet i m vorletzten Absatz v o n Marions Brief m i t Zeile 558 »objektiv zu werden«. Neben Zeile 333 steht das D a t u m v o n Sacks nächstem U m z u g : »2. Herzogstr. 42 I I « . Rechnet man v o n dieser Stelle — etwa der M i t t e Manuskripts — bis zum Schluß des Heftes etwa die gleiche Zeit wie die erste H ä l f t e , so ergibt sich als D a t u m des Abschlusses ungefähr 12. November 1913.
XI. des für der
b: I n einem Schulheft m i t der Aufschrift 'Paralyse I I P . Dieses H e f t enthält einen E n t w u r f des später i n die 'Paralyse' aufgenommenen Gedichts 'Der Stein', einen E n t w u r f des i n den 'Gesammelten Werken' abgedruckten Essays 'Aus Schwabing', 18 Seiten Exzerpte neurologischer Literatur u n d den weiter unten zu behandelnden Text c 1; ferner 13 zur Gruppe Β gehörende, m i t Blaustift, Blei u n d Tinte geschriebene Seiten 'Paralyse', deren erste m i t 106 u n d 107 paginiert sind. Der Text setzt Β 1 fort, beginnt aber erst m i t Zeile 575 »Das w a r der Brief« — zwischen Β 1 und b k l a f f t also
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eine Lücke von etwa 20 Zeilen — u n d endet m i t Zeile 779 »Zimmer, das i n die«. — A m Rande v o n Zeile 643 steht als D a t u m : »18. X I . 13«. Β 2: Schulheft m i t der Aufschrift 'Paralyse Ι Γ , paginiert v o n 60 bis 123, fast ausschließlich Tinte. Der Text schließt wie Β 1 an A 2 an u n d ist eine Neufassung v o n Β 1 u n d b. Er endet m i t Zeile 788 »zerreißen!«, jedoch ist die Seite 123 noch zu Ende beschrieben m i t einem E n t w u r f des Folgenden bis Zeile 791 »geworden: sie sind«. D i e Grenze zur folgenden Gruppe C ist nicht ganz eindeutig zu ziehen. Problematisch ist jedoch nur die Zuordnung ab Zeile 778 (s. u.). Der Abschluß der Gruppe ist nicht so eindeutig festzustellen wie bei der Gruppe A . Die Entstehung der Gruppe Β ist i n folgender Weise zu denken: Sack schließt m i t Β 1 an A 2 an. D a n n beginnt er abermals m i t Anschluß an A 2 u n d schreibt etwa zwei D r i t t e l v o n Β 2 als Neufassung v o n Β 1. N u n entsteht, als erster E n t w u r f des Folgenden, b, das sodann ebenfalls i n neuer Fassung i n das H e f t Β 2 eingetragen w i r d . Der Beginn v o n Β 2 liegt, wenn die Datierung v o n Β 1 richtig ist, u m den 12. November. Der 18. X I . 13 bezeichnet etwa das erste D r i t t e l v o n b. N i m m t man nun an, daß Sack bei den ersten beiden D r i t t e l n v o n Β 2, die ja nur Bearbeitung waren, wesentlich schneller vorwärts k a m als bei der Neuschöpfung v o n b, dann kann der 18. X I . — m i t vielen Vorbehalten — die zeitliche M i t t e der Arbeit an Β 2 markieren, so daß der Abschluß der Gruppe Β u m den 25. November anzusetzen wäre. Gruppe C (Dezember 1913) c 1: I m selben H e f t wie b. Fünf Seiten, paginiert m i t 123 bis 127, an Β 2 anschließend (789). Erste Bleistiftkonzeption, Ende Zeile 926 »in meiner Höhle«. c 2 : I n einem Schulheft ohne Aufschrift, 30 Seiten. Enthalten ist die i n den 'Gesammelten Werken' abgedruckte Glosse ' V i r doctissimus', ferner Exzerpte aus Fritz Mauthners 'Wörterbuch der Philosophie' u n d acht Seiten der 'Paralyse', die zur Gruppe C gehören. Der Text beginnt 778 »Es ist totenstill«, überschneidet sich also m i t Β 2 einen Absatz lang; ein Vergleich der Korrekturen zeigt, daß die Fassung des Absatzes i n Β 2 jünger ist als c 2, so daß die Grenze zwischen Gruppe Β u n d C eigentlich k u r z v o r dem Ende des Heftes Β 2 liegt. Inhaltlich ist der fragliche Absatz eine Überleitung zu C : C ist beherrscht v o n der Auseinandersetzung m i t der zeitgenössischen Naturwissenschaft u n d Fritz Mauthners Sprachkritik u n d bildet insofern eine gedankliche Einheit. Es ist also zu vermuten, daß Sack nach Zeile 777 die Arbeit unterbrach, daß nun die Mauthner-Exzerpte ent14*
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standen, i n c 1 un de 2 verarbeitet wurden u n d daß Sack dann auf der letzten freien Seite des Heftes Β 2 weiterschrieb. — c 2 endet m i t Zeile 942 »märchengrüne Welt«. C : Schulheft m i t der Aufschrift 'Paralyse I I P . Paginiert v o n 124 bis 140, 141 noch beschrieben. C schließt an Β 2 an u n d bringt eine Neufassung v o n c 2, die noch einige Zeilen weitergeführt w i r d . Der Text endet m i t der Fußnote zur Schrift des Paralytikers Zeile 975. D i e Gruppe C bietet keinen unmittelbaren Anhaltspunkt zur Datierung. D a Fischer berichtet, die endgültige Fassung sei i n den ersten Tagen v o n 1914 beendet worden, muß C noch i m Dezember abgeschlossen worden sein ( I , 40). Endgültige
Fassung (Jahreswende 1913/14)
D i e endgültige Fassung umfaßt zwei Hefte. Das erste H e f t ist verschollen. Das zweite beginnt m i t Zeile 588 »schwül, schwüle Luft«. Es ist sehr sorgfältig geschrieben, k a u m korrigiert u n d offenbar als Reinschrift gedacht. Diese endgültige Fassung endet m i t der i n großen Blockbuchstaben geschriebenen Überschrift des nächsten, nicht mehr geschriebenen Kapitels 'Das Hochgebirge'. Sie ist die Vorlage des Abdrucks i n den 'Gesammelten Werken'. Nach Fischers Zeugnis stand i m ersten H e f t folgendes später gestrichene V o r w o r t : Der Leser dieses Vermächtnisses wird auf einige, nicht nur sachliche, Entlehnungen aus Fr. Mauthners »Wörterbuch der Philosophie< stoßen. Um die Einheitlichkeit des mir vorliegenden Textes zu bewahren und um die notwendige Illusion nicht zu zerstören, verzichte ich darauf, in jedesmaligen Fußnoten den Nachweis dieser Entlehnungen — zu deren Streichung ich übrigens nicht berechtigt war, denn es ist das Tagebuch eines Toten, nicht ein zum kaufmännischen Vertrieb verfaßtes litterarisches Produkt, das ich hiermit unverändert dem Publiko unterbreite — zu führen, und schmeichle mir, mit dem Hinweis hierauf zugleich das notwendige Vorwort für den verstehenden Leser geschrieben zu haben. (I, 38 f.) 2 9 . 5 I n den ersten Tagen des Jahres 1914 bricht Sack die Arbeit ab. Er w i l l , ehe er sie wieder aufnimmt, erst das Hochgebirge sehen. Doch die Reise i n die Schweiz, die endlich i m J u l i 1914 zustande k o m m t , w i r d zum Fiasko. 29 Zum Problem der Sprachkritik und Sprachskepsis verweise ich noch einmal auf meine Dissertation. Mauthners Wörterbuch mit dem Untertitel »Neue Beiträge zu einer Kritik der Sprache« ist zwar alphabetisch geordnet, hat aber sonst mit einem philosophischen Wörterbuch wenig gemein. Es setzt — 1910 in zwei, 1923 in drei Bänden in Leipzig erschienen — Mauthners 'Beiträge zu einer Kritik der Sprache', erstmals in drei Bänden Leipzig 1901, fort. Die letzte ausführlichere Darstellung Mauthners bei: Alfred Liede, Dichtung als Spiel, Studien zur Unsinnspoesie an den Grenzen der Sprache, Β. I, Berlin 1963, S. 254 ff.
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U n t e r dem Eindruck des Kriegsbeginns entsteht der erste A u f z u g des Dramas 'Der Refraktair', das einige M o t i v e der 'Paralyse' aufnimmt. Doch an der 'Paralyse' selbst w i r d Sack nicht mehr arbeiten. Es muß unentschieden bleiben, ob er sie vollendet hätte, wenn er nicht gefallen wäre. Immerh i n ist es bemerkenswert, daß er während des Krieges zwar noch eine größere Z a h l v o n Erzählungen schafft, das D r a m a vollendet u n d den 'Studenten' überarbeitet, für die 'Paralyse' jedoch keine Zeile mehr schreibt. Auch die Briefe geben nach der Schweizer Reise keinen Hinweis mehr auf weitere Pläne; wenn er i n ihnen auf die 'Paralyse' zu sprechen k o m m t , dann heißt es: »Die ' P a r a l y s e ' . . . ist etwas Großes!« ( L M 495), oder Sack schreibt, der 'Student' sei »abgesehen v o n der Paralyse . . . das beste, was ich geschrieben habe« ( L M 644) 3 0 , — so, als sei das Werk i n der Form, wie es uns vorliegt, bereits vollendet. Während es also nicht möglich ist, das Fragment u m spätere Hinweise auf seine Fortsetzung zu ergänzen, so geben doch zwei Texte aus der E n t stehungszeit 31 selbst ein B i l d davon, wie Sack sich den weiteren Fortgang vorstellte. I n dem Brief an Fischer, .den Sack als Begleitschreiben zu dem M a n u skript A 2 verfaßte u n d der auf den 22. Oktober datiert ist, gibt er eine Skizze des ganzen Romanprojekts, die bereits w e i t verbindlicher ist als die widersprüchlichen Aussagen v o m Beginn des Jahres 1913: Ich schicke Ihnen die Einleitungskapitel und den Anfang des ersten Hauptkapitels der >Paralyse< . . . Die >Paralyse< soll nun so weitergeführt werden: Er führt sich auf der nächsten Seite als der Schreiber dieses Buches ein, schildert in einer gegen das vorige Pathos kontrastierenden etwas unheimlichen kleinlichen Sachlichkeit sein Leben und Schreiben in seinem Zimmer, das er nicht mehr verläßt. Die Furcht und endlich die Gewißheit, paralytisch erkrankt zu sein, wird immer eindringlicher, bis bei dem Anblick einer blendend weißen Nachmittagswolke der helle Wahnsinn in einem Tobsuchtsanfall ausbricht. Neu: er hat schon vorher, wieder >unheimlich< sachlich, die Anfangssymptome seiner Erkrankung geschildert und er schreibt nun seinen eigenen Wahnsinn im (2. Hauptkapitel) Hochgebirge, vielleicht so, als wenn er ihn träumte. Wilde Phantasien, peinlich realistische Krankheitsgeschichte, Totschlag seiner >Geliebten< etc., am Ende schildert er seinen eigenen Tod. Schlußkapitel: >Ich< trete in das Zimmer und finde ihn tot vom Stuhl gesunken und auf seinem Tisch vor ihm dieses Buch. Erzählung der Wirtin (ihr Mann, Tochter etc.), daß er wochenlang unbeweglich vor seinem Schreibtisch gesessen hätte und geschrieben. Sein Wahnsinn beruhte also darin, daß er, völlig von der Furcht Paralytiker zu werden beherrscht, diese Krankheit in Gedanken durchmachen mußte und schließlich, als seine ganze seelische Kraft hierdurch aufgezehrt war, auch physisch >zu Ende warda< ist, sondern daß sie sich i n einem mühevollen, v o n bewußtem F o r m w i l l e n geleiteten Prozeß aus der Unzulänglichkeit des allzu Persönlichen, des allzu Stofflichen und auch des T r i v i a l e n emporringt zur H ö h e des Kunstwerks. I n diesem Ringen u n d darin, daß das W e r k Fragment blieb, spiegelt sich zugleich der künstlerische u n d menschliche Weg des Autors, der — wahrscheinlich i m selben Winter, i n dem die 'Paralyse' entstand — diese K o n t r a f a k t u r eines Nietzsche-Gedichtes verfaßte: Die Flamme Auch ich weiß, woher ich stamme; schwälend trüb gleich einer Flamme, die das Moor zum Schwälen brachte — dieses Moor, das ich verachte, Not und Plage heißt dies Moor — glimm ich in die Nacht empor; diese Nacht, die sturmdurchwütet, in der Graun und Ekel brütet, die midi giftig schweigend tötet, eh der Tag sich mir gerötet. ( I I 45 f.). 7 Der folgende Abdruck beschränkt sich auf das fünfte, v o n Sack als »erstes H a u p t k a p i t e l « apostrophierte K a p i t e l , das etwa die H ä l f t e des gesamten 42 Mit solchen Klischee-Resten versöhnt aber wieder, daß Marion in Β 1 schreibt: »hätte ich sie geliebt, wie die blauäugigen Gänse so lieben«, in Β 2: »hätte ich sie geliebt, blauäugig gänseweiß«, und schließlich in der endgültigen Fassung: »hätte ich sie geliebt, blauäugig gänseweiß und mit einem kleinen Geruch nach Butterbrot« (520 ff.).
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Fragments darstellt. Für den Zweck dieser Wiedergabe — Einblick zu geben i n die Arbeitsweise Sacks — genügt ein solcher Teilabdruck; der vollständige, endgültige Text ist i n den Gesammelten Werken zu finden ( I , 411 ff.). Welches Gewicht Sack den einzelnen K a p i t e l n zusprach, erhellt nicht nur daraus, daß er dieses letzte als »Hauptkapitel« bezeichnete, sondern auch daraus, daß er an i h m doppelt so lange arbeitete wie an den ersten vier, und daß die Frühfassungen der »Einleitungskapitel« etwa 70, die des »Hauptkapitels« aber r u n d 130 Manuskriptseiten umfassen: Aus dem Zweck der Wiedergabe u n d aus dieser Gewichtsverteilung also rechtfertigt sich unsere Beschränkung auf das letzte Kapitel. D e r Text der endgültigen Fassung w i r d nach dem Abdruck i n den 'Gesammelten Werken' wiedergegeben. Die vorhergegangenen Fassungen werden i n der Form eines Apparates gedruckt, wobei jedoch zu bedenken ist, daß es sich durchwegs u m v o n Sack selbst verworfene, nicht für den Druck bestimmte Vorstufen handelt. Für den Abdruck waren folgende Grundsätze maßgebend: Die sehr starken Korrekturen in den einzelnen Fassungen wurden nicht berücksichtigt; Sack hat sie i n der Regel i n die nächste Fassung übernommen, u n d dort erscheinen sie auch i n unserem Text. Lediglich Korrekturen, die offensichtlich bereits i m Zuge des ersten Niederschreibens vorgenommen wurden, wurden als zur jeweiligen Fassung gehörig gewertet u n d i n ihr mitgeteilt. W o Zweifel darüber bestanden, ob eine K o r r e k t u r spontan beim Niederschreiben erfolgte oder erst bei einer späteren Durchsicht, wurde die v o n der nächsten Fassung abweichende Formulierung gewählt. Es wurde also versucht, die einzelnen Fassungen jeweils i n der Form wiederzugeben, die sie unmittelbar nach der ersten zusammenhängenden Niederschrift hatten. E i n Paralleldruck erschien nicht zweckmäßig. Er böte z w a r äußerlich ein übersichtlicheres Bild, doch müßte der Leser i n diesem Falle Änderungen — deretwegen die verschiedenen Fassungen ja mitgeteilt werden — erst selbst suchen. D o r t jedoch, w o eine Auflösung i n Einzel-»Lesarten« den Text allzusehr zerstückelt hätte, wurden i m A p p a r a t größere Partien zusammenhängend gedruckt, so daß die Textdarbietung an solchen Stellen einen K o m p r o m i ß zwischen Auflösung i n »Lesarten« und Paralleldruck darstellt. Beim Einordnen der »Lesart« ist normalerweise das erste u n d das letzte W o r t Anschlußwort i m endgültigen, bzw. i m vorletzten Text. V o n dieser N o r m wurde überall dort abgewichen, w o sie zu Mißverständnissen hätte führen können (z. B. Wortwiederholungen i n der selben Zeile). Eindeutige orthographische Fehler Sacks wurden stillschweigend verbessert. Seine eigenwillige I n t e r p u n k t i o n wurde nach Möglichkeit auch i m A p p a r a t dargestellt.
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A l l e »Lesarten« bringen jeweils die Abweichungen v o m späteren Text, so daß z u m Beispiel die Formulierungen v o n Β 2 auch für Β 1 gelten, so w e i t für Β 1 nicht ausdrücklich andere Formulierungen angegeben sind. Es w i r d darauf verzichtet, den I n h a l t der vorausgegangenen K a p i t e l hier darzustellen; der Leser w i r d aus dem Text ersehen, daß der Versuch einer Inhaltsangabe bei Sack sinnlos ist. Z u m Verständnis muß nur darauf hingewiesen werden, daß es sich bei dem am A n f a n g unseres Textes angesprochenen »zottigen Weggenossen« u m des Paralytikers Tornister handelt, welcher v o n diesem durch die K r a f t der Benennung verlebendigt u n d z u m Gesprächspartner während des Manövers gemacht worden war. A u f Sachanmerkungen w i r d ebenfalls verzichtet. Was hier zu sagen wäre, muß einer eingehenden Interpretation vorbehalten bleiben. Manche Anspielung zumal i n Gruppe C w i r d verständlich, wenn man den Index v o n Mauthners 'Wörterbuch der Philosophie' heranzieht. I n Dankbarkeit weiß ich mich Frau Paula Sack verpflichtet, die nicht nur den Abdruck des Textes erlaubte, sondern darüber hinaus bei der E n t z i f ferung der oft sehr schwer lesbaren Handschrift Sacks entscheidend m i t wirkte. Sacks Nachlaß ist Eigentum des Deutschen Literatur-Archivs i n Marbach.
II.
Text
Die S t a d t u n d der
Wahnsinn
Lebewohl! mein zottiger Weggenosse! Vierzehn Tage hocktest du auf meinem Rücken u n d sprangst, wenn w i r unser beider Last u n d Langerweile müde waren, fröhlich herunter, u m neben m i r deine Sprüchlein zu machen 5 wie ein näselnder Phonograph. Durch stille Schluchten u n d über feuchtes Moos, über Moore entlang an giftigen Teichen, auf weißen Staubstraßenschlangen u n d unter glühenden Sonnenkohlenbecken, unter klatschenden Regenwolkeneimern u n d unter schweigsamen Mondspukspiegeln marschiertest du tapfer neben m i r — das Manöver ist aus u n d die Kette der Ver10 gewaltigung tat einen R i ß u n d du wirst wieder, nachdem der Geist dich A 2 6—8 Teichen und über weiße Staubstraßenschlangen unter glühenden Sonnenkohlenbecken und klatschenden Regenwolkeneimern und weißen Mondspukspiegeln; Al 2 Langerweile; 4 deine weisen Sprüchlein; 6 f. Teichen, unter glühenden Sonnen-; 8 Mondspuken; 9 neben mir, eins zwei, eins zwei — das; 13 Monophonograph,
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trug, auf fleischernen Rücken hocken, bleiern u n d faul und ewig gelangw e i l t u n d zu deiner ledernen Realität verdammt. Lebewohl, du zottiger Phonograph, du schwätzendes Nichts u n d unwirkliche Beziehung zwisdien malträtierten Muskeln u n d einem Rinderlederranzen! Lebewohl 1 5
A u f den Schotterflächen, den Kiesen, die die Schmelzwasser der Gletscher liegen ließen, hat sich der steinerne K r a k e hingelegt u n d läßt seine Augen hungrig i n den H i m m e l glühen u n d seinen zornigen A t e m brausen, seine rauchenden Nüstern schwärzen die Nacht, seine A r m e aber hat er breit über L a n d gelegt u n d sie m i t blitzenden Lichtern und ewig gefräßigen Mäulern 20 gespickt, seine eisernen Fühlhörner laufen über die Gebirge u n d kriechen unter die Meere, er frißt das L a n d u n d sein U n r a t verpestet die Flüsse, aber sein Magen ist nie gefüllt u n d seine Lungen sind k r a n k u n d eng u n d vergilben i m frühen Sommer schon, Asphalt u n d Stein ist sein Fleisch u n d seine Knochen gehämmertes Eisen, träge u n d glühend i n der Sonne u n d schwarz 25 u n d schmutzig u n d v o l l grimmiger Melancholie i m Regen, ewig fressend, ewig hungrig, er kaut sich ewig wieder, er lebt i m ewigen Inzest, er gebärt stündlich u n d empfängt i n jeder Stunde neu u n d seine Seele ist die des Tiers, eines hungrigen brünstigen Wolfes, eines abertausendköpfigen, eines abertausend verlangenden, sich w ü t e n d widerstrebenden, sich b r u t a l zer30 fleischenden wolfstollen Wolfs, ein brausender brodelnder Kessel v o l l v o n brüllenden, sich ruhelos zerreißenden u n d auseinanderfahrenden, sich ruhlos wieder vereinigenden i n ungeheuren Blasen aufplatzenden u n d überschäumenden Begierden — Wollust u n d B r o t ! Er schreit es am Morgen und Abend u n d Mittags u n d Mitternachts u n d schreit es allerorts i n jedem 3 5 Eisennerv u n d jeder Asphaltzelle, u n d wenn er sich i m Ekel v o r ihrer Gier A 2 9 f. ist aus und du wirst wieder auf anderen Rücken; 14 Lebewohl ; 16 hingelegt und wächst von Tag zu Tag, des Nachts läßt er seine Augen; 24 f. schwarz und voll; 27 f. gebärt stündlich und stirbt stündlich und empfängt; 28 f. die eines Tiers; 29 f. zerfleischenden tollen Riesenwolfs; 31 zerreißenden und widerstrebenden, sich; 32 f. aufplatzenden Begierden; 34 Mitternachts und allerorts; 38—40 Al du schwätzendes Nichts, du unwirkliche; 14 Rinderlederranzen! — Lebewohl. —; 16—18 hingelegt und brütet und raucht und wächst; läßt er seine tausend Augen in den Himmel leuchten und seinen brausenden Atem ruhlos fauchen, seine Arme; 19 f. ewig hungrigen Mäulern gespickt, seine Adern sind Eisen, sein Blut ist Eisen und seine eisernen Fühlhörner; 21 den Meeren; 22 f. vergilben verstaubt und sich kräuselnd im hohen Sommer schon, Asphalt; 24 Sonne und feucht und schwarz; 26 ewig hungrig und ewig ohne Glück und Ruh, er kaut; 29 f. zerfleischenden Riesenwolfs; Kessel von; 31 sich ewig zerreißenden; 31 f. sich ewig wieder vereinigenden und in; 33 Begierden — Hunger und Liebe, Hunger und Liebe, er ist Tag und Nacht Morgen; 35—44 und jede Asphaltzelle von ihnen durchrüttelt, Wollust und Brot, bald wütende Flucht vor dem gierigen Verlangen nach ihnen und Ekel und Betäubung und Rettung vor ihrer Allgegenwart und ihrem Fluch und doch wieder ein verzweifeltes, wühlendes Zusammenströmen in den
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u n d Allgegenwart am Morgen erbricht u n d v o r ihrem Fluch Betäubung u n d Rettung sucht i n blutigen Wahnbildern und roten Träumen — ach! diese drohenden Wahnbilder u n d gaukelnden Träume sind keine sorglos fürsorglichen Götter u n d hehre Unbekümmerte, sie sind v o n i h m selber aufgebaut, u m i h n selber weiter zu hetzen nach Brot u n d Brunst! — so t u t er es nur, u m am M i t t a g wieder v o n neuem rasend aufzubrüllen, u n d wenn er sich des Abends schlafen legt, so t u t er es nur, u m K r a f t zu sammeln zu neuen Hunger- u n d Begattungsschreien — a h ! diese zusammengepreßt gierige, sich v o r sich selber ekelnde, v o n sich selber ruhlos besinnungslos durch die Tage gepeitschte Masse! M i t dem Stein, den sie i n ihre A d e r n stampft, m i t dem Eisenstück, durch das sie ihre Knochen stützt, dient sie letzten Grundes ihren zwei Teufeln, die ihre Seele umbrausen u n d i h r langsam den Wahnsinn einblasen, sie zu stillen, sie zu befriedigen u n d hinzuhalten, sie zu verkleiden u n d zu verschönern, es ist kein D i n g i n ihr, kein Stein, kein Ziegel, kein Wagen, kein Pferd, kein A l t a r u n d klingendes Instrument, kein H u n d , keine Blume und plärrender Papagei, kein Teppich, kein Sessel u n d Stuhl, kein W o r t w i r d gesprochen, kein Fluch gebrüllt, kein Messer geschwungen u n d kein G i f t gemischt, keine Wahrheit zerstampft u n d keine Lüge strahlend ausposaunt, keine Litanei w i r d gelesen u n d keine Zote gespien, kein M i k r o s k o p präzisiert u n d keine Säge gefeilt, kein D o m gebaut u n d kein Museum gegründet, kein Glas geschliffen u n d kein Skalpell geführt, kein B i l d gemalt, kein H a m m e r geschwungen, keine N a d e l geführt, keine Uhr schlägt die Stunde, keine Peitsche knallt, keine Trambahn lärmt, kein Schlagball fliegt, keine Geige k l i n g t , keine Flöte klagt, kein Flugzeug durchbraust die L u f t u n d stürzt zerkracht aufs Land, kein Dampfer durchfurcht den Ozean u n d fährt brenA2 Träume sind von ihm selber aufgebaut, um sich selber; 43 Begattungsschrein — oh! diese; 45—47 Masse! Der Stein, den sie in ihre Adern drückt, das Eisenstück, mit dem sie ihre Knochen stützt, dient letzten Endes ihren zwei Teufeln; 49 sie zu verfeinern und zu verschönern; 50—63 Instrument, kein Hund, kein Goldfisch und plärrender Papagei, keine Blume und kein Perserteppich, kein Sessel und kein Schemel, kein Wort wird gesprochen, kein Fluch gebrüllt und kein Kosewort geflüstert, kein Dolch geschwungen und kein Gift gemischt, keine Wahrheit aufgestellt und keine Lüge gelogen, keine Litanei gelesen und keine Hymne gesungen, kein Mikroskop präzisiert und keine Säge gefeilt, kein Dom gebaut und kein Museum eingeweiht, kein Denkmal bekränzt und kein Wimpel ausgehängt, kein Kino geöffnet und kein Theater steht leer, kein Glas geschliffen und kein Bild gemalt, kein Hammer geschwungen und keine Nadel geführt, keine Uhr schlägt die Stunde, keine Peitsche knallt, keine Trambahn lärmt, kein Rollschuh rollt, kein Schlagball fliegt, keine Lampe glüht, kein Flugzeug durchbraust die Luft und kein Dampfer durchfurcht den Ozean, der nicht letzten Grundes dem Hunger diente und der Liebe frönte [Ende des Ms. »beginnt«] ; Ä1 einen Ruf. [Absatz] Diese zusammengepreßte gierige, sich vor sich selber ekelnde ruhlos [Ende des Ms.: »Masse«] ; 15 Literaturwissenschaftliches Jahrbuch, 8. Bd.
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nend i n Grund, der nicht letzten Grundes dem Hunger diente, der Liebe frönte, u n d keine Feder w i r d geführt u n d keine Tinte vergossen — trolle dich, purzele dich, stelle dich auf den K o p f , denn die Komödie der K o m ö 65 dien beginnt! A u f den Schotterflächen, den Kiesen, die die Schmelzwasser der Gletscher liegen ließen, hat sich der steinerne K r a k e hingelegt u n d läßt seinen zornigen A t e m brausen, seine A r m e aber hat er breit über L a n d gelegt u n d seine Fühlhörner laufen über die Gebirge u n d kriechen unter die Meere — schlaftrunken k o m m t der W i n d dahergetaumelt, aber entsetzt 70 fährt er hoch und flieht u n d flüchtet und beginnt selber singend zu brausen, der Himmelshund, u n d trägt den Schrei des Riesen drohend i n das Land. Seine A r m e aber hat er breit über L a n d gelegt u n d sie m i t blitzenden Lichtern u n d ewig gefräßigen Mäulern gespickt, fauchend verschluckt er mich, polternd rasselnd dröhnend reißt er mich i n sich m i t Gestampf u n d speit 75 mich unter Q u a l m u n d Licht u n d L ä r m i n seinen Eisenmagen wieder aus u n d auf dem Bahnhof empfing mich meine Geliebte, w i l d , fiebernd, ein schönes Tier. U n d heute, nach sieben Tagen, da draußen der rote Nebel glüht u n d b r ü l l t , sitze ich still auf meinem Zimmer, mitten i m H e r z des K r a k e n schreibe ich an diesem Buch; groß u n d steil, neunundfünfzig Bogen 80 schrieb ich v o l l , ich werde anfangen müssen, kleiner zu schreiben, ganz klein — wie die Schlote u n d Kirchtürme v o m Berge aus gesehen; u n d der Tabakrauch, den ich i n zitternden Ringschleiern über sie blase, sind Wolken, die aus den Schluchten der Berge kommen, u n d meine Stirne der Berg i m Vorland, u m den sie sich scharen; so stehe ich auf m i r und schaue ins Land, auf den 85 M o n o l o g eines langsam — mente captus! M e i n enges Zimmer ist v o l l v o n Rauch u n d v o l l brütender Melancholie, auf Schränken u n d Bänken u n d wurmstichigen Regalen verschlafen meine Bücher die Zeit, meine klugen Bücher die ewig strömende Zeit — 90
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noch kommt mit der Unsterblichkeit gepaart die Zukunft ewig strömend zu mir her und schafft auf ihrem unbewegten Meer in mir den Wellenschaum der Gegenwart: sie prallt in unergründlich schneller Fahrt aufgischtend an an meiner Seele Wehr und bricht durch mich in einem Sturze, der schon als Vergangenheit sich offenbart. Β2 76—79 Bahnhof erwartete mich meine Geliebte und empfieng mich wie ein schönes Tier. Und jetzt, da draußen der rote Nebel glüht und brüllt, sitze ich auf meinem Zimmer und schreibe an; 83 Schluchten der Gebirge kommen; 83 f. Berg, um; 86—104 ist verändert und voll Melancholie und Büchern, die auf wurmB 1 76 Bahnhof wartete meine Geliebte auf mich und; 77 Tier und jetzt zur Stunde, da; 81 f. gesehen und die wulstigen Knäuel des Tabakrauches, die ich über; 83 der Gebirge über sie wandern, und; der einsame Berg; 84—104 Land. Da ist denn was
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Bis eines Tages sich der Schaum zerstreut und meiner Seele Balkenwerk zerfällt — und Strom ist nicht mehr Strom, still steht die Zeit: f ° r t strömt die Zeit und trägt die tote Welt auf ungeteilter Flut zur Ewigkeit, wo sie mit ihrer Last als Wort zerschellt.
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Das strömende Nichts! ich könnte i h m u n d meinen k l u g verschlafenen Büchern eine Nase drehen u n d als D o n Juan endigen, wie's sich gehört. Es 105 ist nicht weit, sie schläft m i t m i r W a n d an W a n d ; nachdem sie den T a g über einem abgenutzten Gelehrten Romane hat vorlesen müssen, Pariser, Münchener Kitsch, hat sie ihr H a a r geöffnet u n d reckt u n d dehnt ihre nackten Glieder u n d öffnet die Schenkel u n d schleudert m i t einem Male wie besessen die Kissen herab u n d — wie k ü h l die L u f t ist! Aber sie ist nicht 110 immer so; es ist dunstig heute u n d still u n d der K r a k e hat seinen Tag, an dem es nebelt u n d der Ekel v o m H i m m e l f ä l l t ; dann hat sie ihre Stunde, i n der sie die Haare i n Zöpfen flicht, i m weißen Nachtkleid unter hohen Plumeaus liegt u n d Thee m i t spitzen L i p p e n t r i n k t u n d dazu Niels Lyhne liest. Sie hört, wie durch den dicken Nebel hinten i m W a l d die Blätter fal115 len, u n d wenn sie das denkt, durch den die letzten Blätter taumeln, schmiegt sie sich i n die Kissen u n d sieht aus klugen Augen nach der T ü r , die sich doch gleich öffnen muß. Wie derart ein zur Kunst u n d Liebeskunst destillierter Massentrieb ein Leben, das sich sonst längst fortgeworfen hätte, schwebend tragen kann! 120 U n d nun muß er ganz ausbrennen i n i h r und sich nicht u m den Leib k ü m mern, auch wenn er schon morsch u n d häßlich geworden ist: sie z w i n g t i h n Β2 stichigen Regalen trauern und schlafen. Nun könnte ich ihnen eine Nase; 104 gehört; es; 105 Wand an Wand mit mir; nachdem sie den toten Tag; 106 einem müden Gelehrten; 108 Glieder und schleudert; 110—114 es ist neblig heute und still. So hat sie vielleicht ihren Tag, an dem sie die Haare in Zöpfen flicht, im Nachtkleid liegt sie unter hohen Plumeaus und trinkt Thee mit spitzen Lippen und liest Mörike dazu; 114 Nebel im; 115 denkt, an den dicken Nebel denkt, durch den; 118 ein zum Gedanken durchdestilliertes Massengefühl; 120 ausbrennen und; Β 1 rechtes zu sehen — der Monolog eines langsam demens Werdenden. Vielleicht auch eines Faustus redivivus? Denn auch mein Zimmer ist eng und verräuchert und Bücher und moderne Phiolen schlafen auf wurmstichigen Regalen; ich könnte ihnen; 104 f. und, wie's sich gehört, als Don Juan endigen, in das Zimmer treten, in dem soeben meine Geliebte Schlafen gegangen ist; nachdem; 106 f. einem müde gewordenen Gelehrten französische Romane hat vorlesen müssen, hat sie nun; 110 f. so; vielleicht hat sie heute ihren Tag; 112 f. weißen Nachtgewand unter Plumeaus trinkt; 114 f. dazu. Und hört, wie draußen im englischen Garten durch den dicken Nebel die letzten Blätter taumeln, dann freut sie sich ihrer Liebe und schmiegt; 116 sieht mit einem klugen Gesicht nach; 118 Sie lebt durch mich; wie derart ein zu Bewußtsein und Gedanken; 119 f. hätte, tragen kann! Und er muß ganz ausbrennen in ihr und darf sich nicht; 121 f. morsch und zerbrochen ist. Und; 1*
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durch u n d w i l l i h n lieben u n d geliebt. U n d erlischt ihre Liebe endlich, so bricht ihr Leib u n d Leben wie ein des Gerüstes beraubter Bau kopfüber zusammen. Was liebt sie nur? Sie las ein Buch v o n m i r , das fraß sich i n sie 125 u n d wie ein roter Strom überschwemmte u n d zerbrach ihre Liebe zu sich u n d i h r M u t zu sich die zeternde M o r a l u n d so k a m sie zu m i r geflogen u n d liebt den mürrischen Skribifax einer Erkenntnis- u n d Liebesgeschichte, einen Dichter, wie der Pöbel sagt, i n Wahrheit einen, der sich gegen den Dichter u n d metaphysischen Sonder-Größenwahn m i t allen Sophismen u n d 130 hohnvollen Enthüllungen sträubt u n d m i t allem Ekel, dessen der Einsame gegenüber dem Geruch der affeneitlen u n d lohnarbeitenden Masse fähig ist, und der nun bald — mente captus! Aber die T ü r öffnet sich nicht mehr u n d m i t dem D o n Juan soll es nun aus sein; denn ich habe i n m i r seine Vorstufe u n d seine Bedingung, den 135 Faust m i t seiner D a n n m u ß t du dich berauschen! Tendenz totschlagen müssen — es schickt sich nicht mehr, es gehört sich nicht mehr, nach den imaginären Brüsten der N a t u r und, da man sie nicht zu finden weiß, nach den derberen der Wirklichkeit zu angeln; w i r w o l l e n doch keinen Abschluß sehen u n d eine Lösung, eine Lösung ist uns viel zu d u m m u n d m i t i h r müßte 140 der Faust z u m Pfaffen werden. O h da liegt sie draußen, die W e l t u n d bunte Schale, wie w i r sie nennen u n d lügen, u m einmal v o r ewiger Langerweile zu hujahnen, u n d zum andern v o r Hunger u n d brünstiger N o t zu brüllen, aber Tag u m Tag, einmal an jedem Tage zündet sie ihre verfluchte Schönheit an u n d w i r d dünn u n d durchsichtig u n d u n w i r k l i c h wie Glas, daß man 145 ihre Abgründe u n d die Quellen ihrer Abgründe rauschen zu hören glaubt — ich w i l l nicht mehr i n sie hinaus, sie macht mich taumeln u n d ganz verrückt! Β2 121 häßlich ist; 122 durch und — w i l l ; 123 bricht ihr Leben; 124 zusammen. Und was liebt sie denn?; 124 f. sie und ließ sie über die Enge ihrer Umgebung hoch hinwegsehen; wie ein roter; 126 Mut zu sich das entrüstet gewordene Philistertum und so; 127—129 liebt den Dichter einer Erkenntnis- und Liebesgeschichte, einen Dichter, der sich gegen solchen Titel mit allen; 136 müssen — es wurde so trivial, nach den; 138 derben; 139—141 eine Lösung — eine Lösung ist uns viel zu dumm. Mit ihr muß der Faust zum Pfaffen werden. Und überhaupt die Natur! da liegt sie draußen, um einmal; 142 f. brüllen, und dann zündet; 148 auf den heulenden Bl 124 f. das fraß sich wie eine Flamme in sie und weckte hell in ihr das Weib und ließ sie darüber die philiströse Enge ihrer Umgebung vergessen; wie ein; 126—133 Mut zu sich die engenden Dämme und nun ist sie zu mir gekommen und liebt den Schreiber dieses Buches, nachdem sie den toten Tag über einem müden Gelehrten französische Romane hat vorlesen müssen. So entzündet sich nun ein Gedanke am Feuer des anderen und lebt durch ihn und trägt nun auf weichen Betten ihr blondes Haar, ihre vollen Brüste und ihre weiße wilde Haut. [Absatz] Aber die Tür; 134 f. sein. Denn ich habe in mir den Faust; 135—136 totgeschlagen, es ist nämlich eine Dummheit, nach den imaginären; 137 Natur, und wenn man; 138 wollen doch, erinnern wir uns nur, keinen Abschluß; 139 f. in ihrem Besitz muß der Faust; 144 dünn
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Aber wenn du auch über den Dächern flatterst u n d aus grasgrünen Augen auf die goldene Stunde lauerst, i n der du dich m i t dem Furchtbaren vereinigst, das i n m i r wie ein K o l b e n bis an die Hirnschale hochstoßen u n d sie durchbrechen u n d aus m i r als ein Riesenschirm wachsen möchte, unter dessen Schatten die W e l t m i t einem Ruck i h r Inneres nach Außen stülpt und kreischend die L o g i k und Vernunft der Oberflächen m i t Schellenstöcken aus dem Lande jagt, u m an ihre Stelle die W i l l k ü r u n d das Grauen zu setzen, ich presse dich immer wieder zurück u n d blase deine feuchten Flügel ewig wieder f o r t !
Das einzige Symptom ist aber meine Gedächtnisschwäche, zumal die Dinge v o n gestern haben sich nicht eingraben mögen und w o l l e n sich nicht wieder einfangen lassen — ich b i n w o h l überanstrengt u n d durch zuviele Gefühle getaumelt u n d beobachte mein Taumeln zuviel; es w i r d eine fixe 160 Idee sein, ein Leserückbleibsel, eine zu kraß geratene Vorstellung, die sich m i t ihren Widerhaken an meiner Gedächtnisschwäche verfangen hat, wer weiß? nur eine abstruse Eitelkeit — ich werde sie m i r v o m Leibe schreiben u n d i m Frühjahr w i l l ich ins Gebirge fahren. U n d sollte das Schauerliche doch kommen, so w i l l ich es als eine Laune des Glücks bezeichnen, die W e l t auch v o n der Seite hemmungsloser, alltagsvernunftbefreiter W i l l k ü r erleben zu dürfen — oh! ich habe M u t und mag auf dieses Meer endloser Haschisch- u n d Opiumräusche schon meine weißen Segel hissen, auch wenn es endlos ist, auch wenn seine W i n d e u n d Ströme einem ungeheuren Strudel angehören, dessen brüllender Trichter 170 mich schließlich verschluckt. Klingende Morgenröten, brennende Sonnenuntergänge, stahlblaue Mittagshimmelsglocken m i t allem blutroten Spuk 165
Β2 Stundenschlag lauerst, in dem; 150 und dann aus; 156 f. ist aber nur meine seit einigen Tagen mich ängstigende Gedächtnisschwäche, insbesondere die Dinge von gestern und vorgestern haben; 158 lassen, aber ich bin ja nur überanstrengt; 159 und ich beobachte mich zuviel; 162 weiß? vielleicht nur; 162 f. schreiben; so werde ich sie los und im Frühjahr; 164 kommen, so muß ich es maßlos interessant finden und darf es als Laune; 165 f. hemmungsloser Willkür; 172 f. habe von dem jubelnB 1 wie Glas, daß man; 146 verrückt. —; 147 auch da draußen über; 147 f. und aus stecknadelkopfkleinen Augen, kleinen und grasgrünen wie jungen Kirschen, auf den heulenden; 148 f. mit dem Schluchzen in mir vereinigst, das in mir vom Hals aus wie ein Kolben; 150 f. unter dessen durchfallendem Lichte die Welt; 156 ist übrigens nur meine Nervosität und Gedächtnisschwäche; 157 eingraben können und; 158 f. überanstrengt und beobachte; 161 Widerhaken in mir verfangen hat, ich werde; 164 f. es doch maßlos interressant finden, einmal die Welt von dieser Seite, von der Seite hemmungsloser; 167 auf diesem Meer in endlosen Haschisch-; 167 f. meine kühlen Segel; 169 f. angehören, in dessen brüllendem Trichter ich schließlich lande und glucksend verschluckt werde; 170 f. Sonnenuntergänge, blaue Mittagshimmels-
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müssen über diesem Meere wandeln — ich habe v o n der strahlenden Euphorie, dem jubelnden Optimismus der Paralytiker gehört. Aber die endliche Gewißheit muß mich doch durchschlagen, daß ich i n einem Blick alle Wollüste und Schrecken des Wahnsinns durchjagen u n d mich gegen i h n bäumen werde, daß ich über i h n springe, hussa! über i h n setze u n d m i t einem Satz wieder Mensch unter Menschen bin. W o h l weiß ich, daß der Leib des Paralytikers verfällt und verfault, w o h l kenne ich das „langsame aber stetige Schwinden des Intellekts", aber 180 ich lasse nicht v o n meinem Geist, ich halte i h n fest, ich reite auf i h m u n d zwinge i h n und seinen Knecht durch! 175
Trotzdem, trotzalledem, ich w i l l mich auf die Stunde rüsten u n d mich w o h l wappnen; ich w i l l hart an mich halten u n d meine blauen Flügel schon stutzen: ich w i l l nur v o n Tatsachen schreiben u n d solchen Tatsachen, wie 185 i h r sie seht, klein, wahr, eng, ohne M u n d u n d ohne Augen und ohne w i n kende Finger i n die Unendlichkeit u n d i n das Nichts, ich w i l l i h r süßes K l e t t e n t u m u n d ihre tapfere U n w a h r h e i t und i h r spöttisches: Ja, was w i l l s t du nur? nicht sehen, ach! ich möchte schreiben können wie ihr, trocken u n d ewig ledern u n d ohne K l a n g und ohne Jagd und ohne Z i t t e r n und ohne 190 Sprung! aber i n dem bedachtsamen Zeitmaße eures Schneckenganges u n d i n der klanglosen Langenweile eurer engbrüstigen Perioden. U n d wenn ich mich selbst betrachte u n d v o n dem schreibe, was ich i n m i r vorgehen sehe, oder zu sehen glaube, so soll es sein, als ob einer eurer medizinischen A u t o maten schriebe; ich lebe v o n Früchten, ich trinke Wasser u n d verschmähe 195 Wein u n d Weib, ich hoffe nichts, u m nicht die zerrüttenden Stürze der Enttäuschung zu tun, ich halte i n A l l e m an mich k ü h l u n d k a l t , w i r w o l l e n schon durchlaufen durch diesen Nebel u n d i m Frühjahr, i m Frühling auf unser H a u p t Schnee und Sonne streuen. —
Β2 den; 176 f. springe und mit; 178—180 Ich habe von dem körperlichen Verfall des Paralytikers gehört, aber ich lasse; 181 zwinge ihn durch !; 182 f. Trotzdem, ich will mich auf die Stunde vorbereiten und mich wappnen; 184 stutzen; ich; 185 eng, ohne Lippen und; 185 f. ohne Wink in; 191 eurer braven Perioden; 193—197 Bl glocken; 171 allem ihrem Spuk; 173 Paralytiker gelesen; 174 f. Ich glaube aber, die endliche Gewißheit, krank zu sein, würde midi so durchschlagen, daß ich in einem Pulsschlag zusammengepreßt alle; 175 f. Wahnsinns durchjagte und mich gegen ihn derart gewaltig bäumte, daß ich ihm gleich wäre und über ihn spränge; 177—183 Menschen würde. [Absatz] Aber ich will mich immerhin auf ihn vorbereiten und mich gegen ihn wappnen; 185—188 klein, eng, ohne Bedeutung und Zusammenhang und ohne das spöttische: Ja, was bist du nur? in jedem Ding, ich will eine Weile unter midi herabgehen, Herrgott! ich möchte sogar schreiben können wie ihr; 189—191 ohne Jagd und ohne Sprung, sondern in dem bedachtsamen Tempo eures schleimigen Schneckenganges. Und wenn; 192 f. sehe, so; 193—
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Ich wohne i n Schwabing an einer asphaltierten Straße i m vierten Stock, ich habe den Blick über die Stadt u n d sehe alleinsamabendlich, wie sich aus braunem Dunst die Doppelturmbrüste der Frauenkirche i n den grünen H i m m e l blähen, u n d ahne hinter i h m das Brennen und Gleißen des Gebirges, u n d der Mann, dessen Frau m i r dieses Zimmer vermietet hat, nennt sich Journalist. U n d ein Journalist . U n d daß es ihnen insgesamt nur darauf ankommt, zu schreiben u n d Worte zu vomieren nach einem allB2 Automaten schriebe. Wir wollen schon durchlaufen durch diesen Nebel und Winter, im Frühjahr ins Gebirge fahren und auf; 200—203 Stadt, aus deren braunem Dunst die Doppelbrüste der Frauenkirche sich in den grünen Abendhimmel blähen, und der Mann; 203—205 nennt sich Journalist. Der ist rothaarig und schlecht rasiert und von der Schuppenflechte befallen und huldigt der Faulheit, ohne zur Faulheit ein Recht zu haben. Sein Hals ist kurz und bräunlich rot und seine Krawatte heute so schlecht gebunden wie sie es gestern war. Seine Hausschuhe sind niedergetreten und gehören derselben Gruppe an wie seine Harmonikahose und sein abgetragener Lodenrock; sein Hut, ein alter Jägerhut, ist grün und verstaubt und seine Stiefel sind Zugstiefel, deren Absätze sind ewig schief. [Absatz] Aber sein germanischer Spitzbauch und seine Häheraugen, die aussehen, als wenn er immer trunken wäre, wo er doch leider nicht trinkt, seine Gesichtshaut, die trotz ihrer Fettpolster welk und faltig ist, sechs soldier Falten trägt seine rechte Stirn und zwischen den Brauen besitzt er ihrer vier, die sich aber trotz der vorhandenen Tendenz nicht entschließen können, zu einer zusammenzufließen, seine Nasenflügel, deren Stärke und weite Höhlung auf einen Schnupfen schließen lassen könnte, die Büschel roter Haare, die aus ihnen hervorhängen, und die tiefe Furche, die von ihnen vertikal zu den wulstigen und bleichen Lippen herablaufen, das Kinn, das in seiner Jugend weich gerundet gewesen sein mag, jetzt aber in Stoppeln und Fett verschwunden ist, der Hals, der trotz seiner Kürze eine der Kuhwamme ähnliche Haut trägt, aus welcher der zu hohe Kragen einen Ring roter Pocken und Pusteln herausgescheuert hat, das alles und seine mürrische Verbissenheit berechtigt ihn noch nicht, einer Faulheit zu frönen, als welche die Bedingung und die Notwendigkeit eines Narcissus ist. Denn ein Spitzbauch ist nur als Hamlet erträglich oder als ein bis zum Schwitzen arbeitender Fettkloß, in welchem Zweck und Tätigkeit eins ist. Aber dieser schwitzt nur, wenn er ißt, und ist nur ein verunglückter Hamlet und huldigt also einer Faulheit, zu der er kein Recht hat. Und dazu kam er auf folgende Art: [Absatz] Ein Zeitungskritiker ist ein Mensch, der über den Unsinn, den andere Leute begehen oder schreiben — den Unsinn, weil er nie ihren Sinn, falls Sinn vorhanden war, versteht — wieder Unsinn schreibt, oder einer, der über den Unsinn, den einige Leute über den Unsinn anderer Leute schreiben, potenzierten Unsinn schreibt. Und gemeiniglich geschieht dieses in einer eigenartigen Sprache, die unsere Zeitgenossen Journalistendeutsch, Journalistenpathos, Journalistengeistreichigkeit und Journalistentiefe genannt haben. Dieses Wort, dem zweifelsohne ein absprechendes Urteil inhäriert, will besagen: Die Leute sind auf keinem Gebiete heimisch und approbiert, sie haben kein Examen bestanden, sie schreiben aber und müssen über jeden „Fall" schreiben als ob sie das Fach, in welches dieser Fall fällt, von Grund aus beherrschten. Das ist ihre Formel. Und aus ihr folgt, daß sie eine große Geschicklichkeit Bl 199 fahren. [Absatz] Ich; 199 f. Stock mit dem Blick; 200 f. aus deren grauem Herbstdunst; 201 f. Doppelkugelbrüste; grünroten Abendhimmel; [Β 1 enthält den gestrichenen Passus über den Journalismus gleichfalls. Da er nur von zeitgeschichtlichem und biographischem Interesse ist, wurde auf eine Wiedergabe verzichtet.]
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gemeinen W i r halten fest und feig zusammen! Innungsrülpskomment, ersehen w i r daraus, daß sie sich wie die Gassenköter gegen einen raren W i n d hund u n i sono gegen den verschwören, der schreibt, w e i l er etwas hat, über das er i n eigener Sprache schreiben kann. Zumeist sind sie verfluchte Juden, 210 aufgeblähte N u l l i t ä t e n allzusamt u n d nennen sich gerne das geistige Deutschland u n d die Vertreter der führenden Presse; ein rechter M a n n muß sie verachten u n d darf nur über sie reden, als wenn sie Buben wären u n d er den Bakel führte. Nachzutragen habe ich, daß sie eine kleine Blender-Glanzzeit haben, aber 215 schnell ist ihr einer Gedanke, vielmehr die eigenartige Färbung u n d einseitige Betonung, die der gestohlene und kastrierte i n ihnen annahm, zu Tode gehetzt u n d —
Β2 besitzen müssen, das leichtgläubige Publikum, das nach des Tages sorgender Arbeit Erholung, Zerstreuung und Belehrung sucht, und schließlich sich selbst mit Worten, ja idi darf wohl sagen mit Wörtern über ihre Unfähigkeit hinwegzutäuschen; am liebsten befassen sie sich mit der schönen Literatur, weil hierüber jeder Hans Narr reden kann; es sind aber gerade auf diesem Gebiete der Kundigen und Berufenen Wenige. Aus dieser inneren Unwahrheit ihres Berufes ist ihre Schreibart zu erklären; es kommt nämlich darauf hinaus, daß sie den ihnen vorliegenden Fall — und wie viele Fälle gibt es nicht in dem harten Kampf ums Dasein unserer ruhelosen Zeit! — als Grundlage benutzen, ihren einen Gedanken — jeder hat einen Gedanken — und ihren Vorrat an Tropen, Vergleichen und Metaphern, die wenn sie nicht trivial sind, ihnen zu Katachresen geraten, ihren Vorrat an Gleichnissen und Allegorien und Paraphrasen und tollen Allusionen, ihren Vorrat an Hyperbeln, die über sich selbst stolpern, an Oxymoren, deren Glieder aneinander vorbeischießen, an Paradoxen, die durch ihre Selbstverständlichkeit überraschen, an hausbackenen Ironien und harmlosen Litotesen — keine kleine Aufgabe, kein uninteressantes Buch — an Commis voyageurinversionen, Antithesen und schiefen Chiasmen und unschuldigen Relativsätzen, die sich in Parenthesen verkleidet haben, ihren Vorrat an geschmacklosen Häufungen und tief sich gebenden Polysyndetons, an ewigen Pleonasmen und Tautologien und Ellipsen und taciteischen Kürzen und Modewörtern und wahnsinnigen Neologismen und genotzüchtigten Kunst- und Fachausdrücken auszuschleimen, während die ganz Erfolgreichen unter ihnen, diejenigen, welche der Innungschor ihrer koscheren Genossen die Stirne hat neben Nietzsche zu stellen, sich einen eigenen Stil gebildet haben, in dem sie auf einen ordentlichen Satzbau Verzicht leisteten und dafür mit kokett hintereinandergereihten Worten, Ausrufen, knappen Andeutungen und verdrehten Zitaten und affektierten Extraktsätzchen, wie ein Gelehrter ganz richtig bemerkt hat, jonglieren, jawohl jonglieren! Und die Streber und Neidhunde unter ihnen machen ihnen das nach und fördern damit ein recht ergötzliches, ganz unverständliches und jeden ernsthaften und nach Belehrung und Wahrheit strebenden Mann mit Recht abstoßendes Ich weiß nicht, was er will? Er weiß es selber nicht! zu Tage. Und daß es ihnen insgesamt darauf; 205—210 nach einem Wir halten fest und treu zusammen! Innungsrülpskomment, das sieht man daraus, daß sie sich uni sono gegen den verschwören, der schreibt, weil er wirklich etwas hat, über das er aus innerster Notwendigkeit schreiben muß und mit eindringendster, tiefgründigster und grundschürfender Sachkenntnis schreiben kann. Zumeist sind sie verfluchte Juden und nennen sich gern das geistige; 213 Backel trüge.; 214 f. daß sie allesamt eine kleine Glanzzeit durchmachen, aber haben sie ihren einen Gedanken, vielmehr; 216 gestoh-
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u n d ein solcher Kläffer, der sich selbst zu Tode kläffte, w a r der M a n n , der faul u n d mürrischen Gesichts seinen Spitzbauch durch die Zimmer trug. 220 Schon verbohrt genug i n den blanken Blödsinn des Wahren, Guten und reinen Schönen w a r er i n den Schoß einer aima mater, als i n die eigentliche Brutstätte solchen Dunstes, gekrochen, hatte sich da u n d dort strebend bemüht umgetrieben u n d audi sein kurzes Senkblei i n die bekannten Abgründe rollen lassen und w i r k l i c h schmerzlich staunend gefühlt, daß hier Abgründe 223 vorhanden waren. Aber über dem Staunen am Rande dieser heulenden Grundlosigkeiten hatte er die Zeit versäumt, i n der ein K o p f seines Gelichters entschlossen die Augen zumachen u n d die Ohren m i t hartem Werg verstopfen m u ß ; so konnte er sich nicht mehr sammeln u n d er w a r zu ehrlich u n d auch zu indifferent, sich zu einem äußerlichen Oberlehrerabschluß auf230 zureißen. D a n n las er Nietzsche u n d der verdarb i h n ganz. D e n n er hatte nicht so v i e l Einsicht, u m seine nach dieser Lektüre heftig aufschießende Schreibeseligkeit als ein Schaffen nur aus Oppositionsdrang eines, wenn auch nicht ganz unselbständigen, so doch ganz inferioren Geistes zu erkennen. E r sah nicht ein, daß sein Schreiben nur ein A k t der Selbstverteidi235 gung gegenüber einer erdrückend blendenden Gewalt w a r , sondern hielt es für ein Zeugnis eigener eigenartiger u n d ausreichender Begabung, die — wie man so schwätzt — i n sich neue Werte f ü h l t u n d aus sich neue Werte schafft. I h n reizte, w i e die meisten u n d allermeisten, die Form u n d bunte Geistreichigkeit, während er taub u n d b l i n d blieb gegenüber der Leiden240 sdiaft u n d dem erlösenden Ziel, während er ohne Bedürfnis w a r nach einem erlösenden Z i e l ; er blieb L i t t e r a t u n d gehört somit zu dem Gesindel, das ich nach dem Malergesindel am radikalsten verachte. So schrieb er einige Essays über allerhand, gute Freunde — sintemalen er ein angenehmer Freund am
Β2 lene in; 218 Tode gekläfft hatte, war; 220—223 Vollgepfropft mit den blendenden Trivialitäten des Wahren, Guten und Schönen war er auf die Hochschulen gezogen, hatte sich ehrlich bemüht da und dort umgetrieben; 224 lassen und, das will im Jahre 1913 viel sagen, schmerzlich; 225 waren. (Denn wer weiß das? Die Leuchten der Wissenschaft und die Koryphäen der Kunst haben Bretter vor dem Kopf, auf denen unbesehen Nilpferde tanzen können, sie suchen, ja sie kennen, sie h a b e n die ewige Wahrheit und gründen Klubs und Bünde und schreiben volkstümlich — und an dem anderen Seilende aber macht der Jude seine Mätzchen und schneidet seine koketten Grimassen. So ziehen sie an einem Seil, aber nebenbei ziehen sie sich neckisch an diesem Seilchen hin und her, einmal reißt die exakte Wissenschaft die schöngeistigen und extraktphilosophasternden Lohnschreiber über den Haufen, ein andermal liegen die ordenshungrigen Graubärte und der Jud tanzt.) Aber über; 225 f. heulenden Abgründe hatte; 226 f. in der man entschlossen; 227 Werg und Wachs verstopfen kann; ; 229 f. äußerlichen Abschluß aufzureißen. Zu guter Letzt las; 230 ganz. Ich will damit sagen: Er; 231 f. aufschießenden schriftstellerischen Versuch als ein; 233 audi immerhin nicht; ganz kleinen Geistes; 236 f. — wie man sagt —; 238—242 schafft. Da schrieb er denn einige; 243 f. — er war ein
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Biertisch w a r — lanzierten sie u n d so erwarb er sich als geist- u n d hoffnungsreicher Schriftsteller die Liebe einer klugen Frau, die reich war.
Aber diese Essays über allerhand blieben eben einige, denn bald hatte er seinen einen Gedanken, den des übertriebenen u n d hemmenden Historizismus, der der G r u n d u n d der fortschrittlich affektvolle Ausklang seiner blendenden K r i t e r i e n w a r , zu Tode geschrieben. Es w a r sein Pech, daß er 250 k l u g genug w a r , dieses armselige zu Tode Treiben als solches zu erkennen, und so w a r f er nach einem Jahr seine kritische Feuilletonfeder i n die Ecke u n d lebte v o n dem Gelde seiner Frau. U n d als das Geld auf Reisen u n d so weiter ausgehen wollte, kaufte seine Frau ein Haus, i n dem sie möblierte Zimmer vermietete, an Studenten 255 und Litteratenvolk vermietet sie u n d erzog ihre Kinder. U n d er sah zu; u n d k a m sich so überflüssig v o r bei dem Vermieten, der Erziehung, den Haushaltssorgen u n d dem täglichen Rechnen — u n d die Zeitung, das Essen, das Leben, der Tag, das hängt einem ja z u m Halse heraus! U n d ein Dienstmädchen, das er aus Verzweiflung attackierte und i n Faulheit beschlief, k a m 260 glücklich i n Wochen. D a begann er seine Frau zu hassen u n d stöhnte: wie glücklich w ä r ich, wenn ich allein lebte u n d könnte die Straßen fegen! — Geh! — Aber da zerdrückte er eine Träne und sprach v o n seiner Vaterliebe. Aber am ersten J u l i werde ich gehen. — U n d am ersten J u l i verschwand er für einen T a g u n d k a m am nächsten wieder. H i e r , kauf dir eine neue 265 K r a w a t t e ; wie siehst du aus! So ließ sie i h n stehen u n d weiter muffen u n d betrog i h n gesund u n d m i t gutem Gewissen u n d erzog ihre K i n d e r . U n d dann k a m eines Tages jenes Mädchen zu ihr geflogen, meine Geliebte, die am Tage einem abgenutzten Gelehrten Romane vorliest, Pariser, Berliner Kitsch, u n d des Nachts ihre nackten Glieder dehnt u n d reckt u n d m i t einem Β2 angenehmer Biertischfreund —; 245 f. die nebenbei reich war; [Absatz] Oh! Der Himmel brennt vor meinem Fenster und lacht und wirft klagend abertausend Götterdämmerungen in den Raum [Absatz] Aber diese Essays; 246 einige, er hatte bald seinen; 247 f. Historizismus, der die Wurzel und der affektvolle; 249—252 zu Tode gehetzt. Sein Unglück wollte es, daß er klug genug war, dieses armselige Zu Tode Hetzen als solches zu erkennen, und so legte er nach ein, zwei Jahren seine kritische Feder für immer fort und lebte; 253—256 weiter alle werden wollte, kauften sie, oder K.s Frau ein Haus, in dem sie möblierte Zimmer vermieteten, an Studenten und Musiker vermietete sie und erzog ihre prächtigen Kinder, und er sah zu; er kam; 258—260 ja alles zum Halse heraus! Da fing er an, seine Frau; 261 f. wär ich, lebte ich allein und könnte die Straßen fegen! Geh! sagte sie ihm, aber da; 262 Vaterliebe. Gut, aber am; 264 kam am zweiten wieder; 265—267 muffen und verheiratete und erzog ihre prächtigen Kinder. Dann kam; 268—271 einem müden Gelehrten Pariser Romane vorlas und Β 1 245 f. reich war; [Absatz] Oh, der Himmel braust vor meinem Fenster und wirft klagend abertausend Götterdämmerungen in den Raum. [Absatz] Aber diese; 267 geflogen und wurde freundlich verstehend von ihr aufgenommen, meine;
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270 Male wie besessen die Kissen v o n sich w i r f t — . Aber sie ist nicht immer so; wenn der Nebel draußen liegt u n d es still ist — es ist furchtbar still, so still wie nur einer stille sein kann, der vor dem Fenster steht u n d lauert! I n dieser Stille aber hängt der Nebel wie eine glühende Kugel u n d b r ü l l t — aus vollem Halse, tausendstimmig: mente captus! mente captus! hei is ver275 rückt! — Nachdem ich für eine Weile hinunter i n die Stille flatternd m i t A r m und Bein gestürzt war, habe ich über den T o d gedacht u n d überlegt, ob ich mich nicht bald töten müßte. Denn i n drei Tagen hebt mein neunundzwanzigstes Jahr an — dreißig Jahre! darum muß man an den Selbstmord 280 denken, ob es nicht bald Zeit w i r d . D e n n ich w i l l ganz H e r r über mich sein und meinen Faden abschneiden w a n n ich w i l l u n d nicht, w a n n es jenem Lehmkloß beliebt, der mich a u f w a r f wie das Wasser aus seiner morastigen Tiefe Blasen w i r f t . Aber ich w a r mehr bei meinen Freunden, bei den M e n schen, die mich kennen, — wie sie sich w o h l geben und was sie w o h l sagen 285 würden, wenn ich nicht mehr da wäre. Die Eitelkeit fliegt über den T o d , sie ist unsterblich u n d sieht aus wie ich, denn ich b i n der eitelste Mensch, einer der am bewußtesten schreibt und am affektiertesten seine Sätze baut, einer der immer sich selber zuhört und nicht müde werden mag, nach dem K l a n g seiner Worte die Ohren zu spitzen, einer der m i t jeder Silbe koket290 tiert, w e i l er nichts anderes hat, m i t dem er liebäugeln könnte, u n d der furchtsamste, denn die Stille, die Stille — wie ein Tiger, der gleich aufspringen w i l l , schaut sie der heulenden Nebelkugel zu — wenn er doch zuspringen wollte, wenn er doch mitheulen wollte, wenn er doch sich u m sich selber 295
kugelnd sich i n den Schwanz bisse: hei is verrückt! Eins, zwei, drei — — nun schlägt es z w ö l f ! U n d mein Zimmer sinkt, sinkt durch die Stockwerke, die Schottermassen — auf den Schotterflächen, den Kiesen, die die Schmelzwasser der Gletscher liegen ließen, hat sich der steinerne K r a k e hingelegt u n d läßt seinen zornigen A t e m brausen — u n d sinkt durch die Schottermassen und fällt wuchtend Β2 des Nachts ihre nackten Glieder dehnte und reckte und mit einem Male wie besessen die Kissen von sich warf —. Aber sie ist nicht immer so; zumal wenn es neblig ist und still; 272 f. lauert. In; 273—276 brüllt. [AbsatzJ Nachdem; 277 ich nun über; 278 f. hebt der elfte Mond dieses heiligen Jahres an — — darum muß; 280—283 Zeit wird. Aber ich war; 287—290 schreibt und der mit jedem Wort kokettiert; 292—299 wenn er doch mitheulen wollte und sich um sich selber Β 1 270 f. Aber es ist neblig heute und still und so hat sie wohl ihren Tag, an dem sie die Haare in Zöpfe flicht — es ist; 272—274 still ist wie nur einer stille sein kann, der vor dem Fenster lauert; und in dieser Stille hängt; 277 ich über; 278 töten sollte.; 279 man über den; 283 Ich habe ihn eine lange schwere Zeit erwogen. Aber; 286—291 Mensch, der der am bewußtesten schreibt und mit jedem Worte kokettiert — und der furchtsamste; 292—295 zu — wenn sie doch mitheulte und
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300 hinab i n das Gestein der Erde. Durch einen Schacht, durch den zehn Stürme auf u n d nieder brausen, wuchtet es hinab, bis es den M i t t e l p u n k t erreicht hat u n d still steht; u n d u m mich, hoch über m i r tief unter mir, dreht sich die W e l t — ruhelos. Ich sehe sie nie wieder, ich muß auf ewig hier begraben bleiben, denn wie käme der M i t t e l p u n k t zur Peripherie? Es müßte denn die 3 0 5 Kugel zerbrechen u n d das G o l d des Chaos niederfluten.
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Geradewegs aus dem H e r z des K r a k e n fiel i d i ja herab i n diese Tiefe. Woher k a m ich noch? V o n den Moosen und Bachtälern u n d den weißen Staubstraßenschlangen, v o n den Sonnenkohlenbecken an blauen Seilen über m i r fiel ich mitten durch das H e r z des K r a k e n hinab i n diese Tiefe. W a h r lieh, ein ungeheurer Schacht, durch den ich fiel! Aber ich kann noch das schlagende H e r z sehn, u m das sich der Nebel legt wie eine dünne glühende H a u t — die brüllende Stadt! Aber ich schiebe einen Deckel davor, wie man i n ein Ofenrohr einen Deckel schiebt, und so b i n ich allein.
Der Stein liegt tief i m Schlaf, oben, unten, u n d auch die Stille schreit nicht mehr. Der Tabakrauch aber spielt zaghaft kapriziös über den feuchten schwarzen Strichen, die irgend ein Etwas mich malen heißt, bedachtsam und steif; es ist gewiß der Stein, der seine Träume endlos spinnt u n d mich sie ewig krummen Rückens malen heißt; v o n allen Seiten, oben, unten, durch alle Poren, Augen, Ohren dringen sie i n mich u n d führen meine müde 320 willenlose H a n d — ich b i n überhaupt Stein, ich b i n das Gehirn des Steins, und was die Leute oben W e l t und Leben nennen, das sind nur meine Träume, meine Träume, deren Leib der Stein der Erde ist — ich b i n gewiß der Sinn u n d sicherlich das H e r z der Welt. W i e simpel doch die Lösung ist, die einst unmöglich schien — : der T r a u m des Steins, u n d der Stein des Traums; das
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Β2 kugeln! [Absatz] Da schlug es zwölf; und mein Zimmer sinkt durch die Stockwerke und die Schottermassen, welche die Schmelzwasser der Gletscher liegen ließen und fällt; 301 brausen, fällt es, bis es; 303 Welt. Ruhelos; 305 Chaos wieder fluten.; 306 Kraken, der da oben tausendstimmig brüllt, fiel ich; 307—310 Von dem Moos und den weißen Staubstraßenschlangen fiel ich mitten durch das Herz des Kraken in diese Tiefe. Wahrlich ein ungeheurer Schacht, durch den ich fiel und oben über mir so groß wie ein Stecknadelkopf zu schauen, aber ich kann; 312 die hungrige brüllende Stadt. Aber; 313 und bin jetzt allein; 314 liegt im; oben und unten; 315 f. nicht mehr. Es ist so wundersam still und der Tabakrauch spielt in den kapriziösesten Formen über den feuchten schwarzen Strichen, die; 316—318 heißt, es ist der Stein, der seine Träume träumt und mich sie aufzeichnen heißt; 318 oben und unten; 319 Poren dringen; 320 Hand, ich; Steines; 321 Leute da oben; 322 f. Erde ist. — Wie simpel; 324 schien: Der; 325 f. ist die Acht. Nur wach Bl sich um sich selbst kugelte! [Absatz] Nun schlägt; 299 f. wuchtend herab in; 300 f. Stürme hin und wieder brausen; 301 f. erreicht und; 302 über mir dreht; 303 wieder und will auf ewig; 304 käme das Zentrum zur; 304 f. Es sei denn, daß die Kugel zerbräche und das Gold des Chaos im Räume flute.; 306 Gerade aus; 306— 309 Tiefe. Wahrlich; 307—310 oben groß; 311 eine rötlich glühende; 313 und nun
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Signum der W e l t ist die umgefallene 8 u n d die Unendlichkeit. N u n muß ich wach bleiben, damit der Stein schlafen und träumen kann, denn das Gehirn schläft nie, es m a l t ewig die 8 u n d schläft nicht. Bleibe wach, mein H e r z , bis der Stein erwacht u n d sich zu regen beginnt u n d seine Träume zu W i r k lichkeiten werden u n d er nicht mehr nur die 8 träumt. Lange schlief er 330 schon u n d es ist ein heiliges Jahr — wer weiß, er erwacht! D a n n w i r d er seine Glieder recken u n d die W e l t w i r d sich öffnen, wie man eine Feige öffnet — oh bleibe wach, mein H e r z ! Wie sie morgen dein Zimmer suchen werden, deine W i r t i n u n d i h r Journalist! Aber ein heller R a u m w i r d sein u n d ein lustiges Nichts, w o dein 335 zärtlich Klausnerstüblein w a r u n d du am Schreibtische deine langen Tage hocktest, Tabakwolken über Schlot u n d K i r c h t u r m blasend, müde, kapriziöse W o l k e n — wie liebe ich euch! Ach, v o m F l u r aus werden sie gleich mitten ins Leere treten u n d schwindelnd auf die Straße schauen, w o die Jungen Kreisel schlagen u n d w o die A l t e n m i t Fingern nach oben zeigen. Wie soll340 ten sie auch denken können, daß ich hier m i t t e n i n der Erde säße u n d meinen Beruf hier hätte!
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Der Druck — er dröhnt m i r i m O h r ! Aber wie könnte er dazu kommen, mich eines Tages zu zerdrücken, wie man eine Mücke zerquetscht oder ein Rosenblatt zerreibt, wie sollte er w o h l ! W o er nur T r a u m ist u n d auch die tausendtausend Tonnen Steins nur T r a u m sind u n d w o der T a g kommen w i r d , an dem die W e l t sich auf t u t wie man eine Feige öffnet! D a r f ich denn daran denken, daß ich eingekerkert und hier mitten i n der Erde gefangen b i n u n d daß so viele Erden wie Menschen sind u n d i n jeder dieser Steinzellen sitzt ein einzel-einsamer Mensch u n d spinnt am w u r m B2 ~ muß ich bleiben; 327 die acht; 329 f. träumt. Er hat lange geschlafen und dies ist sein heiliges Jahr, wer weiß, ob er erwacht; 331 f. Welt öffnen, wie man eine Feige öffnet, einen Riß wird er tun und einen Jubelruf — oh bleibe; 333 morgen dich und dein; 334—341 Raum und ein lustiges Nichts wird sein, wo deine Wohnung war und du deine langen Tage am Schreibtische hocktest und Tabakwolken über Schlote und Kirchtürme bliesest. Ach! vom Flur aus werden sie mitten auf die Straße treten, wo die Jungen Kreisel schlagen und die Alten mit Fingern nach oben zeigen. Wie könnten sie auch wohl denken, daß ich hier im Mittelpunkt der Erde säße und meinen Beruf hier hätte; 342 Aber der Druck — er saust und klingt mir im Ohr! Doch wie sollte er; 343 zerdrücken wie; 345 tausend Tonnen Gesteins; 347 Oh, darf; ich hier eingekerkert; 347 f. und im Mittelpunkt der Erde; 349—351 dieser winzig ungeheuren Steinzellen ein einzelner Mensch sitzt und an BÏ bin; 315—325 mehr. Das Signum; 329—332 träumt — oh bleibe; 333 dich suchen und das Zimmer vermissen, deine; 334 Raum, ein lustiges Nichts wird dort sein; 335 am Tische; 336 f. bliesest. Jetzt werden sie vom Flur aus; 342 Aber der Druck, der ungeheure Druck! Er; 342—344 Aber wie sollte er wohl mich eines Tages zerdrücken wie man eine Mücke zerquetscht und ein Rosenblatt zu rotem Saft zerreibt, wie sollte er wohl! Wo er; 345 zehntausenden Zentner Gesteins; 345 f. Tag kommt; 347 Oh, wenn ich daran denke, daß; 353 f. oh! Die Träume des
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stichigen Rocken seine flächsernen Tage. Aber brüllte ich auch auf wie ein Stier, es hörte mich keiner, es hört uns keiner. Glaubt nur nicht, daß ich t o l l bin, w ä h n t ja nicht, daß ich lebendig begraben bin, oh! Traumaufzeichner ist mein T i t e l und die Träume des Steins hören zu können, ist mein Beruf; ich träume sie u n d ich träume mich selber 355 zunichte. Ich habe nichts anderes, w o m i t ich mich zunichte richten könnte, w o ich mich doch einmal zunichte richten muß! — N u n ist es oben Herbst geworden u n d über die weißen Staubstraßenschlangen bläst ein harter W i n d ; über das H a a r eines Eichenbusches k o m m t er klirrend gesprungen u n d f ä l l t klagend und blätterraschelnd über den 360 H ü g e l hinab, auf dessen Stoppeln u n d frostgebrochenem Gras ich stehe. D i e Sonne aber ist hinter graue Teppichwolken gegangen u n d zwei Herbstzeitlosen lassen i n einer kleinen Senke die Köpfe hangen, während die dritte lang am Boden liegt eine arme Leiche. Wie ist die W e l t wüst, sie rauft sich klagend i h r H a a r , doch es w i r d nimmer anders; an den Drähten pfeift der 365 Sturm und i n öden W a l d taumelt die Nacht und hängt sich schlotternd u m die schwarzen Zweige. Wie oft ging ich schwer und bang durch diesen W a l d , aber es gibt keine andere W e l t , oh! es gibt keine andere W e l t u n d diese w i r d w o h l k a u m sich auftun wie man eine goldene Feige öffnet. Sieh, auf dem anderen H ü g e l liegt der W a l d , wenn ich v o n diesem i n das T a l steige 370 u n d dann gen Westen wieder hügelan gehe. Dieser arme W a l d , wie er friert u n d zitternd seine kalten Zweige aneinander reibt! N u n steigt der Nebel hoch, nun schleicht er tückisch heimlich durch i h n eine tödliche Patrouillenschar und frißt sein letztes Laub. D a r a n denkt sie, an den Nebel, durch den die letzten Blätter taumeln, u n d schmiegt sich i n die Kissen und macht kluge 375 Augen — aber er k o m m t nie wieder, mitten i n der Erde sitzt er u n d spinnt seine farblosen Tage. Β2 einem wurmstichigen Rocken seine flächsernen farblosen Tage spinnt. Aber wenn ich auch aufbrüllte wie ein Stier, es hörte mich keiner, es hört sie keiner.; 352 bin, daß; 353 f. Steins zu hören mein Beruf; 356 muß!; 357 f. geworden und es bläst ein harter Wind, über das dürre Haar; 358 er stöhnend gesprungen; 361 Sonne ist; 362 f. hangen, die dritte aber liegt lang am Boden eine; 364 klagend die Haare aus, aber; 371—374 reibt! Dann kommt der Nebel hoch. Der Nebel, durch den die letzten Blätter taumeln. Daran denkt sie und schmiegt; 375 f. aber er kommt nicht mehr, er sitzt unten in der Erde und spinnt seine farblosen Tage; 377 Ja, Β 1 Steins zu hören, Traumauf Zeichner; ich träume; 355 habe ja nichts, womit; 358 das braune Haar; 359 und blätterrauschend über; 361 hinter die grauen Wolken; 362 lassen neben einem kalten Rotdorn in der kleinen; 363 lang auf dem Boden wie eine; 365 Sturm seine Klagelieder und; 367 andere Welt und diese; 368 f. öffnet; auf dem; 369 liegt er,; 369 f. steige, das ein Moor und im Moor braunes Röhricht trägt, und dann; 370 f. friert und seine; 371—373 Dann steigt der Nebel hoch und durchzieht ihn und hüllt ihn ein in seine kalte Weiße, der Nebel, durch den; 376
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V o r drei, vier Jahren fing es an, m i t G o l d u n d purpurnen Schönheiten und ihrem immanenten Zynismus, durch den sie nur noch trauriger u n d schöner werden, m i t G o l d u n d Schönheit u n d traurigem Zynismus, m i t denen alles Verfluchte sich einschmeichelt, fing es an: Lange Wochen hatte oben an der Küste die H i t z e gelegen, die L u f t w a r rein gewesen und das Barometer stand h o d i und die Winde, die auf der See hinein i n die Luftaufwirbelung wehten, kamen vorwiegend aus Osten u n d waren frisch und bewegt; Tag für Tag w a r die Sonne als rote Feuerkugel i n das Meer gesunken u n d v o n keiner glummenden Nebelbank hinabgetragen und keine kitschigen Waberlohe zu Grabe gebracht, rein u n d einsam fiel sie zu Tode u n d machte die Menschen seltsam sehnsüchtig u n d fiebernd erregt. Aber wenn sie sich schon anschickte, senkrecht durch den ehern hellen H i m m e l zu fallen, tauchte unter dem H o r i z o n t ein glatter Streifen auf, glänzend silbergrau; manche Tage w a r er erschienen, dieser glatte Silberstreifen, auf den man immer wieder m i t Fingern zeigte und v o n dem die Fischer erzählen mußten, er sei zu sehen, wenn nach langen Ostwinden die H i t z e auf dem Meere liege. Der H o r i z o n t selber aber oberhalb dieses Streifens w a r durch i h n hinausgetragen u n d aufgehöht u n d w a r wie eine dünne dunkle Wellenlinie: A u f diesem Streifen waren allabendlich die vorüberfahrenden Schiffe m i t ihren Spiegelbildern zu sehen, m i t ihren Spiegelbildern, die dunkelgrau w i e gesättigte Lichtbilder kopfüber über ihnen schwebten; sie hingen aber nicht hoch i n der L u f t wie sonst die Spiegelbilder am Meer und i n der Wüste u n d die Bildungen der Fata Morgana, sondern waren unterhalb der dünnen Β2 ich bin krank; vor drei; 380 an.; 383 f. Osten frisch; 384—387 Feuerkugel unmittelbar in das Meer gesunken, keine glummende Nebelbänke, keine kitschige Waberlohe hatte sie zu Grabe getragen, stolz und groß und einsam fiel sie herab und machte; 387 und seltsam fiebernd; 390 f. zu fallen, erschien geheimnisvoll hart unter dem Horizont ein glatter Streifen, glänzend vornehm silbergrau; 391— 393 Silberstreifen, von dem die Fischer ewig sagen mußten, er sei immer dann zu sehen; 395 aufgehöht und wie; 397 diesem vornehmen Streifen; 398—402 ihrem Spiegelbild zu sehen, dunkelgrau wie gesättigte Lichtbilder schwebten sie über ihm. Β 1 Tage, seine brennenden Träume!; 377—380 Schönheiten, mit denen alles Verfluchte sich einschmeichelt, fing es an.; 381 Aber lange Wochen; 382 f. See wehten; 383 f. Osten und waren frisch und bewegt und Tag; 385—389 das ruhig wellende Meer gesunken. Am Nachmittage aber, wenn sie sich schon anschickte; 389—391 den ewig hellen Himmel zu fallen, erschien über dem Horizont ein glatter Streifen, glänzend silbergrau; manche; 391 er schon erschienen; 395 Streifens schien durch; und war wie; 397 diesem silbergrauen Streifen; 398—402 dunkelgrau von Farbe schwebte es über ihnen; man sah es am besten vom Boot oder von dem niedrigen Strandpavillon aus, stieg man auf die Höhe der Dünen, so verschwanden sie, immer aber: 400 f. sonst wohl bei den Spiegelbildern oder der Fata; 405 einem einzigen
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dunklen u n d leise wogenden H o r i z o n t l i n i e . D a n n verschmolzen u n d kreuzten und verhaspelten sich zuweilen die Masten u n d Raen der Schiffe m i t denen ihres Gegenbildes, oder die Rauchsäulen der Dampfer vereinigten 405 sich zu einem wunderlichen Gebilde, ja es erschienen i n dem glatten Streifen überraschend u n d aufregend wie aus dem Nichts zuerst nur derart rätselhafte Rauchfiguren, graue W i m p e l u n d melancholische Kinderfähnchen, und erst später tauchten erlösend die zugehörigen Schiffe auf. U n d nochmals, alle diese Fahrzeuge schienen auf dem unteren Rande des glatten Silber410 streifens hinzugleiten, während ihre Spiegelbilder v o n der dünnen dunklen H o r i z o n t l i n i e über ihnen herabbaumelten und kopfüber weiter schwammen. U n d solche Spiegelungen sind, wie der dicke Bademeister immer wieder sagen mußte, häufig, wenn nach anhaltenden Ostwinden die H i t z e auf dem Meere liegt. 415
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A n dem Tage aber, der m i t weit durch die Jahre reichenden Beilen mich hierhin mitten i n die Erde geschlagen hat, w a r der H i m m e l wieder unbew ö l k t , fünf weiße Wolkenfäden u n d eine dumme Gänsefeder taumeln verloren über ihn, sonst ist er unbewölkt u n d so strahlend einsam, daß man weinen möchte, u n d w i r d nun, so rein ist seine Atmosphäre, über dem blauen Meer rosenrot. U n d die Sonne i n i h m ist feurig ernst u n d drohend groß und je tiefer sie f ä l l t u n d je ovaler sie w i r d , desto eindringlicher w i r d die dunkle W e l l e n l i n i e des H o r i z o n t s , u n d wie sie die leise w o gende endlich berührt hat, ist sie eine saffrangelbe Ellipse geworden. N u n sinkt sie schnell, jetzt nur noch ein schmales langgestrecktes Segment, dann verschwindet auch dieses u n d hinterläßt nichts denn eine l a n g e l e u c h B2 Wir ließen uns allzusamt hinausrudern oder umsäumten dichtgedrängt die niedrigen Veranden des Strandpavillons, denn von der Höhe der Dünen verschwanden sie; immer aber waren sie unterhalb der Dünen dunklen und leise wogenden Horizontlinie; sie hingen also nicht hoch in der Luft, wie man es sonst bei den Spiegelbildern am Meer oder in der Wüste bei der Fata Morgana sieht. Dann; 405 f. Streifen aufregend und überraschend unmotiviert wie; 407 graue Traumwimpern und; 411 Horizontlinie gespenstisch über; 412 f. der geplagte Bademeister immer wieder erzählen mußte; 414 dem blauen Meere; 415—418 An dem Tag aber, dessen langstielig unsichtbare Beile midi hierhin mitten in die Erde geschlagen haben, war der Himmel wie alle Tage vorher unbewölkt, fünf arme lichte Silberstreifen und eine dumme Gänsefeder taumelten verloren über ihn, sonst ist er eben unbewölkt; 420 Sonne aber in; 222 [keine Hervorhebung]; 423 eine vollkommene saffrangelbe Ellipse; 425 und es bleibt nichts als eine; 425 f. [keine Hervorhebung] — Bl wunderlichen; 405 f. Streifen zuerst nur; 407 graue Wimpern und; 408 tauchten die; 410 Spiegelbilder über ihnen von; 411 Horizontlinie herabbaumelten; 412 f. der Bademeister erzählte, häufig; 415 Tag aber, den ich meine und dessen lange unsichtbare Beile; 417 f. Silberstreifen und Gänsefedern flattern verloren; 418 f. und strahlend einsam bis zum weinen, und; 420 f. rosenrot. Die glutrote Sonne aber in ihm ist drohend groß. Und; 422 die immer leise; 423 saffranrote; 426
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t e n d g o l d n e L i n i e — das sind die noch erleuchteten Wogen des fernen Meeres. Noch ist der Silberstreifen glatt u n d vornehm silbergrau, wie er w a r , da die vorüberfahrenden Schiffe m i t ihren luftigen Konterfeien Raen u n d 430 Rauchwolken verhedderten, oder da die Sonne noch wie ein zusammengepreßter B a l l leuchtend süßer Saffranfransen über i h m hing; auch das Meer v o r i h m w o g t unbekümmert fort, tiefblau u n d traurig. D a steigt an seinem unteren Rande eine zweite Sonne hoch, es ist, als ginge die müde wieder auf: ein rötlich gelbes ängstliches Segment, ein strah435 lender Halbkreis, eine goldene — aufbrechende Scheibe, aus der m i t einem Male züngelnde Flammen gegen die l e u c h t e n d g o l d n e L i n i e des Horizontes schlagen. I n immer strahlenderem Glänze greifen u n d lecken sie hoch, ein melancholischer Teufel heizt w ü t e n d ihren Kessel, daß sie sich schnell m i t der g o l d n e n L i n i e zu einem feuerroten — Pilz vereinigen, 440 einem Steinpilz m i t zusehends sich verdickendem Stiel. I n den pustet der abstruse Sonnenpilzheizer bitter schmerzlichen Gesichts, bis es eine Terrine w i r d , eine feurigrote Punschterrine, eine saffrangelbe Teebüchse m i t g o l d e n e m Deckel, an den er — plötzlich mißbilligend schief gezogen Munds zwei Lotschnüre hängt. N u n preßt er seine saffrangelbe Büchse 445 m i t beiden Händen, bis sie ein wundergoldenes Viereck w i r d , eine rechteckige Sonne aus purem Golde i n einem silbergrauen Streifen zwischen matt rötlich gelbem H i m m e l und tiefblauem Meer.
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Nachdem der Sonnenmodler dieses Viereck sechzig schwere Sekunden hat leuchten lassen, k n ü p f t er seine Schnüre zusammen u n d w i n d e t sie geschäftig u m seinen Riesengoldwürfel; ächzend zieht er sie zusammen, schweigend buchten die Schmalseiten sich ein u n d formen zitternd u n d dann i n gelassener Herrlichkeit aus dem W ü r f e l einen Becher, einen Sonnenbecher, Β2 es sind; 428 Noch ist an dem Silberstreifen nichts geschehen, er ist; er es war; 429 f. ihren grauen Spiegelbildern Raen und Rauchwolken ironisch verhedderten; 431 Saffranfasern über; hing, auch; 434 gelbes noch ängstlich-unsicheres Segment; 435 Halbkreis, aus dem mit; 437 Glänze züngeln und schlagen sie; 438—440 Kessel und nun vereinigen sie sich schnell mit der goldenen Linie zu einem feurigen — Pilz mit; 440 f. Stiel, in den er mit bitter schmerzlichem Gesicht hineinpustet, bis; 443—445 den er — warum denn nur? — plötzlich mißbilligend zwei Lotschnüre hängt und — schüttelt den Kopf und preßt seine saffrangelbe Teebüchse, bis; 447—449 Meer. /Absatz] Sieh, bittre Tränen vergießt der Tölpel und knüpft seine; 449—454 sie um seinen schönen Riesengoldwürfel und zieht sie stöhnend und ΒΪ sind wohl die; 428 glatt und silbergrau; 429 Schiffe in ihm mit; 430 Rauchwolken verhedderten; 431 leuchtender Saffranfasern; 433 Aber jetzt steigt; 434 f. gelbes Segment, ein glänzender Halbkreis; 440 f. Stiel. [Absatz] Und diesen Sonnenpilz nimmt er und pustet mit bitterem Gesicht in seinen dicken Stiel, bis es; 442 saffranrote; 443 Deckel. Dann hängt er zwei Lotschnüre an den Deckel und — schüttelt; 445 wunderrotes; 447—449 Aber mit einem Male vergießt er bittere Tränen und knüpft; 449—454 windet sie etwas unterhalb der Mitte um seinen traurigen Riesen16 Literaturwissenschaftliches Jahrbuch, 8. Bd.
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dessen g o l d d u n k l e r H a u t e Sauterner i n der H o r i z o n t l i n i e wallend überschäumt 455 Aber der Becher zerbricht u n d zerfließt wie ein schöner Rausch; der Stiel zwischen Fuß u n d Schale w i r d dünn und schmal, ein dünner Stiel, der rasch zerreißt, so daß nun bald nur ein Rieseng ο 1 dtropfen v o n der wallend glänzenden L i n i e des Horizontes gegen ein immer schmaler werdendes Segment aus purem Golde hängt, das sich v o n dem unteren Rande des 460 silbergrauen Streifens i h m entgegen hebt. Immer vollkommener w i r d der Strom des Silberstreifens, Segment u n d Tropfen spült er fort, auch die wogend g o l d e n e L i n i e des Horizonts ist m i t einem Male verschwunden — lachend springt der Teufel ins Meer. I m Osten ist eine rosige Gegendämmerung verbrannt, der Silberstreifen 465 zerfließt und das Meer w i r d schiefergrau u n d wüst. — Gott, kommen Sie! Die Sonne k a n n auch m a l ausschauen wie eine Suppenterrine oder eine Berliner Weiße m i t Schuß. Darüber exaltieren Sie sich! N i c h t wahr, es ist ein optisches Phänomen, Strahlenbrechung, verschiedene E r w ä r m u n g u n d verschiedener Wassergehalt der L u f t , etcetera — soll ich 470 Ihnen sagen, was es ist? Kitsch ist es, Kitsch, Kitsch, Kitsch! Aber nachher, wenn es dunkel w i r d u n d schief ergrau und wüst, wüst, oh! wie wüst — ach! kommen Sie, Sie fade Punschterrine. A n diesem Abend gefiel sie m i r und am nächsten infizierte sie mich m i t Syphilis. 475
Das w a r am 23. J u l i gewesen; am 24., i n der Nacht, i n der sie mich zwischen ihre sehnigen Schenkel nahm, gewitterte es u n d dann fiel über Strand und See ein ungewöhnlich dicker Nebel; i n diesem Nebel rannte am 26. J u l i Mittags zwischen z w ö l f u n d eins, drei Meilen v o m Strand die Β2 prustend zusammen, bis an den Schmalseiten redits und links eine Einbuchtung sich zeigt, die sich rasch vergrößert und aus dem Würfel einen Sonnenbecher formt, eine Bechersonne, deren golddunkler Sauterner in der Horizontlinie wallend überschäumt ; 455 Rausch, der; 457 daß nur; 459 Segment, audi aus purem Gold, hängt; 462 wogend glänzende goldene L i n i e des Horizontes — es sind wohl die noch erleuchteten Wogen des fernen Meeres — ist; 463 f. verschwunden. [Absatz] Im Osten; 464 rosige Dämmerung; 465 f. wüst. [Absatz] An diesem Abend lernte ich sie kennen und an diesem Abend gefiel sie mir, am nächsten infizierte sie mich. [Absatz] Gott,; 467 Schuß. Gott, darüber; 469 Luft etcetera — Soll ich; 471 und wüst, wüst, — ach!; 475 f.; am folgenden Tage in der Nacht gewitterte; 477 Bl goldwürfel und zieht; 455 f. Aber der Stiel zwischen dem Fußsegment und der oberen Halbkreis weinschale wird dünn und; 457 daß ein; 457 f. der wallenden goldglänzenden Linie; 459 sich aus dem; 461 Doch immer; 461 f. Silberstreifens, und plötzlich hat er Tropfen und Segment fortgespült, und auch; 464 Gegendämmerung; 465 zerfließt das; wüst und nur im Norden bleibt noch der leuchtend weiße Himmel der hellen Nächte.; 475 f. Tage gewitterte; 477 Nebel, und in diesem Nebel rannte; 479 Tage zuvor
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„ S t e t t i n " und die „ R e v a l " zusammen, dort w o die Tage vorher auf jenem 480 spiegelnden Silberstreifen die melancholischen Kinderfähnchen geflattert hatten. U n t e r den Ertrunkenen der Stettin w a r M a r i o n , v o n der ich, gleichzeitig m i t der Nachricht ihres Todes, diesen Brief erhielt:
M e i n Freund, ich nannte Sie eine fade Punschterrine u n d nenne Sie heute mein brennendes Herz. Sie kennen die Gartenblume, der man diesen N a m e n gibt; ein abscheuliches Karmoisinrot, dazu läßt sie diese ihre karmoisinroten Blütenköpfe melancholisch hängen u n d riecht ein wenig nach toten Fröschen oder Ähnlichem — denken Sie nicht an sie. Doch bitte, denken Sie an sie. D e n n diese melancholischen Blumenköpfe, oh liebster Freund, diese melancho490 lischen K ö p f e — ich habe Ihnen die Syphilis gegeben. Kennst du sie, Geliebter? Ich habe m i r sagen lassen, es ist so ein kleines Viech, so ein kleines Korkenzieherviech. Sei nicht böse, Liebster, — so ein kleines Viech! Sehen Sie, die Sonne ist auch zuweilen nur eine Punschterrine. 485
Wissen Sie noch — ach Liebster! Liebster! Aber mein Freund, nun schenken Sie m i r — nicht wahr, so sagen sie? — eine arme Stunde lang Gehör, eine Viertelstunde für diesen süßlichsten aller Briefe. Ich hatte die schönsten Ponys u n d die gewitzigsten Bonnen u n d als man mich v o n Genf nach Hause brachte, w a r ich die entzückendste Puppe geworden und wußte Alles, u n d begann dann bald m i t meinem eigenen Leib 500 auf diesem Gebiete zu experimentieren. Es hatte m i t Liebe nichts gemein, es w a r m i r nur u m das süße Prickeln zu tun, wenn ich die ergötzlich
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Β2 rannten; 478 Juli 1901 Mittags zwischen Zwölf und Eins drei; 478—481 Strand, dort wo die Tage vorher jener spiegelnde Silberstreifen geruht hatte, die „Stettin" und die „Reval" zusammen. Unter den Ertrunkenen der „Stettin" war Marga Maidom [Maidorn?], von der; 482 Brief bekam:; 485 Namen gegeben hat, ein; 486 f. ihre (nicht wahr?) karmoisinroten; 490—492 Geliebter? Es ist so ein kleines Korkenzieherviech; 492 Liebster — so; 493 f. Punschterrine. [Absatz] Ich habe ihnen ja vielleicht ein interessantes, lang [bang?] apartes Geschenk gemacht, denken Sie nur, Ihr Leben bekommt Klang! Wissen; 495 mir, nicht; sie? eine; 495— 497 Gehör. [Absatz] Ich; 497 und die klügsten Bonnen; 498 f. Puppe und wußte — alles,; 499 f. bald persönlich auf; 504 f. Gesichter! Und nun über; 509—511 KolB1 " jener; 481 f. ich, zugleich mit der Zeitungsnachricht ihres; 482—484 Brief erhielt. [Absatz] Ich nannte; 485 f. Herz; es gibt eine Gartenblume, brennendes Herz, ein abscheuliches; 487 f. hängen, denken Sie an sie. Doch bitte; 488 f. sie. Und diese; 490 Köpfe, ich; 491 f. (?) es ist eine kleine Korkenzieherspirochäte. Sei; 492 Viech, sehen; 493—498 ist ja auch zuweilen eine Punschterrine. [Absatz] Sehen Sie, ich hatte die stupidesten Bonnen, ich war ein Herrschaftskind und als man mich aus Genf nach M. zurückbrachte, war; 499 f. bald — was hatte ich sonst zu tun! — 1*
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echauffierten Gesichter meiner Kavaliere sah, die sie i n dem fraglichen Augenblick schnitten. Was für Gesichter! Was für viehische schwitzende stöhnende viehisch dumme Gesichter! Was für K a r t o f f e l n ! Was für groteske 505 Tomaten! U n d n u n so über diese Lust der Lüste, über diesen A b g r u n d aller Abgründe H e r r zu sein u n d immer mehr zu wissen u n d immer wieder das schon Gewußte bestätigt z u sehen: es ist eine schmutzige Geschichte; der I n s t i n k t hat sie überwältigt u n d die Sinnlichkeit w i r f t die heißen Tölpel über mich — was für eine Kolportagengeschichte! N i c h t wahr, die K o l 510 portagengeschichte, richtig gelesen, ist doch der C l o u u n d die Quintessenz aller Litteratur? Es ist so wunderbar traurig, mein Freund, eine Messalina zu sein nur u m des Lachens w i l l e n u n d des unglaublich süßen „Triumphes auf T r ü m m e r n " . D u wirst verstehen, Geliebter, es w a r eine entzückend süße Geschichte. Denn nichts kitzelt so sehr unsere Eitelkeit, als welche die 515 Wurzel aller Wurzeln unserer weiblichen Wohlgefühle ist, als eine zerbrochene Illusion u n d das süße Gefühl, Illusionen zerbrechen zu können; während der plumpe blinde Genuß — der blinde Genuß ist uns viel zu p l u m p und riecht uns zuviel nach Bauernmädchen u n d V o l k . D a r u m durfte ich meine Liebhaber nicht „lieben", ich hütete mich w o h l u n d wechselte die N a r r e n Tag u m Tag, denn hätte ich sie geliebt, blauäugig gänseweiß und m i t einem kleinen Geruch nach Butterbrot, so wäre ich v o n meiner süßen H ö h e hinab i n die blinde Brunst, oh G o t t ! i n den Schrei nach dem K i n d e getaumelt; ich liebe eben nur mich u n d meine helläugige Verachtung. U n d gerade, sieh Liebster, wie gut mein süßer Heiliger 525 es m i t m i r meint, als diese Lust ihre zarte H a n d verlieren u n d alt u n d schwerblütig werden wollte, wurde ich i n einer roten Nacht — du weißt. U n d nun träufelte die Grausamkeit ihren jungen Saft i n meine alternde Lust. M i t unergründlich süßen Augen gab ich ewig lächelnd Lust u n d Tod, ich w a r wie das Leben selbst, das i n alle Lust den K e i m des Todes legt, 530 der uns immer wie eine Strafe anmutet, wie die Bedingung, auf die h i n w i r das Glück genießen — oh! Liebster! hätte dieser unheilige Heilige ein hal-
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B2 portagengeschichte! Es ist; 514 kitzelt und kost so; 515 unserer Wohlgefühle; 516 Gefühl der Kraft, Illusionen; 518 f. nach Volk. Darum; 519 f. ich wechselte sie oft Tag; 521 gänseweiß, so wäre; 524 f. gut man es; 526 einer schweren Nacht— nun, du; 529 f. Keim der Vergänglichkeit legt, die uns; 531—537 genießen, in mir war i l selbst auf; 504—506 viehisch dumme Tiere. Und über die Lust der Lüste und den Abgrund aller Abgründe nun Herr; 506 f. wieder das alte bestätigt; 507—511 Geschichte. Es war wunderbar; 513, mein Geliebter,; 514 Geschichte und nichts; 514—517 Eitelkeit, welches unser einziges Wohlgefühl ist, während der plumpe; 518—520 Volk. Darum liebte ich auch meine Liebhaber nicht, ich wechselte; 520— 524 geliebt wie die blauäugigen Gänse so lieben, so hätte ich ja blinden Genuß geliebt, aber ich liebte eben nur meine helläugige Verachtung.; 524 f. gut der liebe Gott es; 526 einer trüben Nacht; 526—528 du verstehst. Mit; 529—540 selbst und
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bes Jahrhundert später gelebt, v o n m i r hätte er sein G i f t bekommen, auf mich hätte er sein entzückendes „ Ü b e r die Weiber" schreiben müssen! W i e ich i h n unter m i r gehabt hätte, wie er meinen Leib hätte küssen müssen, da u n d dort u n d überall — dieser grimmige Flucher u n d schwerblütige, dickblütige Askesenadorant!
D a verschwand das süße Prickeln gemach, zu dem mich die armen Echauffierten reizten, u n d an seine Stelle t r a t der nervenpeitschende Genuß einer w i l d e n Verachtung u n d eines zehrenden Mitleids, eine berauschende 540 Rache am Leben selbst — ein unerhörter, immer durstiger machender, zuckersüßer T r a n k . — M e i n Freund, ich w a r das Leben selbst, ich glaubte, das Leben selbst zu sein, vielleicht das, das erst das Leben schafft, das hinter i h m steckt u n d mitleidig verächtlich m i t seinem schlechtgeratenen Spielzeug spielt. U n d dann kamst du W i r s t du mich verstehen? D u hattest viel geliebt u n d w i r waren beide sehr erfahren. Aber während du dein hohnvolles Wissen über das Leben v o n außen her — wie man so sagt — oh Liebster, v o n oben her sammeltest, steckte ich mitten i n i h m u n d sog erst m i t seinen Lüsten und Giften die Erkenntnis seines grandiosen Nichts. U n d so k a m es, du Einziger, daß du 550 dich noch über die bunten Bilder der W e l t wie über ein gutgeratenes Kunstwerk freuen, ja vielleicht, daß du diese ganze W e l t als ein angenehm zu knackendes Rätsel für deinen — ο wei! ο w e i ! — starkkiefrigen Intellekt ansehen u n d dich an der K r a f t deiner Kinnbacken ergötzen konntest u n d an den siebenhundert Schalen, die den süßen K e r n beschützen u n d von 555 den die eine immer anders u n d überraschender duftet u n d raschelt und knistert u n d gestickt u n d gefärbt ist als die vorige, während ich nicht mehr aus m i r u n d aus dem Leben herauskonnte; ich vermochte nicht mehr — objektiv tax werden, wie Sie, mein weiser Freund und teurer Weiser. So w a r 545
Β2 Genuß und Buße, Sein und Nichtsein eins geworden, eine goldene Herrscherin. — [Absatz] Da verschwand; 538 reizten und; nervenzerpeitschende; 539 f. Mitleids, einer berauschenden Rache; 541 Trank. Mein; 543 f. seinem traurigen Spielzeug; 545 f. beide recht erfahren; 547 her, oh; 548 f. Giften und Lüsten die Erkenntnis seines grandiosen Nichts in mich ein.; 550 Welt unter dir wie; 552 Rätsel deines — ο wei!; 552—554 Intellekts ansahst und dich dabei an der Stärke deiner Kiefern ergötztest und an; 554 beschützten; 555 f. überraschender gefärbt war als; 558 B~1 würzte alle Freude mit bitterem Leid, in mir war Eros und Thanatos eins geworden, eine goldenen Herrscherin — aber der Prickel verschwand gemach und an seine Stelle trat eine wilde Verachtung vereint mit einem zehrenden Mitleid — ein unerhörter; 541 f. selbst, vielleicht war ich das, das erst das Leben macht; 543 und mitleidig, tiefsinnig verächtlich mit seinem traurigen Spielzeug; 547 außen, oh; 548—558 sog seine Gifte in mich. So konntest du dich noch wohl über die bunten Bilder der Welt unter dir freuen wie über ein gutgeratenes Kunstwerk, während ich nicht mehr aus mir herauskonnte, ich vermochte nicht mehr — objektiv zu werden. [Ende des Manuskripts];
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das erste, was ich Ihnen gegenüber empfand, N e i d u n d H a ß , ich w a r ein 560 Ressentimenttierchen par excellence gegenüber Ihrer aristokratischen Ironie u n d ironischen O b j e k t i v i t ä t und, wie es so geht, verliebte i d i mich i n Ihre Vollkommenheit, während ich sie Ihnen gleichzeitig neidete und Sie haßte, w e i l ich Sie beneidete und Sie tausendmal haßte, w e i l ich Sie liebte. D a r u m m u ß t e ich Dich herab i n meine Leiden u n d Gifte ziehen, du Weisheitsbold 565 und fade Punschterrine. U n d nun — sieh, Liebster! ich saß einmal i n einer kleinen Weinbudike, spät zwischen z w ö l f u n d eins, m i t irgend einem milchbärtigen Kavalier. Es w a r u m die Adventszeit und draußen lag der M o n d auf dem Schnee, i n einer Ecke aber klimperten zwei Jünglinge auf einer Guitarre alle ihre 570 Weihnachtslieder — mein Liebster! wenn man mitten i m Leben sitzt wie ich u n d nicht m i t ihm, wenn auch traurig genug, spielt wie du, muß man b l i n d sein u n d darf nicht sehen, daß seine Gifte Gifte sind; so habe i d i das Süßeste verpaßt und schließe m i t der Banalität: zu spät.
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,, . Marion. N u n ertrank sie, jämmerlich i n einem ungewöhnlich dicken Nebel, aber i h r G i f t blieb i n m i r leben, ich kurierte jahrelang an m i r , ihr G i f t blieb i n m i r leben — es w i r d mich fressen u n d dann den angenagten, angefaulten K l u m p e n Fleisches durchtränken m i t dem entsetzlichsten Wahn. Aber das ist nicht wahr, daß der E r d b a l l aus einer unelastischen Steinu n d Eisenkruste u n d einer kompakten K u g e l Magmas besteht, es ist n i d i t wahr, daß sich i m E r d b a l l alle nur denkbaren — alle nur denkbaren? — Aggregatzustände der Materie vorfinden, es ist nicht wahr, daß eine Zentralsphäre einatomiger Gase, daß ein massiver Stahlkern — w a r u m nicht Goldkern? — existiert; er ist ein massenmächtiger Stein, i n dessen innerster winzigster Zelle ich sitze u n d Träume spinne. G r a n i t ! Uber mir, unter m i r , allerorts G r a n i t ! Der schwitzt an den Fenstern, der Decke, den Wänden, dem Fußboden das Steinwasser i n dicken Tropfen aus und macht die L u f t Β2 werden, mein; 559—565 ein rechtes Ressentimenttierchen gegenüber Ihrer aristokratischen Ironie und, wie es so geht, verliebte idi midi in Sie, während ich sie Ihnen gleichzeitig neidete und Sie deswegen haßte. Idi mußte Dich herab in meine Gifte und Leiden ziehen, Sie fade Punschterrine.; 566 nun — ach, Liebster!; 567 spät gegen zwölf oder eins; 568 Mond traurig süß auf; 571 ihm — wenn auch traurig — spielt; 572 sind; — nun habe; 574—576 Marion [Absatz] Das war der Brief und idi weiß nicht, ob er wörtlich so gelautet hat, aber derart wird er gelautet haben. Sie war groß und blond und hatte eine prachtvolle Nase und einen immer nodi wilden Leib, und ihr Gift; 576—579 leben. [Absatz] Aber das; 583 f. Stahlkern warum nicht Goldkern? existiert; — sie ist; 585 f. mir, allerseits Granit; 587 b
574—576 ob er genau so gelautet; 575 Sie ertrank, doch ihr Gift; 579 Aber es ist; 579 f. unelastischen Kruste; 581 f. Erdball alle nur denkbaren Aggregatszustände; 584 existiert, die Erde ist; 585 winzigster Höhle und Zelle ich meine Träume; 586 Granit, bergwasserhaltiger Stein — an den Fenstern; 587—593
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schwül, schwüle L u f t , schwül, drückend schwül — der Schacht ist zu! Wie eine Faust sich schließt, Schloß sich der Stein und fauchend entflog die L u f t 590 langsam tückisch kriechend v o n den Bergen schwillt sie zu trockenem klingendem Sturm und bricht wie ein Räuber pfeilgerade als M i s t r a l i n das Meer. N u n w i r d sich der Stein weiter ineinander schließen, wie eine Faust grimmig sich schließt, er w i r d mich zerdrücken wie man ein Rosenblatt zer595 reibt; und meine arme Seele — gleich dem D u f t , der jenem roten Saft entsteigt, w i r d sie hoch und schwerelos durch die Poren des Steines dringen u n d ein Ich weiß nicht, was? flattern i n ein Ich weiß nicht, wohin?, eine Magelhansche Wolke, ein schimmernder Sternennebel en miniature — ein flimmernder Quark, ein okkulter Mist. 600 Aber ist ein unabhängiger Körper i m M i t t e l p u n k t hohl u n d hängen die Randteile seiner H ö h l u n g gleich weit v o n seinem unrealen M i t t e l p u n k t — ein R i n g u n d eine H o h l k u g e l darf aus sich nicht ineinander stürzen. D a r u m keine Angst, du N a r r , dein Zimmer w i r d schon bleiben, Tisch und Tintenfaß u n d graue Wand, und sein pfeiferauchender Klausner w i r d weiter Β2 Fußboden Steinwasser; 589 Faust Schloß; 589—591 Luft und brauste oben stauberfüllt als Chamsin über die Erde, als jubelnder Mistral, langsam tückisch kriecht sie von den Bergen herab und schwillt heftig plötzlich zu trockenem; 591 f. pfeilgerade in das wilde erregte Meer.; 593—595 schließen und mich zerdrücken wie das Rosenblatt, von dem ich oben schrieb. Kitschig genug, und meine Seele dürfte gleich; 596 entsteigt, hoch; 597—600 was? ins Universum flattern, eine Magelhansche Wolke, ein schimmernder Sternennebel en miniature. [AbsatzJ Dagegen ist aber anzunehmen, daß dir solches nicht geschieht, denn ist ein; 600 f. die inneren Randteile; 601 weit entfernt von; 602 f. stürzen. Dein; 604—608 sein rauchender
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Fußboden quillt es heraus unter dem gewaltigen Druck und die Luft ist heiß und dunstgesättigt, schwüle Luft, schwül, drückend schwül — Radium soll im Inneren sein, Magma und Stahl, die Toren, ich weiß es besser. Ewiges Dunkel und ich dein Geist — aber (wahnsinniges Pathos!!) Der Schacht ist versperrt! (Die Angst) Gleich einer Faust krallte der Stein sich zu und fauchend entflogen die Stürme und brausten oben als Chamsin über die Erde, über die Meere, die Berge! (Danach Pause, dann „Jawohl, ich bin k r a n k . . S y m p t o m e ! ) Furcht, er sieht die Erde nicht wieder, der Stein wird sich weiter zusammenpressen, das Zimmer mehr und mehr zusammendrücken und — schließlich ihn zerquetschen, und sich ganz zusammenschließen, während sein Geist (herausgepreßt!) endlich frei wird (hier wieder beruhigend!) durch die Poren des Gesteins hochsteigt, die Erde verläßt und frei in der Unendlichkeit des Weltraums taumelt Nein, das Zimmer ist, wie es war (Beschreibung!) still, ganz still und über mir nur höre ich leise die Stürme brausen und oben hängt sicher der glühende Nebelball, — kalt und trocken wogenpeitschender Mistral, langsam tückisch bricht er von den Bergen herab, schwillt heftig plötzlich zu tosendem klingendem Sturm und bricht wie ein Räuber pfeilgerade in das wilderregte Meer. Nun wird; 593 weiter zusammenpressen; 594 f. mich wie das Rosenblatt, von dem ich oben sprach, zusammenpressen und meine; 595 der dem roten; 597—600 ins Universum flattern. Es ist aber anzunehmen, daß das Zusammenpressen unterbleibt, denn ist ein; 600 f. und sind die inneren Randteile der Höhlung gleich weit von dem unrealen; 602 Hohlkugel kann aus; 604—614
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seine W o l k e n blasen, klausnerisch kapriziös, seine feinen Wolken, v o n denen die Leute oben sagen, die Polnadeln zuckten geheimnisvoll nervös, wenn die Nordlichter ihre orientbunten Teppiche flattern lassen, die W o l ken, v o n denen die Leute sagen, die Chamsine brausten heiß u n d staubgefüllt über den N i l u n d der M i s t r a l fiele wie ein Räuber singend über das träge Meer. Aber auch als Oleanderblüten und steile Mädchenbrüste werden sie ihnen vorkommen, auch abgründige Weisheiten, brunnentiefe Verse u n d steinschalige Rätselnüsse werden sie ihnen scheinen — den glücklichen Toren und ewig Blinden! H a r t , so w o l l t e ich, sollte der Stein sein u n d souverain? Einsam u n d rein? Es ist eine kleine warme Traurigkeit i n ihm, eine mikrokosmische feuchte Wehmut u n d ein weicher Traum, seine Seele ist ein ganz nicht reiner Sehnsuchtstropfen. Eine warme Traurigkeit? E i n glummendes Feuer, ein schlafender Funke, der auf die Stunde hofft, da er Fackel w i r d u n d Flamme — ich b i n ein schwälender Funke i m Stein u n d werde einmal Flamme, Flamme sein! Doch noch glummt er klein und schwälend bang u n d versteckt sich i n melancholische Ringe u n d graue Wolken, i n meilendicken steinigen Schalen w ä l z t er sich durch die Welt, i n Planetenhüllen r o l l t er u m die Sonne Jahr u m Jahr u n d er weint seiner eingekerkerten Verborgenheit und der langen Zeit bis dahin, w a n n er Flamme w i r d u n d heller W a h n : ich b i n gewiß k r a n k u n d warte nur darauf, ganz k r a n k zu sein. Glaubt nicht, daß ich ängstlich bin, w ä h n t ja nicht, daß ich ein Z i t t e r n m i t harten Zähnen zerbeiße, ich halte meinen Geist schon fest, ich zwinge i h n schon durch, auch wenn ich i m Nebel versunken bin, auch wenn ich i m Stein vergraben bin, auch wenn ich aus dem H e r z des K r a k e n herabfiel i n diese Tiefe, denn — i m Frühjahr, i m Frühling werde ich auf mein H a u p t Schnee und Sonne streuen. — B2 Klausner; der wird seine graziösen Wolken blasen, indessen oben Nordlichter brennen, von denen die Leute oben sagen, Nordlichter brennen und die Chamsine brausen; 609 f. Mistral bricht wie ein siegender Räuber in das mittagträge Meer.; 610 und Mädchenbrüste; 613 ewigen Blinden; 615 Traurigkeit, eine; 616 f. Traum und ein nicht ganz reiner Sehnsuchtstropfen ist seine Seele, aufzubrechen wie man eine Feige öffnet. Eine; 619 bin wohl ein; Funke und; 620 sein.; 621 klein und bang; 622—626 Wolken, und meilendicke steinige Schalen — gib acht, er weint wohl seiner Kleinheit und Verborgenheit und der langen Zeit, bis er Flamme und heller Wahn wird: ich bin wohl krank; 627—631 Aber glaubt nicht, daß ich ängstlich bin, ich halte meinen Geist fest und zwinge ihn durch, audi wenn ich in Nacht und
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brennen und Chamsine heiß und stauberfüllt über das glückliche Niltal brausen. Hart soll der Stein sein und souverain, einsam und rein?; 615 Traurigkeit, ein heimlicher [freundlicher [?] kindlicher [?]] Traum ist seine Seele, die darauf wartet, aufzubrechen; 619 ein glühender Funke; 621—633 Doch nun glummt er klein und bang und hüllt sich in graumelancholische Tabakringe und weint seiner Kleinheit und
Entstehung von Gustav Sacks Romanfragment 'Paralyse*
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Es ist der siebente T a g nach dem heiligen des vorigen Monds, an dem die Erde sich auftat u n d mich verschluckte. N u n werden sie sich oben, die Tiere 635 u n d glückhaften Narren, an das gähnende Nichts, i n das sie v o m Flur aus treten u n d durch das sie leise schwindelnd auf die Straße hinabsehen, haben gewöhnen müssen, wer weiß! sie haben einen Verschlag gebaut und haben für den größten T e i l des Tages alles vergessen. N u r die armen Male, wenn die Sorge müde w i r d u n d eine kleine Weile schlafen w i l l , werden sie bang 640 und betroffen v o r den Brettern stehen bleiben, meine W i r t i n u n d mein Mädchen, das zu i h r geflogen — n u n schläft sie W a n d an W a n d m i t dem Nichts; ob sie w o h l ihre nackten Glieder noch dehnt u n d reckt u n d m i t einem w i l d e n Male wie besessen die Kissen v o n sich w i r f t ? M i r ist, als träten zuweilen ihre Schatten i n mein Zimmer und sähen mich scheu und 645 traurig an — geht! geht! Ich schreibe an diesem Buch u n d muß weiterschreiben, hohe Berge weißer Bogen v o l l , ich werde anfangen müssen, kleiner zu schreiben, ganz klein D e r Journalist! D a ! D a ! m u f f t immer fort, m u r r t ewig h i n — horch! horch! durch den Stein, dicht nebenan durch den feuchten harten Stein, trippelt, trappelt, stapft er auf u n d ab, 650 der an seiner unzulänglichen Unfähigkeit, an seinem armen H a l b u n d halb Gescheiterte. Was stapft er hier u n d wandelt i m Kreise um? Taktmäßig, Ticketack Ticketack wie der Pendelschlag der Uhr? Jetzt unter m i r , jetzt über m i r — der H u n d ! O b er ein Astloch sucht? E r w i l l kolportieren, der ReporterB2 Stein vergraben bin, und im Frühjahr; 633 heiligen Tage des; 633—635 an dem sich der Schacht auftat, durch den mein Zimmer wuchtend hinabfiel in die Mitte der Erde hinabfiel. Nun werden sie sich dort oben an das; 637 f. haben alles für; 638 Tages vergessen; nur die; 640 bleiben, durch die ein naßkalter Wind weht und das Lärmen der Trambahnen heraufklingt und der Jungen, die unten ihre Kreisel schlagen, meine Wirtin; 642 wohl noch die nackten Glieder dehnt; 644 f. midi lang und traurig; 645 f. weiterschreiben, Berge; 647 f. klein —. Aber der Journalist, unser journalisierendes Säkulum stapft ewig narrend vorbei und mufft immer forsch. Horch! Horch! durch den Stein; 649 f. Stein, der an; 652 f. Taktmäßig, Eins Zwei, eins zwei, wie; 654 sucht, durch das er meine Träume belauscht und meine hohlen Augen und heiligen Leiden mit geilem Blick betastet — Er
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Kümmerlichkeit [ f ] bis wann er Flamme und flatternder [flammender/?/! Wahnsinn wird [Absatz] Ich bin gewiß wohl krank und warte nur darauf, ganz krank zu sein. Es ist heute der; 633—635 Monds, es ist der vierte November und ich weiß nicht mehr, wann sich der Schacht auftat, durch den mein Zimmer wuchtend hinabfiel in die schweigende Mitte der Erde; nun werden sie sich dort oben an das gähnende Nichts gewöhnt haben, in das sie; 636 traten; 636—638 schwindelnd hinab auf die Straße sahen, auf der die Jungen ihre Kreisel schlagen, wer weiß, sie haben einen Bretterverschlag gemacht und haben die Sache für; 638—641 nur ab und zu werden sie bang und betroffen vor ihm stehen bleiben, die Wirtin und das Mädchen, das zu ihr geflogen kam; nun; 642 Glieder unter den hohen Kissen dehnt; 643 einem mal; Kissen herabwirft?; 645—650 an — aber der Journalist stapft ewig murrend vorbei und mufft immer weiter, der an; 651—658 Gescheiterte.
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b u n d ! Aber ich werde i h m eine Falle legen, ich werde i h m eine Alltäglichkeit schreiben, eine Banalität, die er kapiert — die du bei deiner K u r z darmigkeit eilends reportieren wirst! Es ist der siebente Tag u n d ich habe folgendes an m i r konstatiert. O h ! springe auf dich und reite auf d i r ! O h Liebster, halte an dich! Es ist, als 660 seien an meiner Schädeldecke elf Bindfaden befestigt — halte sie fest, lüfte nicht für eine Sekunde die H a n d ! Denn wenn du losläßt ! Noch nicht, es ist noch nicht an der Zeit, der Funke ist noch nicht zur Flamme geworden, der Stein der Erde w a r d noch nicht brüchig genug u n d morsch, ich halte die zuckenden zitternden lüstern zerrenden Fäden noch fest — noch nicht! 665
Ich habe folgendes an m i r konstatiert. D i e Zeit, i n der mein Geist, verbohrt genug, noch Sturm lief gegen das Seiende u n d sich i m heroischen Pathos an i h m töricht zerschmetternd gefiel, die Zeit, i n der noch Schwung i n m i r w a r u n d ich m i r noch nicht allstündlich die Sporen i n die Flanken treiben mußte, jene Zeit, da ich i n den Schatten Gottes tobte u n d i n das 670 D i n g der Dinge dringen w o l l t e m i t Stanzen und zürnenden Apollos, jene Zeit, da ich m i t harten Flügelschlägen eben diese Schatten vertrieb u n d m i t grimmigem H o h n dann eben diese Flügel zerhieb, kehrte nach jener I n fektion noch einmal wieder u n d raste sich i n einem lodernden LiebesparoxB2 will; 655—658 legen, idi werden ihm eine Banalität schreiben, eine Alltäglichkeit, die er versteht. [Absatz] Es ist; 658 f. konstatiert. Hoppla! springe auf dich und reite auf dir! Mein zähes Ich reite auf dir, du hast dich arg vergaloppiert. Gemach, ich halte dich und zwinge dich schon durch. Ο Liebster; 660 zwanzig; fest, ziehe sie herunter, lüfte; 661 losläßt noch nicht; 663 brüchig und morsch und ich; 664 zitternden und lüstern; 665 f. Geist noch; 667 an ihm zerschmetternd; 668— 673 die eigenen Flanken treiben mußte, kehrte nach jener Infektion nodi einmal wieder und tobte sich endgültig in einem; 674 f. sie von mir ab und ließ midi für
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Es ist; 658 folgendes konstatiert; 659—665 [Von hier an ist der Text sehr unübersichtlich und enthält viele Umstellungszeichen, so daß die Wiedergabe ein ungefähres Bild geben kann] dir! Mein heilig zähes Idi auf dem wildgewordenen Geist, der hat sich arg vergaloppiert. Aber ich halte dich fest und zwinge dich schon durch. Ich habe f. folgendes] a. [n] m. [ir] k. [onstatiert] [Neueinsatz] Was stapft er hier und wendelt immer im Kreise herum? Taktmäßig, eins zwei, eins zwei wie der Pendelschlag der Uhr? Jetzt unter mir, jetzt über mir — der Hund! Ob er eine Spalte oder ein Astloch sucht, durch das er meine Träume belauscht und meine Hände und hohlen Augen mit geilem Blick betastet — er will kolportieren, der Reporterhund! Aber ich will ihm eine Falle legen, ich will ihm eine Banalität schreiben, eine Alltäglichkeit, die er versteht: Es ist der [Neueinsatz] Ο Gott, halte doch an dich, es ist, als seien an meiner inneren Schädeldecke 20 Bindfaden befestigt, die ich immerfort herunterziehen muß, damit mein Schädeldach nicht hochstürzt, mein Schädel? damit mir seine Schale nicht aufbricht und aus ihr der Wahnsinn in hellen Flammen bricht — noch nicht, es ist noch nicht an der Zeit. Der Funke ist noch nicht zur Flamme geworden der Stein der Erde ward noch nicht brüchig und morsch und ich halte die 20 Fäden noch fest und reite auf mir. Ich habe; 667 an ihm zerschmetterte; 668—672 ich mich
nur
Entstehung von Gustav Sacks Romanfragment 'Paralyse*
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ismus aus, dann fiel sie ab v o n m i r und ließ mich zurück für immer nackt u n d bloß. Aber i n meiner Blöße bewahrte ich das Bewußtsein u n d den Stolz, einmal fliegend Sturm geritten zu haben, u n d hütete k l a r meine wuchtig m i r eingetriebene Weisheit v o n der grandiosen Lächerlichkeit aller unserer Wahrheiten, es w a r hart i n meine Mneme gemeißelt: Des Daseins Proteusmaske scheint und klingt und mag dem Kind als Wirklichkeit genügen, es wird zu Lust und Tränen blind sich fügen je wie der Popanz ihm entgegen springt.
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Du möchtest ihn enthüllen — ach! es dringt kein Blick durch diese schillernd bunten Lügen zu dem, der mit geheimnisvollen Pflügen das Chaos in die Kokosmaske zwingt.
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Nenn ihn das Furchtbare und deine Welt sein Maskenkleid und bleibe dir bewußt, daß jede Maske käuflich ist für Geld — und diesen Glauben, hörst du Glauben, mußt als Sprungbrett du betrachten, das dich schnellt zu aller Deutung grenzenloser Lust.
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Aber das Sprungbrett schnellte nicht mehr u n d über diese „Weisheit" und ihren kleinen Stolz k a m ich nicht hinaus und — wurde m ü d und taub u n d blind. W o h l kannte ich meinen i n eine neue Zeit sehnsüchtig winkenden Raritätenwert u n d betonte i h n u m so mehr, je mehr ich fühlte, daß er mein Einziges u n d Letztes war, aber mein impetus verfaulte u n d ich wurde traurig steril. D a begann ich zu t r i n k e n u n d abermalen die WeiB2 immer bloß zurück. Aber; 675 f. Bewußtsein, einmal; 678 f. war in Stahl und Gold in meine Mneme gemeißelt: Die Welt ist ein siebentausendschaliges Rätsel und nur zu ertragen in der ästhetischen Freude an der buntscheckigkeit ihrer Schalen. [Absatz] Des Daseins; 693 mehr und es blieb nur bei der Konstatierung und über; 693 f. diese Weisheit und den berechtigten Stolz über ihren Besitz kam; 694—696 hinaus; alles was vor und kurz nach jenem Teufelssonnenuntergange in mir lebte und tobte und hämmerte und täglich neu mit Hämmern zu Gold geschlagen war, blieb fest und schwer auslöschbar in mir eingegraben; aber nach ein, zwei Jahren wurde ich müde und taub und blind; wohl kannte ich meine Einzigkeit und meinen in ihr begründeten Raritätenwert und betonte ihn um so mehr; 698 f. und die Weiber; 699 ihrer
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nicht anspornen brauchte, kehrte; 675 in dieser Blöße; 676 einmal Sturm; und bewahrte klar; 677 Weisheit der; 677 f. Lächerlichkeit unserer alltäglichen und philosophischen Erklärungen der Welt; es war; 693—698 Aber über diese Deutung kam ich nicht heraus, das was vor und kurz nach jenem Sonnenuntergänge in mir lebte und tobte und hämmerte und täglich neu mit Hämmern verarbeitet wurde, blieb fest und schwer auslöschbar in mir eingegraben; aber von nun an wurde ich müde; meinen Wert; und blieb traurig
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ber zu lieben u m ihrer Brüste u n d nackten Bäuche w i l l e n u n d modelte m i r eine feine Rauschtheorie: das Ungeheure ist nur zu ertragen i m Rausch und alle unsere Handlungen sind narcotica . Aber als diese narcotica auch anfingen, m i r zuwider zu werden u n d ich erkannte, daß die Flucht zu ihnen auch nur eben eine Flucht u n d Feigheit war, blieb m i r nichts als der resignierende Satz: einsam u n d rein! u n d das traurige Symbolum des Steins, hart u n d taub u n d k a l t wie er u n d ganz s t e r i l A u f meinem Schreibtisch, p l u m p u n d stumm u n d w u n d v o n Gletscherschliffen, aus der Heide brachte ich i h n heim, ein alter Heidenstein u n d dummer R e i m : So bist du mir das Symbolum der Welt in deiner eisigen Unnahbarkeit und deiner schweigenden Gleichgültigkeit; gefährlich nahe schon dem Nicht gesellt
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hast du dich auf den höchsten Stolz gestellt und hebst dich herrisch aus dem Strom der Zeit und über des Geschehns Formlosigkeit bleibst du der Einzige, der Form behält.
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Oh kalten Gleichmuts lautberedter Hohn, des Unbegreifbarn greifbare Erscheinung hast du gepreßt in einen Klumpen Ton und nur ein Ding, ein Nichts in unserer Meinung verharrst du stumm auf deinem kühlen Thron als dieser Welt sarkastischste Verneinung.
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U n d meine Sprache w a r d glatt u n d kokett u n d anstatt Handwerkszeug und Meißel zu sein, w a r d sie autokratisch u n d tat nichts als nur m i t Worten spielen, m i t W o r t e n spielen nur des Spielens u n d müden Spielens u n d des 725 koketten Klingens wegen. Ich b i n gewiß so weit, wie ich wollte, hart und taub u n d k a l t u n d ganz steril, schimmernd i n toten Farben, klingend i n toten Klängen. U n d ich pflege eine müde böse L u f t der Selbstbeobachtung, eine Lust, die mich immer schneller meiner Auflösung zutreibt u n d die doch keine neue W e l t aus sich springen läßt. D e n n das agens ist nur die 730 Eitelkeit, grausam gegen mich sein u n d die letzten Funken meines n u n bald Β2 Leiber willen; 702 f. werden, blieb; 703 f. nichts weiteres übrig als die resignierende Formel: einsam; 705—708 steril. [Absatz] So; 722 und an Stelle Handwerkszeug; 724 spielen, nur des müden Spielens wegen; ich bin; 726 steril und schimmernd; 726 f. Farben. Und; 729 doch keinen neuen Wert aus; 729 f. ist hier die Eitelkeit, ein klein wenig grausam gegen mich sein zu können und; 731 Intellekts genießen;
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steril. [Absatz] Danach begann; 698 f. trinken und modelte; 700 das Leben ist; 701 f. narcotica anfingen; 703 f. Formel: Sei kalt und einsam und rein und; 705— 722 kalt wie der Stein und völlig steril wie er. Und meine; 725 wollte: hart; 726 toten bunten Farben; 730 f. meines erlöschenden; 738 f. aus — Pfeifenputzer ist;
Entstehung von Gustav Sacks Romanfragment 'Paralyse
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v ö l l i g erlöschenden Intellekts melancholisch spielend genießen zu können — ein ganz normaler Verlauf: voila „das langsame aber unaufhaltsame Schwinden des Intellekts". Sehen Sie, i d i b i n gewiß ein Mensch, an dem die N a t u r das Experiment einer langsamen Zerstörung der Psyche durch Reduktion 735 der Nervengewebe anstellt; ein faulender Leichnam, eine stinkende Leiche — aber ich reiße sie durch, du H u n d ! Horch! horch! er trappelt unruhiger u n d schneller, wie einer, der zu Stuhle muß! Husch! husch! Der D a r m ist kurz u n d die Reue ist lang — Lampenputzer ist mein Vater — husch! husch! — am Berliner Stadttheater 740 — tapp! tapp! — E i n kurzdarmiger Reporter — nun ist er oben, es ist mäuschenstill — klack klack klack! — er exkrementiert. Es ist totenstill u n d abertausend kleine Korkenzieher, immerfort, sie bohren i n m i r immerfort, i n meinem Blut, i n meinem Saft, i n meinem H i r n , ah! dieser rotgescheckte Blumenkohl! Wie schwer er ist, wie Stein; meine 745 Glieder — schwer wie Stein, m i r schwindelt. Meine Füße schmerzen u n d die schweigsamen Bohrer, immerfort, sie bohren i n m i r immerfort, sie schicken i h r G i f t stoßweis i n mein B l u t , sie machen meine K n o r p e l brüchig u n d meine Knochen morsch. Sie fressen an meinem M a r k . U n d mein H i r n , mein einst so wackeres Boot u n d zähes Wüstenreittier, schrumpft zusammen u n d 750 wiegt leicht wie ein dummes Daunenkissen, ein kleines wulstiges Tändeldiwanschlummerkissen, das hat eine hortensienrot gefleckte Decke, deren Zeichnung sieht aus wie die eines feinen Achats. U n d meine Wirbelsäule w i r d weich und wuchert wie krankes Kirschenholz, das G u m m i schwitzt. M e i n B l u t fließt träg, meine A d e r n verdicken sich, verschließen sich u n d 755 meinem hortensienroten H i r n b l u m e n k o h l wachsen tückische GranulationsgeB2 732 Verlauf: „das; 732—737 unaufhaltbare Schwinden des Intellekts". [Absatz] Horch!; 737 einer zu Stuhle; 738 kurz und die Beichte ist aus —; 739 f. husch! — Meine Mutter wäscht Manschetten — tapp!; 741 mäuschenstill — und er — exkrementiert; 745 Glieder sind schwer wie Stein, Stein im Stein, meine rechte Seite ist Stein, mir schwindelt und meine Füße schmerzen; 746 Bohrer, sie; 748 morsch und fressen Stunde um Stunde an meinem Mark und machen die Stränge meiner Pyramidenbahnen faulig und mein Hirn; 749 Wüstenreittier, es schrumpft; 750— 755 Tändeldiwanschlummerkissen mit hortensienrot gefleckter Decke, deren Zeichnung anmutet wie die eines geschliffenen Achats. Und meine Wirbelsäule wird weich und gummig und beginnt zu wuchern wie krankes gummischwitzendes Kirschenholz, mein Blut fließt träg und meine Adern verdicken und verschließen sich und in meinem; 755 f. Granulationsgeschwülste, die; 760 drücken sie sich in den b ' ~ 741—745 Seite ist schon Stein geworden, mir schwindelt. Sie bohren; 746—750 immerfort, von Scheibe zu Scheibe fortjagend rollen sie in meinem Blut und ihr Gift, das in wechselnder Stärke in den Kreislauf fließt, frißt Tag für Tag mein Mark und erweicht die Stränge der Pyramidenbahnen zu Brei und mein Hirn, mein wackeres Boot und zähes Wüstenschiff wird kleiner und wiegt; 750 f. wulstiges Diwanschlummerkissen; 752 Achats. Meine; 753 f. Kirschenholz. Meine Adern verwachsen und verschließen; 755 f. Hirnblumenkohl tauchen Granulationsgeschwülste
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schwüre, die degenerieren fettig und verkäsen und werden schwielig fibrös und erlangen eine harte Konsistenz: verkalkte Gummiknoten wie Taubeneier groß liegen i n meinem armen H i r n , gallertige Flächenmassen, grau, graurot, v o n schleimiger Weichheit, gleich Bleikugeln u n d fließendem H y drargium drücken sich i n den einst so köstlichen Teig u n d lassen meinen K o p f i n einem dumpfen Schmerze schwimmen; sie machen meine Augen starr u n d mein Gesicht gedunsen u n d bleich u n d lassen ruhelos über seine verwaschenen Züge ein Wetterleuchten huschen, das sieht aus wie bei einem, der römische Elegien liest. Ich taumele, meine Hände zittern u n d stoßen sinnlos ausfahrend i n die L u f t , meine Stimme bebt, meine Zunge l a l l t u n d der Schlaf k a m schon lange nicht mehr zu mir. Ich rieche Petroleum u n d tote Vögel, es saust m i r i m O h r u n d mein Zimmer dreht sich wie eine magische Laterne u m mich, immer u m mich — mein Zimmer? ich liege i n einem Stall unter brünstigen K ü h e n — f i ! wie das auf mich grün u n d gelb aus ihnen strullt i n einem zwirnsfadendünnen K a t a r a k t . M a n hat m i r meine linke Seite gestohlen u n d meine rechte w a r d Stein, meine Gedärme fraß man auf, i d i b i n innen hohl wie eine T r o m m e l u n d meine Lunge ist i n den A b o r t gefallen, man hat mich m i t einer Packnadel gestochen, da entwich die L u f t m i t Gestank u n d ich b i n zu einer grünen Tomate geworden, einer grünen Haselnuß, i n der sitzt ein W u r m — oh! alle H i m m e l ! ich b i n eine faulende Leiche i n einer G r u f t v o n Stein, eine Steinnuß, innen faul u n d stinkend, die man nach der Sonne w i r f t Es ist totenstill — springe auf dich, w i r reißen dich durch! Es ist ja nur dein Zimmer, das i n die Erde fiel, kein Spuk dringt durch den unendlichen Β2 köstlichen Seelenteig; 761 f. schwimmen und machen meine Augen brennend schmerzen im hellen Licht und; 762 bleich erscheinen und ruhelos über; 763 ein mürrisches Wetterleuchten zucken wie; 763 f. der die Elegien liest und um dessen Mund es von verhaltener Rührung vibriert; ich taumele; 765 in die Leere,; 765 f. bebt und der; 766 f. mir, ich rieche Petroleum und frisches Aas, es; 768—770 Laterne um mich — mein Zimmer? ich liege in einem Stall zwischen brünstigen Kühen — fi! wie es grün und gelb aus ihnen kollert in einem fadenförmigen Katarakt!; 771 gestohlen, meine rechte ist Stein, mein Gedärm fraß; 773 f. einer Stecknadel gestochen, da fiel ich zusammen und bin in eine kleine grüne Tomate zusammengeschrumpft; 780 b auf, die; 759 f. Hydrargium pressen sich ein und lassen; 761—764 und machen mein Gesicht gedunsen und bleich, ein mimisches Wetterleuchten darüber wie bei einem Menschen, der die römischen Elegien; 764—766 taumele, meine Stimme beginnt eigentümlich zu beben und der Sdilaf ; 766 f. mir, ich rieche Aas, es saust mir im Ohr, mein Zimmer; 768—772 mich, ich bin in einem Stall und liege im Kot der brünstigen Kühe und meine Lunge; 773—775 gefallen, mein Leib zu einem Stecknadelkopf zusammengeschrumpft, idi bin; 777 man in den Weltraum wirft; [Ende des Ms. 779 »in die«] ; c 2 [Beginn: 778 Es ist totenstill]; 780 Stein und; 783 das Erdenzimmer fliegt; 783f.
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Stein u n d es ist auch keine G r u f t , die Fäulnis birgt, es ist die Wände weiten sich, die Decke steigt, der Boden fällt, sie flüchten allzusamt wie ein B l i t z zurück, bis sie m i t einem Krach gegen die Oberfläche der Erde schlagen. U n d das — Zimmer fliegt u n d kreist u m die Sonne u n d fährt i n weiten Spiralen brausend durch die W e l t — . Ich fühle es nicht, ich empfinde n u r gedanklich die Wucht des Flugs, sonst hänge ich mitten inne i n dem ungeheuren Steinhöhlenwürfel, zappelnd wie eine Fliege i n den Spinnefäden der G r a v i t a t i o n — der Gravitation? Es braucht nur einen Ruck, um solch Gedankendings zu zerreißen! Die W e l t — ein P r o d u k t v o n Stoff u n d R a u m u n d Z e i t ; du kannst auch für das eine das andere setzen oder für alle das Wörtchen Energie: denn die Stoffe sind i n diesen Tagen zur Energie geworden; einstmals nannten w i r sie die Ursachen unserer Empfindungen, und die letzte Ursache ihrer Änderungen untereinander u n d ihrer veränderten Beziehungen zu unseren Sinnesorganen, aus welchen Beziehungen die Empfindungen wachsen, nannten w i r die K r a f t . U n d da w i r es nicht zu Ende sophisten können, wie die K r a f t — was ist die K r a f t ? w i r k l i c h die F u n k t i o n bewegter energetischer Raumzentren? — am Stoffe angreift, — vielmehr: wie die K r a f t die Funkt i o n des Stoffes ist, denn die Ursächlichkeit haben w i r eskamotiert — so ziehen w i r das, was w i r intensiver i n unseren Muskeln fühlen, die K r a f t , der schon objektiveren Tastempfindung v o r u n d setzen das angenommene Objekt dieser Empfindung, eben den Stoff, jenem subjektiv sehr „bekannten" u n d eindringlichen Gefühl gleich u n d konstatieren statuierend: Materie und K r a f t sind nicht zwei Dinge, sondern die Materie — die w i r bereits glücklich als Empfindungskomplex definiert hatten — besteht selbst aus Kraftzentren, deren konstante Widerstände sich uns als Stoff darstellen — Β2 Stein zu dir und; es ist — die; 782 einem Klack! gegen; 786 Steinhöhlenwürfel zappelnd; 787 Spinnefäden der Gravitation. — Aber es braucht nur einen [Ende des Ms. 788 »zerreißen«]; c2 in langen Spiralen brausend durch die Welt.; 786 Steinhöhle; 787 der Schwere. Aber; 789 Zeit; ich kann; 791 f. geworden; sie sind die Ursachen; 792—857 Ursache der Änderung der Außendinge ist die Kraft, für den Stoff bleibt nichts mehr übrig, und ähnlich geht es mit Raum und Zeit: es ist alles Energie. Und Energie ist die
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[Beginn: 789 Die Welt — ] ; 790 das eine Substantiv für das andere; 790—875 Energie schreiben und Energie ist die Fähigkeit, Arbeiten zu leisten; also das einzig
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790 Energie; denn; 791 f. geworden: sie waren die Ursachen; 794 f. wachsen ist die Kraft; und da wir es nicht heraussophisten; 797 f. angreift, so ziehen; 799 f. fühlen, der schon objektiveren Druckempfindung; 801 f. Empfindung jenem subjektiv sehr bekannten und eindringlichen Gefühle gleich und konstatieren: Materie; 803 f. wir andererseits glücklich; 805 sich als; 806—816 alles Energie. Und die Ener-
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es ist alles Energie. U n d ähnlich ist es u m Zeit u n d R a u m bestellt: die Zeit ist die Bedingung, bzw. die Folgeerscheinung der Energie — g e s c h i e h t nichts, so steht die Zeit still, und steht die Zeit still, so k a n n nichts geschehen — u n d da letzten Grundes nur Gleiches Gleiches bedingen u n d 810 Gleiches nur aus Gleichem fließen kann, u n d andererseits ist die Zeit die vierte Determinante des Raumes u n d da die drei anderen Determinanten des Raumes nur vollziehbar sind m i t H i l f e der Zeit, d. h. da ein Neben-, ein H i n t e r - u n d ein Übereinander nur vorstellbar ist mittels der Zeit, ich muß die Länge, Breite u n d H ö h e erst a b s c h r e i t e n , wenn ich 815 einen Maßstab für sie, einen Begriff, eine Vorstellung v o n ihnen haben w i l l , — — — es ist alles Energie. U n d die Energie ist die Fähigkeit, Arbeit zu leisten, u n d „ A r b e i t " ist u n d bleibt die auf einen Zweck gerichtete T ä t i g k e i t ; es ist also das einzig Wirkliche der W e l t eine Fähigkeit? Eine Möglichkeit? E i n etwas v o n unserem Willen, v o n unserer N o t d u r f t A b 820 hängiges? D i e W e l t ein u m L o h n arbeitender Proletarier? N u r ein Substant i v auf -keit, ein W o r t . W i r haben uns wieder selbst i n die Dinge i n t r o j i z i e r t ; u n d die Dinge sind hinwiederum eine I n t r o j e k t i o n unseres Ichs — eines Allgemeingefühls — i n die Inhalte unserer Wahrnehmungen. U n d das Ich —? E i n Gefühl? I m
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Fähigkeit, Arbeit zu leisten, also das einzig Wirkliche der Welt eine Fähigkeit, eine Möglichkeit? Ein Substantiv auf keit, ein Wort und die Massen der Körper ziehen einander an und die Energie doch sie sind auch Komplexe von Eigenschaften, von Farben und Tönen und Druckempfindungen; und zwar bilden diese die einzige psychologische Wirklichkeit und das einzig Positive unserer Welt; wir haben zwar diese einzigen Eigenschaften zu Adjektiven gemacht und ihre angenommenen Ursachen zur einzigen Wirklichkeit, zum Ding, zum Substantiv, von dem wir aber nichts weiter wissen als daß es ein Substantiv ist. [Absatz] Doch lassen wir die Körper stehen: ihre Massen ziehen einander an und es ist so ihre allgemeine Eigenschaft. Und da wir an eine unmittelbare Fernwirkung nicht mehr glauben mochten, legten wir den Äther zwischen sie. Er war zwar nur die obere strahlende Schicht der Luft, aber da das Wort so klingt, füllten wir leicht mit ihm das ganze Universum aus. Es muß etwas da sein, folglich ist etwas da und also existiert der Äther! Es ist doch ein ganz schönes Wort. Und mit diesem imponderablen durchdringbar Körperlosen und doch Körperlichen — denn so muß er sein, folglich ist er so — pflasterten wir eine Brücke zwischen Stern und Stern und legten ihn als Kitt und Mörtel zwischen die Atome. Und zwar so wirksam; c 1 Wirkliche der Welt eine Fähigkeit? Eine Möglichkeit? Ein Wort auf keit, ein Wort. [Absatz] Und die Massen der Körper ziehen sich an, und die Körper sind Molekularbewegungen von Energiezentren — doch wir haben die Körper ja zweimal gesetzt: als Komplex der Eigenschaften, Farben und Töne, aber wir wissen von den Substanzen nur das eine, daß sie Substantive sind etc. . . . ein Hauch. Dodi lassen wir die Körper. Ihre Massen ziehen einander an, es ist ihre allgemeine EigenC gie; 817 f. leisten; es ist; 818—820 Fähigkeit, eine Möglichkeit? Die Welt ein um Lohn arbeitender Plebeier?; 821 auf keit; 823 f. Ichs in die; 826 Ich —? Nun, vor-
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„ G e f ü h l " steckt bereits Subjekt u n d P r ä d i k a t : Ich fühle Mich. U n d dieses Ich? N u n , vorläufig ein W o r t , ein Substantiv; u n d wenn ein Substantiv die Subjektsfunktion übernimmt, so ist es damit ein K r a f t z e n t r u m geworden, u n d z w a r ein objektiv vorhandenes, als dessen Wirkungen die wahrgenommenen Vorgänge aufgefaßt werden. 830 U n d die Korrelate der K r a f t , die Kapazitäten für Energie, d. i. die Masse, diese Massen der K ö r p e r ziehen einander an; und da die K ö r p e r Molekularbewegungen v o n Enerigezentren sind u n d die Energie letzten Endes eine zweckzielende Tätigkeit, ein Substantiv auf - k e i t ist M i t W o r t e n läßt sich trefflich streiten! 835 Doch die Körper sind auch Komplexe v o n Empfindungen, v o n Licht- u n d Tastempfindungen, sie sind Kettenringe v o n A d j e k t i v e n u n d z w a r bilden diese das einzig Positive der W e l t ! W i r haben sie aber zu einer Nebensache gemacht und ihre angenommenen Ursachen i n u n d außer uns zur einzigen Wirklichkeit, zum D i n g , z u m Substantiv, u n d v o n dem weißt du eben nichts 840 weiter, als daß es ein D i n g w o r t ist u n d letzten Grundes du selber dieses D i n g w o r t bist. U n d du —? Doch seien w i r naiv u n d unschuldig wie die Straßenkehrer u n d regierenden Fürsten und lassen die K ö r p e r stofflich raumerfüllend sein, undurchdringlich, kraftbegabt u n d ponderabel: dann ziehen ihre Massen einander 845 an. U n d da w i r an eine unmittelbare Fernwirkung nicht mehr glauben mochten, an keine Distanzenergie und an keine appetentia, an keine propessio der Dinge zu ihrem proprium bonum, so legten w i r den Ä t h e r zwischen sie. Er w a r z w a r nur der Sohn der Finsternis u n d der Nacht u n d blieb auch als die obere strahlende Schicht der L u f t immer 850 noch etwas Göttliches, aber m i t der Weile füllten w i r m i t i h m geheimnisvoll
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schaft! Und da wir eine unmittelbare Fernwirkung nicht glauben, machen wir eben eine mittelbare: Der Äther, das war die obere strahlende sonnendurchgossene Schicht der Luft und da war es denn kein weiter Sprung, das ganze Universum mit Äther zu füllen, als man einen Wellen träger für das Licht brauchte; so ward mit ihm dem imponderabelen und durchdringbar körperlosen der Raum, er war fast gleichbedeutend mit Raum, gepflastert und eine Brücke zwischen den Sternen geschlagen und mit ihm ein Mörtel zwischen die Atome gelegt war, und zwar so wirksam, daß heute nicht die Atome warm, hell und elastisch sind, sondern alles der geduldsame Äther. Und dieser Äther, der imponderable Körperlose, durdidringbare wird nun wieder in Atome geteilt — Gott, man hat ja auch die Elektrizität in ein neues Phlogiston verwandelt — und diese Atome, die doch nur eine Verwechslung zwischen den gedachten kleinsten Teilen des Raumes und der letzten C läufig noch ein Wort; 826 f. wenn dieses einmal die; 830 f. d. i. die Massen der Körper; 832 f. letzten Grundes eine; 833—835 auf keit ist doch die Körper; 836 Tastempfindungen, eine Kette von; 837 Welt; wir; 840 es ein Substantiv ist; 840 f. dieses Substantiv bist; 842 f. naiv und lassen; 843 stofflich, raumerfüllt; 844 ponderabel, dann; 846 f. Distanzenergie und keine propessio; 849 f. Luft, immer 17 Literatur-wissenschaftliches Jahrbuch, 8. Bd.
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stofflich-unstofflich, ätherisch das Universum aus: es muß etwas da sein, folglich ist etwas da u n d also existiert der Äther. W a r u m auch nicht? — Aber er hat sein Dasein nur seinem schönen N a m e n u n d unserer N o t zu danken. U n d m i t diesem Imponderablen, Körperlosen u n d doch Körper855 liehen — denn so muß er sein, folglich ist er so — pflasterten w i r den R a u m u n d schlugen eine Brücke v o n Stern zu Stern u n d legten i h n als K i t t u n d M ö r t e l zwischen die Atome. U n d z w a r so w i r k s a m haben w i r die Brücke geschlagen u n d so dick den M ö r t e l gelegt, daß heute nicht mehr die „ A t o m e " w a r m u n d hell u n d elastisch sind, sondern das übernimmt alles 860 der geduldsame Ä t h e r ; i n den letzten Tagen ist er gar die einzig dauernde Substanz geworden, die z w a r Masse hat, ob auch Schwere, das ist unbestimmt. U n d diesen Ä t h e r — d. i. den Sohn der Finsternis und der Nacht oder die A l l e m zu Grunde liegende Substanz — zerlegen w i r i n Atome, wie w i r es schon m i t den ponderablen K ö r p e r n getan und, bei dieser Zer865 fällung des m i t Qualitäten erfüllten Raumes i n kleinste Teile, eine Verwechslung begangen hatten zwischen den gedachten kleinsten Teilen des Raumes und den letzten undenkbaren Teilen des Stoffes; — diese Ä t h e r atome rasen regellos u n d m i t derselben unnennbar hohen Geschwindigkeit durcheinander u n d treiben die Körper, die gegenseitig eine A r t Schirmwir870 kung ausüben — die Körper, deren letzte Bestandteile notabene v o n Ätheratomen umkreiste A t o m e sind, die hinwiederum dichtere Ätheratome darstellen — aufeinander u n d schaffen derart die G r a v i t a t i o n — : die Ätherstoßtheorie. 875
Der Ä t h e r ist aber auch ein K o n t i n u u m , i n dem die ponderablen Körper schwimmen u n d Pulsationen ausführen, deren Wirkungen sich als longic2 860—868 Äther. Und dieser Äther, der imponderable, durchdringbare, körperlos körperliche wird nun gleichfalls in Atome geteilt — Gott, wir haben ja auch die Elektrizität in ein neues körperliches Jonenphlogiston verwandelt! — Und diese Ätheratome — die wie die Körperatome doch nur eine Verwechslung zwischen den gedachten kleinsten Teilen des Raumes und der letzten undenkbaren Teile des Stoffes sind — rasen regellos; 869—874 aber gleichgroße Atome, ja vielleicht Ätheratome, aufeinander und schaffen derart die Gravitation — das c 1 undenkbaren Teile des Stoffes sind, rasen regellos mit der gleichen hohen Geschwindigkeit durcheinander und reiben die Körper, deren letzte Bestandteile gleich groß sind, ja vielleicht ein Ätheratom sind aneinander und schaffen die Gravitation. Oder der Äther soll ein Kontinuum sein, in dem die ponderablen Körper C noch ein Göttliches, und mit; 851 das ganze Universum; 855 mußte er sein, es geht so am einfachsten, folglich; 859 sondern dieses besorgt alles; 860 Äther und in; er gar die; 862—864 Und diesen Äther zerlegen wir, wie; 867 Stoffes; diese; 869 f. Körper, die aufeinander eine Art Schirmwirkung ausüben, deren letzte Bestandteile aber von; 871 f. die nun wieder dichtere Ätheratome sind, aufeinander; 872 f. —
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tudinale Ätherwellen fortpflanzen u n d dadurch die G r a v i t a t i o n erzeugen—: Pulsationstheorie.
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Oder — Druckdifferenzen i m Ä t h e r veranlassen Strömungen u n d durch diese die G r a v i t a t i o n ; u n d wenn die Druckdifferenzen sich ausgeglichen haben, die Blähungen verflogen sind u n d die Ä t h e r w i n d e nicht mehr wehen, stehen dann die Sterne still? D a n n gibt es noch eine H a n d v o l l elektromagnetischer — Wortzusammenkuppelungen und physikalisch-mythologischer Weisheiten. Elektromagnetische! Das Sinnenfremdeste ist i n diesen Tagen körperlich geworden, ein Ionenphlogiston! Die Elektronen sind nichts als die K n o t e n u n d W i r b e l des Äthers, die Atome sind nichts als die Komplexe der einander anziehenden Elektronen, u n d die K ö r p e r sind nichts als die Komplexe der Atome eine süße Kette, eine feine Schachtelwelt — oh heiliger Sohn des Erebos u n d der N y x ! Aber w a r u m soll die W e l t nicht ein allumfassendes Bewußtsein, ein Gedanke sein, der sich denkt u n d dessen L o g i k die Naturgesetze sind. c2 ist die Ätherstoßtheorie. [Absatz] Gleichzeitig ist der Äther ein; 880—890 haben, stehen die Sterne still — und dann gibt es noch ein halbes dutzend elektromagnetischer — Wortzusammenkoppelungen und physikalisch-mythologischer Weisheiten und süßer Märchen. [Absatz] Worte ziehen einander an und das Einander anziehen ist auch nur ein Wort — Anziehungskraft! Kraft! Die Körper sind Menschen mit Armen und Beinen und Haut und Haar und geben sich die Hände und ziehen einander kräftig an — anthropologische, mythologische Sprachgespenster! [Absatz] Aber die Welt kann ja auch ein allumfassendes; 891 f. und seine Logik sind unsere c 1 schwimmen und Pulsationen ausführen; 878—925 und diese die Gravitation — die Druckdifferenztheorie — und dann gibt es noch ein halbes Dutzend elektromagnetischer: Worte ziehen einander an, und das Aneinanderziehen ist auch nur ein Wort: Anziehungskraft = Kraft: eip anthropologistisch mythologisches Gespenst. Worte dreimal Worte. Aber — das Universum ist ein Gedanke und denkt in Worten — denkt? Ich denke, ja ich spreche, heißt nichts als ich habe in den lokalisierten Bewegungserinnerungen der Artikulation Merkmale für die Wiederkehr von Sinneseindrücken: Idi, das ist etwas, das Erinnerungen hat, habe Erinnerungen. Cogito — ich verknüpfe den Sinneseindruck des in diesem Augenblick gezogenen Federstriches mit der Erinnerung an frühere Federstriche [unleserlich, zwei Worte]: ich habe das Bewußtsein meiner Dauer. Meiner Dauer? Sein? Ich bin? Das Sein bleibt übrig, wenn ich von der Wirklichkeitswelt, dem sich bedingenden Knäuel der Eigenschaften Stück für Stück, alles was begriffen werden kann, nehme. Begriffen werden kann? Begreifen? Eine neue Sinnesempfindung auf alte gewohnte, nicht mehr fremde und mich schreckende zurückführen Worte, flatternde Empfindungen, Worte — die Sprache ist die Welt, die Welt ist die Sprache. Das Netz zerreißt aus den Spinnefäden reiße ich mich wie aus einem Riesenkokon und breite meine Flügel und schöpfe Luft und atme tief und fliege brausend hoch und kreise wie ein Geyer in meiner ungeheuren Höhle. [Ende des Ms.]; C die Ätherstoßtheorie; 876 f. — Pulsationstheorie; 880 haben, und die Ätherwinde; 883 f. Weisheiten. — Elektromagnetische; 885 sind die; 887 f. Atome — eine süße Kette, ein süßes Märchen — oh; 891 Logik unsere Naturgesetze sind. — 1*
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Denkt? Ich denke, d. h. ich spreche innerlich, heißt nichts, als ich habe i n dem T e i l der H i r n r i n d e , der die Sprechwerkzeuge innerviert, eine Erinnerung an die Bewegung dieser Sprechwerkzeuge, oder a n die Laute, m i t 895
denen ich u n w i l l k ü r l i c h eine Empfindung begleitete u n d sie als inneres oder äußeres K l a n g b i l d z u m zweiten Male i n m i r schuf; kurz, Ich — das ist ein Etwas, das Erinnerungen hat — , habe Erinnerungen. Cogito — das sagt n u r : etwas hat das Bewußtsein seiner Dauer. Seiner Dauer? Seines Seins?
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A u f das „Sein" k o m m t es hinaus? A u f das Sein, als das einzig Wirkliche? Aber u m dieses einzig Wirkliche zu finden, muß ich v o n allem Wirklichen abstrahieren; denn das Sein bleibt übrig, wenn i d i v o n der Wirklichkeitswelt, nämlich v o n dem sich gegenseitig bedingenden u n d tragenden N e t z der Eigenschaften, Stück für Stück alles nehme, was begriffen werden kann.
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Begriffen werden kann? Begreifen? Das heißt nicht einmal: ich erkenne die Identität zweier oder mehrerer Vorstellungen, sondern n u r : ich führe eine neue Empfindung, eine neue Vorstellung auf alte, gewohnte, nicht mehr m i r fremde, nicht mehr mich schreckende zurück. U n d alles i n allem: Worte, welche die Empfindungen noch einmal setzen wollen, flimmernde 910 Worte. — D i e W e l t , das ist einmal deine Sprache, u n d ein andermal dein Sinnenkreis; aber i n der Sprache setzest du die eine Seite der W e l t dreimal, einmal grundlegend indem du sie m i t deinen Sinnen empfindest, dann Ja zu deinen Empfindungen nickst u n d sie i n W o r t e n nachzubilden suchst u n d schließlich i n deine Nachbildung dich selber hineinprojizierst, m i t deinem 915 Ichgefühl, dem Subjekt, u n d deinem Muskelgefühl, dem P r ä d i k a t ; und die Welt, deren andere Seite du m i t deinen Sinnen erleben und genießen kannst, die erlebst du erst rein, wenn du w i e die K u h oder der weltentrückte Buddha wortlos sprachlos gedankenlos, reaktionslos, — mystisch schaust; als welches mystische Schauen dann nicht viel v o n einem erhabenen 920 Dösen zu unterscheiden ist. Aber die Reaktion u n d die Sprache ist deine W e l t ! U n d die Sprache c2 Naturgesetze — denkt?; 892—925 habe in der lokalisierten Bewegungserinnerung der Artikulation Merkmale für die Wiederkehr von Sinneseindrücken, oder Ich, das ist ein Etwas, das Erinnerungen hat, habe Erinnerungen! Cogito — d.i. Ich habe das Bewußtsein meiner Dauer. Meiner Dauer? Sein? Ich bin? Das Sein bleibt übrig, wenn ich von der Wirklichkeitswelt, nämlich von dem sich gegenseitig bedingenden Knäuel der Eigenschaften, Stück für Stück, alles was begriffen werden C denkt?; 892 heißt doch nichts; 893 Sprachwerkzeuge; 894 Sprachwerkzeuge und an; 896 Ich, — das; 897 hat, habe; 900 f. Wirkliche? Um; 907—909 neue Sinnesempfindung auf alte, gewohnte, nicht mehr fremde, nicht mehr mich schreckende, zurück. Worte; 910 Worte — die Welt; 910—912 dein — Sinnenkreis; aber schon sprichst und lügst du wieder, und setzest die andere Seite der Welt dreimal, indem du sie einmal empfindest, dann; 914 selber setzt, mit; 915—921 Prädikat; also die
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Das N e t z zerreißt, die Fäden der G r a v i t a t i o n schnellen zurück u n d rollen i n bangen Spiralen sich blitzschnell auf u n d ich hänge i m Freien, i d i breite meine Flügel, ich schöpfe L u f t u n d atme tief, i d i steige brausend hoch und kreise wie ein Geyer i n meiner H ö h l e . U n d es ist, als wäre i n ihr die Sonne untergegangen, wie sie droben jenseits der dünnen Schale untergeht u n d kurz nach ihrem Untergange ein kaltes Meergrün über den H i m m e l breitet. So meergrün u n d so sehnsüchtig zart wie die Sprache kleiner Märchen f ü l l t die Farbe meine Höhle, wie die Sprache kleiner Märchen meine Riesenhöhle. A u f leichten weichen Flügelschlägen schwimme ich, ein einsamer P u n k t , durch das ungeheure Märchen, durch die endlose sehnsüchtige Süßigkeit. Jetzt b i n ich nur noch ein W o r t , ein kleines zartes W o r t , das m i t einer verzuckerten Traurigkeit unsterblich durch die Jahrtausende fliegt, durch die Sprache der Menschen, durch ihre märchenschöne W e l t , durch alle ihre Geheimnisse u n d Rätsel, die doch garkeine Rätsel und Geheimnisse, die feine süße Klänge und spielende, ein ganz klein wenig verlogene Kaprizzios sind, singe u n d fliege ich; und ich b i n nur einer dieser Klänge, nur i h r lautester, nur der, zu dem sie alle immer auf u n d nieder klettern Ich! so heißt dieser K l a n g , Ich, das i n sich das Du? schließt, u n d welches D u ! zu sich selber sagt u n d i n dem D u immer sich selbst sieht — d u märchengrüne W e l t ! D u meine goldene Verachtung und über alle H i m m e l fliegender Stolz! E i n Tropfen B l u t fiel i n meine W e l t — der zerfließt u n d zerstiebt u n d w i r f t die A h n u n g v o n einem noch ungeborenen Pfirsichrot i n meine grüne Höhle, i n meine ungeheure Weite. Woher k a m der Tropfen? Fiel er leise langsam aus meinem Herzen, dessen R i ß noch nicht ganz vernarbt ist, jener kleine wehe Riß, der sich auftat, da ich erkannte, daß alles nur ein c2 kann, nehme. [Absatz] Begriffen werden kann? Begreifen? Das heißt doch nur: ich führe eine neue Sinnesempfindung auf eine alte gewohnte, nicht mehr fremde, nicht mehr mich schreckende, zurück. Worte, flatternde, sich gegenseitig haltende und tragende Empfindungen, Worte, flimmernde Worte — die Sprache ist deine Welt, die Welt deiner Sprache. [Absatz] Das Netz zerreißt und aus den Fäden spinne ich mich wie aus einem Kokon und breite meine Flügel und schöpfe Luft und atme tief und steige brausend hoch und kreise wie ein Geyer in meiner Höhle. ; 926 f. droben über der Erde untergeht; 935 Welt und alle; 936 f. spielende Kaprizzios; 937 singe und summe idi und ich bin; 938 Klänge, ihr lautester; 938 f. alle auf; 939—941 Klang, Ich, das in sich das Du schließt und in dem Du sich selber sieht — oh, diese märchengrüne Welt! [Ende des Ms.]; C ^ Sprache, nichts als die verlogene Sprache, und die Welt, deren eine Seite du erleben und genießen kannst, die genießest du, wenn du wie der entrückte Buddha und die satte Kuh wortlos sprachlos gedankenlos mystisch — döst. Aber die Sprache !; 922 Fäden schnellen; 923 f. Freien und breite meine Flügel und schöpfe; 924 tief und steige; 928 kaltes fernes Meergrün; 933 einer süßen Traurigkeit; 935 Welt und durch; 938 lautester und der; 939 Ich, so; Ich, das; 940 Du
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grünes Höhlensprachenmärchen ist? Aus meinem Herzen, das immer n o d i eine zarte dünne Sehnsucht weiter tragen möchte nach dem harten Stein, 950 dem kalten Schnee u n d wer weiß? nach der weißen H a u t einer runden Brust, einen törichten Kinderwunsch nach der wirklichen Wirklichkeit? E i n Tropfen B l u t fiel i n meine W e l t ! R o t , rot — der w o g t u n d wächst und schwillt, dick, rot, feuerrot, meine H ö h l e ist ein ungeheurer W i r b e l v o n Purpur u n d R o t , der reißt mich fort i n seiner Strudelflucht v o n Feuer u n d 955 Blut. Wie ein K o r k auf einem Strudel schneller u n d schneller kreist — ich fliege nicht, ich rudere nicht i n dem brausenden Blut, ich breite meine Geyerflügel u n d lasse mich wütend treiben. Aber jetzt rege ich meine Flügel, jetzt peitsche ich das brennende Blut, jetzt — muß ich schneller sein als der wütende Strudel, ein Strudel i m Strudel, eine Flucht i n der Flucht, denn — 960 hinter m i r hat der Strudel einen Schaum geworfen, der hat sich zu tausend gierigen Teufeln geballt — flieg! flieg!
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Wir sind die Welt: Not, Brot und Brunst! In deiner Hüllen Zauberkunst: in deiner Sinne Farbenglut, in deiner Sprachen Märchengut herrscht herrisch der Instinkte Wut! Versteck dich nicht — wir kennen dich: aus jedem Finger spricht Verrat, aus deiner erdenfernsten Tat, schreit laut dein notgepeitschtes Ich! Heb dich nicht hoch — wir fliegen mit: aus deines Fluges höchstem Glück fällst du uns rettungslos zurück: in Kot nach deinem Himmelsritt !*) *) Hier wird das Manuskript ganz unleserlich. Die Lettern sind in reißender Progression immer krauser, formloser, immer verworrener geworden, in immer stürmischer in die Zügel schießender Aufregung jagen sich die Worte, die Buchstaben werden riesengroß, kaum noch als geformte Worte erkennbare Letternreihen sind in wildem Chaos durcheinander gepeitscht, wahnsinnige Haken, auseinanderfahrende, sinnlos hinjagende Schlangen, Spiralen, Kleckse, Krücken, Äste — als hätte ein Wirbelsturm einen Wald gepackt und risse in orkanartiger Wucht das zersplissene Gewirr seiner Äste durch die Luft — die Tobsucht auf dem Papier. C schließt; Du zu; 949 tragen will nach; 950 Haut, ein dummer Kinderwunsch; 952 rot — das wogt; 953 f. feuerrot und kreist und reißt; 957 treiben; aber; 958 jetzt suche ich, jetzt muß; 962—974 Wir sind die Welt: Not Brot und Brunst! In deiner Hüllen bunter Kunst: in deiner Sinne Zauberflut in deiner Sprache Märchengut herrscht herrisch der Instinkte Wut! Versteck dich nicht — wir kennen dich, aus jedem Finger spricht Verrat,
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aber der Regen spülte seine silberglänzende Aschenkruste fort
und ließ i h n dastehen i n einem stumpfen Glanz, den W a l d , durch den das Feuer f u h r ; i n heulenden Flammen fuhr es durch i h n u n d n u n f ä l l t der Regen sickernd über i h n und es ist wie ein Grab, ist, wie wenn eine Sintflut v o n Pech über i h n gefallen wäre und hätte nur seine höchsten W i p f e l grü990 nen lassen, aber auch deren Blätter sind w e l k u n d werden über Nacht zu Boden fallen. Ich b i n ein ausgebrannter W a l d , eine Sintflut brach über meinen Geist, eine Sintflut radikalster Öde u n d tiefsten Vergessens, und ließ nur noch die höchsten Gipfel stehen, aber auch über die w i r d über 995
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Nacht die Woge schlagen . K e i n Laut, nichts Weißes, nichts Buntes, kein Vogel singt u n d kein W i n d weht, nur i n dünnen Bächen sucht sich der Regen i n den schwarzen Rindenrillen einen Weg; denn es regnet nicht eigentlich, es liegt nur ein großes nasses Tuch über dem W a l d u n d aus dem sickert die Feuchtigkeit an den Stämmen herab — —ich w i l l ihnen die Zunge ausstrecken! Es ist totenstill; zwischen den schwarzen Stämmen her sind meine Wände gekommen u n d haben mich schweigend eingeschlossen, stumm sitze ich wieder mitten i m G r u n d der Erde. Es ist totenstill es knistert! Es knackt — es bricht irgendwo u n d leuchtet — es w i r d Nacht und die Lampe erlischt — es poltert donnernd und irgendwo stürzen Bergemassen ein — es schlägt eine Flamme lohend hoch und verbrennt die W e l t welch weißer Glanz? Das
Hochgebirge
aus jeder allerkleinsten Tat schreit dein verhungernd brünstig Ich. Heb dich nicht hoch — wir fliegen mit, aus deines Wahnes höchstem Glück fällst du uns rettungslos zurück: in Kot nach deinem Himmelsritt; 975—982 An dieser Stelle wird das Manuskript ganz unleserlich; kraus, formlos in reißender Progression immer verworrener, die Lettern wachsen immer größer, riesengroß, kaum mehr als geformte Letterreihen sind im wilden Chaos durcheinandergepeitscht, ein tobsüchtiges Letternbacchanal die Tobsucht auf dem Papier. /Ende des Ms.];
D I E L I T E R A T U R ÜBER ELISABETH EINE
LANGGÄSSER:
BIBLIOGRAPHIE
V o n A n t h o n y W . Riley
Vorwort W o h l jedem, der sich m i t dem dichterischen W e r k Elisabeth Langgässers wissenschaftlich auseinandergesetzt hat, ist das Fehlen einer umfassenden Sekundärbibliographie schmerzlich zum Bewußtsein gekommen. Bisher w a r die Forschung auf Literaturverzeichnisse i n unveröffentlichten Dissertationen u n d anderen schwer zugänglichen Hochschulschriften angewiesen. Die zwei ausführlichsten Bibliographien, denen ich manches wertvolle Material verdanke, liegen nur i n maschinenschriftlicher Form v o r : das Verzeichnis i n der Dissertation v o n Johanna Behrendt u n d die D i p l o m - A r b e i t v o n EvaM a r i a Meßmann (Einträge N r . 8 u n d 184). Letztere A b h a n d l u n g hat das Verdienst, die erste u n d bisher einzige rein bibliographische Arbeit über Elisabeth Langgässer zu sein, ist heute aber für wissenschaftliche Zwecke nicht mehr ausreichend. I n der vorgelegten Bibliographie wurde der Versuch gemacht, alle wesentlichen Arbeiten über Elisabeth Langgässer zu erfassen; sie erhebt jedoch keinen Anspruch darauf, lückenlos zu sein. V o r allem mußte aus der sehr großen Z a h l v o n Zeitungsartikeln eine A u s w a h l getroffen werden. N i c h t berücksichtigt wurden A r t i k e l i n den gängigen Konversationslexika u n d Enzyklopädien. Literaturgeschichten wurden nur dann herangezogen, wenn sie besonders aufschlußreich erschienen. Das Manuskript wurde i m Dezember 1966 abgeschlossen. Der erste u n d umfassendste T e i l der Bibliographie enthält, alphabetisch nach Verfassern geordnet, Aufsätze u n d Monographien, sowie Verweise auf K a p i t e l oder Stellen i n Büchern, die auf das W e r k der Langgässer eingehen. D e r zweite T e i l f ü h r t pseudonym, anonym u n d unter Chiffre veröffentlichte Aufsätze auf. D e r dritte T e i l besteht aus einem Verzeichnis der Manuskripte v o n Rundfunkvorträgen, die i m P r i v a t - A r c h i v v o n D r . W i l h e l m H o f f m a n n , dem Gatten v o n Elisabeth Langgässer, vorliegen. D i e Einträge sind i n allen drei Teilen durchlaufend numeriert. Für etwaige Feh-
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Anthony W. Riley
1er bin ich allein verantwortlich; Ergänzungen und Berichtigungen nehme ich stets dankbar entgegen. A n dieser Stelle möchte ich meine Dankbarkeit H e r r n D r . H o f f m a n n gegenüber, der am 5. Februar 1967, nur wenige Wochen nach Fertigstellung der Bibliographie, verstarb, besonders z u m Ausdruck bringen. Ohne seine gütige Teilnahme, seine ständige Hilfsbereitschaft u n d seinen wertvollen R a t wäre die vorliegende A r b e i t schwerlich zustandegekommen. Seinem A n denken sei die Bibliographie gewidmet. D e m W e i l Institute for Studies i n Religion and the Humanities, Cincinnati/Ohio, das m i r i m Sommer 1965 ein Forschungsstipendium gewährte, gebührt ebenfalls mein aufrichtiger Dank. Schließlich sei noch darauf hingewiesen, daß ich i n Zusammenarbeit m i t Frau Barbara G r ü t t n e r - H o f f m a n n zur Zeit eine Primärbibliographie m i t Nachlaßbericht vorbereite, die demnächst i m Jahrbuch erscheinen w i r d . Queen's University, Kingston, Ontario, Kanada. Sigei: E L = Elisabeth Langgässer Aristo = EL-Sondernummer der Zeitschrift Aristo. Algemeen C u l t u r e d Maandblatt 24, Aflevering 3—4 (1956).
Teil I Monographien, Zeitschriften- und Zeitungsaufsätze, Dissertationen und andere Hochschulschriften 1. Andersch, Alfred, L'ineffable Sceau d ' E L , Documents 4 (1948), S. 371 bis 377. 2. Arndt, Margarete, Kurzgeschichten v o n E L i n Obersekunda, Deutschunterricht 10, H e f t 6 (1958), S. 64—68.
Der
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273. Wied, M a r t i n a , 'Märkische Argonautenfahrt', Freude an Büchern (Wien) 1 (1953), S. 18—19. 274. Wilhelm, Richard, D i e Rolle des Archaischen bei E L , Alzeyer Geschichtsblätter, H e f t 2 (1965), S. 84—100. 275. Wilke, Marianne, Può essere considerata cattolica l'opera d i EL? Diss. Bologna 1957 [Masch.]. 276. Winklhof er, Alois, Theologische Aspekte zur christlichen Literatur, i n : Was ist das Christliche i n der christlichen Literatur? München 1960 ( = Studien und Berichte der K a t h . Akademie i n Bayern 12), S. 139 bis 163. 277. Winkler, Eugen Gottlob. Über das Lyrische. Anläßlich der 'Tierkreisgedichte' v o n E L , Das deutsche W o r t (vormals D i e literarische Welt), 11, N r . 30 (28. J u l i 1935), S. 9 — 1 0 ; ferner i n : Gestalten u n d Probleme. Ges. Schriften 1, hrsg. v . H . R i n n u n d J. Heitzmann, LeipzigMarkkleeberg 1937, S. 189—193; Dichtungen, Gestalten u n d Probleme, Nachlaß, hrsg. v . W . Warnach, Pfullingen 1956, S. 356—359. 278. — , Over het lyrische, Aristo, S. 141—144. 279. Wintzen, René, L a vie et l'oeuvre d ' E L , L ' A g e nouveau 60 (1951), S. 117—119. 280. Wischeropp, L., 'Das unauslöschliche Siegel', Der R i n g (Heidelberg), H e f t 1 (1949), S. 36—38. 281. Wurm, Alois, 'Das unauslöschliche Siegel', D i e Seele (Regensburg) 27 (1948), S. 323—326. 282. Zimmermann, Werner, E L : 'Glück haben', i n : Deutsche Prosadichtung der Gegenwart. Interpretationen für Lehrende u n d Lernende, Bd. 3, Düsseldorf 1960, S. 289—298. 283. Zöller y Josef O t m a r , I m Weg zur neuen Form, Deutsche Tagespost (Regensburg), N r . 65 (31. M a i 1952), Beilage: Rast u n d Besinnung, S. 9. 2 8 4 . — , E L : Dichtung u n d W e l t b i l d , Neues Abendland 9, H e f t 3 (1954), S. 139—146. 285. — , D i e Flamme singt. E i n Gedenkblatt für E L , Echo der Zeit, N r . 8 (22. Februar 1959), Beilage: Wege u n d Zeichen, S. 9.
Die Literatur über Elisabeth Langgässer : eine Bibliographie Teil
283
II
Pseudonym, anonym und unter Chiffre veröffentlichte Aufsätze a)
pseudonym
286. Germanicus, L'avventura spirituale d i E L , L a Giustizia [ R o m ] (22. Februar 1961), S. 3. 287. Nils, M a r i a [pseud. für Jollos, N a d j a ] , EL's Vermächtnis, Tages-Anzeiger (Zürich) 60 (1. November 1952), S. 7. 288. — , I n memoriam E L , Tages-Anzeiger (Zürich) 68 (8. Oktober 1960), S. 19. b)
anonym
289. — , 'Das unauslöschliche Siegel', D i e T a t (Zürich) 14 (30. A p r i l 1949), Beilage: Kunst, Literatur, Forschung, S. 5. 290. — , c Le sceau indélébile', L'Allemagne d'aujourd'hui 1952), S. 101—108.
1 (März/April
291. — , E L : 'The Quest', Kinkus (Bulletin f r o m V . K i r k u s ' Bookshop Service N e w Y o r k ) 21 (15. J u l i 1953), S. 451. 292. — , E L : 'The Quest' [Besprechung der 'Märkischen Argonautenfahrt i n engl. Übersetzung], The N e w Y o r k e r 28 (19. September 1953), S. 108. 293. — , E L : 'The Quest' [Besprechung der 'Märkischen Argonautenfahrt i n engl. Ubersetzung], San Francisco Chronicle (22. November 1953), S. 21. 294. — , ' . . . soviel berauschende Vergänglichkeit'. E L i n ihren Werken u n d Briefen, Bücherschiff, N . F. 4 (1954), S. 3—4. 295. — , Vorträge und Briefe v o n E L , Neue Zürcher Zeitung, Fernausgabe N r . 230 (22. August 1961), S. 2. c) Chiffre 296. a.g., Theatrum theologicum, D i e Gegenwart 4 (1. J u n i 1949), S. 21. 297. C. S. [ = C a r l Seelig], E L , Tages-Anzeiger (Zürich) 58 (29. J u l i 1950), S. 2. 298. E. / . , 'Schlafe, meine Rose', Frankfurter Allgemeine Zeitung, N r . 183 (10. August 1950), S. 58 [zur Beisetzung EL's — vgl. Eintrag N r . 248]. 299. hgm, EL's 'Märkische Argonautenfahrt'. Dichterische Rechenschaft über das Wesen des Menschen v o n heute, Rheinische Post (15. November 1950), S. 8.
284
Anthony W. Riley
300. Mis [ = M a r i a N i l s , vgl. Eintrag N r . 287], Begegnung m i t einer deutschen Dichterin, Tages-Anzeiger (Zürich) 58 (19. Juni 1950), S. 2 [zu einem Vorlesungsabend EL's i m Lyceumclub Zürich i m Juni 1950]. 301. se y Katakombengespräche: EL's 'Märkische Argonautenfahrt', D i e Gegenwart 5 (15. September 1950), S. 21.
Teil
III
Manuskripte von Rundf unkvorträgen* im Privat- Archi ν Dr. W i l h e l m H o f f m a n n , K ö l n - L i n d e n t h a l 302. Ambros, O t t o , Buchstunde: E L [Eine Gesamtdarstellung m i t Rezitationen v o n Gedichten u n d Prosa], Ravag W i e n (1951), 28 S [genaues D a t u m nicht feststellbar]. 303. Beheim-Schwarzbachy M a r t i n , 'Gang durch das Ried'. Ober das Gesamtwerk, Norddeutscher R u n d f u n k H a n n o v e r (3. August 1959), 6 S. 304. Blöcker, Günter, Berliner Feuilleton: Berliner Briefe EL's, Nordwestdeutscher R u n d f u n k (14. A p r i l 1954), 5 S. 305. Brem y K u r t , Das Konvertitenproblem i n der deutschen Gegenwartsliteratur, Süddeutscher R u n d f u n k Stuttgart, Sendestelle Heidelberg (27. A p r i l 1951), 8 S. 306. Freundy Cajetan, EL's 'Märkische Argonautenfahrt', Hessischer R u n d funk, F r a n k f u r t a . M . (17. Oktober 1950), 4 S. 307. Härtlingy Peter, Z u r Gesamtausgabe der Werke EL's, Süddeutscher R u n d f u n k (22. September 1959), 10 S. 308. Hock, R., E L : 'Erzählungen' [Buchbesprechung], Südwestfunk M a i n z (10. September 1964), 4 S. 309. Hoyer, Franz Α . , V o m Büchermarkt [Besprechungen v o n Heinrich M a n n , A n n a Seghers u n d E L ] , Südwestfunk (29. Oktober 1964), S. 9 bis 12 [ z u E L : 'Erzählungen']. 310. Hupka, Herbert, Literarisches Lexikon. Buchstabe L : E L , Sender M ü n chen (17. Oktober 1947), 8 S. 311. KroloWy K a r l , E L : Briefe, Hessischer R u n d f u n k Frankfurt (14. A p r i l 1954), 6 S. 312. Nowak y E d i t h , E L : Gedichte M a i n z (27. Oktober 1960), 5 S.
[zur
Gesamtausgabe],
* Das Datum der Sendung ist jeweils in Klammern angegeben.
Südwestfunk
Die Literatur über Elisabeth Langgässer : eine Bibliographie 313. Rittermann,
285
Hans, A m Büchertisch: EL's Briefe, Sender Freies Berlin
(1. A p r i l 1955), 3 S. 314. Rössler, M a x , Katholische Welt. Das P o r t r ä t : E L , Bayrischer R u n d funk München (7. Juni 1959), 14 S. 315. Rollet, E d w i n , ' . . . s o v i e l berauschende Vergänglichkeit': EL's Briefe, Ravag Wien (20. M a i 1954), 19 S. 316. Rübenach y Bernhard, EL's Gesammelte Werke, Saarländischer Rundf u n k Saarbrücken (6. Oktober 1959), 6 S. 317. — , A l l n a t u r , erlöst v o m Bann. Das W e r k der E L , Saarländischer R u n d funk Saarbrücken (24. J u l i 1960), 19 S. 31$. Schaefer, Oda, Das Buch der Woche: EL's 'Gang durch das Ried', Hessischer R u n d f u n k Frankfurt (18. J u l i 1953), 6 S. 319. — , 'Das unauslöschliche Siegel' [Buchbesprechung], Sender München (9. Juni 1947), 7 S. 320. Scholl, A l b e r t Α . , ' U n d ein jegliches antwortet: Gnade!' Z u r ersten Gesamtausgabe der L y r i k EL's, Westdeutscher R u n d f u n k K ö l n (19. O k tober 1959), 6 S. 321 .Solle, Dorothee, E L : Prosa werk [Buchbesprechung], R u n d f u n k K ö l n (17. Oktober 1964), 8 S.
Westdeutscher
322. Usinger , Fritz, Das Buch der Woche [ E L : ' . . . soviel berauschende Vergänglichkeit'], Südwestfunk Baden-Baden (2. M a i 1954), 9 S.
Nachtrag 323. Beheim-Schwarzbachy M a r t i n , Z w e i Frauenwerke, Eckart 12 (1936), S. 398—399 [ z u : Helen Wadell, 'Peter Abälard', E L , 'Gang durch das Ried']. 324. Blei, Franz, E L : 'Der Gang durch das Ried', Das Silberboot 1 (1935), S. 260. 325. Eichel, Beatriz, E L , H u m b o l d t 5, H e f t 17 (1964), S. 69—70. 326. »F« [ C h r i f f r e ] , 'Der Wendekreis des Lammes', Das Heilige Feuer 11 (1923/24), S. 270—271. 327. Frandsen, Ingeborg, EL's Metamorphosenzyklus, Wissenschaftliche Hausarbeit z u r Prüfung für das Lehramt an Mittelschulen [ K i e l 1963]. [ E n t h ä l t i m A n h a n g Photokopien der Handschriften des Metamorphosenzyklus.] 328. Fremantle, Anne, E L , Greyfriar (Siena College, L o u d o n v i l l e / N . Y.) 9 (1966), S. 31—40.
Anthony W. Riley
286
329. Goes, Albrecht, E L : ' H e r z z u m Hafen. Frauengedichte der Gegenwart', Eckart 9 (1933), S. 447—448. 330. Gregori, Ferdinand, L y r i k ( T e i l I ) , D i e S. 82—88 [ z u : 'Wendekreis des Lammes'].
Literatur
28
(1925/26),
331. Grimm, Reinhold, E i n Beispiel katholischer Dichtung, Radius (Stuttgart) H e f t 1 (1965), S. 48—49. 332.Hoffmann, Wilhelm, E L : Geschenk der Erde. Z u m Schaffen Eckart 10 (1934), S. 196—201.
EL's,
333. — , Dämonen, Magie, N a t u r . Z u r L y r i k der E L , Deutsche Zeitung N r . 119 (22./23. August 1959), Feuilleton. 334. — , Sie wählten nicht den risikolosen Weg. Erinnerung an E L , Echo der Zeit N r . 31 (31. J u l i 1960), S. 7. 335. — , Gedanken über christliche Dichtung, Kirchenzeitung für das Erzbistum K ö l n N r . 25 (24. J u n i 1962), S. 5 und ebenda N r . 26 (1. J u l i 1962), S. 6. 336.Hohoff y Curt, Was ist christliche Literatur? (Herder-Bücherei Freiburg—Basel—Wien 1966, bes. S. 52—55.
265),
337. Kemp y Friedhelm, I m Nachschein der Katastrophe, Das literarische Deutschland 1, N r . 1 (1950), S. 13 [Buchbesprechung: 'Märkische A r gonautenfahrt']. 338. Kirsckweng, Johannes, S. 365—373.
Neue
Lyrik,
Hochland
31,
II
(1933/34),
339. Lohmann y Christa, Das Judenproblem i m Literaturunterricht. E i n U n terrichtsbeispiel für die Oberstufe, Der Deutschunterricht 18, H e f t 2 (1966), S. 78—92 [ z u : Goes, 'Brandopfer'; E L , 'Saisonbeginn'; Frisch, 'Andorra']. 340. Lohmeyer,
Wolfgang, E L : 'Märkische Argonautenfahrt'. Das goldene
T o r 5 (1950), S. 479—480. 341. Ludwig, Renate, 'Das unauslöschliche Siegel', Evangelische Theologie 7 (1948), S. 408—412. 342. Luedtke, S. 201.
Franz, E L : 'DerWendekreis des Lammes', Eckart 1 (1924/25),
343. Meyer y H e l m u t , Das Frühwerk [1959] [Masch.].
der E L , Staatsexamensarbeit
Köln
344. Raschke, M a r t i n , Z u den Gedichten EL's, Die Kolonne 3, N r . 2 (1932), S. 20. 345. Roch y Herbert, V o n neuen Büchern. E L : 'Das unauslöschliche Siegel', H o r i z o n t 2, H e f t 15 (1947), S. 17.
Die Literatur über Elisabeth Langgässer: eine Bibliographie
287
346. Schreckenberg, W i l l y , M o r a l u n d Wirklichkeit i m christlichen Roman der Gegenwart, Religion, Wissenschaft, K u l t u r , hrsg. v. Präsidium der Wiener katholischen Akademie, 7 (1956), S. 132—144, bes. S. 136 bis 137, 141, 144. 347. Sommavilla, Guido, Introduzione: ' G l i argonauti', i n : E L , G l i argonauti de brandeburgo. Romanzo, übers, ν . Bice T i b i l e t t i , T u r i n : Società Editrice Internazionale, 1963, S. 9—45. 3 4 8 . — , E L e la questione della immagini, Letture (Mailand) 17, N r . 11 (1962), S. 723—740. 349. — , ' G l i argonauti' d i EL, C o n v i v i u m (Bologna) 33 (1965), S. 528—536.
GEDICHTE, TEXTE,
DEMONSTRATIONEN
Z u r zeitgenössischen L y r i k Westdeutschlands*) V o n Thomas O. Brandt I n den ' N o t e n z u m D i v a n ' konnte Goethe die L y r i k noch als die »enthusiastisch aufgeregte« 1 N a t u r f o r m der Poesie bezeichnen u n d gelegentlich der Besprechung v o n 'Des Knaben Wunderhorn' sagen: »Das lebhafte poetische Anschauen eines beschränkten Zustandes erhebt ein Einzelnes z u m z w a r begrenzten, doch unumschränkten A l l , so daß w i r i m kleinen Raum die ganze W e l t zu sehen glauben.« Er w a r es auch, der meinte, ein Gedicht könne z w a r i m einzelnen ein bißchen unvernünftig, i m ganzen aber müsse es sehr vernünftig sein. Schiller seufzte i n seinem Distichon 'Sprache': »Spricht die Seele, so spricht, ach! schon die Seele nicht mehr 2 .« Das neunzehnte Jahrhundert, das sich i n seinen inventaristischen u n d positivistischen Bestrebungen u m klare Definitionen der Dichtungsgattungen bemühte, begann bereits m i t Fr. T h . Vischer die Flagge z u streichen. I n seiner 'Ästhetik oder Wissenschaft des Schönen' setzt er sich m i t den Begriffen »subjektiv« und »objektiv« auseinander u n d findet, daß sie auf die lyrische Dichtung (als einander nicht ausschließend) unanwendbar seien. Es komme auf das »punktuelle Zünden der W e l t i m lyrischen Subjekt« an 3 . E m i l Staiger lehnt den Begriff » L y r i k « überhaupt ab, er spricht v o m »Lyrischen«, das »der letzte erreichbare G r u n d alles Dichterischen« sei 4 . * Der Aufsatz beruht auf einem im Februar 1966 an der Universität Stanford (Kalifornien) gehaltenen Vortrag. Folgende Abkürzungen werden verwendet: DL für 'Deutsche Lyrik. Gedichte seit 1945*, hrsg. von Horst Bingel, Stuttgart 21962 (Zitate ohne Quellenangaben sind diesem Band entnommen). — H DG für 'Handbuch der deutschen Gegenwartsliteratur', hrsg. von Hermann Kunisch, München 1965. — / für 'Jahresring 65/66', Stuttgart 1965. — LZ für 'Lyrik aus dieser Zeit 1963/64*, hrsg. von Kurt Leonhard und Karl Schwedhelm, München 1963. — ML für Kurt Leonhard, 'Moderne Lyrik. Monolog und Manifest', Bremen 1963. 1 West-Östlicher Divan, hrsg. von E. Beutler, Leipzig 1943, S. 220. 2 Vgl. P. B. Shelley, Defence of Poetry: » . . . but when composition begins, inspiration is already on the decline.« Hingegen bekennt E. Langgässer, daß sie schreibe, um zu erfahren, was sie nicht weiß. (HDG y S. 39). 3 Zitiert von Emil Staiger in: Grundbegriffe der Poetik, Zürich 31956, S. 23. 4 Ebd. S. 207. Ferner: »Sofern aber alle echte Dichtung in die Tiefe des Lyrischen hinabreicht und die Feuchte ihres Ursprungs an ihr glänzt, gründet alle 19 Literaturwissenschaftliches Jahrbuch, 8. Bd.
290
Thomas Ο. Brandt
Daß das Lyrische des Wortes, des Rhythmus' u n d des Melos bedarf, w a r bis ins erste Jahrzehnt unseres Jahrhunderts nicht i n Frage gestellt. Bis dahin galt noch das M e t r u m als förderndes Strombett der Rhythmen. Über beide sagt A l b e r t Verwey ( f 1937): » M e t r u m ist das, was nicht besteht, das einzige, was besteht ist R h y t h m u s . . . D i e R h y t h m e n sind i m geheimnisvollen B u n d m i t den großen Toten, den Metren.« August Closs legitimiert den Rhythmus i n 'Die freien R h y t h m e n i n der deutschen Dichtung': er mache »im Innersten das aus, was so oft als Gehalt und Form bezeichnet w i r d . . . E r ist Hauch v o m Hauch des Schöpfers... der, wie Michelangelo i n seinem fünfzehnten Sonett sagt, das Geheimnis des i m Material schon schlummernden Ausdrucks erlauscht 5 .« »Form ist der höchste I n h a l t « , sagt Staiger, »Das Rhythmische hebt das Logische auf«, erklärt C u r t Faber du Faur®. A l l dies scheint m i t dem Ausruf Nietzsches i m E i n k l a n g zu sein; daß das Dasein u n d die W e l t nur als ästhetisches Phänomen gerechtfertigt sei, wie ja auch G o t t f r i e d Benn, der, sich auf Nietzsche berufend, etwas zugespitzt meint, Stil sei der Wahrheit überlegen, er trage i n sich den Beweis der Existenz. Welcher A r t ist das ästhetische Phänomen heute, w o ist das »enthusiastisch Aufgeregte«? Ist eine Unterscheidung zwischen lyrischem u n d epischem Stil i n der zeitgenössischen Dichtung noch möglich? A n Studienmaterial ist kein Mangel, Heerscharen v o n Worten u n d W ö r t e r n schließen sich zu versähnlichen Zeilen zusammen, zum ge- u n d erhobenen Stil, sie durchbrechen die Schallmauern, senden ihre Botschaften an unbekannte Adressen, deklarieren Neues als Modernes u n d Modernes als Wertinstallation 7 , gießen neuen W e i n i n alte Schläuche u n d alten W e i n i n neue u n d verquicken auf verblüffende A r t das aus dem Barock filtrierte Zeitalter der Vernunft m i t einer unterkühlten, sachlichen R o m a n t i k zur Uberwirklichkeit, d. h. z u m Surrealismus i n a l l seinen Spielarten. » D i n g u n d Ich werden vertauschbar w i e i m Gegenüber v o n zwei Spiegeln 8 .« I m Rahmen dieses Essays soll versucht werden, einige Grundzüge u n d Tendenzen der zeitgenössischen westdeutschen L y r i k darzulegen, wobei N a men u n d Zitate nur als Symptome angeführt werden. Als »zeitgenössisch« gilt die Spanne zwischen dem Ende des zweiten Weltkrieges oder dem Jahre Dichtung im Unergründlichen, einem >sunder warumbe< eigener Art, wo keine Erklärung der Schönheit und der Richtigkeit mehr möglich, aber auch keine Erklärung mehr nötig ist.« Ebd. S. 51. » Bern 1947, S. 9. β Tausend Jahre deutscher Dichtung, hrsg. von Curt Faber du Faur und Kurt Wolff , New York 1949, S. I X . 7 S. Wilhelm Lehmann, Bewegliche Ordnung, Frankfurt a/M 1958: «Alle gelungenen Gedichte sind modern.« 8 ML, S. 79.
Gedichte, Texte, Demonstrationen
291
N u l l u n d der Gegenwart. D i e i n i h r ersichtlichen Bemühungen erstrecken sich v o m Parlandostil über Appellationen, Mahnungen, Warnungen u n d Imperativen zu Metaphernkreuzungen, Begriffsvermischungen, U n t e r k ü h lungen, Registraturen, Schlagschatten, Unheimlichem, kaltem Zorn, Gro^ teskem, Unsagbarem, Konstruktionen, Bewegungs- oder Tapetenmustern, Druckarrangements u n d Buchstabenverteilung bis zur sogenannten »konkreten« L y r i k , die sich ebenso wie ihre Gegner auf den wittgensteinschen Satz berufen k a n n : »Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt.« Vielleicht empfiehlt es sich, m i t einer T i t e l k o l l e k t i o n v o n L y r i k b ä n d e n aus den letzten zwei Jahrzehnten zu beginnen, da T i t e l als Werkschlüssel sehr aufschlußreich sein können: H e i n z Piontek, 'Die Rauchfahne', 1952, 'Wassermarken', 1957; H e r m a n n Kasack, 'Wasserzeichen', 1964; K a r l K r o l o w , 'Die Zeichen der W e l t ' , 1952, ' W i n d u n d Zeit', 1954; Günter Grass, 'Die Vorzüge der Windhühner', 1956; Wieland Schmied, 'Landkarte des Windes', 1957; C a r l Guesmer, ' A l l t a g i n Zirrusschrift', 1960; Günter Eich, 'Botschaften des Regens', 1955; Walter Gross, 'Botschaften noch i m Staub', 1957; N e l l y Sachs, 'Fahrt ins Staublose', 1961; Christoph Meckel, 'Nebelhörner', 1959; Johannes Poethen, 'Risse des Himmels', 1956; W a l t e r T o man, 'Distelvolk', 1955; Joachim U h l m a n n , 'Gemarterte Stille', 1955; K a r l A l f r e d Wolken, ' H a l b l a u t e Einfahrt', 1960; Günter Seuren, 'Winterklavier für H u n d e ' , 1961; Paul Celan, 'Sprachgitter', 1959; Erich Fried, 'Warngedichte', 1964; Walter H e l m u t Fritz 'Achtsam sein', 1956; H e l m u t Mader, 'Lippenstift für die Seele', 1955; K u r t M a r t i , 'Boulevard B i k i n i ' , 1959; Hans Magnus Enzensberger, 'Verteidigung der Wölfe', 1957; Dieter Wyss, 'Tanz durchs Infrarot', 1953; H e l m u t h de Haas 'Lineaturen', 1955; H e l m u t Heißenbüttel, 'Kombinationen', 1954, 'Topographien', 1956, 'Textbuch', 1960; Claus Bremer, 'tabellen u n d Variationen', 1960; Ernst Meister, 'Zahlen und Figuren', 1958; F r a n * M o n , 'artikulationen', 1959; u n d 'Transit', das v o n Walter Höllerer herausgegebene »Lyrikbuch der Jahrhundertmitte« (Frankfurt a / M , 1956) m i t Gedichten, die »im Gefolge v o n Descartes' 'Larva tus prodeo'« stehen, »der kürzesten D e f i n i t i o n des Dichterischen: >Meine Maske v o r m i r hertragend schreite ich vorandas Was lebendig und verleiht i h m oder eröffnet uns seine Tiefe. Bei H ö l d e r l i n ist die innere Form zur Wortgestalt geworden. Ähnliches läßt sich selbst bei Kleist sehen. Wer seine Bach-Anekdote näher betrachtet, findet i n seiner durchaus männlichen Prosa manches verhalten Lyrische, das nirgends deutlicher spricht als i n den letzten vier Takten »Sagts meiner Frau«, die schon die Begräbnisglocken mitläuten. *
Sensation bedeutet noch nicht Erlebnis, das Unerwartete noch keine E r füllung, Collagen noch kein B i l d , Bildverstrebungen noch keinen Vers, Metaphernverschränkungen noch kein Gedicht. Metaphernfügungen u n d -verkreuzungen beherrschen das zeitgenössische Gedicht, nicht i m quintilianischen Sinne (verkürzte Vergleiche), sondern i n der A r t v o n Durchbrüchen i n die vierte Dimension. K u r t Leonhard spricht v o n der »Verselbständigung der Metapher« 2 0 , H . E. Holthusen v o m »krausen Manierismus der Zeit«. I n 17
LZ, S. 114. F. Hölderlin, Hyperion, Potsdam 1921, S. 50. 19 Ebd. S. 12. 2 ° ML, S. 46.
18
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Thomas Ο. Brandt
ihnen drückt sich die Ambivalenz v o n W e r t und F u n k t i o n aus. M a n muß schon ein so bedeutender Dichter wie der frühe Paul Celan sein, u m eines seiner großen Gedichte m i t dem Vers »Schwarze M i l c h der Frühe w i r trinken sie abends« beginnen zu lassen, den w i r sofort verstehen und empfinden, u n d wenn es dann heißt » w i r schaufeln ein Grab i n den Lüften«, so ist der Sachverhalt nicht nur metaphorisch klar, sondern auch rhythmisch determiniert. Zeichnung und Bezeichnung sind kongruent, der M u n d ist nur noch wortbildendes Gefäß eines inneren Zustandes, das W o r t erfaßt u n d faßt i h n zum lyrischen Ausdruck. So läßt sich auch Celans Behauptung verstehen, daß das Gedicht nicht mehr der »Mitwisserschaft des Dichters« bedürfe. Wenn er v o m »geharnischten Windstoß der Umkehr« spricht, v o m »schwarzen H a g e l k o r n der Schwermut«, v o n der »Kette des Schweigens«, v o n »moosigen Bällen des Wahnsinns«, der »eingesunkenen Wange der Nacht«, v o n einem »Wort, v o n Sensen gesprochen«, so ist die Begrifflichkeit ohne den U m w e g über die Phantasie des Intellekts da. I n den meisten seiner Gedichte hört man einen eigenartig daktylischen Rhythmus, der bekanntlich dem elegischen benachbart ist. Die Symbolik ist vielgestaltig u n d bewahrt dadurch ein vielgestaltiges Geheimnis, die Vergleiche, o b w o h l häufig anderen Sinnen als den physiologisch zuständigen zugeschrieben, leben i n der Einheit v o n Sinn u n d Erkenntnis. Ist Celan ein Dichter, der unter Erlebnis und Wirklichkeit leidet, so verdichtet N e l l y Sachs die großen Schatten ihres Erlebnisses u n d Erleidens i n ihre Gebilde. Subjektiv betrachtet, sind ihre Ehrungen durchaus verständlich, rühren sie doch v o n der jüngsten Geschichte des deutschen Volkes her, dessen Schuldgefühle i n ihnen zum Ausdruck kommen. M a n möchte den Ausdruck eines großen Leidens nicht kritisch betrachten, aus Angst, das große Leiden selbst zu kritisieren. Vieles, was N e l l y Sachs schreibt, ist Schlagschatten v o n Farben, ist i n stenographischen Perspektiven oder, u m ihr eigenes W o r t anzuführen, wie »das Sandkorn i n Windeseile geprägt«. Der v o n inneren Bildgleichnissen zerrissene Expressionismus sah am besten m i t geschlossenen Augen durch die Brille der Temperamente, indem er das Zufällige, Bei- u n d Mitläufige v o n der Essenz ausschied u n d sich i n Schrei und Bekenntnis mitteilte. Auch er kreuzte die Metaphern. Die zeitgenössische L y r i k jedoch ist dem Schrei nicht sehr zugetan; äußert sie ihn, so t u t sie es gewöhnlich nicht ohne unterkühlende Stilisierung. »Unbeweint / Schaukeln w i r / I n den Silos der Qual«, klagt H o r s t Bieneck, C a r l Guesmer spricht v o n einer »ozeanhörigen Ebene« u n d v o n »folgsamen Gräsern, die salzigen W i n d e n huldigen«. K a r l K r o l o w , i n einer A r t freundlicher Lemurenpoesie v o n »atmenden Silben«, v o n der »Formel der Früchte«, v o n »äschernen Flüssen«, beklagt »die unbarmherzige Vokabel« und »das k l i n gende Gitter / D e r Worte«, Ernst Meister spricht v o m G r u n d als »kehllos
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Ohnsilbiger«, v o n der »immer geschlagenen Flotte der Worte«, M a x H ö l z e r bietet i n 'Sublimano' Holzschnitte, denen das Messer noch anhaftet u n d Walter Höllerer k i p p t Vergleiche m i t affichierten Bildern ins Spielerische um, »Wo der Elephant / Die Rotundenuhr geigt« — Unbestochen v o n Sophismen der Sprache ist Johannes Bobrowski ('Sarmatische Zeit', 1960), der Geist und Landschaft i n seinen kargen Versen groß erstehen läßt, ist die so sparsame und schweigsame Ingeborg Bachmann, ist die i m Hexenkessel der Verzweiflung wirbelnde Christine Lavant, deren v o n religiöser M y s t i k umfangener Surrealismus i n konventioneller Versgestalt aufscheint. Das klassische u n d epigonale »Siehe!«, »Sei m i r gegrüßt!«, »Edel s e i . . . « , also A n r u f und Mahnung, H i n w e i s und Imperativ, die Appelation an Leser u n d H ö r e r können dem Betrachter i n ihrer veränderten Gestalt nicht entgehen. Zumeist sind diese Gebilde rhetorisch, so daß man sich fragen muß, ob sich die L y r i k e r m i t ihnen nicht selbst anrufen. I n ihrem großartigen Gedicht ' D i e gestundete Zeit', das gleichzeitig als Bandtitel gilt, mahnt I . Bachmann: »Sieh dich nicht um. / Schnür deinen Schuh. / Jag die H u n d e zurück. / W i r f die Fische ins Meer. / Lösch die Lupinen. / Es kommen härtere Tage.« 2 1 Enzensberger fordert i n der A r t Brechts: »lies keine oden, mein söhn, lies die fahrpläne . . . r o l l die Seekarten a u f . . . , / sei wachsam, sing n i c h t . . . / lern unerkannt gehn, lern mehr als ich . . . / versteh dich auf den kleinen v e r r a t . . . « ('Ins Lesebuch für die Oberstufe'). Paul Celan: »Streu deine Blumen, F r e m d l i n g . . . « , K r o l o w : »Falte die Decke. / Lösche die L a m p e . . . « , Urs Oberlin: »Besteht nicht darauf, / daß die Erde schwer i s t . . . « , Johannes Poethen: » N i m m die Gestalt der Steine a n . . . « , usw., usw. O f t n i m m t das dozierend-rhetorische Moment überhand, u n d m i t W a r nungen u n d stillem Schrecken weist das Zeitalter der A u f k l ä r u n g verhüllten Gesichts ins Unheimliche, wie etwa bei Albert A r n o l d Scholl: »Einiges muß noch geschehen / Eh die Sonne sinkt / U n d die Tore schließen. / Schon werden die Schatten lang« oder bei Franz K i e ß l i n g : »Wer am Ende noch lebt und hört, / w i r d hören: Rette sich wer kann!« Dieses unterkühlt Unheimliche, das, wie K r o l o w über Celan sagt, »von schwarzen Fahnen des Verstummens abgesteckt« u n d i n ein L a n d verdrängt worden ist, »das es nicht mehr g i b t « 2 2 , ist die P r o v o k a t i o n der Angst v o r und aus der dunklen Stille. Der H i n w e i s auf ein Kommendes, Undefinierbares, Bedrückendes und Gefährliches macht uns sofort aufhorchen, die Phantasie unserer Furcht arbeitet m i t u n d v o n ihr bedrängt warten w i r auf Rat, Belehrung, Befehl. Es ist die prophetische Geste, die uns zum Aufhorchen verhält, u n d leicht verwechseln w i r existentielle Angst m i t lyrischer E r f ü l 21 22
München 1957. Karl Krolow, Aspekte zeitgenössischer deutscher Lyrik, Gütersloh 1961, S. 78.
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lung. Zuweilen entzünden sich I m p e r a t i v und Warnung zum kalten Zorn, den niemand besser beherrscht als der außerordentlich gescheite u n d bittere Hans Magnus Enzensberger. »soll der geier vergißmeinnicht fressen? / was verlangt i h r v o m sdiakal, / daß er sich häute, v o m wolf? soll er sich selber ziehen die zähne?« fragt er i n der Verteidigung -der wölfe'. E r spricht von »dieser mördergrube, / w o der kalender sich selber abreißt v o r ohnmacht und hast«, er fragt sich, was er verloren habe i n Deutschland, »wo die Zahlungsbilanz hosianna und alles was recht ist singt / u n d r u f t : das ist nicht genug« 2 3 . E i n neuer, durch scharfsichtige Gehirnbrillen blickender, vielbelesener Brecht? A u d i Enzensberger w i l l seine Verse als »Gebrauchslyrik« verstanden wissen u n d bittet i m Schielblick auf Brecht i n seiner eigenen, dem Bande 'landessprache* beigelegten »Gebrauchsanweisung« die längeren Gedichte laut zu lesen »und z w a r so laut wie möglich aber nicht brüllend«. Seine gnadenlose Ironie, sein verintellektualisierter Sarkasmus ist ein Landvermesser der Erde v o l l reinlichen Ekels und sachlicher Leidenschaft. Aus seiner K r i t i k hat er die Konsequenzen gezogen und, z w a r nicht seine Landessprache, doch sein L a n d verlassen, was seinem oppositionellen Blick eine noch klarere Perspektive gestattet. *
W i r f t sich Enzensberger gegen die Passatwinde der Zeit, ist er also noch konkret, so fordert einer der Theoretiker der »modernen« L y r i k , K u r t Leonhard, daß man »das Unpoetische i n Poesie verwandeln« solle. M i t dieser Forderung öffnet er die Schranke zu dem, was man sich fälschlich als »konkrete« Poesie zu nennen angewöhnt h a t 2 4 . Freilich, so neu ist die Verwandlung des Unpoetischen i n Phantasie nicht. Das hatten schon manche fahrenden Scholaren i m M i t t e l a l t e r besorgt, Romantiker, Expressionisten. M i t dem Zerfall eines — ja, auch nur möglichen — Weltbildes aber traten das Unaussprechliche, der Obduktionssaal, die Wissenschaft u n d der Sachstil der M i t t e i l u n g ihre Herrschaft an. Die Sterne blieben zwar, aber die Poesie erkannte sie als anorganische K ö r p e r i m Weltraum, der poetisch v ö l l i g schuldlose M o n d mußte sich die ärgsten I n v e k t i v e n gefallen lassen, die mythischen Gesetze des Himmels wurden für ungültig erklärt u n d der Mensch, nach a l l seinen Katastrophen i n jüngster Geschichte, nach dem entsetzlichen Mißbrauch v o n Idealen u n d Werten, erinnerte sich m i t Schrecken des Nietzschewortes »Gott ist tot!« Der H a r m o n i e des Universums wurde die Mechanik der W e l t entgegengesetzt. Das, was Hofmannsthal i n seinem 'Brief an L o r d Chandos' leidend vorausgefühlt hatte, w a r eingetreten: »Es zerfiel m i r alles i n Teile, die Teile wieder i n Teile, u n d nichts mehr ließ sich m i t einem Begriff umspannen. D i e einzelnen Worte schwammen u m mich; sie 23
landesspradie, Frankfurt a/M 1960 Eine ähnliche Begriffsverwirrung zeigt sich im Englischen, wo »non-objective art« eigentlich »non-object art« heißen sollte. 24
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zerrannen zu Augen, die mich anstarrten . . . m i r graute v o r der Gefährlichkeit eines bildlichen Fluges.« Schon Baudelaire, Rimbaud, Mallarmé kannten das, T r a k l , Rilke. Erst der Zweite Weltkrieg aber, der die ausgesandte Apokalypse v o n allen Seiten ins Innere Deutschlands zurückbrachte u n d eine so vollkommene physische u n d moralische Niederlage bedeutete, daß die Tränen der Trauer sich i n Tränen der Scham, das M i t l e i d m i t sich selbst i n ein Mitleiden verwandelten, dieses Mitleiden jedoch bald durch hektische Tätigkeit u n d eine Versachlichung des Herzens dem Schuldkonto der Vergeßlichkeit überantwortete — erst er u n d seine Nachwehen machten tabula rasa i n einem Raum, w o die einzig akzeptable Rose die Windrose ist u n d es meteorologisch erwiesen ist, daß die goldenen Stühle nicht auf W o l k e n ruhen können. Benns ' M a n n u n d Frau gehn durch die Krebsbaracke' hatte bereits Jahrzehnte vorher die ärztliche Sonde angesetzt m i t wissenschaftlich-statistischen Elementen ohne jegliches Pathos, ja m i t einer gewissen Befriedigung, den Bürger zu schockieren. »Andere Gestalten«, schrieb er 1955 zu dem Gedichtband ' L y r i k des expressionistischen Jahrzehnts', »andere Gestalter traten jetzt auf als die Landschaftsbeträumer u n d Blümchenverdufter, die dem deutschen P u b l i k u m als innige Poeten aufgeredet wurden, sie schlugen ihr Sein i n die Gasretorte u n d damit es leuchtete, hielten sie sie schräg.« Bertolt Brecht schrieb gegen den Leierrhythmus für den Rhythmus. Nach 1945 gab es Ansätze zur Spiegelinversion und zu Kombinationen, die das Schöne i n Juxtaposition z u m b r u t a l Wirklichen setzten. » I r r m i r i m O h r schallen / Verse v o n H ö l d e r l i n . / I n schneeiger Reinheit spiegeln / Verse sich i m U r i n « , heißt es i n Günter Eichs Gedicht 'Latrine'. — » U n d seine H a n d ( w i r konnten dann den W i t z / Nicht oft erzählen, beide haben w i r / I h n schnell vergessen) hatte, wie ein Schwert / D e n hartgefrorenen Pferdemist gefaßt, / D e n Apfel, gelb u n d s t a r r . . . « , berichtet W a l t e r Höllerer i n dem Gefüge 'Der lag besonders mühelos am Rand'. I n seiner Reflexion 'Normandie' stellt Günter Grass fest: » W i n d , Sand, Papier u n d U r i n : / Immer ist Invasion.« Was blieb, waren »Glieder auf dem Wege z u m Staub / und die Gischt der Sehnsucht über den Wassern«, wie N e l l y Sachs i n ihrem Band ' U n d niemand weiß weiter' sagt. M a n glaubte weiter zu wissen. Ausgehend v o n der vielbemühten Chiffre Benns, brach man durch die Sprache hindurch und baute sie hinter dem W o r t wieder auf. Durch Radar- u n d Röntgeninstrumente des Intellekts bemühte man sich, Erlebnis u n d Essenz objektiv zu erfassen. Einer der klügsten Neuerer, H e l m u t Heißenbüttel, sagt, daß er i n gewisser Weise immer mehr dazu neige, das, was er gemacht habe, »weder als Gedicht noch als Texte zu bezeichnen, sondern als Demonstrationen« 2 5 . E r glaubt, »daß solche Demon25
Akzente 1961/1, S. 19.
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strationen fähig sind, alles aufzunehmen, sowohl das Subjektivste wie das Allgemeine, das Politische«. Das scheint dem zu entsprechen, was K a r l August H o r s t »das zeichensetzende Gedicht« nennt. Vielleicht aber handelt es sich dabei eher u m abstrakt-statisch bewegte Gebilde. » A n die Stelle der Form ist die Technik getreten, die w i e die Form heterogene Elemente gegeneinander isoliert, sie aber nicht fixiert, sondern sie i n Bewegung l ä ß t . « 2 8 Es k o m m t zu »stochistischen Texten«, d. h. gewürfelten Wortfolgen ( K . Leonhard), Tabellengedichten u n d Tapetenmustern. ' K o m b i n a t i o n I V ' aus Heißenbüttels 'Textbuch Γ (Ölten 1960) beginnt folgendermaßen: »Gefangen i n der Falle der Verbindlichkeiten. / D i e V e r n u n f t ist ein Tier i m Käfig. / Das W o r t Z u f a l l hat keinen I n h a l t . / U n d die Grundfigur der Handlungsabläufe / ist immer dieselbe.« Es endet m i t »Der durch die Nacht Gehende weiß / daß er i n die Falle geht. / Aber das Bewegte ist m i t dem Ziel identisch. / Der K o n t a k t vergißt.« Also handelt es sich u m die Relativierung des Absoluten, um verbindliche Unverbindlichkeiten. W i e sehr solche Anordnungen i n der L u f t liegen und angewandt werden, zeigt etwa auch Günter Eich i n seinem 'Bach i m Dezember' ('Botschaften des Regens'): »Die L i n i e n der Eisränder zeichnen Unruhe auf, / -das Fieber des Schilfs, die Erdbeben der Schnecken. / Ihre Diagramme werden erwartet.« Doch ist die Ausgangssituation der i n der N a t u r stehende Mensch, für den die Bewegung i n der N a t u r noch Gleichnis u n d Gleichung für sich selbst ist. Claus Bremer, Ubersetzer v o n Ionesco u n d Audiberti, der nicht wie Heißenbüttel eine A p h o r i s t i k vorgeblicher Tiefe auf das Raster der Oberfläche zu verteilen bemüht ist, verwendet W o r t - u n d Syntaxmuster, u m die K i n e t i k eines Fisches festzuhalten: »der fisch fliegt steil / fliegt i n die sonne steil / sinkt fliegt der fisch / der fisch i n die sonne die steil / ins meer steil der fisch / der fisch ins meer fliegt / / steil i n die sonne die sinkt / i n die sonne die sinkt fliegt / fliegt ins meer sinkt.« H i e r w i r d versucht, eine A u f u n d Abwärtsbewegung durch Arrangements zu schaffen, die das W o r t zu Bewegungsspielen gebrauchen u n d verwenden. H i e r z u wäre die Tapisserie Eugen Gomringers zu vergleichen 2 7 : die unzähligen sonnen des wassers durchdunkeln flügel die unzähligen sonnen des wassers die unzähligen durchdunkeln flügel sonnen des wassers die unzähligen sonnen durchdunkeln flügel des wassers die unzähligen sonnen des wassers durchdunkeln flügel die unzähligen sonnen des wassers 26 27
Κ. A. Horst in HDG, S. 743. Zitiert in ML, S. 187.
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Diese wortwandernden Stufenzeilen bedeuten w o h l auf gleichbleibender Wasserbene flirrende Sonnenreflexe. Verwendet der A u t o r Verse, u m die gewünschte Monotonie einer schönen Monotonie anzuzeigen? Oder die Monotonie der Monotonie der Monotonie? D i e Wiederholung der Wiederholung? Ist er m i t seinem anziehenden Muster hier nicht bereits i m V o r h o f der Edel Werbung gelandet? Es bedarf nur noch einer Druckzeile, u m diese Fügungen i n einen Werbetext übergehen zu lassen, etwa:
die unzähligen Schwimmbrillen geflügelter sonnen Gomringer, Industrie-Texter, Verleger, K u n s t k r i t i k e r erklärt sich selbst, wenn er sagt: »Die H a l t u n g des Lesers der Konstellation ist die des M i t spielenden, die des Dichters, die des Spielgebenden.« 28 Solche Fingerübungen sind Legion u n d finden i h r Gegenspiel i m Pop u n d Op, Happening u n d Camp. Sie werden ernstgenommen u n d beispielsweise v o n dem W o r t k o m b i n a t o r , Silbenspieler u n d Doppeldeuter Erich Fried gepflegt. Eines seiner Gedichte, 'Verheerung', stehe hier für viele: »Dem Reichen / reicht jeder die H a n d , / doch wer / umarmt den Armen? / Der A r m e n Armeen / ziehn einher / Wem kann ein Heer / z u m Segen gereichen?« 29 » I n der T a t ist das Leere unerschöpflich, nicht das Volle«, sagt Jean Paul. I n seinem Aufsatz 'Zusammenfassende Grundlegung moderner Ästhetik' (in dem Sammelband 'Mathematik u n d Dichtung', hrsg. v o n H . Kreuzer u n d R . Gunzenhäuser, München 1965) spricht M a x Bense v o n der ästhetischen Realität als zweitem Aspekt der kosmogenischen Wirklichkeit neben ihrer physikalischen Realität: »Kunst kann dementsprechend als Eingriff intelligenter Wesen i n die physikalischen Zustände kosmologischer W i r k l i c h keit ästhetischer Zustände definiert werden« (S. 315). V o n dieser Liberalität führt ein gerader Weg zu den Wortexperimentern, die zwar m i t Intelligenz ausgestattet sein mögen, sie aber ignorieren, 'movens' m i t seinen Buchstabenund Lautanordnungen, m i t Textmustern, abstrakten Regentropfen und dergleichen führt zur Auflösung als Prinzip, zum Schweigen und Verschweigen, so daß einem das W o r t Mailarmes einfällt, das vollkommene Gedicht sei ein unbeschriebenes B l a t t Papier. »Die Kahlschläger«, sagt Wolfgang Weyrauch, »fangen i n Sprache, Substanz und Konzeption v o n v o r n an, . . . bei der A d d i t i o n der Teile und Teilchen, . . . beim Abc der Sätze und Wörter.« Das 28 Zitiert von F. Mon in movens, Wiesbaden 1958, S. 112 (nach 'Material F, Darmstadt 1958). 29 LZ, S. 52.
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302 geschehe oft, i m Poesie« 30 .
Interesse
der
»Wahrheit«,
selbst »um den Preis
der
Manche der erwähnten Tendenzen sind auch i n der ostdeutschen L y r i k erkennbar, Während jedoch die westdeutsche ihr langes Erbe umbrochen hat, ist die »deutsche L y r i k auf der anderen Seite« noch stark i m Flusse einer lebendigen Tradition. Der Reim ist viel weniger verpönt, die R h y t h men, obgleich häufig taktmäßig begleitet, sind hörbar, Gleichnisse sind B r ü k ken zwischen Mensch und D i n g . Die L u f t mag den A t e m bedrängen, aber er bedarf ihrer noch. Seltsam, wie — abgesehen v o n aller P o l i t i k — auf K o n t i n u i t ä t W e r t gelegt w i r d , wie der Gegenstand noch für etwas einem Entgegenstehendes genommen w i r d . Das läßt sich etwa i n den festgefügten, einsamen Gedichten Johannes Bobrowskis sehen, der den beiden Deutschland — zu ihrem G e w i n n — die M i t t e hält. H a t man sich i m westdeutschen Sprachraum starker Gefühle so zu schämen begonnen, daß man sich verhalten sieht, lyrische Gehobenheit prosaisch wiederzugeben? Bedarf die L y r a der Saiten nicht mehr? Genügt es, einen m i t Έ χ ΐ Γ betitelten Satz wie »Der sterbende M u n d / müht sich / u m das richtig gesprochene W o r t / einer fremden / Sprache« 31 als Gedicht zu deklarieren? H u g o Friedrich sagt i n 'Die S t r u k t u r der modernen L y r i k ' ( H a m burg 1956), die L y r i k versuche nach 1945 »im abnormen Sagen und i n der D i k t a t u r der Phantasie die Freiheit des Geistes zu retten i n m i t t e n einer geschichtlichen Lage, w o wissenschaftliche Aufklärung, zivilisatorische, technische, ökonomische Machtapparate die Freiheit organisiert u n d k o l l e k t i v i e r t — also u m i h r Wesen gebracht haben«. D e r Mensch wurde »zum D i k t a t o r seiner selbst. E r vernichtet seine eigene Natürlichkeit, verweist sich aus der Welt, weist auch diese aus, u m seiner eigenen Freiheit Genüge zu tun. Das ist die seltsame Paradoxie der Enthumanisierung« (S. 124). jf· Zerstörung ist immer leichter als Aufbau. Der verlorene Glaube an die Schönheit läßt sich weder durch Argumente noch durch indirekte M i t t e i l u n g ersetzen. M a n k a n n nicht Prosa schreiben u n d sie als L y r i k buchstabieren. Die Geometrie des Intellekts ersetzt nicht den Schlag des Herzens. D i e Statistik ist kein legitimes K i n d des Geistes. W o die Sprache enteignet ist, stimmen alle Wechsel, denn alle Wechsel sind falsch gezogen. W o die Stangensaiten der Leier festgeschraubt sind, w o sie nur das Echo des Fußgängerschritts verstärken, w o nur das noli me tangere gilt, hat die L y r i k ihr Feld verloren, die Prosa ihr Tagewerk begonnen. L y r i k ohne Leier — i m doppel30 31
Zitiert in HDG, S. 479. I Z , S. 36 (Hilde Domin).
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ten Sinne. Wer nicht mehr bewegt ist, k a n n nur mehr reden, aber die Sprache ist i h m versagt. Wer bewegt ist, dem blüht jeder Baum z u m ersten Male u n d jedes M a l zum einzigen Male schwebt i h m das W o r t entgegen 3 2 : Erklär mir, Liebe, was ich nicht erklären kann : sollt ich die kurze schauerliche Zeit nur mit Gedanken Umgang haben und allein nichts Liebes kennen und nichts Liebes tun? Muß einer denken? Wird er nicht vermißt? Du sagst: es zählt ein andrer Geist auf ihn . . . Erklär mir nichts. Ich seh den Salamander durch jedes Feuer gehen. Kein Schauer jagt ihn, und es schmerzt ihn nichts.
32
Ingeborg Bachmann, Anrufung des Großen Bären, München 1959.
KLEINE BEITRÄGE D I E DREI ERZENGEL I N GOETHES 'PROLOG I M H I M M E L ' V o n Eckart Peterich Z u Beginn des 'Prologs i m H i m m e l ' heißt es: »Die drei Erzengel treten vor.« D i e drei erscheinen als Anführer und Sprecher der himmlischen Heerscharen. Es sind das v o n den vielen Engeln, die die Heilige Schrift kennt, die einzigen, die i n i h r m i t N a m e n genannt werden: Raphael, Gabriel, Michael. Sie werden aber nie als Erzengel bezeichnet. I m A l t e n Testament k o m m t der Begriff »Erzengel« nicht vor. I m m e r h i n nennt Daniel (10. 13) Michael »einen der obersten Schutzengel« u n d (12. 1) den »großen Engelfürsten«. Jedenfalls weiß das A l t e Testament v o n einer Engelhierarchie, denn es ist darin neben diesem Engelfürsten auch v o n den Cherubim u n d Seraphim die Rede. I m Neuen Testament kommen dann u n d zwar bei Paulus zu diesen zwei Engelchören noch andere hinzu, nämlich die Throne, Herrschaften, Fürstentümer u n d Gewalten ( K o l . 1. 16), ferner die Mächte (Rom. 8. 33) und die Erzengel (1. Thess. 4. 16), auch werden einmal auserwählte Engel erwähnt (1. T i m . 5. 21). D e m entsprechend unterschied man i n der frühchristlichen Theologie neun Engelchöre. Thomas (Summa contra gentiles 3. 80) verzeichnet sie i n folgender Reihung: Seraphim, Cherubim, Throne, Herrschaften, Kräfte, Mächte, Fürstentümer, Erzengel, Engel. V o n ihnen stehen die Seraphim G o t t am nächsten. Die gleiche O r d n u n g finden w i r bei Dante (Paradies X X V I I I , 98 ff.). I n ihr stehen die Erzengel nur an achter Stelle zwischen den Fürstentümern u n d den Engeln schlechthin. Außerdem sind es nicht drei wie bei Goethe, sondern ein Chor. Andrerseits gibt es die Uberlieferung v o n den drei Erzengeln. O b sie auf die drei geheimnisvollen Männer zurückgeführt werden kann, die Abraham bei den Steineichen v o n Mamre erschienen (Gen. 18. 1), ist durchaus fraglich. D e n n sie waren G o t t selbst, so daß Augustinus (De ci vitate D e i X V I , 29) sagen k a n n : »Abermals erschien G o t t dem A b r a h a m bei der Eiche Mamre i n drei Männern, die Engel waren, w o r a n nicht zu zweifeln ist.« Es w i r d w o h l doch so sein, daß die Nennung der drei N a m e n i n der Heiligen Schrift für den K a n o n der drei Erzengel maßgebend w a r u n d sich trotz der Stelle durchgesetzt hat, w o Raphael v o n sich selber sagt (Tob. 12. 15): »Ich b i n Raphael, einer v o n den sieben heiligen Engeln, die die Gebete der Heiligen 20 Literaturwissensdiaftlidies Jahrbuch, 8. Bd.
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Eckart Peteridi
hinauftragen u n d zu der Herrlichkeit des Heiligen Z u t r i t t haben.« I m Jahre 745 verbot eine römische Synode andere Engelnamen als die kanonischen zu gebrauchen. (Hefele, Konziliengeschichte I I I , 538.) Das w a r offenbar nötig, denn der Engelglaube u n d - k u l t w a r dazu angetan, synkretistische U n o r d nung zu stiften. D a v o r hat schon Paulus gewarnt, als er an die Kolosser schrieb (2. 18): »Niemand soll euch u m den Siegespreis bringen, der sich gefällt i n Kopfhängen u n d Dienst der Engel«, w o m i t der Apostel offensichtlich einen jener heidnischen Engelkulte gemeint hat, die vielfach bezeugt sind. Uber die N a t u r der Engel herrschte übrigens i n der christlichen Frühzeit U n k l a r h e i t ; so neigte zum Beispiel Augustinus (Brief an Paulinus u n d Theresia, Abschnitt 8) noch der Ansicht zu, die Engel hätten einen Leib, wenn auch einen Ätherleib. D i e Lehre v o n der reinen Geistnatur der Engel, die unter anderen Gregor v o n Nyssa u n d Gregor der Große vertreten haben u n d auf der Thomas seine großartige Angelologie aufbaute, hat sich freilich am Ende durchgesetzt. Das vierte L a t e r a n - K o n z i l (1215) hat sie zur Lehre der Kirche gemacht, die das 1. Vatikanische K o n z i l (3. Sitzung, 1. Kapitel) ausdrücklich bestätigte. So werden denn auch die Bedenken, die die römische Synode v o n 745 veranlaßt hatte, die benennbaren Engel auf die drei kanonischen zu beschränken, allmählich geschwunden sein. D i e sieben Engel, v o n denen Raphael spricht, werden uns i n der Apokalypse des Henoch (Kap. 20) m i t N a m e n genannt. I m vierten Buch Esdras spielt v o r allem der Engel U r i e l eine bedeutende Rolle. Die sieben Engel, nämlich die drei kanonischen u n d die vier apokryphen, fanden i m fünfzehnten u n d sechzehnten Jahrhundert Verehrung u n d wurden i n der Kunst dargestellt, v o r allem auch i n Deutschland (Künstle, Ikonographie der christlichen Kunst I , 251). Aber w i r k l i c h volkstümlich sind die apokryphen Engel nie geworden. Verehrt werden die Engel i n ihrer Vielzahl, als himmlische Heerscharen, oder als Schutzengel, ihnen gilt das Fest aller Engel am 2. Oktober. D i e drei kanonischen Engel aber haben jeder ihren eigenen Festtag: Gabriel am 24. M ä r z , dem Tag v o r der Verkündigung an Maria, Raphael am 24. Oktober u n d Michael hat deren sogar zwei, nämlich am 8. M a i u n d am 29. September. Schon dadurch hatten die großen drei den Vorrang. M a n nannte sie einzeln, oft aber auch zusammen, malte sie sogar gemeinsam; u n d man kann sie entgegen der biblischen Überlieferung alle drei den Knaben Tobias begleiten sehn, z u m Beispiel auf einem sehr anmutigen B i l d des Francesco B o t t i c i n i i n den Uffizien. Goethe folgt also einer lebendigen Überlieferung, wenn er die drei an die Spitze der himmlischen Heerscharen stellt u n d als deren Sprecher v o r G o t t auftreten läßt. Als Dramatiker brauchte er zum Chor den Chorführer, konnte sich nicht wie M i l t o n i m 'Paradise lost' ( V , 620) u n d nach seinem V o r b i l d Klopstock i m ersten Gesang des 'Messias' m i t dem Engelchor be-
Die drei Erzengel in Goethes 'Prolog im Himmel'
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gnügen. Die Reihenfolge, i n der die drei auftreten, scheint m i r zu zeigen, daß er v o n dem Rang ausgeht, den sie i n der Heiligen Schrift einnehmen. Der i n ihr am wenigsten hervortretende, nämlich Raphael, spricht zuerst. I h m folgt der weit bedeutungsvollere Gabriel u n d diesem der gewaltigste, nämlich Michael. M a n könnte fragen, ob das Goethe bewußt war. Doch scheint m i r die Frage müßig. Wer so bibelfest ist, wie es Goethe war, der w i r d bei der Darstellung v o n biblischen Gestalten sich dem Biblischen gegenüber zugleich bewußt wie unbewußt realistisch verhalten, quellengemäß. D a z u k o m m t , daß er die ganze folgende Szene, das Gespräch zwischen G o t t u n d Mephistopheles bewußt dem Buch H i o b nachgebildet hat, weswegen er, wie er Eckermann sagte (18. Januar 1825), »eher zu loben als zu tadeln sei«. Zuerst spricht Raphael. E r spielt nur i m A l t e n Testament und z w a r nur ein einziges M a l eine bescheidene Rolle: als Begleiter des Tobias. Wie kein anderer der großen drei hat er sich zu den Menschen herabgelassen. V i e r Monate lang wandert er m i t dem Jüngling Tobias auf den irdischen Straßen. Sein N a m e bedeutet »Gott heilt«. E r ist A r z t , heilt die Blindheit des T o b i t . Aber er ist auch Seelenarzt. I m Buch Henoch (Kap. 10) spricht G o t t zu Raphael: »Sodann heile die Erde, die v o n den (bösen) Engeln verdorben wurde; u n d verkünde die H e i l u n g der Erde, damit sie v o n ihrem Leiden genese.« Gewiß, auch Raphael kehrt, nachdem er sich den Menschen zu erkennen gegeben, zu dem zurück, der i h n gesandt hat (Tobias 12. 20), verläßt das Irdische, aber er ist uns doch nur durch sein W i r k e n i m Irdischen bekannt. So steht er für unser Gefühl G o t t ferner als seine beiden Gefährten i m Erzengelamt u n d w i r könnten uns denken, er sei nicht so tief i n die Geheimnisse des Höchsten eingeweiht wie diese. So jedenfalls zeigt i h n uns Goethe i n den acht Verszeilen, die er i h n sprechen läßt. Ist es doch Raphael, der zuerst ausspricht, was später alle drei i m Chor sagen werden, daß die Engel der Stärkung bedürfen. I h m , Raphael gibt sie die Sonne, o b w o h l deren Wesen für alle drei »unergründlich« ist, wie denn überhaupt Gottes »hohe Werke« für Raphael z w a r herrlich sind »wie am ersten Tag«, doch »unbegreiflich«. Auch dieses M o t i v n i m m t der Dreigesang der Engel wieder auf, doch ohne daß die »hohen Werke«, nachdem Gabriel und Michael hinzugekommen sind, noch so »unbegreiflich« scheinen, wie Raphael sie sieht. Raphaels Worte sind also v o r allem staunende Betrachtung u n d Bewunderung. U n d man könnte vielleicht hinzufügen, sein Standpunkt, der Standp u n k t , v o n dem aus er spricht, sei fast ein irdischer, denn was er sieht, der Sonne »vorgeschriebene Reise«, k a n n auch der Mensch sehn, wenn er freilich auch weder den »Wettgesang i n Brudersphären«, noch den »Donnergang« zu hören vermag. Jedenfalls ergibt sich das, wenn w i r die Sicht Raphaels m i t den w e i t unirdischeren Sichten Gabriels und Michaels vergleichen: 20*
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Eckart Peteridi Die Sonne tönt nach alter Weise In Brudersphären Wettgesang, Und ihre vorgeschriebne Reise Vollendet sie mit Donnergang. Ihr Anblick gibt den Engeln Stärke, Wenn keiner sie ergründen mag; Die unbegreiflich hohen Werke Sind herrlich wie am ersten Tag.
Es folgt Gabriel. Sein N a m e bedeutet » K r a f t « oder auch » M a n n Gottes«. Das ist mehr als »Gott heilt«. Er spielt denn auch i m A l t e n wie i m Neuen Testament eine weit größere Rolle als der Gefährte des Tobias, w i r d uns mehrfach u n d i n verschiedenen, höchst bedeutenden Zusammenhängen m i t N a m e n genannt, erweist sich uns als eine große heilsgeschichtliche Gestalt. E r ist v o r allem der δγγελος, der Bote, der v o n G o t t zu den Menschen k o m m t , aber nicht bei ihnen verweilt, vielmehr ein M i t t l e r ist zwischen der himmlischen u n d der irdischen Sphäre. Als ein Gewaltiger t r i t t er uns bei Daniel entgegen. Der Prophet kann sich nicht genug t u n i n der Schilderung des Glanzes, der v o n diesem Boten Gottes ausgeht (Daniel 10, 5 — 7 ) : » U n d als ich meine Augen aufhob und schaute, da w a r v o r m i r ein M a n n , gekleidet i n leinene Gewänder, während seine Lenden m i t feinem G o l d aus Uphaz umgürtet waren. Sein Leib w a r wie v o n Chrysolit, sein Gesicht strahlte w i e der B l i t z , seine Augen leuchteten wie Feuerfackeln, seine A r m e u n d Füße sahen aus wie poliertes Erz, u n d der Schall seiner Worte w a r wie mächtiges Tosen.« Gabriel w a r es, der dem Zacharias die Geburt Johannes des Täufers verkündete. V o r allem aber ist er der Engel der Verkündigung an Maria, des A v e Maria. Als Bote des Himmels sind seine Wege zwischen H i m m e l u n d Erde ausgespannt, kosmische Wege, auf denen paradiesische H e l l e m i t tiefer Nacht wechselt. U n d unbegreiflich wie dem Raphael Gottes Werke sind, ist i h m die Schnelligkeit der kosmischen Bewegung, der Sphärenlauf. E r spricht: Und schnell und unbegreiflich schnelle Dreht sich umher der Erde Pracht; Es wechselt Paradieses-Helle Mit tiefer, schauervoller Nacht; Es schäumt das Meer in breiten Flüssen Am tiefen Grund der Felsen auf, Und Fels und Meer wird fortgerissen Im ewig schnellen Sphärenlauf. Z u m Schluß spricht Michael, der gewaltigste Erzengel. Nach »Gott heilt«, nach » K r a f t Gottes« spricht »Wer ist wie Gott?«. Er, der Höchste, überschaut allein das Ineinanderwirken der gewaltigen N a t u r k r ä f t e , die G o t t entbunden hat, die »Kette der tiefsten W i r k u n g « . Er beschreibt dieses Geschehen:
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unbegreiflich ist es i h m nicht. Denn er weiß: Gott, der Sturm, B l i t z , Donner, das Verheeren w i l l , wandelt sanft durch den ewigen Tag. Der Schöpfer erscheint dem Erkennenden, Wissenden wie einst dem Propheten Elias nicht i n den Naturkräften, nicht i m Sturm, i m Feuer, i m Erdbeben, sondern als »ein sanftes Säuseln« (1. Könige 19, 12 f.). Michael, der Schutzengel des Volkes Israel (Daniel 10, 13; 10, 21; 12, 1) — u n d zugleich des deutschen Volkes! — spricht: Und Stürme brausen um die Wette, Vom Meer auf's Land, vom Land auf's Meer, Und bilden wütend eine Kette Der tiefsten Wirkung rings umher. Da flammt ein blitzendes Verheeren Dem Pfade vor des Donnerschlags; Doch deine Boten, Herr, verehren Das sanfte Wandeln deines Tags. U n d erst durch diese höhere Einsicht i n Gottes Sanftmut kommen audi Raphael und Gabriel zu der Einsicht, daß nicht die hohen Werke unbegreiflich sind wie die Sonne für Raphael und die Schnelligkeit des Sphärenlaufes für Gabriel, sondern daß G o t t selbst das Unergründliche ist. D a r u m sprechen sie i m C h o r : Der Anblick gibt den Engeln Stärke, Da keiner dich ergründen mag, Und alle deine hohen Werke Sind herrlich wie am ersten Tag. Mnemosyne, lehrten die Griechen, sei die M u t t e r der Musen. Sie ist, glaube ich, auch am W e r k gewesen, als Goethe den 'Prolog i m H i m m e l ' schrieb.
E R I N N E R U N G E N A N ERNST STADLER V o n D i r k Forster
A m 30. Oktober 1914 ist der Dichter Ernst M a r i a Stadler, Leutnant d. R . u n d Führer einer Munitionskolonne i n einem oberelsässischen FeldartillerieRegiment, bei Zandvoorde südöstlich v o n Y p e r n gefallen. Als L y r i k e r lebt er durch einen einzigen schmalen Gedichtband weiter, den 'Aufbruch', der 1914 i n dem v o n K u r t W o l f f geleiteten Leipziger Verlag der »Weißen Blätter« erschien. Uber seine Dichtkunst zu urteilen, b i n ich nicht berufen. Diese Erinnerungen eines Dreiundachtzigjährigen sind dem Andenken an den Freund gewidmet. Stadler wurde am 11. 8.1883 i n Colmar i m Obereisass geboren. E r stammte nicht aus einer altelsässischen Familie; seine Eltern, beide bayerischer H e r k u n f t , waren m i t ihrem ältesten Sohn Herbert nach 1871 i n das Reichsland eingewandert. Seinen Vater habe ich nur wenig gekannt; aber ich wußte, daß er, zuletzt K u r a t o r der Straßburger Universität, als v o r züglicher Beamter u n d wegen seiner persönlichen Eigenschaften allgemein geachtet war. Deutlich erinnere ich mich an seine M u t t e r , die die Freunde ihres Sohnes m i t ihrer natürlichen Güte umfing. Ich glaube, daß sie es war, der er viel v o n seiner Frohnatur u n d Lust zu fabulieren verdankte. Meine Bekanntschaft m i t Stadler begann 1901. E r w a r v o r einigen M o naten wegen seines Versagens i n der Mathematik i m A b i t u r durchgefallen, aber das beeinträchtigte seine gute Laune nur wenig. E r schien das Vertrauen zu haben, daß die Examenskommission i h m angesichts seiner guten Leistungen auf anderen Gebieten das Reifezeugnis nicht ein zweites M a l versagen werde. Wenn ich an den Beginn unserer Freundschaft zurückdenke, steht weniger das B i l d eines jungen Literaten v o r meinen Augen, als das eines sehr geselligen, ungewöhnlich klugen u n d vielseitig interessierten Studenten, der sich m i t der Freude des Unabhängigen dem Leben zuwandte und seine dichterischen Träume u n d Phantasien für sich behielt. V o n allem, was w i r damals zusammen erlebten, drängt sich m i r besonders die Erinnerung an unsere einsamen nächtlichen Spaziergänge auf. Sie führten uns gewöhnlich entlang der I I I durch das älteste Viertel Straßburgs; seine
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Schönheit gehörte zu unserem Wohlgefühl, das ohne sie nicht hätte sein können, was es war. Einer begleitete den anderen nach Hause, u n d wurde, wenn w i r am Ziel angekommen waren, immer wieder zurückbegleitet. D i e Zeit stand still; Weg u n d Gespräch schienen kein Ende zu haben. W i r redeten, ernst oder heiter, über G o t t u n d die Welt. Ohne daß w i r darauf achteten, w a r Stadler meist der Tonangebende. Aber w i r beide waren glücklich darüber, sagen zu können, was uns i n den Sinn k a m ; denn w i r wußten, der Freund werde Spreu u n d Weizen schon sondern und nur das, was er der Mühe für wert hielt, i m Gedächtnis behalten. V o n den üblichen Studentenulken, die w i r gelegentlich auf unseren Gängen vollführten, möchte ich einen erwähnen, w e i l Stadler i h n später öfters m i t Behagen zitierte. A m Hause eines Musiklehrers, den der sehr musikalische Freund nicht leiden mochte, fiel uns das Namensschildchen auf, w e i l es den Beruf ziemlich großspurig bezeichnete. I n unserer übermütigen Laune schraubten w i r es ab u n d warfen es i n die 111. Als uns nachher das Gewissen drückte, steckten w i r einen anonymen Brief m i t einem, wie uns schien, recht anständigen Entschädigungsbetrag i n den Briefkasten. I n einem Eingesandt beklagte der Musiklehrer die rohen Sitten der heutigen Jugend u n d beschwerte sich heftig darüber, daß der Gegenwert für die schmucke Tafel viel zu niedrig sei. Darauf machten w i r i h m i n Knüttelversen das Angebot, das große Schild eines i n der N ä h e seiner W o h n u n g gelegenen Seifengeschäftes für i h n zu stehlen. Das Elaborat wurde anscheinend v o m Empfänger der Presse übermittelt und v o n sehr vielen deutschen Zeitungen unter der Überschrift 'Der eingeseifte Musikus* abgedruckt. Stadler meinte dazu, nie mehr werde ein Gedicht v o n i h m einen so großen Erfolg haben. Wie gut hatte es die damalige Jugend, i m Gegensatz zu derjenigen der folgenden Generationen, die u m die Freiheit, zu sich selbst zu finden, immer schwerer kämpfen mußte! A n seiner Heimatstadt und der elsässischen Landschaft hing Stadler m i t tiefer Liebe. Sie gehörten, glaube ich, zu den wesentlichen Grundlagen, die seinen Geist formten u n d seine Dichtkunst bestimmten. Z u der eingeborenen Bevölkerung stand er i n einem menschlich nahen Verhältnis, das i h m selbstverständlich war. Während viele Reichsdeutsche den Elsässern gern Mangel an D i s z i p l i n u n d an Achtung v o r der Staatsgewalt u n d ihren Vertretern vorwarfen u n d die Forderung erhoben, »hier müsse i n kürzester Frist O r d nung geschaffen werden«, verstand Stadler die Schwierigkeit ihrer Lage zwischen den beiden übermächtigen Staaten, v o n denen jeder das Elsaß als einen rechtmäßigen T e i l seines Gebietes ansah. Er erkannte auch, daß die w e i t überwiegende Mehrheit der Eingesessenen wenigstens i m Unterelsaß (dem nördlichen T e i l des Elsasses) geneigt war, den H e r r g o t t einen guten
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M a n n sein zu lassen und «die Vorteile des gegenwärtigen Zustandes zu nützen, ohne sich über die Z u k u n f t ihres Landes unfruchtbare Gedanken zu machen. D a r i n sah er das Anzeichen einer für Einheimische u n d Eingewanderte günstigen Entwicklung. D i e unbefangene und freie H a l t u n g Stadlers gewann i h m die Herzen zumal der jungen Elsässer u n d ermöglichte es ihm, auch heikele politische Themen ruhig u n d bisweilen i n ausgesprochen scherzhafter Weise m i t ihnen zu erörtern. Ich erinnere mich, daß er stets verständisvolle Heiterkeit hervorrief, w e n n er bei fröhlichen Gelagen m i t Gleichaltrigen ihnen bisweilen m i t den Worten z u t r a n k : »Süffe, süffe, daß m ' r widder franzesch werre!« Besonderen Erfolg hatte der äußerlich anziehende, lustige u n d einfühlende Student bei den jungen Elsässerinnen. Daß sie auch i h m gefielen, w i r d niemanden wundernehmen, der ihre natürliche A n m u t u n d Ungezwungenheit, ihre Vernünftigkeit u n d heitere Selbstsicherheit kennt. U m falschen Schlüssen vorzubeugen, möchte ich hinzufügen, daß es Stadler bei seiner feurigen Hinneigung zum weiblichen Geschlecht weniger auf die H e r k u n f t , als auf die persönlichen Eigenschaften ankam. Wie aus der Literaturgeschichte bekannt, hatte sich zu A n f a n g des Jahrhunderts i n Straßburg eine Gruppe junger einheimischer u n d reichsdeutscher Literaten gebildet, das «Jüngste Eisass«. I h r führender K o p f w a r der bekannte altelsässische Dichter u n d Schriftsteller René Schickele, den m i t Stadler bis zu dessen T o d eine auf tiefer Sympathie u n d Geistesverwandtschaft beruhende Freundschaft verband. E r w a r auch der Inspirator einer damals vielbeachteten literarischen u n d kulturellen Bewegung, die m i t der Begeisterungsfähigkeit u n d Angriffslust, freilich auch m i t dem Überschwang und der Unerfahrenheit der Jugend eine geistige Erneuerung des Elsasses u n d darüber hinaus eine neuartige M i t t l e r r o l l e des Landes i n einem künftigen geeinten Europa erstrebte. I h r Organ w a r zunächst die i m J u l i 1903 gegründete Zeitschrift 'Der Stürmer', die aber nach wenigen Monaten einging, und unmittelbar darauf 'Der Merker', der es meines Wissens nur zu einer N u m mer brachte. Nachher vertrat die Bewegung ihre Gedanken i n reichs deutschen und auch ausländischen avantgardistischen Blättern. Stadler w a r an ihr v o n Anfang an sehr a k t i v beteiligt. Sie übte auf seine menschliche und künstlerische Entwicklung einen nachhaltigen Einfluß aus. D i e Mitglieder des »Jüngsten Eisass« hielten i n den ersten Jahren ihre Zusammenkünfte u n d festlichen Gelage i n der großen Dachkammer eines der gotischen Wachttürme ab, die, am Rande der Stadt auf dem »Bungewehr« (den »Ponts Couverts«) gelegen, zu den charakteristischen Wahrzeichen Straßburgs gehörten. V o n dort oben hatte man einen weiten Blick auf die i n der Abendsonne rotglühende Sandsteinfassade des Münsters, die male-
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rischen alten Giebeldächer m i t ihren Storchnestern u n d die wasser- u n d baumreiche Ill-Landschaft. Schickele hat i n seinem dem Andenken Stadlers gewidmeten Gedicht c D i e Stürmer' gezeigt, wie lebendig i h m das »Nest i m alten T u r m « u n d die jungen Schwarmgeister, die dort i h r Wesen trieben*, noch nach zwei Jahrzehnten i m Gedächtnis geblieben waren. I n diesem für mich etwas fremdartigen, aber reizvollen Milieu, i n dem ich öfters zu Gast war, erschien m i r der Freund i n neuem Licht. Der 'Stürmer' brachte auch Stadlers erste literarische Versuche. Nachdem dieser eingegangen w a r , veröffentlichte er seine allmählich reger werdende Produktion, Prosastücke, Gedichte, Essais und K r i t i k e n , i n anderen, einheimischen und reichsdeutschen, Zeitschriften. Anfang 1905 gab Stadler i n dem damals angesehenen Straßburger Verlag v o n Josef Singer den kleinen Versband 'Präludien' heraus, für den der begabte elsässische Maler u n d Zeichner Georges Ritleng den Buchschmuck lieferte. E r enthält außer den Gedichten das v o n Verlaine angeregte lyrische Spiel 'Freundinnen', i n dem sich zwei junge Lesbierinnen beim »Hochzeitsreigen brünstig dunkler Stimmen« auf ihre v o m »Fackelglanz des weißen Mondes flatternd umgaukelte« Liebesnacht vorbereiten. I m ganzen zeigen die 'Präludien' bereits eine auffallende, freilich v o n den großen Vorbildern der Zeit noch v ö l l i g abhängige, sprachliche Ausdrucksfähigkeit, lassen aber i n ihrem wortreichen Überschwang u n d der Übersteigerung innerlich fremder Gefühle den Dichter des 'Aufbruchs' noch k a u m erkennen. N u r einzelne Übertragungen, z. B. die des schönen ritornellartigen Gedichtes 'La Lune Jaune' v o n H e n r i de Regnier, geben Zeugnis v o n der meisterhaften Übersetzungskunst, die später die 'Gebete der D e m u t ' nach Francis Jammes auszeichnet. Nach dem Erscheinen der 'Präludien' wandte sich Stadler mehr als bisher seinem Studium zu, insbesondere seiner Dissertation über W o l f r a m v o n Eschenbach, die i h m der bekannte Straßburger Literarhistoriker M a r t i n gegeben hatte. V o n seinem Eifer bekam ich einen einigermaßen überraschenden Eindruck, wenn ich sah, wie er unter dem überall i n seinem Zimmer ausgebreiteten Wust v o n N o t i z e n verzweifelt nach einem bestimmten Zettel suchte. Dabei sagte er dann gelegentlich, halb zu m i r , halb zu sich selbst: »Besser diese Arbeit, als unnütze Verse schreiben!« Stadler sollte bald Gelegenheit haben, seinen Gesichtskreis beträchtlich zu erweitern. Nachdem er 1906 die D o k t o r p r ü f u n g bestanden hatte, ging er i m Herbst als Rhodesstipendiat nach O x f o r d , w o er etwa zwei Jahre blieb. * Zu ihnen gehörte auch der vor kurzem gestorbene Hans Arp, der es sich damals nicht träumen ließ, daß sein Name einmal zu internationalem Ruf gelangen werde.
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D o r t gehörte er dem Magdalen College an, einem der ältesten der U n i versität, typisch für den Begriff »Oxford« m i t seinen Vorteilen und Nachteilen. H i e r erwarb er sich die gründliche Kenntnis der englischen Literatur, für die später seine beiden Werke über Shakespeare und die Herausgabe v o n Wielands Shakespeare-Ubersetzung Zeugnis ablegten. Darüber hinaus bot sich i h m die willkommene Gelegenheit eines tiefen Einblicks i n das Wesen u n d den Geist der Engländer, insbesondere der jungen englischen Elite. Die W i r k u n g seines Aufenthalts i n O x f o r d w a r u m so nachdrücklicher, als er aufgrund seiner leidenschaftlichen Phantasie u n d seines außergewöhnlichen E i n fühlungsvermögens stets dazu neigte, sich neuen Eindrücken soweit hinzugeben, daß es schien, als identifiziere er sich m i t ihnen. Der Anschein w a r aber immer trügerisch. Selbst wenn er sich zunächst an sie zu verlieren drohte, fand er bald wieder zu sich zurück. Später hat er sich m i r gegenüber oft darüber ausgesprochen, w i e w e r t v o l l die Jahre i n England für seine menschliche Entwicklung gewesen seien. I n der ersten Zeit nach seiner Rückkehr aus O x f o r d zeigte sich der englische Einfluß unverkennbar auch an Äußerlichkeiten. D a f ü r möchte ich als Beispiel eine flüchtige, aber 'bezeichnende Szene anführen. Bei einem Bummel U n t e r den Linden i n Berlin begegneten w i r einmal einer auffallend reizvollen jungen Person, die Stadler unverwandt m i t eindringlichen Blicken betrachtete. Lebhaft v o n m i r ermuntert, folgte er i h r , kehrte aber alsbald zu m i r zurück und berichtete m i t der i h m i n solchen Augenblicken eigenen Selbstironie: Sie habe sich bereitwillig auf ein Gespräch eingelassen, dann aber plötzlich erklärt, daß sie nunmehr befriedigt sei; sie habe nur sehen wollen, was an dem jungen Deutschen sei, der sich m i t solchem Eifer bemühe, i n A n z u g u n d Gebärden den Engländer z u spielen. U m diese Zeit sprürte ich, ohne m i r zunächst deutlich Rechenschaft davon zu geben, daß sich bei Stadler eine neue geistige Entwicklung angebahnt hatte. Ausgehend v o n dem Gefühl, daß er sich bisher, ungeachtet seiner Freude am Dasein u n d der Ernsthaftigkeit seines Studiums, zu sehr seinen Träumereien hingegeben u n d v o m praktischen Leben abgesondert habe, suchte er neue Wege, die i h n m i t der Wirklichkeit des Alltags u n d den Interessen der Allgemeinheit i n nähere Berührung bringen sollten. M i t zunehmendem Eifer wandte er sich daher sozialen, politischen, v o r allem außenpolitischen, u n d ethischen Problemen zu u n d bemühte sich, die zu ihrer Beurteilung erforderlichen Kenntnisse zu mehren u n d zu vertiefen. I m v o l len Bewußtsein der Schwierigkeiten versuchte er auch nachdrücklich, auf dem Gebiete der internationalen Friedenssicherung, für die er sich schon frühzeitig begeistert hatte, seine Gedanken zu klären u n d den gegebenen praktischen Möglichkeiten anzupassen.
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I n dem aufschlußreichen Gedidit 'Der Spruch', m i t dem er auf ein D i s t i chon aus dem 'Cherubinischen Wandersmann' v o n Angelus Silesius anspielte, hat Stadler diese Entwicklung rückschauend betrachtet. Ergreifend schildert er darin nicht nur seinen jahrelangen Zwiespalt zwischen T r a u m u n d W i r k lichkeit, zwischen Schein u n d Wahrheit, sondern auch sein immer erfolgreicheres Bestreben, i h n zu überwinden und »wesentlich« zu werden. Einen ähnlichen Weg ging er i n seiner Dichtkunst. Es kamen nunmehr die Jahre, i n denen er sie v o n dem, was ihr noch an jugendlicher Befangenheit geblieben w a r , befreite u n d sie zu der i h r bestimmten Reife führte. Diese Entwicklung darzulegen gehört, w i e ich eingangs hervorhob, nicht zu der Aufgabe, die ich m i r i n diesen Erinnerungen gestellt habe. Ich halte es aber für angebracht, über Stadlers Mitarbeit an der Zeitschrift 'Les Cahiers Alsaciens' ein W o r t zu sagen, w e i l sie i h m damals v o n gewissen reichsdeutschen Kreisen aus politischen Gründen verübelt wurde u n d nach seinem T o d i n der Literatur den Gegenstand ausgiebiger und einander widersprechender Erörterungen bildete. D i e 'Cahiers Alsaciens' wurden v o n dem i n Straßburg sehr bekannten elsässischen A r z t Piere Bucher (1869—1921) herausgegeben. Hochgebildet, literarisch u n d künstlerisch sehr versiert, w a r er der Repräsentant u n d Inspirator der i m Untereisass verhältnismäßig wenig zahlreichen Altelsässer, die der französischen Sache unbedingt ergeben waren u n d die H o f f n u n g hatten, die Rückkehr des Reichslandes zu Frankreich noch zu erleben; dann w o l l t e er sich dafür einsetzen, daß seinem L a n d i m Rahmen der Einen u n d Unteilbaren Republik die Eigenständigkeit gewahrt bleibe. I m H i n b l i c k auf diese Ziele widmete Bucher sich m i t Eifer u n d unleugbarer Sachkunde der Erhaltung des aus der französischen Vergangenheit stammenden, k u l t u rell wertvollen elsässischen Hausrats, der das vorzüglich v o n i h m geführte 'Musée Alsacien' i n Straßburg diente. Auch w a r er nach K r ä f t e n bemüht, den französischen Einfluß auf das geistige Leben i m Eisass zu fördern, w o bei i h m seine engen Verbindungen zur Pariser kulturellen Elite sehr zu statten kamen. M i t bemerkenswertem Geschick vermied er es, bei den Reichsdeutschen den Eindruck einer einseitig gegen sie gerichteten Feindschaft hervorzurufen. I m Sinne seiner Bestrebungen machte er die 'Cahiers' zu einer wertvollen Zeitschrift, die auch bei den geistig interessierten Eingewanderten Anerkennung fand. Stadler w a r die Gesinnung Buchers bekannt. Wie nachgelassene Briefe zeigen, w a r er sich der Problematik seiner M i t a r b e i t an den 'Cahiers' durchaus bewußt. Aus unseren Unterhaltungen gewann ich den Eindruck, daß er die Entstellung seiner politischen H a l t u n g , zu der sie i n gewissen Kreisen führte, nicht sonderlich ernst nahm. Er vertraute darauf, daß seine A r t i k e l , die nur literarische Themen behandelten, auf die Dauer bei allen politisch
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Unvoreingenommenen für sich selbst sprechen u n d nur v o n denjenigen Reichsdeutschen mißdeutet werden würden, die aus nationalistischen Gründen die Freiheit des Wortes i m Reichsland grundsätzlich ablehnten. Seine M i t a r b e i t an der Zeitschrift beruhte, glaube ich, v o r allem darauf, daß i h r geistiges N i v e a u i h m zusagte. Er hoffte w o h l auch, dadurch m i t einigen französischen Schriftstellern, die er bewunderte, persönliche Beziehungen anknüpfen zu können. Sicherlich lag es i h m fern, die politischen Absichten Buchers, wenn audi nur aus Lässigkeit, z u unterstützen. D a z u waren seine Liebe z u m Eisass und seine Überzeugung, daß es zu Deutschland gehöre, zu ursprünglich u n d stark. I n den letzten Jahren v o r dem Kriege hatte Stadler seinen Wohnsitz i n Brüssel, ich den meinigen i n Berlin; das führte dazu, daß w i r uns nur selten, meistens i n Straßburg, wiedersahen. Ich sehe davon ab, meine Erinnerungen an unsere Begegnungen, die zeigten, daß die persönliche Trennung unsere Freundschaft nicht beeinträchtigte, hier wiederzugeben, u m meine Aufzeichnung nicht über Gebühr z u verlängern. Ich möchte aber auf eine i h n betreffende, etwas mysteriöse Todesprophezeiung eingehen, die i n der Literat u r ausführlich behandelt w i r d . Ich habe die Vorgänge zwar nicht miterlebt, w i l l aber Angaben, die über das Verhalten Stadlers verbreitet wurden, nicht ohne Widerspruch lassen. Nach einer Fülle v o n Mitteilungen, die alle aus der Zeit nach seinem Tode stammten, hat Stadler unmittelbar v o r Kriegsausbruch i n Anwesenheit zahlreicher Freunde immer wieder davon gesprochen, daß i h m v o r einigen Monaten i n Brüssel oder Paris eine Zigeunerin vorausgesagt habe, er werde noch i n diesem Jahre eines gewaltsamen Todes sterben. Fast alle Berichte schildern die Begleitumstände, unter denen seine Äußerungen erfolgten, i n dramatischer Weise, weichen aber i n den Einzelheiten stark voneinander ab. Dagegen stimmen sie, soweit ich sehe, darin überein, daß Stadler ungewöhnlich erregt gewesen sei u n d sich durch nichts v o n seinen mutlosen Gedanken habe abbringen lassen. Hiernach k a n n es, glaube ich, als erwiesen gelten, daß die Prophezeiung tatsächlich stattgefunden hat. Ich stelle aber die W i r k u n g , die sie auf i h n ausgeübt haben soll, i n Frage. Daß er m i r nie A n l a ß gab, auf die Belastung seines Gemüts durch eine Todesankündigung zu schließen, ist freilich nicht ausschlaggebend, u m so weniger, als w i r i n der fraglichen Zeit nicht i n Verbindung standen. Es f ä l l t m i r aber schwer, m i r vorzustellen, daß seine Gedanken angesichts des der Allgemeinheit unmittelbar drohenden Unheils so ausschließlich v o n der Sorge u m das eigene Schicksal beherrscht gewesen sein sollten. Stadler w a r bis ins tiefste Innere unglücklich über den Krieg. Das w a r der G r u n d für seine Erregung. Es ist möglich, daß diejenigen, die sie anders deuteten, sich durch ihre Trauer u m den T o d des Freundes und i h r
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Erschauern v o r seinem Schicksal bestimmen ließen, der Persönlichkeit Stadlers nachträglich einen legendären Z u g zu verleihen, der das M i t g e f ü h l steigern sollte, i n Wahrheit aber sein Charakterbild trübte. Jedenfalls möchte ich, solange mich nicht eindeutige Beweise widerlegen, der Überzeugung Ausdruck geben, daß die Aussagen über seine H a l t u n g den Tatsachen nicht gerecht werden. Sie stehen nicht i m Einklang m i t seiner Mannhaftigkeit und Selbstlosigkeit. I n den wenigen Kriegsmonaten bevor Stadler fiel, sahen w i r uns, o b w o h l w i r demselben Regimente zugeteilt waren, nur, wenn ein seltener Glückszufall es fügte, daß w i r i m gleichen Ruhequartier zusammentrafen. I n meinen Gedanken steht sein B i l d v o r m i r als das eines tatkräftigen u n d unermüdlichen Helfers der unter dem Kriege leidenden Bevölkerung. I m übrigen möchte ich nur noch bezeugen, daß die, soweit m i r bekannt, zum ersten Male 1925 v o m 'Literarischen Echo* aufgebrachte u n d i n der Literatur gelegentlich verwertete Nachricht, an der flandrischen Front sei es zu einer Verbindung zwischen Stadler und dem französischen Schriftsteller u n d Religionsphilosophen Charles Péguy gekommen, ins Reich der Legende gehört. Dieser Feststellung v o n m i r bedarf es eigentlich nicht. Die Zeitschrift sprach davon, daß beide v o m Schützengraben aus einander erkannt und sich Zettel m i t eigentümlich anmutenden Freundschaftsbeteuerungen zugeworfen hätten. K e i n Kriegsteilnehmer w i r d , meine ich, daran zweifeln, daß hier ein Wohlmeinender die Phantasie, über die er verfügte, hat spielen lassen. Ungeachtet der langen Perioden, i n denen w i r getrennt lebten, w a r unsere Korrespondenz nie sehr rege. Dennoch hatte sich bei m i r i m Laufe der Zeit eine ganze A n z a h l interessanter Briefe angesammelt; leider sind sie A n f a n g 1945 den Bombenangriffen auf Berlin zum Opfer gefallen. Einer dieser Briefe ist m i r besonders gut i m Gedächtnis geblieben, w e i l er m i r einen tiefen Einblick i n Stadlers Dichtkunst gab. T r o t z der Schwierigkeiten, die m i r entgegenstehen, möchte ich versuchen, seinen I n h a l t i n einer Weise wiederzugeben, die i h m einigermaßen gerecht w i r d . Ich hatte Stadler brieflich ausgesprochen, wie sehr ich das Schlußgedicht des 'Aufbruch' über die Figuren am Südportal des Straßburger Münsters liebe, und nur nebenher angedeutet, daß m i r die Verszeile »Gab dem W a n deln ihrer Füße die Musik v o n Orgeln, die an Sonntagen aus Kirchentüren quellen« dem wundersamen Flusse des Ganzen nicht v ö l l i g z u entsprechen scheine. I n seiner A n t w o r t nahm Stadler meine Bemerkung, deren Tragweite er offensichtlich überschätzte, z u m Ausgangspunkt. Er sei für jede K r i t i k empfänglich, die nicht u m ihrer selbst w i l l e n geübt werde. U n d doch gebe es Gedichte, die ihm, möge ihr W e r t sein, wie er wolle, so lieb seien, daß es
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i h m schwer falle, auf eine Anregung v o n außen eine Yerszeile zu ändern. D a m i t ich das verstehe, mache er den für i h n ganz ungewöhnlichen Versuch, zu erklären, wie diese Gedichte, die er für seine besten halte, entständen. M i t ihnen habe es eine eigene Bewandtnis. Sie kämen i h m nicht v o n ungefähr. D a m i t meine er nicht etwa, daß eine Eingebung v o m H i m m e l herab i h m die Gedichte »schenke«. Bevor sie Gestalt und Form fänden, fühle er regelmäßig eiinen Aufschwung seiner Dichtfreudigkeit, der i h m eine Verheißung bedeute. E r sei aber nur ein Vorbote. D i e eigentliche Arbeit beginne erst. Ich werde das w o h l kein schönes W o r t finden. Aber ein besseres falle i h m nicht ein; er habe auch keine Scheu davor, da es für i h n keine kunstfremde Bedeutung habe. Ich müsse bedenken, daß z u m Versemachen auch Sachkunde u n d vernünftige Überlegung nötig seien. Mühevolle Selbstk r i t i k gehöre gleichfalls dazu, die bei i h m , wie er glaube, so ausgebildet sei, daß sie i h n oft unsicher mache u n d mehr hemme als fördere. Diese A r t v o n Arbeit sei natürlich nicht das Wesentliche. Bei jeder geistigen Betätigung, erst recht bei der künstlerischen, erstehe das Außergewöhnliche nur unter der E i n w i r k u n g der Inspiration, jener K r a f t , auf die man sich zu o f t m i t leichtem Sinn berufe, ohne ihre Bedeutung u n d ihren W e r t sonderlich zu achten. Was sie sei, wage er nicht zu sagen; dazu sei sie zu tiefgründig u n d geheimnisvoll. Er wisse aber, daß dem Dichter, wenn sie i h m fehle, das »heilige, das i h m am Herzen liege, das Gedicht« nicht gelinge.
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Georg Baesecke, Kleinere Schriften zur althochdeutschen Sprache und Literatur. Hrsg. u n d m i t einem Nachwort versehen v o n Werner Schröder. Bern und München 1966, Francke-Verlag. 468 S. Georg Baesecke ist 1951 mitten i n der Arbeit an seiner umfassenden ' V o r u n d Frühgeschichte des deutschen Schrifttums' gestorben. Die 'Vorgeschichte' w a r schon 1940 herausgekommen, aber v o n der 'Frühgeschichte', diesem eigentlichen Z i e l der zweiten H ä l f t e v o n Baeseckes Lebensarbeit, einer Geschichte der ahd. Literatur, w a r damals erst eine Lieferung erschienen. Eine zweite konnte Ingeborg Schröbler noch nach seinem Tode herausgeben. Beide Lieferungen führen nicht über die ältesten Glossen hinaus. Den schmerzlichen Torso k a n n nun i n gewissem Sinne dieser Sammelband m i t Aufsätzen Baeseckes aus den Jahren 1921 bis 1949 ergänzen. Er kann zugleich eine Einführung i n die Probleme des ahd. Schrifttums sein, die i n ihrer offenen Form vielleicht sogar eher der uneinheitlichen Vielschichtigkeit der ahd. Uberlieferung entspricht, als es die v o n Baesecke erstrebte Darstellung einer i n sich geschlossenen Geschichte der ahd. Literat u r gewesen wäre. (Gegen diese Feststellung hätte allerdings Baesecke m i t Schärfe protestiert.) Schon durch die Auswahl der Aufsätze ist der Charakter eines Ergänzungsbandes zur ' V o r - u n d Frühgeschichte' gegeben: N i c h t aufgenommen wurden diejenigen Aufsätze, die i n den erschienenen Teilen, bisweilen i n wörtlicher Übernahme, aufgegangen sind. N u r der i n PBB 59 (1935) veröffentlichte Aufsatz über 'Die deutschen Worte der germanischen Gesetze' w i r d weiterhin auch i m Erstdruck zu Rate gezogen werden müssen, da i n der 'Frühgeschichte' nur seine Ergebnisse verwertet wurden, u n d er hier als zu umfänglich beiseite gelassen werden mußte. Aus dem Bereich der ahd. Literatur fehlen die kleineren selbständigen Veröffentlichungen aus dem Jahre 1948 ('Die Uberlieferung des ahd. Tatian' und 'Das lat.-ahd. Reimgebet u n d das Rätsel v o m Vogel federlos') und die beiden Aufsätze zum ' M u s p i l l i ' (Sitzungsber. d. Preuß. A k a d . d. Wiss. 1918 und Z f d A 82, 1948/50) sowie das großangelegte Unternehmen, die 'altdeutschen Beichten' i n ein großes Stemma einzubauen (PBB 49, 1925). Den A n f a n g der Sammlung bildet, kennzeichnend und richtungweisend für Baeseckes Beschäftigung m i t dem ahd. Schrifttum, der Aufsatz 'Hrabans Isidorglossierung, W a l a h f r i d Strabus und das ahd. Schrifttum' (1921), i n welchem er bereits sein B i l d v o n der Führerrolle Hrabans und der M i t t l e r 21 Literaturwissenschaftliches Jahrbuch, 8. Bd.
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rolle seines Schülers W a l a h f r i d zeichnet. Die 'St. Emmeramer Studien* (1922) gelten den i n Regensburg lokalisierten Denkmälern wie dem 'Psalm 138', dem ' M u s p i l l i ' , dem 'Wessobrunner Gebet' u n d der 'Samanunga uuorto'. I n der Untersuchung über ' D i e deutschen Genesisglossen der Familie * R z ' (1924) wandte sich Baesecke (nach Fulda u n d Regensburg) dem dritten ahd. K u l t u r z e n t r u m zu, der Reichenau. Die Ernte der ersten Phase des Ringens u m die ahd. Literatur bringen die A r t i k e l ' A h d . Literatur', 'Beichtformel' u n d ' A h d . Glossen' für das Reallexikon ein (1925/26). Der Reichenau sind auch die beiden folgenden Aufsätze gewidmet: einmal dem »althochdeutschen Schrifttum v o n Reichenau« (1927) u n d dann der grammatischen Auswertung des Namenmaterials i n 'Das A h d . v o n Reichenau nach den N a m e n seiner Mönchslisten' (1928). Seine Forschungen z u m ältesten deutschen Buch, dem er den heute gebräuchlichen N a m e n gegeben hat, werden i n der Sammlung durch den Aufsatz über 'Die Sprache des deutschen Abrogans' (1931) repräsentiert. Nach zehn Jahren zog Baesecke wieder Bilanz i n einem Überblick 'Das heutige B i l d des A h d . ' (1935). I n 'Contra caducum morbum' (1938) verfolgte er dann einen erst aus frühmhd. Zeit überlieferten Spruch i n seine ahd. Ursprünge zurück. Den mannigfachen W u r z e l n des 'Abecedarium N o r d m a n n i c u m ' (1941) galten seine nächsten Untersuchungen. Ebenfalls über den engeren ahd. Zeitraum hinaus f ü h r t die Auseinandersetzung m i t den philologischen u n d literarischen Problemen des ' K ö l b i g k e r Tanzes' (1941). I n die Diskussion u m die Frühgeschichte des Wortes »deutsch« greift Baesecke ein m i t seinen Erörterungen über 'Das Nationalbewußtsein der Deutschen des Karolingerreiches nach den zeitgenössischen Benennungen ihrer Sprache' (1943). D a r a u f folgt ungefähr wieder nach einem Jahrzehnt eine weitere Zusammenfassung 'Das Althochdeutsche' (1944). I n dem Aufsatz 'Die ahd. u n d as. Taufgelöbnisse' (1944) w i r d einmal mehr der Versuch unternommen, an einem literarischen Typus eine stemmatologisch faßbare Einheit zu erkämpfen, indem die erhaltenen Ausprägungen auf einen lateinischen Archetypus zurückgeführt werden. Der folgende Aufsatz ' D i e altdeutschen Taufgelöbnisse' (1947) geht den umgekehrten Weg, v o m Archetypus zu den Einzelfassungen. Die beiden letzten Aufsätze 'Fulda u n d die altsächsischen Bibelepen' (1948) und ' D i e Karlische Renaissance u n d das deutsche Schrifttum' (1949) (hier abgedruckt nach einer noch v o n Baesecke redigierten Fassung u n d bearbeitet v o n I . Schröbler) enthalten die Vorarbeiten für die nächstfolgenden, nicht mehr fertiggestellten K a p i t e l der 'Frühgeschichte'. V o n Baeseckes zahlreichen Rezensionen sind zwei aufgenommen: I n ihnen geht es u m paläographische Fragen (über B. Bischoff, D i e südostdt. Schreibschulen u n d Bibliotheken der Karolingerzeit I , 1940) u n d u m Probleme der niedersächsischen Sprachgeschichte (E. Rooth, Saxonica, 1949). O b w o h l die Aufsätze einfach chronologisch angeordnet sind, zeigt der Sammelband einen sinnvollen A u f b a u : Er gibt ein lebendiges B i l d v o n dem planmäßigen Eindringen Baeseckes i n die Probleme des aus der ahd. Zeit
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Überlieferten und v o n seiner Sichtung des Materials i m H i n b l i c k auf das nicht mehr erreichte Ziel einer Gesamtdarstellung, die i n den jeweils i n Dekaden aufeinanderfolgenden Epochenabrissen ihren Niederschlag fanden. Der Band offenbart exemplarisch die 'Grenzen und Möglichkeiten einer ahd. Literaturgeschichte', so wie sie schon der Herausgeber i n seiner richtungweisenden Akademieabhandlung dieses Titels (Ber. über d. Verh. d. Sächs. A k a d . d. Wiss. Phil.-hist. K l . 105, 2; 1959) dargelegt hat, gerade i n der Auseinandersetzung m i t dem Erbe seines Lehrers Baesecke. Schröder hat dort schon i m Anschluß an I . Schröbler den »von der Textgeschichte auf die B i l dungsgeschichte übertragenen Stemma-Glauben« (S. 39) Baeseckes kritisiert, der diesen u. a. dazu verführt habe, eine Hauptentwicklungslinie 'Tatian'' H e l i a n d ' - ' O t f r i e d ' zu konstruieren, ohne daß die zugrundeliegende Hochschätzung Hrabans als »Mäzen deutscher Literatur« i n den überkommenen Dokumenten hinreichend begründet wäre. Der Versuch, anstelle der Z u sammenhanglosigkeit u n d Zufälligkeit der ahd. Uberlieferung eine i n sich geschlossene Geschichtskonstruktion zu liefern, verleitete Baesecke öfters, über die Grenzen des Möglichen hinauszuspekulieren. Der Ausgangspunkt seiner Bemühungen w a r das »Paradies der Glossen«, m i t deren H i l f e er »die eigentliche Einheit des Ahd.« zu finden hoffte (S.224). E r hat z w a r gesehen, daß die Glossen außer für die Sprachgeschichte mehr für die Geistesgeschichte als die Literaturgeschichte v o n Bedeutung sind, daß also v o n den Glossen eine »künftige Geschichte der deutschen Gelehrsamkeit« (S. 122) auszugehen habe, aber der Blick v o n diesem Fundament seiner Forschungen aus bestimmte anscheinend auch die Perspektiven für die ahd. Dichtung, deren formale Eigenständigkeiten sich v o n dieser Position aus verzerrt darboten. Entschiedener als sonst üblich ordnete Baesecke die ahd. Literatur dem bei den Glossen gegebenen Gegensatz v o n lateinisch u n d deutsch unter. So fehlte Baesecke für die »gewichtigste Leistung der christlich-ahd. Dichtkunst« (S. 315) ein angemessener Maßstab. E r sah i n O t f r i e d nur den Lateiner, der m i t dem fremden I n h a l t auch eine fremde Form ins A h d . verpflanzt habe. Einseitiger als sein Lehrer Heusler verfocht Baesecke die zweifelhafte These, Otfrieds Vers sei »der lateinische Hymnenvers m i t den lateinischen H i a t - u n d Synalöphegesetzen, m i t der gleichmäßigen Akzentuierung — beides mühsam der Sprache angepaßt« (S. 109), o b w o h l O t f r i e d i n seiner Liutbert-Vorrede gerade darzulegen versuchte, daß z w i schen seiner u n d der lateinischen Prosodie einige Unterschiede bestehen. Baesecke mißversteht indes diese »auf lange . . . einzige deutsche Poetik« (S. 109) i n seiner Auseinandersetzung m i t Fraenkels Thesen nicht nur an dieser Stelle (St. Emmeramer Studien, S. 41 f.). Es ist eigenartig, wie Baesecke hier der sonst so sichere Blick für reale Kategorien durch hypothetische Entwicklungskonstruktionen verstellt w i r d . Seine Liebe gehört, wie die so vieler Germanisten, der aus ahd. Zeit nicht erhaltenen germanischen Heldendichtung: A l l e i n das 'Hildebrandslied' gebe noch ein »Bild v o n Können u n d A d e l der deutschen Geistigkeit« u n d lege Zeugnis ab »für die dichterische und seelische H ö h e des nicht-geknechteten Deutschtums« (S. 223). 21*
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M i t solchen Vorstellungen w a r der Zugang zu dem, was an ahd. Dichtung überliefert ist, verbaut. Es ist vielleicht nicht v o n ungefähr, daß Baesecke O t f r i e d nie eine Einzelstudie gewidmet hat. Gerade auch an seiner Einschätzung der form- und geistesgeschichtlichen Stellung Otfrieds zeigen sich die Grenzen des Philologen Baesecke, der bei seinen Geschichtsbildern oft der Versuchung z w a r klarer, aber nicht immer sachgerechter Hypothesen erlag, der das Komplexe gern auf zu einfache L i n i e n reduzierte (eine N e i gung, die er allerdings m i t anderen der älteren Generation teilte). Das Nachwort des Herausgebers liefert m i t der Begründung der Ausw a h l einen kundigen Einblick i n das Schaffen Baeseckes, dessen Forschungen trotz allen möglichen Einwänden einen imposanten Versuch darstellen, die Anfänge der deutschen Literatur i n ihren wesenhaften Zügen u n d unter einheitlichen Kategorien zu begreifen u n d dem ein gewichtiger Platz zuk o m m t i n den Bemühungen u m die historische Beurteilung der ältesten Epoche deutschen Schrifttums. Günther Schweikle, Tübingen
Scriptura Gothica Libraria a saeculo X I I usque ad finem medii aevi L X X X V I I imaginibus illustrata. Cura Ioachimi Kirchner. München und Wien 1966, R . Oldenbourg Verlag. I m Jahre 1928 ließ J. Kirchner (zusammen m i t E. Crous, der die Druckschrift-Tafeln betreute) ein Abbildungswerk 'Die gotischen Schriftarten' erscheinen, i n dem auf 34 Tafeln 64 Schriftproben aus Handschriften des 11.—18. Jahrhunderts i m Strichätzungsverfahren wiedergegeben waren. 1955 folgte ein zweites Tafelwerk 'Scriptura Latina Libraria', das auf 52 Tafeln 77 Abbildungen v o n abendländischen Schriften des 1.—15. Jahrhunderts brachte u n d Anschauungsmaterial für die ganze spätantike u n d mittelalterliche Geschichte der lateinischen Buchschrift bot (inzwischen vergriffen, Neuauflage i n Vorbereitung). Die dritte Veröffentlichung, die hier anzuzeigen ist, steht gewissermaßen i n der M i t t e zwischen ihren beiden Vorgängern: sie g i l t dem Gegenstand des ersten Werks, folgt aber i n der A r t und Weise der Darbietung der zweiten. D i e 'Scriptura Gothica Libraria' (»Gotische Buchschrift«: die reinen Urkundenschriften sind also ausgeschlossen) enthält auf 66 großformatigen Tafeln 87 Abbildungen aus Handschriften des 12.—15. Jahrhunderts i n photographischer Reproduktion, u n d zwar — das ist das begrüßenswert Neue daran — aus lauter durch Schreibernotiz genau datierten (und vielfach auch lokalisierten) Handschriften. Ihre geographische Streuung ist — i m Gegensatz zu der Veröffentlichung v o n 1928, die nur Handschriften i m Besitz der Preußischen Staatsbibliothek u n d damit vorwiegend solche deutscher Provenienz reproduzierte — sehr breit; das Einzugsgebiet umfaßt England, Skandinavien, die Niederlande, Frankreich, Deutschland, Böhmen, Schweiz, Italien, Spanien, Portugal. Diese Weite des
Buchbesprechungen Horizonts ist natürlich durch eine Grobmaschigkeit des Beleggitters u n d den Verzicht auf detailliertere Demonstration erkauft, und so w i r d der u m die paläographische Einordnung einer Handschrift bemühte Germanist hier weniger H i l f e finden als i n den 'Gotischen Schriftarten'. D a m i t stellt sich die Frage nach dem N u t z e n u n d der Leistungsfähigkeit des neuen A b b i l dungswerks. Ich halte es für ein vortreffliches H i l f s m i t t e l i n der H a n d eines Adepten der Paläographie, der sich systematisch u n d auf breiter Basis i n gotische Buchschriften einlesen w i l l ; dies v o r allem dank der vorbildlichen Transskriptionen, die jeder Tafel beigegeben sind. Ich kann es m i r auch gut vorstellen i n der H a n d des Dozenten, der i m akademischen U n t e r r i d i t Grundzüge der gotischen Schrif tentwicklung demonstriert (besonders wenn er sich dabei der — auch v o n Kirchner verwendeten — Lieftinckschen Terminologie anvertraut). D e m bibliothekarischen Katalogbearbeiter und überhaupt jedem m i t spezielleren Problemen Beschäftigten w i r d es dagegen nur i n begrenztem Maße weiterhelfen können, und so wäre zu wünschen, daß der verdiente Gelehrte sich irgendwann doch auch einmal zu einer N e u bearbeitung der 'Gotischen Schriftarten' entschlösse. Als bedauerlich mag man empfinden, daß die vorausgeschickte 'Brevis notitia de formis et nomenclatura scripturarum, quae i n tabulis afferuntur' gar so lakonisch geraten ist. Auch hätte die Wiedergabequalität einiger Tafeln (wie schon i n der 'Scriptura Latina Libraria') besser sein können (unscharf z.B. Tafel 1, 3, 7, 9 a , 20 u. a., besonders gravierend Tafel 36). Hanns Fischer, Tübingen
Alois M. Haas, Parzivals tumpheit bei Wolfram von Esdienbach. (Philologische Studien u n d Quellen H e f t 21). Berlin 1964, Erich Schmidt Verlag. 362 SS. Das i n seiner ganzen Fülle u n d Tiefe unerschöpfliche W e r k Wolframs, das Geheimnis der die Jahrhunderte überdauernden Gestalt Parzivals fordert jede Generation wieder zu neuer Deutung heraus, derart daß die Geschichte der Parzival-Forschung den Wechsel v o n literaturwissenschaftlichen Moden u n d Tendenzen seismographisch nachzeichnet. Seit einiger Zeit hat sich auch die Psychologie der Figur des tumben Toren angenommen (vor allem E. Jung u n d M . L . von Franz, Die Graalslegende i n psychologischer Sicht, Zürich/Stuttgart 1960). Daß diese aus modernsten wissenschaftlichen Theorien erwachsenen Parzival-Interpretationen ebenso spannend wie für die adäquate Erkenntnis des literarischen Werkes verhängnisvoll sind, wurde v o n Rezensenten des genannten Buches des öfteren betont (am eindringlichsten w o h l v o n M a x Wehrli, Neue Zürcher Zeitung, 5. Oktober 1960). I n der literarischen K r i t i k dürfte inzwischen einhellig akzeptiert worden sein, daß eine Jugendpsychologie, die Parzivals Lebens-Stationen auf psy-
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chische Bilderfolgen u n d Animafunktionen reduziert, Ganzen der Wolframschen Intention versperrt.
den Zugang
zum
Größeren Erfolg versprechen Bemühungen, die u m den spirituellen Gehalt des mittelalterlichen Romans kreisen u n d die das weltliche Dichtwerk aus dem geistigen H o r i z o n t der Epoche deuten. I n dieser Richtung versucht das umfangreiche, v o n gründlichster Gelehrsamkeit getragene Buch v o n Alois M . Haas neue Wege zu weisen 1 . Haas unternimmt es, die Parzival-Forschung aus ihren durch lange gelehrte Streitigkeiten eingeengten Bahnen zu befreien, u m eine neue Gesamtschau des Werkes zu ermöglichen, die den Blick auf größere Zusammenhänge mittelalterlicher Geistigkeit hinlenkt. Als L e i t w o r t u n d Kernbegriff der Untersuchung w i r d die tumpheit herausgestellt, eines der i m Sinnbezirk des Verstandes häufigsten Wörter i n Wolframs Werk, tump, das bedeutet nach Auskunft der Wörterbücher i m Mittelhochdeutschen soviel wie »schwach v o n Sinnen oder Verstand, dumm, töricht, unbesonnen, einfältig, u n k l u g ; klaren Verstandes beraubt; unerfahren, jung; ungelehrt; stumm« (Haas S. 18), ursprünglich meint es einfach eine Minderung u n d Verschlechterung der äußeren Sinne. E i n W o r t also, das einen i m Vergleich zur Spannweite entsprechender neuhochdeutscher Begriffe immensen Sinnbereich umspannt 2 , tump u n d tumpheit gehören zu den häufigsten Prädikaten des Helden, zumal i n den ersten Büchern des Romans. Sie sind jedoch nicht sein einziges Charakteristikum, ja auf den ersten Blick bieten sie sich als etwas durchaus Negatives, der Anfänglichkeit des unerfahrenen Jünglings Zuzurechnendes an, das i m Gange seiner seelisch-menschlichen Entwicklung zu überwinden sein w i r d . V o n tumpheit zu wisheit — das scheint doch die Formel für Parzivals Lebensweg zu sein. M i t welchem Recht aber w ä h l t Haas dieses L e i t w o r t , u m die Ganzheit v o n Parzivals Wesen i n den Blick zu bekommen? 1 Forschungsgeschichtlich ähnlich orientiert ist eine jüngst erschienene Arbeit zu Hartmann von Aue: Christoph Cormeau, Hartmanns von Aue 'Armer Heinrich' und 'Gregorius' — Studien zur Interpretation mit dem Blick auf die Theologie zur Zeit Hartmanns, München 1966 (Münchener Texte und Untersuchungen zur deutschen Literatur des Mittelalters, Bd. 15). Allerdings geht es in der Untersuchung Cormeaus um spezifisch theologische Probleme, während das rein Theologische bei Haas nur einen Aspekt der Interpretation darstellt. Aus dem Horizont der Theologie und Metaphysik versucht Hans Urs von Balthasar (Herrlichkeit, Eine theologische Ästhetik, 3. Bd., 1. Teil: 'Im Raum der Metaphysik', Einsiedeln 1965) das Problem des geistigen und geistlichen Toren grundsätzlich zu begreifen, wobei sich wesentliche Einsichten auch zu Wolframs Werk (S. 503—513) eröffnen. Zum Problem des Toren und des Narren vgl. ferner Barbara Könneker, Wesen und Wandlung der Narrenidee im Zeitalter des Humanismus, Brant — Murner — Erasmus, Wiesbaden 1966. 2 B. Könneker (a.a.O., S. 15 ff.) gibt einen sprach- und wortgeschichtlichen Uberblick über Funktion und Bedeutung der Wörter tore und narre im Sprachgebrauch der mittelalterlichen Dichtung. In Anknüpfung an die Wortfeldstudien Triers versucht sie die literarischen Belege für beide Wörter bedeutungsgeschichtlich zu ordnen, wodurch die semantischen Ergebnisse der Haas'schen Arbeit ihren Stellenwert im R^hmçn dçr mbd Literatur zugewiesen bekommen.
Buchbesprechungen Abgesehen v o n dem nur eine erste Schicht bloß legenden Nachweis der H ä u f i g k e i t der Leitwörter tump u n d tumpheit (vgl. die philologische W o r t statistik am Anfang der Untersuchungen S. 27 ff.) bleibt als legitimierender G r u n d für den Interpretationszugang des Verfassers die aus dem gesamten Buch immer wieder hervorleuchtende Ergriffenheit durch das Phänomen der tumpheit, die ausgesprochen oder unausgesprochen der Figur des Helden ihre beunruhigende Zwielichtigkeit, damit aber auch i n einem weiten Sinne Einheit des Wesens verleiht. Diese vorgängig i n der I n t u i t i o n erfaßte Einheit des Wesens Parzivals w i r d dann gemäß dem hermeneutischen Z i r k e l interpretatorisch ausgefaltet i n der Nachzeichnung der einzelnen Etappen, die W o l f r a m für den Weg seines Helden formuliert. So gibt H . i m ersten T e i l seiner Arbeit (S. 30—168) eine werkimmanente Interpretation, die, i n bewußter Askese den Rahmen des Wolframschen Werkes nur selten überschreitend, die geistige Weite des T a r z i v a l ' auszumessen versucht. D i e Stationen des Romans enthüllen sich als Ausformungen, Umformungen u n d Wandlungen der tumpheit. Wenn w i r v o n »Stationen« sprechen, so ist damit schon ein Grundergebnis des Buches angedeutet: Der W o l f ramsche Roman ist kein »Entwicklungsroman« i m goethezeitlichen Sinne, sondern eher eine »Schule«, die die H a u p t f i g u r durchläuft (vgl. S. 96, A n m . 6), eine Ausfaltung vorgeprägter geistiger Einheit, kompositorisch gesehen eine A b folge v o n kausal nicht unbedingt verknüpften »Stationen«. Parzivals tumpheit, die sich zu Beginn des Romans als Unschuld, als Unerfahrenheit i m Umgang m i t der Welt, negativ als Autoritätshörigkeit, ästhetisch als Schönheit u n d Glanz des Ursprünglichen zeigt, wandelt sich i m Durchgang durch die tiefe Verschuldung des Gotteshasses, durch die dämonische Verblendung gegenüber dem Höheren, i n die übergreifende und alles Vorläufige aufhebende H a l t u n g der diemuot. »Ist die tumpheit Zeichen des Elsternfarbigen, des Gemischten u n d Vermischten, so ist die diemuot das Zweifellose, Eindeutige, Unmißverständliche. Der Unterschied v o n tumpheit u n d diemuot bezeichnet auch i n etwa die Richtung v o n Parzivals Weg: v o m Gemischten, Vieldeutigen z u m Reinen, Unvermischten. W o l l t e man Parzivals Wesen i n einer Formel zusammenfassen, dann müßte man i h n den gedemütigten, demütig gewordenen Toren nennen« (S. 167 f.). Entscheidend an dieser Formulierung ist, daß die tumpheit nicht v o n der diemuot verdrängt, ausgelöscht w i r d , sondern i n ihr aufgehoben bleibt, i n ihr sich auf ein Transzendentes h i n überhöht. I n der berühmten Blutstropfenszene formt sich diese D i a l e k t i k der tumpheit zum dichterisch vollendeten B i l d : O b w o h l Parz i v a l die Regeln des Rittertums erlernt hat, o b w o h l er i n einem menschlichen Sinne »wissend« geworden ist, gelingt i h m doch nur i m Zustand der tumpheit, der Verschließung aller Sinne v o r der U m w e l t , die Versenkung i n die Erinnerung der Geliebten, die R a u m und Zeit überwindende geheimnisvolle Verbindung m i t Condwiramurs (wobei sich diese menschliche Gemeinschaft als Analogie des Gott-Mensch-Verhältnisses herausstellen w i r d ) . M i t dem zweiten T e i l der Arbeit (S. 169—307) beginnt das eigentlich Neue, das dieses Buch v o r allen bisherigen Deutungen des T a r z i v a l ' aus-
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zeichnet: die radikale Ausweitung des Horizontes auf die geistige Situation der Zeit u m 1200 bzw. die Aufhellung der Grundintention des Dichters aus den geistig-geistlichen Tendenzen der Epoche. Hinsichtlich der Interpretationsmethodik besticht der Versuch, eine Deutung aus den dichtungstheoretischen Maßstäben der Zeitgenossen zu gewinnen, wobei nicht nur die eigentlichen Poetiken der Zeit herangezogen werden, sondern auch und v o r allem die für alle geistigen Bemühungen des Mittelalters zentrale Interpretationsweise der Bibel — nach dem vierfachen Schriftsinn. Wie die Bibel v o n den meditierenden Mönchen i n ständiger ruminatio nach ihren verschiedenen Sinnschichten aufgeschlossen w i r d , so soll nun auch der Wolframsche T a r z i v a P i n übertragener M e t h o d i k auf seinen spirituellen Sinn h i n eröffnet werden. Daß dieses Vorgehen bzw. eine solche Fragestellung für eine mittelalterliche weltliche Dichtung legitim ist, erscheint allerdings zunächst sehr fragwürdig. Manche mittelalterlichen Theologen wehren sich ausdrücklich dagegen, daß die Methode der Bibelexegese auf weltliches Schrifttum übertragbar sei. Glunz, der sich auf Johannes v o n Salisbury (Policraticus L 7, c 12) bezieht, kommentiert ζ. B. dessen Äußerung so: »Das w i l l sagen, daß Menschenpoesie u n d alles menschliche Schrifttum keine Auslegung haben kann, w e i l nichts auszulegen ist. Es fehlt die hintergründige Schicht, die nur G o t t seinem biblisdien Werke mitgegeben hat. Der Mensch ist unfähig, seinen W o r t e n u n d deren unmittelbarem Sinn eine zweite, tiefe Bedeutung tragende Schicht unterzulegen, w e i l er i n die Grenzen seines Geistes gebunden i s t . . A « T r o t z solcher deutlicher Vorbehalte der Theologen sprechen gute Gründe dafür, daß audi die weltliche Dichtung des Mittelalters einen tieferen Sinn haben kann als den vordergründig-materialen sensus litteralis. Z u m einen wäre darauf hinzuweisen, daß m i t der Emanzipation der ritterlich-hochmittelalterlichen Literatur eine neue Laienfrömmigkeit erwächst, die zwar nicht i n Opposition zur Schultheologie stehen muß, die sich aber doch ihres eigenen Charakters u n d ihrer eigenen Würde bewußt ist. So w i r d es verständlich, daß weltliche Dichtung Struktur- u n d Sinnprinzipien aus dem Bereich der Theologie i n analoger U m f o r m u n g übernimmt, ohne damit ihre Eigenheit preiszugeben. Z u m andern läßt sich nicht übersehen, daß weltliche Dichter des Mittelalters immer wieder über den »Sinn« der Materie, die sie behandeln, reflektieren, d. h. über Unterschiedenheit u n d Relation v o n Sinn u n d Stoff. I m näheren Umkreis Wolframs wären zu nennen: Chrétien de Troyes, der für seine Dichtung die Doppelschichtigkeit v o n matière und sen i n Anspruch n i m m t , u n d Gottfried v o n Straßburg, der die literarische Äußerung als Ineinander v o n Außen u n d Innen, W o r t u n d Sinn, rede und meine, Buchstabe u n d Geist versteht. Daß weiterhin über diese Grundscheidung einer unmittelbar-vordergründigen u n d einer geistig-hintergründigen Sinnebene hinaus die differenziertere Gliederung des vierfachen Schriftsinnes auf den T a r z i v a l ' angewendet werden darf, sucht Haas aus der Exemplarität 3 Hans H . Glunz, Die Literarästhetik des europäischen Mittelalters, Wolfram — Rpsenroman — Çhauçer — Pante, Frankfurt a. M, 21963, S. 181 f.
Buchbesprechungen und immensen geistigen Komplexheit des Werkes zu rechtfertigen 4 . Parzival steht für den Menschen schlechthin, so daß sich an i h m nicht ein individuelles Schicksal vollzieht, sondern Heilsgeschichte i n einem genuin, wenngleich undogmatisch christlichen Sinne, m i t a l l ihren mystischen, moralischen u n d eschatologischen Aspekten. Die überaus reichen Ergebnisse, die die zunächst gewaltsam anmutende Fragestellung zeitigt, machen evident, daß die A n a logiesetzung von Bibel u n d Ritterroman, die Deutung des 'Parzival' als eine eminent theologische Dichtung, ihren guten Sinn hat. I m System des vierfachen Schriftsinnes enthüllt sich rückblickend die werkimmanente Deutung der tumpheit ( I . Teil) als Aufschlüsselung der Dichtung gemäß dem Litteralsinn. Diese Grundschicht der Deutung w i r d nun noch ausgeweitet (S. 193—229) unter dem Gesichtspunkt der Gattungsfrage (enthält der 'Parzival' Elemente des Märchens? wie sind Roman u n d Märchen verbunden? usw.), ähnlich wie die moderne Bibelforschung zur K l ä r u n g des elementar-materialen Sinnes der Bibeltexte immer stärker Fragen der Gattung berücksichtigt (ζ. B. das ' H o h e Lied' als »Hochzeitslied«). Für den 'Parzival' ergibt sich eine virtuose Stilmischung, ein »Gegen- u n d Ineinanderspiel v o n Märchen und Roman« (S. 222). Das Märchen w i r d v o n der Komplexheit des Romans überwölbt, wobei allerdings der Roman i m Augenblick der E r f ü l l u n g wieder i n die heile u n d glanzvolle T o t a l i t ä t des Märchens (als Utopie) einmündet. A u f der zweiten Stufe der Deutung (sensus mysticus et allegoricus, S. 230 bis 247), der i n der Bibelexegese die Geheimnisse des Glaubens betrifft, sucht Haas die exemplarische Gestalt der tumpheit Parzivals ans Licht zu heben, den geheimen, unkörperlichen, spirituellen Sinn dieser Figur i m H i n blick auf das Dasein des Menschen, kurz das »Menschen-Bild« des Romans. A n den vier Begriffskomplexen »Parzival der homo simplex« (S. 232—235) — »Parzival der Heilbringer« (S. 236—239) — »Parzival der König« (S. 239—241) — »Parzival der Mensch schlechthin« (S. 241—247) werden geistesgeschichtliche Zusammenhänge aufgewiesen, die ihren K e r n i n der Vorstellung v o m scienter nescius et sapienter indoctus, i m Paradox der docta ignorantia haben. Parzival als »allgemeiner Mensch«, als »Schema Mensch« (S. 244) ist »geprägt v o n der tumpheit generellen Nicht-wissens u n d dem Auftrag, diese tumpheit hinüberzuführen i n die Analogieform des Wissens, i n diemüete, die höfische Form der sapiens ignorantia« (S. 244 f.). M ü ß i g daraufhinzuweisen, wie sehr die Idee der »wissenden Unwissenheit«
4 Über die grundsätzlichen Fragen, die eine solche Interpretationsmethodik aufwirft, und über ihren Abstand von einer an neuzeitlichen Dichtungen orientierten »Kunst der Interpretation« (E. Staiger) handelt Max Wehrli in seiner Studie 'Mehrfacher Schriftsinn — Interpretationsprobleme höfischer Dichtung des Mittelalters' (in: Orbis Litterarum 19, 1964, S. 77—89). — Zur Problematik vgl. bes. auch Friedrich Ohly, Vom geistigen Sinn des Wortes im Mittelalter, ZfdA 98 (1958/59), S. 1—23.
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das Mittelalter v o n seinen Anfängen bis zur faszinierenden Denkbemühung des Nicolaus v o n Cues beherrscht. Die dritte Sinnschicht (S. 247—276) ist mittelalterlich-theologisch definiert als sensus moralis et tropologicus. W i e die Bibel dem Exegeten und dem gläubigen Menschen überhaupt Spiegel seiner Sündhaftigkeit wie auch seiner Berufung zur Vollkommenheit ist, so k a n n auch der 'ParzivaP als Spiegel gelten, »darin der (höfische) Mensch seiner Sündhaftigkeit ansichtig u n d seiner möglichen Vollkommenheit innewerden soll« (S. 248). Die WegStationen des Helden sind tropologische Chiffren für den Aufbau wahren ritterlichen Daseins. H i e r nun rückt zwangsläufig das Problem v o n Parzivals Schuld ins Zentrum, die Frage nach der Sündhaftigkeit auch der »unwillentlichen« Schuld (das Versäumnis der Mitleidsfrage). I n einer subtilen A u f arbeitung der unterschiedlichen Positionen, die sich i n den bisherigen gelehrten Bemühungen u m die »Schuld« Parzivals herausgebildet haben, umreißt der Verfasser das Problem i n aller Schärfe u n d stellt die Wolframsche A u f fassung i n den Umkreis der zeitgenössischen theologischen Spekulation über den Zusammenhang, die Ausgliederung u n d das Ineinander v o n Erbsünde, Tatsünde u n d ignorantia. Es erweist sich, daß für W o l f r a m — wie für Bernhard v o n Clairvaux, dem der deutsche Dichter so nahesteht wie keinem anderen Theologen des 12. Jahrhunderts — die tumpheit als ignorantia sui et Dei den existentiellen A n f a n g v o n Sünde überhaupt bedeutet u n d »über die i n ihrer unübersehbaren O b j e k t i v i t ä t nicht negierbare Tatsünde hinaus auf die tiefere Schuldverfaßtheit, auf die Erbsünde« (S. 275) verweist. Die vierte u n d letzte Sinnschicht der Bibelexegese (sensus anagogicus, S. 276—307) schließlich zielt auf das Äußerste der Geheimnisse Gottes, auf die Eschatologie, auf »letzte Wirklichkeiten, die das Gleichnis keiner weiteren mehr sind« (S. 183, nach de Lubac). A u f den Roman übertragen bedeutet dies die Frage nach dem Eschaton der Romanwirklichkeit u n d somit nach der »Erfüllung« v o n Parzivals tumpheit. U n d was sich bereits i m Gange der Literalinterpretation angedeutet hatte, w i r d nun vollends sichtbar: Parzivals tumpheit, die als ignorantia sui et Dei zu schuldhafter Verblendung führt, wandelt sich über die Erkenntnis dieser Schuld i n diemüete, i n die demütig nichtwissenwollende H a l t u n g der humilitas, i n der der Christ seine Gottähnlichkeit, aber ebenso sehr den unermeßlichen Abstand des Geschöpfs v o n seinem Schöpfer erkennt u n d anerkennt. Diese Grundverfassung des demütig gewordenen Toren w i r d erhellt aus dem geistesgeschichtlichen H o r i z o n t des »Simplismus«, der »heiligen Torheit« eines Petrus D a m i a n i oder W i l h e l m v o n Saint-Thierry. Die heilige E i n f a l t des gedemütigten Toren — diese das Christliche i m K e r n ergreifende Idee, die sich i n ununterbrochener T r a d i t i o n bis zu Cervantes, bis z u m deutschen Barockroman Grimmelshausens ('Simplicissimus'), untergründig bis zu H a m a n n u n d i n vielfacher Trübung bis hinein i n die Moderne (Gerhart Hauptmanns ' N a r r i n Christo Emanuel Q u i n t ' ) durchhält, w i r d als das »Letzte«, das eschatologische Z i e l der Wolframschen Dichtung freigelegt. Harald
Burger, Zürich
Buchbesprechungen Blake Lee Spahr, A n t o n Ulrich and Aramena. The Genesis and Development of a Baroque N o v e l . (University of California Publications i n M o d e r n Philology, Volume 76). Berkeley and Los Angeles 1966, University of C a l i fornia Press. 205 SS. Blake Lee Spahr enthüllt i n seinem Buch die äußere und innere Entstehungsgeschichte v o n Herzog A n t o n Ulrichs Roman 'Die Durchleuchtige Syrerinn Aramena* (Nürnberg 1669—1673). Diese Untersuchung bildet einen Wendepunkt i n der Anton-Ulrich-Forschung, indem sie verspätet erst deren eigentliche wissenschaftliche Voraussetzungen schafft. D a m i t erfüllt der A u t o r für den speziellen Fall, was er allgemein für die Barockforschung fordert. E r sagt nämlich einführend, daß die Grundlagenforschung (Auswertung aller einschlägigen Handschriften und Dokumente, Erstellung eines verläßlichen Textes usw.) nicht nur bei A n t o n Ulrich ein Desideratum, sondern überhaupt ein Versäumnis der gesamten Literaturforschung z u m 17. Jahrhundert darstelle. Daß m i t Spahrs Buch eine neue Ä r a der A n t o n Ulrich-Forschung begonnen hat, w i r d sich aus den referierenden Hinweisen dieser Rezension allein schon ermessen lassen. Durch die klare Dokumentation des Autors führt sich nun natürlich manche Behauptung der älteren Forschung v o n selbst ad absurdum. Verschiedene Forscher (Clemens Heselhaus, Reinhard Fink, Ferdinand Sonnenburg, W i l h e l m Hoeck u n d einige jüngere Dissertanten aus der Schule Günther Müllers, wie z. B. Carola Paulsen u n d Wolfgang Bender) haben bereits früher auf Manuskripte zu A n t o n Ulrichs Romanen hingewiesen. Manche haben verschiedentlich (teils fehlerhaft) Abschnitte daraus zitiert, ohne sich jedoch konsequent die Frage nach dem inneren Verhältnis dieser M a n u skripte zum Drucktext der editio princeps zu stellen. Blake Lee Spahr ist es jetzt gelungen, nach jahrelangem mühseligen Durchforschen der Archive des Pegnesischen Blumenordens i m Germanischen National-Museum i n N ü r n b e r g 1 u n d der Bestände der Herzog-August-Bibliothek i n Wolfenbüttel reiche Schätze an Manuskripten, Briefen u n d Tagebüchern zu finden. A u f diesen gründen seine Erkenntnisse über 'The Genesis and Development of a Baroque Novel*. Dabei k o m m t i h m das große Verdienst zu, die vorhandenen früheren Fassungen der 'Aramena* aufgezeichnet und zu einer »spannenden« Entstehungsgeschichte verwertet zu haben. D i e teils unkatalogisierten Bestände des Nürnberger Blumenorden-Archivs steuerten noch eine Fülle wertvoller Briefe u n d N o t i z e n bei, die besonders die M i t a r b e i t Sigmund v o n Birkens ( A n t o n Ulrichs früheren Lehrers und späteren literarischen Beraters) an der 'Aramena' erhellen. Methodisch (in Verfahrensweise u n d Terminologie) erkennt sich der A u t o r V i n t o n Α . Dearings Ά M a n u a l of Textual Analysis', Berkeley and Los Angeles 1959 verpflichtet. Aus den überraschenden Erkenntnissen seiner 1 Vgl. dazu Blake Lee Spahr, The Archives of the Pegnesischer Blumenorden, Berkeley and Los Angeles 1960, University of California Publications in Modern Philology, Volume 57.
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Untersuchung kündigt sich schon ein weiterer Aspekt seiner Methode an: M i t fast vollständiger Genauigkeit zeigt Spahr jene Stellen der älteren Forschung auf, die durch seine Funde korrigiert oder als haltlos erwiesen werden. Daß dies manchmal nicht ohne Ironie geschieht, widerspricht dem sonst angelsächsisch sachlichen T o n des Buches keineswegs. D a der A u t o r sein W e r k nach bewußt methodischen Grundsätzen aufbaut, empfiehlt sich die Darstellung seiner Ergebnisse weitgehend anhand seiner eigenen K a p i t e l folge. Die 'Einführung' kulminiert i n der schon angedeuteten These, daß die Erforschung des deutschen Literaturbarocks (seit den 20er Jahren) weitgehend die Schaffung grundsätzlicher philologischer Voraussetzungen (wie sie ζ. B. die Positivisten für die Literatur des deutschen Mittelalters i n dankenswerter Weise leisteten) vermissen läßt. Dieses logische Dilemma kennzeichnet die Literaturforschung zum 17. Jahrhundert, die zu geistesgeschichtlichen oder die künstlerische Eigenart interpretierenden Untersuchungen geführt hat, bevor die textlich sichere Grundlage dafür vorhanden war. D a m i t ist die allgemeine Voraussetzung für Spahrs spezielles W e r k gefunden, das die bislang vielfach dunklen Grundlagen eines barocken Romans erhellt. I n seinem Literaturbericht weist der A u t o r demnach v o n diesem Aspekt her ganz bestimmte Arbeiten als wichtig aus. Das erklärt, w a r u m hier wie i n seinem Literaturverzeichnis (»The bibliography lists o n l y secondary literature which has a direct bearing upon the research contained i n this study«) wichtige neuere Arbeiten fehlen (wie ζ. Β. K a r i n H o f t e r , Wolfgang Bender, H a n n a Wippermann, K a r l Reichert). Dabei bedauert Spahr (S. 3, A n m . 20), daß manche gute Dissertation aus Westdeutschland der Forschung nur maschinenschriftlich zugänglich ist. 'The Setting' nennt der A u t o r sein erstes Kapitel, i n dem er die literarische Atmosphäre, die Talente v o n A n t o n Ulrichs Vater, die Erziehung u n d Interessen des Dichters usw. kurz schildert. Ausgiebige Vorarbeiten dazu lieferten bereits Hoeck (1845) u n d Sonnenburg (1896,) deren Äußerungen Spahr teils präzisiert und ergänzt, teils korrigiert. Die zeitliche Spanne zu diesen Arbeiten rechtfertigt Spahrs diesbezügliche Darlegungen als Zusammenfassung m i t teils neuen Zitatbelegen. Bedauerlich ist nur, daß Spahr seine Angaben nicht m i t jenen Wolfgang Benders i n dessen Dissertation ' V e r w i r r u n g u n d E n t w i r r u n g i n der 'Octavia/Roemische Geschichte' Herzog A n t o n Ulrichs v o n Braunschweig' K ö l n 1964, S. 127—133 verglichen hat, der sich bemüht, »einen möglichst vollständigen K a t a l o g der Drucke u n d erhaltenen Handschriften des Braunschweiger Herzogs zu geben« ebd. S. 117). D i e Z a h l Benders (18 Dramen und Singspiele) stimmt m i t der Sonnenburgs (S. 9) überein, während Spahr (S. 14—16) nur mehr »twelve remaining printed editions of i n d i v i d u a l dramatic works« finden konnte. Spahr und Bender können vielfach nicht dieselben Drucke meinen. Die v o n Spahr (S. 12, A n m 26) angekündigte Ausgabe der dramatischen Werke w i r d sich hier m i t den Diskrepanzen auseinanderzusetzen haben. Benders Biblio-
Buchbesprechungen graphie ist übrigens auch allgemein zugänglich i n : Philobiblon V I I I , 3 (1964), S. 166—187. I n K a p i t e l I I 'The Documents' beschreibt Spahr alle i h m bekannten auch handschriftlichen Fassungen der 'Aramena' und alle Dokumente, die irgend einen ergiebigen Bezug zur Entstehungsgeschichte aufweisen. Er beginnt m i t der editio princeps (Nürnberg 1669—1673), die er Ρ nennt und v o n der sich die zweite Auflage (Nürnberg 1678—1680) k a u m unterscheidet. Z u beachten ist hier vor allem Spahrs endgültige K l ä r u n g der fünf Widmungsgedichte, die nach i h m m i t Ausnahme des Sonettes zum dritten Band alle v o n Birken stammen. I n Ergänzung zu Sonnenburg (S. 40), der v o n den unbekannten fünf Damen, denen A n t o n Ulrich die einzelnen Bände seiner 'Aramena' widmete, vier aufgrund der Eintragungen i m Handexemplar Ferdinand Albrechts v o n Braunschweig-Bevern (des Dichters Halbbruder) enthüllte, bringt Spahr nun den vollen W o r t l a u t dieser handschriftlichen Eintragungen. Sonnenburg konnte damals (1896) m i t Recht sagen, daß die Deutungen bislang unbekannt gewesen waren. Daß sie dies eigentlich schon zu Ende des 17. Jahrhunderts waren (abgesehen v o n der Lösung der A k r o stika!) belegt ein H i n w e i s i n G o t t h a r d Heideggers 'Mythoscopia Romantica' (Zürich 1698): »Bey m i r waltet kein Zweiffei / es haben sehr v i l der Roman-Schreiber under frembden Larven ihre eigne Liebes-Sprüng außgesetzt / u m m i t Widerhohlung derselben sich u m etwas zu belustigen. Der A u t h o r der Aramena m i t seinen h i n u n d wider versteckten Weiber-Nammen / Catharina, Regina, Elisabetha & c . mag wissen ob dises w a h r ist?« (S. 55). Der reformierte Züricher Pastor erkennt also die A k r o s t i k a u n d verwendet die v o n Band zu Band wechselnden Frauennamen als Argument für seine Verfemung der lasterhaften »Romans«. D a nicht einmal der Halbbruder des Herzogs die bis Spahr (1960) »unbekannte Freundin« A n t o n Ulrichs kannte, haben offensichtlich alle i n die Entstehung näher Eingeweihten schon zu Lebzeiten des Dichters weitgehendes Stillschweigen bewahrt. Das charakterisiert diese Untersuchung wieder einmal als »echten« Forschungsbeitrag, der uns durch seine Dokumentation über den Spezialfall hinaus literarische Praktiken des 17. Jahrhunderts erschließt. Der Ausdeutung des Titelkupfers (Aramena I I I ) i n der I d e n t i f i k a t i o n »kleiner Baum« = »MS 2« der Sibylla Ursula (Spahr selbst spricht v o n »stretch of the imagination«) stehe ich skeptisch gegenüber, umsomehr als ich dazu neige, M S 2 nicht ohne Mitarbeit A n t o n Ulrichs zu sehen. I m folgenden beschreibt Spahr die wichtigen Fassungen u n d Dokumente zur Entstehungsgeschichte: M S 1 (Herzog August Bibliothek zu Wolfenbüttel: Cod. Guelf. E x t r . 140—146) ist eine Handschrift der 'Aramena' i n sieben gebundenen Bänden. Sie reicht v o m A n f a n g des Romans bis S. 165 des 5. Bandes (nach P). Das Manuskript ist offensichtlich eine Reinschrift v o n einem der Schreiber des Herzogs. — M S 2 (Herzog August Bibliothek zu Wolfenbüttel: Cod. Guelf. E x t r . 258—259) ist eine kürzere Handschrift des Romans, die v ö l l i g überraschend i n der M i t t e eines Satzes abbricht. Sie reicht m i t größeren Abweichungen v o n Ρ ungefähr bis ins 2. Buch des
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2. Bandes. — M S 3 (Archive des Pegnesischen Blumenordens, Nürnberg: PgBO 10—2s) besteht aus zehn Blättern i n der Handschrift A n t o n Ulrichs; die ersten vier enthalten N o t i z e n z u m Plan des Romans (siehe Spahrs nicht fehlerfreien Abdruck S. 171—175), die anderen sechs bilden eine Fassung, die verschiedenen Seiten des 5. Bandes v o n Ρ entspricht. — M S 4 sind Briefauszüge Birkens (die »Kopien« des 17. Jahrhunderts). Leider konnte auch Spahr bis jetzt den umfangreichen Briefwechsel zwischen Birken und Herzog A n t o n Ulrich nicht auffinden. Das dritte K a p i t e l seiner Untersuchung w i d m e t der A u t o r der Charakterisierung des wichtigen »MS 2«. Aus verständlichen methodischen Gründen klammert er vorerst die ganze Stoffülle der Komposition aus: » I shall l i m i t m y discussion of this MS to textual evidence and to style, and shall reserve the content for a later chapter« (S. 25). U n t e r »content« versteht er dabei »the actual progression i n the events of the plot«, unter »style« »the means b y which these events are represented« (ebd.). Nach eingehenden Vergleichen fand Spahr, daß MS 2 i n der Handschrift Sibylla Ursulas, der Schwester des Herzogs, abgefaßt ist. Clemens Heselhaus k a m bereits 1939 zu diesem Resultat, seinen methodischen Weg charakterisiert Spahr aber als »completely w i t h o u t foundation« (S. 26). Carola Paulsen 2 t r i f f t sich m i t Spahrs Resultat durch einen richtigen u n d einen falschen Gedankengang. Nach i h r stimmen die Schriftzüge des M S 2 und der Cléopatre-Ubersetzung überein (richtig), deshalb stammt beides v o m jungen Herzog A n t o n Ulrich (falsch). Wie Spahr (S. 41 f.) nachweist, schrieb Sibylla Ursula die Übersetzung des französischen Romans. D a sich die Handschriften gleichen, stammt also beides v o n ihr. Spahrs pädagogisch anschauliche Darstellung erweist der einprägsame Textvergleich zwischen M S 2 und M S 1 (S. 28—29), der i h m zudem erlaubt, die konkreten sprachlichen Detailbeobachtungen argumentativ zu verwerten 3 . Dieser Textvergleich gipfelt i n dem Resultat: das von Sibylla Ursula geschriebene MS 2 ist die »Urfassung« der 'Ar amena'! Die Fülle der drängenden Fragen, die sich nun daraus ergeben, vermag Spahr zu formulieren, doch nicht zu beantworten. I n dieser Beschränkung auf das dokumentarisch Belegte und i n seiner jegliche Spekulation ablehnenden H a l t u n g sehe ich Spahrs großes Verdienst. Er ist nicht der Forscher, der uns m i t neuen A n t o n Ulrich-Spekulationen überrascht, sondern m i t neuen Dokumenten und ihrer philologischen Auswertung. Welche Fragen tauchen hier nun auf? — Ist 2 Carola Paulsen , 'Die Durchleuchtigste Syrerin Aramena* des Herzogs Anton Ulrich von Braunschweig und 'La Cleopatre' des Gautier Coste de la Calprenède. Diss. Bonn 1956, S. 195. 8 Auch den weiteren Textvergleichen (S. 73—75 und 102—103) gebührt schon für die übersichtliche Drucktechnik Lob, was besonders auch für den inhaltlichen Vergleich zwischen MS 2 und Ρ (S. 113—122) gilt. Man muß dabei bedenken, daß Spahr hier rein äußerlich (die Vorüberlegungen sind natürlich streng methodisch!) erstmals die riesigen Stoffmengen solcher Romane bewältigt. Wie einprägsam wären Ludwig Cholevius* so verdienstvolle Inhaltsangaben, wenn sie Ubersichten und genealogische Tabellen (vgl. Spahrs Beilage) ergänzten.
Buchbesprechungen Sibylla Ursula, die nachweislich nicht unbedeutende literarische Talente besaß ( v g l Spahr S. 41—48), die alleinige A u t o r i n der Urfassung? H a t sie diese Urfassung i n enger Zusammenarbeit m i t ihrem herzoglichen Bruder geschaffen? H a t sie ihm, dem alleinigen A u t o r , nur als Sekretärin gedient und die Handschrift »nach D i k t a t « geschrieben? — Diesen möglichen Fragenkreis erschließt Spahr, ohne eine der drei Variationen betont zu bevorzugen. Daß er aber doch am intensivsten der ersten V a r i a t i o n zuneigt, verrät sein sprachlicher Ausdruck. Ich greife beispielsweise die sprachlichen Wendungen einer einzigen Seite (97) heraus: »his sister's plot«, »that Sibylla Ursula had a more throughly developed scheme«, »she must have had her version planned to its conclusion«, »of her plans«, » w i t h Sibylla Ursula's version«, »Sibylla Ursula's plans«. Für Sibylla Ursula als alleinige A u t o r i n v o n M S 2 spricht bis zu einem gewissen G r a d einmal die Handschrift und zum andern ihre Übersetzung französischer höfischer Romane (Spahr S. 41 'La Cléopatre' u n d S. 43 'Cassandra'). Ich möchte die Frage einmal negativ stellen, was Spahr offensichtlich nicht versucht hat: K a n n A n t o n Ulrich an dieser Urfassung unbeteiligt sein, obw o h l er i n »seiner« Durchführung dieses riesigen Monadenromans nicht nur die i n nuce vollständige Anlage, sondern auch weite Strecken wörtlich übernommen hat? Welche Gleichgestimmtheit der Talente würde das bei einem so komplizierten Werke voraussetzen! Sollten hier keine weiteren D o kumente aufzufinden sein (etwa Briefe zwischen Sibylla Ursula und A n t o n Ulrich nach 1663), so bliebe nur der Versuch stilistischer Vergleiche. Die Schwierigkeit bei einem sprachlich-stilistischen Vergleich zwischen den Übersetzungen aus dem Französischen u n d M S 2 liegen natürlich i n der grundsätzlich verschiedenen A r t der Werke. Spahrs H i n w e i s (S. 97) auf A n t o n Ulrichs Kompositionsnotizen (MS 3 a—d) scheint m i r für die Verfasserfrage gar nichts abzuwerfen. A n t o n Ulrich entwarf (nach dem Tode seiner Schwester) für die 'Octavia' ähnliche Ubersichten (vgl. Cod. Guelf. E x t r . 198) als kompositorische Orientierungshilfen. Das Jahr 1663 scheint für diesen ganzen Fragenkomplex das Schicksalsjahr zu sein (Abreise Sibylla Ursulas v o n Wolfenbüttel), was auch die ersten Erwähnungen der 'Aramena' i m Briefwechsel zwischen dem Herzog und Birken v o n 1664 (Spahr S. 55 f.) unterstreichen. A u f unsere ursprüngliche Frage zurückkommend läßt sich w o h l sagen, daß es unwahrscheinlich scheint, daß A n t o n U l r i c h an M S 2 unbeteiligt ist. Ich neige zur Annahme, daß es sich u m eine Gemeinschaftsarbeit der beiden herzoglichen Geschwister handelt, deren menschlich-geistiges Verhältnis stets sehr innig war. D i e kontinuierliche Fortführung der Entwicklung v o n M S 2 zu M S 1 scheint m i r hierfür Bestätigung zu sein. I n den weiteren K a p i t e l n ( I V : ' A n t o n Ulrich u n d Sigmund v o n Birken', w o der A u t o r dankbar auf die entstehende Dissertation v o n O t t o Schröder, eine Biographie Sigmund v o n Birkens, hinweist u n d i n K a p i t e l V : ' M S 2: Structure and Substance') legt Spahr nun die eigentliche Entstehungsgeschichte des Romans v o r : M S 2 ist die »Urfassung« der 'Aramena' u n d damit die erste Stufe (State 1) der textlichen Entwicklung in der Handschrift
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Sibylla Ursulas. I m Augenblick läßt sich nicht weiter klären, ob es sich dabei u m eine selbständige Arbeit Sibylla Ursulas, eine Schöpfung A n t o n Ulrichs oder ein gemeinsames literarisches Produkt beider handelt. Nach Briefzeugnissen liegen die Anfänge der 'Aramena' (wahrscheinlich A n t o n Ulrichs erster E n t w u r f ) i m Jahre 1664. Der Herzog verwendete nachweisbar für seine Umarbeitung weitgehend sogar wörtlich M S 2. Für diese Stufe (State 2) finden sich nur wenige Belegblätter i n M S 3. Bevor A n t o n Ulrich seine Umarbeitung nach Nürnberg zu Birken schickte, ließ er davon eine Reinschrift (MS 1) anfertigen (State 3), die sich aus Sicherheitsgründen wie aus arbeitstechnischen Erwägungen verstehen läßt. Birken revidierte nun A n t o n Ulrichs Fassung stilistisch und — wie icli sagen möchte — rhetorisch und fertigte eine Handschrift für den Drucker an (State 4). Diese Entwicklungsstufe belegen nur die Arbeitseintragungen i n Birkens Tagebüchern, leider keine erhaltenen Handschriften. V o m Nürnberger Drucker erhielt dann Birken die Druckfahnen, die er korrigierte. Einige davon oder alle mag er auch an den Herzog geschickt haben, u m dessen endgültige Zustimmung einzuholen. O b A n t o n U l r i c h sie wieder an Birken oder an den Drucker zurücksandte, wissen w i r nicht. Wenn man bedenkt, daß Catharina Regina v o n Greiffenberg schon i m Manuskript Teile des Romans v o l l Begeisterung m i t las, selbst Gedichte beisteuerte und i n einem Falle (Elieser) sogar das Schicksal einer Romanfigur beeinflußte, u n d weiß, daß Birken für die stilistisch rhetorische G l ä t t u n g der Druckfassung, für mehrere lyrische Einlagen sowie für ein Schäferspiel verantwortlich zeichnet, so sind w i r dem » K r i m i n a l roman eines Romans« aus dem 17. Jahrhundert auf die Spur gekommen. Das Ergebnis der stilistisch-textlichen Entwicklung v o n M S 2 — M S 1 — Ρ faßt Spahr so zusammen: »To sum up, the development from MS 2 to Ρ represents the addition of the o l d t r i l o g y of composition: u n i t y , coherence, and emphasis. M S 2 is loose, verbose, w i t h sprawling sentences of which scarcely an attempt is visible to emphasize important sentence elements. M S 1 expands the original, but often constructively, adding coherence and a definite stylistic cast. The f i n a l revision, characterized p r i n c i p a l l y b y stylistic economy, ties i n the loose ends, tightens the sentence structure, eliminates extraneous details, and reduces complexities. The result is a greater structural and narrative tension.« (S. 79). Dieses Resultat basiert wieder auf eingehenden Textvergleichen S. 73—75 (zuerst MS 1 — P, dann MS 2 — M S 1 — P). Bis ins D e t a i l hat Spahr hier die Veränderungen und ihre Tendenzen an einem weiteren Beispiel aus der 'Geschichte der Ahalibama' (Aramena I ) philologisch einwandfrei herausgeschält. Zu Einzelheiten möchte ich kritisch bemerken: Spahr (S. 30 schon) behauptet, u n d ich stimme i h m zu, daß durch den Übergang v o n der ersten E r zählerperson (MS 2) zur dritten (MS 1) eine gewisse Distanz gewonnen w i r d , da sonst verschiedene »courtly formulas« unbescheiden klingen w ü r den. V o r einer Verallgemeinerung dieser Beobachtung muß ich aber warnen, u n d ich gebe zu bedenken, daß A n t o n Ulrich den Ich-Erzähler nicht überall eliminierte: die 'Aramena' kennt mehrere Ich-Erzähler bei Vorgeschichten,
Buchbesprechungen die 'Octavia' ebenso. Trotzdem bleibt die rhetorische Stilebene gleich u n d vielfach auch die höfischen Formeln. Vielleicht sollte man m i t modernen Psychologisierungen vorsichtig sein, denn der H o f ton des 17. Jahrhunderts w a r vorgebildet u n d galt auch innerhalb der epischen Stilisierung als verpflichtend. Der R u h m der erlauchten Vorfahren w a r beinahe Gesetz, wie Verstöße dagegen zeigen: A r m i z a r (Aramena I , S. 403) entschuldigt sich als Ich-Erzähler zu Beginn seiner Geschichte, daß er aufgrund der Wahrheit v o n seinen u n d Amesses Vorfahren nichts Gutes aussagen könne u n d deshalb gegen den »lehrsatz« verstoße, »daß man der seinigen mängel zudecken / u n d v o n hohen gekrönten häubtern nicht böses reden solle«. D i e Kehrseite dieses Lehrsatzes findet sich i n dem selbstverständlichen Anspruch sprachlichen Dekors u n d Lobs der Betreffenden. Eine künstlerische Untersuchung dürfte sich an einem solchen P u n k t nicht allzu rasch festlegen. D i e Einzelbeobachtung Spahrs ist also richtig, ihre Verallgemeinerung jedoch gefährlich. D i e auffallendste Veränderung v o n M S 1 zu Ρ nennt Spahr (S. 75) »simplification«. Ohne haarspalterisch vorgehen zu wollen, k a n n ich diesen Begriff m i t dem gemeinten sprachlichen Vorgang nicht befriedigend zur Deckung bringen. Ist es w i r k l i c h eine »Simplifikation«, wenn sich ein Text auffallend v o n parataktischer zu hypotaktischer Struktur verändert? »Diszipliniertes geistgeformtes Sprechen« (Heselhaus S. 30) als Resultat v o n B i r kens »Simplifikation«? D i e sprachlichen Änderungen Birkens deute ich v o r wiegend als stilistische Rhetorisierung. Den Vorgang beschreibt Spahr treffend, nur scheint m i r der Begriff der »Simplifikation« etwas irreführend zu sein, umsomehr als Spahr die rhetorische Grundhaltung nur am Rande erw ä h n t (vgl. S. 155), die Günther M ü l l e r u n d Clemens Heselhaus an der Druckfassung zweifelsohne richtig betont haben. Birken erhöht die W i r kung dieser Prosa durch syntaktisch-rhetorische Akzentuierung ihrer sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten. I m K a p i t e l V I T a s t o r a l Participation' unterstreicht Spahr das Schäferliche i n der 'Aramena' u n d behandelt das Problem des Schlüsselromans. Wieder gelingt es i h m hier, alte Forschungsprobleme, an denen oft herumgedeutelt worden w a r , w i r k l i c h zu lösen. Spahr betont ein für alle M a l den Einfluß der dichterischen Eigenart der Nürnberger auf A n t o n Ulrich, der vordergründig betrachtet k a u m zu bestehen scheint. Daß A n t o n Ulrichs Lehrer Schottel und Birken Pegnitzschäfer waren, läßt solche Interessen beim Herzog wahrscheinlich erscheinen. D i e Vorliebe der Nürnberger für die Schäferdichtung hat die 'Aramena' mitgestaltet: »Mesopotamische Schäferei oder D i e Durchleuchtige Aramena«. Die Eigenheit der Schäferdichtung, den A u t o r als A u t o r relativ unbedeutend hinter der schäferlichen Maske zu verhüllen, zeigt sich i n der A n o n y m i t ä t der 'Aramena'. Selbt das schäferliche Charakteristikum, Werke mehrerer Dichter i n einem Band zu veröffentlichen, spiegelt sich i n diesem Roman, i n den A n t o n Ulrich Gedichte u n d Spiele anderer Autoren bereitwillig aufnahm. D e n Nürnbergern w a r aber die magere H a n d l u n g echt schäferlich nur ein V o r w a n d für die Reihung der 22 Literaturwissenschaftliches Jahrbuch, 8. Bd.
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Lobgedidite, was an die Struktur der ' N i m f e n Hercinie' erinnert. »When, however, the p l o t becomes a real factor i n the pastoral w o r k , actions as w e l l as persons can be displayed. A n d here we have the real >roman à clefrepresentation< of the pastoral technique w i t h i n the fiction of the pastoral novel: the baroque device of the double m i r r o r image (in one notable instance rendered i n perhaps four reflections) — the p l a y w i t h i n the play.« (S. 133). A n solchen Stellen stößt Spahr auf der Basis seiner »Grundlagenforschung« weit i n die Interpretation der diffizilen künstlerischen Problematik des Romans vor. Aus der Fülle seiner vielen Funde und Belege gelingt dem A u t o r noch die Lösung eines klassischen Anton-Ulrich-Problems u n d damit die Entdeckung einer weiteren Bedeutungsebene i n diesem Roman: er findet den Schlüssel zur 'Aramena7 Das ist ein neuer K u l m i n a t i o n s p u n k t seines Buches. Spahr beweist, daß A n t o n Ulrich verschiedene Begebenheiten des Wolfenbütteler Hofes unter Tarnung der entsprechenden Personen i n seinen Roman verwoben hat. A n t o n U l r i c h selbst (AUsicles), seine Frau Elisabeth Juliane (Eldanie), seine Schwestern Sibylla Ursula (SUriane) u n d M a r i a Elisabeth ( M E l i d i a ) , u m nur einige seiner nächsten Verwandten zu nennen, sein literarischer M e n t o r Sigmund v o n Birken (Beiisar), Catharina Regina v o n Greiffenberg (Uranie) usw. erscheinen genauso unter verschlüsselten N a m e n wie manche örtlichkeiten, z . B . Salzdahlum (Sarug); (vgl. Spahrs Zusammenstellung auf S. 153).
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A u f dem Weg über verschlüsselte N a m e n gelangt Spahr zu einer weiteren überraschenden Entdeckung i n bezug auf die Komposition des Romans: A n t o n U l r i c h nahm Gedichte Sigmund v o n Birkens, Catharina Regina v o n Greiffenbergs, seiner Schwester M a r i a Elisabeth, eines ihrer unbekannten Freier (Wigestes) u n d v o n Graf Gottlieb v o n Windischgrätz besonders i n den 5. Band seiner 'Aramena' auf. D a m i t erweist sich der R o m a n i n einem gewissen Sinne der Arbeitsweise der Nürnberger Pegnitzschäfer verwandt, w o mehrfach verschiedene Autoren anonym am Gelingen eines literarischen Werkes mitarbeiteten. Das letzte u n d siebente K a p i t e l m i t dem T i t e l 'Aramena' stellt sich anfangs folgende Frage: »What then are the implications of these findings for the 'Aramena' as a w o r k of art and for the technique of composition illustrated by the progression demonstrated?« (S. 155). D a n n faßt Spahr seine ganzen Ergebnisse nochmals so lakonisch zusammen, daß ich nicht umh i n kann, weiter zu zitieren: »We have found that the 'Aramena' i n first draft was possibly not the product of its author and that the final version of the novel has been corrected or >stylized< to such a p o i n t that we may maintain that its syntactic and rhetorical structure is the product of the revisor, not the author. Moreover, the last volume of the novel differs from the other four volumes because i t serves as a repository for poems b y various persons, i t is a 'roman à clef', and i t also displays an essentially different attitude t o w a r d its composition, the attitude, we f i n d prevalent i n the numerous Schäffereyen of the Nürnberg poets.« (Ebd.). A n t o n Ulrichs Einstellung zu seinem literarischen W e r k sieht Spahr einerseits ganz aus der schäferlichen T r a d i t i o n erwachsen, andererseits schützt die »hohe hand«, welche die 'Aramena' »zur gebäre r i n n hat«, die A n o n y m i t ä t v o r etwaiger Gleichstellung m i t den sozial niedrigeren »Dichterprofis« jener Zeit. I n der Verabsolutierung des Schäferlichen für die 'Aramena' scheint m i r Spahr jedoch zu w e i t zu gehen: »The very essence of the 'Aramena' is an extension of the pastoral attitude to the courtly material.« (S. 167). W o h l scheint die schäferliche Einleitung der Urfassung dies i n nuce schon zu beweisen, die den späteren dramatisch geballten medias-in-res-Einsatz vermissen läßt u n d offensichtlich einer anderen Romangattung zugehört. Es w i r d aber sehr schwer sein, die ersten vier Bände als Manifestation des Schäferlichen zu interpretieren, denn Spahr selbst betont den Unterschied des letzten v o n den übrigen Bänden (S. 155). V o m kompositorischen Standpunkt scheint er als i n sich geschlossene Einheit angefügt, denn der A u t o r hätte die H a n d l u n g leicht m i t Ende des vierten Bandes abschließen können. K e n n t man einmal die Bedeutung Birkens für den Roman, so ist rührend zu beobachten, wie selbstlos er die schöpferische A u t o r i t ä t des Herzogs anerkannt und wie gering er seine A r b e i t v o n A n f a n g an erachtet: » . . . S o l . . . der Glanz u. Stral meines guten Föbus mich soviel anleuchten u. Geistwärmen, daß dz Bley meiner Gedanken sich i n G o l d verwandele, zu dem Rocke dieser Göttlichen Prinzessin einen Goldfaden da u. dort einzuspinnen.« (zitiert nach Spahr S. 58). Gegen Schluß seines Buches baut Spahr noch die 2*
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berühmte 'Vor-Ansprache zum Edlen Leser' Birkens i n seine Betrachtungen ein u n d findet bestätigt, daß es sich dabei u m eine ex post facto Beschreibung u n d Rechtfertigung dieses speziellen Romans handelt. Daß Birken i m Sinne der Zeit dabei m i t Gattungskategorien arbeitet, entspricht den waltenden rhetorischen Grundsätzen. Spahr baut nun die zwei Aspekte v o n Birkens 'Geschichtgedicht' i n seine kompositorische u n d haltungsmäßige Unterscheidung zwischen Aramena I — I V u n d Aramena V ein: »entweder eine wahrhaftige Geschieht unter dem fürhang erdichteter N a m e n verborgen« (Aramena V ) »oder es sind ganz-erdichtete Historien / welche der Verfasser erfunden« (Aramena I — I V ) . D a m i t hat Birken i n seinen Gattungskategorien die beiden verschiedenen H a l t u n g e n gewürdigt und Spahrs Analyse bestätigt. A n den A n f a n g meiner kritischen Überlegungen zu Einzelfragen stelle ich die Unstimmigkeiten, die sich m i r beim Vergleich v o n M S 3 a — d m i t Spahrs textlicher Wiedergabe (S. 171—175) ergaben: 1. D e r Abschnitt 'Arouinda' (MS 3 b) fehlt leider bei Spahr. Ich setze deshalb den Text hieher: »des Königes W i g e w o n tochter, des Marsius erste gemahlin, mutter des Gambrivius u n d Hercinde«. 2. Als sinnstörenden Fehler liest Spahr (MS 3 a, S. 171) nach den Angaben über 'Aramena-De/^ois', 'AramenaDison' (zweiter N a m e gegen Spahr w o h l eindeutig v o n Birken genau wie bei 'Dison-Aramena'!), 'Aramenes-Abimeiech': »Dieser Damen i h r Grosherr Vatter ist der Kemmel« (statt richtigem »Kemuel«!) W o r a u f soll sich n u n »Damen« beziehen? Kemuel ist nur der Großvater der beiden Aramenen u n d des Aramenes, ihres Bruders. Liest man die Stelle recht, so heißt sie »Dieser dreien i h r Grosherr Vatter ist der Kemuel«, w o m i t sich alles sinnv o l l fügt. Falsch ist auch Spahrs Lesung »behielt« (MS 3 a unter »AramenaDison« für richtiges »behält«, das m i t dem »besprechenden« Tempus dieser Angaben übereinstimmt. 3. M i t Spahrs »Kemmel« statt richtigem »Kemuel« zeigte sich schon eine dritte Gruppe v o n Irrtümern, nämlich die fehlerhafte Wiedergabe v o n Eigennamen: »Mapestia« statt richtigem »Mapesia« (MS 3 b), »Arominda« (zweimal) statt richtigem »Arouinda« (MS 3 c). Zwischen u u n d ν k a n n ich mich bei diesem N a m e n nicht eindeutig entscheiden, aber dies t u t nicht einmal der Druck, vgl. dazu Aramena I V , 351 (»Arouinda«) u n d Aramena I I I , 222 (»Arovinda«). Weiter schreibt Spahr einmal falsches »Tibeal« neben mehrmaligem richtigen »Tideal« (MS 3 c), »Ellasser« statt richtigem »Ellassar« (MS 3 b), »Aramena gebührt« statt richtigem »Aramenen gebührt« (MS 3 d, Erz. 1), »Orasmada« statt richtigem »Orosmada« (MS 3 d, Erz. 12). 4. Kleine Fehler bei der Wiedergabe v o n Endungen: Ich lese »bekommet« gegen Spahrs »bekommt« unter folgenden T i t e l n : ' A r a mena-Dison' (Birkens »bekommet«), 'Gambrivius', 'Hercinde', ' M i r i n a ' , 'Ingerman', 'Adonisedech', 'Coelidiane' u n d 'Dison-Aramena'; »deme« statt Spahrs »dem« (unter ' M i r i n a ' ) , »gemahlin« statt Spahrs »gamahlin« (unter 'Delbois'), »angenehm« statt Spahrs »angenehmer« (Birkens erster Zusatz bei M S 3 b), »der heisset Adonisedech« statt Spahrs » d e s . . . « (unter ' M e l chisedech'). 5. Eine letzte Fehlerquelle für Spahr scheinen die Unterscheidungen zwischen Groß- u n d Kleinbuchstaben zu bilden, besonders bei
Buchbesprechungen Κ — k , F — f : Ich lese »kindheit« statt Spahrs »Kindheit« (unter ' A r a mena-Delbois'), »frau Mutter« statt Spahrs »Frau M u t t e r « (unter ' A r a mena-Delbois 9 ), » K o m t als ein k i n d « statt Spahrs »komt als ein K i n d « (unter 'Gambrivius') u n d »im Assyrischen kriege ümb« statt Spahrs »im Assyrischen Kriege ümb« (unter Cimber. Tubal). Weitere Detailhinweise sehe ich nicht als Beckmessereien an, sondern als praktische H i l f e n für eine etwaige nächste Auflage. E i n Druckfehler, der sich nicht i n M S 1 findet, ist Spahr (S. 28) unterlaufen. Es heißt dort (Zeile 7): »welche ihres H n . Vettern Schwester ist . . . « Das k a n n natürlich nicht stimmen, es muß »Vattern« lauten. D e n n die Erzählerin sieht i n A r a mena die Tochter des Mamellus, der Poliphides ( = Ahalibamas M u t t e r ) Bruder ist, beide des Aralius Kinder. O b es weiter sehr sinnvoll ist, den Anfang v o n M S 2 nach Heselhaus und seinen Lesefehlern zu zitieren (trotz Plate 2), ist eine Frage (vgl. Spahr S. 50 f. A n m . 24: »Nahrung« statt richtigem »nahrung«, »gespräch« statt »gesprech«, »durchrauschte« statt »dürchrauschete«). I m Inhaltsverzeichnis fehlt beim 5. K a p i t e l der H i n w e i s »MS 2«, wodurch die Überschrift einen allgemeineren Sinn erhält. E i n weiterer Druckfehler findet sich i n Catharina Reginas Widmungsgedicht z u m 3. Band, das Spahr i m Anhang abdruckt: »mahlt Schatten kluber Ränk« statt »kluger« (S. 193). Spahr (S. 62) vermutet, daß Birkens Ausdrücke »geschrieben«, »ümbgeschrieben« u n d »revidiert« für den einen Arbeitsvorgang (State 4) synonym sind. D i e Frage w i r d aber nie aufgeworfen, i n welcher Form Birken diese Revision eigentlich durchführte. I m allgemeinen hatten die Blätter des H e r zogs, die er für seine Bearbeitung (MS 3) verwendete, eine ganz bestimmte Gestalt: »the concept paper w i t h the wide margins which permits extensive corrections« (S. 72). Aus diesem Ansatz ergeben sich einige spekulative Fragen: H a t Birken seine Reinschrift für den Drucker Satz für Satz nach M S 3 hergestellt, ohne vorher die geplanten Änderungen irgendwie schriftlich zu fixieren? Oder hat er i m Manuskript des Herzogs vorher die Änderungen i m T e x t oder auf dem breiten R a n d vermerkt u n d erst als zweiten Arbeitsgang die Reinschrift erstellt? D i e zweite Möglichkeit legen Birkens Ergänzungen auf den ersten Blättern v o n M S 3 nahe. So könnten also für zwei so oder anders mögliche Arbeitsphasen auch drei Ausdrücke zur Verfügung stehen. Vielleicht gelänge es einer nochmaligen Durchsicht der Bezugsstellen auf diese Unterscheidung hin, die verschiedenen T e r m i n i verschiedenen A r beitsphasen zuzuordnen. Dies nur als Vorschlag. Ergänzend zu Spahrs wichtigem H i n w e i s auf die Bedeutung der Genealogie i n A n t o n Ulrichs Roman(en) (S. 82f.) möchte ich bemerken: Das Interesse für genealogische Bezüge entspricht den Gewohnheiten des Adels nicht nur jener Zeit, es ist aber i n des Herzogs Werken stärker als i n anderen zeitgenössischen integriert, ja zu einem wichtigen Darstellungselement geworden. Es ordnet sich als V a r i a t i o n einem größeren Darstellungsprinzip unter, das i d i als »Prinzip der menschlichen Beziehungen« bezeichnen
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möchte u n d das i n Leibnizens Monadenlehre seine Entsprechung findet. (Ich hoffe, die epischen Darstellungsprinzipien A n t o n Ulrichs demnächst i n einer größeren Arbeit aufweisen zu können.) Eine Möglichkeit dieses Prinzips einer intensiveren menschlichen Integration zeigt schon die sprachliche Verflechtung der Zuhörerin Aramena m i t dem Stammbaum Ahalibamas i m Ubergang v o n M S 2 zu M S 1 (Spahr S. 28). Eine weitere minutiöse Änderung unter dem Einfluß dieses Gestaltungsprinzips möchte ich noch i m Wandel v o m M S 2 zu Ρ aufzeigen (die entsprechende Stelle i n M S 1 habe ich augenblicklich nicht zur Verfügung): M S 2 »Ich konte w e i l w i r hiemit nach den wagen gingen nichts anderes antworten« — Ρ ( I , 84): »Sie kunte i h m hierauf / w e i l sie ihrer Fr. M u t t e r nach den wagen folgen muste / nicht antworten.« D i e beiläufige M o t i v i e r u n g der handschriftlichen Fassung w i r d i m Druck durch eine gesellschaftlich zwingende Tatsache ersetzt, die zudem erzählerisch die Beziehung zwischen zwei Menschen schafft. N i c h t mehr » w i r . . . gingen« sondern die Abhängigkeit v o n der gesellschaftlichen E t i kette steht i m Blickpunkt der epischen Gestaltung. I d i möchte noch ein D e t a i l zum textlichen Wandel v o n M S 2 zu M S 1 ergänzen. D i e moralische Thematisierung wichtiger Personen als »expansion« hat Spahr (S. 31) bereits bei Elieser u n d Ephron aufgezeigt. Das t r i f f t genauso zu i n Bezug auf das verdeckte 'Herrscherlob' Anas (S. 28, Zeile 10 bis 13), das i n M S 2 fehlt. A u f g r u n d hervorragender Qualitäten überspringt A n a das Gesetz der Erbfolge, dem die sechs teils älteren Brüder f r e i w i l l i g zustimmen. Diese kleine Stelle ist ein markanter Kontrast zu den vielen Handlungsmodellen brüderlicher Thronstreitigkeiten i n A n t o n Ulrichs beiden Romanen. D a m i t aber genug der Einzelheiten. — Blake Lee Spahrs Buch enthüllt eine der erregendsten Entstehungsgeschichten aus der Zeit des Barock, u n d es zeigt uns zudem, w i e der »Literaturbetrieb« des 17. Jahrhunderts i m konkreten Fall ausgesehen haben mag. Eine Persönlichkeit wie Sigmund v o n Birken w a r ein wahrer Adeliger des W o r tes, der sich uns i n einem europäischen Briefwechsel fast als moderner Schriftsteller vorstellt. D i e Größe v o n Spahrs Buch, das einen der seltenen »echten« Forschungsbeiträge darstellt, liegt v o r allem i n seiner methodischen Konsequenz, seinem sachlichen T o n u n d den zwingenden Schlüssen, die auf den vielen v o n i h m gefundenen Dokumenten basieren. Spahrs großes Verdienst aber bleibt, m i t dieser Entstehungsgeschichte die Grundlage für weitere Untersuchungen zu Stil, Struktur u n d Komposition dieses Romans geschaffen zu haben. Es bleibt nur zu hoffen, daß Spahr die S. 12, A n m . 26 angekündigte Ausgabe der Dramen A n t o n Ulrichs bald vorlegen kann. Die Entstehungsgeschichte der O c t a v i a * w i r d als Münchner Dissertation v o n M a r i a M u n d i n g vorbereitet, die zudem bei Kösel eine Reprint E d i t i o n dieses Romans bringen w i r d . D a m i t rückt das literarische W e r k des Herzogs A n t o n Ulrich v o n Braunschweig i n den Blickpunkt der germanistischen Forschung, was w i r nicht zuletzt den Impulsen v o n Spahrs »philological groundwork« verdanken. Adolf Haslinger, Salzburg
Buchbesprechungen Novalis Schriften. Die Werke Friedrich v o n Hardenbergs. Hrsg. v o n Paul Kluckhohn ( f ) u n d Richard Samuel. Zweite, nach den Handschriften ergänzte, erweiterte u n d verbesserte Auflage i n vier Bänden. Stuttgart. W . Kohlhammer Verlag. 1. Band: Das dichterische Werk. Hrsg. v o n Paul Kluckhohn ( f ) und Richard Samuel unter Mitarbeit v o n H e i n z Ritter und Gerhard Schulz. 1960. 660 SS. 2. Band: Das philosophische W e r k I . Hrsg. v o n Richard Samuel i n Zusammenarbeit m i t Hans-Joachim Mahl und Gerhard Schulz. 1965. 784 SS. Der erste Band der neuen kritischen Novalisausgabe w i r d wie der erste Band der Ausgabe v o n 1929 eingeleitet v o n Paul Kluckhohns Uberblick über »Friedrich v o n Hardenbergs Entwicklung u n d Dichtung«. Diese H a u p t einleitung erscheint 1960 i n ihrer ursprünglichen Gestalt, doch hat Richard Samuel überall dort, »wo die Forschung der letzten Jahrzehnte neue Fakten ans Licht gebracht hat . . . , diese eingefügt oder den T e x t entsprechend ergänzt« ( I , V I I ) 1 . Samuel hat aber audi gelegentlich i n der Haupteinleitung auf neue Deutungsergebnisse verwiesen und so z. B. dem Abschnitt über die ' H y m n e n an die Nacht' einerseits die neuen »Fakten«, d. h. H e i n z Ritters Datierungsergebnisse eingefügt, andererseits — i m Gegensatz zu Kluckhohn — betont, daß die »Umsetzung v o n freien R h y t h m e n i n Prosa nicht der einzige Unterschied der beiden erhaltenen Fassungen« sei 2 . Den letzten Schritt freilich, den man erwartet, t u t Samuel nicht: erst i n der Einleitung zu der Edition der ' H y m n e n ' führt er näher aus, w o r i n die Fassungsunterschiede bestehen; er fügt Kluckhohns Haupttext keine weiteren, neuen Deutungsaspekte ein 3 . Diesen leichten Inkonsequenzen bei der Bearbeitung der H a u p t - u n d Einzeleinleitungen käme kein besonderes Gewicht zu — sie entspringen allein der durch Kluckhohns vorzeitigen T o d bedingten Notlage Richard Samuels — , wenn sie nicht symptomatisch wären für einen Zwiespalt, i n den der Leser dieses ersten Bandes unvermeidlich gerät, wenn er den Fortschritt der zweiten Auflage über die erste hinaus beurteilen möchte. U m diesen Zwiespalt näher zu kennzeichnen, wählen w i r ein Beispiel aus der Textgestaltung. D e n Text des 'Ofterdingen I ' konnten nur Friedrich Schlegel u n d L u d w i g Tieck, Hardenbergs erste Editoren, nach der
1 Zahlen in Klammern verweisen auf Band und Seite der besprochenen Ausgabe, die sonst auch durch die Abkürzung »Kl./S.« bezeichnet wird. Die erste Auflage dieser Edition ( = Novalis Schriften. Im Verein mit Richard Samuel hrsg. von Paul Kluckhohn. Nach den Handschriften ergänzte und neugeordnete Ausgabe, 4 Bände, Leipzig 1929) zitieren wir mit der Abkürzung »Kl.«. 2 Vgl. Kl. I, 61* und K1./S. I, 49. 8 Wir denken etwa an die Symboldeutung Max Kommereils, auf der HansJoachim Mühl weitergebaut hat. Vgl. Max Kommer eil, Novalis: Hymnen an die Nacht, in: Gedicht und Gedanke. Auslegungen deutscher Gedichte. Hrsg. von Heinz Otto Burger, Halle 1942, S. 202 ff.; Hans-Joachim Mühl, Die Idee des goldenen Zeitalters im Werke des Novalis. Studien zur Wesensbestimmung der frühromantischen Utopie und zu ihren ideengeschichtlichen Voraussetzungen, Heidelberg 1965 (Probleme der Dichtung 7) [ = Diss. Hamburg 1959].
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eigenhändigen Reinschrift des Dichters drucken 4 , alle späteren Herausgeber sind v o n jeher auf die posthume Erstausgabe als Druckvorlage angewiesen; der fragmentarische zweite T e i l des 'Ofterdingen' sowie die Paralipomena sind i n Hardenbergs Originalmanuskripten erhalten, v o n denen leider neuerdings, seit der Verschleuderung v o n Stefan Zweigs Autographensammlung, die Astralishandschrift verschollen ist. Bei Kl./S. ( I , 603) w i r d als Erstdruck des Romans angegeben: » H . v . O . E i n nachgelassener R o m a n v o n Novalis. Erster Theil. Berlin 1802. I n der Realschulbuchhandlung. — 388 SS. (erschienen J u n i 1802)«. I n dieser Form ist der T i t e l des ersten Separatdruckes trotz großer Mühe bisher i n keiner deutschen Bibliothek nachzuweisen, so daß ein I r r t u m der Bearbeiter v o n Kl./S. I anzunehmen ist; der erste Separatdruck des Romans ist vielmehr zu zitieren: » H . v. O . E i n nachgelassener Roman v o n Novalis. Z w e i Theile. Berlin, 1802. I n der Buchhandlung der Realschule. — 338 SS.«. O b w o h l auf dem T i t e l b l a t t »zwei Theile« vermerkt sind, enthält E nur den T e x t v o n O f t e r d i n g e n Γ , doch ist daraus w o h l zu schließen, daß man A n f a n g des Jahres 1802 auf den ersten auch den zweiten T e i l des Romans, vermutlich m i t Tiecks Fortsetzungsbericht u n d einem Anhang weiterer Schriften Hardenbergs folgen lassen wollte. Erst etwas später hat man sich dann entschlossen, O f t e r d i n g e n Γ i m ersten T e i l der 'Schriften' ( = N o v a l i s Schriften. Hrsg. v o n Friedrich Schlegel u n d L u d w i g Tieck. Erster Theil. Berlin, 1802. I n der Buchhandlung der Realschule. X I I und 338 SS. [ = S 1 ] ; erschienen Ende 1802) zu wiederholen u n d m i t 'Ofterdingen I F den zweiten Band der Schriften zu eröffnen. I n der Stadtbibliothek Bremen findet sich unter der Signatur I I c 9406 ein Separatdruck des Romans, der auf den Seiten 1—338 O f t e r d i n g e n I ' , daran anschließend, m i t neuer Paginierung (Seiten 1—78) 'Ofterdingen I I ' u n d Tiecks Fortsetzungsbericht enthält, ein Band also, dessen I n h a l t m i t dem T i t e l b l a t t übereinstimmt. W e n n auch die Existenz eines solchen zeitgenössischen Druckes nicht auszuschließen ist, möchte ich, nach einem freundlichen H i n w e i s v o n Hans-Joachim M ä h l , doch eher annehmen, daß es sich hier u m ein nachträglich aus dem ersten Separatdruck u n d dem Ofterdingentext aus dem zweiten T e i l der 'Schriften' zusammengestelltes Exemplar handelt, das freilich den Wunsch der Leser nach einem kompletten Separattext des R o mans beweist. — V o r m i r liegt der erste Band der fünften Auflage v o n Hardenbergs 'Schriften' (1837), der neben Tiecks Vorreden zur ersten, dritten u n d fünften Auflage (S. I V — X L I I ) auf insgesamt 257 [ ! ] Seiten 'Ofterdingen F (S. 1 bis 208), 'Ofterdingen I I ' (S. 209—239), sowie Tiecks Fortsetzungsbericht (S. 239—257), also einen kompletten T e x t des Romans i n einem Band enth ä l t ; für einen solchen Band mußte der T e x t neu gesetzt werden, w o m i t für die Herausgeber die Möglichkeit bestand, nochmals einzugreifen u n d den T e x t eventuell sogar neu an Hardenbergs Druckvorlage zu überprüfen. Einer kritischen E d i t i o n stellt sich damit die Aufgabe, überall dort, w o nach 4 Vgl. Richard Samuel, Zur Geschichte des Nachlasses Friedrich von Hardenbergs (Novalis), in: Jb. der Deutschen Schillerges. I I (1958), S. 301 ff.
Buchbesprechungen posthumen Erstausgaben gedruckt werden muß, sämtliche Auflagen der 'Schriften' (S 1 —S 5 ) zu kollationieren; da sich bei Kl./S. I nirgendwo ein H i n w e i s auf das Ergebnis dieser Vergleiche findet, nur bei den 'Geistlichen Liedern' ( I , 126) auf Minors textkritische Studien verwiesen w i r d , ist anzunehmen, daß die verschiedenen Auflagen der 'Schriften' nicht verglichen, Minors Ansätze also nicht weitergeführt wurden. E i n Vergleich zwischen E ( = erster Separatdruck) u n d S 5 zeigt so zahlreiche Varianten, daß w i r v o n einem wesentlich veränderten u n d überarbeiteten T e x t sprechen müssen. A u f f ä l l i g ist i n S 5 zunächst Tiecks Tendenz zur Modernisierung v o n Gramm a t i k , Orthographie u n d Interpunktion, die deutlich v o m O r i g i n a l wegführt. O b auch die zahllosen stilistischen Eingriffe nur die glättende H a n d eines Dichters verraten, der »in allem Mechanischen dem Hardenberg so weit überlegen« war, ob nicht einzelne Varianten doch auf N o v a l i s ' eigene Druckvorlage zurückführen, wagen w i r ohne eingehende Studien nicht zu entscheiden. Vgl. etwa 6 : 197, 5 wie ein zarter Busen an ihn] ihm an S 5 ; 199, 21 her eintrat] hineintrat S 5 ; 199, 36 aber eben er ist mir ein Beweis] aber grade er ist mir eben ein Beweis S 5 ; 200, 35 ich schlief bald] ich entschlief bald S 5 ; 204, 10 eine höhere, geistliche Macht] eine höhere geistige Macht S 5 ; 211, 1 möglich machten] verrichteten S 5 ; 247, 19 nicht Fleiß und Plage] nicht Fleiß noch Plage S 5 ; 248, 23 Es brachte es ein reisender Bergmann mit] Ein reisender Bergmann brachte es mit S 5 ; 251, 3 redeten] meinten S 5 ; 273, 19 selbst empor] ganz empor S 5 ; etc. Wie ein weiterer Vergleich zeigt, wählen die Herausgeber v o n Kl./S. I als Druckvorlage für 'Ofterdingen I ' nicht E oder S 1 , sondern den Text v o n 1929, dessen Druckfehler korrigiert, dessen schon modernisierte Wortformen aber noch weiter modernisiert werden. So k o m m t es, daß zweifelhafte K o n jekturen (oder Druckfehler?) v o n K l . nicht entdeckt und daher auch nicht i m A p p a r a t verzeichnet werden. Vgl. etwa: 260, 20 begründet (KL, Kl./S.)] gegründet (E, S 1 , S 5 ); 268, 31 f. war nun wegen ihres Anzugs (Kl., Kl./S.)] war nur wegen ihres Anzugs (E, S 1 , S 5 ); 308, 35 Meine Feindin ist versengt (Kl., Kl./S.)] Meine Feindin ist versenkt (E, S 1 , S 5 ); etc. Vgl. dagegen: 203, 16 Jahre (Kl./S.)] Jahr (Kl., E, S 1 , S 5 ); 236, 14 Schicksal (Kl./ S.)] Unglück (KL, E, S 1 , S 5 ); 250, 4 Innre (Kl./S.)] Innere (KL, E, S 1 , S 5 ); etc. D i e Orthographie ist, wie es den Grundsätzen v o n K l . u n d Kl./S. I entspricht, modernisiert, doch bleiben grammatische u n d lautliche Eigenheiten des Originals gewahrt. D i e Schwierigkeiten dieses Verfahrens zeigen Formen w i e »Zepter« ( K l . , Kl./S. I ) statt »Szepter« (E), »Saphir« ( K l . , Kl./S. I ) statt »Sapphir« (E), »Flaum« ( K l . , Kl./S. I ) statt »Pflaum« (E), »spritzt« ( K l . , Kl./S. I ) statt »sprützt« (E) etc. Können nicht schwerwiegende r h y t h mische Verschiebungen entstehen, w e n n Verben, welche die Zeitgenossen noch nicht als zusammengesetzt empfunden haben, konsequent zusammengeschrie5 Wir zitieren nach Kl./S. I, das in jedem der angeführten Fälle mit E und S 1 übereinstimmt.
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ben werden? K ö n n t e ζ. Β. ein Satz, der i n E lautet: »er schöpfte H o f n u n g , sie bald wieder zu sehen«, nicht m i t der Betonung auf »bald« und »sehen« gelesen worden sein, statt, wie es die Modernisierung »wiederzusehen« v o r schreibt, m i t der Betonung auf »wieder«? W i r d nicht eine Modernisierung, die ζ . B. »Gebirg«, das schon i n E neben »Gebürg« erscheint, konsequent i n »Gebürg« zurückkorrigiert, problematisch? Auch die aus K l . i n Kl./S. I übernommenen Eingriffe i n die I n t e r p u n k t i o n ergeben zahllose Verschiebungen i m rhythmischen Gefüge des Romans 8 . I m Unterschied z u m Text des O f t e r d i n g e n F , der i n K l . / S .1 den Editionsstand v o n 1929 nicht überwindet, ja i h n teilweise nicht einmal erreicht, sind O f t e r d i n g e n I F u n d die Paralipomena wesentlich verbessert, bzw. erweitert und ergänzt, u n d offensichtlich neu an den erhaltenen Handschriften überp r ü f t worden. Fehllesungen werden korrigiert, die I n t e r p u n k t i o n der V o r lagen ist weitgehend gewahrt, Hardenbergs charakteristischer Gedankenstrich, der i m ersten T e i l des Textes u n d bei K l . auch i m zweiten T e i l durch unnötig eingefügte K o m m a t a und Punkte entwertet w a r , k o m m t wieder zu seinem Recht. Vgl. etwa: 320, 4 entsetzliche (Kl./S.)] entsetzlichste (KL); 320, 27 Entzückungen — Aber wie (Kl./S.)] Entzückungen. — Aber wie (Kl.); 321, 26 Härme dich nicht — Ich bin bei dir. (Kl./S.)] Härme dich nicht. Idi bin bei dir. (KL); 325, 27 Sie gingen durch ein altes Tor weg (Kl./S.)] Sie gingen durch einen alten Torweg (KL). Vgl. aber: 355, 30 f. Dann nach Norden. Weiter, nach Süden. Sommer. (Kl./S.) — Dann nach Norden. Weiter nach Süden. Sommer. (Kl.) statt richtig: Dann nach Norden. Winter, nach Süden. Sommer.; U m ein letztes Beispiel zu geben: Richard Samuel selbst hat entdeckt, daß L u d w i g Tieck seinen Fortsetzungsbericht »zu einem kleinen K u n s t w e r k eigenen Wertes« gestaltet hat. I n Tiecks Bericht bei Kl./S. I entfallen daher auch die i n der Schrifttype bei K l . ausgedrückten Unterscheidungen zwischen Tiecks u n d Hardenbergs T e x t ; nur w i r d Kl./S. I , 369 wie bei K l . für den Text der 'Vermählung der Jahreszeiten' auf Paralipomenon 7 (bzw. 4 K l . ) verwiesen, o b w o h l sich beim Vergleich zwischen der Fassung des Fortsetzungsberichtes und Paralipomenon 7 nochmals die glättende H a n d L u d w i g Tiecks zeigt. Vgl etwa: 355, 8 Als er zu erst von der himmlischen Blume gehört und getroffen (Kl./S.)] Als von der himmlischen Blume zuerst er gehört, und getroffen (S1, S 5 ); 355, 25 Ausgesprochen hast du wahrlich ein himmlisches Wort, (Kl./S.)] Ausgesprochen fürwahr hast du ein himmlisches Wort, (S1, S 5 ); etc. Der Zwiespalt des Lesers v o n Kl./S. I w i r d also dadurch begründet, daß die Herausgeber noch allzu sehr der Faszination der eigenen Deutung u n d β Hinzuweisen ist hier vor allem auf die im Vergleich mit dem Faksimile von S. 3 der Astralishandschrift (Kl. I, vor S. 221) zahlreichen Eingriffe in die Interpunktion. Kl./S. I, 187 wird auf diese Abbildung aufmerksam gemacht, die dem neuen Band vor S. 319 beigegeben sein soll; mein Exemplar der neuen Ausgabe enthält diese Tafel nicht. Ist sie nur wegen eines Bindefehlers einem Teil der Auflage nicht beigegeben oder muß der Hinweis gestrichen werden?
Buchbesprechungen Textgestaltung unterliegen, der Faszination einer Ausgabe, die zu ihrer Zeit eine große und originale Leistung w a r , die der Forschung durch 30 Jahre hindurch als K a n o n des Novalistextes gegolten u n d i h r eine solide G r u n d lage geboten hat. Heute ist der Editionsstand der ersten Auflage, wie die entsprechenden Teile i n Kl./S. I u n d noch deutlicher Kl./S. I I zeigen, überholt. Erst durch eine offene u n d umfassende K r i t i k v o n K l . jedoch ist ein v ö l l i g neuer T e x t — m i t a l l seinen Konsequenzen für die Novalisforschung — zu gewinnen 7 . M i t dem Erscheinen des zweiten Bandes v o n Kl./S. (1965) w i r d der genannte Zwiespalt des Lesers gleichsam v o n den Herausgebern selbst markiert und als berechtigt anerkannt. Kl./S. I I ist erstmals ein umfangreicher E d i tionsbericht (von Gerhard Schulz) beigegeben, der jede notwendige Inkonsequenz des Bandes rechtfertigt u n d erklärt, die Unstimmigkeiten des ersten Bandes damit z w a r indirekt, aber hell beleuchtet. M a n hat i m Zusammenhang m i t Ernst Grumachs Goethe-Edition v o n einem »Erdbeben« gesprochen, ohne freilich, da die Apparatbände fehlen, die Bruchlinien vermessen zu können; m i t demselben Recht — oder besser: m i t größerem Recht könnte man jetzt v o n einem »Erdbeben« der N o v a l i s forschung sprechen, n u r daß diesmal die Bruchlinien exakt zu verfolgen sind. Die Konsequenzen des i m zweiten Band der neuen Ausgabe dargebotenen Novalisbildes sind schwerlich zu überschätzen, sie werden die gesamte Romantikforschung u n d selbst die benachbarte Goetheforschung beeinflussen. Äußerlich ist der Bruch i n der Novalisforschung — allerdings auch der 7
Wir haben den sich auf die Leser übertragenden Zwiespalt der Herausgeber allein am Beispiel der Haupteinleitung und des Ofterdingentextes gezeigt; weitere Beispiele ließen sich anführen. So ist ζ. B. zu fragen, warum die Interpunktion der 'Geistlichen Lieder* nur »fast genau« (I, 126) den Erstdrucken folgt und nicht »ganz genau«? — Eindringlich hinzuweisen ist auch auf das Problem der Edition von Hardenbergs Jugendnachlaß. Die Zahl der Jugendwerke wird in Kl./S. I gegenüber Kl. zwar wesentlich erweitert, doch erscheint auch diesmal der Jugendnachlaß nicht vollständig. Ergänzungen dazu gibt nun der Anhang zu Mahl, Die Idee des goldenen Zeitalters, S. 427 ff. Ebenda S. 261 Anm. 15 wird auch von einer »Gesamtuntersuchung des Jugendnachlasses« gesprochen, die Mahl von Richard Samuel »unter Bereitstellung seines nahezu lückenlosen, abschriftlichen Materials übertragen wurde«. Es wäre sehr zu wünschen, daß diese Arbeit einer eventuellen Neubearbeitung von Kl./S. I zugutekommt, da nach dem Verlust der Novalishandschriften der Deutschen Staatsbibliothek Berlin die in Richard Samuels Besitz befindlichen Abschriften allein die Uberlieferung von Hardenbergs Jugendwerk repräsentieren. Einige Inkonsequenzen des Ofterdingentextes bei Kl./S. I habe ich in dem Bändchen 'Novalis: Heinrich von Ofterdingen. Ein Roman', Textrevision und Nachwort von W. F., Stuttgart 1965 (Reclams Universalbibliothek Nr. 8939—41) zu berichtigen gesucht. In Nachwort und Bibliographie dieses Bändchens werden — im Gegensatz zu der Meinung von Konrad Kratzsch (Germanistik 8, 1967, S. 121) — »Arbeiten aus der DDR« durchaus berücksichtigt, ζ. B. Schulz, Korff, Haufe; die Bibliographie stellt aber keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Zwei Fehler des Anhangs bitte ich selbst berichtigen zu dürfen: S. 223, 22 lies »Paralipomenon 6« statt »Paralipomenon 7«, S. 245, 11 lies »Schlegel* statt »Novalis«.
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Bruch innerhalb der neuen Ausgabe — durch den Erwerb der großen Novalissammlung Salman Schodens durch das Freie Deutsche Hochstift (1960) markiert, die ersten Ergebnisse einer Auswertung dieses umfangreichen Nachlasses, den K l u c k h o h n u n d Samuel i n den zwanziger Jahren nur kurzfristig benutzen konnten, liegen n u n i n Einleitungen, Text u n d A p p a rat v o n Kl./S. I I , sowie i n den voraus- u n d parallelgehenden Arbeiten der Editoren v o r 8 . Die vornehme u n d zurückhaltende A r t der neuen Herausgeber i n ihrer Auseinandersetzung m i t Paul Kluckhohns Editionsleistung läßt das volle Ausmaß des Erreichten oft erst ahnen. Diesmal freilich nehmen die H e r ausgeber dem Leser die Mühe des Vergleichs m i t K l . ab und fügen dem Band ein »Verzeichnis der wichtigsten Textbesserungen« ( I I , 780—748) an, das immerhin über 100 [ ! ] gravierende Fehllesungen der ersten Auflage verzeichnet. Wenn statt »Wissenschaft ist Synkretismus?« n u n einfach » W [ a s ] i [ s t ] Synkretismus?« ( I I , 683) zu lesen ist, statt » M a n muß ohne alle Emp8 Manches ist schon in dem Forschungsbericht von Walter Müller-Seidel, Probleme neuerer Novalis-Forschung (seit 1939), G R M N F I I I (1953), S. 274 ff. vorweggenommen. — Vgl. aber bes. Hans-Joachim Mahl, Eine unveröffentlichte KantStudie des Novalis, DVS 36 (1962), S. 36 ff.; ders., Novalis' Wilhelm-MeisterStudien des Jahres 1797, Neophilologus 47 (1963), S. 286 ff.; ders., Novalis und Plotin. Untersuchungen zu einer neuen Edition und Interpretation des 'Allgemeinen Brouillon', Jb. des Freien Deutschen Hochstifts 1963, S. 139 ff.; ders., NovalisZitate in Goethes Gesprächen? Corrigenda zu Friedrich Wilhelm Riemers 'Mitteilungen über Goethe', Euphorion 59 (1965), S. 150 ff. — Weitere neuere, u. a. auch Kl./S. I ergänzende Ergebnisse in den folgenden Arbeiten: Richard Samuel, Novellenentwürfe und Aufzeichnungen Friedrich von Hardenbergs, Jb. der Deutschen Schillerges. V (1961), S. 187 ff.; ders., Die Form von Friedrich Hardenbergs Abhandlung 'Die Christenheit oder Europa', in: Stoffe, Formen, Strukturen (Festschrift Bordierdt), München 1962, S. 284 ff.; ders., Novalis: Heinrich von Ofterdingen, in: Der deutsche Roman I. Hrsg. von Β. ν . Wiese, Düsseldorf 1963, S. 252 ff.; Gerhard Schulz, Die Poetik des Romans bei Novalis, Jb. des Freien Deutschen Hochstifts 1964, S. 120 ff.; Heinz Ritter, Die Entstehung des 'Heinrich von Ofterdingen', Euphorion 55 (1961), S. 163 ff. — Wünschenswert erscheint im Zusammenhang mit den zitierten Arbeiten eine Abstimmung der Editoren untereinander. Ein Beispiel: Das bekannte Paralipomenon zum 'Heinrich von Ofterdingen': »Friedrich [?] treibt poetische Spielerei mit Spekulation. Die Begriffe und ihre Worte sind seine Preis [oder Poesien?] Sie . . . meinem dunkeln, mysteriösen Roman. Diese allegorischen Figuren, dieser Glaube an die Persönlichkeit der Begriffe . . . durchaus . . . « (Kl./S. I, 340 = Kl. I, 239; I I I , 319) hat Richard Samuel in seiner Ofterdingeninterpretation (in: Der deutsche Roman) einleuchtend konjiziert: »Friedrich treibt poetische Spielerei mit Spekulation. Die Begriffe und ihre Worte sind seine Personen — sie bilden einen dunklen mysteriösen Roman. Diese allegorischen Figuren, dieser Glaube an die Persönlichkeit der Begriffe ist poetisch durchaus.« Demgegenüber ist die Annahme von Gerhard Schulz (Jb. des Freien Dtn. Hochstifts 1964, S. 147, Anm. 71), die Notiz beziehe sich auf Friedrich Schlegel und nicht auf die Fortsetzung des Ofterdingen' wenig wahrscheinlich. Schulz gibt folgenden Text: »Fridrich treibt poetische Spielerey mit Spekulation. Die Begriffe und ihre Worte sind seine [Personen] — [sie bilden] einen dunkeln, mysteriösen Roman. Diese Allegorischen Figuren, dieser Glaube an die Persönlichkeit der Begriffe [ . . . ] [ . . . ] durchaus.« Vgl. auch Helmut Schanze, »Dualismus unserer Symphilosophie«. Zum Verhältnis Novalis — Friedrich Schlegel, in: Jb. des Freien Dtn. Hochstifts 1966, S. 328.
Buchbesprechungen finidung sein« nun »Der M a n n muß ohne alle Empfindung seyn« ( I I , 782), statt »Zivilisierung des Göttlichen« n u n »Trivialisierung des Göttlichen« ( I I , 783) etc., so werden zahlreiche Interpretationsthesen an den neuen Texten z u überprüfen sein. D i e wissenschaftliche Auseinandersetzung m i t der neuen Ausgabe w i r d ein langdauernder, vielleicht über Jahrzehnte sich erstreckender Prozeß sein, der auf den wenigen Seiten einer Besprechung kaum angedeutet werden kann. Lediglich die grundlegenden neuen Ergebnisse sollen deshalb referiert werden. Als Hauptergebnis — v o n Richard Samuel i m V o r w o r t zu Kl./S. I I formuliert — darf die endgültige Lösung Hardenbergs aus den Vorstellungen des 19. Jahrhunderts verzeichnet werden, da die v o n Schlegel, Tieck u n d B ü l o w begründete Deutungstradition n u n auf breiter Front durchbrochen w i r d . Das Gesicht Hardenbergs als das eines eigenständigen u n d Friedrich Schlegel, i n dessen Schatten — u n d sei es nur terminologisch — i h n auch die neuere Forschung immer wieder gesehen hat, durchaus ebenbürtigen Denkers w i r d sichtbar, ohne daß auf die These v o n Hardenbergs »springend kombinierender A r t zu denken« ( K l . I 39*) zurückgegriffen w i r d . Es ist die formale u n d inhaltliche V i e l f a l t eines großen philosophischen u n d poetischen Werkes zu erkennen, i n dem die K u n s t f o r m des Fragments eine vergleichsweise nebengeordnete Rolle spielt 9 . U n d doch w i r d auch der Dichter des Fragments i n Kl./S. I I schärfer als bisher gesehen, da hier erstmals H a r d e n bergs kritische Bemerkungen zu Schlegels 'Athenaeumsfragmenten' ( I I , 623 f.), sowie die kommentierenden Titel, die er den Fragmenten des Bruders i m Geiste vorsetzte ( I I , 625—639), ediert werden. Hans-Joachim M ä h l t r i t t nun entschieden der »verhängnisvollen Tendenz zur >Fragmentisierung< des Hardenbergschen Nachlasses« 10 , der auch K l . noch anhängt, entgegen und widerlegt durch eine tiefgreifende U m o r d n u n g und Neudatierung der philosophischen Papiere — teilweise anhand v o n Ritters Datierungskriterien — überzeugend die These v o m fragmentarischen Denkstil des Novalis. I n Kl./S. I I sind i n dieser Weise die 'Philosophischen Studien' der Jahre 1795/96 u n d des Jahres 1797 neu geordnet, i n dem bei Abschluß der Besprechung noch nicht vorliegenden dritten Band w i r d es v o r allem das 'Allgemeine Brouillon' sein, dem die Kennzeichnung »Fragmentsammlung« entzogen u n d der »Charakter eines Notizbuches« zurückgegeben w i r d , »in dem i n loser, häufig äußerlich veranlaßter Folge Gedanken notiert u n d teils stichwortartig, teils diskursiv ausgeführt werden, die i m wörtlichen Sinne >Materialien< für ein künftiges Buch darstellen« 1 1 . Eine K r i t i k könnte nur bei Mähls inneren Datierungskriterien ansetzen, doch ist keine Lücke i n seinem Beweisgang zu entdecken. D i e Verifizierung v o n Fremdzitaten i n Hardenbergs Studien u n d N o t i zen, die bisher zum T e i l für »Originalgedanken u n d Formulierungen H a r denbergs angesehen wurden« ( I I , I X ) , ist ein weiteres, hervorragendes E r 9 10 11
Vergleichsbasis ist die These vom »fragmentarischen Denkstil« des Novalis. Mähl, Novalis und Plotin, S. 231. Ebd. S. 232.
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gebnis, dessen Tragweite erst nach E d i t i o n des 3. Bandes v o l l ermessen werden kann. M ä h l setzt die v o n Paul Kluckhohn erstmals i n größerem U m f a n g begonnene Entschlüsselung v o n Hardenbergs Exzerpten fort u n d sucht bei der Analyse seiner Faktenermittlung zwischen Ungers Einflußthese und Kluckhohns Originalitätsthese zu vermitteln; sein Nachweis der aus Primäru n d Sekundärquellen gemischten Zitiertechnik Hardenbergs (ζ. B. sekundäre Übernahme Plotins aus Tiedemann, Hemsterhuis' aus Herder) scheint uns auf ein bedeutsames Prinzip romantischer Arbeitsweise überhaupt zu deuten, da u. a. Brentano, A r n i m und Eichendorff ähnlich gearbeitet haben. M ä h l hat erwiesen, daß es bei N o v a l i s nicht so sehr u m den Nachweis der Exzerpte an sich geht, sondern »um einen rasch wechselnden u n d nicht immer leicht feststellbaren Lektürebezug, der den Aufzeichnungen des 'Allgemeinen Brouillon' i h r eigentümliches Gepräge g i b t « 1 2 . E i n ähnlicher »Lektürebezug« i n den literarhistorischen Schriften Eichendorffs w i r k t sich i n Zitatmontagen u n d Zitatballungen aus, die k a u m noch entflochten werden können, i n der Dichtung Brentanos aber scheint uns der stets die eigene Schöpfung evozierende »Lektürebezug« dem v o n Enzensberger benannten Entstellungsverfahren verwandt. M i t dem H i n w e i s auf exzerpiertes oder adaptiertes Gedankengut bek o m m t i n Kl./S. I I nun auch der Kommentar die i h m gemäße Funktion, da i m Gegensatz zu Band I die verwirrend häufig interpretierenden Anmerkungen vermieden werden, die Anmerkungen jetzt nur noch »die Feststellung v o n Quellen, die N o v a l i s benutzte, oder den Nachweis gewisser Zitate u n d Anspielungen sowie die Angabe v o n Bezügen auf Briefe u n d andere Dokumente, die über eine Datierung der Handschriften Aufschluß geben« ( I I , 687 f.) enthalten. M i t der Neuordnung u n d Neubewertung v o n Hardenbergs Studien hat M ä h l gezeigt, daß erst die vollständige u n d chronologisch geordnete E d i t i o n eine werkgerechte Interpretation ermöglicht; der Grundsatz der Vollständigkeit u n d der strengen chronologischen O r d n u n g — soweit dies bei dem V o r herrschen innerer Datierungskriterien überhaupt möglich ist — w i r d i n K l . / S. I I nun erfreulich auf den Gesamttext übertragen, die Originaltreue ist eines der herrschenden Prinzipien. So werden auch bei gedruckten Vorlagen Orthographie u n d I n t e r p u n k t i o n konsequent gewahrt, erläuternd eingefügte Satzzeichen i n eckige K l a m m e r n gesetzt, notwendige Konjekturen i m A p p a rat vermerkt, Rückkorrekturen, w i e w i r sie i n Band I bemerken konnten, abgelehnt. Statt an einem Auswahlapparat, wie er dem ersten Band beigegeben ist, läßt sich n u n der Arbeits- u n d Denkprozeß Hardenbergs an sämtlichen Entstehungsvarianten verfolgen. Gewiegte Editoren werden vielleicht das Verfahren der Textherstellung kritisieren, es an ihren eigenen Methoden messen, uns scheint gerade der Verzicht auf eine durch die Lesarten z u ermöglichende Rekonstruktion des Handschriftenbildes und die primär v o n Deutungsaspekten getragene, übersichtliche und die Entdeckerfreude anregende — nicht, wie häufig bei kritischen Apparaten, sie hemmende — Apparatgestaltung ein editorischer Gewinn, wie überhaupt Deu-
Buchbesprechungen tung u n d E d i t i o n i n diesem Band eine mustergültige Verbindung eingegangen sind. D a m i t stoßen w i r auf das »Problem« der Ausgabe und geraten nochmals i n den eingangs erläuterten Zwiespalt. Richard Samuel weist i m V o r w o r t zu Kl./S. I I darauf hin, daß »durch die Ergebnisse der Untersuchungen des handschriftlichen Materials . . . leider eine Reihe v o n Hinweisen auf das philosophische W e r k i n Paul Kluckhohns Biographie u n d i n den Einleitungen des ersten Bandes nicht mehr gültig« sind ( I I , X I I ) ; sie sollen i m Begleitband berichtigt werden. Selbst wenn diese Berichtigungen sehr ausführlich gehalten werden u n d der Leser g e w i l l t ist, die Synopse zwischen Begleitband u n d Band I zu vollziehen, bleibt i n Text- u n d Apparatgestaltung ein erhebliches Niveaugefälle zwischen dem ersten u n d den folgenden Bänden der Ausgabe. Was dieser zweite Band zusammen m i t dem w o h l i n Kürze erscheinenden dritten Band der Forschung geben, ist nicht weniger als ein neues N o v a l i s b i l d ; es ist das B i l d eines Dichters u n d Denkers, der sich selbst i n seiner Charakteristik Goethes gezeichnet hat, das B i l d eines Künstlers, dessen »Richtigkeit u n d Strenge . . . vielleicht schon musterhafter [ i s t ] , als es scheint« ( I I , 642). Sollte ein solches B i l d nicht auch u n d v o r allem auf die poetischen Schriften Hardenbergs übertragen werden, nachdem vielleicht noch immer m i t Paul Kluckhohn der 'Heinrich v o n O f e r d i n g e n ' als Gipfel v o n Hardenbergs Schaffen gesehen werden darf, v o n dem aus alles, »was er v o r 1799 geschaffen hat, nur als Durchgangsstufe« erscheint ( I , 65)? D i e Herausgeber haben sich m i t der Gestaltung des zweiten Bandes selbst das Z i e l gesteckt, das der erste noch erreichen muß. W i r wagen deshalb an Herausgeber und Verlag die Bitte u m eine Neubearbeitung des ersten Bandes anhand der i m zweiten Band erarbeiteten Editionsgrundsätze. W i r wissen, welches Opfer eine solche Neubearbeitung für die Editoren u n d für den Verlag bedeutet, w i r wissen aber auch, daß die sachlichen Ergebnisse des neuen Bandes alle Opfer rechtfertigen 1 2 . Schwierig bliebe allein die E n t scheidung über Paul Kluckhohns Haupteinleitung, da ja auch Kluckhohns A n t e i l an der neuen Ausgabe gerecht gewürdigt werden muß. Seine E d i tions· u n d Forschungsleistung ist die wichtigste u n d letzte Stufe auf dem Weg zu dem nun i n Band I I erreichten Ziel, Kluckhohn selbst hätte sich den neuen Erkenntnissen m i t Sicherheit nicht verschlossen; seine Novalisbiographie aber ist auch unabhängig v o n der Richtigkeit der i n i h r formulierten Einzelergebnisse eine Leistung v o n unverlierbarem, wissenschaftlichem Rang. 12
Korrekturnotiz: Noch vor Abschluß der Korrektur konnte ich das Buch von Heinz Ritter: 'Der unbekannte Novalis. Friedrich von Hardenberg im Spiegel seiner Dichtung, Göttingen 1967* einsehen, das wesentliche Korrekturen zu Band I, kleinere Korrekturen zu Band I I bringt. Hinzuweisen ist bes. auf Ritters Korrekturen der Paralipomenatexte zum 'Heinrich von Oferdingen', die Neuordnung und Neudatierung der 'Geistlichen Lieder* und der 'Vermischten Gedichte' und die geringfügige Verschiebung in der Datierung der 'Fichtestudien, (S. 347, Anm. 106). Wenn auch Ritters Ergebnisse nicht sämtlich übernommen werden können, so weisen sie doch nochmals eindringlich auf die Notwendigkeit einer grundlegenden Neubearbeitung von Band I der Ausgabe Kl./S. hin.
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So könnte man diese Biographie i n ihrer ursprünglichen Gestalt dem neubearbeiteten ersten Band beigeben u n d i n Einleitungen u n d Anmerkungen ausführlich auf seine Vorarbeiten f ü r die Neuedition verweisen. D i e Formulierung einer »Haupteinleitung« jedoch ist jetzt die vornehmste Aufgabe Richard Samuels, der m i t dieser E d i t i o n seinem Lebenswerk einen Eckstein gesetzt hat. Wolf gang Friihwald, Augsburg
Clemens Brentano, Werke· Vierter Band. Herausgegeben v o n Friedhelm Kemp . München 1966, C a r l Hanser Verlag. 958 SS. Als er sein erstes Bühnenstück schrieb, machte sich Clemens Brentano große Hoffnungen, daß der »Herr Geheimderath v o n Goethe hochwohlgeboren« es seines »freien öffentlichen Urtheils« für wert erachten w e r d e 1 ; als er dann dieses Stück, das Goethe unter dem T i t e l ' L a ß t es euch gefallen' eingesandt worden war, das i n der Druckfassung m i t T o n c e de Leon' überschrieben wurde, unter dem T i t e l 'Valeria oder Vaterlist' für das Wiener Burgtheater bearbeitete, schrieb er an A r n i m : » . . . Bei alle dem ist jetzt Geld m i t dem Theater hier zu verdienen, u n d D u thust D i r w o h l , wenn D u schnell mancherlei arbeitest.« 2 U m es vorwegzunehmen: Brentano hat kein Geld m i t dem Theater verdient; seine Laufbahn als Bühnenautor begann m i t einem M i ß e r f o l g u n d endete m i t einem handfesten Theaterskandal. Goethe hat erst auf Brentanos nachdrückliche Aufforderung h i n das M a n u skript des T o n c e de Leon' zurückgesandt, das Stück nicht aufgeführt, es auch nicht öffentlich besprochen, sondern nur dem Dichter »gütig für diese Arbeit gedankt« 3 u n d i h m h u l d v o l l bescheinigt, daß »unter denen, v o r mehr als 1 Vgl. Georg Brandis, Goethes dramatische Preisaufgabe, in: Zeitschrift für Bücherfreunde N F 4, 2 (1913), S. 238; (fehlerhafte Angabe bei Malion Nr. 324 und UL S. 232). 2 Steig I, 329. 3 Vgl. Dramaturgischer Beobachter Nr. 24, Freytag, den 25. Februar 1814: »An den Herausgeber des dramaturgischen Beobachters (das Lustspiel Valeria betreffend.) Sie begehren eine Erklärung von mir, wie Valeria auf die Bühne gekommen sey? Hier folgt sie. Sie ist eine Bearbeitung von dem Lustspiel: Ponce de Leon, Göttingen bey Diedrich 1803. Göthe hatte mit gütig für diese Arbeit gedankt. Sie war von allen kritischen Blättern mit Auszeichnung beurtheilt, und von geistreichen Menschen in ihre Büchersammlung aufgenommen . . . « — Anfang Juli 1801 hatte der Dichter »zwei Akte vom Intriguenstück« geschrieben (UL S. 203), das er kurz vor Mitte September 1801 anonym an Goethe sandte und in einem verschlossenen Umschlag seinen Namen beifügte. Zur Herbstmesse 1803 erschien das Stück, vordatiert auf 1804: Tonce de Leon. Ein Lustspiel von Clemens Brentano* Göttingen bey Heinrich Dieterich. 1804; zu berücksichtigen ist eine Titelauflage: Tonce de Leon. Lustspiel in fünf Aufzügen von Clemens Brentano*. Hamburg, bei Hoffmann und Campe, o. J.; etwa 1827, vgl. Malion Nr. 85. Ein Exemplar der von Mallon nur in der Berliner Staatsbibliothek nachgewiesenen Titelauflage findet sich auch in der Universitätsbibliothek Würzburg.
Buchbesprechungen einem Jahr eingeschickten Lustspielen . . . sich das hier zurückkommende durch seinen guten H u m o r u n d angenehme Lieder, besonders« auszeichnete 4 . Die »Chronik der Theater« i n C a r l Bernards Wiener 'Dramaturgischem Beobachter' aber meldet i m Februar 1814 lakonisch, daß i m »Theater nächst der B u r g . . . den 18. Valeria; ein L [ustspiel] i n 5 A [ k t e n ] ( N u r einmal)« gegeben worden sei. I n derselben N u m m e r des 'Beobachters' w i r d durch Brentanos 'Erklärung des Verfassers der Valeria an den verehrten Leser . . . ' die unerquickliche Diskussion u m die verunglückte Inszenierung abgeschlossen u n d die kurze Laufbahn des Theaterdichters Brentano beendet. D i e »Schliche«, m i t denen er die angeforderten Schauspielskizzen seines Freundes Achim v o n A r n i m zu »verwienern« plante, ließen sich offensichtlich doch nicht so rasch erlernen, wie er den Freund glauben machen wollte. Brentanos Festspiel ' V i k t o r i a u n d ihre Geschwister', o b w o h l unter den Augen des Grafen P a l f f y , des Intendanten i m Theater an der Wien, entstanden, o b w o h l gründlich »verwienert«, das heißt m i t allen patriotischen Finessen des Zeitgeschmacks aufgeputzt 5 , wurde nicht aufgeführt u n d es hatte wenig geholfen, daß der »Schwiegersohn« nicht namentlich berührt, sondern stets nur v o m »Feind« gesprochen worden war. Einer k. Oberhofpolizeistelle, die aus Arnims »was w i r d der Mensch i n der Sklaverei, ein rechtes Vieh!« gemacht hatte: »wie sinket die Würde der Menschheit unter eisernem Scepter!«, die bei »so ist sie dumm wie ein Ochs« die Worte »wie ein Ochs« gestrichen hatte (Steig I , 335), ist selbst das noch zu deutlich. So steht Brentano i n W i e n wie ein armer Poet i n den Antichambren und v o r den Logen des »Komödianten- u n d adelichen Lumpengesindels« (Steig I , 335) u n d wartet vergeblich auf die Annahme seiner eingereichten M a n u skripte. Die patriotischen Beimischungen zur 'Valeria' fügen sich dem Stoff nur widerstrebend, v o n dem Schicksal einer Bühnenfassung seiner 'Gründung Prags' ist nichts bekannt, die Lieder der ' V i k t o r i a ' werden erst nach 1817 volkstümlich, sein Festspiel zur »Siegsfeier Deutschlands am Rhein« w i r d v o n den »Hunden«, wie er das Wiener Theatervolk nun nennt (Steig I , 329), überhaupt nicht beachtet; Z o r n u n d Enttäuschung über den Mißerfolg entladen sich schließlich i n der bitteren u n d ungerechten Verdammung der »Austernnation« (Steig I , 328). Manches v o n diesen Theaterabenteuern i n W i e n läßt sich aus dem hier anzuzeigenden Dramenband v o n Friedhelm Kemps Brentanoausgabe entnehmen, o b w o h l weder die Bühnenfassung des 'Ponce de Leon', noch die beiden als »politische Gelegenheitsspiele« (Kemp S. 885) bezeichneten Stücke 4
Vgl. Kemp. S. 921 f., nach Amelung/Vietor. Vgl. Malion Nr. 284 und 301. Daß »verwienern« nichts anderes bedeutet als »patriotisch aufputzen« belegt ζ. B. eine Kritik von 'Herrmanns Enkel* (nach Iffland), worin es u. a. heißt: » . . . was jedoch der Bearbeiter oder Nacharbeiter hinzugetan hat, läßt sich auf den ersten Blick erkennen: Zeitgemäße patriotische Ausrufe und Gesundheiten, dem Ganzen schlecht angepaßte Beziehungen auf die gegenwärtigen Umstände . . . Das aufgestellte Bildniß Sr. Majestät des Kaisers und das Volkslied: Gott erhalte Franz den Kaiser, sind ganz ohne Beziehung auf das Stück . . . « (Dramaturg. Beobachter, S. 11). δ
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' V i k t o r i a u n d ihre Geschwister' und ' A m Rhein, am Rhein!' m i t aufgenommen wurden. Ich hatte geraten, wenigstens die ' V i k t o r i a ' aus ihrem D o r n röschenschlaf — sie wurde zuletzt 1852 gedruckt — zu erlösen u n d muß deshalb auch jetzt der Charakterisierung als »politisches Gelegenheitsspiel« widersprechen. Z w a r hat Brentano die ' V i k t o r i a ' als Beitrag zu dem i n W i e n ausgebrochenen patriotischen Begeisterungstaumel innerhalb v o n vierzehn Tagen niedergeschrieben 6 , die H u l d i g u n g an den gegen Napoleon gefallenen Liebling des Wiener Publikums Theodor Körner, i n den feierlichen Versen 'Theodor K ö r n e r an V i k t o r i a ' , die H u l d i g u n g an Körners Braut T o n i Adamberger, die gefeierte Tragödin des Burgtheaters, i n der Gestalt der Anne, die dem K o m i k e r Hasenhut auf den Leib geschriebene Rolle des Lippel, die Parodien auf Schiller, Goethe, A r n i m , Blücher u. a. machen das Stück zu einem lebendigen u n d reizvollen Spiegel des zeitgenössischen Wiener Theaters. D i e W i r k u n g auf die Zeitgenossen ist belegt. H e d w i g v o n Staegemann berichtet, wie sehr sie »diese Komödie belustigt« habe: » W i r lachten zuweilen so, daß w i r sekundenlang wegblieben. Dennoch halte ich den ernsthaften T e i l für den schönsten. Luise und ich heulten . . . zuweilen wie die Biber.« 7 Als Brentano die beiden jungen Damen so z u m Lachen u n d Weinen brachte, hatte er das Stück für den Druck grundlegend überarbeitet, es auf die veränderte Zeitsituation (1816/17) bezogen u n d jenen Dichtungen zugezählt, die er, wie W i l h e l m G r i m m berichtet, noch v o r »Torschluß« v o l l enden w o l l t e ; solche Züge weisen dem Stück eine gewichtigere Rolle i m W e r k Brentanos zu als die Editoren seit M a x Preitz behaupten. Wenn trotzdem Brentanos Wiener Theaterabenteuer bei K e m p lebendig werden, so ist das der beigegebenen, vorzüglich informierenden Liste über 'Brentanos dramatische Arbeiten u n d Entwürfe' — v o n K e m p nach V o r a r beiten v o n Wolfgang Pfeiffer-Belli u n d Hanns Grössel m i t H i l f e v o n Bernhard Gajek angefertigt — z u verdanken, die auf die Jahre 1812—1814 hinweist, i n denen sich durch die unmittelbare Berührung m i t der Bühne das dramatische Schaffen Brentanos verdichtet. Diese Liste entschädigt auch dafür, daß K e m p sich die Chance entgehen ließ, durch den Druck der ' V i k toria' u n d durch eine kurze, den Anhang einleitende Darstellung (ähnlich der i n Band 3) v o n Brentanos tätigem A n t e i l am Theaterleben der Zeit, dem Band eine natürliche M i t t e z u geben, u m die sich das recht inhomogene dramatische W e r k des Dichters hätte gruppieren lassen. Die Auswahl enthält eine Literatursatire ('Gustav Wasa'), ein Intrigenstück ('Ponce de Leon'), ein Singspiel ('Die lustigen Musikanten'), ein Schicksalsdrama ('Aloys u n d Imelde') u n d ein Deklamationsstück ('Die Gründung Prags') 8 . 'Gustav Wasa', die i m Gefolge Tiecks stehende Literatursatire, ist heute nur noch v o n literarhistorischem Interesse, doch erleben w i r sie hier neu als β Vgl. Steig I, 329; vgl. aber dagegen die Einleitung zu 'Viktoria', zitiert Kemp S. 899. 7 Hedwig Abeken, Hedwig von Olfers, geb. Staegemann, Berlin 1914, Bd. 2, S. 15. 8 Vgl. meinen Artikel 'Die Gründung Prags', in: Kindlers Literatur-Lexikon I I I , 1967.
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einen »Hauptspaß«, w e i l i n einer Fülle gelehrter Anmerkungen der Spaß auch dem Kenner der Zeit neu erschlossen w i r d . Daß die Gefahr besteht, die Anmerkungen könnten diese m i t Anspielungen aller A r t , m i t »Kramerei i n Seltsamkeiten« u n d »scharfsinniger Ungelehrsamkeit« (Jacob G r i m m ) befrachteten Texte überwuchern, hat der Herausgeber selbst erkannt und sich bemüht, Brentano »nicht seinerseits wiederum, niemandem zu N u t z u n d Lust, durch allzu tüftelige weitere Anmerkungen zu überbieten« (S. 950). E r hätte seinen A p p a r a t aber noch stärker entlasten können, hätte er die Fremdworterklärungen auf das unbedingt notwendige M a ß beschnitten. Daß »nota bene«: »merke w o h l « , »lamentieren«: »jammern«, »Summa Summarum«: »alles i n allem«, »vacat«: »es fehlt« heißt, dies z u wissen hätte der Herausgeber seinen Lesern zugestehen sollen. D a m i t hätte er Platz gewonnen, u m i n den Anmerkungen z u m 'Ponce de Leon' nicht nur — u n d w i r weisen dankbar darauf h i n — den Text v o n Goethes Preisaufgabe u n d die beiden bekannten Briefe aus dem Jahre 1802 zu drucken, sondern auch Brentanos erläuternden u n d ergänzenden, aber i n allen Briefausgaben fehlenden u n d daher fast unbekannten Begleitbrief zur Sendung seines Stückes an Goethe, sowie — ein Schritt i n Richtung auf die oben skizzierte M i t t e l punktsbildung — die öffentliche, aber i m 'Beobachter* und i n Steigs N e u druck nahezu verschollene Kontroverse u m die Inszenierung der 'Valeria'. D i e Beigaben zu den 'Lustigen Musikanten', zu ' A l o y s u n d Imelde' und zur 'Gründung Prags' beweisen ja Kemps liebenswürdiges Engagement u n d seine intime Kenntnis v o n Brentanos Werk. Der Theaterzettel zur Uraufführung v o n E. T h . A . Hoffmanns Vertonung der 'Musikanten', die Auszüge aus Briefen v o n und an Rahel u n d August Varnhagen, die bedeutsame Selbstanzeige Brentanos zur 'Gründung Prags' geben dem Band die Wärme u n d die Nähe des Erlebens u n d empfehlen Text u n d A p p a r a t der Entdeckerfreude des Lesers. — Ehe w i r die uns notwendig erscheinenden Ergänzungen und Berichtigungen anfügen, ist ein W o r t zur Textgestaltung angebracht, für die, neben dem Herausgeber, K a r l Pörnbacher verantwortlich zeichnet. K e m p ist i n diesem Band nicht nur v o n der bisher so korrekt geübten Praxis abgegangen, die i h m selbst zweifelhaften Textkorrekturen i m A p p a r a t zu verzeichnen, die Texte sind auch stärker als bisher »normalisiert« u n d die Modernisierung nicht m i t der gewohnten Sorgfalt ausgeführt; z . B . : S. 15, 5 lies »Italiäner« statt »Italiener«; S. 21, 1—10 sind sämtliche Autorennamen, wie es später geschieht, aufrecht zu setzen, so öfters; S. 22, 26 lies »1.« statt »Eines«; S. 24, 2 lies »von Paris« statt »aus Paris«; S. 35, 10 lies »Brod« statt »Brot«; S. 37, 17 lies »in hellen Flammen« statt »die hellen Flammen«; usf. D i e I n t e r p u n k t i o n bleibt nach K e m p stets dort gewahrt, »wo sie als Gliederung des Sprechrhythmus gelten durfte«; der Text des 4. Bandes folgt diesem Grundsatz nicht. S. 22, 6 lies »Ja ja w i r sind vollendet« statt »Ja, ja w i r sind vollendet«; S. 23, 15 f. lies »Fällt keiner i n ihm, u n d legt i h n so dem Gassenkot ans H e r z ; « statt »Fällt keiner i n i h m u n d legt i h n so 2*
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dem Gassenkot ans Herz,«; S. 23, 26 lies »Nein w i r sind« statt »Nein, w i r sind«; S. 31, 38 lies »Weiche Mensch der Götterstärke« statt »Weiche, Mensch, der Götterstärke«; S. 38, 9 lies »heißer freier« statt »heißer, freier«; S. 924, 15—18 lies: »Ich wollt ein Sträußlein binden Da kommt die dunkle Nacht kein Blümlein kann ich finden Sonst hätt' ich dirs gebracht.« statt: »Ich wollt ein Sträußlein binden, Da kommt die dunkle Nacht, Kein Blümlein kann ich finden, Sonst hätt ich dirs gebracht.«; etc. Bei der W a h l einer posthumen Ausgabe als Druckvorlage w i r d angegeben, daß diese Satzvorlage m i t dem Erstdruck verglichen worden sei. D a sich der Vergleich der Satzvorlagen i n keinem textkritischen Resümee niedergeschlagen hat, liegt es nahe, den Vergleich an Stichproben zu wiederholen; dabei stellen w i r fest, daß ζ. B. der Erstdruck der 'Gründung Prags' i n der Interp u n k t i o n erheblich v o n dem weitgehend normalisierten Text der SW ( = Kemps Druckvorlage) abweicht; trotzdem übernimmt die Hanser-Ausgabe i n jedem Fall die Lesart der Satzvorlage, die noch weiter modernisiert w i r d . V g l . etwa: Erstdruck: »Ein Pilger durfte ich v o n Gottes Gnaden«, K e m p S. 547, 2: »Ein Pilger, durfte ich v o n Gottes Gnaden«; Erstdruck: »Der Tag des Himmels aus dem Osten frühend;«, K e m p S. 553, 10 »Der Tag des Himmels, aus dem Osten frühend;«; Erstdruck: »Sie w a r bei uns, heb Phantasie den Schleier!«, K e m p S. 554, 7: »Sie w a r bei uns; heb, Phantasie, den Schleier!«; etc. Sollte ein solches Vergleichsergebnis es nicht nahelegen, den zumindest autornahen u n d v o n i h m gebilligten Erstdruck dem Satz zugrundezulegen u n d aus SW nur einzelne, vielleicht notwendige textkritische Entscheidungen zu übernehmen? — Ergänzungen
und
Berichtigungen:
Z u S. 33, 27 ff.: V g l . Brentanos Gedicht an seine Schwägerin Antonie »Es ist der laute Tag hinabgesunken«, GS V I I I , S. 105—108; zu S. 921, 20: I n Weimar gingen nicht 13, sondern 14 Lustspiele ein; nur wurde das 14., erst am 23. 1. 1802 eintreffende Stück v o n Goethe nicht mehr i n die Liste der »eingesandten Lustspiele«, i n der Brentanos 'Läßt es euch gefallen' als N r . X erscheint, aufgenommen; zu S. 921, 26: D i e mißdeutbare Formulierung Amelungs, die K e m p hier übernimmt (»Die versprochene Rezension suchte man vergebens i n den 'Propyläen'«), sollte korrigiert werden, denn, als die Frist für die Konkurrenz abgelaufen war, existierten die 'Propyläen' längst nicht mehr; zur Entstehung des 'Ponce' vgl. oben A n m . 3; zu S. 922, 38: V g l . auch Brentanos Begleitbrief: »Meine frühste Lektüre als K i n d schon
Buchbesprechungen w a r durch Z u f a l l Gozzi, u n d Wielands Schäkespear — jetzt erst b i n ich zur reflektirenden Lektüre v o n Schakespear, und ihren Poesien g e k o m m e n . . . « ; zu S. 924, 5: Es sollte deutlich werden, daß es sich bei dem nachfolgenden Gedicht nicht u m eine »frühe Fassung«, sondern u m einen E n t w u r f handelt, den Roethe m i t allen Lesarten abgedruckt und der vorher schon i m Weimarischen Jahrbuch 1856 erschienen w a r ( M a l l o n N r . 217); zu S. 926, 6: Durch Winkelmanns V e r m i t t l u n g erschien Brentanos 'Ponce' bei demselben Verleger wie Arnims ' A r i e l ' , W i n k e l m a n n las für beide Bücher die K o r r e k t u r ; 5. 926, 18 lies »Marburg« statt »Marbach«; zu S. 926, 20: Nach U L S. 300, das sich auf Preitz I I I , 427 stützt, sollen die 'Lustigen Musikanten' am 6. A p r i l 1803 i n Düsseldorf erstmals aufgeführt worden sein; zu S. 926, 40: Es ist aber darauf hinzuweisen, daß die Godwi-Fassung leicht v o n der Fassung des Singspiels abweicht, die Godwi-Fassung erscheint gekürzt i n : K . E. P. Wackernagel, Auswahl deutscher Gedichte für höhere Schulen, Berl i n 1832, S. 473 f.; zu S. 300, 31: Abweichende, längere Fassung dieser Verse i m Brief an Savigny v o m 15. 12. 1802, U L S. 278; S. 929, 7 lies »August« statt »Ludwig«; zu S. 935, 39: Der Gerechtigkeit halber müßte auf die ganz anders klingenden Briefe der Rahel an Brentano hingewiesen werden: Agnes Harnack, Briefe v o n Rahel Varnhagen an Clemens Brentano, i n : Zeitschrift für Bücherfreunde, N F 4, 2 (1913), S. 240—247; zu S. 938, 26: A r n i m sandte die Verse i n Reichardts Abschrift nicht am 14. 6., sondern am 19. 1. 1805 an Brentano. Brentano aber kannte die Verse längst, denn i m Sommer 1802 schon variiert er sie i n einem Brief an Hannchen Kraus, vgl. L u j o Brentano, Clemens Brentanos Liebesleben, Frankfurt a. M . 1921, S. 9 4 f . ; S. 941, 37 lies »Pilgerlied« statt »Pilgerfahrt«; zu S. 949, 25: I n dem erwähnten Brief heißt es k o r r e k t : » M i t der Bearbeitung der Libussa für die Bühne bin ich, m i t der des Ponce werd ich fertig.« (Steig I , 329; Seebaß I I , 115 f.). Es kann also nicht bezweifelt werden, daß eine Bühnenfassung der 'Gründung Prags' bestanden hat. Wolf gang Frühwaldy
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Werner Hoffmann, Clemens Brentano. Leben u n d Werk. Bern u n d M ü n chen 1966, Francke Verlag. 424 SS. Clemens Brentanos unstetes und wechselvolles Leben reizt wie k a u m eines der romantischen Dichter zu Darstellung u n d Deutung. Lange Zeit suchte selbst die Fachwissenschaft den Zugang zum W e r k des Dichters über sein Leben zu gewinnen. Formeln, wie die v o m »Niederschlagscharakter« seiner L y r i k , wie der v o n Brentano selbst geprägte Begriff der »poetischen Existenz« sind noch heute heftig umstritten; die Frage nach dem v o n Goethes Dichtung so wesenhaft unterschiedenen »Bekenntnischarakter« seiner Kunst ist ein lebhaft diskutiertes Problem der Literaturgeschichtsschreibung der zwanziger und dreißiger Jahre; fast jede Skizze seiner Werke wei-
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tet sich zur Gesamtdarstellung, sucht ein M o d e l l zu interpretieren, prägt eine Wesensformel, glaubt nun endgültig dem Janus u n d Proteus auf die Spur gekommen. Das Wesen der R o m a n t i k meinte man i n der bizarren Gestalt fassen zu können u n d seit E m i l Staiger aus seiner Brentanodeutung i n ' D i e Zeit als Einbildungskraft des Dichters' (Zürich 1939) die K r i t e r i e n für seinen Begriff des »Lyrischen« abgeleitet hat (Grundbegriffe der Poetik, Zürich 1946), seit gar Hans Magnus Enzensberger (Brentanos Poetik, München 1960) i n Brentanos dichterischem Verfahren fundamentale Prinzipien der modernen Poesie entdeckt u n d den Dichter z u m A h n h e r r n einer neuen »Epoche der poetischen Sprache« (S. 140) gemacht hat, w i r d die Gestalt des Menschen u n d Dichters Brentano weit über die Grenzen der L i t e r a t u r k r i t i k und der Fachgermanistik hinaus beachtet. I n seltsamem Kontrast z u m lebendigen Interesse des literarischen Publikums stehen die seit Jahrzehnten unzulänglichen philologischen Bemühungen u m Brentanos Werk. Eine zureichende Ausgabe seiner Werke existiert nicht, selbst die erschienenen Bände der Torso gebliebenen historisch-kritischen Ausgabe sind weit v o m Ideal einer modernen, kritischen Ausgabe entfernt, die Datierung der Gedichte ist weitgehend ungeklärt, Zehntausende v o n Manuskriptblättern — allein i m Generalarchiv des Redemptoristenordens i n R o m über 10 000 Folioseiten ( = 4 0 kg) — liegen unediert, ja unbeachtet i n Archiven u n d Bibliotheken, ein Forschungsbericht ist seit 30 Jahren nicht mehr geschrieben worden, die Interpreten ermitteln längst gewonnene Ergebnisse aufs neue, versuchen sich i n K o n j e k t u r a l k r i t i k , mißachten selbst gedruckte Quellenpublikationen — die Philologie hat, so scheint es, i m Falle Brentanos resigniert. — B i l d u n d Gegenbild dieser kurzen Skizze sollen belegen, welches Ereignis eine Biographie Clemens Brentanos sein könnte, aber auch, v o r welchen Schwierigkeiten sie steht. Werner Hoffmanns Buch ist unter den gegenwärtigen Umständen ein Wagnis, das uns Bewunderung abnötigt. Es ist nach dem Klappentext »die erste neuere Brentano-Biographie auf wissenschaftlicher Grundlage« u n d soll auch an diesem — i m V o r w o r t sinngemäß wiederholten — Anspruch gemessen werden. I n den biographischen K a p i t e l n w i r d die Lebensgeschichte des Dichters anhand v o n Brentanos Korrespondenz u n d Zeugnissen der Zeitgenossen dargestellt, i n den W e r k k a p i t e l n auf G r u n d der »Ergebnisse der wesentlichen Brentano-Interpretationen« das »Wesen des einzelnen Werkes u n d seine Stellung i m Gesamtschaffen des Dichters« (S. 10) bestimmt. Breiten R a u m nehmen dabei die Anfänge Brentanos ein (4 K a p i t e l : »Herkunft«, »Kindheit«, »Erste Jugend«, »Geistiges Erwachen«; isg. 91 Seiten), nur wenige Seiten mehr (4 K a p i t e l : »Herr, erbarme du dich meiner!«, »Die L y r i k der Wander- u n d Wendejahre«, »Der Pilger«, »Das religiöse Weltepos«; isg. 94 Seiten) sind Leben u n d W e r k nach der Wende gewidmet, das Hauptgewicht der Darstellung liegt auf den Jahren 1800—1816. Schon darin spiegeln sich die Ergebnisse der bisherigen Brentanoforschung, die ein immenses lebens- u n d dichtungsgeschichtliches
Buchbesprechungen Material für Bretanos Frühzeit zusammengetragen, die Jahre 1817—1842 aber stets stiefmütterlich behandelt hat. Diese v o n Quellen- und Forschungssituation bestimmte Gewichtsverteilung widerspricht der Hauptthese Hoffmanns, welche die Vorstellung korrigieren w i l l , »daß Brentanos Leben durch seine Bekehrung i n zwei Stücke gespalten sei« (S. 9) u n d die »Bekehrung als eine jahrelange Entwicklung auffaßt, die erst i n D ü l m e n zu einer A r t Abschluß« gekommen sei (S. 300). Das hier gegebene Stichwort der »Entwicklung« ist das eigentliche Problem jeder Gesamtdarstellung v o n Leben u n d W e r k Brentanos. N i c h t ohne G r u n d fordert E m i l Staiger, wie auch H o f f m a n n vermerkt, für eine Brentano-Biographie eine V i t a alten Stils, welche »die äußere, nicht die innere Geschichte des H e l den« (S. 9) schildert, denn Staigers These lautet — entgegen Hoffmanns These v o n der einheitlichen Entwicklung — : » . . . b e i m Versuch, »geprägte Form, die lebend sich entwickelte, zu schildern, griffe der Biograph ins Leere« (Zeit als Einbildungskraft S. 78). Schon Wernher Siebert aber hat 1937 eine Entwicklung Brentanos ausdrücklich verneint 1 u n d die an Staiger sich anschließende Diskussion hat seine These bisher nicht widerlegt 2 . Daß Werner H o f f m a n n das Problem einer »Entwicklung« Brentanos nicht als solches erkennt, w i r k t sich auf das i n seinem Buch gebotene B i l d des Menschen u n d Dichters Brentano aus, denn die These, daß man nach der Lebenswende »nur v o n einer Strukturverschiebung i m Wesen Brentanos sprechen [ k a n n ] , bei der Strebungen, die früher unter der Oberfläche mächtig sind, dominant werden« (S. 300), d. h. überhaupt die Grundthese v o n der ungebrochenen Lebenslinie, entstammt der vorwissenschaftlichen Brentanoliteratur 3 und hat ihren Ursprung i n den Aufzeichnungen Luise Hensels, v o n w o sie in Emilie Brentanos Lebensbeschreibung des Dichters eingegangen ist. Bei der Beschreibung der Krisenjahre 1816/17 heißt es hier: » . . . das schon lange tief empfundene Ungenügen alles irdischen Treibens, alles i r d i schen Glücks, aller irdischen Liebe spricht sich i n vielen seiner Lieder aus u n d fast alle beweisen sie, daß ein religiöser Faden v o n K i n d h e i t an durch sein ganzes Leben geht« (GS 8, S. 61). Hoffmanns Darstellung verharmlost den »Katastrophencharakter« v o n Brentanos Umkehr, den zuerst K a r l Vietor erkannt, den Rupprich bestätigt hat, den Friedrich Seebaß, H u b e r t Schiel u. a. geleugnet haben, den ich selbst glaubte, neu bestätigen zu können u n d der durch Friedrich W i l h e l m Wollenbergs Arbeit erneut diskutiert werden muß. Bretanos wissentliche u n d willentliche, aber vergebliche A b k e h r v o n der Poesie, die sich i n den leidenschaftlichen, das neue Zeitalter der Tendenzliteratur präludierenden Briefmonologen dokumentiert, hat H o f f m a n n nur als »Nebenstimme i n der polyphonen Struktur seines Lebens i n dieser Zeit« bezeichnet, »deren Hauptthemen die religiösen Auseinandersetzungen . . . 1
Wernher Siebert, Zur Brentano-Forschung, GRM 25 (1937), S. 277. Vgl. Wolfgang Frühwald, Das verlorene Paradies, LJb 3 (1962), S. 167, Anm. 184. 3 Der Begriff wird ohne jeden polemischen Unterton verwendet, wie überhaupt jede Polemik hier vermieden werden soll. 2
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sind« (S. 307). Es ist aber längst nachgewiesen, daß die Wende Brentanos nicht so sehr v o n ihrem Resultat aus, d. h. v o n der Reversion zum K a t h o l i zismus gesehen werden darf, als vielmehr v o n ihren Ursachen, die primär poetischer, nicht religiöser N a t u r gewesen sind 4 . W i r haben uns bemüht, jene Stelle i n Hoffmanns Gesamtbild zu markieren, an der v o n unserem, wie w i r meinen, fundierten Standpunkt aus die Gestalt des Menschen u n d Dichters Brentano entscheidend verzeichnet ist. Es hieße aber die Verdienste einer so umfangreichen, m i t Fleiß u n d Kenntnis, unter schwierigen Umständen 5 gearbeiteten Biographie verkennen, w o l l t e man die Leistung des Verfassers v o n der einen verfehlten G r u n d these aus beurteilen. D i e biographischen K a p i t e l , v o r allem aus dem ersten T e i l des Buches, welche die Zeit der »Freundschaft«, der »poetischen Existenz m i t Sophie« u n d des Dienstes i n der »unsichtbaren Kirche der Kunst« beschreiben, berücksichtigen erstmals das gesamte gedruckte Quellenmaterial u n d geben ein lebendiges u n d farbenprächtiges B i l d der Zeit und des Dichters. H o f f m a n n hat — u m nur einige Züge herauszugreifen — hier v o r allem die bislang unerreichte Q u a l i t ä t des wenig beachteten biographischen Kommentars v o n Friedrich Fuchs zu Bretanos Briefwechsel m i t Savigny erkannt 6 u n d i h n sich k l u g u n d eigenständig zunutze gemacht. Er hat sich nicht auf die Brentanopublikationen allein verlassen, sondern seinem Mosaik heitere und ernste Züge aus den Erinnerungen der Zeitgenossen, den Briefbiographien und anderen zeitgenössischen Korrespondenzen eingefügt, er läßt, wie k a u m ein Biograph v o r ihm, auch Auguste Bußmann-Brentano, der »leichtfertig-unglücklichen Violetta« (S. 187) Gerechtigkeit widerfahren, er scheut sich nicht, auch die »nationale Epoche« (S. 222) des romantischen Dichters darzustellen u n d hat — was m i t Nachdruck vermerkt sei — erstmals auf die Züge des Selbstporträts i n Brentanos Altersbriefwechsel m i t Bettina (S. 369) hingewiesen. N i c h t i m selben Maße sind die W e r k k a p i t e l gelungen, da die wissenschaftliche Literatur zum T e i l allzu unkritisch verwendet w i r d 7 u n d der Grundsatz, daß »für Interpretationen i m Sinne der modernen Literaturwissenschaft . . . bei der Darstellung eines Gesamtwerkes kein Raum« (S. 10) bleibe, sich gegen das Buch wendet. Ausführliche Einzelanalysen sind i n einer Gesamtdarstellung vermutlich nicht möglich, doch sollte sich auch ein solcher Überblick ein gewisses M a ß an Deutung und Textanalyse bewahren. H ä t t e man nicht z. B. dem v o n Enzensberger übernommenen Hinweis, daß der 'Spinnerin Lied* trotz seines kunstvollen Aufbaues wie ein Volkslied 4 Vgl. meine oben Anm. 2 zitierte Arbeit aus dem Literaturwissenschaftlichen Jahrbuch und neuerdings Friedrich Wilhelm Wollenberg, Brentanos Jugendlyrik. Studien zur Struktur seiner dichterischen Persönlichkeit, Hamburg 1964, S. 149 ff. Beide Arbeiten sind Hoffmann entgangen. 5 Werner Hoffmann ist Ordinarius für deutsche Literatur in Buenos Aires. 6 Das unsterbliche Leben. Unbekannte Briefe von Clemens Brentano. Hrsg. von Wilhelm Schellberg f und Friedrich Fuchs, Jena 1939. 7 So z. B. die dem Märchenkapitel zugrundegelegte unzulängliche Arbeit von Rudolf Becker.
Buchbesprechungen w i r k t (S. 138), Richard Alewyns Deutungsergebnis anfügen können: »Endlos wie i h r R a d sich dreht, so geht der Spinnerin Lied.« 8 ? H ä t t e man nicht dem Text des sog. 'Abendständchens', v o n dem nur mitgeteilt w i r d , daß es eines der »vollkommensten Klanggebilde« ist, die Brentano geschaffen hat (S. 139), einen H i n w e i s auf den K o n t e x t beifügen können? D a n n nämlich wäre H o f f mann auf Wollenbergs Analyse gestoßen, »daß das W o r t >Nacht< die Blindheit des Piast umschreibt, daß die physiologisch bedingte Synästhesie >der Töne Licht< . . . eine stellvertretende, integrierende Funkt i o n der Mitsinne meint« 9 . H ä t t e nicht Walther Rehms sehr begründeter Zweifel an der Realität der v o n Brentano so phantasiereich geschilderten Bukowaner Liebesfreuden 10 zur Vorsicht bei der allzu w ö r t l i chen Ausdeutung der Freudenhausgedichte und der erzählten Aventüren m i t Frauen v o m Schlage der Perdita warnen sollen? Was ist gewonnen, wenn es heißt: »Die Vergleiche sind originell, aber nur selten gesucht.« (S. 273)? Was besagt die Konstatierung: » I n der Satz Verknüpfung w i r d die volkstümliche Parataxe m i t verbindenden K o n j u n k t i o n e n entschieden bevorzugt« (S. 274), wenn doch das dann folgende Beispiel eine der raffiniertesten Satzverknüpfungen Brentanos belegt, da gerade der Satzbau den Gang des Schimmels v o m fliegenden L a u f über Galopp und Trab, zum starken, sehr langsamen und schließlich leisen Schritt hörbar macht, da die Syntax zugleich die weite Reise Liebseeichens über Berg u n d T a l , v o n der H ö h e i n die Ebene, aus den Tiefen des Waldes über die Moorheide h i n zu den Gartenfeldern vor der fremden Stadt, aus der Nacht i n den Tag abbildet? — Die Liste solcher Fragen ließe sich erweitern, doch können die vielen, kleineren Unstimmigkeiten, wie sie sich i n einer großen Darstellung kaum vermeiden lassen, hier nicht i n extenso korrigiert werden. N u r auf einige der störendsten Stellen sei noch verwiesen: S. 7, 10: Heines Satz, daß »Herr Klemens Brentano . . . zu Frankfurt einsiedlerisch zurückgezogen als ein korrespondierendes M i t g l i e d der katholischen Propaganda« lebt, meint nicht, daß Brentano »Zeitungspropaganda für die katholische Kirche« betreibt, sondern bezieht sich auf die zeitgenössische Legende, daß der Proselytenmacher Brentano i m Dienste des päpstlichen Sekretariats de Propaganda Fide stehe. — S. 25, 29: U m eine Verwechslung m i t dem Freiherrn vom Stein auszuschließen sollte es statt »auf dem Schloß des Freiherrn v o η Stein« heißen: auf dem Schloß Pfaffendorf des Barons Christoph Franz v o n Stein zum Altenstein 1819). — S. 32, S. 39, S. 45 ff. u. ö.: Es ist häufig darauf hingewiesen worden, wie gewagt es ist, die 'Herzliche Zueignung' z u m großen Gockelmärchen als Quelle für Brentanos Biographie zu verwenden. Bettinas gleichlautende Schilderungen i m 'Frühlingskranz' beziehen sich eher auf die 'Zueignung' als auf w i r k 8 Richard Alewyn, Clemens Brentano: 'Der Spinnerin Lied', in: Wirkendes Wort 11 (1961V S. 45 ff. 9 Wollenberg, a.a.O., S. 78. 10 Walther Rehm, Clemens Brentanos Romanfragment 'Der schiffbrüchige Galeerensklave vom Todten Meer', Berlin 1949, S. 35, Anm. 49.
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liehe Jugenderlebnisse. — S. 131, 21 u n d 36 u. ö.: D i e Begriffe »Arabeske« u n d »romantische Ironie« dürften nicht unreflektiert verwendet werden, zumal »romantische Ironie« nicht i m Sinne v o n I n g r i d Strohschneider-Kohrs verwendet w i r d , sondern stets nur den Stilbrudi bezeichnet. — S. 136ff.: D i e v o n Hans Jaeger übernommene Periodisierung der Jugendlyrik ist durch Siebert u n d Wollenberg widerlegt. — S. 191, 21: Lies »Zeitung« statt »Zeitschrift«. — S. 243, 3 8 f f . : Alphons M a r i a v o n Steinles Ausgabe der 'Romanzen' müßte m i t berücksichtigt werden, da sie den Anspruch stellt, über Michels hinaus eine neue A n o r d n u n g der 'Romanzen' gefunden zu haben. — S. 265, 12: I m m e r h i n hat Heinrich Heine 'Die Gründung Prags' als »sehr merkwürdig« gerühmt u n d Grillparzers erste 'Libussa'-Entwürfe verraten deutlich den Einfluß Brentanos. — S. 285, 6 f f . : D i e »Gestalt der Schottländerin« am Ende des Gockelmärchens — u n d schon i n der 'Zueignung' — ist zunächst nicht Sinnbild des »alternden Autors«, sondern deutlich Porträt Emilie Linders, wie W i l h e l m Schellberg i n seiner Dissertation (Untersuchung des Märchens 'Gockel, H i n k e l u n d Gackeleia' . . . , Münster (1903, S. 67) nachgewiesen hat. — S. 308 ff.: D i e romanhaften Ausschmückungen v o n Brentanos erster Begegnung m i t Luise Hensel hat H u b e r t Schiel (Clemens Brentano und Luise Hensel. M i t bisher ungedruckten Briefen, Aschaffenburg 1956) glaubhaft widerlegt u n d auch den weiteren Verlauf v o n Brentanos Begegnung m i t Luise entscheidend korrigiert. — S. 316, 11 f.: N i c h t »trotz seiner Absage an die Kunst« veröffentlicht Brentano i m Jahre 1817 »mehr als i n jedem vergangenen Jahr«, sondern gerade wegen seiner Absage an die Kunst w o l l t e er, wie W i l h e l m G r i m m berichtet, noch v o r »Torschluß« die letzten Entwürfe vollenden. — S. 317, 31 f.: Daß Luise den Dichter »niemals als M a n n geliebt hat« ist eine jener Umstilisierungen der alternden Luise Hensel, deren Jugendbriefe (vgl. Schiel a.a.O.) eine ganz andere Sprache sprechen. — S. 321, 37 f.: V o n einer »begnadeten Gemeinschaft m i t der Seherin« A n n a K a t h a r i n a Emmerick k a n n zumindest i n dieser frühen Zeit nicht gesprochen werden. D i e v o n A d a m (Clemens Brentanos Emmerick-Erlebnis, Freiburg i. Br. 1956) veröffentlichten Stellen »von unbegreiflicher Indiskretion« (Schmöger) zeigen, daß Brentano die v o n Luise innig verehrte Emmerick zu erotisch-religiöser Erpressung gegenüber Luise »verwendet« hat. D i e Mehrzahl der diesbezüglichen »Visionen« dürfen m i t Sicherheit als erfunden oder v o n Brentano suggeriert gelten. Der »magische Spiegel« ( H o f f m a n n S. 322, 33) A n n a Katharina Emmerick versagt z. B. v ö l l i g bei der Feststellung v o n Luises Konversion; Luise Hensel ist längst z u m Katholizismus übergetreten, als Brentano u n d die Emmerick noch immer den H i m m e l u m ihre »Bekehrung« bestürmen. — S. 337, 3: Die 'Nachklänge Beethovenscher M u s i k ' sind keineswegs eine »lyrische Trilogie«, wie man immer wieder seit Vietors verfälschender Textausgabe behauptet, die handschriftliche Fassung enthält vielmehr vier, der Erstdruck fünf Gedichte. — S. 338, 13: D i e Überschrift 'Wiegenlied eines jammernden Herzen' stammt v o n den Herausgebern der 'Gesammelten Schriften', nicht, wie Enzensberger u n d m i t i h m H o f f m a n n annehmen, v o n Brentano selbst.
Buchbesprechungen — S. 351, 2: I n der 'Iris' werden 1826/27 ein K a p i t e l aus den 'Rheinmärchen' u n d das ganze Märchen v o m 'Myrtenfräulein' gedruckt. — S. 355, 33 u n d 37: Lies jeweils »Melchior« statt »Michael«. — S. 363, 13: Brentanos Begegnung m i t Emilie Linder beginnt, wie die m i t Luise, m i t der Werbung u m ihre Liebe und endet m i t der Umstilisierung ins Religiöse. — S. 364, 21: Die »Liebesgeschichte i n Versen« beginnt nicht m i t den schwer datierbaren Versen »Als ich i n tiefen Leiden«, sondern m i t dem Gedicht, m i t dem H o f f m a n n sie enden läßt (S. 367 f.): »Wo schlägt ein H e r z « ; dieses Gedicht w i r d v o n Guignard, nach der Handschrift des Dichters, auf den 10. Januar 1834 datiert. — S. 374 ff.: Solche Zusammenbrüche erlebt Brentano nicht erst i m A l t e r , sondern schon i n der Jugend u n d sie wiederholen sich ständig, wenn eine seiner Lebensphasen beendet ist. Gerade diese Zusammenbrüche bestätigen also die Freunde, daß Brentano bis ins A l t e r »derselbe geblieben« ist. U n t e r dem B i l d des »ewigen Juden« hat i h n z. B. nicht erst Emma v o n N i e n d o r f gesehen, sondern er sich selbst schon 1816. — S. 395—399: Das Literaturverzeichnis ist offensichtlich erst nach Rückgabe der einschlägigen Werke angefertigt worden, es ist stark Ricken- u n d fehlerhaft. U n t e r t i t e l fehlen meist, Bandangaben und Mitherausgeber häufig, T i t e l v o n Sammelwerken sind mißverständlich zitiert. — Es bleibt die Frage, wie es trotz Umsicht u n d Mühe, trotz der imponierenden Stoffülle, die Werner H o f f m a n n durchaus seiner Gesamtkonzeption unterzuordnen versteht, zu den skizzierten Unstimmigkeiten u n d Fehlern kommen konnte? Der G r u n d liegt weniger i n der Person des Autors als i n der W a h l seines Themas. D i e anfangs geschilderten Schwierigkeiten sind ohne umfassende u n d Jahre währende Vorarbeiten nicht zu überwinden; noch ist die Zeit für eine wissenschaftliche Gesamtdarstellung v o n Leben u n d W e r k Brentanos nicht reif. Erst jetzt regt sich wieder das philologische Gewissen, keimt m i t den Vorarbeiten zu der v o n der Deutschen Forschungsgemeinschaft unterstützten historisch-kritischen Ausgabe die H o f f n u n g auf eine grundlegende K o r r e k t u r der überkommenen Brentanobilder. D i e deutschen Literarhistoriker, meint H o f f m a n n (S. 8), seien über »Einzelstudien« nicht hinausgekommen; Hoffmanns Buch aber beweist, wie recht sie daran getan, denn auch i h m gelingt kein überzeugendes Gesamtbild. So ist die Wissenschaft abermals auf ihre historisch-philologischen Grundlagen zurückverwiesen u n d zu einem neuen A n f a n g ermutigt. Wolf gang Frühwald,
Augsburg
Hans Werner Seiffert, Untersuchungen zur Methode der Herausgabe deutscher Texte. (Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Veröffentlichungen des Instituts für deutsche Sprache u n d Literatur 28). Berlin 1963, Akademie-Verlag. 222 SS. »Die deutsche Literaturwissenschaft hat i n den letzten Jahrzehnten eine Entwicklung durchgemacht, über die man sich b a l d vielleicht einmal w u n -
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d e m w i r d . Nach dem zweiten Weltkrieg schoß die Interpretation ins Kraut.« M i t diesen W o r t e n begann E m i l Staiger seinen Nachruf auf Ernst Beutler u n d benützte die Gelegenheit, auf die Möglichkeiten u n d Gefahren seines Faches aufmerksam zu machen; aus Reaktion auf die Interpretationsmode sei man »in den krudesten Positivismus« zurückgefallen und habe sich i n »übertriebene Su'btilitäten der T e x t k r i t i k « geflüchtet 1 . Vielleicht w a r es die Sorge, auseinanderstrebende Richtungen i n fruchtbarer Nähe zu halten, die Staiger 1956 veranlaßte, Hans Werner Seiffert (im folgenden: S.) m i t den Bearbeitern der historisch-kritischen ConradFerdinand-Meyer-Ausgabe, Hans Zeller und A l f r e d Zäch, zusammenzubringen. N i c h t w e i l S. etwa als Exponent der Interpretationsrichtung und Zeller u n d Zäch als die Vertreter des »krudesten Positivismus« zu gelten hätten, sondern w e i l es darum ging, die T e x t k r i t i k der Ausgabe Meyers dem Bemühen, eine Dichtung audi aus ihrer Entstehung zu erläutern, zu gesellen, ja dienlich zu machen. H i e r z u dürfte S. i n besonderem Maße befähigt u n d geeignet sein 2 . M a n hat i h n zu den erfahrensten und umsichtigsten Editoren der deutschen Germanistik zu rechnen. Den Ertrag seiner jahrzehntelangen Editionstätigkeit legte er 1961 unter dem T i t e l 'Studien zur K r i t i k u n d E d i t i o n deutscher Texte' der Philosophischen Fakultät der H u m b o l d t - U n i v e r s i t ä t i n Berlin als Habilitationsschrift v o r ; 1963 erschien sie als Buch. »Es ist die Absicht dieser Arbeit, Fragen nachzugehen, die bei der K r i t i k deutscher Texte erwogen werden können . . . Sie w i l l . . . methodisch anregen, so daß der T i t e l 'Untersuchungen zur Methode der Herausgabe deutscher Texte' nicht das »Abgeschlossene^ sondern das >Fließende< i n unserem Bemühen, hilfswissenschaftliche Grundlagen zu geben, andeutet« (S. 7). Wenn S. einschränkt, er w o l l e kein »Regelbudi« (S. 7) geben u n d deshalb auf seinen A r t i k e l i m 'Reallexikon' verweist, so k l i n g t das zu bescheiden. M a n kann gegenwärtig keinen vollständigeren u n d lehrreicheren Uberblick über Einzelheiten u n d grundsätzliche Fragen der Editionstechnik anbieten als S.s Buch. I m K a p i t e l 'Probleme der Uberlieferung' (S. 11—35) hebt S. m i t Recht hervor, »daß beispielsweise die Schwierigkeit, den Text Otfrieds herzustel1 Emil Staiger, Ernst Beutler als Literaturhistoriker, in: Jahrbuch des Freien Deutschen Hochstifts 1962, S. 1 f. — Um einem MißVerständnis vorzubeugen, sei hinzugefügt, daß Staiger sich nicht gegen Hans Zeller richtete. Staiger hat wohl als erster Zellers ersten Apparat-Band besprochen, ja gefeiert, audi um »die Öffentlichkeit genau zu informieren . . . wozu der ganze offenbar ungeheure Aufwand an Fleiß und philologisdier Intelligenz denn gut sei«. Die vorbehaltlose Würdigung der Leistung Zellers schließt Staiger klugerweise mit der Warnung, daß niemand »die Methode [Zellers] ohne weiteres auf irgendwelche andere Dichter übertragen« dürfe. Vgl. Emil Staiger, Historisch-kritische Ausgabe der Werke C. F. Meyers. Der erste Band des kritischen Apparats zu den Gedichten, in: Neue Züricher Zeitung, Fernausgabe Nr. 29, Blatt 19, Samstag, 30. Januar 1965. 2 Ein Kapitel »Interpretation und Textkritik« fehlt. S. verweist (S. 8) auf seinen gleichnamigen, am 2. 2. 1960 in der Universität Bonn gehaltenen Vortrag, der jedoch bei Abschluß der Rezension noch nicht gedruckt vorlag.
Buchbesprechungen len, methodisch gesehen nicht größer ist, als etwa aus einem vielfach überlieferten Goethe-Text den A u t o r w i l l e n zweifelsfrei zu erkennen« (S. 13); denn es ist nicht selten leichter, eine mittelalterliche Uberlieferung, die höchst selten v o n der H a n d des Autors rührt, zu einem kritisch bereinigten Text zu bringen, als beispielsweise den Gesamtausgaben Wielands den eigentlichen W i l l e n des Verfassers zu entnehmen. Ähnliches g i l t für Nachlaßeditionen neuerer Dichter, w o f ü r S. H ö l d e r l i n nennt; man könnte ebensogut Brentano oder A r n i m anführen. Deshalb wendet sich S. zunächst der Überlieferung neuerer Dichterhandschriften zu, definiert die Textstufen v o n A u t o - u n d Apographen u n d erläutert sie durch Beispiele. D e n Praktiker verrät der H i n w e i s (S. 17) darauf, wie wichtig für eine möglichst v o l l ständige Erfassung der Uberlieferungsträger die Durchsicht der Kataloge v o n Autographen-Handlungen ist. (Die reichhaltigste Sammlung solcher Kataloge dürfte das Schiller-Nationalmuseum i n Marbach besitzen.) Die Darstellung v o n Problemen und T e r m i n i bei gedruckter Uberlieferung k r ö n t S. (S. 18) m i t dem Fund eines fünften Doppeldrucks v o n Goethes ' C l a n g o ' ; i n der Zusammenfassung der soziologischen sowie k u l t u r - u n d rechtsgeschichtlichen Aspekte der Beziehung Autor—Verleger verdient der H i n w e i s (S. 21) Beachtung, wie wenig Untersuchungen zur textkritischen Bedeutung der Nach- u n d Doppel drucke sowie der Titelauflagen bisher vorliegen. Ebenso w e r t v o l l ist die Anregung (S. 28), die neuen Überlieferungsträger Schallplatte u n d Tonband auf schallanalytische Weise zu untersuchen. Nach einem gerafften Uberblick über Fragen mittelalterlicher Uberlieferung (S. 28—35), wobei Kluges Etymologie v o n »Zettel« berichtigt w i r d (S. 33), wendet sich S. den »Textveränderungen« (S. 37—70) zu u n d untersucht Variantenarten, Schichtungen, Chronologie u n d Fehlerquellen. Die Stärke S.s liegt hier wie i m ganzen Buch darin, daß er die verwendeten, z u m T e i l an Lachmann anknüpfenden Begriffe genau zu bestimmen und durch Beispiele zu verdeutlichen sucht (S. 42ff., 6 0 f f . ) ; dabei k o m m t er, z. B. bei der D e f i n i t i o n der Variantenarten (S. 42 ff.) oder der Begriffe »Schicht« u n d »Fassung« {S. 49 f.), zu einer Klärung, die die textkritische Arbeit erleichtert u n d fördert. Bei den 'Untersuchungen zur genealogischen Methode' (S. 56—70) stützt sich S. naheliegenderweise auf die Ausgabe letzter H a n d v o n Wielands Sämtlichen Werken ( C 1 _ 4 ) u n d korrigiert Seuffferts u n d Kurrelmeyers Stemmata, i n dem er v o n der Frage nach der Autorisation her neue K r i terien gewinnt (S. 68). — D a S. vorbildlich auf Genauigkeit der Terminologie hält, sei vermerkt, daß die — freilich auch anderswo anzutreffenden — T e r m i n i »konsonant. r« (S. 58) u n d »Konsonant, r (und el)« (S. 65) ungeeignet sind. Abgesehen davon, daß die Lautverbindung »el« einen V o k a l enthält u n d deshalb nicht konsonantisch genannt werden kann, ist der Ausdruck »konsonantisches r u n d 1« ein Pleonasmus, der streng genommen den Terminus »vokalisches r und 1« voraussetzt, was — wenigstens für die deutsche Hochsprache, u m die es sich hier handelt, — eine contradictio i n
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adiecto wäre. S. meint offensichtlich die metathesis, der r und 1 silben oft unterworfen sind, wodurch die Konsonanten aus dem den Auslaut (diese verstanden als die Teile der Silben, die v o r dem V o k a l stehen) oder umgekehrt geraten. — Beachtenswert ist richt v o n S.s Erfahrungen m i t Kollationsgeräten (69 ff.).
i n NebenAnlaut in bzw. nach die Nach-
I m Abschnitt 'Stemmatische Fragen' (S. 71—91) macht S., i m Anschluß an F. Whitehead u n d C. E. Pickford, einleuchtend, daß die Versuche v o n Paul Maas und Jean Fourquet, das Problem der Mehrspaltigkeit auf mathematisch-theoretischem Wege zu lösen, i m einzelnen exakt durchgeführt sind, aber durch die Praxis i n Frage gestellt werden, da die A n z a h l der nicht erhaltenen Abschriften meist unbeweisbar bleibt; auch k a n n das Verhältnis der Abschriften zum A u t o r sowie die gegenseitige Abhängigkeit häufig nur philologisch bestimmt werden 3 . S. verdeutlicht dies durch ein Schema der Text- u n d Musiküberlieferung v o n Offenbachs Oper 'Hoffmanns Erzählungen', wobei er anstelle des auf der Vorstellung der Vererbbarkeit des Textes beruhenden Stemmas eine schematische Darstellung gibt, die die Stationen der »Maskierung oder Verschüttung« des Autorwillens wiedergibt. M i t Recht fordert S. textkritische Untersuchungen v o n Theaterbearbeitungen (S. 89). Hinsichtlich der Textkonstitution (S. 93—116) stellt S. Grumachs seinerzeit revolutionär klingende K r i t i k an den Editions-Grundsätzen der Weimarer Goethe-Ausgabe i n Frage, i n dem er Grumach unterstellt, ausschließlich genealogisch — wie Kurrelmeyer dies bei Wieland getan hatte — v o r gehen zu w o l l e n ; außerdem gebrauche Grumach die durch v o n der Hellen eingeführte Unterscheidung zwischen aktiver und passiver Autorisation auf unklare Weise (S. 95 f.). Diese K r i t i k ist jedoch nicht schlüssig aufgebaut; es ist richtig, wenn S. Grumachs 'Prolegomena' entnimmt, daß dieser auf G r u n d eines genealogischen Stemmas den T e x t der Goethe-Akademie-Ausgabe neu konstituiert haben w i l l . D a Grumachs A p p a r a t noch nicht i n extenso vorliegt, demonstriert S. die Unzulänglichkeit der streng genealogischen Methode an Kurrelmeyers Oberon-Text i n der W i e l a n d - A k a demie-Ausgabe. Kurrelmeyer erkannte die Änderungen, die der Faktor wegen der Nichtbeteiligung Wielands am Druck der C-Ausgaben des Oberon vornahm, für autorisiert u n d deshalb konstitutiv. Entgegen dieser Entscheidung Kurrelmeyers w i l l S. fünfzig Textstellen i m Oberon der WielandAkademie-Ausgabe geändert haben (S. 98); seine dies begründende »Demonstration« (S. 96—98) überzeugt. Z u Grunde liegt i h r die »Zielsetzung, v o n der Autorisation her K r i t e r i e n zu gewinnen, die allgemeine Grundsätze für eine Textherstellung geben können« (S. 98). S. scheidet also Varianten, 3 Zu diesem Fragenkreis schreibt Karl Stackmann in seiner Rezension des Seiffertschen Buches: »In seinem Zweifel an der Brauchbarkeit des Stemmas für die Ordnung abschriftlicher Uberlieferung trifft sich S. mit vielen modernen Theoretikern (Knoche, Pasquali, Dain, Castellani, Timpanaro usw.), deren Arbeiten er mit Vorteil zur Klärung der grundsätzlichen Fragen hätte heranziehen können.« Vgl. Germanistik, 5. Jg. (1964), S. 429 f., hier S. 430.
Buchbesprechungen die ohne aktive Beteiligung des Autors zustandekamen, aus. Nichts anderes aber fordert Grumach, der zwar den Goethe-Text genealogisch konstituieren w i l l , aber i n scharfsinniger recensio als K r i t e r i u m des Stemmas und des endlichen Textes ausschließlich die Nähe eines Druckes oder einer H a n d schrift zum A u t o r ansetzt. S. übersieht bei Grumach, was er bei Blumenthal u n d Köster (S. 103) lobt, daß nämlich dann, wenn ein Druck die I n t e n t i o n des Autors nachweislich nicht wiedergibt, »gegen alle sonstige Uberlieferung der W i l l e des Autors maßgebend« sei (S. 103). Auch muß man Grumach zugestehen, daß er i n den 'Prolegomena' bew u ß t u n d angemessen zwischen aktiver u n d passiver Autorisation unterscheidet. Das Ergebnis, das m i t H i l f e dieses Kriteriums gewonnen w i r d , kann z w a r v o n F a l l zu Fall anders lauten; es ist aber keinesfalls »subjektiv«, wie S. (S. 96) meint, sondern nachprüfbar u n d logisch zu rechtfertigen. Die genannte Unterscheidung liegt auch S.s Maßstäben zugrunde, wenn er anhand des Variantenverzeichnisses, das Wieland 1796 seinem Oberon beifügte, glaubhaft macht, daß Kurrelmeyers genealogisches Vorgehen — entgegen der I n t e n t i o n des Autors — lediglich die Texttradition, nicht die eigentliche Textgeschichte berücksichtige (S. 159). A u f der gleichen Urteilsgrundlage entscheidet sich S., wenn er anhand der E d i t i o n v o n Hölderlins Gedicht 'Des Morgens' durch Friedrich Beißner und der daran v o n Friedrich Sengle geübten K r i t i k die unterschiedliche Aufgabe des Editors u n d des Interpreten darlegt (S. 103 ff.): der E d i t o r »soll durch seine Arbeit das Autorisierte v o m Nichtautorisierten trennen« (S. 104). Der Interpret dagegen lege an eine Dichtung neben dem historischen auch ästhetische Maßstäbe an, was notwendig subjektive Komponenten enthalte und eine Loslösung des Gedichtes v o m A u t o r erlaube; damit aber setze man es dem noch so ehrlich gemeinten Z u g r i f f späterer Bearbeiter aus. Diese v o n S. — u n d anderen — vertretene Ansicht stellt zweifellos einen Grundsatz angemessener Editionsarbeit dar. Ebenso w i r d man den i n der »Zusammenfassung« (S. 107 ff.) dargelegten Leitsätzen zur Textkonstitution zustimmen, wenn auch S. den Begriff »genealogische Methode« etwas eng faßt (vgl. das oben über S.s K r i t i k an Grumach Gesagte). D e m Abschnitt 'Herausgabe autorisierter Werke' (S. 108) darf man hinzufügen, daß m i t Setzereigenmächtigkeiten nicht nur bei Doppel- und Nachdrucken, sondern schon bei der editio princeps gerechnet werden muß. Gerade i n der 2. H ä l f t e des 18. u n d dem Beginn des 19. Jahrhunderts, der Zeit, der S. seine wichtigsten Beispiele entnimmt, ist es nicht immer der F a l l u n d oft kaum zu bezeugen, daß der A u t o r dem heutigen Usus entsprechend nach dem Absetzen einen Korrekturabzug durchsehen konnte. Üblicherweise erhielt er erst Aushängebogen; i n seltenen Fällen wurden auf Verlangen des Autors einzelne Blätter, Viertel- oder Halbbogen, sogenannte Cartons, ζ. B. i n Goethes ' D i v a n ' oder seiner 'Novelle' neu gesetzt und eingeklebt 4 . H ä u f i g überließ der A u t o r einem Freund für die ganze Druck4
Vgl. Waltraud Hagen, Zur Druckgeschichte von Goethes Werken, in: Bei-
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legung freie H a n d . Doch w i r d man nicht umhinkönnen, einen derartigen Druds zur Textgrundlage einer kritischen Ausgabe zu machen, wenn der A u t o r etwaige Änderungen — w e i l sie nach dem Ausdrucken nicht mehr rückgängig zu machen waren — hinnahm und keine originalen Überlieferungsträger erhalten sind. I n Fällen, i n denen der A u t o r die Drucklegung nachweislich sorglos betrieb oder anderen m i t der Vollmacht zu Änderungen übertrug, aber eine eigenhändige Niederschrift oder das M u n d u m erhalten sind, sollte man den Text nach den Handschriften erstellen u n d die Varianten des Drucks i n den Lesarten nachweisen. Dies dürfte i m Sinne S.s gesagt u n d i n dessen knapp formulierter Forderung nach Feststellung des Grades an Autorisation aller Zeugen (S. 107) einbegriffen sein. — O b es ratsam ist, bei gleichartigen, aufeinander folgenden Siglen den Schicht-Exponenten nur der letzten Sigle hinzuzugeben, mag offen bleiben; der nicht-zünftige Benutzer könnte v e r w i r r t werden. Der Vorschlag, graphische Siglen nicht zu gewichtig zu wählen, ist beherzigenswert. A u f S. 108, aber auch auf S. 68 u n d 102 w a r n t S. davor, Autorvarianten verschiedener Schichten zu vermischen. Grundsätzlich hat er damit recht, aber auch diese Regel sollte nicht ehern, sondern nach Lage des Falles gehandhabt werden. Wenn z. B. Goethe, wie Lieselotte Blumenthal, Eduard Scheidemantels Entdeckung aufgreifend, darlegte 5 , zwei Abschriften des 'Tasso' (in der Weimarer Ausgabe H 1 und H 2 ) praktisch gleichzeitig verbesserte, dann aber die aus Zeitnot stellenweise nur flüchtig durchgesehene Druckvorlage ( H 2 ) z u m Druck gab, so bedeutet das nicht, daß die A u t o r varianten der anderen, einbehaltenen Abschrift ( H 1 ) lediglich i m A p p a r a t zu verzeichnen wären. Denn Goethes I n t e n t i o n beim Verbessern jeder A b schrift w a r , die jeweilige Stelle besser, ja endgültig zu formulieren. H i e r scheint uns m i t Blumenthal u n d Beißner* eine Textkonstitution geboten, die alle — praktisch gleichzeitig entstandenen — Autorvarianten berücksichtigt, o b w o h l der A u t o r diese i n zwei Abschriften eintrug 7 . Z u Schwierigkeiten könnte dieser Grundsatz freilich führen, wenn etwa i n beiden Abschriften die gleiche Stelle geändert wurde. Deshalb erwarten w i r m i t Spannung den Apparatband zum 'Tasso'. Fast die H ä l f t e des Buches (S. 117—208) n i m m t das K a p i t e l 'Probleme einzelner Methoden' ein. Nach einer kurzen Schematisierung der Lachmannschen historisch-genealogischen Methode, einer W ü r d i g u n g bzw. K r i t i k der Bemühungen v o n H e l l i n g r a t h ( H ö l d e r l i n ) , Weiß (Schopenhauer), Berend (Jean Paul), Köster (Storm), W i t k o w s k i (Goethe), Fränkel (Keller), Backträge zur Goetheforschung. Hrsg. von Ernst Grumach, Berlin 1959, S. 35—86, bes. Abschnitt 2. Zu einigen Cartons in der Taschenausgabe letzter Hand S. 52 ff. 5 Vgl. Lieselotte Blumenthal, Zu Tasso und Egmont, in: Beiträge zur Goetheforschung S. 143—181, bes. Abschnitt 1. Die Tassohandschriften S. 143 ff. 6 Vgl. Friedrich Beißner, Editionsmethoden der neueren deutschen Philologie, in ZfdPh 83 (1964), Sonderheft S. 94. 7 Anders urteilen Karl-Heinz Hahn und Helmut Holtzhauer, Wissenschaft auf Abwegen?, in: forschen und bilden. Mitteilungen der Nationalen Forschungs- und Gedenkstätten der klassischen deutschen Literatur in Weimar 1, März 1966, S. 19 ff.
Buchbesprechungen mann (Grillparzer) wendet sich S. dem genetischen Verfahren zu (S. 141), das auf jegliche Deskription verzichtet. Der Sache entsprechend setzt sich S. hier (S. 141—152) v o r allem — gestützt auf P y r i t z ' Rezensionen der Stuttgarter Hölderlin-Ausgabe — m i t Beißners an Wieland u n d H ö l d e r l i n entwickeltem Verfahren 8 auseinander. Gegenstand der ins einzelne gehenden K r i t i k ist der Text v o n Hölderlins 'Friedensfeier', den H e l l i n g r a t h u n d danach Beißner auf G r u n d der E n t würfe erstellten, und der nach Auftauchen der Reinschrift i n einer v o n S. referierten Diskussion korrigiert wurde. S. unterstützt seine ansprechende Gegendarstellung durch eine genetische Textsynopsis (S. 193—207), die er w o h l auch als Muster seiner I n t e n t i o n für die Darbietung ähnlicher T e x t verhältnisse vorstellt, aber auch als Gegenbeispiel zu Grumachs Verfahren u n d dem Versuch Grantzows, der bei Wielands 'Cicero' nicht zu einer erhellenden Darstellung des Verhältnisses v o n Autorvarianten u n d Schichtungen gekommen war. Daß selbst die diplomatische Umschrift schwieriger Entwürfe »der ordnenden H a n d des Editors nicht entbehren kann« (S. 165), zeigt S. an der Ausgabe der Reinschrift und Vorstufen v o n Hölderlins Triedensfeier' durch Binder und Kelletat. D e m Versuch Fritz Behrends, einen E n t w u r f Fontanes zu ' E f f i Briest' i n diplomatischer Weise anschaulich zu machen, stellt S. eine synoptische Textgenese gegenüber, die den gleichen Grundsätzen wie die zu dem Beispiel aus Stifters 'Beschriebenem Tännling' folgt (S. 170—175). Das hier entwickelte Schema setzt voraus, daß die Zusammengehörigkeit und Folge der einzelnen Schichten zuverlässig, etwa — wie besonders bei Fontane oder mitunter bei Goethe — anhand verschiedenen Schreibmaterials zu ersehen ist. Fehlen diese Bedingungen, so bei Wielands Ubersetzung der Cicero-Briefe, läßt S. »deskriptive Angaben über die Position u n d den Stellenwert der Varianten aussagen... anstelle der Varianten (werden) Symbole eingeführt, die verhüten sollen, daß die Deskription den A u t o r text überwuchert« (S. 176 f.). U m dies zu exemplifizieren, setzt S., zusammen m i t Erich K r a h , dem A p p a r a t e n t w u r f Hans Grantzows (S. 155 f.) einen eigenen entgegen (S. 178 f.), der die Variantenknäuel durch Beschreibung der Position auflöst, wobei die »Ordnungszahlen« der Schichten keine Schichtenfolge bedeuten sollen; denn eine »durchlaufende Schichtung k a n n nicht allenthalben beobachtet werden, oft zielt die Änderung nur auf ein W o r t oder eine bestimmte Wortgruppe« (S. 176). A n a l o g erschloß S. nach Beratungen m i t den Bearbeitern der Meyer-Ausgabe A l f r e d Zäch und besonders H a n s Zeller die Entstehung des Meyerschen Gedichtes 'Himmelsnähe'. Zeller übernahm S.s Schema, ging aber über S.s Bemühen, das Bedeutungsfeld der Variante freizulegen, hinaus u n d schuf ein beschreibendes System, das die Handschrift rekonstruierbar machen sollte. S. lehnte Zellers Ergeb8 Der Vollständigkeit halber sei angemerkt, daß Beißner auch in den Apparatteilen, die die Genese eines Gedichtes wiedergeben sollen, nicht ganz der Stellenangaben oder anderer deskriptiver Hinweise entrât.
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nis ab, w e i l »der A p p a r a t durch das viele deskriptive Beiwerk für den Leser wieder schwierig gestaltet worden war« (S. 185). Sein Vorschlag eines Mittelweges zwischen den deskriptiven u n d genetischen Methoden Zellers u n d Beißners berührt sich i m Grundsätzlichen m i t Walther K i l l y s Apparatvorschlag für Trakls Helian-Gedichte, insofern für S. wie K i l l y nicht die zu rekonstruierende Handschrift, sondern »das i n Aussicht genommene >Bedeutungsfeld«< (S. 181) das K r i t e r i u m der A p p a r a t gestaltung ist. So w i r d nicht die Angabe einer Folge v o n Textschichten prätendiert, was dem I r r t u m ausgesetzt bleibt, sondern der Zusammenhang der Entstehung aufgezeigt; dies freilich berührt sich m i t Beißners Versuch, das »ideale Wachstum« eines Gedichtes vorzuführen, enger als S. meint. Das Werden des Textes möglichst vollständig u n d angemessen darzustellen, erachten K i l l y u n d S. wie die Mehrzahl der v o n S. herangezogenen Herausgeber als die Aufgabe des editorischen Apparates. D e m ist zuzustimmen, wenn man auch m i t S. einräumen kann, daß bestimmte Gegebenheiten, ζ. B. die Material-Fülle oder die geringere Bedeutung eines Autors, Auswahlapparate nahelegen. Ebenso positiv hervorzuheben ist, daß die A u t o r nähe eines Überlieferungsträgers unerbittlich geprüft u n d zur Grundlage aller weiteren Schritte zu machen sei, auch wenn dann gegen die bisherige T e x t t r a d i t i o n entschieden und ein T e x t i n langwieriger Mühe neu erstellt werden muß. Denn man b i l l i g t dem Kunstwerk eine Eigengesetzlichkeit zu, deren Erkenntnis für dieses und ebenso für den Menschen lebenswichtig ist. Daher rechtfertigt sich der A u f w a n d an Zeit, Geld u n d Arbeitskraft. Freilich muß dieser A u f w a n d immer wieder überprüft werden. Seine K o m p o nenten müssen i n angemessenem Verhältnis z u m Ertrag, hier der fertigen Ausgabe, stehen. D i e Frage nach der Eigengesetzlichkeit der K u n s t u n d der V e r a n t w o r t barkeit der bei Editionen nötigen Investitionen stellten kürzlich K a r l - H e i n z H a h n u n d H e l m u t Holtzhauer, indem sie den Sinn genetischer Apparate i n extenso verneinen; das Kunstwerk sei i n seiner abgeschlossenen, für das Pub l i k u m bestimmten Form, gewöhnlich der Ausgabe letzter H a n d , neu zugänglich zu machen. D i e »Erforschung des Entstehungsprozesses eines Werkes« auf G r u n d des handschriftlichen Niederschlages sei nur dann zum Druck zuzulassen, »wenn die Arbeitsspuren Wesentliches auszusagen vermögen«. Insgesamt gelte, »daß diese Aufgabe so wenig notwendig zur A u f gabe einer Edition, d. h. zur Darbietung eines gesicherten Textes gehört, wie Einleitungen i n Gestalt v o n Textinterpretationen oder wie die historische Erschließung des Werkes überhaupt« 9 . Soweit diese Forderung sich auf die Unterscheidung zwischen Pedanterie und Nützlichkeit bezieht, w i r d jeder Einsichtige sie billigen. Praktisch enthält sie das Prinzip des Auswahlapparates, der besonders dann, wenn es sich u m eine Dichtung, die bisher unzureichend oder gar nicht — wie etwa bei Brentano — ediert ist, ein subjektives Moment und damit die Gefahr der beschränkten Gültigkeit einschließt. H i e r ist die vollständige Darstellung 9
Hahn - Holtzhauer, a.a.O., S. 2—22, bes. S. 12 f.
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der Genese als Rechenschaft u n d A n l a ß zur K o n t r o l l e u n d Diskussion angemessener, auch wenn der nötige A u f w a n d groß ist. M a n sollte sich nicht generell, wie H a h n - H o l t z h a u e r vorschlagen 10 , sondern je nach Editionsgegenstand für oder gegen das Auswahlprinzip entscheiden. O b w o h l man solche Überlegungen der praktischen Seite zurechnen könnte, so hat auch die Praxis ihren theoretischen H i n t e r g r u n d , der sich darin zeigt, daß H a h n - H o l t z h a u e r nachdrücklich u n d wiederholt an die V e r a n t w o r t u n g des Editors gegenüber der Gesellschaft appellieren, w e i l diese das Ziel der Kunst sei. Auch hier sollte man unterscheiden: Daß sich eine E d i t i o n auf ein P u b l i k u m richtet, ist selbstverständlich. Aber die E d i t i o n hat zuerst ihrem Gegenstand zu dienen. Hierbei muß berücksichtigt werden, daß Dichtung nicht ausschließlich F u n k t i o n der Gesellschaft, nicht, wie H a h n - H o l t z hauer unter Berufung auf W i l h e l m Scherer formulieren, »gesellschaftliches Phänomen« 1 1 i n dem Sinne ist, daß die Gesellschaft die K r i t e r i e n der Kunst festsetzt. Andererseits sind weder Kunst noch Gesellschaft absolut. Welcher A r t die beiden Phänomene sind u n d i n welche Beziehungen sie zueinander treten können, lehrt die Erfahrung, daß die Kunst u m der Kunst w i l l e n der politisch, ethisch oder religiös bestimmten Gesellschaft widerstreiten und v o n dieser bekämpft werden kann. Die Leidenschaft und Fortdauer dieser Auseinandersetzung u n d dieses Zusammenwirkens zeigt, wie unvertilgbar die Spontaneität des schöpferischen Einzelnen die Kunst, die Gesellschaft u n d die Geschichte mitbestimmt. D e m gilt es i n der Praxis Rechnung zu tragen. Gerade die beispielhaften u n d maßstabsetzenden Leistungen können aus der Selbstverwirklichung des künstlerisch Begabten erwachsen. Als Beispiel dieser Komponente der Kunst sei Goethes W o r t an Auguste Stolberg angef ü h r t : »O wenn ich ietzt nicht Dramas schriebe ich ging zu Grund.« Freilich fährt Goethe f o r t : »Bald schick ich Ihnen eins geschrieben — « 1 2 . H i e r ist Kunst Selbstverwirklichung, die, eben vollzogen, m i t der gleichen Intensität einem anderen mitgeteilt w i r d . Dieses Verhältnis v o n Selbstsein u n d M i t teilung ist für Goethe bezeichnend, bei anderen Künstlern verschiebt es sich zugunsten dieser oder jener Komponente, andere treten h i n z u ; es dürfte auch für die einzelnen Gattungen (für L y r i k anders als für epische Dichtung) u n d v o n Epoche zu Epoche verschieden sein. H i e r ist ein weites Feld zu erschließen. Was Goethe betrifft, so gibt es zahllose Beweise dafür, daß er sein Leben ständig auf ein D u oder seine U m w e l t bezog u n d daß das E i n geflochtensein i n überindividuelle Beziehungen für seine Dichtung konstit u t i v war. Aber die individuale Komponente seines schöpferischen Tuns galt i h m v o n A n f a n g an als wesentlich, ja er hat sie i m A l t e r betont. Daß Lessing u n d Winckelmann auf seine Jugend, K a n t dagegen auf sein A l t e r gewirkt hätten, sei für i h n v o n großer Bedeutung gewesen, äußerte Goethe am 12. M a i 1825 zu Eckermann 1 3 . D i e Metamorphose der Pflanzen habe er, 10
Ebd. S. 16. Ebd. S. 9. Goethe an Auguste Gräfin zu Stolberg, Offenbach, 7. —Frankfurt, 10. März 1775. Goethes Briefe, Hamburger Ausgabe Bd. 1, Hamburg 1962, S. 179. 13 Artemis-Ausgabe Bd. 24, S. 159. 11
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ohne v o n K a n t etwas zu wissen, ganz i n dessen Sinne geschrieben; »die A n sicht, daß jedes Geschöpf u m sein selbst w i l l e n existiert und nicht etwa der K o r k b a u m gewachsen ist, damit w i r unsere Flaschen pfropfen können, dieses hatte K a n t m i t m i r gemein«, fügte er am 11. A p r i l 1827 h i n z u 1 4 . U n d er rechnete es dem Philosophen als »ein gränzenloses V e r d i e n s t . . . u m die W e l t , u n d ich darf sagen u m mich« an, »daß er, i n seiner K r i t i k der Urtheilskraft, Kunst u n d N a t u r k r ä f t i g nebeneinander stellt und beiden das Recht zugesteht: aus großen Principien zwecklos zu handeln . . . N a t u r u n d Kunst sind zu groß u m auf Zwecke auszugehen, u n d haben's auch nicht nöthig, denn Bezüge gibt's überall u n d Bezüge sind das Leben« 1 5 . M a n w i r d Goethe keinen l'art-pour-l'art-Standpunkt vorwerfen können, sondern festhalten müssen, daß er, anstatt Alternativen zu stellen, die Phänomene i n ihrer Eigengesetzlichkeit anerkannte u n d dadurch ihren Wechselbeziehungen einen weiten und fruchtbaren R a u m eröffnete. Wer die Eigengesetzlichkeit der Kunst, sei es v o n einem ethischen, religiösen oder politischen Standpunkt aus, bestreitet u n d sie ausschließlich als gesellschaftliches Phänomen sieht, w i r d die Maßstäbe nicht i n der Kunst, sondern i n der Gesellschaft, sei diese ethisch, religiös oder politisch bestimmt, suchen. Ja er w i r d dazu neigen, v o n daher Kriterien festzusetzen, nach denen sich die Kunst zu richten habe u n d die die unberechenbare I n d i v i d u a l i t ä t verbannen. Wer die Eigengesetzlichkeit der Kunst anerkennt — ohne die unübersehbaren Wechselbeziehungen zwischen dem Künstler u n d seinem W e r k einerseits u n d der Gesellschaft u n d Geschichte andererseits als nebensächlich abzutun — , w i r d der Entstehung eines Gedichtes einen Aussagewert zubilligen, der eine volle, d. h. ebenso werkbezogene wie geschichtliche Erkenntnis ermöglicht, u n d deshalb die Darstellung der Entstehung einer möglichst weiten Diskussion aussetzen. » I n den Werken des Menschen wie i n denen der N a t u r sind eigentlich die Absichten vorzüglich der A u f m e r k samkeit wert«, sagt Goethe 1 6 . M a n darf die G ü l t i g k e i t dieses Wortes auf eine der bedeutendsten menschlichen Tätigkeiten, die Kunst, ausdehnen. I n unserem Zusammenhang muß das Gesagte genügen, u m darauf aufmerksam zu machen, daß der Versuch, das Phänomen Kunst lediglich i m H i n b l i c k auf die Gesellschaft zu sehen — ein Zusammenhang, der unabsehbar viel b e w i r k t und zutage fördert — , nicht nur ästhetische, sondern auch editorische Folgerungen haben kann. Es sei erlaubt, die theoretische durch eine praktische Erörterung zu ergänzen: D i e wichtigste Vorarbeit einer Edition, die Sammlung des einschlägigen Materials, ist heute noch höchst umständlich zu leisten u n d der Gefahr ausgesetzt, — nicht nur i n Privatsammlungen befindliche — Teile zu übersehen. Zugang zu privaten Besitzern zu finden, hängt oft v o n der diplomatischen Begabung der Editoren ab, doch selbst diese f ü h r t mitunter nicht zum Erfolg. Was den öffentlichen Besitz betrifft, so ist eine Zentralkartei der 14 15 18
a.a.O., S. 248. Goethe an Zelter, 29. Januar 1830. W. Α. I V , 46, 223. Maximen und Reflexionen. Hamburger Ausgabe Bd. 12, S. 517, Nr. 1078.
Buchbesprechungen Bestände anzustreben. K a r l - H e i n z H a h n u n d H e l m u t Holtzhauer legten einen derartigen, ausgearbeiteten Plan vor, der bei gutem W i l l e n für Ostund Westdeutschland gemeinsam verwirklicht werden k a n n 1 7 . Diese Zentralkartei aber als Steilkartei anzulegen — bei einem Kartenanfall, der die Millionengrenze m i t Sicherheit weit überschreitet—, hieße die Erstellung erschweren u n d die Benutzbarkeit auf ein M i n i m u m herabsetzen. Durch elektronische Verarbeitung kann ein solches Material m i t weit geringerem A u f w a n d an Raum, Zeit u n d Bearbeitern vereinigt u n d benutzbar gemacht werden. E i n entsprechendes Programm wäre nach dem V o r b i l d der elektronischen Bearbeitung zu entwerfen, die die Zentralstelle für maschinelle D o kumentation i n Frankfurt a. M . für die laufenden Zugänge u n d die A u f bereitung der eben erschienenen T i t e l der Deutschen Bibliothek i n Frankfurt a. M . aufstellte. Die T i t e l werden so gespeichert, daß sie innerhalb v o n M i n u t e n nach Sachgebieten, Autoren usw. geordnet u n d zugänglich sind. Daher können heute die Viertel-, Halbjahres- u n d Jahresverzeichnisse der Deutschen Bibliographie unmittelbar nach Ende der entsprechenden K a lenderperiode i n Druck gegeben werden, wobei Fehler beinahe ausgeschaltet sind. Dieses Verfahren läßt sich den Erfordernissen einer Handschriftenkartei anpassen. Die Vorteile liegen auf der H a n d . Noch ungleich schneller als die Herstellung einer Druckvorlage für ein Verzeichnis wäre die Aussortierung des Handschriftennachweises für einen bestimmten A u t o r oder eines seiner Werke möglich. U m einen Anfang zu gewinnen, könnte man damit beginnen, die jährlichen Neuzugänge der Archive u n d Bibliotheken zu speichern; das wäre i n verhältnismäßig kurzer Zeit jeweils zu leisten. D i e v o r dem Stichtag des Beginns vorhandenen Bestände könnten ohne Schwierigkeit eingearbeitet werden. Bernhard Gajek, Frankfurt a. M .
Deutsches L i t e r a t u r - L e x i k o n . Biographisch-bibliographisches Handbuch. Begründet v o n W i l h e l m Kosch. D r i t t e , v ö l l i g neu bearbeitete Auflage. Hrsg. v o n Bruno Berger u n d H e i n z Kupp. Ältere Abteilung: Bearbeitet v o n H e i n z Zimmermann. Neuere Abteilung: Bearbeitet v o n Bruno Berger unter M i t w i r k u n g v o n Heinz-Peter Linder. 1. Lieferung (Aal-Banchini-Brunner), Bern u n d München Dezember 1966; 2. Lieferung (Banck-Binder), M ä r z 1967. Francke Verlag. Als die rasch vergriffene Neubearbeitung v o n W i l h e l m Koschs viel gelästertem, aber ebenso unentbehrlichem, wie viel benutztem Literatur-Lexik o n (1949 ff.) durch Bruno Bergers einbändige Auswahlausgabe ersetzt wurde (1963), trat deutlich zutage, welchen G e w i n n an Exaktheit und Z u verlässigkeit der Verzicht auf Koschs Sachstichworte erbrachte. Das neue 17 Karl-Heinz Hahn und Helmut Holtzhauer, Vorschlag und Plan einer Zentralkartei für Nachlaßhandschriften deutscher Dichter. Weimar 1963.
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Unternehmen setzt diese Tendenz fort und vereint — soweit es sich bis jetzt beurteilen läßt — Q u a l i t ä t m i t Quantität. D i e genaue Eingrenzung auf eine Bio-Bibliographie bedeutet nicht eine Auswahl aus den Stichworten des 'Kosch', der U m f a n g des Lexikons w i r d vielmehr u m das Doppelte erweitert u n d ist auf 8 Bände berechnet, m i t insg. etwa 30 000 bis 40 000 Stichworten. Freilich w a r — w i r bekennen es gern — das 'Literatur-Lexikon' für uns alle als Studenten doch oft ein letzter Rettungsanker, wenn die Speziallexika versagten u n d dies gerade wegen jener, jetzt m i t guten Gründen ausgeschiedenen Stichworte; ein ergänzendes Namen- u n d Sachregister nach Abschluß des Gesamtwerkes aber könnte auch hier Verzicht in G e w i n n verwandeln. Das v ö l l i g neu bearbeitete L e x i k o n stellt sich vor als ein L e x i k o n der deutschen Literatur, nicht nur der deutschen Dichtung, so sind die Autoren der T r i v i a l l i t e r a t u r ebenso berücksichtigt worden, wie Literarhistoriker u n d Essayisten — auch Kritiker? — , »sowie literarisch bedeutsame Philosophen u n d Historiker«. Vollständigkeit beansprucht das Handbuch nicht, um so erstaunlicher ist es, daß leicht erkennbare Lücken nicht vorhanden sind. Besondere Sorgfalt haben die Bearbeiter auf die Bibliographien verwendet, die gegenüber den früheren Auflagen korrigiert, ergänzt u n d vervollständigt wurden. Sie werden gegliedert i n »Schriften«, »Bibliographie« u n d »Literatur«, wobei — ein Erfordernis der modernen Dichterbibliographie, dem hier Rechnung getragen w i r d — den »Schriften«, wenn nötig, eine Spalte »Schallplatten« angefügt ist. Bei älteren und anonymen Werken t r i t t konsequent an die Stelle der »Schriften« eine U n t e r abteilung »Ausgaben«, bei vorneuhochdeutschen u n d neulateinischen A u t o ren und Werken bemerken w i r dankbar eine Abteilung »Übersetzungen«. Wie die Quellenbibliographie, wenn nötig, unterteilt w i r d , so sollten auch längere Sekundärbibliographien gegliedert und zumindest »Forschungsberichte« u n d »Sammelrezensionen« herausgehoben werden; beim Stichwort »Benn« ζ . B. vermissen w i r dies. Die Bearbeiter des neuen Handbuches sehen ihre vornehmste Aufgabe offensichtlich i n exakter Information, sie verzichten deshalb »auf eine Ausw a h l nach literarischen Kriterien (die wandelbar sind)«; dieser dankenswerte Grundsatz sollte auch i n den Einzelartikeln streng verfolgt werden, selbst wenn die Fülle der wissenschaftlichen Literatur und die vielleicht genauere Kenntnis des Bearbeiters zu Wertungen reizen. »Gestaltlosigkeit u n d Mangel an Form u n d Komposition« (Sp. 153) hat Achim v o n A r n i m nur eine einseitig an Goethe u n d dem klassischen Formideal orientierte Literaturwissenschaft vorgeworfen, die neuere Romantikforschung ist auf dem Wege, dieses V e r d i k t zu korrigieren u n d i n 'dem angeblichen Mangel ein bedeutsames u n d Zukunft weisendes Stilprinzip zu erkennen. Auch die kühne und unrichtige Behauptung, daß Bettina v o n A r n i m »keine freischöpferische Gestalterin [ w a r ] , doch durch ihre schauspielerhafte Gabe der Angleichung u n d V e r w a n d l u n g ein echtes Spiegelbild der romantischen Seele« (Sp. 157) zeugt v o n dem romantikkritischen A f f e k t des Bearbeiters; wieder befindet er sich i m Widerspruch zur modernen Romantikforschung,
Buchbesprechungen nachdem Hans Magnus Enzensberger die v o n Bettina und v o n ihrem Bruder virtuos beherrschte »Entstellung« als ein fundamentales Prinzip der modernen Poesie erkannt -hat. D o r t also, w o das Handbuch die Linie der strengen I n f o r m a t i o n verläßt, sind vermeidbaren Fehlerquellen T ü r und T o r geöffnet. — N i c h t als K r i t i k , sondern nur als Beitrag eines aufmerksamen Lesers zu den v o n Redaktion, Herausgebern und Verlag gewünschten Hinweisen u n d Berichtigungen mögen die folgenden Anmerkungen aufgenommen werden: Sp. 2, 1 : Erst nach Ausscheiden Lessings wurde A b b t Mitarbeiter der 'Literaturbriefe', er zeichnet m i t »B.« u n d einmal auch m i t »C.«. — Sp. 3: Heinrich Abeken hätte ein eigenes Stichwort verdient. — Sp. 9, 23 : T . v. Karajan, lies »1867« statt »1876«. — Sp. 9 , 2 6 : E. Schnell, lies »1895« statt »1876«. — Sp. 1 0 , 4 4 : Lies »hrsg. v o n C h [ r i s t i a n ] « statt v o n »Afndreas] Gryphius«. — Sp. 1 1 , 3 7 : Lies »Abusch, Alexander (Pseud.: Ernst Reinhardt, Ernst Bayer) * 14. 2. 1902 K r a k a u , w a r nach kaufm. Lehre i n N ü r n b e r g . . . « — Sp. 5 3 , 3 2 : Lies »1616« statt »1617«. 1616 ist das Jahr der Erstausgabe. — Sp. 81, 47: Lies »1850« statt »1851«. Althaus w a r v o n N o v . 1849 bis M a i 1850 i n Hildesheim i n H a f t . — Sp. 98, 12: A u f K . L . Ammers W i r k u n g auf T r a k l u n d Brecht sollte verwiesen werden. — Sp. 126, 41: Ausgabe der Dramen durch Blake Lee Spahr (in Vorbereitung); Reprintdruck der 'Römischen Octavia' 1712/14 durch M a r i a M u n d i n g (in Vorbereitung). — Sp. 127,11: U . a . zu ergänzen: C. Paulsen, ' D i e durchleuchtigste Syrerin Aramena' des Herzogs A n t o n Ulrich v o n Braunschweig u n d 'La Cléopatre' des Gautiers Coste de la Calprenède, Diss. Bonn 1956; B. L . Spahr, A n t o n U l r i c h u n d Aramena. The Genesis and Development of a Baroque N o v e l , Berkeley and Los Angeles 1966. — Sp. 146, 3 ff.: D i e T i t e l lauten genauer: ' V i e r geistreiche Bücher v o m wahren Christentum' u n d 'Paradiesgärtlein voller christlicher Tugenden'. — Sp. 157, 30: Das fehlende Verweiszeichen scheint anzudeuten, daß für Gisela G r i m m m i t immerh i n vier Dramenbänden kein eigener A r t i k e l vorgesehen ist? O b nicht auch Maxe v o n A r n i m , die spätere G r ä f i n O r i o l a einen A r t i k e l verdiente? — Sp. 198: Jakob A y r e r der Jüngere wäre der Erwähnung wert. — Sp. 201, 45 ff. : D i e Bibliographie der Schriften v o n Julius Bab ist stark lücken- und fehlerhaft. U . a. ist zu ergänzen und zu berichtigen: Die deutsche Revolutionslyrik. Eine geschichtliche Auswahl m i t Einführung, 1919; Schauspieler u n d Schauspielkunst, 1926; Agnes Sorma. E i n Gedenkbuch, 1927; Das Theater der Gegenwart. Geschichte der dramatischen Bühne seit 1870, 1928; Ausgewählte Gedichte, 1930; Amerikas neuere L y r i k . Ausgewählte Nachdichtungen, 1953; Kränze dem Mimen. 30 Porträts großer Menschendarsteller i m Grundriß einer Geschichte moderner Schauspielkunst, 1954. — Sp. 2 0 6 , 3 7 : Lies »Mülheim« statt »Mühlheim«. — Sp. 2 2 2 , 3 9 : A u f John Murray's Reisehandbücher als V o r b i l d für Baedeker sollte verwiesen werden. — Sp. 311, 31: Der T i t e l lautet genauer: ' G o t t . — U n d die Träume. Dichtungen', 1902. — Sp. 3 1 1 , 3 3 : Z u ergänzen: 'Schützengrabenverse', 1916. — Sp. 312, 1: Genauer T i t e l : 'Uferdasein. Aus dem Blindenleben v o n
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heute. M i t einem Geleitwort v o n M a x B r o d \ — Sp. 319, 6 f . : Genauer »Baumgärtner, K a r l Heinrich * 21. 10. 1798 Pforzheim, f 11- 12. 1886 Baden-Baden«. — Sp. 3 1 9 , 1 2 : Genauer 'Dramatische Schriften u n d Studien über das Leben', 3 Bde., 1865/66. — Sp. 3 2 3 , 2 9 : Genauer ' M e i n Ausflug nach Spanien'. — Sp. 323, 38 f.: Genauer 'Plus ultra. Schicksale eines deutschen K a t h o l i k e n 1869—1882', 1883. — Sp. 3 2 8 , 4 : Lies » V i l l a M i r a f l o r « statt »Mirafior«. — Sp. 392, 4 0 f . : Else Buddebergs Forschungsbericht müßte aus der Spalte »Bibliographie« ausgegliedert werden u n d zusammen m i t dem nicht beachteten Forschungsbericht v o n Bruno H i l l e b r a n d , G o t t f r i e d Benn i m Spiegel der Literatur. Kritische Durchsicht des Schrifttums seit 1949, Literaturwiss. Jahrbuch [ = L J b ] 5 (1964), S. 381—426 unter eine eigene Überschrift gestellt werden. — Sp. 4 0 8 , 9 : Lies »Prag 1934« statt »1935«. — Sp. 4 0 8 , 1 4 : Es müßte darauf hingewiesen werden, daß das Manuskript des 2., ungedruckten Bandes sich i m Besitz der Deutschen Bibliothek, Frankf u r t befindet. — Sp. 443, 29 ff. : I n der Bibliographie fehlen u. a. E. K l i n , Neue Dokumente über August Ferdinand Bernhardi, L J b 4 (1963); ders., August Ferdinand Bernhardis K r i t i k der zeitgenössischen Literatur, L J b 5 (1964). — Sp. 446, 29 ff.: D i e T i t e l der Bibliographie Joseph Bernharts sollten überprüft werden. Als T i t e l v o n Bernharts Dissertation habe ich ζ. B. verzeichnet: 'Bernhardinische u n d Eckhartische M y s t i k i n ihren Beziehungen u n d Gegensätzen. Eine dogmengeschichtliche Untersuchung', 1912. Z u ergänzen ist u. a.: Das Mystische, 1953. — Sp. 510, 32: Lies »Friedrich Overbeck. Sein Leben u n d Schaffen. Nach seinen Briefen und andern Documenten des handschriftlichen Nachlasses geschildert v o n Margaret H o w i t t . Hrsg. v o n Franz Binder, 2 Bde., 1886«. — Sp. 510, 34 f.: Lies: »Erinnerungen an Emilie Linder (1797—1867). Z u m Säculargedächtnis ihrer Geburt, 1897«. Wolf gang Frühwald, Augsburg
N A M E N - U N D SACHREGISTER von Helge Kahler (Die Zahlen bedeuten die Seiten, kursive Zahlen die Hauptstellen, A. = Anmerkung. Das Register wählt aus.)
Abrogans 18, 20 u. A. 67, 322 ainvalt s. einvalte Akademie und Stoa 7 f. Alexandriner, alexandrinische Schule 11 A. 22, 12 A. 24 Allegorie - im Barockdrama 35 f., 47 Altenberg, Peter 184 Ammonios Hermeiou 8, 10 f. Anaxagoras 6 u. A. 4, 21 Anaximander 6 Anaximenes 6 Andersch, Alfred 266 Angelus Silesius 315 Anton Ulrich von Braunschweig 331-342 - Biographie 332 - und Sigmund von Birken 332, 336, 340 f. - Darstellungsprinzipien 341 f. - und die Pegnitzschäfer 337 f., 339 - Werke: - - 'Aramena* 331-342, 375 Akrosticha und Widmungsgedichte 333 Autorschaft 335 f., 341 Bedeutungsebenen 338 'Cléopatre* - Ubersetzung (Gautier) 334 f. Entstehungsgeschichte 331-342 Erzählerperson (Ich-Er) 336 f. Genealogieinteresse 341 f. Komposition 339 Schlüssel- und Schäferroman 337-339 Syntax 337
Verschlüsselungen 338 f. Dramen 342 - - 'Octavia* 332, 335, 337, 342, 375 Entstehungsgeschichte 342 Aphoristik - in der modernen Lyrik 300 Aristoteles 6 u. A. 4, 7 f., 11 u. A. 22, 21, 35 f. - 'De anima* 6 u. Α. 4 - 'Metaphysik' 7 A. 6 u. A. 8 - 'Nikomachische Ethik* 7 A. 7 - 'Poetik' 35, 36 u. A. 18 Arnim, Achim von 350, 352, 353, 354, 357, 365, 374 - Editionsfragen 365 Arnim, Bettina von 360 f., 374 f. Arp, Hans 295, 319 A. Artistik - bei Krolow 292 - bei Schelling 39 - bei Sealsfield 110 Audiberti, Jacques 300 Augustinus 305 Bab, Julius 375 Bachmann, Ingeborg 297, 303 u. A. 32 Baesecke, Georg - 'Kleinere Schriften zur althochdeutschen Sprache und Literatur* 321-324 Ballade - als Mischgattung 61 Barock 31-56, 97, 107, 290, 331-342 - Drama 32, 48 f., 107 - Forschung 331 f. - Hochbarock 31, 32 A. 6 - Komödie 31-56
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Namen- und Sachregister
- Pegnitzschäfer 331 A. 1, 334, 337 - Rhetorik und Dichtung 35 - Roman 331-342 - Schein und Sein 50, 338 - Selbstverlust 49 f. - Tradition im 19. Jahrhundert 97 - Weltauffassung 46 Baudelaire, Charles 299 Benediktinerregel 20 u. A. 62, 21 A. 72, 24 A. 86, 26 A. 96 Benn, Gottfried 290, 293 u. A. 12, 294, 299, 374, 376 Bense, Max 301 Bergson, Henri 53 Bernanos, George 275 Bernard, Carl - 'Dramaturgischer Beobachter' 353 Bernhard von Clairvaux 330 Bernhardi, August Ferdinand 376 Bernhart, Joseph 376 Bidermann, Jacob - 'Belisarius' 37 A. 19, 47 A. 38, 48, 52 A. 40, 53 - 'Cenodoxus' 47 - 'Philemon Martyr' 52 Α. 39 - 'Utopia' 33 Α. 11, 34 Α. 15, 44, 49 f. und Masens 'Rusticus Imperans' 34 A. 15, 44, 49 f. Bienek, Horst 296 Birken, Sigmund von 331, 333-342 - als Mitautor der 'Aramena* 336, 340 f. Birkenfeld, Günther 181 f. Bobrowski, Johannes 297, 302 Boccaccio, Giovanni 109 Boethius - 'Consolatio philosophiae' 5, 8, 9 A. 13, 10 u. A. 18, 11 u. A. 22, A. 23, 12 u. A. 24, 13, 14 u. A. 35, A. 37, 15 u. A. 38, 16, 18 f., 21, 23, 25, 28 f. Botticini, Francesco 306 Brant, Sebastian 55 A. 44, 326 Α. 1 Brecht, Bertolt 297 f., 299, 375 Bremer, Claus 291, 300 Brentano, Clemens 350, 352-363, 370 - Biographie 357-363 Entwicklungsthese 359 Konversion zum Katholizismus 359, 360 u. A. 4 - Edition 365, 370
-
»poetische Existenz« 357 Forschungslage 357 f. Jugendlyrik 362 Textüberlieferung der Dramen 352-357 - Werke: 'Abendständchen' 361 'Aloys und Imelde' 354 f. - - 'Am Rhein, am Rhein!' 353 f. 'Gockel, Hinkel und Gackeleia' 361 f. 'Zueignung' 361 'Die Gründung Prags' 353, 354 A. 8, 355 f., 357, 362 - - 'Gustav Wasa' 354 f. 'Laßt es euch gefallen' 356 'Die lustigen Musikanten' 354 f., 357 'Ponce de Leon' ('Valeria oder Vaterlist') 351 u. A. 3, 353-357 'Rheinmärchen' 362 'Der Spinnerin Lied' 360, 361 u. A. 8 'Victoria und ihre Geschwister' 353, 354 u. A. 6 - und das Wiener Theater 352-354 Britting, Georg 201 Broch, Hermann 267, 272 Brod, Max 204, 376 - 'Nornepygge' 204 Byron, George Lord - 'Sardanapal' 207 Calderon de la Barca, Pedro 33 f., 62, 67 - 'Das Leben ein Traum' 33, 34 u. A. 15 Camp 301 Cassirer, Paul 189 Celan, Paul 291, 296 f. Cervantes Saavedra, Miguel de 76, 330 Chateaubriand, Francois René 115 Chaucer, Geoffrey 44 Α. 35, 328 Α. 1 Chrétien de Troyes 328 Commedia dell' arte 31 u. Α. 4 Comte, Auguste 208 Cooper, James F. 115 Cotta, Johann Friedrich 57, 71, 98 Cousin, Victor 75, 93
Namen- und Sachregister Damascius 27 A. 107 Dante 44 A. 35, 64, 305, 328 Α. 1 David (Schüler des Olympiodoros) 11 Dehmel, Richard 204 A. 17 Descartes, René 291 Dichtung - antike und moderne 76 - morgenländische 61 - und Rhetorik im Barock 35 - statische 293 - als Wirklichkeit 2 - zeitgenössische 290 Distanz - in der zeitgenössischen Lyrik 294 Drama - Barockdrama 32, 107 - als historische Poesie 61 - Jesuitendrama 32 A. 6, 35 A. 16, 47 A. 38 - Ordensdrama 36 - parabolisches 47 Droste-Hülshoff, Annette von 100 Dualismus - »gemeiner Dualismus« bei Goethe 61
error - im Barockdrama 38 A. 25 Exotismus 95, 97 Expressionismus 217, 296, 298 Fabel, fabula - und Handlung 36, 38 A. 22 - historische 43, 54 - fabula implexa 39 - der Komödie 42, 52 f. - des 'Rusticus Imperans' von Masen 34, 37, 40 Fastnachtsspiel 31 u. A. 3 Fatum 8, 10, 12, 14, 19, 26 Ferdinand Albrecht von BraunschweigBevern 333 f. Feuchtersieben, Ernst von 97, A. 6 Flex, Walter 202 Fontane, Theodor - 'Effi Briest' 369 Form - antike und moderne Formen 58 - des Barockdramas 36 f. - als Bedeutungsträger 219 - und Gehalt 290 - Formen des Gesprächs 108 f. - und Inhalt 2 f., 290 - innere 295 - und Technik in der modernen Lyrik 300 - politische bei Seals field 110 - und Stoff 98, 116 Fortuna-Problematik 46 u. A. 37, 47 A. 38, 48, 55 f.
Ecclesiasticus 18 Eckermann, Johann Peter 93, 371 Editionsfragen 363-373 - deskriptive und genetische Methode 368-371 - Auswahlapparat 370 f. Eich, Günter 291, 299 f. - u n d Providentia 53 A . 41 Eichendorff, Joseph Freiherr von 350 Fried, Erich 291,301 Einstein, Albert 184 f. Fritz, Walter Helmut 291, 293, 294 f. Einstein, Carl Fuchs, Günter Bruno 294 f. - 'Bebuquin* 204 Einfachheit, Einfalt 5 f., 12, 22 Gautier Coste de la Calprenède einstuodel 16 u. A. 44 - 'La Cléopatre' 334 f., 375 einvalte, einvalti, einfaltlich 16 u. A. 44, Gehalt 17, 19, 20 u. A. 67, A. 70, A. 71, 21 u. A. 72, 22-24, 26, 29 - und Form 290 Elias (Schüler des Olympiodoros) 11 Geist Entwicklungsroman 111, 117, 327 - deutscher 74 Enzensberger, Hans Magnus 291, 297 f. - der Zeit 4, 74 - über Cl. Brentano 350, 358, 360, Gessner, Salomon 294 362, 375 Geste - prophetische in der GegenwartsliteraErasmus von Rotterdam 55 A. 44, 326 tur 297 A. 1
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Namen- und Sachregister
Goes, Albrecht 277, 286 Goethe, Johann Wolfgang von 3, 57 u. A. 1, 58 u. A. 2, A. 4, A. 5, 59 u. A. 6, 60-75, 77, 85-89, 92-94, 171, 289, 305-309, 347, 348 u. A. 8, 352 u. A. 1, A. 3, 354-357, 365-369, 371 u. A. 12, 372, 374 - Editionsfragen 347, 365 f., 367-369 - im Urteil Schlegels atheistisch 60 »gemeiner Dualismus« 61, 66 im Geist der Zeit 74 flieht die katholische Wahrheit 61 fehlender Mittelpunkt 58 u. A. 5, 60 ein moderner Dichter 61 kein Naturdichter 62 seine Werke unmoralisch? 75-77 über 'Wilhelm Meister' 72 - Werke: 'Claudine' 64 - - 'Clavigo' 365 - - 'Egmont' 64, 368 A. 5 - - 'Farbenlehre' 60 - - 'Faust' 64, 87, 305-309 - - 'Götz' 64 'Metamorphose der Pflanzen' 60 f., 65 Naturwissenschaftliche Schriften 60 f., 65 f. - - 'Novelle' 367 Novellen 109 'Pandora' 93 - - 'Tasso' 64, 368 u. Α. 5 'Venetianische Epigramme' 62 - - 'Wahlverwandtschaften' 73 f., 92 - - 'Werther' 64, 87 'West-östlicher Divan' 367 - - 'Wilhelm Meister' 58, 64, 71-76 'Lehrjahre' 69, 87, 92, 348 A. 8 'Wanderjahre' 66 f., 87, s. a. Pustkuchen Goldberg, Simson 187-189 Gomringer, Eugen 300 f. Gottfried von Straßburg 328 Gotische Schriftarten 324 f. Grass, Günter 291, 294 f., 299 Greene, Graham 275, 279 Gregor der Große 19 A. 59, A. 60, 20 u. A. 64, A. 67, A. 71, 22, 306
Gregor von Nyssa 306 Gregor von Tours 27 A. 104 Greiffenberg, Catharina Regina von 336, 338 f. Grillparzer, Franz 97 u. A. 6, 107, 362, 369 Grimm, Jacob 355 Grimm, Wilhelm 354, 362 Grimmelshausen, Hans Jakob Christoffel von - 'Simplicissimus' 330 Groß, Walter 291 Gryphius, Andreas 31, 46 Guardini, Romano 1 Guesmer, Carl 291, 296 Guggenheim, Sylvain 199 Gutzkow, Karl 116, 117 u. A. 66 Haas, Helmuth de 291 Haecker, Theodor 2 f. Hamann, Georg 330 Happening 301 Harbeck, Hans 203 A. 13, 204 A. 17, 206, 207 A. 21, 215 A. 34 Hartmann von Aue 326 Α. 1 Hauptmann, Gerhart 330 Hebbel, Friedrich - 'Die Nibelungen' 207 Heckenast, Gustav 124 f. Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 93 Heidegger, Gotthard 333 Heine, Heinrich 108 u. A. 50, 362 Hekastus-Spiele 47 Heißenbüttel, Helmut 291, 299 f. Heliant 323 Hemsterhuis, Franz - und Novalis 350 Hellenismus 8 Herder, Johann Gottfried 350 Hesse, Hermann 271 Hierokles 8, 10 Hieronymus 18, 27 A. 107 Hildebrandslied 323 Historie - im Barockdrama 49, 54 - historische Fabel 43, 54 - Drama als historische Poesie 61 Hocke, Gustav René 271 Hoffmann, Ε. T. A. 109, 355 - Novellenform 109
Namen- und Sachregister Hofmannsthal, Hugo von 3, 298 Das'Hohe Lied' 329 Holberg, Ludvig 34 Hölderlin, Friedrich 295, 299, 365-369 - Editionsfragen 365-369 'Friedensfeier' 369 - - 'Hyperion* 295 Höllerer, Walter 291, 297, 299 Hollonius - 'Somnium vitae humanae* 34 Holthusen, Hans Egojj 272, 295 Hölty, Ludwig Christoph Heinrich 294 Hölzer, Max 297 Homer 171 Hrabanus Maurus 321, 323 Humanismus 55 A. 44 Hymnus als Anfang der Poesie 61 Idealismus - und Realismus 62 Iffland, August Wilhelm 353 A. 5 Ihering, Herbert 217 A. 36 Immermann, Karl 4, 99 implicatio - im Barochdrama 38 u. A. 22 und exspectatio 40 A. 27 fabula impie χα 39 Inhalt - und Idee im Drama 61 - und Form 2 f., 290 Interpretation mittelalterlicher Dichtung - Bibelexegese für weltliche Texte 328-330 - allgemeine Probleme 329 A. 4 Ionesco, Eugène 300 Ironie - im Barockdrama 50 f. - bei Enzensberger 298 - romantische 362 Jacobi, Friedrich Heinrich 75 Jammes, Francis 314 Jean Paul 89, 204 A. 17, 294, 301, 368 Jens, Walter 292 Jesuitentheater 32 A. 6, 47 A. 38, 55 Joannes Eriugena 14 u. A. 37 Johannes Philoponos 11 Johannes von Salisbury - 'Policraticus* 44 A. 35, 328
Johst, Hanns 204 A. 17 Julius von Braunschweig 31 Jünger, Ernst 202 A. 7 Jünger, Friedrich Georg 202 u. A. 7 Junges Deutschland 97 Kant, Immanuel 348, 371 f. Kasack, Hermann 291 Keller, Gottfried 368 Kierkegaard, Sören 2 Kießling, Franz 297 Kleist, Heinrich von 295 Klopstock, Friedrich Gottlieb 306 Kluckhohn, Paul 343, 348, 350 f. Komik im Barock - in Masens 'Rusticus Imperans* 44 f. - Theorie 43 A. 33 - und Tragik 52 Komödianten, englische 31 Komödie - lateinische Barockkomödie in Deutschland 31-56 - Charakterkomödie 46 - Comedia dell' arte 31 A. 4 - Comedia historica 47 - deutsche 31 A. 1 - französische 31 - literarische 31 - satirische 47 - Schulkomödie, lateinische 32 u. A. 6, 41 A. 30 - und Tragödie 36 u. A. 18, 48 Kosch, Wilhelm - Deutsches Literatur-Lexikon 373-376 Kraus, Karl 3 Krolow, Karl 284, 291 f., 293 /., 296, 297 u. A. 2 Kunst - Definition von M. Bense 301 - und Gesellschaft 371 f. - intellektualisierte 294 - »Klassische Kunst« 3 - »monologisierende Kunst« (Benn) 293 - der Phantasie 61 Langgässer, Elisabeth 265-287, 289 A. 2 - Sekundär-Bibliographie 265-287
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Namen- und Sachregister
Lasker-Schüler, Else 175-199, 281 - Nachlaß 175 - Gedichte (Texte): - - 'Abraham Stenzel' 178, 198 - - ['Abschied'] 175 f., 197 'Karl Hannemann' 180, 198 - - 'Ein Liebeslied' 176 f., 198 - - 'Paul Gangolf' 179 f., 198 - - 'Sascha' 177 f., 198 - - ['Die Verscheuchte'] 176, 197 - Prosa (Texte): 'Der achtzigjährige Maler Simson Goldberg' 187-189, 199 - - 'Günther Birkenfeld' 181 f., 198 'Ich erzähle etwas von Palästina' 189-194, 199 'Das Marionettentheater des Direktor Löwy' 186, 199 'Mopp, ein »musikalischer« Maler' 184-186, 199 'Wieder etwas von Palästina' 194-197, 199 _ _ 'Wuppertal' 182-184, 198 Lavant, Christine 297 Le Fort, Gertrud von 275 'Leges Bavariorum' 17 A. 50 Lehmann, Wilhelm 267, 275, 290 A. 7 Leibniz, Gottfried Wilhelm 342 Leifhelm, Hans 214 Leonhard, Kurt 295, 298 Leppin, Paul 185 Lessing, Gotthold Ephraim 3, 371, 375 - und Goethe 371 - Literaturbriefe 375 - 'Minna von Barnhelm' 3 Liebermann, Max 188 Linder, Emilie 376 Löns, Hermann 202 Lyrik, zeitgenössische - ostdeutsche 302 - westdeutsche 289-303 als Demonstration 289, 299 f. Distanz 294 Form und Technik 300 »konkrete« Lyrik 291 als Konstruktion 291 Metaphernkreuzungen 295 »öffentliches Gedicht« 292 als unverbindliches Ornament 294 potenzierte Lyrik 294
Lyrik und Prosa 292 f., 302 gegen Schönheit 302 Tabellengedichte 300 »zeichensetzendes Gedicht« 300 Lyrisches - in Kleists Prosa 295 Macchiavellismus - bei Sealsfield 104 u. A. 31 Mader, Helmut 291 Magie . - nüchterne bei Krolow 292 Mallarmé, Stéphane 299, 301 Mann, Heinrich 185, 285 Mann, Thomas 117, 184 f. Marc, Franz 183 f. Märchenelemente im 'Parzival' 329 Marius Victorinus 9 A. 14 Marti, Kurt 291 Martianus Capell'a 21 u. A. 72, 25, 28 u. A. 112 Masen, Jacob 31-56 - Biographie 32 A. 5 - als Didaktiker 35 - satirische Komödie 43 - Stilwille, ökonomischer 43 - Werke: - - 'Androphilus' 47, 54 A. 42 - - 'Bacchi Schola Eversa' 42 Α. 32 'Palaestra eloquentiae ligatae' 32 Α. 5, Α. 7, 35, 51 Α. 39 'Rusticus Imperans' 31-56 Absicht (finis) 37, 39 u. Α. 26, 42, 46, 51 Allegorisches 47 und Bidermanns 'Utopia' 34 Α. 15, 44, 49 f. und Calderons 'Das Leben ein Traum' 34 A. 15 als Charakterkomödie 46 als comoedia historica 47 Dialektik von Sein und Nichtsein 54 Edition 32 u. A. 5 Entstehungszeit 34 A. 15 Epilog 46 f., 48, 52-55 Fabel 34, 37 Gliederung 35, 39 f. Handlungsgerüst 34, 39 f. und 'Ioviani superbia' 45, Α. 36
Namen- und Sachregister Komik 44 f., 51 f. Grundmotiv 33 u. A. 8, 34 Prolog 54 A. 42 Satire 44 f. als lateinische Schulkomödie 32 u. A. 6 Stilintegration 41 Stoff 33 u. A. 8, 34, 37, 38 u. A. 23 Tragik 52 vanitas-Wlox.iv 46 Vorlagen 34 A. 15 Zeitkritik 43, 45 - - 'Telesbius' 39, 42 A. 32, 47 theoretische Schriften 35 u. A. 16, A. 17, 36-42 'Tragico-Comoediae und ComicoTragoediae* (Vorrede) 34 A. 15 Mauthner, Fritz 211, 212 u. A. 29, 223 Meckel, Christoph 291, 294 f. Melos in der Lyrik 290 Meister, Ernst 291, 296 Metapher - in der Barockliteratur 31, 46 - Fortuna als Metapher 52 - der Inkonstanz 46 - Metaphernkombinationen 294 - Natur als Metapher des Menschen 295 - Schauspielmetapher 54 - Oberzeitlichkeitsmetapher 165 - unverbindliche Metapher bei Raabe 168 A. 26 - Metaphernverschränkungen 295 f. - des Wahnsinns 218 Metrum - altdeutsche und lateinische Metrik 323 - konventionelles Metrum 294 - als Strombett des Rhythmus 290 Meyer, Conrad Ferdinand 364 A. 1, 369 Michelangelo Buonarroti 290 Milton, John 306 Mimus, antiker 31 Molière 31, 43 Monseer Fragmente 24 A. 87, 27 A. 103 Montage - bei Krolow 293 Motiv - Jedermann-Motiv 33, 47
- im 'Rusticus Imperans' 33 u. A. 8, 34 - vanitas-Motiv 46 Mon, Franz 291 Mühsam, Erich 202 Murner, Thomas 55 A. 44, 326 A. 1 Murray, John 375 Murbacher Hymnen 24 A. 86, A. 89 'Muspilli' 321 f. Mystik 297 Mythologie - Abneigung in der Gegenwartsliteratur 298 Goethes 61 - bei Benn 294 Nachahmung, imitatio 41, 72 Natur - und Mensch in der modernen Lyrik 300 - als Metapher des Menschen 295 - als Thema bei Seals field 105 f. Nestroy, Johann 97 Nietzsche, Friedrich 205, 207 f., 221, 290, 298 Neuplatonismus 7 f., 11 u. A. 22, 14 Neuromanisches - bei Krolow 293 Nohl, Herman 2 Notker der Deutsche 5, 14, 15 u. A. 37 f., 16-29 - 'Consolatio' - Ubersetzung 16-29 - Martianus-Capella-Übersetzung 21 u. A. 72, 25 u. A. 94, 28 u. A. 112 - Psalmenübersetzung 21 Nous 6, 21 Novalis 72, 295, 343-352 - Editionsprobleme 343-352 - »fragmentarisdier Denkstil« 349 u. A. 9 - Fremdzitate 349 f. - und F. Hemsterhuis 350 - Jugendwerk 347 A. 7 - Nachlaß 344 u. A. 4, 347 A. 7 - und Biotin 348 A. 8, 349 A. 10, 350 - und Friedrich Sòie gel 348 A. 8 - Werke: 'Allgemeines Brouillon' 349 f. Fichtestudien 351 A. 12 - - 'Vermischte Gedichte' 351 A. 12
384
Namen- und Sachregister
- - 'Geistliche Lieder' 345, 351 A. 12 'Hymnen an die Nacht' 343 u. A. 3 'Heinrich von Ofterdingen' 343-346, 351 u. A. 12 Textgestalt 345 f. Tiecks Eingriffe 345 f. 'Vermählung der Jahreszeiten' 346 Novelle - Gesprächsrahmen des Novellenkranzes 109 - klassische Novelle des 19. Jahrhunderts 100 - und Sealsfield 99 f. Nürnberger s. Pegnitzschäfer Oberlin, Urs 297 Objektivität - und Lyrik 289, 299 Offenbach, Jacques - 'Hoffmanns Erzählungen' 366 Olympiodoros 11 Op 301 Opitz, Martin - 'Schäfferey Von der Nimfen Hercinie' 338 Oppenheimer, Max (Mopp) 184-186 Otfried 20 u. A. 70, A. 71, 21 f., 24 A. 88, A. 89, 25 A. 91, 323 f., 365 - Editionsfragen 365 Overbeck, Friedrich 376 Pachinger, Anton 121, 132 Parmenides 6 Parodie - Selbstparodie bei Krolow 294 Pathos - fehlt bei Benn 299 Patristik 7 Pegnitzschäfer 331 u. A. 1, 334, 337 bis 339 - Einfluß auf Anton Ulrich von Braunschweig 337-339 Peripatos 7 f. Péguy, Charles 318 Pfeiffer, Johannes 1 f. Philosophie - Normannenphilosophie bei Sealsfield 100-104 - simplicitas in der antiken Philosophie 5-29
Photios 10 A. 20 Piontek, Heinz 291 Piaton 5-8, 11 - Werke: - - 'Gesetze' 7 A. 9 - - Thaidon' 6 A. 5 - - 'Staat' 5, 8 A. 11 'Symposion' 6 A. 5 - - 'Theaitetos' 8 A. 11 - - 'Timaios' 7, 8 A. 11, 11 A. 23 Platoniker, Piatonismus 8, 28 Plautus 41 Plotin 8 u. A. 11, A. 12, 9 A. 13, A. 14, 10 u. A. 17 - und Novalis 348 A. 8, 349 A. 10, 350 Plutarch 8, 9 A. 15, A. 16, 10 Poesie - »faktische« 115 - historische 61 - »konkrete« 298 - Lemurenpoesie bei Krolow 296 - Poesie der Seele 61 - und Unpoetisches 298 - und Wahrheit 302 Poethen, Johannes 291, 297 Poetik - humanistische 36 Politik und Theologie 108 f. Politisches in der modernen Lyrik 300, 302 Pop 301 Porphyrios 11 A. 23 Proklos 8, 9, A. 12-16, 10 u. A. 17, 11 A. 22 Prosa - arrangierte 295 - und Lyrik 292 f., 302 - lyrisch gehobene 295 - männliche bei Kleist 295 Providenz, Providentia, prospicere, pronoia 7 f., 9 u. A . 13, 10 u. A . 17,
12 u. A. 24, 15 A. 39, 16 A. 40, 17, 22-24, 26 - und Fortuna 53 A. 41 Protestantismus - liberaler bei Raabe 173 - im Osten 61 Prudentius 17 A. 50, 24 A. 83, 27 A. 101, A. 102
Namen- und Sachregister - poetischer 97 f. - selbstgenügsamer 110 Regnier, Henri de 314 Reichenau 322 Reim in der Gegenwartslyrik 302 Remigius von Auxerre 14 Renaissance 53, 322 - karlische 322 Restaurationsliteratur, deutsche 99 u. A. 15 Raabe, Wilhelm 157-174 Rhetorik und Dichtung im Barock 35 - Agnostizismus und Lebensvertrauen Riemer, Friedrich Wilhelm 348 A. 8 169, 173 Rhythmus - Begriffe: - daktylischer und elegischer bei Celan »Gnade« 161 u. A. 12, 162 u. A. 296 16, 163 f., 166, 168, 174 freier 294 - - »Säkulum« 160, 162, 164 f., 166 - hörbarer in der Lyrik 302 u. A. 24, 168 A. 26, 169 - in Hölderlins 'Hyperion' 295 - und das Christentum 160 f., 166, 173 - Leierrhythmus 299 - Frömmigkeit 165, 173 - auch in der Gegenwartslyrik 290 - Gläubigkeit 169 - schwebender bei Krolow 292 differenzierteste 174 Rilke, Rainer Maria 201, 293 u. A. 13, pantheistische 158 299 - Gottesbegriff 158 Rimbaud, Jean-Arthur 299 - und Gottesverhältnis seiner Erzähler Rinser, Luise 277 168 - homo religiosus 160, 163 f., 166, 168, Roman - Barockroman 331-342 172 f., 174 fehlende Grundlagenforschung 332 - indirekte Charakterisierung der Figu- Entwicklungsroman 111 ren 163 deutscher 117 - und Pietismus 'Parzival' kein Entwicklungsroman frömmelnder 162 327 säkularisierter 161 - Form 99, 164 A. 20 - und Protestantismus, liberaler 173 - historischer 115 - und Realismus, naturalistischer 171 - »Roman des Nebeneinander« (Gutz- Religiosität 157 u. A. 1, 163 f., kow) 116 166 f., 169 f., 174 - Rosenroman 44 A. 35, 328 A. 1 - Reserve, erzählerische 163 - Schäferroman 76, 337 - »Schein« und »Wirklichkeit« 173 - Schlüsselroman 337 - und Unsterblichkeitslehre, kirchliche - sentimentaler 181 173 f. - »sozialer Roman« (Sealsfield) 117 - Werke: - Typen des Romans bei Sealsfield - - 'Allershausen' 158, 164-169, 173 111 f., 114 'Meister Autor' 166 u. A. 24, 167, - »Volksroman« (Sealsfield) 116 171 f. Romantik, Romantiker 67, 298 - - 'Unruhige Gäste' 158-164, 166, - neuere Forschung 374 168 f., 173 f. - Ironie 362 Realismus - sachliche 290 - brutaler R. der Natur 293 - Wesen 358 - und Idealismus 62 Rousseau, Jean-Jacques 95 - naturalistischer 171 Publikum - delectare, delectatio 36 f., 42 - erudire 36, 42 - Erziehung des Lesers zur Demokratie bei Sealsfield 110 Pustkuchen, Johann Friedrich Wilhelm 58, 63, 66 f., 72-74, 80, 85-87, 92
386
Namen- und Sachregister
Sachs, Hans 64 Sachs, Nelly 291,296,299 Sack, Gustav 201-263 - Arbeitsweise 219 - Darstellungsweise 217 - und der Expressionismus 217, 219 - Formwille 221 - Klischees 220, 221 u. A. 42 - Komposition 217 - Originalität des Stoffes 220 - Personendarstellung 220 - Werke: - - 'Erwins Tod' 208 u. A. 22, 217 A. 35 - - 'Ein Namenloser* 201 f., 205 f., 208, 215 - - 'Olof* 208 A. 22 'Paralyse* ('Im Hochgebirge', 'Genie') 201-263, davon Text 223-263 - - 'Der Refraktair' 203 f., 213, 219 'Ein verbummelter Student' ('Der dunkelblaue Enzian*) 201 f., 204, 206, 208, 213, 215 A. 33, 220 Sack, Paula 201, 202 A. 10, 203 A. 15, 206 f., 209 A. 27, 210, 215 A. 33, 223 'Samanunga uuorto* 322 samohaft, samohafti 16, 17 A. 44, 26 bis 29 Satire 43 f., 46 - Fürstensatire in Masens 'Rusticus Imperans* 45, 53 Satyr spiel 114 Savigny, Freiherr Karl von 357, 360 u. A. 6 Schickele, René 313 f. Schiller, Friedrich von 64, 75, 289, 354 Schiller-Nationalmuseum 365 Schlegel, August Wilhelm 67 Schlegel, Dorothea 68, 92 Schlegel, Friedrich 3, 57-94 - über Goethe atheistisch 60 »gemeiner Dualismus« 61, 66 entspricht dem Geist der Zeit 74 flieht die katholische Wahrheit 61 fehlender Mittelpunkt 58 u. A. 5, 60 ein moderner Dichter 61 kein Naturdichter 62
seine Werke unmoralisch? 75-77 - über 'Wilhelm Meister* 72 über die Goethe-Kritik 74 f. Kritik als Artistik 59 und Novalis 348 A. 8, 349 als Herausgeber von Novalis' 'Schriften* 343 f. - Werke: 'Anzeige* der vier ersten Bände der Cottaischen Goethe-Ausgabe von 1808 57 u. A. 1, 92 'Geschichte der alten und neueren Litteratur* (Wiener Vorlesungen von 1812) 57, 58 A. 5, 64 'Ueber Goethes Meister* 57 u. A. 1 'Nachträglicher Zusatz vom ganzen Goethe in der jetzigen deutschen Litteratur: 1823* 57-94, davon Text 71-77 'Zur Poesie und Litteratur 1823' 58 A. 3 'Ueber das Studium der griechischen Poesie* 57, 93 f. Schleiermacher, Friedrich 63, 161 Schmied, Wieland 291 Schneider, Reinhold 279 Schocken, Salman 119 u. A. 1, 348 Scholastik 7 Scholl, Albert Arnold 297 Schönberg, Arnold 185 Schopenhauer, Arthur 167, 205, 368 Schottel(ius), Justus Georg 337 Sdiubarth, Karl Ernst 61, 63, 67, 74, 85, 87, 92 f. Schütz, Christian Gottfried 66 Schütz, Christian Wilhelm von 60 f., 67 Schütz, Friedrich Karl Julius 61, 66 Schwank 33 Scott, Walter 115 Sealsfield, Charles (Karl Posti) 95-118 - Amerika-Erlebnis 96 u. A. 5, 112 u. A. 56 - barocke Grundlagen 98 A. 9 - Form, politische 110 - Form und Stoff 98, 116 - politische Berichterstattung und dichterische Gestaltung 115 - Rolle des Gesprächs 108 f. - und Gutzkow 117 - sein Journalismus 98 f. -
Namen- und Sachregister -
und Österreich 96 f. sein Realismus 98 A. 9 Romantypen 111-114, 116 f. sein Stil 97 Werke: - 'Canondah' ('Tokeh or the White Rose') 98 - - 'Kajütenbuch' 95-110, 113 f. 'Der Legitime und die Republikaner' 109-111 'Morton oder die große Tour' 115 'Nathan der Squatter' 111 'Süden und Norden' 113 'Der Virey und die Aristokraten' 113 Seghers, Anna 284 Seuren, Günter 291, 295 Shakespeare, William 34, 38 A. 23, 55 A. 44, 66, 94, 315, 357 - 'Taming of the Shrew' 34 Sibylla Ursula von Braunschweig 333 bis 336, 338 - Autorin der 'Aramena'? 335 simplex y simplicitas
( divinae
Providen-
tia )y baplous 5 f., 8, 10-12, 15 u. A. 39, 16 u. A. 40, A. 41, 17-26, 28 f. slebty slihti
16, 17 A . 44, 21 u. A . 74,
23-26y 29 Snobismus bei Krolow 293 Soergel, Albert 201 u. A. 3 Spann-Rheinisch, Erika 269 Stadler, Ernst 311-319 - Arbeitsweise 318 f. - Mitarbeit an den 'Cahiers Alsaciens' 316 f. - Werke: - - 'Aufbruch' 311, 314, 318 'Freundinnen' 314 - - 'Präludien' 314 Stemma, - seine Brauchbarkeit 366 Sternheim, Karl 185 Stifter, Adalbert 97 u. A. 7, 98 A. 9, 119-155 - Prager Stifter-Archiv 120 - Werke: 'Brigitta' - Entwürfe 120-131, 132-155, davon Text 136-152 'Der beschriebene Tännling' 369 - - 'Haidedorf' 120 A. 4, 125
- - 'Mappe' 119, 125, 126 u. A. 17 - - 'Das alte Siegel' 124 - - 'Tandelmarkt' 125 u. A. 14 - - 'Der Tod der Erde' 120 f., 125 f. Stifter, Amalie 120 Stil - im Barockdrama ( stylus ) 36, 41 Sentenzen- und Metaphernstil 31
A. 2
- gehobener 290 - lyrischer und epischer 290 - Stilmischung im 'Parzival' 329 - Parlandostil 291, 294 - Sachstil 298 - bei Sealsfield 97 - und Wahrheit 290 Stoa, stoisch 7 f., 13 Stoff 3, 33 f., 36 f., 40, 95, 97 f., 99, 116, 217, 328 - und Form 98, 116 - und Handlung 36 - Mangel 40 - matière und sen ( Chrétien de Troyes) 328 - von Masens 'Rusticus Imperans' 33 u. A. 8, 34, 37 Storm, Theodor 368 Strindberg, August 184 'Der Stürmer' 313 f. Subjektivität in der modernen Lyrik 291, 300 Summarium Heinrici 23 A. 81 Surrealismus 290, 297 Symbol - barocker Existenz 49 - Symbolik bei Celan 296 - Dingsymbole bei Sealsfield 105 Tacitus 43 Tatian 23 A. 80, 321, 323 Taufgelöbnisse, altdeutsche 322 Tendenz - und Komik im Barockdrama 42 - bei Masen 42 u. A. 32 - des Ordensdramas 36 - poetische 98 - politische bei Sealsfield 108 f. Terenz 41, 43 A. 33 Text - Gedicht als Text 289, 299
Namen- und Sachregister
388
- »stochistische« Texte bei Kurt Leonhard 300 Thaies von Milet 6 Theologie - frühchristliche 305 - und Politik 108 f. Thomas von Aquin 15, 305 f. Tieck, Ludwig 72, 109, 343, 344 f., 349, 354 - Novalis-Edition 343 - Novellentechnik 109 Toman, Walter 291 Tragik, tragisch 50, 52 Tragödie, barocke 36 u. A. 18, 48, 52 Trakl, Georg 299, 370 Trivialliteratur 374 tumpheit im Tarzival' 326-330 Typisierung 98 Uhlmann, Joachim 291, 294, 394 - und Streckvers Jean Pauls 294 vanitas-Wloûv 46 Varnhagen von Ense, August 355 Varnhagen Rahel 355, 357 Vergil 3, 18, 23 Α. 80, Α. 81,. 24 Α. 84, Α. 85 verisimilitudoy
Veritas
s, Wahrheit
Verlaine, Paul 314 Vers - Streckvers Jean Pauls bei / . Uhlmann 294 konventionelle Versgestalt bei Christine Lavant 297 Verwey, Albert 200 Vischer, Friedrich Theodor 289 Vives, Ludovico 33 u. A. 10, 37 Volkslied 61 Vormärz - seine Literatur in barocker Tradition 97 Walahfried Strabus 321 Walzel, Oskar 201 u. A. 4 Wahrheit, Veritas , verisimilitudo
- im Barockdrama 51 f., 54 A. 42 - katholische 61 - und Poesie 302 - und Stil 290
37, 41, 42 A. 32,
Wanderbühnen 33 Wedekind, Frank 185 Werfel, Franz 185 Wernher der Gartenaere 44 A. 35 Wessobrunner Gebet 322 Weyrauch, Wolfgang 301 Wieland, Christoph Martin 76, 315, 357, 365-369 - Editionsfragen 365-369 Winckelmann, Johann Joachim 371 Winkler, Eugen Gottlob 2 Wirklichkeit, Realität 49 f., 53 - ästhetische und physikalische 301 - dichterische 2 - Dichtung als Wirklichkeit 2 - und Erlebnis 296 - kosmogonische und kosmologische 301 - Niedrigkeit der Realität 48 - »Wirklichkeit« und »Schein« bei Raabe 173 - das Schöne und das Wirkliche 290 Wittgenstein, Ludwig 291 Wolfram von Eschenbach 44 A. 35, 56 A. 45, 314, 325-330 - und Bernhard von Clairvaux 330 - 'Parzival' 56 A. 45, 325-330 diemuot 327, 329 Eschatologie 330 kein Entwicklungsroman 327 exegetische Interpretationsweise 328-330 Menschenbild 329 Psychologie 325 f. Roman oder Mär dien? 329 Sinnschichten 327-330 spiritueller Gehalt 326 u. A. 1 tumpheit 325-330 Wolken, Karl Alfred 291, 294 f. 'Des Knaben Wunderhorn' 289 Wyss, Dieter 291, 294 Zeit 4,47, 49,52,61 - und Dichtung 293, 298 - Diskontinuität der Zeit 49 - Gesetz der Zeit 76 - Zeitgeist 4 - Zeitkritik 43, 45 - Zeitsatire 45 zesamine 16 u. A. 44, 18 f., 22, 26 Zweig, Stefan 344