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German Pages 423 [354] Year 1980
Literarisches Leben
Literatur und Gesellschaft Herausgegeben von der Akademie der Wissenschaften der DDR Zentralinstitut für Literaturgeschichte
Literarisches Leben in der DDR 1945 bis 1960 Literaturkon\epte und Leseprogramme von einem Autorenkollektiv Ingeborg Münz-Koenen (Leitung) Therese Hörnigk Gudrun Klatt Leonore Krenzlin Ursula Reinhold
Akademie-Verlag • Berlin T979
Erschienen im Akademie-Verlag, DDR-108 Berlin, Leipziger Str. 3—4 © Akademie-Verlag Berlin 1979 Lizenznummer: 202/145/79 Gesamtherstellung: IV/2/14 VEB Druckerei »Gottfried Wilhelm Leibniz«, 445 Gräfenhainichen/DDR • 5313 Bestellnummer: 753 645 1 (2150/67) • LSV 8011 Printed in GDR DDR 1 1 , - M
Inhalt
Einleitung
Ingeborg
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Münz-Koenen
Literaturverhältnisse und literarische Öffentlichkeit 1945 bis 1949
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Ursula Reinhold Humanismus und Realismus in der Diskussion (1945 bis 1949)
Leonore
Krenzlin
Theoretische Diskussionen und praktisches Bemühen um die Neubestimmung der Funktion der Literatur an der Wende der fünfziger Jahre
Therese
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Hörnigk
Die erste Bitterfelder Konferenz. Programm und Praxis der sozialistischen Kulturrevolution am Ende der Übergangsperiode
196
Gudrun Klatt Proletarisch-revolutionäres Erbe als Angebot. Vom Umgang mit Erfahrungen proletarisch-revolutionärer Kunst während der Übergangsperiode
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Anmerkungen
293
Personenregister
340
Zu den Autoren
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Einleitung
•Wenn die Werke von Willi Bredel, Hans Marchwitza und Friedrich W o l f , von Kuba, Louis Fürnberg und Otto Gotsche aus den vierziger un,d fünfziger Jahren kaum noch auf das spontane Interesse heutiger Leser stoßen, wenn Schüler und Studenten nur widerstrebend nach der Pflichtlektüre aus der frühen DDR-Literatur greifen, wenn selbst eine Gestalt wie Brecht vom Klassikertod bedroht ist, wenn schließlich renommierte DDR-Autoren Unbehagen angesichts ihrer literarischen Erstlinge empfinden, so deutet das auf ein problematisches Verhältnis zur eigenen Vergangenheit hin. Bedenklich daran ist nicht der - eigentlich normale - Vorgang des Aussonderns aus dem Fundus literarischer Überlieferungen oder des In-Frage-Stellens erreichter Positionen, sondern die Gleichgültigkeit gegenüber der eigenen Geschichte, die sich hinter der Geste bloßer Abwehr verbirgt. Denkbar wäre auch ein anderes Verhalten: der interessierte Rückblick auf jene literarischen Versuche, die - ob sie nun Produktionsroman, Aufbaulyrik, Bitterfelder Weg oder didaktisches Theater hießen - den Aufbruch in ein neues Zeitalter dokumentierten, die in Gewinn und Verlust die schwierigen und mitunter verschlungenen Wege beim Erschließen literarischen Neulands sichtbar machten. Der Blickwechsel auf die literarischen Anfänge, der sich vorläufig in der Negativbilanz oder in deren Korrektur ausdrückt, verlangt eine Neubewertung: Die nunmehr jahrzehntelange Distanz muß nicht verleugnet, sondern für die Gewinnung neuer Maßstäbe nutzbar gemacht werden. Ein tieferes Geschichtsverständnis setzt das Bewußtsein voraus, daß die Werke der ersten zwei Jahrzehnte keine Gegenwartsliteratur mehr sind, daß sie heute unter anderen Bedingungen gelesen werden als zu ihrer Entstehungszeit. Die Distanz zwischen Entstehungs- und Wirkungsgeschichte, die für jedes Traditionsverhältnis gilt, ist nunmehr auch für unser eigenes Erbe zu akzeptieren. Die zuständigen Institutionen, darunter Literaturwissenschaft und
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Literaturkritik, stehen vor der Aufgabe, eine Leseart zu entwickeln, die der Vermittlung dieses Erbes dienlich ist. Der literaturhistorischen Forschung kommt dabei zugute, daß sie sich - wie auch die Literatur in einer Umbruchphase befindet, in der zwei Erneuerungstendenzen zusammenkommen: der Gewinn einer größeren Souveränität der eigenen Vergangenheit gegenüber; das Abstreifen des Anscheins von der Geläufigkeit und Selbstverständlichkeit unseres Geschichtsbildes in allen historischen Disziplinen trifft sich mit dem Erkenntnisfortschritt auf dem Gebiet der Literaturtheorie und Ästhetik und dessen Einfluß auf die historische Forschung. Die Geschichtsschreibung auf verschiedenen Gebieten hat es verstanden, vorliegende Ergebnisse kritisch zu überprüfen, frühere Urteile zu korrigieren und sich selbst in einem Prozeß fortdauernder Entwicklung zu begreifen. Der Anschein von Exterritorialität, der den absoluten und abschließenden Urteilen anhaftete, wurde zugunsten einer offeneren, zugleich aber auch beteiligteren Haltung aufgegeben. Der Übergang von normativen zu historisierenden Methoden und Kriterien kennzeichnet auch die Literaturwissenschaft in den siebziger Jahren. Die Forschungen zur Geschichte der DDR-Literatrur haben davon profitiert. An die Stelle voreiliger Systematisierungsversuche sind präzisere Analysen getreten. Der scheinbare Rückzug auf Einzelstudien und Detailuntersuchungen, das Abstecken festumrissener Problemfelder, hat neben dem Aspekt- und Materialgewinn den Wechsel der Blickrichtung verdeutlicht: Nach der Bilanz hat wieder eine Phase der Erkundung, der erneuten Befragung der Geschichte begonnen. Nicht zufällig dominieren dabei Untersuchungen zum Traditions- und Erbeverhältnis in der DDR-Literatur. Davon zeugen die Bände Schriftsteller und literarisches Erbe und Erworbene Tradition sowie die Aufsatzfolge Der Realismus-Streit um Brecht von Werner Mittenzwei. 1 Auffällig ist hierbei, daß das Praxisverhalten der Literaturwissenschaft selbst thematisiert wird, daß die Verfasser ihre Ansichten bewußt in den unabgeschlossenen Prozeß gegenwärtiger Entwicklung stellen und als Diskussionsbeiträge formulieren. Charakteristisch ist weiterhin, daß die nationale und internationale sozialistische Literatur der Vergangenheit als Traditionsfeld der DDR-Literatur deutlich akzentuiert wird, daß zugleich aber die mitunter harten Konfrontationen zwischen literarischem Programm und geschichtlicher Realität nicht ausgespart bleiben. Die Aneignung des sozialistischen Erbes nach 1945 wird auch als Prozeß des Ringens um dieses Erbe sichtbar.
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Demgegenüber bildet die DDR-Literatur der sechziger und siebziger Jahre bereits einen eigenen Forschungsgegenstand. Genannt seien hier Literatur und Geschichtsbewußtsein, der Studienband von Hans und Eva Kaufmann Erwartung und Angebot und Dieter Schönstedts Aufsatz Prozeß der Selbstverständigung.2 Die Zäsur, die alle Autoren Anfang bis Mitte der sechziger Jahre setzen, verweist auf das erwähnte Problem einer inneren Periodisierung der DDR-Literatur. Hier mag der Hinweis genügen, daß der Einschnitt nicht - wie z. B. bei der literaturgeschichtlichen Gesamtdarstellung 3 - aus der Periodisierung der DDR-Geschichte in Übergangsperiode und entwickelte sozialistische Gesellschaft abgeleitet, sondern aus der Besichtigung der Literatur selbst gewonnen wird. Die Frage, warum Gesellschaftsgeschichte und Literaturgeschichte einander in ihren Entwicklungsstadien so deutlich entsprechen, ist auch ein Problem des vorliegenden Bandes, und deshalb ist die Übereinstimmung der Resultate angesichts unterschiedlicher Blickrichtungen aufschlußreich: Ob von Schaffensproblemen der Schriftsteller, von Vorgängen gesellschaftlicher Bewußtseinsbildung oder von literarischen Kommunikationsprozessen ausgegangen wird - in jedem Fall bestätigt sich der Wendepunkt in den ersten sechziger Jahren. Wenn von der schärferen Profilierung der DDR-Forschung in den letzten Jahren die Rede ist, so darf die wichtigste Neuerscheinung auf literaturhistorischem Gebiet nicht unerwähnt bleiben: die umfassende und repräsentative Literaturgeschichte der DDR, 4, mit der erstmalig aus marxistischer Sicht ein Überblick über den gesamten Literaturprozeß gegeben wird. Der Band 11 der Geschichte der deutschen Literatur bietet eine Zusammenschau von Zeitgeschichte und Literaturgeschichte, von Gattungs- und Individualentwicklungen, legt eine Vielzahl von Werkanalysen vor, verweist auf weltliterarische Bezüge und vermittelt somit eine umfassende Information über den Werdegang der DDR-Literatur. Darin unterscheidet sie sich - mit allen Vor- und Nachteilen - von Einzeluntersuchungen, die immer nur Teilfunktionen erfüllen können. Nur eine literaturgeschichtliche Gesamtdarstellung ermöglicht, den Ort eines literarischen Werkes im Schnittpunkt historischer Längs- und systematischer Querverbindungen zu bestimmen oder den Platz eines Schriftstellers aus dem Gesamtzusammenhang gesellschaftlicher und literarischer Entwicklungsfaktoren zu erklären. Unter den vielen Funktionen, die eine Literaturgeschichte zu erfüllen hat, ist ihr Wert für die literaturwissenschaftliche Forschung nur 9
einer unter anderen. Sie bildet - unabhängig davon, ob alle Aussagen im einzelnen übernehmbar sind - das Fundament, auf dem die folgenden Arbeiten aufbauen und auf das sie sich, zustimmend oder ablehnend, beziehen können. Sie ist auch insofern ein Markierungspunkt, als sie Funktion und Aussagewert der vorangegangenen und der nachfolgenden Einzeluntersuchungen beeinflußt. Solange die Gesamtdarstellung nicht vorlag, galten diese - gewollt oder ungewollt - als eine Art Ersatz für die Literaturgeschichte. Die fehlende Gesamtübersicht begünstigte nicht nur die Gefahr von Fehlurteilen - noch gravierender war der Umstand, daß jede Teildarstellung eine Repräsentanz erhielt, die sie ihrem Inhalt und ihrer Intention nach gar nicht beanspruchen konnte oder wollte. Wie alle wissenschaftlichen Arbeiten ist auch die Geschichte der DDR-Literatur Produkt einer historisch fixierbaren Forschungsphase. Einerseits kam die souveränere und differenziertere Sicht aus den siebziger Jahren der Bilanz zugute, andererseits war das Problem zu bewältigen, daß die Neuansätze in der historischen und theoretischen Forschung (auch in den angrenzenden gesellschafts- und kunstwissenschaftlichen Disziplinen) gleichzeitig und parallel dazu verliefen. Die ersten Ergebnisse lagen zu einem Zeitpunkt vor, als sie für die Konzeptionsbildung und die Wertung im einzelnen nicht mehr umsetzbar waren. Dies mag eine Ursache dafür sein, daß der Band beim Erscheinen in einigen Punkten durch die disziplinare Forschung bereits überholt schien oder daß Bedürfnisse - etwa nach stärkerer Beachtung der Spezifik literarischen Schaffens - angemeldet wurden, die einige Jahre zuvor noch gar nicht in dem Maße artikuliert worden waren. Gerade auf diesem Gebiet war in der Zwischenzeit, vielfach in Abgrenzung zur „akademischen" Germanistik, eine relativ große Anzahl von Kompendien erschienen, in denen Schriftsteller, Kritiker und Wissenschaftler - oft im Dialog oder Meinungsstreit Probleme literarischer Produktion erörtert hatten. 5 Ähnliches trifft für die noch unvollkommene Bewältigung der Vermittlungen zwischen gesellschaftlichem und literarischem Prozeß zu. Literarische Praxis erscheint oft als bloßer Nachvollzug ideologischer Leitlinien oder Erfüllung kulturpolitischer Programme; die Analyse literarischer Werke gerät mitunter zur Geschichtsillustration, weil der Widerspiegelungsbegriff mechanisch gehandhabt wird. Eine der genannten Erneuerungstendenzen betraf aber gerade literaturtheoretische Überlegungen, die ein grundsätzlich neues Verständnis von Literaturgeschichte eröffneten. Die Auffassung von Literatur als einem gesell10
schaftlichen Verhältnis zwischen Produzenten und Rezipienten, vom literarischen Werk als Gegenstand einer poetischen Kommunikation, das Befragen des FunktionsbegrifTs auf seine Relevanz für Literaturgeschichte, vermittelte wesentliche Impulse für die Klärung der Beziehungen zwischen Literatur und Wirklichkeit, Werk und Literaturprozeß, zwischen literarischer Produktion und Wirkung. 6 Die Verbindung von genetischer und funktionaler Methode wurde beim Erforschen literarischer Prozesse - etwa der Renaissance, Aufklärung und des deutschen Vormärz - erprobt. Stimulierend für die historische wie auch für die theoretische Forschung in den siebziger Jahren war die größere Aktivität der Gesellschaftswissenschaften in der Auseinandersetzung mit der bürgerlichen Ideologie, die auf das veränderte Kräfteverhältnis im internationalen Klassenkampf reagierte. Auch das Verhalten der bürgerlichen Forschung gegenüber der DDR-Literatur hatte sich augenfällig verändert; in der B R D z. B. begann sich zu dieser Zeit eine Tendenz durchzusetzen, die allgemein mit dem Stichwort „systemimmanente Betrachtungsweise" umschrieben wird. Es ist der Versuch, die D D R Literatur aus ihren eigenen gesellschaftlichen und historischen Voraussetzungen zu erklären. Gegenüber der bis in d i e sechziger Jahre vorherrschenden „gesamtdeutschen" Konzeption verlor der Vergleich mit der bundesdeutschen Literatur an Bedeutung, der DDR-Literatur wurde künstlerische Eigenständigkeit konzidiert; man gab zumindest vor, sie an ihrem eigenen Anspruch zu messen. Dem Eingeständnis, die BRD-Germanistik habe seit ihrem Bestehen „nicht zur Erforschung der Grundlagen der DDR-Literatur angesetzt" 7 , folgte die Hinwendung zu den vorher wenig beachteten Funktionsproblemen sozialistischer Literatur sowie eine intensivere Beschäftigung mit DDR-Geschichte. 8 Ein eigentümlicher Widerspruch ist bei der Mehrzahl dieser Versuche - vor allem von jungen Hochschulgermanisten zu beobachten: Es ist die Faszination von einer Literatur, die einen Gegenentwurf zu Isolation, Realitätsverlust und politischer Folgenlosigkeit bietet, die Absage an bürgerliche Literaturideologie und Wissenschaftsmethodik, das Interesse an geschichtlichen Zusammenhängen und Funktionsfragen auf der einen Seite und die partielle bis vollständige Reproduktion überkommener Theoreme, wenn das Ideal einer sozialistischen Literatur scheinbar an der konkreten gesellschaftlichen Praxis scheitert. DDR-Literatur wird zwar als eigener Gegenstand begriffen, aber zum großen Teil noch über das bürgerliche Funktionsverständnis erschlossen. So ist dieser Ansatz tenden-
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ziell offen für neue Konzepte einer einheitlichen deutschen Literatur, wie sie in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre wieder angeboten werden. Die Anerkennung der unterschiedlichen sozialen Voraussetzungen wird hier als Beweis ihrer Bedeutungslosigkeit gebraucht angesichts scheinbar übergreifender Phänomene wie dem Bewußtsein künstlerischer Ohnmacht gegenüber der Omnipotenz verfestigter und verhärteter gesellschaftlicher Ordnungen. Der skizzierte Überblick deutet an, worauf die vorliegenden Studien abzielen: E s geht zunächst darum, ein Umfeld literaturhistorischer Forschung abzustecken, das den Blick auf die Bedingungen literarischer Produktion und Rezeption in der Periode des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus in der D D R freigibt - um mehr nicht. Neue Maßstäbe zur Beurteilung der frühen DDR-Literatur zu gewinnen ist dabei gewissermaßen das Fernziel - der Band ist nicht auf Werkanalyse hin konzipiert. Dieser Mangel wurde bewußt in Kauf genommen, um den Voraussetzungen für das Finden angemessener Kriterien konzentrierter - wenn auch nicht in umfassender Weise - nachgehen zu können. A m dringlichsten stellte sich das Problem der Historisierung kulturpolitischer, ideologischer, materieller und literaturtheoretischer Probleme der Übergangsperiode. D i e Rückführung der den Literaturprozeß beeinflussenden Faktoren in ihr geschichtliches Bezugssystem wurde von verschiedenen Punkten her in Angriff genommen, die auch in der Summierung noch längst keinen geschlossenen Überblick ergeben. Bei der Wahl der Themen wurden auch unterschiedliche Erkenntnisinteressen der einzelnen Autoren berücksichtigt. 9 * In jedem Fall ging es jedoch darum, jene Schnittpunkte von Literatur und Geschichte ausfindig zu machen, an denen das literarische Leben neue Impulse erhielt, wo Fortschritt nicht als einfaches Fortschreiten, sondern als Umschlag in eine neue Qualität deutlich wurde. Um den experimentellen Charakter des Bandes hervorzuheben und auf Diskussionsmöglichkeiten hinzuweisen, soll der Gang unserer Überlegungen im folgenden in einigen wesentlichen Punkten nachgezeichnet werden. Zunächst zur Frage, warum die DDR-Literatur - ein Teil der sozialistischen Literaturentwicklung - als gesonderter Gegenstand * Ziffern, die auf Sachanmerkungen hinweisen, werden durch einen Stern gekennzeichnet.
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untersucht wird und warum die Beschränkung auf die Literatur der Übergangsperiode vorgenommen wurde. Wir betrachten die Entstehung und Entfaltung der DDR-Literatur als exemplarisch für eine bestimmte Entwicklungsetappe sozialistischer Literatur in der Geschichte. E s ist jene Phase, in der sich die sozialistische Literaturbewegung, die mit dem revolutionären Kampf der Arbeiterklasse und ihrer Verbündeten entstanden ist, zur Literatur eines sozialistischen Staates formiert. Der Begriff der sozialistischen Nationalliteratur der D D R bezeichnet jene historisch neuartige Beschaffenheit, die sozialistische Literatur als Literatur einer sozialistischen Gesellschaft annimmt. Insofern ist sie ihrem Wesen nach internationalistisch, da sie sich durch den bewußt eingenommenen Klassenstandpunkt konstituiert. D i e Entwicklung der DDR-Literatur unterliegt nicht nur den allgemeinen historischen Bedingungen gesellschaftlicher Umwälzung in der Epoche des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus, von der jede Literatur in unserer Zeit geprägt ist. Als Literatur in der sozialistischen Gesellschaft findet und realisiert sie vielmehr ihre Rolle innerhalb der r e a l e n geschichtlichen Bewegung zum Sozialismus/Kommunismus hin. Sie verhält sich zum Sozialismus als Menschheitsperspektive nicht wie zu einem idealen Entwurf, einem unerfüllten Zukunftstraum, sondern nimmt als Organ der Gesellschaft an dessen wirklicher Gestaltung teil, ohne die Hoffnungen und Wünsche zu verbergen, die sich nun einmal mit dem Aufbau der menschenwürdigsten Ordnung in der Geschichte verbinden. Zentrales Anliegen der Beiträge ist deshalb die Analyse der Herausbildung und Realisierung der gesellschaftlichen F u n k t i o n einer solchen Literatur. D i e Autoren gehen davon aus, daß Funktion nicht gleichbedeutend ist mit dem formulierten gesellschaftlichen Auftrag, mit der Funktionssetzung. Diese ist das subjektive Moment, das die Rolle der Literatur artikuliert, das sich aber auch in Widerspruch zu ihrer objektiven Funktion in der Geschichte oder zu ihren Möglichkeiten als Literatur befinden kann. Funktion der Literatur reduziert sich damit nicht auf die ideologische, in bezug auf die Realität abgeleitete Seite des Funktionsbegriffs, sondern bezeichnet die Stellung der Literatur innerhalb der sie umgebenden Verhältnisse. D i e Formulierung des gesellschaftlichen Auftrags an die Literatur wird demgegenüber als ein Problem der ideellen (institutionellen, organisatorischen) Vermittlungen zwischen den Veränderungen an der Basis und den darauf bezogenen Bewußtseinsprozessen verstanden. Daher 13
wird die Entwicklung der Literatur nicht als Realisierung einer vorgegebenen Funktion begriffen, sondern als Vorgang der Funktionsfindung und -erprobung unter historisch neuartigen Bedingungen. Es geht also um das tatsächliche Funktionieren der Literatur in dem angegebenen Zeitraum - ein Vorgang, der nach dreißigjähriger D D R Geschichte bilanzierbar und in seinen tatsächlichen Resultaten bewertbar geworden ist. Es ist sicher kein Zufall, daß die Auffassung von der gesellschaftlichen Funktion der Literatur zu einem der größten Streitpunkte mit der bürgerlichen Literaturwissenschaft geworden ist. Hier verläuft z. Z. die Grenze zwischen einem dialektisch-materialistischen und einem „kritisch-marxistischen" Standpunkt. Zwar wird von den linken" Theoretikern auch die Möglichkeit einer auf revolutionäre Veränderung hinzielenden Literatur begrüßt, doch trennen sich die Meinungen sofort, wenn es um die realgeschichtliche Verwirklichung geht. Die Kritik wird mit Vorliebe im Namen eines „besseren" sozialistischen Literaturkonzepts (meist mit Berufung auf Brecht) vorgebracht, wobei die Herausbildung der sozialistischen Literaturfunktion nicht als ein noch unerprobtes Feld ihrer Durchsetzung unter jeweils konkreten historischen Bedingungen erkannt wird. Funktionsmodelle werden primär von Vorstellungen einzelner Autoren abgeleitet, objektive historische Erfordernisse bleiben entweder unberücksichtigt, oder sie führen zur Spekulation mit den Möglichkeiten der Geschichte. Es wird vorausgesetzt, daß es d i e sozialistische Literaturfunktion gäbe, die einer revolutionären Politik entspräche, und in ihrem Namen wird die DDR-Literaturgeschichte am Ende wieder in einen Kampf fraktionistischer Gruppen aufgelöst, bei denen die Gemeinsamkeit der historischen Aufgabenstellung untergeht. 10 In der sozialistischen Gesellschaft wird aber gerade das Praxisverhalten der Literatur - ob in Übereinstimmung oder in Korrektur programmatischer Entwürfe - zu einer ihrer Existenzbedingungen. Historisch neuartig - und deshalb aus bürgerlicher Sicht nicht mehr zu verstehen - ist die Organisiertheit des Zusammenhangs von sozialer Bewegung und Literatur, die erst die Abschaffung kapitalistischer Literaturverhältnisse und die Absage an die illusionäre Autonomie literarischer Produkte ermöglicht. Neu ist - vor allem in der Phase des Errichtens der Diktatur des Proletariats - die Unterstellung der Literatur unter die politische Organisation zum Zweck der Zusammenfassung aller gesellschaftsverändernden Kräfte. Die Beziehung der Literatur zur Wirklichkeit ist dadurch geprägt, erkennbar 14
im Bevorzugen pädagogisch wirksamer, der Publizistik nahestehender Formen, aber auch im Rückgriff auf jene literarischen Muster, die durch leichte Verständlichkeit einem breiteren Publikum den Zugang zum Bücherlesen erleichtern oder auch erstmals eröffnen. Die Literatur bindet sich dabei in stärkerem Maße als früher (oder später) an die Wissenschaften, die gesellschaftliche Vorgänge durchschaubar machen, und die Literaturtheorie formiert sich in enger Anlehnung an die Methoden philosophischer Erkenntnis. Angesichts dieser und weiterer Besonderheiten legten sich die Autoren die Frage vor, ob es sich bei der Literatur der Übergangsperiode um eine Literatur mit eigenem „Begründungszusammenhang" handelt, d. h., ob Produktion, Verbreitung und Rezeption der Literatur historisch eigenen Bedingungen unterliegen. Dazu mußte zunächst die Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus in der D D R inhaltlich näher erkundet werden. Häufigen Anlaß zum Mißverständnis gab dabei schon die Nähe zum Begriff der Übergangse p o c h e. Während Übergangsepoche den Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus i m W e l t m a ß s t a b bezeichnet, ist die Übergangs p e r i o d e eine Etappe innerhalb der nationalgeschichtlichen Entwicklung sozialistischer Staaten, die vom Zerschlagen der kapitalistischen Ordnung bis zum Sieg der sozialistischen Produktionsverhältnisse reicht. Für die D D R und die europäischen Volksdemokratien ist das die Zeit von 1945 bis zum Beginn der sechziger Jahre. Die Relation zwischen Übergangsepoche und Übergangsperiode ist also bedingt durch die Ungleichzeitigkeit der gesellschaftlichen Entwicklung im Kapitalismus einschließlich der herangereiften Bedingungen zu ihrer revolutionären Veränderung, die Lenin als eine Gesetzmäßigkeit der sozialistischen Revolution aufgedeckt hat. Die Dauer der Übergangsperiode ergibt sich aus den konkreten geschichtlichen Umständen bei der Durchführung der sozialistischen Revolution nach 1945. Hierzu hat die Geschichtswissenschaft in den siebziger Jahren wichtige neue Ergebnisse vorgelegt, die unserer Analyse der literarischen Prozesse zugrunde lagen. Das betrifft vor allem die Erkenntnis von Gesetzmäßigkeiten der volksdemokratischen Revolutionen nach 1945 als eines historisch neuartigen Revolutionstyps einschließlich des Nachweises, daß antifaschistisch-demokratische und sozialistische Umwälzung in einem einheitlichen revolutionären Prozeß verliefen, der sich über einen längeren Zeitraum erstreckte. Übergangsperiode und einheitlicher revolutionärer Prozeß sind demnach „zwei Begriffe, die dieselbe Entwicklung aus unter15
schiedlicher Sicht bezeichnen" 11 . Der Vergleich mit der früher vorherrschenden Theorie von zwei aufeinanderfolgenden Revolutionen einer demokratischen und einer sozialistischen - ist z. B. außerordentlich aufschlußreich für die unterschiedliche Bewertung der Literaturfunktion im geschichtlichen Selbstverständnis der damaligen Kulturpolitik auf der einen und im bilanzierenden Rückblick auf der anderen Seite. E r macht deutlich, daß eine historisch-materialistische Funktionsanalyse keine theoretische Spekulation ist, sondern Literaturwissenschaft und literaturgeschichtliche Realität tatsächlich einander näherbringt. Nächster Schritt bei der Klärung des Funktionszusammenhangs der DDR-Literatur in der Übergangsperiode war die Besichtigung der literarischen Kommunikationsbeziehungen auf ihre historischen Besonderheiten hin. Dabei erwies sich ein Literaturbegriff als besonders praktikabel, der Literatur von vornherein als eine B e z i e h u n g auffaßt „zwischen dem Schreiben und dem Lesen von Literatur, von Autoren, Werken und Lesern" 12 . Im Verlauf der Arbeit erwies sich, daß der gesamte Bereich der literarischen Vermittlungen einschließlich seiner Organisationen, Institutionen und Apparate die Produktions- wie die Rezeptionsseite maßgeblich beeinflußte - in dem Maße nämlich, wie Ausprägung und Wirkung der DDR-Literatur als Literatur eines sozialistischen Staates von den im Krausschen Sinne „materiellen" Faktoren der Literaturgeschichte geprägt waren. Erst durch die Untersuchung dieses Vermittlungsbereichs (z. B. Bibliotheken, Verlage und Schulen) wurden die Richtung und das Ausmaß der Einwirkung von Literatur auf die gesellschaftliche Entwicklung konkret faßbar. Ein weiterer Hinweis auf die Eigengesetzlichkeit der Literaturentwicklung in der Übergangsperiode war mit der Funktionsbestimmung der Literatur in der entwickelten sozialistischen Gesellschaft gegeben. Der Fortschritt der Gegenwartsliteratur - so läßt sich diese Erkenntnis zusammenfassen - ist nicht nur erkennbar an entwickelteren literarischen Techniken, differenzierteren Ausdrucksformen, neuen Stoffen und Gegenständen; verändert hat sich vielmehr die gesamte Beziehung zwischen dem Schreiben und dem Lesen von Literatur im Sinne des genannten Literaturbegriffs. Dieter Schlenstedt, der die veränderten Kommunikationsbeziehungen als Ausdruck einer veränderten Literaturfunktion im reifen Sozialismus herausgearbeitet hat, beschreibt das neue gleichberechtigt-partnerschaftliche Verhältnis als das zwischen einem „verantwortlichen" Autor und einem „zustän16
digen" Leser. Beide sind durch eine sozialistische Öffentlichkeit, einen Prozeß der Selbstverständigung miteinander verbunden. 13 Auch dieser Umstand weist über die internen literarischen Beziehungen (die Verständigung mittels und über Literatur) hinaus auf die Einbettung der Literatur in die G e s a m t h e i t der gesellschaftlichen Beziehungen und Prozesse. Ein gleichberechtigt-partnerschaftliches Verhältnis setzt voraus eine gemeinsame Basis im Weltanschaulichen, ein gefestigtes System der sozialistischen Demokratie, einen bestimmten Bildungsstand, vor allem aber auch ein größeres Selbstbewußtsein des Lesers, der sich selbst als Akteur der Geschichte begreift, der seine Erfahrungen auch als Korrektur gegenüber der Weltsicht des Schriftstellers einbringen kann - insofern ist es also ein Partnerschaftsverhältnis zwischen gleichberechtigten Produzenten. Einen weiteren Hinweis auf Funktionsveränderungen der Literatur gibt die Betonung ihrer besonderen und unersetzbaren Rolle im Ensemble aller Formen der Bewußtseinsbildung, die freilich nicht absolut ist. Neu ist nicht die Erkenntnis der relativen Eigengesetzlichkeit von Literatur schlechthin, sondern die der Tatsache, daß erst bestimmte gesellschaftliche Bedingungen eine stärkere Beachtung ihrer Besonderheit und Unersetzbarkeit zulassen. Es ist klar, daß die genannten Bedingungen sich nicht einfach in die vierziger und fünfziger Jahre zurückübersetzen lassen. Die literarischen Verhältnisse in der Übergangsperiode sind allerdings auch nicht bloß unentwickelte Vorstufe dazu. Sie bilden vielmehr ihrerseits einen komplexen Zusammenhang, der durch die gesellschaftliche Funktion der Literatur bestimmt ist. Im Vergleich zur literarischen Kommunikation im entwickelten Sozialismus lassen sich die Autor-Leser-Beziehungen der ersten beiden Jahrzehnte nach 1945 eher als ein Verhältnis von Erzieher und Erzogenem definieren. Auch hier spiegelt die Beschaffenheit der literarischen Austauschprozesse die Stellung der Literatur in ihrer gesellschaftlichen Umwelt wider - ablesbar wiederum (unter anderem) an der Korrespondenz mit anderen Formen der Bewußtseinsbildung. Die enge wechselseitige Bezogenheit von Kulturpolitik, Literaturorganisation und Literaturtheorie verweisen weiter auf den Zusammenhang zwischen der Eroberung und Sicherung der politischen Macht, der Bedeutung der ideologischen Umwälzung für das Gelingen der sozialistischen Revolution und der Rolle, die Kunst und Literatur bei der Bewußtseinsbildung des Volkes spielten. Die sich bis auf literarische Formen erstreckende, organisierende Rolle der Theorie des sozialistischen Realismus und die zeitweise drasti2
DDR-Literatur
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sehen administrativen Maßnahmen, der Eingriff von Institutionen und Apparaten in die Belange der literarischen Produktion, sind dieser geschichtlich-sozialen Situation nicht verständlich. Wenn Übergangsperiode und einheitlicher revolutionärer Prozeß denselben Vorgang bezeichnen, so folgt daraus für die Literatur der Übergangsperiode, daß ihre Funktion primär aus ihrer Rolle im revolutionären Prozeß zu bestimmen ist. Hier gilt eine Gesetzmäßigkeit, die das Verhältnis von Literatur und Revolution in der Geschichte generell geprägt hat: die Unterstellung der literarischen Produktion unter „außerliterarische" Anforderungen der Erziehung, Mobilisierung oder Erkenntnisvermittlung im Dienste der Aktivierung und Bündelung aller Kräfte, die an der sozialen Umwälzung zu beteiligen sind. Die Tatsache, daß sich 1945 das deutsche Volk nicht selbst befreit hat und die sozialistische Literatur erst unter den neuen Machtverhältnissen wirksam zu werden begann, potenzierte gleichsam die in ihr enthaltenen Elemente von Erziehung und weltanschaulicher Bildung, stellte Literaturwissenschaft und -kritik in den Dienst ihrer massenwirksamen Verbreitung. D a ß die Rolle der Literatur sich aus ihrer Funktion im revolutionären Prozeß herleitet, ist darüber hinaus aus dessen eigenen Gesetzmäßigkeiten zu erklären. Der Verlauf der volksdemokratischen Revolution nach 1945 war im Vergleich zur Oktoberrevolution durch die „größere Breite der revolutionären Bewegung" 14 gekennzeichnet, die sich - die Volksfrontpolitik fortsetzend - in der aktiv-mitgestaltenden Rolle der verschiedenen Klassen und Schichten äußerte. Auch die Literatur war als ein wirkender Faktor innerhalb dieses Prozesses maßgeblich geprägt durch die konkreten Anforderungen der sozialistischen Umwälzung als einer Massenbewegung, die den Bildungsprozeß sozialer Bewußtheit einschloß. Man bedenke nur, welchen enormen Beitrag die Literatur zur Bewältigung der faschistischen Vergangenheit geleistet hat! In dieser Hinsicht sind auch Kunst und Literatur der vierziger und fünfziger Jahre unersetzbar: in bezugauf den Dienst, den sie der sozialistischen Bewegung geleistet haben - oft unter bewußtem Verzicht auf die Weiterentwicklung avancierter künstlerischer Formen und Techniken, so schwer dieser Verzicht führenden sozialistischen Künstlern und Schriftstellern mitunter gefallen ist. Doch soll nicht verschwiegen werden, daß das Herausarbeiten der Erziehungsfunktion der frühen DDR-Literatur auch Probleme mit sich bringt. Der Terminus „Erziehung" ist nicht unproblematisch, weil die Art der Einwirkung auf den Leser nicht miterfaßt wird und der Ein18
druck suggeriert werden könnte, als enthalte die Gegenwartsliteratur keine erzieherischen Impulse mehr. Die für die Kennzeichnung der Wirkung oft verwandten Begriffe „didaktisch" oder „aufklärerisch" für die frühe DDR-Literatur haben zwar eine gewisse Signalwirkung, klingen aber andererseits pejorativ. Gegen sie richten sich vor allem polemische Zurückweisungen einer „eigenen" Literaturfunktion in der Übergangsperiode, die jedoch das Problem nur verdeutlichen: Als Ablehnung der Erziehungsfunktion formuliert, zielen sie letztlich auf deren Abwertung. Dem ist u. E. nur mit Dialektik zu begegnen: Nicht das Leugnen des erzieherischen Impetus der frühen DDR-Literatur führt weiter, sondern das Hinterfragen - das Aufdecken der geschichtlichen Bedingtheit wie der eigenen inneren Differenziertheit erzieherischer Literaturkonzepte. Sowohl die Abwertung wie auch deren bemühte Zurückweisung erfassen das zugrunde liegende Problem nicht, äußert sich doch in den „aufklärerischen" oder „didaktischen" Zügen die E i n b e z i e h u n g der Literatur in die Mechanismen gesellschaftlicher Bewußtseinsbildung, die als historische Aufgäbe zu begreifen und zu bewältigen war, bevor eine Spezialisierung und Differenzierung der Mittel einsetzen konnte. Die Ablehnung dieser Schreibund Wirkungsweisen unterstellt ein beliebiges Verhältnis zwischen Literatur und Politik, das nur der jeweils „besseren" Einsicht, nicht aber den Determinanten der Geschichte unterliegt. Der Umstand z. B., daß die frühe DDR-Literatur auch für einen anderen Leser geschrieben war, wird heute oft nicht mehr bedacht. Er wird gerade dort übersehen, wo Schriftsteller in begreiflicher und berechtigter Selbstauseinandersetzung ihre frühen Werke als Irrtum und „Holzweg"15 abtun. Schließlich ist beim Herausarbeiten ihrer Funktionsweise zu beachten, daß auch die Literatur der Übergangsperiode nicht in ihrer Erziehungsfunktion aufgeht, so wie keine Literatur in einer ihrer Funktionen aufgehen kann. Es handelt sich vielmehr um das Herausfinden einer Funktions d o m i n a n t e , die auch in Rechnung stellt, daß gleichzeitig Vorgriffe und Entwürfe auf künftige literarische Verkehrsformen gemacht wurden - erinnert sei an das Kleine Organon von Brecht, an die Verteidigung der Poesie von Becher oder daran, daß Anna Seghers auf dem Phantastischen besteht. Dieselben Autoren sind wiederum Zeugen dafür, daß auch die Wahrnehmung von Erziehungsaufgaben jeweils unterschiedliche Leserbeziehungen konstituierte und unverwechselbare literarische Ergebnisse hervorbrachte. Der Vergleich der Bedingungen literarischer Entwicklung in beiden 2'
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Gesellschaftsphasen macht deutlich, daß ein Verwischen der historischen Zäsur die Resultate der Geschichte in Frage stellen würde. Diese Einsicht erwies sich als wichtig für den weiteren G a n g unserer Untersuchungen, weil sich damit das Problem von Kontinuität und Diskontinuität zuspitzte. Dazu muß jedoch einschränkend bemerkt werden, daß eine reinliche Trennung, wie die Wissenschaft sie vornimmt, in der Praxis nicht existiert. Die Gegenwartsliteratur ist mit tausend Fäden an ihre eigene Vergangenheit gebunden, ein großer Teil der Autoren verkörpert in eigener Person die literaturgeschichtliche Kontinuität der D D R , auch die Leser sind nicht durchweg andere - selbst wenn die Schriftsteller unterdessen andere Literatur schreiben und die Leser andere Bücher lesen. Man kann beim Herausdestillieren einer abgeschlossenen Phase des Literaturprozesses immer einwenden, daß die reale Geschichte vielfältiger, differenzierter, mit fließenderen Übergängen verlaufen ist. Derartige Vorwürfe als berechtigt anerkennend, scheinen uns die Gefahren einer ungenauen Konturierung der Literaturgeschichte größer. Eine Gefahr besteht darin, daß die Kontinuität der Gesamtentwicklung sich zu einer lediglich gedachten Größe verflüchtigt, daß die tatsächlichen Gegensätze in der Auseinandersetzung zwischen Gegenwart und Vergangenheit einer spannungslosen Linearität geopfert werden. Um dies zu verdeutlichen: D i e Geschichte der D D R - L i t e ratur wäre durchaus als eine Geschichte des sozialistischen Realismus in der Literatur beschreibbar, und sie ist auch eine Zeitlang so beschrieben worden. Beim damaligen Stand der Realismusforschung konnte es nicht ausbleiben, daß literarischer Fortschritt immer nur als Bestätigung und Bereicherung einer ästhetischen Kategorie definiert wurde, wobei der Nachweis der Stabilität und Unantastbarkeit vorgedachter theoretischer Gebäude die Wertung gewollt oder ungewollt bestimmte. Ähnliches ist mit anderen scheinbar allumfassenden Kategorien versucht worden (z. B. mit der des sozialistischen Menschenbildes in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre). Werden dagegen die theoretischen Ansichten und programmatischen Entwürfe als Funktion der Praxis betrachtet, ihre Herausbildung, Wirkung und Veränderung innerhalb eines konkreten geschichtlichen Bezugsfeldes verfolgt, so liegen sie nicht länger wie eine tote Last auf einem lebendigen Literaturprozeß, sondern werden in ihrer Historizität faßbar und damit in ihrer Lebendigkeit und Tätigkeit durchschaubar. Ähnliche Gefahren einer abstrakt gefaßten Kontinuität ergeben sich aus der Tatsache, daß die Gegenwartsliteratur der D D R zur Ver20
gangenheit ein Erbeverhältnis einzunehmen beginnt. Dies ist mit einem Sondierungsvorgang verbunden, der für den aktuellen Literaturprozeß unumgänglich ist, weil er die Werke aus der Vergangenheit für den heutigen Leser am Leben erhält. Die Gefahr besteht darin, daß anerkannte Autoren wie Brecht, Becher, Seghers, Bredel, Weinert, Wolf, Maurer, Bobrowski oder andere für den literaturgeschichtlichen Ertrag der g e s a m t e n Periode stehen und die literarische Landschaft in den ersten Jahrzehnten der D D R zum verlassenen und vergessenen Ödland wird. Was der ständig sich erneuernde literarische Prozeß nicht leisten kann, bleibt der literaturgeschichtlichen Forschung als Aufgabe: die Bemühungen mitzuerfassen, die den Erfolgen vorausgingen, jene große Anzahl von Werken nicht zu vergessen, die im Gelungenen wie im Mißlungenen Auskunft geben über die Schwierigkeiten, Vorstöße und Irrwege bei der Erkundung literarischen Neulands. Kontinuitäten, die auf eine nachträgliche Korrektur der Geschichte hinauslaufen, stehen in bedenklicher Nähe zur Verdrängung historischer Erfahrungen, und dies bedeutet letztlich Bruch mit der eigenen Vergangenheit. Die unerledigten Posten verbleiben in der Negativbilanz der Geschichte. Ein weiterer Grund für die Zäsur ist die noch zu beobachtende Vermischung zwischen unterschiedlichen, einander ausschließenden literarischen Kommunikationsweisen. Dem sich herausbildenden gleichberechtigt-partnerschaftlichen Verhältnis zwischen Schriftstellern und Lesern stehen mitunter Methoden der Literaturkritik und des Literaturunterrichts entgegen, die an einem einseitigen Verhältnis der Erziehung und Belehrung durch Literatur festhalten. Publikationsorgane und Massenmedien behandeln den Rezipienten noch nicht immer als Subjekt des Literaturprozesses, sondern als dessen Objekt und Konsument; Elemente einer akademischen Literaturwissenschaft, die sich als oberster Richter des Literaturprozesses begreift, sind noch nicht gänzlich verschwunden, und ebenso gibt es ein verfestigtes Selbstverständnis von Schriftstellern als Erzieher der Nation. Nur wenn diese Verhaltensweisen im Umgang mit Literatur an den Platz zurückverwiesen werden, der ihnen historisch zukommt, können sie als das erkannt werden, was sie tatsächlich sind: als anachronistisch. Abschließend noch einige Bemerkungen, die sich aus dem skizzierten Anliegen und den Möglichkeiten seiner Realisierung ergeben. Sie betreffen den bis zuletzt nicht zu tilgenden Widerspruch zwischen dem Einblick in die Komplexität des zu bearbeitenden Problemfeldes und dem Zwang zur Beschränkung auf einen jeweils begrenzten Gegen21
stand. In Anbetracht der relativ kurzen Entstehungszeit des Bandes und der geringen Erfahrungen bei der Beschäftigung mit der DDRLiteratur konnte die Lösung nur in der Dokumentierung des vorläufigen Forschungs- und Erkenntnisstandes bestehen. Die Aufsätze sind gewissermaßen das Protokoll einer Selbstverständigung geblieben. Das betrifft sowohl den Grad kollektiver Klärung, der hier nachzuzeichnen versucht wurde, als auch die Beherrschung des jeweiligen Themas. Oft rangiert der Aspekt- und Materialgewinn, mitunter auch nur das Interesse an einer neuen Fragestellung, vor Resultaten und Lösungen. Außerdem gibt es innerhalb der einheitlichen Konzeption unter den Autoren hier und dort Meinungsverschiedenheiten, die absichtlich nicht ausgemerzt wurden, um die Offenheit der Problemlage zu demonstrieren und den Debattencharakter des Bandes bereits durch die Auseinandersetzung zwischen den Autoren zu betonen. Hilfreich war auch hier ein Verständnis von Literaturwissenschaft, das die Autoren nicht auf eherne Regeln und Gesetze verpflichtet, sondern die Vorläufigkeit von Aussagen anerkennt. In diesem Sinne verstehen wir die folgenden Beiträge als Angebot und Aufforderung zur Diskussion. Berlin, Juni 1978
Ingeborg Münz-Koenen
Ingeborg Münz-Koenen
Literaturverhältnisse und literarische Öffentlichkeit 1945 bis 1949
Im Frühjahr 1948 veröffentlicht das Börsenblatt für den deutschen Buchhandel das Ergebnis einer Umfrage in Berliner Buchläden und Leihbüchereien nach den meistverlangten Titeln. Die Antwort auf die Frage: Was liest der Durchschnittsleser? lautet kurz und vernichtend : „Die große Masse liest keine Bücher, sie konsumiert Kitsch, Edelkitsch und Schlimmeres." 1 An der Spitze der Lesergunst stünden „Kriminalreißer und Abenteuerromane dritter Güte. Courths-Mahler, Marlitt, Natalie v. Eschstruth. Wer auf 'Bildung' pocht: Muschler und Epigonen. Besonderer Beliebtheit erfreuen sich die sogenannten Familien- und Bauernromane, voll von Sentimentalität, verlogener Romantik und Mystik." 2 Das eigentliche Verhängnis - so kommentieren Autor und Redaktion - sei nicht ein verbildeter Publikumsgeschmack oder das gerechtfertigte Bedürfnis nach Entspannung. Hinter den Leserwünschen verberge sich vielmehr ein Leseverhalten, das sie mit dem Begriff „Tendenzpsychose" bezeichnen. Gemeint ist eine tiefe Abneigung gegen jede „politische Tendenz" in der Literatur. Sie beginne schon bei Autoren wie Thomas Mann und Ernest Hemingway, steigere sich gegenüber Werken russischer und sowjetischer Autoren und erreiche ihren Höhepunkt bei Romanen aus dem antifaschistischen Widerstandskampf. Es wird das Beispiel eines Lichterfelder Buchhändlers genannt, der Das siebte Kreuz von Anna Seghers als „spannend wie ein Kriminalroman" anpreisen mußte, um in anderthalb Jahren drei Kunden zum Kauf zu bewegen. Die Leser - so lautet die Schlußfolgerung - „sind ganz einfach - reaktionär" 3 . Im historischen Rückblick aus dreißigjähriger Distanz stellt die Ausgangssituation sich anders dar. Im Band 11 der Geschichte der deutschen Literatur, Literatur der DDR, wird die Rezeption der antifaschistischen Literatur unmittelbar nach 1945 folgendermaßen beschrieben: „Die Bevölkerung nahm diese Werke auf; sie waren zu23
Ingeborg Münz-Koenen
Literaturverhältnisse und literarische Öffentlichkeit 1945 bis 1949
Im Frühjahr 1948 veröffentlicht das Börsenblatt für den deutschen Buchhandel das Ergebnis einer Umfrage in Berliner Buchläden und Leihbüchereien nach den meistverlangten Titeln. Die Antwort auf die Frage: Was liest der Durchschnittsleser? lautet kurz und vernichtend : „Die große Masse liest keine Bücher, sie konsumiert Kitsch, Edelkitsch und Schlimmeres." 1 An der Spitze der Lesergunst stünden „Kriminalreißer und Abenteuerromane dritter Güte. Courths-Mahler, Marlitt, Natalie v. Eschstruth. Wer auf 'Bildung' pocht: Muschler und Epigonen. Besonderer Beliebtheit erfreuen sich die sogenannten Familien- und Bauernromane, voll von Sentimentalität, verlogener Romantik und Mystik." 2 Das eigentliche Verhängnis - so kommentieren Autor und Redaktion - sei nicht ein verbildeter Publikumsgeschmack oder das gerechtfertigte Bedürfnis nach Entspannung. Hinter den Leserwünschen verberge sich vielmehr ein Leseverhalten, das sie mit dem Begriff „Tendenzpsychose" bezeichnen. Gemeint ist eine tiefe Abneigung gegen jede „politische Tendenz" in der Literatur. Sie beginne schon bei Autoren wie Thomas Mann und Ernest Hemingway, steigere sich gegenüber Werken russischer und sowjetischer Autoren und erreiche ihren Höhepunkt bei Romanen aus dem antifaschistischen Widerstandskampf. Es wird das Beispiel eines Lichterfelder Buchhändlers genannt, der Das siebte Kreuz von Anna Seghers als „spannend wie ein Kriminalroman" anpreisen mußte, um in anderthalb Jahren drei Kunden zum Kauf zu bewegen. Die Leser - so lautet die Schlußfolgerung - „sind ganz einfach - reaktionär" 3 . Im historischen Rückblick aus dreißigjähriger Distanz stellt die Ausgangssituation sich anders dar. Im Band 11 der Geschichte der deutschen Literatur, Literatur der DDR, wird die Rezeption der antifaschistischen Literatur unmittelbar nach 1945 folgendermaßen beschrieben: „Die Bevölkerung nahm diese Werke auf; sie waren zu23
meist schnell vergriffen. Besonders den jungen Menschen erschlossen sie eine unbekannte Welt und erleichterten ihnen die Suche nach dem richtigen Weg. Für sie war die kämpferische antifaschistische Literatur eine echte Lebenshilfe." 4 ' Die Frage, welche der beiden Schilderungen zutrifft, läßt sich nur mit Rücksicht auf den jeweiligen Blickwinkel beantworten: In der literaturgeschichtlichen Gesamtdarstellung geht es um die V o r geschichte der sozialistischen Literatur in der D D R , also um die Anfänge jener literarischen Bewegung, die sich historisch als die herrschende durchgesetzt hat. Die hier geschilderte Situation ist authentisch. Sie wird mit der Äußerung einer jungen Leserin belegt, in der es u. a. heißt: „Die Literatur und ihre Autoren, die Kunstwerke und ihre Schöpfer . . . das war eine ganz neue Welt, von deren Vorhandensein meine Generation, während des Faschismus herangewachsen, nichts gewußt hatte; eine Welt, die mir weit schöner und besser erschien als alles, was ich vorher kannte." 5 Man könnte diese Schilderung mühelos durch weitere ähnliche ergänzen. Aber auch der Bericht des Börsenvereins aus dem Jahre 1948 ist keine Ausnahme. Das hier geschilderte Leseverhalten ist ebenfalls verallgemeinerbar, und an anderer Stelle der Literaturgeschichte wird das auch getan. Dort heißt es zu den Ausgangsbedingungen bei der Herausbildung eines neuen Lesepublikums: „Die ideologischen Nachwirkungen der Naziideologie und die geistige Verwirrung, aber auch konservative Haltungen bürgerlicher und kleinbürgerlicher Publikumsschichten schränkten zunächst die Wirkung der sozialistischen und der bürgerlichantiimperialistischen Literatur und Kunst teilweise ein." 6 Der zeitgenössische Situationsbericht könnte hierzu den Beleg liefern. E r und ähnliche Zeugnisse aus jenen Jahren stehen für die Unabgeschlossenheit des literarischen Prozesses und die Ungelöstheit seiner Aufgaben. Um die tatsächliche Beschaffenheit der literarischen Situation in den Jahren 1945 bis 1949 zu erfassen, sind beide Perspektiven zu berücksichtigen. „In den ersten Jahren", so heißt es in der Dokumentation Als der Krieg zu Ende war, „wurden die Weichen gestellt, deren Richtung das heutige Leben in den beiden deutschen Staaten bestimmen, wurden die Entscheidungen getroffen, deren Folgen heute getragen werden müssen. Was damals noch ein offener, leidenschaftlich diskutierter, im Ausgang ungewisser Prozeß war, ist nun in seinen Wirkungen, als Leistung wie Versäumnis, erkennbar . . ." 7 Den Folgen der Geschichte entsprechend, fallen auch die rückblickenden Interpretationen unterschiedlich aus: Faßt man die Nach-
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kriegssituation als Auswirkung von „Kapitulation" und „Zusammenbruch", wie es in der genannten Dokumentation geschieht, so bekommt auch die Bestandsaufnahme einen entsagenden, defensiven Zug - sieht man sie dagegen als Befreiungs- und Aufbruchphase, dann erhalten die Anfänge des literarischen Lebens nach 1945 ihren historischen Sinn im Kontext mit der revolutionären Bewegung zum Sozialismus hin, einschließlich aller Schwierigkeiten und Widersprüche des realen Prozesses. Ein solcher Widerspruch bestand in den literarischen Erfahrungen und Bedürfnissen auf der Seite des Lesers und den neuen Ansprüchen, die die Literatur an ihn stellte. W a r die erste Begegnung mit dieser Literatur von Reserviertheit und Ablehnung geprägt oder von begeisterter Zustimmung - in jedem Fall offenbart sie die tiefe Kluft zwischen dem Stand der fortgeschrittensten literarischen Produktion und dem Stand des Rezeptionsbewußtseins. D i e Überwindung dieser Kluft ist ein wesentlicher Inhalt der antifaschistisch-demokratischen Phase, wenn sie auch in diesen vier Jahren noch nicht abgeschlossen ist. Dies ist kein spontaner Prozeß, der nur die Leser auf der einen und die Werke auf der anderen Seite betrifft, sondern eine organisierte Bewegung, die die Gesamtheit der literarischen Vermittlungen mit ihren Institutionen erfaßt und von deren politischen Inhalten geprägt ist. Wenn im folgenden über das literarische Leben der Jahre 1945 bis 1949 gesprochen werden soll, so umfaßt dieser Begriff eben jene Seite der Literaturgeschichte. Im allgemeinen Verständnis ist Geschichte der Literatur meist noch gleichbedeutend mit der Geschichte der literarischen Produktion also Werkgeschichte, Entwicklungsgeschichte der Autoren, Geschichte literarischer Gattungen. Der Begriff „literarisches Leben" umfaßt zunächst einen größeren Radius literarisch-gesellschaftlicher Beziehungen. Als eine Erweiterung des Interessenbereichs der Literaturwissenschaft ist er bereits durch die bürgerliche Wissenschaft definiert worden. Wolfgang Kayser brachte ihn 1958 auf die einfachste und gängigste Formel, er schrieb: „Zum literarischen Leben einer Zeit gehört gewiß das Schaffen, dazu gehört auch, wenn wir uns nach der anderen Seite wenden, die Aufnahme. Zwischen diesen beiden Enden liegen Institutionen, die durch ihre Tätigkeit erst die Verbindung herstellen: der Verlag, der dem Autor das Manuskript aus der Hand nimmt, wenn es ihm zusagt, der es druckt und vervielfältigt, und weiterhin der Sortimenter, der sich das Buch vom Verleger reichen läßt, um es nun dem Leser zu vermitteln. Und zwischen den beiden Äußersten
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steht schließlich, etwas entfernt und nicht eigentlich zu einer Institution verfestigt, die Kritik, die das Geschaffene sichtet und damit die Aufnahme in irgendeiner Form beeinflußt. Schaffen, Verbreitung, Sichtung und Aufnahme - das sind wohl die Kräfte, deren Zusammenspiel und Zusammenwirken das literarische Leben bilden." 8 Hier geht es noch um die Erforschung eines literarischen Kommunikationskreises, der sich - nachdem das Werk den Impuls gegeben hat - nunmehr selbst reguliert. Die Erforschung der sozialen Mechanismen des literarischen Lebens durchbrach diese literaturimmanente Vorstellung und führte zu einer materialistischen Gegenstandsbestimmung, die für die marxistische Literaturwissenschaft zum ersten Mal Werner Krauss vorgenommen hat. Krauss schrieb in seinen Studien zur deutschen und französischen Aufklärung: „Die Literaturgeschichte hat eine materielle Seite, die einer systematischen Bearbeitung bis heute nicht gewürdigt wurde: die Geschichte der Buchproduktion und der gesamten Organisation des literarischen Lebens. Die Beschäftigung mit diesen Faktoren ist eine unabdingliche Voraussetzung für eine genaue Situierung und für die zutreffende Beurteilung der literarischen Werke. Die Literaturgeschichte kann auf die Frage nach der gesellschaftlichen Bestimmung und Wirkung der literarischen Gebilde keine befriedigende und erschöpfende Antwort geben, solange sie geflissentlich über die sozialen und wirtschaftlichen Faktoren in ihrem ureigenen Bereich hinwegsieht.. ," 10 Der Gegenstand der Literaturgeschichtsschreibung verändert sich insofern, als er zu einem Feld vielfältiger Vermittlungen zwischen Literatur und Realität wird. Der literarische Prozeß wird als Resultante wechselseitig aufeinander wirkender Faktoren begriffen. Neben der literarischen Produktion gehören dazu auch die bei Kayser nicht enthaltenen Determinanten wie Kulturpolitik und Literaturtheorie, Schriftstellerprogramme und Literaturdebatten sowie die von Krauss benannte materielle und organisatorische Beschaffenheit literarischer Verhältnisse. Nachdem die Literaturwissenschaft der D D R mit dem Buch Gesellschaft - Literatur - Lesen ihren Gegenstand als „wechselseitigen Zusammenhang von Schreiben und Lesen von Literatur, von Autoren, Werken und Lesern" 11 definiert hat, konnte sie zugleich nach der gesellschaftlichen Funktion der Literatur in umfassenderem Sinne fragen. Die Feststellung: „Die gesellschaftliche Funktion der Werke kann nur vom Rezipienten verwirklicht werden" 12 , lenkt die Aufmerksamkeit auf den Transformationsprozeß, den das literarische 26
Werk erfährt, nachdem es sich vom Autor getrennt hat; sie führt über die in den Werken enthaltenen Funktions p o t e n z e n hinaus zur Untersuchung ihres t a t s ä c h l i c h e n Funktionierens unter konkreten historischen und sozialen Umständen. Eine Untersuchung des literarischen Lebens bietet sich vor allem dort an, wo eine relativ umgrenzte historische Phase in ihrer inneren Bewegung, der Wechselwirkung von Produktion, Vermittlung und Rezeption, dargestellt werden soll. Es ist für die marxistische Literaturwissenschaft nichts Neues, das gesellschaftliche Umfeld der Literatur sowie ihre Abhängigkeit von den politischen, ideologischen und ökonomischen Vorgängen in der Gesellschaft zu erforschen. Im vorliegenden Band jedoch werden im Verständnis des literarischen Lebens durch die Autoren die Vermittlungen zwischen literarischer und gesellschaftlicher Praxis selbst zum Gegenstand der Untersuchung. Namentlich wendet sich der erste Beitrag gegen eine vulgärmaterialistische Ableitung der literarischen aus den sozialökonomischen Prozessen. Die institutionellen Einrichtungen, organisatorischen Maßnahmen, materiellen Bedingungen der Literaturverbreitung und -aufnähme werden vielmehr als i n n e r literarische Angelegenheit im Sinne des oben bezeichneten Literaturbegriffs verstanden. In bezug auf die Gesamtheit des literarischen Lebens machen sie nur ein Teilgebiet aus, gewissermaßen ihr organisierendes Zentrum. Als solches bilden sie den Schwerpunkt der Untersuchung. Die Frage nun, in welcher Weise das theoretisch-methodische Prinzip nicht nur den Gegenstand, sondern auch das Bild und vielleicht die Wertung von Literaturgeschichte verändert, ist nur konkret zu beantworten. Es ist naheliegend, daß die Ausweitung des Untersuchungsfeldes, das Einbeziehen neuen Materials, auch zu anderen Verallgemeinerungen führt. Am Beispiel der Einschätzung des literarhistorischen Inhalts der antifaschistisch-demokratischen Phase durch unterschiedliche Untersuchungsverfahren soll diese Frage näher erkundet werden. Im Band 11 der Geschichte der deutschen Literatur wird die Literaturgeschichte der DDR in drei Etappen beschrieben - ihrer Vorbereitung (1945 bis 1949), ihrer Herausbildung (1949 bis Anfang der sechziger Jahre) und ihrer Entfaltung (von der ersten Hälfte der sechziger Jahre bis zum Beginn der siebziger Jahre). Dieser Prozeß, so heißt es hier, „gründet sich auf die revolutionäre Umwälzung vom Kapitalismus zum Sozialismus und den Aufbau der entwickelten sozialistischen Gesellschaft"13 und ist daher von 1945 bis heute ein 27
einheitlicher Prozeß. Diese Umgrenzung ist außerordentlich wichtig für den Bezug der literarischen zur gesellschaftlichen Entwicklung. Sie entspricht einem wesentlichen Ergebnis der historischen Forschung nach dem VIII. Parteitag der SED - der Bewertung der revolutionären Umwälzungen als einheitlicher revolutionärer Prozeß seit 1945 anstelle der Theorie von den zwei Revolutionen, einer antifaschistischdemokratischen und einer sozialistischen - und damit auch der Einordnung der sozialistischen Revolution auf dem Gebiet der D D R in die internationalen revolutionären Umwälzungen nach dem zweiten Weltkrieg. 1 4 Sie bildet hier die Basis, auf der die Literatur der antifaschistisch-demokratischen Phase mit der Geschichte der sozialistischen Nationalliteratur der D D R verklammert wird. „Der Begriff der sozialistischen Nationalliteratur", so heißt es weiter, „traf auf den Gesamtcharakter dieser literarischen Entwicklung nicht von Anfang an zu." 15 Die Begründung lautet: „Die durch den Faschismus in Deutschland herbeigeführte Verwirrung war so groß, daß sich die politischen Auffassungen vieler Schriftsteller besonders derer, die zwischen 1933 und 1945 im Lande gelebt hatten - erst auf widerspruchsvolle und langwierige Weise denjenigen der revolutionären Arbeiterklasse und des Sozialismus annäherten. Noch länger dauerte es, bis sich diese Annäherung auch in den literarischen Werken bemerkbar mächte." 16 Infolgedessen wird die Literaturentwicklung der antifaschistischdemokratischen Phase als „Vorbereitung der sozialistischen Nationalliteratur" 17 definiert und ihr antiimperialistischer Charakter hervorgehoben. So folgerichtig diese Schlußfolgerung aus den gegebenen Prämissen resultiert, so offensichtlich ist aber auch, daß sie im wesentlichen aus zwei Momenten gewonnen w i r d : der Einschätzung der Bewußtseinslage der Schriftsteller und deren Widerspiegelung in den nach 1945 entstehenden Werken. W i e sieht es dagegen aus, wenn die literarische Landschaft im weiteren Sinne betrachtet, also nicht nur die in diesen Jahren geschriebene Literatur berücksichtigt wird, sondern auch diejenige, die verbreitet und gelesen wurde? Und welches Bild ergibt sich, wenn neben den ideellen auch die materiellen und institutionellen Veränderungen nach 1945 in der sowjetischen Besatzungszone einbezogen werden? Das Interesse gilt dabei vor allem der Klärung der Frage, ob unterschiedlich gehandhabte Literaturbegriffe zu einer anderen Bestimmung des literaturhistorischen Inhalts einer Phase führen. Die Frage lautet nicht, ob die Literaturentwicklung bis 1949 in den ge28
bräuchlichen Literaturbegriff hineinpaßt, sondern ob der bisher verwendete Begriff der sozialistischen Nationalliteratur ausreicht, um den tatsächlichen Prozeß zu fassen.
Die Verlagsproduktion Auf dem Ersten Deutschen Schriftstellerkongreß im Oktober 1947 analysiert Arnold Bauer die Tätigkeit aller Verlage in den vorangegangenen zwei Jahren, und es ergibt sich ein überraschendes Bild. Der Analyse zugrunde liegt ein Katalog der Neuerscheinungen 1945 bis 1941 aus dem Juni desselben Jahres.18 Dieser Katalog verzeichnet auf 176 Seiten an die 6000 Buchtitel, darunter etwa 1500 belletristische Werke. Bauer resümiert angesichts dieses Buchangebots: „Äußerlich gesehen, an Zahlen und Auflagen gemessen, ist die Leistung des deutschen Verlagsbuchhandels in den zwei Jahren nach dem Zusammenbruch imposant. Ohne Übertreibung läßt sich behaupten, daß eine Bilanz des deutschen Verlagsbuchhandels den Eindruck erwecken könnte, als gedeihe inmitten unseres gewaltigen Trümmerfeldes und unserer verstümmelten Industrie nur ein Produktionszweig: die Herstellung bedruckten Papiers."19 Der Lesehunger der ersten Nachkriegsjahre finde hier seinen ersten, quantitativen Niederschlag. „Aber", so fährt Bauer fort, „werden die Verleger, die Händler mit der heikelsten Ware, die es gibt, ihrer Aufgabe gerecht?"20 Hier fällt die Bilanz bereits deutlich negativer aus. Über die größere Gruppe heißt es: „Sie kennen keine qualitativen Trennungslinien und Abstufungen. Sie bringen jedem etwas. Sie sind traditionslos . . . Da sind wieder die schreibenden Routiniers, die jedes Jahr ihren Alltagsroman auf den Weihnachtstisch legen. Da ist der ehrgeizige Dichterling, und da sind vor allem diejenigen, die immer noch ihren Faden weiter abspulen, als sei inzwischen in der W e l t . . . nichts geschehen."21 Aber es gebe auch andere: „Die wahren Schatzgräber, die seltenes und kostbares Gut der Vergangenheit ans Tageslicht heben, sind ebenso rar wie die kühnen Experimentatoren und die Wünschelrutengänger nach neuen Talenten, aus denen die Stimme dieser Zeit spricht."22 Diese beiden Gruppen lassen sich bereits 1947 auch territorial unterscheiden. Die erste steht für das „freie Verlegertum" der westlichen Zonen, über die zweite Gruppe heißt es: „Die sind auf der anderen Seite, viel mehr im Osten."23 29
Diese Situation korrespondiert mit den eingangs geschilderten Leseinteressen, und sie zeigt bereits deren Kanalisierung in unterschiedlichen Verlagsprogrammen. Der erwähnte Katalog weist in der Tat die Polarisierung der Buchproduktion seit 1945 aus, die im einzelnen durch die Verlagsverzeichnisse bestätigt wird. Die Werke der Autoren des antifaschistischen Exils, ob bürgerlicher oder sozialistischer Herkunft, erscheinen in der überwiegenden Mehrheit in den Verlagen der sowjetischen Besatzungszone. Die durchschnittliche Höhe der Erstauflagen beträgt 20 000 Exemplare, einige erscheinen aber bereits bis 1949 in mehreren Auflagen - so u. a. Bechers Abschied, in vier Auflagen mit einer Gesamthöhe von 53 000 Exemplaren, Anna Seghers' Das siebte Kreuz in drei Auflagen mit insgesamt 80 000 Exemplaren, Heinrich Manns Der Untertan in fünf Auflagen mit 60 000 Exemplaren, Plieviers Stalingrad in neun Auflagen mit über 150000 Exemplaren.24 Auffällig ist weiter die Vielzahl der verlegten Exilautoren: Im Aufbau-Verlag, der sich vornehmlich dieser Edition widmet, erscheinen in den ersten vier Jahren die Werke von Johannes R. Becher (10 Titel), Friedrich Wolf (10), Anna Seghers (6), Willi Bredel (4), Alexander Abusch (4), Arnold Zweig (4). Mit mindestens zwei Titeln folgen Lion Feuchtwanger, Oskar Maria Graf, Wolfgang Joho, Alfred Kantorowicz, Heinrich Mann, Ludwig Renn, Adam Scharrer und Bodo Uhse. Mit einem Titel sind vertreten: Ernst Bloch, Bertolt Brecht, Ferdinand Bruckner, Eduard Claudius, Fritz Erpenbeck, Walter Gorrish, Wieland Herzfelde, Adam Kuckhoff, Wolfgang Langhoff, Theodor Plievier, Erik Reger, Nelly Sachs und Berthold Viertel. 25 In der Regel sind diese Autoren nicht nur mit ihren Exilwerken, sondern auch mit früheren Arbeiten (und natürlich mit den neuentstehenden, die hier nicht mitgezählt sind) vertreten. Die Verlage in den westlichen Zonen, die Rechte von Exilautoren besaßen, wie Bermann-Fischer/Suhrkamp (Thomas Mann) oder Rowohlt (Kurt Tucholsky), können dagegen ein solches Massenangebot nicht schaffen. Hier ist durch die Kontingentierung der Besatzungsmächte die Auflagenhöhe., auf gewöhnlich 5000 beschränkt.26 Diese Auflagenhöhen galten zudem für alle Verlage, so daß sich in der Summe der Titel jene Autoren, die während des Faschismus vertrieben und deren Bücher auf den Scheiterhaufen verbrannt worden waren, verschwindend gering ausnahmen. Noch krasser waren die Unterschiede in der Verbreitung der deut30
sehen und ausländischen sozialistischen Literatur. Der Dietz Verlag, der sich vor allem dieser Aufgabe angenommen hatte, brachte 1946 bis 1949 80 Werke sozialistischer Schriftsteller in einer Gesamtauflage von 1 674 000 Exemplaren heraus. Die höchsten Auflagen erzielten Martin Andersen Nexö (8 Titel mit insgesamt 348 000 Exemplaren), F. C. Weiskopf (4 Titel mit 70 000 Exemplaren), Jan Petersen (3 Titel mit 102 000 Exemplaren). Die höchsten Einzelauflagen eines Werkes erreichten außer den genannten Autoren Louis Aragon (Die Glocken von Basel), Julius Fucik (Reportage unter dem Strang geschrieben), Heinz Rein (Finale Berlin) und Carl Dantz (Peter Stoll) mit jeweils 50000 Exemplaren.27 Weitere, regelmäßig verlegte Autoren waren u. a. Louis Fürnberg, Harald Hauser, Rudolf Leonhard, Ludwig Turek, Willi Bredel, Hans Lorbeer, Albert Maitz, Vladimir Pozner, Maximilian Scheer, Max Zimmering und Alex Wedding. Einige der genannten Autoren, so Aragon, Nexö, Bredel und andere, erschienen auch in anderen Verlagen, so daß ihr Verbreitungsgrad insgesamt noch höher war. Die Sowjetliteratur wurde durch mehrere Verlage der sowjetischen Besatzungszone verbreitet - an der Spitze stand der SWA-Verlag, dessen meistverlegte Autoren Maxim Gorki, Wladimir Majakowski und Ilja Ehrenburg waren (allein von Gorki erschien eine achtbändige Werkausgabe), weiterhin waren Michail Scholochow, Konstantin Simonow, Wenjämin Kawerin und Jewgeni Schwarz mit hohen Auflagen vertreten.28 Der Verlag für fremdsprachige Literatur Moskau lieferte über den „Vertrieb für Wissenschaft und Literatur Leipzig" in der Sowjetunion gedruckte Werke derselben Autoren in die sowjetische Besatzungszone, außerdem Bücher von Fadejew, Fedin, W. Grossmann, N. Ostrowski und anderen und - wie auch der SWAVerlag - Werk- und Einzelausgaben großer russischer Schriftsteller der Weltliteratur, z. B. von Puschkin, Tschechow, Turgenjew, L. Tolstoi.29 Im Programm des Aufbau-Verlages findet man sieben sowjetische Autoren, darunter Maxim Gorki mit den meisten Titeln und der höchsten Gesamtauflage (80 000), in den Verlagen Volk und Welt/ Kultur und Fortschritt erschienen ebenfalls Werke von Gorki, Scholochow, Simonow, Ehrenburg, Majakowski, Fadejew, außerdem Gladkow, Tynjanow, Panowa, Prischwin, Marschak und anderen.30 Der Verlag Neues Leben präsentierte u. a. sowjetische Jugendbücher von Iljin, Katajew. Tschakowski und Pantelejew; die höchste Auflage hatte hier Nikolai Ostrowskis Wie der Stahl gehärtet wurde,31 31
Eine weitere Gruppe von Büchern, die im faschistischen Deutschland nicht verbreitet werden durften und in mehreren Verlagen der sowjetischen Besatzungszone erschienen, waren die Werke sozialistischer und progressiver humanistischer Autoren des westlichen Auslands, so von Pablo Neruda, Martha Dodd, Gordon Schaffer, Howard Fast, Bret Harte, Albert Maitz, Vercors, Paul Eluard, Anatole France, Romain Rolland. An dieser Art Literatur war das Interesse der Verleger aus den westlichen Zonen größer, wenn auch andere Schriftsteller von ihnen bevorzugt wurden: Hier standen Kafka, Gide, Faulkner, Henry Miller, Hemingway an der Spitze. Unterschiede gab es auch in der Verbreitung jener Autoren, die von 1933 bis 1945 in Deutschland geblieben waren. Während in der sowjetischen Besatzungszone (vor allem im Aufbau-Verlag) mit Fallada, Hüchel, Kellermann und Weisenborn vor allem Autoren zu Wort kamen, die nach 1945 aktiv am Wiederaufbau teilnahmen, dominierten in den Verlagen der westlichen Zonen Autoren mit religiösmystizistischen, rückwärtsgewandten Tendenzen und Vertreter der sogenannten inneren Emigration: Elisabeth Langgässer, Ernst Wiechert, Susanne Kerckhoff, August Scholties und Hans Nossack. Carl Zuckmayer war der Exilautor mit dem höchsten Marktwert. Ein zahlenmäßig umfangreiches Angebot bestand in den Verlagen der westlichen Zonen auch an Werken des nationalen und internationalen Literaturerbes - bereits unmittelbar nach 1945 wurden dort Balzac, Dostojewski, Eichendorff, Gogol, Goethe, Heine, E. T. A. Hoffmann, Hölderlin, Keller, J. London, Mörike, Puschkin, Rilke, Schiller, Shakespeare, Stifter und Storm mit Werk- und Einzelausgaben verlegt. In den Produktionen der Verlage mit sowjetischer Lizenz nahmen die Werke des humanistischen Erbes ebenfalls einen herausragenden Platz ein: Reclams Universal-Bibliothek begann 1946 mit Einzelausgaben der Dramen Goethes, Schillers und Shakespeares. Die höchste Auflage hatte Lessings während des Faschismus „unerwünschter" Nathan der Weise (im Theater das Nachkriegsereignis von überragender Wirksamkeit und kulturpolitischer Bedeutung). Das Stück erschien in 80 000 Exemplaren allein in den Jahren 1946/47. 32 Im Aufbau-Verlag erschien bereits 1945/46 als eine der ersten Editionen Heines Deutschland. Ein Winter mär chen in drei Auflagen mit 60 000 Exemplaren. 33 Eine überaus gewichtige Rolle spielte damals der Verlag Volk und Wissen, dessen belletristische Produktion in den Jahren 1946 bis 1949 umfangreich war und der sich insbesondere auf Werke des humanistischen Erbes der deutschen und inter32
nationalen Literatur konzentrierte. Auch hier wurden in sehr hohen Auflagen 1946 Lessings Nathan der Weise, außerdem Büchners Dantons Tod, Fontanes E f f i Briest, Goethes Iphigenie herausgebracht Werke also, die dem antifaschistisch-demokratischen Erziehungsziel in besonderem Maße entsprachen.3''' Es gab in der Tat nur ein einziges Gebiet, auf dem die Produktion der westlichen Verlage führend war: das Feld der politisch scheinbar unverbindlichen, künstlerisch fragwürdigen Trivialliteratur. Hatte die Verbreitung der klassischen Literatur für viele Verleger noch eine kulturpolitische Alibifunktion (sie war zudem durch Nachdrucke oder einfache Bestandsverkäufe aus der Zeit vor 1945 mit geringem materiellem Aufwand zu bewerkstelligen), so zeigte sich hier das unverhüllte Marktprinzip. Die Vielzahl der privaten Kleinunternehmen war nur durch die Befriedigung der großen Nachfrage nach dieser Literatur konkurrenzfähig. Das galt vor allem für die nach 1945 gegründeten Verlage, die weder über eine Tradition noch über alte Bestände verfügten und daher nur auf diesem Wege ihre Existenzfähigkeit sichern und ausbauen konnten. Bauer nennt in seiner kurzen Übersicht einige Titel aus der Kitschproduktion, die damals eindeutig den Markt beherrschte: Die hohe Stunde, Verzauberte Stunde, Die stille Stunde, Stunden der Stille, Lob der Stille, Todesstille im Schloß, Der Weg zu ihr, Durch Liebe heimgefunden, Die Reise in das Herz, Die Zauberniesche, Die Schöne aus dem Hintertal usw.35 Es ist offensichtlich, daß die Vorliebe „für das Verschlossene und Absonderliche, für das allzu Tränenselige und das Gemütvoll-Behagliche" 36 , wie Bauer formulierte, hier eine von der Realität bewußt ablenkende, auf Innerlichkeit, Mystizismus und Illusionismus sich gründende Funktion erhielt - eine Funktion, die an die vom Faschismus geförderten Tendenzen in Kunst und Literatur unmittelbar anknüpfte. Ohne Zweifel lagen diesen Wünschen berechtigte massenhafte Bedürfnisse nach sozialer Geborgenheit und intakten menschlichen Beziehungen zugrunde, die aber hier in reaktionärer Richtung manipuliert wurden. Verhängnisvoll war diese Literatur vor allem deshalb, weil sie nicht eine Ergänzungs-, sondern eine Ersatzfunktion in Hinblick auf die obengenannte Literatur hatte; in Anbetracht der schwierigen materiellen Situation, der strengen Kontingentierung von Papier und Druckkapazität, wurden diese Bücher nicht neben, sondern anstelle anderer Literatur gedruckt. Das Bestreben, dem Leser unterhaltende Literatur zur Verfügung zu stellen, ohne kompensierende Folgen in Kauf nehmen zu müssen, 3
DDR-Litcntur
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hatten auch progressive Verleger im Westen und die Verlage der sowjetischen Besatzungszone. Im Aufbau-Verlag, im Verlag Neues Leben und bei Volk und Welt erschienen deshalb in hoher Auflage Werke von Stevenson, Mark Twain, Jack London, Bret Harte und anderen. Im Westen gelang es Ernst Rowohlt, mit Hilfe des Rotationsdruckverfahrens die Auflagenbeschränkung zu umgehen und mit Romanzeitungen eine praktische Alternative gegen die Kitsch- und Schundproduktion zu schaffen. Zum Preis von 50 Pfennig, mit einer Auflage von 100 000 Exemplaren wurden Romane der zeitgenössischen Weltliteratur, die spannend, realistisch und modern zugleich waren, auf den Markt gebracht. Als wirkungsvollster Autor erwies sich Ernest Hemingway - als erster „ro-ro-ro" (Rowohlts-Rotations-Roman) erschien 1946 In einem anderen Land - , ein Bestseller der Nachkriegsära wurde sein Buch aus dem spanischen Bürgerkrieg Wem die Stunde schlägt. Rowohlt verhalf damit einer bisher unbekannten Literatur zum Durchbruch und sicherte ihr bleibende Massenwirksamkeit. Die kursorische Übersicht über den Buchmarkt der Jahre 1945 bis 1949 macht zumindest die Tendenzen der Literaturverbreitung sichtbar, wenn sie auch nicht alle Differenzierungen erfaßt. Im einzelnen ergeben sich hier und da Korrekturen: So erschienen in einigen Verlagen der westlichen Zonen auch Bücher sozialistischer Autoren, wie Bechers Abschied im Asmus-Verlag, Konstanz, und eine Gedichtsammlung im Bachmair-Verlag, Starnberg, Wolfgang Langhoffs Moorsoldaten, Anna Seghers' Das siebte Kreuz und Eduard Claudius' Spanienbuch Grüne Oliven und nackte Berge im Verlag Kurt Desch, München, Friedrich Wolfs Erzählung Der Russenpelz im Wulff-Verlag, Überlingen.37 Auf der anderen Seite waren bedeutende antifaschistische Autoren - voran Thomas Mann, aber auch Leonhard Frank und zum großen Teil Lion Feuchtwanger - aus urheberrechtlichen Gründen bis 1949 noch nicht im Auf bau-Verlag erschienen, obwohl sie später dort Spitzenauflagen erzielten. Analoges gilt für Brecht, von dem lediglich Furcht und Elend des dritten Reiches bei Aufbau und Volk und Wissen herauskam. Aber auch im Westen waren seine Arbeiten zu dieser Zeit nur vereinzelt, seine Exilwerke fast gär nicht zu finden.38 In den Verlagen der sowjetischen Besatzungszone fehlten vorerst unter den Büchern sozialistischer Autoren die frühen, vor 1933 entstandenen Werke der proletarisch-revolutionären Literatur. So wurden z. B. Brennende Ruhr von Grünberg, Leuna 1921 von Berta Lask, 34
Sturm auf Essen von Marchwitza, Barrikaden am Wedding von Neukrantz, Maschinenfabrik N & K von Bredel und Märzstürme von Gotsche erst in der Roten-Dietz-Reihe (1960 bis 1963) wieder veröffentlicht.39 Von einigen Autoren - unter ihnen Erich Weinert - fehlten 1945 bis 1949 noch Buchpublikationen. Die revolutionäre Tradition der deutschen Arbeiterbewegung als Thema der Literatur wurde hauptsächlich über die Romantrilogien von Bredel, Marchwitza und Anna Seghers vermittelt. Bezieht man jedoch die Publikationen in Zeitungen und Zeitschriften ein, dann ändert sich auch dieses Bild - vor allem durch die Veröffentlichungen von Thomas Mann, Brecht und Weinert. Schließlich gab es auch hier in zahlreichen kleinen Verlagsunternehmen eine schwunghafte Kitschproduktion, mit dem Unterschied allerdings, daß ihr Anteil an der Buchverbreitung insgesamt zugunsten der großen Verlage gebremst war. Außerdem ist zu berücksichtigen, daß bis zur Währungsreform 1948 ein getrennter Buchmarkt nicht bestand - die Erzeugnisse der ostdeutschen Verlage wurden im Westen vertrieben und umgekehrt. Alle Aussagen beziehen sich also nicht auf ein getrenntes Angebot in den Buchläden, sondern auf unterschiedliche Produktionsprinzipien. Dennoch - im Hinblick auf die massenhafte Verbreitung bestimmter Literaturrichtungen sind die genannten Tendenzen aufschlußreich. Die Feststellung, daß bereits vor 1949 „die Weichen gestellt" wurden - und zwar in gegensätzliche Richtungen - , bewahrheitet sich durchaus. Die Dominanz der Exilautoren auf der einen und der Vertreter der „inneren Emigration" auf der anderen Seite, die Bevorzugung realistischer Autoren oder der Vertreter der Moderne aus der zeitgenössischen internationalen Literatur, die gezielte oder summarische Verbreitung des nationalen und internationalen Literaturerbes, die Konzentration der sozialistischen, vor allem sowjetischen Literatur auf die Verlage der sowjetischen Besatzungszone und der massenhaft vertriebenen Kitsch- und Schundproduktion auf die des Westens sind praktischer Ausdruck unterschiedlicher politischer Konzepte, aber nicht dieser allein. Sie erhellen die Funktion der Literaturinstitutionen, offenbaren deren Charakter als Form organisierter Einflußnahme auf die Herausbildung bestimmter Bewußtseinsinhalte und lassen die Unterschiede in der ökonomischen, materiellen Fundierung der Buchproduktion bereits deutlich erkennen. Hinsichtlich der Bewertung des Literaturprozesses auf dem Gebiet 3*
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der späteren DDR ergibt die Übersicht bereits einige Anhaltspunkte: 1. Das Schwergewicht im literarischen Leben der Jahre 1945 bis 1949 liegt auf der V e r b r e i t u n g der vorhandenen, während des Faschismus unterdrückten, verbotenen und vernichteten Literatur aller progressiven Richtungen. Eine Beschränkung auf das literarische Schaffen der antifaschistisch-demokratischen Phase reicht also 2ur Bestimmung ihres Inhalts nicht aus, weil dieser Bereich aus dem praktischen Umgang mit Literatur (und damit auch als Voraussetzung für die literarische Neuproduktion) ausgeklammert bliebe. 2. Die Verlagsproduktion in der sowjetischen Besatzungszone war schon in dieser Zeit nicht allein auf die Verbreitung von Literatur antifaschistisch-demokratischen Inhalts einschließlich des humanistischen Erbes gerichtet, sondern es beginnt bereits 1945 das Bekanntmachen mit der sozialistischen Literatur. Von der organisierenden und aufnehmenden Seite her werden bereits sozialistische Elemente des Literaturprozesses etabliert, vor Beginn der eigenen sozialistischen Literaturproduktion der D D R beginnt bereits die Rezeption sozialistischer Werke. 3. Nimmt man die Literatur des antifaschistischen Exils als die 1945 am weitesten fortgeschrittene deutsche Literaturbewegung, so zeigt sich in der Konfrontation mit der Lesersituation, daß der Fortschritt in der literarischen Produktion solange ein Fortschritt „im Geiste" blieb, wie er keine praktischen Folgen für die gezielte Verbreitung dieser Werke durch die Literaturinstitutionen hatte. Die Konsequenz kann - das beweist der Literaturbetrieb in den westlichen Zonen auch Wirkungslosigkeit sein. Die Kluft zwischen dem Stand der literarischen Produktion und dem Stand des Rezeptionsbewußtseins als Ausgangsbedingung dieser Phase war nur durch Organisation zu überwinden, im Hinblick auf das Verlagswesen also durch das Bereitstellen dieser Literatur für den Leser, ihre Verbreitung in sehr hohen Auflagen, so daß zunächst sehr schnell und gezielt ein Massenangebot geschaffen wurde.
Materielle Fundierung der Bucbproduktion W o liegen nun die Ursachen für die geschilderte Polarisierung im Literaturbetrieb, die vor der Gründung der beiden deutschen Staaten keineswegs selbstverständlich w a r ? W i e kam es zu den Unterschieden in der materiellen Fundierung der Buchproduktion, da doch mit dem Potsdamer Abkommen eine einheitliche, verbindliche Rechtsgrund36
läge bestand, der sowohl die Politik der Besatzungsmächte als auch die Entscheidungen der Selbstverwaltungsorgane und der politischen Parteien in Deuschland verpflichtet waren? Von den politischen und staatsrechtlichen Grundsätzen her waren in Deutschland die gleichen Ausgangsbedingungen gegeben. Welche Rolle spielte hier die Politik der Mächte der Antihitlerkoalition, die die oberste Regierungsgewalt ausübten und auch auf dem Gebiet der Literaturpolitik die ersten entscheidenden Gesetze und Verordnungen erließen? Das Potsdamer Abkommen war insofern ein geschichtliches Novum, als hier erstmalig neben der militärischen und wirtschaftlichen Vernichtung des Gegners die positive Aufgabe der Umgestaltung des politischen Lebens auf demokratischer Grundlage zum Ziel gesetzt wurde. Die westlichen Siegermächte verstanden diese Aufgabe als eine „Erziehung zur Demokratie". Sie war bereits ein Alternativkonzept gegen die Vorstellungen jener Kreise des westeuropäischen und amerikanischen Monopolkapitals, die auf eine politische Entmündigung des deutschen Volkes hinausliefen. Dazu gehörte z. B. die Ansicht von der „Unfähigkeit der Deutschen zur Demokratie", wie sie Lord Vansittart, ständiger außenpolitischer Berater der britischen Regierung, in seinem Buch Roots of the Trouble (1941) vertreten hatte. Diese Auffassungen, mittels derer nicht zwischen den Volksmassen und den herrschenden Kreisen in Deutschland unterschieden wurde, standen schließlich den Bestrebungen der westlichen Alliierten selbst im Wege (was nicht bedeutet, daß sie später nicht doch in der kulturpolitischen Praxis wirksam wurden). Entscheidend aber war, daß die Sowjetunion als sozialistische Besatzungsmacht in ihrer Deutschlandpolitik das Prinzip des proletarischen Internationalismus vertrat. Das demokratische Umerziehungsprogramm sah sie als Programm der demokratischen Selbstbestimmung und Selbsterziehung der Deutschen an. Sie unterstützte die führenden politischen Kräfte in diesem Prozeß - die marxistisch-leninistische Partei und ihre Bündnispartner. Die Einigung der vier Mächte auf das Konzept der demokratischen Umerziehung des deutschen Volkes kam vor allem deshalb zustande, weil es dem Willen der vom Faschismus betroffenen Völker entsprach, dauerhafte Garantien gegen die Wiederholung einer deutschen Aggression zu schaffen und deshalb die ideologischen Grundlagen der Völkervernichtung wie Chauvinismus, Rassismus und Antikommunismus für immer zu beseitigen. Auf diese Weise deckte sich die Politik der Antihitlerkoalition in ihren antifaschistisch-demokratischen 37
Grundsätzen mit den nationalen Aufgaben, die das deutsche Volk selbst zu lösen hatte. Auf dem Gebiet der Literaturpolitik bildeten folgende Maßnahmen der vier Mächte die juristische Grundlage zur Zerschlagung des faschistischen Literaturapparats und zur Demokratisierung des literarischen Lebens: - Das Gesetz Nr. 2 des Alliierten Kontrollrats vom 10. Oktober 1945 zur Auflösung und Liquidierung der Nazi-Organisationen, darunter der „Parteiamtlichen Prüfungskommission zum Schutze des nationalsozialistischen Schrifttums", des Zentralverlages der N S D A P (Eher-Verlag) und der Reichskulturkammer. 40 - Die Kontrollratsdirektive Nr. 24 vom 12. Januar 1946 über die „Entfernung von Nationalsozialisten und Personen, die den Bestrebungen der Alliierten feindlich gegenüberstehen, aus Ämtern und verantwortlichen Stellungen", d. h. der Personen, die in den im Gesetz Nr. 2 verbotenen Organisationen tätig waren. 4 1 - Der Befehl Nr. 4 des Alliierten Kontrollrats vom 13. Mai 1946 über die „Einziehung von Literatur und Werken nationalsozialistischen und militaristischen Charakters". 42 - Die Direktive Nr. 38 des Alliierten Kontrollrats vom 12. Oktober 1946 über die Verhaftung und Bestrafung von Nazi- und Kriegsverbrechern gemäß dem Gesetz Nr. 10 des Alliierten Kontrollrats vom 20. Dezember 1945 und der Anordnung der Alliierten Kommandantur Berlin Nr. 101a vom 26. Februar 1946, darunter derjenigen Personen, die „der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft propagandistische . . . Unterstützung gewährt" haben unter der Kategorie der „Hauptschuldigen". 43 - Die Direktive des Alliierten Kontrollrats Nr. 50 vom 29. April 1947 „Verfügung über Vermögenswerte, die den in der Kontrollratsproklamation Nr. 2 im Kontrollratsgesetz Nr. 2 angeführten Organisationen gehört haben". 44 Sie konkretisierte die im Potsdamer Abkommen getroffenen Festlegungen über die Liquidierung der Monopolverbände auch für die Institutionen des Literatur- und Pressewesens. Diese Maßnahmen zusammengenommen lassen erkennen, daß bei der Liquidierung des faschistischen Literaturbetriebs die Politik der vier Mächte noch große Übereinstimmung aufwies. Dennoch gab es im Tempo und in der Konsequenz, mit der die Direktiven des Kontrollrats in die Verordnungen der Besatzungzonen überführt wurden und damit Gesetzeskraft erhielten, bereits Unterschiede: 38
Dem Befehl Nr. 4 zur Einziehung der nationalsozialistischen und militaristischen Literatur war in der sowjetischen Besatzungszone bereits der Befehl der SMA vom 15. September 1945 vorausgegangen/*5 Als der Befehl Nr. 4 im Mai erlassen wurde, lag hier schon eine von der Deutschen Bücherei ausgearbeitete Liste der auszusondernden Literatur gedruckt vor, praktisch hatte die Aussonderung in Buchhandlungen und Bibliotheken unter direkter Anleitung durch sowjetische Kulturoffiziere schon im Sommer 1945 begonnen. Im Juli 1946 erschien die Liste der amerikanischen Besatzungszone, die allerdings bald darauf wieder eingezogen wurde. Sie enthielt 1000 Titel - gegenüber der Liste der Deutschen Bücherei mit 15000 Titeln - und hatte lediglich „erläuternden" und „beispielhaften" Charakter. 46 In den westlichen Zonen lag die Aufstellung der Listen allein in den Händen der Bibliotheken oder regionaler Büchereiverwaltungen (so wurden z. B. der französischen Militärregierung 10 unterschiedliche Listen mit insgesamt 2300 Titeln vorgelegt). 47 In der sowjetischen Besatzungszone war dagegen die Deutsche Zentralverwaltung für Volksbildung als zentrales Selbstverwaltungsorgan für diese Arbeit verantwortlich. Bei dieser Handhabung des Befehls Nr. 4 blieb es nicht aus, daß die Verzeichnisse der verbotenen Bücher in den Westzonen „im wesentlichen von literarischen statt von politischen Voraussetzungen" ausgingen und außerdem „allzu duldsam" gegen nationalsozialistische Schriften vorgegangen wurde. 48 Noch wichtiger, weil wegweisend für die soziale Organisation der Literaturverbreitung, war die Anwendung der Direktiven Nr. 38 und Nr. 50. Hier ist zu beachten, daß sie wegen des Widerstands der Westalliierten erst mit großer Verzögerung erlassen wurden - zu einem Zeitpunkt nämlich, als es für ihre Ausführung in den westlichen Zonen bereits zu spät war. Von besonderer Bedeutung für die ökonomische Fundierung und das politische Profil des Verlagswesens war der Befehl Nr. 50. Er besagte, daß die Eigentums- und Vermögenswerte der faschistischen Lenkungsapparate und Verlagskonzerne von den Besatzungsbehörden beschlagnahmt und dem neuen Eigentümer, darunter gesellschaftlichen Organisationen und Parteien, zu übergeben seien. Voraussetzung war das Bestehen von antifaschistischen Parteien und Organisationen, das in der sowjetischen Besatzungszone bereits durch den Befehl Nr. 2 der SMA vom 10. Juni 1945 garantiert war. Zu dieser Zeit war in den Westzonen noch jede politische Aktivität unter Strafe gestellt. Die Parteien und Organisationen in der sowjetischen Besatzungszone erhielten in der Regel so39
fort nach Antragstellung die Genehmigung zur Herausgabe von Publikationen und zur Gründung eigener Verlage auf der Grundlage des Befehls Nr. 19 der S M A vom 2. August 1945 zur Regelung der Druckerei- und Verlagsarbeit. 4 9 So konnte sich die K P D bereits am 11. Juni konstituieren und ihr Programm der Demokratisierung, einschließlich der Aufgaben des Erziehungs- und Bildungswesens, der Wissenschaft und Kunst, vor die Öffentlichkeit bringen. Der K P D Verlag Neuer Weg nahm am 30. Juli 1945 seine Arbeit auf: 1946, nach Zusammenlegung mit dem sozialdemokratischen Verlag Vorwärts, ging aus ihm der Dietz Verlag der S E D hervor. Der Antrag auf Zulassung des Kulturbundes wurde am 25. Juni 1945 genehmigt, die Tätigkeit des Kulturbund-Verlages unter der Bezeichnung AufbauVerlag G M B H durch Verfügung der S M A am 18. August 1945 zugelassen. Der Verlag Volk und Wissen als zentraler Schulbuchverlag erhielt seine Lizenz am 25. September 1945. Hier verhinderte der SMA-Befehl zur Beschlagnahme des Eigentums des faschistischen Staates (Nr. 124 vom 30. Oktober 1945) und zur Konfiskation des Eigentums der N S D A P (Nr. 126 vom 31. Oktober 1945) v o n v o r n h e r e i n die Reorganisation des Verlagswesens auf monopolkapitalistischer Grundlage. D a s schloß nicht aus, daß auch im Verlagswesen ein privatkapitalistischer Sektor weiterhin bestand. A b 1946 wurden Privatverlage nach der Sichtung und Reinigung ihrer Bestände wieder zugelassen (unter ihnen traditionsreiche große Häuser wie Reclam-, Insel-, Greifenverlag), aber entscheidende Positionen des Verlagswesens waren bereits auf gesellschaftliche Lizenzträger verteilt, so daß eine Monopolbildung auf privater Grundlage verhindert wurde. Bei den Westalliierten galt für die Lizenzerteilung der Gesichtspunkt der „Überparteilichkeit". Hier wurden Lizenzen zunächst ausschließlich an Einzelpersonen vergeben. Durch das Nutzungsrecht der Lizenzträger an den beschlagnahmten Produktionsmitteln (Drukkereien und Papiervorräten) und das unangetastete Marktprinzip kam es von Anfang an zum Aufbau des Verlagswesens auf privatkapitalistischer Grundlage. Dort verlief also der Prozeß genau umgekehrt Lizenzvergaben an Privatpersonen rangierten vor der Lizenzierung der Publikationsmittel gesellschaftlicher Organisationen. Im Ergebnis einer solchen Lizenzpolitik kam es nach Aufhebung des Lizenzverfahrens 1949 rasch zu einem Konzentrationsprozeß und in dessen Folge zur Monopolbildung gerade der reaktionärsten Vertreter dieser Branche. 40
Andererseits war auch in der sowjetischen Besatzungszone mit den genannten SMA-Befehlen der eigentumsrechtliche Status der vergesellschafteten Literaturinstitutionen noch nicht festgelegt. Wenn in westlichen Veröffentlichungen behauptet wird, daß ab 1945 eine „Verschiebung vom privaten Verlag zugunsten der sogenannten 'Volkseigenen Betriebe'"50 stattfand, so verwischt eine solche Darstellung erstens die Tatsache des Weiterbestehens privater Verlage und zweitens den wesentlichen Umstand, daß die Entscheidung für eine Überführung der auf Grund des Kriegsverbrechergesetzes enteigneten Verlage in Volkseigentum nicht von der Besatzungsmacht, sondern vom deutschen Volk selbst getroffen wurde. Das entsprach genau der Festlegung des Potsdamer Abkommens, daß die Deutschen über den sozialökonomischen Status ihrer Ordnung selbst bestimmen könnten. Auch die gesellschaftlichen Verlage wurden nicht als VEB gegründet, sondern gemäß dem noch herrschenden bürgerlichen Recht als GMBH. Über die führende Beteiligung (Majorität) der Funktionäre gesellschaftlicher Organisationen oder der Angehörigen von Selbstverwaltungsorganen wurde nicht nur eine Verlagsführung zum Zweck der persönlichen Bereicherung verhindert, sondern auch der Einfluß der organisierten antifaschistischen Kräfte auf den Inhalt der Verlagsarbeit gesichert. Ermöglicht wurde die Entscheidungsfreiheit der Bevölkerung über die künftigen Besitzverhältnisse allerdings durch die Politik der sozialistischen Besatzungsmacht. Der Befehl Nr. 154 der SMA vom 21. Mai 194651 regelte die Übergabe der beschlagnahmten Betriebe an die Selbtsverwaltungsorgane und bildete die Grundlage für den Volksentscheid zur Überführung der Betriebe der Nazi- und Kriegsverbrecher in Volkseigentum. Aber erst der Volksentscheid selbst war die Voraussetzung für die Übernahme auch der wichtigsten Literaturinstitutionen in Volkseigentum. Eine direkte Auswirkung des Volksentscheids in Sachsen war das Gesetz zur Demokratisierung des Büchereiwesens, in dem der Begriff des Volkseigentums „auf alle Büchereien der öffentlichen Hand" ausgedehnt und damit erstmals in der deutschen Geschichte auf das Bibliothekswesen angewandt wurde. Gleichlautende Gesetze in den anderen Ländern waren ebenfalls ausgearbeitet, wurden aber nach Aufhebung der Ländergesetzgebung mit der Gründung der DDR in dieser Form nicht mehr verabschiedet. Das Ineinandergreifen der wichtigsten politischen Entscheidungen und Maßnahmen auf dem Gebiet der Buchproduktion und -Verbreitung 41
liegt auf der Hand. Es versteht sich von selbst, daß neben der frühzeitigen Zulassung antifaschistischer Organisationen die Existenz zentraler Selbstverwaltungsorgane, die bekanntlich nur in der sowjetischen Besatzungszone bestanden, eine wesentliche Voraussetzung für die demokratische Umgestaltung des literarischen Lebens war. Die für die Literaturpolitik zuständige Deutsche Zentralverwaltung für Volksbildung wurde schon im August 1945 gegründet. Bereits Ende 1945 wurde den Selbstverwaltungen auf Landesebene die Entscheidung über beschlagnahmte Druckereien und Verlage übergeben. Der Kulturelle Beirat für Verlagswesen bei der D Z V B unter der Leitung von Erich Weinert (gegründet im Frühjahr 1945) prüfte und empfahl zunächst Lizenzanträge und Verlagsprogramme im Auftrag der SMA, wurde aber bereits durch den Befehl Nr. 25 von 25. Januar 19475»2 in ein eigenverantwortliches Organ für das Verlags- und Bibliothekswesen umgewandelt. Dem Kulturellen Beirat oblag nunmehr u. a. die Genehmigung der Verlagsprogramme und die Papierzuteilung, welche damals die entscheidende Größe bei der Verwirklichung der Verlagsvorhaben darstellte. Von diesem Zeitpunkt an ging die Verantwortung für die weitere Gestaltung des literarischen Lebens in der Hauptsache auf die führenden antifaschistisch-demokratischen Kräfte in der sowjetischen Besatzungszone über. Am Beispiel der Tätigkeit des Kulturellen Beirats wird einsichtig, wie das Programm der antifaschistisch-demokratischen Umerziehung des deutschen Volkes als positiver Auftrag zur demokratischen Erziehung durch Literatur umgesetzt wurde. Voraussetzung für die Realisierung eines solchen Literaturkonzepts, wie es in der geschilderten Produktion der großen Verlage seinen Niederschlag fand, war eine entsprechende Literaturplanung. Die Notwendigkeit einer Regulierung der Buchproduktion war in Anbetracht der Kontingentierung von Rohstoffen und Druckkapizität kaum umstritten. Kontingentzuteilung gab es auch in den Westzonen, so etwa mit Hilfe einer Arbeitsgemeinschaft der Buchhändler in den amerikanisch besetzten Gebieten, die den Verlagen nach Entscheidung der Dringlichkeit der eingereichten Titel über die Landesverbände Papier zuteilte. 53 Die Bestätigung der Dringlichkeit war der entscheidende Faktor für die Freigabe der Titel und damit für das Gesicht des Buchmarkts. Auf diesem Feld bildeten sich die Alternativen der Buchproduktion heraus, und diese Alternativen bestanden nicht nur in den Westzonen auf der einen und der sowjetischen Besatzungszone auf der anderen Seite.
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Kurz nach der Erweiterung der Kompetenz des Kulturellen Beirats fand im Leipziger Börsenblatt für den deutschen Buchhandel eine erregte Debatte über den Artikel Planmäßige Buchproduktion von Heinrich Becker statt, in dem die neuen Aufgaben des Beirats erläutert wurden. Die Diskussion entzündete sich an der Feststellung, daß die Entscheidung der Dringlichkeit, die gleichbedeutend war mit der Entscheidung über die Veröffentlichung überhaupt, künftig den Mitgliedern des (zu diesem Zweck erweiterten) Beirats obliegen sollte. Es waren dies Persönlichkeiten des kulturellen Lebens, Wissenschaftler, Künstler, Bibliothekare und Buchhändler, „deren politische Urteilsfähigkeit außer Zweifel steht", so daß die Ermittlungen der Dringlichkeit „zugleich eine gewisse Kontrolle darüber darstellen, ob die geplanten Werke dem Aufbau einer fortschrittlichen Demokratie dienen". 54 Beckers Vermutung, daß die Vergabe dieser Entscheidungsbefugnis bei den „konsequenten Anhängern liberalistischen Denkens" lebhafte Bedenken hervorrufen würde, bewahrheitete sich in der Tat. Bereits die erste Zuschrift unter dem Titel Warum fragt man den Leser nicht? enthielt den diffamierenden Vorwurf einer erneuten „Lenkung des Schrifttums" 55 . Unter dem Vorwand einer Bevormundung des Lesers wird die Kompetenz des Beirats in Frage gestellt, denn nicht Institutionen hätten den Bedarf zu bestimmen, sondern allein die Interessen des Lesers, die ohnehin auf seiten des guten Buches lägen. Die wahren Interessen der geschäftstüchtigen Privatverleger spricht ein Dr. Johannes Hohlfeld aus, indem er sich besonders prononciert zugunsten der Liberalen äußert: „Auch ohne staatliche Lenkung von oben her erzwingt sich das Wirtschaftsleben selbst durch sein eigenes Lebensinteresse eine natürliche Begrenzung der Produktion." 56 Hohlfeld beschwört die Gefahr einer „planmäßigen Unterbindung der geistigen Produktion" 57 herauf, wenn Planungsstellen in die Eigenverantwortung des Verlegers eingriffen. Die „freie" Verlagsproduktion - von Becker als Kennzeichen des Literaturbetriebs der Vergangenheit samt seinen Folgen im NS-Literatursystem bezeichnet - sieht er im Gegensatz dazu als einzige Garantie gegen ein Wiederaufleben repressiver Lenkungsmechanismen an. Er wirft Becker eine „hoffnungslose Verwirrung der Begriffe" vor, wenn dieser Demokratie und Liberalismus gegeneinanderstelle: „Liberale Wirtschaftsauffassung mag des Verständnisses für sozialistische Ideen ermangeln, aber ihr demokratische Urteilsfähigkeit absprechen zu wollen, ist denn doch ein starkes Stück."58 43
Diese Polemik offenbart, in welchem Maße die verschiedenen D e mokratie- und Freiheitsauffassungen miteinander kollidierten, als die Zerschlagung des faschistischen Literaturapparats als „negative" Aufgabe des Umwälzungsprozesses erledigt war und es um die positive Neugestaltung des literarischen Lebens ging. Sie offenbart weiter, daß die Gegensätze in dem Moment offenkundig wurden, als die demokratischen Kräfte in Deutschland selbst entscheidende Machtbefugnisse erlangten. Solange die Verordnungen und Befehle der Besatzungsmächte die verbindliche Rechtsgrundlage bildeten, konnte die - gerade in liberalen und kleinbürgerlichen Kreisen verbreitete — Haltung des Besiegten und Machtlosen über politischen Gegensätze hinwegtäuschen. Im Verständnis solcher Begriffe wie Demokratie und Freiheit erwies sich, wie weit der ideologische Umwälzungsprozeß unter den Deutschen unterdessen vorangekommen war. Die sowjetischen Behörden und die konsequenten Antifaschisten in Deutschland waren sich einig in der marxistisch-leninistischen Definition des Freiheitsbegriffs, der auch die materielle Bedingtheit der wissenschaftlichen und künstlerischen Meinungsfreiheit umfaßt. Ein Freiheitsbegriff dagegen, der sich im Sinne des Liberalismus auf das Privateigentum stützte, war nur eine formale Zurücknahme der im Faschismus aufs äußerste zugespitzten Unfreiheit. Die Rückkehr zu vormonopolistischen „demokratischen" Verhältnissen erwies sich als Illusion - die Ideologie des Neoliberalismus verschleierte unter dem Deckmantel der Bewältigung des Faschismus die tatsächliche Rekonstruktion imperialistischer Verhältnisse und trat bald - forciert durch die Politik der Westmächte - in ihrer offen antikommunistischen Frontstellung zutage. 59 In der Diskussion des Börsenblattes wies der Leipziger Bibliothekar Ernst Adler die im Namen liberalen Denkens vorgetragenen Argumente Hohlfelds zurück, indem er zu bedenken gab, daß bei allen Verlegern der Vorkriegszeit „der geschäftliche Grundsatz der Rentabilität des Unternehmens mit an erster Stelle stand" 60 . Eine planmäßige Buchproduktion werde dagegen zu verhindern wissen, „daß verfehlte verlegerische Spekulation sich am Ende in Ramschhaufen tausender wertloser Bücher darbietet" 61 . Und Heinrich Becker schloß die Diskussion mit dem Verweis auf die Folgen „freier" Buchproduktion, die inzwischen auf der Charlottenburger Ausstellung der Nachkriegsproduktion zutage getreten wären. Das Bestandsverzeichnis der Austeilung aber ist eben jener Katalog der Neuerscheinungen 1945-1947, den Arnold Bauer seiner Analyse der Verlagstätigkeit nach 44
Kriegsende zugrunde gelegt hatte. Unter den besonders aktiven Verlegern jener Gruppe, die deformierte Literaturbedürfnisse rücksichtslos vermarkteten, finden sich dort zwei bekannte Namen: Axel Cäsar Springer und Heinrich Mohn, letzterer Lizenzträger des BertelsmannVerlags. Das Handbuch der Lizenzen deutscher Verlage weist aus, daß ersterer am 11. Dezember 1945 eine britische Lizenz für „Romane, Biographien, Essays"62 erhielt, letzterer (ebenfalls eine britische) am 27. März 1946 für „Theologie und schöngeistiges Schrifttum" (!) 63 . Wem die Jahre der „freien Konkurrenz" auf dem Buchmarkt den Weg zum marktbeherrschenden Verlagsmonopol ebneten, ist hieraus unschwer zu erkennen. Für die Privatverleger in der sowjetischen Besatzungszone wurde die Entscheidung für oder gegen den Vorrang kapitalistischer Geschäftspraktiken durch deren Weiterbestehen in den Westzonen gewissermaßen in Form der praktischen Alternative erleichtert. Ein Teil von ihnen, darunter die Inhaber traditionsreicher Leipziger Verlagshäuser wie Reclam, Brockhaus, Breitkopf & Härtel, gingen nach dem Westen und eröffneten dort Zweigunternehmen. Einige dieser Verlage in der DDR wurden später in V E B umgewandelt. Die beliebte These westdeutscher Geschichtsschreiber, die Verleger hätten i n d e r F o l g e von Enteignungen ihren Sitz 1 gewechselt, ist eine bewußte Irreführung: Alle Leipziger Verlage, die nicht unter das Kriegsverbrechergesetz fielen, hatten 1946 eine sowjetische Lizenz erhalten,64 und es gab für sie durchaus eine reale Existenzmöglichkeit in Übereinstimmung von persönlichen und gesellschaftlichen Interessen, die viele von ihnen auch nutzten. Die Großzügigkeit der Lizenzpolitik der sowjetischen Besatzungsmacht zeigte sich z. B. im Falle des Reclam-Verlags: Dessen Produktion enthielt von 1933 bis 1941 48 Prozent und von 1942 bis 1945 32 Prozent Werke, die imperialistisches oder faschistisches Gedankengut aufwiesen.65 Am 14. März 1946 erhielt der Inhaber, Dr. Ernst Reclam, eine sowjetische Lizenz für die Verbreitung von schöngeistiger und populärwissenschaftlicher Literatur.66 Reclam konnte mit der Herausgabe der Werke von Goethe, Schiller, Lessing und Heine sofort die auflagenstarke Produktion der RUB-Taschenbücher wieder aufnehmen und entsprach damit zugleich einer wichtigen kulturpolitischen Forderung. 1950, wenige Monate nach der Gründung der DDR, verließ er seinen Leipziger Verlag, dessen Weiterführung von den Arbeitern und Angestellten in eigener Verantwortung gesichert wurde. Die Abspaltung von Zweigunternehmen und ihre Neukonsolidie45
rung im Westen offenbarte, in welchem Maße die einheitlichen gesellschaftlichen Voraussetzungen der Anfangszeit inzwischen zu politischen Alternativen geworden waren. Die Entscheidungen der abwandernden Privatunternehmer zugunsten der unumschränkten Herrschaft des Marktprinzips waren nicht nur praktische Konsequenz ihrer Freiheitsauffassungen, sondern Ausdruck von Gegensätzen in der ökonomischen Fundierung der Buchproduktion in Ost und West. Sie zeigen weiter, daß diese Alternativen nicht nur zwischen der östlichen und den westlichen Zonen bestanden, sondern auch innerhalb der sowjetischen Besatzungszone ausgetragen wurden. Im Hinblick auf die Rolle der Buchgeschichte für die Geschichte der DDR-Literatur bestätigt die Besichtigung der materiellen, ökonomischen und politischen Bedingungen ihre Bedeutung für die oben geschilderte Situation im literarischen Leben. Die Buchgeschichte gibt Aufschluß über wesentliche Ursachen für das Vorherrschen bestimmter Lese-Inhalte dieser Zeit. Der enge Zusammenhang der Geschichte des Buchwesens mit der Gestaltung der Eigentums- und Rechtsverhältnisse im Ganzen (wie er sich am Beispiel der Lizenzvergaben darstellte), weiterhin mit den Prinzipien des Staatsaufbaus (im Gegensatz von Zentralismus und Föderalismus) oder mit der Rolle der politischen Parteien in Deutschland, offenbart den Einfluß außerliterarischer Faktoren auf die Literaturgeschichte. Er bestätigt aber auch folgenden weiterführenden Gedanken von Werner Krauss: „Sosehr eine gründliche Unterrichtung in der allgemeinen Gesellschaftsgeschichte für die Bearbeitung aller historisch-philologischen Disziplinen verlangt werden muß, sowenig kann die Kenntnis dieser Zusammenhänge den Literaturhistoriker v o n d e r E r f o r s c h u n g der s p e z i f i s c h l i t e r a r i s c h e n U m w e l t v e r h ä l t n i s s e e n t b i n d e n." 67 Entgegen der vulgärmarxistischen Methode einer unmittelbaren Ableitung der Literatur aus den ökonomisch-politischen Basisprozessen geht es hier um das Aufspüren der Vermittlungsglieder. Die Entscheidungen auf dem Gebiet des Verlagswesens und Buchhandels zeigen, daß es sich dabei nicht um den einfachen Widerschein, den Reflex von Entscheidungen an der Basis handelt, sondern daß die Literatur i n d e r G e s a m t h e i t i h r e r V e r h ä l t n i s s e eine aktive, mitgestaltende Funktion beim Aufbau der Gesellschaft hat. Es geht also nicht n u r um den Zusammenhang mit den materiellen Grundverhältnissen, sondern auch um das Erkennen der Materialität literarischer Verhältnisse und damit um ihre Einbeziehung in die
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Literaturgeschichte. Krauss schreibt dazu: „Die Literaturgeschichte muß ihre materiellen Voraussetzungen im Aufbau der literarischen Umwelt und in den jeweils herrschenden Formen des literarischen Lebens erkennen. Sie findet hier die Vermittlung der aus dem Unterbau stammenden Impulse. Durch diese Vermittlung wird die Literaturgeschichte als eigener 'Begründungszusammenhang', das heißt als eine eigene Wissenschaft, erst ermächtigt." 68
Literatur im ideologischen Er^iebungsp rogramm Die Wechselwirkung zwischen „materieller" und „ideeller" Seite der Literaturgeschichte (hier nicht im philosophischen Sinne einer BasisÜberbau-Relation zu verstehen) zeigt sich auch auf dem Gebiet der ideologischen Anschauungen über Literatur. Ebensowenig w i e die materiellen Bedingungen der Literaturgeschichte aus den Basisvorgängen unmittelbar zu erklären sind, wird auch die bewußtseinsbildende Rolle der Literatur nicht ohne ihre „materielle", d. h. institutionelle Vermittlung wirksam. Eine Erklärung der Funktion der Literatur lediglich aus den Vorstellungen und Meinungen über sie - auf welcher Ebene auch immer - bleibt in der Geistesgeschichte stecken. Andererseits erhalten die institutionellen, organisatorischen Veränderungen erst durch die bewußte Gestaltung der literarischen Verhältnisse als Teil der gesellschaftlichen Verhältnisse ihren historischen Sinn. Auch das ist anhand der Literaturentwicklung nach 1945 leicht nachzuprüfen. Die Entscheidung darüber, welche Rolle die Literatur in der Gesellschaft spielen sollte, unterlag auch jetzt den ideologisch bestimmenden Klassenkräften. Begriff und Bedeutung der Literatur hängen auf diesem Gebiet ebenfals untrennbar zusammen. Der zwischen der Funktionserweiterung der Literatur und der Erhöhung ihrer gesellschaftlichen Verantwortung bestehende Bezug, den Werner Krauss für die französische Aufklärung nachgewiesen hat, ist - in veränderter Form - auch am Beginn der sozialistischen Umwälzung zu beobachten. Er hängt erstens mit der Bedeutung und Größenordnung der ideologischen Umwälzung im revolutionären Prozeß zusammen und zweitens mit den Möglichkeiten der Literatur bei der massenwirksamen Veränderung von Bewußtseinsinhalten. In Deutschland war die Diskrepanz zwischen der geistigen Situation in der Masse der Bevölkerung und der Notwendigkeit einer
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grundlegenden Veränderung nach der faschistischen Herrschaft besonders groß - größer als in den europäischen Volksdemokratien, wo der nationale Befreiungskampf kontinuierlich in den Kampf um die Volksmacht hinübergeführt werden konnte. In Deutschland mußte erst das Bewußtsein darüber vermittelt werden, daß der Sieg über Hitlerdeutschland nicht nur der militärische Sieg der alliierten' Armeen war, sondern Ergebnis des Kampfes der internationalen Arbeiterbewegung und ihrer Verbündeten gegen den Faschismus. Es galt, unter den Bedingungen der militärischen Besetzung nachzuweisen, daß der Faschismus in seinem Klassenwesen kein spezifisch deutsches, nationales, sondern als Stadium der Machtausübung des Imperialismus ein allgemeines Phänomen war. Das ideologische Konzept der Bekämpfung der geistigen und moralischen Folgen des Faschismus mußte in erster Linie durch die politischen Kräfte in Deutschland selbst realisiert werden. Voraussetzung war eine ausgearbeitete politisch-ideologische Strategie, welche die internationalen Ergebnisse des Kampfes gegen den Faschismus ebenso berücksichtigte wie die Realität in Deutschland. Über ein solches umfassendes Konzept, das auf der Leninschen Revolutionstheorie fußte, die Generallinie des VII. Weltkongresses der Kommunistischen Internationale weiterführte und die Lösung der dringendsten Tagesaufgaben einschloß, verfügte 1945 nur die KPD. Sie hatte bei dem Ausarbeiten des politischen Aktionsprogramms nach der Zerschlagung des Faschismus auch Richtlinien für die Umgestaltung des geistig-kulturellen Lebens entworfen, die mit der Kulturpolitik der sowjetischen Besatzungsmacht in allen wesentlichen Punkten übereinstimmten. Der Zusammenhang zwischen dem Programm zur Eroberung der politischen Macht und den Entwürfen zur Gestaltung des geistigkulturellen Lebens ist offensichtlich. Erklärbar ist die überaus große Rolle, die Kunst und Literatur für die Bewußtseinsbildung des Volkes nach 1945 spielen sollten, letztlich nur aus der Bedeutung der ideologischen Umwälzung für den revolutionären Prozeß. Während der Zusammenhang von notwendiger Bewußtseinsveränderung und Rollenbestimmung der Literatur in der bisherigen Forschung außer Frage stand, ist die Größenordnung der ideologischen Umwälzung im einzelnen noch unzureichend untersucht Und dies nicht zuletzt deshalb, weil die Klärung der zugrunde liegenden Probleme den Rahmen der Einzelwissenschaft sprengt und weil speziell auf diesem Gebiet die Verständigung zwischen Geschichtswissenschaft und Litera48
turwissenschaft noch aussteht. Auch hier ist nicht der Ort, die Dialektik zwischen sozialökonomischen und politisch-ideologischen Faktoren im revolutionären Prozeß klären zu wollen - verwiesen sei lediglich auf einige Fakten, die über derartige Zusammenhänge in der konkreten historischen Situation nach 1945 näheren Aufschluß geben. In den Sitzungen der Arbeitskomission, die das Politbüro der K P D im Februar 1944 gebildet hatte, um das Aktionsprogramm für die Errichtung der antifaschistisch-demokratischen Ordnung nach 1945 auszuarbeiten, rückten besonders in den letzten Monaten vor der Befreiung Probleme der „grundlegenden Umgestaltung auf geistigem Gebiet" 69 mehr und mehr ins Zentrum der Beratungen. Zur gleichen Zeit wurden wesentliche Präzisierungen in der Frage der Eroberung und Sicherung der Staatsmacht vorgenommen. Sie wurde als Typ der von Lenin begründeten „revolutionären demokratischen Diktatur der Arbeiter und der Bauernschaft" 70 in Form eines politischen Bündnisses der Arbeiterklasse mit allen antimonopolistischen Kräften bestimmt. Die Entwürfe zum Aktionsprogramm sahen - wie Hans Laschitza nachweist - zwei Varianten der Übernahme der politischen Macht durch die demokratischen Selbstverwaltungsorgane vor: zum ersten die Konstituierung von Volksorganen aus allen Schichten der Bevölkerung unter den Bedingungen der faschistischen Diktatur - diese Variante setzte eine „antifaschistische M a s s e n bewegung des deutschen Volkes voraus, die einen größeren Beitrag zum Sturz des Hitlerfaschismus zu leisten vermag" 71 ; zum zweiten, daß sich die Volksorgane nach der Befreiung Deutschlands vom Faschismus bildeten, sollte es der faschistischen Führung gelingen, den Widerstand zu brechen „und das Volk bis zuletzt an das Hitlerregime zu ketten" 72 . Während der erste Weg noch 1944 nicht nur der Führung der KPD, sondern auch dem Nationalkomitee Freies Deutschland und dem illegalen Zentrum des Widerstands in Deutschland als der eher mögliche erschien, wurden Anfang April 1945 die Richtlinien auf die zweite Variante hin konkretisiert. 73 Gleichzeitig standen seit 1945 in den Beratungen der Arbeitskommission ideologische Probleme im Vordergrund. In den Plänen, Richtlinien und Maßnahmen, die in den folgenden Monaten für die ideologische Arbeit nach der Befreiung ausgearbeitet wurden, mußte man von der besonderen Schwierigkeit ausgehen, „in einem gleichzeitigen Prozeß die materiellen und geistigen Grundlagen für das neue Deutschland schaffen zu müssen"7''. Besondere Beachtung ver4
DDR-Literatur
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dient in diesem Zusammenhang der Hinweis von Laschitza, daß die Massenbewegung - zum Sturz Hitlers ausgeblieben - nunmehr erst geschaffen werden müßte. 75 Auf eine breite Volksbewegung als Basis der politischen Machtausübung konnte nicht verzichtet werden. Ihre Bedeutung resultierte aus dem Charakter der volksdemokratischen Revolution als historisch neuartiger Revolutionstyp. Sie war wie Rolf Badstübner hervorhebt - nicht nur eine Form des Heranführens der Massen an die sozialistische Umwälzung, sondern „vor allem eine Revolution, in der sich - verglichen mit der Oktoberrevolution - eine größere Breite der revolutionären Bewegung im Zusammenhang mit der Volksfrontpolitik und eine enge Verflechtung des antifaschistisch-demokratischen Kampfes mit dem Kampf um Sozialismus entwickelte" 76 . Die fehlende Bewußtheit über die notwendige antifaschistisch-demokratische Umgestaltung in der Mehrheit des deutschen Volkes einschließlich der Arbeiterklasse drängte den Schluß auf, „daß die demokratische Revolution auf geistigem Gebiet zur umfassendsten und kompliziertesten Aufgabe werden würde" 77 oder - anders gesagt - daß sich die Überwindung des Faschismus und die Einbeziehung der Werktätigen in den Prozeß demokratischer Veränderungen in wesentlichen Punkten als ein P r o g r a m m d e r E r 2 i e h u n g u n d S e l b s t e r z i e h u n g darstellten, in dessen Kontext auch die Aufgaben von Kunst und Literatur näher bestimmt wurden. Dabei ist zu berücksichtigen, daß der direkte Einfluß auf die Bewußtseinsbildung nicht allein der negativen Bilanz der Geschichte geschuldet war. Die Situation nach 1945 bot die Chance, ohne gewaltsame Einwirkung von außen oder die Gefahr eines Bürgerkrieges, also auf weitgehend gesichertem friedlichem Wege, die Mehrheit der Werktätigen zu gewinnen. Auf diese Weise konnten auch die Potenzen der antifaschistischen und sozialistischen Literatur, ihr „Vorlauf" gegenüber dem Bewußtseinsstand der Massen, planmäßig und zielgerichtet für die demokratische Umerziehung eingesetzt werden. So war es kein Zufall, daß ein Schriftsteller - Johannes R. Becher - als Mitglied der genannten Arbeitskommission nicht nur die künftigen Aufgaben von Literatur und Kunst umriß, sondern selbst einen wesentlichen Beitrag zur Analyse der ideologischen Situation in Deutschland leistete. In seinem Vortrag Zur politisch-moralischen Vernichtung des Faschismus vor der Arbeitskommission hatte Johannes R. Becher 1944 die Grundzüge der Naziideologie analysiert und war zu dem Schluß gekommen, daß diese nur beseitigt werden konnte, wenn zugleich der
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Kampf gegen den Imperialismus und seine Ideologie geführt würde. 7 8 Bestandteil der Analyse war eine illusionslose Einschätzung der Wirksamkeit dieser Ideologie auch nach der Beseitigung der nationalsozialistischen Herrschaft. Becher versuchte eine Antwort auf die Frage: „Welches ist der ideologisch-moralische Zustand, in dem wir unser deutsches Volk antreffen?" 7 9 und unterschied vier Gruppen von Deutschen: 1. Diejenigen, „die den Krieg unterirdisch fortsetzen wollen . . . " , 2. „Werden wir eine große Masse antreffen von solchen, die in eine völlige Apathie gefallen sind, die überhaupt nichts mehr glauben", 3. „Werden wir diejenigen vorfinden, die bereit sind, neue Wege zu gehen" und 4. „Werden wir denjenigen begegnen, die unter Hitler Antifaschisten geblieben oder Antifaschisten geworden sind." 8 0 E r bilanziert: „Dieses Bild der ideologisch-moralischen Bilanz ist reichlich düster. Um dieses unmenschliche Gesamtbild aufzuhellen, bedarf es gewaltiger Anstrengungen, gewaltiger geistiger Kräfte." 8 1 D a s Ziel lautet: „Umerziehung des deutschen Menschen, Umbruch, radikaler Bruch mit der deutschen Vergangenheit, grundsätzliche Wandlung der deutschen Wegrichtung, Wendung und Wandlung, Erziehung zur Freiheit . . . E s handelt sich darum, das deutsche Volk zu befreien von allem reaktionären Unrat seiner Geschichte . . . und dem deutschen Volk aus seiner eigenen Geschichte und aus der Geschichte anderer Völker alle die positiven Kräfte zuzuführen, die unser Volk als solches lebensfähig erhalten . . . und unserem Volk so wieder die Möglichkeit geben, in die Völkergemeinschaft zurückzukehren." 82 D i e Einheit von Umwälzungs- und Erziehungskonzeption war auch hier der Grundgedanke; aber im Unterschied zu den kulturpolitischen Maßnahmen der Alliierten, die ihre gemeinsame Basis nur in der unmittelbaren Bekämpfung des nationalsozialistischen Gedankenguts haben konnten, ging die Konzeption der antifaschistischen Kräfte weiter. Sie enthielt die Bekämpfung der imperialistische Ideologie überhaupt und traf sich hier wieder mit dem Konzept der sozialistischen Besatzungsmacht. In dieses umfassende Programm war auch die Literatur integriert. Ihre Funktion bestand in der Unterstützung des ideologischen Kampfes, und dessen waren sich die sozialistischen Schriftsteller durchaus bewußt. Anna Seghers erklärte die Situation nach ihrer Rückkehr aus 4*
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dem Exil später so: „Das war der Augenblick, in dem die deutschen Schriftsteller auf den Plan treten mußten, um so klar und so vernehmlich wie möglich Rede und Antwort zu stehen. Durch die Mittel ihres Berufes mußten sie helfen, ihr Volk zum Begreifen der selbstverschuldeten Lage zu bringen und in ihm die Kraft zu einem anderen, einem neuen friedvollen Leben zu erwecken."83 „Die Literatur", so schrieb Johannes R. Becher in seinen Bemerkungen zu unseren Kultur auf gaben, „wird vor Aufgaben gestellt sein, wie sie noch niemals in der deutschen Geschichte zu lösen waren."84 Den Charakter dieser Literatur beschreibt er folgendermaßen: „Sie wird eine nationale und demokratische Literatur sein in dem Sinn, daß sie zu einer allen Volksschichten zugänglichen Literatur wird, das heißt zu einer Volksliteratur im besten Sinne des Wortes."85 Dieses Literaturkonzept - das ist sofort ersichtlich - bestimmt die Rolle der Literatur zuallererst in ihrem Bezug auf den L e s e r . Es ist in hohem Maße ein literarisches W i r k u n g s konzept, das hier entwickelt wird. Folgerichtig beschränkt sich Becher nicht auf die neu entstehende antifaschistische Literatur, sondern entwirft einen Plan der Literatur V e r b r e i t u n g , nämlich:
,,a) Welche Werke von dem bereits Geschaffenen kommen für eine Verbreitung in Deutschland in Betracht. b) Welche Werke sind zu diesem Zweck in Vorbereitung. c) Fragen der Übersetzungsliteratur, besonders der Sowjetliteratur. d) Propagandaliteratur über die Sowjetunion."86 Die materiellen Bedingungen zur Realisierung des Literaturprogramms sind von vornherein in die Überlegungen einbezogen. Der Plan, den Heinz Willmann im Rahmen der Moskauer Beratungen entwirft, verweist nachdrücklich auf die Notwendigkeit, sich am Anfang eine „Übersicht über die Hilfs- und Lehrmittel, Druckmaschinen, Filmapparate usw." zu verschaffen.87 Becher nennt in den Bemerkungen unter „Organisationsfragen": Kulturorganisation, Verlage, Presse und Zeitschriften.88 In den Programmen der wichtigsten Verlage - Aufbau, Dietz, SWA, Volk und Welt, Neues Leben - werden diese Entwürfe umgesetzt. Aus ihnen erklärt sich sowohl die Breite des Literaturangebots als auch die institutionelle Konzentration, die Profilierung der Verlage im Dienste der effektivsten Form der Literaturverbreitung. Sie geben aber auch ein Bild von der fast universellen Rolle, die Literatur im Sinne der Politisierung und Demokratisierung des öffentlichen Lebens zu spielen hatte. Die angestrebte Einwirkung der Literatur auf 52
das Bewußtsein breiter Leserschichten erklärt auch, warum die Ausbildung ihrer Spezifik und Unersetzbarkeit nicht gefragt bzw. warum ihre ästhetische Seite so eng an die ideologiebildende oder -vermittelnde gekoppelt war. Im Programm des Dietz Verlages ist diese Bestimmung der Literatur offensichtlich. Wolf gang Böhme schreibt 1955 dazu: „Es ist gelegentlich die Frage aufgeworfen worden, ob denn Belletristik überhaupt in das Programm eines solchen Verlages gehöre"89, und seine Antwort lautet: „Wie sollten denn die Prinzipien der marxistisch-leninistischen Weltanschauung in ihrer Nutzanwendung treffender und einleuchtender dargestellt werden als in der schönen Literatur, die sich mit der Schilderung des wahren Lebens unmittelbar befaßt? Gerade diese Art von Belletristik ist doch geeignet, auch jenen Menschen einen Einblick in die Zusammenhänge zu geben, die sich dem politisch-theoretischen Buch gegenüber heute noch reserviert verhalten." 90 Ähnliche Aussagen finden sich auch in der Zeit unmittelbar nach 1945. Es ist offenkundig, daß die hier verlegte sozialistische Literatur eine Brückenfunktion zur Herausbildung einer marxistischen Weltanschauung einnahm, die auf breite Leserschichten zugeschnitten war. Die Aufgaben des Bildungs- und Erziehungswesens wiederum wurden im Verlag Volk und Wissen, dessen Schwerpunkt auf der Schulbuchproduktion lag, durch die Herausgabe belletristischer Werke ergänzt. Die Produktion des Aufbau-Verlages beruhte wie seine tragende Organisation, der Kulturbund - auf dem Gedanken eines breiten Bündnisses mit der Intelligenz. Der Verlag Neues Leben hatte seinen Adressaten in der vom Faschismus irregeführten jungen Generation und damit eine außerordentlich wichtige kulturpolitische Aufgabe. Aufschluß über Rolle und Stellenwert der Literatur innerhalb des Programms der antifaschistisch-demokratischen Erziehung gibt auch die Funktion des Deutschunterrichts in der Schule. Im 1946 eingeführten und bis 1951 gültigen provisorischen Lehrplan für das Fach Deutsch wird das Unterrichtsziel folgendermaßen bestimmt: „Der Deutschunterricht hat stärker als jedes andere Unterrichtsfach die Möglichkeit, unmittelbar auf den g a n z e n jugendlichen Menschen einzuwirken und ihn im Geiste der Humanität zu erziehen. Damit hat er einen wesentlichen Beitrag zur Bildung der neuen Generation zu leisten."91 Folgendes ist daraus ersichtlich: 1. Das Ziel des Deutschunterrichts korrespondiert direkt mit dem allgemeinen Erziehungsziel. Im Gesetz zur Demokratisierung der deut53
schert Schule von Mai/Juni 1947 heißt es zur Rolle der Schule: „Als Mittlerin der Kultur hat sie die Aufgabe, die Jugend frei von nazistischen und militaristischen Auffassungen im Geiste des friedlichen und freundschaftlichen Zusammenlebens der Völker und einer echten Demokratie zu wahrer Humanität zu erziehen."92 Literaturunterricht in der Schule heißt also im wesentlichen Erziehung d u r c h Literatur. 2. Die Art und Weise der Nutzung der Literatur für die Erziehung geht von der Vorstellung der Unmittelbarkeit ihrer Wirkung auf den „ganzen Menschen" aus. Dieses Prinzip bestimmt in der Folge sowohl die Methodik des Deutschunterrichts als auch die Auswahl der Lesestoffe. 3. Das Bildungsziel wird weitgehend vom Erziehungsziel geprägt. Für den Deutschunterricht der Oberstufe gilt folgende Bestimmung: „Dieser Unterricht muß ebenso vom Geiste der Wissenschaftlichkeit getragen sein, wie er sein überwissenschaftliches Ziel, die in unserem Schrifttum geborgenen Bildungskräfte wirksam werden zu lassen, nicht aus den Augen verlieren darf." 93 Die herausragende Stellung des Deutschunterrichts im gesamten Bildungs- und Erziehungswesen kommt auch quantitativ, in der Anzahl der Wochenstunden gegenüber den anderen Fächern, zum Ausdruck: In der Grundschule entfielen von zweiunddreißig Wochenctunden in den Klassen Fünf bis Acht auf das Fach Deutsch sechs Stunden (im Vergleich: Geschichte zwei bis drei Stunden, Mathematik fünf bis sechs Stunden, Naturkunde - d. h. Biologie/Physik/Chemie drei Stunden). 94 In der Oberschule (neuntes bis zwölftes Schuljahr) hatte der Deutschunterricht mit vierzehn Wochenstunden den höchsten Anteil in den Klassen Neun und Zehn.95 In der Berufsschule, die mit der Bildungsreform durch allgemeinbildende Fächer erweitert wurde, erreichte Deutsch neben dem neuen Fach Gegenwartskunde die höchste Stundenzahl. 96 Bei der Ausbildung der Neulehrer hatten Deutsch und Geschichte neben Mathematik den mit Abstand höchsten Anteil unter vierzehn Lehrfächern. 9 ' So, wie der Deutschunterricht für das Umsetzen des Erziehungsziels gleichsam prädestiniert war, spiegelte sich in ihm auch unmittelbar das Gesamtanliegen der B i l d u n g s reform wider. Die Brechung des Bildungsprivilegs zugunsten der Arbeiter- und Bauernkinder äußerte sich hier vor allem in einer grundlegenden Umgestaltung des Sprach- und Literaturunterrichts in der Mittelstufe (fünfte bis achte Klasse). Die Mittelstufe, die mit dem Abschluß der Grundschule 54
endete und auf Berufs- und Oberschule vorbereitete, mußte einen Teil der Bildungsaufgaben übernehmen, die früher von Mittel- bzw. Oberschule erfüllt worden waren. Zum Lehrplan gehörte das Heranführen an bedeutende Werke der Weltliteratur von Tolstoi, Gorki, Dickens, M a r k Twain und anderen, die Beschäftigung mit der deutschen Nationalliteratur des 18. und 19. Jahrhunderts - mit Dramen von Lessing, Goethe und Schiller, der Lyrik des Vormärz, Prosa von Storm, Keller und Stifter. Aus der zeitgenössischen Literatur wurden Werke von Romain Rolland, Martin Andersen Nexö, Arnold Zweig, Johannes R. Becher und Friedrich Wolf empfohlen. 98 Mit der Einheit von Bildungs- und Erziehungsziel wurden diejenigen faschistischen Erziehungsgrundsätze außer Kraft gesetzt, die Aneignung von Bildung hinter wehrhafte körperliche Ertüchtigung und „Willenserziehung" zurückgestellt hatten. Eine aktive Auseinandersetzung mit Kunst und Literatur war dort schon deshalb unmöglich gewesen, weil Kunstrezeption als Sache völkischer und rassischer Veranlagung im mystischen Dunkel von „Erbmasse" und „Volksseele" verblieb und als unbeeinflußbar durch Bildung und Erziehung galt. Dagegen hieß es im Deutsch-Lehrplan von 1946: „Die Entwicklung eigener Urteilskraft und selbständigen Denkvermögens der Schüler ist zu erstreben. Sie müssen vorwiegend mittätig sein. Ihre Hauptaufgabe darf nicht nur im Aufnehmen des Schrifttums bestehen." 99 Für die Auswahl der Literatur galt, daß „ästhetische Werte allein nicht maßgebend" 100 seien; der „Gehalt des Werkes muß im Sinne unseres Erziehungszieles fruchtbar werden können" 101 . So soll in der Oberstufe das Verständnis „für den Kampf der Völker um soziale Gerechtigkeit und das Ringen der Persönlichkeit um ihr Freisein" 102 geweckt werden. Zu diesem Zweck „sind aus unserer klassischen Literatur diejenigen Werke zu bevorzugen, die solche Kämpfe widerspiegeln (z. B. die Jugenddramen Schillers; Schillers 'Wilhelm Teil', Goethes 'Egmont')" 103 , das „Ringen um die Wahrung und Entfaltung der Humanität in dem widerspruchsvollen gesellschaftlichen Entwicklungsprozeß unseres Volkes" 104 wird als durchgehende Linie der Literaturgeschichte verstanden. Hauptthemen des Unterrichts in den letzten beiden Klassen der Oberstufe sind „die deutsche Dichtung des klassischen Zeitalters, der große poetische Realismus des 19. Jahrhunderts und die Gesellschaftsromane der jüngsten Vergangenheit und der Gegenwart in ihrem Zusammenhang mit den Strömungen der europäischen Gesamtkultur" 105 . Sosehr dieses Konzept einem geistesgeschichtlichen Humanismus-
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begriff verpflichtet war, sowenig darf übersehen werden, daß es unmittelbar praktisch ¿uf die junge Generation der Nachkriegszeit wirken sollte und gewirkt hat. Der Zusammenbruch des „Dritten Reiches" w a r gerade für die deutsche Jugend gleichbedeutend mit der Zerstörung der ihr anerzogenen Ideal- und Wertvorstellungen. Geschichtsfatalismus und das Gefühl von Ohnmacht und Ausweglosigkeit waren deshalb die ersten spontanen Reaktionen. Zwischen der psychischen Befindlichkeit einer Jugend, die sich als „verlorene Generation" betrachtete, ihren politischen Folgerungen und ihren literarischen Interessen bestand ein unmittelbarer Zusammenhang. Das offenbaren Antworten von jungen Deutschen auf eine U m f r a g e der Zeitschrift esprit in der französisch besetzten Zone. Befragt nach Möglichkeiten der geistigen Bewältigung des Faschismus und einer demokratischen Alternative, kommen sie wie von selbst auf Literatur und ihre W i r k u n g zu sprechen. Ein Jugendlicher schreibt: „Es tut jetzt gut, Pierre Joseph Proudhon zu lesen. W i l l i a m Godwin, Iwan Sergejewitsch Turgenjew und L u d w i g Feuerbach. D i e Verneinenden. Das schafft klaren K o p f Nichts mehr von Politikern, Messiassen und Führern. Nieder mit allen! . . . Nichts mehr von nazistischer, kommunistischer und demokratischer Neuordnung! Nieder mit a l l e n ! . . . Entweder vollste Toleranz von allen gegen alle oder Nihilismus und Anarchie. Denn es ist besser, eines gestohlenen Suppenhuhns wegen vom Nachbar den Schädel eingeschlagen zu erhalten, als denselben um irgendeiner Ideologie willen durch die jeweilige Justizmaschinerie vor die Füße gelegt zu bekommen." 1 0 6 Extreme Ideologiefeindlichkeit, sarkastischer Nihilismus und bewußte politische Abstinenz kennzeichnen eine spezifische Art der Auseinandersetzung mit der jüngsten Vergangenheit. Diese Wirkungen korrespondierten mit der Umerziehungspolitik in den Westzonen, waren also auch hier in ein Erziehungsprogramm integriert, das sich auf die These von der Kollektivschuld der Deutschen gründete. Der Faschismus erschien hier als „moralische und psychologische 'Entgleisung' eines ganzen Volks" 1 0 7 , das daher in seiner eigenen Geschichte und kulturellen Tradition keinen positiven Ansatz zur Überwindung der jüngsten Vergangenheit finden könnte. Mit dem Hinweis auf eine progressive humanistische Traditionslinie innerhalb der deutschen Literatur wurde in der sowjetischen Besatzungszone zuerst einmal eine praktikable Alternative zu Geschichtsfatalismus und Kulturpessimismus geschaffen. Sie korrespondierte mit dem Anliegen der Geschichtswissenschaft, die „'positive Einstellung zur Gesellschaft' wissenschaftlich zu begründen, aus der
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wissenschaftlichen Untersuchung der Höhepunkte der Geschichte unseres Volkes Vertrauen in seine Zukunft abzuleiten" 108 . Schon mit dem ersten Lehrplan wurde angestrebt, daß der Deutschunterricht Bezug nehme „auf den Zusammenhang der Dichtung mit der gesellschaftlichen Entwicklung, wie sie der Geschichtsunterricht darstellt". Dieser Bezug ist deshalb wichtig, weil mit der Vermittlung eines wissenschaftlichen Geschichtsbildes auf der Grundläge des historischen Materialismus bereits begonnen wurde, als für den Deutschunterricht ein marxistisch begründetes Unterrichtsprogramm noch nicht vorlag. Schon 1945/46 waren drei Bände Richtlinien für den Unterricht in deutscher Geschichte gedruckt erschienen. Dieser Vorlauf war möglich, weil die Führung der K P D und des Nationalkomitees Freies Deutschland bereits während des Faschismus mit der Ausarbeitung der Richtlinien begonnen hatten. 109 Die Lehrpläne für Deutsch und Geschichte waren so weit abgestimmt, daß auch im Literaturunterricht von der Formationsfolge ausgegangen wurde und die Behandlung der geschichtlichen und der literarischen Entwicklung in den einzelnen Klassenstufen miteinander koordiniert waren. Innerhalb des Deutschunterrichts war der Bezug zwischen Literatur- und Geschichtsprozeß anfangs nur thematisch hergestellt, aber noch nicht durch eine dialektische Vermittlung erschlossen. Im Lehrplan der Oberstufe heißt es entsprechend, daß „nur die großen Epochen der deutschen Literaturgeschichte in ihrer geistesgeschichtlichen Bedeutung herauszuarbeiten" 110 seien. Die „geistesgeschichtlichen Epochen" - Sturm und Drang, Klassik, Realismus, Naturalismus - sind als „gemeineuropäische Erscheinungen" 111 verständlich zu machen. Der weltliterarische Bezug wird noch über die Analogisierung ideengeschichtlicher Phänomene erschlossen. Im Hinblick darauf definiert der Lehrplan auch die Humanismus-Problematik: „Die Entfaltung der Persönlichkeit hat in Ost- und Westeuropa und in der angelsächsischen Welt unter denkbar verschiedenen Umständen, aber in Richtung auf dasselbe Ziel stattgefunden." 112 Die „bürgerlichen Freiheitsbestrebungen in Frankreich und in den angelsächsischen Staaten und die sozialistische Revolution in Rußland" 113 werden unter die gleichen Prinzipien des Kampfes um sozialen Fortschritt und menschliche Befreiung subsumiert. Die Humanismus-Tradition bleibt eine ideale Konstante der Geschichte. Die Art und Weise der Einwirkung der Literatur auf den „ganzen Menschen" spiegelt sich in dem Anliegen wider, „Ehrfurcht vor dem großen Werk und seinem Gestalter" zu wecken; erste Aufgabe des 57
Schülers sei es, „eine solche Geistesschöpfung sich voller Hingabe zu erarbeiten". 114 Der A u f b a u : Einzelwerk - Dichter - Geistesgeschichte bleibt im Literaturunterricht der ersten Jahre dominant, wobei der Zusammenhang zwischen dem Werk und der Dichterbiografie im Vordergrund steht. Die „zeitliche Bedingtheit einer Dichtung" wird noch als Ausdruck eines Mangels empfunden, auf den nur hinzuweisen ist, „soweit die Schüler das Verständnis dafür aufbringen'".115 All das zeigt, daß die Verwirklichung des antifaschistisch-demokratischen Erziehungsprogramms im Bildungswesen selbst ein Prozeß war, daß insbesondere die Methode der Literaturvermittlung erst schrittweise ausgearbeitet wurde. Die Ursache für das Anknüpfen an das bürgerliche Humanismus-Ideal (auf die an anderer Stelle noch genauer eingegangen wird 1 1 6 ), lagen jedoch nicht im Bereich der Bildung und Erziehung allein. Sie hatten ihre politische Wurzel in der Notwendigkeit eines etappenweisen Vorgehens bei der gesellschaftlichen Umwälzung und gründeten sich auf das damalige Verständnis des revolutionären Prozesses: W i e die antifaschistisch-demokratische Umwälzung anfangs als Vollendung der bürgerlich-demokratischen Revolution begriffen wurde, so interpretierte man auch die Aufgaben der Kulturrevolution zunächst im allgemein-demokratischen Sinn als Weiterführung und Vollendung der humanistischen Bestrebungen in der deutschen Vergangenheit. Obwohl schon Lenin in seiner Revolutionstheorie festgestellt hatte, daß sich in der Übergangsepoche „der Kampf um Demokratie und der Kampf um Sozialismus immer enger verflechten" und in den Geschichtsdarstellungen nach dem VIII. Parteitag der SED besonderer Wert auf den Nachweis der E i n h e i t l i c h k e i t des revolutionären Prozesses nach 1945 gelegt wird, existierte damals die Vorstellung von der A u f e i n a n d e r f o l g e zweier Revolutionen - einer demokratischen und einer sozialistischen - , was die Konzeptionsbildung auf dem Gebiet der Kultur beeinflußte. Eine der Folgen war die Vorstellung von einer ungebrochenen Kontinuität humanistischer Ideale in der deutschen Vergangenheit. Der Faschismus erschien in dieser Version als ein anachronistischer Rückfall, während die Aufgabe der Gegenwart in der „Erneuerung" und „Wiedergeburt" der progressiven Traditionen gesehen wurde. (Welche Konsequenzen sich daraus für die Methoden der Literaturvermittlung im einzelnen ergeben, wird am Beispiel der Literaturkritik noch näher ausgeführt - s. S. 74 ff.) Die Konzeption des Deutschunterrichts war jedoch nicht nur durch
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die Kulturprogrammatik beeinflußt. In ihr spiegelten sich auch die praktischen Veränderungen der Schule als Institution wider. Der Bruch mit dem Faschismus hatte zur Konsequenz, daß bei einem großen Teil der Lehrerschaft elementare Bildungsgrundlagen neu zu schaffen waren. Die Erziehung und Bildung der Lehrer und Schüler erfolgte in den ersten Jahren nahezu gleichzeitig. Auch für den Deutschunterricht galt, daß er zu einem großen Teil von den 40 000 Neulehrern (das waren zwei Drittel aller Lehrer) zu bestreiten war. Die Ausbildung der Neulehrer im ersten Nachkriegsschuljahr erfolgte in einem Achtmonatekurs, in dem für alle Fächer das notwendige Grundwissen vermittelt wurde. Hier war es unvermeidbar - besonders in den gesellschaftswissenschaftlichen Fächern - , „mit Zusammenfassungen, Verkürzungen und Vereinfachungen zu arbeiten"117. Das konnte in Anbetracht der Situation in der Literaturwissenschaft nur durch die Verbindung der allgemeinen Erziehungs- und Bildungsrichtlinien mit den v o r h a n d e n e n Lehrmitteln geschehen. Auf germanistischem Gebiet waren das jene literaturwissenschaftlichen Darstellungen, die nicht auf der Liste der auszusondernden Literatur standen - also im wesentlichen bürgerliche Literaturgeschichtswerke und Monografien aus der Zeit der Weimarer Republik. Auch aus diesem Grund dominierten zunächst die Umbewertung der überlieferten Stoffe und die Wiederaufnahme überlieferter Methoden, bevor das Wertsystem selber in Frage gestellt wurde. Das geschah im wesentlichen in den Jahren 1948/49, als auch in der Hochschulgermanistik die ersten marxistischen Grundlagen geschaffen wurden. Spiegelbild der Selbstverständigung unter Lehrern und Erziehern ist die 1948 gegründete Zeitschrift Deutschunterricht. Hier findet auch die Auseinandersetzung um geistesgeschichtliche oder „soziologische" Methode statt, um die Erkenntnisfunktion der Literatur, die Kriterien literaturhistorischer Wertung. Erste Korrekturen an den Richtlinien des Lehrplans werden vorgenommen: An die Stelle der Klassikerhuldigung treten Themen wie Goethe und seine Zeit oder Shakespeare innerhalb der soziologischen Bedingungen seiner Zeit, ein verstärktes Interesse an jenen literarischen Strömungen beginnt, die zu Wegbereitern der bürgerlichen Revolutionen wurden. Der geistesgeschichtliche Vergleich von Spitzenleistungen der Weltliteratur wird kritisiert und nachdrücklich eine Betrachtungsweise verlangt, die Literatur in Beziehung zu den gesellschaftlichen Voraussetzungen ihrer Hervorbringung setzt. Dichtung wird jetzt als Artikulation weltanschaulicher Haltungen verstanden, die Klassengebundenheit ideologischer und morali59
scher Wertvorstellungen wird entdeckt. Die literaturtheoretischen Arbeiten aus der Zeit des Exils, vor allem die Analysen von Georg Lukäcs zur deutschen Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts werden u. a. auch im Deutschunterricht veröffentlicht und gelten als Orientierungspunkte marxistischer Forschung. Eine intensive Beschäftigung mit der zeitgenössischen Literatur beginnt, es erscheinen Arbeiten zum Werk Brechts und anderer sozialistischer Autoren, die Verbesserung der Unterrichtsmethoden wird in zahlreichen Artikeln diskutiert. Mit dem Lehrplan von 1951 werden die neuen wissenschaftlichen und pädagogischen Grundsätze verbindlich. Die Rolle des Deutschunterrichts in der antifaschistisch-demokratischen Schule ist neuerdings von bürgerlicher Seite als Versuch interpretiert worden, „den alten, bürgerlichen Humanismus als neues Ideal zu etablieren" 118 . Dieser Eindruck ist nicht unberechtigt, legt man, wie es Wolfram Schlenker tut, die ersten Unterrichtsprogramme zugrunde. Er findet scheinbar Bestätigung auch in jenen konzeptionellen Vorstellungen, die von der Vollendung der bürgerlich-demokratischen Revolution auf kulturellem Gebiet ausgingen. Ihm zu folgen hieße jedoch, von der Ideengeschichte auf den wirklichen Prozeß zurückzuschließen. Schlenker berücksichtigt schon dabei nicht, daß die Humanisierungsfunktion von Kunst und Literatur nicht auf die Fixierung eines konservativen Ideals hinauslief, sondern im Dienst einer Erziehung zur kämpferischen Demokratie stand. Entscheidend war, in welcher Richtung die ersten unvollkommenen Entwürfe ausgebaut wurden bzw. welche Entwicklungsmöglichkeiten schon in ihnen angelegt waren. Rückkehr zum bürgerlichen Humanismus-Ideal hätte die Anwendung des Marxismus überflüssig, ja unzweckmäßig gemacht. Der wirkliche Prozeß ist aber durch das Ringen um eine marxistische Methode gekennzeichnet. Darüber hinaus waren auch auf dem Gebiet der Literaturwissenschaft und -pädagogik von Anfang an bedeutende Marxisten als Hochschullehrer, Funktionäre und Publizisten tätig, deren Ziele und Wirkungen über die im ersten Lehrplan verankerten Grundsätze hinausgingen. Schließlich muß gerade auf dem Gebiet des Bildungs- und Erziehungswesens das Ausmaß an praktischen Veränderungen und deren Rückwirkung auf die Bewußtseinsbildung beachtet werden. Übergeordneter Gesichtspunkt war die Demokratisierung des gesamten Schulwesens mit allen praktischen Konsequenzen: Säuberung der Lehrerschaft und Verwaltungen von nazistischen und militaristischen Elementen, Schaffung eines einheitlichen Schulsystems, Bildung eines de-
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mokratischen Lehrkörpers, Trennung von Schule und Kirche, Bereitstellung neuer Lehrbücher für alle Fächer, Reform des Hochschulund Universitätsstudiums, Beseitigung des Bildungsprivilegs. Diese Maßnahmen zielten über eine Bekämpfung des Faschismus hinaus auf eine antiimperialistische, die Grenzen bürgerlicher Bildungspolitik überwindende Revolutionierung des ganzen Systems der Volksbildung. Die Erziehungsziele auf einzelnen Gebieten müssen deshalb auch in bezug auf diese Systemveränderung gesehen werden. Bildungs- und Erziehungsreform als Teil eines umfassenden Aufbauwerkes war bereits im Gesetz zur Demokratisierung der deutschen Schule von 1946 niedergelegt. Es bedeutete, „daß die Schule in engen und ständigen Wechselbeziehungen mit dem wirtschaftlichen, geistigen und politischen Leben des Volkes steht, daß sie die ununterbrochene, auch pädagogische Hilfe der demokratischen Öffentlichkeit hat"119. Für die Richtung des eingeschlagenen Weges war von grundsätzlicher Bedeutung, daß die Jugend nicht - wie in der Vergangenheit - für die bestehende Gesellschaftsform, sondern „für eine sich erst e n t w i c k e l n d e und von ihr zu gestaltende Gesellschaft"120 zu erziehen sei. Die Gewinnung einer breiten Öffentlichkeit für die Realisierung des Erziehungsprogramms war institutionalisiert in der Bewegung der „Freunde der neuen Schule", die neben Schüler- und Elternvertretungen nahezu alle gesellschaftlichen Organisationen und die Vertreter der entsprechenden Zentralverwaltungen umfaßte.121 Sie sah auch ein geplantes Zusammenwirken von Jugendorganisation und Schule vor.122 Alle diese Maßnahmen und Organisationsformen trugen dazu bei, die Schule und damit auch die Gestaltung der einzelnen Unterrichtsfächer der Kontrolle der demokratischen Öffentlichkeit zu unterstellen und deren aktive Teilnahme zu mobilisieren. Die Schule - bewußt als Zentrum des geistig-kulturellen Lebens im Territorium etabliert123 - stand so in vielfacher Wechselbeziehung mit der gesellschaftlichen Praxis. Auch die Beschäftigung mit Literatur war nicht auf das Unterrichtsgeschehen beschränkt. Die Massenorganisationen, vor allem der Jugendverband und die Gesellschaft zum Studium der Kultur der Sowjetunion, waren auch in den Schulen Zentren literarischer Betätigung. Mit den Werken der Sowjetliteratur z. B. kamen die Jugendlichen in Zirkeln, Arbeitsgemeinschaften, Vortrags- und Diskussionsabenden bereits zu einem Zeitpunkt in intensiven Kontakt, als sie in den offiziellen Lehrplan noch gar nicht aufgenommen waren. 61
Aber auch die Dialektik von Traditionsaufnahme und Erneuerung der pädagogischen Erfahrungen und Methoden war seit Beginn in den Erziehungsgrundsätzen etabliert. Im Aufruf zum I. Pädagogischen Kongreß 1946 heißt es: „ D i e neue Schule knüpft an die besten Traditionen der deutschen Pädagogik und an die fortschrittlichsten Theorien und Erfahrungen anderer Länder an. Aus der täglichen Arbeit wird sie neue, schöpferische Methoden entwickeln." 1 2 4 E i n e Isolierung der Unterrichtsziele und -methoden von der Dynamik des realen Prozesses muß deshalb zu Fehlinterpretationen führen. Das gilt auch für ein weiterführendes Theorem bürgerlicher Wissenschaft zum Verhältnis von Literatur und Revolution - die Auffassung Frank Trommlers von der „Rückwendung zu den Höhepunkten bürgerlichen Dichtens und Denkens" im Interesse einer „Gesamtlegitimation und Repräsentation des deutschen sozialistischen Staates". 1 2 5 Diese Auffassung beruht auf der Prämisse einer nicht (oder nur im Geiste) vollzogenen sozialistischen Revolution: „. . . in Deutschland war die neue Gesellschaftsordnung nicht wie in Rußland in einer Revolution erkämpft, sondern durch den Einmarsch der Roten Armee ermöglicht worden" 1 2 6 , so daß man sich eine revolutionäre Legitimation erst im Nachhinein habe schaffen müssen. Hier wird die sozialistische Revolution lediglich als revolutionärer Akt der Zerstörung des Alten begriffen, nicht aber als P r o z e ß ökonomischer, politischer und kultureller Veränderungen, der sich unter der Führung deutscher Kommunisten und unter Mitwirkung der Massen real vollzogen hat. D i e Lösung der ideologischen Aufgaben wird hier - um zum Ausgangspunkt zurückzukehren - zum Revolutionsersatz. D i e Suggestion einer „geschenkten" Revolution und einer nachträglichen revolutionären Legitimierung verleugnet überdies jene Legitimation, die sich deutsche Antifaschisten durch ihren Kampf in der Illegalität, den Zuchthäusern und Exilländern für ihre führende Beteiligung am Aufbau der neuen Gesellschaft erworben haben. D i e Feststellung Brechts, auf die sich sowohl Schlenker als auch Trommler berufen, ist aber dialektischer und damit wahrer. Brecht hatte geschrieben: „Es ist aber ein großes Unglück unserer Geschichte, daß wir den Aufbau des Neuen leisten müssen, ohne die Niederreißung des Alten geleistet zu haben." 1 2 7 Das erklärt die Langwierigkeit der kulturellen Revolution, ihre Umwege, Hindernisse und inneren Widersprüche. D i e Schwierigkeit, den Faschismus geistig bewältigen und gleichzeitig die Voraussetzungen für die Errichtung einer neuen Gesellschaft schaffen zu müssen, komplizierte den Umwälzungsprozeß aber nicht
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nur. Sie machte ihn zugleich aussichtsreich, da mit dem „Aufbau des Neuen" die praktische Alternative zum Faschismus realisiert wurde und damit die geistige Umwälzung ihr organisierendes Zentrum in der wirklichen Bewegung der Geschichte erhielt.
Die Tätigkeit der Bibliotheken Die überaus große erzieherische Rolle der Literatur konnte nur dann wirksam werden, wenn sie tatsächlich mit einer Veränderung des Leseverhaltens und der Literaturbedürfnisse bei der Masse der Leser verbunden war. Diese Aufgabe war ungleich schwieriger zu erfüllen als die auf administrativem Wege erreichbare Neuorganisation der Buchproduktion. Durch die Verlage und den Literaturvertrieb war zunächst ein neues Literaturangebot geschaffen worden - eine Garantie dafür, daß diese Literatur auch zum Leser gelangte, war damit nicht gegeben. Der Buchmarkt der Nachkriegszeit sagt darüber nicht alles aus, denn besonders vor der Währungsreform, als die Kaufkraft im Verhältnis zu den niedrigen Buchpreisen relativ hoch war, wurde wahllos Literatur gekauft. Besonders die große Nachfrage nach Klassiker-Ausgaben war durchaus als Zeichen dafür zu werten, daß hier Literatur erworben wurde, die nicht unbedingt zum Lesen angeschafft wurde. Näheren Aufschluß über das Verhältnis von gelesener zu gekaufter Literatur gibt erst der Leihverkehr der Bibliotheken. Der Widerspruch zwischen dem Stand der fortgeschrittensten literarischen Produktion und dem Stand des Rezeptionsbewußtseins müßte hier noch genauer auszumachen sein. Die erste Frage wäre demnach, ob die große Nachfrage auf dem Buchmarkt tatsächlich Ausdruck eines gesteigerten Interesses an belletristischer Lektüre war. Wie sah es damit in den Bibliotheken aus? Die Leserzahlen und die Anzahl der entliehenen Bücher steigen nach der Wiedereröffnung der Bibliotheken sprunghaft an. Sie übertreffen sofort den Stand bei Kriegsende, wie die Zahlen der Berliner Volksbüchereien belegen.
31. August 1945 31. Juni 1946
Volksbüchereien
Bände
Leser
43 69
393 077 491483
15266 128 55 617129
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Dazu muß ergänzt werden, daß infolge der Kriegseinwirkungen der Rückgang in der Anzahl der Bibliotheken gegenüber 1939 59 Prozent, der Verlust der Bände 56 Prozent und der Rückgang der Leser 47 Prozent betrug. 1 3 0 Nach 1946 waren diese Verluste erst zum geringen Teil aufgeholt. Aufschlußreich ist jedoch, daß die Steigerung der Leserzahl die Zunahme des Buchbestandes weit übertraf. D i e Nachfrage konnte also schon quantitativ kaum befriedigt werden. So galt die Hauptsorge der Bibliothekare zuallererst der Buchbeschaffung. „Wie werden wir unsere Leser halten können mit unseren völlig unzureichenden Buchbeständen" 1 3 1 , fragte sich Lotte Bergtel-Schleif, eine der Mitbegründerinnen des Berliner Bibliothekswesens nach 1945 im Ergebnis der Analyse. Und tatsächlich ging die Zahl der Leser im Zeitraum vom 31. März 1946 bis zum 31. Juli 1946 zurück auf insgesamt 5 1 4 2 3 . Die Erwartungen nach der Eröffnung der Bibliotheken waren also nicht sofort erfüllt worden - und zwar betrifft der Rückgang alle erfaßten Lesergruppen, die weiblichen und männlichen Erwachsenen wie die weiblichen und männlichen Jugendlichen. 1 3 2 Ein Widerspruch bestand somit zwischen dem großen Bedarf nach Lesestoff und den Möglichkeiten seiner quantitativen Befriedigung. D i e Bestandszahlen nach 1945 verbergen jedoch noch die qualitative Seite des Buchangebots. Zum Zeitpunkt der Wiedereröffnung der Bibliotheken war die faschistische Literatur bereits ausgesondert worden : Sofort nach der Verkündung des Aussonderungsbefehls der S M A am 15. September 1945 begann in jeder einzelnen Bibliothek, zunächst unter der Verantwortung der leitenden Bibliothekare und mit direkter Unterstützung durch sowjetische Kulturoffiziere, die Säuberung der Bestände. D i e ersten provisorischen Listen wurden von den Bibliotheken selbst erarbeitet und an Arbeitskommissionen der Selbstverwaltungsorgane und der S M A zur Bestätigung eingesandt, bis im Mai 1946 die zentrale Liste der Deutschen Bücherei vorlag. D e r Anteil der ausgesonderten Bücher bewegte sich um die 50 Prozent, betrug aber in Einzelfällen bis zu 80 Prozent. Eine besonders hohe Aussonderungsquote hatten Kleinstadt-Büchereien, die — oft erst während des Faschismus gegründet - einen großen Anteil an faschistischer Propagandaliteratur aufwiesen. Im Ergebnis der nationalsozialistischen Literaturpolitik waren in den Bibliotheken seit 1933 in mehreren aufeinanderfolgenden Wellen und unter zunehmend scharfer Kontrolle nicht nur die Werke der progressiven deutschen Autoren und Verlage und die antifaschistische Literatur des Auslands,
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sondern seit 1939 auch alle deutschen Übersetzungen von Originalwerken aus den „Feindstaaten" entfernt worden. Allein bis 1937 hatten z. B. die sächsischen Bibliotheken durch Aussonderung der demokratischen und sozialistischen Literatur 50 bis 80 Prozent der Bestände verloren. Die vom Faschismus verbotene und verbrannte Literatur war nicht mehr vorhanden, so daß die qualitative Veränderung des Buchbestands nach 1945 vollkommen von der Neuproduktion der Verlage abhing. Bis diese in Gang kam, war die Neuanschaffung der Bibliotheken gleichbedeutend mit dem Ankauf und dem Sammeln vorhandener, d. h. nach der Aussonderung übriggebliebener Bücher. Die quantitative Steigerung der Bestände war eine bedeutende Leistung der aufbauwilligen Mitarbeiter des Bibliothekswesens. Im Ergebnis von Büchersammelwochen, von Ankäufen privater Bibliotheken, der Rückführung verlagerter Bestände und der Übernahme von Bibliotheken enteigneter Gutsbesitzer nach der Bodenreform wurde zunächst ein Grundbestand gesichert, der die Wiedereröffnung überhaupt ermöglichte. Einfluß auf die Entwicklung neuer Lesebedürfnisse konnte mit der vorhandenen Literatur jedoch kaum genommen werden. Dennoch wurden schon in dieser Zeit die Voraussetzungen für die Wahrnehmung der Erziehungsfunktion durch die Neuorganisation des Bibliothekswesens geschaffen. Sie waren hier besonders eng mit den Zielen der demokratischen Bildungsreform verknüpft. Dazu gehörte, daß sich die Bibliotheken nun neue Leserschichten erschlossen, die Heranbildung bibliothekarischen Nachwuchses aus der Arbeiterklasse, Strukturveränderungen im Bibliothekswesen und Anfänge in der Überwindung der alten Trennung zwischen wissenschaftlichen und Volksbibliotheken. Eine Folge der ungleichmäßigen ökonomischen Entwicklung der einzelnen Länder und damit auch des Bildungswesens drückte sich z. B. in der unterschiedlichen Anzahl von Bibliotheken aus: Während die 2200 Gemeinden Sachsens 1945 über 970 Volksbüchereien verfügten, waren es bei 2000 Gemeinden des Landes Brandenburg nur 150. Insgesamt befanden sich 10 Prozent der Volksbüchereien in Mecklenburg und Brandenburg, 65 Prozent dagegen in Sachsen und Thüringen. 133 Die Neugründung von Bibliotheken begann trotz der ungünstigen materiellen Voraussetzungen sofort nach 1945. Geleitet und koordiniert wurden diese und andere demokratische Veränderungen auch hier von Anfang an durch die demokratischen Selbstverwaltungsorgane, die Deutsche Zentralverwaltung für Volksbildung 5
DDR-Literatur
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und die Ministerien der Länder. Das bereits erwähnte Bibliotheksgesetz des Landes Sachsen enthielt z. B. die Festlegung, daß in jeder Gemeinde von über 1000 Einwohnern eine Gemeindebücherei zu errichten sei.134 Alle Betriebe mit mehr als 500 Beschäftigten erhielten die Auflage, eigene Betriebsbüchereien einzurichten.135 Die bestehenden Werkbüchereien in kapitalistischen Betrieben, vor allem von den großen Konzernen für die Arbeiter eingerichtet, unterlagen in der Säuberung und dem Neuaufbau der Bestände den gleichen Bestimmungen wie die Volksbüchereien. Ab 1949 wurden auf dem Lande MAS-Büchereien eingerichtet. Alle diese Bibliothekstypen waren zugleich literaturpropagandistische Zentren in der Arbeit mit dem Buch. Ihre Aufgabe bestand nicht nur in der Versorgung mit Büchern, sondern in der Heranführung der Bevölkerung an die neue Literatur. Funktion und Arbeitsweise der Bibliotheken wurde schon frühzeitig durch einheitliche Regelungen festgelegt: Am 1. Februar 1946 gab die D Z V B die Satzung für Volksbüchereien heraus, in der es in Punkt 6 hieß: „Die Hauptaufgabe der Volksbüchereien besteht in der Hinführung des Volkes zur wertvollen klassischen und fortschrittlichen Literatur Deutschlands und der anderen Völker, um hierdurch eine humane und demokratische Weltanschauung im deutschen Volke zu begründen."136 Ab 1947 begann die vorrangige und kontinuierliche Versorgung der Bibliotheken mit Neuerscheinungen. Jetzt standen jene Bücher für den Leser bereit, die ihm mehr als zwölf Jahre lang vorenthalten worden waren. Nun mußte sich auch erweisen, ob das gestiegene Interesse am Lesen Ausdruck neuer literarischer Interessen war. Ein erster Blick in die Ausleihstatistiken besagt, daß die am meisten verlangten Bücher im wesentlichen dieselben blieben. Eine Stichprobe in einer Volksbücherei 1947 - Ergebnis eines Ausleihtages ergibt folgendes Bild: Mit sechs Titeln führt Charles Dickens, ihm folgen Theodor Fontane mit fünf und Joseph Rudyard Kipling, Peter Rosegger, Marie von Ebner-Eschenbach und Ludwig Thoma mit jeweils vier Titeln. Auf drei Entleihungen kamen der Autor der Dschungelerzählungen Mukerdschi, ferner Gustav Freytag, Ernst Wiechert, Bernhard Kellermann und Hermann Hesse.137 Diese Zahlen haben lediglich die Aussagekraft eines Einzelbeispiels, es fehlt z. B. der Vergleich mit dem Bestand, mit der Nachfrage an entliehenen Büchern usw. Von erfahrenen Bibliothekaren wird jedoch bestätigt, daß die mit Vorrang produzierte aktuelle antifaschistische
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Literatur im Leserinteresse anfangs hinter den bereits bekannten Autoren rangierte und daß der Unterhaltungswert der Literatur eindeutig dominierte. Eine vergleichbare Leipziger Analyse unterscheidet die Ausleihe von deutscher und ausländischer Literatur und kommt bei ersterer auf 35,2 Prozent, bei letzterer auf 16,6 Prozent.138 Eine Analyse der Entleihungen nach Buchgruppen 1947/48 ergab bei dreizehn Zweig- und Hauptbüchereien im Raum Leipzig einen Anteil der sozialistischen Literatur von 0,82 Prozent in den Hauptbüchereien und 2,69 Prozent in den Zweigbüchereien.139 Auch die soziologische Zusammensetzung der Bibliotheksbenutzer veränderte sich nicht sofort. Übereinstimmend wird der Anteil der weiblichen erwachsenen Leser aus der Gruppe der Nichtberufstätigen oder Angestellten als der mit Abstand größte angegeben. Am geringsten ist der Anteil der Jugendlichen zwischen vierzehn und achtzehn Jahren. 140 * Der „Lesehunger" der Nachkriegszeit läßt sich demnach nicht als qualitatives Merkmal interpretieren, sondern war zum großen Teil Ausdruck reduzierter Möglichkeiten der Freizeitgestaltung. Lesen konnte durchaus der Kompensation unbewältigter Lebensfragen, der Flucht aus dem Alltag in eine Ersatzwelt oder der „reinen Erbauung" dienen. Gerade die aus den Bibliotheken entliehene Literatur mit ihrem Gebrauchswert gibt Aufschluß darüber, wie weit mitunter Buchgeschichte und Literaturgeschichte auseinanderfallen. Noch deutlicher wird dieser Widerspruch, wenn in den Vergleich eine Literaturgattung einbezogen wird, die aus den Bibliotheken der D D R inzwischen verschwunden ist, damals aber den Großteil der nach der Säuberung übriggebliebenen Literatur darstellte - nämlich die Erzeugnisse der bürgerlichen Massenliteratur, hervorgebracht von einer speziellen Buchproduktion für den unmündigen Leser. Hierüber veröffentlichte die Zeitschrift Der Volksbibliothekar 1948 eine aufschlußreiche Analyse. Es sind Erhebungen der D Z V B über das Bibliothekswesen in der sowjetischen Besatzungszone im Vergleich des ersten mit dem zweiten Halbjahr 1947. 141 Aufschlußreich deshalb, weil 1947 eine erste Ergänzung der Liste der auszusondernden Literatur erschien, die folgenden Vermerk enthielt: „Neben der aus politischen Gründen auszusondernden Literatur gibt es noch eine umfangreiche Gattung von Schriften, die nicht unter die genannten Befehle und Gesetze fallen, die aber aus volksbildnerischen Gründen unerwünscht sind und deren Verteilung namentlich an die Benutzer der Volks- und Leihbüchereien der verantwortungsbewußte Buchhändler oder Bibliothekar schon aus eigenem Ermessen ablehnen muß." 142 5»
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Diese Empfehlung wurde in den Volksbüchereien befolgt, ohne daß ein merklicher Rückgang des Buchbestandes zu befürchten1 war, denn inzwischen hatte die Belieferung mit Neuerscheinungen begonnen. Die Statistik der D Z V B nennt folgende Vergleichszahlen zwischen dem ersten und dem zweiten Halbjahr 1947: Bestand 1. Halbjahr 2. Halbjahr
2 9 7 9 0 0 7 Bände 3 620295 Bände
Auch die Zahl der Leser war weiter angestiegen : 1. Halbjahr 2. Halbjahr
66733 697 387
Eine rückläufige Tendenz zeigte indessen die Zahl der Entleihungen: 1. Halbjahr 2. Halbjahr
5 437432 Bände 4 9 5 2 7 6 3 Bände. 1 4 3
In der von Dr. Carl Mones erarbeiteten Statistik wird als Grund des Rückganges neben den immer noch reduzierten Beständen die „Säuberung der Volksbüchereien von minderwertiger Modeliteratur" 1 4 4 genannt. E s ist offensichtlich, daß die Weiterführung der Erziehungsaufgaben über die Bekämpfung des Nationalsozialismus hinaus bis zu den Wurzeln des bürgerlichen Literaturbetriebs bei manchen Lesern zunächst auf passiven Widerstand stieß. D i e Berliner Büchereistatistik weist aus, daß nur ein Teil der Leser sich der unterhaltenden Literatur von bedeutenden humanistischen Schriftstellern zuwandte. D i e übrigen benutzten nunmehr die gewerblichen Leihbüchereien. Deren Bestände setzten sich größtenteils aus der überlieferten Kitsch- und Schundproduktion zusammen, und ihre Besitzer richteten sich auch jetzt nicht nach den Empfehlungen der Ergänzungsliste. Auch bei ihnen wuchs im zweiten Halbjahr die Anzahl der Bestände von insgesamt 2 7 6 7 2 7 5 auf 3 2 7 4 5 0 9 Bände. Noch deutlicher war der Anstieg der Leserzahlen und der Ausleihziffern im zweiten Halbjahr:
1. Halbjahr 2. Halbjahr
Leser 869837 1076488
Entleihungen 15 881928 18336020145 68
Man kann also ohne Übertreibung von einer Abwanderung der Leser aus den öffentlichen Bibliotheken in die privaten Leihbüchereien sprechen. Mones kommentierte folgerichtig die Steigerung damit, „daß die Inhaber von Leihbüchereien vielfach aus leicht erkennbaren Gründen einem verbildeten Publikumsgeschmack mehr Rechnung tragen als der kulturellen und volkserzieherischen Aufgabe" 146 . Das brachte allerdings die Logik ihres Geschäfts mit sich - mit moralischen Appellen war hier nicht viel zu erreichen. Solange die Leihbüchereien bestanden, solange blieb auch die entsprechende Literatur im Umlauf. Die Frequenz der Entleihungen ist 1947 in den Leihbüchereien ebenfalls deutlich höher: In den 127 privaten Büchereien Leipzigs wurden 1947 bei einem Gesamtbestand von 291577 Bänden pro Monat 329646 Bände entliehen. In den Betriebsbüchereien kamen dagegen auf einen Bestand von 20 806 Bänden nur 6199 Entleihungen. 147 In den 11 großen Volksbüchereien der Stadt wurden bei insgesamt 106000 Büchern i n e i n e m J a h r rund 330000 ausgeliehen. 148 Noch für das Jahr 1956 verzeichnet Siegfried Schiller für die Berliner Bibliotheken dasselbe „erstaunliche Phänomen": „In 162 gewerblichen Leihbüchereien wurden aus einem Sortiment von 243500 Bänden von 37 900 Lesern für erhebliche Leihgebühren 1 969 200 Bücher entliehen." 149 Vor den Bibliothekaren stünde demzufolge neben den Aufgaben eines eigenen Bestandsaufbaus die zusätzliche Anforderung, „die oft gegensätzlichen Einflüsse der sogenannten 'Leihbüchereien' zurückzudrängen" 150 . Das war jedoch nur der erste Schritt. Die tatsächliche Veränderung im Litcraturkonsum war gleichbedeutend mit einer Veränderung der dominierenden Leseinteressen in der Masse der Bevölkerung. Es galt ja, das überkommene, nicht nur vom Faschismus, sondern in der bürgerlichen Gesellschaft im Ganzen geprägte Verhältnis zur Literatur schrittweise zu verändern. Bezogen darauf waren die ersten vier Jahre nur ein Anfang. Die Veränderung des Leseverhaltens insgesamt war nicht von Literatur allein abhängig. Sie war eingebettet in übergreifende Prozesse wie Bildungsreform und ideologisches Erziehungsprogramm, unterlag den Mechanismen öffentlicher Meinungsbildung durch die Medien und der kollektiven Verständigung in sozialen Gruppen und gesellschaftlichen Organisationen, war beeinflußt durch die Wechselwirkung der Künste untereinander und deren Stellung innerhalb der Freizeitinteressen, und sie spiegelte sich auch in scheinbar Fernabliegendem wie dem Verhältnis zur Arbeit, zum materiellen Konsum und zur politischen Machtausübung. Leseverhalten war abhängig von allen Faktoren, die auf die 69
menschliche und damit auch ästhetische Emanzipation des Lesers einwirkten. Die Neuorganisation der Literaturverbreitung gewinnt ihre Bedeutung wiederum im Zusammenhang mit der planmäßigen Gestaltung der Literaturverhältnisse. Das Einsetzen der Institutionen in ihre neue soziale Funktion steht am Anfang dieser Entwicklung. Im Bibliothekswesen ist das Ringen um den Leser zwischen Volksbüchereien und Leihbibliotheken ein konkreter Ausdruck dieser Funktionsveränderung. Der Kampf richtete sich nicht gegen Unterhaltungsliteratur schlechthin oder gar gegen die unterhaltende Funktion der Literatur. Er richtete sich gegen das Weiterwirken jener Literaturströmungen, die mit Begriffen wie Trivialliteratur und Kitschliteratur, wie Klaus Ziermann zutreffend bemerkt, nur unzureichend umschrieben sind.151 Es handelt sich vielmehr um Leseerzeugnisse, die vom bürgerlichen Literaturbetrieb als Literaturersatz für die Massen bereitgestellt werden. Diese Literatur in ihrem Wesen zu erkennen hieß, sie nicht aus den Literaturbedürfnissen ungebildeter Volksmassen zu erklären, sondern ihre Klassenfunktion zu begreifen. Die Auseinandersetzung mit ihr richtete sich in der sowjetischen Besatzungszone deshalb nicht gegen ihre Leser. Es wurde vielmehr versucht, die überlieferten Vorbehalte der Bibliothekare in diesem Sinne abzubauen. So warnt Lotte Bergtel in ihrem Aufsatz Möglichkeiten volksbibliothekarischer Arbeit unter dem Nationalsozialismus die Fachkollegen davor, kurzschlüssige Folgerungen aus den Zahlen der Bibliotheksstatistik abzuleiten: „Mehr als je müssen wir verstehen, Statistik zu l e s e n ! . . . Was wir auf gar keinen Fall herauslesen können, das sind die t a t s ä c h l i c h e n Bedürfnisse unserer Leserschaft . . . Die Leserwünsche, wie sie in dieser Zeit an uns herantraten, erhielten ja bereits ihre Prägung durch einen gedrosselten Buchbestand!" 152 Folgerichtig wurde die Heranführung des Lesers an die bisher unterdrückte oder noch unbekannte neue Literatur zu einem Kernpunkt der Bibliotheksarbeit. Diese Aufgabe veränderte die Rolle des Bibliothekars, der „zum Mittler zwischen Mensch und Literatur, vor allem zwischen Arbeiterklasse und Kultur" 153 werden sollte. Eine nicht zu unterschätzende Rolle spielten dabei die im Bibliothekswesen tätigen sowjetischen Kulturoffiziere, vor allem die damalige Inspekteurin für Bibliothekswesen der SMA, Galina Snimtschikowa. Ihnen verdankten wiederum die „Aktivisten der ersten Stunde" im Bibliothekswesen der sowjetischen Besatzungszone entscheidende Impulse sowohl in der Vermittlung der inhaltlichen Erziehungsziele der Bibliotheksarbeit als auch 70
durch die Weitergabe praktischer Erfahrungen.15'1 Diese neue Funktion des Bibliothekars als Literaturvermittler prägte z. B. die Ausbildung des Nachwuchses in den seit 1946 gegründeten Fachschulen für Bibliothekare. Die bereits zitierte Lotte Bergtel, aber auch ihre Mitarbeiter und Schüler, entwickelten dort die „Bücherkunde" zu einer „intensiven wissenschaftlichen Methode der Literaturkritik, Leserkunde und Literaturpropaganda". 155 Irene Woita, ehemals selbst Mitarbeiterin der Berliner Fachschule und Erzieherin von Bibliothekaren, beschreibt, wie in lebhaften und leidenschaftlichen Diskussionen „Ereignisse und Gestalten bei Becher, Fontane, den Brüdern Mann, Seghers, Gorki, Scholochow, Tolstoi, Aragon u. a." erörtert wurden, wie anhand von Ehrenburgs Sturm um die Frage gerungen wurde, „wie soll man das Werk Müttern empfehlen, deren Sohn in Rußland gefallen ist?". 156 Wie Irene Woita weiter aus der Erinnerung berichtet, erfüllten gerade die Werke der großen realistischen Erzähler, allen voran Maxim Gorki und Martin Andersen Nexö, die entscheidende Mittlerrolle bei der Heranführung an die humanistische, schließlich auch an die sozialistische Literatur. Die gleiche Erfahrung teilt Willi Köhler aus sowjetischen Kriegsgefangenenlagern mit: Anfangs sei dort das Interesse ausschließlich auf minderwertige „Landserliteratur" gerichtet gewesen. Auch die Literatur, „auf die wir Deutschen doch hätten stolz sein sollen, wie die Werke der Klassiker und der bürgerlichen Humanisten", sei in den ersten Jahren der Gefangenschaft kaum verlangt worden. 157 Weiter heißt es: „Theoretische Literatur wurde von vornherein abgelehnt, für deutsche klassische Literatur war kein Verständnis vorhanden, während einzig und allein leichteste und seichteste Unterhaltungsliteratur begehrt wurde." 158 Erste größere Erfolge seien dagegen mit Plieviers Stalingrad, Willi Bredels Verwandte und Bekannte und mit Maxim Gorkis autobiographischen Romanen erzielt worden. Zu Gorkis Wirkung schreibt Köhler: „Dieser größte Realist des modernen Rußlands ist den deutschen Kriegsgefangenen ein Vater und Lehrer geworden . . . Wer Gorki gelesen hatte, dem konnte man den 'Stillen Don' Scholochows genau so in die Hand geben wie die Dichtungen Puschkins. Der war auch wieder bereit, Goethe und Schiller zu lesen. Von Gorki führte der Weg zu allem Schönen in dieser Welt." 159 Wenn auch im Überschwang der Anfangsjahre erste Erfolge mitunter überschätzt wurden, so gibt die weitere Entwicklung dieser Beurteilung im ganzen recht. Der Anstieg der in Bibliotheken Lesenden von ehemals knapp 2 Prozent (1938) auf gegenwärtig 20 bis 71
30 Prozent bei Erwachsenen 160 * ist nicht zuletzt der intensiven Bemühung um den Leser in den ersten Nachkriegsjahren zu verdanken. Noch wesentlicher aber ist, daß dieser Leser auch andere Literatur liest als früher: Der westdeutsche Literaturwissenschaftler Jost Hermand rechnet es 1975 der D D R als Verdienst an, daß hier „die Spaltung in E - und U-Literatur gar nicht existiert. Dort ist von vornherein alles A-Literatur, Allgemeine-Literatur." 161 In der B R D stehe dagegen der lesenden Minderheit der „Elite-Literatur" von 4,76 Prozent eine Mehrheit der Leser von „Unterhaltungs-Literatur", d. h. imperialistischer Massenliteratur, von 95,24 Prozent gegenüber.162 Die Vorgeschichte dieser Entwicklung beschreibt das repräsentative Handbuch Lesen in einer Zusammenfassung der vorherrschenden Lesestoffe nach 1945 und ihrer weiteren Kanalisierung: „Der Literaturmarkt der Nachkriegszeit wird von Übersetzungen bestimmt . . . Dieser 'Nachholebedarf' zeigt sich nicht nur auf dem Gebiet des literarisch Wertvollen, sondern in fast noch stärkerem Maße im Unterhaltungsbereich, in dem die Übersetzungen - vor allem aus dem anglo-amerikanischen Raum - überwiegen. Die deutsch-völkische Welle wird abgelöst von einem lebhaften Interesse am 'American way of life'." 163 Das treffe sowohl für die tradierten Gattungen des Unterhaltungsromans zu wie für die neuen Arten, die nach Einführung des Marshallplans zu dominieren beginnen und unter dem Sammelbegriff „sex and crime" zu fassen sind. Der Zusammenhang zwischen den Eigentumsverhältnissen im Buchverleih, der Art der vertriebenen Literatur und deren Rückwirkung auf die Buchproduktion wird in folgender Schilderung beschrieben: „In den ersten Nachkriegsjahren übernehmen Leihbüchereien in verstärktem Maße die 'Literaturversorgung'. Sie vertreiben dabei neben den Bestsellern der 'offiziellen' Buchproduktion vor allem speziell für ihre Unternehmen angefertigte Trivialliteratur, die nach bewährten Mustern schablonierte Frauen-, Liebes-, Arzt-, Heimat-, Wildwest-, Krimiund Zukunftsromane umfaßt . . ." 1 6 4 Zum Inhalt dieser literarischen Erzeugnisse heißt es: „Der Frauen- und Familienroman verlagert seine Handlung in überseeische Gebiete. Größter Nachkriegserfolg ist M. Mitchells bereits 1936 erschienener Südstaaten-Roman 'Vom Winde verweht'. In ihm findet die kriegsgeprüfte Generation eine romantisierende Deutung ihres eigenen Schicksals. Das Interesse an der als Parallele empfundenen amerikanischen Geschichte verbindet sich mit der immer noch latent vorhandenen Vorliebe für Heimatund Bauernliteratur, die nach der Beschränkung auf den nordischgermanischen Kulturkreis nun weltweit wird." 165 72
D i e Darstellung ist deshalb so ausführlich zitiert, weil sie auf zwei Probleme aufmerksam macht: auf die Notwendigkeit des Kampfes gegen den ausschließlichen Konsum dieser Literatur, die bis zur Währungsreform 1948 ungehindert und bis 1961 mit Einschränkungen in die sowjetische Besatzungszone bzw. D D R hineinwirkte; und auf die Weiterführung der traditionellen Struktur- und Wirkungsmuster der Massenliteratur, die für den Anfang des 20. Jahrhunderts genauso gelten wie für die faschistische und die Nachkriegszeit. An der Ersetzbarkeit der jeweils deutsch-nationalen Schauplätze auf der einen und der Internationalisierung ehemals germanisch-völkischer Stoff- und Motivkomplexe auf der anderen Seite zeigt sich der übergreifende Klassencharakter dieser Literatur, der auch bei einer Veränderung der bourgeoisen Herrschaftsformen immer intakt bleibt. Auch für den späteren Ausbau des Leihverkehrs zu einem speziellen Zweig literarischer Produktion und Konsumtion wurden nach 1945 in den Westzonen die Voraussetzungen geschaffen: D i e privaten Leihbüchereien blieben nicht nur erhalten, sondern wurden in der Nachkriegszeit zu einer beherrschenden Institution. Charakteristisch für den Zusammenhang mit den materiellen Grundlagen der Buchproduktion im Kapitalismus ist, daß mit ihnen der Aufschwung einer speziellen Leihbuchproduktion beginnt, die mit ihren durch Spezialisierung auf Erzeugnisse des literarischen Massenkonsums erreichten Auflagenhöhen selbst Taschenbuchverlage und Buchgemeinschaften in den Schatten stellt. 1 6 6 Mit welchen Methoden und mit welchem Ergebnis diese Unternehmen - meist unbeachtet von der Öffentlichkeit - für den Bestand der privaten Leihbüchereien produzieren, wird von Ziermann eingehend analysiert. 167 Es ist der in seinen Produktionsprinzipien und in seinen literarischen Erzeugnissen am meisten korrumpierte Zweig der Buchproduktion in der B R D . In dieser Spezialproduktion anonymer Verlage und Autoren sind „fabrikmäßige Herstellung und kapitalistischer Vertrieb der imperialistischen Massenliteratur nahezu vollendet organisiert" 168 . Der Einfluß des privaten Leihverkehrs ist - so konstatiert Ziermann - bis zum heutigen Tag „sehr viel größer als der der öffentlichen Bibliotheken, der Volks- und Werkbüchereien in Westdeutschland zusammengenommen" 1 6 9 . In der Rückschau zeigt sich noch einmal, daß es damals in der sowjetischen Besatzungszone nicht um den Vorrang „unterhaltender" oder „bildender", „höherer" oder „niederer" Literatur ging. Es handelte sich vielmehr um die Beseitigung der sozialen und kulturellen
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Auswirkungen der Klassengesellschaft auf den Umgang mit Literatur. D i e Abschaffung einer Literatur speziell für den „niederen" Konsum ist in ihrer Tragweite nicht geringer als deren Einführung: Entstanden aus der technischen und materiellen Möglichkeit, Werke der Literatur und Kunst in der ganzen Gesellschaft zu verbreiten, wurde die Chance unter den Bedingungen kapitalistischer Herrschaft sofort in ihr Gegenteil verkehrt - massenhaft vervielfältigt wurde ein Lesematerial, das der Bevölkerung den Zugang zur Literatur verwehrte und ideologisch die Interessen der Herrschenden bediente. D e r Kampf gegen diese Literatur war deshalb hauptsächlich ein Kampf gegen die Ausschließlichkeit ihrer Herrschaft über die Leserschichten, die sozialer Träger der demokratischen Umgestaltung der Gesellschaft werden sollten. Wenn dieser wirklich revolutionierende Vorgang bisher kaum in das Blickfeld der Literaturgeschichtsschreibung geriet und bei der Bewertung der literarischen Entwicklung in der D D R keine Rolle spielte, so zeigen sich hier einmal mehr die Versäumnisse der Literaturwissenschaft als Folge einer reduzierten Auffassung von ihrem Gegenstand.
Literaturkritik in der Tagespresse Sowohl der Einblick in das Bibliothekswesen als auch in die Verlagsproduktion in der sowjetischen Besatzungszone hatten gezeigt, daß hier nicht schlechthin neue Literatur an den Leser gebracht werden sollte, sondern daß die bisherigen Formen des Umgangs mit Literatur zu verändern waren. Mit der Bereitstellung geeigneter Bücher war dazu nur ein erster Schritt getan. Um das Leseverhalten selbst zu beeinflussen, mußten die Beziehungen der Leser zu den literarischen Werken, ihre Erwartungen und Ansprüche an die Literatur neu organisiert werden. Genauso wichtig wie die Buchproduktion und -Verbreitung war deshalb die Art und Weise ihrer Vermittlung über die Literaturkritik oder besser die Literaturpublizistik. Sie ist zu beschreiben als das schrittweise Herstellen einer literarischen Öffentlichkeit, d. h. einerseits Einbeziehung der Literatur in die öffentlichen Angelegenheiten, andererseits Verhandlung öffentlicher Angelegenheiten in der Literatur. In großem Umfang wurde diese Funktion durch die Massenmedien Presse und Funk wahrgenommen. D i e farbige Vielfalt der literarischen Nachkriegsszene offenbart sich
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besonders in diesem Bereich. Sie ist zu erklären aus der Vielfalt der Ansichten und dem häufigen Wechsel der Blickrichtung bei diesem Integrationsvorgang. Auffällig ist, daß die Leser dabei verhältnismäßig selten selbst zu Wort kommen. Sie geben gewissermaßen das Publikum der Literaturdiskussion ab, ohne in größerem Umfang daran beteiligt zu sein. Andererseits war die Literaturpublizistik in besonders starkem Maße durch die Hinwendung zum Rezipienten geprägt. Dieser Widerspruch erklärt sich daraus, daß die Mittlerfunktion der Medien weniger im Eingehen auf unterschiedliche Einstellungen und Erwartungen bestand als im Beitrag zur Herausbildung einer neuen gesellschaftlichen Rezeptionsweise. Den speziellen Bedingungen der Massenkommunikation entsprechend, wird ein „gemeinschaftlicher Kanal" zwischen Sender und Empfänger eingerichtet, der die aufklärerischen Impulse der Literatur sammelt und gewissermaßen gesteuert und gebündelt weiterleitet. Die Literaturpublizistik in den Medien, speziell der Tagespresse, unterscheidet sich in diesem Punkt von Literaturkritik im allgemeinen. Erstens ist sie besonders eng an die politische Operativität, Aktualität und propagandistische Wirksamkeit der Presse gebunden, zweitens ist sie im Rahmen der Zeitung thematisch mit den anderen Bereichen des öffentlichen Lebens verflochten, und drittens wird hier eine Leserschaft angesprochen, die anders als bei Literatur- und Kunstzeitschriften - ein literarisch nicht spezialisiertes Massenpublikum ist. Unter den Tageszeitungen dieser Zeit ragt die von der sowjetischen Besatzungsmacht herausgegebene Tägliche Rundschau hervor - wegen ihres damals umfassendsten Literaturteils und der breitesten und differenziertesten Leserschaft. Auf diese Tageszeitung konzentrieren sich zum großen Teil die folgenden Untersuchungen. Der Beitrag, den die Tägliche Rundschau zu einem neuen Literaturverständnis insgesamt geleistet hat, ist - wie bereits angedeutet mit dem Begriff Literaturkritik nur ungenau beschrieben. Der Rezensionsteil der Täglichen Rundschau war im Verhältnis zu ihren literarischen Veröffentlichungen insgesamt relativ schmal. Neben dem Abdruck von Romanen, Erzählungen und Gedichten gehörten dazu ausführliche Abhandlungen über nationalliterarische Entwicklungen, vor allem der russischen und sowjetischen, aber auch der westeuropäischen und amerikanischen Literatur, Lebensbeschreibungen von Schriftstellern verschiedenster nationaler Herkunft, Interviews, Porträts und Selbstdarstellungen zeitgenössischer Autoren, eine große Anzahl literaturprogrammatischer und -politischer Beiträge, Diskussio75
nen unter Künstlern und Schriftstellern, ein literarisches Preisausschreiben zur Förderung junger Talente, Berichte aus dem literarischen Leben der Sowjetunion und anderer Länder. Die Themenvielfalt ist nur zu erklären aus der Vielzahl der zu lösenden Aufgaben. So waren mit der Information über die Literatur, die während des Faschismus verboten war, zugleich Zurückhaltung, Desinteresse und Widerstand gegenüber dieser Literatur zu überwinden. Daneben war aber auch ein Kunstverhalten abzubauen, das Stephan Hermlin in seinem Artikel Die Goethe-Fassade den „unentwegten Kulturfetischismus des deutschen Spießers"170 genannt hatte. Geistiger Faschismus, so argumentierte Hermlin, war nicht allein Bücherverbrennung und Ausrottung der Intelligenz. Er bedeutete auch, „daß man den Bruch des Völkerrechts, das Vernichtungslager, den Massenmord hinnahm, so wie man Beethoven, Kant und Goethe hinnahm"171. Der Begriff der „Goethe-Fassade" bezeichnet ein für die deutsche Vergangenheit symptomatisches Verhalten gegenüber Kunst und Literatur, das in seiner Wurzel politischer Natur war und deshalb auch einer primär politischen Lösung bedurfte. Hermlin schreibt: „Gemeint ist also die mechanische Trennung zwischen der öffentlichen Sache und der Kultur; die Vorstellung vom freien Reich des Geistes, von der Kultur als Luxus und Illusion, die Verwandlung der Kultur aus einem veränderlichen, zeit- und menschenbezogenen Wert . . . in einen Totem, einen Fctisch. Die Phrasen des Untertan vom Volk der Dichter und Denker, vom Olympier, vom Geistesheldentum, das uns bekanntlich keiner nachmacht - das alles gehört begreiflicherweise zu dem, was wir Goethe-Fassade nennen wollen." 172 Die beginnende Kulturrevolution in der sowjetischen Besatzungszone unterschied sich speziell in diesem Punkt von der in den meisten ost- und südosteuropäischen Volksdemokratien. Während dort in den Jahren nach 1945 einer großen Mehrheit des Volkes der Zugang zu literarischen und künstlerischen Werken erst jetzt, mit der Alphabetisierung, eröffnet wurde, hatte dieser Vorgang in Deutschland unter den gesellschaftlichen Bedingungen des entwickelten Kapitalismus stattgefunden. Mit den Werken der klassischen Literatur war hier jeder in irgendeiner Form in Berührung gekommen. Die Erbeaneignung war jedoch von Anfang an durch die Interessen der herrschenden Klasse gefiltert worden. Der Fassadencharakter der deutschen Geisteskultur war eine unmittelbare Folge ihres Abtrennens nicht nur von den politischen Angelegenheiten, sondern von den materiellen Lebensbedingungen des Volkes überhaupt und von der aktiven, 76
kulturschöpferischen Tätigkeit der Volksmassen. Zur Überwindung dieser Form des „Kulturverfalls" war zweierlei nötig - erstens die Umwertung der überkommenen Bildungs- und Kunstwerte vom Standpunkt der Arbeiterklasse, also gleichsam ein Auswechseln des Filters, und zweitens die Verbindung mit der praktischen Lebenstätigkeit des Volkes, mit seinen öffentlichen Angelegenheiten. Ein erster, zeitlich etwa bis 1947 reichender Abschnitt in der Literaturpublizistik war durch das Bemühen geprägt, Literatur und Politik wieder in ein produktives Verhältnis zu bringen. Für die Tägliche Rundschau als Organ der sowjetischen Besatzungsmacht kam noch eine Schwierigkeit hinzu: Für sie hieß es, eine Ebene der Kommunikation zwischen der Zeitung und ihren Lesern zu finden, die eine Gemeinsamkeit der Interessen überhaupt erst sichtbar machte. Der ehemalige Leiter des Informationsdienstes der SMA, Oberst Lew A. Dubrowitzki, bezeichnete dies später als die Hauptsorge der Kulturoffiziere: „Wie spricht man mit Menschen, die vielleicht nicht unwillig waren, die unter anderen historischen Bedingungen auch zugehört hätten, die aber den Schock der Nazipropaganda und ihres eigenen Reinfalls, den Schock der bedingungslosen Kapitulation zum Alibi absoluter Politikfeindlichkeit erhoben?"173 Das Problem war nur dann zu lösen, wenn das deutsche Volk die Zerschlagung des Faschismus auf die Dauer nicht als Zusammenbruch empfand, sondern als Befreiung begriff. Hier lag auch der Ansatz für die Überwindung des falschen Bewußtseins vom Volk der Dichter und Denker angesichts der wirklichen Kulturvernichtung durch den Faschismus. Alexander Dymschitz beschrieb 1946 sehr eindrucksvoll, wie die Lösung des von Dubrowitzki geschilderten Widerspruchs bereits im Bewußtsein der kämpfenden sowjetischen Armee vorgezeichnet war: „Als wir von Stalingrad, von Leningrad, vom Kaukasus nach Deutschland kämpfend vordrangen, wußten wir, daß dieser Kampf nicht nur unserem sowjetischen Vaterland, sondern der gesamten europäischen Zivilisation gewidmet war . . . Wir wollten die große deutsche Kultur, die Kunst eines Goethe, Beethoven, Schiller und Heine befreien vom Mißbrauch und von den Fälschungen der braunen Banditen. Und wir haben sie befreit 1 Wir wußten, daß der Nazismus die deutsche Kunst zwar mißbrauchen, aber niemals töten konnte . . . Und gerade weil wir wußten, daß auch innerhalb Deutschlands die deutsche Kunst noch atmete, ließen wir uns von den Trümmern nicht täuschen, sondern gingen daran, gleichsam wie Archäologen diese Kunst wieder auszugraben."174 77
Hier ist das Konzept der kulturellen Befreiung in seinem Wesen skizziert, das später die kunstpropagandistische Arbeit bestimmte. Der Beitrag der Sowjetunion - und das unterscheidet ihn schon im Ansatz von der Kulturpolitik der Westmächte - war internationalistisch nicht nur im Sinne einer „Öffnung nach außen", sondern im Wirksammachen der humanistischen Potenzen der deutschen Nationalliteratur durch einen sozialistischen Staat. Der Gedanke der Befreiung der Kultur wurde in der Täglichen Rundschau in mehrfacher Hinsicht realisiert: Im Juli 1945 erschien ein ganzseitiger Beitrag über sechs vom Faschismus in den Tod getriebene Schriftsteller unter der Überschrift Der Faschismus hat sie gemordet. Ernst Toller, Stefan Zweig, Carl von Ossietzky, Kurt Tucholsky, Erich Mühsam und Walter Hasenclever wurden in Wort und Bild vorgestellt. Es handelte sich ausnahmslos um bürgerliche Schriftsteller. Ihr Bekenntnis wurde in allgemeinster Form als Dienst an Freiheit und menschlichem Glück, Völkerverständigung und Antimilitarismus dargestellt. Der Faschismus - so hieß es in der redaktionellen Vorbemerkung - habe sie gerade deshalb gemordet oder zum Selbstmord getrieben, „weil sie so flammende Demokraten und hervorragende Künstler waren" 175 . So wurde dokumentiert, daß die sozialistische Siegermacht und die bürgerlich-demokratischen Schriftsteller im deutschen Faschismus ihren gemeinsamen Feind gehabt hatten. Bei den Kurzporträts fällt ein Verfahren auf, das für die Vermittlung der antifaschistischen Literatur charakteristisch war: Es ist die betonte Einheit von Leben und Werk, die Heranführung an die antifaschistische Literatur weniger über die Analyse der literarischen Produktion als über die Persönlichkeit des Schriftstellers. Neben der notwendigen Information wurde damit auch ein bestimmtes Verhältnis zum Werk, eine Lesehaltung etabliert, die die literarischen Produkte zuallererst als Zeugnisse für die beispielhafte moralische Qualität des Autors entgegennahm. In dieser Hinsicht wurden Werke wie Das siebte Kreuz von Anna Seghers, Doktor Faustus von Thomas Mann oder Der Totenwald von Ernst Wiechert als Ausdruck einer nachvollziehbaren geistigen Haltung zur jüngsten Vergangenheit beschrieben, die in der Person des Autors beispielhafte Repräsentanz erhielt. Unterschiede im politischen Bewußtsein, im Realitätsbezug und in der künstlerischen Gestaltung traten vorerst zurück hinter dem gemeinsamen antifaschistischen Bekenntnis. Die relativ einfache Folgerungskette lautete: Das Leben des Schriftstellers ist Beweis für seine moralische Integrität - sie findet ihren Ausdruck im Werk 78
über das Werk wird auf den Autor zurückgeschlossen - er fungiert für den Leser als Identifikationsfigur. Das gilt vor allem für die Bücher, in denen ein authentischer Lebensweg als „exemplarisch für Irren und Neubeginn" 176 im Werk wiedererscheint, wie etwa in Leutnant Bertram von Bodo Uhse oder Adel im Untergang von Ludwig Renn. Die Weltgeltung der Exilliteratur wird ebenfalls auf diese Weise begründet - sie erscheint als intaktes nationales Gewissen der exilierten Schriftsteller während der faschistischen Gewaltherrschaft. 177 Dieses verbreitete Interpretationsverfahren resultierte zweifellos aus der Breite des antifaschistischen Bündnisses von Schriftstellern verschiedener Weltanschauung. Für die Zeit nach 1945 ist die Erhaltung dieses Bündnisses wesentlicher Teil der Kulturpolitik, reicht aber als Erklärung für diese Methode der Verbindung von Literatur und Politik nicht aus. Sie hatte ihren Ursprung auch in einer verbreiteten Lesehaltung, die zunächst nicht verändert, sondern im antifaschistischen Sinne genutzt wurde. In einer Leserdiskussion über das „politische Buch" wird die bekannte Abwehrhaltung hauptsächlich mit dem Argument begründet: „Wir haben von politischen Büchern genug. In den Mußestunden wollen wir Unterhaltung und Entspannung und keine KZ-Literatur." 178 Hier liegt das offene Eingeständnis vor, daß man sich hier „im Zeitspiegel selbst betrachten muß und sich so mehr oder minder schuldig fühlt" 179 . Das Verlangen nach Ablenkung und Entspannung kaschierte nur den Schuldkomplex. Der Ausweg bot sich indessen in der Befriedigung eines Leseinteresses an, das in einer Zuschrift folgendermaßen lautet: „Wir brauchen Autoren, die das aussagen, was uns alle bewegt, die unseren Zweifeln ein Ende bereiten und uns eine Richtschnur geben für unser eigenes Ziel und Streben." 180 In einem Artikel zum gegenwärtigen Leseverhalten wird diese Haltung verallgemeinert: Die Leser, die jetzt wieder zum „guten Buch" griffen, „suchen die Deutung ihrer seelischen Verfassung nach dem Kriege, suchen Wegweisung aus dem tiefen Tal der Not". 181 Als Autoren, die von diesen Lesern bevorzugt wurden, werden genannt Shakespeare, Stifter, Lew Tolstoi, Thomas Mann, Hemingway, Becher, Hesse und Haushofer - „durchaus Moralisten also, Ringende, die sich mit dem Jahrhundert auseinandersetzen"182 - lautet der Kommentar. Weiterhin seien gefragt Hauptmann, Rilke, Werfel, Stefan Zweig, Wiechert, Albert Schweitzer - „Humanisten vor allem, in deren Werken sich das Versehrte Menschenbild wiederherstellt und von denen der Zeitgenosse heilsamen Zuspruch erwartet" 183 . 79
Die kommunikative Beziehung zwischen Literatur und Leser, die hier im gegenseitigen Interesse aufgebaut wird, ist am ehesten als eine therapeutische zu klassifizieren. Sie vereint das Verlangen nach Wiederherstellung des seelischen Gleichgewichts von der Seite des Lesers mit der Wahrnehmung der aufklärerischen Rolle humanistischer Literatur im Rahmen der angestrebten Erziehungsfunktion. Voraussetzung einer solchen Wirkung ist ein noch weitgehend unmündiger, der lenkenden Hand bedürftiger Leser. Die Chance liegt in einer fast ungehinderten Aufnahme des humanistischen Gedankenguts, dem die eigene Wirklichkeitserfahrung eher untergeordnet als entgegengesetzt wird. Ein kritischer, selbständig urteilender Leser hätte wiederum die Fähigkeit zur selbständigen Verarbeitung und Wertung der jüngsten Vergangenheit haben müssen - einen Bewußtseinsstand also, wie er bei der Mehrheit der deutschen Bevölkerung kurz nach Kriegsende vorauszusetzen illusorisch war. Kunst und Literatur sollten ja gerade die Gewinnung eines realen Geschichts- und Gegenwartsverständnisses mit vorbereiten und dazu auch überkommene Lesegewohnheiten nutzen. Für die Suche nach Wahrheit und Identität wurde, wie aus der Aufzählung der gefragtesten Autoren ersichtlich ist, nicht allein die zeitgenössische Literatur, sondern auch die Literatur der Vergangenheit und die anderer Völker genutzt. Dem Verhältnis zum Faschismus als einem die Klassengrenzen überschreitenden Wertkriterium entsprach hier die Zuordnung der Literatur zur „fortschrittlichen" oder „reaktionären" Traditionslinie in der Geschichte. Die aktuelle Bedeutung des Erbes wird zunächst an der geschichtlichen Parallelität, ja Identität des Kampfes gegen Feudalabsolutismus, reaktionäres Preußentum und Faschismus nachzuweisen versucht. Über die Aktualität von Heines Deutschland. Ein Wintermärchen heißt es: „Die finstere preußische Reaktion, gegen die er seine spitze Feder richtete, hatte 1944 in Gestalt der faschistischen Despoten und in der Endphase des blutigsten aller Kriege ihr Inferno erreicht. Was Heine ein Jahrhundert früher satirisch geißelte . . . , das hätte er nun mit noch größerer Berechtigung an den Pranger der Geschichte stellen können"18'5. Heine galt als Symbol für einen von den Herrschern aus rassischen und politischen Gründen vertriebenen Dichter. Lessing als Patriot und „Erzieher des Menschengeschlechts" ist Beispiel dafür, daß literarische Schaffen „nicht nur Protest gegen seine eigene Zeit, sondern gegen die Reaktion zu allen Zeiten"185 war. Attackiert wird hauptsächlich die Auffassung von den Klassikern als „unpolitische" 80
Dichter. Dabei entspricht der analogisierenden, auf geschichtlichen Verkürzungen beruhenden Beweisführung auf der anderen Seite eine Hypostasierung des geschichtlichen Weitblicks, der angeblich seherischen Fähigkeit der Dichterpersönlichkeit. Marietta Schaginjan schreibt über die Haltung Goethes zum Wiener Kongreß: „Goethe, der Weltweise, ahnte und erkannte die drohende Gefahr, die Machtgier und die Eroberungsgelüste, die wie ein Krebsschaden am Körper des deutschen Volkes wucherten . . . Und der Fluch Goethes wurde an Hitler Wirklichkeit." 1 8 6 Der Dichter als Seher und Prophet - das war die Formel, die es ermöglichte, aus der Literatur der Vergangenheit eine leitbildhafte Wirkung auf die Gegenwart zu gewinnen. Betont wird auf der einen Seite die Protesthaltung der Autoren gegen die jeweils herrschenden Zustände, auf der anderen das überzeitliche, auf Vervollkommnung des Menschen gerichtete Ideal. Die Folgerung lautet, daß die Beseitigung der Knechtherrschaft (in welcher Form auch immer) den Weg frei mache für die Verwirklichung des ideal vorgezeichneten Menschen- und Gesellschaftsbildes. In der Realität müßten deshalb die Voraussetzungen für die Wirksamkeit der großen Ideen geschaffen werden. Umgekehrt wurden die Versäumnisse der Geschichte oft damit erklärt, daß die Botschaft der Dichter vom Volk nicht aufgenommen worden sei: W ä r e das Werk der großen Dichter im deutschen Volk lebendig geblieben, so hätte die größte Katastrophe der Geschichte vermieden werden können - dieser Gedanke wurde in unzähligen Variationen und bezogen auf die unterschiedlichsten Schriftsteller (von Lessing über Goethe und Heine bis zu Fritz Reuter und Gerhart Hauptmann) verbreitet. Faktisch bedeutete es die Rückversetzung der konkreten Bedingungen einer „ideologischen Revolution" in die Vergangenheit. Konsequenz war, daß die Ideen nicht als Widerspiegelung der Wirklichkeit, in ihrer aktiven Wirkung auf die gesellschaftliche Praxis erschienen, sondern die geschichtliche Bewegung umgekehrt als Ausdruck und Realisierung der Ideen genommen wurde. Da auch der Marxismus, analog dazu, anfangs hauptsächlich als große Menschheitsidee in der Fortsetzung der klassischen Tradition der bürgerlichen Philosophie interpretiert wurde, blieb vorerst für eine dialektisch-materialistische Definition des Verhältnisses von Literatur und Geschichte wenig Raum. Dieses Denkmodell hatte Konsequenzen auch für die Vermittlung der sozialistischen Literatur, deren neue soziale Qualität vorerst keine Rolle spielte. An der Sowjetliteratur wurde anfangs die allgemein 6
DDR-Literatur
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humanistische Grundlage und die Gemeinsamkeit mit der demokratischen Tradition hervorgehoben. Bei der Heranführung an die russische und sowjetische Literatur kam noch hinzu, daß zuallererst die faschistische These von der Kulturlosigkeit der slawischen Völker zu widerlegen war. Es wurde mit der elementaren Feststellung begonnen, daß die russische Nation ein „Kulturvolk" sei und die Meisterwerke der russischen Literatur in die „Schatzkammer der Menschheit" gehörten. Artikel wie Puschkin und der europäische Geist, Der russische Roman im deutschen Geistesleben oder Heine in Rußland lenkten die Aufmerksamkeit zunächst auf Gemeinsamkeiten in den kulturellen Traditionen. Die zeitgenössische Literatur wurde entweder als Mittel der Information über die Sowjetunion empfohlen - das betraf besonders die aktuelle Kriegs- und Nachkriegsliteratur wie Simonows Tage und Nächte, Surkows Die Feuer des großen Ural oder Pawlenkos Glück - , oder es wurden auch hier, auf bestehende Rezeptionsgewohnheiten bauend, Identifikationsmöglichkeiten angeboten, so z. B. Gorkis Mutter anfangs als „Frauenroman", versehen mit folgender Empfehlung: „Das stille, unpathetische Heldentum, dieses Hohelied einer herzenswarmen Frau aus dem Volke, die über sich selber und ihren engen Gesichtskreis hinauswächst und von der Opferbereitschaft für ihr eigenes Fleisch und Blut zur Kämpferin für die Zukunft einer Gesamtheit wird, ist vorbildlich geblieben und hat ganz besonders auch unserer Gegenwart viel zu geben."187 In ähnlicher Weise wurde Ostrowskis Wie der Stahl gehärtet wurde als abenteuerlich-spannendes Jugendbuch und Scholochows Neuland unterm Pflug als Bauernroman eingeführt. Neben dem Anknüpfen an Rezeptionsmuster und Genreeinteilungen der Massenliteratur ist das Abheben der literarischen Inhalte von den konkreten historischen und nationalen Hintergründen und die angestrebte Übertragbarkeit allgemein-menschlicher Verhaltensweisen über diese unterschiedlichen Bedingungen hinweg charakteristisch für die Herstellung eines allerersten Kontakts zwischen den bedeutenden Werken der Sowjetliteratur und dem deutschen Nachkriegsleser. Hinter diesem Versuch, sowjetische Autoren bei den deutschen Lesern populär zu machen, steht unausgesprochen das Bild von einem „idealen Buch", das geeignet wäre, die Wirkung der bürgerlichen Massenliteratur zu verdrängen und zugleich deren Verbreitungsgrad zu erreichen. Das Bild vom idealen Buch bestimmt z. B. folgende Forderung eines Kritikers: „Es fehlt aber vorerst noch völlig ein 82
echtes Volksbuch aus neuem Geiste, eines, das Breitenwirkung erzielen könnte, ohne oberflächlich zu sein, eines, das von einem geschrieben werden müßte, der - um mit Luther zu reden - 'dem Volk aufs Maul sah', der ganz aus dem Leben des schaffenden Menschen ein Stück Zeit nach dem Zusammenbruch gestaltete, wobei zwischen allem Ernst der Humor nicht fehlen dürfte." 188 Beim Lesen der Rezensionen in der Täglichen Rundschau entsteht der Eindruck, als sei bei jedem neuerschienenen Werk nach diesem idealen Buch gesucht worden. Auch die deutschen sozialistischen Autoren aus der proletarisch-revolutionären Tradition werden zuallererst nach den Kriterien traditioneller Volkstümlichkeit gewertet. Hans Marchwitza wird als „eigenwilliger Volkserzähler" vorgestellt, der auf Grund seiner eigenen Lebenserfahrungen dafür prädestiniert sei, „volkserzieherisch zu wirken". 189 Ein Gespräch mit Erich Weinert nach dessen Rückkehr erscheint unter der Überschrift Volksdichter und Rhapsode190. Zur Eigenart der Bredeischen Schreibweise bemerkt der Rezensent, Bredel sei „wie alle Niederdeutschen ein liebevoller und breiter Schilderer", der mit den Mitteln der Detailmalerei Züge einer Arbeiterfamilie gestalte, darunter eine Reihe „humoriger Hamburger Originale". 191 Über seine künstlerische Herkunft heißt es an anderer Stelle, daß er „zu den im Schillerschen Sinn naiven Talenten gehört, die unmittelbar aus Leben und Umwelt schöpfen"192. Johannes R. Becher wurde dem Leser als Dichter des „Hoheliedes der Heimatliebe" 193 vorgestellt. Besonders bei der Beurteilung der sozialistischen Schriftsteller erweist sich, in welchem Umfang bestehende Vorurteile gegen die sozialistische Literatur als eine blasse „Tendenzliteratur" abgebaut werden mußten - eine Aufgabe, die dadurch erschwert wurde, daß das Werturteil Georg Lukäcs' über die „asketische Trockenheit im Künstlerischen" unkritisch übernommen und durch die Tageszeitung propagiert wurde. 194 So wird in einer Rezension des Romans Das siebte Kreuz ausdrücklich vermerkt: „Das Buch agitiert weder, noch philosophiert es oder stellt Lehrsätze auf. Es wirkt mit der Darstellung selber, mit seiner Beschreibung, überzeugt durch Beobachtung und wirksame Abstufung des Geschehens."195 Und Jan Petersen betont in seiner Einführung zum Werk Bodo Uhses, er lasse die Antifaschisten „nicht nur als politische Kämpfer vor uns erstehen, sondern auch als blutvolle Menschen mit ihren persönlichen Sorgen und Nöten, ihren Gefühlsaufwallungen und Wandlungen" 196 . Insgesamt verweist die literarische Publizistik der unmittelbaren 6*
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Nachkriegszeit auf die Schwierigkeit der Vermittlerrolle zwischen dem neuen Buchangsbot und den überkommenen Leseinteressen. Mit der Information wird zugleich ein bestimmtes Wirkungskonzept mitgeliefert, das sich anfangs noch sehr eng an bestehenden Leseerfahrungen und -erwartungen orientiert. Auch das Verhalten des Kritikers ist davon geprägt. E r sieht sich selber bei aller hervorgekehrten Lehrhaftigkeit der Literatur als Stellvertreter des Lesers, bezieht den kollektiven Erlebnishintergrund in die Wertung ein und urteilt vorwiegend vom eigenen subjektiven Leseeindruck her. Offenkundig ist aber auch, daß die Wirkungspotenzen der Literatur, wie sie sich konkret im Editionsprogramm und allgemein im Erziehungsauftrag kundtaten, damit längst nicht ausgeschöpft waren. Noch war kaum etwas gesagt über die erkenntnisvermittelnden Möglichkeiten der Literatur, die Stellung des Schriftstellers in den Klassenkämpfen seiner Zeit, die Unterschiede zwischen bürgerlicher und sozialistischer Literatur, die innerliterarischen Beziehungen und Traditionslinien. Gegen E n d e 1946 beginnt sich ein neues Wertungssystem durchzusetzen (ohne das alte je gänzlich aufzuheben), das auf Literatur als Abbild der Wirklichkeit orientiert und dessen Hauptkriterium der Realismus ist. Damit wird die Vorstellung von politischer Dichtung als Bekenntnis des Schriftstellers abgelöst bzw. ergänzt. D a s Interesse des Lesers wird vom Nachvollzug des dichterischen Ethos auf die Erkenntnis gesellschaftlicher Zusammenhänge gelenkt. D a s Bild vom Schriftsteller ändert sich entsprechend: Aus dem Schöpfer und Repräsentanten großer Menschheitsideen wird der Schilderer oder Gestalter gesellschaftlicher Vorgänge, aus dem Propheten der Wegweiser. Das Muster von Fortschritt und Reaktion als Grundlinien der Literaturgeschichte bleibt erhalten, aber die Kriterien werden ausgetauscht. Neu ist der Entwicklungsgedanke: Literatur wird in einen geschichtlichen Ablauf hineingestellt, der durch sozialökonomische Prozesse bedingt ist, und die literarischen W e r k e werden als Reflex und Widerschein dieser Entwicklung begriffen. Insgesamt handelt es sich um die versuchte Anwendung des Marxismus auf die Literaturinterpretation, wie sie am ausgeprägtesten schon damals im Werk von Georg Lukäcs vorlag. W i e auf literaturtheoretischem Gebiet allgemein errang Lukäcs in den darauffolgenden Jahren auch in der Literaturkritik eine dominierende Stellung, die erst seit Anfang der fünfziger Jahre mit dem Wirksamwerden der von der Sowjetwissenschaft formulierten Kriterien des sozialistischen Realismus allmählich eingeschränkt wurde.
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Wie neuartig man seine Methode, die ja bereits in den dreißiger Jahren entwickelt und erprobt worden war, 1946 empfand, zeigt z. B. die redaktionelle Vorbemerkung zu einem Teilabdruck seines Briefwechsels zwischen Goethe und Schiller in der Täglichen Rundschau. Die Redaktion macht darauf aufmerksam, daß der Briefwechsel zwischen den Klassikern „durch die Deutung des Verfassers ein völlig neues Licht (erhält), das sowohl die von ihnen so kunstbesessen diskutierten Probleme wie auch ihre Charaktere selbst aufleuchtenläßt in der gesellschaftlich-ökonomischen Verflechtung des 18. Jahrhunderts"197. Ihre besondere Faszination erhalte die Methode dadurch, daß Lukäcs „die Dichtung dem gesellschaftlichen Gesamtgefüge des Jahrhunderts eingliedert, ohne dabei die Würdigung ihrer hohen künstlerischen Mission zu vernachlässigen"198. Die bisher praktizierten Verfahren der Literaturkritik hatten es nicht erlaubt, Gesellschaftsanalyse und Kunstspezifik zusammenzudenken. Die geschichtsphilosophisch orientierte Ästhetik von Georg Lukäcs mit ihrer charakteristischen Verbindung von gesellschaftlichem Determinismus der Kunstproduktion auf der einen und der Konstruktion überzeitlicher Literaturströmungen auf der anderen Seite wurde damals nicht in ihrer Besonderheit oder gar Begrenztheit erkannt, sondern als gültige Anwendung des dialektischen und historischen Materialismus auf die Literatur entgegengenommen. Die Einteilung in eine fortschrittliche und eine reaktionäre Linie wurde fundiert durch die sozialökonomische Formationsfolge und durch das Realismuskriterium als Wertkategorie. Die bürgerlich-demokratische Literatur des 19. Jahrhunderts erschien in diesem Sinne als Blütezeit der „aufsteigenden" Linie des Realismus und damit als Erbe der progressiven Literatur der Gegenwart, die „absteigende" Linie war die der bürgerlichen Dekadenz - Ausdruck der Verfallserscheinungen des kapitalistischen Systems. Anstelle des „politischen Dichters" wird jetzt der bürgerliche Realist favorisiert: Schriftsteller wie Fontane und Keller in der deutschsprachigen Literatur, Tolstoi in der russischen werden unter dem Gesichtspunkt einer wahrheitsgetreuen Wiedergabe des Lebens, als Schöpfer von „Zeitgemälden" zu den bedeutendsten Vertretern ihrer Epoche gerechnet. Etwa zur gleichen Zeit wie der Einfluß Lukäcs' (auf den noch zurückgekommen wird) beginnt die ideologische Auseinandersetzung mit der modernen westeuropäischen und amerikanischen Literatur. In Artikeln wie Der soziale Roman in den USA oder Gedanken zur modernen amerikanischen Literatur wurden der „mystisch-dekadente(n) 85
Pseudokunst" von O'Neill, Thornton Wilder und Paul Osborn der sozialkritische Roman der dreißiger Jahre und die Tradition eines Whitman, Mark Twain und Edgar Allan Poe entgegengehalten. Die Ursache der Polemik war jedoch nicht die Anwendung neuer theoretischer Maßstäbe. Sie war vielmehr in der politischen Funktion begründet, die die moderne spätbürgerliche Literatur als „Importkunst" in Deutschland erhalten hatte. Die ausgesprochen reaktionäre, antihumanistische Tendenz in der Aneignung dieser Werke äußerte sich darin, welche Autoren die Literaturkritik der Westpresse favorisierte und wie sie die Wirkungsmöglichkeiten der Moderne insgesamt steuerte. Henry Miller z. B. wurde im Tagesspiegel mit Faszination als „Parias unter den Apokalyptikern des modernen amerikanischen Romans"199 gefeiert, wobei der unbewältigte Faschismus ebenso wie die Suche nach Scheinlösungen in jeder Zeile sichtbar war. So etwa in der Propagierung der „Revolte, des Aufstands gegen eine Zeit der Surrogate und der konventionellen Geschlechtslüge, in der der Mensch vergeblich nach den Spuren des verlorenen Mythos sucht"200. Apokalypse und Todesmystik erhalten hier eine zweifelhafte Genußfunktion, die von einer konformistischen Literaturkritik bedenkenlos gepriesen wird. Andererseits werden - im Unterschied zur unmittelbaren Nachkriegszeit - seit dem Beginn des kalten Krieges sozialistische Schriftsteller und ihre Werke diffamiert. Die Abkehr bürgerlicher Schriftsteller vom Kommunismus wird als das Normalverhalten hingestellt. So wird Louis Aragon von dieser Seite vorgeworfen: „Das Beispiel Gides, Malraux' und Koestlers hat ihn nicht ermutigen können, dem Kommunismus abzuschwören."201 Die literarische Wertung wird eindeutig vom politischen Urteil bestimmt. Aragons Buch Die Glocken von Basel wird als Zeugnis für den inneren Zwiespalt zwischen kommunistischer Indoktrination und dem Drang nach poetischer Freiheit interpretiert.202 Bücher mit eindeutig antifaschistischem Inhalt, wie Hemingways Spanienbuch Wem die Stunde schlägt, werden im Sinne der gewünschten Tendenz interpretiert. Der Rezensent schreibt, Hemingway habe „den so diesseitigen Menschen unserer Zeit ins Elementare gestellt, in die ganz große Verlorenheit zwischen Gott und Welt, in den unendlichen Raum, aus dem die Sehnsucht erwächst und der Notruf, das heißt das ursprünglich Religiöse" 203 . Das Resultat dieser Einbeziehung der Literatur in ein Erziehungskonzept mit negativen Vorzeichen war u. a., daß der Antifaschismus, wie Karl Jaspers 1966 rückblickend bemerkte, sich in der BRD nie 86
etablieren konnte.20/1 Bereits 1949 - so ergab eine repräsentative Umfrage in der amerikanisch besetzten Zone - war die Zahl der Deutschen, die den Nazismus verurteilten, gegenüber 1946 von 60 Prozent auf 36 Prozent gesunken.205 Reaktionäre Presseverleger konnten schon 1947 triumphieren, daß ein „Lieblingsgedanke der Sieger . . . eine erhebliche Korrektur (benötigte); der Gedanke einer ' U m e r z i e h u n g d e s d e u t s c h e n V o l k e s ' "206. An diesem Ergebnis dürfte die Literaturpublizistik nicht unbeteiligt gewesen sein. Zwar waren antifaschistische Bestrebungen - u. a. in dem von Erich Kästner geleiteten Feuilleton der Neuen Zeitung - durchaus vorhanden, aber ihre Wirksamkeit wurde durch den zunehmenden Antikommunismus in der Tagespublizistik mehr und mehr eingeschränkt. Ohne diese Funktion, die die spätbürgerliche Literatur im Nachkriegsdeutschland zugewiesen bekommt, und die ihre potentiellen Wirkungsmöglichkeiten auch in der sowjetisch besetzten Zone hat, ist die antimodernistische Tendenz in der Auseinandersetzung mit ihr nicht zu verstehen. Problematisch auf längere Sicht war indessen, daß unter dem Einfluß einer mechanistischen Dekadenzauffassung diese Funktion ausschließlich als Folge einer den Werken innewohnenden reaktionären Geisteshaltung interpretiert wurde, was eine Bewertung der Moderne auf dialektisch-materialistischer Grundlage vorerst erschwerte. Aber auch das Freisetzen der erzieherischen Möglichkeiten der sozialistischen Literatur war unter den geschilderten Umständen nicht problemlos. Es galt, den Leser für die neuen sozialen Inhalte empfänglich zu machen und dabei an die bestehenden Bedürfnisse nach Daseinsdeutung und Identitätsfindung, an die Suche nach stabilen moralischen Werten anzuknüpfen und die Forderung nach leicht verständlichen Darstellungsweisen zu berücksichtigen. In der Praxis erwies sich, daß hierbei die sozialistischen Autoren, die aus der realistischen Erzähltradition des 19. Jahrhunderts kamen, eine wichtige Rolle bei der Gewinnung neuer Leserschichten spielten. Auch in der Literaturkritik wurde die zunehmende Beliebtheit solcher Schriftsteller wie Maxim Gorki und Martin Andersen Nexö genutzt, um auf Möglichkeiten des Erkenntnisgewinns mit Hilfe von Literatur aufmerksam zu machen. Es ist naheliegend, daß eine Persönlichkeit wie Georg Lukäcs, dessen theoretisches Konzept mit den Bedürfnissen der Praxis weitgehend übereinstimmte, rasch eine herausragende Stellung erlangen konnte. Lukdcs als Kritiker besticht dabei durch eine vorher wenig beachtete Qualität: seine genaue Kenntnis und sein bewußtes An87
sprechen der sozialen Psyche des deutschen Lesers. Lukacs als Sozialpsychologe vermag die verschiedenen literarischen Erwartungshaltungen in ihrem sozialen Ursprung zu erkennen, politisch zu bewerten und in ein literaturtheoretisches Konzept zu integrieren. Mit ihm betritt ein neuer Typ des Kritikers die Literaturszene. Er urteilt weniger aus der Haltung des Mitbetroffenen, mehr aus der des Lehrers und Kunstrichters. Seine Kommentare zum Werk Kellers, Thomas Manns und der russischen Realisten, die in jenen Jahren im Aufbau-Verlag erscheinen, werden in Auszügen sofort in der Presse nachgedruckt, ebenso Teile der Aufsätze, die regelmäßig in der Zeitschrift Aufbau veröffentlicht wurden. Im Unterschied zu seiner literaturkritischen Tätigkeit vor 1933 in Deutschland führt Lukacs keine Polemiken gegen die sozialistische Avantgarde. Er beschränkt sich jetzt auf die Propagierung der bedeutendsten Vertreter der realistischen Tradition. Zur Gorki-Ausgabe des Aufbau-Verlags schreibt er das Vorwort. Auszüge daraus erscheinen in der Presse.207 Anläßlich der ersten Nachkriegsauflage von Pelle der Eroberer im Dietz Verlag stellt er in einem großen Artikel in der Täglichen Kundschau das Werk von Martin Andersen Nexö vor. Während Verlag und Presse Nexö als „Arbeiterschriftsteller" einführen, als der er auch vor 1933 in Deutschland bekannt war, baut Lukacs ein neues Bild vom Autor und seinem Adressaten auf: Nexö als „Epiker des dänischen Volkslebens", als Dichter der „unteren Schichten".208 Im Unterschied zur nicht näher bestimmten „Volksnähe" bei der Vorstellung der sozialistischen Autoren wird von ihm die Kategorie der Volksverbundenheit sozial, wenn auch nicht klassenmäßig gebraucht. Auch die Grundqualität des Werkes - die gestaltete Solidarität - bezieht er nicht auf ihren Klasseninhalt, sondern fundiert sie auf die „uralte Volkssolidarität", die bei Nexö einen „zeitgemäßen Inhalt" erhalte.209 Der durch zu häufigen Gebrauch beinahe inflationistisch entwertete Begriff vom Volk hat mehrere Quellen - er verweist auf das klassenübergreifende Demokratiemodell von Lukacs selbst, weiterhin auf das über den Arbeiterleser hinaus erweiterte Bild vom Adressaten (korrespondierend mit dem Arbeiterschriftsteller als Volksautor), traf aber auch Erfahrungen, Emotionen und Traditionen, die mit dem Begriff „Volk" verbunden waren. In keinen anderen Begriff war seit dem Faschismus so viel soziale Energie investiert worden, keiner war derart massenpsychologisch aufgeladen. Lukacs nutzt diese Gefühlshaltung bewußt aus. Um die hier konzentrierten Emotionen positiv wirksam werden zu lassen, scheut er bei einer solchen Umfunktionie88
rung weder vor entsprechender Wortwahl noch vor dem Benutzen gedanklicher Klischees zurück: E r bestimmt den Platz Nexös in der realistischen Tradition, indem er ihn als Kritiker der bürgerlichen Zivilisation „von unten" beschreibt, und sieht seine Spezifik in der Verbindung dieser kritischen Haltung „mit den tiefsten Unterströmungen des nationalen Volkslebens". 2 1 0 Dazu führt er näher aus: „Andersen Nexö gestaltet nicht bloß die spezifisch modernen Nöte der modernen Großstadt und des von der großstädtischen Kultur zersetzten Landvolks, welcher Prozeß in diesen Schichten oft gerade den Zusammenhang mit den volkhaft-nationalen Unterströmungen zerreißt" 2 1 1 , sondern er führe die Kulturprobleme weit in die nationale Vergangenheit zurück und zeige die „Erneuerung der nationalen Kulturkräfte von unten her" 2 1 2 als reale Perspektive. Darin sei Nexö der einzige westliche Schriftsteller, dessen Schaffen eine gewisse Parallele zu Maxim Gorki zeige. Von seinen Vorgängern — Lukäcs nennt Ibsen und Pontoppiddan - unterscheide sich Nexö dadurch, daß er die „pessimistisch-kulturkritische" Periode hinter sich gelassen habe und diesen Ablösungsprozeß in der Gestalt des Pelle vorführe. D i e seelische Mobilisierung der inneren Volkskräfte seines Helden bei der Überwindung von Pessimismus und Individualismus sei dabei die eine Komponente, eine andere liege in der Erkenntnis, daß „spontane Solidarität" nicht ausreiche, sondern daß diese zu einer realen politischen und ökonomischen Macht werden müsse: „Von hier aus wird Andersen Nexö zu einem Verherrlicher der Bewußtheit irr intellektueller und moralischer Hinsicht, der wirklichen Einsicht als Führerin für das richtige Leben." 2 1 3 Damit - und hier kommt Lukäcs auf den Faschismus direkt zu sprechen - sei die „Kampfstellung gegen jede Form der Verfinsterung" 2 1 4 gegeben. D e r Gewinn an weltanschaulicher Bewußtheit beim Aufstieg seines Helden mache Nexös Werk zu einem „Erziehungsroman", und damit schließt sich der Kreis zur Erziehungsfunktion der Literatur auf neuer - weltanschaulicher Grundlage. E i n weiteres Anknüpfen an die Traditionen des Volkslebens sieht Lukäcs in der „sozial-psychologischen Verinnerlichung und Vertiefung des Volksmärchens" 2 1 5 und im Aufgreifen und sozialen Interpretieren des Glücksmotivs. D e r perspektivische Gehalt der Literatur erscheint jetzt nicht mehr als Akt der moralischen Läuterung des Individuums, sondern äußert sich in der „gesellschaftliche(n) Kraftentfaltung" bei der Verwirklichung der Lebensinteressen des Volkes. Der Schriftsteller als Seher und Prophet tritt zurück hinter den Erzieher und
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Wegweiser. Er ragt in dieser Rolle über seine Gestalten hinaus, weil er ihre Stellung im sozialen Kräftefeld zu durchschauen, objektiv zu werten und im Werk zu rekonstruieren vermag. Die S c h i l d e r u n g der sozialen Befindlichkeit des Individuums in den Kämpfen seiner Zeit - Kriterium des Realismus der literarischen Darstellung - dominiert gegenüber der Verkörperung humanistischer Werte in der Figur des Dichters. Die für Lukäcs charakteristische Sicht der SubjektObjekt-Dialektik als ontologisches Prinzip, demzufolge die jeweils revolutionäre Klasse mit den übergreifenden humanistischen Ideen zugleich die objektive Tendenz der geschichtlichen Entwicklung realisiert, findet hier ihren Niederschlag und kann sich um so ungehinderter entfalten, als sie der Auffassung von der Kulturrevolution als ideologischer Erziehungsaufgabe entgegenkommt. Der Leser wird bis zur Erkenntnis der „objektiv treibenden Kräfte" der Geschichte geführt und vollzieht damit den Erkenntnisprozeß des Schriftstellers nach, ohne zunächst nach eigenen Eingriffsmöglichkeiten zu fragen. Die weltanschauliche Bewußtheit wiederum wird als weiterführendes, den kritischen Realismus aufhebendes Merkmal verstanden. Die Wirkung Lukäcs' als Kritiker darf jedoch nicht zu eng auf sein theoretisches Credo bezogen werden. Seine Fähigkeit, sich auf die soziale Psyche eines Lesers einzustellen, dem der Marxismus noch unbekannt war, der Gebrauch des Marxismus nicht als Dogma, sondern als Methode, machte ihn zu einem wichtigen Mittler für ein neues Literaturverständnis. Die Aufdeckung von Zusammenhängen „von Geistigem und Geschichtlichem" 216 in der Literatur war vor allem für jene Leser eine Offenbarung, die vorher nur den faschistischen Literaturbetrieb kennengelernt hatten. Erstmals wurde es diesen Lesern ermöglicht, literarische Darstellung, realen geschichtlichen Prozeß und individuelles oder nationales „Schicksal" zusammenzudenken. Lukäcs' sozialpsychologische Wirksamkeit hatte ihre politische Ursache in der sozialen Breite seines Bündniskonzepts, das sich nicht nur auf eine geistige und künstlerische Elite bezog, sondern auf die Gewinnung einer wirklichen Massenbasis für die volksdemokratische Revolution. Es traf sich darin auch mit den politischen Grundsätzen beim Aufbau der antifaschistisch-demokratischen Ordnung. Aus der Erkenntnisfunktion der Literatur als Gradmesser für die Bewertung der spätbürgerlichen Moderne durch die literarische Kritik und Publizistik ergaben sich neue Kriterien. In einer Zeit, die über das wissenschaftliche Rüstzeug zur Erklärung gesellschaftlicher Zusammenhänge verfügt, erscheint manchem Kritiker der Aufbau einer eige-
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nen künstlerischen Welt als unvollkommener Ersatz.217 In der Annahme, der Verfall der bürgerlichen Gesellschaft spiegele sich direkt in einem Verfall der Kunstmittel wider, deutet sich bereits die Richtung der späteren Formalismus-Diskussion an, wo vom Gebrauch moderner Techniken auf Erkenntnisverzicht und damit auf eine politische Fehlhaltung des Künstlers in der Klassenauseinandersetzung zurück geschlossen wird. Die Anwendung des Formalismus-Kriteriums hatte eine klassenmäßige Definition der Kunstfunktion zur Voraussetzung. Bis 1949 waren sowohl der Streit um Realismus und Formalismus als auch die Kriterien des sozialistischen Realismus nur aus der sowjetischen Kunstdiskussion bekannt. Die Darstellungen für den deutschen Leser trugen rein informierenden Charakter. 218 Das hatte für die Aufnahme der deutschen sozialistischen Literatur insofern Konsequenzen, als diese zwar in den Werken von Bertolt Brecht und Johannes R. Becher, Anna Seghers, Willi Bredel, Hans Marchwitza, Ludwig Renn, Bodo Uhse und anderen präsent war, aber noch nicht als solche präsentiert wurde. Die zu jener Zeit geltende Bestimmung des sozialistischen Realismus als „Synthese des Realismus mit der revolutionären Romantik"219 war aus der Entwicklung der Sowjetliteratur abgeleitet und bezog sich vorerst nur auf diese. Gegenüber den anderen Literaturen wurde der historische Abstand, die Ungleichzeitigkeit betont die Sowjetliteratur erschien als „der legitime Erbe nicht nur der russischen, sondern auch der westeuropäischen und der gesamten klassischen Weltliteratur" 220 . Die meistgenannten Schriftsteller des sozialistischen Realismus - Gorki und Majakowski - wurden noch nicht in ihrer Bedeutung für eine internationale sozialistische Literatur, sondern als Vertreter der am meisten fortgeschrittenen Nationalliteratur betrachtet. Die Majakowski-Rezeption zum Beispiel ist aufschlußreich für ein solches Erbeverhalten und die Richtung seiner Überwindung. Als die Tägliche Rundschau im Oktober 1945 ganzseitig das Oktoberpoem abdruckte und viele Majakowskis Namen zum ersten Mal lasen, stellte sie es unter das Motto (nach eine Stalin zugesprochene Formulierung) „Majakowski war und bleibt der beste, talentvollste Dichter unserer Sowjetepoche"221. Nach Erscheinen des ersten Gedichtbandes 1946 schrieb die Rezensentin im Neuen Deutschland: „Mit diesem Auswahlband wurde uns wieder ein Buch in die Hand gegeben, das uns ein Stück weiter zum Begreifen der Sowjetunion und ihrer Menschen bringen wird." 222 1947 wird Majakowski als der 91
„größte Poet des sozialistischen Realismus"223 vorgestellt. Majakowski als dichterischer Repräsentant einer Epoche - das war der Grundtenor, auf den sich die Rezensenten einigten. Das Bild, das über ihn vermittelt wurde, war in künstlerischer Hinsicht noch weitgehend unspezifisch. Es betonte weniger die Originalität seiner Dichtung als vielmehr Gemeinsamkeiten und Nachbarschaften etwa mit Heine als „politischem Dichter" oder mit Erich Weinert als „Dichter und Volkstribun". Die kunstschöpferische Potenz der neuen Gesellschaft wird analog zu der anderer Epochen bestimmt. Majakowski ist weniger der Sprecher der Revolution als ein Medium, durch das die Revolution zu künstlerischem Ausdruck gelangte. Um Majakowski zu begreifen, hieß es in einem Gedenkartikel zu seinem 16. Todestag, „muß man die Epoche verstehen, die aus seinem Munde sprach"224. Unter diesen Voraussetzungen mußte ein Artikel geradezu sensationell wirken, der die zeitliche und gesellschaftliche Distanz aufhob und Besitzanspruch auf das Werk Majakowskis anmeldete. Als auszugsweisen Vorabdruck eines größeren Aufsatzes veröffentlichte im Januar 1948 die Tägliche Rundschau Stephan Hermlins Beitrag: Majakowski oder die Entlarvung der Poesie225. Alle Probleme, die seit 1945 im Literaturteil der Zeitung diskutiert wurden, tauchen hier wieder auf: die Rolle der Literatur und der Platz des Dichters in der Gesellschaft, die möglichen Wirkungen progressiver Literatur auf ein Massenpublikum, der politische Charakter der Literatur und die Vorbildrolle der Sowjetkunst. Sie werden zusammengefaßt unter einer gemeinsamen Fragestellung: Auf welchem Wege ist eine Erneuerung der Kunst zu erreichen, konkret - wie kann eine Poesie „an sich" in eine Poesie „für uns" verwandelt werden? Majakowski wird als Provokation in dem Moment empfunden, da der Schriftsteller seinen Platz in der Gesellschaft nicht zugewiesen bekommen, sondern selbst bestimmen will. Dahinter steht die Gewißheit oder doch die Ahnung, daß man in einer Zeit revolutionären Umbruchs lebte, daß mit Begriffen wie „Erneuerung" und „Wiedergeburt" noch nicht alles gesagt war. Majakowski wird Beispiel dafür, daß das Programm einer sozialistischen Kunst bereits v o r dem Sieg der Revolution formuliert werden kann. Die Entdeckung bestand darin, daß die Teilnahme an der revolutionären Bewegung und das Bestehen des Künstlers auf einen eigenen unersetzbaren Beitrag zusammengehören können. Mit „Entlarvung der Poesie" ist beides gemeint - ihre Entkleidung von mystischem Ballast, die Offenlegung des Handwerks und das Ausstellen ihrer wirklichen Funktion im Nützlichmachen für die Allge92
meinheit. Die Frage nach der politischen Funktion der Dichtung wird von Hermlin aktualisiert durch die Erkenntnis, „daß die Poesie dort beginnt, wo Tendenz vorliegt, daß aber das Gedicht nur entsteht, wo keine andere Aussagemöglichkeit vorhanden ist"226. Die Integration des Dichters in den Alltag, seine Bereitschaft, mit poetischen Mitteln Massenerfahrungen zu artikulieren, wird zur Ausgangsbedingung einer eigenen unverwechselbaren Sprache. Der Umgang mit dem Notizbuch sei wichtiger als das Vermögen, „fehlerlos mit vollendeten Versmaßen zu operieren"227. In diesem Punkt, so meint Hermlin, habe Majakowski „die höchste Aktualität für uns erreicht"228. Zur Illustration seiner These erfindet er einen Dialog zwischen Majakowski (entnommen den zwölf abschließenden Thesen aus Wie macht man Verse) und Argumenten von „Verneblern" dichterischer Praxis. Da heißt es auf der einen Seite: „Die Dichtung ist außermenschlich, übermenschlich, der Dichter ist ein Instrumentarium, aus dem 'es' dichtet", und auf der anderen: „Die Dichtung ist ein Zweig menschlicher Produktion, und zwar der komplizierteste."229 Majakowskis Plädoyer für Neuheit des Materials und der Bearbeitungsmethoden wird den Verteidigern der bewährten überlieferten Formen entgegengehalten, Dichtung im gesellschaftlichen Auftrag steht gegen Selbstentäußerung des Genies, Kenntnis des Alltags gegen Reduzierung auf eine eigene dichterische Welt, politisch eingreifende Dichtung gegen den Anspruch auf „ewige" Kunst. Die Form der Dichtung verliert ihren Fetischcharakter, indem sie als „technische Vollendung" verstanden wird, die das Gedicht gebrauchsfähig macht. Die Verständlichkeit der Dichtung für die Massen wird nicht als natürliche Mitgift der Kunst verstanden, sondern als „Ergebnis einer Summe von Bemühungen"230. Hermlin hat später die Begegnung mit Majakowski als einen „Glücksfall"231 bezeichnet. Tatsächlich stand hier eine Position zur Debatte, hinter die auf Dauer nicht zurückgegangen werden konnte. Sie wurde zu einem Zeitpunkt ins öffentliche Bewußtsein gebracht, als für den Künstler das antifaschistische Bekenntnis als Positionsbestimmung nicht mehr ausreichte und ein begrenztes Selbstverständnis angesichts der aktuellen imperialistischen Bedrohung sogar zu einer Gefahr werden konnte. Der zweifelhafte Anspruch auf eine führende Rolle der Intelligenz war z. B. in dem Vorschlag enthalten, „daß man dem Geist, dem Geistigen, die soziale und moralische Neuordnung der in der faschistisch-imperialistischen Epoche zur Anarchie gewordenen gesellschaftlichen Verhältnisse anvertrauen"232 müsse. 93
Die Alternative, den Platz des Künstlers nicht in, sondern über den konkreten gesellschaftlichen Verhältnissen anzusiedeln, war durchaus ernst gemeint. Die Verewigung des Gegensatzes von Geist und Macht bedeutete unter diesen Umständen eine Ausgliederung der Kunst aus dem revolutionären Prozeß des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus. Die neue weltgeschichtliche Situation der Konsolidierung eines sozialistischen Lagers und der Ausweitung von Klassengegensätzen zu Systemgegensätzen verlangte vielmehr, die politische Rolle und bewußtseinsbildende Qualität der Kunst neu zu definieren. Seit 1948 ist in der Publizistik deutlich ablesbar, daß Erziehung durch Literatur nicht auf die Bewahrung und Pflege überzeitlicher humanistischer Werte beschränkt bleiben dürfe und daß deshalb zunächst der Erzieher erzogen werden soll. Die Vielzahl der literaturprogrammatischen Beiträge in den Jahren 1948/49 hatte eindeutig die künstlerische Intelligenz zum Adressaten und war als Orientierungshilfe gedacht. Die Themen lauten jetzt: Freiheit und Verantwortung des Schriftstellers, Aktivität der Intelligenz bei der Gewinnung eines neuen Standorts an der Seite der Arbeiterklasse, Wandlung der Kultur, Kampf zwischen Formalismus und Realismus. Die 1945 noch dominierende Aufforderung zum politischen Engagement und die ab 1946 zu beobachtende Betonung, Kunst in den Dienst der Erkenntnistätigkeit zu stellen, wird seit 1948 erweitert: Verlangt wird vom Schriftsteller eine Hinwendung zur Wirklichkeit, verwiesen wird darauf, daß es sich bei der demokratischen Umwälzung um einen revolutionären Vorgang handelt. In der literaturkritischen Wertung tauchen die Attribute „proletarisch" und „revolutionär" auf. Eine Rezension zu Gorkis Mutter erscheint jetzt unter der Überschrift Ein Lehrbuch des Proletariats,233 In einem Artikel über Friedrich Wolf erinnert Fritz Erpenbeck an dessen literarische Anfänge in der Weimarer Republik und an seine Mitgliedschaft in der KPD. „Ein ganzer Mann, ein Revolutionär, ein ewig Junger" 234 , heißt es dort über ihn. Auch in der Erbebewertung wird ein neuer Akzent gesetzt: Anläßlich der Puschkin-Feiern 1949 wird mit Bezug auf Lenins TolstoiAufsätze konstatiert, daß die Ehrung Puschkins „nur vom Standpunkt des Proletariats aus möglich" 235 sei. Entgegen der anfänglichen Tendenz der Integration Puschkins in die europäische Geistesgeschichte und in die deutsch-russischen Kulturbeziehungen polemisiert Bruno Kaiser 1949 gegen ein Bild Puschkins als „slawischer kleiner Le94
nau"236 und kritisiert das Unterschlagen der Dekabristenbewegung in ihrem Einfluß auf sein künstlerisches Schaffen. Eine deutliche Umbewertung erfährt das Schaffen der Arbeiterschriftsteller. Im Dezember 1948 erscheint ein ganzseitiger Beitrag über die Entwicklung von Marchwitza, Turek, Grünberg und Claudius unter dem Titel Vom Arbeiterkorrespondenten zum Schriftsteller. Zum ersten Mal nach ihrer Rückkehr aus der Emigration werden ihre literarischen Anfänge als exemplarisch für die Entwicklung von Autoren aus der Arbeiterklasse dargestellt. Es wird darüber berichtet, „wie sie vom Betriebe her, vom Werkplatz aus in ihre dichterische Aufgabe hineinwuchsen"237. An ihrem Beispiel werden junge Arbeiter ermuntert, Berichte, Reportagen und Skizzen zu verfassen und in der Zeitung zu publizieren. Erste Berichte über öffentliche Diskussionen zwischen Autoren und Lesern erscheinen. Der Dietz Verlag veranstaltete öffentliche Diskussionen zu Neuerscheinungen, so z. B. zu Jan Petersens Unsere Straße238 und Harald Hausers Wo Deutschland lag239. Das Börsenblatt für den deutschen Buchhandel berichtete regelmäßig darüber. Unter dem Motto „Betriebsarbeiter als Literaturkritiker" diskutierte im Februar 1949 die Belegschaftsversammlung eines Berliner Großbetriebes Karl Grünbergs Schattenquartett. Die Berliner Zeitung vermerkt diesen Umstand als „bemerkenswertes Datum der neueren Literaturgeschichte"240. Gemessen an den Ausgangsbedingungen erscheint der Fortschritt tatsächlich enorm: Aus dem Schriftsteller als Prophet ist der Schriftsteller als Diskussionspartner geworden, die aktivierende und mobilisierende Wirkung der Literatur hat offenbar die therapeutische und aufklärerische abgelöst. An die Stelle der Befriedigung vorhandener Lesebedürfnisse ist anscheinend ihre Überwindung getreten. Dieser Eindruck trügt jedoch. Ihm zu folgen würde bedeuten, von den Haupttendenzen der Literaturkritik auf den wirklichen Prozeß zurückzuschließen. Die genannten Berichte über Leserdiskussionen mit sozialistischen Autoren wurden im Börsenblatt zur gleichen Zeit veröffentlicht wie die eingangs zitierte Analyse des Berliner Buchhandels über die Schwierigkeiten bei der Verbreitung der sozialistischen Literatur. Erst beides zusammen ergibt das richtige Bild. Tatsächlich bandelte es sich bei der geschilderten Entwicklung nicht um das vollständige Loslösen von alten Lesegewohnheiten, ebensowenig um die Ablösung einer literaturkritischen Richtung durch eine andere. Bezogen auf das Gesamtfeld der literarischen Tagespublizistik ist es jeweils ein neuer Akzent, der an den Jahreswenden 1946/47 und 1948/49 gesetzt 95
wird, aber die anderen Tendenzen sind damit niemals vollständig aufgehoben. So vermischt sich z. B. die aufklärerische Absicht auf charakteristische Weise mit der Mobilisierungsfunktion der Literatur. In dieser Verbindung prägt sie später auch die Erziehungsfunktion der literarischen Gegenwartsdarstellung. 241 Auch der Schriftsteller als Identifikationsobjekt und Leitfigur ist längst nicht verabschiedet, er wird noch für verschiedene Funktionsmuster gebraucht werden. Dennoch hatte der Berichterstatter von 1948 recht, als er auf die beginnende öffentliche Literaturdiskussion als literaturgeschichtliches Ereignis aufmerksam machte: In e i n e m Ereignis, e i n e r Wendung, wird ansatzweise die Richtung der späteren Entwicklung sichtbar. D i e Forderung, bei der Aneignung des klassischen Erbes den Standpunkt des Proletariats einzunehmen, der Aufruf an junge Arbeiter, sich schreibend über ihren Alltag zu äußern, und die Aufforderung an die Schriftsteller, in die Betriebe zu gehen; der Anspruch sozialistischer Schriftsteller, ihren eigenen unersetzbaren Beitrag bei der Veränderung der Gesellschaft zu leisten, sind nicht literaturgeschichtliche E r gebnisse der ersten vier Jahre. Es sind Ausgangspunkte, Anregungen und Vorschläge, die an verschiedenen Punkten der Entwicklung wieder aufgenommen und in größerem Maßstab in literarische Praxis umgesetzt werden. Ihr Aufkommen schon zu diesem frühen Zeitpunkt war indessen nicht zufällig - sie treten an einer Wende der Geschichte in Erscheinung, wo der Gedanke der Befreiung der Kultur weitergeführt wird zu ihrer Fundierung auf neuer sozialökonomischer Grundlage. Die Lösung des Problems wird einen längeren Zeitraum in Anspruch nehmen, und es wird im Verlauf der Übergangsperiode noch mehrmals Wandlungen unterliegen. Potentielle Lösungsmöglichkeiten sind jedoch schon in den Ansätzen enthalten und bestätigen noch einmal die Gültigkeit der Dialektik von demokratischer und sozialistischer Entwicklung bereits für die erste Phase des revolutionären Übergangsprozesses.
Bilanz Wie ist nach der Betrachtung des literarischen Lebens 1945 bis 1949 die eingangs gestellte Frage nach der literaturhistorischen Bewertung dieser Phase zu beantworten? Geht man davon aus, daß die Beziehungen zwischen gesellschaftlichen und literarischen Prozessen bestimmend sind für die Entwicklung, so folgt daraus, daß der Charakter
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der antifaschistisch-demokratischen Umwälzung auf dem Gebiet der DDR, die als erste Phase der sozialistischen Revolution begriffen werden muß, die Ausprägung der sozialistischen Nationalliteratur entscheidend beeinflußte. Ist die Abhängigkeit der Literatur von den sozialen, politisch-ideologischen und ökonomischen Vorgängen in der Gesellschaft in der marxistischen Wissenschaft auch unbestritten, so unterscheiden sich die Meinungen doch, wenn es darum geht, nach den primären Einflußfaktoren zu suchen. Dieser Einfluß - so sind die Ergebnisse vorliegender Arbeit zusammenzufassen - beginnt nicht erst dort, wo sich die gesellschaftlichen Bezüge im Inneren der literarischen Werke, ihren Bearbeitungsmethoden und Wirkungsweisen, feststellen lassen, wo - vereinfacht gesagt - der Literaturprozeß mit dem Entstehen neuer Werke zusammenfällt, sondern bereits beim Etablieren neuartiger literarischer Umweltverhältnisse, die eine neue Qualität gesellschaftlicher Wirksamkeit von Literatur in der Gesellschaft eröffnen. Die Neuorganisation des gesellschaftlichen Umgangs mit Literatur umfaßt nicht nur die entstehenden Werke, sondern erstreckt sich auf die Verbreitung jener geschichtlich überlieferten Literatur, die für die gesellschaftliche Bewußtseinsbildung die größten Wirkungspotenzen bereithält. Dabei wird nicht übersehen, daß die Literatur diese Potenzen zuerst in sich enthalten muß, doch am Beispiel der antifaschistischen und sozialistischen Literatur wird deutlich, daß erst der Eingriff der Literaturinstitutionen - vom Verlags- und Bibliothekswesen bis zur organisierten Literaturpropaganda - die als Tendenz vorhandenen Einflußfaktoren auch praktisch wirksam werden ließ, daß zugleich die bloße Existenz dieser Literatur eine organisierte Wirkungslosigkeit nicht ausschloß, wie es der Literaturbetrieb in den Westzonen offenbarte. Das Gewicht der materiellen und organisatorischen Vermittlungen wird allerdings nur unzureichend erfaßt, wenn sie auf den „fördernden" oder „stimulierenden" Einfluß beschränkt werden, wenn sie wie oft üblich - auf ein „positives Verhältnis" der gesellschaftlichen Machtorgane zur Literatur reduziert werden. Die Umwälzungen in der materiellen Fundierung der Buchproduktion, die Unterstellung der Literaturinstitutionen unter die demokratischen Machtorgane und die Einbeziehung der Literatur in die ideologische Bewußtseinsbildung des Volkes werden damit nicht oder nur unzureichend erfaßt. Ein so revolutionierender Vorgang wie die Herausbildung eines neuen Lesepublikums und eines neuen Leseverhaltens, die Beseitigung der Herrschaft der bürgerlichen Massenliteratur auf eine breite Leser7
DDR-Literatur
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schaft und das Wecken neuartiger Leseinteressen und -bedürfnisse bleibt dabei als neue historische Qualität in der Beziehung zwischen Literatur und Gesellschaft außer Betracht. Gerade in diesen Bereichen aber bilden sich die Gesetzmäßigkeiten demokratischer und sozialistischer Literaturentwicklung zuerst heraus, hier werden die Alternativen zwischen dem Weiterbestehen bürgerlicher oder der Herausbildung sozialistischer Literaturverhältnisse entschieden. Es bestätigt sich die Erkenntnis von Krauss, daß die Literaturverhältnisse einer Gesellschaft nicht nur Reflexe von Veränderungen an der Basis sind, sondern daß sie selbst eine spezifische sozial-ökonomische Beschaffenheit aufweisen: Sie bilden das organisierende Zentrum des literarischen Lebens und werden erst über diese Vermittlung zwischen dem „Unterbau" der Gesellschaft und den literarischen Betätigungsformen zu einem spezifischen Gegenstand der Literaturgeschichtsschreibung. Damit richtet sich die Polemik der marxistisch-leninistischen Literaturwissenschaft nicht nur gegen eine idealistische Autonomieerklärung der Literatur, sondern auch gegen einen vulgärmaterialistischen Schematismus des Ableitens von Literaturprozessen unmittelbar aus den Basisprozessen. Wenn in der antifaschistisch-demokratischen Phase (und in der Übergangsperiode generell) literarische und gesellschaftliche Entwicklung so deutliche Entsprechungen aufweisen, so sind die Ursachen hierfür nicht in der ökonomischen und politischen Konsolidierung der Gesellschaft schlechthin zu suchen, sondern in der Organisiertheit des literarischen Prozesses, mit deren Hilfe geschichtliche und literarische Bewegung miteinander in Einklang gebracht wird. Damit ist durchaus eine Besonderheit der Übergangsperiode gegeben: das Zusammenfallen von gesellschaftlicher Umgestaltung im ganzen und der Veränderung der spezifisch-literarischen Produktions- und Rezeptionsbedingungen. Werner Krauss hat einen solchen Vorgang ebenfalls relativierend - mit den Worten beschrieben: „Gewiß erfolgt an den Angelpunkten der literarischen Entwicklung zumeist ein unmittelbarer Durchschlag aus dem Unterbau der Gesellschaft. Die relative Eigenständigkeit wird an der Wende zweier Epochen durch eine solche Einwirkung der ökonomisch-gesellschaftlichen Grundverhältnisse auf den Verlauf der Literatur und auf die Gestaltung des literarischen Lebens durchbrochen." 242 Krauss warnt davor, die weitere Literaturentwicklung jedesmal durch „Anstöße aus dem Unterbau" erklären zu wollen. Eine Schilderung etwa der Literaturentwicklung in der entwickelten sozialistischen Gesellschaft wäre auf diese Weise nicht mehr faßbar - hier bestimmt die relative Eigenständig-
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keit der Literatur bereits in größerem Maße den Gang ihrer Entwicklung, begleitet von neuartigen literarischen Rezeptions- und Kommunikationsverhältnissen, die auf einem höheren Reifegrad der Gesellschaft basieren.2'*3 Bezogen auf den Zusammenhang von antifaschistisch-demokratischer und sozialistischer Umwälzung heißt das aber auch, daß bereits seit 1945 die Voraussetzungen geschaffen werden, die später für die sozialistische Literatur entscheidend werden. Der Verlauf der Literaturgeschichte einschließlich ihrer materiellen Bedingungen unterliegt hier unmittelbar den Bedingungen der Geschichte. Im Hinblick auf die gesellschaftliche Organisation der herrschenden literarischen Produktions- und Rezeptionsverhältnisse erweist sich, daß am Anfang der sozialistischen Umwälzung kein solcher wesentlicher Umbruch geschieht wie 1945. Gerade die Vorgänge auf dem Gebiet der materiellen Literaturverhältnisse beweisen, daß es nur e i n e Alternative gab: Sollte die demokratische Umgestaltung nicht zu imperialistischen Verhältnissen zurückführen, so war ihre Weiterführung nur im sozialistischen Sinne möglich. Es gab ebensowenig eine „Rückkehr" zur bürgerlichen Demokratie wie einen eigenen historischen Inhalt des antiimperialistischen Kampfes. Die Charakterisierung der antifaschistisch-demokratischen Umwälzung als wesentlich antiimperialistisch würde - so die jüngsten Ergebnisse der Geschichtswissenschaft - auf die Konstruktion einer „dritten Ordnung" zwischen Kapitalismus und Sozialismus hinauslaufen, eine Konstruktion, die gerade durch die deutsche Geschichte widerlegt worden ist. M4 Der Charakter des revolutionären Prozesses nach 1945 - das beweisen auch die Veränderungen im literarischen Leben der Gesellschaft - ist durch das Nacheinander von demokratischer und sozialistischer Revolution nicht zu erfassen. Vielmehr durchdringen demokratische und sozialistische Elemente einander gleichzeitig. Auch die Gestaltung sozialistischer Literaturverhältnisse hat Prozeßcharakter: Die Organisation eines historisch neuen Literaturwesens setzt bereits v o r der Diktatur des Proletariats ein, ist also nicht an das Durchsetzen eines bereits vorhandenen literarischen Anspruchs der Arbeiterklasse gebunden, sondern hilft ihn vorbereiten durch das Schaffen der geistigen und materiellen Voraussetzungen. Die Einheit von materiellen, ideologischen und ästhetischen Faktoren, die im Sinne von Krauss den eigenen „Begründungszusammenhang" der Literaturwissenschaft ausmacht und sie mit der Literaturgeschichte in Einklang bringt, läßt noch eine weiterführende Schluß7*
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folgerung über die Rolle der Literatur in der Übergangsperiode zu: Sie macht klar, daß die Literatur in der Gesamtheit ihrer Vermittlungen sich nicht nur auf die revolutionäre Umwälzung vom Kapitalismus zum Sozialismus g r ü n d e t , bzw. diese Umwälzung als gesellschaftlichen Hintergrund vorfindet, sondern daß sie an der Veränderung gesellschaftlicher Verhältnisse mit b e t e i l i g t , also ein Faktor des revolutionären Prozesses ist. Wie sollte sonst zu erklären sein, daß die revolutionären Kräfte der Gesellschaft gerade die Literatur so notwendig brauchten? Die Zeit von 1945 bis 1949 ist alles andere als ein liberales Vorspiel der sozialistischen Literatur in der D D R , wie es die bürgerliche Literaturgeschichtsschreibung glauben machen möchte. 245 Aber auch die marxistische Literaturwissenschaft verhielte sich der Geschichte der sozialistischen Literatur gegenüber allzu bescheiden, wenn sie ihr Mitbeteiligtsein am revolutionären Prozeß des Übergangs nicht gebührend in Rechnung stellte.
Ursula Reinhold
Humanismus und Realismus in der Diskussion (1945 bis 1949)
Noch im Exil, 1944, fragt Anna Seghers nach der Rolle der „Kunst in dem Kampf, der die Welt in Atem hält. Welche Rolle wird sie morgen haben, wenn der Kampf mit den Waffen zwar entschieden sein wird, aber der Kampf von Verstand zu Verstand, von Geist zu Geist noch lange andauern wird, ein erbitterter Kampf zwischen Weltanschauungsfronten? Wie kann da die Kunst eindringen? Mit ihren tausendfachen subtilen Mitteln, da die Menschen an die Argumente von Ferngeschossen und fliegenden Bomben gewöhnt sind?" 1 D i e sozialistischen Schriftsteller hatten auf die Rückkehr aus dem Exil hingearbeitet. Sie verfügten über ein Programm der antifaschistischen Literatur, das nicht bei der Negation stehenblieb: D i e konsequente Überwindung der faschistischen Ideologie sollte verbunden werden mit der positiven Bestimmung der vom Faschismus entstellten Werte; die Einheit von sozialer und nationaler Befreiung bildete den Ausgangspunkt für die Einbeziehung der Literatur in den gesellschaftlichen Wiederaufbau. Auf unterschiedliche Weise waren die sozialistischen Schriftsteller zu der Überzeugung gelangt, daß die „Bewußtbarmachung der Wirklichkeit durch die Kunst . . . alle Gebiete des Lebens" 2 umfassen müsse. Sie hatten außerdem durch den gemeinsamen antifaschistischen Kampf mit bürgerlich-humanistischen Schriftstellern wichtige Erfahrungen gesammelt, was nicht zuletzt zu einer umfassenden und genaueren Bestimmung ihres Verhältnisses zum humanistischen Erbe geführt hatte. Dennoch stellte die Situation in Deutschland sie vor eine im einzelnen nicht gekannte, ihnen nicht vorstellbare Situation. Wie schockiert sie über das Ausmaß der durch den Faschismus bewirkten physischen und moralischen Verheerung waren, ist nur in Einzelfällen überliefert. D i e Erfahrungen aus dem Exil boten wichtige, aber nicht ausreichende Vorbedingungen. D i e zu lösenden Probleme stellten sich neuartig und waren kompliziert. Mit dem Auseinanderfall der Antihitlerkoalition war die politische 101
Ursula Reinhold
Humanismus und Realismus in der Diskussion (1945 bis 1949)
Noch im Exil, 1944, fragt Anna Seghers nach der Rolle der „Kunst in dem Kampf, der die Welt in Atem hält. Welche Rolle wird sie morgen haben, wenn der Kampf mit den Waffen zwar entschieden sein wird, aber der Kampf von Verstand zu Verstand, von Geist zu Geist noch lange andauern wird, ein erbitterter Kampf zwischen Weltanschauungsfronten? Wie kann da die Kunst eindringen? Mit ihren tausendfachen subtilen Mitteln, da die Menschen an die Argumente von Ferngeschossen und fliegenden Bomben gewöhnt sind?" 1 D i e sozialistischen Schriftsteller hatten auf die Rückkehr aus dem Exil hingearbeitet. Sie verfügten über ein Programm der antifaschistischen Literatur, das nicht bei der Negation stehenblieb: D i e konsequente Überwindung der faschistischen Ideologie sollte verbunden werden mit der positiven Bestimmung der vom Faschismus entstellten Werte; die Einheit von sozialer und nationaler Befreiung bildete den Ausgangspunkt für die Einbeziehung der Literatur in den gesellschaftlichen Wiederaufbau. Auf unterschiedliche Weise waren die sozialistischen Schriftsteller zu der Überzeugung gelangt, daß die „Bewußtbarmachung der Wirklichkeit durch die Kunst . . . alle Gebiete des Lebens" 2 umfassen müsse. Sie hatten außerdem durch den gemeinsamen antifaschistischen Kampf mit bürgerlich-humanistischen Schriftstellern wichtige Erfahrungen gesammelt, was nicht zuletzt zu einer umfassenden und genaueren Bestimmung ihres Verhältnisses zum humanistischen Erbe geführt hatte. Dennoch stellte die Situation in Deutschland sie vor eine im einzelnen nicht gekannte, ihnen nicht vorstellbare Situation. Wie schockiert sie über das Ausmaß der durch den Faschismus bewirkten physischen und moralischen Verheerung waren, ist nur in Einzelfällen überliefert. D i e Erfahrungen aus dem Exil boten wichtige, aber nicht ausreichende Vorbedingungen. D i e zu lösenden Probleme stellten sich neuartig und waren kompliziert. Mit dem Auseinanderfall der Antihitlerkoalition war die politische 101
Basis für die bisherige Zusammenarbeit mit den bürgerlich-humanistischen Kräften nicht mehr gegeben. Nunmehr mußten die antiimperialistischen Momente innerhalb des antifaschistischen Engagements noch stärker betont und die Schriftsteller auf die praktisch-gesellschaftliche Überwindung des Faschismus hingelenkt werden. Bei den nichtfaschistischen Schriftstellern in Deutschland waren die Positionen äußerst heterogen. E s galt zunächst jene für eine gemeinsame Mitarbeit im Kulturbund zur demokratischen Erneuerung zu gewinnen, die als „Stille im Lande" eine Distanz zum Faschismus bewahrt hatten und jetzt am demokratischen Neuaufbau teilnehmen wollten. Dazu gehörten Hans Fallada, Bernhard Kellermann und andere. D a neben gab es Autoren, die zumeist aus christlich religiöser Verantwortung in verschlüsselten Romanen ihrer distanzierten Haltung dem Faschismus gegenüber Ausdruck verliehen hatten, z. B . Reinhold Schneider, Werner Bergengruen, Ernst Wiechert und andere. Schließlich gab es diejenigen, die - wie Frank Thieß, Walter von Molo, Hermann Kasack und andere - schon vor 1933 die „Flucht in den Innenraum" angetreten und zeitweilig ihre Stimme der faschistischen Mobilmachung geliehen hatten; sie stritten jetzt mit den Emigranten um die Kompetenz, die deutsche Kultur zu repräsentieren. Nur wenige der in Deutschland verbliebenen Autoren hatten aktiv gegen den Faschismus gekämpft (Günther Weisenborn), einige von ihnen waren von den Faschisten ermordert worden (z. B. Dietrich Bonhoeffer, Adam Kuckhoff, Erich Mühsam und andere). Außerdem gab es noch eine Gruppe junger Autoren, die ihre Erfahrungen im Krieg literarisch zu artikulieren begannen. D a s Bestreben, alle, die guten Willens waren, auf die demokratische Erneuerung zu lenken, wurde in dem Maße komplizierter, wie die sozialen Inhalte der demokratischen Umwälzung Gestalt annahmen. D a s Entstehen und Wirken literarischer Programme war in diesen widersprüchlichen Prozeß integriert, die Programmatik selbst wurde schon bald ein Kampffeld ideologischer Klassenauseinandersetzungen. Zuerst wurden jene Illusionen hinfällig, die aus der Erwartung erwuchsen, Deutschland könne und müsse eine kulturelle Vermittlerrolle zwischen den beiden Weltmächten spielen. „Vom Westen kommt die stilistische Rebellion, die Zertrümmerung der Form - vom Osten die Revolution des Inhalts. Zwischen den Fronten den eigenen Stil der deutschen Gegenwart zu entwickeln, das ist die Sendung, die das Berliner Theater zu erfüllen hat." 3 D a s Nebeneinander unterschiedlicher literaturprogrammatischer 102
Vorstellungen in der ersten Phase der revolutionären Umwälzung ist nicht Ausdruck eines unverbindlichen Liberalismus, sondern Reflex der Tatsache, daß sich ein Verständnis für die Funktion der Literatur nur schrittweise herausbilden konnte. Im folgenden sollen literaturprogrammatische Vorstellungen eingehender betrachtet werden, die Bestandteil weltanschaulich-politischer Auseinandersetzungen sind, in unmittelbarer Konfrontation geführt wurden und die - da Bestandteil der Kommunikation zwischen Literatur und Gesellschaft - den Literaturprozeß beeinflußten bzw. reflektierten.
Streitpunkt Humanismus In den Debatten während des Exils hatten sich die Hitlergegner einen präzisierten Humanismusbegriff erarbeitet, der die historischen Erfordernisse der antifaschistischen Volksfrontpolitik berücksichtigte; er umfaßte nicht nur die Verteidigung des klassischen Ideals, sondern erstreckte sich auch auf das Engagement in den Kämpfen der Zeit. Die Kommunisten gingen noch darüber hinaus: Ihr Bekenntnis zum sozialistischen Humanismus schloß das Verständnis für die Klassenkämpfe und für die Notwendigkeit sozialer Veränderungen ein. Viele bürgerliche Schriftsteller überwanden durch das neugewonnene Humanismusverständnis ihre kontemplative Haltung - sie fanden zu einer aktiven antifaschistischen Stellungnahme. Die Orientierung auf den Humanismus bot auch bürgerlichen Schriftstellern die Möglichkeit, ein positives Verhältnis zur Volksfrontpolitik zu gewinnen und ihrem Antifaschismus eine produktive Grundlage zu geben. Diese Erfahrungen waren ein wichtiger Ausgangspunkt für die Praxis der Umgestaltung in der damaligen sowjetischen Besatzungszone. Die deutschen Kommunisten hatten in ihrem Programm einer kämpferischen Demokratie entscheidende Impulse für die Einheit von gesellschaftlich-praktischer und geistiger Umgestaltung in Deutschland gegeben; es war antifaschistisch und antiimperialistisch, indem es auf die Beseitigung der imperialistischen Grundlagen des Faschismus in Gestalt der Großkonzerne und des Militarismus hinlenkte, und es war konsequent demokratisch. Kernstück des ideologischen Konzepts war die Herausbildung eines demokratischen Geschichtsbildes, in dem die „freiheitlichen und fortschrittlichen deutschen Geister und Kräfte gegenüber der unheilvollen Rolle der reaktionären Gewalten auf die geschichtliche Entwicklung Deutschlands"4 ihren Platz erhalten soll103
ten. Dieses allgemein gehaltene Programm für die „Erneuerung im Geiste kämpferischer Humanität, wahrer Freiheit, Demokratie, der Ideen der Völkerverständigung und des gesellschaftlichen Fortschritts"5 und die ausgeprägte nationale Orientierung boten die breiteste Basis für einen Block kämpferischer Demokratie. Die Mobilisierung aller humanistischen und fortschrittlichen Ideen für ein demokratisches Geschichtsbild in den programmatischen Erklärungen der Kommunisten schloß das Verständnis für die realen Kämpfe der Massen in der Geschichte ein. Es galt, die revolutionären Massenbewegungen in der deutschen Geschichte und die demokratischen Aktionen der Volksmassen unverfälscht zur Kenntnis zu bringen. Es ging außerdem darum, die objektiven geschichtlichen Kriterien ins Bewußtsein zu rücken, d h., die durch den Faschismus eingeübte Vorherrschaft irrationaler, idealistischer Konstruktionen zurückzudrängen. Die Mobilisierung humanistischen und demokratischen Gedankenguts als Teil des Programms kämpferischer Demokratie im ideologischen Bereich umschloß die konsequente Abrechnung mit der faschistischen Ideologie und die Entwicklung neuer Denk- und Überzeugungsweisen. Als Ziel wurden nicht nur „Aufklärung und ästhetische Wirkung, sondern Läuterung und Erziehung des Volkes" 6 benannt. Literatur und Volkspropaganda werden gewichtige Bestandteile einer umfassenden Erziehung. Bs ging hier also nicht um eine wissenschaftlich ausgereifte Konzeption zum Humanismus in der deutschen Geschichte, sondern um die Bewältigung einer aktuellen, praktischpolitischen Aufgabe. Hier spielte in dieser Zeit Alexander Abuschs Buch Der Irrweg einer Nation eine Rolle. Es war noch im Exil geschrieben worden und erschien schon 1946 in der sowjetischen Besatzungszone. Abusch suchte die geschichtlichen Kämpfe in Deutschland auf ihre sozialen, ökonomischen und politischen Ursachen zurückzuführen und die Traditionen der Volkskämpfe herauszustellen - vom deutschen Bauernkrieg bis zum Widerstandskampf der Hitlergegner. E r lenkte die Aufmerksamkeit auf die Schwäche und Kompromißbereitschaft des deutschen Bürgertums, das im Bunde mit dem reaktionären Preußentum die reaktionärste Variante deutscher Politik betrieben hatte. Für den heutigen Leser ist vor allem die offene Selbstkritik beeindrukkend, mit der die Hitlergegner, auch die deutschen Kommunisten, eigene Versäumnisse, die die Machtergreifung durch den Faschismus begünstigt hatten, analysierten und nachdrücklich Konsequenzen Einheit aller demokratischen und antifaschistischen Kräfte - zogen. 104
Wichtige Anlässe, demokratische Traditionen wieder ins Bewußtsein zu rücken, boten 1948 der 100. Jahrestag der Revolution von 1848 und der 30. Jahrestag der Novemberrevolution. Der aktuelle Kontext dieser Jubiläen war durch die Zuspitzung des internationalen Klassenkampfes zum kalten Krieg, vor allem durch die separatistischen Bestrebungen reaktionärer Kreise im Westen gegeben. Deren auf Restauration gerichtete Politik wurde zum geschichtlichen Versagen des deutschen Bürgertums in Beziehung gesetzt. Dagegen wurden die gesellschaftlichen Aufgaben in der sowjetischen Besatzungszone als ein Zu-Ende-Führen der unvollendeten bürgerlichen Revolution interpretiert, als deren Nahziel die „Demokratisierung und das Ringen um die Einheit Deutschlands"7 galt. Jedoch waren die Bedingungen für das Zu-Ende-Führen der bürgerlichen Revolution im Zeitalter des Epochenwechsels vom Kapitalismus zum Sozialismus derart, daß diese demokratischen Aufgaben nunmehr als Bestandteil einer sozialistischen Umgestaltung durchgesetzt werden mußten. Als wichtigste Erfahrung der Revolution von 1848 wurde die Einheit von sozialer und nationaler Befreiung bezeichnet, als wichtigste Erfahrung der Novemberrevolution die Notwendigkeit der Einheit der Arbeiterklasse.8* Die humanistischen Traditionen boten eine breite weltanschauliche Basis für die Einbeziehung größerer Kreise der bürgerlichen Intelligenz in den demokratischen Neuaufbau. Dabei wurde versucht, an die antiimperialistischen Momente innerhalb eines auf Humanismus beruhenden antifaschistischen Engagements anzuknüpfen. Welches Minimum vorausgesetzt wurde, läßt der Abdruck von Thomas Manns Aufsatz aus dem Jahre 1938 Vom kommenden Sieg der Demokratie in der ersten Nummer des Aufbau erkennen. Hier wird ein aktiver Antifaschismus artikuliert, der der Unmoral und Unvernunft des Faschismus keine Zugeständnisse macht, sondern ihnen mit kämpferischer Entschlossenheit zu begegnen sucht. Als Grundlage eines aktiven Humanismus und Demokratismus sieht Thomas Mann eine „Reform des sozialen Sinns", eine soziale Reform, die „der geistigen sowohl wie der ökonomischen Freiheit" gelten muß.9 Nun war aber mit der beginnenden Auflösung der Antihitlerkoalition und der Polarisierung im internationalen Klassenkampf eine neue Situation entstanden, und es deutete sich an, in welch schwierige Probleme ein bürgerlicher Humanismus geraten mußte, der internationale Klassenauseinandersetzungen als „Auseinandersetzung zwischen den revolutionären Prinzipien der Gleichheit und der Freiheit" zu interpretie105
ren sucht. Es zerfiel die Illusion des Rooseveltschen New Deal von einer Versöhnung dieser beiden Prinzipien - eine Illusion, die allerdings erst im Laufe von Jahrzehnten einer Zurkenntnisnahme der tatsächlichen Widersprüche, der Klassenwidersprüche Platz machte. Der allgemeine Humanismus bürgerlicher Intellektueller konnte nur dann erneut an Produktivität gewinnen, wenn die Überwindung des Faschismus zugleich als Notwendigkeit zur Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse überhaupt begriffen wurde. Ein weiteres Problem erwuchs der Bündnispolitik daraus, daß viele junge Intellektuelle im Kriege Erfahrungen gesammelt hatten, die einem optimistischen Weltbild - z. B. der Vervollkommnungsfähigkeit des Menschen - zu widersprechen schienen. Daraus resultierte eine spontane Aufnahmebereitschaft für das nihilistische Gedankengut des Existentialismus. Diese Intellektuellen hatten den Humanismus vor allem als eine aufs Geistige konzentrierte wehrlose Bildungsidee kennengelernt und den Mißbrauch humanistischer Literatur durch den Faschismus erlebt. Die Ergebnisse der im Exil geführten Diskussionen waren ihnen unbekannt, Humanismus war für sie mit den auf klassisches Versmaß und kontemplative Menschlichkeit gegründeten Versen von Rudolf Alexander Schröder, Georg von der Vring, Gertrud von Le Fort und anderen identisch. Daraus erklärt sich die vehemente Abwehr in Wolfgang Borcherts Manifest von 1947: „Wer schreibt für uns eine neue Harmonielehre? Wir brauchen keine wohltemperierten Klaviere mehr. Wir selbst sind zuviel Dissonanz . . . / Wir brauchen keine Stilleben mehr. Unser Leben ist laut. / Wir brauchen keine Dichter mit guter Grammatik. Zu guter Grammatik fehlt uns die Geduld . . . Horch hinein in den Tumult deiner Abgründe. Erschrickst du? Hörst du den Chaoschoral aus Mozartmelodien und Herms-Niel-Kantaten? Hörst du Hölderlin noch? Kennst du ihn wieder, blutberauscht, kostümiert und Arm in Arm mit Baidur von Schirach? Hörst du das Landserlied? Hörst du den Jazz und den Luthergesang?" 10 Diese Worte lassen erkennen, daß für viele eine einfache Übernahme humanistischer Traditionen nicht möglich war; deren Produktivität konnte nur freigesetzt werden, wenn sich das Programm auf die G e s a m t h e i t der Gesellschaft erstreckte. Borcherts Manifest drückte das Lebensgefühl einer vom Faschismus verführten und desillusionierten jungen Generation aus, die Humanismus nur als steriles Bildungsgut kennengelernt und die zu den Traditionen der Arbeiterbewegung keine Beziehung hatte. Bei dieser intellektuellen Jugend fand die existentialistische Philosophie, auf deren Grund106
läge Karl Jaspers Bedingungen und Möglichkeiten eines neuen Humanismus erörterte, offene Ohren. Jaspers wirft die Frage nach dem „Menschsein überhaupt", nach den „faktischen Bedingungen dieses Menschseins heute" auf. 11 Den Charakter unserer Epoche sieht er in der Herrschaft der Technik und in der Politik über den Menschen - er gibt also eine unhistorische, von den geschichtlichen Bewegungsgesetzen abstrahierende Einschätzung. Daraus erwächst auch sein Bild vom Menschen: „Der Mensch scheint ins Nichts zu gehen . . . Menschliches Dasein wird Massendasein. Der Einzelne verliert sich an Typen, die sich aufzwingen aus Propaganda und Kino und aus dem nivellierenden Alltag aller. In seiner Verlorenheit drängt er zu einem Selbstgefühl im Wir durch Teilnahme an einer gewaltigen Macht." 12 Aus dieser „Geworfenheit" führt der Existentialismus Jaspersscher Prägung nur heraus durch „Wahrnehmung" der Freiheit, deren Verwirklichung im geistigen Raum angesiedelt ist. Humanismus wird als die „innere Unabhängigkeit des Menschen gegen die Verlorenheit an das Ganze" 13 gesehen. Dabei soll dem „weitesten Rahmen menschlicher Möglichkeiten" Rechnung getragen werden, was bei Jaspers mit der „politischen Entscheidung für die öffentliche Freiheit des Geistes" verbunden ist. Er erklärt sich damit gegen den Versuch, die Idee des realen Humanismus als Wirklichkeit zu praktizieren. Vielmehr denunziert er den realen Humanismus als eine „ungeschichtliche Gegenwärtigkeit des Menschen". „Wird von diesem (dem Menschen - U. R.) ein realer Humanismus (Marx) gefordert, als ungeschichtliche Gegenwärtigkeit des Menschen und seine Verwirklichung durch vermeintliche Freiheit, Gerechtigkeit und Glück in Gemeinschaft aller, so gilt der Name für das Gegenteil allen Humanismus, für die Verleugnung der Überlieferung und der griechischen Ursprünge. Das wäre kein Humanismus mehr, vielmehr die Vernichtung des abendländischen Menschen. Zudem ist dieser reale Humanismus eine Fiktion, die aus anfänglicher politischer Schwärmerei schließlich zur Täuschung durch politische Propaganda wird." 14 Hier wird erkennbar, in welchem Maße eine unhistorische, auf einem individualistischen Freiheitsbegriff und auf der Antinomie von Individuum und Gesellschaft beruhende Humanismusauffassung, die lediglich geistige Erneuerung zum Ziel hatte, im Gegensatz stand zu den tatsächlichen gesellschaftlichen Veränderungen in der sowjetischen Besatzungszone. Allerdings: Der moralische Appell - Freiheit und Verantwortung 107
des einzelnen - , der dem Existentialismus unmittelbar nach dem. Kriege au einer so breiten Wirkung verholfen hatte, weil er sich gegen die vom Faschismus praktizierte totale Negation und Pervertierung des Individuums am erfolgreichsten zur Wehr zu setzen schien, verlor bald an Wirksamkeit. Sie war - wie die Herausgeber der Wandlung^'* in ihrer letzten, im Herbst 1949 erschienenen Nummer der Zeitschrift feststellen - ohnehin begrenzt auf die Zeit zwischen 1945 und 1948, als die faschistische Ideologie unter Ausnutzung einer „moralischen Dünnhäutigkeit" zu bewältigen versucht wurde. Eine auf innere moralische Umkehr gerichtete Philosophie blieb ohne praktische Konsequenzen, und sie wurde im Zuge des sich politisch vollständig restaurierenden Kapitalismus von Humanismusauffassungen verdrängt, die individuelle Freiheit mit dem kapitalistischen Eigentumsbegriff verbanden, so z. B. bei Wilhelm Röpke, einem Ideologen der freien Marktwirtschaft. Gleichzeitig trat Gottfried Benn wieder mit seiner Konzeption an die Öffentlichkeit, in der er den Humanismus offen negierte. In seinem im Juli 1948 publizierten Berliner Brief erneuerte er seine Absage an die geschichtliche Welt und an den Humanismus. Der Brief läßt erkennen, daß für Benn auch das Jahr 1945 kein entscheidender Einschnitt war, wenngleich er sich des geschichtlichen Kontextes, in dem seine Äußerungen standen, durchaus bewußt war. Das bezeugt der Dank, den er Eisenhower für die Einrichtung der Luftbrücke als Beitrag zur „Rettung des Abendlandes" abstattete. Benns neuerliche Absage an den Humanismus ist programmatisch: „In einer Welt, in der so Ungeheuerliches geschah, die auf so ungeheuerlichen Prinzipien beruhte, war es wirklich gleichgültig, ob einige Menschen einige Tage länger lebten oder einige Nächte länger schliefen, man beende endlich das konfuse Gerede von Leben und Glück."16 Diese offen antihumanistische Position mit ihrer Massenverachtung brachte in die ideologische Auseinandersetzung von Seiten der reaktionären Kräfte einen neuen Akzent. In den ersten Nachkriegs jähren standen zunächst jene Positionen im Vordergrund, die den realen Veränderungen im Osten mit einer formalen Demokratie- und Freiheitsauffassung begegneten. Vorgeblich wurde die Freiheit des einzelnen gegen kollektive Bindungen oder anonyme Massen verteidigt. Benns Position war eine nihilistische Variante, und sie fungierte als Gegenpol zur heroischen Variante des faschistischen Antihumanismus. In der sowjetischen Besatzungszone ging es vor allem um das Verhältnis des klassischen Humanismus zum realen Humanismus und um 108
den Inhalt des sich vollziehenden Umwälzungsprozesses. Diskussionen darüber durften nicht innerhalb eines eng begrenzten Zirkels von Intellektuellen geführt werden - vielmehr mußten sie ein Element der Massenpropaganda werden, und es war notwendig, den Volksmassen den Zugang zur humanistischen Literatur der Vergangenheit zu ermöglichen. Dies war bereits ein Moment des realhumanistischen Inhalts der Umwälzung. Wilhelm Pieck begründete in seinem Referat auf der Ersten Zentralen Kulturtagung der K P D (1946) aus dem geschichtlichen Zusammenhang von Humanismus und Arbeiterbewegung den historischen Anspruch der Arbeiterklasse auf das kulturelle Erbe, das „die Arbeiterbewegung vor den Gefahren der Verengung des Blickfeldes, der Beschränkung auf die politischen Tagesaufgaben" bewahrt habe. Diese Begründung wurde ergänzt durch den Hinweis auf das Versagen des deutschen Bürgertums, das die humanistische deutsche Tradition preisgegeben hatte. „Das Bürgertum war völlig außerstande, aus dem bisherigen Vermächtnis unserer großen Klassiker das abzulesen und weiterzuentwickeln, was wirklich zukunftsweisend und fortschrittlich war . . . nämlich die heilige Verpflichtung, im Sinne dieser Gestalten und Ideen für Freiheit und Humanität, für Frieden und Fortschritt zu wirken und zu kämpfen." 17 Damit war ausgesprochen, daß der Humanismus nicht kontemplatives Bekenntnis, nicht Gegenstand philologischer Sezierübungen oder Ornament bei Festtagsreden bleiben sollte, sondern daß es darauf ankam, seine Produktivität für den praktisch-gesellschaftlichen Umwälzungsprozeß freizusetzen. Diese Produktivität erhielt der Humanismus in der Auseinandersetzung mit der faschistischen Ideologie - der menschenverachtenden Rassenlehre, dem kriegerischen Heroismus - , aber auch in der Auseinandersetzung mit der spätbürgerlichen Philosophie, gegen deren Weltuntergangsstimmung und Nihilismus der geschichtliche Optimismus und die humanistische Verantwortung der aufstrebenden bürgerlichen Klasse mobilisiert wurden. Otto Grotewohl betonte in seinem Referat auf dem Ersten Kulturtag der SED (1948) - den Gedanken über den geschichtlichen Stellenwert des Marxismus in der geistigen Auseinandersetzung der Gegenwart weiterführend - die neue Qualität des Marxismus innerhalb des philosophischen Denkens. Diese neue Qualität, von Marx schlüssig in den Feuerbachthesen zusammengefaßt, setzt gegen den bürgerlichen Humanismus und dessen idealistische Hoffnung auf die Macht der Erziehung des einzelnen einen Humanismus, der auf die Bildung der Umstände für das Werden des 109
Menschen verweist. Die existentialistische Fixierung auf die individualistische Entscheidungsfreiheit des so2ial-bindungslos gesehenen einzelnen ignoriert diese geschichtliche Leistung des Marxismus und negiert damit auch all jene Elemente im klassischen Humanismus, die auf die praktischen Lebensverhältnisse des Menschen und auf die Gleichheit aller Menschen hinlenken. Grotewohl betonte, daß es bei der Beziehung zum frühbürgerlichen Humanismus gerade auf die Fragen ankommt, die der praktischen Lebensbewältigung und dem „Aufbau einer neuen Gesellschaft" dienlich sein können. Diese Rede war - verglichen mit Äußerungen aus der unmittelbaren Nachkriegszeit - eine Präzisierung, hervorgegangen aus den aktuellen geistigen Auseinandersetzungen. Darüber hinaus war sie methodologisch von Bedeutung für den gesellschaftlich-praktischen Umgang mit dem humanistischein E r b e : Kritische Aufnahme des Erbes blieb nicht auf die Auseinandersetzung mit historischen Erscheinungsformen des bürgerlichen Humanismus insgesamt beschränkt, herausgehoben wurden vor allem jene Momente, die für den gesellschaftlichen Umwälzungsprozeß praktisch-erzieherisch wirksam werden konnten. Dieser Ausgangspunkt wurde vor allem auch für die GoetheFeiern im Jahr 1949 bestimmend. D i e Tatsache, daß in Weimar und Frankfurt a. M. getrennte Goethe-Feiern veranstaltet wurden, machte deutlich, wie sehr das humanistische E r b e Gegenstand von Klassenauseinandersetzungen war. Thomas Mann, der beide Feiern besuchte, betonte, daß sein Besuch „dem alten Vaterlande als Ganzem gilt" 18 . Darin hatte er sich auch durch politische Erpressungsversuche von Seiten der antikommunistischen Gesellschaft zur Bekämpfung der Unmenschlichkeit nicht irritieren lassen. E r kam als Vertreter jenes bürgerlichen Humanismus, der die höchste Konsequenz im Kampf gegen den Faschismus auf die Formel vom „militanten Humanismus" gebracht hatte, der „gelernt hat, daß das Prinzip der Freiheit und Duldsamkeit sich nicht ausbeuten lassen darf von einem schamlosen Fanatismus; daß er das Recht und die Pflicht hat, sich zu w e h r e n" 19 . Thomas Mann hatte bereits im Jahre 1936 in seiner Schrift Humanismus und Humaniora versucht, seine humanistischen Ideen auf praktische Erfordernisse zu lenken. E r sah es als Notwendigkeit der Zeit an, „Bildung, Wissenschaft und praktisches Leben unmittelbar identisch zu setzen und die Spannung zwischen Geist und Leben, zwischen dem Literarischen und dem Aktiven, in der Idee und Verwirklichung einer Humanität aufzuheben, wie der alte Goethe sie in den 'Wanderjahren' in bewunderswerter Vorwegnahme empfiehlt und
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wie sie heute gewisse kommunistische Autoren vorschlagen." 20 Die Verwirklichung des Humanismus bleibt für Thomas Mann jedoch ein psychologisch-geistiges Problem und die neue Qualität des sozialistischen Humanismus außerhalb seines Blickfeldes. 21 In dem Vortrag Goethe und die Demokratie (1949) führt Thomas Mann diese Gedankengänge weiter. Zunächst benennt er die widersprüchlichen Momente zwischen Demokratismus und Aristokratismus bei Goethe, die er nicht als Widersprüche des bürgerlichen Zeitalters begreift. Er hebt jedoch jene Momente des Demokratischen hervor, die er in Goethes „gutwilligem Verhältnis zum Leben" und in dessen „Ablehnung des poetischen Untergangs als einen demokratischen Zug" erkennt. 22 * Diesen sieht Mann vor allem darin, daß Goethe in seinem Werk den „Kult der Persönlichkeit" und jene bürgerliche Humanität überschreitet, die er selbst mitgeprägt hat. Er überschreitet sie durch die „Selbstüberwindung der individualistischen Humanität", im „Verzicht auf das Ideal privat-menschlicher Allseitigkeit und die Proklamierung eines Zeitalters der Einseitigkeit. Das Ungenügen am Individuum ist da, das heute herrscht, der einzelne wird Funktion, es kommt darauf an, was durch ihn für die Kultur zu leisten ist; der Begriff der Gemeinschaft tritt hervor, des 'Bandes', des Kollektivs . . . und läßt vom individualistischen und 'liberalen', vom bürgerlichen Ideal kaum etwas übrig." 23 Es ist nicht nur Goethe geschuldet, daß Thomas Mann in diesem Zusammenhang ausführlich auf die Vorbild- und Anregerrolle Amerikas zu sprechen kommt. Auch für Thomas Mann waltet hier jener praktisch lebenstechnische Sinn und „demokratische Pragmatismus", den er an Goethes spätem Werk so bewundert. Offenkundig ist der illusionsreiche Blick auf amerikanische Verhältnisse ideell angeregt durch den sozialistischen Humanismus. Sosehr Thomas Mann aber die lebenspraktische Seite des Humanismus betont, letztlich bleibt für ihn „sittliche Kultur" an eine verweltlichte religiöse Idee gebunden. Seine Betrachtung Goethe und die Demokratie führt unmittelbar an Fragen des gegenwärtigen Zeitalters heran, und es wird deutlich, wie der Blick auf Goethes Widersprüche auch die Widersprüche des eigenen Zeitalters berührt. Die unmittelbar praktische Aufgabe bei der gesellschaftlichen Umwälzung in der sowjetischen Besatzungszone, in die die Mobilisierung und Aktivierung Goethescher Gedanken einbezogen war, bestand nicht vorrangig darin, die Widersprüche in Goethes Werk und Weltbild freizulegen und die Beziehungen zwischen Goethes humanistischen Idealen und der gesellschaftlichen Praxis seiner Zeit zu klären.
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Stets wurde die geistige Kontinuität zwischen den Ideen Goethes bzw. denen anderer Klassiker und dem Marxismus herausgestellt. Bezugspunkt ist immer die aktuelle Auseinandersetzung und die neue gesellschaftliche Praxis in der DDR. In Johannes R. Bechers Rede Der Befreier wird „die Neugestaltung unserer Lebensform" als Voraussetzung genannt, um Goethe in „der ungezwungenen Haltung freier Menschlichkeit" neu zu begegnen.24 Als Adressaten seiner Rede spricht er vor allem zu jenen jungen Deutschen, die den Frieden und die Einheit des Vaterlandes wünschen. Er legt ihnen nahe, sich das „Reich, das Goethe heißt" anzueignen. Dabei grenzt er sich ab vom Goethe-Kult des deutschen Bürgertums, der in dem Maße zunahm, in dem die geschichtliche Realität sich immer weiter von Goethes Ideen entfernte. Die Abrechnung mit der Unfähigkeit der bürgerlichen Klasse, das von ihr in der Aufstiegsperiode hervorgebrachte Erbe weiterzuführen, charakterisiert einen großen Teil der Goethe-Literatur von 1949. Auch Paul Rilla hat in seiner Schrift Goethe in der Literaturgeschichte25 die Unfähigkeit der bürgerlichen Wissenschaft enthüllt, die zwischen selbstgenügsamem Positivismus und unhistorischem Geniekult schwankt, und er hat historisches Verständnis für das Goethesche Werk zu entwickeln versucht. Bechers Rede in Weimar war zudem gegen den Versuch der Existentialisten gerichtet, Goethes Bedeutung für die Gegenwart zu negieren. Karl Jaspers hatte in einer 1947 gehaltenen Rede anläßlich der Verleihung des Goethe-Preises der Stadt Frankfunt eine existentialistische GoetheSicht vorgetragen, die er selbst als eine „Revolution in der GoetheAneignung" verstand. Er ging von der durchaus akzeptablen Erkenntnis aus, daß der „Goethekult nicht fortsetzbar" sei. Seine kritische Sicht jedoch negierte den optimistischen Grundzug in Goethes Weltanschauung, „seine harmonische Grundauffassung widerspricht unserer Grunderfahrung".26 Goethe habe keinen Sinn für die problematische Stellung des Menschen, für dessen „Preisgegebenheit" und „Geworfensein", er führe nicht an die Grenzen, versage vor dem Dämonischen. Becher polemisierte gegen diese Kritik, indem er Goethe selbst zu Wort kommen ließ und darauf hinwies, daß Goethe im Endlichen Begrenzungen gesucht und sich nur so weit mit Problemen eingelassen habe, „als ihm eine gründliche Lösung möglich schien"27. Gegen Jaspers Kritik an Goethe setzt Becher das Verständnis für die geschichtlichen Bedingungen und Widersprüche der Goethe-Zeit, die er vom Epochenverständnis der Gegenwart her beleuchtete. Jaspers ging von einer universalen Bedrohung des Men112
sehen aus, der er mit einem Appell an die Widerstandskräfte des einzelnen begegnen wollte. Von hier aus bezog er seine Maßstäbe und negierte damit wichtige Momente in Goethes Weltbild, z. B. jene, in denen der dialektische Zusammenhang von Individuellem und Gesellschaftlichem erfaßt wurde. Gerhard Scholz wandte sich in seinem Beitrag Zur Lage der akademischen Goetherezeption in Deutschland gegen diese Interpretation durch den Existentialismus, die an „Goethes Werk und Leistung den unwissenschaftlichen Maßstab ihres Philosophierens und Moralisierens" 28 anlegte. Scholz plädierte für ein streng historisches Quellenstudium, damit Goethe aus seiner Zeit begriffen werden konnte. Damit waren jedoch die aktuellen Streitpunkte über Goethe nicht erschöpft. Es ging doch um dessen Beitrag zur Entwicklung eines demokratischen Nationalbewußtseins und die Wertung Goethes als klassischer Nationalautor; auch hier mußte der kosmopolitischen Interpretation der Existentialisten entgegengewirkt werden. Goethe wurde als Vorkämpfer für die deutsche Einheit bezeichnet, der Vaterlandsliebe und Achtung vor anderen Völkern glücklich miteinander verband. Die Herausbildung der „besten nationalen Eigenarten" als Beitrag zur „Höherentwicklung der gesamten Menschheit"29 wurde - da ein geschichtliches Versäumnis - als Gegenwartsaufgabe formuliert. Becher erörterte, wie Goethe zu einem klassischen Nationalautor hatte werden können. Er analysierte dessen Verhältnis zu den Widersprüchen seiner Zeit, sein tiefes Verwobensein in die Erfordernisse des Tages und sein Bestreben, „auf der Höhe der Zeit" zu stehen. Er war sich einig mit Goethe in der Polemik gegen die Vorstellung einer machtumschlossenen Innerlichkeit, die sich in sich selbst verschließt und die Geschichte ihren Gang gehen läßt. Becher berief sich auf Goethe bei seinem Gedanken von der Machtwerdung des Geistes, von einem Gemeinwesen, in dem Macht und Geist im Bunde sind. Goethes Frage „Wann und wo entsteht ein klassischer Nationalautor?" aufnehmend, benennt er für die Gegenwart Bedingungen, die für die Entstehung einer Nationalliteratur nötig wären. Dabei weist Becher dem Dichter die Aufgabe zu, die „Widersprüche seines Zeitalters in seiner Gestaltungskraft zu überwinden", also gewissermaßen die Voraussetzungen für eine „klassische Politik" mitzubilden. Der Dichter wird damit in die Rolle einer die Widersprüche seines Zeitalters in sich aufhebenden und sie überschreitenden Instanz gerückt, „eines Menschheitserziehers und Künders einer neuen Menschenlehre". In Goethes Werk wird nicht nur das Programm einer 8 DDR-Literatur
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die neue Gesellschaft begleitenden Dichtung, sondern in seiner Gestalt, in der „genialen Selbstgestaltung . . . eine Antizipation, eine Vorwegnahme der Lösung wichtigster Menschheitsprobleme" erblickt.30 Ein weiterer Problemkreis, der über Goethes Werk und Weltbild vermittelt wurde, betrifft die Objektivität von Maßstäben und Wertvorstellungen, die ein wichtiges Moment eines vom Irrationalismus und Subjektivismus befreiten Geschichtsbildes ausmachen. Hierbei gilt Bechers besonderes Augenmerk Goethes Persönlichkeitsideal und seiner Freiheitsauffassung, die auch in anderen Goethe-Darstellungen ins Zentrum rückten. In Gerhard Scholz' Abrechnung mit der akademischen Goethe-Rezeption, mit der er eine den neuen gesellschaftlichen Anforderungen entsprechende Goethe-Forschung begründet, wird diese Frage schon von der Aufgabenstellung her stärker historisiert. Scholz setzt sie konsequent in Beziehung zum geschichtlichen Stellenwert des Bürgertums. Die Problematik Persönlichkeit und Bürgerlichkeit bilden auch bei Edith Braemer und Hedwig Voegt den Ausgangspunkt für die Beschäftigung mit Goethes Werk, wobei die historischen Bedingungen und spezifischen Ausprägungen der Entfaltung bürgerlicher Individualität in Goethes Werk analysiert werden. In der Schrift Die Forderung des Tages. Ein Goethebild für den deutschen Werktätigen wird auf den bürgerlichen Eigentumsbegriff als Grundlage der Goetheschen Persönlichkeitsauffassung hingewiesen. „Liberalistdsche Ideen durchdringen Goethes gesamtes Werk . . . Goethe stand auf dem Boden des Kapitalismus, das Privateigentum an Grund und Boden, an Fabriken und Maschinen wurde nicht von ihm in Frage gestellt. Aber von dieser Grundlage aus weist Goethe auf Möglichkeiten der gesellschaftlichen Entwicklung hin, die im Rahmen der kapitalistischen Produktionsverhältnisse nicht zu verwirklichen sind."31 Sie müssen notwendigerweise utopisch bleiben. Diese Widersprüchlichkeit Goethes wird bei Becher ausgespart. Er bestimmt dessen Persönlichkeits- und Freiheitsauffassung vor allem in ihrer objektiven historischen Determination - gewendet gegen schrankenlosen spätbürgerlichen Individualismus. Freiheit wird dabei als „Übereinstimmung mit den geschichtlichen Notwendigkeiten"32 des Zeitalters angesehen, wobei der Grad tatsächlicher Freiheit als praktische Herrschaft des Menschen über Natur und Gesellschaft aus dem Blickfeld gerät und die Vorstellung des bürgerlichen Humanismus übernommen wird, daß innere Bildung des Menschen zur Freiheit verhelfen könne. Persönlichkeit wird so zur „Personifizierung der 114
sich fortentwickelnden menschlichen Kräfte" 3 3 , die Becher in Goethes Werk und Persönlichkeit verwirklicht sieht. „Die tiefe und allseitige Ausbildung menschlichen Wesens: das ist die Freiheit der Persönlichkeit, das ist wahrhaftes Menschentum."34 Dabei hebt Becher den auf die Gemeinschaft und lebendige Wechselwirkung gerichteten Charakter des Goetheschen Persönlichkeitsideals hervor. „Nicht zuletzt besteht die Freiheit der Persönlichkeit auch darin, durch ihre Ausbildung und ihr Beispiel Kräfte zu vereinigen und zu sammeln und einen menschlichen Zustand anzustreben, der sämtlichen Menschen ein menschenwürdiges Dasein ermöglicht." 35 Die aufzubauende gesellschaftliche Praxis wird von Becher als unmittelbare Voraussetzung für die Verwirklichung des vom klassischen Humanismus entworfenen Persönlichkeitsideals charakterisiert. Der Zusammenschluß im Zeichen des Humanismus war ein politisches Bündnisangebot an alle Kräfte, die am demokratischen Neuaufbau interessiert waren, und es enthielt damit ein integratives Moment. Für die folgenden Phasen der revolutionären Umwälzung, insbesondere durch präzisierte soziale Ziele, die schon auf eine sozialistische Entwicklung gerichtet waren, erwuchsen hieraus Probleme: Die Mobilisierung frühbürgerlicher Humanismusideale erzeugte gewissermaßen einen ideellen Überschuß - eine Erwartung, die mit dem Charakter und den historischen Erscheinungen des realen Umwälzungsprozesses in Widerspruch gerieten. Der Vorstellung, daß die gesellschaftliche Praxis eine u n m i t t e l b a r e Erfüllung dieser Ideale bringen würde, mußte durch stärkere Historisierung, durch Berücksichtigung ihrer widersprüchlichen Entstehung und durch ein tieferes Verständnis für den historischen Gang sozialer und politischer Befreiung begegnet werden. Für eine der Praxis angemessene Literaturkonzeption ergab sich ein Widerspruch vor allem aus der angenommenen idealbildenden u n d zugleich mitgestaltenden Rolle der Literatur im gesellschaftlichen Umwälzungsprozeß. So machte die Literatur des klassischen Humanismus unter den Buchpublikationen nur einen bestimmten Teil aus - in konzeptionsbildenden Überlegungen zur entstehenden Literatur erhielt sie jedoch einen großen, teils sogar überhöhten Stellenwert. Teilweise reproduzierten und belebten sich auch Vorstellungen, in denen der soziale Alternativcharakter der im Osten Deutschlands vollzogenen Umwälzung verkannt wurde und die auf einen dritten Weg zwischen Sozialismus und Kapitalismus - hinausliefen. In einem Bei8»
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trag von Heinz-Winfried Sabais Vom klassischen zum modernen Humanismus wird versucht, den „modernen Humanismus" als einen Kompromiß zwischen Individualismus und Sozialismus zu begreifen. Mit diesem „Kompromiß" wurde sowohl der Charakter der gesellschaftlichen Umwälzungen in der sowjetischen Besatzungszone als auch der Charakter des realen Humanismus verkannt, den Sabais lediglich als eine Form „modernen Humanismus" ansah. Er nahm an, daß es nur darauf ankomme, dem humanistischen Persönlichkeitsideal seinen exklusiven Charakter zu nehmen, um „sittliche Selbstvervollkommnung und soziale Nützlichkeit" zu verschmelzen. Für Sabais blieb der reale Humanismus eine ethische Kategorie, die er, vom einzelnen ausgehend, lediglich auf die vielen erweitert. Damit wird ein schematisches Erziehungsprinzip reproduziert: die humanitäre Persönlichkeit entfaltet sich autonom, die Masse muß zur Autorität erzogen werden."36* Die Veränderung der Umstände erscheint als Folge einer ethisch erzogenen Persönlichkeit, wobei gesellschaftliche Organisationsformen für Sabais immer in einem Widerspruch zur Ausbildung der Persönlichkeit stehen, die gegen die „Übermacht des sozialen Organisationsapparates" geschützt werden müsse. Offensichtlich wurde hier eine Form von bürgerlichem Humanitätsdenken reproduziert, die vom Verständnis der gesellschaftlichen Umwälzung wegführte. Sie unterschied sich vom Existentialismus lediglich durch ihre aufklärerisch optimistische Tendenz.
Der Erste Deutsche
Schriftstellerkongreß
Vom 4. bis 8. Oktober 1947 fand in Berlin der vom Schutzverband Deutscher Autoren einberufene Erste Deutsche Schriftstellerkongreß in Berlin statt. Auf der Tagesordnung standen Fragen des Standorts des Schriftstellers in der Gesellschaft, des Verhältnisses von Politik und Literatur, von „reiner" Kunst und Tendenzkunst - Fragen, um die heiß gestritten wurde. Ihre Beantwortung gab Auskunft darüber, wo ein Schriftsteller in der aktuellen Entwicklung stand. Es war der erste und einzige Kongreß in Nachkriegsdeutschland, auf dem Schriftsteller aus allen vier Besatzungszonen, Schriftsteller unterschiedlicher weltanschaulicher und politischer Haltung zusammentrafen und debattierten. Schon ein Jahr später wurde in Frankfurt a. M. ein separater Kongreß der Schriftsteller aus den westlichen Besatzungszonen veranstaltet, auf dem Rudolf Hagelstange - Teilnehmer des Berliner 116
Kongresses, inzwischen aber in die Westzonen übergesiedelt - das Hauptreferat hielt. Der Versuch, eine gemeinsame Plattform aller Schriftsteller zu erarbeiten, entsprach der vom Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands praktizierten Bündnispolitik. Wie weit hier der Rahmen gespannt war, ist aus einem Brief von Johannes R. Becher an Frank Thieß zu erkennen; er enthält die Aufforderung, im Interesse des „Wiederaufstiegs unseres Volkes" der „Unterscheidung innerer und äußerer Emigrant" ein Ende zu machen. 37 Vertreter der „inneren Emigration", als deren Sprecher vor allem Frank Thieß auftrat, beanspruchten in einer Kontroverse mit Thomas Mann die „geistige Führerschaft der Nation" gegenüber den Emigranten, „die aus den Logen und Parterreplätzen des Auslands der deutschen Tragödie zuschauten". 38 Ihre Kompetenz glaubten sie mit der Bewahrung eines „inneren Raums" begründen zu können, wobei nicht historischer Standort und Handeln, sondern eine abstrakte Bewahrung der Persönlichkeit und das innere Leiden und Betroffensein zum Maßstab erhoben wurden. Bei der inhaltlichen Konzipierung des Kongresses, an dem auch Schriftsteller teilnahmen, die noch im Ausland lebten, wurde davon ausgegangen, daß unfruchtbare Konfrontationen vermieden werden sollten - der Wunsch nach Frieden und der Einheit Deutschlands sollte das einigende Bindeglied sein. Vom Kongreß wurde abschließend ein Manifest angenommen, in dem es heißt, die Schriftsteller haben „die deutsche humanistische Tradition zu verwalten und fortzuführen. Sie sehen in unserer Sprache und unserer Kultur die Gewähr für die unveräußerliche Einheit unseres Volkes und Landes und das Bindeglied über alle Zonengrenzen und Parteien hinweg. Als Wortführer der freiheitsliebenden und friedensliebenden Deutschen erkennen wir Schriftsteller aller Zonen die Verpflichtung an, das moralische Bewußtsein der Verantwortlichkeit für die Schäden und Leiden wachzuhalten, die das Hitlerregime den Völkern der Welt zugefügt hat." 39 * Diese Leitideen des Kongresses zielten auf Einigung der Schriftsteller, die auf unterschiedlichen Klassenpositionen standen, wobei nicht übersehen wurde, daß es Widersprüche im Selbst- und Zeitverständnis gab, die von dem auf deutschem Boden ausgetragenen internationalen Klassenkampf nicht unbeeinflußt blieben. Daraus resultierte auch die große innere Spannung, die von allen Teilnehmern des Kongresses empfunden wurde. 117
Die Rednerliste läßt erkennen, daß die Kongreßleitung bemüht war, einen Ausgleich herzustellen, der allerdings eine selbstkritische Auseinandersetzung mit dem Schuldanteil der deutschen Schriftsteller am Aufkommen des Faschismus einschloß. Mit der Wahl von Ricarda Huch zur Ehrenpräsidentin wurde das Bekenntnis zu einer bürgerlich-humanistischen Tradition dokumentiert, die gegen die Herrschaft des Faschismus aktiv geworden war. Ricarda Huch war 1933 unter Protest gegen das „Reich der Hölle" aus der Preußischen Akademie der Künste ausgetreten und während das Faschismus erheblichen Repressalien ausgesetzt gewesen. Sie betonte die besondere Beziehung der Schriftsteller zur Einheit Deutschlands, weil sie als Sachwalter der Sprache diese Einheit repräsentierten. Mit Günther Weisenborn kam ein Schriftsteller zu Wort, der aktiv am Widerstand beteiligt gewesen war und eines der ersten literarischen Zeugnisse über diesen Widerstandskampf in seinem Drama Die Illegalen vorgelegt hatte. Auch er betonte die Verantwortung. „Wir sind in diese Zeit gestellt, so beklagenswert das ist, und unserer Zeit hat unsere künstlerische Bemühung zu gelten." Er wandte sich gegen Vereinzelung, Ästhetizismus und falsche Innerlichkeit. „Dichtung .besteht nicht nur aus Klang und Form, nicht nur aus Reimglöckchen, gezierter Metapher, bei simpler Konturierung und jenem bemühten Tiefsinn, der die Klassiker immer wieder anbetend variiert." 40 Weisenborns Polemik richtete sich gegen zahlreiche Neuerscheinungen aus Verlagen der westlichen Besatzungszonen, die 1946 erschienen waren. Hier hatten die inneren Emigranten Inventur gemacht, und es präsentierte sich eine Lyrik der weitabgewandten Verinnerlichung und eines zeitlosen Schönheitskultes. Der Kongreß fand in der Vier-Sektoren-Stadt Berlin statt. Während er tagte, wurde von der amerikanischen Militärbehörde der Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands in den Berliner Wostsektoren verboten. Das war nur ein Zeichen für den bereits auf Hochtouren laufenden kalten Krieg. Neben Einmütigkeit gab es in den Vorträgen der Hauptredner Meinungsverschiedenheiten. Sie waren schon in den Einleitungsreferaten präsent, in denen Elisabeth Langgässer als Vertreterin der inneren Emigration Über Schriftsteller unter der Hitlerdiktatur und Alfred Kantorowicz Über die deutschen Schriftsteller im Exil sprachen. Hier wurden unterschiedliche Erfahrungen von divergierenden weltanschaulich-politischen Standorten mitgeteilt. Elisabeth Langgässer hatte vor 1933 dem Kreis um die literarische Zeitschrift Die 118
Kolonne angehört, in der eine militante Autonomiekonzeption gegenüber politisierenden Bestrebungen von rechts, vor allem aber von links vertreten wurde. Sie schrieb religiöse, auf innerliche Werte insistierende Naturdichtung. Als rassisch Verfolgte erhielt sie 1936 Schreibverbot; noch gegen Ende des Krieges wurde sie zur Zwangsarbeit verpflichtet. Ihre persönliche Integrität berechtigte sie, auf dem Kongreß das Wort zu ergreifen. Ausgangspunkt ihrer Überlegungen bildete die eigene dichterische Existenz: die erlebte Isolation unter den Bedingungen des Faschismus, in der der Dichter die härteste Probe seiner „Unzerstörbarkeit - die Verwahrlosung der Sprache im Nazijargon" - bestehen mußte. Von dieser existentiellen Frage her entfallen bei der Langgässer die Probleme von innerer und äußerer Emigration. „Die Sprache ist der Raum der Dichter, wohin hätten sie auswandern sollen"?41 Offensichtlich wurden hier Vorstellungen von einer autonomen Welt der Dichtung wieder aufgenommen. Das Erlebnis des Faschismus hatte bei vielen bürgerlichen Autoren nicht zur Korrektur dieser Sicht geführt, sondern nur eine vorübergehende Irritation bewirkt. Langgässers Vorschlag, der Sprache eine Ruhepause zu gönnen, sie sich nach der Verwahrlosung „erholen" zu lassen, löste Widerspruch bei den sozialistischen und engagiert humanistischen Schriftstellern aus. Es wurde darauf verwiesen, daß die politische Abstinenz eines großen Teils der deutschen Literatur eine verhängnisvolle Tradition darstellt, mit der radikal gebrochen werden mußte. An Elisabeth Langgässers Roman Das unauslöschliche Siegel (1946) wurde offenkundig, welcher enge Zusammenhang zwischen einer unhistorischen Faschismussicht und einem Literaturverständnis besteht, das nur auf Innerlichkeit zielt. Der Roman hat Erfahrungen der geschichtlichen Gegenwart zum Gegenstand, die sich jedoch in einem ewigen, der göttlichen Gnade unterliegenden Weltenlauf erschöpfen. Die faschistische Katastrophe wurde nachträglich als eine sinnvolle Stufe auf dem Wege zur göttlichen Gnade interpretiert, so konnte sie als geschichtliche Erfahrung nicht fruchtbar werden. Diese Sicht auf den Faschismus war wenig zu erzieherischer Aufklärung geeignet, die für die gesellschaftlich-praktische Überwindung des Faschismus vonnöten war. Die Autorin hatte mit ihrer Geschichtsinterpretation eine bestimmte Aufnahme des Buches intendiert, die jedoch in der konkreten Situation weit über das hinausging, was sie beabsichtigt hatte. Davon zeugt auch das von tiefer Erschütterung geprägte Bekenntnis, das sie - unter dem Eindruck der Kontroverse 119
auf dem Kongreß ablegte. „Wenn man kein polirischer Aktivist ist, aber trotzdem für Freiheit, Menschenwürde, Gerechtigkeit, Wahrheit eintreten muß, aber doch mit ganz anderen Mitteln, was soll man tun? . . . ich will so arbeiten, daß die politischen Aktivisten sagen, ja du bist einer von uns, ein Kamerad." 4 2 Alfred Kantorowicz vermied in seinem Referat jede Konfrontation. Er unterbreitete dem Kongreß Informationen über die politische, publizistische und literarische Aktivität deutscher Schriftsteller im Exil. Er orientierte im Sinne der gemeinsamen Ziele auf ein breites antifaschistisch-demokratisches Bündnis, für das Kantorowicz zu dieser Zeit noch offensiv eintrat, 43 * auf den „gemeinsamen Kampf um die Seele unseres Volkes". Die differenzierten Standpunkte der Exilautoren und die unterschiedlichen Positionen derer, die im Lande geblieben waren, verboten eine pauschale Entgegensetzung von „innerer" und „äußerer" Emigration, wie sie durch die Kontroverse zwischen Thomas Mann und Vertretern der „inneren Emigration" in die Debatte gebracht worden war. Karl Schnog, Jan Petersen und Greta Kuckhoff berichteten von jenen, die selbst im antifaschistischen Widerstandskampf gestanden hatten, oder über Autoren, die von den Faschisten umgebracht worden waren. Sie kennzeichneten den „Heroismus der Kämpfenden" gegenüber denen, die „unter dem Regime gearbeitet haben, selbst wenn sie sich nur wenig befleckt haben". Alexander Abusch und Klaus Gysi gingen ebenfalls von den gemeinsamen Aufgaben bei der Überwindung des Faschismus aus, betonten aber die Notwendigkeit, den eigenen schriftstellerischen Standort selbstkritisch zu überprüfen. Das verlange eine differenzierte Bewertung des Phänomens der „inneren Emigration": als Bewährung „jener schriftstellerischen Anständigkeit, die aus dem Bewußtsein der tiefen Verpflichtung gegenüber seinem Volke erwuchs", im Unterschied zu Vertretern einer falschen Innerlichkeit, die die „innere und äußerliche Wirklichkeit des Menschen zu trennen versuchen". 44 Der Begriff „innere Emigration" sollte nicht mißbraucht werden als eine Art Heimatrecht für den „gemäßigten oder intellektuellen Flügel des Verbrecherregimes". Wolfgang Harich wandte sich gegen die weitabgewandte Innerlichkeit jener Dichter, die „schon vor 1933, als man noch hätte protestieren können, in die Innerlichkeit geflüchtet waren" 4 5 und dem Aufkommen des Faschismus keinen geistigen Widerstand entgegengesetzt hatten. Die Erörterungen auf dem Kongreß kreisten vor allem um drei 120
eng zusammenhängende Problemkomplexe: um die Frage nach dem Standort des Schriftstellers, um das Verhältnis von Literatur und Politik und um das von Freiheit und Verantwortung. D i e Verständigung über Platz und Aufgabe des Schriftstellers machte es notwendig, das Verhältnis von Politik und Literatur den geschichtlichen Erfordernissen entsprechend zu konkretisieren und zu präzisieren. E s mußte Tendenzen einer erneuerten Abkehr von den geschichtlichen Realitäten, einer Zeitflucht und Verinnerlichung entgegengewirkt werden, wie sie sich auf dem Kongreß andeuteten. Diese Positionen waren mit einer weitgehenden Enthistorisierung geschichtlicher Erfahrungen gekoppelt. So erklärte z. B. der nach England emigrierte Schriftsteller Alwin Stybs die historische Erfahrung des Faschismus für unreal. Er behauptete, daß „die jetzige Realität unwirklich wie ein Totentanz" sei und daß folglich alle die Besiegten seien. Als Thema der Zeit apostrophierte er demgemäß: „. . . rettet eure Seelen!" Auch andere Autoren fühlten sich als „Stille im L a n d e " mit Vorwürfen konfrontiert oder beklagten den politischen Charakter der Diskussion (z. B. August Scholtis). Damit setzte sich u. a. Axel Eggebrecht als bürgerlich-humanistischer Autor auseinander, wenn er feststellte, daß „jeder, der nichts gegen die Reste des Nazismus tut, aus unserer Front als ausgeschieden gelten" muß. D a s erfordere jedoch, mit der verhängnisvollen Tradition zu brechen, „Kunst und Politik" voneinander zu trennen, aus der „Tat in den Traum zu fliehen, zu träumen, um des Traumes willen". 46 Außer den Tendenzen zu einer Zeitflucht wurde immer deutlicher, daß auch das bloße Konstatieren des allgemeinen Zusammenhanges von Literatur und Politik in der veränderten geschichtlichen Realität als Orientierung nicht ausreichte. Vielmehr war es notwendig, diesen Zusammenhang konkret innerhalb der geschichtlichen Konstellationen, die sich in der Welt und in Deutschland abzuzeichnen begannen, zu bestimmen. In den Diskussionsbeiträgen von Günter Birkenfeldt, Gerda von Gebhardt, vor allem aber von Rudolf Hagelstange wurde ein unkonkreter Wahrheits- und Freiheitsbegriff verwendet; die Beziehung von Politik und Literatur wurde zwar behauptet, zugleich aber wurden politische Bindungen und konkret wahrgenommene politische Verantwortung abgewehrt. Hagelstange forderte die Schriftsteller auf, nur der unbestechlichen Wahrheit zu dienen, wobei politische Bindungen prinzipiell im Wege stehen würden. Diesen Gedanken führte er in seinem Referat auf dem separaten Kongreß in Frankfurt a. M . (1948) weiter, als er dem Wahrheitsbegriff den der Frei121
heit an die Seite stellte. Zwar bezog er noch die Erfahrungsebene der faschistischen Literaturpolitik ein, doch er erhob Freiheit, Wahrheit und politische Bindung zu stets waltenden Antinomien. Schon auf dem Berliner Kongreß deutete sich an, daß diese Position in Gegensatz zu den realen gesellschaftlichen Veränderungen im Osten geraten mußte. Im Auftreten von Melvin Lasky, einem amerikanischen Journalisten, dem späteren Herausgeber der Zeitschrift Monat und maßgeblichen Mitinitiator des antikommunistischen Kongresses zur Verteidigung der Kultur (1951), zeigte sich die direkte antikommunistische Stoßrichtung, in die eine derartige Haltung einfunktioniert wurde. Laskys Forderung nach „Freiheit für die Schriftsteller in der Sowjetunion" war eine politische Provokation - ein Versuch, den kalten Krieg gegen die Sowjetunion auch auf die literarische Szene auszuweiten. Die abstrakt gesetzte geistige Freiheit machte es unmöglich, geschichtliche Alternativen wahrzunehmen, sich zu entscheiden und zu binden. Sie tendierte dazu, die Literatur aus ihrer Verantwortung für das zeitgenössische Geschehen zu entlassen und die geschichtliche Alternative durch eine personelle zu ersetzen: Dichter, die „das Wort zur Zeit sagen und finden, die kämpferisch, aktivistisch mit dem Wort eintreten konnten", und solche, die „das Wort zur Zeit nicht sprachen, die aber trotzdem Werte schufen, Worte gaben, die viele Menschen in der tiefen Not . . . aufgerichtet haben und tief erfreut haben". Günter Birkenfeld verband dies mit der Warnung davor, „die Wirkung des dichterischen Wortes zu stark zu politisieren und als politisches Phänomen und nur politisches Phänomen und nur politischen Effekt aufzufassen".47 Für die sozialistischen Schriftsteller war die Entscheidung für den gesellschaftlichen Umwälzungsprozeß im Osten und die Mitarbeit am Aufbau einer neuen Gesellschaft unausgesprochen die Argumentationsbasis. Ausgesprochen wurden jene allgemeinen Forderungen nach Frieden und Einheit der Nation, die für die verschiedensten Bestrebungen eine Bündnisgrundlage sein konnten. Die Entscheidung für den Sozialismus als geschichtliche Alternative stand nicht zur Debatte. Anna Seghers begründete in ihrem Referat Der Schriftsteller und die geistige Freiheit den inneren Zusammenhang von Freiheit und Verantwortung dem Volk gegenüber, sie sprach sich gegen einen anarchistischen Freiheitsbegriff, gegen Bindungslosigkeit und individualistische Willkür aus und sprach von der „Freiheit, für die Wahrheit zu kämpfen . . . Auf diese Freiheit stellt er (der Schriftsteller - U. R.) 122
sich ein, und wenn er auf dieser Freiheit steht, dann hat er sich den gesellschaftlichen Punkt erkämpft," auf den er „seine Begabung richten kann, um diesen Punkt der Wirklichkeit deutlich zu machen, durch den er seine Mitmenschen und sein Volk weiterbringt". 48 Verantwortung gegenüber den Mitmenschen und dem Volk war damit als konkreter gesellschaftlicher Bezugspunkt für Freiheit und Wahrheit benannt, wenn die Formeln vom „Mitmenschen" und vom „Volk" auch noch sozial unbestimmt blieben. Dieser Gedanke wurde durch den stärker geschichtsphilosophisch fundierten Beitrag von Ernst Niekisch weitergeführt, der gegen die Menschenverachtung in spätbürgerlichen Elitetheorien geltend machte, es gehe darum, das „Menschliche zu erhöhen, nicht bloß in Hinsicht auf Eliten, sondern in der Tat in Hinsicht auf alle" 49 . Ein historisch unkonkreter, gegen politische Bindungen gerichteter, den Antagonismus von Persönlichkeit und Gesellschaft verabsolutierender Freiheitsbegriff wurde nicht nur innerhalb der Literaturideologie zu einem vielstrapazierten Argument - gerichtet gegen reale gesellschaftliche Veränderungen. Auch auf dem westdeutschen Schriftstellerkongreß von 1948 in Frankfurt a. M. fungierte dieser abstrakte Freiheitsbegriff als Grundtenor der Beiträge. Theodor Plievier, dessen Roman Stalingrad für die Desillusionierung über Krieg und Faschismus wichtig gewesen war (1947 siedelte Plievier in die Westzonen über), erklärte in seiner Frankfurter Rede diese Art von Freiheit zur unabdingbaren Voraussetzung selbständigen und souveränen Denkens. Der Schriftsteller müsse sich dazu entscheiden, keinen „bequemen Platz" einzunehmen, sondern „zwischen allen Stühlen zu sitzen".50 Für progressive Schriftsteller war es nötig und möglich, zur neuen gesellschaftlichen Praxis, die sich im Osten Deutschlands herausbildete, eine Einstellung zu finden, die zu konstruktiver Mitarbeit führte. Sie mußte jedoch inmitten härtester politischer Konfrontationen gefunden werden, durch die scharfe Trennlinien gezogen wurden und die Entscheidungen forderten. Darauf verwiesen die sozialistischen Schriftsteller, z. B. Erich Weinert, der in seinem Referat auf dem Kongreß von 1947 sagte: „Das Volk wird von ihm (dem Schriftsteller - U. R.) fordern, daß er sich nicht eifrig zwischen der Frontlinie herumtreibe, sondern eindeutig Stellung beziehe." 51 Mit dem Begriff „Volk" wurde versucht, den sozialen Inhalt der Entscheidung zu konkretisieren, weil sich abzeichnete, daß der Gedanke von der Einheit der Geistesschaffenden als Grundlage eines breiten Bündnisses in absehbarer Zeit an Wirkungskraft einbüßen 123
würde. Der soziale Inhalt der Schriftstellerposition wurde von den sozialistischen Autoren mit dem Begriff „politischer Dichter" und durch eine differenzierte Sicht auf das, was „Zeitnähe" ausmacht, bezeichnet. Dieser Problemkreis erhielt in den Debatten auf dem Kongreß ein großes Gewicht. Dabei konnte an Erfahrungen der Exilzeit angeknüpft werden, in denen die Umrisse eines Programms der sozialistischen Literatur mit konstruktiven, auf die zukünftige Gesellschaft gerichteten Überlegungen erarbeitet worden waren. Dieser Literaturbegriff schloß eine Verständigung über die Lebensprobleme des Volkes ein; er sollte keine mißbrauchbaren leeren Räume enthalten. Von Stephan Hermlin wird dieses Programm einer „politischen Literatur im weitesten Sinn" in der Auseinandersetzung mit der vor allem in den Westzonen bereits publizierten Literatur entwickelt. „Was wir brauchen, ist eine vielschichtige, aber nicht anarchistische Literatur, eine Literatur ohne Simplifikation und metaphysisches Glanzlicht." Gegenstand einer auf politische Wirkungen gerichteten Literatur sind hier alle menschlichen Lebensbereiche, wenn es heißt, daß hinter „den dialektischen Veränderungen einer Landschaft oder eines menschlichen Gefühls Metamorphosen einer höheren allgemein menschlichen Art aufleuchten". 52 Die Konkretheit der Auseinandersetzung mit einer die realen Zusammenhänge des Faschismus vernebelnden Literatur steht in einem gewissen Gegensatz zur Allgemeinheit, in der die positive Programmatik vorgetragen wurde. Erich Weinert sprach in seinem Beitrag Über die Zeitnähe unserer Dichtung von der sozialen Verantwortung gegenüber dem (hier als Begriff freilich undifferenziert gebrauchten) Volk: „. . . das Volk aber wird von ihm (dem Schriftsteller - U. R.) fordern, daß er als der Berufene seinen Nöten und Bemühungen, seinem Haß und seiner Liebe im lebendigen Wort Gestalt gebe." Die Zeitnähe von politischer Dichtung schließt für Weinert die Breite literarischer Wirkungsmöglichkeiten ein - ein Standpunkt, den er schon im Exil in selbstkritischer Auseinandersetzung mit eigenen engen Vorstellungen gewonnen hatte. Von hier aus polemisiert er auch gegen eine unergiebige Entgegensetzung von „reiner Kunst" und „Tendenzkunst" bzw. von „politischer Dichtung" und „eigentlicher Dichtung", die mehrmals auf dem Kongreß laut wurde. Parteinehmen ist die Voraussetzung dafür, daß „Schreiben für die Ewigkeit" und „Für das Heute sprechen" als Einheit betrachtet werden können. 53 Auch bei Friedrich Wolf ist Parteinahme eine unmittelbare Voraussetzung für die Zeitnähe der Dichtung. Zeitnähe bedeutet für ihn 124
mehr als nur Verbindung zur Gegenwart: „Was ist Zeitnähe? Die Gegenwart? Sie ist ein Schritt zwischen der Vergangenheit und der Zukunft, d. h. sie ist ein Teil der Ewigkeit, und in der Tat steht der zeitnahe Schriftsteller zwischen der Vergangenheit und Zukunft, er steht auf den Schultern der großen Vorfahren und tief in der Geschichte seines Volkes."54 Wolf betrachtet es als die wichtigste Aufgabe des politischen Dichters, Entscheidungen, die die Geschichte dem Menschen abverlangt, mit herbeiführen zu helfen. Diese Aufgabe verbindet er mit seiner Vorstellung von der Kätharsisfunktion der Dramatik, derzufolge es unmöglich erscheint, „daß der Zuschauer in seiner Brust eine Entscheidung trifft, wenn sie auf der Bühne auch nicht getroffen wird" 55 . Johannes R. Becher hatte im August 1945 in der Gedenkrede auf die Dichter, die für Deutschlands Freiheit starben - eine seiner ersten Reden nach der Rückkehr - bestimmte Überlegungen aus dem Exil weitergeführt56 und mit dem Begriff politischer Dichter ein nationales Literaturkonzept umrissen. Er bezieht ihn auf das „Vaterländische", auf das „gesellschaftliche, das geschichtliche Leben des Volkes". „Sie (die politischen Dichter - U. R.) schufen eine Literatur, deren oberstes Merkmal sein dürfte, daß sie eine menschliche, eine realistische, eine wahrhaft nationale sein wird, alles Wesenszüge, die eine demokratische Literatur, eine Volksliteratur im höchsten Sinne des Begriffs kennzeichnen."57 Damit aktiviert er Vorstellungen, in denen die „Sendung des Dichters" als eines in die „Zukunft-Schauenden, als die des Sehers und Propheten"58 betont wird, und benennt notwendige Voraussetzungen dafür, daß die Dichter „Vorbilder und Erzieher des Menschengeschlechts"59 werden können. Sie scheinen sich für die Nachkriegszeit anzubieten - immer wieder werden die Dichter als Orientierungsgröße angerufen. Diesen Vorstellungen lag eine hypothetische, noch wenig reale „Einheit der Intellektuellen mit dem Volk zugrunde", ein weltanschaulicher Standort „auf der Höhe unseres Zeitalters", der bereits voraussetzte, „sich mit den geschichtlichen Notwendigkeiten des Zeitalters in Übereinstimmung" gebracht zu haben.60 Die programmatischerzieherische Rolle, die dem Dichter zugewiesen wird, verknüpft Becher in seiner Rede Vom Willen zum Frieden auf dem Kongreß von 1947 mit einer genauen Kennzeichnung der politischen Funktion der Dichtung im Kampf für den Frieden. Friedenskampf bedeutet, den Krieg seines mystischen Charakters entkleiden, „die Auffassung von der Unvermeidbarkeit des Krieges widerlegen", für „ein freiheit125
liches Deutschland sein", „sich zu einer Gemeinsamkeit aller Friedenswilligen bekennnen", „das lebendige Gute pflegen und es wachsen lassen, es sichtbar machen und gestalten, damit es zum geistigen Gehalt und zum festen moralischen Bestandteil unseres Volkes wird". 61 Diese politische Funktionsbestimmung entwickelt Becher gegen eine Literatur, die „sich den politischen Bedürfnissen unterwirft", wodurch sie „nur zu einer Art kunstgewerblich aufgeputzter Fassade der Staatsführung" wird, und gegen eine Literatur, die „ein der gesellschaftlichen Sphäre des menschlichen Lebens entrücktes Traumspiel ist". Die Erkenntnis ihrer Funktion ist für Becher Voraussetzung dafür, daß „Literatur auf eine ihr eigentümliche und selbständige Art politisch wird", wodurch sie ihr spezifisches Wesen herausstellt, denn sie kann nur auf die „dem Literarischen gemäße Weise an der Erziehung des Menschengeschlechts" teilnehmen. 62 Becher betont die dem „Literarischen gemäße Weise", um auf die Eigenart der erzieherischen Funktion von Literatur im Vergleich zu anderen erzieherischen Funktionen aufmerksam zu machen. Sie erwächst für ihn aus ihrer besonderen Wirkungsweise, die mit der Gegenständlichkeit des literarischen Schaffens zusammenhängt, zu der der „Kampf gegen die Abstraktion, gegen die schädliche Verallgemeinerung, gegen Phrase und Schablone, gegen Klischee und Schema" gehört. „Ein lebendig Gutes ist stets real und will gestaltet sein. Denn nur in der realen konkreten menschlichen Gestalt spricht es Menschen an, und eine Literatur, die, nur Tendenz und Lehrmeinung darbietend, auf eine reale konkrete Menschengestaltung verzichtet, eine solche Literatur . . . entmachtet sich selbst." 63 Willi Bredel nahm den Gedanken von der geistigen Führerschaft des Schriftstellers auf, die an dessen Verantwortung für die Einheit und die Zukunft des deutschen Volkes geknüpft wird. „Das offene, wahre, künstlerische Wort des deutschen Schriftstellers kann viel dazu beitragen, denen im Volke, die für nationale Einheit, innere Demokratie und für den äußeren Frieden eintreten, einen noch stärkeren Halt zu verleihen, und in dem Maße, wie es gelingt, wird sich das Antlitz unseres Volkes veredeln." Das schloß für Bredel die Verpflichtung ein, „das große kulturelle Erbe der Nation" zu wahren und „zugleich der Forderung seiner Zeit, seines Tages gerecht zu werden". 64 Mit Bechers Rede wurde der Kongreß beendet; sie trug nach den heftigen Kontroversen mit dazu bei, auf die auch im Manifest formulierten gemeinsamen Aufgaben - Friedenskampf und Kampf um 126
nationale Einheit - zurückzukommen und Überlegungen zur Funktion der Literatur aus dieser Aufgabenstellung heraus zu begründen. Durch das Betonen der verbindenden Gedanken blieb die Parteinahme für die gesellschaftlichen Umwälzungen im Osten Deutschlands unausgesprochen. Mit dem weiteren Fortschreiten der Klassenauseinandersetzungen wurde es notwendig, bei der Funktionsbestimmung der Literatur stärker von einer sozialen Fundierung des Friedensgedankens auszugehen. Die Logik der gesellschaftlich-praktischen Umwälzungen in der sowjetischen Besatzungszone erforderte eine Präzisierung der Vorstellungen über den sozialen Inhalt der Literatur.
Realismus in der Auseinandersetzung Wenn Becher die Sprecherrolle des Dichters apostrophierte, „Volkes Stimme zu sein, indem er dem Fühlen und Denken des besten Teils unseres Volks Ausdruck verleihe und ihm Gehör verschaffe"65, so war die Kenntnis der gesellschaftlichen Bewegungsgesetze einschließlich des Wissens über das gesellschaftliche Wesen des Faschismus vorausgesetzt. Damit war es den sozialistischen Autoren möglich, eine Literaturkonzeption für die Bedingungen der neuen gesellschaftlichen Praxis zu erarbeiten. Allerdings wurden die Akzente durchaus noch unterschiedlich gesetzt, was sich schon in den Diskussionen auf dem Kongreß von 1947 andeutete. Zunächst jedoch lag das Schwergewicht in der Auseinandersetzung mit Positionen, für die die von Becher benannten Voraussetzungen nur begrenzt zutrafen: Einsicht in geschichtliche Bewegungsgesetze war nur gering entwickelt, und die antifaschistische Haltung bzw. die Vorstellungen über einen demokratischen Neubeginn waren z. T. verschwommen - von einem allgemein humanistischen Weltbild geprägt, kaum jedoch sozial bestimmt. Vertreter dieser Positionen sollten an den gesellschaftlichen Umwälzungsprozeß im Osten Deutschlands herangeführt werden. Dies vollzog sich über die Entlarvung der faschistischen Ideologie, und schon dabei gab es durchaus unterschiedliche Akzentuierungen. Als Beispiel sei auf die Auseinandersetzung um Ernst Jünger und dessen Schrift Der Friede verwiesen. Einige Kritiker in den westlichen Zeitungen werteten sie als ein „Zeichen für die Wandlung Jüngers"66. An den Diskussionen darüber beteiligte sich auch Wolfgang Weyrauch mit dem Beitrag Die germanische Unschuld Ernst Jüngers; er verwies auf die verhängnisvolle Rolle Jüngers bei der Irreführung 127
der deutschen Jugend, besonders durch die Verherrlichung des Kriegerischen. Weyrauch hatte noch 1940 als Herausgeber der Anthologie Junge deutsche Prosa den „Innenraum und die Seele" als bevorzugten Wirkungsraum der Dichtung gesehen. Unter dem Einfluß von Johannes R. Becher erkannte er das Problematische dieser Position und plädierte angesichts der „äußeren Verwüstung" für die humanistische Verantwortung der Literatur. Ihre gegenwärtige Aufgabe sah er darin, an einer „Revolution der guten Herzen" mitzuwirken, um das „zukünftige Leben auf Toleranz und Freiheit zu gründen", worin Humanität ein „alles andere einschließendes, ergreifendes Wort" sei. Trotz dieser Allgemeinheit basierte dies auf einer entschieden antifaschistischen Haltung. Diese unterschied sich jedoch von der auf praktische Überwindung gerichteten Auseinandersetzung, wie sie von Wolfgang Harich und Paul Rilla geführt wurde: Von ihnen wurden jene Kräfte benannt, denen daran lag, Jünger von seiner Schuld reinzuwaschen. Harich und Rilla geht es um praktische Überwindung jener Mentalität, die von Jünger mit herausgebildet worden war und die durch Zwang, Bedürfnisregulierung und Pflichterfüllung zu einer Verantwortungslosigkeit geführt hatte, wodurch die Menschen für den Faschismus so mißbrauchbar gemacht wurden. Diese Auseinandersetzungen mit der faschistischen Ideologie gingen auf unterschiedliche Einschätzungen des Faschismus zurück. Weyrauch z. B. kennzeichnet die Gegenwatt mit Metaphern aus der Bibel, wenn er schreibt: „Die Arche ist beinahe zerfetzt, und wir haben uns nicht einmal selber auf den Strand gezogen . . . Wir haben nichts, wir sind nichts, wir haben nicht einmal uns selbst. Wir sind mühselig und beladen."67 Die Auffassung von einem als Vakuum empfundenen geschichtlichen Raum teilen auch andere bürgerliche Schriftsteller, die durch die Erfahrungen mit dem Faschismus aus einem selbstgenügsamen Dichtungsverständnis aufgeschreckt worden waren. Sie suchten ihre humanistische Verantwortung wahrzunehmen, indem sie ihre literarischen Bemühungen als religiös motivierten Trost artikulierten. Dazu gehörten Ernst Wiechert, Werner Bergengruen, Reinhold Schneider, die sich gegen die „Geistreichen, die unbeschwerten Spieler, die ihre Bühne errichten, gleichviel, ob vor der Bühne ein Volk in Hunger und Elend verdirbt"68, wandten. In ihrem Verständnis sollte „Kunst ein Licht für die im Dunkeln Gehenden, ein Trost für die Trostlosen" sein, um „schwere Stunden sanft zu machen".69 Diese Dichter übten einen erheblichen Einfluß vor allem auf Menschen aus, die durch 128
den Faschismus in tiefe Irritation geraten waren - das läßt sich insbesondere an den Zuschriften ablesen, die Ernst Wiechert erhielt und die im Aufbau veröffentlicht wurden. D a s Unvermögen jedoch, die Überwindung des Faschismus als praktisch-gesellschaftlichen Vorgang zu begreifen, führte dazu, daß Wiechert sich schon 1946, nach „dem weglosen J a h r " , wieder zurückzog, um sich vom „Worte dem Werke zuzuwenden, von der Zeit, zum Abglanz der Ewigkeit". E s sei ihm „aufgetragen, in die Stille zurückzukehren, aus der er aufgebrochen, in die Bergwerke unter Tage, wo im dämmernden Licht die Kronen geglüht werden, die letzten, die nicht erblindenden, die Kronen des Geistes und der Phantasie" 70 . Wiecherts Rückzug machte deutlich, daß sein konservatives Dichtungsverständnis, in dem T a t und Ewigkeit, Werk und Wort Gegensätze waren, von seinen realen Faschismuserfahrungen unberührt geblieben war; seine Interpretation des Faschismus fand in seinem Bericht Der Totenwald ihren Ausdruck. Wiechert war wegen seines Eintretens für Pastor Niemöller von den Nazis nach Buchenwald verschleppt worden. D i e Erlebnisse dort liegen seinem Bericht zugrunde, den er als eine „Einleitung zu einer Symphonie des Todes" bezeichnet. Wiechert steigert den authentischen Bericht über die KZ-Wirklichkeit ins Mythische, indem er den Hitlerfaschismus als das Reich des Antichrist, als das absolut Satanische wertet. Damit entrückt er die Ereignisse ihren gesellschaftlichen Ursachen. D i e weltanschaulichen Prämissen, von denen aus die KZ-Wirklichkeit gesehen wurde, bleiben der faschistischen Ideologie verwandt, so wenn die „erbarmungslose Wirklichkeit" als das Gesicht des Menschen interpretiert wurde, „wie es war, wenn man ihm Macht gab, ihn der Fesseln entkleidete und ihn zu dem zusammenballte, was man Masse nannte". 71 Diese Wertungsebene korrespondiert mit einem elegisch-sakralen Ton, der den Bericht entsachlicht. Wiecherts Rückzug 1946 war mit der Aufforderung verbunden, die Sorge um die Kultur all denen zu überlassen, die „sie schaffen, und nicht denen, die sie betrachten und genießen" 7 2 . Damit war das Verhältnis von Kunst und Volk berührt, das ursächlich von den alternativen gesellschaftlichen Entwicklungsrichtungen abhing. In den programmatischen Äußerungen der Kommunisten wurde seit der Ersten Zentralen Kulturtagung der K P D von 1946 die Hinwendung zu den Volksmassen als zentrale Orientierung für die demokratische Umwälzung benannt. Sie mußte gegen elitäre Auffassungen zum Problem Masse und Persönlichkeit und zum Problem 9
DDR-Literatur
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persönlicher und kollektiver Freiheit durchgesetzt werden, durch die kollektive und gesellschaftliche Lebensformen als totalitär verdächtigt und Analogien zwischen faschistischer und sozialistischer Ideologie hergestellt wurden. D i e Hinwendung zu den Bedürfnissen der Volksmassen wurde im kulturellen Leben praktiziert durch die Beseitigung des Bildungsprivilegs, durch das Bereitstellen materieller Voraussetzungen für die Aneignung der Kultur und durch eine Intelligenzpolitik, die auf die Verbindung von Intelligenz und Volk zielte. Damit waren zunächst o b j e k t i v e Voraussetzungen für tiefgreifende Veränderungen im Verhältnis der Volksmassen zur Kultur gegeben, die allerdings erst durch langjährige kulturrevolutionäre Arbeit Wirklichkeit werden konnten. Dieser Prozeß spiegelt sich in den Dokumenten der S E D sowie in der politischen Praxis, und zwar durch zwei Aufgabenstellungen: 1. den Volksmassen Zugang zu den künstlerischen Werten zu ermöglichen, 2. eine „enge Verbindung der Kulturschaffenden mit den breiten Volksmassen" 7 3 herbeizuführen. Der erste Komplex umschloß die erwähnte Schaffung objektiver Voraussetzungen und die Organisierung praktischer Maßnahmen, um „dem Volke die Kunst darzubringen". Dazu heißt e s : wir wünschen, daß den Arbeitern die Möglichkeit gegeben wird, die Staatsoper und die besten Theater zu besuchen." 74 D a s bedeutet z. B. auf dem Gebiet des Theaters, daß keine besonderen Gewerkschafts- bzw. Arbeitertheater gegründet wurden. Weitere der Stimulierung dienende Maßnahmen waren: Theateraufführungen auf dem Land, die Vergabe von Theaterkarten als Prämien für Pioniere des Aufbaus u. ä. Diese Konzeption der „Erziehung des Volkes zur Kultur" erwuchs aus der demokratischen Erziehungsaufgabe der ersten Phase der Umwälzung. Sie enthielt bereits den Gedanken, daß „die Arbeiterklasse als Hauptträger der nationalen, demokratischen und kulturellen Neugeburt Deutschlands ihre Aufgabe erfüllen" 7 5 müsse. D i e vom Faschismus hinterlassenen ideologischen Verheerungen hatten allerdings dazu geführt, daß die Arbeiterklasse zu dieser Zeit keinen ihrer historischen Mission gemäßen kulturellen Anspruch formulieren konnte. Dies fand u. a. auch darin seinen Ausdruck, daß sich auch in der sowjetischen Besatzungszone der Widerspruch zwischen dem realen Kunstbedürfnis der Massen und ihrer objektiven Rolle im Geschichts- und Kunstprozeß spontan zu reproduzieren begann. Zu dokumentieren ist dies mit den Ausführungen von Friedrich Wolf auf dem Ersten Kulturtag der S E D (1948): „Wir erleben heute, nachdem 130
viele Theaterchefs den ersten fortschrittlichen Schock überwunden haben, daß man sich entweder hinter eine verblassende, nebulöse, unverbindliche Todesmystik eines Anouilh, Sartre und Thornton Wilder zurückzieht, oder aber mit einer wahren Flut sogenannter Unterhaltungsstücke von der Art Olly Polly usw. das Repertoire füllt." 76 In einem Theaterbetrieb, der vor allem dem Massenamüsement diente, kündigten sich kulturelle Bedürfnisse an, die nicht befriedigt werden konnten mit einer klassisch-humanistischen Literatur, als deren Erbe die politische Avantgarde auftrat. Auch der durch den Kapitalismus entstandene Widerspruch zwischen dem Unterhaltungsbedürfnis der Massen und dem Angebot an „hoher" Literatur reproduzierte sich unter den neuen Verhältnissen spontan. In den westlichen Zonen wurde dieser Widerspruch durch den vom Privatkapitalismus regierten Literatur- und Theaterbetrieb beibehalten. Die zweite Aufgabe betrifft die Kunstschaffenden selbst. Otto Grotewohl sprach auf dem Ersten Kulturtag der S E D über die Bedeutung der wirtschaftlichen und politischen Umwälzungen für die Kultur im Osten Deutschlands. Er konstatierte, daß sie zwar noch keinen sozialistischen Charakter tragen, daß sie aber den Charakter der Arbeit tiefgreifend zu verändern beginnen. Wenngleich dies mehr behauptet als begründet wird - leitet er daraus ein verändertes Verhältnis der Arbeiter zur Kultur, zur Wissenschaft und zur Technik ab. An die Kulturschaffenden ergeht der Appell, dieses anzuerkennen und daran mitzuwirken: Dies „wird den Künstler vor Verirrungen bewahren" 77 und der Kunst gewaltige Entwicklungsmöglichkeiten eröffnen. Kriterien zur Bewertung des Kunstschaffens werden also aus den realen Veränderungen der revolutionären Umwälzung gewonnen, die Volksverbundenheit wird aus der Perspektive dieser Entwicklung abgeleitet- Die Verwendung des Attributs volksverbunden als anzustrebendes Merkmal der sich entwickelnden Literatur enthielt permanent den Widerspruch zwischen der programmatischperspektivischen und der tatsächlichen kulturellen Rolle der Volksmassen. Dieser Problemkreis hängt unmittelbar zusammen mit der Realismusproblematik, in der die Literaturdiskussionen jener Zeit kulminierten - nicht zufällig, denn darin fand die kulturelle Entwicklung im Osten Deutschlands als grundsätzliche Alternative gegen die auf eine Restauration des Kapitalismus gerichtete Politik im Westen ihren prägnantesten Ausdruck. Der Realismus war untrennbar mit dem revolutionären Inhalt der Umwälzungen und der daraus resultierenden demokratischen Erziehung verbunden, während es im Klas9»
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seninteresse der Bourgeoisie lag, eine Literatur zu fördern, welche die realen geschichtlichen Triebkräfte der gesellschaftlichen Entwicklung in ein Dunkel hüllte. Dabei gab es unter den sozialistischen Kräften keine einheitliche Vorstellung darüber, wie Realismus in der Literatur zu bestimmen sei. Die Arbeiterpartei sah es 1946 nicht als ihre Aufgabe an, „Partei ausschließlich für die eine oder andere Kunstrichtung zu ergreifen", wie es von Anton Ackermann auf der Ersten Kulturtagung der KPD formuliert wurde. Die Literatur der sozialistischen Gesellschaft sollte aus dem schöpferischen Meinungsstreit hervorgehen. Ackermann bestimmt diese Kunst als „ihrem Inhalt nach sozialistisch, ihrer Form nach realistisch" 78 . Zwei Jahre später, auf dem Ersten Kulturtag der SED, sprach Ackermann vom „sozialen Realismus" als Stilform. Gegen diese Formulierung, die den Realismus auf bestimmte Stilkriterien festlegt und nicht als Methode kennzeichnet, wurden in der Diskussion Einwände erhoben: „Realismus in der Kunst hat seine philosophische Grundlage in der Erkenntnis der objektiven Realität der Außenwelt, und deswegen ist der Realismus nicht eine Stilform sondern ist die innere Haltung, die innere Wahrhaftigkeit des Künstlers gegenüber seiner Zeit."79 Um von den verschieden akzentuierten Vorstellungen sozialistischer Schriftsteller von einer politisch wirkenden Literatur, wie sie auf dem Ersten Deutschen Schriftstellerkongreß sichtbar geworden waren, zu einer einheitlichen Auffassung zu gelangen, war es nötig, im aktuellen Kontext Gegenstand und Methode des künstlerischen Schaffens genauer zu bestimmen. Der Versuch, dem Realismusproblem mit dem unpräzisen Begriff der „Zeitnähe" beizukommen, erwies sich angesichts einer Fülle von Literaturkonzeptionen, die „Zeitnähe" und einen „Bezug zur Realität" enthielten, als unzureichend. Es wurde notwendig, den Wirklichkeitsbegriff der den verschiedenen Realismusauffassungen zugrunde lag, zu analysieren und zu werten: Es ging um philosophische und ästhetische Entscheidungsfragen. Heinz von Cramer, bis 1948 Mitarbeiter beim Berliner Rundfunk, nannte in seinem Essay Kunstwerk und Betrachter, der auszugsweise im Aufbau erschienen war, als Aufgabe der Kunst, „den Schatten Gesichter zu geben - die Masse Mensch zu individualisieren" 80 . Diese Funktionsbestimmung schien ihm am besten geeignet, dem Mißbrauch, den die Faschisten mit den Massen getrieben hatten, und der Negation des Indiviuums durch den Faschismus entgegenzuwirken. Cramer sieht diese Aufgabe vor allem durch eine Kunst erfüllt, die sich 132
dem Massenverständnis weitgehend entzieht. Die Polemiken gegen Cramer betreffen sowohl diese individualisierende Wirkungsrichtung als auch die von ihm bejahte „Kunstsprache . . d i e von der Masse (nicht) verstanden wird" 81 . Cramer faßt Realismus als „Zustandsschilderung aus einer Tendenz heraus" auf und lehnt ihn als eine Kunstform der „realen Erkenntnis und kritischen Bewußtwerdung" ab, weil er darin ein bloßes Akzeptieren des Gegebenen erblickt. Für die Gegenwart verlangt er die „Abstraktion", die über das Gegebene hinausgeht und den „Durchbruch zur erkennenden Verwandlung" sucht.82 Abstraktion von der Wirklichkeit ist hier Voraussetzung für Veränderung der Realität durch Kunst. In Cramers Vorstellungen von Literatur war diese durchaus an der Veränderung der gesellschaftlichen Wirklichkeit beteiligt, jedoch war die Art der Teilnahme nicht aus dem konkreten historischen Umfeld abgeleitet. Da das künstlerische Subjekt von den realen Gesetzmäßigkeiten entbunden blieb, wurde das Literaturschaffen zu einem autonomen subjektiven Akt. Auch das von Gerhart Pohl vorgetragene Konzept eines „magischen Realismus" (das nichts mit der heutigen Verwendung dieses Begriffs in südamerikanischen Literaturen zu tun hat) muß nach dem zugrunde liegenden Wirklichkeitsbegriff befragt werden. Pohl hatte bis 1930 als Herausgeber der Neuen Bücherschau für das gesellschaftliche Engagement der Schriftsteller plädiert, das er jedoch gegen die sozialistische Parteilichkeit abgrenzte. Nach dem zweiten Weltkrieg setzte er sich mit „literarischen Fluchtwegen" aus der Gegenwart auseinander, z. B. mit Ernst Kreuders Roman Die Gesellschaft vom Dachboden. In der Rezension zu dem Buch schreibt er: „Darf man in Trümmern so trümmerfrei phantasieren und die Not der gegenwärtigen Millionen wie einen alten Regenschirm in die Ecke stellen? Dagegen habe ich Bedenken. Ernst Kreuder sollte das nächste Mal seine bezaubernde Fabulierkunst näher an der Wirklichkeit ansiedeln."83 Dies war gegen eine Selbstzweck-Poesie gerichtet, deren Vertreter in dem Roman ein Meisterwerk sahen. Der Divergenzpunkt lag also nicht in der Frage, ob die Gegenwart einen Platz in der Literatur finden müsse oder nicht, sondern in der geschichtlichen Bewertung der Gegenwart. Pohl gewann seine allgemeinen Kriterien für den „magischen Realismus" aus Hermann Kasacks Roman Die Stadt hinter dem Strom (1947), und er fand entsprechende Züge auch bei Stefan Andres, Emil Barth, Manfred Hausmann, Horst Lange, August Scholtis, Elisabeth Langgässer, Anna Seghers und Stephan Hermlin. Den gemeinsamen Nenner für diese sehr unterschiedlichen Autoren 133
findet Pohl in der Verwendung surrealistischer Stilmittel. Doch ging es auch bei seiner Theorie letztlich um weltanschaulich-politische Bewertungen der Wirklichkeit. Pohl hob an Kasacks Roman die Auflösung des Geschichtlichen im „zeitlos Gültigen", die enthistorisierende Wertung des konkreten menschlichen Lebens hervor. Ursache für die Entstehung eines „magischen Realismus" sah er in einer Vereinzelung, die „inmitten jener laut gepriesenen Volksgemeinschaft herrschte . . . Aus Realismus und Expressionismus war eine neue Form im Werden. Ihr geistiger und sittlicher Gehalt entstammte dem humanistischen deutschen Erbe: Christentum, Weimarer Humanität, Sozialismus. Das Ganze war zusammengehalten durch ein neues Element, das von der Gefühlsseligkeit der deutschen Romantik ebenso weit entfernt war wie von der steril gewordenen 'Zivilisationsliteratur' des Westens. Die neuen Gebilde waren fraglos realistisch, doch auf eine bislang unbekannte zauberische Weise, die den Vorgang der Wirklichkeit in das Legendäre, überraschend Gültige erhob. Magischer Realismus . . . hat sich inzwischen weithin durchgesetzt. Er kennzeichnet die neuen Gestaltungen der deutschen Zwischengeneration." 84 Offensichtlich enthielt Pohls Bestimmung des „magischen Realismus" höchst widersprüchliche weltanschaulich-ästhetische Momente; das ermöglichte seine breite Rezeption und unterschiedliche Verwendung. Durch die Art und Weise, wie Pohl aus konkreten, geschichtlichen Erfahrungen sein abstraktes, allgemeingültiges Entfremdungsschema ableitet, führt er die Literatur von ihren konkret-historischen Aufgaben bei der Überwindung des Faschismus fort, obwohl Gegenwartsprobleme den Ausgangspunkt bildeten. Denn diese werden mythisch interpretiert und aus einer konkreten Zeitlichkeit in eine unbestimmte Überzeitlichkeit transportiert. Das machte das Konzept des „magischen Realismus" für die bürgerliche Literaturideologie so verwendungsfähig. Es stand in enger Nachbarschaft zu Literaturvorstellungen, denen zufolge es um die Bewahrung ewig gültiger Werte gegen aktuelle Aufgaben ging. Der Dichter „klammere sich nur ja nicht an aktuelle Ereignisse oder stelle sich sogar soziale Aufgaben, sondern er solle gestalten, daß eine ewig gültige Wahrheit daraus ins Leben tritt" 85 . Zugleich wird hier deutlich, daß an den Realismus auch höchst verschwommene Vorstellungen geknüpft waren und in welchem Maße es der Nachkriegssituation entsprach, die Realität als Ausgangspunkt für literarische Gestaltungen programmatisch zu betonen. Kasacks Roman Die Stadt hinter dem Strom und Elisabeth 134
Langgässers Roman Das unauslöschliche Siegel wurden von der bürgerlichen Kritik als Musterbeispiele eines „magischen Realismus" bezeichnet. Beide Romane sind tatsächlich vergleichbar, insofern beide von der geschichtlichen Erfahrung des Krieges ausgehen. Diese Erfahrung wird von Kasack als Teil einer allgemeinen Abendlandkatastrophe gewertet, gegen die er das passive Harmoniestreben altindischer Philosophie setzt, die einen Sinn im ewigen Geburtenkreislauf sieht. „Dieser millionenfache Tod geschah, mußte in dieser Maßlosigkeit geschehen, wie der Chronist mit langsamem Schauder einsah, damit für die andrängenden Wiedergeburten Platz geschaffen wurde. Die Vorstellung hatte etwas Bestürzendes, aber zugleich etwas Trostreiches, weil sie dem immer sinnlos Erscheinenden einen Platz, eine metaphysische Ordnung gab." 86 Auch bei der Langgässer erhalten Krieg und Faschismus einen trostreichen Sinn, indem sie als eine Stufe auf dem Wege zur göttlichen Gnade interpretiert werden. Mit einem Realismusbegriff, der auf diese Weise enthistorisierte, konnte die politisch-erzieherische Funktion der Literatur innerhalb der revolutionären Umwälzungen nicht wahrgenommen werden. Stephan Hermlin wandte sich in seiner Rede auf dem Ersten Deutschen Schriftstellerkongreß gegen eine solche Auffassung; seine Beschreibung der literarischen Situation fußte auf einer Analyse von Neuerscheinungen. „Eine solche Literatur trägt den 'Stempel des Troglodytenhaften', . . . sie ist eine Dichtung von Höhlenbewohnern. Was den geistigen Gehalt angeht, scheut man das Direkte, Konkrete. Man flüchtet in die Metaphysik und nennt die Totschläger am liebsten Dämonen." 87 Hermlin erklärte die Existenz dieser Literatur mit der Tatsache, daß das deutsche Volk sich nicht selbst befreit und daher auch wenig geistige Widerstandskräfte gegen den Irrationalismus des Faschismus entwickelt hatte. Mit dem Herausarbeiten der historischen Qualität des Wirklichkeitsbegriffs machten sozialistische Kulturschaffende deutlich, daß der Realismus ein wichtiges Moment der kulturellen und literarischen Alternative im Nachkriegsdeutschland darstellte. Sie argumentierten und handelten dabei immer aus unmittelbarer politisch-praktischer Tätigkeit, als Kulturfunktionäre der demokratischen Staatsorgane und als Schriftstellerpersönlichkeiten, die sich mit ihrem literarischen Schaffen auf die neuen geschichtlichen Erfordernisse einzustellen begannen. Sie setzten sich im einzelnen mit den vorgestellten Positionen auseinander, die dennoch bis zum Ende der vierziger Jahre unmittelbar präsent blieben. Erst zu Beginn der fünfziger Jahre wurden sie 135
in der öffentlichen Kritik als Ausdruck bürgerlicher Entfremdung gekennzeichnet und attackiert. Die geschichtliche Verwurzelung der Literatur galt es in zweifacher Beziehung zu begründen: aus der konkreten geschichtlichen Funktion in den Klassenkämpfen und mit Hilfe der Objektivität und Historizität des Wirklichkeitsbegriffs. Das erforderte den Nachweis des Widerspiegelungscharakters von Literatur, der damals aber stärker in seinen abbildenden als in seinen aktivierenden Momenten erfaßt wurde. Die Begründung der geschichtlichen, konkret-politischen Komponente in der Funktionsbestimmung ist eine entscheidende Leistung im Verständigungsprozeß jener Jahre. Dadurch wurde der Rückzug in gesellschaftliche Unverbindlichkeit als Instrument reaktionärer Politik gekennzeichnet und eine zeitlos gültige Funktionsvorstellung widerlegt. Im Zusammenhang damit galt es auch, den Wirklichkeitsbegriff zu präzisieren, historisch zu fundieren, da seine objektive Qualität gegen den Subjektivismus spätbürgerlicher Philosophie betont werden mußte. Dies war ein komplizierter Vorgang, weil der Subjektivismus der spätbürgerlichen Philosophie an das Erbe anknüpfen konnte, das der Faschismus in den Köpfen der Menschen hinterlassen hatte, in dem Rausch und Irrationalismus gefeiert, Vernunft und Erkenntnis diffamiert worden waren. Eine wichtige ideologischpolitische Rolle bei der Auseinandersetzung mit der spätbürgerlichen Philosophie spielten die Essays von Georg Lukäcs. Er charakterisierte diese Philosophie als „eine spontan entstehende Weltanschauung", als „ein unmittelbares Spiegelbild der Lage, in welcher die Intelligenz im Zeitalter des Imperialismus lebt" und wertete ihre objektive Rolle als „Verzweiflungsideologie der imperialistischen Bourgeoisie". Er ging von der dringlichen ideologischen Aufgabe aus, „die Weltanschauungen der Bourgeoisie gedanklich radikal zu liquidieren" 88 und appellierte an die Verantwortung der Intellektuellen, nicht nur aus moralisch-emotionalen Gründen gegen die Bedrohung von „Freiheit und Kultur" zu streiten, sondern diese Ahnung durch eine wissenschaftliche Weltanschauung zu untermauern. Lukäcs' Auseinandersetzungen mit der spätbürgerlichen Philosophie in den Bänden Schicksalswende und Existentialismus oder Marxismus nehmen in der Nachkriegszeit quantitativ einen großen Raum ein, weil ihre weltanschaulich-theoretische Dimension unbestritten war. Begünstigt wurde dieser Umstand auch dadurch, daß Lukäcs politisch einem Demokratieverständnis folgte, das an frühbürgerlichen demokratischen Formen orientiert war. 89 * 136
D a Lukacs konsequent von der Rolle der Literatur bei der Überwindung des Faschismus ausgeht, bei ihr Antworten sucht auf die Frage, weshalb der Faschismus eine gewisse Massenbasis finden konnte und die Deutschen so wehrlos machte, erhielt seine Begründung des literarischen Realismus einen wichtigen Stellenwert in den ideologischen Auseinandersetzungen der Nachkriegszeit. Lukacs liefert auch die weltanschauliche Programmatik für die neuentstehende Literatur, weil er von der Rolle der Literatur bei „der Erneuerung der Seele des deutschen Volkes" 90 ausgeht. Mit seinen Essays über Realismus, die zum großen Teil während des Exils entstanden waren und 1947 beim Aufbau-Verlag erschienen, lag ein wichtiges Angebot für die weltanschauliche Fundierung des Realismus vor. Lukacs' Auffassung von Kunst, die sich auf die marxistisch-leninistische Widerspiegelungstheorie gründete, war ein beachtliches Gegengewicht zu idealistischen Haltungen, bei denen es nach 1947/48 eine deutliche Wendung von humanistischer Gesinnung zu elitärer Selbstüberhebung des künstlerischen Subjekts gab. Deutete sich im Versuch, gegen die als chaotisch empfundene Wirklichkeit die „Autonomie des subjektiven Akts" zu betonen, in den ersten Nachkriegs jähren die subjektive Absicht der bürgerlichen Intelligenz an, ideelle Herrschaft über das Chaos zu gewinnen, so kündigte die prononcierte Rückkehr Gottfried Benns in die öffentlichen Auseinandersetzungen der Nachkriegszeit eine neue Stufe in der Formierung einer Literaturkonzeption an, die den restaurativen Bemühungen in den Westzonen maximal entsprach. Benns menschenfeindliche Position ergab sich aus der Abkehr von der geschichtlichen Welt. Sie war mit arroganter Ablehnung von Intellektuellen verbunden, die ihre Verantwortung in den geschichtlichen Konstellationen wahrzunehmen versuchten, und mit militanten Angriffen auf sie. Diese Haltung ist in Benns Berliner Brief deutlich ausgesprochen. Dort wird auch dokumentiert, daß er früheren Auffassungen unbeirrt weiter folgte. „Das Abendland geht nämlich meiner Meinung nach gar nicht zugrunde an den totalitären Systemen oder den SS-Verbrechen, auch nicht an seiner materiellen Verarmung oder an den Gottwalds und Molotows, sondern an dem hündischen Kriechen seiner Intelligenz vor den politischen Begriffen. Das Zoon politikon, dieser griechische Mißgriff, diese Balkanidee - das ist der Keim des Untergangs, der sich jetzt vollzieht." 91 Benns entschiedene Ablehnung des Menschen als gesellschaftliches Wesen ist verbunden mit einer Weltinterpretation, die jegliche geschichtliche Kriterien ablehnt, dagegen metaphysi137
sehe und naturhafte Beschwörungen des Unbewußten und Vorgeschichtlichen strapaziert. Er interpretiert den Weltzustand als Finallage, von der er lediglich eine kleine aristokratische Elite ausgenommen sieht, zu der bevorzugt Künstler gehören. Das Bennsche Elitedenken unterscheidet sich von der faschistischen Elitetheorie dadurch, daß es sich als unpolitisch versteht. Es disqualifiziert die Volksmassen, denn Benn negiert den schöpferischen Charakter des demokratischen Prinzips. „Ausdruck" entsteht für ihn nur „durch Gestaltakt in Isolation". Er hält sich für einen spezialisierten Ornithologen des „Kranichzugs der Geistigen über dem Volk". Für dieses Konzept ist der Zusammenhang von Endzeitbewußtsein und einem elitären Verständnis des Dichterischen bezeichnend, das als Selbstbegegnung weniger aufgefaßt wird und keine sittliche Aufgabe zu erfüllen hat - sei es „die Menschen besser zu machen oder die Jugend zu erziehen, sei es die Freizeitgestaltung zu verschönen, diese Perücken trägt es nicht".92 Dieses elitäre Dichtungsverständnis „operiert außerhalb der Zeit" und ist mit einem „Artistenevangelium" verbunden, das „innerhalb des allgemeinen Verfalls der Inhalte sich selber als Inhalt erlebt und aus diesem Erlebnis einen neuen Stil bildet; es ist der Versuch, gegen den allgemeinen Nihilismus der Werte eine neue Transzendenz zu setzen; die Transzendenz der schöpferischen Lust"93. Damit ist der monologische und subjektivistische Charakter dieser Dichtung fixiert. Dieses Literaturverständnis blieb für die Bundesrepublik bis weit in die fünfziger Jahre hinein maßstabsetzend und verbindlich. Ihm folgte eine breite Phalanx von Ideologen, die das „Artistenevangelium" feierten als Alternative zur „Profanierung der Kunst" im Osten. Benns Konzept vereint die Absage an die geschichtliche Funktion der Literatur (Soll die Dichtung das Leben bessern) mit philosophischem Nihilismus und ästhetischem Formalismus (Probleme der Lyrik). Trotz der erklärtermaßen monologischen Form wendet es sich - wie Peter Reichel schreibt - an zwei Partner: „Während der Dichter schon früher den entsprechend Eingestellten die Teilnahme an der Faszination des Monologischen eingeräumt hat, verkündet er den Nichtprivilegierten, den politisch Unterdrückten, den sozial Ausgebeuteten die Lehre vom Stillhalten und von der fatalen Sinnlosigkeit revolutionärer Bestrebungen."94 Das ist ein Bestandteil seines abendländischen Engagements gegen die „Ostintellektuellen" und die gesellschaftlichen Veränderungen in der sowjetischen Besatzungszone, 138
deren geschichtlichen Alternativcharakter er als Bewohner der VierSektoren-Stadt Berlin durchaus erkannte. Die Methode von Georg Lukäcs, die auf der Widerspiegelungstheorie beruhte, war dagegen ein wichtiger Bestandteil der weltanschaulichen und politischen Umwälzung im Osten Deutschlands. Der Durchbruch marxistischen Denkens in der Literaturkritik und der Literaturwissenschaft wurde wesentlich durch seine Abhandlungen bewirkt. Darauf deuten die Aussagen vieler Zeitgenossen hin, die betonen, daß seine Arbeiten für den Interessierten eine erste neue Orientierung gewesen seien, „Literatur im Zusammenhang mit Gesellschaftsgeschichte zu sehen" 95 , sie vom materialistischen Standpunkt aus, als Widerspiegelung von gesellschaftlicher Wirklichkeit, zu begreifen. Bei seiner materialistisch-historischen Fundierung ging Lukäcs jedoch nicht von den sozialen, historisch konkreten Determinanten, sondern von einer allgemeinen Menschheitsentwicklung aus, die er auf die Formel „Fortschritt und Reaktion" brachte und damit schematisierte. D i e geschichtliche Objektivität, aus der er seine Kriterien bezog, wurde von ihm nicht als revolutionäre Praxis, als widerspruchsvolle Einheit von sozialen Gegensätzen gefaßt; er band vielmehr die Objektivität an einen Totalitäts- und Harmoniebegriff, der die realen Widersprüche bereits als ideell aufgehoben ansah. Damit konnte weder die widersprüchliche Krisenhaftigkeit der alten Gesellschaft noch die Kompliziertheit der revolutionären Umgestaltung erfaßt werden. D i e Subjekt-Objekt-Dialektik war bei Lukäcs in der harmonischen Geschlossenheit der Kunstwerke aufgehoben, die für ihn stets eine ideelle Totalität der Wirklichkeit zu reproduzieren hatte. Daraus resultiert eine Unterschätzung der funktionalen Seite des Literaturprozesses. So sah er bestimmte literarische Darstellungsweisen als Ausdruck des „Verstummens von Subjektivität" 9 6 oder als subjektiv-willkürliche Manier. Von daher lehnte er auch Berichte über die Kriegserlebnisse der jungen Generation ab, sofern sie über das sachliche Registrieren von Fakten nicht hinausgingen. Ebenso lehnte er Versuche ab, durch Organisation des Materials Wirkungen zu intensivieren. Aus seiner Fassung der Subjekt-Objekt-Dialektik als einer Ganzheit im Kunstwerk ergibt sich weiterhin eine Unters chätzung der künstlerischen Subjektivität. Sie findet ihren Ausdruck in seiner Vorstellung vom „Sieg des Realismus" in den Werken einiger Realisten des 19. Jahrhunderts. Auch seine Interpretation der Parteilichkeit hängt aufs engste mit seiner Totalitätsauffassung zusammen: Indem Lukäcs 139
Parteilichkeit an die Objektivität des Gesellschaftsprozesses bindet, löst er die Literatur aus den subjektivistischen Verzerrungen eines autonom gesetzten Subjekts. Zugleich aber läßt die Identifikation von Objektivität und Parteilichkeit wenig Raum für aktivierende künstlerische Wirkungen. Im Prinzip der Parteilichkeit war die Objektivität gerade als organisierte revolutionäre Praxis der Arbeiterbewegung verstanden worden. Die organisierte und organisierende Rolle der Partei hat in Lukäcs' Theorie keinen Platz. Diese entscheidenden Leerstellen wurden in der Folgezeit oftmals durch Schematisierungen ausgefüllt. Paul Rillas Essays über sozialistische Autoren, seine aktuellen Polemiken gegen die „Todesmystik existentialistischer Stücke" führten dank der in ihnen praktizierten Einheit von literaturgeschichtlicher Analyse und tagespolitischer Kritik in einigen Momenten über Lukäcs' Auffassungen hinaus. Besonders am Werk von Seghers, Brecht und Becher weist er die neue Qualität sozialistischer Literatur nach, indem er die Beziehungen zwischen Autor, Wirklichkeit und konkretgesellschaftlichem Wirkungsraum untersucht und seiner Wertung zugrunde gelegt hat. Das ermöglichte ihm, den Sinn des künstlerischen Experiments an dessen soziale Funktion zu binden. Daher erkannte er: „So wenig 'formalistisch' sind Brechts Bemühungen, daß er überhaupt nicht von formalen Überlegungen, sondern von der produktiven Spannung zwischen Publikum und Bühne ausgeht. Nirgends denkt er in der dramaturgischen Abstraktion, immer in der gesellschaftlichen Funktion des Theaters." 97 Durch diese Einbeziehung der funktionellen Seite gelangte Rilla zu einem Wirklichkeitsbegriff, der weniger abstrakt war als der von Lukacs. Wirklichkeit war für Rilla ein historisch gewordenes Feld praktisch-gesellschaftlicher Veränderungen, Gegenstand gesellschaftlicher Praxis. Von hier aus wird auch die Bewußtheit des künstlerischen Subjekts weiter gefaßt - ihre Funktion geht über die bloße Reproduktion des objektiv Vorhandenen hinaus. So präzisiert Rilla die Bedeutung des dialektischen und historischen Materialismus für das künstlerische Schaffen und bestimmt damit zugleich den sozialen Inhalt des Literaturprogramms genauer: „Die materialistische Anwendung der . . . Dialektik war die Antwort auf eine soziale Kampfsituation, die reif geworden war für ein Kampfmittel des umwälzenden gesellschaftlichen Denkens . . . Seitdem ist sie das Kampfmittel im Kampf für die sozialistische Veränderung. Und so wenig die Literatur ein Ding für sich ist, so wenigist es dem Schriftsteller gestattet, keine Notiz zu nehmen von den 140
Resultaten, die sein Zeitalter in der Realität und in der Erkenntnis für ihn parat hält. Die materialistische Dialektik hat in das Zeitalter so entscheidend eingegriffen, daß eine Literatur, welche darauf nicht mehr zu antworten vermag, die Antwort auf die Wirklichkeit verfehlen muß." 98 In diesem Zusammenhang steht auch das Bemühen, die Veränderung der Wirklichkeit als revolutionäre Praxis ins Literaturkonzept hineinzunehmen. Gegenwart und Perspektive, Wirklichkeit und Veränderung fließen in der Kategorie der Perspektive zusammen, die auf das sozialistische Ziel der revolutionären Umwälzungen orientierte. Mit der Einbeziehung der marxistischen Weltanschauung sowie der Perspektive als der zukünftigen Dimension einer bereits in Veränderung begriffenen Gesellschaft in die Realismustheorie wurde versucht, die Literatur unmittelbarer mit ihrer Erziehungsaufgabe zu verknüpfen. Rilla wendet sich gegen Vorstellungen einer mechanischen Abspiegelung und betont: „Die Literatur weicht vor der Wirklichkeit nicht aus, sondern holt aus ihr die Bestätigungen für das, was verwirklicht werden soll." 99 Die Wahrheit ergibt sich nicht aus der „einfachen Summierung vorhandener Zustände, sondern aus einer Methode, welche die Zustände unter das Gesetz von gesellschaftlicher Ursache und Wirkung stellt. Die richtige künstlerische Antwort auf die Wirklichkeit muß vermögend sein, nicht nur statt der Zustände die Veränderlichkeit der Zustände zu zeigen, sondern in den Prozeß der Veränderung einzugreifen." 100 Diese dialektische Fassung des Verhältnisses von Abbild und Funktion enthielt auch eine Abgrenzung von einem „Realismus der Unmittelbarkeit" als einem „Realismus, der den Alltag bis in die Ritzen und unter die letzten Zwiebelhäute ergreift" 101 . Sie war allerdings in jenen Jahren nicht Allgemeingut. Dieser von Wolfgang Weyrauch apostrophierte „Realismus der Unmittelbarkeit" basierte auf einem Wirklichkeitsbegriff, in dem die Triebkräfte der gesellschaftlichen Entwicklung keinen Platz fanden. Weyrauch bezeichnete als wichtigstes Charakteristikum eines „Realismus der Unmittelbarkeit", den er anhand von Faulkners und Hemingways Büchern beschrieb, eine ideologiefreie Sicht auf die Wirklichkeit. Die betonte Ideologiefreiheit war zunächst ein Reflex auf den Mißbrauch der Weltanschauung durch den Faschismus, zum anderen auf die sozialistische Ideologie, vor allem auf den sozialistischen Parteilichkeitsbegriff. Ideologie wurde prinzipiell als falsches Bewußtsein attackiert. Die Hinwendung zur Realität sollte direkt 141
erfolgen - ohne jede Hinzufügung und sie sollte mit den Dingen auch die Philosophie der Welt vermitteln. „So und nicht anders muß die moderne Prosa vorwärtsgehen, von Handlungsquentchen zu Handlungsquentchen, von Handlungsteil zu Handlungsteil. Ohne Interpretation, das heißt ohne jede Hinzufügung."102 Diese Art von Realismus erfreute sich unter den jungen Schriftstellern, die in der Nachkriegszeit neu zu schreiben begannen, und bei älteren, deren Erfahrungen durch Krieg und Faschismus geprägt waren, großer Beliebtheit. Er war mit der Absage an eine sich selbst genügende Literatur verbunden. „Wer Ästhet ist, ist nicht. Wer nicht für die Mühseligen und Beladenen da ist, ist selbst nicht da . . . Wir alle schreiben für die in Not gekommenen."103 Dieses Realismuskonzept grenzte sich gegen „kunstgewerbliche Unverbindlichkeit" und Wirklichkeitsflucht ebenso ab wie gegen „den sozialen Realismus der Weimarer Republik", in dem „Wahrheit durch Tendenz entstellt" wird. Die besondere Betonung der Kategorie Erfahrung in diesem Konzept hing eng mit der erklärten Ideologie-Abstinenz zusammen. Dieser Realismus war an die spontane Reproduktion eines aus „Abgründen geborenen Lebensgefühls"104 gebunden; der „Realismus unserer Zeit" galt als „das Bekenntnis zum Menschen unserer Zeit und die Gestaltung des Menschen in seinem rationalen und irrationalen Verlorensein, in seinem Herdentrieb und in seiner Angst und Qual vor den Schrecken einer Umwelt, deren reale Gesetzmäßigkeit er nicht mehr zu begreifen vermag und die ihn immer erneut zur Flucht ins Irrationale veranlaßt" 105 . Die weltanschauliche Basis dieses Literaturkonzepts war äußerst heterogen. Auf seiner Grundlage entstanden unterschiedliche literarische Werke: solche, die das Chaos naturalistisch getreu abschilderten, und solche, in denen die Darstellung des Chaotischen von metaphysischer Sinngebung begleitet wurde. Unter diesen Voraussetzungen bestand eine große Aufnahmebereitschaft für den Existentialismus - besonders Sartrescher Prägung der mit seiner subjektivistischen Freiheitsauffassung sowie mit seinem Begriff vom Engagement und der damit verbundenen Funktionsauffassung in großem Umfang rezipiert wurde. Jean-Paul Sartre hatte in seinem 1947 erschienenen Essay Qu'est-ce que litterature? das Konzept einer engagierten Literatur entwickelt, in dem bestimmte Erfahrungen aus der Resistance weitergeführt wurden und in dem der Leser als Partner des Autors fungierte. Seine Überlegungen zielen 142
darauf, die bürgerliche Literatur aus ihrer Ohnmacht herauszuführen und gewissermaßen n e b e n der Kommunistischen Partei an den Arbeiterleser heranzukommen. Leser wie Autor werden bei Sartre jedoch nur als Vereinzelte, nicht als soziale Individuen mit Klassenerfahrungen angesprochen. D a s Engagement des Autors beruht nicht auf politischer und sozialer Bindung, sondern auf einer Bindungslosigkeit, die als Freiheit apostrophiert wird; im Politischen findet dies seine Entsprechung in der Position des dritten Weges. D i e breite Aufnahmebereitschaft für diese Gedanken blieb nicht auf die Westzonen beschränkt. Sie war mit der Vorstellung verbunden, für Deutschland zwischen den sozialen Hauptfronten des Klassenkampfes einen dritten Weg finden zu können. Doch geriet diese Haltung zunehmend in die Krise: In den Westzonen wurde sie aus dem politischen Bereich ins Literarische abgedrängt; im Osten Deutschlands verlor sie an Wirkung in dem Maße, wie die sozialen Veränderungen wirksam wurden. Sartres subjektivistischem Freiheitsbegriff liegt eine antinomische Fassung von Individuum und Gesellschaft zugrunde. Eine als chaotisch empfundene Wirklichkeit und das Handeln der Menschen als subjektivistisch vollzogene Entscheidung stehen einander unvermittelt gegenüber. D i e Funktion der Literatur besteht darin, den subjektiven Entscheidungsakt des Menschen mit herbeiführen zu helfen. Dies erfordert vom Autor ein aus moralischer Integrität geborenes Engagement; der Leser darf nioht als sozialisiertes Individuum, sondern muß als einzelner angesprochen werden, der eine Entscheidung für die Zukunft zu treffen hat, um aus dem Verlorensein herauszufinden. 1 0 6 * Die bewegenden Kräfte werden entweder im isoliert gesehenen Individuum oder in einem transzendentalen Überschreiten der Wirklichkeit gesehen, wenn es heißt, daß „hinter der Wirklichkeit das Unwirkliche, hinter der Realität das Irrationale . . . sichtbar werden muß". „Ein Realismus zugleich, der den Alltag deutet, verändert und damit erhöht. Ein Realismus, der bei alledem, die Magie nicht vergißt." 1 0 7 An die Stelle der Perspektive, die mit den historischen Gesetzmäßigkeiten der Wirklichkeit korrespondiert, tritt die Transzendenz mit dem verschwommenen Ziel, das Chaos zu bändigen. Im Nachkriegsdeutschland wurde vom existentialistischen Gedankengut vor allem der subjektivistische Freiheitsbegriff mit seiner Entscheidungs- und Verantwortungskategorie rezipiert - offenbar als Reaktion auf die faschistische Negation individueller Verantwortung. 143
Diese existentialistische Philosophie mit ihrem Freiheitsbegriff hemmte den geistigen Wandlungsprozeß der deutschen Intelligenz. Popularisiert wurde sie vor allem über die spätbürgerliche Dramatik, die in den Theaterspielplänen der Westzonen und Westberlins einen beträchtlichen Raum einnahm, besonders die Stücke der Amerikaner Thornton Wilder, Tennessee Williams, der Franzosen Jean Anouilh, Jean Giraudoux, Albert Camus und vor allem Jean-Paul Sartres Fliegen. Dieses Stück ist eine philosophische Rechtfertigung des Tyrannenmords, der als befreiende Tat dargestellt wird. Das konnte vom französischen Publikum im Jahre 1943 als ein Aufruf zum Widerstand gegen die deutsche Besatzung verstanden werden. Die extreme Entscheidungssituation in diesem Stück besteht zwischen Bindung oder Entscheidung für die Freiheit, die nur in der befreienden Tat, gegen alle Bindungen zu verwirklichen ist. Diese existentialistische Freiheitssicht veränderte die Wirkung des Stückes in der Nachkriegszeit. Es wirkte nunmehr destruktiv - gegen die gesellschaftlichen Veränderungen im Osten Deutschlands, wo es darum ging, Freiheit als konkrete gesellschaftliche Verantwortung zu bestimmen. Daher wandten sich die marxistischen Kritiker gegen die abstrakte Behandlung des politischen Mordes. Paul Rilla polemisierte gegen die Auffassung einer undeterminierten Freiheit, die „frei von allen Bindungen, also auch von allen moralischen Bindungen . . . jenseits von Gut und Böse" angesiedelt sei. „Diese Freiheit der Anarchie, die nicht einmal auf einem individuellen Prinzip, sondern nur auf einer wolkigen, qualmigen Ekstase beruht"108, wird als Ausfluß einer „kranken, gestorbenen, verwesenden Welt"109 charakterisiert. Die Diskussionen gingen über den Kunstbereich im engen Sinne hinaus, sie betrafen Grundfragen des eingeschlagenen Weges und seiner weltanschaulichen Begründung. Die Bedeutung dieser Auseinandersetzung wird auch daran erkennbar, daß die Philosophie des Existentialismus, vor allem deren aktuelle politische Funktion, auf dem Ersten Kulturtag der SED im Mai 1948 von Otto Grotewohl einer ausführlichen Kritik unterzogen wurde. Er kritisierte den Versuch reaktionärer Kräfte, gegen die demokratische Umgestaltung eine „reine Demokratie, gegen konkrete Verantwortung eine abstrakte Freiheit" zu setzen. Der Existentialismus wird in diesem Zusammenhang als eine Philosophie gekennzeichnet, die „die Fragwürdigkeit der gesellschaftlichen Existenz des Bürgers in die zeitlose Fragwürdigkeit des Menschen überhaupt" verwandelt. Die existentialistische Freiheitsauffassung mit ihrer sozialen Bindungslosigkeit wird als untauglich zurückgewiesen, weil 144
es darum geht, „eine neue menschlichere und lebenswertere Existenz in der neuen Gesellschaft des Sozialismus zu schaffen" 110 . Da es sich in diesen Kontroversen um weltanschaulich alternative Grundfragen handelte, waren spezifische Probleme der Literatur und ihre Wirkung meist nicht im Blickfeld. Das gilt auch für die Auseinandersetzung mit der spätbürgerlichen Literatur, die seit 1948 als Dekadenzdiskussion geführt wurde. Hier bildete die aktuelle Funktion und nicht der soziale Entstehungszusammenhang und der Widerspiegelungscharakter den Ausgangspunkt. Polemisiert wurde vor allem gegen das Weltbild, das „ein sinnloses mechanisches Prinzip (beinhaltet), worin der Mensch in der Sinnlosigkeit seiner Existenz und der Weltexistenz als ein vereinzeltes Nichts in den Mahlstrom einer unendlichen Nichtigkeit von irgendwelchen mythischen Mächten aufgerieben und vernichtet wird . . . ohne das Woher der Vergangenheit und Geschichte und ohne das Wohin eines geschichtlichen Wegs" 111 . In dieser Auseinandersetzung erhalten Kategorien wie Menschenbild und Geschichtsbild zentrale Bedeutung. Mit ihrer Hilfe wird die destruktive Wirkungsrichtung dieser Literatur bloßgelegt und die Ablehnung begründet. Die weltanschaulich bedingten Gründe für diese Ablehnung werden allerdings nicht ausgesprochen, wenn die spätbürgerliche Kunst als eine „Pseudokunst" charakterisiert wird, die wirklichkeits- und volksfremd sein muß. „Die Dekadenz in der Kunst (besteht) neben ihrer Abseitigkeit und leeren Abstraktheit oft gerade in einem schädlichen, falschen Neuerertum bei Verzicht auf das klassische Erbe und fehlendem fachlichem Können." 112 Die spätbürgerliche Kunst insgesamt wird als eine Kunst der Krise gekennzeichnet, ohne Analyse des konkreten Wirklichkeitsbezugs dieser Literatur. Sie wird lediglich als Hauptzeuge für den Zerfall moralischer Werte genommen, den sie selbst konstatiert.
Realismus und neue Wirklichkeit Der Verlauf der Diskussionen über Ziele und Methoden des literarischen Schaffens - bisher hauptsächlich im Zeichen der Nachkriegssituation geführt - ließ erkennen, daß die zukünftige Rolle der Literatur einer bewußten Förderung bedurfte, weil auf der Grundlage heterogener sozialer Kräfte und unter den Bedingungen zugespitzter Klassenauseinandersetzungen Vorstellungen reproduziert wurden, die von den Aufgaben der revolutionären Umwälzung wegführten. Auf 10
DDR-Literatur
145
der 1. Parteikonferenz der S E D (Januar 1949) wurden die kulturellen Prozesse analysiert und Schlußfolgerungen gezogen: D a s Literaturschaffen sollte näher an die Realität - verstanden als revolutionärer Gesellschaftsprozeß - herangeführt werden, wobei Funktion und Entwicklungsrichtung der Literatur eng an die Gestaltung des neuen Gegenstandes gebunden wurden. Analog zur ökonomischen Fundierung des Übergangs zum Sozialismus wurde diese Aufgabe der Literatur im Rahmen des Zweijahrplans gestellt. 113 Als neues Thema der Literatur wurde die Gestaltung des arbeitenden Menschen benannt; daran knüpften sich Erwartungen hinsichtlich ihrer unmittelbaren Wirkung: Diese Literatur sollte bei den Werktätigen Optimismus und Freude an der Arbeit und bei der Erfüllung des Plans wecken. Die oft kurzschlüssig geratenen Darlegungen zur Beziehung von Literatur und neuer Wirklichkeit verbargen leicht die tatsächliche Größenordnung der zu lösenden Probleme. Aufschlußreich dafür ist das Verhältnis von gesellschaftlicher Erwartung an den sozialistischen Realismus und dem ästhetischen Angebot. Sozialistischer Realismus wurde weniger als methodisches Instrument für eine marxistische Analyse der Wirklichkeitsbeziehungen von Kunst und Literatur begriffen, eher als ein Kategoriensystem, dem bestimmte Begriffe entnommen und in den Dienst der Bewältigung gestellt wurden; erprobte Verfahren fungierten als Orientierungsgrößen. Insbesondere zwei K a tegorien gewannen unter den gegebenen Umständen an Bedeutung: Perspektive und Volksverbundenheit. D i e Notwendigkeit, den Bezug der Literatur auf die Gesellschaftspraxis als einen Bezug auf deren Zukunft kenntlich zu machen und mobilisierende Wirkungen zu erreichen, verlagerte das Schwergewicht auf die aktivierende (vor der analytisch-abbildenden) Seite des Realismusbegriffs. D i e Kategorie Perspektive war aus der historischen Funktion der Literatur bei der revolutionären Umgestaltung der Gesellschaft hergeleitet und bezog geschichtliches Werden, objektives Entwicklungsgesetz und künstlerische Aktivität aufeinander. In der literaturkritischen Praxis allerdings wurde Perspektive oft von einem zu eng gefaßten Streben nach Operativität her beurteilt, die einen wenig fundierten Optimismus voraussetzte, wodurch z. T . tiefgreifende menschliche Konflikte im L r mwälzungsprozeß eingeebnet wurden. Man ging allein vom Inhalt aus und erhoffte von der Fabel oder dem Figurenaufbau direkte Identifikationsmöglichkeiten, vorwärtsweisende Tendenzen und eine mobilisierende Wirkung. D a s konnte mitunter auf Kosten der geschichtlichen und künstlerischen Wahrheit gehen. Solche Forderungen be146
stimmten z. B. die Diskussion um Anna Seghers Romane Das siebte Kreuz und Die Toten bleiben jung. In einer insgesamt positiven Wertung des Romans Das siebte Kreuz gesteht die Rezensentin ein „Gefühl der Hoffnungslosigkeit" ein, das der Roman bei ihr hinterlassen habe. „Was fehlt, ist, daß dahinter die wirkliche Existenz der Freiheit sichtbar wird, für die wir kämpfen." Um die Perspektive konkreter sichtbar zu machen, empfiehlt die Rezensentin das Einbeziehen des internationalen Zusammenhangs oder aber: der Satz eines nicht im Netz der Furcht gefangenen Menschen, eines politisch Mündigen, der die durch uns erlebte Tyrannis perspektivisch richtig sieht"114, könnte vielleicht schon genügen. In der kontroversen Diskussion über den Roman Die Toten bleiben jung zwischen Paul Rilla und Alexander Abusch werden bei aller Übereinstimmung in der Grundeinschätzung des Buches doch unterschiedliche Realismusauffassungen deutlich. Paul Rilla betonte: „Wenn der Roman die Problematik von Romanfiguren psychologisch hochspannt, so erzählt er die Zeitfabel der gesellschaftlichen Abenteuer und die Gesellschaftsfabel einer abenteuerlichen Zeit" 115 Er stellt fest, daß der Roman nicht negativ ist, wenn er nichts harmonisiert und verschönt; die Perspektive erwächst aus den „proletarischen Vorgängen als historische Warnung vor jener reaktionären Taktik, die es stets darauf abgesehen hat, die proletarische Sache mit sich selbst uneins zu machen"116. Rilla leitet die Perspektive aus der Gestaltung des Gegenstandes ab, aus der Wirkungsabsicht: der Vermittlung historischer Erfahrung an die Lebenden. Abusch dagegen akzeptiert Perspektive nicht als literarische Wertungskategorie, er erwartet unmittelbare Gestaltung der Perspektive, wenn er schreibt: „Warum sind in einem Buch, das einen in die Zukunft weisenden Titel trägt, alle Hoffnungen in ein noch ungeborenes Kind verlegt: Warum mußte Hans, der junge Held des Romans, sterben? Wäre es nicht typischer gewesen, zu schildern, wie inmitten von Zerstörung und Moder der Hitlerschergen die Menschen heranwuchsen, die dazu berufen waren, unser Volk aus dem Chaos des Hitlerkrieges in die neue Zeit zu führen: diese positiven Helden des Friedens, jene echten Patrioten, die gestern widerstanden und heute als Kämpfer ihrer Klasse vorangehen bei den Werken des Friedens."117 Sozialistische Schriftsteller folgten dem Aufruf, in die Praxis zu gehen und dort vorbildliche Verhaltensweisen aufzusuchen und literarisch zu gestalten. Außerdem wurde die Öffentlichkeit verstärkt mit sowjetischen Beiträgen zum sozialistischen Realismus bekanntgemacht. 10»
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Boris Gorbatow und Valentin Katajew - im Oktober 1947 Gäste des Ersten Deutschen Schriftstellerkongresses - beantworteten Fragen deutscher Leser, Schriftsteller und Journalisten. Diese Pressekonferenz fand in einer Atmosphäre politischer Konfrontation statt; den reaktionären antikommunistischen Scharfmachern, die besonders in der Westberliner Zeitung Der Tagesspiegel ein Sprachrohr gefunden hatten, dienten sie dazu, die Literaturkonzeptionen des sozialistischen Realismus verzerrt darzustellen und Volksverbundenheit als Profanisierung der Literatur zu denunzieren. In dieser Atmosphäre wurden auch aus echter Unwissenheit gestellte Fragen von Teilnehmern, denen es um Information und Aufklärung ging, von den Sozialisten nicht gerade wohlwollend behandelt. Die Fragen kreisten vor allem um zwei Probleme: um das Konzept des sozialistischen Realismus und um die Kategorie Volksverbundenheit. Dabei wird sowohl in den Fragestellungen (August Scholtis : „Welcher Roman entspricht diesem Begriff des sozialistischen Realismus am ehesten?" 118 ) als auch in den Antworten deutlich, daß der sozialistische Realismus an bestimmte Gestaltungs- und Stileigentümlichkeiten gekoppelt wird, die a priori als volksverbunden gelten. So z. B. wenn Gorbatow davon spricht, daß die „allzu ästhetischen Verse der Achmatowa dem Volksempfinden widersprechen" und daß der „Surrealismus dem Nationalcharakter des russischen Volkes und seiner Lebensauffassung fremd ist" 119 . Die Nachfragenden verwiesen auf die Tatsache, daß auch deutsche sozialistische Schriftsteller Elemente einer surrealistischen Darstellungsweise verwenden, sie fragten, wie diese Darstellungsmittel im Hinblick auf den sozialistischen Realismus gewertet werden und in welcher Beziehung sie zur Volksverbundenheit stehen. Die Übernahme eines Begriffs von Volksverbundenheit der aus einem anderen historischen Kontext und von einer höheren Stufe sozialistischer Kulturrevolution bezogen wurde, brachte vielfältige Probleme mit sich, weil weder der andere geschichtliche Kontext noch die Entwicklung sozialistischer deutscher Literatur mitgedacht worden war. In der Situation des Nachkriegsdeutschland wurden mit dem Begriff Volksverbundenheit zunächst einmal nur allgemein demokratische und humanistische Gesichtspunkte geltend gemacht. Aber schon das verlangte ein demokratisches Umfunktionieren, eine Ablösung vom faschistischen Mißbrauch des Begriffs. Der mythologisierte, irrationale, beinahe religiöse Begriff vom Volk, wie ihn der Faschismus verwendet hatte, mußte abgebaut und aus historischen und sozialen 148
Zusammenhängen heraus neu etabliert werden. Eine soziale Differenzierung konnte der Begriff erst erfahren durch die Begründung der zentralen Rolle der Arbeiterklasse innerhalb des Volkes. Da dies jedoch mehr Programm als Realität war, wurden im Gebrauch der Kategorie Volksverbundenheit durchaus Momente des homogenen und sozial undifferenzierten Volksbegriffs weitergeschleppt. Dieser Fragenkomplex war bei der Orientierung auf „den neuen Gegenstand " - eine andere Wendung für die Verbindung der Schriftsteller zu den Stätten der Produktion - von unmittelbarer Relevanz. Die Schriftsteller waren sich der Neuartigkeit der Probleme, vor denen sie standen, durchaus bewußt. Davon zeugt z. B. eine in der Täglichen Rundschau geführte Diskussion über den 1949 gestifteten Goethepreis. Wem soll er zuerkannt werden? Dem „inhaltlich neuen Werk oder dem künstlerisch gelungenen"? Schon die Fragestellung verweist darauf, daß von einer Form-Inhalt-Antinomie ausgegangen wurde, die dem realen Kunstprozeß nicht entsprach. Fritz Erpenbeck betonte gegen eine Hypertrophierung und Verabsolutierung künstlerischer Formen das Primat des Inhaltlichen. Von Karl Grünberg und Hans Marchwitza wurde diese problematische Entgegensetzung um gangen, indem sie fragten, „wie der Schriftsteller das Bewußtsein der Massen erreichen" könne. Von hier aus war es möglich, den Stellenwert des „Betriebsstoffes" zu bestimmen, den Marchwitza als Möglichkeit wertet, mit der literarischen Aneignung des wichtigsten Teils der menschlichen Existenz zu beginnen. Dabei kritisiert er ein nur äußerliches, touristisches Kennenlernen der Betriebssphäre, denn die „gewaltige Partitur dieser neuen Arbeitssymphonie muß ganz erlebt werden, lange durchlebt, mit allen Sinnen eingesogen und aufgenommen sein"120. Zugleich wendet sich Marchwitza gegen verengende Auslegungen und gegen Mißverständnisse bei der Bewegung „Schriftsteller in die Betriebe!", wenn die unmittelbare Darstellung der Gegenwart von der Vorgeschichte und der unsere Existenz überlagernden Vergangenheit getrennt wird. Das Resultat wäre eine „literarische Henneckebewegung", die eine notwendige und wichtige Orientierung lächerlich mache. Die Orientierung auf den neuen Gegenstand bedeute in keinem Falle eine Eingrenzung auf den „Betriebsstoff". Mit dem Hinlenken auf die Massenwirksamkeit der Literatur war ein produktiver Ausgangspunkt gewonnen. Allerdings tat sich nunmehr ein ganzes Bündel von realen Widersprüchen auf, die erst in einem langwierigen historischen Prozeß zu lösen waren. Das in der Literatur vorherrschende Pathos des Aufbaus - ein Moment ihrer be149
absichtigten Wirkung - setzte ein annähernd gleiches Bewußtsein von Literaturproduzenten und -rezipienten voraus, das zu schaffen aber erst das Ziel dieser Literatur war. „Gäbe es ein einfaches natürliches' Verhältnis zwischen der Kunst und den Massen, die das Volk bilden, dann wäre kein Platz für solche Diskussionen." 121 Bodo Uhse analysiert das historische Gewordensein dieser Kluft - die Verheerungen, die der Faschismus hinterlassen hatte, und die in weiten Teilen des Volkes herrschende Lethargie der Nachkriegszeit, die durch das anhaltende Feuer des kalten Krieges fortwirkten - , eine Kluft zwischen der politischen Avantgarde, zu der die sozialistischen Schriftsteller gehörten, und den Massen des Volkes. Der Widerspruch zwischen dem realen Kulturbedürfnis der Volksmassen und der realistischen Literatur wurde nicht immer als widersprüchliches Verhältnis erkannt. Das wird z. B. in einem Gespräch zwischen sowjetischen und deutschen Schriftstellern deutlich, in dem Fadejew „die Säuberung eines Werkes von groben Ablagerungen" damit begründet, daß „naturalistische Einzelheiten den Leser verletzt und in keiner Hinsicht bereichert" haben. 122 Stephan Hermlin fragt in diesem Zusammenhang, ob „diese ständige Orientierung nach dem Leser nicht zum Verlust der Selbständigkeit des Schriftstellers" führen könne. Er nähert sich dem Problem von der Seite des Kunstproduzenten her und verweist auf Ungelöstes. Die Gestaltung einer in Veränderung begriffenen neuen sozialen Wirklichkeit verlangte, neue literarische Formen zu suchen und zu erproben. Dies fand bei den sozialistischen Schriftstellern allgemein Zustimmung, wobei aber die Angebote sehr unterschiedlich aussahen. Neuerertum wurde kaum in Frage gestellt, weil von den „traditionellen Formen und Normen der oberlehrerhaften Goetheforschung der Vergangenheit keine Brükken zu den Ufern führen, wo man mit aufgekrempelten Ärmeln feudale Großgüter aufteilt und aus Ruinen volkseigene Werke entstehen läßt" 123 . Praktisch aber kollidierten Versuche künstlerischen Neuerertums mit einer Realismusauffassung, die ihre Kriterien weniger aus dem konkreten historischen Prozeß selbst entwickelte, sondern aus kanonisierten ästhetischen Normen und Mustern, die als volksverbunden galten. Dabei wurden der „Verzicht auf das klassische Erbe, Abseitigkeit und leere Abstraktheit" als Inbegriff der Dekadenz verurteilt. Daher war Neuerertum weder auf die historische Funktion und soziale Wirklichkeit noch auf die realen Literaturbedürfnisse der Massen beziehbar. Das Problem des Massenpublikums gelangte kaum ins Blickfeld, wenn sich Autoren „nach den fortschritt150
liehen Lesern, im Vergleich zu denen wir noch fortschrittlicher sein wollen und müssen", orientieren. Die Schriftsteller, die sich dem „schlechten Geschmack der Leser dienstbar machen, können bei uns vielleicht auch einmal Erfolg haben, aber es ist ein schnell vorübergehender, kurzfristiger" 124 . In diesen Fragen deuteten sich bereits Entwicklungsprobleme der neuen Gesellschaft an, die nicht mehr nur als ideell-programmatischer Entwurf existierte, sondern bereits praktische Gestalt angenommen hatte. Anna Seghers schrieb 1954 im Rückblick auf diese Jahre des Anfangs: „Als ich aus Mexiko zurückkam, quer durch Europa, durch viele Länder, da habe ich viele Menschen getroffen, die nicht nur mich, sondern uns, die wir zurückkamen, fragten: warum geht ihr heim? Offen gesagt, mir ist die Antwort anmaßend und pathetisch erschienen: ich gehe heim, um mitzuhelfen, ein neues Leben in Deutschland aufzubauen, - und doch, es war der Grund. Es war in uns und in mir die Sicherheit, daß wir ein neues Leben aufbauen können und dürfen." 125
Leonore Krenzlin
Theoretische Diskussionen und praktisches Bemühen um die Neubestimmung der Funktion der Literatur an der Wende der fünfziger Jahre
Im Jahre 1954 schrieb Anna Seghers an Jorge Amado und Pablo Neruda einen Brief, der am 29. Mai in der Täglichen Rundschau veröffentlicht wurde. 1 Sie schilderte darin, wie sie bei einer Reise in die Sowjetunion im Moskauer Tolstoi-Archiv gesessen und die Vorarbeiten Tolstois zu seinem Roman Krieg und Frieden studiert hatte, um „herauszufinden, wie er seinen Roman geschrieben hat"2. Diesen nur scheinbar weitabliegenden Gegenstand nahm Anna Seghers als Ausgangspunkt, um ihre Gedanken zu Fragen darzulegen, die unter Schriftstellern und kulturpolitisch Tätigen der DDR seit dem Ende der vierziger Jahre diskutiert wurden: Wie arbeitet sich ein Schriftsteller an seinen Stoff heran? Wie ist das Verhältnis von gesellschaftlichem Auftrag und dem individuellen Anliegen, das der Schriftsteller beim Schreiben verfolgt? Wie wird ein Thema im Prozeß der künstlerischen Gestaltung modifiziert, was ist unter dem „Typischen" zu verstehen? Offenbar verfolgte Anna Seghers mit dem Brief zwei Anliegen: Sie wollte den fernen, unter kapitalistischen Verhältnissen lebenden sozialistischen Schriftstellerkollegen die literaturpolitischen Debatten und die kulturpolitische Praxis eines sozialistischen Landes erläutern, die für diese nicht ohne weiteres verständlich sein mochten; und sie wollte der Diskussion im eigenen Lande dadurch neue Impulse vermitteln, daß sie eine Debatte zwischen sozialistischen Schriftstellern verschiedener Länder auszulösen suchte: Sie forderte nicht nur Amado auf, ihren Brief an Neruda weiterzuleiten und die Antwortbriefe wechselseitig zu lesen, so daß „eine Art von 'Kettenbrief' " entsteht3 - sie nahm auch auf ein Büchlein Ilja Ehrenburgs Bezug, das eben in der DDR erschienen war und in dem dieser eine Lanze für Besonderheiten des künstlerischen Schaffensprozesses wie „Berufung, Intuition, Hingabe"4 brach und sich kritisch mit einem Teil 152
Leonore Krenzlin
Theoretische Diskussionen und praktisches Bemühen um die Neubestimmung der Funktion der Literatur an der Wende der fünfziger Jahre
Im Jahre 1954 schrieb Anna Seghers an Jorge Amado und Pablo Neruda einen Brief, der am 29. Mai in der Täglichen Rundschau veröffentlicht wurde. 1 Sie schilderte darin, wie sie bei einer Reise in die Sowjetunion im Moskauer Tolstoi-Archiv gesessen und die Vorarbeiten Tolstois zu seinem Roman Krieg und Frieden studiert hatte, um „herauszufinden, wie er seinen Roman geschrieben hat"2. Diesen nur scheinbar weitabliegenden Gegenstand nahm Anna Seghers als Ausgangspunkt, um ihre Gedanken zu Fragen darzulegen, die unter Schriftstellern und kulturpolitisch Tätigen der DDR seit dem Ende der vierziger Jahre diskutiert wurden: Wie arbeitet sich ein Schriftsteller an seinen Stoff heran? Wie ist das Verhältnis von gesellschaftlichem Auftrag und dem individuellen Anliegen, das der Schriftsteller beim Schreiben verfolgt? Wie wird ein Thema im Prozeß der künstlerischen Gestaltung modifiziert, was ist unter dem „Typischen" zu verstehen? Offenbar verfolgte Anna Seghers mit dem Brief zwei Anliegen: Sie wollte den fernen, unter kapitalistischen Verhältnissen lebenden sozialistischen Schriftstellerkollegen die literaturpolitischen Debatten und die kulturpolitische Praxis eines sozialistischen Landes erläutern, die für diese nicht ohne weiteres verständlich sein mochten; und sie wollte der Diskussion im eigenen Lande dadurch neue Impulse vermitteln, daß sie eine Debatte zwischen sozialistischen Schriftstellern verschiedener Länder auszulösen suchte: Sie forderte nicht nur Amado auf, ihren Brief an Neruda weiterzuleiten und die Antwortbriefe wechselseitig zu lesen, so daß „eine Art von 'Kettenbrief' " entsteht3 - sie nahm auch auf ein Büchlein Ilja Ehrenburgs Bezug, das eben in der DDR erschienen war und in dem dieser eine Lanze für Besonderheiten des künstlerischen Schaffensprozesses wie „Berufung, Intuition, Hingabe"4 brach und sich kritisch mit einem Teil 152
der sowjetischen Gegenwartsliteratur auseinandersetzte, die nach seinem Urteil „matter, blasser als unser Leben ist" 5 . Eine solche öffentliche, internationale Diskussion über schaffensästhetische Fragen kam nicht zustande. Bedeutsam ist der Brief jedoch insofern, als Anna Seghers darin vor dem realitiv großen Publikum, das über eine Tageszeitung erreichbar war, ihren eigenen Standpunkt argumentierend darlegte. Und das war wichtig, denn diese Fragen gingen durchaus nicht nur einen kleinen Kreis von Schriftstellern oder Fachleuten an: Sie betrafen die Erwartungen, die eine im Werden begriffene sozialistische Gesellschaft an ihre sich formierende Literatur stellte, die Prinzipien, nach denen diese Literatur gefördert und die Maßstäbe, nach denen sie beurteilt werden sollte. Sichtlich legte Anna Seghers Wert darauf, in ihrem Brief zu erörtern, welche Rolle für den Schriftsteller ein von kulturpolitischen Institutionen erteilter Auftrag spielen kann, ein bestimmtes Thema zu behandeln, „das mit Gewerkschaftsfragen oder mit einer Fabrik, mit der Arbeiter-und-Bauern-Fakultät oder mit der Ernte zu tun hat" 6 . Derlei von Verlagen, Zeitschriften oder Organisationen erteilte Aufträge waren zu diesem Zeitpunkt bereits fester Bestandteil jenes Komplexes von Maßnahmen, mit denen Partei und Regierung des jungen sozialistischen Staates Einfluß auf den Literaturprozeß zu nehmen und die Schriftsteller auf die Darstellung der gesellschaftlichen Veränderungen in der Gegenwart zu orientieren suchten. Inzwischen waren bereits Gedichte und Lieder, Reportagen, Skizzen und auch einige Romane erschienen, die Gegenwartsprozesse zum Thema hatten. Von Anfang an gab es eine lebhafte Diskussion darüber, bis zu welchem G r a d e diese Literatur die Erwartungen erfüllte, die die Auftraggeber an sie geknüpft hatten. Ehrenburg warf in seinem Aufsatz die Frage auf, ob das kulturpolitische Prinzip der Auftragserteilung überhaupt eine zweckmäßige Förderungsmaßnahme für die literarische Entwicklung sei. E r sprach von dem „für die Arbeit des Schriftstellers schwerlich geeignet(n) Wort 'Auftrag' " und fragte: „Kann man sich vorstellen, daß Tolstoi der Auftrag für 'Anna Karenina' erteilt oder bei Gorki ' D i e Mutter' bestellt worden wäre?" 7 Für Anna Seghers standen Berechtigung und Nutzen solcher Aufträge an den Schriftsteller nicht in Zweifel. Als eine von jenen Autoren, die - aus dem bürgerlichen Lager kommend - sich in den zwanziger Jahren dem Kampf der Arbeiterklasse angeschlossen hatten, wußte sie um den schwierigen Prozeß der Herausbildung einer 153
proletarischen Literatur in Deutschland und wußte aus eigener Erfahrung, daß eine sozialistische Literatur nicht im Selbstlauf entstehen konnte, sondern in die revolutionäre Bewegung integriert werden mußte und dabei der ideologischen und organisatorischen Unterstüt2ung der Partei der Arbeiterklasse bedurfte. Als Mitglied des Bundes proletarisch-revolutionärer Schriftsteller hatte Anna Seghers viel Zeit und Sorgfalt darauf verwendet, jungen Autoren aus der Arbeiterschaft bei der Aneignung der handwerklichen Seite der schriftstellerischen Tätigkeit behilflich zu sein,8 und sie hatte auch ohne Zögern ihr eigenes Schaffen in den Dienst der Partei gestellt und mehrfach in kleinen literarischen und publizistischen Arbeiten Themen von aktueller Dringlichkeit behandelt.9 So akzeptierte sie auch jetzt Aufträge als eine Möglichkeit, den Schriftsteller mit Bereichen der Wirklichkeit bekannt zu machen, die ihm ohne den Auftrag wahrscheinlich unbekannt geblieben wären, sein Interesse an Fragen zu wecken, die er sich bis dahin nicht gestellt hätte. Doch hielt sie es für nötig auszusprechen, daß sie in solchen Aufträgen kein schnell und zuverlässig wirkendes Mittel sah, um zu bedeutenden - und d. h. für sie hier vor allem: den Leser packenden - Werken über die Gegenwart zu kommen. Aufträge können nach ihrer Meinung für den Schriftsteller der A n s t o ß sein, einen bestimmten Stoff zu w ä h l e n ; das Ergebnis aber hänge letzten Endes davon ab, ob dieser Stoff auch „seiner Eigenart, seinen Kenntnissen, seinem Charakter und seinen Träumen entspricht". Nur wenn der äußere Auftrag zu einem inneren wird, kann dem Schriftsteller sein Buch gelingen: wenn er sich nur aus äußeren Gründen bemüht, einen Auftrag auszuführen, der seiner Eigenart nicht entspricht", wird er zwar „Tatsachen lernen und sie montieren gemäß den Begriffen des sozialistischen Realismus. E r wird aber kalt dabei bleiben, und auch der Leser bleibt kalt." Die Entgegensetzung von gesellschaftlichem Auftrag und künstlerischer Intuition, die Anna Seghers in den Debatten um den Aufsatz Ehrenburgs wahrnahm, erschien ihr unfruchtbar. Für sie war klar, daß „beides gar nicht voneinander zu trennen" 10 ist, daß der äußere Anstoß und das innere Gerichtetsein des Schriftstellers durch Charakter, Bildung, Wirklichkeitserfahrung, Weltanschauung, politische Position und Eigenart der Begabung und des ästhetischen Konzepts ein kompliziertes Wechselspiel miteinander eingehen, bei dem das Ergebnis, das künstlerische Werk, möglicherweise gänzlich anders aussieht, als der Auftraggeber und auch der Schriftsteller es sich 154
anfangs dachten. Darum suchte sie in ihrem Brief die Besonderheiten des künstlerischen Schaffensprozesses zu beschreiben und ihn vor zweierlei Fehleinschätzungen zu bewahren: vor .seiner Mystifizierung durch die Berufung auf eine unergründliche Intuition, vor seiner Abtrennung vom organisierten Kampf der Arbeiterklasse durch die Forderung nach Spontaneität ebenso wie vor der kurzschlüssigen Annahme, durch kulturpolitische Maßnahmen einen u n m i t t e l b a r e n Einfluß auf ihn nehmen zu können. Tolstois Roman Krieg und Frieden, über dessen Bedeutung und bleibenden Wert sich die Diskutierenden einig waren und dessen Entstehungsgeschichte anhand der Archivmaterialien greifbar wird, ist das von Anna Seghers weise gewählte Beispiel, um die Vielfalt äußerer Anstöße, die Widersprüchlichkeit innerer Impulse, die konzeptionellen Verschiebungen und formalen Erwägungen und den Aufwand an Arbeit und emotionaler Anstrengung zu beschreiben, die in ihrer Gesamtheit zur Entstehung eines Stücks künstlerischer Literatur nötig sind. Im Kern lief Anna Seghers' Argumentation darauf hinaus, die relative Eigengesetzlichkeit des Literaturprozesses zu einem Zeitpunkt erneut in Erinnerung zu bringen, an dem die Arbeit mit dem gesellschaftlichen Auftrag zu den spezifischen Möglichkeiten der Literatur in Widerspruch zu geraten drohte. Sie vertrat dabei eine Position, die durchaus dem Leninschen Prinzip der Parteiliteratur entsprach, dais die literarische Tätigkeit des sozialistischen Schriftstellers als „ T e i l der allgemeinen proletarischen Sache" situiert und den Kampfzielen und der Disziplin der Partei der Arbeiterklasse unterstellt - in vollem Bewußtsein der Tatsache, daß „der literarische Teil der Parteiarbeit des Proletariats den anderen Teilen der Parteiarbeit des Proletariats nicht schablonenhaft gleichgesetzt werden darf" 11 . Lenin formulierte in seinem Aufsatz 'Parteiorganisation und Parteiliteratur (1905) 12 , mit dem das erste Heft der vom Deutschen Schriftstellerverband seit Ende 1952 herausgegebenen Zeitschrift Neue Deutsche Literatur programmatisch eingeleitet worden war, vor allem die Forderung nach einem von den bürgerlichen Verhältnissen unabhängigen, eigenen Funktions- und Kommunikationszusammenhang der Literatur der Arbeiterklasse 13 *: „Die Zeitungen müssen Organe der verschiedenen Parteiorganisationen werden. Die Literaten müssen •unbedingt Parteiorganisationen angehören. Verlage und Lager, Läden und Leseräume, Bibliotheken und Buchvertriebe - alles dies muß der Partei unterstehen und ihr rechenschaftspflichtig sein. Diese .ganze Arbeit muß vom organisierten sozialistischen Proletariat ver155
folgt und kontrolliert werden, das dieser ganzen Arbeit, ohne jede Ausnahme, den lebendigen Atem der lebendigen proletarischen Sache einhauchen . . . muß." Dabei setzt Lenin mit Selbstverständlichkeit voraus, daß die literarische Tätigkeit des Schriftstellers eine Betätigung besonderer Art ist, die eine „schablonenhafte" Behandlung nicht verträgt: „Kein Zweifel, das literarische Schaffen verträgt am allerwenigsten eine mechanische Gleichmacherei, eine Nivellierung, eine Herrschaft der Mehrheit über die Minderheit. Kein Zweifel, auf diesem Gebiet ist es unbedingt notwendig, weiten Spielraum für persönliche Initiative und individuelle Neigungen, Spielraum für Gedanken und Phantasie, Form und Inhalt zu sichern." 14 Was Lenin hier unter politischem Gesichtspunkt als „Spielraum" faßt, ist unter kunsttheoretischem Gesichtspunkt die These des Marxismus, daß der Literaturprozeß nicht in einem mechanisch-direkten Abhängigkeitsverhältnis zur ökonomischen Basis und der ihr entsprechenden politischen Praxis steht: Wie jeder Bereich des Überbaus unterliegt er auch den spezifischen Gesetzen geistiger Produktion, vollzieht er sich in komplizierter Wechselwirkung mit dem vorgefundenen Gedankenmaterial, mit tradierten Formen und Methoden, die abgeändert und fortgebildet werden. 1 5 D i e künstlerische Produktion des einzelnen Schriftstellers ist in diesem Verständnis nicht nur das Resultat von1 sozialer Herkunft, politischer Überzeugung und bewußtem Wollen; sie ist auch der Vielfalt seiner erfahrungs- und bildungsmäßigen Voraussetzungen verhaftet, die oft unbewußt oder halb bewußt bleiben und dennoch den Schaffensprozeß entscheidend mitbestimmen. 16 Eine Steuerbarkeit des Literaturprozesses in dem Sinne, daß ausschließlich oder hauptsächlich literarische Werke entstehen, die einem von der Partei vorgegebenen Konzept entsprechen, ist damit von vornherein ausgeschlossen. Möglich ist eine Einflußnahme auf das künstlerische Schaffen allein im Sinne einer durch gezielte Einzelmaßnahmen gestützten Grundorientierung, durch welche die der historischen Situation entsprechenden Aufgaben bewußtgemacht und ihre Lösung tendenziell gefördert werden können. In der Geschichte der DDR-Literatur wurde ein solcher Versuch, das Schaffen der sozialistischen Schriftsteller auf jene Aufgaben zu lenken, die unter dem Blickwinkel der politisch-ökonomischen Strategie der Partei vordringlich waren, zum ersten Male im Jahre 1948 gemacht. Von der Parteiführung der S E D wurden am 2. und 3. Oktober die Parteimitglieder unter den Schriftstellern, bildenden Künstlern und Musikern zu einer Arbeitstagung zusammengeführt, die 156
unter dem Motto „Künstler und Schriftsteller im Zweijahresplan" stand. 1 7 Dieser Zeitpunkt war nicht zufällig 1 8 : In Deutschland war infolge des Konzepts der USA, das deutsche Wirtschaftspotential in den Westblock einzugliedern, eine neue Lage entstanden. Die Einbeziehung der Westzonen in den amerikanischen Marshallplan, die Durchführung einer separaten Währungsreform machten einen gesamtdeutschen Wirtschaftsaufbau, wie er noch auf dem II. Parteitag der SED (September 1947) vorgeschlagen worden war, für absehbare Zeit faktisch unmöglich. Der Zweijahrplan, als Entwurf am 28. und 29. Juni 1948 vom Parteivorstand der SED beraten und verabschiedet, war eine Konsequenz der neuen Situation: Die Orientierung auf eine langfristige zentrale Planung und die Maßnahmen zur Festigung und zum Ausbau der Staatsorgane sollten die antifaschistisch-demokratischen Verhältnisse in der sowjetischen Besatzungszone stabilisieren und zugleich Möglichkeiten für eine sozialistische Entwicklung eröffnen: „Unser Weg zum Sozialismus ist ein revolutionärer Weg, der die Möglichkeit erschließt, über die Vollendung der demokratischen Erneuerung hinauszugehen und die politische Herrschaft der Arbeiterklasse als Voraussetzung für den Sozialismus zu errichten", hieß es in der Entschließung des Parteivorstandes vom 16. September 1948. 19 Begleitet waren diese Maßnahmen von einem ideologischen Klärungsprozeß innerhalb der Partei, der zur Trennung von parteifremden und feindlichen Elementen und zur Festigung der Partei auf der Grundlage des Leninismus führte. Zugleich mußte die ideologische Arbeit mit breiten Schichten der Bevölkerung intensiviert und verbessert werden: Der Aufbau der Wirtschaft aus eigener Kraft ohne ausländische Kredite war angesichts der schlechten wirtschaftlichen Ausgangslage nur bei einer erheblichen Steigerung der Arbeitsproduktivität möglich, die einzig durch eine Masseninitiative der Werktätigen zu erreichen war. Es galt, diese Initiative zu wekken, der Bevölkerung die Aufgaben und die Mittel zu ihrer Lösung sinnfällig und bewußtzumachen und pessimistischen Stimmungen sowie der trügerischen Hoffnung auf Auslandskredite entgegenzutreten. In diesem Zusammenhang erhielten auch Kunst und Literatur für die Parteiführung einen neuen Stellenwert: Ihre bewußtseinsbildenden Möglichkeiten sollten und mußten bei der Lösung der politischökonomischen Aufgaben genutzt werden. Es ging deshalb auf der Tagung der Künstler und Schriftsteller im Oktober 1948 nicht nur darum, den Parteimitgliedern die ökonomische und politische Bedeutung 157
des Zweijahrplanes zu erläutern. 20 E s ging vor allem um eine inhaltliche Orientierung des künstlerischen Schaffens: D i e Künstler wurden aufgefordert, die Werktätigen als künftige Rezipienten von Kunstwerken zu erkennen und das künstlerische Schaffen als Beitrag zu deren Aktivierung und Bewußtseinsbildung, letztlich also als Beitrag zur Unterstützung des geplanten Wirtschaftsaufbaus zu begreifen. Anton Ackermann sprach in seinem Referat vom kulturschöpferischen Aspekt des Zweijahrplanes und suchte den Anwesenden den engen Zusammenhang von materieller und geistiger Kultur vor Augen zu führen: „Dieser Plan ist deshalb von einem neuen Kulturethos durchdrungen, weil er sich zur Aufgabe macht, sowohl den physischen als auch den geistigen Hunger der Massen zu stillen und das Niveau des materiellen Lebens zu heben." E r werde die Initiative und schöpferische Mitarbeit von Millionen Menschen wecken. Doch dazu sei die Hilfe der Künstler und Schriftsteller vonnöten: Sie müssen „zu Propagandisten des Planes in den Betrieben, in der Stadt und auf dem Lande werden" und durch ihre Werke dazu beitragen, „die Heranbildung des neuen Menschen, die Schaffung einer neuen Arbeitsmoral, den Kampf gegen Schwierigkeiten und gegen Feinde des Planes und die Erziehung der Massen zum lebensbejahenden Optimismus" zu fördern, „der zur Verwirklichung des Planes notwendig ist". 2 1 Walter Ulbricht konkretisierte diese Aufgabenstellung, indem er auf Bereiche in der Wirklichkeit verwies, deren Darstellung dringlich erschien: die Durchführung der Bodenreform und die beispielgebende Arbeit der Jugendlichen in den Betrieben. 2 2 * D i e Tagung endete mit einer Entschließung, die sich als „Anruf und Aufruf an die Künstler und Schriftsteller" verstand und die Aufgabe formulierte, „den Arbeiter und seine Welt ins Licht künstlerischer Gestaltung zu stellen, ihm die revolutionierende Rolle der Arbeit als des einzigen Mittels zur Gewinnung eines besseren Lebens bewußtzumachen, seinem Streben nach einer vernünftig geordneten, demokratischen Welt nicht nur Form und Ausdruck, sondern auch Auftrieb und Zuversicht zu geben: das ist die entscheidende politische und gesellschaftliche Funktion des Künstlers und Schriftstellers in der Gegenwart". 2 3 Durch diese Entschließung war zum ersten Mal mit einer gewissen Verbindlichkeit formuliert, was die Partei von den Schriftstellern erwartete. Doch enthielt der Aufruf kaum einen Hinweis darauf, welche Wege dabei zu beschreiten waren: D i e Aufforderung, „die engste Verbindung mit den Stätten der Produktion und ihren Men158
sehen" herzustellen, verlangte, sich mit neuen Wirklichkeitsbereichen vertraut zu machen, sagte aber nichts über die Besonderheit des Prozesses, durch den sich Wirklichkeitserfahrung in Kunstwerke umsetzt, und sie sagte zunächst auch wenig über die Besonderheit der ästhetischen Mechanismen, durch die künftige literarische Werke die angestrebte Wirkung auf ihre Rezipienten hervorrufen sollten. Fragen dieser Art konnten zu diesem Zeitpunkt vielleicht gestellt, kaum aber situationsbezogen beantwortet werden. Zu einer Zeit, da auf dem Territorium der sowjetischen Besatzungszone die ersten Schritte in Richtung auf den Sozialismus getan wurden, war die genaue Bestimmung der Funktion, die die Literatur in der entstehenden sozialistischen Gesellschaft ausüben konnte und sollte, keine leichte Aufgabe. Auch die Kulturpolitik brach ins Unbekannte auf. Wohl lagen reiche Erfahrungen aus der dreißigjährigen Geschichte der Sowjetunion vor doch waren sie angesichts der Besonderheiten der historischen Situation in Deutschland nicht mechanisch übertragbar. Bereits der Umstand, daß der Aufbau des Sozialismus bei breitester Bündnispolitik in Angriff genommen wurde, sowie die Tatsache, daß für einen längeren Zeitraum die Hoffnung nicht unberechtigt war, die Entwicklung in der sowjetischen Besatzungszone werde nicht ohne Folgen für die Stärkung der antiimperialistischen Bewegung in Westdeutschland bleiben und in der Perspektive zu einem einheitlichen, friedliebenden und demokratischen Deutschland führen, verlangte im kulturpolitischen Konzept erhebliche Modifikationen, deren Sachzwänge nicht von vornherein abzusehen waren. So wäre es eine Verzeichnung, wollte man bei der Beschreibung des Literaturprozesses der endvierziger und fünfziger Jahre einfach davon ausgehen, daß von der Parteiführung etwa seit 1948 ein Literaturkonzept vorgegeben und von den Schriftstellern im wesentlichen übernommen wurde. Gewiß wurde im Umkreis der Tagung der Parteiischriftsteller die neue Aufgabenstellung - vor allem auf Konferenzen gesellschaftlicher Organisationen - nachdrücklich propagiert, 24 doch war ihre Auslegung Gegenstand ständiger lebhafter und öffentlich geführter Debatten, in denen die verschiedenen Standpunkte häufig heftig aufeinanderprallten. In diesen Debatten wurden von den Beteiligten unterschiedliche Aspekte in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gerückt - je nachdem, welche Probleme ihnen ihre Tätigkeit aufgab: Für den Politiker stand das Formulieren und Begründen von Aufgaben, Wünschen und Forderungen an den Schriftsteller und die Kritik des unter politisch-ideologischen Gesichtspunkten Un159
zulänglichen im Vordergrund; Lektoren, Redakteure oder Kritiker sahen sich darüber hinaus mit der Frage konfrontiert, ob entstehende oder zum Druck angebotene Werke auch ästhetischen Ansprüchen genügten und durch welche Hilfestellung sie Veröffentlichungsreife erlangen konnten; der Schriftsteller wiederum schlug sich mit seinen subjektiven Schaffenisproblemen herum, die er auch bei guter materieller und ideeller Unterstützung letzten Endes nur selber lösen konnte. Doch wie konträr sich rückblickend auch manchmal die Positionen ausnehmen: Der Vorgang ist nicht zu erklären als ein Gegeneinander von „dirigistischer" Kulturpolitik der Partei und Opposition einer kleineren oder größeren Schriftstellergruppe, die die „Freiheit" künstlerischen Schaffens durchzusetzen suchte - wie das von bürgerlichen Literaturwissenschaftlern oft versucht wird. 2 5 * Es handelt sich vielmehr um den notwendig widerspruchsvollen Versuch, das Leninsche Konzept der Parteiliteratur unter völlig neuartigen historischen Bedingungen zu praktizieren und den Beitrag zu bestimmen, mit dem Literatur den Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft zu unterstützen vermochte. Das Bewußtsein von den Funktionen, die Literatur in der entstehenden sozialistischen Gesellschaft übernehmen konnte, bildete sich in einem langwierigen und komplizierten Erfahrungsprozeß heraus, in dessen Verlauf nicht nur von allen Beteiligten die Teilfragen immer wieder aufs neue heftig diskutiert wurden, sondern vor allem auch die Praxis ein kräftiges Wort mitsprach: Jedes Stück künstlerischer Literatur, das in den folgenden Jahren entstand - gelungen oder mißlungen, mit oder ohne Wirkung beim Publikum - , brachte dem Autor ein Stück Erfahrung für seine weitere künstlerische Tätigkeit; und es übte auf verschlungenen Wegen - und manchmal zu einem späten und unerwarteten Zeitpunkt - auch einen Einfluß auf den Literaturprozeß als Ganzes aus und wirkte wiederum auf das gesellschaftliche Funktionsverständnis und auf die kulturpolitische Aufgabenstellung zurück.
Schwierigkeiten bei der Bewältigung des
Gegenwartsstoffes
Die Diskussionsrede, die Walter Ulbricht auf der Konferenz der Parteischriftsteller gehalten hatte, entbehrte nicht einer gewissen kritischen Schärfe. Sein Ausgangspunkt war, daß sich in den drei Jahren seit dem Sieg über den Faschismus erhebliche gesellschaftliche Umwälzungen vollzogen hatten, ohne daß die Parteiführung dabei eine 160
Hilfe durch die Literatur erhalten habe. Statt etwa einen so bedeutsamen Vorgang wie die Bodenreform als Thema aufzugreifen, seien die Schriftsteller damit beschäftigt gewesen, ihre Erlebnisse in der Emigration, im Konzentrationslager oder noch weiter zurückliegende Ereignisse zu beschreiben. Bezogen auf die Darstellung der Gegenwart fragt er: „Warum gibt es diese Literatur nicht? Der Stoff ist doch da. Aber als der Kampf geführt wurde, waren wir allein. Unsere Genossen Schriftsteller haben in dieser Zeit Emigrationsromane geschrieben, und so ist ein großer Teil zurückgeblieben. Inzwischen ist der Kampf um eine neue gesellschaftliche Ordnung geführt worden, aber ihr hinkt drei Jahre hinterher und fangt an, jetzt Probleme zu gestalten, die längst gestaltet sein isoIlten. D a s ist augenblicklich die reale Lage." 2 6 Nun wirkt dieses Urteil auf den heutigen Leser ziemlich krass; für das Fehlen einer solchen Literatur im Jahre 1948 gab es gewichtige Gründe. Der nächstliegende war, daß infolge des hochgradigen Kadermangels gerade jene Schriftsteller, die der Partei angehörten oder ihr nahestanden, politische oder kulturpolitische Funktionen innehatten, von denen sie stark beansprucht wurden: Erich Weinert etwa war Vizepräsident der Zentralverwaltung für Volksbildung, Jan Koplowitz war zeitweilig künstlerischer Direktor der Berliner Konzertund Gastspieldirektion, Hans Lorbeer Bürgermeister in Piesteritz, Otto Gotsche arbeitete nacheinander in mehreren wichtigen politischen Funktionen in Sachsen-Anhalt, Stephan Hermlin arbeitete bis zu seiner Übersiedlung in die sowjetische Besatzungszone 1947 im Rundfunk in Frankfurt am Main, Eduard Claudius bis 1947 in München als Pressechef im bayrischen Ministerium für Entnazifizierung. Johannes R. Becher als Gründer und Präsident des Kulturbundes und Anna Seghers als Vizepräsident des Kulturbundes hatten umfangreiche Arbeitsgebiete. Ähnliches gilt für Hans Marchwitza, Willi Bredel, Friedrich Wolf und viele andere. Sicher ist, daß ihnen für ihre schriftstellerische Arbeit nur wenig Zeit zur Verfügung stand. Schwerer noch als dieser äußere Grund wog, daß die Schriftsteller, die aus dem Konzentrationslager oder aus der Emigration gekommen waren, mit einer emotionalen Barriere und mit unrealistischen Vorstellungen über den Zustand des deutschen Volkes fertig werden mußten: mit der Enttäuschung über die Tatsache, daß die Mehrzahl der Deutschen bis zur letzten Minute zum faschistischen Staat gestanden hätte. Die tägliche Erfahrung, wie tief der Faschismus sich in die Herzen und Hirne der deutschen Bevölkerung eingegraben hatte, erschwerte
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DDR-Literatur
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es sehr, sich in die Probleme dieser Menschen hineinzuversetzen. Brechts ironisch-distanzierte Tagebuchnotiz über seinen ersten Wortwechsel mit einem Berliner Arbeiter nach seiner Rückkehr aus der Emigration enthüllt die K l u f t , die hier zu überbrücken w a r : „früh sechs uhr dreißig gehe ich die zerstörte wilhelmstraße hinunter zur reichskanzlei. sozusagen meine zigarre dort zu rauchen, ein paar arbeiter und trümmerweiber. die trümmer machen mir weniger eindruck als der gedanke daran, was die leute bei der Zertrümmerung der Stadt mitgemacht haben müssen, ein arbeiter zeigt mir die richtung. 'wie lang wird das gehen, bis das wieder nach was aussieht?' - 'da werden noch ein paar graue haare vergehen bis dahin, wenn wir geldleute hätten, ging's schneller, aber wir haben doch gar keine geldleute mehr, na, guten morgen.' mir schienen die ruinen zumindest auf die frühere anwesenheit von geldleuten hinzuweisen." 2 7 Und was E d u a r d Claudius rückblickend über seine damalige Stimmung schreibt, mag - obwohl es sich noch auf seine Erlebnisse in der amerikanischen Besatzungszone bezieht - für viele gelten: „Geschichten gab es genug allerwärts um uns herum, aber bohrte ich einer nach, geriet ich ins Leere. E s fehlte jede echte menschliche Beziehung und bei mir auch eine Bereitschaft, mich einzufühlen, denn in was hätte ich mich einfühlen müssen! In die Auffassung der unverdienten Niederlage? Zugleich entzog sich mir auch alles, w i e mir schien, mit einem ironischen Gelächter, und mir war, als lohne es kaum, den Anblick der Ruine, die Menschen mit ihrem kläglichen Bemühen, wieder zurechtzukommen, all dieses Leid, den K u m m e r , das Selbstmitleid und das Bedauern, daß es so geendet habe, zu beschreiben. U n d jene vielen zu beschreiben, die sich wie nasse H u n d e schüttelten und davongingen, als seien K r i e g und Nachkrieg nicht mehr als ein etwas kalt geratenes B a d gewesen, in welches man nur aus Versehen, aus Unachtsamkeit hineingestolpert sei. Aus welchen Dingen und Geschehnissen neue Impulse für die Arbeit kommen könnten, war nicht abzusehen." 2 8 Nun machen freilich gerade diese Worte das Drängen der Partei verständlich, die von ihren Schriftstellern eine aufgeschlossene Haltung zu den in der Gegenwart vor sich gehenden Veränderungen verlangte. Jedoch brachte die Tatsache, daß sich im Verlauf weniger Jahre in der sowjetischen Besatzungszone eine grundlegende soziale Umwälzung vollzog, für die Schriftsteller neue Schaffensprobleme mit sich: Sichtlich vollbrachten dieselben Menschen, die größtenteils vor wenigen Jahren noch den Faschismus unterstützt oder geduldet hat162
ten, jetzt unter großen Anstrengungen ein friedliches Aufbauwerk. Aber wie es in ihrem Innern aussah - wie es um ihre emotionale Befindlichkeit stand, welches Selbstbild sie hatten, wie ihr Handeln im einzelnen motiviert war, welche neuen Konflikte sich für sie auftaten und welche Lösungen sich für diese Konflikte anbahnten, lag nicht auf der Hand. „Stoff" im Sinne eines in der Wirklichkeit gegebenen Rohstoffs war freilich vorhanden, jedoch intime Kenntnisse von den sozialen und bewußtseinsmäßigen Veränderungen mußten sich die Schriftsteller erst nach und nach verschaffen. Und schließlich verlangte der neue Stoff auch tragfähige Strukturen, die erst im Prozeß des Schreibens gefunden und erprobt werden konnten, wobei Fehlansätze und Rückschläge notwendig in Kauf genommen werden mußten. Welche Probleme den Schriftstellern der Versuch aufgab, die gesellschaftlichen Veränderungen erzählerisch zu erfassen, tritt deutlich hervor, wenn man sich die in jenen Jahren entstandene Kurzprosa genauer ansieht. Willi Bredels Erzählung Das schweigende Dorp® etwa, vermutlich zwischen 1946 und 1948 entstanden, 30 * ist exemplarisch für die tastenden Versuche vieler Autoren, sich dem Gegenwartsstoff zuzuwenden. Kernstück der Erzählung sind Vorgänge in dem abgelegenen Dorf Dollenhagen: Hier wurden kurz vor Kriegsende siebzig jüdische Frauen, die aus dem Konzentrationslager in den Tod transportiert werden sollten und zu fliehen versuchten, von der SS unter Mithilfe der Bauern des Dorfes eingefangen, ermordet und begraben. Die Bauern des Dorfes hatten vereinbart, die Untat geheimzuhalten - und so stößt ein aus der Kriegsgefangenschaft entlassener Neuankömmling auf eine Mauer eisigen Schweigens, bis durch Zufall das Geschehene ans Licht kommt. Ein Vergleich der Druckfassung mit einer Vorstufe 31 macht augenfällig, wo für Bredel die gestalterischen Schwierigkeiten lagen. In der Vorstufe wird der Vorgang chronologisch erzählt, akzentuiert werden Erlebnisse und Sicht der im Dorf lebenden Braut des jungen Mannes, die - ohne den Vorgang zu durchschauen - das Kind einer der geflohenen Frauen gerettet, verborgen und schließlich als ihr eigenes ausgegeben hatte. Die Handlung ist weitaus verzweigter als in der Druckfassung: Ausführlich wird geschildert, wie sich die Bauern kurz vor Kriegsende am Beutegut der faschistischen Wehrmacht bereichern, wie sie nach Beendigung der Kriegshandlungen die im Dorf einquartierten Flüchtlinge schikanieren, wie die Bodenreform durchgeführt wird, wie sich im Dorf politische Parteien konstituieren usw. 11»
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In der Druckfassung dagegen ist der Vorfall in eine Rahmenhandlung eingebettet; er wird mitgeteilt als Erlebnisbericht jenes ehemaligen Kriegsgefangenen, der inzwischen einen neuen Bewußtseinsstand erreicht hat und Student der gesellschaftswissenschaftlichen Fakultät geworden ist. Offenbar wollte Bredel durch die Rahmenhandlung und durch den Wechsel der Hauptfigur den Vergangenheitscharakter des Vorfalls betonen und so beim Leser eine gewisse Distanz zu den Geschehnissen erzeugen, dessen Aufmerksamkeit auf bereits vollzogene Veränderungen des gesellschaftlichen Klimas lenken. Doch ist der Effekt, den Bredel mit der Umarbeitung erzielt, durchaus widersprüchlich : Einerseits hört der Leser von dem Vorfall als von einer wenigstens im groben - bereinigten Sache, er hat mit dem Studenten und dessen aus dem Dorf stammender Frau Erika ein Unterpfand dafür, daß sich einzelne Menschen bereits von der Vergangenheit losgesagt haben. Andererseits aber erhält der Vorfall durch die entschiedene Straffung der Handlung, die die Fiktion des Erlebnisberichtes verlangte und die von Bredel wohl auch angestrebt wurde, weitaus stärker als in der Vorstufe emotionale Gewichtigkeit und symptomatische Bedeutung. Die Skrupellosigkeit, mit der die gesamte Dorfbevölkerung die an der faschistischen Untat Beteiligten gedeckt und damit eine Veränderung des Kräfteverhältnisses im Dorf über einen gewissen Zeitraum verhindert hat, drängt dem Berichterstatter und dem Leser die Frage auf, wie Menschen, die durch Taten oder Schweigen den Faschismus unterstützt haben, einen neuen Anfang finden sollen und wie ein Antifaschist in der Lage sein soll, mit diesen Menschen gemeinsam zu leben und zu arbeiten. 32 * Ratlosigkeit angesichts dieser Fragen und zuversichtliche Überzeugung von einer sich anbahnenden Bewußtseinsveränderung bei Menschen, für die das junge Studentenehepaar exemplarisch ist, stehen in der Druckfässung seltsam unverbunden einander gegenüber, ohne daß das Prozeßhafte dieser Veränderung ins Blickfeld kommt. Am auffälligsten ist das bei der Figur der Erika; sie hätte sich dafür angeboten, das Suchen und Finden einer neuen Lebenshaltung für den Leser nachvollziehbar zu machen. Doch in der Druckfasisung hat Bredel sie nicht nur zu einer Nebenfigur abgeschwächt, er spricht sie faktisch auch von ihrer Beteiligung am Verschweigen frei, indem er die Rettung des Kindes fast in den Rang einer Widerstandshandlung erhebt. Ihr weiterer Lebensweg ist dadurch nicht ein widerspruchsvoller Versuch zum Neuansatz bei gleichzeitigem Bewußtsein von untilgbarer Schuld, sondern problemlose Konsequenz einer schon 164
vorhandenen Haltung, deren Ursprung nicht erklärt wird. Das mag eine unfreiwillige Nebenwirkung der Entscheidung Bredels für die Rahmenhandlung und für die Darstellung aus der Sicht des von außen kommenden jungen Mannes gewesen sein, welche es kaum noch gestattete, die inneren Motivationen der Leute aus dem Dorf zur Sprache zu bringen: Ohnehin gerät Bredel ständig in formalerzähltechnische Schwierigkeiten, weil der Held jene Szenen, die Handlungen und Bewußtseinslage der Bauern schildern, nicht miterlebt haben kann und die Authentizität seines Berichts ständig relativieren muß. 33 * Doch wird durch die Umakzentuierung der ErikaFigur nur eine Lücke spürbarer, die bereits in der Vorstufe vorhanden, durch die Weitläufigkeit der Handlung aber stärker kaschiert war. Zwar ist die Rettung des Kindes dort weniger unwahrscheinlich, weil Erika zunächst nichts über die Herkunft des Kindes weiß. Dennoch wirkt die Vorurteilslosigkeit nicht recht glaubwürdig, mit der Erika den Verdacht erträgt, Mutter eines unehelichen Fremdarbeiterkindes zu sein. Über die Mentalität der Leute vom Schlage der Dollenhägener Bauern, denen Erika und ihre Eltern doch zugehören, weiß Bredel im Grunde so wenig zu sagen wie darüber, wie Menschen mit einer Bürde aus der Vergangenheit fertig werden und wie ihre ersten Schritte in ein neues Leben aussehen. So mündet die Erzählung in ein einziges großes Fragen - allen Bemühungen des Autors zum Trotz, den depremierenden Eindruck auf den Leser abzuschwächen. Dennoch: die Druckfassung ist trotz ihrer unbewältigten Partien höher zu bewerten als die Vorstufe, die beim Lesen glatter und geschlossener wirkt, denn diese verdeckt die Komplikationen des Neuanfangs, indem der Schwerpunkt auf die äußeren sozialen und politischen Veränderungen im Dorf verlagert und der komplizierte Prozeß der Herausbildung eines neuen Bewußtseins vereinfacht wird. In der Druckfassung dagegen wird - noch für den heutigen Leser - bis zu einem gewissen Grade die Einmaligkeit einer historischen Konstellation lebendig, in der bewußte Antifaschisten Wege finden mußten, um selbst Dollenhagener Bauern in den Aufbau der neuen Gesellschaftsordnung einzubeziehen.
Umfeld der Polemik Angesichts dieser Schwierigkeiten verwundert es den heutigen Betrachter nicht so sehr, daß 1948 noch kaum ein Schriftsteller Gegenwartsstoffe aufgegriffen hatte, als vielmehr, daß bald darauf doch verhältnismäßig viele Schriftsteller sich daran versuchten. Ohne die energische Orientierung der Parteiführung wäre dies kaum so schnell zustande gekommen: Das wird deutlich, wenn man sich vor Augen hält, welche Hemmnisse in der kulturpolitischen Praxis zu überwinden waren, um dem neuen Thema Geltung zu verschaffen. Ein charakteristisches Beispiel dafür ist die Aufnahme des 1949 erschienenen Romans Tiefe Furchen34, in dem Otto Gotsche als erster einen bedeutsamen Vorgang der Gegenwartsgeschichte - die Durchführung der Bodenreform - als Thema aufgriff. Die kulturpolitische Wochenzeitung Sonntag veröffentlichte zu diesem Roman eine Rezension, deren Verständnislosigkeit gegenüber einem so schwierigen und wichtigen Versuch verblüffend ist: Der Roman sei unzulänglich, weil er nicht mehr gebe als eine „ermüdende Zusammenstellung der Argumente 'Für und Wider' aus dem Munde der Dorfbevölkerung" und die Figuren „schematisch in die Schablone des sozialen Gegensatzes" presse. Der Rezensent stellt die These auf, daß „der Dorfroman . . . heute im historischen Stoff leichter schöpferisch sein" dürfe als im aktuellen, und läßt die Rezension in der selbstgenügsamen Empfehlung gipfeln: „Deshalb wäre es vielleicht besser, die Stunde reifen zu lassen, bis aus dem Schöße des sozialen Umbruchs das zukunftsträchtige Dorfepos zutage tritt." 35 Nun sind gegen Gotsches Roman gewiß kritische Einwände zu erheben : Viele Figuren bleiben so blaß, daß der Leser sich mühen muß, sie nicht zu verwechseln, Veränderungen im Bewußtsein und im Verhalten der Figuren werden of* mehr behauptet als in ihrer Entwicklung erfaßt, und schließlich stören die langen und sich wiederholenden politischen Argumentationsketten, die den Figuren als direkte Rede in den Mund gelegt werden - sie sind überflüssig, weil die Handlung an diesen Stellen meist für sich spricht oder zumindest sprechen könnte, wären die entsprechenden Ansätze stärker ausgebaut worden. Diese Merkmale hat Gotsches Roman mit vielen Prosawerken gemein, die in den folgenden Jahren erschienen - die Folge eines Literaturkonzepts, von dem noch die Rede sein wird und das seine Intention, dem Leser politische Zusammenhänge bewußtzumachen, zu vordergründig realisierte. Doch hatte Gotsches Roman auch Stär166
ken, die für den heutigen Leser zwar auffälliger sein mögen als für den von 1949, die zu entdecken und ins Bewußtsein zu rufen jedoch gerade die Aufgabe des Rezensenten gewesen wäre: Sie liegen vor allem in der von großer Sachkenntnis getragenen Darstellung des sozialen Milieus, 36 * in der Beschreibung der Mentalität von Kleinbauern, Umsiedlern und Gesinde, die teilweise nur mit großem Zögern die dargebotene Chance ergreifen, eigenes Land zu erhalten; in der Schilderung der Winkelzüge, mit denen Gutsherrin, Verwalter und Großbauern die Enteignung zu hintertreiben suchen; in der Darstellung der Widersprüche, die sofort nach der Landverteilung unter den neuen Besitzern aufbrechen. Will man sich über die Probleme informieren, die mit der Durchführung der Bodenreform verbunden waren, ist wohl kaum ein Schriftstück zu finden, welches genauer und eindringlicher ist: Der Roman macht begreiflich, daß die Aufteilung des Grundbesitzes (nicht die Verstaatlichung) die einzige Möglichkeit war, um Kleinbauern und Landproletariat aus ihrer inneren Abhängigkeit von den bisherigen Herren zu befreien - auch wenn ein Absinken der Produktivität durch die Zerstücklung der Güter die nächste Folge war und auch, wenn sich bereits mit dem Akt der Aufteilung jenes Kleinbesitzerbewußtsein etablierte, das den späteren notwendigen Übergang zur genossenschaftlichen Produktion so konfliktreich machte. Unter diesem Gesichtspunkt kommt Gotsches Roman ein hoher dokumentarischer Wert zu. Auch bei kritischer Grundeinstellung wäre es Sache des Rezensenten gewesen, das Verdienstvolle der Pioniertat zu erkennen und den produktiven Ansatz zu bezeichnen. Die fehlende Bereitschaft des Rezensenten, Gotsches Roman als ein mögliches, wenn auch noch nicht ausgereiftes schriftstellerisches Konzept zu akzeptieren, ist um so auffälliger, als der Sonntag in anderen Fällen viel, vielleicht zu viel Bereitschaft zeigte, für die Beurteilung von Büchern die Intention des Autors als Ausgangspunkt zu nehmen: Die Rezension zu Gedichtausgaben von Rudolf Alexander Schröder und Oskar Loerke etwa überschlägt sich fast in dem Bemühen, deren vagem Humanismus Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.37 Bedenkt man diese Unterschiede der Haltung zu verschiedenen Autoren, bedenkt man weiter, daß der Rezensent von Gotsches Roman den Schluß zog, es sei besser, die Behandlung von Gegenwartsstoffen ganz und gar zu vertagen, dann wird klar, daß es hier nicht um das Anlegen eines hohen ästhetischen Maßstabs, sondern um ein verbreitetes Vorurteil ging, das den Schriftstellern bei allen weiteren Versuchen zur Bewältigung des 167
Gegenwartsstofies zu schaffen machen mußte und das auszuräumen eine offensive Polemik wohl wert war. 38 * Diese Haltung ist nicht einfach auf das Konto „bürgerlichen" Denkens in einem Publikationsorgan abzubuchen, das auf das Bündnis mit der Gesamtheit der bürgerlichen Intelligenz orientiert war; auch die Kurzrezension im Parteiorgan Neues Deutschland war von unangemessener Schärfe und setzte die Kritik an einer Stelle an, wo der Roman am wenigsten zu treffen war: Er erreiche „keine glaubwürdige Zustandsschilderung bestimmter Verhältnisse zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort", sondern füge „die unwahrscheinlichsten Zufälle" zusammen, so daß keine „schlichte Schilderung des Lebens und Treibens in einem Dorfe", sondern „ein seltsam zusammengeflicktes Etwas" entstehe. 39 Dieses lieblose Abfertigen der eben entstehenden Literatur war durchaus kein Einzelfall. Wenige Wochen vor der Tagung der Parteischriftsteller erschien beispielsweise ebenfalls im Neuen Deutschland - ein Bericht über eine Diskussion in der Arbeitsgemeinschaft sozialistischer Schriftsteller zu Ludwig Tureks Roman Die Freunde40, in dem die Elle hohen ästhetischen Anspruchs auf eine ähnlich unproduktive Weise angelegt wurde. Zwar handelte es sich bei Tureks Roman nicht um „Zeitstoff" im Sinne der Entschließung der Oktobertagung - der Roman schildert den Kampf einer Widerstandsgruppe im Deutschland von 1943 - , doch ging es um das Werk eines Arbeiterschriftstellers, der aus eigener Erfahrung über den Widerstandskampf erzählen konnte. Der Zeitungsbericht stellte das Erreichen eines höheren künstlerischen Niveaus als einen bloßen Willensakt hin, wenn er mit den Worten schloß: „Allgemein wurde festgestellt, daß Turek sich an einem Wendepunkt seiner Arbeit befindet, an dem er sich entschließen muß, entweder weiter der formlos schreibende Arbeiter zu bleiben oder den schwierigen Weg des echten Romanciers zu gehen." 41 Daß Literaturkritik auch die Aufgabe haben könnte, beim Beschreiten dieses schwierigen Weges behilflich zu sein, kam dem Berichterstatter offenbar nicht in den Sinn. Und die Autoren, die sich etwa ein Jahr später in einer von der Redaktion der Täglichen Rundschau angeregten Diskussion Wo steht die Gegenwartsliteratur,?42 zu Worte meldeten, benannten ähnliche Fälle von Desinteresse und Mangel an Hilfe durch zuständige Instanzen und auch finanzielle Schwierigkeiten: Karl Grünberg berichtet von der Mühsal, eine Aufführungsmöglichkeit für sein Drama Golden fließt der Stahl zu finden,43 und Cläre M. Jung davon, daß sie bei dem Versuch, zusammen mit einigen Aktivisten 168
eines volkseigenen Betriebes eine Erzählung zu schreiben, nur wenig Unterstützung fand. Sie kritisierte insbesondere die lange Zeit vom Schreiben bis zur Drucklegung eines Buches, durch die ein Autor zu lange auf sein Honorar warte und nicht von seiner Arbeit leben könne.44 Bei dieser Lage kam den Maßnahmen zur Unterstützung der Gegenwartsliteratur im Gefolge der Neuorientierung durch die Parteiführung seit dem Herbst 1948 keine geringe Bedeutung zu. Ihr Kernstück war der im März 1949 von der Deutschen Wirtschaftskommission beschlossene Kulturplan45. Neben der Stiftung des Nationalpreises legte er nicht nur neue günstigere Steuersätze sowie die Bereitstellung von Rentenmitteln für Künstler und Schriftsteller fest. Er enthielt vor allem den Beschluß für die Gründung eines Kulturfonds „für die planmäßige Verteilung von kulturellen Aufgaben und für die Erhöhung der Aktivität der Kulturschaffenden, Schriftsteller und Künstler sowie für die Förderung junger Kräfte auf allen Gebieten des kulturellen Lebens".46 Aus diesem Kulturfond sollten gezielt jene Schriftsteller und Künstler unterstützt werden, die sich dem Gegenwartsthema zuwandten. Begleitet waren diese Maßnahmen von stärkeren Aktivitäten der Presse, die dem Gegenwartsthema in der Kunst nunmehr stärkere öffentliche Aufmerksamkeit zu verschaffen suchte. Doch brachte der Nachdruck, mit dem diese Orientierung verfochten wurde, in der Praxis auch die Artikulation sehr kurzsichtiger Konzepte mit sich, die dem von Lenin zurückgewiesenen „schablonenhaften" Umgang mit Angelegenheiten der Literatur recht ähnlich sah - und förderten einen Ton den Schriftstellern gegenüber, der ihre Schaffensfreude nicht gerade belebte. So behauptete im Neuen Deutschland der Autor eines Berichts über das Buchangebot in der Weihnachtszeit 1948 unter der Überschrift Dichter im Niemandsland?, die fortschrittlichen Schriftsteller würden „in dem sich täglich verschärfenden Kampf auf einem schmalen Streifen Niemandsland dahinwandeln", weil „noch kein breiter Strom der literarischen Neuproduktion" auf dem Buchmarkt zu erkennen sei, der die jüngste gesellschaftliche Wandlung in der sowjetischen Besatzungszone und die Verschärfung des Klassenkampfes zum Thema habe.47 Ähnlich in der Haltung war der Artikel Wo steht die Gegenwartsliteratur?48 von Gustav Leuteritz, der ein Jahr später in der Täglichen Rundschau erschien und ebenfalls beklagte, „daß die gültige Dichtung, die den weitreichenden Umwandlungsprozeß im Nachkriegsdeutschland 169
gestaltet, einfach noch nicht da ist". Leuteritz sparte nicht mit Vorwürfen gegenüber den fortschrittlichen Autoren: Jene Schriftsteller, „deren Namen in den zwanziger und dreißiger Jahren als die von Avantgardisten einer künftigen Gesellschaft in aller Munde waren, Fortschrittsmänner also", seien heute „mit einer merkwürdigen Hartnäckigkeit . . . rückwärtsgewandt" und lediglich damit beschäftigt, die schweren Manuskriptkoffer zu leeren, die sie aus dem Exil mitgebracht hatten: „Man lebt von einer politisch-heroischen und aktiven Vergangenheit, man zehrt von dem geistigen Kredit, den man aus den zwanziger Jahren noch bei dem deutschen Lesepublikum hat, und bleibt, nüchtern gesprochen, der deutschen Gegenwart den gestalterischen Tribut schuldig." •Der Tenor dieses Artikels war um so unangemessener, als Leuteritz nicht nur jene Autoren kritisierte, die die Position der Partei bewußt vertraten. Zu den „produktiven Prominenten der deutschen Dichtung", die seiner Meinung nach dem Gegenwartsthema auswichen, rechnete er auch ausdrücklich Heinrich Mann, Thomas Mann und Bernhard Kellermann, von denen der erste das Leben im Nachkriegsdeutschland nicht, der zweite kaum kannte und die alle drei nicht zu jenen gehörten, von denen ein Werk über den Aufbau in der sowjetischen Besatzungszone zu erwarten gewesen wäre. Hier wurden offenbar das Konzept der Parteiliteratur ebenso wie die Bündnispolitik der Partei auf eine platte Weise mißverstanden. Denn es war ja zweierlei, ob die Parteiführung von den M i t g l i e d e r n Hilfe bei der Lösung politischer Hauptaufgaben auch durch die Mittel der Kunst verlangte - oder ob sie sich an bürgerliche Künstler wendete. Ihnen mußte bewußtgemacht werden, daß ihr humanistisches Wollen nur dann eine Chance hat, in der Praxis wirksam zu werden, wenn sie sich mit der Arbeiterklasse als jener Kraft verbünden, die es vermag, durch die Umwälzung der gesellschaftlichen Verhältnisse faschistischen und chauvinistischen Ideologien den sozialen Nährboden zu entziehen. 49 * Im Sinne eines solchen Bündnisses hatte sich die Partei in der Entschließung, die auf der Arbeitstagung der Parteischriftsteller angenommen worden war, nicht nur an Genossen, sondern „an die Künstler und Schriftsteller" 50 generell gewandt. Und tatsächlich vollzog sich ein Prozeß weltanschaulicher Veränderung bei manchem Schriftsteller, der in der sowjetischen Besatzungszone und späteren D D R lebte: Die Werke Georg Maurers, Franz Fühmanns oder Johannes Bobrowskis etwa belegen, wie auf lange Sicht die sozialistische Na170
tionalliteratur der DDR bereichert wurde. Doch mußte dieser Prozeß langwierig sein und krisenreich verlaufen; er konnte nur durch sachbezogene Diskussionen und praktische Aufgabenstellung gefördert werden, nicht aber durch pauschale Vorwürfe. Den Autoren der beiden hier angeführten Artikel wurde denn auch kräftig widersprochen - im zweiten Fall besonders von Wieland Herzfelde, 51 im ersten von Alexander Abusch: In einem umfangreichen Aufsatz, 52 der ebenfalls im Neuen Deutschland erschien und mit dessen wesentlichen Gedanken sich die Redaktion in einem Vorspann ausdrücklich einverstanden erklärte, bezeichnete Abusch den Artikel Dichter im Niemandsland als einen „schweren politischen Fehler", der entstanden sei, weil der Verfasser sich „wenig Kopfzerbrechen über die besonderen Gesetze des künstlerischen und literarischen Schaffens" gemacht habe. Künstlerisches Schaffen sei an den schöpferischen Einfall gebunden, und ein gültiges Kunstwerk brauche oft lange Zeit. Auch Schriftsteller, deren Werke bei ihrem Erscheinen als sehr aktuell empfunden wurden, seien oft - wie beispielsweise Egon Erwin Kisch - in Wirklichkeit sehr langsame Schreiber gewesen. Man könne Schriftsteller nicht nach der Dauer des Schaffensprozesses, sondern nur nach dem künstlerischen und politischen Ergebnis ihrer Arbeit bewerten. Alexander Abusch führte die Polemik vor allem auf zwei Ebenen. Erstens verwies er darauf, daß die Haltung politischen Vorwurfs gegenüber Künstlern und Schriftstellern selbst in den Fällen unproduktiv war, wo das Ausbleiben neuer künstlerischer Werke nicht nur mit spezifischen Schaffensproblemen, sondern auch mit Unsicherheit in politischen Fragen zusammenhing: Selbst wenn sich Schriftsteller „noch in der inneren Auseinandersetzung mit der Veränderung der Gesellschaft und mit den veränderten Bedürfnissen des Volkes befinden würden - , so befinden sie sich damit keineswegs im 'Niemandsland', zwischen den Klassenfronten, sondern auf dem Wege zu neuen Leistungen, die - so hoffen wir! - nicht weniger stark und wertvoll als ihre Werke der Vergangenheit sein werden. Auch auf dieser Suche nach neuen Wegen stehen unsere Schriftsteller in i h r e m V o l k e und nicht im 'Niemandsland'." Die Notwendigkeit und Berechtigung einer längeren politischen und weltanschaulichen Orientierungsphase für jene Schriftsteller, die der neuen gesellschaftlichen Entwicklung in der sowjetischen Besatzungszone zunächst verständnislos oder abwartend gegenüberstanden, stellte Abusch somit voll in Rechnung. Und zweitens wandte er sich mit Nachdruck gegen eine 171
„allzu vereinfachende Forderung nach 'Zeitnähe'". Gewiß sei es wünschenswert, daß mehr Schriftsteller durch operative Genres wie Reportage, Skizze, Lied und Laienspiel oder auch durch schnell geschriebene Romane in den Kampf der Gegenwart eingreifen: „Wir müssen es selbst in Kauf nehmen, daß einige solcher Romane, die eine unmittelbare Wirkung ins Leben ausstrahlen, nach wenigen Jahren wieder vergessen sein und bleibenderen Werken Platz machen würden. Unsere Feinde hätten am wenigsten ein Recht, darüber zu höhnen, denn der größte Teil der angeblich 'für die Ewigkeit' geschriebenen bürgerlichen Literatur ist schneller vergessen als erschienen." Doch dürfe dieser Wunsch nicht dazu führen, „künftig n u r Bücher über zeitnahe Themen in einem zu direkt verstandenen Sinne" zu erwarten, denn „Kraft und Wirksamkeit" von Literatur hänge nicht unmittelbar von ihrem Stoff ab: „Jeder Roman, der den Bauernkrieg wirklich gestaltet, macht den Sinn der Bodenreform von heute klar. Jeder Roman, der das demokratische und nationale Streben des Jahres 1848 künstlerisch meistert, wirkt in einem tiefen Sinne als Helfer in unserem gegenwärtigen Kampf gegen die Marshallisierung und Spaltung Deutschlands." Diese Polemik war, wie die spätere Entwicklung zeigte, äußerst notwendig. Eine unreflektierte Überschätzung des Stofflichen im literarischen Kunstwerk, wie es in den Artikeln von Böttcher und Leuteritz vorlag, war in zweierlei Hinsicht problematisch. Einmal tendierte diese Haltung dazu, die Kompliziertheit und Komplexität sowohl des künstlerischen Schaffensprozesses als auch der Wirkungsweise eines literarischen Kunstwerks auf den Leser zu simplifizieren und übertriebene Erwartungen an die politisch-ideologischen Wirkungspotenzen von Literatur mit Gegenwartsthemen aufzubauen; und zum anderen barg sie die Gefahr, daß der reale Zusammenhang zwischen der sich anbahnenden neuen Entwicklungsstufe der Gesellschaft und ihren historischen Voraussetzungen gedanklich zerrissen wurde. Mit Recht stellte daher Wieland Herzfelde in seiner Entgegnung auf den Artikel von Leuteritz fest, daß auch die antifaschistische Literatur unmittelbar dazu beitrage, die Bereitschaft zur Mitarbeit am Aufbau zu stärken und daß die Manuskriptkoffer aus dem Exil auch unter diesem Gesichtspunkt es wert seien, geleert zu werden. Freilich: Aus der Tatsache, daß der ökonomisch-politische Umbau nur in einem kleinen Teil Deutschlands stattfand, zog Herzfelde den Schluß, daß die deutsche Gegenwart als Ganzes im Grunde keinen 172
Anspruch auf den von Leuteritz geforderten „gestalterischen Tribut" geltend machen könne. Das lief politisch auf ein Unterschätzen der Zukunftsträchtigkeit des in der sowjetischen Besätzungszone eingeschlagenen Weges hinaus und literaturprogrammatisch auf den Vorschlag, eine Abwartehaltung sei gegenwärtig für die Schriftsteller das Angemessene. 53 * Doch Herzfeldes These, die Schilderung des Aufbaus bedürfe auch des Hinweises auf die Ruinen, und das schwere Leben eines fortschrittlichen jungen Arbeiters vollziehe sich vor dem Hintergrund der faschistischen Vergangenheit und der Tapferkeit des antifaschistischen Widerstandskampfes, traf ein Problem, das besonders die älteren Schriftsteller in den folgenden Jahren immer wieder bewegte: Die Tatsache, daß ein künstlerisches Erfassen der Entwicklungstendenzen der Gegenwart verflachen mußte, wenn die Geschehnisse der jüngsten Vergangenheit nicht als Ausgangspunkt in die Darstellung einbezogen wurden. Wohl am eindringlichsten formulierte das im Mai 1950 Anna Seghers in ihrer Rede auf dem II. Deutschen Schriftstellerkongreß, als sie mit Bezug auf den Faschismus sagte: „Es ist unmöglich, daß ein Schriftsteller Arbeit der Aktivisten, die Arbeit unserer MAS, die grandiose Aufbauarbeit, die in diesem Augenblick in unserer Republik geschieht, schildert . . ., ohne daß er diesen Gesichtspunkt im Auge behält: Er kann nicht abbrechen mit der Vergangenheit. . . Glauben Sie nicht, daß ich diesen Prozeß, der sich in einer Planwirtschaft vollzieht, vielleicht mißverstehe und unterschätze. Nein, er ist der größte Prozeß, der vielleicht je da war, und er ist um so größer, weil er auf dem Boden geschieht, der früher das Versuchsfeld des Hitler-Faschismus gewesen ist. Er ist ein großartiger und einmalig in der Weltgeschichte sich vollziehender Aufbau; aber was in der Planwirtschaft - sagen wir - in einem Fünfjahresplan geschieht, das geschieht wahrscheinlich nicht nach denselben Gesetzen und mit demselben Tempo im Innern eines Menschen, und daß es uns nicht gehe: der Arzt glaubte die Krankheit geheilt; sie hatte sich aber nur in tiefere Schichten des Körpers hinein verzogen."54
Problematik eines Wirkungsmodells Wenn auf der Tagung der Parteischriftsteller im Oktober 1948 von der Parteiführung die Forderung nach Gestaltung des Gegenwartsstoffes in den Mittelpunkt gerückt wurde, so stand den Sprechern 173
dabei vor allem die Möglichkeit vor Augen, durch die operativen Genres der Literatur dem Leser die politischen Zusammenhänge zu verdeutlichen, in die sein Alltagsleben verflochten war, ihn aus Niedergeschlagenheit und Passivität herauszuführen und ihn mit Zielvorstellungen zu versehen, die weiter reichten als bis zur Sicherung des eigenen Lebensunterhalts. Insbesondere galt es, bei den Werktätigen einen gewissen Grad an Bewußtheit darüber zu erreichen, welche Bedeutung die tägliche Arbeit eines jeden einzelnen für die Veränderung der deprimierenden Nachkriegssituation und darüber hinaus für die politische Weltlage - die Erhaltung des Friedens - hatte. Eine Unterstützung der allgemeinen politischen Agitation gerade in dieser Richtung war insofern äußerst wichtig, als die Parteiführung auf der Ebene der ökonomischen Politik von Anfang an bestrebt war, die für die Gesellschaft lebensnotwendige rasche Steigerung der Arbeitsproduktivität durch das Prinzip der materiellen Interessiertheit zu fördern: Bereits die Staffelung der Lebensmittelkarten, durch die je nach Schweregrad und gesellschaftlicher Wichtigkeit der Arbeit unterschiedliche Warenmengen zugeteilt wurden, zielte in diese Richtung - da Geld in den ersten Nachkriegs jähren infolge des Warenmangels eine geringe Rolle spielte. 55 * Die hohe Entlohnung von Aktivisten bei Ubererfüllung der Arbeitsnorm seit Frühjahr 1947 und die allmähliche Einführung des Leistungslohnes in den folgenden Jahren waren weitere Schritte auf diesem Wege. 5 6 Flankiert wurden diese Maßnahmen durch die Gründung der Staatlichen Handelsorganisation (HO) im Oktober 1948, die der Bevölkerung zusätzliche Waren zu den Kartenrationen - wenn auch zu sehr hohen Preisen anbot. Diese ökonomische Grundorientierung war zunächst durchaus nicht populär. Denn erstens war die Meinung verbreitet, es sei angesichts der allgemeinen Not gerechter, das wenige Vorhandene gleichmäßig zu verteilen; und zweitens war der größte Teil besonders der älteren Arbeiter in dem unter kapitalistischen Verhältnissen geformten gewerkschaftlichen Bewußtsein befangen, das ein Überbieten der Arbeitsnorm als egoistisches, unsolidarisches Verhalten bewertete. Hier sollte die Literatur helfend eingreifen und dem Leser vor Augen führen, daß Normüberbietung für die Gesellschaft großen Nutzen brachte, weil nur so das gesellschaftliche Gesamtprodukt entscheidend vergrößert und auf längere Sicht der Lebensstandard aller verbessert werden konnte. Die Literatur sollte das Leistungsprinzip nicht ersetzen 57 * - doch sollte sie es übernehmen, über die in der Realität gegebene materielle Interessiertheit der Arbeiter hinaus auch 174
die neue gesellschaftliche Bewertung in Umlauf zu bringen, die jede Mehrarbeit, jede Initiative zur Verbesserung der Arbeitsorganisation und Technologie jetzt fand, und durch das Setzen neuer Leitbilder zur Entstehung eines neuen Arbeitsethos beitragen. Wenn Walter Ulbricht forderte, daß der „Heroismus der Jugend" literarisch gestaltet werden müsse, weil diese im Unterschied zu vielen alten Arbeitern die Frage der Arbeitsproduktivität richtig stelle, 58 dann setzte er als gegeben voraus, daß Literatur beim Verbreiten und Festigen neuer ethischer Normen Entscheidendes leisten könne. Doch damit war die schwierige Frage verbunden, auf welchem Wege und mit welchen Mitteln die Literatur ihre eigentümliche Fähigkeit, wertbildend zu wirken, realisieren konnte. Hinter dem Disput, welche Bedeutung dem Vergangenheits- oder dem Gegenwartsstoff zukam, stand ausgesprochen oder unausgesprochen eine andere Frage: W i e muß ein Wirkungsmodell beschaffen sein, das die noch unausgereiften kommunikativen Beziehungen zwischen einer sozialistisch intendierten literarischen Produktion und einer Leserschaft stimulieren kann, die in einem höchst widerspruchsvollen ideologischen Klärungsprozeß begriffen war. Sie war weder in der Praxis noch in der theoretischen Verallgemeinerung in einem Anlauf zu lösen. Die Parteiführung favorisierte den ökonomischen Bedürfnissen entsprechend ein Literaturkonzept, das zumindest der Intention nach politische Operativität anstrebte - also eine Dichtung, welche im Kontext der Zeitgeschichte tagespolitische Ereignisse aufgreift mit dem Ziel, bei größeren Publikumsgruppen Bewußtseinsprozesse in Gang zu bringen oder einen erreichten Bewußtseinsstand zu befestigen und so auf die politische Entscheidung der Massen in Hinblick auf eine bestimmte Tagesaufgabe einzuwirken. 59 Dieses Literaturkonzept wurde übrigens theoretisch durchaus nicht verabsolutiert. Abusch führte seine Polemik ja gerade von der Prämisse aus, daß Literatur auch in der Phase des sozialistischen Aufbaus weiterreichende Funktionen habe als die Heranbildung eines neuen politischen Bewußtseins der Werktätigen. Seine These, Hauptziel sei „das g r o ß e K u n s t w e r k , in dem das Leben und Streben unserer Epoche wirklich gestaltet ist" 60 , darf nicht etwa nur als ein taktisches Zugeständnis an bürgerliche Kunstkonzepte im Zeichen der Bündnispolitik aufgefaßt werden (auch wenn die Erfordernisse der Bündnispolitik dafür sorgten, d a ß die Fülle der Funktionen, die Literatur ausüben kann, nicht in Vergessenheit geriet). Sie erinnerte vielmehr in formelhafter Verkürzung an die im Exil gewonnene Erkenntnis der sozia175
listischen Literaturbewegung, daß Literatur Weltanschauung im weitesten Sinne zu verändern vermag, indem sie auf indirektem Wege Entstehung und Festigung von Geschichtsbewußtsein bei den Lesern fördert und zu ihrer Persönlichkeitsbildung beiträgt.61 Doch stand die operative Literatur zweifellos im Mittelpunkt der aktuellen literaturpolitischen Aufgabenstellung; die praktischen Entscheidungen und Förderungsmaßnahmen sollten zu ihren Gunsten getroffen werden. Dennoch ist politische Operativität durchaus nicht bestimmend für die literarische Landschaft der fünfziger Jahre geworden. Die Gründe dafür sind vielseitig. Am. wenigsten ist die Ursache im Mangel an gutem Willen bei den sozialistischen Schriftstellern zu suchen: Wohl von keinem, der aus der proletarisch-revolutionären Bewegung kam, hätte man ernsthaft behaupten können, daß er die Rolle der operativen Genres der Literatur unterschätze. Doch war ihnen bewußt, daß auch die operativen sogenannten „kleinen" Formen der Literatur sich nicht leichter handhaben ließen als die (nicht nur dem Umfang, sondern auch dem Anspruch der Fragestellung nach) „großen"62: Auch sie konnten nur dann in die Bewußtseinsprozesse eingreifen und einen Einfluß auf das praktische Handeln der Menschen nehmen, wenn der Punkt gefunden wurde, an dem die Menschen sich innerlich angesprochen fühlten, wenn ihre Hoffnungen und Befürchtungen und die spontane Tendenz ihres Handelns tatsächlich berührt wurden. Das aber hing von der Vertrautheit des Autors mit den Problemen seines Publikums ab, die sich erst nach und nach einstellen konnte - insofern bestanden für die operativen Genres dieselben Schwierigkeiten objektiver Natur, wie sie für die Bewältigung der Gegenwartsstoffe in allen Genres galten. Doch kann dieser Tatbestand nicht verdecken, daß weitere Ursachen im Spiel waren. Wenn etwa Hans Lorbeer das Mißlingen seines 1953 erschienenen Romans Die Sieben ist eine gute ZahlP, das den Kampf um eine höhere Produktion in einem Chemiebetrieb schildert, nachträglich mit seiner ungenügenden Kenntnis der Probleme der Chemiearbeiter erklärte,64 muß gefragt werden, ob diese Begründung ausreicht: Immerhin war Lorbeer nach 1945 Bürgermeister in ebendem Ort, in dem er seit seiner Jugend wohnte. Er war nicht nur mit der Mentalität der Arbeiter des Chemiewerkes vertraut, unter denen er lebte,65 und hatte das bereits mit seinem in den zwanziger Jahren geschriebenen Roman Der Spinner66 unter Beweis gestellt - als Bürgermeister kam er auch mit den neuen Entwicklungsproblemen und Konflikten der Nachkriegsjahre in Berührung. 176
Die Ursachen für Lorbeers Scheitern an Die Sieben ist eine gute Zahl werden erkennbar, wenn man Lorbeers ersten Roman Der Spinner zum Vergleich heranzieht. Der Reiz dieses Romans beruht vor allem auf der ambivalenten Haltung des Autors zu seinem Helden: Mit bekenntnishafter Rückhaltlosigkeit werden Erlebnisse und Erlebnisweise eines Jugendlichen beschrieben, der in die Welt der Chemiearbeit eintritt - körperliche Züchtigungen und noch härter treffende Demütigungen, die er in der Schule und in der Lehre hinnehmen muß, die Schikanen und die gesundheitsschädigende Arbeit in der Fabrik, die Ödnis des Arbeitsalltags - Vorgänge, die der Junge als Ungerechtigkeit, als Beschneidung seines Lebensanspruchs erlebt. Zugleich aber werden durch Erzählerkommentar und durch Reaktionen anderer Romanfiguren harte kritische Akzente gesetzt, die das Selbstmitleid des Jungen und seine ständigen Fluchttendenzen in die Natur, in die Liebe, in die Kunst und in Tagträume als unproduktive Haltung geißeln; er muß sein schweres Los als Chemiearbeiter als ein kollektives begreifen und als solches akzeptieren lernen, um zu erkennen, daß der einzig reale Weg zur Verminderung seiner Leiden in der Teilnahme am revolutionären Kampf der Arbeiterklasse besteht. Die beiden Titel, unter denen der Roman erschien - Ein Mensch wird geprügelt und Der Spinner - heben vereinseitigend jeweils eine der beiden Seiten heraus: die Wucht der sozialen Härte, mit der einem jungen Menschen die Ansprüche ans Leben ausgetrieben werden, und das Illusionäre seiner Hoffnung auf eine Ausnahmerolle im Leben. Der Roman jedoch schließt beide Sichtweisen zu einer spannungsvollen Einheit zusammen und fesselt den Leser gerade durch den vielfachen, krassen Wechsel von mitleidiger Identifizierung mit dem Schicksal und lebhafter Distanzierung von der Selbstbeurteilung des Helden. Die operative Potenz des Romans folgte aus dieser Anlage: Bei dem Arbeiterleser der zwanziger Jahre vermochte er das Gefühl für das Qualvolle gewohnter Alltagserfahrung zu sensibilisieren und die Erkenntnis zu befördern, daß die Befreiung der Arbeiter aus ihrer depravierten Lage nur über ihren Zusammenschluß in der KPD möglich ist. Für Die Sieben ist eine gute Zahl hat Lorbeer keinerlei funktional vergleichbaren künstlerischen Drehpunkt gefunden, der organisierend auf den Stoff und auf das Leserinteresse hätte wirken können. Die Vorgänge - mehrfache, teils durch technologische Pannen, teils durch Sabotage verursachte Fehlschläge bei der Inbetriebnahme des siebenten Ofens für die Karbidproduktion in einem Chemiebetrieb zu Be12
DDR-Literatur
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ginn der füfnziger Jahre - könnten als gestraffte Reportage von Interesse sein, in der die Probleme sowie die Haltungen der verschiedenen Beteiligten zu ihnen in ihrem Für und Wider dargelegt und die schließlich gefundenen Lösungswege geschildert werden. Doch durch die „Übersetzung" der Vorgänge in eine Romanhandlung werden sie zu einer weitschweifigen und ungenauen Schilderung technischer und ökonomischer Fragen verwässert. Und die romanhafte Ausweitung der Handlung auf das Privatleben der verhältnismäßig zahlreichen Figuren - Arbeiter, Ingenieure, Funktionäre und Angehörige der Betriebsleitung - bringt keinen Gewinn: Was der Leser dazu erfährt, berührt ihn weder als eigentümliches Schicksal, noch trägt es zur Erhellung der bei der Arbeit eingenommenen Haltung der Figuren bei; es ist schmückende Zutat, die über die Langeweile des Betriebsgeschehens hinweghelfen soll. Die Motive, aus denen die Figuren handeln, sind einschichtig und ohne Spur einer inneren Widersprüchlichkeit: Die Mehrzahl ist ehrlich um das Gelingen des Ofenbaus bemüht - ihnen entgegen stehen einige Feinde, deren Sabotageversuche bald aufgedeckt werden, und einige Schwankende, die im Verlauf der wenige Monate währenden Romanhandlung rasch und problemlos auf die Seite der Aufbauwilligen gezogen werden. Die operative Absicht, die Lorbeer mit diesem Roman verfolgte, liegt auf der Hand. Indem dem Leser bewußtgemacht werden soll, daß ein größerer Produktionsausstoß dieses Betriebes vom Einsatz aller in diesem Betrieb Beschäftigten abhängt und daß das Wachstum der Wirtschaft der D D R auf die Produkte auch dieses Betriebes angewiesen ist, soll er die gesellschaftliche Bedeutsamkeit seiner eigenen Arbeit erkennen und sich als Glied einer Gemeinschaft begreifen, die um dasselbe Ziel bemüht ist. D a ß diese kollektivierende Funktion, die in den meisten Betriebsreportagen und -romanen jener Jahre angestrebt wurde, nicht zum Tragen kommt, hat sowohl formale als auch inhaltliche Gründe. Einerseits erforderte das erzählerische Überschreiten des Erfahrungshorizonts einer Hauptfigur, das Stoff und operative Stoßrichtung verlangten, eine andersartige kompositorische Technik, über die Lorbeer auf Grund seiner bisherigen Schreiberfahrungen nicht verfügte. Die auf den Leser eher schlicht wirkende, tatsächlich aber äußerst komplizierte Ensemblestruktur, mit der Anna Seghers Jahre später in ihrem 1959 erschienenen Roman Die Entscheidung* die Vorgänge in einem Stahlwerk der D D R als Modellfall der weltweiten Auseinandersetzung zwischen Sozialismus und Imperialismus erfaßte, mochte die handwerklichen Möglichkeiten Lorbeers 178
überschreiten. Und eine Kombination von fiktiver Romanhandlung mit den historischen Kontext dokumentierenden Elementen, wie sie etwa Feuchtwanger in Erfolgm verwendet hatte, scheint dem heutigen Leser ein naheliegendes Experiment zu sein, wurde aber in der Prosa der fünfziger Jahre von keinem Schriftsteller versucht. So behilft sich Lorbeer damit, den gesellschaftlichen Zusammenhang, in dem der Ofenbau steht, durch die direkte Figurenrede wiederholt zur Sprache zu bringen, oft durch die wörtliche Wiedergabe von Reden, die von Romanfiguren auf Versammlungen gehalten werden 69 : Der politische Gehalt, der dem Leser übermittelt werden soll, erwächst nicht aus den dargestellten Vorgängen, vielmehr hört der Leser dieselbe Argumentation, die ihm aus der mündlichen Agitation und aus Zeitungsartikeln bereits bekannt ist, noch einmal aus dem Munde der Romanfiguren. Andererseits aber macht gerade dieses Hilfsmittel, das auch in Gotsches Roman Tiefe Furchen störend wirkt, den spürbaren Qualitätsunterschied zwischen beiden Romanen und damit den inhaltlichen Grund für die Schwäche von Lorbeers Roman auffällig. Bei Gotsche wird - nicht zuletzt durch das Zurückspringen der Handlung in die Kriegs- und Vorkriegszeit - die gesellschaftliche Umwälzung in ihrer Konflikthaftigkeit und damit in ihrer Größe erfaßt: Der Sieg, den die Bodenreform für die Landarbeiter bedeutete, ist ein schwer erkämpfter, und er bringt nicht die Lösung a l l e r Probleme, sondern reißt neue auf. Bei Lorbeer dagegen bewegt kein ernsthafter Widerspruch das Geschehen: Die Anfeindungen, denen diejenigen Arbeiter ausgesetzt waren, die über die Norm arbeiteten; die Hindernisse, die ihnen von Kollegen (durchaus nicht immer politische Feinde und geworbene Agenten) in den Weg gelegt wurden, weil diese eine Normerhöhung fürchteten, bleiben ebenso außerhalb der Darstellung wie die Widersprüche in den Menschen selbst: Gar mancher, der kein Freund der Republik und des Sozialismus war, brachte in der Realität eine höhere Arbeitsleistung einzig um der höheren Entlohnung willen. In Lorbeers Roman jedoch sind die Motive der Figuren völlig auf das angestrebte neue Arbeitsethos gestellt - sie arbeiten, weil sie ihre Arbeit lieben und deren volkswirtschaftliche Wichtigkeit erkennen; materielle Motive spielen keine Rolle. Obwohl gerade die Schwierigkeiten beim Ofenbau den Handlungsfaden für den Roman abgeben, hat der Leser nicht einen Moment den Eindruck, Zeuge eines konfliktreichen und harten Kampfes um die Erweiterung der Produktion zu sein. Schon von der Titelsymbolik suggeriert, stellen 12*
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sich die Vorgänge als problemloses Erreichen eines außer Frage stehenden Zieles dar. Es ist durchaus nicht so, wie zunächst vermutet werden könnte, daß Lorbeers erster Roman der Glückstreffer eines Anfängers war, der sich eigenes Erleben spontan von der Seele schrieb und den Leser auf unwiederholbare Weise durch die Authentizität subjektiven Erlebens zu fesseln vermochte: Der Spinner entstand als gründliche Umarbeitung des zweibändigen autobiografischen Romans JJhle der Arbeiter, der schon 1925 fertiggestellt, jedoch nicht veröffentlicht wurde (obwohl bereits vom Verlag angekündigt) - mithin als Ergebnis harter Arbeit am Text, ja mehr noch: auch als Ergebnis konzeptioneller Diskussionen, die Lorbeer seinerzeit mit Johannes R. Becher und den Genossen im Bund proletarisch-revolutionärer Schriftsteller geführt hatte.70 Wenn Lorbeer später diese Diskussionen als produktiv einordnet, sich jedoch im Zusammenhang mit Die Sieben ist eine gute Zahl abweisend zu gezielten Aufträgen an Schriftsteller äußert,71* dann lag das unproduktive Moment für ihn wohl weniger in der Tatsache konzeptioneller Einmischung in den Schreibvorgang, sondern in der Art des Konzepts. Sichtlich hatte sich Lorbeer bei seinem Roman Die Sieben ist eine gute Zahl ein Wirkungsmodell zu eigen gemacht, das in den literaturkritischen und -theoretischen Veröffentlichungen der frühen fünfziger Jahre zumeist (mehr oder weniger deutlich reflektiert und formuliert) mitgemeint war, wenn Gestaltung des Gegenwartsstoffes gefordert wurde: Es basierte auf der Annahme, der nachhaltigste Einfluß auf den Leser erfolge und literarische Gestalten mit Vorbildcharakter, deren Handlungen und Motivationen als Modell dienen und den Leser dazu bewegen sollten, sich in der Realität ähnlich zu verhalten. Die Literatur zur unmittelbaren Gegenwart sollte nicht die Wirklichkeit schlechthin, sondern vor allem die in ihr enthaltenen Entwicklungstendenzen schildern und die Perspektive der Gesellschaft bereits in der Gegenwart aufweisen. Im Hauptreferat der 5. Tagung des ZK der SED vom März 1951 heißt es dazu: „Wir wollen, wenn unsere besten Menschen dargestellt werden, daß die typischen Züge, die das Merkmal eines fortschrittlichen Menschen sind, im Kunstwerk auch ihre Verkörperung finden, und wir haben ein Recht, das zu verlangen, nicht nur, weil es solche Menschen in der Wirklichkeit gibt und das der Würde dieser Menschen entspricht, sondern vor allem darum, w e i l d u r c h d i e s e Menschen das Neue v e r k ö r p e r t w i r d , das u n s in e i n e l i c h t e r e u n d s c h ö n e r e Z u k u n f t führt."72 180
Dieses Wirkungsmodell, das vor allem im Umkreis dieser Plenartagung die kulturpolitische Orientierung für einige Zeit bestimmte, lehnte sich bis zu einem gewissen Grade an das sowjetische Literaturkonzept der Nachkriegsjahre an, das unter dem Einfluß des sich verstärkenden Personenkults um Stalin „der Aufdeckung von Widersprüchen und Konflikten ernste Hindernisse in den W e g legte und schematisch-idealisierende sowie oberflächlich-illustrative Tendenzen förderte" 7 3 . Doch läßt sich seine Verbreitung aus einer Übernahme allein nicht erklären, wie das in der bürgerlichen Sekundärliteratur gewöhnlich geschieht. 74 Es reproduzierte sich durchaus auch aus der spezifischen historischen Situation, in der sich die D D R in jenen Jahren befand. Problematisch war dieses Wirkungsmodell nicht sosehr, weil es von der Literatur verlangte, dem Leser Leitbilder und Verhaltensmodelle für sein Handeln an die Hand zu geben - eine solche Aufgabenstellung war einer historischen Situation ja gemäß, in der in verhältnismäßig kurzer Zeit eine Bevölkerung für den Aufbau des Sozialismus gewonnen werden mußte, deren größter Teil vor wenigen Jahren noch in der faschistischen Ideologie befangen war. Problematisch war, daß damit zugleich nahegelegt wurde, die in der Realität vorhandenen Konflikte aus der literarischen Darstellung auszuklammern, die Wirklichkeit im literarischen Werk auf ein angestrebtes Ziel hin zu idealisieren, statt sie analytisch aufzuschließen. Machte man sich als Schriftsteller dieses Konzept zu eigen, dann wurde Operativität, gezieltes Aufgreifen von Teilfragen aus einer konkreten Situation heraus, sehr erschwert: Auch eine als Leitbild gesetzte literarische Figur vermag als solche auf den Leser nur zu wirken, wenn sie nicht idealisiert, sondern in ihren Schwankungen und Widersprüchen erfaßt ist, und wenn die durch ihr Handeln ausgelösten Konflikte nicht vereinfacht oder verschwiegen, sondern sichtbar gemacht werden. Brecht hat das präzise formuliert, wenn er den Begriff des „Typischen" - damals Hauptterminus zur Umschreibung dieses Wirkungsmodells - kritisch aufgriff und gegenüber seiner üblichen Verwendung seinen praktikablen Gehalt herauskehrte: „Man macht aus dem Wort einen Fetisch, indem typisch einfach das Gewünschte ist . . . D i e eigentliche Bedeutung des Worts 'typisch', für die es von Marxisten als wichtig genannt wurde, ist: geschichtlich bedeutsam. Dieser Begriff gestattet, auch scheinbar winzige, seltene, übersehene Vorkommnisse sowie unscheinbare, oft oder selten vorkommende Menschen ans Licht der Dichtung zu ziehen, weil sie geschichtlich bedeutsam, das heißt für den Fortschritt der Menschheit, das heißt
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für den Sozialismus wichtig sind. Diese Vorkommnisse und Menschen müssen aber dann realistisch, dais heißt mit ihren Widersprüchen dargestellt werden, und auch der Häufigkeitsgrad ihres Auftretens muß zu erkennen sein." 75 Nicht die Betonung der bewußtseinsbildenden Möglichkeiten von Literatur, nicht, daß die Hauptfunktion der Literatur auf diesem Felde angesetzt wurde, war das „Fehlerhafte" und „Überspitzte" an den Diskussionen der 5. Tagung, das „sich bei der Verwirklichung der Beschlüsse . . . negativ" auswirkte. 76 E s bestand vielmehr darin, daß die Eigentümlichkeiten der Wirkungsmechänismen künstlerischer Literatur dabei außer acht blieben: Unreflektiert wurde davon ausgegangen, eine literarische Darstellung habe unabhängig von dem Intensitätsgrad, mit dem sie Wirklichkeit erfaßt, und unabhängig vom G r a d ihrer künstlerischen Durchformung eine größere Chance der Einwirkung auf die Menschen als eine gewöhnliche Agitation zu tagespolitischen Fragen. Tatsächlich aber ist diese Chance ja nur dann gegeben, wenn künstlerische Literatur nicht nur wiederholt, was der Leser auf anderen Wegen ohnehin erfährt, sondern ihn durch die Art der Fragestellung emotional oder intellektuell zu packen, ihm eine neue Sicht auf das bereits Bekannte zu eröffnen vermag. D i e Wichtigkeit gerade dieses Umstands hatte Anna Seghers in Erinnerung bringen wollen, als sie in ihrem Brief an Jorge Amado von dem „inneren Auftrag" des Schriftstellers sprach. Gemeint ist hier nicht ein Sendungsbewußtsein, dessen Quellen mysteriöser Natur sind, sondern das reale, gefühls- und verstandesmäßige Gefesseltsein des Schriftstellers von den zeitgeschichtlichen Vorgängen, deren Zeuge und Mitgestalter er ist: sein Bedürfnis, in ein bestimmtes Ereignis tiefer einzudringen, Zusammenhänge aufzudecken, die nicht auf der Hand liegen, hinter dem äußeren Augenschein die verborgenen Motive der Menschen aufzuspüren, den scheinbar konfliktlosen Verlauf auf seine Problematik hin zu befragen und im konflikthaften Zusammenprall die Lösungstendenzen zu ergründen. Auch wenn der Schriftsteller auf Grund seiner marxistisch-leninistischen Weltanschauung eine klare Vorstellung von Wesen und Entwicklungsrichtung des Geschichtsprozesses hat, auch wenn er vertraut ist mit den Verhältnissen, die er beschreiben will, und auch, wenn sein Schreiben einen didaktischen Zug hat in dem Sinne, daß er den Leser anhand eines modellhaften Vorfalls zu einer bestimmten Teilerkenntnis führen und seine Bestrebungen in eine bestimmte Richtung lenken will, ist dieser 182
Entdeckermut, diese Bereitschaft, den Dingen auf den Grund zu gehen, vonnöten. Sonst wird der Schriftsteller nichts Neues zu sagen haben und den Leser nicht erreichen - er bleibt „kalt", wie Anna Seghers sagt, also unberührt und desinteressiert.
Der Gewinn von Neuansät^en Die kulturpolitische Grundorientierung der 5. Tagung wird verständlich, ruft man sich die historischen Umstände in Erinnerung, unter denen sie stattfand 7 7 : Die Verschärfung der internationalen Spannungen nach dem Überfall der USA und ihres südkoreanischen Satelliten auf die Koreanische Volksdemokratische Republik im Juni 1950 war den aggressivsten Kreisen des Imperialismus willkommene Gelegenheit, die Remilitarisierung der B R D einzuleiten. Mit Billigung der Außenministerkonferenz der dr°i Westmächte und der NATO-Ratstagung war seit Oktober 1950 die Aufstellung einer Armee betrieben worden, im April 1951 trat die B R D der Montanunion bei, die die Rüstungsbasis der N A T O in Europa bildete, und im Mai 1952 schließlich wurde von den USA, Großbritannien, Frankreich und der B R D der Generalvertrag und der „Vertrag über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft" unterzeichnet. Die so betriebene Eingliederung der B R D in aggressive imperialistische Militärbündnisse wurde von den imperialistischen Ideologen vor allem mit der Behauptung begründet, Deutschland müsse seine nationalen Interessen zurückstellen und sich auf seine „kosmopolitische Verantwortung" besinnen. 78 Die Auseinandersetzung mit dem Kosmopolitismus, mit dem die USA ihren Herrschaftsanspruch in Europa zu rechtfertigen suchten, und die Mobilisierung aller progressiven nationalen Traditionen mit dem Ziel, die antiimperialistischen Kräfte im Kampf gegen die Remilitarisierung der B R D zusammenzuführen, bildeten das gedankliche Zentrum der 5. Tagung: Insbesondere den Künstlern und Schriftstellern sollte bewußt gemacht werden, daß die Welle der - meist auf das formale Experiment gestellten - spätbürgerlichen Kunst und Literatur, die die Bundesrepublik überschwemmte, Gefühle der Ohnmacht und Resignation gegenüber den gesellschaftlichen Aufgaben erzeugte, und daß Pflege und produktive Weiterführung des fortschrittlichen nationalen Erbes demgegenüber wichtige Faktoren im politischen Tageskampf waren. In diesem Zusammenhang wurden verschiedene Tendenzen des künstlerischen Schaffens kritisiert, die 183
unter politischem Aspekt als problematisch und nicht förderungswürdig erachtet wurden. Das betraf sowohl die künstlerische Gestaltung negativ bewerteter Seiten der Wirklichkeit - aus der Sorge heraus, daß durch sie resignative Stimmungen und Ohnmachtsgefühle erzeugt oder bestärkt werden könnten ;79 das betraf den Einsatz von modernen, vorwiegend von bürgerlichen Künstlern entwickelten abstrahierenden Gestaltungsmitteln besonders in der bildenden Kunst und in der Musik - in der Annahme, daß durch ihre Verwendung zwangsläufig bürgerliche Ideologie transportiert werde; 80 und das betraf schließlich den Versuch, mit Hilfe eines „Arbeitertheaters" an die Tradition der proletarisch-revolutionären Literaturbewegung anzuknüpfen81 - was freilich die Wiederbelebung überwundener sektiererischer Tendenzen der zwanziger Jahre hätte mit sich bringen können, angesichts der Notwendigkeit breitester Bündnispolitik eine immerhin bedenkenswerte Gefahr. Der Terminus des „Formalismus" freilich, der bereits seit dem Ende der vierziger Jahre in der Debatte war und der auf der 5. Tagung als Sammelbegriff der Kritik verwendet wurde, war recht ungeeignet, die anstehenden Fragen klären zu helfen.82 Die dieser Begriffsbildung zugrunde liegende These, daß es für die gegenwärtige Kunst nicht auf formale Neuerungen, sondern auf die Gestaltung des neuen Inhalts ankomme, verdeckte eher die offenen literaturprogrammatischen und literaturästhetischen Fragen, als daß sie ihre differenzierte Diskussion beförderte. Obwohl die kritisierten Tendenzen in erster Linie die bildende Kunst, die Musik und das Theater betrafen und Beispiele aus der Literatur auf der 5. Tagung kaum kritisiert wurden, war die Atmosphäre auch formalen Experimenten der Literatur gegenüber - also dem Versuch, den neuen Gehalten entsprechende tragfähige literarische Strukturen zu entwickeln - nicht gerade aufgeschlossen. Ein Beispiel ist der Disput um Günter Kunerts Gedicht Während des großen S-Bahn-Streikes (Mai 1949)83*. Es nahm den Wirklichkeitsvorfall - den von der Westberliner Spaltergewerkschaft ausgelösten Putsch, der die Pariser Außenministerkonferenz stören und den Westmächten Vorwände liefern sollte, die Spaltung Deutschlands weiter zu vertiefen - lediglich in den Titel auf. Der Vorfall selbst aber wurde im Text nicht näher beschrieben, vielmehr der Leser aufgefordert, in den Hintermännern des Putsches die „Söhne und Erben" der berüchtigten weltgeschichtlichen Unterdrücker des werktätigen Volkes zu erkennen. Gleichgültig, ob das Gedicht als „formalistisch" abgelehnt wurde, wie Günter Kunert in einem provo184
kant-satirischen Artikel behauptete, 84 oder ob andere Gründe dazu führten, daß es in der Tagespresse nicht veröffentlicht wurde 8 5 - das Kurzschließen des tagespolitischen Vorfalls im Titel mit der geschichtsphilosophischen Fragestellung der Verse und die stark verfremdenden poetischen Bilder, die Kunert benutzte, ließen das Gedicht zum damaligen Zeitpunkt gewiß als ein ungewöhnliches Formexperiment erscheinen. Durch die Tatsache schließlich, d a ß Kunert die Machenschaften des Imperialismus bloßstellte, nicht aber den Kampf gegen sie beschrieb, war sein Gedicht jenem Verdikt des „Negativen" zugeordnet, von dem es auf der 5. Tagung hieß: „Das Negative löst in erste Linie H a ß aus, erfüllt aber die Menschen nicht mit dem Bewußtseins des Sieges über das Alte und läßt mitunter ein Gefühl der Ohnmacht zurück. Die positive Gestaltung stärkt das Bewußtsein und begeistert zum Kampf für das Neue." 86 Aus heutiger Sicht ist das Gedicht geeignet, die Rezeptionsproblematik operativer Dichtung sichtbar zu machen: Der Leser der Gegenwart vermag seinen Inhalt kaum noch zu entschlüsseln. Der Vorfall, der die Gemüter seinerzeit wochenlang erregte - die Demolierung der Gleisanlagen durch aufgeputschte Rowdies, die einen Teil des S-Bahn-Verkehrs für längere Zeit zum Erliegen brachten - ist als eine von vielen Provokationen, die die Spaltung Deutschlands vertiefen und den Aufbau des Sozialismus in der D D R behindern sollten, längst vergessen und wird nicht einmal mehr in Geschichtsdarstellungen erwähnt. 8 7 Für einen politisch aufgeschlossenen Leser ließ sich jedoch die Bildwelt des Gedichts damals ohne weiteres erschließen: Wer die „Ratten" und wer ihre „Züchter" waren, lag für jeden auf der Hand, der die Zeitungsberichte und Kommentare jener Wochen verfolgt hatte. 88 Für einen solchen Leser hatte das Gedicht auch eine operative Wirkungspotenz: Hielt es doch dazu an, das aktuelle Ereignis in einem größeren geschichtlichen Rahmen zu sehen, die antisowjetische und antisozialistische Stoßrichtung der Aktion zu erkennen und gedanklich der Demagogie nachzugehen, mit der es die Funktionäre der Westberliner Spaltergewerkschaft, ähnlich wie vorher Hitler, verstanden, Werktätige zu Aktionen anzustacheln, die ihren eigenen Interessen entgegenliefen. Ein Leser allerdings, der politisch desinteressiert - die Zeitungsargumentation kaum zur Kenntnis nahm, der sich lediglich über den Ausfall der S-Bahn ärgerte und die Forderung der Westberliner S-Bahnangestellten nach Entlohnung in Westmark verständlich fand, ohne zu beachten, daß zunächst der 185
Westberliner Spaltermagistrat in provokatorischer Absicht Abmachungen gebrochen hatte, mußte bei Kunerts Gedicht notwendig verständnislos bleiben: Beschrieb es doch weder die Vorgänge, noch vermochte es die Argumentation der Tagespresse zu ersetzen. Gerade Leute dieser Art aber waren es, die auf der 5. Tagung als eine wichtige Zielgruppe der neuen Literatur ins Auge gefaßt worden waren und von denen man hoffte, sie seien über die Literatur eher anzusprechen als auf anderem Wege. Doch sowenig der Begriff des „Formalismus" Kriterien bot für eine Erörterung, was ein Stück Literatur wie etwa das Kunertsche Gedicht (das übrigens wenig später in Kunerts 1950 erschienenem Band Wegschilder und Mauerinschriften gedruckt wurde) leisten und was es nicht bewirken konnte - er verhinderte nicht, daß die Diskussion über Fragen des literarischen Schaffens in den folgenden Jahren mit zunehmender Differenziertheit fortgeführt wurde. Der Begriff „Formalismus" rückte dabei bald immer mehr an den Rand der Debatte. Vor allem aber ging die in jenen Jahren entstehende Literatrur in ihrer Gesamtheit nicht in dem vereinfachenden Modell auf, das auf der 5. Tagung empfohlen worden war. Sosehr es jene „Tendenz zur Schematisierung, zu unzulässiger Vereinfachung, manchmal sogar zu einem Ausweichen vor schwierigen Fragen" 89 gefördert hatte, die Stefan Heymann 1955 in Vorbereitung des IV. Deutschen Schriftstellerkongresses kritisch unter die Lupe nahm (und der auch die Polemik von Ilja Ehrenburg und Anna Seghers gegolten hatte), sowenig war es eine Zwangsläufigkeit, daß die Schriftsteller dieses Konzept übernahmen: Es hing auch von Talent, Entdeckermut und Experimentierbereitschaft des einzelnen ab, ob er es .sich einfach machte und die Empfehlungen ungeprüft übernahm oder ob es ihm gelang, ein Stückchen der neuen Wirklichkeit in seiner Eigentümlichkeit zu erfassen. Sichtet man heute die Literatur jener Jahre, ist zu bemerken, daß das Bemühen um eigentümliche Neuansätze weit häufiger war, als es auf den ersten Blick erscheint - wenn auch manches im Versuch steckenblieb und gültige künstlerische Meisterschaft nicht erreicht wurde. Die erstrebte mobilisierende Massenwirkung wurde zum ersten Mal in einem Genre erzielt, das praktisch zwar gefördert, in den Debatten und programmatischen Überlegungen jedoch kaum erwähnt wurde - dem der Liedlyrik. Gegründet in der Tatsache, daß angesichts der wachsenden internationalen Spannungen die Forderung nach Abrüstung und Verbot der Atomwaffen zunehmend von einer 186
internationalen Massenstimmung getragen wurde, die ihren Ausdruck in einer mächtigen und organisierten Weltfriedensbewegung fand, entstanden im Vorfeld des Deutschlandtreffens der Jugend von 1950 und der 3. Weltfestspiele der Jugend und Studenten von 1951 in Berlin eine Reihe von Liedern, die den Wunsch nach Frieden artikulierten; er wurde in diesen Liedern im Kontext des internationalen antiimperialistischen Kampfes gesehen und gedanklich mit der Notwendigkeit verknüpft, ein friedliches und demokratisches Deutschland aufzubauen, in dem die Früchte der Arbeit den Arbeitenden zugute kommen. Diese Liedtexte sind voll auf den Gestus des Mitreißens gestellt: Sie gaben dem Kollektivgefühl einer zunächst stetig anwachsenden größeren Gruppe innerhalb der Jugend Ausdruck, die sich der Gemeinschaftlichkeit ihrer Bestrebungen - Aufbau einer besseren Gesellschaftsordnung und einer friedlich geordneten Welt - gewiß war. Sie bezogen ihren Schwung aus der Absage an die Vergangenheit oder der Abwendung von jenen Kräften, die zur Veränderung der Verhältnisse nicht bereit waren, und richteten sich an alle Menschen guten Willens. Alltägliche Wörter werden in ihnen emotional und symbolisch aufgeladen, so daß das gesellschaftlich-historische Umfeld in starker Verallgemeinerung erfaßt wird: Sonne und blauer Himmel zugleich die Symbole der Freien Deutschen Jugend - stehen für Lebensfreude und Zukunftsgewißheit,90 die Beseitigung der Trümmer und die Errichtung neuer Häuser für den Aufbau des neuen Staates. 91 Die tausend Traktoren, die die Sowjetunion für die Landwirtschaft der sowjetischen Besatzungszone geliefert hatte, symbolisieren internationale Solidarität, 92 das Händereichen, Arm-in-Arm-Gehen und gemeinsame Marschieren die Einigkeit im politischen Kampf, 9 3 und das Wort „Berlin" ist das Sinnbild eines Deutschland, in dem die Kräfte der Reaktion gebändigt sind.94 Nur in Ausnahmefällen haben die Texte einen argumentierenden oder gesellschaftsanalytischen Zug - etwa im Aufbaulied der FDJ9*> von Brecht, der die Feinde der neuen Gesellschaftsordnung - „Junker, Unternehmer, Potentat" - konkret benennt und ausspricht, daß der neue Staat nicht die natürlich-direkte Folge eines allgemeinen Häuserbauens, sondern vielmehr die Voraussetzung eines Häuserbauens „in eigner Sache", also zum Nutzen der Erbauer ist. Meist aber zielen die Texte nicht darauf, soziale Differenzierung bewußtzumachen, sie wollen vielmehr ein Gefühl der G e m e i n s a m k e i t aller Aufbauwilligen organisieren: 187
Wohin wir blicken, ob in Fabriken, Schulen und Kontor, ringt sich ein neuer und wahrhaft freier Jugendgeist empor. Eng verbunden Land und Städte, junges Geschlecht der Tat! Wer mit uns die Heimat rettet, ist unser Kamerad! so lauten charakteristische Zeilen aus Hasso Grabners Liedtext Hört die JugendI96, und ähnlich heißt es in einem Lied von Rudi Raupach: Wir haben einen Plan gemacht, und danach richten wir uns aus. Ein Räderwerk greift ins andere ein, und keiner, der schaffen kann, bleibt da zu Haus. Wir fördern die Produktion mit all unsrer Kraft, vereint jung und alt, so wird das Werk geschafft. 97 Und sprachlich zwar prägnanter, aber ebenfalls auf den Imperativ der Gemeinsamkeit setzend, dichtet Stephan Hermlin: Jugend vor! Mit Mut in neue Bahnen, wir ändern das Weltgeschick. Sieg zieht mit uns und unsern Fahnen. Trümmer und Leiden und Elend mahnen: Denk stets daran! Weich nie zurück! Mit uns die Freude, mit uns das Glück. 98 Die diesen Texten innewohnende Stimmung der Begeisterung und der Gestus unaufhaltsamen Vorwärtsstürmens, die auffällige Tendenz, Hindernisse als etwas aufzufassen, was sich leicht, ja geradezu spielerisch beiseite schieben läßt, 99 * mag für den heutigen Leser kaum noch nachvollziehbar sein. Dennoch war dieser Optimismus nicht bloß behauptet und künstlich aufgesetzt, sondern traf ein zeittypisches Grundgefühl: Daß es von Jahr zu Jahr, ja beinahe von Monat zu Monat vorwärtsging, war für jedermann ein Alltagserlebnis. Die Lebensmittelrationen wurden mehrfach erhöht, die Preise der HO schrittweise gesenkt, die Stromsperren abgeschafft, die unübersehbaren Trümmer allmählich beseitigt - oft in unbezahlten freiwilligen Arbeitseinsätzen; all dies machte augenfällig, welche erstaunlichen Ergebnisse durch Einsatzbereitschaft im Kollektiv zu erreichen waren. Infolge der extrem schlechten Ausgangslage war jeder noch so 188
kleine Erfolg ein spürbarer und steigerte bei denen, die sich an seinem Zustandekommen beteiligt wußten, das Vertrauen in die eigene K r a f t : Hindernisse erschienen so als Anfangsschwierigkeiten, die in1 naher Zukunft zu bewältigen waren. Gerade im Herausrufen dieses Grundgefühls liegt die eigentümliche Wirklichkeitsbeziehung dieser Lieder. Ihre Kunde korrespondierte mit den Alltagserfahrungen vieler Menschen, war ihr gesteigerter Ausdruck. Insofern vermochten diese Lieder wie ein Sog noch Abseitsstehende mitzureißen - und die Funktion einer neuen gesellschaftlichen Wertbildung zu übernehmen. Viele dieser Liedtexte wurden in direktem Auftrag verfaßt: Becher schrieb sein Lied von der blauen Fahne, das den Ausgangspunkt für seinen anschließend verfaßten Zyklus Neue deutsche Volkslieder bildete, zu Beginn des Jahres 1950 auf Vorschlag des Zentralrats der FDJ. 1 0 0 Brecht hat sein Aufbaulied nach einer Tagebucheintragung im Dezember 1948 „für die F R E I E D E U T S C H E J U G E N D gemacht" und den Text noch vor der Vertonung mit der „leitung" diskutiert. 101 Kuba sammelte in Vorbereitung der 3. Weltfestspiele eine Gruppe von Schriftstellern um sich,102 darunter Günther Deicke, Franz Fühmann, Marianne Lange, Heiner Müller, Paul Wiens und Jurij Brezan, die einzeln oder gelegentlich auch im Kollektiv Texte für Massenlieder schrieben sowie Kampf-, Volks- und Jugendlieder aus den Volksdemokratien übersetzten, welche in einem zu den Weltfestspielen herausgegebenen Liederbuch Singt mit unseren Freunden zusammengefaßt wurden. Neben diesen für das gemeinsame Singen in den Jugendgruppen bestimmten Liedern entstand eine große Anzahl von Chor- und Tanzliedern, Kantaten und Oratorien, die auf Kulturveranstaltungen oder anläßlich politischer Kundgebungen aufgeführt wurden. 103 Sie waren oft nicht nur im Poetisch-Sprachlichen viel ausgereifter, sondern hatten durch einen episierenden Grundzug auch eine bessere Möglichkeit, gesellschaftliche Vorgänge analytisch aufzuschließen: Wenn Brecht etwa in seinem für die Weltfestspiele geschriebenen Chorwerk Herrnburger Bericht104 die Festnahme von 10 000 jungen Bürgern der BRD bei ihrer Rückkehr vom Deutschlandtreffen durch die Polizei der Bundesrepublik beschreibt, bieten ihm Stoff und Breite der Anlage einen guten Ausgangspunkt, im Disput zwischen FDJlern und Polizisten den unterschiedlichen Klassencharakter der beiden deutschen Staaten herauszuarbeiten, in der panischen Furcht der Staatshüter vor dem demonstrationsartigen Marsch durch Lübeck mit blauen Fahnen und Liedern die politische Ausstrahlungskraft des Deutschlandtreffens zu erfassen und auch eine 189
Vorstellung von der Härte von Klassenauseinandersetzungen zu vermitteln: Die von Brecht angesichts ihrer vorläufigen politischen Unerfahrenheit mit freundlicher Ironie als „Kinder" 105 * apostrophierten FDJler mußten achtundvierzig Stunden von bewaffneten Polizisten umstellt auf freiem Feld kampieren, ehe ihnen die Heimreise gestattet wurde. In einem gewissen Sinne kam die Liedlyrik der endvierziger Jahre dem auf der 5. Tagung empfohlenen Wirkungsmodell so nahe, daß die Diskutierenden sie als ein gelungenes Beispiel politischer Operativität neuer Literatur hätten verbuchen können. Tatsächlich stärkte hier die „positive" Gestaltung das Bewußtsein der Rezipienten und begeisterte sie zum „Kampf für das Neue", - ohne daß dabei formale Neuerungen versucht wurden: Das Massenlied konnte sich auf eine jahrzehntelange Tradition des Arbeiterliedes stützen, die es bruchlos fortführte. Das schlagendste Beispiel dafür sind die beiden damals vielgesungenen Lieder Du hast ja ein Ziel vor den Augen und Das neue Leben von Louis Fürnberg, die als völlig gegenwartsbezogen empfunden wurden, obwohl sie bereits in den dreißiger Jahren entstanden waren. 106 * Jedoch: Dieser Ansatz, der auf dem Gebiete der Liedlyrik und insbesondere des Massenliedes gefunden wurde, war aus mehreren Gründen auf andere Gattungen der Literatur nicht zu übertragen. Lyrik erlaubt, was Prosa und Drama weitgehend verwehrt ist: etwa die Reihung von Bildern und Symbolen bei Verzicht auf Vorfall und Handlung oder Kundgabe emotionalen Aufschwungs ohne differenzierte Analyse von Verhaltensmotiven. Dazu kam, daß die schwungvollen und einprägsamen Melodien der Lieder über jene Stellen hinwegtrugen, wo der Text schwach und trocken blieb oder im Banalen versandete. Vor allem aber gründete sich die Breitenwirkung der Massenlieder, ihr anfeuernder und mitreißender Effekt auf die Besonderheit ihrer Rezeptionssituation, die eine aktive und kollektive war: Die Lieder wurden in Gemeinschaft gesungen, auf Gruppenabenden, bei Demonstrationen, während der freiwilligen Arbeitseinsätze. Eine solche Bestätigung des Eingebundenseins in ein Kollektiv vermochten etwa die Reportagen der fünfziger Jahre oder ein „Betriebsroman" wie der von Hans Lorbeer, die gewissermaßen das Wirkungsmodell der Massenlieder in die Genres der Prosa zu übertragen suchten, auf Grund ihrer gänzlich anders gearteten Rezeptionssituation von vornherein nicht zu geben. Prosawerke von einiger Tragfähigkeit entstanden in den fünfziger 190
Jahren vor allem dort, wo der Autor die Konflikthaftigkeit des gesellschaftlichen Weges, seine Mühsal und Langwierigkeit nicht aussparte. Eduard Claudius hat sich in seinem Roman Menschen an unserer Seite (1951) 107 darum bemüht. Er schildert die Widerstände, die offenen und versteckten Gegenaktionen, mit denen der Aktivist Aehre fertig werden muß, um die Veränderung der überholten Arbeitsnorm und ein neues Verfahren der Ausbesserung von Ringöfen durchzusetzen - ein Verfahren, das die Arbeitskraft Aehres und die seiner schließlich gewonnenen Mitarbeiter aufs äußerste fordert, aber das Stillegen einer wichtigen Abteilung dieses Betriebes verhindert. Mit dem Bloßlegen dieser Widersprüche gewinnt Claudius für seinen Roman jenen Konzentrationspunkt, der Hans Lorbeers Roman Die Sieben ist eine gute Zahl so gänzlich fehlte. Hier liegt ein wesentlicher Grund dafür, daß der Roman in den folgenden zwei Jahrzehnten mehrmals wieder aufgelegt wurde und dem Leser noch heute als Zeugnis des Kampfes während der Aufbaujahre Interesse abnötigt. Andere Arbeiten aber sind heute weit weniger bekannt, obwohl sie als erste Versuche, Gegenwartsgeschehen erzählerisch zu erfassen, seinerzeit keine geringe Bedeutung hatten. Das betrifft etwa Anna Seghers' Friedensgeschichtenm von 1950 - sechs Kurzgeschichten, die jeweils das Verhalten eines einfachen Menschen im neuen Staat beschreiben. Becher bedenkt die Geschichten in seinem Tagebuch mit kräftigem Spott - „Beinahe rührend diese Hilflosigkeit, irgend etwas Neues zu gestalten" 109 * - und behauptet, sie seien einerseits für eine breite Leserschaft unverständlich und andererseits zu simpel in Handlungsführung und Schlußlösung - es fallen die Worte „deus ex machina" und „happy end". Dieses Urteil ist richtig und falsch zugleich. Bei aller Simplizität der erzählten Vorgänge versucht Anna Seghers doch, die Verschiedenartigkeit der Motive von Menschen zu erfassen, die sich im neuen Staat einzurichten beginnen: Eine Umsiedlerin, die bei der Bodenreform kein Land genommen hat, wagt es trotz der drohenden Blicke der Bauern, bei einer Dorfversammlung in Anwesenheit des Landrats eine bessere Unterkunft für sich und ihre Kinder zu fordern, und gewinnt dadurch nicht nur ein wenig Vertrauen in die neuen Machthaber, sondern auch in die eigene Kraft. Ein Landvermesser, der den Zeiten des alten Grafen nachtrauert, stellt sich für die Bodenreform zur Verfügung, weil er den jungen Grafen gehaßt hat, der das gräfliche Gut herabgewirtschaftet hatte; die reaktionäre Gesinnung des Landvermessers ändert sich nicht, seine Tätigkeit aber ist der Gesellschaft nützlich. Ein Land191
arbeiter, der den Krieg satt hatte, aber die neue Ordnung nicht mochte, kehrt aus Westberlin zurück, als ihm dort der Vorschlag gemacht wird, als Fremdenlegionär nach Vietnam zu gehen. In jedem Fall ist es die Widersprüchlichkeit im Verhalten von Menschen, die Anna Seghers herausarbeitet. Das mochte sie für das breite Publikum, an das Becher dachte, „unverständlich" gemacht haben in dem Sinne, daß sie dem Leser nicht ein übernehmbares Verhaltensmodell, sondern eine Skala sehr individuell motivierten Verhaltens unterbreiten. Gerade deshalb aber konnten sie als Versuch, sich anbahnende Bewußtseinsveränderungen zu beschreiben, für den Literaturprozeß als Ganzes trächtig werden. Das läßt sich - ein Ausnahmefall für den Literaturhistoriker - direkt belegen: Zwei von ihnen, Die Umsiedlerin und Der Traktorist, bildeten Jahre später einen der Kristallisationspunkte für Heiner Müllers Dramen Die Bauern und Die Schlacht.ii0* Müllers Dramen geben einen Großaufriß der geschichtlichen Vorgänge in der Deutschen Demokratischen Republik, ihre Handlung ist verzweigter und viel stärker auf die Konflikthaftigkeit der Vorgänge gestellt. Daß er die Vorarbeit von Anna Seghers nutzen konnte, auch dort, wo er sich polemisch von der Seghersschen Darstellung abstößt, macht immerhin deutlich, daß die Friedensgeschichten so einfältig und nutzlos nicht waren, wie Becher meinte. Einen Schritt weiter im Bloßlegen der Faktoren, unter deren Einfluß Menschen ihr Leben veränderten, ging Anna Seghers 1952 in ihrer Erzählung Der Mann und sein Name.iil* Diese mutet wie der Versuch einer Antwort auf jene Fragen an, die Willi Bredel mit der Erzählung Das schweigende Dorf aufgeworfen hatte: Es ist die Geschichte eines jungen Mannes, der - im letzten Kriegsjahr zur Waffen-SS eingezogen - sich nach Kriegsende einen falschen Namen zulegt, um einer etwaigen Bestrafung zu entgehen. Der falsche Name ist der eines tapferen jungen Widerstandskämpfers, und so wird er für diesen gehalten. Der Mann beträgt sich so, wie es sein Name verlangt, zeigt sich als guter Arbeiter, tritt in die Partei ein - zunächst, um seine Identität zu verbergen, mit der Zeit immer mehr, weil er sich tatsächlich verändert. Er wird dem ursprünglichen Träger seines Namens ähnlich - so weit, daß er schließlich die Kraft findet, die Fragebogenfälschung selbst aufzudecken. Anna Seghers geht dem Prozeß nach, der solchen Wandel möglich macht. Der Mann ändert sich, weil sich andere Menschen um ihn bemühen, ihn aus seiner Isolierung reißen, ihm Aufgaben stellen, ihm 192
Vertrauen entgegenbringen. Er gewinnt Genossen, Freunde, eine Liebe, er kann sich nützlich machen, er wird gebraucht. Der politische Lehrgang, zu dem er geschickt wird, eröffnet ihm neue Wissenshorizonte und die Möglichkeit, seine Erfahrungen unter neuem Blickwinkel zu reflektieren. Sein Leben, das mit dem Kriegsende auf die nackte Existenzerhaltung geschrumpft war, erhält einen neuen Sinn. Nicht ein einmaliges, erschütterndes Erlebnis hat den Mann zu einem anderen gemacht, nicht ein durch moralische Beweggründe ausgelöster Willensakt und nicht politische Überzeugungsarbeit allein. Seine Wandlung erfolgte schrittweise durch eine Vielzahl kleiner Faktoren des Alltags, die sich zwar besonders günstig für ihn zusammenfügten, jedoch keine bloßen Zufälle sind, sondern ihre tiefste Ursache in der beginnenden Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse hatten. Heute gewinnt diese Erzählung schon fast eine neue Aktualität: Wenn gegenwärtig bei Schriftstellern und Lesern das Interesse für die Frage zunimmt, wie es möglich war, daß Menschen, die den Faschismus aktiv oder passiv unterstützt hatten, zu aktiven Erbauern des Sozialismus werden konnten, darf getrost auch auf Anna Seghers' Erzählung Der Mann und sein Name verwiesen werden. Das Problem, das vor wenigen Jahren Franz Fühmann in Zweiundzwanzig Tage oder Die Hälfte des Lebens112 benannt hat — daß eine solche Wandlung, so ehrlich sie war, nicht notwendig eine gründliche, alle Sphären der Persönlichkeit umfassende sein muß - , wird in der Erzählung von Anna Seghers bereits von einer anderen Seite her vorbereitet: Die Veränderung eines Menschen kann nur dann eine gründliche sein, wenn a l l e Sphären der Persönlichkeit von den Veränderungen der gesellschaftlichen Umwelt angesprochen werden - und zwar über einen längeren Zeitraum. Anna Seghers führt dies vor, indem sie mit dem Kunstgriff arbeitet, die Erzählung voll auf die Ausgefallenheit des Vorfalls zu stellen. Dadurch liest sie sich heute weniger als ein Zeitdokument - eher als ein legendäres Gleichnis, das zum Grübeln herausfordert. Die operative Intention, die Anna Seghers beim Schreiben der Erzählung verfolgte, ging wohl in eine ähnliche Richtung: Sie vermochte wechselseitiges Verständnis für die emotionale Verfassung der beiden Gruppen zu wecken, die einander anfangs kaum begreifen konnten: der aktiven Antifaschisten, die für ihre Überzeugung schwerste Opfer gebracht hatten, und jener Leute, die sich vom Faschismus hatten mißbrauchen lassen. Anna Seghers verschweigt nicht das Ausmaß der Vertrauenskrise, die dem Geständnis des Mannes folgt. Der Zweifel seiner Kameraden an seiner Ehr13
DDR-Literatur
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lichkeit und seine Verzweiflung über ihre Zweifel werden - so macht Anna Seghers deutlich - noch über lange Jahre die Beziehungen zwischen ihm und den Menschen seiner Umgebung belasten. Dennoch hilft Abbruch der Beziehungen nicht weiter, sie müssen miteinander arbeiten und darum auch den Umgang miteinander neu erlernen. Der Mann und sein Name, heute beim breiten Publikum vergessen, ist einer der immer noch interessanten Prosaversuche der fünfziger Jahre, Gegenwartsgeschehen für die Literatur zu erschließen. Andere mögen zu entdecken sein. Hans Richter hat darauf aufmerksam gemacht, daß Johannes R. Bechers Tagebuch 1950113 auch als ein groß angelegtes Experiment gelesen werden kann, neuen Spielraum für die Prosa zu gewinnen und unmittelbare Kommunikation zwischen dem authentischen Verfasser-Ich und dem Leser möglich werden zu lassen.114 Dieses Experiment ist, so belegt Richter, für den Literaturprozeß folgenlos geblieben: Keiner der späteren und ohnehin nicht häufigen Tagebuch-Versuche knüpft an Becher an. Auch wenn man Richters These nicht uneingeschränkt bejaht, daß es sich bei Bechers Tagebuch um „die bewußte Entdeckung und ebenso risikofreudige wie großangelegte Erprobung eines künstlerischen Prinzips" handelt, „das auf lange Sicht als ein konstituierendes Prinzip sozialistischrealistischer Literatur zu erkennen und zu verwirklichen sein mußte",115* trägt ein solches Lesen scheinbar musealer Bücher unter dem Blickwinkel gegenwärtiger Fragen, wie es Richter praktiziert, mancherlei zur Erhellung jener Faktoren bei, die die Entwicklung unserer Literatur in ihrer frühen Phase bestimmten. Klar wird zumindest, daß der pauschale Begriff einer „erzieherischen" oder „aufklärerischen" Funktion, der sich in unserer Literaturwissenschaft als Terminus für die Beschreibung der Literatur der fünfziger Jahre eingebürgert hat und zugleich als Erklärung für ihre Schwächen dienen soll, dringend einer Differenzierung bedarf. Um die Frage, welche Aufgaben die Literatur in der entstehenden sozialistischen Gesellschaft zu erfüllen vermag und welche literaturpolitischen Maßnahmen ihr dabei eine Unterstützung sein können, wurde in jenen Jahren mit großem Ernst und mit großer Bewußtheit gerungen. Die Schwierigkeit, produktive Antworten zu finden, ergab sich aus einer Situation, in der die Schriftsteller die neuen Züge der Wirklichkeit erst entdecken, eine Vorstellung vom neuen Leser und eine Einstellung zu ihm erst aufbauen und adäquate Gestaltungsmittel erst erproben mußten. Ein Zug zur Harmonisierung in dem Sinne, heute noch wirksame 194
Widersprüche als Überbleibsel der Vergangenheit aufzufassen und ihre Überwindbarkeit in naher Zukunft zu sehen, ist den meisten und auch den besten Werken der fünfziger Jahre mehr oder weniger eigen. Er wurde in dem Maße überwunden, in dem die Spezifik der dem Sozialismus eigenen Widersprüche ins Bewußtsein gelangte und reflektiert wurde. Dieser Vorgang konnte jedoch erst einsetzen, nachdem der sozialistischen Gesellschaft der Rückblick auf eine wenigstens mehrjährige Geschichte möglich war. Anna Seghers war wohl die erste, die die Frage nach dieser Spezifik öffentlich stellte, wenn sie auf dem Zweiten Kongreß der Sowjetschriftsteller im Dezember 1954 die Probleme beschrieb, über die sie gerade nachdachte: u. a. das neue Verhältnis des Menschen zu seiner Arbeit; über das Verhältnis von Fähigkeiten zu Leistungen. Wie kommt es, daß sich der eine stürmisch entwickelt, der andere aber stillsteht und sich mit seinem bescheidenen Platz begnügt, obwohl er anscheinend nicht weniger begabt, nicht dümmer als der andere ist? Warum wird der eine Aktivist oder Brigadier, Ingenieur oder Werkleiter, der andere aber kommt nicht voran? Warum nützt der eine jede Möglichkeit aus, die ihm sein Staat heute bietet, und der andere hat nicht einmal das Bedürfnis, diese Möglichkeiten zu ergreifen? Der Schriftsteller darf nicht vor der Darstellung dieses Themas zurückweichen. Es betrifft meines Erachtens eine der wichtigsten Fragen der neuen Gesellschaft."116 In ihrem Roman Die Entscheidung (1959)117 ist Anna Seghers von diesen Fragen bereits ausgegangen. Und aus den verschiedenen Bearbeitungen, die der Garbe-Stoff in der Literatur erfahren hat, läßt sich ablesen, wie sich der Blick für die Widersprüche der neuen Gesellschaft schrittweise schärfte - aber das ist schon wieder ein neues Thema.
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Therese Hörnigk
Die erste Bitterfelder Konferenz Programm und Praxis der sozialistischen Kulturrevolution am Ende der Übergangsperiode
Der Begriff „Bitterfelder Weg", sein Inhalt, vor allem aber auch die Intentionen seiner politischen wie künstlerischen Initiatoren, sind mehr als die Einseitigkeiten seiner Praxis - merkwürdigerweise in kultur- und kunstwissenschaftlichen Publikationen der D D R in den letzten Jahren scheinbar in Vergessenheit geraten. D a ß daraus gelegentlich der Eindruck entsteht, als würde man sich eher verschämt und mit Nachsicht als mit souveränem Bekenntnis dieses wichtigen Teilstücks sozialistischer Kulturrevolution erinnern, nimmt nicht wunder. Und dies, obwohl sich mit dem Bitterfelder Weg entscheidende programmatische, kulturelle, künstlerische und kulturpolitische Aussagen der Partei zwischen dem V. Parteitag 1958 und dem VIII. Parteitag 1971 verbinden, die unsere Entwicklung maßgeblich bestimmt haben. „Naive Leute könnten annehmen, daß der nach einer kleinen mitteldeutschen Industriestadt benannte Kommunikationstrakt ein Irrweg gewesen sei. In Wirklichkeit ist das, was dieser Begriff aussagt, am Leben, und zwar in einer Vielfalt und Stärke, die unsere Erwartungen weit übertrifft" 1 , bemerkte Karl-Heinz Jakobs schon 1973 zu diesem Sachverhalt. Sein Hinweis signalisiert einen (verglichen mit den Gesellschaftswissenschaften, speziell der Literaturwissenschaft) bewußteren und selbstverständlicheren Umgang mit diesem Erbe durch Schriftsteller - sowohl in der theoretischen Reflexion als auch in der literarischen Produktion. 2 Hermann Kant, der den Gedanken von Jakobs in seinem Referat auf dem VII. Schriftstellerkongreß aufgegriffen hat, erweiterte ihn, indem er verschiedene, über die Literatur hinausgehende Fragestellungen unseres historischen Bewußtseins reflektierte: „. . . mit dem Bitterfelder Weg wird es gehen, wie es mit vielem in unserer Entwicklung gegangen ist, dessen Name uns inzwischen beinahe schon entfil, MTS z. B. oder ABF. Wenn der Hohn unserer Gegner, der Spott mancher Freunde, unser eigener Ärger, unsere eigne Anstren196
Therese Hörnigk
Die erste Bitterfelder Konferenz Programm und Praxis der sozialistischen Kulturrevolution am Ende der Übergangsperiode
Der Begriff „Bitterfelder Weg", sein Inhalt, vor allem aber auch die Intentionen seiner politischen wie künstlerischen Initiatoren, sind mehr als die Einseitigkeiten seiner Praxis - merkwürdigerweise in kultur- und kunstwissenschaftlichen Publikationen der D D R in den letzten Jahren scheinbar in Vergessenheit geraten. D a ß daraus gelegentlich der Eindruck entsteht, als würde man sich eher verschämt und mit Nachsicht als mit souveränem Bekenntnis dieses wichtigen Teilstücks sozialistischer Kulturrevolution erinnern, nimmt nicht wunder. Und dies, obwohl sich mit dem Bitterfelder Weg entscheidende programmatische, kulturelle, künstlerische und kulturpolitische Aussagen der Partei zwischen dem V. Parteitag 1958 und dem VIII. Parteitag 1971 verbinden, die unsere Entwicklung maßgeblich bestimmt haben. „Naive Leute könnten annehmen, daß der nach einer kleinen mitteldeutschen Industriestadt benannte Kommunikationstrakt ein Irrweg gewesen sei. In Wirklichkeit ist das, was dieser Begriff aussagt, am Leben, und zwar in einer Vielfalt und Stärke, die unsere Erwartungen weit übertrifft" 1 , bemerkte Karl-Heinz Jakobs schon 1973 zu diesem Sachverhalt. Sein Hinweis signalisiert einen (verglichen mit den Gesellschaftswissenschaften, speziell der Literaturwissenschaft) bewußteren und selbstverständlicheren Umgang mit diesem Erbe durch Schriftsteller - sowohl in der theoretischen Reflexion als auch in der literarischen Produktion. 2 Hermann Kant, der den Gedanken von Jakobs in seinem Referat auf dem VII. Schriftstellerkongreß aufgegriffen hat, erweiterte ihn, indem er verschiedene, über die Literatur hinausgehende Fragestellungen unseres historischen Bewußtseins reflektierte: „. . . mit dem Bitterfelder Weg wird es gehen, wie es mit vielem in unserer Entwicklung gegangen ist, dessen Name uns inzwischen beinahe schon entfil, MTS z. B. oder ABF. Wenn der Hohn unserer Gegner, der Spott mancher Freunde, unser eigener Ärger, unsere eigne Anstren196
gung längst vergessen sind, dann wird, was unter diesem Namen errungen wurde, ein womöglich kaum noch identifizierbarer, aber immer noch unverzichtbarer Bestandteil unserer gesellschaftlichen Wirklichkeit und auch unserer Kunstwirklichkeit isein."3 Der Abschied von einem Namen - das ist Kants Aufforderung sollte nicht einfach als ein Abschied von der Sache oder der Haltung mißverstanden werden. E s ist zudem kein Zufall, daß auch K a n t mit dem Bekenntnis zu einer notwendigen und genauen „Erkundigung unserer eigenen Vergangenheit" gerade an dieser Stelle seines Referats auf ein theoretisches Defizit der Gesellschaftswissenschaften hingewiesen hat. Wenngleich heute ,der seinerzeit von ihm benannte Mangel, keine eigene marxistische Literaturgeschichte zu besitzen, behoben ist, bleibt doch die Aufgabe bestehen, diesen Prozeß, der „zu nicht weniger als einer völligen Veränderung der literarischen Szene geführt hat" 4 , einer gründlichen, differenzierten Analyse zu unterziehen. Durch eine literaturgeschichtliche Betrachtung des nach der ersten Bitterfelder Konferenz (1959) eingeschlagenen Weges können von heute aus jene gesamtgesellschaftlichen Prozesse und künstlerischen Veränderungen unbefangener überprüft und bewertet werden, in denen sich diese Kulturkonzeption vielfältig programmatisch ausgewiesen und praktisch bewährt hat. Der historische Abstand von zwanzig Jahren macht zudem den tatsächlichen kulturellen Ertrag und das Maß an gesellschaftlichem Fortschritt genauer bestimmbar, als dies noch vor wenigen Jahren möglich war. Voraussetzung allerdings ist, die neu geschaffenen Produktionsbedingungen und Wirkungsweisen von Kunst und Literatur in der sich dem E n d e nähernden Übergangsperiode neu zu sichten - eine Aufgabe, die längerfristig nur durch komplexe Forschung verschiedener Wissenschaftsgebiete zu lösen ist, was bis heute noch aussteht. Der vorliegende Beitrag beschränkt sich deshalb ausdrücklich auf die Darstellung e i n e r Seite des Bitterfelder Weges. Verfolgt wird unter literaturhistoriischem Aspekt das Verhältnis von Kulturprogrammatik, neuer kulturpolitischer Organisationsweise und kultureller wie künstlerischer Praxis nach der ersten Bitterfelder Konferenz. Stützen kann sich dieser Versuch auf eine Reihe bedeutender Vorleistungen der marxistisch-leninistischen Gesellschaftswissenschaften, auf wichtige Forschungsergebnisse der Historiker aber auch auf literaturwissenschaftliche Arbeiten - zumeist Einzelanalysen oder Versuche der Tendenzbestimmungen literarischer Entwicklungen, insbe197
sondere der Prosa aus den sechziger Jahren. 5 * Mit den kulturpolitischen und kunsthistorischen Problemen dagegen beschäftigten sich seit längerer Zeit in der Regel andere Wissenschaftsdisziplinen - vor allem Kulturtheorie und Ästhetik 6 so daß bis zum Ende der sechziger Jahre Bitterfeld als Modell kultureller Entwicklungsprozesse im Sozialismus von allen Seiten deutlich herausgearbeitet war, allerdings jeweils in anderen Begründungszusammenhängen. D i e Neubestimmung der Perspektiven einer sozialistischen Kulturrevolution von der Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft her - ausgelöst durch den V I I I . Parteitag und fundiert im Programm der S E D - eröffnete eine neue Phase der Beschäftigung mit Bitterfeld. D i e Arbeiten, die - nach einer relativen Publikationsstille - seit Mitte der siebziger Jahre erschienen, tragen deutlich bilanzierenden Charakter. 7 Theorie und Praxis des Bitterfelder W e ges, der als Versuch einer umfassenden Kulturstrategie - Zusammenführung ökonomischer, politischer und kultureller Prozesse - seine Bedeutung behält, werden als historisch fixierbare Etappe der sozialistischen Kulturrevolution beschrieben. Das Bemühen, die produktiven Anregungen des Bitterfelder Programms als historischen Erfahrungsschatz zu erhalten, dominiert dabei gegenüber einer kritischen Bewertung der Vorschläge und Ergebnisse. Dabei bleiben die B e züge zu den realen geschichtlichen Bedingungen und Möglichkeiten oft sekundär. Charakteristisch für neuere literaturwissenschaftliche Untersuchungen in der D D R ist, daß der Bitterfelder Weg als wichtiger Abschnitt einer sozialismuseigenen kulturpolitischen und künstlerischen Entwicklung zwar größtenteils erwähnt und in groben Zügen in den historischen Gesamtverlauf eingebettet, nach dem Funktionszusammenhang mit den gesellschaftlichen Umbrüchen am E n d e der Übergangsperiode aber kaum gefragt wird. D i e Sichtung der hier entstehenden neuen Literatur erfolgt im allgemeinen vielmehr im Kontext mit den großen nationalen und internationalen Erfolgen. D e r Bitterfelder Weg und speziell die erste Bitterfelder Konferenz werden vielfach hauptsächlich als Beginn eines neuen Abschnitts der DDR-Literaturentwicklung am Anfang der sechziger Jahre gewertet, die sich mit Namen wie Volker Braun, Werner Bräunig, Günter de Bruyn, Günter Görlich, Helmut Hauptmann, Hermann Kant, Rainer Kerndl, Eberhard Panitz, E r i k Neutsch, Helmut Sakowski, Bernhard Seeger, Benito Wogatzki, Christa Wolf und anderen verbindet. Wie schon zu Beginn der sechziger Jahre interessiert auch jetzt vorrangig 198
der literarische Ertrag. Darum ist es allerdings beim Entwurf einer neu durchzusetzenden kultur- und kunstpolitischen Organisationsweise - angesichts der Fülle zu bewältigender Probleme beim Aufbau der ökonomischen Basis des Sozialismus und der komplizierten Situation im geistig-kulturellen Bereich nach 1956 - vorerst am allerwenigsten gegangen. Mit dem Verweis auf die „neuen Tendenzen in der kulturellen Entwicklung, die durch die Prinzipien der sozialistischen Kulturpolitik '1959 auf einer Konferenz in Bitterfeld' erarbeitet worden sind",8 erschöpft sich in vielen literaturwissenschaftlichen Darstellungen der historische und gesellschaftliche Kontext des Bitterfelder Weges. Die neuentstehende Literatur zu Beginn der sechziger Jahre, der quantitativ nachgewiesene Autorenzuwachs und der Eintritt einer jungen Schriftstellergeneration, die sich seit Ende der fünfziger Jahre entschieden zur „Gestaltung des sozialistischen Hier und Heute" hingewandt hat, stehen im Mittelpunkt der meisten literaturtheoretischen Arbeiten seit Beginn der siebziger Jahre. Im Band 11 der Geschichte der deutschen Literatur wird die Konzeption des Bitterfelder Weges im Kapitel Neue Impulse für das literarische Leben dargestellt. Obwohl viele Details der Bitterfelder Bewegung erwähnt sind, wird auch hier die literaturhistorische Wertung in ihrem Ergebnis auf die „neue(n) Ansätze und Leistungen der Prosaliteratur am Ende der fünfziger und Anfang der sechziger Jahre" 9 bezogen. Ebenso wie in anderen Publikationen wird der literarische Ertrag aus der Vielfalt der Ansätze, die kulturellen Verhältnisse i n i h r e r G e s a m t h e i t zu revolutionieren, weitgehend herausdestilliert. In dem Bemühen, die bleibenden literarischen Ergebnisse festzuhalten, werden die Widersprüche in dieser zweiten Phase der sozialistischen Kulturrevolution zum großen Teil nivelliert. Das zeigt sich auch in dem ansonsten auf Differenzierung bedachten und analytisch angelegten Artikel Die Fragen und die Antworten unserer Literatur in dem Band Literatur und Geschichtsbewußtsein von Walfried Hartinger, in dem dem Bitterfelder Weg nur eine äußerist begrenzte Bedeutung beigemessen wird - vornehmlich als Zwischenspiel „individueller Krisensituationen Mitte bis Ende der fünfziger Jahre" der zur „Ankunfts- oder Bewährungsliteratur" zu Beginn der sechziger Jahre überleitet.10 Zwar werden der Politik des Bitterfelder Weges durchaus beachtliche Erfolge bei der Entwicklung der sozialistischen Kultur und der Künste bescheinigt, jedoch werden diese hauptsächlich von ihrer Korrektur her erfaßt, indem vor allem die „vulgärsoziologischen Tendenzen" und die „einseitige Orientierung 199
auf begrenzte Themen- und Stoffkomplexe", d. h. Verengungen und Einseitigkeiten hervorgehoben werden. 11 Schließlich sei noch erwähnt, daß die schreibenden Arbeiter in den meisten Veröffentlichungen kaum noch Beachtung finden. Dieser Umstand scheint symptomatisch für den Verzicht auf Analyse in der literaturwissenschaftlichen Forschung. D a s zunehmende Nachdenken über die schon fast dreißigjährige eigene Geschichte hat jedoch auch methodisch Konsequenzen: D a s Verhältnis von Kontinuität und Diskontinuität in den kulturellen Prozessen ist genauer zu bestimmen, zumal die Diskussionen darüber nicht nur intern vor sich gehen. Mit der gewachsenen Ausstrahlungskraft des Sozialismus verstärken sich die Reaktionen bürgerlicher Ideologen; gerade gesellschaftliche Umbruchsphasen erwecken das besondere Interesse der bürgerlichen Literaturgeschichtsschreibung. So auch der Bitterfelder Weg. Welche Aktualität die ideologische Auseinandersetzung mit einer sozialismusspezifischen kulturpolitischen und künstlerischen Konzeptionsbildung besitzt, zeigt ein Blick auf jüngere Ergebnisse einer Reihe bürgerlicher Publikationen, die sich dem Bitterfelder Weg in den letzten Jahren mit besonderer Akribie zugewandt haben. 12 D a s mit dem Bitterfelder Weg verbundene Grundanliegen sozialistischer Kulturrevolution wird von bürgerlichen Literaturwissenschaftlern unterschiedlichster Provinienz - mit den verschiedenartigsten Sozialismusvorstellungen - abgewertet. Im Zusammentreffen konservativer oder liberaler Verfälschungen mit Arbeiten, die von Erkenntnisinteresse oder positivem Engagement zeugen (auch wo dies auf falschen Voraussetzungen beruht), offenbart sich die innere Disparatheit bürgerlicher Positionsbildung zu Problemen des realen Sozialismus. Dabei unterscheiden sich erstere durch das Weiterschleppen überkommener Pauschalurteile und Desinteresse am historischen Material auch im wissenschaftlichen Niveau von letzteren. Eine besonders reaktionäre Variante von „gesamtdeutscher Literaturkonzeption" sieht den Bitterfelder Weg als „Chinoiserie", der in seinem Wesen der Politik des großen Sprungs entspräche. 13 Andere betrachten die Kulturkonzeption hauptsächlich unter dem Gesichtspunkt einer erzwungenen Durchsetzung des sozialistischen Realismus in der Kunst, der nach wie vor als die Erfindung „kunstfremder Funktionäre" ausgegeben wird. 14 Literarische und gesellschaftliche Entwicklung werden häufig sorgfältig voneinander getrennt, und mit dem Vokabular des kalten Krieges wird der Bitterfelder Weg schlichtweg als die „Propagierung des Banausentums" abgetan. 1 5 200
Weitaus differenzierter, wenn auch nicht richtig in der Interpretation der Ergebnisse, befassen sich linke Kritiker unterschiedlichster politischer Standorte mit dem Bitterfelder Weg, wenn sie ihn als Variante eines auf revolutionäre Veränderungen zielenden Wirkungskonzepts für die Übergangsperiode akzeptieren, ihn aber werten als den „verspäteten Versuch der S E D , die kulturellen Interessen der Arbeiter einzudämmen, bevor diese sich selbst organisierten" 16 . D i e sogenannten „Ultralinken" sehen im Bitterfelder Weg die eigentliche sozialistische Lösung 1 7 - sie rücken ihn in unmittelbare N ä h e zur chinesischen Kulturrevolution und geben den rechtsreaktionären Verdikten auf ihre Weise recht. In ihrer Version ist der Abschied vom Bitterfelder Weg als Kulturmodell der sozialistischen Gesellschaft das E n d e sozialistischer Kulturpolitik überhaupt. 18 D a zwischen liegen Versuche, die sich zunächst scheinbar relativ sachlich dem Problem nähern und darauf aus sind, das, „was sich 'Bitterfelder Weg' nennt", als ein komplexes Programm auf dem Gebiet der Kulturpolitik zu werten, „dessen Auswirkungen sich keineswegs auf das Kulturpolitische beschränken sollen" 1 9 , sondern als „Etablierung der sozialistischen Gesellschaft" einer kulturrevolutionären Bewegung die Funktion gibt. 20 Hier stellt sich der Bitterfelder Weg als kulturelles und kulturpolitisches Experiment dar, das allerdings über „rein äußerliche administrative Maßnahmen und Appelle" 2 1 nicht hinausgelangte. Wenige Untersuchungen urteilen sachlich: „ D i e Bitterfelder Bewegung, von den westdeutschen Kritikern mit jener fatalen Mischung aus Mitleid und Spott betrachtet, die vergiftet, anstatt zu informieren, ist in ihrer Substanz ein Ausdruck des Willens, Arbeiter, Arbeitswelt und Literatur in eine möglichst intensive Symbiose zu bringen." 22 Wenn wir uns heute wieder den „Mühen der Ebenen" zuwenden, so geschieht das im Zusammenhang mit einer streitbaren, offenen und öffentlichen gesellschaftlichen Selbstverständigung über eben jene Probleme der Verbindung von Literatur und sozialistischer Lebenspraxis, auf die der Bitterfelder Weg als erstes Lösungsangebot reagierte. D a s allgemeine Kulturverständnis in der Gegenwart ist geprägt durch die Beschlüsse des VIII. und IX. Parteitages der S E D , in denen auf die „Gesamtheit der Lebensbedingungen, der materiellen und geistigen Werte, Ideen und Kenntnisse" orientiert wird. Als Teil der kulturellen Praxis der entwickelten sozialistischen Gesellschaft kann heute Literatur als „Beziehung zwischen Menschen, als gesellschaftliche Aktion" 2 3 definiert werden. Um eine solche Fundie201
rung des literarischen Lebens in den kulturellen Prozessen der Gesellschaft geht es auch im folgenden. Dabei interessiert vor allem das Organisationspnnzip, mit dessen Hilfe die materiellen Bedingungen zur Lebensweise und zur künstlerischen Praxis der entstehenden sozialistischen Gesellschaft in Beziehung gebracht werden. Als Beginn einer neuen Phase der Kulturrevolution in der D D R bestand sein wesentliches Anliegen darin, die Arbeiterklasse auf qualitativ neuer Stufe als Rezipient und als Produzent einer sozialistischen Kunst und Kultur zu entwickeln, durch eine enge Verbindung der Künstler mit den gesellschaftlichen Unternehmungen „die entscheidende Wendung (unserer) Künstler zum Sozialismus zu erreichen" 24 sowie Inhalt und Methoden der Unterhaltungskunst so zu verändern, daß sie für die sozialistische Bewußtseinsbildung der Massen eine wichtige Funktion erhält. Diese Intentionen des Bitterfelder Weges, die schon der V. Parteitag der S E D im Zusammenhang mit seiner gesamtpolitischen Orientierung, „den Sozialismus in der D D R zum Siege zu führen und damit die Übergangsperiode abzuschließen" 25 , vorbestimmt hatte, sind von den praktischen Lösungswegen unter den gegebenen historischen Bedingungen nicht zu trennen und bilden in dieser Einheit auch das Zentrum literarischer Organisation. Zur Diskussion steht, in welcher Weise das auf dem V. Parteitag 1958 initiierte Kulturkonzept des Bitterfelder Weges neue Literaturverhältnisse über die Vermittlung von politischen, kulturellen, ästhetischen und ökonomischen Faktoren konstituieren konnte, und erst danach wird der Frage nachgegangen, wie der Versuch zur Entwicklung einer sozialistischen Nationalliteratur, in dem erstmals weltanschauliche Bewußtheit und soziale Aktionsfähigkeit auf dem Weg über eine sozialistische Volkskultur als Massenkultur angestrebt bzw. in der Praxis erprobt wurde, sich in der Praxis ausnahm. Schließlich geht es um die veränderte Funktion der Künste als Instrumente kultureller Massenarbeit, um ihre Integration in den kulturellen Alltag unter der Losung „Die Kunst dem ganzen Volke". Erst von so einem komplexen Ansatz aus ist der Raum abzustecken, den speziell die Literatur bei der revolutionären Umgestaltung der Gesellschaft ausschreiten konnte; und es werden die ideologischen und ästhetischen Bedingungen faßbar, die der Entwicklungsrichtung des Bitterfelder Weges zugrunde gelegen haben.
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Vorgeschichte und Programmatik Als sich am 29. April 1959 im Kulturpalast des Elektrochemischen Kombinats Bitterfeld nahezu 300 schreibende Arbeiter, 150 Berufsschriftsteller, Vertreter von Partei und Regierung, der Hochschulen und Universitäten, der Presse, der Verlage, der Akademie der Künste, des Schriftstellerverbandes und nicht zuletzt der Gewerkschaften zu einer ursprünglich als Autorenkonferenz des Mitteldeutschen Verlages geplanten Konferenz trafen, waren weder Zeitpunkt noch Ort ein Zufall. Im Gegenteil: Beide waren Ergebnis und direkte Folge eines politischen, ökonomischen und ideologischen Prozesses; seit Mitte der fünfziger Jahre hatten sich die Gesetzmäßigkeiten des Sozialismus immer stärker ausgeprägt - der Entwicklungsstand der Produktionsverhältnisse machte das Ende der Übergangsperiode absehbar. Alfred Kurella, Leiter der Kommission für Fragen der Kultur beim Politbüro des ZK der SED, hatte den Auftrag erhalten, das einführende Referat zu übernehmen, dem eine umfassende Ausarbeitung der Kulturabteilung des ZK zugrunde lag. Der Ausgangspunkt seiner programmatischen Rede schien fast beiläufig: Er sprach von neuen Begriffen, Bildern und Denkkategorien wie „Siebenmeilenstiefel, maximaler Zeitgewinn . . . Weltniveau, Kompaß" 26 . Sie seien der adäquate Ausdruck neuer inhaltlicher und zeitlicher Maßstäbe für die anstehenden gesellschaftlichen Aufgaben. Zunächst nur „einen kleinen, den aktivsten Teil unserer Arbeiterschaft und die Gruppen der zentralen Planer bewegend", wären sie nun „mehr und mehr zur Denkform unserer gesamten Bevölkerung" 2 7 geworden. Die von Kurella vorgezeichnete Perspektive fand in der Formulierung „ökonomische Hauptaufgabe" politisch ihren konkreten Ausdruck - sie wurde als entscheidendes Instrument, planmäßig, in einem historisch exakt bilanzierten Zeitraum, „den praktischen und anschaulichen Beweis für die Überlegenheit der sozialistischen Gesellschaftsordnung zu schaffen" 28 , definiert. Kurella sprach darüber, daß es seit dem V. Parteitag dank dieser Aufgabenstellung zu einem bisher nicht gekannten, massenhaften Aufschwung von Initiativen, ja zur Veränderung der Bewußtseinslage innerhalb der Arbeiterklasse gekommen sei und damit eine „echte Wandlung . . . begonnen" habe 29 - eine Wandlung, die sich besonders in den Zentren der industriellen Produktion zeige, dort, wo sich die realen Umwälzungen am deutlichsten vollzogen hätten. Ausdruck dafür sei auch, daß sich die Beziehung von persönlicher Verantwortung der Werktätigen für das 203
Ganze auf die vielfältigen menschlichen Beziehungen übertrage, die sich vor allem im sozialistischen Wettbewerb um den Titel Brigade der sozialistischen Arbeit realisieren und von hier aus auf das kulturelle Leben ausstrahlen würden. Der Tagungsort Bitterfeld war das erste Industriezentrum, in dem Kollektive der sozialistischen Arbeit neue Methoden nach dem Vorbild sowjetischer Brigaden der kommunistischen Arbeit aufgenommen hatten. Von hier aus waren - in Auswertung der Beschlüsse des V. Parteitages - die ersten Aufrufe zum sozialistischen Wettbewerb ergangen. Mit der Losung „Wir werden auf sozialistische Weise arbeiten, lernen und leben" hatte die Jugendbrigade Nikolai Mamai im Januar 1959 die Öffentlichkeit auf sich aufmerksam gemacht und damit den Auftakt zu einer Massenbewegung gegeben. Schon am 7. Oktober 1959 erhielten 103 Kollektive den Titel „Brigade der sozialistischen Arbeit", und gegen Ende des Jahres kämpften bereits annähernd 700000 Werktätige der DDR in fast 60000 Kollektiven um diesen Titel.30 Was lag also näher, als von diesem industriellen Ballungsgebiet aus, in dem die sozialistische Organisation der Arbeit so erfolgreich funktionierte, nun - ein Jahr nach den für die Kultur so entscheidenden Beschlüssen des V. Parteitages - neue Impulse und Orientierungen für den Fortgang der sozialistischen Kulturrevolution und die Entwicklung einer sozialistischen Nationalkultur ausgehen und formulieren zu lassen. Zwei Losungen bestimmten Verlauf und Ausgang dieser Bitterfelder Konferenz. Der ehemalige Wismutkumpel und Schriftsteller Werner Bräunig hatte den Teilnehmern der Konferenz einen Aufruf mit der Aufforderung „Greif zur Feder, Kumpel! - Die sozialistische Nationalliteratur braucht dich!"31* vorgelegt - ein Aufruf, der an Majakowskis Sendschreiben an die proletarischen Dichter von 1926 erinnert, wo es heißt: „Unsere Aufgabe: Poesie aus dem Boden zu stampfen - ist gigantisch. Frisch angesetzt das Schreibgerät."32 Ein zweiter Appell erging an alle Kunstschaffenden, aus ihren Ateliers und Arbeitsräumen, aus den „Künstlerkonventikeln" heraus an die Basis der Produktion zu gehen, um den Sozialismus an seinen Quellen zu studieren. Hier in Bitterfeld sollte kollektiv beraten werden, wie sich die Künstler und Schriftsteller noch enger mit Problemen der Produktion vertraut machen könnten. Ursprünglich war ein Aufruf lediglich an die Schriftsteller geplant, „zu den Problemen unserer Tage Stellung zu nehmen, vor allem die Wandlung des sozialistischen 204
Menschen zu gestalten, seine Arbeit und die sich vollziehenden Veränderungen im Menschen und in der Gesellschaft in den Mittelpunkt des künstlerischen Schaffens zu stellen" 33 . D a sich diese von dem Schriftsteller und Politiker Otto Gotsche erhobene Forderung jedoch kaum von der schon auf der 2. Parteikonferenz (1952) unterschied, war es notwendig, die alte Forderung zu erweitern und zu modifizieren. Die 30. Tagung des Z K der S E D (Februar 1957) und die erste Bitterfelder Konferenz brachten konkrete Praxisbezüge in die Diskussion: „Wir müssen erreichen, daß die Schriftsteller, die Künstler und die Wissenschaftler nicht als seltene Ausflügler in die Betriebe, Maschinen-Traktoren-Stationen und landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften gehen, sondern daß sie sich dort wie zu Hause fühlen, daß sie ihr Leben und ihre Interessen mit denen des Volkes verbinden." 34 Schon in Vorbereitung der Bitterfelder Konferenz war in vielen Reden und Artikeln sichtbar geworden, daß es beim jetzigen Stand des Aufbaus sozialistischer Produktionsverhältnisse um mehr gehen mußte, als darum, die Schriftsteller an die materielle Produktion und die Arbeiter an die schriftstellerische Produktion heranzuführen. Ziel der koordinierten Aktionen war es vielmehr, die Kultur aus einer gewissen Exklusivität herauszuheben, die sie infolge der historischen Entwicklung angenommen hatte, da vor allem die Bedürfnisse einer privilegierten Klasse befriedigt worden waren. Welche neuen Formen und Methoden konnten das kulturelle Leben für die Massen anziehend machen? Wie sollte die künstlerische S e l b s t b e t ä t i g u n g der Arbeiterklasse, die Kunst nicht mehr nur passiv genießt, sondern selbst mit schafft, am effektivsten organisiert werden? Hier wurden erstmals Fragen aufgeworfen, bei denen es im Grunde um das - massenhaft durchzusetzende - gesellschaftliche Verständnis eines neuen Kulturbegriffs ging, der entschieden weiter gefaßt war als bisher. 35 * Worin bestand der allgemeine soziale und politische Hintergrund dieser mit Vehemenz beförderten Entwicklung? In dem Maße, wie davon ausgegangen werden konnte, daß der reale Sozialismus von den Massen mit allen Vorzügen und Widersprüchen zunehmend erfahren und angenommen worden war, konnte sich der Kampf der S E D um den Sieg sozialistischer Produktionsverhältnisse nun verstärkt auch auf den Prozeß der sozialen Veränderung konzentrieren. Das erforderte objektiv grundlegende Umstrukturierungen und eine Neuorganisation des gesamten Überbaus, in deren Folge sich auch eine Reihe subjektiv neuer Entwicklungsbe205
dingungen für die Funktionsweisen einer sozialistischen Kunst, Kultur und Literatur seit Mitte der fünfziger Jahre ergeben hatten. Die These, daß zum endgültigen Sieg sozialistischer Produktionsverhältnisse eine neue sozialistische Kultur für das gesamte Volk geschaffen werden muß, w a r durch den sozialistischen Aufbau in der Sowjetunion und einigen volksdemokratischen Ländern ideologisch und praktisch bestätigt worden. In der Deklaration der kommunistischen und Arbeiterparteien der sozialistischen Länder, die 1957 als Ergebnis der Moskauer Tagung verfaßt worden war, fand sich die theoretische Verallgemeinerung der Erfahrungen des kulturellen Aufbaus in den sozialistischen Ländern. Erstmalig in einem politischen Dokument der internationalen Arbeiterbewegung wurde hier die „sozialistische Revolution auf dem Gebiet der Ideologie und Kultur und die Heranbildung einer der Arbeiterklasse, dem schaffenden Volke und der Sache des Sozialismus ergebenen zahlreichen Intelligenz" 36 als eine der allgemeingültigen objektiven Gesetzmäßigkeiten des sozialistischen Aufbaus formuliert. Qualitativ neue Entwicklungsmomente im weltrevolutionären Prozeß und die damit verbundene Stellung der DDR als Vorposten des Weltsozialismus in Europa bestimmten nach deren Eintritt in den Warschauer Pakt und als Mitglied des R G W seit 1949 ihren Platz in der sozialistischen Staatengemeinschaft. Angesichts der vom XX. Parteitag der KPdSU ausgehenden Friedensoffensive bei gleichzeitiger Verschärfung des internationalen Klassenkampfes wurde der Sieg des Sozialismus in der D D R immer mehr auch zu einer internationalistischen Verpflichtung. Zwei Monate nach dem XX. Parteitag, im März 1956, fand die 3. Parteikonferenz der SED statt. Inhaltlich ging es um den Beschluß der Direktive für den zweiten Fünfjahrplan von 1956 bis 1960 und erstmals um eine Bestimmung längerfristiger strategischer Aufgaben bis zum Sieg sozialistischer Produktionsverhältnisse in der D D R : „Die Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkräfte durch die Erhöhung der Arbeitsproduktivität auf dem Wege der Meisterung der fortschrittlichen Technik und Ökonomie der Produktion, verbunden mit der Erziehung der Menschen zum sozialistischen Bewußtsein, das ist der Weg zum weiteren Aufstieg der Volkswirtschaft und zum Sieg des Sozialismus in der DDR." 3 7 Die Parteikonferenz stellte das Ziel, den Anteil der sozialistischen Betriebe an der industriellen Bruttoproduktion von 85 Prozent im Jahre 1955 auf etwa 90 Prozent im Jahr 1960 zu erhöhen. 38 Der Hebel für die zu steigernde Arbeitsproduktivität w a r die Entfaltung einer Masseninitiative, verbunden 206
mit der durchzusetzenden führenden Rolle der Arbeiterklasse in der gesamten Gesellschaft. Die Einführung des sozialistischen Wettbewerbs und die Bildung sozialistischer Brigaden dienten zugleich der Förderung sozialistischen Bewußtseins der Masse der Werktätigen. 3 9 * Aus dieser Einheit von ökonomischer und ideologischer Qualifizierung ergab sich die Notwendigkeit eines neu zu erarbeitenden Kulturkonzepts, innerhalb dessen die Wirkungsstrategien von Kunst und Literatur generell neu abzustecken waren. Die Bilanz des bisherigen literarischen Schaffens war auf der 3. Parteikonferenz noch durchgehend positiv ausgefallen; es wurde gesagt, daß sich immer mehr Künstler auf die „Höhe der Aufgaben" beim Aufbau des Sozialismus erheben. Der IV. Schriftstellerkongreß, der ebenfalls 1956 stattgefunden hatte, wurde noch als vorbildlich angesehen und anderen Künsten zur eigenen Positionsfindung und -bestimmung anempfohlen. Um so gravierender war der Einschnitt, der sich in der Zeit danach infolge der verschärften ideologischen Auseinandersetzungen und der Bewältigung eigener Widersprüche bemerkbar machte. Die Auswertung des XX. Parteitages, Auseinandersetzungen mit Erscheinungen des Personenkults - vom Gegner mit offenen Diversionsversuchen und einer intensiven Spaltungspolitik begleitet - verschärften in der D D R (ebenso wie in anderen sozialistischen Ländern) zahlreiche vorhandene - allerdings qualitativ sehr unterschiedliche Widersprüche wirtschaftlicher, ideologischer und auch geistig-kultureller Art. Angesichts der konterrevolutionären Ereignisse in Ungarn und Polen stand jetzt der Schutz der sozialistischen Errungenschaften durch die Staatsmacht an erster Stelle. Es war offenkundig geworden, daß die Gefahr der Konterrevolution, der Beseitigung sozialistischer Verhältnisse in dieser Phase der Übergangsperiode noch nicht endgültig gebannt war - besonders durch die 1956 einsetzenden massiven Konfrontationen auf geistig-kulturellem Gebiet. Zwei Jahre nach dem XX. Parteitag der KPdSU wurde auf dem V. Parteitag der SED festgestellt, daß es sowohl in der Ideologie als auch in der Kultur zu einer rückläufigen Entwicklung gekommen sei und die Trennung von Kunst und Leben, die Entfremdung zwischen Künstler und Volk noch lange nicht überwunden seien. Bürgerliche Positionen, aber auch revisionistische Auffassungen zu Grundfragen der Politik hatten innerhalb der Partei zeitweise an Einfluß gewonnen 40 * - das waren die Hauptursachen, auf die eine im öffentlichen Leben spürbar gewordene Stagnation auch der sozia-
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listischen kulturellen Entwicklung zurückgeführt wurde. 41 * Offensichtlich war geworden, daß materielle und geistige Kultur in einem Prozeß sozialistischer Erziehung zusammengeführt werden mußten. Die schon zu Beginn der fünfziger Jahre konstatierte Kluft zwischen Kunst und Leben als Relikt bürgerlicher Verhältnisse hatte sich um die Mitte der fünfziger Jahre auf Grund der spezifischen Klassenkampfbedingungen eher noch zementiert. Besonders einschneidend hatte sich die Tatsache ausgewirkt, daß die steigenden kulturellen Bedürfnisse breiter Bevölkerungsschichten aus eigener Kraft nicht befriedigt werden konnten und viele Menschen weitgehend durch die bürgerliche Unterhaltungsindustrie, vordringlich durch Westfernsehen und -rundfunk, beeinflußt wurden. Gleichzeitig wurden alte Bedürfnisse reproduziert und nach diesem Muster neu geweckt. In einer Analyse zu ideologischen Fragen nach 1956 hatte Alfred Kurella betont, daß die bürgerliche Ideologie im kulturellen Alltag besonders wirksam werden konnte, weil die Vorgänge des öffentlichen und privaten Lebens bisher zu sehr dem Selbstlauf überlassen worden waren. Schlußfolgerung aus dieser Situationsanalyse war die auf der ersten Bitterfelder Konferenz geforderte Entwicklung einer sozialistischen Kultur der Unterhaltung, der sogenannten „heiteren Muse" als Ausdruck sozialistischen Lebensgefühls. All diese kulturpolitischen Fragestellungen seit Mitte der fünfziger Jahre enthielten im Prinzip schon das, was später unter dem Begriff des Bitterfelder Weges gefaßt wurde. Bei allen Überlegungen und Maßnahmen zur Entfaltung einer kulturellen Massenarbeit war jedoch der letzte Schritt noch nicht getan: die klassenmäßige Bestimmung des Inhalts einer sozialistischen Volkskultur, die jetzt als Kultur der Arbeiterklasse in der Einheit von materiellen und geistigen Faktoren formuliert wurde. Die führende Rolle der Arbeiterklasse auf diesem Gebiet zu verwirklichen hieß, die Arbeiter selbst in ihre kulturschöpferische Rolle einzusetzen und entsprechende Organisationsformen im Alltag zu schaffen. Dabei mußte von der Tatsache ausgegangen werden, daß sich das Bewußtsein in der Bevölkerung der DDR differenziert entwickelte und große Anstrengungen unternommen werden mußten, um überholte Denk- und Verhaltensweisen zu überwinden oder auch kulturelle Interessen neu zu wecken. 42 So wurde z. B. festgestellt, daß „für die Leitungen von Partei, Staat und Gewerkschaft, besonders auf den unteren Ebenen, die Verantwortung für die Entwicklung auf dem kulturellen Gebiet insgesamt noch nicht zu einem wichtigen und selbstverständlichen Bestandteil ihrer Tätig208
keit geworden war" 4 3 . Diese Probleme einer sozialistischen Grundeinstellung zur Arbeit, zum Staat und zur Gesellschaft auf der Basis eigener Praxiserfahrungen wurden jetzt in den Mittelpunkt der Kulturpolitik gerückt. Dank der Konsequenz beim Durchsetzen der führenden Rolle der Arbeiterklasse in der Leitung von Staat und Wirtschaft, der begonnenen und zügig durchgeführten sozialistischen Umgestaltung der Landwirtschaft - also infolge der generell beschleunigten Entwicklung sozialistischer Produktionsverhältnisse - konnte in den Jahren 1957 bis 1959 der allgemeine Lebensstandard spürbar angehoben werden. Bei gleichbleibendem Lohn wurde 1957 die Arbeitszeit auf fünfundvierzig Stunden verkürzt, die letzten Lebensmittelkarten im Mai 1958 abgeschafft. 44 Begleitet wurden diese ökonomischen Erfolge von grundlegenden Entscheidungen über die weitere Entwicklung der Wissenschaften und die Erhöhung des allgemeinen Bildungsniveaus. Mit der Einführung der polytechnischen Bildung und Erziehung am 1. September 1958 war ein weiterer wichtiger Schritt zur Verwirklichung des auf dem V. Parteitag beschlossenen Sozialprogramms getan worden. Die zehnklassige Oberschulbildung bot nunmehr durch die Verbindung von Unterricht und Erziehung mit der Produktion in Industrie und Landwirtschaft Voraussetzungen dafür, das Verständnis für die Rolle des Arbeitsprozesses und die historisch gesellschaftliche Bedeutung der Arbeiterklasse zu fundieren. Im Ja-
nuar 1959 wurden die Thesen Über die sozialistische
Entwicklung
des Schulwesens in der D D R verabschiedet, die festlegten, von jetzt ab „die Schule in qualitativer Hinsicht zur sozialistischen Schule umzuwandeln" 4 5 . Begleitet wurden diese wichtigen ökonomischen und sozialen M a ß nahmen in den Jahren 1957 bis 1959 von bedeutenden Kulturkonferenzen. Kaum jemals wieder sind in der D D R so viele zentrale Beratungen über künstlerische und kulturelle Fragen durchgeführt worden wie in dieser Phase. Den Auftakt bildete die Volkskunstkonferenz des FDGB im März 1957, es folgte die Volkskunstkonferenz des Nationalrates der Nationalen Front des demokratischen Deutschland und des Ministeriums für Kultur im Juni desselben Jahres. Ebenfalls im Juni fand unter der Losung „Kunst hilft Kohle" eine Tagung des Bezirksvorstandes der Gewerkschaft Kunst in Halle statt, die eine außerordentlich mobilisierende Wirkung vor allem durch die gezielte Aktion der Presse erreichte. Der Kulturbund veranstaltete im Juni 1957 in Berlin und in Leipzig Gespräche von Wissenschaft14
DDR-Litetatut
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lern und Künstlern mit Vertretern der Partei und des Staates als Auftakt für eine öffentliche Diskussion über ideologische Probleme, insbesondere zur sozialistischen Ethik. Die vom Ministerium für Kultur und vom Schriftstellerverband im Oktober 1957 veranstaltete Konferenz zur Widerspiegelung des zweiten Weltkrieges in der Literatur führte die nach dem Schriftstellerkongreß von 1956 eingeleitete Diskussion über offene Probleme des literarischen Schaffens weiter, indem sie die Auseinandersetzung mit der jüngsten Vergangenheit als ein Thema der Gegenwartsliteratur bestimmte und damit deren Gegenstandsbereich erweiterte. Auf zwei Tagungen des Zentralkomitees, die 30. Tagung vom 30. Januar bis 1. Februar und die 33. Tagung vom 16. bis 19. Oktober 1957, wurden Grundfragen der politischen und ideologischen Entwicklung unter den Bedingungen des sozialistischen Aufbaus in der D D R erörtert. Herausragende Bedeutung für die weitere Entwicklung aber hatte die Kulturkonferenz der S E D im Oktober 1957 in Berlin, deren Thesen Für eine sozialistische deutsche Kultur die wichtigsten Leitlinien für die zukünftige Entwicklung auf kulturellem und künstlerischem Gebiet vorzeichneten. Die ideologische Offensive der S E D zielte dahin, Kunst und Kultur in die Lebenspraxis der werdenden sozialistischen Gesellschaft zu integrieren, die kulturelle Massenarbeit zu einer schöpferischen Form des Umgangs mit den eigenen sozialen Erfahrungen zu entwickeln, und sie war verbunden mit der Erwartung, daß Literatur wie alle anderen Künste konstruktiv zur Herausbildung der sozialistischen Lebensweise beitragen würde. Eine solche Fundierung der geistig-kulturellen in den materiellen und ideellen Leberasprozessen sollte zugleich helfen, die sozialistische Gesellschaftsordnung in ihrer Gesamtheit als praktische Alternative zur bürgerlichen zu begreifen. Die Überlegenheit des Sozialismus war nicht allein weltanschaulich, nicht allein mit Berufung auf eine ferne Perspektive zu begründen, sondern sollte als sozialer Prozeß komplexer Umgestaltung a l l e r Lebensbereiche unter aktiver Beteiligung der Massen realisiert werden. Die Zusammenführung der geistig-kulturellen mit den materiellen und politischen Faktoren der sozialistischen Umwälzung wurde zur vordringlichsten Aufgabe für den Sieg des Sozialismus unter den besonders komplizierten Bedingungen des internationalen Klassenkampfs am Ende der fünfziger Jahre. Ausgehend von der Losung „Unsere Kultur, eine scharfe Waffe für den Sozialismus", sprach Alfred Kurella daher auf dieser Kulturkonferenz nachdrücklich über die Notwendigkeit umfassender kul210
tureller Umstrukturierungen, wobei er die geistig-kulturelle Situation so schilderte: „Unmittelbaren Anlaß zur Einberufung der Konferenz gaben die Kritiken an einigen Erscheinungen unseres Kulturlebens, die auf dem 32. Plenum vorgetragen wurden. Allzu viele Dinge gehen ihren alten Trott oder tanzen gar zu unbekümmert auis der Reihe. Unkritisch übernommene bürgerliche, ja dekadente Kunstauffassungen und -praktiken beeinflussen noch unser Kulturschaffen, und spießbürgerliche Gewohnheiten und Vorurteile belasten vielfach das Kulturbedürfnis der werktätigen Massen, wo doch beide, Werktätige wie Kulturschaffende, längst als arbeitende Menschen und Staatsbürger mitten im sozialistischen Aufbau stehen und in entscheidenden Fragen sozialistisch handeln, fühlen und denken. In einem Satz: 'Unsere Kulturpraxis ist also nicht auf der Höhe dessen, was wir in Wirtschaft und Politik bereits erreicht haben.' ' , 4 6 Mit dieser prinzipiellen Kritik und der Forderung der S E D nach einer grundlegenden Veränderung ging eine in der Presse offensiv geführte Polemik mit künstlerischen Methoden und Theorien einher. Kritisiert wurde vor allem die unzureichende Gestaltung und Aufnahme von Gegenwartsthemen, angegriffen wurde eine noch immer existierende Autonomiekonzeption, wie sie z. B. Stefan Heym noch auf dem IV. Schriftstellerkongreß vorgetragen hatte. Damit gelangte im praktischen Verlauf dieser neuen kulturpolitischen Entwicklung eine nach dem Krieg weit verbreitete, durch die Bündnispolitik geförderte Auffassung vom Künstler als „Kulturbringer" zunehmend in die Krise. D i e insbesondere am Beginn der Übergangsperiode häufig vertretene Auffassung von der Kulturrevolution als einer vornehmlich geistigen Revolution, 47 die vor allem Bildungs- und Erziehungsaufgaben zu leisten habe, hatte Künstler und Schriftsteller gegenüber der Arbeiterklasse zunächst in die Rolle von Aufklärern und Lehrern versetzt. D i e unzureichende Verbindung zu den Vorgängen an der Basis verwiesen aber schon damals auf subjektive Schwierigkeiten vieler Künstler, die neue Wirklichkeit analytisch zu erfassen. Durch das Betonen der Spezifik unserer nationalen Entwicklung und der nach wie vor bestehenden Schwierigkeit, die eigene Vergangenheit künstlerisch zu bewältigen, war es kompliziert, soziale und zugleich poetisierbare Erfahrungen zu gewinnen. Sowohl das Aufgreifen neuer Fragestellungen und Stoffe aus dem Bereich der materiellen Produktion als auch das Finden angemessener Strukturen stellte für viele Autoren das zentrale Problem dar. In der deutschen Literatur hatte es überdies bisher keine Modelle für die literarische Darstellt
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lung der veränderten Beziehungen zur Arbeit in einem sozialistischen Betrieb gegeben. Die empfohlenen sowjetischen Vorbilder konnten nur bedingt als solche fungieren, da sich die konkreten Lebensverhältnisse doch noch erheblich voneinander unterschieden. Durch den veränderten Charakter der gesellschaftlichen Arbeit unter den neuen Produktionsverhältnissen (ein Prozeß, der sich weiter vollzog) - mit den daraus entstehenden neuen Bedürfnissen der Massen - mußten sich auch der Funktionsraum der Kunst, die Stellung und die wirkungsästhetischen Ansätze der Künstler und Schriftsteller ändern, für die nun - entschiedener als je zuvor in der Geschichte die Betonung des Klassencharakters sozialistischer Kunst eine neue Wertigkeit erhielt. Die traditionell noch weit verbreitete Auffassung vom Dichter als Wegweiser, Lehrer oder Prophet war vor allem unter dem Aspekt neuer gemeinsamer Wirklichkeitsbeziehungen von Künstlern u n d Werktätigen zu durchbrechen. Konkrete Vorschläge und materielle Garantien für die Schriftsteller waren schon auf dem V. Parteitag formuliert worden: „Die Leistungen unserer volkseigenen Betriebe sollen durch Freundschaftsverträge und Studienaufträge . . . den Künstlern helfen, sich schneller in der künstlerischen Praxis unseres Lebens zur Kunst des sozialistischen Realismus zu entwickeln." 48 Die Aufgaben für die Literatur wurden klar umrissen: „Die Dialektik der Entwicklung erkennen, das Neue fördern, an der Bewußtseinsentwicklung der Menschen mitwirken, das ist jetzt eine der wichtigsten Aufgaben der Genossen Schriftsteller." 49 Polemisiert wurde gegen eine Chronistenhaltung unter den Berufsschriftstellern - sie sollten Stellung beziehen, Partei ergreifen und mithandeln. Dabei ging es nicht etwa nur um die Darstellung des Produktionsbereichs oder um eine Haltung zum neuen Gegenstand, sondern vielmehr um eine generelle Selbstveränderung des Künstlers in der sich entwickelnden sozialistischen Gesellschaft. 50 Alfred Kurella kritisierte in seinem Referat auf der ersten Bitterfelder Konferenz die z. T. unklaren Stellungnahmen von Künstlern zum realen Sozialismus, zur Diktatur des Proletariats und zur führenden Rolle der Arbeiterklasse. E r forderte die Schriftsteller auf, sich weltanschaulich konsequenter „mit dem fortschrittlichsten Denken" zu verbinden und sich dorthin zu begeben, wo „das Leben seinen stärksten Pulsschlag" 51 hat - d. h. den Wirklichkeitsbezug der Literatur direkt aus dem unmittelbaren Erleben realer Verhältnisse und Vorgänge an der Basis der sozialistischen Produktion zu beziehen. 212
In seinem Referat betonte er den Widerspruch zwischen dem Entwicklungsstand des realen Sozialismus einerseits und der empfundenen literarisch-künstlerischen Stagnation, ja teilweise Regression andererseits. Gesellschaftsfortschritt und Kunstfortschritt werden in ein d i r e k t e s Abhängigkeitsverhältnis gesetzt. Das bezieht sich einmal auf die hervorgehobenen Kunstleistungen der Vergangenheit, auf die Auffassungen von deren Wirkungsmöglichkeiten und tatsächlich erzielten Wirkungen. Zum anderen gilt das für Auffassungen über den ästhetischen Wertbildungsprozeß der Literatur im engeren Sinne, dessen Probleme vorrangig vermittels agitatorischer Aufforderung an die Künstler lösbar erscheinen. Wenn unter diesen Aspekten gerade der Beitrag der sozialistischen deutschen Kunst „für den Kampf des Proletariats zur Eroberung und zum Ausbau der politischen Macht" als maßstabsetzend für die Gegenwart bezeichnet und festgestellt wird, daß „in wohl keinem Land . . . die Zahl der Künstler, vor allem Schriftsteller so groß (gewesen sei), die zur Zeit der Hitlerherrschaft in die Emigration gingen, an den Fronten in Spanien, im Maquis und in der 'Bewegung Freies Deutschland' in der Sowjetunion für den Sieg über Hitler kämpften" 52 , so würdigte Kurella den unumstrittenen großen künstlerischen und moralischen Beitrag der Literatur in dieser Zeit, benannte aber nicht eine entscheidende andere Seite: daß die Hitlerherrschaft auch Ausdruck der historischen Niederlage der deutschen Arbeiterbewegung und aller anderen fortschrittlichen Kräfte in Deutschland war. Die sozialistische wie jede andere humanistische Literatur hatte diese Niederlage erfahren. Hier wurden erwünschte ideologische und ästhetische Wirkungen sozialistischer Gegenwartsliteratur mit dem Verweis auf Literatur der Vergangenheit beschworen, deren Beitrag der Tendenz nach überhöht angesetzt wurde. Dies war ein Problem genereller Art, erwachsen aus der verständlichen, ungeduldigen Erwartung eines historisch beschleunigten Prozesses realer Sozialismusentwicklung. Der dem Referat folgende Erfahrungsaustausch - achtzehn Redner, darunter fünf Arbeiter .sprachen zur Diskussion - nahm die von Alfred Kurellä schwerpunktartig gesetzten Akzente auf. Die Schriftsteller Bräunig, Grabner, Strittmatter, Hastedt, Marchwitza, Bredel und Zimmering bekannten sich eindeutig zu den neuen ideologischen Anforderungen und Erwartungen, die an die Literatur gerichtet worden waren, nannten aber auch ideologische und organisatorische Hindernisse, die die bisherige Praxis bei der Verwirklichung der kulturpolitischen Vorgaben des V. Parteitages mit sich gebracht 213
hatte. Werner Bräunig z. B. berichtete über die große Scheu vieler schreibender Arbeiter, an die Öffentlichkeit zu treten. Die Volkskorrespondenten für die sozialistische Presse müßten oft noch sehr mühsam geworben werden, und viele schon existierende Zirkel schreibender Arbeiter produzierten ihre Texte praktisch nur für sich, da ihnen keine organisierte Arbeitsgruppe junger Autoren (oder ähnliches) bekannt war, die anleitend hätte tätig werden können. Als eine große Hilfe bezeichnete Bräunig die Zeitschrift Junge Kunsfö, deren kulturpolitische Wirksamkeit unter Arbeitern in dem Maße rasch gewachsen war, wie sie in ihrer Publikationspolitik direkter auf die Bedürfnisse der künstlerisch interessierten Arbeiter reagierte. 54 Hans Märchwitza und Willi Bredel, selbst aus der Arbeiterkorrespondentenbewegung der zwanziger Jahre kommend, begrüßten ausdrücklich die Entwicklung einer jungen sozialistischen Literatur, die sich zur stärksten künstlerischen Kraft entwickelt hätte, und sagten ihre volle Unterstützung und Hilfe beim weiteren Aufbau sozialistischer Literaturverhältnisse zu. Zugleich trugen beide eigene und allgemeinere Probleme und Schaffensfragen vor, die für sie beim Gestalten der neuen Wirklichkeit entstanden waren. Willi Bredel wurde attackiert von Bernard Koenen, dem Ersten Sekretär der SED-Bezirksleitung Halle; er warf dem Schriftsteller vor, daß er - wie viele seiner Alters- und Kampfgenossen - sich in seinen Büchern nicht mehr genügend mit den g e g e n w ä r t i g e n Problemen des sozialistischen Aufbaus befasse. Koenen schlug Willi Bredel vor, in die Dessauer Maschinenfabrik zu gehen, weil er „dort den Maschinenschlossern in den Brigaden die Probleme der heutigen Zeit besser lösen helfen" 55 könne. Die Erwartung, daß Literatur und Schriftsteller u n m i t t e l b a r bei der Bewältigung von Produktionsaufgaben Hilfe leisten können, bestimmte bei vielen Rednern die Richtung des Diskussionsbeitrages. 56 * Erwin Strittmatter, Vorsitzender des Schriftstellerverbandes, wandte sich energisch gegen eine Tendenz, die Schriftsteller „wie Vertreter für jedes ideologische Bedürfnis" über den Schriftstellerverband „wie aus einem Versandhaus" 57 herbeizuzitieren. Die Autoren dürften nicht weiterhin von verschiedensten Institutionen wie eine Art „Festonkel" für alle aktuellen Bedürfnisse herbeigeholt werden. Auch Strittmatter versicherte am Schluß seines Beitrages, daß die meisten Schriftsteller sich enger mit dem Leben verbinden und in die Betriebe gehen wollten. Bisher waren zwanzig Autoren dem Aufruf des V. Parteitages „Künstler in die Betriebe!" gefolgt. Dabei waren ideologi214
sehe Probleme und Hemmnisse verschiedenster Art zu bewältigen gewesen, die innerhalb der Verbandsmitglieder Diskussionen über die Effektivität solcher Unternehmungen ausgelöst hatten. Auch Max Zimmering, Direktor des Johannes-R.-Becher-Instituts in Leipzig, verwies auf eine Reihe hemmender Faktoren in der Praxis der vom Parteitag erarbeiteten und beschlossenen Kulturkonzeption. E r polemisierte vor allem gegen eine letztlich unproduktive Arbeit von Schriftstellern in den Betrieben. Fast alle Absolventen des Instituts waren der Aufforderung der Partei gefolgt und in die Betriebe gegangen. Dort mußten sie erleben, wie man ihnen anbot, als Archivare oder ähnliches zu arbeiten. Max Zimmering schlug als praktische Maßnahme vor, einzelne Großbetriebe sollten eine Schriftsteller-Planstelle einrichten, damit der Autor dort - mit dem Lohn eines Facharbeiters - „dem Parteisekretär oder dem B G L Vorsitzenden drei Tage zur Verfügung" steht und die „anderen drei Tage für die Auswertung der Lebenserfahrung, die er im Betrieb sammelt, verwendet" 5 8 . Unter den Diskussionsbeiträgen, die von künstlerisch tätigen Arbeitern bzw. von Kulturfunktionären gehalten wurden, überwogen Erfahrungsberichte über funktionierende Verbindungen von Kunst und Produktion. Darüber hinaus wurden konkrete Vorstellungen gefordert, wie man weiterhin in den Betrieben kulturpolitisch arbeiten solle, „um noch größere Produktionstaten zu vollbringen" 5 9 . Dabei wurde auch diskutiert, wie man auf die Freizeitgestaltung der Arbeiter Einfluß nehmen müisse, um die ständig auf die Lebensweise breiter Schichten einwirkende bürgerliche Ideologie effektiver als bisher bekämpfen zu können. Der Literatur wurden die verschiedensten Funktionen abverlangt: direkte Lebenshilfe, Aufgaben einer kulturvollen Unterhaltung, Hilfe bei der Überwindung ideologischer Unklarheiten, selbst in aktuellen Fragen. Trotz der im Referat Kurellas enthaltenen Hinweise auf eine Aufgabenverteilung zwischen Literatur, Rundfunk, Fernsehen stand das Buch als Kommunikationsmittel im Zentrum der Diskussionen. Damit war die Literatur von vornherein mit Aufgaben überfrachtet worden. Inhaltliches Zentrum und entscheidender Orientierungspunkt der gesamten Diskussion waren die Beiträge der Schriftstellerin Regina Hastedt und des Wismutkumpels Sepp Zach. Die Beratung habe ganz unter dem Eindruck dieser beiden Reden gestanden, resümierte Walter Ulbricht im Schlußwort: „Sie haben gezeigt, wie sich der Schriftsteller der neuen sozialistischen Epoche entwickelt . . . im Kampf 215
um die Lösung der neuen Probleme . . . im Betrieb, . . . im Kampf um die Lösung der Produktionsaufgaben." 60 Regina Hastedts Bericht über ihren Weg „zum Arbeiter" Sepp Zach, mit dessen Hilfe sie begann, ihre eigene „Arbeit mit seinen Augen" zu sehen, weil sie auch seine Arbeit im Schacht aus eigenem Erleben besser zu verstehen gelernt hatte, war als Produktionsbericht über einen entstandenen Roman angelegt und von der Beratung als der „Weg des Schriftstellers der neuen Zeit" bezeichnet worden. Sepp Zach bestätigte, daß während der gemeinsamen Arbeit mit der Autorin die Forderung der Arbeiterklasse nach künstlerisch genauer und parteilicher Schreibweise, die den Arbeitern helfen sollte, den zurückgelegten historischen Weg und ihren Anteil daran zu erkennen, eingelöst worden war. Geradezu euphorisch wurden Regina Hastedt und Sepp Zach als beispielhaft für die Lösung des Grundproblems der Entwicklung unserer Literatur bezeichnet der Weg, den sie (Regina Hastedt Th. H.) hier vorgeschlagen hat, das ist der Weg des Schriftstellers der neuen Zeit." 61 Die faktische Überbewertung und im Grunde undialektische Auffassung von der Existenz eines gesellschaftlichen Mechanismus, demzufolge die Arbeiter sich immer enger mit der Literatur verbinden und die Schriftsteller sich immer mehr der Produktionsarbeit nähern, wird hier besonders deutlich. Denn natürlich mußten die unterschiedlichen Arbeits- und Lebensbedingungen verschiedenartige Seh- und Denkweisen produzieren. Auf die Überwindung der Trennung von Kunst und Leben zielend, wurde die Programmatik verabsolutiert und schließlich zum Fetisch, weil die mögliche und tatsächliche Funktion der Literatur als Mittler, ihre Wirkungspotenz als Verbindungsglied zwischen Basis und Überbau schon am Anfang, später noch zunehmend einseitig überfordert, d. h. mit zu hohen Erwartungen verbunden wurde. Erst nach mehr als zehn Jahren konnte Hermann Kant auf dem VII. Schriftstellerkongreß - nicht zuletzt mit einem Blick auf die harte Wirklichkeit des Bitterfelder Weges - dieses „Problem erster Ordnung" 62 , die Verbindung der Literatur mit den Lebensinteressen und den literarischen Bedürfnissen der Arbeiterklasse nämlich, auf qualitativ neue Weise zur Sprache bringen: „So können sich die Beziehungen zwischen Arbeiterklasse und Schriftsteller nicht in Äußerungen von Wohlwollen hin und Ergebenheit her ausdrücken; diese Beziehungen müssen, auf dem gegenseitigen Einverständnis beruhen, daß beide unterschiedliche Teile eines gemeinsamen Ganzen sind, daß beide sich selber und einander Leistungen abverlangen, daß jeder des an216
deren bedarf und der Sozialismus auch so intakt ist, wie das Verhältnis zwischen Literatur und Arbeiterklasse oder Arbeiterklasse und Literatur." 63
Neue kulturpolitische Organisationsrveisen Eine unmittelbare Wirkung der Vorschläge und Beschlüsse der ersten Bitterfelder Konferenz zeigte sich zuerst einmal weniger in der künstlerischen Produktion, im erwarteten Reagieren der Schriftsteller und im Einwirken der Literatur auf die sozialen Prozesse als vielmehr in der Umgestaltung des literarischen Lebens, vor allem in der Neuorganisation der Beziehungen zwischen Produktion, Rezeption und Distribution künstlerischer Erzeugnisse. Hier hat sich nach der ersten Bitterfelder Konferenz die einschneidendste Veränderung vollzogen. Erste praktische Maßnahmen waren schon nach der Kulturkonferenz 1957 eingeleitet worden - besonders unter dem Zwang einer verstärkten Abgrenzung von der bürgerlichen Kulturindustrie. Durch die Organisation eines neuen Systems der Literaturpropaganda und des Literaturvertriebes wurden hier erste Ansätze für ein breiteres literarisches Kommunikationsfeld geschaffen. Die Programmgestaltung des Rundfunks und des Fernsehens wurde stärker als bisher beeinflußt, und die Veranstaltungen der Deutschen Konzert- und Gastspieldirektion einer intensiveren gesellschaftlichen Kontrolle unterstellt. Alle vorhandenen Formen der kulturellen und künstlerischen Massenarbeit wurden nach der Kulturkonferenz von 1957 - konsequent aber erst nach der Bitterfelder Konferenz - enger an die tägliche ideologische und politische Arbeit der Partei gebunden. Ein Jahr nach der Bitterfelder Konferenz lagen erste Erfahrungen und Ergebnisse der praktisch erprobten Organisationsweise vor. Eine Anzahl wirksamer Methoden und Formen war entwickelt worden: Die kulturelle Massenarbeit in den Betrieben, den Kultur- und Klubhäusern wurde aktiviert, literaturfördernde und verbreitende Institutionen erhielten weitaus mehr Unterstützung als zuvor; Kulturkommissionen auf verschiedenen Ebenen (Kreis-, Bezirks-, Zentralebenen) nahmen ihre Arbeit auf; mannigfache Förderungsmaßnahmen wurden eingeleitet, um alle vorhandenen Möglichkeiten auszuschöpfen. Im November 1959 wurde erstmals der Kunstpreis der D D R verliehen. Den ebenfalls 1959 zum ersten Mal vergebenen Literatur217
preis des F D G B erhielten Arbeiterschriftsteller wie Hans Marchwitza, Otto Gotsche, Regina Hastedt, Hasso Grabner, Jochen Koeppen und Jupp Müller; 1960 wurde der Preis an Nachwuchsschriftsteller und erstmalig an schreibende Arbeiter verliehen. Die Preisträger waren Hans Jürgen Steinmann, Benno Voelkner, Günter Görlich, Günter Glante, Eva Damm, Roland Eisenmenger, Werner Barth und Günter Schabowski. Die Gewerkschaft hatte eine wichtige organisierende Rolle übernommen: Sie schaltete sich intensiver als bisher in die Führung und Organisation kultureller Massenprozesse ein. So wurde der F D G B Träger vieler wichtiger Veranstaltungen der kulturellen Massenarbeit, so z. B. der seit 1959 stattfindenden Arbeiterfestspiele. Die Statistiken des Verlagswesens, des Buchhandels und der Bibliotheken weisen seit Ende 1957 ein sprunghaftes Ansteigen aller Kennziffern aus. Das Buch ist wieder zu „einem wichtigen Faktor der Massenbildung" geworden, schlußfolgerte Alfred Kurella in seinem Referat auf der Bitterfelder Konferenz. Eine Analyse der am meisten gelesenen Literatur ergab allerdings, daß nur wenige der „fortschrittlichen Bücher sozialistischen Inhalts eine unmittelbare Beziehung zu den großen geistigen, moralischen, ideologischen Vorgängen besitzen, die sich gegenwärtig in unserer Gesellschaft abspielen"6'1. Das bedeutete konkret: Zugunsten von Gegenwartsthemen im weiteren Sinne wie antifaschistischer Widerstand, zweiter Weltkrieg, Befreiung und Nachkrieg wurden Bücher mit den „eigentlichen Gegenwartsproblemen . . . wie die Kämpfe an den Schwerpunkten des sozialistischen Aufbaus, in der Großindustrie, bei der Lösung des Chemieprogramms, der LPG, bisher nur von einem kleinen Kreis von Autoren, vorwiegend sehr jungen Nachwuchsschriftstellern behandelt" 65 . Zu den am meisten gelesenen Büchern von 1957 bis 1959 gehörten folgende Titel, bei denen die Auflagenhöhen offenbar den tatsächlichen Leserzahlen entsprachen: Nackt unter Wölfen von Bruno Apitz, Arzt auf drei Kontinenten von Allan Gordon, Die Leute von Karvenbruch und Die Bauern von Karvenbruch von Benno Voelkner, Roheisen von Hans Marchwitza, Frühlingsstürme von Owetschkin, Die weiße Birke von Bubbenow, Tag im Nebel von Annemarie Reinhard, Der Ketzer von Naumburg und Der Sohn der Hexe von Rosemarie Schuder (mit einer Gesamtauflage von 40 000 bis zu 1 000 000 Exemplaren). Weiterhin verzeichneten die Verlage eine wachsende Nachfrage nach klassischen Werken der sozialistischen Literatur. Der stille Don von Scholochow, Zehn Tage, die die Welt erschütterten von John Reed oder Ditte Menschenkind von Andersen Nexö hatten be218
reits hohe Auflagen erreicht und gehörten schon zu den meistgelesenen Büchern. Diese beeindruckenden Zahlen sagen allerdings nichts über tatsächlich vorhandene Schwierigkeiten aus, die jedoch besonders im Verlags- und Bibliothekswesen bereits seit Mitte der fünfziger Jahre aufgetreten waren. Zu Beginn des Jahres 1959 war kritisch resümiert worden: „Bei der Diskussion um unsere neue Literatur, bei der öffentlichen Wertung des Erschienenen, bei der Ermittlung dessen, was das Publikum lesen will oder lesen sollte, bei der Auseinandersetzung mit den Autoren, damit sie die benötigte neue Literatur schreiben - bei alldem tritt die Arbeit der Verlage meist nur wenig ins Blickfeld der Aufmerksamkeit." 6 6 Wohin zielte diese Kritik? Die in der Öffentlichkeit betonten „objektiven" Schwierigkeiten wie mangelhafte Papierversorgung, die ungenügende Anzahl eingereichter Manuskripte mit neuer sozialistischer Literatur und Überlegungen zur Rentabilität verdeckten Vorbehalte in Verlagen gegenüber der sozialistischen Aufgabenstellung. Tatsächlich hatten sich die vom V . Parteitag ausgehenden Beschlüsse und Überlegungen zur allgemeinen sozialistischen Bewußtseinsbildung und speziell zu den Aufgaben der Verlage aus verschiedenen Gründen in der Praxis nur zögernd durchgesetzt. Schon die Kulturkonferenz der S E D von 1957 hatte Maßnahmen zur sozialistischen Produktion und Planung im Verlagswesen vorgeschlagen und von den Verlagen verlangt, sich entschiedener dem Leben der Werktätigen, den Problemen des Aufbaus und der nationalen Frage zuzuwenden. Wie notwendig es war, bei der thematischen Planung und bei der Auswahl der Titel prinzipieller als bisher vom gesellschaftlichen Nutzen für den Aufbau des Sozialismus auszugehen, verdeutlichen einige Produktionszahlen der Verlage. Bücher mit Gegenwartsthemen - d. h. Stoffe aus der Zeit nach 1945 - hatten bis zur Mitte der fünfziger Jahre einen außerordentlich geringen Anteil an der Gesamtproduktion der Verlage gehabt. 1952 hatten Bücher über den sozialistischen Alltag noch 29 Prozent der Produktion ausgemacht; ihr Anteil sank bis 1956 kontinuierlich auf 19 Prozent. Für 1957 gibt es keine bezifferten Angaben; 1958 war mit 16 Prozent ein Tiefpunkt erreicht. 1959 wurde festgestellt, daß „inzwischen jene Flucht der Autoren in eine unverbindliche Thematik oder in die Historie (oder gar ihr Schweigen, das sie als 'schöpferische Krise' deklarierten) und auch das Ausweichen der Verlage vor unseren Problemen bei gleichzeitiger Verbreitung von Werken der bürgerlichen Dekadenz im wesentlichen überwunden" sei. 67 219
D a ß es sich bei den kritisierten Erscheinungen im Verlagswesen nicht nur um Unvermögen oder schlechthin um revisionistische Einflüsse gehandelt hatte, zeigten einige Maßnahmen nach 1956, die schrittweise eine neue sozialistische Verlagspolitik vorbereiten halfen. Das am 11. Februar 1958 von der Volkskammer beschlossene Gesetz zur Vereinfachung des Staatsapparates brachte zugleich für das gesamte Verlagswesen strukturelle Veränderungen. Die ideologische und kulturpolitische Leitung übernahm eine im Ministerium für Kultur gebildete Abteilung Literatur und Buchwesen, deren Aufgaben im wesentlichen in der Verordnung über die Entwicklung fortschrittlicher Literatur vom 16. August 1951 fixiert worden waren. Zur ökonomischen Leitung der volkseigenen Verlage wurde eine Vereinigung volkseigener Betriebe Verlage gebildet und dem Ministerium für Kultur unterstellt. Erich Wendt, der verdienstvolle Verleger proletarisch-revolutionärer und sozialistischer Literatur, wurde als Stellvertreter des Ministers für Kultur berufen und nahm entscheidenden Einfluß auf die weitere Entwicklung des sozialistischen Verlagswesens. 1958 wurde ein Beschluß über die Verbesserung der Arbeit der literaturverbreitenden Institutionen gefaßt, der erstmalig eine einheitliche Anleitung auf allen Gebieten der Literaturentwicklung und Literaturverbreitung gewährleistete. Damit sollten kulturpolitisch richtige Proportionen bei der Herausgabe von bewußtseinsbildender Literatur - einschließlich einer exakten Planung von Nachauflagen gesichert werden. Die Gründung von fünfundzwanzig Literaturarbeitsgemeinschaften auf allen wichtigen Literaturgebieten garantierte außerdem ein straffer organisiertes System zentraler Leitung und Planung, das dazu beitragen sollte, die gesamte Editionspolitik stärker als bisher in den Dienst der gesellschaftlichen Erfordernisse und Bedürfnisse zu stellen. Schließlich wurde von 1956 bis 1958 eine Reihe neuer Verlage gegründet, u. a. der Verlag VEB Enzyklopädie in Leipzig, das Unternehmen Seven Seas Publishers 2ur Verbreitung englischsprachigen Literatur und der Domowina-Verlag für die sorbische nationale Minderheit. Die Konferenz des Verlagswesens vom 11. bis 13. Februar 1960 in Leipzig, ein Jahr nach den Bitterfelder Beschlüssen, konnte mit beeindruckenden Produktionszahlen aufwarten, machte zugleich aber auch in einer ersten Analyse auf noch bestehende Probleme und auf noch zu lösende Widersprüche aufmerksam. Deutlich wurde die Notwendigkeit der Umorientierung einer bisher vorrangig quantitativ orientierten Produktion im Verlagswesen zugunsten einer Publika220
tionstätigkeit, welche die vorhandenen Bedürfnisstrukturen der Arbeiterklasse berücksichtigt. In der allgemeinen Diskussion um die Wirkungsweisen sozialistischer Literatur wurde nach der Bitterfelder Konferenz nicht mehr nur über Inhalte der angebotenen Bücher gesprochen - auch Aufmachung und Literaturpropaganda wurden einbezogen. Alle Ebenen des literarischen Vermittlungsprozesses unterlagen strenger als bisher der Plankontrolle, denn bei aller Wichtigkeit der genannten Aufgaben auf dem Gebiet der Kultur war der Siebenjahrplan in seiner Gesamtheit „als Plan des Sieges des Sozialismus in der Deutschen Demokratischen Republik"68 Grundlage für alle ökonomischen, kulturellen und ideologischen Prozesse. Die Buchproduktion war von 13 740 (1956) auf 15 780 Titel (1959) gestiegen. Der Siebenjahrplan sah eine weitere Steigerung von sieben Prozent vor. Der ökonomischen Hauptaufgabe entsprechend, hatten Herstellung und Vertrieb wissenschaftlich-technischer Literatur den Vorrang in der Verlagsproduktion. Während des Jahres 1959 wurde die Neuprofilierung des technischen Verlagswesens vorbereitet; Ziel war eine umfassende Reorganisation, Konzentration und Spezialisierung: Die gesamte Literatur einzelner Industrie- bzw. Wirtschaftszweige wurde nun in speziellen Verlagen konzentriert. Neue Anforderungen an das Verlagswesen hatte auch die Umwandlung der achtklassigen in die zehnklassige polytechnische Oberschule mit sich gebracht. Dieses Programm wurde erweitert durch die vom Ministerrat am 30. Juni 1960 beschlossenen Grundsätze zur weiteren Entwicklung des Systems der Berufsbildung in der DDR69, es erforderte von den Fachverlagen, besonders vom Verlag Volk und Wissen, in kürzester Zeit die Herausgabe vieler neuer, künftigen gesellschaftlichen Bedingungen Rechnung tragender Lehrbücher und Lehrmaterialien. Alle diese Aufgaben waren nicht durch eine quantitative Erweiterung des bisherigen Angebots zu läsen, es bedurfte einer planmäßigen Steuerung der Verlagsproduktion, die den Anforderungen einer sozialistischen Kultur- und Erbepolitik entsprach.70 In unmittelbarem Zusammenhang mit der Bewegung schreibender Arbeiter war in Bitterfeld die Aufforderung an die Verlage ergangen, die Schätze der Welditeratur noch effektiver als bisher einer breiten Leserschaft zu vermitteln. Eine der vordringlichsten Aufgaben bestand jetzt darin, die immer noch vorhandenen Zufälligkeiten, deren Quelle die spontan funktionierende Produktionsweise bildete, durch eine wissenschaftliche Editionsarbeit zu ersetzen. 221
Das Hauptaugenmerk aller Verlage sollte künftig den neuen Werken des sozialistischen Realismus gelten. Gegen Ende der fünfziger Jahre waren Bücher wie Bruno Apitz' Nackt unter Wölfen in einer Auflage von 394 000 Exemplaren oder Anna Seghers' Die Entscheidung mit 40 000 Exemplaren zu sozialistischen Bestsellern avanciert; daneben gab es eine Fülle von Büchern, die von der zeitgenössischen Kritik als „mittelmäßig" und „uninteressant" bezeichnet wurden, deren Hauptmangel im fehlenden „künstlerisch-ideologischen" Niveau bestand.71 Ein weiterer Widerspruch bestand zwischen den kulturellen Bedürfnissen und Forderungen der Werktätigen und den bisher vorherrschenden Mitteln, diese zu befriedigen. Neue Formen des Bildungswesens wurden eingeführt, z. B. Dorfakademien. Es wurde erprobt, ob sie geeignet sind, kulturrevolutionäre Vorgänge zu beschleunigen. Breiten Widerhall fand die Forderung, das Buch zum wirklichen „Lebensmittel" zu machen und entsprechende neue Publikationsformen zu finden. Operativität im Publizieren - Erstveröffentlichungen in Zeitschriften nach sowjetischem Muster, mehr öffentliche Lesungen und Diskussionen - wurde von vielen Gremien vorgeschlagen. Besondere Förderung erfuhr die Kinder- und Jugendliteratur; sie war bis dahin noch ein Stiefkind in der Verlagsproduktion gewesen. Die Bewegung schreibender Arbeiter, eigentliches Zentrum der in Bitterfeld gefaßten Beschlüsse, war bei weitem noch nicht im Programm aller in Frage kommenden belletristischen Verlage repräsentiert. Der Mitteldeutsche Verlag galt als Schrittmacher. Unter seiner Anleitung entstanden die ersten Zirkel schreibender Arbeiter, die von Berufsschriftstellern, Lektoren usw. betreut wurden. Der Hinstorff-Verlag in Rostock und der Verlag der Gewerkschaft Tribüne sowie der Paul List Verlag schlössen sich bald der Initiative des Mitteldeutschen Verlages an. Umstrukturierung und Funktion des Mitteldeutschen Verlages erwuchsen aus der neuen Qualität organisierter und gelenkter Produktionsbedingungen. Der Verlag hatte sich seit der Publikation von Otto Gotsches Tiefe Furchen (1951) besonders der Förderung und Herausgabe belletristischer Gegenwartsliteratur angenommen. Dabei konzentrierte er sich auf jene Autoren, die - aus dem BPRS kommend - nach 1945 wiederum begannen, ihren Erfahrungen literarisch Ausdruck zu verleihen. Hier erschienen Bücher von Otto Gotsche, Hans Lorbeer, August Hild, Werner Reinowski, Karl Mund222
stock, Marianne Bruns; diese Publikationen bestimmten im wesentlichen das Verlägsprofil. Mit der Bewegung schreibender Arbeiter und der Förderung junger Autoren gegen Ende der fünfziger Jahre erweiterte der Verlag sein Programm. Die Deubener Blätter, Arbeitsmaterialien des Zirkels schreibender Arbeiter z. B. sowie die Anthologien Ich schreibe. Arbeiter greifen zur Feder sind seit 1960 fortlaufend veröffentlicht worden. Auch der Gewerkschaftsverlag Tribüne konzentrierte sich vor allem auf die Herausgabe der Werke von Arbeiterschriftstellern; dort erschienen Der Zögling und Der Findling des früheren Wismut-Kumpels Herbert Jobst, Bücher von Benno Voelkner, Günter Felkel und Wolfgang Neuhaus. Zugleich wurden aber auch Bücher z. B. von Stefan Heym, Inge von Wangenheim oder Lieselotte Welskopf-Henrich verlegt - dies zeugt von der Breite des Angebots. In seiner Festschrift anläßlich des zehnjährigen DDR-Jubiläums verweist der Verlag stolz auf seine dreizehnjährige Tätigkeit im Dienste der Publikation von Büchern für ein breites Arbeiterpublikum.72 Er konnte zwei Nationalpreisträger, vier FDGB-Literaturpreisträger, einen Heinrich-Mann-Preisträger und eine mit der Clara-ZetkinMedaille ausgezeichnete Schriftstellerin zu seinen Autoren zählen. Der Verlag Tribüne hatte sich in seinem Selbstverständnis als erster Verlag der DDR als kollektiver Propagandist und Organisator an die Spitze einer breiten Bewegung zur Förderung der schreibenden Arbeiter gesetzt. Die Zeitschrift Kulturelles Leben, ein Organ des FDGB, hatte sich zum Zentrum des Erfahrungsaustausches über theoretische und praktische Probleme der Kulturarbeit in den Gewerkschaften entwickelt und damit eine wichtige Funktion bei der Förderung schreibender Arbeiter übernommen. Das allgemeinbildende Bibliothekswesen, also die öffentlichen Bibliotheken, deren Bestände und deren Methoden der Literaturerschließung und -Vermittlung für ein Massenpublikum - Kinder und Jugendliche (eigene Kinderbibliotheken wurden 1959 eingerichtet) sowie Erwachsene - bestimmt waren, konnte laut Einschätzung zu Beginn des Jahres 1959 „die Versorgung" der Bevölkerung mit Literatur" noch nicht in dem Umfange sichern, „wie es zur Entwicklung des lesenden Arbeiters, zur Vollendung der Kulturrevolution auf dem Lande nötig wäre". 73 Angesichts der noch unzureichenden materiellen Verhältnisse ist beachtlich, in welchem Maße Literatur bereits zu einem Bestandteil des Alltags geworden war. 1958 hatte sich die Anzahl der Bibliotheken im Vergleich zu 1947 (nach der Berei223
nigung der Bestände von faschistischer und militaristischer Literatur) nahezu vervierfacht. 2 Millionen Leser mit einer Jahresausleihe von 42,9 Millionen Bänden bedeuteten nicht nur quantitativ einen Zuwachs; hinter diesen Zahlen verbergen sich grundlegende strukturelle Veränderungen. 1959 verfügten rund 97 Prozent aller Gemeinden in der D D R über allgemeine und öffentliche Bibliothekseinrichtungen. 4 456 allgemeinbildende Bibliotheken wurden in den Betrieben von der Gewerkschaft geleitet. Oftmals ergingen von hier erste Initiativen zu Literaturdiskussionen und zum Erproben neuer Formen der Literaturpropaganda. Das gesamte Feld öffentlich geführter Kunst- und Literaturdiskussionen hat sich nach der ersten Bitterfelder Konferenz erweitert. Gegen eine vorhandene Tendenz von „Scheindiskussionen" und für eine Gleichberechtigung von Wissenschaft und Kunst setzten sich Schriftsteller und Gesellschaftswissenschaftler ein. 74 Anregungen zum Ausarbeiten einer Forschung zur Wirkungstheorie wurden Gegenstand von Debatten. 75 Ein vieldiskutiertes Problem im wissenschaftlichen Meinungsstreit war das des offenen Schlusses als legitimer Möglichkeit einer Literatur, die den Leser aktivieren kann. Gefordert wurde eine genauere Beachtung der differenzierten Lesebedürfnisse, und öffentlich polemisiert wurde gegen die Tendenz zur Selbstzufriedenheit in der Literaturkritik, wenn sie schon die Einbeziehung des Produktionsbereiches als einen Erfolg des Bitterfelder Weges feierte. 76
Die Bewegung schreibender Arbeiter — Praxis und Programmatik Der Beschluß zur Förderung der Bewegung schreibender Arbeiter stand auf der ersten Bitterfelder Konferenz im Zentrum der Beratungen. Mit ihm war die Absicht verbunden, unmittelbar Einfluß auf die Erhöhung des Kulturniveaus der Arbeiterklasse zu nehmen. Er orientierte darauf, die Bewegung des lesenden Arbeiters weiterzuentwickeln und sie durch eine Bewegung des schreibenden Arbeiters zu ergänzen. Besonders in den großen Industriebetrieben konnten schon bald Erfolge verbucht werden. Bereits bestehende Zirkel traten erstmals an die Öffentlichkeit, und gesellschaftliche Organisationen und Einrichtungen - FDGB, Kulturbund, die Bezirkskabinette für Kulturarbeit, Klubhäuser, Schulen und Universitäten sowie Verlage engagierten sich unverzüglich und wurden Träger dieser Bewegung. 224
Die Analyse über die Bewegung schreibender Arbeiter im Bezirk Karl-Marx-Stadt, angefertigt zur Vorbereitung der ersten zentralen Konferenz schreibender Arbeiter 1963, gibt eine in ihren Angaben repräsentative Aussage über die Zusammensetzung, die Zahl und die Arbeitsweise der Zirkel wieder. 77 * Dabei existierten sehr unterschiedliche Funktionsvorstellungen und Wirkungsstrategien nebeneinander, nicht zuletzt bedingt durch die heterogenen Auffassungen über die Bewegung schreibender Arbeiter unter den verschiedenen gesellschaftlichen Trägern. Der Schriftsteller und Kulturpolitiker Otto Gotsche war einer der entschiedensten Vertreter jener Gruppe, die in den schreibenden Arbeitern den Grundstock für eine zukünftige sozialistische Nationalliteratur und eine neue Schriftstellergeneration sah. Zwei Jahre nach der ersten Bitterfelder Konferenz brachte er seine Zuversicht zum Ausdruck, daß die schreibenden Arbeiter auf dem Wege seien, „Schriftsteller, Dichter, Künstler zu werden" 78 . Diese Vorstellung von einer notwendigen Erneuerung der Literatur durch die Permanenz der Bewegung schreibender Arbeiter rief auch andere Meinungsäußerungen hervor, Erwin Strittmatter z. B. war sich mit vielen anderen Schriftstellern darin einig, daß die Arbeitsergebnisse und literarischen Beiträge der schreibenden Arbeiter hauptsächlich authentisches Wirklichkeitsmaterial und Rohstoff für weitere literarische Arbeit der Berufsschriftsteller seien. Vielfach wurde als gesellschaftliche Hauptaufgabe der Bewegung besonders hervorgehoben, sie habe „den sozialistischen Menschen mit zu erziehen"79 und „durch die Kraft des künstlerischen Wortes den sozialistischen Menschen formen zu helfen" 80 - dies wurde als politische Orientierung begriffen. So vielschichtig die gesellschaftliche Funktion der Bewegung schreibender Arbeiter war, so unterschiedlich waren auch ihre sozialen Wirkungsmöglichkeiten. Der Begriff schreibender Arbeiter umfaßt zunächst einmal die Arbeiter als führende Kraft der gesellschaftlichen Entwicklung. Die l i t e r a r i s c h e Tätigkeit wird zugleich als der gesellschaftlich favorisierte Zweig der Kunst angesehen; die Mitglieder malender, musizierender oder anderer volkskünstlerischer Zirkel wurden in der Öffentlichkeit zumeist subsumiert unter dem Begriff schreibender Arbeiter, der gleichsam als Synonym für künstlerische Massenbewegung fungierte. Die in Deutschland so traditionsreiche Bewegung schreibender Arbeiter hatte mit der ersten Bitterfelder Konferenz eine entschei15
DDR-Literatur
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dende Erneuerung und Erweiterung ihres Wirkungsradius erhalten. Auf die Erfahrungen der Arbeiterkorrespondentenbewegung und die Arbeiter-Feuilleton-Korrespondenz nach sowjetischem Vorbild aus den zwanziger Jahren konnte durchaus zurückgegriffen werden. Arbeiterschriftsteller wie der Metalldreher Willi Bredel, der Bergarbeiter Hans Marchwitza, der Maurer Eduard Claudius oder der Klempner Otto Gotsche standen mit ihren Erfahrungen zur Verfügung. Eine Reihe von Mißverständnissen und unterschiedliche Deutungen traten jedoch auf, als die Programmatik in die Praxis umgesetzt werden sollte. So wurden einerseits Auffassungen vertreten, daß sich die Bewegung „Greif zur Feder, Kumpel!" vor allem an die Erfahrungen der zumeist aus dem BPRS kommenden Schriftsteller und Funktionäre der Arbeiterbewegung halten und an die tradierten Muster und Funktionsweisen der überlieferten proletarischen Literatur anknüpfen müsse. Dies führte vielfach zu Diskussionen und Befürchtungen über ein Wiederentstehen von Proletkulttendenzen. Jedoch erforderten die veränderten Existenz- und Kampfbedingungen einer sozialistischen Literatur am Ende der Übergangsperiode neue Methoden und Formen. Die gerechtfertigte Annahme, daß der die materiellen Werte schaffende Arbeiter unter sozialistischen Produktionsverhältnissen auch eine veränderte Gedanken- und Gefühlswelt entwikkeln würde, führte mitunter zu überspannten Erwartungen an die Literatur. Offenbar war das in der Zeitschrift Junge Kunst beschriebene Reagieren von Arbeitern eines großen Industriebetriebes auf die Losung „Greif zur Feder, Kumpel!" kein Einzelfall. Sie hatten die Losung als eine Kampagne der Partei aufgenommen, die es spontan und rückhaltlos zu unterstützen galt. Also lautete ihr Angebot: „Ihr wollt schreibende Arbeiter haben. Hier sind wir! Fördert uns, sagt, was wir schreiben sollen und wo wir es veröffentlichen können."81 Schließlich aber konnte es nicht darum gehen, aus kulturell interessierten Arbeitern „Stoßarbeiter der Literatur" 82 * zu machen; und es konnte - auf Grund der geänderten gesellschaftlichen Verhältnisse - keine „Literarisierung der Lebensverhältnisse, welche der sonst unlösbaren Antinomien Herr wird" 83 , zur Diskussion stehen. Gegen solche einseitigen Auslegungen wandte sich auf dem V. Schriftstellerkongreß 1961 Alfred Kurella, der sich auch schon auf der Kulturkonferenz von 1960 dafür eingesetzt hatte, daß in erster Linie eine sozialistische Literatur entstehen müsse, die - in aller Vielfalt und Differenziertheit - nicht von den Werktätigen allein hervorge226
bracht werden könnte. 84 Anna Seghers hielt die kulturpolitische Orientierung auf die schreibenden Arbeiter für produktiv, weil ihnen die literarische Selbstverständigung dabei helfen könnte, „ . . . sich ihrer Arbeits- und Lebensbedingungen bewußt (zu) werden und zugleich sie darstellend, anderen gründlich bewußt (zu) machen" 85 . In der Praxis waren Zirkel jedoch häufig in einer Art Stoßaktion entstanden, die administrativ gebildet wurden, um einer kulturpolitischen Orientierung zu entsprechen. Diese endeten dann meist in einem rein „statistischen Zustand" 86 (Erwin Strittmätter). Arbeiter eines Leipziger Zirkels kennzeichneten die Situation vieler nicht genügend motivierter, mangelhaft angeleiteter Zirkel, wenn sie aussagten: „Es werden viel zu hohe Ansprüche gestellt, und es wird vergessen, daß wir ja nur schreibende Arbeiter und keine Schriftsteller sind." Oder: „Man schreibt und schreibt, vertut die ganze Freizeit damit, und doch liegt alles nur im Schränk", und schließlich: „Und was wurden uns auf der Bitterfelder Konferenz für Hoffnungen g e m a c h t . . . man sollte einsehen, daß wir ja doch nur schreibende Arbeiter sind." 87 Das hier sichtbar werdende Praxisproblem des Bitterfelder Programms markiert Leistung und Grenze der Konzeption zugleich. Die meisten Zirkel schreibender Arbeiter waren von Anfang an unter der Losung „Erstürmt die Höhen der Kultur" eingerichtet worden. Die Erfüllung dieser Losung verlangte zunächst, daß ein traditionelles Bildungsprivileg auch auf künstlerischem Gebiet zu brechen war. Die Literatur mußte für die Massen die Aura des Exklusiven verlieren; zu diesem Zweck mußten ihre Mittel einsehbar gemacht werden. Wenn aus diesem revolutionären Ansatz sofort die Gleichsetzung von „professioneller" Kunst und volkskünstlerischem Schaffen als Ziel gesetzt wurde, mußten die Ansprüche die Möglichkeiten bei weitem übersteigen; zumal die Aneignung künstlerischer Fähigkeiten offensichtlich nicht durch die großen bürgerlichen Vorbilder Goethe und Schiller stimuliert werden konnte. Ein Widerspruch der Bitterfelder Konzeption ergab sich gerade aus dem Maß und Kriterium sozialistischer Kulturaneignung. Einerseits wurden sie gewonnen aus der Analogie zur materiellen Produktion der Arbeiterklasse und „an den davon abgeleiteten Leistungsanforderungen an die (Klassen-) Individuen und deren inhaltlicher Qualität und Struktur ihrer Lebensbedingungen orientiert" 88 . Andererseits aber galten in der Praxis vorzugsweise jene Bemühungen sozialistischer Kulturaneignung als vorbildlich, die an den „angehäuften Schätzen, Werten der Menschheit" zu messen seien und die 15*
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es „quantitativ und summativ durch Erziehung zu erreichen gelte" 8 9 *. Eine zentrale Rolle bei der Orientierung auf die anzueignenden Schätze der Menschheitskultur90 erhielt das humanistische klassische Erbe - insbesondere das deutsche - , das angeeignet werden sollte und sogar methodologisch zum Vorbild erhoben wurde. Auf der ersten Bitterfelder Konferenz hieß es dazu: „In unserer Republik haben sich neue gesellschaftliche Beziehungen der Menschen entwickelt. Aber wo gibt es eine solche Darstellung in künstlerischer Form, wie sie die Klassiker des Bürgertums ihrer Klasse im Kampf gegen die feudale Gesellschaftsordnung gestaltet haben?" 91 Dieser rhetorisch gestellten Frage lagen Bündnisvorstellungen zugrunde, die unter den neuen gesellschaftlichen und sozialen Voraussetzungen nur noch unzureichend funktionieren konnten. Eine solche Vorstellung beinhaltete potentiell die Aneignung eines breiten internationalen Erbes und einer großen historischen nationalen Tradition; bei der Umsetzung dieses Konzepts jedoch war zu beachten, daß entsprechend der aktuellen gesellschaftlichen Bedürfnisse, Prioritäten gesetzt werden mußten. Gültige Maßstäbe für den Traditionsbezug wurden dem Realismus des 19. Jahrhunderts abgewonnen, während die Rezeptionsempfehlung für die proletarisch-revolutionäre Literatur sich ausschließlich auf deren Leitsatz au.s den zwanziger Jahren, „Kunst ist Waffe", gründete. Zweifellos hatten Werke der deutschen Klassik - eingesetzt für die Umerziehung - in einem langwierigen und schwierigen Prozeß eine wichtige Funktion erfüllt. Jetzt aber - zu einem Zeitpunkt, da materielle Bedingungen für weiterzuentwickelnde sozialistische Wertvorstellungen geschaffen wurden - mußten Empfehlungen, sich an heroisch-illusionären bürgerlichen Auffassungen zu orientieren, mit dem Versuch kollidieren, der eigenen Lebenswirklichkeit ideelle Bezugspunkte zu geben, zumal diese in Auseinandersetzung mit Westdeutschland aufgesucht wurden. Die Bezugnahme auf die deutsche bürgerlich-klassische humanistische Kulturtradition - äußerlich manifestiert in der auf der zweiten Bitterfelder Konferenz 1964 verwendeten Formel der Einheit von Weimar und Bitterfeld - konnte jedoch in der zu Ende gehenden Übergangsperiode immer noch verschiedene Funktionen erfüllen: Die führende Rolle der Arbeiterklasse bei der Herausbildung einer sozialistischen Nation war nicht ohne ein neu anzueignendes Nationalbewußtsein zu erreichen. Zudem war der Bezug auf das klassische Erbe geeignet, dieses für den antiimperialistischen Kampf zu nutzen - nicht zuletzt, um ein entstehendes neues Nationalgefühl zu stärken. Und schließlich: Das 228
ästhetische Konzept der deutschen Klassik wurde zum Vorbild für eine „große" Literatur im Sinne Bechers - eine Literatur, die Weltanschauung und Geschichtsbild gleichzeitig vermitteln sollte. Für das Bündnis mit den Mittelschichten und den Intellektuellen war das klassische Erbe immer noch ein wesentlicher gemeinsamer Anknüpfungspunkt bei der Verwirklichung humanistischer Ideale und Ideen. Außerdem war die Wirksamkeit der klassisch-humanistischen Literatur auf ein breites Publikum garantiert, weil für sie schon ein Rezeptionsverhalten vorhanden war. Komplikationen brachte allerdings die Ausschließlichkeit, mit der das Erbe als vorbildhaft propagiert und es zum Maß für die Darstellung neuer Inhalte wurde. Die Orientierung auf die „Höhen der Kultur" verband sich gleichzeitig mit einem inhaltlichen und einem produktionsästhetischen Aspekt. Eine bewußtseinsbildende Funktion, vor allem für die schreibenden Arbeiter selbst, maß Anna Seghers in ihrer Rede auf dem V. Schriftstellerkongreß der Arbeit der Zirkel bei. Dabei wertet sie die schriftstellerischen Ergebnisse weniger als eigenständigen Ansatz literarischer Darstellung denn als Dokumentationen eines veränderten Verhältnisses zur eigenen Arbeit. Von heute aus betrachtet, kann die Bedeutung der Bewegung schreibender Arbeiter nicht allein an ihren veröffentlichten literarischen Arbeiten gemessen werden. Ein Urteil, das nur von der Fülle ästhetisch unbewältigter Produkte, von der häufig anzutreffenden Tendenz der Illustrierung politischer Leitsätze und Losungen ausgeht, kann ebenso einseitig ausfallen wie eine Wertung, welche allein die Breite der Bewegung, ihren kulturpolitischen Nutzen und propagandistisch effektvollen Wirkungsaspekt ins Feld führt. Zu beachten sind vielmehr der tatsächliche soziale Wirkungsraum der Bewegung u n d seine literarischen Beiträge, die sich in die Bemühungen um die Herausbildung einer sozialistischen Kultur und Lebensweise einordnen. Zunächst sei hervorgehoben, daß Kunst und Kultur hauptsächlich über die Bewegung schreibender Arbeiter - häufig „von oben" und zögernd eingeführt - seit der ersten Bitterfelder Konferenz zu einem festen Bestandteil des sozialistischen Wettbewerbs in den Brigaden geworden sind, wodurch viele Werktätige angeregt wurden, sich selbst künstlerisch-schöpferisch zu erproben. Damit verbunden war das durchgängige Bemühen, das allgemeine ästhetische Urteilsvermögen zu erweitern. Hinzu kommt, daß die initiierte massenhafte kulturelle Betätigung nicht nur zu einem tieferen Verstehen der Kunst, sondern auch zu anspruchsvolleren kulturellen Bedürfnissen geführt 229
hat. Kunst ist seit Bitterfeld zu einer öffentlichen Angelegenheit geworden. Diese Ergebnisse sind jedoch mit den ursprünglichen Motivationen nicht identisch. Eine Umfrage „Warum schreiben wir?" des Leipziger Instituts für Volkskunstforschung erbrachte im wesentlichen zwei Typen von Antworten. Eine Gruppe schreibender Arbeiter gab an: „Weil es Spaß macht", „Schreiben als Hobby", „Freude am Reimen".92 Eine zweite Gruppe, und zwar die größere, äußerte sich so: „Ich möchte Menschen zum Nachdenken bringen", „Das Schreiben ist eine gesellschaftliche Aufgabe, die den Menschen zu Erkenntnissen verhelfen und sie bessern soll, die dazu beitragen muß, die Welt zu verändern." 93 Bei einer Umfrage in verschiedenen Zirkeln dominierte in den Antworten der Wille, mit den schriftstellerischen und journalistischen Versuchen verändernd tätig zu werden. Daneben wurden als Schreibmotivationen genannt: ein Sich-Bestätigen-Wollen, Unbefriedigtsein im Beruf oder im persönlichen Leben, Geltungstrieb, die Meinung, auf - vermeintlich - leichte Weise Geld zu verdienen.94 Die Motive der schreibenden Arbeiter waren also sehr unterschiedlich. Unmittelbar nach der Bitterfelder Konferenz erschienen die ersten Anthologien von schreibenden Arbeitern wie die Gedichtsammlung von Laienautoren Greif' zur Feder, Kumpel?3 oder verschiedene Sammelbände und Broschüren, die von Bezirken, Kreisen und Betrieben herausgegeben wurden. Erzählungen, Kurzgeschichten, Gedichte und andere Beiträge schreibender Arbeiter wurden regelmäßig in der Presse veröffentlicht, hauptsächlich in der Bezirkspresse und überregional im Neuen Deutschland (in der Beilage Kunst und Literatur), in der Tribüne unter der Rubrik Tribüne des schreibenden Arbeiters, in den Zeitschriften Wochenpost, Schatulle und ich schreibe. Die Mehrzahl der kurzfristig veröffentlichten Anthologien hat für uns heute vor allem einen dokumentarischen Wert. Ihre gesellschaftliche Wirkung entsprach zumeist nicht dem zu ihrer Fertigstellung benötigten Arbeitsaufwand. Die meisten der in Anthologien veröffentlichten Arbeiten befassen sich mit Gegenständen, die den Autoren eng vertraut sind. Sie reflektieren eine bekannte Welt und sind für ein bestimmtes Publikum gedacht. Viele literarische Versuche berühren Probleme, die für eine gewisse Zeit in einer Brigade, Schulklasse, Familie, in einer Stadt oder in einem Dorf aktuell waren. Oft sind sie auf operative Wirkung hin konzipiert und hätten - an der richtigen Stelle veröffentlicht - Diskussionen auslösen können. Als Gestaltungsweisen werden zumeist journalistische Mittel gewählt. Die Reportage 230
ist die am häufigsten verwendete Gestaltungsform, danach rangieren Szenen und Sketche für das Betriebskabarett. Stücke für Arbeitertheater, Kinderlieder, Gedichte, die auf besondere Vorkommnisse reagieren, erscheinen als die gängigsten Formen der literarischen Betätigung. Auffällig ist, daß viele der literarischen Beiträge offensichtlich nicht dorthin gelangten, wo sie die größte Wirkung gehabt hätten. Heute muten die zahlreichen Anthologien eher wie Verlegenheitslösungen an. 96 Viele Zirkelmitglieder beklagten sich öffentlich, daß sie in den Betriebszeitungen, in denen sie eigentlich hätten operativ wirken können, keine Publikationsmöglichkeiten gefunden haben. Wenn sich „manche Betriebszeitungen" zu Zirkeln schreibender Arbeiter verhielten „wie ein Zuckerbäcker, der einen gelernten Konditor nicht als Gesellen aufnehmen will" 97 , korrespondierte eine isolche Haltung mit dem Desinteresse zahlreicher Betriebsleitungen, denen die schreibenden Arbeiter erst dann nützlich erschienen, wenn „die künstlerische Widerspiegelung durch die Werktätigen die Bewußtheit der Produktionsprozesse erhöht"98, oder anders gesagt: wenn die literarischen Erzeugnisse diese erwartete Funktion erfüllen konnten. Aus der Fülle von Anthologien ragen wenige heraus. Die wichtigsten sind die Deubener BlätterDie unter diesem Titel zusammengefaßten Arbeiten waren zunächst als Hilfe für einen notwendigen Erkenntnis- und Selbstverständigungsprozeß gedacht. Unter der künstlerischen Leitung der Schriftstellerin Edith Bergner entstanden die ersten Arbeiten unter dem Motto „Versuche, sich selbst zu sehen". Wie in kaum einer anderen Anthologie spielte hier die Auseinandersetzung mit dem Faschismus und dem zweiten Weltkrieg, der im persönlichen Leben der Menschen viele Spuren hinterlassen hatte, eine Rolle. In den ersten Arbeiten älterer Zirkelmitglieder überwiegt die Abrechnung mit der eigenen Vergangenheit - auch vor dem Kollektiv. Da heißt es: „Man muß den Weg kennen, den einer gekommen ist, um gut zu raten, wie er ihn fortsetzen soll." 100 Die meisten dieser Beiträge waren vorher schon in Betriebszeitungen erschienen. Vor allem ging es um neue innerbetriebliche Wirkungsmöglichkeiten. Das Anheben des ästhetischen Urteilsvermögens und immer wieder Selbstverständigung durch Schreiben als kollektive Angelegenheit wurde als Ziel der Zirkelarbeit betont. Eine ähnliche Wirkungsweise war mit den Karl-Marx-Städter Skizzen I und II beabsichtigt. In einer Auflage von 10 000 Exemplaren erschien 1960 der erste von vier Sammelbänden aus der Reihe Ich schreibe . .., Arbeiter greifen zur Feder. Die ersten beiden Jahrgänge wurden von Otto 231
Gotsche eingeleitet. Später schrieb M a x Zimmering die Einleitungen. Die in diesen Bänden zusammengefaßten Arbeiten schreibender Arbeiter sind eindeutig ambitionierter geschrieben: gedacht als Beitrag für die sozialistische deutsche Nationalliteratur. „Diese Autoren stehen an der Werkbank, arbeiten auf den Feldern unserer Genossenschaften, im Schacht oder im Labor; allen ist gemeinsam: Sie erstürmen die Höhen der Wissenschaft und der Kultur! Sie nehmen nicht nur, sie geben. Die schöpferische, künstlerische Selbstbetätigung ist ihnen Aufgabe und Pflicht geworden. Die Pflicht aber wird zur Kunst", 101 schrieb Otto Gotsche in seinem Vorwort zum zweiten Band (1961). Die Mehrzahl der Arbeiten sind aus eigenem Erleben erwachsen. Zumeist als Kurzgeschichten angelegt, sind die beherrschenden Stoffkreise: die Entwicklung des Neuen in der Industrie, vor allem im Bergbau, Kampf um höhere Arbeitsproduktivität, Probleme der Neuererbewegung, Erziehung von Arbeitsbummelanten. Ein zweiter großer Stoffkomplex gruppiert sich um den Kampf der Arbeiter unter kapitalistischen und imperialistischen Bedingungen. Die Schilderungen erfassen einen Raum, der von der k. u. k. Donaumonarchie bis zu den Kämpfen der KZ-Häftlinge reicht, vom Aufbegehren gegen die Schikanen eines Lehrherren bis zum organisierten Kampf der KPD in den zwanziger Jahren. Die eigenen Erfahrungen mit Faschismus und Krieg werden hier jedoch kaum reflektiert. Viele Beiträge befassen sich mit dem schweren Anfang nach 1945, mit der Befreiung durch die Sowjetarmee und der Entwicklung auf dem Lande. Ein Teil der Geschichten hat als Handlungshintergrund die Verhältnisse in Westdeutschland oder Westberlin. Nur wenige Themen sind aus dem Bereich des privaten Lebens entnommen. Wenn die persönliche Lebenssphäre zum Gegenstand gewählt wird, dann nur, um darzustellen, wie sich das Neue auch in der Familie durchzusetzen beginnt. Auffällig ist die Häufung abgegriffener Bilder und eingefahrener Wendungen; dies läßt darauf schließen, daß bestimmte literarische Vorbilder aufgenommen wurden. Das manchmal allzu künstlich wirkende Bemühen um imaginäre „ästhetische Höhen" beraubt die aufgegriffenen Stoffe oft ihrer Frische und Unmittelbarkeit und ihrer Wirkungsmöglichkeiten; gleiches gilt, wenn Losungen durch Beispiele und Bilder illustriert werden. Ein neues Feld unmittelbarer Wirksamkeit wurde mit der Einführung der Brigadetagebücher nach der ersten Bitterfelder Konferenz erschlossen. Hier war, gekoppelt mit der Wettbewerbsbewegung der 232
sozialistischen Brigaden, ein neues Element sozialistischer Massenkultur entstanden, innerhalb dessen die schreibenden Arbeiter eine wichtige Funktion ausüben konnten: Sie artikulierten Massenerfahrungen. Das Brigadetagebuch war meist als Rechenschaftsbericht angelegt und wirkte so als Instrument kollektiver Selbsterziehung, gleichsam als „Gewissen der Brigade". Die Aufgabe der Tagebücher wurde unter zwei Aspekten fixiert: durch die schriftstellerischen Auseinandersetzungen bei dem einzelnen das ökonomische Denken zu fördern und ökonomische Aufgaben lösen zu helfen und die Werktätigen „zur Auseinandersetzung mit Kunst- und Kulturerlebnissen anzuregen, das Bedürfnis nach Kunst (zu) wecken und deren Wirkung (zu) zeigen" 102 . Naturgemäß wurde in den meisten Tagebüchern über Wettbewerbe berichtet, über den Erfahrungsaustausch mit anderen Brigaden usw. Manche Tagebücher waren wie Haushaltsbücher angelegt, in denen die Posten, säuberlich untereinandergesetzt, abgerechnet wurden, jedoch keinen Raum für Zufälligkeiten und spontane Meinungsäußerungen zur kollektiven Selbstverständigung ließen. Dennoch: Alle Tagebücher weisen eine Fülle von Stoffen und Problemen auf, deren Gestaltung durch die Literatur als wichtig erkannt wurde. Erwin Strittmatter kritisierte allerdings eine Tendenz, die vielen Erlebnisberichte und Tagebücher als selbständige künstlerische Erzeugnisse zu veröffentlichen. Vielmehr müßten sich die Schriftsteller um die Materialien kümmern, die „den Rohstoff für einen Schriftsteller abgeben (könnten), der sich dann eingehend an Ort und Stelle mit den Dingen befaßt und sie in die Literatur, in die Kunst erhebt" 103 . Strittmatter wandte sich hier vor allem gegen eine Tendenz in der Presse, die Brigadetagebücher als neues literarisches Genre zu betrachten. 104 * So wurden z. B. Auszüge oder Eintragungen zu einem bestimmten Problem veröffentlicht und infolge ihrer fragmentarischen Anlage unwirksam, ihrem eigentlichen Zweck entfremdet. Die Tagebücher hatten und haben vielmehr dort ihre Funktion, wo sie charakteristische Wirklichkeitserfahrungen vermittelten, ohne daß künstlich eine künstlerische Typisierung versucht wurde. Unter den Schriftstellern hatte es nicht wenige Bedenken gegeben, ob die zweifache Aufgabenstellung - Schriftsteller an die Basis 1 und Greif zur Feder, Kumpel! - der ersten Bitterfelder Konferenz der einzig richtige Weg zur weiteren Durchführung der sozialistischen Kulturrevolution sei. Schon auf der Konferenz selbst hatte Erwin Strittmatter Meinungen von Kollegen wiedergegeben, die nun eine 233
„möglicherweise hereinbrechende (n) konfliktarme (n) Z e i t " 1 0 5 oder wegen des forcierten Durchsetzens und der Favorisierung der Bewegung schreibender Arbeiter durch einzelne kulturpolitische Institutionen - einen „ R ü c k f a l l auf den Stand des Proletkults" 1 0 6 unmittelbar bevorstehen sahen. D i e Mehrzahl der Schriftsteller jedoch hatte offensichtlich die Bitterfelder Orientierungen als einen gangbaren W e g akzeptiert. Sie fühlten sich nicht als bloße Registratoren der großen gesellschaftlichen und ökonomischen Umgestaltungsprozesse eingestuft, sondern sahen für sich die Möglichkeit von Mitgestaltung und Verantwortlichkeit. So verstand Inge von Wangenheim Wirkungsabsicht und mögliche Wirkungsweise des Bitterfelder Weges als die konsequente Anwendung der Leninschen Theorie von den zwei Kulturen: „Bitterfeld ist die Einsicht in den Zusammenhang der Gegenwartsliteratur mit bereits gewesener und künftig noch möglicher Kultur. Bitterfeld ist Methode von D a u e r und Tragweite insofern, als sie den W e g zur Meisterschaft, zur restlosen Beherrschung des H a n d w e r k s ursächlich mit dem Z w a n g zur Entdeckung der Wirklichkeit verknüpft, j a sie zur Basis jener Überhöhung macht, in der die magische K u g e l endlich dem Befehl des Meisters gehorcht." 1 0 7 D i e konkreten Erscheinungsformen beim Einhalten von Beschlüssen schilderte Erich Köhler in seinem Beitrag Reiten auf dem Leben, in welchem er Schwierigkeiten von Kollegen, die sich s p o n t a n den Beschlüssen a n g e p a ß t hatten, beschrieb. E r w a n d t e sich entschieden gegen die Tendenz, aus der E r f a h r u n g eines kurzen Betriebsaufenthalts, aus „Schlaglichterlebnissen" eine gültige A u s s a g e über Wirklichkeitserscheinungen formulieren zu wollen. 1 0 8 Franz Fühmann, der mit seiner 1961 erschienenen Reportage Kabelkran und blauer Veter eine der wichtigsten Darstellungen gesellschaftlicher Realität geliefert hatte, äußerte sich dazu ähnlich w i e Köhler. 1 0 9 Auch er verwies auf Gefahren, die sich ergaben, wenn bei wichtigen und produktiven Ansätzen in Ausführung der Beschlüsse die „kulturell-erzieherischen Maßnahmen des sozialistischen Staates von oben" 1 1 0 allzu bedenklich gleichgesetzt wurden mit einer sich erst entwickelnden Aktivisten- und Neuererbewegung von unten. In Vorbereitung der zweiten Bitterfelder Konferenz erschien 1964 eine Sammlung mit Erfahrungen und Meinungen von achtzehn Schriftstellern über den bisher zurückgelegten Weg. Durchgehender Tenor ist eine grundsätzliche Übereinstimmung mit der eingeschlagenen Kulturpolitik. Unzufriedenheit gibt es über Details - über einzelne 234
Maßnahmen und die Art, wie die Beschlüsse oft in der Praxis durchgesetzt wurden. Die Schriftstellerin Marianne Bruns, deren Novelle Das ist Diebstahl sehr schnell als eine der ersten Erfolge des Bitterfelder Weges in der Presse gefeiert worden war, schildert eine gewisse Atemlosigkeit, in die viele Schriftsteller gekommen sind, wenn sie sich, den kulturpolitischen Anregungen folgend, kopfüber in die Probleme der Produktion und der Brigaden der sozialistischen Arbeit gestürzt haben. Die meisten Autoren waren völlig unvorbereitet in die Produktiomssphäre gekommen und zunächst überwältigt, betroffen und sicherlich auch befremdet von „Einzelheiten, Einzelpersönlichkeiten oder Einzelkonflikten" 111 . Bei Regina Hastedt hatte solch eine Art der Überwältigung dazu geführt, ihre Begegnung mit der Realität vorwiegend als einen Prozeß der K e n n t n i s n a h m e zu interpretieren. Im ersten Übereifer und infolge der Ausschließlichkeit, mit der das Verfahren propagiert worden war, reduzierte sich der Bezug von Literatur und Wirklichkeit auf ein bloßes Abbildverhältnis, das wiederum eher Wunschbilder von der Wirklichkeit als gestaltete Massenerfahrungen produzierte. Marianne Bruns beschreibt den Vorgang so: „Ich habe mich drängen lassen und um der sehr notwendigen Wirkung willen, die vorauszusehen war und wohl auch eingetreten ist, die Geschichte klein gehalten, die hätte groß werden können." 112 Sie nimmt hier Bezug auf eine weitverbreitete Vorstellung, die sich auch bei Regina Hastedt und anderen Autoren findet: daß der Schriftsteller durch Literatur das Arbeiterleben verbessern und andern könne - eine Vorstellung, gegen die Fühmann heftig polemisiert hatte: „Was zum Beispiel empfindet ein Mensch, der weiß, d a ß er sein Leben lang so ziemlich dieselbe Arbeit für so ziemlich dasselbe Geld verrichten wird, als beglückend und was als bedrückend an eben dieser Arbeit; wo bringt sie ihm Reize, wo Freude, wo Leid, in welchen Bildern, auf welche Weise erscheint sie in seinem Denken und Fühlen . . ," 113 Werner Bräunig begreift den Bitterfelder Weg als eine Anleitung, neue Wirklichkeitsbereiche zu erobern, wenn die kultur- und kunstpolitischen Vorschläge nicht durch formalistische Tendenzen in der praktischen Anwendung eine Fehlinterpretation erfahren. Bräunig setzt sich ab von Einseitigkeiten der Vergangenheit und plädiert für neue Wirkungsmöglichkeiten der Literatur in der Gesellschaft, die sie erringen könne, wenn die Schriftsteller aus Fehlern der Vergangenheit lernen würden: „Wir alle wissen: mitunter haben wir Bücher, 235
Verse, Stücke geschrieben, die den kompliziertesten Veränderungen in den Menschen und in der menschlichen Gesellschaft mit Euklid beizukommen suchten. Der Held entwickelt sich in gerade ansteigender Linie . . . Und nicht nur der Held wird in ein solches Wunschkorsett gezwängt, sondern die gesellschaftliche Problematik überhaupt."114 Verabschieden müsse man sich auch von den „gemäßigten Konfliktchen", dargestellt werden müßte „realistische (r) Entwicklung in Widersprüchen". Werner Bräunig fordert auf, sich von der mechanischen Vorstellungswelt „einiger Propagandisten des Bitterfelder Weges" zu lösen, die meinten, die Literatur der aus dem Bürgertum kommenden Schriftsteller „erhöbe sich automatisch in eine neue Qualität, wenn die Autoren nur wüßten, wie eine Drehbank aus der Nähe aussieht". 113 Und schließlich kritisierte er jene Schriftsteller, die den schreibenden Arbeitern versicherten, „schreiben sei die simpelste Sache der Welt, kaum mit Mühe verbunden". Man möge nur die Spielregeln lernen und dann: frisch drauf los. Seine Kritik richtete sich vor allem gegen diejenigen, die meinten, „der Weg zur gebildeten Nation habe sich erledigt, wenn man am Freitag abend, statt Skat zu spielen, kollektiv ins Kino geht"116. Bräunig hatte damit ein Grundproblem des inzwischen in der Praxis erprobten Kultur- und Kunstkonzepts berührt und die Kompliziertheit und Größe der Aufgaben noch einmal mit allem Nachdruck hervorgehoben, wobei er vor übereilten und unrealistischen Schlußfolgerungen über den schon erreichten Stand warnte.
Programm kontra Praxis? Hanns Eislers im Gespräch mit Hans Bunge gezogenes Resümee von 1962, drei Jahre nach der ersten Bitterfelder Konferenz, lautete: „Der 'Bitterfelder Weg' hat mit allem, was er gesagt hat - und ich bin nicht mit allem einverstanden - , immerhin etwas gemacht: Er hat die Kultur in unserer jungen Republik zuerst einmal klassenmäßig gesetzt. Das heißt, er hat die Arbeiterklasse neu eingesetzt in Kunstempfänger und auch Kunstproduzenten. Das zweite ist etwas fraglich. Aber die ganze Konzeption ist eine völlig richtige. Man kann nicht im Sozialismus leben und vom Sozialismus in der Kultur schwätzen, ohne etwas Praktisches zu machen. Der 'Bitterfelder Weg' ist mit seinen Schwächen ein Weg, ein Beginn, der - sagen wir passabel ist." 117 236
Eisler benennt hier knapp aber treffend Stärke und Schwäche eines Programms, dessen Ausgangspunkt die Einheit von Ökonomie, Kultur und Ideologie war und das Kultur und Kunst konsequent als Teil eines gesamtgesellschaftlichen Prozesses zu revolutionieren suchte eine historische Aufgabenstellung. Einer von heute aus vorgenommenen Bewertung der Ziele, Leistungen und Probleme, die sich mit und nach der ersten Bitterfelder Konferenz in der kulturpolitischen Praxis herauskristallisiert hatten, sind mehrere Sachverhalte zugrunde zu legen. D e r Bitterfelder Weg diente der SED als kulturpolitisches Konzept in einer politisch genau fixierten Klassenkampfsituation der D D R in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre. Als Teil eines umfassenden strategischen Gesamtkonzepts mit der Bestimmung, den Aufbau sozialistischer Produktionsverhältnisse entscheidend zu beschleunigen und die Übergangsperiode zu überschreiten, ergaben sich für die kulturelle Entwicklung langfristig strategisch veränderte Orientierungen. Dabei wurden - analog zur Ökonomie - die Planziffern von „sieben mal sieben Jahren" auf die Kulturpolitik übertragen. Diese Tatsache verweist zugleich auf ein anderes wichtiges Moment der Bitterfelder Programmatik: die direkte ideologische Einflußnahme auf die Massen über Kunst, besonders über die Literatur. Die Aufforderung an die Schriftsteller, sich intensiver mit Problemen des sozialistischen Alltags auseinanderzusetzen und zusammen mit den schreibenden Arbeitern die sozialistischen Produktions- und Lebensverhältnisse zu befördern, spricht dafür, daß eine unmittelbare Wirkungsmöglichkeit von Literatur auf das gesellschaftliche Bewußtsein angenommen wurde. Aus dieser Verknüpfung von strategischen und tagespolitischen Funktionssetzungen ergaben sich in der Folgezeit eine Reihe von Widersprüchen. Auf der ersten Bitterfelder Konferenz erwuchsen die meisten Forderungen und viele Vorschläge aus der Tatsache, daß eine Reihe von Problemen seit längerer Zeit schon Lösungen verlangten, die erst zu diesem Zeitpunkt angestrebt werden konnten. Die SED hatte schon seit 1949 Kunst und Kultur in den Prozeß der notwendigen geistigen und ideologischen Umformung eines Massenbewußtseins integriert. Dabei war von Anfang an betont worden, daß eine der Grundvoraussetzungen für die Wirksamkeit von Kunst die Aufhebung der Trennung von Kunst und Leben ist, daß der Künstler sich solide Kenntnisse der „Entwicklung des wirklichen Lebens" 118 aneignen müsse. Wesentlichstes Ziel des Bitterfelder Programms war, die durch die kapitalistische Gesellschaft überlieferte 237
Trennung zwischen Kunst und Leben, Künstler und Volk auf der Grundlage sozialistischer Produktionsverhältnisse zu überwinden. Lenins Programm, daß die „Kunst zum Volke und das Volk zur Kunst" kommen muß, war eine Leitidee. Jetzt, am Ende der Übergangsperiode, konnte erstmals auf eine umfassende sozialistische Kulturkonzeption orientiert werden. Man strebte nicht mehr nur eine Sozialisierung der Künste an, sondern eine Veränderung der g e s a m t e n Lebensweise des Volkes, wobei die Arbeiterklasse politisch und auch als Produzent der materiellen Werte und der sozialen Verkehrsformen der sozialistischen Gesellschaft führend sein sollte. Dies war erst zu einem Zeitpunkt möglich, als die Mehrheit der Arbeiterklasse bewußt am Aufbau der neuen Gesellschaftsordnung teilnahm, die materielle Produktion zu leiten gelernt hatte und die dabei gewonnene Eigentümerhaltung auch als kulturellen Besitzanspruch artikulieren konnte. Das war, aus historischer Sicht betrachtet, in einem relativ kurzen Zeitraum geschehen, denn „aus dem Arbeiter, der im kapitalistischen Deutschland nur ein Objekt der reaktionären Kulturpolitik der herrschenden Klasse war, dem mit geringen Ausnahmen die kulturellen Güter der Nation bis vor kaum anderthalb Jahrzehnten verschlossen waren, die Schätze der Weltliteratur vorenthalten wurden, wird immer mehr ein Mensch, der schöpferisch an der Weiterentwicklung unseres gesamten kulturellen Lebens Anteil nimmt" 119 . Letzten Endes sind in dieser Bestimmung des Proletariats als Gestalter und als Motor der sozialen Entwicklung und mit der Bitterfelder Konzeption eine veränderte Wirkungsstrategie von Kunst und Kultur begründet und neue inhaltliche Aufgaben formuliert worden: Kunst und Kultur wurden direkt aufgefordert, aktiv an der Bewußtseinsbildung der Massen teilzunehmen und zu helfen, die Arbeiterklasse auch zum Subjekt der Geschichte zu machen. Der Literatur mit ihren spezifischen, persönlichkeitsbildenden Mitteln wurde abverlangt, die Arbeiterklasse zu befähigen, über das - historisch bedingt - traditionell einzige Wirkungsfeld der materiellen Produktion hinaus tätig zu werden und den historischen Prozeß gesamtgesellschaftlich, auch kulturell mitzubestimmen. Die erzieherische Funktion sozialistischer Literatur - von Beginn an wesentlicher Faktor für angestrebte bewußtseinsverändernde Prozesse der Massen in einem sozialistischen Deutschland - wurde damit in eine bisher nicht gekannte Nähe zu den Produktionsverhältnissen gerückt. 120 Die Produktion begann auf neue Weise „als Selbst238
Verwirklichung des Menschen" Gegenstand der Kunst zu werden, „statt Milieu oder Hintergrund für Ewig-Menschliches" 121 zu sein. Mit der Bitterfelder Konferenz wurde eine Tradition beendet, derzufolge ein kleiner Kreis von Schriftstellern und Künstlern für kulturelle Belange der Gesellschaft zuständig war. Künstler trafen sich jetzt mit Vertretern gesellschaftlicher Organisationen und mit Vertretern der Arbeiterklasse, um gemeinsam zu beraten, wie sie den heranwachsenden neuen Bedürfnissen der Arbeiterklasse besser gerecht werden können. Dabei erging der Appell an die Schriftsteller nicht in erster Linie dahin, die sich vollziehenden Veränderungen zu reflektieren, sondern sich als unmittelbaren, gesellschaftlichen Produzenten zu begreifen. Für die Kunst und besonders für die Literatur hatte dieses neugewonnene gesellschaftliche Selbstverständnis zur Folge, daß neue künstlerische Seh- und Reflexionsweisen einsetzten, die sich in gewisser Weise von den eigenen Traditionen abstießen bzw. solches verlangten. Oftmals waren „Technikbegeisterung" und „Plankult", war das bloße Abbilden des Produzenten Gegenstand literarischer Entwürfe in den frühen fünfziger Jahren gewesen. Auf der ersten Bitterfelder Konferenz verwies die Parteiführung nachdrücklich auf die Notwendigkeit künstlerisch neuer Sehweisen: Gestaltet werden müßten die sich entwickelnden neuen Beziehungen der Menschen untereinander. In diesem Sinne wurde die literarische Wirkungsstrategie erweitert; sie reichte bis zur Einflußnahme auf das Zusammenleben der Menschen. D i e Kunst wurde nun verstärkt als Mittel zur Erkenntnis der Wirklichkeit verpflichtet, das Gesetzmäßigkeiten und Widersprüche erforscht mit dem Ziel, gesellschaftliche Erfahrungen zu vermitteln. Schnelle, bewußtseinsverändernde Wirkungen durch eine massenwirksame Literatur wurden von neuen Autoren erwartet, die sich Gegenwartsthemen zuwenden sollten. Als Avantgarde dieser Bewegung wurden zunächst jene Schriftsteller angesprochen, die bisher Werke mit sozialistischem Inhalt geschrieben hatten, wie es auf der ersten Bitterfelder Konferenz formuliert wurde. Diese allgemein gehaltene Vorstellung ging im Grunde auf zwei Wirkungsrichtungen aus, deren schematische Ableitungen von heute aus eher voluntaristisch als praktikabel erscheinen, wenn der Methode des sozialistischen Realismus folgende Wirkungsmöglichkeiten unterstellt wurden: Erstens werde der Leser von den Helden der Romane, Dramen oder selbst der Lyrik angeregt, ihnen nachzueifern, und zweitens würden Leser und vor allem auch schreibende Arbeiter ermutigt, selbst zu versuchen, 239
die Fragen, die sie bewegen, mit künstlerischen Mitteln darzustellen. Die Ziele der Bitterfelder Konferenz erwiesen sich in der Praxis dort als realistisch, wo versucht wurde, die Herstellung sozialistischer Kulturbedingungen als eine historische Aufgabe zu begreifen und sie nicht unmittelbar aus Tagesfragen abzuleiten. Die didaktische Komponente blieb neben den neuen Elementen des Aufschlusses über die Wirklichkeit durchaus erhalten, denn permanentes Initiieren eines allumfassenden Lernprozesses zielte auf Verhaltensveränderungen beim Leser oder Rezipienten von Kunst allgemein. Die Vorstellungen liefen in folgende Richtung: indem der Schriftsteller das Neue in der Entwicklung der sozialistischen Gesellschaft künstlerisch gestaltet, begeistert er die Menschen für die Erfüllung hoher Aufgaben. Er bringt ihnen das Neue zu Bewußtsein und trägt zu größeren Leistungen' und gleichzeitig zur Beschleunigung der Entwicklung bei." 122 Diese schematisch begriffene unmittelbare Beziehung von künstlerischer und materieller Produktion führte zu Forderungen, durch die in der kulturellen, vor allem in der literarischen Praxis eine Reihe von Widersprüchen aufbrachen: zum einen dort, wo versucht wurde, die Veränderung von Arbeits- und Lebensbedingungen der Arbeiterklasse a l l e i n durch Ideologie, Literatur und Kunst zu bewirken - solange sie durch die materielle Produktion nicht zu verwirklichen war. Es gab Erwartungen gegenüber der Literatur: „Die ideologische Umwandlung wird schneller gehen, wenn uns die Schriftsteller; die Künstler dabei helfen, und sie wird langsamer gehen, wenn sie uns nicht helfen." 123 Aus dieser Erwartungshaltung resultierte aber auch jene Überschätzung der Wirkungsmöglichkeiten von Literatur, die auf einem einfachen Ursache-Wirkung-Mechanismus basierte, wie z. B. die Annahme, daß das Anheben des kulturellen Niveaus sich direkt auf die Produktion auswirken würde, auf ihr schnelleres Wachstum, ja sogar auf die Qualität der Erzeugnisse. 124 * Dieses Moment, das aus der Bitterfelder Konzeption a u c h zu interpretieren war und das in utilitaristischer Weise die Kunst nur nach ihrem Nutzen bei der Lösung bestimmter täglicher ökonomischer Aufgaben befragte, geriet schon zum Beginn der sechziger Jahre zunehmend ins Kreuzfeuer der Diskussionen. 125 * Schriftsteller genauso wie Kulturtheoretiker wandten sich gegen Tendenzen, die Literatur mit politischen Ansprüchen zu überfrachten. Hier muß angemerkt werden, daß es nicht gerechtfertigt ist, im Nachhinein den Bitterfelder Weg als „rein literarische Bewegung" zu
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bewerten. 126 Die seither in Angriff genommenen und teilweise rigoros veränderten praktischen Umwandlungen der kulturellen Verhältnisse insgesamt bis hin zur Veränderung der Lebensweise sprechen dagegen. Dennoch: Programmatik und kultureller Alltag wurden zuweilen getrennt dadurch, daß in Reden und Äußerungen die Literatur besonders hervorgehoben wurde - wohl in der Annahme, sie sei am leichtesten zu rezipieren und zu produzieren, während es in den anderen Künsten schwieriger ist - in der Musik z. B., von der Hanns Eisler sagte, daß das „Belehren . . . leider nicht so einfach (ist) w i e in der Literatur" 127 . Wenn nach der ersten Bitterfelder Konferenz mehr die Kunstpolitik als die Gesamtheit der Kulturpolitik diskutiert wurde, so lag das nicht zuletzt an der Doppelfunktion von sozialistischer Kunst und Kultur während der Übergangsperiode unter den konkreten Klassenkampfbedingungen: Einmal wurde sie damals noch in ihrer gesamtnationalen Verantwortung, in ihrer Wirkung nach außen betrachtet, und zum anderen lag die Dominanz ihres Aufgabenfeldes nach innen noch immer auf der Erziehung der Massen zu sozialistischem Bewußtsein. Progressivität und Pragmatik des Programms konnten sich in diesem politisch vorgezeichneten Spielraum bewegen. Grundsätzlich war das Bitterfelder Programm revolutionär insofern, als die Kultur aus dem traditionellen Verständnis herausgelöst und in ihrer Bindung an die materielle gesellschaftliche Produktion verstanden wurde. Zugleich wurde jedoch die Akzentuierung spezifisch s o z i a l i s t i s c h e r Aufgaben als Voraussetzung für neu zu schaffende Funktionsräume und Wirkungsweisen der Literatur aus dem seit 1956 formulierten Konzept einer sozialistischen Nationalliteratur für ganz Deutschland begründet. Johannes R. Becher war auf dem IV. Schriftstellerkongreß 1956 z. B. davon ausgegangen, daß die sozialistische deutsche Nationalliteratur, als der „bessere" Teil der deutschen Literatur die historische Überlegenheit nicht nur dokumentieren, sondern gleichzeitig den Anspruch einer repräsentativen deutschen Nationalliteratur erfüllen müsse. 128 Der internationale Aspekt sozialistischer Kulturrevolution wurde dabei vernachlässigt. Nach außen wurde eine Art Anspruch und Repräsentanz für das gesamte deutsche Kulturgebiet vertreten, in der die Literatur die Aufgabe erhielt, das „Gesicht des guten Deutschen mitprägen zu helfen" 129 . Daraus ergab sich für die Literatur wiederum - direkt abgeleitet aus der Ökonomie - der Zwang zur „Überlegenheitsgewißheit" eines besseren sozialistischen Deutschlands. Innerhalb der sozialistischen Umwälzung 16
DDR-Literatur
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wurden die Aufgaben der Schriftsteller eng an die Lösung der ökonomischen Hauptaufgabe gebunden, „die das Ziel hat, das Übergewicht gegenüber Westdeutschland in bezug auf den Pro-Kopf-Verbrauch der Bevölkerung und im Kampf um das wissenschaftlichtechnische Weltniveau zu erreichen" 1 3 0 . D e r Überlegenheitsnachweis fungierte zugleich als Antrieb für massenhaftes Handeln und war eine Triebkraft bei der Formierung des subjektiven Faktors für den Aufbau des Sozialismus. „Selbstverständlich brauchen wir dieses Tempo der ideologisch-kulturellen Entwicklung der Deutschen Demokratischen Republik nicht etwa nur, um das Leben der Werktätigen schöner zu gestalten, und deshalb, weil der Sozialismus nicht anders zum Sieg geführt werden kann, sondern auch, weil wir auf allen Gebieten der Kultur die absolute Überlegenheit gegenüber Westdeutschland in den nächsten Jahren unter Beweis stellen müssen. Das gilt für alle Zweige der Kunst." 1 3 1 Tatsächlich hatte die Literatur einen besonderen Stellenwert angesichts der internationalen Lage der D D R . D i e Tatsache, daß die imperialistischen Länder mit der Konzeption des „roll back" die D D R zu isolieren suchten und bemüht waren, die gesellschaftlichen Veränderungen rückgängig zu machen, ist nicht ohne Einfluß auf das literarische Leben und die Literatur selbst geblieben. Eine Überbetonung des Besonderen verband sich eng mit den auf der Bitterfelder Konferenz formulierten „Grundaufgaben der Entwicklung der deutschen Nationalkultur". Darüber hinaus muß berücksichtigt werden, daß in den europäischen sozialistischen Ländern gegen Ende der Übergangsperiode die nationale Frage - jeweils modifiziert - zunehmend an Bedeutung gewann; sie hatte eine wichtige Funktion bei der Entfaltung des Massenkampfes. Und objektiv hatte auch die sozialistische deutsche Kunst und Literatur durch ihr klassenbestimmtes Wesen einen internationalistischen Auftrag wahrgenommen, indem sie ihren Beitrag zum Sieg des Sozialismus in einem Teil Deutschlands leistete. Erst mit dem Eintritt der meisten Länder in die Phase der entwickelten sozialistischen Gesellschaft wurde die nationale Frage stärker zu den sich intensiver gestaltenden internationalistischen Verbindungen in B e ziehung gebracht. Nunmehr führte die Betonung der nationalen B e sonderheiten, die später - mit der Theorie von der relativ selbständigen Gesellschaftsformation des Sozialismus - noch verstärkt wurde, zu einer Reihe von Meinungsverschiedenheiten mit den übrigen sozialistischen Ländern. Seit dem V I I I . Parteitag der S E D sind angesichts der sich schnell
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wandelnden gesellschaftlichen Gesamtzusammenhänge viele Fragen einer veränderten Literaturfunktion differenzierter diskutiert worden. Doch sind die meisten Probleme nicht grundsätzlich neu, vielmehr sind sie genauer aus ihrem historischen Bezug abgeleitet, denn nach 1971 sind Entwicklungen erweitert und aktiviert worden, die sich schon seit Beginn der sechziger Jahre - dem E n d e der Übergangsperiode - deutlich abzeichneten. Dennoch erwies es sich als notwendig, bestimmte Konzeptionen an der sich weiterentwickelnden Praxis zu überprüfen und - wo nötig - auch die politische und wissenschaftliche Terminologie zu verändern. Ein „maßvolle(r) Gebrauch" 1 3 2 des Begriffes Bitterfelder Weg hat nichts mit einer „Verabschiedung von der Sache zu tun". Für die Bestimmung des Verhältnisses von Kunst und Gesellschaft im entwickelten Sozialismus reicht es allerdings nicht mehr, nur von „dem Gesichtspunkt ihrer aus dem Kapitalismus überlieferten Trennung von Kunst und Leben und deren Überwindung" auszugehen. Heute geht es um die Gesetzmäßigkeiten und Erfahrungen unserer eigenen geschichtlichen Entwicklung und speziell um die Rolle der Künste als Moment der Produktion und Reproduktion des gesellschaftlichen Lebensprozesses im Sozialismus. Künstlerische Vorstellungen und Wirkungsarten von Literatur und Kunst insgesamt haben sich seither entscheidend verändert. Im Grunde hat sich seitdem auch ein neuer Typ von sozialistischem Schriftsteller in der D D R herausgebildet, der die Literatur unserer Gesellschaft in neuer Weise repräsentiert. Seit Beginn der sechziger Jahre sind Bücher, deren Gegenstand aus der sozialistischen Wirklichkeit entnommen ist, zur Selbstverständlichkeit geworden. Zugleich hat sich das Rezeptionsverhalten gewandelt. Kaum umstritten ist, daß Literatur nicht unbedingt und unmittelbar an einen bestimmten Gegenstand wie „Arbeit", „Arbeiterpersönlichkeit" oder schlechthin „Leben" gebunden ist, sondern allgemeiner an die Fähigkeit, „soziale Erfahrungen zu organisieren" 133 . E s wird auch kaum mehr allein eine identifikatorische Aktivität des Lesers erwartet. Vielmehr bestimmt das Angebot zur Partnerschaft und zur Diskussion mit dem mündigen Leser die Schreibweisen. „Was darin an Bitterfelder Forderung bleibt, ist die Richtung auf die Arbeiterklasse." 1 3 4
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Gudrun Klatt
Proletarisch-revolutionäres Erbe als Angebot Vom Umgang mit Erfahrungen proletarisch-revolutionärer Kunst während der Übergangsperiode Aspekte gegenwärtiger Erbeverständigung Als Peter Kupke Brechts Ho f meist er-Y> earb ei tu ng 1977 neu inszenierte, wurde der Regisseur gefragt, warum er sich nach Herr Puntila und sein Knecht Matti und Der Kaukasische Kreidekreis wiederum einem Stück zuwende, das seine Uraufführung in Brechts eigener Regie erlebt hatte. Kupke antwortete: „Mit dem 'Hofmeister' fahren wir fort, unser eigenes Erbe aufzuarbeiten. Das ist kein Prozeß des Wiederholens, sondern der kritischen Aneignung." Den „Dialog mit unserem Zuschauer" der siebziger Jahre suchend, erklärte Kupke die Dringlichkeit des Vorhabens auch aus der Wirkungsgeschichte der einstigen Brecht-Inszenierung: „Die Inszenierung war unbestritten einer der Höhepunkte des Theaters in der jungen D D R , jahrelang blieben jedoch die methodischen Prinzipien umstritten, bei aller Anerkennung. Das Stück wurde später kaum gespielt. Hier ist ein Teil unserer kulturellen Substanz vergessen oder verdrängt worden." 1 Zu den wohl interessantesten Phänomenen unserer gegenwärtigen kulturellen Szene gehört, daß diese Theaterpraxis - nach fast dreißig Jahren D D R die politisch-ästhetischen Erfahrungen unserer eigenen Geschichte neuerlich zu befragen - nicht isoliert vonstatten geht. Werner Mittenzwei, seit geraumer Zeit selbst dem Berliner Ensemble angehörend, hat diesem Entwicklungstrend einen entscheidenden Impuls verliehen. Es war sein Ende 1976/Anfang 1977 in Sinn und Form veröffentlichter dreiteiliger Aufsatz Der Realismus-Streit um Brecht. Grundriß zu einer Brecht-Rezeption der DDR2, der Möglichkeiten und Schwierigkeiten des Umgangs mit Brecht unter den historischen Bedingungen unserer Revolution analysierte. Dabei legte er Widersprüche und Diskrepanzen zwischen dem Brechtschen Angebot und der tatsächlichen Rezeption frei. Indem Mittenzwei auf Unabgegoltenes, Unerledigtes des Brechtschen Erbes aufmerksam machte, markierte er heute mögliche Einsatzstellen. Erscheint nun die Spielplanpolitik des Berliner Ensembles als
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Gudrun Klatt
Proletarisch-revolutionäres Erbe als Angebot Vom Umgang mit Erfahrungen proletarisch-revolutionärer Kunst während der Übergangsperiode Aspekte gegenwärtiger Erbeverständigung Als Peter Kupke Brechts Ho f meist er-Y> earb ei tu ng 1977 neu inszenierte, wurde der Regisseur gefragt, warum er sich nach Herr Puntila und sein Knecht Matti und Der Kaukasische Kreidekreis wiederum einem Stück zuwende, das seine Uraufführung in Brechts eigener Regie erlebt hatte. Kupke antwortete: „Mit dem 'Hofmeister' fahren wir fort, unser eigenes Erbe aufzuarbeiten. Das ist kein Prozeß des Wiederholens, sondern der kritischen Aneignung." Den „Dialog mit unserem Zuschauer" der siebziger Jahre suchend, erklärte Kupke die Dringlichkeit des Vorhabens auch aus der Wirkungsgeschichte der einstigen Brecht-Inszenierung: „Die Inszenierung war unbestritten einer der Höhepunkte des Theaters in der jungen D D R , jahrelang blieben jedoch die methodischen Prinzipien umstritten, bei aller Anerkennung. Das Stück wurde später kaum gespielt. Hier ist ein Teil unserer kulturellen Substanz vergessen oder verdrängt worden." 1 Zu den wohl interessantesten Phänomenen unserer gegenwärtigen kulturellen Szene gehört, daß diese Theaterpraxis - nach fast dreißig Jahren D D R die politisch-ästhetischen Erfahrungen unserer eigenen Geschichte neuerlich zu befragen - nicht isoliert vonstatten geht. Werner Mittenzwei, seit geraumer Zeit selbst dem Berliner Ensemble angehörend, hat diesem Entwicklungstrend einen entscheidenden Impuls verliehen. Es war sein Ende 1976/Anfang 1977 in Sinn und Form veröffentlichter dreiteiliger Aufsatz Der Realismus-Streit um Brecht. Grundriß zu einer Brecht-Rezeption der DDR2, der Möglichkeiten und Schwierigkeiten des Umgangs mit Brecht unter den historischen Bedingungen unserer Revolution analysierte. Dabei legte er Widersprüche und Diskrepanzen zwischen dem Brechtschen Angebot und der tatsächlichen Rezeption frei. Indem Mittenzwei auf Unabgegoltenes, Unerledigtes des Brechtschen Erbes aufmerksam machte, markierte er heute mögliche Einsatzstellen. Erscheint nun die Spielplanpolitik des Berliner Ensembles als
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e i n e praktische Konsequenz aus Mittenzweis wissenschaftlicher Aufarbeitung der Brecht-Rezeption, so geht das Anliegen dieses Aufsatzes noch in eine andere Richtung. In gewisser Weise hat Mittenzwei eine neue Forschungssituation geschaffen, die an zwei Punkten festgemacht werden kann. Der Aufsatz signalisiert e r s t e n s eine Wende in den Erbediskussionen der siebziger Jahre. Als 1973/74 die Sinn-und-Form-Debatte über Brecht und die Klassik geführt wurde, 3 konnten unterschiedliche methodologische und erbetheoretische Positionen innerhalb der marxistischen Literaturwissenschaft der DDR abgesteckt werden. Fast gleichzeitig, jedoch nicht in unmittelbarem Kontext mit dieser Debatte, analysierte Wolfgang Heise in seinem Vortrag Bemerkungen zum Erbe jene Voraussetzungen, die das Erbeproblem jetzt in den Vordergrund unseres Nachdenkens rücken. „Daß wir über Erbe diskutieren, und zwar aus praktischen Bedürfnissen heraus, zeigt an, daß diese Integration des Vergangenen ins Gegenwärtige selbst problematisch geworden ist - in Gegenstand und Methode. 'Erbe' ist einmal zum Problem geworden, weil wir in der gegenwärtigen Etappe der sozialistischen Entwicklung selbst nüchtern das, was wir kollektiv getan haben und tun, in Voraussetzung, Ergebnis, Aufgabe und Perspektive durchdenken müssen - angesichts der historischen Situation des internationalen Klassenkampfes, der sozialistischen Integration, der Politik der friedlichen Koexistenz und geistigen Konfrontationen."4 Heise erläuterte diese Fragestellung am Beispiel von Inszenierungen des humanistischen Erbes, u. a. von Goethes Iphigenie, doch im gleichen Vortrag hat er sie theoretisch verallgemeinert: „Erbe, Kunst der Vergangenheit (fungiert) als Organisator unserer Möglichkeit." 5 Damit hatte Heise das Problem der Beziehungen von sozialistischer Gesellschaft und Erbe als einen Funktionszusammenhang gefaßt, der an die Geschichtlichkeit der Gesellschaftsformation gebunden und insofern einem historischen Wandel unterworfen ist. Ein Jahr später, 1974, untersuchte Dieter Schiller die Historizität marxistischen Erbeverhaltens von einer anderen Seite. Ausgehend von der kulturpolitischen Orientierung des VIII. Parteitages und des 6. Plenums des ZK der SED, verfolgte er die Ausarbeitung einer marxistischen Erbetheorie bei den Klassikern des Marxismus-Leninismus im Prozeß ihres Entstehens und konnte nachweisen, daß und wie „die Erbe-Frage zu einem unmittelbaren Bestandteil der Theorie der Revolution"6 wurde. Damit war auf die politisch-strategische Brisanz 245
des Erbeproblems verwiesen, wobei Schiller aber zugleich darauf aufmerksam machte, daß ein neuer Zugang zum Erbe „immer auch die Geschichte der Rezeptionen einschließt". Sein methodischer Vorschlag für heutige Erbeaneignung lautet: „Sie wird um so produktiver, je umfassender das Verhältnis zwischen Gegenstand, Rezeptionsgeschichte und der spezifischen Funktion gegenwärtiger Aneignung reflektiert wird." 7 Unter den Schwerpunkten für die Erbeforschung nannte Schiller an erster Stelle Untersuchungen zum Verhältnis von Herausbildung einer sozialistischen Kultur und Erberezeption in der D D R . Mittenzweis Aufsatz steht in diesem Feld von Erbeverständigung, doch er führt sie an einem zentralen Punkt weiter. Sein Aufsatz signalisiert: Die Geschichte des einheitlichen revolutionären Prozesses wird nach ihrem Umgang mit der deutschen sozialistischen Kunst befragt, und es werden - über das Modell Brecht - Erfahrungen und Probleme proletarisch-revolutionärer Kunst der zwanziger Jahre eingebracht. Zwar gab es in dieser Richtung schon Vorarbeiten, 8 * neu war jedoch die zugespitzte Fragestellung: Was konnte die - nach dem Sieg der Roten Armee über den Faschismus - entstehende sozialistische Gesellschaft mit den revolutionären Kunsterfahrungen, mit jenen Vorstellungen, Modellen und Entwürfen einer sozialistischen Kunst, die in den Kämpfen der Weimarer Republik entwickelt wurden, anfangen? Konnte sie dieses Erbe antreten und wie? Wieweit birgt es für uns heute noch Unabgegoltenes? Da Mittenzwei diese Fragen an der Brecht-Rezeption abhandelte, integrierte er sich z w e i t e n s auch in ein internationales Forschungsfeld, das die marxistische Wissenschaft sozialistischer Bruderländer u. a. Ungarns - etwa seit Mitte der sechziger Jahre aufarbeitet, in die Forschungen zur Avantgarde. Bisher konzentrierten sich die Schwerpunkte dabei auf Begriffsdefinitionen und auf Beschreibungen der Entstehungs- und Wirkungsbedingungen sowie der Ästhetik des Phänomens Avantgarde. 9 Das Interesse galt vor allem der Entwicklung solcher ästhetischer Positionen, die politisch zur Parteinahme für die revolutionäre Arbeiterklasse und zur Integration der künstlerischen Arbeit in den revolutionären Kampf des Proletariats führten - Majakowski, Brecht, A. Jözsef. Für Prozesse und Umbrüche dieser Art hat Läszlö Illes den Begriff „sozialistische Avantgarde" eingeführt, dessen ich mich im folgenden auch bedienen werde. Zu den vielen noch ungelösten Problemen zählten Illes wie auch Szäbolcsi die Frage, was mit der Avantgarde nach Ende des zweiten 246
Weltkriegs geschieht, wobei sowohl an das Entstehen neuer Avantgarde-Bewegungen (etwa in den westeuropäischen Ländern) als auch an den Umgang mit den Erfahrungen der historischen Avantgarde der zwanziger und dreißiger Jahre gedacht war. Szäbolcsi zog ein erstes Fazit: „ . . . in der Mehrzahl der Länder ist die Synthese zwischen Literatur und Öffentlichkeit, Kunst und Massen nicht zustandegekommen. D i e Geschichte der Avantgarde bleibt unvollendet." 1 0 Im Kontext der Avantgarde-Forschung markiert Mittenzweis Aufsatz zur Brecht-Rezeption den ersten Versuch von marxistischer Seite, Aufnahme und Auseinandersetzung mit dem Erbe der s o z i a l i s t i s c h e n Avantgarde nach 1945 in der D D R zur Sprache zu bringen. E r holt das von Szäbolcsi gezogene Fazit aus seiner generalisierenden Unverbindlichkeit heraus, indem er nach den für sozialistische Kunstprozesse entscheidenden Vermittlungen zwischen Kunst und Massen fragt. Kulturpolitik, Wissenschaft und Kritik rücken daher bei ihm in den Vordergrund. Mit Recht sieht er seine Aufgabe und die künftiger Arbeiten darin: „Zu untersuchen ist vielmehr, warum in der einen Phase sich bestimmte Traditionen schwer oder nur durch Bruch erschließen ließen und welche Bedingungen andererseits veranlaßten, von dem am weitesten vorgetriebenen künstlerischen Standard teilweise wieder zurückzugehen. Geklärt werden muß, welche Möglichkeiten eine revolutionäre Partei in dieser oder jener Etappe auf ästhetischem Gebiet hat." 1 1 Für die Übergangsperiode kommt Mittenzwei zu folgender Einschätzung: „Einen Widerspruch barg diese Kulturpolitik insofern, als sie an die proletarisch-revolutionären Kunsttraditionen bewußt nicht anknüpfte. D i e große Experimentierphase der sozialistischen Kunst und marxististischen Ästhetik vor 1933 blieb weitgehend im Dunkel der Vergangenheit. Diese Orientierung, die natürlich zu Schwierigkeiten führte, Fehldeutungen und Fehlentwicklungen zuließ und später zu einem direkten Hemmnis wurde, war damals aber unumgänglich und damit auch sinnvoll." 1 2 Dieses Urteil korrespondiert mit der am Beginn seines Aufsatzes stehenden These, die „Rezeptionsgeschichte" Brechts sei eine „Geschichte von Irrtümern". 1 3 Mir scheint, daß Mittenzwei durch die Rigorosität dieses „falsch" oder „richtig" seine eigene Fragestellung verengt. Statt nämlich die Möglichkeiten, auch die alternativen Möglichkeiten, die „eine revolutionäre Partei . . . auf ästhetischem Gebiet hat", konkret zu analysieren macht er unterderhand den vorhandenen
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ästhetischen Standard - in diesem Falle Brechts Theorie und Praxis nahezu ausschließlich zum Wertungsmaßstab. Die Chance des Aufsatzes, das Brechtsche Angebot für heutige Bedürfnisse freizulegen, gerät bei Mittenzwei sogleich in Gefahr, das Angebot, also die potentielle Rezeptions m ö g l i c h k e i t , dem tatsächlichen RezeptionsV o r g a n g gegenüberzustellen, während Bedingungen und Voraussetzungen eines sich innerhalb der Geschichte vollziehenden Rezeptionsprozesses kaum noch aufgesucht werden. Natürlich ist der Aufsatz primär auch polemisch akzentuiert. Mittenzwei wehrt sich gegen eine Vorstellung, die gleichsam eine ungebrochene Kontinuität, eine unaufhaltsame Höher- und Weiterentwicklung sozialistischer Literatur voraussetzt, in der die Dialektik von Gewinn und Verlust verschwindet. Kurz nach Erscheinen von Mittenzweis Aufsatz gab Alexander Abusch, aus der Sicht des praktischen Kulturpolitikers, s e i n e Einschätzung des Entwicklungsprozesses sozialistischer deutscher Literatur. In einem Interview mit der Zeitschrift Weimarer Beiträge betonte er: „Die deutsche sozialistische Nationalliteratur ist natürlich nicht erst 1945 oder gar 1949 mit der Gründung der DDR entstanden, sondern sie entstand zuerst als proletarisch-revolutionäre Literatur (hier abgesehen von ihren Vorläufern im vorangegangenen Jahrhundert) in den zwanziger Jahren, setzte sich fort als sozialistische Literatur innerhalb der antifaschistischen Volksfront bis zum Sturz des Hitlerfaschismus und wuchs in den 27 Jahren unserer Republik . . . zur sozialistischen Nationalliteratur."14 Mittenzwei wehrt sich gegen die These von der linearen Kontinuität, indem er lediglich eine Gegenthese dagegensetzt, die - da als Frage von Irrtum oder Fehldeutung vorgetragen - eigentlich wie das Spiegelbild jener Kontinuitätsidee wirkt. Die tatsächliche Alternative heißt aber doch wohl nicht Kontinuität o d e r Bruch, sondern erwächst aus dem Umstand, daß Kontinuität den Bruch, also Diskontinuität notwendig einschließt. In welchem Maße solche Fragen des Erbeverhaltens sich gegenwärtig in einem nach vorn offenen Klärungsprozeß befinden, deutet eine weitere Arbeit an, die etwa zur gleichen Zeit wie Mittenzweis Aufsatz erschien. Fritz Mierau diskutiert in seiner Tretjakow-Darstellung Erfindung und Korrektur Probleme des Umgangs mit dem sozialistischen Erbe der zwanziger Jahre und läßt an jenem entscheidenden Punkt Mittenzweis „Irrtümer-These" hinter sich. Ausgehend von der komplizierten und widersprüchlichen Rezeptionsgeschichte Tretjakows (die der Brechts sicher nicht vergleichbar ist), schreibt 248
Mierau in seinem Vorwort: „Verzeichnung, Zerrbild und Vergessen ist nicht zu begegnen mit der Wiederaufrichtung eines 'eigentlichen' Tretjakow. . . . Maßstab kann dabei nicht die 'verpaßte Gelegenheit' sein. Maßstäbe setzt allein die fortschreitende Praxis des sozialistischen Aufbaus. J e weiter die sozialistischen Länder ihre Gesellschaft entwickeln und je mehr Länder den Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft in Angriff nehmen, desto reicher werden auch die Entdekkungen in den frühen Arbeiten und Irrtümern. Die Besonderheiten von heute entdecken uns die Gesetze von gestern." 15 Die folgenden Überlegungen sind als Beitrag zu diesem Verständigungsprozeß gedacht. Angeregt und herausgefordert von Mittenzweis Aufsatz, will ich das von ihm aufgeworfene Problem des Umgangs mit dem proletarisch-revolutionären Erbe weiterverfolgen. Methodisch indessen versuche ich einen anderen Weg. Zunächst gehe ich von zwei Fragen aus: Was konnte die neue Gesellschaft mit dem proletarisch-revolutionären Erbe anfangen? Und umgekehrt: Welche Bedürfnisse ihrer eigenen Praxis artikulierte die neue Gesellschaft in ihrem Verhalten zum proletarisch-revolutionären Erbe, und in welchem Maße sind bzw. werden die politisch-ästhetischen Erfahrungen dieses Erbes verfügbar, um die historischen Möglichkeiten des Weges zum Sozialismus bewußter wahrzunehmen und auszuschreiten? Um an die Antworten heranzukommen, setzt die Untersuchung zeitlich dort an, wo sich innerhalb des 1945 eingeleiteten einheitlichen revolutionären Prozesses Veränderungen im Verhalten der Gesellschaft zum proletarisch-revolutionären Erbe auffällig abzeichnen, so daß von einem Umbruch gesprochen werden kann. Dieser Einschnitt, angesiedelt um 1956/57, scheint mir geeignet, einige zentrale Fragen der Erberezeption im Verlauf der gesamten Übergangsperiode zu überschauen. 16 Die inneren Zusammenhänge von Erbeverhalten, kulturpolitischer Orientierung und ideologischer Kampfsituation bilden den Gegenstand der Untersuchung. Zugleich wird angestrebt, die in sich äußerst heterogenen Erfahrungen des proletarisch-revolutionären Erbes, mit denen im Verlauf der Übergangsperiode auf unterschiedliche Weise gearbeitet werden konnte, zumindest ansatzweise zu berücksichtigen. Das geschieht, indem zunächst Probleme der Arbeiterschriftsteller der alten Generation, die eng mit der praktischen massenpolitischen Arbeit der Partei verbunden waren, genauer betrachtet werden. Im Anschluß daran werden Aspekte der sozialistischen Avantgarde und die Möglichkeiten der Integration ihrer Erfahrungen näher untersucht. Ein solches
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Auswahlprinzip mag ebenfalls nicht fragwürdiger Momente entbehren. Dies von vornherein eingeräumt, erscheint es mir doch sinnvoll als mögliches Angebot für weiterführende Untersuchungen.
.. die Künste in den Kampf um den Sozialismus führen .. — Neuak^eniuierungen im Erbeverbalten um 1956/51 „Die wirkliche Frage in den aktuellen literarischen und ästhetischen Auseinandersetzungen bleibt, wie wir die Künste in den Kampf um den Sozialismus führen. Die Zeitschrift, deren erstes Heft hier vorgelegt wird, publiziert Versuche junger Künstler, die auf die Beantwortung dieser Frage ausgehen, sowie Arbeiten, die, wie Heartfields Montagen, beispielhafte Antworten sind."17 Mit diesem Programm erschien im November 1957, wenige Wochen nach der Kulturkonferenz der SED, eine neue Zeitschrift, die Junge Kunst, auf der kulturellen Szene der DDR. Das erste Heft vereinte einen Vorabdruck aus dem ersten Roman Der Findling des Arbeiterschriftstellers Herbert Jobst, ein Arbeiterporträt des jungen DDR-Autors Helmut Hauptmann, Fotomontagen von John Heartfield und die Szenenfolge Zehn Tage, die die Welt erschütterten von Heiner Müller und Hagen Müller-Stahl nach der gleichnamigen Reportage von John Reed. Exemplarisch war damit ein Aktionsraum umrissen, den dieses neue Publikationsorgan innerhalb der kulturpolitischen Strategie von Partei und Jugendverband wahrnehmen konnte: Der Kampf um eine sozialistische Literatur und Kunst in der DDR wurde unmittelbar mit der Propagierung, Vermittlung und Rezeption des in den Klassenauseinandersetzungen der Weimarer Republik entstandenen proletarischrevolutionären Erbes verbunden. Es ging darum, die Erfahrungen dieses Erbes verfügbar zu machen, um sie in die aktuelle kulturpolitische und künstlerische Arbeit einzubringen. Mag heute die Gründung dieser neuen Zeitschrift mit ihrem spezifischen Profil besonders spektakulär erscheinen, so war diese doch nur e i n e Maßnahme innerhalb einer ganzen Kette von Vermittlungen von proletarisch-revolutionärer Kunst, die um 1956/57 als Erbe ins Bewußtsein einer breiteren Öffentlichkeit gebracht wurde. Zahlreiche Ausstellungen fanden statt, darunter Vorwärts und nicht vergessen (über das revolutionäre Arbeitertheater 1917 bis 1933 an der Volksbühne Berlin) und Revolutionäre Kunst 1917 bis 1957 (zum Schaffen John Heartfields, Frans Masereels, Hans Grundigs).18 Der 250
Brecht-Dudow-Film Kuhle Wampe (1931) gelangte erstmalig Anfang 1958 in die Filmtheater der DDR. Daneben gab es eine Fülle von Aufsätzen in der Tages- und künstlerischen bzw. kunstwissenschaftlichen Fachpresse, die über Tendenzen revolutionärer Kunst in den zwanziger Jahren informierten. Veränderungen in der Editionspolitik der Verlage kündigten sich an; langfristige Konzeptionen für die Erforschung der sozialistischen Literatur und Kunst zwischen 1917 und 1933 wurden entwickelt. Wie sehr diese vielfältigen Aktivitäten, deren Ausmaß hier nur knapp skizziert werden kann, als Einschnitt und zugleich als Möglichkeit eines neuen Umgangs mit dem proletarisch-revolutionären Erbe empfunden wurden, deutete sich in einem Bericht des Theaterwissenschaftlers Klaus Pfützner über die Bild- und Dokumentenschau Vorwärts und nicht vergessen an: „ H e u t e steht . . . fest, daß unser Kampf um ein sozialistisches deutsches Theater undenkbar und wenig ergiebig ohne die Kenntnis und Verwertung der sozialistischen Theaterbewegung vor 1933 ist."19 (Hervorhebung - G. K.) Betrachtet man die publizistischen Aktivitäten und praktischen Initiativen genauer, dann fällt auf, daß im Umgang mit dem proletarisch-revolutionären Erbe bestimmte Schwerpunkte gesetzt wurden: Ein außergewöhnlich breites Interesse erfuhr die Agitprop-Tradition. Konkreter Anlaß dafür war die Bildung neuer Agitprop-Truppen in Betrieben und an Hochschulen und die damit unmittelbar einhergehende Verständigung über Möglichkeiten und Funktion von Agitprop heute. Die Anregung, „wieder zu kleinen, wendigen Kampfformen (zu) kommen, wie wir sie einmal in der Agitprop-Bewegung gehabt haben"20, ging ja ursprünglich von Brecht aus. Zwei Jahre später schätzte Klaus Pfützner die seitdem in Gang gekommenen Entwicklungen ein: „In der Volkskunstbewegung wurde der Schwarze-Peter-Rolle der proletarischen Traditionen zuerst der Garaus gemacht. Das begann nach dem IV. Schriftstellerkongreß. . . . Heute . . . gibt es eine Reihe bekannter, guter Agitationskollektive. Wir brauchen aber mehr, und wir brauchen noch bessere."21 Die Information über die Agitprop-Truppen der zwanziger Jahre, die Aussprachen mit den Veteranen dieser Bewegung zielten auf das aktuelle Bedürfnis, das Netz der Truppen zu erweitern und die Arbeit der bestehenden Kollektive zu qualifizieren. Als z. B. die Junge Kunst eine Reihe von kommunistischen Spieltruppen und Schauspielerensembles in Bild und Text vorstellte, hieß es in einem redaktionellen Kommentar: „Auf Ini251
tiative der SED wird in unserer Republik praktisch und theoretisch an der Wiederbelebung der Agit-Prop-Traditionen gearbeitet. Das hier veröffentlichte Material soll dazu beitragen, die neuen Aufgaben besser, das heißt, bewußter zu erfüllen." 22 * Analog zur Favorisierung der Agitprop-Tradition fanden o p e r a t i v e Lyrik und Prosa der zwanziger Jahre starke Beachtung. Hier konzentrierte sich das Interesse auf die Darstellung der kämpfenden Arbeiterklasse und die Möglichkeiten von Literatur, in politische Auseinandersetzungen einzugreifen. Charakteristisch für dieses Verfahren von Erbevermittlung ist das Maiheft von 1957 der Neuen Deutschen Literatur. Die Zeitschrift stellte literarische Beispiele vor, die sich mit „der Entwicklung der Arbeiter und der Arbeiterbewegung" beschäftigten. Auf der Suche nach Material hatte die Redaktion einen fragmentarischen Aufriß der Geschichte deutscher sozialistischer Literatur vom Ausgang des 19. Jahrhunderts bis in die Gegenwart - den Abschluß bildete Heiner Müllers Stück Der Lohndrücker - zusammengetragen. Einen zentralen Platz nahmen „heute relativ unbekannte Arbeiten" aus den zwanziger und beginnenden dreißiger Jahren ein, u. a. von Kurt Kläber, Hans Lorbeer, Karl Otten, Erich Mühsam, Erich Weinert, Hans Marchwitza, Willi Bredel, F. C. Weiskopf. In einer Vorbemerkung betonte die Redaktion, sie habe ihre Auswahl vor allem auf solche Arbeiten beschränkt, die „aus dem Tageskämpf entstanden und unmittelbar gebraucht worden sind" 23 . Eine ähnliche Tendenz weisen die etwa gleichzeitig erscheinenden literaturkritischen bzw. -wissenschaftlichen Untersuchungen auf. So kam zum 70. Geburtstag Friedrich Wolfs, bereits Anfang 1958, der Band Aufsätze über Theater heraus. Die Rezension von Herbert Keller erschien unter dem Titel Ein linkes Buch zur richtigen Zeit und betonte schon dadurch die politische Funktion dieser Edition. Der Rezensent konzentrierte sich darauf, Wolfs Kampfschrift Kunst ist Waffe als historisch entstandenes Programm darzustellen - es sei „vielleicht (der) Kern von Wolfs Gesamtwerk" - , das als Klassenauftrag bis in die Gegenwart hineinreicht. „Mit leidenschaftlicher Parteinahme an die Gestrigen gerichtet, ist er ein eindringlicher Appell an Verstand und Gewissen der Heutigen geblieben."2^ Noch einen Schritt weiter ging Rudolf Hoffmann, der im September 1957 in der Einheit eine der ersten größeren literaturhistorischen Skizzen über die proletarisch-revolutionäre Literatur vorlegte. Ebenfalls auf Friedrich Wolf und dessen Charakterisierung des Dichters 252
als „Trommler neben der Fahne" zurückgreifend, analysierte Hoffmann die konkreten Entstehungs- und Wirkungsbedingungen proletarisch-revolutionärer Literatur, indem er sie in das Bezugsfeld von marxistisch-leninistischer Partei und organisierter Arbeiterbewegung hineinstellte. Aus diesem „neue(n) Verhältnis der revolutionären Literatur zum Proletariat" erklärte er die „neue Thematik und den neuen Ideengehalt der proletarisch-revolutionären Literatur". 25 Ohne die Formulierung zu benutzen, beschrieb Hoffmanft inhaltlich doch die proletarisch-revolutionäre Literatur in ihrer Funktions- und Wirkungsweise als Teil der Parteiarbeit. Die Möglichkeiten des Umgangs mit diesem Erbe sah er daher auch nicht allein auf innerliterarische Vorgänge beschränkt; er empfahl, proletarisch-revolutionäre Erfahrungen „in der politischen Massenarbeit, bei der Bewußtseinsbildung unserer Menschen viel stärker als bisher zu benutzen" 26 . Die Praxis des Umgangs mit dem proletarisch-revolutionären Erbe deutet an, daß insbesondere d i e Erfahrungen mobilisiert wurden, in denen sich das historisch gewachsene Bündnis von Partei und Künstlern manifestierte, sowie solche, die von der Integration der künstlerischen Arbeit in die Parteiarbeit, also vom Leninschen Prinzip der Parteiliteratur zeugten. Insofern läßt sich aus der Art und Weise, w i e dieses Erbe vermittelt wurde, der politisch-ideologische Impuls des „Erbantritts" (H. Eisler), der Zusammenhang von kulturpolitischer Strategie und Erbeverhalten erschließen. Auf der Kulturkonferenz der SED, die auf Beschluß des 32. Plenums des ZK der S E D im November 1957 stattfand, kam dieser Sachverhalt selbst zur Sprache. Zu Beginn seines Referats hob Alexander Abusch hervor, die „ e n t s c h e i d e n d e Frage für die ganze Orientierung unserer Kulturkonferenz" ist die „Frage nach der P a r t e i l i c h k e i t des Schriftstellers und Künstlers in unserem Kampf für den Aufbau des Sozialismus". Auf die politische Dimension dieses Konzepts, bedingt durch die Verschärfung des Klassenkampfes im internationalen Maßstab, orientierte Abusch, als er argumentierte: „Die Erfahrungen der Diskussionen nach dem XX. Parteitag der KPdSU und während der konterrevolutionären Ereignisse in Ungarn hätten von vornherein veranlassen müssen, viel stärker die Fragen der Parteilichkeit der Kunst und Literatur und der Parteiverbundenheit des Künstlers als eine der Grundfragen in den Mittelpunkt unserer Auseinandersetzungen zu rücken." 27 Seine Ausführungen zum Erbe berührten dieses Zentrum der ideologischen Offensive der Partei, und Abusch band den Passus über die sozialistischen Traditionen 253
daher auch unmittelbar an die ideologische Auseinandersetzung: „Wir sprechen über die besondere Bedeutung unserer revolutionären sozialistischen Traditionen auf dieser Konferenz, erstens, weil wir sie bisher immer noch zuwenig im Bewußtsein unseres Volkes lebendig gemacht haben - und zweitens, weil wir ganz aktuell die marxistischleninistische Auseinandersetzung entfachen mit den bürgerlich beeinflußten Anschauungen mancher Literatur- und Kunstkritiker, Literatur- und Kunstwissenschaftler, aber auch mancher Schriftsteller und Künstler, die in ihrem Bereich die Bedeutung unserer sozialistischen Traditionen bagatellisieren oder leugnen."28 Im einzelnen setzte Abusch sich dann mit verschiedenen Positionen auseinander, darunter mit dem Konzept von Georg Lukäcs, mit Hans Mayers Modernismustheorie, mit den Auffassungen von René Graetz zum Expressionismus. Ausgehend von der Gefahr revisionistischer Tendenzen, markierte Abusch in seinem strategisch orientierten Referat die Polemikfronten : Abgrenzung gegen ein Kunstmodell, das letztlich einem bürgerlichen Demokratiebegriff verpflichtet blieb, und Abgrenzung gegen imperialistische Dekadenz. Nur im Kampf gegen beides könne sich die sozialistische Kultur und Kunst in der DDR entfalten. Der Spielraum für den Umgang mit dem proletarisch-revolutionären Erbe bewegte sich innerhalb dieser Fronten. Umgekehrt erklärt die Einbettung der Rezeptionsvorgänge in dieses Feld heftiger politischideologischer Auseinandersetzung die Favorisierung wie auch die Abweisung bestimmter Seiten des proletarisch-revolutionären Erbes. Anhand von zwei Aufsätzen, die nach der Kulturkonferenz in der jungen Kunst erschienen, sollen die politisch-ästhetischen Aspekte der von Abusch abgesteckten Polemikfronten genauer besichtigt werden. Der erste, erschienen im Januar 1958, stammt von Wolfgang Heise. Er führte die politische Auseinandersetzung mit Lukäcs an einem bestimmten Punkt weiter: Heise untersuchte, warum Lukäcs eine „Monopolstellung in unserer Literaturtheorie"29 erlangen konnte und welche objektiven Gründe es für die Ablösung von seinem Literaturkonzept gab. Damit wurde die Wirkung von Lukäcs nach 1945 bis zur Mitte der fünfziger Jahre historisiert. Nur so war der Nachweis möglich, daß Lukäcs' ästhetische Positionen im Kampf um eine s o z i a l i s t i s c h e Kultur und Kunst unbrauchbar geworden waren. Wie eng Gewinn und Verlust beieinander lagen, analysierte Heise exemplarisch an der kleinen Schrift Deutsche Literatur während des Imperialismus, die 1944 in der Zeitschrift Internationale Literatur publiziert und als Broschüre sofort 1945 in einer Auflage 254
von 10 000 verbreitet wurde: „Damals wirkte Lukäcs' kleines Büchlein sehr stark, wirkte aufklärend, insofern es die anifaschistischdemokratischen Traditionen der literarischen Entwicklung ins Gedächtnis zurückrief und viele Jüngere erst recht damit bekannt machte. Seine Wirkung erklärt sich unter anderem auch dadurch, daß es zugleich die Gesichtspunkte der antifaschistisch-demokratischen Umwälzung verabsolutierte." 30 Diese Verabsolutierung aber war die Achilles-Ferse des Lukäcs-Konzepts. Sie erklärte auf der Ebene der Literaturtheorie die „Abwertung der politischen Zielsetzung der Kunst", die besonders in der Einschätzung der proletarisch-revolutionären Literatur und Kunst zum Ausdruck kam. Bei Lukacs, so argumentierte Heise, ersetzt „die Konzeption der demokratischen Literatur" die politische Funktion „durch die Stilnorm des als klassisch angesehenen kritischen Realismus". Lukäcs „ordnet die proletarischen Klasseninteressen . . . der allgemein-demokratischen Linie prinzipiell unter". Im weiteren Verlauf der sozialistischen Revolution mußte sich ein solches Konzept „als Hemmnis der Entwicklung einer sozialistischen Literatur und Literaturwissenschaft, als ideologische und künstlerische Desorientierung auswirken". 31 Neuakzentuierung der Aufgaben im Hinblick auf den Sieg des Sozialismus schloß daher die Auseinandersetzung mit Lukäcs auf der einen und Neuorganisation der Beziehungen von Gesellschaft und Erbe auf der anderen Seite unmittelbar ein. Heise hatte in seiner Lukäcs-Auseinandersetzung allerdings folgendes Problem offengelassen: Der Einfluß, den Lukäcs bis in die Mitte der fünfziger Jahre ausübte, erstreckte sich ja keineswegs nur auf kleinbürgerliche und intellektuelle Schichten. Die Monopolstellung innerhalb der marxistisch-leninistischen Ästhetik, die Lukäcs lange Zeit innehatte, basierte noch auf einem anderen Element eines theoretischen Konzepts: seine Position zur Dekadenz. D a Lukäcs' Literaturtheorie ein geschichtsphilosophisches Modell zugrunde lag, das auf dem Dualismus von Fortschritt und Reaktion im historischen Prozeß 32 * beruhte, entbehrte sein Imperialismusbild von jeher der leninistischen Epochendefinition. Für seine Einschätzung der künstlerischen Entwicklungen etwa seit der Jahrhundertwende hatte das weitreichende Folgen. Das wurde im Verlauf der dreißiger Jahre offensichtlich. Im Grunde stand ja hinter allen Debatten, die nach 1933 geführt wurden - sei es die langandauernde Verständigung über Expressionismus oder die Joyce-Diskussion auf dem Ersten Allunionskongreß der Sowjetschriftsteller (1934) - , das Dekadenz-Problem. Das war 255
insofern auch normal, als die Haltung zur Dekadenz in der organisierten revolutionären Arbeiterbewegung von jeher Teil der ideologischen Auseinandersetzung mit dem Imperialismus war. Obgleich vorrangig im Bereich von Kultur, Kunst und Philosophie diskutiert und reflektiert, hatte sie doch immer eine ausgesprochen politische Stringenz, die nach der faschistischen Machtergreifung noch augenscheinlicher hervortrat. Als es darauf ankam, die antifaschistisch gesinnten Kräfte zu sammeln und zu vereinigen, wurde der Begriff Dekadenz zu einem Schlüsselwort für Abgrenzung im Kampf gegen die imperialistische Ideologie. Die politische Alternative Demokratie oder Faschismus artikulierte sich im Kultur- und Kunstbereich als Gegensatz von Realismus und Dekadenz. In den Debatten zeigte sich dann aber, daß die Auffassungen über die Kriterien für den Realismus und die Abgrenzung von der Dekadenz recht stark divergierten. Lukäcs vertrat und begründete eine Auffassung, die letztlich alle Kunst, die unter den Bedingungen des Imperialismus entsteht und nicht der Tradition des klassischen Realismus verpflichtet ist, als Produkt des Verfalls, der Dekadenz aburteilt. In dem Aufsatz Marx und das Problem des ideologischen Verfalls (1938) lautete sein Verdikt: „So geht der große Realismus in der Verfallszeit unter. So entsteht neben dem offen apologetischen Antirealismus und Pseudorealismus der von der reaktionären Bourgeoisie protegierten Literatur eine lange Kette von Richtungen die sehr 'radikal', 'avantgardistisch* prinzipiell bestrebt ist, den Realismus bis in seine Grundlagen hin zu liquidieren. Was immer die Absicht der Vertreter dieser Richtungen gewesen sein mag, objektiv haben sie der Bourgeoisie in ihrem Kampf gegen den wirklichen Realismus geholfen. Diese objektive gesellschaftliche Funktion hat die ganze Literatur der Verfallszeit vom Naturalismus bis zum Surrealismus."33 Fragen wie die, ob „das Experiment des Zerfällens mit dem Zustand des Verfalls" gleichgesetzt werden kann (Bloch) 34 , ob soziale und poetische Auflehnung in der „Poesie der Revolution" nicht verschmelzen können (Aragon)35, wurden im Namen der Volksfront beiseite geschoben. Die Notwendigkeit, bürgerlich-humanistischen Autoren ihre Verantwortung im Kampf gegen den Faschismus bewußt zu machen, sie als Bündnispartner gegen den Faschismus ernst zu nehmen, führte bei Lukäcs dazu, die Entscheidung für den Realismus des Balzac-Typus zum Kriterium der antifaschistischen Qualität eines künstlerischen Werks zu erheben. „Je mehr die allgemeine Unmenschlichkeit des Kapitalismus in die faschistische Bestialität hinüberwächst, 256
desto stärker wird jede tiefe und echte Menschengestaltung zu einem Protest gegen diese Stauung der reaktionären Kräfte . . . für seine Unmenschlichkeit (die des Faschismus - G . K . ) ist jede wirklich realistische Menschengestaltung eine Entlarvung. Entfaltung eines w i r k l i c h e n und echten R e a l i s m u s ist also d i e g r o ß e V o l k s f r o n t a u f g a b e." 3 6 (Hervorhebung - G . K . ) Im Kampf um ein breites antifaschistisches Bündnis wurden auf diese Weise gerade Künstler, die - z. T. selbst Parteimitglieder - „Kämpfer der gleichen kommunistischen Front" 3 7 waren, ausgeschlossen bzw. deren politisch-ästhetische Positionen und Erfahrungen. Bedingt durch die politische Evidenz im ideologischen Kampf gegen den Imperialismus wurden die theoretischen Prämissen von Lukäcs' Dekadenz-Begriff auch in den fünfziger Jahren nicht prinzipiell in Frage gestellt. Möglichkeiten, die Enge von Lukäcs' Konzept auch an diesem Punkt aufzubrechen, verminderten sich vor allem dadurch, daß Versuche dieser Art nach 1956 meist mit einem frontalen Angriff gegen den sozialistischen Realismus überhaupt verbunden wurden, so etwa bei Hans Mayer, der in seinem Rundfunkvortrag Zur Gegenwartslage unserer Literatureinen klassenindifferenten Modernismusbegriff einführte, in welchem sich Probleme der Epoche des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus zu einer „literarischen Weltproblematik" verflüchtigten. Es war daher sicher kein Zufall, wenn der zweite Aufsatz, mit dem die Zeitschrift Junge Kunst aktiv in die politische Polemik von 1957 eingriff, eine Auseinandersetzung mit Hans Mayer darstellte. Unter
dem Titel Modernismus
als ästhetische und theoretische
Restauration
nahm der Berliner Germanist Gerhard Scholz Mayers Rundfunkvortrag zum Anlaß, um dessen „prekäre Verabsolutierung des Modernen" zurückzuweisen. Scholz polemisierte vor allem gegen zwei Punkte des Mayerschen Konzepts: gegen die Parallelisierung von bürgerlicher und sozialistischer Literatur sowie gegen den verwendeten Begriff der künstlerischen Form. Scholz betonte, bei Mayer sei der „Begriff des 'Modernen', von der Form - und nur von der Form - her, als eines gleichartigen Form- und Stilwillens" bestimmt, der es ermögliche, „sowohl bürgerlichen Avantgardismus als auch sozialistischen Ensemblestil, also bürgerliche und sozialistische Literatur in willkürlicher Weise das eine Mal zusammenzubringen, das andere Mal gegeneinander auszuspielen". Daher werde „das ästhetische Gesetz der relativ getrennten, besonderen Entwicklungslinie der bürgerlichen und sozialistischen Literatur, wo die literarischen Phänomene 17
DDR-Literatur
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auf Grund der sie prägenden Bedeutung des Inhalts und des Gehalts ihren Platz haben, völlig übersehen"39. Die politische Intention dieses Aufsatzes ging einher mit dem Bemühen, die Verschiedenartigkeit der künstlerischen Prozesse in sozialistischer Literatur einerseits und bürgerlicher Literatur andererseits theoretisch zu erfassen und in der Polemik darzustellen. Allerdings tat sich Scholz schwer mit den Umbrüchen, die sich beim Übergang auf die Positionen der Arbeiterklasse vollziehen. Darüber hinaus macht seine - auch begriffliche - Konfrontation von „bürgerlichem Avantgardismus" und „sozialistischem Ensemblestil" deutlich, daß „Avantgardismus" nur pejorativ gebraucht und das Problem des künstlerischen Materials ausschließlich als Verabsolutierung der Form abgetan wird. Die von Mayer aufgeworfene Frage, ob literarische Gattungen und Formen nicht in den Geschichtsablauf gestellt werden müssen, ob man heute noch ohne weiteres mit den alten Mitteln eines Balzac oder Tolstoi arbeiten kann, erschien durch den politischideologischen Kontext, in welchem sie auftauchte, selbst als Fragestellung nicht akzeptabel. Die Auseinandersetzung mit Lukäcs und Mayer, wie sie u. a. in der Zeitschrift Junge Kunst geführt wurde, war ein Element des weltweiten ideologischen Kampfes um 1956/57. Möglichkeiten und Schwierigkeiten des Umgangs mit den Erfahrungen des proletarischrevolutionären Erbes blieben von den Bedingungen dieses Kampfes abhängig.
Die Arbeiterschriftsteller, ihre Erfahrungen und die neue Wirklichkeit Als die 3. Parteikonferenz der S E D (1956) beschloß, „eine sozialistische Kultur zu entwickeln und sie dem ganzen Volke zu vermitteln", war es der Arbeiterschriftsteller Willi Bredel, der in der Diskussion das Wort nahm und betonte: „Wir . . . werden alles tun, um unser großes deutsches Kulturerbe, das das Besitzbürgertum schon längst preisgegeben hat, zu hüten und zu pflegen. Wir wissen aber auch, daß es jetzt unsere historische Aufgabe ist, einer sozialistischen Nationalliteratur zum Durchbruch zu verhelfen." 40 Bredel, der nunmehr seine Kollegen aufrief, in den Kampf um eine sozialistische Literatur einzugreifen, repräsentierte in eigener Person selbst ein Stück Geschichte deutscher sozialistischer Literatur. Wenn also nach den Beziehungen von neuer Gesellschaft und proletarisch-revolutionärem Erbe gefragt 258
wird, dann müßte Auskunft gerade hier möglich sein. Und zwar in zweifacher Hinsicht: Wie verhielt sich die neue Gesellschaft zu den Arbeiterschriftstellern der alten Generation, die in den zwanziger Jahren aus der Arbeiterkorrespondentenbewegung hervorgegangen waren, die um 1930 ihre ersten größeren Arbeiten vorgelegt hatten, unter den Bedingungen der Illegalität bzw. des antifaschistischen Exils weiterarbeiteten und 1945 zu den Aktivisten der ersten Stunde gehörten? Die andere Frage betrifft das Verhalten der Arbeiterschriftsteller selbst zu ihrer eigenen Vergangenheit: Was konnten sie mit ihren politisch-ästhetischen Erfahrungen anfangen, wie konnten sie diese einbringen, vermitteln und für die neue Literatur produktiv machen? Solche Fragen werden auch dadurch provoziert, daß etwa Karl Grünberg in seiner Autobiografie die Rolle der Arbeiterschriftsteller in den vierziger und fünfziger Jahren recht kritisch einschätzte. 1960, als schon fast Siebzigjähriger, legte Grünberg sein Buch Episoden. Sechs Jahrzehnte Kampf um den Sozialismus vor. Die Episoden waren Bruchstücke seiner Biografie, einer Selbstdarstellung, in der das Klassenschicksal als - bewußt gemachte - individuelle Erfahrung dargeboten wurde. Nicht zufällig wurde ihm dieses Buch auch zur Gelegenheit von Selbstverständigung, von Reflektieren und Problematisieren seiner Schriftstellerexistenz. Grünberg berichtete mit Enthusiasmus vom Entstehen seines Romans Brennende Ruhr und erzählte, daß Johannes R. Becher durch ein Vorwort seinem Erstling den Weg in die Öffentlichkeit ebnete. Nach Krieg und Faschismus traf er Becher 1945 in Berlin wieder, doch zu einer Zusammenarbeit, im Sinne von Weiterführung der Arbeit im BPRS, kam es bis zu Bechers Tod (1958) nicht mehr. Die Möglichkeit des Austauschs „der Erinnerungen an jene Zeit . . ., da wir Schulter an Schulter um die gebührende Plazierung der jungen sozialistischen Dichtung gerungen hatten", wurde versäumt. „Und so kam es, daß vieles, was eigentlich schon damals in Angriff hätte genommen werden müssen, verschoben wurde . . ." Relativ spät erst, nämlich als sich „die politischen Verhältnisse entwickelten und damit auch die literarischen Fronten herauskristallisierten, . . . besann sich auch Johannes R. Becher wieder auf jenes sozialistische Kulturerbe, das er in jungen Jahren maßgeblich mit entwickelt hatte" 41 . Grünberg erwähnte noch, Becher habe kurz vor seinem Tode in einem Gespräch mit Otto Gotsche empfohlen, die Geschichte des BPRS zu schreiben. Mit Befriedigung vernahm Grünberg die Nachricht, daß sich kurze Zeit später an der Akade17*
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mie der Künste eine Arbeitsstelle zur Geschichte der sozialistischen Literatur konstituiert hatte. Tatsächlich setzte die systematische Erforschung des proletarischrevolutionären Erbes erst nach 1957 ein; das ist konkret in den Dissertationsverzeichnissen nachweisbar.42* Stimmt es aber, daß nach 1945 so „vieles verschoben" wurde? Standen nicht auch die Arbeiterschriftsteller zusammen mit der Partei, der politischen Avantgarde der Arbeiterklasse, vor z. T. völlig neuen Aufgaben, vor teilweise gänzlich anderen Problemen? Zunächst fällt auf, daß die Mehrzahl der Arbeiterschriftsteller unmittelbar nach 1945 weniger als Künstler denn als Parteiarbeiter gefordert waren. Sie arbeiteten als Bürgermeister, Botschafter und in anderen Bereichen der Administration. Als Funktionäre der neuen sozialen Ordnung waren sie an der Durchführung der Maßnahmen zur antifaschistisch-demokratischen Umgestaltung unmittelbar beteiligt. Man könnte in diesem Zusammenhang von einem neuerlichen Hineingehen der Künstler in die Praxis der Revolution sprechen, ein historisches Erfordernis, dem sie sich in den zwanziger Jahren, später in Spanien, im agitatorischen Kampf an der Ostfront, bei der illegalen Parteiarbeit im faschistischen Deutschland schon oft gestellt hatten. Angesichts der Tatsache, „daß es im Jahre 1945 im ganzen Gebiet unserer Rpeublik nur ein paar tausend Genossen gab"43, war dies jetzt um so dringlicher. Darüber hinaus gehörte ihr künstlerisches Werk zu jenen Publikationen, die unmittelbar nach dem Sieg über den Faschismus in Deutschland ediert und verbreitet wurden. Eine vom Schriftstellerverband herausgegebene Bibliografie 44 weist dies mit konkreten Zahlen aus. Bredel ist in den ersten Nachkriegsjahren - was die Auflagenhöhe anbetrifft - bereits so etwas wie ein Bestseller. Von ihm erschienen Das Vermächtnis des Frontsoldaten (1945), Der Kommissar am Rhein (1946), Die Prüfung (1946, Auflage: 30 000), Die Väter (1946), Der Sonderführer (1946). 1953 lagen Die Väter in der 8. Auflage vor, Die Söhne in der 6. Auflage, Die Prüfung in der 5. Auflage, und der letzte Roman aus Bredels Trilogie Verwandte und Bekannte - Die Enkel erlebte 1953 die 1. Auflage. Nicht alle Arbeiterschriftsteller konnten eine so erfolgreiche Bilanz aufweisen, doch ist auch bei ihnen die Zahl der Veröffentlichungen nicht unbedeutend. Von Karl Grünberg erschienen Hitlerjunge Burscheidt (1946), Das Schattenquartett (1948), Brennende Ruhr (1948), Die Flucht aus dem Eden (1949). Hans Marchwitza konnte mit
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Meine Jugend (1947), Die Kumiaks (1948), In Frankreich (1949) aufwarten. Von Ludwig Turek wurde Ein Prolet erzählt (1947), von Jan Petersen Unsere Straße (1947), von Hans Lorbeer Die Legende vom Soldaten Daniel (1948) publiziert. Bei genauer Ansicht der Statistik fällt auf, daß es sich bei den Publikationen vorrangig um Werke handelt, die nach 1933 unter den Bedingungen des antifaschistischen Kampfes entstanden waren. Die Veröffentlichungen der Arbeiterschriftsteller gehörten in den breiten Strom antifaschistischer Literatur, die sofort nach Kriegsende publiziert und für die politisch-ideologische Umerziehung des deutschen Volkes genutzt werden sollte. Bis auf Karl Grünbergs Roman Brennende Ruhr (1928), der beim Greifenverlag (Rudolstadt) erschien, sucht man die in den zwanziger Jahren entstandenen Reportagen, Erzählungen, Stücke und Romane, die es in großer Fülle gab, in den ersten Nachkriegsjahren vergeblich. Schon die Veröffentlichungspolitik setzte eindeutig Prioritäten: Die sozialistische Traditionslinie wurde vorrangig durch die antifaschistische Exilliteratur sowie die sowjetische Literatur der dreißiger und vierziger Jahre repräsentiert. Dieser Sachverhalt änderte sich im folgenden Zeitraum nicht wesentlich. 1952 erschienen Marchwitzas Sturm auf Essen sowie Erzählungen und Reportagen von Grünberg. Ein qualitativer Umschlag in der Editionspolitik ist indessen nach 1957 zu konstatieren. So publizierte der Verlag des Ministeriums für Nationale Verteidigung ab 1958 die Reihe Kämpfende Kunst, die in billigen Taschenbuchausgaben zum Preis von 1,70 Mark bzw. 2,60 Mark die deutsche proletarisch-revolutionäre Literatur und Kunst in größerer Breite und auch im Kontext der internationalen Entwicklungen vorstellte. Aufgabe der Reihe war es, „Werke der besten in- und ausländischen proletarischen Schriftsteller und Künstler damit e r s t m a l i g o d e r n a c h J a h r z e h n t e n w i e d e r dem Leser und Beschauer" nahe zu bringen. „Vor allem für unsere Jugend wird diese Taschenbuchreihe eine Fundgrube der progressiven Kunst der Arbeiterklasse sein, aber auch die Älteren werden gern zu diesen Büchern greifen, um sich zu erinnern."45 (Hervorhebung - G. K.) Es erschienen u. a. Werke von Bredel, Marchwitza, Slang, Sandor Ek, Turek, Wischnewski, Neukräntz, Lea und Hans Grundig. Seltsam mag es erscheinen, daß selbst zu diesem Zeitpunkt immer noch Willi Bredels erste Romane Maschinenfabrik N & K und Rosenhofstraße im Buchangebot fehlten. Erst 1960, als der Dietz Ver261
lag nach der ersten Bitterfelder Konferenz (1959) auch eine Taschenbuchserie eröffnete, die Rote-Dietz-Reihe (rdr), die schon durch ihren Namen an den Rote(n)-Ein-Mark-Roman erinnerte, kam Bredels Maschinenfabrik N & K als erster Band dieser Reihe heraus. Ihm folgte als zweiter Band Rosenhofstraße (1960), und 1961 erschien schon als 23. Band der Roman Der Eigentumsparagraph als deutschsprachige Erstveröffentlichung, da er zwar noch vor 1933 in Deutschland geschrieben, aber nur in russisch 1934 erscheinen konnte. Die zeitlichen Verzögerungen im Erscheinen der frühen Romane Bredels sind a l l e i n aus den kulturpolitischen Akzentuierungen der Editionspolitik nach 1945 nicht erklärbar. Ein anderer Grund erscheint stichhaltiger: Bredel selbst hat es nicht gewollt. Im Nachwort zu Maschinenfabrik N & K (1960) schreibt er: „Dreißig Jahre sind es her, seit dieses Buch, mein Erstling, gedruckt erschien. Nie habe ich erwartet, daß es einmal neu aufgelegt werden würde und - offen gesagt - es auch gar nicht gewollt." 46 Weshalb er sich dann doch noch für die Freigabe zum Nachdruck bereitfand, erklärte er ebenfalls: „Aber warum eigentlich sollte ich es verhindern? Es kann vielleicht helfen, lesenden Arbeitern Mut zu machen, selber zur Feder zu greifen." Es war die kulturpolitische Orientierung der ersten Bitterfelder Konferenz, insbesondere die Bewegung der schreibenden Arbeiter, die Bredel veranlaßte, dem Druck zuzustimmen. Der Roman erschien ihm nunmehr geeignet als Studienmaterial für schreibende Arbeiter. Mag diese Erklärung für den Zeitpunkt der Wiederveröffentlichung hinreichen, so deutete Bredel im Nachwort auch eine Verunsicherung an: „Die Prüfung als Schriftsteller, das wußte ich gut, hatte ich mit meinem ersten Buch noch keineswegs bestanden. Würde ich sie je bestehen?" In einer früheren Veröffentlichung indessen hatte Bredel sein Verhältnis zu den Romanen der proletarischrevolutionären Zeit deutlicher artikuliert. Der in Vorbereitung des IV. Schriftstellerkongresses (1956) erschienene Sammelband Hammer und Feder (1955) enthielt den Bericht Wie ich Schriftsteller geworden bin. Dort hieß es: „'Die Prüfung' zähle ich als mein erstes Buch; drei Dramen und drei Romane waren meine schriftstellerischen Vorarbeiten. Nun war ich Schriftsteller geworden. Es hatte von den ersten Versuchen bis zu meinem ersten Buch zehn Jahre gedauert." 47 Nun mag diese Aussage zur eigenen Biografie primär mit Blick auf die heranwachsende Schriftstellergeneration geschrieben und als Warnung gedacht sein, sich nicht allzu vorschnell mit frühen Erfolgen zufriedenzugeben. Dennoch evoziert das Urteil über jene aus der 262
Arbeiterkorrespondentenbewegung hervorgegangenen Werke Probleme der Geschichte proletarisch-revolutionärer Literatur, die nach 1945 für das Verhältnis zu diesem Erbe evident wurden. Wenn Bredel in den fünfziger Jahren seine frühen Romane gleichsam aus der Literatur herauskatapultierte und erst Die Prüfung gelten ließ, dann nahm er damit eine Wertung auf, die sich innerhalb der sozialistischen Literaturbewegung im Verlauf der dreißiger Jahre herausgebildet hatte. Ihr eigentlicher Hintergrund war der nach 1933 neuerlich eingeleitete Klärungsprozeß um Funktion und Wirkung der Literatur im antifaschistischen Kampf. Die Notwendigkeit, das Ringen um die proletarische Einheits- und antifaschistische Volksfront mit allen Mitteln zu unterstützen, hatte Wilhelm Pieck bewogen, in seinem Schlußwort auf der Brüsseler Konferenz der KPD (1935) das Problem einer „Volksfrontliteratur" als strategische Orientierung aufzunehmen: „Zur Schaffung der antifaschistischen Volksfront werden wir eine besondere Volksfrontliteratur schaffen müssen, die zu den breitesten Massen in ihrer Sprache spricht und durch die wir sie in der Richtung des antifaschistischen Kampfes beeinflussen. Wir müssen dabei berücksichtigen, daß an der Volksfrontbewegung Menschen und Gruppen verschiedener Interessen, verschiedener Weltanschauungen und Vorurteile teilnehmen werden. Für diese Literatur können wir deshalb auch nicht jene Agitation gebrauchen, die nur von der Arbeiterklasse verstanden wird." 48 Damit waren neue politische Akzente gesetzt, die sowohl eine kritische Bilanz des Erreichten als auch eine theoretische und praktische Konkretisierung des Programms der „Volksfrontliteratur" erforderlich machten. Willi Bredels Roman Die Prüfung, eines der ersten Bücher über den antifaschistischen Kampf, spielte in diesem Prozeß des Übergangs proletarisch-revolutionärer Literatur auf die Positionen der Volksfront eine zentrale Rolle, wie eine Rezension von Ernst Ottwalt - 1935 in der Zeitschrift Internationale Literatur veröffentlicht - besonders offenkundig machte. Ottwalt verstand Die Prüfung als eine neue politisch-ästhetische Qualität: Bredel habe „nicht eine Reportage über seine persönlichen Erlebnisse" geschrieben, sondern er setze „sich auf einer höheren Ebene der literarischen Gestaltung mit seinen Erlebnissen auseinander". Dieses Fazit gab den Anlaß, radikal mit der proletarisch-revolutionären Literatur abzurechnen: „Der sektiererische Charakter, mit dem die junge proletarisch-revolutionäre Literaturbewegung Deutschlands lange Jahre zu kämpfen hatte, verband sich mit einem 'Funktionär'-Standpunkt in der Litera263
tur, von dem aus die schöne Literatur als Behelfsmittel für Politiker ihren begrenzten Wert hatte." 4 9 An dieser Kritik befremdet nicht nur die pauschal abwertende Sicht auf die proletarisch-revolutionären Erfahrungen; ebenso auffällig ist die Verengung des Literaturbegriffs im Vergleich zu dessen Verwendung bei Wilhelm Pieck. Als Pieck die Strategie der „Volksfrontliteratur" entwickelte, hatte er - wie Simone Barck zu Recht hervorhebt - „ähnlich wie bei Lenins Verwendung des Begriffs 'Parteiliteratur' die gesamte Breite der Presse, Publizistik, Broschürenliteratur bis hin zur Belletristik gemeint". D e r Begriff „zielte weniger auf Inhalt und Form als auf die Funktion dieser Literatur im aktuellen politischen Kampf und bedeutete nicht das Aufgeben schöngeistiger Literatur in politischer Agitation" 5 0 . Ottwalts Rezension indessen barg schon die Gefahr, daß mit der notwendigen Korrektur bestimmter politisch sektiererischer Tendenzen innerhalb der proletarisch-revolutionären Literatur und mit dem Versuch, das Problem Volksfront und Literatur auch theoretisch zu fassen, jenes bei Wilhelm Pieck intendierte Funktionsverständnis und der weite Literaturbegriff zugunsten eines a priori gesetzten künstlerischen Werts verloren zu gehen drohte. D i e Notwendigkeit, die Strategie der „Volksfrontliteratur" für die künstlerischen Entwicklungen weiterzudenken, Lösungsmöglichkeiten für Probleme anzubieten, die durch die proletarisch-revolutionäre Literatur offengelassen worden waren, stärkte die Position und den praktischen Einfluß solcher Theoretiker, die - wie Georg Lukäcs - eine ausgearbeitete, fest umrissene Konzeption vorlegen konnten. So kam es zu jener nicht unproblematischen Identität von Strategie der „Volksfrontliteratur" und Mobilisierung von Erfahrungen des klassischen bürgerlichen und kritischen Realismus. Dies wiederum blieb nicht ohne nachhaltige Folgen für das literaturtheoretische Denken der sozialistischen Literaturbewegung bis in die fünfziger Jahre hinein. D i e Strategie der „Volksfrontliteratur" hatte ihren politischen Bezug in der breiten antifaschistischen Bündnispolitik der Partei. Das entsprechende literaturtheoretische Konzept war jedoch im wesentlichen von Lukäcs abgestützt. D e r ihm zugrunde liegende Realismusbegriff wurde in dem Moment problematisch, als mit der Errichtung der sozialistischen Staatsmacht um 1948/49 der soziale Funktionswandel der Literatur objektiv vollzogen wurde. In dieser Situation, als die Schriftsteller erstmalig auf die neuen Aufgaben orientiert, sie zur Gestaltung der neuen Wirklichkeit aufgerufen wurden, war es
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z. B. nicht mehr möglich - in gleicher Weise wie nach 1933 - , politisch operative Literatur abzulehnen. Im Gegenteil: In seinem Aufsatz Der Schriftsteller und der Plan (1948) legte Alexander Abusch dar, daß das Funktionieren der neuen Literatur gerade bei ihrer Eingliederung in den Prozeß politisch-ökonomischer Veränderung beginnt: „Es ist eine ehrenvolle und dringliche Aufgabe, mit den besten künstlerischen Mitteln für eine so lebenswichtige und gute Sache wie den Zweijahrplan unmittelbar propagandistisch zu wirken, eine optimistische Atmosphäre für ihn zu schaifen und sein Ziel dem Volke zu verdeutlichen."51 Abusch empfahl den Schriftstellern, die Mittel der Reportage, Kurzgeschichte, des Laienspiels und des Lieds zu nutzen, „durch die man die Aktivisten und ihre Bemühungen in den volkseigenen Betrieben und auf dem Dorfe darstellen kann" 52 . Wurde damit die falsche Alternative Reportage oder Gestaltung partiell paralysiert, so blieb sie dennoch bestehen: Die publizistischen Formen erschienen als Vorarbeiten „von größeren gestalteten Werken". Ziel auch bei Abusch war das „vollendete Kunstwerk, in dem das Leben und Ringen unserer Epoche wirklich gestaltet wird" 53 . Was Abusch hier anvisierte, das war ein Aufbrechen des Volksfrontliteraturkonzepts im Hinblick auf die soziale Funktions- und Wirkungsweise sozialistischer Literatur in der neuen Gesellschaft. Doch das Nachdenken bewegte sich in Richtung auf eine Synthese von Operativität und herkömmlichem Literaturmodell, auf das „große Kunstwerk", dessen Vorbilder bis in die deutsche Klassik zurückreichten. Dieser Vorstoß blieb problematisch. So wurde z. B. die Möglichkeit, daß die Reportage in einem neuen Kommunikationszusammenhang entstand und von hier aus andere ästhetische Entwicklungen denkbar gewesen wären, gar nicht in Betracht gezogen. In der künstlerischen Praxis hat es beide Varianten gegeben, jedoch wurde nur die eine favorisiert. Chance und Problematik beider Varianten sollen im folgenden betrachtet werden. Wer, wenn nicht zuerst die Arbeiterschriftsteller der alten Generation, konnte der nunmehr dringlichen Forderung nach Eroberung der neuen Wirklichkeit nachkommen? Sie, die seinerzeit mit der Partei und durch sie zum Schreiben gekommen waren, folgten als erste dem Ruf der Partei. Bredel, Grünberg, Marchwitza, Lorbeer, Gotsche und andere - sie alle versuchten sich an der neuen Wirklichkeit. Daß von Marchwitza Besonderes erwartet wurde, deutete sich indirekt schon in Abuschs Aufsatz an: Er erwähnte Marchwitzas Biographie; sein Weg vom Bergarbeiter zum Autor von Sturm auf Essen und
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Die Kumiaks schien exemplarisch für den Aufstieg sozialistischer Literatur durch Kader, die selbst aus der Arbeiterklasse kamen. Abusch prophezeite daher mit einigem Recht: „Wir werden sicher bald neue Marchwitzas haben."54 Vorerst aber wurde dem 1950 bereits Sechzigjährigen ein neues Buch abverlangt. Anfang der fünfziger Jahre begab sich der einstige Bergarbeiter Hans Marchwitza in das Eisenhüttenkombinat Ost. Dem Auftrag der Partei entsprechend, wollte er einen Roman über den Aufbau des Werks und damit über die neuen Beziehungen, die die Menschen im Arbeitsprozeß eingingen, schreiben. Dabei ergaben sich für ihn eine Reihe von Schwierigkeiten, die auf verschiedenen Ebenen lagen: So war es äußerst problematisch, den neuen politischen Auftrag a l l e i n mit den vorhandenen politisch-ästhetischen Erfahrungen wahrzunehmen. Die ursprüngliche Situation des Arbeiterschriftstellers - direkt aus der materiellen Produktion kommend, schreibt er seine individuellen Erfahrungen, die Klassenerfahrungen sind, auf, diese treffen auf einen Rezipienten, der mit den dargestellten Tatsachen etwas anzufangen weiß, weil er das selbst tagtäglich auf ähnliche Weise am eigenen Leibe zu spüren bekommt - , das Eingebettetsein in einen konkreten Kommunikationszusammenhang war nunmehr nicht einfach, auf Abruf, reproduzierbar. Sowohl ihre eigene Stellung im materiellen Produktionsprozeß als auch die politisch-soziale Lebensweise ihrer Leser hatten sich verändert. Marchwitza war sich dieser Problematik offenbar weitgehend bewußt. Methodisch und konzeptionell versuchte er nämlich, mit dem neuen Roman Wege zu beschreiten, die seine vorhandenen Schreiberfahrungen nur bedingt weiterführten. Alles, was Marchwitza bis dahin produziert hatte, war Wirklichkeitsanalyse, die zustande kam, weil individuelles Erleben aufgeschrieben wurde. Im Gegensatz dazu reagierte der Roman Roheisen auf das in der Gesellschaft vorhandene Bedürfnis nach Synthese. Die Struktur des Romans belegt, wie der Autor bemüht war, das recherchierte Wirklichkeitsmaterial in ein solches großräumiges synthetisches Konzept einzupassen. Der Aufbau des Werks wurde zum Modell für die Entwicklungsrichtung der Gesamtgesellschaft. Viele Jahre später, aus der Sicht literarischer Prozesse der sechziger Jahre, wies Dieter Schiller nach, daß in dieser konzeptionellen Orientierung der eigentliche Neuansatz in Marchwitzas Schaffen bestehe: „Marchwitza versucht als erster den Aufbau eines ganzen industriellen Komplexes im sozialistischen Staat als kollektiven schöpferischen Prozeß zu erfassen, ihn vom Aspekt seiner 266
repräsentativen Bedeutung für die gesamtgesellschaftliche Entwicklung zu sehen." 55 Schiller verzichtete allerdings darauf, den damit einhergehenden Verlust zu benennen. Das Bemühen um Synthese brachte den Autor nämlich beim Schreiben in einen gewissen Zugzwang: Je mehr das Werk wächst, desto bewußter, freudiger arbeiten die Menschen. Infolge dieser Grundtendenz kommt es zu einem fortwährenden Beschneiden des analytischen Materials. Während Marchwitza den Zugang zu den tatsächlichen Problemen und Widersprüchen über reportageähnliche Verfahren fand, wechselte er nachdem er den Leser in die konkrete Situation eingeführt hatte den Schreibgestus, indem er die Analyse eines Prozesses durch das verbale Andeuten der Perspektive ersetzte. Der analytische Ansatz wurde fortwährend zerstört, er diente lediglich als Folie für eine verallgemeinerbare Aussage über ein zukünftiges Stadium der Gesellschaft. Zu dem wohl interessantesten Phänomen der Wirkungsgeschichte von Roheisen gehören zwei Diskussionen, die zu verschiedenen Zeiten um den Roman geführt wurden. Die erste fand Anfang 1953 statt in der Zeitschrift Neue Deutsche Literatur, die im April und Mai 1953 den ersten, etwa 150 Seiten umfassenden Teil des Romans als Vorabdruck veröffentlichte. Gleichzeitig erging an die Leser der Aufruf zur Diskussion, um diesem Roman von vornherein jenen Grad von Öffentlichkeit zu gewähren, wie sie sich nur unter sozialistischen Bedingungen entfalten konnte. Im Juni 1953 druckte die Redaktion eingegangene Diskussionsbeiträge ab, wobei sie gleichzeitig den Autor bat, er möge doch selbst in die Debatte eingreifen. In den folgenden zwei Jahren erschien jedoch weder die Marchwitza abverlangte Stellungnahme noch der Roman. 1955 kam der Roman Roheisen im Verlag des FDGB, bei Tribüne heraus. Im gleichen Jahr organisierte die Tageszeitung des FDGB, Tribüne, eine mehrere Monate währende Diskussion mit Arbeitern und Gewerkschaftsfunktionären. Ebenfalls 1955 erhielt Marchwitza für Roheisen den Nationalpreis. Die NDL rezensierte den Roman im Januar 1956. An der Diskussion von 1953 beteiligten sich vor allem junge Leser, FDJ-Funktionäre, Studenten und junge Arbeiter. Mit Bedauern mußte die Redaktion vermerken, daß sich die Arbeiter aus dem Werk der Stimme enthielten. Der Grundtenor dieser Diskussion war äußerst kritisch. Die Einwände lagen jedoch auf verschiedenen Ebenen. Während sich alle Diskussionsteilnehmer in der Forderung einig waren, daß Marchwitza, Pionier der zwanziger Jahre, jetzt auch die 267
neue Wirklichkeit zu seinem Gegenstand machen mußte - eine Haltung, die mit der Vorbildrolle der Arbeiterschriftsteller, wie sie u. a. Abusch programmiert hatte, zusammenhing - , divergierten die Argumente in zwei Richtungen: Ein Teil der Leser konzentrierte sich auf eine vordergründig politische Kritik. So warf man Marchwitza etwa vor, „die Rolle der SED . . . vernachlässigt und negativ dargestellt" zu haben. Man riet ihm, „den III. Parteitag der SED als Ausgangspunkt des Romans zu nehmen", da „hierdurch eine Verknüpfung der Funktionäre möglich"56 wäre. Wurde hier die Episodenstruktur des Romans politisch in Frage gestellt, so brachte ein anderer Teil der Leser ästhetische Argumente vor. Man bemängelte, „daß Marchwitza zu eng an den Tatsachen hängen bleibt, beinahe naturalistisch arbeitet und dadurch bei der Ausschöpfung des Themas gehemmt wird" 57 . Den schärfsten Einwand formulierte eine Studentin. Sie fragte, wie es komme, „daß ein erfahrener und schon durch mehrere Arbeiten bei der Leserschaft beliebter Autor seinem Publikum eine unleugbare Enttäuschung bereitet, wenn er die Gestaltung unseres Gegenwartsgeschehens unternimmt?" Ihre Antwort lautete: Der Autor habe „die künstlerischen Gesetzmäßigkeiten des Romans" nicht berücksichtigt. Marchwitza habe eine „sehr umfangreiche Reportage" geschrieben, die in „ihrer Qualität durch das mißglückte Streben nach der großen Form des Romans stark beeinträchtigt wird". Sie konstatierte das Fehlen einer „geschlossenen Handlung" und der Fabel. Marchwitza sei vom „Allgemeinen ausgegangen und habe die menschlichen Zusammenhänge diesem äußeren Zusammenhang" untergeordnet.58 Junge Leser artikulierten in dieser Diskussion ihr Unbehagen am Versuch zur Synthese. Aufschlußreich ist jedoch, daß diese Kritik nicht frontal gegen das Synthese-Verfahren gerichtet war, sondern die Begründung aus einem anderen Kontext geholt wurde. Der Reportage-Vorwurf hat z. B. frappante Ähnlichkeit mit der einstigen Kritik von Georg Lukäcs (1931) an Bredels ersten Romanen.59 Tatsächlich aber beruhten Bredels frühe Arbeiten - wie auch die der anderen Arbeiterschriftsteller - auf einem gänzlich anderen Kommunikationszusammenhang als Robeisen. Insofern war die Parallelisierung völlig unberechtigt und blieb - möglicherweise sogar unbewußt - ein Vorwand, der vom eigentlichen Kern des Problems wegführte. Leistung und Grenzen von Roheisen waren nicht zu fixieren, wenn sie in das Polemikfeld der endzwanziger und beginnenden dreißiger Jahre, die Debatten um Reportage oder Gestaltung, transponiert wurden. Einen völlig anderen Grundton hatte die Diskussion zwei Jahre 268
später, nach Erscheinen des Buches, in der Tribüne. Publiziert im Kontext des Nachterstedter Briefs60*, sollte sie den Dialog zwischen Schriftstellern und Arbeiterklasse fortführen. Sie hatte primär einen bestätigenden Charakter. Der Roman wurde prinzipiell akzeptiert, was an den teilweise - verglichen mit der Diskussion von 1953 völlig diametralen Wertungen ablesbar ist. Robeisen erschien als „inhaltsreiches Spiegelbild unseres Lebens", dessen Überzeugungskraft in seiner Wahrhaftigkeit liege. Die Charaktere seien so geschildert, „wie er sie gesehen hat, ohne dabei naturalistisch zu werden"61. Der Synthese-Versuch Marchwitzas wurde nicht problematisiert, sondern als Verdienst herausgestellt, seine Wirkungsmöglichkeit betont: „Am Ende glaubt man der Tendenz des Buches: Ja, so war es."62 Zwei Arbeiter allerdings waren der Meinung, daß der „Leserkreis des Buchs größer sein würde", wenn „die politische Tendenz" nicht so stark aufgetragen wäre, „wenn man so schreiben könnte, daß das politische Geschehen gewissermaßen unbeabsichtigter zum Ausdruck käme".63 Eine Phase neuerlichen kritischen Reflektierens über Roheisen setzte 1956 ein. Sie begann mit der Rezension Sprödes „Roheisen" von Heinz H. Schmidt in der NDL vom Januar 1956. Ausgehend von der Biografie des Arbeiterschriftstellers Marchwitza, hob der Rezensent die politische Funktion der Stoffwahl hervor. Einschränkend bemerkte er aber, es handele sich eigentlich eher um eine „großangelegte Betriebsreportage", die zu Einseitigkeiten in den Figurenzeichnungen geführt habe. „Was übrigbleibt sind seltsam schemenhafte Menschen, verschiedene Personifizierungen der 'Idee' des Arbeiters von heute."64 Schmidt schlug Marchwitza vor, den Roman zu überarbeiten und dann stärker seinen vorhandenen Schreiberfahrungen zu vertrauen - nämlich das zu erzählen, was er erlebt hat. Behutsam und mit großer Sympathie für den Autor war damit das synthetisierende Modell des Romans in Frage gestellt. Während der Rezensent m. E. recht genau die problematische Seite des Konzepts getroffen hatte, sah wenig später Johannes R. Becher die Schwächen von Roheisen auf einer anderen Ebene. Für ihn war der Roman ein „durchaus eigenwilliger und nicht nachzuahmender Versuch". Er gestand Marchwitza zu, „mit diesem Roman zweifellos Neuland betreten, aber sich bei diesem Versuch auch übernommen" zu haben: „Es wird wohl so gewesen sein, daß Marchwitza von seinem Material überwältigt wurde und es ihm noch nicht gelungen ist, das 'Roheisen' zu verarbeiten und diesen spröden Stoff künstlerisch 269
zu ordnen." 63 Becher nahm also wieder das Argument auf, das bereits in der Diskussion von 1953 entscheidend war und das er selbst ohne Roheisen direkt zu nennen - in seinem Referat auf dem IV. Schriftstellerkongreß vorgetragen hatte. 66 * Tatsächlich war es aber nicht Materialfülle schlechthin, an der der Roman litt, auch nicht die von Becher - im Gefolge von Lukäcs - gerügte Mischform. Das Problem bestand vielmehr darin, daß Marchwitza dem von der Gesellschaft artikulierten Bedürfnis nach Synthese nachgegeben hatte, ehe die neue Literatur ihre analytischen Möglichkeiten und Verfahren getestet, wahrgenommen und ausgeschritten hatte. Marchwitza hat sich in der Diskussion um seinen Roman sehr zurückgehalten. Die Erfahrungen von Robeisen mögen für ihn als produzierenden Künstler insofern wichtig gewesen sein, als er danach ziemlich genau wußte, wo seine Möglichkeiten lagen. E r setzte jetzt die Kumiaks fort und schrieb am dritten Band. Auf der ersten Bitterfelder Konferenz berichtete er vom Fortgang der Arbeit: „Diese Bande (die Figuren - G. K.) macht mir viel Sorgen; ich habe sie geweckt, und nun sitzen sie herum und fordern von mir: nun auch wirkliche Kumiaks zu zeigen. . . . Es sind meine Kumpel." Aus dieser neuen souveränen Haltung zu seinen künstlerischen Fähigkeiten, in die seine Erfahrungen eingegangen sind, vermochte er dann auch die Arbeiten vom Anfang der fünfziger Jahre zu werten: „Unsere ersten Schritte in die Gegenwart, in die Fülle des Neuen sind zum Teil noch zaghaft, noch ungeschickt gewesen; noch ist dieses oder jenes Werk aus den letzten Jahren mit Geröll überladen. Aber der gute Wille war schon da, und die Übung macht sich schon bemerkbar." 67 Der Enthusiasmus, mit dem Marchwitza hier aus den Schwierigkeiten des Anfangs den Ansporn für die Weiterarbeit holt, läßt die Frage nach den möglichen Varianten eigentlich gar nicht erst zu. Sie sei dennoch gestellt und an einem Beispiel untersucht, das nicht publiziert ist und daher im öffentlichen Nachdenken über den Weg unserer Literatur keine Rolle gespielt hat. Es handelt sich um die Kollektiverzählung Die sieben Nachtwachen, die Cläre M. Jung zusammen mit vier Arbeitern geschrieben, Ende November 1949 beendet und im August 1950 dem Bundesvorstand des F D G B mit folgenden Geleitworten übersandt hatte: „Wie die Bauern das erste Brot aus ihrer Ernte und die Arbeiter den ersten Stahl ihres neuen Werks dem III. Parteitag der S E D überbrachten, so soll dieses Buch der Beweis unserer Verbundenheit mit Eurer Arbeit sein. Es ist eine 270
Kollektivarbeit von Werktätigen, die aus der täglichen praktischen Arbeit eines Berliner Betriebes heraus geschrieben wurde." 6 8 Die Kollektiverzählung 6 9 * war als Experiment, als erstes Glied einer ganzen Kette von Versuchen gedacht, in denen Erfahrungen des Neuaufbaus, der Herausbildung einer neuen Gesellschaft mitgeteilt werden sollten. In öffentlichen Lesungen und Diskussionen sollte das Geschriebene ergänzt, korrigiert und weiterentwickelt werden. Der experimentelle Charakter ging dabei mit dem kommunikativen Bezug zum Leser, zur gesellschaftlichen Öffentlichkeit einher. Die Erzählung verstand sich gleichsam als eine Art Lagebericht aus der Sicht von unten, aus dem Blickwinkel der Produzenten in der materiellen Sphäre, die ein Angebot zur kollektiven Verständigung vorlegten. Voraussetzung für ein solches Unternehmen war eine Fülle empirischen Faktenmaterials, das hier jedoch nicht von einem Reporter recherchiert, sondern von den Beteiligten selbst erinnert und zu Protokoll gegeben wurde. Das Rohmaterial bestand aus Bruchstücken von Biografien. Die Chance der ästhetischen Organisierung des Materials lag darin, ohne Beschädigung des Biografischen zu einem Wirklichkeitsreport zu kommen, in welchem Nachkriegsrealität und Neubeginn durch Individualschicksale faßbar wurden. Dies w a r die Hauptarbeit von Cläre Jung. Sie wählte zwei verschiedene methodische Verfahren, um die Grundidee der Kollektiverzählung zu transportieren : Einmal entwickelte sie eine fiktive Erzählsituation als Einführung, und zum anderen arbeitete sie mit Mitteln der Montage. Die Erzählsituation des Anfangs war folgende: Beunruhigt wegen eines Sabotagefalls im benachbarten Kraftwerk Klingenberg, beschließt der Direktor der volkeigenen Fabrik Ressora, im Interesse der Sicherheit und des Fortgangs der Produktion kurzfristig Nachtschichten auf dem Fabrikgelände durchführen zu lassen. Ein Kollektiv erfahrener und verantwortungsbewußter Arbeiter wird zusammengerufen, das in den folgenden sieben Nächten auf Wache ist. Diese erzählerische Einführung mag heute als nicht besonders originell, vielleicht sogar als klischeehaft empfunden werden. Zur Zeit der Entstehung dieser Erzählung, die ja auch deren zeitlicher Wirkungsraum sein sollte, war das aber anders. Sicherheitsmaßnahmen gehörten durchaus zum Arbeitsalltag, sie waren den Bürgern vertraut, so daß der Leser über diesen Einstieg eher einen assoziativen Zugang hatte. Darüber hinaus war die fiktive Erzählsituation des Anfangs ein 271
ästhetischer Eingriff, der das Material sondierte und durch den wie im Spiel vollzogenen - Wechsel zwischen Tag- und Nacht-Szenen unterschiedliche Haltungen und Sichtweisen auf die gleichen Vorgänge zuließ. Cläre Jungs Arbeit mit dem Material bestand darin, die Vorfälle des Tages in den Nachtwachen debattieren und reflektieren zu lassen. Die Nacht-Szenen werden eigentlich zu kollektiven Produktionsberatungen, in denen die Arbeiter ihre Angelegenheiten verhandeln. Dabei ist entscheidend: In der Regel holen sie nachts gerade das nach, was am Tage versäumt worden war. So hatte beispielsweise die staatliche Leitung die Prämienverteilung unter der Belegschaft administrativ entschieden und den BGL-Vorsitzenden vor vollendete Tatsachen gestellt. In der nächtlichen Diskussion weisen die Arbeiter ein solches Vorgehen zurück und fordern, an Entscheidungen beteiligt und also mitverantwortlich zu werden. Ähnlich verhielt es sich mit dem Zweijahrplan. Wie ein Gerücht verbreitete sich im Werk die Nachricht, ein Plan und die Entlohnung nach der Leistung solle auch bei ihnen eingeführt werden. Niemand erwartete Gutes von diesem Plan, Befürchtungen wurden laut, die Vergütung nach der Leistung würde wieder zur alten Knochenarbeit des kapitalistischen „Akkord ist Mord" führen; ironische Stimmen meinten, man wolle nun alle zu Henneckes machen. In der Nachtwache erheben die Arbeiter Anspruch darauf, in die Überlegungen zum Plan einbezogen zu werden. Sie selbst sind es, die einen leitenden Ingenieur zu Rate ziehen, der ihre Vorbehalte ernstnimmt und sachlich argumentierend Notwendigkeit und Grundprinzipien sozialistischer Planwirtschaft erläutert. Sie kommen überein, bereits vorhandene Überlegungen der Arbeiter zur Erhöhung der Produktion und zur Steigerung der Qualität in den Plan bzw. die Wettbewerbsinitiativen eingehen zu lassen. So gelangt über das Spiel, über den Wechsel von Tag- und NachtSzenen, ein Element von Entwurf in die Kollektiverzählung: Herrschaft der Arbeiterklasse wird in diesem doppelten Sinne von notwendiger Sicherung der Macht und zugleich als Praktizieren sozialistischer Demokratie gefaßt. Dieses Element von Entwurf ist durch die einmontierten Biografien geschichtlich fundiert. Die Biografien haben die Funktion, über Individualerfahrungen Klassengeschichte bewußt zu halten bzw. einzubringen. Darüber hinaus wird durch sie der Spielcharakter des Ganzen unterstrichen. Abwechselnd tritt jeweils eine Figur aus der gerade stattfindenden Diskussion heraus und erzählt Episoden aus ihrem Leben. Sie erzählt zur Unterhaltung der 272
anderen und gibt sich ihnen damit in ihrer Unverwechselbarkeit zu erkennen. Dabei sind es durchaus keine außergewöhnlichen, heroischen Schicksale, von denen berichtet wird - Alltagserfahrungen der Arbeiterklasse, die oftmals bis weit in die frühe Kindheit der Betreffenden um die Jahrhundertwende zurückreichen, sich deshalb aber besonders eingeprägt haben. Andere wieder erinnern sich viel stärker an die letzten Kriegsjahre, die Stunden im Luftschutzkeller, die zaghaften gefährlichen Versuche, die Produktion kriegswichtiger Materialien zu verzögern oder zu sabotieren, an die ersten Schritte nach Kriegsende, das Werk wieder aufzubauen, an das Bergen einzelner Maschinenteile aus den Trümmern, daran, wie sie unter primitivisten Bedingungen die Produktion wieder in Gang gesetzt haben. Das Montageprinzip bewährt sich hier vor allem dadurch, daß Individualerfahrungen kontrapunktisch nebeneinanderstehen und der Wechsel der Gesellschaftsformationen in den Handlungsmöglichkeiten der Individuen aufgesucht wird. Cläre Jung hat dem Manuskript ein Vorwort beigefügt, in welchem sie die Kollektiverzählung der Debatte überantwortete. Dabei verwies sie auch auf „Mängel", die durch „verschiedene Kritiken bestätigt" worden seien. Sie schrieb: „ . . . es fehlt die Entwicklung einer durchgehenden Handlung, es ist nicht einheitlich im Stil. Die Figuren sind nicht plastisch genug herausgearbeitet."70 Sie akzeptierte die Kritik, verwies aber darauf, daß „der Anfang . . . doch einmal gemacht werden" mußte. Heute fragt sich allerdings, ob die Mängel wirklich in den genannten Einwänden lagen, ob Chance und Schwierigkeit der Sieben Nachtwachen nicht eher in dem intendierten Kommunikationsmodell zu suchen sind. Der Lagebericht aus der Sicht von unten, wie er hier versucht wurde, bezog seine Wirkungsmöglichkeit aus der Vervielfachung, der Korrektur und der Debatte seines Angebots. Dazu bedurfte er einer breiten Öffentlichkeit, während er sich primär jedoch an den eng mit der politischen Avantgarde verbundenen Teil der Arbeiterklasse richtete. Darin lag m. E. der eigentliche Widerspruch dieses Kommunikationsmodells. Daß es Ansätze zu seiner Fortführung und Korrektur in jener Zeit gab, deuten z. B. Brechts Überlegungen zum Büsching-Fragment an, das Jahre später wiederum modifiziert - von Heiner Müller mit Der Lohndrücker, aber auch mit dem Klettwitzer Bericht aufgenommen wurde. So gesehen, hat die von Cläre Jung und ihren Mitautoren erprobte Variante von Wirklichkeitsreport und montierter Biografie mit gewisser zeitlicher Verzögerung ihre Fortsetzung gefunden. 18
DDR-Literatur
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Schwierigkeiten mit der Avantgarde Am 30. August 1957 eröffnete die Akademie der Künste in der Hauptstadt der DDR eine John-Heartfield-Ausstellung; es war die erste seit Kriegsende auf deutschem Boden. Zur gleichen Zeit schrieb der Bruder Heartfields, Wieland Herzfelde, für die erste Nummer der Zeitschrift Junge Kunst ein Porträt des „Fotomonteurs", das notwendige biografische Fakten wie auch Erläuterungen über Funktion und Methode der Fotomontage - als Ergänzung zu den ebenfalls in diesem Heft publizierten Heartfield-Repraduktionen - neuerlich in Erinnerung brachte. Dabei vermerkte Herzfelde, sein Bruder habe nach der Rückkehr aus der Emigration 1950 „verhältnismäßig wenig Fotomontagen geschaffen". Doch sei nicht allein Krankheit der Grund gewesen, denn Heartfield wäre mit seiner Kunst auch auf „eine gewisse Verständnislosigkeit" gestoßen; es sei sogar vorgekommen, „daß Heartfields ausgesprochen sozialistisch-realistische Kunst unter dem Sammelbegriff Formalismus abgetan wurde". „Aber das ist vorbei" 71 - so schloß Herzfelde sein Porträt und signalisierte damit aus seiner Sicht Veränderungen im Erbeverhalten der neuen Gesellschaft. Der Gestus dieses „Aber das ist vorbei" gab Herzfeldes Darlegungen Nüchternheit und Sachlichkeit. Trotzdem verhehlen sie auch dem heutigen Leser - der sich in Herzfeldes Heartfield-Biografie 72 * noch genauer informieren kann - nicht, daß der Autor hiermit eines der kompliziertesten und umstrittensten Probleme der kulturellen Entwicklungen während der Übergangsperiode aufgegriffen hatte: die Beziehungen der neuen Gesellschaft zum Erbe der sozialistischen Avantgarde. Nichts ging schwieriger vonstatten als die Integration dieser Erfahrungen in den kulturellen Umwälzungsprozeß. An Versuchen, dieses Phänomen - die Schwierigkeiten im Umgang mit der sozialistischen Avantgarde - zu erklären bzw. sie zu objektivieren, hat es indessen nicht gefehlt. Konstruktive Angebote kamen vor allem von den Produzenten selbst. Bereits 1947, noch in den USA, reflektierte Brecht das Avantgarde-Problem im Arbeitsjournal. Dabei wird sofort augenscheinlich, daß sich diese Überlegungen aus der unmittelbaren Nachkriegszeit recht stark von dem Eisler/Blochschen Vorschlag aus dem Jahre 1937 abheben. Der Aufsatz Avantgarde-Kunst und Volksfront, den Hanns Eisler und Ernst Bloch in der Zeitschrift Die neue Weltbühne veröffentlichten, ging von den Bedürfnissen des antifaschistischen Kampfes aus. Denn natürlich waren auch an der sozialistischen Avantgarde 274
die Exilerfahrungen nicht spurlos vorübergegangen. Die Tatsache, daß die deutsche Arbeiterklasse und alle mit ihr verbündeten antifaschistischen Kräfte 1933 eine Niederlage erlitten hatten, spielte in den Überlegungen zur Weiterarbeit im Exil und nach der Niederschlagung des Faschismus in Deutschland eine zentrale Rolle. Die beunruhigende Frage, ob „die Volkfront nicht gezwungen sein (werde), in einer gewissen Etappe populäre Kunstmittel zu bevorzugen, ja sogar gegen die 'formalistische Studio- und Experimentierkunst' vorzugehen", weitete sich zu dem grundsätzlichen Problem: „Läßt sich das sozial fortgeschrittenste Bewußtsein heute bereits mit dem ästhetisch fortgeschrittensten verbinden und umgekehrt?"73 Die Antwort fiel sehr differenziert aus. Das Problem Avantgarde wurde historisiert: Natürlich sei die Avantgarde in sich äußerst heterogen. Zweifelsohne würde eine Reihe von Gruppierungen innerhalb der Avantgarde den Anschluß an die Volksmassen und die konkreten Bedürfnise des Kampfes nicht finden. Als sicher erschien jedoch: „Aber die wirkliche Avantgarde sieht heute ein, daß das Zeitalter der Studios und des dauernden Experimentierens vorüber ist. Das neue Material muß sich heute an den neuen Inhalten bewähren und für die sozialen Aufgaben brauchbar sein." Und von diesen sich innerhalb der Avantgarde vollziehenden Veränderungen, die sowohl politische Differenzierung wie auch Überprüfen der Methoden beinhalteten, kamen Eisler/Bloch verallgemeinernd zu der Auffassung: „Es ist falsch, den Riß zwischen der alten Avantgarde und der Masse für unüberwindlich zu halten." Als Programm der künftigen Arbeit galt: „Wenn die beiden Avantgarden sich immer gründlicher verstehen, wenn der Künstler aus dem notwendigen Experiment zum noch viel notwendigeren Gelingen, aus der einsamen Abstraktheit zur Fülle des Gegenstands vorstößt, der heute im sozialen Prozeß ist: unter diesen Voraussetzungen unterliegt das Gemeinsame, j a f a s t l d e n tische b e i d e r A v a n t g a r d e n auch theoretisch keinem Z w e i f e l und p r a k t i s c h k e i n e r S c h w i e r i g k e i t . Es erfüllt das gleiche Ziel, das Ziel der menschlichen Befreiung und der Besiegung des alten Feindes."74 (Hervorhebung - G. K.) Zehn Jahre später ist der Impuls des Nachdenkens über Avantgarde ein anderer. Konkreter Anlaß für Brechts Notat war eine Lektüre der Aufsätze von Andrej A. Shdanow über die sowjetischen Literaturzeitschriften Swezsda und Leningrad, die eine neue Phase der sowjetischen Formalismus-Diskussionen einleiteten.75* Zwar wies Brecht in dieser konkreten Situation von Nachkrieg und Verschär18*
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fung der ideologischen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Weltsystemen den Eisler/Blochschen Entwurf vom Bündnis zwischen politischer und künstlerischer Avantgarde nicht als Illusion ab, aber er erkannte viel schärfer die Hemmnisse, die sich dieser Alliance entgegenstellten. Brecht ging davon aus, daß im Verlauf der proletarischen Revolution ein Widerspruch zwischen den Möglichkeiten der Kunst und den Bedürfnissen der Massen entsteht: „bei der gewaltsamen auflösung des bildungsmonopols entsteht eine art vakuum; für eine gewisse zeit steht die literatur (soweit sie als profession fortgeführt wird) dem Bildungshunger ungebildeter massen gegenüber." Dieser Widerspruch spitze sich auf Grund objektiver Voraussetzungen in gewisser Weise zu: „ihre (der Literatur - G. K.) am meisten fortgeschrittenen methoden, gezeichnet vom Widerspruch der Produktivkräfte und der Produktionsweise der bourgeoisära, sind einerseits korrumpiert durch polizeizensur und geschmackszensur des 'freien marktes', bilden andrerseits jedoch eben das einzige resultat der entwicklung und können also nicht einfach aufgegeben werden." Das heißt, obwohl Brecht den Widerispruch zwischen Kunst und Massen in voller Schärfe bewußt hält, betont er: Das Anknüpfen an den höchsten Materialstand stelle sich nicht als Frage willkürlicher Entscheidung des Künstlerindividuums, sondern sei in gewisser Weise eine Notwendigkeit, die sich aus der historisch gewordenen Eigengesetzlichkeit der Künste bzw. des künstlerischen Materials ergibt. In dem betreffenden Notat führte Brecht diesen Gedanken nicht unmittelbar weiter, näherte sich aber von einer anderen Seite dem Problem. Er reflektierte die Vorgänge in der Sowjetunion nach 1917: „die Sowjetunion hat, die bürgerliche revolution sofort in die proletarische verwandelnd, die vorhandenen fortschrittlichen schriftsteiler zu einem sprang gezwungen, der manchem das genick, oder zumindest die beine gebrochen hat, in einem kerenski-rußland wäre ein ehrenburg eine literarische weltfigur geworden, für eine große anzahl von schriftstellern war, was für majakowski freiheit war, harter zwangszustand." 76 Brechts Versuch, das Verhältnis von proletarischer Revolution und Künstler zu historisieren, hat eine beträchtliche Evidenz: Am Beispiel Majakowskis nämlich kann er jenes Aufnehmen bzw. Weitertreiben der „am meisten fortgeschrittenen methoden" und das Hineingehen des Dichters in die Praxis der Revolution als einen zusammenhängenden Vorgang fassen; am Beispiel Majakowski ist tatsächlich die neue Qualität sozialistischer Avantgarde auszumachen 276
- freilich nur, wenn das gesamte Umfeld, in welchem sie entsteht und wirkt, mitreflektiert wird. Das Brecht-Notat von 1947 provoziert eine Reihe von Fragen, die für den Umgang mit der sozialistischen Avantgarde nach 1945 evident blieben: So scheint wichtig zu konstatieren, daß sich der einheitliche revolutionäre Prozeß in der DDR ja durchaus nicht in dem Tempo vollzog, wie Brecht es für die proletarische Revolution in der Sowjetunion beschrieben hatte. Die Gefahr, daß progressive, humanistisch gesinnte Künstler aus den revolutionären Vorgängen ausgeschaltet blieben, war in dieser Weise in der sowjetischen Besatzungszone und 'Späteren D D R nicht gegeben. Vielmehr zielte die gesamte
Kulturpolitik der Partei gerade darauf, alle antifaschistisch gesinnten Kräfte zu sammeln und ihnen den Weg zum Bündnis mit der politischen Avantgarde der Arbeiterklasse möglichst leicht zu machen. Die Gefahr bestand nach 1945 eher im anderen Extrem. Darauf verwies Klaus Gysi 1969 in einem Interview: „Der Weg eines Volkes, das in der überwiegenden Mehrheit den faschistischen Lügen zum Opfer gefallen war, zu einer antifaschistisch-demokratischen Ordnung mit einer klaren humanistischen, antifaschistischen Grundhaltung war ein revolutionärer Schritt, der s o z u s a g e n a l l e G e d a n k e n u n d a l l e E n e r g i e n a b s o r b i e r t e . " (Hervorhebung - G. K.) Indessen sei er selbst von der Schnelligkeit des Prozesses überrascht gewesen. Er habe sich 1945 durchaus nicht vorgestellt, „wie rasch die Wandlung auf dem Territorium der damaligen sowjetischen Besatzungszone vor sich gehen würde. Ich hätte geglaubt, daß wir dazu fünf oder zehn Jahre mehr brauchen."77 So gesehen hätte der Verlauf des einheitlichen revolutionären Prozesses es durchaus zugelassen, beides zu tun: Die progressiven humanistischen Kräfte zu sammeln, den Umerziehungsprozeß des deutschen Volkes zu einer humanistisch-antifaschistischen Gesinnung voranzutreiben und - im Hinblick auf die Weiterführung der Revolution - die Erfahrungen der sozialistischen Avantgarde zu mobilisieren. Wenn dies trotzdem nicht geschah, müssen noch andere Faktoren ausschlaggebend gewesen sein, die das Verhältnis von neuer Gesellschaft und sozialistischer Avantgarde belasteten. Zudem handelte es sich dabei nicht um eine Angelegenheit, die nur in der Entwicklung der DDR zu beobachten ist. Der ungarische Literaturwissenschaftler Läszlö Illes verwies in seinem 1964 publizierten Aufsatz Alter Streit um die Avantgarde darauf, daß auch andere sozialistische Länder 277
Schwierigkeiten mit der A v a n t g a r d e hatten. Zugleich versuchte er eine E r k l ä r u n g : „ E s g a b eine Zeit, d a die A v a n t g a r d e das exklusive Produkt der E p o c h e des Niedergangs der bürgerlichen Kunst, eine Manifestation des Formalismus und des Antirealismus, ein gefährlicher Feind des sozialistischen Bewußtseins und der sozialistischen K u n s t zu sein schien. Allerdings bot diese wenig differenzierte Theorie keine ausreichende E r k l ä r u n g für eine Reihe von Stadien der internationalen sozialistischen Kunst. E s ist keineswegs erstaunlich, daß eine Revision in dieser F r a g e stattgefunden hat, und zwar innerhalb der marxistischen Literaturtheorie." 7 8 D e n G r u n d für die Schwierigkeiten sah Illés in dem „Bestreben, die linke kommunistische Kunst, Avantg a r d e genannt, von der Volksfront zu trennen" 7 9 . Bestrebungen dieser A r t wären auch nach 1945 weitergeführt worden. Illés setzte sich dabei engagiert mit der Realismustheorie von G e o r g Lukäcs auseinander und zeigte am Beispiel des Brecht-Lukäcs-Streits, daß die Feindschaft gegenüber der A v a n t g a r d e „zutiefst politische G r ü n d e " hatte, wenngleich sich „ d i e Gegner im selben L a g e r b e f i n d e n " . 8 0 * Auf die Funktion des Konzepts von G e o r g Lukäcs in den N a c h kriegsjahren w u r d e bereits verwiesen. 8 1 Allerdings erscheint es historisch nicht stichhaltig, ausschließlich den E i n f l u ß von Lukäcs auf die marxistische Ästhetik für die ablehnende Haltung gegenüber der A v a n t g a r d e verantwortlich zu machen. Als Lukäcs z. B . in seinem A u f s a t z Es geht um den Realismus (1938) die A v a n t g a r d e - K u n s t aus den realistischen Strömungen und d e m K a m p f um eine antifaschistische Volksfront ausgliederte, bezog er sich auf ähnlich-e Entwicklungen in der Sowjetunion. Lukäcs schrieb: „ J e fester die Herrschaft des Proletariats wurde, je umfassender und tiefer der Sozialismus die Ökonomie der Sowjetunion durchdrang, je breiter und tiefer die Massen der Werktätigen von der Kulturrevolution erfaßt wurden, desto stärker und hoffnungsloser w u r d e die 'avantgardistische' K u n s t in der Sowjetunion v o m immer bewußter werdenden Realismus zurückgedrängt." 8 2 D i e Redaktion der Zeitschrift Das Wort, die L u k ä c s ' A u f s a t z publizierte, versah d a s obige Zitat mit einer Anmerkung: „Wir verweisen als Beispiel für diesen V o r g a n g auf den A u f s a t z Meyerhold und Stanislawski von B é l a Baläzs in unserem vorigen H e f t . " D e r BaläzsArtikel 8 3 wie auch eine ganze Reihe anderer - etwa seit Mitte der dreißiger J a h r e - veröffentlichter Arbeiten waren Versuche, aus der Sicht der antifaschistischen Emigranten die kulturellen V o r g ä n g e in der Sowjetunion zu werten und zu reflektieren. Sie bildeten ein wich278
tiges Bindeglied zwischen der Verständigung um eine antifaschistische Volksfrontliteratur und jenen weiterreichenden Überlegungen, die in das Kulturkonzept der Partei für die praktisch-politische Arbeit im antifaschistischen Umerziehungsprozeß nach 1945 eingingen.84 In unserem Zusammenhang scheint ein Aufsatz von Ernst Ottwalt besonders aufschlußreich. Er erschien unter dem Titel In diesen Tagen bereits im Mai 1936 in der Zeitschrift Internationale Literatur. Ottwalt versuchte hier, die sowjetischen Formalismus-Diskussionen auf ihren rationellen Kern zurückzuführen: „Will man den Inhalt dieser Stildebatten in Literatur, Musik, bildender Kunst und Architektur kurz zusammenfassen, so läßt sich sagen, daß in allen Künsten die Debatten in der Richtung gegen experimentelle Formspielereien ultralinker Schulen verlaufen und gegen den Ästhetizismus sogenannter 'linker' Künstler, die in ihrem Schaffen sich nicht ausrichten nach den großen Traditionen der Meister, sondern nach gewissen Schulen und Strömungen der jüngsten Vergangenheit, die sie als fortschrittliche Tendenzen in der künstlerischen Entwicklung ansehen wollen und nicht als das, was sie sind, Verfallserscheinungen der imperialistischen Epoche." Ottwalt stützte sich bei seiner Argumentation auf einen Vorgang, der sich zur gleichen Zeit in der Sowjetunion vollzog, die einsetzende Majakowski-Renaissance - sechs Jahre nach dessen Tod. Ottwalt beschrieb knapp und lakonisch die ästhetische Leistung Majakowskis, erinnerte an dessen Herkunft aus dem russischen Futurismus, charakterisierte ihn als „einen Mann, der nichts ungeprüft übernahm, keine überlieferten Formgesetze anerkannte, und dessen breit hinströmende Glut alle geheiligten Normen von Vers, Strophe und Reim mit sich fortriß". Die unverkennbare Diskrepanz zwischen dieser Majakowski-Einschätzung und der Formalismus-Diskussion sehr wohl spürend, schrieb Ottwalt: „Der Kampf gegen den Formalismus einerseits und die Majakowski-Renaissance andererseits - diese scheinbaren Widersprüche sind nur zwei Seiten ein und derselben Sache, denn ebenso sehr wie gegen den Formalismus, richten sich die Diskussionen gegen jede Art ängstlichen Epigonentums." Die Tatsache, daß Majakowskis Poesie trotz ihrer formalen Neuerungen geschätzt wurde, begründete Ottwalt mit dessen Beziehungen zu den Massen: „ . . . aus ihm sprach die gewaltige Stimme der Oktoberrevolution rein und klar." 85 Trotz seiner Befangenheit in der derzeitigen Polemiksituation hatte Ottwalt damit - scheinbar nebenbei - einen wichtigen Punkt getrof279
fen: Majakowski konnte unter den Bedingungen der neuen Phase der sozialistischen Kulturrevolution in der Sowjetunion integriert werden, während seine Mitstreiter und Widerparts - von Tretjakow über Meyerhold bis zur Achmatowa - , in deren Kontext Majakowski gehörte, bis 1956 ausgegliedert und nahezu völlig unbekannt blieben. Ottwalt erklärte dies, indem er die Reminiszenz an die Oktoberrevolution und das Problem der Beziehungen von Kunst und Massen einfügte. Viele Jahre später, aus der Sicht der kulturellen Prozesse in der entwickelten sozialistischen Gesellschaft der siebziger Jahre, hat der DDR-Literaturwissenschaftler Fritz Mierau - ohne sich direkt auf Ottwalt zu beziehen - diese Fragestellung aufgenommen und folgende Überlegungen vorgetragen: D i e Weichen für den Integrationsvorgang wurden bereits in den dreißiger Jahren gestellt. Als am Beginn der dreißiger Jahre die sozialistische Kulturrevolution in der Sowjetunion in eine neue Phase trat, als es um ein neuerliches Zusammenführen von ökonomisch-sozialer und künstlerischer Entwicklung ging - was den Verzicht auf relativ weit fortgeschrittene künstlerische Positionen einschloß - , konnte Majakowski in diesen Prozeß einbezogen werden: „Majakowski war der exponierteste Prophet und Sänger einer sozialistischen Industrialisierung der Sowjetunion in ihrer Entwurfsphase gewesen, und sein Werk verfügte über die experimentelle Lust, die Faszination und das ungebrochen Triumphale des Aufbruchs." So wurde Majakowski in den dreißiger Jahren zum sozialistischen Klassiker, sein künstlerisches Werk indessen war weitgehend aus den konkreten Entstehungs- und Wirkungsbedingungen herausgenommen. Daher ging auch diese Integration nicht ohne Verluste a b : „Die tatsächliche Leistung Majakowskis verschwamm in der Pauschalität des geschichtsentrückten einzigen poeta laureatus der neuen Ära. Ästhetisch führte das zur Kanonisierung dieses einen Weges sozialistischer Poesie." 8 6 * Eingedenk des hier angedeuteten Prozesses, aber auch der Schwierigkeiten, die sich dem Umgang mit der sozialistischen Avantgarde nach 1945 in der sowjetischen Besatzungszone und späteren D D R entgegenstellten, erscheint es gar nicht mehr so verwunderlich, daß bereits in den ersten Nachkriegs jähren ein Vertreter der sozialistischen Avantgarde in der sowjetischen Besatzungszone durch zahlreiche Ausgaben vorgestellt und sein künstlerisches Werk mit großem E i n satz propagiert wurde. D a s war allerdings nicht Heartfield, das war nicht Brecht, nicht Eisler, das war Wladimir Majakowski. D i e erste
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Auswahl mit Majakowski-Gedichten erschien bereits 1946 im SWAVerlag; in der Übersetzung von Hugo Huppert enthielt sie u. a. die Poeme W. 1. Lenin und Gut und schön, 1948 erschienen einige Prosaskizzen sowie ein weiterer Gedichtband mit dem Titel Aus vollem Halse. Schon 1949 brachten Zeitschriften und Verlage Arbeiten Majakowskis aus der Mitte der zwanziger Jahre mit seinem poetischen Konzept. So erschien in der Zeitschrift Sinn und Form Majakowskis kurze Autobiographie Ich selbst, und der Verlag Volk und Welt publizierte im gleichen Jahr die Programmschrift Wie /nacht man Verse. Die Tagespresse veröffentlichte Majakowski-Gedichte, auch an literarhistorischen Arbeiten - beginnend mit Stephan Hermlins Majakowski-Studie in dem Band Ansichten über einige Bücher und Schriftsteller (1947) - fehlte es nicht. Allein der Fakt, daß unmittelbar nach 1945 eine breite, durch die Publikationspolitik vorbereitete und organisierte Majakowski-Rezeption einsetzte, ist bemerkenswert. So hatte beispielsweise schon 1935 Louis Aragon auf die enge Verwandtschaft von Majakowski und Heartfield hingewiesen, indem er die Gemeinsamkeiten in der Funktionssetzung wie auch in der Arbeit mit dem künstlerischen Material in den jeweils verschiedenen Künsten hervorhob.87 Während sich nun aber die neue Gesellschaft im Umgang mit Heartfield und seinen Arbeiten so schwer tat, bereitete es ihr offenbar keine Schwierigkeiten, Majakowski aufzunehmen. Das hatte einen einfachen Grund: Edition und Propagierung seines Werks gehörte in den breiten Strom sowjetischer Kunst und Literatur, die nach 1945 in der sowjetischen Besatzungszone und späteren D D R vermittelt wurde. Sie war eine jener „drei Linien" in der Kulturarbeit, an die Hans Rodenberg dachte, als er sich später an jene Anfangsjahre erinnerte: Es gab „drei Linien der sich überkreuzenden Entwicklung. Erstens die Bekanntschaft mit der sowjetischen Literatur und Kunst, die in der gesamten Hitlerzeit den Menschen verwehrt war"88. Aufschlußreich ist dabei, w i e Majakowski rezipiert und vermittelt wurde. Verglichen mit der doch recht sensiblen Majakowski-Darstellung bei Ottwalt aus dem Jahre 1936, lesen sich die Wertungen vom Ende der vierziger Jahre grobschlächtiger. Im Nachwort des Verlages zur SWA-Ausgabe Aus vollem Halse hieß es, die Besonderheit Majakowskis bestünde in der „Wirksamkeit seiner Poesie und seine (r) Einstellung zum dichterischen Wort als einer aktiv auf den Menschen einwirkenden Kraft. Es ist das ausgeprägte Bewußtsein der Verantwortung vor der Mitwelt (und nicht nur vor der Ge281
schichte, der Nachwelt) für die politische und künstlerische Qualität seiner Gedichte." Majakowski wurde als sozialistischer Klassiker empfunden, als unantastbarer Heros, der „eine neue sowjetische Norm des Schönen und Poetischen, eine neue, sozialistische Lyrik ins Leben rief". Seine Poesie erschien als Beweis für „die hohe Fruchtbarkeit des Leninschen Grundsatzes von der Parteigebundenheit der Kunst" 89 . In welchem Maße sich damit eine Reduzierung des MajakowskiBilds und weiterhin Ablehnung sozialistischer Avantgarde verband, wird wohl in jener Publikation am deutlichsten, die unmittelbar für Lernende und Studierende gedacht war. 1953 erschienen die vom Verlag Volk und Wissen herausgegebenen Erläuterungen zur Sowjetliteratur in der Reihe Hilfsbücher für den Literaturunterricht. Über Majakowski hieß es dort u. a.: „Bevor Majakowski ein großer Sowjetdichter wurde, machte er eine komplizierte Entwicklung durch . . . Hier lernte er Burljuk, einen der Begründer des russischen Futurismus, kennen und schloß sich unter dessen Einfluß einer Gruppe von Futuristen an, unter denen er jedoch immer eine Sonderstellung einnahm. Die Futuristen, die sich als Neuerer gebärdeten, waren in Wirklichkeit eine Kunstschule mit reaktionärer Einstellung. Majakowski nannte sich einen Futuristen, aber sein Werk war im Wesen dem Futurismus fremd." 90 Der mit dem Integrationsvorgang verbundene Verlust trat hier in aller Deutlichkeit zutage: Während den Lesern erklärt wurde, die „Futuristen stellten den Dichtern formalistische Aufgaben" 91 , wurde Majakowski von seinen Ursprüngen und Anfängen abgeschnitten. Die tatsächlichen Umbrüche, denen Majakowskis Schaffen ausgesetzt war, erstarrten in der leeren Formel, er habe „sein ganzes Schaffen dem Kampf gegen die bürgerliche Welt gewidmet" 92 *. Es gab allerdings auch schon relativ frühzeitig Versuche, Majakowskis Position differenzierter vorzustellen und seine Erfahrungen in die Verständigung über Funktions- und Wirkungsweise politischer Dichtung, über den Weg der neuen Kunst einzubringen. Besonders Stephan Hermlin hat schon in den vierziger Jahren die Eigenart dieses sozialistischen Avantgarde-Künstlers markant hervorgehoben. In dem 1948 veröffentlichten Sammelband Ansichten über einige Bücher und Schriftsteller reflektierte Hermlin die Poesie Majakowskis im Kontext der internationalen Literaturentwicklung des 20. Jahrhunderts. Anlaß für diesen Aufsatz war die SWA-Ausgabe von 1946, deren Erscheinen Hermlin als „literarisches Ereignis für Deutschland" 93 bezeichnete. Dabei hob er hervor, daß mit der Veröffent282
lichung von Gedichten Majakowskis an Traditionen der zwanziger Jahre angeknüpft werde, denn der sowjetische Dichter war einst auch durch Bechers Nachdichtungen - den Lesern und Zuhörern in Deutschland vertraut. Gerade dieser Hinweis auf - durch den Faschismus verschüttete - Möglichkeiten des Umgangs mit Majakowski, ließ ihn nach jenen politisch-ästhetischen Erfahrungen für eine neuerliche Rezeption in der Nachkriegszeit fragen. Hermlin sah den prägnanten Punkt, an dem sich Bedürfnisse der Gegenwart und das Erbe Majakowskis trafen, in der Zeitdichtung, der politischen Dichtung. Während er vorführte, wie Majakowski „immer f ü r die Revolution" schrieb und „nicht ü b e r " sie, wie er aus der Integration in die politische Bewegung den funktionalen Impuls seiner künstlerischen Produktion fand, betonte Hermlin zugleich, daß es Majakowski gelang, „an seinem Gegenstand zu wachsen, ein der Größe des Ereignisses entsprechendes Kunstwerk zu vollenden". Hermlin sah in den Gedichten Majakowskis „ein großes, echtes Pathos und gütige(n) Humor, eine kühne plebejische, naiv-großartige Metaphorik und das elektrische Funkeln der Verse". Von hier aus erklärte er jene innere Einheit von sozialistischer Revolution und Entwurf einer neuen Kunst: „So hat er nach neuen Formen gesucht, um die Dichtung unmittelbar Teil werden zu lassen des besungenen Ereignisses, sie zu lebendig wirkender Kraft zu machen."94 Auch Majakowskis Beziehungen zum Futurismus wurden von Hermlin erwähnt. Dabei bezeichnete er die direkte Bindung an den Futurismus zwar nur als kurze Episode, erwähnte aber, daß Majakowski aus der Begegnung mit dieser Bewegung neue Elemente der künstlerischen Sprache fand, die in sein Werk eingingen und es bereicherten. Mit seiner subtil-sensiblen Analyse von Majakowskis Poesie verband Hermlin eine Hoffnung und eine Aufforderung. Sie richtete sich an Leser und Künstler gleichermaßen: „Die Begegnung mit Majakowski sollte diesmal von Dauer sein." Sie sei „nicht weniger erregend" als die mit Whitman oder Rimbaud. Die „dichtenden Zeitgenossen" aber würden so den Anschluß an weltliterarische Entwicklungen finden und davor bewahrt werden, „gänzlich im zähen Fluß rilkescher Lyrismen und klassizistischer Sonette unterzugehen". 95 Majakowski erschien als Widerpart sowohl zu der sogenannten „reinen Kunst" - Mierau spricht in diesem Zusammenhang vom „GegenRilke" 96 - als auch zu einem Funktionsverständnis, das sich auf einfache Instrumentalisierung der Kunst reduzierte. Indem Hermlin politische Funktion und Materialentwicklung als einander bedingend dar283
stellte, deutete er die Chance an, durch das Beispiel Majakowski den Entwurf einer neuen wirklichen Welt im Kontext mit dem Entwurf einer neuen Kunst zu sehen und begreifen zu können. Die in sich widersprüchliche Geschichte der Majakowski-Rezeption läßt darauf schließen, daß die Art und Weise des Umgangs mit der sozialistischen Avantgarde nicht a priori festgelegt war, daß vielmehr sehr unterschiedliche Varianten existierten, die sich teils nebeneinander behaupteten, teils sehr ungleichzeitig ablösten oder durchsetzten. Die Spannbreite der Möglichkeiten, wie sie gegen Ende der vierziger Jahre vorhanden war, soll hier an einem Buch untersucht werden, das im gleichen Jahr wie Majakowskis Programmschrift Wie macht man Verse? (1949) erschien. Es handelte sich um Lu Märtens Wesen und Veränderung der Formen und Künste - ein Buch, das den materialistischen Impuls marxistischer Ästhetik aus den zwanziger Jahren auf Grund vorliegender Erfahrungen fortsetzte. Es war keine einfache Neuauflage der bereits 1924 publizierten Arbeit; das Buch hatte nun eine andere Aufgabe und war, was die Materialanalyse betrifft, weitgehend verändert. Lu Märten verstand ihre Arbeit als Anwendung der Methode des dialektischen Materialismus auf die Geschichte der Kunst. Das, was sie „Soziologie der Künste" nannte, war ein Versuch, Entstehung und Veränderung der Künste im Verlauf der Geschichte von der Urgemeinschaft bis zur Gegenwart in ihrem objektiven materiellen Charakter zu erfassen, die Marxsche Überlegung also ernstzunehmen, Kultur und Kunst seien eine „Weise der Produktion". Es ging ihr darum, die Dialektik von ökonomischen, sozialen und politischen Faktoren zu ermitteln, innerhalb derer sich künstlerische Prozesse vollziehen. Ihr methodischer Neuansatz bestand darin, daß sie - in Polemik sowohl gegen die bürgerliche Autonomie-Konzeption als auch gegen die Reduzierung der Kunstgeschichte auf einzelne große Werke und genial begabte Künstler - beim Marxschen Arbeitsbegriff ansetzte, um „vom Ursprung der Arbeit her die Formengeschichte der Menschen im ganzen vorzustellen". Gerade die Tatsache, daß künstlerische Phänomene des 20. Jahrhunderts - „wie zum Beispiel 'abstrakte Künste', 'Kubismus' und dergleichen" - sich bisheriger Analyse entzogen hätten, bestärkte sie in ihrem Anliegen, „den uralten Lebensnerv schöpferischer Energien in ihrem eigentlichen Geheimnis zu entdecken; das ist: sie in ihrem innigen Zusammenhang mit der Arbeit, dem Werkgrund und den ersten und tiefsten Zwekken der menschlichen Gesellschaft bewußt zu machen".97 284
Was dieses methodologisch-theoretische Anliegen der Arbeit betrifft, gab es in der 1949 erschienenen Fassung keine Abstriche gegenüber der Veröffentlichung von 1924. Verändert indessen hatte sich die Funktion, die Lu Märten ihrer Publikation nun zudachte. Der 1924 erschienene Band verfolgte einen „praktischen Zweck": „.. . für die heute innerhalb der Arbeiterschaft aktuell gewordenen Fragen über diese Dinge - Kunst - Kunst des Proletariats - revolutionäre Kunst usw. eine wissenschaftliche Grundlage theoretischer Art zu schaffen, ein Handbuch, das für die wesentlichsten Probleme in dieser Richtung . . . eine grundsätzliche Basis ermöglichen s o l l . . ." 98 Ihr schwebte eine historisch-materialistische Fundierung der Künste in der Geschichte vor, die unmittelbar in die Verständigung und in den aktuellen Kampf um proletarisch-revolutionäre Kunst eingreifen sollte. Im Unterschied zu früheren Untersuchungen etwa bei Mehring wollte sie die einseitige Orientierung auf den Inhalt der Künste überwinden und vermittels Anwendung des dialektischen Materialismus „die gesellschaftliche und materielle U r s a c h e der Form", des künstlerischen Materials, freilegen. Gegen die These, man könne einen „bestimmten ewigen Formkomplex ohne weiteres oder unbewußt übernehmen", stellte sie die Historizität des künstlerischen Materials. Das geschah in der Absicht, die Kunst des Proletariats nicht als Übernahme historisch entstandenen Materials zu fassen, sondern sie aus der engen Verbindung mit dem allgemeinen Arbeitsprozeß zu entwickeln und in eine umfassende materielle Kultur zu integrieren. Das Buch von 1949 indessen konnte diesen „praktischen Zweck" bei einer neuen Kunst des Proletariats mitzuwirken - nicht mehr haben. Damit war der unmittelbare Bezugspunkt der Polemik und ihr methodischer Neuansatz verlorengegangen. Lu Märten versuchte, ihn neu zu gewinnen, indem sie die Ausgangssituation des Nachkriegs reflektierte: „Heute spricht man nicht mehr von einer Kunst des Proletariats oder des Sozialismus, sondern wählt die ganz allgemeine Formel 'Kunst des Volkes'. . . . nach dem letzten Kriegszusammenbruch wurde der Begriff des Sozialismus nur mehr in unbestimmter Prägnanz gebraucht - Sozialismus bedeutet, daß die Grundlagen der Wirtschaft geändert werden, ihr Profitcharakter vernichtet, planloses, qualitätsloses Produzieren damit ebenso vernichtet; bewußte Qualität auf allen Gebieten damit gewährleistet. Aus solcher Quelle also dann entsteht und kann entstehen eine Kunst des Volkes = klassenlose Form." 99 Über dieses in die Zukunft hineinprojizierte Kunstmodell bezieht sie nunmehr die Funktion der historischen Analyse. 285
Das Buch wandte sich an die „Jugend einer neuen Generation, die wieder heute vor Dingen steht, die für sie völlig neu sind . . ." Diese neuen Leser sollte das Buch erreichen und ihnen helfen, „die Kunst und das Wesen der Formen zu verstehen"100. Lu Märten unterbreitete die Neuauflage als Angebot zur Diskussion insofern, als sie die in den zwanziger Jahren vorgetragenen Überlegungen zu einer Geschichte der Künste korrigiert und neu durchdacht hatte - durchdacht unter dem Eindruck des Faschismus und des Kampfes um ein neues Deutschland, zugleich jedoch auch isoliert von den Kampfgefährten und ohne genaue Kenntnis des im antifaschistischen Exil geführten Verständigungsprozesses. Es war ein Angebot aus der Vereinsamung heraus - zum Dialog mit einem neuen Leser, das Angebot einer siebzigjährigen Kommunistin an die junge Generation. Der Verlag machte in einer Nachbemerkung auf den Dialogcharakter der Veröffentlichung aufmerksam: „Wir bitten Sie, der Sie dieses Buch gelesen haben, sich die Mühe zu machen, uns mitzuteilen, was sie darüber denken. Wir möchten jeden Leser kennenlernen alt und jung, Frau und Mann, den erfahrenen und jeden neuen Leser. Wir müssen insbesondere die Stimmen junger Menschen hören, um zu beurteilen, welche Wege in die Zukunft wir zu gehen haben." 101 * Das Angebot schlug fehl. Das Buch wurde selbst von der Fachpresse kaum beachtet, von einer Diskussion unter Lesern ganz zu schweigen. Die einzig auffindbare Rezension erschien 1950 in der vom Leipziger Seemann-Verlag herausgegebenen Zeitschrift der Kunst. Sie ist deshalb bemerkenswert, weil der Rezensent den marxistischen Ausgangspunkt der Lu Märten nicht teilte und das Buch wohlwollend, aber distanziert würdigte. Er schrieb u. a.: „Der sahon in seinem Untertitel und in manchen Zitaten des Textes ausdrücklich bekannte geistig-weltanschauliche Standort der Verfasserin - der Marx-Engels'sche Materialismus - erweist sich immerhin, wie ich meinen möchte, auch dem politisch anders Denkenden als durchaus fruchtbar, in der von ihm aus gebotenen ausgiebigen Beachtung und Analyse der werkstoifmäßig und sonstwie handwerkstechnisch bestimmten, wie der allgemein soziologischen Elemente im angewandten und freien Kunstschaffen." Der Rezensent sah in Lu Märten eine mit Käthe Kollwitz befreundete „Vorkämpferin sozialistischer Anschauungen", die „auch heute wieder in Kreisen der SED gebührend gewürdigt" 102 werde. Da die Leser der Zeitschrift
für Kunst 286
sicher nicht sehr zahlreich
waren, mag die Rezension der Verbreitung des Buchs weder geschadet noch genützt haben. Dennoch bleibt die Frage, warum die Kritik der nichtmarxistischen Seite überlassen wurde. Die Chance, anhand dieses Buches aktuelle und grundsätzliche Probleme marxistischer Ästhetik zu debattieren und die Realismus-Diskussionen der dreißiger Jahre weiterzuführen, lag durchaus im Bereich des Möglichen. Ein Jahr zuvor, 1948, war die Edition Karl Marx/Friedrich Engels Über Kunst und Literatur, herausgegeben von Michail Lifschitz, erschienen. Sie sollte, wie Lifschitz später darlegte, „die wirklichen Ansichten von Marx und Engels über den gesamten Gang der Kulturgeschichte wiederherstellen" 103 . Nach 1945 war es diese Ausgabe, die die Leser im demokratischen Teil Deutschlands mit Texten der Klassiker des Marxismus über Kultur und Kunst bekanntmachte. Lifschitz verband mit dieser Sammlung aber auch ein polemisches Anliegen, u. a. gegen bestimmte Tendenzen der Vulgärsoziologie. Er hat später darüber berichtet: „Im übrigen war in den zwanziger Jahren eine andere Abart der 'mißbräuchlichen Auslegungen' verbreitet. Die Theoretiker der sogenannten linken Strömungen behandelten die Worte von Karl Marx, daß das griechische Epos in der Epoche der Eisenbahnen und Spinnmaschinen nicht wiederzuerwecken sei, ganz willkürlich. Nach ihrer Konzeption hätte Marx den Untergang der hohen künstlerischen Formen der Vergangenheit begrüßt und wäre bereit gewesen, sich vor dem Idol des Mordernismus zu verbeugen. Die Kunst der Epoche des Eisenbetons stehe höher als die Kunst des Zeitalters von Marmor und Ton, ebenso wie die moderne Technik die Maschine des Heron von Alexandria übertrifft. Die Bestätigung dieser These kann der Leser bei vielen Autoren der modernistischen und vulgär-soziologischen Richtungen in der Literatur der zwanziger Jahre finden." 104 * Es fällt sofort auf, daß sich Lu Märten und Lifschitz auf Marx berufen und von da aus ein sehr unterschiedliches Kunstkonzept entwickeln. Während Lu Märten vom Marxschen Arbeitsbegriff aus ein Hineingehen der Künste in die Praxis des revolutionären Alltags anvisiert, orientiert sich Lifschitz am Werkbegriff und der marxistischen Widerspiegelungstheorie. Seine Polemik richtete sich vor allem gegen Positionen der sowjetischen Avantgarde der zwanziger Jahre, etwa gegen den Proletkult Bogdanows und die Produktionskunst Arwatows. Doch berührte er in der Tat einen problematischen Punkt im theoretischen Konzept von Lu Märten. Auf die engen Beziehungen ihrer Überlegungen zum russischen Proletkult wie auch zu Arwa287
tow hat bereits Florian Vaßen hingewiesen. Er w a r es auch, der hervorhob, daß „die Frage der Technik . . . bei Lu Märten nicht klar genug gestellt" sei, daß „ihr Begriff der 'klassenlosen Form' in den Verdacht gerät, mit der Ideologie von der Neutralität der Technik identisch zu sein". 105 Die hier für die Veröffentlichungen aus den zwanziger Jahren aufgeworfenen Probleme gelten auch für das 1949 erschienene Buch. Besonders in den neu hinzugekommenen Passagen, etwa über Expressionismus, zeigte sich, daß Lu Märten d i e Produktivkraftentwicklung primär an den erreichten Stand der Technik band, allerdings außerhalb der konkreten Klassenbeziehungen. Das neue künstlerische Material, mit dem der Expressionismus arbeitete, erschien ihr adäquate Konsequenz einer „an sich" existierenden Technik. „Was er (der Expressionismus - G. K.) bewußt macht, ist: die Welt der neuen Wahrnehmungen zu zeigen, die aus der Maschine, aus den physikalischen, mathematischen und sonstigen Berechenbarkeiten der Wissenschaften entstehenden Wesenheiten zu gestalten." 106 * Die Produktivität ihres Gedankengangs, die Tatsache, daß die Künste im 20. Jahrhundert ihr Material aus den Voraussetzungen der Wirklichkeit beziehen, in der sie entstehen, wird hier kurzschlüssig auf den Nenner neue Technik - neue Kunst gebracht, die vielfältigen klassenmäßigen und ideologischen Vermittlungen, die Teil der Wirklichkeit sind, bleiben unberücksichtigt. Dennoch: Das Credo des Buches lautet, die künftigen Entwicklungen der Künste sind von den Möglichkeiten abhängig, „die im gesellschaftlichen Ganzen eines Volkes vor sich gehen" 107 . Das Material der modernen Künste erscheint ihr brauchbar und integrierbar in den künftigen Kunstprozeß, der seinerseits wiederum Element und Organ einer viel umfassenderen sozialistischen Kulturrevolution ist. Hier scheint es angebrächt, noch einmal auf unseren Ausgangspunkt, das Brecht-Notat aus dem Jahre 1947, zurückzukommen. D i e bei Brecht angedeutete Kluft zwischen den „am meisten fortgeschrittenen methoden" und den Bedürfnissen der Massen hebt sich ja auch mit dem Hineingehen des Künstlers in die Praxis der Revolution nicht spontan auf. Das hatte nicht zuletzt gerade auch Majakowski gewußt und erfahren. Wenn er 1928 in einem Lef-Artikel programmatisch formulierte: „Das Verständnis für ein Buch muß organisiert werden" und eine Art Organisationsmodell 1 0 8 * vorschlug, dann war ja auch dies der Versuch, eine langfristige Strategie auszuarbeiten, um die tatsächlich vorhandene Kluft zu überwinden. Auch die Vertreter der sozialistischen Avantgarde waren nach 288
ihrer Rückkehr aus dem antifaschistischen Exil mit diesem Problem konfrontiert. Dabei spielte ein spezifischer Sachverhalt eine Rolle: Wenngleich der 1945 eingeleitete revolutionäre Prozeß sich - wie auch Gysi in dem erwähnten Interview betonte - in relativ kurzer Frist stabilisierte und die Weiterführung der sozialistischen Revolution in Angriff genommen werden konnte, erwuchs aus den neuen politisch-weltanschaulichen Haltungen nicht mechanisch neues ästhetisches Verhalten. Im Gegenteil: Noch am Ende der fünfziger Jahre stellte sich immer wieder heraus, daß die Veränderungen in den Gewohnheiten, „Kunst entgegenzunehmen" (Mittenzwei), wesentlich schwerfälliger vonstatten gingen, als auf Grund der tatsächlichen Veränderungen in der Wirklichkeit manchmal angenommen wurde. Eine Parallelisierung von praktisch-gesellschaftlichem Verhalten etwa in der materiellen Produktion und ästhetischem Verhalten verbot sich, weil es kurzschlüssig war. 109 * Brecht selbst hat diese Situation anläßlich der Diskussionen um seine zusammen mit Paul Dessau geschriebene Oper Die Verurteilung des Lukullus im Arbeitsjournal reflektiert: „es ist vorauszusehen, daß bei umwälzungen von solchem ausmaß die künste selbst da in Schwierigkeiten kommen, wo sie führend mitwirken, zusammenstoßen die zurückgebliebenheit der künste und die zurückgebliebenheit des neuen massenpublikums. einige künstler haben, in protest gegen die bürgerliche ästhetik (und den bürgerlichen kunstbetrieb) gewisse neue formen entwickelt: nunmehr werden sie von proletarischer seite darauf aufmerksam gemacht, daß es nicht die formen für die neuen inhalte seien, dies stimmt manchmal, und manchmal stimmt es nicht, manchmal nämlich werden die gewohnten formen verlangt, weil die neuen inhalte noch keineswegs allgemein bei der zur herrschaft gelangten klasise durchgesetzt sind und man die irrige meinung hat, neuer inhalt u n d neue form sei schwerer durchzusetzen als nur eines von beiden." 110 Und Wieland Herzfelde berichtete, wie sein Bruder John Heartfield bemüht war, die Vorbehalte gegenüber der Fotomontage ernst zu nehmen, wie er sich selbst fragte: „War die Fotomontage.. . nicht mehr zeitgemäß? Seither hatten sich Film und Fernsehen entwickelt. Auch die vielen illustrierten Zeitschriften befriedigten, übersättigten vielleicht sogar das Interesse am Bild. Oder hatte sich seine produktive Kraft vielleicht erschöpft? Schon das vorliegende Werk wies manche Wiederholungen und Varianten auf. Immer wieder eine Fahne, Fäuste, Hände, Arme, Bomben, Stiefel, Blut, Helme, Schlangen - mußte das nicht ermüden?" 111 Besonders intensiv empfand 19
DDR-Literatur
289
H. Eisler die Kluft. In einem Gespräch mit Hans Bunge erzählte er, welche enormen Schwierigkeiten es ihm bereitete, eine Sinfonie zu komponieren, wissend, daß er die Massen potentiell neuer Hörer gar nicht erreichen wird. Der Widerspruch, der sich für ihn auftat, bestand zwischen seinem Anliegen „etwas Praktisches, Brauchbares, aber doch Neues zu geben und den Standard meines musikalischen Denkens zu halten. Das ist für mich ungeheuer kompliziert" 112 *. Der Musikwissenschaftler Günter Mayer hat nachgewiesen, welche konkreten Konsequenzen sich für Eislers künstlerische Produktion aus diesen „nüchternen Einsichten in die Situation seiner Hörer" ergaben. 113 * Er stellte fest, Eisler habe keine Kammermusik mehr geschrieben und kaum noch experimentiert, er sei in den fünfziger Jahren „über die bisher von ihm angeeigneten Materialneuerungen des 20. Jahrhunderts nicht mehr hinausgegangen" 114 . Dabei warnte Mayer davor, die starke Konzentration Eislers auf Lied, Bühnen- und Filmmusik und die dabei zu beobachtende Beschränkung in den Mitteln nicht „voreilig und abstrakt als d a s Modell d e r sozialistischen Einfachheit" 115 zu verallgemeinern. Bei Brecht ist Ähnliches zu beobachten: Das zeigte sich etwa, wenn er in seinen Inszenierungen jeweils „nur so viel episches theater" durchsetzte, als „heute akzeptiert (und geboten) werden kann" 116 *, wenn er Stanislawski rezipierte, um jene Elemente seiner Methode aufzuspüren, die das neue Theater auch gebrauchen konnte. Es zeigte sich auf andere Weise, wenn er nahezu gleichzeitig Lehrstück-Pläne hegte und auf dem Theater Strittmatters Katzgraben inszenierte. Was die Avantgarde-Künstler hier im einzelnen praktizierten, das war der Versuch, sich auf ein Publikum zu orientieren, das mit dem höchsten technischen Standard n o c h nichts anfangen konnte. Um diese potentiellen Rezipienten zu erreichen, die durch die sozialistische Kulturrevolution elementare Kunstbedürfnisse entwickelten, mußte hinter die „am meisten fortgeschrittenen methoden" zurückgegangen, bzw. konnten diese - wie im Falle Eisler - nicht experimentell weiterentwickelt werden. Dieses unmittelbar praktische Verfahren, das Brecht in seinem Notat von 1947 nicht mitdachte, wenngleich er sich in seiner künstlerischen Produktion der dreißiger und vierziger Jahre darauf eingestellt hatte, reflektierte Hanns Eisler 1962 in seinem Vortrag Inhalt und Form als theoretisches und als historisches Problem. Sein Ausgangspunkt war die Perspektive der sozialistischen Kulturrevolution bis in die Phase der kommunistischen Gesellschaft hinein. Zugleich betonte er aber, daß natürlich jede 290
„Kultur ihre materielle Basis" habe und erörterte von diesem Widerspruch her Aufgaben und Funktionsmöglichkeiten der Künste unter den gegebenen Bedingungen: „Wir sind in der DDR lange nicht soweit. Wir können nicht warten, bis sich unsere materielle Produktion so weit entwickelt hat - das wäre ja wirklich dumm, faul . . . wir haben sofort etwas zu machen und im Gegenteil der materiellen Produktion zu helfen." 117 Aus dieser konkreten Analyse der vorgefundenen historischen Situation schlußfolgerte er und sprach von „Fortschritt und Zurücknahme in e i n e m"118. Auf das Beispiel der Arbeiterkampflieder aus den zwanziger Jahren verweisend, zeigte er, daß „gewisse Simplifizierungen" in bestimmten Zeiten notwendig sind. Beim Arbeiterkampflied wurde die „gebrochene ziselierte Klavierbegleitung" „weggeschickt", man konnte mit ihr „nichts anfangen". Und er betonte: „Das ist um Gottes Willen kein Allheilmittel, aber das ist geschichtlich notwendig." 119 In seinen Gesprächen mit Hans Bunge ist Eisler immer wieder auf diese Probleme zurückgekommen. Er hat sie dort sogar noch weiter differenziert: Die historisch notwendige Zurücknahme, so argumentierte er, ist an die Bedingungen der Geschichte gebunden und insofern auch geschichtlich aufhebbar. Denn - und hier berührt er sich direkt mit den Brechtschen Überlegungen von 1947 - im Hinblick auf die geschichtliche Bewegung in Gänze, also auf das Fortschreiten zum Kommunismus hin, stand auch für ihn fest, „daß es keine Zurücknahmen gibt - genausowenig wie in der Industrie und in den allgemeinen gesellschaftlichen Verhältnissen auch auf Gebieten wie dem der Freiheit und der Kunst . . ." Dieser Blick auf die zwei Phasen der kommunistischen Gesellschaftsformation schloß für Eisler ein, selbst der „Begriff des l'art pour l'art" könne „nicht echt zurückgenommen werden": „Selbstverständlich wird Kunst um der Kunst willen in einer vollendeten, echt freien Gesellschaft die natürliche Funktion sein. Gibt es keine Klassen, so stirbt der Klassenkampfcharakter der Kunst ab und wird zu einer allgemeinen gesellschaftlichen Sache. Da wird sich vieles verändern." 120 Die Schwierigkeiten mit der Avantgarde wurden so für die Produzenten selbst zum Anlaß, die historisch veränderbaren Funktionen der Künste zu reflektieren. Die Bedingungen der Übergangsperiode waren der geschichtliche Standort, die gegenwärtigen Möglichkeiten abzutasten und zugleich die Perspektive der Künste bis hinein in die zweite Phase der kommunistischen Gesellschaft zu überdenken. Eisler sprach in diesem Zusammenhang von einer dann notwendigen neuer19*
291
liehen Umfunktionierung der Künste: „Die Kunstpositionen, die wir theoretisch haben . . ., die gehen für eine bestimmte Periode . . . Sie werden geändert werden müssen nicht auf Grund einer Diskussion, sondern auf Grund der allgemeinen Entwicklung der gesellschaftlichen Verhältnisse." Und: „Ich gebe zu, daß ich damit sämtliche Positionen, die Brecht und ich bezogen haben, jetzt zurücknehme. Ich nehme sie aber nicht jetzt zurück." 121 Der Zeitpunkt, diese Positionen zurückzunehmen, ist auch jetzt noch nicht gekommen. Die eingangs angedeuteten Bemühungen, nach fast dreißig Jahren DDR, die Erfahrungen unserer Kulturrevolution neu zu befragen, verweisen jedoch auch auf die Notwendigkeit, jene Überlegungen der sozialistischen Avantgarde, die weit über die Übergangsperiode hinausweisen, bei der gegenwärtigen kollektiven Verständigung neu zu bedenken.
Anmerkungen
A bkür^ungsveryeichnis Arbeitsjournal
Badstübner
Befreier Börsenblatt Ekler
Erster Kulturtag Geschichte der SED GLL
Greif zur Feder
JK Klassenkampf
- Bertolt Brecht: Arbeitsjournal 1938-1955. Hg. v. Werner Hecht. Mit einem Nachwort v. Werner Mittenzwei. Berlin-Weimar 1977. - Rolf Badstübner: Zum Problem des einheitlichen revolutionären Prozesses auf dem Gebiet der D D R . In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 21 (1973) 11. - Johannes R. Becher: Der Befreier. In: Verteidigung der Poesie. Berlin 1960. - Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel. Fachzeitschrift für Verlagswesen und Buchhandel. - Hanns Eisler: Gespräche mit Hans Bunge. Fragen Sie mehr über Brecht. Übertragen u. erläutert v. Hans Bunge. Leipzig 1975. - Erster Kulturtag der S E D . Berlin 1948. - Geschichte der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. Abriß. Berlin 1978. - Manfred Naumann/Dieter Schlenstedt/Karlheinz Barck/Dieter Kliche/Rosemarie Lenzer: Gesellschaft - Literatur - Lesen. Literaturrezeption in theoretischer Sicht. Berlin-Weimar 1973. - Greif zur Feder, Kumpel. Protokoll der Autorenkonferenz des Mitteldeutschen Verlages Halle (Saale). Halle 1959. - Junge Kunst. .Monatszeitschrift für Literatur, Kritik, bildende Kunst, Musik und Theater. - Klassenkampf. Tradition. Sozialismus. Von den Anfängen der Geschichte des deutschen Volkes zur Gestaltung der entwickelten sozialistischen Gesellschaft in der Deutschen Demokratischen Republik. Hg. v. Zentralinstitut für Geschichte der Akademie der Wissenschaften der D D R . Dresden 1974.
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Kunstwerk 1
Kunstwerk 2
Laschitza
Lehrpläne
Literaturgeschichte
ND NDL Protokoll SuF Tagung
WB
- Anna Seghers: Über Kunstwerk und Wirklichkeit. Bd. 1: Die Tendenz in der reinen Kunst. Hg. v. Sigrid Bock. Berlin 1970. - Anna Seghers: Über Kunstwerk und Wirklichkeit. Bd. 2: Erlebnis und Gestaltung. Hg. v. Sigrid Bock. Berlin 1971. Bd. 3 : Für den Frieden der Welt. Hg. v. Sigrid Bock. Berlin 1971. - Horst Laschitza: Kämpferische Demokratie gegen Faschismus. Die programmatische Vorbereitung auf die antifaschistisch-demokratische Umwälzung in Deutschland durch die Parteiführung der KPD. Berlin 1969. - Lehrpläne für die Grund- und Oberschulen in der sowjetischen Besatzungszöne Deutschlands. Deutsch. Berlin-Leipzig [1946], - Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zur Gegenwart. Bd. 11: Literatur in der Deutschen Demokratischen Republik. Von einem Autorenkollektiv u. Leitung v. Horst Haase und Hans-Jürgen Geerdts, Erich Kühne, Walter Pallus. Berlin 1976. - Neues Deutschland. Organ des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. - Neue Deutsche Literatur. Hg. v. Schriftstellerverband der Deutschen Demokratischen Republik. - Erster Deutscher Schriftstellerkongreß (1947). Protokoll des Kongresses. Unveröffentl. Ms. - Sinn und Form. Beiträge zur Literatur. - Diskussion und Entschließung von der 5. Tagung des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands vom 15.-17. März 1951. Berlin 1951. - Weimarer Beiträge. Zeitschrift für Literaturwissenschaft, Ästhetik und Kulturtheorie. Einleitung
1 Schriftsteller und literarisches Erbe. Zum Traditionsverhältnis sozialistischer Autoren. Hg. v. Hans Richter. Berlin-Weimar 1976; Erworbene Tradition. Studien zu Werken der sozialistischen deutschen Literatur. Hg. v. Günter Hartung/Thomas Höhle/Hans-Georg Werner. Berlin-Weimar 1977; Wemer Mittenzwei: Der Realismus-Streit um Brecht. Grundriß der Brecht-Rezeption in der DDR 1945-1975. Berlin 1978. 2 Literatur und Geschichtsbewußtsein.
294
Entwicklungstendenzen
der
DDR-
Literatur in den sechziger und siebziger Jahren. Hg. v. Manfred Diersch u. Walfried Hartinger. Berlin-Weimar 1976. Eva und Hans Kaufmann: Erwartung und Angebot. Studien zum gegenwärtigen Verhältnis von Literatur und Gesellschaft in der DDR. Berlin 1976 (Literatur und Gesellschaft); Dieter Schlenstedt: Prozeß der Selbstverständigung. Aspekte der Funktionsbestimmung in unserer neueren Literatur. In: WB 21 (1976) 12, S. 5 - 3 7 . 3 Vgl. Literaturgeschichte. 4 Ebenda. 5 Vgl. u. a. Liebes- und andere Erklärungen. Schriftsteller über Schriftsteller. Berlin-Weimar 1972; Joachim Waither: Meinetwegen Schmetterlinge. Gespräche mit Schriftstellern. Berlin 1973; Auskünfte. Werkstattgespräche mit DDR-Autoren. Berlin-Weimar 1974; Eröffnungen. Schriftsteller über ihr Erstlingswerk. Berlin-Weimar 1974; Fahndungen. 22 Autoren über sich selbst. Berlin 1975. 6 Vgl. G L L ; Funktion der Literatur. Aspekte - Probleme - Aufgaben. Hg. v. Dieter Schlenstedt/Brigitte Burmeister/Ilse Idzikowski/Dieter Kliche. Berlin 1975 (Literatur und Gesellschaft). 7 Einführung in Theorie, Geschichte und Funktion der DDR-Literatur. Hg. v. Hans-Jürgen Schmitt. Stuttgart 1975, S. 5 (Literaturwissenschaft und Sozialwissenschaften 6). 8 Vgl. ebenda; vgl. ferner: Die Literatur der Deutschen Demokratischen Republik. Von Konrad Franke. Neubearb. Ausg. mit drei einführenden Essays v. Heinrich Vormweg. Zürich-München 1974 (Kindlers Literaturgeschichte der Gegenwart); Literatur und Literaturtheorie in der D D R . Hg. v. Peter Uwe Hohendahl u. Patricia Herwinghouse. Frankfurt/M. 1976; Wolfram Schlenker: Das „Kulturelle Erbe" in der DDR. Gesellschaftliche Entwicklung und Kulturpolitik 1945-1965. Stuttgart 1977. 9 Nicht in diesem Band enthalten ist eine Arbeit von Reinhard Hillich zu Leserbeziehungen der frühen DDR-Literatur am Beispiel von Erwin Strittmatter, die in Verbindung mit dem Projekt entstand, aber an anderer Stelle publiziert ist. Es handelt sich um die Beiträge Zur Erzählweise und Figurengestaltung im Roman „Ochsenkutscher" und „Ole Bienkopp" -eine wichtige Zäsur in Strittmatters Schaffen. In: Erwin Strittmatter. Analysen, Erörterungen, Gespräche. Berlin 1977 (Schriftsteller der Gegenwart). Siehe auch Reinhard Hillich: Erwin Strittmatters künstlerischer Beitrag zur Herausbildung eines geschichtlich fundierten Gegenwartsverständnisses. Seine Stellung in der DDR-Literatur der Ubergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus. Berlin 1978. 10 Vgl. Werner Brettschneider: Zwischen literarischer Autonomie und Staatsdienst. Die Literatur in der DDR. Berlin (West) 1972; Manfred Jäger: Sozialliteraten. Funktion und Selbstverständnis der Schriftsteller in der D D R . Düsseldorf 1973; Bernhard Greiner: Die Literatur der Arbeitswelt in der D D R . Heidelberg 1974.
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11 Badstübner, S. 1341. 12 GLL, S. 12. 13 Dieter Schlenstedt: Prozeß der Selbstverständigung. Aspekte der Funktionsbestimmung in unserer neueren Literatur. In: W B 21 (1976) 12, S. 8. 14 Badstübner, S. 1341. 15 Vgl. Günter de Bruyn: Der Holzweg. In: Eröffnungen. Schriftsteller über ihr Erstlingswerk. Berlin-Weimar 1974, S. 138.
Ingeborg Literaturverhältnisse
Miinz-Koenen
und literarische
Öffentlichkeit
1945 bis
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1 Hans-Jürgen Jessel: Durchschnittsleser und Buchhändler. Kritik von außen. In: Börsenblatt 115 (1948) 25, S. 242. 2 Ebenda. 3 4 5 6 7
Ebenda. Literaturgeschichte, S. 40. Ebenda. Ebenda, S. 37 f. „Als der Krieg zu E n d e war". Literarisch-politische Publizistik 1945-1950. Zusammengest. v. Gerhard Hay/Hartmut Rambaldo/Joachim W . Storck unter Mitarb. v. Ingrid Kußmaul u. Harald Böck. 2. durchges. Aufl. München 1974, S. 5 (Sonderausstellungen des Schiller-Nationalmuseums. Katalog. 23). 8 Wolfgang Kayser: D a s literarische Leben der Gegenwart. In: Deutsche Literatur in unserer Zeit. Göttingen 1959, S. 5 9 Vgl. dazu Kazimierz BartoszyAski: Polnische Forschungen zur literarischen Kommunikation. In: Funktion der Literatur. Aspekte - Probleme - Aufgaben. Hg. v. Dieter Schlenstedt/Brigitte Burmeister/Ilse Idzikowski/Dieter Küche. Berlin 1975, S. 9 5 - 1 0 5 (Literatur und Gesellschaft); Rainer Rosenberg: Literaturgeschichte als Geschichte der literarischen Kommunikation der Gesellschaft. I n : W B 23 (1977) 2, S. 53-73. 10 Werner Krauss: Über den Anteil der Buchgeschichte an der literarischen Entfaltung der Aufklärung. In: Studien zur deutschen und französischen Aufklärung. Berlin 1963, S. 73-155 (Neue Beiträge zur Literaturwissenschaft Bd. 16). 11 GLL, S. 12. 12 Manfred Naumann: Probleme geschichtlichen Funktionswandels der Literatur. In: Funktion der Literatur. Aspekte - Probleme - Aufgaben. Hg. v. Dieter Schlenstedt/Brigitte Burmeister/Ilse Idzikowski/Dieter Kliche. Berlin 1975, S. 37 (Literatur und Gesellschaft). 13 Literaturgeschichte, S. 21. 14 Vgl. Autorenkollektiv unter der Ltg. v. Alexander Tinschmidt: Der revo-
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lutionäre Umwälzungsprozeß in Mittel- und Südosteuropa nach dem zweiten Weltkrieg. Zu neuen Diskussionen über Inhalt und Form des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus. In: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 25 (1977) 5, S. 517-540; Badstübner, S. 1325-1341. Literaturgeschichte, S. 21. Ebenda. Ebenda. Vgl. Das neue Buch. Katalog der Neuerscheinungen 1945-1947. Hg. v. d. Berliner Verleger- und Buchhändlervereinigung. Berlin 1947. Arnold Bauer: Die deutsche Verlagstätigkeit seit Kriegsende. In: Der Autor. Zeitschrift des Schutzverbandes deutscher Autoren. 1947, 9, S. 2. Ebenda, S. 3. Ebenda. Ebenda. Ebenda. Vgl. Aufbau-Verlag Berlin. Gesamtverzeichnis der Verlagserscheinungen. Berlin 1960. Unveröffentl. Ms. Vgl. ebenda. Vgl. Friedrich Uhlig: Geschichte des Buches und des Buchhandels. Stuttgart 1962, S. 91. Vgl. Dietz Verlag Berlin. Gesamtverzeichnis 1945-1964. Berlin 1967. Vgl. Angaben des SWA-Verlages 1945-1949. Deutsche Bücherei Leipzig. Leipzig 1977. Unveröffentl. Ms. Vgl. Angaben des Verlages für fremdsprachige Literatur der Jahre 1945 bis 1949. Leipzig: Deutsche Bücherei Leipzig. Leipzig 1977. Unveröffentl. Ms. Vgl. Verlag Volk und Welt/Kultur und Fortschritt. Bibliographie '47-'71. Berlin 1972. Verlag Neues Leben Berlin. Bibliographie 1946-1976. Berlin 1976. Vgl. Reclams Universal-Bibliothek. Gesamtverzeichnis 1945-1963. Leipzig 1969. Vgl. Aufbau-Verlag Berlin. Gesamtverzeichnis der Verlagserscheinungen. Berlin 1960. Unveröffentl. Ms. Vgl. Werner Barth/Gerhard Tunsch: Der Beitrag des Verlages Volk und Wissen zur Lösung der schulpolitischen Aufgaben auf dem Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik in den Jahren 1945-1952. Päd.-Diss. Berlin 1976. Vgl. bes. Anhang 45: Produktion von Literatur für den Deutschunterricht sowie zur allgemeinen kulturellen Bildung und Erziehung.
35 Vgl. Arnold Bauer: Die deutsche Verlagstätigkeit seit Kriegsende. In: Der Autor. Zeitschrift des Schutzverbandes deutscher Autoren (1947) 9, S. 4. 36 Ebenda. 37 Vgl. Brigitte Melzwig: Deutsche sozialistische Literatur 1918-1945. Bibliographie der Buchveröffentlichungen. Berlin-Weimar 1975. 38 Vgl. ebenda. 39 Vgl. Dietz Verlag Berlin. Gesamtverzeichnis 1945-1964. Berlin 1967.
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40 Vgl. Amtsblatt des Kontrollrats in Deutschland Nr. 1 vom 29. Oktober 1945, S. 20. 41 Der Alliierte Kontrollrat in Deutschland. Die Alliierte Kommandantur der Stadt Berlin. Kommuniques, Gesetze, Direktiven, Befehle, Anordnungen. Sammelheft 2 (Januar-Juni 1946). Berlin 1946, S. 110. 42 Ebenda, S. 136. 43 Vgl. Amtsblatt des Kontrollrats in Deutschland Nr. 11 vom 31. Oktober 1946, S. 187. 44 Ebenda, Nr. 15 vom 31. Mai 1947, S. 275. 45 Befehl Nr. 039 des Obersten Chefs der SMA über die Konfiskation nazistischer und militaristischer Literatur. In: Um ein antifaschistisch-demokratisches Deutschland. Dokumente aus den Jahren 1945-1949. Berlin 1968, S. 148. 46 Vgl. Liste der 1000. In: Die Neue Zeitung 2 (1946) 55, S. 3. 47 Vgl. Hannelore Schulze: Das Bibliothekswesen in den drei imperialistischen Besatzungszonen Deutschlands bis zur Gründung der BRD. Eine Darstellung nach bibliothekarischen Veröffentlichungen. Diplomarbeit. Berlin 1976, S. 12. 48 Ebenda, S. 11. 49 Abgedr. in: Um ein antifaschistisch-demokratisches Deutschland. Dokumente aus den Jahren 1945-1949. Berlin 1968, S. 106. 50 Friedrich Uhlig: Geschichte des Buches und des Buchhandels. Stuttgart 1962, S. 93. 51 Abgedr. in: Um ein antifaschistisch-demokratisches Deutschland. Dokumente aus den Jahren 1945-1949. Berlin 1968, S. 272. 52 Vgl. Heinrich Becker: Planmäßige Buchproduktion. In: Börsenblatt 114 (1947) 8, S. 109. 53 Vgl. ebenda, 4, S. 21. 54 Ebenda 8, S. 109. 55 In: ebenda 11, S. 153. 56 In: ebenda 16, S. 202. 57 Ebenda. 58 Ebenda. 59 Vgl. Imperialismus und Kultur. Zur kulturellen Entwicklung in der BRD. Berlin 1975, S. 127-128. 60 Börsenblatt 114 (1947) 16, S. 227. 61 Ebenda. 62 Handbuch der Lizenzen deutscher Verlage. Berlin 1947, S. 106. 63 Ebenda, S. 104. 64 Vgl. ebenda, S. 111-112. 65 Vgl. Jürgen Kuczynski/Berthold Puchert: Die Macht einer Tradition. In: 100 Jahre Reclams Universal-Bibliothek 1867-1967. Leipzig 1976, S. 78. 66 Vgl- Handbuch der Lizenzen deutscher Verlage. Berlin 1947, S. 111. 67 Werner Krauss: Über den Anteil der Buchgeschichte an der literarischen
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Entfaltung der Aufklärung. In: Studien zur deutschen und französischen Aufklärung. Berlin 1963, S. 73-155 (Neue Beiträge zur Literaturwissenschaft Bd. 16). Ebenda, S. 74. Laschitza, S. 163. Ebenda, S. I I I . - Zum Charakter der antifaschistisch-demokratischen Ordnung als Form der revolutionär-demokratischen Diktatur der Arbeiter und Bauern vgl. Badstübner, S. 1333. Laschitza, S. 115. Ebenda. Vgl. ebenda, S. 115-117. Ebenda, S. 183. Ebenda, S. 118 f. Badstübner, S. 1326. Laschitza, S. 183. Johannes R. Becher: Zur Frage der politisch-moralischen Vernichtung des Faschismus. Abgedr. bei Karl-Heinz Schulmeister: Zur Entstehung und Gründung des Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands. Berlin 1965, S. 129. Ebenda, S. 131. Ebenda. Ebenda. Ebenda, S. 132. Anna Seghers: Der Anteii der Literatur an der Bewußtseinsbildung des Volkes. Hauptreferat auf dem IV. Deutschen Schriftstellerkongreß. In: Beiträge zur Gegenwartsliteratur (1956) 1, S. 43. Zit. nach Karl-Heinz Schulmeister: Zur Entstehung und Gründung des Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands. Berlin 1965, S. 136. Ebenda, S. 137. Ebenda. Heinz Willmann: Sofortmaßnahmen auf dem Gebiete der ideologischen Aufklärung. Zit. nach Laschitza, S. 226. Vgl. Johannes R. Becher: Bemerkungen zu unseren Kulturaufgaben. Abgedr. bei Karl-Heinz Schulmeister: Zur Entstehung und Gründung des Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands. Berlin 1965, S. 137. Wolfgang Böhme: Eine einmalige Leistung in der Geschichte des sozialistischen Buchschaffens. In: Börsenblatt 122 (1955) 30, S. 530. Ebenda. Lehrpläne, S. 3. Gesetz zur Demokratisierung der deutschen Schule. In: Monumenta Paedagogica. Bd. 4 : Dokumente zur Geschichte des Schulwesens in der Deutschen Demokratischen Republik. Teil 1 (1945-1955). Berlin 1970, S. 208. Lehrpläne, S. 46. Vgl. Stundentafel für die Grund- und Oberschule. In: Monumenta Paed-
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agogica. Bd. 4 : Dokumente zur Geschichte des Schulwesens in der Deutschen Demokratischen Republik. Teil 1 (1945-1955). Berlin 1970, S. 218. Vgl. ebenda, S. 219. Vgl. Stundentafel für Berufsschulen. In: Ebenda, S. 205. Vgl. Gottfried Uhlig: Der Beginn der antifaschistisch-demokratischen Schulreform 1945-1946. In: Ebenda, Bd. 2. Berlin 1965, S. 133. Vgl. Lehrpläne, 2. Aufl. Berlin 1947, S. 37-40. Lehrpläne, S. 30. Ebenda, S. 5. Ebenda. Ebenda. Ebenda. Ebenda. Ebenda, S. 53. Anthologie der deutschen Meinung. Deutsche Antworten auf eine französische Umfrage. Konstanz 1948, S. 30 f.
107 Imperialismus und Kultur. Zur kulturellen Entwicklung in der B R D . Berlin 1975, S. 127 f. 108 Lehrpläne, S. 3. 109 Vgl. Laschitza, S. 162, 175, 180-183. 110 Lehrpläne, S. 5. 111 Ebenda, S. 54. 112 Ebenda, S. 5. 113 Ebenda. 114 Ebenda, S. 48. 115 Ebenda, S. 30. 116 Vgl. den Beitrag v. Ursula Reinhold im vorliegenden Band. 117 Heinrich Deiters: Wo stehen die Lehrgänge für Neulehrer? In: Die Neue Schule 1 (1946) 4, S. 131. 118 Wolfram Schlenker: Das „Kulturelle Erbe" in der DDR. Gesellschaftliche Entwicklung und Kulturpolitik 1945-1965. Stuttgart 1977, S. 62. 119 Zur Demokratisierung der Schule. Rede Paul Wandels auf dem I. Pädagogischen Kongreß. In: Monumenta Paedagogica. Bd. 4 : Dokumente zur Geschichte des Schulwesens in der Deutschen Demokratischen Republik. Teil 1 (1945-1955). Berlin 1970, S. 224. 120 Grundsätze der Erziehung in der deutschen demokratischen Schule. Gebilligt vom II. Pädagogischen Kongreß. In: Ebenda, S. 247. 121 Vgl. Pädagogische Bewegung. In: Ebenda, S. 275. 122 Vgl. Karl Ernst Reuter: Die Schulgruppen der F D J . In: Ebenda, S. 268 bis 269. 123 Vgl. Zur Demokratisierung der Schule. Rede Paul Wandels auf dem I. Pädagogischen Kongreß. In: Ebenda, S. 224. 124 Aufruf des I. Pädagogischen Kongresses. In: Ebenda, S. 230. 125 Frank Trommler: Die Kulturpolitik der D D R und die kulturellen Tradi-
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tionen des deutschen Sozialismus. In: Literatur und Literaturtheorie in der DDR. Frankfurt/M. 1976, S. 19. Ebenda. Bertolt Brecht: Schriften zum Theater. Bd. 6, Berlin-Weimar 1964, S. 330. Vgl. Festschrift der Stadt Berlin zum hundertjährigen Bestehen der Volksbüchereien. Berlin 1950, S. 27. Vgl. Lotte Bergtel-Schleif: Der Neuaufbau der Berliner Volksbüchereien. In: Der Volksbibliothekar 1 (1946) 1, S. 41. Vgl. Festschrift der Stadt Berlin zum hundertjährigen Bestehen der Volksbüchereien. Berlin 1950, S. 27. Lotte Bergtel-Schleif: Der Neuaufbau der Berliner Volksbüchereien. In: Der Volksbibliothekar 1 (1946) 1, S. 41. Vgl. ebenda. Wolfgang Mühle: Die Entwicklung des Bibliothekswesens in der Deutschen Demokratischen Republik. Lehrbrief. Berlin 1973, S. 14. Vgl. Büchereigesetz des Landes Sachsen. Gesetz zur Demokratisierung des Bücherwesens vom 4. Februar 1949. Abgedr. in: Der Volksbibliothekar 4 (1949) 1, S. 11-13. Vgl. ebenda. Satzung für Volksbüchereien. In: Der Volksbibliothekar 1 (1946) 1, S. 54. Vgl. Von der Ausleihbarkeit einer Berliner Volksbücherei. Unveröffentl. Ms. des Zentralinstituts für Bibliothekswesen. Berlin 1947. Vgl. H. Schüler: Aus einer Tagesausleihe. In: Der Volksbibliothekar 1 (1946) 2, S. 102. Vgl. Die Betriebsergebnisse der Städtischen Bücherhallen im Betriebsjahr 1947/1948. Stadt- und Bezirksbibliothek. Leipzig 1948. Unveröffentl. Ms. In den Berliner Volksbüchereien betrug 1946 der Anteil der männlichen erwachsenen Leser 29,2 Prozent, der weiblichen Jugendlichen 12,8 Prozent. (Vgl. Die Berliner Volksbüchereien im Spiegel der Statistik. 1. 8. 1945 bis 31. 3. 1946. Berliner Stadtbibliothek 1946. Unveröffentl. Ms.) Vgl. Carl Mones: Der Stand des Bibliothekswesens in der sowjetisch besetzten Zone. In: Der Volksbibliothekar 3 (1948) 3, S. 130. Liste der auszusondernden Literatur. Vorwort zum ersten Nachtrag. Berlin 1947, S. 6. Vgl. Carl Mones: Der Stand des Bibliothekswesens in der sowjetisch besetzten Zone. In: Der Volksbibliothekar 3 (1948) 3, S. 130. Ebenda. Vgl. ebenda. Ebenda. Vgl. Kulturaufbau. Das Leipziger Volksbildungsamt 1946/47. Leipzig 1947, S. 77. Vgl. ebenda, S. 80.
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149 Siegfried Schiller: Berliner Stadtbibliothek und allgemeinbildende Bibliotheken. In: Der Bibliothekar 30 (1967) 10, S. 661. 150 Ebenda. 151 Klaus Ziermann: Romane vom Fließband. Berlin 1969, S. 46. 152 Lotte Bergtel-Schleif: Möglichkeiten volksbibliothekarischer Arbeit unter dem Nationalsozialismus. In: Der Volksbibliothekar 2 (1947) 4, S. 200. 153 Irene Woita: Gedanken zum Wirken einer Berliner Fachschule für Bibliothekare in den Jahren 1945-1949. In: Kommunisten im Kampf für ein neues Bibliothekswesen. Leipzig 1977, S. 47. 154 Vgl. ebenda. 155 Ebenda, S. 49. 156 Ebenda. 157 Willi Köhler: Büchereien in sowjetischen Kriegsgefangenenlagern. In: Der Volksbibliothekar 3 (1948) 6, S. 355. 158 Ebenda, S. 356. 159 Ebenda. 160 Vgl. Siegfried Schiller: Berliner Stadtbibliothek und allgemeinbildende Bibliotheken. In: Der Bibliothekar 30 (1967) 10, S. 662. - Bei Kindern und Jugendlichen liegen die Zahlen noch weit höher - bei ersteren über 80 Prozent, bei letzteren zwischen 60 und 70 Prozent. 161 Jost Hermand: Das Gute-Neue und das Schlechte-Neue: Wandlungen der Modernismus-Debatte in der DDR seit 1956. In: Literatur und Literaturtheorie in der DDR. Frankfurt/M. 1976, S. 88. 162 Ebenda. 163 Lesen. Ein Handbuch. Hg. v. Alfred Clemens Baumgärtner. Hamburg 1974, S. 102. 164 Ebenda. 165 Ebenda. 166 Vgl. Klaus Ziermann: Romane vom Fließband. Berlin 1969, S. 100-101. 167 Vgl. ebenda. 168 Ebenda, S. 107. 169 Ebenda, S. 109. 170 Stephan Hermlin: Die Goethe-Fassade. In: TR v. 8. 8. 1948, S. 4. 171 Ebenda. 172 Ebenda. 173 Der Anfang von Schönheit und Reichtum. Begegnungen mit sowjetischen Kulturoffizieren. L. A. Dubrowitzki. In: Sonntag v. 23. 3. 1975, S. 10. 174 Alexander Dymschitz: Rückblick und Ausblick. Rede auf der Schlußsitzung des 1. Künstlerkongresses am 30. 10. 1946 in Dresden. In: Sonntag v. 10. 11. 1946, S. 2. 175 Der Faschismus hat sie gemordet. In: TR v. 8. 7. 1945, S. 2. 176 Jan Petersen: Zeitgeschichte - dichterisch gestaltet. Zum epischen Werk Bodo Uhses. In: TR v. 29. 4. 1947, S. 4.
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Vgl. Alfred Kantorowicz: Tag des freien Buches.In: TR v.10.5.1947, S. 5. Politisches oder unpolitisches Buch? In: Sonntag v. 20. 6. 1948, S. 6. In: Sonntag v. 13. 6. 1948, S. 8. Ebenda. Gustav Leuteritz: Der mitschöpfende Leser. In: Ebenda, S. 7. Ebenda. Ebenda. Gustav Leuteritz: Deutschland - ein Wintermärchen. In: TR v. 29. 12. 1945, S. 3. Willy Pfeiffer: Lessing - ein Erzieher des Menschengeschlechts. In: TR v. 14. 2. 1946, S. 3. Marietta Schaginjan: Goethe als Mahner. In: TR v. 22. 2. 1946, S. 4. Walter Kiewert: Maxim Gorkis Roman „Die Mutter". In: TR v. 4. 5. 1946, S. 3. Gustav Leuteritz: Bücher, die wir vermissen. Von Lücken innerhalb der neuen deutschen Literatur. In: TR v. 27. 7. 1946, S. 3. Ein Arbeiterdichter erzählt. Erste Begegnung mit Hans Marchwitza in Berlin. In: TR v. 14. 6. 1947, S. 4. Volksdichter und Rhapsode. In: TR v. 18. 1. 1946, S. 3. Ein Romanepos der Arbeiterbewegung. Willi Bredels „Verwandte und Bekannte". In: TR v. 28. 4. 1946, S. 3. Gespräch mit Willi Bredel. Ein Dichter des schaffenden Volkes. In: TR v. 4. 11. 1945, S. 3. Bei Johannes R. Becher. In: TR v. 12. 7. 1945, S. 2. Gustav Leuteritz: Die deutsche Literatur und der Imperialismus. Bemerkungen zu einen Schrift von Georg Lukäcs. In: TR v. 16. 10. 1945, S. 3. Rez. zu: Das siebte Kreuz. In: TR v. 21. 8. 1946, S. 3. Jan Petersen: Zeitgeschichte - dichterisch gestaltet. Zum epischen Werk Bodo Uhses. In: TR v. 29. 4. 1947, S. 4. Vorbemerkung zu: Georg Lukäcs: Briefwechsel der Meister. In: TR v. 10. 12. 1946, S. 3. Ebenda. Günther Steffen: Miller, die Revolte gegen das Surrogat. In: Tagesspiegel v. 31. 7. 1947, Beiblatt S. II. Ebenda. Der Mythos der Frau von morgen. In: Tagesspiegel v. 19. 7. 1947, Beiblatt S. II. Vgl. ebenda. Bruno E. Werner: Liebe und Tod in unserer Zeit. Zu Hemingways Roman „Wem die Stunde schlägt". In: Die Neue Zeitung v. 6. 3. 1949, S. 5. Vgl. Karl Jaspers: Wohin treibt die Bundesrepublik? Tatsachen - Gefahren — Chancen. München 1966. Vgl. Wilfried G. Burchett: Der kalte Krieg in Deutschland. Berlin 1950, S. 378 f.
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206 Heinrich Walter: Zeitung als Aufgabe. Wiesbaden 1954, S. 214. Vgl. Georg Lukäcs: Maxim Gorki und das Ethos der Arbeit. In: N D v. 207 16. 6. 1946, S. 3. Georg Lukäcs: Dichtung aus der Solidarität. Das Werk Martin Andersen 208 Nexös. In: TR v. 9. 7. 1947, S. 4. Ebenda. 209 Ebenda. 210 Ebenda. 211 Ebenda. 212 Ebenda. 213 Ebenda. 214 Ebenda. 215 Franz Fühmann: Zweiundzwanzig Tage oder die Hälfte des Lebens. Ro216 stock 1973, S. 151. Vgl. Inge von Wangenheim: Die Flucht aus der Wirklichkeit. Surrealismus 217 geistiges Spielzeug, Mode oder Kunstform? In: TR v. 24. 4. 1947, S. 4. Vgl. u. a. Alexander Dymschitz: Probleme der heutigen Sowjetkunst. In: 218 TR v. 11. 10. 1946, S. 4. Alexander Fadejew: Der sozialistische Realismus und die Romantik. In: 219 TR v. 13. 7. 1947, S. 4. Ebenda. 220 221 TR v. 18. 10. 1945, S. 3. - Hugo Huppert bemerkt in seinen Erinnerungen, daß der Ausspruch auf Ossip und Lilja Brick zurückgeht. Vgl. ders.: Wanduhr mit Vordergrund. Halle 1977. S. 535 f. 222 Elisabeth Borhardt: Gedichte von Wladimir Majakowski. In: N D v. 6. 7. 1946, S. 3. 223 Dem Andenken Majakowskis. Eindrucksvolle Feierstunde im Haus der Kultur der Sowjetunion. In: TR v. 16. 4. 1947, S. 4. 224 N. Sabara: Der große Dichter der Epoche. In: TR v. 14. 4. 1946, S. 4. 225 Stephan Hermlin: Majakowski oder die Entlarvung der Poesie. In: TR v. 4. 1. 1948, S. 4. 226 Ebenda. 227 Ebenda. 228 Ebenda. 229 Ebenda. 230 Ebenda. 231 Stephan Hermlin: Lektüre. 1960-1971. Berlin-Weimar 1973, S. 168. 232 Alfred Kantorowicz: Heinrich Mann besichtigt sein Zeitalter. In: TR r . 4. 1. 1948, S. 4. 233 M. Persikow: „Ein Lehrbuch des Proletariats". In-, TR v. 17. 6. 1949, S. 4. 234 Fritz Erpenbeck: Dichter aus Leidenschaft zur Wahrheit. In: TR v. 23. 12. 1948, S. 3. 235 Alexander Puschkin - Dichter der Freiheit. In: TR v. 5. 6. 1949, S. 4. 236 Bruno Kaiser: Puschkin in Deutschland. In: TR v. 5. 6. 1949, S. 4.
304
237 Vom Arbeiterkorrespondenten zum Schriftsteller. In: TR v. 22. 12. 1948, Beilage S. II. 238 Vgl. Keine Konzessionen an den Publikumsgeschmack, öffentliche Diskussion im Dietz Verlag. In: Börsenblatt 115 (1948) 26, S. 260. 239 Neue Wege der Buchkritik. In: Ebenda 120 (1953) 31, S. 298. 240 Literatur auf dem Prüffeld. Eine Belegschaftsversammlung in Oberschöneweide diskutiert über einen Roman. In: Berliner Zeitung v. 26. 2. 1949. 241 Vgl. Ingeborg Münz-Koenen: Zur Reportageliteratur der fünfziger Jahre. In: WB 23 (1977) 1, S. 38-71. 242 Werner Krauss: Über den Anteil der Buchgeschichte an der literarischen Entfaltung der Aufklärung. In: Studien zur deutschen und französischen Aufklärung. Berlin 1963, S. 73-155 (Neue Beiträge zur Literaturwissenschaft Bd. 16). 243 Vgl. dazu Dieter Schlenstedt: Prozeß der Selbstverständigung. Aspekte der Funktionsbestimmung in unserer neuen Literatur. In: WB 22 (1976) 12, S. 5-37. 244 Vgl. Badstübner, S. 1332. 245 Vgl. Konrad Franke: Die Literatur der Deutschen Demokratischen Republik. Neubearb. Aufl. mit drei einführenden Essays von Heinrich Vormweg. Zürich-München 1974, S. 34.
Ursula Reinbold Humanismus und Realismus in der Diskussion (1945 bis 1949) 1 2 3 4 5
6 7 8 9 10
11
20
Kunstwerk 1, S. 197. Ebenda. Günther Weisenborn: Das Theater der Zukunft. In: TR 1946, Nr. 281. Laschitza, S. 207. Wilhelm Pieck: Um die Erneuerung der deutschen Kultur. In: Um die Erneuerung der deutschen Kultur. Zentrale Kulturtagung der KPD, 3.-5. Februar 1946 in Berlin, S. 13. Ebenda, S. 14. Alexander Abusch: Die geistigen Folgen der unvollendeten Revolution. In: Aufbau 4 (1948) 4, S. 275. Vgl. ebenda. - Das gesamte Heft ist der Märzrevolution von 1848 gewidmet. Thomas Mann: Vom kommenden Sieg der Demokratie. In: Aufbau 1 (1945) 1, S. 46. Wolfgang Borchert: Das ist unser Manifest. In: Wolfgang Borchert: Das Gesamtwerk. Mit einem biographischen Nachwort v. Bernhard Meyer-Marwitz. Halle/Saale 1961, S. 372 u. 373. Karl Jaspers: Über die Bedingungen und Möglichkeiten eines neuen Humanismus. In: Die Wandlung. 4 (1949) 8, S. 712. DDR-Literatur
305
12 13 14 15
Ebenda, S. 711. Ebenda, S. 719. Ebenda, S. 726. Die Wandlung stellte mit dem 4. Jahrgang, Heft 8, ihr Erscheinen ein, nachdem Werner Krauss im Sommer 1948 einen Lehrauftrag in Leipzig angenommen hatte und aus dem Kreis der Herausgeber ausschied. Das Schicksal der Zeitschrift ist einerseits ein Beleg für die politische Konfrontation in Deutschland, zum anderen offenbart sie das Dilemma des Versuchs, eine „Erneuerung im Geiste" vorzunehmen. 16 Gottfried Benn: Gesammelte Werke. Bd. 2. Wiesbaden 1958, S. 206. 17 Wilhelm Pieck: Um die Erneuerung der deutschen Kultur. In: Um die Erneuerung der deutschen Kultur. Zentrale Kulturtagung der KPD, 3.-5. Februar 1946 in Berlin, S. 16. 18 Zit. nach: Frankfurter Rundschau v. 28. 7. 1949. 19 Thomas Mann: Humanismus und Humaniora. 1936. In: Thomas Mann: Gesammelte Werke. Berlin 1955. Bd. 11, S. 446-447. 20 Ebenda, S. 444-445. 21 Vgl. Dieter Schiller: „. . . von Grund auf anders". Programmatik der Literatur im antifaschistischen Kampf während der dreißiger Jahre. Berlin 1974, S. 220 ff. (Literatur und Gesellschaft). 22 Thomas Mann: Goethe und die Demokratie. In: Die Wandlung 4 (1949) 7, S. 544. - Diesen Vortrag hielt Thomas Mann während seiner europäischen Reise im Sommer 1949 in verschiedenen Städten Westeuropas, u. a. in München vor dem Schutzverband Deutscher Schriftsteller. Die Wandlung brachte den Erstdruck. 23 Ebenda, S. 524-525. 24 Befreier, S. 294. 25 Paul Rilla: Goethe in der Literaturgeschichte. Berlin 1949. 26 Karl Jaspers: Unsere Zukunft und Goethe. In: Die Wandlung 2 (1947) 7, S. 575. 27 Befreier, S. 323. 28 Gerhard Scholz: Zur Lage der akademischen Goetherezeption in Deutschland. In: Forum 4 (1949) 8/9, S. 10. 29 Befreier, S. 304. 30 Ebenda, S. 316. 31 Edith Braemer/Hedwig Voegt: Die Forderung des Tages. Ein GoetheBild für den deutschen Werktätigen. Berlin 1949, S. 71. 32 Befreier, S. 328. 33 Ebenda. 34 Ebenda, S. 318. 35 Ebenda, S. 319. 36 Heinz-Wilfried Sabais: Vom klassischen zum modernen Humanismus. In: Aufbau 3 (1947) 8, S. 76. - Sabais war damals Mitarbeiter am Goethe-
306
Schiller-Archiv in Weimar und Nachwuchslyriker. E r ging 1950 nach Westdeutschland, wo er seither in Verwaltungsfunktionen tätig ist. 37 Johannes R. Becher: Brief an Frank Thieß. I n : D i e große Kontroverse. Ein Briefwechsel um Deutschland. Hg. u. bearb. v. J . F . G . Grosser. Hamburg 1963, S. 101. 38 Frank Thieß. In: Ebenda, S. 24. 39 Sämtliche Zitate beziehen sich auf das nicht veröffentlichte Protokoll des Kongresses. Sofern einzelne Reden veröffentlicht wurden
(z. B.
Becher,
Seghers, Hermlin), wird nach den entsprechenden Quellen zitiert. 40 Günther Weisenborn. I n : Protokoll, S. 21. 41 Elisabeth Langgässer. I n : Ebenda, S. 43. 42 Ebenda, S. 323. 43 Alfred Kantorowicz verließ 1957 die D D R und hat sich seitdem auf offen antikommunistische Positionen begeben. 44 Klaus Gysi. I n : Protokoll, S. 123. 45 Wolfgang Harich. I n : Ebenda, S. 157. 46 Axel Eggebrecht. I n : Ebenda, S. 224. 47 Günter Birkenfeld. I n : Ebenda, S. 328. 48 Kunstwerk 1, S. 74. 4 9 Ernst Niekisch. I n : Protokoll, S. 251. 50 Theodor Plievier: Über die Freiheit. In: Literatur und Politik. Sieben Vorträge zur heutigen Situation in Deutschland. Konstanz 1948, S. 112. 51 Erich Weinert. In: Protokoll, S. 274. 52 Stephan Hermlin: W o bleibt die junge Dichtung? I n : Kritik in der Zeit. Halle/Saale 1970, S. 115. 53 Erich Weinert. I n : Protokoll, S. 279. 54 Friedrich Wolf. In: Ebenda, S. 414. 55 Ebenda, S. 428. 56 Vgl. dazu besonders die Publikation von Simone Barck: Johannes R. Bechers Publizistik in der Sowjetunion 1 9 3 5 - 1 9 4 5 . Berlin 1976, S. 160 (Literatur und Gesellschaft). 57 Johannes R. Becher: Gedenkrede auf die Dichter, die für Deutschlands Freiheit starben. I n : Verteidigung der Poesie. Berlin 1960, S. 554. 58 Ebenda, S. 50. 59 Johannes R. Becher: Der politische Dichter. I n : Von der Größe unserer Literatur. Reden und Aufsätze. Berlin-Weimar 1971, S. 389. 60 Befreier, S. 318. 61 Johannes R. Becher: Vom Willen zum Frieden. I n : Kritik in der Zeit. Halle/Saale 1970, S. 109. 62 Ebenda, S. 102 u. 103. 6 3 Ebenda, S. 107 u. 108. 64 Willi Bredel. In: Protokoll, S. 267. 6 5 Johannes R. Becher: Deutsches Bekenntnis. I n : Aufbau 1 (1945) 1, S. 9. 66 Vgl. dazu Ausblick (1945) 2 ; Stimmen der Zeit (1946) 3. 20»
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67 Wolfgang Weyrauch: Die germanische Unschuld Ernst Jüngers. In: TR v. 25. 6. 1946. 68 Ernst Wiechert: Über die Kunst und die Künstler. In: Aufbau 2 (1946) 1, S. 8. 69 Ebenda, S. 1. 70 Vgl. TR v. 29. 5. 1946. 71 Ernst Wiechert: Der Totenwald. Berlin 1946, S. 75. 72 Emst Wiechert: Über die Kunst und die Künstler. In: Aufbau 2 (1946) 1, S. 5. 73 Vgl. dazu Anton Ackermann: Unsere kulturpolitische Sendung. In: Um die Erneuerung der deutschen Kultur. Berlin 1946; Otto Grotewohl: Die geistige Situation der Gegenwart und der Marxismus. In: Erster Kulturtag. 74 Anton Ackermann: Unsere kulturpolitische Sendung. In: Um die Erneuerung der deutschen Kultur. Berlin 1946, S. 39. 75 Ebenda, S. 46. 76 Friedrich Wolf: Diskussionsbeitrag auf dem Ersten Kulturtag der SED. In: Erster Kulturtag, S. 60. 77 Otto Grotewohl: Die geistige Situation der Gegenwart und der Marxismus. In: Ebenda, S. 62. 78 Anton Ackermann: Unsere kulturpolitische Sendung. In: Um die Erneuerung der deutschen Kultur. Berlin 1946, S. 52. 79 Ilse Korn: Dükussionsbeitrag auf dem Ersten Kulturtag der SED. In: Erster Kulturtag, S. 243. 80 Heinz von Cramer: Realismus und Abstraktion. In: Aufbau 3 (1947) 12, S. 407. 81 Aufbau 4 (1948) 3, S. 183 u. 184. 82 Heinz von Cramer: Realismus und Abstraktion. In: Aufbau 3 (1947) 12, S. 407. 83 Gerhart Pohl: [Rez. zu] Ernst Kreuder: Die Gesellschaft vom Dachboden. In: Aufbau 2 (1946) 8, S. 457. 84 Gerhart Pohl: Magischer Realismus? In: Aufbau 4 (1948) 8, S. 651. 85 Frank Thieß: Geistige Revolution. In: Zeitenwende. München 1.947, S. 25. 86 Hermann Kasack: Die Stadt hinter dem Strom. Berlin 1947, S. 489. 87 Stephan Hermlin: Wo bleibt die junge Dichtung? In: Kritik in der Zeit. Halle/Saale 1970, S. 112. 88 Georg Lukäcs: Wozu braucht die Bourgeoisie die Verzweiflung? In: Schicksalswende. Beiträge zu einer neuen deutschen Ideologie. Berlin 1956, S. 151 bis 152. 89 Dieses Demokratieverständnis hatte zur Folge, daß Lukäcs die gesellschaftliche Umwälzung in der sowjetischen Besatzungszone nicht als erste Phase eines einheitlichen revolutionären Prozesses begriff. Das erweist sich u. a. in seiner Einschätzung der sozialistischen Literatur, deren unterschiedliche Elemente und zeitliche Entwicklungsphasen er voneinander abtrennt und an der er Kritik übt, wobei er seine Normen vom modernen kritischen
308
Realismus bezog. Der „junge(n) Literatur der deutschen
Arbeiterklasse,
Bredel, Marchwitza, Weinert, W o l f " bescheinigt er „asketische Trockenheit im Künstlerischen" und Bertolt Brecht eine zu direkte Verbindung zwischen „formaler Darstellungsweise" und sozialpädagogischen Absichten. „So geht auch Brechts Kritik (an der Kunst der kapitalistischen Gesellschaft - U. R.) am sozialen Gehalt vorbei und macht aus der erwünschten gesellschaftlichen Erneuerung der Literatur ein - freilich interessantes und geistreiches -
Formexperiment." -
Vgl. Georg Lukäcs:
Deutsche
Literatur im Zeitalter des Imperialismus. Eine Übersicht ihrer Hauptströmungen. Berlin 1945, S. 54 u. 57. 90 Ebenda, S. 5. 91 Gottfried Benn: Gesammelte Werke. Bd. 4. Wiesbaden 1958, S.
181.
92 Ebenda, Bd. 1, S. 546. 9 3 Ebenda, S. 500. 94 Peter Reichel: Künstlermoral. Berlin 1974, S. 69. 9 5 Ursula Wertheim: D i e marxistische Rezeption des klassischen Erbes. I n : Positionen. Beiträge zur marxistischen Literaturtheorie in der D D R . Hg. v. Werner Mittenzwei. Leipzig 1969, S. 491 (Sprache und Literatur, Reclams Universal-Bibliothek. Bd. 4 8 2 ) . 96 Georg Lukäcs: Das innere Licht ist die trübste Beleuchtungsart. I n : Aufbau 1 (1945) 1, S. 52. 97 Paul Rilla: Literatur. Kritik und Polemik. Berlin 1950, S. 338. 98 Ebenda, S. 367. 9 9 Ebenda, S. 364. 100 Ebenda, S. 368. 101 Wolfgang Weyrauch: Die junge Dichtung und ihr hohes Ziel. I n : T R v. 21. 5 . 1 9 4 6 , S. 3. 102 Wolfgang Weyrauch: Realismus der Unmittelbarkeit. I n : Aufbau 2 (1946) 7, S. 667. 103 Wolfgang Weyrauch: Die junge Dichtung und ihr hohes Ziel. I n : T R v. 21. 5. 1946, S. 3. 104 Hans Werner Richter: Literatur im Interregnum. I n : D e r Ruf (1946) 8, S. 13. 105 Ebenda. 106 Vgl. dazu Alfred Andersch: Literatur in der Entscheidung. München 1948, S. 30. 107 Wolfgang Weyrauch: Die junge Dichtung und ihr hohes Ziel. I n : T R v. 21. 5 . 1 9 4 6 , S. 3. 108 Paul Rilla: Literatur. Kritik und Polemik. Berlin 1950, S. 51. 109 Ebenda, S. 53. 110 Otto Grotewohl: D i e geistige Situation der Gegenwart und der Marxismus. I n : Erster Kulturtag, S. 65. 111 Johannes R. Becher: Auswahl in 6 Bdn. Bd. 5. Berlin i 9 6 0 , S. 194.
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112 Anton Ackermann: Marxistische Kulturpolitik. In: Erster Kulturtag, S. 196. 113 Vgl. dazu den Beitrag von Leonore Krenzlin in diesem Band. 114 Greta Kuckhoff: Die künstlerische Gestaltung der illegalen Arbeit in Deutschland. In: Aufbau 2 (1946) 11, S. 1163. 115 Paul Rilla: Die Erzählerin Anna Seghers. In: Literatur. Kritik und Polemik. Berlin 1950, S. 224. 116 Ebenda, S. 228. 117 Alexander Abusch: Die Diskussion in der Sowjetunion und bei uns. In: Literatur im Zeitalter des Sozialismus. Berlin 1967, S. 93. 118 August Scholtis: Sozialistischer Realismus? In: Tagesspiegel 1947, 276/III. 119 B. T. Gorbatow: Gespräch. In: TR v. 10. 10. 1947, S. 2. 120 Hans March witza: An der Schwelle neuer Gestaltung. In: T R v. 15. 5. 1949, S. 6. 121 Bodo Uhse: Von der Bedeutung des Auftrags. In: Kritik in der Zeit. Der Sozialismus - seine Literatur - ihre Entwicklung. Hg. v. Klaus Jarmatz. Halle/Saale 1970, S. 153. 122 Eine Diskussion über den sozialistischen Realismus zwischen sowjetischen Schriftstellern und deutschen Kollegen. In: Ebenda, S. 134. 123 Karl Grünberg: Gegenwartsnah und nicht eng in der Stoffwahl. In: TR v. 15. 5.1949, S. 6. 124 Eine Diskussion über den sozialistischen Realismus zwischen sowjetischen Schriftstellern und deutschen Kollegen. In: Kritik in der Zeit. Der Sozialismus - seine Literatur - ihre Entwicklung. Hg. v. Klaus Jarmatz. Halle/ Saale 1970, S. 135. 125 Kunstwerk 3, S. 233.
Leonore
Krenzlin
Theoretische Diskussionen und praktisches Bemühen um die Neubestimmung der Funktion der Literatur an der Wende der fünfziger Jahre 1 Vgl. Anna Seghers: Briefe an Freunde im Westen. Über eine Reise in die Sowjetunion. In: TR (II. Ausg.) v. 29. 5. 1954. Wiederabgedruckt in: Kunstwerk 2, S. 165-175 unter dem Titel: Über die Entstehung von „Krieg und Frieden". Brief an Jorge Amado. 2 Kunstwerk 2, S. 165. 3 Ebenda, S. 260. 4 Ilja Ehrenburg: Über die Arbeit des Schriftstellers. Berlin 1954, S. 23. 5 Ebenda, S. 5. 6 Kunstwerk 2, S. 169. 7 Ilja Ehrenburg: Über die Arbeit des Schriftstellers. Berlin 1954, S. 19. 8 Ein Zeugnis dieses Bemühens ist z. B. der Text Kleiner Bericht aus meiner Werkstatt. In: Kunstwerk 2, S. 11-15.
310
9 Vgl. Friedrich Albreoht: Die Erzählerin Anna Seghers 1926-1932. Berlin 1965, S. 171-175. 10 Kunstwerk 2, S. 169. 11 W. I. Lenin:: Parteiorganisation und Parteiliteratur. In: W. I. Lenin: Werke. Bd. 10. Berlin 1958, S. 30. 12 Vgl. N D L (1952) Sonderheft. 13 Vgl. der Abschnitt Parteiorganisation und Parteiliteratur in: GLL, S. 237 bis 253. - Lenin legt in seinem Aufsatz das Gewicht vor allem auf die publizistische Literatur, doch ist bei ihm Literatur als Kunst tendenziell immer mitgemeint. 14 Lenin: Parteiorganisation und Parteiliteratur. In: W. I. Lenin: Werke. Bd. 10. Berlin 1958, S. 31. 15 Vgl. dazu Engels an Conrad Schmidt. In: Marx/Engels: Werke. Bd. 37. Berlin 1967, S. 488-495. 16 Vgl. dazu auch GLL, S. 79-82. 17 Künstler und Schriftsteller im Zweijahresplan. In: N D v. 4 . 9 . 1 9 4 8 , S. 3. 18 Vgl. zum folgenden Geschichte der SED, S. 159-160, S. 171-176, S. 180 bis 181, S. 184-187. 19 Dokumente der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. Bd. 2. Berlin 1950, S. 114. Zit. nach: Geschichte der SED, S. 186-187. 20 Zu diesem Thema sprach Willi Stoph. Vgl. Künstler und Schriftsteller im Zweijahresplan. In: N D v. 4. 9.1948, S. 3. 21 Bekenntnis und Verpflichtung. Anton Ackermann über die neuen Aufgaben der sozialistischen Schriftsteller und Künstler. In: N D v. 5 . 9 . 1 9 4 8 , S. 5. 22 Walter Ulbricht: Zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Bd. 3. Berlin 1953, S. 312-316. - Dieser Diskussionsbeitrag wurde seinerzeit im N D nicht veröffentlicht. 23 Ruf an die Künstler und Schriftsteller. In: N D v. 7 . 9 . 1948, S. 3. 24 Etwa auf der gemeinsamen Arbeitstagung des Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands und des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes am 28. u. 29. 10. 1948. Vgl. Der Zweijahrplan und die Kulturschaffenden. Protokoll der gemeinsamen Arbeitstagung des Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands, des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes und der Gewerkschaft Kunst und Schrifttum am 28. u. 29. Oktober 1948 in Berlin. Berlin 1949. 25 Ein solches Schema liegt nicht nur militant antikommunistischen Arbeiten zugrunde — etwa Hans-Dietrich Sanders Geschichte der schönen Literatur in der DDR. Ein Grundriß. (Freiburg 1972); es bestimmt auch den Blickwinkel von Autoren, die in ihrem Selbstverständnis ein freundliches Verhältnis zur DDR-Literatur haben. So bewertet der im ganzen sachbezogene und informative Aufsatz von Lutz-W. Wolff Auftraggeber: Arbeiterklasse. Proletarischer Betriebsroman 1948-1956 die sogenannten Betriebsromaine danach, wie weit sie gegenüber der „Einheitsfrontpolitik der S E D " eine proletarische „Kritik von unten" artikulieren. In: Einführung in Theorie, Ge-
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schichte und Funktion der DDR-Literatur. Hg. v. Hans-Jürgen Schmitt. Stuttgart 1975, S. 286. 26 Walter Ulbricht: Zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Bd. 3. Berlin 1953, S. 313. 27 Arbeitsjournale, S. 4 5 4 - 4 5 5 . Eintragung vom 23. 10. 1948. 2 8 Eduard Claudius: Ruhelose Jahre. Erinnerungen. Halle/Saale 1968, S. 57. 29 Willi Bredel: Das schweigende Dorf. I n : Willi Bredel: Auf den Heerstrar ßen der Zeit. Erzählungen. Berlin 1957, S. 5 2 6 - 5 7 2 . 30 D i e Druckfassung trägt (für den Abschluß der Arbeit am Text?) den Vermerk „Oktober 1 9 4 8 " (vgl. ebenda, S. 572). Der Erstdruck erfolgte in: Willi Bredel: Das schweigende Dorf und andere Erzählungen. Rostock 1949. - Das Bredel-Archiv der Akademie der Künste der D D R schließt aus äußeren Anhaltspunkten der undatierten Manuskripte, daß die erste Fassung der Erzählung 1946/47 entstanden sein muß. 31 Bredel-Archiv der Akademie der Künste der D D R . Archiv-Nummer 547. Ich danke Frau Weißenfels, Mitarbeiterin des Archivs, für ihre freundliche Unterstützung. 32 E s ist wohl kein Zufall, daß gerade diese Erzählung später als Vorlage für eine Oper und ein Filmdrehbuch diente: Symbolische Bedeutsamkeit und emotionale Sprengkraft des Stoffes fordern eine solche Weiterverarbeitung trotz aller gestalterischen Schwächen der Erzählung - geradezu heraus. 33 Beispielsweise korrigiert sich der Held nach einer solchen Szene mit den Worten: „Besser gesagt, ich denke nur, daß es so war, nach alledem, was man mir erzählte." I n : Willi Bredel: Auf den Heerstraßen der Zeit. Erzählungen. Berlin 1957, S. 537. 34 Otto Gotsche: Tiefe Furchen. Roman des deutschen Dorfes. Halle/Saale 1949. 35 D e r Roman des deutschen Dorfes? I n : Sonntag v. 1 1 . 9 . 1 9 4 9 , S. 9. 36 Otto Gotsche leitete als erster Vizepräsident des Regierungsbezirks Merseburg die Durchführung der Bodenreform in diesem Bezirk. 37 Vgl. Friedrich Bühn: Lyrik zweier Welten. I n : Sonntag v. 26. 2 . 1 9 5 0 , S.
7.
38 Otto Gotsche führte diese Polemik temperamentvoll in seinem Artikel Der Gegenwart nicht ausweichen! (In: T R v. 28. 12. 1949, S. 4). 3 9 Ein Roman des deutschen Dorfes? I n : N D v. 30. 9 . 1 9 4 9 , S. 3. 40 Ludwig Turek: D i e Freunde. Erzählung aus der Zeit des Krieges. Berlin 1947. 41 Diskussion um ein Arbeiterbuch. I n : N D v. 3. 9 . 1 9 4 8 , S. 3. 42 Gustav Leuteritz: W o steht die Gegenwartsliteratur? I n : T R v. 12. 1 1 . 1 9 4 9 , S. 4. 43 Karl Grünberg: Sind die Schriftsteller allein schuldig? I n : T R v. 1 4 . 1 2 . 1949, S. 4. 4 4 Cläre M. Jung: Literarisches Neuland durchdringen. I n : T R v. 24. 11. 1949 S. 6.
312
45 Der Kulturplan. Verordnung über die Erhaltung und Entwicklung der deutschen Wissenschaft und Kultur, die weitere Verbesserung der Lage der Intelligenz und die Steigerung ihrer Rolle in der Produktion und im örtlichen Leben. Vom 31. März 1949. In: Schriftenreihe der Deutschen Wirtschaftskommission. Berlin o. J., S. 67-71. 46 Ebenda, S. 70. 47 Martin Böttcher: Dichter im Niemandsland? Eine kritische Betrachtung zur Literatur der Gegenwart. In: N D v. 12. 12. 1948, S. 4. 48 Gustav Leuteritz: Wo steht die Gegenwartsliteratur? In: N D v. 12.11. 1949, S. 4. 49 Wie sorgfältig die Partei bemüht war, einerseits auf die Gedankenwelt der bürgerlichen Intellektuellen einzugehen und andererseits die Anschlußstellen bloßzulegen, an denen ein konsequentes bürgerlich-humanistisches Konzept zu einer Beschäftigung mit der sozialistischen Alternative führen muß, läßt sich an der Rede Otto Grotewohls auf dem Ersten Kulturtag der SED vom 5.-7. Mai ablesen. Vgl. Otto Grotewohl: Die geistige Situation und der Marxismus. In: Otto Grotewohl: Deutsche Kulturpolitik. Dresden 1952, S. 1-40. 50 Ruf an die Künstler und Schriftsteller. In: N D v. 7.9.1948, S. 3. 51 Vgl. Wieland Herzfelde: Vorerst - Literatur der Widerstandskämpfer. In: TR v. 22.12.1949, S. 6. 52 Alexander Abusch: Über das Schaffen unserer Schriftsteller. In: N D v. 19. 12.1948, S. 4. 53 Vgl. Wieland Herzfelde: Vorerst - Literatur der Widerstandskämpfer. In: TR v. 22. 12. 1949, S. 6. - In seinem resümierenden Artikel merkt Stefan Heymann die Verkehrtheit dieser Schlußfolgerung kritisch an (vgl. Stefan Heymann: Grundlage für weitere kulturpolitische Erfolge. Ein Rückblick auf die bedeutendsten Ereignisse des kulturellen Lebens im Jahre 1949. In: N D v. 7.1. 1949, S. 4). 54 Anna Seghers: Rede auf dem II. Deutschen Schriftstellerkongreß 1950. In: Kunstwerk 1, S. 80-81. 55 Später wurden sogar besondere A-Läden eingeführt, in denen A-KartenInhaber, die die höchsten Zuteilungen erhielten, Lebensmittel von besserer Qualität kaufen konnten. Vgl. Die Diskussion: A-Läden eine Erleichterung? In: N D v. 8. 1. 1950, S. 2. 56 Vgl. Geschichte der SED, S. 189-192. - Der Leistungslohn wurde mit dem Befehl Nr. 234 der SMAD Über Maßnahmen zur Erhöhung der Arbeitsproduktivität und der weiteren Verbesserung der materiellen Lage der Arbeiter und Angestellten der Industrie und des Verkehrswesens im Oktober 1947 eingeführt. Vgl. ebenda, S. 164. 57 Ingeborg Münz-Koenen stellt die These auf, die Idealisierung der Motive für höhere Arbeitsleistungen, die für die Literatur jener Jahre charakteristisch ist, habe ihre „letzte Ursache in der Ökonomie der Übergangsperiode 313
selbst", insofern „das Leistungsprinzip als ein Grundprinzip der sozialistischen Ökonomie gleichsam übersprungen wurde" und erst seit dem Neuen Kurs im Juni 1953 allmählich in das ökonomische Konzept eingegangen sei (vgl. Ingeborg Münz-Koenen: Zur Reportageliteratur der fünfziger Jahre. In: W B 23 (1977) 1, S. 6 2 - 6 3 ) . Tatsächlich brachte jedoch der Neue Kurs lediglich die Korrektur übereilter und technisch nicht begründeter Normerhöhungen - das Prinzip, individuelle Arbeitsleistung durch materielle Interessiertheit zu stimulieren, lag den ökonomischen Maßnahmen von Anfang an zugrunde. So ging Walter Ulbricht bereits 1949 in einer Rede auf die gegen das Leistungsprinzip gerichteten Stimmungen in der Bevölkerung ein und erläuterte, daß Bezahlung und Versorgung nach dem Leistungsprinzip für den raschen industriellen Aufbau unumgänglich sind (vgl. Walter Ulbricht: Die HO verhilft allen zu einem besseren Leben. In: N D v. 20. 11. 1949, S. 4). Von der komischen Seite wird diese Tatsache sichtbar in einem anekdotischen Schnörkel, den Brecht im Arbeitsjournal notierte: „da ist das leistungsprinzip, das die russen anwenden, weil sie es als das zuletzt gefundene für das beste halten, felsenstein warf die russischen pajoks in seinem theater einmal zusammen und verteilte die dinge einigermaßen gleichmäßig; die russen kamen ihm drauf und entzogen ihm die pajoks für zwei monate völlig, die russen hatten die Ungleichheit der entlohnung, felsenstein hatte die eingleichung für produktionssteigernd befunden." (Arbeitsjournal, S. 461. Eintragung v. 9. 12. 1948.) Daß das Leistungsprinzip und die aus ihm resultierenden Konflikte in der Literatur jener Jahre keine Rolle spielten, ist nicht Reflex ihres Fehlens in der Realität -
vielmehr
Folge eines Literaturkonzepts, das nicht das Aufspüren und Bewußtmachen der Widersprüche, sondern Formulierung und Verbreitung neuer Verhaltensnormen ins Zentrum stellte. Vgl. S. 1 7 3 - 1 8 3 in diesem Band. 58 Walter Ulbricht: Zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Bd. 3. Berlin 1953, S. 313. 59 Zum Begriff der politisch-operativen Dichtung vgl. Gerhard Scholz: Bemerkungen zu Formfragen anläßlich von Laxness' „Hinke-Tord". In: J K 2 (1958) 12, S. 5 4 - 6 0 ; vgl. ferner Dieter Schiller: Die politische Lyrik des Dichters Kuba (Kurt Barthel) 1 9 3 4 - 1 9 4 7 . Phil.-Diss. Berlin 1965, S. 125 bis 130 (Kleiner Exkurs über politische Dichtung). 60 Alexander Abusch: Über das Schaffen unserer Schriftsteller. In: N D v. 1 9 . 1 2 . 1 9 4 8 , S. 4. 61 Zur Selbstverständigung der sozialistischen Schriftsteller im Exil zu diesen Fragen vgl. das beigebrachte Material. In: Dieter Schiller:
von Grund
auf anders". Programmatik der Literatur im antifaschistischen Kampf während der dreißiger Jahre. Berlin 1974 (Literatur und Gesellschaft). Zum Problem der Funktion künstlerischer Literatur vgl. das Kapitel Funktionen
der Literatur.
In: G L L , S. 4 3 7 - 4 9 3 .
314
Produktive
6 2 Die Bewußtheit, mit der die Spezifik der operativen Genres erörtert wurde, ist abzulesen an dem Entwurf zu einem Programm des Bundes proletarischrevolutionärer Schriftsteller (in: Zur Tradition der sozialistischen Literatur in Deutschland. Eine Auswahl von Dokumenten. Hg. u. kommentiert von der Deutschen Akademie der Künste zu Berlin, Sektion Dichtkunst und Sprachpflege, Abteilung Geschichte der sozialistischen Literatur. Berlin 1967, vgl. bes. S. 390-397). 63 Hans Lorbeer: Die Sieben ist eine gute Zahl. Halle/Saale 1953. 64 Vgl. Dieter Heinemann: Interview mit Hans Lorbeer. In: WB 17 (1971) 12, S. 6 8 - 6 9 u. 72. 65 Vgl. ebenda, S. 65-66. 66 Hans Lorbeer: Der Spinner. Berlin 1961. Erste Veröffentlichung in Moskau 1930 unter dem Titel: Ein Mensch wird geprügelt. 67 Anna Seghers: Die Entscheidung. Berlin 1959. - Eine differenzierte Analyse der Seghersschen Kompositionstechnik enthält das Kapitel Beispiel einer Rezeptionsvorgabe: Anna Seghers' Roman „Das siebte Kreuz" in: GLL, S. 395-418. 68 Lion Feuchtwanger: Erfolg. Drei Jahre Geschichte einer Provinz. Berlin 1952. 6 9 Vgl. Hans Lorbeer: Die Sieben ist eine gute Zahl. Halle/Saale 1953, S. 11 bis 12, S. 17-18. 70 Vgl. Dieter Heinemann: Interview mit Hans Lorbeer. In: W B 17 (1971) 12, S. 71. 71 Auf die Frage, wo er die hauptsächlichen Aufgaben für die Gegenwartsliteratur sehe, antwortet Lorbeer: „Den Schriftstellern Aufgaben zu stellen, ist immer so eine Sache. Ich bin skeptisch, ob dabei auch Literatur herauskommt, wenn die Aufgaben zu präzise gestellt werden. Ich denke nur - und gar nicht gern - an mein Buch Die Sieben ist eine gute Zahl. Das ist ein schlechtes Buch geworden, und ich möchte es nicht in die Ausgabe meiner Werke aufnehmen" (ebenda, S. 68). 72 Der Kampf gegen den Formalismus in Kunst und Literatur, für eine fortschrittliche deutsche Kultur. Referat von Hans Lauter. Vgl. Tagung, S. 30. 73 Harri Jünger: Russische Sowjetliteratur im Überblick. Leipzig 1970, S. 270. 74 Die These findet sich bei Autoren, deren Konzeptionen sich sonst stark voneinander unterscheiden. Vgl. Jan Peddersen: Die literarische Situation in der DDR. In: Handbuch der deutschen Gegenwartsliteratur. Hg. v. Hermann Kunisch. München 1965, S. 749; Hans-Dietrich Sander: Geschichte der Schönen Literatur in der D D R . Ein Grundriß. Freiburg 1972, S. 57 bis 60; Bernhard Greiner: Die Literatur der Arbeitswelt in der D D R . Heidelberg 1974, S. 63-66. 75 Bertolt Brecht: Das Typische. In: Bertolt Brecht: Schriften zur Literatur und Kunst. Bd. 2. Berlin-Weimar 1966, S. 339. 7 6 Literaturgeschichte, S. 210.
315
77 Vgl. zum folgenden Geschichte der S E D , S. 261-265. 78 Vgl. bes. den Diskussionsbeitrag von Paul Wandel in: Tagung, S. 6 9 - 7 9 . 79 Vgl. das Referat von Hans Lauter: Der Kampf gegen den Formalismus in Kunst und Literatur, für eine fortschrittliche deutsche Kultur. In: Tagung, S. 26-27. 80 Vgl. ebenda, S. 27-28. 81 Vgl. ebenda, S. 21. 82 Vgl. Literaturgeschichte, S. 206-207. 83 Das Gedicht hat folgenden Wortlaut: W Ä H R E N D D E S G R O S S E N S - B A H N - S T R E I K E S (Mai 1949) Nun kann nicht Nebel-Unsicherheit mehr sein. Denn nun ist Wissen um die Söhne und Erben Neros, Napoleons und des Mannes mit dem Schnurrbart, der sich Hitler nannte. Der dümmer war, als die vor ihm Gehenden, aber noch nicht so klug denn die, welche seine Spuren torkelnd nachziehen. Diese sind Ratten. Im Tragen der fressenden Krankheit Haß gegen ein freies, ruhig atmendes Sechstel der Erde, das wächst gegen das „Zur Sonne, zur Freiheit" im eigenen Land Deutschland. Das macht sie zu Ratten, hockend in großen Gittern eigensten Werkes. Sie heißt es treffen. Doch schärfer noch ihre Züchter deren Versuch sie sind und fertiges, verkaufbares Ding.
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Dadrum ist alles Wissen und kein Nebel mehr. Nun sind sie klar zu sehen aüe. Erkennt sie.
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In: Günter Kunert: Wegschilder und Mauerinschriften. Gedichte. Berlin 1950, S. 38-39. Vgl. Günter Kunert: Die literarische Irrfahrt. In: Sonntag v. 19. 2.1950. S. 5. Vgl Heinz Lüdecke: Eine literarische Irrfahrt des „Sonntag". In: N D v. 21. 2. 1950, S. 3. Tagung, S. 26-27. Vgl. dazu Autorenkollektiv unter Ltg. v. Heinz Heitzer: DDR - Werden und Wachsen. Zur Geschichte der Deutschen Demokratischen Republik. Berlin 1974. Vgl. z. B. Wilhelm Girnus: Stimmungsmache gegen das deutsche Volk. Hintergründe der S-Bahn-Provokation. In: N D v. 26. 5. 1949, S. 4; UGOPutsch - Paris - Volkskongreß. Wie die Berliner darüber denken. In: N D v. 28. 5. 1949, S. 6; Die Berliner S-Bahn wird fahren. In: N D v. 3. 6. 1949, S. 4; S-Bahn-Verkehr weiterhin blockiert. In: N D v. 15. 6. 1949, S. 6. Stefan Heymann: Jedem Stoff die ihm gemäße Form. In: N D L 3 (1955) 11, S. 123-127; vgl. zu dieser Tendenz in der Reportagenliteratur Ingeborg Münz-Koenen: Zur Reportageliteratur der fünfziger Jahre. In: WB 23 (1977) 1, S. 48-49. Vgl. Johannes R. Becher: Lied der blauen Fahne. In: Leben Singen Kämpfen. Liederbuch der Freien Deutschen Jugend. Hg. v. Zentralrat der Freien Deutschen Jugend. 2. erw. Ausg. Berlin [1950], S. 18-19. Vgl. Ilse und Hans Naumilkat: Bei dem Dröhnen der Maschinen. In: Ebenda, S. 28-29; Stephan Hermlin: Wir sind die Jugend dieser Zeit. In: Ebenda, S. 72-73. Vgl. Hermann Sczepanski: Tausend Traktoren. In: Ebenda, S. 42-43. Vgl. Hasso Grabner: Hört die Jugend. In: Ebenda, S. 36-37; Kuba: Die Freie Deutsche Jugend stürmt Berlin. In: Ebenda, S. 20-21. Vgl. Gustav von Wangenheim: Das Lied von Berlin. In: Ebenda, S. 22 bis 23. Bertolt Brecht: Aufbaulied der FDJ. In: Ebenda, S. 14-17. Hasso Grabner: Hört die Jugend. In: Ebenda, S. 36-37. Rudi Raupach: Wir haben einen Plan gemacht. In: Ebenda, S. 39-41. Stephan Hermlin: Wir sind die Jugend dieser Zeit. In: Ebenda, S. 72-73. Vgl. etwa die folgenden Zeilen: „Und wird sich was hemmend in den Weg uns stellen, / wir räumen es weg bei Tag und bei Nacht." (Rudi Raupach: Wir haben einen Plan gemacht. In: Ebenda, S. 41); „Was kümmert uns die Grenze und der Grenzgendarm, / Das junge Deutschland geht heut 317
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Arm in Arm." (Kuba: Die Freie Deutsche Jugend stürmt Berlin. In: Ebenda, S. 20); selbst Brecht betont mit dem Wort „heiter" die Vergnüglichkeit der Hindernisbeseitigung, wenn er mit Bezug auf „Junker, Unternehmer, Potentat" formuliert: „Schaufeln her, Mensch, schaufeln wir den ganzen / Klumpatsch heiter jetzt aus unserm Staat." (Bertolt Brecht: Aufbaulied der FDJ. In: Ebenda, S. 17.) Vgl. Johannes R. Becher: Gesammelte Werke. Hg. v. Johannes-R.-BecherArchiv der Deutschen Demokratischen Republik. Bd. 6: Gedichte 1949 bis 1958. Berlin-Weimar 1967, S. 282. Vgl. Arbeitsjournal, S. 468. Eintragung v. 21. 12. 1948. Vgl. Erhard Scherner: Der Schriftsteller Kuba. Zu Grundpositionen seines künstlerischen Schaffens. Phil.-Diss. Berlin 1973. 2. Halbband, S. 339-340, Anm. 328. Vgl. ebenda. 1. Halbband, S. 218-219; vgl. ferner: Das ist die Zeitenwende. Zeitgenössische Oratorien und Kantatentexte. Hg. v. Herbert Schule. Leipzig 1959. Bertolt Brecht: Herrnburger Bericht. In: ND v. 22.7.1951, S. 4. Ebenda. Die betreffenden Verse lauten: Die Bonner Polizisten, sie halten Kind um Kind, sie wollen kontrollieren, ob sie nicht verpestet sind. Auf daß sie nicht ansteckten das ganze deutsche Land mit einer großen Seuche, Friede genannt.
106 Vgl. Louis Fürnberg: Gedichte 1927-1946. Berlin 1964, S. 74-75 u. S. 166. Es ist charakteristisch, daß das Liederbuch der FDJ Leben Singen Kämpfen bei beiden Liedern (S. 32-33, S. 50-51) das Entstehungsjahr nicht erwähnt, obwohl dieses sonst meist angegeben oder bei anderen älteren Liedern durch Formulierungen ersetzt wird wie „Lied aus der Arbeiterjugend" (vgl. S. 57, S. 45). 107 Eduard Claudius: Menschen an unserer Seite. Berlin 1951. 108 Anna Seghers: Friedensgeschichten. In: Anna Seghers: Gesammelte Werke in Einzelausgaben. Bd. 10: Erzählungen 1945-1951. Berlin-Weimar 1977, S. 271-292. 109 Johannes R. Becher: Auf andere Art so große Hoffnung. Tagebuch 1950. Berlin 1951, S. 427-428. Eintragung vom 22. 8. 1950. Hans Richter machte darauf aufmerksam, daß sich die leicht verschlüsselten Formulierungen nur auf Anna Seghers Friedensgescbichten beziehen können (Hans Richter: Er318
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zählen oder? Bechers „Tagebuch 1950" als Beitrag zur Diskussion über Gegenwartsprosa der DDR. In: WB 23 (1977) 10, S. 19). Heiner Müller: Die Bauern. In: Heiner Müller: Stücke. Berlin 1975; Heiner Müller: Traktor. In: Heiner Müller: Die Schlacht/Traktor/ Leben Gundlings Friedrich von Preußen Lessings Schlaf Traum Schrei. Berlin 1977. - Heiner Müller, der Schlacht/Traktor als „eine Bearbeitung von eigenen 20 und mehr Jahre alten Texten" bezeichnet (ebenda, S. 108), gibt als Quelle für Traktor den Band Helden der Arbeit, Berlin 1951, an. Daß er die Segherssche Bearbeitung des Stoffes gekannt haben muß, geht aus dem Umstand hervor, daß er die Namen „Niet" (bei Anna Seghers „Nieth") und „Beutler" aus Anna Seghers Friedensgeschichten in den Bauern beibehält, wo die Umsiedlerin-Handlung nur noch ein Teilstück des Dramas bildet. Müller gibt als Entstehungszeit für Die Bauern die Jahre 1956 bis 1961 an (Heiner Müller: Stücke. Berlin 1975, S. 113). Anna Seghers: Der Mann und sein Name. In: Anna Seghers: Gesammelte Werke in Einzelausgaben. Bd. 11: Erzählungen 1952-1962. Berlin-Weimar 1977, S. 5-106. - Daß diese Erzählung eine Grundkonstellation von Entwicklungsdarstellungen zur Debatte stellt, die in der späteren DDR-Prosa mehrfach aufgegriffen wurde, erörtert Dieter Schiller in: Alltag und Geschichte. Zur Gestaltung revolutionärer Haltungen in neuerer Literatur. In: Revolution und Literatur. Zum Verhältnis von Erbe, Revolution und Literatur. Hg. v. Werner Mittenzwei u. Reinhard Weisbach. Leipzig 1971, S. 297-300 (Sprache und Literatur. Reclams Universal-Bibliothek. Bd. 62). Franz Fühmann: Zweiundzwanzig Tage oder Die Hälfte des Lebens. Rostock 1973; vgl. dazu Leonore Krenzlin: Rückblick aus dem Heute. Die Auseinandersetzung mit Faschismus, Krieg und ersten Nachkriegsjahren in einigen Werken der jüngsten Gegenwartsliteratur der DDR. In: Sonntag v. 14. 9. 1975, S. 3 u. v. 21. 9. 1975, S. 3. Johannes R. Becher: Auf andere Art so große Hoffnung. Tagebuch 1950. Berlin 1951. Hans Richter: Erzählen oder? Becher „Tagebuch 1950" als Beitrag zur Diskussion über Gegenwartsprosa der DDR. In: WB 23 (1977) 10, S. 5 bis 22. Ebenda, S. 18. Inwieweit sich das Authentizitätsprinzip Bechers und die von Richter analog gesetzten Bestrebungen um einen beteiligten Erzähler etwa bei Christa Wolf, Erwin Strittmatter, Johannes Bobrowski und Franz Fühmann ähneln oder unterscheiden, wäre einer näheren Untersuchung wert. Kunstwerk 1, S. 89-90. Anna Seghers: Die Entscheidung. Berlin 1959.
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Therese
Hörnigk
Die erste Bitterfelder Konferenz. Programm und Praxis der sozialistischen Kulturrevolution am Ende der Übergangsperiode 1 Karl-Heinz Jakobs: Heimatländische Kolportagen. Berlin 1975, S. 219. 2 Vgl. das Gedicht Allgemeine Erwartung. In: Volker Braun: Gegen die symmetrische Welt. Halle/Saale 1974, S. 51. 3 Hermann Kant: Unsere Worte wirken in der Klassenauseinandersetzung. Rede auf dem VII. Schriftstellerkongreß. Protokoll. Berlin-Weimar 1973, S. 41. 4 Ebenda. 5 Vgl. Dieter Schlenstedt: Ankunft und Anspruch. Zum neueren Roman in der DDR. In: SuF 18 (1966) 3, S. 814; Sigrid Bock: Probleme des Menschenbildes in Erzählungen und Novellen. Beitrag zur Geschichte der sozialistisch-realistischen Erzählkunst in der DDR von 1956-1963. Phil.-Diss. Berlin 1964; Eberhard Röhner: Abschied, Ankunft und Bewährung. Berlin 1969; Eberhard Röhner: Arbeiter in der Gegenwartsliteraur. Berlin 1967. Der unmittelbare literarische Ertrag des Bitterfelder Weges ist mit dem 1961 erschienenen Buch Brigitte Reimanns Ankunft im Alltag als „Ankunftsliteratur" in die Literaturgeschichte eingegangen. Mit Karl-Heinz Jakobs, Joachim Knappe, Günter de Bruyn und anderen hatte sich hier eine neue Schriftstellergeneration zu Wort gemeldet, die mit einer eigenen Reflexion des sozialistischen Lebens an die Öffentlichkeit getreten war. Das Ziel des Weges, die Ankunft im Sozialismus, markierte einen Literaturtyp, der ausschließlich auf die Spezifik der neuen Gesellschaft orientiert war. 6 Vgl. Autorenkollektiv unter Ltg. v. Prof. Dr. Horst Keßler u. Dr. Fred Staufenbiel: Kultur in unserer Zeit. Zur Theorie und Praxis der sozialistischen Kulturrevolution in der DDR. Berlin 1965. Vgl. auch: Sozialistischer Realismus. Positionen, Probleme, Perspektiven. Hg. v. Prof. Dr. Erwin Pracht und Dr. Werner Neubert. Berlin 1970, S. 108. 7 Vgl. Die geistige Kultur der sozialistischen Gesellschaft. Gesamtleitung: Hans Koch/Helmut Hanke. Berlin 1976. Vgl. auch Sozialistische Kulturrevolution. Gesamtleitung: Helmut Hanke/Hans Koch. Berlin 1977. 8 Klaus Jarmatz: Die Wirklichkeit der Erzähler. Zu einigen Problemen der Prosaliteratur der DDR. In: Ansichten. Aufsätze zur Literatur der DDR. Halle/Saale 1976, S. 113. 9 Literaturgeschichte, S. 277 ff. 10 Walfried Hartinger: Die Fragen und die Antworten unserer Literatur. In: Literatur und Geschichtsbewußtsein. Entwicklungstendenzen der DDR-Literatur in den sechziger und siebziger Jahren. Berlin-Weimar 1976, S. 22. 11 Ebenda, S. 279. 12 Vgl. Manfred Böhn: DDR-Literatur in der Bundesrepublik Deutschland. Die Rezeption der epischen DDR-Literatur in der BRD 1961-1975. Meisenheim am Glau 1977 (Hochschulschriften. Literaturwissenschaft 34).
320
13 Hans Dietrich Sander: Zur Geschichte der Schönen Literatur in der D D R . Ein Grundriß. Freiburg 1972, S. 181. 14 Heinz Blumensaht/Christel Uebach: Einführung in die Literaturgeschichte der D D R . Stuttgart 1975, S. 63 ff. 15 Erik Nohara: Diskussion um das Kulturverständnis. I n : Deutschlandarchiv (1975) 1, S. 73. 16 Jack Zipes: Bertolt Brecht oder Friedrich Wolf? Zur Tradition des Dramas in der D D R . I n : Literatur und Literaturtheorie in der D D R . Hg. v. Peter Uwe Hohendahl und Patricia Herminghouse. Frankfurt/M. 1976, S. 209. 17 Autorenkollektiv
sozialistischer
Literaturwissenschaftler
Westberlin:
Zum
Verhältnis von Ökonomie, Politik und Literatur im Klassenkampf. Berlin (West) 1971, S. 2 0 0 ff. 18 Bernhard Greiner: D i e Literatur der Arbeitswelt in der D D R . Heidelberg 1974, S. 16. 19 Franz Schonauer: D D R
auf dem Bitterfelder Weg. I n : Neue Deutsche
Hefte 13 (1960) 109, S. 91. 20 Frank Trommler: DDR-Erzählung und Bitterfelder Weg. I n : Basis. Jahrbuch für deutsche Gegenwartsliteratur. Bd. 3. Frankfurt/M. 1972. S. 61. 21 Konrad Franke: D i e Literatur der D D R . München 1974, S. 106. 22 Werner Brettschneider: Zwischen literarischer Autonomie und Staatsdienst. 2. verb. u. erg. Ausg. Berlin (West) 1972, S. 63. 2 3 Funktion der Literatur. Aspekte -
Probleme -
Aufgaben. Hg. v. Dieter
Schlenstedt/Brigitte Burmeister/Ilse Idzikowski/Dieter Kliche. Berlin
1975,
S. 40 (Literatur und Gesellschaft). 24 Alfred Kurella: Vom neuen Lebensstil. I n : Greif zur Feder, S. 8. 25 Autorenkollektiv unter Ltg. v. Heinz Heitzer: D D R - Werden und Wachsen. Zur Geschichte der Deutschen Demokratischen Republik. Berlin 1974, S. 325. 26 Ebenda, S. 9. 27 Ebenda, S. 10. 28 Ebenda. 29 Ebenda. 30 Klassenkampf, S. 600. 31 Unter
dieser
Losung
sind auch
die Konferenzmaterialien
veröffentlicht
worden. 32 Wladimir Majakowski. Zit. nach: Situation 66. Zwanzig Jahre Mitteldeutscher Verlag Halle/Saale. Verlag für deutsche Literatur. Halle/Saale 1966, S. 5. 33 Otto Gotsche: E i n großer Schritt wird vorbereitet. I n : Ebenda, S. 10. 34 Walter Ulbricht: Grundfragen der Politik der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. Referat auf der 30. Tagung des Z K der S E D vom 30. 1. bis 1. 2. 1957. Berlin 1957, S. 15. 35 In einer von 1957 bis zur zweiten Bitterfelder Konferenz 1964 erschienenen Serie von Aufsätzen kam es zu sehr unterschiedlichen Definitionen des Kulturbegriffs. Erhard John, Hans Koch, Fred Staufenbiel, Walter Besenbruch, Erika Hiinckel und Dietrich Mühlberg beteiligten sich neben anderen 21
DDR-Literatur
321
an dieser Debatte. Ausgangspunkt für eine notwendig gewordene Neubestimmung des Begriffs war die Kritik am Sammelbegriff Kultur, wie er allenthalben verwendet wurde: als „die Gesamtheit der materiellen und geistigen Güter, die von der Menschheit im Verlauf der gesellschaftlichhistorischen Praxis geschaffen wurden". (Vgl. Kurzes philosophisches Wörterbuch. Moskau 1956, S. 261.) Hans Koch rückte Kultur und Ideologie in seiner Begriffsbestimmung eng zusammen und charakterisierte Kultur als „die von der Gesellschaft geschaffenen materiellen Güter, aber nicht schlechthin die Maschinen, Gebäude, Einrichtungen usw. als materiell-technische Dinge, sondern als Ausdruck und objektive Manifestation der Entwicklungshöhe jener menschlichen Kräfte und Fähigkeiten, die den Menschen über die Natur erheben; . . .". Kultur umfasse auch die „Resultate der geistigen Arbeit der Menschen", „Die Gesamtheit der Lebensformen und Verhaltensweisen" und „die Kenntnisse, Kräfte, Fähigkeiten und Bedürfnisse, Genüsse usw. der Menschen selbst." (Hans Koch: Kultur in den Kämpfen unserer Zeit. Berlin 1959, S. 5 ff.) Gegen diesen Ansatz richtete sich vor allem Fred Staufenbiel, der den Kulminationspunkt der sich entwickelnden sozialistischen Gesellschaft - die Beherrschung der gesellschaftlichen Beziehungen durch den Menschen - vermißte. Weiterhin wandte sich Staufenbiel gegen den Versuch, „die materiell-technischen Dinge" aus dem Kulturbegriff auszuklammern, denn gerade w e i l Technik nicht als Teil der materiellen Kultur begriffen werde, komme man nicht zu klaren Formulierungen des Qualitätsumschlages im Verhältnis der menschlichen und der sachlichen Produktivkräfte in der sozialistischen Gesellschaft. (Fred Staufenbiel: Kultur in den Kämpfen unserer Tage. In: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 8 (1960) 10, S. 1981.) E r definierte mit Bezug auf den Bitterfelder Weg die Kultur als konsequente Fortsetzung der sozialistischen Veränderungen in Industrie, Handel und Landwirtschaft als eine „spezifische Seite des gesellschaftlichen Lebens", die mit Ökonomie und Politik wechselseitig verbunden ist und durch diese Bereiche des gesellschaftlichen Lebens wesentlich bedingt wird (vgl. Fred Staufenbiel: Grundfragen der Leninschen Theorie von der sozialistischen Kulturrevolution und die kulturelle Entwicklung in der D D R . In: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 8 (1960) 8, S. 910). Staufenbiel macht bei dieser Gelegenheit darauf aufmerksam: Immer wird vom Verhältnis Kunst - Leben oder Kunst - Arbeit gesprochen, wobei es letztlich um das Verhältnis von Kultur und Überbau geht. Kultur und Überbau werden von ihm nicht schematisch gleichgesetzt (wie in vielen zeitgenössischen Artikeln). Der Autor beschränkt Kultur nicht auf Geistesleben, d. h. Bildung, Wissenschaft, Kunst, sondern ordnet ihr auch materielle Elemente zu. Um einen weiteren Kulturbegriff geht es vor allem etwa seit 1962 durch Artikelfolgen in der Einheit, womit sich Walter Besenbruch, Hans Koch/Erika Hinckel und Dietrich Mühlberg in die Diskussion einschalteten. Mühlbergs Beitrag, z. T. in Polemik gegen einen 1962 erschienenen Artikel von Hinckel/Koch in der Einheit geschrieben, markierte eine
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gewisse Stufe in der Debatte um den erweiterten Kulturbegrifi. E r stimmte mit der auf der zweiten Bitterfelder Konferenz formulierten Position überein und brachte mit der Unterscheidung von „objektiver" und „subjektiver" Kultur neue Gesichtspunkte in die Debatte: „Ihr statischer, unhistorischer Charakter wird aber besonders deutlich, wo sich Autoren abquälen, materielle und geistige Kultur, mit den Kategorien Basis und Überbau in eine sinnvolle Relation zu bringen." (Dietrich Mühlberg: Zur marxistischen Auffassung der Kulturgeschichte. In: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 12 (1964) 9, S. 1043.) 36 Erklärung der Beratung von Vertretern der kommunistischen und Arbeiterparteien der sozialistischen Länder. Berlin 1957, S. 14. 37 3. Parteikonferenz der SED. Protokoll. Berlin 1956, S. 16. 38 Vgl. Geschichte der SED, S. 345. 39 Die Aufgabe, in der D D R in absehbarer Zeit den Aufbau des Sozialismus zu vollenden, verlangte, in breitem Umfang sozialistisches Bewußtsein zu entwickeln. Schwierigkeiten gab es nicht nur bei nichtproletarischen Schichten, sondern auch in der Arbeiterklasse selbst, die auf Grund der historischen Bedingungen, verschiedenartigste Strukturveränderungen durchgemacht hatte. In der Literatur - z. B. Fred Oelsner: Die Übergangsperiode in der D D R (Berlin 1955); Probleme des historischen Materialismus und der marxistischen Sozialforschung (Berlin 1958) - wird hingewiesen auf Faktoren wie: Einsatz geschulter Kader in den Partei- und Staatsapparat, Eindringen nichtproletarischer Elemente in die Arbeiterklasse und damit Reproduktion kleinbürgerlichen Bewußtseins. 40 Über die innerparteiliche revisionistische Tätigkeit gibt Auskunft: Klassenkampf, S. 650. 41 Später wurden die Ursachen für das kulturpolitische „Zurückbleiben" nicht mehr auf die revisionistischen Einflüsse allein zurückgeführt, sondern es wurde auch „der Personenkult um Stalin" genannt. Vgl. Autorenkollektiv unter Ltg. v. Prof. Dr. Horst Keßler u. Dr. Fred Staufenbiel: Kultur in unserer Zeit. Zur Theorie und Praxis der sozialistischen Kulturrevolution in der D D R . Berlin 1965, S. 112. 42 Vgl. Geschichte der SED, S. 337. 43 Heinz Schierz: Neue Kunst - Neue Wege. Erfahrungen bildender Künstler nach Bitterfeld. Berlin 1967, S. 139. 44 Vgl. Klassenkampf, S. 653. 45 Helmut Klein: Polytechnische Bildung und Erziehung in der D D R . Reinbek 1964, S. 48. 46 Alfred Kurella: Parteibeschlüsse sind bindend - auch für den Künstler. In: N D v. 25. 10. 1957, S. 4. 47 Vgl. Fritz Selbmann: Reden und Tagebuchblätter 1933-1947. Dresden 1947, S. 63. 48 Walter Ulbricht: Einige Probleme der Kulturrevolution. I n : Protokoll der Verhandlungen des V. Parteitages der SED. 1. bis 5. Verhandlungstag. Berlin 1959. 214
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49 Ebenda. 50 Vgl. Horst Redeker: Die Dialektik und der Bitterfelder Weg. In: N D L 11 (1963) 5, S. 64. 51 Alfred Kurella. In: Greif zur Feder, S. 14. 52 Ebenda. 53 Vgl. auch den Aufsatz von Gudrun Klatt: Schriftsteller - Literatur - Lesen. Zur Literaturdiskussion am Beginn der sechziger Jahre in der Zeitschrift Junge Kunst. In: WB 23 (1977) 10, S. 23 ff. 54 Werner Bräunig. In: Greif zur Feder, S. 30. 55 Bernhard Koenen. In: Greif zur Feder, S. 87. 56 Hanns Eisler hat 1962 diese Funktionssetzung der Kunst als eine „Zurücknahme" bezeichnet in dem Sinne, daß die Kunst in bestimmten Phasen des Klassenkampfes eine pragmatische Funktion annehmen muß, da sie unmittelbar gesellschaftlichen Bedürfnissen untergeordnet wird: „Wir brauchen Kartoffeln, also - eine Kartoffel-Kantate. Wir brauchen bestimmte Produktionssteigerungen, also - Komponisten und Dichter, schreibt Lieder, Gesänge und Kantaten, um unsere Produktion zu steigernI" (Eisler, S. 238/239). 57 58 59 60 61 62
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Erwin Strittmatter. In: Greif zur Feder, S. 50. Max Zimmering. In: Ebenda, S. 93. Hans Busch. Ebenda, S. 23. Walter Ulbricht. In: Ebenda, S. 100-101. Ebenda. Hermann Kant: Unsere Worte wirken in der Klassenauseinandersetzung. Referat auf dem VII. Schriftstellerkongreß der DDR. Protokoll. BerlinWeimar 1973, S. 41. Ebenda. Alfred Kurella. In: Greif zur Feder, S. 11. Ebenda, S. 12. Helmut Kaiser: Was versprechen unsere Verlage für 1959? In: N D L 7 (1959) 1, S. 117. Ebenda, S. 118. Hannes Hörnig: Erste und wichtigste Aufgabe: Die heranreifenden Probleme zeitig genug erkennen. Diskussionsbeitrag. In: Börsenblatt (1960) Sondernummer zur Konferenz des Verlagswesens der DDR, S. 23. Vgl. Karlheinz Seile: Zur Geschichte des Verlagswesens der Deutschen Demokratischen Republik. In: Beiträge zur Geschichte des Buchwesens. Hg. v. Prof. Dr. Helmut Rötzsch. Leipzig 1972, S. 51 ff. Vgl. Erich Wendt: Die Aufgaben des Verlagswesens im Siebenjahrplan. In: Börsenblatt (1960) Sondernummer zur Konferenz . . ., S. 11. Ebenda, S. 15. Vgl. Dreizehn Jahre Gewerkschaftsverlag. In: Festschrift des Gewerkschaftsverlages Tribüne. Berlin 1959, S. 6. Lisgreth Schwarz: Wie sieht unser allgemeinbildendes Bibliothekswesen aus? In: N D L 7 (1959) 6, S. 148.
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74 Wolfgang Joho: In eigener Sache oder was für eine Literatur wir brauchen. In: N D L 10 (1962) 8, S. 3. 75 Vgl. Autorenkollektiv des Germanistischen Instituts der Humboldt-Universität: Aktuelle Aufgaben der Germanistik nach dem XXII. Parteitag der KPdSU und dem 14. Plenum d. Z K d. S E D . In: WB 8 (1962) 2, S. 246. 76 Vgl. Hans Koch: Der schreibende Arbeiter und der Schriftsteller. In: N D L 7 (1959) 12, S. 104; vgl. auch den Beitrag von Christa Wolf auf der Konferenz junger Schriftsteller in Halle/Saale. In: N D L 10 (1962) 8, S. 134. 77 So existierten im Bezirk Karl-Marx-Stadt zu Beginn der sechziger Jahre 33 Zirkel, von denen 2 schon vor 1959 bestanden hatten. Unmittelbar nach der ersten Bitterfelder Konferenz waren 7 Zirkel ins Leben gerufen worden. Im Jahre 1961 entstanden dann 21 neue Zirkel schreibender Arbeiter. Insgesamt hatten sich 340 Mitglieder eingetragen, davon 117 Arbeiter, 150 Angestellte, 4 Bauern, 64 Hausfrauen und der Rest Schüler, Studenten und Rentner. 18 Schriftsteller bzw. Nachwuchsautoren betreuten die Zirkelarbeit künstlerisch. Handbuch für schreibende Arbeiter. Hg. v. Ursula Steinhaußen, Dieter Faulseit, Jürgen Bonk. Berlin 1969, S. 99. 78 Otto Gotsche. In: Ich schreibe . . . Arbeiter greifen zur Feder. Bd. 1 (Vorwort). Berlin und Halle 1960, S. 66. 79 Hans Jürgen Geisthardt: Was soll der schreibende Arbeiter gestalten? In: N D v. 22. 10. 1960 (Beilage Kunst und Literatur). 80 Hinweise für schreibende Arbeiter. Hg. v. einem Autorenkollektiv. Leipzig 1961, S. 8. 81 Walter Radetz: Über Zirkel schreibender Arbeiter. In: J K 4 (1960) 1, S. 68. 82 Der Begriff „Stoßarbeiter in die Literatur" wurde von Sergej Tretjakow Ende der zwanziger Jahre geprägt. Gemeint war eine Initiative zur Herstellung eines neuen Verhältnisses zwischen Schriftstellern und Lesern durch Änderung des Berufsbildes des Schreibenden. „Er müsse seine Beziehungen zum sozialistischen Aufbau aus der verbreiteten Kontemplativität herausführen in die Operativität" (Fritz Mierau: Erfindung und Korrektur. Tretjakows Ästhetik der Operativität. Berlin 1976, S. 26 « Literatur und Gesellschaft»), Den gleichen Begriff verwendete Alfred Kurella auf dem V. Schriftstellerkongreß 1961, wobei er sich davon distanzierte. 83 Walter Benjamin: Schriften. Bd. 1. Frankfurt/M. 1955, S. 384. 84 Vgl. Alfred Kurella: Diskussionsbeitrag auf dem V. Deutschen Schriftstellerkongreß. In: Beiträge zur Gegenwartsliteratur. Berlin 1962, S. 248. 85 In: Ebenda, S. 49. 86 In: Ebenda, S. 117. 87 Waltraud Arndt/Eva Lehmann: Wirksam werden - aber wie? Einige Erfahrungen der Zirkelmethodik bei schreibenden Arbeitern. Hg. v. Institut für Volkskunstforschung beim Zentralhaus für Kulturarbeit Leipzig. Leipzig 1965, S. 15. 88 Irene Dölling: Kulturtheorie als angewandter historischer Materialismus. In: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 23 (1975) 3, S. 449.
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89 Aufgenommen worden war der Leninsche Gedanke, die Arbeiterklasse müsse sich alle Werte und Schätze der Menschheitskultur aneignen. (Vgl. Lenin: Die Aufgabe der Jugendverbände. In: Marx/Engels/Lenin: Über Kultur, Ästhetik und Literatur. Leipzig 1973, S. 30.) Gemeint war damit sicherlich nicht, daß Kultur als etwas Statisches oder als qualitatives Bildungsgut schlechthin zu übernehmen oder widerspruchsfrei anzueignen ist. 90 Walter Ulbricht. In: Greif zur Feder, S. 98. 91 Ebenda. 92 Zitiert nach Waltraud Arndt/Eva Lehmann: Wirksam werden - aber wie? Einige Erfahrungen der Zirkelmethodik bei schreibenden Arbeitern. Hg. v. Institut für Volkskunstforschung beim Zentralhaus für Kulturarbeit Leipzig. Leipzig 1965, S. 15. 93 Ebenda. 94 Vgl. Andreas Leichsenring: Der schreibende Arbeiter. Die persönlichkeitsbildende Rolle der schöpferischen literarischen Tätigkeit im Zirkel schreibender Arbeiter und die Verantwortung der Leitungen. Leipzig 1971, S. 39. 95 Greif' zur Feder, Kumpel. Gedichte von Laienautoren. Leipzig 1959. 96 Vgl. Handbuch für schreibende Arbeiter. Hg. v. Ursula Steinhaußen, Dieter Faulseit, Jürgen Bonk. Berlin 1969, S. 66. 97 Zit. nach Walter Radetz: Über Zirkel schreibender Arbeiter. In: JK 4 (1960) 1, S. 69. 98 Horst Redeker: Die künstlerische Selbstbetätigung der Werktätigen - Ausdruck und Mittel der Entwicklung der Bewußtheit des sozialistischen Menschen. In: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 8 (1960) 8, S. 951. 99 Deubner Blätter. Arbeitsmaterialien des Zirkels schreibender Arbeiter BKW „Erich Weinert" Deuben. Bd. 1. Halle/Saale 1961. 100 Ebenda, S. 22. 101 Otto Gotsche. In: Ich schreibe . . . Arbeiter greifen zur Feder. Bd. 2. (Vorwort.) Halle und Berlin 1961, S. 7. 102 Handbuch für schreibende Arbeiter. Hg. v. Ursula Steinhaußen, Dieter Faulseit, Jürgen Bonk. Berlin 1969, S. 49. 103 Erwin Strittmatter: Brief an Nyota Thun v. 12. 11. 1959. 104 Vgl. Die Bewegung schreibender Arbeiter und die Aufgaben der Germanistik. Wissenschaftliche Konferenz des Germanistischen Instituts der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. 1. und 2. Juli 1960. Leipzig 1960, S. 26 ff. Im Referat wurde ausführlich über die Bedeutung des Brigadetagebuchs für die sozialistische Nationalliteratur gesprochen. Die Veröffentlichungen einiger Tagebücher, besonders das von Günter Glante oder von Gerti Junghans (ND v. 20. 2. 1960, Beilage Kunst und Literatur), hatten in der Presse zu Diskussionen geführt. Eine Frage war, ob die hier vorgelegten, relativ abgerundeten epischen Formen mit den Notizen, Bemerkungen, kurzen Berichten, Stellungnahmen „echter" Tagebücher noch identisch waren, oder ob in der Presse abgedruckte Auszüge aus Tagebüchern, zusammengestellt zur Erörterung eines bestimmten Problems, nicht
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eher Vorlagen für die Brigadetagebücher allgemein liefern sollten - mit dem praktischen Ergebnis, daß in vielen Büchern nach dem vorgegebenen Muster aufgeschrieben wurde anstelle einer spontanen Niederschrift von Wirklichkeitserscheinungen . 105 Erwin Strittmatter. I n : Greif zur Feder, S. 49. 106 Siegfried Wagner: Auf dem Bitterfelder Weg weiter voran. In: Einheit 15 (1963) 2, S. 74. 107 Inge von Wangenheim: Die Geschichte und unsere Geschichten. Gedanken eines Schriftstellers auf der Suche nach Fabeln seiner Zeit. Halle/Saale 1966, S. 116-117. 108 Vgl. Erich Köhler: Reiten auf dem Leben. In: Erkenntnisse und Bekenntnisse. Mit einem Vorwort v. Otto Gotsche. Halle/Saale 1964, S. 190. 109 Vgl. Franz Fühmann. In: In eigener Sache. Briefe von Künstlern und Schriftstellern. Hg. v. E . Kohn im Auftrag des Ministeriums für Kultur. Halle/Saale 1964, S. 39-40. 110 Heinrich Taut: Die sozialistischen Brigaden und die Kulturrevolution. In: Einheit 15 (1960) 3, S. 247. 111 Marianne Bruns: An einen westdeutschen Freund. In: Erkenntnisse und Bekenntnisse. Mit einem Vorwort v. Otto Gotsche. Halle/Saale 1964, S. 63. 112 Ebenda, S. 63. 113 Franz Fühmann: In: In eigener Sache. Briefe von Künstlern und Schriftstellern. Hg. v. E . Kohn im Auftrag des Ministeriums für Kultur. Halle/Saale 1964, S. 39-40. 114 Werner Bräunig: Notizen. In: Erkenntnisse und Bekenntnisse. Mit einem Vorwort v. Otto Gotsche. Halle/Saale 1964, S. 44. 115 Ebenda. 116 Ebenda, S. 45. 117 Eisler, S. 236-237. 118 Für eine sozialistische deutsche Kultur. Zit. nach: Zur sozialistischen Kulturrevolution, Bd. 2. Hg. v. Marianne Lange. Berlin 1960, S. 319. 119 Walter Ulbricht: Frage der Entwicklung der sozialistischen Literatur und Kultur. In: Greif zur Feder, S. 95. 120 Vgl. Alexander Abusch: Im ideologischen Kampf für eine sozialistische Kultur. Berlin 1951, S. 11/12. 121 Heiner Müller: Sechs Punkte zur Oper. In: Theater der Zeit 25 (1970) 3, S. 18. 122 Walter Ulbricht. In: Greif zur Feder, S. 99. 123 Ebenda, S. 101. 124 Eine solche Konzeption führte z. B. 1959 zu der Feststellung, daß durch die kulturellen Initiativen der Kubaschen Störtebecker-Massenspiele auf Rügen die Ernteerträge im Bezirk Rostock erheblich gesteigert werden konnten. 125 Gegen sektiererische Tendenzen in der kulturpolitischen Praxis wenden sich eine Reihe von Autoren. Paul Wiens: „Wir Schriftsteller kommen aus
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verschiedenen gesellschaftlichen Schichten, aus verschiedenen Stufen. Ich glaube nicht, daß Bodo Uhse jemals 'Steine im Weg' wird schreiben können. Das hat nichts mit seiner Verbindung mit dem Leben zu tun." (NDL 10 (1962) 6, S. 133); Harald Häuser: „Aber diese völlig berechtigte Forderung darf nicht in eine starre administrative Form gepreßt werden, durch die solche Autoren, deren Vorhaben außerhalb des hier gezogenen Rahmens liegen, automatisch von jeder materiellen Förderung ausgeschlossen wurden." (NDL 10 (1962) 6, S. 136); Franz Fühmann: „Ich glaube, daß jeder Schriftsteller sich immer wieder besinnen müßte, welche Themen, Stoffe und Genres ihm nach Maßgabe seiner Fähigkeiten, seines Talents, seiner Herkunft und seines Lebensweges am gemäßesten sind." In: In eigener Sache. Briefe von Künstlern und Schriftstellern. Hg. v. E . Kohn im Auftrag des Ministeriums für Kultur. Halle/Saale 1964. - Auch Hans Koch betont eine Vielfalt der Gefühlswelt (vgl.: Hans Koch: Der Wirklichkeit auf den Grund gehen. In: N D L 11 (1963) 8, S. 50). 126 Autorenkollektiv sozialistischer Literaturwissenschaftler Westberlin: Zum Verhältnis von Ökonomie, Politik und Literatur im Klassenkampf. Berlin (West) 1971, S. 202. 127 Eisler, S. 163. 128 Johannes R. Becher: Von der Größe unserer Literatur. Referat zur Eröffnung des IV. Deutschen Schriftstellerkongresses. In: Beiträge zur Gegenwartsliteratur (1956) 1, S. 20-21. 129 Willi Lewin: Der Bitterfelder Weg und Entwicklungsprobleme der sozialistischen Nationalliteratur. In: Einheit 17 (1962) 5, S. 63. 130 Walter Ulbricht. In: Greif zur Feder, S. 102. 131 Ebenda. 132 Kurt Hager: Die entwickelte sozialistische Gesellschaft. In: Aufgaben der Gesellschaftswissenschaften nach dem VIII. Parteitag der SED. Berlin 1971, S. 49. 133 Dieter Schlenstedt: Wortmeldung. Gedanken nach der Lektüre der „regards sur la prose actuelle de la RDA", 1976. Unveröffentl. Ms., S. 19. 134 Ebenda.
Gudrun Klatt Proletarisch-revolutionäres Erbe als Angebot. Vom Umgang mit Erfahrungen -proletarisch-revolutionärer Kunst während der Übergangsperiode 1 Dieses Gespräch, das Thomas Wieck mit Peter Kupke führte, ist unter der Rubrik Aktuell abgedr. im Sonntag v. 2. 10. 1977, S. 10.
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2 Werner Mittenzwei: Der Realismus-Streit um Brecht. Grundriß der BrechtRezeption in der DDR 1945-1975. In: SuF 28 (1976) 6, S. 1273-1313; 29 (1977) 1, S. 160-190; 29 (1977) 2, S. 343-376. - Diese Arbeit ist inzwischen als Buch erschienen unter dem Titel: Der Realismus-Streit um Brecht. Grundriß der Brecht-Rezeption in der DDR 1945-1975. Berlin 1978. 3 Vgl. dazu die referierende Bibliographie von Manfred Starke. In: Manfred Nössig: Die Schauspieltheater der DDR und das Erbe (1970-1974). Berlin 1976, S. 247-255 (Literatur und Gesellschaft). 4 Wolfgang Heise : Bemerkungen zum Erbe. In : Material zum Theater. Nr. 36 (1973), S. 15. 5 Ebenda, S. 17. 6 Dieter Schiller: Die Klassiker des Marxismus-Leninismus über Probleme der Tradition und des kulturellen Erbes. In: WB 20 (1974) 1, S. 50. 7 Ebenda, S. 48. 8 Dazu gehören: Literaturgeschichte; Theater in der Zeitenwende. Zur Gelschichte des Dramas und des Schauspieltheaters in der DDR. 1945-1968. 2 Bde. Berlin 1972. - Das Traditionsverhältnis einzelner Schriftsteller darunter von Erich Weinert, Johannes R. Becher, Bertolt Brecht, Anna Seghers - wird untersucht in dem Sammelband: Schriftsteller und literarisches Erbe. Zum Traditionsverhältnis sozialistischer Autoren. Hg. v. Hans Richter. Berlin-Weimar 1976. 9 Vgl. dazu Lâszlô Illés: Vieilles querelles sur l'Avant-Garde. In: Littérature Hongroise-Littérature Européene. Etudes de littérature comparée publiés par l'Acédemie des Sciences de Hongrie à l'occasion du IVe congrès de l'AILC. Budapest 1964, S. 450-473; Miklos Szâbolcsi: L'avantgarde littéraire et artistique comme phénomène international. In: Actes du Ve Congrès de l'Association de Littérature Comparée. Belgrade 1967. Université de Belgrade. Amsterdam 1969, S. 315-343; Alexander Flaker: Die russische Avantgarde als Stilformation. (Kurzfassung). Konstanz 1974, S. 1 - 1 2 ; Läszlö Illés: Sozialistische Literatur und Avantgarde. In: Acta Litteria Scientarum Hungaricae. Bd. 12. Budapest 1970, S. 53-64. Einen Überblick über den um die Mitte der siebziger Jahre erreichten internationalen Forschungsstand gibt: Silvia Schlenstedt: Problem Avantgarde. In: WB 23 (1977) 1, S. 126 bis 144. 10 Miklos Szâbolcsi: L'avant-garde littéraire et artistique comme phénomène internationale. In: Actes du Ve Congrès de l'AILC Belgrade 1967. Amsterdam 1969, S. 332. 11 Werner Mittenzwei: Der Realismus-Streit um Brecht. Grundriß zu einer Brecht-Rezeption in der DDR. In: SuF 29 (1977) 2, S. 352. 12 SuF 28 (1976) 6, S. 1278. 13 Ebenda, S. 1273. 14 Werner Neubert: Gespräch mit Alexander Abusch. In: WB 23 (1977) 1, S. 35.
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15 Fritz Mierau: Erfindung und Korrektur. Tretjakows Ästhetik der Operativität. Berlin 1976, S. 15 (Literatur und Gesellschaft). 16 Vgl. hierzu den Beitrag von Therese Hörnigk in diesem Band. 17 Redaktioneller Beitrag in: J K 1 (1957) 1, S. 1. 18 Vgl. Autorenkollektiv unter Ltg. v. Prof. Dr. Horst Keßler u. Dr. Fred Staufenbiel: Kultur in unserer Zeit. Berlin 1965, S. 4 1 3 - 4 1 7 (chronologische Übersicht). 19 Klaus Pfützner: Vorwärts und nicht vergessen. In: J K 2 (1958) 1, S. 33. 20 IV. Deutscher Schriftstellerkongreß. Januar 1956. Protokoll. 1. Teil. In: Beiträge zur Gegenwartsliteratur (1956) 1. Vgl. S. 5 3 : Bertolt Brecht: Ausführungen vor der Sektion Dramatik. 21 Klaus Pfützner: Vorwärts und nicht vergessen. In: J K 2 (1958) 1, S. 33. 22 J K 2 (1958) 1, S. 17 (Redaktionelle Vorbemerkung). - Einen detaillierten Überblick über Initiativen und Debatten zum Problem Agitprop gibt Bärbel Schräder: Entwicklungsprobleme des Arbeitertheaters in der D D R . Phil.Diss. Berlin 1977. 23 Unsere Meinung. In: N D L 5 (1957) 5, S. 3 - 4 . 24 Herbert Keller. Ein linkes Buch zur richtigen Zeit. In: Volkskunst 7 (1958) 5, S. 47. 25 Rudolf Hoffmann: Zur Widerspiegelung moralischer Aspekte in der Literatur der zwanziger Jahre. In: Einheit 12 (1957) 9, S. 1093. 26 Ebenda, S. 1086. 27 Alexander Abusch: Im ideologischen Kampf für eine sozialistische Kultur. In: Alexander Abusch: Kulturelle Probleme des sozialistischen Humanismus. Berlin-Weimar 1967, S. 274. 28 Ebenda, S. 281. 29 Alexander Abusch: Lukäcs' revisionistischer Kampf gegen die sozialistische Kultur. In: Ebenda, S. 324. 30 Wolfgang Heise: Zu einigen Problemen der literaturtheoretischen Konzeption Georg Lukäcs'. In: J K 2 (1958) 7, S. 1. - (Vgl. hierzu auch den Beitrag von Ursula Reinhold in diesem Band.) 31 Ebenda. 32 Von Seiten der marxistischen Literaturwissenschaft in der D D R stellte allerdings der Romanist Werner Krauss bereits 1950 in seinem Aufsatz Literaturgeschichte als geschichtlicher Auftrag die problematischen Seiten des Lukäcs-Konzepts zur Diskussion. Die Autoren des Krauss-Porträts in dem Band Positionen schätzen das so ein: Krauss habe schon 1950 darauf verwiesen, „daß auf die Vereinfachung mancher Fragestellungen innerhalb der marxistischen Literaturwissenschaft die literatur-theoretischen Ansichten von Georg Lukäcs nicht ohne Einfluß waren. Krauss sah sehr wohl die Verdienste des ungarischen Gelehrten, dessen literatur- und philosophiegeschichtliche Arbeiten den Weg für eine Neubewertung des klassischen deutschen Erbes eröffneten. Das der deutschen Literaturentwicklung von Lukäcs zur
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gründe gelegte Ordnungsschema von 'Fortschritt und Reaktion' war 'heilsam für die verworrene Mentalität der aus Krieg und Faschismus hervorgegangenen Studenten'. Lukäcs erhob jedoch den klassischen bürgerlichen Realismus zur absoluten Norm jeder späteren literarischen Entwicklung. Die Folge davon war, daß er weder ein wirkliches Verständnis für den neuen Charakter der sozialistischen Literatur des 20. Jahrhunderts aufbrachte noch zu differenzierteren Beurteilungen der spätbürgerlichen literarischen Entwicklungen gelangte. Krauss sah hier den Einfluß Stefan Georges am Werk: 'Die Hypnose Georges war unentrinnbares Schicksal der Zeitgemeinschaft. Wie sollte ihr Curtius entfliehen, wenn selbst bei Georg Lukäcs - trotz aller Wandlung; zum Fortschritt - die klassizistische Wertungsweise noch immer an diesen fatalen Anfang erinnert.' Demgegenüber betont Krauss: 'Wir halten heute nicht viel von einer Literaturwissenschaft, die sich an immer gültigen Gesetzen statt an der geschichtlichen Bewegung der Literatur orientiert.'" Karlheinz Barck/Manfred Naumann/Winfried Schröder: Literatur und Gesellschaft. Zur literaturwissenschaftlichen Position von Werner Krauss. In: Positionen. Beiträge zur marxistischen Literaturtheorie in der D D R . Hg. v. Werner Mittenzwei. Leipzig 1969, S. 572 (Sprache und Literatur. Reclams Universal-Bibliothek. Bd. 482). 33 Georg Lukäcs: Marx und das Problem des ideologischen Verfalls. In: Internationale Literatur 8 (1938) 7, S. 142. 3 4 Ernst Bloch: Diskussionen über Expressionismus. In: Ernst Bloch: Erbschaft dieser Zeit. Frankfurt/M. 1973, S. 271. 35 Louis Aragon: John Heartfield und die revolutionäre Schönheit. Zit. nach: John Heartfield. Leben und Werk. Dresden 1972, S. 330. 3 6 Georg Lukäcs: Marx und das Problem des ideologischen Verfalls. In: Internationale Literatur 8 (1938) 7, S. 142. 37 Sergej Tretjakow: Einleitung zu „Menschen eines Scheiterhaufens". In: Sergej Tretjakow: Die Arbeit des Schriftstellers. Hg. v. H. Boehnke. Hamburg 1972, S. 144. 38 Hans Mayer: Zur Gegenwartslage unserer Literatur. In: Sonntag v. 2. 12. 1956, S. 4. - Zur Auseinandersetzung mit Mayers Konzept vgl. die zeitgenössische Polemik, darunter Alfred Kurella: Wer bagatellisiert? In: Sonntag v. 16. 12. 1956, S. 6; Joachim G. Boekh: Mit Güte und Takt die Literatur betrachten. In: Sonntag v. 23. 12. 1956, S. 6. - Die jüngste Arbeit, die sich aus historischer Sicht mit den Diskussionen beschäftigt: Joachim Hannemann/Ingrid Pawlowitz/Lothar Zschuckelt: Literatur im Selbstverständnis. Zur Verständigungsdebatte der Schriftsteller über die Funktion und die Aufgaben der Literatur in der D D R (1949-1969). Thesen. In: WB 23 (1977) 10, S. 161-182, besonders S. 170-173. 3 9 Gerhard Scholz: Modernismus als ästhetische und theoretische Restauration. In: J K 1 (1957) 2, S. 26. 40 3. Parteikonferenz der S E D . Protokoll. Berlin 1956, S. 544 (Diskussionsbeitrag von Willi Bredel).
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41 Karl Grünberg: Episoden. Sechs Jahrzehnte Kampf um Sozialismus. 2. Aufl. Berlin 1975, S. 204. 42 Der Leiter der Arbeitsstelle Geschichte der sozialistischen Literatur an der Akademie der Künste, Alfred Klein, berichtete 1973 in einem Interview: „Unsere Abteilung Geschichte der sozialistischen Literatur arbeitet bereits seit 13 Jahren. Ihr Sitz ist in Leipzig. Wir haben in der vergangenen Zeit versucht, eine Tradition weiterzuführen, die lange verschüttet war: einmal durch die zwölf Jahre Faschismus, zum anderen weil nach dem Zusammenbruch des Hitlerreichs zunächst sehr viel elementarere Aufgaben zu lösen waren, als daß man sich um diese Tradition hätte bemühen können. Hinzu kommt, daß die konservative Literaturwissenschaft die von der Arbeiterbewegung hervorgebrachte Literatur stets ignoriert hat, so daß wir, als wir zu arbeiten begannen, von Grund auf vorgehen mußten." Die Frage, ob die Arbeitsgruppe „praktisch am Nullpunkt begonnen" habe, verneinte Klein indessen. „Es gab schon einige sehr wesentliche Arbeiten von verschiedenen Wissenschaftlern der DDR zu unserem Thema. Aber tatsächlich war zuerst einmal das, was über zwölf Jahre Faschismus und Krieg hinweggerettet wurde, möglichst vollständig zu sammeln . . . Wir haben dann zweitens unsere Aufgabe darin gesehen, die wertvollsten Materialien, die seit ihrer Erstveröffentlichung nicht mehr erschienen sind, wieder zugänglich zu machen." Als Perspektive der Forschungsarbeit dieser Gruppe nannte Alfred Klein: „Wir beabsichtigen, von den erreichten Ergebnissen ausgehend, die Entwicklung der deutschen sozialistischen Literatur bis 1945 weiterzuverfolgen und den Anschluß darzustellen, der sie mit dem Werdegang der Literatur der D D R verbindet." Vgl. Arbeitsgespräch mit Prof. Alfred Klein. In: Literatur im Klassenkampf. Dortmund 1973, S. 7-11. 43 Interview mit Klaus Gysi. Kulturpolitik als antifaschistisch-demokratische und sozialistische Erziehung. In: WB 15 (1969) Sonderheft, S. 29. 44 Vgl. Deutsche Literatur der Gegenwart. Eine Übersicht über das literarische Schaffen in der Deutschen Demokratischen Republik von 1945 bis 1957. In: Beiträge zur Gegenwartsliteratur (1958) 13. 45 Verlagsanzeige des Verlages des Ministeriums für Nationale Verteidigung: [Berlin 1958], 46 Willi Bredel: Maschinenfabrik N & K. Berlin 1960, S. 185. 47 Willi Bredel: Wie ich Schriftsteller geworden bin. In: Hammer und Feder. Berlin 1955, S. 27. 48 Wilhelm Pieck: Der neue Weg zum gemeinsamen Kampf für den Sturz der Hitlerdiktatur. Referat und Schlußwort auf der Brüsseler Parteikonferenz der KPD im Oktober 1935. Berlin 1954, S. 134. 49 Ernst Ottwalt: Die Prüfung. Willi Bredels Roman aus dem Konzentrationslager. Zit. nach: Ernst Ottwalt: Schriften. Hg. v. A. W. Mytze. Berlin (West) 1976, S. 168-172. 50 Simone Barck: Johannes R. Bechers Publizistik in der Sowjetunion 1935 bis. 1945. Berlin 1976, S. 15 (Literatur und Gesellschaft).
332
5 1 Alexander Abusch: D i e Schriftstellet und der Plan. I n : Alexander Abusch: Literatur und Wirklichkeit. Berlin 1955, S. 142. 5 2 E b e n d a , S. 143. 5 3 E b e n d a , S. 145. 5 4 E b e n d a , S. 148. 5 5 Dieter
Schiller:
Alltag
und
Geschichte.
Zur
Gestaltung
revolutionärer
Haltungen in unserer Literatur. I n : Revolution und Literatur. Zum Verhältnis von E r b e , Revolution und Literatur. H g . v. Werner Mittenzwei u. Reinhard Weisbach. Leipzig 1971, S. 300 (Sprache und Literatur. Reclams Universal-Bibliothek. B d . 62). 5 6 Diskussion zu Hans Marchwitzas „Roheisen". I n : N D L 2 (1953) 6, S. 99. 57 Ebenda. 5 8 E b e n d a , S. 103. 5 9 Vgl. dazu Ingeborg Münz-Koenen: Auf dem W e g e zu einer marxistischen Literaturtheorie. D i e D e b a t t e proletarisch-revolutionärer Schriftsteller mit G e o r g Lukâcs. I n : D i a l o g und Kontroverse mit Georg Lukâcs. D e r Methodenstreit deutscher sozialistischer Schriftsteller. Hg. v. Werner Mittenzwei. Leipzig 1975, S. 1 0 5 - 1 5 2 (Sprache und Literatur. Reclams UniversalBibliothek. B d . 643). 6 0 Vgl. dazu Literaturgeschichte, S. 2 1 4 - 2 1 5 . - Interessant erscheint in diesem Zusammenhang auch der Versuch, von Seiten französischer Literaturwissenschaftler, die Diskussion um den Nacbterstedter
Brief
einzuschätzen.
So schreibt Hans Jürgen K r a f t : D e r O f f e n e Brief der Arbeiter „entfesselte eine breite Diskussion, in deren Verlauf sich die Arbeiter zum ersten Mal mit ihren Erfahrungen, Vorstellungen und Wünschen direkt an die Schriftsteller wandten." Hans Jürgen K r a f t : L a politique culturelle de 1945 à 1959. I n : Allemagne d'aujourd'hui. Spécial R D A .
[o. O ]
1973, S.
118.
6 1 Genug über „Roheisen" diskutiert? Diskussionsbeitrag von A . Kossert. I n : Tribüne v. 24. 9. 1955, S. 4. 6 2 Genug über „Roheisen" diskutiert? Diskussionsbeitrag von J u p p
Müller.
In: Ebenda. 63 E i n Band II zu „Roheisen"? Ein Brief aus dem Wismutgebiet an die „Tribüne". I n : Tribüne v. 17. 9. 1955, S. 4. 6 4 Heinz H. Schmidt: Sprödes „Roheisen". I n : N D L 5 (1956) 1, S. 139. 6 5 Johannes R. Becher: D a s poetische Prinzip. Zit. nach: Johannes R. Becher: Über Literatur und Kunst. Berlin 1962, S. 6 8 5 - 6 8 6 . 6 6 In Bechers Referat auf dem IV. Schriftstellerkongreß hieß es u. a . : „ J a , wir müssen uns einen neuen Inhalt aneignen. Auch die Probleme, wie sie mit der Politökonomie, der Rentabilität, der Preisbildung, der Planung verbunden sind, gehören zu der ästhetischen Aneignung, die wir zu meistern haben werden, wenn wir ein reales Bild unserer sozialistischen Wirtschaft vermitteln wollen, so wie Balzac seinerzeit die Probleme der Geldwirtschaft künstlerisch bewältigt und uns damit einen tiefen Einblick in das Wesen der kapitalistischen
Gesellschaft verschafft hat. Wir sind noch nicht soweit,
333
daß das Neue unserer Weltanschauung uns so tief in Fleisch und Blut eingegangen wäre, um uns frei im Stoff bewegen zu können. Wir müssen uns diese Bewegungsfreiheit im Stoff erst erarbeiten, und es kann gar nicht ausbleiben, daß das Inhaltliche häufig als Rohstoff, künstlerisch unverarbeitet noch, in den Werken unserer Schriftsteller hervortritt. Aber dieser Inhalt, dieser Rohstoff, sei in aller Bescheidenheit und Entschiedenheit betont, ist g o l d h a l t i g im Gegensatz zu dem sogenannten künstlerisch verarbeiteten Material, das die bürgerliche Literatur zu liefern hat." Vgl. Johannes R. Becher: Von der Größe unserer Literatur. In: IV. Deutscher Schriftstellerkongreß. Protokoll. 1. Teil. Berlin 1956, S. 30. - Zu dieser These von Becher vgl. auch: Ingeborg Münz-Koenen: Zur Reportageliteratur der fünfziger Jahre. In: WB 23 (1977) 1, vor allem S. 51. 67 Greif zur Feder, S. 59-60. 68 An den Bundesvorstand des FDGB, zu Händen Kollegen H. Warnke. Brief v. 10. 8. 1950. (unveröffentl. Ms. im Archiv Cläre Jung; zitiert mit freundlicher Genehmigung von Cläre Jung). 69 Der Charakter der Kollektiverzählung wird bereits durch den Titel und die Benennung der Autoren hervorgehoben: „Die sieben Nachtwachen. Eine Kollektiverzählung aufgeschrieben von Cläre M. Jung. Diese Erzählung ist eine Kollektivarbeit von fünf Werktätigen aus einem Berliner Betrieb: Alfred Zeitz, Edwin Fenske, Artur Petzke, Erich Bobbeth, Cläre M. Jung. Sie ist entstanden aus Erlebnissen und Problemen des Tages. Berlin, am 30. 11. 1949." Vorspann zu: Die sieben Nachtwachen. Unveröffentl. Ms. 70 Vorwort zu: Die sieben Nachtwachen. Unveröffentl. Ms., S. 2 - 4 . 71 Wieland Herzfelde: Mein Bruder John Heartfield. In: JK 1 (1957) 1, S. 34. 72 Vgl. John Heartfield. Leben und Werk dargestellt von seinem Bruder Wieland Herzfelde. 2. Aufl. Dresden 1971. - Die erste Auflage erschien bereits 1967. Herzfelde widmet dem Schaffen seines Bruders ein ganzes Kapitel Heimkehr und neue Probleme innerhalb des einleitenden biographischen Aufrisses. Dort heißt es u. a.: „John war fast ausschließlich für das Theater tätig. Denn seine ureigene Kunst, die Fotomontage wurde damals als angeblicher Formalismus nicht geschätzt." (S. 95.) Aufschlußreich ist auch der - in diesem Band abgedruckte - Brief Johannes R. Bechers, den er als Präsident des Kulturbunds am 19. 6. 1951 an Heartfield anläßlich dessen 60. Geburtstages, zeitlich also unmittelbar nach dem 5. Plenum des ZK der SED, schickte. Im Kontext des Briefes steht die Absage der geplanten Heartfield-Ausstellung. Becher schrieb: „Ich brauch Dir ja wohl nicht zu sagen, wie sehr es uns alle schmerzt, daß dieser Tag durch unglückselige Verwicklungen nicht so in Erscheinung treten kann, wie wir gewünscht haben. Sei jedenfalls überzeugt, daß Deine Freunde das unbedingte und feste Vertrauen zu Dir haben wie immer, ja eigentlich, daß das zu betonen schon nicht mehr dem, was eigentlich zu sagen wäre, entspricht.
334
Wir werden jedenfalls alles tun, um so bald wie möglich Dich durch eine repräsentative Ausstellung zu ehren." (S. 338.) 73 Ernst Bloch/Hanns Eisler: Avantgarde-Kunst und Volksfront. In: Hanns Eisler: Musik und Politik. Schriften 1924-1948. Textkritische Ausgabe von Günter Mayer. Leipzig 1973, S. 400. 74 Ebenda, S. 403. 75 „Der Sieg der Sowjetunion im Rahmen der Antihitlerkoalition hatte bei einigen Künstlern Illusionen über ein mögliches Miteinander dieser Staaten nach dem Kriege geweckt, die ideologischen Gegensätze begannen sich in ihren Vorstellungen zu verwischen. Die Folge davon war ein Abgleiten dieser Schriftsteller auf Positionen ideologischer Neutralität, die spezifischen Aufgaben einer sozialistischen Literatur in der sozialistischen Gesellschaft schwanden aus dem Blickfeld. In dieser Situation orientierten die Beschlüsse des Zentralpomitees der KPdSU 'Uber das Repertoire der Schaum spielhäuser und die Maßnahmen zu seiner Verbesserung' vom August 1946 deutlicher auf das sozialistische und progressive weltliterarische E r b e sowie auf die Funktion der Literatur im Sozialismus . . . Das ZK verwies auf das Leninsche Prinzip der Parteilichkeit, auf die Rolle der marxistisch-leninistischen Weltanschauung im künstlerischen Schaffensprozeß. Die Bedeutung dieser Beschlüsse wird durch einige subjektive, vergröbernde Interpretationen, wie sie in der Tagespolemik vorkamen, nicht gemindert." - Autorenkollektiv u. Ltg. v. Gerhard Ziegengeist/Edward Kowalski u. Anton Hiersche: Multinationale Sowjetliteratur. Kulturrevolution. Menschenbild. Weltliterarische Leistung. 1917-1972. Berlin-Weimar 1975, S. 453. 76 Arbeitsjournal, S. 421. Eintragung v. 24. 3. 1947. 77 Interview mit Klaus Gysi. Kulturpolitik als antifaschistisch-demokratische und sozialistische Erziehung. In: WB 15 (1969) Sonderheft, S. 30. 78 Lâszlô Illés: Vieilles querelles sur l'Avant-Garde. In: Littérature HongroiseLittérature Européenne. Etudes de littérature comparée publiés par l'Académie des Sciences de Hongrie à l'occasion du IVe congrè de l'AILC. Budapest 1964, S. 450. 79 Ebenda, S. 459. 80 Ebenda, S. 468. - Der hier von Illés entwickelte Gedanke wurde einige Jahre später von der marxistischen Literaturwissenschaft der D D R aufgenommen. 1967 erschien Werner Mittenzweis Aufsatz Die Brecht-LukdcsDebatte in der Zeitschrift Sinn und Form. Die Konzeption dieser Arbeit wurde weitergeführt in: Werner Mittenzwei: Dialog und Kontroverse mit Georg Lukâcs. Der Methodenstreit deutscher sozialistischer Schriftsteller, Leipzig 1975 (Sprache und Literatur. Redams Universal-BibliothekBd. 643). 81 Vgl. S. 255-258 im vorliegenden Band. 82 Georg Lukâcs: Es geht um den Realismus. I n : Das Wort 3 (1938) 6, S. 133. 83 Zur Analyse dieses Artikels vgl. Gudrun Klatt: Arbeiterklasse und Theater. Berlin 1975, S. 132-134 (Literatur und Gesellschaft).
335
84 Vgl. dazu Laschitza; Simone Barck: Johannes R. Bechers Publizistik in der Sowjetunion. 1935-1945. Berlin 1976, S. 150 (Literatur und Gesellschaft). 85 Ernst Ottwalt: In diesen Tagen. Zit. nach: Ernst Ottwalt: Schriften. Hg. v. A. W . Mytze. Berlin (West) 1976, S. 217. 86 Fritz Mierau: Majakowski lesen. Zum 85. Geburtstag am 7. Juli 1978. In: SuF 30 (1978) 3, S. 659. - Die Problematik dieses Integrationsvorgangs wird noch durch einen anderen Aspekt offensichtlich: Zur gleichen Zeit, als Majakowskis poetisches Programm, dessen historische Wurzeln in den zwanziger Jahren lagen, auf die neuen Bedingungen der sozialistischen Kulturrevolution in den dreißiger Jahren übertragen wurde, vollzogen sich innerhalb der sowjetischen Avantgarde-Künstler neuerliche Umbrüche, die jetzt darauf zielten, die Erfahrungen der sozialistischen Avantgarde zu bilanzieren und sie so weiterzuführen, daß sie unter den neuen politischökonomischen und gesamtgesellschaftlichen Voraussetzungen produktiv werden konnten. Charakteristisches Beispiel für diesen Vorgang ist die 1936 geschriebene sehr kritische Auseinandersetzung Sergej Tretjakows mit dem tschechischen Surrealismus. In dem Aufsatz Die Surrealisten verteidigte Tretjakow sehr entschieden die Ergebnisse des Ersten Allunionskongresses der Sowjetschriftsteller (1934) und erläuterte die Methode des sozialistischen Realismus. Tretjakow argumentierte, die Surrealisten seien „Menschen mit materialistischen Händen, aber mit idealistischen Gehirnen", und betonte dann: „Man muß sie überzeugen, daß der sozialistische Realismus kein Stil ist, sondern eine künstlerische Methode, die ganz verschiedene Stile im Sinne wirklichen Neuerertums einbegreift, die aber zwei fundamentale Voraussetzungen umfaßt: Das Bewußtsein von der objektiven Realität, die sich nach den Gesetzen des dialektischen Materialismus entwickelt, und die sozialistische Orientierung in jeder Seite des Werks und in jeder Faser des Künstlers." Sergej M. Tretjakow: Dans le front gauche de l'art. Paris 1977, S. 201. 87 Louis Aragon: John Heartfield und die revolutionäre Schönheit. In: Commune. Mai 1935. Zit. nach: John Heartfield. Leben und Werk. Dresden 1962, S. 328-331. 88 Interview mit Professor Hans Rodenberg. Probleme der Kulturpolitik in den Jahren des Anfangs. In: W B 15 (1969) Sonderheft, S. 9. 89 Wladimir Majakowski: Aus vollem Halse. Berlin [o. J.], S. 175 u. S. 176. 90 Erläuterungen zur Sowjetliteratur. Hg. v. einem Autorenkollektiv. Berlin 1953, S. 214-215. 91 Ebenda, S. 215-216. 92 Ebenda, S. 217. - Wie eng sich die Majakowski-Rezeption mit der Ablehnung anderer Vertreter der sowjetischen Avantgarde verband, deutet sich in einem Vortrag Hans Rodenbergs von 1951 an; er schätzte die Kunstszene der Sowjetunion nach 1917 so ein: „Man darf nicht denken, daß nun gleich ein ruhiger und geordneter Übergang der Kunst zum sozialistischen Realismus erfolgte. In dem zerstörten, zerrütteten, vom Bürgerkrieg aufge-
336
wühlten, von den ausländischen Interventionsheeren und der russischen Konterrevolution bedrohten jungen Sowjetland, in dem die Arbeiterklasse und die arme Bauernschaft die Hauptlast des Kampfes zu tragen hatten, bildeten sich zahlreiche Gruppen von Schriftstellern, Malern, .Linken Theatern', Futuristen, Imaginisten, Symbolisten, Kubisten. Jede von ihnen verkündete laut, daß sie das einzig richtige, wahrhaft revolutionäre Rezept habe. Ihr Führer war Meyerhold, ein früherer Schüler Stanislawskis, der sich vom Realismus abgewandt hatte und ein Theater gründete, das sich außerordentlich revolutionär gebärdete, aber in Wirklichkeit das klassische Erbe verzerrte und verfälschte." Die „radikalen Reformprojekte" der „linken Theater" gingen bis zur „völligen Ablehnung des klassischen Erbes und der Forderung nach einer sofortigen Schaffung einer neuen Kunst. In Wirklichkeit waren diese nihilistischen, sich revolutionär gebärdenden ,Laboratoriums-Künstler' nichts anderes als ein Abklatsch der westlichen dekadenten Kunstrichtungen der Verfallserscheinungen der bürgerlichen Kultur." (Hans Rodenberg: Das große Vorbild und der sozialistische Realismus in der darstellenden Kunst, Theater und Film. Berlin 1952, S. 3 0 - 3 2 . ) 9 3 Stephan Hermlin: Wladimir Majakowski. I n : Stephan Hermlin/Hans Mayer: Ansichten über einige Bücher und Schriftsteller. Berlin o. J . , S. 1 4 2 - 1 4 3 . 94 Ebenda, S. 145 u. S. 144. 95 Ebenda, S. 146. 96 Fritz Mierau: Majakowski lesen. Zum 85. Geburtstag am 7. Juli 1978. I n : SuF 30 (1978) 3, S. 653. 97 Lu Märten: Wesen und Veränderung der Formen und Künste. Weimar 1949, S. 12. 98 Lu Märten: Wesen und Veränderung der Formen/Künste. Frankfurt/M. 1924, S. 5. 99 Lu Märten: Wesen und Veränderung der Formen und Künste. Weimar 1949, S. 370. 100 Ebenda, S. 13. 101 Ebenda, S. 378. -
Über den Verlag Werden und Wirken teilte mir das
Stadtarchiv Weimar folgendes mit: „Der Verlag Werden und Wirken wurde unter dem Namen 'Thüringer Verlagsanstalt' als rechtsfähige gemeinnützige Stiftung des Volksbildungsministeriums des Landes Thüringen am 8. August 1946 gegründet. Die Umbenennung in 'Werden und Wirken' erfolgte am 12. Juni 1947. D e r Verlag hatte seinen Sitz in der Schubertstraße 2 ; Verlagsdirektor war Karl E . Böhm und sein Verteter Dr. Klaus. Im Sommer 1949 wurde die Auflösung des Verlages beschlossen. Der Verlag publizierte überwiegend Werke zur Kulturgeschichte und Kinder- und Jugendliteratur." E s folgt eine Aufstellung der nachweisbar publizierten Titel. (Brief des Stadtarchivs Weimar v. 21. 1 0 . 1 9 7 7 an Gudrun Klatt.) 102 Martin Wackernagel: [Rez. zu] Lu Märten: Wesen und Veränderung der Formen und Künste. I n : Zeitschrift für Kunst 4 (1950) 3, S. 2 4 2 - 2 4 3 . 22
DDR-Literatur
337
1 0 3 Michail Lifschitz: K a r l Marx und die Ästhetik. Dresden 1 9 6 7 , S. 30. 104 E b e n d a , S. 2 9 . -
D i e Auseinandersetzung mit der Vulgärsoziologie nahm
im Vorwort von Fritz Erpenbeck zu der Lifschitz-Edition von 1 9 4 8 einen zentralen
Platz
ein.
Die
Vulgärsoziologie,
geistigen und künstlerischen
die
„direkte
Überbauerscheinungen
Ableitung
aus der
der
(meist auch
noch vereinfacht gesehenen) Gesellschaftsordnung oder gar direkt aus dem ökonomischen
Unterbau", sei schädlich, weil „durch sie Menschen,
für den Marxismus gewonnen werden sollen, abgestoßen werden".
die
(Karl
Marx/Friedrich E n g e l s : Über Kunst und Literatur. E i n e Sammlung aus ihren Schriften. Hg. v. Michail Lifschitz. Mit einem Vorwort von Fritz Erpenbeck. Berlin 1 9 4 8 , S. V I I I ) . Zu den sowjetischen zungen mit der Vulgärsoziologie,
Auseinanderset-
speziell der Konzeption
von
Fritsche
vgl. die Einleitung von Claude Prévost zu: Georg Lukâcs: Ecrits de Moscou. Paris 1974, S. 3 5 - 3 9 . 105 Florian
Vaßen:
Lu
Märtens
ästhetische Theorie.
Die
Verbindung
von
Marxschem Arbeitsbegriff und sozialdemokratischer Technikgläubigkeit. I n : alternative 16 ( 1 9 7 3 ) 89, S. 9 2 - 9 3 . 1 0 6 Lu M ä r t e n : Wesen und Veränderung der Formen und Künste. 1 9 4 9 , S. 2 5 7 . -
Weimar
Gerade in Märtens Expressionismus-Einschätzung
wird
m. E . deutlich, daß sie die im antifaschistischen E x i l geführten Expressionismus-Debatten nicht kannte und daher auch nicht an den dort erreichten Stand der Erkenntnis und Problematisierung
anzuknüpfen
ver-
mochte. 107 Ebenda, S. 2 5 9 . 1 0 8 Bei Majakowski hieß es: „Die Kunst ist nicht schon von vornherein eine Kunst für die Massen. Sie wird es erst im Resultat einer R e i h e von B e mühungen: Durch die kritische Analyse ihrer Gültigkeit und Nützlichkeit, durch ihre Verbreitung durch den Parteiapparat und die Staatsmacht, im Falle, daß ihre Nützlichkeit anerkannt wird, durch die W a h l des richtigen Augenblicks um dem Buch Zugang zu den Massen zu verschaffen; durch die Übereinstimmung zwischen dem Ziel des Büches und dem Reifwerden dieser Ziele in den Massen. J e höher ein Buch steht, desto mehr eilt es den Ereignissen voraus." W . W . Majakowski: Ausgewählte W e r k e . B d . 5. Berlin 1973, S. 2 8 8 - 2 8 9 . Ich zitiere nach einer anderen Übersetzung, weil diese treffender ist: Elsa T r i o l e t : Majakowski. Berlin 1 9 5 7 , S. 20. 1 0 9 D a s zeigte sich auch etwa in den Diskussionen um das „didaktische" T h e a ter. Vgl. dazu Gudrun K l a t t : Erfahrungen des „dialektischen" Theaters der fünfziger Jahre in der D D R . I n : W B 2 3 ( 1 9 7 7 ) 7, S. 3 4 - 6 9 . 1 1 0 Arbeitsjournal, S. 4 9 2 - 4 9 3 . Eintragung v. 2 5 . 3 . 1 9 5 1 . 1 1 1 John Heartfield. Leben und W e r k dargestellt von seinem Bruder Wieland Herzfelde. Dresden 1 9 7 1 , S. 9 8 . 1 1 2 Eisler, S. 155. -
E i s l e r äußerte sich in ähnlicher Weise in einem anläß-
lich des zehnjährigen Bestehens
der D D R
338
geschriebenen
Artikel:
„Für
einen Komponisten, der mit Koffern voll noch nie gespielter W e r k e nach Hause kommt, war es eine merkwürdige Situation. Ich wollte nicht das machen, was mir Spaß macht, sondern das, was notwendig war. Und das Verschiedenste war notwendig . . .
In der Komposition mußte ich wieder
umlernen. Methoden, die ich lange für gut hielt, mußten verändert werden. Vereinfachungen, wie sie vor dreißig Jahren gingen, gingen jetzt nicht mehr. D a s Ziel, leichte Faßlichkeit mit neuen Mitteln, mußte neu erarbeitet werden." (Hanns E i s l e r : Zehn Jahre D D R . I n : N D v. 7. 10. 1 9 5 9 ) . 1 1 3 Günter Mayer: D i e Kategorie des musikalischen Materials in den ästhetischen Anschauungen Hanns Eislers. Phil.-Diss. Berlin 1 9 7 0 , S. 2 5 1 .
-
und ästhetischem Verhalten bei den Hörern aufmerksam: „ D i e Erfahrung Mayer macht auch auf die Diskrepanz zwischen politisch-weltanschaulichem zeigte, daß die Herausbildung politisch-weltanschaulich realistischer V e r haltensweisen bei großen Teilen der fortschrittlichen Bevölkerung längst noch nicht gleichbedeutend war mit der Entwicklung realistischer
An-
sprüche an die Musik. Auch hier gab es keinen mechanischen Fortschritt." (Ebenda, S. 2 5 6 ) . 1 1 4 E b e n d a , S. 2 4 9 . 115 Ebenda, S. 2 6 2 . 1 1 6 Arbeitsjournal, S. 4 8 1 . Eintragung v. 13. 1. 1 9 4 9 . - D i e Bemerkung bezog sich auf die PK«/i7a-Itiszenierung, deren Spielweise von der Presse wohlwollend aufgenommen wurde. Brecht verwies in diesem darauf,
daß „gewisse Verfremdungen",
derer sich
Zusammenhang
die Inszenierung
be-
diente, „aus dem Zeughaus der komödie, das 2 0 0 0 jähre alt ist", stammen. Bei aller Anerkennung blieb für ihn trotzdem die F r a g e : „aber wann wird es das echte, radikale epische theater g e b e n ? " -
Zu Brechts Arbeit
in diesem Zeitraum vgl. auch: Werner Mittenzwei: Brecht -
die ästheti-
schen Folgen des Funktionswechsels. I n : Funktion der Literatur. Aspekte Probleme -
Aufgaben. Hg. v. Dieter Schlenstedt/Brigitte Burmeister/Ilse
Idzikowski/Dieter Kliche. Gesellschaft);
Gudrun
Berlin
Klatt:
1975. S. 3 4 8
bis 3 5 8
(Literatur und
Arbeiterklasse und Theater. Berlin 1 9 7 5 ,
S. 1 7 1 - 1 8 1 (Literatur und Gesellschaft). 117 Hanns E i s l e r : Inhalt und Form. I n : Hanns E i s l e r : Materialien zu einer Dialektik der Musik. Leipzig 1973, S. 300. 1 1 8 E b e n d a , S. 3 0 8 . 1 1 9 E b e n d a , S. 3 1 1 . 1 2 0 Eisler, S. 2 4 7 . 1 2 1 Ebenda, S. 2 3 9 u. S. 2 3 8 .
22«
339
Personenregister
Abusch, Alexander 30 104 120 147 bis 148 171-172 175-176 248 253 bis 254 265-266 Achmatowa, A. A. 148 Ackermann, Anton 132 158 Adler, Ernst 44 Aehre, Hans 191 Amado, Jorge 152 182 Andersen Nexö, Martin 31 55 71 87 8 8 - 8 9 218 Andres, Stefan 133-134 Anouilh, Jean 131 144 Apitz, Bruno 218 222 Aragon, Louis 71 86 256 281 Arwatow, B. I. 287-288 Badstübner, Rolf 50 Balâzs, Bela 278 Balzac, Honoré de 32 333 Barck, Simone 264 Barth, Emil 133-134 Barth, Werner 218 Bauer, Arnold 29 33 44 Becher, Johannes R. 19 21 30 34 5 0 - 5 1 52-53 55 71 79 83 91 112 113-115 117 125-126 127 128 140 161 180 189 191 192 194 229 241 259 269-270 283 307 319 329 333 bis 334 Becker, Heinrich 4 3 - 4 5 Beethoven, Ludwig van 76 77 Benn, Gottfried 108 137-139
340
Bergengruen, Werner 102 128-129 Bergner, Edith 231 Bergtel-Schleif, Lotte 64 70 71 Besenbruch, Walter 321-322 Birkenfeld, Günter 121 122 Bloch, Ernst 30 256 274-276 Bobrowski, Johannes 21 170-171 319 Bogdanow, A. A. 287 Böhme, Wolfgang 53 Böttcher, Martin 172 Bonhoeffer, Dietrich 102 Borchert, Wolfgang 106 Braemer, Edith 114 Bräunig, Werner 198 204 213-214 235-236 Braun, Volker 198 Brecht, Bertolt 8 14 19 21 30 34 35 60 62 91 137 140 162 181-182 187 189-190 195 244-245 246 247 248 251 273 275-277 278 280 288 289 290 291 292 314 317 329 339 Bredel, Willi 7 21 30 31 35 71 83 91 126 137 161 163-165 192 213 bis 214 226 252 258 260 261-263 265 268 BrSzan, Jurij 189 Bruckner, Ferdinand 30 Bruns, Marianne 223 235 Bruyn, Günter de 198 320 Bubbenow, M. S. 218 Büchner, Georg 33
Fontane, Theodor 66 71 85 France, Anatole 32 Frank, Leonhard 34 Freytag, Gustav 66 Fugik, Julius 31 Fühmann, Franz 1 7 0 - 1 7 1 189 234 235 3 1 9 328 Fürnberg, Louis 7 31 190
Bunge, Hans 236 290 291 Burljuk, D. D. 282 Camus, Albert 144 Claudius, Eduard 30 34 95 161 162 191 226 Courths-Maler, Hedwig 23 Cramer, Heinz von 132-133 Curtius, Ernst Robert 331 Damm, Eva 218 Dautz, Carl 31 Deicke, Günther 189 Dessau, Paul 289 Dickens, Charles 55 66 Dodd, Martha 32 Dostojewski, F. M. 32 Dubrowitzki, L. A. 77 Dudow, Slatan 251 Dymschitz, A. L. 77-78 Ebner-Eschenbach, Marie von 66 Eggebrecht, Axel 121 Ehrenburg, I. G. 3 71 1 5 2 - 1 5 3 154
186 Eichendorrff, Joseph 32 Eisenhower, Dwight D. 108 Eisenmenger, Roland 218 Eisler, Hanns 2 3 6 - 2 3 7 241 253 274 bis 276 280 2 9 0 - 2 9 2 324 3 3 8 - 3 3 9 Eluard, Paul 32 Ek, Sandor 261 Erpenbeck, Fritz 30 94 149 338 Eschstruth, Natalie von 23 Euklid 236 Fadejew, A. A. 31 150 Fallada, Hans 32 102 Fast, Howard 32 Faulkner, William Harrison 32 142 Fedin, K . A. 31 Felkel, Günter 223 Felsenstein, Walter 314 Feuchtwanger, Lion 30 34 179 Feuerbach, Ludwig Andreas 56 109
193
Gebhardt, Gerda von 121 George, Stefan 331 Gide, André 32 86 Giraudoux, Jean 144 Gladkow, F. W. 31 Glante, Günter 218 326 Godwin, William 56 Goethe, Johann Wolfgang von 32 45 55 59 71 77 81 1 1 0 - 1 1 5 227 245 Gogol, N. W . 32 Gorbatow, B. T. 148 Gordon, Allan 218 Gorki, Maxim 31 55 71 82 87 88 89 91 94 153 Görlich, Günter 198 2 1 8 Gorrish, Walter 30 Gotsche, Otto 7 35 161 1 6 6 - 1 6 7 179 205 2 1 8 2 2 2 - 2 2 3 225 226 232 259 265 312 Grabner, Hasso 188 2 1 3 - 2 1 4 218 Graetz, René 254 Graf, Oskar Maria 30 Grossmann, W . S. 31 Grotewohl, Otto 1 0 9 - 1 1 0 131 145 313 Grünberg, Karl 3 4 - 3 5 95 149 168 2 5 9 - 2 6 1 265 Grundig, Hans 250 261 Grundig, Lea 261 Gysi, Klaus 120 277 289 Hagelstange, Rudolf 116-117 bis 122 Harich, Wolfgang 120 128 Harte, Bret 32 34
341
121
Hartinger, Walfried
199-200
Jaspers, Karl
Hasenclever, Walter
78
Jobst, Herbert
Hastedt, Regina
213-214
215
216
John, Erhard
Hauptmann, Gerhart
79 81
Jözsef, Attila
Hauptmann, Helmut
198 250
Jung, Cläre M.
Hauser, Harald
Heartfield, John
168-169
250 274 280 281
326
Kafka, Franz
32
Kaiser, Bruno
Heine, Heinrich
270-273
127-128
133-134
2 8 9 334 32
45
77
80
81
94-95
Kant, Hermann
196-197
198
216
118
120
bis 217
82 92 Heise, Wolfgang
Kant, Immanuel
245 254 255
Hemingway, Ernest
23
32
34
79
76
Alfred
Kantorowicz,
30
307
86 142 Hcrmand, Jost
Kasack, Hermann
72
Stephan
133-134
135
76
150
92-93 161
188
Heron von Alexandria Herzfelde, Wieland
Kästner, Erich
281
Katajew, V. P.
148
Kaufmann, Eva
9
287 30 171 1 7 2 - 1 7 3
31
Kerckhoff, Susanne
295 321-322
Hitler, Adolf
50 81 185
Kerndl, Rainer
Ernst Theodor
Amadeus
Hoffmann, Rudolf
252-253
Hohlfeld, Johannes
43-44
32 281 89
31 246-247
277-278
335
331-332 320
3 2 1 - 3 2 2 328
Köhler, Erich
234
Köhler, Willi
71
Koenen, Bernard
214
Koeppen, Jochen
218
Koestler, Arthur
86
Kollwitz, Käthe
286
Koplowitz, Jan
161
Krauss, Werner
16
26
bis 9 9 306 3 3 0 - 3 3 1
196 320
342
66
171
252
Klein, Alfred Koch, Hans
118
Jakobs, Karl-Heinz
102
32
Knappe, Joachim
32 2 5 2 - 2 5 3
Ibsen, Henrik
66
198
Kisch, Egon Erwin Kläber, Kurt
32 106
Hüchel, Peter
32
Kipling, Joseph Rudyard
Hölderlin, Johann Christian Friedrich
Huppert, Hugo
252
170
222
Huch, Ricarda
25 26 32 5 5 85 88
Kellermann, Bernhard
186
Hinckel, Erika
Illes, Laszlö
9
Kawerin, W . A.
Keller, Herbert
211 223
Hillich, Reinhard
Hoffmann,
Kaufmann, Hans
Keller, Gottfried
66 79
Heymann, Stefan Hild, August
87
Kayser, Wolfgang
274 289 334 Hesse, Hermann Heym, Stefan
102 1 3 3 - 1 3 4 135
124
2 8 2 - 2 8 4 307
Iljin
30 246
Junghans, Gerti
79
Haushofer, Albrecht Hausmann, Manfred
112-113
321
Jünger, Ernst
31 95 327
107
223 250
Joho, Wolfgang
218 235
Hermlin,
86-87
46
47
9$
Kreuder, Ernst 133 Kuba 7 189 Kuckhoff, Adam 30 102 Kuckhoff, Greta 120 Kunert, Günter 184-186 Kupke, Peter 244 Kurella, Alfred 203-204 208 210 bis 211 212-213 218 226-227 325 Lange, Horst 133-134 Lange, Marianne 189 Langgässer, Elisabeth 32 118-120 133-134 135 Langhoff, Wolfgang 30 34 Laschitza, Hans 4 9 - 5 0 Lask, Berta 34-35 Lasky, Melvin 122 Le Fort, Gertrud von 106 Lenin, W. I. 15 48 49 58 94 155 bis 156 169 238 264 281 310 Leonhard, Rudolf 31 Lessing, Gotthold Ephraim 32 33 45 55 80 81 Leuteritz, Gustav 169-170 172 173 Lifschitz, Michail 287 Loerke, Oskar 167 London, Jack 32 34 Lorbeer, Hans 31 161 176-180 190 191 222 252 261 265 315 Lukäcs, Georg 60 83 84-85 87 bis 90 136-137 139-140 254 255 256-257 258 264 268 270 278 330-331 Luther, Martin 83 Märten, Lu 284 287 338 Majakowski, W. W . 31 91-93 204 246 276-277 279-284 288 336 Malraux, André 86 Maitz, Albert 31 32 Mann, Heinrich 30 71 170 Mann, Thomas 23 30 34 35 71 78 79 88 105 110-111 117 120 170 306
343
Marchwitza, Hans 7 35 83 91 95 137 149-150 161 213-214 218 226 252 261 265-268 269-270 Marlitt 23 Marschak, S. R. 31 Marx, Karl 107 109 287 Masereel, Frans 250 Maurer, Georg 21 170-171 Mayer, Günter 290 339 Mayer, Hans 254 257-258 Meyerhold, W. E. 280 337 Mehring, Franz 285 Mierau, Fritz 248-249 280 283 Miller, Henry 32 86 Mitchell, Margarete 72 Mittenzwei, Werner 8 244-245 246 247-248 249 289 Mörike, Eduard 32 Mohn, Heinrich 45 Molo, Walter von 102 Molotow, W. M. 138 Mones, Carl 6 8 - 6 9 Mozart, Wolfgang Amadeus 106 Mühlberg, Dietrich 321-322 Mühsam, Erich 78 102 252 Müller, Heiner 189 192 250 252 273 318-319 Müller, Jupp 218 Müller-Stahl, Hagen 250 Mukerdschi 66 Mundstock, Karl 222-223 Muschler, Reinhold Conrad 23 Neruda, Pablo 32 152 Neuhaus, Wolfgang 223 Neukrantz, Klaus 35 261 Neutsch, Erik 198 Niekisch, Ernst 123 Niel, Herms 106 Niemöller, Martin 129 Nossack, Hans 32 O'Neill, Eugene Gladstone Osborn, Paul 86
86
Ossietzky, Carl von Otten, Karl
Sabais, Heinz-Winfried
78
Ostrowski, N. A.
Sachs, Nelly
31 82
Sakowski, Helmut
252
Ottwalt, Ernst
198
Sartre, Jean-Paul 131 1 4 3 - 1 4 4
2 6 3 - 2 6 4 280 281
Owetschkin, W . W .
Schabowski, Günter
218
Schaffer, Gordon Panitz, Eberhard
Schiller,
82
Pfützner, Klaus
251
Pieck, Wilhelm
109 263 2 6 4
Plievier, Theodor Pohl, Gerhart
Schiller, Siegfried
89
31
Proudhon, Pierre-Joseph
45
55
69 106
Schlenker, Wolfram
31
Prischwin, M. M.
32
Schirach, Baidur von
133-134
Pozner, Vladimir
266-267
71 77 83 227
86
Pontoppiddan, Henrik
31 245-246
Schiller, Friedrich von
30 71 123
Poe, Edgar Allan
Dieter
319
31 83 95 120 261
Petersen, Jan
30
Scheer, Maximilian
31
Pawlenko, P. A.
81
Scharrer, Adam
31
Pantelejew, L.
218 32
Schaginjan, M. S.
198
Panowa, W . F.
116 306
30
Schien stedt, Dieter
9 16
Schmidt, Heinz H.
269
Schneider, Reinhold
102
Schnog, Karl
56
Puschkin, A. S.
31 32 71 82 9 4 - 9 5
Raupach, Rudi
188
60 62
128-129
120
Scholochow, M. A.
31
Scholties, August
71
82
218
32
121
133-134
113
114
257-258
148 Redam, Ernst
Scholz, Gerhard
45
Reed, John
Schröder,
218 250
Reger, Erik
Schuder, Rosemarie
139
Schwarz, J . L.
Reimann, Brigitte Rein, Heinz
320
31
Reinhard, Annemarie Reinowski, Werner Renn, Ludwig Reuter, Fritz
218
Seghers, Anna
bis 134 140 147 151 1 5 2 - 1 5 5 161 173
194 318 319 128
Jean-Nicolas
Rodenberg, Hans Röpke, Wilhelm Rolland, Romain
144
Arthur
283
Rosegger, Peter Rowohlt, Ernst
32 55 66 34
182
183
Shakespeare, William
140-142
281 336
178
186
191-194
222 227 2 2 9 307 318 329
32 79 283
108
19 21 2 3 30 34 35
5 1 - 5 2 71 7 8 91 101 1 2 2 - 1 2 3 133
147 Rimbaud,
79 198
30 79 91
112
218
Seeger, Bernhard 222
Rilke, Rainer Maria Rilla, Paul
106
31
Schweitzer, Albert
81
Richter, Hans
Alexander
167
30
Reichel, Peter
Rudolf
32 59 79
Shdanow, A. A.
275
Simonow, K . M.
31 82
Slang
261
Snimtschikowa, G .
70
Springer, Axel Cäsar Stalin, J . W .
Stanislawski, K . S. Staufenbiel, Fred
344
45
91 323 290 337 321-322
Steinmann, Hans Jügen 218 Stevenson, Robert Louis 34 Stifter, Adalbert 32 55 79 Storm, Theodor 32 55 Strittmatter, Erwin 213-214 225 227 233-234 290 295 319 Stybs, Alwin 121 Surkow, A. A. 82 Szabolcsi, Miklós 246-247 Thieß, Frank 102 117 Thoma, Ludwig 66 Toller, Ernst 78 Tolstoi, L. N. 31 55 71 78 85 94 152 153 155 Tretjakow, S. M. 248-249 280 325 336 Trommler, Frank 62 Tschakowski, A. B. 31 Tschechow, A. P. 31 Tucholsky, Kurt 30 78 Turek, Ludwig 31 95 168 261 Turgenjew, I. S. 31 56 Twain, Mark 34 55 86 Tynjanow, J. N. 31 Uhse, Bodo 30 79 83 91 150 327 Ulbricht, Walter 158 160-161 175 215-216 313 Vansittart, Robert Gilbert Vaßen, Florian 288 Vercors 32 Viertel, Berthold 30 Voegt, Hedwig 114
37
345
Voelkner, Benno 218 223 Vring, Georg von der 106 Wangenheim, Inge von 223 234 Wedding, Alex 31 Weinert, Erich 21 35 42 83 92 123 124 137 161 252 329 Weisenborn, Günter 32 102 118 Weiskopf, Franz Carl 31 252 Welskopf-Henrich, Lieselotte 223 Wendt. Erich 220 Werfel, Franz 79 Weyrauch, Wolfgang 127-128 142 Wiechert, Ernst 32 66 78 79 102 128-129 Wiens, Paul 189 327 Wilder, Thornton 86 131 144 Whitman, Walt 86 283 Williams, Tennessee 144 Willmann, Heinz 52-53 Wischnewski, W. W. 261 Wogatzki, Benito 198 Woita, Irene 71 Wolf, Christa 198 319 Wolf, Friedrich 7 21 30 34 55 94 124-125 137 161 2 5 2 - 2 5 3 Zach, Sepp 215 216 Ziermann, Klaus 70 73 Zimmering, Max 31 2 1 3 - 2 1 4 215 232 Zuckmayer, Carl 32 Zweig, Arnold 30 55 Zweig, Stefan 78 79
Zu den Autoren
Hörnigk, Therese geboren 1942, Dr. phil., Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentralinstitut für Literaturgeschichte der Akademie der Wissenschaften der D D R . - Publikationen: Zeitschriftenbeiträge und Vorträge zur Dramatik und zur DDR-Literatur. Lehrtätigkeit an der Berliner Humboldt-Universität, besonders zur Dramatik und Theatertheorie Bertolt Brechts; Mitautor: Die D D R in der Übergangsperiode (1979).
Klatt,
Gudrun
geboren 1943, Dr. phil., Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentralinstitut für Literaturgeschichte der Akademie der Wissenschaften der D D R . - Publikationen: Arbeiterklasse und Theater (1975); Mitautor: Geschichte der deutschen Literatur, Bd. 10 (1973); Dialog und Kontroverse mit Georg Lukäcs (1975); Hg.: G. M. Scaevola. Gedichte und Stücke (1977).
Krenvjin, Leonore geboren 1934, Dr. phil., Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentralinstitut für Literaturgeschichte der Akademie der Wissenschaften der D D R . - Publikationen: Mitautor: Geschichte der deutschen Literatur, Band 10: Von 1917 bis 1945 (1973); Funktion der Literatur (1975); Kritik 75. Rezensionen zur D D R Literatur (1976); Kritik 76. Rezensionen zur DDR-Literatur (1977). In Vorbereitung: Hermann Kant - Leben und Werk (1979).
Münz-Koenen, Ingeborg geboren 1942, Dr. phil., Forschungsgruppenlciterin am Zentralinstitut für Literaturgeschichte der Akademie der Wissenschaften der D D R . - Publikationen: Fernsehdramatik (1974); Mitautor: Revolution und Literatur (1971); Theater in der Zeitenwende (1972); Dialog und Kontroverse mit Georg Lukäcs (1975).
Reinhold, Ursula geboren 1938, Dr. phil., Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentralinstitut für Literaturgeschichte der Akademie der Wissenschaften der D D R . - Publikationen: Antihumanismus in der westdeutschen Literatur (1971), Literatur und Klassenkampf (1976); Mitautor: Welt im sozialistischen Gedicht (1974); Funktion der Literatur (1975); Weggenossen (1975); Streitpunkt Vormärz (1977); Hg.: Kürbiskerne. Beiträge zu Politik und Kultur in der B R D (1977).
346
Kürbiskerne Beiträge zu Politik und Kultur in der B R D Auswahl aus „Kürbikern" (1965-1975) Teil 1 und Teil 2 Herausgegeben von Ursula Reinhold 1977 • 601 Seten • 19,50 M Tiber
Klanic^ay
Renaissance und
Manierismus
Zum Verhältnis von Gesellschaftsstruktur, Poetik und Stil 1977 • 274 Seiten • 9 , - M Njota
Thun
Krieg und Literatur Studien zur sowjetischen Prosa von 1941 bis zur Gegenwart 1977 • 299 Seiten • 9,50 M Kontext Sowjetische Beiträge zur Methodendiskussion in der Literaturwissenschaft Herausgegeben von Rosemarie Lenzer und Pjotr Palijewski 1977 • 216 Seiten • 1 - M Michael
Nerlicb
Kritik der Abenteuer-Ideologie Beitrag zur bürgerlichen Bewußtseinsbildung (1100—1750) Teil 1 und Teil 2 1977 • 564 Seiten • 18,50 M Ingrid
Pepperle
Junghegelianische Geschichtsphilosophie und 1978 • 287 Seiten • 9 , - M Günther
Klotz
Alternativen i m britischen D r a m a der 1978 • 188 Seiten • 6 , - M Karlheinz
Gegenwart
Kasper
Multinationale sowjetische Erzählung 1978-231 Seiten - 7 , 5 0 M Jürgen
Kunsttheorie
(1945—1975)
Scbehera
Hanns Eisler im
USA-Exil
Zu den politischen, ästhetischen und kompositorischen Positionen des Komponisten 1938 bis 1948 1978 • 235 Seiten • 7,50 M 347
Amerikanische Literaturkritik im Engagement Beiträge- zur marxistischen Literaturtheorie und Literaturgeschichte Eingeleitet und herausgegeben von Norman Rudich 1978 • 220 Seiten • 7 , - M
Bulgarische marxistische Literaturtheorie und Literaturkritik 1891-1941 (Texte und Dokumente) Herausgegeben von Georgi Dimow und Dobri Witschew 1978 • 408 Seiten • 2 6 - M
Werner Lenk „Ketzer"lehren und Kampfprogramme Ideologieentwicklung im Zeichen der frühbürgerlichen Revolution in Deutschland 2. erg. Auflage 1978 • 203 Seiten • 1 - M
Ingehorg Spriewald V o m „ Eulenspiegel" zum „Simplicissimus" Zur Genesis des Realismus in den Anfängen der deutschen Prosaerzählung 2. erg. Auflage 1978 • 166 Seiten • 6 , - M
Manfred Naumann Prosa in Frankreich Studien zum Roman im 19. und 20. Jahrhundert 1978 • 306 Seiten • 1 0 , - M
Wolfgang Klein Schriftsteller in der französischen Volksfront Die Zeitschrift „Commune" 1978 • 384 Seiten • 1 2 - M
Werner Herden Wege zur Volksfront Schriftsteller im antifaschistischen Bündnis 1978 • 236 Seiten • 7,50 M
Frank Wagner „ . . . der Kurs auf die Realität" Das epische Werk von Anna Seghers (1935-1943) 2. Auflage 1978 • 318 Seiten • 1 0 , - M