Literaturwissenschaftliches Jahrbuch: 14. Band (1973) [1 ed.] 9783428434206, 9783428034208

Das Literaturwissenschaftliche Jahrbuch wurde 1926 von Günther Müller gegründet. Beabsichtigt war, in dieser Publikation

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German Pages 485 [495] Year 1975

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Literaturwissenschaftliches Jahrbuch: 14. Band (1973) [1 ed.]
 9783428434206, 9783428034208

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LITERATURWISSENSCHAFTLICHES JAHRBUCH IM AUFTRAGE DER GÖRRES-GESELLSCHAFT HERAUSGEGEBEN VON HERMANN KUNISCH

NEUE FOLGE / VIERZEHNTER BAND

1973

DUNCKER & HUMBLOT · BERLIN

LITERATURWISSENSCHAFTLICHES JAHRBUCH I M AUFTRAGE DER GÖRRES-GESELLSCHAFT HERAUSGEGEBEN V O N PROF. DR. H E R M A N N

N E U E FOLGE / V I E R Z E H N T E R

KUNISCH

BAND

1973

Das ,Literaturwissenschaftliche Jahrbuch* w i r d i m Auftrage der Görres-Gesellschaft herausgegeben v o n Professor D r . H e r m a n n Kunisch, 8 München 19, Nürnberger Straße 63. Schriftleitung: D r . Günter N i g g l , 8 München 19, Löfftzstraße 1. Das ,Literaturwissenschaftliche Jahrbuch* erscheint als Jahresband jeweils i m U m fang v o n etwa 20 Bogen. Manuskripte sind an den Herausgeber zu senden. U n v e r langt eingesandte Beiträge können nur zurückgesandt werden, w e n n

Rückporto

beigelegt ist. Es w i r d dringend gebeten, die Manuskripte druckfertig, einseitig i n Maschinenschrift einzureichen. D e n Verfassern w i r d ein M e r k b l a t t für die t y p o graphische Gestaltung übermittelt. D i e Einhaltung der Vorschriften ist notwendig, damit eine einheitliche Ausstattung des ganzen Bandes gewährleistet ist. Besprechungsexemplare v o n Neuerscheinungen aus dem gesamten Gebiet der europäischen Literaturwissenschaft,

einschließlich Werkausgaben, werden

an die Adresse

der

Schriftleitung erbeten. Eine Gewähr für die Besprechung k a n n nicht übernommen werden. Verlag: Duncker

&

Humblot,

1 Berlin

41

(Steglitz), Dietrich-Schäfer-Weg

9

LITERATURWISSENSCHAFTLICHES JAHRBUCH VIERZEHNTER

BAND

Druckvorlage der v o n W . K r e i t e n veröffentlichten Briefe Brentanos an Räß i n dessen eigenhändiger Abschrift m i t Ergänzungen Kreitens: Brief N r . 3: Coblenz, 12. 2. 1827 (vgl. S. 270 f., Ζ . 1 - 35).

LITERATURWISSENSCHAFTLICHES JAHRBUCH I M AUFTRAGE DER GÖRRES-GESELLSCHAFT HERAUSGEGEBEN VON HERMANN

N E U E FOLGE / V I E R Z E H N T E R

KUNISCH

BAND

1973

D Ü N C K E R

&

H U M B L O T

/

B E R L I N

Sdiriftleitung: Wolfgang Frühwald und Giinter Niggl

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der photomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung für sämtliche Beiträge vorbehalten © 1975 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1975 bei Berliner Buchdruckerei Union GmbH., Berlin 61 Printed i n Germany I S B N 3 428 03420 1

INHALT

AUFSÄTZE

Erika Timm (Trier), Beria und Simra. Eine jiddische Erzählung des 16. Jahrhunderts

1

Albert Fuss (Würzburg), Racine, Pascal und die Methode Lucien Goldmanns

95

Uwe Ebel (Münster i. W.), Studien zur Rezeption der Edda in der Neuzeit . . 123 Terence Κ. Thayer Afterlife

(Bloomington,

Indiana), Klopstock

and the

Joseph Strelka (Albany, Ν . Y.), Goethes »Helena4

Literary 183 209

Konrad Feilcbenfeldt (München), Clemens Brentano an Andreas Räß. Die wiedergefundene Druckvorlage der von Wilhelm Kreiten 1878 publizierten Briefe und unbekannte Erstdrucke aus der Zeitschrift ,Der Katholik'. I. Räß* Abschrift der an ihn gerichteten Briefe Brentanos 237 Herbert Seidler (Wien), Grillparzer und Lenau

337

Hellmuth Himmel (Graz), Textstrukturierung durch Symbolik in Grillparzers Trauerspiel ,Des Meeres und der Liebe Wellen* 359 Alexander Ritter (Itzehoe), Bemerkungen zur Exilsituation Charles Sealsfields anläßlich wiedergefundener Brieftexte 395 Volker Kapp (Trier), Claudel und die Modernität

421

BUCHBERICHT U N D -BESPRECHUNGEN

Ansgar Hillach (Frankfurt a. M.), Expressionismus im Zeichen des „Lebens". Anmerkungen zu einer wirkungsästhetischen Studie von Gunter Martens . . 445 Paul Stöcklein, Literatur als Vergnügen und Erkenntnis. Essays zur Wissenschaft von der Sprache und Literatur. (Von Günter Niggl) 457 Georg Weerth. Werk und Wirkung. Herausgegeben von der Akademie der Wissenschaften der DDR, Zentralinstitut für Literaturgeschichte. (Von Wilhelm Große) 460 Alberto Destro , Le „Duineser Elegien" e la poesia di Rainer Maria Rilke. (Von Volker Kapp) 465

VI N A C H W E I S DER A B B I L D U N G E N Titelbild: Brief Clemens Brentanos an Andreas Räß, Coblenz, 12. Februar 1827. I n Räß' eigenhändiger Abschrift mit Ergänzungen Wilhelm Kreitens. I m Besitz des Bistumsarchivs Trier, Abt. 106, Nr. 70. Nach S. 4: Anfänge einer Handschrift und zweier Drucke der jiddischen Erzählung ,Beria und Simra': Anfang der Handschrift R. Im Besitz der Bayerischen Staatsbibliothek München, Cod. hebr. 100, fol. 67r (auf die Hälfte verkleinert); Anfang des Druckes V. Im Besitz der Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt a. M., Jud. Germ. 782 (um ein Fünftel vergrößert); Anfang des Druckes P 1 . Im Besitz der Bodleian Library Oxford, Opp. 8° 1100 (Originalgröße). Nach S. 332: Concordia. Eine Kirchenzeitung für Katholiken und Protestanten. Hrsg. von K . Kieser u. a. Nr. 3, 9. Januar 1828. Exemplar im Besitz der Zentralbibliothek Zürich. Allen genannten Archiven und Bibliotheken sind wir für die freundliche Erlaubnis der Wiedergabe der Handschriften und Drucke zu Dank verpflichtet.

BERIA U N D SIMRA Eine jiddische Erzählung des 16. Jahrhunderts 1 Herausgegeben und kommentiert von Erika Timm Die Erzählung von Beria und Simra ist nur in jiddischer Sprache und damit in hebräischer Schrift überliefert. Der älteste Textzeuge, eine Handschrift (R), stammt aus dem Jahre 1580; zwischen 1597 und 1732 folgen in der Form unscheinbarer Kleinoktavheftchen vier Drucke, von denen der erste (V) nur fragmentarisch erhalten ist und die übrigen (P 1 P 2 F) durch einzelne Exemplare vertreten sind. Im 19. Jh. widmete Moritz Steinschneider2 im Rahmen seiner bibliographischen Arbeit der Erzählung insgesamt zweieinhalb Druckseiten, die im wesentlichen eine Beschreibung von Textzeugen und eine Inhaltsangabe bieten; sie sind bis zum Jahre 19743 der einzige Beitrag zur Erforschung unserer Erzählung in deutscher Sprache geblieben. Auch in jiddischer Sprache ist von dem Werk erst sechzig Jahre nach Steinschneider die Rede4. Bei den Vorstudien für sein 1926 erschienenes Buch Wegn alt-jidischn roman un nowele s stieß Max Erik (1898 - 1937) zunächst auf die handschriftliche Fassung der Erzählung. Er erkannte darin sofort ein Meisterwerk und druckte sie in seinem Buch ab. Kurz vor dessen 1 Die Ausgabe, von der hier der Text und ein literaturhistorischer Kommentar vorgelegt werden, entstand im Rahmen eines von Walter Röll geleiteten und von der Deutschen Forschungsgemeinschaft unterstützten Projektes ,Edition und sprachliche Untersuchung älterer jiddischer Texte4 an der Universität Trier-Kaiserslautern. Von der Möglichkeit, mit W. Röll und W.-O. Dreeßen die großen und kleinen Probleme der Ausgabe zu besprechen, habe ich in den vergangenen beiden Jahren reichlich Gebrauch gemacht. Für eine Fülle von Anregungen mödite ich beiden an dieser Stelle herzlich danken. 2 M. Steinschneider, Jüdisch-Deutsche Literatur. I n : Serapeum 1848, S. 380; 1864, S. 72-74. 3 Die Darstellung von H . Dinse, Die Entwicklung des jiddischen Schrifttums im deutschen Sprachgebiet. Stuttgart 1974, widmet der Erzählung eine Seite, geht aber kaum über die Erkenntnisse von M. Erik (vgl. Anm. 5 und 6) hinaus. Vgl. audi unten Anm. 61. 4 N . Stif, Ditrich fun Bern. Jidischkait un weltlichkait in der altjidisdier literatur, in: Jidische Filologje 1 (1924), S. 1 - 1 1 , 112-122, bringt auf drei Seiten (118 - 120) eine Inhaltsangabe und einzelne Bemerkungen zur Quellenfrage. 5 Wilna 1926 (im folgenden: Nowele).

2

Erika Timm

Erscheinen gelangte er überdies in den Besitz des fragmentarischen Drucktextes von 1597 und konnte daraus noch Proben im Umfang von zwei Seiten mitteilen. Eriks Abdruck der Erzählung ist der einzige geblieben. Wie unzugänglich sein Buch heute ist, mag der Umstand zeigen, daß ich mir eine Photokopie davon aus New York beschaffen mußte. Ich teile Eriks Wertung der Erzählung und halte schon deshalb eine neue Ausgabe für wünschenswert. Dodi hat mich zu der vorliegenden Arbeit audi ein weiterer Umstand angeregt. Schon beim Auftauchen der zweiten Fassung war Erik zwar nicht in seiner ästhetischen Einschätzung, doch in seiner Auffassung von der Entstehung des Werkes unsicher geworden. Von der dritten Version, die durch die übrigen Drucke (P 1 P 2 F) vertreten ist, konnte er einen Repräsentanten erst in seiner Geschichte fun der jidischer literatur 6 mit wenigen Bemerkungen berücksichtigen. Er ist nicht mehr dazu gekommen, aus seiner lakonischen Mitteilung, der dritte Text biete gelegentlich die beste Lesart, Konsequenzen zu ziehen7. In der Tat hat jede der drei Fassungen ästhetisch und ideologisch eine so eigene Physiognomie und liefert zur Erforschung der Geschichte unseres Textes einen so wichtigen Beitrag, daß man keine von ihnen zum Grundtext einer Ausgabe erheben, geschweige denn alle drei zu einem „kritischen" Text verarbeiten könnte. Eine neue Ausgabe sollte also alle drei Versionen im Paralleldruck bieten. Schließlich wäre zu fragen, welchen Leserkreis heute eine in Deutschland erscheinende Ausgabe ansprechen kann. Auch während der letzten beiden Jahrzehnte hat in der Germanistik die literarische Problematik älterer jiddischer Texte geringere Beachtung gefunden als die sprachliche. Bei diesem Unterschied dürfte noch immer die Schriftschranke eine große Rolle spielen. Der Linguist kann nicht nur das Schriftsystem selbst zum Thema graphematischer Untersuchungen machen, sondern hat außerdem den Vorteil, seine Erkenntnisse an repräsentativen Textstücken erarbeiten zu können. Der literarisch Interessierte hingegen bedarf des Ganzheitseindrucks, wie ihn nur die flüssige Lektüre vermittelt. Ich verkenne keineswegs die konstitutive Funktion der hebräischen Schrift für die jüdische Kultur besonders der Diaspora. Aber ich glaube, daß heute im deutschen Sprachbereich auch ein Editionsverfahren seine Berechtigung hat, das durch Verwen• Warschau 1928 (im folgenden: Geschichte). 7 Nebenbei bemerkt, genügt Erik s Abdruck audi nicht ganz den Anforderungen, die heute an die buchstäbliche Verläßlichkeit einer Ausgabe zu stellen sind: außer einigen Lücken (darunter zwei Zeilensprüngen) habe ich etwa 150 kleine Ungenauigkeiten notiert, die meist auf dem Einfluß des Neuiiddischen beruhen; ein großer Teil davon kann allerdings zu Lasten des Druckers genen.

Beria und Simra dung der Lateinschrift ältere jiddische Texte einem größeren nahezubringen versucht.

3 Publikum

I d i lege meiner Edition im wesentlichen das Umschriftsystem zugrunde, das W. O. Dreeßen in Anlehnung an Vorstellungen von W. Röll für seine Ausgabe der Akêdass Jizhak 8 entwickelt hat und das folgende Vorteile in sich vereint: 1) Es ermöglicht die buchstabengetreue Rekonstruktion des Originals und genügt damit der Grundanforderung an eine wissenschaftliche Edition, nämlich für normale sprach- und literaturwissenschaftliche Fragestellungen dem Benutzer die Einsichtnahme in das Original zu ersparen (Rekonstruierbarkeitsprinzip). 2) Es erlaubt, mit einem Editionsgang auszukommen statt zum Beispiel Original (bzw. Transliteration) und Transkription parallel auszudrucken (Ökonomieprinzip). 3) Es bietet die Möglichkeit, über die Transkription hinaus den jeweiligen Lautstand, soweit er erschließbar ist, zu berücksichtigen (Interpretationsprinzip). 4) In den so gesetzten Grenzen strebt es bei der Auswahl der Transkriptionszeichen ein Maximum an Lesbarkeit für eine größtmögliche Leserschaft an, indem es deren orthographische Tradition berücksichtigt (Utilitätsprinzip). Ich habe dankbar die Gelegenheit wahrgenommen, den Textteil und den literarhistorischen Kommentar meiner Ausgabe bereits an dieser Stelle zu veröffentlichen. Der im engeren Sinne philologische Teil (also die detaillierte Beschreibung der Textzeugen und des Stemmas) sowie der sprachliche Kommentar (Untersuchung des Graphien- und Lautstandes, ausführliches Glossar) werden an anderer Stelle erscheinen. Um die Ausgabe in der hier vorliegenden Form benutzbar zu machen, füge idi — jeweils in knappster Form — eine Liste der Textzeugen, eine Transkriptionstabelle und ein Glossar vor allem der hebräischen und romanischen Elemente bei. Die in der Tabelle zum Vokalismus gegebenen mhd. Entsprechungen sind lediglich als zusätzliche Orientierungshilfe für Leser gedacht, die mit der Lektüre mhd. Texte vertraut sind. Ausführlich läßt sich die Transkription erst im sprachlichen Kommentar begründen, da sie neben den transliterativen ja interpretative Elemente enthält, die sich erst aus der Untersuchung des Graphien- und Lautstandes 8 W. O. Dreeßen, Akêdass Jizhak. Ein altjiddisches Gedicht über die Opferung Isaaks. Hamburg 1971 (Hamburger Beiträge zur Geschichte der deutschen Juden 2).

1*

Erika Timm

4

ergeben. Das gilt auch für das hebräische Element; es erscheint hier w o h l gemerkt i n der aschkenasischen Aussprache der Zeit um 1600, die sowohl von der heutigen aschkenasischen wie auch von der sephardischen (einschließlich der gelehrten und der I w r i t h - ) Aussprache beträchtlich abweicht. Es bleibt noch darauf hinzuweisen, daß aus technischen Gründen bei den Textzitaten i m Kommentar auf einige diakritische Zeichen verzichtet werden mußte. Die

Textzeugen

R : geschrieben 1580 (oder 1585?) v o n Isaak b. Juda Reutlingen; heute fol. 67 - 73 des Cod. hebr. 100 der Bayer. Staatsbibliothek München; V : gedruckt 1597 durch Jakob b. Gerson Bäk bei di Gara i n Venedig (Verlagsort Prag); fragmentarisch (jeweils nur die erste Lage): 1) Stadtund Universitätsbibliothek Frankfurt, Jud. Germ. 782; 2) Bodleian Library O x f o r d , Heb. e. 116 (14), früher Heb. e. 203 (1); 3) N a t i o n a l und Universitätsbibliothek Jerusalem, Sammlung Mehlmann; P 1 : anonym gedruckt i n Prag [ 1 6 2 0 - 6 0 , eher zu Anfang raums]; Bodl. Libr. Oxford, O p p . 8° 1100;

dieses Zeit-

P 2 : gedruckt von Jakob Bäks Söhnen i n Prag [ 1 6 2 0 - 6 0 ] ; Oxford, O p p . 8° 1058 (12);

Bodl.

Libr.

(Oder); London, British Museum,

1979

F: gedruckt 1732 in Frankfurt c. 11;

I m folgenden Paralleldruck erscheint jeweils links der Text von R, rechts der Text von P 1 , auf den unteren Teilen beider Seiten der Text von V . P 1 und P 2 stimmen i m Seiten- und Zeilenspiegel überein und sind offensichtlich aus demselben Typenvorrat gesetzt; P 1 ist w o h l ebenfalls Jakob Bäks Söhnen zuzuweisen. F bietet einen (vor allem lautlich) modernisierten P-Text. P 2 und F wurden durchgehend verglichen, docli bestand nur vereinzelt Veranlassung, aus ihnen P 1 zu korrigieren (s. Lesartenverzeichnis). Für die Beschaffung der Kopien und für freundliche Auskünfte danke ich den Bibliotheken in Oxford, London, Jerusalem, München und Frankfurt.

Bcria und Simra: A n f a n g von R (Bayerische Staatsbibliothek München, Cod. hebr. 100, fol. 67' ; auf die H ä l f t e verkleinert).

Beria u n d Simra: A n f a n g v o n V ( S t a d t - u n d Universitätsbibliothek F r a n k f u r t a. M . , Jud. Germ. 782; u m ein F ü n f t e l vergrößert).

Beria u n d Simra: A n f a n g v o n P 1 (Bodleian L i b r a r y O x f o r d , O p p . 80 1100; Originalgröße).

Beria und Simra

5

Transkriptionszeichen

Normale Entsprechung i m M h d . a

H

à au

Ρ

Aleph

1

ohne Entsprechung

j

Doppelwaw i n R

1

Waw-Jod i n VP

J

mhd. ä (gelegentlich für monophthongiertes m h d . ei u n d ou) mhd. ou

1 ai

»

Doppeljod

c

Beth Kaph (nur i n hebr.-aram.

ch 1 . 5 d η

Wörtern) raphiertes b z w . finales Kaph Daleth

b

e

3?

ê

*

ê

mhd. ei (auch

für

entrundetes

m h d . öu)

Ajin

m h d . äf ë, ae; mhd. e in gedeckter Stellung; teilweise mhd. ë vor r; i n VP auch für entrundetes m h d . ö (und ö vor r)

Zere-Jod

mhd. e

Jod

m h d . e i n freier Stellung u n d mhd. ë sowie entrund. m h d . ö i n

i n freier Stellung

und

m h d . ê in R

VP; m h d . Indifferenz vokal i n RVP

ohne Entsprechung

è

m d . Indifferenzvokal; i nhhebr.-aram. Wörtern der Schwa-mobile-Laut

e

Π

He

vereinzelt für Flexions-^ i n VP

ei

»

Doppeljod

m h d . ι (in VP auch für entrundetes m h d . tu)

6

Erika T i m m 1 ,D 3 Π Π

raphiertes bzw. finales Pe Gimel He Hethi(nur i n hebr.-aram. Wörtern) mhd. i u n d ie (auch für entrundetes m h d . ii/iie)

'

Jod

j k 1

?

Jod Koph Lamed

m

D,»

*

nicht-finales bzw. finales Mem nicht-finales bzw. finales N u n

η

ό

κ Aleph 1 Waw

ö

?ì Waw-Jod

ou

Ί

Waw-Jod

mhd. ü

Ί

Waw-Jod Waw-Doppeljod

mhd. iu

ο

l f

D Pe D nicht-finales Pe m i t Raphe 1

Res

Τ vor Vokalen: Sajin E? vor Kons, und final: Sin (ohne diakrit. Punkt) Τ Sajin (vor Kons, und final) W Sin (ohne diakrit. P u n k t ; i n hebr.-aram. Wörtern) 0

Samech

W Sin (ohne diakrit. Punkt) A

Thaw (nur i n hebr.-aram. Wörtern)

V

Sin (ohne diakrit. Punkt; vor Vokalen)

0

Teth

mhd. a; o, ö

mhd. ö, ö

7

Beria u n d Simra th

Π

u

1

Thaw (nur i n hebr.-aram. Wörtern) mhd. u/uo

Waw i m Wortstamm jüd-: Kibbuz- Waw

ü

i m übrigen Waw-Jod

ν

Ì

Waw

ν

5

raphiertes Beth

w

11

ζ

γ ,S X

mhd. ü/üe

Doppelwaw nicht-finales bzw. finales Zade A l e p h (im Hiat und final)

ohne Lautwert

E i n unbezeichnet bleibendes Aleph steht ferner immer: 1 ) i m vokalischen Wortanlaut (außer vor Aleph u n d A j i n ) 2) zwischen Doppelwaw u n d Waw. Nicht wiedergegeben ist ferner der diakritische Strich, der immer über dem Wort " G o t t " erscheint, wenn dieses m i t Waw statt m i t Aleph geschrieben w i r d (so immer i n P, mehrfach in V ) . E i n Punkt unter einem V o k a l i m deutschen Element zeigt die (dort nur sporadisch auftretende)

Punktation an; vgl. dazu jeweils den Lesarten-

apparat. Die hebr.-aram. Wörter erscheinen i n V und Ρ unpunktiert, in R m i t einer Punktation, die i n mehrfacher Hinsicht von der masoretischen Orthographie abweicht. I n der vorliegenden Ausgabe sind (auch für die unpunktierten Texte) die Vokale der zu erschließenden Aussprache der Redaktoren eingesetzt; i m einzelnen muß die Rechtfertigung dieses Verfahrens dem sprachlichen Kommentar vorbehalten bleiben. Der Abkürzungsstrich v erscheint, w o die Abkürzung eindeutig auflösbar ist, nur i m Lesartenapparat. Lediglich bei " u n d " ist er jeweils in den Text übernommen, da Ρ ihn unregelmäßig setzt; auch w o er i n Ρ fehlt, steht jedoch nicht-finales Nun. Die Apices über R 440f. finden sich i n dieser Form i m Original; vgl. zu der Stelle den literarischen Kommentar Kap. V , 7. Bindestriche sind als Lesehilfe hinzugesetzt; die Originale haben Getrenntschreibung. Die Zeichensetzung ist die des Herausgebers. Ρ verwendet keine Satzzeichen, V nur gelegentlich bei größeren Sinnabschnitten einen Punkt in mittlerer Zeüenhöhe, R dasselbe Zeichen bei kleineren Sinnabschnitten, bei größeren hingegen den Doppelpunkt.

8

Erika T i m m Text

5

10

R

Maèfie is géschehèn! Ainè his Béria, l u t ainèr his / Simra. - Ainèr his Hurkènis, der am / nefièn bei* dem melech war, uir war gàr wol gèhàltén untèr / den jiidèn un^ ain vürst untèr dem volk. Un s Simra, / sun Tovass, war gàr schön un x ain grófièr hacham uirain lernèr; / un^der melech hàt in libèr den al sein dinèr. Un^er war / ôbèrstèr an des kûnigès hòf. Un v er his in Simra nòch seinum / eltèr-vatèr. Un^der kiinig màcht in richtèr libèr al sein / volk Jisroel, zu lernèn si* thòra. Un x der melech gàb im ain / hous bei* seinum schlòs zu Jèrusolajim uirbei' housèr der cohènim; / wen er war ain richtér libèr al Jisroel drei'-mól im jor, / wen si* uf gingèn im jor zum regel uiralè tàg kamèn zu / génehèn òpfèr. U n s z u ainum ros haSona sas der melech uf / seinum stul, unx seinè kindèr

15

stundèn vür im. Do kam / ain vrau' mit zwên iré sunén vàr in urrhàtèn ain zànk vun / wegèn ainèr jèrusa, di' in ir vatér gèlófièn hot. Der ain / hàt zwai' haibtér unv rêdét mit zwai* môulèr un bègert / zwai* hèlokim; den es wer seinèr zwên. Do sàgt der / kiinig zu seinè zwên siinèn Tuvass uw Simra: „Tüt

20

ir géricht! / Wil sehèn, wi' weit ir dàs urtail sprechèn." Do entwèrtèn / si': „Gènedigèr her vatèr un% kiinig, mir welèn es gern tun." / Do kam der mit den zwai'èn kôpfèn vàr si', unv Tuvass wust / nit, wi* er sòlt ain urtail gebèn. Urr Simra his im hais / wàfièr gebèn in ain kànt. Dàs géschàch. Do gôs màn

25

im dàs hais / wàfièr ûbér dàs ain haibèt, do schri* dàs andèr haibèt. Do / sàgt Simra: „Warum schreistu? Hàb ich dir doch niks gètòn - / so sich ich auch wol, dàs du ain leip bist! Màn sòl dir auch / ain helek gebèn." Do làcht der künig uns al sein volk des / urtail vun Simra.

30

Ahèrê hadèvorim hoele, do sach / der köslich Simra di' schön Bèria, tòchtèr Pêgin. Un v si' / wâs ser demütig unvgàr vrum. Un N si' gèvil im gàr / wol. Un x auch di' junk-vrau* hàt in auch gàr lip; den si / hòrt, dàs er ain thalmid hoc ham un x vrum was. Un* si* gèlust / in in irèm herzèn.

35

Un x es wàs ainum tàg, do / màcht der Pigin ain âèuda mrprai'èt Tuvass uir Simra. / Do vrai'èt sich Simra ser zu der zeit, dàs màn efièn sôlt. / Do sàgt er: „Izundèr wil ich mein herz èntplekèn gêgèn der jung-/vrau'èn."

Text

V

Es gèschach ain maèfie in / Jèrusolajim an ainèm osir, / der his Tovass, uns 5

er war / Hiirkèns sun. Dèr selbig / osir war ain mechtigèr / her. Er hat ain jungèn sun, der war achzèhèn jor alt. / Er war gar fein fun haibt un^hor, unx màn géfand / nit sein gleichèn; unNer war wol ains mit dem melech / sun fun

Beria und Simra Text

9

Ρ1

£s war in tegén Hurkèns. War ain her am / nestén bei* den melech un^war gar wol I gèhàltèn untèr den judén, ain first untèr den volk, / un der his 5

Simra. U n Simra, der hat ain sun, / der his Tóvass. U n Tóvass hat ain sun, der war / hipsch un weis un kônt wôl lernén, un der melech / hat in libér den alè seinè knecht un màchèt in zum / èbèrstén ibèr al sein kinigreich. U n er

10

his in / Simra noch sein eltér-fatér. U n der kinig machét J in richtèr ibèr sein lànd Jisroel, zu lernén si* recht / thòra. U n der kinig gab im sein hous zu Jèrusolajim / bei* den cohènim heisér; den er war richtèr ibèr / col Jisroel drei'-mol im jor, wen si* komèn zu den / règolim, un alè tag kam ain tail fun

15

20

25

30

si' zu / gènehèn ópfèr. Un^ an ainèm roS hasona sas der / melech ouf seinèm stul, un sein dinèr stundén um in / hèrum. Do kam ain vrau* mit zwai' irè sin, zu fer-/ainèn si* fun der jèrusa wegén, di' ir fatèr / gélofién hat. Den der ain sun, der hat zwai' / haiptèr uh wolt habèn zwai 9 tail. Er sprach, seinèr / werèn zwai\ Do Sprach der kinig zu Tóvass un zu / seinèm sun zu tun gèricht. Si* entwèrtèn: „Mir welèn es / tun." Do hifién si* den mit den zwai' kepf var sich / brengèn, un do in Tóvass sach, do wust er nit, / wi' er di' sàch richtèn soit. Do sagt Simra, sein sun: / „Brengt mir ain hais wàfièr!" U n si* brochtèn im / das wafiér, un er nam das wàfièr un schitèt im / das wàfièr ibèr ain kopf. Asô waint er mit baidè / kepf. Dò sagt Simra: „Warum schreistu? Hab ich doch / nit ouf dich gègofièn! Màn sol dir nischt mén gebèn as / den andèrèn." Do làchèt dèr kinig un^al sein folk dèr / weishaid fun Simra. Un^noch der dosègèn sach, do / sach Simra tochtèr Figèn, mrsi* his Bèria.

35

Si war / schèn ser unx ain zadekess. Un N es war an ainèm tag, / do sach Simra dorch das fenstèr un sach si*; so / gèfil si im wôl. Un^di* junk-frau* hat in auch / holt; wen si' hört, dàs er wôl lernén kont u n v / ser klug wer. Un^si* gélust im in irèn herzén, / un er gélust si' auch in seinèm herzén.

40

Es war / an einém tôg, do betét Figèn, der jungè-frau* fatér, / den Tôvuss uns sein sun Simra mit im zu efièn bei* / dèr nàcht. Do frai'èt sich Simra ser un gèdocht zu / der zeit, dàs men efièn solt. Do gédocht Simra: „Nun / wil ich antplekén mein herz kégén ir."

10

Jèrusolajim. Der selbig hat auch ain sun fun / achzehèn jorèn, mr di' zwai' jungén hàtén sich sèr holt / mit anàndèr as zwai' briidér. Auch war zu Jèrusolajim / ain cohen godòl, der war ain grófièr her in der / thòra. Er his Assalja. Er hat ain tochtèr mit / maèfiim tòvim, dàs màn gèfind

15

nit ir gleichèn, un N Simri / un s di* bèssula hàtén sich lib mit anàndèr, dàs ains / kenét nit lebén on den andérén mit zichtén un^mit / erén.

10

40

45

50

Erika T i m m

Do si' n u n kamèn i n des herén cohen hagodôl hou s, do war / bèrait ain gàr kosliché sèuda. U n x e r bèrait den tisch m i t v i l / hiipschè celim, d i ' si' ni* aso hiipsché bei* kainum menschèn gésehén hàtèn, / un* d i ' löut vèr-wundèrtèn sich ser daràn. Do spràch er: „Dàs sind / nit hiipsché celim; ich hàb si* noch vil schonér zu hefez," un*vurt / si* - den melech u i r Tuvass un*Simra - m i t i m i n ain heder. / D o wis er inèn d i ' schön tóchtér: d i ' war d i ' iniklich schön / mensch', dàs n i ' kainér m i t augén gésehén hàt. Ir schónhait is nit / zu schreibén; dàrum mus ichs lòfién bleibén. U i r d e r Simra sach / si' gàr ebèn an un x k u n t si* nit gênug sehén un s dèr-schràk vun / wegén der libén, dàs er vèr-bleicht. Un* d i ' löut sahén es / w o l an im un x làchtén sein, abèr si' schwigèn stil dàr-zu; aso / gingèn si* widér vun i m i n d i ' andér stub un x ènschlifén, aso / trunkén warén s i \

Abèr der Simra, der schlif nit un*gèdòcht, / wi* er zu der schön tochtèr welt gên - un* sôlt es i m sein leip / kóstén - un* ging aso m i t vrei'um m u t zu ir 55

i n dàs / heder, do si* inén war. As er d i ' tür uf-tet un si* sach / i n kumén, do stànd si* uf gêgén i m un* éntpfing i n gàr / liplich un* schon. Un* er dankt ir ziichtiglich widèr, un* si* / vurt i n bei' der hànd, un*seztén sich nêbèn anàndèr nidér. Do / hub er an un*spràch: „ I c h het étwàs m i t öuch zu rêdèn i n alum /

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ziichtén un* êrén. W i l öuch dàr-bei' gèbetèn hàbén: weit m i r nit / vàr iibèl hàbén." Do sàgt si': „ L i b è r Simra, rêd wàs du w i l t , ich / w i l dirs nit iibèl hàbén." Do sàgt er: „ S i n t m ò l dàs ich öuch / an-gésehén hàb, so b i n ich m i t sôlchér libè bèstrikt, dàs ich / kain ru* hàb; un* p i t öuch, ir w e l t m i r vérhaifìèn, m i c h zu ainum / màn nemén, so w i l ichs bei* meinum her vatèr zu

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wegén brengén, / dàs er m i t ôuerém vàtér rêdèt, dàs er sein w i l é n dàrein gibt. / Ich w i l màchén, das es m i t grófièr erén zu gêt." Do sàgt si': / „ L i b è r her Simra, ir het mich nit aso gern - noch vil libèr / hàb ich öuch. Ich kan öuch nit dér-zêlèn d i ' lip, d i ' ich zu öuch / hàb. Wen es vun got jissborech bèschert

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sòl sein, so welèn m i r / d i sach w o l zu wegèn brengèn."

Aso schidèn si* baid vun anàndèr m i t / vrôlichèm m u t . Un* Simra kam widér zu den lôutèn un* steh / sich, as wen er kain wàfièr bètrûbt het un* wer èntschlófén v u n / wegén der trunkhait. Aso nàmèn d i ' gêst widèr urlàb un*/ zugén ain itlichér widér haim m i t solòm. 75

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Do Simra haim / kam, nam er sich ain krànkhait an, w o l t wedèr efièn noch trinkén / nòch schlófén u n x w a r gàr trourig. Do sàgt sein vatèr: „ L i b è r sun, sàg I m i r , warum bistu aso trourig? Sàg m i r , wàs ist dein an-/ligén? " Do sàgt er: „ L i b è r her vatèr, ich mus dir sàgén: sintmol / dàs ich des cohen godòl tóchtér hàb gésehén, do b i n ich m i t sôlchér / libschàft gêgèn ir vér-strikt, w u

Beria und Simra 45

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U n si' / komén in das herén hous; Figén, der war ain cohen / godôl. Er macht in un fil leitén ain sèuda. Do si' / nun ofién, do stelt er asô hipsché klainé unsgròfièn

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/ celim ouf den tisch, dàs si* al sagtèn, si* hetén al / ir tag

nit schenér gésehén. Do nun idérman gefièn / hat, dò sagt er zu den leitén: „Hat ir schenèré hafozim / gésehén? " Do sagtén si': „Nain." Do sprach er: „Stèt ouf I un gét mit mir — der melech un Tôvuss un Simra, sein / sun, auch —, so wil ich eich weisén noch ain grefiér hefez." / Aso gingén si* al mit

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im; do firt er si* in ain / stiblein. Do hat er fér-schlosèn di' schén maid, di' / ni' kain man gésehén hat odér ni' sehén wert. Do / sagt der cohen: „Secht ir das hefez? Gefeit es eich? " / Do sagtén si', al ir tag hetén si' nit kain schenér

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/ mensch gésehén. U n as si' Simra an-sach, do der-/schrak er, dàs er nit kont rédén, un war bleich. Ο ι / si* sochén das als wòl un lachtén un schwaigén stil, / do si' nun widér arous gingén in di' stub, un worén / al trunkén, dàs si' antschlifén.

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U n do Simra das sach, / do ging er zu der maid. U n do er das stiblein / ouf-tet, do stund si* ouf un sprach: „Gòt wil-/kum, libér Simra!" U n er dànkt ir, un er sezt sich / zu ir nidér un sprach: „Libe maid, ich wil epès mit / eich rédén, das solt ir mir nit fàr ibél habén, / do bit ich eich." U n si* sprach: „Libér Simra, réd / was du* wilst, ich wil nit zirnén." Do sprach er: / „Libe maid, welt ir mich nemén, so wil ich mein fatèr / bitén, dàs er mit eierém fatér ret. Do gét es / mit erén zu." Do sprach si': „Libér Simra, ir het mich / gern - noch fil libér het ich eich."

Asô* ging er fun / ir urging widér zu di' andèrè leitén. Do gingén di' / leit al widér awek, di' er gèbrait hat, der cohen / godól, un dànktén im sèr.

Simra war trou'érég un*/ wolt widér eßen noch trinkén noch schlofén. Do 80

sprach / zu im sein fatér: „Simra, wi' bistu asô trou'érég? Was / gèbrecht dir? " Do sprach er: „Libér fatér, ich mus / mich kégén dir fér-schemén urc (Fortsetzung

von Vs. folgende

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Erika T i m m

si* mir nit zu tail wirt, so / mus ich sterbèn vàr grófiér lip'. Der-hàlbèn, libér her vatér, rêd / mit dem cohen hagodól, dàs er mir si* zum weip' gibt." Do / sàgt sein vatér Tóvass: „Lib sun, schweig stil un N màch dich un s mich / nit 85

bèherpa. Ich bin mich nit tòe: er is sich zu mir nit misshathen. / Der-hàlbèn volig mir un x sez dein dea dàr-vun." Do sàgt / Simra: „Libér vatér, so wil ich dir den sód maèmin sein. So wirstu / hôrèn - dàs ich nit bèherpa wert - wàs sich zu-gètràgèn hot. Do / uns der cohen hagodól zu gàst gèhet hòt, un x andèr löut / hàbén géschlófén, do bin ich haimlich zu ir kumèn in alèn ziichtèn un*

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/ erén; do hàbén mir baid anàndér di' ê géhaifièn wrvèr-spróchén." / Do hórt Tóvass wol, wi* di' sach ain gèstàlt het, un sàgt nun: / „Libér sun, so géhàb dich wol, ich wil mein hail vér-suchèn." Aso / ging Tóvass vun seinum sun Simra un^ging zu vir manèn, di' / bestèn in der stàt, uns sàgt in seinés suns an-ligén un x / béger uir bàt si*, si* sóltén mit dem cohen hagodól rêdèn, dàs / er sein wilén dàr-zu gibt, unsvér-his in ain gut sadchóniss. / Do sàgtén di' vir manén: „Sei* du uit dein sun gètrôst, dàs wêlèn / mir wol zu wegèn brengén; is uns auch kain zweivèl nit. / Gè* mrrüst öuch nur zu der broùlèft." Do sàgt Tóvass: / „Es is noch zu bàld, zu der brôùléft zu riistén. Ich hàb noch / zeit genug. Vregt in var." Di* vir parnosim gingén zu dem / cohen hagodól mrhiltèn im Tóvass unN Simra bèger vür: / er sólt sich zu im misshathen sein; er weit seinum sun gros momòn / gebèn. Do làcht Pigin, der cohen godól, u n sàgt: „Libè parnosim / uir gutén vröund! Ich wais wol, dàs der Simra der schônèst / un v der klugèst knab ist in dem lànd un^ reich. Abèr / mein tóchtér im zu gebén, das géschicht nit in kain weg, ich / welt si' ê dér-trenkén. Izundèr hàt ir mein béschaid un* zieht / hin lèhajim ulèsolóm!" Aso gingén di vir parnosim widér zu Tóvass / unx sàgtén im den béschaid. Do sàgt Tóvass: „Hàb ichs doch vàr / gésàgt! Ir wolt, ich sólt den kiibèl vàr der ku' kafèn; izundèr / is es mir ain schànd, dàs ich an-gèhóbèn hàb."

Do Sprach Simri: „Solt mir das cohen godól tochtér / nit werén, do must ich stàrbén", mr sprach: „Libér fatèr, / ich bit dich, rèd mit den cohen, dàs 20

er mir sein tochtér / sol gebén." Do sprach der fatér: „Werlich, ich bin mich / nit toe: ich wais wol, dàs sich der cohen godól nit / misshathen is zu mir. Abér wilstu es mir nit glabén, / do wil ichs denóchtér rédén losén." Do sant er noch fir / manén, di' bestén in Jérusolajim, un x bat si', dàs si* /

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mit den cohen godól soltén rédén, dàs er sein tochtér / Simri geb zu ainém

Beria u n d Simra

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mus dir sagén: di tóchtér, / di' der cohen godól hot, wen si' mir nit wert, so / mus ich sterbén. Dàrum bit ich dich, dàs du* mit Figén, / dem cohen godól, 85

rets, dàs,er mir si* gibt." Do / sagt Tôvuss zu Simra: „Libér sun, ich mag mir selbèrt / di' schànd nit an-tun. Den ich wais wôl, dàs ich nit / asò frum bin, dàs sich der cohen godôl zu mir gibt. / Wilstu mir folgèn, so schweig stil."

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Do entfért im / Simra: „Mein libér fatér, ich gèfal ir wôl, un* fer / làngén zeitén habén mir mit anàndér géret un^gèlôbt / unsér trei', dàs kains nimént nemén sol den mir / zwai', un* ich hab si' gar lib."

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U n do fér-nam / Tôvass sein fatér di réd un sprach: „Wilstu andérs / nit, so wil ich es fér-suchén losén." Er schikt noch fir / di bestén untér den kohal un sagt in, wi' Simra / gern het den cohen godôl tochtèr. Do sagtén si': „Gét, / bérait zu der breiléft; wen mir wifièn wôl, dàs er / ain wort nit der-widèr ret." Do sagt Tôvass: „Nain, / ir libe kindér, ich hab zeit génuk, wen er jô* sogt; / ich wais wôl, dàs ers nit tut."

Di' parnosim gingén / al zu dem cohen godôl un botèn im umdi'sàch un / rédétén mit Figèn unN botèn in, dàs er sein tochtèr / Simra soit gebén, sun Tôvass; er wolt seinén sun gros / mom on gebén. Do làcht Figén, dér cohen 105

godôl, un sagt: ,|Libén / kindér! Ich wais wôl, dàs Simra ist der hipscht / knab, den ich wais lebèn in dér welt. Abèr ich wil / mich nit zu Tôvass gebén; ich wolt mein tochtèr é dér-/trenkén." Si gingén un sagtén es Tôvass. Do sagt Tôvass: / „Ich hab es doch far ach

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wôl géwist! Nun ist mein / schànd antplekt."

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weib. Di' fir parnosim Sprochèn: / „Mir welén gén" un*gingén zu dem cohen godôl un* légtèn / ims fir, wi' Simri wolt gern sein tàchtèr habén un* / ôb er im si* wolt gebén. Do Sprach der cohen godôl / mrlacht gar sér: „Es is wor, Simri is ain feinér / jung mit alén sachén. Noch denôchtér wil ich mich nit zu I Tovass misshathen sein."

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far wol / géwist! Nun, libér sun, los es ous deiném sin. Wen du* / wilst aine

Si' gingén ain-wek un* sagtén zu / Tovass. Do sprach Tovass: „Hab ichs nit

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Di' pótschàft kam / zu Simra. Wem war wê'ér den im! Sein herz wolt im 115

zur-/springèn vàr zoróss. Do sàgt sein vàtér: „Schweig Stil, mein libér / sun, ich wil dir wol ain andéré gebén, umzwenzig tousént / gülden dàr-zu." Abér Simra wolt nit gètrôst sein um sàgt: / „Wen mir di' schön tochtér nit werd, so mus ich sterbén vàr laid." /

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Do Simra sach, dàs er durch sein vatér um durch den / vir parnosim niks kunt ous-richtèn, do zóch er zu dem melech / un sàgt im sein an-ligén - den er war dem melech gàr lip* - um / pàt in, er sólt mit dem cohen hagodól rêdén, dàs er im di' / tochtér geb zum w e i p \ Do sàgt er: „Ich wil es gern tun," / umschikt noch dem cohen hagodól urcsàgt zu im: „Ich wil dich / um ain sach pitèn, du* weist mirs nit ab-schlàgén, un- gib / dein tochtér Béria Simra zu ainum w e i p \ " Do dèr-schràk der / cohen hagodól ser un^ spràch: „Libér her künig! weit ir mirs rótèn, / dàs ich mich sólt zu ainum nidèrèn gèschlecht gebén den ich bin? / Alè jiidèn werén meinér spótèn. Ich kan es nit in mir vindén um/ wil es auch nit tun. Wil öuer kiiniglichèn màjéstót tun, wàs / im lib ist." Do sàgt der künig: "Wil dich nit nôtén." Aso zóg / er dàr-vun. Un- Tóvass uns Simra kamén zum melech um / woltén ain gutèn béschaid ber im hólén. Abér es war niks / ir bégerung; do sàgt der künig, wàs im der cohen hagodól / vàr ain thèsuva gebén hàt. „Der-hàlbèn, mein libér Simra,

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Stê' vun / deinum bèger. Es géschicht nit - hêb an, wàs du wilst." Do / wartét Simra, bis dàs màn in di' schul ging; do ging er / in dàs cohen hagodól hous. As-bàld si* in der-sach, lis si* in ein / unv èntpfing in. Un* er hub an zu wainén. Do sàgt si': „Warum / wainéstu? " Do sàgt er: „Darum, dàs dein vatér dich mir nit wil gebèn / zum w e i p \ " Do hub si' auch an zu wainèn um sàgt: „Dàs got der-/bàrèm!" Do sàgt Simra: „Herz-libè tröu f , ich wil dich um ain bit / pitén, dàs du mir si* gèwerst." Do sàgt si': „Pit, wàs du wilst, du' / sólst géwert sein; ich wais wol, dàs du mir niks zu-mutst, dàs / sünd' um schànd* is." Do sàgt er: „So bit ich dich, dàs du kain andèr / màn nemst den mich; so wil ich dir vér-haifién, kain andèr weip* / zu nemén den dich." Do spràch si': „Ich wil es gern tun." Aso gélòbtèn / si* an anàndèr. Do lis Simra

nemén, ich wil dir gebén zu ainém weib / hundért tousént gildén." Do sprach Simri: „Ich wils gern / losén ous meiném sin." Denôch ging er zu seinér Béria, as / idèrmàn in der schul war. Un v do si* in 40

sach her-gén, / do war si* gar fró* urnlis in wil-kum sein. U n N / er hub ouf sein augén un x waint gar ser um sagt / ir, wi' ir fatér im si* nit wolt gebén. Do war / si' wainén um sprach: „Gót jissborech sol sich dér-barmén!" Do / sagt Simri

Beria und Simra

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U n sagt zu Simra: „Libèr sun, los si' / ous deinèm sin, den was du* wilst ain weib nemèn, / so wil ich dir zwânzig tousént gildén der-zu gebén." / Do sagt er: „Libèr fatér, ich welt si* gern ous / meiném sin schlagén, abèr wert 115

si' mir nit, so mus ich / sterbén." Do ging Tóvass un der-zélt den melech di' / réd un bat in, zu rédén mit den cohen godól. Do sagt / der melech: „Ich wil es ton," un s schikt noch Figén um / sprach: „Ain sàch wil ich dich bitèn, du* solst mirs / nit fer-sagèn,

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un*gib dein tochtèr Béria zu Simra, / sun Tóvass." Do zirnt Figén der cohen godól gar ser un* / sagt: „Warum seit ich es tun? Ir seit mir widèr-/rotén, dàs ich mich seit gebén in ain mispoha, di' / schofélér is as ich; un-alè jidén werén meinèr spotèn." /

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U n do nun der cohen godól fum melech ging, do kam / Tóvass un sein sun zu dem melech un sagtén: „Warum hat / ir unsérér fèr-gefièn? " Do sagt er in di' réd, di' / der cohen godól géret hat, un sprach: „Folgt mir / un ret niks mén der-fun, den es mag nit gésein." /

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Dò wertèt Silura, bis mén in schul gét; do ging er in / das cohen godóls hous. U n si* sach in her-gén; do / lis si* in ein-gén un his in wilkum sein. Do hub / er an un waint, dàs es ir fatér nit wolt tun. Do / wurd si* auch wainèn un sagt: „Das mus gòt der-/bàrmén!" Do sait Simra: „Libe Béria, ich wil dich ain / bet bitèn; géwer mir." Do sagt si': „Libér Simra, bit / was du' wilst, das sol dir gè wert sein: wen ich / wais wól un ken dich wól, dàs du mich nit bit st, / dàs mir sind ódér schànd is." Do sagt Simra: „Ich wil / dich bitèn, dàs du' kain andérén man nemst, un ich / wil auch kain andér weib nemèn." So sagt si': „Ich wil / es tun." U n si* géloubtén an anàndèr. U n do

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zu Béria: „Ich wil dich ain bet bitén, / géwer mirs!" Do sagt Béria: „Bit, was 45

du' wilst, das / sol dir géwert sein; wen ich wais wol, du' werst / mich nit bitén, was mir ain schand is odér sind." Do / sprach er: „Ich wil dich bitén, du' sólst kain andérén màn / nemén neiert mich. Do magst mit èrèn ent-

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wèrén, un v / mag sein, sint dàs es dein fatér nit tun wil. Do wil ich / dir gèloubén. Gèloub du* mir auch." Do géloubtén sich an anàndèr / zu hànt.

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ain grófién sipfz' um sach si* / an. Do spràch si': „Ei, warum tustu aso? " Do sàgt er: „Ich weit / noch ain bet an dich hon, weist mirs nit vèr-sàgén: ich weit dich gern / kusén." Do sàgt si': "Es sei' dir dér-labt." Do kust er si* tousént I mòl un* si' in auch. Do wolt màn schir ous der schul gên. / Do stundén si* un* waintén mit anàndèr, uir si* spràch: „Libèr Simra, / wen du mit dem jungèn kiinig reitst, so reit vàr meinum hous / vor. So ste' ich an ainum venstér, dàs ich dich

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sehén kan. Abèr / du kànst mich nit sehén, wen ich dàs venstér nit uf tu'. Abér / alé mórgén, so mànboréchu sàgt, so du ich dàs venstér uf un* hör / borèchu órén; so kànstu mich sehén. Un*wen du siehst ain hànd-/zwel ous-her henkèn, so kum zu mir." Aso schid er dàr-vun / mit vrôlichèm mut, un*alé

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mórgén ging er untèr ir / venstér, un* sahén sich an anàndèr an.

Ain-mólt kam der / jung melech zu reitèn w r sàgt zu Simra: „Welèn mir vàr dàs tór reitèn / spàzirèn? " Do sàgt Simra: , J ò \ " Do ritèn si' mit anàndèr us. / Simra war sifzén un*gàr trourig. Do sàgt der jung melech: „Wàs / ist dir, dàs du aso trourig bist? Vàr hóstu mit dem / pferd gèsprengt, un* izundér reitstu, as wen du / schlófst. D u must mir sàgèn, wàs dir ist ódèr an-ligt." Do sàgt / er: „Der cohen godól hot ain tóchtér; w u si' mir nit wert, so / mus ich sterbén vàr laid." Do sàgt der jung melech: „Gèheb dich / nit iibèl, schweig Stil, si* mus dir werdén! Ich wil es / meinum vatèr sàgèn. Er mus noch im schikén un*mus mit im / rêdèn, dàs er si' dir gebèn mus; wert es meinum vatér / nit vér-sàgén." Aso raitèn si' mit anàndèr bis uf di' burg. Do / sàgt der alt melech: „Wàs ist dir, dàs du aso ernésthàft sieht? / Ich hàlt, du bist nit bei* selbst." Do

Un* er sàch si' iimèr an, den es dunkt in, er / sach ni' kain schenèr mensch in der ganze weit, un* / er süfzt gar sèr un* sprach: „Ich wil dich bitèn, dàs / du* 55

mich lost kûfién dich." Do sprach si': „Das sei* dir / dér-laubt." Do kust er si' wol tousènt mol un* si' in / auch.

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Um do màn nun wolt ous der schül gön, dàs er sich / mist fun ir scheidén, do waintén si' baid, un* si' sprach: / „Libèr Simri, wen du' reitst mit den melech sun, do reit / bèmelèch. Wen ich kan dich nit sehén, warum ich tar / nit das fenstér ouf tun. Neiert zu morgéns un* / zu óbent hèr ich borèchu sagén; do sichstu mich wol. / Un* wen du' siehst ain hànt-zwehél hengèn, do kum / arein zu mir." Un* do schid er ab fun ir, un* zu / morgéns tet si' das fenstér ouf.

Beria und Simra

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sas Simra / un sach si* an; do wurd er sifzén gar ser. Do / sagt si*: „Warum sifztu asó ser? " Do sagt er: ,,/ch / wil dich bitèn, dàs du* mich lost kufièn 145

dich." Do sagt / si': „Es sei' dir der-laubt." Do kust er si* wól / tousént mol un si* in auch.

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Do mén schir ous der / schul ging, do must Simra hin-wek gèn. Do stund er I un waint un si* auch; do sagt si': „Wen du* un / der jung melech mit anàndér reitén wert, do reit du* / gèmach. Also bin ich alè mol an dem fenstér; do / sich ich dich an dem fenstér. Odèr du* kanst mich / nit sehén, den ich darf das fenstér nit ouf ton. / Abér alé morgén, do men in der schulén an-hébt zu / órén, so tu' ich das fenstér ouf un her zu boréchu/órén; so gè* do-her di' selbig weil, so sichstu mich / auch. U n wen du' siehst ain hànt-zwel hénous / hengén, so gè* hérein." Also ging er fun ir un war / trou'érég, un alè morgén ging er untèr ir fenstér, / un sochèn sich anàndér an. Ain-mol kumt der jung melech / zu reitén far dàs tor um sagt zu Simra: „Welèn mir / reitén mit anàndér? " Do war Simra sifzén un trou'èrèg. / Do sagt der jung melech: „Libér Simra, was is dir, dàs / du* asó trou'érég bist?

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Far hostu gèrent u n N / gésprengt, un izundért reitstu, as wen du* / schloft. Du' must mir sagén, was dir oufién-ligt." Do / sagt ers um sprach: „Der cohen hagodól hot ain / tochtér; wen si* mir nit wert, so' mus ich sterbèn." / Do sagt der jung kinig: „Hab dich wol, si* mus dir / werdén! Ich wil es meiném

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fatér sagén. Er mus noch / im schikèn um m us in selbèrt bitén; do tar er nit / der-widér rédén kégén im." Si* reitétèn mit ouf di' / brik. Do sagt der alt kinig zu sein sun, den jungèn I kinig: „Was is dir? Du* bist nit bei' dir selbèrt." / Do sagt der jung kinèg:

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Um der jung / melech um Simri ritén mit anàndér spàzirèn. Do sifzt / Simri. Do sprach der jung melech: „Was is dir, dàs du* / asó sér sifzt? Bistu doch neilich asó frélich gèwesèn um /

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izund reitstu schlefrig. Du' must mirs

sagén, was / dir ousèn-ligt!" Do sagt er im fun cohen godól um / fun seinèr tochtér, „umsol si' mir nit werèn, do mus / ich sterbèn. Um si* het mich gern. Der fatér wil / mir si' nit gebèn." Do sait der ben melech: „Géhab dich / wol, si wert dir werén! Ich wils meiném fatér sàgén. Er / mus noch im schikèn ummus in selbèrt dàrum b i t é n . " /

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U m si* ritén mit anàndér ouf das schlos. Do sait der / alt melech: „Simri, mich dunkt, dir is nit recht." Do hub / an der jung melech: „Libér fatér, do

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sàgt der jung melech: „Ich wils / dir sàgèn." Do sàgt er im, er sólt den cohen godôl pitèn, dàs er dem / Simra sein tóchtér zum weip geb. Do sàgt der melech: „Ich hàb in vàr / auch ain-mól gébetèn, hôt mir mein pit vèr-sàgt." Do sàgt der jung / melech: „Ich welt es im schafèn uff pitén! Wu ers dir widér ab-/schlüg, welt in am leip strófén."

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Der schikt widér noch im / un*sàgt zu im: „Ich hàb dirs vàr auch zu-gémut: du weist Simra / dein tóchtér zum weip gebén. Dàs selbig hóstu mir vér-sàgt, izundér / pit ich dirs, um welt nit mòrid an mir sein!" Do sàgt der / cohen hagodól: „Ich wais wol: wu ich es nit tet, so würstu mich / tôtén; den wer

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nit tut, wàs der melech sàgt, der hot dàs lebén vér-/lórén. Un*wil es doch nit tun - wàs mir darum géschicht! - wi'-wol / der Simra ain schônér, wol gélerntér un*weisér knab is; um / wil mein tóchtér ê dér-trenkén, ê ich si' im gebén wil." / Der melech war zornig um sàgt: „Ich wil dich lófién tôtén,

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di'-/weil du mich vér-achst. So béhàlt dir dein tóchtér! Ich wil Simra / wol ain andér weip gebén όη dein tóchtér." Der I melech spràch zu Simra: „Such dir ain andér weip in al meinum / lànd; so wil ich dir vii momón dàr-zu gebèn." Abèr es gè vil / Simra nit - di' schön Béria làg im in sin - un* sàgt dem / melech grófién dànk un schid vun im mit trourikait.

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Ahèrê / hadèvorim hoele war ain apipfiór zu Róm, gàr ain grófièr / rosa; der vèr-pit, es sólt kain weip zu tèvila gên un* sólt / kain kind jiidschèn un* sólt kain jiid vàr in kumèn lófién - wu' / ainér kem, so sòl màn in tôtèn. Un* màn schrib es di' jiidén / un*bàt den cohen hagodól, dàs er thèfilatet, dàs

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sôlché gèsêra / vér-stort wiird.

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Do gédócht der cohen hagodól: „Izundér / kumèn. Ich wil zu im sàgèn: wen / er zu dem judén pitén, dàs / er sôlchès widèr-sprech, so gebèn. So werd in der apipfiór tôtén, do kum ich

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wil ich des Simra wol abapipfiór wil un* wil vàr di' wil ich im mein tóchtér / / seinèr ab."

wil ich dir sagèn." / Un* sagt im fun cohen godól un*fun seinèr tochtèr. Do / sprach der alt melech: „Das sei' im ain truz, dàs er / soit nain sprechén!" Asò sànt der melech noch dem cohen / godól un* sprach: „Ich wil dich ain bet bitén, dàs du' / dein tochtèr Simri gibst." Do entwèrt er un* sprach: / „Ich wais wol, wen ainér over is mizvoss hamelech, dàs / er hajiv missa is.

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Noch è wil ich sterbén, è ich / wil im mein tochtèr gebèn." Der melech wàr

Beria und Simra 175

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„Ich wil dirs sagén," unN sagt / im di' sèmua. Do sagt der kinig: „Ich hab in / far ach ain-mol gébetén; dàs sei' im ain truz, / dàs er izundért ain wort der-widér ret."

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Der / melech schikt noch im um sagt zu im: „Ich hab eich / far ain-mol gébetén, uri ich wil eich noch ain-mol / bitén, dàs ir eier tochtér gebt zu Simra." Do sagt / der cohen godól: „Ir m echt mich tétén; den ich wais / far wol: wer nit tut, was der melech haist, der / hot das lebén fér-schult; den ich wil es nit ton! - / wi'-wól doch Simra ist der hipschér knab, den / ich wais fun lernén un fun schreibén, fun hout, fun / hor; abér ich wil mein tochtér é der-trenkén, è / ich es ton welt." Der kinig ward ser zornik un / sprach: „Ich wil dich nit dàrum tétén, wi'-wól du in / un di meinén fér-schmecht host. Hàlt dir nei'ért dein / tochtér! Ich wil Simra wól ain weib gebén on dein / tochtér." Der kinig sagt Simra: „Gèhàlt dich wól. Sich / dir nor ainè ous in alé làndén, ain weib, si* sol / dir werén; es sòl dir an kain gelt ab-gén."

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Nun géschach, / dàs der apifiór fun Róm gébot in alén làndén, nit / zu tévila gén un soltén sich nit judschén, un gébot, mèn / solt kain judén far im lofién - welchér jud far im / kem, den solt mén tétén. Men schrib in alén làndén / dem cohen godól, er solt théfila ton, dàs di gésèra / solt hotel werén.

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Do gédocht der cohen godól: „Nun wil / ich Simra wól ab-kumèn un wil zu im sprechén: er / sol zu den apifiór zihèn un sol es mévatel sein." U n / er gédocht: „Ób er far den apifiór kumt, asó / bàld wert mén in tétén; so kum ich seinér ab."

gar zornig. / „Ich wil dich fun deinér tochtér wegén nit totén. Ich wil / Simri wol ain weib gebén." Iter melech sagt Simri di' / sémuóss uff sprach: „Dér-nebén such im land, welche / dir wol géfàlt, di' mus dir werén." 90

In-dem dàs Simri / asó rédét mit dem melech, do kam ain soliah méjuhad / fun dem késar. Er hat fér-botén bei* leib um bei* / gut, den sabass nit zu haltén um di' weibér nit zu / tukén um di' kindér nit zu béschneidèn. Do

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Erika T i m m

Dàs hört sein tóchtér; si' gédócht: „Ich wil in / wàrnén." Um do màn in di' schul ging, hing si' di' hànd-/zwel widér hérous. Do dér-sàch es Simra umging zu I ir, um si* éntpfing in gàr schòn um sàgt im alè sach, / wàs ir vatér im sin het. „Der-hàlbén los dich nit Ubér-/rêdén, dàs du nit um dein lebén kumst ódér ich wil dir nit / hàltén, wàs ich dir vér-haifién hàb!" Do sàgt Simra: „Wil mir dich / dein vatèr gebèn, so wil ich mein lebèn wogén vun deintwegèn." / Do waint si' ser. Er spràch: „Géheb dich wol! Got jissborech / wert mir dàs gliik gebén, dàs mir niks gèschicht." Do nam / er urlàb vun ir mit nasèn augén, um si* sàgt: „Zieh hin, dàs / dir got gliik umhôùl geb!" Do màn nun ous der / schul ging, do nam der cohen hagodól Simra uf ain ort um / hilt im di' sach vür. Do antwèrt Simra: „Welt ir / dem nóch-kumèn

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wi' ir sàgt, so wil ich mein lebén wogén." / Er vèr-his im vàr edim. Aso zóch Simra dàr-vun um sàgt / der schön Béria niks mên dàr-vun. - Do sàgt der cohen / hagodól: „Mir sind dem Simràs wol ab-kumén; er kumt nit / lebèndig widér." Do es di' tóchtér hórt, do schri* um waint / si* umtrib ain grófién

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jomér, as làng as er oufién war, / um si* vastét alé wuch drei* tàg um drei* nàcht, di'-weil / er oufién war.

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Der Simra zóch as làng bis er / gên Rom kam zu dem apipfiór. Er vrogt di' jiidén, wi* / er künt zu dem apipfiór kumèn. Do sàgtén si*, wu er / vàr in kem, so tôt màn in. Do schwig er stil unxging in / dén wichfiél, wechfiélt vàr zêhén giildén eitél gróschén, ging / aso in di' burg, lis vil gróschén valén. Di'tór-hiitér lifién / in gén um kloubtén gelt uf. Do er gàr in hóf kam, / do

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wustén si* / nit, was zu tun. Si* worén in grófién forcht ummàchtén / ain maSkona, wem màn sol an im schikén. Do Sprach / der melech: „Es is nimèt asó gut dér-zu as Simri. Den / er is ain hocham, um sein séchuss wert es ous-richtén. / Den hakodòÌ

boruch

hu weist dem zadik den weg, den er gén

sol." / Do sprach idérmàn: , J ó ' , er is gut dér-zu." 100

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Do schikt der / melech noch Simri um bat in, er sol zihén. Do Sprach / er: „Wil mir der cohen godól sein tochtèr gebèn, do wil / ich zihèn." Do schikt der melech noch den cohen godól / um sprach: „Ich fèr-hais dir, dàs du* solst Simri zu-/sagén dein tochtèr, ous-génumén er rieht ous di' sach / noch dem bestèn, im jirze hasem." Do fèr-hais er im si' zu / gebèn, wen er andèrs widér kumt um wert habén ous-/gèrecht di' sach noch dem bestèn. Abèr er gèdocht I jó' nit widér zu kumèn; den hakésar lost kain judèn fàr / sich kumèn. Er hat es fèr-botèn bei' leib umbei' sèi. / D à r u m gèdocht er sich jó' nit widér zu kumén, „um wen / er schon kumt, do wil ich im si* denòcht nit gebén." / Do

Beria und Simra 205

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Das / hört sein tochtér Béria un gédocht: „Ich wil in / wól warnèn." U n do men nun schul ging, do hing si* / ain hànt-zwehél zum fenstér hérous. Dàs sach Simra, / un do mèn in der schul war, do ging er hénein, uri"/ si* antfing in gar schén un sagt im, wi' mèn irèn / fatér gèschribén het,un er welt im zu

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apifiór / schikèn un welt in um sein lebèn brengén. Um / sprach: „Libér Simra, ich bit dich, dàs du* dich nit / ibér-rédén lost. Warstu dich ibér-rédén lofièn, so / wil ich dir mein sèvua nit hàltén, was ich dir zu / hab gèsagt!" So

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sagt Simra: „Libe Béria, wil dein / fatér dich mir gebèn, so wil ich mein lebèn um deint-/wegèn lofièn un wils wogèn." Bèkizur der cohen godól / war zu-fridèn, wen er kem un het mèvatel gèwest I di' gèsèra, so weit er si* im gebèn.

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Nun er zog / bésem èlohé Jisroel umnam ser fil momón mit / im un kam in ain kéhila, worén ser fil judèn / dinén. Do sagt er: „Wer gern zu den apifiór fun I dér gésèra wegén." Si'sagtèn im: „Géstu in sein schlos,/ so sein sómèrim gésezt un tètén dich gleich." Er sagt: / „Ich wil got - jissborech sèmó - zu hilf

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nemén un wil es wogèn." / Wi' er kam am erStén tor, worén sómérim, di'/

sprach Simri: „Her künig, ich mus gelt gènugèn / habèn." Do gobèn si im gelt mit, wi* fil er habèn / wolt. 115

U r e r nam résuss fun dem melech um auch fun / seinèm sun um fun in alén um hart bis an den óbènt. / Do ging er zu seinèr Béria umsagt ir di' Sèmuów. / Do war si* gar frou* um es gèsegént si* um sagt / im birchass cohènim noch. U m er stund frou* ouf um / rit sein stràs. Umdo er kam zum késar, do steh

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/ e r sich zu den jéhudim, um si* antfingén in gar schèn, / um er frogt si* alè gèlegènhait. U m si* sagtèn im / alè gélegènhait, wi* kain jud torst ouf sein schloà / gèn bei' leib um bei* gut. Do sprach Simri: „Sorgt nit, / ich wils mit

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hakodòs horuch

hu hilf ous-richtèn." U m si* wisén im, / w u màn ouf den

schlos gét. Dt> hat der késar drei' / torén, è dàs màn kan kumén fir in. Do kam er in das I èrst tor. Do lis er fàlén eitèl pfenig. Do sochèn / sii' di' tor-wértèl um

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Erika T i m m

gingén im cehurim um gròvèn im èntgêgén unx woltén / vrogén, wàs màns er 235

wer. Do lis er abér gelt valén, / si* kloubtén abér uf umlifién in gên. Aso kam er vor / den apipfiór hinein.

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Do vrogt in der apipfiór, / wàs màns er wer. Do spràch er: „Ich bin ain jüd." Do / dér-schràk der apipfiór, dàs er aso hinein kumén wer / un x wer im niks géschehén, um di tràbàntèn woltén in / tôtèn. Do bèvalich er, màn sólt in lebén lófién, abér er / welt di' tór-hiitér al tôtén lófién. Do sàgt der apipfiór: / „Nun sàg an, mein libér jud, wàs ist dein béger? So wil ichs an-/horén, sind dàs dir got dàs gliik gebèn hot, dàs du vàr mich / bist kumén çn-géschedigt." Do sàgt Simra: ,,Er-wirdigér, hoch gélóbtèr / her! Ich welt öuer êr-wirdigé génód ains un zwai' / vrogén, um öuer génód sòl mirs nit vàr Ubél hàbén un* / weit es mir béschaidén." Do sàgt er: „Vróg wàs du wil, nôùert / niks vun den jiidèn!" Do sàgt er: „Ich wil öuch ain vróg vun den / jiidèn vregén, dàs öuch ain dinst ist." Do sàgt der apipfiór: / „So vróg!" Do sàgt Simra: „Libér her! wen ir veind hàt, weit / ir libér, dàs si* schwach werén ódér stàrk? " Do làcht / der apipfiór um spràch: „Wi* gàr kinstlich vregstu! Het / ich veind, wer mir nit vil libér, si* werén schwach den stàrk? /

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Nun, libér, sàg mir, wàs mainstu dàr-mit, umwarum vregstu / aso nerésch? " Do sàgt Simra: „Welt ir mirs gèwunén / gebén, so wil ich es öuch sàgèn, um bin auch vun ôuertwêgén / her-kumèn. Um ir hàt recht gèhet, abér ôueré röt rótén / öuch nit recht mit trôu'én: den di* jiidèn sind öuer / veind, un x kain

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krenkèr \ins schwachér volk is uf erdén den / di jiidèn; den màn béschneidét

worén gar sér fró' umklubtén / gelt un v hàtén kain achtung ouf im. Do kam / er in das andèr tor. Do lis er eitèl groschén fàlèn. Do wàrèn / di' tor-wèrtèl ser fró* um kloubtén gelt, umouf / in hàtèn si* kain achtung uirlifìén in abér gén. Do kam / er in das drit tor. Do lis er eitèl gildèn fàlèn. Do / worèn di' tor-wértél asó ser fró* noch di' gildén, dàs / si* seinér fèr-gofièn, umlifièn in gén fàr den késar. Urn / do er fir dem késar kam, do sprach er zu im: / „Wer bistu, dàs du* asó géweltig zu mir kumst ón / der-lab? " Do sprach Simri: „Génedigér her, ich bin / ain jud, umgot hot mir den glik gebén, dàs ich bin / fàr eich kumén." Do fér-wundért sich der késar, dàs er / was zu im gékumèn durch drei* torén ón der-labung. / Er hat fèr-botèn bei' leib um bei' gut, dàs màn kain / jud solt ein-lofién. Do sprach der késar zu Simri: ,,Dér-/weil dàs

Beria und Simra

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w o l t é n i n fregén, wer er wer ôdér was er wer; / do lis er gelt fàlèn. Do lestèn es di* sômérim / ouf; do kam er hènein. Dér-noch kam er widèr fer / ain tor, do sein kestléchéré sômérim dinén. Do lis / er talér falèn; weil si* das gelt ouf-lestén, so / kam er i n das schlos zu dem apifiôr. U m do er / kam i n den hóv, do komén pèrizim um w o l t / frogén, was màns er wer. D o lis er abér gelt I génuk falén. Do filén si' abér noch das gelt, dàs er / weitér k a m . Aso tet er imèr darum, bis er zum / apifiôr anein kam. Do frogt i n der apifiôr, / was fàr ain man er wer. D o sagt er: „ I c h b i n ain / j u d . " Do der-schrak der apifiôr, u m si' w o l t é n i n / tétén. D o sagt der apifiôr,

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men solt i n lebén / losén, odér er w o l t d i ' tor-hitér al lòsén mèmiss sein. / Do sprach der apifiôr:

„Sag her, was wilstu?

- sint-/ain-mol dàs dir gôt

jissborech géholfén h o t , dàs d u ' / fàr m i r bist k u m è n . " Do sagt Simra: 245

„ L i b è r her! Ich / weit eich gern zwai'-èrlai' frogén; welt ir / m i r s nit fàr ivél habén um welt m i r es bèschaidèn." / D o sagt er zu i m : „ L i b é r j u d , frog was du* wilst, / nei'ért n i t fun den j u d é n . " D o sagt Simra: „ I c h w i l ain / frog frogén f u n den judén, d i ' eich gut is." D o sagt / er: „ F r o g du* was du* w i l s t ! "

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Do sagt Simra: „ W e n / ir feint hat, wer eich libèr, dàs si' stàrk werén / ôdèr schwach?" Das lacht der apifiôr um sprach: „Wi* / gar neréschlich fregstu m i c h ! Het ich feint, wer / es m i r nit libèr, dàs si* schwach werèn, wen dàs si' / sterk werén? N u n sag m i r , libèr j u d , warum hostu / m i c h asô' géfregt? " Do sagt Simra: „Welt ir mir / esdànkén, do w i l ich es eich sagèn; ich b i n fun ei'érém / wegén her-kumén. U m ir hat rotér, d i ' eich n i t / m i t tröu* r o t é n . " Do sagt der apifiôr: „ N u n , mein libér / j u d , sag m i r . " D o sagt Simra: „ L i b é r h^r, d i ' j u d é n / sein ei'ér feint, u m is kain krànkér f o l k w e n /

dir got h o t géholfén, dàs du* bist arein-gèkumèn, / do sag m i r , was is dein bèger?" Do sprach Simri: / „Gènedigèr her, ich b i n her-kumén fun öuer best / wegén u m w o l t gern öuch das best ton, as es bilèch / is, dàs itlichèr seinèm herén gétrei* sol sein. Dàrum b i n / ich kumén, um got hot m i c h géfigt arein. I c h hab / géhért, ir hàt rot-gebèr bésé, d i ' e i c h n i t / gètrei' sein. Dàrum b i n ich arein-kumén." Do sprach der / késar: , J u d , wi* mains t u das? " D o sprach er widèr: „ I c h / w i l eich sagèn, m e i n libèr her: Wen ir ain feint / het, secht ir libèr, dàs der

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feind stark wer odèr / schwach wer? " Do sprach der kèsar: „ I c h sech libèr, dàs / er schwach w e r . " N u n sprach Simri: „ D o sieht ir w o l , dàs màn / eich nit recht gèrotén h o t , dàs eier génod hot fér-/botèn d i ' judén, d i ' kindèr nit

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Erika T i m m

si' zu acht tàgén: so dàs blut vun / im kumt, so wert er schwach. Abèr so er nit béschmtén / is, so schlägt ain jüd zêhén kristén. Um ir vér-pit, dàs màn / kain judén sòl m en bèschneidén! I n zêhén jorén wert öuer lànd als / vul 265

jiidén sein." Do sàgt der apipfiór: ,,Dàs ist wor; wàs / ist nun di' anàndér vrog? "

Do sàgt Simra: „Libér her! / Wen ir veind het, welt ir libér, es werén vil ódér / wenig? " Do làcht er abér un* sàgt: „Ich welt libér, es wêrén / wenig den vil. Sàg mir, wàs mainstu dàr-mit? " Do sàgt er: / „Ich wils öuch sàgén. 270

Ir hàt vér-pótén, di' judén-weibér sulén nit / tévila gén. Wu vàr ain jud ist gébórén worén, wer^n izundér / vir géborén werdén; wen vun dem kàltén wàfièr dér-schrekén di' / jiidénés un* werén nit bàld tràgén, auch dàrfén si* nit bei* dên / mànén ligén. Wen si* abèr nit in dàs kàlt wàfièr gén, werén si* vàr /

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un* vür bei' irén mànén ligén; so werén ir as vil as sànt im / mer, cen jirbe, uff werén ain streit mit öuch màchén um werén / öuch zu tôt schlàgén."

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Do sàgt der apipfiór: ,Jud, du host wor / gésàgt. Ich hàb nit vil géscheidèr judèn gèhôrt, alis du bist. / Der-hàlbèn wil ich dich wol bégóbén umwidér haim lófién zihén / mit vrid." Umgàb im vil momón un* èvonim tòvóss u m / ain gutén brif, dàs di' gésêra sólt mévwtal sein. Do lis der / apipfiór di' tór-hiitér al tôtèn, di in hinein hàt lófién / gén. Cen jovdu.

zu béschneidén; wen es is / wifiéglich, dàs itlichér jud férlirt sein blut umsein 160

/ kraft fun den jîdschèn. Um wen si' es nit werén mèr / tun, dó werén si' starkér sein as dein folk un / werén eich ous eier land treibén." Do sprach der I késar: „Ich sich wol, dàs du* wor host umdàs du' mir / gètrei' bist. Ich wils nimér fér-bitén."

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Do sprach / Simri: „Ich main eierén gènod auch zu fér-stèn, dàs màn eich / nit hot gérotèn gétreilich mit den judèn. Wen eier / gènod feind hot, sieht ir libér, dàs irér fil is odèr / winzig? " Do sprach der kèsar: „Ich sich libér, as irér / winzig werén wedèr filè." „Nun hat ir das kalt wafiér / fèr-botén den frau'én; den es is wifiéglich, dàs iklichèr / jud in fir wuchèn firzèhèn tag nit bei' sein weib ligt. / Dàrum musén si' winzig kindèr habèn. Um wer das nit, / do wer mén irér as iklichs folk. Nun hàt ir tón / fér-bitèn das kalt wafiér. Nun werén si* asó fil as / sànd in dem mèr un werén eich fèr-treibèn ous / eierém land." Do Sprach abèr der kèsar: „Ich her / wol, dàs du' wor host. Ich wil si' widér haifién tun." / Do sprach abér Simri: „Gènedigèr her, wen eier / génod feind hot, secht ir

Beria und Simra

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di' judén; den das kumt in als, weil men si* / bèschneit: do werén si* schwach der-fun. Abér bèschneit / mén si* nit zu acht tag, do werdèn si* di' stàrkstén / 265

leit, di' gót i bèschafén hot; ain jud terst hundèrt / kristén bèston. Umir hat es fèr-botèn, dàs sich / kain jud bèschneidén sol lófién! In zehèn jor wert / eier land als der judén sein werén." Do sagt der / apifiôr: „Selchén judén noch weishaid hab ich al / mein tag nit gésehén. Was ist nun dein andéré

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frog, / di' du* frogén wilst? " Do sagt Simra: „Wen ir feint / het, weit ir libér, dàs ir fil werén odér wénig? " / Do lacht abér der apifiôr um sprach: „Solt mir / nit libèr sein, irér werén wénig as fil? Nun sag mir, / was mainstu dèr-mit? " Do sagt er: „Her,

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ich wil eich / sagèn. Ir hat fèr-botèn, di'judèn-weibér nit kàlt / badèn derfèn gén. Wu nun far ain jud is géborén, / so werén izundér zehén géborén werèn; den fun kàltén / bad der-schrekén di' weibér um werèn nit gerén / tragén, um

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auch terén si* nit alé zeit bei' den / mànén ligén. Um wen si* nit kàlt badèn, do werén si' / aso fil as sànd im mer un werdén ain streit / mit eich machén um werén eich tétén." Do sagt der / apifiôr: ,Jud, du' host mir wor gèsagt." Umgab / im wôl

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aséress-alofim um gab im guté briv mit, / dàs di' gésérôss soltèn botel sein un lis al di' jôazim, / di im hatén den rot gebèn, al tétén.

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gern, dàs si* reich werén / odèr arum? " Do sprach der kèsar: „Ich sech libèr, dàs / si* arum werén wedér reich." Do sprach Simri: „Warum / hàt ir den Sabass fèr-botèn zu hàltèn? Is es doch / wifièglich, dàs itlichèr jud kan nit

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reich werèn fun sabass / wegén; wen i dèr jud sein zeit bégab, fèr-zèrt es / an Sabass; was ain jud der-erbèt in der / ganzè wuch, do fèr-zert ers an sabass, wen seiné / fei'èr-tag kumèn; dàrum kenèn si* nit reich werèn. Nun / hot eier gènôd fér-botèn, dàs si' den sabass nit solèn / hàltèn. Do wer kain reichèr

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folk ouf erdén as di' judén / umwerèn seldnér ibèr eich dingèn un werén eich / ous eierèm land fèr-treibèn." Do sprach der kèsar: / „Du* host recht. Ich wil dir briv gebèn, wi' du* / wilst, dàs di' érstèn gèbot fun judén solèn widér sein; / umsolén nischt giltèn,

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was mir ouf di' judén fér-botèn /habèn. Auch wil ich dir, weil ich leb, sistér heltér / sein, dàs du' mir asô gètrei' gérotèn host." Do dànkt / im Simri gar ser, um der kèsar gab Simri gutè / briv, wi* er schreibén his, um lis auch ous-rufén asô / weit as al sein landèn, wu sein

200

gébot worén, dàs di' / èrst gèbot alè soltèn ab-gèn.

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Erika T i m m

U m der Simra nam urlàb v u m / apipfiór un* kam widér i n sein herbérig zu den jiidèn; do / sàgt er in, wi* er d i ' gésera hàt mèvatel géwesén un* wis i n / 285

dàs m o m ó n un* den brif, den i m der apipfiór hàt gebén. / Do w o l t è n i m d i ' judèn auch gros m o m ó n gebén. Er w o l t / abèr niks nemén, den er hàt vàr-hin génug, umgésegnét si / un*rait widér haim zu lànd. Do war idérmàn der-vrait, / bifrat sein alérlibstén Bèria. Abér der cohen

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hagodól, der / dèr-schràk, dàs i m schir d i ' nèsoma ous war gàngén; er hàt j o / gémaint, m à n sólt i n gétôt hàbén. Der gut Simra wais den / brif, un*idérmàn wàs v r ó \ dàs d i gésera mévutal war. Do / sàgt Simra: „Izundér gib m i r , wàs du m i r géhaifìén host." Der / cohen hagodól w u r d i m posul un* w o l t i m d i

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tochtér abér / n i t gebén, „un* sólt ich darum kumén u m m e i n lebèn!" / Do spràch Simra: „Dàs mus got jissborech dér-bàrmén!" un* sàgt: / „Wàs ist mein grófié erbait un* géverlichkait, d i ' ich m i c h / untér-Stàndén hàb, un* izundér is es abér n i k s ! " un* / géhub sich ser iibèl, dàs nit zu schreibén is.

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Der gut / elénd Simra wàrtét, bis màn i n d i ' schul kam, umging abér / zu seinér libén Béria. D i ' éntpfing i n gàr schon um lib /lieh m i t v i l vrôlichèn wortén, un* er sàgt ir, w i ' i m / ir vatér widér poàul war wordén. D o waintén si' baid ser / umtraibén ain grófién j ó m f r , un* si' vil i m u m sein hàls / umkust i n u m sàgt: „ L i b é r Simra, got sei' es géklàgt! / I c h wais w o l , dà$ ich mus sterbén vàr l a i d . " Do sàgt Simra: / „ D o sei* got v i i r ! " Un* er kust si', u m si' kuàt in, es / war ain sölchs gékust - w e n si* nit schön wer géwesén, so wer si / izundér schön gèwordén; umging aso vun ir hin-wek. Do er / vun ir k a m , alis-bàld Stàrb si' vàr laid. Dàrum sòl kainèr / ainés kusén, w e n ainér vun ainum hin-wek get! Abér Simra / wust niks dàr-vun, dàs si* géstórbén war. Do war gàr / ain grófìén jomér umklàg, um si* w u r d erlich bégràbén. /

U m Simri nam urlèp / f u n den kèàar u m k a m zu den judèn, un* er i m / sagt di guté sémuóss. D o worén si* gar ser f r ó \ / U m er nam urlèp fun i n um rit ain-haim ken / Jérusolajim um weist seinèm fàtèr un* melech d i ' gutén briv / u m sagt in, wi* er het m i t den késar géret. / Do war idèrmàn fró', dàs er lebédig war widér-kumén, / u m der melech-sun war auch gar ser f r ó \ D o sprach / Simri zu den melech: „ L i b é r her, haist den cohen godól / m i r sein tochtér gebèn; los er sein gélóbnis haltén, dàs / er m i r gélòbt h o t , sein tochtér zu gebén." Do schikt / der melech noch den cohen godól un*Sprach zu i m : „ D o / dér-mànt dich Simri an den gélóbnis, dàs d u ' i m host / zugésagt, dein tochtér zu gebèn." Do sprach der / cohen godól: , J ó ' , libér her, ich hab i m zugésagt / m e i n tochtér zu gebén, abér ich hab es dàrum géton, / dàs er sòl sist èhér zihén; abér ich hab es ni* i n / sin géhàt zu gebén." D o war

Beria und Simra

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Do nam Simra / urlàb umging zu den judén in sein herbèrig. Um si / worén al ser fró' um woltén in gros gelt gebén. / Do weit er niks nemèn umgèsegént 290

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si* umreitét / haim.

Do er haim kam, wer war frélichér wen / Simra um sein fatér ummutér um der melech um / sein sun un idèr-man. U n der cohen godól dér-schrak / ser. Do ging Simra um wis im di' briv. Do er / di' briv gélai'ént hat, do sprach der cohen godól: / „Simra, wilstu wifién, was der mer is? Ich wil dir / mein tochtèr nit gebén, um solt ich wifién, dàs ich / dàrum seit sterbén!" Do sprach Simra: „Do mus sich / gót jissborech dér-bàrmén!"

U m do mén in schulén ging, do ging / er zu seinèr Béria. Do antfing si* in gar sehén; do / sagt er, wi* ir fatér géret hat. Do waintén si* / mit-anàndér un tribén grófién jomèr, um si* fil im / um den hàls un kust in um sprach: „Libér Simra, / gót sei* es gélóbt, dàs du* widér kumén bist. Ich / wais wól, dàs ich fàr laid must sterbén." Do sprach / Simra: „Do sei' gót gélóbt!" Do kust er si* un ging I hin-wek. Dàrum sol ainér den andérén nit kufién, wen / er fun im gét! Do ging Simra haim. Di'-weil / starb si! Um si' waintén um ir, ir fatér um/ mutér, um si' bégrubén si.

der melech zornig um spràch: / „Gè* mir ous mein augén, um wer es ain 220

andérér / man, do welt ich im sein kop ab-schlagén!" Um er / ging ain-wek. Do Sprach der melech zu Simri: „Asó hot / der cohen godól géret. Ich bit dich unr mut ims / nimér mén an um acht dir ain andér weib in al mein / land; welchè du' wilst, di mus dir werèn."

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Do ging er / zu seinèr Béria. Um si* antfing in um war gar / fró', um er sagt ir als, was er hat géton, wi' / er mit dem kèsar het gèret umwi* er im / het gutè briv gebén, um denóchtér wolt im der / cohen godól sein tochtèr nit gebèn. Do sprach Béria: / „Nun wès ich wol, dàs ich mus Sterbén fer grófién zaar." /

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Um si* waintén baid um si* kustén sich, um nam urlàp / fun ir. Dèr-noch war Béria krànk um Starb.

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Ainès tàg ging der Simra vàr den altén umjungèn melech; do / war er schon vun inèn éntpfàngén. Do er vun der bürg kam, / bégegnèt im sein vatèr um sàgt:

„Libér

sun, ich welt dich / gern etwàs vrògèn. Wilstu nit dèr-

schrekén?" Do sàgt er: „Nain, ich / wil nit dér-schrekén." Do sàgt er: „Du host dich vàr iibél gèhêbt, / dàs dir der cohen hagodól nit hot welén dir sein 320

tóchtér gebèn. / Izundér gèhêb dich noch ûblèr, den si' ist gèstórbén / vàr laid; dèr-hàlbén dèr-schrik nit!" Do sàgt er: „Warum sólt ich / dér-schrekén? Wàs got jissborech

tut, dàs ist wol gétón." Abèr wi' / sein herz war, kan ain

itlichèr wol gèdenkén. 325

Do er haim / in sein kàmèr kam, do trib er ain jómér um rais sein hór / vàr laid ous; sôlchér jómér ist nit zu schreibén. Nóch sôlchém / jómér ging er widér ous seinèr kamér unx wuscht seinè augén, / dàs màn es nit merkén sólt; dàs tet er wol acht tàg an / anàndèr.

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Noch der zeit, dàs der kiinig alt / wàs, do sànt er nóch seiné jòézim um herén: si' sóltén kumèn; / er welt sein sun krônén bei' seinum lebén. Dàs géschàch, um er / màcht ain grôfié sèuda. Der Simra war wol am jungén melech; / do sàgt der jung melech zu Simra: „Mein vatér / hot mir dàs künigreich ûbér-gebén noch seinum tòt zu bésizén. / Kum mit mir zu meinum herén vatér, dem kiinig, um vàr / seiné jóézim! So wil ich dirs Ubér-entwértén nóch meinum / tot, dàs du es sólst bésizén. Der-hàlbén wart ain klainè / weil, so mustu mit mir uf dàs schlós reitèn!" Der Simra / sàgt jó* um rust sich gàr schön mit klaidung um mit alèn / dingén. Er wàrtét ain klainè weil; di weil wur im zu / làng, umging al gèmàch vàr sich. Er gèdocht: „Er wert mich / wol iibèr-reitèn." Do er abèr den berg hinouf ging, / er hub an müd werdèn - den der berg wàs gàr hoch - um / stund ain weil stil. Do sach er gàr ain schön pferd / vàr im làfén, gàr wol gèzirt mit

Do / trib der cohen godól grófién jomér um si\ Umdo / Simri di' sach war gèwor, do ging er in sein kamèr / um waint sèr umschri' umband sein hend ubér sein / haibt um zu-ris sein klaidèr fun sein leib um seiné / frumè libe zénua Béria um klagt sein laid, bis sein / fatér kam zu im um sprach gar sèr zornig: „Bis / wi* lang wilstu noch di' nàrhait an-treibén? Wilstu / nit ab-lofién, wil ich dich fér-laikénèn fer mein sun!" Do / must er fun lofién. Aber er trou'ért denócht um / si* in seinén herzén. Dèr-noch an ros hodes sivan, do / sprach der melech, er wolt ain grôfié sèuda machén / um wolt seinèm sun das ganz malchuss ouf-gebén bei* /

Beria und Simra 310

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Ain tag ging Simra / zu dem melech; do antfing in der melech gar schèn un / der jung melech noch fil schenér. Un do er nun widér / fun dem melech ging, do bégégént im sein fatér un / sprach: „Libér sun, ich welt dir gern was

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sagén, wen / du* nit der-schrekén mechst." Das sagt er: „Ich wil / nit derschrekén." Do sagt er: „Libér sun, du* host / dich ibél géhàltén, dàs dir der cohen godól sein tochtér / nit hot welén gebén. Nun hàlt dich noch iblér." Do I sagt er: „Warum? " Do sprach er: „Si* is géstorbèn; / der-schrek nit!"

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Do sprach er: „Warum solt ich / der-schrekén? " Asó sagt er fun wegén seins fatérs. /

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U n er ging in ain kàmér un schlagt sich un rifét / sich un trib grófién jómér, den kain mensch ni' gésach. / Un v der-noch wuscht er sein augén unx ging widér / hérous unstet, as wer im niks; das tet er wól / acht tag.

Nun kam di' zeit, das der kinig alt / war, un er sent noch al sein dinér zu kumén j er weit / sein sun krénén. Er macht ain sèuda zu al sein dinér. / Nun war Simra ébérstér bei* dem kinig; do kam / der jung melech un* sagt zu Simra: „Mein fatér wil mir / sein kinigreich gebén bei* seiném lebèn. Só* wil ich / dirs gebèn bei' meiném lebén, dàs du* es solst habén / noch meinèm tòt, in der-wartén, das du* heit mit / mir reitst."

Do Sprach Simra: „Reit fàr dich, ich / wil gén ouf den berg." Er tòt sich schèn an un N woltèn / hènouf gèn. Do er den berg hènouf ging - er war gar / hoch -, do wart er mid unv stund ain weil stil. Do / sach er ain schèn pferd her-laufén; er gédocht, er / h et al sein tag kain schenér pferd gésehèn, un / es

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seiném lebén; den er wàr ain altér man, un* er samèlt / fil leit zu im un* sprach: „Ich wil meinèm sun das / malchuss ouf-gebén bei'meiném lebén." Do sprach der / melech, idérmàn solt ain-haim gón un* sólt widèr-kumén / am óbent heit zum efién, un*dàs idérmàn der-bei' / war, dàs er seiném sun wolt das malchuw ouf-gebén.

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Un*/ schéne komèn komèn

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do idérmàn ain-haim ging, do ging dér frum Simri / auch un*lègt sich klédér an un* wolt ouf das / schlos gén mit den andérèn herén. Si* zu im fer / di' tir un*hàrtèn, bis er bèrait war. Do rait er / mit in. Do si' an den berg, wu màn ouf das / schlos solt reitén. Do kam her-

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rüstung, dàs er al sein tàg nit / hûpschér gésehén hàt, urnes tet alis weit es den berg / hinàb làfén. Do gédócht er: „Künt ich es vàngèn, ich welt den / berg hénouf reitén." Er ging im éntgegén; do stund es stil. / Alis-bàld er uf dàs pferd kam, do lif dàs pferd iibér / berg umtàl, as wen es der tôùvèl wer,

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um lif mit im / in ain grófién wald, do wuchs menchèrlai' krôùtér inén. Dàr / nóch kam er uf ain wis, do warèn vilèrlai' wurzéln uf. Do / stund dàs pferd stil; do war er vró' um stig ous / dem sàtél uf di' wis um wolt sich ain weil dér-mai'én. / Do lif dàs pferd hin-wek umvér-schwand im vàr sein augén, dàs

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er / nit wust, wu es hin kumén war. Do wust er / nit, wu er war. Er schri' umgéhub sich iibél, dàs nit zu / schreibén is. Er schri' umèrdàr: „Laid iibér laid! Unglük, wi* / hóstu mich um-vàngén! Wàs ich doch nit ous noch ein um bin aro / weit vun meinum

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vatér umvrôundén um sich um hör kain mensch / nóch hous nóch stàt! Wu bin ich ódér wàs is mir géschehén? " Noch I sôlchém iibél géhêbén hungèrt in gàr ser; er vànd niks zu / efièn den di' wurzéln um krôutér, um trànk wàfièr um / ging aso làng uf der wisèn ódèr haid umvér-maint, er / welt widér haim kumén. Abér i lengèr er ging, i lengèr

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/ er vér-irt war. Lésóf kam er an ainè schôné bàch. / Do stig er ein, den si* war nit tif. Do vànd er / vii évónim tóvóss; di' nam er um tet vil in busém. / Der bàch war volér évonim tóvóss umging ous dem gan / eden. Er zóch sich ous umging durch dàs wàfièr; es / war gàr streng umstàrk. Er kam dàr durch w r kàm / uf ain schonè strós. Do sach er vàr im ain grófién Stain / u n darein gégósèn ain schwert. Auch war an dem stain ain / ràd, dàs um-schlug alé weg um st eg, dàs

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gélafén gar ain / schèns pferd umgèfil im gar sér wol, um es / stélt sich nebèn im, um er stig ab fun seinèm / pferd umsezt si eh ouf das andér pferd, dèr zu / im gélafén war. Um do er ouf dem pferd kam, / do rent es mit im Ubèr dem berg um durch / tal um durch menchèn bech um land, um er kunt das / pferd nit dér-hàltén.

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/ das ops in wald; das war im windèrlich: ain / tail war weis um ain tail war

Do bracht es im in ain / grófién wald, um do hub er ouf sein augèn um sach schwarz. Der-noch / kam er in ain tal, do wakst do inèn eitèl / gèwurz. Do stund das pferd stil, um er stig / arab fun dem pferd. Umdas pferd ging ain-/wek, umwust nit, wu es hin-kumén wax. 270

Um er / wust auch nit, dàs er war asó weit gèritén. Den / es war ain klaine

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lif gar ser. Do gédocht er: „Kónt ich dàrouf / reitén!" Er ging im antkègén. Do sas er ouf das / pferd. As-bàld er ouf dàs pferd sas, dàs pferd / lif mit im berg um tal, as wen es der teivél / jagét, umlif mit im in ain wald, ain gròfién;

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do / wukfién inén menchèr-lai', ains weis, das andèr / schwarz. Do reit er in dem wald, do kam er ouf / ain wis, do stund alér-lai' worzlén. U n do stund / das pferd

stil; do war er gar fró* un* steigt / ab un* der-mai'èt sich in der

wisén. Ih* dàs pferd / lif hin-wek.

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Un* er wust nit, dàs er asó weit fun / seiném fatér war, un*er wust nit, wu er hin-gén / solt. U n er schrei'ét, un nimèt entfért im, un* / er war wól hundért tag rais fun seiném fatér.

U m / er lest kreitér in den wald un* as der-fun um/ trànk der-fun un ging in 355

der wis, bis er kam / an ain bach. Do stig er anein, un*er fand gutè / géstain, un er tet si* in seiném busém. D i bach war / fulér avonim tòvóss, umdi' bach ging ous dem gan / eden. Un*er ging in den wafiér, un* er ward gar / stark. Lh*

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er ging ain grófién weg, do war ain / rótér stain, do war dàran géfàst ain schàrf schwert. / Um war dinén ain rad, trib das schwert in alè / weg, dàs er

weil, dàs er fun seinén haverim war / kumén, un*er rif ouf seinè haverim, dàs si' im / sóltén sein pferd brengèn; wen es dunkt in, es / war nit weit fun im, 275

un* er ruft, un* es / entwért im nit; den es war asó weit, as màn / in finfhundért jorèn kent gén un*alé tag zehén / meil. U m er ging spàzirèn in den tal, um er / géfand ain gut kreitér, um er as fun

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in, um er / war sàt. Um er ging in den tal um fand ain / klainèn bach, um er trank der-fun. Do war er fil / grefiér umschènér. Fàr den tal fand er guté / stain umperléch, um er knipt es in ain / géwant. Umder selbig bach ging ous den gan eden, / as in den posuk stèt gèschribèn.

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Umdér-noch zóch er / ous sein schuch umging durch den bach. Uh* er ging / ain weitèn weg. Un* an den selbigén weg do was / ain rad, um an den

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er nit kunt / weitér gên; wen es war gémàcht zu hiitén den weg in dàs / gan eden. Do tet er théfila; dàs ràd stund stil um / Iis in gên. Er ging weitèr un* kam uf ain haid, do wàrén / eitèl schàrsàch uf, di' schneidèn iibér sich géwend. / Do tet er abér théfila, do zur-tailtèn sich di' schar-mesér, / umging dàr-durch.

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Do kam er uf ain veld; do stund vàr / im ain klain houslèn. Er war gàr vro un* ging hinein. Do / safién vil löut inén um asén un* sahén in an, gàbén im solóm. / Er dànkt in um war vro, dàs er hórt, dàs es judén wàrén. / Er ging um wolt sein hend weschén un* wolt auch efién. Do / schri'én si* in an: „Nit

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wesch di' hend umhiit dich, dàs du niks / an-riirs!" Do sàgt er: „Warum? " Do sàgtén si': „Mir sein eitél / tótén löut, um is uns wedér wol nòch wê', um miifìén / ain gànz jor hinén bleibén, dàr-nòch as er vér-schuld hot. / Libér Simra, bit vàr uns! Mir wifién wol, wàs du hi* tust; / nechtén hórtén mir wol, dàs màn nòch dir wurd schikèn."

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Er vrogt / si' vii, abér si* woltén im niks sàgén. Aso ging er widér / vun si\ Do sach er sich bàs um : do sach er sein schôné / um libliché Béria untér den stigèn sizén. Do der-schràk / er um spràch: „Owê* laidér! Libé Béria, wàs tustu hi'? " / Do spràch si': „Libér ous-dér-weltér Simra! hi* mus ich sizén /

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noch acht tàg; abér tustu théfila um mich, so kum ich / bàld hérous. Libér Simra, ich hàb kain siind gétón uf erdén, / den dàs ich dir dér-labt, dàs du mich kusén sólst." Er / ging zu ir un* wolt si* abér kusén. Do sàgt si': „Hüt

selbigén râd worén fil schàr/é / schwertér, um das rad ging imér harum un*/ 290

welgért sich um, dàs er nit gén kint, un* es was / gémacht zu hitén den weg fun den gan eden. Do bat / Simri fleißiglich, dàs in got solt béhitén fàr den / schwertér; do* hört got sein stim, un* er iibér-/fur di' schwertér, um es géschach im nischt.

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Do ging / er ain gutén weg; do fand er ain feld, das war / eitèl schar-mefièr un* schàrfé schwertér, un* er kunt / das feld nit ibèr-sehèn fer eitèl scharmeàér / um fer den scherfén schwertér. Um er bat abèr / got, dàs er ibèr-farèn sólt das feld.

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U m er / hub ouf sein augén, un* er sach drer iorèn: ains / war weis umdas andér war schwarz, umdas / drit war rot.

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nit kont far sich gén; wen es war gémàcht / zu hitén di' weg fun dem gan eden. Um er tet théfila; / do stund das rad stil un lis in gén. 365

U n er / ging fort un kam an ain haid, do war eitél schar-/sachél mefiér dàrouf, um di' scherf ging ibér sich. / Do tet er abér théfila zu gót, do tailtén sich di' I schar-mefièr untér sich, un er ging zwischén si*.

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U n / er kam ouf ain feld; do sach er ain klainés / heislein. U n er war gar fró* un stund ouf ain / steg ouf ainém wafièr fun eitél gut gèstain far / ainém hipschén sai. Daruntèr sofièn fil leit un ofién, / un v si* sochén in an un sprochén: „Solóm aléchem!" U n / er dànkt in, un er hört wól, dàs si' jéhudim worén. / U n er ging un wolt sein hend waschén un wolt mit / si' efién. Do schri'én si': „Nit wasch dein hend, hit dich, / das du* niks an-rirst!" Do sagt er: „Warum? " Do / sprochén si: „Mir sein eitél tòté leit; uns ist wedér / wól noch w é \ Ains mus zwai' jor hinén sein, ainér / ain jor, ainér làng, der andér korz, der-noch ainér / fer-schult hot. Mein libér Simra, bit fàr uns! Mir / wifién wôl, was du* hinén tust; nechtén hertén mir / wôl, dàs màn das pferd noch dir welt schikén." Er I fregt si' fil, abér si* darftén im nischt béschaidén. / Er ging widér hérab. Do er hérab-kam, do kam er / untér di' stig: do sas sein cala Béria. Do er / si* an-sach, do sprach er: „Libe Béria, was tustu / òdér wi' is dir? " Do sagt si': „Hi* mus ich noch sizén / acht tag; abér bet du' fer mich, so kom ich

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gleich / hénous. Libér Simra, ich hab kain sind géton, wen das / ich dir hab der-laubt, mich zu kufién." U n er wolt / si* abér kufién. Do sagt si': „Wen

Umdo er ganz umgar hin-kam / fer di' tórén, do sach er seinè Béria sizèn in / ainém torén. Um er war gar sèr frò', den er / wolt mainèn, dàs si' wer 305

lebédig, um lif fluks zu / kégèn ir. Umsi' rif in ant-kégèn: „Libér Simri, mein I libér freint, gè* nit nohènt her, ich bin t ô t ! " Um / er wolt sich nit dàran kerén. Do sprach si': „Libèr / Simri, wilstu es nit glôbèn, dàs ich tòt bin, do

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nem / in dein hànt mein gèwànt, do werstu inèn mein grôfié / wè'-tag, di' ich mus leidèn um das kufién wegén, dàs / du* mich gékust host." Um er rürt an irén gèwànt. / Do fér-brent er sich sein hànt, so schri* er ain / gèschrei', ain gros um ain bitérs.

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Do sprach / Béria: „Gè' bàld zu den bach umwàsch di'

hend, / do werstu géhailt werén." (Die Fortsetzung unten.)

der von nun an völlig abweichenden

Version V folgt

weiter

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dich / an deinum leip un*rür mich nit an, ôdér du must sterbèn!" / Do spràch er: „Ich wàs nit, wu ich bin ôdér wi* mir gèschehén / is ódèr wu ich hin sòl. Ich wil dich kiisèn, so stirb / ich uirbleib bei* dir h i \ " Do sàgt si': „Nain, bei' deinum / leib'! Ge' vun mir iibèr di' haid, so kumstu widér haim." /

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Do ging er widér vun ir mit grôfiém laid, mit wainén un* / schrei'én. Do bégègnét im uf der haid ain altér grò'èr / màn mit ainum làngén bort. Do sàgt der alt: „Dàs ist / ain selzòmér màn an disém òrt!" Do sàgt Simra: „Dàs ist / worlich wor; wàs nit, wu ich bin òdér wu ich hin sòl. Libér / Rébi, zaigt mir, wu ich haim kum, un* sàgt mir: wàs hàb / ich doch gétòn, dàs mir ain sôlché mikre widér-varén ist? " / Do spràch er: „Du host kain siind gétòn, den dàs di Béria / vun deint-wegén géstòrbén is. Nun, du sòlt widér haim kumén." Do / sàgt Simra: „Libér Rébi, sàgt mir, wer ir seit!" Do sàgt er: „Ich I bin Eljohu hanovi." Do sàgt er: „Libér Kèbi benscht mich!" Do sàgt er: / „Ich wil dich izundér nit benschén; ich wais wol, du must widér heim / kumén." Do hàt er vér-gesén, dàs er nit hàt gébetén vàr di' Béria. / Do er nun widér kam, do ging er in dàs hous zu seinér Béria. / Do ducht in, wi* ainér bei* ir wer un* ir baidé brüst / in sein hànd. Do sàgt er: „Libé Béria, wer hàlst

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dich? " Do sàgt / si': „Libér Simra, nit dér-schrik! Der Sotan wü dich aso an-raizén." / Un*er ging zu seinér Béria, un*si* sàgt: ,,Hüt dich un* / rür mich nit an, bis ich hàb géret ain red!" Do sàgt er: „So / rêd, wàs du wilst!" Do sàgt si': „Libér Simra, so tu wilst / bei' mir af dem stul sizén òdér wilstu

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lengér baitén? " / D o sàgt er: „Ich wil nit lengér baitén." Do sàgt si': "So gè* hin / widér haim un* sàg es deinum vàtér un*meinum vatér: es / sei* in lib òdér laid, so welstu mich jo hàbén. Er wolt / mich dir nit gebén bei* meinum lebén; so mus er leidén, dàs / du mich hòst in jenér welt όη silbér un*gelt. Un*

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/ gê' tévila un*rainig tich un*gésegén deine vröund! A m / dritén tàg bistu géwis tòt. Ich sàg dir vàr-wor: am dritén / tàg werstu géwis sterbèn, so tu' mich anrürs." Er sàgt: / „Ich wil dich an-riirén, un* sòlt es mir noch ain-mòl

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den leib / kòstén!" un*vil ir um den hàls uirkust si* un*ging / dàr-nòch widér hin-wek.

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Do kam der alt grò'ér màn widér / zu im un*sàgt: „Kum her, libér Simra, ich wil dich haim / vûrén un*wil di'-weil zu-richtén zu der brôûléft." Do / benscht er in. Do bàt er vàr sein libé Béria, dàs si* us / dem hôuslén untér der stigèn dèr-lôst würd. Dàs gèschàch, / un* si' kam in dàs licht gan eden. - Wers nit glàb, der is / auch ain juà. Do kam der Simra haim. Do zürnt der / künig, dàs er aso làng war ous géwesén. Do sàgt er im / als, wàs im bégegnèt wàs un*wi' er sterbèn würd, / «n* der künig gèhub sich ser ûbél vun wegén Simras tòt. / Do kam Simra zu

Beria und Simra

35

du' mich an-rirst, / so mustu sterbén!" Do sprach er: „Ich wais nit, wu / ich 395

bin odèr w u ich sol hin gén. Ich wil dich an-/rirén, so sterb ich umbleib bei* dir!" Si' bet in: / „Libér Simra, tu' es nit! Gè* widér ibèr di' wis." Do I ging er um waint. Do bégégént im ain altèr man. / Do sagt er zu im: „Solóm aléchem." Do sagt er widér: / „Solóm aléchem, Rabi." Do sprach

400

der man: „Das is hi' / ain selzàmér man!" Do sagt Simra: „Das is wor, libèr / Rabi; ich wais nit, wu ich bin. Sagt mir, was hab / ich géton, as mir das widér-farén is? " Do sagt er: / „Simra, du' host ni' kain sind géton, wen dàs

405

di' I maid fun deint-wegén géstorbén is. Du' solst abèr / bald widér haim kumén." Do sprach Simra: „Libér Rabi, / wer seit ir? " Do sprach er: „Ich bin Ëlijohu hanovi." / Do sagt er: „Libér Rabi, so benscht mich!" Do Sprach er: / „Ich wil dich izundèrt nit benschén; ich wais wôl, du' kum st widér."

410

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425

430

Do hat er fér-gefién, dàs er nit hat / gébetén um sein Bèria. U n do er widér kam um / ging in das hous, do dichtS in, wi' ainér war stén / bei* seinèr Béria um er si kust un baide brist / in seinèr hànt. Um er sprach: „Libe Bèria, wer kust / dich? " Do sprach si': „Nimént, dér Sotan wil dich asò laichén." / Uff er ging zu seinèr Bèria, um si* sagt zu im: „Hit / dich, dàs du* mich nit an-rirst, bis ich mit dir / hab géret!" Do sjprach er: „Do sag an!" Do sagt si': / „Libér Simra, wilstu bei' mir ouf den lerén stul / sizén, òdér wilstu lengèr wartèn? Den der stul is / dein." Do sagt er: „Ich wil nit lengèr baitén." Do sagt / si': „So gè' um sag es meiném fatér: es sei* im lib / òdér laid, do werstu mich }ò9 nemèn. Er hot mich / dir nit welén gebèn in disér welt; so werstu mich / nemèn j ó ' in jenér weit. Um gè* tèvila un gèsegèn / dein freind um rainik dich! So bistu an den dritén / tag géwis tòt umkumst bei* mir ouf den stul; / do magstu mich wól an-rirén. Ich sag dirs fàr-wor: / rirst du* mich an, am dritèn tag mustu sterbén." / Do sprach er: „So wil ich dich mit fleis an-rirén!" / um fil ir um den hàls um kust si' umhàlst si / wól mén as tousént mol umgésegént si' umging sein / Stros. Dò stund Elijohu hanovi umwàrtét seinèr / um sprach: „Simra, ich wil dich

435

widér haim sendén, / um ich wil di'-weil zu-richtèn zu der breiléft." U m / er benscht in. Um er hat abér fér-gefién, um / Béria zu bitèn; der-noch kert er widér um um / bat um Bèria. U n si* kem in das gan eden um/ kam ous dem hous. Um er sas widér ouf das / pfert umreit widér haim. Do zürnt der melech /

440

gar ser, as er asò làng war oufién géblibén. Do sagt / er alé sach, wi* er stàrbén must um Béria. U n / er tet zavòa: „Tragt mich ouf den kévoròss un /

36

Erika T i m m

seinum vatér un* Béria vatér un* sàgt, wi' / im Béria bévolén hàt: dàs er am dritén tàg sterbèn must. / Do géhub sich alé seiné vrôùnd ser ûbél um tòt Simra. / Er sàgt zu inén, so er géstòrbén wer, do sòltén si' in nit / bégràbén; 450

si* sòltén in uf dàs kèvoròss stelén un* sten lófién / un*sòltén widér haim gên. Aso ging er tèvila un*rainigt / sich un*gésegnét idérmàn. Do wurd ain gros schrei'én un*/ wainén, dàs mànés hòrt in der gànzén stàt, dés-gleichéA der / cohen hagodól auch un* hàt gros hèrota daruf, dàs er vun wegén / sein tochtér hàt aso vér-lórén.

45 5

èòf dovar, am tritén Stàrb der / gut vrum Simra - got sei* im génedig! Seiné vröund tetén, / wi* er in bévolén hàt. Si' tribén ain gros èvêluss, un*/ dàs nit zu schreibén ist. Aso nòch làngum klàgén un* wainén ging / idérmàn widér haim un*lifién in aso ón-bégràbén uf dem / bêss hahajim sten.

460

Do kàmén di' malachim Michael, Gavriel, un* / namén in un*trugén in, as wol bilich war, den er hàt nòch / ni* kain siind gétón, unbróchtén in in dàs gan eden / zu seinér libstén Béria un* màchtén ain hûpsché brôûléft. / Hakodòs boruch h u màcht di' bérocha, un* di' m al oc him warén di' lezonim. /

465

Mose un* Ahéron vurtèn den hessan un* cala untér di' hupa. / Dàr-nóch as màn un*trànk un*tàniz, un*Sélomo hamelech / benscht di' seva bérochòss. Es war ain solche kôsliché / brôûléft, di' ni* is in kainér kéhila géwesén. /

Nun, ir libé löut, hàt ir wol in dem biichlén gélesén, / wàs di' grós libschàft brengt! 470

Der-hàlbèn ain itlichér / sich vàr wol bédenkt, wàs dàrous möcht werdén. Es sind / noch vil hûpsché un* vrum è löut uf erdèn, di' im môchtén / werdén zu-tail, hot er andèrst dàs glük un* hail. / Dormit wil ichs vél-endén. Got jissborech sòl uns auch den / altén gró'én man sendén,

475

un* mit im brengén Masiah / zw or! Omen - dàs sòl géschehén in disém jor! /

Géschribèn im jor „ci sem h^ekra" vchu N / Dàs pit ich, der schreibèr Jizhak bar Juda stchrònò ìivrocha Rôutlingèn.

Beria und Simra

37

lost mich asò stén un gét widér haim." U n er / gésegént sein fatér un sein 445

mutér un wend sich / um un war tòt. U n si' waintén, un idér-man / waint, un der cohen godól waint auch asò ser, dàs nit / der-fun zu schreibén is. U n si* trugén in ouf das / béss hakévoróss un lifién in stén.

450

455

Do komén di* / malochim Gavriel un Michoel un hóltén in, as biléch / is; er hat kain sind géton. Si* machtén ain schéné / breiléft. Di' malochim worén satén-spilén. Mose / un Ahéròn firtén den hossan zu der hupa, un / Elijohu hanovi servt zu dér hassuna. Dér-noch / as mén, un am frei'-tag zu nàcht benscht / D o v i d hamelech, un Sélomo hamelech wardén / frölich. /

sélik

sèlik

sélik

Erika T i m m

38 (Fortsetzung

von V:)

Do ging er zu den bach / um war gèhailt umkam widér zu seinèr Bèria, u m / si* sprach: „Wis, dàs das is das tor f u n dem / géhinom um i n der tôrén rieht màn di' sindigèr f u n / Jisroel, u m d u ' bist kumèn f u n hous deins fatér" - as / 320

òbèn géschribèn stèt - „ u m das pferd, dàs d u ' dàrouf / géritèn bist, das is ain malach, umibér den, dàs / du* bist ibér-farén eitél schar-mesér, do inén / sein eitél nésomòss, d i ' nit irè teg habèn ous-/gèlebt um kumèn nit i n das gan

325

eden, bis d i ' sibézig / j o r ous sein, w i ' hachomim,

sichrònam

livrocha , sagén;

um got h o t dir das / pferd géschikt, dàs er dir w i l weisèn als, um was du* / host gésehén um was du* wer st sehén. Do / werstu sehén ain malach, der haist 330

Duma, um / sich ebèn ouf, er is weis gèklait um is grefièr / wen di* andérén al, um er firt m i t sich sibèzig-/tousént malaché soress, d i ' den leitén ir t ò t ab-/nemén, d i ' unsèrs her gébot n i t habén gèhàltén. U m / wen du' i n werst sehén, do b i t drei'-érlai' fun / i m : ains, dàs er mich fun hinèn ous-zicht; den

335

ich / wer gar hertiglich gèricht fun das kufién wegèn, u m / w i ' - w o l dàs m i r es habén nit zu bésén gémaint. Abér / zu selchèn sa£, d i ' es zu bèsèn mainén zu far-ous, dàs / d i ' selbigén werén géricht m i t den grunt f u n géhinom. / U m

340

màn gét m i t i m scheizlich u m , dàs si' woltèn, dàs si* / d i ' welt hetén n i ' an-gésehén, asô gar hertiglichén / werén di' gèricht. - U m das andèr, das er dir weisén / sol di* tor f u n géhinom um wem màn dinén rieht u m w i ' / màn si* rieht um dàs es dir nit schadén sol, wen du* / untèr si* gèst. - Umdas drit bet,

345

dàs er dir sol / widér-gebén das pferd, dàs du* géritèn bist, um dàs / es dich widér ain-haim brengt. U m er wert dir / als gèwerén, dàs du' i n b i t s t . " U m as was as si* m i t / anàndèr rédétén, do kam der malach, dàs si* gesagt /

350

hat f u n in, m i t al seinèm her um ging zu kègèn i n ; / um kent i n an den worzaichèn, dàs si* i m hat gebén, / u m bat i n di* drei' bet; dàs er solt ous-zihén / Béria, d i ' do inén wer; umdas andèré, dàs er i m / solt weisèn d i ' drei* tor u m d i ' dàrinén géricht werén / umwi* màn si' rieht umdàs es i m kain

355

schadén sólt / sein; umdi* drit bet, dàs er solt widèr-gebèn das / pferd, dàs er dàrouf géritèn was. Do sprach der / malach: „ I c h w i l t u n as dein réd." Do gèbot der malach / D u m a ain andérén malach, dàs er i n solt hitèn, dàs / im kain schadén géschicht.

360

Do kam Simri in ain hous, do / géfand er fil leit dàrinén; di' sofién ibèr den tisch I um ofièn. Um di' speis, di' si' ofién, do was / eitél fei'ér, um wen si' ofién, do fér-brentèn si* / sich ... (Hier bricht

V ab.)

Beria und Simra

39

Lesarten 1) R : 23 Simra fehlt; his: s unter Fleck. 31 demütig: d undeutlich. 53 vor zu ir gestr.: in. 68 vor kan géstr .: màg; ich fehlt vor zu öuch hàb; zu iib.cL Zeile nachgetr. 69 (wie 213, 322, 474) j i s s \ 77 am Zeilenanf 88 vor urrgestr.: do. 90 anàndér: das erste Nun korr. aus gestr.: sàg. Sc Muß-Nun. 113 zu fehlt. 118 vor Simra gestr.: Tovass; vor un* gestr.: un\ 136 vor i n gestr.: ous. 148 Ei: Buchstabe vor Doppeljod unlesbar. 165 vor reitstu gestr.: hostu. 179/180 un* zweimal 209 wàs: wsr. 221 vor cohen gestr.: geschr. 187 vor si* gestr.: es. Simra. 246 am Zeilenende gestr.: w l . 250/251 weit ir zweimal. 261 béschintèn. 265 vróg korr. aus vrógt. 270 werén: wen. 280 mévatel. 294/295 abér zweimal. 296 vor sàgt gestr.: war. 308 wer: war, durch Zere unter Doppelwaw korr; wer siy fehlt im Seitenwechsel. 332 358 aso: s fehlt. 369 der: dem; vor zu Simra gestr.: zu seinum vatér. vor ging gestr.: w o l t . 392 der-schràk: k am Zeilenende undeutlich. 410 mikra. 414 Libér r*. 425 nit fehlt. 443-445 Zeilenanfänge über461 vor gan eden gestr.: gen. 463 klebt. 454 fcd. 458 in: is. 472 glük korr. aus klük. 477 sì. hkbh. 467 vor brôûléft gestr.: blu. Okkasionelle Punktierung im deutschen Element: 1) Pathach tàl 349, bàch 365, 368, ràd 373, 375, bàt 438, as 465, tràbàntén 239. 2) Kamez statt Aleph bórt 406. 3) Zere jómér 304, wer 308, heim 415. 4) Chirek statt Jod ir 126. 5) Cholem ròtén 126, ongéschedigt 244, génód 245, 246, wç>r 276, j ó m é r 304, hór 324, ónbégràbén 458; gós 24, tòrhiitér 231, 6) Kibbuz siinén 15. 7) Schin281, schòn 301, vérlorèn 454. Punkt gróschén 230, 231. 2) V : 2 wa*. 20 bich. 29 w l t . 42 j i s s \ 44 das: da. 70 m i r : m i c h (vgl. 17 und 73). 97 wer*. 98 (wie 124) hktïh. 99 idéran. 104 tocher. 105 'jh. 116 sému*. 118 cohéni*. 122 ouf kain schlos. 150 géhrét. 160 jdschèn. 165 géno*. 170 iklich*. 173 idér. 204 Jérusolaji*. 243 (wie 249) malchu*. 258 sid. 287 schàfré. 290 géamcht. 299 schorén. 311 r i u r t . 325 lsh (vgl. Komm., Anm. 91). 337 sachén. 339 si' fehlt. 3) Ρ 1 : 20 zmai" Ρ 1 Ρ 2 . 23 zwvai' Ρ 1 Ρ 2 . 34 zadekuss Ρ 1 , -kess Ρ 2 F . 47 gòfiénr Ρ 1 , grósèn Ρ 2 . 54 fiert Ρ 1 , firt Ρ 2 F . 61 sachtèn Ρ 1 Ρ 2 . 75 gingén Ρ 1 , ging Ρ 2F. 116 Do (Ρ 2F) fehlt Ρ 1. 143 auch Ρ 1, ich Ρ 2F. 150 am Ρ 1 , an Ρ 2 F. 164 izunzdèrt Ρ 1 ; reitsu Ρ 1, reitstu Ρ 2. 195 mén: an Ρ 1, m n Ρ 2, an ds m n F. 204 techtér Ρ 1. 206 zwhél Ρ 1 . 210 u m : u n Ρ 1, um Ρ 2F. 12 · v i 253/254 Ρ Ρ im Seitenwechsel: werén seltèn sein as s / sterk werén Ρ , werén wert dàs si* / sterk werén Ρ 2, werén wedér dàs si* solén sterk werén F. 256 fun (Ρ 2F) fehlt Ρ 1. 322 jóaér Ρ 1. 347 prfed Ρ 1. 364 stundèn Ρ 1. 393 must Ρ 1, mustu Ρ 2F. 421 deiném Ρ 1, meiném Ρ 2F. 422 (wie 424) j'ó P 1 , jò'/jo Ρ 2 .

rika T i m m

40

Glossar Aus Raumgründen werden graphische Varianten nicht eigens aufgeführt. - I n der deutschen Komponente macht wicklung des Jiddischen aufmerksam. 1) Deutsche Komponente machen,

aussuchen

laichèn (Ρ 414) - irrefähren,

und Talmud studieren;

bègebèn (V 184) - vertun bémeléch (V 59) - langsam (ge)me(ch)liche

χ slav.

* lernèr (R 5 ) - Gelehrter,

(mhd.

pomalu)

97,

434,

451)

-

lehren Student

nôùert (R 247), neiert (P 189, 247; V 48, 60) -nur oufìènligén (Ρ 165; V 69) - auf dem

Hochzeit dermai'én (R 353; Ρ 348) - ergötzen dinén (Ρ 221, 229, 361; V 342) -

Herzen liegen ousgénumèn (V 104) - vorausgesetzt schafén (R 178) - befehlen

darinnen èntplekèn (R 37), ant- (Ρ 44, 110) enthüllen , offenbaren férzerèn (V 184, 186) - verzehren , verschwenden

* génehén ópfér (R 13; Ρ 15) - Opfer darbringen gésegnèn (mit A k k . ) 424, 431, 444; Segenswünschen schied nehmen henden gesagt)

-Bibel

nechtèn (R 389; Ρ 382) - gestern

brôùléft (R 99, 100, 437, 462, 467), (P

betrügen

* lernén (R 9, 186; Ρ 10, 186)

baitèn (R 424, 425; Ρ 420) - warten

(R 430, 4 5 1 ; Ρ V 117) - mit von jdm. Ab(vom Wegzie-

(R

377;

Ρ

365)

-

Schermesser * schul (R, Ρ, V ) - Bethaus,

Synagoge

sistér (V 195) - fernerhin terèn (Ρ 170, 264, 279; V 59, 1 2 2 ) wagen, sich zutrauen; im negierten Satz: dürfen tràbàntèn (R 239) - Leibwächter * tukèn (V 93) - tauchen (beim

Ritual-

wedèr

(V

169,

181)

- als (beim

Komp.)

206; V 62) - Handtuch heltèr (V 195) - Komp.

schârsàch

bad)

hàndzwe(hé)l (R 157, 206; Ρ 156,

geneigter

jidschén (V 160) - beschneiden kânt (R 24) - Kanne

antplekèn, s. èntplekèn

(Zeit)

Sonderent-

* jûdschén (R 197), judschèn (Ρ 195),

achtèn (V 222) - ausfindig

breiléft

* auf eine semantische

von

holt:

welgérn sich (V 289) - sich drehen, wälzen

41

Beria und Simra birchass cohènim

wé'tag (V 310) - Schmerz

(V

118)

- der

Priestersegen (4. Mose 6, 24-26) 2) Romanische Komponente 407, 408, 435, 454) - segnen; Tisch-

borèchu (R 156,157; Ρ 154; V 61) (Anfang eines Gebetes:) segnet! lobpreiset!

gebet sprechen

botel (P 285, dafür: b o t u l Ρ 199) -

benschèn (R 414, 415, 438, 4 6 6 ; Ρ

aufgehoben,

lai'ènèn (Ρ 294) - lesen òrèn (R 157; Ρ 154, 155) - beten prai'èn (R 35), b- (P 76) - einladen servèn (P 453) - bedienen

cala (R 464; Ρ 386) - Braut cehurim von:

(R 233) für: caar - hier:

Aristokraten 3) S lavische Komponente bémeléch, s. deutsche

nichtig

(vgl. mèvatelj

Komponente

S.F. Brenz,

(Sg. Ker

cèurim, Pl. nicht-jüdische belegt

celim, Pl. (R 40, 42; Ρ 48) - Geräte cen jirbe (R 2 7 5 ) - s o vermehrt

4) Hebräische Komponente ahèrê hadèvorim hoele (R 29, 194) nach diesen

Begebenheiten

apifiôr (Ρ), apipfiór (R) - Papst (s. Kommentar

mit Anm.

24)

aseress-alofim (Ρ 284) - zehntausend avonim tóvóss, Pl. (Ρ 357), èvonim t . (R 279, 367, 368) - Edelsteine bèherpa (R 84, 87) - in Schande békizur (P 216) - in Kürze ben melech (V 72) - Königssohn bèrocha, Pl. bérochóss (R 4 6 3 , 4 6 6 ) - Segen, Segensspruch bèsem elohé Jisroel (P 219) - im Namen des Gottes Israel bêss hahajim (R 459) - Friedhof

bei

1614)

es

sich cen j ó v d u

(R 282) - so gehen sie

zugrunde „ c i sem h s ekra" vchu N (R 476) „denn ich will den Namen des Herrn preisen" usw. (5. Mose 32.3). Die Apices bei s und m sind nicht als Abkürzungszeichen deutbar, bezeichnen also die Datierung. Daß auch h (wo der Apex Abkürzungszeichen ist) zur Datierung gehört, hält Steinschneider, Serapeum 5(1864)73, für weniger wahrscheinlich. cohen (ha)godôl (R, Ρ, V ) - Hoherpriester cohènim, Pl.

(R 10; Ρ 12) - die

Prìester

bèss hakèvoròss (Ρ 448) - Friedhof

col (Ρ 13) - ganz

bèssula (V 15) - Jungfrau

dea (R 85) - Verstand, Idee,

bifrat (R 289) - insbesondere

edim, Pl. (R 220) - die Zeugen

Absicht

42

Erika T i m m

Elijohu hanovi (Ρ 406, 432, 453), Eljohu (R 414) - der Prophet

Elia

èvêluss (statt: avêluss R 456) - das Trauern

hossan (P 452), hessan (R 464) Bräutigam hupa (R 464; Ρ 452) - Traubaldachin im jirze hasem (V 105) - so Gott will

èvonim, s. avonim gan eden (R 369, 375, 440, 461; Ρ 357, 363, 437; V 283, 290) Garten Eden

jèrusa (R 16; Ρ 18) - Erbschaft

géhinom (V 318, 338, 342) - Hölle

jissborech (R 69, 213, 322, 4 7 4 ; Ρ

gésêra, Pl. gèsêrôss (R 199, 280, 284, 292; Ρ 198, 218, 222, 285) Verhängnis, spez. Gesetz (e) gegen die Juden hakodós boruch h u (R 463; V 98, 124) - der Heilige, gesegnet sei er!

jèhudim (Ρ 3 7 4 ; V 120)-Juden

242, 298; V 42) - er sei gepnesen jissborech sèmò (Ρ 224) - sein Name sei gepriesen jòazim, PI. (P 285), jòèzim (R 329, 335) - Ratgeber kèhila (R 467; Ρ 220) - Gemeinde késar (V) - Kaiser

hacham, s. hoch am hachomim, sichrónam

livrocha

325) - die Weisen, ihr

(V

Andenken

kohal (P 95) - Gemeinde kévoróss (R 449; Ρ 442) - Friedhof

zum Segen! léhajim ulè&olòm (R 109) - Gesund-

hajim, Pl. - Leben; Gesundheit (s. bêss und lèhajina) hajiv missa schuldig

(V

84)

heit und Frieden!

- des Todes

lezonim, Pl. (R 463) - Spaßmacher, Musikanten

hassuna (P 453) - Hochzeit haverim, Pl.

(V

271,

272) - Ge-

fährten

57)- Kostbarkeit( en ) (statt:

h a l o k i m , R 18) - Teil(e) hèrata (statt: harota, R 453) - Reue hocham (R 33; V 97), hacham (R 5) - der Weise

(R

1; V

1) -

Geschichte,

Erzählung; Ereignis t o v i m , Pl.- (V

14) - gute

Taten, Tugenden

hefez, Pl. hafozim (R 42; Ρ 50, 53, (R 28), Pl. hèlokim

maéfie maéfiim

heder (R 43, 54) - Zimmer

helek

lésòf (R 365) - schließlich

malach (V 321, 328, 357, 358), PL malochim (R 463; Ρ 449, 451), malachim (R 459) - Engel malaché soress (V 331) - dienende Engel malchuss (V 243, 246, 249) - Königreich

43

Beria und Simra Masiah (statt: Mosiah, R 474) - der

409,413,414)-Herr

Messias

regel (R 12), Pl. régolim (Ρ 14) -

maskona (V 95) - Βeschluß

Hauptfest(e)

melech (R, Ρ, V ) - König

rèsuss

mèvatel sein (R 284; Ρ 201, 217) aufheben,

annullieren

(dafür:

annulliert

mikra,

R

(P 122)

(V

114)

-

Erlaubnis,

hier:

Urlaub

- Familie,

-

Ver-

wandtschaft misshathen sein (R 84, 103; V 22, 32) - sich verschwägern

rosa (R 196) - Judenfeind sèchuss (V 97) - Verdienst sichrònó livrocha (R 476) - sein Gedenken zum Segen! (Eulogie für Verstorbene) sélik (Ρ 456) - fertig,

mizvoss, Pl. (V 83) - Gebote m o m ó n (R 103, 192, 279, 285; Ρ 104, 219) - Mammon,

ros hodes sivan (V 241 ) - der (festliche) Beginn des Monats Sivan

410)

Schicksal mispoha

Wochen-

ros hasona (R 13; Ρ 15) - Neujahr

mèvutal (R 292, dafür: mèvatel R 280) - aufgehoben,

(Passah-,

und Laubhütten fest)

mèmiss sein (P 240) - töten

mikre

rabi (P 399, 401, 405, 407),rèbi (R

Geld

vollendet

sèuda (R 35, 39, 331; Ρ 46, 327; V 242) - Festmahl sivan

m ò r i d sein (R 182) - revoltieren

(V

241)

- jüdischer

Monat

(etwa Juni) né Som a (R 290), PL nèsomòss (V 323) - Seele (η)

sòd

maèmin

sein

(R

86)

- ein

Geheimnis anvertrauen

omen (R 475) - Amen

sòf dovar (R 454) - zuletzt

over sein (V 83) - übertreten

sabass (V 92, 182-188) - Sabbat

osir (V 2, 5) - der Reiche

sadchòniss (statt: sadchònuss, R 96)

parnosim, Pl. (R 101, 104, 109, 119; Ρ 100; V 26) - die Gemeindevorsteher

sèmua (Ρ 175), Pl. sèmuòss (V 88,

pèrizim, Pl. (Ρ 232) - eigentlich:

seva bérochòss (R 466) - die sieben

Zügellosen, speziell:

die

nicht-jüdische

Aristokraten

(R

294,

116, 202) - Botschaft Segenssprüche Kap.

posuk (V 284) - Bibelvers posul

- Vermittlungsgebühr

303)

(eigentl. im rituellen

( s.

(en) Kommentar,

VII)

sèvua (Ρ 213) - Schwur, -

unwürdig

Sinne)

Eid

sofel (Ρ 123 d t . K o m p . : schofélèr) niedrig, gering geachtet

-

Erika T i m m

44

soliah mèjuhad (V 90) - Sonderòote solòm (R 74, 109, 381) - Frìede solóm aléchem (P 373, 398, 399) Friede mit

Euch!

sómèrim, Pl. (Ρ 223, 225, 227, 229) Wächter tévila (R 196, 270, 430, 4 5 0 ; P 195, 424) - Reinigungsbad thalmid hocham (R 33) - Gelehrter (im jüdischen théfila

Schrifttum)

(R 199, 375, 378, 395; Ρ

198, 363, 367)

-Gebet

thésuva (R 134) - Antwort

thòra

(R 9; Ρ 11; V

13)

- die

mosaische Lehre tóe, sich tòe sein (R 84; V 21) - sich irren zaar (V 229) - Schmerz zadekess (P 34) - fromme

Frau

zadik (V 98) - gerechter,

frommer

Mann zavòa (Ρ 442) - Anordnung

(spez.

testamentarische) zénua (V 236) - sittsame Frau zoróss, Pl. (R 114) - Leiden,

Qual

Beria und Simra

45

Kommentar Der Leser, der unsere Erzählung kennenlernt, mag den Eindruck haben, sie erschließe sich — wenn nicht i n den Einzelheiten, so doch i m poetischen Gehalt — ungewöhnlich leicht. I h m möchte der folgende Kommentar einige Elemente für eine nuanciertere Beurteilung des Werkes an die H a n d geben u n d zeigen: — daß viele zunächst allgemein-menschlich wirkende M o t i v e der Erzählung i n einem historisch-sozialen K o n t e x t stehen, dessen der Dichter zu seiner Inspiration durchaus bedurft zu haben scheint; — daß dem Dichter jedoch innerhalb des so gegebenen Vorstellungsfeldes ein relativ weiter Freiraum blieb, an dessen Grenzen er einen für seine Zeit keineswegs alltäglichen Standpunkt bezog; schließlich — daß die W ü r d i g u n g dieses Verhältnisses zwischen traditionsgebundener u n d individueller Komponente den ästhetischen Eindruck nicht mindert, sondern vertieft. Dabei w i r d sich zugleich die Gelegenheit ergeben, einige Grundtatsachen des Stemmas vorzuführen, die sich nur i n inhaltlichen oder stilistischen Zusammenhängen sinnvoll untersuchen lassen. Ich würde mich freuen, wenn der Kommentar darüber hinaus den Religionswissenschaftler — auf dessen H i l f e die junge Jiddistik immer wieder angewiesen sein w i r d — anregen könnte, i h n zu verbessern u n d zu v e r v o l l ständigen. I. Das

Königtum

Unsere Geschichte spielt am H o f e eines jüdischen Königs i n Jerusalem — i m Denken des Dichters also eindeutig v o r der Zerstörung des Zweiten Tempels (70 n. Chr.), dem bekanntesten D a t u m der jüdischen Geschichte. Der K ö n i g u n d sein Sohn sind als durchaus sympathisch geschildert: der K ö n i g stellenweise als gütig bis zur Schwäche, sein Sohn v o r allem als treuer Freund Simras, dem er für den F a l l seines Todes sogar sein Reich vermachen möchte. D a m i t scheidet als historisches V o r b i l d die Dynastie des Herodes (40 v . Chr. - 68 n. Chr.) aus: v o n idumäischer, also nichtjüdischer H e r k u n f t u n d nur nominell zum jüdischen Glauben übergetreten, i m Lebensstil hellenisiert, durch politische M o r d e an Wortführern der N a t i o n , an Freunden u n d Verwandten (darunter drei Söhnen!) diskreditiert, m i t seinen p r u n k v o l l e n Bauten das Steueraufkommen strapazierend, außenpolitisch hingegen willenloses Werkzeug Roms, hatte bereits ihr Begründer die Dynastie so i n V e r r u f gebracht, daß sie — v o n einer kurzen Unterbre-

46

Erika Timm

chung unter A g r i p p a I . (41 - 44) abgesehen — stets die große Mehrheit des Volkes gegen sich, hatte u n d i m rabbinischen Denken eine fast ebenso katastrophale Erinnerung hinterließ wie i m Neuen Testament 0 . Aber auch zur frühen u n d mittleren Makkabäerzeit stimmt unsere Geschichte keineswegs. Der K ö n i g u n d sein Sohn haben keine militärischen Aufgaben, sind vielmehr i n solchem Grade Vasallen Roms, daß selbst bei einem den nationalen Fortbestand gefährdenden E d i k t v o n dort niemand an militärischen Widerstand denkt. Auch wenn die rabbinische T r a d i t i o n nicht allzu viel v o n den Makkabäern erzählt, ist ihr doch klar, daß die frühen u n d mittleren Vertreter dieser Dynastie ihre Macht auf das Hohepriesteramt gründeten u n d sich erst allmählich daneben den Königstitel zulegten, daß i h r A l l t a g w e i t h i n der militärische K a m p f w a r u n d daß das ferne R o m höchstens die Rolle eines Bundesgenossen gegen die Syrer, nicht die eines H e r r n gespielt haben k o n n t e 1 0 . Aus der späten Makkabäerzeit schließlich scheidet die lange Herrschaft Alexander Jannais (103 - 76 v . Chr.) aus, der sich auf G r u n d seiner Despotie den tödlichen H a ß der pharisäischen (und damit der späteren rabbinischen) T r a d i t i o n z u z o g 1 1 ; ferner offensichtlich die seiner W i t w e Salome (76 - 67). So bleibt nur H y r k a n I I . ( 6 7 - 4 0 ) : er wurde nach turbulenten Anfängen 64/63 durch das erste je i n Judäa erscheinende Römerheer unter Pompeius endgültig i n die Herrschaft eingesetzt und w a r v o n da an — später v o n Cäsars Gnaden — römischer Vasall; Josephus (und m i t i h m Josippon) schildert i h n als gerecht u n d gütig, aber unfähig z u harten Maßnahmen 1 2 . 9 Der wissenschaftliche Rang der neuen Encyclopaedia Judaica, 16 Bde., Jerusalem 1971 - 7 2 (im folgenden: EJ), erlaubt es oft, summarisch auf die einschlägigen Artikel und deren Literaturangaben zu verweisen. Für die Erschließung des babylonischen Talmud (im folgenden: BT) ist ebenso — außer der neunbändigen Ausgabe mit deutscher Übersetzung von L. Goldschmidt, Berlin, dann Den Haag 1897- 1935 — die 35bändige, ausgezeichnet kommentierte englische Übersetzung der Soncino Press, London 1935 - 48, einschließlich des über 700seitigen Indexbandes, 1952, zu nennen. — Zur Dynastie des Herodes vgl. EJ s. vv. Herod, History ; BT Baba Bathra 3a - 4a, Taanith 23a; A. Schallt, König Herodes, dt. Berlin 1969, passim. 10 EJ s. vv. Hasmoneans, History. Die Einengung der späteren jüdischen Vorstellung von der Makkabäerzeit auf relativ wenige Ereignisse wird anschaulich vorgeführt z. B. in dem noch heute lesenswerten Aufsatz von M. Gaster, The Scroll of the Hasmoneans, in: London Transactions of the International Congress of Orientalists 1893, S. 3 - 3 2 , wiederabgedruckt in M. Gaster, Studies and Texts in Folklore, Magic, Medieval Romance, Hebrew Apocrypha und Samaritan Archaeology, 3 Bde., London 1925 -28 (im folgenden: Gaster, Studies), Bd. I, S. 165183. 11 E J s. v. Yannai, Alexander; BT Kiddusin 66a, Sota 47a, Sanhédrin 19a; vgl. noch Gaster, Studies I 166. 12 EJ v. s. Hyrcanus I I . Vgl. Flavii Josephi Opera, ed. Β. Niese, 7 Bde., Berlin 1885 - 95, Neudruck Berlin 1955, Index s. ν. Ύρκανός 3, speziell Ant. X I V 10.1 - 8 über Cäsars Verhältnis zu ihm; Josippon (ed. J. F. Breithaupt, Gotha 1707, ed.

Beria und Simra

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Falls unser Erzähler an i h n dachte, machte er sich z w a r insofern eines Anachronismus schuldig, als H y r k a n wie alle Makkabäer auch das Hohepriesteramt bekleidete. I m m e r h i n wurden bei seinem Tode Königs- u n d Hohepriesterwürde endgültig getrennt, da Herodes u n d seine Nachkommen als Nicht-Aaroniden z u m Priesteramt unfähig waren. A u f G r u n d der langen vormakkabäischen T r a d i t i o n wie der hundertjährigen Erfahrung unter den Herodianern trennt natürlich auch das rabbinisdie Denken konsequent beide Ämter. V o n diesem sehr verständlichen Anachronismus abgesehen, läßt sich also das K ö n i g t u m unserer Erzählung m i t der Epoche H y r k a n s I I . u n d nur m i t dieser vergleichen. M a n darf vermuten, daß der Dichter seine Geschichte grundsätzlich unter einem K ö n i g v o n Jerusalem spielen lassen w o l l t e u n d dazu den letzten auswählte, der nicht m i t dem M a k e l der Herodianer belastet war. W i r haben bisher die I d e n t i t ä t des „ K ö n i g s " unserer Erzählung m i t H y r k a n I I . nur erschlossen. Es läßt sich aber zeigen, daß er i n der Einleitung des Urtextes auch explizit H y r k a n genannt wurde. Aus der Tatsadie, daß dieser N a m e i n den Anfangssätzen aller Versionen je einmal v o r k o m m t , folgt zunächst, daß er — i n welcher F u n k t i o n auch immer — dem U r t e x t angehörte. I n R ist die Nennung eines reichen und mächtigen H y r k a n blindes M o t i v und damit unannehmbar. Auch der Redaktor v o n V identifiziert H y r k a n offensichtlich nicht m i t dem „ K ö n i g " . Sonst hätte seine M i t t e i l u n g , Tovass sei H y r k a n s Sohn, die überraschende Konsequenz, Tovass zum älteren Bruder des achtzehnjährigen Thronerben zu machen; der Redaktor müßte dann wenigstens erklären, weshalb Tovass nicht erbberechtigt ist. Selbst dann würde man es i n kompositorischer H i n sicht als bizarr empfinden, daß Simras gleichaltriger Freund zugleich sein O n k e l wäre. Ist somit H y r k a n i n V nicht identisch m i t dem K ö n i g , so muß man seine Nennung als d ü r f t i g motiviert bezeichnen. D e n Versionen R u n d V ist nicht nur die lockere Verankerung des Namens H y r k a n gemeinsam, sondern komplementär dazu auch die Tatsache, daß der K ö n i g namenlos bleibt u n d daß dadurch die Erzählung zeitlich schwer festzulegen ist. I n Ρ hingegen lesen w i r die zu erwartende M i t t e i l u n g : „Es w a r zur Zeit H y r k a n s " u n d hier identifiziert der Leser zwanglos den melech oder kinig Hominer, Jerusalem 1956) 4.13 - 5.14. Josippon bezeichnet Hyrkan auch für die Zeit nach seiner Unterwerfung unter Rom durchaus als melech (ζ. B. im Text von Casars Anordnungen zu H y r k ans Gunsten, 5.5) und würdigt abschließend (5.14) sein Wirken wie folgt: „So starb in schon vorgerücktem Alter Hyrkan, ein redlicher und gerechter Mann, der während seiner gesamten Herrschaft niemanden verletzt hat [ . . . ] Vierzig Jahre lang stand er an der Spitze des jüdischen Volkes [ . . . ] Wahrlich läßt sich in Hyrkans ganzem Leben nichts finden, wodurch er vor Gott zum Sünder geworden sein könnte, außer daß er das Verbrechen des Herodes unbestraft ließ."

Erika Timm

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der folgenden Erzählung m i t H y r k a n . M a n kann sich k a u m vorstellen, daß eine ursprünglich funktionslose Gestalt für ihre sekundäre V e r w a n d l u n g i n einen K ö n i g gleich den einzigen historisch passenden N a m e n mitgebracht hätte. Ρ bewahrt also den ursprünglichen Sachverhalt. D i e Frage, welche Eigenheit des verlorenen Archetyps die MißVerständnisse i n R u n d V hervorgerufen haben kann, läßt sich naturgemäß nur annähernd beantworten. Zunächst f ä l l t auf, daß i n R u n d Ρ dieselbe Motivfolge a: H y r k a n ; b : „ a m nächsten bei dem K ö n i g u n d gar w o h l gehalten unter

den

Juden, ein Fürst unter dem V o l k " ; c: Simra vorliegt, die schon wegen der identischen Formulierung v o n b nicht auf Z u f a l l beruhen kann. Der entscheidende Unterschied besteht darin, daß die durch b bezeichnete Person i n R m i t a, i n Ρ m i t c identifiziert w i r d . Dabei hat Ρ eine klassische lectio difficilior: sein Text ist historisch sinnvoll, aber verständlich nur für denjenigen Leser, der einen nicht näher spezifizierten „ H y r k a n " sogleich als K ö n i g v o n Judäa erkennt, d. h. i m wesentlichen: der wenigstens die Grundzüge des Josippon rezipiert h a t 1 3 . Auch die M o tivfolge b-c ist i n Ρ f u n k t i o n a l gerechtfertigt: indem schon Simras gleichnamiger Großvater als mächtig, reich u n d beliebt eingeführt w i r d , ist k l a r gestellt, daß Tovass kein E m p o r k ö m m l i n g ist. Leser allerdings, denen „ H y r k a n " als Königsname nicht geläufig ist, werden diesen T e x t m i t Leichtigkeit miß verstehen: sie werden z u dem N a m e n zwangsläufig weitere I n f o r m a t i o n erwarten u n d dazu neigen, die Verbalform war des folgenden Satzes nicht i m Sinne des Autors als V o l l verbum i n Spitzenstellung („es w a r " ) , sondern als K o p u l a („der w a r " ) zu deuten, also a m i t b inhaltlich zu identifizieren. D a m i t w i r d H y r k a n v o m K ö n i g zu einem Großen des Königs, als der er uns explizit i n R, i m p l i z i t i n V entgegentritt. D e r Redaktor v o n R ist nun so verfahren, daß er statt einer Überschrift zunächst die beiden Titelgestalten nannte 1 4 , dann die M o t i v f o l g e a = b 13 Vgl. Josippon a.a.O. — Die kurze Erwähnung in der Weltchronik Seder Olam (in: Mediaeval Jewish Chronicles, ed. Α. Neubauer, Bd. I, Oxford 1887, S. 169) fällt demgegenüber weniger ins Gewicht; auch die negativ getönte, inhaltlich komplizierte Erwähnung in BT Baba Kamma 82b bzw. Sota 49b kann kaum ausgereicht haben, bei der Lektüre des Archetyps unserer Erzählung die notwendige Assoziation auszulösen. 14 Gegenüber V (,Maeße fun Beria veSimri') und P 1 P 2 F(,Maeße Beria veSimra') hat R keine Überschrift. Die Einleitung Maeße is geschehen! Aine his Beria, un ainer his Simra, läßt sich aber um so eher als Ersatz für eine Überschrift auf-

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wiedergab, den nunmehr i n c isoliert erscheinenden Simra i r r i g bereits m i t dem Protagonisten der Erzählung identifizierte, aber einige Zeilen später aus der Vorlage die M i t t e i l u n g stehen ließ, Simra trage den N a m e n seines Großvaters. Auch der Redaktor v o n V erkannte H y r k a n nicht als Königsnamen u n d glaubte daraufhin, den Text durch Umformulierung verständlicher machen z u sollen. Vermutlich identifizierte auch er a m i t b, nahm aber weiterhin die folgende M i t t e i l u n g „ u n d er hieß Simra" wörtlich, mußte also „ S i m r a " für einen Beinamen H y r k a n s u n d damit Tovass für H y r k a n s Sohn halten. Indem er nun den vermeintlichen Beinamen als müßigen Zusatz unterdrückte, gelangte er z u der Genealogie H y r k a n — Tovass — Simra. D a jedoch H y r k a n i n der folgenden Erzählung keine Rolle mehr zu spielen schien, stellte er als Familienoberhaupt gleich Tovass vor. Bei der N e u f o r mulierung des Textes vergaß er allerdings i n Zeile 5, den jüngeren Simra namentlich vorzustellen 1 5 . Wie man sieht, sind die Redaktoren v o n R u n d V z w a r demselben M i ß verständnis z u m Opfer gefallen, haben daraus aber ganz unterschiedliche Konsequenzen gezogen. Sprachlich berühren sich die beiden Umarbeitungen nur i n der Verwendung des Nexus „ M a i ß e " + „geschehen"; doch da dieser die gängigste Einleitungsformel der Maißeliteratur überhaupt darstellt 1 6 u n d zudem hier durch Wortstellung, Tempuswahl u n d Ortsangabe differenziert erscheint, läßt sich daraus keine Abhängigkeit der beiden Umarbeitungen untereinander erschließen.

fassen, als unmittelbar darauf der Doppelpunkt und der etwa 2 cm breite Zwischenraum erscheinen, die zusammen in R die Funktion haben, größere Sinnpausen zu markieren. 15 So läßt sich der in Zeile 14 plötzlich genannte Simri erst im Fortgang der Handlung als Sohn des Tovass und nicht des Königs identifizieren. Deshalb kann man nicht mit J. Zinberg t Geschichte fun der literatur bai Jidn, 8 Bde., Wilna 1929-37, hier: Bd. 6 (im folgenden: Zinberg), S. 206, die Lesart von V für die ursprüngliche halten. Zinbergs Auffassung wird überhaupt erst verständlich, wenn man sich vergegenwärtigt, daß sie auf der weit vorsichtigeren Äußerung von Erik (Nowele 173) beruht, die ihrerseits entstand, als Erik noch keinen Text der Gruppe ΡΦ 2 Ρ in Händen hatte (vgl. sein Bedauern darüber S. 150), also die beste Lesart nicht kannte. — Abzulehnen ist andererseits Eriks Vermutung (Nowele 148), die Verwirrungen auf der ersten Seite von R deuteten darauf hin, daß R Autograph sei: ein Erzähler, der noch nicht einmal die Rollen seiner Hauptpersonen festgelegt hat, kann nicht anschließend die Erzählung so flüssig niederschreiben wie R. 16 Vgl. z.B. M. Grünbaum, Jüdischdeutsche Chrestomathie, Leipzig 1882 [und Neudruck Hildesheim 1969] (im folgenden: Grünbaum), S. 396, 401 f., 405, 414, 418, 420. — Von den 257 Erzählungen des Maißebudies (Basel 1602) beginnen fast 150 mit „Maiße geschah", über 25 mit „Maiße ist geschehen". In Nr. 186, 195, 221 folgt „ . . . an einem oiir", in Nr. 84, 111, 131 „Einer hat geheißen/hieß . . . " . 4 Literaturwissenschaftliches Jahrbuch, 14. Bd.

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Der römische Oberherr

Das m i t der Nennung H y r k a n s angestrebte Geschichtsbild scheint der Dichter i n der Folge durch einen schweren Anachronismus zu zerstören: der römische Oberherr des jüdischen Königs ist i n R P 1 P 2 F der apifior, d. h. der Papst, i n V immerhin der Kaiser. E r i k 1 7 nahm diesen Umstand so ernst, daß er v o r allem deswegen das Geschichtsbild der Erzählung als p r i n z i p i e l l phantastisch ansah. Doch sein U r t e i l ist zu k r a ß ; der Anachronismus läßt sich zwar nicht aus der W e l t schaffen, aber psychologisch plausibel machen, nicht zuletzt dank der schon v o n E r i k selbst betriebenen Quellenforschung. Zweckmäßigerweise behandelt man dabei die beiden Substitutionen — Kaisertum statt Republik, Papsttum statt Kaisertum — nacheinander. 1. D e r K a i s e r . Nachdem unter Pompeius erstmalig römische Heere Judäa betreten hatten, w a r R o m z w a r n o d i eine Generation lang dem N a m e n nach Republik, doch die wirkliche Gewalt teilten sich einzelne, meist einfach i n geographischer Abgrenzung, so daß die unterworfenen V ö l k e r i m wesentlichen einer Einzelperson unterstanden. Schon damals mag es für Orientalen schwer verständlich gewesen sein, daß etwa Cäsar, der H y r k a n protegierte, selbst kein Monarch war. Noch schwieriger wurde dies für die mittelalterliche Historiographie: so ist i n der Josippon-Uberlieferung gelegentlich v o n Pompeius ha-melech, vereinzelt auch v o n Julius ha-kesar ( m i t dem bestimmten A r t i k e l ! ) die Rede 1 8 . U n d i n der jüdischen Legende ist erst recht die kurze Erfahrung m i t der Republik verdrängt v o n der i n Judäa mehr als sechshundertjährigen Kaiserherrschaft. Diese hinterließ umso traumatischere Spuren, als sie i m 1. und 2. Jh. die nationale I d e n t i t ä t der Juden zu vernichten drohte. I m Zusammenhang m i t dem Bar-Kochba-Krieg verbot H a d r i a n praktisch die Ausübung der jüdischen Religion schlechthin. Auch wenn die Römer das kaiserliche E d i k t nur i n Palästina leidlich konsequent handhabten, wurde es offiziell erst unter Antcxninus Pius ausgehoben. A l l m ä h l i c h besserte sich nun die rechtliche Lage der Juden, u m sich erst i n christlicher Zeit wieder zu verschärfen 19 . Diese Besserung, speziell die Aufhebung des Hadrianischen Edikts, spiegelt sich i n der jüdischen T r a d i t i o n f r ü h i n einem K o m p l e x v o n Erzählungen, deren gemeinsames G r u n d m o t i v es ist, den Umschwung auf die Gespräche oder gar die Freundschaft eines jüdischen Weisen m i t dem Kaiser zurückzuführen.

17

Erik, Nowele 154 und Geschichte 352. „König Pompejus": 2.23 (ed. Breithaupt 160); „Julius der Kaiser": Überschrift zu Kap. 45 und 46 (ed. Hominer 153, 155). 19 EJ s. v. History , vor allem Sp. 646 - 49. 18

Beria und Simra

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I n der ersten Gruppe solcher Legenden erscheint der Kaiser unter dem N a m e n Antoninus u n d t r i t t aus Freundschaft z u dem Patriarchen Juda schließlich heimlich z u m Judentum über 2 0 . I n einer zweiten Legendengruppe jedoch, die uns hier allein interessiert, bleibt der Kaiser anonym; er selbst w a r der Urheber des Ediktes u n d w i d e r r u f t es nur, w e i l der jüdische Weise i h n m i t List zu der Meinung bringt, es nütze den Juden statt ihnen zu schaden. Bereits i m T a l m u d t r a k t a t Meila (17 b) erscheint die Argumentation i n der kunstvollen Gliederung aus drei Fragen des Juden Ruben, drei A n t w o r t e n der Gegenseite u n d drei Folgerungen Rubens; man k a n n sie wie folgt paraphrasieren: Sollen eure Feinde reich oder arm sein? — Arm. — Dann müßt ihr den Juden die Feier des Sabbats wieder zugestehen; an diesem Tage haben sie keine Einnahmen, verprassen vielmehr die Einnahmen der anderen Tage. Sollen eure Feinde stark oder schwach sein? — Schwach. — Dann müßt ihr den Juden die Beschneidung wieder erlauben, die sie für ihr ganzes Leben körperlich schwächt. Sollen eurer Feinde viel oder wenig sein? — Wenig. — Dann müßt ihr den Judenfrauen das Ritualbad wieder erlauben, das sie jeweils für längere Zeit von ihren Männern fernhält. Der Kaiser hebt daraufhin das E d i k t auf. Doch die Erzählung verlängert sich durch ein retardierendes M o m e n t : die heidnischen Ratgeber veranlassen den Kaiser i m letzten Augenblick, diese Aufhebung nicht bekanntzugeben. N u n m e h r schicken die Jerusalemer Juden den Rabbi Simeon ben Johai z u m Kaiser m i t dem ausdrücklich als lebensgefährlich bezeichneten Auftrag, die Aufhebung doch rechtswirksam werden zu lassen — was schließlich m i t H i l f e eines v o n G o t t geschickten Dämons gelingt. I m M i t t e l a l t e r geht diese Geschichte i n die Gesetzessammlung Halachoth gedoloth 21 sowie i n die Midrasch-, dann i n die hebräische M a i ß e l i t e r a t u r 2 2 20

EJ s. v. Antoninus (mit Literatur). Die Frage, ob der Name Antoninus hier primär Antoninus Pius oder einen seiner den Namen übernehmenden Nachfolger bezeichnet, ist in unserem Zusammenhang belanglos. 21 Erstdruck Venedig 1547; vgl. dazu M. J. Bin-Gorion, Der Born Judas, 6 Bde., Leipzig 1918 ff. (im folgenden: Bin-Gorion), Bd. I I , S. 331. 22 ,MidraS Echa Suta'; Aboab, ,Menorath ha-Maor' (13. Jh., Erstdruck Venedig 1544); ,Sefer ha-Maaßijoth* (Hs. 13./14. Jh.); Jalkut Simeoni' (späteres Mittelalter, Erstdruck Saloniki 1521); ,Thefillath R. Simeon ben Johai*. — Englisch und hebräisch bei M. Gaster, The Exempla of the Rabbis, London 1924, Neudruck mit Einleitung von W. Braude, New York 1968 (im folgenden: Gaster, Exempla), Nr. 19 (Literatur S. 189); hebräisch in: Bet ha-Midrasch, Sammlung kleiner Midraschim [ . . . ] , ed. A. Jellinek, 6 Bde., Leipzig 1853 - [Wien] 1878 (im folgenden: BHM), Bd. I V , S. 117 f., deutsch bei A. Wünsche, Aus Israels Lehrhallen, 5 Bde., Leipzig 1907- 10 (im folgenden: Wünsche), hier Bd. I I I , S. 154 ff. sowie (mit nicht gekennzeichneter Kürzung) bei Bin-Gorion I I 195 - 197 (Literatur S. 331). Ferner, mit der Reihenfolge Beschneidung — Sabbat — Ritualbad (die der Erzähler aus dem 4*

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über (wobei gelegentlich Sabbat u n d Beschneidung ihren Platz tauschen), schließlich i n der frühen Neuzeit stark märchenhaft umgeformt auch ins jiddische Maißebuch. A u f letzteres hat bereits E r i k aufmerksam gemacht, während sein H i n w e i s auf die hebräischen Vorstufen sehr vage b l e i b t 2 3 . I n Beria und Simra ist aus dem zweiten T e i l der Geschichte nur das M o t i v „lebensgefährliche Mission v o n Jerusalem nach R o m " , nicht aber die Dämonenepisode übernommen; die Funktionen Rubens u n d Simeons sind also auf Simra konzentriert. D i e Redaktion R P 1 P 2 F , die ich für die ältere halte, unterdrückt ferner — w o h l u m die Episode nicht zu sehr anschwellen zu lassen — die auf den Sabbat bezügliche Argumentation. D e r sehr belesene Redaktor v o n V , der auf Schritt u n d T r i t t seine Vorlage i n orthodoxem Sinne umgestaltet, hat allerdings diese Argumentation wieder eingefügt, u n d zwar — wodurch, sie sich als Zusatz kundgibt — n a c h den beiden anderen Teilen. Aus dem Vorhergehenden ergibt sich, daß die Episode viele Jahrhunderte lang an einen anonymen römischen Kaiser geknüpft war, ehe unser Erzähler sie seinem Werk einverleibte. Daß dieser sie u m des bloßen Stichwortes „ H y r k a n " w i l l e n i n ein republikanisches R o m zurücktransferiert hätte, v o n dessen Existenz die gesamte jüdische Erzähltradition fast nichts wußte, w i r d man nicht erwarten können. 2. D e r „ A p i f i o r " . Statt des talmudischen kesar erscheint nun i n den Fassungen R P X P 2 F unserer Erzählung der apifior. Das W o r t apifior, wahrscheinlich Entstellung eines byzantinischen Titels, bezeichnete i n talmudischer Zeit einen kaiserlichen Beamten u n d gelangte etwa i m 13. Jh. auf unklare Weise zu der Bedeutung „ P a p s t " 2 4 . Für einen jüdischen Erzähler des Einleitungssatz seiner Vorlage auf die Hauptargumentation übertragen hat): hebräische Maaße Nr. 5 aus Codex de Rossi 563 in B H M V I 128 -130, deutsch bei Bin-Gorion I I 191-194. — Zum Alter des ,Sefer ha Maaßijoth* vgl. einerseits Gaster y Exempla 39 ff., andererseits Brande in der Einleitung X X V ff. 23 Nowele 150; Geschichte 350. Vgl. Nr. 232 in M. Gaster, The Ma'aseh-Book, 2 Bde., Philadelphia 1934, wo allerdings gerade die uns interessierende Argumentation durch eine andere Motivfolge ersetzt ist. — Um Mißverständnisse zu vermeiden, die sich aus Eriks dritter Abhandlung über unsere Erzählung, Wegn „Maiße Beria ve-Simra", in: Landoi [Landau]-Buch, Dr. Alfred Landoi zu sain 75stn geboirnstog, dem 25sten nowember 1925, Wilna 1926 (Sdiriftn fun Jidischn Wisnschaftlechn Institut, Β I, Filologische Serje 1), Sp. 153 - 162, ergeben könnten, sei betont, daß die Münchener Hs. 100 in ihrem (ebenfalls von Reutlingen geschriebenen) Maißeteil (f. 74 - 89) weder eine Geschichte vom antijüdischen Kaiser noch eine solche vom jüdischen Papst enthält. Da der Aufsatz im ,Landau-Buch4 kaum eine Feststellung enthält, die sich nicht auch — meist nahezu wörtlich — in der etwas früher redigierten ,Nowele* oder in der späteren »Geschichte4 wiederfindet, verzichten wir im folgenden darauf, diesen Aufsatz zu zitieren. 24 S. Kraussy Apiphior, nom hébreu du pape, in: Revue des Études juives 34 (1897) S. 218 - 238, speziell S. 233 -236; Th. Reinach, Piphior et Niphior, ebd. S. 239 f.; Porgès , Encore le nom Apiphior, in: REJ 35 (1897), S. 111; S. Krauss , Apiphior, in: REJ 36 (1898) S. 105 - 107, speziell S. 107: „c'est une règle talmudi-

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Spätmittelalters oder des 16. Jh. konnte es gleich mehrere M o t i v e geben, den talmudischen kesar durch den apifior

z u ersetzen.

A u f ein V o r b i l d für diese Substitution i n der jüdischen Legende des späteren Mittelalters hat I . Zinberg aufmerksam gemacht 2 5 . Neben die beiden oben besprochenen Traditionen des projüdischen Kaisers Antoninus bzw. des überlisteten anonymen Kaisers t r i t t eine dritte, die i n der folgenden Weise den Kaiser durch den Papst ersetzt. Elhanan, ein Sohn des Rabbi Simeon v o n M a i n z , w i r d als Knabe v o n Christen geraubt u n d muß zum Schein Christ werden; durch seine Klugheit erringt er schließlich die Papstwürde. U m seinen Vater wiederzusehen, verbietet er den Juden seiner H e i m a t ihre drei H a u p t r i t e n ; er weiß, daß sie dann den Klügsten, nämlich seinen Vater, nach R o m schicken werden, u m die Aufhebung der Verbote zu erreichen. U n t e r vier Augen gibt er sich dem Vater z u erkennen, hebt öffentlich die Verbote auf, bleibt aber zunächst n o d i i m A m t , u m seinen Nachfolgern i n einer Schrift die I r r t ü m e r der christlichen Religion darzulegen; dann kehrt er inkognito i n die H e i m a t zurück. Wohlweislich halten die Nachfolger die Schrift geheim. Wie man sieht, benutzt die Erzählung die M o t i v e des vorher besprochenen Komplexes: der Herrscher v o n R o m verbietet den Juden ihre drei H a u p t riten; ein jüdischer Gesandter erreicht die Zurücknahme des Verbotes. Aber die M o t i v e sind einem anderen Grundgedanken dienstbar gemacht, den J e l l i n e k 2 6 überzeugend einordnen konnte. Nach der zwiespältigen Papstw a h l v o n 1130 nämlich bezeichneten die Anhänger Innozenz' I I . den Gegenpapst A n a k l e t I I . (1130 - 3 8 ) als „jüdischen Papst", da seine Familie einige Generationen vorher v o m Juden- zum Christentum übergetreten war. Jüdische Erzähler ließen sich durch dieses Schlagwort anregen, mußten nun aber erklären, weshalb der vermeintliche Glaubensgenosse ihnen keine Verbesserung ihrer Lebensbedingungen gebracht hatte. D i e Frage, welcher que d'altérer les dénominations provenant des cultes non juifs". Der s., Griechische und lateinische Lehnwörter im Talmud, Midrasch und Targum, 2 Bde., Berlin 1898-99, Bd. I I , S. 106; J. Levy , Neuhebräisches und chaldäisches Wörterbuch über die Talmudim und Midraschim, 4 Bde., Leipzig 1876- 89, Neudruck Darmstadt 1963, s. vv. apifior(a), pifior(a) (zu BT Aboda Sara I I a ) . 25 In ,Literarische Bieter' nr. 131, Warschau 1926, danach Erik, Geschichte 350 (wodurch die Angaben Nowele 150 überholt sind). Den Text der Legende findet man: hebräisch in der Hs. 1210 f. 47b der Bodleiana (eine stark abweichende Fassung in der Cambridger Hs. Add. 858, B H M V I S. X X X I I , 137 ff.), jiddisch als Nr. 188 in ,Ain schön Maeßebuchc, Basel 1602 (englische Ubersetzung bei Gaster, Ma'aseh-Book, wie Anm. 23; verdeutscht mit jiddischen Zitaten aus späteren Ausgaben bei Grünbaum 428 - 30). Aus einer jiddischen Quelle ins Hebräische zurückübersetzt von Jellinek B H M V S. X X X V I I I , 148 - 152, 207; danach deutsch bei Wünsche I V 153 -160. Eine deutsche Übersetzung auch bei Bin-Gorion V 127 (mit Literaturangaben 302). 26 Vgl. Anm. 25.

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jüdische N a m e sich hinter „ A n a k l e t " verbergen könnte, beantwortete man sich m i t dem i m Konsonantismus nächststehenden N a m e n (Elhanan) — ein Verfahren, das bekanntlich i n der jüdischen Geschichte v o m Hellenismus bis zur Neuzeit vielfältig nachweisbar ist u n d i m M i t t e l a l t e r sogar auf geographische Begriffe angewandt w u r d e 2 7 . Es wäre sicherlich einseitig, einen Einfluß dieser Legende auf unsere Erzählung ganz zu leugnen u n d z u behaupten, unser A u t o r (oder der Redaktor einer Vorstufe v o n R P ^ F ) habe diese M o t i v f o l g e v o m Verbot der H a u p t r i t e n , v o m Gespräch m i t dem Abgesandten der Juden u n d v o n der Aufhebung des Verbotes „ z u f ä l l i g " z u m zweitenmal v o m kesar auf den apifior übertragen. D o d i da, v o n der Bezeichnung apifior abgesehen, alle Fassungen unserer Erzählung dem talmudischen V o r b i l d näherstehen als der Legende, w i r d man sich den Einfluß der Legende n u r i n der F o r m einer vagen Suggestion des apifior-Motivs vorstellen dürfen. Selbst dieser Suggestion hätte sich der Erzähler w o h l verschlossen, wären nicht ideelle u n d politische Momente hinzugekommen. D a der Gegensatz zwischen Israel u n d „ R o m " schon i m T a l m u d v o r allem als religiöser Gegensatz begriffen wurde, mußte i n der Folgezeit dem jüdischen Denken die Kirche u n d nicht das byzantinische oder das deutsche Kaisertum als der eigentliche Erbe des antiken R o m erscheinen; i m Spätmittelalter u n d i m 16. Jh. fand diese Auffassung i n der weltlichen Herrschaft des Papstes sozusagen ihre augenfällige Bestätigung 2 8 . D e n kesar durch den apifior zu ersetzen, konnte einem Erzähler also als bloße Aktualisierung, als Neuveranschaulichung eines unanschaulich gewordenen Sachverhalts, gelten. Wahrscheinlich gehört diese Aktualisierung bereits dem Archetyp aller erhaltenen Fassungen an, u n d die Lesart kesar i n V ist als Wiederanpassung an den T a l m u d zu deuten. Der Redaktor v o n V dürfte dabei allerdings nicht nur durch gelehrten Ehrgeiz, sondern auch durch Furcht v o r der Zensur bestimmt gewesen sein. D i e katholische Zensur, seit 1553/54 i n den H ä n d e n der Inquisition u n d zunächst sehr unsystematisch gehandhabt, erreicht i n I t a l i e n — aber offensichtlich nur dort — i n den beiden letzten 27 Die Tradition reicht von Fällen wie "Αλκιμος — Ίάκιμος und Ιάσων — 'Ιησούς bei Josephus (vgl. Index s. vv.) bis zum Nebeneinander des Alltagsnamens und des Sakralnamens in der Neuzeit. Im Mittelalter suchte man entsprechend für die Namen der Spanier, Franzosen, Deutschen, Ungarn, Türken in der Bibel nach einem phonetischen Vorbild und fand Sefarad, Zarfath, ASkenas, Hagar, Thogarma; Belege für diese geographischen Begriffe ζ. B. im Index geographicus von M. Steinschneider, Catalogus librorum Hebraeorum Bibliothecae Bodleianae, Berlin 185260. 28 Nach Krauss REJ 34.237 (der allerdings keine Belege nennt) wird der Papst in jüdischen Texten gelegentlich geradezu melech ha-gojjim oder melech Romi genannt.

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Jahrzehnten des 16. Jh. ihre volle Wirksamkeit. I n Venedig hinterläßt sie nur deshalb k a u m Spuren, w e i l das dortige Rabbinat u n d unabhängig davon die Behörden der Republik eine Vorzensur durchführen, u m der Inquisition möglichst keinen V o r w a n d z u m Eingreifen zu geben 29 . Es dürfte deshalb 1597 i n Venedig v o n vornherein aussichtslos gewesen sein, einen Text drucken zu wollen, der i n einer markanten Szene den apifior der Lächerlichkeit preisgibt. Übrigens hat der Redaktor v o n V diese Szene auch sonst systematisch abgemildert. Das i n R u n d Ρ so markante M o t i v des „Tötens" ist V 91 f., 109, 123 sprachlich gedämpft, i n V 140 ff., 174 u n d 196 ff. sogar ganz aufgegeben — so daß jetzt weder der H e r r v o n R o m seine Diener töten läßt noch i h m der T o d angedroht w i r d ; auch die Behauptung, ohne Beschneidung wäre ein Jude u m ein Vielfaches stärker als ein Christ, ist gefallen ( V 161). III.

Schriftgelehrter

und Priester

1. E i n „ s a l o m o n i s c h e s " U r t e i l . Gleich zu Eingang unserer Erzählung erscheint Simra ausdrücklich als Thorakenner u n d damit befähigt z u m Richteramt; religiöses u n d weltliches Gesetz sind ja identisch. Sein „salomonisches" U r t e i l erweist i h n nicht nur als klug, sondern konkreter als Inhaber eines wichtigen Hofamtes, der durchaus einen Hausstand begründen kann. Neben der Diskussion m i t dem H e r r n v o n R o m ist i n unserer Erzählung nur die Urteilsepisode auf Pointe gearbeitet u n d schon deshalb der Entlehnung verdächtig. Bereits Steinschneider hat die Quelle auf gewiesen: das U r t e i l gehörte seit dem Mittelalter der hebräischen Salomolegende a n 3 0 . 29 EJ s. v. Censorship; W. Popper, The Censorship of Hebrew Books, New York 1899, speziell S. 93 ff. zu Venedig (vgl. auch 58 f. zur Tilgung von Ausdrücken wie „Edom", „Rom" usw.). Daß sich die Zensur in Italien auch jiddische Bücher vorlegen ließ, ergibt sich z.B. aus Listen vom Jahre 1595; vgl. Ch. Shmeruk, Gli inizi della prosa narrativa in yiddish e i l suo centro in Italia, in: Scritti in memoria di Leone Carpi, Jerusalem 1967, S. 119-140. 30 M. Steinschneider y Catalogus Librorum Hebraeorum Bibliothecae Bodleianae, Berlin 1852-60, S. 606; ders. y in: Hebräische Bibliographie 9 (1869) S. 15 f., 18 (1878) S. 61; I. Lêvi , Un fragment d'une traduction arabe du „Hibbour Maasiot", in: Revue des Études juives 45 (1902) S. 305 -308 (arabische Version in hebräischen Lettern, aus der Kairoer Genisa). — Die Erzählung stand im ,Hibbur jafeh* des R. Nissim von Kairouan (frühes 11. Jh.), erscheint in den /Tosafoth* zu BT Menahoth 37a, in Gasters Manuskript ,Sefer ha-Maaßijoth' (13./14. Jh.), im ,Hibbur ha-Maaßijoth' (gedruckt Venedig 1551 u. ö.) sowie auf Jiadisch als Nr. 25 der Maißesammlung im Schlußteil der Pariser Handschrift BN. hebr. 589 vom Jahre 1579 (vgl. J. Maitlis, Das Ma'assebuch, seine Entstehung und Quellengeschichte, Berlin 1933, S. 82). Sie findet sich in zwei Varianten: die Fassung ohne Aschmodai Vorspiel hebräisch und englisch bei M. G aster , Exempla Nr. 113 (Literaturangaben S. 206 f.), deutsch bei Bin-Gorion I I I 261 (Literaturangaben S. 309); die Fassung mit Aschmodai Vorspiel hebräisch in B H M I V 151 f., deutsch bei Wünsche I I 24 - 26 und Bin-Gorion I I I 73 (Literaturangaben S. 294), englisch bei Gaster, Exempla, Anhang Nr. 392, und L. Ginzberg, The Legends of the Jews, 7 Bde.,

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D a ß es v o n dort entlehnt ist und nicht etwa umgekehrt aus einer hypothetischen Vorstufe unserer Erzählung auf Salomo übertragen wurde, w i r d durch ein bisher unbeachtetes I n d i z nahegelegt. Unser Erzähler hat nämlich zugleich aus a n d e r e n Urteilen Salomos einen typischen Z u g entlehnt: Simra übertrifft seinen Vater Tovass als Richter i n derselben Sache ebenso wie der junge Salomo seinen Vater D a v i d 8 1 . I n V ist die Gerichtsszene gestrichen; stattdessen w i r d betont, Simri sei achtzehn Jahre alt. Z u m T e i l erklärt sich die Streichung aus der allgemeinen Tendenz v o n V , den ersten, „diesseitigen" T e i l der Erzählung zugunsten der folgenden Höllenschilderungen zu kürzen. Aber darüber hinaus muß man sich erinnern, daß nach dem T a l m u d der Mann, u m der geschlechtlichen Sünde zu entgehen, spätestens m i t z w a n z i g Jahren (Kiddusin 29 b - 30 a), möglichst aber als Achtzehnjähriger (Aboth 5.21) heiraten sollte. U m jeden Verdacht anderweitiger sexueller Erfahrung v o n der Gestalt Simris fernzuhalten, schildert der Redaktor v o n V die Liebe zwischen Simri u n d Beria als eine schon bestehende, nicht als eine m i t Beginn der Erzählung aufwallende. E r sieht nicht, daß er seine Änderung m i t einer künstlerischen Inkonsequenz bezahlt. I n seiner wie i n den anderen Fassungen w i r d man für die Mission nach Rom, bei der es u m W o h l u n d Wehe des ganzen Volkes geht, einen versierten, nachgewiesenermaßen auch zur List fähigen M a n n benötigen. Aber für wen müssen sich i n V K ö n i g u n d V o l k entscheiden? Für einen frommen Achtzehnjährigen, der sein Verhandlungsgeschick noch nie öffentlich unter Beweis gestellt hat. 2. Z w e i P a r t e i e n . Wer unsere Geschichte für ein freies Spiel der Phantasie halten wollte, sollte sich darüber wundern, daß als kraß negativ gezeichneter Gegenspieler Simras gerade der Hohepriester auftritt. Gewiß gibt es seit der Zerstörung des Zweiten Tempels keinen Hohenpriester mehr; allein das erklärt noch nicht, w a r u m der Dichter i n der insgesamt positiv bewerteten nationalen Vergangenheit einen so starken Schatten gerade auf das A m t fallen läßt, das seit Moses', zumindest seit Davids Zeiten diese Vergangenheit kontinuierlicher begleitet hat als K ö n i g t u m oder Prophétie. Stif, E r i k u n d Z i n b e r g 3 2 erkennen z w a r den „Adelsstolz" des Hohenpriesters als das dramatische Movens, halten dieses aber z u Unrecht für entlehnt aus der europäischen T r a d i t i o n . I n W i r k l i c h k e i t sind Simra u n d der Hohepriester verblüffend k l a r gezeichnete Repräsentanten der Philadelphia 1903 -38 [und Neudrucke] (im folgenden: Ginzberg), Bd. I V , S. 131 f. (Literatur V I 286 Anm. 29). 31 Dazu Ginzberg V I 285 mit Literatur und die Geschichte im B H M I V 145 f. (deutsch bei Wünsche I I 13 f.). 82 Stif (wie Anm. 4) 120 mit Anm. 1; Erik, Nowele 149, Geschichte 350; Zinberg 209.

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beiden großen Parteien, die v o n der mittleren Makkabäerzeit an über zwei Jahrhunderte durch ihre sozialen, religiösen u n d politischen Gegensätze die jüdische Geschichte bestimmt haben: der Pharisäer u n d Sadduzäer 3 3 . Sozial haben die Sadduzäer ihren Schwerpunkt i m höheren Priestertum 3 4 , u n d seitdem m i t Beginn der herodianischen Dynastie K ö n i g t u m und H o h e priesterwürde endgültig getrennt wurden, sind die Hohenpriester die natürlichen Führer der sadduzäischen Partei. N u n hatte schon das mosaische Gesetz die K u l t f u n k t i o n e n auf den Stamm Levi, die eigentlichen Priesterfunktionen sogar auf die Aaroniden beschränkt und, u m die Würde des Priesteramtes zu bewahren, den Priestern die Ehe m i t gewissen Israelitinnen verboten 3 5 . D a alle Nachkommen aus untersagten Ehen zur Priesterwürde unfähig sind, führen die Priester für ihre Familien spätestens seit dem Ende des Babylonischen Exils schriftliche Genealogien 3 6 . O b w o h l die genannten Vorschriften ihrer N a t u r nach nur die Ehen v o n Priestern, nicht v o n Priestertöchtern 37 regeln, läßt sich darüber hinaus bis zur Zerstörung des Zweiten Tempels bei den Priestern eine starke Tendenz feststellen, sich als geschlossene Kaste zu konstituieren, d. h. Priestertöchter zu heiraten bzw. die eigenen Töchter m i t Priestern zu verheiraten 3 8 . Sie findet ihren charakteristischen Niederschlag z . B . darin, daß für israelitische Mädchen die gesetzliche Mindestkethubba einheitlich 200 Sus beträgt, die Priester sie aber für ihre Töchter ebenso einheitlich auf 400 Sus festsetzen — eine Vorschrift, die der T a l m u d i m Rückblick als Versuch interpretiert, Ehen zwischen Priestergeschlechtern und anderen Israeliten zu erschweren 39 . Noch i m talmudischen Sprachgebrauch kann ein Priester (nicht aber ein anderer Israelit), der eine Israelitin heiratet, zu i h r sagen: „ I c h erhebe dich zu einem höheren S t a n d . " 4 0 Spätestens m i t der Zerstörung des Zweiten Tempels u n d der politischen Entmachtung des Priestertums n i m m t allerdings die Tendenz zur Segregation wieder ab, u n d die Mischna kann allgemein verkünden, daß „Priester u n d Israeliten untereinander heiraten 33 Die wichtigere Literatur ist verzeichnet in der EJ s. vv. Pharisees, Priests , Sadducees. 34 E J s. v. Priests Sp. 1087, Sadducees passim. Zum moralischen Verfall der höheren Priesterschaft vgl. noch A. Büchler, Die Priester und der Cultus im letzten Jahrzehnt des Jerusalemischen Tempels, Wien 1895, S. 67 ff. 35 3. Mose 21.7, 13 f. Zum Folgenden vgl. speziell L. Epstein, Marriage Laws in the Bible and the Talmud, Cambridge (Mass.) 1942, S. 308 ff. 36 BT Kethubboth 24b; Esra 2.61 - 63. 37 3. Mose 21.9 betrifft nicht die Ehe einer Priestertochter, sondern die Unehre, die sie ihrem Vater durch „Huren" bereitet; s. unten. 38 Epstein (wie Anm. 35) a.a.O. 39 Epstein a.a.O.; palästinensischer Talmud Kiddusin 66a; BT Kethubboth 12b (dazu in der Soncino-Ausgabe S. 65 Anm.). — Kethubba: Morgengabe in Form einer Schuldverschreibung besonders für den Scheidungs- oder Todesfall. 40 BT Kethubboth 12b.

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k ö n n e n " 4 1 . Wenn also der Hohepriester unserer Erzählung Simra trotz seines Reichtums, seiner Stellung bei H o f u n d seiner Gelehrsamkeit als unebenbürtig bezeichnet, so erklärt sich das offensichtlich aus dem alten Kastenstolz der Priester. D i e pharisäische Gegenpartei kann man nur m i t Einschränkungen als Volkspartei bezeichnen, u n d z w a r m i t u m so stärkeren, je mehr sie auf Kosten der Sadduzäer u m sich greift. Ihre Wortführer können durchaus hohe soziale Stellungen innehaben; es sind, anachronistisch ausgedrückt, die nichtpriesterlichen Intellektuellen, v o r allem solche m i t Lehrer- oder Richt e r f u n k t i o n 4 2 . D i e Katastrophe des Jahres 70 t r i f f t sie, besonders i n ihrer Lehrtätigkeit, weniger als das tempelorientierte Sadduzäertum 4 3 . I h r Denken w i r d sich i m talmudischen geradlinig fortsetzen; so berichtet noch der T a l m u d z. B. über einen Hohenpriester 4 4 , v o n dem das V o l k z u den Rabbis überlief u n d dessen hochmütige Reaktion durchaus unseres Figin w ü r d i g gewesen wäre. D i e religiöse Anschauung der Sadduzäer kennen w i r nur aus den Worten ihrer Gegner, aber diese sind sich einig: die Sadduzäer leugneten das „ m ü n d liche Gesetz" u n d jede Bestrafung u n d Belohnung i m Jenseits, aber auch z. B. die Existenz v o n Engeln; i m Zentrum ihres Glaubens stand das Opfer, nicht das Gebet 4 5 . Einem Hohenpriester nun, der einer solchen Partei angehört, werden seine Gegner gern zutrauen, daß er seine Tochter zu ertränken droht, einen persönlichen Gegner auf eine selbstmörderische Mission ausschickt u n d schließlich offen wortbrüchig w i r d . Der Schriftgelehrte Simra hingegen liebt das individuelle Gebet, lernt noch als Lebender Strafe u n d L o h n i m Jenseits kennen u n d w i r d bei seinem Tode v o n Erzengeln ins Gan Eden geleitet. I m Bereich des „schriftlichen" Gesetzes übten die Sadduzäer eine weit martialischere Strafjustiz als die Pharisäer 4 6 . Unser Hoherpriester hat keine 41

Epstein a.a.O.; BT Kiddusin 69a. EJ s.v. Priests Sp. 1087: „ A t that time [Hasmonean], however, began the rise of the Pharisee scholars, the students of the Torah, and these began to supplant the priests as spiritual leaders." Sadducees Sp. 621: „On the whole, it can be said that while the Pharisees claimed the authority of piety and learning, the Sadducees claimed that of genealogy [!] and position." 43 EJ s. vv. History Sp. 643 und Jabneh. 44 BT Joma 71b, deutsch auch bei Bin-Gorion I I 17 f. (mit Verweisen 314); vgl. auch BT Joma 8b - 9a, Pesahim 57a. 45 Eine bequeme Zusammenstellung der Zeugnisse bei H . Strack und P. Billerbeck, Kommentar zum Neuen Testament aus Talmud und Midrasch, 4 Bde., München 1922 (im folgenden: Strack-Billerbeck) Bd. IV, 334-52, 1018 ff.; vgl. speziell Matth. 22.23, Markus 12.18, Lukas 20.27, Apg. 23.6-8. Ein Verständnis der sadduzäischen Position ist dem heutigen Leser nur möglich, wenn er sich bewußt ist, daß das Alte Testament fast nur den (moralisch folgenlosen) Scheolglauben kennt; vgl. z. B. EJ s. vv. Death und she'ol. 46 EJ s. v. Sadducees Sp. 621. 42

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Gelegenheit, Strafen zu verhängen; doch mag man einen M a n n , der i n der Strafjustiz gegenüber dem Leiden des einzelnen fühllos bleibt, einer ähnlichen H a l t u n g auch außerhalb dieses Bereiches verdächtigen. Was den persönlichen Lebensstil der Sadduzäer angeht, hat man ihnen mehrfach eine starke Neigung zu Gelagen nachgesagt 47 . Figin veranstaltet ein Festmahl, i n dessen Verlauf er u n d alle Gäste m i t Ausnahme Simras trunken einschlafen. Schließlich ist bekannt, daß H y r k a n I I . i n den Auseinandersetzungen m i t seinem Bruder Aristobulos die Pharisäer i m wesentlichen auf seiner Seite h a t t e 4 8 u n d sie sich auch durch seine Unterwerfung unter R o m nur wenig entfremdet zu haben scheint. Insgesamt aber fanden sich i n den folgenden Generationen die Sadduzäer m i t der römischen Herrschaft weit leichter ab als die Pharisäer, da die Römer — jedenfalls bis z u m Beginn des Zelotenaufstandes — die materiellen Privilegien der sadduzäischen Aristokratie nicht ernsthaft gefährdeten. D i e Pharisäer predigten z w a r nicht wie schließlich die Zeloten den bewaffneten Aufstand; u m so entschiedener aber verharrten sie i n ideologischer Distanz z u R o m wie z u m Hellenismus. I n unserer Erzählung verbietet das E d i k t aus R o m keineswegs schlechthin den T e m p e l k u l t ; Figin zeigt sich nicht über das E d i k t betroffen, sondern n u t z t es, den persönlichen Gegner dem äußeren Feind i n die H ä n d e zu spielen. Simra gefährdet sein Leben, wie er es stärker m i t der Waffe i n der H a n d nicht könnte; doch w i r d er audi i m Jenseits weder für seine Lügen gegenüber dem H e r r n v o n R o m noch für den T o d v o n dessen Torhütern verantwortlich gemacht. So gut sich alle Züge des pharisäisch-sadduzäisdien Gegensatzes belegen lassen, scheint doch i n der jüdischen Literatur kein Passus aufzufinden zu sein, i n dem sie bequem nachlesbar vereinigt wären. Auch w e n n man v o r aussetzt, daß der A u t o r unserer Erzählung die einschlägigen Talmudstellen u n d i n den Grundzügen den Josippon gekannt hat, muß man i h m ungewöhnliches Einfühlungsvermögen bescheinigen 40 . Das zeigt sich besonders i m 47 jBüchler (wie Anm. 34) 78 ; L. Finkelstein, The Pharisees, 2 Bde., Philadelphia 1946, Bd. I, S. 193. 48 Aristobulos war schon zu Lebzeiten seiner Mutter Salome als erbitterter Feind der Pharisäer auf getreten (Josephus, Ant. X I I I 16.3). Nach Salomes Tod belagern Hyrkan und die Pharisäer i. J. 65 Aristobulos und die Sadduzäer in Jerusalem, s. Schallt (wie Anm. 9), S. 5. Vor Pompe jus lassen die Pharisäer Hyrkan einen Augenblick im Stich, dann scheinen sie mit ihm und Pompejus an der Eroberung Jerusalems teilzunehmen {Schallt 10 f., 13). — Zur relativen Römerfreundlichkeit der Sadduzäer vgl. z. B. EJ s. v. Sadducees, Sp. 622, Büchler (wie Anm. 34) 67 ff. 49 W. Boussety Die Religion des Judentums im neutestamentlidien Zeitalter, Berlin 21906 (im folgenden: Bousset), urteilt sogar (S. 216): „Aus den dürftigen Notizen, welche Mischna und Talmud über den Gegensatz von Pharisäismus und Sadduzäismus erhalten haben, ist wenig zu lernen."

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Vergleich m i t dem Redaktor v o n V . Dieser, der sich doch insgesamt nicht nur als fromm, sondern auch als belesen erweist, verwischt den Gegensatz systematisch zugunsten des Hohenpriesters: er w i r d zu einem „großen H e r r n i n der T h o r a " , gibt kein Gelage mehr, spricht seinen Kastenstolz nicht mehr offen aus, unterdrückt beidemal die blasphemische Drohung, Beria „eher zu ertränken", u n d zeigt den gebührenden Schmerz unmittelbar nach Berias T o d . V o r allem jedoch w ä h l t nicht er, sondern der K ö n i g Simri für den gefahrvollen A u f t r a g aus; u n d als er schließlich Simri bei dessen Rückkehr seine Tochter verweigert, konstruiert er sich nachträglich — w i e fadenscheinig auch immer — eine A r t reservatio mentalis 50. Wieder bezahlt der Redaktor v o n V seine Umarbeitung m i t einer I n k o n sequenz: er läßt versehentlich i n V 62 die Erwähnung des hant-zwehel stehen, o b w o h l sich Beria dieses Requisits nie bedienen w i r d ; denn da ihr Vater Simri nicht mehr i n den T o d schicken w i l l , braucht sie den Freund v o r einem solchen Plan nicht zu warnen. 3. S y n a g o g e u n d T e m p e l . Freilich darf man sich den Gegensatz beider Parteien nicht als räumliche Trennung vorstellen. E r i k 5 1 hielt es für einen weiteren entscheidenden Anachronismus unserer Geschichte, daß man darin noch i m Tempel Opfer bringt u n d schon i n der Synagoge betet. H i e r ist zunächst zu entgegnen 52 , daß allgemein die jüdische w i e die christliche T r a d i t i o n der Spätantike u n d des Mittelalters die Synagoge für eine E i n richtung aus mosaischer Zeit hielt. Aber auch alle neuere Forschung ist sich darüber einig, daß die Synagoge als Stätte des Kultes ohne Opfer nicht erst entstand, als der Tempel, die Stätte des Kultopfers, zerstört w u r d e ; vielmehr t r i t t sie spätestens i n den beiden Jahrhunderten u m die Zeitenwende i n das volle Licht der Geschichte. Damals bestanden Synagogen nicht nur i n der schon beträchtlichen Diaspora (wo sie v o r 70 n. Chr. v o n A l e x a n d r i a über R o m bis zu kleinen Orten wie Stobi i m heutigen Jugoslawien belegt sind), nicht nur i m ländlichen Israel, w o Josephus u n d das Neue Testament sie bezeugen, sondern auch i n Jerusalem. Wenn der T a l m u d t r a k t a t Kethubboth (105 a) v o n 394 Jerusalemer Synagogen i m Augenblick der Tempelzerstörung spricht, mag man diese Z a h l bezweifeln. Aber die Traktate Joma (7.1) und Sota (7.7 - 8) sprechen sogar v o n einer Synagoge auf dem Tempelberg selbst, u n d an der letztgenannten Stelle beschreibt schon die Mischna, wie am Versöhnungstage i n dieser Synagoge der Hohepriester stehend aus 50 Zur Frage der Gültigkeit von Zusagen für einen Fall, den der Zusagende nicht ernsthaft für realisierbar halten konnte, hat das rabbinische Denken die komplizierte Asmachtha-Lehre entwickelt, vgl. EJ s. v. asmakhta, speziell die Entscheidung des Maimonides (Sp. 752 Mitte). 51 Nowele 154, Geschichte 352. 52 Zum Folgenden: EJ s.v. synagogue, speziell Sp. 579 - 83 (Literatur Sp. 628).

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der Thora las. Sogar die M i t w i r k u n g des Hohenpriesters an einem Jerusalemer Synagogengottesdienst, w i e unsere Erzählung sie vorauszusetzen scheint, kann also k a u m als Anachronismus gelten. IV.

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1. „ J i h u d " . N a c h talmudischem Recht ist das Alleinsein ( „ J i h u d " ) zweier nicht miteinander verheirateter oder blutsverwandter Personen verschiedenen Geschlechts, besonders an nicht frei zugänglichen Orten, p r i n z i piell verboten u n d k a n n durch Prügelstrafe geahndet werden. D i e Gesetzeslehrer wußten allerdings, daß sich das Verbot nur m i t Mühe aus der Bibel ableiten läßt; sie betrachteten seine Übertretung deshalb als Ordnungswidrigkeit, nicht als Sünde, entsprechend die Bestrafung nicht als Sühne, sondern als „ T a d e l u n d M a h n u n g " 5 3 . So rechnet auch E l i a i m Jenseits den beiden Liebenden nicht bereits die Übertretung dieses Verbotes als Sünde an. 2. D e r Κ u ß. Wenn der K u ß gegenüber dem Jihud strenger beurteilt w i r d , so ist dies die eigentümlich indirekte Folge einer Strafbestimmung des Priesterkodex. Sie lautet (3. Mose 21.9): „ W e n n eines Priesters Tochter anfängt zu huren, die soll man m i t Feuer verbrennen; denn sie hat ihren Vater geschändet." O b sich diese Vorschrift i n biblischer Zeit nur auf gewerbsmäßige Prostitution bezog, scheint unklar. D i e Rabbiner jedenfalls deuteten das Verbum sanah auch auf Beziehungen zu einem einzelnen Manne, allerdings nur wenn darin ein Ehe- oder Verlöbnisbruch lag (Sanhédrin 50 a - 5 1 a). Schon i m T a l m u d macht sich daneben aber die Tendenz bemerkbar, diese Einschränkung fallen zu lassen (ebd. 51 a, i m N a m e n Rabbi Eleasars), u n d i m jüdischen Mittelalter w i r d schließlich jeder nicht durch die Ehe sanktionierte Geschlechtsverkehr als Prostitution defin i e r t 5 4 . N u n ist nach rabbinischer Lehre i n allen Fällen 5 5 , w o der geschlechtliche Verkehr m i t dem Tode bestraft würde, schon die „Annäherung" — zu der auch der K u ß gezählt w i r d — eine „ S ü n d e " 5 6 . Sie muß deshalb nach Auffassung unseres Erzählers v o n Beria i m Jenseits gesühnt werden. Ferner betonen die Rabbiner (Sanhédrin 51 a), daß die strengere Bestrafung der Priestertochter (gegenüber anderen Israelitinnen) nur sie selbst betrifft, nicht den beteiligten M a n n : „Sie, nur sie ist durch Verbrennung 53 EJ s. vv. chastity (BT Aboda Sara 36b), sex (Sulhan Aruch E H 22), sexual offenses (Maimonides, Jad, Isurê Bia 22.3). Vgl. BT Kethubboth 12a, 13a und Kiddusin 80b. 54 Vgl. einerseits EJ, s. v. prostitution, Sp. 1244 oben; andererseits ebd. Sp. 1246 oben und Goldschmidts Übersetzung samt Anmerkungen zu den genannten Talmudstellen. 55 M i t Ausnahme natürlich der Blutsverwandten (bei denen der Inzest mit dem Tode bestraft wird, der Kuß aber erlaubt ist). 56 EJ s. v. sexual offenses (Maimonides, Jad, Isurê Bia 21.1).

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hinzurichten, nicht aber ihr Buhle." Unser Erzähler hat anscheinend diesen Unterschied auch auf die parallele „ A n n ä h e r u n g " übertragen. Simra muß sich z w a r zunächst v o n Elia sagen lassen, er habe keine andere Sünde getan, als Berias T o d verschuldet zu haben; doch scheint es sich hier u m einen vagen V o r w u r f , nicht u m die Feststellung einer Sünde i m religionsgesetzlichen Sinn zu handeln. D e n n i m Gegensatz zu Beria w i r d Simra unmittelbar ins G a n Eden gelangen, „ w e i l er nie eine Sünde getan h a t " ( R 460 f., Ρ 450)57. 3. D a s R e c h t d e s V a t e r s . H a t der Vater das Recht, über die H e i r a t seiner Tochter zu entscheiden? Für die ältere Zeit w i r d dies nicht nur durch eine Reihe biblischer Episoden nahegelegt, sondern durch die Vorschrift 2. Mose 2 2 . 1 5 - 1 6 a fortiori bewiesen 58 . Andererseits gibt es seit Beginn der Diaspora extrem vereinzelte F ä l l e 5 9 einer H e i r a t gegen den W i l len des Brautvaters; gerade durch ihre Vereinzelung beweisen sie, daß die gegenteilige Sitte bis i n die Neuzeit fast Gesetzeskraft hatte. Was insbesondere i n der Diaspora die patriarchalische Familienstruktur v o r grundsätzlicher K r i t i k bewahrt, ist die Tatsache, daß sie sich als der wirksamste Schutz erweist gegen die Assimilation der jeweils heranwachsenden Generat i o n durch die andersgläubige U m w e l t — ein Umstand, den man beachten sollte, bevor man unserem Erzähler seinen Respekt v o r dieser Struktur zum V o r w u r f macht. D i e Sitte gebietet, schon die Verlobung i m N a m e n der Familienväter durch V e r m i t t l u n g angesehener Freunde zu arrangieren. Beria u n d Simra wollen zunächst auch die Sitte respektieren; erst als ein solcher Versuch gescheitert ist, geben sie sich das Eheversprechen unter vier Augen u n d besiegeln es durch die „Sünde" des Kusses. Andererseits h o l t der Vater oder der Bewerber oft schon i n biblischer Zeit wenigstens die E i n w i l l i g u n g der Braut ein; spätestens seit etwa 200 n. Chr. gilt dies als Gesetz 60 . Ex silentio darf man w o h l schließen, daß auch i m Denken unseres Erzählers der Hohepriester Beria keine andere H e i r a t aufzwingen könnte. Gerade dadurch aber richtet sich sein Denken 57 Wäre nicht diese explizite Äußerung, so ließe sich der Unterschied in der Behandlung Berias und Simras auch durch die Annahme erklären, Simra habe im Gegensatz zu Beria vor seinem Tode Gelegenheit gehabt, seine Sünde zu büßen, vor allem durch die Mühen seiner Jenseitsfahrt (R 356 ff., 410, Ρ 351, 401 f.) und durch die bewußte Vorbereitung auf seinen Tod. 58 Zum Folgenden EJ s.v. Family, speziell Sp. 1167 untere Hälfte und 1168. 59 Je ein Beispiel aus dem Ende des 1. und dem Ende des 16. Jhs. mag genügen: der spätere Rabbi Akiba, noch Schafhirt, heiratet die Tochter seines Herrn {Gaster y Exempla Nr. 148, Literatur S. 217); ein Wormser Handwerksgeselle heiratet die Tochter seines Meisters (Bin-Gorion I 305 f., 380). 60 1. Mose 24.5 - 8 und 58; BT Kiddusin 2b, 13a, Jebamoth 52a.

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auf die beiden extremen Lösungen: wenigstens verbal auf den T o d Berias („ich würde sie eher ertränken"), sehr real auf den T o d Simras. 4. D e r A b s c h i e d s k u ß . Als Simra z u m letztenmal v o n Beria hinweggeht, k ü ß t er sie auch beim Abschied. Der Erzähler führt hierauf ihren T o d zurück u n d w a r n t : darum ,soll man sich nicht küssen, wenn man auseinandergeht'. E r i k empfindet den wörtlichen Sinn dieses Satzes als unmotiviert u n d sucht einen verkappten Sinn i n der Versicherung, zu jeder anderen Zeit dürfe man sich küssen 61 . Aber wäre die Botschaft an dieser Stelle der Erzählung opportun u n d bliebe nicht ihre Einschränkung eher bizarr als geistreich? Auch eine andere Erklärung scheint möglich. Uber die Fälle hinaus, i n denen das Küssen als Form der „ A n n ä h e r u n g " eindeutig strafbar ist, manifestiert die rabbinische Literatur eine allgemeinere Abneigung dagegen. A n einer bekannten Stelle des Beresith Rabba ( L X X 1 2 ) 6 2 erfahren w i r , daß alles Küssen ungebührlich ist, ausgenommen die Küsse i n Ausübung eines hohen Amtes, nach langer Trennung, beim Abschied sowie unter Verwandten; als biblische Belege für diese Fälle werden 1. Sam. 10.1, 2. Mose 4.27, R u t h 1.14 bzw. 1. Mose 29.11 angeführt. I n R u t h 1.14 w i r d n u n erzählt, wie die Israelitin N a e m i nach dem Tode ihrer beiden Söhne aus M o a b nach Israel zurückkehrt u n d w i e dabei v o n ihren moabitischen Schwiegertöchtern die eine, Orpa, durch einen K u ß auf immer v o n ihr Abschied n i m m t , die andere aber, Ruth, der N a e m i folgt u n d durch ihre H e i r a t m i t Naemis reichem Verwandten Boas zur Stammmutter des Davidischen Königshauses w i r d . Bei der Diskussion der Stelle (BT Sota 42 b) zeigen sich die Rabbis durchaus des Schattens bewußt, der 61 Dabei gibt er in einigen hintergründigen Sätzen dem Verdacht Ausdruck, Steinschneider (wie Anm. 2) könne unsere Erzählung ganz zu unrecht als „asketisch" angesehen haben. Was bei ihm in der Schwebe bleibt, liest sich bei Dinse (wie Anm. 3) 110, wie folgt: „Tatsächlich gelingt es nun dem Simra — mit Geld und Argumenten — den Papst umzustimmen, doch die versprochene Einwilligung in die Heirat versagt der Hohepriester den beiden Liebenden. Daraufhin hält sich der geprellte Simra bei der ihm treuen Beria schadlos. Als er sie jedoch des morgens verläßt, stirbt Beria — zu groß ist der Schmerz der Trennung!" Aber: 1) Die Feststellung, Beria wäre, wenn sie nicht bereits schön gewesen wäre, jetzt durch das Küssen schön geworden, findet sich nur in R und muß nach allem, was wir von dieser Version wissen, als Zusatz betrachtet werden. Ρ hat nur: Do sprach Simra: „Do sei 3 got gelobt/" Do kust er si' un ging hin-wek. Es ist schwer, diesen dürren Worten die Dinse sehe Interpretation abzugewinnen. 2) Das Verbum „küssen" hat notwendigerweise in R 397 = Ρ 391 denselben Sinn wie unmittelbar darauf in R 398 = Ρ 392, schon weil die zweite Verwendung durch „abermals" eingeführt wird; da aber im zweiten Fall kein uneigentlicher Gebrauch vorliegen kann, liegt auch im ersten keiner vor. 62 Midrash Rabbah, Genesis, translated by H . Freedman and M. Simon , London 2 1951, S. 645. Der Passus ist übergegangen in Midrash Rabbah, Exodus, translated by S. M. Lehrman , London 1951, S. 81 f., und Midrash Rabbah, Ruth, translated by L. Rabinowitz, London 21951, S. 39.

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über dem Abschiedskuß liegt: Naemis bzw. Ruths Nachkommen werden Orpas Nachkommen vernichten. M a n darf vermuten, daß sich hieraus ein Aberglaube auch gegen den an sich erlaubten Abschiedskuß gebildet hat u n d daß der Erzähler eine schon sprichwörtliche Formulierung dieses Aberglaubens zitiert. 5. B e r i a s T o d . D a sich die Liebenden v o r Simras Romfahrt täglich wenigstens beim Borchu sahen u n d ihnen dies auch nach Simras Rückkehr möglich sein müßte, w i r d der heutige Leser befremdet sein, daß Simra v o n Berias T o d u n d Begräbnis erst später, nach einem Besuch am Königshof, durch seinen Vater erfährt. Doch muß man sich vergegenwärtigen, daß dem Erzähler nicht ein H i n w e l k e n Berias, sondern (R 310, Ρ 307 f.) ein p l ö t z licher T o d unmittelbar nach Simras Weggang vorschwebt; ferner, daß das Begräbnis nicht nur i m alten Israel, sondern auch i n der Diaspora bis ins 18. Jh. allgemein am Todestag selbst s t a t t f a n d 6 3 ; schließlich, daß gerade i m jüdischen Denken v o n altersher die Scheu des einzelnen, eine Todesnachricht zu überbringen, stark ausgeprägt w a r 6 4 . M a n muß also annehmen, daß der K ö n i g und sein Sohn gerade deshalb Simra so rücksichtsvoll empfangen (R 315, Ρ 310 f.), w e i l sie i h m die Todesnachricht vorenthalten. Bestreitet man diese Deutung, w i r d damit Simras Besuch am H o f zu einem funktionslosen Detail, wie die gesamte Erzählung kein zweites aufweist. I n Ρ u n d R hat Simras Trauer u m Beria ihr V o r b i l d i n der abelutk, der ebenfalls einwöchigen Periode erster, sehr intensiver Trauer, wie sie der T a l m u d dem Ehepartner u n d den nächsten Blutsverwandten des Verstorbenen vorschreibt (BT Moed Katan 20 a - b), während er allen anderen Personen die vehementeren Formen der Trauer, v o r allem das Zerreißen der Kleidung, untersagt (ebd. 24 b Misnd). D e r Redaktor v o n V hat w o h l diese letztere Vorschrift i m Sinn, wenn er Tovass seinem Sohne weiteres Trauern verbieten l ä ß t ; daneben mag aber die allgemeinere rabbinische Überzeugung mitschwingen, daß es dem Geschöpf nicht anstehe, mitleidvoller als der Schöpfer sein zu wollen, u n d daß deshalb übermäßige Trauer blasphemisch sei, ja sogar einen neuen Trauerfall heraufbeschwören könne (ebd. 27 b ) 6 5 . 6. F ü g u n g u n d F r e i h e i t . Nach weit verbreiteter Auffassung, die u. a. i n beiden Talmuden, i n wichtigen Midraschim u n d i m Sohar belegt ist, 63

EJ, s. v. burial , Sp. 1516 - 18. Vgl. z.B. 2. Samuel 18.19 ff.; BT Moed Katan 2 0 a - b ; EJ, s.v. death , Sp. 1426 (zur Sitte des Wasserausgießens), und für das 20. Jh. H . Haies, Gleibungn un minhogim in farbindung mitn *oit, in: Schriftn fun Jiwo, Filologische Schriftn 2 (1928) S. 281 - 328, hier S. 311 f. 65 EJ, s. v. mourning, Sp. 490. 64

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werden Ehen „ i m H i m m e l geschlossen": den Sterblichen unhörbar, bestimmt Gottes Stimme schon dem i m Mutterleib wachsenden künftigen Menschen den Ehepartner 6 6 . Diese Lehre w i r d i n unserer Erzählung nicht ausgesprochen, aber nahezu sicher vorausgesetzt. D e n n sie erklärt, w a r u m G o t t , als er seine Fügung durch den Hohenpriester i m Diesseits verhindert sieht, den Liebenden ermöglicht, sie i m Jenseits z u verwirklichen. Dabei h ä l t jedoch G o t t an dem G r u n d p r i n z i p aller jüdischen 6 7 wie christlichen E t h i k fest, daß der noch Lebende die moralische Entscheidung selbst zu treffen h a t : Simra muß wählen können, ob er schon jetzt i m Jenseits m i t Beria verbunden sein oder sein diesseitiges Leben ausleben möchte. I n diesem Sinne fragt Beria ihn, ob er bei i h r sitzen oder noch länger warten (halten) möchte. Simras A n t w o r t , er w o l l e n i c h t länger warten, ist i n P 1 P 2 F erhalten, i n R durch den Ausfall der Negation entstellt 6 8 . D a ß die v o n Simra gewählte Alternative die G o t t gefälligere ist, ergibt sich nicht erst aus dem Ende der Geschichte, sondern schon daraus, daß Elia Simra nun den Segen gibt, den er kurz zuvor noch aufgeschoben h a t t e 6 9 . Demnach muß der Satan m i t seinem T r u g b i l d bezweckt haben, Simra aus der Gegenwart Berias zurückzutreiben i n ein möglicherweise sündiges Leben i m Diesseits. E r darf seine Künste nur an Lebenden versuchen, w e i l nur diese eine Entscheidung zu treffen haben; die Toten sind nicht zu täuschen. U m Simra die Entscheidung zugunsten Berias nicht zu sehr zu erleichtern, hat der Erzähler ein retardierendes Moment eingebaut. Beria w i l l Simra nicht i n den T o d locken u n d hält i h n deshalb zunächst an, sein Leben auszuleben. Diese Möglichkeit hat aber soeben dadurch Gestalt angenommen, daß Simra Thronerbe werden soll; eine Entscheidung für Beria ist also ein V e r zicht auf den Thron. D e r Redaktor v o n V hat die Verkettung nicht erkannt u n d Simras Anwartschaft auf den T h r o n als unwahrscheinlich gestrichen, ihre Voraussetzung aber — den Übergang der Herrschaft v o m alten auf den jungen K ö n i g — als nunmehr funktionsloses M o t i v stehen lassen. V . Die Jenseitsfahrt Für den Dichter ist die Jenseitsfahrt allerdings nicht nur ein moraltheologisches, sondern v o r allem ein poetisches Problem. Welche allgemeinen V o r 66 Die Quellen bei Ginzberg V 75 f. Anm. 20, V 262 Anm. 297; Bin-Gorion I 381; EJ, s. v. predestination , Sp. 1281 unten. 67 Klassische Formulierungen der Aporie „Prädestination und Freiheit" sind: „Alles ist vorhergesehen, dodi die Freiheit ist gegeben" (Akiba in BT Aboth 3.15) und: „Alles liegt in der Hand des Himmels außer der Gottesfurcht" (BT Berachoth 33b); vgl. im übrigen EJ, s. v. predestination , Sp. 1281. 68 Erik, Nowele 151 und Geschichte 351, kennt oder beachtet Ρ nicht, übersetzt baiten mit „bleiben" und kommt so zu einer ungenauen Interpretation. 69 Richtig Ρ 408 f.: Elia weiß im voraus, daß Simra noch einmal vorbeikommen wird; falsch R 415.

5 Literaturwissenschaftliches Jahrbuch, 14. Bd.

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aussetzungen findet er für seine Aufgabe v o r und welche speziellen M o t i v e stehen i h m zur Verfügung? 1. A l l g e m e i n e Voraussetzungen. Nachdem sich der alte Sdieolglaube allmählich durch die Lehre v o n jenseitiger Belohnung u n d Strafe umgebildet hat zu dem Glauben an Gan Eden u n d Gehinnom, beschäftigt man sich spätestens i n den Jahrhunderten u m die Zeitenwende auch m i t dem jenseitigen Schicksal berühmter Einzelpersonen. Einerseits zählt das rabbinische Denken — v o n Elia ausgehend, andere Bibelstellen analog interpretierend, i n Einzelfällen des biblischen Vorbildes nicht mehr bedürfend — schließlich etwa zehn Personen auf, die lebend, d. h. m i t ihrem Körper, ins Gan Eden gelangt sind 7 0 , eine v o n ihnen, Rabbi Josua Ben Levi, erreichte dies nach dem Bericht des T a l m u d (Kethubboth 77 b) sogar unter burlesken Umständen. Andererseits aber finden ins Judentum wie ins Christentum seit der Spätantike Jenseitsschilderungen als selbständige Werke Eingang 7 1 . Wenn unser A u t o r seine Liebesgeschichte unerwartet i n diese Gattung einmünden läßt, greift er damit extrem hoch, w i r d aber keineswegs häretisch. Wenden w i r uns nun den Einzelmotiven der Jenseitsfahrt zu! 2. D a s P f e r d . Simras übernatürliches Reittier haben Stif, E r i k u n d Zinberg zurückgeführt auf jenes andere, das Dietrich v o n Bern ins Jenseits bringt72. A u d i diese These bedarf einer Nuancierung. Z w a r w i r d niemand die Beliebtheit der Dietrichsepik beim altjiddischen Lesepublikum leugnen, u n d die behauptete Abhängigkeit w i r d sogar durch einen Umstand gestützt, der den genannten Forschern entgangen ist. U m Dietrichs letzten R i t t steht es nämlich nicht z u m besten: nach der Inschrift v o n S. Zeno v o n Verona ( w o h l 12. Jh.) führt er i n die H ö l l e ; desgleichen nach der Thidrekssaga (13. Jh.), die jedoch die Möglichkeit offen läßt, daß G o t t i m letzten Augenblick Dietrichs Verdammung i n eine Entrückung an unbekannten O r t umgewandelt habe; i m spanischen Libro de los Enxemplos (14. Jh.) sitzen gar Teodo-

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Strack - Billerbeck I V 766; Ginzberg V 95 f. Anm. 67. Wann diese Liste voll konstituiert war, läßt sich nur vage bestimmen. Ginzberg denkt an das 10. Jh. 71 Fast alle, die nicht nur aus internen Gründen jüdischer Herkunft sind (wie vieles in der pseudepigraphischen Literatur der Spätantike), sondern auch in jüdischer Überlieferung vorliegen, sind im B H M ediert und von Wünsche (vor allem im Bd. I I I ) übersetzt; die wichtigeren in englischer Ubersetzung auch bei G aster , Studies I 124- 164. Inhaltlich gehört ferner in diese Gattung die letzte ,Mahbereth' des Immanuel von Rom (Steinschneider, Cat. Bodl. S. 1057 f.; EJ s.v. Immanuel of Rome), obwohl sie in der Konzeption von Dante beeinflußt ist. 72 Vgl. Anm. 4 und 32.

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rico u n d der Teufel zusammen auf dem P f e r d 7 3 . I n R läuft n u n das Roß, „als wenn es der Teufel w ä r " . Ρ Φ 2 Ρ haben stattdessen „als wenn es der Teufel jagte", vermeiden also selbst auf der Vergleichsebene die Identifizierung. Der orthodoxe Redaktor v o n V schließlich streicht den Satz u n d läßt später Beria verkünden, das Pferd sei ein Engel. V o r unseren Augen w i r d also eine unbequeme Assoziation verdrängt. Dennoch fehlt bisher der Blick auf die andere Waagschale, die jüdische T r a d i t i o n . D i e Bibel selbst kennt nur die f u n k t i o n a l ähnliche, aber visuell unterschiedliche Entrückung auf dem feurigen Wagen, den feurige Pferde ziehen (2. Könige 2.11 i n bezug auf Elia); i n benachbarten K u l t u r e n dienen gelegentlich die Himmelswagen des Phoebus u n d des Mithras der E n t rückung 7 4 — letztlich w o h l Reflexe der Tatsache, daß i m alten Orient der Kämpfer i m Kampfwagen gegenüber dem Reiter das höhere Prestige genossen hatte. Eine Zwischenstufe der Entwicklung verkörpert jedoch der v o n Jellinek veröffentlichte kleine Henoch-Midrasch aus dem w o h l i m 11. Jh. i n Süditalien oder Spanien entstandenen Se fer ha-] asar. Er berichtet: Einst stieg „die Erscheinung eines großen Pferdes" vom Himmel herab und stellte sich vor Henoch auf. Dieser erkannte, daß „das Pferd" zu seiner Entrückung gesandt war, und bestieg es. Sechs Tage lang begleitete ihn eine anfangs sehr große Menschenschar. Am siebten Tage „stieg Henoch im Wettersturm empor zum H i m mel mit feurigen Pferden und feurigen Wagen" 75 . 73 Die kurzen Andeutungen bei Otto von Freising (12. Jh.) sind für uns unergiebig. Eine deutlich sekundäre Umbiegung ins Harmlose bietet Leo von RoSmital (15. Jh.); hingegen behält das Motiv in den ,Gesta Romanorum' bei seiner Übertragung auf Symmachus, Antiochus oder Donatus zumindest seinen übernatürlichdüsteren Charakter bei. Zu allen diesen Quellen vgl. R. Köhler, Kleinere Schriften, 2 Bde., ed. J. Bolte, Berlin 1900, Bd. I I , S. 266 f. — Sekundär verharmlost haben den Rappen auch der „Wunderer" und die schwedische Version der Thidrekssaga; s. Hans Kuhn, Heldensage und Christentum, in: Studium Berolinense, Berlin 1960, S. 515 - 524, hier S. 523 f., wiederabgedruckt in: Zur germanisch-deutschen Heldensage, ed. K. Hauck (Wege der Forschung X I V ) , Darmstadt 1965, S. 416 - 426, hier S. 424 f. — Wenn man schließlich mit K. Hauck, Brieflicher Hinweis auf eine kleine ostnordische Bilder-Edda, in: Festschrift E. Karg-Gasterstädt, Leipzig 1961, S. 47 - 67, wiederabgedruckt im genannten Sammelband S. 427 - 449, speziell S. 56 f. (S. 437 f.), auf dem Överhogdal-Fries (wohl um 1100) einen Walhalla-Ritt Theoderichs erkennt, so ändert das nichts: bei der anschließenden Christianisierung mußte daraus eher eine Höllen- als eine Himmelfahrt werden, wie eben die anderen Zeugnisse lehren. — Legenden um Dietrichs Tod, die das Motiv des Rittes nicht enthalten — von Gregor d. Gr. bis zum Anhang des Heldenbuches — können hier außer Betracht bleiben; vgl. Kuhn a.a.O. 74 Th. H . Gaster, Myth, Legend and Custom in the Old Testament, New York 1968, S. 512. 75 Jasar, BereSith I I a - 1 3 a ; daraus B H M I V 129- 132, englisch bei Ginzberg I 129 f., deutsch bei Wünsche I 4 f. Das Pferd wird ( B H M I V 131, Zeile 10) eingeführt als demuth sus gadol. Wünsches Ubersetzung „das Bild eines Pferdes" ist miß verständlich; denn in der Folge ist schlechthin von ha-sus die Rede, und Henoch reitet ja eine Woche lang auf diesem Wesen wie auf einem normalen Pferd.

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Diese erst horizontale, dann vertikale Entrückung ist sichtlich aus zwei Vorstellungen kontaminiert. D i e zweite davon ist die biblische, die erste offenbar die eines Engels, der i n Gestalt eines Pferdes erscheint. Legenden dieses Typs müssen zumindest dazu beigetragen haben, Dietrichs Pferd bei seiner Rezeption durch das jüdische P u b l i k u m zu entdiabolisieren 7 6 . I n unserer Erzählung ist übrigens i n V das Pferd nicht nur z u m Engel gemacht, sondern die Entführungsszene noch i n anderer Hinsicht umgeschrieben: das Pferd entführt Simra unter Zeugen u n d schützt i h n so v o r jedem Verdacht, statt i m Jenseits nur i n einer Ekstase gewesen zu sein. D i e zurückgelegte Entfernung w i r d i n R nicht präzisiert, Ρ Φ 2 Ρ sprechen w o h l w i l l k ü r l i c h v o n hundert Tagereisen; doch der Redaktor v o n V führt die „fünfhundert Jahre" ein, die ζ . B. i n beiden Talmuden, i m Beresith Rabba und i n anderen M i d r a s i m als Topos kosmischer Entfernung (von einem Ende der Erde oder des Himmels z u m anderen, v o n der Erde zum H i m m e l u. ä.) auftreten 7 7 . 3. D e r P a r a d i e s e s f l u ß . D i e Genesis ( 2 . 1 0 - 1 2 ) berichtet bekanntlich v o n vier Strömen, die derselben Quelle i m Gan Eden entspringen; einer v o n ihnen ist dadurch charakterisiert, daß er das L a n d des Goldes, des Bedellions u n d des O n y x umfließt — wobei die rabbinische T r a d i t i o n auch das Bedellion als Edelstein deutet 7 8 . Andererseits zeichnet sich nach jüdischem Glauben das G a n Eden selbst durch einen Überfluß an Edelsteinen aus 7 9 . Beide M o t i v e sind i n unserer Erzählung zu der Vorstellung verbunden, der Fluß führe Edelsteine m i t sich. N u r i n V ist das B i l d wieder der

76 Außerdem ist das Motiv des „Pferdes zwischen zwei Welten" redit früh ins hebräische Dämonenmärchen und ins christliche Exemplum eingedrungen. I. Levi , U n recueil de contes juifs, in: Revue des Études juives 33 (1896), S. 47-63, 233 254; 35 (1897), S. 65 - 83; 47 (1903), S. 205 -213 druckt 33.50-54 aus einer Handschrift, die sicher vor dem 16. Jh., vielleicht schon im 13. Jh. entstand (47.210 und 212), ein Märchen ab, in dem ein Pferd einen Menschen aus dem Dämonenland zurückbringt (deutsch bei Bin-Gorion I 246). Und im frühen 16. Jh. erzählt der Konvertit Johannes Pauli in ,Schimpf und Ernst', ed. J. Boite , Berlin 1924, Nr. 561, wie ein weißes Pferd einen Menschen „für eine Stunde", d. h. für zweihundert Jahre, ins Totenreich bringt. Vgl. hier ferner die ital. und Südtiroler Sagengestalt des Oreo (J. ν. Ν egelin, in: Ztschr. d. Ver. f. Volkskunde 11 (1901) S. 416 f.). Auch solche Fälle — die sich wahrscheinlich vermehren ließen — lehren, sich in unserer Frage nicht zu einseitig auf das Pferd Theoderichs zu kaprizieren. 77 Belege bei Ginzberg V 13 Anm. 31 und 32; vgl. B M H I I 27, 32, 35, 43, deutsch bei Wünsche I I I 38 f., 178, 187, 193 f. (,Midra§ Conen* und ,Masecheth Hêchaloth'). 78 Midrash Rabbah, Genesis (wie Anm. 62), 126; W. Gesenius, Hebräisches und aramäisches Handwörterbuch über das Alte Testament, 17 1915, Neudruck Berlin 1962, s. v. bedolah (mit Literatur). 79 Vgl. etwa Gaster y Studies I 139 (Moses-Apokalypse), 150 (Bericht des Rabbi Josua ben Levi).

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Genesis angenähert u n d m i t Quellenangabe versehen: die Edelsteine finden sich hier i n der N ä h e des Flusses. I n nachbiblischer Zeit stellt man sich die vier Paradiesesflüsse als Ströme v o n Milch, H o n i g , Wein u n d Balsam vor, deren Quelle sich unter dem Baum des Lebens befindet; dabei w i r d meist dem Balsamstrom eine stärkende u n d heilende F u n k t i o n zugeschrieben 80 . I n dem altjiddischen GanEden-Gedidit der Cambridger H a n d s c h r i f t 8 1 erscheint allerdings statt des Weinstromes, also neben dem Balsamstrom, der aus der deutschen M y t h o logie übernommene Begriff heilwâc „Heilwasser"; man erfährt nicht, wie sich Balsamstrom und „Heilwasser" unterscheiden 82 . I n der Alexandersage 8 3 ist bekanntlich an die Stelle des Heilwassers das „Wasser des Lebens" getreten, das sogar Unsterblichkeit verleiht. Der T a l m u d freilich (Τ amid 32 b) verdrängt, wenn er den einschlägigen T e i l der Alexandersage resümiert, das M o t i v der „Unsterblichkeit" fast ganz:

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Die Quellen bei Ginzberg V 29 Anm. 79; zwei Beispiele bei Gaster, Studies I 140 und 150. 81 Zeile 65 - 69 (S. 6), vgl. Zeile 143 (S. 9) (H. Hakkarainen, Studien zum Cambridger Codex, I, Turku 1967; Faksimile bei L. Fuks, The Oldest Known Literary Documents of Yiddish Literature, I, Leiden 1957). 82 Übrigens scheint dann in Zeile 84 (S. 6) statt des Heilwassers doch der Weinstrom vorausgesetzt zu sein. 83 Auf die Alexandersage als Quelle von Motiven unserer Erzählung nachdrücklich hingewiesen zu haben, ist das Verdienst von I. Schip(p)er , A jidischer liberoman fun mitl-elter, in: Jiwo-Bleter 13 (1938), S. 232-245, hier S. 239 f. I d i gestehe jedoch, mich mit den meisten Einzelthesen dieses Aufsatzes nicht befreunden zu können. Für willkürlich halte ich, daß Schipper, ohne den Talmud und die hebr. Versionen des Alexanderromans auch nur zu erwähnen, sein Augenmerk einseitig auf Lamprecht (bzw. auf dessen anonymen Fortsetzer) richtet und nun Simras Pferd direkt oder indirekt vom Bukephalos, das Auftreten Elias (als gäbe es keine jüdische Folklore) aus dem Auftreten des Wächters am Paradiesesfenster, schließlich gar den Stein am Eingang des Jenseits von dem Wunderstein herleiten will, der im dt. Roman und schon im ,Iter* das menschliche Auge symbolisiert (und in dem Schipper die „Augenkugel" des Talmud Tamid 32b nicht wiedererkennt). Ebenso unbewiesen scheinen mir die genetischen Zusammenhänge, die Schipper zwischen unserer Erzählung und dem indischen Märchen von dem Mädchen, dessen Seele sich in einer Zauberstadt auf dem Meeresgrund befindet, oder zwischen Berias handzwel und dem weißen Segel der Tristan-Schlußszene sehen will. Bezweifeln möchte idi schließlich, daß man bei einer so wohlstrukturierten Erzählung wie der unsrigen den disparaten Charakter der (vermeintlichen oder wirklichen) Quellen durch Berufung auf den Spielmannsbegriff erklären darf („die ganze Originalität besteht lediglich in der Art, wie der jüdische Spielmann die Erzählungen »verkettet* hat", art. cit., S. 237). Ich verkenne dabei weder, daß eine solche Kritik an Schipper heute aus mehr als 35jährigem Abstand leicht zu formulieren ist, noch daß Schipper die hier kritisierte Methode gerade der dt. Philologie und der dt. Märchenforschung verdankt (vgl. seine Berufung auf F. v. d. Ley en). Zu Schippers Hypothese einer gereimten Vorform unserer Erzählung vgl. unten Anm. 148.

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Da ging er (seil. Alexander) weiter. Als er sich an einer Quelle niederließ, um sein Brot zu essen, und gesalzene Fische wusch, die er bei sich hatte, bekamen sie einen Duft 8 4 . Da sprach er: Es scheint also, daß diese Quelle dem Edengarten entspringt. Manche sagen, er habe von diesem Wasser genommen und damit sein Gesicht gewaschen, und manche sagen, er ging (dem Wasser) entlang, bis er an die Tür des Edengartens kam. ( . . . ) W i e man sieht, suggeriert der Text höchstens, eine Waschung i n diesem Wasser kräftige oder verjünge, nicht aber, ein T r u n k daraus hätte Alexander unsterblich gemacht. D i e Zurückhaltung ist einfach zu erklären: G o t t vertrieb A d a m u n d Eva aus dem Gan Eden, u m ihnen den Z u g r i f f auf den Baum des Lebens u n d damit auf die Unsterblichkeit zu verwehren (1. Mose 3.22); gäbe es gleich außerhalb des G a n Eden ein Wasser des Lebens, so hätte das erste Menschenpaar durch einen einzigen Schluck Gottes Strafe gegenstandslos machen können. I n nachtalmudischer Zeit freilich — spätestens i m 13. Jh., vielleicht w e i t früher — hat v o n den hebr. Versionen des Alexanderromans zumindest eine die volle Vorstellung v o m „Wasser des Lebens" rezipiert 8 5 . I h r zufolge w o l l t e einst Alexanders Jäger seine Jagdbeute i n einem Fluß waschen; doch die Tiere wurden lebendig u n d entflohen. Der Jäger t r a n k sofort u n d teilte Alexander das Geheimnis m i t , konnte aber den Fluß nicht wiederfinden, wurde v o m K ö n i g enthauptet u n d ging, z u m Tode unfähig, ohne H a u p t v o n dannen. Alexander u n d seine Soldaten überquerten ahnungslos den Fluß u n d mußten noch w e i t ziehen, ehe sie an die Grenze des G a n Eden gelangten; dort wurde ihnen der E i n t r i t t verwehrt, u n d sie kehrten unverrichteterdinge zurück. Unsere Erzählung bleibt demgegenüber bei der orthodoxen Vorstellung v o m „Heilwasser": seine Durchquerung bzw. das T r i n k e n 8 6 daraus hat i n

84 Vgl. zu dieser Stelle I. Friedländer, Die Chadhirlegende und der Alexanderroman, Leipzig 1913, S. 45 Anm. 4: alle Talmudeditionen und schon Raschi lesen hier rehä „Wohlgeruch" ; eine Nebentradition, die Friedländer für die ursprünglichere hält, hat aber rühä „Odem". 85 Hrsg. v. I. Lêvi in der Festschrift Steinschneider, Berlin 1896, S. 142-163; engl. Ubersetzung bei M. Gaster y A n Old Hebrew Romance of Alexander, translated from the Hebrew manuscripts of the twelfth century, in: Journal of the Royal Asiatic Society 1897, S. 485-589 (Wiederabdruck in: Gaster y Studies 814878), hier Kap. I I , S. 37 f. Allgemein zu dieser hebr. Version, auch zu ihrem Alter, vgl. The Book of the Gests of Alexander of Macedon [ . . . ] by Immanuel ben Jacob Bonfils, edited and translated Γ . . . ] by I. J. Kazis, Cambridge (Mass.) 1962, S. 33 - 35. Die oben referierte Erzählung ist dem Pseudo-Kallisthenes I I 39 (Rezensionen β, γ) nachgebildet, ersetzt aber den Koch der Vorlage durch einen Jäger. 86 I n Ρ erscheint das Textelement „und trank davon" etwa eine Zeilenlänge zu früh. Der Redaktor von R hat rationalisiert („trank Wasser"), muß also auch den

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P ! P 2 F und V zur Folge, daß Simra „ s t a r k " bzw. „schöner u n d größer" w i r d ; nur i n R hat ein Kopist das Prädikat „streng und stark" versehentlich auf den Fluß statt auf Simra bezogen. Der Redaktor v o n V beutet das M o t i v später (314 ff.) noch einmal i n expliziterer Form aus. Der „große Weg" i n P, den Simra wie Alexander nach der Durchquerung des Flusses noch zurückzulegen hat, ist v o n V richtig als „weiter Weg", v o n R hingegen als „schöne Straße" verstanden worden. 4. D a s S c h w e r t . Nach der Vertreibung Adams u n d Evas stellt G o t t laut Gen. 3.24 v o r das Gan Eden Cherubim u n d ein blitzendes Schwert, das als ha-mithhappecbeth, „sich intensiv drehend bzw. wendend", bezeichnet w i r d . Hieronymus übersetzt das Partizip m i t versatilis „drehbar" u n d suggeriert so eine nur gelegentlidie Bewegung; Luthers Ubersetzung „ C h e r u b i m m i t dem bloßen hauenden Schwert" macht das Schwert zum bloßen A t t r i b u t der Engel u n d bleibt i m übrigen vage. D i e jüdische T r a d i t i o n hingegen denkt einhellig an ein sich selbsttätig u n d s t ä n d i g drehendes Schwert 8 7 . Unser T e x t bezieht seine Hauptvorstellung zweifellos aus dieser T r a d i t i o n ; darauf deutet schon die Aussage, das Schwert sei gemacht, das Gan Eden zu hüten. D a jedoch die Redaktoren v o n R P A P 2 F wie v o n V glauben, die Mechanik des Schwertes noch erläutern z u sollen, überlagern sich der Hauptvorstellung Zusatzmotive. R P 1 P 2 F erzählen i n ungelenken Worten, das Schwert sei an einem R a d befestigt, das i n einer steinernen Fassung rotiere. V hat diese Beschreibung offenbar als u n k l a r empfunden; er selbst spricht v o n einem Rad, an dem mehrere Schwerter befestigt sind. E r i k hat auf den Wigalois als mögliche Quelle solcher Vorstellungen hingewiesen 8 8 : dort gelangt der fehlerhaften Text vor sich gehabt haben. V hat die inhaltlich richtige Lesart, kann zu ihr aber, wenn seine Vorlage vom P-Typ war, durch bloße aufmerksame Lektüre zurückgefunden haben. 87 Das Material bei Ginzberg I 69, 81, 174; V 104 f., 196. Da in der Genesis „Cherubim" und „Schwert" einander durch das Wort „und" beigeordnet sind, braucht die jüdische Tradition das Schwert nicht wie Luther als Attribut der Cherubim anzusehen, sondern kann es unabhängig von diesen betrachten (oder gelegentlich mit einem von ihnen gleichsetzen, Ginzberg I 69); Th. H . Gaster (wie Anm. 74) 48 f. nennt es „an additional safeguard" neben den Cherubim. Wenn man ferner mit Gaster den Ausdruck „Flammenschwert" einfach als „flashing or glittering weapon" deutet, wird klar, daß auch diese Eigenschaft des Schwertes nicht notwendigerweise in jedem Kontext auftaucht. 88 Erik, Nowele 149, Geschichte 347. Es ist für die vorliegende Frage nahezu gleichgültig, ob man die Versfassung des ,Wigalois', ed. J. M. N. Kapteyn, Bonn 1926, vv. 6770 - 6926, oder die Prosaauflösung von 1493, abgedruckt bei A. Brandstetter, Prosaauflösung, Studien zur Rezeption der höfischen Epik im frühneuhochdeutschen Prosaroman, Frankfurt 1971, Anhang, hier S. 216 f., heranzieht. Wie Erik richtig sah, kommt hingegen der jiddische ,Widuwilt', hrg. von L. Landau, Arthurian Legends or Hebrew-German Rhymed version of the Legend of King

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H e l d an eine Brücke, die versperrt w i r d v o n einem m i t Schwertern u n d Keulen beschlagenen, v o n einem Fluß angetriebenen R a d ; er betet, schläft dann v o r Erschöpfung ein. Inzwischen läßt G o t t den Fluß erstarren, das R a d bleibt knarrend stehen. Wigalois schrickt auf u n d kann, sein Pferd an der H a n d führend, das Hindernis durchqueren. W i e man sieht, sind z w i schen Wigalois u n d der Version R P 1 P 2 F die Detailunterschiede groß. Über das biblische V o r b i l d hinaus würde die Quelle nur zwei Einzelheiten erklären: 1. daß das Drehschwert m i t einem R a d verbunden ist u n d 2. daß man es durch Gebet überwindet. Aber nicht nur das erste, auch das zweite M o t i v ist sehr naheliegend: wie sonst hätte Wigalois ohne Verlust seiner Ritterwürde, Simra gar ohne Waffen handeln sollen? Hingegen w i r d man E r i k zugestehen, daß i n V die unklaren K o n t u r e n der Vorlage i m Sinne des Wigalois geändert sind. 5. D a s M e s s e r f e l d . Simra k o m m t nun an ein Feld aus Rasiermessern m i t nach oben gerichteter Schneide; auf sein Gebet h i n zerteilen sie sich und lassen i h n durch. N u r i n V w i r d eine Deutung gegeben: es sind die Seelen vorzeitig Verstorbener, die am Rande des Jenseits die Vollendung ihres siebzigsten Jahres erwarten 8 9 . O b die Erklärung die richtige ist, bleibt unsicher. D i e Vorstellung eines solchen Wartezustandes ist z w a r i n der jüdischen T r a d i t i o n seit dem 4. Jh. nachweisbar, doch ist ihre visuelle Einkleidung eine andere: diese Seelen warten anscheinend am Rande des Gehinnom i n einem gesonderten R a u m 9 0 . Falls der Redaktor v o n V den U r t e x t unserer Erzählung richtig gedeutet haben sollte 9 1 , ist das B i l d w o h l so zu verstehen, daß die Seelen, denen das Gan Eden noch versperrt ist, i m allgemeinen auch andere am vorzeitigen E i n t r i t t hindern dürfen. 6. D e r O r t d e r L ä u t e r u n g . W i e die christliche k o m m t die jüdische T r a d i t i o n sehr f r ü h zu der Erkenntnis, daß es außer den Gerechten u n d den Verdammten die große Kategorie der Mittelmäßigen gibt, die v o r Arthur, Leipzig 1912 (Teutonia Heft 21), weniger in Frage: er spricht von zwei Schwerträdern statt von einem, behandelt die Szene überdies nur in einer Voraussage (76.30 ff.) ausführlich, unterdrückt sie jedoch im Handlungsablauf fast völlig (101.19-23). Vgl. jetzt die neue Ausgabe: Ritter Widuwilt, Die westjiddische Fassung des Wigalois des Wirnt von Gravenberc, hrg. v. S. A. Wolf, Bochum 1974, Str. 204 und 279. 89 Ungenau Erik, Nowele 174: die noch siebzig Jahre zu warten haben. 90 Strack-Billerbeck I V 1089, 1092. Eine sprachlich ungenaue Formulierung bei Erik, Nowele 149, könnte dem Leser suggerieren, der ,Wigalois4 enthalte auch eine Entsprechung der Messerfeldszene aus ,Beria und Simra'; dem ist nicht so. 91 Die Abkürzung Isb in V 325 scheint sich in dieser Form nicht auflösen zu lassen. Nach freundlicher Auskunft von Herrn Dr. P. Freimark, Hamburg, handelt es sich wahrscheinlich um einen Druckfehler für hsl, also hachämim, sicbronäm librächä „die Weisen (ihr Andenken zum Segen!)". Diese wenig spezifische Ausdrucksweise deutet eher darauf hin, daß V nur den Begriff des Wartezustandes, nicht aber das Motiv des Messerfeldes kannte.

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dem Einzug ins Gan Eden der Läuterung bedürfen. Während die katholische Lehre für diesen Vorgang allmählich ein drittes Jenseitsreich postuliert, verlegt die jüdische Auffassung i h n gewöhnlich, und z w a r v o m frühen 2. Jh. n. Chr. an, ins Gehinnom, dessen Feuer dann reinigt statt zu vernichten 9 2 . N u r vereinzelt t r i t t das M o t i v der körperlichen Züchtigung zurück, so wenn der noch dem ersten Jahrtausend angehörige Midrasch zu den Psalmen i m Namen des u m 300 n.Chr. lebenden Rabbi L e v i berichtet, wie der Todesengel D u m a täglich einmal die Verstorbenen aus dem ummauerten „ H o f des Todes" auf das davorliegende Feld führt, v o n dessen K r ä u t e r n sie sich nähren, u n d an den vorbeifließenden Bach, aus dem sie trinken; auch die verstorbenen Gerechten gelangen i n den „ H o f des Todes", ziehen aber v o n Wohnung z u Wohnung, bis sie schließlich das A n t l i t z Gottes schauen 93 . Andererseits k u l t i v i e r t v o r allem die Kabbala v o m 13. Jh. an die Lehre v o n der Aufgliederung des G a n Eden i n verschiedene, durch Mauern getrennte Zonen, deren jede viele „Wohnungen" enthält. Dabei w i r d nicht nur die Grenzmauer zum Gehinnom ein Strafort, v o n dem manche Seelen täglich für kurze Zeit ins Höllenfeuer zurückfallen; vielmehr herrscht auch i n den gesamten Außenzonen des Gan Eden das Prinzip der Buße durch Scham — eine Scham, die dadurch wachgehalten w i r d , daß den U n v o l l k o m menen einmal oder dreimal täglich der Blick v o n ihren Wohnungen aus auf die vollkommenen i m inneren Gan Eden freigegeben w i r d 9 4 . I n unserer Erzählung liegt Berias Bußort zwar nicht i m Gan Eden (R 440, Ρ 437), aber doch schon jenseits des Schwertes, welches das Gan Eden behütet, u n d i n P 1 P 2 F klingen m i t dem „schönen Saal" u n d den Edelsteinen schon Gan-Eden-Motive an. Auch unser A u t o r ordnet sich also, ohne daß seine Vorstellungen m i t denen der Kabbalisten identisch wären, i n die T r a d i t i o n ein, die Formen milder Buße i n den Randgebieten des Gan Eden kennt95. Der Bearbeiter v o n V schreibt demgegenüber resolut die gesamte Erzählung u m i m Sinne der weiter verbreiteten „ h a r t e n " T r a d i t i o n , die jede Läuterung ins Gehinnom verlegt; dieses stattet er — ähnlich wie der 92

Strack-Billerbeck I V 1044 ff., 1057 f. Ebd. 1092 (,Midras Thehillim' zu Ps. 11.6 f., B H M V 50 f., deutsch bei Wünsche I I I 82 - 84). 94 B H M I I I 194 - 198 (deutsch bei Wünsche I I I 25 - 31), speziell Fragment V (aus dem ,Sefer Miskan ha-Eduth' des Moses von León), auch Fragment I I I (aus dem Sohar). 95 Daß der Satan noch hier Simra in Versuchung bringen darf, sagt über den Ort nichts aus. Das Wirken des Satans ist nicht räumlich begrenzt, da er sogar — ζ. B. als Ankläger — jederzeit vor Gott treten kann (Hiob 1.6; BT Baba Bathra 15b); wohl aber ist es funktional begrenzt, da es sien nur auf den einen hier anwesenden Lebenden richten kann. 93

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Midras Daniel 96 — m i t drei Toren aus. Nachdem er durch Berias M u n d kundgetan hat, daß i n der H ö l l e v o r allem die Sinnlichkeit bestraft w i r d , möchte er das M o t i v des Hauses m i t den Speisenden doch nicht missen, verwandelt aber wenigstens die Speise i n Feuer. 7. D i e D a u e r d e r L ä u t e r u n g . L a u t P X P 2 F dauert die Buße ,je nach der Schuld z u m Beispiel zwei Jahre oder ein Jahr, längere oder k ü r zere Zeit*. R übernimmt v o n diesen Fristangaben nur ,ein Jahr* u n d verstümmelt dabei den Satz grammatisch. E r ist wahrscheinlich beeinflußt durch die seit dem frühen 2. Jh. n. Chr. mehrfach geäußerte Lehre, die Läuterung dauere höchstens ein J a h r 9 7 . D a ß die Fürbitte Lebender die Läuterungszeit verkürzt, ist schon f r ü h katholische Lehre. I n die jüdische T r a d i t i o n dringt der Gedanke nur gegen große Widerstände ein. I n den kanonischen Traktaten des T a l m u d scheint er noch nicht eindeutig belegt, greift aber i n den folgenden Jahrhunderten v o r allem m i t der Geschichte v o n „ A k i b a u n d dem T o t e n " u m sich u n d findet i n Europa seit der Kreuzzugszeit seinen Ausdruck i n der Sitte des Totenkaddisch. Andererseits w i r d er v o m 9. bis mindestens ins 14. Jh. i n religionsgesetzlichen Entscheidungen befehdet, u n d I . Elbogen konnte v o m Totenkaddisch sogar schreiben: „ A n Protesten gegen die Auffassung des Kaddisch als eines Gnadenmittels hat es nie gefehlt. " 9 Θ M a n versteht so, daß i n unserer Erzählung der Kopist v o n R durch eine ironische Bemerkung seinen Zweifel anmeldet (440 f.). 8. E l i a u n d D u m a . Der biblische Bericht v o n Elias Entrückung läßt offen, welches weitere Schicksal G o t t dem Propheten zugedacht hat. Gerade dadurch kann Elia i n der jüdischen T r a d i t i o n zu einem fast universellen Helfer i m Diesseits wie i m Jenseits werden 9 9 , wie das bereits M a t t h . , 27, öe B H M V 129, deutsch bei Wünsche I I 76. — Die Vorstellung ist wohl getrennt zu halten von der bekannteren, nach der die Hölle drei „Eingänge" hat, je einen bei Jerusalem, in der Wüste und auf dem Meeresgrund (BT Erubin 19a und Spätere). 97 Diese Auffassung bezog sich anfangs auf das Endgericht und gründete sich auf das Argument, das Höllenfeuer habe dank seiner Stärke spätestens nach einem Jahr die Seelen der Verdammten völlig verzehrt, müsse also analog die Büßer I V 1045, 1050 f., 1061; Ginzberg V 184 völlig geläutert haben; Strack-Billerbeck Anm. 45; BT Edujjoth Misna 10. 98 Strack-Billerbeck I V 1045, 1049; I. Levi , La commémoration des âmes dans le Judaïsme, in: Revue des Études juives 29 (1894), S. 4 3 - 6 0 ; ders ., Une consultation inédite sur l'intercession des vivants en faveur des morts, in: RET 47 (1903), S. 214-220; Gaster , Exempla Nr. 134 (Literatur S. 212 f.); I. Elbogen , Der jüdische Gottesdienst in seiner geschichtlichen Entwicklung, Frankfurt 31931, S. 92 ff.; EJ s. vv. Paradise , Sp. 84, und Kaddish. 99 Ebd. 764-798; Ginzberg I V 195 -235, V I 306 -342. Vgl. ferner über Elia als Träger von Offenbarungen an einzelne im späten Mittelalter: G. Scholem, Zur

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4 7 - 4 9 voraussetzt. Aus der reichen Elia-Legende sind i n unserem Zusammenhang v o r allem die folgenden, jedenfalls schon i m ersten Jahrtausend ausgebildeten M o t i v e relevant: Elia befindet sich i m Gan E d e n 1 0 0 (Derech Erez Suta 1, 20 c), sitzt oft bei dessen Eingang an K r e u z w e g e n 1 0 1 (Pirke Rabbi Elieser 15), f ü h r t h i n u n d wieder die Seele eines Frommen i n das Gan Eden e i n 1 0 2 (ebd. u n d BT Kethubboth 77 b); i n einem Buch registriert er die guten Taten aller Menschen 1 0 3 (Midrasim Wajjikra Rabba 34, 8 u n d Ruth Rabba 2, 14) sowie die H e i r a t e n 1 0 4 (BT Kiddusin 70 a). V ersetzt den gütigen Elia durch den Totenengel Duma. Der Name, i n den Psalmen Synonym für die Scheol 1 0 5 , bezeichnet seit Ende des 3. Jh. n. Chr. den Engelfürsten i m Totenreich, u . a . i m T a l m u d Berachoth 1 8 b , Hagiga 18, Sanhédrin 94 a u n d Sabbath 152 b; i h m u n d seinen M y r i a d e n H e l f e r n werden die zu Läuternden u n d die Verdammten ü b e r a n t w o r t e t 1 0 6 . Nach dem ( i m wesentlichen u m 1300 entstandenen) Sohar führt er, nicht Elia, Buch über Gerechte wie Sünder 1 0 7 . Der genannten Berachoth-Stelle zufolge wissen die Toten u m das K o m men anderer; es w i r d die Vermutung ausgesprochen (die später i m Sohar zur Gewißheit geworden ist), daß D u m a ihnen dies mitteilt. 9. D e r K o n t a k t m i t d e n T o t e n . I m antiken Babylonien, Ä g y p t e n u n d Griechenland, bei den mittelalterlichen Germanen u n d Kelten, i m jüdischen Dämonenmärchen vielleicht schon des Mittelalters, schließlich i n der modernen Folklore vieler V ö l k e r v o n Japan u n d Neukaledonien bis zu den Zulus findet sich der Glaube, daß, wer auf einer Fahrt ins Toten- oder Feenreich v o n den dortigen Speisen kostet, nicht ins Diesseits z u r ü c k k e h r t 1 0 8 . I n der älteren jüdischen Literatur scheint der Gedanke zu fehlen, wobei man berücksichtigen muß, daß es zu seiner Entwicklung wenig Gelegenheit gab. Andererseits wertet das mosaische Gesetz den K o n t a k t m i t der Sphäre des Todes (ζ. B. das Berühren einer Leiche) als Verunreinigung, für Priester i n Kabbala und ihrer Mystik, Zürich 1960, S. 3 1 - 3 5 ; dersUrsprung und Anfänge der Kabbala, Berlin 1962, S. 30 f. (mit Literaturangaben). 100 Strack-Billerbeck I V 765 f. 101 Ginzberg I V 201, V I 324 Anm. 37. 102 Ebd.; Strack-Billerbeck I V 766 f. 103 Strack-Billerbeck I V 766; Ginzberg I V 201, V I 324 Anm. 35. 104 Ginzberg V I , 324 Anm. 35. 105 Gesenius (wie Anm. 78) s. v. seol. 106 Strack-Billerbeck I V 1088, 1092. 107 Gaster, Studies I 381 f. — Zur Entstehung des Sohar vgl. G. Scholem in EJ s. v. Zohar (mit Bibliographie). 108 Th. H . Gaster, Thespis, New York 1950, 191; ders., Myth (wie Anm. 74) 30 f., 891; Bin-Gorion I 254 f.; Marian R. Cox, Cinderella, London 1893, S. 512; Stith Thompson, Motif-Index of Folk-Literature, 6 Bde., Kopenhagen 1955 - 58, C 211, 242, 250.

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den meisten Fällen schlechthin als verboten, und der T a l m u d w i d m e t dieser Frage den ganzen T r a k t a t Ohaloth 109. I n der ursprünglichen Fassung unserer Erzählung, vertreten durch R P 1 P 2 F , hat die Berührung der Toten, aber auch ihrer Speisen u n d w a h r scheinlich aller Objekte des Totenreiches tödliche W i r k u n g . Auch wenn sich hier w o h l der direkte oder indirekte Einfluß der nichtjüdischen Folklore bemerkbar macht, hat die mosaisch-talmudische Lehre dem Erzähler die Assimilation des M o t i v s zumindest erleichtert; das beweist die Insistenz, m i t der Beria Simra bittet, sich nach seiner Rückkehr rituell zu reinigen. Seiner moralisierenden Tendenz gemäß hat V die Darstellung wieder umgestaltet: Simra berührt nur Berias K l e i d e r ; sie sind aus Feuer, doch der Lebende, der ja nicht an einen O r t gefesselt ist, kann seine Brandwunde i m nahen Balsamfluß sogleich h e i l e n 1 1 0 . H ä t t e die Berührung z. B. v o n Berias H a n d auch i n V Simras T o d bedeutet? Das ist k a u m anzunehmen; denn dann hätte Beria gewiß Simra v o r dieser gefährlich naheliegenden Möglichkeit gewarnt. Der Redaktor v o n V hat also wahrscheinlich das M o t i v „ T o d durch Berührung" nicht an eine spätere (heute verlorene) Stelle transferiert, sondern aufgegeben. A n diesem M o t i v aber hängt i n R P * P 2 F Simras E n t scheidungsmöglichkeit u n d damit der Sinn der Jenseitsfahrt. D a man nicht sieht, welche andere H a n d l u n g Simras Entscheidung ebenso sinnfällig hätte ausdrücken können wie das genial einfache M o t i v der Berührung, drängt sich der Verdacht auf, daß V auch hier eine schwächere Version bietet, i n der als Hauptzweck der Jenseitsfahrt nicht mehr Simras Entscheidung dargestellt wurde, sondern — i n Analogie zu anderen Werken der Gattung — seine Aufgabe, die Lebenden v o r den Höllenstrafen zu warnen.

109 3. Mose 21.1-4; 4. Mose 19.11-22 und 6.6-12. Für die talmudische Zeit vgl. EJ s. v. Death y Sp. 1423: „ [ . . . ] contact with the corpse, for instance, meant defilement in the highest degree [...]**. 110 Eriky Nowele 149, hält sogar die Berührungsszene in RP 1 P 2 F für angeregt durch den »Wigalois4 (ed. Kapteyn 4539 - 88, ed. Brandstetter S. 207, ed. Wolf, Str. 212): dort müssen verstorbene Ritter in einer Welt aus unsichtbarem Feuer leben: bei der Berührung mit einem von ihnen verkohlt Wigalois' Lanze sofort. M i t derselben Vorstellung vom unsichtbaren Feuer arbeitet übrigens schon die siebte Vision des Othloh von St. Emmeram (Monumenta Germaniae Historica, Scriptores 11.381); andererseits ist sie aus dem Wigalois übergegangen in ,Die Jagd von Württemberg* (oder: ,Der Württemberger*), ed. A. v. Keller, Erzählungen aus altdeutschen Handschriften (Bibliothek des Literarischen Vereins 35), Stuttgart 1855, S. 80-92. Trotz der weiten Verbreitung des Motivs in der christlichen Literatur ist Eriks Erklärung für RP 1 P 2 F zu weit hergeholt und nicht einmal für V sicher; denn das Motiv findet sich auch im Maißebuch in einem Kontext, der keinerlei Anklänge an den ,Wigalois* zeigt (Gaster, Ma'aseh-Book wie Anm. 23, Nr. 179).

Beria und Simra VI.

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Rückkehr und Tod

Bei jeder Jenseitsbeschreibung stellt sich die Frage, woher der Erzähler eigentlich sein Wissen bezieht. D i e einfachste implizite A n t w o r t ist es, den Jenseitsfahrer ins Diesseits zurückkehren u n d „aller W e l t " seine Erfahrungen berichten zu lassen. Diesem M o d e l l folgt, mehr oder minder bewußt, audi unser A u t o r . Gleichsam nebenbei gestattet aber die eingeführte Dreitagesfrist, ein weiteres Gebot des T a l m u d (Kethubboth 3 a) einzuhalten: der Bräutigam sollte mindestens drei Tage auf die Vorbereitung des Hochzeitsfestes verwenden — eine Tätigkeit, deren materielle Seite i h m hier allerdings Elia abnehmen m u ß 1 1 1 . Simras Anweisung, man solle seinen Leichnam unbegraben auf dem Friedhof stehen lassen, bedarf einer Begründung, da sie dem allgemeinen Gebot der ehrsamen (und damit vollständigen) Beerdigung widerspricht, das i m jüdischen Denken einen ebenso hohen Rang einnimmt wie i m griechisch-römischen 112 . W i l l der Erzähler eine körperliche Aufnahme Simras ins Jenseits, i n der Perspektive der Uberlebenden also ein geheimnisvolles Verschwinden seiner Leiche suggerieren? Dieser Annahme stehen gewichtige Argumente entgegen. Denn i m Gegensatz zu den zehn Entrückten der jüdischen T r a d i t i o n , deren Kennzeichen es eben ist, „den T o d nicht gekostet zu haben", aber durchaus i m Einklang m i t den größten Gestalten des A l t e n Testaments (ζ. B. m i t Moses, dem audi eine Jenseitsfahrt zu Lebzeiten zugeschrieben w u r d e 1 1 3 ) „ s t i r b t " Simra. Wie die ganze T r a d i t i o n , i n der er steht, kann der A u t o r unter T o d nichts anderes verstanden haben als die Trennung v o n Leib u n d Seele; diese Trennung wäre aber funktionslos, wenn sie sogleich rückgängig gemacht w ü r d e 1 1 4 . V o r allem aber dürfte die Vorstellung eines

111 EJ s. v. Marriage Sp. 1034. In vielen aschkenasischen Gemeinden war es überdies üblich, daß sich Braut und Bräutigam vor der Hochzeit einige Tage lang nicht sahen, art. cit. Sp. 1042. — Wenn man die unterschiedliche Behandlung Simras gegenüber Beria im Jenseits auf eine Bußtätigkeit Simras zurückführen w i l l (vgl. Anm. 57), so ist hier daran zu erinnern, daß nach jüdischer Lehre der Tod selbst Sühnewirkung hat und der Sterbende diese durch entsprechende Haltung verstärken kann; EJ s. v. Death, Sp. 1423, 1425. 112 EJ s. v. buried. 113 Engl. Ubersetzung bei Gaster, Studies I 124 ff. 114 Dies gilt auch dann, wenn der Erzähler im Sinne der Kabbalisten den Komponenten der Seele beim Tode verschiedene Schicksale zuweisen sollte. Nach kabbalistischer Lehre haucht der Todesengel dem Leichnam, damit dieser Schmerzen verspüren kann, für die Dauer des „Grabesgerichtes* zwar die vegetative Komponente der Seele provisorisch wieder ein (vgl. unten Anm. 118); zur körperlichen Auferstehung jedoch müßte der ganze Mensch restituiert werden.

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körperlichen Bräutigams neben einer unkörperlichen Braut nichts Verlockendes haben. So bleibt w o h l nur die folgende Erklärung. Schon seit dem Palästinensischen T a l m u d w i r d oft gelehrt 1 1 5 , die Seele werde zwar durch den T o d v o m Körper getrennt, verharre aber v o r ihrer Jenseitsfahrt noch eine gewisse Zeit, unsicher die Auferstehung erhoffend, i n unmittelbarer Nähe des Körpers. D i e älteren Quellen bemessen diese Frist auf drei oder sieben Tage; daneben stehen jedoch Aussagen, die ein weit längeres Umherschweifen der Seele — bis zur Dauer eines Jahres — voraussetzen 1 1 6 . Später macht sich die Tendenz bemerkbar, das Umherirren als Zeichen der Sündhaftigkeit zu deuten, dem Gerechten aber einen fast sofortigen Eingang ins Jenseits zuzusprechen 117 . Außerdem f ü l l t man — besonders i n der kabbalistisch beeinflußten Literatur seit dem 13. Jh. — die Zeit des Verbleibens i m Diesseits m i t der Vorstellung eines „Gerichtes i m Grabe", d. h. einer T o r t u r , die der Todesengel gleich nach der Beerdigung zu v o l l ziehen beginnt u n d die ausdrücklich als drittes Gericht neben der Einweisung ins Jenseits u n d dem Jüngsten Gericht bezeichnet w i r d . D e m Grabesgericht zu entgehen ist schwerer als eine Läuterungsfrist i m Gehinnom zu vermeiden, dem vollendet Gerechten aber immerhin m ö g l i c h 1 1 8 . 115 Die Quellen bei Ginzberg V 78 Anm. 20; Parallelen aus der pseudepigraphischen Literatur bei Bousset 341 Anm. 1. 116 BT Sabbath 152b; Kethubboth 103a. 117 jMidraS Tanhuma', Wajjikra Par. 8: „Wenn die Gerechten aus der Welt gehen, so steigen sie sofort empor und stehen in der Höhe, mit Bezug auf Ps. 31.20; die Seelen der Frevler aber irren in der jetzigen Welt umher und finden keine Ruhestätte für ihren Fuß." (Zitiert nach Wünsche I I I 226). Eine entsprechende jSohar'-Stelle ( I I I fol. 122b) bei Gaster, Studies I 381 f., eine zweite ( I I I fol. 53a) in The Zohar, translated by H . Sperling and Maurice Simon, 5 vols., London (Soncino Press) 1933 [und Neudrucke], V S. 26. 118 jMasechet Hibbut ha-keber f, in B H M I 150- 152, deutsch bei Wünsche I I I 1 - 7 , Abschnitt I I und I I I ; in leicht abgeänderter Form als ,Kezad din ha-keber' in B H M V 4 9 - 5 1 bzw. bei Wünsche I I I 91 ff. (wo 94, zweite Zeile von unten, „Gehinnom" statt „Gan Eden" zu lesen ist; vgl. B H M V 50, Zeile 4 von unten); eine bessere Fassung (aus einem Manuskript des frühen 14. Jh.) in englischer Übersetzung bei M. Gaster, The Chronicles of Jerahmeel, London 1899, S. 2 9 - 3 2 (vgl. S. L X V I f.). Der genannte Traktat hat laut G. Scholem (EJ, s. v. Zohar, Sp. 1201 unten) Ende des 13. Jh. dem Autor des ,Sohar4 als Quelle gedient. Er wurde um 1570 in Konstantinopel, um 1595 in Prag gedruckt, ferner 1597 in Elia de Vidas* jlnitium sapientiae* Kap. X I I 1 - 3 ; eine jiddische Ubersetzung erschien im ,Sod ha-nesomac, Basel 1609 (Steinschneider, Cat. Bodl. Nr. 3527-32). — Hier wird zwar dem Gerechten gesagt, wie er das Grabesgericht vermeiden könne; dann überlagert sich aber dieser Lehre in manchmal unklarer Weise die andere, wonach der am Sabbatvorabend Gestorbene vom Grabesgericht ausgenommen sei. Es erscheint deshalb nicht überflüssig, darauf hinzuweisen, daß der ,Sohar' I fol. 225a (mit Rückbezug auf I fol. 218b) unmißverständlich den Gerechten schlechthin ausnimmt; vgl. The Zohar (wie Anm. 117), I I S. 322 (mit Rückbezug auf S. 309). Hierzu A. E. Waite, The Holy Kabbalah, New York 1960, S. 327 f.: „There is moreover a punishment in the grave for a period of twelve months, during which

Beria und Simra

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Simra weiß, daß Elia, der Führer des Totenbuches, i h n bereits gesegnet hat u n d seine Hochzeit vorbereitet; er darf somit seine einzige Sünde (wenn sie i m religionsgesetzlichen Sinn überhaupt eine solche war) für gesühnt halten u n d auf unmittelbare Aufnahme ins Gan Eden hoffen. D i e Seelen der Sündenfreien v o m Grab gleich dort hinzugeleiten, ist seit den Pseudepigraphen der Spätantike Aufgabe anfangs des Erzengels Michael, dann auch anderer Erzengel 1 1 9 . Simras Verfügung ist damit w o h l einfach als Ausdruck der Gewißheit, dem Grabesgericht wie der H ö l l e zu entgehen, u n d w o h l zugleich als Gebärde des ehrfürchtigen Entgegenkommens zu deuten 1 2 0 . Freilich hätte diese Gebärde nicht überall A n k l a n g gefunden: schon Maimonides entschied, daß trotz des allgemein hohen Ranges letztwilliger Verfügungen das Verlangen, nicht beerdigt zu werden, nichtig sei gegenüber dem biblischen Bestattungsgebot 1 2 1 . Auch der verlorene Schluß v o n V scheint wenigstens den Grundgedanken dieser Szene bewahrt zu haben. I n der kurzen gereimten Vorrede erklärt nämlich der Herausgeber, er gebe der Erzählung v o n Beria und Simra als Anhang drei kurze Stücke bei, u n d charakterisiert diese sogleich m i t je einer Bemerkung. Das dritte v o n ihnen, das uns hier allein interessiert, soll berichten, „ w i e Rabbi Juda der Fromme i n seinem Testament einen T e i l des Weges verbietet". I n den Fragmenten der Ausgabe v o n 1597 sind m i t dem Schluß unserer Erzählung auch diese Anhänge verlorengegangen; doch ist das dritte Stück auf G r u n d des zitierten Satzes i n der Maißeliteratur leicht identifizierbar: es erzählt, wie Rabbi Juda auf dem Totenbett vorhersagt, seine Beerdigung werde dadurch unterbrochen werden, daß unmittelbar v o r dem Leichenzug das Stadttor einstürze; dieses sei u. a. das Zeichen dafür, daß seine Seele ins Gan Eden eingehe 1 2 2 . W i e man sieht, ist die Maiße wegen ihrer inhaltlichen Parallele zu unserer Erzählung ausgewählt. Aber auch hier geht nicht der Körper, sondern nur die Seele eines Frommen ins G a n Eden ein. N u r diese Vorstellung kann man also als tertium comparationis zu unserer Erzählung i n Anspruch nehmen.

the so-called animal spirit — or nefesh — is attracted thereto and suffers therewith, but the just are not subject to this." Vgl. schließlich Nr. 182 des Maißebuches (Gaster, Ma'aseh-Book, wie Anm. 23), wo Juda der Fromme einem Gerechten voraussagt, er werde vom Grabesgericht verschont bleiben. 119 Bousset 377; Ginzberg l 306, I I I 471 f., V 125 Anm. 135. 120 Man mag im Text die explizite Mitteilung vermissen, die Freunde hätten nach einiger Zeit doch Simras Körper bestattet. Doch bei der gegenteiligen These würde man die einschneidendere Mitteilung vermissen, die Freunde hätten kurze Zeit darauf seinen Leichnam nicht mehr vorgefunden. 121 EJ, s. v. burial , Sp. 1517. 122 Gaster, Ma'aseh-Book, wie Anm. 23, N r . 183. (Nr. 158 der Ausgabe Basel

1602).

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80 VII.

Die Hochzeit

im Gan Eden

D i e Hochzeit i m Gan Eden unterscheidet sich von der irdischen durch ihre erhabenen Teilnehmer. I n R werden sie i n hierarchischer Reihenfolge (nicht i n der Reihenfolge ihres Eingreifens i n die Zeremonie) genannt. D e r H e r r selbst spricht den Segen 1 2 3 . D i e Engel musizieren u n d deklamieren. D i e hupa — ursprünglich das Brautgemach 1 2 4 , dann dessen symbolische Vertretung, meist i n F o r m eines Baldachins — ist unabdingbarer Bestandteil der Szene: nach verbreiteter Lehre w i r d die jüdische Ehe rechtskräftig i n dem Augenblick, w o i n Gegenwart der beiden gesetzlich vorgeschriebenen T r a u zeugen das Brautpaar unter die hupa t r i t t 1 2 5 . So betreuen Moses u n d A a r o n , einst Garanten eines größeren Bundes, auch den hier geschlossenen. D e m Prediger schlechthin, Salomo, sind die „Sieben Segenssprüche" anvertraut. I n Ρ fehlt der auf G o t t bezügliche Satz: wahrscheinlich hat sich ein Kopist gescheut, G o t t handelnd auftreten zu lassen. Jedenfalls k a n n man sich die Urfassung schlecht ohne Nennung eines Zelebranten vorstellen. Anderseits hat sich Ρ erinnert, daß es Elia war, der die Hochzeit vorbereiten sollte; so w i r d er hier z u m A u f w ä r t e r des Hochzeitsmahles. Schließlich scheint Ρ den K ö n i g Salomo zu einem bloßen „ f r ö h l i c h e n " 1 2 6 Teilnehmer der Hochzeit gemacht u n d die „Sieben Segenssprüche" seinem Vater D a v i d , dem Sänger, übertragen zu haben — w o h l w e i l i h m Salomo auf G r u n d seines ätzenden Zweifels an weiblicher T r e u e 1 2 7 als Patron der Ehe ungeeignet schien. Bei der jüdischen Hochzeit werden die „Sieben Segenssprüche" erstmalig i m Schlußteil des Trauungszeremoniells gesprochen, sollen aber auch während der folgenden sieben Tage zu denjenigen Mahlzeiten des jungen Paares erklingen, bei denen ein neuer Gast anwesend ist — wobei der Sabbat selbst auch als „neuer Gast" z ä h l t 1 2 8 . M a n darf sich deshalb nicht darüber wundern, daß R wie Ρ sie spät nennen u n d daß Ρ sie m i t dem Sabbateingang i n Verbindung bringt.

123 Zum Folgenden vgl. speziell EJ s. v. marriage. Der von Gott gesprochene Segen ist wohl mit dem Hauptsegen des ,Kiddu3in'-Teils (art. cit., Sp. 1032) gleichzusetzen, während die „Sieben Segenssprüche" den Kern des ^issuin'-Teils ausmachen (Sp. 1038 f.). Unser Erzähler stellt sich also — wie seit dem 12. Jh. üblich — jKiddusiri' und ,Nissuinc als unmittelbar aufeinanderfolgend vor (Sp. 1035). 124 Th. H . Gaster, The Holy and the Profane, New York 1955, S. 111 - 113. 125 EJ s. v. marriage , Sp. 1049, 1047, 1041. 126 Allerdings ist hier weniger an die Fröhlichkeit des Hochzeitsfestes selbst (EJ s. v. marriage , Sp. 1032 f.) als an die Sabbatfreude gedacht. 127 Ginzberg I V 135 - 141; Gaster, Exempla Nr. 329, 351, 402. 128 EJ s. v. marriage , Sp. 1039 f.

Beria und Simra

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Als Vorlage dieser Szene hat Z i n b e r g 1 2 9 den Schluß v o n Apuleius' Amor und Psyche i n Anspruch, genommen: auf der himmlischen Hochzeit singt dort A p o l l zur Harfe, Venus tanzt, Ganymed u n d Bacchus bedienen, V u l k a n bereitet die Speisen, H ö r e n u n d Grazien streuen Rosen u n d Weihrauch, Musen u n d Satyrn musizieren. D a die Apuleius-Rezeption schon m i t Boccaccio b e g i n n t 1 8 0 u n d es an Berührungen zwischen christlichen u n d j ü d i schen Gelehrten i m Zeitalter des Humanismus wahrlich nicht mangelt, ist Zinbergs These, o b w o h l wörtliche Anklänge fehlen, unwiderlegbar. Aber sie ist einseitig; denn sie vergißt die Gegenprobe i n der jüdischen T r a d i t i o n . D o r t w i r d , viele Jahrhunderte v o r unserer Erzählung, das Thema „ T r a u u n g i m Gan Eden, unter M i t w i r k u n g der Engel v o n G o t t selbst zelebriert" immer wieder erzählt — allerdings m i t Bezug auf A d a m u n d Eva. Könige u n d Propheten können z w a r auf deren Hochzeit n o d i nicht auftreten; doch lesen w i r i n den Pirke Rabbi Elieser, die noch dem ersten Jahrtausend angehören, immerhin die folgende Beschreibung: Die Hochzeit des ersten Paares wurde mit einer Pracht begangen, wie sie sich nie wiederholt hat. Gott selbst schmückte Eva als Braut und führte sie Adam zu. Ja, er ermunterte die Engel mit den Worten: „Kommt, laßt uns Adam und seiner Gefährtin Freundesdienste leisten; denn die Welt ruht auf Freundesdiensten, und sie gefallen mir mehr als die Opfer, die Israel auf dem Altar darbringen wird." Die Engel umringten also den Hochzeitsbaldachin, und Gott sprach die Segnungen über das Brautpaar, wie es der Hasan an der Hupa tut. Dann tanzten und musizierten die Engel vor Adam und Eva in den zehn Brautkammern aus Gold, Perlen und Edelsteinen, die Gott ihnen bereitet hatte 1 3 1 . D i e Pirke schöpfen bereits aus älteren Quellen: Ginzberg zählt z w e i Targumstellen, mehrere Traktate des T a l m u d u n d über ein D u t z e n d Midraschim auf, die dieselbe Szene v a r i i e r e n 1 8 2 ; sie ist also unserem A u t o r gewiß nicht unbekannt geblieben u n d — was Apuleius allein k a u m vermocht hätte — sie nahm i h m die Scheu, G o t t handelnd auftreten z u lassen. D e r Satz, „ i n keiner Gemeinde" habe es eine so schöne Hochzeit wie die v o n Beria u n d Simra gegeben, ist w o h l eine Verbalreminiszenz, schließt aber 129 Zinberg 209 f. (Apuleius, Metam. V I 24); fast wörtlich ebenso in: Wegn wanderndike motiwn in jidischn folklor, in: Jiwo-Bleter 3 (1932), S. 330-336, hier S. 332 - 333. 130 »Genealogia deorum gentilium', Buch V. — Der lateinische Apuleiustext ist schon zwischen 1469 und 1500 viermal gedruckt, die italienische Übersetzung von Boiardo 1523, 1537, 1544, eine andere 1549, eine deutsche 1538 usw. (vgl. Katalog des British Museum s. v. Apuleius; Gesamtkatalog der Wiegendrucke, Bd. I I , Leipzig 1926, Nr. 2301 - 05). Italienische Bearbeitungen sind aus den Jahren 1491, 1520, 1565 usw. bekannt (B. Stummfall, Das Märchen von Amor und Psyche in seinem Fortleben in der französischen, italienischen und spanischen Literatur bis zum 18. Jh., Leipzig 1907, S. 13 - 36, 44 - 49). 131 Ginzberg I 68. 132 Ginzberg V 90 f. Anm. 48.

6 Literaturwissenschaftliches Jahrbuch, 14. Bd.

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zugleich durch geschickte Formulierung A d a m und E v a aus dem Vergleich aus. VIII.

Die Ursprungs fr age

Unsere Erzählung ist nur i n jiddischen Fassungen auf uns gekommen, u n d der obige K o m m e n t a r dürfte gezeigt haben, daß schon deren Archetyp i n allen seinen Teilen genuin-jüdische M o t i v e enthielt. Andererseits konnte gerade für die narrative Grundstruktur kein V o r b i l d nachgewiesen werden. D a bei einer Erzählung dieses Umfangs die freie Erfindung des Handlungsgerüstes i n der älteren jiddischen Literatur beispiellos dastünde 1 3 3 , k a n n man die Möglichkeit einer — verlorenen oder noch unidentifizierten — hebräischen Vorlage nicht ausschließen 184 . Doch sind die m i r bekannten Indizien für eine solche außerjiddische Vorgeschichte unserer Erzählung so unsicher, daß ich sie hier nur referieren möchte. 1. S p r a c h l i c h e I n d i z i e n . I n einer so wohlstrukturierten Erzählung wie der unsrigen ist der parataktische Satzbau m i t seinen zahllosen Un u n d Do sicherlich nicht als naiv zu werten, sondern spiegelt den N a r r a t i v s t i l der Bibel u n d mehr oder minder der hebräischen Erzählliteratur überhaupt w i d e r 1 3 5 . Ferner erreicht der hebräische A n t e i l am Wortschatz i n allen unseren Versionen — t r o t z mancher Schwankungen i m einzelnen — eine Größenordnung, die für Texte hebräischer H e r k u n f t als durchschnittlich gelten kann, für solche deutscher H e r k u n f t aber ungewöhnlich wäre. Beide Umstände sprechen eher für als gegen eine hebräische Vorlage, genügen aber keineswegs, ihre Existenz z u erweisen. 133 Daß einige Erzählungen der Maißeliteratur weder auf hebräische Vorlagen noch auf internationales Erzählgut zurückführbar sind, sondern dem Typ der regional gebundenen Legende angehören, ist hier kein Gegenargument; denn sie bedürfen, mögen sie sich an ältere Trägergestalten wie Rabbi Juda den Frommen heften oder Vorkommnisse der jüngeren Vergangenheit zu berichten vorgeben, nur in geringem Maße der strukturierenden Tätigkeit eines individuellen Erzählers — ganz anders als eine vielgliedrige Erzählung, die von sonst unbekannten Personen einer mehr als eineinhalb Jahrtausende zurückliegenden Epoche handelt. 134 Eine italienische Vorlage ist unwahrscheinlich, da es im 16. Jh. noch so gut wie keine jüdische Erzählliteratur in italienischer Sprache gab. (Nichts deutet darauf hin, daß die Vorlagen von ^ovobuch' oder ,Paris und Vienna' schon für ein jüdisches Publikum bearbeitet gewesen wären.) Auch in der älteren Ladinoliteratur stünde ein narrativ so selbständiges, doch spezifisch jüdisches Werk wie unsere Erzählung isoliert da. 135 Im übrigen allerdings scheint mir bei der Suche nach syntaktischen Hebraismen Vorsicht geboten: z.B. lassen sich das Fehlen des bestimmten Artikels vor höuser in der Wendung bei höuser der cohènim (R 10), die endungslosen Genitive wie tochter Pigin, die Verwendung des Positivs in superlativischer Funktion in einem Nexus wie di' iniklich schön mensch\ das ni' kainer mit äugen gesehen hat (R 44 f.) und die gelegentlichen Verstöße gegen die Numeruskongruenz durchaus im Rahmen der frühnhd. Syntax erklären.

Beria und Simra

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D e n n es ist durchaus anzunehmen, daß ein jiddischer A u t o r , der seine Erzählung zwar ohne Vorlage, aber doch zur Bereicherung der spezifisch jüdischen T r a d i t i o n schriebe, diese T r a d i t i o n i n so elementaren Stilfragen ohne jede Mühe nachahmen würde. Was speziell den Wortschatz angeht, so f ä l l t auf, daß i m Gegensatz zu der übrigen Erzählung die i n direkter Rede wiedergegebenen Gespräche zwischen Simra und dem A p i f i o r (bzw. dem Kaiser) v o n Hebraismen nahezu frei s i n d 1 8 6 . Dieser Gegensatz bestätigt — meines Wissens z u m erstenmal innerhalb eines u n d desselben Werkes — M a x Weinreichs Lehre v o n den zwei fundamentalen Stilarten der älteren component jiddischen Literatur einschließlich der dabei vorausgesetzten awareness 137. W a r aber der Urheber des jiddischen Textes unserer Erzählung souverän genug, sein Komponentenbewußtsein als Stilprinzip einzusetzen, so entbehrt die Annahme, er könne i n seinem aktiven Wortschatz keine nennenswerte A n z a h l v o n Hebraismen gehabt haben, jeder G r u n d l a g e 1 3 8 . 2. G a s t e r s M i t t e i l u n g . K u r z nach dem Erscheinen v o n Eriks Wegn alt-jidischen roman un nowele (1926) teilte Moses Gaster dem A u t o r m i t , er glaube sich z u erinnern, eine A n f a n g des 16. Jh. i n Konstantinopel gedruckte hebräische Fassung unserer Erzählung zu besitzen, könne sie aber nicht auffinden u n d wolle sich i n dieser Angelegenheit nicht auf sein Gedächtnis verlassen 1 3 9 . Gaster hatte damals wegen des Nachlassens seiner Sehkraft seinen Handschriftenbesitz bereits an öffentliche Bibliotheken verkauft und w a r auch für die Lektüre v o n Drucken i n zunehmendem Maße auf die H i l f e seiner Tochter als Vorleserin angewiesen 1 4 0 . Anders als seine Handschriften wurden Gasters Drucke nach seinem Tode durch das A n t i quariat Bamberger u n d Wahrmann verkauft. Wie m i r der jetzige Firmeninhaber, H e r r O . Wahrmann (Jerusalem) freundlicherweise m i t t e i l t 1 4 1 , befand sich i n dem Nachlaß kein hebräischer Druck unserer Erzählung, w o h l

136 ι η ρ u n c j y finden wir nur je eine scheinbare Ausnahme: Ρ hat nach got auch in der Rede des Apifiors die übliche Abkürzung jss — wahrscheinlich selbst in diesem Kontext aus religiöser Scheu —, und in V wird zu Recht auch dem Christen die Kenntnis des Ausdrucks ,Sabbat4 zugetraut. Der Redaktor von R allerdings hat einmal statt der deutschen Umschreibung das ihm gewohnte tevila eingeführt und kann sich auch ein rhetorisches cen jirbe nicht versagen. 137 M. Weinreich, Old Yiddish Poetry in Linguistic-Literary Research, in: Word 16 (1960), S. 100 - 118, hier S. 106 - 110. 138 Bei Gelegenheit der Hebraismen sei hier angemerkt, daß auch die Eigennamen — deren Untersuchung dem linguistischen Kommentar vorbehalten bleiben muß — nicht ausreichen, die Existenz einer hebräischen Vorlage zu erweisen. 139 Erik, Geschichte 349. 140 EJ, Art. Gaster, Moses; W. Brande in der Einleitung zur Neuausgabe von Gasters The Exempla of the Rabbis (vgl. Anm. 14). 141 In seinem Brief vom 3. 7.1973, für den ich auch an dieser Stelle danken möchte. 6*

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aber ein fragmentarisches Exemplar des jiddischen Druckes V 1 4 2 . D a nun E r i k v o n V nur das ebenfalls fragmentarische Frankfurter Exemplar kannte, hätte er w o h l bei der Besprechung v o n Gasters M i t t e i l u n g i n seiner Geschichte auch auf das zweite Exemplar v o n V hingewiesen, wenn i h m Gaster v o n dessen Existenz berichtet hätte. M a n muß also m i t der Möglichkeit rechnen, daß Gaster sein zeitweilig unauffindbares jiddisches Exemplar infolge einer Gedächtnistäuschung für ein hebräisches hielt. Jedenfalls verzeichnet auch Yaaris neue Spezialbibliographie des hebräischen Buchdrucks i n Konstantinopel keinen Druck unserer E r z ä h l u n g 1 4 3 . Selbst wenn Gaster m i t seiner M i t t e i l u n g recht gehabt haben sollte, wäre das Ursprungsproblem nicht gelöst, sondern nur u m eine Stufe verschoben, denn auch i n der hebräischen Literatur des frühen 16. Jh. bliebe unsere Erzählung der genetischen Erklärung b e d ü r f t i g 1 4 4 .

142

Es wurde von der Jerusalemer National- und Universitätsbibliothek angekauft. Für die vorliegende Ausgabe habe ich eine Photokopie davon (wie auch von dem Oxforder Exemplar) mit dem Frankfurter Exemplar verglichen. 143 A. Yaari, Ha-defus ha-ivri be-Ku3ta (Supplement zu Kirjath Sefer 42), Jerusalem 1967. — Der Vollständigkeit halber sei hier erwähnt, daß sich unter den 1552 in Venedig gedruckten jiddischen Maißefaszikeln, von denen die meisten nur dem Titel nach aus hebräischen Bücherlisten des Jahres 1595 bekannt sind, eines befand, dessen Titel in einer der Listen als ,Maaße ira blrusalajim', also „Maiße geschah in Jerusalem", wiedergegeben wird. Shmeruk vermutet, es handle sich um eine Erzählung aus dem Midrasch; vgl. Gli inizi (wie Anm. 29) passim, speziell 130. In Betracht käme m. E. aber auch das »Märchen von einem Jerusalemiter', ,Maaße Sei Jerusalmi' (hebr. Drucke Konstantinopel 1519, Venedig 1544 u. ö.; vgl. Yaari op. cit. Nr. 51) oder schließlich — eine Vorstufe unseres Druckes V, der ja mit dem genannten Satz beginnt. Doch leider trifft dieser Satz auf zu viele andere Ereignisse der jüdischen Geschichte und Themen der jüdischen Literatur zu, als daß man auf ihn weitreichende Hypothesen bauen dürfte. 144 w j u m a n Suche nach einer „Vorstufe" auf andere Literaturen ausdehnen, so können sich nach Abzug alles spezifisch Jüdischen Vergleiche fast nur auf die narrative Grundstruktur beziehen und fallen entsprechend unsicher aus. Unter diesem Vorbehalt sei wenigstens eine Parallele aus der islamischen Literatur erwähnt: der tragische Liebesroman ,Leila und Madschnun', der, auf arabischen Motiven beruhend, 1188 von dem Perser Nizami seine feste Form empfing und schon im 15. Jh. in persischer, um 1500 in türkischer Sprache der osmanischen Oberschicht sehr bekannt war. Abgesehen davon, daß auch dort in dem festgewordenen Titel auffälligerweise der weibliche Name voransteht (vgl. Anm. 147), berührt sich ,Leila und Madschnunc mit der ersten Hälfte unserer Erzählung in den Grundzügen des Handlungsschemas. Doch ist mir kein Detail aufgefallen, das die Annahme eines genetischen Zusammenhanges erfordern würde. Immerhin sei der Leser verwiesen für den Nizami-Text auf die deutsche Übersetzung von R. Gelpke, Zürich 1963, für die Rezeptionsgeschichte (dreißig persische, dreizehn türkische Nachdichtungen!) auf die kritische Ausgabe von W. Dastgerdi, Teheran 21954, für die soziologischen Voraussetzungen der Rezeption im Osmanischen Reich auf F. Taesehnet, Die Osmanische Literatur, in: Handbuch der Orientalistik I 5.1 Turkologie, hrg. v. B. Spuler, Leiden, Köln 1963, passim. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist auch die Nizami-Rezeption im 14. Jh. durch die jüdisch-persische Literatur, vgl. EJ, Art. Judeo-Persian Literature (mit Bibliographie).

Beria und Simra IX.

Die Erzählung

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als Wortkunstwerk

1. I n h a l t l i c h e T r a d i t i o n u n d F r e i r a u m d e s E r z ä h l e r s . Das Hauptergebnis unserer Motivanalyse läßt sich i n z w e i Sätzen zusammenfassen: nach dem Zeugnis des ältesten faßbaren Textes, des Archetyps aller erhaltenen Versionen, ist der A u t o r unserer Erzählung auf Schritt u n d T r i t t der jüdischen T r a d i t i o n verpflichtet; nichtjüdische M o t i v e n i m m t er nur i n relativ bescheidenem Maße u n d nur dort auf, w o sie sich als Konkretisierungen oder Steigerungen jüdischer Vorstellungen auffassen lassen. Welchen Freiraum sich andererseits der A u t o r i n n e r h a l b der j ü d i schen T r a d i t i o n zu bewahren vermag, beweist e contrario der Redaktor v o n V , indem er uns jeweils, v o n der Verwischung des gesellschaftlichen Gegensatzes bis z u m zielsicheren Einsatz der Höllenstrafen, v o r f ü h r t , was auch möglich gewesen wäre — vielleicht darf man sogar sagen: was a priori wahrscheinlicher gewesen wäre, bezeichnet doch E r i k 1 4 5 V als tipisch jidisch maißebichl. Allerdings bedarf dieser Begriff des „Typischen" einer Relativierung. D e n n wenn w i r die Entscheidung v o n Jakob Bäks Söhnen gegen die Version ihres V a t e r s 1 4 6 m i t dem Geschmack der Publikumsmehrheit gleichsetzen dürfen — u n d darin k a n n uns die Existenz des anderen Prager u n d des Frankfurter Druckes nur bestärken — , dann entschied sich das Pub l i k u m j a nicht für das „Typische", sondern für die Fassung, die den E r wartungshorizont überschritt. Deren Erfolg dürfte freilich nicht nur durch inhaltliche Züge, sondern ebenso durch gewisse formale Qualitäten bestimmt gewesen sein, denen w i r uns jetzt zuwenden wollen. 2. S z e n e n r e g i e . Erzähltechnisch besticht Beria und Simra den Leser v o r allem durch den ungewöhnlich sicheren Einsatz konkreter Einzelmotive. A m eindeutigsten gilt dies für die Charakteristik der beiden H a u p t gestalten. I m Prinzip weist der Erzähler m i t der gesamten jüdischen wie christlichen T r a d i t i o n seiner Zeit dem M a n n und der Frau verschiedene Wirkungskreise z u ; er konkretisiert diese durch verblüffend einfache M i t t e l . Simra ist i m Diesseits wie i m Jenseits der Wandernde; Beria erscheint i m Diesseits an i h r H e i m , i n unterschwelliger Fortsetzung dessen auch i m Jenseits an ein „Stübl e i n " gefesselt. V o n der Schlußszene abgesehen, spricht Simra m i t a l l e n Personen der H a n d l u n g , v o m zweiköpfigen Erben bis zu E l i a ; Beria spricht n u r m i t Simra: ihren Vater hört sie, antwortet i h m aber nicht, u n d n o d i i m Jenseits erspart sie es durch ihren Platz unter der Stiege Simra u n d dem 145 146

Nowele 174, Geschichte 352. Vgl. oben die Liste der Textzeugen.

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Leser, sie i n Gesprächen zu ahnen, an denen der Geliebte nicht teilnehmen kann. Daß jedoch aus dem Unterschied des Wirkungskreises kein solcher der menschlichen Würde w i r d , erreicht der Erzähler dadurch, daß Beria auf Simras Liebeserklärung antworten darf, „noch viel lieber" habe sie ihn, u n d daß sie die Wahrheit dieses Satzes durch ihren T o d unter Beweis stellt. I m selben Sinne hat w o h l schon der A u t o r selbst Beria die erste Stelle i m T i t e l der Erzählung zugestanden 1 4 7 . U m der Gefahr der Sentimentalität entgegenzuwirken, stattet der Erzähler beide Hauptpersonen m i t einer P o r t i o n List aus. Simra f ä l l t es nicht schwer, den Zweiköpfigen unversehens einer schmerzhaften Prozedur zu unterwerfen, am Ende des Gastmahles beim Hohenpriester den Unschuldigen zu spielen, seine Treffen m i t Beria i n die Zeit des Gottesdienstes z u verlegen, für seine Werbung die Machthebel des Königtums einzusetzen u n d die Verstellung v o r dem A p i f i o r durchzuhalten. A u d i Beria f ü h l t sich durch das Jihudverbot nicht gebunden, öffnet unbefangen während des Borchu das Fenster nicht nur z u m Hören, läßt sich das Handtuch als Signalm i t t e l einfallen u n d versucht, Simra v o n seiner selbstmörderischen R o m fahrt durch eine wohlgezielte D r o h u n g abzubringen. Z u r Entsentimentalisierung k a n n audi die indirekte Perspektive beitragen: i n jedem R i t t e r roman mag der H e l d beim Anblick der Geliebten erblassen, dann wiederum i n Liebesgedanken versunken einherreiten; i n unserer Erzählung aber w i r d das eine v o n den übrigen Gästen m i t Lächeln, das andere v o n dem Freund m i t Sorge beobachtet. W i e der Liebe einige List, so w i r d umgekehrt dem Bösen ein Q u a n t u m trügerischer Leutseligkeit beigemischt, nicht nur i n der H a l t u n g des Apifiors gegenüber Simra, sondern ebenso i m Gebaren des Hohenpriesters gegenüber den Brautwerbern. D e r Redaktor v o n V ist auch für die formalen Qualitäten seiner Vorlage unempfänglich: er hat nicht nur i n der Mehrzahl der genannten Fälle durch Streichungen die Szenenregie verwässert, sondern verfällt, sobald er seine Gehinnomszene selbst gestalten muß, i n den Fehler, Beria eine lange 147

Alle Textzeugen außer R nennen im Titel Beria vor Simra; R hat keinen Titel, aber dieselbe Reihenfolge in dem Satz, der den Titel vertritt (vgl. Anm. 14). Nun scheint bei Titeln dieses Typs in allen Literaturen nur sehr selten der weibliche Name voranzustehen: ich habe bei ausgedehnten Stichproben hierfür nur ein europäisches Beispiel (Hero und Leander) und zwei persische (Wis und Ramin, Leila und Madschnun), für den gegenteiligen Fall Dutzende gefunden. (Daß sich der Titel nicht immer bis zum Autor zurückverfolgen läßt, dürfte die Proportion nicht beeinflussen.) Bei diesem Stand der Dinge kann man in unserer Erzählung die Reihenfolge der Namen nicht zwei voneinander unabhängigen Barbeitern, sondern nur dem Archetyp und damit wohl dem Dichter zuschreiben.

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Rede m i t gebührenden logischen Gliederungsmerkmalen (erste, zweite, dritte Bitte an Duma) halten z u lassen. 3. S t r u k t u r . D i e Fülle der konkreten Einzelmotive w i r d zusammengehalten durch eine einsträngige, denkbar einfache Erzählstruktur: eine längere, gleichmäßig ansteigende Folge v o n Handlungen, die denselben Zweck verfolgen, v o n denen aber nur die letzte, eben die anfangs mysteriöse Jenseitsfahrt, i h n erreichen k a n n ; dann i m H ö h e p u n k t eine Entscheidung, nach der das Ende nicht mehr zweifelhaft sein k a n n ; schließlich eine fallende H a n d l u n g , die energisch diesem Ende zustrebt. Doch gerade die H a n d habung der einfachen Struktur verdient i n mehr als einer Hinsicht Bewunderung. A u f der ansteigenden Seite bannt der Erzähler die Gefahr eines ästhetischen Bruches v o n der diesseitigen zur jenseitigen H a n d l u n g dadurch, daß bereits m i t Simras Todesgefahr u n d Berias T o d die für die Jenseitshandlung notwendige Dimension des Ernstes erreicht ist u n d daß andererseits i n der Jenseitshandlung keine Schilderung v o n M a r t e r n den Leser i n eine plötzliche Distanzierung treibt. Der Fehler vieler Jenseitsvisionen — über einer möglichst vollständigen Beschreibung die H a n d l u n g verkümmern z u lassen — w i r d ohne M ü h e vermieden: H ö h e p u n k t der Erzählung ist eine Entscheidung, die durch eine Alternativfrage vorbereitet, dann i n einer einprägsamen Geste verkörpert w i r d . Anschließend steigert sich das ohnehin zügige Erzähltempo so, daß der fallende Handlungsteil nur ein Zehntel der Erzählung einnimmt. Er w i r k t trotzdem nicht formlos, da er i n einem sehr plastischen Schlußbild aufgefangen w i r d . 4. S t i l . D a die drei Fassungen erhebliche stilistische Unterschiede aufweisen, müssen sie getrennt untersucht werden, ehe man etwas über den Stil des Autors aussagen kann. V gibt nur z u wenigen Bemerkungen A n l a ß . Sein Redaktor hat dort, w o er die Vorlage inhaltlich beibehält, auch stilistisch keine erkennbaren Eigentendenzen, und selbst w o er den Text r a d i k a l umschreibt, bemüht er sich zunächst, den Gesamtstil der Erzählung fortzuführen (vgl. ζ . B. die emotionalen Wendungen i n 7, 10, 15 f., 305 f.); m i t Berias Höllenbeschreibung allerdings w i r d der T o n pedantischer. R u n d Ρ hingegen, die sich inhaltlich recht nahestehen, unterscheiden sich stilistisch umso deutlicher. D e n Stil v o n Ρ k a n n man als extrem schlicht u n d i m Gesamteindruck durchaus als gefühlsstark bezeichnen. R hingegen w i r k t „höfischer" u n d bis i n die Einzelheiten hochemotional, v o r allem durch den Einsatz rhetorischer M i t t e l : — Während sich i n Ρ u n d V der römische u n d der jüdische Herrscher sowie Tovass als Vater m i t verhältnismäßig einfachen Anreden begnügen müssen

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88 (nur i n V bietet R (78, 244, 129, vgl.

heißt der Kaiser gelegentlich ,gnädiger H e r r c oder ,Euer Gnaden'), entweder gegenüber den anderen Texten die pompösere Anrede 245, 246) oder als einziger T e x t überhaupt eine solche (21, 81, 126, 334).

— I m Verhältnis der beiden Hauptpersonen zueinander kennen alle Texte herzliche Anreden w i e ,liebe Beria', doch nur R hat ,herzliebe Treu* u n d ,lieber, auserwählter Simra' (191, 394). — N u r i n R sind Interjektionen gebraucht (148, 393). — D i e Urheber v o n Ρ u n d V vermeiden es, i m eigenen N a m e n (also außerhalb der wörtlichen Rede) den Gestalten schmückende A d j e k t i v a zu geben; nur i n V ist bei Simras Totenklage einmal v o n seiner ,frommen, lieben zenua Beria' (236) die Rede. Demgegenüber k u l t i v i e r t der Redaktor v o n R Formen w i e di' schön Beria 9 der gut elend Simra (30, 193, 221, 289, 300, 301, 391 f., 438, 455, 462; vgl. 44 u n d 52). — N u r i n R 56 f. f ü h r t Beria, nachdem Simra unerwartet i h r Zimmer betreten hat, i h n ,bei der H a n d ' zu einem Stuhl. D i e Geste erschiene i n einem Rittersaal natürlicher als i n der hier geschilderten Situation. — I n der Phraseologie g i l t Entsprechendes ζ . B. v o n den Ausdrücken ,mit freiem (bzw. fröhlichem) M u t ' (R 53, 70 f., 159) u n d ,in Liebe verstrickt' ( R 62, 80), die den übrigen Fassungen unbekannt sind. Umgekehrt ist i n R das W o r t maid ( Ρ 64, 67, 71), das auch ,Magd' bedeutet, anscheinend bew u ß t vermieden. — Das umgangssprachliche ,nehmen' bzw. ,geben' der anderen Texte i m Sinne v o n ,heiraten' bzw. ,verheiraten' erscheint i n R jeweils präzisiert durch den Zusatz ,zu einem Weib ( M a n n ) ' (63 f., 82, 122, 125, 140, 171,

182). — W o Ρ u n d V ζ . B. bei einem Verbum wie ,sterben' die M o t i v i e r u n g dem Zusammenhang überlassen, fügt R sie gern h i n z u : ,vor Liebe' (81), ,vor Leid' (114, 117,168, 310, 321). — D i e Synonymendoppelung findet sich außerhalb v o n R nur i n den Ausdrücken ,mit Züchten u n d m i t Ehren' ( V 16, vgl. R 59) u n d ,Sünde u n d Schande' (P 138 = V 46 = R 144), w o sie schon der Umgangssprache angehört. I n R w i r d sie fast zur Manier (89, 90, 94 f., 104 f., 109, 128 f., 179, 216, 223, 259, 297, 313, 329, 362, 363, 373, 404, 451, 457, 472). — Auch an Vergleichen finden sich i n Ρ u n d V nur zwei allgemein bekannte: ,wie Sand am Meer' (P 281 = V 175 = R 274 f.) u n d ,als wenn es der Teufel jagte' (P 343 f., vgl. R 349). Hingegen setzt der Redaktor v o n R

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solche Ausdrücke i n glücklicher u n d mehrmals i n origineller Weise ein (72, 111,113, 290, 308 f., 357). — Außerhalb v o n R findet sich nur ein Ausdruck der auktorialen Erzählhaltung, nämlich ein Unsagbarkeitstopos (P 446 f., vgl. R 457). Der Redakt o r v o n R strapaziert geradezu diesen Topos (45 f., 68 f., 299, 325, 356 f.) u n d verwendet dabei an der ersten Stelle eine gereimte Form, die sich laut E r i k 1 4 8 in ale (!) jidische romanen findet; außerdem hat R noch zwei verkappte Fälle auktorialer Erzählhaltung (113, 323). — Schließlich haben der hochemotionale M o n o l o g R 3 5 7 - 6 0 u n d die w o h l auch monologisch zu deutende Stelle R 297 f. i n den anderen Fassungen keine Entsprechung. Neben diesen m i t den Kategorien der Rhetorik erfaßbaren Belegen steht eine Fülle anderer, w o R i n Syntax oder W o r t w a h l deutlich überlegen ist, ohne daß die übrigen Texte eine kürzere Lesart böten. M a n vergleiche etwa R 73 f. Aso namen di' gest wider urlab un zugen ain itlicher wider haim mit Solom m i t Ρ 75 f. Do gingen di' leit al wider awek, di' er gebrait hat, der cohen godol, un dankten im ser. 148 Nowele 150. Eriks Deutung dieses Reimes als Topos halte ich für richtig. Sie fand keinen Anklang bei I. Sdoip(p)er y der in Literarische Bieter 1926, Nr. 114, noch etwa ein Dutzend Reime aus R beibrachte, wobei er jedoch hin und wieder die Wortstellung änderte (z.B. 324: kam in sein kamer : do trib er ain jomer), einzelne Syntagmen unterdrückte (z.B. 356 f.: do wust er nit, wu er war : er sehr? umerdar) und Trivialreime aufnahm (wie den zuletzt genannten). Aus diesen Reimen und daraus, daß unsere Erzählung wie der Tristanroman und die Versnovelle von ,Florus und Blanchefleur' von einer Liebe handle, „die stärker ist als der Tod", schloß er auf die Existenz einer gereimten mittelalterlichen Vorfassung. Doch weil sowohl Erik in seiner »Geschichte4 als auch Weinreich in seinen ,Bilder fun der jidischer literaturgeschichte' (beide 1928) die Erzählung weiterhin dem 16. Jh. zurechneten, suchte Schipper in ,A jidischer libe-roman fun mitl-elter', in: Jiwo-Bleter 13 (1938), S. 232-245, seine These mit neuen Argumenten zu untermauern. Soweit diese den Inhalt der Erzählung berühren, habe ich bereits oben (Anm. 83) dazu Stellung genommen. Zur Form verwies Schipper jetzt auf die Wortfolge red(e)t : gibt : get in R 65 f., zitierte diese aber, indem er die beiden Zere der Hs. unberücksichtigt ließ, als Assonanz ridt : gibt : git und erklärte mit Berufung auf eine Geschichte der frz. Literatur, die „Assonanz" sei zugunsten des Reimes im Frz. zu Beginn des 14. Jh., im Dt. etwa zur selben Zeit endgültig aufgegeben worden; deshalb sei die älteste Fassung unserer Erzählung jedenfalls vor 1350, im „Zeitalter nichtfixierter spielmännisdier Weisen" (art. cit., S. 245), anzusetzen. Aber abgesehen davon, daß hier der Schluß von der frz. auf die dt. Literatur eine Vermischung der Begriffe „Assonanz" und „unreiner Reim" voraussetzt und selbst dann inhaltlich unrichtig bleibt, können Klangähnlichkeiten in dem von Schipper nachgewiesenen Umfang doch wohl zufällig sein. Prinzipiell läßt sich eine These wie die seinige nur beweisen, indem im Umkreis des zur Diskussion stehenden Textes zu Vergleichszwecken audi genuine Prosa untersucht wird.

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N u n kann man sich beim besten W i l l e n i m 16. oder 17. Jh. keinen Bearbeiter vorstellen, der den Schmuck u n d die Gewandtheit des Stils v o n R Schritt für Schritt m u t w i l l i g zerstört hätte u n d dabei oft — z. B. bei den T y p e n ,zu einem Weib geben' u n d ,vor L e i d sterben' — m i t nahezu computerhafter Verläßlichkeit verfahren sein müßte. Umso verständlicher ist der gegenteilige Vorgang: ein intelligenter Kopist hat zwar inhaltlich seine Vorlage leidlich getreu wiedergegeben, aber deren Gefühlsintensität bewußt gesteigert durch Stilmittel, die insgesamt ihre H e r k u n f t aus dem deutschen Ritterroman u n d Volksbuch nicht verleugnen können. D a ß diese Umarbeitung ästhetisch überzeugt, liegt aber nicht nur i n der Tätigkeit des Bearbeiters, sondern auch i n der klassisch einfachen Struktur der Erzählung selbst begründet: sie gestattet eine langsame A k k u mulation der stilistischen Wirkungen. I n den meisten Erzählwerken des Spätmittelalters u n d des 16. Jh. hingegen werden ähnliche Wirkungen i m mer wieder durch eine komplizierte, abenteuerreiche Fabel gedämpft. V o n den v o r 1580 a u d i i n jiddischer Fassung vorliegenden Stoffen m i t einer Liebeshandlung gilt dies für den Widuwilt w i e für das Bovobuch, i n geringerem Maße w o h l audi für Paris und Vienna, w o das Fehlen einer Ausgabe der jiddischen Fassung einen verläßlichen Vergleich n o d i unmöglich m a c h t 1 4 9 . Mehrere Indizien deuten darauf hin, daß der Bearbeiter unserer Erzählung Reutlingen selbst war. I n den Sdilußversen seiner Abschrift des Oktavian i n derselben Münchener Sammelhs. bezeichnet er sich als diner ale vrumen weiber, also als Lohnschreiber jiddischer Literatur. I n seinem Gewerbe muß te sich schon die Konkurrenz des Buchdrucks bemerkbar machen; eine Möglichkeit, i h r zu begegnen, bestand gewiß darin, inhaltlich getreu, aber ,noch schöner' als die Drucke zu erzählen. I n diesem Zusammenhang sind i n R zwei Streichungen verräterisch. I n 118 u n d 187 schreibt Reutlingen zunächst einige Buchstaben des P-Textes nieder, streicht sie dann aber aus, u m sie durch eine eigene Version zu ersetzen. I m ersten F a l l hat er das Subjekt Tovass durch Simra ersetzt, so daß n u n schon die erste Intervention des Königs auf Simras Erscheinen h i n erfolgt; man mag diese Änderung weniger glücklich finden, w e i l dadurch die beiden Interventionen einander noch ähnlicher werden. I m zweiten Falle ist die farblose K o n s t r u k t i o n m i t dem Verbum v i c a r i u m e ich es ton weit ersetzt durch das präzisere e ich si 3 im geben wil. Beide Änderungen beweisen, daß Reutlingen sich b e w u ß t kleinere Eingriffe i n den Text gestattete. 149

Herr Dr. L. Fuks, der eine Ausgabe vorbereitet, teilt mir allerdings mit, daß er die Autorschaft Elia Levitas ernsthaft bezweifle — womit sich auch die Frage der Datierung neu stellt.

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I n seiner (noch unedierten) Abschrift des Oktavian hat sich Reutlingen an seine Vorlage z w a r enger angeschlossen als bei Beria und Simra — sei es, daß der schon als Volksbuch redigierte, dazu u m ein Vielfaches längere T e x t i h n weniger zur Überarbeitung reizte, sei es, daß die Umsetzung v o n der lateinischen i n die hebräische Schrift seine Aufmerksamkeit i n Anspruch nahm. Dennoch gibt es auch hier auf Schritt und T r i t t auffällige stilistische Parallelen. So sind allein auf den f. 1 - 1 0 der Hs. gegenüber der Vorlage die folgenden Zusätze festzustellen: — einmal die Anrede alergenedigster

her kaiser (statt Herr) ;

— etwa zehnmal außerhalb der wörtlichen Rede v o r Personenbezeichnungen ein wertendes oder emotionalisierendes A d j e k t i v (ζ. B. elend, vrum oder betrübt als Epitheta der Kaiserin), zweimal sogar ein A d j e k t i v p a a r (di' verirt un betrübt kaiserin; di' edel vrum kaiserin); — zweimal eine Motivangabe, u n d zwar gleich i n Form eines Synonymendoppels (var großen laid un jomer; var schmerzen un müdikait); — i n vier weiteren Fällen ein A d j e k t i v oder ein abstraktes Substantiv ebenfalls zur Bildung v o n Synonymendoppeln (z. B. trouren un klagen statt trawren); — ein Ausdruck der auktorialen Erzählhaltung; — die wesentliche Erweiterung eines Monologs, wieder unter Verwendung v o n Ausrufen wie ich betrübten, elenden gewesen kaiserin! 150 Selbst wenn der Bearbeiter v o n R nicht m i t Reutlingen identisch sein sollte, bleibt die grundlegende Tatsache, daß Ρ v o n dem U r t e x t z w a r kein unfehlbares, doch insgesamt sicher ein treueres B i l d vermittelt als R oder V . Diese Erkenntnis w i r k t sich auch auf die Vorstellungen v o n der Entstehung unserer Erzählung aus. Schon inhaltlich konnten w i r den europäischen E i n fluß nicht so hoch veranschlagen wie E r i k u n d Zinberg; noch weniger können w i r das i n stilistischer Hinsicht, wenn R sekundär ist. Macht man sich aber einmal bewußt v o n dem Einfluß v o n R frei u n d liest P, als gäbe 150 Zu Reutlingens Bearbeitung des Oktavian vgl. A. Paucker, The Yiddish Versions of the German Volksbuch, Diss, (masch.) Nottingham 1959, S. 44 - 103, der insbesondere die religiös bedingten Änderungen untersucht und der ebenfalls dem Bearbeiter einen hohen Grad von Selbständigkeit zubilligt. Diese Einschätzung ist vereinbar sowohl mit der späteren Auffassung von Erik (der seine anfängliche Vermutung, Reutlingen sei der Dichter unserer Erzählung, in seiner »Geschichte' 349, Zeile 13-19, annulliert durch das nicht näher präzisierte Eingeständnis, Ρ biete stellenweise einen besseren Text als R) wie mit der Auffassung von J. Maitlis (wie Anm. 30) 50 - 69, der bei der Untersuchung des dritten von Reutlingen geschriebenen Textes unserer Handschrift, der 22 eigentlichen Maaßijoth, ziemlich negativ über Reutlingens Hebräischkenntnisse, doch positiver über seine Bearbeitertätigkeit urteilt (speziell S. 65 und 68).

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es nur diesen Text, so w i r d man auch seinem Stil die Anerkennung nicht versagen: gerade i n seiner extremen Schmucklosigkeit vermag er dem Leser auf die Dauer wirksam zu suggerieren, der I n h a l t bedürfe des Schmuckes nicht. 5. K o n z e p t i o n . A m eindeutigsten erweist sich die O r i g i n a l i t ä t unserer Erzählung i n der K o n z e p t i o n selbst, also i n dem Grundgedanken, das Liebesthema m i t dem Thema der Jenseitsfahrt zu verschmelzen. H i e r z u sei noch eine kurze komparatistische Betrachtung gestattet. Angesichts der weiten Verbreitung des einen w i e des anderen Themas i n der Weltliteratur darf man v o n vornherein vermuten, daß sie hier u n d da k o m biniert erscheinen. N u n läßt sich wenigstens das Auftreten des einen Themas, der Jenseitsfahrt, für Europa u n d den Vorderen Orient fast vollständig, für die übrige W e l t i n einer w o h l exemplarischen V i e l f a l t überschauen; so bleibt n u r zu prüfen, welche Darstellungen v o n Jenseitsfahrten zugleich Elemente einer Liebesgeschichte enthalten. I n den nicht-monotheistischen K u l t u r e n ergeben sich i n der T a t die erwarteten Überschneidungen. Der bewundernswert dokumentierte A r t i k e l Katabasis der Pauly-Wissowaschen Realenzyklopädie 1 5 1 verzeichnet für Europa 151 Da es in unserem Zusammenhange nur auf die möglichst vollständige Erfassung der Primär-, nicht der Sekundärliteratur ankommen kann, leistet hier den besten Dienst noch immer eine sehr positivistische Darstellung, eben der oben genannte, 90 Spalten umfassende Artikel von Ganschinietz (20. Halbband, Stuttgart 1919); er behandelt Mittelalter und Neuzeit mit nahezu derselben Kompetenz wie die Antike. Wer das Material im einzelnen durchgeht, wird dem Autor darin Recht geben, daß man die Beschreibungen der Straforte von denen der Läuterungsund Ruheorte nur in äußerlichster Weise trennen könnte, sowohl in der Antike, wo das Elysium oft Teil des Hades ist, wie in späterer Zeit, wo dieselben Werke oft zwei oder drei Jenseitsreiche darstellen; ferner darin, daß neben Jenseitsfahrten im vollen Wortsinn ohne tiefgreifende Unterschiede verwandte Formen stehen wie Fahrten an den Rand des Totenreiches (z. B. Odyssee, ältere Fassung des Alkestisstoffes), Jenseitsvisionen mit Traumeinkleidung, Geistererscheinungen mit Jenseitsbeschreibung, „theoretische" Fahrtbeschreibungen, deren Subjekt nicht ein einzelner, sondern „die Seele" schlechthin ist usw.; schließlich darin, daß man nicht willkürlich kürzere Darstellungen (z. B. den Bericht eines Mythographen oder ein Exemplum) ausschließen darf. Das gilt in unserem Zusammenhange um so mehr, als es uns im wesentlichen auf die Motivation der Jenseitsfahrt ankommt, diese aber auch in kurzen Darstellungen klar zu sein pflegt. Schon aus allen genannten Gründen können die oben angegebenen Zahlen nur Annäherungswerte sein. I m übrigen werden sie unterschiedlich ausfallen, je nachdem ob man die mehrfachen dichterischen Gestaltungen derselben Jenseitsfahrt (z. B. alle Darstellungen des Orpheusmythus) getrennt oder als Einheit zählt; ich habe letzteres getan, da sonst naheverwandte Fassungen beim Leser statistische Illusionen erzeugen. — I n der reichen Bibliographie am Ende des genannten Artikels hat das Werk von M. Landau, Hölle und Fegfeuer in Volksglaube, Dichtung und Kirchenlehre, Heidelberg 1909, kaum das Prädikat „oft abgeschmackt" verdient, das Ganschinietz ihm wegen seiner ironischen Randbemerkungen gibt: Landaus Verdienst ist es u. a., beträchtliches Material aus anderen Gebieten als Europa und dem Vorderen

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u n d den Vorderen Orient v o n den Anfängen bis zur Neuzeit etwa 240 Jenseitsfahrten u n d verwandte Darstellungen. Fast neunzig davon gehören der vormonotheistischen Zeit an, u n d v o n ihnen schließen acht i n dieser oder jener Form eine Liebeshandlung ein: es sind der babylonische Mythos v o n Tammuz u n d iStar, der entsprechende griechische v o n Adonis u n d A p h r o dite, die M y t h e n v o n Orpheus u n d Eurydike, v o n Alkestis u n d v o m Raub der Proserpina, die Erzählung v o n Protesilaos u n d Laodamia, das Märchen v o n A m o r u n d Psyche, schließlich die C y n t h i a - V i s i o n des P r o p e r z 1 5 2 . Als exemplarisch für andere Kulturkreise k a n n man drei bei M . Landau referierte Erzählungen — eine indianische, eine hawaiische u n d eine japanische — ansehen, dazu als Beispiel für die Vermehrung des Materials bis i n die Gegenwart eine erst 1963/64 aufgezeichnete v o n den polynesischen E l l i c e - I n s e l n 1 5 3 : sie alle berichten, w i e ein Ehemann oder Verlobter der geliebten Frau nachzieht an den Aufenthaltsort der Toten. Diese insgesamt z w ö l f Erzählungen erweisen zur Genüge, daß i n nichtmonotheistischen K u l t u r e n die Dimension des Jenseits u n d die der irdischen Liebe keineswegs v o n so unterschiedlicher W ü r d e zu sein brauchen, daß sie nicht i n derselben H a n d l u n g Platz finden könnten. Andererseits ist für sieben der acht antiken u n d für drei der vier exotischen Erzählungen das Totenreich prinzipiell ein O r t des Schreckens: der Lebende w i l l keineswegs dort bleiben, sondern betritt i h n lediglich, u m den geliebten Toten zu befreien oder wie Psyche u m einen Initiationsritus zu bestehen, der die Vereinigung m i t dem Geliebten ermöglicht; nur die Totengötter selbst wollen, wenn sie v o n Liebe zu einem Lebenden ergriffen werden, i h n zu sich hinabziehen wie Pluto die Persephone, diese den A d o n i s 1 5 4 . D i e beiden AusnahOrient gesammelt zu haben. — U m einige Fakten, vor allem aber um die nachpositivistische Dimension kann man Ganschinietz* Artikel ergänzen ζ. B. durch A. Rüegg, Die Jenseitsvorstellungen vor Dante und die übrigen literarischen Voraussetzungen der „Divina Commedia", 2 Bde., Einsiedeln, Köln 1945; H . de Boor , Geschichte der deutschen Literatur, Bd. I (München e1964), S. 190 ff., 199, 282; I I I (München 21964), S. 557-565, 574 f.; H . Rupprich, Die deutsche Literatur vom späten Mittelalter bis zum Barock I (München 1970), S. 103 - 106, 741 f. (jeweils 152 Hierbei schließe ich zwei Grenzfälle aus: die schwerverständliche Anspielung auf einen Antaia-Mythos sowie die rein verbale Nachahmung des Themas bei Statius, der wie Orpheus seine Gattin dem Hades entreißen will. 153 Landau (wie Anm. 151) 242 f.; Sigrid Koch, Erzählungen aus der Südsee. Sagen und Märchen von den Gilbert- und Ellice-Inseln, Berlin 1966, S. 89 f. Als Grenzfall verdient hier ferner der Schluß des ,Mahâbhârata' erwähnt zu werden: auch dort triumphieren zwischenmenschliche Beziehungen über die Schrecken der Hölle, doch ist die Gattenliebe nur eine unter diesen Beziehungen (vgl. L. Scherman, Materialien zur Geschichte der indischen Visionsliteratur, Leipzig 1892, S. 48-51). 154 Allerdings schließt bei vielen „Naturvölkern" — sit venia verbo — das Grauen vor dem Tod den Glauben ein, nicht nur die Totengötter, sondern auch die Toten selbst suditen die Lebenden zu schädigen und sogar Angehörige — nicht

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men sind die Erzählungen v o n Laodamia u n d v o n dem indianischen K r i e ger: hier w i r d die Vereinigung i m Jenseits als versöhnliches Ende empfunden. I n monotheistischen K u l t u r e n hingegen besteht offenbar w e i t h i n eine Scheu, die Beziehung des Menschen zur Gottheit gleichzeitig m i t der engsten zwischenmenschlichen Beziehung zu thematisieren. V o n den etwa 150 monotheistischen Jenseitsdarstellungen, die der genannte A r t i k e l der Realenzyklopädie anführt, behandelt nur eine zugleich das Liebesthema 1 5 5 , nämlich die Divina Commedia : hier führt bekanntlich Beatrice, Dantes frühverstorbene Jugendliebe, den Dichter durch das Paradies. A l l e i n für die Erzählstruktur der Göttlichen Komödie bleibt Beatrices Existenz fast folgenlos, u n d niemand w i r d behaupten, das Werk sei ebensogut als Liebesgeschichte wie als Jenseitsvision einzuordnen. V o n dort hätte unser Dichter nichts für seine Handlungsführung, insbesondere nichts für den Bau seiner Peripetie übernehmen können. T r o t z ihrer scheinbaren Einfachheit steht also unsere Erzählung der K o n zeption nach — falls die Quellenforschung nicht noch große Überraschungen bereithält — m e r k w ü r d i g einsam da.

aus Liebe, sondern aus Eifersucht oder Neid — zu sich hinabzuziehen; erdrückendes Material bei J. G. Frazer, The Fear of the Dead in Primitive Religion, 3 Bde., London 1933 - 36, vor allem Bd. I I I , S. 175 - 259. Die weite Verbreitung dieser Furchthaltung erklärt, weshalb unsere Themenkombination bei „Naturvölkern" seltener auftritt als in den klassischen Hochkulturen des Polytheismus; stattdessen gedeihen dann Heimsuchungsgeschichten, die sich in beträchtlichem Umfang sogar bis in höhere Entwicklungsstadien hinein erhalten können (vgl. z. B. im Index ,The Types of the Folktale* von A. Aarne , 2. Umarbeitung von S. Thompson , Helsinki 1964, die Typen 363 „Der Vampir" und — unserem Typ in der Motivation angenähert — 365 „Lenore"). 155 Allerdings hat Ganschinietz stillschweigend eine uneigentliche Gattung von „Jenseits"-Fahrten aus der Behandlung ausgeschlossen, Erzählungen nämlich, die ihr Uberleben in monotheistischer Zeit damit erkaufen, daß in ihnen das ursprüngliche Totenreich zu einem Feen- oder Zauberland verharmlost erscheint. Hierzu gehören manche Erzählstoffe der höfischen Epik wie ζ. B. der Lanzelotstoff, der mittelengl. ,Sir Orfeo' sowie einige Märchen, so die in Anm. 76 und 108 zitierten jüdischen Dämonenmärchen und aus dem Aarne-Thompsonsdien Index die Typen 400 und 425. Wir lassen diese Stoffe ebenfalls unberücksichtigt, da in unserer Erzählung das poetische Problem gerade darin besteht, daß die religiöse Dimension des Jenseits ernstgenommen sein will. — Der Vollständigkeit halber sei noch darauf hingewiesen, daß ,Leila und Madschnun* (Anm. 144) in der Vulgatafassung mit der Vision eines Freundes schließt, der die Liebenden im Paradies vereint sieht; der Herausgeber Dastgerdi hält die Szene für interpoliert.

RACINE, PASCAL U N D D I E M E T H O D E L U C I E N G O L D M A N N S V o n A l b e r t Fuss „Racine, champ de bataille privilégié de la critique, qu'elle jonche, depuis trois siècles, de ses m o r t s " 1 , schreibt S. Doubrovsky. D i e i n unseren Bibliotheken, den Heldenfriedhöfen l i ter atur wissenschaftlicher Fehden, auf Regale gereihten Grabsteine der ruhmreich Gefallenen tragen denn auch nicht selten illustre N a m e n : Saint-Evremond, M m e de Sévigné, Voltaire, Taine, Brémond, Valéry, Giraudoux, Spitzer, Vossler etc. Das literarische Vermächtnis Racines hat sich jedoch als ausgesprochen unverwüstlich erwiesen. So gibt es auch i n dem noch andauernden K a m p f zwischen der „ancienne" u n d der „nouvelle critique" letztlich nur einen Sieger: das W e r k Racines. I n der T a t haben die bedeutendsten Richtungen der gegenwärtigen französischen L i t e r a t u r k r i t i k , die psychologische Maurons, die strukturalistische Barthes', die biographische Picards u n d die marxistisch-soziologische L . Goldmanns, ihre methodologisch-theoretischen Überlegungen vorzugsweise an Racine auf ihre literaturkritische Verwendbarkeit überprüft, so daß R . Barthes i n Racine den einzigen Vertreter der klassischen französischen Literatur sieht, dem es gelungen ist, „ à faire converger sur l u i tous les langages nouveaux d u siècle" 2 . Das Werk des französischen Klassikers Jean Racine w i r d so zu einem „degré zéro de l'objet critique, une place vide, mais éternellement offerte à la signification" 3 . O b diese Maxime, m i t der die Möglichkeit einer objektiv gültigen Aussage über den Sinn eines Kunstwerkes bestritten w i r d , zu mehr führen kann als einer rein impressionistischen, das heißt willkürlichen Zufallsbewertung — „l'oeuvre propose, l'homme dispose", verkündet Barthes an anderer Stelle sehr selbstsicher 4 — soll an dieser Stelle nicht untersucht werden. Es geht uns i n den folgenden Ausführungen auch nicht u m eine Gesamtdarstellung des Verhältnisses der nouvelle critique insgesamt zu Racine. W i r werden uns lediglich m i t einem prominenten Vertreter dieser literaturkritischen Richtung, dem Marxisten Lucien Goldmann, beschäftigen. Dabei 1 2 3 4

S. Doubrovsky , Pourquoi la nouvelle critique, Paris 1966, S. 76 - 77. R. Barthes , Sur Racine, Paris 1963, S. 10. Ebda. S. 11. Ders.y Critique et vérité, Paris 1966, S. 52.

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werden w i r uns i m wesentlichen m i t drei Veröffentlichungen aus seiner Feder auseinanderzusetzen haben. D a ist zunächst einmal die umfangreiche Habilitationsschrift Goldmanns, Le Dieu caché 5. Dieses für die methodischen Ansätze unseres Kritikers besonders aufschlußreiche Werk w i r d ergänzt durch zwei Taschenbücher®, i n denen neben den hauptsächlichen Ergebnissen der erstgenannten Arbeit neuere Forschungen der Racinekritik berücksichtigt werden. Die Methode

Goldmanns

Schon die Lektüre des Vorwortes zu Le Dieu caché läßt i n voller D e u t lichkeit die Wichtigkeit, ja den V o r r a n g erkennen, den Goldmann gerade der Herausarbeitung einer Methode beimißt. D i e v o n i h m vorgelegte A r b e i t verfolgt zwei Ziele. A n erster Stelle nennt er: „Dégager une méthode positive dans l'étude des ouvrages philosophiques et littéraires" 7 . Erst i n zweiter Linie ist es i h m u m einen Beitrag zur „compréhension d'un ensemble limité et précis d'écrits" 8 — zu tun. Wie stellt sich nun diese Methode dar? Goldmann charakterisiert sie zunächst einmal als „dialektisch". W i r fügen gleich das zunächst noch nicht erwähnte, aber i m Verlauf der Untersuchung deutlich heraustretende Epitheton „marxistisch" bzw. „materialistisch" hinzu. Was verbirgt sich für Goldmann hinter diesem Etikett? Zunächst einmal das Recht auf eine nicht geringe A n z a h l v o n Hypothesen. M a n begegnet ihnen auf Schritt u n d T r i t t i n Le Dieu caché, aber auch i n Racine 3 Situation de la critique racinienne sowie auch i m V o r w o r t der v o n Goldmann herausgegebenen Korrespondenz des Jansenisten M a r t i n de Barcos 9 . Wären diese Hypothesen unter die R u b r i k der i n der wissenschaftlichen Literatur allgemein angewandten Bescheidenheitstopoi einzuordnen, so wäre hier kein W o r t darüber zu verlieren. I n einer dialektischen Methode hat die Hypothese jedoch keineswegs nur den Wert einer „simple protestat i o n subjective de modestie" 1 0 . Vielmehr hängt das je neue Setzen v o n H y pothesen, ihre spätere Bestätigung oder Ü b e r w i n d u n g zutiefst m i t dem Wesen des dialektischen Denkens zusammen, für das es keine endgültig gesicherten Positionen gibt, sondern ein dauerndes Fortschreiten 1 1 . G o l d 5 L. Goldmann, Le Dieu caché. Etude sur la vision tragique dans les pensées de Pascal et dans le théâtre de Racine, Paris 1959. 6 Ders.y Racine, Essai, Paris 1956, 1970 und Ders., Situation de la critique racinienne, Essai, Paris 1971. 7 Ders., Le Dieu caché, a.a.O., S. 7. 8 Ebda. S. 7. 9 Ders.y (Hrsg.), Correspondance de Martin de Barcos, Abbé de Saint-Cyran, avec les Abbesses de Port-Royal et les principaux personnages du groupe janséniste, Paris 1956. 10 Ders., Le Dieu caché, a.a.O., S. 14. 11 Ebda. S. 14 - 15.

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mann ist durchaus gewillt, aus diesem Grundsatz die Konsequenzen für sein eigenes forscherliches Bemühen zu ziehen, wenn er schreibt: On comprend maintenant pourquoi [ . . . ] nous ne pouvons, pour des raisons épistémologiques, voir dans le présent travail autre chose qu'une étape dans l'étude d'un problème [ . . . ] 1 2 . Eine Bescheidenheit also, die sich dialektisch i n ihr Gegenteil verkehrt. E i n weiteres M e r k m a l der dialektischen Methode ist ihre Totalität. Die „essence concrète" 1 3 einer empirischen Tatsache kann demnach nur gefunden werden, wenn man sie i n einen größeren Rahmen einfügt. Dementsprechend läßt sich die „signification o b j e c t i v e " 1 4 eines Kunstwerkes nur i m Rahmen der sozialen Gegebenheiten ergründen, aus denen es erwachsen ist und über die es eventuell hinausreicht: C'est en remplaçant l'œuvre dans l'ensemble de l'évolution historique et en la rapportant à l'ensemble de la vie sociale, que le chercheur peut en dégager la signification objective 15 . Zwischen dem Ganzen u n d seinen Teilen bestehen Beziehungen, die zur wechselseitigen Erhellung des Einzelnen durch das Ganze u n d des Ganzen durch das Einzelne führen. D i e dialektische Praxis hat sich auf diesen Grundsatz zu stützen, den Goldmann i m übrigen schon bei Pascal vorformuliert zu finden glaubt. So heißt es bei Pascal: [ . . . ] je tiens impossible de connaître les parties sans connaître le tout, non plus de connaître le tout sans connaître particulièrement les parties1®. Für Goldmann weist dieser Ausspruch den Weg z u effektiver Erkenntnis: nur aus der beständigen Bewegung zwischen dem Ganzen u n d dem Einzelnen, aus einem beständigen gedanklichen H i n u n d H e r zwischen beiden läßt sich gesichertes Wissen herleiten: La marche de la connaissance apparaît ainsi comme une oscillation perpétuelle entre les parties et le tout qui doivent s'éclairer mutuellement 17 . I m Zusammenhang m i t der T o t a l i t ä t taucht ein weiterer Begriff auf, der für die Methode wichtig ist: die Kohärenz. I n der T a t erweist sich ein I n Beziehung^Setzen der Teile zum Ganzen nur dann als sinnvoll, wenn das 12

Ebda. S. 16. Ebda. Ebda. S. 17. 15 Ebda. 16 B. Pascal, Pensées, Hrsg. J. Chevalier (éd. de la Pléiade), Paris 1954, Fragment 84, S. 1110. Goldmann zitiert nach Brunschvicg. 17 L. Goldmann, Le Dieu caché, a.a.O., S. 15. 13

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7 Literaturwissenschaftliches Jahrbuch, 14. Bd.

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Gesamt kohärent ist. Diesen zunächst etwas vagen Begriff k l ä r t Goldmann wiederum durch einen Verweis auf Pascal, bei dem zu lesen ist: Pour entendre le sens d'un auteur, i l faut accorder tous les passages contraires. [ . . . ] tout auteur a un sens auquel les passages contraires s'accordent, ou i l n'a pas de sens du tout 1 8 . Aus dem oben skizzierten Streben nach T o t a l i t ä t erwächst der dialektischen Methode als weiteres M e r k m a l die Ablehnung des Biographischen, Individuellen als M i t t e l zur Erarbeitung der objektiven Bedeutung eines Textes. D i e f ü r die Geistes- oder Philosophiegeschichte wichtige Aussage eines Werkes muß nicht i n jedem F a l l m i t der subjektiven Uberzeugung seines Autors identisch sein. I n Descartes sieht Goldmann ein besonders eindrucksvolles Beispiel zur Bestätigung dieser Aussage. Descartes w a r zwar ein gläubiger Christ, aber dies ändert nichts an dem grundsätzlich atheistischen Charakter des Cartesianismus. Auch die Tragödien Racines finden nur i n einem sehr geringem U m f a n g i n der Biographie ihres Autors eine angemessene Deutung, wie Goldmann meint. Sie werden erst dann verständlich, wenn man sie i n engem Zusammenhang m i t dem Gedankengut des Jansenismus interpretiert und dadurch letztlich die sozioökonomische Situation der „gens de robe" unter L u d w i g X I V mitberücksichtigt 1 0 . W i r w o l l e n jedoch nicht verschweigen, daß dem Studium der Biographie immerh i n die F u n k t i o n einer Hilfswissenschaft eingeräumt w i r d , deren Resultate jedoch durch andere Methoden zu überprüfen sind u n d die keineswegs die alleinige Grundlage einer Interpretation abgegeben dürfen 2 0 . M i t einer ähnlich angelegten Argumentation glaubt Goldmann auch die Ablehnung der philologischen Methode der Textinterpretation vertreten zu können. D a die philologische Methode, i n der Sicht unseres Autors, jedem Einzelelement die gleiche Bedeutung beimißt, vermag sie die notwendige Unterscheidung zwischen essentiellen u n d akzidentellen Zügen i n einem W e r k nicht zu leisten. M i t anderen Worten, der philologischen Methode w i r d die Fähigkeit zur Erstellung eines kohärenten Textes rundweg abgesprochen: [ . . . ] on isole de leur contexte certains éléments partiels d'une œuvre, on en fait des totalités autonomes et l'on constate ensuite l'existence d'éléments analogues dans une autre oeuvre, avec laquelle on établit un rapprochement 21.

18 Zitiert ebda. S. 22. I n der von Chevalier besorgten Ausgabe Fragment 558, a.a.O., S. 1262. 19 Vgl. ebda. S. 17. 20 Vgl. ebda. S. 19. 21 Ebda. S. 20.

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D i e T o t a l i t ä t beansprucht also innerhalb der dialektischen Methode, wie sich durch die Ablehnung der biographischen u n d der philologischen Methode gezeigt hat, eine ganz besondere Rolle. Bisher blieb sie jedoch eher eine Leerformel oder wurde nur negativ durch das, was sie nicht ist, umschrieben. Dabei bleibt Goldmann jedoch nicht stehen. D i e T o t a l i t ä t , innerhalb derer sich die objektive Bedeutung eines Textes feststellen läßt, ist die soziale Gruppe, aus der dieser Text stammt. D i e Einordnung des Werkes in eine soziale Gruppe kennzeichnet daher wesentlich die Methode Goldmanns. D i e N o t w e n d i g k e i t einer solchen Einordnung ergibt sich für unseren K r i t i ker schon aus der einfachsten empirischen Betrachtung: k a u m eine menschliche H a n d l u n g hat nur eine Person z u m Gegenstand; die überwiegende Mehrzahl aller Handlungen richtet sich auf eine Gruppe: Presque aucune action humaine n'a pour sujet un individu isolé. Le sujet de l'action est un groupe , un «Nous» [ . . . ] . I l y a entre les hommes une autre relation possible que celle du sujet à objet, de Je à Tu, une relation de communauté que nous appellerons le « Nous », expression d'une action commune sur un objet physique ou social 22 . N u n gibt es allerdings eine Vielzahl v o n Gruppen: Familien, Berufsgruppen, Religionsgemeinschaften etc. Für den künstlerischen Prozeß sind sie jedoch nicht die eigentlich wesentlichen. Entscheidend i n der F u n k t i o n als T o t a l i t ä t , innerhalb derer die einzig richtige Deutung eines Kunstwerkes oder etwa eines philosophischen Systems herausgefunden werden kann, sind die sozialen Klassen. W i r haben eine soziale Klasse immer dann v o r uns, wenn die gemeinsamen ökonomischen Interessen einer Gruppe auf die „transformation globale de la structure sociale" 2 3 oder aber bei reaktionären Klassen auf den „maintien global de la structure actuelle" 2 4 gerichtet sind u n d sich außerdem auf der ideologischen Ebene eine „vision d'ensemble de l'homme actuel, de ses qualités, de ses défauts" 2 5 u n d darüber hinaus eine Idealvorstellung v o n dem, was die künftige Menschheit z u sein hat, auffinden l ä ß t 2 6 . G o l d m a n n ist sich i m übrigen durchaus bewußt, daß eine wesentliche Schwierigkeit seiner Methode i n dem Nachweis dieser jeweiligen Gruppen oder, wie er selbst sich ausdrückt, i n dem „découpage du donné empirique en totalités relatives suffisamment autonomes pour servir de cadre à un travail scientifique" 2 7 liegt. Eine dergestalt umschriebene Gruppe w i r d eine „vision d u monde", eine spezifische Weltanschauung entwickeln. M a g dieser Begriff auf den ersten 22 23 24 25 26 27

*

Ebda. S. 25. Ebda. S. 26. Ebda. Ebda. Ebda. Ebda. S. 24. Vgl. auch ebda. S. 113 - 114.

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Blick auch sehr verschwommen und wenig aussagekräftig erscheinen, G o l d mann sieht dennoch i n i h m ein „instrument objectif et contrôlable permettant de départager l'essentiel d'avec l'accidentel dans une oeuvre [ . . . ] " 2 8 . I n einer D e f i n i t i o n bestimmt G o l d m a n n die Weltanschauung als Gesamt „d'aspirations, de sentiments et d'idées qui réunit les membres d'un groupe (le plus souvent d'une classe sociale) et les oppose aux autres groupes" 2 9 . Demnach kann eine Weltanschauung nur durch Schematisierung u n d Extrapolation i n W o r t e gebracht werden, was Goldmann zugibt, jedoch unter dem ausdrücklichen H i n w e i s darauf, daß einer solchen E x t r a p o l a t i o n sehr w o h l eine „tendance réelle chez les membres d'un g r o u p e " 3 0 entspräche, wenngleich die Gruppenangehörigen die Weltanschauung o f t nur unbewußt u n d nicht i n einer kohärenten Form verkörpern. N u r i n außergewöhnlichen Persönlichkeiten verdichtet sich das diffuse Gruppenbewußtsein bis zu einem Höchstmaß an Kohärenz. Dieser F a l l t r i f f t nach G o l d m a n n für Pascal u n d Racine zu. Beide vertreten auf den ihnen eigenen Gebieten die Weltanschauung des Jansenismus i n einer kaum zu überbietenden Geschlossenheit u n d Konsequenz. Bisher w a r v o n der dialektischen Methode Goldmanns und deren Grundzügen die Rede. Bekanntlich hat G o l d m a n n seine Methode auch verschiedentlich als „strukturalistisch — genetisch" 31 bezeichnet. Diese doppelte Bestimmung läßt nicht nur das dialektische Grundmuster dieser Methode noch einmal deutlich aufscheinen, sondern verweist auch auf eine bestimmte A r t und Weise der Verquickung der v o n uns aufgeführten charakteristischen Merkmale der Methode: Cette méthode présente, entre autres, le double avantage de concevoir d'abord l'ensemble des faits humains de manière unitaire et, ensuite, d'être à la fois comprehensive et explicative , car la mise en lumière d'une structure significative constitue un processus de compréhension alors que son insertion dans une structure plus vaste est, par rapport à elle, un processus d'explication 32. Erläutert w i r d dieses Wechselspiel zwischen „ e x p l i c a t i o n " u n d „compréhension" an Pascal u n d Racine: [ . . . ] mettre en lumière la structure tragique des Pensées de Pascal et du théâtre racinien est un procédé de compréhension; les insérer dans le jansénisme extrémiste en dégageant les structures de celui-ci est un procédé de compréhension par rapport à ce dernier, mais un procédé d'explication par rapport aux écrits de Pascal et de Racine [ . . . ] . Explication et compréhension ne sont donc pas deux processus intel28 29 30 31 32

Ebda. S. 24. Ebda. S. 26. Ebda. Vgl. ebda. S. 97. Oers., Pour une sociologie du roman, Paris 1964, S. 353.

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lectuels différents mais un seul et même processus rapporté à deux cadres de référence 33. Die

„vision

tragique"

D a m i t soll unser kursorischer Uberblick über die Hauptmerkmale der Methode Goldmanns, soweit sie für die Beurteilung seiner Pascal- u n d Racineinterpretation wichtig sind, abgeschlossen werden. Welche Konsequenzen ergeben sich aus dieser Methode nun, wenn man sie auf Pascal u n d Racine anwendet? Der auffälligste, schon begrifflich nicht z u übersehende Zusammenhang zwischen den methodischen Prinzipien u n d ihrer konkreten A n w e n d u n g auf einen Text ergibt sich schon aus der Tatsache, daß Goldmann das Schaffen Pascals u n d Racines aus einer „vision tragique" zu erklären versucht. E n t sprechend unserer vorhergehenden Ausführungen sollte man erwarten, nun m i t einem Gesamt v o n Bestrebungen intellektueller u n d gefühlsmäßiger N a t u r einer Gruppe, i n der sich besagte Weltanschauung herausbildet, vertraut gemacht z u werden. Wenn man, w i e Goldmann erkennen läßt, die Geschichte u n d i m Anschluß daran die Geistesgeschichte als dynamischen Prozeß, als „succession effective" 3 4 verschiedener „visions du monde" auffaßt, so wäre die „vision tragique", auf G r u n d ihrer Bindung an eine soziale Gruppe, innerhalb der umfassenden Diachronie der geschichtlichen Abläufe eine Synchronie oder doch zumindest eine Erscheinung, die an einen eng abgegrenzten zeitlichen Rahmen gebunden bliebe. Daher scheint sich Goldmann i m Widerspruch zu seiner eigenen Methode zu befinden, wenn gleich zu Beginn seiner Überlegungen zur „vision tragique" zu lesen ist: Pour tracer le scheme conceptuel de la vision tragique i l faudrait dégager l'élément commun à un ensemble d'oeuvres philosophiques, littéraires et artistiques qui embrasserait en tous cas les tragédies antiques, les écrits de Shakespeare, les tragédies de Racine, les écrits de Kant et de Pascal, un certain nombre de sculptures de Michel-Ange et probablement certaines autres oeuvres de diverse importance 35 . Offensichtlich handelt es sich bei der „vision tragique" doch nicht u m eine nur i n einer bestimmten Synchronie existierende Weltschau u n d man könnte, wenn man m i t Goldmann annimmt, daß jede „vision d u monde" als A n t w o r t auf die grundlegenden Fragen der Menschheit unterschiedlichen u n d oft gegensätzlichen Situationen entspricht, folgern, daß die geschichtliche Problematik für so unterschiedlich scheinende Phänomene wie die griechische Tragödie, das Theater Shakespeares, das dramatische Schaffen 33 34 35

Ebda. S. 353 - 354. Ders. y Le Dieu caché, a.a.O., S. 33. Ebda. S. 32.

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Racines, die philosophischen Schriften Kants und Pascals auf gleichen Strukturen gründet. Goldmann gibt aber auf diese Frage keine A n t w o r t . Er bekennt auch freimütig, daß er das gemeinsame Element der v o n i h m erwähnten tragischen Zeugnisse nicht erarbeiten k ö n n e 3 6 u n d sich deshalb auf die Schriften Kants, Pascals u n d Racines beschränke. I m H i n b l i c k auf die Erarbeitung des begrifflichen Gehalts dieser „vision tragique" weist er darauf hin, einer Studie Lukacs', nämlich dessen Essay Metaphysik der Tragödie aus dem Jahre 1911 3 7 , besonders verpflichtet zu sein. Wenngleich Lukacs hier, wie Goldmann eigens hervorhebt, die tragische Weltanschauung außerhalb jedes historischen Zusammenhanges untersucht, glaubt G o l d mann, die weitgehend wörtliche Übernahme ganzer Passagen aus der L u kàcs'schen A r b e i t i n die eigene Studie dadurch rechtfertigen zu können, daß sich die frühen Positionen Lukdcs' i n dessen spätere marxistische H a l tung integrieren ließen 3 8 . W i e stellt sich nun diese „ v i s i o n tragique" dar? I n einem ersten Schritt ordnet Goldmann die tragische Weltanschauung i n die größeren Zusammenhänge der geistesgeschichtlichen Entwicklung, also eine recht umfassende T o t a l i t ä t , ein. ökonomische, an eine bestimmte Klasse gebundene Fragestellungen kommen hierbei jedoch noch nicht i n den Blick. I n der historischen Abfolge verschiedener Weltanschauungen folgt die tragische auf den „dogmatischen Rationalismus" u n d den „empirischen Skeptizismus", vertreten etwa durch Descartes und Montaigne. Fortgesetzt u n d gleichzeitig überwunden w i r d das tragische Denken durch die dialektisch-idealistische W e l t anschauung eines Hegel u n d i n letzter Konsequenz schließlich durch den Marxismus. M a n w i r d n u n einwenden, diese Abfolge entspreche nicht der Wirklichkeit, da der Rationalismus i n Frankreich beispielsweise als „idéologie du tiers é t a t " 3 9 v o n der an die „noblesse de robe" gebundenen „vision tragique" eines Pascal oder Racine gar nicht abgelöst w i r d , sondern i m Gegenteil weit über das 17. Jahrhundert hinaus ins 18. u n d 19., ja bis ins 20. hineinreicht — man denke etwa an Valéry. So w i l l denn auch G o l d mann die v o n i h m vertretene Abfolge lediglich als „schématisation conceptuelle de la succession historique effective" 4 0 verstanden wissen. Diese begriffliche Schematisierung w i r d aber v o n i h m durch ein wesentliches K r i t e r i u m gerechtfertigt, nämlich die Tatsache, „qu'une position philosophique est 36

Vgl. ebda. Metaphysik der Tragödie: Paul Ernst, in: G. Lukacs, Die Seele und die Formen, Berlin 1911. Wir zitieren nach der Sonderausgabe der Sammlung Luchterhand, Neuwied, Berlin 1971. 38 Eine ausführliche Rechtfertigung für sein Vorgehen unternimmt Goldmann in L. Goldmann, Le Dieu caché, la „Nouvelle Critique" et le marxisme, in: Les Temps Modernes 12 (1956 - 1957) S. 118 - 120. 39 Ders ., Le Dieu caché, a.a.O., S. 34. 40 Ebda. S. 33. 37

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capable de comprendre en même temps la cohérence , les éléments valables et aussi les limites et les insuffisances d'une autre position, et d'intégrer ce qu'elle y trouve de positif à sa propre substance" 41. Dementsprechend haben Pascal u n d Racine die Positionen des Rationalismus i n seinen positiven wie negativen Aspekten durchschaut, i n die eigene Weltanschauung integriert und, w o nötig, überwunden. Ähnliches k a n n v o m Marxismus i n bezug auf die tragische Weltanschauung gesagt werden 4 2 . Goldmann beschreibt den Übergang v o m thomistisch-aristotelischen W e l t b i l d des Mittelalters m i t der Unterordnung des Verstandes unter den Glaub e n 4 3 z u m System des Rationalismus schlagwortartig durch den Ersatz der thomistischen Vorstellungen der „communauté" u n d des „univers" durch die rationalistischen Alternativen des „ i n d i v i d u raisonnable" u n d des „espace i n f i n i " 4 4 . M i t der A u f w e r t u n g des Individuums durch den Rationalismus, m i t der Annahme einer i n sich sinnvollen, rational erkennbaren Wirklichkeit entfällt der Bereich der M o r a l u n d der Religion. D i e auf transzendente N o r m e n verweisenden Begriffe „ G u t " u n d „Böse" werden ersetzt durch die i n der Erfahrung des Individuums verankerten Vorstellungen v o n Glück, Erfolg, Unglück, M i ß e r f o l g etc. D i e tragische Weltanschauung läßt sich demgegenüber grob umschreiben durch die Gewißheit, daß der Verstand u n d das menschliche Einzelbewußtsein sehr w o h l zu bejahende Werte darstellen, daß sie aber als ausschließliche Bewertungskriterien für Menschen u n d Dinge nicht genügen können. Daraus ergibt sich für die „ v i s i o n tragique" die Rückkehr zu M o r a l u n d Religion, zu Werten also, die das I n d i v i d u u m übersteigen 45 . Dennoch werden die wesentlichen Werte des Thomismus, die übergreifenden Einheiten der Gemeinschaft u n d des Universums, nicht erreicht. Der tragische Mensch steht vereinsamt außerhalb jeder menschlichen Gemeinschaft, u n d das U n i versum ist für i h n keine Totalität, sondern lediglich ein Agglomerat heterogener Dinge. D i e U b e r w i n d u n g dieser Isoliertheit gelingt erst dem M a r xismus 4 6 . Nach dieser sehr allgemeinen Einordnung der tragischen Weltanschauung i n geistesgeschichtliche Zusammenhänge unternimmt es Goldmann, einzelne Merkmale dieser Weltanschauung herauszuarbeiten. Dies geschieht w e i t 41

Ebda. S. 35. Ebda. S. 35. Hierin spiegeln sich nach Goldmann die „rapports réels qui existent entre le tiers état et les seigneurs féodaux aussi bien qu'entre l'Etat et l'Eglise", (ebda. S. 36). 44 Vgl. ebda. S. 37. 45 Ebda. S. 40. 46 Vgl. ebda. S. 88 - 89. 42

43

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gehend unter Bezugnahme auf die Pensées Pascals u n d den schon erwähnten Aufsatz Lukdcs'. A u f Racine bezieht sich Goldmann merkwürdigerweise sehr selten. Gleichwohl gelten jedodi die folgenden Erwägungen i n vollem Umfange audi, für Racine. D i e tragische Weltanschauung kreist i m wesentlichen u m drei die gesamte W i r k l i c h k e i t einbegreifende Themenkreise: Gott, die Welt, der Mensch. G o t t ist für Pascal, nach der Interpretation Goldmanns „toujours présent et toujours absent" 4 7 . Z u r Stützung seiner These untersucht G o l d m a n n eine Reihe v o n Fragmenten der Pensées. E i n dauerndes „ J a und N e i n " scheint Pascals Denken so ausschließlich zu beherrschen, daß Goldmann alle die Fragmente, die ein uneingeschränktes „ J a oder N e i n " auszusprechen scheinen, unter Bezugnahme auf die Kohärenz des Gesamtwerkes i m Sinne des Paradoxons interpretiert 4 8 . Der immer zugleich anwesende u n d abwesende G o t t steht aber nicht nur i m M i t t e l p u n k t des tragischen Denkens, sondern auch des tragischen Theaters. D i e Analogie zwischen dem Bereich der Theologie u n d der W e l t des literarischen Kunstwerks vollzieht sich für Goldmann problemlos m i t H i l f e eines Zitates v o n Lukacs, das allerdings weder i m H i n b l i c k auf Pascal, noch auch Racine abgefaßt wurde. Bei Lukacs heißt es: Ein Spiel ist das Drama; ein Spiel vom Menschen und vom Schicksal; ein Spiel, wo Gott der Zuschauer ist. Zuschauer ist er nur, und nie mischt sich sein Wort oder seine Gebärde in die Worte oder Gebärden der Spielenden49. Dieser G o t t ist ein fordernder und richtender Gott, der den geringsten K o m promiß verurteilt, ein G o t t , der dem Menschen angesichts der W e l t immer wieder die Auflage macht, nach absoluter Wahrheit u n d Werthaftigkeit zu streben u n d die nur relativen Werte der Menschen zurückzuweisen 5 0 . Aus diesen Zusammenhängen läßt sich erahnen, wie die W e l t entsprechend der tragischen Weltanschauung beschaffen sein muß. Lukdcs stellt i m A n schluß an das soeben gegebene Z i t a t die Frage, ob der Mensch, auf den der richtende Blick Gottes gefallen ist, noch i n der W e l t leben k a n n 5 1 u n d bei Pascal heißt es i n Fragment 720 (nach der Zählung v o n Chevalier): „rien n'est plus difficile que d ' y [ d . h. dans le monde] v i v r e selon D i e u et sans y prendre de part et de g o û t 5 2 . " Getreu seinem durchgängig gehandhabten Interpretationsprinzip „de donner [ . . . ] aux mots de Pascal leur sens le plus 47

Ebda. S. 46, passim. Vgl. etwa ebda. G. Lukacs, a.a.O., S. 218. Goldmann zitiert diese Stelle in frz. Ubersetzung a.a.O., S. 47. 50 Goldmann, a.a.O., S. 47. 51 Vgl. Lukacs, a.a.O., S. 218. 52 Zit. bei Goldmann, a.a.O., S. 59. 48

49

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deutet G o l d m a n n dieses Fragment: » [ . . . ] tout ce qui est nécessaire selon D i e u est impossible selon le monde et inversement [ . . . ] " 5 4 . Es geht jedoch nicht an, sich einfach aus der W e l t zurückzuziehen. Es g i l t , i n ihr zu leben u n d sie gleichzeitig zurückzuweisen. Der tiefere G r u n d für diese paradoxe H a l t u n g liegt i n der gleichermaßen paradoxen Rolle Gottes. Seine dauernde Gegenwart n i m m t der W e l t „toute r é a l i t é " 5 5 ; andererseits führt seine dauernde Abwesenheit zu einer ungeheuren A u f w e r t u n g der Welt, denn diese erweist sich für den Menschen als einzige Wirklichkeit, die einigermaßen greifbar ist u n d i n der folglich, überhaupt eine Möglichkeit besteht, G o t t zu finden. Wenn der tragische Mensch die Forderung nach Verwirklichung v o n „valeurs substantielles et absolues" 5 6 i n die T a t umsetzen w i l l , dann nur i m Angesicht einer W e l t , i n der seine Forderung ungehört verhallt u n d keine Änderung eintritt. Für das tragische Bewußtsein ist also die W e l t i m tiefsten Sinn heillos; sie bietet keinerlei Möglichkeit zur V e r wirklichung echter Werte. A u f der anderen Seite erweist sich aber auch die Flucht aus der Welt, die Zuflucht i n der Gottesstadt, als unmöglich. f o r t *

5 3

M i t diesen Überlegungen sind w i r n u n beim Menschenbild der tragischen Weltschau angelangt. D e r tragische Mensch erkennt i n sich die Verpflichtung zur Verwirklichung absoluter, authentischer moralischer Werte angesichts einer W e l t der Relativität, Begrenztheit u n d Unwesentlichkeit. Es geht also i m letzten für i h n u m eine „ u n i o n des contraires" 5 7 , u m die paradoxe u n d daher praktisch nicht durchsetzbare Vereinigung äußerster I n d i v i d u a l i t ä t m i t äußerster Essentialität 5 8 . A l s I n d i v i d u u m unterliegt der Mensch, wie alles Einzelne i n der W e l t der Zufälligkeit, Begrenztheit, U n wesentlichkeit. I n der Erkenntnis transzendenter Werte mag i h m das A u f steigen i n die Sphäre der T o t a l i t ä t z u m Preis des Scheiterns i n der W e l t gelingen. Der Mensch Pascals, „l'homme q u i passe infiniment l ' h o m m e " 5 0 , der tragische Mensch par excellence, den w i r bei Racine, etwa i n der Gestalt Phèdres wiederfinden, ist jenes widerspruchsvolle Wesen, das G o l d mann m i t Pascal als „ u n i o n de force et de faiblesse, de grandeur et de misère" 6 0 beschreibt. I n der Annahme u n d dem bewußten Leben dieses Paradoxons besteht die Größe des tragischen Menschen 61 .

53 54 55 56 57 58 59 60 61

Ebda. Ebda. Ebda. S. 60. Ebda. Ebda. S. 67. Ebda. S. 68. Zit. ebda. S. 69. Ebda. Ebda.

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Aus diesen Überlegungen leitet Goldmann seine D e f i n i t i o n der Tragödie her: „ L a tragédie se définit par le caractère nécessairement insoluble des conflits qui s'y rencontrent." 6 2 Fügen w i r hinzu, daß dementsprechend ein D r a m a ein Stück ist, i n dem die K o n f l i k t e lösbar sind u n d auf Zufälligkeiten beruhen 6 3 . Doch zurück z u m tragischen Menschen. Aus seinem Bestreben, absoluten Werten zu genügen, erwächst seine fundamentale Einsamkeit. D e r tragische Mensch steht zwischen einer blinden W e l t u n d einem schweigenden G o t t 6 4 . Jede Möglichkeit der Mitteilung, jeder echte D i a l o g ist ausgeschlossen. Für den tragischen Menschen kann es nur den M o n o l o g geben. Aber dieses Sprechen m i t sich selbst hat nichts m i t dem fragenden Umkreisen der eigenen Persönlichkeit zu tun, sondern zielt immer auf den schweigenden G o t t u n d w i r d so z u einem „dialogue solitaire" 6 5 . Goldmann versteht die Pensées Pascals als ebensolche „dialogues solitaires", die nur an einen einzigen Adressaten gerichtet sind: an den stummen G o t t 6 6 . So w i r d Christus am ö l b e r g , wie er sich i n Pascals Mystère de Jésus für G o l d mann darstellt, zur I n k a r n a t i o n des tragischen Menschen, der, v o n allen verlassen, i m Angesicht des Todes nur sich selbst hat, u m die Forderung nach absoluter Wahrheit u n d Gerechtigkeit, die Ablehnung jeder K o m p r o mißlösung, einem sinnlos scheinenden Geschehen entgegenzusetzen. W i r verstehen nun, w a r u m Grenze und Erfüllung der tragischen Existenz erst i n der paradoxen Situation des Todes zusammenfallen. Äußerste Selbstverwirklichung und letzte Selbstentäußerung begegnen sich h i e r 6 7 . Auch diesen Gedanken fand Goldmann, bevor er i h n aus dem Mystère de Jésus heraus entwickelt, schon bei Lukacs: Das Ich betont seine Selbstheit mit einer alles ausschließenden, alles vernichtenden Kraft, aber diese äußerste Selbstbejahung gibt stählerne Härte und selbstherrliches Leben allen Dingen, denen sie begegnet und hebt — beim endgültigen Höhepunkt der reinen Selbstheit angelangt — sich selber auf: die letzte Anspannung der Ichheit hat alles bloß Individuelle übersprungen 88. Goldmann übernimmt n o d i einen weiteren Gedanken v o n Lukacs, der sich aus dem soeben Dargelegten herleitet. Für Lukacs ist der T o d keine sich plötzlich u n d unvermutet einstellende Katastrophe. D e r T o d t r i t t vielmehr schon i n dem Augenblick i n das Leben des tragischen Menschen, i n dem dieser seine ganze unverwechselbare I n d i v i d u a l i t ä t erkennt u n d w o h n t i h m v o n diesem Augenblick an bei: „ F ü r die Tragödie ist der T o d — die Grenze 62 63 84 85 88 67 88

Oers. y Racine, a.a.O., S. 16. Vgl. ebda. S. 15 - 16. Ders.y Le Dieu caché, a.a.O., S. 76. Ebda. S. 77. Ebda. Vgl. ebda. S. 77. G. Lukacsy a.a.O., S. 229 - 230; vgl. Goldmann, a.a.O., S. 68.

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an sich — eine immer immanente Wirklichkeit, der m i t jedem ihrer Geschehnisse unlösbar verbunden i s t . " 6 9 Daher sind „die sterbenden Helden der Tragödie [ . . . ] lange schon tot, ehe sie starben" 7 0 . Der T o d ist also kein i n der Zeit sich irgendwann einstellendes, punktuelles Ereignis mehr, sondern die Gewißheit des Todes als letztes Setzen einer unüberbietbaren Selbstvollendung löst die Zeit auf, läßt sie zeitlos werden, indem, wie Lukacs sich ausdrückt, „die Gegenwart z u m nebensächlich Unwirklichen, die Vergangenheit zum gefahrvoll Drohenden, die Z u k u n f t zu einem längst bekannten, wenn auch unbewußt durchlebten Ereignis w i r d [ . . . ] " 7 1 . I n diesem Umstand liegt nach Lukacs der „metaphysische G r u n d der zeitlichen K o n zentrierung des Dramas, der Forderung der Einheit der Z e i t " 7 2 . Goldmann, der auch diesen Gedanken übernimmt, belegt i h n nicht, wie man hätte erwarten können, aus dem Theater Racines, sondern wiederum aus Pascals Mystère de Jésus, insbesondere durch den häufig zitierten Satz: „Jésus sera à l'agonie jusqu'à la f i n d u monde, i l ne faut pas dormir pendant ce temps-là." 7 3 D a m i t sind die wesentlichen Merkmale der tragischen Weltanschauung umrissen. Sie sollen durch ein abschließendes Z i t a t noch einmal deutlich i n den ideologischen Rahmen gestellt werden, i n dem sie erst ihren eigentlichen Aussagewert erhalten: En effet, les pensées d'Hegel et de Marx acceptent et intègrent à leur propre substance tous les problèmes posés par la pensée tragique qui les a précédés, elles reprennent entièrement à leur propre compte sa critique des philosophies rationalistes et empiristes et des morales dogmatiques ou bien hédonistes ou utilitaires, sa critique de la société réelle, celle de toute théologie dogmatique etc., opposant seulement au pari tragique sur Véternité et sur Γ existence d'une Divinité transcendante le pari immanent sur l'avenir historique et humain , pari qui, pour la première fois depuis Platon dans l'histoire de la pensée occidentale, rompt résolument avec l'intelligible et la transcendance, rétablit l'unité de l'homme avec le monde et permet d'espérer le retour à un classicisme abandonné depuis les Grecs 74. Tragische

Weltanschauung

und

Jansenismus

Bisher w a r v o n Einzelaspekten der tragischen Weltanschauung die Rede. D i e Einordnung i n eine soziale Gruppe ist noch aufzuzeigen. D i e tragische Weltanschauung eines Pascal u n d eines Racine finden für G o l d m a n n ihre ursächliche Erklärung i n der Zugehörigkeit beider zur 69 70 71 72 73 74

Ebda. S. 231; vgl. Goldmann, Ebda. S. 228; vgl. Goldmann, Ebda. S. 227; vgl. Goldmann, Ebda. S. 226. Zit. bei Goldmann, a.a.O., S. Ebda. S. 57.

a.a.O., S. 68, 69. a.a.O., S. 79. a.a.O., S. 79. 87, 89 etc.

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gleichen sozialen Gruppe. Pascal u n d Racine gehören zum Jansenismus u n d zählen für Goldmann zu seinen hervorragendsten Vertretern. D i e jansenistische Weltanschauung findet i n ihren Werken ihre bis zur äußersten Konsequenz getriebene Ausprägung. Wodurch ist nun der Jansenismus als soziale Gruppe charakterisiert? Für Goldmann steht die Bewegung des Jansenismus i n direktem Zusammenhang m i t der sich i m 17. Jahrhundert allmählich wandelnden Situation der „noblesse de robe". Es gilt also zunächst, aus der Geschichte die ökonomische, soziale u n d politische Lage sowie das Gefühlsleben dieser Gruppe hervortreten zu lassen 75 . Goldmann gibt zu, daß er dazu nicht ohne weiters i n der Lage ist. E r verfügt weder über eine lückenlose Quellendokumentat i o n 7 6 , noch w i l l er v o n sich behaupten, er besäße eine „connaissance des faits qui saurait approcher même de très l o i n celle d'un historien professionnel" 7 7 . Was er liefert u n d liefern will, sind Hypothesen 7 8 . I n der v o n Goldmann hauptsächlich untersuchten Zeitspanne (1637 bis 1677) gehen i n der „noblesse de robe" einschneidende Veränderungen v o r sich, die i n direktem Zusammenhang stehen m i t der Festigung der absoluten Monarchie unter L u d w i g X I I I . A l s bevorzugtes M i t t e l zur Konsolidierung der eigenen Macht setzten die Könige Intendanten i n den Bereichen der Rechtsprechung, der Finanzen u n d des Polizeiwesens ein. D i e Intendanten wurden direkt v o m K ö n i g ernannt u n d eingesetzt. Sie konnten jederzeit wieder abberufen werden. I m wesentlichen entstammten sie der Bourgeoisie. Sehr schnell entwickeln sie sich z u einem wirkungsvollen, w e i l loyalen K o n t r o l l o r g a n gegenüber den hauptsächlich aus Mitgliedern des Amtsadels bestehenden Parlamenten u n d Gerichtshöfen. D a m i t ist der U n tergang einer Klasse angekündigt. Der Amtsadel gerät i n eine paradoxe Situation: i n seiner Abhängigkeit v o m K ö n i g k a n n er eine grundlegende W a n d l u n g der politischen Verhältnisse nicht wünschen; auf der anderen Seite entpuppt sich der Dienst für eben diesen K ö n i g als A k t einer langsamen Selbstvernichtung 79 . M i t den v o n uns bisher dargelegten methodischen Werkzeugen untersucht Goldmann das Theater Racines. Er entdeckt i n i h m eine kohärente Übertragung der tragischen Weltschau auf die Bühne. Daß Racine der Bewegung des Jansenismus angehört, scheint Goldmann über jeden Zweifel erhaben u n d w i r d m i t der immerhin zehn Jahre dauernden jansenistischen Erziehung Racines begründet. Allerdings gesteht G o l d m a n n unumwunden, daß i h m 75 78 77 78 79

Vgl. ebda. S. 112. Ebda. Ebda. S. 115, Fußn. lc. Vgl. ebda. S. 97, 115. Ebda. S. 133.

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direkte Zeugnisse, aus denen der ursächliche Zusammenhang zwischen Racines Erziehung u n d seiner späteren jansenistischen H a l t u n g ersichtlich w ü r den, fehlen. D e n Aufenthalt i n Uzès (1661 bis 1662 oder 1663) wertet Goldmann als Flucht v o r Port-Royal, durch die aber letztlich die Weisungen der Jansenisten bestätigt werden, denn der erhoffte materielle Erfolg bleibt für Racine aus 8 0 . Auch Racines Lettres à l'auteur des Hérésies Imaginaires et des deux Visionnaires w i r d v o n G o l d m a n n keineswegs als A b w e n dung v o n P o r t - R o y a l gewertet. I m Gegenteil: i n diesen beiden m i t schneidender Ironie gegen die Jansenisten formulierten Briefen zeigt sich nur das schlechte Gewissen Racines, „ l a mauvaise conscience d u renégat" 8 1 , das dann die i m strengen Sinne jansenistischen Tragödien Andromaque, Britannicus, Bérénice u n d Phèdre auslöst. Dieser Streit, der z u m offenen äußeren Bruch m i t P o r t - R o y a l führte, ermöglicht, laut Goldmann, erst „ [ . . . ] la grande découverte, à la fois esthétique et psychologique, qui se trouve à l'origine de son oeuvre tragique. I l découvre que l ' o n peut transposer et présenter sur scène, devant un public mondain, le ,spectacle sous le regard de D i e u ' " 8 2 . Wenig später heißt es bei G o l d m a n n : En clair, Racine transpose désormais la morale et la vision jansénistes en un langage profane, et crée un univers imaginaire structuré par les valeurs qu'il a effectivement trahies dans sa vie, un univers où tout compromis est condamnable et condamné, où l'homme ne vaut que dans la mesure où i l se conforme entièrement aux exigences à la fois absolues et contradictoires d'une puissance située en dehors du monde représenté sur scène [ . . . ] , ce sont des tragédies atemporelles de l'instant [ . . . ] où le personnage tragique prend conscience de l'incompatibilité radicale entre sa morale et celle des fauves et des pantins qui constituent le monde 83 . D a die Transponierung philosophischer Begriffe — die wesentlichen Züge der „tragischen Weltanschauung" leitete Goldmann, wie gezeigt wurde, v o n Lukacs u n d Pascal ab — i n den Bereich des Ästhetischen nur i n F o r m v o n Analogien v o r sich gehen kann, w i r d man gespannt sein können, wie Racine — oder Goldmann? — dieses Problem löst. D e n folgenden Ausführungen soll ein i n seiner Offenheit entwaffnendes Geständnis Goldmanns vorangestellt werden. Er möchte die „existence de nombreux impondérables d'ordre esthétique", die innerhalb der künstlerischen Entwicklung Racines eine Rolle gespielt haben, nicht leugnen, aber dies aus dem bemerkenswerten Grunde „parce que nous ne savons pas grand-chose de leur nature n i de leur action [ . . . ] " 8 4 . 80 81 82 83 84

Ders. y Racine, a.a.O., S. 64. Ebda. S. 69. Ders.y Situation de la critique racinienne, a.a.O., S. 38. Ebda. S. 38 - 39. Der s. y Racine, a.a.O., S. 71.

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Wenden w i r uns zunächst der Einteilung der Racine'schen Stücke durch Goldmann zu. Goldmann gliedert sie — wenn man v o n den Anfangsstücken La Thébaide (1664) und Alexandre (1665) u n d der K o m ö d i e Les Plaideurs (1668) absieht — i n zwei große Gruppen: Andromque (1667), Britannicus (1669), Bérénice (1670) u n d Phèdre (1677) gehören i m Sinne der D e f i n i t i o n Goldmanns zu den Tragödien. Demgegenüber stellen die drei zwischen Bérénice u n d Phèdre liegenden Werke, also Bajazet (1672), Mithridate (1673) u n d Iphigénie (1674) Dramen dar. Während i n den T r a gödien ein unlösbarer K o n f l i k t ausgetragen w i r d , sind die Dramen „régies non par la catégorie d u tout ou rien, mais par celle d u plus ou d u moins et dans lesquelles, par cela même, les conflits sont solubles, d u moins en principe, sinon résolus" 8 5 . Die noch verbleibenden religiösen Stücke Esther (1689) u n d Athalie (1691) verlassen den Rahmen des Tragischen i n so eindeutiger Weise, daß Goldmann ihnen nur recht wenig Aufmerksamkeit schenkt 86 . Goldmann stellt sich nun die Frage, ob die Ablösung der Tragödien durch drei Dramen, die dann v o n einer weiteren Tragödie gefolgt werden, einen erkennbaren G r u n d hat. I n der T a t scheint die ideologische Bindung Racines an den Jansenismus eine stichhaltige Erklärung zu liefern. D i e ersten drei Tragödien sind „probablement une compensation imaginaire à la mauvaise conscience résultant des compromis sociaux réels dans lesquels s'était engagé le poète. Par la force des choses, cet équilibre psychique était fondé sur l'opposition radicale entre Port-Royal, qui incarnait la pureté et les valeurs absolues, et la vie de R a c i n e " 8 7 . Der Weg v o n der Tragödie z u m Drama, den Racine v o n Bérénice zu Bajazet beschreitet, findet seinerseits ebenfalls eine Erklärung i m Zusammenhang m i t Racines Verhältnis zu P o r t - R o y al. 1668 hatte sich P o r t - R o y al i n der „ P a i x de l'Eglise" m i t der W e l t u n d der kirchlichen Hierarchie ausgesöhnt. Racine, der seine Tragödien Andromaque, Britannicus, Bérénice als Reaktion seines schlechten Gewissens auf die Auseinandersetzung m i t der moralisch untadeligen Instanz v o n P o r t - R o y a l geschrieben hatte, muß miterleben, daß sich die Verfechter absoluter Verhaltensnormen i n Kompromisse einlassen. W i e w i r k t diese K e h r t wendung auf Racine? Goldmanns A n t w o r t lautet: Ecrivain particulièrement réaliste, i l suivra la réalité en passant des pièces où les héros refusent le compromis et le monde, aux pièces où ils essaient de vivre dans le monde en acceptant les compromissions liées à cette tentative 88 . 85 88 87 88

Ders.y Situation de la critique racinienne, a.a.O., S. 39. Oers., Le Dieu caché, a.a.O., S. 440. Ders.y Situation de la critique racinienne, a.a.O., S. 40. Ebda. S. 41 - 42.

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U n d Phèdre? Zweifelsohne handelt es sich hier u m eine Tragödie. Wiederum läßt sich eine Homologie m i t Ereignissen u m P o r t - R o y a l für die neuerliche H i n w e n d u n g Racines zur Tragödie aufzeigen. D i e „ P a i x de l'Eglise" w a r nicht v o n langer Dauer; der K o m p r o m i ß der Jansenisten erweist sich als Fehlkalkulation. Eben diesen Vorgang spiegelt Phèdre auf der literarischen Ebene wieder: Phèdre transpose l'expérience réelle du mouvement janséniste au cours des dernières années, son illusion d'être en mesure de trouver une place dans le monde, la tentative de compromis et l'échec auquel elle a abouti 89 . Werfen w i r nun einen Blick auf die Struktur der Stücke selbst. D e n verborgenen u n d gleichzeitig immer gegenwärtigen G o t t Pascals finden w i r auch i n den Tragödien Racines wieder. Z w a r stellt sich G o t t i n diesem Zusammenhang als eine „réalité fonctionnelle" u n d nicht etwa als „ D i e u chrétien des jansénistes" 90 dar, aber diese Wirklichkeit weist die gleichen Eigenschaften auf wie der jansenistische G o t t : Situé à l'opposé du monde, i l est toujours présent à la conscience du héros en tant qu'exigence absolue et irrémissible, et toujours absent dans la mesure où i l ne dit jamais au héros quel chemin prendre pour agir en conformité avec cette exigence91. D e m tragischen Helden erscheint dieser G o t t i n der F o r m zweier sich ausschließender moralischer N o r m e n 9 2 . Andromaque etwa steht v o r der unlösbaren Aufgabe, entweder dem verstorbenen H e k t o r die Treue zu bewahren u n d damit das Leben ihres Sohnes zu verwirken oder aber das Leben ihres Sohnes durch einen Treuebruch ihrem Gatten gegenüber zu erkaufen. D i e tragischen Menschen auf der Bühne, die unter dem Anspruch göttlicher, transzendenter moralischer Forderungen leben, müssen gegen die Kompromisse der W e l t angehen. Sie erkennen i n einer A r t Erleuchtung sich selbst u n d ihre Bestimmung i n absoluter K l a r h e i t u n d weisen, u m ihrem eigenen Wesen treu zu bleiben, die Kompromisse der W e l t v o n sich. Sie leben i n der Sphäre des Wesentlichen, nicht mehr an die Zeit Gebundenen. Es wäre daher v ö l l i g verfehlt, das Theater Racines nur auf psychologische Prozesse u n d K o m p l i k a t i o n e n zurückzuführen. Aus dieser Situation ergibt sich die Einsamkeit des tragischen Menschen u n d für das Theater das Problem der K o m m u n i k a t i o n . Für die Helden der 89 90 91 92

Ebda. S. 42. Ebda. S. 57. Ebda. S. 58. Ebda.

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Tragödie gibt es keinen echten D i a l o g mehr, nur der „innerweltliche l o g " , der zwischen nicht-tragischen Personen geführt w i r d , erscheint möglich, aber er zeichnet sich durch Unechtheit u n d Unwesentlichkeit Für den H e l d e n bleibt nur der D i a l o g m i t G o t t , ein Paradoxon, denn antwortet nicht 9 3 .

Dianoch aus. Gott

Neben G o t t u n d der tragischen Person w i r d die W e l t z u m dritten Konstituens der Tragödie. Allerdings kann die W e l t i n der Tragödie nicht i n ihrer ganzen Extensität dargestellt werden. D e n Gegenspielern des tragischen Helden f ä l l t die Rolle zu, die W e l t zu verkörpern. D a sie jeweils nur das Relative, den K o m p r o m i ß , das Uneigentliche auszudrücken vermögen, haben sie für die tragische, nur dem Absoluten verpflichtete Person kein Gewicht. Goldmann bezeichnet diese ständig Getäuschten oder v o n Leidenschaften Verblendeten als „pantins" oder „ f a u v e s " 9 4 . Wer gehört nun zu dieser Kategorie der Raubtiere u n d Hampelmänner? I n Andromaque gew i n n t die W e l t vor allem i n Pyrrhus, Oreste, Hermione Gestalt. A l l e diese Personen leben nur ihren je verschiedenen Egoismen, die das Hinausschreiten über das eigene Ich i n den Bereich der tragischen Wesentlichkeit u n d N o t w e n d i g k e i t verhindern. I n Berenice verkörpert der bis zuletzt i n I l l u sionen befangene Antiochus die Welt. I n Phèdre f ä l l t H i p p o l y t e diese Rolle zu. K r i t i k

an der M e t h o d e

Goldmanns

W i r haben bisher ausschließlich versucht, eine systematische Übersicht über die manchmal recht verschlungenen Gedankenwege Goldmanns zu geben. I m Rahmen des Möglichen k a m dabei jeweils G o l d m a n n selbst zu W o r t . Zweifelsohne hat die m i t sehr viel persönlichem Engagement vorgetragene Neuinterpretation Racines viele Dinge i n ein neues, manchmal überraschendes Licht gerückt. D i e Übertragung der Methode auf andere Autoren scheint erfolgversprechend. M a n k a n n jedoch auf der anderen Seite die leidenschaftliche Auseinandersetzung v o r allem i n Frankreich u m die methodischen Grundlagen Goldmanns nicht übersehen. I n Deutschland wurde die Diskussion u m G o l d m a n n weit weniger leidenschaftlich geführt. I n vielen Fällen stand die K r i t i k unter einem eindeutig ideologischen Vorzeichen, so daß die Annahme oder Ablehnung Goldmanns mehr über die weltanschauliche Position des jeweiligen Kritikers verrät als über die eigentliche wissenschaftliche Leistung Goldmanns. I m folgenden soll n u n nicht festgestellt werden, ob Goldmanns Thesen ihren A u t o r als guten oder schlechten

93 94

Vgl. ders.y Racine, a.a.O., S. 26. Oers., Situation de la critique racinienne, a.a.O., S. 57.

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Kommunisten ausweisen 95 , sondern einzelne Ergebnisse sollen auf ihre logische Stichhaltigkeit überprüft u n d m i t einigen ausgewählten, uns wesentlich scheinenden Fakten konfrontiert werden. W i r sprachen eingangs davon, daß sich i n der dialektischen Methode Goldmanns eine besondere Berechtigung für die Aufstellung von Hypothesen ergibt. Jeder Wissenschaftler hat natürlich das Recht, Hypothesen aufzustellen. Goldmanns Hypothesen sind jedoch i m Falle seiner Pascal- u n d Racineuntersuchung v o n besonderer A r t . D i e „hypothèse générale" geht davon aus, „que les faits humains ont toujours le caractère de structures significatives dont seule une étude génétique peut apporter à la fois la compréhension et l ' e x p l i c a t i o n " 9 6 . Entsprechend dieser Formulierung müßten also zunächst die „faits humains" als nicht mehr weiter i n Frage zu stellende Gegebenheiten angenommen werden. Es erweist sich jedoch i m Verlaufe der Untersuchung, daß diese „faits humains", etwa die wesentlichen Merkmale des Jansenismus, durchaus keinen eindeutigen Befund liefern, sondern wiederum erst über ein Gebäude v o n Hypothesen zugänglich werden. Das gesamte K a p i t e l „Jansénisme et noblesse de r o b e " 9 7 , i n dem es u m die soziale, politische u n d affektive Situation der Jansenisten geht, deklariert Goldmann als Hypothese 9 8 . Eine allgemeine, umfassende H y p o these soll also durch eine neue Hypothese gestützt, wenn nicht gar bewiesen werden. Z u diesem an sich schon ungewöhnlichen Befund k o m m t n o d i erschwerend hinzu, daß Goldmann zugeben muß, selbst kein Historiker zu sein 9 9 . N u n geht es aber bei seiner Hypothese zweiten Grades ausgerechnet u m die Beschreibung u n d Bewertung historischer Fakten. M a n sollte erwarten, daß Goldmann, wenn er sich schon auf ein Gebiet wagt, auf dem er sich nicht zu Hause fühlt, wenigstens die Meinungen der H i s t o r i k e r ausführlich diskutierte, besonders wenn diese gegenteilige Meinungen vertreten. D i e Praxis sieht jedoch bedauerlicherweise so aus, daß G o l d m a n n i n einer Fußnote wichtige Gegenthesen zur politischen Entwicklung des 17. Jahrhunderts, wie sie etwa i n zahlreichen Arbeiten v o n R o l a n d Mousnier formuliert wurden, global abwertet oder aber ganz unter den Tisch fallen l ä ß t 1 0 0 . Leider ist dies kein Einzelfall. Was soll man davon halten, wenn jemand eine „ o b j e k t i v e " Interpretation des Theaters Racines geben w i l l , zugleich aber zugibt, v o n ästhetischen Kriterien keine A h n u n g zu haben? 1 0 1 95

Ein solcher Ansatz tritt häufig in der in Alternative' geführten Auseinandersetzung mit Goldmann zutage. (Vgl. Alternative. Zeitschrift für Literatur und Diskussion, Hrsg. H . Brenner, 13. Jhg. (1970), Heft 71). 96 L. Goldmann, Le Dieu Caché, a.a.O., S. 97. 97 Ebda. S. 115-116. 98 Vgl. ebda. S. 115. 99 Vgl. ebda. Fußn. 1. 100 Vgl. ebda. 101 Vgl. ders., Racine, a.a.O., S. 71. 8 Literaturwissenschaftliches Jahrbuch, 14. Bd.

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A n anderer Stelle schreibt Goldmann i n bezug auf die Auffassung Pascals v o n der Religion: Ce sont li des problèmes — importants sans doute — mais sur lesquels nous éviterons de nous prononcer, car ils dépassent notre compétence et sont du domaine de l'histoire générale des religions 102 . J. C o n i l h kommentiert i n seiner recht bissigen Besprechung diese Stelle: Ecrire un gros livre sur Pascal qui tourne tout naturellement autour des Pensées, pour nous avouer au bout du compte qu'on se déclare incompétent sur les trois quarts de l'ouvrage ! Est-ce sérieux? 103 Es entbehrt nicht einer gewissen Pikanterie, wenn man nach den soeben getroffenen Feststellungen den Anspruch der Totalität, den diese Methode erhebt, kritisch unter die Lupe n i m m t . Goldmann ist sich selbst durchaus bewußt, daß das wesentliche Problem i n diesem Zusammenhang die Frage der „découpage" 1 0 4 . ist. Jedermann w i r d bei einer literarischen Untersuchung zunächst an die unmittelbar durch das Werk gegebene „structure significative" als erste T o t a l i t ä t , v o n der auszugehen ist, denken. Diesen Weg lehnt Goldmann jedoch ab: [ . . . ] une étude positive valable des Pensées et du théâtre racinien suppose [ . . . ] d'abord leur insertion dans les courants de pensée et d'affectivité qui leur sont les plus rapprochés et cela signifie [ . . . ] dans l'ensemble de [ . . . ] la pensée et la spiritualité janséniste [ . . . ] 1 0 5 . Es soll i n keiner Weise geleugnet werden, daß die Einordnung literarischer Werke i n umfassendere soziale, politische u n d historische Bezüge nützliche Erkenntnisse für die Interpretation liefert oder doch zumindest liefern kann. D i e i n dem obigen Z i t a t ausgesprochene Priorität erscheint uns äußerst problematisch 1 0 6 . M a n hat nun i n der T a t den Eindruck, daß Goldmann, gerade i m Falle Racines, m i t einer vorprogrammierten Einstellung an das W e r k herangeht, u n d man ist versucht, i n A b w a n d l u n g eines Wortes v o n Pascal, sozusagen auf G r u n d einer legitimen Extrapolation i m Sinne Goldmanns, festzustellen: „ i l ne cherche que ce q u ' i l croit avoir déjà 102

Oers., Le Dieu caché, a.a.O., S. 340. J. Conilh y Pascal pour disposer au marxisme, in: Esprit, 24, 2 (1956), S. 872. Goldmann hat sich gegen ähnliche Vorwürfe verteidigt in L. Goldmann y Le Dieu caché, la „Nouvelle Critique et le marxisme", in: Les Temps Modernes 12 (1956-57), S. 1617- 1627. 104 L. Goldmann, Le Dieu caché, a.a.O., S. 106. 105 Ebda. S. 110. 106 Vgl. S. Doubrovsky, a.a.O., S. 137. Doubrovsky schreibt ebda. S. 13£: „Alors que, dans le cas de Pascal, Goldmann avait montré le sens janséniste des textes, pour Racine i l le suppose [ . . . ] . Malheureusement le ,montage4 du sens ainsi obtenu devient un découpage suspect. Après avoir tranché du sens, on vient à en retrancher, et pour mieux découper, on coupe." 103

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trouvé ailleurs!" I n Le Dieu caché wie audi i n den beiden Taschenbüchern über Racine w i r d der eigentlichen literarischen Untersuchung der Stücke Racines eine umfangreiche Erörterung der „vision tragique" u n d der Situat i o n des Jansenismus vorangestellt, u m dann die Homologie zwischen dem Theater Racines u n d dem Jansenismus darzulegen. Für die gesamte Erörterung der tragischen Weltanschauung gilt i m übrigen, daß Goldmann, wie schon öfter hervorgehoben wurde, das Grundgerüst seiner Argumentation aus einem Essai v o n Lukacs übernimmt. Lukacs n i m m t aber weder auf Racine oder Pascal noch auf den Jansenismus Bezug. W i r wagen zu behaupten, daß Goldmann die wesentlichen Thesen seiner Racineinterpretat i o n auch ohne die Einbeziehung historischer u n d soziologischer Fakten lediglich durch die Übertragung Lukacs'scher Gedanken auf Racine, hätte gewinnen können. T o t a l i t ä t u n d W i l l k ü r als „coincidentia oppositorum"? I n anderer Hinsicht allerdings scheint uns Goldmann eindeutig hinter dem eigenen Anspruch auf T o t a l i t ä t zurückzubleiben, dann nämlich, wenn er den Jansenismus als Weltanschauung der „noblesse de robe" katalogisiert. W a r u m bezieht G o l d m a n n nicht auch die „noblesse d'épée" bzw. die „noblesse de cour" m i t i n seinen Sozialreport ein? H a t nicht der alte Amtsadel i m Verlaufe seiner Entwicklung v o m souveränen Landesherrentum zum Hofschranzendasein unter L u d w i g X I V . w e i t mehr an Macht verloren als der „noblesse de robe" überhaupt je zu Gebote stand? W a r u m k o m m t es hier nicht zu einem tragischen Bewußtsein? Goldmann berücksichtigt auch nicht, daß die Stücke Racines gerade i n den Kreisen des Hofadels u n d der Bourgeoisie A n k l a n g fanden. E. Auerbach hat nachgewiesen, daß „ l a cour et la v i l l e " , das heißt der Hofadel, der Amtsadel u n d gewisse Kreise des Bürgertums, gerade i n der Zeit, u m die es Goldmann zu t u n ist, einen wesentlichen Zug miteinander gemeinsam hatten: Der Adel ist als solcher funktionslos geworden und nur noch Umgebung des Königs; das Bürgertum, soweit es zu la ville gehört, ist ebenfalls seiner ursprünglichen Funktion als produktiver Erwerbsstand entfremdet. In der parasitären Funktionslosigkeit und im Bildungsideal verschmelzen la cour et la ville zu einer geschlossenen Schicht 107 . Wenn aber gerade die Kreise des angeblich nicht-jansenistischen H o f adels wesentlich für den Erfolg der Stücke Racines bürgten, können letz107

E. Auerbach, La cour et la ville, in der s.: Vier Untersuchungen zur Geschichte der französischen Bildung, Bern 1951, S. 50. Auch E. Köhler, „Ingrat" im Theater Racines, in E. Leube und L. Schräder (Hrsg.), Interpretation und Vergleich. Festschrift für Walter Pabst, Berlin 1972, S. 129- 144 weist unter Bezugnahme auf E. Auerbach und W. Krauss ebenfalls auf die „ideologische Allianz" (S. 142) zwischen „noblesse de robe" und „noblesse de cour" hin und sieht in dem bei Racine häufig anzutreffenden Motiv der Undankbarkeit einen Konvergenzpunkt, in dem die ideologische Allianz der beiden Adelsschichten greifbar wird. 8*

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tere doch w o h l nicht i n der v o n G o l d m a n n behaupteten Ausschließlichkeit als Zeugnisse des Jansenismus angesehen werden. Sollten diese Stücke aber Gefallen gefunden haben, w e i l audi der H o f a d e l i m Grunde eine „tragische Weltanschauung" vertrat, so hätte G o l d m a n n audi diese Schicht unbedingt berücksichtigen müssen, zumal Racine, was bei G o l d m a n n v ö l l i g unter den Tisch fällt, i n seiner Eigenschaft als H ö f l i n g m i t zu diesem Personenkreis gehörte 1 0 8 . U n t e r dem H i n w e i s auf die T o t a l i t ä t als Interpretationskriterium hatte G o l d m a n n die Biographie als M i t t e l der Werkerklärung abgelehnt. Diese Ablehnung t r i f f t auch die „psychocritique" i n der v o n Charles M a u r o n betriebenen F o r m 1 0 9 . Je höher der ästhetische W e r t eines Werkes, desto geringer w i r d die N o t w e n d i g k e i t , sich psychologischer Hilfskriterien zu seiner Erklärung zu bedienen, denn geniale Kunstwerke sind immer Auswirkungen einer gruppengebundenen „ v i s i o n d u m o n d e " 1 1 0 . Dies soll auch für Racine gelten 1 1 1 . D i e H i n w e n d u n g zur echten Tragödie leitet Goldmann, wie schon gezeigt, aus dem Streit m i t P o r t - R o y a l her. Das schlechte Gewissen Racines soll der G r u n d für diese W a n d l u n g gewesen sein. N u n pflegt man w o h l allgemein Vorgänge i m Gewissen eines Menschen m i t psychologischen A b läufen i n Verbindung zu bringen. G o l d m a n n sieht, i m Gegensatz z u M a u ron, i n der Bindung Racines an P o r t - R o y a l u n d den sich daraus ergebenden Konsequenzen keine unterbewußten Komplexe, sondern ein „attachement mi-conscient, m i non-conscient" 1 1 2 . Was darunter zu verstehen sei, w i r d nirgends näher erläutert. Daß es sich bei der Übertragung der jansenistisdien Weltschau i n die Tragödie Andromaque u n d die beiden nachfolgenden Werke Britannicus u n d Bérénice u m einen halb-bewußten Vorgang gehandelt haben soll, scheint aber äußerst unwahrscheinlich, w e n n man bedenkt, daß sich Racine bei der Abfassung dieser Stücke i n einem offenen K a m p f m i t P o r t - R o y a l befand u n d sicher auch jede nur halb-bewußte H u l d i g u n g an seine Gegner u m jeden Preis vermieden hätte. O b bewußt oder halbbewußt, i n jedem F a l l k a n n G o l d m a n n diese für das künstlerische Schaffen eminent wichtige Phase i m Leben Racines nicht aus seinem rein soziolo108 E. Köhler möchte in Anbetracht der bestehenden Gemeinsamkeiten zwischen „noblesse de robe" und „noblesse de cour" „Goldmanns Auffassung in einigen Punkten modifizieren" (a.a.O., S. 141). Er stellt jedoch die Grundthesen Goldmanns nicht in Frage. Durch die Ausführungen Köhlers werden jedoch in Wahrheit die wesentlichen methodologischen Voraussetzungen Goldmanns widerlegt. Wenn in zwei verschiedenen sozialen Gruppen mit einer weitgehend identischen Grundstruktur verschiedene „visions du monde" anzutreffen sind, kann die Weltanschauung nicht ausschließlich durch soziale, politische und wirtschaftliche Umstände determiniert sein. 109 Ch. Mauron , L'inconscient dans l'œuvre et la vie de Racine, Paris 1957. 110 L. Goldmann, Racine, a.a.O., S. 77. 111 Ebda. S. 78. 112 Ders., Situation de la critique racinienne, a.a.O., S. 10.

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gisdien Ansatz heraus klären. D i e gleiche Problematik ergibt sich noch einm a l bei der Abwendung Racines v o n den Tragödien. D i e nunmehr entstehenden Dramen Bajazet, Mithridate u n d Iphigénie begründet Goldmann m i t der W i r k u n g der „ P a i x de l'Eglise" 1668 auf das Gewissen Racines. Racine erkennt zu diesem Z e i t p u n k t m i t Schrecken, daß das, was er bisher als höchste Werte i n seinen Tragödien dargestellt hatte, nicht absolut genommen werden darf, sondern daß auch Kompromisse denkbar sind. D a P o r t - R o y a l i n der „ P a i x de l'Eglise" das Streben nach höchsten moralischen Werten relativiert u n d sich i n Kompromisse m i t der W e l t einläßt, k a n n Racine diesen Weg ebenfalls m i t ruhigem Gewissen beschreiten. M a n muß zugeben, daß das Gewissen Racines ein gut funktionierender Mechanismus gewesen sein m u ß ! Übrigens verfängt sich Goldmanns Erklärung diesmal n o d i zusätzlich i n den Schlingen der Historie, allerdings n u r i n denen der biederen Chronologie, die innerhalb der höheren dialektischen L o g i k w o h l keine so wichtige Rolle spielt. Bérénice w i r d v o n Goldmann als Tragödie angesprochen. Das Stück w i r d aber erst zwei Jahre nach der „ P a i x de l'Eglise", die j a den Weg z u m D r a m a freimacht, aufgeführt ( N o v . 1670). D a Racines Gewissen ansonsten unter der Regie Goldmanns immer recht f i x auf die Veränderungen i n und u m P o r t - R o y a l reagiert, ist nicht einzusehen, w a r u m Bérénice i n den zwei Jahren, die nach der „ P a i x de l'Eglise" bis zur A u f f ü h r u n g vergingen, nicht noch m i t einigen Kompromissen angereichert wurde. Es muß i n diesem Zusammenhang, wie uns scheint, eine grundsätzliche Frage gestellt werden: Ist die Unterteilung der Stücke Racines i n Tragödien u n d Dramen überhaupt berechtigt? I n einer eingehenden Untersuchung v o n Bajazet weist E. v a n der Starre überzeugend nach, daß die v o n G o l d m a n n getadelten Kompromisse des Titelhelden i n keiner Weise dem Zweck dienen, sich selbst einer moralischen Forderung zu entziehen. Bajezet ist gezwungen, Roxane gegenüber Liebe zu heucheln, wenn er das Leben seiner Geliebten nicht aufs Spiel setzen w i l l . Bajazet täuscht Roxane nicht etwa aus Feigheit — er fürchtet den T o d nicht — , sondern w e i l er einem wichtigeren moralischen Anspruch gerecht werden w i l l . E r k a n n i n der T a t das Leben Athalides nur schützen, solange er selbst noch lebt. E r darf also nicht sterben 1 1 3 . Schon aus diesen wenigen Andeutungen geht hervor, wie eng die Geschicke der verschiedenen Personen des Stückes miteinander v e r k n ü p f t sind. E. v a n der Starre kommentiert diesen Umstand: „ I I s'ensuit qu'aucun d'entre eux ne peut mourir sans entraîner la m o r t de ses partenaires." 1 1 4 Diese wesentlichen Zusammenhänge sind Goldmann entgangen, wahrscheinlich, w e i l sie zuwenig seinem 113

E. van der Starre , Racine et le théâtre de l'ambiguïté. Etude sur Bajazet, Leiden 1966, S. 43. 114 Ebda. S. 51.

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Interpretationsschema entsprachen. Es verwundert daher auch nicht, wenn man i n seiner sehr unvollständigen, flüchtigen W ü r d i g u n g des Stückes auf folgenden Satz stößt: „ O n comprend que dans cet univers rien de ce q u i arrive ne puisse être nécessaire, ou p l u t ô t que t o u t y soit nécessairement accidente ."115 D i e noch verbleibenden „ D r a m e n " Mithridate und Iphigénie wurden unseres Wissens bisher nicht so umfassend u n d gründlich untersucht; vieles deutet jedoch darauf hin, daß solche Untersuchungen die ungerechtfertigten Vereinfachungen u n d Verallgemeinerungen Goldmanns umso deutlicher hervortreten ließen. Goldmann lehnte auch die philologische Methode ab, da sie z u sehr am Einzelnen klebe, ungerechtfertigte Vergleiche anstelle u n d zweifelhafte Analogien einführe. I m m e r h i n w i r f t er der Philologie nicht vor, daß sie nicht genügend Ehrfurcht v o r den Texten selbst habe. Sie interpretiert zwar häufig falsch, aber bemüht sich immerhin u m die Texte. Bei Goldmann sieht dies schon etwas anders aus. Anläßlich des Satzes v o n Pascal: „ [ . . . ] rien n'est plus difficile que d ' y v i v r e [ d . h. v i v r e dans le monde] selon Dieu, et sans y prendre de part et de g o û t " 1 1 6 bemerkt Goldmann, man müsse diesem Text den am weitesten getriebenen Sinn geben, ja man solle sogar extrapolieren u n d sagen: „ T o u t ce qui est nécessaire selon D i e u est i m possible selon le m o n d e . " 1 1 7 W i r w o l l e n hier keineswegs bestreiten, daß gewisse Stellen, wenn man sie i m Gesamtzusammenhang eines Werkes beurteilt, eine andere Bedeutung gewinnen können. Es gibt jedoch, u n d der Dialektiker Goldmann sollte dies wissen, eine Grenze, bei der Q u a n t i t ä t i n Q u a l i t ä t umschlägt u n d der Sinn einer Aussage grundlegend verändert w i r d . E i n solcher F a l l scheint uns bei dem soeben zitierten Beispiel v o r zuliegen 1 1 8 . A . Béguin, L . Lafuma, J. E. d'Angers haben G o l d m a n n philologische Unterlassungssünden nachgewiesen, die gerade i m Falle der besonderen Textgeschichte der Pensées besonderes Gewicht erhalten 1 1 9 . W i e schon aus unseren vorherigen Ausführungen ersichtlich, benutzt G o l d m a n n als T e x t grundlage die v o n Brunschvicg erarbeitete Ausgabe der Pensées. G o l d m a n n rechtfertigt seine Ablehnung der v o n Lafuma besorgten E d i t i o n m i t A r g u 115

L. Goldmann, Le Dieu caché, a.a.O., S. 391. Zit. ebda. S. 59. Ebda. 118 Jean Pouillon, Le Dieu caché ou l'histoire visible, in: Les Temps Modernes 13 (1957- 1958) führt S. 890 ein ähnlich gelagertes Beispiel auf. L. Lafuma und J. E. d'Angers, A propos d'une thèse marxiste sur les „Pensées" de Pascal, in: Etudes franciscaines 7 (1956), S. 172- 188 werfen Goldmann weitere philologische Nachlässigkeiten vor, die etwa darin bestehen, daß er fehlerhafte Textvorlagen benutzt und deshalb zu falschen Schlüssen kommt (vgl. a.a.O., S. 174). 110 A. Béguin , Note conjointe sur M. Goldmann et la méthod „globale", in: Esprit 24, 2 (1956), S. 874 - 880. Für Lafuma und d'Angers vgl. Fußnote 118. 116

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mentationen, die man, je nach eigener Gemütslage, als unschuldsvoll-naiv oder als bodenlos unverschämt bezeichnen k a n n : A u nom d'un ensemble d'arguments philologiques qui nous paraissent plausibles, mais que nous ne nous reconnaissons pas compétent pour juger, M M . Z. Tourneur, P. L. Couchoud et Lafuma estiment que la copie représente un classement des fragments fait par Biaise Pascal lui-même à un certain moment de sa vie et que ce classement, donc, doit être préféré à tout autre, qui ne saurait bien entendu se réclamer d'une meilleure autorité 120 . Sicherlich k a n n Goldmann auf G r u n d seiner Gesamtinterpretation der Pensées nicht zulassen, daß Pascal selbst einen Plan für seine Apologie erarbeitet hat: Chercher le < vrai > plan des Pensées nous paraît ainsi une entreprise antipascalienne par excellence, une entreprise qui va à l'encontre de la cohérence du texte, et méconnaît implicitement ce qui constitue aussi bien son contenu intellectuel que l'essence de sa valeur littéraire 121 . E i n M i n i m u m an wissenschaftlicher Redlichkeit hätte G o l d m a n n dazu bewegen müssen, seine philologische Inkompetenz abzubauen, u m die eigene These zu verifizieren. U m den Schwierigkeiten der biographisch-psychologischen u n d der p h i l o logischen Methode zu entgehen, bezieht sich Goldmann auf die Gruppe. D i e sozio-ökonomische Situation einer Gruppe determiniert eine Weltanschauung. Wenige Überlegungen sollen zeigen, daß v o n einem Kausalzusammenhang zwischen dem Niedergang einer Klasse u n d der v o n dieser Gruppe herausgebildeten Ideologie keine Rede sein kann. Jean Pouillon erinnert i n seinem A u f s a t z 1 2 2 daran, daß etwa auch Corneille u n d Descartes der gleichen sozialen Schicht der „gens de robe" angehören. Corneille n i m m t die unangenehme Situation jedoch nicht resignierend hin, sondern läßt seine Gestalten unentwegt u n d entschlossen die Änderung der Zustände betreiben. Der Vater Descartes' gehörte als Ratsherr am Parlament der Bretagne ebenfalls zur „noblesse de robe". Descartes w ä h l t aber angesichts der Probleme seiner Klasse eine v ö l l i g andere H a l t u n g als Pascal oder Racine. Indem er sich i n sein eigenes Ich zurückzieht, macht er z w a r auch die A b lehnung der W e l t zu seiner Maxime, aber Descartes findet i n seinem eigenen Bewußtsein die Grundlagen für eine gesicherte Erkenntnis u n d damit die Basis für alle Wissenschaft. Seine H a l t u n g ist daher keineswegs tragisch 1 2 3 . A u f die Fragen, die eine historische Situation an eine Gruppe stellt, gibt es 120 121 122 123

L. Goldmann, Le Dieu caché, a.a.O., S. 226. Ebda. S. 220. Jean Pouillon, Le Dieu caché ou l'histoire visible, a.a.O., S. 901. Vgl. ebda. S. 901 - 902.

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also eine Vielzahl möglicher A n t w o r t e n . A u f Racine angewandt bedeutet dies: seine Erziehung i n Port-Royal, die rein äußerliche u n d i m übrigen nur spärlich dokumentierte Zugehörigkeit zu dieser Gemeinschaft, k a n n i n keiner Weise eine authentische Garantie für eine jansenistische Weltanschauung sein, zumal wenn obendrein die vorhandenen Zeugnisse das genaue Gegenteil aussagen 124 . Jean Pouillon weist auch darauf hin, daß der Jansenismus keineswegs eine homogene Gruppe ist, sondern i n wenigstens vier unterscheidbare Strömungen zerfällt. Diese Differenzierung kann aber durch die Bezugnahme auf die gemeinsame ökonomische Basis nicht geklärt werden: [ . . . ] quatre courants font du jansénisme une réalité complexe, qui se définit davantage par le problème commun auquel i l faut faire face que par les réponses diverses qui lui sont données [ . . . ] 1 2 5 . Es wäre auch zur Konzeption der Abfolge der verschiedenen Weltanschauungen noch einiges zu sagen. V o r allem wäre die Frage zu stellen, ob nicht gerade die diachronische Sicht einer solchen Problematik wesentlich andere Fragen a u f w i r f t als eine nur synchrone Betrachtungsweise, so daß das Überwechseln v o n einer Perspektive zu einer anderen nicht ohne schwerwiegende Konsequenzen bleibt. Desgleichen wäre der v o n G o l d m a n n angemeldete Anspruch auf U b e r w i n d u n g der tragischen Weltanschauung durch den Marxismus genauer zu prüfen. D a dieser Schritt m i t einer ausführlichen A b w ä g u n g ideologisch motivierter Wertvorstellungen verbunden wäre, soll an dieser Stelle nicht näher auf diese Frage eingegangen werden. Es w a r bisher v o n historischen, theologischen u n d soziologischen Fragen die Rede u n d der Leser w i r d möglicherweise eine spezifisch literarische Fragestellung vermißt oder sie an einer falschen Stelle gefunden haben. Bei Pascal w a r v o n der Zeitlosigkeit der Tragödie die Rede, dafür v o m verborgenen G o t t der Jansenisten bei Racine. D i e Lektüre Goldmanns hinterläßt i n der T a t den Eindruck, als ob die Philosophie u n d Theologie Pascals u n d das Theater Racines i n ihren jeweiligen Aussagen austauschbar seien. Allerdings interessierte G o l d m a n n lediglich der Ausdruck einer bestimmten „ v i s i o n du monde". Der G r a d ästhetischer Wertigkeit w i r d aus diesem 124

Der Streit, ob Racine dem Jansenismus zugerechnet werden kann oder nicht, ist beinahe so alt wie die Racinekritik selbst. Goldmann geht mit keinem Wort auf diese lange Diskussion ein. Eine gute Übersicht über diese Fragen findet man bei M. Delcroix, Le sacré dans les tragédies profanes de Racine. Essai sur la signification du Dieu mythologique et de la fatalité dans La Thébaide, Andromaque, Iphigénie et Phèdre, Paris 1970, S. 329 - 394. Delcroix zieht aus seiner umfangreichen Erörterung der gesamten Frage folgenden Schluß: „ I I faut conclure par un paradoxe: l'influence janséniste sur Racine est indiscutable, mais elle est indéfinissable dans les pièces à sujet grec." (A.a.O., S. 392). 125 J. Pouillon , a.a.O., S. 904.

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G r u n d m i t soziologischen Maßstäben gemessen: „ [ . . . ] toutes les oeuvres littéraires valables sont cohérentes et expriment une vision d u m o n d e " 1 2 6 . Wenn literarische Werke keine Weltanschauung gestalten, d. h. wenn ihre gedankliche Substanz nicht Ausdruck eines Klassenbewußtseins ist, sind sie schlecht bzw. ästhetisch minderwertig. Das Spezificum des literarischen Werkes, sein ästhetischer W e r t f ä l l t damit aus der Betrachtung v o n allem A n f a n g an heraus. D e m Kunstwerk w i r d eine eigene Seinsweise abgesprochen. Dies w a r vielleicht nicht anders zu erwarten, denn Goldmann postulierte ja die Weltanschauung als alleiniges K r i t e r i u m „objektiver Bedeutungen". D i e Determinierung des Kunstwerkes durch eine bestimmte historische Gruppe f ü h r t Goldmann i n nicht geringe Schwierigkeiten, wenn er versucht, dessen W i r k e n über die Zeit seines Entstehens hinaus zu erklären. Es heißt: Or, le nombre de réponses humainement cohérentes à cet ensemble de problèmes étant limité par la structure même de la personne humaine, chacune de ces réponses correspond à des situations différentes et souvent contraires 127 . D a m i t findet G o l d m a n n z w a r eine „dimension transhistorique de l'être et du comprendre", wie S. Doubrovsky sich ausdrückt 1 2 8 , doch dies widerspricht gleichzeitig fundamental seinen methodologischen Ansätzen, nach denen das I n d i v i d u u m erst am Ende einer unendlich langen Kette v o n „objektiven" Zusammenhängen aufscheint. Der Eindruck, der nach a l l diesen Erwägungen bleibt, ist negativ. D i e Methode i n der v o n G o l d m a n n betriebenen F o r m leistet nicht, was sie verspricht. V o r allem seine Racineinterpretation k a n n nicht befriedigen. Michel Crouzet, M a r x i s t wie Goldmann, mag unsere Bedenken abschließend zusammenfassen: [ . . . ] Goldmann a raté son Racine. Sa description de la tragédie racinienne laisse une impression de hâte, de schématisme, d'arbitraire, d'incompréhension de la valeur proprement artistique; en un mot, on pourrait redouter une sorte de démolition de l'œuvre littéraire en tant que telle. Réduite à une thématique pesante, à un langage convenu, elle semble frustrée de sa poésie, de son humanité 129 .

126

L. Goldmann, Le Dieu caché, a.a.O., S. 349. Ebda. S. 30. S. Doubrovsky , a.a.O., S. 168. 129 M. Crouzet y Racine et le marxisme en Histoire Littéraire, in: La Nouvelle Critique, Jhg. 8, Nov. 1956, S. 74. 127

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STUDIEN ZUR REZEPTION DER ,EDDA' I N DER NEUZEIT V o n U w e Ebel D i e Bedeutung der mittelalterlichen skandinavischen Literatur, insbesondere der eddischen Dichtung, für die Literatur des achtzehnten u n d beginnenden neunzehnten Jahrhunderts ist größer, als man gemeinhin annimmt. Die Epoche, i n der die „Barden-Windsbraut brauste" (Herder), brachte eine nicht unbeträchtliche Z a h l v o n Versuchen, die eigene poetische Vergangenheit bzw. was man dafür hielt, wiederzubeleben. Z u den Exponenten dieser literarischen Strömung gehörten i n Deutschland Männer wie Klopstock und Gerstenberg, i n England Thomas Gray u n d i n Dänemark Johannes E w a l d . D i e Aversion Hegels gegen eddische Dichtung als Verklärung v o n Metsaufen (Ästhetik) teilen die bedeutendsten Männer des achtzehnten Jahrhunderts nicht, auch ist sie für das neunzehnte Jahrhundert atypisch. D i e eddische Dichtung fand ihre erste (Teil-)Ausgabe i n der E d i t i o n Resens v o n 1665 ( 2 1673). Diese P u b l i k a t i o n enthielt die Vçluspâ, die Hâvamal u n d den Runatalspattr. Bis 1787 bildete die Resensche Ausgabe die einzige V e r m i t t l u n g eddischer Dichtung; die übrigen Texte der mittelalterlichen Sammlung galten als verloren, so etwa bei Paul H e n r i M a l l e t , dessen Monumens, die u. a. die eddischen Gedichte nach der Fassung Resens i n französischer Ubersetzung enthielten, v o n Bischof Percy ins Englische übertragen u n d m i t einem Auszug aus der Eyrbyggja saga, den Walter Scott erstellt hatte, veröffentlicht wurden. I n Text, Übersetzung, Kommentaren u n d Einleitung bildete die E d i t i o n Resens die Grundlage des Edda-Verständnisses. Herder benutzte sie, u n d für Goethe w a r sie schlechterdings „der Resenius" (Dichtung und Wahrheit). Eine Reihe bedeutender N a m e n verbindet sich also m i t der Rezeption eddischer Dichtung i m achtzehnten Jahrhundert sowie m i t der Geschichte der W i r k u n g jener alten Edition, so daß die Beschäftigung m i t diesem Sektor der Geistes- u n d Dichtungsgeschichte nicht nur eine Randerscheinung beleuchtet. I m folgenden sollen einige Fragen, die sich aus der Beschäftigung m i t der editto princeps v o n Edda-Liedern ergaben, sowie die Herderschen Übersetzungen der Vçluspa behandelt werden. Es ergeben sich dabei einige — wie m i r scheint — wesentliche Aufschlüsse über Herders Übersetzungsmethode, die man bislang i m wesentlichen miß verstanden hat.

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Uwe Ebel /. Die Wiederentdeckung

der Edda,

ihre Editio princeps und deren Wirkung I m Spätmittelalter w a r die Edda verlorengegangen; die i n ihr gesammelten Texte waren zu Beginn der Neuzeit unbekannt. Als man i n Skandinavien i m Humanismus die mittelalterlichen Literaturdenkmäler sammelte, sichtete, kommentierte u n d herausgab, entdeckte man, daß die Snorra Edda auf ältere Dichtungen zurückgriff, die verschollen waren. M a n Schloß von der Snorra Edda auf eine ältere ,Edda' u n d stellte Vermutungen über deren Umfang, I n h a l t , A l t e r u n d Verfasser an. A l s deshalb der isländische Bischof B r y n j ó l f u r Sveinsson zu Beginn der vierziger Jahre des siebzehnten Jahrhunderts den später nach seinem Aufbewahrungsort benannten Codex Regius auffand — die Umstände, die zu seinem Fund führten, sind unbekannt — , hatte er bereits eine feste Vorstellung v o n diesem Text u n d betitelte i h n i n einer mittlerweile verlorenen Abschrift Edda Sœmundi multiseli 1. 1 Überliefert ist diese Betitelung durch die Mitteilung Arni Magnussons in seiner Arbeit ,Vita Saemundi multiseli'. (Vgl. A. M/s Levned og Skrifter, udgivet af Kommissionen ior det Arnamagnseanske Legat, 2 Bd., Kopenhagen 1930, Bd. 2: Skrifter, S. 89 - 108, S. 93 f.). Die Identifizierung der alten Texte als ,Edda Saemundi multiseli' verbindet zwei Hypothesen, die im siebzehnten Jahrhundert unter den Freunden des skandinavischen Mittelalters in Island und Skandinavien diskutiert wurden und deren Verifikation Brynjolf mit seinem Fund geliefert zu haben glaubte. Die erste Annahme läßt sich in ihrer Entwicklung von Björn a Skarösa, einem der Begründer der nordischen Philologie im Humanismus, der aber nicht ihr Urheber gewesen sein muß, über Arngrimur Jónsson zu Ole Worm und schließlich Resen, der sie nur noch referiert, sich ihr aber nicht mehr anschließt, verfolgen. Die zweite scheint auf Magnus a Laufds zurückzugehen. Björn vollzieht die Zuordnung in der Form, daß er Sämund eine Uredda hat schreiben lassen, die Snorri erweitert habe: „Snorri schuf die Umschreibungen (heyti og nçfn) der meisten Dinge und vermehrte die Edda, die der Priester Sämund der Weise früher zusammengesetzt hatte" (,Gra2nlandsannall' ; hier übersetzt nach der Zitation in ,01e Worm's Correspondence with Icelanders', hg. Jakob Benediktsson (Bibliotheca Arnamagnaeana, 7), Kopenhagen 1948, S. 389). Von Björn übernimmt Arngrimur Jónsson diese These, obwohl er in seiner Arbeit ,Crymoegaea' 1609 Snorri als „Autor Eddœ Lib." nennt (Arngrimi Jonae oper* latine conscripta, hg. Jakob Benediktsson, 4 Bände (Bibliotheca Arnamagnasana, 9 - 12), Kopenhagen 1950 - 1957, Bd. 2, S. 73) und dies auch in der zweiten Auflage von 1636 beibehält. Woher Arngrimur seine richtige Einsicht bezogen hatte, ist unbekannt. I n der damals benutzten Handschrift der ,Snorra Eada', dem Codex Wormianus, wird der Verfasser nicht genannt. Obwohl es im Codex Upsaliensis der ,Snorra Edda' heißt: „Dieses Buch heißt Edda; Snorri Sturluson hat es zusammengestellt " (Edda Snorra Sturlusonar. Edda Snorronis Sturke, Tl. 1 - 3 , Sumpt. Leg. Arnamagn. Hafniae 1848 - 87, Tl. 1, S. 2, Fußnote), ist es doch unwahrscheinlich, daß Arngrimur seine Zuordnung auf Grund dieser Aussage vollzogen hat, da er sich bei seinem — für die Epoche typischen — Glauben an die Autorität der alten Quellen später wohl kaum von der Verfasserschaft Sämunds hätte überzeugen lassen. Bereits ein Jahr nach Erscheinen der zweiten Auflage von ,Crymogaea' spricht Arngrimur 1637 in einem Brief an Ole Worm von der

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B r y n j ó l f u r ließ vermutlich mehrere Papierabschriften der Lieder-Edda erstellen, und der Codex selbst wurde der königlichen Bibliothek i n Kopenhagen übergeben. Island w a r z u dieser Zeit T e i l des dänischen Königreiches, u n d man w a r auf königliche Ordre eifrig damit beschäftigt, die mittelalterlichen Texte zu sammeln. Dänemark konkurrierte dabei m i t Schweden, w o bereits i m Jahre 1668 eine Zentralstelle zur Erfassung u n d Erforschung dieser Texte durch den Kanzler de la Gardie eingerichtet worden war. D i e Zeit w a r für eine positive Aufnahme des neuen Textes günstig, der i n einer allerdings äußerst bescheidenen A u s w a h l 1665 erstmalig ediert wurde. „Edda . . . avtore Semundo Froda" (Ole Worm's Correspondence, S. 41) und entscheidet sich, von Worm auf die Diskrepanz seiner Äußerungen aufmerksam gemacht (Ib., S. 49), in einem weiteren Brief endgültig für die These von der Verfasserschaft Sämunds: „De avctore Eddas objectum scrupulum ilio eximendum sentio, qvod in monumentis nostr. manifeste legitur, in haec verba. ,Snorre Sturluson var a dogum Gunnlags mvks: Hann (Snorre) jok vid |)a Eddu, sem Saemundur praestur hinn frodi hafdi adur samsett etc. h. e. Snorro Sturlse f. vixit tempore Gunnlavgi, cogn. Monachi [ . . . ] . Ille (Snorro) Eddam a Semundo prae[s]bytero, den frode i. e. multiselo, primum delineatam et digestam adavxit, 4 etc. Hinc est qvod Edda utriqve Saemundo et Snorroni in Antiqvit. adscripta reperiatur, ita ut Sasmundo initia et fundamentalia, Snorroni locupletatio et opusculi absolutio debeatur" (Ole Worm's Correspondence, S. 54). Das hier Vorgetragene basiert also, wie es schon Arni Magnusson annahm (a.a.O., S. 99), auf Björns zitierten Ausführungen, die Arngrimur auffälligerweise als „monumenta nostra" und „Antiqvitates" anführt. Diese Berufung auf vermeintliche monumenta und antiquitates dürfte den Adressaten, Ole Worm, von der Richtigkeit der Annahme überzeugt haben. Mit der Auffassung von der Verfasserschaft Sämunds in bezug auf eine Vorstufe der ,Snorra Edda4 koinzidiert bei Brynjólfur die Hypothese des Magnùs Ólafur a Laufas von einer Ur-Edda, zu der die ,Snorra Edda4 eine Art compendium bilde und die von den Asen oder deren Nachkommen verfaßt worden sei. Magnus stellt sich das von ihm erschlossene Werk als größere, eigenständige Arbeit vor, die bei ihm stärkeren Eigenwert erhält, da sie nicht lediglich Vorstufe oder Teil der ,Snorra Edda4 ist wie nach der Auffassung Arngrimurs. Als Magnus an seiner Redaktion der ,Snorra Edda4, der sogenannten ,Laufas Edda4 arbeitete, stellte er fest, daß seine Vorlage in sich oft nicht völlig verständlich war. Er glaubte dieses Problem der Unverständlichkeit lösen zu können, indem er Snorris Edda als compendium eines älteren und größeren Werkes auffaßte, das in sich verständlich war: „Ex veterum rhythmis, ut etiam appellationibus Asarum nonnullis, ac in primis Odini, et aliarum denique rerum, apparet, aliam fuisse Eddam antiquiorem, aut volumen fabularum, ab ipsis Asis confectum aut eorum nepotibus, quod interierit, et cujus hasc nostra Edda aliquale sit compendium; quia nominum paucissimorum, quas Odino ex variis casibus indita sunt plurima, ut Edda profitetur, ex ejus fabulis reddi potest ratio, nec etiam plurium, quae ibi occurrunt, appellationum." (zitiert nach: Corpus poeticum boreale. The Poetry of the Old Northern Tongue from the Earliest Times to the Thirteenth Century, hg. Gudbrand Vigfusson u. F. York Powell , Bd. 1 - 2, New York 1965, Reprint d. Ausg. 1883, Bd. 1, S. X X X I , Anm. 1). Hier erscheint zum ersten Male die Bezeichnung „Ältere Edda", wobei das Epitheton „antiquior" durch die Angabe genauer bestimmt wird, die Edda sei das Werk der Asen oder doch zumindest ihrer Nachfahren. Der für die Zeit symptomatische Glaube an den Wahrheitsgehalt alter Quellen läßt auch das Werk Snorris als historisch exakt gelten und bildet damit die Grundlage für die Auffassung der Asen als Menschen, die zu Göttern wurden, eine Auffassung,

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W e n n Eugen M o g k den Beginn der „Geschichte der Eddalieder" m i t „ d e m Tage, w o . . . [der Codex Regius] wiedergefunden w u r d e " 2 ansetzt, so t r i f f t das für die „äussere Geschichte" 3 der Edda als Geschichte ihrer Erforschung u n d E d i t i o n zu, u n d man muß M o g k zustimmen, da etwaige Kenntnis der Sammlung v o r ihrer A u f f i n d u n g durch B r y n j ó l f u r nicht nachzuweisen ist. Als dann i n der Nähe des BorgarfjörÖur die Handschrift A (Codex A M 748, 4 ° ) wiedergefunden w a r 4 , waren die Eddalieder außer den erst später bekanntgewordenen Svipdagsmal „sämtlich wieder ans licht gezogen" 5 u n d wahrscheinlich bald „den wenigen sich dafür interessierenden" 6 auf Island zugänglich. Diese Zugänglichkeit w a r w o h l nicht nur durch die auf Veranlassung Brynjólfs verfertigte, aber heute verlorene Kopie auf Pergament gesichert, auf der B r y n j ó l f u r die genannte Titelgebung vorgenommen hatte, sondern auch durch Papierabschriften, die v o r 1662, v o r dem Z e i t p u n k t also, zu dem der Codex Regius i n die K ö n i g liche Bibliothek nach Kopenhagen gelangte, hergestellt worden waren. Ihre auf Vçluspâ , Havamâl u n d Runatalspattr beschränkte editio princeps — das ,Auswahlprinzip' des Herausgebers w i r d n o d i zu erörtern sein — erlebte die Edda i m Jahr 1665 7 .Der Herausgeber dieser Erstausgabe die im wohl nicht von Snorri verfaßten, aber mittelalterlichen Prolog der ,Snorra Edda' ausgesprochen wird. Die Hypothese von einem „volumen fabularum ab ipsis Asis confectum" greift Brynjólfur auf und verbindet sie mit der Björns von einer Edda, „die der Priester Sämund der Weise . . . zusammengesetzt" habe und benennt das wieder aufgefundene Werk: ,Edda Saemundi multiseli'. Brynjólfur hatte bereits vor Auffindung des Codex Regius die ,Snorra Edda' als „epitome" des „corpus Eddae illius antiqvae" bezeichnet (zitiert nach der Einleitung zu: Die Lieder der Edda, hg. B. Sijmons u. H . Gering, 2 Bde, Halle 1888 1906, Bd. 1, Tl. 2, S. L X X X V . ) . Die in diesem Brief antizipierte Charakteristik der ,Älteren Edda' war in dem Kreise derer, die die altnordische Philologie jener Zeit begründeten, schnell bekannt. In der damaligen Zeit konnte ein Brief — eben der geringen Zahl der Interessierten sowie ihrer Verbindung untereinander wegen — als Publikationsform gelten. Zudem hatte Stephanius Brynjólfs Brief in seiner Saxo-Ausgabe veröffentlicht, aus der ihn Worm, Resen und — jedoch nicht affirmativ — Arni Magnusson übernahmen (vgl. zum Vorangehenden besonders die Ausführungen der Einleitung zum ,Corpvs poetievm boreale', I, §§ 1, 2). 2 ,Nordische Literaturen', in: Grundriß der deutschen Philologie, Bd. 2, Tl. 1, Straßburg 1901 - 1909, S. 555 - 940, S. 571. 3 B. Sijmons, Die Lieder der Edda, I, 2, S. L X X X I I . 4 „ . . . the manuscript was found in the 17th century in the settlement round Borgarfjördur. But otherwise nothing is known of its history." (Elias Wessen, Einleitung zu: Fragments of the Elder and the Younger Edda. A M 748 I and I I 4:0 with an Introduction by E. W., Kopenhagen 1945 (Corpus Codicum Islandicorum Medii Aevi, 17), S. 14. 5 Sijmons, a.a.O., S. CI. 6 Ib., S. C I f. 7 Als Konvoluth erschienen; der Sammelband enthielt folgende Texte der »Älteren Edda': 1. Philosophia antiqvissima Norvego-Danica dicta Voluspa qvae est pars Eddas Saemundi, Edda Snorronis non brevi antiqvioris, Islandice & Latine publicijuris primum facta a Petro Joh. Resenio. 2. Ethica Odini pars Eddae

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w a r der spätere Bürgermeister v o n Kopenhagen, Peter Hansen Resen (Petrus Johannes Resenius), der — wie schon sein Urgroßvater, der u. a. wegen seiner Bibelübersetzung berühmte Theologe Hans Poulsen Resen — als Professor an der Kopenhagener Universität lehrte. Diese E d i t i o n enthielt neben den Texten Übersetzungen ins Dänische und Lateinische, E i n leitungen, Anmerkungen u n d ein Wörterverzeichnis. I n den Hâvamâl und i m Runatalspattr wechselte jeweils eine altnordische Textzeile m i t ihrer lateinischen Ubersetzung; der Übersetzer ist nicht genannt. N u r die Vçluspa erlebte noch eine zweite Auflage, die i m Jahre 1773 erschien 8 . Wenn m i t dieser zweiten Auflage „ v o n einzelheiten abgesehen, eine mehr als hundertjährige pause i n der geschichte der Eddastudien" 9 eintritt, so zeigt sich darin ein neuer Zeitgeist, dessen Exponenten — wie i m übrigen Europa so auch i n Skandinavien — den Wert einer Wissenschaft an ihrer U t i l i t ä t ermaßen. H o l b e r g fordert ζ . B., man solle „die nützlichsten Wissenschaften", die er als „ M o r a l , Ökonomie, Physik, Ackerbau u n d andere ähnl i c h e " 1 0 angibt, stärker fördern. D i e Eigenart philologischer Forschung scheint H o l b e r g i n der Erstellung v o n Biographien und Zitatensammlungen z u sehen. So wenigstens muß man seine Ironisierung des traditionellen Bildungsideals verstehen, demzufolge man wissen müsse, „was der Dichter sagt, wie alt Acestes war, oder wie viele Kämpen Starkadr zu seiner Zeit erlegt h a t " 1 1 . H o l b e r g lehnt ausdrücklich eine ,Gelehrsamkeit', wie er sie i n der Forschung seiner Zeit erblickte, als lebensfern ab u n d fordert eine Wissenschaft m i t greifbarem Nutzeffekt, die sich an den Bedürfnissen des alltäglichen Lebens orientiert u n d nicht „gelehrter", sondern „ k l ü g e r " 1 2 mache. Auch die altnordische Poesie w i r d nach Holbergs Auffassung i m Gegensatz etwa zur antiken Dichtung höheren ästhetischen Ansprüchen nicht gerecht 1 3 . Das Positive, das sie gegenüber griechischer u n d römischer Dichtung auszeichnet, ist ihre größere historische Treue u n d damit größere Zuverlässigkeit: „ w e n n . . . [diese Dichter oder Skalden] nicht so zierlich geschrieben haben wie die griechischen oder lateinischen Dichter, so haben sie auch nicht Saemundi vocata Haavamaal, una cum ejusdem appendice appellato Runa Capitule a multis exoptata nunc tandem Islandice et Latine in lucem producta est per Petrum Joh. Resenium. 8 Philosophia antiquissima Norvego-Danica dicta Woluspa alias Edda Saemundi. Ex Bibliotheca Petri Joh. Resenii. Haffniae 1673. 9 Sijmons , a.a.O. S. C H I . 10 Ludvig Holberg, Epistier. Udgivne med Kommentar af F. J. Billeskov Jansen, Bd. 1 - 8, Kobenhavn 1944 - 1954, Bd. 3 (1947), Ep. 194, S. 40. 11 Ib., S. 39. 12 Ludvig Holberg, Moralske Tanker. Med Inledning og Kommentar ved F. J. Billeskov Jansen, Kobenhavn 1943, S. 379. 13 Ludvig Holberg, Epistler, Bd. 2 (1945), Ep. 171, S. 301 ff.

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so viel gelogen wie diese." 1 4 D i e Historiographen, die sich m i t der älteren Geschichte Skandinaviens befassen, werden dem Konzept, das H o l b e r g als Historiker v o n seiner Wissenschaft hat, allerdings nicht gerecht. Sie verfahren i h m i n der Auswertung ihrer Quellen zu leichtgläubig u n d verwechseln bloße F a k t i z i t ä t m i t Relevanz, bloß Geschehenes m i t historisch Bedeutendem, dringen also nicht zu einer kritischen Deutung der Fakten vor. Der Geschichtsschreiber hat statt dessen nach Holbergs Auffassung v o n Historie und Historiographie nicht nur darzustellen, „daß etwas geschehen ist", sondern darüber hinaus — u n d das betrachtet er als seine eigentliche A u f gabe — „warum es geschehen i s t " 1 5 . Z u den alten historischen Quellen Islands schreibt er: Die alten Norweger oder Isländer haben alle Nationen darin übertroffen, alles ohne Unterschied aufzuschreiben und zu vermerken. Sie lassen sich mit gewissen Leuten unserer Zeit vergleichen, die in ihren Almanachen vermerken, was sie täglich ausgerichtet haben, welche Visiten sie gemacht haben, was sie gegessen haben, was sie im Spiel gewonnen oder verloren haben und anderes dergleichen. Es ist doch anzunehmen, daß die alten Norweger oder Isländer das meiste nicht in der Absicht vermerkt haben, daß es ans Licht kommen sollte und daß sie vielleicht deshalb viele ihrer Manuskripte durchstrichen hätten, wenn sie sich hätten vorstellen können, daß sie in allgemeine Reichsgeschichten hätten eingerückt werden sollen 16 . H o l b e r g vergleicht das altnordische u n d altisländische Schrifttum m i t einer Gattung der zeitgenössischen Modeliteratur, den Almanachen, u n d verweist es i n Hinsicht auf seine literarische wie historische Relevanz i n die Kategorie eines Schrifttums, dessen Verfasser sich u n d ihre Angelegenheiten sowie die ihres Zeitalters weit überschätzen. Diese Einstellung einer der „Wissenschaft v o m wiedererweckten N o r d e n . . . so wenig gewogene[n] Z e i t " 1 7 macht einen starken Rückgang der Beschäftigung m i t der Edda v o r u n d nach 1700 verständlich. D i e Rezeption, die die Ältere Edda i m siebzehnten Jahrhundert erfährt, spielt sich primär i n der Sphäre gelehrter Forschung ab u n d findet außerhalb Skandinaviens k a u m Beachtung. So galten zu Mallets Zeiten — eines der Begründer einer erneuten Beschäftigung m i t der Geschichte Skandinaviens u n d somit auch der altnordischen Literatur, wie sie sich u m die M i t t e des achtzehnten Jahrhunderts allmählich anbahnte — sowohl die Ältere Edda als auch die 14

Ib., S. 303 f. Moralske Tanker, S. 420, eigene Hervorhebung. Epistier, Bd. 2, Ep. 171, S. 302. 17 Otto Springer, Die nordische Renaissance in Skandinavien, (Tübinger Germanistische Arbeiten, Bd. 22: Studien zur nordischen Philologie, Bd. 3), Stuttgart u. Berlin 1936, S. 8. 15

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Snorra Edda als „ouvrages peu célébrés" 1 8 u n d i n Georg Christoph H a m bergers Zuverlässigen Nachrichten von den vornehmsten Schriftstellern vom Anfange der Welt bis 1500 19, die — zwischen 1756 u n d 1764 i n vier Bänden erschienen — eine enzyklopädische Darstellung fast aller bekannten Schriftsteller m i t kurzer Charakteristik ihrer Werke sowie ihrer Editionen geben, w i r d keine der beiden Edden erwähnt, o b w o h l der Verfasser den nordischen Bereich i n seine A r b e i t miteinbezieht, so z. B. Saxo Grammaticus 2 0 . Erst ein Jahrhundert nach ihrer editio princeps w i r d die Edda auch i n die poetologische Diskussion einbezogen, entsprechend dem nun erwachten „Enthusiasmus für die W i l d e n " ( H e r d e r 2 1 ) , der sich auch den „ L i e d e r [ n ] . . . der alten S k a l d e n " 2 2 als Werken ,,alte[r] bekannte[r] u n d i n n i g e [ r ] F r e u n d e " 2 3 zuwendet. D i e Handschrift der Edda scheint zur Zeit Mallets unbekannt gewesen zu sein. M a l l e t schreibt i n seiner vielbeachteten Schrift Monumens de la mythologie et de la poesie des Celtes et particulièrement des anciens Scandinaves 24 : On regarde aujourd'hui ce recueil [Ältere Edda ] comme perdu, à la réserve des trois pieces dont je parlerai tout à l'heure, mais quelques personnes pensent avec plus de fondement, que cette ancienne Edda subsiste encore. Ce n'est peut être pas une raison d'esperer qu'elle soit jamais publiée (S. 133). Bei den drei Texten, die M a l l e t erwähnt, handelt es sich u m die v o n Resen herausgegebenen £öW/«5p