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German Pages 403 [426] Year 1973
LITERATURWISSENSCHAFTLICHES JAHRBUCH IM AUFTRAGE DER GÖRRES-GESELLSCHAFT HERAUSGEGEBEN VON HERMANN KUNISCH
NEUE FOLGE / ZWÖLFTER BAND
1971
DUNCKER & HUMBLOT · BERLIN
LITERATURWISSENSCHAFTLICHES JAHRBUCH IM AUFTRAGE DER GÖRRES-GESELLSCHAFT HERAUSGEGEBEN V O N PROF. DR. H E R M A N N K U N I S C H
NEUE FOLGE / ZWÖLFTER BAND 1971
Das ,Literaturwissenschaftliche Jahrbuch* wird im Auftrage der Görresgesellschaft herausgegeben von Professor Dr. Hermann Kunisch, 8 München 19, Nürnberger Straße 63. Schriftleitung: Professor Dr. Wolf gang Frühwald, 55 Trier-Tarforst, Pferdsweide 21.
An der
Das ,Literaturwissenschaftliche Jahrbuch* erscheint als Jahresband jeweils im Umfang von etwa 20 Bogen. Manuskripte sind an den Herausgeber zu senden. Unverlangt eingesandte Beiträge können nur zurückgesandt werden, wenn Rückporto beigelegt ist. Es wird dringend gebeten, die Manuskripte druckfertig, einseitig in Maschinenschrift einzureichen. Den Verfassern wird ein Merkblatt für die typographische Gestaltung übermittelt. Die Einhaltung der Vorschriften ist notwendig, damit eine einheitliche Ausstattung des ganzen Bandes gewährleistet ist. Besprechungsexemplare von Neuerscheinungen aus dem gesamten Gebiet der europäischen Literaturwissenschaft, einschließlich Werkausgaben, werden an die Adresse der Schriftleitung erbeten. Eine Gewähr für die Besprechung kann nicht übernommen werden. Verlag: Dundker & Humblot, 1 Berlin 41 (Steglitz), Dietrich-Schäfer-Weg 9
LITERATURWISSENSCHAFTLICHES JAHRBUCH ZWÖLFTER
BAND
LITERATUR WISSENSCHAFTLICHES JAHRBUCH I M AUFTRAGE
DER
GÖRRES-GESELLSCHAFT
HERAUSGEGEBEN VON H E R M A N N
NEUE FOLGE / ZWÖLFTER
KUNISCH
BAND
1971
D U N C K E R
&
H U M B L O T
/
B E R L I N
Schriftleitung: Wolfgang F r ü h w a l d
Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der photomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung für sämtliche Beiträge vorbehalten © 1973 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1973 bei Berliner Buchdruckerei Union GmbH., Berlin 61 Printed in Germany I S B N 3 428 03002 8
INHALT AUFSÄTZE Jean-M. Valentin
(Straßburg), Programme von Avancinis Stücken
1
Joachim Wohlleben (Berlin), Die Rubajat des Omar Chaijam und die deutsche Literatur. Eine glücklose Begegnung 43 Peter Kapitza (Tokio), „Physik" der Poesie. Zu einem naturwissenschaftlichen Begriffsmodell im ästhetischen Programm der Frühromantik 97 John Fetzer (Davis, Calif.), Old and new directions in Clemens Brentano research (1931—1968) I I 113 Konrad Feilchenfeldt (Trier), Zwischen Textkritik und Traditionsbewußtsein. Zur Editionsgeschichte neuerer deutscher Autoren in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts 205 Margarete Kupper (Würzburg), Der Nachlaß Else Lasker-Sdiülers (III). Epistolographie (II): Korrektur der Briefdrucke. Auswahl bisher unveröffentlichter Briefe Else Lasker-Schülers 241 Ludo Verbeeck rad Weiß (II)
(Leuven), Literarkritische und zeitkritische Aufsätze von Kon293 KLEINE BEITRÄGE
Heinz Rölleke (Köln), Forsters ,Frische Ternsche Liedlein1 und ,Des Knaben Wunderhorn'. Eine Vorstudie zur Volksliedrezeption im 19. Jahrhundert . . 351 Heinz Rölleke (Köln), Arnim oder Brentano? Anonyme Anzeigen zu ,Des Knaben Wunderhorn 4 359 BUCHBESPRECHUNGEN Kudrun. Die Handschrift. Janota)
Herausgegeben von Franz H . Bäuml. (Von Johannes 363
Jürgen Biehl, Der Wilde Alexander. Untersuchungen zur literarischen Technik eines Autors im 13. Jahrhundert (Von Christoph Gerhardt) 369 Urs Herzog, Jakob Gretsers yUdo von Magdeburg graphie. (Von Fidel Rädle)
β
K. W. Hey se (Hrsg.), K. W. F. Solger: Vorlesungen Sigbert Latzel)
1598. Edition und Mono379 über Ästhetik. (Von 385
Arnold John Jacobius, Carl Zuckmayer. Eine Bibliographie 1917 bis 1971. Ab 1955 fortgeführt und auf den jüngsten Stand gebracht von Harro Kieser. (Von Christoph Stoll) 389 Namen- und Sachregister
399
PROGRAMME V O N AVANCINIS
STÜCKEN
Herausgegeben von Jean-M. Valentin Vorbemerkung Während sich i n den letzten Jahren die A n z a h l der Neudrucke und kritischer Editionen v o n Jesuitendramen gemehrt hat 1 , wurden die Opera dramatica Avancinis recht stiefmütterlich behandelt. Keines seiner berühmten Schauspiele, abgesehen v o n der Pietas Victrix v o m Jahre 1659 2 , und nicht einmal seine Prunkstücke, die sogenannten ,Ludi Caesarei' (Kaiserspiele), wurden der Öffentlichkeit vorgelegt, so daß der Literarhistoriker heute über keinen vollständigen u n d v o l l k o m m e n zuverlässigen Text dieser Dramen verfügt. Deshalb planen w i r eine gesamte kritische E d i t i o n der Poesis Dramatica nach den verschiedenen Ausgaben u n d Sonderdrucken u n d hoffen somit einen Beitrag zur Kenntnis des Barock theater s liefern zu können. Als erstes vorläufiges Ergebnis unserer Nachforschungen veröffentlichen w i r sechs bisher ungedruckte Periochen, die die A u f f ü h r u n g dieser Stücke endgültig beweisen. 1 Z. B. Jakob Bidermann. Cenodoxus. Abdruck nach den Ludi Theatrales (1666) mit den Lesarten der Kelheimer und Pollinger Handschrift. Herausgegeben von Rolf Tarot, Tübingen 1963. Jakob Bidermann Ludi Theatrales 1666. Herausgegeben von Rolf Tarot, 2 Bde., Tübingen 1967. Jacob Bidermann Philemon Martyr. Lateinisch und deutsch herausgegeben und übersetzt von Max Wehrli, Köln und Ölten 1960. Jakob Bidermanns Belisarius. Edition und Versuch einer Deutung. Von Harald Burger, Berlin 1966. Urs Herzog: Jakob Gretsers „Udo von Magdeburg". Edition und Monographie, Berlin 1970. Jean-M. Valentin: „Macarius Romanus" de Jakob Bidermann. Réédition et introduction. (Erscheint in Humanistica Lovaniensia. Löwen. Es handelt sich um eine kritische Edition nach dem Text der „Ludi Theatrales" 1666 und der bis jetzt unbekannten Kölner Handschrift). Jean-M. Valentin. Un drame inconnu de Jakob Balde, le „Jocus serius theatralis e (Innsbruck. 1629). Erscheint demnächst in „Euphorion". Dieses Drama ist in der Handsdiriftenabteilung der Oesterreichischen Nationalbibliothek entdeckt worden. 2 Neudruck in: Willy Flemming: „Das Ordensdrama", S. 184—303. Deutsche Literatur in Entwicklungsreihen. Reihe Barock. Barockdrama. Band 2, Leipzig 1930. Darmstadt 21965.
1 Literaturwissenschaftliches Jahrbuch, 12. Bd.
2
Jean-M. Valentin Es handelt sich u m folgende Werke:
Zelus sive Franciscus Xaverius Indiar um Apostolus (1640). D i e i n der Stiftsbibliothek Göttweig aufgefundene Perioche, die w i r abschreiben mußten, ohne einen Film, audi nur des Titelblattes, anfertigen lassen zu können, bezieht sich auf die A u f f ü h r u n g v o m Jahre 1640, die anläßlidi der hundertjährigen Feier des Ordens veranstaltet wurde. Pax Imperii Wien 1650.
Anni
Domini
M.DC.L.
Pietas Victrix Sive Flavius Victor. Wien 1659. Connubium
Meriti
Fides
Coniugalis
Captivitate
Liber atrix.
Constantinus
et Honoris Sive
Sive Joseph a fratribus Magnus de Maxentio
Sive Evergetes et Endoxa.
Ansberta
Sui
recognitus.
Coniugis
Tyranno
Passau 1665.
Bertulphi
E
Dura
Wien 1667.
Cyrus . Graz 1673. T r o t z langer u n d wiederholter Recherchen w a r es uns nicht vergönnt, andere Programme ausfindig zu machen, was natürlich nicht bedeuten soll, daß weitere Entdeckungen i n diesem Bereich ausgeschlossen sind. Besonders wichtig sind jedenfalls diese Dokumente, da sie Aufführungen unbestreitbar belegen, Vermutungen nicht zulassen bzw. berichtigen (siehe ferner den k u r zen Kommentar zu Fides Coniugalis), manchmal einen besseren Einblick i n den Verlauf der Vorstellung ermöglichen (siehe Pax Imperii) y immer v o n einer eigenartigen Auffassung der dramatischen Spannung zeugen, da der Z u schauer nicht auf den Ausgang des Geschehens gespannt ist, sondern bloß auf den Gang, was der lehrhaften Absicht des Jesuitendramas v o l l k o m m e n entspricht. Endlich unterrichten sie den Leser über die Quellen, die der Verfasser benutzt hat. Folgende Abkürzungen werden gebraucht: Müller: Johannes M ü l l e r S. J., Das Jesuitendrama in deutscher Zunge vom Anfang (1555) bis zum Hochbarock burg 1930, 2 Bde.
den Ländern (1665), Augs-
Rommel: O t t o Rommel, Die Alt-Wiener Volkskomödie. Ihre vom barocken Welt-Theater bis zum Tode Nestroys, Wien 1952. Weller: E m i l Weller, Die Leistungen der Jesuiten Gebiet y i n Serapeum 1864; 1865; 1866.
auf dem
Geschichte
dramatischen
H e r r n Pater Maurus Groiss (Stiftsbibliothek Göttweig), den Herren D r . Bellot (Staats- u n d Stadtbibliothek Augsburg), D r . Sdoneiders (Bayerische Staatsbibliothek München) und ganz besonders Prof. D r . Roger
Programme von Avancinis Stücken
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Bauer (Seminar für deutsche Philologie I München) habe ich für freundliche H i l f e u n d vielerlei Hinweise zu danken.
Texte 1640 (und 1651). Wien. Zelus sive Franciscus Xaverius Indiarum Apostolus. D r u c k : Poesis Dramatica Nicolai Avancini E Societate Jesu. Pars II. Coloniae Agrippinae. A p u d Joann. W i l h e l m u m Friessem Juniorem. A n n o M D C L X X V . p p . 1—101. D o r t w i r d nur die A u f f ü h r u n g v o n 1640 verzeichnet: „ D a t a Viennae August. I m p . Ferdinando I I I . A n n o 1640. qui fuit Soc. Jesu primus saecularis." (Index et series dramatum). Perioche tur).
(bis jetzt unbekannt): Stiftsbibliothek Göttweig (ohne Signa-
S. Franciscus Xaverius I n d i a r u m Apostolus A c t a Ludis Litterariis Serenissimo Ferdinando Francisco Augustissimorum Caesarum Ferdinandi I I I . E t Mariae Primogenito C u m i n Caesareo et Academico Collegio Soc. Jesu Viennae Victoribus litterarijs Austriaca liberalitate praemia partiretur. Viennae Austriae. Typis Mariae Formicinae Viduae, i n A u l a Coloniensi, A n n o MDCXL. Argumentum. Jacebat miserandus Orientis populus barathrali sepultus veterno: gemebat squalorem fides: ipse Oriens sortem suam lamentabatur, patronamque X a v e r i j manum inclamabat. Incessit X a v e r i u m divinae cupido gloriae, exariitque adeo, u t i n illas ab hominum prope consortio ejectas regiones per tumultuantis pelagi dissidia, per barbarorum tela incolumis evolaverit. Q u o et genti i l l i salutem a t t u l i t , et sibi I n d i a r u m Apostoli nomen comparavit. H o c sub Poètico schemate cum spectaveris, fave. Prologus. Indicus populus Solis cultor cantu, cymbaliis, tympaniisque ex more Solem evocat. Adest curuli nube Phosphorus, eum ab Oriente educturus, quem obvius ab Occidente Hesperus fugat, Unde n o v u m venire solem X a v e r i u m nunciat. Comparet inter nubes facibus illustris Xaverius, quem N u m e n (acceptis ex Isai 42. verbis) i n lucem gentium destinât: cujus haurire lumen à D . Thoma Apostolo jubentur I n d i . M i r a n t u r i l l i n o v u m splendorem: t u m ubi ex coelesti choro respontante intelligunt lumen esse ad revelationem gentium; supplices emitti ejus lumen vovent, qua renovetur facies terrae. 1·
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Jean-M. Valentin ACTUS I .
Scena Ι . Fides O r t h o d o x a sopitum cum suis Regnis Orientem jactis divinis e nube flammis excitât, et X a v e r i j desiderio accendit. Exardet ille, suaque i n Europam ablegare Desideria statuit, ut X a v e r i u m adducant. Scena I I . Fidei Orthodoxae Zelus e nube pensilis ignes i n X a v e r i u m ardoremque fidei propagandae infundit.
effundit,
Seena I I I . Oriens cum suis Regnis et Provincijs areubus ac sagittis armat Desideria eaque i n Europam ablegat. CHORUS.
Ecclesiae Triumphantis Genij, Genijs M i l i t a n t i s rerum i n Oriente X a v e r i i laboribus gerendarum Seriem pandunt; praesertim vero D D . Pauli, Joannis et Jacobi M a r t y r u m e Soc. Jesu, et Caroli Spinolae supplicia obijeiunt. ACTUS I I .
Scena I . Evocati ab Aeolo Z e p h y r i ac Favonij navigaturis i n Europam Orientis Desiderijs m o l l i cantu e nubibus penduli mare plaçant. Scena I I . Orientis Desideria placato m a r i i n Europam solvunt X a v e r i u m adduetura; quibus secundi venti favent. Seena I I I . N o x tenebras, stellasque O r b i inducit, Xaverius astra d u m tuetur, varie afficitur: O r a t i o n i se c o m m i t t i t et i n somnum labitur. CHORUS.
Xaverius dormiens medius i n A e t h y o p u m saltantium turma Aethyopem sibi gestare v i d e t u r : sudat; aestuat: J n d i ex sudore balneum, ex calore diviniores flammas O r i e n t i ominantur. ACTUS I I I .
Scena I . Orientis Desideria post longos maris tractus tandem Europam attingunt, eamque cum maximo X a v e r i j desiderio salutant.
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Programme von Avancinis Stücken
Scena I I . Desideria exponunt sua vota Romanae Ecclesiae quae a u x i l i u m pollicetur, eaque ad V i r t u t e m aras dirigit, ubi X a v e r i u m sint repertura. Scena I I I . Desideria ad V i r t u t u m aras X a v e r i u m quaerunt: eum reperiunt ad Amoris D i v i n i aram cum D . Ignatio sese Deo devoventem: v o t a Orientis exponunt: X a v e r i u m impétrant: et laeti n a v i m i n redi t u m instauraturi discedunt. Scena I V . D . Xaverius a D . Jgnatio ad durum V i r t u t i s specimen animatur, eique extremum Vale dicit. CHORUS.
Europa ob X a v e r i j abitum mire afflicta, i n D o l o r u m Choro lamentatur. ACTUS I V .
Scena I . Xaverius cum Desiderijs i n Orientem solvit, cui blande T r i t o n u m melos adiocatur. Scena I I . I d o l a t r i a superstitioso Deorum i n I n d i a cultui male metuens tempestate i n mari suscitata X a v e r i u m conatur praepedire. Scena I I I . Xaverius i n medio mari naufragus, inter undas et fulmina emicat; adfremente interim Jdolatria.
interritus
Scena I V . Liber naufragio Xaverius cum Desiderijs Deo grates refert, rursumque pelago commissus inter adludentes Tritones caeptum iter prosequitur. CHORUS.
Adsunt mixtae Tritonibus Sirenes, festivoque celeusmate X a v e r i o gratulante. ACTUS V .
Scena I . I d o l a t r i a priora fulmina incassum ceci disse dolet; f u r i t ; novam per subsessores necem parare statuit.
et
Xaverio
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Jean-M. Valentin
Scena I I . Xaverius i n Indiae ingressu animo praecipit, quae aspera sit passurus. Scena I I I . A Sagittarijs Indis periculum vitae adit Xaverius: adest e nube S. Thomas Apostolus Barbaros terret, periculo X a v e r i u m libérât, eumque consolatur. Scena I V . Parvulos i n fide O r t h o d o x a instruit Xaverius, qui I d o l a sua confringunt. Scena V . Furunt p a r v u l o r u m parentes ob I d o l a confracta, eosque domibus exturbant. Scena V I . Parvuli Crucem, quae una cum ijs domibus ejecta fuerat pie venerantur, ei sua nomina sanguine inscribunt; gaudentque se a l i q u i d p r o nomine Iesu pati. Scena U l t i m a . Xaverius a Desiderijs O r i e n t i cum suis Regnis praesentatur; festivus plausus, et Orientis I d o l a confringuntur.
datur
A d Majorem Dei, Deiparaeque Virginis et S. Francisci X a v e r i j gloriam et honorem. Anmerkung Es lassen sich einige Unterschiede, die vor allem den Aufbau des Stückes und die Chöre betreffen, zwischen der Perioche und der Kölner Ausgabe feststellen.
Perioche
Gedruckter
Argumentum Prologus.
Argumentum. Proludium.
1,1 1,2 1,3 Chorus —
11,1 11,2 H,3 Chorus 111,1 —
111,2 —
111,3
Text
1,1 + 1,2 1,3 —
1,4 Chorus 11,1 II, 2 11,3 II, 4 + II, 5 11,6 Chorus 111,1 111,2 111,3 + ' I I I , 4
Programme von Avancinis Stücken 111,4 Chorus —
IV, 1 IV, 2 IV, 3 IV, 4 Chorus V,1 V,2 —
V,3 V,4 V,5 V,6 Seena U l t i m a
7
111,5 111,6 Chorus IV, 1 IV, 2 IV, 3 I V , 4 bis zu „Celeusma Tritonum" Ende von I V , 4 „Celeusma Tritonum (pp. 72—73) IV, 5 IV, 6 Chorus V,1 V, 2 V, 3 V, 4 Seena Ultima.
Möglicherweise wurde der Text für die Veröffentlichung geändert. M a n kann aber auch annehmen, daß Avancini die ursprüngliche Fassung von 1640 für die Aufführung von 1651 revidierte, so daß der gedruckte Text auf diese zweite Aufführung zurückgeht. D a die Perioche von 1651 leider verloren zu sein scheint, muß dieses Problem momentan ungelöst bleiben.
1650. Wien. Pax Imperii recognitus.
Anni
Domini
M.DC.L.
Sive Joseph a fratribus
Druck : Poesis Dramatica Nicolai Avancini E Societate Jesu. Pars I. Coloniae Agrippinae. A p u d Joannem W i l h e l m u m Friessem juniorem. A n n o
1675. pp.409—496. P e r i o c h e : (weder bei M ü l l e r noch bei Weller verzeichnet): Staats- und Stadtbibliothek Augsburg. Signatur: 4 ° B i l d , I I , 50. Ioseph v o n seinen Brüdern wiederumb erkennt. Z u unterthänigster Glückwünschung dess nunmehr erhaltenen allgemainen Teutschen Friedens / D e m Allerdurchleutigsten / Unüberwindlichsten Römischen Kayser / und K ö n i g Ferdinando I I I . I n Bey Wesenheit Der zu U n g a r n und Böheim K ö n . M a y . Ferdinandi I V . U n d Jhr Ertzhertzoglichen Durchleucht Leopoldi Ignatii, Wie auch I h r Ertzhertzoglichen Durchleucht Sigismundi, V o n dem K a y serlichen und Academischen Collegio der Societet Iesu zu Wienn öffentlich vorgestellt / I m Jubel Jahr M . D C . L . i m M o n a t h September. Gedruckt bey Matthaeo Cosmerovio/Röm. Kayserl. M a y . Hoff-Buchdrucker. Jnnhalt. Die Unschuld w i r d t zu Zeiten zwar geprest / aber nicht untertruckt. D e r unschuldige Joseph, hat durch den N e i d seiner Brüder zwar können verkaufft werden: aber wie mehr j h n der N e i d seiner Brüder getruckt / je mehr hat
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Jean-M. Valentin
jhme die Göttliche Fiirsichtigkeit auffgeholffen. Nach Ausslegung dess jhme vorgehaltenen Königlichen Traums / setzt j h n alsobald Pharao zu seinem Statthalter i m Königreich. N i c h t lang hernach nimbt der v o n j h m vorgesehene Hunger weit u n d breit über Land. Unterschiedliche Völcker halten bey j h m an umb Getraydt. Unter andern kommen auch zu jhme seine v o m Vatter abgesandte Brüder; die begehren m i t nidergebogenem Leib die n o t wendige Nahrungsmittel wieder den laidigen Hunger. Ioseph erkennt seine Brüder / w i r d t aber v o n jhnen hergegen nicht erkennt. Ioseph läst gar nichts mercken / sondern auss Begird alle seine Brüder beysammen zusehen / begehrt er / dass man jhme seinen jüngsten / und allein leiblichen Bruder zuführe; unterdessen aber Simeon so lang i n der gefänglichen H a f f t verbleibe / biss der Beniamin angelangt wäre. M i t disem unverhofften A n bringen / kommen die andern Söhn zum Vatter / welcher sich zwar lang geweigert / doch endtlich den Beniamin v o n sich gelassen. Alssdann werden wolgedachte Brüder dem Ioseph abermal fürgestellt / welcher sich i n A n sehung dess Beniamins zwar höchlich erfrewet; Hess jedoch damalen nichts mercken / sondern alle Brüder zugleich wurden v o n jhme geladen zu der Mahlzeit. Nach dem er seinen Silbernen Becher i n dess Beniamins Sack heimblidi zu legen befohlen / läst er alle v o n sich. B a l d hernach werden sie eines Diebstals bezüchtigt / zuruck geruffen / und m i t W o r t e n scharff gestrafft. Endtlich da sie niderfallen / u n d umb gnädigste Verzeyhung bitten / gibt sich Ioseph jhnen zuerkennen / u n d w i r d auch erkennt / wie zulesen Gen. 41.42.43.44 u n d 45.
Prologus Oder Vorspiel. Mars ein A b g o t t dess Kriegs w i r d t hefftig angeklagt / dass er die verflossene Jahr so v i l Ternsches Bluet vergossen. Diser aber legt die Sdiuld auff Vulcanum, dass er die Zeithero so v i l Waffen geschmidt u n d hergeschossen. Z u r Straff w i r d t er v o m H i m m e l Verstössen / u n d sambt dem A b gott Marte verdambt i n die Lemnische Werckstatt / daselbst dem Frieden / Sicheln und Pflueg eysen zuschmiden. D i e eylff Friedsame Stern dess Iosephs gehen auff. A C T U S PRIMUS.
Scena I . Der H o f f begehet m i t höchster Frewd dess Königs Pharaonis Geburthstag. D a begieng Pharao seinen Geburthstag. Gen. 40. D r a u f f w i r d Pharao seines Traums wegen aller betrübt. Pharao hatte einen T r a u m / u n d da er nach dem Schlaff erwachet / w a r er betrübt. Gen. 41.
Programme von Avancinis Stücken
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Scena I I . Joseph i n der Gefängnuss tröstet sich selbst seiner Unschuldt. Joseph war i n der Gefängnuss w o dess Königs Gefangene lagen. Gen. 39. Seena I I I . Pharao erzehlt den Weisen i n Aegyptenland den Traum. Er schicket auss u n d Hess ruffen alle Warsager i n Aegypten / u n d alle Weisen / u n d erzehlet jhnen seinen Traum. Gen. 41. Scena I V . Die Göttliche Fürsichtigkeit offenbahrt dem Joseph die Ausslegung dess Traums / umb welche sich die Weisen vergeblich bemühen. U n d der H e r r w a r m i t Joseph / und Hess glücklich abgehen alles w a r er thät. Gen. 39. Scena V . D i e Weisen i n Aegypten können die Ausslegung dess Traums nicht ergründen. D a w a r keiner der j h m seinen T r a u m aussiegen kundte. Gen. 41. Scena V I . Joseph legt Pharaoni den T r a u m auss. Joseph antwortet dem Pharao beede T r a u m dess Königs seyn einerlei / e t c . . . Diser R a t h gefiel Pharaoni / u n d Hess j h n auff seinem Wagen fahren. Gen. 41. CHORUS.
V o n der Göttlichen Fürsichtigkeit w i r d t der Hunger i n das L a n d Canaan; u n d Ceres ein G ö t t i n dess Getraidts i n Aegyptenland abgefertiget. Siehe siben Jahr werden kommen m i t grosser Fruchtbarkeit / i n gantz Aegiptenland. Gen. 41. Als nun Täglich i n allen Landen der Hunger größer war. Gen. 41. A C T U S SECUNDUS.
Scena I . Jacob beklagt die allgemaine Hungersnoth. Es w a r auch Hunger i m L a n d Canaan. 42. Scena I I . A u f f Befelch dess Josephs werden Scheuren bestellt. U n d Joseph thät alle Scheuren auff. Gen. 41. Seena I I I . D i e Söhn Jacobs / ehe und zuvor sie i n Aegyptenland umb Getraidt verreisen / nemmen U r l a u b v o n jhrem alten Vatter. Also zohen hinab Zehen Brüder Josephs / dass sie i n Aegypten Getraidt kaufften. Gen. 42.
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Jean-M. Valentin
Scena I V . Erster T h e y l dess Intermedij. Scena V . D i e Söhn dess Patriarchen Jacobs gelangen an i n Aegypten Land. Also kamen die K i n d e r Jsrael i n Aegyptenland. Gen. 42. Scena V I . Jacob ist seiner abwesenden Söhn wegen sehr bekümmert / u n d sorgfältig. Scena V I I . D i e Söhn dess Patriarchen Jacobs / werden von dem Schaffner Haussmaister dess Joseph freundtlich empfangen.
oder
CHORUS.
D e n Hungerigen u n d bettelhafften Genium dess Lands Canaan / tröstet die Göttliche Fürsichtigkeit m i t z w ö l f f Garben. Es w a r Hunger i m L a n d Canaan. Gen. 42. Mich daucht w i r bunden Garben. Gen. 37. ACTUS TERTIUS.
Scena I . Joseph erkennt seine v o r j h m geneigte Brüder / doch läst er nichts mercken / sondern befilcht man solle sie alss Ausspeher i n die Gefängliche H a f f t nemmen. D a sich v o r jhme seine Brüder geneigt / und er sie erkennt / stellete er sich als frembd gegen jhnen / u n d redete sie härter an / e t c . . . U n d er that sie zusammen i n ein Verwahrung. Gen. 42. Scena I I . D i e Brüder dess Joseph klagen und lamentiren beysammen i n der Gefängnuss. Sie sprachen unter einander: Das ley den w i r billich / dann w i r haben das an unserm Bruder verschuldet. Gen. 42. Seena I I I . Benjamin spielt m i t seines gleichen. Scena I V . Die Brüder werden geführt auss der Gefängnuss / u n d m i t Worten hart gestrafft. Beniamin w i r d t begehrt / u n d auch verheissen / unter dessen aber Simeon zum Bürgen hinterlassen. D a er sie auss der Gefängnuss geführt / sprach er: Last ewer Brüder einen gefangen ligen i n der Gefängnuss; j h r aber ziehet h i n u n d bringt ewren jüngsten Bruder zu mir. Gen. 42.
Programme von Avancinis Stücken
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Scena V . Dess Patriarchen Jacobs frölicher T r a u m v o n dem Joseph / u n d andern seinen Söhnen. Scena V I . Ander Theyl dess Intermedij. Scena V I I . I n dem die Brüder v o n ihrer Widerkehrung und Zuruck Reiss i n das L a n d Canaan / v o n dem Simeone U r l a u b nemmen; befilcht Joseph / dass man jhnen j h r Geld wieder gebe / einem jeden i n seinen Sack. Erthät Befelch den Knechten / dass man jhre Säck m i t Getraidt füllet / und j h r Geldt wieder geb einem jeglichen i n seinen Sack. Gen. 42.
CHORUS.
A u f f A n o r d n u n g und Befehlch der Göttlichen Fürsichtigkeit / muss Mars m i t seinen Gesellen die Garben dröschen. Der Fried entziehet jhnen das ausgedroschene Getraidt / u n d läst solches i n die Scheuren dess Aegyptenland tragen. Der Genius dess Lands Canaan w i r d t getröstet. A C T U S QUARTUS.
Scena I . D a die K i n d e r Jacobs wieder nach Hauss zu jhrem Vatter kommen / finden sie j h r Geldt i n den Säcken. Sie erzehlen was massen Beniamin begehrt werde / u n d Simeon alss ein Bürg hinterbliben seye. D a sie nun h i n kamen zu jhrem Vatter Jacob ins L a n d Canaan / sagten sie j h m alles / was jhnen begegnet war. Gen. 42. Scena I I . Beniamin begehrt v o n dem Vatter Erlaubnuss i n Aegyptenland zureisen I u n d Simeonem seinen Bruder zuerledigen. Seena I I I . D i e Söhn dess Patriarchen Jacobs / werden v o n jhrem Vatter m i t doppeltem Geldt zuruck i n Aegyptenland geschickt. Jacob sprach zu seinen Söhnen: Ziehet wieder h i n / und k a u f f t uns ein wenig Speiss / etc. . . Nemmet auch doppelt Geldt m i t euch / e t c . . . D a r z u nemmet ewren Bruder / u n d macht euch auff / und ziehet wieder zu dem Mann. Gen. 43. Scena I V . D r i t t e r T h e y l dess Intermedij.
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Jean-M. Valentin
Scena V . Joseph hört den Simeon seinen Bruder i n der Gefängnuss klagen / sein Schuld und billiche Straff erkennen / wegen dass er den Joseph verkauffen helfen. W i r sahen die Angst seiner Seelen / da er uns flehet u n d bittet / u n d w i r wollten j h n nicht erhören. D a r u m b k o m b t nun dise Trübsal über uns. Gen. 42. Scena V I . D i e Brüder sitzen beysammen am Gestatt dess Fluess N i l i , erlustigen sich m i t dem Wasser / Schatten / u n d einer lieblichen Musick. Scena V I I . Der Patriarch Jacob beklagt die Beraubung seiner Kinder. Jhr habt mich meiner K i n d e r beraubet. Joseph ist nicht mehr für handen / Simeon w i r d t i n der Gefängnuss gehalten: Beniamin w o l t j h r hinnemmen / es gehet alles das Übel über mich. Gen. 42. Scena V I I I . D i e Brüder werden dem Joseph dargestellt. Diser erfrewet sich i n A n sehung dess Beniamins / ladet darauff alle zur Mahlzeit. Sie tratten für Joseph / da sie aber der Joseph sähe / sprach er zu dem der über sein Hauss Schaffner w a r : Führe diese Männer zu Hauss / u n d richte zu ein Essen. Gen. 43. Scena I X . Vierdter T h e y l dess Intermedij. Scena X . Der Schaffner verwundert sich über den Befelch / dass er seines H e r r n Silbernen Becher i n dess Beniamins Sack legen solle / u n d erzehlet / was massen er solches allbereit vollzogen habe. Joseph befahl dem Schaffner der über sein Hauss w a r / u n d sprach: Meinen Silbernen Becher lege oben i n dess Jüngsten Sack / m i t dem Geld so er geben hat für die Frücht. Gen. 44. CHORUS.
Mars u n d die F u r i / werden v o n dem Frieden / u n d von der G ö t t i n Ceres angtriben / das Getraid zu mahlen. ACTUS QUINTUS.
Scena I . Joseph ziehet an die Ursachen welcher wegen er befohlen den Silbernen Becher i n dess Beniamins Sack zulegen. Befilcht seinen Brüdern nachzueylen /
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u n d zuruck zuziehen. Alssdann sprach Joseph zu dem Schaffner der über sein Hauss w a r : A u f f , u n d eyle den Männern nach. Gen. 44. Seena I I . D i e Brüder Frewden v o l l reisen über das Aegyptische Gebirg. D a sie aber zur Statt hinauss waren / u n d nicht fern kommen. Gen. 44. Seena I I I . Sie werden v o n dem Hauss-Schaffner erdapt / und zuruck gezogen. Diser that alss j h m befohlen w a r / und alss er sie ergriffen / redet er m i t jhnen solche W o r t . Gen. 44. Scena I V . D i e Schärffe trohet dem Patriarchen Jacob i m Traum. D i e Gunst bemühet sich alle Betrohungen abzuwenden. Die Fürsichtigkeit zerbricht der Schärffe Instrument u n d Werckzeug. D a r a u f f verwandelt sich die Schärffe i n Gerechtigkeit. U n d die Gunst i n Andacht. Welche zugleich verheissen / dass der Gerechte u n d Andächtige Joseph i m Hauss Jacob herrschen werde i n Ewigkeit. Scena V . Die Brüder werden zuruck gebracht / und dem Joseph fürgestellt sie m i t harten W o r t e n anfährt; darauff alle niderfallen / u n d umb Verzeyhung anhalten. U n d sie fielen alle vor j h m auff die Erden sprach zu jhnen / was ist das für ein T h a t das j h r gethan habt. Gen.
/ welcher gnädigste / Joseph 44.
Seena V I . Endtlich da sich Joseph nimmer enthalten kundte / nach unterschiedlichen vorhergehenden affecten und Anmuthungen / gibt Er sich seinen Brüdern zuerkennen. Darauss entstehet ein allgemaine F r e w d / u n d grosser Jubel. U n d er erhebet sein Stimm / u n d weinet laut / dass es die Aegyptier und alles Gesind Pharaonis höreten. U n d sprach zu seinen Brüdern Jch b i n Joseph. U n d Joseph küsset alle seine Brüder / und Pharao erfrewet sich / und alle seine Knecht. Gen. 45. ENDE.
Anmerkung D e r T e x t dieser deutschen Perioche (eine lateinische w a r nicht aufzufinden) entspricht genau den kurzen lateinischen Angaben, die der Dichter in dem gedruckten T e x t jeder Szene vorausschickte — so daß man wiederum den T e x t der lateinischen Perioche nach diesen Angaben rekonstruieren kann. Interessant ist vor allem das deutsche Programm deshalb, weil es die Zwischenspiele enthält, die dem Stück seine symbolische, auf die politischen Ereignisse bezogene Bedeutung verleihen. Es ist noch zu bemerken, daß diese Zwischenspiele dem Stück als Szenen einverleibt sind. Daraus
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Jean-M. Valentin
ergibt sich eine neue Numerierung der Auftritte (nach I I , 3; I I I , 5; I V , 3; I V , 8), die von der der Kölner Ausgabe abweicht. D i e letzte Szene des Stückes ( „ D i m i t t i t fratres Joseph ut patrem adducant. Tollite inde Patrem vestrum, et cognationem, et venite ad me. Gen. 45") fehlt in der Perioche und wurde wahrscheinlich nicht aufgeführt. Somit endet das Stück mit dem Frieden (Anagnorisis, Versöhnung), was dem Thema besser entspricht, und nicht mit der Niederlassung der Juden in Ägypten, die i m Grunde genommen eine neue Periode der Geschichte eröffnet.
1659. Wien. Pietas victrix Tyranno Victor.
Sive Flavius
Constantinus
Magnus De
Maxentio
Druck : Poesis Dramatica Nicolai Avancini E Societate Jesu. Pars IL Coloniae Agrippinae. A p u d Joann. W i l h e l m u m Friessem Juniorem. A n n o M D C L X X V . pp. 102—252, w o Anlaß u n d D a t u m der A u f f ü h r u n g verzeichnet werden: „ D a t a Viennae Augustissimo Imperatori Leopoldo, anno 1659" ( I I , p. 103); „ D a t a Viennae August. Leopoldo, cum de Comitijs rediret inauguratus Rom. I m p . A n n o 1658." ( I I ; „ I n d e x et series dramatum"). P e r i o c h e : erwähnt bei Weller, 1865, S. 111. E i n einziges Exemplar i n der Münchener Staatsbibliothek. Signatur: 4°Bavar. 2197,1, 99. Obsigende Gottseeligkait Das ist Flavius Constantinus Der Grosse Nach überwundenen T y r a n n Maxentio Sighafft. Vorgestellt i n der H a u p t - u n d Kayserlichen Residentzstatt Wienn U n d Z u m Kayserlichen Ehren-Spill Jhr Römischen Kayserlichen / wie auch zu H u n g a r n u n d Böhaimb Königlichen Mayestät LEOPOLDO V o n dem Kayserlichen Academischen Collegio der Societet Jesu allda allerunderthänigist verehret / I m M o n a t Februario dess 1659. Jahrs. Gedruckt zu Wienn bey Matthaeo Cosmerovio / Jhr Kayserl. Mayest. Hoff-Buchdrucker. Jnhalt. Gottseelige Waffen gewinnen Cronen u n d Scepter. D a n n der erste eingang zur Regierung ist die fortpflanzung der Gottseeligkeit. Als Flav. Constantinus der Grosse nach h i n t r i t t seines Vatters Constantini Pij, das j h m hinderlassene Reich antretten wolte / widersetzte sich m i t unbillicher anmassung des Occidentalischen Kayserthumbs Maxentius der Tyrann. Gründet die Tyranney auff seine Waffen und Kriegsvolck / m i t welchen er die Statt R o m besetzet; undertrucket den R a t h u n d Burgerschafft; beforderist aber die Christen m i t vergiessung villes unschuldigen Bluts. Aber Ehrgeitz u n d G r i m m enden sich m i t Unglück. D a n n wer durch U n b i l d hoch steiget / f a l l t m i t Schand i n die tieffe; und w i r d v o n vilen z u m T o d t gesucht / der viler anderer Leben nicht verschonet. Derowegen Flavius Constantinus so w o l auss Göttlichen antrib / als einhelliger beruffung der Römischen Burger-
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schafft nach erhaltenen dreyen anschlichen Victorien i n Italia, schlagt sein Leger i n den Römischen Feld / willens der Statt R o m sich zu bemächtigen. Maxentius aber durch list u n d betrug Dymantis dess Zauberers eingenommen Constantino zu begegnen stellet sein Leger v o r der Statt an den Fluss Tyberi. Schlagt über disen ein höltzene Constantino z u m fall gemainte Bruck / auss Gottes anordnung aber jhme selbst zu aigenen undergang. Es schlaget m i t Constantino Maxentius: aber das unglück fallt / auff den Tyrann. Constantinus erhaltet das Feldt / Maxentius i n höchster verwürrung seines Volcks w i r d flüchtig: begibt sich auff gedachte Bruck i n mainung sich i n die Statt zu begeben: w i r d durch f a l l der Bruck sambt vilen auss seinen Volck i n den Fluss gestürtzet. Also t r i f f t betrug seinen aigenen Dichter. D a r a u f f w i r d die Statt von den zweyen Söhnen Constantini, als Flav. Julio Crispo, u n d Constantino den Jüngern zu Wasser u n d L a n d angegriffen / bestigen / u n d erobert. Der Kayser w i r d v o n den R a t h und Burgerschafft triumphirlich empfangen / und nach angekündter Christlicher Religion u n d Verehrung dess Creutzes (als er schon vormahls Crispum den älteren Sohn zu der Kayserlichen C r o n erhebt hätte) berufft er gleichfahls zu der Römischen C r o n Constantinum den Jüngeren. Also w o die Gottseeligkeit anführet / werden nicht allein die gefahr der habenden Königreich zerschlagen / sondern auch newe Cronen u n d Scepter erhalten. Vorspil. Die Gottseeligkeit w i r d v o n der Göttlichen Fürsichtigkeit z u m Reich beruffen. Es widersetzet sich die Gottlosigkeit. W i r d aber v o n jener durch Beystand des R a t h u n d Fleiss uberwunden. Erbittert darob die Gottlosigkeit führet an den Grimmen und Ehrgeitz / die Gottseeligkeit zu stirtzen: aber umbsonsten. D a n n sie erligen / i n jhrem wüten u n d toben. ACTUS I .
Scena I . Constantino dem Kayser w i r d i m Schlaff vorgestellt der herrliche Einzug / welchen er als ein Obsiger i n die Statt halten solte. Es erscheinen j h m die Heilige Apostel Petrus unnd Paulus der Statt Vorsteher u n d Schützer / welche j h m den Sieg wider Maxentium, m i t darreichung dess Creutzfahns versprechen. Scena I I . Es träumet Maxentio dem T y r a n n / als sehe er das Israelitische Volck / sicher durch das rothe Meer wandern; hergegen aber dass Pharao i n demselben versincke. Der Geist dess Königs Pharaonis entzindet i n Maxentio den Grimmen / ermahnet j h m das Volck Gottes zu vertilgen.
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Scena I I I . Constantinus erzehlet jenes jhme i m Schlaff vorgestelltes Gesicht dem Heiligen Bischoffen Nicoiao, der damahls auss seinen Bistumb vertriben sich i n I t a l i a auffhielte: v o n dem er auch underwisen w i r d / was für ein N a t u r u n d K r a f f t der Englen sey / was die Gnad Gottes i n den Menschen vermöge. Erlangt beynebens auch gewisse H o f f n u n g dess Sigs. Scena I V . Maxentius erzehlet seinen T r a u m M a x i m o dem Burgermaister. Ist auch willens sich m i t Dymante den Zauberer zu berathschlagen / was für einen Aussgang diser K r i e g erreichen werde. Scena V . Maximus der Burgermaister auss bedencken dess Traums M a x e n t i j vermuthet denselben Unglück / Constantino aber u n d der Statt R o m alles guets. Scena V I . Maxentius der T y r a n n berathschlaget sich m i t D y m a n t e den Zauberer ob den aussgang seiner Waffen / und erhaltet H o f f n u n g zu obsigen. Scena V I I . Constantinus sendet A r t e m i u m den Kriegsfürsten zu Maxentio v o n j h m die Ubergab der Statt zu begehren. CHORUS.
Gottseelig- u n d Gottlosigkeit stellen dem Sig nach. W e i l aber der Sig sich i n die L u f f t schwingt / eylet die Gottseeligkeit demselben nach. Es bemühet sich gleichfahls die Gottlosigkeit deme zu folgen. W i r d aber v o n R a t h u n d Fleiss verstrickt u n d zuruck gehalten. ACTUS I I .
Scena I . Artemius verriebt bey Maxentio sein Gsandschafft / aber vergeblich. Scena I I . Maxentius voller Frewden wegen Weissagung dess Zauberers / halt Schawund Frewden-Spill / m i t unglücklichen Losszeichen. Seena I I I . Maxentius w i r d betriebt i n vernemmen dessen durch Fewersbrunst verzehrten Haubttempel: besorgt sich zukünfftigen Übels. Scena I V . Artemius gibt bericht seiner Verrichtung und Gsandschafft. Darob dann Constantinus R a t h haltet.
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Scena V . W e i l Maxentius betriebt wegen böser Losszeichen der gehaltenen Schawspillen / tröstet j h m der Zauberer / welcher vermittels seiner Schwartzkunst jhme höllische Geister z u m Kriegsdienst beybringet. Scena V I . Dymas der Zauberer verstellt sich i n die Gestalt dess Constantini. Scena V I I . Dymas i n der an sich genommenen Gestalt Constantini, redet m i t A r t e m i o u n d A b l a v i o , u n d erforschet auss jhnen gehaime Sachen. Scena V I I I . Als der verstellte Constantinus, das ist / Dymas der Zauberer zu dem Kriegs-Heer redet / w i r d dasselbige v o n Teuffels Gespentern v e r w ü r t u n d zertrent. Scena I X . Constantinus verwundert sich seines vor schrocken zerstrewten KriegsHeers. Vernimbt / dass es v o n Geistern angefochten werde / u n d weil er erkent / dass dises ein Fund sey eines Schwartzkünstlers / befilcht er dem zubegegnen m i t dem Siegfahnen dess Creutzes. CHORUS.
Es w i r d vorgestellt der Streit zwischen der Gottseeligkeit u n d Gottlosigkeit. Dise w i r d verjagt. ACTUS I I I .
Scena I . W e i l die böse Geister jhrer K r ä f f t e n durch den Creutz-Fahnen Constant i n i entsetzet / nehmen sie die Flucht i n die H ö l l e . Scena I I . Dymas der Zauberer erzehlet dem Maxentio was er i m Läger Constantini verrichtet. E r w i r d nach Perus durch die L u f f t gesendet / damit er R o m u l u m den Sohn M a x e n t i j m i t sich zu seinem Vatter bringe. Seena I I I . Crispus der Sohn Constantini kombt glücklich an / u n d stellet sich seinem Vatter / deme er seine durch Italien erhaltene Victorien erzehlet: u n d bekombt Befelch die Statt zu Wasser / Constantinus aber der Jüngere zu L a n d anzugreiffen. 2 Literaturwissenschaftliches Jahrbuch, 12. Bd.
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Scena I V . Dymas der Zauberer f lüget nach Perus: al w o er den Romulo das dem Vatter M a x e n t i o zustehende Unglück durch die Fabel Phaëthontis vor Augen stellet. Auss welchen Romulus schliesset seinem Vatter zu H i l f f zu kommen / und flüget m i t Dymante nach Rom. Scena V . Maximus Römischer Burgermaister sendet zu Constantino Selium seinen Diener (unwissendt dass diser sein Sohn sey) m i t gehaimen Brieffen / durch welche er die Übergebung der Statt Constantino anträgt. Scena V I . Dymas der Zauberer stellet dar Maxentio R o m u l u m seinen Sohn / ob dessen gegenwart er widerumb H o f f n u n g gewinnet den Sig zu erhalten. Scena V I I . Maxentius wohnet bey den Opffer / so den A b g o t t M a r t i zu eroberung dess Sigs gehalten w i r d . Ergrimmet ob deren darauss scheinenden Losszeichen. Scena V I I I . Selius m i t den Brieffen dess Burgermaisters underfangen / w i r d sambt den Burgermaister v o n Maxentio als Verräther zu den T o d t verurtheilet / Maximus erkennet seinen Sohn / Selius seinen Vatter. Es trachtet einer für den andern zu sterben. D e m Sohn w i r d befohlen seinen Vatter das Leben m i t dem Pfeil zu nemmen. Er aber auss Lieb gegen seinen Vatter disen Tyrannischen befelch zu entgehen benimbt j h m selber das Leben. Der Vatter ziehet den Pfeil auss der Wunden dess Sohns / und hätte sich auch an der stell umbgebracht / w a n n solches v o n den beywesenden nicht w ä r verhütet worden. CHORUS.
Es streitet abermahl die Gottseeligkeit / m i t der Gottlosigkeit. Dise w i r d tödtlich verwundet / u n d v o n der höhe gestürtzet. ACTUS I V .
Scena I . Auss befehlch dess T y r a n n M a x e n t i j w i r d ein Bruck über den Fluss Tyber geschlagen / i n mainung durch dieselbige Constantinum zu uberlisten / dass er sambt seinem Volck i n dem Fluss versencke: welches Unglück aber die Wasser-Gott u n d Göttinnen Maxentio vorsingen.
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Scena I I . Das unschuldige B l u t der Christen schreyet umb Räch. Die G ö t t i n Nemesis oder Räch waffnet sich wider Maxentium, und zu einen Zeichen dess v o n G o t t wider M a x e n t i u m gefasten Zorns führet sie ein einen Cometstern / auss dessen betrachtung Dymas der Zauberer / das letzte Unglück Maxentio vermuthet. Seena I I I . W e i l Dymas der Zauberer auss warnemmen dess Cometsterns Maxentio den letzten unglücklichen Straich vorsagt / w i r d er v o n den wütenden T y r a n n erstochen / der auch befilcht seinen Cörper i n den Fluss Tyber zu werffen. Scena I V . D i e Wasser-Gott u n d Göttinnen vermerdken i n den Fluss ein ungewöhnliche H i t z / finden dass solche auss den Cörper Dymantis herkombt / u n d werffen den Cörper an das gestatt. Scena V . D i e Höllgeister hollen den Cörper ab / u n d tragen j h n i n den A b g r u n d der H ö l l e n . Scena V I . Es w i r d erzehlet die unglückseelige Schlacht Maxentij. Scena V I I . Maxentius als flüchtig i n letzter verzweifflung begehrt v o n seinen Sohn Romulo getödt zu werden. Romulus aber haltet den Vatter dahin / dass er durch die v o n j h m gebawte Bruck sein Flucht i n die Statt zunemmen verwillige. Scena V I I I . Constantinus der Jüngere greiffet
die Statt R o m zu L a n d an / und
besteiget sie. Scena I X . Gleichfahls Crispus greiffet sie zu Wasser an / u n d besteiget die Maur. Scena X . Maxentius i n mainung noch die Statt zu erhalten / eylet durch mehr gedachte Bruck i n die Statt. D i e Bruck w i r d brüchig / er aber versencket in den Fluss. Scena X I . Crispus und Constantinus der Jüngere nach eroberter Statt stillen von der Stattmaur j h r Sighafftes u n d noch hitziges Volck. 2*
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Jean-M. V a l e n t i n CHORUS.
D i e Gottseeligkeit t r i u m p h i r t . Beruffet m i t sieh zu triumphiren den R a t h und Fleiss / durch deren Beystand sie die Gottlosigkeit uberwunden. ACTUS V .
Scena I . Auss Befelch dess Römischen Raths w i r d Triumphportem auffgerichtet.
zu Ehren Constantini
ein
Constantinus haltet einen triumphirlichen Einzug / w i r d v o n den mischen Burgermaister u n d Adelicher Jugendt empfahen. Befihlcht Creutz / i n dessen K r äfft er obgesiget / öffentlich zu verehren u n d Götzendienst zu vertilgen. Verwilliget auff begehren der Statt / Constantinus der Jüngere zu der Römischen C r o n erhöhet werde.
Rödas den dass
Scena I I .
Seena I I I . D i e Adeliche Jugendt haltet einen Frewden-Dantz den Sighatften Constantino. Scena I V . D i e H . Helena M u t t e r dess Grossen Constantini v o n R o m abwesendt 1 w i r d i n jhren Gebett v o n der H i m m e l k ö n i g i n berichtet / wie Constantinus v o n Maxentio obgesiget / und durch seine Söhn Crispum und Constantinum den Jüngeren die Statt erobert / dass auch Crispus nicht lang uberleben / sondern Constantinus der Jüngere den Vatter i n der Regierung folgen werde: dass das Römische Reich nach vilen Jahren i n das Teutschland kommen solle / u n d allda i n den Hochl. Ertz-Hauss Oesterreich bis s an das E n d der W e l t beruhen. Scena V . D i e Götzenpfaffen werden flüchtig. Scena V I . Constantinus der Grosse Crönet m i t sonderer Frewd dess gantzen Volcks seinen Sohn Constantinum z u m Römischen Kayser. Derne er durch R a t h und Fleiss die Religion fortzusetzen anbefehlet. Anmerkung Dieses Programm weist nur einige, unwesentliche Abweichungen v o m gedruckten T e x t auf: — das „Vorspil" fehlt in der Kölner Ausgabe, — die erste Szene des ersten Aufzugs der Perioche enthält die beiden ersten Szenen des ersten Aufzugs des gedruckten Textes. Daraus ergibt sich, wie für den Josephus', eine neue Numerierung der Szenen ( I , 2 statt I , 3 usw.), die sich aber hier auf den ersten A k t beschränkt.
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1665. Passau. Connubium
Meriti
et Honoris:
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Sive Evergetes et Endoxa.
Druck : Poesis Dramatica Nicolai Avancini E Societate Jesu. Pars IL Coloniae. 1675. pp. 534—592. I n diesem Band findet man folgende Angaben: p. 535 „ A c t a Passavij Reverendiss. ac Celsiss. Principi Episcopo, 1665". I I , „ I n d e x et series d r a m a t u m " : „ D a t a Passavij Reverendiss. et Celsiss. Principi Wenceslao, cum loci Episcopus inauguraretur. A n n o 1665". Ρ e r i ο c h e : (bis jetzt unbekannt) : ein einziges Exemplar i n der Münchener Staatsbibliothek, Signatur: 4 ° Bavar. 2197, V , 65. Evergetes et Endoxa H o n o r i Reverendissimi et Celsissimi Principis ac D o m i n i D . W E N C E S L A I D e i et Apostolicae Sedis gratia Episcopi Passaviensis Sac. Rom. I m p e r i j Principis Comitis de Thun, etc. . . . à studiosa Juventute Gymnasij Passaviensis Societ. Jesu i n Scenam data A n n o M . D C . L X V . Mense Augusto, Die. Passavii, Typis Georgii H ö l l e r . Argumentum. Veritatem praesentem Fabula tegimus. Evergetes Regij sanguinis adolescens ab Aretino Patre, eoque o l i m Rege, sed iniquitate fortunae ad pastorit i a m sortem devoluto, ad contrahendas cum Endoxa Regia vidua nuptias urgebatur; sed severe respuebat, institutione et suasu potissimum Euprepiae, à qua educatus fuerat, quaeque identidem eum ad p r i v a t a m v i t a m hortabatur. I g i t u r hujus monitis dissimulât habitum, aspectum, et linguam; et a suo parente i n servum a d m i t t i postulat: a quo, j a m suum Evergetem se perdidisse existimante, i n f i l i u m adoptatur. Observatus demum proditusque, quod nec blaesus sit, neque coecus, suspicionem sui facit, et capta majore experientia deprehenditur esse Evergetes, et tandem Endoxae desponsatur. A n n a l . Passav. ad ann. 1664. Prologus. Poësis busto oppressa calami ta tem suam déplorât: a Genio e ruderibus extrahitur clauda et ambusta. I l l a suo grata Assertori se i n servam offert: acceptât Genius, jubetque, nequicquam siccitatem venae, incultumque habit u m excusantem, R e v . m o et C e l . m o Principi W E N C E S L A O theatrum instruere, statuiturque Fabulae argumentum, Evergetes et Endoxa. ACTUS I .
Scena I a. Evergetes propositas ab Aretino Parente cum Endoxa nuptias severe respuit.
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Scena 2 da. Ponus Endoxae suae filiae proponit Sponsum Evergeten: dubitat i l l a de ejus affectu, quod sciat t o t u m ab Euprepiae documentis pendere. Scena 3 a. Anceps Evergetes, consilij capiendi causa, Euprepiam convenire statuit. CHORUS.
Vitae publicae fraudes deteguntur. ACTUS I I .
Scena I a. Evergetes Consilia conferì cum Euprepia: ejus suasu statuit occultus degere. Ideoque vestitum mutat, se oculo laevo coecum, lingua blaesum fingit. Vestes priores arbori appendit cum epigrapha. Scena 2 da. Aretinus intelligit Evergeten ad Euprepiam abijsse. Confert cum Pono Consilia. H i c suadet, ut f i l i j affectui ad Euprepiam tantisper cedat. Scena 3 a. Alphenus Faunus vestem Evergetae invenit, et p l a u d i t : Agnoscit eam Aretinus: sclopo monstrum i n fugam agit. Scena 4 ta. Aretinus ex veste, et addita inscriptione m o r t u u m déplorât.
filium
arguit,
et
CHORUS.
Ostenduntur vitae publicae pericula: p r i v a t a laudatur. ACTUS I I I .
Scena I a. Aretinus ob f i l i u m amissum dolore agitur, videturque sibi identidem ejus U m b r a m videre. Scena 2 da. Evergetes mutato habitu, simulato capillo, v u l t u , et loquela, assumpto M e r i t i n i nomine, d u m ignotus parenti servire petit, i n f i l i u m adoptatur. Scena 3 a. Ponus suadet filiae suae Endoxae, ut postquam Evergetes interijt, ipsa ad a l i u m Sponsum animum adijciat: sed frustra.
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Scena 4 ta. Super dolore patris dolet Evergetes, nunc Meritinus. U t moerorem soletur, litteras fingit, quibus p a t r i significat superstitem vivere Evergeten. Scena 5 ta. Litteras tanquam ab ignoto acceptas exhibet Aretino Meritinus: exhilaratur pater: f i l i u m undique quaesiturus abit. CHORUS.
Ostenditur vitae publicae necessitas. ACTUS I V .
Scena I a. Ponus ex F i o r i l l o intelligit Evergeten vivere: i n spem redit Endoxam suam eidem matrimonio locandi. Scena 2 da. Meritinus clam cum Euprepia agit. Observatur a Batillo nec coecus esse nec blaesus. Scena 3 a. Batillus conversationem M e r i t i n i cum Euprepia secum expendit, et fraudem suspicatur. Scena 4 ta. Refert Batillus Aretino, quae acta clam a M e r i t i n o cum ignota N y m p h a observavit. Unde indignatus Aretinus simulatorem sua domo exigere statuit. CHORUS.
Ostendit et sibi et alijs v i v e n d u m esse. ACTUS V .
Scena I a. Increpitum M e r i t i n u m nec blaesum esse, nec coecum deprehendit non sine indignatione Aretinus. Scena 2 da. Aretinus ex quibusdam signis i n suspicionem venit, quod Meritinus sit suus filius Evergetes. Scena 3 a. Euprepia ex Evergeta intelligit sua j a m Aretino patere Consilia, p r o x i m u m esse, ut tota fraus detegatur: suadet Evergeta, ut se Aethyopem fingat: parat ille se atro colore tingere.
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Scena 4 ta. Intervenit Aretinus: elabitur Euprepia: pia fraus omnis aperitur: agnoscitur filius: vocatur vicinia: Evergetes i n nuptias cum Endoxa consentit. Scena 5 ta. Adest vicinia laetabunda. Endoxa Evergetae desponsatur. Scena 6 ta. D a t u r plausus. Anmerkung D e r I n h a l t dieser lateinischen Perioche ist mit den Angaben, die jeder Szene des gedruckten Textes vorangehen, identisch, bis auf die letzte Szene ( V , 6), die i m T e x t nicht existiert. D i e Schlußformel, die übrigens etwas verschieden ist ( „ D a t u r plausus et vota" statt einfach „ D a t u r plausus"), befindet sich am Ende der 5. Szene des 5. Aktes.
1667. Wien. Fides Coniugalis Captivitate Liberatrix.
Sive Ansberta
Sui Coniugis
Bertulphi
E Dura
Druck: Poesis Dramatica Nicolai Avancini E Societate Jesu. Pars II. Coloniae Agrippinae. 1675. pp. 253—359. S. 254: „ D a t a Viennae August. Imperai. Leopoldo et Margaritae, Ludis Nuptialibus, A n n o 1667". P e r i o c h e : Weller, 1865, 271. Rommel, 77. Das Stück wurde nur einmal und zwar i m Jahre 1667 aufgeführt. Die beiden anderen erhaltenen Periochen, die bei Weller (1865, 63 u n d 1865, 127) u n d Rommel (S. 76) erwähnt werden, u n d die v o n einer A u f f ü h r u n g i n Wien i m Jahre 1652 u n d i n Neuburg an der D o n a u i m Jahre 1660 zeugen, behandeln zwar das gleiche Thema und benutzen die gleiche Quelle (Jakob Bidermann, Acroam. lib. 2.), weisen aber nur wenige Ähnlichkeiten m i t dem gedruckten Text auf, so daß A v a n c i n i als Verfasser nicht i n Frage kommen kann. Das Programm der Wiener A u f f ü h r u n g v o m Jahre 1667 hingegen ist m i t dem gedruckten Text inhaltlich v o l l k o m m e n identisch. Es befindet sich i n der Staatsbibliothek München unter der Signatur, 4° Bavar. 2197, 1,41; eine lateinische Fassung dieses Dokuments i n H a r b u r g ((Dettingen-Wallerstein'sches Archiv), Signatur, I I I , 7, 4°, 55 ( V I I ) . Eheliche Trewgeflissenheit Oder ANSBERTA Jhres Gemahels BERTULFI AUS harter Gefangenschafft trewe Erlöserin Z u schuldigisten Ehren Bayder Kays. Mayestäten LEOPOLDI u n d MARGARITAE V o n der studirenden Jugendt i n dem Kays. Academischen Collegio der Societät Jesu i n Wienn auff öffentlichen Theatro vorgestellt den . . . Tag Augusti A n n o 1667. Gedruckt zu Wienn i n Oesterreich / bey Matthaeo Cosmerovio / Rom. Kays. M a y . Hoff-Buchdrucker.
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Wercks-Inhah. Bertulfus ein Teutscher Reichsfürst auss G o t t Verlobter Andacht zur Besuchung H e i l . Landts raissfertig / befilcht seine Ehegemahl Ansbertam seinen H o f f - und Raths-Bedienten i n tragender H o f f w a h u n g selbiger dienstlich an die H a n d zu gehen. Bertulfus setzt fort i n seiner vorgenummenen Raiss / u n d schiffet über Meer bey treffenden Unglück / dass er alssdann v o n Barbarn auffgefangen worden. Bericht dessen briefflich seine Ansbertam neben bittlichen ansuchen / sie wolle jhme ein trewe Nothhelfferin seyn. Ansberta entschuldiget sich zwar zum Schein / als ob sie hilfflich nicht beykummen möge / m i t V o r w a n d t bledes Frawen-Geschlechts / dass sie als ein Weib so besorgliche und weit auss-sehende Raiss nicht w o l tragen dörffte. Jedoch entschliest sie sich bald dess widrigen: begibt sich i n aller gehaimb gantz unbekant auffs Meer / und gelangt glücklich an O r t h und Endt / da Bertulfus gefangen lag. A l l h i e r macht man der Spil-Kunst einen Anfang. Ansberta i n angenommener Manns-Kleidung und Gestalt eines Geigers aller versteh (massen sie dieses Saittenspils sehr wolkündig) sucht u n d findet guten Eingang zu den Tyrannischen Fürsten-Hoff / da Bertulfus i n gefänglichen V e r h a f f t : w i r d daselbsten v o n den Tyrannen zu einen H o f f Knaben auffgenommen: Macht sich gleichfals m i t o f f t gepflogener GeigenKunst umb denselbigen so w o l verdient / dass j h r auff angebrachtes Begehrn der gefangene Bertulfus für einen Diener zur Gnad verwilliget / und loss gelassen worden. W o r a u f f Ansberta jhren V o r t h e i l baldt ersehen / und m i t Bertulfo flüchtig worden; Als sie aber m i t der Flucht beraits ausser Gefahr kummen / u n d Bertulfus anfieng der n o d i unbekandten u n d verstehen Ansbertae v i l wehemütigs zu klagen über sein trew-vergessene Gemahl / wie sie j h n i n eusserster N o t h habe stecken lassen / da gibt sich die treweste Ansberta jhren Bertulfo erst recht zu erkennen / u n d n i m b t Ursach jhre trewgelaiste Dienst zu entdecken: Worüber nichts als Wunder-Frewd und Frolocken. Biderm. lib. 2. Acr. 2. Vor-Spil. Z w e y Liebsgenossen kummen z u m Schmid-Gott Vulcano, lassen jhnen sein Arbeit i n zusamschmidung dess Eisen wolgefallen; begehrn auch darüber v o n j h m m i t Sinn u n d Hertzen i n der Lieb zusamgeschmidt zu werden / Vulcanus weiset sie m i t jhren Verlangen zur Ehelichen T r e w / die baldt ein Ketten schmidt bey de liebbündig zu machen: W o r z u H y m e n der H e y r a t h G o t t das Fewr auffschüt / u n d die Amores, oder Liebs-Gesandten jhre R i n g beybringen. Aber Zwitracht k u m b t i n H a n d l / solches vorgenummenes
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Lieb-Werck zu verschlagen / worauss sich dann Krieg und U n f r i d eraignet. D i e Amores, oder Liebs-Gesandten rotten sidi v o r U n h a n d l / u n d geben sich i n die L u f f t / worunter einer vorbesagter zwey Liebsgenossen i n stich bleibt / und gefangen w i r d . A C T U S PRIMUS.
Scena I . Bertulfus i n seiner Gefängnuss lest das v o n Ansberta jhme überschicktes Antwort-Schreiben ab / und klagt der U n t r e w . Scena I I . Ansberta nahet i n jhrer Wanderschafft einer Statt zu / wechsslet die K l a i d u n g sambt den N a h m auss / gibt sich für ein Geiger auss / u n d last sich würcklich m i t wolgespielter Geigen hören / hierdurch bey denen Barbaren beliebt zu machen / und dero Hertzen zu bemächtigen. Seena I I I . Barbarische Leut tragen i n Anhörung spielender Ansbertae ob der lieblichen Musica sonders Wolgefallen. Scena I V . Florillus ein verborgner Christ f i n d sich auch dar / so der Zeit dess Barbarischen Königs Hoff-Juncker einer / u n d sich seines Unglücks beklaget. Scena V . Ansberta vermercket; dass man die Gefangene selbiger O r t / u n d unter disen gantz vermutlich auch j h r n Bertulfum für die Statt hinaussführen solte / schicket inmitls jhren Diener B r o d t zu kauffen / solcher Gestalt zu wissen / u n d zu erfahren / ob es j h r möchte erlaubt werden / denen Gefangnen etwas v o n Speiss mitzutheilen. Scena V I . Ansberta w i r d erlaubt jedem Gefangnen ein Brodt zu raichen / u n d als sie neben andern audi Bertulfo solches darraidite / überfiel sie auss dessen inmüthiger Erkantnuss eine Ohnmacht / die sie gleichwol zu bergen / u n d ausszureden geflissen w a r / m i t Vorgeben / sie hab sich ob den Elend der Gefangnen etwas hefftiges entsetzt / als die dergleichen N o t h f ä l l anzusehen gantz ungewohnt. Scena V I I . Als Ansberta vernommen / dass die Gefangne auss Befelch des s T y r a n nischen Königs auff offnen Platz / zu einen Schawspiel / m i t L ö w e n zu kämpffen / solten vorgestelt werden / macht sie j h r grossen Zweiffei / ob
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sie disem Werck beywohnen solle / i n Bedencken / m i t was schwehren Hertzen / und W e h m u t h sie solches ansehen würde. Scena V I I I . D i e Gefangenen werden m i t den Löwen zu kämpffen an- u n d auffgeführet. Der Löwen K a m p f f w i r d fürgenommen / worbey die Rittmessige Stärck u n d Tapfferkeit Bertulfi grossen R u h m gewinnet. Scena I X . Ansberta endeckt j h r grosse Hertzens-Frewd / so sie auss disem K a m p f f / forderist auss geübter Stärcke Bertulfi geschöpfft hatte. CHORUS.
Obberierter Liebsgenossen einer / so i n wärenden Vorspiel verstantnermassen gefangen bliben / klagt anietzo auss einen tieffen T h u m sein gefängliche N o t h u n d Anligen. Hiernebens sucht / u n d fragt dessen Mitgenoss nach seines verlohrnen Liebs-Gespilen mächtig starck umb / u n d w i r d v o n den klaghafften Geschrey dess Gefangnen / so auss den T h u m widerhallet / ein Zeitlang auffgehalten / u n d dann auch v o n Consilio et Industria getrost / m i t Versprechen / jhme m i t R a t h und T h a t beyzustehen / dass jhme sein verlohrner Lieb-Genossen widerumb zukumme / und zu T h e i l werde. A C T U S SECUNDUS.
Scena I . Ansberta steh ein Briefflein u n d richtet selbiges also zusam / dass es Bertulfo i m Brod eingelegt / u n d gereicht werden köne. Scena I I . Bertulfus sambt andern gefangenen kören den Königlichen H o f f - P l a t z / deme auch i n gehaim Ansberta zufliehet. Seena I I I . Ansberta jhres Bertulfi gesichtig / erhaht sich schwärlich dass sie sich auss hertzzwingender Lieb nicht zu kennen gebe / dahero Brunellus auch jhre i n Lieb aussbrechende Reden verarget / worbey sie Ansberta gleichwol Gelegenheit ergreifft / Bertulfo v o r eingerichtes zuschreiben i n den B r o d einzuhändigen. Scena I V . Brunellus beginnet sich Ansbertae zu verweisen / dass sie so unzeitige Liebs-zeichen mercken lasse / die er kaum zu genügen decken könen / gibt demnach Ansbertae satte Lehr / wie sie wolgemaintes E n d zu erreichen / die liebnaigende N a t u r m i t Gewalt einhalten / u n d bezwingen solle.
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Scena V . Jägerleuth gehen auss / geben sich i n einen sonders gelegnen Forst daselbst etwas v o n G e w i l d zu erjagen / und m i t solcher Waidmanschafft heutigen Geburts-Abent dess Königs namhafft / und begänglich zu machen. Scena V I . Satyri oder W a l d - G ö t t e r werden auff erschallende Jäger-Horn vor Schrocken gejagt / finden sich aber bald widerumb auff A n k u n f f t dern N y m p h e n , und halten ein Dantz. Scena V I I . Jäger-Knecht kehren widerumb nach Hauss m i t guten Waidfang. Scena V I I I . D e r Tyrannische K ö n i g gebiet seinen Gerichts-Leuthen die Gefangene zu einen Lust-Spil seines Geburts-Tags m i t dem Schwerd hinzurichten. Scena I X . D i e Gefangene werden gezwungen i n beyseyn dess Königs umbs Leben oder T o d t m i t W i r f f l e n zu spilen. Ansberta sieht abermahl i n gehaim zu. Das Loss dess Tods geben die W i r f f l auff jhren Bertulfum. Scena X . D i e lieb tre we Ansberta bricht herfür m i t erbieten für Bertulf ο zu sterben. Der K ö n i g wundert sich ob so thewrer u n d nachdencklicher Lieb / befilcht beede i n unterschidene Verhafft zu legen. Scena X I . Brunellus Ansbertae Diener f i n d t seines Leyds kein E n d / dass er seinen vermainten H e r r n Ansbertam verlohren / u n d damit auch all sein DienstH o f f n u n g zu Wasser worden. Scena X I I . Obgedachter Florillus ein verborgner Christ kombt ins M i t t l auss eingenommenen Bericht / dass Bartenas (also hat sich Ansberta genent) ein künstlicher Geiger seye / nimbt also über sich dessen Geigen-Kunst bey den K ö n i g zu rühmen / tröstlicher H o f f n u n g mitls dieses Saitenspils für den Musicanten Gnad zu erhalten. Scena X I I I . Bertulfus u n d Ansberta werden i n jhren Gefängnussen von Gespenstern angefochten u n d geschröckt.
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CHORUS.
Obbemelte zween Liebs-Genossen finden sich widerumb gar erfrewlich zusam / (werden aber bald v o n Furoribus oder grimmen Geistern angriffen / gefangen / u n d i n einen Mörser geworffen / i n mainung sie zu Pulver zu stossen / u n d als die Furores solches vollbracht zu seyn / vermainen / da fliegen beede v o n dem Mörser herauss / werden aber i n den Lüfften von Tyranney und Zwitracht angetastet und zu boden geworffen. A C T U S TERTIUS.
Scena I . Bertulfus erinnert sich dess Schreiben / so er i m Brodt eingemacht v o n Händen eines unbekanten Jünglings (der w a r Ansberta) vorhero empfangen hat / betawret u n d klagt i n Erinnerung dess ermelten guten Jüngling zugestandnen Unglücks / dass er / nemlich seinetwegen / gefänglich eingelegt worden / wündschet auch so glückseelig zu seyn / dass er Lieb m i t Lieb vergelten / und für einen so Trew-liebenden Jüngling sterben möchte. Seena I I . Florillus gibt Bertulfo gute Wissenschafft / was massen ein frembder K n a b / sich bemühe / jhme / Bertulfo, auss N o t h zu helffen; diser aber steh sich als wisse u n d glaube er dessen nichts. Seena I I I . Als sich der K ö n i g i n seinem H o f f - G a r t e n / etwas abzukühlen oder frischen L u f f t zu schöpffen / auffhalt / und j h m v o n seinen H o f f - K n a b e n kurtzweiliges Ehren- und Frewden-Fest gehalten w i r d / da n i m b t Florillus Gelegenheit / den frembden Jüngling (Ansbertam) v o n wolübender GeigenKunst zu rühmen: w o r a u f f der K ö n i g Befelch gibt / selbigen unverzieglich auss der Gefängnuss darzustellen. Scena I V . Gratillus, auch Königlicher H o f f - K n a b / entristet und zirnet sich über Florillum, dass er jhme ein ausländischen Jüngling bey dem K ö n i g in Geigen-Kunst vorgezogen / und zum Nachtheil zu v i l gelobt. Scena V . Ansberta w i r d durch M i t h i l f f F l o r i l l i v o n der Gefängnuss aussgeführt und auff freyen Fuss gesetzt. Scena V I . Ansberta dem K ö n i g vorgestelt / k o m b t durchs Kunstreiche Geigen-Spiel bey denselbigen i n so grosse Gnaden / dass I h r Bertulfus zu Diensten
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geschenckt / u n d Eygen gemacht / sie aber selber für einen Edlen H o f f j u n g e n an- u n d auffgenommen w u r d . Seena V I I . Florillus erzehlet Brunello, was sich beym K ö n i g m i t Ansberta zugetragen u n d fürgeloffen / worauss Brunellus wiederumb gute H o f f n u n g geschöpfft. Seena V I I I . Bertulfus ergibt sich Ansbertae als einen vormeinten Edlen-Juncker u n d seinen Nothhelffer zu willigisten Diensten / erforschet u n d fraget auch eben nach (aber der Zeit vergebens) warumb doch er v o n so frembden Schulden u n d unbekanter Weiss so grosse Lieb u n d Gnad umb Ansbertam verdienet habe. CHORUS.
Ehliche T r e w m i t wolgewaffneter Liebs-Armee aussgerist u n d verfast streit und schlagt sich i n L ü f f t e n m i t den Kriegs-Heer der Tyranney / u n d überwündet. ACTUS QUARTUS.
Seena I . Königs-Obrister-Hoffmaister hält gutè Nachfrag / u n d sieht sich w o l umb / ob alles i n Beraitschafft und fertig seye zu angestelten Königlichen Geburts-Spilen. Scena I I . V o n Edl-Burgers- u n d Kriegs-Leuthen werden manigfaltige Schau-Spil gehalten. Seena I I I . Gratillus v o n Hass u n d Z o r n übernummen / beneydet Ansbertae als einen ausländischen Jüngling / dass er Inländern vorgezogen / und die erste Stell jhme v o r andern E d l - K n a b e n v o m K ö n i g geben u n d zuerkent w o r d e n / Florillus der es haimblich m i t Ansberta hielt / legt gleichwol den Schein nach G r a t i l l o bey / m i t versprechen jhme h i l f f l i d i zu seyn / dass Ansberta auss den Weeg geraumbt werde / u n d v o m H o f f kumme. Scena I V . Ansberta berathsdilagt sich i n vertrauen m i t Bertulfo, wie sie die M i t i u n d Gelegenheit erlangen / widerumb auss der Frembde nach Hauss zu kommen. Scena V . Florillus schlegt sich zu / u n d berichtet / was für Anschläg Gratillus sambt andern Knaben / auff Ansbertam fasse / verspricht doch newe
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Beyhilff / dass alles w o l ausschlagen / wie auch Ansbertae, u n d Bertulfo zu guten kummen solle. Seena V I . D e m K ö n i g w i r d angedeut / was gestalt Abendts nach allbereit gesperten Statt-Thoren ein Abgesandter v o m K ö n i g auss Persien angelangt / w i r d also Florillus ungesaumbt v o m K ö n i g m i t Königlichen Petschafft-Ring als einen Gewalt-Zeichen abgeschickt / dass man i n dessen fürweisung das T h o r widerumb öffne. Scena V I I . Florillus weiset den R i n g G r a t i l l o und andern M i t - K n a b e n die sich darob erfrewen / i n mainung an diesen R i n g guten Behilff zu haben / dass hierdurch der frembde Geiger (Ansberta) haimblicher Weiss z u m T h o r aussgelassen / m i t einem Schiff versehen / u n d auss dem L a n d abgefertigt werde. Scena V I I I . Ernenter Florillus weiset jhme anvertrauten Königlichen R i n g / auch Ansbertae u n d Bertulfo m i t A n l a i t u n g dass dieser Ring beeden ein dienstliches M i t i seye ausszukommen / einen Schiffman zu bestellen / u n d bey nächtlicher W e i l zu entfliehen: W o r a u f f man stracks dem Meerhafen zugehet / und Brunellus zuruck kehrt die Raiss-Truhen Ansbertae nachzutragen. Scena I X . Brunello i n so eylfertigen H a n d l begriffen / kummen andere H o f f Knaben entgegen / fragen was sein vorhabende Verrichtung seye / u n d erbieten sich zu verstandener Sach selber i n Persohn zu dienen / u n d alles zu befürdern / guter Vertröstung / Florillus werde den frembden Jüngling bestelter und abgerdter massen fortschicken. Scena X . Der Persianische Gesandte k o m b t i n die Statt / u n d w i r d nach H o f f geführt. Scena X I . Ansberta, Bertulfus, Florillus, u n d Brunellus schiffen ab und entfliehen. CHORUS.
Ehliche T r e w sambt mehr gedachten zweyen Liebs-Genossen / werden bey jhren sighafften A u f f z u g abermahl v o n den Furoribus oder Grimm-Geistern angefallen / wordurch zwar j h r Sig-Wagen i n L ü f f t e n zerrissen / sie aber Furores zu boden gestürzt werden. W o r a u f f desto sicherer Sig u n d EhrnStimmen erklingen.
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Scena I . Persianischer Abgesandter hat bey dem K ö n i g Audienz, legt sein Gesandtschafft ab / und praesentiert i n Nahmen seines Königs sechs Edle Mohren zu dero diensterbietigen D a n t z / darauff auss Königlichen Befelch der Aussländische H o f f - J u n g m i t seiner Geigen berueffen w i r d . Scena I I . D e m K ö n i g k o m b t Bericht / dass der frembde H o f f - K n a b nirgentsmehr anzutreffen / und aller muthmassung nach / m i t Bertulfo u n d F i o r i l l o mitls missgebrauchten Petschaffts-Rings entflohen; Worüber der K ö n i g hefftig ergrimmet / u n d befilcht alle Gefangene hinzurichten / wie auch denen Flüchtigen ohne allen Verzug auch zueylen. Seena I I I . Gratillus, deme die Vollziehung jetztgegebnen Befelchs dem flüchtigen nachzujagen oblag / spät u n d säumet sich m i t fleiss / alles vorlauffs nicht unkundig / damit sie zur Sicherung gepflogner Flucht mehr Zeit hätten / so jhme G r a t i l l o u n d andern Edlen M i t - K n a b e n ein gewünschter H a n d l / dass sie einest dess frembden und jhnen so nachtheiligen Jünglings loss werden. Scena I V . M a n eylet denen flüchtigen nach über Meer / aber durchs Ungewitter scheitert das nachjagende Schiff sambt den Kundschaftern. Scena V . Bertulfus allbereit an ein anderländiges Gestat gesetzt / u n d seiner Flüchtigkeit gesichert / klagt dem unbekandten Geiger / aller noch unwissend / mächtig sehr über seine verlassene Ehegemahl Ansbertam, dass sie j h m zu seiner Ausslesung so gar kein H i l f f gelaistet / bey so gestalter Ansprach / ersehen sie v o n weitem ein zufahrendes Schiff / erachten zwar auss U m b ständen / dass es nichts nachstelligs seye / gleichwol begehrt Ansberta m i t Gunst sich etwas abseits zu begeben / u n d auss dem Gesicht zu machen / biss dass man eygentliche Nachrichtung hab / ob etwas freund-tröstliches seye oder nicht. Scena V I . K a u f f l e u t h / so i n vorersehenen Schiff angelendet u n d aussgestigen / geben sich zu kennen / dass sie auss Teutschland kommen / Bertulfus erfrewet sich dessen / fragt lang und v i l v o n Beschaffenheit seines Hauss u n d seiner Ehegemahlin / vernimbt / es gehe der gemeine Rueff / sie hab sich zu See geben / m i t vorhaben jhren Eheherrn nachzuraisen / u n d selbigen auss
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Gefangenschafft ausszulösen: Worüber Bertulfus allerhandt strittige Liebund zornhaffte Naigungen mercken u n d aussbrechen last. Scena V I I . Verstehe Ansberta, v o r truckenden Hertzen j h r o selbst nicht mehr mächt i g / entschliest sich auss A n t r i b schuldigister Lieb j h r bisshero noch unerkante Persohn ihrem Ehegemahl zu entdecken. Scena V I I I . Ansberta annodi versteh / nach vilfähiger und vergebens an Bertulfum gethane B i t t / Ansbertam nicht i n argen zu verdencken / eintzige ungleiche mainung über sie nicht zu schöpffen / noch die Ehebindige Lieb erlöschen zu lassen / gibt sich endtlich m i t N a h m e n u n d Persohn zu kennen neben unaussprechlichen Frewden Bertulfi. SCHLUSS.
Die Ewigkeit auss jhren Tempel decretirt denen zweyen Liebs-Genossen die Unsterblichkeit; deren einen sie der Sonne / den andern dem M o n d vorstellet. Stürtzet m i t scharffen Befelch von dem H i m m e l alles Gestirn / so diesen zweyen nicht wolgewogen: frewet sich aber was wolgewogen. 1673. Graz.: Cyrus. Druck :-Sonderdruck :
Cyrus.
Ludis
Nuptialibus
Augustissimi
R o m a n o r u m I m p e r a t o r i s LEOPOLDI et C L A U D I A E FELICIS, A r c h i d u c i s A u s t r i a e
etc. . . . A b Academica Juventute Archiducalis Collegij et Universitatis Societatis Jesu Graecij i n Scenam data. A n n o D n i . M . D C . L X X I I I . Graecij apud Haeredes Widmanstadij. — Poesis Dramatica Nicolai Avancini E Societate Jesu. Pars IV. Coloniae Agrippinae. 1679. P e r i o c h e : Weller, 1865, 304. E i n einziges Exemplar i n München: Bayerische Staatsbibliothek, 4° Bavar. 2194, I , 12. M i t dem gedruckten Text identisch. „Cyrus Z u Hochzeitlichen Ehren-Spihl Jhro Majestäten LEOPOLDO I . u n d
C L A U D I A E FELICI, v o n D e r
Academischen
Jugend
dess
Ertz-Hertzoglichen Collegij, u n d der Universitet der Societet Jesu zu Gratz / auff öffentlicher Schau-Bühn vorgestellt. I m Jahr 1673. Gedruckt zu Grätz / bey den Widmanstädterischen Erben". Jnnhalt. Cyrus vorhero Darius genandt / ein Enickel Astyagis, v o n dessen Tochter / noch i n zarter K i n d h e i t dem Harpago anvertraut / v o n disen aber M i t h r i d a t i einem Bawers-Mann übergeben / dass er solle C y r u m denen w i l d e n Thieren zum Raub vorwerffen / ist auss Hertzen-milde M i t h r i d a t i s erhalten worden: i n deme diser an statt jenes seinen aignen Sohn hat preyss gegeben. 3 Literaturwissenschaftliches Jahrbuch, 12. Bd.
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D i e T r e w Mithridatis zuversuechen / hat sich Harpagus an das O r t h verfügt / an welches Cyrus solle gestellt werden / findet allda den Sohn M i t h r i d a t i s : i n M a y n u n g / dass diser Cyrus der Königliche Enickel sey / als welcher voriges Tags zu dem Z i h l M i t h r i d a t i anbefohlen / nimbt H a r pagus auch v o n einer hertzlichen Erbarmnuss berührt / dises K i n d eylends zu sich / gibt verstellter Weiss v o r / als wäre es sein Sohn / u n d erziehet j h n bis i n das achtzehende Jahr seines Alters. Als Cyrus erwachsen / liesse er jederzeit etwas mehrers v o n Tugendreicher A r t h an sich mercken / als andere seine Alters-Gespihlen. Unterdessen fasset Astyages v o n den hohen A l t e r schon mercklich geschwächt ernstliche Gedancken einen Jüngling zuerkisen zum Reichs-Erben / dieweiln es jhme an leiblichen Erben erwande / u n d Cyaxares, ein Enickl dess Astyagis v o n dessen Brueder damaln K ö n i g i n Persien m i t hoch-zahlbarer Kriegs-Menge auff das Königreich Medien beynahete / dess Königlichen Scepter sich zubemächtigen. Es werden v o n Daniele mannigfaltige Jüngling erkohren / auss welchen einen der K ö n i g jhme solle belieben lassen. Unter allen gewinnet den Vorzug der Cyrus. Harpagus tragt Sorg für den Hydalcem, Daniel wendets auff den C y r u m , und die Sach gerathet i n solche V e r w i r r u n g / dass alles / was für den H y d a l c e m beygebracht wurde / der K ö n i g als für den C y r u m geredt u n d gehandelt verstünde / u n d auffnahme / auch disen m i t nechsten seinen Nachkömling ernennen wolte / als seinen Enickel. Unterdessen w i r d der K ö n i g von Choaspe und Harpago berichtet / diser seye ein B a w e r n - K i n d / und er Hydalces habe sich angemasset dem vermaynten D a r i o m i t Schlägen übel ausszuwarten. Arienna ein berühmtiste Kriegsheldin / welche i n jhrer A n k u n f f t i n die Stadt Susa auss den Rachen eines Beeren durch C y r i H ü l f f errettet / u n d hernach v o n Astyage dem gantzen Kriegs-Heer als ein Oberhaubt vorgestellt worden / gibt an Tag verstellte Zaichen eines gefasten U n willens wider C y r u m , begehrt / es solle j h r das Werck C y r u m hinzurichten angetragen werden / u n d erhaltets. Jedoch i n Andencken dero v o n jhme empfangenen W o l t h a t begünstiget sie jhne m i t weitern Leben. D a m i t sie sich aber der auffgetragenen Pflicht rechtmässig beflissen stellte / reisset sie einen getödten Lämblein das H e r t z auss / dises / als wäre es C y r i H e r t z vorzuwenden. Urblitzlichen w i r d ein gemainer Rueff / es falle der Feind Namens Cyaxares ein / Arienna begibt sich i n das Feld / t r i f f t einen sondern Streit m i t Cyaxare, i n welchem sie ein Tochter dises Cyaxaris zu seyn erkennet w i r d : und es kehret sich alsobald der Z w y s p a l t i n Friden / der Grimmen w i r d i n Liebe verwendet. Z u Hauss unterdessen w i r d ein ReichsPracht zuegerüstet dem H y d a l c i als einen Nachkömmling: weilen aber nach Bericht Mithridatis der Darius i n C y r o persöhnlich umbkommen / w i r d die gantze Sach hinderstellig. Hierüber k o m b t die Zeittung / die Arienna seye abgefallen zu dem Cyaxare, u n d habe jhre Waffen zu Seinigen geschlagen /
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u n d nahe allbereit der Stadt zu. Astyages unversehens überfallen / suecht seinen Vortheil bey der Schwartz-Kunst Choaspis, v o n welchen alsobald ein Vestung auffgerieht w i r d / u n d m i t seltzamen Abenthewren besetzet: m i t welchen Arienna glücklich j h r Treffen haltet / u n d unerschrocken sambt Cyaxare die Vestung betritt. Alsdann weiset Daniel den i m Leben erhaltenen C y r u m herfür / und gefrewet sich dessen: als er aber der Vestung ansichtig / verspüret er die schwartze Kunst / u n d vernichtet es vermög seines Gebetts: da erscheinen die / so darinnen begriffen waren. Der Schwartzkünstler sambt H y d a l c e gibt die Flucht: Arienna gegen dem C y r o , Cyrus gegen der Arienna laistet grosse Ehrenbietung. Er w i r d v o n Astyage Reichs-Nachkömmling u n d ein Gemahl Ariennae bestimmet / j h r aber solle v o n Cyaxare das Königreich i n Persien erblich zuefallen: w i r d also die Ehe zwischen beyden getroffen. Justin: Salianus auff das 5459. Welt-Jahr / v o r Christo 594. Vorspihl. Oesterreich steiffet sich auff das Creutz an der Reichs-Kugl / so v o n denen vierhundertmaligen Jahrszeiten gehalten w i r d : es bethauert die Nacht / seuffzet nach dem Sonnen-Liecht. V o n dem Hochzeit-Gott H y m e naeo w i r d es berichtet / dass dise Nacht ein V o r b o t t seye aller Glückseeligkeit: hernach w i r d es vermahnet die Stern dess Himmels i n ein Z a h l zuverfassen / empfangt die Verhaissung Abrahams (Gen. 15) u n d w i r d darumb zur Hochzeit berueffen. Es begeben sich der W e l t die vier gemelte Zeiten / so v o n Erwöhlung R u d o l p h i dess Ersten z u m Kayserthumb eben dises Jahr sich verlauffen / u n d bricht an die Morgenröthe dess fünfften Alters. Endlich w i r d der völlige Tag von dem Oesterreichischen Ehren-Preyss eingeführt. Die Erste Abhandlung. Die erste Vorstellung. Die nahmhaffte Kriegs-Heldin Arienna gibt an Tag jhren Liebs-Eyffer gegen C y r o , so dahero ursprünglich / weilen sie durch sein H ü l f f v o n einem Beeren errettet worden. D i e änderte Vorstellung. D i e Bawern-Jugend gibt jhre Frewdenzaichen gegen dem C y r o als einen Obsieger wider den Beeren. Die dritte Vorstellung. Dess C y r i vermaynter Vatter Mithridates k o m b t entzwischen / wundert sich dess gehaltenen Frewden-Spihl : vermeldet gegen Cyro, dass er nicht sein Vatter seye / sondern Cyrus seye v o n Adelichen Geblüt herkommen. 3»
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D a r u m b dann Cyrus die Bawern-Tracht beyseyt legt / dess Vorhabens / i n der Statt hinfüro zu wohnen. D i e vierdte Vorstellung. Astyages ein K ö n i g v o n hohen A l t e r / weilen es jhme an leiblichen ReichsErben erwande / wie er dann Cyaxarem, seinen Enickel v o n den Brueder / für u n d i d i t i g hielte / entschliesset sich einen andern Adelichen Jüngling für einen Nachkömmling an / und auff zunehmen. Schaffet dem Daniel die Sorg an / taugliche Jüngling zuerkisen. Beynebens gibt er dem GötzenPfaffen / u n d Schwartzkünstler Befelch das Sonnen-Bild R a t h zu fragen. D i e fünffte Vorstellung. Astyages überkombt Bericht / dass sich Cyaxares m i t gewaltiger KriegsMacht herbey nahe / die Reichs-Nachkunfft zuerzwingen. D i e erste Sorg ist umb einen Kriegs-Fürsten: Arienna w i r d jhme gerathen als ein FeldsH e l d i n / w i r d auch zugegen gefordert. D i e sechste Vorstellung. Arienna w i r d dargestellt / und von Astyage ein Oberhaubt gesetzt i n den K r i e g wider den Cyaxarem: an vor aber begehrt sie nach Lands-Gebrauch ein Jagt zu halten. Die sibende Vorstellung. Arienna erklärt j h r M a y n u n g / i n welcher sie dise Jagt anstelle / als nemblich / damit sie C y r u m finden / und jhne zu einer ansehnlichen Kriegs-Stell befürderen möge. D i e achte Vorstellung. Nachdeme Daniel den H y d a l c e m i n die Z a h l gebracht jener Knaben / welche einen Zuspruch zu dem Reich haben sollen / macht jhme Harpagus kundbar / dass Hydalces sein Sohn nicht seye / sondern ein Enickel dess Königs: dessen sich der K n a b übernimbt. Abhandlungs-Verfassung. Die Lieb i n Hirtens-Gestalt führet ein Heerd der Lämblein auff die W a y d : der Z o r n w i r d i n die L ü f f t erhoben v o n dem Greul / so k r a f f t eines Zauber-Gesang i n einer W o l f f verstaltet / setzet nach denen Lämblein. D a er sich rüstet eines anzufallen / w i r d er v o n der Liebe durch einen Pfeilschuss gestürzet. W o r a u f f die Liebe dem W o l f f nachstellet. D i e änderte Abhandlung. D i e erste Vorstellung. Arienna sambt ihren Heldischen Gespillinen wartet einer Jagt ab / befindet einen getödten Beeren / i n dessen H o l e aber ein zierliche Wiegen: sieht an / ob es nicht dem C y r o zugehörig.
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D i e änderte Vorstellung. Die Jäger erweisen gegen der Arienna jhre Frewdens-Zaichen. Die dritte Vorstellung. Daniel w i r d v o m H i m m e l berichtet / Cyrus seye der Königliche Enickl / u n d diser seye v o n G o t t zu dem Reich ausserkisen. Die vierdte Vorstellung. Harpagus die Königliche Gnad für den H y d a l c e m Zugewinnen raichet jenem etliche Reime den K ö n i g damit zubegrüssen / w a n n er Hydalces unter andern Knaben dem K ö n i g v o n Daniele w i r d vorgestellt werden. Die fünffte Vorstellung. Choaspes bringt dem K ö n i g die A n t w o r t dess Sonnen-Bilds / jener Jüngling seye erblich an / u n d auffgenommen / dessen Vatter den D a r i u m hingerichtet hätte. Darius aber ware dem Harpago übergeben zu tödten / für dessen Sohn Hydalces gehalten wurde der v o n Harpago selbst vermaynte Darius. Die sechste Vorstellung. Daniel führt die Knaben zu Astyage, unterweiset sie, wie sie sich verhalten sollen. Die sibende Vorstellung. Astyages allein auss Gelegenheit der vernommenen A n t w o r t / dass jener solle angenommen werden / dessen Vatter den D a r i u m hingerichtet hatte / bethawrt den unzeitigen Hinschied D a r i j . Die achte Vorstellung. Die erkisene Knaben werden v o n Daniele dem K ö n i g dargestellt. H y d a l ces fangt an den K ö n i g zubegrüssen: w e i l n er aber nicht fortsetzen kundte / v e r t r i t t sein Stell Cyrus m i t höchsten Gefallen. Die neundte Vorstellung. Die Knaben werden i n unterschiedlichen Vorrichtungen geübt.
von
Daniele
D i e zehende Vorstellung. Der K ö n i g r ü h m t den C y r u m , die Reichs-Bediente rathen disen erblich anzunehmen. Die eylffte Vorstellung. Harpagus k o m b t entzwischen: vernimbt dass der K ö n i g jenen Jüngling mehristen gewogen seye / v o n welchen er begrüsset worden; und w e i l n Harpagus achtet / die Reds sey v o n Hydalce, gibt er arglistig v o r / als wäre
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er sein Sohn / welchen er i n der Sach selbsten erzogen hatte / als den vermaynten D a r i u m . Abhandlungs-Verfassung. Anteros bricht i n dem Liebs-Garten einen A p f f e l ab: die Lieb i n einem Gartner vergstaltet stellt sich zugegen / u n d untersagt jhme solches: indeme sie untereinander strittig / k o m b t die Juno an / und die Strittigkeit auffzuheben / tringet sie i n den A p f f e l einen R i n g / nechst an den R i n g stellet sie ein brinnende Fackl / m i t dem Beding / dass jenen der am Faden hangende A p f f e l solle zuefallen / welcher v o n den Fewr unverletzt der erste m i t denen Zähnen den R i n g wurde erheben. Anteros brennet sich / die Lieb gewinnet den Handel. Die dritte Abhandlung. D i e erste Vorstellung. Arienna v o n der Jagt widerkehrend weiset dem K ö n i g die erfundene Wiegen / der K ö n i g verspühret auss denen eingegrabenen Sinn-Bildnussen und verzaichneten N a h m e n / dass es dess D a r i j sey. D i e änderte Vorstellung. Hydalces waigert sich deme auss der Stadt-Jugend erkisenen C y r o underthänig zu seyn / w i r d darumb geschlagen / u n d vertriben. Hernach übet Cyrus die Seinigen. Die dritte Vorstellung. Daniel k o m b t darzue / lobt den C y r u m , macht jhme kundbar / was er von dem H i m m e l herab vernommen. D i e vierdte Vorstellung. Cyrus erwegt bey sich die Beschwerden / so da vorfallen möchten / und die H o f f n u n g dess Reichs schmählern. Die fünffte Vorstellung. Arienna k o m b t an: u n d w e i l n sie etliche Geheimnussen schon verstanden / fischet sie n o d i mehrer / k r a f f t dero sie sich zur H o f f n u n g erschwinget / jhres Wuntsch gewehrt zu werden. H i e r w i r d der erste Tag beschlossen. Die sechste Vorstellung. Hydalces, weilen er vor dem K ö n i g i n der Sprach gestammlet / und von C y r o Straich empfangen / lasset fallen die H o f f n u n g zuherschen / und rüstet sich jhme selbst den T o d t anzufügen.
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Die sibende Vorstellung. Harpagus i n Anhörung dess hellen Geschrey vermittelt den T o d t H y d a l cis, u n d vertröstet j h n gueter Zuversicht / das Königreich gewisslich zuerhalten. Die achte Vorstellung. W e i l n Hydalces noch nicht beruhen w i l l / ist zugegen Choaspes, zigelt jhme k r a f f t der schwartzkünstlichen Ruethen einen Schlaff / worunder er jhme unterschiedliche D i n g vorbildet / auss welchen Hydalces zu sicherer H o f f n u n g dess Reichs / u n d die Räch an C y r o zunehmen sich möge erschwingen. Die neundte Vorstellung. Astyages vernimbt v o n Medarse, was ansehnliche Wahrzeichen rühmlich zu herrschen / Cyrus i n einen verstehen Reich von sich gegeben: ertheilet alssdann Befelch den Ehrn-Pracht einer öffentlichen Annehmung zuezurüsten. Die zehende Vorstellung. Harpagus erfahrt / dass die an- u n d Auffnehmung seines Sohns zu dem Königreich allbereit geschlossen seye / gefrewet sich dessen: bestimmet bey sich endlich durch Brieff zuoffenbahren / dass / welchen der K ö n i g erblich anzunehmen entschlossen / nicht sein Sohn / sondern Darius selbst seye. Abhandlungs-Verfassung. Anteros bawet der Liebe v o r i n den Vöglfang / jedoch unglückseelig. D a n n als er einen A d l e r nachstellet / w i r d er v o n diesen i n die L ü f f t verzuckt / u n d zu Boden gestürtzt. Bessers Glück t r i f f t die Liebe / indeme es v o n dem A d l e r / gleich als v o r Zeiten Martianus beschattet u n d gekrönet w i r d / endlich w i r d sie v o n disen erschwungen / u n d i n die Schos der G ö t t lichen Vorsichtigkeit abgelegt. Die vierdte Abhandlung. Die erste Vorstellung. Astyages empfangt v o n Harpago Brieff / Bericht dero vernimbt er / jener K n a b seye Darius selbst ein Sohn Mandanae, welchen er bestimmet erblich anzunehmen / newlich aber befolchen hatte denen w i l d e n Thieren vorzuwerffen. Der K ö n i g fordert j h n für. D i e änderte Vorstellung. Cyrus stellet sich / u n d Astyages umbhalset j h n / bittet ab seine Misshandlungen / erkennet j h n für seinen Enickel.
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D i e dritte Vorstellung. Choaspes k o m b t darzue / u n d berichtet / Cyrus seye nicht der wahre Darius ein vermaynter Sohn Harpagi, sondern es seye ein B a w e r n - K i n d / und habe sich angemasset den wahren D a r i u m m i t Schlägen übel ausszuwarten. Alsdann fordert der K ö n i g den wahren Darium. D i e vierdte Vorstellung. Harpagus führet bey den H y d a l c e m : bethewret m i t einem A y d / H y d a l ces seye der wahre Darius, wie ers vorhero i n Brieffen angedeut hatte. D a gibt der K ö n i g Befelch C y r u m hinzurichten. Arienna ist zugegen / trägt ein hertzliches M i t l e y d e n m i t jhme: u n d / damit sie j h n errette / haltet sie an umb die Verrichtung jhne zu tödten. Die fünffte Vorstellung. H y d a l c i wüntsdiet der Choaspes Glück dess gueten Anfangs halben zu dem Reich zugelangen / gibt jhme Unterweisung Tyrannisch zuherrschen. D i e sechste Vorstellung. Arienna führet C y r u m i n den W a l d / als wurde sie jhme alldort das Leben benehmen / welches sie jhme unterdessen sdiencket. D a m i t sie aber dem Befelch gehorsam erschiene / bedient es sich eines getödten Lämblein Bluet / u n d Hertzens. D i e sibende Vorstellung. Mardanes ein Bedienter Choaspis k o m b t darzue / w i r d m i t dem verstehen T o d t C y r i überlistet / n i m b t v o n der Arienna das H e r t z dess Lämblein an / i n Meynung es seye dess C y r i , solches dem K ö n i g darzubringen. D i e achte Vorstellung. Arienna als sie den Mardanem übervortheilt / heisset sie C y r u m an dem E n d dess Walds verharren / dass sie j h n i n den A n z u g i n das Läger möge m i t sich führen. D i e neundte Vorstellung. Indeme Daniel v o l l der H o f f n u n g c y r u m suechet / begegnet jhme Mardanes m i t dem c y r i vermeynten Hertzen / u n d fallet j h n an m i t Worten. Daniel dannoch lasset sein H o f f n u n g nicht fahren. D i e zehende Vorstellung. D i e Kriegsheldinen als Gespihlin der Ariennae stellen Danieli den lebendigen c y r u m : worüber Daniel hefftig frolocket. D i e eylffte Vorstellung. Arienna ziehet i n das Feld / suechet cyrum, vernimbt / er werde von Daniele auffgehalten: dises heisset sie guet.
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Die zwölffte Vorstellung. Es w i r d Astyagi das vermeynte H e r t z dess c y r i vorgetragen / der K ö n i g bethawert seinen unzeitigen Rathschluss: man handelt für den H y d a l c e m disem zu dem Reich zuerkisen / u n d Astyagis Beyfall w i r d erpresset. Abhandlungs-Verfassung. Indeme sich Media das Königreich beklagt dess von Königlicher C r o n verlohrnen Edlgesteins halber / bietet sich die Liebe an / ein anders auss dem Meer zufischen. Als sie das Werck v o r n i m b t / befindet sie / dass Anteros dem Edlgestein nachgründe: da sencket sie i n M i t t e l eines angehengten Mühlstein i n die Tieffe. Er schwimmet noch auss / u n d erwecket ein Ungewitter / welches die Göttliche Vorsichtigkeit i n Persohn dess N e p t u n i stillet. Alsdann w i r d die Liebe dess Edlgesteins gewehret / u n d tragt es in die C r o n ein. D i e fünffte Abhandlung. D i e erste Vorstellung. Arienna erscheinet i m Feld einen sondern K a m p f f m i t cyaxare zutreffen: w i r d v o n cyaxare als sein Tochter erkennet: schliessen sammentlich einen Friden / und bestimmen sich fridsam dem K ö n i g zustellen. Die änderte Vorstellung. Ariennae geben den Ehren-Preyss jhre Feld-Gespihlinen / und die KriegsMänner dess Cyaxaris. D i e dritte Vorstellung. D e m K ö n i g Astyagi w i r d Hydalces dargestelt als ein Nachkömmling i m Reich zuerklären. Die vierdte Vorstellung. Mithridates macht den Ehren-Pracht hinderstellig / rueffet öffentlich / Darius sey an C y r i statt hingerichtet / erzehlt den gantzen verlauff der Sachen. A n H y d a l c e w i r d verspühret / dass er ein Sohn sey dess M i t h r i datis : er w i r d entkleydet / u n d Cyrus bethawret. D i e fünffte Vorstellung. Astyagi k o m b t die Bottschafft / Arienna sey dem C y a x a r i zuegefallen / und beyde nahen sich m i t einbahrer Macht allbereit herzue. Der bestürtzte K ö n i g ersuecht an Choaspe die Schwartzkunst / v o n welchen urblitzlich ein Vestung eben jenes Orths w i r d auffgerichtet / worein sich alle begeben. Die sechste Vorstellung. Arienna, und cyaxares i n fridsamen A n z u g zu dem K ö n i g entsetzen sich über das urblitzliche Ungewitter / u n d erbawte Vestung / auss welcher
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unterschiedliche Abendthewer aussfallen / jede von der Arienna erlegt werden / und sie verfügt sich hertzhafft i n die Vestung. Die sibende Vorstellung. Daniel sambt C y r o w i r d anwesend / findet die H y d a l c i abgezogne K ö nigliche K l a y d u n g / welche er dem C y r o anleget / und die Vestung w i r d vermög seines Gebetts zunichten. Die letzte Vorstellung. Alsdann erscheinen jede / so sich untereinander / Hydalces, von Astyage ein Königlicher K ö n i g i n i n Persien ernennet / Genossen erkläret.
i n jener Vestung begriffen waren / erkennen u n d Choaspes werden flüchtig. Cyrus w i r d Erb i n Medien, Arienna v o n Cyaxare ein u n d beyde werden gegen einander für EheENDE
D I E R U B A J A T DES O M A R C H A J J A M U N D D I E DEUTSCHE LITERATUR Eine glücklose Begegnung V o n Joachim Wohlleben I. D e r
Dichter
Omar
Chajjam
1. Das Thema I n dem A r t i k e l ,German Romance' v o n 1828 äußert sich Goethe in Rückblick u n d Ausblick über das v o n i h m vielmals durchdachte Problem einer Weltliteratur. Er faßt dort zusammen, was i m Briefwechsel m i t Carlyle i n letzter Zeit angeklungen war. Wie stets packt er das Thema v o n den zwei Seiten an, die i h n an der projektierten Weltliteratur faszinieren. Einerseits erkennt er ihre beginnende Verwirklichung an den Erscheinungen der jüngsten europäischen Literatur der zwanziger Jahre, anderseits dekretiert er, was zu ihrer Ermöglichung u n d Wegbereitung zuvor erst n o d i zu leisten sei. „Offenbar ist das Bestreben der besten Dichter u n d ästhetischen Schriftsteller aller Nationen schon seit geraumer Zeit auf das allgemein Menschliche gerichtet." 1 Daraus w i r d gefolgert: „Was nun i n den Dichtungen aller Nationen hierauf hindeutet u n d h i n w i r k t , dies ist es, was die übrigen sich anzueignen haben." Eine allgemeine D u l d u n g und die Uberwindung nationaler Zwistigkeiten könne von der übernationalen literarischen K o m munikation gefordert werden. Goethe denkt dabei i m europäischen Rahmen. Er hat die französische Romantik, B y r o n und M a n z o n i i m Auge. Einem spezifischen Optimismus sich hingebend, räumt er nun i n dem v o n i h m skizzierten literarischen Wechselverkehr Europas den Deutschen eine Sonderstellung ein. „ Z u einer solchen V e r m i t t l u n g und wechselseitigen Anerkennung tragen die Deutschen seit geraumer Zeit schon bei. Wer die deutsche Sprache versteht und studiert, befindet sich auf dem Markte, w o alle Nationen ihre Waren anbieten; er spielt den Dolmetscher, indem er sich selbst bereichert." E i n stolzes W o r t , das Deutschland zum Umschlageplatz für alle Literaturen erklärt. Der alte Goethe steht jedoch m i t dieser Überzeugung nicht allein, vielmehr ist sie Allgemeingut der Zeit. Niemals hat 1
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eine Literatur eine solche Adaptionslust u n d -fähigkeit gezeigt wie die deutsche i n den Jahrzehnten u m 1800. I n Wiederentdeckung aus Vergessenheit, Neuentdeckung v o n fremden Gütern, i n kritischer Durchleuchtung, i n schöpferischer Nachahmung und i n Ubersetzungen ausländischer Dichtungen entfaltete sie eine solche Regsamkeit, daß diese Aneignungsfreude nachgerade eins der beherrschenden Kriterien der sogenannten Deutschen Literatur geworden ist. Besonders gilt dies für die Übersetzertätigkeit, an die auch Goethe als vorzügliches Instrument des geforderten Vermittlungswesens der Weltliteratur denkt. Das Bewußtsein der exzeptionellen Vermittlerf u n k t i o n der deutschen Literatur u m 1800 u n d der Bereicherung, die ihr selbst daraus erwuchs, w i r k t e besonders stimulierend i m Kreise der Ausübenden selbst. Es trat stets zugleich auf als das Bewußtsein einer noch zu leistenden gewaltigen Aufgabe, u n d es stärkte die Zuversicht auf eine gloriose Z u k u n f t dieser alles Außerdeutsche sich eingemeindenden Literatur. So e n t w i r f t August W i l h e l m Schlegel, einer der Inauguratoren der modernen originalgetreuen Übersetzungskunst, i n seinen Berliner Vorlesungen von 1803/04 das Programm dieser noch zu schaffenden Literatur: „ U n i v e r salität der Bildung ist für uns der einzige Rückweg zur N a t u r , denn gegen eine mangelhafte oder wirkliche M i ß b i l d u n g gibt es kein andres M i t t e l . N i c h t deswegen häufen w i r alle Schätze der Vorzeit u m uns her, u m i n kalten toten Nachahmungen nur doppelte Exemplare v o n etwas schon Vorhandenem zu liefern: sondern u m die Gesamtheit der M i t t e l u n d Organe zu überschauen, durch deren eigentümlichen Gebrauch es uns möglich w i r d , noch unberührte Geheimnisse des Gemüts auszusprechen, noch heiligere Mysterien der N a t u r zu offenbaren. Das Resultat v o n der Geschichte unsrer einheimischen Poesie ist keineswegs, daß w i r nun auf unsern L o r beern schlafen k ö n n t e n . " 2 Z u derselben Zeit gibt sich der damals noch dionysischere Bruder Friedrich Schlegel dem Vertrauen h i n : „ D i e deutsche Literatur w i r d nach dem gegenwärtigen Anfange zu urteilen, i n nicht gar langer Zeit, alle andren ältern Literaturen in sich aufgenommen u n d sich einverleibt haben." 3 Derselbe — vielleicht doch nicht ganz derselbe — Friedrich Schlegel schließt 1815 seine berühmten Wiener Vorlesungen m i t einem dann schon weniger zuversichtlichen, ja deutlich skeptischen Ausblick auf die deutsche Literatur des 19. Jahrhunderts, wobei er u. a. befindet: „Es w i r d viel v o n ihr gefordert werden, denn es ist i h r viel vorgearbeitet w o r d e n . " 4 H i e r wie bei August W i l h e l m , und nicht anders beim alten 2 A . W . Schlegel, Vorlesungen über schöne Kunst u. Literatur, T l . 3: Gesch. d. romant. Lit., hg. Jacob Minor, Heilbronn 1884, ( D t . Lit.-Denkm. 19), p. 85 f. 3 F. Schlegel, Nachricht von einigen selteneren ital. u. span. Dichterwerken etc., SW, Wien 1822/25, Bd. 10, p. 38. 4 F. Schlegel, Gesch. d. alten u. neuen Lit., 16. Vöries.; K r i t . F.-Schlegel-Ausg., Abt. I , Bd. 6, hg. H . Eichner, München etc. 1961, p. 407.
Die Rubajat des Omar Chajjam und die deutsche Literatur
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Goethe, erscheint die deutsche Literatur als etwas noch Unfertiges. Sie steht vor den Augen dieser Richter als ein E n t w u r f da, eine E r w a r t u n g u n d Forderung an die Z u k u n f t des 19. Jahrhunderts. Wie steht es m i t dem zu solch hochfliegenden Hoffnungen A n l a ß gebenden Erschließungs- u n d Aneignungscharakter der deutschen Literatur des idealistischen Zeitalters, i n der Rückschau unserer anderthalb Jahrhunderte späteren Position gesehen? Diese Frage kann erschöpfend w o h l k a u m beantwortet werden, zumal nicht i m Rahmen bloß der deutschen Literaturentwicklung. D a z u wäre ein Vergleich m i t parallelen Entwicklungen i n Europa unumgänglich. Dies ist hier aber nicht unsere Aufgabe. I m folgenden soll lediglich versucht werden, aus dem komplexen Gewebe der deutschen Literaturaneignung einen isolierten Strang zu verfolgen. Der Gegenstand ist ein Einzelfall. Unsere Frage lautet: K a m es — und wenn, auf welche Weise — zu einer Einverleibung der Dichtung des Persers O m a r Chajjam? Daß v o n der Erörterung und den Ergebnissen eines so abgelegenen Falles keine allgemein verbindlichen Rückschlüsse auf jene umfassendere Fragestellung gezogen werden dürfen, versteht sich schon aus dessen Singularität heraus. Mehr jedoch noch aus einem zweiten Grund. U m das Resultat, das nur zu offenbar scheint, vorwegzunehmen: die A n t w o r t auf unsere Frage ist negativ. V o n einer Rezeption O m a r Chajjams bzw. des Rubai kann i n der deutschen Literatur k a u m die Rede sein, wenn man v o n reiner Übersetzung absieht, welche immer nur der erste Schritt zur wahren Aneignung sein kann. Übersetzungen Chajjams hat es i n Deutschland gegeben, sie setzten allerdings i n einem auffallend späten Z e i t p u n k t ein. Z u r Rechtfertigung der Aufrechterhaltung unserer Frage angesichts solchen offensichtlichen Tatbestandes ist zu sagen, daß es eben doch Spuren gelegentlicher Aufmerksamkeit und Annäherung an die seltsame östliche Dichtung, die w i r i m Auge haben, gibt, und da dürften zwei sich ergänzende Gründe als Veranlassung genügen, ihnen einmal nachzugehen. Erstens behauptet die Fragestellung ex negativo ihr Recht ebenso wie jene ex positivo. Wenn w i r nämlich die Feststellung der praktischen Nichtrezeption O m a r Chajjams vorwegnehmen, so ist die Folgefrage einer Nachprüfung dieses Tatbestandes nicht abzuweisen, ja möglicherweise diejenige nach dessen Ursache zu beantworten. Zweitens zeigt der Vergleich m i t der englischen Literatur, daß i n Deutschland tatsächlich die Chance einer ungeheuren literarischen Bereicherung ungenutzt geblieben ist, d. h., daß w i r es m i t einem sozusagen defektiven Zustand zu t u n haben, der uns jedenfalls zu einer begründenden Deutung herausfordert: w a r es selbstgewisser Verzicht, begründete Fremdfühligkeit oder bloße Indifferenz?
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2. Beginn der europäischen Chajjam-Rezeption Edward
in England:
FitzGerald.
I n England wurde Omar Chajjam als Dichter der Weltliteratur für den Westen entdeckt. W i r müssen hier streng unterscheiden zwischen der Beschäftigung der europäischen Fachphilologie u n d der Kenntnis- u n d A n t e i l nahme des allgemeinen literarischen Publikums. Der Orientalistik ist O m a r Chajjam u n d die T r a d i t i o n der Rubai-Dichtung natürlich seit ihren A n fängen bekannt u n d ein Gegenstand kontinuierlichen Interesses. V o n der Existenz des persischen Dichters Omar Chajjam, dessen eigentümlich funkelnder Stern sich neben dem v o n Goethe vorgestellten Siebengestirn der persischen Klassiker behauptet, hat erst E d w a r d FitzGeralds schmales Bändchen ,The Rubaiyat of O m a r K h a y y a m , the Astronomer-Poet of Persia, translated i n t o English Verse' (London 1859), die breitere Lesewelt unterrichtet. Spätestens seit der veränderten zweiten Ausgabe v o n 1868 zählen die ,Rubdiyat' zur populärsten L y r i k der Viktorianischen Epoche. Das Ausmaß ihrer Popularität steigerte sich ins Ungeheuerliche. Der Ausgaben allein — v o n FitzGerald selbst wurden insgesamt vier, die posthume eingeschlossen sogar fünf, voneinander i n Maßen abweichende Editionen veranstaltet 5 — sind Legion. I n der Literatur über FitzGerald w i r d gelegentlich behauptet, die ,Rubaiyat' seien das nach der Bibel i m angelsächsischen Sprachbereich meistverbreitete Buch. Es sind Versuche gemacht worden, komplette Bibliographien zu erstellen, v o n denen mindestens zwei zu stattlichem Ausmaß gediehen sind 6 . Wie zu Shakespeares Werken gibt es eine „ M u l t i - V a r i o r u m E d i t i o n " 7 , deren Herausgeber bereits u m die Jahrhundertwende resigniert bekennt: Certainly all the extant references to Omar in all languages would require a lifetime to elucidate , and make a library in itsel. 6 Die ,Rubaiyat', i n der ersten Ausgabe eine Versammlung v o n nicht mehr als 75, i n der maßgeblichen vierten 101 vierzeiligen Gedich-
5 1859, 1868, 1872, 1879, 1889. — Vgl. The Rubaiyat of Omar Khayyam, rendered into English quatrains by Edw. FitzGerald. The five authorized versions, pubi, for the Classics club by W . J. Black , N e w Y o r k 1942. 6 Holbrook Jackson , Edw. FitzGerald and Omar Khayyam, an essay and a bibliogr., London ( D . N u t t ) 1899. — W i l l . Fr. Prideaux , Notes f. a. bibliogr. of E. FitzGerald, London (F. Hollings) 1901. — Charles Van Cice Wheeler , A bibliogr. of Edw. FitzGerald. I n three volumes, 1919, typewritten, Washington (Library of Congress: Ζ 8301 W 56). — Ambrose G. Pottery A bibliography of the Rubaiyat of O m a r Khayyam, together w i t h kindred matter pertaining thereto, London (Ingpan & Grant) 1929. 7 M u l t i Variorum Edition, Rubaiyat of O m a r Khayyam. Engl., French, German, Ital., Danish, translations comp, arranged in accord, w i t h the text of E. FitzGerald's version, w i t h further selections, notes, biogr., bibliogr., and other material, ed. by N a t h a n Haskell Dole, 2 vols., Boston - London 1898. 8 Ebd. vol. 2, p. 594.
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ten, sind nicht nur Schullektüre und Memorialstoff des gebildeten Angelsachsen; wie sehr das Timbre und die sonderbare Stoffwelt dieses Gedichtzyklus ins allgemeine Geschmacksbewußtsein der angelsächsischen W e l t eingedrungen ist, beweisen neben zahlreichen weiteren Übersetzungen O m a r Chajjams 9 — genauer u n d vollständiger als FitzGeralds, jedoch machtlos gegen die Beliebtheit dieser Version — die Versuche, i n Omars Geist und seinem Gedicht-Genre weiterzudichten, d. h. schöpferische Aneignungsbestrebungen 10 , sowie außerdem zahlreiche Literaturparodien, zumal u m die Jahrhundertwende, die eine Uberpopularität signalisieren (,The Golfer's Rubäijat', ,Omar i n London', ,The Rubäijat of W i l l i a m the W a r Lord', ,Rubaijât of a M o t o r Car' etc.). I n London k a m es 1892 zur Gründung eines O m a r - K h a y y a m - K l u b s 1 1 , dem 1900 ein Pendant i n N e w Y o r k folgte 1 2 , i m Stil einer fröhlich-elegischen Herrenloge, eine A r t Pankgrafen-Orden der Omarianer m i t unregelmäßigen Meetings u n d gelegentlichen Publikationen. A u f diese Weise entstand eine A r t esoterischen O m a r ChajjamMythos' m i t anakreontischem und libertinistischem Einschlag, der i m Stile des A r t Nouveau i n Dichtung, Bildschmuck u n d Buchkunst seinen Ausdruck fand. — U n d schließlich erwies sich das angelsächsische Interesse an der historischen Person dieses magischen Poeten als hinreichend, einem historischen Roman über sein Leben u n d seine Zeit Boden zu schaffen 13 . ,The Rubàiyat of O m a r K h a y y a m ' sind zunächst ein Stück Übersetzungsliteratur. FitzGeralds Absicht war, eine möglichst treue Wiedergabe des persischen Originals zu fertigen. Die Wege zu seiner ersten Version u n d die Mühen und Skrupel, die er sich machte, hat der Cambridger Orientalist A r t h u r J. Arberry auf der Grundlage des FitzGeraldschen Nachlasses jüngst dargetan 1 4 . Aber diese englische Fassung ist i n Wahrheit sehr viel mehr als bloße Ubersetzung. FitzGerald hatte bei aller philologischen Gewissenhaftigkeit eine höchst individuelle Auffassung v o n der angestrebten Treue zum Text. I h m ging es um die Spiegelung desjenigen Omar, den er aus
9 Vgl. Potter N r r . 311—390. — Brit. Mus., Gen. Catal. of printed books, vol. 243, pp. 330—333. 10 Vgl. Potter N r r . 902—956. 11 The Book of the Omar K h a y y a m Club, 1892—1910 (printed for the members), London 1910. — The second book of the Omar Khayyam Club, 1910—1929, London 1931. 12 Twenty Years of the Omar Khayyam Club of America, ed. Ch. D . Burrage, Boston (Rosemary Press) 1921. 18 H a r o l d Lamb, Omar Khayyam. A life, N e w Y o r k 1934; dt.: Das abenteuerliche Leben d. pers. Dichters u. Astronomen, Leipzig 1939. — Ders.: Persian Mosaic. A n imaginative biogr. of Omar Khayyam based upon reality, London (Rob. H a l e ) 1943. 14 Arthur J. Arberry , The Romance of the Rubaiyat. Edw. FitzGerald's First Edition repr. with introd. and notes, N e w York (MacMillan) 1959.
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seinen beiden Manuskripten — die sich übrigens später als keineswegs sehr alt u n d so authentisch erwiesen wie FitzGerald gewünscht hätte — herausspürte, und was er schuf, wurde eine Dichtung, die z u m T e i l mehr i h m als O m a r angehörte. Tatsächlich sind die Abweichungen i m W o r t l a u t , die er sich erlaubt, oft beträchtlich. Durch das M e d i u m der Übersetzung schuf FitzGerald ein Stück Dichtung seiner eigenen Seele u n d seiner Zeit, u n d darauf beruht denn auch sein Erfolg. Der beispiellose A n k l a n g , den seine , R u b a i j i t ' fanden, läßt sich anders nicht erklären. Er schenkte der W e l t einen neuen Dichter, der nicht er selbst war. Sein Fall ist i n dieser Hinsicht m i t Macphersons Ossian vergleichbar oder auch m i t Pioniertaten wie den ,Stimmen der V ö l k e r ' bzw. ,Des Knaben Wunderhorn', w o ebenfalls das historische Vorhandensein v o n Dichtungen m i t ihrer literarischen W i r kungsgeschichte erst durch eine geniale Vermittlertat eins wird 1 5 '. I n der Wirkungsgeschichte O m a r Chajjams i n FitzGeralds Version haben w i r es also m i t einem A m a l g a m v o n mittelalterlich-orientalischen u n d neuzeitlich-europäischen Elementen zu tun. FitzGerald präsentiert seinen eigenen Omar, der auf diese Weise mehr Resonanz haben mußte u n d der Interpretation leichter zugänglich ist, als es bei einer K o n f r o n t a t i o n m i t dem Originaltext der chajjamischen Vierzeiler der Fall wäre. Neben dem skeptischen Zynismus i n der Lebenshaltung des persischen Dichters, der a h Grundstimmung auch durch FitzGeralds O m a r hindurchtönt, t r i t t die persönlich-heitere A t t i t u d e der weinseligen Selbsttröstung bei FitzGerald i n den Vordergrund, w o f ü r allerdings das i h n lenkende Oxforder Manuskript verantwortlich ist, das diese Seite der omarischen Dichtung verstärkt repräsentiert. Der unausschöpfliche Charme der FitzGeraldschen Bearbeitung geht v o n der zarten Stimmung der Trauer aus, die er der ganzen Symbol-, Lebens-, Gedanken-, u n d Willenswelt Omars einzuhauchen gewußt hat. Dieser zart-melancholische Tenor, der i m Rahmen der Sammlung jedes Gedicht, auch die vordergründig heiteren, weniger lastenschweren Strophen durchklingt, ist FitzGeralds Z u t a t zu der verzweiflungsvoll gottsuchenden und sarkastischen oder wiederum genußfreudigen Stimmung der originalen Omar-Gedichte. Diese Verschmelzung w i r k t rätselhaft u n d a t t r a k t i v . Louis Borges deutet i n einer seiner ,Otras inquisiciones' die Kongenialität des Omar-Erweckers FitzGerald als eine jener metempsychotischen Erscheinungen i m Reiche der Literatur, deren er mehrere kennt (z. B. Coleridge's
16 Über FitzGerald: Thomas Wright , The life of Edward FitzGerald, 2 London (Grant Richards) 1904, and A . M . 7erhune y The Life of Edward Gerald, Oxford U . P. 1947. — Anläßlich seiner Übersetzungen von Calderón Äschylos bemerkte er einmal: In the absence of a poet who can recreate in his language the body and soul of a foreign poet , the best translator is one paraphrases the original work while conserving the author's spirit.
vols., Fitzund own who
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Traumgesicht v o m Palast des K u b l a i K h a n ) 1 6 . Eine weniger individualistische Deutung dieser kleinen Gedichtsammlung und ihres Anklangs i m 19. Jahrhundert lautet dahin, daß die Europäer darin ihre „eigene Ratlosigkeit wie i n einem Spiegel erblickt" hätten 1 7 . W i e sehr nun jedoch FitzGerald seinen O m a r dargebracht hat, es bleibt doch immer noch die wesentliche Aussage des mittelalterlichen persischen Dichters bewahrt. M i t Worten Goethes könnte man über die ,Rubaijat* sagen, daß der Stoff, den „die W e l t nur a l l z u freigebig" hergibt, grundsätzlich die W e l t eines persischen M u s l i m des 11. Jahrhunderts geblieben ist, der Gehalt jedoch „aus der Fülle des I n n e r n " eines von den Müdigkeiten Europas beschwerten Westlers entsprungen sei, der das f i n de siècle v o r fühlte. „Bewußtlos begegnen beide" — Stoff u n d Gehalt — „einander, und zuletzt weiß man nicht, wem eigentlich der Reichtum angehöre." 1 8 3. Das Formprinzip
des Rubai
D i e „ F o r m " jedoch, wenn w i r darunter einmal die innere Form des persischen Vierzeilers verstehen dürfen, erfordert nach Goethes Einsicht die „Besonnenheit des Dichters". Sie „ w i l l erkannt, w i l l bedacht sein", u n d v o n i h r heißt es auch an anderer Stelle, sie sei „ e i n Geheimnis den meisten" 1 ®, was i m Falle der Rubai-Rezeption sich nur zu sehr bewahrheiten sollte. Tatsächlich muß man vermuten, daß für das Ausbleiben einer reifen RubaiDichtung i n Deutschland nicht zuletzt das mangelnde Verständnis für die Gattung dieses orientalischen Gedichts verantwortlich gewesen ist oder zumindest — was sicherer behauptet werden k a n n — des spezifischen delikaten Reizes, der aus seiner strukturellen Eigengesetzlichkeit auch für westliche Ohren geschöpft werden kann. FitzGerald allerdings hatte dafür das rechte Gespür. Das R u b a i 2 0 ist ein Gedicht v o n nur vier Zeilen. Sein Charakteristikum ist neben einer eigenen R h y t h m i k , die jedoch i n Europa k a u m — außer v o n Rückert — nachgeahmt w u r d e 2 1 , das Reimspiel, das diese vier Zeilen ver18 Jorge Luis Borges, Otras inquisiciones, 1937—1952, Buenos Aires o. J., pp. 9 1 — 9 4 : E l enigma de Edward FitzGerald. — V o r ihm tat dasselbe der gewaltige George Saintsbury in einer Vorrede zu einer ,Rubaiyat'-Edition. 17 Jan Rypka, Iranische Lit.-Gesch., Leipzig 1959, p. 224. 18 N o t e n u. Abh., Eingeschaltetes, Jub.-Ausg. Bd. 5, p. 212. 19 M a x . u. R e f U Hbg. Ausg. Bd. 12, hg. H . J. Schrimpf,?. 471, N r . 754. 20 Arab, „rubâ'î" bedeutet Tetrastichon, plur. „rubâ'îyât". Ich schreibe Rubai bzw. Rubajat. 21 Ü b . Orig.-Rhythmus s. F. Rückert, Grammatik, Poetik u. Rhetorik der Perser (zuerst in: Wiener Jahrbücher d. Lit. 40—41, 1827—8), neu hg. W i l h . Perisci, Gotha 1874, p. 65, sowie A . J. Arberry s.v. ,Persian Poetry', in: A . Preminger [ E d . ] , Encycl. of Poetry and Poetics, Princeton U . P. 1965, und Diethelm Bedke
4 Literaturwissenschaftliches Jahrbuch, 12. Bd.
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flicht. D r e i Zeilen enden i m selben Reimklang, und zwar die erste, zweite u n d vierte. D i e dritte Zeile bleibt Waise, u n d darin liegt die Sprengkraft der Gedichtform. Nehmen w i r ein Beispiel aus Friedrich Rosens Ubersetzung ( N o . 51): Zuerst hatt* ich mein I d i noch nicht erkannt, Zuletzt zerschneidet D u des Bewußtseins Band. D a dies von Anfang Deine Absicht war, Was mach'st D u mich erst mit mir selbst bekannt? 2 2
Das Muster w i r d hier gut repräsentiert, t r o t z des etwas nüchternen Ausdrucks bei Rosen. D i e erste Zeile bringt eine Aussage, die i n der zweiten Zeile parallelisiert, erweitert oder spezifiziert w i r d . Das so entstehende Doublet schließt sich auch äußerlich durch Reimpaar ab. Das Gedicht ist bereits halb da. N u n setzt i n der dritten Zeile ein Gedanke ein, der z w a r v o n der Prämisse des vorangehenden Doublets Kenntnis verrät, aber sie eine Gegenthese vorbringt oder aber, u n d dies ist die wirkungsvollste entweder anders prägt, j a bisweilen zu leugnen sich unterfängt, indem er Entwicklungsmöglichkeit, zu einer Folgerung ansetzt, die i n der ersten Gedichthälfte gar nicht vorbereitet oder nicht beabsichtigt scheint, die aber durch i h r unvermutetes u n d kühnes Hervortreten jene Prämisse unerbittlich i n ihrem gefährlichen, zerstörerischen, oder sinnlosen oder lächerlichen, oder auch nur traurigen Gehalt entlarvt. Die Entlarvung findet umso unentrinnlicher statt, als die vierte Zeile den direkten Bezug auf jene scheinbar aufgegebene Prämisse wiederherstellt. Dies geschieht durch den Reim, der, indem er überraschenderweise zur Wiederkehr des Doubletklangs führt, eine entscheidende Bedeutung für das Zustandekommen des Überraschungseffektes gewinnt, der die Würze des Rubai ausmacht. D i e letzte Zeile, die nach dem Zwischenspiel des reimfreien dritten Verses, der ein neues Reimpaar einzuleiten schien, durch den Reim-Rückfall überrascht, weil sie die geweckte E r w a r t u n g auf eine Weiterführung des Endklangs dieser Zeile drei enttäuscht, r u f t den Ausgangspunkt des Gedankenganges unvermittelt ins Gedächtnis zurück u n d z w i n g t durch die tönende H a r m o n i e der Erscheinung zur aufschreckenden Erkenntnis einer tieferliegenden inneren Disharmonie des Wesens. K l a n g u n d Sinngehalt der Worte stehen i m Antagonismus, u n d das ist bei Omar Chajjam beabsichtigt. Das Rubai ist demnach, so wie es uns i n Omars charakteristischsten Stücken entgegentritt, Gedankenlyrik. Sein Reiz besteht i m intellektuellen s. ν. ,Orient u. oriental. Literaturen', in: Merker-Stammler, Reallex., 2. Aufl., Bd. 2, Berlin 1965, p. 824. — Das für d. Rubai in Europa bevorzugte Versmaß ist, nach Rückerts und FitzGeralds Muster, der fünffüßige Jambus. 22 Die Sinnsprüche Omars des Zeltmachers. Rubaijat-i-Omar-i-Khajjam, aus d. Persischen übers, v. Friedrich Rosen> Frankfurt a. M . 1963 (Insel-Bücherei 407); Fassung von 1929.
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Spiel. Eine Entlarvung findet darin statt; bei O m a r ist es jedenfalls nur i n seltenen Fällen eine Enthüllung i m positiven Sinne. Seine Rubajat sind mehr angetan, des Hörers Sinn zu ernüchtern, sie desavouieren Lehrmeinungen u n d akzeptierte Weisheiten. Daneben gibt es jedoch auch Beispiele eines sich schlagartig auftuenden Hoffnungsblicks, eines Trostwortes, einer Rechtfertigung. I n jedem einzelnen seiner Gedichte steckt virtualiter eine raffinierte gedankliche Pointe. Jedes Rubai ist ein Wesen für sich, ohne strukturelle oder ideelle Beziehung zu seinen Schwesterstücken. Omars Dichtung entspricht auf sonderbare Weise der allgemeinen Charakterisierung der orientalischen Poesie, m i t der Goethe eine Abgrenzung gegen das, bzw. eine H i n f ü h r u n g zum, westlichen poetischen Empfinden versucht: „Resultat und Prämisse w i r d uns zugleich geboten", heißt es i n den ,Noten u n d Abhandlungen 4 , K a p i t e l ,Allgemeinstes'. N u r muß i m Falle des Rubai nicht übersehen werden, daß es nicht eigentlich ein Zugleich ist, i n dem Resultat u n d Prämisse geboten werden, sondern jenes hintergründig vorbereitete Zurdeckungbringen beider, das aus ihrer inneren D i v e r genz den Funken schlägt. Goethe spricht am selben Orte v o m Charakter des „ W i t z e s " der orientalischen Poesie, und, o b w o h l ohne jeglichen Bezug auf O m a r Chajjam, dringt damit letztlich auch zur Description v o n dessen Schaffensweise vor. Das Rubai w i r d i n Omars H a n d z u m Instrument des Witzes. Jedes einzelne der Gedichte folgt dem A u f b a u des Grundtypus des Witzes, der v o n einer „Prämisse" eine E r w a r t u n g erwecken läßt, die er m i t dem „Resultat" i n einer Weise erfüllt, daß die Prämisse paralysiert erscheint bzw. daß es zur Erfüllung gar nicht k o m m t , da die Deckungsungleichheit beider plötzlich zutage t r i t t . Der W i t z desillusioniert. Dasselbe geschieht i n Omars Rubai. I n beiden w i r d eine These durch eine Antithese weitergeführt, beantwortet, verschoben, ad absurdum geführt. K o m i k und Vernichtung, das Doppelgesicht des Humors, sind i n ihrem Wechselspiel immer wieder durchdacht worden; Jean Paul, Schopenhauer, K . Fischer, Bergson, Freud haben sich über O m a r Chajjam dabei jedoch nicht geäußert. U n d doch scheint m i r gerade bei i h m die H a l t u n g der zerstörerisch w i r kenden K o m i k , insofern das Rubai dem Genre des Witzes nahesteht, aus seiner geistigen Grundhaltung als Denker erklärbar, i n einem Maße, daß, was ich als innere Form des Rubai bei O m a r bezeichne, als nichts anderes denn als ein Spiegel der D e n k - und Willensäußerung des Dichters erscheint. 4. Überlieferung
und Eigenart der Rubajat
des Omar
Chajjam
Es ist gewiß nicht leicht, v o n Omars Weltbild zu sprechen. Denn dies wäre nur aus seinen Gedichten, bestenfalls noch i m Zusammenhang m i t seinen erhaltenen wissenschaftlichen Arbeiten, zu erschließen. D i e Rubajat 4·
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aber sind i n einem Corpus überliefert, dessen Zusammensetzung u n d Authentizität lange umstritten waren. D i e Frage der Echtheit, die m i t der der inneren Divergenz der Sammlung verflochten ist, konnte jedoch v o n der Iranischen Philologie einer Lösung sehr nahegebracht werden durch die endliche Entdeckung eines Manuskripts, das nur etwa 100 Jahre nach Omars T o d zu datieren ist. D i e E d i t i o n durch A r b e r r y u n d seine englische Ubersetzung der Cambridger Handschrift v o n 1208 liefern ein authentischeres B i l d v o n der Geistesstatur Chajjams des Dichters als frühere Übertragungen 2 3 . Es hat die auffallende Uneinheitlichkeit nicht beseitigt, sondern bestätigt, was k u r z zuvor v o n H e l m u t h Ritter vorausgesehen w a r aus Einsicht i n ein Schaffensgesetz persischen Dichtens 2 4 : Vierzeiler skeptischen, ja blasphemischen Inhalts können sich demnach durchaus m i t solchen mystischen Inhalts bei einem Dichter vertragen. Schließlich macht auch i m Falle Omars ein Geflecht v o n rekurrierenden Bildern u n d Themen ein Ganzes aus: ζ. B. seine eigentümliche Symbolik des Kruges, des Bildes der Vergänglichkeit, aus Lehm geformt, insofern Wiederverkörperung des Menschen, der v o r i h m zu Lehm wurde, seinerseits zu Lehm werdend usw. Diesem Themenkreis hat FitzGerald einen Extrastrauss v o n Rubajat geflochten. Ähnlich das B i l d des Rades, tscharch, i m Persischen zugleich Töpferscheibe — wieder dem K r u g - M o t i v anzuschließen — u n d Weltenrad, Sternenhimmel und also unerbittliches Schicksal des sinnlosen Werdens und Vergehens. D a z u ein Spiel m i t Blumen, sowie nationalpersisches K o l o r i t m i t Dschemschids Weltenbecher, dem dahingesunkenen goldenen Zeitalter des K a i Kawus usw. E i n oft wiederkehrendes Thema ist auch der Wein, es beherrscht eine große Z a h l der Gedichte, dazu der jugendliche Schenke, beides verbunden durch das Thema des Rausches, des Trunkes bzw. der Liebe, die i n traditioneller orientalischer Deutung mystisch zu verstehen sind, bei FitzGerald aber ganz buchstäblich interpretiert werden, weswegen dieser i n seinem O m a r auch einen Verwandten Anakreons erblickt. Wie zufällig und uneinheitlich diese u n d andere Themen auch immer nebeneinander stehen mögen — es bleibt zu betonen, daß jedes Rubai ein Gedicht für sich, ohne vorauszusetzende Beziehung zu Nachbarstücken ist, und daß v o m Dichter niemals ein Gedichtzyklus beabsichtigt war, wie auch das rein schematische Anordnungsprinzip der persischen Manuskripte b e w e i s t — , für das westliche Empfinden ergibt sich d o d i ein Ganzes aus solchem Nebeneinander, welches w i r als Omars 28 A . J. Arberry (Ed.), The Ruba'iyat of Omar Khayyam, discovered ms. etc., London 1949; vgl. ders., Omar Khayyam, London (J. Murray) 1952. 24 I n : Oriens, Zs. d. internat. Ges. f. Orientforschung, vol. p. 362. — Vgl. die Kurzcharakteristiken s. v. von Waither Hinz in (Hg.), Lexikon der Weltlit., Stuttgart 1963, pp. 998 f. und O t t o Kayser (Hg.), Kleines lit. Lexikon, Bd. 1, 3. Aufl., Bern - München
ed. fr. a newly a new version, 1, Leiden 1948, Gero v. Wilpert Spies in Wolfg. 1961, pp. 601 f.
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W e l t anzusprechen geneigt sind. „Es ist i m Grunde ganz einerlei, ob sich die Einheit am A n f a n g oder am Ende bildet; der Geist ist es immer, der sie hervorbringt", lautet Goethes U r t e i l über ein ähnliches literaturhistorisches Problem v o n Einheitlichkeit bzw. Diskrepanz i n einem überlieferten Corpus, nämlich über die Homer-Frage 2 5 . Für die europäische Rezeption w a r das Heraushorchen des spezifisch omarischen Flairs als Vorbedingung des l i terarischen Genusses unentbehrlich. N u r so sind auch die Imitationen, K l u b gemeinschaften u n d der erwähnte O m a r - M y t h o s zu erklären. Allerdings erging es dem N e u l i n g O m a r wie vielen Entdeckungen aus dem Reich der orientalischen Poesie i n Europa: er wurde, solange der Geschmack für das unverwechselbare A r o m seiner Dichtung noch unentwickelt war, m i t besser bekannten Sensationen verglichen. Solche Urteile der ersten Stunde sind gewöhnlich zu instrumental-hinfällig, u m den Gang der Zeit auszudauern, sie bewahren aber etwas v o n dem Geist, i n dem die Begegnung m i t dem Fremdling stattgefunden hat. D i e „ W a r n u n g " Goethes v o r ihrer Gültigkeit sei dabei stets gegenwärtig 2 6 . I m Falle O m a r Chajjams überrascht die große Verschiedenheit der Vergleichsmittel. Sie beweist, wie schillernd sein W e r k ist u n d welche Nuancen des Verständnisses es hervorruft. Daß er i m FitzGeraldschen Gewände ins Gefolge der weltschmerzlichen Byronianer paßte, wurde früh erkannt, er k a m dem Zeitgeist durchaus entgegen. Hammer-Purgstall nannte i h n i n seiner »Geschichte der schönen Redekünste Persiens c v o n 1818 noch den „ V o l t a i r e persischer Dichtkunst", w o m i t er Omars „Freigeisterei", seine gottesleugnerische A t t i tude u n d den zugehörenden Zynismus seines Weltbildes i n den Vordergrund rückte. FitzGerald erkannte i n i h m Anakreons Geist, auch setzt er sich m i t einem gewissen A n k l a n g an Gedanken des Lukrez auseinander, m i t dem O m a r die resignierte Einsicht i n eine W e l t ohne Schöpfer u n d Transzendenz teile, nur daß O m a r sich m i t derartigem Materialismus nicht abfinden könne und seine verzweifelten Proteste herausschreie. Oftmals i n seiner Korrespondenz m i t Ε . B. Co well, demjenigen, der i h n i n O m a r Chajjam eingeführt hatte, nennt FitzGerald O m a r auch einen Epikuräer. I m selben Sinne betont Bethge später i m Nachwort, sowie i n A u s w a h l u n d T o n seiner Nachdichtung das Horazische carpe diem i n den Rubajat, w o m i t w i r wieder bei Omar, dem Propheten des flüchtigen Lebens- u n d zumal des Weingenusses sind. Gegen die Stoa wiederum versucht F. G. Jünger den Perser abzusetzen 2 7 . D i e schroffe Saloppheit i n Omars D i k t i o n hat FitzGerald überdies ans Vaudeville denken lassen, wie auch Browne i n seiner Geschichte der
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A n Zelter 28. Apr. 1824, W A I V , 38, 122. N o t . u. Abh., Warnung, Jub.-Ausg., Bd. 5, p. 216 ff. F. G. Jünger: Orient und Okzident. Essays, Hamburg 1948, pp. 205—224.
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persischen Literatur aufgrund der Knappheit des Ausdrucks, der vermuteten — i n manchen Fällen nachweislichen — Unechtheit gewisser Vierzeiler, also der möglichen A n o n y m i t ä t der Sammlung an die ähnliche Situation bei Sammlungen v o n Limericks erinnert 2 8 . Omars Skeptizismus hat den Vergleich m i t Montaigne hervorgerufen 2 9 . Ernest Renan erkannte bei der Bekanntschaft m i t der ersten vollständigen europäischen E d i t i o n der Rubajat, 1867, durch J. B. Nicolas, der seinerseits, einer orientalischen T r a d i t i o n folgend, O m a r zum strengen Mystiker zu stilisieren versuchte, einen Geistesverwandten Goethes u n d Heines, w o r i n er Omars Freiheitswillen, Ironie und Streben nach individueller K u l t u r huldigt. Theophile Gautier erhob i h n zum Genossen Hamlets, des Grüblers über T a t u n d Gedanke, u n d v o n Lessings Nathan, dem Relativisten u n d humanitären Liberalen i n religiösen Entscheidungsfragen 30 . I n der angelsächsischen W e l t zog man Parallelen zwischen O m a r u n d der weltverachtenden pessimistischen Philosophie Schopenhauers 31 und, i n verwandtem Zusammenhang, dem Koheleth u n d H i o b , den Verkündern der vanitas vanitatum 32. — A l l e diese Deutungsversuche mittels Vergleiches m i t bekannteren Physiognomien i n Dichtung und Denken haben ihr gut T e i l Berechtigung, wenn auch keiner Chajjams poetische W e l t erschöpft. Individuum est ineffabile . 5. Gedanklicher
Gehalt
Was nun Omars Denkattitude betrifft, die m i t seiner spezifischen Ausgestaltung des Rubai als adäquater Ausdrucksform so auffallend i n Einklang steht, so kreisen sämtliche Interpretationsversuche seines Corpus letzten Endes u m das Thema, wie und bis zu welchem G r a d zwei darin sich manifestierende diametrale Grundhaltungen versöhnbar oder gar auseinander erklärbar seien, oder aber ob das Nebeneinanderbestehen auf eine nicht einheitliche Autorschaft hindeute 3 3 . 28 Edward G . Browne , A lit. history of Persia, vol. 2, Cambridge 1906 (repr. 1964), p. 258. 29 Vgl. Potter N r . 827. 80 Renan, Rapport annuel, in: Journal Asiatique (Paris), 6. ser., tome X I I , Jul.-Aug. 1868, p. 56 f.; Gautier üb. Nicolas' ,Les Quatrains de Khayyam', in: Moniteur Universel (Paris) v. 8. Dez. 1867. 81 Siehe A n m . 76. 82 Vgl. Potter N r r . 921, 929, 933, 1046 bzw. 953. 88 Letztere Alternative ist schon mehr ein Thema, dessen sich die Fachphilologie anzunehmen pflegt. Ich madie einen Unterschied zwischen der mehr unprofessionellen A r t ästhetisch-philosophischer Interpretation und den Erklärungen der Fachphilologie, da es hier um das Phänomen der literarischen Rezeption geht, für die die erstere Form der Beschäftigung weit mehr von Bedeutung ist als die letztere, die ich deshalb hier unberücksichtigt lasse. Die tageskritische Erörterung bleibt natürlich laienhaft gegenüber der philologisch-historischen, ja sie kann, was von dieser, die von Omar auf Avicenna zurück- bzw. auf Hafis vorausgreift, sowie Geschichte
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A m zündendsten für europäisches Empfinden w i r k e n unter Omars Gedichten vielfach diejenigen, i n denen er leidenschaftlich gegen die Lehre der Prädestination aufbegehrt. Diese Stücke gelten denn auch oft als die für i h n typischen. Es ist darin wenig oder nichts v o n der bei andern persischen Dichtern üblichen Bilderwelt zu entdecken, keine sentimentalen oder blumigen Elegien der Liebe i n phantastischer Einkleidung traditionell fixierter Sprache u n d Metaphern. Der spezielle philosophische Impetus macht das H a u p t vergnügen an O m a r aus. Dabei ereignet sich m i t erstaunlicher Beharrlichkeit immer wieder dieselbe Gebärde der Willensäußerung m i t nachfolgender Resignation, immer wieder ein Aufbegehren, gefolgt v o n E n t sagung, Sarkasmus, Flucht i n flüchtige Freuden. O f t vollzieht sich dieselbe Gebärde schon müde v o n A n f a n g an und endet i n noch tieferer Verzweiflung, oder der Tenor der Resignation ist schon eingangs zu spüren, u n d die antwortende Wendung spielt ins hastig ergriffene I d y l l oder aber i n w i l lenlose Ergebung i n Gott. H i e r f ü r einige Beispiele: Ich war ein Falke, den sein kühner Flug H i n a u f zum Reich der ew'gen Rätsel trug. D o r t fand ich keinen, der sie mir enthüllt, U n d kehrt' zur Erde wieder bald genug. W a r u m denn nur den Weltlauf angeklagt? W a r u m mit Grübeln nur das H e r z zernagt? Sei guter Dinge, denn man hat dich ja V o n allem Anfang nicht um R a t gefragt. D a ß ich geboren ward, verdank ich Deiner H u l d , M e i n hohes Alter Deiner Langmut und Geduld. Nach hundertjährigem Sündenleben w i l l ich sehn, O b Deine Gnade größer oder meine Schuld. 84
Das Aufbegehren des Herzens gegen ein unerbittliches Gesetz v o n V o r herbestimmtheit — Omars K a m p f gegen die Prädestinationslehre — u n d die tausendfältige Einsicht i n die Fruchtlosigkeit dieses Beginnens m i t der sehr häufigen Wendung z u m bloß gegenwärtigen Genuß als Beruhigung der Verzweiflung, dies ist der Omar, den FitzGerald vorstellte u n d der Europa durch seinen dunklen Charme eroberte. E r vereinigt w i r k l i c h die beiden vieldiskutierten Grundtendenzen seines Corpus: Schwermut, Empörung, und Terminologie des Sufismus heranzieht, als falsch erklärt wird, als richtig setzen und auf ihre Zwecke hin auswerten. Wirkungsgeschichte und historisch-kritisch ermittelte Wahrheit sind verschiedene Dinge. D i e Diskussion um FitzGeralds Übersetzung und ihre Folgen im O m a r - K u l t läuft sich tot, sooft diese Grenze nicht berücksichtigt wird. — Omar-immanente Interpretationen, ähnlich dem zweiten Teil von FitzGeralds eigener Einleitung, finden sich in Deutschland in den Einleitungen bei Rosen, Fränzel, Nordmeyer, Barth u. a. und bei F. G . Jünger. 34 Rosen N r r . 41, 89, 90.
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Verzweiflung, Sarkasmus einerseits, Weltgenuß, Tändelei, Resignation, Ergebung anderseits. Dieser Zwittergehalt hat Omars formale Ausgestaltung des Rubai geprägt, u n d die innere H a r m o n i e v o n Aussage und Darbietung, von seelischer Verfassung u n d Gedichtform i n der Benutzung der Vierzeilerf o r m durch O m a r ist dasjenige Ingredienz, welches seinen Erfolg verbürgt. Das Rubai ist eine altüberlieferte lyrische Form i n der persischen Literatur; diese seine spezifische innere Form erkannt u n d dem Ausdruck seiner Gedanken u n d Stimmungen amalgamiert zu haben, macht die Kunst Omars aus. I n den H ä n d e n anderer Dichter, z. B. des Hafis, gestaltet es sich sehr verschieden 35 . Daß Europa den Corpus-Charakter der überlieferten Omar-Gedichte auf ganz unorientalische Weise interpretierte, ist ein Nebenproblem; FitzGerald entschloß sich, eine A r t Geschichte zu erzählen, zumindest die Einzelstücke i n ein loses Gewebe epischen Fortgangs zu flechten 3 6 . D a m i t verließ er das orientalische Prinzip rein mechanisch-alphabetischer Aneinanderreihung der Einzelrubajat. Yet it is most ingeniously tesselated into a sort of Epicurean Eclogue in a Persian Garden 37. Die Idee des Gedicht-Zyklus i n diesem Sinne ist eine westliche Z u t a t 3 8 . V o n seinen deutschen Übersetzungskollegen bzw. -adepten folgten i h m darin mehr oder weniger strikt Preconi, FränzeL Nordmeyer, Barth, Rempis u. a. Wichtiger ist, daß die Rubajat des O m a r Chajjam die K o l l e k t i o n einer Gedichtgattung darstellen. Sie sind i n dieser Hinsicht gewissermaßen i n sich ein Stück Gattungsgeschichte, tragen zu deren Konstituierung bei. Vergleichbar sind Fälle v o n Sammlungen wie Properz, Montaigne, Shakespeares Sonetten usw., w o jeweils die Frage nach den Gattungsgesetzen nicht beantwortet werden kann, ohne deren spezifische Ausgestaltung i m vorliegenden F a l l als Normenerfüllung u n d als N o r m e n setzung dialektisch abzuwägen. II. O m a r
Chajjam
in
1. Stationen der äußeren
Deutschland. Aneignung.
FitzGeralds Poem erschien 1859. Z u dieser Zeit w a r O m a r Chajjam i n Deutschland unbekannt bis auf sehr spärliche Zeugnisse i n der wissenschaftlichen Literatur. 35 Vgl. Dizionario letter. Bompiani, vol. 6 (opere), Milano 1948, p. 399: M a le Rubaiyyat per antonomasia sono quelle attribuite a Omar Khayyam. 36 FitzGeralds Vorstellung eines locker gestalteten Tagesablaufs s. Arberry, The Romance of the Rubdiyat, pp. 22 f. 37 Zit. bei Arberry , Romance, p. 95. 38 Vgl. was Friedr. Weit, Des Grafen Platen Nachbildungen aus dem D i w a n des Hafis und ihr pers. Original, Berlin 1908, über Platens „Deduktionstendenz" bei Bearbeitung der hafisischen Ghaselen sagt.
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I m Jahre 1869 kann Theodor Benfey i n seiner ,Geschichte der Sprachwissenschaft u n d orientalischen Philologie i n Deutschland' 3 9 noch keine deutsche Chajjam-Übersetzung nennen 4 0 . 1870 renzensiert der Orientalist Paul de Lagarde die bereits erwähnte erste wissenschaftliche E d i t i o n v o n 468 Rubajat durch J. B. Nicolas (persisch m i t französischer Ubersetzung, Paris 1867), die er als „Ausgabe eines orientalischen Klassikers, den w i r noch gar nicht gekannt" apostrophiert 4 1 , w o m i t er freilich für das allgemeine L i t e r a t u r p u b l i k u m Deutschlands spricht, er selbst w a r m i t O m a r Chajjam seit langem durch Rückert vertraut. Es ist wahrscheinlich, daß etwa i n den Jahren der ersten beiden Ausgaben des Poems v o n FitzGerald, zur Zeit, als dessen Kollege E d w a r d Byles C o w e l l A r t i k e l über Chajjam schrieb 42 , ebenso wie i n Frankreich Gaston de Tassy 4 3 , auch der erste deutsche Übersetzer der chajjamischen Poesie — nach Hammers Proben — an der Arbeit w a r 4 4 . Diese Übertragung durch den Grafen A d o l f Schack erschien aber erst 1878. Es zeugt für die Unbekanntheit FitzGeralds i n Deutschland, daß Schack i n seinem Nachwort dazu zwar Rückert erwähnt als Vorläufer, ebenso Nicolas, den er für seine gewaltsame mystische Interpretation rügt, nicht aber FitzGerald. I n seiner Autobiographie ,Ein halbes Jahrhundert 4 v o n 1889 ignoriert er i h n immer noch u n d gedenkt der i n England so erfolgreichen Omar-Version, wiederum ohne FitzGerald namentlich zu nennen, erst i n seiner vorletzten Essai-Sammlung ,Pandora' v o n 1890 4 5 . U m die Jahrhundertwende aber geht dem deutschen P u b l i k u m allmählich der Stern Chajjams auf. Paul H o r n erwähnt i n einem Aufsatz v o n 1900 unter dem T i t e l ,Was verdanken w i r Persien?' bei den literarischen Acquisitionen endlich auch O m a r Chajjam, seine Ubersetzungen durch Schack und Bodenstedt u n d den i n voller Blüte stehenden O m a r - K u l t i n der angelsächsischen Welt. K u r z v o r der Jahrhundertwende hatte M a x i m i l i a n R u d o l p h Schenck die Nicolas'schen Rubajat übersetzt, bevor dann 1905 39
München 1869 (repr. N e w Y o r k 1965), pp. 626—29. Wenn er Schack nennt, so kann er nur dessen Firdusi-Übersetzung meinen. Übrigens nennt er unter den Ubersetzern aus dem Persischen den gerade verstorbenen Rückert gar nicht. 41 Gött. Gel. Anz. 1870, 2. Stück, p. 703. Auch: P. de Lagarde, Symmicta, Göttingen 1877, p. 4. 42 Vgl. Arberry, Romance, pp. 89 ff. 43 Note sur les Ruba'iyat de O m a r Khaiyàm, in: Journal Asiat. (Paris) 1857, pp. 548—554. 44 Er drückt sich im Nachwort von 1878 über die Zeitverhältnisse unklar aus, doch kann man, wenn man seinem „dreifachen nonum prematur in annum" nachrechnet, das Jahr 1850 erschließen, in welchem seine Übertragung vorgelegen hat. O t t o Spies , D e r Orient in d. dt. Lit., H f t . 2, Kevelaar 1951, p. 22 gibt 1857, also genaue Gleichzeitigkeit mit FitzGerald als Ausarbeitungszeit an, ohne weitere Dokumentation. 45 Adolf Graf von Schack, Pandora. Vermischte Schriften, Stuttgart 1890; im Essay ,Die erste u. die zweite Renaissance', p. 151. 40
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die erste einigermaßen vollständige Wiedergabe der FitzGeraldschen N e u dichtung durch R u d o l f Gittermann erschien, gefolgt 1907 von derjenigen G. D . Gribbles, bezeichnenderweise eines Engländers 4 6 . 1909 kam i n erster Auflage die Übertragung aus dem U r t e x t von Friedrich Rosen heraus, nur 152 Rubajat umfassend, die v o n der sechsten Auflage an als Inselbändchen nach 1929 die relativ weiteste Verbreitung gefunden hat u n d inzwischen als die kanonische deutsche Fassung zu gelten scheint. U m den Ersten Weltkrieg steigt eine F l u t v o n FitzGerald-Wiedergaben an; Rempis zählt bis 1935 etwa zwanzig solcher Versionen. O m a r ist für Deutschland entdeckt, wenn auch ein halbes Jahrhundert nach FitzGerald. U n d doch bleibt er auch heute noch ein A r c a n u m 4 7 . Er gehört, ein Fall merkwürdiger Geschmacksdefizienz u n d Beifallsverweigerung, i n Deutschland nicht zum allgemeinen literarischen Bildungsgut. Der Übersetzungsrausch i n den ersten drei Jahrzehnten unseres Jahrhunderts i n Sachen O m a r Chajjam w a r eines jener Strohfeuer des exotischen Kitzels u n d der bibliophilen Eroberungen, deren mehrere ohne Nachglut verloschen sind. Z u erwähnen ist allerdings, daß, sozusagen unterirdisch, Omars Poesie i n einem schwachen Rinnsal stets gegenwärtig w a r : i n den Anthologien zur persischen oder zur allgemeinen Weltliteratur. D i e historisch frühesten deutschen Fassungen v o n Omar-Gedichten finden sich i n Hammers ,Geschichte der schönen Redekünste Persiens' 48 . Er bietet 25 Rubajat, w o v o n 19 Stücke 1853 i n die breit angelegte, allerdings durchweg aus zweiter H a n d schöpfende Anthologie ,Der poetische Orient 4 v o n H e i m a n Jolowicz übernommen w u r d e n 4 9 . 1873 fügt Α . E. W o l l h e i m de Fonseca seiner Sammlung ,Die Nationalliteraturen sämtlicher V ö l k e r des Orients* auch 17 Omar-Verse, aus dem U r t e x t übertragen, ein 5 0 . D a v o n übernimmt 1887 neun Stücke Julius H a r t i n seinen , D i v a n der persischen Poesie', vereinigt m i t 48 weiteren v o n Schack. Bruno W i l l e wiederum fügt seinem W e r k ,Die Weltdichter fremder Z u n g e n ' 5 1 53 Verse i n der Version v o n Schenck — der übrigens auch i n Doles' M u l t i - V a r i o r u m E d i t i o n v o n 1898 vertreten ist — ein. Schließlich sei an Ernst Bertrams ,Persische Spruchgedichte' 52 er4β P. Horn in: N o r d u. Süd, hg. Paul Lindau, Bd. 94, 1900, pp. 377—395. — Sprüche des O m a r Chajjam, aus d. Pers. übertr. v. M . R. Schenck y H a l l e o. J. (1902) (Bibl. d. Gesamtliteratur des I n - u. Auslandes, N r . 1597/8). — Bibliographie sämtlicher dt. Ubersetzungen in: Chr. H . Rempis, Omar Chajjam und seine Vierzeiler, Tübingen 1935, pp. 197—200. 47 Das muß auch der bisher letzte Bearbeiter seiner Gedichte, M a x Barth, gestehen (s. Anm. 137, pp. 92 f.). 48 Wien 1818, p. 81 f. 49 Leipzig 1853. 60 Teil 4 seiner ,Classiker aller Zeiten und Nationen', Berlin 1873. 51 Berlin 1912. 62 Leipzig 1943 u. ö. (Insel-Bücherei 87).
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innert, dem auf großen Strecken Hammers ,Schöne Redekünste' als Vorlage seiner Bearbeitung diente 5 3 . — Über den Informationswert u n d Reizfaktor solcher Sammlungen für die lesende W e l t mag der erste F a l l Zeugnis geben. Hammers Anthologie diente Goethe als Hauptquelle für seinen ,West-östliehen D i v a n ' , zumal für die ,Noten u n d Abhandlungen'. I m Chor der darin auftretenden 200 persischen Dichter ist Omars Stimme aber nicht durchgedrungen, sondern spurlos verhallt. Goethe hat v o n i h m keinerlei N o t i z genommen. 2. Rubai und Ghasel Einer w i r k l i c h schöpferischen Rezeption des Rubai als Gedichtform, wie es uns i n Omars Corpus entgegentritt, stand nun, neben anderen Gründen, die noch zu diskutieren sind, ein fatales Mißverständnis i m Wege, nämlich ein vorschnelles Zusammenstellen wenn nicht gar eine Verwechslung m i t einer anderen orientalischen Gedichtform: dem Ghasel. Dies geschah sehr leicht aus rein äußerlichen Gründen u n d einer allzu mechanistischen Formbetrachtung. Das Rubai hat die Reimfolge a a b a, es kann also als ein kurzes Ghasel angesehen werden, sozusagen das kürzest mögliche Ghasel, welches sich theoretisch fortsetzen ließe . . . c a d a usw. Diese Mißdeutung findet sich verhängnisvollerweise sehr früh, soweit ich sehe, noch nicht bei Hammer, der sich über M e t r i k u n d Formgesetze m e r k w ü r d i g ausschweigt, aber bereits bei seinem Schüler Rückert i n dessen grandioser A r b e i t Grammatik, Poesie und Rhetorik der Perser v o n 1827, w o r i n er beiläufig einmal v o n „Rubâ'î- oder Ghazel-Form" spricht 5 4 . D i e Verführung zu solch mechanistischer Gleichsetzung w i r k t e weiter bei Platen, der tatsächlich Rubajat zu komponieren trachtet, indem er bereits geschaffene Ghaselen epitomisiert. G r a f Schack zeigt ebenso leider nur einen Ansatz zu der Einsicht i n den v o m Ghasel so weit verschiedenen Charakter des Rubai, wenn er i n dem kurzen Nachwort zu seiner eigenen Übersetzung lediglich anmerkt, daß O m a r schon vieles vorausnehme, was nach i h m Hafis verkünde, nur hätten seine Vierzeiler „den großen V o r z u g der Einheit des Gedankens, während bei dem jüngeren Dichter die einzelnen Doppelverse meistens nur ganz lose u n d ohne inneren Zusammenhang aneinander gereiht s i n d " 5 5 . Bedauerlicher ist, daß er sich nicht bemüht, echte Rubajat dem O m a r nachzuschaffen. Seines Kollegen-Rivalen Bodenstedts gelegentliche Deutung des 58 Über Bertrams Methode s. Diethelm Balke, West-östl. Gedichtformen, Diss. Bonn 1952, pp. 347—350. 54 Bei Erläuterung des Rubai in: Wiener Jb. 40, pp. 215—18; Neudr. 1874, p. 81—84 (s. Anm. 21). 55 G r a f Adolf v. Schack, Strophen des Omar Chijam deutsch, 2. Aufl., Stuttgart u. Berlin 1902, p. 94.
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Rubai als „vierzeiliger Strophe, w o v o n drei Verszeilen, nämlich die erste, zweite u n d vierte Ghaselreime haben, während die dritte ungereimt b l e i b t " 5 6 , zeigt diesen auf demselben Holzwege. Daumers Erklärungsversuch ist schlechthin unhaltbar, aber leider folgenreich geworden 5 7 . Eine A h n u n g v o m grundsätzlichen Eigenwesen des Rubai gegenüber dem Ghasel dämmerte eigentlich erst, nachdem die philologische Forschung auf dieses Problem einzugehen begann. I n Paul Horns ,Geschichte der persischen Literatur' findet sich eine knappe Beschreibung des Rubai m i t der Bemerkung, O m a r Chajjam habe es „ a u f die höchste H ö h e gehoben, die dies je erreicht h a t " 5 8 . N i c h t ohne Recht vergleicht er das Rubai m i t dem italienischen Stornell, welches eine ähnliche W i r k u n g zu erzielen suche: zuerst Zeichnung des Milieus, dann Einwand, zuletzt Pointe. Feinfühligkeit gegen das eigene A i r des Rubai beweist Walter Fränzel i m V o r w o r t seiner Ubersetzung nach FitzGerald. Er nennt es die „wahre Strophe der Unentr i n n b a r k e i t " 5 9 . V i c t o r Meyer hebt i n einer Dissertation 1914 das Rubai als Besonderheit aus den übrigen persischen Gedichtformen heraus, als diejenige Form, die der europäischen E r w a r t u n g einer Schlußkulmination eines dichterischen Gebildes am meisten entgegenkomme 6 0 . V o n entscheidender Bedeutung über allen solchen erfreulichen Beweisen ästhetischer Differenzierung ist die Erkenntnis der Wissenschaft, daß das Rubai audi historisch gesehen v o m Ghasel v ö l l i g unabhängig ist. Es ist nicht jünger als das Ghasel, wie z. B. Jacob M i n o r i n seinem Handbuch zur M e t r i k u n d m i t i h m R u d o l f Schlösser i n seinem monumentalen Platen-Buch glauben 6 1 , sondern älter, ja es w i r d gegenüber allen anderen, v o n den Arabern übernommenen, Gedichtformen als das einzige original-persische bezeichnet 62 . Es gilt als das älteste aller überlieferten neupersischen Versmaße. I m Zusammenhang damit hat einmal H . Ritter das ganze unter O m a r Chajjam tradierte RubajatCorpus als eine Sammlung v o n Volksdichtung bezeichnet 63 . Georg Jacob hat nun überdies nachgewiesen, daß das dem Rubai zugrundeliegende
56 Fr. Bodenstedt: Aus dem Nachlasse des M i r z a Schaffy, 14. Aufl., Leipzig 1887, p. 207. 67 Siehe Anm. 94. 58 Leipzig 1901, p. 151 (Die Literaturen des Ostens in Einzeldarstellungen 6, 1). 59 Omar Chaijam Rubaijat, aus d. Engl. E d w . FitzGeralds übertr. v. Walter Fränzely Jena 1913, p. 13. 60 Victor Meyer, Platens Gaselen, Diss. Leipzig 1914, p. 25, Anm. 1. 61 Jacob Minor, Neuhochdeutsche Metrik. Ein Handbuch, 2. Aufl., Straßburg 1902, p. 505; Rudolf Schlösser, August G r a f von Platen, Bd. 1, München 1910, p. 383. 82 E. G. Browne, a.a.O. p. 18; J. Rypka, a.a.O. p. 97; A . J. Arberry, a.a.O (s. Anm. 21), p. 611. 63 H . Ritter, Z u r Frage der Echtheit der Vierzeiler des Omar Chajjam, in: Oriental. Lit.-Ztg., Jg. 32, 1929, p. 160.
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Reimschema a a b a weit über Persiens Grenzen hinaus bei vielen orientalischen V ö l k e r n nachweisbar ist, i n China, Indien, den arabischen Ländern, der T ü r k e i 6 4 . I n den i n Frage kommenden Kurzgedichten folgen stets auf zwei Eingangsverse, die eine Naturschilderung enthalten, zwei weitere, die eine A r t „ N u t z a n w e n d u n g für den Menschen" ziehen. U n d immer ist der dritte Vers reimlos. Eine Erklärung für diese Erscheinung vermag Jacob nicht zu geben. Er versucht anhand des Quma-Gedichts eine psychologische Deutung, die die reimlose dritte Zeile als Pausenintervall v o r dem Schlußreim erklärt. D i e F u n k t i o n der Pufferzeile, eine Spannung zu erzeugen, die dann i n der vierten Zeile gelöst w i r d , macht sie, wie w i r sahen, auch bei Chajjam zur Achse des Gedichts. Daß wahrscheinlich eine dichtungs- oder gesangs-psychologische Erklärung für diesen Rhythmus einer auf ein Reimpaar folgenden gleichgereimten A r t Langzeile, die i n zwei Zeilen gespalten auftritt, als Form volkstümlicher Spruchdichtung zu suchen ist, beweist das Material, auf das H e r m a n n Welcker i n einem bemerkenswerten Aufsatz v o n 1879 aufmerksam gemacht h a t 6 5 : den sogenannten Schnadahüpfl. Das Spüchlein: Noch einen K u ß / zum Beschluß, / W e i l ich von D i r / scheiden muß
vierzeilig geschrieben, gleicht i n der Tat, was das Reimgefüge betrifft, dem persischen Vierzeiler. Der v o n Welcker durchaus anerkannte Grundunterschied — Volkspoesie gegenüber Kunstpoesie — besteht darin, daß bei der spielerisch hastigen Kürze, die an sich nichts als pure Reimfreude verrät, an noch so bündige Entwicklung einer Ideen-Antithese nicht zu denken ist. Das Schema eines Doppelreims, dem der nächste, dritte erst nach einer A t e m pause nachgeschickt w i r d , teilen sich jedoch Schnadahüpfl u n d Rubai. Eine simplere Interpretation des ersteren allerdings könnte lauten, daß w i r es eigentlich m i t einem Distichon m i t Binnenreim i m ersten Vers zu t u n haben, also grundsätzlich m i t einem Zweizeiler und nicht einem Vierzeiler. 3. Stationen einer versäumten inneren Aneignung: F. Schlegel, Goethe, Schopenhauer Das bedeutsame Beispiel Goethes i m Verhältnis zu H a m m e r mag uns zur Kernfrage unserer Untersuchung führen: wo, wann, durch wen hat eine Rezeption Chajjams, seiner Dichtung, stattgefunden? D a w i r v o n vornherein wissen, wie selten dies der Fall war, stellen w i r i n Verbindung damit 64 Georg Jacob y Das Ruba'i — Schnaderhüpfl in der Weltlit., masch. Kiel 1934 (Kieler Univ.-Bibl.: A z 2636). 65 Hermann Welcher, D i e pers. Vierzeile u. d. dt. Volksreim, in: N o r d u. Süd, hg. Paul Lindau, Bd. 10 (3. Quartal), 1879, pp. 339—351.
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die weiterführende Frage: bei welcher Gelegenheit, durch w e n hätte es möglicherweise geschehen können, u n d welche Anhaltspunkte lassen sich für derartige Vermutungen anführen? W i r verfolgen unser Interesse also doppelspurig, positiv m i t der A u f merksamkeit auf tatsächliche Ereignisse, negativ auf erschließbare Versäumnisse. Beides getrennt zu behandeln erscheint nicht angemessen, da nur i n K o n j u n k t i o n v o n Erfolg u n d Mißerfolg zu erkennen sein w i r d , daß die deutsche Literatur sich eines möglichen Gewinnes entschlagen hat. So wie O m a r i n England ganz da und vorhanden ist, so ist er auch i n Deutschland niemals ganz abwesend, aber es k a m eben niemals zur Eingliederung i n den allgemeinen Besitz eingemeindeter Literatur. D i e Chronologie hätte vielleicht m i t Herder zu beginnen, welcher als erster sich m i t persischer Dichtung eingehend beschäftigte u n d Saadi u n d Hafis aus meist lateinischen Quellen übersetzte, wobei sein Augenmerk auf den didaktischen Stücken lag. Jedoch genügt seine Erwähnung als Erstling i n dieser Hinsicht, da er zugleich auch der Erste genannt werden kann, der i m Rahmen seiner persischen Studien m i t O m a r Chajjam nichts zu t u n hatte. I m Gefolge Herders — u n d Hamanns — wendet sich die R o m a n t i k dem Orient zu. „ I m Orient müssen w i r das höchste Romantische suchen" lautet eine oft zitierte M a x i m e Friedrich Schlegels v o n 1800 6 6 . Dieser ist es denn auch selbst, v o n dem theoretisch eine erste Rezeption, i n Form einer k r i t i schen Analyse oder aber Ubersetzung, des hier i n Rede stehenden O m a r oder anderer persischer Dichter zu erwarten gewesen wäre. W i e nahe eine solche Chance lag, mag seine flüchtige Bemerkung i n einem Brief an den Bruder August W i l h e l m aus dem Jahre 1803 beweisen, als er sich i n Paris persischen Studien hingibt. „ I c h werde D i r vielleicht bald zur Erwiderung einige Gazeis schicken, eine persische Dichtart, die sich sehr an die Glosse, Sestine u n d das Sonett anschließt und zwischen diesen allen ungefähr das M i t t e l h ä l t . " 6 7 Außerdem hegt er Pläne zu einer persischen G r a m m a t i k u n d einem Essai über persische Sprache u n d Dichtung für seine ,Europa*. Schlegel scheint, seinen Worten an den Bruder zufolge, nahe an der Entdeckung der Tugenden des Rubai zu sein, denn seine Interpretation des Ghasel steuert ganz i n diese Richtung. Bei Friedrich Schlegel mußte der gnomische Charakter der persischen Dichtung, wie er sich auch i m Ghasel äußert, i n den Vordergrund treten. Schon seine Deutung des Ghasels als dem Sonett vergleichbar, einer Gedichtform m i t dezidiertem Pointenbewußtsein u n d einem Z u g zur antithetischen u n d diskursiven Spekulation, legt die Vermutung M
K r i t . Friedr. Sdilegel-Ausg., Abt. I , Bd. 2, hg. Hans Eichner, 1967, p. 320. F. Schlegels Briefe an seinen Bruder Aug. Wilh., hg. Oscar Walzet, B e r l i n 1890, p. 507 (15. Jan. 1803). 67
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nahe, daß i h m das Rubai, welches er gekannt haben dürfte, den v o n i h m zum Vergleich benutzten romanischen Gedichtformen noch verwandter erschienen sein muß. Es ist durchaus möglich, daß er die Rubaiform unter den „Gazeis" mitverstand, w o r i n so verhängnisvoll viele es i h m gleichtaten. Denkbar ist jedoch auch, daß er die drei genannten Parallelen u m ihrer Reimschwellung w i l l e n zog. Z w e i Eigenschaften des Kritikers u n d Dichters Friedrich Schlegel lassen i h n besonders empfänglich erscheinen für eine Gedichtform wie das Rubai: sein überstark ausgeprägter H a n g zur sentenzenhaften Äußerung, zu „Fragmenten" u n d zu Gattungen wie der Glosse einerseits u n d anderseits die schrankenlose Nachahmungswilligkeit fremder, fürs Deutsche noch zu erwerbender literarischen Formen u n d Gehalte. V o n Friedrich Schlegel wäre, vieles spricht dafür, zumal die glückliche Konstellation seiner unmittelbaren Bekanntschaft m i t persischen Originalquellen, eine Einführung persischer Dichtungen u n d darunter O m a r Chajjams zu gewärtigen gewesen, v o r Hammer-Purgstall u n d v o r Rückert u n d Platen. Sein Pioniergeist wandte sich jedoch einem angrenzenden Gebiet zu, dem Indischen. Er w i r d hier i n gesteigerter E x o t i k mehr Befriedigung gefunden haben als bei der i h m doch noch zu nahe liegenden persischen Dichtung. Das Komplement seiner unbändigen Entdeckerfreude, Schlegels beklagenswerte Systemlosigkeit, der rapide Wandel seiner literarischen Konzepte, u n d seine unerfüllte Plänemacherei haben es zu einer Aneignung des Ghasels, u n d i n dessen Gefolge vielleicht des Rubai, nicht kommen lassen. — Friedrich Schlegel ist i n unserem Zusammenhang ein Fall v o n einer besonderen individuellen Sachlage. Es sind jedoch immer wieder andere Gründe, die i m Laufe des Jahrhunderts ein Bekanntwerden u n d Einbringen O m a r Chajjams verhindert haben, obw o h l dies durchaus zu mehreren Malen möglich erschien. M i t Schlegel stand H e l m i n a v . Chézy, G a t t i n seines orientialistischen Kollegen, i n Verbindung. Aus ihrer Feder stammen einige Ubersetzungen kleiner Gedichte aus dem Persischen. Sie finden sich i n Fouqués u n d N e u manns Musenalmanach v o n 1812 sowie i m ersten u n d dritten Band der bekannten ,Fundgruben des Orients 4 . Unter ihnen ist jedoch kein Rubai vertreten. Sie übersetzt vierzeilige Gedichte m i t den üblichen Kreuz- u n d Paarreimen. I n ihrer Gedichtsammlung v o n 1812 widmet sie einen beträchtlichen Abschnitt orientalischen Themen. Sie übersetzt eine ,Ode v o n Hafis c i n der originalen F o r m eines Ghasels, u n d i n einem ,Gesang v o m Morgenlande' versucht sie eine poetische Epitome der persischen Dichtung, wobei Dschami, A n w a r i , Hafis, Saadi u n d Firdusi vorkommen, O m a r Chajjam aber noch f e h l t 6 8 . ®8 Helmina v. Chézy, Gedichte der Enkelin der Karsdiin, 2 Bde., Aschaffenburg
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I m ersten i n Deutschland entstandenen Lehrbuch der neupersischen Sprache u n d Literatur, dem Werk des Heidelberger Mediävalisten Friedrich W i l k e n 6 9 , fehlt Chajjam ebenfalls noch; sonderbarerweise hat er auch Hafis u n d Saadi ausgelassen. V o n W i l k e n erhält jedoch Achim v. A r n i m für seine Einsiedlerzeitung ( N r . 7, A p r i l 1808) die Legende aus Daulatschah v o n der Entstehung der persischen Poesie aus dem unwillkürlichen Ausruf spielender Kinder. D i e Legende spricht i n der T a t v o n der Findung des Rhythmus des Dubait, welches dasselbe wie das Rubai i s t 7 0 . Doch auch dies hat, so sehr es unser Thema zu betreffen scheint, noch nicht unmittelbar m i t Omar Chajjam zu tun. D i e ersten Ubersetzungen des persischen Originals v o n O m a r stammen v o n Hammer-Purgstall 7 1 . Er hat 25 Rubajat in seine ,Geschichte der schönen Redekünste Persiens' v o n 1818 aufgenommen. D a v o n sind 13 sogar i m originalen Rubai-Muster wiedergegeben m i t der für eine adäquate W i r k u n g unerläßlichen Reimfolge a a b a (zweimal davon m i t der durchaus legitimen Folge a a a a). I n den übrigen Fällen begnügt er sich m i t gewohnten deutschen Reim Verbindungen. Es ist jedoch ein Beweis für die Stärke der „geprägten F o r m " des Rubai-Gehalts, daß auch i n diesen Fällen trotz der stets etwas holperigen Sprache Hammers der Pointencharakter der Gedichte erhalten bleibt, wie etwa i m Beispiel der schalkhaften Sophistik über das Weinverbot, das O m a r m i t dem Dogma des göttlichen Vorherwissens verk n ü p f t , dem er sonst m i t so energischem Zorn, hier aber m i t überlegenem Spott begegnet: Ich trinke Wein und jeder trinket der gescheit, Verzeihung ist dafür mir bei dem H e r r n bereit. V o n ewig wußte Gott, ich würde trinken Wein, D r u m wenn ich ihn nicht tränk, Gott müßt unwissend sein.
Oder: I m Frühling, wenn mir ein Hurisgesicht Die Kanne Weines schäumend reicht als Schenke, (So schändlich dies auch deucht gemeinem Wicht) Bin ich ein H u n d , wenn ich ans Paradies gedenke. 1812. Bd. 2, pp. 61—128 u. d. T . ,Der Palmenhain' eine Sig. orientbezogener Gedichte: ,Gesang vom Morgenlande' pp. 64—70, ,Ode von Hafis* p. 124 f. — Ihre Ubersetzungen in d. »Fundgruben': Bd. 1 (1809), pp. 85, 94, 448 und Bd. 3 (1813), pp. 1 9 , 9 8 . 60 Friedr. Wilken, Institutiones ad fundamenta linguae persicae cum chrestomathia max. part, ex auctoribus ined. coll. et glossario locupleti, Lipsiae 1805; dazu*. Auctarium ad chrestom. etc., Lipsiae 1805. 70 Ludw. Achim ν. A r n i m : Trost Einsamkeit, hg. Friedr. Ρ faff, Freiburg u. Tübingen 1883, p. 66. 71 Die tatsächlich früheste Wiedergabe eines omarischen Rubai in einer europ. Sprache, Latein, findet sich in Thomas Hyde , Religion of the Ancient Persians, Oxford 1700, pp. 499 f. — Goedeke (Bd. V I I , Buch 7, Abt. 2, § 310), in der A u f -
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Hammers Auswahl scheint nicht ungeschickt. Sie repräsentiert die verschiedenen Züge, die Omars Poesie so reich machen und seine Deutung oft so schwierig. Das Hauptgewicht legt er auf die philosophischen Verse. Aber auch das Wein- und Liebesthema ist vorhanden, wie w i r sehen. Der mystische O m a r ist ebenso vertreten wie der Zauberer der melancholischen N a t u r stimmung. Das v o n H a m m e r gebotene O m a r - B i l d ist zwar i n dieser K ü r z e uneinheitlich, aber i m ganzen eine A r t Vorbereitung auf das später v o n FitzGerald entworfene 7 2 . Es hat viel zu wenig Aufmerksamkeit erfahren, wenn man auch zugestehen muß, daß Hammers Sprache trocken, nüchtern u n d oftmals ungeschickt, jedenfalls wenig poetisch ist, wie ein weiteres Beispiel anschaulich machen mag. Der Vierzeiler: W o Tulpen auf den Feldern sprossen, Trank jeder Fleck das Blut der Grossen. Die Veilchen, die auf Wiesen prangen, Sind Muttermale schöner Wangen
erscheint bei FitzGerald als das so beliebt gewordene I sometimes think that never blows so red The Rose as where some buried Caesar bled , That every Hyacinth the Garden wears Dr opt in its Lap from some once lovely Head.
Hammers »Redekünste4 wurden zur Materialquelle für Goethes Studien zum ,West-östlichen D i v a n ' . Der , D i v a n ' steht unter dem Stern des Hafis. Es ist ein Faktum, daß Goethe v o n Omar Chajjam k a u m N o t i z genommen hat. Soviel ich sehe, gibt es nur einen knappen Hinweis darauf, daß Goethe die Existenz Chajjams überhaupt i n der Reihe der 200 Dichter registriert hat. A u f einem Lesezettel (Paralipomenon 159, Akademie-Ausgabe des West-östlichen D i v a n , Bd. 3, p. 164) verzeichnet er bei Lektüre der „Schönen Redekünste" einige Seitenzahlen m i t den jeweils dort gebotenen Dichtern, u. a. unter Seite 80: „ O m a r C h i a m " . Es gibt aber keine Anzeichen dafür, daß Goethe sich näher m i t i h m beschäftigt hat. Jedenfalls k o m m t O m a r Chajjam i n demjenigen Werk, welches den Orient u n d zumal die persische Literatur für das deutsche Geistesleben entdeckte, ja eingemeindete, nicht vor. Es ist nicht zweifelhaft, daß w i r hierin den eigentlichen G r u n d für seine allgemeine Abwesenheit, seine fast totale Unbekanntheit i n Deutschland zu sehen haben, trotz aller Wechselfälle, die i h m später doch noch hier u n d da eine Chance geben sollten. Nach Goethe ist es immer wieder Hafis, der das Primat i n der Beliebtheit der persischen L y r i k e r erhält. Stellung der Ubersetzungen aus oriental. Sprachen im Zeitraum 1790—1815, kann noch nichts über O m a r Chajjam verzeichnen. 72 Es entsprechen sich folgende Gedichte: Hammer 7 — FitzG. (1. Aufl.) 36, H 10 — F G 2, H 15 — F G 28 (29), H 16 — F G 18, H 20 — F G 34, H 22 — F G 12, H 25 — F G 50. 5 Literaturwissenschaftliches Jahrbuch, 12. Bd.
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M a n könnte sagen, er überschattet O m a r i m deutschen Interesse an persischer Literatur. Vergegenwärtigt man sich Goethes Spruchdichtung, etwa die ,Zahmen Xenien', i n ihrer Eigenart gegenüber den Rubajat, so ergeben sich hinreichende Gründe für die Unvereinbarkeit beider Dichter als geistiger Erscheinungen, woraus das Fehlen Omars i m W e r k Goethes verständlich w i r d . Unter der äußeren Vergleichbarkeit der Sprüche beider Dichter, nämlich hinsichtlich der wegweisenden Geste des Unwillens u n d der geharnischten Verteidigung der Position des Isolierten, verbergen sich diametrale Tendenzen der Lebensanschauungen. Chajjams erbitterte u n d beißende Wahrheitssuche, die den K e i m der Enttäuschung stets i n sich trägt, sein H a n g zur schonungslosen Desillusionierung und z u m Aufreißen v o n Weltunstimmigkeiten verträgt sich schlecht m i t Goethes, wenn auch bisweilen ebenso unwirschem, W i l l e n z u Einsicht, Vertrauen auf Transzendenz, H e i l u n g u n d K o r r e k t u r . Goethe bekämpft eine i h m k r a n k erscheinende Welt, indem er sie auf seine Werte des Vertrauens, Fortschritts, der Glücksmöglichkeit für den Menschen verpflichtet. O m a r ist der Störenfried einer scheinbar geordneten Welt, der W e l t eines religiösen Dogmatismus. Seine Stimme beschreit das optimistische Vertrauen i n ein Geistesgebäude, das dem Menschen eine Transzendenz zu sichern scheint; er entlarvt diese Scheinsicherheit, verzweifelt aber selber an einer optimistischeren Aussicht auf Gotteserkenntnis. Er formuliert vielmehr seine Verzweiflung an einer wahren Glücks- u n d jeglicher Transzendenzmöglichkeit des Menschen u n d seine Flucht zu einem wenigstens temporären, wenn auch m i t Bewußtlosigkeit erkauften Glück i m Rausch der Liebe u n d des Weines. M a n kann sich die Ferne Goethes v o n der Position Chajjams verdeutlichen durch seine leidenschaftliche Ablehnung v o n dem Spruch des Predigers „Alles ist eitel", dem Chajjams triste Verlautbarungen so nahestehen. Goethe nennt diese A r t Weisheit „diesen falschen, j a gotteslästerlichen Spruch", m i t dem man obendrein noch glaube, „etwas Weises u n d U n w i d e r legliches gesagt zu h a b e n " 7 3 . Seiner zuversichtlichen Alterseinsicht: Fahrt nur fort nach eurer Weise Die Welt zu überspinnen! Ich in meinem lebendigen Kreise Weiß das Leben zu gewinnen 7 4
steht jene fatalistisch-pessimistische entgegen : Dein Los ist längst im Buch des Seins besiegelt. D u bleibst, was Allahs Schöpferlaune spiegelt. Ο ruhe endlich zwischen G u t und Böse ! Das Tor zur Freiheit wurde dir verriegelt. 7 5 7S
Dichtung u. Wahrheit, 16. Buch, Jub.-Ausg. Bd. 25, p. 6.
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Wenn O m a r sich auf seine eigene Person resigniert zurückzieht u n d dabei regelmäßig i n Selbstabtötung, Selbstvergessenheit endet, so Goethe auf die eigene N a t u r , u m sich i n der Versicherung seines Selbstwertes zu bewahren. Er entsagt, während der Rebell O m a r sich schließlich ganz aufgibt. Außerdem k o m m t es Goethe überhaupt weniger auf geistreiche Entfaltung — Umkehrung, Spiegelung, Entlarvung — eines Gedankens i n seinen Sprüchen an, wie O m a r , sondern auf reine Aussage. N u r w o seine aufgestaute Unzufriedenheit nicht zu dämmen ist, da k o m m t es zu einem Xenion. Daher sind die ,Zahmen Xenien' meist ganz unspekulativ u n d viel realistischer als Omars Rubajat. I n den ,Zahmen Xenien* steht dem Ich des Dichters das „ I h r " der entfremdeten Zeitgenossen gegenüber, bei O m a r ist es ein abstraktes, religiös-philosophisches Lehrgebäude. Schließlich ist Goethes H a l t u n g mehr Verteidigung, Omars dagegen Attacke. I n einem Fall n u n k l i n g t Goethe recht omaresk i n Form u n d Gehalt: Wie hast du's denn so weit gebracht? Sie sagen, du habest es gut vollbracht! M e i n K i n d ! ich hab' es klug gemacht: Ich habe nie über das Denken gedacht.
Dies ist schon äußerlich beinahe ein Rubai, ja man kann es als ein solches durchgereimtes gelten lassen. Deutlich ist die ironische F u n k t i o n des wiederkehrenden Reimes. D i e dritte Zeile hebt, Spannung erzeugend, zur Gedankenwendung an, u n d die vierte führt den Schlag i n eine unerwartete Richtung. Überdies w i r d i n ihr eine Resignation i n den Agnostizismus verkündet, was wieder für die ,Rubajat* typisch ist. Doch ist dies nur scheinbar so. Dahinter liegt natürlich i n Wahrheit kein Bekenntnis z u m Agnostizismus verborgen, sondern, unausgesprochen aber mitverstanden, das Vertrauen i n die Macht der I n t u i t i o n als Quelle der Gewißheit, auf deren Rechnung hier der Spekulation eine Absage erteilt w i r d . Diese ironische Überlegenheit zeigt den fundamentalen Unterschied der Geisteshaltungen O m a r Chajjams u n d Goethes: Verzweiflung an der Möglichkeit eines sicheren Wissens oder Erkennens auf der einen Seite, ruhige Gewißheit einer i n t u i t i v e n Schau auf die Welt, die zu Erkenntnis führt, auf der anderen. Philosophischer Skeptizismus gegen dichterische Weltgewißheit. M i t dieser Goetheschen A n t w o r t auf die Kantische Frage erledigt sich das Thema O m a r Chajjam. Selbst wenn Goethe v o n O m a r Kenntnis hatte, so w a r eine A d a p t i o n unwahrscheinlich, j a undenkbar, aus inneren Gründen und, das k o m m t hinzu, wegen ungünstiger Konstellation: fiel die Begegnung, falls eine stattfand, doch i n die Goethesche Ä r a des Schocks und Horrors v o r dem Byronismus. 74 75
5*
Jub.-Ausg. Bd. 4, p. 38. Ubers. Rudolf Berger, Omar Khayyam. Die Sinnsprüche, Bern 1948, p. 31.
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Dagegen hätte Chajjam bei einem anderen Deutschen gerade u m seiner Weltschmerzstimmung w i l l e n A n k l a n g finden können, der i h n v o n einer ganz verschiedenen Seite her, nicht als Künstler sondern als Denker, den Deutschen hätte bekanntmachen, ja ans H e r z legen können — hätte er nur selber Kenntnis v o n i h m gehabt. Wenn Goethe O m a r ignorierte aus Z u f a l l oder aus individuellen Gründen u n d i h n nicht einmal i n den , N o t e n u n d Abhandlungen' nannte — dies w o h l am ehesten deshalb, w e i l Omar, der Häretiker, nicht unter die anerkannten Klassiker der persischen Literatur gehört und also nicht i n den K a n o n aufgenommen wurde — , so hätte A r t h u r Schopenhauer aus ebensolchen höchst individuellen Gründen sich Omars u n d seiner pessimistischen Lebensanschauung ohne allen Zweifel angenommen. ,Die W e l t als W i l l e und Vorstellung' erschien fast gleichzeitig m i t dem ,West-östlichen D i v a n ' . Z u diesem Z e i t p u n k t konnte man eigentlich nur i n Hammers ,Redekünsten' über Chajjam unterrichtet werden. Schopenhauer erwähnt O m a r weder i n seinem H a u p t w e r k n o d i an anderer Stelle. D i e Verwandtschaft seines Denkens m i t demjenigen Omars ist aber zu schlagend, als daß man diesen historischen Z u f a l l — i n der T a t eher ein U n f a l l — i n unserem Zusammenhang unerwähnt lassen dürfte. Die Übereinstimmung ihrer Lebensphilosophie ist auch i n der angelsächsischen W e l t nicht unbeachtet geblieben. Es gibt A r t i k e l darüber 7 6 , die sich u m den P u n k t bemühen, bis zu welchem völlige Ubereinstimmung herrscht und v o n welchem ab beide Denker allerdings diametral divergieren. I n der Darstellung der Welt, wie sie ist, sind sich O m a r und Schopenhauer nämlich v ö l l i g einig: sie ist nichtig, sinnlos, leidvoll. I n der Konsequenz, die sie aus dieser Einsicht ziehen, entfernen sie sich voneinander. O m a r flüchtet i n den Genuß, den sinnlichsten, als Quietiv, Schopenhauer sieht allein i m Asketismus Rettung. Diese Differenz ist jedoch nicht entscheidend. M a g die ethische Folgerung, die Omar zieht, noch so sehr v o n Schopenhauers eigener abstehen, wer diesen kennt, k a n n nicht zweifeln, daß er Omars Dichtung, hätte er sie gekannt, ausführlich benutzt haben würde als Ornament der Ausmalung seines pessimistischen Weltbildes. Es ist nur nötig, die Eigentümlichkeit der Schopenhauerischen Zitierweise i n ihrer grandiosen Einseitigkeit zu erkennen. Das i n seinen Werken überaus beliebte Z i t a t zielt i n den meisten Fällen keineswegs auf eine Epitome des zitierten Werkes — es gibt Ausnahmen wie etwa den Koheleth — , sondern auf die egoistische Ausbeutung eines kleinsten Partikels. Bei der Beschreibung der Welt, wie sie nach Schopenhauer ist, hätte i h n also m i t Sicherheit 76 W i l l i a m Lyon Phelps , Schopenhauer and Omar Khayyam, in: N e w Englander ( N e w Haven), N o v . 1888, pp. 328—336, sowie C. D . Broad , The philosophy of Omar Khayyam and its relation to that of Schopenhauer, in: Westminster Review (London) N o v . 1906, pp. 544—556.
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nichts gehindert, Omars Verse der Trauer, Düsternis, Hoffnungslosigkeit nach Belieben als nur noch einen Beleg mehr aus dem Kreise der Wissenden zu benutzen. Weiterhin kann es denn auch keinem Zweifel unterliegen, daß er dieser Stimme aus Persien Gehör und, als seine Philosophie später zu w i r k e n begann, eine gewisse Popularität verschafft hätte, nicht anders als es m i t dem v o n i h m so erfolgreich entdeckten indischen Schleier der M a j a geschah. Vielleicht hätte man Chajjam nur i m vierten Buch der ,Welt als W i l l e und Vorstellung' nicht angetroffen, für das erste u n d zweite Buch ließe sich schwerlich ein imponierenderer Kronzeuge finden. But this was not to be.77 4. Blüte ohne Frucht: Rückert und Platen Der ,West-östliche D i v a n ' wurde zum Erlebnis für die beiden einzig ernst zu nehmenden Vertreter der sogenannten orientalisierenden Dichtung i n Deutschland 7 8 : Rückert und Platen 7 9 . Beide hatten unmittelbaren Zugang zu den Originalwerken persischer Dichtung, u n d beide ließen sich v o n ihr zu schöpferischer Nachahmung begeistern. H i e r war, so könnte man meinen, die Chance aufgetan für den E i n t r i t t O m a r Chajjams i n die deutsche Literatur. Jedoch — immer sind es andere Gründe, die dies verhindern — zwei Faktoren lenkten den Strom i n andere Bahnen. Eigentlich entdeckt w i r d das Ghasel, nicht das Rubai, welches nur i n dessen Nachhut Eingang findet und, v o n Goethe angeleitet, wenden beide ihre künstlerische Aufmerksamkeit dem Sänger der Liebe Hafis zu, nicht dem Verkünder des Weltschmerzes u n d der Glaubensgrübelei. Rückert fällt der R u h m zu, die Ghaselform der deutschen Literatur zugeführt zu haben 8 0 . Als Schüler Hammers, der i h n für persische Literatur interessierte, hielt er sich zunächst an Dschellal eddin Rumi, an dessen Bear77 Broad , a.a.O. p. 544. — Erwähnenswert, daß Saadi vorkommt laut G. F. Wagner, Encyclop. Register zu Schopenhauers Werken, 1909, repr. 1960, hg. A . Hübscher, s. v. achtmal — natürlich ganz schopenhauerisch eingebettet. 78 Vgl. F. Kainz, Orientalisierende Dichtung, in: Merker-Stammler, Reallexikon, 1. Aufl., 1926/8, Bd. 2, pp. 541—548 sowie jetzt den glänzenden Beitrag in der 2. Aufl., 1965, Bd. 2, pp. 816—869 von Diethelm Balke. — Franz Babinger, Orient u. dt. Lit., in W . Stammler, D t . Philologie im Aufriß, Bd. 3, 2. Aufl., 1960 ff. Sp. 565—598. — Arthur F. J. Remy, The influence of India and Persia on the poetry of Germany, N e w Y o r k (Columbia U . P.) 1901. 79 Über die Problematik der Chronologie und der Beeinflussung durch bzw. Selbständigkeit gegenüber Goethe vgl. Unger , Platen in seinem Verhältnis zu Goethe. Ein Beitr. z. inneren Entwicklungsgeschichte des Dichters, 1903 (Munckers Forsch, z. neueren Lit.-Gesch. 23); ferner Leopold M agon, Goethes West-östl. D i v a n und Rückerts östliche Rosen, in: Festschrift H . A . Korff, hg. Joachim Müller, Leipzig 1957, pp. 160—177. 80 Hubert Tschersig, Das Gasel in der dt. Dichtung und das Gasel bei Platen, 1907 (Breslauer Beitr. zur Lit.-Gesch., H f t . 11).
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beitung er sich als Ghaseldichter schulte, bis Goethes ,Divan* i h n v o n R u m i zu Hafis bekehrte. Es w a r für Rückert zugleich eine Bekehrung v o m gottestrunkenen Mystizismus Rumis zur mehr irdischen Trunkenheit des Hafis u n d zumal zu dessen Liebeslyrik. Daß Rückert bereits das Rubai i n irreführender Nähe zum Ghasel sah, wurde erwähnt. I m Falle des Hafis k a m nun noch hinzu, daß dessen Rubajat, die i n den Handschriften meist den ,Divan* abschließen, thematisch ganz i m Schatten seiner Ghaselen stehen u n d sich auch v o n dieser Seite, neben der scheinbaren formalen, jener H a u p t g a t t u n g anschließen. D i e Rubajat des Hafis gewinnen dadurch einen Charakter, der v o n der Ausprägung, die O m a r Chajjam der Gattung gab, weit absteht. Das Grundgesetz, die über die zweihälftige Strophe verteilte, auf die Endpointe zugespitzte Aussage, bleibt auch bei i h m bewahrt, jedoch ist das gesamte K o l o r i t u n d die gedankliche Zielsetzung grundverschieden. Rückert hat einige hafisische Vierzeiler übertragen u n d sich bei dieser Gelegenheit zu eigenen anregen lassen, die i h n i n den Regeln der hafisischen Bilderkunst w o h l versiert zeigen 8 1 . I n diesen Rubajat geht es, wie bei den Ghaselen, an die sie sich anschließen, nicht u m revolutionäre Lebensund Glaubensprinzipien, sondern u m die D i a l e k t i k der Liebe. Das Feuerwerk des aufgewendeten Esprit spielt sich i m hermetisch geschlossenen Raum der Liebeskasuistik ab. I n jedem neuen Vierzeiler w i r d eine D e n k oder Imaginationswendung produziert, die die sehr beschränkten, durch T r a d i t i o n sanktionierten Versatzstücke der persischen Liebeslyrik unter stets neuer Beleuchtung darbietet. Das immer neu Formulierte, die überraschende Aufschlüsselung einer altgewohnten Metapher — Vergleich des Geliebten m i t dem M o n d , der Zypresse, dem Frühling oder des Liebenden m i t der Kerze, dem Verwundeten usw. — , die Brechung des bekannten B i l des unter einem ungewohnten Gesichtswinkel, die witzige Umdeutung der lyrischen Elemente, diese für westliches Empfinden oft erzwungen scheinenden Geistesleistungen machen den hervorstechenden, ja einzigen Reiz solcher Verse aus. Sie erhalten schon dadurch auch eine entschiedene Sprechrichtung, daß sie fast ausschließlich direkt an das imaginierte, geliebte Wesen sozusagen als Worte der Liebeswerbung gerichtet sind. I m Beispiel : H e u t w i r d mein H a u p t auf harter Erde ruhn, mein H e r z w i r d unter Grambeschwerde ruhn. D u glaubst es nicht; ο schick dein Traumbild nur, zu sehn, wie fern von D i r ich werde ruhn 8 2
ist das „ T r a u m b i l d " der gedankliche u n d bildliche D r e h p u n k t des Ganzen. 81 F. Rückert, Hafisische Vierzeilen. Nachdichtung, hg. Wilhelm Eilers, Dessau Leipzig ( D t . Chajjam-Gesellschaft) 1940. — D i e N r r . 25—32 sind Rückerts eig. Dichtung. 82 Ebd. p. 56.
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Das arabisch-persische chajal kann passiv das geschaute Traumgesicht bedeuten ebenso wie a k t i v das erscheinende Gespenst. Die I m p l i k a t i o n e n u n d Assoziationen spielen zahlreich ineinander. Der Dichter erwartet, v o m Geliebten zu träumen, was schon Genuß ist; er spricht aber so, als ob der Geliebte auch noch seinen T r a u m kommandieren könne, seine Imagination i m G r i f f habe. Das Phantom soll natürlich ein Stück v o m Geliebten sein, der selbst a k t i v erscheint, u m sich v o m Elend des Liebenden zu überzeugen, welches wiederum durch jenes Erscheinen aufgehoben würde, da der Geliebte dann ja anwesend und nicht mehr fern, also der Zweck der Klage erreicht wäre. K u r z , diese Kleinkunst steht i m Zeichen jener Koppelung v o n Phantasie u n d Logik, die i m Westen die Faszination u n d zugleich das Fremdheitsgefühl gegenüber der orientalischen L y r i k auslöst. D i e sich unverrückbar gleichbleibende Bilderwelt flößt vielleicht auch die Schauder der Monotonie ein. Rückert muß den inneren Zusammenhang zwischen H a fisens Rubai- u n d Ghaselproduktion sehr lebhaft empfunden haben. Er löste aus den Ghaselen derartige Glanzpunkte der Hafisischen Imaginationsu n d Erfindungsgabe heraus u n d goß sie i n vierzeilige kleine Gedichte, die er als ,Stellen aus Hafisens Liedern' — 46 an der Z a h l — den ,östlichen Rosen' en bloc einfügte. Allerdings vermeidet er dabei, zu Recht, den Rubaireim, er bevorzugt den Kreuzreim. Seine Auswahl dieser „Stellen" hebt die besonders gelungenen Erfindungen i n der Metaphernsprache des Hafis heraus. D i e Leistungen sind rhetorische, keineswegs philosophischdenkerische, also v o n O m a r recht weit entfernt. U n d immer ist das Thema das der Liebessehnsucht. Die ,Hafisischen Vierzeilen', seine Übersetzung der Original-Rubajat, veröffentlichte Rückert 1825 i m Taschenbuch ,Aglaja'. Als selbständige Veröffentlichung hätten sie eine gewisse Verwandtschaft der Erscheinung m i t FitzGeralds , R u b a i y i t of O m a r K h a y y a m ' haben können: ein K r a n z kleiner selbständiger gattungsgleicher Gedichte m i t einheitlicher Stimmung, gleichsam alle aus dem M u n d e eines alternden Dichters an einen ungenannten Geliebten. E i n solches Corpus Rubajat hätte aber doch, außer vielleicht durch die Erprobung der neuartigen Gedichtform, kaum eine bedeutende W i r k u n g erzielen können, da es hier ja nicht u m die Kreation einer neuentdeckten Dichterpersönlichkeit ging, sondern nur u m den Beitrag einer bisher unbekannten Facette zum B i l d eines anderweitig bereits nur zu gut eingeführten fremdländischen Poeten. Auch k a n n man nicht behaupten, daß Rückert das Genre des Rubai w i r k l i c h i n seinen Möglichkeiten ausgeschöpft habe. Er steht als Rubai-Dichter zu sehr unter dem Schatten v o n seiner eigenen u n d Hafisens Ghasel-Dichtung, wie ein Stück seiner eigenen Muse bezeugen mag:
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Es stirbt der Durst, wenn du ihn stillst im Weine; U n d Liebe, die gesättigt wird, ist keine. Wenn du erfliegen dürftest deine Sonne; Wie sonntest du dich dann an ihrem Scheine?83
Dieses Rubai enthält eine dreiparallelige Aussage. Diejenige, die als Q u i n t essenz den Schluß zu bilden berufen wäre — zwei Naturbeispiele, dann die Schlußfolgerung für die Erkenntnis des Wesens der Liebe — steht i n der M i t t e . Das Prinzip der spannungslosen Reihung der Bilder und Gedanken gehört dem Ghasel an. W i r haben es demnach eher m i t einem kurzen Ghasel als m i t einem Rubai zu tun. Einen letzten Block innerhalb der ,östlichen Rosen', nach den ,Stellen aus Hafisens Liedern' u n d den neun ,Briefen des Brahmanen', machen 24 veritable ,Vierzeilen i n persischer Form' aus 8 4 . Sie sind der Form nach unleugbar Rubajat, aber dem Gehalt nach atmen sie zumindest nichts v o m Geist des Chajjam. Sonderbarerweise ist auch derjenige des Hafis k a u m zu spüren. I n dieser Gruppe Vierzeiler spricht sich der Rückert aus, welcher bald zum Liebling der bürgerlichen Lesewelt des 19. Jahrhunderts werden sollte. Insofern schließen die ,Vierzeilen' auch i n seiner Entwicklungsgeschichte die Epoche der ,östlichen Rosen', und besonders der davorliegenden »Geharnischten Sonette' u n d Freimund-Ghaselen ab. Rückert macht hier das Rubai z u m Spruch, i n dem Lebensweisheit verkündet w i r d . Aber nichts Bissiges, Rebellisches, Engagiertes, Vernichtendes wagt sich vor. I m Gegenteil, optimistisch-auferbauliche Morallehren lassen den Vierzeiler i n H o f f nung, Liebe, Glaube enden, wie wörtlich i n N r . 4, statt i n Zynismus, Verzweiflung oder Schalkhaftigkeit. Rückert steht außerhalb des Bannes v o n O m a r Chajjam. Unvermeidlich mußte ein eigener, v o n Omars Muster unabhängiger T y p entstehen, dessen M e r k m a l ist, daß die Reflexion des Gedankens nicht i m Rubai selbst stattfindet, wodurch es bei O m a r die spezifische Brisanz erhält, sondern daß nurmehr das abgeklärte Resultat derselben dargereicht w i r d . I n diesem Dichtergeist gärt kein A u f r u h r gegen einen stumm bleibenden G o t t oder ein heuchlerisches Dogmengebäude, kein H o h n auf den Glücks w i l l e n der Menschen. Rückert erhält den Charakter des Rubai insofern aufrecht, als er w i r k l i c h einzelne unverbundene Gedichte schafft, aber sie sind v o m Stamm u n d Geist seiner späteren bekanntesten P r o d u k tion, der ,Weisheit des Brahmanen'. Eigentliche kurze Ghaselen v o m T y p der oben zitierten Bilderreihung sind die N u m m e r n 4, 10, 11, 22, Vierzeiler ohne Abschluß aus inneren Gründen
88
Ebd. p. 61. Fr. Rückerts Ges. Werke in 12 Bden, Neue Ausg., Bd. 5, Frankfurt a. M . 1882, pp. 361—364. 84
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des gedanklichen Gehalts, die also nicht der inneren Form des omarischen Rubai gehorchen. Sentenziose Moralsprüche, die den Weg zu Bodenstedts späterer Plauderei i m östlichen Gewände andeuten, sind etwa die N u m m e r n 5, 24 u n d 7, welches lautet: Wie schön ist, wandernd nach dem Ziele streben ; Erreicht es haben ist noch schöner eben: Gestorben sein ist wohl das Allerschönste ; Indessen doch, wie ist es schön zu leben.
D a r i n w i r d auch besonders plastisch die Gegenposition gegen Omars Geist formuliert, unter beiläufiger Anlehnung an Goethe. Goethes Entsagungsruf tönt denn auch aus den N u m m e r n 10 u n d 21, u n d ein besonders typisches Beispiel, N r . 14, das die letzte i n der Sammlung spürbare Tendenz beleuchtet, den lutherischen Geist, hebt ebenfalls m i t einem A n k l a n g Goethes an: Ο sei auf Gottes heller Welt kein trüber Gast! Mach' Schande nicht dem milden Herren, den du hast. Zeig* in Gebärd' und W o r t und Blick, daß dem du dienst, Der sagt: Mein Joch ist sanft und leicht ist meine Last.
W i r sehen, Rückert beschreitet, wie i n den ,östlichen Rosen' überhaupt, so zumal i n den ,Vierzeilen i n persischer Form* den Weg ins Biedermeier. Es ist unleugbar ein Weg hinweg v o n O m a r Chajjam. V o n Platen besitzen w i r 16 Rubajat. Sie sind Teil des ,Spiegel des Hafis' v o n 1822, wurden aber zu Lebzeiten des Dichters nie zusammen gedruckt 8 5 . Sie stehen ganz u n d gar unter dem beherrschenden Einfluß der hafisischen Liebesdichtung; Verse der H u l d i g u n g u n d der Klage. Wie R u d o l f Schlösser i n seinem Platen-Buch bemerkt, enthielten die zwei v o r dem , Spiegel des Hafis' liegenden Ghasel-Sammlungen viel mystisches Gedankengut, welches sich i m ,Spiegel' gar nicht f i n d e t 8 6 . H i e r ist Hafis nur noch der Erotiker, der „Liebessänger v o n Schiras". U n d so wie Platen schließlich gar den Geist des Ghasels überhaupt besingt: I n euren Liedern weht Ein eigner Geist, als ob die Liebe selbst, U m mit sich selbst zu spielen, sie geschaffen 87 ,
so steht i h m auch das Rubai offensichtlich gänzlich unter dem Zeichen der Liebe. Jedenfalls sind alle v o n i h m hinterlassenen Vierzeiler an den gelieb85 Aug. Graf v. Platens Stl. Werke, hg. M a x Koch u. Erich Petzet, Bd. 3, Leipzig 1909, pp. 96—99. — I n der Einl. d. Hg., M a x Koch, über die Entstehungs1 geschichte. 88 R. Schlösser, Platen, Bd. 1, p. 397. 87 I m Schauspiel ,Treue um Treue 4 (1825), 4. A k t , Ges. Werke, StuttgartTübingen (Cotta) 1853, Bd. 5, p. 353.
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ten „ F r e u n d " gerichtet und schließen sich so aufs engste an die vorgängigen Ghaselen an. Sie t u n dies nicht nur dem Stoff nach. Bei Platen geht die Vermischung der beiden Gattungen so weit, u n d er scheint so wenig v o n der Einsicht i n eine jeweilige Eigengesetzlichkeit gelenkt, daß er gar i m Zuge der Überarbeitung seiner Ghaselen für die Ausgaben v o n 1828 u n d 1830, deren leitenden Gedanken V i c t o r Meyer treffend analysiert hat, aus Ghaselen Rubajat herauskristallisiert. Nachdem Platen sich u m das Jahr 1823 v o n der sklavischen Abhängigkeit v o n Hafisens V o r b i l d befreit hatte, versuchte er erst recht die Geschmeidigkeit, die er i m Ghasel inzwischen erlangt hatte, der deutschen Dichtung zugute kommen zu lassen, wie sein M o t t o zu den ,Neuen Ghaselen* selbstgewiß ausruft: D e r Orient ist abgetan, N u n seht die Form als unser an.
M e y e r 8 8 führt aus, daß Platens Bearbeitungsprinzip bei den Ausgaben 1828 und 1830 gewesen sei, das spezifisch Orientalische i n den Ghaselen der Jahre 1820—23 abzuschwächen u n d an die Stelle der freien Assoziation, die v o n Distichon zu Distichon i m persischen Ghasel herrscht u n d der auch er gehuldigt hatte, anstelle der gewollten Unverbundenheit der Reimpaare untereinander also, die „ D e d u k t i o n " des Gedankens über das Gedichtganze h i n einzuführen, d. h. dem W i l l e n zur Gedichteinheit nach westlichen Kunststreben wieder Spielraum zu geben. I m Zuge dieser Verwestlichung des Gehalts sind einige Ghaselen zu Rubajat umgeschaffen worden, meist durch bloßes Herausgreifen v o n vier Versen, unter leichter Umphrasierung 8 9 . I n zweien dieser Fälle mußte er gar den Reim ändern. D i e Tendenz ist, das M o t i v straffer u n d einheitlicher abzuhandeln. Dadurch nähert sich, was zuvor profus dahinrollte, der Knappheit des Epigramms. U n d auf diese Weise k o m m t Platen tatsächlich der Tugend des Rubai nahe. Jedoch haftet allen seinen Vierzeilern zu sehr der elegische T o n der Liebesghaselen an, als daß es w i r k l i c h zu einer „ D e d u k t i o n " kommen könnte, zur Entfächerung v o n These und Antithese auf engstem Raum. Verströmende Liebeselegien sind die N u m m e r n 1, 4, 6, 9, 14; i n hyperbolischer Bildersprache, i n der Erfindung eines jeweils neuen Ausdrucks der Hingabe scheinen sich die N u m m e r n 3, 7, 12, 13 zu erschöpfen. I n allen herrscht jeweils nur ein Gefühl. D a r u m k o m m t es nicht zu einem inneren Widerstreit des Dichters
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Victor Meyer, Platens Gasein, Diss. Leipzig 1914, p. 20. Rubai X entstand aus Neue Ghaselen X L (Verse 2, 6, 3, 4), Rub. X I aus N G X X X I I I (Verse 1, 2, 5, 6), Rub. X I I aus Spiegel d. Hafis X X (Verse 2, 4, 7, 8), Rub. X I I I aus N G X L I V (Verse 1, 2, 9, 10). — D i e übrigen sind nicht auf Ghaselen zurückführbar, sondern orig. Vierzeilerschöpfungen. 80
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i m Verhältnis zu sieh selbst oder zur Welt. Platens Rubajat sind Stimmungslyrik, keine Gedankenlyrik. N r . 9 lautet: D a ich für des Lebens Mühen hab' erfleht zum Lohne dich, Welch ein Recht erwarb die Stunde, zu verstreichen ohne dich? Komm, ο komm! Doch willst du ferne bleiben, sei auch fern beglückt: Liebe, Liebe nur umgaukle, Friede nur umwohne dich!
O b Platen O m a r Chajjam gekannt habe, ist schwer zu entscheiden. Bei Rückert gibt es eine kurze Apostrophe des „zaubervollen" Dichters 9 0 . I m Falle Platens scheint dergleichen i n seinen Werken zumindest nicht nachweisbar. Bei Schlösser 91 werden Firdusi erwähnt, den Rückert i h m zu übersetzen vorschlug; Rumi, den Rückert selbst verehrte u n d an dem er ins Persische eindrang, wie Platen an H a f i s ; weiterhin A t t a r , Platens allererste persische Lektüre; Nisami, v o n dem Platen eine Ubersetzungsprobe anstellt, acht Doppelverse v o m A n f a n g des Iskander Name, und Saadi, v o n dem das M o t t o zum ,Spiegel des Hafis' stammt. I n Platens Briefen u n d Tagebüchern k o m m t Omar, soweit ich sehe, nicht v o r 9 2 . Doch ist audi hier die Frage der Bekanntschaft müßig, da selbst i m positiven Falle feststeht, daß er keine Resonanz auf Omars Geist zeigte. Bliebe noch jenes überaus beliebte Sinngedicht, welches als M o t t o der Ghaselen seit der Ausgabe 1828 fungiert: I m Wasser wogt die Lilie, die blanke, hin und her. Doch irrst D u , Freund, sobald du sagst, sie schwanke hin und her! Es wurzelt ja so fest ihr Fuß im tiefsten Meeresgrund, I h r H a u p t nur wiegt ein lieblicher Gedanke hin und her!
H i e r ist die Frage: Ghasel oder Rubai? Die äußere Form könnte für Rubai sprechen, vielleicht lassen sich auch innere Kriterien finden. W i e verläuft die Gedankenentwicklung, die i n diesem Falle alles entscheidet? D i e erste Zeile enthält eine Tatsachenfeststellung. I n der zweiten t r i t t ein Widerspruch auf, aber i m Rahmen einer Zurückweisung, also durch doppelte Negation eine indirekte Bestätigung des Ausgangspunktes. D i e zweite Gedichthälfte w i r d auf die Bekräftigung dieser Widerlegung verwandt. Insofern ist der Spruch also ziemlich weit entfernt v o n dem v o n uns festgestellten RubaiBau. U n d doch sprechen das Vorhandensein eines inneren Antagonismus i m Gedicht und die deutliche Tendenz, die Schlußaussage unmittelbar auf die anfängliche zurückzugeleiten u n d eine Stille nach der Beunruhigung der 90
Grammatik etc. (s. Anm. 21), p. 67. Bes. im Kap. ,Platens pers. Studien 1 , Bd. 1, pp. 354—358. Der Briefwechsel des Grafen Aug. v. Platen, hg. Paul Bornstein, bisher Bd. 1—4 (bis Juni 1829), München 1911—1931 bzw. Die Tagebücher des Grafen Aug. v. Platen, hg. G. v. Laubmann u. L. v. Sehe ff 1er, 2 Bde., Stuttgart 1896—1900. 01 92
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inneren Gewißheit herzustellen, durchaus für ein rubaihaftes Gebilde. So bleibt die Frage, ob die Schlußwendung w i r k l i c h das Moment der Überraschung, der unerwarteten Neuinterpretation der zuvor entworfenen Situat i o n enthält. E i n solches Moment liegt zweifellos i n dem Lösungswort „Gedanke". Es ist der unvorbereitet auftretende Anthropomorphismus, der dem Gedicht eine gewisse Pointenhaftigkeit verleiht. N u n ist es anderseits aber kein übermäßig überraschender Schluß, u n d jener plötzlich auftauchende „Gedanke" ist kein beunruhigender, weiterführender, sondern ein „lieblicher". Durch i h n w i r d ein I d y l l entworfen, und der W i l l e des Dichters zum I d y l l , zum Frieden hebt das aufrührende Moment auf, das nur eine Sekunde lang die Ruhe zu stören schien. Obendrein ereignete sich dieser A u f r u h r nur i n der Reflexion des Schauenden, nicht i n den Dingen; er w i r d etwas künstlich herbeigeführt, u n d das Thema schweift überhaupt ab, oder vielmehr bricht ein aus einer externen Sphäre, nämlich dem D i a l o g des Dichters m i t dem „ F r e u n d " . Das Gedicht leitet die Ghaselen ein. Es t u t dies nicht nur thematisch durch Anspielung auf den Freund. Der Wille, eine Stimmung zu schaffen, überwiegt deutlich die Bereitschaft zur Reflexion. Insofern ist es tatsächlich doch eher ein Ghasel als ein Rubai, das kürzeste der Sammlung u n d das kürzestmögliche überhaupt 9 3 . 5. Früher Niedergang:
Daumer u. a.
Gestanden Rückert u n d Platen der Gattung des Rubai nur eine zweite Rolle nach dem Ghasel zu u n d veranlaßten dadurch, daß der Vierzeiler geradezu unter das Ghasel subsumiert wurde, so w i r d i h m bald darauf durch das weiterführende Unverständnis der neuen Gattung unter den H ä n d e n von G. F. Daumer ein schwerer Schlag versetzt durch die Paralysierung der äußeren Form. I n Daumers ,Hafis. Eine Sammlung persischer Gedichte* v o n 1846 9 4 , w o r i n die Mehrzahl der Gedichte ghaselartige Gebilde sind, finden sich 32 Gedichte des Genres, das er die „persische Vierzeile" nennt. W i r k l i c h vierzeilig sind davon nur 10, denn i n den übrigen führt Daumer eine verhängnisvolle Neuerung ein: die Zeilenbrechung. Sie ist nicht ganz seine Erfindung, auch bei Rückert findet sie sich gelegentlich. Aber bei Daumer w i r d aus einer Verlegenheitslösung die Regel. Der G r u n d für dieses H i l f s mittel ist die ungemeisterte Überlänge der Zeilen, ein Ergebnis v o n Daumers profusem prosaischem Ausdruck. Distichen — bei einer Zeilenausdehnung bis zu 11 Hebungen — erscheinen als vierzeilige Strophen m i t reimloser erster 93 Bei Rückert findet sich ein ähnlich singulärer aber eindeutig ghaseloider Vierzeiler: Freimund-Ghaselen N r . 23; vgl. auch den vierzeiligen Vorspruch zu den Rumi-Ghaselen. 94 G . Fr. Daumer, Hafis. Eine Slg. persischer Gedichte nebst poet. Zugaben aus versch. Völkern u. Ländern, Hamburg (Hoffmann u. Campe) 1846, 2. Aufl. 1856.
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und dritter Zeile. Z u diesem Strophenbild mag sich Daumer nach Heines Vorgang, der wiederum auf Goethes , D i v a n ' fußt, ermutigt gefühlt haben. I n einem Fall, Gedicht N r . C C X X V I I , findet gar eine Auflösung der Langzeile i n Dreizeiligkeit statt, w o r i n sich ganz besonders die Geblähtheit dieser L y r i k dokumentiert. Doch darüber hinaus ist die „Vierzeile" für Daumer grundsätzlich nichts anderes als ein kurzes Ghasel, d. h. er mißachtet die innere Form. Das beweisen die Gedichte selbst ebenso wie seine Bemerkungen zur M e t r i k i n der Vorrede. Wenn er nun noch bisweilen die Waisen des Ghasels oder der „Vierzeile" durch einen zweiten wiederkehrenden Reim bindet, so steigert er dadurch nicht das vorgegebene orientalische Muster, sondern führt es seiner Paralysierung entgegen. Normalerweise sieht die Daumersche „persische Vierzeile" wie folgt aus ( N r . C C X I X ) : Wasser und Wogenschwall — ο weh der Sündflut! Flieh'n w i r ohne Säumen in die Arche — I n die Schenke! D a sitzt mit seinen Kindern Vater Hafis, der fromme Patriarche. H e i l dir, heil, du N o a h unsrer Zeiten! Hast noch einmal diese Welt gerettet. U n d begraben liegen im Wasserschlunde Mufti, Scheich, Magister und Scholarche.
I n Wahrheit ein Achtzeiler also, dessen H e r k u n f t v o m Rubai sich nur i n dem recht zerrüttet wirkenden Reimsystem verrät; es reimen die Zeilen zwei, vier u n d acht (statt eins, zwei und vier). D i e Erläuterungen dieser Form, die Daumer p. X I X f. seiner Vorrede bietet, beweisen nur, wie sehr eine fremdländische Gedichtform v o n den Elementen einheimischer L y r i k verwässert und aufgesogen werden kann — es bliebe nur, Zeile acht auf Zeile sechs statt auf zwei u n d vier zu reimen, so ergäbe sich ein zweistrophiges Gedicht i m Heine-Vers — u n d zu welchen Äußerlichkeiten der Nachahmungswille eines Dichters sich verirren kann, dem das i n t u i t i v e Verständnis für die nachgeahmte Gattung abgeht. Dennoch beweist der Fall Daumer, daß eine gewisse Bekanntschaft der Zeit m i t der Gattung Rubai nun nicht mehr ganz v o n der H a n d zu weisen ist. Notierenswert ist dabei, daß es fast stets Hafis ist, der das V o r b i l d setzt, nicht O m a r Chajjam. Es lassen sich durchaus gelegentliche Aufnahmen der Gattung finden. Autoren unius operis i n unserem Genre sind D a v i d Friedrich Strauss u n d Detlev v. Liliencron. Unter der Professorendichtung Straussens, einer Sammlung v o n Übungen i n zahlreichen Formen — Oden, Sonette, Ghaselen, Epigramme usw. — lautet ein Vierzeiler (aus dem Jahre 1849):
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Zu spät Erfrornem Laub kommt, Sonne, dein Blick zu spät. Wer elend starb, dem lächelt das Glück zu spät. A d i weh! D u rufst mein lange begrabenes H e r z Zum Leben und zur Liebe zurück zu spät! 9 5
Es ist nicht mehr überraschend, hierin v i r t u e l l eher ein Ghasel als ein echtes Rubai zu entdecken. D a f ü r spricht die Reihung der Bilder; i n drei Anläufen w i r d dasselbe gesagt, u n d eine Lösung liegt am Schluß nur insoweit vor, als hier zuletzt die Wendung auf das Subjekt des Dichters, also die N u t z a n wendung der N a t u r b i l d e r vollzogen w i r d . Das Gedicht erinnert stark an das zitierte Beispiel von Rückert, m i t dem Unterschied der Schlußposition jener Nutzanwendung. Liliencrons Beitrag steht eindeutig unter dem Schatten Daumers: Persische Vierzeile Goldne Streifen schwangen schon am Morgenhimmel, D a sah ich dich in Frühlingsranken. Blaue Lichter sprangen schon vom Morgenhimmel, Umstrahlten dich in Frühlingsranken. Uhren schlugen in der Stadt die vierte Stunde K l a r her durch die weite Runde. Kleine Lerchen sangen schon zum Morgenhimmel, D a küsst* ich dich in Frühlingsranken. 9 ®
Die zusätzlichen Reimbindungen der ersten, dritten u n d siebten Zeile sowie der fünften m i t der sechsten lassen v o m ursprünglichen Typus D a u mers, bei dem sich bereits ähnliche Reimwucherungen finden, wenig mehr ahnen, so daß schließlich der T i t e l dem Tatbestand geradezu H o h n spricht. Es ist ein Stimmungsgedicht, gänzlich unreflektorisch, reine Erinnerung, nichts v o n einer Pointe. Das Rubai scheint hoffnungslos denaturiert. Eine weitere entstellende U m w a n d l u n g bestand i n der Tendenz, das Rubai nicht als Einzelwesen bestehen zu lassen, sondern zu reihen u n d aus mehreren ein Gedicht zu formen. Der eigentlich selbständige Vierzeiler w i r d i n dieser Weise zur bloßen Strophe umfunktioniert i m allzu berühmten ,Mirza Schaffy' des Friedrich Bodenstedt 9 7 . A n den vier Stellen dieser Sammlung, w o die Rubaiform angewendet w i r d , konstituiert sie dreimal ein zweistrophiges Gebilde, nur einmal bleibt es beim isolierten V i e r 95 D . F. Strauss, Poetisches Gedenkbuch. Gedichte aus d. Nachlaß, hg. Ed. Zeller, 2. Aufl., Bonn 1878, p. 87. 96 Detlev v. Liliencron, Ges. Werke, hg. Richard Dehmel, 9. Aufl., Berlin 1921, Bd. 3, p. 403 f. 97 Friedrich Bodenstedt, Die Lieder des M i r z a Schaffy, mit einem Prolog, Berlin 1851. — 1884 erschien bereits die 115. Aufl.
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zeiler 9 8 . Das Rubai erlebt zudem wie jede andere Gedichtgattung i n solcher H a n d seine gehaltliche Ausleerung 9 9 . Außer diesen verstreuten Funden mögen sich hier u n d da noch i n der deutschen Literatur Rubajat f i n d e n 1 0 0 . Doch wer sie dort sucht, w o er sie aus Kenntnis Omars und seiner möglichen Geistesverwandten i m Deutschland des 19. Jahrhunderts heraus erwartet, w i r d enttäuscht werden. So hat z. B. Heinrich Heine kein Rubai geschrieben. Seine orientalischen Stoffe sind zunächst einmal nie aus Hingabe an die Fascination des Exotischen gewählt, stets bleibt der lächelnde Abstand des Maskenträgers spürbar 1 0 1 . Sodann ist Heine überhaupt verhältnismäßig arm an Gedichtformen und zu sehr fixiert auf den altdeutschen Vers, den er sich zum vollendeten Werkzeug geschmiedet hat. Welche Möglichkeiten des Sarkasmus i m traulichnaiven Sangeston des ,Wunderhorn 4 steckten, dies gezeigt u n d zu Ende gespielt zu haben, ist Heines Errungenschaft u n d Einseitigkeit. Seine M e i sterschaft darin läßt i h n auf eine Suche nach schärferen Waffen verzichten. Derjenigen fremden Gattungen, deren innere Form auf das Gnomische, auf Gedankenspielertum u n d Pointenwitterung zugeschnitten ist, k a n n er entraten. Er hat weder auf klassische Muster zurückgegriffen, noch v o m Angebot der gerade durch die Schlegel-Schule erschlossenen lyrischen Gattungen der romanischen Literaturen allzu großen Gebrauch gemacht 1 0 2 . D a z u k o m m t noch sein wachsender Reimverzicht m i t dem A l t e r i n den epischen Gedichten, i n denen die reimlose Vierzeilerstrophe z u m Charakteristikum w i r d (,Atta T r o l l ' , ,Romanzerò') und die Ausfeilung der Witzmöglichkeiten der Prosa auf Kosten derjenigen der L y r i k , w o v o n er selbst i n der Vorrede zur dritten Auflage des ,Buches der Lieder' 1839 einmal spricht 1 0 3 . 98
pp. 63, 118, 120, bzw. 88. p. 88: Wer seine Augen stets am rechten Orte hat, Z u m rechten Sinne stets die rechten Worte hat, Der ist der wahre Dichter, der den Schlüssel, D e n rechten Schlüssel zu der rechten Pforte hat! 100 Die gelegentlichen vierzeiligen Ghaselen, die sich etwa bei Gottfried Keller und Heinrich Leuthold finden, wollen wir nicht gewaltsam zu Rubajat uminterpretieren. Vgl. G . Keller, Stl. Werke, hg. Jonas Frankel, Bd. 2, Bern - Leipzig 1937, p. 6, N r . V I I I , bzw. H . Leuthold, Ges. Dichtungen, hg. Gottfried Bohnenblust, Bd. 1, Frauenfeld 1914, pp. 218 f., 221, 234 f., 305; verwiesen sei auf H . Tschersig,, Das Gasel in d. dt. Dtg. (s. Anm. 80), Kap. I V , pp. 156—214 über gelegentliche Fälle von Kurz-Ghaselen bzw. Rubajat bei v. Feuchtersieben, Stieglitz u. a. 101 M . Birkenbihl , Die oriental. Elemente in d. Poesie H . Heines, in: Analecta Germanica f. Herrn. Paul, hg. E. Schmidt, Amberg 1906, ist unvollständig und ungenügend, da nichts über Heines Quellenkenntnis und -benutzung beigebracht wird. 102 Es findet sich kein Epigramm, dreimal Ottave-Gebrauch (Ausg. Walzel 1, 9 8 ; 1, 304; 3, 452) und etwa 34 Sonette (Walzel 1, 13; 1, 59—60; 1, 2 4 0 — 3 ; 1, 247; 1, 277 f.; 2, 72 f.; 3, 400; 3, 404; 3, 448 f.; 3, 451). 103 Walzel 1, 4 f. 99
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Trotzdem weht etwas v o n Omars omaresk sind einige der einstrophigen streut sind. Heines Genius i n seiner Ironie ist prädestiniert, desillusorische omarischen nicht unähnlich sind.
Geist i n Heines Dichtung. V i r t u e l l Vierzeiler, die über sein Werk verMischung v o n Sentimentalität u n d Wirkungen zu produzieren, die den
6. Der Einzelgänger
Lagarde
I m 19. Jahrhundert findet sich trotz allem, soweit ich sehe, mindestens noch ein A u t o r , der deutsche Rubajat i n Omar Chajjams Geist verfaßt hat, w o z u i h n nicht nur seine fachliche V o r b i l d u n g befähigte, sondern nicht zuletzt auch sein labil-streitbarer Charakter. Es ist Paul de Lagarde. Der gewaltige Orientalist u n d Verfasser der notorischen ,Deutschen Schriften* soll hier nicht zur Debatte stehen, o b w o h l die Unbalanciertheit seiner geistigen Erscheinung z u m rechten Verständnis seines kleinen Gedichtbandes nicht ohne Bedeutung i s t 1 0 4 . Lagarde meisterte fast alle Dialekte des alten Orients, dazu die klassischen Sprachen, Arabisch u n d Sanskrit; Persisch lernte er 1844—46 i n Berlin bei Rückert, dessen Lieblingsschüler er sich selber nennt: „eigentlich sein einziger Schüler" 1 0 5 . M i t O m a r Chajjams W e r k w a r er nachweislich wohlvertraut. Er scheint der einzige ernstzunehmende Omarianer i n der deutschen Literatur zu sein, i n dem Sinne, daß er direkt v o n O m a r herkommt, nicht indirekt über FitzGerald oder eine deutsche Übersetzung, wenn er auch nur 12 Rubajat hinterlassen hat, die sich i n seiner Gedichtsammlung f i n d e n 1 0 6 . Diese Sammlung ist eine A r t persönlicher Konfession. Gedichte mannigfaltiger Formen kreisen z u m größeren T e i l u m ein Ereignis i m Leben des Dichters, welches stationenweise vorgetragen w i r d . I m zweiten Teil, betitelt , A m Strande', haben w i r es m i t einem Z y k l u s v o n 28 durchnummerierten Gedichten u m einen epischen rekonstruier baren K e r n zu tun. Innerhalb des Z y k l u s treten an drei Stellen Rubajat auf. D i e N u m m e r n 3—10 zeichnen die Verfassung seiner Gottferne, das unwillige Aufbegehren gegen sein Schicksal, N r . 16 steht am Krisenpunkt seiner 104 Über Lagarde als Wissenschaftler: A . Rebifs, P. de Lagardes wissensch. Lebenswerk im Rahmen d. Gesch. seines Lebens, Berlin 1928, sowie H . H . Scbaeder, Paul de Lagarde als Orientalist, in: Oriental. Lit.-Ztg. Jg. 45, 1942, Sp. 1—13, dort weitere Lit. — Uber den Politiker zuletzt: Fritz R. Stern, The politics of cultural despair, a study in the rise of the German ideology, Berkeley 1961. — Der offenbar einzige Aufsatz über den Dichter Lagarde ist wegen seiner teutonischchauvinistischen Grundtendenz unbrauchbar: K a r l Ernst Knodt, Paul de Lagarde, der Dichter, in: Monatsblätter f. dt. Lit., hg. Alb. Warneke, Jg. 4, Leipzig 1900, pp. 125—138 u. 159—165. 105 Paul de Lagarde, Erinnerungen an F. Rückert u. a. I n einem neuen Abdr. überr. v. Anna de Lagarde, Göttingen 1897, p. 20. 106 Paul de Lagarde, Gedichte, Gesamtausgabe bes. v. Anna de Lagarde, 2. Aufl. Göttingen 1911, pp. 78 f., 97, 116.
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Selbstverz weif lung, die N u m m e r n 27—29 zeigen i h n bekehrt u n d gelöst. D i e Umkehrung seines Wesens w i r d durch Antiposition der letzten drei Vierzeiler gegen drei der ersten Gruppe gespiegelt. Derartige Einflechtung der Rubajat i n einen Zyklus widerspricht dem Grundgesetz dieser Gattung isolierter Spruchhaftigkeit. H i e r i n ist Lagarde v o m Vergehen wider den Geist der Gattung nicht freizusprechen. U n d d o d i sind die einzelnen Stücke so sehr i n sich zentriert, daß i h r Rubai-Charakter dadurch bewahrt bleibt. Jedes k a n n absolut stehen u n d verliert nichts v o n seiner Prägnanz u n d Strahlkraft; ja i n ihrer Isoliertheit lassen sie sich m i t manchen Strophen FitzGeralds direkt vergleichen, wobei sich aufschlußreiche Kontraste ergeben. U n d alle haben das spezifische Timbre des omarischen Rebellentums u n d der Einzelgängerschaft eines bedingungslos u m eine Abgrenzung seines persönlichen Willens gegen die gesuchte aber angezweifelte Gnade Gottes ringenden Gemüts. I n Lagardes Strophen k l i n g t aber nun doch etwas ganz Eigenes durch die Hoffnungslosigkeit hindurch: ein christlich-ethisches Gebot. D e n Selbstm o r d u n d seine moralische Problematik findet man i n Chajjam nicht. V o m philosophischen Standpunkt aus ist der Perser sich m i t Schopenhauer einig, daß er eine wahre Befreiung nicht bringen könnte, sondern nur ein weiterer Selbstbetrug wäre. Wenn er sich nicht damit begnügt, das H e i l i m irdischen Rausch zu suchen, dann läßt er seinen enttäuschten W i l l e n i n planer H o f f nungslosigkeit stranden, ohne je auf diesen trügerischen Strahl seinen Blick abschweifen zu lassen. Lagarde zeigt hingegen eine andere wenn auch entfernte Rettungsmöglichkeit auf, und dies weist auf ein für i h n tief bedeutsames Moment h i n : sein Christentum. I n diesem Element steckt denn auch der anti-omarische Geist der Lagarde'schen Rubajat. Noch v ö l l i g i m Geist Chajjams, ja dessen Versen verwechselbar ähnlich k l i n g t N r . 5 : D a r f ich denn glauben, daß ein Ohr mich hört, So klag* ich über Leiden unerhört. D u wundre dich nicht, Gott, falls du nicht rettest, wann wider dich sich dein Geschöpf empört. 1 0 7
Der ganze Lagarde aber spricht sich i n dem auch künstlerisch bestechenden Rubai N r . 6 aus: Ich rufe Wehe über diese W e l t : Ich rufe Wehe, weil sie mir gefällt: ich rufe dreimal Wehe, weil sie, grausam, was sie verspricht, dem Hungernden nicht hält. 107
Noch eine Note sakrilegischer der FitzGerald'sche Vers N r . 58: Oh, Thou, who M a n of baser Earth didst make, A n d who w i t h Eden didst devise the snake; For all the Sin wherewith the Face of M a n Is blackened, Man's Forgiveness give — and take!
6 Literaturwissenschaftliches Jahrbuch, 12. Bd.
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Wieder könnte man ein Stück v o n Chajjams D i v a n v o r sich glauben. Es ist dieselbe Pose des Sprechenden. U n d doch stimmt dieser Bekenntnisvers m i t dem v o l l ausgeschöpften Spannungswert der reimlosen Zeile m i t ihrem strahlkräftigen Gegenreimwort „grausam" ganz u n d gar auf dieses unseligen Deutschen Lebensverfassung. Der V o r t r a g seiner Visionen i n den ,Deutschen Schriften' schwankt charakteristischerweise zwischen ekstatisch stürmender Zuversicht u n d grämlicher Verzagtheit, die jedem, bloß den Deutschen selbst nicht, die Schuld für die v o n Lagarde miterlittene Misere gibt. So meldet sich oft Resignation an, die i n den Gedichten wiederkehrend wiederum m i t Omars Fatalismus verblüffende Ähnlichkeit zeigt. Ich möchte tun: doch alles w i r d getan. Trotz Ruderns, Segeins, Steuerns kommt der Kahn zu dem Ziel, das ihm Gottes Stürme weisen, zu dem hinschmeichelt ihn ein glatter Ozean. ( N r . 8)
H i e r zeigt sich wiederum Lagardes Spezifikum, der Z u g zur christlichen Demut. Das w i r d entscheidend i m nächsten Vierzeiler, der ganz omarisch auch i n der Metapher anhebt u n d doch ganz unomarisch endet: Ο stünd* auf einem Reißbrett aufgerissen der Weltplan mir, ein Licht in Finsternissen! Doch meines eignen Lebens w i r r verschlungne Fäden, kenn' ich sie wohl? U n d w i l l den Weltplan wissen!
Bei Omar, i n FitzGeralds sehr getreuer Wiedergabe, heißt es: A h Love! could thou and I w i t h Fate conspire T o grasp this sorry Scheme of Things entire, Would not we shatter it to bits — and then Re-mould it nearer to the Heart's Desire! 1 0 8
O m a r führt den fantastischen Gedanken zuende. Lagarde schreckt dessen hybride Konsequenz, u n d N r . 16 spricht das Stichwort sodann endlich offen aus: Die Schöpfung ist ein dichter Vorhang nur. W e n sie verbirgt? Ich habe keine Spur. V o r meinem Gott hängt Sie nicht, hängt mein Ich, gemischt aus Werdelust und Sünde und N a t u r . 1 0 9
Weltklage w i r d zur Sündenklage. Der Christ Lagarde verläßt hier i n der M i t t e seines Gedichtzyklus den Lehrmeister Omar. A m Schluß der Sammlung kehrt er z u m Rubai zurück. D i e letzten drei Rubajat sind genaue 108 109
1. Aufl., N r . 73; vgl. Rosen N r r . 89, 107. Themat. vgl.-bar FitzGerald N r r . 32/3 u. Rosen 63, 76, 81, 82.
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Gegenstrophen gegen die erste Gruppe, und damit zugleich gegen die W e l t des C h a j j a m : Wollt* ich geboren sein? Ich wurde nicht gefragt: denn ein Geschenk w i r d nie dem Kinde angesagt. U n d hättest du vorher verheißen was jetzt mein ist, zu glauben so viel Glück, das hätt* ich nie gewagt. ( N r . 27)
U n d ein letztes: M i r gehn jetzt die Gedanken nicht ab und zu, weil alle sie versanken in sePger Ruh. Ich kann nur Eins empfinden, daß ich besitze wofür ich nicht kann danken, obsdion ich's tu.
M a n kann i n dieser Abfolge eine Wanderschaft der Seele v o n Gottferne zu Gottnähe, eine belohnte Suche erblicken. Jedes Rubai hat seinen Stellenwert i n diesem Vorgang. U n d doch k a n n jedes ebensogut für sich bestehen als abgerundeter Ausdruck einer bestimmten Seelenverfassung eines religiösen Menschen. M i r scheint, daß Lagardes Verse diese D o p p e l f u n k t i o n tragen. Sie setzen als Einzelgedichte das V o r b i l d Chajjams fort, es sind äußerst geglückte Rubai-Exempel. I h r innerer Aussagewert i m Gefüge eines Gedichtzyklus, der geradezu pietistische Zug, beweist, daß der Verfasser nicht dem Muster Omars sklavisch erlegen, sondern i n eine schöpferische Auseinandersetzung eingetreten ist. I n diesem Sinne ist Lagarde, der Poet, für unsere Untersuchung über etwaige Omar-Rezeption i n Deutschland die freudig begrüßte Ausnahme. 7. Späte Übertragungen U m 1880 endlich erschienen zwei deutsche Ubersetzungen der ChajjamVerse v o n Anhängern des Münchener Kreises u m Geibel, diejenige des Grafen A d o l f Friedrich Schack u n d die v o n Friedrich Bodenstedt 1 1 0 . Schack fußt auf der Calcuttaer E d i t i o n v o n 1836, aus der, wie er angibt, er bald nach Erscheinen zu übersetzen begann. I n seinen Zeitangaben i m Nachwort ist er leider ungenau. Es ist aber wahrscheinlich, daß er gleichzeitig m i t FitzGerald an O m a r arbeitete, ohne v o n diesem Kenntnis zu haben. Seine Ausgabe der Verse stellt sich nach seinen eigenen W o r t e n als ein Nachk ö m m l i n g dar. Bodenstedt fußt auf der E d i t i o n v o n Nicolas v o n 1867, deren französische Prosaübersetzung er stark mitbenutzt hat. Daß beide Versionen es nicht vermocht haben, O m a r Chajjam irgendwelche Resonanz i m literarischen Leben zu verschaffen, läßt sich w o h l haupt110 Adolf Friedr. G r a f v. Schack, Strophen des O m a r Chijam deutsch, Stuttgart 1878, 2. Aufl., Stuttgart - Berlin 1902 (Cotta'sche Handbibl. 36); Friedrich Bodenstedt, Die Lieder u. Sprüche des Omar Chajjam verdeutscht, Breslau 1881.
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sächlich auf zwei Umstände zurückführen, die für Schack ebenso wie für Bodenstedt gelten: auf ihre Vortragsweise verbunden m i t dem O r t , den O m a r i n ihrer jeweiligen literarischen Tätigkeit einnimmt, sowie den Zeitp u n k t des Hervortretens ihrer Ubersetzungen. Weder für Schack noch für Bodenstedt hat das W e r k Chajjams entfernt die Bedeutung wie etwa für FitzGerald. Ihre Übertragungen sind Nebenergebnisse ihrer weitgespannten literarischen A k t i v i t ä t . Beide wenden dem Persischen nur einen T e i l ihrer Aufmerksamkeit zu. Für Schack steht daneben die arabische und spanische Sprache u n d Literatur i m Vordergrund, bei Bodenstedt die russische und Shakespeare. Selbst i m engeren Rahmen des Persischen hat Chajjam bei keinem das Primat, er w i r d bei Schack v o n dessen monumentaler Firdusi-Übersetzung, seinem w o h l erfolgreichsten Ubertragungswerk (1851 u. ö.), bei Bodenstedt v o n Hafis, den er übersetzte (1877 u. ö.) und nachahmte, überschattet. Beider Bindung an O m a r ist beiläufig, zeitweilig, ohne tiefere geistige oder künstlerische Verpflichtung. So ist auch der Geist ihrer Wiedergaben. Bei Schack die noble aber auch blasierte H a l t u n g des lässigen Connaisseurs, bei Bodenstedt die Neigung zur Popularisierung u n d zahmbürgerlichen Zubereitung exotischer Importe. Beide Übersetzer waren überdies erfolgreicher m i t ihren eigenen orientalisierenden Dichtungen als m i t Übersetzen, Schack m i t seinen ,Nächten des Orients* (zuerst 1874), Bodenstedt m i t den erwähnten ,Liedern des M i r z a S c h a f f / (zuerst 1851). Weder Schack noch Bodenstedt ist es irgend darum zu tun, das Rubai als Gedichtform i n der Übersetzung zu bewahren. V o n den sprengen Forderungen der Schlegel'schen Schule haben sich beide also losgesagt. V o n 336 Stücken hat Schack nicht mehr als 47 i m originalen Rubai-Schema wiedergegeben. Bei Bodenstedt sind es 59 v o n 467. I n allen übrigen Fällen benutzen sie andere, oft mehrzellige oder gar zweistrophige Bildungen. Schack lehnte ausdrücklich jegliche deutsche Nachahmung orientalischer Gedichtformen als unsinnig u n d bloße Spiegelfechterie ab. Er w a r überzeugt, daß eine „metrische Form, eine Strophenbildung, die bei einer N a t i o n heimisch u n d ihr natürlich ist, keineswegs bei jeder andern die nämliche W i r k u n g hervorb r i n g t " 1 1 1 . I n dieser auffallenden Ansicht u n d i n seiner Konzeption der Weltliteratur w i r d deutlich, wie wenig v o m Eroberungsgeist der ersten romantischen Generation geblieben ist. V o n der Weltliteratur erwartet er, daß jede N a t i o n sich v o n den anderen nicht abschließt, sondern „ m i t deren Geist durchdringt und zu eigenem Schaffen befeuert; ferner daß sie ihren Gesichtskreis ausdehnt u n d durch erweiterte Anschauung das Einseitige u n d 111 Schack, Pandora, p. 23. — V g l . darüber M e l a h a t Azmi, u. d. Orient, Berlin 1934 (German. Studien 157).
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Beschränkte, das i h r anklebt, a b l e g t " 1 1 2 . Gegenüber Goethes großzügig angelegtem E n t w u r f des Wechseltausches unter den nationalen Literaturen w i r d hier ein etwas beschränkterer Effekt erwartet, nämlich die individuelle Selbstläuterung, die Verwirklichung des kosmopolitischen Gentleman-Ideals. Dies ist Schack zweifellos persönlich gelungen, aber gerade deshalb konnte v o n seinen Übertragungen, geschliffen, klar, unpretentiös wie sie sind, k a u m eine zündende W i r k u n g ausgehen. Er w i l l Kulturgüter vermitteln, sein Leben ist ein Versuch, für gewisse wesentliche Bestandteile der orientalischen W e l t das an Vermittlungsdienst zu leisten, was für das Ganze der klassischen A n t i k e i n Deutschland Generationen zuvor vollendet worden war. Sehr wahrscheinlich w a r dies auch die Veranlassung für ihn, seine ,Sprüche des O m a r Chijam' herauszugeben; es existierte noch kein deutscher O m a r u n d überhaupt w a r er, wie Schack i m N a c h w o r t beklagt, seit Rückert ihn v o r 50 Jahren, 1827, erwähnte, „bei uns bisher allen, außer den Orientalisten v o n Fach, fast v ö l l i g unbekannt geblieben" 1 1 3 . Uber den tatsächlichen Erfolg seiner vielfältigen Bemühungen, für die besonders seine Firdusi-Übertragung als glänzendes Beispiel dienen kann, urteilt Schaeder treffend: „ A b e r tatsächlich erreicht sein Werk, o b w o h l es viel gelesen w i r d , nicht mehr die N a t i o n , sondern die begrenzten Kreise derer, denen es u m die Verwirklichung des Goetheschen Gedankens einer Weltliteratur zu t u n ist u n d denen sich dabei die Grenzen zwischen fruchtbarer Würdigung fremden Schaffens u n d dem unverbindlichen genießerischen Spiel m i t dem Fremden u m seiner selbst w i l l e n allzu leicht verwischen — was freilich für den Grafen Schack selber nicht z u t r i f f t . " 1 1 4 D a m i t ist der zweite generelle G r u n d der Wirkungslosigkeit der beiden Omar-Verdeutschungen angegeben: ihre Unzeitgemäßheit. Sie sind Ausflüsse privater Liebhaberei, keine A n t w o r t auf ein Bedürfnis des Zeitgeistes. Denn sie kommen zu spät, u m noch i m Strom der Orient-Dichtungen etwa der zwanziger bis fünfziger Jahre mitzutreiben u n d das modische Interesse für derartige E x o t i k auf sich zu lenken. Sie stehen an der Schwelle des naturalistischen Aufbruchs i n der deutschen Literatur, der diesen Produktionen ein Ende bereitete. Auch fehlt ihnen, was letzten Endes natürlich entscheidend ist, die Verve eines großen Wurfes. Schacks müde u n d Bodenstedts verniedlichende A t t i t ü d e vermochten aus eigener K r a f t keine O m a r Begeisterung zu wecken. Beide Versionen, so verdienstvoll sie sind, stehen einsam zwischen den Zeiten. D i e schließliche Entdeckung Omars i n Deutschland u m die Jahrhundertwende ist ein Ereignis ganz anderer A r t . Es ist 112
Pandora, p. 29. Strophen des O m a r Chijam, 1902, p. 91. 114 H . H . Schaeder, Firdosi und die Deutschen, in: Zs. d. dt. morgenl. Ges., N . F. Bd. 13 (Bd. 88), Leipzig 1934, p. 127. 118
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eigentlich die Entdeckung FitzGeralds u n d eine Folgeerscheinung des angelsächsischen Omar-Kultes, also eine bloß indirekte Bekanntschaft. Sie stehen isoliert, da sie nicht mehr fremdheitssüchtige Romantik und noch nicht dekadenztrunkenes f i n de siècle sind. 8. Der George-Kreis Bevor w i r uns der nachzüglerischen u n d recht esoterischen O m a r - E n t deckung i n Deutschland zuwenden, soll derjenige Fall erwähnt werden, der nach Goethe u n d nach Schopenhauer als dritte denk- u n d wünschbare doch nicht verwirklichte Chance zu bewerten ist: Stefan George und sein Kreis. Daß George Chajjams Dichtung kannte, zunächst i m Gewände FitzGeralds, w i r d bezeugt durch Ernst M o r w i t z , der i n seinem Kommentar z u m ,Buch der Hängenden Gärten* berichtet, daß W a c l a w Rolicz-Lieder George dafür gewinnen wollte, Omars Verse zu verdeutschen, da i h m FitzGeralds Version als zu sinn verfälschend erschien, „aber, soviel ich weiß, k a m es nicht zur vollendeten Übersetzung auch nur eines Gedichts" 1 1 5 . Abgesehen einmal v o n der Tatsache, daß es i m W e r k Georges tatsachlich ein Rubai gibt, nämlich den ersten Jahrhundertspruch' i m ,Siebenten Ring', v o n dem jedoch denkbar erscheint, daß es unbeabsichtigt zustandekam, worauf das sonstige Fehlen dieser Form hinweist, ist die Nachricht über Rolicz-Lieder beachtenswert. Sie bestätigt die Gegenwart Omars i n der Arkansphäre des frühen Kreises und beweist angesichts der ausgedehnten Übersetzertätigkeit Georges, deren Signum die singuläre Verschmelzung v o n Originaltreue u n d gebieterischer Treue z u m eigenen K u n s t p r i n z i p ist, einmal mehr, daß es i n der deutschen Literaturentwicklung vielversprechende Möglichkeiten einer kongenialen Aneignung Omars gegeben hat. M o r w i t z berichtet gar, daß George tatsächlich begonnen habe, persisch zu lernen als Vorbereitung für die geplante Übersetzung 1 1 6 . N a t ü r l i c h lassen sich auch hinreichende Gründe anführen, die einer Verwirklichung i m Wege standen, etwa die Unerläßlichkeit eines witzigen Geistes oder die Voraussetzung einer spezifischen Mischung v o n Melancholie und H u m o r , auf die man bei George nicht ohne weiteres rechnen konnte. Sein Formbewußtsein wiederum hätte günstig ausschlagen können. 115 Ernst Morwitz, Kommentar zu dem Werk Stefan Georges, München - Düsseldorf 1960, p. 92. — I n : Notes and Queries, vol. 208, London 1963, p. 269 bemerkt Sol Gittleman , aufmerksam geworden durch diese Stelle bei Morwitz: That George — who at that time was already an influential figure in literary circles — should have read the Rubaiyat at all is significant , since the poem was almost totally unknown in Germany although it was enjoying its greatest popularity in England. — Bei Edward Jaime , Stefan George u. die Weltliteratur, U l m 1949, wird Omar Chajjam nicht erwähnt. 118
Morwitz
p. 72.
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D a ß Rolicz-Lieder den direkten Weg zur Dichtung des Persers hatte führen können, steht außer Zweifel, da er Orientalist war. Z u m Überfluß hat er selbst die Rubajat-Sammlung eines anderen Persers i n seine polnische Muttersprache übersetzt, die des A b u Said I b n A b i - l - C h a i r , der ein Jahrhundert v o r Chajjam die K u n s t f o r m des Rubai m i t mystischem Gehalte füllte u n d es auf diese Weise popularisierte 1 1 7 . Lieders Ausgabe erschien zur Zeit seiner Freundschaft m i t George, kurz nachdem das ,Buch der Hängenden Gärten* herauskam, welches i h m neben Paul Gerardy u n d K a r l Wolfskehl gewidmet ist. D e n O m a r Chajjam hat Lieder offenbar nicht selbst übersetzt 1 1 8 . K o n n t e Lieders Hilfestellung den Zugang z u m persischen O r i g i n a l eröffnen, so führte eine zweite Spur zum mittelbaren Zugang, zu FitzGerald, über einen der lyrischen Ahnen Georges, Algernon Swinburne. Swinburne gehörte m i t Rosetti zu den Entdeckern FitzGeralds und m i t den übrigen Präraffaeliten für einige Zeit zu seinen wenigen doch u m so glühenderen Bewunderern. Sein Enthusiasmus für ,The R u b i i y d t o f O m a r K h a y y i m ' ging weit genug, i h n das Rubai als Strophenform aufgreifen und z u m Gefäß seiner frühen Dichtung ,Laus Veneris' machen zu lassen. Für die latente Präsenz Chajjams i m George-Kreis mag vielleicht auch zeugen, daß z. B. Ernst Bertram später eine Anthologie ,Persische Spruchgedichte' herausgab, i n der O m a r reichlich vertreten i s t 1 1 9 , u n d L u d w i g Klages seinem ,Geist als Widersacher der Seele' als Vorspruch ein Rubai Omars m i t g a b 1 2 0 , und ein entfernterer Trabant Georges, Hanns Meinke, einer der Kosmiker u n d Freund des R u d o l f Pannwitz, einer seiner Dichtungen u m die mystische Figur seines M e r l i n den T i t e l eines „nordischen Rubajat" gab121. Noch einmal führt über Swinburne der Weg indirekt zurück auf O m a r und das Rubai bei R u d o l f Borchardt. Auch seine lyrischen Anfänge standen unter dem Zeichen Swinburnes, i h m widmete Borchardt 1909 ein Gedicht117 Waclaw Rolicz-Lieder, A b u Sajid Fadlullah ben Abulchajr i tegoz czterowiersze, K r a k a u 1895. — Über den Perser vgl. E. G . Browne, A lit. hist, of Persia, vol. 2, pp. 261—269 und Hermann Ethé, der 92 Rubajat übersetzte und kommentierte, in: Sitzungsber. d. bayr. Akad., philos.-philol. Kl., 1875, pp. 145—168 und 1878, pp. 38—70. — Die Autorschaft Abu Saids w i r d heute von der Fachwelt abgelehnt; Rempis brieflich. 118 Wielka ilustrowana encykl., Tom. X I , K r a k a u 1951, s. v. O m a r - i - K h a j j a m gibt vier Übersetzer an, unter ihnen nicht Rolicz-lieder. Uber diesen selbst vgl. Tom. I X , p. 83. 119 Leipzig 1943 u. ö. (Insel-Bücherei 87). 120 Bd. 1, Leipzig 1929. 121 Hanns Meinke, Atemzüge des Kindes Magus Merlin, in Runen, Bildern, Rätseln, Weihworten, Bannsprüchen, Beschwörungen, Gelübden, Inschriften und Widmungen. Ein nordisches Rubajat, Berlin (Merlin-Presse) 1924.
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epitaph und einen N a c h r u f 1 2 2 , auch gab er Ubersetzungen Swinburnes heraus 1 2 3 . Offensichtlich nach dem metrischen Muster v o n ,Laus Veneris' verfaßte Borchardt die düsteren ,Verse bei Betrachtung v o n Landschaftszeichnungen geschrieben' 124 . Es sind elf Strophen i n Rubaiform. Swinburne hatte je zwei der reimlosen Drittzeilen seiner Strophen gereimt, Borchardt t u t ein weiteres, indem er den Ausgang der ersten Drittzeile z u m Reimklang für die folgende Strophe macht, den der zweiten für die dritte usw. Was er m i t dieser Umschmelzung der ursprünglich selbständigen Vierzeilergestalt erreicht, ist eine Strophenkettung nach dem Muster der Terzine, gleichsam eine geschwollene Terzine. Daß der strophische Gebrauch ein Mißbrauch des Rubai ist, steht außer Frage. Bereits Bodenstedt hatte, wie w i r sahen, diesen Schritt getan. So ist v o n einer Fortsetzung der Rubaipflege i m eigentlichen Sinne denn auch bei Borchardt nicht zu sprechen. Es ist eine nicht verbindliche Formspielerei. Erwähnung verdient hingegen das Wertbewußtsein u n d die A f f i n i t ä t zur Rubai-Dichtung, die er beweist durch die Aufmerksamkeit auf jenen seltenen Fall geglückter deutscher Rubajat bei Lagarde, dessen „herrliche Vierzeiler persischer Doppelverschlingung" 1 2 5 er i n seine Anthologie ,Ewiger V o r r a t Deutscher Poesie' v o n 1926 aufgenommen hat. 9. Nachspiel:
Hamel , Κ lab und
u.a.
Noch einmal, u n d z w a r zu Beginn unseres Jahrhunderts, t r i t t ein abgelegener Fall v o n unmittelbarer Omar-Chajjam-Aemulatio auf. Es ist w o h l der einzige seiner A r t nach Lagarde. 1912 erschien anonym eine kleine Schrift: ,Die Vierzeiler des Neuen O m a r K h a j j a m . Erst Sammlung: M i t schwarzen Segeln' 1 2 6 . Der Verfasser ist Richard Hamel, Klopstock-Forscher, politischer Schriftsteller u n d Journalist 1 2 7 . H a m e l erweist sich als ein Sohn des 19. Jahrhunderts. Schopenhauer ist einer seiner Ahnherrn, v o n i h m erbt er den pessimistischen Idealismus, die Philosophie des Schmerzes, der H i n fälligkeit u n d des Mitleids. Aber auch Nietzsche hat Pate gestanden. I n der Einleitung, i n welcher er sich u n d seine Dichtung selbstmystifizierend charakterisiert, deutet er seine Schülerschaft gegenüber Omar, m i t dem er nicht 122 ,An den Heros' in: Gedichte, Stuttgart 1957, pp. 203—5 bzw. Prosa I I I , 1960, pp. 394—401. 123 Swinburne deutsch, Berlin 1919. 124 Gedichte pp. 113 f. 125 Prosa I I I , p. 337. 126 Berlin-Charlottenburg o. J. (1912). 127 Über H a m e l s. Fritz Strahlmann, Der Neue Omar Khajjam — Richard Hamel. Ein Gedenkblatt. Eine Würdigung seines Lebens und Schaffens, Oldenburg i. O . 1925; eine erweiterte handschriftliche Fassung des Textes der »Neuen Vierzeiler* befindet sich in der Landesbibliothek Oldenburg i. O .
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durch das Original sondern die existierenden Übersetzungen bekannt geworden ist, u n d i n dem er einerseits den Tändler, mehr aber noch den Überwinder v o n Feigheit, Unterdrückung und Agnostizismus feiert, als eine moderne Version desselben ewigen Kampfes u m Geistesfreiheit u n d E r kenntnis, die bei i h m selber allerdings i n Freigeisterei mündet. Seine Lebensanschauung, zum Teil auch Vaihingers Als-Ob-Philosophie verpflichtet, „ g i p felt nicht i n dem möglichst heiteren Genuß des Augenblicks, sondern i n der werdenden, i m angedeuteten Sinne heroischen Weltbesinnung des zwanzigsten Jahrhunderts" 1 2 8 . M i t Schopenhauer teilt er die Zitierfreude und, i n seinem Rahmen, die Fähigkeit, das Selbstgemäße beliebig zu entdecken. Er zitiert oder spielt i n widerstreitender Meinung an auf Wagner, Voltaire, Sokrates, Shakespeare, Terenz, Schiller, Descartes, Goethe u. a., bürgerliche Bildungswelt ausbreitend. Sein T o n aber i n den annähernd zweihundert Rubajat ist durchaus nicht zahm, sondern omarisch zupackend u n d seine Weltsicht doch wesentlich die Omars geblieben, u n d darum verdient er Interesse. D i e schwermütige Melodie des großen Vorbildes k l i n g t an i n Strophen w i e : Z u ewigem Ruhm dir häufst du Sieg und Raub. Dein Wirken sinkt dahin wie Baumeslaub. A m Baum der Taten knospen H e l d ' auf Helden, U n d lagern unter ihm sich, Staub auf Staub. ( N r . 85) I m Tale wandr' ich. Hoch am Bergeshange Taucht Stern um Stern empor mit leisem Gange. Mein Schritt ist schwer; sie schweben leicht vorüber: Ein Stern sorgt nicht, ob er ans Ziel gelange. ( N r . 57) D e m Leben soll'n w i r traun, drum läßt's ersprießen Uns Zaubermärchen, die uns hold umfließen. D i e letzte Täuschung streifen selbst dem Greise W i r erst vom Auge, wenn w i r es ihm schließen. ( N r . 64)
Die denkerische Bewegung vieler, u n d der besseren, Hamel'schen Verse — einige Gruppen sind recht sentimental u n d wenig pointiert — vollzieht sich oft i n der Setzung eines allgemeinen positiven Aufrufs zum Leben, Wollen, Fühlen, welchem sodann, ganz i m Stile des Rubai wie O m a r es handhabt, eine abwinkende, entsagende, nicht selten bissige Geste nachgesandt w i r d . Aufbruch r u f t unweigerlich Desillusion hervor wie bei Omar. „Sudi* Gott in deiner Brust zu jeder Frist, U n d du erlebst ihn", spricht der gläubige Christ. Ο des Erlebnisses! I n allen Tiefen Erlebt', erleb' ich es: daß keiner ist. ( N r . 99)
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Einleitung: Der alte und neue Omar, p. X L V I .
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Joachim Wohlleben „Erkenn* dich selbst!" — Graunvoll und vermessen, Dämonen schaun, die wechselnd uns besessen! Die tiefste Weisheit lehren Schlaf und Tod, Das höchste Glück; sich selber zu vergessen! ( N r . 116)
Es sind Sprüche eines Enttäuschten. Insofern steht H a m e l durchaus i n einer Linie m i t Lagarde, dessen politischen Ideen er, wenn auch liberaler gesonnen, nahe war. Das Rubai als Ausdrucksform chajjamischen Geistes für Chajjams Geisteserben scheint Außenseiter zu locken. Diese einem geschichtlich ebenso fernen wie emotionell verwandten V o r b i l d folgende Gedankenlyrik ist die Poesie der Sonderlinge, u n d so bestätigt auch H a m e l , der Ausnahmefall, die v o n uns konstatierte Regel über die kaum existierende deutsche O m a r Rezeption. Der Sonderling kann immerhin als Vertreter des „zwanzigsten Jahrhunderts" u m Grade zynischer u n d sakrilegischer klingen als der Perser: Unmenschen waren es, die ihm ins blasse U n d edle Antlitz spien in blödem Hasse. Doch tausendmal verächtlicher, die wissend Es ihm entstell'n zu eines Gotts Grimasse. ( N r . 109)
Während H a m e l echte Rubajat i n bewußter Omar-Nachfolge schrieb, läßt sich bei Hanns Meinke nur eine schattenhafte Berührung m i t Chajjams Rubajat feststellen 1 2 9 . Wäre es nicht u m des seltsamen Titels w i l l e n ,Atemzüge des Kindes Magus M e r l i n , ein nordisches Rubajat', so ließe sich dieser Hauch v o n A n k l a n g w o h l übersehen. Was Meinke jedoch das Recht gibt, seine Sammlung ein Rubajat zu nennen, ist rein äußerlich die Anlehnung an FitzGeralds ,The Rubdiyat of O m a r K h a y y à m ' durch das W o r t „ R u b a j a t " , das hier wie oft i n Interpretationen FitzGeralds als Singular und gleichsam als Synonymon zu , D i v a n ' verstanden w i r d . Aus inneren Gründen jedoch findet eine Anlehnung höchstens Bestätigung durch die Einheit einer Stimmung, die Meinkes Opus, ein Corpus v o n 200 meist vierzeiligen Kurzgedichten, sowohl m i t den „ R u b i i y a t " als schließlich auch nicht weniger m i t den originalen omarischen Versen verbindet. N u r das Vorhandensein eines allen seinen Gedichten eigentümlichen geistigen Gepräges ist der Vergleichspunkt m i t O m a r . Er statuiert eine ebensolche innere P h y siognomie für sein Werk, natürlich eine spezifisch Meinke'sche. ,Nordisches Rubajat', ein O x y m o r o n , das sich am Zeugma ,West-östlicher D i v a n ' orientiert, selbst eine Verschmelzung v o n Orient und Okzident, hat somit gar 119 Siehe Anm. 121. — Ein früherer Fall von versprechendem Titel-Anklang, der aber in der T a t nichts mit Chajjam zu tun hat, ist: K a r l Ptak, D i e Schlacht v. Eimbeck. — Liebestod. — O m a r Chijam des Jüngeren D i v a n . D r e i Dichtungen, Wien 1892. I m betreffenden Abschnitt handelt es sich um volkstümlich-lehrhafte Vers-Anekdoten, die in den Orient verlegt sind. Schacks Übersetzung muß die W a h l des Titels suggeriert haben, der tatsächlich keine andere Funktion hat als exotisch zu wirken.
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Goethe z u m Ahnen, an den überdies wiederholt eingefügte Verszitate erinnern 1 3 0 . I m Falle Meinkes symbolisiert sich diese Verschmelzung i n den Figuren des M e r l i n u n d des R u m i 1 3 1 . Es sind durchweg flüchtige mystische Ausrufe der eigenen Seele, Ausdruck der Vereinigungssehnsucht des Dichter-Ichs m i t der N a t u r , m i t dem D u , m i t Gott. Also weder Hafis noch O m a r stehen hier Pate, sondern Dschellal eddin Rumi. Uber die äußerlichen Anklänge hinaus, wie etwa die Vierzeilerform, jedoch m i t Kreuzreim, lassen sich Parallelen zu O m a r Chajjam kaum oder nur sehr gelegentlich finden, sind w o h l auch nicht beabsichtigt. Das Thema des Nichtwissens gegenüber G o t t (p. 82), M y s t i k allenthalten, einmal zufällig i m B i l d des Wassertropfens u n d des Ozeans, w o z u ein O m a r - V e r s 1 3 2 vergleichbar wäre, u n d einmal auch das M o t i v v o m K r u g , aus Lehm gemacht, zu Lehm bestimmt, darin scheinen sich die zufälligen Gemeinsamkeiten zu erschöpfen 138 . K l a b u n d hat einen O m a r geschaffen, bei dem es Ermessenssache ist, v o n einer Ubersetzung, Bearbeitung oder eigenen Schöpfung zu sprechen. Sein Werk ,Das Sinngedicht des Persischen Zeltmachers. Neue Vierzeiler nach O m a r K h a y y a m ' 1 3 4 enthält 95 Vierzeiler, i n denen er nicht die Rubaiform beibehält. Er reimt a b a b. Nach dem eingestandenen V o r b i l d FitzGeralds webt er sie, u n d stärker als dieser, i n ein „einheitliches Gedicht" zusammen, dessen Stationen etwa unter den Gruppenthemen stehen: Selbsterkenntnis, Lebenssinn, Schänkentreiben, Frauen, Liebesempfinden, Kindsein, Lebenskampf, Schicksal, Ringen u m G o t t , Todesahnen. Was K l a b u n d tut, ist etwa folgendes: er hat die erreichbaren Vorstellungen über den originalen O m a r Chajjam durch Studium der i h m vorliegenden europäischen Versionen i n sich einströmen lassen, die Einzelgedichte zählen nicht mehr, es zählt nur noch ein sich bildender Gesamteindruck. V o n diesem aus reproduziert K l a b u n d i n t u i t i v sein ,Sinngedicht'. N u r ist dabei natürlich der nun schöpferisch werdende Gesamteindruck klabundisch gefärbt, einer Selection seines vermittelnden Geistes unterworfen worden. Insofern ist seine Sammlung ein höchst subjektiv geschauter Omar. M a n kann theoretisch noch v o n Über-
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Meinke, in den ,Vorsprüchen', pp. 12, 13, 16. Vgl. bes. über seine Ghaselen: Diethelm Balke (s. Anm. 53), pp. 332—337. Rosen N r . 112. Meinke p. 147: A u f eine Vase
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Mich klumpen schmutz hob eine liebe hand Formte mich sanft und hat mich rein gebrannt. N u n wahr ich treulich bis an meine Scherben Hauch ihrer Blumenopfer die in mir versterben. München 1917, 2. Aufl. 1921.
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Setzung sprechen, weil kein aktiver Veränderungswille tätig wurde u n d keine Intention spürbar ist, einen Selbstausdruck m i t M i t t e l n oder Mustern Omars zu erreichen; man muß andererseits v o n einer Bearbeitung, einer Nachdichtung sprechen, da es w i r k l i c h nicht mehr die Dichtung O m a r Chajjams ist, die w i r lesen. K l a b u n d spiegelt wie gesagt nicht einzelne omarische Gedichte i n genau entsprechenden deutschen Versen wider, sondern reproduziert aus dem „ganzen O m a r " heraus, v o n dem er i m Nachwort erklärt, daß er i h n sich nicht „englisch-moralisierend" wie bei FitzGerald vorstellt. Was er anstrebe, sei „die intuitive Rekonstruktion eines (selten gesehenen, aber gewiß gewesenen) rebellisch-schwärmerischen O m a r " . Das Rubai gibt er nicht nur äußerlich auf, sondern ist v o n dessen innerem Gesetz auch darum fern, w e i l er diese beiden Elemente, das Rebellische und das Schwärmerische, nie i n einem Gedicht verschmilzt, wodurch der für O m a r charakteristische plötzliche Umschlag des Gedankens und der Stimmung sich ereignen könnte. Er trennt die beiden Extreme, die w i r als antagonistische Elemente i n Omars Geisteswelt kennengelernt haben. Jeder Vierzeiler hat entweder eine beherrschende sentimentale oder eine Stimmung des Unmuts. A l l e n ist eine für O m a r untypische, höchst moderne, oft saloppe Metaphorik eigen. Uberhaupt drängt sich modernes Empfinden i n den Vordergrund, u n d Interpretation setzt sich bisweilen an die Stelle v o n Gestaltung 1 8 5 . Eine zweite Nachdichtung, v o m O r i g i n a l durch zu viele Zwischenträger u n d eine nicht gerade kongeniale Auffassung getrennt, stammt v o n Hans Bethge. Dieser flocht zuletzt noch O m a r i n den K r a n z seiner Nachdichtungen aus dem Orient e i n 1 3 6 . Bethge verzerrt O m a r ins Sentimentale bzw. 135
Einige Beispiele (1921, pp. 8, 20, 37, 40): Ich habe nie vermeint, mich selber zu erkennen. Ich drehte oft am K a r r n das fünfte Rad. Z u Asche muß sich brennen Die Flamme Mensch, die Gott entzündet hat. Ich würde weinen, wenn ich Tränen hätte. Die Grille zirpt. Ein fremder Vogel schreit. Ich wälze ruhlos mich auf meinem Bette — Vergänglichkeit — Vergänglichkeit... M e i n Gott, du warfst mir Münzen in die Mütze. D i e Mütze war verfilzt und zeigte Loch bei Loch. Das Gold fiel in die Pfütze U n d liegt wohl in der Pfütze noch. Ο laß mich sterben, Herr, ich bin ein toter Mann, Was nützt mir noch ein weiteres Jahrhundert? Fing ich noch einmal an, stürb ich noch einmal dann, Dein Fangballspiel hat Omar nie bewundert.
136 Hans Bethge, Japanischer Frühling (1911), Arabische Nächte (1912), Das türkische Liederbuch (1913), Die indische Harfe (1913), Hafis, Nachdichtungen
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Heitere. Der philosophische Gehalt der omarischen Verse, soweit Bethge diesen T y p zur Nachbildung überhaupt auswählte, ist ungemein verwässert, ja v o n der Denkproblematik ist k a u m etwas geblieben. D i e Schlagkraft des Rubai ist schon deshalb vertan, w e i l seine Stücke bis auf zehn Zeilen anwachsen. 10. Aus zweiter Hand:
Die Entdeckung FitzGeralds
in
Deutschland
Dies die mehr schöpferische Rezeption u n d Reproduktion O m a r Chajjams, soweit ich sie aufspüren konnte! Wenn man den G r a d der Aufmerksamkeit auf Chajjams Opus allerdings an den reinen Übersetzungsbemühungen messen dürfte, so wäre seine einheimische Bekanntschaft hoch z u veranschlagen. Wie eingangs erwähnt, erlebte Deutschland i m ersten D r i t t e l unseres Jahrhunderts eine Woge v o n Chajjam-Ubertragungen. Genau betrachtet ist es aber FitzGerald, der nun entdeckt w i r d . Christian Rempis verzeichnet etwa 20 Nachdichtungen über FitzGerald aus den Jahren 1903—1932, v o n denen aber nur etwa die H ä l f t e w i r k l i c h als selbständige Veröffentlichungen erschienen sind, der Rest sind bibliophile Sonderunternehmen: außerdem sind sie v o n unterschiedlichem U m f a n g 1 3 7 . Diese Tatsache ist bemerkenswert, bestätigt sie doch ihrerseits, daß i n der deutschen Literatur die Beschäftigung m i t O m a r Chajjam stets ein esoterischer Besitz weniger Eingeweihter geblieben ist. Das mag an der A r t seiner Dichtung — Poesie des Einzelgängers — liegen oder an der literarhistorischen Tatsache, daß er i n Deutschland als ein Stück persischer Dichtung stets unter dem Schatten der Hafis, Firdusi, Saadi gestanden h a t 1 3 8 . Als ein Arcanum, eine Erkennungschiffre sozusagen, (1920), Omar Khayam, Nachdichtungen seiner Sprüche (Berlin 1921, 2. Aufl. Stuttgart 1962). 137 Rempis s. Anm. 46. I n Ergänzung zu Rempisens completter Übersicht wären als spätere Erscheinungen nachzutragen: 1. Die 2. Aufl. seiner eigenen: Vierzeiler in der Auswahl und Anordnung E. FitzGeralds aus d. Pers. verdeutscht, Dessau 1940; 2. die 2. Aufl. v. Hector G. Preconi , Omar Khayyam, die Sprüche der Weisheit dt., Zürich 1946 (zuerst 1911) 3. Rudolf Berger, Omar Khayyam. Die Sinnsprüche, aus dem Pers., Bern 1948 (Parnass-Bücherei 79); 4. Durchblättert ist des Lebens Buch. Vierzeiler von O m a r Chajjam. Nachdichtung v. M a r t i n Remane. Ausgew. u. m. Anm. vers. v. Bozorg Alavi , m. Nachw. v. Jan Rypka u. Bozorg Alavi y Berlin 1962; 5. Omar H a y am, Vierzeiler, übertr. ν. Georg Alexander Fischer, Karlsruhe 1963; 6. Die Rubaijat des Omar Khaijam, dt. v. M a x Barth, Frankfurt a. M . 1963. 7. Madeleine du Mont (115 deutsche Verse in der pers.-engl.franz.-dt. Edition) The Quatrains of Omar Khayyam, pubi, on the 25th Anniversary of the glorious reign of Mohammad-Reza Shah Pahlavi, Teheran 1964. 8. Rubaijat von Omar Chajjam, rend, into Engl. Verse by Ed. FitzGerald, 4. ed., übertr. v. H . W . Nordmeyer, 2. Aufl., m. e. Nachwort ν. Heinrich Meyer, Bern 1968 (German Studies in America, N o . I ) . 138 Notierenswert in diesem Zusammenhang, daß kaum einer der Übersetzer des persischen Originals ein Übersetzer nur des Chajjam gewesen ist: Hammer 1818 (außerdem Hafis u. v. a.), Wollheim 1873 (Hafis u . v . a . ) , Schadt 1878 (Firdusi),
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verwendet H e i m i t o v . Doderer Chajjams Verse i n seinem Roman ,Die Strudlhofstiege', wodurch er wiederum auf seine Weise deren Exklusivcharakter bestätigt, aber anderseits doch audi, das verdient betont zu werden, zu ihrer literarischen Vergegenwärtigung beiträgt. R u d o l f Berger nennt O m a r Chajjam einmal „diesen am stärksten verfälschten Dichter der W e l t l i t e r a t u r " 1 3 9 . Es ist i n der T a t erstaunlich, welchen Einfärbungen ideologischer oder geschmacklicher A r t oftmals die deutschen Versionen erlegen sind. W i r haben dies i n den Fällen Schack u n d Bodenstedt erwähnt. D e m ihnen i m Abstand v o n über zwanzig Jahren folgenden M a x i m i l i a n R u d o l f Schenck gelingt es i n Vorrede u n d Darbietung der Verse, O m a r zu einem frommen Hausdichter zu verharmlosen. Der Perser soll durchaus gottesgewiß, lebensfroh, weinselig, untragisch, vordergründig sein. Schenck steht außerdem unter dem Einfluß der Nicolas'schen Interpretation der Rubajat als tief mystischer Dichtung. Die sarkastischen Hiebe schwächen sich zu neckischem Spott als Geistesblitze eines gemütlichen A l t e n ab. Auch etwa Walter Fränzel, der i m V o r w o r t soviel Verständnis für das Rubai als Kunstform beweist, ist zahm u n d ganz der süßen Melancholie FitzGeralds verfallen. D i e beste deutsche Wiedergabe FitzGeralds (der letzten Fassung) scheint m i r Nordmeyer geleistet zu h a b e n 1 4 0 . Sie bewahrt die Stimmung FitzGeralds, ohne sie zu übertreiben, ist konzis und farbenreich. Der bisher letzte Versuch ist derjenige v o n M a x Barth. E r fußt auf einer Reihe v o n englischen u n d französischen Versionen als Zwischenträgern. I m Arrangement der Verse bekennt er sich i m großen u n d ganzen z u F i t z Geralds Beispiel. Für i h n ist O m a r der kühne Revoluzzer, der kettensprengende Freigeist gegen alles Abgestandene, Unoriginelle, Heuchlerische. U n d deutlich empfindet sich der A u t o r als Geist v o n Omars Geist des Nonkonformismus, den er m i t gelegentlich kokettem Subjektivismus v o r trägt. Für Entscheidungen, die einem Philologen Kopfzerbrechen verursacht hätten, gilt i h m i n seinen Anmerkungen wiederholt die Maxime, daß i h m dies oder jenes schlicht „besser gefällt". Dabei begeht er stilistisch einen Bodenstedt 1881 (Hafis), Ethé 1888 (Abu-l-Chair u. v. a.), F. Rosen 1909 (Saadi u. a.), Berger 1948 (Hafis, Rumi). — Eine Ausnahme scheint zu sein Christian Herrenhold Rempis, dessen Chajjam-Übertragung die umfänglichste und zweifellos die authentischste ist, jedoch, längst vergriffen und bisher nicht wieder aufgelegt, an Popularität von derjenigen von F. Rosen ausgestochen wird. Rempis s. A n m . 46. — I n vorliegende Untersuchung sind einige fachliche Hinweise von H e r r n Prof. Rempis, Tübingen, dankbar aufgenommen worden. 139 Berger (s. A n m . 75), p. 7. 140 H . W . Nordmeyer, Edward FitzGeralds Rubaiyat des Omar K h a y y a m (letzte Fassung, dt.), Potsdam 1926. — Ich muß freilich gestehen, daß es mir nicht möglich war, aller deutschen Versionen des FitzGerald'schen Opus habhaft zu werden. Ihre Verbreitung ist gering, die bibliothekarische Beschaffung der limitierten Auflagen schwierig.
Die Rubajat des Omar Chajjam und die deutsche Literatur
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fatalen M i ß g r i f f i m Reimschema seiner Vierzeiler. Er reimt a b a a, kehrt also das O r i g i n a l sozusagen um, indem er den wägenden Leerreim i n die erste Gedichthälfte verlagert. Er begründet diese Methode m i t dem gefälligeren K l a n g für deutsches Empfinden: „es t u t uns w o h l , eine Strophe i n ungebrochenem, vollem Reim ausklingen zu h ö r e n " . 1 4 1 Nach dem oben über das Rubai Ausgeführten kann ich darin nur eine Fehldeutung der Gattung erblicken. 11. S eh lu β be trachtung Die v o n uns hier vielleicht i m Übermaß betonte u n d beklagte Fremdheit der Dichtung O m a r Chajjams ist selbstverständlich nur der Nebenaspekt eines problematischen Themas: Orient u n d orientalisierende Dichtung i n der deutschen Literatur. D i e orientalisierende Dichtung war, wie die wissenschaftliche Orientalistik, ein Produkt der romantischen Bewegung. Daß das Orientalische i m allgemeinen Bewußtsein i n Deutschland nicht recht Fuß fassen konnte, mag z u m H a u p t t e i l an einer i h m innewohnenden genuinen Fremdheit liegen. Η . H . Schaeder hat aber einmal darauf aufmerksam gemacht, daß es ζ . B. darüber hinaus der deutschen Orientalistik nie beschieden war, eine beherrschende Gelehrtenpersönlichkeit für ihre D i s z i p l i n zu gewinnen, die m i t dem aus dem Geist der R o m a n t i k geborenen Totalitätsanspruch eines umfassenden Blicks und dem W i l l e n zur einheitlichen Schau jenen Größen an die Seite zu stellen sei, wie die Historiographie sie i n Ranke, die Germanistik i n G r i m m , die Romanistik i n Diez besessen haben 1 4 2 , so daß v o n daher der Sache des Orientalischen eine Schwungkraft abging, die jene Disziplinen aus dem großen Aufbruch der R o m a n t i k erbten. Andererseits ist nun die orientalisierende Dichtung bald zur Modesache degeneriert u n d u m so unvermeidlicher abgestorben. Uber dem Auftreten der Welt des Orients i m frühen 19. Jahrhundert steht ein großes Zuspät geschrieben. Es erfolgte, als die geistige Selbstfindung Deutschlands durch das M e d i u m der A n t i k e abgeschlossen war. E i n weiteres Ingredienz fand i n diesem Prozeß keinen Platz. Die orientalisierende Dichtung ist schon i n sich Epigonendichtung. Zudem wurde sie z u m Gefäß verschiedenster Zeittendenzen, des Philhellenismus ebenso wie der Bewegung des Jungen Deutschl a n d 1 4 3 . Auch was das Angebot an neuen poetischen Formen betrifft, w a r die Zeit der willigen A n v e r w a n d l u n g vorbei. M a n könnte v o n einer Sättigung an literarischen Gattungen sprechen. Einer einzigen Gattung gelang es 141
Barth p. 93 f. O r . Lit.-Ztg., 1942, p. 8. 143 Vgl. Hans Effelberger, Die „west-östliche Dichtung" als liter. Bewegung, in: Platen, Gedächtnisschrift d. Univ.-Bibl. Erlangen z. 100. Jahrestag d. Todes A. v. Platens, hg. E. Stollreither, Erlangen 1936, pp. 89—109. 142
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bis zu einem gewissen G r a d adoptiert zu werden: dem Ghasel. D e m Rubai jedoch ist dies w o h l nicht zuletzt deshalb nicht gelungen, w e i l die Tugenden dieser Form bereits v o n anderen vorhandenen Formen verwirklicht waren. Das Rubai darf als ein Spruchgedicht definiert werden. Als ein solches wäre es auf eine sehr alte einheimische T r a d i t i o n verwandter Genres gestoßen, die seinem Eindringen entgegenstand. Daß das Rubai i n Omars Ausgestaltung hingegen auch wieder mehr als ein Spruch ist, läßt sich nicht leugnen, hat aber keine Anerkennung gefunden. Es liefert nicht nur A p o d i k tisches, nicht nur Resultat, sondern „Resultat und Prämisse w i r d uns zugleich geboten", nicht monolithische Sentenzenhaftigkeit ist sein Wesen, sondern die Reflexion, der innere Monolog. Die W i r k u n g des Spruches w i r d i h m erteilt durch seine Endschwere, die, ist der i n d i v i d u e l l ansetzende Gedankengang einmal durchlaufen, es unverrückbar, unabänderlich u n d generell macht. Außer dieser Sentenzenschwere atmen Chajjams Verse aber immer audi eine reine Stimmung, die sich mitteilen w i l l . — Als Spruchdichtung steht es den spezielleren Formen des Quatrain nahe bzw. dem aus Italien importierten Stornell, m i t dem es das Spezifikum der einkreisenden Reimwiederkehr teilt. Weiterhin ist das Rubai ohne Zweifel eine epigrammatische Dichtung. Auch i n dieser Beziehung mußte es auf eine installierte T r a d i t i o n i n der deutschen Literatur stoßen, die es entbehrlich erscheinen ließ. — Darüber hinaus lassen sich Gemeinsamkeiten m i t einer so komplizierten Form wie der des Sonetts konstatieren, m i t dem es die wesenhafte Zweihälftigkeit, den durch die Reimführung betonten Sinneinschnitt t e i l t 1 4 4 . Doch gestehen w i r , daß eine Hypothese, die besagte, dem Rubai sei Anerkennung u n d Aufnahme versagt worden, w e i l verschiedene andere lyrische Formen die W i r k u n g und F u n k t i o n bereits erfüllten, die seine Eigenart ausmachen, nichts mehr als ein Argumentum ex negatione ist. H a l ten w i r die Tatsache fest, daß es zur Rezeption selten, ja so gut wie niemals gekommen ist, unterdrücken dabei aber nicht unsere Überzeugung, daß der Gesichtspunkt ex negativo einsichtfördernd, vielleicht unerläßlich ist i n jeglicher Darstellung der Rezeption einer nationalen Literatur durch eine andere.
144 Vgl. Walter Mönch, bes. pp. 33—39.
Das Sonett. Gestalt und Geschichte, Heidelberg 1955,
„ P H Y S I K " D E R POESIE Z u einem naturwissenschaftlichen Begriffsmodell i m ästhetischen Programm der Frühromantik V o n Peter K a p i t z a Durch die chemische Ansicht w i r d die N a t u r zum Schein; auf den ersten Blick macht dies dem Enthusiasmus der Poesie durchaus ein Ende. Näher betrachtet gibts ein großes Fundament. Friedrich Schlegel
D i e literarhistorischen, dichtungstheoretischen wie literarkritischen Überlegungen v o n Novalis u n d Friedrich Schlegel, aber audi ihre sozialphilosophischen und anthropologischen Spekulationen i m weitesten Sinne, sind bekanntlich durchsetzt v o n naturwissenschaftlichen Begriffen. Dies macht eine Beschäftigung m i t den genannten Texten ungemein schwierig. Denn um die frappierende Aussagekraft physikalischer, chemischer und medizinischer Begriffe für die Theoriebildung wahrnehmen zu können, muß man sich ihren damaligen exakt-naturwissenschaftlichen Sinn vergegenwärtigen. E i n vorschnelles A b t u n solcher Übertragungen als „ w i l d e " Analogien führt dazu, das B i l d v o n der Frühromantik dort zu entsachlichen, w o es intensiv wahrgenommen werden kann, nämlich i n ihrem Verhältnis zur N a t u r wissenschaft. Das gleiche gilt aber auch für ein vorschnelles Ubernehmen romantischer Anschauungen inbezug auf die N a t u r als symbolischer Verbildlichung des Geistigen und somit auch der Kunst. T r o t z des v o n Steffens der Frühromantik vorgeworfenen „Schlegelianismus der Naturwissenschaft", der „die N a t u r gleichsam auf witzigen Einfällen zu ertappen sucht" 1 , trotz der vielerorts unverständlichen Fragmente Friedrich Schlegels i n seinen „Philosophischen Lehrjahren" ( „ Z u r P h y s i k " ) 2 , v o n denen schon N o v a l i s sagte, daß sie „ v o l l genialischer Treffer und 1 So schreibt H e n r i k Steffens an Schelling im September 1799: Aus Schellings Leben. I n Briefen, hrsg. v. G . L. Plitt, Leipzig 1869, Bd. I , S. 277. 2 Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe, hrsg. v. E. Behler unter M i t w i r k u n g von J.-J. Anstett und H . Eidoner (im folgenden zitiert als K A ) , Bd. 18: Philosophische Lehrjahre 1796—1806, S. 144—151.
7 Literaturwissenschaftliches Jahrbuch, 12. Bd.
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Fehler" 3 seien, können w i r die frühromantische Ästhetik nicht ohne den Blick auf die naturwissenschaftliche Begrifflichkeit verstehen. Es geht dabei nicht darum, ihre naturwissenschaftlichen u n d -philosophischen Spekulationen zu überprüfen, sondern es geht u m die Exaktheit des naturwissenschaftlichen Begriffsmaterials, aus der dessen Bedeutung für poetologische Äußerungen erst folgt. Neben der Schwierigkeit, daß der heutige fachsprachliche Wortgebrauch, etwa i n der Chemie, v o n der damaligen Fachsprache abweicht, ergibt sich auch noch die, zwischen fachsprachlichem u n d allgemeinsprachlichem W o r t gebrauch bestimmter Begriffe zur Zeit der Frühromantik selbst unterscheiden zu müssen 4 . E i n markantes Beispiel dafür, daß Deutungsversuche ohne Regreß auf den naturwissenschaftlichen Wortgebrauch sinnlos sein können, bietet der Begriff Auflösung. I n Darstellungen der romantischen Dichtungstheorie w i r d dieses W o r t meist dann aufgegriffen, wenn die angebliche Tendenz der Frühromant i k zu unqualifiziertem Verfließen der poetischen Gattungen oder z u m Verwischen der Grenzen verschiedener geistiger Bereiche i m poetischen Produkt dargestellt werden soll 5 . H . Fauteck hat deshalb vorgeschlagen, das W o r t Auflösung aus der Diskussion zu nehmen oder i h m wenigstens den Begriff „Verdichtung" zuzuordnen 6 . Diese, v o n der Sache her begründet
3 I n einem Brief an Caroline Schlegel vom 9. September 1798: Caroline. Briefe aus der Frühromantik. Nach G. Waitz vermehrt von E. Schmidt, Bd. I , Leipzig 1913, S. 453. 4 Z u der Unterscheidung von „usuellem" und „okkasionellem" Wortgebrauch siehe H . Paul, Prinzipien der Sprachgeschichte, H a l l e 5 1937, S. 75. D a v o n muß man bei Wörtern wie Verwandtschaft, Sättigung, Mischung, Amalgamation, Indifferenz, Neutralisation ausgehen, die im fachsprachlichen Bereich sehr genau definiert sind, während sie im „usuellen" Sprechen erst vom Kontext her ihre Prägnanz bekommen. 5 Vgl. etwa B. v. Wiese, Friedrich Schlegel. Ein Beitrag zur Geschichte der romantischen Konversionen, Berlin 1927, S. 64: „Soll für die klassische Geistesart das Unendliche bezwungen, rationalisiert werden, ohne seinen Gehalt zu verlieren, so sucht der Romantiker die Grenzen zu verwischen. Die überströmende Lebendigkeit soll noch in den Begriff mit aufgenommen werden. Daher w i r d einmal die strenge Form und N o r m des Geistes verlebendigt, ins Grenzenlose, Metaphysische, Unendliche aufgelöst, andererseits aber auch der Bereich des Naturhaften, Wirklichen zunehmend in bloßen Geist verwandelt. Das Geschäft der Romantik ist A u f l ö sung* (,Auflösung aller Formen und Stoffe 4 )". M i t dem letzten Zitat in diesem Text ist wohl das 451. Athenäumsfragment gemeint. D o r t heißt es aber: „Wechselsättigung aller Formen und aller Stoffe". Es entsteht bei solchen Texten der Eindruck, als ließe man sich allzu leicht von allgemeinsprachlichen Bedeutungskomponenten romantischer Begriffe verleiten bzw. als nehme man diese nicht genügend ernst. 6 H . Fauteck, D i e Sprachtheorie Fr. v. Hardenbergs (Novalis), Berlin 1940, S. 182. Vgl. dazu H . - J . Mähl y D i e Idee des goldenen Zeitalters im W e r k des Novalis, Heidelberg 1965, S. 322, Anm. 20.
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erscheinende K r i t i k erweist sich aber, v o m Sprachgebrauch aus gesehen, als gegenstandslos, wenn man berücksichtigt, daß bereits i n der Frühromantik die chemische Fachsprache die Auflösung sehr exakt definiert hat, nämlich gerade als Verdichtung, d. h. als Mischung zweier Elemente oder Stoffe zu einem D r i t t e n , das v o n der Q u a l i t ä t her gesehen durchaus verschieden ist v o n seinen Ausgangsstoffen 7 . Bei dem französischen Chemiker J. P. Macquer, dessen chemisches Wörterbuch auch v o n N o v a l i s benutzt wurde, findet sich die D e f i n i t i o n : „ D i e Auflösung besteht i n der Vereinigung der Grundmassen oder gleichartigen Teile eines Körpers m i t den Grundmassen eines anderen, der v o n einer anderen N a t u r ist, und da aus dieser Vereinigung stets ein neuer zusammengesetzter Körper entsteht, so sieht man, daß die Auflösung nichts anders ist, als der Vorgang der Verbindung selbst." 8 D a ß dieser fachsprachliche Wortgebrauch „Auflösung = Verbindung" (neben dem uns heute fast ausschließlich geläufigen u n d auch damals verwendeten Wortgebrauch i m Sinne v o n Analyse oder Zerstörung) i n der frühromantischen Dichtungstheorie zu finden ist, zeigt etwa Novalis i n einer bedeutsamen Äußerung der ,Vermischten Bemerkungen': „Nichts ist poetischer als Erinnerung u n d Ahndung, oder Vorstellung der Z u k u n f t . D i e gewöhnliche Gegenwart verknüpft beide durch Beschränkung — Es entsteht K o n t i g u i t ä t , durch Erstarrung — Kristallisation. Es gibt aber eine geistige Gegenwart — die beide durch Auflösung identifiziert — u n d diese Mischung ist das Element, die Atmosphäre des Dichters." 9 „ D u r c h Auflösung identifizieren" entspricht dem chemischen Wortgebrauch, wie w i r i h n bei Macquer und anderen Autoren als einen speziellen Fall der chemischen Mischung überhaupt vorfinden, u n d zwar als Benennung jenes Prozesses, der zu einer i n sich homogenen, qualitativ neuen Einheit führt. Wie das über die Theorie hinaus bei Novalis praktisch verwirklicht w i r d , hat H . - J . M ä h l an einem Text aus dem ,Ofterdingen' aufgewiesen 10 . H a n d e l t es sich hier u m eine genaue Übertragung eines bestimmten chemischen Vorgangs auf geistige Phänomene, die einfach zu erkennen und 7 Mischung nannte die zeitgenössische Chemie denjenigen Vorgang, den wir heute als „chemische Verbindung" bezeichnen; siehe dazu P. Kapitza, Die frühromantische Theorie der Mischung. Über den Zusammenhang von romantischer Dichtungstheorie und zeitgenössischer Chemie, München 1968. 8 P. J. Macquer, Chemisches Wörterbuch oder Allgemeine Begriffe der Chemie nach alphabetischer Ordnung (dt.: Leipzig 1788—1791), Bd. I , S. 411 f. 9 Novalis, Schriften, hrsg. v. P. Kluckhohn und R. Samuel. Zweite, nach den Handschriften ergänzte, erweiterte und verbesserte Auflage in vier Bänden (im folgenden zitiert als Kl.-S.): Zweiter Band, Das philosophische Werk I , hrsg. v. R. Samuel in Zusammenarbeit mit H . - J . Mähl und G . Schulz, Stuttgart 1965, S. 468, N r . 123. 10 FI.-J. Mähl, Die Idee des goldenen Zeitalters im Werk des Novalis, a.a.O. S. 420 ff.
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nachzuvollziehen ist, so finden sich doch auch kompliziertere A n w e n dungsbereiche. W e n n i n verschiedenen Zweigen der Naturwissenschaft analoge Erscheinungen erkannt und m i t je eigenen Termini benannt werden, die untereinander i n eigentümlicher Korrelation stehen, so ergibt sich ein Begriffszusammenhang, dessen K o m p l e x i t ä t i n der Übertragung i m einzelnen nur mühsam zu fassen ist. Es geht uns hier v o r allem u m die Korrelation des chemischen Begriffs Neutralisation m i t dem physikalischen Begriff Indifferenz, sowie die medizinischen Begriffe Krankheit u n d Gesundheit, wie sie i n der zeitgenössischen „Erregungstheorie" definiert w u r den. M i t diesem Begriffszusammenhang u n d seiner Übertragung auf die Dichtungstheorie wollen w i r uns hier eingehender beschäftigen. Geht man nur v o m allgemeinsprachlichen Wortgebrauch der genannten Begriffe aus, der sowohl u m die Wende z u m 19. Jahrhundert als auch heute z u m T e i l pejorativ ist, so w i r d die Bemühung zu keinem adäquaten Ergebnis k o m men. Berücksichtigt man aber die exakte Bedeutung dieses chemisch-physikalisch-medizinischen Begriffszusammenhangs i n der zeitgenössischen N a t u r wissenschaft, dann versteht man, wie w i l l k o m m e n er den Frühromantikern für ihre Entwürfe poetologisdier u n d philosophischer A r t sein mußte. H . Steffens als zeitgenössischer K r i t i k e r der Romantik hat, indem er sich selbst einer chemischen Bildlichkeit bedient, die romantische Verfahrensweise polemisch zu charakterisieren versucht. Dabei bemerkt er allerdings nicht, wie es bei der Beurteilung romantischer Mischungsversuche heute zumeist geschieht, eine Bewegung des Verfließens, sondern n i m m t , unserem heutigen Verständnis nicht gleich eingängig, eine andere Bewegungsrichtung an. Aus Freiberg schreibt er i m Oktober 1800 an Schelling: „Friedrich Schlegels philosophierende Poesie ohne lebendige Gestalt u n d seine poetisierende Philosophie ohne tiefen Gehalt ist allerdings ein Produkt, i n welchem sich die hohe Tendenz des Zeitalters durchdrungen, aber wahrlich auch neutralisiert h a t . " 1 1 Eine solche K r i t i k , die selbst ihre Analogie aus dem chemischen Bereich n i m m t , anerkennt die Tendenz der romantischen Dichtungstheorie zur Mischung, d. h. zur Auflösung als einer gegenseitigen chemischen Durchdringung verschiedener Bereiche, m i t dem Zweck, neue Gestaltungen hervorzubringen. Sie spricht Friedrich Schlegel aber ab, auf diese „chemische" Weise Poesie u n d Philosophie zu einem wirksamen D r i t t e n zu verbinden, was dieser jedoch als durchgehendes Thema seiner Überlegungen angeschlagen hat: „Poesie u n d Philosophie sind, je nachdem man es nimmt, ver· schiedne Sphären, verschiedne Formen, oder auch die Faktoren der Religion. 11 Aus Schellings Leben. I n Briefen, hrsg. v. G. L. Plitt, S. 315.
Leipzig 1869, Bd. I ,
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Denn versucht es nur, beide w i r k l i c h zu verbinden, u n d ihr werdet nichts anders erhalten als R e l i g i o n . " 1 2 Diesem, besonders i n den „ I d e e n " entwickelten Gedanken stehen ähnliche Formulierungen v o n Novalis, Schelling u n d auch A . W . Schlegels zur Seite 1 3 , so daß Steffens m i t seiner Polemik nicht allein Friedrich Schlegel t r i f f t , wenn er das Wirkungsloswerden verschiedener Elemente i n ihrer gegenseitigen Wechselsättigung betont. Wie i n der Chemie Säuren und A l k a l i e n sich bis zur Neutralisation „saturieren", so — w i l l Steffens sagen — geht es auch Friedrich Schlegel m i t seinen p r a k tischen Mischungsversuchen v o n Philosophie u n d Poesie, die nicht auf dem N i v e a u seiner Theorie stehen beziehungsweise den i n seiner Dichtungstheorie durchaus wahrgenommenen Gefahren erliegen: Es sind wenig geglückte Mischungsversuche. Besondere Bedeutung gewinnt diese Sicht der romantischen Mischungsversuche, sofern sie auf etwas hinweist, das über dem „ e w i g Werden" des 116. Athenäumsfragments u n d seiner Beziehung zur Ironie-Konzeption meistens vergessen oder doch nicht genügend gesehen w i r d : daß sich nämlich Universalität durch „Wechselsättigung" ergibt, u n d zwar „Wechselsättigung aller Formen u n d aller S t o f f e " 1 4 , wobei der Terminus Wechselsättigung chemisch die Neutralisation mitbegreift. H i e r ist nun eine wichtige Unterscheidung zu beachten, wenn man die frühromantische Ironie-Konzeption verstehen w i l l . Ironie hat wie der W i t z bei Friedrich Schlegel m i t U n i v e r salität zu tun, aber nicht m i t jener, die durch Wechselsättigung aller Formen u n d Stoffe, d. h. durch Neutralisation zustandekommt. Denn Ironie w i r d nicht i n jenem Sinne chemisch verstanden, daß die Antithesen, zwischen denen sie sich bewegt, auf ein Drittes, homogenes Ganzes tendieren; die Antithesen vollziehen vielmehr eine dialektische Bewegung der H ö h e r f ü h r u n g 1 5 i n der „absoluten Synthesis absoluter A n t i t h e s e n " 1 6 , die i n ihrem „spannungsreichen, schöpferischen, gerade die Kunst bestimmenden Zusammenwirken gedacht werden" müssen 17 . Eine Unterscheidung i m Begriff der „Heterogenität" spielt hier eine wichtige Rolle, auch i n der A u s w i r k u n g auf die romantische Mischungskonzeption u n d deren unterschiedliche Bestimmung der Universalität. Was Schelling i n seinem ,Bruno' als „beziehungsweise entgegengesetzt" bezeichnet, nämlich die chemischen Elemente, die i n einem D r i t t e n aufhören, entgegengesetzt zu sein, w i r d abgesetzt v o m „absolut" Entgegengesetzten, anschaulich gemacht an einem Gegenstand 12
K A 2, S. 260 f., N r . 46 (Ideen). Belege dafür in der in Anm. 7 genannten Arbeit des Verf., S. 107 ff. 451. Athenäumsfragment ( K A 2, S. 255). 15 Vgl. dazu I . Strohschneider-Kohrs, Die romantische Ironie in Theorie und Gestaltung, Tübingen 1960, S. 234. 16 121. Athenäumsfragment ( K A 2, S. 184). 17 I . Strohschneider-Kohrs, a.a.O. S. 59. 13 14
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und seinem Spiegelbild, die durch ein „Höheres" vereinigt sind, „ w o r i n das, wodurch das B i l d B i l d , der Gegenstand Gegenstand ist, das Licht nämlich und der Körper, selbst wieder eins sind". Sie sind „absolut u n d unendlich entgegen" u n d können aus diesem Grunde „auch nur unendlich vereinigt" sein. 1 8 Neutralisation also ist bei absolut Entgegengesetzten nicht möglich, w o h l aber bei der chemischen Mischung, w o die heterogene Struktur der Elemente einerseits die Ermöglichung neuer Stoffe ist, andererseits gerade dadurch die Elemente ihre Heterogenität verlieren u n d ein homogenes Ganzes ausmachen, das unter Umständen, wie bei Säuren u n d A l k a l i e n , neutralisiert sein kann. Wenn man die Vielzahl der dichtungstheoretischen Äußerungen m i t Begriffen aus dem Umkreis der chemischen Mischung berücksichtigt, muß man also i n der Konzeption dessen, was Universalität ist, eine zweifache Vorstellung festhalten: einmal w i r d Universalität i n der absoluten Heterogenität der Elemente zur Ironie gesehen, zum anderen durch eine „relative" Heterogenität, ein beziehungsweises Entgegengesetztsein bestimmt, das sich i n Mischung u n d Wechselsättigung der Universalität annähert u n d i n dieser Aufhebung divergierender Qualitäten ein anderes, Ganzes hervorbringt. D i e Chemie u n d ihr Experimentieren sind ja gerade darauf gerichtet, durch Mischungsprozesse die i n der N a t u r vorhandene Z a h l der Stoffe zu vermehren, neue Stoffe m i t neuen Eigenschaften, neuen Wirkungen zu finden. I n Reils Aufsatz ,Von der Lebenskraft' (1796) heißt es: „ S i n d gleich die einfachen Stoffe zur Hervorbringung gewisser Erscheinungen nicht fähig, w a r u m nicht die Mischung derselben?" 19 H i e r setzt die Frühromantik m i t ihren immer wiederholten Forderungen nach der Mischung, nach der Wechselsättigung v o n Poesie u n d Philosophie ein. Fast als eine ins Poetologische umgesetzte Paraphrase des Reilschen Satzes mutet ein Postulat Friedrich Schlegels i n den „ I d e e n " an: „Was sich t u n läßt, solange Philosophie u n d Poesie getrennt sind, ist getan u n d vollendet. Also ist die Zeit nun da, beide zu vereinigen." 2 0 Friedrich Schlegel ist bemüht, auf der Suche nach neuen „geistigen S t o f f e n " 2 1 analog der chemischen Methode m i t M i schungsversuchen zu experimentieren. Daß die Mischung v o n Poesie u n d
18 F. W . J. v. Schelling, Bruno oder über das göttliche und natürliche Prinzip der Dinge. Ein Gespräch (1802): Sämtliche Werke, hrsg. v. K . F. A . Schelling , Stuttgart 1859, Bd. I V , S. 237 ff. Vgl. auch Novalis, Kl.-S. I I I , S. 101: „qualitative — quantitative — relative Heterogeneität". 19 J. Chr. Reil, V o n der Lebenskraft, in: Archiv für die Physiologie, Bd. I , H a l l e 1796 ( = Klassiker der Medizin, hrsg. v. K . Sudhoff, Leipzig 1910, S. 11). 20 K A 2, S. 267, N r . 108. 21 Diesen Ausdruck gebraucht Friedrich Schlegel im 34. Lyceumsfragment ( K A 2, S. 150).
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Philosophie „neue Erscheinungen" 2 2 hervorbringen w i r d , ist nicht nur seine Überzeugung, sondern auch die v o n Schelling u n d N o v a l i s 2 3 . Historisches V o r b i l d hierfür und unerreichtes Ideal zugleich ist die , D i v i n a Commedia', die eben, und das unterstreicht das Gesagte, durch die Mischung zu einem „absoluten I n d i v i d u u m , nichts anderem u n d nur sich selbst vergleichbar" 2 4 geworden ist — durch die „unauflöslichste Mischung, die vollkommenste D u r c h d r i n g u n g " 2 5 , wie es Schelling u n d auf ähnliche chemische Weise auch die Brüder Schlegel formulieren. Es ist also vorwiegend der Gesichtspunkt der Individualität des Kunstwerks, wie man sie i n der , D i v i n a Commedia' etwa verwirklicht sieht, der die chemische Mischung als naturhaftes A n a logon zur Struktur romantischer Kunstwerke so geeignet macht. Das einzelne Kunstwerk erscheint als „ n u r sich selbst vergleichbare" gemischte Struktur, die vorher nicht i n dieser bestimmten Q u a l i t ä t erreicht war. Welche Rolle spielt nun die Vorstellung, daß sich die zur Mischung gebrachten poetischen Elemente gegenseitig neutralisieren? H i e r z u ist zunächst zu bemerken, daß der chemische Begriff der Neutralisation i n der Umsetzung ins Ästhetische eine Akzentuierung bekommen kann, die gerade i m Festhalten am chemischen Sachverhalt eine überraschende Analogie zum Kunstwerk als Kunstwerk erlaubt. E i n Text aus Eschenmayers „Sätzen aus der N a t u r m e t a p h y s i k " weist i n diese Richtung: „Latentsein ist die Aufhebung der freien u n d eigentümlichen Wirksamkeit einer Materie auf unsere Empfindung, u n d dies ist nichts anders als der Neutralitätszustand." 2 6 Der Neutralitätszustand der Materie impliziert also bereits eine bestimmte W i r k u n g , beziehungsweise deren Ausbleiben inbezug auf den Menschen u n d ist nicht nur eine Aussage über die Materie i n sich. Angewandt auf die i m Kunstwerk zur Mischung gebrachten Elemente heißt das, daß i n der W i r k u n g des Kunstwerks auf den Betrachter nicht mehr die Einzelelemente i n ihren spezifischen Wirkungen wahrgenommen werden; ihre eigentümliche Q u a l i t ä t ist ohne „Überhänge" i n das neue Ganze des Kunstwerks eingebracht. Eine solche Neutralisationskraft ist für Friedrich Schlegel etwa die elegische Stimmung: „ S o l l die Anschauung groß sein, so 22 I n den Philosophischen Lehrjahren heißt es: „Poesie und Philosophie werden sich immer inniger durchdringen. Weiter behaupte ich eben nichts, Poesie und Philosophie sollen sich immer innigst durchdringen; das w i r d ganz neue Erscheinungen geben, und die Erklärung mancher alten bisher nicht verstandnen." ( K A 18, S. 342, N r . 243). 23 Entsprechende Belege in der Anm. 7. genannten Arbeit des Verf., S. 108 ff. 24 F. W . J. v. Schelling, Über Dante in philosophischer Beziehung (1803): Sämtliche Werke, Bd. V , S. 153. 25 F. W . J. v. Schelling, Philosophie der Kunst (1803): Sämtliche Werke, Bd. V , S. 687. 26 C. A . Eschenmayer, Sätze aus der Naturmetaphysik, auf chemische und medizinische Gegenstände angewandt, Tübingen 1797, S. 20.
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muß das Gefühl neutralisiert werden, und das geschieht gerade i n der elegischen S t i m m u n g . " 2 7 Aus diesem Grunde lehnt er auch den Schillerschen Begriff des Elegischen als „ a u f dem Gegensatz v o n Schein u n d W i r k l i c h k e i t " beruhend ab, da es „nicht rein poetisch" sei 2 8 , was i m Einklang steht m i t seiner Charakteristik der Werke Homers als einer „gleichförmigen Mischung" oder m i t der Charakterisierung Shakespeares als eines Dichters, der „gar keine bestimmte Tendenz" h a t 2 9 , weil i n i h m die Mischungen zu einem absoluten E n d p u n k t gekommen sind: „ D e r absolute Roman muß wie H o m e r ein Inbegriff der ganzen Zeitbildung sein" 3 0 , also eine „große" Anschauung vermitteln, die „alle Z e i t " umfaßt, aber selbst i n keiner bestimmten Zeit steht. So sagt Schelling i n der »Philosophie der K u n s t ' : „das, was selbst i n keiner Zeit ist, faßt alle Zeit i n sich, u n d umgekehrt, ist aber deswegen indifferent gegen die Zeit. Diese Indifferenz gegen die Zeit ist der Grundcharakter des Epos. Es ist gleich der absoluten Einheit, innerhalb der alles ist, w i r d und wechselt, die aber selbst keinem Wechsel unterworfen i s t . " 3 1 Deshalb bezeichnet Friedrich Schlegel auch das Epos als „ D i c h t a r t der A n schauung" 3 2 . Als Versmaß entspricht i h m der Hexameter, ein „gleichmäßiges, zwischen Entgegengesetztem schwebendes Silbenmaß" 3 3 . Dies alles bildet die Voraussetzung, u m folgenden Satz Friedrich Schlegels verstehen zu können: „ N e u t r a l i m höchsten Sinne ist für uns die alte Poesie und die moderne; n u l l nur die absolut negative" 3 4 . N e u t r a l i m „höchsten Sinne" ist jenes „rein Poetische", auf das die romantische Poesie zielt, eben die „Wechselsättigung aller Formen u n d Stoffe". Dies aber ist gleichsam ein eschatologisches Kunstprogramm, denn i m gegenwärtigen Stadium ist die Kunst für Schlegel u n d die übrigen Frühromantiker eine Ausdrucksform des Menschen i n einem vorletzten, dem „chemischen Zeitalter", dem ein organisches folgen w i r d 3 9 . Solange das chemische Zeitalter andauert, bewegt sich die Kunst gleich der Chemie i n einer W e l t der Formen u n d Stoffe, u n d gleich der Chemie als einer „Erregungswissenschaft" 36 muß sie experimen27 F. Schlegel, Literary Notebooks 1797—1801, ed. H . Ei London 1957 (im folgenden zitiert als L. N . ) , N r . 1939. 28 L. N . 146. 29 L. N . 505. 30 L. N . 363. 31 Sämtliche Werke, Bd. V , S. 650. 32 L. N . 1939. 33 F. W . J. v. Schelling, Philosophie der Kunst: Sämtliche Werke, Bd. V , S. 674. 34 L. N . 1338. Vgl. auch K A 18, S. 77 f., N r . 592. 35 Vgl. das 426. Athenäumsfragment ( K A 2, S. 248 f.), sowie Verf., a.a.O. S. 162 bis 175, über die Mittelstellung des Chemischen zwischen dem Mechanischen und Organischen nach der frühromantischen Auffassung. 36 Diesen Ausdruck gebraucht Novalis des öfteren, etwa Kl.-S. I I I , S. 48.
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tieren, u m neue Affinitätssphären und damit Mischungsmöglichkeiten zu erproben. Es geht also darum, vorzeitige Neutralisationen zu verhindern, o b w o h l das, was m i t der vollkommenen Durchdringung gemeint ist, i n einzelnen Werken der Literaturgeschichte schon verwirklicht sein kann. I n solchen dichtungstheoretischen Reflexionen über die poetische Form, die v o n Friedrich Schlegel bald als „neutralisiert", „ohne Tendenz", als „gleichförmig gemischt" angesehen w i r d , bald als v o n „dominierenden", „vorwaltenden", „präponderierenden" Bestandteilen oder Elementen näher bestimmt, und zwar sowohl i m Sinne der alten Gattungspoetik, wie auch i m Sinne einer neuen „Organismusästhetik" 3 7 , ist bereits ein weiterer Begriff aufgetaucht, der v o n der Physik her auf diese Formprobleme aufmerksam macht. Es handelt sich u m den v o m Magnetismus genommenen Begriff der Indifferenz. Auch hier liegt das Problem v o n fachsprachlichen u n d allgemeinsprachlichen Bedeutungsnuancierungen v o r — v o n einer negativen Charakterisierung als „seichter Indifferentist" e t w a 3 8 bis z u m exakt definierten „ p u n c t u m indifferentiae" als „demjenigen Punkte eines eisernen oder stählernen Stäbchens, an welchem der Magnet, m i t dem man es bestreicht, stehen muß, wenn das eine Ende des Stäbchens gar keine Polarität zeigen s o l l " 3 9 . Beide Begriffe i n ihrem exakten Sinn, die magnetische Indifferenz wie der chemische Neutralisationszustand, können i n der Übertragung syno n y m verwendet werden, w e i l beide das punktuelle Eintreten eines Verlustes vorheriger Eigenschaften besagen — die Indifferenz den Verlust der Polarität, die Neutralisation den Verlust bestimmter chemischer Eigenschaften. D i e „ A n t i n o m i e n der K u n s t " , insbesondere der antiken u n d modernen, sind auch für August W i l h e l m Schlegel „unter solchen Bildern der äußern K ö r p e r w e l t leicht anschaulich zu machen, deren Erscheinungen j a auch aus ähnlichen Widersprüchen hervorgehen. So kann man sich die antike Poesie als den einen Pol einer magnetischen Linie denken, die romantische als den andern, und der Historiker u n d Theoretiker, u m beide richtig zu betrachten, würde sich möglichst auf dem Indifferenzpunkte zu halten suchen müssen" 4 0 .
37 Zur Organismusästhetik siehe O . Walzel, Romantisches, Bonn 1934, S. 38 ff., sowie ders., Grenzen von Poesie und Unpoesie, Frankfurt/M. 1937, S. 14 f. Belege zu der eben genannten Form-Reflexion in chemischer Terminologie finden sich z . B . in L. N . 452; 518; 695; 733. Für Novalis siehe Kl.-S. I I , S. 564, N r . 197; ebd. S. 589 f., N r . 276. 38 Diesen Ausdruck gebraucht Schleiermacher in seinen Reden ,Über die Religion' (1799): Philosophische Bibliothek, Bd. 255, Hamburg 1961, S. 158. 39 Diese Definition gibt J. S. T . Gehler, Physikalisches Wörterbuch oder Versuch einer Erklärung der vornehmsten Begriffe und Kunstwörter der Naturlehre, Leipzig 1786—1795, Bd. I I , S. 690. 40 A . W . Schlegel, Vorlesungen über schöne Literatur und Kunst (1801): Deutsche Litteraturdenkmale des 18. und 19. Jahrhunderts, Bd. 17, S. 22.
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Die Analogie liegt hier i n der Universalität des Gesichtspunktes, der weit Auseinanderliegendes adäquat zu beurteilen hat. Allerdings erlaubt der Begriffszusammenhang u m Indifferenz eine noch gesteigerte ästhetische Anwendbarkeit, weil hier das punktuelle Indifferentwerden mehr den Charakter des ausbalancierten, durch geringe Abweichung i n andere Polarität umschlagenden Schwebezustands hat. D i e Analogie z u m Kunstwerk liegt also hier nicht i n der Akzentuierung „weder — noch". D a z u muß man sich wiederum vergegenwärtigen, daß es auf der magnetischen Linie zwei Indifferenzpunkte gibt, deren jeder einem P o l zugeordnet ist, wobei der Wechsel zwischen den beiden Indifferenzpunkten die „ I n d i f f e renzsphäre" ausmacht, innerhalb deren eine Polarität i n die andere umschlagen kann. Dennoch bezeichnen die Indifferenzpunkte wie die N e u tralisationszustände Latenzen, Ruhepunkte i m gegenseitigen E i n w i r k e n w i derstreitender Elemente, wie es Schelling für den dynamischen Prozeß i n der N a t u r beschreibt: „ W o das Homogene sein Heterogenes berührt, w i r d es aus dem Indifferenzpunkt gesetzt (die dynamische Trägheit i n i h m gestört). Homogenität ist durch die ganze N a t u r nur Ausdruck eines Indifferenzzustandes, w e i l Homogenität nur aus Heterogenität hervorgehen kann. Dadurch w i r d der dynamische Prozeß gegründet, der nicht eher stillstehen kann als m i t der absoluten Intussuszeption des Heterogenen, d. h. m i t der absoluten Aufhebung seiner Bedingung (oder m i t der Wiederherstellung der Indifferenz)." 41 Nach der naturphilosophischen Vorstellung erhält sich alles Leben i n der N a t u r nur „durch den steten Einfluß fremder Prinzipien" i m lebendigen Kreislauf u n d würde „ohne Zweifel i n einer allgemeinen Neutralisation enden" 4 2 , wenn die N a t u r nicht ihre Indifferenzierungen oder Neutralisationen wieder aufheben würde. Für das Kunstwerk, sofern es Ausdruck eines Absoluten sein w i l l , sind aber diese Neutralisationen notwendig als gestalthafte Verfestigungen, i n denen der formaufhebende Gegensatz zur Ruhe gekommen u n d stattdessen eine Latenz erreicht ist, die nicht mehr „sensibel", d. h. nicht mehr durch ein Heterogenes aus der Indifferenz zu setzen ist: „Das Echte, Wahrhafte ist nicht sensibel", schreibt N o v a l i s i n seinen ,Physikalischen Fragmenten' 4 3 . Inwiefern das für die Kunst gilt, kann an Schellings Äußerungen über die „ P l a s t i k " abgelesen werden, die er als „Indifferenz, absolutes Gleichgewicht der Möglichkeit u n d W i r k l i c h k e i t "
41 F. W . J. v. Schelling, Erster Entwurf eines Systems der Naturphilosophie (1799): Sämtliche Werke, Bd. I I I , S. 260. 42 F. W . J. v. Schelling, V o n der Weltseele (1798): Sämtliche Werke, Bd. I I , S. 493. 43 Kl.-S. I I I , S. 81.
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bezeichnet, i n der eine „erhabene Gleichgültigkeit" erforderlich ist, u m „ein B i l d der göttlichen N a t u r und der i n i h r wohnenden Indifferenz" zu sein 4 4 . Diese ideale Zielvorstellung einer absoluten Indifferenz bleibt jedoch für das romantische Zeitalter der Poesie, wie schon gesagt, nur eine Möglichkeit. Es gilt weiterhin das Postulat der Progressivität, der A g i l i t ä t und damit auch der Ironie: „Das v o n Schlegel ausgesprochene Prinzip künstlerischer Ironie richtet sich . . . gegen eine Kunst, die durch ruhende Vollendung, abgeschlossene Idealität u n d symbolische Gestalthaftigkeit ausgezeichnet i s t " 4 5 . Friedrich Schlegel schreibt i n den ,Literarischen N o t i z e n ' : „ W e n n alle Bestandteile des romantischen Gedichts verschmolzen sind, so hört es auf, romantisch zu sein". 4 6 Seine poetologischen Reflexionen sind durchzogen v o n jenen Schwankungen zwischen einerseits formgebender, aber auch neutralisierender Saturierung der Elemente des Kunstwerks u n d andererseits formwiderstrebenden Einflüssen heterogener A r t , die das Material immer erneut mischen u n d so zu ständig sich verwandelnden Gestaltungen bringen. Dabei gehört für i h n der W i t z als „chemisch bindendes P r i n z i p " 4 7 , als vermittelnde K r a f t auf die eine Seite: „ D e r W i t z ist der Indifferenzpunkt, w o alles saturiert w i r d " . 4 8 A u f der anderen Seite ergibt sich v o n der I r o n i e - K o n zeption aus das Postulat des „ e w i g Werdens", das nicht auf ein indifferentes Drittes als absoluten E n d p u n k t zielt, sondern eine dialektische Bewegung unendlicher A r t vollzieht. Für den „praktischen" K ü n s t l e r 4 9 aber bleibt die N o t w e n d i g k e i t objektiver Gestaltung, i n der sich die dialektischen Bewegungen indifferenzieren auf die Gestalt hin. E i n weiterer Begriff, der i n K o r r e l a t i o n zur Indifferenz gesehen werden kann, weist von anderer Seite als der chemischen oder physikalischen auf jene Spannung zwischen harmonischem Gleichgewicht idealer A r t u n d — notwendiger, progressiver — Disproportion hin. I m ,Allgemeinen Brouillon' schreibt N o v a l i s : „ E i n absoluter Trieb nach Vollendung u n d Vollständigkeit ist Krankheit, sobald er sich zerstörend u n d abgeneigt gegen das U n v o l l endete, unvollständige z e i g t . " 5 0 D a m i t k o m m t ein medizinischer Begriff i n die Diskussion darüber, wie das romantische Kunstwerk zu entwerfen u n d zu verwirklichen ist. Krankheit w i r d nach der zeitgenössischen Reizlehre durch ganz bestimmte Faktoren hervorgerufen, sobald sie — u n d hier liegt das Gemeinsame zu chemischer u n d physikalischer Neutralisation bezie44 Philosophie der Kunst: Sämtliche Werke, Bd. V , S. 623 f. Zur philosophischen Begründung dieses Indifferenzbegriffs vgl. die „Darstellung meines Systems der Philosophie" (1801): Sämtliche Werke, Bd. I V , bes. S. 22 f. und 34 f. 45 I . Strohschneider-Kohrs, a.a.O. S. 90. 4e L. N . 837. 47 K A 18, S. 394, N r . 882. 48 K A 18, S. 391, N r . 856. 49 Novalis bezeichnet Goethe als „praktischen Dichter" (Kl.-S. I I , 640). 50 Kl.-S. I I I , S. 384 f., N r . 638.
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hungsweise Indifferenz (wenn auch auf höherer, nämlich organischer Stufe) — nicht ausgewogen proportioniert sind u n d i n einem bestimmten Gleichgewicht die Gesundheit des Organismus gewährleisten. Diese Proportionierung gilt sowohl für den Organismus i n seiner Ganzheit als ein erregbarer i m Verhältnis zu den v o n außen an i h n herangebrachten fnzitamenten, wie auch für den Organismus i n seiner inneren Struktur, die bestimmt ist v o n der Sensibilität als der „ N e r v e n k r a f t " u n d der I r r i t a b i l i t ä t als der den Muskeln eigenen Bewegungskraft. Sensibilität u n d I r r i t a b i l i t ä t können aber auch für Seelisches u n d Körperliches, beziehungsweise für Geist und Materie stehen. Wie sehr diese Verhältnisse auf chemischer Grundlage gedacht sind, zeigt ein Text aus Reils Aufsatz , V o n der Lebenskraft': „Jede Gattung v o n O r ganen hat eine eigentümliche Mischung u n d Bildung der Materie. Nach der Form und Mischung der Materie richtet sich die Beschaffenheit der K r ä f t e des Organs, also auch die N a t u r seiner Erregbarkeit. A u f die spezifische Reizbarkeit gründet sich die eigentümliche Reaktion, i n welcher jedes Organ m i t den Dingen außer i h m steht." 5 1 Alles lebendig Organische ist also auf der Entsprechung v o n K o n s t i t u t i o n u n d i h r gemäßem Reiz, auf der Wechselwirkung v o n spezifischer Erregbarkeit u n d Inzitament gegründet: „ V e r möge dieses Normalverhältnisses der Erregung aller einzelnen organischen Gebilde des ganzen Individuums zu einander w i r d ein gewisses, relatives Gleichgewicht zwischen den Lebensaktionen aller Organe gesetzt u n d unterhalten."52 Wenn w i r diese medizinischen Ansichten der Erregungslehre m i t den chemischen Ansichten v o n der Mischung der Stoffe vergleichen, so ergeben sich (unter Berücksichtigung der qualitativen Verschiedenheit v o n Anorga51
J. Chr. Reil, V o n der Lebenskraft, a.a.O. S. 47. A . Röschlauby Untersuchungen über Pathogenie oder Einleitung in die medizinische Theorie, 3. Teil, Frankfurt/M. 1800, S. 332. Vgl. auch C. A . Eschenmayer, a.a.O. S. 94 f. : „Wenn Gesundheit ein Gleichgewicht ist, so ist Krankheit ein gestörtes Gleichgewicht, d. h. die in bestimmter Proportion zu einander stehenden Teile werden disproportioniert." Ähnlich lautet auch die Formulierung Goethes von 1807: „Die sogenannte Gesundheit kann nur im Gleichgewicht entgegengesetzter Kräfte bestehen, wie das Aufheben derselben entsteht und besteht nur aus einem Vorwalten der einen über die andern." (zitiert nach G . Hager, Gesund bei Goethe. Eine Wortmonographie, Berlin 1955, S. 19). G . Hager geht auf die zeitgenössische Medizin leider nur global ein. Es mutet auch eigenartig an, daß Goethes W o r t in den „Maximen und Reflexionen" über das Romantische als das Kranke von der Verfasserin so hingenommen wird, als habe die Frühromantik selbst sich zu diesem Problem nie geäußert. Ihre Béhauptung, daß die „aufkommende Romantik" (S. 21) die Krankheit als „Welterweiterung" und notwendige Voraussetzung des Künstlers ansehe (S. 21 f.), beruht lediglich auf einer sekundären Quelle. Ihre dennoch sehr bestimmt vorgetragene Schlußfolgerung: „Dagegen ist der Blick Goethes stets aufs Positive gerichtet" (S. 21) stempelt unbesehen die gesamte Romantik als zum Pathologischen neigend ab. 52
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nischem und Organischem) analoge Vorstellungsschemata, die auf die K o n struktion der Poesie anwendbar sind. Wie i n der Chemie u n d Physik Heterogenes sich i n Neutralisationen und Indifferenzen aufheben kann, so gibt es audi i n der M e d i z i n die Vorstellung v o n einem „absoluten Gleichgewicht der organischen T ä t i g k e i t " 5 3 , die ein weiteres Leben u n d weitere Progressionen unmöglich macht. Absolute Indifferenz, absolute Neutralisation, absolutes Gleichgewicht — das sind i m Bereich der N a t u r mögliche Endpunkte, Aufhebung v o n W i r k u n g u n d Gegenwirkung, die als Metaphern für die Poesie nur i m Sinne einer absoluten Idealität z u verstehen sind, bei deren Erreichen keine Heterogenisierungen oder Polarisierungen mehr erforderlich sind. Innerhalb der poetischen Gattungen hat Novalis die dramatische Poesie als die „vollständig Gesunde", w e i l „echt Gemischte" bezeichnet, die dem Epischen als dem überschauend Objektiven m i t „mangelnder Reizbarkeit" und dem Lyrischen als dem sensibel Subjektiven m i t „überflüssiger Reizbarkeit" v o n ihrer i m Gleichgewicht befindlichen „ K o n s t i t u t i o n " her überlegen i s t 5 4 . I n seinen medizinischen Aufzeichnungen beschäftigt Novalis dieses Problem der „vollkommenen K o n s t i t u t i o n " 5 5 i m H i n b l i c k auf den Menschen. Diese soll nicht mehr, wie nach der Erregungstheorie, auf die Wechselwirkung v o n Sensibilität und Reizbarkeit als K r ä f t e n der Seele u n d des Körpers beschränkt sein. Novalis entwickelt ein anderes M o d e l l zur vollkommenen Indifferenzierung beider, so daß die W e l t als „ I n b e g r i f f des u n v o l l k o m menen Lebens" transzendiert werden kann auf ein „absolutes Leben" h i n : „ D i e W e l t ist die Sphäre der unvollkommenen Vereinigungen des Geistes u n d der N a t u r . Ihre vollkommene Indifferenzierung bildet das sittliche Wesen par Excellence — Gott." 5 ® E i n Weg zu dieser vollkommenen I n d i f ferenz ist die Ausbildung von sich ständig erweiternden „Indifferenzsphären" i m Menschen selbst, insofern er ein geistbeseeltes u n d naturgebundenes Wesen ist: „Synthesis v o n Seele u n d Körper — u n d Reizbarkeit und Sensibilität. Sie gehn natürlich jetzt schon i n einander durch Indifferenzsphären über — unendliche Erweiterung dieser Indifferenzsphären — Realisierung, Ausfüllung der N u l l ist das schwierige Problem des Künstlers der Unsterblichkeit. Die Indifferenzsphäre ist das M a ß der K o n s t i t u t i o n . " 5 7 Weil der Mensch diese Indifferenz zwischen Geist und N a t u r oder Seele u n d Körper noch nicht willentlich herbeiführen kann, weil es noch an der „ B i l dung u n d Vermehrung der Seele" 5 8 fehlt und deshalb die Reize v o n außen 53 54 55 5e 57 58
A . Röschlaub, a.a.O. S. 333. Kl.-S. I I , S. 573, N r . 219 f. Kl.-S. I I , S. 500. Kl.-S. I I I , S. 60 f. Vgl. auch F. Schlegel, K A 18, S. 191, N r . 780. Kl.-S. I I I , S. 318, N r . 409. Vgl. ebd. S. 315, N r . 399. Kl.-S. I I I , S. 318, N r . 409.
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eine D i s p r o p o r t i o n zwischen beiden hervorrufen, besitzt er auch nur ein „bestimmtes M a ß - oder Gesundheitsverhältnis" 5 9 , das z u unter- oder überschreiten zur K r a n k h e i t führt. W i e N o v a l i s sich dagegen die „ v o l l k o m m e n e K o n s t i t u t i o n " vorstellt, hat er, den anthropologischen Bereich auf das Soziale h i n überschreitend, i n seinen politischen Aphorismen' dargelegt. Ausgehend v o n der Vorstellung des Staates als organischen I n d i v i d u u m s bezeichnet er die Proportionen seiner Glieder dann als k r a n k , wenn sie extrem schwache Konstitutionen, d. h. staatsunfähige Extreme sind w i e Sklaven u n d Sultane oder
„Terroristen
u n d Hofschranzen". D e r beste Staat dagegen w i r d v o n jenen gebildet, deren K o n s t i t u t i o n „ v ö l l i g indifferent gegen die relativen Reize" geworden ist, w e i l sie sich m i t dem Reiz der „absoluten Liebe" verbunden haben 6 0 . D i e eigentlich extremen K o n s t i t u t i o n e n i m Staat, der K ö n i g u n d der Z y n i k e r , sind dieser V e r b i n d u n g m i t der absoluten Liebe gleichermaßen fähig u n d gelangen so v o n ihren gegensätzlichen Positionen her zu jener Toleranz, die sie sowohl dazu befähigt, die „ R e l a t i v i t ä t jeder positiven F o r m " 6 1 , u n d somit auch ihrer eigenen, z u erkennen, als auch dazu, gerade aus dieser
Erkenntnis
ihre
eigene
extreme
Konstitution
zu
indifferenzieren:
„ J e gleicher beide sind, je leichter u n d unveränderter sie ihre R o l l e n verwechseln könnten, desto mehr nähert sich ihre K o n s t i t u t i o n dem Ideal der vollkommenen K o n s t i t u t i o n . " 6 2
Diese „ w i l l k ü r l i c h e " , i n die Freiheit des
I n d i v i d u u m s gegebene Bestimmbarkeit seiner selbst überschreitet den V o r stellungsbereich der „ u n v o l l k o m m e n e n M e d i z i n " auf „szientifische Ideale" h i n 6 3 . Z u r K o n s t r u k t i o n dieser idealen Gesundheit gehört es auch, daß i h r nicht mehr die K r a n k h e i t als eigene Sphäre gegenübersteht, was N o v a l i s i m ,Allgemeinen B r o u i l l o n ' unter der Uberschrift „Erregungslehre u n d analoge Erregungslehre" ausführt u n d zugleich auf die Poesie ausdehnt: „ D a s wäre das v o l l k o m m e n gesunde I n d i v i d u u m , dessen Gesundheitssphäre auch die Sphären der K r a n k h e i t m i t inbegriffe, so w i e dasjenige V o l k am gebildetsten sein würde, dessen Prosa — Rede Gespräch — die ganze Sphäre der Poesie u n d des Gesanges m i t einschlösse — w o k e i n Unterschied zwischen Poesie u n d Prosa w ä r e . " 6 4 W i e N o v a l i s an anderer Stelle gegen die E i n teilung i n die Extreme „PlusPoesie" u n d „MinusPoesie" hinsichtlich L y r i k 59
Kl.-S. I I I , S. 307. Vgl. dazu die entsprechende Anmerkung (S. 929). Kl.-S. I I , S. 500, N r . 53. 61 Ebd. S. 503, N r . 68. 62 Ebd. S. 500, N r . 51. 63 Kl.-S. I I I , S. 317, N r . 409. Eine ähnliche Überschreitung der Grenzen der Naturwissenschaft versucht Novalis mit dem Gedanken der „Selbstheterogeneisierung", der auf der Grundlage galvanischer Phänomene entstanden ist; dazu 60
P. Kapitza,a.a.O. S. 88 ff. 64
Kl.-S. I I I , S. 307 f.
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und Prosa Stellung n i m m t , so sieht er auch hier ein „wahrhaftes Leben" erst dann als möglich an, wenn die „prosaischen" und „poetischen" Qualitäten sich nicht mehr als Extreme gegenseitig beschränken, sondern aus „der Beschränkung eine Durchdringung" geworden i s t 6 5 . N o v a l i s geht also v o n der „Gesundheitssphäre" i m gewöhnlichen Sinne aus, die er als unvollkommen, da ständig i n Richtung auf K r a n k h e i t h i n tendierend ansieht, schreitet weiter zur Vereinigung v o n Gesundheits- u n d Krankheitssphäre i n dem Sinne, daß ein Körper nur dann „absolut frei" sei, wenn er „nach W i l l k ü r veränderlich" i s t 6 6 , u n d konstruiert schließlich einen Idealzustand i n der Indifferenzierung aller entgegengesetzten Elemente: „ D i e absolut polarischen Elemente i m Wechselsättigungszustande konstituieren das absolute Leben." 6 7 Welche Aufgabe der Dichter hier hat, spricht Novalis sehr deutlich aus, indem er i h n als transzendentalen A r z t bezeichnet: „Poesie ist die große Kunst der K o n s t r u k t i o n der transzendentalen Gesundheit. Der Poet ist also der transzendentale A r z t . D i e Poesie schaltet u n d waltet m i t Schmerz u n d K i t z e l — m i t Lust u n d Unlust — I r r t u m u n d Wahrheit — Gesundheit und K r a n k h e i t — Sie mischt alles zu ihrem großen Zweck der Zwecke — der Erhebung des Menschen über sich selbst." 6 8 Novalis drängt i n seinen Reflexionen über das Programm der Poesie stärker als etwa Friedrich Schlegel zum Anthropologischen und Sozialen, zu einer „Lebenskunstlehre" hin. Daß gerade er dabei nicht ausschließlich „eschatologisch" denkt, zeigen andere Äußerungen v o n ihm, die die Utopie eines vollkommenen Status i m Menschlichen wie Künstlerischen als Utopie deutlich machen u n d damit zugleich zu Goethes These v o m Romantischen als dem K r a n k e n und dem Klassischen als dem Gesunden 6 9 ein nicht zu übersehendes Gegengewicht bilden: „Das Ideal einer v o l l k o m menen Gesundheit ist bloß wissenschaftlich interessant. K r a n k h e i t gehört zur Individualisierung." 7 0 Auch die Poesie kann i n ihrer jeweiligen V e r w i r k lichung nicht die Vollkommenheit einer „klassischen" Gesundheit erreichen, denn das Kunstwerk als je spezifische Mischung „poetischer" u n d „ p r o saischer" Elemente muß i n einem bestimmten, relativen „Gesundheitsverhältnis" bleiben, soll es „sensibel", wirksam sein u n d nicht i n jener v o l l kommenen Indifferenz erstarren, die gerade dasjenige nicht bewahrt, was die romantische Ästhetik als ein wesentliches M e r k m a l des organisch ver-
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Kl.-S. I I , S. 536, N r . 51. Kl.-S. I I I , S. 54 f. 87 Ebd. S. 60. 88 Kl.-S. I I , S. 535, N r . 42. 89 Maximen und Reflexionen, N r . 863: Goethes Werke, hrsg. v. E. Bd. 12, S. 487. 70 Fragmente und Studien 1799—1800: Kl.-S. I I I , S. 681, N r . 637. 88
Trunz,
Peter Kapitza
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standenen Kunstwerks betont: seine I n d i v i d u a l i t ä t . Diese weicht immer u m jenen G r a d v o n der Idealität absoluter Indifferenz, Neutralisation oder dem absoluten Gleichgewicht der physischen K o n s t i t u t i o n ab, der genügend A f f i n i t ä t e n frei behält, damit i n einer anderen „Temperatur der W e l t " , wie Schleiermacher i n seinen „Reden" sagt 7 1 , neue Spielarten u n d Kombinationen möglich werden.
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A.a.O. S. 52.
OLD A N D NEW DIRECTIONS I N C L E M E N S B R E N T A N O R E S E A R C H (1931—1968) I I * By John Fetzer
II. I n t e r p r e t a t i o n s Β. Lyric
of B r e n t a n o ' s Poetry
Works.
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Since K a r l Tober has recently published a resume of those studies seeking to present an overview of Brentano's total l y r i c production, this readily available information need not be duplicated here 8 1 . Instead o f commenting * See L J G G X I , 1970, p. 114—119. °a N o t included in this survey are the following:
8
a) Wolfgang Kayser, ,Vom Rhythmus in deutschen Gedichten 4 , Dichtung und Volkstum 39 (1938), 487—510. Brentano's lyrics are used principally to illustrate Kayser's keen observations on rhythmic types and meter. b) Gottfried Bohnenblust, »Clemens Brentano', in Le Romantisme allemand , Ligugé and Vienna 1949, pp. 213—220. Bohnenblust makes the lyric poetry the basis on which to outline a biographical sketch of the author. c) Various forewords and postscripts to Brentano editions: 1. Sophie Brentano and Rudolf Alexander Schröder, Clemens Brentano: Ausgewählte Gedichte, Berlin 1943. 2. Curt Hohoff, Clemens Brentano: Ausgewählte Werke, Munich, η. d. (1948). 3. Hans M . Enzensberger, Clemens Brentano: Gedichte, Erzählungen, Briefe, Frankfurt/Main 1958. 4. O t t o Heuschle, Clemens Brentano: Gedichte, Erzählungen, Märchen, Zürich 1958. 5. Paul Requadt, Clemens Brentano: Gedichte, Stuttgart 1962. 6. Werner Vordtriede, Clemens Brentano: Gedichte, Frankfurt/Main 1963. 7. Walter Flemmer, Clemens Brentano: Ausgewählte Werke, Munich 1963 to 1964. 8. Geno Hartlaub, Clemens Brentano: Werke in einem Band, Hamburg 1964. 9. Wolfgang Frühwald, Clemens Brentano: Gedichte, Hamburg 1968. 10. Friedhelm Kemp, Clemens Brentano: Werke I , Munich 1968. Kemp's ,Nachwort' (pp. 1278—1324) is extremely informative since the editor has kept abreast of the latest research. 81 ,Das ,romantische' Gedicht? Gedanken zu Clemens Brentanos Lyrik', Colloquia Germanica (1968), 137—151. The question w i t h which Tober deals is whether or not it is advisable or even feasible to speak of „Romantic" poetry, especially in reference to Brentano. Although Tober, in the course of his discussion, touches upon lyric analyses in works which antedate the chronological limits of the present 8 Literaturwissenschaftliches Jahrbuch, 12. Bd.
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on the scope and aims of those works which attempt either to place Brentano's poetry i n the context of Romantic literature as a total phenomenon ( K o r f f ) 8 2 or to examine his poems w i t h reference to the development of the lyric genre i n its historical continuity (Johannes K l e i n ) 8 3 , the f o l l o w i n g survey of scholarship w i l l approach the problem f r o m five distinct, but interrelated aspects: 1. the early poetry as a basis on which to evaluate Brentano the lyricist; 2. the late lyrics as a key to Brentano's poetic essence and significance; 3. problems of lyric imagery and ideology; 4. interpretations of i n d i v i d u a l poems; 5. the „ l y r i c a l " epic Romanzen vom Rosenkranz. 1. The Early Poet as a Basis on which to Evaluate Brentano the Lyricist : the Staiger School The alleged artistic eclipse of Brentano during his declining years together w i t h his o w n condemnation of secular art and literature are t w o factors which have led critics to concentrate their interpretative and philological efforts on the early poetry to the detriment of the later l y r i c s 8 4 . Undoubtedly the most influential of these works i n recent times is the Brentano section of E m i l Staiger's book Die Zeit als Einbildungskraft des Dichters 85. By means of an exhaustive and sensitive examination of a single early poem — Auf dem Rhein (1801) 8 β — Staiger investigates the ontological condition of „Sich-hinreißen-lassen" i n the man and his w o r k . The text of the ballad, for instance, is characterized by an „eigentümliches Gleiten" (29) and leads to such a marked degree of „Hingerissenheit", that both author and audience are wafted o f f „ o n wings of song", so to speak, report ( H a y m , Walzel, Kluckhohn, Günther Müller), he does not mention earlier (and today out-moded) attempts to survey Brentano's poetry on a broader scope such as K u r t Schubert's study Brentanos Lyrik (Breslau 1910). Tober feels that the dilemma of „Literaturwissenschaft" per se is reflected on a miniature scale in the field of Brentano scholarship by the „Gefahr der allzu großen Isolation von Literaturgeschichte, Poetik und Interpretation" (150). 82 Geist der Goethezeit Leipzig 1953 I V , 205—220. Korff's pejorative observations on Brentano's lyricism („Maßlosigkeit in der Länge", „Unfähigkeit zur Konzentration", „das Nicht-vom-Fleck-Kommen") (206), although not as harsh as Gundolfs, may have encouraged Tymm's onslaught against the poet. 83 Geschichte der deutschen Lyrik, Wiesbaden 1960, pp. 434—445. 84 Interest in the early poetry also burgeoned under the impetus of Hans Jaeger's monograph Clemens Brentanos Frühlyrik , Frankfurt/Main 1926 which treats, as the subtitle indicates ,Chronologie und Entwicklung' and contains an appendix of previously unpublished poems. 85 Zürich 1939. Quoted nere from the second edition of 1953. 86 The dating of Brentano's poems here and elsewhere in this report is based primarily on René Guiguard's Chronologie des poésies de Clemens Brentano Paris 1933, an indispensible but by no means infallible guide which w i l l ultimately be altered or superceded by the results of more modern Brentano philology.
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w i t h o u t either being actually aware of this condition. Brentano, Staiger conjectures, „verfügt nicht über die Sprache, sondern die Sprache verfügt über i h n " (41). The element of emotional transport („hingerissen sein") is also evident i n the k i n d of imagery employed to depict the environmental framework that forms the setting: objects are presented neither i n their concrete plasticity ( „ Ü b e r a l l w i r d nur der optische Schaum der Dinge abgeschöpft") (47) nor i n their t o t a l i t y (we catch glimpses of „lauter Einzelheiten") (49). One might conclude that the constitution o f this lyric landscape is determined by the sum total of a succession of „MinutenWahrheiten" (50). The fisherman presented i n Auf dem Rhein could also be considered an „ U r b i l d für Brentano" (53), since both he and the poet lack a fixed vantage point f r o m which to contemplate their surroundings. I n stead, they are carried along and away by a flood of fleeting, disjunctive sights and sounds. A l t h o u g h the w h i r l p o o l does not appear i n this particular poem, Staiger considers i t another significant symbol i n Brentano's arsenal of images suggestive of „Hingerissenheit", while the siren and her seductive song embody the „ W i r k l i c h k e i t der W e l t Brentanos" (58). The prototype of these female songstresses is the „Loreley, so wie der Fischer das U r b i l d menschlichen Lebens ist, das sie erfährt" (58). F o l l o w i n g his close explication de texte , Staiger presents a study of the personality of the author, uncovering i n the process striking parallels between the poetic and empiric self. These include the penchant to „surfeit" i n ideas and images, an antipathy t o w a r d r i g i d l y normative or overly abstract modes of thought, an eclecticism which induces Brentano to draw inspiration f r o m such diverse sources as the „ V o l k s l i e d " , Baroque mannerists or medieval minstrels, an overall lack of circumspection, and an inclination towards music. Pursuing this line of reasoning to its ultimate conclusion w i t h regard to Brentano's mode of experiencing and expressing events, Staiger formulates his famous dictum: „ D i e Zeit, die sich als E i n bildungskraft Brentanos nun herausgestellt, nennen w i r i m H i n b l i c k auf den Mangel an Umsicht u n d die Magie die ,reißende Folge v o n einzelnen D a c oder kurz die ,reißende Z e i t ' " (75). None of the poet's efforts to h o l d the rampant and rampaging stream of time i n check were successful, and consequently he remained i n a state of unmitigated existential upheaval. I t was t y p i c a l of h i m i n his search for a f i r m footing or spiritual ,,re-ligio", for example, t o embrace even the dogma and r i t u a l of the Catholic liturgy w i t h a k i n d of „Hingerissenheit". I n order to demonstrate that the syntactic and thematic structure of this poem of 1801 offers a v a l i d basis on which to erect a critical edifice that can house such heterogeneous components as found i n Brentano's lyrical output, Staiger cites the dominant refrain f r o m the later works: „ O Stern u n d Blume, Geist u n d K l e i d , / β·
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Lieb, Leid u n d Zeit und E w i g k e i t " . Staiger feels that i n spite of a number of superficial features suggestive o f harmony or balance, these lines are not indicative of stability regained nor equanimity attained, „sondern nur parataktisch augereiht m i t ,und', kaleidoskopisch abermals, doch nun i n einem Atemzug: die weiten Räume, die er durcheilt, doch nie gehörig ausgefüllt hat, H i m m e l u n d Erde, Glück und N o t , Vergänglichkeit u n d Ewigkeit, . . . die ganze W e l t w i r d hier u m z i r k t , so daß sich denn auch w o h l ein zerstreutes Dasein wie das Brentanos i n ihren ebenso unendlichen wie flüchtigen Rahmen f ü g t " (105). Staiger's fundamental thesis is not radically new nor revolutionary, but i t does clarify certain predicates concerning Brentano (under the acknowledged influence of M a r t i n Heidegger's philosophy) i n terms which are more meaningful f o i the modern reader than the concepts coined by scholars of previous generations 87 . Ever since the publication of this monograph, critics have felt obliged to come to grips w i t h both its methods and modes of interpretation, to either accept, reject or m o d i f y them, but seldom to disregard them. Thus Staiger's book, rarely ignored, is spared the fate of indifference or apathy, that destiny which can be more lethal to scholarly attainments than the most vehement and virulent assault. 2. The Late Lyrics as a Key to Brentano's Essence and Significance : the Enzensberger
Poetic Approach
One detects f r o m Hans Magnus Enzensberger's discussion of subtle nuance and delicate shading of l y r i c expression i n his monograph Brentanos Poetik 88 that the critic is himself a poet. Enzensberger's comment that his analyses 87 Günther Müller's article ,Clemens Brentano 4 in the Schweizerische Rundschau 28 (1928—1929), 684—700, for example, skirts the periphery of the problem when dealing w i t h the poet's relentless — but fruitless — search for „Bestand." 88 As indicated in footnotes 63 and 64, this monograph, published in Munich in 1961, represents a revised form of the author's original Erlangen dissertation of 1955. I n his aforementioned essay on Brentano in Triffst du nur das Zauberwort , Enzensberger recapitulates many of his main ideas and theories as found in the previous two works, often adding a new twist or turn of phrase. For example, he stresses once more Brentano's proclivity for exploiting the „Unsinn der Sprache" (84) in his quest for hidden layers of meaning lurking behind the façade of commonplace expressions and often eluding the grasp of the rationalist. I n so far as Brentano takes language „beim W o r t " (87), he achieves startlingly new effects, while rime associations can reveal „den verborgenen Zusammenhang des Entlegensten" (88) and double-entendre or related etymological manipulations enable him „das Unversöhnliche im Verse zu versöhnen" (88). I n keeping w i t h Enzensberger's earlier postulate, Brentano is considered to have exerted a decisive effect on modern poets; on this occasion Enzensberger cites both a specific author — Hans A r p — and a particular poem — „Wortträume" — as documentary evidence of this influence.
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represent „Eselsbrücken der Interpretation" (126) must definitely be taken cum grano salis. Convinced that „eine Poetik läßt sich nicht aus Glaubenssätzen ableiten" (90), Enzensberger disregards even the few theoretical pronouncements which Brentano made w i t h reference to poetic composition and devotes himself to an inductive exegesis of four post-1816 poems. A l t h o u g h Enzensberger uncovers the roots of a Chandos conflict and its possible consequences for Brentano, he ist not p r i m a r i l y concerned w i t h the phenomena of „Sprachverschütterung" or „Sprachverlust", but rather w i t h another alternative to this dilemma: the discovery and development of the „magischen Möglichkeiten" (13) i n words when the normal channels of communication become clogged. I t is by probing into these subterranean levels of language that Brentano constructs his „hermetische I n n e n w e l t " (33) and then presents this „introvertierte W e l t des Herzens" (46) to those kindred souls w h o are w i l l i n g to look w i t h new eyes and listen w i t h new ears. Repeatedly Enzensberger stresses the f o l l o w i n g p o i n t : „ d i e Welt, die sie (Brentano's lyric) sich aus seiner Sprache erbaut, ist eigentümlich, ist von anderen Wesen bewohnt, ist nach anderen Gesetzen gebildet u n d regiert, ist eine Innenwelt, deren Grenzen zur äußeren W e l t die Grenzen des Gedichtes sind" (12). According to Enzensberger, the syntactical, etymological, and acoustical devices employed by the poet to establish such a selfcontained cosmos, derive f r o m the process of „Entstellung" whereby a w o r d or phrase is t o r n from its traditional or pedestrian context „ u m es dichterisch neu verfügbar zu machen" (28). Everyday „ n o r m a l i t y " can also be converted i n t o poetic reality when a threadbare cliche is taken at its „face value", that is, i n a literal, rather than figurative sense. Even topoi can undergo a „Regenerationsvorgang" (30) i n this manner. The poet may also devise daring „klangetymologische Verbindungen" (31), so that concepts not usually associated w i t h one another semantically are suddenly revealed i n an acoustical kinship which jolts the reader and jars established patterns („stillen — s t i l l " ; „weinen — W e i n " ) . There are, likewise, methods of grammatical „Entstellung" including „syntaktischer Choc" (30), parallel phraseology i m p l y i n g conjunctive but actually unveiling disjunctive entities, p l a y w i t h paradoxes, the cult of ambivalence and polyvalence — all of which are aimed at enhancing the expressive power of the spoken w o r d and at deriving additional levels of significance and inference from the language. The reader is disoriented linguistically f r o m his h u m d r u m w o r l d b y a deliberate disassociation of the verbal utterance from any rational or logical thought process: „ D i e Gesetze der L o g i k " , Enzensberger notes, „treten i n der W e l t des Herzens außer K u r s " (30). Words no longer merely denote, but connote, and the primacy of connotation („das I m p l i zierte", „das Inwendige") over the denotation furnishes „das sprachliche
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Korrelat der I n n e n w e l t " (89). Perhaps one might speak here of a „subjective correlative" as an heir to the fortunes and misfortunes bequeathed to literature by T . S. Eliot's „objective correlative". I n any event, such an approach to language and its „Entstellung" wreaks havoc w i t h traditional literary concepts and linguistic conventions, especially since both are i n a sense rejected and rejuvenated, devalued and developed — antithetical stages that Enzensberger distinguishes w i t h the same subtle sensitivity w i t h which he distilled the poetic from the empiric personality. Enzensberger ist not unaware of the dangers inherent i n such a daring enterprise on the part of both the artist and his interpreter. Especially i n the case of Brentano the ubiquitous threat of exaggeration and extremism lurks i n the background, for this poet too frequently infringes upon the domain of „künstlerische Ö k o n o m i e " (63). Hence Enzensberger can allude to a v i r t u a l »„Fetischismus* des Wortes" (78) i n a poem such as Aus einem kranken Herzen (to Emilie Linder) leading to „innere Destruktion" and eventual „Selbstmord des Gedichtes" (78). A breach of critical economy is committed by Enzensberger himself when he delineates i n great detail the genesis and metamorphosis of several central motivic constellations („Stern und Blume", „die L i n d e " ) i n their evolution f r o m mere poetic figures i n the y o u t h f u l lyrics to „ C h i f f r e n des Herzens" (89) during the period from 1817 to 1842. There is also another t h o r n y question raised b y Enzensberger's thesis: where does one d r a w the line of demarcation between the construct i o n of a hermetically sealed, self-contained aesthetic universe and the arbitrary destruction of any ties l i n k i n g the realm of art w i t h the empiric (and, albeit prosaic) w o r l d by means of the common bond o f verbal utterance? Does the poet-critic Enzensberger possibly protest too much? W h a t criteria can one establish i n order to isolate those elements which are essential i n building the super-structure of a private, introverted cosmos as opposed to syntactical components that are necessary for comprehension? T o w h a t degree does „Entstellung" represent „Verstellung", the „ i n t r o v e r tierte W e l t " constitute an intellectual vacuum, or — perhaps the most pressing issue — t o w h a t extent does Enzensberger's phenomenology of Brentano's „ P o e t i k " entail making an aesthetic virtue out of an artistic vice? The o n l y court of appeals to which one can t u r n i n order to weigh the evidence is the absolute tribunal of the poem itself, and that precluded litigation f r o m the outset. Whereas both Staiger and Enzensberger are surrounded by a number of satellites as w e l l as by several stars which shine i n their o w n right (even while m o v i n g i n the orbital system of these major critics) 8 9 , there is 89 I t would be both impossible and undesirable to list here the vast number of interpretations of Brentano's poetry which are directly or indirectly indebted to
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Staiger. Selected examples must suffice. Anton Krättli's dissertation, for instance, entitled Die Farben in der Lyrik der Goethezeit, Arrau 1949, transfers the condition of „Hingerissensein" to the world of color only to discover that Brentano „verliert sich an den farbigen Sprühregen, indem er haltlos von Funken zu Funken taumelt" (61). O n occasion, the penchant to revel in color leads to a veritable „Farbenorgie" (62) whereby the poet reveals the danger „vom allem, was hell und farbig schillert . . . rettungslos angezogen zu werden" (59). Brentano's oft-quoted remark to Runge in which he compares his own attitude toward life w i t h the „,abgelösten Farbendecke eines im Wasser versunkenen Pastellgemäldes'" (63) the hues of which remain momentarily on the surface before dissolving into the liquid, is interpreted by K r ä t t l i as another symbolic manifestation of the w a y in which life slips through the poet's fingers without his being able to find anything firm that might hold the dissolution in check. K r ä t t l i also develops the theory proposed by Goethe and Runge that colors exert a „sinnlich-sittliche Wirkung" (7) — a commonly accepted view which has been augmented by various artists and psychologists in the twentieth century (Kandinsky, for example, speaks of the „Gemütserschütterung" sparked in the soul by various shades of color) (7). After tracing the spiritual states which correspond to the principal shades on the color spectrum (blue, for instance, embodies the force of „Hinreißen" for Brentano, exemplified by such concepts as the „blaue Liebeskelch") (58), K r ä t t l i next seeks and finds parallels for this emotional scale in the biographical details of the author's life. I n the process, metaphoric expression and factual data tend to become inextricably enmeshed: the poet's longing for his deceased mother is labelled as „der dunkle Hintergrund seines farbenschillernden Vagantenlebens" (52) while the dandy-like attire worn by Brentano to startle the philistine populace of Langensalza („in papageigrünem Rock und pfirsichblutfarbenen Hosen") is cited as an early stage in his „colorful" career. Whereas K r ä t t l i proceeded on a thematic basis, Renate Kienzerle concentrates on question of form in her dissertation Aufbauformen romantischer Lyrik, U l m 1947. A comparison of certain structural principles in Tieck and Brentano leads to the commonplace that whereas the former is a „Nachempfinder" who dabbles in „gewollter Form" w i t h „bewußtem Stilwillen," the latter is genuinely moved by these considerations so that they actually determine the „notwendige Gestalt des Inhalts" (38). Fully in keeping w i t h Staiger's analysis is the isolation of certain dominant structures such as „assoziative Reihe" w i t h which the poet operates („Bilder geben den Angelpunkt für Gedankliches und an Gedanken knüpfen sich neue Bilder") (39). Since Enzensberger's publications are of more recent vintage than Staiger's, the full harvest of his ideas has not been reaped as yet. However, there is an obvious influence of the former's thought in Werner Hoffmann's discussion of the lyrics as well as in Friedrich Wollenberg's dissertation Brentanos Jugendlyrik, Hamburg 1964, in which the principles adduced for Brentano's „Poetik" from the late lyrics are applied to the poetry preceding 1803 (in spite of Enzensberger's contention that these procedures only became aesthetically stabilized and artistically significant in certain poems subsequent to 1817). The imposition of this chronological limitation by Wollenberg does not prevent him from claiming that he has found those symptoms of structure which enable him to trace „das lyrische Verhalten des Dichters im ganzen" (15). H e justifies the restriction to the early poems because „die autonome poetische Daseinsäußerung" is already apparent here and the lyrics are not yet theologically oriented or burdened w i t h the ballast of „Geistesgeschichte". Whereas the first qualification might hold if one thinks of religion in the orthodox sense, the second is not tenable, considering Brentano's debts to Tieck, Friedrich Schlegel, and the folksong — just to mention a few of the categories which might be considered as belonging to „Geistesgeschichte". Wollenberg's statement that his intention is not „die Entwicklungsgeschichte zu nuancieren und zu
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one methodological lacuna which looms large i n connection w i t h their respective analyses of Brentano's lyricism: a literal „Verlust der M i t t e " t o the extent that the „ m i d d l e period" (ca. 1804—1815) is treated as a stepchild i n favor of the older and younger offspring. Some of this slack, however, is taken up by those specialized studies concentrating on either specific problems relating to the lyric genre or on i n d i v i d u a l poems. 3. Problems of Lyric Imagery a. Imagery
and
Ideology
Obviously both Staiger and Enzensberger had to deal w i t h the specific mode of imagery found i n Brentano's l y r i c poetry i n the course of their discussions. H o w e v e r , this phase of the problem, w h i l e germane and unavoidable, was o n l y a single aspect of their total concern. Walther K i l l y , on the other hand, i n the Brentano chapter of Wandlungen des lyrischen Bildes ö0, focusses his attention p r i m a r i l y on this issue. Proceeding f r o m Novalis' axiomatic equation or poetic theorem: „Poesie = Gemüterregungskunst", K i l l y subsumes three attributes under this designation: 1. the obliteration of any distinctions between inner and outer w o r l d . I n accord w i t h Staiger's Grundbegriffe der Poetik 91, K i l l y finds such a high degree of „,Musik, Verflüssigung, Ineinander'" (68) manifest i n Brentano's imagery that his poems are immersed i n a „schwebende Unbestimmtheit" (57) which permits no clear-cut distinction between „subjektiv-objektiv", „ N ä h e u n d Ferne", „Bewegung — Ruhe", etc.; 2. the absolute hegemony o f emotion ( „ G e f ü h l " ) which, i n Brentano's case, gives rise not to a realistic apperception of the environmental milieu, but rather „ein geheimes, differenzieren, sondern eine ihr zugrunde liegende, fundamentale Gesetzlichkeit aufspüren" (17) is also somewhat startling, since it is hardly possible to deal w i t h lyric poetry without such fine distinctions. I t is also difficult to concur w i t h the program implemented by Wollenberg which, according to his own proposal, w i l l not allow biography to function as the decisive criterion, but rather „die personale Struktur, aus der die Poesie erwächst und die in dialektischer Rückwirkung wiederum das Personensein gestaltet" (25). Wollenberg takes Staiger to task for failing to see that the „reißende Zeit" had not only negative implications but also positive aspects for Brentano — for instance, the possibility of „Verwandlung und Erneuerung" (67). A n d when Wollenberg delineates those „poetischen Prinzipien" on which Brentano constructed his poetics, echoes of Enzensberger resound in concepts such as „Promiskuität der Satzelemente", „Vertauschungsreiz" (51) or the establishment of a „poetische Wirklichkeit" devoid of all „vor-poetischen Funktionszusammengang" (77). The most direct and clearcut example of Enzensberger's influence can be seen in Rosemarie Hunter's article „Clemens Brentanos ,Wenn der lahme Weber träumt* und das Problem der Sprach ver fremdung", Germanischromanische Monatsschrift 19 (1969), 144—152 w i t h regard to both the work chosen for interpretation and the critical method applied. 90 91
Göttingen 1961, pp. 53—72. Zürich 1951.
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mystisches Wahrnehmen" (60). This results i n a r a p i d succession of fleeting glimpses or glances rather than a fixed glare. Such „flüchtigen Bildchen" (55) do not have acknowledged correspondents i n the given w o r l d , but constitute the „Medien des Uberganges zwischen Seele und W e l t r a u m " (59); 3. the most suitable designation for these images (or „imagelets" — „ B i l d chen") which exist „ v o l l k o m m e n jenseits des Vernünftigen* . . . jenseits auch des Einsichtigen" (65), is „ C h i f f r e n " . When empirical entities are transformed i n t o „sinnlichen, zur hieroglyphischen Chiffre gewordenen Elemente" (65), they attain the apex of poetic expressiveness. A l t h o u g h K i l l y maintains — and quite r i g h t l y — that Staiger's concept of the lyric mode as depicted i n the Grundbegriffe is too Romantic and too dependent on Brentano to be applicable for all ages and v a l i d for all artists ( K i l l y contends, for instance, that poets such as Goethe, H ö l d e r l i n , and Keller can not be appreciated w i t h o u t a degree of distance: „ohne einen gewissen Abstand") (70), i t is obvious that K i l l y himself owes a considerable debt of gratitude to the Swiss critic for many of his formulations. I n summary, one might risk the f o l l o w i n g generalization — which, as all such sweeping statements, contains a grain of t r u t h i n a wealth of conjecture — concerning the fundamental distinction i n attitude between Staiger, K i l l y , and Enzensberger w i t h regard to the problem of Brentano's imagery: whereas Staiger and K i l l y still stress the tenuous and transient l i n k between inner and outer worlds, Enzensberger is not concerned w i t h any such connection whatsoever, i m p l y i n g that the lyric expression need not — indeed should not — coincide w i t h a pre-fabricated set o f coordinates or correspondents standing somewhere „ o u t there". I n conjunction w i t h this last observation, i t is o n l y f i t t i n g to pay homage at this pont to a l i t t l e - k n o w n predecessor of both K i l l y and Enzensberger — Inge Pfeiffer — whose t y p e w r i t t e n dissertation Die Bedeutung der Innenwelt in der Lyrik von Clemens Brentano 92 (completed at the close of the Second W o r l d War) has received scant attention i n critical circles, even though i t contains i n germinal f o r m the intellectual seeds of theories which blossomed much later. Miss Pfeiffers's purpose is to outline the poetic principles developed b y Brentano for the „Aussprache einer sowohl i m großen Weltganzen vorhandenen, als auch rein subjektiven I n n e n w e l t " (6) and then to trace „die besondere A r t der Bildlichkeit, i n der die unmittelbare Aussprache sich v e r h ü l l t " (6). The latter verb is judiciously selected, since we are actually concerned w i t h an imagery of d u a l i t y and even duplicity, a mode of expression which conceals even when i t reveals —
92
Heidelberg 1945.
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and vice versa : „ D i e Distanzierung durch die Bildlichkeit, die nicht etwa das Gesagte durch ,Plastizität' eindringlich machen w i l l , sondern es gleichsam verhüllend v o r den Augen des Lesers i m Zustand ungreifbaren Schwebens erhält, bietet i h m (Brentano) eine Möglichkeit, das innerste Leben, das eben doch i n die Form drängt, v o n sich selbst abzulösen" (15). The poem serving as the paradigmatic „Entstehungsmythe jener I n n e n w e l t " (32) — the latter, i n turn, being a „poetische Steigerung der A u ß e n w e l t " (32) — is „ A l s hohe i n sich selbst verwandte Mächte" from Godwi (hence, an early w o r k ) . The „musical" lyrics of this early epoch too, since they are „ a m wenigsten an die sichtbare Außenwelt gebunden" (35), function as acoustical counterparts or tonal correlatives of the intimate, private w o r l d articulated elsewhere i n terms of visual — albeit ethereal and elusive — images: „ e i n unmittelbarer, durch keine äußere Gestalt verhüllter K l a n g jener inneren W e l t " (35). A l t h o u g h she does not employ the designation „ C h i f f r e " , Miss Pfeiffer does consider images appropriated from the empiric realm as a k i n d of r a w material from which the poet then fashions his secret, second w o r l d . The „innere Landschaft" which evolves as a result of this „Verbildlichung der I n n e n w e l t " exists solely i n its o w n right, having only a bond of terminology i n common w i t h the external topography (the latter serves merely as a „bedeutungsbeladene Metapher für das Innere des Menschen") (112). One might almost maintain that K i l l y or Enzensberger were w r i t i n g , when Miss Pfeiffer speaks of Brentano's b o l d neologisms, which „weniger aus dem sinnvollen Vergleichen m i t der Außenwelt gewonnen sind, sondern primär aus dem inneren Gefühl entstehen" (123), or when she describes the „schwebende I d e n t i f i k a t i o n " (131) which is caused b y the „doppelte F u n k t i o n des Mitteilens u n d des Verbergens v o r dem , P u b l i k u m ' " (131). I n view of the collapse of the external w o r l d i n the wake of the chaotic conditions at the close of hostilities i n 1945, this subtle and sensitive interpretation might be regarded today as a form of escapism, as the intellectual sublimation of an age which was reluctant to confront external devast a t i o n and preferred the i v o r y tower of art. Y e t we must also acknowledge i n hindsight, that this study — because o f its unique foresight — stands alone as a critical anachronism, an unheralded herald of things to come. There w o u l d be nothing gained, however, by resurrecting this dissertation today i n the form of tardy publication; its importance for the scholar can perhaps be best summed up w i t h an argument that is often used i n analyses of Brentano's lyric poetry — the ultimate significance of which can better be appreciated than apprehended. Consequently, Miss Pfeiffer might share the sentiments of the hero at the close of H u g o v o n Hofmannsthal's Der Turm: „Gebet Zeugnis: ich war da. Wenngleich mich niemand gekannt hat." We can surmise that Miss Pfeiffer's efforts helped ignite a spark
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which k i n d l e d the interest of later students and scholars i n the uniqueness of Clemens Brentano's lyric imagery 9 8 . b. Ideology A l t h o u g h i t is v i r t u a l l y a contradiction i n terms to speak about the ideological content of a genuinely lyric verse, several attempts have been made to fathom the philosophical premises or religious roots of Brentano's poetry. Perhaps the fact that these efforts have thus far been restricted to unpublished doctoral theses, bears silent testimony to the singular difficulties concomitant w i t h such an undertaking. Eberhard Pfeiffer's dissertation Die religiöse Wandlung Clemens Brentanos im Spiegel seiner geistlichen Lyrik 94, for instance, traces the p o l a r i t y between „der romantisch-pantheistischen N a t u r - und Lebensauffassung der Jugendzeit und der christlichen Weltanschauung der Spätzeit" and reaches the rather inconsequential conclusion that the t w o tendencies cannot be completely separated, even though signs of the transition make themselves manifest w i t h i n the short time span of a single year (1816—1817). Slightly more sophisticated but also schematically formulated are M o n i k a Reidick's views on Poesie und Religion. Ihre Bedeutung für das Leben und Werk Clemens Brentanos (dargestellt unter besonderer Berücksichtigung seiner LyrikJ 95. The central thesis of this interpretation rests i n the conviction that „Brentano die R o m a n t i k i n sich überwinden mußte, u m sein Selbst zu retten. M i t eben dieser selben N o t w e n d i g k e i t trat an die Stelle der Poesie die Religion" (164). This diagnosis, strongly reminiscent of the predicates o f the Diel-ErbMichels contingent, also augurs Adam's findings by contending that whereas Brentano the man was able to anchor his life more securely i n the haven 93 For example, the study Die Bildlichkeit in der Lyrik Clemens Brentanos , Cologne 1952, by Margard Straßmann follows the path trod by Miss Pfeiffer in differentiating between „eine Bildlichkeit, die die sinnlich wahrnehmbare Außenwelt einbezieht und einer solchen, die — unabhängig von allen äußeren Gegebenheiten — nur dem Ausdruck seelischer und geistiger Gehalte dient" (2); her analysis prefigures certain observations of Enzensberger when noting „daß im Laufe von Brentanos künstlerischer Entwicklung die Bildmotive großenteils die gleichen bleiben, während Ausdrucksweise und Aussagewert der Bilder manchen Wandlungen unterliegen" (8). A t the same time, she likewise is obligated to Staiger for formulations such as „Entkonturierung der U m w e l t " (32) or „die entgleitende Folge ineinanderfließender D a " (46) and to Hermann Pongs' Das Bild in der Dichtung for distinctions akin to „verkörpernde" and „seele-gebende Bildlichkeit". This last tendency toward literary categorization marks the dividing line between Inge Pfeiffer's empathie approach and Margard Straßmann's analytic explanation (even though both women — and how often has Brentano attracted the attention of female scholars! — proceed from a similar position). 94 Frankfurt/Main 1951. 95 Münster 1954.
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of Christian doctrine, such a solution was less satisfactory for the recalcitrant poet i n h i m : „sein Organ der poetischen Hervorbringung blieb die verselbständigte und nicht zu bindende Phantasie" (165). This conclusion, however, diverges from Adam's view i n so far as Miss Reidick differentiates between the early, religiously tempered verses (revealing signs of an „ u n reifen Schwankens zwischen W e l t u n d H i m m e l " ) (112) and the later pious lines which exhibit a distinctly „unpoetische A r t " by their frequent quotation f r o m liturgy, scripture, and theological tract, as w e l l as a marked concern for the „ W a s " over the „ W i e " of presentation. Miss Reidick's theory of the „unpoetische A r t " of Brentano's late lyrics as propounded i n 1954 contrasts rather sharply w i t h Enzensberger's thesis — i n i t i a l l y proposed one year later — that selected Brentano poems from the very same period represent not o n l y the apex of his art, but also usher i n a radically new trend i n literary and l y r i c composition. Such divergencies of opinion reflect the precarious nature of any attempt t o select a single epoch, any isolated set of aesthetic criteria, or — i n the case of Staiger — any i n d i v i d u a l poem as the basis on which t o b u i l d a comprehensive interpretation of an author or his w o r k . I t may very w e l l be that only after the publication of the historical-critical edition of the poems w i t h all their manuscript variants and printed versions 9 6 , that a clearer concept of Brentano the l y r i c artist w i l l emerge. For the present, i t might prove judicious to forego a „Gesamtdarstellung" i n favor o f more modest efforts i n the field of detailed analysis of significant poems — an area to which this discussion n o w turns. 4. Interpretations of Individual Poems 1801: Zu Bacharach am Rheine 97 The question as to whether or not Brentano actually invented the Loreley figure (in spite of her obvious kinship w i t h the Greek Sirens) is posed and answered affirmatively by R o t r a u d Ehrenzeller-Favre i n her investigation Loreley. Entstehung und Wandlung einer Sage98, due to the 96 I n the interim, one might consult the valuable notes and comments found in Friedhelm Kemp's first volume of the Werke , 1020—1192 or in Wolfgang Frühwald's edition of Clemens Brentano: Gedichte , Leck/Schleswig 1968, pp. 201—231. 97 N o t included here is Rudolf Buck's ,Die Lorelei. Zur Interpretation romantischer Lyrik', Deutschunterricht (1950), 3, 24—33 (which deals more w i t h the pedagogical problems of literary interpretation) and Ν . I . BalaSof, ,Struktura stixotvoreni ja Brentano ,Loreleja' i neformal'nyj analiz', Filologiskie nauki 6, 3:93—107. 98 Zürich 1948. Unfortunately W i l l y Krogmann's article „Lorelei. Geburt einer Sage", Rheinisch-westfälische Zeitschrift für Volkskunde 3 (1956), 170—196 was not accessible to me.
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fact that no earlier references to that name could be located. A comparison of the Lore L a y of 1801 („die Gestalt gewordene V e r w i r r u n g u n d Zerstörung") (36) w i t h the angel i n the desert of 1817 („die Gestalt gewordene Klarheit u n d Rettung") (36) and, concomitant w i t h this development, the marked alteration i n the symbolic function of water, leads the writer to the hypothesis that Brentano's exclusion of the seductress f r o m his later poetry i n favor of less demonic females (the angel here, elsewhere Maria) goes hand i n hand w i t h a decline i n his poetic powers „denn die L y r i k ist gerade das Element der Loreley" (39). I n Die beiden Fassungen von Brentanos ,Lureley m Klaus-Dieter Krabiel makes i t clear that there are actually three versions o f the ballad: 1. the poem as found i n the novel Godivi, 2. an unpublished manuscript form, 3. the adaptation made for the Gesammelte Schriften. O n the basis of textual evidence, Krabiel concludes w i t h regard to the first t w o forms, „daß es sich . . . nicht u m Vorstufe und vollendete Fassung handelt, sondern u m zwei selbständige Balladen, Variationen eines Themas, die selbst dort, w o ihr W o r t l a u t identisch ist, noch verschiedene Bedeutungsnuancen mitschwingen lassen" (127). Whereas the earlier, essentially lyrical Godwi-poem deals w i t h the „Dämonie der Liebe" (127), the latter handwritten f o r m is fundamentally epic (a judgment which Krabiel founds on stylistic criteria) and stresses the fate of bishop and siren w i t h reference to „die wechselseitige Abhängigkeit ihrer Schicksale i n der Spannung einer Polarität v o n H e i l u n d Dämonie" (127). Finally, the poem as i t appears i n the Gesammelte Schriften is an editorial conglomeration and contamination of the t w o previous versions. Robert Minder devotes his study of „Brentanos Lore L a y " 1 0 0 to the manner i n which the ballad is integrated i n t o the novel. M i n d e r links the poem to the figure of the „respectable prostitute" (Violette) i n the same w o r k : „ V i o l e t t e singt die Lore Lay, u n d sie ist eine Lore L a y " (27). The t w o women share a common destiny i n so far as they exert a lethal attraction over all men — except the ones they love. This observation induces Minder to the somewhat surprising psychological insight that both are simultaneously „aggressiv u n d f r i g i d " (27). Then M i n d e r draws a rather nasty parallel between the career of the Lore L a y (who begins as a seductress and ends seduced) w i t h the course of the poet's o w n escapades, which carried h i m „aus soviel anderen Betten zuletzt ans Leidensbett der seligen K a t h a r i n a Emmerich" (25). M i n der contends that the „schuldig-unschuldige Schönheit" of the Lore L a y and the unique „ A u f und A b ihres Seelendiagramms" (25) anticipate poetically the plight of Günderode, the problematical poetess-friend o f Brentano's youth, who, considering herself a „verführte Verführerin" (26), likewise 99 100
LJGG 6 (1965), 122—132. Insel-Almanacb
auf das Jahr 1965, pp. 23—30.
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took her o w n life i n the Rhine region (1806). A f t e r touching upon the element of v o w e l music (especially the power of the „aquatic" a-sounds) (24) i n the poem, M i n d e r cites this w o r k as proof o f Brentano's paternity for not one, but t w o twentieth-century literary trends: Dadaism (echoes of Garreau!) and Surrealism. Since Hans A r p emulated the manifold manipulations of language practiced by Brentano, the latter could be considered the „Großvater des Dadaismus" (26); however, i n so far as Brentano brought „den geheimen Gesang der alten Melodien zu revolutionärer Durchschlagskraft" (27) — whatever that might mean — he must also be regarded as the „Erzvater des Surrealismus" (27). The relationship of Brentano's Lore L a y to other famous and infamous songstresses i n German literature has proven to be a f r u i t f u l field of scholarship. Ernst Beutler's study yDer König in Thüle* und die Dichtungen von der Lorelay 101 contrasts „die Unbedingtheit i n der Liebestreue" embodied i n Goethe's lines w i t h the „Verloren-Sein i n der Untreue u n d an die Dämonie der Liebe" exemplified by Brentano's ballad (326). Consequently, the latter w o r k could be regarded as the „negative Spiegelbild" or „der Widerklang der schweifenden Romantik auf Goethes feste Lebensführung" (344). Beutler underscores the strange paradox that even though Brentano's Lore L a y became a popular, mythical figure i n Germany, the identity of her creator faded i n t o oblivion. Heine's „Märchen aus alten Zeiten" is, therefore, a k i n d of hoax; i n addition, his carefree Loreley knows nothing of the inner t u r m o i l of Brentano's troubled songstress. I n a final note comparing the Loreley of the fairy tales w i t h the Lore L a y i n this ballad, Beutler poses a question which is too often and too easily glossed over i n Brentano criticism: „Was h a t " , he ponders, „diese gütig mütterliche Lureley noch m i t der unglücklichen Zauberin v o n Bacharach gemein? K a u m den N a m e n " (356). I n a short study entitled Apollinaire und die ,Lore Lay c Brentanos 102, Ernest W o l f characterizes the French poet's adaptation of the theme as a „freie Nachdichtung" (469) or „schöpferische Neudichtung" (472). Apollinaire avoids the verbosity of the German Romanticist by means of „intelligente Kürzungen" and „die Kunst des Auslassens" (473), and thereby approaches the art of the genuine f o l k song more closely than the original. But, W o l f admits, not even such skillful emendations nor concentration of m o t i v a t i o n (the heroine, for example, does not perish because of either „Liebesüberdruß" or „Liebeskummer", but rather due to narcissistic infatuation — a concept suggested, but not developed by Brentano) enable the French writer to produce a completely 101 102
Essays um Goethe Wiesbaden 1947, I I , 307—369. Revue de littérature comparée 25 (1951), 468—479.
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unified, well-integrated poem. One might add parenthetically, that the very nature of the subject — her complex, nervously high-strung temperament — precludes such a polished veneer f r o m the outset. The historical position which Brentano's Lore L a y occupies i n the hierarchy of literary sirens i n the progression from seductive song (Homer) to destructive silence (Kafka) is assessed by H e i n z Politzer i n a perceptive essay Das Schweigen der Sirenen 103. Politzer also underscores the role o f narcissism and the preoccupation of the beautiful w i t h itself, citing as reference Platens's famous lines f r o m his poem Tristan and Thomas Mann's re-enforcement of the theme i n the novelle Der Tod in Venedig. Brentano, however, even outdoes the other t w o writers: „Das Dilemma einer Schönheit, die des Todes ist, hat hier, i n der Indentität der Reime, vollendete Sprachgestalt gewonnen" (455). Coincidence of sense and sound lead to the conclusion: „Bei Brentano ist alles aufs Akustische gestellt; das Rauschen des Rheins und das Rauschen des Bluts i n den A d e r n des Dichters u n d seiner Geschöpfe vereinigen sich zu einer Weise v o n Liebe und T o d " (457). Another equally subtle example of „werkimmanente Deutung" applied to this poem is Erika Essen's discussion i n Wege zum Gedicht 104. W h a t contributes to the effectiveness of this analysis is that i t articulates many of the reactions which this deceptively „simple" ballad instills i n the „ n a i v e " reader, who, i n most cases, is reluctant to voice confusion and perplexity for fear of exposing himself to the charge of critical ineptitude. Miss Essen points out that the very thread of the „ a c t i o n " , the „ p l o t " , so to speak, is extremely difficult to f o l l o w „ d a die Eigenart der Brentanoschen Poesie gerade darin liegt, daß die Linien sich — rational k a u m greifbar — verschlingen, brechen und verschieben" (244). Some of the factors leading to this condition include „RollenVerschiebung zwischen Subjekt u n d O b j e k t " (244), inconsistent and apparently arbitrary use of verb tenses (indicative of „eines seltsam auf- und absteigenden Verschiebens der Ebenen v o n Zeitnähe und Zeitferne") (245) culminating i n a suspension of time or timelessness i n the highly problematical subjunctive line w i t h which the poem closes: „als wären es meiner d r e i . " 1 0 4 a I n her concluding remark, Miss Essen whets our intellectual appetite w i t h the f o l l o w i n g tempting bit of food for thought: „Das Gedicht mag uns den Zugang erschließen zu Brentanos Werk, es mag uns darüber hinaus einen Zugang öffnen z u m Wesen romantischer Dichtung" (248).
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DVLG 41 (1967), 444—467. Munich and Zürich 1964, I I , 240—249. io4a Hans-Heinrik Krummacher in his study Das ,Als ob* in der Lyrik, Cologne, Graz 1965, contends that the „als ob" construction in Brentano's poetry is used principally „um das Ergriffensein des Ich von den im Lied vergegenwärtig104
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1802: Es sang vor langen Jahren (Der Spinnerin
Nachtlied)
Most interpretations of this poem have directed the focus o f their attention to the question of structure. Ernst Feise, for instance, i n his essay Problems of Lyric Form 105, studies the complex rime scheme of this „ R o l l e n gedicht" (297) and characterizes i t as „ a crafty, mathematically rational construction" (299). Since the m i n i m a l thought content could be summarized as „ a melody of infinite time, the music of which connects far past w i t h far future" (297), Feise feels that a concluding stanza which w o u l d seek t o bring the cyclical movement to a halt might be more detrimental than beneficial. I n a similar vein, Richard A l e w y n investigates this spinning song 1 0 6 w i t h regard to the question of time and conjectures that one could even reshuffle i n d i v i d u a l lines or interchange the order of the stanzas w i t h out measurably altering the effect or the „ m e a n i n g " : „ D a ß das Gedicht umkehrbar ist, verrät, daß die Zeit i n diesem Gedicht umkehrbar ist, u n d das besagt: D i e Zeit steht s t i l l " (47). I n contradistinction to Staiger's „reißende Z e i t " then, A l e w y n postulates a „kreisende Z e i t " , the principle of which is also incorporated i n the lyrical f o r m (the recurrent rime words utilizing the „ a " sound bring reminiscences of things past, w h i l e those i n „ e i " suggest the realities of the harsh present): „ W i e dieser Wechsel sich i n Reimen, Worten u n d Versen wiederholt," A l e w y n notes, „so wiederholt sich das Gedenken und das Warten, das Singen und das Weinen, heute wie gestern, morgen wie heute. Endlos wie ihr R a d sich dreht, so geht der Spinnerin L i e d " (47). Walter Naumann, on the other hand, i n Traum und Tradition in der deutschen Lyrik 107 contemplates such intricate and i n v o l v e d structures w i t h a more jaundiced eye, even though he eventually concedes that this song illustrates „ w i e selbst i n der Form einer spielerischen Künstlichkeit die Wahrheit einer Erlebnisweise des Gefühls sich zu bestätigen vermag" (73).
ten Bildern des Lebens zu bezeugen" (45). However, his conclusion regarding this figure in the Lorelay ballad is not too informative: „So stellt sich zwischen dem Idi, dem singenden Schiffer und dem Geschehen, von dem das Gedicht spricht, eine nicht eindeutig faßbare Beziehung her, und daran ist das ,als-ob' entscheidend beteiligt, das das bis dahin verschwiegene Ich einführt und seine Betroffenheit durch das im Lied berichtete Geschehen bezeugt" (44). 105 Modern Language Notes 49 (1934), 293—301. 106 ,Clemens Brentano. ,Der Spinnerin Lied", Wirkendes Wort 11 (1961), 45—47. S. S. Prawer in his collection of lyric interpretations entitled German Lyric Poetry , London 1952, pp. 121—126, compares and contrasts this spinning song w i t h the song of Gretchen from Faust. 107 Stuttgart, Köln, Berlin, M a i n z 1966, pp. 73—79.
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1802: Hör' y es klagt die Flöte wieder!
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(Abendständchen)
This lyric vignette has always posed problems for the critic due to the fact that i t originally appeared i n the „Singspiel" entitled Die lustigen Musikanten as a duet between a b l i n d father and his daughter, and then was removed from this context and printed w i t h o u t reference to the distribution of lines i n dialogue form. This situation provides Albrecht Schöne w i t h the starting point of his discussion i n Die deutsche Lyrik 108. Schöne admits that when one is familiar w i t h the dramatic background of the poem, certain key words such as „ N a c h t " acquire additional meaning, since the „ n i g h t " enveloping the sightless Piast connotes more than the mere nocturnal darkness understood by the reader w h o is not initiated i n t o the f u l l circumstances. Schöne adds, however, that i t is only when these lines are detached from their original setting, that the language is completely liberated and i n a position to express its „eigene, poetische W i r k l i c h k e i t " (13), that we are confronted not w i t h verses contingent upon factual circumstances, but rather w i t h an „absolut gesetztes Gedicht" (14). This contention leads to a meticulous examination of the rhythmical, acoustical, and syntactical properties of the lines; by means of this technique, augmented by an analysis of the „Sinnbezüge der W o r t e " (17), Schöne endeavors to elucidate the reasons w h y such a poem, containing only a m i n i m u m of rational content, achieves a m a x i m u m poetic effect. I n spite of numerous astute observations i n this regard, Schöne still relies upon certain critical formulae which frustrate more than they illuminate: „auf vollkommene Weise verschmelzen ineinander die Form u n d der Gehalt" (16). A very stimulating side-issue is raised by H o r s t Rüdiger i n conjunction w i t h his study Über zwei Lieder Brentanos 109 where he ponders the feasibility of translating a poem such as this (or the Wiegenlied) into a foreign language. A l t h o u g h Rüder is an ardent exponent of comparative literature, he opposes rendering such lyrics as this into another tongue, since we are dealing here not only w i t h the immediate denotative function of words („Bedeutung"), but more i m p o r t a n t l y , w i t h their many-faceted connotations („Bedeutungsfeld"). Concepts such as „rauschen" and „rieseln" signify much more for the German w h o has wandered through the forest of his homeland than they could ever i m p a r t to an i n d i v i d u a l unfamiliar w i t h these phenomena.
108 ,Clemens Brentano. ,Abendständchen", Die deutsche Lyrik, I I , 11—18. 109 Deutschunterricht für Ausländer 2 (1952—1953), 1: 9—12.
9 Literaturwissenschaftliches Jahrbuch, 12. Bd.
Düsseldorf 1956,
John Fetzer
1
1806—1808:
Des Knaben
Wunderhorn
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Most of the studies dealing w i t h the Wunderhorn treat the extent to which A r n i m and Brentano d i d or d i d not embellish the original, roughhewn songs at their disposal. H a r r y Schewe, for example, i n his Vorauswort zu einer historisch-kritischen und an Hand der Originalquellen kommentierten Wunderhorn-Ausgabe 111 implies that when a l l the source documents eventually come to light, many of the accusations of „Zersingen" levelled at Brentano and his colleague w i l l have to be drastically modified. The sheer amount of scholarship concentrating on the nature of the editors' „improvements" is a clear indication that this question continues to be a bone of contention. H e i n z Rölleke has recently shed light on the background of V o ß ' antipathy towards the collaborators i n both personal affairs and philological methods {Die Auseinandersetzung Clemens Brentanos mit Johannes Heinrich Voß über }Des Knaben Wunderhorn f11 2. Rölleke prefaces the text of t w o previously l i t t l e k n o w n satiric fragments directed by Brentano against this formidable adversary w i t h biographical data. This information, together w i t h the texts of the satires, enable Rölleke to refute yet another of Reinhold Steig's long-standing pronouncements — namely, that the counterattack against V o ß had been waged „wesentlich v o n A r n i m , nur schwach u n d nicht glücklich v o n B r e n t a n o " 1 1 3 . A l t h o u g h i t is only indirectly concerned w i t h the Wunderhorn , Siegfried Sudhof's aforementioned article Der späte Brentano (Eine Richtigstellung) 11A
110 Since a discussion of all articles dealing w i t h Des Knaben Wunderhorn in general would exceed the limits of this survey, only those studies concentrating on Brentano's contributions w i l l be included here. For a full listing of the pertinent publications, see Werke I , 1261—1262. Omitted from this bibliography and also inaccessible to me was Fritz O . Schulz brief commentary ,Des Knaben Wunderhorn. Clemens Brentano zum 100. Todestag am 20. July 1842, ,Der deutsche Schriftsteller 7 (1942), 78—79. A t least two other articles which do not appear in Werke and which should be mentioned are : a) H e n r i Plard, ,Le Wunderhorn en musique', Études Germaniques 15 (1960), 361—363 (Arnim and Brentano neglected the musical aspect of these songs because these poets „n'avaient pas de veritable culture musicale", being „amateurs de musique" rather than „connaisseurs", and, finally, since they considered the extant melodies „insuffisantes, indignes de textes") (361—362). b) Arthur Henkel, ,Über ,Des Knaben Wunderhorn", Ruperto-Carola (Mitteilungen der Vereinigung der Freunde der Studentenschaft der Universität Heidelberg) 15 (1963), 99—109 (traces the forerunners of such a collection — Herder, Moser, etc. — the degree of „romantische Aneignung", the critiques of contemporaries, and the effect of the songs on later generations). 111 Deutsches Jahrbuch für Volkskunde 2 (1956), 51—72. 112 Jahrbuch des Freien Deutschen Hochstifts (1968), 283—328. 118 Reinhold Steig, ,Zu den kleinen Schriften der Brüder Grimm', Zeitschrift für deutsche Philologie 29 (1897), 198. 114 DVLG 31 (1957), 101—105.
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131
qualifies one of the „proofs" adduced by K a r l Viëtor i n support of his theory that Brentano's poetic powers went on unabated after 1817: the set of corrections which the author undertook on some Wunderhorn verses. Sudhof casts a dubious light on Viëtor's premise (that Brentano was responsible for the revisions) f r o m four different standpoints: 1. philological: the h a n d w r i t i n g of the manuscript containing the changes provides „untrügliches Zeugnis" (105) that Brentano himself d i d not insert them personally, since the lettering shows a fusion of German and L a t i n script and, as an earlier scholar had already i n d i c a t e d 1 1 5 , Brentano's fundamentally Germanicized style of lettering never changed during the course of his lifetime; 2. psychological: „ W ü r d e n die Korrekturen des WunderhornExemplars tatsächlich v o n Brentano stammen," Sudhof conjectures, „ n i m m t es Wunder, daß er diese verbesserten Gedichte später an keiner Stelle wieder verwandt h a t " (104), a postulate based on the fact that Brentano was fond of incorporating revisions of his lyrics into the later fairy tales; 3. critical: f r o m the standpoint of literary quality, the „Verbesserungen" represent, at the most generous estimate, „Schlimmbesserungen" (104) (this argument is, i n m y opinion, open to question since one cannot assume that alterations made at a later date on works f r o m a previous epoch w i l l always represent improvement — one need only recall some of Goethe's Weimar refinements of his Straßburg lyrics); 4. stylistic: „ Z u r späten L y r i k Brentanos . . . verhalten sich diese gebesserten Gedichte wie eine fremde W e l t " (105). I n spite of the merit of most of Sudhof's objections, there are also some eyebrowraising statements included i n his critique. For example, his remark: „Sicherlich ist es zufällig, daß die Mehrzahl der veränderten Gedichte ursprünglich aus der V e r m i t t l u n g A . v o n Arnims stammte" (103) is debatable when one takes i n t o account Brentano's misgivings about Arnim's editorial practices and over-all approach to p o e t r y 1 1 6 . Once this fact is recognized, then i t w o u l d not be so much a matter of chance that the m a j o r i t y of alterations are made on songs stemming from A r n i m . O n the contrary, this situation seems to undergird the argument that Brentano d i d indeed make the changes, since he had drifted away f r o m his erstwhile collaborator f o l l o w i n g the latter's marriage to Bettina. The intervening years had given Brentano ample o p p o r t u n i t y to gain aesthetic distance from the friend of his youth.
116 Paschalis Neyer, ,Der alte Brentano'. Richtigstellung eines alten Irrtums in der Brentano-Forschung', Sanctificatio nostra 13 (1942), 138—140. 118 Rölleke, op. cit., 297—298 cites some of Brentano's objections to Arnim's procedures and uses this material as a basis to explain the lack of an initial assault on this common foe, V o ß .
9*
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John Fetzer
ca. 1811: Hörst du y wie die Brunnen rauschen? I n An Analysis of Clemens Brentano's ,Hörst du,' 117 B.A. Rowleystudies „ a u r a l " and „ f o r m a l patterns" i n this lullaby and illustrates h o w they j o i n forces „ t o induce a state of sleep" (188), transporting the listener „ t h r o u g h the looking-glass of dreams" to the „ v a u l t of heaven" (189). R u t h L o r b e 1 1 8 , on the other hand, utilizes Oskar Walzel's theory of „wechselseitige Erhellung der Künste" to demonstrate that Brentano's poem and Runge's painting Die Nacht (both of which were completed at approximately the same time) make use of the media available to them to achieve essentially the same effect: „Das Gedicht ist wie das B i l d Runges nicht begrenzt, sondern der unendlichen Musik und den unendlichen Weiten des Traumes geöffnet. Es erhebt sich über die Realität des Menschenalltags u n d versucht, ein L a n d der Sehnsucht m i t Worten zu gestalten, das i n der Nacht aufersteht, so wie Runge das m i t seinen M i t t e l n einzufangen versucht h a t " (24). Therefore, Miss Lorbe concludes, Brentano's l y r i c lines f a l l prey to that same danger which Goethe formulated for Runge's picture: „die Entfernung v o n den Gegebenheiten der gegenständlichen W e l t " (24). This, of course, w o u l d constitute a negative aspect for the classically-oriented mind, but a distinctly positive attribute for the Romanticist. ca. 1811: Singet leise, leise, leise (Wiegenlied) A f t e r having scrutinized the verbal constellation w i t h which this cradle song concludes, Bernhard Blume draws upon his vast storehouse of literary knowledge to prove i n a miniature expose Murmeln, flüstern, rieselri: Zur Entstehung von Clemens Brentanos ,Wiegenlied *119 that this tripartite grouping is not original w i t h Brentano, but actually stems from a letter of W i l h e l m Heinse w r i t t e n i n the year 1780. A n d since Brentano was acquainted w i t h Heinse's correspondence (published i n 1806) and strongly recommended i t to his friends, there can be l i t t l e doubt that, i n this case, as i n so many others, Brentano unconsciously appropriated as his o w n phrases which caught his fancy i n the works of fellow writers. Blume even goes so far as to suggest that Heinse's verbal complex may have been the nucleus from which Brentano's entire poem grew. ca. 1811: Wenn die Augen brechen (Schwanenlied) August Langen's interpretation of the „Schwanenlied" i n Die deutsche Lyrik 120 contends „daß die beiden dichterischen Hauptimpulse" of Brentano's "
117
German Life & Letters 5 (1951—1952), 188—190. »Wechselseitige Erhellung der Künste im Deutschunterricht', Deutschunterricht 7 (1955), 4: 20—41. 118 Modern Language Notes 75 (1960), 596—602. 118
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1
poetry are „ B i l d - u n d Klangphantasie" (49); and since i n this instance the „Klanggestaltung" has the upper hand, the poem ranks w i t h those works of literature which „sich einer rationalen Deutung des Gehalts, ja selbst einer bloßen Inhaltswiedergabe, weitgehend entziehen" (40). H a v i n g established this critical principle, Langen then proceeds to analyze the „poetische L o g i k " of the w o r k , especially w i t h respect to the acoustical acrobatics i n the Rheinmärchen from which i t is taken. The central symbol is the „ J a h r der Seele", a concept that finds expression here i n the imagery of an interiorized landscape. Whereas Eichendorff's swan i n ,Todeslust' dies i n the midst of summer, Brentano's singer succumbs i n the coldness of winter. From the standpoint of structure, the i n i t i a l lines contain a preponderance of hypotaxis, the growing agitation of which captures the spirit of anxiety at the approach o f death; conversely, the closing verses are predominantly parataxical, reflecting the „ V e r k l ä r u n g des Sterbens zum w i l l i g bejahten ,süßen T o d e " (46). 1814: Nachklänge
Beethovenscher
Musik
Another of August Langen's Brentano studies i n Die deutsche Lyrik 121 is devoted to this problematical poetico-musical trilogy. Langen sees the underlying force i n the postulate of the original u n i t y of all phenomena, the premise of „Identitätsphilosophie", the aesthetic counterpart of which is the drive to amalgamate the i n d i v i d u a l arts. Whereas i n the Schwanenlied the „Klangphantasie" o f the poet had determined the direction which the visual imagery w o u l d take, i n the Nachklänge i t was an actual musical composition which provided „das auslösende Moment für den Schaffensvorgang i m lyrischen Dichter" (22) and set i n m o t i o n the „Ausspinnen der Bildervorstellung" (24). The opening poem i n the t r i l o g y (Einsamkeit, du Geisterbronnen) delineates the unique situation of the artistic creator, and underscores the need for complete isolation during the period o f „gestation." The reference to G o d throughout the cycle not o n l y indicates the imminent return of the prodigal poet t o the Church, but, according to Langen, also stresses the similarities between divine and mundane creativity. The concern of the second poem centers around the inner t u m u l t coming i n the wake of the aesthetic conception, w h i l e the t h i r d announces the awareness of A p o l l i n i a n „Besonnenheit" even amidst the Dionysian „Rausch", thereby assuring that the finished product is a synthesis of „bewußtlosem Überwältigtwerden" and „bewußter Lenkung" (32). Langen's assertion that 120 ,Clemens Brentano. ,Schwanenlied", Die deutsche Lyrik, 39—49. 121 Ibid, 19—38.
Düsseldorf 1956,
II,
John Fetzer
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„ G o t t u n d der Künstler schaffen i n höchstem, seligem Selbstbewußtsein u n d i n einer Einsamkeit, die ohne H e r r n u n d ohne Dienen ist" (34) leads to the daring conjecture that the rarified aesthetic universe postulated by Brentano anticipates Beethoven's esoteric tonal cosmos of the last quartets, a realm accessible only to an elite group of avantgarde initiates. 1816: An den Engel in der Wüste The very title of the volume of collected essays b y Reinhold Schneider (Dämonie und Verklärung) i n which his study ,An den Engel in der Wüste': Die Wende Clemens Brentanos appears 1 2 2 , makes i t apparent that his approach falls i n t o the religiously oriented tradition. Brentano's progression f r o m original „ D ä m o n i e " to eventual „ V e r k l ä r u n g , " his path f r o m Babylon to Jerusalem, is vouchsafed by virtue of the fact that the sacraments of Catholicism „ i h n i n einer viel stärkeren Weise gebunden, als i h m i n der Zeit seines Irregehens bewußt w a r " (174). I n accordance w i t h this trend of thought, Schneider sees Brentano's eroticism i n terms of a religious drive: „ N i c h t die Geliebte suchte er j a ; er suchte G o t t " (183). The shortcomings inherent i n such a restricted perspective can be detected i n observations such as the f o l l o w i n g : „Das Gedicht dieses Lebens, dessen W i d e r k l a n g die Strophen , A n den Engel i n der Wüste" sind, w a r v o m Herren gedichtet worden, nicht v o n dem leidbeschwerten Pilger Clemens Brentano" (197— 198). Schneider's polemic against the sensuous and secular side of Brentano's l y r i c poetry culminates i n the contention that only the poems of the conversion and the post-conversion periods bear witness to his mission i n life „denn durch sie wurde der Dichter noch, was er sein sollte v o n A n f a n g an: Träger des ausgesandten Wortes, i m Schicksal bewährter Zeuge u n d Künder göttlichen Wirkens" (198). Some of Schneider's diatribes against the seductive quality o f art are noteworthy, however, not because of their theological tone, but rather due t o their ontological overtones. The f o l l o w i n g passage for instance, is illustrative of such statements: I n aller Kunst ist eine Verlockung zum Dämonischen hin; es scheint Tiefen zu geben, die nur der D ä m o n aufschließt, aber audi einen Zauber und eine Macht der Mittel, wie der Erfindung und des Witzes, die nur er vergeben kann. Vielleicht gehörte der Klangzauber mancher Gedichte Brentanos — wie so vieler Klangzauber der Musik — schon zu diesen Gaben; er scheint jenseits des ernsten reinen Wahrheitsgehaltes unserer Sprache zu ertönen, im Bereich der Betörung; nicht mehr die Beziehung zu dem Einen, von oben kommenden W o r t , in dem Wirklichkeit und Wahrheit in ihrer Gesamtheit beschlossen sind — so wie die Musik ein Wiederklang des himmlischen Lobgesanges ist — macht die Wirkung dieser 122
Vaduz, 1947, pp. 164—200. This essay was also contained in the publication Aar mit gebrochener Schwinge, Heidelberg 1948.
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Gedichte aus, sondern das Sinnverwirrende der übersprachlichen Melodie, in die sich, ihren Zauber noch steigernd, immer wieder ein unschuldiger, wehmütiger H e r zenston mischt; aus den ,metallenen Saiten' der in Wahrheit schon zerstörten H a r f e rauscht ein dämonisches Spiel. Wer fühlte es dem Sänger nicht an, daß sich hinter der Fröhlichkeit und Unbekümmertheit seines Auftretens und Präludierens eine Macht verbirgt, die Besitz ergriffen hat von seiner Seele und mit deren H i l f e wieder andere Seelen ergreifen und . . . hinabziehen möchte in das Ungewisse? (190).
1816: Frühlingsschrei
eines Knechtes aus der Tiefe
H a r r y Tucker's analysis of this poem (which is regarded b y critics as marking a milestone i n the author's career) parallels Schneider's exegesis i n so far as „ D ä m o n i e " und „ V e r k l ä r u n g " are superceded by „Despair" and „Salvation" as the main polarities. 1 2 3 The Frühlingsschrei corroborates Brentano's spiritual malaise b y presenting „ a n intensification of an already evident inner and outer i n s t a b i l i t y " (287). The image of the miner i n quest of f i r m footing i n order to escape the treacherous tides inundating the subterranean shaft i n which he finds himself, reflects Brentano's i n i t i a l error o f seeking „man-made rather than super-natural security" (288). Tucker compares the anguished outcries of the miner w i t h the accusations hurled at the deity by the Ackermann aus Böhmen; t o this extent, the Frühlingsschrei represents a „supreme document of declarative i n d i v i d u a l i t y " (292) containing a b u i l t - i n tragic conflict — the clash of an „extreme consciousness of self" (297) „ w i t h the desire to submit to the dictates of a benign d e i t y " . Tucker's close reading of the text leads to some unique insights, but i t is also marred by surprising over-simplifications; illustrative of the latter is the remark: „ T h e dependence of man on the supernatural for aid may be said to be evident here i n a purely numerical fashion: eight stanzas are devoted to man, but nine to the higher existence" (294). Somew h a t less far-fetched, but still difficult to accept seriously, is the statement concerning „the trochee, w i t h its heavy i n i t i a l ictus and secondary unaccented thesis, i n which f o r m the basic problem of the poem — struggle / resignation — may be seen as symbolized" (296). The dual interpretation of Frühlingsschrei by C u r t H o h o f f and Anneliese de Haas i n Wege zum Gedicht 124 labels this poem the line of demarcation between Brentano's diverse worlds: „der fahrende Schüler der R o m a n t i k legte die Laute beiseite u n d ergriff den Pilgerstab" (203). This curiously old-fashioned v i e w is followed by some similarly out-moded observations on the poetic imagery: the fleetingly abstract concepts of the poet's youth, for instance, are said to cede precedence to the tangibly concrete perceptions of his m a t u r i t y . 123 Clemens Brentano: ,The Imagery of Language Quarterly 14 (1953), 284—297. 124 Munich and Zürich 1956, 1, 199—207.
Despair
and
Salvation',
Modern
1 6
John Fetzer
ca. 1817 (or: 1835—1836):
Der Efeu
Hansjörg Holzamer's discussion of Clemens Brentano: ,Der Efeu' 125 — the fruit of a Siegfried Sudhof seminar — deals p r i m a r i l y w i t h the d i f f i culties of dating the poem, since allusions i n the text could be applied to both Luise Hensel (1817) or Emilie Linder (1834). Aside f r o m posing this t h o r n y question, however, the writer does make several perspicacious comments on the imagery. Holzamer suggests that i v y , as an entity which clings tenaciously to anything and everything i n its environs — i t even embraces the bleak, cold stone i n a „minnend und treu" (139) fashion — offers one of the most suitable „ C h i f f r e n des Herzens" to express the fervor of the passionate poet for women w h o were inclined to respond w i t h tempered coolness. 1834: Die Abendwinde
wehen
Since this poem falls chronologically i n t o that period when the poet had turned, according to E m i l Staiger's adroit aperçu 12β, to the composition of „fromme Lieder u n d gereimte Evangelien . . . m i t ihrer wäßrigen Süßigkeit" (181) and when he had reached that stage of life (the age of sixty-one) when one might expect passion to begin to ebb rather than f l o w , we are agreeably surprised as w e l l as a trifle perplexed to f i n d evidence of „reine, gesättigte Poesie" (181) at this I n d i a n Summer season of his career. A f t e r the usual finely-honed examination of the text ( w i t h special reference to the „ L i n d e " complex both before and after his acquaintance w i t h its namesake, Emilie), Staiger decides that such pure poetry could o n l y be the product o f a moment of retrospective or retroactive creativity, a process whereby details (recollected f r o m similar situations i n the past) coalesce „unversehens zu einem eigentümlich präzisen lyrischen Echo der neuen Liebesgeschichte" (188). Another aspect or adjunct to this mode of w r i t i n g is manifest i n the fact „daß Brentano . . . nicht nur sich selber zitiert, sondern auch fremden Dichtern nachsingt, i n einem Ausmaß, wie es uns v o n anderen L y r i k e r n k a u m bekannt ist" (189). A l t h o u g h he passes no value judgment on this procedure, Staiger seems to award i t at least a tacit seal of approval when he paraphrases his o w n earlier comments: „ ö f t e r ist nicht sein Gefühl der Ursprung seiner Sprache, sondern die Sprache Ursprung seines Gefühls" (190).
125
LJGG 6 (1965), 133—139. Clemens Brentano. ,Die Abendwinde wehen', G e Staltprobleme Bonn 1957, 181—192. 126
der Dichtung,
O l d and N e w Directions in Clemens Brentano Research
1834:
1 7
Alhambra
A similar line of literary detective w o r k as pursued by E m i l Staiger i n the previous study had already been essayed by W i l h e l m Fraenger i n 1935 w i t h regard to the intricate structure of the poem Alhambra 127. Fraenger refutes another of Reinhold Steig's theories (namely, that this w o r k dates from 1816 and was meant for Luise Hensel) by illustrating that we are actually dealing w i t h an „Amalgamationsversuch" (39), a composite consisting of motifs originally used i n conjunction w i t h the poetess Giinderode (1803) together w i t h experiences from the intervening years (Luise Hensel et al.) and other miscellaneous thematic fragments combined to form a poetic p o t p o u r r i for Emilie Linder i n 1834. Fraenger divides the long poem into three sections: 1. a prelude i n which most of the material associated w i t h Giinderode is t o be found (emotional over-charge, the predilection for the fantastically exotic), 2. the main body of the text replete w i t h etymological by-play and punning on „Lindachara" and tinged w i t h erotic allusions; 3. a postlude revealing that the Moorish cavalier (Gazul) who, i n the second segment, had sought to seduce the innocent young girl w i t h all kinds of dazzling phantasmagoria, n o w becomes — according to Fraenger's interpretation — a pious pilgrim, accompanying the maid on her journey to the Blessed V i r g i n (an indication that „Eros" has become subservient to „Caritas"). The symbolism of the linden tree as found elsewhere i n the Linder poetry is cited t o prove that such hypnotic verbal conjurations and tonal configurations as those performed by Gazul constituted a standard feature of the poet's literary repertoire. H i g h l y i l l u m i n a t i n g is Fraenger's analysis o f the means employed by Brentano to create the impression of déjà vu (the elation experienced b y the girl i n beholding the lush garden) w i t h o u t resorting to mere repetition: we do not have direct description, but rather apprehend things through the emotionally refracted eyes of the girl as she responds to familiar stimuli. T o achieve this unique effect, Brentano devises a system of „formelhafte Abbreviaturen" or „ V e r dichtungen" (46). Fraenger is w e l l aware that the „re-touching" of the canvas of y o u t h later i n life often distorts the picture and can sometimes lead to discrepancies; thus Brentano, by regarding events of the distant past and the immediate present from the dual perspective of a revived aestheticism and an eroticism tempered by lingering religious rigorism, produces at times a blurred vision or introduces dissonances i n tone. I n the final analysis, one perhaps should consider this factor of jarring discord as the single most characteristic trait of Brentano's poetry, as the 127 Clemens Brentanos yAlhambra\ 46 (1964), 7—65.
Berlin 1935. Reprinted in Castrum Peregrini
John Fetzer
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element which lends i t such a modern ring. Is i t not the abrasive coexistence of irreconcilable dichotomies rather than the coincidence of polarities or the reduction of dualisms to one-dimensional unities which marks the water-shed between antiquity and modernity, between a paradise-not-yetlost and a paradies-to-be-regained? H o w bland, on the other hand, and unmodern are those numerous religious lyrics of the author i n which all dissonance is drowned out by heavenly harmonies, by an angelic concord which, nevertheless, for Brentano, closed w i t h a deceptive cadence: the monotony of some of these works is manifest even i n their interpretation — as, for example, i n A . H . Weetman's discussion of Clemens Brentano's Treatment of the Legend of Saint Agnes128. The high p o i n t of this study is the observation that the poem represents „ m a i n l y a condensed version of the pseudo-Ambrosian legend" (233). From such an approach one gains the impression that when theological concerns usurp artistic considerations, the task of the critic is greatly reduced i n both scope and depth. O n the other hand, the fact that multivalence of meaning is still a trademark of more subtle religious poetry can be seen f r o m I n g r i d Schürk's brief discussion of Brentano's Stabat Mater 129 ; the poet's „subjektive A b w a n d l u n g " (111) of fixed liturgical f o r m — a manifestation of his „subjektive Religiosität" is aided and abetted b y „seine naive spielende Phantasie und seine virtuose Sprachbegabung" (110) to produce a religious lyric of higher than average caliber. A t this point we are again reminded of Viëtor's contention of 1923 concerning the continuity of Brentano's poetic potential even though his spiritual constitution may have indeed undergone a radical transformation. 5. The Lyric Epic Poem — ,Romanzen vom
Rosenkranz
f
A l t h o u g h questions dealing w i t h the sources and sequence of the Romanzen vom Rosenkranz w i l l undoubtedly prove to be a bone of critical contention for many years to come 1 3 0 , there have been numerous preliminary attempts to analyze this w o r k from the standpoint o f central theme or fundamental structure. The f o l l o w i n g resume of the critical literature w i l l separate those studies concentrating on „content" f r o m those treating „ f o r m " , f u l l y aware o f the shortcomings of this type of pigeon-holing especially i n intellectual matters where clear and clean distinctions are often less indicative of fact than of fiction. 128
Modern Language Review 45 (1950), 228—234. Das ,Stabat mater* bei Tieck, Brentano und Fouqué, Deutsche Übertragungen mittellateinischer Hymnen im 18. und 19. Jahrhundert, Tübingen 1963, 107—111. 130 For a concise resume of the involved philological considerations, see Wolfgang Frühwald's remarks Zur Textgestalt in Werke I , 1193—1197. 129
O l d and N e w Directions in Clemens Brentano Research
a. Thematic Studies of the ,Romanzen vom
Rosenkranz
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Most of the analyses falling i n t o this general catch-all category are beholden to t w o pioneering works i n the field: Günther Müller's doctoral dissertation: Brentanos ,Romanzen vom Rosenkranz f. Magie und Mystik in romantischer und klassischer Prägung 131 and Josef Nadler's essay Das Faustproblem in Brentanos Rosenkranzromanzen 132. The influence of both predecessors comes to the fore i n A l f r e d Treptow's study: JErkennen c. Versuch einer Deutung der Grundidee in Goethes JJrfaust f und Clemens Brentanos yRomanzen vom Rosenkranz f133. A f t e r outlining the „künstlerische Gestaltung des metaphysischen ,Erkennens'" i n the works of Goethe and Brentano respectively, T r e p t o w subscribes to Nadler's thesis that magic entails „die Identität v o n Erkennen u n d Zeugen" (94). Once this fact is recognized, i t becomes evident to T r e p t o w that the Romanzen are „ein Faustentwurf . . . , gipfelnd i n dem Mißbrauch des Erkenntnis- und Zeugungstriebes" (108). The impetus for this dichotomous drive is supplied by an aboriginal cleavage i n man, a condition manifest on the microcosmic plane i n the division of the sexes: i n the design of the macrocosm, the cleft can be seen i n the split of the originally integrated universe into the forces of light and dark, good and evil, G o d and Satan, the v i r g i n soil and vegetative growth. N a d l e r had stated: „ M i t der ,Entzweiung des Lichts', m i t der Spaltung i n ein Ich u n d D u k a m der Gegensatz Objekt—Subjekt u n d der Geschlechtsunterschied i n die Schöpfung: das ist das welttragische Synonymon e r k e n nen* i m Sinne v o n ratio wie sexus" (105); then he went on to show that the creation of man f r o m the dust of the earth represented a f o r m of „ E n t jungferung", while the transition f r o m inorganic t o organic matter might be regarded as „der zweite kosmische Geschlechtsakt" (105). T r e p t o w builds on Nadler's foundation o f the Faustian drive for „Erkennen" and erects for the Romanzen the f o l l o w i n g framework: „Das ,Nichterkennen' i m Sinne von ratio u n d sexus, das Aufheben der kosmischen Entzweiung bedeutet auch Erlösung u n d Entsühnung des Menschenadam" (108). Parthenogenesis on the divine level (embodied i n the concept of the V i r g i n Mother) and a chaste, non-consummated marriage on the part of t w o mundane figures (Jacapone and Rosarosa) prefigure the „Aufhebung des Weltfluches, des sündhaften ,Erkennens'" (109) and contrast sharply w i t h the efforts of the arrogant sorcerer-scientist A p o to penetrate „den U r g r u n d des Seins, das Geheimnis der Leibwerdung des Lebens" (107) i n order to uncover „die 131
Göttingen 1922. Hochland 24 (1927), 105—106. Compare also his discussion of the Romanzen in the Literaturgeschichte der deutschen Stämme und Landschaften, Regensburg 1932, I V , 393—397. 133 Königsberg 1932. 132
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Urmysterien des Lebens" (108) which the deity had deigned to veil i n a mantle of secrecy. Ludgera Kerstholt's endeavor to fathom Das Bild der Welt in Brentanos y Romanzen vom Rosenkranz f134 pays both tacit and explicit homage to her forerunners, N a d l e r and Müller. She finds that the cosmos depicted i n the epic is divided, and this division is responsible for the collapse of the „fraglose Gewißheit menschlichen Seins in der W e l t " as w e l l as the „ruhige klare Sicherheit des Geborgenseins aller Dinge i n G o t t " (89). Such is the p l i g h t of the „neuzeitlichen, nachkartesianischen Menschen" (89). O n the other hand, the persistent intrusion of super-natural forces i n t o the universe as presented i n the Romanzen is not at all post-Cartesian, but rather rooted i n the M i d d l e Ages. This w o r l d , permeated by magical powers, is so constituted „daß die Bewegung des Seins nicht rational-kausal faßbar ist, daß sie vielmehr i m Fluten u n d Strömen kausal unberechenbarer Begebenheiten sich darstellt" (11). A similar spirit of dualism pervades the f o r m o f the Romanzen which remains „open" simply because the epic has no fixed goal t o w a r d which i t gravitates (not even the invention and institution of the rosary); the momentum is not „teleologisch, sondern unaufhörlich kreisend u m die gleiche Grundbegebenheit" (83). The delineation of this fundamental existential condition parallels the insight which man attains (after having forfeited „die erste Geborgenheit, die zurückweist i n den Morgenglanz der Schöpfung u n d v o r Sündenfall u n d Erlösung ist") (89) that he has become and w i l l remain „etwas zutiefst Fragwürdiges" (84). H e r m a n n A . K o r f f i n Geist der Goethezeit 135 defines the central concern i n the Romanzen as „die i n Frömmigkeit umgeschlagene Sündenangst" (456) which, as an integral element of Catholicism, is diametrically opposed to the „sinnlichen Unbefangenheit des Heidentums" (456) and contrasts sharply w i t h the „übermütigen und herausfordernden H y m n u s auf die Sündigkeit des Fleisches" (456) that one encountered i n Godwi. I n the Romanzen the degree of anxiety connected w i t h the experience of sexual love has intensified to full-fledged „existentielle N o t " (457). Brentano, i n characteristic fashion, heightens the already explosive situation by introducing the problem of incest. For K o r f f , the Romanzen function as a precursor of Wagner's Tannhäuser to the extent that they proclaim the cause of sanctity, chastity and p u r i t y w h i l e simultaneously presenting figures w h o succumb to the charms of the „Venusberg" w i t h all its alluring regalia. This fundamental dichotomy is illustrated by Biondette, whose „Song of Songs" seethes w i t h latent and patent eroticism, thereby paralleling the conception 184 185
Berlin 1939. Leipzig 1953, I V , 453—470.
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and execution on the part of the poet „der m i t den Romanzen auch ein frommes L i e d zu singen eigentlich die Absicht hat, doch dessen M u n d sich u n w i l l k ü r l i c h die glühendsten Liebeslaute entringen" (468). The topic of H e i n z Bauer's dissertation, Die Deutung des seelischen Lebens in Clemens Brentanos ,Romanzen vom Rosenkranz ί13β, suggests a comprehensive thematic over-view; but rather than offering fresh insights, Bauer merely warms over the opinions of others and organizes them i n compendium fashion, garnished w i t h a few original thoughts. The „spiritual life" which the w r i t e r treats is characterized by dualism, eroticism and mystcism 1 3 7 — all of which are by n o w familiar cliches i n the jargon of Brentano critics. H o w e v e r , Bauer does isolate several unique species of magical existence — the „dämonologische" f o r m as embodied i n A p o and the „hagiologische" type manifest i n the rose sisters — which he sets over and against Nietzsche's „dionysischer Daseins Vollendung" (127). Interesting too, is the contention that the antithetical attributes of the „seelische Leben" are reflected poetically i n the fondness for o x y m o r o n and, stylistically, i n the „lyrisch-epischen Mischform" (148), w h i l e the mysterious, mystical longing of the soul finds its correspondent i n the musicality of the language. I n her dissertation Struktur und Funktion der Bildlichkeit in Brentanos jRomanzen vom Rosenkranz i138 Mechthild Clauß hopes to resolve the perennial dispute as to whether these romances foster a „christlich-scholastische Weltauffassung" (as Günther M ü l l e r contends) or whether they favor „gnostisch-manichäisches Gedankengut" (as Josef N a d l e r conjectures) based on an analysis of the imagery. A f t e r maintaining that the poetic image substitutes „ein Äußerliches für ein Inneres, ein real Bezeichnetes für ein geistig Bedeutsames" (1), Miss Clauß investigates the extent to which Christian concepts appear i n their traditional form and to w h a t degree they are poeticized „aus der K r a f t des persönlich-innerlichen Gefühls" (26). H e r conclusion is that Brentano accomplishes a „Poetisierung des Christlichen" and a „Subjektivierung der dogmatischen Gehalte" (26) which, h o w ever, are not the result of arbitrary w h i m , but rather conditioned by „die H i n w e n d u n g zu einem Überpersönlichen, zu der i m Innern erfahrbaren metaphysischen Einheit des Lebens" (26). Hence, because the „subjektivierende Verfahren" (41) on the part of the artist is counterbalanced by a 13e
Marburg 1947. The problem of dualism, polarity and dichotomy appears in some form in virtually every analysis of Brentano; the most consistent treatment of the problem has been worked out by Walther Migge in his aforementioned book. For a discussion of eroticism, see Paul Kluckhohn, Die Auffassung der Liebe in der Literatur des 18. Jahrhunderts , Halle/Saale 1922, while Hans Rupprich deals w i t h »Clemens Brentano und die Mystik 4 , in DVLG 4 (1926), 718—746. 138 Heidelberg 1958. 137
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„Rückbeziehung der Kunst auf ein i m Innern wirkendes Göttliches" (49), this f o r m of creativity is not representative of that self-sufficient, selfcentered realm of absolute art condemned by Brentano later i n his life, but rather attests to a grandiose „Einheit des Lebens" (51) attained o n l y rarely and sustained only momentarily. The literary device which contains a presentiment of this condition of u n i t y is the metaphor, since its essence is an „ I d e n t i f i k a t i o n der Sphären" (50); on this basis, Miss Clauß then examines t w o metaphoric complexes dealing w i t h the problem of guilt and its expiation. As a k i n d of coda , she appends a section on the „Rosenbildlichkeit" which illustrates most v i v i d l y the interplay and interpénétration of the „ R e a l " and the „ I r r e a l " resulting f r o m the „Riickbeziehung des Rosenbildes auf Zustand u n d K r a f t des Innern, durch Verknüpfung m i t der einen metaphysischen H o r i z o n t eröffnenden christlichen B i l d w e l t u n d durch Einfügung ins Bezugssystem der H a n d l u n g " (193). O n a much more restricted and less abstruse level, Josefine Nettesheim studies the RosenSymbolik in Clemens Brentanos yRomanzen vom Rosenkranz fl8e with special reference to the Catholic rosary (the circular f o r m of which is said to symbolize i n f i n i t y ) and the Rosa mystica ( M a r y ) . I t is shown that Brentano infuses these liturgical elements and religious objects w i t h motifs borrowed f r o m popular tradition, medieval mysticism, fairy tale, legend, saga, as w e l l as f r o m his o w n fertile imagination. This amalgam is examined i n the symbol of the „black" rose, a relique of necromancy, gnostic doctrine and other occult sciences. The over-all relationship of the Romanzen to another esoteric source is treated by Sieglinde Piringer i n Clemens Brentanos yRomanzen vom Rosenkranz ( und ihre Beziehung zur Kabbala 14°. In the introduction to this detailed investigation, the thesis is propounded „daß sich der Einfluß der v o m Dichter streng verurteilten Kabbala, die er teils aus alten Quellen, teils i n der Sprache der modernen Philosophen kennengelernt hatte, nicht auf die M y t h e n v o n der Weltentstehung u n d der E r schaffung des Menschen beschränkt, sondern auch das ganze W e l t - u n d Menschenbild i n einigen wesentlichen Zügen mitbestimmt" (4). These essent i a l features are subsumed under certain cabbalistic „ U r s y m b o l e " (sudi as „das ewige K i n d " ) which seek „das verborgene Dasein Gottes i n etwas sichtbar zu machen" (4). A meticulous and intensive search of sources (Böhme, Eisenmenger) together w i t h an investigation of the commentaries on these sources leads to the conclusion that Brentano utilized motifs such as the Sefiroth (the manifestation of the divine substance i n various degrees) or the Androgyn (all created matter consists of both masculine and feminine attributes) i n his customary eclectic fashion. 159 140
Antaios 3 (1962), 357—366. Graz 1964.
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b. Structural
Analyses of the ,Romanzen vom
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Rosenkranz'
A l t h o u g h i t is fallacious to assign A l l e n W . Porterfield's essay The Romantic: Clemens Brentano's Romanzen vom Rosenkranz 141 exclusively to those studies treating form and structure, his commentary on this aspect of literary study, like his remarks on other phases of critical concern, defy any mode of categorization. For example, after perusing the i n i t i a l paragraphs of his article, we learn that Brentano was the „wealthiest of all the German Romanticists" (342) and that his refusal to accept Sophie Mereau's propsal of a common l a w marriage was „remarkably sensible for Clemens Brentano" (343). Leaving the biographical sphere, Porterfield next turns to the announced topic of his paper, but he still cannot desert the positivist camp entirely: „Meliore is the y o u t h w h o d i d the digging i n the previous Romanze: that is, Brentano himself" (351). When Moles maintains he was born on the birthday of Herod, Porterfield admonishes the reader to recall the concluding scene of Hebbel's Herodes und Mariamne. The critic outdoes himself when he suggests that the Romanzen epitomize Schlegel's demand for „progressive Universalpoesie" since „there is v i r t u a l l y nothing that is not dragged i n t o and made an existential part of its contents, f r o m horticulture to the best method of performing a Caesarian operation" (362). I t is difficult to take Porterfield seriously at such moments, or when he observes i n passing: „Brentano's Romanzen could be arranged i n much better order, i f we are to look for sound sense" (349). One can o n l y supplement this statement w i t h the codicil: i f „sound sense" is to be made the sole criterion of Romantic art, then the critic w h o directs his attention towards Clemens Brentano has meandered i n t o the w r o n g bailiwick. A valiant — but v a i n — attempt to discover Die innere Form der Romanzen vom Rosenkranz' von Clemens Brentano is engineered by Günther Reic h a r d t 1 4 2 using as a basis A l f r e d Lorenz's controversial theory of the role played by medieval and post-medieval musical forms i n the structure of Wagner's opera Tristan und Isolde 143. Convinced that the principles of „Bogen", „ B a r " , „Stollen", „Abgesang" together w i t h such Classical and Romantic musical concepts as „Sonatenform" can be applied equally w e l l to the works of Brentano and his contemporaries, Reichardt employs complex graphic illustrations and diagrams i n order to substantiate his sweeping musico-poetic parallels: „So stellt", he announces at one point, „die I p h i genie einen deutlichen Sonatensatz dar. Der Faust ist ein riesiger Bar, eingeschlossen von zwei Außensätzen" (121). W i t h specific reference to the
141 142 143
Journal of English and Germanic Philology 32 (1933), 335—365. Freiburg/Schweiz 1934. Das Geheimnis der Form bei Richard Wagner , Berlin 1924—1933.
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Romanzen he conjectures: „ D i e Rosenkranzromanzen sind also i n der F o r m eines großen Bogens A — Β — A gebaut" (117), whereby the „ A " theme is conceived of as „Erlösung i m T r a u m " while the final recapitulation assumes the form of „Erlösung i n der W i r k l i c h k e i t " . B y pursuing the pattern of the „innere F o r m " w i t h consistent thoroughness throughout the cycle and by maintaining that a similar principle is manifest i n the „äußere F o r m " (smaller segments of the text such as single lines or complete stanzas i n which such devices as the „ B a r " formula can be readily apprehended), Reichardt claims to have exonerated Brentano from the charge of capricious formlessness — an accusation which results f r o m measuring his w o r k w i t h a Classical ruler rather than a Romantic yardstick. T o a certain extent, Reichardt pleads a convincing case; however, this verdict should be tempered by the realization that any critic f o l l o w i n g i n his footsteps might, by judicious selection or omission of data, defend the cause of m y r i a d musical forms, from the tone poem to the scherzo. W h a t makes this practice particularly suspect w i t h regard to Brentano, is the fact that on several occasions he claimed musical ignorance 1 4 4 ; therefore, can one assume that such an i n d i v i d u a l w o u l d hazard the transfer to literature of complex genres or technical devices from a medium w i t h which he, by his o w n admission, was scarcely conversant? C. Prose Writings Because of Brentano's popularity as a lyric poet, the discussion of secondary critical literature began w i t h this phase of his creative a c t i v i t y . However, recent scholarship has also turned — or returned — t o a consideration of Brentano as a writer of prose. Therefore, the next section of this report w i l l deal w i t h the manner i n which his contributions to the narrative t r a d i t i o n have made and are making their mark on posterity. Since the designation „Prose" subsumes a great variety of genres, the discussion is divided i n t o several sub-categories: 1. Correspondence, 2. N o vels, 3. Shorter Prose Works, 4. The Fairy Tales, 5. Religious Tracts and Treatises. M i n o r prose works such as historical documents 1 4 5 or satirical 144 Note, for example, the remark in a letter to a friend concerning „Musik, von der ich nichts verstehe", Clemens Brentano, Briefe, ed. Friedrich Seebaß, Nürnberg 1951, I I , 37, or the comment that his essay on the opera was „von einem, der keine Musik, was man so sagt, versteht", Werke I I , 1230. 145 Into this category falls, for example, K a r l Rossmann's ,Versuch einer Geschichte des Heidelberger Schlosses von Clemens Brentano 4 , Neue Heidelberger Jahrbücher (1941), 59—75. According to Rossmann, Brentano compiled the historical data printed in this article as background material for his „ironisch-barocke Fürstenhuldigung in Knittelreimen" of 1806 which appeared under the title: Lied von eines Studenten Ankunft in Heidelberg (59). According to Rossmann,
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fragments 1 4 6 which have only recently been discovered and reprinted i n journals or yearboks w i l l not be included; i n a l l cases, reference has been made to these publications elsewhere i n this survey. 1. Correspondence I f and when the history of the personal letter as a poetic document in German literary history is written, Brentano w i l l certainly occupy a preeminent place. Were such a study to appear tomorrow, however, the ranking of this poet i n the hierarchy of epistlers w o u l d be problematical, since the status of his correspondence is still contingent upon t w o variables. The first factor results from the usual predicament that previously unk n o w n and, consequently, unpublished material is constantly coming to l i g h t . 1 4 7 Secondly, there is the question (raised earlier i n another context) concerning the extent of emendation or „ e l i m i n a t i o n " performed by the original editors of the Gesammelte Schriften; personal letters were undoubtedly a very sensitive target area i n which to exercise discretion. A l t h o u g h Horst Rüdiger's remarks i n Über Clemens Brentano als Briefschreiber 148 are presented i n extremely succinct fashion and are not intended as prolegomena for a l l future students of Brentano's correspondence, they do, nevertheless, offer some valuable hints regarding an approach to the problem and suggest a preliminary point of departure for an analysis. Inspired by the appearance of the Brentano-Savigny letters under the title Das unsterbliche Leben i n 1939, Rüdiger contrasts the originality and i n d i v i d u a l i t y manifest i n the correspondence of poets of the post-1750 period w i t h the „unpersönlichen Form der Episteln" which had dominated the practice of letter w r i t i n g up to that time. A t y p i c a l trait of Romanticism (and one cultivated by Brentano) is the penchant to indulge i n a „Feuerwerk des Wortes, das oft i n leere Spielerei m i t Worten umschlägt" (9); another favorite device of this poet and his epoch was to append poems to Brentano was especially fascinated by the castle itself: „Das vergangene Alte ist ihm Hieroglyphe, Mythos, überkommen aus der Zeit, als die Welt nodi jung war und aller Möglichkeiten trächtig" (61). 148 This would encompass a publication such as H e i n z Rölleke's commentary on the zwei bisher ungedruckten Aufsätze Brentanos (satirical barbs at Voß) in the 1968 edition of the Jahrbuch des Freien Deutschen Hochstifts , 283—328 (see footnote 112). 147 For a relatively complete account of the letters which have been discovered thus far, see Werke I , 1253—1254 and 1255—1257. This list can now be augmented by Gerhard Schaub's thoroughly annotated contribution: ,Ein unbekannter Brief Clemens Brentanos', Euphorion 62 (1968), 345—364. 148 Geistige Arbeit 8 (1941), 8: 9—11. Another excellent review and critique of Das unsterbliche Leben is that of Erich Hock in Hochland 41 (1948—1949), 197—200. 10 Literaturwissenschaftliches Jahrbuch, 12. Bd.
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letters i n order to emphasize the „musikalisch-rhythmischen Gehalt des Wortes" (9). The one feature which, according to Rüdiger, singles out Brentano's correspondence f r o m that of thousands of contemporaries is his empathie gift, the a b i l i t y „ d e n T o n auf den Empfänger abzustellen u n d i h m damit den Ausdruck der eigenen Persönlichkeit, ihren Stil, mitzuteilen" (9). 2. Novels a. yGodw? (1801) Whereas A l f r e d Kerr's examination of this novel at the close of the nineteenth century may be out-dated i n details and outmoded i n method, it, together w i t h Paul Böckmann's penetrating study of 1935, provides a well-spring o f ideas f r o m which later generations have d r a w n inspiration. K e r r uncovered many stylistic parallels and thematic kinships between Godwi and earlier European fiction as w e l l as the contemporary German novel; Böckmann opened new interpretative horizons w i t h the application of his theory of „Perspektivismus" to the narrative. Even though the Godwi discussion constitutes only part of Böckmann's study Die roman tische Poesie Brentanos und ihre Grundlagen bei Friedrich Schlegel und Tieck 149, his formulations are so significant that they should be summarized briefly before proceeding to the main body of criticism dealing exclusively w i t h the first major w o r k of the fledgling poet. Böckmann regards the thematic core of the „verwilderter R o m a n " as an „Ergreifen des Selbst" (135), an obvious by-product of Schlegel's predilect i o n for „Selbstgefühl" and „Selbstsicherheit". Since the author is still groping for his o w n identity, for a clearer conception of his o w n „Selbst", so t o speak, he eagerly exposes his fictional protagonists to manifold influences and experiences under the impression that by „losing" himself i n this vicarious manner amidst the „ F ü l l e des Lebens", he w i l l ultimately f i n d himself („das Aufspüren des innersten Selbst i n allen Verwandlungen u n d Vermittlungen") (142). Consequently, w h a t seems on the surface t o be a confusion of literary modes, senseless repetition of data, and careless craftsmanship i n the treatment of the narrative thread, is actually a subtle means t o instill i n the reader an appreciation for the „Brechungsverhältnisse" through which we apprehend events, the diverse „Perspekt i v e n " whereby things transmit themselves to us and through which the „ I " observes and reacts to a given set of circumstances under v a r y i n g psychological, sociological, or emotional conditions. Thus the same factual inci149
Jahrbuch des Freien Deutschen Hochstifts (1934—1935), 56—176.
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dents can be recorded i n prose, verse, dramatic dialogue, or other verbal media, w i t h different shades of meaning and nuance. A n d just as »play" is an essential constituent of the spectrum of existence, so too, does the „Spiel m i t den Vermittlungen" comprise one of the indispensable prerogatives of the writer. A n y phenomenon can be „re-presented" i n a mode which might alter and even destroy our original impression o f its essential nature. I n this manner, Böckmann justifies the raison d'être of the h o t l y disputed „Illusionszerstörung" so prevalent i n the second p a r t of the novel and a literary device about which critical opinion is still divided. This synopsis of Böckmann's major points concerning Godwi should be born i n m i n d while tracing the remaining literature on the novel, for i t w i l l then become evident i n the course of the report, that w h a t E m i l Staiger d i d for Brentano the lyricist i n 1939, Paul Böckmann had already accomplished for Brentano the novelist and prose stylist i n 1935. 1. Thematic Studies of
,Godwi c
The study of the thematic fabric of Godwi w i l l proceed f r o m the general to the specific, f r o m those analyses which attempt to characterize the central idea of the novel, to those treating specific details. I n addition, the discussion w i l l be patterned i n such a w a y , that the independence or interdependence of each interpretation w i t h respect to its predecessors and successors can be determined. H e r m a n n August K o r f f ' s appraisal o f Godwi i n Geist der Goethezeit 150 is basicaly negative, contending that this w o r k represents „fast nur eine Zusammenklitterung aller Elemente des frühromantischen Romans ohne eine andere eigene N o t e " (205). The mitigating adverb „almost" i n this evaluat i o n is reserved for the Violette episode which provides a refreshing respite i n this otherwise „ w i l l k ü r l i c h e n Konglomerat v o n allerlei romanhaften Stoffen" (206). The emphasis on the role played by Eros accounts for the abundance of Korff's provocative categories („Erotische Verwilderung") and catch-words („Romantischer Venusberg", „ D i r n e n r o m a n t i k " ) . The reluctant prostitute Violette, a „ M ä r t y r e r i n der Liebe innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft", is not only accorded the task o f rescuing the „Poesie des Lebens" from the „Staatsmonopol der Ehe" (213), but she also saves the entire w o r k f r o m becoming merely another run-of-the-mill Romantic novel. I n Der Roman der Goethezeit 1S1, Hans Heinrich Borcherdt finds himself i n literal accord w i t h K o r f f and i n spiritual harmony w i t h Böck-
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io*
Leipzig 1940. Quoted here from the second edition of 1949, I I I , 208—214. Urach and Stuttgart 1949, pp. 435—453.
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mann when he assesses the w o r k as a revamping by Brentano of themes and thoughts of his contemporaries, especially as a vindication of Friedrich Schlegel's apodictic pronouncements on artists and their artefacts. According to these theories, for instance, the caprice of the creative artist can tolerate no shackles; therefore, i n complying w i t h another of Schlegel's decrees — n a m l y that obscenity is an integral facet of literature — the author should aspire t o w a r d „das Absolute i n der Wollust u n d Sinnlichkeit" (453). A c cording to Borcherdt, Godwi complies w i t h these dicta to the letter: „dieser komplizierteste aller romantischen Romane baut sich auf der W i l l k ü r des Dichters auf u n d erhebt den Eros zur zentralen Triebkraft alles Geschehens und jeder menschlichen Veranlagung" (453). But i n contrast t o K o r f f , Borcherdt does not reserve an adverbial qualifier of mercy for his final verdict; even though Violette transmutes „die Mignonfigur ins ErotischGeschlechtliche" and transmits the concept of „ D i r n e n r o m a n t i k " to the entire nineteenth century, the shortcomings of the rest of the book reveal that this „genial hingeworfene Jugendwerk" constituted merely a „ T a l e n t probe" signaling not the rise, but the demise of the novel of early German Romanticism (453). W i l h e l m G r e n z m a n n 1 5 2 also seems perplexed by this novel that permits not „werkimmanente L o g i k " because i t possesses no „Baugesetz" and o n l y a „winzigen Handlungskern" (253) which, i n turn, is invalidated by the „ w i t z i g e Einzelkorrekturen" of the second part (256). Grenzmann is almost prepared to concede that the sole merit of the w o r k lies i n such extraneous insertions as the Lore L a y ballad (an example of „moderne Mythenschöpfung") (254) or i n the lyrics („inselhaft schöne Gebilde inmitten wuchernder Formen") (254), when he chances upon the „ r e d thread" which connects the disparate textures — the „ R e d u k t i o n alles Geschaffenen auf das eigene Ich" (260—261). A n d because Brentano, w i t h characteristic aplomb, proclaims this Schlegelian principle „ m i t vollkommener Ausschließlichkeit" (262), this novel has no r i v a l „ a n subjektivistischer Einseitigkeit i n der frühen R o m a n t i k " (261). For Claude D a v i d , a l l paths leading into this labyrinthian maze end i n a b l i n d alley. David's essay on Brentano i n Die deutsche Romantik 153 creates the i n i t i a l impression that prior value judgments of this „Dichter für die Kenner, für die happy few " (159) have entered the stage of trans valuation; but his Godwi interpretation (which forms the major p o r t i o n of the study, since this w o r k is best suited to give us „Zugang zu dem Dichter") (160) does not live up to such great expectations. A l t h o u g h this recalcitrant piece refuses to f i t neatly i n t o any of the standard generic classifications („keine fest umrissene G a t t u n g " ) 152
,Clemens Brentanos Godwi', Études Germaniques 6 (1951), 252—261. ,Clemens Brentano', Die deutsche Romantik (Poetik, Formen und Motive), ed. Hans Steffen, Göttingen 1967, 159—179. 158
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(168), D a v i d proposes the designation „Gegenroman" (168) since the second part so annuls — or annihilates — the first, that the w o r k is one „ i n dem nichts geschieht" (160). Whereas the attempt to place Godwi i n the t r a d i t i o n o f the novel poses problems, the delineation of the character types does n o t : „ m a n hat es", D a v i d notes, „ m i t einer bewußten K o n t r a faktur zu tun, die sich als solche gibt u n d als solche erkannt werden w i l l " (161). Biographical material is tossed i n w i l l y - n i l l y „als Rohstoff" (171), while quasi-philosophic conversations are strewn about i n the manner of „sprunghafte Arabesken, denen man nur m i t Mühe folgen kann, die jeder Schlußfolgerung aus dem Wege gehen und immer nur ihre eigene Zwecklosigkeit u n d W i l l k ü r zu erproben u n d auszukosten suchen" (161). Discussing Brentano's technique of romantic i r o n y i n the novel, D a v i d (or his proofreader) becomes an i n v o l u n t a r y v i c t i m o f this device: Marie, Godwi's mother, is confused w i t h Maria, the author-poet, when D a v i d speaks of G o d w i strolling along w i t h M a r i a and showing „ h e r " ( „ i h r " ) (160) the pond i n t o which he fell i n the first volume. Just as K o r f f had found a redeeming feature o n l y i n Violette and had taken recourse to an „ a l m o s t " i n his blanket indictment of the novel, so D a v i d too admires this flighty, contradictory character and seeks refuge i n a „wahrscheinlich"; alluding to a marked degree of coincidence between the „ G e h a l t " and „Gestalt" i n the portrayal of Violette, he adds: „ i n dieser F r i v o l i t ä t , i n dieser absichtsvollen Verspieltheit findet sich wahrscheinlich die Wurzel seines ganzen Schaffens" (162). T w o other recent studies take a much more positive attitude t o w a r d Godwi. Franz N . Mennemeier's Rückblick auf Brentanos „Godwi". Ein Roman „ohne Tendenz "154 for example, concludes that the novel represents „ein geschichtlich vorausweisender Versuch, i n einem W e r k konkret zu gestalten, was Friedrich Schlegel i n dem bekannten Athenäumsfragment v o n 1798 als Ideal romantischer Poesie überhaupt vorgeschwebt haben mag: ,Die romantische Poesie ist eine progressive Universalpoesie . . . ' " (33). This generous assessment is based on Mennemeier's premise that the w o r k is „ohne Tendenz", that i t does not strive t o w a r d any „realisierbares Z i e l " (24), but rather prefers „eine Höhe, die ewig v o r uns flieht" (24) to the teleological development of the „classical" novel. Consequently, the „Tendenz zur Nicht-Tendenz" (27) manifests itself i n such attributes as the „open" ending, i n characters whose pattern of behavior is b y no means stable or predictable, but constantly evolving, i n a conception of time not as a continuum but as a succession of isolated moments, i n an over-all „Philosophie der Absichtslosigkeit" (27), and finally, i n a „ F o r m spontaner dichterischer Wirklichkeitserfassung als fortschreitende u n d zugleich k o m 154
Wirkendes Wort 16 (1966), 24—33.
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plexe, perspektivisch facettierte Bewegung ohne fixierbares Ende" (25). W i t h o u t wishing to engage i n too much sophistry, one could perhaps t u r n the tables on the critic i n this case and ask: is not the tendency t o w a r d non-tendentiousness itself a tendency? Does not the consciously „antiklassische Komposition des Buches" (33) already betray a bias or reveal a desire to counter and oppose? A n d by whatever name one may choose to call it, a tendency, to paraphrase Gertrud Stein's much quoted remark about the rose, is still a tendency. Benno v o n Wiese's Analyse eines yr omantisch en' Romans155 finds that this novel drives „alle i m Athenäum erhobenen Forderungen über die romantische Poesie bis an die Grenze des Absurden" (247). Refusing to be misled by the subterfuge of „ v e r w i l d e r t " i n the title, v o n Wiese counters: „ D e r Roman ist weit kunstvoller, als Brentanos eigene Angabe vermuten l ä ß t " (192). This contention is undergirded by an examination of sudi devices as the „paradoxe Erzählstruktur" (191 ff.) which, w i t h its „Vexierspiel der Verdoppelung" (199), aims at a „Selbstdarstellung" of the author, a „ K o m p e n d i u m seines I d i " (199) more than a „Weltaneignung". W h i l e not exactly an anti-Entwicklungsroman, this book, v o n Wiese concedes, functions as a „Vorläufer jener Ironisierung des Bildungsromans" (199) which one encounters later i n Kater Murr and Münchhausen. A f t e r a careful investigation of the language of the novel i n its dual capacity of revealing and concealing (whereby i t becomes a linguistic correlative of the poet's o w n dichotomous drive t o w a r d simultaneous „Selbstdarstellung" and „Selbstvernichtung") (203), v o n Wiese traces the ill-fated efforts of Brentano and his fictional counterparts to f i n d surrogates for paradise lost (hedonism, aestheticism, and mysticism as possible means to attain an „ E n t grenzung" of the unique personality i n the midst o f — and i n spite of — the „Begrenzung" imposed by conventional society). This discussion is supplemented by an analysis o f the „wechselseitige Spiegelung" (224) as a phenomenon encompassing the novel's major figures (especially the women) and indicative of their function as „ C h i f f r e n " or „als verweisende Zeichen für jenes unendliche Ganze, das Brentano ,Leben' nennt" (225), and finally by a succinct compilation of „das Romantische" as delineated i n the theoretical formulations o f the poets of the period and subsequently i n the interpretative addenda of critics. From the general tenor o f the above observations, i t is apparent that v o n Wiese, instead of startling the reader w i t h daring conjectures, satisfies the latter's intellectual curiosity w i t h a carefully organized and clearly articulated presentation o f the prevalent schools of thought w i t h regard to this highly controversial w o r k . 155
Von Lessing his Grahhe , Düsseldorf 1968, pp. 191—247.
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T u r n i n g from the broader analyses of the novel to interpretations o f a more specific nature, one discovers that Godwi has been examined as both a sociological study and as an aesthetic manifesto. Illustrative of the i n i t i a l classifications is Fritz Lübbe's book Die Wendung vom Individualismus zur sozialen Gemeinschaft im romantischen Roman1™. The very title of this socialistically oriented and schematically over-simplified treatise indicates its rather slanted approach: G o d w i , i n his vague desire to embrace the cosmic t o t a l i t y , neglects his existential ties w i t h human society. But since even this Romantic dreamer must cope w i t h the realities and responsibilities of social intercourse at some point i n his life, this confrontation inevitably leads to frustration, t o isolation, and blasé cynicism. Under such conditions, love can be of but short duration and assumes „monologischen Charakter* (34). O n l y i n the novel of later Romanticism, i n Eichendorffs Ahnung und Gegenwart (1812) is there an awareness of social consciousness and responsibility. Josef K u n z , d r a w i n g upon the social and political background i n Germany during the late eighteenth and early nineteenth century, treats the novel as a contribution t o „Geistesgeschichte" i n his dissertation bearing the subtitle: Beitrag zur Erkenntnis des Lebensgefühls der Frühromantik 157. K u n z shows h o w the mechanized, departmentalized and, i n essence, de-humanized w o r l d of the „enlightenment" is portrayed by Brentano w i t h satirical ire and set o f f against an idealized realm of unbroken t o t a l i t y , emotional spontaneity, and creative originality. But the fact that the idealized spheres of love and art are eventually debunked b y the poet (especially the death of Maria, which is reported w i t h o u t any element of transfiguration or edification) reveals that the novel is concerned w i t h the crisis of the Romantic ideal, rather than an apotheosis of it. Ever since the appearance of Eugene Reed's article The Union of the Arts in Brentano's ,Godwi' 158 i n 1954, there has been an i n f l u x o f interpretations seeking to isolate and examine the incorporation of the other artistic media i n the novel and to determine their function i n the t o t a l scope of the w o r k . Reed makes the concept of a „Gesamtkunstwerk" the criterion on which to argue the cause o f aesthetic integration over disparity and disunity. H e discovers a conscious effort on the part o f the w r i t e r to „create an aesthetic synthesis" (102) by weaving verse forms, dramatic dialogue, painting, the plastic arts, architecture, music and even an operatic „Singspiel" into the fabric of the prose text. N o judgment is passed on the artistic success o f these synthesizing processes; Reed simply draws our
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Berlin 1931. Clemens Brentanos ,Godwi*, Frankfurt/Main 1947. Germanic Review 29 (1954), 102—118.
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attention to them, hoping thereby, to „ i n some measure acquit Godwi of the traditional charge of formal capriciousness" (117). O f course, the loophole of non-commitment w i t h regard to the merit of such fusions of the media could not long remain open; Reed's insights d i d not gloss over such oversights. I t was evident, for example, that a literary genre such as the novel, i n contradistinction to a Wagnerian opera, remains bound to a single medium of expression and can, therefore, transfer the other art forms and their components o n l y imperfectly — and i n certain cases, merely metaphorically or symbolically — to its particular mode of articulation. Consequently, later critics have come to grips w i t h the problem of the „wechselseitige Erhellung der Künste". Helga Encke, for example, i n Bildsymbolik in ,Godwi' von Clemens Brentano 159 follows i n Reed's footsteps (although the omission of his article f r o m her bibliography suggests that she was unaware of his accomplishments) and concentrates on the t w o plastic figures i n the novel — the statue of Godwi's mother and the monument to Violette. Miss Encke's basic contention is that a unified w o r k of art has at its core a k i n d of coincidentia oppositorum : „ W i e das Wesen des Künstlers", she writes, „gefaßt w i r d i n der D u a l i t ä t v o n Gefühl u n d Intellekt, Seele u n d Geist, so steht audi die Kunst i n der doppelten Teilhabe. D e m absoluten Gefühl entspricht i n dem Kunstwerk jene übersinnliche, transzendente Wesenheit, die einem Absoluten gleichgesetzt w i r d ; dem Intellekt dagegen die äußere Gestalt und der bewußte I n h a l t des jeweiligen Kunstwerks." (105). Interpreted i n this manner then, the first statue is not only a plastic replica of Godwi's mother Marie, but, above and beyond that, a „ S y m b o l der absoluten Liebe" (105). A l t h o u g h this latter quality can only exist outside of the empirical sphere, i t nevertheless subsists i n the w o r k of art. The paintings of the various other women i n v o l v e d i n the life of G o d w i and his father depict i n graduated degrees particular copies of the idealized Platonic F o r m of maternal love latent i n the marble image. The statue of Violette, on the other hand, embodies „die dem ganzen Roman zu Grunde liegende Problematik" (106), that arch-dichotomy of the soul which finds temporary suspension i n madness and permanent resolution only i n death. These portraits which were relegated to a subsidiary status by Helga Encke, are elevated to a position of prominence b y H o r s t Meixner i n Denkstein und Bildersaal in Clemens Brentanos yGodwi' ieo. Since the paintings are discussed i n conjunction w i t h the Romantic „ A l l e g o r i e " , Meixner first sketches Brentano's attitude t o w a r d this art f o r m and its „ V e r weisungscharakter" (443), seeking to d r a w as clear a distinction as possible between it and „ S y m b o l " , „ E m b l e m " , and „Topos". However, since Godwi 159 160
Cologne 1957. Jahrbuch der deutschen Schillergesellschaft
11 (1967), 435—468.
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Is „ein perspektivistischer R o m a n " (440), the allegorical elements inherent i n the portraits and paintings described i n the novel cannot be interpreted on the basis of traditional associations, but rather only w i t h reference to the immediate circumstances and the changing perspective under which they are apprehended through the medium of the author: „ I m Fluchtpunkt jeder Perspektive erscheint eine Spiegelung v o n Brentanos Ich" (441). I n essence, Meixner comes to conclusions about the plastic arts (as presented i n Godwi) similar to those predicated by others for the entire novel. Painf u l l y aware of the „Brüchigkeit der B i l d w e l t " (464) and the „Spannungen zwischen der Gestalt u n d ihrem intendierten Ausdrucksgehalt sowohl bei den imaginären plastischen und malerischen als auch den lyrischen B i l d e r n " (466), the Romantic artist, i n sheer desperation, has recourse to „das Spiel . . . v o n gesetzter u n d aufgehobener I l l u s i o n " (466), or, to use the more familiar cliché, he resorts to romantic irony. Another phase of artistic interchange w i t h regard to the relationship of Godwi t o the sister art of music has received only scant attention. M y article Clemens Brentano's yGodwi {: Variations on the Melos-Eros Theme 1β1, brings the aesthetic elements i n t o p r o x i m i t y w i t h the focal p o i n t o f interest i n the w o r k — the erotic — by illustrating h o w music description, musical imagery, and musical metaphor are linked w i t h the various love affairs of the central figures i n the novel. 2. Studies of Form , Style and Structure
in
,Godwi (
As indicated earlier, matters of „ G e h a l t " and „Gestalt" do not lend themselves to neatly categorized discussions, but are interwoven and tend to intermingle. A l t h o u g h the previous pages on Godwi sought — albeit artificially — to isolate general and specific thematic studies, the topic was so amorphous that questions of structure and style inevitably intervened. B y the same token, a similar phenomenon w i l l be observed when elements essentially „ a l i e n " to content are treated. I n g r i d Becker, for example, i n her dissertation Morphologische Interpretation von Brentanos ,Godwi m2 traces the interplay and interaction between „content" and „ f o r m " i n order to determine the fundamental „Bildungsgesetz" which makes possible a „Synthese v o n rationaler Erkenntnis u n d sinnlicher Anschauung" (3). The justification for the application of „morphologische Dichtungskunde" (5) to this novel is based on the thematic similarity of a number of „prägnanten Fällen" i n which Miss Becker discovers metamor-
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Germanic Review 42 (1967), 108—123. Bonn 1949.
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phoses of a single, central situation: the „Begegnung des jungen Menschen m i t der Welt, speziell m i t anderen Menschen" (105). The loose threads of the p l o t are neatly tied together i n the novel by M a r i a i n his dual capacity as reporter and participant i n the events related: „die Begegnung des jugendlichen Menschen m i t anderen Menschen, weitergefaßt: m i t der W e l t überhaupt — das w i r d i n Gestalt u n d Erleben Marias, gespiegelt i n seinem ,Roman i m Roman' noch einmal als übergreifende Idee deutlich" (110). Due to Maria's y o u t h f u l enthusiasm and immature erraticism („ungefestigten Einstellung") (110), incongruities are introduced i n t o w h a t is normally the „oberste heuristische P r i n z i p " (12) of prose fiction — namely, the delicate balance between „Erzählzeit" (the time span required to report — or read — about the events which transpire) and „erzählter Z e i t " (the time span i n which the fictional incidents reported „ t a k e p l a c e " ) 1 6 3 . W h e n an inexperienced author such as M a r i a takes i t upon himself to present a narrative which involves the destinies of a number of distinct individuals i n their simultaneous and heterogeneous development, his depiction must of necessity be inept, disjointed, and rough-hewn, revealing „ w e n i g durchgeformten A u f b a u " (62). I n addition, M a r i a — Brentano is not entirely impartial, giving certain scenes „Bedeutungsakzente" (7) by means of variation i n the narrative tempo, interrupting „ i n a d v e r t e n t l y " the smooth f l o w of chronology and continuity w i t h an entire repertoire of devices (juxtaposition of the normal sequence of events, jarring dissonance i n the tone, alternation between concise report and extensive detail, desultory use of verb tenses, intrusion of the frame i n t o the framed story, the interpolat i o n of expository essay passages, the dissolution of prose narration i n t o lyric effusion, and f i n a l l y , the presentation of the same subject matter f r o m different vantage points or i n different media). The aim of this complex set of variables may be a shift i n emphasis f r o m the event itself to the reaction of the observer to that event; or, conversely, the purpose behind the i n d i v i d u a l metamorphoses of a single incident might be to lay stress on the „Urverwandtschaft menschlicher Situationen" (12). A stylistic analysis of Godwi somewhat less comprehensive i n scope but quite informative and provocative is Johannes Pradel's Studien zum Prosastil Clemens Brentanos iU. O n the basis of a close examination of the first f i f t y pages of the novel, Pradel undertakes a „Herauskristallisieren
188 The writer acknowledges her debt to Günther Müller's publications for the basic theses of her dissertation. References to his study Die Bedeutung der Zeit in der Erzählkunst y Bonn 1947, is especially frequent. 164 Breslau 1939. A t this point, only the Godwi section of this dissertation w i l l be examined. The parts of Pradel's book dealing w i t h the fairy tales and the prose religious writings w i l l be included under the appropriate subsection of the report.
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der für die Physiognomie des Stil-Ganzen konstitutiven Grundwerte" (8); the result of this critical chemistry is the isolation of t w o basic elements — „ S t i l des autonomen Ich" and a „spontanen F o r m w i l l e n " (18) — even though Pradel confesses that the novel is ten times as long as his controlled sample and is characterized by a „stilistische Vielheit". One facet of the „ S t i l des autonomen Ich" which Pradel investigates i n detail involves the distinction that Schiller made between „musikalischer Dichtung" (for which term Pradel w o u l d substitute „stimmungserregend") and „plastischer Dicht u n g " (which becomes „anschaulich") (84). Godwi w o u l d f i t p r i m a r i l y i n t o the first category, since „der Gegenstand schlechthin i n seiner objektiven Gegebenheit" (83) is not the matter o f basic concern, but rather its „subjektive Spiegelung i m Gefühl u n d i n der Phantasie des Schreibers" (83). Reducing the situation to PradePs formulae, the „Stimmungsmäßige" outweighs the „Anschauliche", and, consequently, a l l poetic means possible (metaphor, synaesthesia, tone configurations and clusters, verbal dynamics, etc.) are called upon to heighten the emotional quality. Such a technique does not serve „der Sache selbst" b u t rather „einem selbst-herrlich-bindungslosen Subjektivismus" (47). A general aura of restlessness pervades this prose — a preponderance of verbs creates the impression of dynamic movement (whereas nouns and adverbs tend towards a feeling o f static repose), there is the animation of lifeless objects, the discomfort and disorientation of the reader caused by the juxtaposition of imagery gleaned from unrelated spheres of a c t i v i t y or thought — a l l o f which grate on the aesthetic sensibility o f the reader and remind h i m of the „seelische Zerrissenheit u n d Zwiespältigkeit" (60) of the writer w h o conceived the w o r k . Even the syntactical structure o f i n d i v i d u a l sentences contributes to the over-all tension by employing convoluted w o r d order, hypotaxis rather than parataxis, and calculated delay — the w i t h h o l d i n g of elements necessary for the f u l l comprehension of the meaning o f a phrase, sentence, or even paragraph. This latter feature is not, as w i t h Kleist or H ö l d e r l i n , a manifestation of „ W i l l e n s d y n a m i k " , but rather of „haltlose Unstetigkeiti des Gefühls" and hence its effect is more „capriccioso" than „furioso" (64). I n its predominant „Uneinheitlichkeit der Sprachform", therefore, this genial but u n r u l y product of Brentano's y o u t h contrasts markedly w i t h the „Gegenständlichkeitstendenz" and „Sachdienlichkeit" that characterize the religious writings of his mature years 1 ® 5 .
165 PradePs discussion of Godwi as well as the religious works is based on a careful fusion of the principles gleaned from Wilhelm Schneider's Ausdrudksweise der deutschen Sprache , Berlin 1931, Eva TiegePs Das Musikalische in der roman iwc&e» Prosa , Erlangen 1934, and Franz Röckmann's examination of the Bittere Leiden (See footnote 49).
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I n recent criticism, an interesting battle has been waged concerning the term „romantic i r o n y " and its applicability t o Godwi. Whereas I n g r i d Strohschneider-Kohrs alludes to the w o r k i n her monograph Die romantische Ironie in Theorie und Gestaltung 166 using the standard phraseology (reminiscent of K e r r and Käte Friedemann) 1 6 7 „ I r o n i e des aus dem Stück Fallens", „Zerstörung v o n Stimmung", „Tendenz zur Desillusionierung", „ T ö t u n g der Suggestion", or „ D e s t r u k t i o n v o n Gehalt u n d F o r m " , she nevertheless concludes that this particular w o r k does not embody „eine der romantischen Theorie entsprechende Ausprägung v o n I r o n i e " (34). Bernhard Heimrich i n his analysis o f Fiktion und Fiktionsironie in Theorie und Didotung der deutschen Romantik 168 finds that the „fiktionsironische E f f e k t " (exemplified by the standard Sternian „Bruch der f i k t i o n a l einsinnigen H a l t u n g des Erzählers dem Erzählten gegenüber", whereby the „ W i r k l i c h keitscharakter" of the „facts" reported are relativized and relegated to a t w i l i g h t zone located somewhere between versonnener* u n d »historischer' W i r k l i c h k e i t " ) (81) is itself nothing but a fiction. I n the case of Brentano, the intention is not the „Relativierung" of the fictional situation, but rather a „Bekräftigung" of i t (80). This „romantische M o d i f i k a t i o n " of the established t r a d i t i o n of the „Fiktionsironie" by means of a „direkte Umkehrung des fiktionsironischen Ansatzes" (81) is the point where Godwi goes beyond the novel genre as i t was practiced by Brentano's contemporaries (Jean Paul et al.). One general trend i n modern criticism is the tendency t o concentrate attention and interpretation on smaller areas — i n d i v i d u a l lyrics, selected passages of larger works — i n the hope that an inductive approach to a restricted sphere w i l l open vistas of understanding for the t o t a l i t y . This method is applied b y Christa Hunscha i n her essay Stilzwang und Wirklichkeit. Zu Brentanos ,